Spektrum der Zuversicht: Zur Kontingenzbewältigung im politischen Denken der Schottischen Aufklärung [1 ed.] 9783412522957, 9783412522933

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Spektrum der Zuversicht: Zur Kontingenzbewältigung im politischen Denken der Schottischen Aufklärung [1 ed.]
 9783412522957, 9783412522933

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HELMUT KRÄMER

SPEKTRUM DER ZUVERSICHT

ZUR KONTINGENZBEWÄLTIGUNG IM POLITISCHEN DENKEN DER SCHOTTISCHEN AUFKLÄRUNG

Helmut Krämer

Spektrum der Zuversicht Zur Kontingenzbewältigung im politischen Denken der Schottischen Aufklärung

Böhlau Verlag wien köln weimar

Zugl.: Dissertation, Universität der Bundeswehr München, Neubiberg, 2020 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Cie. KG, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Menschen in spontaner Ordnung erwarten im Jahr 1999 eine Sonnenfinsternis. Das Eintreten des Naturereignisses der am hellen Tag sich verdunkelnden Sonne ist gewiss. Welche Empfindungen und Handlungen aber wird es bei den Betrachtern hervorrufen? – Die Denker der Schottischen Aufklärung sehen in der von der Naturphilosophie ihrer Zeit verfolgten empirisch-analytischen Methode ein Vorgehen, das zu zuverlässigen Aussagen führt, Faktizität offenbart. Dieses Verfahren – sie nennen es experimental method – suchen sie auf die von ihnen angestrebte neue Wissenschaft vom Menschen – science of man – zu übertragen. Denn das ist im 18. Jahrhundert Ziel und Verheißung der Moralphilosophie gleichermaßen: auch über die Menschen und ihre Beziehungen zueinander Aussagen von gesetzmäßiger Gültigkeit treffen und damit Kontingenz ‚bewältigen‘ zu können. Der Weg von der traditionellen spekulativen Metaphysik hin zu den Gesellschaftswissenschaften mit ihren Disziplinen, wie wir sie heute kennen, ist nun vorgezeichnet … (Foto: Helmut Krämer) Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52295-7

Inhalt

Vorbemerkungen

1.

Annäherung an das Thema. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2. Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der thematische Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Der Begriff der Zuversicht und seine Implikationen . . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Vorannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.2 ‚Konkrete‘ und ‚allgemeine‘ Zuversicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.3 Gegenstände der Zuversicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.4 Zuversicht versus Optimismus.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.5 Ergänzende Überlegungen zur Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Der Begriff der Kontingenz und die Einsicht in die Nichtverfügbarkeit der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Der Anspruch auf Naturbeherrschung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Gesellschaftliche Regulative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Die Ordnung des Vergangenen  : Entwicklungsmodelle der Geschichte . . 2.1.4 Von der ‘Moral Philosophy’ zur ‘Science of Man’ . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Von der Erkenntnis zur Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5.1 Die Regelhaftigkeit im Ablauf des Geschehens . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5.2 Die Verheißungen der ‘Natural Philosophy’: Kausalität und Prinzip . . . 2.1.5.3 Das Hinzukommen der Außenperspektive  : Reiseberichte.. . . . . . . . 2.1.6 Die Entdeckung der ‚Gesellschaft‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6.1 David Hume  : Gesellschaft als Bewältigung von Kontingenz . . . . . . . 2.1.6.2 Adam Ferguson  : Gesellschaft als anthropologische Tatsache . . . . . . . 2.1.6.3 Adam Smith  : Gesellschaft und Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.7 Der Begriff der Zivilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.8 Der Begriff der Kontrolle – methodische und soziale Konsequenzen . . . 2.1.9 Die Fragestellung des Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der Aufbau dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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20 20 22 22 23 24 26 28

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29 30 31 32 34 36 37 38 40 41 44 45 47 48 51 53 56



I. Der Kontext

3.

Aufklärung – Schottische Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Narrative der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Einordnung, Ordnung und Kontext der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . 65

3.1 3.2

6 | 

Inhalt

3.2.1 3.2.2 3.3 3.3.1 3.3.2

Datierung und inhaltliche Ausrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Kontext der Aufklärung  : Ziele und Methoden . . . . . . . . . . . . . Autoren, Werke und Themen der Schottischen Aufklärung. . . . . . . . . Die Autoren und ihre Werke.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die schottische Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts als ‚Sonderfall‘ der Aufklärung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Überlegungen zur Theorie  : ‘Experimental Method – Moral Subjects’. . . . . 3.3.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zur Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung.. . . . . . . . . 3.4.1 Erforschung der Schottischen Aufklärung, ausgehend von Disziplinen und Themen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Erforschung der Schottischen Aufklärung im Sinn einer Gesamtheit . . . . 3.4.3 Erforschung der Schottischen Aufklärung, ausgehend von ihren Autoren .. 3.4.3.1 David Hume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.2 Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3.3 Adam Ferguson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Die weitere Entwicklung – eine skeptische Prognose . . . . . . . . . . . . 4.

 66  69  73  73  79  81  83  83  85  89  96  97  98  99 103

Der ideengeschichtliche Vorlauf innerhalb des angelsächsischen Diskurses . 104 . . . 108 . . . 110 . . . 110 . . . 111 . . . 114 . . . 117 . . . 121 . . . 124 . . . 128 . . . 129 . . . 131 . . . 134 . . . 140 . . . 141 . . . 143 . . . 143 . . . 146 . . . 151

4.1 Der historische und politische Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der ideengeschichtliche Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Die Kontinuität des Diskurses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Thomas Hobbes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1 Der Naturzustand  : zeitgenössische Gesellschaft minus Zivilisation. . 4.2.2.2 Naturrecht – Pflicht zum Frieden, Recht auf Verteidigung . . . . . . 4.2.2.3 Der ‚gesellige Trieb‘ – Grotius’ Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.4 Die Wirkkraft des Eigeninteresses und das Eigentum als seine Folge . 4.2.2.5 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 John Locke.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.1 Die ‘Two Treatises’ – Streitschrift und theoretisches Konzept. . . . . 4.2.3.2 Vom Naturzustand zum Staat im Dienst des Eigentums . . . . . . . 4.2.3.3 Das Geld und die Autonomisierung des Individuums.. . . . . . . . 4.2.3.4 Verstand und Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Shaftesbury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.1 Überlegungen zum Moral Sense. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4.2 Handlungsmotiv und Selbstreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Bernard Mandeville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5.1 Zivilisation als Notwendigkeit  : ‘An Enquiry into the Origin of Moral Virtue’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5.2 Vom Guten des Schlechten  : ‘A Search into the Nature of Society’ . . 4.2.5.3 Moralphilosophie und das Genre der Satire . . . . . . . . . . . . . .

. . . 153 . . . 154 . . . 158

Inhalt 

4.2.6 Francis Hutcheson. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6.1 Eigenliebe und Empathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6.2 Ethik und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.7 Das Ende der Vorgeschichte der Schottischen Aufklärung .



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6.

160 161 164 166

II. Theoretische Klärungen

5. Der Naturbegriff  : Bedeutung und wissenschafts­theoretische Implikationen . 5.1 Der Naturbegriff im Denken der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Der Naturbegriff als Gegenstand der Forschung.. . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Naturbild und Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Naturauffassung und Zuversicht.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 ‘Natural and moral subjects’ – die Gegenstände der zwei ‚Philosophien‘ .. 5.2 Funktionen des Naturbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Verschiebung der Wissensbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Natur-Absicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Folgerungen  : Vieldeutigkeiten und Unschärfen. . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Der Naturbegriff aus dem Blickwinkel wissenschaftstheoretischer Ansätze . 5.3.1 Natur als Quelle der Erkenntnis und als nützliches Gegenüber  : Bacons Weichenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Die Zweifel an der Natur als dem schlechthin Selbstverständlichen.. . . . 5.3.2.1 Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen Vorausgesetzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.2 ‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft . . . 5.3.3 Die Natur in Entwicklungsmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3.1 ‚Natura lapsa‘ – die ‚gefallene Natur‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3.2 ‚Oeconomia naturae‘ – der ‚Haushalt der Natur‘ . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Naturverständnis und Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Die Spannweite des Naturbegriffs in der Schottischen Aufklärung . . . . . 5.5.1 Das Naturverständnis im Rahmen der Interaktion zwischen den Wissenschaften.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1.1 Institutionalisierte Interdisziplinarität  : die ‚gelehrten Gesellschaften‘. . . . 5.5.1.2 James Hutton und der fehlgeschlagene Wissenstransfer. . . . . . . . . . . 5.5.2 Der Einsatz des Naturbegriffs im Dienst rhetorischer Manöver. . . . . . .

6.1 6.2

| 7

173 174 174 175 177 179 182 183 184 188 190 192 200 201 205 209 210 212 215 217 223 225 225 227 231

Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Kontingenz versus Zufall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 ‚Begründungsdefizit‘ versus ‚Grundlosigkeit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . 239

8 | 

Inhalt

6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5 7.

7.1 7.2

Kontingenzbewältigungen  : Ansätze im Denken der angelsächsischen Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Francis Bacon  : die Macht des Unplanbaren. . . . . . . . . . . . . . . Thomas Hobbes  : Philosophie als Erkenntnis von Wirkungen.. . . . . John Locke  : Bruch mit der Teleologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . David Hume  : Kontingenzbewältigung und Zivilisation.. . . . . . . . Adam Smith  : vorsorgende Klugheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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246 246 247 249 250 252

Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis . . . . 254 Humes Fragestellung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Die Vorannahmen  : Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, gleichförmige Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Von der statischen zur dynamischen Natur des Menschen . . . . . . . . 7.4 Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis . . . . . . . 7.4.1 Zur Verteilung der Rollen  : Affekte versus Verstand . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Wie Zuversicht entsteht und wie sie sich auswirkt . . . . . . . . . . . . 7.5 Die Grundlagen der Argumentation.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.1 Zwischen Nachvollziehbarkeit und Vorstellbarkeit . . . . . . . . . . . . 7.5.2 Kausalität  : Gewissheit aus Gewohnheit  ? . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.2.1 Warum es in der Geschichte keine Kausalität gibt.. . . . . . . . . . . . 7.5.2.2 Welche Erkenntnisse die Geschichte dennoch liefern kann . . . . . . . . 7.5.3 Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Faktizität oder  : Überschneidung und Unterscheidung der Erklärungsmodelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Die politische Praxis und die Affekte der Hoffnung und der Furcht . . . 7.8 Einige Bemerkungen über Humes eigene Zuversicht . . . . . . . . . . . 7.8.1 Humes Erwartungen an das eigene Werk  : ‘Abstract’ und ‘A Letter from a Gentleman’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8.2 Die zwei Formen der Skepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.8.3 Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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256 259 261 262 264 269 269 274 275 279 284

. 288 . 290 . 294 . 294 . 299 . 303



III. Spektrum der Zuversicht

8.

Überlieferung und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Quellen zur Entwicklung der Zivilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Fergusons Bewertung historischer Überlieferungen . . . . . . . . . . . . . 310 Die Reiseberichte des 17. und 18. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . 316 Folgerungen für den Zivilisationsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 David Hume  : Zivilisation und Regulation . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Adam Ferguson  : Zivilisation und Fähigkeiten.. . . . . . . . . . . . . . . 330

8.1 8.1.1 8.1.2 8.1.3 8.1.3.1 8.1.3.2

Inhalt 

8.1.3.3 Adam Smith  : Zivilisation und Wohlstand. . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3.4 John Millar  : Zivilisation und Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Vom ‚Fortschritt‘ zur ‚Vervollkommnung‘. . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Vorüberlegungen zur Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 ‚Fortschritt‘ in der Schottischen Aufklärung.. . . . . . . . . . . . . 8.2.3 ‚Vervollkommnung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 David Hume und die Verbindung der Begriffe ‚Überlieferung‘ und ‚Tatsache‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Adam Smith  : Zivilisation und Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Adam Ferguson  : Zivilisation und Abgrund . . . . . . . . . . . . . . 9.

9.1 9.2

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. . . . . .

. . . . . .

| 9

330 332 334 334 336 339

. . . 341 . . . 342 . . . 345 . . . 349

Die Thematik der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Religion und Religionskritik in der Schottischen Aufklärung. . . . . . . . 355

David Hume über das politische Potenzial von Aberglaube und Enthusiasmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deismus und Systemdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wissenschaftstheoretische Implikationen – ‚System‘ und ‚Maschine‘ .

. . . .

356 359 359 362

10. Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik. . . . . . 10.1 Der Wandel in den Vorgehensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 ‘Experimental Method’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 ‘Conjectural History’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Die Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Adam Ferguson  : Arbeitsteilung und Zivilisation . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Adam Smith  : Arbeitsteilung und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Das Interesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Leidenschaften – Interessen  : Zur Genese eines Erklärungsmodells der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Fergusons kritischer Blick auf die Erklärungsmacht des Interesses . . . . . 10.3.3 Das Interesse und die Akteure. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘. . . . . . 10.4.1 Eigentum und Zuversicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2 Das Eigentum und die Genese des Staates.. . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3 Die Bedeutung des Eigentums für die Differenzierung der Gesellschaft .. 10.4.4 Das Eigentum als Indikator für den Entwicklungsstand der Gesellschaft .. 10.4.5 Das Eigentum und die Bedeutung von Autonomie und Kontrolle . . . . .

367 368 368 372 378 379 379 388 392 395

9.3 9.3.1 9.3.2

. . . .

. . . .

398 400 402 403 406 409 410 411 413

10 | 

Inhalt

10.4.6 Die Verteilung des Eigentums und die Hoffnung auf einen Trickle-downEffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 11.

Zuversicht in die Tugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 David Hume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

11.1 11.1.1 Das Hume’sche Gesetz und die Frage nach dem Erkennen moralischer Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Stabilisierung der Gesellschaft durch die ‚künstlichen Tugenden‘. . . . 11.2 Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Tugendlehre oder „wirkliche“ Theorie  ? . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Die Denkfigur des ‚unparteiischen Beobachters‘ . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Die Doppelfunktion  : ethisches Bewertungskriterium und Instrument sozialer Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Die Tugend der Klugheit  : unmittelbare Kontingenzbewältigung . . . . 11.3 Adam Ferguson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Traditioneller versus ‚moderner‘ Blick auf die Tugend.. . . . . . . . . 11.3.2 Unterordnung, Loyalität  : die Funktion der Tugend. . . . . . . . . . . 11.4 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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419 422 427 428 430

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433 435 436 437 439 442

Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung.. . . . . . . . . . . 444 12.1 Die frühe Pro-Miliz-Argumentation in Schottland  : Andrew Fletcher.. . . 447 12.2 Adam Ferguson und die Miliz-Frage  : Schule der Tugend . . . . . . . . . . 448 12.3 Adam Smith und die Miliz-Frage  : latente Ambivalenz . . . . . . . . . . . 453 12.4 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 12.

13.

13.1 13.2 13.3 13.4

14.

14.1 14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.2

Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen . . . . . . . . . . . . . . 460 David Hume  : Phasenmodell der Selbstregulierung . . . . . . . . . . . . . 464

Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Regulierung durch die Domestizierung der Leidenschaften durch die Interessen  ?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Zuversicht in der Schottischen Aufklärung – charakteristische Einzelaspekte.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Sklavenfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gegensatz von Adam Ferguson und David Hume . . . . . . . . . . . Adam Smith und der Zusammenhang von Sklaverei und Regierungsform . John Millar und der Zusammenhang von Sklaverei und Eigentum . . . . . Zu David Humes Argumentation in einigen seiner Essays . . . . . . . . .

491 492 493 496 499 501

Inhalt 

14.2.1 Die Hoffnung auf die Bildbarkeit des Menschen  : ‘Of the Delicacy of Taste and Passion’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Umdenken  : ‘Of the Liberty of the Press’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.3 Politik als Wissenschaft  : ‘That Politics May Be Reduced to a Science’ . . . 14.2.4 Einige Schlaglichter auf das Wesen und die Aufgaben von Regierungen .. 14.2.4.1 Interesse, Macht und Eigentum  : ‘Of the First Principles of Government’ . 14.2.4.2 Stabilisierung der Macht durch Gewohnheit  : ‘Of the Origin of Government’.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.4.3 Über den Zweifel an den Gefühlen  : ‘Of the Independency of Parliament’ . 14.2.4.4 Die Frage nach der Entscheidung zwischen absoluter Monarchie und Republik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.5 Zur Typologie der Parteien  : ‘Of Parties in General’. . . . . . . . . . . . . 14.2.6 Zur Legitimation des Staates  : Vertrag versus Interesse . . . . . . . . . . . 14.2.6.1 Funktion und Bedeutung der Vertragstheorien . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.6.2 Die neue Legitimation des Staates durch die Interessen  : ‘Of the Original Contract’.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.6.3 Der Vorrang der Interessen  : ‘Of Passive Obedience’ . . . . . . . . . . . . 14.2.7 Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’. . . . . . 14.3 Adam Smith über die Bedeutung der Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Sprache als System – ‘Considerations concerning the First Formation of Languages’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.2 Zur Rhetorik.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Machtbeziehungen  : John Millars Blick auf die Gesellschaft.. . . . . . . . 14.4.1 Zur Soziogenese der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Methode und Methodenbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.3 Geschichte und Ökonomie oder  : Die Setzung des Schwerpunkts.. . . . . 14.4.4 Anmerkungen zu Millars Abweichungen vom Denkstil der Schottischen Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Michael Oakeshotts ‚andere‘ Zuversicht – und warum sie hier keine Rolle spielt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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503 505 508 510 511 512 514 516 519 523 523 527 537 540 548 549 552 554 554 555 558 560 563

Schluss 15. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 15.1 Rekapitulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 15.2 Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

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Inhalt

Anhang Zur Abfassung des Textes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur.. . . . . . . . . . 588 Die Veröffentlichungssituation bei den Hauptwerken der Schottischen Aufklärung . 588 David Hume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 Adam Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 Adam Ferguson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 John Millar.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Henry Home, Lord Kames . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Verzeichnis der verwendeten Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Zur Systematik der folgenden Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Verzeichnis der im Text verwendeten Kurztitel der Quellentexte. . . . . . . . . . . 590 Ferguson. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 Hobbes.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Hume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Johnson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Locke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Mandeville. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Millar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Smith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 593 Verzeichnis der verwendeten Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 Verzeichnis der verwendeten Wörterbücher und Nachschlagewerke . . . . . . . . . 631 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632

Vorbemerkungen

1. Annäherung an das Thema

Diese Arbeit untersucht einen Aspekt im philosophischen und politischen Denken der Schottischen Aufklärung  : Zuversicht, verstanden im Hinblick auf das menschliche Handeln als einer verändernden gesellschaftlichen Kraft. Zuversicht und Hoffnung setzen dieses Handeln in Gang, Skepsis und Furcht hindern es. Die Aufklärung gilt wie selbstverständlich als eine Epoche der Zuversicht – Zuversicht in die Befreiung des Menschen aus einem Lebenszusammenhang, der bestimmt wurde durch die Bevormundung durch rigide theokratische Strukturen sowie durch einen Mangel an Wissen im Sinn von überprüfbaren Gewissheiten, auf die Handlungsentscheidungen gegründet hätten werden können, Zuversicht überdies in die Möglichkeit der Loslösung aus gesellschaftlichen Kontexten, die durch weitgehende Rechtlosigkeit des Einzelnen, durch ökonomische und rechtliche Ungleichheit und diffuse, nicht hinreichend legitimierte Hierarchien gekennzeichnet waren. Als Zuversicht drückt sich am Beginn dieses Abschnitts der Neuzeit das Vertrauen aus, die Veränderung der genannten Umstände zum Besseren hin könne nicht nur in Angriff genommen werden, sondern sie werde auch gelingen. Genährt wird diese Hoffnung durch eine intensive kritische Auseinandersetzung mit der Offenbarungsreligion und dem über ihr errichteten Machtgefüge, ferner durch einen neu formulierten, an der Naturerforschung ausgerichteten Wissenschaftsbegriff und eine Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie, die den Menschen als ein in einer sozialen Umgebung agierendes Wesen begreifen, dessen handlungsauslösende und -regulierende Kräfte detailliert beschrieben und verstanden werden können. Im Sinn einer durchgängigen, starken, das Bild vom Individuum wie von der Gesellschaft neu bestimmenden, wenngleich auch enormen Gegenkräften ausgesetzten Entwicklung gilt all dies für das europäische Geistesleben allgemein. Dabei sind allerdings regionale Ausdifferenzierungen erkennbar, die von „Aufklärungen“ im Plural sprechen lassen. Deren eine hat sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts auf eine eigene, charakteristische Weise eben in Schottland herausgebildet, insbesondere an den Universitäten von Edinburgh und Glasgow und in deren Umfeld. Für diese seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts von der Wissenschafts- und Philosophiegeschichte intensiver untersuchte Konstellation ist kennzeichnend, dass sie die verschiedenen Formen der verstandesmäßigen Weltaneignung in sich vereinigt  : die Naturwissenschaften, die Mathematik, die (Moral-)Philosophie sowie die aus dieser sich formierenden Gesellschaftswissenschaften, auch die Literatur und die Kunst. Das diesem Schauplatz zuerkannte Attribut ist das eines „Treibhauses der Genialität“, und diese Metapher spielt auf die besondere Intensität an, mit der hier in einem engen interdisziplinären Miteinander überlegt, geforscht, untersucht, entwickelt, erfunden und nicht zuletzt ausführlich publiziert wurde. Die Wissenschaft vom Menschen, die Erforschung seines anthropologischen und gesellschaftlichen Kontextes im Rahmen einer sich konstituie-

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Annäherung an das Thema

renden science of man, ist davon jener Teilbereich, der als die eigentliche als „Schottische Aufklärung“ gilt. Um ihn geht es nachfolgend mit Blick auf das politische Denken und unter weitgehender Beschränkung auf einige wenige Hauptvertreter – vor allem David Hume, Adam Smith und Adam Ferguson. Zuversicht ist gleichermaßen wie Hoffnung eine Form der Erwartung und somit auf die Zukunft gerichtet. Das betrifft jegliche Handlungsabsicht, also insbesondere auch das politische Handeln. Doch der „Zeitmodus“ (Weizsäcker) der Zukunft lässt keinen Befund von Faktizität zu. Der Raum, in den hinein gehandelt wird, ist (ergebnis)offen  : kontingent.1 Kontingenz ist deshalb sowohl hinsichtlich des Handelns allgemein als auch im Hinblick auf Überlegungen zur Zuversicht ein grundlegender, allerdings auch klärungsbedürftiger Begriff. In der Auseinandersetzung damit liegt einer der Schlüssel zum Verständnis jener Motive, die die schottischen Denker angetrieben haben. Das ist eine Ausgangsannahme dieser Untersuchung. Ebenso wird vorausgesetzt, dass die Bewältigung von Kontingenz als eine der elementaren Herausforderungen des menschlichen Daseins überhaupt aufgefasst werden kann, etwa in dem Sinn und in der Hoffnung, aus der Welt „das Zufällige zu entfernen“2 und Sicherheit über die Erfolgsaussichten von Handlungen zu erlangen. Zuversicht wächst in dem Maß, in dem es gelingt, wohlbegründete Annahmen über künftiges Geschehen und künftige Umstände zu formulieren – wobei diese Sicherheit stets nur als ein bestimmter Grad von Wahrscheinlichkeit erlebt werden kann. Dies vorausgesetzt, kann ein Wissen, das sich auf erkannte Naturgesetze stützt, ebenso im Dienst der Kontingenzbewältigung stehen, wie dies für eine schlüssige Erkenntnistheorie oder Einblicke in die Mechanismen der Handlungsentstehung und -modifikation gilt. Allerdings lassen sich etwa Aussagen über die Vorgänge der Steuerung menschlichen Verhaltens, über die Antriebe zum Handeln und damit auch über gesellschaftliche Entwicklungen längst nicht mit der Zuverlässigkeit von Naturgesetzen treffen. Getroffen werden müssen und mussten sie dennoch seit jeher, da ohne sie völlige Orientierungslosigkeit wäre  ; dem Handeln liegen Entscheidungen zugrunde – die „Geschichte der Menschheit ist die Summe menschlicher Entscheidungen.“3 Es fällt in diesem Kontext der Blick auch auf das Verhältnis der Wissenschaftsbereiche zueinander, zumal der Eindruck lebendig ist, Zuversicht verdanke sich vornehmlich jenem Wissen, das auf Kausalität beruht – auf dem „wissbaren Wissen“ (Bollnow)  ; und Skepsis und die Zweifel am Handlungserfolg seien die Folge von „allem übrigen, das eine solche Gewissheit nicht beanspruchen kann“.4 Das hat in den vergangenen Jahrhunder1 C.  F. v. Weizsäcker  : Aufbau der Physik, S. 602, spricht von „den zwei wissenschaftlich zugänglichen Modi der zeitlichen Modallogik, der Faktizität und der Möglichkeit“. 2 Von Hegel stammt lediglich diese Formulierung, der sie allerdings mit einer anderen Intention verwendet hat. 3 T. Ramge  : Mensch fragt, Maschine antwortet, S. 21. 4 O. F. Bollnow  : Der Mensch und die Natur als pädagogisches Problem, S. 85 f.: „Wir sind gewohnt zu unterscheiden zwischen einer Erkenntnis, die streng beweisbar ist und so mit unbedingter Gewißheit gegeben ist,

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ten zu einer Hierarchisierung der Wissenschaftszweige geführt, wenngleich dies zumeist unausgesprochen blieb. In der Schottischen Aufklärung bestanden die beiden Hauptrichtungen, die Metaphysik und die Naturwissenschaft,5 noch in einem nicht streng abgegrenzten, gewissermaßen einträchtigen Nebeneinander, das uns heute etwas fremd anmutet. Von M. Foucault kommt in diesem Zusammenhang der Hinweis, dass „der Raum des Wissens [in den Wissenschaften der Klassik] völlig anders aufgeteilt [war] als die systematisierte Ordnung des neunzehnten Jahrhunderts“, und er spricht von einem „Netz von Analogien […], das die traditionellen Nachbarschaften überschritt“.6 Erst für die Zeit danach gewinnt die Feststellung von Horkheimer und Adorno Berechtigung  : „Was dem Maß von Berechenbarkeit und Nützlichkeit sich nicht fügen will, gilt der Aufklärung für verdächtig.“7 Mit der grundlegenden Feststellung, dass Zuversicht in einem funktionalen Kontext mit der Bewältigung von Kontingenz steht, ist allerdings längst nicht hinreichend geklärt, auf welch unterschiedliche Weisen der Zuversichtsbegriff in das Denken der Schottischen Aufklärung hineinspielt und in welchen Bereichen er greifbar wird. David Hume hat im Rahmen seiner Erkenntnistheorie ausgeführt, wie Zuversicht im menschlichen Denken (und Fühlen) überhaupt entsteht. Aber worauf ist sie gerichtet oder kann sie es zumindest sein  ? In der Auseinandersetzung mit den Schriften von Hume, Adam Smith und Adam Ferguson öffnet sich da ein unerwartet weites Spektrum an Themen. Nicht alle Aspekte der Zuversicht werden von den dreien zwar mit derselben Tiefe behandelt  ; auch fehlte dem 18. Jahrhundert für die Auseinandersetzung mitunter die Terminologie – jedenfalls in der Art, wie dies heute für erforderlich erachtet wird. Dennoch ist zu zeigen, dass, will man dem Denken dieser Zeit wirklich gerecht werden, „Zuversicht“ keineswegs nur ein Attribut ist, das der Epoche zur pauschalen Charakterisierung angeheftet werden darf. Dazu ist der Zuversichtsbegriff zu facettenreich, und die Denkansätze und Modelle der schottischen Denker sind es nicht minder. So hat sich der Blick auf vielerlei zu richten  : – Es gibt etwa eine Zuversicht in Bezug auf die zivilisatorische Entwicklung der Gesellschaft, – die sich von jener auf die ökonomische – durch die Auseinandersetzung mit der Arbeitsteilung und den Gesetzen des Waren- und Leistungsaustauschs – unterscheiden lässt. kurz dem wißbaren Wissen, und allem übrigen, das eine solche Gewißheit nicht beanspruchen kann, das vielleicht in der Dichtung seine Berechtigung haben mag, aber für die Erkenntnisgewinnung ausscheiden muß. Aber diese Alternative ist – wie zumeist alle überzeugend scheinenden Alternativen – falsch, ist sozusagen eine erkenntnistheoretische Naivität  ; denn ‚hinter‘ dem Bereich des allgemeingültig wißbaren Wissens tut sich ein weiter Bereich von Erfahrungen auf, der nicht als für die strenge Erkenntnis unerheblich abgetan werden darf, weil er den Ansprüchen eines bestimmten Wissenschaftsbegriffs nicht entspricht, sondern der eine eigne, wenn auch schwer zu fassende Wahrheit enthält.“ 5 In der Terminologie der Epoche gesprochen  : die moral philosophy und die natural philosophy. 6 M.  Foucault  : Die Ordnung der Dinge, S. 11. 7 M.  Horkheimer  / T.  W. Adorno  : Dialektik der Aufklärung, S. 12.

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Annäherung an das Thema

– Daneben entsteht in dieser Zeit etwas, das sich als Zuversicht in den technologischen Fortschritt, einen bis dahin unbekannten Gesichtspunkt, darstellt. – Eine bedeutende Rolle im Denken dieser Zeit spielt überdies ein grundlegendes Vertrauen in die Methoden  : Die Empirie als Quelle der Erkenntnis und das induktive Vorgehen bei der Theoriebildung werden auch von der science of man als einzig erfolgversprechend in den Vordergrund gerückt und konsequent im Hinblick auf wissenschaftliches Vorgehen entwickelt. – All dies bedeutet jedoch keineswegs das völlige Verschwinden überkommener Sichtweisen, und so treten auch (oder vielleicht gerade wieder) Denkansätze auf, in denen Teleologie – nicht zuletzt im Rahmen und in Form von Stadienmodellen historischer Entwicklungsverläufe – Bedeutung hat. – Des Weiteren ist auf etwas Neues im Denken der Zeit einzugehen, nämlich auf die Fokussierung auf die Idee des „Systems“ und dabei besonders auf Überlegungen zu den Mechanismen seiner Regulierung  ; denn auch darauf kann Zuversicht sich richten – und richtet sie sich auch tatsächlich –, wie die Auseinandersetzung der schottischen Gelehrten mit dem Gedanken von sich selbst regulierenden Systemen – feedback systems – es beweist. – Nicht zuletzt langt man beim Begriff der Zivilisation an und kann feststellen, dass dieser in einem engen Zusammenhang mit dem der Kontrolle steht – ein Ansatz, der einen entsprechenden Diskurs bis weit ins 20. Jahrhundert vorangetrieben hat, wie sich das etwa bei G. H. Mead, N. Elias und M. Foucault zeigt. Hinter all dem steht implizit die Frage  : Was ist der Staat, was ist seine Rolle, welches sind seine Ziele und Möglichkeiten, was soll er leisten, wie soll er eingreifen, wie dem Individuum gegenübertreten  ? Diese Fragen sind nicht zeittypisch, sondern wohl zeitlos. Jedenfalls gestellt haben sie sich auch die schottischen Denker, und ihre Antworten versprechen weiteren Aufschluss über ihre Zuversicht und ihre Skepsis. Aus einer übergeordneten Perspektive betrachtet, sieht sich die vorliegende Untersuchung also folgenden Fragestellungen gegenüber  : – Was überhaupt ist Zuversicht beziehungsweise wie entsteht sie in der menschlichen Wahrnehmung  ? Diese Frage richtet sich an die erkenntnistheoretischen Positionen in den Texten, also insbesondere an diejenigen Humes. – Lassen sich Aussagen treffen über die Zuversicht der schottischen Denker selbst  ? Äußern sie in ihren Schriften explizit Zuversicht oder Befürchtungen  ? Oder sind sie in ihren Annahmen – denn auch das könnte sich erweisen – schwankend  ? Die Antwort darauf hat eine unmittelbare Auseinandersetzung mit den Texten zu erbringen. – Bieten die in der Schottischen Aufklärung entwickelten theoretischen Konzeptionen selbst Grund zur Zuversicht  ? Verbirgt sich, anders gefragt, in ihnen, ohne dass dies ausdrücklich in den Texten so formuliert wäre, ein Potenzial, das entweder Zuversicht oder Skepsis hervorrufen könnte oder es hervorgerufen hat  ? Gedacht ist hierbei etwa an Modelle wie diejenigen sich selbst regulierender Systeme (feedback systems) oder einer

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sich spontan einstellenden Ordnung (spontaneous order), die als geeignet angesehen werden, „von selbst“ und ohne Eingriffe von außen zu gewünschten Zuständen zu gelangen. – Wie viel Zuversicht haben die Akteure, wie viel können sie den Analysen zufolge haben  ? – Unter den „Akteuren“ sind die Individuen in der Gesellschaft zu verstehen, die bei der Bewältigung ihres Daseins von ihren Interessen geleitet werden und dabei die Folgen ihrer Handlungen abzusehen versuchen. – Wie viel Aufbruch kommt in der Schottischen Aufklärung, die gemeinhin als eine Epoche des Aufbruchs gilt, wirklich zum Tragen? Einerseits ist die Schottische Aufklärung fest in einem vorauslaufenden ideengeschichtlichen Kontext verankert, den sie sowohl aufgreift als auch zu Neuem hin öffnet. Hume unternimmt dies mit Blick auf die wissenschaftliche Methode und die Erkenntnistheorie, Smith schafft einen neuen Zugang zu den Tauschbeziehungen und ihrer Bedeutung für das Zusammenleben innerhalb des Gemeinwesens, und Ferguson weitet die Perspektive, indem er gesellschaftliche Hierarchien untersucht. Festzuhalten ist noch dies  : Das Thema Zuversicht in der Schottischen Aufklärung lässt sich nicht auf ein bestimmtes „Fach“ eingrenzen. Das ist den genannten Fragen geschuldet, von denen auszugehen ist. Die schottischen Denker des 18. Jahrhunderts waren im Wesentlichen Moralphilosophen, die selbst gerade darangingen, ihr Fach um neue Gegenstände zu erweitern und die damit am Übergang zu den Sozialwissenschaften standen. Interdisziplinarität ist dadurch also vorgegeben, auch wenn am Ausgangspunkt dieser Untersuchung das politische Denken steht. Dieses soll gemäß dem Ansatz H. Ottmanns verstanden werden, der „den weiten Begriff des ‚Politischen Denkens‘ den fachspezifisch eingeschränkten Begriffen vorzuziehen“ geraten hat.8

8 H. Ottmann  : In eigener Sache  : Politisches Denken, S. 2  : „Politik ist ein interdisziplinäres Fach. Die Politische Wissenschaft muß ‚Integrationswissenschaft‘, d. h. ‚Integration‘ und ‚Synopse‘ verschiedener Fächer sein. Eine Alleinzuständigkeit für Politik besitzt die ‚Politische Wissenschaft‘ so wenig wie die ‚Politische Theorie‘ oder die ‚Politische Philosophie‘. Dichtung und Geschichtsschreibung, Theologie und Metaphysik, Ökonomie, Jurisprudenz und andere Disziplinen mehr tragen ihrerseits zum ‚Politischen Denken‘ bei, und weil dem so ist, empfiehlt es sich, den weiten Begriff des ‚Politischen Denkens‘ den fachspezifisch eingeschränkten Begriffen vorzuziehen.“ – Ähnlich weit hatten, wie sich zeigt, die schottischen Denker ihr eigenes Gebiet gefasst, das der Moralphilosophie.

2. Einführung

2.1 Der thematische Rahmen

Die vorliegende Untersuchung widmet sich einem bestimmten Aspekt der Prognose im politischen Denken der Schottischen Aufklärung  : Es geht um die Haltung von Zuversicht und Skepsis in den Werken ihrer führenden Autoren, hier vor allem von David Hume, Adam Ferguson und Adam Smith. Es ist dies eine Auseinandersetzung mit einem der prominenten Narrative der Gesellschaftsphilosophie der Neuzeit, nämlich dass die Aufklärung die zivilisatorische Entwicklung der Menschheit als eine „Erfolgsgeschichte“ erzähle. Da die schottischen Denker diese Blickrichtung jedoch nicht vorbehaltlos übernahmen, gelten ihre Arbeiten mitunter als ein Sonderfall des neuzeitlichen philosophischen und politischen Diskurses. Allerdings sind von ihren Werken seit dem 18. Jahrhundert erkennbar sehr nachhaltige Impulse ausgegangen, und somit könnte das Sonderfall-Etikett in die Irre führen. Eine differenziertere Bewertung ist also wünschenswert. Sie muss zunächst die Frage aufwerfen, worauf überhaupt sich zuversichtliche oder skeptische Äußerungen der genannten Autoren bezogen haben. Niemand beurteilt die Zukunft insgesamt mit Hoffnung oder mit Sorge. Stets wird es dabei nur um bestimmte Aspekte der künftigen Entwicklung sowohl der Gesellschaft insgesamt als auch des Individuums gegangen sein. Und tatsächlich werden diese jeweils für sich betrachteten Gesichtspunkte bereits in den Werktiteln der genannten Autoren angesprochen, wenn es etwa um eine Bestandsaufnahme der „menschlichen Natur“ (Hume) geht, um eine „Untersuchung der Natur und der Ursachen des Reichtums von Nationen“ (Smith) oder um die Erkenntnisse, die aus der „Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ oder aus der Geschichte überhaupt (Ferguson) zu gewinnen seien. Dabei haben ihre Forschungen durchaus Unterschiedliches zum Gegenstand, etwa die Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis überhaupt, die Bedeutung der menschlichen Arbeit und das Phänomen der Arbeitsteilung, die Rolle des Eigentums, die Handelsbeziehungen zwischen Staaten oder die Mechanismen der Wirtschaft, Konzepte der Landesverteidigung, das Rechts- und Verfassungssystem, die „Vervollkommnung“ des Individuums und der Gesellschaft, die Bedingungen von Freiheit und das Erfordernis von Kontrolle. Daneben spielen übergeordnete theoretische Erwägungen eine wichtige Rolle, die sich aus methodischen Überlegungen ergeben oder aus den Erwartungen ableiten, die hinsichtlich der künftigen Rolle der Wissenschaften gehegt werden. Empirie und Normativität, Analyse und Prognose sind hier ineinander verschränkt. Hinter all dem stehen – mit der Sehnsucht vor allem nach der Entdeckung von Gesetzmäßigkeiten, die den Naturwissenschaften zu ihrer Leitbildfunktion auch für die entstehende science of man verholfen haben – als zentrale Fragen diejenigen nach der „Verfügbarkeit“ von Zukunft im Allgemeinen sowie die nach der Möglichkeit und nach

Der thematische Rahmen |

der Reichweite und der normativen Relevanz von Prognosen im Hinblick insbesondere auf das politische Handeln. Im Auge behalten wird eine grundlegende Zweiteilung des Themas. So ist einerseits darzulegen, welche Zukunftserwartungen die Texte hinsichtlich der Entwicklung der zeitgenössischen Gesellschaft, letztlich sogar der Menschheit, erkennen lassen. Waren diese Erwartungen überhaupt einheitlich  ? Diese Frage stellt sich schon allein deshalb wie von selbst, weil die Autoren ja ein durchaus unterschiedliches Erkenntnisinteresse antrieb und es sie also nur vordergründig verbindet, dass ihre Überlegungen bei den anthropologischen Dispositionen des Menschen, seiner „Natur“, ihren Ausgang nahmen. Davon abgesehen, ob die schottischen Moralphilosophen nun die künftige gesellschaftliche Entwicklung günstig beurteilen oder um sie in Sorge sind – kurz  : in ­welchen Farben sie die Zukunft malen –, gehen ihre Betrachtungen oftmals zurück auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, derlei Aussagen überhaupt treffen zu können. Insbesondere Hume ist es, der sich in seinem Treatise of Human Nature auf das Feld der Erkenntnistheorie begibt, wenn er zu klären versucht, was Hoffnung und Sorge eigentlich seien – er sagt  : Affekte – und wie sie zustande kämen. Somit geht es hier, mitten im „Zeitalter der Vernunft“, auch darum  : Was vermag diese Vernunft überhaupt  ? Leitet sie uns oder begleitet sie uns nur  ? Und in welchem Maß kann es demzufolge überhaupt gelingen, die Zukunft ein Stück weit absehbar und damit „verfügbar“ zu machen  ? Die Wahl der Methode dieser Untersuchung ist bis zu einem gewissen Grad durch die Themenstellung vorgegeben. So muss es vorrangig um die Beschäftigung mit den ursprünglichen Texten gehen, und dies ausdrücklich auch in der Annahme, dass man unterscheiden kann zwischen dem, was die Denker zum Ausdruck gebracht haben, und dem, was – darüber hinaus  ? – in ihren Werken zum Ausdruck kommt, etwa in Form von Implikationen. Neben der Arbeit mit den Primärtexten jedoch ist dort, wo auch immer die Forschung in der Vergangenheit das Randthema „Zuversicht und Skepsis im Denken der Schottischen Aufklärung“ in den Blick genommen hat, auf den diesbezüglichen wissenschaftlichen Diskurs einzugehen. Einigkeit in der Beurteilung hat hier, wie ein Überblick zeigt, allerdings nie bestanden. Hinzu kommt  : Die Grundlage von Verständigung ist das Verständnis der dabei verwendeten Begriffe. Wortbedeutungen sind nicht verbindlich. Wörter vermitteln lediglich Vorstellungen von dem, was sie „bedeuten“. Die Grundlage von Sprachverständnis (Kompetenz) ist ein angenommener Konsens innerhalb einer Sprachgruppe. Dieser ist ebenso die Grundlage für die gezielte Wortverwendung (Performanz). Einer Verständigung über die Bedeutung von Texten geht – stillschweigend oder ausdrücklich – eine Vorstellung von der Kompetenz und Performanz derer voraus, die sie verfasst haben. Diese Voraussetzung gilt sogar dann, wenn man es nur mit seiner Muttersprache und Texten der Gegenwart zu tun hätte. Die Ausgangslage innerhalb dieser Untersuchung ist jedoch komplexer, nämlich auf der sprachlichen Ebene folgende  : Es sind auf deutsch Aussagen über Texte in englischer Sprache – alte überdies – zu treffen. Da von einer allge-

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Einführung

meinen Verbindlichkeit von Begriffen nicht einmal innerhalb ein und derselben Sprachgruppe ausgegangen werden kann, lässt sich dies noch viel weniger zwischen Sprechern unterschiedlicher Sprachen und unterschiedlicher Zeiten voraussetzen. Einerseits sind Begriffsbedeutungen einem historischen Wandel unterworfen, andererseits besteht zwischen verschiedenen Sprachen niemals eine Deckungsgleichheit in den Bedeutungen der Begriffe, die deren direkte Übertragung von der einen Sprache in eine andere gestatten würde. Die stets bestehende Gefahr inhaltlicher Unschärfe wird also von der Problematik der sprachlichen Kongruenz (oder deren Unmöglichkeit) überlagert. Das macht, auch wenn das in der hier praktizierten Ausführlichkeit methodisch unüblich erscheinen mag, die folgenden Klärungen des Begriffsverständnisses wenigstens einiger Schlüsselbegriffe erforderlich. 2.1.1 Der Begriff der Zuversicht und seine Implikationen

Fragt man nach der „Zuversicht“ im Denken der Schottischen Aufklärung, so bedeutet das, philosophische Modelle der Weltbeschreibung mit einem alltagssprachlichen Begriff in Zusammenhang zu bringen, dessen semantisches Feld nicht scharf eingegrenzt ist.1 Was genau ist also unter Zuversicht in einem engeren Sinn zu verstehen – „im Kleinen“, wenn es um den konkreten Fall, um die Erwartung hinsichtlich des Erfolgs einer einzelnen Handlung geht –, und was in einem weiteren Sinn – also „im Großen“, im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Gesellschaft, der Nation, der Welt und dergleichen mehr  ? Auf diese Fragen sind solange keine zuverlässigen Antworten zu finden, bis verstanden ist, welche sprachlichen Ausdrücke in den Schriften der hier untersuchten schottischen Denker dem entsprechen, was im Deutschen unter „Zuversicht“ verstanden wird – wiederum in einem engeren und einem weiteren Sinn. Implizit betreffen diese Fragen den Gegenstand der folgenden Überlegungen im Gesamten. Begonnen werden soll mit den Vorannahmen, von denen das Folgende ausgeht. 2.1.1.1 Vorannahmen

Vorausgesetzt wird  : Zuversicht und Skepsis sind das Ergebnis eines Vergleichs von etwas Gegenwärtigem mit einem antizipierten Künftigen, also eine Bewertung auf Grundlage einer Abwägung, die zwischen einem Jetzt und einem gedachten Dann vorgenommen wird. Dies geschieht üblicherweise unter Einbeziehung von bereits gemachten Erfahrun­ gen, also von mehr oder weniger Vorwissen. Hume hat diesen Abwägungsprozess eingehend beschrieben und damit einen semantischen Bezugspunkt geschaffen. Darauf wird noch ausführlich eingegangen.2 1 Der Begriff der Zuversicht ist hierin dem den Fortschritts ähnlich. F. Rapp  : Fortschritt, S. 11, sagt, für Letzteren gelte, dass er „im Alltagsleben und vielfach auch in wissenschaftlichen Diskussionen intuitiv und mit einem breiten Bedeutungsspektrum verwendet“ werde. 2 Siehe den Abschnitt 7.4 („Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis“).

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Die Haltungen von Zuversicht und Skepsis beziehen sich auf Veränderung, auf eine Wirklichkeit, die in Bewegung ist, also auf ein dynamisches Geschehen. Und sie treten nur dort auf und werden wahrgenommen, wo hinsichtlich der Ergebnisse eines Veränderungsprozesses keine Sicherheit herrscht  : Wer sich einer Sache sicher ist, bedarf der Zuversicht nicht, denn er hat Gewissheit. Allerdings begegnet man in den Abläufen des menschlichen Zusammenlebens und der Politik keineswegs der Gewissheit von Naturgesetzen. Gesellschaften werden bewegt von den wirkenden Interessen der Akteure, aus denen sie sich konstituieren, und diese Interessen entstehen im Kern auf der Grundlage einer jeweils individuellen Wahrnehmung von Wirklichkeit – und beide, die Wahrnehmung und die Wirklichkeit selbst, können sich unablässig ändern, neue Konstellationen bilden, auch neue Interessen wecken und neue Bewegungen in Gang setzen. Diesen Bewegungen gegenüber herrschen sodann Zuversicht und Skepsis. 2.1.1.2 ‚Konkrete‘ und ‚allgemeine‘ Zuversicht

Was unterscheidet die „Zuversicht im Kleinen“ von der „Zuversicht im Großen“  ? Die Zuversicht im Kleinen, im individuellen Fall, ist auf ein konkretes Handeln bezogen und sie bewertet die Aussicht auf dessen Erfolg. In diesem Sinn gebraucht Hume den Begriff “hope”, und er versteht darunter keineswegs immer genau das, was im Deutschen unter „Hoffnung“ verstanden wird. Vielmehr ist “hope” die Bezeichnung für das Ergebnis eines Abwägungsvorgangs durch den Verstand, der auf die Erfolgsaussichten für eine Handlung gerichtet ist.3 Es geht um eine durch Argumente begründete Hoffnung – im Gegensatz zur Hoffnung aus einem „Gefühl“ heraus. Diese Zuversicht lässt sich auch als eine „konkrete“ bezeichnen. Der Gegenbegriff dazu ist derjenige der Skepsis.4 Diese bezeichnet den die Zuversicht in ein bestimmtes Handeln überwiegenden Zweifel daran, dass dieses Handeln zum gewünschten Erfolg führen werde. Hume spricht in diesem Fall von “fear”. Zuversicht im Großen hingegen ist auf den Gang der Welt in einem allgemeinen und umfassenden Sinn gerichtet. Sie steht dann für die Annahme, dass die Lebensumstände überhaupt (oder insgesamt oder für eine ganze Bevölkerungsgruppe oder für ein ganzes Volk oder für die ganze Menschheit) sich zum Besseren wenden werden – entweder aus sich selbst heraus, weil dies ihrer Disposition entspricht (Zuversicht in Anlagen), oder weil sie einem Plan der Vorsehung folgen, der dieses Höher-Streben vorsieht (teleologische Zuversicht), oder weil eine Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung angenommen wird, die als „entdeckt“ gilt.5 Man kann in diesem Sinn ebenso zutreffend, 3 Ausführlich wird der Hume’sche Gedankengang im Abschnitt 7.4 („Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis“) dargestellt. 4 Damit ist bereits gesagt, dass auch „Skepsis“ im alltagssprachlichen Verständnis gebraucht wird, also nicht im Sinn des methodischen, pyrrhonischen Zweifels, wenngleich dieses Skepsisverständnis beispielsweise in der Schottischen Aufklärung gelegentlich durchaus zum Thema gemacht wird. 5 Ein Beispiel hierfür ist etwa das Phänomen der Arbeitsteilung und seine Auswirkungen als Katalysator zunächst der ökonomischen und sodann der gesellschaftlichen Entwicklung. In den Schriften der Schottischen

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wenngleich weniger elegant, auch von einer „allgemeinen Zuversicht“ sprechen. Auch für diese Zuversicht im Großen lässt sich stets ein Ziel ausmachen, auf das sie gerichtet ist. Dieses kann in einem Mehr, einem Besser, einem Gerechter, einem Sicherer, einem Naturgemäßer liegen, ja sogar in einem Fortleben jenseits der irdischen Welt, in einem „Jenseits“ eben. 2.1.1.3 Gegenstände der Zuversicht

Aus diesen Vorüberlegungen folgt, dass insbesondere seit der Epoche der Aufklärung zwischen einer Vielzahl von Gegenständen6 der Zuversicht – und entsprechend auch der Skepsis – unterschieden werden kann. Im Kontext dieser Untersuchung über die Schottische Aufklärung lassen sich die folgenden Aspekte herausgreifen  : – Die Zuversicht im Hinblick auf die zivilisatorische Entwicklung der Gesellschaft ist in den Überlegungen der schottischen Denker durchgängig ein Thema. Zum Ausdruck kommt dies in der Gegenüberstellung von zivilisierten Gesellschaften und „Wilden“, so der häufig gebrauchte zeittypische Terminus. Dabei ist unter einer zivilisierten Gesellschaft eine solche mit ausgeprägten Mechanismen sowohl der Fremdkontrolle (durch die Rechtsordnung oder durch das soziale Umfeld) als auch der Selbstkontrolle (der Individuen) zu verstehen. Eine solche „Verwandlung zwischenmenschlicher Fremdzwänge in einzelmenschliche Selbstzwänge“ stellt beispielsweise für Elias den eigentlichen „Zivilisationsschub“ dar, der seit der Renaissance stattgefunden habe.7 Aus diesem Blickwinkel betrachtet, läge der Gedanke nahe, die Zuversicht in die zivilisatorische Entwicklung der Gesellschaft lasse sich als die Zuversicht in deren Selbstkontrollmechanismen verstehen. – Ein weiterer wichtiger Aspekt taucht mit der Zuversicht in die ökonomische ­Entwicklung der Gesellschaft auf, die durch die Arbeitsteilung in Gang gesetzt und durch freie Tauschbeziehungen letztlich zum Ziel geführt werden soll. Dies ist eines der zentralen Themen der Schottischen Aufklärung, und der Entwurf, der hier im 18. Jahrhundert und auf lange Sicht die größte Wirkungskraft erlangt hat, ist der von Adam Smith in seinem Wealth of Nations ausgearbeitete. – Im Zusammenhang damit steht eine Zuversicht der schottischen Denker, die sich auf das Potenzial von quasi-autonom arbeitenden Mechanismen der Selbstregulierung von Großsystemen richtet  ; als ein solches stellt sich beispielsweise die Wirtschaft eines Landes dar. Die „unsichtbare Hand“ ist eine Metapher für einen Mechanismus dieser Art.

Aufklärung fällt in diesem Zusammenhang häufig der Begriff des „Prinzips“ – es geht um die Entdeckung solcher Prinzipien, die Entwicklungen bestimmen. 6 Unter „Gegenständen“ der Zuversicht soll dasjenige verstanden werden, worauf die Zuversicht sich jeweils richtet – beziehungsweise dasjenige, woraus sie sich speist. 7 N.  Elias  : Über den Prozess der Zivilisation, I, S. LXI–LXIII.

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– In wissenschaftstheoretischer Hinsicht bietet die Hinwendung zu der als umwälzend empfundenen Methode des Erkenntnis- und Wissenserwerbs auf dem Weg der Erfahrung und des Experiments Anlass zur Zuversicht. Diese Entwicklung war durch die Erfolge der Naturforschung seit dem 16. Jahrhundert vorgezeichnet und vor allem durch Francis Bacon geprägt von der Absicht, das Weltverstehen in den Dienst von praktischen Nutzanwendungen zu stellen. Daraus erwuchs letztlich eine Zuversicht in den technischen Fortschritt, in der wir die uns geläufige kollektive „moderne“ Form der Zuversicht erkennen können. Es ist dies die Zuversicht ins erfolgreiche „Problemlösen“. – Zuversicht erwächst auch aus dem Eindruck der Bewältigung von Kontingenz8. In dem Maß, in dem es gelingt, auf der Grundlage gefundener Gesetzmäßigkeiten künftige Entwicklungen absehbar(er) zu machen, wird Zukunft – anscheinend – „verfügbar“. Kontingenzbewältigung, in diesem Sinn verstanden, steht für die Erreichung jenes Ziels der Aufklärung, von dem Horkheimer und Adorno sagen, es habe darin bestanden, „von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen“.9 – In den politischen Theorien tritt seit der Mitte des 17. Jahrhunderts der Begriff des Eigentums stärker in den Vordergrund. Dabei ist das Eigentum als die Materialisierung dessen zu verstehen, was das Individuum durch die Verfolgung seiner Interessen erwirbt und – seit Hobbes und Locke – auch erwerben darf, ja erwerben soll. In der dem Staat zugedachten Funktion findet sich dies ausgedrückt, denn im Zentrum seiner Pflichten steht es, einerseits eine Rechtsordnung zu gewährleisten, die durchaus vorrangig im Dienst der Eigentumssicherung steht, und andererseits das Territorium, also den Gesamtbesitz der Bürger, nach außen hin zu verteidigen. Die Zuversicht des 18. Jahrhunderts ist mithin auf die erfolgreiche Erfüllung dieser Staatspflichten gerichtet. – Was mit dem Zeitalter der Aufklärung hingegen abzuklingen beginnt, das ist die teleologische Zuversicht, also der Glaube an die Vorsehung beziehungsweise an eine Natur, die eine Absicht verfolge. In Wendungen wie der vom „natürlichen Lauf der Dinge“ lebt sie im 18. Jahrhundert zwar noch fort, doch ihre prognostische Funktion schwindet und es ist weitgehend nur noch ihre Legitimationsfunktion, die sich erhalten kann. – Demgegenüber erweisen sich aus der Geschichte abgeleitete Entwicklungsmodelle im Hinblick auf Zuversicht oder Skepsis zunächst als indifferent. Diese können aus Annahmen über die zivilisatorische oder ökonomische Entwicklung, über den wissenschaftstheoretischen oder technischen Fortschritt, aus der Bewältigung von Kontingenz oder aus Eigentumstheorien sowohl zuversichtliche als auch von Skepsis geprägte Schlüsse auf künftiges Geschehen ableiten. So gibt es einerseits Geschichtsmodelle, die eine Abfolge von Phasen des Aufstiegs annehmen, die wiederum von solchen des 8 Der Kontingenzbegriff wird im Kapitel 6 („Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz“) ausführlich erläutert. 9 M.  Horkheimer  / T.  W. Adorno  : Dialektik der Aufklärung, S. 9.

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Abstiegs gefolgt werden. Und es gibt auch jenes Geschichtsverständnis, das die Zukunft als kontingent und offen für ganz unterschiedliche, ja sogar für noch nicht denkbare Entwicklungen der Gesellschaft ansieht. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es neben diesen genannten Gegenständen der Zuversicht im Zusammenhang mit Erklärungsmodellen der Welt immer auch eine Zuversicht des jeweiligen Denkers in das von ihm entwickelte System, in dessen Stringenz und dessen Reichweite gibt – dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Zuversicht eines ganzen Zeitalters, hier der Aufklärung. Damit ist im Wesentlichen skizziert, mit welchem Verständnis und in welchen möglichen Kontexten der Begriff der Zuversicht im Folgenden gebraucht wird. Einige ergänzende Anmerkungen und semantische Differenzierungen sind allerdings noch anzubringen. 2.1.1.4 Zuversicht versus Optimismus

Wie schon angedeutet, erfordert die Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis im Denken der Schottischen Aufklärung eine eingehende Betrachtung des individuellen Sprachgebrauchs – der Performanz – der jeweiligen Autoren  : Welcher Begriffe bedienen sich beispielsweise Hume, Smith oder Ferguson, wenn sie zum Ausdruck bringen wollen, was im Deutschen der Gegenwart unter „Zuversicht“ verstanden wird  ? Was etwa meint Hume, der sich in diesem Kreis der Thematik der Antizipation von menschlichem Verhalten am eingehendsten und mit erkenntnistheoretischem Interesse gewidmet hat, wenn er von confidence oder von hope spricht  ? Oder umgekehrt  : Was kommt in seiner Diktion unserem Wort für „Zuversicht“ am nächsten  ? Und wie unterscheidet sich dieser Begriff der Zuversicht von dem des Optimismus  ? Zunächst der Versuch einer Antwort auf die letztgenannte Frage  : Zuversicht ist eine treibende Kraft für jegliches Handeln, besonders auch für das politische. Man wird nichts in Bewegung setzen, wenn man nicht – vielleicht auch nur mehr oder minder stark – daran glaubt, dass das ins Auge gefasste Vorgehen auch zum angestrebten Ziel führen wird. So kommt im Begriff der Zuversicht die begründete Annahme zum Ausdruck, die beabsichtigte Handlung sei der verfolgten Absicht angemessen. Zuversicht bezieht also zum einen stets die Umstände ein, innerhalb derer gehandelt wird, und zum andern ist sie das Ergebnis einer Beurteilung dieser ins Auge gefassten Handlung auf Angemessenheit, und zwar mittels des Verstands. Aus diesem Blickwinkel betrachtet lässt sich semantisch zwischen Zuversicht und Optimismus unterscheiden, wenngleich die beiden Begriffe häufig synonym gebraucht werden. Es ist einzugestehen, dass die nachfolgende Argumentation sich nicht als zwingend darstellt, sondern lediglich auf Feinheiten der Sprachverwendung hinweisen will, also auf Verständnismöglichkeiten. – Optimismus soll hier, anders als die Zuversicht, als eine Grundhaltung verstanden werden, die unabhängig von besagter verstandesmäßiger Überprüfung auf Angemessenheit a priori besteht. Optimismus geht diesem Begriffsverständnis zufolge ohne

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Begründung, ja ohne Überlegung davon aus, dass etwas sich in eine gewünschte Richtung entwickeln werde, und er kann deshalb umschrieben werden als „Zuversicht ohne nähere Betrachtung der Umstände und ohne das wirkliche Bemühen um weitere Argumente“. Optimismus stellt sich somit als gewissermaßen „blinde“ Zuversicht dar – als eine Einstellung oder Disposition geradezu. Für diese Sichtweise spricht, dass sie sich beispielsweise mit derjenigen Voltaires deckt  ; dieser hatte ihr in seiner Novelle Candide prototypisch mit der Figur des Lehrers Pangloss ironisierend Ausdruck verliehen. Der sehr viel neuere Begriff des „Fortschrittsoptimismus“ macht diese Grundhaltung einer blinden Zuversicht10 deutlich, denn er bringt zwei Überzeugungen zum Ausdruck, nämlich zum einen die, es werde immer einen Fortschritt geben, und zum andern jene, dass man auf diesen vertrauen könne, denn stets werde der nicht allein ein Schritt voran, sondern auch ein Schritt hin zum Besseren sein. Dies ist eine grundsätzliche, quasi-teleologische und deshalb metaphysische Annahme von Optimisten, und in ihren Augen gilt sie geradezu unhinterfragbar, gleich einem Axiom. Dass ein von der Menschheit eingeschlagener Weg in einen kontinuierlichen, ja sogar unumkehrbaren Niedergang führen könnte, erscheint Fortschrittsoptimisten als ein befremdlicher Gedanke. Ihr Geschichtsbild ist das einer langen Kette von Verbesserungen der menschlichen Lebensumstände, ein Hoffen frei von Bangen. – Zuversicht hingegen stellt eine Beziehung her zwischen einer Ausgangssituation, einem Handlungsziel und dem gesamten Kontext, innerhalb dessen gehandelt werden soll. Sie ist das Ergebnis eines Vorgangs der Abwägung, eines Ab-Sehens. Dabei setzt sie gleichzeitig voraus, dass das Ergebnis der Handlung dennoch im Ungewissen bleibt. Zuversicht bezieht jenen Rest von Zweifel ausdrücklich mit ein, dem der bloße Optimismus dadurch beizukommen trachtet, dass er ihn ignoriert. Da der Optimismus keiner eingehenden Analyse des Handlungskontextes bedarf, war er beispielsweise für Humes Überlegungen nicht weiter von Belang – ganz im Gegensatz zur Zuversicht (hope), die er als das Ergebnis einer Bewertung der Umstände verstand  : „Ganz dasselbe Ereignis,“ heißt es etwa im Treatise, „das im Falle seiner Gewißheit Kummer oder Freude erzeugen würde, gibt Anlaß zu Furcht oder Hoffnung, wenn es uns nur [im Sinn von  : lediglich] wahrscheinlich und ungewiß ist.“11 Diese Unterscheidung zielt nicht auf eine stichhaltige semantische Festlegung ab. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass es eine Zuversicht gibt, die von Gründen (im jeweiligen Fall) ausgeht, und daneben eine „Art von Zuversicht“, die grundsätzlicher Natur, nämlich eine Haltung ist und keiner Begründungen bedarf. Im Unterschied zu Ersterer wird sie hier als „Optimismus“ bezeichnet.

10 Man könnte diese „blinde“ Zuversicht auch eine „erstarrte“ nennen, denn sie nimmt nicht mehr auf die wirklichen Gegebenheiten Bezug, die sich ja als dynamisch erweisen. 11 D.  Hume  : Traktat, II, S. 179 (Hervorh. HK). – OT.: D. Hume  : Treatise, p. 281, 2.3.9|9.

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2.1.1.5 Ergänzende Überlegungen zur Semantik

Es ist bereits mehrfach angesprochen worden, dass in Humes Sprachgebrauch der Begriff “hope” derjenige ist, der dem deutschen „Zuversicht“ am nächsten kommt. Gleichwohl bleiben die deutschen Übersetzungen des Treatise, in dem Hume seine Affektlehre darlegt, hier bei der wörtlichen Übersetzung mit „Hoffnung“.12 Deshalb zunächst  : Wie lässt sich „Zuversicht“ von „Hoffnung“ unterscheiden, ohne dass man dabei auf allzu gewagte Hypothesen verfiele  ? Neuere Wörterbücher des Deutschen verwenden beide Begriffe insofern tendenziell synonym, als „Zuversicht“ zur Erklärung von „Hoffnung“ herangezogen wird und umgekehrt. Allerdings betonen sie bei „Zuversicht“ die Konnotation des Rationalen und der Überlegung  : „Zuversicht[: …] Vertrauen in die Zukunft  ; feste Hoffnung, Überzeugung“13 sowie „Zuversicht […] (mhd. zuoversiht. ahd. zuofirsiht = das Voraussehen)  : festes Vertrauen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft, auf die Erfüllung bestimmter Wünsche u. Hoffnungen“.14 Im Fall der „Hoffnung“ hingegen tritt der Aspekt des Wunsches gegenüber der rationalen Abwägung in den Vordergrund  : „Hoffnung […  :] Wunsch für die Zukunft, Wunsch, daß in der Zukunft etwas geschehen möge […]“.15 Weiteren Aufschluss über die Wortbedeutung gewährt der Eintrag im Deutschen Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, das seit 1854 erschien  ; es legt diesen Hoffnungsbezug von „Zuversicht“ ausdrücklich nahe  : „die erwartung dessen, was man wünscht, hoffnung“  ; zudem heißt es da, „das wort [habe] im nhd. den sinn des festen, untrüglichen angenommen“.16 Bei der Betrachtung des Englischen liegen die Dinge schon insofern anders, als in dieser Arbeit ja das Sprachverständnis des 18. Jahrhunderts, in dem etwa Humes Arbeiten entstanden sind, im Blick zu behalten ist. Dabei kommt der glückliche Umstand zu Hilfe, dass mit Johnsons Dictionary of the English Language nicht nur ein zeitgenössisches Wörterbuch des Englischen vorliegt,17 sondern dass sich damit, da es über viele Jahrzehnte Neuauflagen und Überarbeitungen erfuhr, auch mögliche Bedeutungsverschiebungen nachverfolgen lassen. Es zeigt sich – und zwar in den Auflagen von 1755 und 1799 unverändert – eine Wortbedeutung von “hope”, die dem deutschen „Zuversicht“ 12 Als Stellen, die dies neben vielen anderen verdeutlichen, seien hier nur angeführt  : D. Hume  : Traktat, II, S. 179  ; auffällig ebd., S. 154, für “hope or fear, grief or joy, despair or security” die Übersetzung „Hoffnung, Furcht, Gram oder Freude, Verzweiflung oder Zuversichtlichkeit“. (O. T.: D.  Hume  : Treatise, p. 267, 2.3.3|6, Hervorh. HK) – “When either good or evil is uncertain, it gives rise to fe ar or hope, according to the degrees of uncertainty on the one side or the other.” (Ders.: p. 281, 2.3.9|6.) 13 Wahrig  : Deutsches Wörterbuch, S. 1486. 14 Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 2978. Hier ist insbesondere der Hinweis von Bedeutung, dass es sich der Etymologie zufolge bei der Zuversicht um ein Voraus-Sehen und nicht um ein VorausHoffen handelt. 15 Wahrig  : Deutsches Wörterbuch, S. 662. 16 Stichwort „Zuversicht“. In  : [J.  Grimm  /  W.  Grimm]  : Deutsches Wörterbuch. Schreibung entsprechend dem Original. 17 Herangezogen werden in dieser Arbeit folgende Auflagen  : S. Johnson  : Dictionary 1755 bzw. ders.: Dictionary 1799.

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näher liegt als bloße „Hoffnung“  : “1. Expectation of some good […] 2. Confidence in a future event […] 3. That which gives hope  ; that on which the hopes are fixed, as an agent by which something desired may be effected.”18 Der Erwartungscharakter tritt stärker in den Vordergrund, und Erwartung setzt eben ein Mehr an Kalkül oder Überlegung voraus als ein bloßes Wünschen im Sinn von Erhoffen. Dass bei den deutschen Übersetzungen der Schriften Humes gewissermaßen „defensiv“ vorgegangen wurde, ist erklärlich, denn hier hat das Naheliegende (und damit Wörtliche) Vorrang vor dem interpretierenden Eingreifen in die Wortwahl. Vertretbar jedoch erschiene den obigen Wörterbuchstellen zufolge eine Übersetzung von “hope” mit „Zuversicht“ allemal, ja ich halte sie im Hinblick auf Humes Intention sogar für zutreffender. Zumindest sollte die vorangegangene Argumentation die Zulässigkeit einer Gleichsetzung von “hope” und „Zuversicht“ erwiesen haben. 2.1.2 Der Begriff der Kontingenz und die Einsicht in die Nichtverfügbarkeit der Zukunft

Wie aus dem Gesagten hervorgeht, ist ein Begriff, der im Rahmen dieser Untersuchung eine zentrale Rolle spielen wird, jener der Kontingenz. Es ist dies ein Wort, das in vielerlei Farben schillert und in unterschiedlichsten Zusammenhängen auftaucht – ganz so, als würde sich mit ihm Vieles deutlich machen lassen und als verdankten sich ihm Antworten auf viele Fragen. Von Kontingenz ist die Rede, wenn es um Zufälliges geht, um die Nichtbestimmbarkeit des Zukünftigen, um ein So-, Anders- oder Nicht-sein-Können von Gegebenheiten oder Ereignissen, insbesondere um das grundlegende Faktum der Unmöglichkeit, wirkliche Kongruenz von Handlungsabsichten und Handlungsergebnissen herzustellen oder auch nur vorherzusehen. Auf eine bestimmte Weise steht der Begriff der Kontingenz im Zentrum dieser Untersuchung.19 Da sich dort auch eine Differenzierung seiner diversen Bedeutungen finden wird, soll an dieser Stelle nur Weniges vorweggenommen werden, um die Richtung des Ganzen anzudeuten  : Der Kontingenzbegriff soll in dieser Arbeit einerseits stark verengt auf die Konnotation „Unverfügbarkeit von Zukunft“ gebraucht werden, also nur in einem vergleichsweise kleinen Ausschnitt des weiten semantischen Feldes, das ihm gemeinhin zuerkannt wird. Andererseits wird gerade in diesem engen Bedeutungsausschnitt von Kontingenz eine wichtige Triebfeder für das gesehen, was die Schottische Aufklärung auf eine für sie charakteristische Weise anstrebt  : die menschliche Existenz dieser generellen Unverfügbarkeit zu entreißen und zu klären, was eben doch verfügbar – vorhersehbar – werden könnte, wenn es denn gelänge, das Verständnis der menschlichen Natur präziser zu fassen und die Mechanismen und Wirkkräfte des menschlichen Verhaltens in operable Zusammenhänge zu stellen.

18 Ebd. (Das Werk ist unpaginiert.) 19 Siehe Kapitel 6 („Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz“).

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In diesem Zusammenhang soll ein bestimmter Gesichtspunkt des politischen Denkens und damit auch der Schottischen Aufklärung in den Blick gerückt werden, nämlich ihre Beschäftigung mit dem Handeln in einen offenen – eben kontingenten – Raum hinein, über den keine Gewissheit herrscht.20 Prognosen über den Erfolg von Handlungen sind niemals Gewissheiten, sondern sie drücken sich in Annahmen über die Wahrscheinlichkeit aus, mit der dieser Handlungserfolg erwartet wird. Hume etwa hat das so beschrieben und dabei die komplexe Interaktion zwischen den Sphären des Gefühls und des Verstandes dargestellt, die über den Grad der Erwartung des Handlungserfolgs Aufschluss gibt und die sich in den „Affekten“ von Zuversicht oder Skepsis (hope oder fear) abbildet.21 2.1.2.1 Der Anspruch auf Naturbeherrschung

Die Formulierung des Wissenschaftsbegriffs der Neuzeit geht in wichtigen Aspekten auf Francis Bacon zurück. Dieser gibt gewissermaßen das Motto vor – „die Macht und die Herrschaft des Menschengeschlechtes selbst über die Gesamtheit der Natur zu erneuern und zu erweitern“22 –, und er ist es auch, der die Wissenschaften auf die „Erleichterung und Verbesserung der Lage der Menschen“, auf einen praktischen Nutzen also, festgelegt wissen will.23 Dieser Gedanke, später präzisiert durch Locke, findet sich in der Schottischen Aufklärung an vielen Stellen aufgegriffen. So geht es etwa Hume darum, „eine Wissenschaft zu gründen, die an Sicherheit den Resultaten anderweitiger menschlicher Forschung nicht nachsteht, sie zugleich an Nutzen weit übertrifft [will be much superior in utility]“.24 Smiths Zielrichtung ist in dieser Frage eine ähnliche, wie sogar der Titel von Buch I seines Wealth of Nations verrät  : „Was die produktiven Kräfte der Arbeit verbessert [Of the Causes of Improvement in the productive Powers of Labour] und nach welcher natürlichen Ordnung sich ihr Ertrag auf die einzelnen Schichten der Bevölkerung verteilt [is naturally distributed]“.25 Als nützlich wird nunmehr ein Handeln angesehen, das seinen Zweck erreicht. Solches Handeln muss Regeln folgen können, und diese Regeln ergeben sich aus den Schlüssen, die aus zuvor zu bestimmenden Gesetzmäßigkeiten gezogen werden konnten. Es geht da20 Von diesem Erkennen-Können des Zukünftigen, das wir ja gemeinhin für unmöglich halten, spricht Weizsäcker als von einer „Phänomenologie des Visionären“, die es jedoch erfordern würde, zu „den zwei wissenschaftlich zugänglichen Modi der zeitlichen Modallogik, der Faktizität und der Möglichkeit, einen dritten, unserer Wissenschaft bis heute unzugänglichen Modus hinzuzufügen, den man vielleicht zeitüberbrückende Wahrnehmbarkeit nennen würde.“ Aufgrund unseres Überzeugt-Seins von dieser Unmöglichkeit einer zeitüberbrückenden Wahrnehmbarkeit halten wir die Zukunft eben für einen offenen Handlungsraum, über den wir keine Gewissheit besitzen. Vgl. hierzu C. F. v. Weizsäcker  : Aufbau der Physik, S. 602 (Hervorh. i. OT.). 21 Siehe den Abschnitt 7.4.2 („Wie Zuversicht entsteht und wie sie sich auswirkt“). 22 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 129, S. 271. 23 Ebd., Aphorismus 73, S. 153. 24 D.  Hume  : Traktat, I, S. 7. – OT.: ders.: Treatise, p. 6. 25 A.  Smith  : Wohlstand, S. 7. – OT.: A. Smith  : Wealth, p. 13.

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bei um nichts weniger als um die Bewältigung von Kontingenz26 oder, konkreter, darum, „die Zukunft zu beherrschen [govern futurity]“  :27 Was ist zu tun, damit das, was sein soll, sein wird  ? Die Wissenschaft wird in den Dienst der Prognose gestellt, und dazu richten sich ihre Anstrengungen – ihre Offenlegungen von Zusammenhängen, ihre Analysen – auf die Formulierung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Den Naturwissenschaften, die es zunächst mit unmittelbar beobachtbaren Gegebenheiten zu tun haben, war es rasch gelungen, Erkenntnisse vorzuweisen, aus denen sich praktische Nutzanwendungen ableiten ließen. Den Wissenschaften vom Menschen hingegen ist dieser direkte Zugang zu ihrem Gegenstand verstellt, denn der Mensch zeigt sich als unberechenbar, da im wörtlichen Sinn nicht berechenbar. Seine Sozialisation, sein Wissensstand, seine jeweilige emotionale Verfassung, seine je unterschiedlichen historischen Erfahrungen mögen ihn im einen Fall trotz nahezu gleicher äußerer Voraussetzungen zu ganz unterschiedlichem Verhalten veranlassen, doch ebenso gut können ihn in einem anderen unterschiedliche Ausgangslagen durchaus auch zu gleichgerichteten Handlungen bewegen. Wie wirkt sich ein derartiges Fehlen axiomatischer Ausgangspunkte in den Menschenwissenschaften auf die Möglichkeiten zuverlässiger Prognosen und damit der Kontingenzbewältigung aus  ? 2.1.2.2 Gesellschaftliche Regulative

Individuen ebenso wie ganze Gesellschaften erweisen sich demzufolge selbst wieder als unkontrollierbare Quellen einer Unverfügbarkeit der Zukunft. Die eine Verheißung, diese Quellen auszutrocknen, wird im 17. und 18. Jahrhundert in unwiderlegbaren Feststellungen über die „menschliche Natur“ gesucht. Doch universell gültige Aussagen dieser Art bleiben offensichtlich ein unerfüllter Wunschtraum. So richtet sich eine zweite Hoffnung auf das Verstehen jener sozialen Regulative, die einerseits als „Prozess der Zivilisation“ (Elias)28 beschrieben werden, andererseits als „Dispositive der Gouvernementalität“ (Foucault).29 In beiden Fällen geht es um Mechanismen der Kontrolle  :30 Wenn menschliches Verhalten aus der „menschlichen Natur“ selbst heraus nicht zuverlässig vorhergesagt werden kann, so sollen zumindest jene sozialen Regulative exakter beschrieben werden, die auf dieses Verhalten von außen, von Seiten der Gesellschaft her, Einfluss nehmen. Überlegungen hierzu haben eine lange Tradition und sie machen ein Gutteil dessen aus, was man als politisches Denken bezeichnet. Die Autoren der Schottischen Aufklärung stehen in dieser Tradition an prominenter Stelle. Ihr Beitrag dazu ist thematisch weit aufgefächert von der Beschreibung der intrapersonalen Kontrollprozesse des individuellen Sozialverhaltens (Hume und Smith) über das Modell eines sich selbst regulierenden Rückkopplungssystems ökonomischer Mechanismen (Smith) und eine 26 Zum Aspekt der „Bewältigung“ von Kontingenz siehe den Abschnitt 6.1 („Kontingenz versus Zufall“). 27 D.  Hume  : Verstand, S. 27. – OT.: ders.: Understanding, p. 19, 3|9. 28 N.  Elias  : Über den Prozeß der Zivilisation. 29 M.  Foucault  : Geschichte der Gouvernementalität. 30 Selbstkontrolle ist darin inbegriffen.

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Apologie der ordnenden Funktion des Diskurses zwischen gesellschaftlichen Gruppen (Ferguson) bis hin zu einer Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft jener Zeit, die als bürgerliche begriffen wird (Ferguson und Millar). Der Unschärfefaktor Kontingenz wird dabei jeweils in dem Maß bewältigt, in dem es gelingt, Geschichte im Allgemeinen und Zivilisation im Besonderen als zielgerichtet zu beschreiben. 2.1.3 Die Ordnung des Vergangenen  : Entwicklungsmodelle der Geschichte

„Kontingenz“ ist kein Begriff des 18. Jahrhunderts. Wenn er hier dennoch ins Blickfeld gerückt wird, dann deshalb, weil er auf eine Problematik verweist, mit der alle Philosophie ringt  : Unwägbarkeit und die Hoffnung, ihr mittels des Auffindens zuverlässiger Gesetzmäßigkeiten beizukommen. Das Forschen nach der menschlichen Natur dient diesem Zweck ebenso wie jegliches Nachdenken über Kausalität. Darin, dass der Glaube an die geoffenbarte Teleologie durch den weltlichen Anspruch des „Wissens“ abgelöst werden soll, vollzieht sich mit der Neuzeit eine markante Wende im Denken. Dies bringt das treffende Wort „von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit“31 zum Ausdruck, das ein Zurückweichen des Anspruchs andeutet, denn das Vertrauen auf Empirie als Quelle des Wissens bedeutet zunächst einen Verzicht auf jene Art von Gewissheit, die durch Offenbarung oder rationalistisch, auf dem Weg der Vernunft und der Spekulation, erlangt worden war. Es kennzeichnet die Denkrichtung der Schottischen Aufklärung, dass sie in diesem Sinn auf die Ergebnisse einer sich erst konstituierenden Erfahrungswissenschaft vertraut und sich gleichzeitig mit ihnen zu bescheiden sucht. Doch bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass sie es dabei doch nicht belassen will und es letztlich auch nicht belassen kann. Das verraten etwa die Entwicklungsmodelle, an denen die Geschichte der Menschheit demonstriert wird. Bei diesen Modellen handelt es sich üblicherweise um Phasen- oder Stadienmodelle, die von einem „ursprünglichen“ Zustand ausgehen, von dem aus sich die menschliche Gesellschaft in Stufen höher entwickelt habe. Auf solche Modelle nehmen die schottischen Denker mehrfach Bezug. Darin wird, stillschweigend zwar, zumeist ein Startpunkt der Entwicklung vorausgesetzt, der in einem tatsächlichen oder hypothetischen Schöpfungsakt liegt, und in der Regel bauen darauf teleologische Modelle auf, in denen sich die Menschheit in Stufen entweder auf den gegenwärtigen oder auf einen bestimmten Endzustand hin bewegt. Diese Modelle haben neben ihrer unmittelbaren Funktion, Erkenntnisse über Geschehenes zu ordnen, noch eine zweite Bedeutung  : Sie sind ein implizites Statement, dass sich im Lauf der Welt eine Absicht verberge, dass die Gegebenheiten sich also nicht frei und kontingent, sondern auf eine geordnete Weise und somit planvoll über die Gegenwart hinaus weiterentwickelten. Die Ablösung dieser welt- und entwicklungsgeschichtlichen Vorannahmen wird zwar erst annähernd ein Jahrhundert später mit der allmählichen Herausbildung der Evolu31 A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit.

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tionstheorie beginnen, doch bereits in der Schottischen Aufklärung trifft man auf die Wurzeln der neuen Weltsicht. Hier nämlich entsteht neben den herkömmlichen moralphilosophischen Entwicklungsmodellen ein weiteres, das sich von diesen grundlegend unterscheidet. Es ist dies die Formulierung der geologischen Theorie durch James Hutton, die einen Prozess beschreibt, der im Grund ohne Anfang und ohne Ende auskommt. Diese Konzeption, auch sie ein Entwicklungsmodell, findet allerdings keine Resonanz im Denken der schottischen Aufklärungsphilosophie. Dabei hätte dies eigentlich so nahe gelegen, denn Huttons Theory of the World war in den Edinburgher Gelehrtenkreisen durchaus nicht zu übersehen, und als sie zum ersten Mal öffentlich vorgestellt wird, sind der Überlieferung zufolge die führenden Naturwissenschaftler und Philosophen des Landes sogar zugegen.32 Dennoch wird dieser bahnbrechende Entwurf eines neuen Weltbildes zunächst kaum beachtet, und so kommt es, dass unter allen Theorien, die im Zug der Schottischen Aufklärung entstanden sind, gerade diejenige, die den klarsten und schlüssigsten Blick auf die Konsequenzen aus den empirischen Fakten gewährt, ohne Niederschlag im philosophischen Denken der Zeit bleibt. Bei Hutton überlagern sich naturwissenschaftliche Erkenntnisse und moralphilosophische Fragestellungen auf eine für die Schottische Aufklärung charakteristische Weise. Deshalb gehört sein in der Grundausrichtung naturwissenschaftliches Werk, so sehr dieser Gedanke auf den ersten Blick auch irritieren mag, in den Kontext dieser Untersuchung. Aber zunächst noch einmal zurück zum tatsächlichen Gang der Entwicklung des Denkens der Zeit. Die Aufklärung stellt, wie sich aus der Perspektive einer generalisierenden Rückschau zeigt, die Verbindlichkeit der Schöpfungsgeschichte in Frage. Sie untergräbt damit de facto das Vertrauen in die Teleologie der Welt, die sich nicht länger auf ein vorweg beschriebenes Ziel zubewegt, sondern sich fortan als ein offener Handlungsraum darstellt. Darin herrscht keine Gewissheit mehr, auf die sich absolut vertrauen ließe – es sei denn, der Mensch eroberte sich diese verlorene Gesamtgewissheit in Form eines Mosaiks aus nunmehr kleinen Einzelgewissheiten wieder zurück. Das Kontingente würde dann mittels eines Wissens um verstreut aufgefundene einzelne Kausalzusammenhänge „bewältigt“ werden können. Es ist das Verlockende an Ursache-Wirkungs-Beziehungen, dass sie denen, die auf sie vertrauen, Blicke in die Zukunft zu gewähren scheinen. Demselben Zweck dienen aber auch vielerlei Strukturen, Regeln und festgelegte Mechanismen, mag man darunter sowohl technische Prozesse verstehen als auch die Formulierung von Gesetzmäßigkeiten von wirtschaftlichen Abläufen und eine Rechtsordnung ebenso wie organisatorische Festlegungen. Denn auch hinter all dem steht als verbindendes Charakteristikum der Be32 J.  Repcheck  : Der Mann, der die Zeit fand, S. 164, spricht davon, dass sich „mindestens 50 der gelehrtesten Männer Schottlands“ eingefunden hatten, als der erste Teil von Huttons schriftlich vorliegendem Vortrag von Joseph Black gehalten wurde, denn Hutton war an diesem Tag unpässlich – vor Aufregung  ? Näheres zu Huttons Bedeutung für das Naturverständnis der Schottischen Aufklärung siehe im Abschnitt 5.5.1.2 („James Hutton und der fehlgeschlagene Wissenstransfer“).

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fund von Kausalität, ein universelles, verlässliches Wenn-dann, auf das das Handeln sich beziehen kann. Aber Wissen ist nicht die einzige Möglichkeit, Kontingenz zu bewältigen. Auch viele Strukturen, die der Mensch sich im Rahmen der Gesellschaft gibt, stehen in ihrem Dienst – die Rechtsordnung, der Staats- und der Eigentumsbegriff, der moralische Konsens der Gesellschaft, ja nicht zuletzt Humes „künstliche Tugenden“33. Kontingenz wird zwar erfahren, jedoch nur widerstrebend hingenommen. Die durch sie hervorgerufene Verunsicherung wird folglich einzudämmen versucht  : Die Zukunft – allerdings auch das nur ein Glaube und keine Gewissheit – soll berechenbar werden im Zusammenspiel unendlich vieler Ursache-Wirkungs-Beziehungen, auf dass so Vorhersehbarkeit entstehe. Absicht, Plan, Regelung und Kontrolle – anders ausgedrückt  : alles, was unter dem Begriff der Zivilisation zusammengefasst werden kann – sollen zu Gegenspielern des Kontingenten in der Welt werden. Wissenschaft und „praktische“ Philosophie stehen, keineswegs nur wie später bei Hegel, somit im Dienst der Absicht, „das Zufällige [aus der Welt] zu entfernen“.34 Zu der durch die aufklärerische Religionskritik in Gang gesetzten Erosion des Glaubens an ein außerhalb der Welt liegendes Ziel der menschlichen Existenz ist die Mehrung der durch Empirie gewonnenen Erkenntnisse komplementär. 2.1.4 Von der ‘Moral Philosophy’ zur ‘Science of Man’

Eine zentrale Bedeutung kommt in der Schottischen Aufklärung dem Terminus moral philosophy zu, und es hat sich eingebürgert, die Denker, um die es hier geht, als „Moralphilosophen“ zu charakterisieren. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass dieser Begriff, dem im angelsächsischen Sprachgebrauch einst eine fest umrissene Bedeutung zugekommen zu sein scheint, im Deutschen keine exakte Entsprechung hat. Üblich ist die wörtliche Übersetzung mit „Moralphilosophie“. Das aber bedeutet, das Ziel zu verfehlen, indem man einen bequemen Weg beschreitet, denn moral philosophy und Moralphilosophie sind nicht kongruent  ; das semantische Feld, das der englische Begriff umfasst, ist zudem weiter. Da auch das Argument nicht hinreichend erscheint, man wisse unter Heranziehung des Kontextverständnisses doch allgemein, was mit moral philosophy gemeint sei, ist ein zweiter Blick angebracht. Mit moral philosophy sind in der frühen Neuzeit die Wissenschaften vom Menschen zusammengefasst,35 und diese bieten auch den Vertretern einer entstehenden science of man an den Universitäten von Edinburgh und Glasgow und in deren Umfeld jenen weit gesteckten Rahmen für die Fragestellungen, mit denen sie sich im Einzelnen auseinan33 Siehe zur Erläuterung und Funktion dieses Begriffs den Abschnitt 11.1.2 (Stabilisierung der Gesellschaft durch die ‚künstlichen Tugenden‘“). 34 F.  Hegel  : Die Vernunft in der Geschichte, S. 5. 35 Hume leitet in diesem Sinn seine „Untersuchung über den menschlichen Verstand“ mit einer programmatischen Gleichsetzung ein  : “moral philosophy, or [soll heißen  : gleichbedeutend mit] the science of human nature […]”. D.  Hume  : Understanding, p. 6|1.

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dersetzen. Allerdings zeigen ihre Antworten ein uneinheitliches Bild, in dem sich analytisches und normatives Interesse auf eine Weise mischen, die weit über den Bereich dessen hinausreicht, was im Deutschen unter „Moralphilosophie“ verstanden wird.36 Vielmehr geht es hier um weiterreichende Überlegungen nicht nur zum richtigen Handeln, sondern auch zum Wesen ethischer Normen überhaupt und zu ihrer Entstehung und ihrer Verankerung im Individuum. Daraus erklären sich beispielsweise die intensiven Debatten um den moral sense, einen im Menschen vorausgesetzten Sinn für das ethisch Richtige, die den Diskurs im 18. Jahrhundert über weite Phasen prägen.37 Moral philosophy vereinigt zwei säkulare Wissenschaftsbereiche in sich. Sie ist eine integrale Wissenschaft von der Gesellschaft, und sie fungiert, beispielsweise bei Hume, als Oberbegriff für die neu aufkommende, in ihrem Anspruch noch umfassendere Wissenschaft vom Menschen und seinen anthropologischen Dispositionen, eben eine science of man. Exakte und ausdrückliche Definitionen allerdings finden sich in den Texten nur ganz vereinzelt. Es ist vor allem Ferguson, der sich hierzu an mehreren Stellen in seinem Werk um Klarheit bemüht und dabei zu expliziten, wenngleich auch sehr allgemeinen Festlegungen kommt.38 Moral philosophy steht, was das Begriffsverständnis zudem erschwert, in einem engen Kontext mit den an den schottischen Universitäten gelehrten pneumatics, der Wissenschaft von der geistigen Natur des Menschen. Die zwischen der natural und der moral philosophy beziehungsweise den pneumatics bestehenden fließenden Übergänge werden im 18. Jahrhundert zwar konstatiert, doch man versucht kaum einmal, sie wirklich zu konturieren.39 So entsteht der irritierende Eindruck, dass gerade die Definition jener Wissenschaft selbst, die hier betrieben und vorangetrieben wird, auffallend vage bleibt. Welche Erklärungen gibt es dafür  ? Einerseits mag man darin ein Indiz für die Selbstverständlichkeit erkennen, mit der unter den Zeitgenossen von moral philosophy die Rede ist. Andererseits offenbaren sich darin auch die Zeichen jenes Umbruchs, in dessen Verlauf der Gegenstand dieser Wissenschaft zunächst – sowohl unbewusst als auch unkontrolliert – stark ausgeweitet und schließlich in Einzeldisziplinen aufgefächert wird  : Mehrere der heutigen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen gehen in ihrem Ursprung auf den Diskurs der Schottischen Aufklärung zurück.40 36 Nämlich die Auseinandersetzung mit den vorwiegend handlungsleitenden Aspekten der Moral im Sinn von „Ethik“. 37 Siehe den Abschnitt 4.2.1 („Die Kontinuität des Diskurses“). 38 So ist für ihn einmal “moral philosophy […] the knowledge of what ought to be”, also die „Kenntnis dessen, was sein soll“. (A. Ferguson  : Institutes, I, p. 11.) 39 Ferguson begnügt sich selbst in seinem Lehrbuch über diese Wissenschaften mit eher groben Unterscheidungen, wenn er schreibt  : „Die tierische Natur des Menschen ist Gegenstand der Anatomie und der Physiologie. Die intellektuelle Natur ist das eigentliche Thema der Pneumatik  : Da sie jedoch miteinander verbunden sind, sind viele ihrer Funktionen gemischt und betreffen gleichermaßen die Pneumatik und die Physiologie.“ A.  Ferguson  : Analysis of Pneumatics and moral philosophy, p. 7 (e. Ü.). 40 Siehe zur Problematik der Terminologie den Abschnitt 5.1.3 („Naturauffassung und Zuversicht“).

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2.1.5 Von der Erkenntnis zur Prognose

Im politischen Denken der Schottischen Aufklärung stehen einige Ausgangsüberlegungen im Mittelpunkt. Die erste gilt der Frage nach der „menschlichen Natur“, und mit ihrer Beantwortung wird zu entscheiden versucht, welche von beiden Kräften auf den in der Gesellschaft lebenden Menschen stärkeren Einfluss ausübe  : seine „Eigenliebe“41, an die insbesondere das Streben nach gesellschaftlicher Stellung, Macht und Besitz gekoppelt ist, oder die Einsicht in seine Bedürftigkeit, die ihn veranlasst, vorausschauend zu handeln und das gemeinsame Wohl – das Gemeinwohl – erforderlichenfalls über sein eigenes zu stellen, sei es unter der Regie seiner „Vernunft“ oder sei es affektiv, aufgrund eines vorausgesetzten „moralischen Sinns“. Zwar wird im Verfolgen des eigenen Nutzens, im „Interesse“, allgemein die eigentliche Triebfeder für menschliches Handeln gesehen. Zur Diskussion steht aber, ob dieses Prinzip im Sinn eines Automatismus, also von sich aus Gesellschaften stabilisiert und voranbringt, oder ob es dazu überdies bestimmter Korrektive bedarf. Zudem wird im 18. Jahrhundert überlegt, ob das Vorhandensein dieser Korrektive vorausgesetzt werden kann42 oder auf welche Weise von außen her Fremdzwänge und regulierende Strukturen, etwa eine Rechtsordnung, hinzukommen müssen und wodurch diese gegebenenfalls legitimiert sind. Indem die schottischen Denker diese Fragen aufwerfen, treiben sie auch den Diskurs der englischen Moralphilosophie der Neuzeit voran, der seine programmatischen erkenntnistheoretischen und methodischen Anfänge bei Francis Bacon hat und an den insbesondere Thomas Hobbes und John Locke anknüpfen. Letztere setzen diesen Diskurs in ihren Staats- und Gesellschaftsphilosophien, aber auch in Form ihrer erkenntnistheoretischen Überlegungen fort und inspirieren, ebenfalls den Blick stets auf die „Natur des Menschen“ richtend, eine Reihe weiterer Autoren – unter ihnen Bernard Mandeville, den Earl of Shaftesbury und Francis Hutcheson. Die Erörterung der anthropologischen Disposition des Menschen kann als einer der Dreh- und Angelpunkte der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, auch in Schottland, angesehen werden.43 Die Frage nach der Zuversicht im politischen Denken der Schottischen Aufklärung kehrt somit wieder als die Frage nach der Zuversicht in die Natur des Menschen überhaupt  : Ist diese seine Natur wirklich geschaffen für das, was ihm durch seine Bedürftigkeit vorgegeben ist, nämlich zum Zweck seiner Selbsterhaltung mit seinesgleichen zu kooperieren  ? Daran schließt sich, wenn auch in einem neuen Licht betrachtet, die Diskussion von Gegenständen an, die die politische Philosophie in einem weiteren Sinn als die ihren ansieht  : Macht die Verfolgung des genannten Zwecks 41 Die Bedeutung dieses Begriffs ist allerdings weit gefasst  ; so umgreift sie etwa auch den der „Interessen“. 42 Dies wird von Hume und Smith beispielsweise von der Fähigkeit zur „Sympathie“ (bzw. Empathie) angenommen. 43 Im Kapitel 4 („Der ideengeschichtliche Vorlauf innerhalb des angelsächsischen Diskurses“) wird dieser Diskurs nachgezeichnet.

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Herrschaft erforderlich  ? In welcher Form und von wem kann diese ausgeübt werden, wie muss sie reguliert und wie muss sie legitimiert sein  ?44 2.1.5.1 Die Regelhaftigkeit im Ablauf des Geschehens

Zuverlässige Vorhersagen über Zukünftiges sind nur unter der Voraussetzung möglich, dass ein Geschehen regelhaft abläuft. Hume hat dies in seinen beiden erkenntnistheoretischen Hauptwerken45 mit besonderer Deutlichkeit herausgestellt. Für ihn sind Prognosen Schlüsse, die nur unter der Voraussetzung eines gesetzmäßigen und unveränderlichen Zusammenhangs von Ursachen und Wirkungen getroffen werden können,46 und diesen Zusammenhang beleuchtet er aus zwei Richtungen. Einerseits  : „Ständen die Gegenstände nicht in gleichförmiger und regelmäßiger Verbindung miteinander, so kämen wir niemals zu einer Vorstellung von Ursache und Wirkung.“47 Andererseits  : Diese Vorstellung, dass Wirkungen die Folge von Ursachen sind, gründet selbst wieder auf Empirie  : „Vergeblich würden wir uns also anmaßen, den Ablauf eines einzelnen Ereignisses zu bestimmen, oder irgend eine Ursache oder Wirkung herzuleiten, ohne den Beistand von Beobachtung und Erfahrung.“48 Die Ursachen sind das Gegebene  ; die Wirkungen sind das, was aufgrund dieser gleichförmigen und regelmäßigen, eben „beständigen Verbindung der Gegenstände“49 erwartet werden kann. Das ist eine der Schlussfolgerungen, die die moral philosophy der Aufklärung unter dem Einfluss von Bacon und Hobbes und unter dem Eindruck von Galilei, Descartes und Newton aus der natural philosophy zieht. Weiterhin offen bleibt allerdings, ob sich das Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen von den Gegenständen der Natur auf den Menschen übertragen ließe. Ist dessen Handeln denn nicht viel zu vielen Unwägbarkeiten ausgesetzt – Anlage, Sozialisation, Beurteilung der Umstände, religiöse Überzeugung, ethische Normen –, als dass er, dieser abstrakte Mensch, als eine konstante Größe im ursprünglichen Sinn überhaupt in Betracht kommt  ? Überlegungen zur Regelhaftigkeit und ihre Implikationen beschäftigen insbesondere Hume stark. Sie sind ein strukturierendes Element seiner Argumentation im Treatise. Die Annahme eines regelhaft vor sich gehenden menschlichen Verhaltens war und ist die Voraussetzung für jegliche Art von Prognosen im Hinblick auf soziale und politische Prozesse. Der „Gegenstand“, aus dem diese Art von Berechenbarkeit abzuleiten versucht wird, ist im 17. und 18. Jahrhundert ein Komplex von Zuschreibungen an die „menschliche Natur“. Erschlossen werden kann nun diese „eigentliche“ Natur des Menschen, 44 Das Kapitel 5 („Der Naturbegriff  : Bedeutung und wissenschaftstheoretische Implikationen“) widmet sich diesen Überlegungen. 45 D.  Hume  : Traktat, dort insbesondere das zweite Buch  : „Über die Affekte“, sowie ders.: Verstand. 46 Auf den ersten Blick scheint dies Humes (scheinbar) grundsätzlicher Infragestellung der Kausalität zu widersprechen. Näheres hierzu im Abschnitt 7.5.2 („Kausalität  : Gewissheit aus Gewohnheit  ?“). 47 D.  Hume  : Traktat, II, S. 137. 48 D.  Hume  : Verstand, S. 40. 49 Hume  : Traktat, I, S. 125.

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sofern man sich nicht auf rationalistische Spekulation verlegen will, nur aus der Betrachtung des menschlichen Verhaltens. Hume bringt das sehr klar zum Ausdruck  : „Wir müssen unsere Erfahrungen [experiments] in dieser Wissenschaft also aus einer sorgfältigen Beobachtung des menschlichen Lebens [from a cautious observation of human life] gewinnen, und sie nehmen, wie sie im gewöhnlichen Lauf der Welt, in dem Benehmen der Menschen in Gesellschaft, in ihren Beschäftigungen und Vergnügungen [by men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures] sich darbieten.“50

Was Hume mit der „Beobachtung des menschlichen Lebens“ vor allem meinte, waren ein Erschließen aus der Betrachtung der Geschichte, ein Analysieren der durch den Moralmechanismus geleiteten Handlungen und die Beschreibung des Einflusses der Ökonomie auf das Individuum und die Gesellschaft. Allerdings war dieses Erschließen selbst wiederum nur aufgrund der bereits erwähnten Überzeugungen und Vorannahmen über diese menschliche Natur überhaupt erst möglich. Da aber über die Voraussetzungen einer solchen Untersuchung des Menschen weder völliges Einvernehmen bestand noch bestehen konnte, musste jene signifikante Bruchlinie zutage treten, die sich zwischen den Gegenständen der Naturphilosophie und der Moralphilosophie (bis heute) auftut  : Es wurde offenkundig, dass sich über das Verhalten von Menschen, auch wenn dies noch so sehr das Bestreben der science of man jener Zeit war, nicht mit gleicher Sicherheit (und auch nicht auf gleiche Art) Aussagen treffen ließen wie etwa über das Verhalten unbelebter Körper oder chemischer Elemente. Die Konsequenzen sind bekannt  ; sie zeigen sich – um nur die geläufigsten Beispiele anzuführen – in Annahmen wie dem von Natur aus auf seinen Vorteil bedachten Menschen eines Hobbes und Mandeville, dem von Natur aus guten Menschen eines Rousseau und im von Natur aus vom Eigennutz angetriebenen, jedoch durch seine ihm eigene Fähigkeit zur Empathie gezähmten Menschen eines Hume und Smith. 2.1.5.2 Die Verheißungen der ‘Natural Philosophy’  : Kausalität und Prinzip

Der Versuch der Entschlüsselung seiner eigenen, „eigentlichen“ Natur begleitet den Menschen seit dem Anfang aller Philosophie – sie ist ihr genuiner Gegenstand. Auch in der Schottischen Aufklärung spielt er eine zentrale Rolle. Dabei ist es eine grundlegende Schwierigkeit der Beweisführung, dass Aussagen über die „menschliche Natur“ nicht ausgehend von gesicherten Voraussetzungen entwickelt werden können. Vielmehr sind in das Vorausgesetzte vorab bereits Bestandteile des späteren Ergebnisses in Form von Vorannahmen – Präsuppositionen – eingeflossen  : Der gemäß seinen eigenen Interessen handelnde Mensch, der jedoch mit Empathie ausgestattet und somit fähig ist, seine egoistischen Antriebe zu kontrollieren und zu regulieren, ist nämlich nicht erst das Ergebnis, sondern bereits auch eine der Vorannahmen etwa der Hume’schen oder Smith’schen 50 D.  Hume  : Traktat, I, S. 7. – OT.: ders.: Treatise, Introduction, p. 6.

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Analysen.51 Es sind in diesen Vorannahmen ebenso wie in ihren Ergebnissen die Erwartungen über den Fortgang der menschlichen Gesellschaft(en) enthalten. Der von seiner gesellschaftlichen Existenz losgelöst gedachte Mensch ist immer Spekulation und Abstraktum, denn er ist damit gleichzeitig aller empirischen Betrachtbarkeit enthoben. Ferguson hat auf diese Problematik aufmerksam gemacht  : „Das Menschengeschlecht muß in Gruppen betrachtet werden, wie sie immer bestanden haben. Die Geschichte des Individuums ist ja nur ein Stückwerk aus denjenigen Gefühlen und Gedanken, die es mit Rücksicht auf seine Gattung gehabt hat. Jedes Experiment in dieser Hinsicht sollte darum nur mit ganzen Gesellschaften und nicht mit einzelnen Menschen gemacht werden.“52 Jedenfalls ist das, was über den Befund von Zuversicht und Skepsis entscheidet, nicht nur das über die menschliche Natur Herausgefundene, sondern auch das von ihr im Sinn von Präsuppositionen vorweg Angenommene.53 Das Denken der Neuzeit blieb unverändert auf das Erkennen einer der Welt zugrundeliegenden Ordnung ausgerichtet, auf Regeln, auf Gesetzmäßigkeiten und auf die Prognose dessen, was aufgrund dieser Regeln und Gesetzmäßigkeiten an künftigem Geschehen zu erwarten sein würde. Newton demonstriert auf seinem Gebiet, dem der Physik der Körper, dass diese Gesetze sich mit den Mitteln der Mathematik in eindeutiger Weise darstellen lassen. Die Faszination dieser Eindeutigkeit greift seit dem 17. Jahrhundert auf die Menschenwissenschaften über und lässt die Denker dieser Epoche auf die analoge Formulierung allgemein gültiger Aussagen auch über den Menschen hoffen. Kausalität ist das, nach dem man Ausschau hält. Bei Hume und Smith kommt der Anspruch an die science of man im Begriff des „Prinzips [principle]“ zum Ausdruck, das komplexes Geschehen modellhaft auf möglichst wenige überschaubare und nachvollziehbare Ursachen zurückführt. Hume drückte das so aus  : „Es gilt als höchstes Bestreben der menschlichen Vernunft, die Prinzipien, welche die Naturerscheinungen erzeugen, einfacher zu gestalten und die vielen einzelnen Wirkungen durch Denkakte auf Grund von Analogie, Erfahrung und Beobachtung in einige wenige allgemeine Ursachen einmünden zu lassen.“54 Die besondere Konstellation, in der die Schottische Aufklärung ihre Fragestellungen findet und ihre Positionen bezieht, verstärkt die Hoffnung auf den Erfolg dieser Herangehensweise. Was diese Konstellation nämlich prägt, ist das unmittelbare Neben- und 51 Unter solchen Präsuppositionen versteht R. Collingwood Vor-Annahmen, (stillschweigende) Voraussetzungen und sogar Konventionen, die bereits bestehen, bevor das eigentliche wissenschaftliche Fragen und Antworten überhaupt einsetzt. Der Kontext, in dem das Feststellen, Aussagen und Urteilen vor sich geht, wird also erweitert um das, was ihm logisch – nicht zeitlich – vorangeht. Siehe R. Collingwood  : An Essay on Metaphysics, p. 21. – Im Abschnitt 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen Vorausgesetzte“) wird dieser Gesichtspunkt näher betrachtet. 52 A.  Ferguson  : Versuch, S. 100. 53 Siehe den Abschnitt 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen ­Vorausgesetzte“). 54 D.  Hume  : Verstand, S. 41. – A. Smith  : Theorie, S. 140, zum selben Thema  : „[D]as System der menschlichen Natur scheint einfacher und angemessener, wenn alle ihre verschiedenen Funktionen und Leistungen […] aus einem einzigen Prinzip abgeleitet werden.“

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Miteinander-Wirken und der oftmals fast tägliche persönliche Gedankenaustausch vieler der führenden Natur- und Moralphilosophen der Zeit. Dem mit der aufstrebenden Naturwissenschaft (natural philosophy) aufgekommenen methodisch-experimentellen Denken fällt dabei wie von selbst eine Leitfunktion zu.55 Allerdings findet dieser starke Impuls einer neuen Orientierung keineswegs in einer strikt einheitlichen Weltsicht seinen Ausdruck. Die Schottische Aufklärung kennzeichnet vielmehr gerade der weite Horizont ihrer Fragestellungen, der den zu eng gewordenen Rahmen der alten moral philosophy schließlich sprengt, deren Gegenstände zuvor nicht benannten Disziplinen zuweist und dadurch ein ganz neues Gefüge der Wissenschaften vom Menschen hervorbringt. 2.1.5.3 Das Hinzukommen der Außenperspektive  : Reiseberichte

Das Denken der Aufklärung steht in einem unmittelbaren Bezug zur allgemeinen Weitung des Blicks, den der Mensch der Neuzeit auf die Welt wirft. Die Kultur, in der er selbst lebt, wird zunehmend in Beziehung zu anderen Kulturen gesetzt, die, wiederum als kontingent verstandene, nicht nur ebenfalls denkbar sind, sondern nun sogar als Referenzmaßstab herangezogen werden können  : Der Gedanke, dass es nicht nur die menschliche Natur gebe, sondern dass die menschliche Natur keine feste, sondern eine variable Größe sei, ist somit in der Welt. Einige der Reiseberichte des späten 17. und des 18. Jahrhunderts eröffnen eine kulturanthropologische Perspektive, die sich auch in den Überlegungen der schottischen Moralphilosophie niederschlägt. Diese Reiseberichte werden von den schottischen Denkern nicht nur rezipiert, sondern es wird ihnen mitunter sogar die Funktion von „Beweisen“ zugesprochen, da es scheint, sie würden eine Erfahrungsgrundlage ähnlich jener bieten können, auf die die experimentelle Naturwissenschaft wie selbstverständlich zurückgreifen konnte  : Sie gelten als „Zeugnisse [testimony]“ und somit als Quellen der Erkenntnis (Ferguson, Kames).56 Die Bedeutung dieser Berichte als Inspirationsquelle ist unverkennbar, und unabhängig von der Beurteilung ihrer Zuverlässigkeit verändern sie den Blickwinkel auf die eigene Gesellschaft, indem sie eine Außenperspektive auf diese bieten. Darin, und nicht in ihren anthropologischen Befunden selbst, liegt die vorrangige Bedeutung dieser Quellen im hier zu behandelnden Kontext. Die Berichte der Forschungsreisenden und Missionare des 17. und des frühen 18. Jahrhunderts schärfen den Blick der aufkommenden Gesellschaftswissenschaften auch noch auf eine andere Weise, denn sie legen den Gedanken nahe, dass zwischen der eigenen „zivilisierten“ und der Kultur der „Wilden“ nicht nur in den Erscheinungen Unterschiede bestehen, sondern auch in den Strukturen der Gesellschaften selbst. Die Beschäftigung mit den Beziehungsstrukturen zwischen den Angehörigen der fernen Gesellschaften ist von heuristischer Bedeutung auch für die Analyse der eigenen, wie die entsprechenden 55 Nirgends tritt dies eindeutiger zutage als in Humes Motto zu seinem Treatise  : “Being an attempt to introduce the experimental method of reasoning into moral subjects”. D. Hume  : Treatise, p. 1. 56 Siehe hierzu etwa A. Ferguson  : Principles, I, p. 83, oder H. Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, III, p. 584.

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Bezugnahmen von Ferguson und Millar verdeutlichen. Der Perspektivwechsel also, der durch die Reiseliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts ausgelöst wird, ist von großer Bedeutung. 2.1.6 Die Entdeckung der ‚Gesellschaft‘

Es ist in zahlreichen Untersuchungen herausgestellt worden, wie sich im 17. und 18. Jahrhundert die Diskurse über den Menschen, sein Sein und sein Sollen und die Möglichkeiten der Erkenntnis über sich selbst inhaltlich verändert haben.57 Neue Gegenstände sind dem systematischen Denken in dieser Epoche zugewachsen oder alte zu neuer Deutung gelangt. Diese haben sich letztlich zu neuen Disziplinen formiert.58 Was nun darzulegen war, verlangte zum Teil nach einer Anpassung der überkommenen Begrifflichkeit oder auch nach neuen Formulierungen. Dabei entstand mitunter ein Vokabular, das es zuvor noch nicht gegeben hatte. Über das Aufkommen zumindest zweier Begriffe, denen im politischen Denken seither eine zentrale Bedeutung zukommt, weiß man mehr, seit zu ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert Untersuchungen durchgeführt wurden  : „Gesellschaft [society – social]“59 und „Zivilisation [civilisation/civilization – civil/civilised/ civilized]“.60 In beiden Fällen handelt es sich um Wörter, die von der Aufklärung geradezu erfunden worden sind.61 Zwar ist vorauszuschicken, dass ihre entsprechende semantische und sprachhistorische Erforschung für das Französische umfassender war als für die übrigen europäischen Sprachen,62 doch mit Ferguson spielt in diesen Untersuchungen immerhin ein schottischer Autor eine wichtige Rolle. Es wird gesagt, das Wort Zivilisation habe „in seinen Vorlesungen oder persönlichen Papieren“ bereits Verwendung gefunden, ehe es im Französischen erstmals aufgetaucht sei.63

57 Ein Thema unter vielen, das im Kontext der Schottischen Aufklärung allerdings besondere Bedeutung innehatte, war die Auseinandersetzung um die „menschliche Natur“  ; siehe das Kapitel 5 („Der Naturbegriff  : Bedeutung und wissenschaftstheoretische Implikationen“). 58 P.  Burke  : Papier und Marktgeschrei, S. 111, weist darauf hin, dass „[w]issenschaftliche Disziplinen […] als eine ‚Erfindung‘ des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts beschrieben“ worden seien. C. Herfeld  : Philosophie der Politikwissenschaft, S. 617, spricht unter Berufung auf D. Waldo sogar davon, dass „die Ausdifferenzierung von Disziplingrenzen erst Anfang des 20. Jahrhunderts begann […].“ 59 Einen Überblick hierzu vermittelt K. M. Baker  : Aufklärung und die Erfindung der Gesellschaft. 60 Den Stand der Forschung bis zum letzten Viertel des 20. Jahrhunderts referiert J. Starobinski  : Das Wort Zivilisation. Ausführlicher hierzu, allerdings mit einer deutlichen Schwerpunktsetzung auf die Situation in Frankreich, ist die Untersuchung von J. Moras  : Ursprung und Entwicklung des Begriffs der Zivilisation in Frankreich. 61 „Erfunden“ kann in diesem Zusammenhang allerdings sowohl bedeuten, dass ein Begriff überhaupt neu aufgetaucht oder aber nur zu einer neuen, erweiterten Bedeutung gelangt ist. 62 Siehe hierzu J. Starobinski  : Das Wort Zivilisation, J. Moras  : Ursprung und Entwicklung des Begriffs der Zivilisation in Frankreich sowie K. M. Baker  : Aufklärung und die Erfindung der Gesellschaft. 63 Diese Annahme von E. Benveniste erwähnt J. Starobinski  : Das Wort Zivilisation, S. 12, Anm. 8.

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Im 8. Band von Diderots und d’Alemberts Encyclopédie findet sich unter dem Stichwort „Hobbismus oder Philosophie von Hobbes“ ein Artikel, der sich in Teilen als aufklärerische Grundsatzerklärung lesen lässt. Dort heißt es  : „Man wirft ihm [Hobbes, HK] vor, er habe in seine Philosophie neue Fachausdrücke eingeführt  ; aber da er eine besondere Betrachtungsweise hatte, konnte er sich nicht an die herkömmlichen Wörter halten.“64 Es bedürfe also neuer Begriffe, denn das, was ausgedrückt werden müsse, könne mit den überkommenen nicht bewerkstelligt werden. Die Sprache, die ein Abbild der Vorstellungen der Menschen von der sie umgebenden Welt sei, erfordere zwangsläufig eine lexikalische Erweiterung, denn auch diese Vorstellungen selbst seien ja neu. So ist es nur schlüssig, wenn es an anderer Stelle desselben Werkes, nämlich zur Erklärung des Wortes „gesellschaftlich [social]“, heißt  : „Dieses Wort wurde vor kurzem in die Sprache eingeführt, um die Eigenschaften, die einen Menschen in der Gesellschaft nützlich und für den Umgang mit anderen Menschen geeignet machen, zu bezeichnen  : soziale Eigenschaften.“65 Die Aufklärung erklärt hier in einer ihrer programmatischen Schriften gewissermaßen selbst, dass sie die Gesellschaft in einem soziologischen Sinn entdeckt habe. Noch präziser indes wäre es, zu sagen, sie habe dem Wort Gesellschaft eine modifizierte Bedeutung beigegeben.66 Worin diese Bedeutungsverschiebung bestand, die sich anhand der zeitgenössischen Wörterbücher und der sich auf sie beziehenden Untersuchungen rekonstruieren lässt, soll sogleich erläutert werden. Zuvor aber sei noch festgehalten, dass den Begriff zweierlei gekennzeichnet hat, nämlich einerseits eine Unschärfe im Gebrauch, die ihn „im Gespräch gefährlich“ mache (Mirabeau), andererseits sein großes Gewicht, das ihm im zeitgenössischen Diskurs eine zentrale Bedeutung zukommen ließ, denn die Hoffnungen des Zeitalters finden darin, wie Baker es formuliert hat, „ihren impliziten Bezugspunkt“.67 Tatsächlich zielt die Verknüpfung aller Hoffnungen, Absichten und Prognosen, auch wenn dem Wortlaut nach die Aufmerksamkeit dem Individuum zu gelten scheint – nämlich seiner Natur und seinen anthropologischen Determinanten –, in Wirklichkeit doch stets auf den vergesellschafteten Menschen. Er ist der eigentliche Fokus im Denken jedenfalls der Schottischen Aufklärung.68 Dass die Menschenwesen sich infolge ihrer Bedürftigkeit einerseits und ihrer Gefährlichkeit andererseits in einem Zustand gegenseitiger Abhängigkeit befänden, war eine Feststellung a priori, die lediglich dort einen Auslegungsspielraum zuließ, wo es um die Frage ging, ob die Vergesellschaftung ausschließlich eine notwendige oder auch eine freiwillige sei. Unter « societé » [sic  !] verstehe man unter 64 Diderot/d’Alembert  : Artikel aus der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen Enzyklopädie, S. 530. 65 Ebd., S. 736 f. (Hervorh. HK). 66 Die entsprechenden Untersuchungen zur Wortgeschichte gehen vom französischen « société » aus. K. M. Baker  : Aufklärung und die Erfindung der Gesellschaft, S. 110–115, referiert die Forschungsergebnisse hierzu, die sich vor allem auf frühe französische Wörterbücher stützen. 67 K. M. Baker  : Aufklärung und die Erfindung der Gesellschaft, S. 109. 68 Vgl. hierzu auf S. 45 die Ausführungen zu Ferguson, der den Menschen ausschließlich als Wesen in Gesellschaft denkt.

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anderem, heißt es in Furetières Dictionaire universel [sic  !] von 1690, eine „Versammlung mehrerer Menschen an einem Ort, um sich gegenseitig in Notfällen zu unterstützen. Die Wilden leben mit wenig société. Die Menschen haben sich zur société zusammengetan, um bequemer und gesitteter zu leben  ; sie haben strenge Gesetze gegen diejenigen erlassen, die die bürgerliche société stören.“69 Zwei Aspekte fallen bei dieser Begriffsklärung Furetières ins Auge. Zum einen kommt der Erwähnung der „Wilden“ – als dem Gegentypus schlechthin zu dem des aufgeklärten Europäers – innerhalb des auf einen Antagonismus setzenden Argumentationsmusters eine besondere Bedeutung zu. Die Lebensweise der sauvages ist zu verstehen als der Ausgangszustand, von dem aus die Menschheit sich fortentwickelt habe, gewissermaßen fortschreitet. Dies ist als Hinweis auf die Richtung zu verstehen, die die Vergesellschaftung nehme, nämlich vom regellosen Leben zu einem solchen in Gesittung und Bequemlichkeit. Daneben wird hier die Ordnungsfunktion der Gesellschaft thematisiert  ; die Reglementierung bei abweichendem Verhalten sei eine nachdrückliche, die Gesetze nämlich seien „streng“. Somit kommt die Thematik der gesellschaftlichen Regulative zur Sprache, die alle Denker der Aufklärung beschäftigt hat, wenngleich auf unterschiedliche Weise. Baker benennt folgende Hauptgesichtspunkte der Bedeutung von « société »  : Die Gesellschaft gehöre zu den Grundbedürfnissen der Menschen  ; sich zu vergesellschaften liege in ihrer Natur. Daneben sei Gesellschaft das „Ergebnis menschlicher Institutionalisierung“, indem sie dem durch den voluntaristischen Akt des Zusammenschlusses entstandenen Gefüge eine Struktur gebe, die zu ihrer Erhaltung festgeschriebener Regeln bedürfe. Daraus erwüchsen sodann, als dritter Aspekt, die Überlegungen für den Fall, dass das Gesellschaftsgefüge bedroht werde.70 Dabei fällt auf, dass bei den frühen aus Frankreich überlieferten Gesellschaftsvorstellungen diese Bedrohung nur im Sinn einer inneren eine Erwähnung findet – als Störung durch Mitglieder der Gesellschaft selbst. Daraus leiten sich zwei Erfordernisse ab  : Zu überlegen ist zum einen, wie diese Störung entfernt werden könne, und zum andern, ob und wie sie vorab bereits zu verhindern sei. All dies formt sich zu einem bestimmten Inhalt des Begriffs, der sich in der Aufklärung von dem entwickelt, was unter Gesellschaft verstanden wird. Allerdings gilt das nur mit einer erheblichen Einschränkung, denn der hier beschriebene Begriffskontext ist lediglich jener, der sich für das vorrevolutionäre Frankreich ausmachen lässt. Ein wesentlich weniger konturiertes Bild ergibt sich hingegen für den englischen Sprachraum, wo “society” im 18. Jahrhundert offenbar längst nicht jenes weite und übertragene Bedeutungsspektrum aufweist. Orientiert man sich beispielsweise an Johnsons zeitgenössischem Dictionary71, so fällt hier ein vollständiges Fehlen sowohl des Entwicklungs- als auch des

69 A.  Furetière  : Dictionaire [sic  !] Universel (Stichwort « Societé » [sic  !])  ; Übersetzung K. M. Baker. 70 K. M. Baker  : Aufklärung und die Erfindung der Gesellschaft, S. 111 f. 71 S.  Johnson  : Dictionary 1755 bzw. S.  Johnson  : Dictionary 1799.

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Ordnungsaspekts auf  : “Society” wird hier verstanden als „Vereinigung vieler mit einem gleichen Interesse“ oder als „Partnerschaft  ; Vereinigung zu gleichen Bedingungen“.72 Im Folgenden geht es nun darum, in welchem Sinn die Autoren der Schottischen Aufklärung den Gesellschaftsbegriff verwendet haben. 2.1.6.1 David Hume  : Gesellschaft als Bewältigung von Kontingenz

Eine weitgehende Übereinstimmung mit Johnsons semantischer Deutung des Begriffs “society” findet sich bei Hume. In seinem Treatise, der gut ein Jahrzehnt vor der ersten Auflage des Dictionary erschienen war, konzentriert er sich, ausgehend von der Feststellung der Bedürftigkeit des Menschen, auf ein funktionales Verständnis von Gesellschaft. Dieses sei bestimmt durch den Gedanken des Beistands, der Nützlichkeit und der Steigerung der gemeinsamen Leistungsfähigkeit kooperierender Individuen. Das Gesellschaftsverständnis ist stark geprägt vom Menschenbild, an dem Hume sich orientiert. Das kommt in der nachfolgenden Textstelle besonders deutlich zum Ausdruck  ; deshalb die Ausführlichkeit des Zitats  : „Unter allen Tieren, die den Erdball bevölkern, gibt es keines, gegen das die Natur auf den ersten Blick grausam verfahren zu sein scheint  ; nur gegen den Menschen [scheint sie grausam]. Wie zahllos sind die Bedürfnisse und notwendigen Ansprüche, mit denen sie ihn belastet, und wie gering die Mittel, die sie ihm zur Befriedigung derselben gewährt hat. […] Nur durch Vergesellschaftung [by society alone] kann er diesen Mängeln abhelfen und sich zur Gleichheit mit seinen Nebengeschöpfen erheben, ja sogar eine Überlegenheit über dieselben gewinnen. Durch die Gesellschaft wird seine Schwäche ausgeglichen [By society all his infirmities are compensated], und wenn auch innerhalb derselben seine Bedürfnisse sich jeden Augenblick vermehren, so nehmen doch seine Fertigkeiten in noch höherem Grade zu. […] Durch die Vereinigung der Kräfte wird unsere Leistungsfähigkeit vermehrt  ; durch Teilung der Arbeit wächst unsere Geschicklichkeit, und gegenseitiger Beistand macht uns weniger abhängig von Glück und Zufall [we are less exposed to fortune and accidents].“73

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass Hume hier einen Nebeneffekt der gesellschaftlichen Vereinigung erwähnt, auf den noch sehr ausführlich einzugehen sein wird  : Sie führe zu einer größeren Unabhängigkeit vor Unvorhergesehenem – denn das ist es, was er mit „Glück und Zufall“ meint. Mit anderen Worten  : Schaffung beziehungsweise Stabilisierung von Gesellschaft bedeutet, funktional betrachtet, (auch) Bewältigung von Kontingenz. 72 Zudem führt Johnson die (im Französischen ebenfalls geläufigen) Bedeutungen „Gemeinschaft [community]“ sowie „Gesellschaft [company]“ im ökonomischen Sinn an. Vergleicht man die Auflage von 1755 mit derjenigen von 1799, so stellt man fest, dass der Begriff “society” in diesem langen und von intensiven Debatten begleiteten Zeitraum – im Gegensatz zum französischen « société » – keiner Veränderung unterworfen war. 73 D.  Hume  : Traktat, II, S. 228 f. – OT.: ders.: Treatise, p. 312, 3.2.2|2–3.

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Allerdings spielt Hume mit der Überlegung, welche Kräfte es seien, die aus einer Vielzahl von bedürftigen Individuen eine Gesellschaft erzeugen  : „Soll sich aber die Gesellschaft bilden [in order to form society], so muß dieselbe nicht nur [tatsächlich für den Einzelnen] vorteilhaft sein, sondern die Menschen müssen sich dieser ihrer Vorteile auch bewußt werden. Es ist aber unmöglich, daß sie im wilden, unkultivierten Zustande [in their wild uncultivated state] einzig durch Überlegung und Nachdenken zu dieser Erkenntnis kommen.“74 Es fällt auf  : Zum einen bedient auch Hume sich – wenngleich implizit – der zeittypischen Gegenüberstellung von „Wilden [wild/uncultivated]“ und Gesellschaft  ; zum andern bringt er zum Ausdruck, dass die Gesellschaft für ihre Entstehung – um sich „bilden“ zu können – eines Grundes bedürfe. Damit ist er von seinem Denkansatz her so weit nicht von den traditionellen Vertragstheorien entfernt, auch wenn er diese expressis verbis strikt ablehnt.75 Denn ob nun der Zusammenschluss aufgrund der Bedrohung durch die eigenen Artgenossen oder aufgrund einer Einsicht in die Nützlichkeit beispielsweise der Arbeitsteilung erfolgt, ändert zumindest am voluntaristischen Prinzip der Vergesellschaftung nichts. Dies steht im Gegensatz zur Perspektive, die etwa Ferguson einnehmen sollte. 2.1.6.2 Adam Ferguson  : Gesellschaft als anthropologische Tatsache

Für Ferguson nämlich ist Gesellschaft nichts, auf das hin die Menschheit sich erst entwickeln müsse. Vielmehr sei sie, wie er in seinem Essay ausdrücklich betont, immer schon da gewesen  : „Die Gesellschaft erscheint bei ihm [dem Menschen] so alt zu sein wie das Individuum, und der Gebrauch der Sprache so allgemein wie der der Hand und des Fußes.“76 Und der Mensch habe „eine Reihe von Anlagen, die auf seine Erhaltung als Lebewesen und auf die Fortpflanzung seiner Gattung hinzielen. Andere Anlagen leiten ihn zur Gesellschaft an.“77 Das bedeutet  : Auch wenn die Gesellschaft als Ganzes sich ständig entwickle, so sei es doch nicht so, dass der Mensch sich erst zu einem vergesellschafteten Wesen habe entwickeln müssen – ein solches nämlich ist er in Fergusons Augen von Anfang an gewesen. Die Gesellschaft ist für ihn eine anthropologische Tatsache, ein zu allen Zeiten vorhandener Aspekt der menschlichen Natur. Er wird als Lebewesen beschrieben, für das es charakteristisch sei, in Gesellschaft zu leben. 74 D.  Hume  : Traktat, II, S. 229. – OT.: ders.: Treatise, p. 312, 3.2.2|4. 75 Zu Humes Ablehnung des Gedankens des original contract siehe den Abschnitt 14.2.6 („Zur Legitimation des Staates  : Vertrag versus Interesse“). 76 A.  Ferguson  : Versuch, S. 103. 77 A.  Ferguson  : Versuch, S. 109 (Hervorh. HK). Dass Ferguson hier von „Anlagen“ spricht, ist sowohl im Hinblick auf sein Erkenntnisinteresse als auch im Zusammenhang mit den Überlegungen zum Naturbegriff und dessen Funktion bedeutsam, denn im weiteren Verlauf seines Essay – ebd. S. 129 – wird er die Feststellung treffen  : „Jedenfalls ist es ein Interesse der Wissenschaft, vielleicht sogar das wichtigste, das Vorhandensein einer Anlage festzustellen [when the existence of a disposition is established]. Wir sind mehr an ihrem Dasein und ihren Folgen als am Ursprung oder der Art und Weise ihres Entstehens interessiert. […] Nur an ihren Wirkungen können wir sie entdecken […].“ – OT.: ders.: Essay, p. 29.

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Die gleiche Ansicht vertritt im Übrigen Lord Kames in seinen Sketches of the History of Man, 1788 erstmals erschienen, wenn er feststellt, dass die Menschen mit einem „Verlangen nach Gesellschaft ausgestattet [endued with an appetite for society]“ seien78 – denn „ausgestattet“ kann nur bedeuten  : „von Anfang an vorhanden“ und, ebenso wie bei Ferguson, nicht erworben, sondern entwicklungsgeschichtlich „angelegt“. In einem späteren Abschnitt wird auf das weite Spektrum eingegangen werden, innerhalb dessen der Naturbegriff in der Schottischen Aufklärung verwendet wurde.79 Dabei sollte sich, zusammenfassend und deshalb etwas vereinfachend gesagt, zeigen, dass es der Zweck der Berufung auf eine generalisierbare menschliche Natur war, eine Ausgangsbasis zu finden, die insbesondere für die normativen Absichten einer science of man tragfähig sein konnte. Dieses Finden allerdings, das ja immer nur mittels einer – rationalistischen – Rekonstruktion des Naturzustandes aus dem Erscheinungsbild der zeitgenössischen bürgerlichen Gesellschaft möglich sein konnte, war somit letztlich ein Schaffen  : der unaufhebbare rationalistisch-spekulative Rest des qua Programm eigentlich als erfahrungswissenschaftlich gedachten Ansatzes. Ferguson nun bringt im ersten Abschnitt seines Essay („Von der Frage nach dem Naturzustand“) zum Ausdruck, dass er gerade diese Art der Berufung auf die Natur für ein Argumentationsmuster von geringer Beweiskraft hält – auch wenn er, wie oben gezeigt, mitunter selbst darauf verfällt. Hier aber bringt er ein Verständnis des Naturbegriffs in die Debatte ein, das sich wie ein Durchschlagen des gordischen Knotens liest  : Es ist einerseits radikal, andererseits geradezu lakonisch, und gerade sein Verzicht auf die zeittypischen Vorannahmen lässt es plausibel erscheinen  : „Im Gegensatz zu Einbildung, Widerspenstigkeit und anderen Fehlern des menschlichen Temperaments und Charakters ist ‚natürlich‘ ein lobendes Beiwort. Aber wenn es zur Spezifizierung einer besonderen menschlichen Verhaltensweise angewandt wird, die angeblich aus der Natur des Menschen hervorgeht, kann es zu keiner Unterscheidung dienen  : Denn alle Handlungen der Menschen sind gleichermaßen das Ergebnis ihrer Natur [for all the actions of men are equally the result of their nature].“80

Der abschließende Satz ist von besonderer Tragweite, denn er verschiebt den Fokus von der – angenommenen – Natur des Menschen zu dessen – sichtbaren – Handlungen. Es mag eine zunächst irritierende These sein, Ferguson als denjenigen auszuweisen, der die Bacon’sche und Hume’sche Verpflichtung auf die Empirie eigentlich – und konsequenter als Hume selbst – eingelöst habe, doch einfach von der Hand weisen wird man sie dem soeben Gesagten zufolge sicher nicht können.

78 H.  Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, II, p. 348. Hier heißt es  : “That men are endued with an appetite for society, will be vouched by the concurring testimony of all men, each vouching for himself.” 79 Siehe den Abschnitt 5.5 („Die Spannweite des Naturbegriffs in der Schottischen Aufklärung“). 80 A.  Ferguson  : Versuch, S. 108 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Essay, p. 15.

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Ferguson verfällt häufiger als etwa Hume oder Smith darauf, die zeitgenössische Gesellschaft mit der Lebensweise der „Wilden“ zu vergleichen. Auch wenn er unter den prominenten Denkern der Schottischen Aufklärung diesen Gedanken wohl am häufigsten ins Spiel bringt, so ist er damit doch kein Einzelfall, denn im 18. Jahrhundert ist dies eine weit verbreitete Vorgehensweise, Aussagen über den Entwicklungsstand einer Gesellschaft zu untermauern. Das Gegensatzpaar beispielsweise, dessen sich Ferguson im Essay zum Zweck der Unterscheidung bedient, ist „roh/unzivilisiert [rude]“ und „zivilisiert [civilized]“. Es ist dies zunächst eine Gegenüberstellung von als idealtypisch verstandenen Gesellschaftszuständen, mit deren Hilfe eine Projektionsfläche erzeugt wird, auf der sich in einem zweiten Schritt auch die Dynamik einer Entwicklung andeuten lässt, nämlich diejenige eines „Prozesses der Zivilisation“ – gleichgültig, ob kontinuierlich oder in Stadien.81 Die Gesellschaft wird darin von den ursprünglich rohen Ausgangszuständen in nunmehr kontrollierte, regulierte und reglementierte übergeführt. Dies ist die Sicht auf die Gesellschaft eher aus einer soziologischen denn aus einer politischen oder staatsrechtlichen Perspektive, und unter diesem Aspekt vollzieht Ferguson tatsächlich so etwas wie eine Neuausrichtung des Nachdenkens über den Staat. Vor allem Millar ist es, der diesen Ansatz gezielt verfolgen wird. 2.1.6.3 Adam Smith  : Gesellschaft und Ordnung

Bei Smith, der innerhalb seiner Untersuchungen ebenso wie in der Aufeinanderfolge seiner Schriften sehr systematisch vorgegangen ist, findet sich der Begriff der Gesellschaft in unterschiedlichen Bedeutungen, unter denen allerdings jene einer Verbindung mit Ordnung deutlich im Vordergrund steht. „Gesellschaft“ bezeichnet für Smith nicht nur die Gesamtheit der Individuen einer Nation, sondern diese Gesamtheit ausdrücklich innerhalb eines Rahmens von Regulativen. Dieser zeigt sich sowohl in einer Rechtsordnung als auch in den Mechanismen, mit denen diese Individuen zum Zweck ihrer Integration gleichermaßen bewusst wie unbewusst sowohl eine Fremdkontrolle ausüben als auch einer Selbstkontrolle unterliegen. Eine wichtige Rolle spielt dieser Gesichtspunkt in den zwei großen Werken Smiths – der Theory und dem Wealth of Nations – sowie in einem nicht mehr vollendeten dritten, nur noch als Skizze in Form von Vorlesungsmitschriften erhaltenen und noch zu Lebzeiten gänzlich vernichteten über die Rechtsordnung.

81 A.  Ferguson  : Versuch, S. 106  : „In den Lebensverhältnissen des Wilden wie denen des Bürgers gibt es viele Beweise menschlicher Erfindungsgabe  ; bei keinem von beiden Verhältnissen handelt es sich um einen fortwährenden Zustand, sondern vielmehr um ein Stadium, das zu passieren dieses wandernde Wesen bestimmt ist [and in either is not any permanent station, but a mere stage through which this travelling being is destined to pass].“ – OT.: ders.: Essay, p. 14.

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2.1.7 Der Begriff der Zivilisation

An diesem Punkt kommt nach „Zuversicht“ und „Gesellschaft“ ein dritter Schlüsselbegriff ins Spiel  : „Zivilisation“. Der Terminus umschreibt weite Bereiche besagter Regime von Kontrollmechanismen, die sowohl für das Funktionieren von Gesellschaften essentiell als auch für ihre Mitglieder berechenbar sind. Wenngleich aber Smith diese Mechanismen von den hier betrachteten schottischen Denkern des 18. Jahrhunderts am eingehendsten analysiert und am präzisesten beschreibt – man denke nur an die Instanz des „unparteiischen Beobachters“, an die Egoismus-Altruismus-Abwägung oder die Aufschlüsselung des Phänomens der Sympathie/Empathie –, belässt er es bei der Untersuchung und Beschreibung dieser sozialen Regulative, ohne dafür wirklich einen eigenen Begriff zu prägen  : “civilization” nämlich verwendet er in der Theory wohl nur ein einziges Mal82 und im Wealth of Nations lediglich zwei weitere Male,83 ohne darauf im Sinn einer Definition näher einzugehen. Die Ursache liegt offenbar im damaligen Sprachgebrauch des Englischen, denn Johnsons Dictionary von 1755 kennt “civilisation/civilization” noch nicht, und als der Begriff in der Auflage von 1799 erklärt wird, wird ihm eine Bedeutung beigelegt, die seiner Verwendung durch Smith nicht nahekommt.84 Ursprünglich wird das Wort „Zivilisation“, wie Starobinski dargelegt hat,85 in zwei Bedeutungen gebraucht  : „Höflichkeit“ und „Bürgerlichkeit“.86 In einer modernen Bedeutung begegnet der Begriff erstmals beim älteren Mirabeau (1715–1789) in L’Ami des hommes ou Traité de la population (1756).87 Smith hat dieses Buch besessen.88 Darin hat „Zivilisation“ die Bedeutung von „Besänftigung“ und „Ermahnung zum Brudersinn“. Eine frühere Verwendung im englischen Sprachraum, nämlich bei Ferguson, die lange als „nicht belegt“ galt,89 ist für das Jahr 1792 in dessen Principles nachweisbar. Es steht dort in einem engen Zusammenhang mit der ökonomischen Sphäre der Gesellschaft und bezeichnet eine bestimmte Ordnung, die von denen einzuhalten sei, die die commercial arts betrieben. Civilization hingegen bezieht sich hier mehr auf die Wirkungen

82 A.  Smith  : Theory, p. 223. 83 A.  Smith  : Wealth, p. 706 und p. 707. 84 Der Eintrag unter “Civilisation” lautet  : “A law, act of justice, or judgment, which renders a criminal process civil […].” S.  Johnson  : Dictionary 1799, A—K (unpaginiert). 85 J.  Starobinski  : Das Wort Zivilisation. 86 Ebd., S. 10. – Die Verwendung des Begriffs erfolgt in dem Sinn, dass ein Strafprozess ein Zivilprozess wird, also „zivilisiert“ wird. 87 Ebd., S. 12. 88 H.  Mizuta  : Adam Smith’s Library, p. 172. 89 Ein eher vager Hinweis findet sich bei J. Starobinski  : Das Wort Zivilisation, S. 12, der ins Spiel bringt, dass im englischen Sprachraum möglicherweise Adam Ferguson bereits früher den Begriff „in seinen Vorlesungen oder persönlichen Papieren“ gebraucht haben könnte. Bei Hume taucht der Begriff anscheinend nicht auf  ; zu Smith siehe die Hinweise im Folgenden.

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der Gesetze und der politischen Einrichtungen als auf Besitzverhältnisse.90 Auffällig ist dabei, dass Ferguson im Gegensatz zum heutigen Begriffsverständnis Handelserfolg und „Gesittung“ wie selbstverständlich als gegensätzlich und damit als komplementär ansieht, wenn er sagt  : „Wir finden Gesittung [civilization] bei Nationen, die beim Handel und den Fähigkeiten, auf denen er beruht, nur geringe Fortschritte vorweisen können.“91 Im Nouveau dictionnaire français von 1795 weist die Bedeutung der Wortes bereits auf einen Vorgang hin, denn es heißt, es werde „benutzt, um die Tätigkeit des Zivilisierens auszudrücken.“92 Nun geht es darum, dass „in die bürgerliche Gesellschaft eine lichtvolle, tätige, liebevolle und an guten Werken reiche Sittlichkeit [moralité lumineuse] eingeführt“ werde – was sich jedoch manche Zeitgenossen nicht zwangsläufig als einen ruhig ablaufenden Prozess, sondern durchaus als eine harte Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Kräften vorstellten.93 „Zivilisation“ zeigt sich also offenkundig als ein Wort der späten Aufklärung. Starobinski stützt diese Aussage indirekt, wenn er sagt, es habe rasch in die Sprache integriert werden können, da es etwas bereits zuvor Vorhandenes bezeichnet habe, auch wenn dies bis dahin auf andere Weise ausgedrückt worden war. „Zivilisation“ nimmt Vieles von dem in sein Bedeutungsspektrum auf, was dem Zeitgeist der Aufklärung als das Wünschenswerte erscheint  : „Milderung der Sitten, Erziehung der Geister, Entwicklung der Höflichkeit, Pflege der Künste und Wissenschaften, Förderung des Handels und der Industrie, Errungenschaften materieller Bequemlichkeit und des Luxus.“94 Der Begriff bezeichnet dabei keinen Zustand, sondern eine Entwicklung, nämlich den Prozess einer allmählichen und stetigen Verbesserung der Eigenschaften der Individuen ebenso wie die materielle, wirtschaftliche Verbesserung der Umstände, in denen sie leben. Im semantischen Dualismus des Begriffs „Zivilisation/civilisation/civilization“ von ethischen und ökonomischen Bedeutungsanteilen kündigt sich jene Auffächerung an, die laut Brühlmeier für die schottische Spielart der Aufklärung und insbesondere für Smith, Ferguson und Millar Programm geworden ist  : die „Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie“95.

90 A.  Ferguson  : Principles, I, p. 252  : “The success of commercial arts, divided into parts, requires a certain order to be preserved by those who practise them, and implies a certain security of the person and property, to which we give the name of civilization, although this distinction, both in the nature of the thing, and derivation of the word, belongs rather to the effects of law and political establishment, on the forms of society, than to any state merely of lucrative possession or wealth.” 91 Das Zitat folgt, leicht überarbeitet, K. G. Schreiters deutscher Übersetzung von  : A. Ferguson  : Gründe, S. 420. – OT.: ders.: Principles, I, p. 252  : “Civilization has been conspicuous in nations, who made little progress in commerce, or the arts on which it proceeds.” 92 L.  W. Snetlage  : Nouveau Dictionnaire Français et Allemande, p. 41. 93 Ebd. „Jeder Bürger Europas“, heißt es an dieser Stelle weiter, sei „heute zu diesem letzten Kampf der Zivilisation aufgebrochen.“ 94 J. Starobinski  : Das Wort Zivilisation, S. 13. 95 D. Brühlmeier  : Die Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie, S. 29.

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Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, wie sich bei Smith dieser Dualismus kongruent in seinem Werk abbildet und der Zeitgeist Einzug hält. So taucht “civilization” in der Theory von 1759 nur ein einziges Mal auf, allerdings im Zusammenhang mit einer sehr aufschlussreichen soziologischen Bewertung, die Smith in einen Aussagesatz kleidet  : „Die Rücksicht auf entfernte Verwandte wird in jedem Lande immer geringer, je länger und vollständiger der Zustand der Zivilisation eingetreten ist.“96 Das ist der Hinweis auf eine durch den Zivilisationsprozess vorangetriebene Auflösung der sozialen Kohäsion, ein möglicherweise pessimistischer Befund, auch wenn Smith sich damit zurückhält, diesen ausdrücklich als einen solchen kenntlich zu machen. Im 1776 erstmals erschienenen Wealth of Nations ist bereits häufiger, wenngleich immer erst an lediglich einigen wenigen Stellen, von “civilization” die Rede, allerdings mit einem auffällig weiten Bedeutungsspektrum. Bezeichnenderweise geschieht dies im Zusammenhang mit Betrachtungen über technische Neuerungen von Kriegsgerät, die Smith mit der Entwicklung der Gesellschaft in einen überraschenden Zusammenhang bringt  : „Die Erfindung der Feuerwaffen erscheint […] auf den ersten Blick verderblich. Sie begünstigt jedoch mit Sicherheit den Fortbestand und die weitere Ausbreitung der Zivilisation.“97 Der Gedanke, eine Optimierung der Waffentechnik sei dem gesellschaftlichem Fortschritt dienlich, findet sich in ähnlicher Form auch bei Hume, der den Verbesserungen der Artillerie den Nutzen zuspricht, „die Schlachten im Grunde weniger blutig gemacht und den bürgerlichen Gesellschaften eine größere Stabilität gegeben“ zu haben.98 Zivilisation – die er wohlgemerkt so nicht nennt – umfasst bei ihm offenkundig den Einsatz nahezu aller Mittel, zu deren Bereitstellung der Mensch in der Lage ist, sogar wenn sie allem Anschein nach für dessen Vernichtung entwickelt worden sind. Ein weiterer Aspekt des Zivilisationsbegriffs, nämlich etwas, das man als „implizite Zivilisationsskepsis“ bezeichnen kann, taucht bei Ferguson auf. So kommt es im Essay im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung mehrfach zu Gegenüberstellungen von archaischen und zeitgenössischen Gesellschaftsformen, von „Wilden“ und der polished society  ; Letztere verdanke sich einem durch die Arbeitsteilung vorangetriebenen Prozess, der „vom Zustand der Rohheit zur Zivilisation“ führe.99 Der Blick ist dabei vor allem auf die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft gerichtet. Das Verhältnis zwischen dem Grad der Arbeitsteilung und der Höhe der – genauer  : dieser Art von – Zivilisation ist 96 A.  Smith  : Theorie, S. 362. – OT.: ders.: Theory, p. 223, VI.ii.1|13. 97 A.  Smith  : Wohlstand, S. 600. – OT.: ders.: Wealth, pp. 706–707, V,i,a  : “The invention of fire-arms […] is certainly favourable both to the permanency and to the extension of civilization.” 98 D.  Hume  : History of England, II, p. 230  : “And even to the present times, improvements have been continually making on this furious engine, which, though it seemed contrived for the destruction of mankind, and the overthrow of empires, has in the issue rendered battles less bloody, and has given greater stability to civil societies.” 99 A.  Ferguson  : Versuch, S. 97. – Das erklärt im Übrigen, wie die Arbeitsteilung zu ihrem Nimbus als „typischer Explikand der Politischen Ökonomie“ (H. C. Recktenwald  : Zum Selbstverständnis der ökonomischen Wissenschaft – Über wirtschaftliche Einsicht und „Wissen“ aus Überzeugung, S. 11) gelangen konnte.

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eines der Proportionalität  : Mit dem einen wächst das andere. Es läge also nahe, den Prozess der Arbeitsteilung als eine Erfolgsgeschichte aufzufassen  ; doch Ferguson konfrontiert sein Publikum eher mit der gegenteiligen Haltung, indem er auf die nicht intendierten Begleiterscheinungen dieser Entwicklung hinweist und die zunehmende Ausrichtung des Handelns am individuellen Interesse beklagt, dem der Blick aufs Gemeinwohl geopfert würde. Seine Haltung ist also ambivalent, da er zwischen den ökonomischen und den sozialen Aspekten unterscheidet. Die ausschließlich positive Konnotation des Zivilisationsbegriffs ist damit ebenso unterlaufen wie der Glaube an die Linearität einer zwangsläufigen Höherentwicklung der Gesellschaft. Von einer einheitlichen Vorstellung dessen, was Zivilisation bedeutet, kann deshalb – und dies ist mein Fazit – im Denken der Schottischen Aufklärung nicht ausgegangen werden.100 2.1.8 Der Begriff der Kontrolle – methodische und soziale Konsequenzen

Es verbindet, wie soeben gezeigt wurde, die Denker der Schottischen Aufklärung, dass sie ausführlich, wenngleich nicht immer ausdrücklich, das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Zivilisation untersuchen, auch wenn ihnen von Letzterer anfangs der wörtliche Begriff gefehlt hat. Wenn sie über die Gesellschaft schreiben, haben sie dabei die zivilisierte im Auge, die sie polished oder civilised/civilized nennen, und wenn Ferguson von der civil society spricht, so meint auch er – zunächst101 – dasselbe. Für diese zivilisierte Gesellschaft nun gibt es ein konstitutives Element (unter mehreren), das von diesen Autoren in einer Weise als selbstverständlich begriffen wird, dass es ihnen in der Regel keinerlei Erwähnung wert zu sein scheint  : Kontrolle. Gesellschaften nämlich zivilisieren sich beziehungsweise sie werden zivilisiert, indem sie kontrolliert werden und sich selbst kontrollieren. Auf diesen Zusammenhang haben, keineswegs als einzige, sowohl G. H. Mead, N. Elias als auch M. Foucault hingewiesen. Sie rücken damit einen wichtigen Sachverhalt in den Vordergrund, der auch in den Gesellschaftskonzeptionen der Schottischen Aufklärung eine wichtige Rolle spielt, selbst wenn diese nicht ausdrücklich zum Thema gemacht wurde. „Aufklärung“ ist ein Verfahren, genauer noch  : ein Programm.102 Sie ist kein statisches Faktum, sondern das Ergebnis eines beständig vorangetriebenen Prozesses, bei dem die 100 Siehe hierzu ausführlich den Abschnitt 8.1 („Quellen zur Entwicklung der Zivilisation“). 101 Es ist in diesem Zusammenhang auf die abweichende Position hinzuweisen, die M. Foucault in dieser Frage bezogen hat. Er stellt zwei Aspekte in den Vordergrund, nämlich das wirtschaftlich handelnde Subjekt und das Regieren, genauer  : das Regiert-Werden innerhalb dieser Gesellschaft  : „Der Homo oeconomicus und die bürgerliche Gesellschaft gehören also zum selben Ganzen, nämlich zum Ganzen der Technik der liberalen Gouvernementalität.“ M.  Foucault  : Die Geburt der Biopolitik, S. 406 (Hervorh. übern.). Zu Foucaults Verständnis von Fergusons Begriff der civil society siehe in der vorliegenden Untersuchung S. 99. 102 H. Lübbe  : Philosophie als Aufklärung, S. 12  : „Die Charakteristik der Aufklärungs-Funktion der Philosophie lautet, daß sie sich in der Kritik des institutionalisierten Geltungsanspruchs von Texten erfüllt, die in Identifikationsprozessen kanonische Bedeutung erlangt haben. Natürlich liegt es nahe zu fragen, ob die

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spekulativ metaphysischen Grundannahmen der Welterklärung durch Erkenntnisse ersetzt werden sollen, die mittels empirischen Vorgehens zu gewinnen seien. Der Ausgangsimpuls für diese Entwicklung lag allein schon deshalb bei der methodischen Naturbeobachtung, weil diese die Gelegenheit bot, Grundlagenmaterial in Form quantifizierter Daten zu erheben. Ein erheblicher Teil naturwissenschaftlicher Erkenntnisse verdankt sich der Messung, und deren eigentliches Wesen ist die Kontrolle.103 Dabei handelt es sich um einen weit gefassten Kontrollbegriff, wie ihn etwa G. H. Mead nahelegte  : „Es gibt eine direkte Reaktion des Organismus auf die Umwelt, die ein gewisses Ausmaß an Kontrolle mit sich bringt. Bei der Aufnahme der Nahrung, beim Schutz gegen Regen und Kälte und gegen Feinde kontrolliert das jeweilige Individuum in gewissem Sinn unmittelbar durch seine Reaktionen die Umwelt.“104 In den Texten der Aufklärung taucht der Begriff der Kontrolle allerdings nahezu überhaupt nicht auf. Dennoch dreht sich sehr Vieles um ihn  : Die Vormachtstellung, die den empirischen Wissenschaften, insbesondere in ihrer mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausprägung, zugefallen ist, gründet darauf, denn das Messen, Wiegen und Vergleichen sind kontrollierende Tätigkeiten. Unter Kontrolle können wir das gezielte Registrieren von Größen, Zuständen und Entwicklungen verstehen, und zwar mit dem Ziel, im Rahmen gewisser Spielräume eine Vorhersehbarkeit zu erreichen. Der Wunsch nach Vorhersehbarkeit – genau genommen sogar  : Vorher-Sehbarkeit –, also ein gezielter Umgang mit der Last des Kontingenten in der Welt, dem Ausgeliefert-Sein an eine undurchschaubare „Vorsehung“ oder auch nur an eine absichtslos waltende Dynamik, er führt über kontrolliertes Beobachten von Zuständen hin zu Datenbeständen, aus denen sich Vorhersagen über das Eintreten künftiger Zustände – „Wahrscheinlichkeiten“ – ableiten lassen. So zumindest ist es die Absicht. Wir sprechen in diesem Fall von Gesetzmäßigkeiten oder einfach nur von Gesetzen, beispielsweise Naturgesetzen. Die Geschichte des neuzeitlichen Denkens ist auch eine Geschichte des menschlichen Bestrebens, in die Zukunft zu blicken. Koselleck beschreibt in diesem Sinn Geschichte als zusammengefügt „aus den beiden Seinsweisen der Erinnerung und der Hoffnung“ oder, allgemeiner, aus „Erfahrung“ und „Erwartung“.105 Die Erinnerung an Vergangenes aber wird nur unter der Voraussetzung auch zu wirklicher Erfahrung, dass sie kontrolliert erfolgt, Kontexte und Bedingungen registriert, aufzeichnet, überprüft und zueinander in Beziehung setzt. Kontrolle ist zu verstehen als die verbindende Verstandestätigkeit des Bemerkens und Kritik, die in Aufklärungsabsichten besorgt wird, sich nicht über institutionalisierte Texte hinaus auch auf andere Institutionen, geltende Normen, herrschende Zustände usw. erstreckt.“ 103 L. Fleck  : Die Krise der „Wirklichkeit, S. 426 f., geht über den Zusammenhang von Naturwissenschaft und Kontrolle sogar noch hinaus, indem er ihnen die Tendenz zur Demokratisierung des Wissens geradezu aufbürdet, wenn er sagt  : „Ich nenne die naturwissenschaftliche Denkart demokratisch, denn sie beruht auf Organisation und jederzeitigem Unterkontrollestehen, lehnt das Privileg der göttlichen Herkunft ab und will jedem zugänglich und nützlich sein.“ 104 G.  H. Mead  : Geist, Identität und Gesellschaft, S. 291. 105 R. Koselleck  : „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“, S. 353.

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Festhaltens. Einerseits beruht sie auf Empirie, andererseits steht sie auch in ihrem Dienst. Dieses Grundverständnis ist prägend für den Zeitgeist der Aufklärung. Unter Kontrolle allerdings lässt sich auch etwas anderes verstehen, nämlich Ausübung von Macht, möglicherweise auch Beherrschung. Einen Vorgang zu kontrollieren kann bedeuten, ihn in Richtung auf ein vorgegebenes Ziel hin ablaufen zu lassen  ; eine Gruppe von Menschen zu kontrollieren kann bedeuten, über ihr Leben teilweise oder auch bis weit in Bereiche des Privaten hinein zu herrschen  ; unter Beherrschen wiederum ist zu verstehen, umfassend Einfluss zu nehmen (auf einen Vorgang oder) auf das Handeln anderer. Kontrolle – im Sinn von registrierender Beobachtung – führt zu Erkenntnissen, also zu Wissen, und dieses Wissen wiederum ist die Bedingung für weitere Kontrolle – nun im Sinn von Beherrschung. Auf den ersten Blick erscheint dies wie ein mutwilliges Spiel mit Wortbedeutungen. Besieht man sich die beiden scheinbar verschiedenen Aspekte von Kontrolle jedoch aus dem Blickwinkel von Vorhersehbarkeit oder Verfügbarkeit von Zukunft, offenbart sich der enge Bezug, den sie zueinander haben. Denn auch dem Begriff der Beherrschung von etwas – es mag sich um eine Fertigkeit handeln, um ein soziales Gebilde oder um ein Individuum, das sich selbst zu kontrollieren, also zu beherrschen vermag – wohnt der Gedanke an Vorhersehbarkeit inne, ja sogar der Anspruch darauf.106 Dass dies kein erfundenes, sondern ein gefundenes Zusammenfallen der Wortbedeutungen ist, wird sich an anderer Stelle erweisen, beispielsweise wenn Smith in seiner Theory den „unparteiischen Beobachter [impartial spectator]“ einführt.107 Dieser Beobachter, der als frei von Eigeninteresse gedacht wird, ist durchaus auch als eine intrapersonale Kontrollinstanz zu verstehen, deren Vorhandensein eine grundlegende Bedeutung für die Vorhersehbarkeit von Interaktion und somit für das Zusammenleben der Menschen in Gesellschaft hat – und auf diese Weise mithilft, Kontingenz zu bewältigen. Der unparteiische Beobachter hat auch die Funktion eines mehr oder weniger unbeteiligten Kontrolleurs – „mehr oder weniger“ deshalb, weil gesellschaftliche Kontrolle nahezu zwangsläufig in Abhängigkeit vom gesellschaftlichen Normensystem stattfinden wird. 2.1.9 Die Fragestellung des Ganzen

Selbstverständlich kann diese Untersuchung keine Gesamtdarstellung der Schottischen Aufklärung anstreben, ja sie könnte diese nicht einmal in Ansätzen leisten. Vielmehr stehen all die bisher skizzierten Überlegungen zu den aufgeführten Themenbereichen im Dienst einer Fragestellung, die lediglich einen Teilaspekt in den Schriften von Hume, 106 Der Gedankengang taucht etwa bei Ferguson explizit auf  : „Und auch hier haben wir Ursache voraus zu setzen, daß Kenntniß Macht ist, und daß derjenige, der in der Erforschung seiner Natur glücklich fortschreitet, nicht nur den Grund zu einer glücklichen Wahl für die Aeusserung seines Willens legt, sondern eben dadurch auch die Macht begründet, die Gesetze seiner Natur zu seiner Selbstbeherrschung anzuwenden.“ A.  Ferguson  : Gründe, I, S. 7. 107 A.  Smith  : Theorie, S. 132. – OT.: ders.: Theory, p. 83, II.ii.2|1.

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Smith und Ferguson (und gelegentlich einiger weniger anderer) betrifft  : Welches Bild machen sich diese Denker von der Gesellschaft als ganzer ebenso wie von einzelnen ihrer Bereiche auf lange Sicht  ? Beurteilen sie die künftige Entwicklung mit Zuversicht oder sehen sie Anlass zur Besorgnis  ? Es gibt von keinem der genannten Autoren eine Veröffentlichung, in der die Zukunftsperspektiven sowohl des Individuums als auch der Gesellschaft im Ganzen der Hauptgegenstand wäre. Im Gegenteil finden sich Aussagen hierzu sogar nur an sehr wenigen Stellen ausdrücklich formuliert. Die meisten Erkenntnisse lassen sich aus den Texten mittels Schlussfolgerungen gewinnen, und oftmals sind die entsprechenden Formulierungen, zumal sie nicht im Zentrum der Publikationen stehen, vergleichsweise vage und in ergänzenden Kommentierungen verborgen. Sie scheinen gewissermaßen durch. Zuversicht ist ein stets mitlaufender Subtext, ein zentrales Thema ist sie nicht. Allerdings darf für die Hauptwerke vorausgesetzt werden, dass darin die Analyse, wenngleich unausgesprochen, zumeist im Dienst einer Prognose steht. Zukunft wird also bei der Betrachtung der Geschichte ebenso wie der Gegenwart stets implizit mitgedacht. Somit greift diese Untersuchung nicht in erster Linie auf grundlegende Statements zurück, sondern sie ist vielmehr das Ergebnis einer Interpretation und von Rekonstruktionen. Aussagen zur Fragestellung dieser Arbeit lassen sich deshalb aus vielem gewinnen, so etwa aus den anthropologischen Vorannahmen und den Theorien über die menschliche Natur, aus den erkenntnistheoretischen Überlegungen, aus einer Bewertung der herangezogenen historischen Überlieferungen sowie aus den politischen und ökonomischen Analysen, die ja zu einem wesentlichen Teil Gegenstand der teils umfangreichen Publikationen sind. Zweifellos läuft dieser Ansatz damit Gefahr, sich einer zu großen Nähe zu spekulativen Schlussfolgerungen auszusetzen  ; Interpretationen sind nachträgliche Formulierungen von nicht ausdrücklich Gesagtem. Nicht selten sind sie Konstruktion. Schon mancher „Exeget“ ist gerade bei den schottischen Denkern der Versuchung zur Simplifikation erlegen, ausgelöst von rhetorischen Zuspitzungen, die die Autoren in ihre Texte eingeflochten haben. Unter diesen Versuchungen ist Smiths „unsichtbare Hand“, die an ein sich (unter allen Umständen) selbst stabilisierendes System denken lässt und damit der Gesellschaft eine unbeschwertere materielle Zukunft zu verheißen scheint, keineswegs die schwächste gewesen. Und dabei führte gerade sie zu jenem Missverständnis, das den klaren Blick auf Smiths eigentliche Intention nachdrücklich verstellen sollte. Die Einladung der Fragestellung dieser Untersuchung besteht darin, ein allzu plakatives Bild der Aufklärung – nämlich desjenigen, ein Erfolgsmodell zu sein und es immer schon gewesen zu sein – um bestimmte Zwischentöne zu bereichern und mit neuen Augen zu sehen. Lohnend erscheint dies nicht zuletzt, weil es sich bei den Schriften der schottischen Denker um einige wesentliche und repräsentative Beiträge zur Ideengeschichte, zur Erkenntnistheorie und zum politischen Denken des 18. Jahrhunderts handelt – und, wenn man es in der Sprache der Zeit ausdrücken will, selbstverständlich auch zur „Natur des Menschen“. Eine Aufgabe besteht darin, begründete von möglicherweise unzutreffenden Zuschreibungen an die Werke zu trennen, darin lediglich implizit

Der thematische Rahmen |

Vorhandenes nun explizit zu formulieren und die Beziehungen herauszuarbeiten, die in der jeweiligen Argumentation zwischen den Vorannahmen, dem vorangehenden Diskurs und den Schlussfolgerungen bestehen. Dass diese Auseinandersetzung zumindest die Tendenz in sich trägt, eine nicht nur ideengeschichtliche, sondern ansatzweise auch eine philologische zu sein, ist dabei nicht zu verkennen. Wie bei allen derartigen Untersuchungen richtet sich die Hoffnung zwar auf ein eindeutiges und klares Bild, doch wie so oft wird man es auch in diesem Fall als einen Erfolg werten dürfen, wenn dieses Bild letztlich nur ein etwas differenzierteres sein wird – also letztlich ein Beitrag unter vielen. Das politische Denken ist ein Nachdenken über das Individuum, die Gesellschaft und den Staat unter vielerlei Gesichtspunkten. Dabei ist das Leitmotiv die Suche nach den Bedingungen, unter denen Gesellschaften entstehen, bestehen, ihre Konflikte lösen, sich entwickeln und fortbestehen können. Anders ausgedrückt, handelt es sich also um die Suche nach einer – und das ist mit Blick auf Zuversicht und Skepsis das eigentlich klärungsbedürftige Wort – „funktionierenden“ Gesellschaftsordnung. Da das, was als eine solche angesehen werden darf, von Zielvorstellungen abhängt und diese Zielvorstellungen auf der Grundlage von zunächst Werten und sodann Normen formuliert werden, öffnet sich damit jener weite Denkraum, den die schottischen Moralphilosophen in der Tat zur Gänze auszufüllen bestrebt sind. Es geht ihnen um das Individuum – genauer um dessen anthropologische Voraussetzungen, um die Mechanismen und die Reichweite seines Verstandes mit dem Ziel einer Erkenntnistheorie, um die psychologischen Vorgänge und Muster, um seine Antriebe sowie um die Einflüsse durch Prägungen seitens seiner Umgebung. Und es geht ihnen um die Gesellschaft – um Fragen von Herrschaft, ihrer Legitimität, ihrer Strukturen und ihrer Kontrolle, mithin um Fragen der Kontrolle insgesamt  ; daneben um Fragen einer Rechts-, Eigentums- und Wirtschaftsordnung, mithin also um Fragen der Ordnung insgesamt  ; auch geht es um das System verbindlicher Werte und nicht zuletzt – und damit in Verbindung stehend – um die angestrebten oder anzustrebenden Ziele. Es geht, mit anderen Worten, um die Beschreibung des Zusammenlebens der Menschen im Rahmen eines Staates sowie um die Beschreibung jener Gesetzmäßigkeiten, denen unterworfen Individuum und Gesellschaft aufzufassen sind. In jedem einzelnen dieser genannten Aspekte ist, entweder stillschweigend oder deutlich im Vordergrund stehend, die Frage enthalten, ob er nun Anlass zur Zuversicht oder zur Besorgnis gebe, gleichgültig, ob es um festgeschriebene Dispositionen wie die Reichweite des menschlichen Verstandes, um die Sicherung von Eigentum, um die Art der Beziehungen von Staaten untereinander oder um Annahmen über Mechanismen der Selbstregulierung geht. Damit sei fürs Erste angedeutet, wie umfassend die Haltungen von Zuversicht und Skepsis, von Hoffnung und Furcht in alle Bereiche der individuellen Existenz wie des gesellschaftlichen Zusammenlebens eingeschrieben sind. Sie sind und waren ein integraler Bestandteil von allem und deshalb einerseits selbstverständlich, andererseits auch zu selbstverständlich, als dass die schottischen Denker Anlass zu einer ausdrücklichen Reflexion dieser Haltungen gesehen hätten. Diese Untersuchung befasst sich folglich

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mit einem Subtext der Schottischen Aufklärung. Sie kann nicht als eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem theoretischen Fundament der commercial society verstanden werden, an dem Hume, Smith und Ferguson gebaut haben. Das Eingehen auf deren Konzeptionen ist die Voraussetzung des Folgenden, nicht sein eigentlicher Gegenstand.

2.2 Der Aufbau dieser Untersuchung

Die Aufklärung insgesamt ist als ein lange währender Prozess aufzufassen, in dessen Verlauf sich seit der frühen Neuzeit mehrere Entwicklungen ineinander verschränken. Jener Diskurs, der als die Schottische Aufklärung bezeichnet wird, ist ein Teil davon, und er steht zum übrigen Geschehen in einer Beziehung, die näher beschrieben werden kann. Von folgenden Entwicklungslinien kann im Zusammenhang mit der Aufklärung ausgegangen werden – wobei der zugegebenermaßen willkürlichen Aufteilung in fünf Abschnitte mehr eine gliedernde als eine erklärende Funktion zukommt  : 1. Die Auseinandersetzung mit dem natürlichen Lebensraum des Menschen wird systematisiert, aus der Naturphilosophie entwickeln sich in der Neuzeit die Naturwissenschaften. Die von diesen formulierten Theorien führen zu zwei Entwicklungen  : – Zum einen wird durch die Formulierung von Kausalitätsbeziehungen – Naturgesetzen – das teleologische Modell der Welterklärung, das auf die christliche Offenbarungsreligion zurückgeht und dessen allgemeine Verbindlichkeit von den Kirchen rigide durchgesetzt wird, erodiert und in seiner Bedeutung und der Akzeptanz seiner Verbindlichkeit eingeschränkt. – Zum andern spaltet sich die herkömmliche Philosophie immer deutlicher in die Natur- und die Moralphilosophie, wobei für beide die „empirische Methode“, die Gründung der Theorie auf mit den Sinnen Erfassbares, eine Leitbildfunktion gewinnt. 2. Die Erklärung der natürlichen Umwelt wird zum Aufgabengebiet der Naturphilosophie, die die Deutung der Welt nach und nach von den rationalistischen Erklärungen der Metaphysik hin zu empirisch gewonnenen und mit mathematischen Mitteln dargestellten Gesetzmäßigkeiten – Naturgesetzen – verschiebt. 3. Für die aus der Naturphilosophie entstehenden Naturwissenschaften wird die an Zwecke und Interessen orientierte Nutzbarkeit der Erkenntnisse immer mehr zur Triebfeder  ; es erfolgt die Weichenstellung hin zur „Technik“. Die Hoffnung – Zuversicht –, die sich hinter dieser Entwicklung auftut, ist auf die „Beherrschung“ der Natur gerichtet und damit auf die Aussicht, der Mensch werde die Gestaltungsmacht über seine materiellen Lebensbedingungen gewinnen. Das bedeutet die Hoffnung auf eine gewisse „Einsehbarkeit“ in den zwangsläufig uneinsehbaren – kontingenten – offenen Handlungsraum der Zukunft. Es ist dies die Hoffnung auf das, was in dieser Untersuchung „Kontingenzbewältigung“ genannt wird. 4. Die Metaphysik bleibt nicht, wie es den Anschein haben könnte, zurück, sondern sie wandelt und verdichtet sich zur Wissenschaft vom Menschen und fokussiert sich

Der Aufbau dieser Untersuchung |

zunehmend auf die Untersuchung der Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens im Rahmen der Gesellschaft. Die Argumentation bedient sich des Eingehens auf überlieferte historische sowie beobachtete soziologische, ökonomische, juristische, psychologische Gegebenheiten – „Tatsachen“ – und geht programmatisch auf Abstand zu den herkömmlichen Mustern einer rationalistisch spekulativen Metaphysik. Im Zug dieser Neuausrichtung übernimmt die Moralphilosophie von der Naturphilosophie die Hoffnung auf Kontingenzbewältigung. 5. Gerade im letztgenannten Abschnitt dieser Entwicklung, in der die Ausbildung einer science of man stattfindet, kommt der Schottischen Aufklärung eine grundlegende Bedeutung zu, denn deren Erklärungsansätze gehen unmittelbar – nunmehr sich wie die Naturforschung der „empirischen Methode“ bedienend – auf Untersuchungen gesellschaftlicher Hierarchien zurück, die als dynamische aufgefasst werden. Es ist dies die „Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie“.108 Daraus ergeben sich für eine Auseinandersetzung mit der Schottischen Aufklärung drei Folgerungen, und sie geben den Aufbau dieser Untersuchung vor  : I. Die Schottische Aufklärung steht sehr deutlich in einem geistesgeschichtlichen Kontext. Dieser ist darzulegen, und das geschieht in einem ersten Hauptabschnitt im Rahmen von zwei Kapiteln  : – Dabei wird im ersten („3. Aufklärung – Schottische Aufklärung“), ausgehend von den entsprechenden Narrativen, die Beziehung dargelegt, in der die Schottische Aufklärung zur Epoche der Aufklärung insgesamt steht. In diesem Zusammenhang wird auch auf die wissenschaftliche Erforschung der Schottischen Aufklärung eingegangen. – Die Schottische Aufklärung wird als Teil eines Diskurses betrachtet. Da auf diesen im Zug der Auseinandersetzung mit den Texten der schottischen Denker vielfach Bezug genommen werden muss, soll er in einem ausführlichen Kapitel („4. Der ideengeschichtliche Vorlauf innerhalb des angelsächsischen Diskurses“) bis herauf in die Zeit des Wirkens von Hume, Smith und Ferguson nachgezeichnet werden. II. Nach diesen vorausgehenden Klärungen richtet sich der Blick auf das eigentliche Thema dieser Untersuchung, die Zuversicht im Zusammenhang mit dem Denken der Schottischen Aufklärung. Es handelt sich dabei um die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema selbst. – Es stellt sich heraus, dass sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, dem zeitlichen Beginn der Schottischen Aufklärung, ein weitgehend abgeschlossener Verschiebungsprozess insofern vollzogen hat, als die Argumentationsbasis nicht mehr in den Gewissheiten der christlichen Offenbarung gesehen wird, sondern in einem – mehr oder weniger reflektierten – Begriff der Natur. Diesem kommt in mehrfacher Hinsicht eine grundlegende Bedeutung zu. So verliert die Natur bei Bacon ihren Charakter als das 108 Dies die ebenso plakative wie treffende Formulierung von D. Brühlmeier  : Die Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie, S. 29.

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schlicht Gegebene  ; vielmehr wird sie zu einer Größe, auf die der Mensch Einfluss nehmen kann. Sodann ist darauf einzugehen, dass die Natur im Denken der Aufklärung die Funktion einer stillschweigenden Voraussetzung zu erfüllen hat – was die Natur ist, wird von den Denkern der Aufklärung nicht nur erforscht, sondern von ihnen im Sinn einer Präsupposition weitgehend auch vorausgesetzt. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, wie es dazu kommt, dass solche vorausgesetzten „Gewissheiten“ zu solchen des Commonsense werden. Und in einem abschließenden Schritt erfolgt eine Auseinandersetzung mit Modellen, die von einer Entwicklung der Natur ausgehen  ; zu unterscheiden sind dabei teleologisch abgeschlossene und entwicklungsoffene – beide sind für das Denken der Schottischen Aufklärung von Bedeutung. All dies ist Gegenstand des Kapitels „5. Der Naturbegriff  : Bedeutung und wissenschaftstheoretische Implikationen“. – Es wird vorausgesetzt, dass sich in der Zuversicht eine Haltung gegenüber künftigem Geschehen ausdrückt. Da der Raum, in den hinein menschliches Handeln erfolgt, grundsätzlich als offen, eben als kontingent angesehen werden muss, ist Zuversicht eine Haltung gegenüber dem Bewusstsein von Kontingenz. Ausgegangen wird davon, dass es ein menschliches Bestreben gibt, die Unabsehbarkeit des kontingenten Künftigen im Interesse des Handlungserfolgs zu „bewältigen“. Vieles im Denken der Schottischen Aufklärung erklärt sich durch die Auseinandersetzung mit der „Last des Kontingenten in der Welt“. Im Kapitel „6. Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz“ wird deshalb versucht, Kontingenz theoretisch zu fassen und zugleich darzustellen, auf welche Weise wichtige Denker seit Francis Bacon sich damit befasst haben. – Einer der einflussreichsten Denker, die sich theoretisch mit der Zuversicht in Bezug auf das menschliche Handeln auseinandergesetzt haben – und das gilt nicht nur für die Schottische Aufklärung –, war David Hume. Er betrachtet Zuversicht (hope) im Hinblick auf die Beziehung, die sie sowohl zum Gefühl als auch zum Verstand des Menschen hat. Seine Überlegungen liefern den Ansatz einer Theorie der Zuversicht unmittelbar aus der Schottischen Aufklärung heraus. Sie sind Gegenstand von Kapitel „7. Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis“. III. Der anschließende dritte und umfangreichste Teil der Untersuchung ist der Beschäftigung mit den Haupttexten der Schottischen Aufklärung vorbehalten. Dabei geht es vornehmlich um diejenigen Fragen, die als die im Zusammenhang mit dem politischen Denken und unter dem Gesichtspunkt der Bewältigung von Kontingenz zentralen ausgemacht werden können. – Im Kapitel „8. Überlieferung und Erkenntnis“ erfolgt eine Betrachtung jener Rolle, die dem tradierten Wissen zuerkannt wird. Es geht dabei sowohl um die Bedeutung der historischen Quellen als auch um das im 18. Jahrhundert noch vergleichsweise neue Genre der Reiseberichte, die die Voraussetzung einer zeitgenössischen Außenperspektive auf die britische Gesellschaft schufen. Daraus ergaben sich Folgerungen für den Zivilisationsbegriff, mit dem die schottischen Denker operierten  ; auch ging es um die Frage nach dem Ziel der Geschichte.

Der Aufbau dieser Untersuchung |

– Dass die methodisch neu ausgerichteten Wissenschaften und die sich konstituierende science of man die Erklärungskraft der Religion und damit auch deren normatives Potenzial schwächten, ist unübersehbar. Die strikte Bezugnahme auf einen Schöpfergott geht allmählich über in einen Deismus, der dem Anschein nach Theologie und Wissenschaft in einen Einklang zu bringen sucht, letztlich aber die Dominanz der Offenbarungsreligion bricht – und dies mit weitreichenden wissenschaftstheoretischen Implikationen. Das ist Gegenstand von Kapitel „9. Die Thematik der Religion“. – Fragt man nach der Zuversicht, so fragt man implizit nach den Gründen, die sie rechtfertigen könnten. Im Fall der Schottischen Aufklärung geht die Beantwortung dieser Frage von dem Bild aus, das sich die Autoren von der zeitgenössischen Gesellschaft und den Optionen, die sie bietet, machen. Darum geht es im Kapitel „10. Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik“. Als wesentliche Gegebenheiten werden die folgenden ausgemacht  : 1. neue Methoden (experimental method, conjectural history)  ; 2. die Arbeitsteilung  ; 3. das Interesse der Individuen  ; 4. die Möglichkeit der Erlangung von persönlichem Eigentum. In all dem schien sich die Verheißung auf eine Entwicklung der Gesellschaft hin zu einer Steigerung des individuellen ebenso wie des kollektiven Wohls zu verbergen. – Dennoch bestand eine grundlegende Skepsis gegenüber der Vorstellung, diese Entwicklung werde von selbst und ohne jegliches Engagement der Akteure vor sich gehen können. In der Bequemlichkeit wurde der Keim zum Verfall gesehen. Entgegenzustellen war diesem stets implizit mitlaufenden Verfallsszenario das Bild des tugendhaften Bürgers, der bereit ist, für das gemeinsame Wohl aktiv einzustehen. Im Kapitel „11. Zuversicht in die Tugend“ wird dies thematisiert. – Das gemeinsame Wohl einer Gesellschaft hat die Unverletzlichkeit der Grenzen ihres Territoriums zur Voraussetzung. Gerade unter den Schotten, die erst wenige Jahre zuvor ihre Souveränität im Zug der Union mit England verloren hatten, war dies Teil des kollektiven Bewusstseins. Zwar waren die Bestrebungen nach Unabhängigkeit Mitte des 18. Jahrhunderts eher marginal, doch war das Thema der Landesverteidigung gerade unter dem Gesichtspunkt der Bürgertugend auch im Hinblick auf die günstige Entwicklung der Gesellschaft nach wie vor virulent. Im Kapitel „12. Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung“ geht es um die dauerhaft geführte Debatte um das Für und Wider von Bürgermiliz und Stehendem Heer – worauf ließ Zuversicht sich in dieser Frage gründen  ? – All den bisher aufgeführten Gründen für die Zuversicht in eine günstige Entwicklung der Gesellschaft – geschichtliche Gesetzmäßigkeiten, Befreiung von theologischer Bevormundung, implizite Dynamik der Gesellschaft, Unterstützung durch die Bürgertugend, Gewährleistung der Sicherheit des Territoriums – stand jener, der nun als letzter behandelt werden wird, grundlegend entgegen, denn er war zum einen historisch neu und zum andern der menschlichen Einflussnahme entzogen. Nämlich geht es um die Zuversicht, Systeme – also auch solche wie die Gesellschaft und der Staat – könnten sich aus einer impliziten Logik heraus selbst regulieren und im Gleichgewicht

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halten. Im Kapitel „13. Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen“ wird dies dargestellt. Es geht dabei um die nicht intendierten Folgen von Handlungen, und es wird sich zeigen, dass Smiths „unsichtbare Hand“ weder die erste noch die einzige Beschreibung eines solchen auf die Gesellschaft wirkenden Automatismus ist. – Am Ende folgt eine nähere Beschäftigung mit Detailproblemen, die in den Schriften der schottischen Denker angesprochen werden. Im Mittelpunkt steht dabei die Auseinandersetzung mit einigen von Humes Essays. Daneben geht es um die Zuversicht im Zusammenhang mit der Sklavenfrage, einer wichtigen Frage der zeitgenössischen Politik. Ein weiteres Schlaglicht fällt auf Smiths Überlegungen zur Bedeutung der Sprache, da sich darin offenbart, wie stark seine Überzeugung war, Zusammenhänge mithilfe eines einzigen Prinzips erklären zu können  ; es ist dies ein Beispiel für die Zuversicht in die Methode. Sinnvoll erschienen einige Erklärungen zu Millars Abweichungen von Denkstil der Schottischen Aufklärung, die sein Origin of the Distinction of Ranks verrät. – Zuletzt erfolgt eine knappe Auseinandersetzung mit dem von M. Oakeshott eingeführten Begriff der Zuversicht als einem „Politikstil“. Das geschieht lediglich „der Vollständigkeit halber“, denn es handelt sich dabei um eine Bedeutungsverschiebung, die sich in der schottischen Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts noch nicht abgezeichnet hatte.

I. Der Kontext

3. Aufklärung – Schottische Aufklärung

Was ist Aufklärung  ? – Mehr als zwei Jahrhunderte, nachdem in Deutschland unter anderen Kant und Mendelssohn ihre Antworten darauf fanden, ist das keine „Preisfrage“ mehr. Mit dem Abstand dieser langen Zeitspanne scheinen die Erkenntnisse über diese Epoche einerseits „gesicherte“ zu sein. Doch andererseits findet sich dieser gesamte Abschnitt der europäischen Geistesgeschichte mittlerweile in zahllosen Einzeluntersuchungen so weit differenziert und aufgefächert, dass allein deshalb schon von der Möglichkeit eines abschließenden Gesamturteils bei weitem nicht mehr die Rede sein kann. Man sieht sich einer Vielzahl von Darstellungen gegenüber, die den Plural von den „europäischen Aufklärungen“1 nahelegen. Das monumentale Gesamtgemälde löst sich in viele Detailansichten auf. Diese Auffächerung in einzelne Problemstellungen ist es, die es überhaupt erst berechtigt erscheinen lässt, eine regionale Ausprägung wie die Schottische Aufklärung als ein in sich weitgehend geschlossenes Ganzes aus der übergreifenden Gesamtheit des neuzeitlichen Denkens herauszugreifen und für sich zu betrachten.

3.1 Narrative der Aufklärung

Das Verstehen und Erklären der Welt, das vergangene ebenso wie das gegenwärtige, verfestigt sich zu Bildern, die in Form von Narrativen konserviert werden. Ganzen Epochen ebenso wie einzelnen Denkrichtungen werden bestimmte Bedeutungen zugemessen, die sie im Kontext der Geschichte gespielt hätten. Geschehen derlei Zuweisungen in der Gegenwart und betreffen sie diese, sprechen wir üblicherweise vom Zeitgeist. Für Narrative ist kennzeichnend, dass sie abgelöst sind von der Hinterfragung durch die jeweilige Gesellschaft, deren Selbstverständnis sie stiften – ihrer eigenen Zeit sind sie im wörtlichen Sinn selbst-verständlich. „Lebt man in einem bestimmten System“, heißt es bei P. Burke, „nimmt man es meistens als etwas Selbstverständliches wahr.“2 Und das Selbstverständliche ist das für wahr Erachtete. Hinter diesen nahezu banalen Feststellungen verbergen sich weitreichende Konsequenzen – insbesondere für die Wissenschaften, denn allzu Selbstverständliches erscheint der näheren Betrachtung oft nicht wert. Dadurch werden Narrative zu einer Art von Trägheitsmoment, das L. Fleck so beschreibt  : „Das Wissen war zu allen Zeiten für die Ansichten jeweiliger Teilnehmer systemfähig, bewiesen, anwend1 Jüttner/Schlobach haben bereits Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts angemerkt, es sei „beim heutigen Stand der internationalen Forschung Skepsis angesagt, ob die Vielfalt der Positionen und die Verschiedenheit der nationalen und regionalen Entwicklungen in Europa den Rückgriff auf Begriffe wie Aufklärung, Siècle des Lumières, Enlightenment oder Ilustraciòn zur Charakterisierung einer Gesamtepoche europäischer Kultur nicht eher verbieten als nahelegen.“ S. Jüttner / J. Schlobach  : Einleitung, S. VII. 2 P.  Burke  : Papier und Marktgeschrei, S. 10.

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Aufklärung – Schottische Aufklärung

bar, evident. Alle fremden Systeme waren für sie widersprechend, unbewiesen, nicht anwendbar, phantastisch oder mystisch.“3 Narrative sind, so gesehen, Manifestationen eines Commonsense, nicht eigentlich des wissenschaftlichen Diskurses  : Denjenigen, die mit ihnen operieren, gelten sie als schlüssig. Implizit wird durch Narrative auch über die Notwendigkeit oder die Zulässigkeit von grundsätzlichen Fragen entschieden, mit denen Wissenschaft sich zu befassen habe. Nicht zuletzt interpretieren sie, welche Sichtweise als die „richtige“ und welche als die „falsche“ zu gelten habe. Insbesondere darin sind sie mächtig, und so ist es selten „die Geschichte“, die einen ersten Befund über eine Epoche liefert, sondern es sind zunächst die in dieser Epoche formulierten und die ihr nachfolgend mittels Texten zugewiesenen Narrative.4 Aus diesem Blickwinkel betrachtet führt jede neue Beschäftigung mit einer zurückliegenden Epoche zu einem weiteren Urteil auch über ihre Narrative. Narrative beanspruchen Geltung, sie sind „geltende“ Texte.5 Sie stiften das Selbstverständnis von Gesellschaften oder ihrer Gruppierungen. Und umgekehrt wirkt dieses Selbstverständnis im Hintergrund auch als ein Korrektiv, das diese sozialen Gefüge jeweils justiert. Es ist dies also – bis es zu einschneidenden Veränderungen kommt, die es nahelegen, von einer „neuen Zeit“ zu sprechen – ein Geschehen mit wechselseitiger Dynamik, ein Bild-Malen und ein Sich-darin-Wiederfinden, ein Erklären und ein Sichselbst-Verstehen in der Erklärung. Die Selbstzuschreibung einer Gesellschaft, eine aufgeklärte zu sein, setzt die Beschreibung dessen, was unter Aufklärung zu verstehen sei, voraus. Dieser Sachverhalt trifft auch auf die Autoren zu, mit denen sich diese Arbeit befasst  : Was und worüber wollten sie aufklären – und mit welchem Anspruch  ? Und worauf waren ihre Hoffnungen gerichtet  ? Rückschauende Narrative fokussieren und können Dominanten des Denkens während eines Zeitabschnitts einprägsam herausarbeiten. Sie weisen Identität zu und sie schaffen und bestätigen sie auch. Die geistigen Hauptströmungen einer Epoche werden 3 L.  Fleck  : Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 34. 4 Dies ist in etwa auch der Grundgedanke des Ansatzes von T. S. Kuhn  : Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Flecks Einfluss auf Kuhn gilt heute als unbestreitbar, obwohl Letzterer selbst ihn nicht ausgewiesen hat. Siehe W. Baldamus  : Das exoterische Paradox der Wissenschaftsforschung, S. 214. 5 Was in diesem Sinn unter „Geltung“ zu verstehen ist, erklärt H. Lübbe  : Philosophie als Aufklärung, S. 7 f., so  : „Der Geltungscharakter der hier gemeinten ‚geltenden‘ Texte besteht […] darin, daß sie unsere individuelle und vor allem unsere kollektive Identität, d. h. die Identität unserer Zugehörigkeiten, nicht lediglich verbalisieren und repräsentieren, vielmehr darüber hinaus stiften, begründen, verbürgen. Geltende Texte haben institutionelle Bedeutung. Ihre institutionelle Leistung ist es, Zugehörigkeitsverhältnisse verbindlich zu definieren. Sie ‚gelten‘, indem ein sozial wirksamer Zwang ihrer Anerkennung existiert.“ Dies besage, „daß diese Texte die Verbindlichkeit repräsentieren, die Menge ihrer Aussagen als Wahrheiten anzuerkennen, zumindest ihre Wahrheit nicht öffentlich zu bestreiten und keine Propaganda konkurrierender Lehren zu betreiben. Ihre Geltung besteht darin, daß der Bildungs-Prozeß, durch welchen dem einzelnen ihre Kenntnis vermittelt wird, zugleich der Prozeß ist, den einzelnen pädagogisch, moralisch, politisch in den sozialen Verband zu integrieren, der seine Identität durch diese Texte definiert.“

Einordnung, Ordnung und Kontext der Aufklärung |

dann auf griffige Etikettierungen zugeschnitten  ; Unterströmungen, so sie erst einmal als solche befunden sind, werden marginalisiert und geraten nicht selten ganz aus dem Blickfeld. (Die Schottische Aufklärung ist, ungeachtet dessen, dass ihre Hauptvertreter David Hume und Adam Smith auch im 19. und 20. Jahrhundert durchgehend Beachtung gefunden haben, eine solche Unterströmung.) Narrative sind scherenschnittartige Darstellungen komplexer Szenarien und somit Zuspitzungen  ; sie orientieren sich an Ergebnissen von Entwicklungen und machen diese greifbar, auch begreifbar, indem sie die Entwicklungen selbst vereinfachen. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Geschehen, das sie nachzeichnen, vereinfachen sie immer stärker. So fällt auf das Denken ganzer Zeitalter, das stets ein facettenreiches war, ein Schatten, der diese verdunkelt. Es ist der Schatten dessen, was als „Quintessenz“ des jeweiligen Zeitalters bewertet wird, der Schatten der Generalisierung und des „Resultats“. Ein solcher Blickwinkel ist es etwa, der das Mittelalter zu einem „finsteren“ und die Renaissance zu einer „leuchtenden“ macht. Und die Aufklärung  ? Sie spielt eine herausgehobene Rolle in diesem reichen Spektrum von Bedeutungszuweisungen und -selbstzuweisungen. Gemeinhin gilt sie eben – auch das ein mächtiges Narrativ – als jene zivilisatorische „Erfolgsgeschichte“, die gleichermaßen die Ernte des vernunftgeleiteten Analysierens und der empirisch-experimentellen Methode eingefahren und dadurch vielem Künftigen die Richtung gewiesen habe. An dem vorläufigen Ende dieser Erfolgsgeschichte erkennen wir uns gern selbst – auch das ist ein Narrativ (das im Übrigen in der Gesellschaftswahrnehmung der Schottischen Aufklärung seine Parallele hat). Dabei sind weder die zeitlichen und die räumlichen Abgrenzungen der Aufklärung wirklich fest umrissen, noch besteht abschließende Einigkeit über ihren genauen ideengeschichtlichen Rahmen. Und die Bewertung ihrer Errungenschaften, mehr noch die ihrer Folgen, ist bis heute umstritten und Anlass zu immer wieder unternommenen Neubewertungen. Jenseits der konsensfähigen Schlüsselbegriffe wie „Vernunft“, „Emanzipation“ und „Fortschritt“, mit denen die Aufklärung gemeinhin charakterisiert – mehr noch  : etikettiert – wird, steht ihr Wesen und Wirken seit jeher im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen.6 Diese Kontroversen wurden bereits von den Denkern des 17. und 18. Jahrhunderts ausgetragen  ; sie reichen bis in die Gegenwart, lassen von der „Dialektik der Aufklärung“ sprechen und machen diese zu einem ambivalenten Begriff.

3.2 Einordnung, Ordnung und Kontext der Aufklärung

Jede Epoche trifft ihre sich vordrängenden Kernaussagen, aus denen sich die Nachwelt bedient und mittels derer das Signifikante oder auch nur das Neue der jeweils „neuen Zeit“ kenntlich gemacht wird. Gemeint sind damit keineswegs nur philosophische, nicht 6 Siehe den Überblick bei A. Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 18 ff., sowie B. Irrgang  : Skepsis in der Aufklärung, S. 1–9.

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Aufklärung – Schottische Aufklärung

einmal nur wissenschaftliche Aussagen. So hat Vieles, das heute zu den Grundüberzeugungen unserer Zeit gerechnet werden kann, weder mit Philosophie noch mit Wissenschaft im engeren Sinn zu tun – man denke dabei an Bekenntnisse aller Art, etwa zu wirtschaftlichem Wachstum, nationaler Identität, an das Vertrauen in den „technischen Fortschritt“ oder an die gegenteilige Überzeugung, dass die technische Entwicklung der Menschheit über den Kopf zu wachsen drohe. 3.2.1 Datierung und inhaltliche Ausrichtung

Manche dieser Kernaussagen mögen sogar, wie der berühmt gewordene, Galilei in den Mund gelegte und den Beginn eines neuen Weltverständnisses markierende Ausspruch „Und sie bewegt sich doch  !“, fiktiv sein. Andere hingegen lassen sich in der Literatur der Zeit tatsächlich auffinden und dürfen somit als authentisch gelten. Beiden Arten – den fiktiven wie den verbürgten – ist gemeinsam, dass sie Teil eines Belegekanons geworden sind, der wie ein Raster über die jeweilige Epoche gespannt wird. Dieser Kanon ist es, der dann auf lange Sicht eben das Narrativ dieser Epoche erzeugt und prägt. Wir sehen also, dass es zwei Arten von Narrativen gibt, nämlich diejenige Geschichte, die die jeweilige Zeit und ihre Protagonisten von sich selbst erzählen, und eine zweite, die sich aus der retrospektiven Bewertung durch spätere Generationen ergibt. Diese Untersuchung befasst sich mit beiden. Ernst Cassirer leitet seine grundlegende Darstellung der Aufklärung7 im Sinn eines Pars pro Toto mit der Wiedergabe einer Passage aus d’Alemberts Versuch über die Elemente der Philosophie ein. Der hatte geschrieben  : „Unser Zeitalter liebt es, sich vor allem das Zeitalter der Philosophie zu nennen. […] In der Tat kann man, wenn man den gegenwärtigen Zustand unserer Erkenntnis ohne Vorurteil prüft, nicht leugnen, daß die Philosophie unter uns bedeutende Fortschritte gemacht hat. Die Wissenschaft der Natur gewinnt von Tag zu Tag neuen Reichtum  ; die Geometrie erweitert ihre Grenzen und hat ihre Fackel in die Gebiete der Physik, die ihr am nächsten lagen, vorgetragen  ; das wahre System der Welt ist endlich erkannt, weiterentwickelt und vervollkommnet worden. […] Von der Erde bis zum Saturn, von der Geschichte der Himmel bis zu der der Insekten hat die Naturwissenschaft ihr Gesicht gewandelt. Und mit ihr haben alle anderen Wissenschaften eine neue Form angenommen.“8

Cassirer sieht darin eine Schlüsselaussage  ; er erachtet sie als repräsentativ für den Geist der Zeit, in der sie getroffen wurde. Was sagt sie aus  ? Unübersehbar ist sie das Dokument 7 E.  Cassirer  : Die Philosophie der Aufklärung. Diese Monographie ist trotz ihres Alters von inzwischen mehr als acht Jahrzehnten ein grundlegendes Werk, wenngleich die Aufklärung darin sehr betont als ein französisches und deutsches Phänomen gesehen wird. 8 Ebd., S. 1.

Einordnung, Ordnung und Kontext der Aufklärung |

einer großen Zuversicht, das die Philosophie als den Impulsgeber des Fortschritts feiert (wie man „nicht leugnen“ könne) und die Naturwissenschaft als die wichtigste Triebfeder eines Prozesses herausstellt, der in eine einzige Richtung verläuft, und zwar gemäß dem „wahren System der Welt“  : erkennen – weiterentwickeln – vervollkommnen. Es war im Jahr 1763, als sich die Dinge für d’Alembert so dargestellt haben. Drei Jahrzehnte später, als die Französische Revolution, selbst ein Kind der Aufklärung, längst darangegangen war, ihre eigenen Wurzeln anzugreifen – vulgo  : ihre eigenen Kinder zu fressen –, wird der Marquis de Condorcet ein noch eindringlicheres Beispiel dieser Zuversicht geben – diesmal in die « perfectibilité [Vervollkommnungsfähigkeit] » gleich der ganzen Menschheit  : „Was wir uns für den künftigen Zustand des Menschengeschlechts erhoffen, läßt sich auf folgende drei wichtige Punkte zurückführen  : die Beseitigung der Ungleichheit zwischen den Nationen  ; die Fortschritte in der Gleichheit bei einem und demselben Volke  ; endlich die wirkliche Vervollkommnung des Menschen.“9

Und dann, wieder eineinhalb Jahrhunderte später – in denen jenseits des Atlantiks eine „neue Welt“ entsteht, sich vor der alten der Blick auf ihren eigenen Untergang auftut und sich offenbart, wohin dieses Erkennen, Weiterentwickeln und Vervollkommnen, mithin also das, worauf d’Alembert seinerzeit seine ganze Hoffnung gerichtet hatte, auch führen kann –, dann also wird von T. W. Adorno und M. Horkheimer die Feststellung getroffen  : „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“10 Von der Vervollkommnung des Menschen geradewegs zu seinem drohenden Untergang als Spezies, ein weiteres Mal im Namen der Aufklärung – welch radikal neues Narrativ  ! Jede dieser drei angeführten Textstellen – von d’Alembert, Condorcet und Horkheimer/Adorno – ist repräsentativ für ein charakteristisches Bild, das je nach Blickwinkel von der Aufklärung gezeichnet wird. Und doch erklärt keines sie ganz. Vielmehr verraten sie eben alle drei  : Die Aufklärung hat mehrere Lesarten, die zueinander in einem Spannungsverhältnis, ja sogar miteinander im Konflikt stehen, und keine wird ihr allein gerecht. Denn es sind Narrative unterschiedlicher Art und unterschiedlicher Reichweite. Während d’Alembert noch den tatsächlichen Ereignissen verhaftet ist und, wie er es wohl verstand, die Summe seiner Epoche aufmacht, extrapoliert Condorcet den Optimismus seiner Zeit gewissermaßen ins Unendliche. Er fällt damit auf eine bestimmte Weise sogar   9 Condorcet  : Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, S. 345. Dass der eigentliche Motor der Entwicklung laut d’Alemberts Einschätzung, nämlich das von den Naturwissenschaften betriebene technische und damit operable Verständnis der Welt, in Condorcets Aufzählung des Erhofften nicht vorkommt, ist zumindest den Hinweis wert. 10 M.  Horkheimer  / T.  W. Adorno  : Dialektik der Aufklärung, S. 9.

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wieder in eine seltsam voraufklärerische, nämlich unverhohlen spekulative Denkhaltung zurück und steht für den ideologischen Kollaps aufklärerischen Denkens, der sich in blinder Überzeugung ausdrückt.11 Und Gleiches unternehmen Horkheimer und Adorno, nur unter dem jetzt umgekehrten Vorzeichen eines nach den zwei Weltkriegen und den Erfahrungen mit den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts ebenso ausführlich extrapolierten Pessimismus.12 Bei ihnen werden die emanzipatorischen Anfänge und die frühen Errungenschaften der Aufklärung zusammen mit den Folgen und Ergebnissen des von ihr ausgelösten mehrhundertjährigen Prozesses eingedampft zum Bild der Geister, die sie gerufen habe und derer die Welt als Ganzes sich nun nicht mehr entledigen könne und nicht mehr Herr werde. In all diesen Narrativen zeigt sich – und ist hinter ihnen doch auch verborgen –, was das ist, ja vielmehr noch, was das alles sein kann  : die Aufklärung. Und darüber hinaus stellen sich dann alle weiteren Fragen  : diejenige nach den Facetten und der Spannweite aufklärerischen Denkens und diejenige nach den regionalen Wurzeln und diversen geografischen Heimaten der Aufklärung, die „Epochefrage“ nach ihrer zeitlichen Einordnung und Einordenbarkeit überhaupt, sodann die nach der Geschichte ihrer Wirkungen und nicht zuletzt die nach ihren Folgen für die Wissenschaften selbst und das, was wir als unseren eigenen Zeitgeist und als die Narrative unserer Welt am Beginn des dritten Jahrtausends verstehen wollen. Es gibt mehrere Etikettierungen, mit denen das Denken der Aufklärung versehen wird, etwa die eines Zeitalters der Vernunft oder der religiösen Emanzipation. Noch ein weiterer Begriff, der für das Verständnis von zentraler Bedeutung ist, kommt hinzu, nämlich der in zahllosen Varianten explizit ausgesprochene des „Fortschritts“. Denn dass es dem Denken der Aufklärung um Fortschritt zu tun ist, offenbart sich in den allermeisten der zeitgenössischen Äußerungen. So ist in der eingangs zitierten Passage d’Alemberts von „bedeutenden Fortschritten“ die Rede, und auch Condorcet verwendet den Begriff, der in beiden Fällen nicht lediglich deskriptiv gehandhabt wird – also im Sinn der Feststellung einer bloßen Veränderung von einem Zustand zu einem anderen –, sondern affirmativ, wertend, eine Bewegung vom Schlechteren zum Besseren hin bezeichnend, wie dies genau genommen ja sogar bei Kant anklingt, wenn er vom „Ausgang“ des Menschen aus dem Zustand der Unmündigkeit spricht. Nun mag der Eindruck entstanden sein, der Terminus Aufklärung solle tatsächlich einen genau bestimmten Inhalt bezeichnen, über den ein breites Einverständnis herrsche. Doch schon bei oberflächlicher Betrachtung zeigt sich, dass es an einem solchen allgemein akzeptierten Begriffsverständnis fehlt, ja fehlen muss. Denn es gibt, auch wenn 11 Zum Spannungsverhältnis der Begriffe „Zuversicht“ und „Optimismus“ siehe in der vorliegenden Untersuchung S. 26 f. 12 In diesem Zusammenhang ist auch M. Oakeshotts Zuversicht und Skepsis zu erwähnen, das ebenfalls Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Siehe den Abschnitt 14.5 („Michael Oakeshotts ‚andere‘ Zuversicht – und warum sie hier keine Rolle spielt“).

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für den Gesamteindruck nach wie vor das Bild von der Entwicklung im Frankreich des 18. Jahrhunderts bestimmend sein dürfte, mehrere Aufklärungen, und allein schon deren zeitliche Rahmen sind verschieden. Die Epochenbestimmung ist ein Problem der Forschung, das bisher eher benannt denn entschieden scheint. Das hängt nicht zuletzt mit den jeweiligen Standorten zusammen, von denen aus und über die geforscht wird. So gilt im romanischsprachigen Raum das Hauptinteresse der französischen Aufklärung, die deutschsprachige Wissenschaft legt daneben einen zusätzlichen Forschungsschwerpunkt auf die deutsche Aufklärung, und die schottische Aufklärung wurde lange Zeit wie selbstverständlich einer englischen zugeschlagen – die auf diese Weise zu einem nicht unbedeutenden Teil erst erschaffen wurde. Zwischen diesen verschiedenen regionalen Ausformungen der Aufklärung bestehen immerhin Verbindungen und Wechselwirkungen, die auch weitgehend aufgedeckt und dokumentiert sind. Anhand der Analyse dieser Wechselwirkungen zeigen sich allerdings eher die Unterschiede zwischen den Ländern, als dass das Bild einer gemeinsamen europäischen Aufklärung schärfere Konturen gewänne. So bleibt es weiterhin bei der Suche nach den gemeinsamen Inhalten und dem zeitlichen Rahmen, die ein „Epochenbegriff Aufklärung“ voraussetzt. Umgekehrt jedoch ist es gerade auch dieser Befund der thematischen Vielfalt und der regional sehr unterschiedlichen Spielarten, der einen Horizont eröffnet, der zu weit ist, als dass ein einziges Begriffsverständnis ihm gerecht werden könnte. Im Übrigen widersetzt sich gerade die Schottische Aufklärung vielfach diesem Bild eines geschlossenen Ganzen, denn unter ihren wichtigsten Vertretern ist neben dem, das sie eint, auch viel Trennendes. So hat A. Meyer zurecht auf den „Variantenreichtum der Studien zum Menschen in der schottischen Aufklärung“ hingewiesen,13 und allein schon in der methodischen Grundausrichtung dieser Studien war weniger Übereinstimmung, als es das gemeinsame Etikett vermuten ließe  : Humes Ansatz war unverkennbar ein erkenntnistheoretischer, während Ferguson, Smith und Millar sehr viel gezielter den „empirischen Imperativ am Studienobjekt ‚Mensch‘ einzulösen“ versuchten.14 3.2.2 Der Kontext der Aufklärung  : Ziele und Methoden

Die Wissenschaft der Aufklärungszeit, so das Programm, versteht sich als empirisch. In methodischer Hinsicht ist die Hinwendung zur Empirie neben der zur Vernunft als einer die Welt gestaltenden Kraft das markanteste Kennzeichen des Aufbruchs im 17. und 18. Jahrhundert. Man will die Zusammenhänge der Welt nicht mehr vorrangig durch Überlegung entschlüsseln – was so viel bedeuten kann wie  : „rationalistisch“, „konstruktiv-spekulativ“, „im Rahmen und mit den Verfahren der Metaphysik“ –, sondern auf der Grundlage dessen, was sich im wörtlichen Sinn be-greifen, auf dem Weg über die Anschauung erfassen und mit der Methode des Experiments reproduzieren lässt. Die 13 A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 189. 14 Ebd.

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Schlüsse sollen ausgehend von dem gezogen werden, was man sehen, anfassen, messen, wiegen und an Prozessen direkt beobachten kann. Doch Empirie reicht weiter als bis zur unmittelbaren Anschauung, denn auch aus der Überlieferung wird das Ausgangsmaterial für das Verstehen der Welt gewonnen  ; deshalb ist die Geschichte und das, was man über sie weiß, von großer Bedeutung. Diese Geschichte wird im Sinn des oben Gesagten „kontrolliert“, und es wird geprüft, ob sie Anhaltspunkte für die Annahme liefert, dass sie Gesetzmäßigkeiten aufweise, die eben zu suchen und zu finden seien. Selbst für Humes Erkenntnistheorie hat sie eine Schlüsselfunktion  : Nicht dem Denkbaren gilt letztlich die Aufmerksamkeit, sondern dem Erkennbaren. Das Bemühen um konkrete, explizite Aussagen erfordert angesichts dieser Spannweite des Aufklärungsbegriffs eine Beschränkung auf einige seiner Teilaspekte – sowohl in regionaler als auch in thematischer Hinsicht. Diese Eingrenzung des Themas erfolgt ja im Rahmen dieser Arbeit auf die sogenannte Schottische Aufklärung und innerhalb dieser in einem weiteren Sinn auf das politische Denken. Und dabei ist im Auge zu behalten  : Die Narrative der Aufklärung, von denen eingangs die Rede war, stehen sich nicht selten als Antagonismen gegenüber oder streben in Vielem sogar auseinander. Beschränkt man sich nun beim Versuch, dies deutlich zu machen, auf eben das Feld des Politischen, so richtet sich der Blick besonders auf zwei Gegensatzpaare  : Zuversicht und Skepsis einerseits und Autonomie und Kontrolle andererseits. Die Untersuchung befasst sich mit den meistrezipierten Schriften, also den Manifestationen, die für die Aufklärung in Schottland im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bis heute als kennzeichnend gelten. Dabei richtet sich der Blick auf zwei Aspekte  : Zum einen sind die Argumentationslinien dieser Texte sowie auch die Vorannahmen („Präsuppositionen“) zu untersuchen, von denen die Denker im Sinn feststehender, nicht weiter zu hinterfragender Axiome glaubten ausgehen zu können. Dem Begriff der Natur, insbesondere der menschlichen Natur, kommt in diesem Zusammenhang im Sinn einer anthropologischen Vergewisserung die zentrale Bedeutung zu  : Was sind die Grundlagen dessen, was unter menschlicher Erkenntnis verstanden werden kann  ? Das fragt Hume in zweien seiner Hauptwerke.15 Smith untersucht die Natur des Menschen ausführlich an den Dispositionen, denen sich dessen Fähigkeit zur Interaktion verdankt.16 Mit Ferguson sodann tritt endlich das isoliert betrachtete Individuum als Erkenntnisobjekt hinter den vergesellschafteten Menschen zurück,17 und gerade dadurch wird der Naturzustand von der fernsten Vergangenheit, über die stets nur spekuliert werden konnte, in die Gegenwart und vor die Augen aller geholt. Auf dieser Linie vollzieht sich, wenngleich hier stark vergröbernd skizziert, die „Geburt der Sozialwissenschaften aus der Moralphilosophie“18 – übrigens ein weiteres starkes Narrativ, das die Schottische Aufklärung kennzeichnet. 15 D.  Hume  : Treatise, sowie ders.: Understanding. 16 A.  Smith  : Theory. 17 A.  Ferguson  : Essay. Ähnliches gilt auch für J. Millar  : Origin. 18 D. Brühlmeier  : Die Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie.

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Zudem stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Zweck, der sich neben dem unmittelbaren Anspruch des Erkenntnisgewinns, also der Analyse, ausmachen lässt. Dieser Zweck ist, wenn auch unausgesprochen und von den schottischen Denkern bei weitem nicht so explizit formuliert wie etwa von bestimmten Vertretern der französischen Aufklärung, die Prognose. Weltverstehen ist, obgleich es sich gemäß der empirischen Orientierung dem Zurückschauen verdankt, doch auf die Zukunft gerichtet. Es steht im Dienst der Bewältigung der Erfahrung von Kontingenz.19 Dieses Verständnis von Kontingenzbewältigung kann sehr weit gefasst werden. So liegt es einerseits nahe, Humes Analyse der affektiven Natur der menschlichen Handlungsauslösung und der dabei leitenden Affekte der Hoffnung und Furcht nachzuvollziehen, zumal sich aus diesem Ansatz eine bahnbrechend neue Bestimmung der Beziehung zwischen Vernunft und Affekten, also des menschlichen Entscheidungssystems, ergeben hat.20 Daneben schlagen sich Anstrengungen zur Kontingenzbewältigung aber auch in Formen von Organisation nieder, beispielsweise in Institutionen menschlicher Gesellschaften – etwa in allen Strukturen von Staatlichkeit, so im Rechts- und im Wirtschaftssystem, im Eigentumsbegriff und in anderen Bereichen, angefangen von der Repräsentation des Volkswillens bis hin zu jenen der Landesverteidigung. Das bedeutet aber auch eine Umwertung insofern, als die einstigen Gewissheiten – seien es „geoffenbarte“, seien es solche, die sich spekulativer Überlegung verdankten – nunmehr Wahrscheinlichkeiten Platz machen mussten und die rationalistischen Konstrukte überkommener teleologischer Naturmodelle unter den Druck der Verpflichtung auf die Empirie gerieten. Dieser Druck auf das tradierte Weltverständnis kam keineswegs nur aus der Philosophie selbst  ; er war nicht ausschließlich immanent, sondern er wurde vielmehr potenziert durch das nun angestrebte Zusammenwirken von Natur- und Menschenwissenschaften. So waren etwa die neuen Erkenntnisse einer auf den ersten Blick so unverdächtigen Wissenschaft wie der Geologie weitaus mehr dazu angetan, das theologisch begründete Weltbild zu stürzen, als dies philosophische Argumentation jemals vermocht hätte – auch wenn die Sprengkraft von Huttons Theory of the Earth zunächst und noch für Jahrzehnte auch den meisten der Edinburgher und Glasgower Gelehrten verborgen bleiben sollte.21 19 Dieser Gedanke eines Verstehens, um handeln zu können, wurde schon früh von Hobbes, der ja unter dem unmittelbaren Einfluss Bacons stand, zum Ausdruck gebracht  : „Auch die philologischen und historischen Wissenschaften sind ein Gut, denn sie erfreuen den Geist. Sie sind ebenfalls nützlich, besonders Geschichte  ; denn diese liefert uns die Erfahrungen, auf die sich die Kenntnis der Ursachen stützt, und zwar als Naturgeschichte der Physik, als Staatengeschichte der Staats- und Moralwissenschaft, und das, gleichviel ob sie wahr oder falsch ist, wenn sie nur nicht unmöglich ist. Denn in der Wissenschaft sucht man nicht so sehr die Ursachen dessen, was gewesen ist, als die Ursachen dessen, was sein könnte.“ T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 22 (Hervorh. HK). 20 Dass Hume mit seinem Ansatz selbst wieder in einem Kontext steht, in dem ihm etwa Hutcheson unmittelbar vorausgeht, stellt die Zulässigkeit dieser Aussage nicht grundsätzlich in Frage. Auf Hutchesons Ansatz in dieser Frage wird auf S. 166 eingegangen. 21 Dennoch erscheint es unverzichtbar, sie im Zusammenhang dieser Analyse zumindest in groben Zügen zu erläutern. Siehe dazu den Abschnitt 5.5.1.2 („James Hutton und der fehlgeschlagene Wissenstransfer“).

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Was genau aber ist unter dem gerade angesprochenen Zusammenwirken von Natur- und Menschenwissenschaften zu verstehen  ? Handelt es sich dabei überhaupt um etwas genau Festgelegtes  ? Und in welchem Verhältnis zueinander werden die beiden Wissenschaftsbereiche gesehen, die hier zusammenspielen sollen  ? Die Antwort auf die letztgenannte dieser Fragen tangiert insbesondere das Selbstverständnis der Philosophen, in Schottland der Moralphilosophen, die sich mit der Forderung nach einem Wandel ihrer Methodik konfrontiert sehen, ja diese Forderung sogar als Erfordernis anerkennen. Als das offensichtlichste Kennzeichen dieser methodischen Neuausrichtung darf es gelten, dass den Naturwissenschaften eine leitende, zumindest eine orientierende Rolle zuerkannt wird. Bei Hume ist dieser Gedanke von Anfang an das Leitmotiv. In seinem Abstract, der sich als Versuch auffassen lässt, die – vom Publikum seiner Ansicht nach nicht erfasste – Zielrichtung des Treatise auf eine einfachere Weise und in komprimierter Form zu erklären, schreibt er  : „Da ist es wenigstens den Versuch wert zu prüfen, ob nicht die Wissenschaft vom Menschen [science of man] mit derselben methodischen Sorgfalt und Genauigkeit betrieben und vorgetragen werden kann wie viele Teile der Naturphilosophie [natural philosophy].“22 So ist es die Berufung auf die Bedeutung der von der Mathematik geprägten Naturforschung Newtons – übrigens weniger auf diejenige der sehr viel stärker experimentellen Galileis –, die wie eine Grundtönung in den Werken der schottischen Autoren wirkt. Dass diese damit ein Stück weit – wenn auch nur ein kleines Stück weit – ihr geradezu apodiktisches Bekenntnis zur Empirie unterliefen (denn der „größere“ Empiriker, wenn man sein experimentelles Vorgehen betrachtet, war zweifellos Galilei), mag ihnen entgangen sein. Aber vielleicht ist die von Bacon übernommene Festlegung auf die Erfahrung als dem Dreh- und Angelpunkt des Denkens der Schottischen Aufklärung überhaupt ein Narrativ, das nicht zu wörtlich genommen und unrelativiert weitergegeben werden sollte. Besieht man sich nämlich den darin verbliebenen spekulativen Anteil, zeigt sich bei den schottischen Autoren wohl eher eine Mischform an Methoden und Schlussfolgerungen, die den Naturwissenschaften selbst des 18. Jahrhunderts in Vielem ferner stand als geglaubt – sowohl was die Wahl der Mittel (also Quellen und andere Bezugspunkte), als auch, was die argumentative Stringenz betrifft. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf eine gewisse innere Heterogenität in den Werken von Hume und Smith  : Während sich bei Hume ein deutliches Ungleichgewicht von sehr eingängigem Essaystil und großem argumentativen Nachdruck zeigt – er war eben zu beidem gleichermaßen in hohem Maß befähigt und somit gewissermaßen Opfer seiner selbst –, neigt Smith mitunter dazu, seine an sich klaren Analysen in einem Meer von trockenem Detailreichtum und Beispielen zu ertränken. Dass das methodische Changieren zwischen breiten Betrachtungen und strenger Deduktion sogar innerhalb des Werkes 22 D.  Hume  : Abriß, S. 9 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Treatise, p. 407. – Dies ist ein möglicher Beleg für die These, das Konzept der science of man stamme von Hume. Siehe A. Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 189.

Autoren, Werke und Themen der Schottischen Aufklärung |

eines einzigen Autors unentschieden bleiben konnte, macht die Gegenüberstellung von Fergusons ausgreifendem Essay einerseits und seinen sehr viel stringenter gegliederten Institutes deutlich.

3.3 Autoren, Werke und Themen der Schottischen Aufklärung

Die Prägung des Terminus Scottish Enlightenment zum heute gebräuchlichen philosophie- und wissenschaftsgeschichtlichen Epochenbegriff ist vergleichsweise jungen Datums. K. G. Ballestrem datiert seine Etablierung auf die „Mitte der 60er Jahre“ des 20. Jahrhunderts,23 wobei die Verwendung weitestgehend auf die Philosophie und die Gesellschaftswissenschaften beschränkt ist  ; in der Geschichte der Naturwissenschaften ist er unüblich. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es eine nicht a priori selbstverständliche begriffliche Vereinheitlichung bedeutet, von der „Schottischen Aufklärung“ zu sprechen. Denn vergleicht man die verschiedenen ihr zugerechneten Werke, insbesondere die auch heute noch beachteten, so zeigen diese durchaus eine Inhomogenität in Einzelfragen, und das sowohl hinsichtlich des Gegenstandes, der Zielrichtung wie auch der Reichweite. 3.3.1 Die Autoren und ihre Werke

Wie bei allen Epochenbezeichnungen steht man auch hier vor der Problematik der Einordnung. Als Wichtigstes ist zunächst zu klären, wer überhaupt dieser Schottischen Aufklärung zuzurechnen ist  ; das schließt ein  : Welche Denker repräsentieren sie, und zwar in der heutigen Wahrnehmung  ? Das bedeutet, eine Aussage zu treffen, die voraussetzt, dass zuvor andere Kernfragen – nämlich thematische (die nach dem Was), regionale (die nach dem Wo) und zeitliche (die nach dem Wann) – bereits eine Antwort gefunden haben. Die Wirklichkeit, der man im Kontext der Forschung begegnet, legt jedoch genau das Umgekehrte nahe, denn sie hat sich in diesem Fall vor einer Auseinandersetzung mit dem Kontext und dem geistesgeschichtlichen Rahmen von vorn herein auf zwei Namen festgelegt. Als die zentralen Protagonisten der Schottischen Aufklärung hebt sie David Hume und Adam Smith hervor – Philosoph, Erkenntnistheoretiker, Essayist und Historiker in Edinburgh der eine, „klassischer“ Moralphilosoph, grundlegender Theoretiker der Politischen Ökonomie und einflussreicher akademischer Lehrer in Glasgow der andere. Der Bedeutung David Humes (1711–1776) in wenigen Worten gerecht werden zu wollen, kann nicht gelingen. Zu heterogen ist dazu sein Werk, zu vielfältig waren auch seine Talente und zu weit ist das Gebiet, auf denen er diese einsetzt. Das meiste von dem, was er veröffentlicht, ist zu seinen Lebzeiten umstritten, gleichwohl aber von großem 23 K. G. Ballestrem  : Die schottische Aufklärung, S. 317.

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Einfluss auf das Denken seiner Zeit ebenso wie auf das späterer Epochen. Man darf in ihm einerseits einen politisch Konservativen sehen, andererseits finden sich etwa in seiner Religionskritik und seiner Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie Positionen von teilweise verwegener Radikalität. Mit dem Strom schwimmt er nie und bisher nicht Gedachtes gilt ihm keineswegs von vorn herein als undenkbar. Als Autor polarisiert er, doch damit vollbringt er in einer Gesellschaft, die gerade erst aus einer klerikal beherrschten Starre aufbricht, kein Kunststück. Die Feststellung, dass er sein gesamtes Werk in einer Art Angriffsmodus verfasst, dürfte ihm letztlich gerecht werden. Das Spektrum seiner publizistischen Fähigkeiten ist ein weit gefächertes  : Hume ist Philosoph, Erkenntnistheoretiker, politischer Denker, Essayist, Historiker, er steht kurze Zeit im Staatsdienst und ist einer der ersten Publizisten, die es schreibend zu Wohlstand bringen. Die ersehnte akademische Karriere bleibt ihm verwehrt. Seine Werke aber gehören zu jenen, die auch Jahrhunderte nach seinem Tod noch durchgearbeitet werden. Die drei Bücher seines Treatise of Human Nature (1739/40), die er mit nicht einmal dreißig Jahren vorlegt, stellen sich zwar als ein publizistischer Misserfolg heraus, gelten andererseits jedoch bis in die Gegenwart als bahnbrechende erkenntnistheoretische Leistung, die den Blick auf das menschliche Denken und Handeln in eine von Grund auf neue Richtung gelenkt hat. In mehreren Veröffentlichungen versucht Hume, den sperrigen Stoff nachträglich in modifizierter Form dem Publikum nahezubringen  : An Enquiry concerning Human Understanding (1748) greift, teils gestrafft, teils mit Erweiterungen versehen, vor allem die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie aus Buch I des Treatise erneut auf  ; dass Hume als die Grundlagen einer science of man die Mathematik („die Wissenschaften von Größe und Zahl“) und in einem weitgefassten Sinn die Empirie (Aussagen über „Tatsachen und Dasein“) ansieht,24 findet sich hier wiederholt. An Enquiry concerning the Principles of Morals (1751) rekapituliert, verdichtet und schärft das im Buch III des Treatise Gesagte  ; es ist sein eigentliches Buch über Politik. In einer reichen Zahl von Essays erläutert er zudem seit den frühen vierziger Jahren seine Positionen. Er gibt in diesen Texten, die als vollwertiger und eigenständiger Teil seines Werks anzusehen sind und sich auch als dessen Kommentierung durch den Autor selbst lesen lassen, vielfach zusätzlichen Aufschluss zu seinen großen Schriften. Für die vorliegende Untersuchung von geringerer Bedeutung sind hingegen zwei größere Auseinandersetzungen mit der Religion – The Natural History of Religion (1757) und Dialogues concerning Natural Religion (posthum, 1779) – sowie das sechsbändige Geschichtswerk The History of England (seit 1754). Verglichen mit Hume hinterlässt Adam Smith (1723–1790) der Nachwelt ein deutlich übersichtlicher gegliedertes Œuvre. In Glasgow bekleidet er ab 1751 für kurze Zeit den Lehrstuhl für Logik, danach bis 1763 den für Moralphilosophie. In diese Zeit fällt die Publikation von The Theory of Moral Sentiments (1759), eine Suche nach den Konstanten im menschlichen Empfinden und Handeln und ihre Beschreibung im Sinn einer neu entstehenden science of man, eine Psychologie der Handlungsantriebe und jener inneren 24 D.  Hume  : Verstand, S. 191.

Autoren, Werke und Themen der Schottischen Aufklärung |

Kontrollmechanismen, die die Grundlage für das bilden, was Zivilisation – auch das eine neu eingeführte Vokabel – genannt wird. Der Einfluss von Humes Konzeption der Empathie als der Voraussetzung für moralisches Handeln ist hier deutlich, doch mit deren Weiterentwicklung und wesentlich tiefer gehender Begründung des „Seelenvermögens“ der Sympathie lässt Smith ein Grundlagenwerk entstehen, das ganz der Neuausrichtung der Moralphilosophie verpflichtet ist, indem es „nicht eine Frage des Sollens betrifft […], sondern eine Frage nach Tatsachen.“25 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist es weit über Schottland hinaus von großem Einfluss und steht zu Lebzeiten des Autors – und in dessen eigener Wahrnehmung – gleichberechtigt neben An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776, üblicherweise kurz Wealth of Nations), jenem Werk, das mit großer Akribie die Stellung des Individuums in der entstehenden kapitalistischen Gesellschaft und vor allem diese selbst erklärt. Als eine Exegese der commercial society begründet es in den Augen Vieler die National- beziehungsweise die Politische Ökonomie. Erhalten sind von Smith darüber hinaus einige bemerkenswerte kleinere Arbeiten, so etwa eine Zusammenstellung von Essays on Philosophical Subjects, aus denen die wissenschaftstheoretische Abhandlung mit dem Titel The History of Astronomy26 als brillantes Werk von bleibendem Erklärungswert hervorragt. Für die Forschung von großem Interesse sind die von Smith allerdings nicht autorisierten Mitschriften seiner Vorlesungen, die Lectures on Rhetoric and Belles Lettres und die für das Thema dieser Untersuchung aufschlussreichen Lectures on Jurisprudence. Adam Ferguson (1723–1816) muss neben Hume und Smith als weiterer einflussreicher Autor herangezogen werden. Man darf ihn ebenfalls als richtungsweisend für das politische Denken der Schottischen Aufklärung ansehen. Er hatte ursprünglich die kirchliche Laufbahn eingeschlagen und ist Feldgeistlicher, ehe er ab 1759 in Edinburgh zunächst als Professor für Naturphilosophie und ab 1764 als Professor für Moralphilosophie lehrt – eine Stellung, die er bis 1785 bekleidet. Seine Hauptwerke entstehen in dieser Zeit  : 1767 veröffentlicht er An Essay on the History of the Civil Society, der Vielen als das früheste, jedenfalls aber als grundlegendes Werk der Soziologie gilt27 und sich mit dem Entstehen und dem Wesen der bürgerlichen beziehungsweise der Handelsgesellschaft befasst – sowie mit den Bedrohungen, denen sie vor allem aus sich selbst heraus ausgesetzt ist. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist die Schrift vom Publikum sehr geschätzt. Danach verliert sich das Interesse an ihr für lange Zeit, bevor sie erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts im Zug der „Wiederentdeckung“ der Schottischen Aufklärung28 insbesondere wegen ihres skeptischen Blicks auf die zerstörerischen Folgen der Arbeitsteilung und die 25 A.  Smith  : Theorie, S. 122. 26 A.  Smith  : Essays, pp. 31–105. 27 H.  H. Jogland  : Ursprünge und Grundlagen der Soziologie bei Adam Ferguson  ; T.  Buddeberg  : Ferguson als Soziologe. 28 Ein Schlaglicht auf die Rezeptionsgeschichte der Schottischen Aufklärung, auf das Schwinden der Bedeutung ihrer Protagonisten und die erneute Beschäftigung mit mehreren von ihnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirft G. Graham  : Adam Ferguson as a Moral Philosopher, p. 511.

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Übergewichtung der Interessenverfolgung des auf den Eigentumserwerb verpflichteten Individuums erneut an Aufmerksamkeit gewinnt. Mittlerweile nur noch wenig beachtet, jedoch aufschlussreich für Fergusons Denken, sind die beiden zu seinen Lebzeiten auch auf dem europäischen Kontinent stark rezipierten Lehrbücher über sein Fach  : Institutes of Moral Philosophy (1769) und Principles of Moral and Political Science (1772), beides im Vergleich zum Essay sprachlich schmucklose Schriften, die sich gleichwohl aber durch eine im Vergleich mit diesem stringentere Argumentation auszeichnen. Nahezu unbeachtet geblieben sind bisher die seit 2006 immerhin wieder gut zugänglichen Manuscripts of Adam Ferguson. Mit David Hume, Adam Smith und Adam Ferguson sind jene Moralphilosophen benannt, die als die herausragenden Repräsentanten der Schottischen Aufklärung gelten müssen. Eine solche Fokussierung auf die drei „Hauptvertreter“ spiegelt allerdings eine aktuelle Wahrnehmung wider, die der zeitgenössischen des 18. Jahrhunderts keineswegs entspricht. Die Gruppe jener Männer, die das Geistesleben des Landes verkörperten, ist sehr viel größer, zudem übergreift sie die Disziplinen. So sind nachfolgend zumindest jene weiteren Vertreter jenes Teils der Schottischen Aufklärung anzuführen, der sich in einem weiteren Sinn mit der science of man befasste. Francis Hutcheson (1694–1746), von Geburt Ire, seiner Abstammung nach Schotte und Lehrer an der Glasgower Universität, wird üblicherweise der Schottischen Aufklärung zugerechnet. In inhaltlicher Hinsicht allerdings muss er sehr viel mehr als das Bindeglied zwischen der Schottischen Aufklärung und den moralphilosophischen Auseinandersetzungen aufgefasst werden, die ihr vorausliefen. Sein Einfluss auf die schottischen Denker ist bedeutend.29 Ob man in Hutcheson einen Denker der Schottischen Aufklärung sehen will oder in ihm einen ihrer Wegbereiter erkennt, ist eine Frage von untergeordneter Bedeutung  ; jedenfalls behandelt er früh die für die schottische Moralphilosophie so zentralen Fragen wie die nach dem moral sense oder nach den Interessen als der handlungsauslösenden Kraft im Individuum.30 Hume und Smith beziehen sich ausdrücklich auf ihn. John Millar (1735–1801), Schüler von Smith in Glasgow und dort von 1761 bis zu seinem Tod Inhaber der Professur für römisches Recht, ist ein weiterer Autor, der für die Neuausrichtung der modernen Sozialwissenschaften im Zug der Schottischen Aufklä29 Im Hinblick auf Hume siehe G. Streminger  : David Hume, u. a. S. 100 und 104  ; ferner  : D. Hume  : Traktat, I, S. 4. Wenn im Fall von Hume vom „Einfluss“ Hutchesons die Rede ist, bedeutet dies jedoch keineswegs dasselbe wie „kritiklose Übernahme der Positionen“  ; Hume rezipierte Hutcheson aufmerksam und tat es kund, wenn er mit diesem nicht gänzlich übereinstimmte  ; siehe hierzu etwa  : The Letters of David Hume, I, p. 33 (To F. Hutcheson), wo Hume, ganz selbstbewusster Autor des Treatise, Hutcheson geradezu herausfordernd widerspricht  : “I cannot agree to your Sense of Natural. Tis founded on final Causes  ; which is a Consideration, that appears to me pretty uncertain & unphilosophical.” – Im Fall von Smith, der bei Hutcheson in Glasgow studiert hatte, mögen die Hinweise genügen, die dieser in der Theory auf Hutcheson gibt  ; siehe ders.: Theorie, S. 493, S. 495 und S. 527. 30 Näheres zu Hutcheson und seinen Positionen siehe im Abschnitt 4.2.6 („Francis Hutcheson“).

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rung steht. The Origin of the Distinction of Ranks (1771, 31779) kann aus heutiger Sicht vor allem deshalb neben der umfangreichen Studie An Historical View of the English Government (1787/1803) als sein Hauptwerk gelten, weil es im Rahmen eines juristischen Ansatzes und unter dem Gesichtspunkt von Machtverhältnissen die Stellung des Individuums in der Gesellschaft zu erklären sucht. Trotz einer gewissen Verwandtschaft mit Fergusons Essay ist Millars solcherart „soziologischer“ Blick auf den Menschen für die damalige Zeit neu, und dies umso mehr, als dabei über weite Strecken die Stellung der Frau im Verlauf der Zivilisation thematisiert wird.31 Henry Home, Lord Kames (1696–1782), in Edinburgh Richter am Obersten Gericht, gilt den schottischen Denkern des 18. Jahrhunderts, was mittlerweile in Vergessenheit geraten ist, als Spiritus rector. Viele der persönlichen Beziehungen laufen bei ihm zusammen, sein Einfluss reicht weit und seine Empfehlungen sind geschätzt, seine Protektion kann den Grundstein für große Karrieren legen – wie im Fall von Smith und Millar. Smith spricht von ihm als „unser aller Meister“.32 Bryson sieht in ihm den „Mäzen, Kritiker und Narren der Gruppe“33 und Streminger charakterisiert ihn sehr anschaulich als kantige Persönlichkeit und als einen der „kraftvollsten, kuriosesten und anregendsten Schotten seiner Zeit“.34 Andererseits ist Kames die vielleicht umstrittenste Figur der Schottischen Aufklärung  ; darin ähneln sich die über ihn getroffenen Urteile.35 Der Titel, den man heute noch mit seinem Namen verbindet, Sketches of the History of Man (1778), gehört in die Reihe jener Werke, die Ballestrem mit der Kennzeichnung „allgemeine Zivilisationsgeschichten“36 versieht und sie damit neben Fergusons Essay und Millars Origin einer für die Schottische Aufklärung charakteristischen Themengruppe zuweist. Der Kreis der Denker, die aufgrund ihrer Publikationen den bereits Genannten zuzuordnen wären, ließe sich noch deutlich erweitern.37 Sie alle sind Teil der Schottischen 31 Näheres zu Millar und den Origin siehe im Abschnitt 14.4 („Machtbeziehungen  : John Millars Blick auf die Gesellschaft“). 32 W. C. Lehmann  : Einleitung, S. 28. 33 G.  Bryson  : Man and Society, p. 2. 34 G.  Streminger  : David Hume, S. 87. 35 G. Streminger  : ebd., S. 87, sagt über ihn auch  : „[…] sprunghaft in seiner Gelehrsamkeit, leicht begeisterungsfähig für phantastische Theorien, magisch angezogen von metaphysischen Fragen, ein nörgelnder Denker und ein schlechter Schreiber, ehemaliger Jakobit und weiterhin Freund von Jakobiten und betrunkenen Dichtern, Förderer des Theaters und des Ackerbaus […].“ – Das wohl härteste Urteil über Kames fällt Rahmatian in seiner Monographie  : „Aber er war anscheinend kein origineller Denker, war dominant und arrogant und veröffentlichte eine Menge Bücher von fragwürdiger Qualität, die nur zitiert werden sollten, um Eigenarten des Denkens zu demonstrieren und die wahren Genies der Schottischen Aufklärung wie Hume oder Smith in einem helleren Licht erstrahlen zu lassen.“ A. Rahmatian  : Lord Kames, p. VI (e. Ü.). 36 K.  G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 25. 37 A. Broadie nennt diesbezüglich Namen, und auf einige von ihnen werde ich noch zurückkommen  : “Among the leading protagonists of the Scottish Enlightenment were […] Thomas Reid […], Dugald Stewart […], William Robertson, Hugh Blair, Colin Maclaurin, James Watt, Joseph Black and James Hutton.” A. Broadie  : Introduction, p. 2.

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Aufklärung, und sie vereint, bei durchaus verschiedener Herangehensweise, das Ziel, die Gesellschaft und das Individuum aus historischen, ethischen, psychologischen, politischen, soziologischen, juristischen und eben ökonomischen Blickwinkeln zu beschreiben. Manche von ihnen entwickeln dabei bis dahin unbekannte Perspektiven und vollziehen damit den Schritt zu neuen Disziplinen, die sie auf diese Weise erschaffen. Dass mit Blick auf sie zurecht von der „Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie“ die Rede ist, gilt als eines der wesentlichen Kennzeichen der Schottischen Aufklärung.38 Von ihr lässt sich in thematischer Hinsicht als von einem charakteristischen geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Phänomen sprechen. Räumlich und zeitlich eng eingegrenzt ist dieses auf die schottischen Universitätsstädte Edinburgh und Glasgow im Zeitraum von etwa 1740 bis kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert. Allerdings geben solche Festlegungen dieser Epoche kaum mehr als einen groben Rahmen. Verbindlichkeit können sie nicht beanspruchen. Gelegentlich wird beispielsweise auch das akademische Umfeld der Universität von Aberdeen mit einbezogen.39 Zudem gibt es letztlich keinen allgemeinen Konsens in der Frage nach der zeitlichen oder inhaltlichen Eingrenzung dessen, was als Schottische Aufklärung bezeichnet werden könnte. Auch in vergleichsweise aktuellen Veröffentlichungen scheint häufig die Schwierigkeit durch, die es bereitet, für die Schottische Aufklärung einen Rahmen zu definieren, der auf inhaltlichen Kriterien beruht.40 So handelt es sich, während inhaltliche Kriterien immer wieder neu bewertet und abgewogen werden, um eine längst unveränderte Auswahl von Werken und ihrer Verfasser, die die Umrisse der Epoche abstecken.41 Ich selbst orientiere mich bei meiner Entscheidung an dem Rahmen, der sich durch eine Vielzahl von Einzelpublikationen während der vergangenen fünfzig Jahre letztlich stillschweigend wie von selbst ergeben hat. Leicht zu vertreten erscheint mir dieses Vorgehen schon insofern, als die Übergänge zu einem unmittelbaren ideengeschichtlichen Davor und Danach fließend sind und die schottischen Denker in einer langen Tradition stehen  ; die Debatten, die sie austrugen, haben weder plötzlich mit ihnen begonnen noch mit ihnen ein wirkliches Ende gefunden. Das ist auch der Grund, warum im Folgenden der Diskurs, dem ihre Schriften zugehören, sowohl eingehender zurückverfolgt als auch hinsichtlich seiner Implikationen betrachtet wird. Im Abschnitt 4 („Der ideengeschichtliche Vorlauf innerhalb des angelsächsischen Diskurses“) sollen in Form eines Überblicks einige notwendig 38 D. Brühlmeier  : Die Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie. Vgl. hier S. 29. 39 A. Broadie  : Introduction, p. 4. Aberdeen wird mitunter einbezogen, weil Thomas Reid dort wirkte. 40 C. J. Berry etwa spricht bezeichnenderweise von jener “group of thinkers standardly grouped as the Scottish Enlightenment”. Ders.: The Idea of Commercial Society in the Scottish Enlightenment, p. VI (Hervorh. HK). 41 Ob beispielsweise Francis Hutcheson als Vorläufer, Wegbereiter oder Teil der Schottischen Aufklärung anzusehen ist, hängt auch davon ab, wer als deren wesentliche Vertreter angesehen werden. Üblicherweise wird Hutchesons „wichtiger Einfluss“ auf Hume, Smith und Ferguson hervorgehoben –, und diese Formulierung deutet (nicht zuletzt in zeitlicher Hinsicht) eher auf eine Rolle außerhalb der eigentlichen Gruppe jener Denker hin, die im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen – eine Akzentsetzung, der die Auswahl der in dieser Untersuchung behandelten Werke Rechnung trägt.

Autoren, Werke und Themen der Schottischen Aufklärung |

erscheinende Ein- und Abgrenzungen vorgenommen und die wesentlichen Zusammenhänge herausgearbeitet werden. 3.3.2 Die schottische Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts als ‚Sonderfall‘ der Aufklärung

Es ist nicht zu bestreiten, dass die Hauptströmungen der Aufklärung nicht mit dem englischsprachigen Raum, sondern vorwiegend mit Frankreich, aber auch mit Ländern wie etwa Spanien und Deutschland in Verbindung gebracht wurden und immer noch werden. Immerhin jedoch behaupten sich im Blickfeld der Forschung seit einigen Jahrzehnten die Lehren, die im 18. Jahrhundert in Edinburgh und Glasgow gerade von den genannten Moralphilosophen formuliert wurden, dennoch als ein fester Theorienkomplex, der als ein eigenständiges Phänomen der Philosophie – insbesondere der Moralphilosophie – betrachtet und von der Forschung weitgehend als solches untersucht wird.42 Um jedoch der tatsächlichen Vielfalt des schottischen Geisteslebens in der oben abgegrenzten Zeitspanne gerecht zu werden und die wechselseitig wirkenden Einflüsse darzustellen, ist auch eine Reihe weiterer Gelehrter einzubeziehen, die an den schottischen Universitäten und in deren Umfeld gewirkt haben. Sie waren keineswegs nur Philosophen  ; vielmehr gehörten zu der Gruppe auch Philologen und Naturforscher.43 Deren Schriften und Erkenntnisse lassen sich ebenfalls dem Kanon der neuzeitlichen westlichen Philosophie und Wissenschaften zuordnen und zu zeitgleichen Richtungen des Denkens auf dem europäischen Kontinent in Beziehung setzen. Ihre Namen werden deshalb in dieser Untersuchung, auch wenn sie deren eigentliche Thematik oftmals nur am Rand berühren, dann und wann fallen. Gelegentlich ist von einem „schottischen Sonderfall“ der Aufklärung die Rede. Das erscheint aus zwei Gründen berechtigt. Der erste liegt in der charakteristischen personellen Konstellation, nämlich im unmittelbaren und zumeist auch freundschaftlichen Kontakt, der diese Gelehrten eng miteinander verband. Ein gewissermaßen institutioneller Rahmen ergab sich für das gesellschaftliche Leben der Universitätsstädte Edinburgh und Glasgow mit den Clubs, denen, ähnlich den Salons in Frankreich, die Funktion von Kommunikationszirkeln zukam, zu denen sich die geistige Elite des Landes zusammenfand.44 Und fraglos haben an dieser Ausprägung einer Kommunikationskultur der

42 Zur Auseinandersetzung mit der Schottischen Aufklärung in der Wissenschaft siehe den Abschnitt 3.4 („Zur Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung“). 43 Siehe dazu die Überblicksdarstellungen von Brühlmeier/Holzhey/Mudroch (Hrsg.)  : Schottische Aufklärung. „A Hotbed of Genius“, von A. Broadie (ed.)  : The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment, oder von Daiches/Jones/Jones (ed.)  : A Hotbed of Genius  : The Scottish Enlightenment. 44 Am Beispiel der Select Society von Edinburgh veranschaulicht dies die Untersuchung von I. Fleßenkämper  : Considerations – Encouragements – Improvements.

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Aufschwung und die Besonderheiten des schottischen Bildungswesens jener Zeit ihren Anteil.45 Weniger herausgestellt wird in der Literatur der zweite Grund für den Aufschwung des geistigen Lebens in Schottland im 18. Jahrhundert. Er besteht in dem sehr wesentlichen Gesichtspunkt, dass auf dieses fruchtbare intellektuelle Nebeneinander die starken Einflüsse führender Vertreter unterschiedlicher, ja eigentlich sämtlicher praktizierten Wissenschaften gleichzeitig einwirkten und die Mitglieder der Gruppe sich ohne räumliche Trennung gegenseitig inspirieren konnten – neben der Moralphilosophie wurden hier die Philologie, die Mathematik, die Naturwissenschaften, die Medizin, die Theologie, die Architektur sowie die Literatur- und Kunstwissenschaft auf der oftmals höchsten Entwicklungsstufe ihrer Zeit betrieben.46 Gerade die Interdependenzen, die sich aus dieser Konstellation entwickeln konnten, sind der eigentliche „schottische Sonderfall“. All dies findet seinen Niederschlag in der Weitung des klassischen Themen- und Fragespektrums der bisherigen Moralphilosophie, das zur Schaffung neuer Disziplinen – eben der sozialwissenschaftlichen – aus der verstärkt auf empirische Grundlagen zurückgreifenden Vorgehensweise einer angestrebten science of man führt. Der Austausch von Meinungen und Erkenntnissen, der unter den schottischen Gelehrten im 18. Jahrhundert stattfindet, schafft eine Dynamik, die von den Zeitgenossen als intellektuelles Treibhausklima (hot-bed of genius) beschrieben wird.47 Vor diesem Hintergrund ist das, was als Schottische Aufklärung bezeichnet wird, eine frühe Form eines Braintrusts  : nämlich eine Gruppe von Experten, Entscheidungsträgern und eigenständigen Denkern, die alle akademischen Fächer umfasst, aber auch Vertreter der Kirchen, Politiker, Juristen und nicht zuletzt jene Praktiker48, denen es gelingt, naturwissenschaftliche Erkenntnisse in technische Anwendungen umzusetzen. Auf die Folgen, die sich daraus für den zivilisatorischen Fortschritt des ganzen Landes ergeben, gehe ich an anderer Stelle ausführlicher ein.49 J. Brewer hat eingeworfen, dass es einen „provinzialisierenden Effekt“50 habe, wenn die Besonderheiten der in Edinburgh (und Glasgow) herrschenden Umstände allzu stark in den Vordergrund gerückt würden. Dabei stellt sich lediglich die Frage, worauf das Augenmerk gerichtet wird  : auf die Gemeinsamkeiten, die das Denken der Schotten mit 45 Einen Eindruck vermitteln K. G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 20–23, sowie J. Buchan  : Crowded with Genius, pp. 15–16. 46 Es wäre dies, am Rande bemerkt, ein Feld wie geschaffen für die Methode der Konstellationsforschung. 47 T.  Smollett  : Humphrey Clinkers denkwürdige Reise, S. 342  : „Edinburgh ist ein Treibhaus für Genies.“ 48 Einer von ihnen ist beispielsweise James Watt, dem es gelingt, mit seinem Kompagnon M. Bolton die Dampfmaschine technisch entscheidend weiterzuentwickeln. (O. Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 231 und 234.) Dass ihm dies mithilfe eines Rückkopplungsmechanismus gelingt, ist insofern von Bedeutung, als darin eine Verbindung zum mit Watt befreundeten Adam Smith besteht, dessen Mechanismus des Marktes sich ebenfalls als ein Rückkopplungssystem auffassen lässt. Siehe den Abschnitt 13.3 („Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems“). 49 Siehe den Abschnitt 5.5.1 („Das Naturverständnis im Rahmen der Interaktion zwischen den Wissenschaften“). 50 J. Brewer  : Der Bruch mit der Vergangenheit, S. 499.

Autoren, Werke und Themen der Schottischen Aufklärung |

demjenigen der Aufklärung auch in anderen europäischen Staaten aufwies, oder darauf, was es davon infolge der besonderen Bedingungen gerade unterschied. Die Perspektive dieser Untersuchung ist, dem bisher Gesagten zufolge wenig überraschend, die letztere. 3.3.3 Überlegungen zur Theorie  : ‘Experimental Method – Moral Subjects’

Eine besondere Bedeutung der Schottischen Aufklärung liegt darin, dass durch sie ein wesentlicher Beitrag dazu geleistet wurde, aus der Moralphilosophie heraus eine science of man zu entwickeln und damit die gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen geradezu entstehen zu lassen. Daneben aber ist auch das enorm weite gedankliche Spektrum kennzeichnend, das der Begriff der Schottischen Aufklärung umfasst. Der Blick auf den gut dokumentierten, weit gefächerten akademischen Kontext etwa in Edinburgh verbietet, wie erwähnt, geradezu ihre Einengung allein auf die Geisteswissenschaften (in der heutigen Bedeutung dieses Begriffs). Vielmehr rückt insbesondere der Bezug von und die Beziehung zu den vordrängenden Naturwissenschaften in den Vordergrund. Das enge Nebeneinander von Geistes- und Naturwissenschaften – moral und natural philosophy – war, vor allem in methodischer Hinsicht, für Erstere durchaus bereichernd. Dennoch kam es aufgrund unterschiedlicher Grundausrichtungen auch zu kaum erklärlichen Fehlschlägen. So zeigt sich am Beispiel der geologischen Theorie James Huttons, welch wertvolle Erkenntnismöglichkeiten sich aus dem disziplinübergreifenden Kontext für den Horizont der schottischen Moralphilosophie hätten ergeben können, die diese jedoch nicht aufgriff und ungenutzt ließ.51 Die Schottische Aufklärung lässt sich dennoch auch als eine Strömung verstehen, die gegen das im 18. Jahrhundert bereits manifeste Auseinanderdriften von (Moral-)Philosophie und den Naturwissenschaften gerichtet ist. Sie ist in dieser Hinsicht integrativ. Überlegungen zur Methode waren ein stets bestimmender Teil des Gesamtbildes. Humes programmatischer Subtitel seines Treatise hatte gelautet  : “Being An Attempt to introduce the experimental Method of Reasoning into Moral Subjects”. Angesprochen wird damit ein Thema, mit dem die Wissenschaftstheorie sich seit der wissenschaftlichen Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts durchgehend beschäftigt, nämlich, „wie genau das Verhältnis zwischen Philosophie und Wissenschaft beschaffen ist oder beschaffen sein sollte“.52

51 Zum „Fall Hutton“ siehe den Abschnitt 5.5.1.2 („James Hutton und der fehlgeschlagene Wissenstransfer“). 52 J.  Nida-Rümelin  : Über menschliche Freiheit, S. 16, wählt diese Formulierung im Zusammenhang mit der Analytischen Philosophie. In Wirklichkeit war diese Problematik bereits im Zug der wissenschaftlichen Revolution des 16. und 17. Jahrhunderts thematisiert und spätestens von Francis Bacon hinsichtlich ihrer methodischen Tragweite programmatisch behandelt worden  ; über diesen gelangte sie ins Denken auch der Schottischen Aufklärung, wo es besonders Hume war, der sich immer wieder ausdrücklich gegen spekulative Erklärungsansätze in der Metaphysik wandte. Siehe die Abschnitte 5.1.3 („Naturauffassung und Zuversicht“) sowie 5.1.4 („‘Natural and moral subjects’ – die Gegenstände der zwei ‚Philosophien‘“).

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Klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang der Begriff experimental, da sich dessen Bedeutung seit dem 18. Jahrhundert signifikant verschoben hat. Wenn heute von einem „Experiment“ gesprochen wird, so ist damit in der Regel ein gezielter wissenschaftlicher, deutlicher noch  : naturwissenschaftlicher53 Versuch gemeint, dessen Voraussetzungen definiert und bei dem das Erkenntnisinteresse reflektiert ist, das seiner Durchführung zugrunde gelegen hat. Diese Bedeutungsverschiebung betrifft das Englische ebenso wie das Deutsche, es liegt also keine Inkongruenz hinsichtlich der beiden Sprachen vor, sondern eine Bedeutungsverschiebung im Lauf der Zeit. Das seither durch den naturwissenschaftlichen Blickwinkel geprägte Begriffsverständnis war seinerzeit noch ein wesentlich neutraleres. Es ging ganz allgemein um das Herausfinden von etwas, gegebenenfalls auch ohne systematische Herangehensweise und ohne exakt definierte Bedingungen.54 Dass die Schottische Aufklärung mittlerweile ein gebräuchlicher „Begriff“ ist, mag zu der Schlussfolgerung verleiten, es handle sich dabei um eine einheitliche „Schule“. Doch diese Untersuchung will differenzieren, nicht generalisieren, und so steht diese Annahme zunächst infrage.55 Selbstverständlich dachten die genannten Autoren vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Zeitgeists und waren, wenn nicht mit denselben, so doch zumindest mit nahe verwandten Fragestellungen befasst. Wichtiger jedoch ist ihr Ausgehen vom selben Grundverständnis, etwa über Aspekte der „menschlichen Natur“ oder über bestimmte erkenntnistheoretische Prämissen, die sie ihren Analysen der Gesellschaft zugrunde legten. Auch beriefen sie sich zumeist auf dieselben vorausgehenden Denktraditionen. Aus diesen zogen sie jedoch keineswegs immer gleichlautende Schlussfolgerungen, und so waren sie viel mehr, jeder für sich, das, was man heute als schulbildend bezeichnet.56 Damit ist die bereits erwähnte Tendenz zu einem Auseinanderdriften angedeutet. Das mag überraschen und liegt auf einen ersten, flüchtigen Blick insofern keineswegs so nahe, als diese Autoren ja alle Teilnehmer am selben moralphilosophischen Diskurs waren. Dieser soll, skizzenhaft, ab seiner ersten grundlegenden Zäsur in der Neuzeit – dem Denken von Francis Bacon und Thomas Hobbes – verfolgt werden, wobei dies nicht in dem Bewusstsein geschieht, es wäre hier etwas auszumachen, das man als wirklichen „Ausgangspunkt“ ansehen könnte. 53 Dass die Sozialwissenschaften gleichfalls von „Experimenten“ sprechen, steht dazu nicht im Widerspruch, denn methodisch orientieren sie sich dabei ja grundsätzlich an den Naturwissenschaften. 54 Johnson’s Dictionary erklärt den Begriff “experiment” noch in der Auflage von 1799 folgendermaßen  : “Trial of any thing  ; something done in order to discover an uncertain or unknown effect.” 55 H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1977), p. 372, stellt die möglichen Sichtweisen auf die Schottische Aufklärung gegenüber. Er selbst hält sie für “defined by certain distinctive ideas, which could be isolated and defined”, weist aber gleichzeitig auf die „Edinburgher Sichtweise“ hin, dass “the Enlightenment was not characterised by particular ideas but by a particular time.” 56 Wenn hier von der Schottischen Aufklärung als „schulbildend“ die Rede ist, soll dies keine Nähe zur „Schottischen Schule“ der Common-Sense-Philosophie nahelegen. Diese geht auf Thomas Reid zurück und richtet sich gegen zentrale Aspekte insbesondere der als skeptisch verstandenen Philosophie Humes. – Zur Problematik der Nomenklatur siehe G. Bryson  : Man and Society, pp. 10–11.

Zur Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung |

3.3.4 Zusammenfassung

Der Begriff „Schottische Aufklärung“ ist, um es zu rekapitulieren, lediglich im Sinn einer Umschreibung für einen eng umrissenen räumlichen, zeitlichen und inhaltlichen Kontext zu verstehen, der jene Denker – unbestreitbar auch ein wenig willkürlich – zu der Gruppe vereinigt, die sich in den letzten beiden Dritteln des 18. Jahrhunderts in Glasgow und vor allem in Edinburgh mit moralphilosophischen Fragestellungen befasst haben. Im Blickpunkt stehen Hume, Smith und Ferguson nicht zuletzt deshalb, weil von ihnen die bis heute vorrangig rezipierten Hauptwerke stammen. Weitere Denker, die zu ihren Lebzeiten einigen Einfluss hatten, finden mittlerweile aber, zumal in Deutschland, nur noch wenig Aufmerksamkeit. Doch sie alle eint, dass sie einer zentralen Frage ihrer Zeit nachgehen  : was das sei, der Mensch – was er als Individuum sei und im Zusammenleben mit seinesgleichen, was seine „Natur“ sei und zu was diese seine Natur ihn einerseits befähige, andererseits verpflichte und vielleicht auch verführe. Dass die von ihnen dabei eingenommenen Perspektiven sich voneinander unterscheiden – erkenntnistheoretisch, psychologisch, soziologisch, sozialpsychologisch, ökonomisch und natürlich politisch –, das bildet sich in den Ergebnissen, zu denen sie gelangt sind, ebenso ab wie gerade in den prognostischen Implikationen ihrer Darlegungen, die das Thema dieser Untersuchung sind. Bei diesen Prognosen handelt es sich in den allermeisten Fällen um einen lediglich impliziten Bestandteil ihrer Schriften, kaum einmal finden sie sich darin einmal ausdrücklich als solche formuliert. Das legt für die Untersuchung eine bestimmte Blickrichtung nahe  : Sie geht aus von den Vorannahmen, die die genannten Autoren getroffen haben – und die nicht selten stillschweigende, auch dem Zeitgeist verpflichtete waren –, und sie gelangt über deren Bewertungen und Einordnungen des von ihnen herangezogenen empirischen beziehungsweise des tradierten Materials zuletzt zu den Zukunftserwartungen, die in ihren Texten zum Ausdruck kommen.

3.4 Zur Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung

Es zeigt sich, dass man die Schottische Aufklärung besser versteht, wenn man die Anstrengungen rekapituliert, die unternommen wurden, sie besser zu verstehen. Will man darlegen, welche Entwicklung die Erforschung der Schottischen Aufklärung genommen hat, steht man vor einer Problematik, die so einzigartig ist wie der betrachtete Gegenstand selbst. Dieser Gegenstand nämlich war gewissermaßen nicht von vorn herein vorhanden, sondern er erhielt seinen Namen – eben „Schottische Aufklärung“ – erst im Nachhinein im Zug der Auseinandersetzung mit den Texten von Hume, Smith, Ferguson und der anderen bereits erwähnten Denker ihres Umfelds. Das charakteristische Themenspektrum, das diese Autoren verbunden hat, wurde erst nach und nach zu einem ausdrücklichen Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung. Weitgehend unstrittig war es zwar, wer als die bedeutendsten Denker des damaligen Schottlands zu gelten hatten, doch

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waren diese, vordergründig betrachtet, auf verschiedenen Gebieten tätig. Was sie auf den ersten Blick verband, waren räumliche und zeitliche Übereinstimmungen  ; erst der zweite Blick offenbarte – allerdings einige Jahrzehnte später – ihre gemeinsame Beteiligung am Projekt einer science of man als dem eigentlichen gruppenbildenden Element.57 Als das auffällige einende Phänomen versteht man heute, wenn auch etwas unscharf, die Herausbildung des übergreifenden Forschungsfelds der Sozialwissenschaften. Es folgt nun eine Übersicht der jüngeren Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung. Sie weist insofern Besonderheiten auf, als die wissenschaftliche Annäherung an die Werke wegen deren disziplinübergreifender Gesamtcharakteristik aus verschiedenen Richtungen und auf ganz unterschiedliche Weise vorankam. Jede Disziplin befragt die Texte ja zunächst entsprechend ihrem eigenen Erkenntnisinteresse – so erhoffen sich die Soziologie oder Geschichtswissenschaft Einblicke von anderer Art als etwa die Wirtschaftswissenschaften. Es gibt folglich eine Erforschungsgeschichte, die durch die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen vorgezeichnet wird. Daneben sehen wir uns einer solchen – und ganz anderen – gegenüber, die sich der Bearbeitung bestimmter Themen widmet, also Fragestellungen bearbeitet, die im Lauf der Zeit als charakteristisch für den Gegenstand angesehen wurden  : Welche Bedeutung kommt beispielsweise den Stadien-Modellen der Zivilisationsgeschichte zu, welche Rolle wird einem zentralen Aspekt wie der Arbeitsteilung zuerkannt, welchen Einfluss auf das Denken der schottischen Moralphilosophie hatten sowohl zeittypische als auch neu aufgekommene Fragen wie die nach dem moral sense, einem ursprünglichen Vertrag oder dem Selbstregulierungspotenzial der bürgerlichen Handelsgesellschaft  ? Jedenfalls lässt die Erforschung der Schottischen Aufklärung eine charakteristische Struktur erkennen, und entsprechend dieser soll ihre Geschichte nachgezeichnet werden. Drei Aspekte können dabei unterschieden werden  : – Unterscheiden lassen sich jene Annäherungen, die durch die Disziplinen vorgegeben wurden, in die sich die schottische Moralphilosophie nach ihrer Blüte im 18. Jahrhundert tendenziell aufgegliedert hat, von jenen, die sich aus der Thematik der Texte selbst heraus aufgedrängt haben.58 – Sodann gibt es seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine Tradition, die sich der Schottischen Aufklärung als einem eigenständigen Phänomen widmet, also die Aspekte herauszuarbeiten sucht, die die Autoren und ihre Themen zu einem geschlossenen Ganzen macht.59 – Und zuletzt ist auf den vielleicht größten Teil der Publikationen einzugehen, der von den einzelnen Autoren und ihren Werken ausgehend die Schottische Aufklärung somit eher mittelbar, im Sinn eines Hintergrunds, behandelt.60 57 Siehe hierzu ausführlich A. Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit. 58 Von dieser Unterscheidung geht der Abschnitt 3.4.1 („Erforschung der Schottischen Aufklärung, ausgehend von Disziplinen und Themen“) aus. 59 Dies ist Gegenstand des Abschnitts 3.4.2 („Erforschung der Schottischen Aufklärung im Sinn einer Gesamtheit“). 60 Siehe den Abschnitt 3.4.3 („Erforschung der Schottischen Aufklärung, ausgehend von ihren Autoren“).

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3.4.1 Erforschung der Schottischen Aufklärung, ausgehend von Disziplinen und Themen

Die explizite Prägung des Begriffs „Schottische Aufklärung“ fällt ins 20. Jahrhundert. Vorausgegangen war dem Anheften dieses Etiketts zunächst etwas, das man am treffendsten als „Vorstufe ihrer Erforschung“ bezeichnet. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Denker in Gesamtdarstellungen behandelt wurden, deren Gegenstand eben nicht die Schottische Aufklärung gemäß dem heutigem Verständnis war, sondern vielmehr die allgemeiner gefasste britische Geistesgeschichte, in die die miteinander in mehr oder weniger lockerer inhaltlicher Verbindung stehenden schottischen Autoren stillschweigend mit aufgenommen wurden. Nach der Mitte des 20. Jahrhunderts taucht dann ein Problem auf, das in der – wie ich es nennen möchte – nachträglichen „Identitätsfindung der Schottischen Aufklärung“ seinen Ausdruck findet. Bereits H. Trevor-Roper hatte es 1977 zurecht nicht ausgereicht, dass es die in Frage kommenden Denker lediglich verbinden sollte, zum einen Moralphilosophen und zum andern Zeitgenossen und eben Schotten gewesen zu sein. Er betonte, „dass Schottland im späten 18. Jahrhundert und auf bestimmten Gebieten etwas Originelles zu bieten“ gehabt habe und dass es die Aufgabe sein müsse, „diese Felder zu isolieren und einen Grund für ihre plötzliche Fruchtbarkeit anzugeben“.61 Damit formulierte er das Programm für die „Wiederentdeckung der Schottischen Aufklärung“, von der bereits die Rede war. Die Umsetzung dieses Programms hat zu dem geführt, was die derzeitige Forschungssituation und die sich aus ihr ergebende Literaturlage kennzeichnet  : Nachdem in einem ersten Schritt das Einende benannt war – die schottische Moralphilosophie, die mittels einer neuen Methodik einen ebenso neuen Gegenstand schuf, eben eine science of man –, wurde dieses gemeinsame Ganze in einem gegenläufigen Prozess einer thematischen Autopsie unterzogen. Detailfragen wurden nun gestellt, das große Ganze wurde in Untergruppen – man kann sagen  : in Disziplinen – aufgegliedert und isoliert untersucht. Es ging dabei um Ein- und Zuordnungen, um Kontexte, Abgrenzungen und Datierungen. War die erste Phase der Erforschung der Schottischen Aufklärung durch den Blick aus der Distanz gekennzeichnet, widmete man sich mittlerweile vorrangig speziellen Problemstellungen, was insgesamt dazu führte, dass der Gegenstand deutlich an Kontur gewonnen hat. Mehrere Themen- und Entwicklungslinien durchziehen das Denken der Schottischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts. Ein grober Überblick zeigt das Folgende. – Unter diesen Themenlinien steht seit langem jene im Vordergrund, die die Gesellschaft aus dem Blickwinkel der Politischen Ökonomie betrachtet. – Aus diesem Umstand leitet sich her, dass in einer großen Anzahl von Aufsätzen der Einfluss der schottischen Denker auf volkswirtschaftliche Theorien untersucht wird. Das ist Ausdruck einer Entwicklung, die sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Marx’ und Engels’ Auseinandersetzung vor allem mit Smiths Wealth of Nations und mit Fergusons Analyse der bürgerlichen Gesellschaft abzuzeichnen begann. 61 H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1977), pp. 372–373 (e. Ü.).

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– Die zweite Themenlinie, die von den schottischen Denkern parallel zur ersten, ökonomischen verfolgt wurde, ist die historische. – Es geht um das Projekt einer Geschichte der Zivilisation. Dieser Prozess wird in der Regel als verknüpft mit den Wirtschaftsformen früherer Gesellschaftszustände aufgefasst, die üblicherweise als „Stadien“ beschrieben werden. Was diese Entwicklung der menschlichen Zivilisation von ihrer frühesten Stufe der Sammler- und Jägerkulturen über die Stadien der Viehzucht und sodann des Ackerbaus hin zur zeitgenössischen Handelsgesellschaft vorangetrieben habe, sei das Faktum einer fortgesetzten Arbeitsteilung gewesen. Dieser Grundgedanke war bei sämtlichen Autoren bestimmend, die von der Moralphilosophie her kamen. Die Forschung hat sich eingehend damit auseinandergesetzt, mit welchem Nachdruck sie auf solche Stadienmodelle insistierten und worauf sie ihre jeweilige Argumentation stützten. Es entfällt also auf die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Schottischen Aufklärung und auf die Vorstellung, die diese von der Geschichte hatte, ein weiterer Hauptanteil. – Zum Dritten lässt sich deutlich erkennen, dass es sich bei diesem hier als historisch bezeichneten Zugriff um mehr handeln musste als um die Erhebung bloßer geschichtlicher Fakten. Vielmehr ging dieser Ansatz fließend in eine Untersuchung der Machtstrukturen über, die sich zwischen den Gruppen der Individuen und somit innerhalb der Gemeinwesen ausmachen ließen. Daraus entwickelte sich – ohne zunächst als solche herausgestellt zu werden – jene Perspektive auf die Gesellschaft, die heute als eine soziologische bezeichnet wird. – So erklärt sich das große Interesse der späteren Disziplin der Soziologie an den Schriften der schottischen Denker, und dieses hat bis heute keineswegs nachgelassen. – Eine weitere Themenlinie innerhalb der Schottischen Aufklärung beschäftigte sich mit dem Staatsrecht. – Sie manifestiert sich in der allmählichen Abkehr von dem auf eine naturrechtliche Argumentation gestützten vorausgehenden Diskurs, für den die Schriften von Hobbes, Grotius, Pufendorf und Locke maßgeblich waren. Am Ende dieses Prozesses war die Legitimation des Staates eine andere als zuvor  ; er gründete nicht mehr auf dem Naturrecht, sondern auf den Interessen der ihn konstituierenden Individuen – ein Sachverhalt, auf den sich die Forschung ebenfalls gezielt konzentriert hat. Dabei stellte sich die Frage, ob die Entfaltung dieser Interessen einer Kontrollinstanz bedürfe oder ob sich aus ihr heraus im Sinn von unintendierten Folgen individueller Handlungen eine Ordnung auch spontan ergeben könne. In einem engen Zusammenhang damit steht die Auseinandersetzung mit der Idee sich selbst regelnder Systeme, wie sie etwa in Smiths Schlagwort von der „unsichtbaren Hand“ anklingt. Eine Beschäftigung mit dieser Problematik findet in der Forschung zwar ebenfalls statt, jedoch geschieht dies in einem geringeren Umfang. – Einen fünften Themenschwerpunkt setzten jene Probleme, die seit jeher zu den zentralen Gegenständen der Philosophie zählen, nämlich das Ergründen der den Menschen in seinem Innern bewegenden Kräfte. Die Rede ist von den Antrieben und Mechanismen, mit deren Hilfe Akteure in der Lage sind, ihr Verhalten zu kontrollieren und es

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an die Erfordernisse gesellschaftlicher Interaktion anzupassen sowie auf diese Weise ihrer Umwelt mit dem Ziel gegenüberzutreten, absichtsvoll zu handeln, also auf eine Zukunft hin, die ihnen nicht unmittelbar verfügbar ist. Dieser Ansatz ist ein psychologischer, der auf erkenntnistheoretischen Voraussetzungen aufbaut, denn es geht dabei letztlich um die innere von Affekten begleitete verstandesmäßige Organisation dessen, was an Signalen aus der Umwelt empfangen wird. Die ohne Zweifel wichtigsten zeitgenössischen Werke in diesem Zusammenhang sind Humes Treatise, seine Enquiry concerning Human Understanding sowie Smiths Theory of Moral Sentiments. Für die Psychologie und die modernen Neurowissenschaften wäre eine Auseinandersetzung mit den darin enthaltenen Theorien allerdings wohl nur noch von historischem Interesse, und das erklärt, warum die Erforschung auf diesem Gebiet stark rückläufig ist. – Zuletzt, aber keineswegs nur am Rand, hat die Schottische Aufklärung wesentliche Beiträge zum westlichen politischen Denken geliefert. Diese haben sich unter anderem sehr deutlich in den sich konstituierenden Vereinigten Staaten von Amerika niedergeschlagen, wie sich anhand der Federalist Papers nachvollziehen lässt. Politik, die als Handeln in die Zukunft hinein zu verstehen ist, muss ihre Orientierungen und Maßstäbe letztlich aus all den vorgenannten Gebieten beziehen. In diesem Sinn ist sie auch disziplinübergreifend, und dadurch ist sie ein gewissermaßen impliziter Forschungsgegenstand selbst dann, wenn sie als solcher nicht eigens ausgewiesen wird. Das war sie sowohl für die schottischen Denker als auch für jene, die sich mit ihren Theorien auseinandersetzten. Allerdings gibt es auch auf diesem Gebiet ein eher nachgeordnet behandeltes Nebenthema. Dieses besteht darin, dass ein Handeln in die Zukunft auf der Grundlage von Voraussicht beruht und Voraussehbarkeit anstrebt  ; und der wesentliche Antrieb zu diesem Handeln liegt nicht, wie zumeist angenommen, in der Vernunft, sondern in der Zuversicht der Akteure. Wenn man es so betrachtet, klafft in der Erforschung der Schottischen Aufklärung derzeit eine Lücke, die keine der vorgenannten Disziplinen zu schließen versucht. Es darf bei all dem nicht übergangen werden, dass sich von der Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung auch ein ganz anderes Bild entwerfen ließe. Ein solches hat J. Moore in seiner Arbeit The Two Systems of Francis Hutcheson  : On the Origins of the Scottish Enlightenment62 gezeichnet und dabei zwischen einer Reihe von Sichtweisen der Wissenschaft unterschieden. Da sein Gliederungsansatz eine Systematik ins Spiel bringt, die von der vorangehend dargestellten grundlegend abweicht, diese allerdings ergänzt, soll er nachfolgend skizziert werden  : – Moore erwähnt zunächst das marxistische Verständnis, das die Anwendung der VierStadien-Theorie durch die schottischen Denker auf „ihr gemeinsames Bewusstsein ge-

62 J. Moore  : The Two Systems of Francis Hutcheson, pp. 37–38 (e. Ü.). Hier finden sich die nachfolgenden fünf Forschungsschwerpunkte mit den angeführten Zitaten.

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genüber den grundsätzlichen Veränderungen der Produktionsweisen […] in Schottland“ zurückführt. – Dem stellt er die Perspektive von D. Forbes63 gegenüber  ; sie hebt das „Aufkommen eines skeptischen Verständnisses der Kräfte des gesellschaftlichen Wandels“ hervor und erkennt in einer „Wertschätzung der unbeabsichtigten Folgen der Handlungen von Individuen, Institutionen und Regierungen“ das Unterscheidungsmerkmal der schottischen Aufklärung gegenüber den „rationalistischen Idealen der Aufklärung in Frankreich“. – H. Trevor-Roper betonte in einem weiteren Erklärungsansatz, auf den nachfolgend noch einzugehen sein wird,64 den Einfluss humanistischer Lehren, der „zu neuen Idealen von Bürgerschaft und Erfüllung“ geführt habe. – Neben dieser Bedeutung des humanistischen Einflusses rücken das entwickelte Bildungswesen in Schottland und die Entstehung einer lebendigen Lese- und Bildungskultur in den Vordergrund, die sich mit dem Zurückweichen der klerikalen Dominanz des öffentlichen Lebens in Clubs und Diskussionszirkeln den neuen Gedanken zuwendet und den Diskurs in Gang hält.65 – I. Hont und M. Ignatieff schließlich stellen dem humanistischen Einfluss jenen durch die Naturrechtstradition gegenüber, die an den schottischen Universitäten im 18. Jahrhundert gelehrt wurde und der große Bedeutung zukam.66 Auf die von Moore ebenfalls ins Feld geführten Sichtweisen nationalistisch gesinnter schottischer Wissenschaftler auf die Schottische Aufklärung soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Aus dieser Gegenüberstellung der unterschiedlichen Zugriffsrichtungen wird ersichtlich, dass die Auseinandersetzung mit der Schottischen Aufklärung sowohl getrennt nach Fächern (Ökonomie, Geschichte, Soziologie, Psychologie, Philosophie, Politikwissenschaft) als auch getrennt nach inhaltlichen Kriterien (Bewusstsein für ökonomischen oder gesellschaftlichen Wandel, geistige Einflüsse, kultureller Wandel, ideengeschichtliche Neuausrichtung) erfolgte – und nach wie vor erfolgt.

63 D. Forbes  : Natural Law and the Scottish Enlightenment, pp. 186–204. 64 H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1967). Siehe Näheres hierzu S. 92. 65 Moore erwähnt in diesem Zusammenhang die Arbeiten von N. Phillipson, die allerdings älteren Datums sind. Neuer und versehen mit erschöpfenden Literaturangaben ist die Analyse einer typischen schottischen Gelehrtengesellschaft, der Select Society, die von 1754 bis 1764 in Edinburgh bestand, von I. Fleßenkämper  : Considerations–Encouragements–Improvements. Siehe hierzu auch P. Jones  : The Scottish professoriate and the polite academy, 1720–46. 66 I. Hont / M. Ignatieff (ed.)  : Wealth and Virtue. – Siehe auch I. Hont  : Jealousy of Trade, darin insbesondere das Kapitel 1, “The Language of Sociability and Commerce  : Samuel Pufendorf and the Theoretical Foundations of the ‘Four Stages’ Theory”, pp. 159–184.

Zur Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung |

3.4.2 Erforschung der Schottischen Aufklärung im Sinn einer Gesamtheit

Als eingeführter Begriff etabliert sich die „Schottische Aufklärung“ in der europäischen Geistesgeschichte erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Ursprünglich dürfte dieser Terminus auf W. R. Scott zurückgehen, der ihn im Zusammenhang mit einer Monographie über Francis Hutcheson verwendet, wenngleich nicht eingehender erläutert hat.67 Wenige Jahrzehnte zuvor hatte der in Princeton lehrende Schotte J. McCosh unter dem Titel The Scottish Philosophy bereits eine Gesamtschau des schottischen Geisteslebens von der Mitte des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unternommen,68 in der sich weite Teile mit jenen Denkern befassen, von denen die vorliegende Untersuchung handelt. Zwar setzt sich dieses Werk mit einer Vielzahl von Personen auseinander, die alle mit dem, was später unter Schottischer Aufklärung verstanden werden sollte, in einer Verbindung stehen, doch leidet es unter gewissen konzeptionellen Mängeln, die seinen Nutzen einschränken. Nämlich grenzt es die Epoche durch die Auswahl der behandelten Personen zeitlich nur unzureichend ein und geht auch in der Frage der Einbeziehung der Fachgebiete nicht systematisch vor – so würdigt es einerseits einen Naturwissenschaftler wie James Hutton mit einem eigenen Kapitel, übergeht andererseits aber so bedeutende Persönlichkeiten wie den Chemiker Joseph Black oder den Smith-Schüler John Millar, der durchaus dem inneren Kreis der Schottischen Aufklärung zugerechnet werden muss. Etwas vage bewertet McCosh selbst seine materialreiche Arbeit als einen Beitrag zu einer “History of Thought”,69 und tatsächlich hat sie eher den Wert einer ergiebigen Fundgrube als den eines wirklichen geistesgeschichtlichen Grundlagenwerks. Der inhaltliche Nenner ist wohl einfach der, schottische Geistesgrößen zu versammeln. Auf die schottische Philosophie oder auf das aufklärerische Denken im engeren Sinn jedenfalls beschränkt sich ihr Inhalt keineswegs. Die Schriften von Hume und Smith waren schon bald nach ihrem Erscheinen Gegenstand sowohl kritischer Auseinandersetzung als auch bewundernder Reminiszenz  ; so spricht P. Wood in einem Aufsatz Dugald Stewart – im späten 18. Jahrhundert erster Smith-Biograph70 – sogar das Verdienst der „Erfindung der Schottischen Aufklärung“ 67 Dieser Hinweis findet sich bei A. Broadie  : Introduction, p. 3. Broadie verweist auf  : W. R. Scott  : Francis Hutcheson  : His Life, Teaching and Position in the History of Philosophy, p. 265. – J. Buchan  : Crowded with Genius, p. 413, n. 3, schreibt zur Frage der Einführung des Begriffs „Schottische Aufklärung“  : “As far as I can tell, the word ‘Enlightenment’ is applied to Scotland and this era for the first time in William Robert Scott’s Francis Hutcheson  : His Life, Teaching and Position in the History of Philosophy (Cambridge, 1900), p. 257. John Buchan used the German term ‘Aufklärung’ in 1908  : Eighteenth Century Byways (see Prologue, n. 2), p. 157.” 68 J.  McCosh  : The Scottish Philosophy. Das Buch scheint heutzutage kaum noch beachtet zu werden. Die inhaltlichen Gewichtungen sind eigenwillig  : Ausführlich behandelt werden insbesondere der Nicht-Schotte Shaftesbury sowie Hutcheson und Hume  ; auf Reid und Stewart entfällt gegenüber Smith, Ferguson oder Lord Kames ein Mehrfaches an Textumfang. 69 J.  McCosh  : The Scottish Philosophy, p. IV. 70 D.  Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith.

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zu.71 Die übrigen Vertreter der Gruppe wurden jedoch zumeist erst im 20. Jahrhundert „wiederentdeckt“, was soviel bedeutet wie  : in ihrer Bedeutung neu bewertet. Gleichwohl finden auch sie im Rahmen von älteren Gesamtdarstellungen des britischen Geisteslebens im 18. Jahrhundert ihren Platz. Auf diese Werke im Detail einzugehen ist hier nicht der geeignete Ort, doch hervorgehoben werden kann neben McCoshs Arbeit wegen ihrer zum Teil sehr pointierten Aussagen L. Stephens History of English Thought in the Eighteenth Century. Dieses Werk aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gibt überdies bereits einen Hinweis auf den Wandel in der Wahrnehmung, die einigen der Autoren seither zuteil geworden ist. So geht auch Stephen beispielsweise auf Millar überhaupt nicht ein, und den in England lebenden Mandeville behandelt er um Vieles ausführlicher als Ferguson, dessen Bedeutung er sogar geringer bewertet, als dies heute der Fall ist.72 Derlei ist zweifelsohne aufschlussreich und immer noch lesenswert, doch lässt sich auch aus diesem Werk keineswegs eine wirkliche Darstellung der Schottischen Aufklärung als einer Gesamtheit herauslesen. Eine erste ausführliche Auseinandersetzung in diesem Sinn erfolgte 1945 durch G. Bryson.73 Auch wenn ihre Arbeit in der Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung bis auf den heutigen Tag eine unerklärlich schwache Resonanz findet,74 gewährt sie doch einen umfassenden Blick auf das Themenspektrum der schottischen 71 P. Wood  : Introduction  : Dugald Stewart and the Invention of “the Scottish Enlightenment”, p. 1. 72 Stephens schneidendes Urteil über Ferguson lässt sich an dieser Stelle eher im Sinn eines Kuriosums anführen, wobei es, was den etwas ausladend eleganten Sprachduktus des Schotten betrifft, auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Stephen also sagt über Ferguson  : „Adam Ferguson, ein Schriftsteller, der zu seiner Zeit beträchtliche Reputation genoss, war der Anhänger und wurde von seinen Freunden als Rivale von Montesquieu angesehen. […] Fergusons Buch hat die oberflächlichen Vorzüge, die für den normalen Verstand berechnet wurden. Er besaß das Geheimnis dieses einfachen gallisierten Stils [Gallicised style], der in der gesamten schottischen Schule, einschließlich Hume, Robertson und Adam Smith, mehr oder weniger üblich war. Er macht elegante und plausible Bemerkungen, und der hastige Leser erkennt nicht, dass der Fall durch die Umgehung statt durch die Lösung von Schwierigkeiten gewonnen wird. Hier und dort stoßen wir auf eine These oder eine Illustration, die auf eine größere Schärfe schließen lassen. […] Ferguson war in der Politik das, was Blair in der Theologie war – ein einfacher und geschickter Vortragskünstler, dessen Rhetorik über die Oberfläche der Dinge gleitet, ohne in ihre Substanz zu stechen. Er erklärt gut, bis er zur wirklichen Schwierigkeit kommt, und entgeht dann friedlich dem Dilemma.“ L. Stephen  : History of English Thought in the Eighteenth Century, vol. II, pp. 214–215 (e. Ü.). 73 G.  Bryson  : Man in Society. 74 Eine Erklärung dafür sehe ich darin, dass Bryson den Begriff Scottish Enlightenment nicht verwendet und aus diesem formalen Grund der einen oder anderen Recherche zum Thema entgangen sein könnte. Sie spricht in Man in Society von der “group of Scottish writers of moral philosophy” (p. 1) bzw. nur von “Scottish writers” (p. 21), der “Scottish group” (p. 1) bzw. auch der “Scottish group of ‘enlightened’” (p. 30), von den “Scottish colleges” (p. 8), vom “new spirit of enlightenment in the Scottish universities” (p. 8), vom “whole of Scottish learning and interests” (p. 8), von den “Scottish schools” (p. 9) bzw. von der “Scottish school” (p. 144), von den “Scottish discussions” (p. 12), von den “Scottish philosophers” (p. 30) bzw. den “Scottish philosophers of the eighteenth century“ (p. 239), von der “Scottish philosophy” (p. 84), von den “Scottish moralists” (p. 114) sowie vom “Scottish account of human nature” (p. 170). (Angegeben ist in allen Fällen das erste Vorkommen des jeweiligen Begriffs.)

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Denker, deren wichtigste (Ferguson, Hume, Hutcheson, Lord Kames, Lord Monboddo, Reid, Smith, Stewart – es fehlt freilich Millar) sie im Zusammenhang mit ihren Werken behandelt. Die Arbeit ist thematisch gegliedert und bearbeitet im Anschluss an eine Würdigung von Fergusons Ansatz (“a typical scheme”) alle wesentlichen Bereiche, denen sich die Gruppe gewidmet hat, also die Anthropologie, das Geschichtsverständnis, die Frage nach der menschlichen Natur, die Gesellschaft und die Institutionen, aus denen sie sich ergibt (Ehe und Familie, Erziehung, Recht und Regierung, Politische Ökonomie, Religion und Sprache). Als eine Gesamtschau der Schottischen Aufklärung verdient Brysons Monographie in vielerlei Hinsicht auch heute noch mehr Berücksichtigung, als sie tatsächlich erfährt.75 Nach dieser frühen Phase von Überblicksdarstellungen setzt die gezielte Erforschung der Schottischen Aufklärung allerdings erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein.76 Zunächst schlagen sich die Anstrengungen der Wissenschaft in kürzeren Arbeiten nieder, die die Bewegung in ihrer Gesamtheit zu erfassen suchen. Das heißt, dass weder Einzelprobleme vertieft bearbeitet noch die Werke einzelner Autoren in Einzelunter­ suchungen ins Blickfeld gerückt werden. Dies ist jedoch eine Aussage über die Gesamt­ situation. Es gibt allerdings auch in dieser Phase Ausnahmen. Insbesondere Hume und Smith sind ja Denker, deren Bedeutung von Anfang an weit über Großbritannien hinausreichte. Ihre Hauptwerke waren seit ihrer Entstehung durchgehend bis heute Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. In den Vorworten und Einleitungen zu den Editionen ihrer Werke wurde in der Regel der schottische Kontext immerhin als geistiger Hintergrund reflektiert. Bei den Arbeiten, die die Schottische Aufklärung ausdrücklich, also im Titel, zu ihrem Thema erklären, macht A. Skinner 1965 mit seinem Aufsatz Economics and History. The Scottish Enlightenment den Anfang,77 und er gibt gleichzeitig die Blickrichtung vor, indem er die Synthese von ökonomischem Ansatz und historischer Methode in den Mittelpunkt stellt. Skinner versteht Ferguson, Smith, Kames, Robertson und Millar als eine Gruppe, die er als historians bezeichnet.78 Sie hätten sich einer einheitlichen Methodik bedient,79 indem sie unter der Annahme einer einheitlichen Natur des Menschen nach 75 Unter den englischsprachigen Wissenschaftlern nennt immerhin G. Graham  : Adam Ferguson as a Moral Philosopher, p. 513, Brysons Arbeit “seminal”  ; ob er dies im Sinn von „bahnbrechend“ oder von „fruchtbar“ versteht, erschließt sich aus dem Kontext nicht. Dass Man in Society mittlerweile online verfügbar ist, sollte dem Werk nunmehr zu größerer Beachtung verhelfen. 76 Aber selbst in den achtziger Jahren gilt der Begriff immer noch nicht als selbstverständlich. Siehe hierzu K. G. Ballestrem  : Die schottische Aufklärung, S. 317. 77 A. S. Skinner  : Economics and History. 78 A. S. Skinner verwendet den Begriff in Großschreibung, also im Sinn einer Gruppenbezeichnung und nicht als einfaches Substantiv. 79 A. S. Skinner  : Economics and History, p. 4  : „Die Historiker versuchten, die Techniken des Philosophen und des Philologen bei der Suche nach Prinzipien und gemeinsamen Elementen zu jeder Zeit und an jedem Ort zu vereinen.“ (e. Ü.)

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einem universalen Prinzip einer science of man gesucht hätten  ; Skinner erkennt in ihnen übergreifend die Vertreter dessen, was als Schottische Aufklärung bezeichnet wird. Unter ihrem „Prinzip“ wird etwas verstanden, das man als einen universell nachweisbaren Mechanismus menschlicher Handlungsmotivation beziehungsweise -auslösung beschreiben kann. Die vier Stadien der Zivilisationsentwicklung werden als ökonomische beschrieben80 und, in Abhängigkeit davon, als durch ein unterschiedliches Ausmaß an Arbeitsteilung einerseits und gegenseitiger Abhängigkeit andererseits gekennzeichnet. Skinner arbeitet somit die Grundannahmen des Gesellschafts- und Geschichtsverständnisses der Schottischen Aufklärung heraus,81 und das macht seinen Ansatz wegweisend. Damit, dass er darüber hinaus bei diesen Denkern einen Mangel an grundlegender Zuversicht (optimism) diagnostiziert,82 erklärt er sie implizit zu einem Sonderfall der Aufklärung insgesamt. 1967 greift der englische Historiker H. Trevor-Roper das Thema der Schottischen Aufklärung auf. Sein Text The Scottish Enlightenment83 ist ebenfalls von geringem Umfang, verrät aber den Anspruch einer Art von Gesamtwürdigung der Szene. Er setzt die ökonomische Situation Schottlands, die historischen – genauer  : dynastischen – Entwicklungen, das Bildungssystem, die Fragen der Religion (den Calvinismus als wesentlichen Einflussfaktor übergeht er) und jene der Philosophie und wissenschaftlicher Methodik (er führt die durch Hutcheson vermittelten Bacon, Newton und den „durch Shaftesbury gefilterten Locke“ an) in Beziehung zu jenem charakteristischen Perspektivenwandel, der ein Kennzeichen der Schottischen Aufklärung sei und der hier als eine Bewegung „von der Psychologie zur Soziologie“ beschrieben wird  : Die Betrachtung des Menschen sei in die Betrachtung seiner sozialen Bezüge übergegangen.84 Die Dynamik und Kraft der Schottischen Aufklärung erklärt Trevor-Roper vornehmlich aus dem Kontrast zwischen regionaler Rückständigkeit und neuen, revolutionären Einflüssen von außen, die er auch benennt. Mittlerweile ist das Interesse an dieser Arbeit stark zurückgegangen. Einst kam 80 A. S. Skinner spricht, ebd., pp. 8–11, von “Primitive”, “Pasture”, “Agrarian” und “Exchange Economy”. 81 Als die Kernaussage, die die Denker der Schottischen Aufklärung vereint, weist A. S. Skinner  : Economics in History, p. 14, den „Zusammenhang zwischen der persönlichen Freiheit des Menschen, der politischen Konsequenz der Arbeitsamkeit und einer bestimmten Art von Wirtschaft“ aus (e. Ü.). Und er erklärt es, ebd. p. 21, zur Grundüberzeugung der Historians, „dass die Anatomie der Zivilgesellschaft in der politischen Ökonomie gesucht werden“ müsse. 82 Ebd., p. 17. – Skinner sagt das an dieser Stelle insbesondere mit Blick auf die französischen Philosophen und indem er darauf hinweist, dass den schottischen Autoren utopisches Denken fremd gewesen sei. – Der Befund eines Mangels an grundlegender Zuversicht trifft nicht auf alle historians in gleicher Weise zu  : So beurteilt beispielsweise Millar die Aussichten der Gesellschaft positiver als der stets deren Verfall fürchtende Ferguson. 83 H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1967). 84 Die „Schüler von Hutcheson wurden von Moralphilosophen, die sich mit dem Problem der Tugend beschäftigten, zu Sozialhistorikern, die sich mit dem Problem des Fortschritts beschäftigten.“ H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1967), p. 1640 (e. Ü.). – Aufschlussreich über die frühe Betrachtung der Schottischen Aufklärung aus dem Blickwinkel der Soziologie ist A. Swingewood  : Origins of Sociology.

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ihr in der Geschichte der Erforschung der Schottischen Aufklärung eine große Bedeutung zu. Sie würdigte die Epoche nicht nur als eine durchaus bedeutende Phase in der europäischen Geistesgeschichte, sondern sie steckte gleichzeitig den thematischen Rahmen ab, innerhalb dessen die Auseinandersetzung mit ihr stattfinden sollte  : Sie lieferte keineswegs nur das eine oder andere Stichwort, sondern sie umriss den Forschungsgegenstand. Das machte sie für eine gewisse Zeit wegweisend, wenngleich sie auch Feststellungen trifft und Formulierungen wählt, die denen Stephens ähneln und berechtigten Widerspruch hervorgerufen haben.85 1977 unterzieht Trevor-Roper das Thema einer erneuten Betrachtung, wiederum unter dem Titel The Scottish Enlightenment,86 und modifiziert darin seine ursprüngliche Position auf eine bemerkenswerte Weise. Hatte er in seinem ersten Aufsatz das Augenmerk noch auf die wirtschaftliche und politische Situation des Landes, auf die geistigen Einflüsse vom europäischen Kontinent und auf die verwickelte religiöse Konstellation gerichtet und in diesem komplexen Nebeneinander von Wirkkräften die Voraussetzung für die Schottische Aufklärung zu erblicken geglaubt, so gewichtete er nunmehr anders  : Ausgehend von der Frage, was die Einzigartigkeit dieser „Bewegung“ in Schottland im 18. Jahrhundert ausgemacht habe, konzentriert er sich nun – Skinners Economics and History lag ja mittlerweile vor – auf den Bereich der Politischen Ökonomie  : „Worin Schottland einzigartig war und sich nicht nur gegenüber seinem früheren Status oder dem allgemeinen Vordringen Englands und Europas verbesserte, das waren zwei Bereiche  : die Organisation der Universitätslehre und ein bestimmter Studienzweig. Dieser Studienzweig befasste sich mit der historischen Erklärung, der historischen Analyse des menschlichen Fortschritts  : mit dem, was wir als ‚Politische Ökonomie‘ bezeichnen würden.“87

Abgesehen davon, ob wir tatsächlich mit dieser Definition des Begriffs der Politischen Ökonomie übereinstimmen können88 und sich nicht genug Gründe dafür anführen 85 Trevor-Roper neigt mitunter zu Überspitzungen, die dennoch nicht verleugnen können, dass sie letztlich nicht mehr als nur Andeutungen sind. „Genie“ bleibt auch in der folgenden drastischen Formulierung ein vager Begriff  : “Many of those Scotch writers, who so complacently admired each other’s ‘genius’, were thoroughly second-rate. Some of them were not ‘enlightened’ at all—merely busy or quaint. Even those who were innovators, even the greatest of them, with the solitary exception of Hume, were dull dogs.” Und was, wie im Folgenden gesagt, „intellektuelle Pioniere“ zu „wirklichen“ macht, bleibt ebenso unklar  : “We must concentrate on the real intellectual pioneers  : Francis Hutcheson, David Hume, Adam Ferguson, William Robertson, Adam Smith, John Millar.” H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1967), pp. 1638, 1639. 86 H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1977). 87 H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1977), pp. 373–374 (e. Ü.). 88 Gerade Smith verstand den Begriff der Politischen Ökonomie im Buch IV des Wealth of Nations deutlich anders  : „Die Politische Ökonomie verfolgt als Zweig der Wissenschaft, die eine Lehre für den Staatsmann und Gesetzgeber entwickeln will, zwei unterschiedliche Ziele. Einmal untersucht sie, wie ein reichliches Einkommen zu erzielen oder der Lebensunterhalt für die Bevölkerung zu verbessern ist, zutreffender, wodurch

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ließen, die „historische Analyse des menschlichen Fortschritts“ mit gleichem Recht als Angelegenheit der Historiker, Politologen und Soziologen zu betrachten, blendet TrevorRoper damit doch allzu viel von dem aus, was die Schottische Aufklärung eben auch (wenn nicht  : vor allem) ausmacht  : Humes Erkenntnistheorie des Treatise, Smiths Psychologie der Theory, Fergusons und Millars Soziologie, Huttons von den Gesellschaftswissenschaften in ihrer Tragweite nie gewürdigte und doch so bahnbrechende Grundlegung der Erdgeschichte – all das hat den Blick auf die Welt und die Stellung des Menschen in ihr entscheidend verändert und war die Essenz dessen, was in Edinburgh und Glasgow durchdacht wurde. Und dies war sehr wohl mehr als nur Politische Ökonomie. Es stellt sich die Frage, weshalb trotz dieser Vermutung, dass hier eine Fehlgewichtung vorliege, so ausführlich auf die beiden Trevor-Roper-Aufsätze eingegangen wird. Der Grund liegt eben darin, dass sie am Anfang der Erforschungsgeschichte der Schottischen Aufklärung stehen und allein dadurch bestimmte Sichtweisen nahegelegt haben – verbunden mit der Einladung, ihnen zu folgen. Gewiss hat Trevor-Roper mit seinen beiden Arbeiten die weitere Erforschung der Schottischen Aufklärung nicht vorgegeben, doch hat er die weitere Entwicklung ein Stück weit vorstrukturiert, ja sogar vorweggenommen. In der Hinwendung zur Ökonomie etwa wird bis heute die Hauptlinie gesehen, am prominentesten repräsentiert natürlich durch Smiths Wealth of Nations. Aber noch etwas anderes zeigt sich, und das ist charakteristisch für das Phänomen einer „Wiederentdeckung“ wohl jedes Abschnitts der Geistesgeschichte. Nämlich wird in der Regel zunächst versucht, ein Gesamtbild zu zeichnen und ein Verständnis des Ganzen in seinen Bezügen zum Vorher und Danach zu gewinnen, es abzugrenzen und einzuordnen. Ist dies gelungen, kommt es üblicherweise zu einer intensiveren Beschäftigung mit den Details und den inneren Differenzierungen, also zum Herausarbeiten der einzelnen Elemente, die das Ganze konstituieren, und zu deren Gewichtung. Und eine solche Bewegungsrichtung wird in den beiden Aufsätzen Trevor-Ropers durchaus deutlich  : Im ersten von 1967 charakterisiert er seinen Gegenstand als ein geschlossenes Ganzes, stellt ihn in seinen europäischen Kontext, datiert ihn  ; ein Jahrzehnt später erfolgt eine Konturierung der zunächst groben Umrisse, ein Ins-Detail-Gehen, ein Betonen und ein In-den-Vordergrund-Rücken (eben der Politischen Ökonomie), mithin das, was man die Ausweisung der „Forschungsprobleme“ nennen kann. Und es ist Teil des Metakontexts der Erforschung der Schottischen Aufklärung, dass sie dieser Linie fortan gefolgt ist. Bereits in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts setzt hier also in der Forschung eine Setzung von Schwerpunkten ein, die in der Folgezeit das Interesse an Gesamtdarstellungen zugunsten einer deutlich verstärkten Beschäftigung mit Detailfragen zurückdrängen wird. Selbstverständlich werden weiterhin und bis in die jüngste Vergangender einzelne in die Lage versetzt werden kann, beides für sich selbst zu beschaffen, und ferner erklärt sie, wie der Staat oder das Gemeinwesen Einnahmen erhalten können, mit deren Hilfe sie öffentliche Aufgaben durchführen.“ Das sind deutlich zwei Themen  ; das eine befasst sich mit dem Individuum, das andere mit dem Staat. A.  Smith  : Wohlstand, S. 347. – OT.: ders.: Wealth, IV. Introduction|1, p. 428.

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heit Monographien und Zusammenstellungen von Texten veröffentlicht, bei denen der Oberbegriff Scottish Enlightenment Teil des Haupttitels ist und die es anstreben, der ganzen thematischen Vielfalt der Bewegung89 gerecht zu werden. Zu nennen sind neben der methodisch eigenwilligen Arbeit The Origins of the Scottish Enlightenment von J. Rendall90 etwa der Band A Hotbed of Genius91, die von M. A. Stewart herausgegebenen Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment 92, ferner The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment 93 oder in jüngerer Vergangenheit von C. J. Berry The Idea of Commercial Society in the Scottish Enlightenment 94. Bemerkenswerterweise entstehen all diese Publikationen vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit der „etablierten“, kanonisierten Aufklärung, die den schottischen Diskurs und seine spezifischen Kontexte weitgehend ausgeblendet, wenn nicht sogar ignoriert hat. Gleichgültig, ob man als Beleg hierfür E. Cassirers Die Philosophie der Aufklärung 95 heranzieht, P. Hazards Die Herrschaft der Vernunft 96, großangelegte Überblicksdarstellungen wie A. Kennys Geschichte der abendländischen Philosophie 97, H. Ottmanns Geschichte des politischen Denkens 98 oder das Lexikon der Aufklärung von W. Schneiders99 – stets wird einem darin die Schottische Aufklärung bestenfalls als eine Randerscheinung begegnen.100 Festzuhalten ist noch, dass die so etikettierte Wiederentdeckung der Schottischen Aufklärung ab der Mitte des vergangenen Jahrhunderts einerseits und eine grundlegende  89 „Bewegung“ (movement) ist im Zusammenhang mit der Schottischen Aufklärung ein selten gebrauchter Begriff. Trevor-Roper allerdings verwendet ihn mehrfach. Siehe H. Trevor-Roper  : The Scottish Enlightenment (1967), insbesondere pp. 1637, 1643 (“intellectual movement”), 1645 (“progressive movement”), sowie ders.: The Scottish Enlightenment (1977), wo der Begriff an mehreren Stellen ausdrücklich diskutiert wird.  90 J.  Rendall  : The Origins of the Scottish Enlightenment, gliedert den Gegenstand thematisch und macht die Spannweite des Denkens der Schottischen Aufklärung sehr anschaulich. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine Monographie im üblichen Sinn, sondern um eine Kompilation von Textstellen aus den Werken der schottischen Denker zu den verschiedenen Themen, wobei den einzelnen Kapiteln jeweils kurze Einführungstexte vorangestellt sind.  91 D. Daiches / P. Jones / J. Jones (ed.)  : A Hotbed of Genius.  92 M.  A. Stewart (ed.)  : Studies in the Philosophy of the Scottish Enlightenment.  93 A.  Broadie (ed.)  : The Cambridge Companion to the Scottish Enlightenment. – Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, obwohl auf Edinburgh konzentriert, von J. Buchan  : Crowded with Genius. The Scottish Enlightenment  : Edinburgh’s Moment of the Mind, das ein lebendiges Bild des herrschenden Zeitgeists vermittelt.  94 C.  J. Berry  : The Idea of Commercial Society in the Scottish Enlightenment.  95 E.  Cassirer  : Die Philosophie der Aufklärung.  96 P.  Hazard  : Die Herrschaft der Vernunft.  97 A.  Kenny  : Geschichte der abendländischen Philosophie.  98 H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens. Bd. 3/2.  99 W.  Schneiders (Hrsg.)  : Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa. 100 Das bedeutet indes nicht, dass Autoren wie Hume oder Smith gänzlich übergangen worden wären, sondern lediglich, dass der schottische Kontext dabei kaum in Erscheinung tritt.

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Neubewertung des „Erfolgsmodells Aufklärung“ andererseits in etwa zeitgleich stattgefunden haben. Ob dies mehr ist als nur eine Koinzidenz zweier Ereignisse oder ob zwischen beiden eine Korrelation von der Art eines ursächlichen Zusammenhangs angenommen werden darf, ist ein Frage, auf die jedoch nur eine gesonderte Untersuchung Antworten wird finden können. 3.4.3 Erforschung der Schottischen Aufklärung, ausgehend von ihren Autoren

Das bedeutet in der Konsequenz  : Die Erforschung der Schottischen Aufklärung schlägt sich weniger in Überblicksdarstellungen nieder, sondern sie findet seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts weitgehend in Detailuntersuchungen statt – im Rahmen von Monographien, sehr viel mehr jedoch von Aufsätzen in einer mittlerweile geradezu unüberschaubaren Zahl. Bearbeitet werden einzelne Fragestellungen aus den Disziplinen der Politischen Ökonomie, der Geschichte, des Rechts, der Soziologie, der Psychologie und der politischen Theorie anhand der jeweiligen Autoren und ihrer Werke ebenso wie im Gesamtkontext. Ganzen Entwicklungslinien gilt die Aufmerksamkeit nicht weniger als isoliert untersuchten Aspekten der Argumentation der verschiedenen Denker. In diesem Zusammenhang hat K. G. Ballestrem den Begriff von den „Denkformen der schottischen Aufklärung“ geprägt und es damit nahegelegt, die zahllosen Einzelaspekte wieder im Sinn eines weitgehend geschlossenen Ganzen zu betrachten.101 Ob es dazu in absehbarer Zeit jedoch kommen wird, erscheint fraglich. Vielmehr besteht der Eindruck einer Konzentration auf die einzelnen Autoren einerseits und auf bestimmte typische Problemstellungen, die durch sie vorgegeben wurden, andererseits – wobei es sich letztlich um zwei Seiten derselben Medaille handelt. Diese Problemstellungen sind bei den jeweiligen Denkern unterschiedlich, und das hat keineswegs nur inhaltliche Gründe. Die Schottische Aufklärung hat einen weiten thematischen Horizont. Während sich bei Hume von Anfang an das Interesse ebenso wie die Kritik an seinen expliziten Aussagen, an seiner Theorie der Perzeptionen, an seinem Verständnis der Kausalität und an seinem Verhältnis zur Religion entzündet haben, bewegt bei Smith hingegen eher die Frage nach der Konsistenz seines Werks  ; das sogenannte Adam-Smith-Problem ist keines der in der Theory und dem Wealth of Nations entwickelten Theorien selbst, sondern vielmehr eines, das sich aus der Frage nach der Vereinbarkeit der beiden Texte miteinander erhebt  : Ist der Mensch als vorwiegend von Empathie oder als von seinen Interessen geleitet zu betrachten  ? Bei Fergusons Werk wiederum beschäftigt die Forschung immer wieder die Frage nach der prognostischen Tendenz  : Sieht er die Gesellschaft mit dem Erreichen der Handelsgesellschaft an der Schwelle zu ihrem Niedergang oder hält er einen solchen mit den Kräften, die diese Stufe der Zivilisation aus sich selbst heraus zu entwickeln vermag, für abwendbar  ? – Man ersieht an dem häufig sehr unterschiedlichen Forschungsinteresse, das sich mit diesen drei 101 K.  G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 23–28.

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Autoren verbindet, dass sie es waren, die letztlich jene grundlegenden Fragen aufgeworfen haben, aus denen sich lang andauernde Debatten überhaupt erst entwickeln konnten. Für diese drei Denker gilt – und das rechtfertigt nachfolgend ein näheres Eingehen auf sie –, was auf die zahlreichen übrigen Protagonisten der Schottischen Aufklärung nicht zuzutreffen scheint  : Sie hatten der Welt offenbar etwas zu sagen, das über den Horizont und die Problemlagen ihrer Zeit hinausreichte, und sie markieren, jeder auf seine Weise, einen Anfang.102 3.4.3.1 David Hume

Die Publikationen, die sich mit Detailfragen zu Hume und Smith befassen, sind nicht zuletzt aus diesem Grund längst nicht mehr zu überschauen. Hume muss auf mehreren Gebieten als wegweisender Theoretiker gelten, aber er war daneben einfach ein vielseitiger Publizist  ; er ist Philosoph, Erkenntnistheoretiker, Religionskritiker, Historiker und nicht zuletzt, vor allem in seinen argumentativ weniger streng angelegten Essays, auch ausdrücklich politischer Denker. Somit trifft er bis heute auf die Resonanz aus unterschiedlichen Disziplinen, und das erweitert das Spektrum der Fragestellungen und schlägt sich in einer immer weiter anwachsenden Zahl von Veröffentlichungen nieder  ; auf diese kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.103 Annäherungen unter den diversen Gesichtspunkten, unter denen Humes Denken in seiner Gesamtheit betrachtet werden kann, finden sich im Cambridge Companion to Hume104 sowie in David Hume von J. Kulenkampff105. Unter den Monographien, die sich der Herausforderung stellen, den „ganzen“ Hume zu würdigen, sticht zweifellos G. Stremingers deutschsprachige Hume-Biografie106 heraus  ; sie ist der gelungene Versuch eines Integrals von Leben und Werk. Die naheliegenden Fragen, die die Forschung an Hume gerichtet hat, betreffen seine Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, insbesondere sein Verständnis von Empirie, Kausalität, seinen Sensualismus und, abgeleitet aus all dem, seinen Utilitarismus. Dadurch ist ein in immer feinere Details aufgelöstes Bild107 entstanden, das so aus sich heraus aber

102 Dass Trevor-Roper, als er seine oben erwähnte überspitzte Unterscheidung zwischen den innovators und den dull dogs vornahm, gerade auf diesen Sachverhalt abzielte, ist allerdings nicht mehr als eine naheliegende Vermutung. 103 Auf diejenigen Arbeiten, die zu dieser Untersuchung herangezogen wurden, wird an den betreffenden Stellen hingewiesen. 104 D. F. Norton / J. Taylor (eds.)  : The Cambridge Companion to Hume. 105 J.  Kulenkampff  : David Hume. 106 G.  Streminger  : David Hume. 107 Was mit dieser Auflösung Humes in seine feinsten Details gemeint ist, verdeutlicht – pars pro toto – die Arbeit von S. Greenberg  : ‘Naturalism’ and ‘Skepticism’ in Hume’s Treatise of Human Nature. Es geht darin um eine Analyse des 7. Abschnitts des 4. Teils des Buches I des Treatise, aber selbst dabei handelt es sich bereits um ein Wiederaufgreifen eines längst bearbeiteten Themas  : D. Garrett  : Hume’s Conclusions in “Conclusion of this Book”.

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letztlich eine neue Unschärfe erzeugen wird. Ein Schwerpunkt der Rezeption liegt – seit jeher108 – auf den Untersuchungen von Humes Einfluss auf das Denken seiner Zeit.109 3.4.3.2 Adam Smith

Während die ausufernde Zahl an Untersuchungen über Hume durch dessen thematische Vielseitigkeit als Denker und die Vielzahl seiner Veröffentlichungen vorgegeben gewesen zu sein scheint, verhält es sich bei Smith anders. Er wird heute weniger als Moralphilosoph, sondern überwiegend als Nationalökonom wahrgenommen und somit, wenngleich dies seiner wirklichen Bedeutung nicht gerecht wird, auf dieses Gebiet reduziert  ; die ursprünglich große Beachtung seiner Theory ist im Zug der Dynamik der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zugunsten seines Wealth of Nations stark geschwunden. Allerdings wurde und wird – das ist der Nebeneffekt dieser Entwicklung – durch die in den Vordergrund drängende Beschäftigung mit den von ihm aufgeworfenen Überlegungen zur Politischen Ökonomie,110 das Interesse der Forschung in hohem Maß wach gehalten.111 Wie bei Hume, so befasst sich bei Smith ebenfalls ein großer Teil der Publikationen mit der Wirkungsgeschichte seiner Texte.112 Auch hier ist es nicht möglich, die Vielzahl der Veröffentlichungen vollständig zu überblicken,113 und dabei ist Smith auch weiterhin ein uner108 Als frühes Beispiel siehe S. Fellbogen  : Smith und Hume. 109 Um einen Eindruck zu vermitteln  : K. G. Ballestrem  : David Hume und Adam Smith. – A. Brewer  : Luxury and Economic Development. David Hume and Adam Smith. – B. Buchan  : Enlightened Histories  : Civilization, War and the Scottish Enlightenment. – F. L. Van Holthoon  : Adam Smith and David Hume  : with Sympathy. – L. Kreimendahl  : Humes Auseinandersetzung mit den physischen Argumenten für die Unsterblichkeit der Seele und seine Kritik an Joseph Butler. – D. Livingston  : Hume and America. – R. H. Popkin  : Did Hume Ever Read Berkeley  ? – D. R. Raynor  : Hume’s Abstract of Adam Smith’s “Theory of Moral Sentiments”. 110 Dabei handelt es sich vor allem um Marx und dessen Nachfolger, aber auch um wirtschaftsliberale Denker. 111 Aufschlussreich hierzu ist die Arbeit von M. P. Paganelli  : Recent Engagements with Adam Smith and the Scottish Enlightenment, die zu fassen sucht, wie sich das wissenschaftliche Interesse an Smith in Zahlen ausdrücken lässt. Darin heißt es (p. 363, e. Ü.)  : „Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels lieferte die Recherche von EconLit-Peer-Review-Zeitschriftenartikeln nach ‚Adam Smith‘ in der Zusammenfassung 499 Ergebnisse seit dem Jahr 2000. Die Suche nach ProQuest ergab 1.870 Ergebnisse seit dem Jahr 2000 […]. Wir stellen Adam Smith immer noch Fragen. Und er antwortet immer noch, auch wenn sich die Fragen und Antworten mit der Zeit ändern.“ (e. Ü.) Erhellend sind besonders auch die Zahlenaufstellungen am Ende dieses Beitrags (pp. 389–394). 112 A. Brewer  : Adam Ferguson, Adam Smith, and the Concept of Economic Growth. – R. Hamowy  : Adam Smith, Adam Ferguson, and the Division of Labour. – R. P. Hanley  : The “Science of the Legislator” in Adam Smith and Rousseau. – L. M. Herzog  : Wer sind wir, wenn wir arbeiten  ? – L. Hill  : Adam Smith, Adam Ferguson and the Division of Labour. – T. A. Horne  : Envy and Commercial Society  : Mandeville and Smith on “Private Vices, Public Benefits”. – R. B. Sher  : Adam Ferguson, Adam Smith, and the Problem of National Defense. – E. G. West  : Adam Smith and Rousseau’s “Discourse on Inequality”  : Inspiration or Provocation  ? – G. T. Young  : Law and Economics in the Protestant Natural Law Tradition  : Samuel Pufendorf, Francis Hutcheson, and Adam Smith. 113 Hier gilt mutatis mutandis das oben im Fall Hume Gesagte. Hinweise auf die herangezogenen Texte finden sich an den betreffenden Stellen der vorliegenden Untersuchung.

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schöpfliches Thema, das zu stets neuen Annäherungen einlädt.114 Einen guten Überblick über den gesamten Horizont von Smiths Denken bietet neben dem Cambridge Companion to Adam Smith115 und der Monographie von K. G. Ballestrem116 die Adam-Smith-Biographie von I. S. Ross117. Wertvollste Zugänge, wiederum zu dessen Wirkungsgeschichte, eröffnet der Smith-Forschung zudem H. Mizutas Untersuchung Adam Smith’s Library118. 3.4.3.3 Adam Ferguson

Obgleich sein Essay die umfassendste, wenn auch nicht sehr stringent aufgebaute Zivilisationstheorie der Schottischen Aufklärung enthält, genießt Ferguson in der Forschung nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie Hume und Smith. Der generelle Ansatz jener Arbeiten, die sich mit ihm befassen, ist darin zu erkennen, ihn Smith, seltener Hume gegenüberzustellen.119 Diese Perspektive wählte auch M. Foucault in seinen späten Vorlesungen über die Geschichte der Gouvernementalität, worin er gewissermaßen Fergusons Rehabilitierung betreibt, wenn er dessen Bedeutung als Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft derjenigen Smiths gegenüberstellt und letztlich gleichsetzt.120 Deutlich weiter ist hingegen das thematische Spektrum der Analyse in L. Hills The Passionate Society121, einer Monographie von 2006, die bis vor kurzem als die umfassendste Einzelanalyse von Fergusons Werk gelten durfte.122 Neben sie ist nunmehr mit C. Smiths Adam Ferguson 114 Als Beispiel hierfür ist in diesem Zusammenhang die Perspektive zu erwähnen, mit der R. P. Hanley konfrontiert  : ders.: Adam Smith and the Character of Virtue  ; diese Arbeit greift das Adam-Smith-Problem neu auf, indem sie das Spannungsverhältnis zwischen “commerce” und “corruption” analysiert und damit den ökonomischen Smith des Wealth of Nations (und der “commercial society”) mit dem psychologischen der Theory (und ihrer Betonung der Rolle der “virtue”) auf eine neue Art verschränkt. 115 K.  Haakonssen (ed.)  : The Cambridge Companion to Adam Smith. 116 K.  G. Ballestrem  : Adam Smith. 117 I.  S. Ross  : Adam Smith. 118 H.  Mizuta  : Adam Smith’s Library. Gegenstand ist eine Rekonstruktion von Smiths Privatbibliothek  ; es werden mehr als 1800 Bände, die sich zu Lebzeiten in Smiths Besitz befunden haben, nicht nur mit ihren bibliographischen Daten erfasst, sondern auch hinsichtlich ihres Einflusses auf Smiths eigene Schriften gewürdigt. Es handelt sich dabei um die Fortführung und Vollendung des Werks von J. Bonar  : A Catalogue of the Library of Adam Smith. 119 Siehe beispielsweise von A. Brewer  : Luxury and Economic Development. David Hume and Adam Smith. – Ders.: Adam Ferguson, Adam Smith, and the Concept of Economic Growth. – R. Hamowy  : Adam Smith, Adam Ferguson, and the Division of Labour. – L. Hill  : Adam Smith, Adam Ferguson and the Division of Labour. – R. B. Sher  : Adam Ferguson, Adam Smith, and the Problem of National Defense. 120 M.  Foucault  : Die Geschichte der Biopolitik (= Geschichte der Gouvernementalität II), hier insbesondere S. 408–419. Als Schlüsselaussage für Foucaults Ferguson-Verständnis ist folgender Satz zu lesen (ebd. S. 408)  : „Die bürgerliche Gesellschaft Fergusons ist in der Tat das konkrete Element, das konkrete Ganze, innerhalb dessen sich die ökonomischen Menschen verhalten, die Adam Smith zu untersuchen versuchte.“ 121 L.  Hill  : The Passionate Society. 122 Hill gehört seit zwei Jahrzehnten zur kleinen Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die als auf das Denken der Schottischen Aufklärung spezialisiert gelten darf. Ferguson und Smith stehen dabei im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

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and the Idea of Civil Society123 ein Werk getreten, das den Anspruch erfüllt, einen „Ferguson-Überblick“ schlechthin zu bieten, indem es in durchaus gedrängter Form anhand einer Art von Schlagwortkatalog alle wesentlichen Fragen abhandelt, die an Ferguson gestellt werden können. Ein erwähnenswerter Randaspekt ist Fergusons etwas ungewöhnliche Rezeptionsgeschichte in Frankreich, besonders aber in Deutschland. Diese hat sich auch in sehr frühen Übersetzungen niedergeschlagen, die mit charakteristischen terminologischen, von F. Oz-Salzberger im Rahmen einer Monographie analysierten Problemen zu kämpfen hatten.124 Eine „unüberschaubare Fülle von Veröffentlichungen“, von der eingangs dieses Abschnitts die Rede war – das trifft auf die übrigen Mitglieder der Edinburgher und Glasgower Gruppe nicht in gleichem Maß wie insbesondere auf Hume und Smith zu. Dennoch sind auch Autoren wie Lord Kames oder Millar bis in die jüngere Vergangenheit Gegenstand von ausführlichen Einzeluntersuchungen, die eine methodische Synthese anstreben, indem sie deren Schriften einerseits einer werkimmanenten Betrachtung unterziehen, sie andererseits aber auch in ihren ideen- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext einordnen. Ein Beispiel für diesen Ansatz stellt die Kames-Monographie von A. Rahmatian dar,125 der den Juristen und Moralphilosophen aus einer Grundhaltung der „Nichtübereinstimmung [disagreement]“ mit dessen Ideen heraus entschlüsselt und ihn eher als einen wichtigen Impulsgeber – “for the development of one’s own independent thinking” – denn als wirklich eigenständigen Denker begreift,126 der er nicht zuletzt wegen seiner engen Abhängigkeit von den Moral-sense-Auffassungen Shaftesburys und Hutchesons sowie Humes auch nicht war. Das immer noch grundlegende, obwohl mehr als fünfzig Jahre ältere Werk über Millar stammt von W. C. Lehmann.127 Es datiert aus dem Jahr 1960 und liefert neben der Publikation des Origin ausführliches biographisches Material sowie eine Annäherung an die theoretischen Positionen dieses Denkers der späten Schottischen Aufklärung.128 Eine Erweiterung und Ergänzung dieser grundlegenden Arbeit mit zahlreichen Bezügen darauf stellt Lehmanns Einleitung zur deutschen Übersetzung von Millars Hauptwerk dar.129 Lehmann darf im Übrigen seit seinem Aufsatz John Millar, Historical Sociologist130 123 C.  Smith  : Adam Ferguson and the Idea of Civil Society. Die übergroße Fülle von Einzelaspekten mag bei diesem Werk zu Lasten des Tiefgangs der jeweiligen Analysen gehen, doch ist dies fraglos der Konzeption des Buches geschuldet, die gerade dem weiten Themenspektrum Fergusons gerecht werden will, ohne sich allzu sehr auf die isolierte Betrachtung von „Hauptthemen“ einzulassen. 124 F. Oz-Salzberger  : Translating the Enlightenment. Siehe hier insbesondere das Kapitel “The Hazards of Translation  : Some Models of Misreception”, pp. 77–86. 125 A.  Rahmatian  : Lord Kames. 126 Ebd., S. 334–340  ; hier insbesondere S. 334. 127 W.  C. Lehmann  : John Millar of Glasgow. 128 Ebd.; siehe hier “Part II  : Chiefly Theoretical”, pp. 87–163. 129 W.  C. Lehmann  : Einleitung. 130 W. C. Lehmann  : John Millar, Historical Sociologist.

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als der Wiederentdecker dieses frühen Soziologen gelten, dessen „bemerkenswertem Verschwinden“131 er darin auf den Grund geht. Was im Titel des Aufsatzes mit Historical Sociologist angesprochen wird, ist ein Eingehen auf Millars Methode jener conjectural history, die in dieser Untersuchung noch häufiger ins Blickfeld rücken wird132 und die hier als „umfassende Anwendung des deduktiven Denkens auf die Geschichte, ein Bestreben nach Verallgemeinerung, mit der Gefahr einer Über-Verallgemeinerung“ beschrieben wird.133 Wenn es um Zuversicht und die Antizipation von Künftigem geht, ist dieses methodische Vorgehen von Interesse, da es von denen, die es angewendet haben, zum Teil als zulässiges Verfahren angesehen wurde, die Vergangenheit in die Zukunft hinein fortzuschreiben. Auch Smith, dessen Schüler Millar war, und ebenso Ferguson gingen immer wieder auf diese Weise vor. Unabhängig davon befasst sich die Forschung bei weitem überwiegend gezielt mit den einzelnen Autoren, ihren Werken und darin wiederum mit bestimmten inhaltlichen Aspekten.134 Die Anzahl der entsprechenden Veröffentlichungen ist enorm hoch und letztlich nahezu unüberschaubar. Andererseits gibt es kaum solche, bei denen es um das Verhältnis von Analyse und Prognose beziehungsweise um den Erwartungshorizont geht, der sich aus den Originaltexten herauslesen ließe. Das ist der Tatsache geschuldet, dass bei keinem der Autoren Überlegungen im Hinblick auf die Zukunft der Gesellschaft, die sie untersuchen, ausdrücklich im Zentrum stehen. Dennoch soll es hier vor allem um Antworten auf die Frage gehen  : Was halten insbesondere Hume, Smith und Ferguson für möglich, was halten sie für wahrscheinlich oder was lässt sich hinsichtlich der Frage nach der Zuversicht aus ihren Texten ableiten  ? Mit dem Problem der Zukunftsperspektive im Denken der schottischen historians, wie er sie nennt, hat sich vermutlich als Erster A. Skinner befasst.135 Bei Hume ist es weniger seine politische Theorie, die hier Ergiebigkeit erwarten ließe, als vielmehr seine komplexen erkenntnistheoretischen Arbeiten. Wie in einem späteren Abschnitt dieser Untersuchung noch gezeigt werden wird, ist für ihn Hoffnung etwas, das aufgrund eines präzise analysierten Zusammenspiels von affektiver und Verstandesebene zustande kommt.136 Das Verständnis der Kausalität spielt dabei eine wichtige Rolle. Humes konservative politische Grundhaltung, seine Überlegungen zum moralischen und zum Rechtssinn, seine Betonung der Bedeutung des Eigentums für eine staatliche Ordnung, ja sein politisches Denken insgesamt137 sind in der Literatur ebenso 131 Ebd., p. 46. 132 Siehe in der vorliegenden Untersuchung die Abschnitte 10.1.2 („‘Conjectural History’“) und 8.3 („Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Theorie“). 133 W. C. Lehmann  : John Millar, Historical Sociologist, p. 36 (e. Ü.). 134 Zur Verdeutlichung des Ausmaßes, in dem dies geschieht, sei nochmals auf die jüngere Arbeit von M. P. Paganelli  : Recent Engagements with Adam Smith and the Scottish Enlightenment, hingewiesen. 135 A. S. Skinner  : Economics and History, pp. 15–22. 136 Siehe den Abschnitt 7.4.1 („Zur Verteilung der Rollen  : Affekte versus Verstand“). 137 F.  Linares  : Das politische Denken von David Hume.

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ausführlich behandelt worden wie das Problem der Kausalität beziehungsweise deren skeptische Negation.138 Sowohl Smith als auch Ferguson legen ihren Analysen der Gesellschaft ein historisches Modell zugrunde, das deren Entwicklung in einer Abfolge von Stadien annimmt. Es wäre genau genommen geboten, ihre Stadienmodelle nicht als Teil ihrer Theorien aufzufassen, sondern als deren Voraussetzungen im Sinn von Präsuppositionen. Sie selbst haben eine solche Differenzierung aber nicht vorgenommen beziehungsweise als für nicht nötig erachtet, den Ablaufprozess von Stadium zu Stadium jedoch hypothetisch fortgeschrieben – in Ansätzen sehr wohl über die Gegenwart hinaus. Fergusons und Smiths Annahmen über Zuversicht oder Skepsis im Hinblick auf die Entwicklung der Gesellschaft lassen sich aber nicht nur daraus rekonstruieren  ; sie ergeben sich auch aus der Betrachtung dessen, was sie als die Wirkkräfte ausweisen, die hinter diesem Fortschreiten stehen – die Arbeitsteilung, das Interesse der Individuen und die Bedeutung des Eigentums.139 All dies ist in vielen Arbeiten untersucht worden, die nach wie vor von Bedeutung sind. Manches von dem, was voranstehend an Fragestellungen ausgewiesen wurde, findet sich zudem in den mitunter sehr ausführlichen Einleitungstexten zu den diversen neueren Werkeditionen der schottischen Denker behandelt. Hervorzuheben sind bei Hume im Fall des Treatise of Human Nature die materialreichen Kommentarabschnitte im 2. Band der Critical Edition (Clarendon Edition of the Works of David Hume).140 Ausführliche Einleitungstexte, die zu den genannten Fragestellungen weiteren Aufschluss geben, enthalten auch die Critical Editions der Principles of Morals141, der Enquiry concerning Human Understanding142 sowie diejenige von Two Dissertations (A Dissertation on the Passions und The Natural History of Religion)143. Nach wie vor hilfreich sind die Einleitungstexte zu den deutschen Ausgaben des Treatise144, der Essays145 sowie der Principles

138 Zusammenfassend hierzu  : M. Bell  : Hume on Causation, sowie A. Waldow  : Wie privat sind Ideen  ? 139 Siehe Kapitel 10 („Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik“). 140 D. F. Norton / M. J. Norton  : Editing the Texts of the Treatise, the Abstract, and the Letter from a Gentleman, sowie dies.: Editors’ Annotations. In  : Dies. (ed.)  : Treatise […], A Critical Edition, vol. 2, pp. 589–684 und 685–979. 141 T. L. Beauchamp  : Introduction  : A History of The Enquiry on Morals, sowie ders.: A Note on the Text. In  : ders. (ed.)  : An Enquiry concerning the Principles of Morals, A Critical Edition, pp. XI–LXXX und LXXXI– LXXXIII. 142 T. L. Beauchamp  : Introduction  : A History of the Enquiry concerning Human Understanding, sowie ders.: A Note on the Text. In  : ders. (ed.)  : An enquiry concerning human understanding, A Critical Edition, pp. XI– CIV und CV–CVII. 143 T. L. Beauchamp  : Introduction  : A History of Two Dissertations sowie ders.: A Note on the Text. In  : ders. (ed.)  : A Dissertation on the Passions/The Natural History of Religion, A Critical Edition, pp. XI–CXXXII und CXXXIII–CXXXV. 144 R.  Brandt  : Einführung. 145 U.  Bermbach  : Einleitung.

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of Morals146. Besondere Bedeutung für das Verständnis von Humes politischer Theorie hat darüber hinaus der Kommentar von H. Pauer-Studer zu Über Moral, das Buch III der deutschen Übersetzung des Treatise.147 3.4.4 Die weitere Entwicklung – eine skeptische Prognose

Die Tatsache, dass es Usus geworden ist, die Bedeutung von wissenschaftlichen Einzeluntersuchungen einerseits anhand von Online-Zugriffszahlen und andererseits mittels der Anzahl von Zitierungen in nachfolgenden Publikationen abzuschätzen, wird über kurz oder lang die „Veröffentlichungspolitik“ vor allem von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beeinflussen. Beachtung durch die akademische Gemeinschaft darf zu finden hoffen, wer über Themen forscht, denen von vorn herein bereits größeres Interesse entgegengebracht wird. Der Vorrang „gängiger“ Fragestellungen und deren Verdrängungspotenzial wird dadurch zementiert werden, Randthemen versprechen demgegenüber eine entsprechend geringere Reputation. Übertragen auf das Forschungsinteresse an der Schottischen Aufklärung lässt dies eine weitere Konzentration auf die beiden „Hauptautoren“ Hume und Smith sowie im Fall von diesen auf die Bereiche der Erkenntnistheorie und der Politischen Ökonomie und der Geschichte erwarten. Parallel dazu werden sowohl die übrigen Denker der Gruppe als auch rechtliche, philosophische, psychologische, soziologische und politische Fragestellungen eher als nachrangig eingestuft und dementsprechend künftig weniger erforscht werden. Es ist, mit anderen Worten, zu erwarten, dass auch hier verstärkt die Gesetze eines Marktes Einzug halten. Absehbar ist folglich eine aus dieser Tendenz resultierende Verengung des ursprünglich sehr viel weiteren Themenspektrums der schottischen Denker auf wenige Hauptrichtungen und -personen. Auf diese Weise könnte auf die Wiederentdeckung der Schottischen Aufklärung Mitte des vergangenen Jahrhunderts nun der schleichende Prozess eines Bedeutungsverlusts folgen – wenn nicht sogar ihr erneutes Verschwinden.

146 G.  Streminger  : Einleitung. 147 H.  Pauer-Studer  : Kommentar.

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4. Der ideengeschichtliche Vorlauf innerhalb des angelsächsischen Diskurses

Die „Schottische Aufklärung“ ist spätestens Ende des 20. Jahrhunderts in der europäischen Geistesgeschichte als feststehender Begriff etabliert  ; die wichtigsten Vertreter der Epoche – etwa Francis Hutcheson, David Hume, Adam Smith, Adam Ferguson und John Millar – sind benannt, ihre Schriften in den Kanon der Philosophie und auch des politischen Denkens der Neuzeit eingeordnet und zu zeitgleichen Strömungen auf dem europäischen Kontinent in Beziehung gesetzt. Auch wenn die Hauptrichtung der Aufklärung vorwiegend mit anderen Ländern in Verbindung gebracht wurde und immer noch wird – mit Frankreich vor allem, aber auch mit Deutschland –, so liegen die Lehren, die im 18. Jahrhundert in Edinburgh und Glasgow formuliert wurden, doch seit Jahrzehnten als eigenständige Theorien im Blickfeld der Forschung. Im Zusammenhang damit stehen die Denktraditionen, auf die sich die Schottische Aufklärung zurückverfolgen lässt,1 im Fokus. Fasst man diese Schottische Aufklärung nun als einen feststehenden Begriff auf, so legt das die Vermutung nahe, es handle sich dabei um eine einheitliche, geschlossene „Schule“.2 Da diese Untersuchung jedoch differenzieren, nicht generalisieren will, stellt sie diese Annahme von vorn herein in Frage. Selbstverständlich dachten die genannten Autoren vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Zeitgeists und waren mit gleichen, zumindest nahe verwandten Überlegungen befasst. Zumeist gingen sie vom selben Grundverständnis aus, etwa über die Natur des Menschen oder über erkenntnistheoretische Prämissen. Doch wenngleich sie sich oftmals auf dieselben Vorläufer berufen konnten, so gelangten sie deshalb keineswegs immer zu gleichen Schlussfolgerungen. Sehr viel eher können sie, jeder für sich, als schulbildend gelten, obgleich sie ja alle Teilnehmer am selben moralphilosophischen Diskurs waren. Dieser soll nachfolgend mit Blickrichtung auf Großbritannien bis zu einer frühen grundlegenden Zäsur in der Neuzeit – dem Denken von Francis Bacon und Thomas Hobbes – zurückverfolgt werden. Allerdings wird dabei nicht von der Überzeugung ausgegangen, es wäre hier etwas auszumachen, das man als wirklichen „Ausgangspunkt“ ansehen könnte. Letztlich haben Philosophien ebenso, wie sie kein Ende haben, auch keinen exakt bestimmbaren Anfang. Wenn also 1 P.  Kondylis  : Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 385, legt sich dabei auf eine zeitliche Eingrenzung fest, wenn er sagt, dass die „britische moralphilosophische Debatte […] mit Hobbes und den Platonikern ansetzt und mehr als hundert Jahre später ihren Abschluß in Bentham findet“. 2 Mit „Schottische Schule“ wird vornehmlich die der „Common-Sense-Philosophie“ bezeichnet, die zwar unter bestimmten Voraussetzungen der Schottischen Aufklärung zugerechnet werden könnte, jedoch nur einen Teilaspekt in der Spätphase von dieser ausmacht, der in dieser Untersuchung nicht näher betrachtet wird. – Zur Problematik der Nomenklatur (Common Sense School vs. Moral Sense School) siehe G.  Bryson  : Man and Society, pp. 10–11.

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nachfolgend auf Einschnitte und Wendungen innerhalb einer langen Denktradition hingewiesen wird, so geschieht dies weniger, um wirkliche „Tatsachen“ darzulegen, sondern vielmehr, um Konturierungen im Sinn eines Mittels zum Zweck der Veranschaulichung herauszuarbeiten. Verfolgt man das Denken der Schottischen Aufklärung aber „Vorläufer um Vorläufer“ seit dem ihr vorangehenden 17. Jahrhundert, so lässt sich durchaus der Eindruck von einer gegliederten Kontinuität und von einem durchgehenden Diskurs gewinnen, auch wenn der sich nicht nur im Gleichklang, sondern auch in der Form von Rede und Gegenrede manifestiert hat.3 Im Rahmen dieses Diskurses wurde jenes Denken, das letztlich in die Positionen mündet, die unter dem Begriff der Schottischen Aufklärung zusammengefasst werden, zunächst mehr und mehr geschärft, bis es sich schließlich in verschiedene Richtungen – „Disziplinen“ beziehungsweise „Fakultäten“ in der heutigen Terminologie – aufgefächert hat.4 Beides also, die allmähliche Fokussierung, aber auch die Untergliederung und Separierung in Disziplinen, ist Teil dessen, was diese Schottische Aufklärung charakterisiert.5 Letztere ist überdies eingebettet in den übergeordneten moralphilosophischen Diskurs, der im 17. und 18. Jahrhundert in England und Schottland stattgefunden hat. Allerdings kann diesem wiederum nur dann Homogenität zugesprochen werden, wenn man eine solche eher in der Form der Auseinandersetzung denn in gleichgerichteten Festlegungen erkennen will. Kondylis spricht in diesem Zusammenhang sehr plakativ von einem „Ensemble von Positionen, die durch Umstellung bzw. Neuordnung gegebener feststehender Größen um eines bestimmten Effekts willen entstanden sind“.6 Diese Auseinandersetzung beruhte auf einem rhetorisch subtilen Gegeneinanderstellen von Antagonismen, bei dem sich „Trieb bzw. Sinnlichkeit und Intellekt, Angeborenes und Erworbenes, Selbst- und Nächstenliebe etc.“ gegenüberstanden.7 Der Komplexität dieses Prozesses ist die Ausführlichkeit dieses Kapitels geschuldet. Dabei steht außer Frage, dass die Behandlung des Themas – Aspekte der Zuversicht im politischen Denken der Schottischen Aufklärung – eine so umfassende Darlegung der vorlaufenden angelsächsischen Moralphilosophie, wie sie hier geboten wird, nicht zwingend voraussetzt. Allerdings soll versucht werden, dem Eindruck entgegenzutreten, bei der Schottischen Aufklärung könne es sich auch nur entfernt um etwas gehandelt haben, das geradezu aus dem Nichts oder abrupt entstanden sei, als eine Einzigartigkeit, 3 Siehe zum Diskursbegriff auch S. 111 und S. 166 f. 4 Siehe zur Organisation des Wissens und der Lehre an den Universitäten der Neuzeit  : P. Burke  : Papier und Marktgeschrei, S. 101–138, besonders S. 111–113. – Der Prozess dieser Auffächerung ging demnach keineswegs linear vonstatten, sondern war das regional unterschiedliche Ergebnis von organisatorischen Innovationen an den jeweiligen Universitäten. Deshalb ist der folgende Hinweis Burkes, ebd. S. 111, durchaus berechtigt  : „Von Disziplin im Plural zu sprechen, birgt das Risiko, disziplinäre Konflikte einer späteren Epoche auf die frühe Neuzeit zu projizieren.“ 5 Siehe dazu u. a. D. Brühlmeier  : Die Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie. 6 P.  Kondylis  : Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 385. 7 Ebd.

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geschaffen von bedeutenden Denkern und den besonderen regionalen Umständen, von denen sie inspiriert worden wären.8 Es ist nicht zu bestreiten, dass die Lektüre dieses Kapitels eine gewisse Vertrautheit mit den Schriften der schottischen Denker voraussetzt – ist diese nicht gegeben, mag es den Eindruck eines Fremdkörpers erwecken. Andererseits  : Das Denken der Schottischen Aufklärung ist eingebettet in einen Diskurs, und es mündet in eine vorlaufende Denktradition ein. Aus dieser Überlegung heraus versteht sich das Folgende als notwendige Introduktion. Die Formierung des Denkens dieser Epoche vollzog sich unter der Prägung durch verschiedene geistige Einflüsse, aber auch als Reflex auf diese. So löste sich zunächst als Folge der naturwissenschaftlichen „Erfolgsgeschichte“9 seit dem 17. Jahrhundert, die der Anschauung, dem Wahrnehmen mit den Sinnen und dem Experiment zu einem gänzlich neuen, höheren und grundlegenden Stellenwert verhalf, das Welt- und Menschenbild aus seiner jahrhundertelangen dogmatischen theologischen Einhegung. Die religiöse Emanzipation wiederum bereitete der Empirie in den Wissenschaften erst den Weg und ist deshalb nicht nur die Frucht oder ein Ergebnis der Aufklärung, sondern in gewisser Weise auch eine Vorbedingung für deren Erfolg  : Die kritische Auseinandersetzung mit den Lehren der Offenbarungsreligion nämlich verschiebt die Grenze des zulässig Denkbaren – den Denkstil10 – und beflügelt ein von den Fesseln der Theologie befreites Forschen. Weitere Einflüsse sind festzustellen, insbesondere aus Frankreich. Die Verbindungen Smiths zu den Physiokraten um Turgot und Quesnay werden üblicherweise angeführt  ; von diesen erhielt er zwar nicht den Ausgangsimpuls für seine ökonomische Theorie, doch fand er in ihnen kompetente Gesprächspartner, die seine Überzeugungen weitgehend teilten und ihn in diesen bestärkten. Nachweisbar ist auch Rousseaus Einfluss auf die schottischen Denker  ;11 im Fall Fergusons wird darauf noch zurückzukommen

 8 Dass dieser Gedanke mitunter zumindest anklingt, beweist die folgende generalisierende Aussage von T. C. Smout  : A History of the Scottish People, 1560–1830, p. 452  : “There are perhaps three things that are most striking about Scottish philosophy in the eighteenth century. The first is the speed of its growth from nothing.”   9 Die Erfolge dieser „Erfolgsgeschichte“ zeigen sich dabei zunächst vor allem in den Erklärungsfortschritten, die die Naturwissenschaften vorweisen können, und noch längst nicht im Nutzen, der aus diesen gezogen wird. Wenn heute von einer Erfolgsgeschichte des naturwissenschaftlichen Denkens gesprochen wird, steht stets im Vordergrund, wie stark die gewonnenen Erkenntnisse in die Umstände des täglichen Lebens eingreifen und diese angeblich in einer geradlinig verlaufenden Aufwärtsbewegung geradezu ausschließlich verbessern. Im 18. Jahrhundert gibt es den Fortschrittsmythos heutiger Prägung noch nicht, sondern es bildet sich lediglich eine Fortschrittszuversicht aus. 10 Siehe den Abschnitt 5.3.2.2 („‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft“). 11 Siehe hierzu R. P. Hanley  : The ‘Science of the Legislator’ in Adam Smith and Rousseau  ; E. G. West  : Adam Smith and Rousseau’s ‘Discourse on Inequality’  : Inspiration or Provocation  ?  ; P. France  : Primitivism and Enlightenment  : Rousseau and the Scots  ; I. McDaniel  : Philosophical History and the Science of Man in Scotland  : Adam Ferguson’s Response to Rousseau  ; R. A. Sparling  : Corruption and Partisanship  : Rousseau, Ferguson and Two Competing Models of Republican Revival.

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sein.12 Auch Montesquieus großem Werk Vom Geist der Gesetze mit seiner ansatzweise schon soziologischen Perspektive, der Erklärung der Sphäre des Politischen durch vielfältige Bedingungen (Geschichte, Ökonomie, Erziehung, aber auch Klima) sowie den Hinweisen auf die Bedeutung des Eigentums und der Erwerbsmethoden für den Entwicklungsprozess der Gesellschaft begegnet man an verschiedenen Stellen bei Smith, Hume, Ferguson und Millar. Dennoch ist gerade der angelsächsische Diskurs, dessen Teil die Schottische Aufklärung selbst war, wohl derjenige, der am leichtesten nachvollziehbar zu ihrem Denken hinführt. Darin liegt der Grund für die Ausführlichkeit, mit der er nachfolgend dargestellt wird. Die Aufklärung ist ein Prozess, in dessen Verlauf der theologischen Welterklärung durch eine rationale und sich auf Erfahrung und unmittelbare Anschauung berufende Gegenposition Konkurrenz erwächst. Francis Bacon hat die Dynamik, die diesen Prozess vorantrieb, bereits kurz nach ihrem Einsetzen erfasst und sie mit publizistischen Mitteln befeuert.13 Ihm geht es nun auch in der Philosophie um den unmittelbaren Nutzen für die Menschheit, um „Früchte und Entdeckungen [fruits and effects]“ zur „Verbesserung des Zustandes der Menschen“.14 Damit ist eine Grundausrichtung gegeben, zu der die englische Philosophie, sich auf die „Anschauung“ berufend, nach und nach Thesen sowohl über die Natur insgesamt als auch über die Natur des Menschen formuliert. Da diese Thesen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein entweder radikal abgelehnt werden oder aber Zustimmung erfahren, bilden sich zwei grundlegend unterschiedliche Argumentationslinien heraus, die entweder die selbstbezogene Seite des Menschen betonen – wie etwa bei Hobbes und Mandeville – oder auf dessen Kooperationsfähigkeit und -willigkeit setzen, wie dies bei Locke, Shaftesbury und Hutcheson zum Ausdruck kommt. Diese beiden Linien bleiben als Archetypen der Auseinandersetzung lange unvermittelt nebeneinander bestehen, bis sie mit den späteren Autoren der Schottischen Aufklärung, allerdings in Ansätzen auch bereits mit Hutcheson, in einem differenzierteren Bild aufgehen. Insbesondere in Smiths Gesamtwerk, das man zusammengefügt aus einem Buch über die sozialen Tugenden (Theory of Moral Sentiments) und einem Buch über die individuellen Interessen oder die Leidenschaften (Wealth of Nations) lesen kann, gelangen diese bis dahin über eineinhalb Jahrhunderte ebenso stabil wie konträr zueinander bestehenden Positionen zu einer Synthese. Wie lässt sich diese Entwicklung zumindest in groben Zügen und mit Blick auf das Denken der Schottischen Aufklärung nachzeichnen  ? 12 Siehe den Abschnitt 10.4.2 („Das Eigentum und die Genese des Staates“). 13 Auf die Bedeutung Francis Bacons auch für die Schottische Aufklärung wird im Zusammenhang mit dem Naturbegriff ausführlicher eingegangen  ; siehe hierzu den Abschnitt 5.3.1 („Natur als Quelle der Erkenntnis und als nützliches Gegenüber  : Bacons Weichenstellung“). 14 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 73, S. 157, wo die Übersetzung abweichend von der zitierten lautet  : „[…] die Früchte und die erfundenen Werke […].“ – OT.: ders.: Novum Organum, p. 50.

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Der ideengeschichtliche Vorlauf innerhalb des angelsächsischen Diskurses

4.1 Der historische und politische Kontext

Wie viele Länder auf dem europäischen Kontinent, so sind in der frühen Neuzeit auch die britischen Inseln eine politisch instabile Region. Zwar gilt England in dieser Epoche als „eines der reichsten Länder Europas“, das dank seiner geopolitischen Gegebenheiten „zu den meisten politischen Turbulenzen auf dem Kontinent Distanz wahren“ kann,15 doch verschärfen sich im 17. Jahrhundert vor dem Hintergrund struktureller Probleme und gesellschaftlicher Konflikte die religiös begründeten und politisch-dynastischen Auseinandersetzungen – die Rede ist von Landflucht und Urbanisierung ebenso wie von adliger Grundherrschaft und einer „agrarischen Revolution“, die „im Wesentlichen zu Lasten der weitgehend selbstständigen kleinen und mittleren Pächter“ geht.16 Die Gesellschaft wird von einer kleinen Oberschicht aus dem Hochadel (peerage bzw. aristocracy) dominiert, unter der die zahlenmäßig deutlich größere Gruppe des niedrigen Landadels (gentry) wie eine soziale Trennschicht die rangniedrigeren Gruppen von wirklicher Machtteilhabe im Staat fernhält. Die Hierarchien innerhalb des Adels sind undurchlässig, die Strukturen festgefügt. Während die Zugehörigkeit zum Hochadel auf Erbfolge oder, in nicht sehr häufigen Fällen, auf königliche Ernennung zurückgeht und deshalb diesen zu einer homogenen Gruppe macht, ist die Stellung der gentry nur vage festgelegt. Grundsätzlich kann dieser Schicht angehören, wem es möglich ist, wie ein gentleman zu leben, und das bedeutet, seinen Lebensunterhalt nicht mit seiner Hände Arbeit bestreiten zu müssen.17 Zwar verfügt England bereits im 16. Jahrhundert über ein Parlament und damit „über ein nationales, mit einiger Regelmäßigkeit einberufenes und funktionsfähiges Repräsentationsorgan“,18 doch gilt dies keineswegs nach heutigen Maßstäben, denn im Oberhaus, dem House of Lords, repräsentiert der Hochadel sich selbst,19 und sogar für einen Sitz im Unterhaus, dem House of Commons, ist neben anderen Privilegien vor allem der Besitz von Grundeigentum die Voraussetzung. Hinsichtlich der politischen Partizipation ist Eigentum somit fraglos ein distinktives Merkmal der englischen Gesellschaft. Wer nicht über ein „eigenes Grundeigentum mit einem jährlichen Ertragswert von mindestens 40 Shilling“ verfügt,20 besitzt kein Wahlrecht. Damit sind keineswegs nur die weitgehend mittellosen cottagers und paupers von der politischen Teilhabe ausgeschlossen, sondern unterhalb der gentry nahezu alle 15 P.  Wende  : Großbritannien 1500–2000, S. 1. 16 Ebd., S. 4 f. 17 Ebd. Dort der Hinweis auf die Definition des Gentlemans bei T. Smith  : The Commonwealth of England  : And the manner and Governement thereof, (1583) London 1640, darin pp. 51–56  : “Chap. XX., Of Gentlemen.” “For whosoever studieth in the Universities, who posesseth liberall Sciences  ; & to be short, who can live idely, and without manuall labour, and will beare the port, charge and countenance of a Gentleman, hee shall be called a Master […] and shall bee taken for a Gentleman.” Ebd., S. 55 (Hervorh. HK). 18 H.-C. Schröder  : Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, S. 17. 19 Ebd., S. 18. 20 Ebd.

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übrigen Bevölkerungsteile mit Ausnahme der kleinen Gruppe der yeomen, die auf dem Kaufweg zu größerem Landbesitz gelangt sind,21 sowie einem eben erst aufkommenden städtischen Bürgertum – Kaufleute, Ärzte, Rechtsanwälte, dazu Geistliche. Somit spielt der Eigentumsbegriff im politischen Denken Großbritanniens eine zentrale Rolle, auf die ausführlich einzugehen sein wird. In dieser Zeit wird in England Politik von wenigen zum Nutzen weniger gemacht,22 und dies zudem auf der Grundlage nur vager rechtlicher Festlegungen.23 Festgeschrieben ist das Recht des Parlaments auf Steuerbewilligung sowie das seiner Mitwirkung – weitgehend in Form einer Zustimmungspflicht zu den statutes – an der Gesetzgebung, die wesentlich jedoch beim König liegt  ;24 ihm steht als beratendes Organ der etwa 20-köpfige Kronrat (privy council)25 zur Seite, in dem man eine frühe Form einer zentralen Regierungsbehörde erblicken kann. Zudem ist das Parlament keine permanente Institution im Staat, sondern es tagt unregelmäßig und nur nach Einberufung durch den Monarchen. Da die Machtausübung im Staat also zwischen dem Parlament und dem Monarchen aufgeteilt, jedoch unscharf festgelegt ist, liegt hier über einen langen Zeitraum ein innenpolitisches Konfliktpotenzial.26 Es zu entschärfen gelingt nicht, und so vergrößert es sich in Wellen, bis es sich im 17. Jahrhundert in heftigen Auseinandersetzungen entlädt. Die Faktoren, die zusammen genommen die Vorgeschichte der Englischen Revolution darstellen, lassen sich einzeln benennen  :27 Zu unterscheiden sind „Streitfragen, die durch die Finanzprobleme der Krone ausgelöst wurden“  ; „Faktoren, die einen Prestigeverlust der Monarchie bewirkten“  ; Polarisierungsprozesse, die zwischen court und country zur Wirkung kamen  ; Furcht vor einer Wiedereinführung des Katholizismus und ein damit verbundenes Grundmisstrauen gegenüber dem Hof  ; spezifische Folgen des Regierungshandelns Karls II., die als gegen das Parlament und das „libertäre Verfassungssystem“ gerichtet angesehen wurden. All dies treibt das Land 1642 in einen Bürgerkrieg und danach in mehreren Krisen 1688/89 in die Glorious Revolution, mit der Folge einer Neujustierung der Machtverhältnisse zwischen Krone und Parlament. Dieser Prozess ist seinem Wesen nach eine lang andauernde Auseinandersetzung zwischen Interessengruppen, die einen allerdings nur geringen Teil der englischen Bevölkerung ausmachen. Er schlägt sich in der politischen Publizistik der Zeit nieder, die die Gesellschaft von diesen 21 P.  Wende  : Großbritannien 1500–2000, S. 17. 22 Ebd., S. 22  : „Insgesamt waren es ungefähr 2000 Familien, die nicht nur das politische Leben in den Grafschaften und Städten weitgehend kontrollierten, sondern auch durch ihre Vertretung im Parlament oder ihre Präsenz am Hofe die Geschicke des Landes mitbestimmten.“ 23 Zu den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen siehe O. Hottinger  : Eigeninteresse und individuelles Nutzenkalkül, S. 30–43. 24 P.  Wende  : Großbritannien 1500–2000, S. 24 f. 25 Ebd., S. 23 f., sowie H.-C. Schröder  : Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, S. 15 f. 26 A.  Ferguson  : Essay, p. 128. In Fergusons Worten handelt es sich um “a monarchy mixed with republic”. 27 Hier folge ich der differenzierenden Darstellung von H.-C. Schröder  : Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, S. 21.

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Gegensätzen her beschreibt, und hat in ihnen auch sein Gravitationszentrum. Die großen politischen Theorien von Hobbes und Locke sind deutlich geprägt vom Anspruch, die unmittelbar erlebten politischen Konflikte aufzulösen – ohne die es diese Theorien möglicherweise nicht gegeben hätte.

4.2 Der ideengeschichtliche Kontext

Dennoch kann das politische Denken in Großbritannien im nachfolgenden 18. Jahrhundert nicht ausschließlich als Reflex auf die Zeitumstände verstanden werden. Nach wie vor beschäftigen sich die Autoren intensiv mit einer „allgemeinen“ Theorie der Gesellschaft. Die grundlegenden Fragen richten sich nach den Dispositionen des Menschen, nach seiner anthropologischen Natur sowie dem Ursprung und dem Wesen jener Kräfte, die ihn zum Handeln bewegen und dieses leiten  : Hatte man sich ihn von Grund auf eher mitfühlend oder eher kriegerisch vorzustellen  ? Trieb ihn die Angst vor seinesgleichen um oder vielmehr sein Streben nach persönlichem Nutzen an  ? Gab es eine bestimmte Form des Zusammenlebens, die ihm gemäß war – und das heißt  : „von Natur aus“ gemäß  ? Und ließ diese Form des Zusammenlebens sich dauerhaft sichern  ? Und im Hintergrund all dessen steht stets die Frage, was den Menschen überhaupt zum Handeln veranlasst  : Sind es Akte vernünftigen Überlegens oder sind es affektive Impulse, die es in Gang bringen  ? 4.2.1 Die Kontinuität des Diskurses

In der Rückschau scheinen innerhalb des moralphilosophischen Diskurses des 17. und 18. Jahrhunderts in Großbritannien, den wir als einen gleichermaßen erkenntnistheoretischen, ethischen, politischen und psychologischen auffassen können, bestimmte Hauptthemen als stets wiederkehrende Elemente auf. Es geht um die Auseinandersetzungen um Legitimität und Legitimation (etwa  : Naturrecht versus Nützlichkeit), um die Bedeutung des Eigentums und den Stellenwert der Interessen, um die jeweiligen Aufgaben und Pflichten im Rahmen der Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft und um die damit verbundenen Mechanismen staatlicher Kontrolle und individueller Selbstkontrolle. Die Schottische Aufklärung ist in dieses umfassende Geschehen einer Theoriebildung mittels maßgeblicher Aussagen involviert. Folgt man den Gedanken Schraders28 und illustriert sie mit einigen Schlaglichtern aus dieser teils leidenschaftlich geführten Debatte, so zeigt sich das Bild eines kontinuierlichen Verlaufs. Illustrieren lässt sich dies mit dem Beispiel des Moral-sense-Diskurses.29 Dieser nimmt seinen Ausgang30 28 W.  H. Schrader  : Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung. 29 C. Fricke  : Moral sense, S. 846. 30 Gemeint ist hierbei nicht das Auftauchen der Thematik, sondern der Beginn des Diskurses selbst, denn ein solcher beginnt mit Widerspruch.

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bei bestimmten ethischen und psychologischen Aspekten der Theorie Hobbes’, spätestens aber bei Lockes erkenntnistheoretischem Essay concerning Human Understanding und der darin vorgebrachten These No Innate Principles in the Mind.31 Der inhaltliche Ausgangspunkt liegt also letztlich in der englischen Philosophie des 17. Jahrhunderts. Ihre kontroverse Fortführung erfährt die Debatte sodann in den moralphilosophischen Schriften von Shaftesbury und Mandeville, um schließlich mit Hutcheson und Hume in das Denken der Schottischen Aufklärung einzumünden und dort mit Smith und Ferguson ihren Abschluss zu finden.32 Wenn dabei von Kontinuität die Rede ist, so geschieht das keineswegs im Verständnis einer bruchlos verlaufenden Argumentationslinie, sondern vielmehr im Bewusstsein, dass Diskurse kommunikative Prozesse darstellen, die sich aus dem Aufeinandertreffen gegensätzlicher Auffassungen speisen. Aus diesen geht zumeist eine Position als die dominierende hervor. Die kontroverse Auseinandersetzung mit vorlaufenden Theorien ist deshalb ein konstitutives Element eines solchen Diskurses. Foucault, der den Begriff des Diskurses in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtungsweisend verwendet hat, macht eine in diesem Zusammenhang wichtige Unterscheidung, wenn er „die Kategorie der grundlegenden oder schöpferischen Diskurse [der] Masse der wiederholenden, glossierenden und kommentierenden“ gegenüberstellt, also den „Primärtexten“. Damit deutet er jene Entwicklung an, mit der man es auch beim hier behandelten Thema zu tun hat  : „Viele Primärtexte verdunkeln sich und verschwinden[,] und manchmal übernehmen Kommentare den ersten Platz.“33 Dabei setzen sich bereits zahlreiche jener Texte, die wir heute als Primärtexte verstehen, zu großen Teilen aus Kommentaren und Bezugnahmen zusammen.34 Das gilt für alle Diskurse innerhalb des weiten Spektrums des politischen Denkens, um deren Kontinuität und Diskontinuität es hier geht. 4.2.2 Thomas Hobbes

Das Denken der Aufklärung hat viele Inhalte und Richtungen. Hervorstechend sind sicherlich die Kritik am Denken der klassischen Philosophie, fallweise auch der Bruch mit ihr, und nachfolgend die Entwicklung neuer „Systeme“ zur Erklärung des menschlichen Daseins. Nach der Abkehr von der klassischen, „aristotelischen“ Weltbeschreibung und 31 J.  Locke  : Verstand, I, S. 52  : „Es gibt keine angeborenen praktischen Prinzipien“. – OT.: ders. Understanding, I, p. 13. – Shaftesbury wird später von seinem Lehrer in diesem Punkt abweichen und die Moral-senseTheorie begründen. Siehe den Abschnitt 4.2.4 („Shaftesbury“). 32 Wenn hier von einem Abschluss die Rede ist, so bezieht sich das lediglich auf die angelsächsische Moralphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts, denn inzwischen ist diese Auseinandersetzung durch die Neurowissenschaften längst zu neuem Leben erwacht. 33 M.  Foucault  : Die Ordnung des Diskurses, S. 16. 34 Man denke in diesem Zusammenhang nur an A. Smiths 7. Kapitel seiner Theory („Über einige Systeme der Moralphilosophie“), das ja Primärtext und Kommentar in einem ist.

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der Befreiung von den als im Dogmatismus erstarrt empfundenen Lehren der Kirche(n) entwickelt sich ein philosophischer Ansatz, der sich zunächst vom Rationalismus abzuwenden und die menschliche Existenz aus der „Erfahrung“ und der Anschauung zu deuten sucht.35 Diese Wende des Denkens schließt einen neuen Blick auf das ein, was als „menschliche Natur“ den Ausgangspunkt der damaligen Moralphilosophie im Allgemeinen und des politischen Denkens im Besonderen ausmacht  : „Dieser Entfatalisierung entspricht ein Diskursivwerden der Welt.“36 Stellt man diese Voraussetzungen in den Fokus der Betrachtung, so beginnt die politische Philosophie der Aufklärung mit Thomas Hobbes (1588–1679). In dessen Leviathan sind die Grundaspekte der Neuausrichtung vereint  : Zum einen findet der Mensch seine Lebensumstände nicht mehr ausschließlich vor, sondern er schafft sie sich selbst  ; und wenn er auf diese Weise den Staat schafft, in dem er leben will, so begründet er ihn nicht mehr allein spekulativ,37 sondern unmittelbar mit dem Hinweis auf seinen Zweck  : „Denn durch Kunstfertigkeit [nach heutigem Sprachgebrauch zu verstehen im Sinn von  : ‚künstlich‘] wird jener große Leviathan geschaffen, genannt Gemeinwesen oder Staat [by art is created that great Leviathan called a Commonwealth, or State] […], der nichts anderes ist als ein künstlicher Mensch, wenn auch von größerer Gestalt und Stärke als der natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde.“38

Der Mensch wird ausdrücklich zum Schöpfer seiner Welt erklärt, der den göttlichen Schöpfungsakt wiederholt,39 und er muss damit auch zum Schöpfer des Staates werden, denn dieser verdankt seine Legitimation nicht länger einem göttlichem Willen. Gerade wenn man berücksichtigt, dass Hobbes zeitweise in enger Verbindung zu Francis Bacon stand, eröffnet sich ein bezeichnender Kontext, findet sich doch in Bacons Novum Or35 K. H. Metz  : Behemoth oder die Sterblichkeit des Staates, S. 55. Metz spricht in diesem Zusammenhang von einer Schub-Zeit  : In solchen ‚Schub‘-Zeiten öffnet sich sozusagen die ansonsten mit Gewohnheiten zugestellte Zukunft, aus Zuständlichem wird Wandelbares, wird eine Neuheit der Erfahrungswelt, die Wachstum hervorbringen kann […] Die Entwertung dessen, was gewohnt und richtunggebend war, führt zum Bestreben, die Zukunft wieder zu schließen, sei es durch unbedingte Sollensbeschreibung einer guten, neuen Zeit, sei es durch Festklammern am Alten, sei es durch jenen Versuch der Kälte, der die Zeit von sich fernzuhalten strebt, indem er nach dem Zeitlosen frägt oder dem, was der Zeit, selbst der aufgewühltesten, Form gibt und Regel.“ 36 Ebd., S. 56. 37 Es soll damit nicht in Abrede gestellt werden, dass die Begründung des Staates auch spekulativ erfolgt, denn die Vertragstheorien sind letztlich eine Form spekulativer Argumentation und eben nicht empirischen Ursprungs. Siehe zu dieser Frage auch den Abschnitt 14.2.6.1 („Funktion und Bedeutung der Vertragstheorien“). 38 „Schutz und Verteidigung“ also sind als Staatszweck ausdrücklich benannt. – T. Hobbes  : Leviathan (K.), S. 7 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. IX. 39 R. Voigt  : Thomas Hobbes (1588–1679), S. 153  : „Der [Hobbes’sche] Staat ist danach das größte menschliche Artefakt überhaupt, ein Glanzstück menschlicher Kulturleistung.“

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ganum die Forderung, „die Macht und die Herrschaft des Menschengeschlechtes selbst über die Gesamtheit der Natur zu erneuern und zu erweitern […].“40 Das ist nicht mehr jenes Bild vom Menschen, der der Natur gegenübersteht, sondern von dem, der in sie eingreift und sie nach seinen Bedürfnissen verändert. Hobbes’ Anschauung stellt diesen neuen Menschen nicht nur in den Mittelpunkt der Welt, sondern zugleich auch in den Mittelpunkt der Erkenntnis über sich selbst. „Lies in dir selbst“ ist nun das Leitmotiv, und die daraus gezogene Konsequenz lautet  : „Es sollte uns […] lehren, daß jedermann, der in sich selbst blickt und darüber nachdenkt, aus seinem Denken, Meinen, Schließen, Hoffen, Fürchten usw. und deren Gründen lesen und erkennen wird, welches die Gedanken und Leidenschaften aller anderen Menschen bei den gleichen Anlässen sind […].“41 Das bedeutet zum einen, dass Hobbes mit seiner Analyse vom Menschen seiner Gegenwart, vom „zivilisierten“ Menschen nämlich, ausgeht  : Was der zeitgenössische Mensch an sich selbst feststellt, darf er also auf andere übertragen, ja er muss es sogar, denn eine andere Quelle der Erkenntnis über den „Menschen an sich“ gibt es nicht.42 Mit seiner These von der Verallgemeinerbarkeit eigener Handlungsmotive und -impulse sucht Hobbes die Erkenntnis über den Menschen auf ein sicheres Fundament jenseits spekulativer Annahmen zu stellen. Zum andern erkennen wir in diesem Lies-in-dirselbst den Vorläufer jenes Verfahrens, dem ein Jahrhundert später in der schottischen Moralphilosophie noch eine zentrale Bedeutung zukommen wird, denn die Introspektion wird – mit einem etwas anderen Erkenntnisinteresse als dem Hobbes’schen – als analytisches Verfahren bei Humes und vor allem Smiths Überlegungen zur Sympathie/ Empathie wieder auftauchen.43 Was Hobbes bei der Betrachtung der Menschen erkennt, ist, dass Eigeninteresse sie leitet und Furcht voreinander sie ängstigt. Daraus vor allem erklärt sich für ihn ihr Handeln, und die Institutionen, die sie schaffen, haben hierin ihren Ursprung. Die Versuchung ist gegeben, von diesen wenigen Leitmotiven auf eine wenig komplexe, geradezu scherenschnittartige politische Philosophie zu schließen. Ein Beleg für diese Gefahr sind die vielen Schriften, die zur Widerlegung des Leviathan-Ansatzes in der Folgezeit verfasst werden und aus denen der philosophische ebenso wie der weltanschauliche Diskurs ein Jahrhundert hindurch seine Anstöße bezieht  : Hobbes’ Ansatz auf die – zudem an anderer Stelle publizierte – Homo-homini-lupus-Formel zu verkürzen, war einladend und eignete sich vorzüglich als markanter Angriffspunkt für jegliche gegenläufige Argumentation. Gerecht wurde sie diesem wegweisenden Entwurf allerdings nicht, und sie ging an der Intention seines Urhebers überdies vorbei. Diese Theorie ist von Grund auf – darunter ist zu verstehen  : nicht nur hinsichtlich der Analyse, sondern auch im Hinblick auf die Prog40 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 129, S. 271 (Hervorh. HK). 41 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 8 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. XI.  42 C.  B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 43. 43 Siehe den Abschnitt 11.2.2 („Die Denkfigur des ‚unparteiischen Beobachters‘“).

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nose – eben keineswegs pessimistisch, sondern sie soll im Gegenteil den Weg weisen, auf dem der Mensch gerade trotz seiner „wölfischen“ Anlagen zu einem dauerhaften Frieden in der Gesellschaft finden kann. Es ist der Staat, der den Menschen zähmt, genauer noch  : Der Mensch zähmt durch den Staat sich selbst  : „Nun sind sicher beide Sätze wahr  : Der Mensch ist ein Gott für den Menschen, und  : Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen  ; jener, wenn man die Bürger untereinander, dieser, wenn man die Staaten untereinander vergleicht. Dort nähert man sich durch Gerechtigkeit, Liebe und alle Tugenden des Friedens der Ähnlichkeit mit Gott  ; hier müssen selbst die Guten bei der Verdorbenheit der Schlechten ihres Schutzes wegen die kriegerischen Tugenden, die Gewalt und die List, d. h. die Raubsucht der wilden Tiere, zu Hilfe nehmen.“44

Diese Aussage ist so eindeutig, und Hobbes’ Bestreben, die Bedingungen zu klären, die den Staat zu einer Institution des Schutzes für seine Bürger machen, ist so deutlich die Grundkonstante seiner Schriften, dass man in der Wolfsmetapher kaum mehr als ein rhetorisches Hilfsmittel erkennen möchte. Jedenfalls steht sie nicht stellvertretend für Hobbes’ politische Philosophie, die mittels der Hypothese des Naturzustandes, also der Fiktion einer vorstaatlichen Gesellschaft, ein Analyseinstrument für jene „menschliche Natur“ zu schaffen sucht, aus der wiederum sie ihre normative Orientierung beziehen soll. 4.2.2.1 Der Naturzustand  : zeitgenössische Gesellschaft minus Zivilisation

An anderer Stelle wird auf die Funktion eingegangen, die dem Naturbegriff im Denken der Aufklärung zugedacht war.45 Auch im Fall von Hobbes’ politischer Theorie ist deshalb ein genauerer Blick auf dessen Überlegungen zum Naturzustand aufschlussreich, denn sie sind für das nachfolgende politische Denken der ganzen Epoche von richtungsweisender Bedeutung. Das gilt sowohl für die Schaffung einer Legitimationsinstanz im Rahmen der Argumentation als auch für die Ableitung einer Theorie des Staates. „Die von Hobbes begründete Erkenntnistheorie und Methodologie des modernen systematischen Naturrechts“, sagt Medick, „gewinnt so in der notwendigen fiktiven Abstraktion des Naturzustandes gewissermaßen unter der Hand eine normative Dimension und macht das Naturzustandstheorem seither zum grundlegenden normativ-analytischen Axiom der Naturrechtslehre und der politischen Theorie.“46 Woraus aber erschließt sich dieser Naturzustand für Hobbes und was sieht er, wenn er auf ihn blickt  ? Die für die Konsequenzen seiner Theorie wohl wichtigste Feststellung und sein eigentlicher Ausgangspunkt ist die Negierung einer menschlichen Disposition zur Vergesellschaftung. Der Mensch ist für ihn nicht das zoon politikon der klassischen 44 T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 63 f. (Hervorh. übern.). 45 Siehe den Abschnitt 5.1 („Der Naturbegriff im Denken der Aufklärung“). 46 H.  Medick  : Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 39.

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Philosophie. In seiner Schrift über die Grundzüge der Philosophie stellt er vielmehr klar  : „Dieses Axiom ist […] trotz seiner weitverbreiteten Geltung falsch [certainly false]  ; es ist ein Irrtum, der aus unserer allzu oberflächlichen Betrachtung der menschlichen Natur herrührt.“47 Diese menschliche Natur soll deshalb Hobbes zufolge genauer untersucht werden – und zwar unter Zuhilfenahme eben der Konstruktion „des Naturzustands“.48 Dadurch aber ergeben sich für Hobbes hinsichtlich der Konsistenz seiner Argumentation mehrere Schwierigkeiten, die zum einen in der Art der Hypothese dieses Naturzustands selbst begründet liegen – wie stellt dieser sich dar  ? –, zum andern auf deren epistemische Implikationen zurückgehen – wie gelangt Hobbes überhaupt zur „Erkenntnis“ dessen, was dieser Naturzustand ist  ? Jeglicher Untersuchung von Hobbes’ Ableitung der Gesellschaft aus dem Naturzustand ist vorauszuschicken, dass es sich dabei um eine logische Hypothese handelt, nicht um eine historische.49 Hobbes will ausdrücklich nicht zeigen, auf welche Weise die Menschen in einer vorstaatlichen Zeit tatsächlich miteinander gelebt haben. Sein Bild dieses Naturzustands ist nicht das Ergebnis historischer Untersuchungen, ja nicht einmal das einer Auswertung historischer Aufzeichnungen, zumal die frühesten von diesen selbst ja auf Zeiten erst lange nach den frühesten gesellschaftlichen Zusammenschlüssen zurückgehen. Vielmehr – und nur auf den ersten Blick paradoxerweise – ist seine Darlegung des Naturzustands aus derjenigen Gesellschaft abgeleitet, in der Hobbes selbst lebt und für die er eigentlich schreibt. Was gezeigt wird, ist ein Bild der bürgerlichen Gesellschaft, von der in Gedanken lediglich alle zivilisatorischen Errungenschaften fortgenommen sind.50 Im von ihm gedachten Naturzustand, so seine Vorgehensweise, belässt Hobbes den Menschen all ihre – wohlgemerkt gesellschaftlich erworbenen – Verhaltensweisen und Begierden,51 entzieht ihnen aber gleichzeitig all die notwendigerweise in der Gesellschaft entstandenen Regulative und Mechanismen zur Absicherung vor den unge47 T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 80. – OT.: ders.: Rudiments, p. 3. 48 C.  B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 38–40, weist darauf hin, dass der Begriff „Naturzustand“ wohl stärker auf die Hobbes-Rezeption als auf Hobbes selbst zurückgeht. Dies wird erhärtet durch die Beobachtung, dass sich für die Stellen des Leviathan, an denen Hobbes selbst die Wendung “condition of mere nature” (also  : „Zustand der reinen Natur“ – der Fokus liegt hier auf „Natur“) verwendet, in der deutschen Version das stärker historisch einordnende „reiner Naturzustand“ (der Fokus liegt hier auf „Zustand“) eingebürgert hat. – Eine kursorische Betrachtung von Hobbes’ Originaltexten ergibt, dass Hobbes im Leviathan zwölf Mal “condition of mere nature” verwendet und kein einziges Mal “state of nature”. In den Philosophical Elements of a True Citizen (in  : ders.: Rudiments) ist hingegen 16 Mal von “state of nature” die Rede, von “condition of mere nature” bzw. von “condition of nature” kein einziges Mal. 49 Siehe ebd. S. 32–43. – Ebenso C. Mayer-Tasch  : Autonomie und Autorität, S. 12  : „Hobbes’ Methode ist ungeschichtlich, sein Urzustand logischer Mythos, nicht aber historische Vision.“ 50 C.  B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 35  : „Sein Naturzustand ist eine Feststellung über das Betragen, das Menschen, wie sie jetzt sind, Menschen, die in zivilisierten Gesellschaften leben und die Bedürfnisse zivilisierter Wesen haben, an den Tag legen würden, wenn niemand mehr die Einhaltung von Gesetz und Vertrag (sei es auch, wie gegenwärtig, bloß mangelhaft) erzwingen würde.“ 51 Ebd.

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wollten Auswirkungen dieser Leidenschaften und Begierden, eben des unkontrollierten Eigennutzes und der Bereitschaft zu dessen unbeschränkter Durchsetzung. Sein Blick richtet sich also nicht in die früheste Vergangenheit des Menschen, sondern im Gegenteil in eine imaginäre Zukunft. Gerade durch diesen Aufbau seiner Argumentation gewinnt er erheblich mehr an Plausibilität, als ihm dies mittels eines bloßen tatsächlichen Rückblicks in eine vorstaatliche Vergangenheit der Menschen möglich gewesen wäre. Rousseau, selbst stark von Hobbes beeinflusst, ist vielleicht der Erste gewesen, der dieses Argumentationsverfahren durchschaut und transparent gemacht hat, als er schrieb  : „Alle schließlich haben unablässig von Bedürfnis, von Habsucht, von Unterdrückung, von Begehren und von Stolz gesprochen und damit auf den Naturzustand Vorstellungen übertragen, die sie der Gesellschaft entnommen hatten. Sie sprachen vom wilden Menschen und beschrieben den bürgerlichen Menschen.“52 Es ist ein sehr bedeutsames Merkmal der Hobbes’schen Naturrechtstheorie, dass sie in der Tat nicht allgemein auf spekulativer Phantasie beruht, sondern auf einer ganz bestimmten Methode der Argumentation. Sie ergibt sich durch eine Art Subtraktionsverfahren  ; nämlich ist der Naturzustand die zeitgenössische Gesellschaft minus ihre Zivilisation.53 So, wie Hobbes den Naturzustand herleitete, fiel es jedem leicht, sich vorzustellen, was aus dem mehr oder weniger geregelten Miteinander werden würde, wenn es keine Gesetze gäbe und keine Macht, ihnen Geltung zu verschaffen  : der im Leviathan beschworene Krieg eines jeden gegen jeden. Nimmt man das Bemühen um die „Rekonstruktion“ des Naturzustands nicht ganz wörtlich, sondern betrachtet sie unter funktionalen Gesichtspunkten,54 so zeigt sich neben ihrem analytischen Wert auch ein prognostischer. Die Fragestellung, die hier auftaucht – und vielleicht darf man sie als diejenige betrachten, die Hobbes eigentlich beschäftigt hat –, lautet nämlich  : Was würde aus dem zeitgenössischen Staatswesen werden, falls man aus ihm das zivilisatorische Gerüst entfernte, das ihm Rechtssicherheit und damit berechenbare Lebensverhältnisse für seine Bürger verleiht  ? Mit dieser Ableitung des Naturzustands aus der zeitgenössischen Gesellschaft wird also in erster Linie der Aufbau einer Art Drohkulisse erreicht. Der Naturzustand kann nämlich, so Purtschert, „eine mögliche Zukunft beschreiben, die dann zu Tage tritt, wenn der Gesellschaftsvertrag aufgekündigt, wenn er ungültig oder zerstört wird. Der Naturzustand als Kriegszustand bleibt in diesem Falle als Drohung bestehen, als Szenario seines möglichen Scheiterns, welches über dem Staat schwebt.“55 Zur nochmaligen Bekräftigung seiner These, dass den Menschen eben wegen ihrer natürlichen Disposition ein sie beherrschender Souverän – wörtlich  : eine „öffentliche Macht, die zu fürchten ist“ – gegenübergestellt werden müsse, wiederholt Hobbes  : „Wie dem 52 J.  J. Rousseau  : Diskurs über die Ungleichheit – Discours sur l’inégalité, S. 69/71 (Hervorh. HK). 53 Zum Zivilisationsbegriff und seinen Implikationen v. a. im 18. Jahrhundert siehe den Abschnitt 8.1.3 („Folgerungen für den Zivilisationsbegriff“). 54 P. Purtschert  : Jenseits des Naturzustandes, S. 866, differenziert  : „Die Frage nach dem empirischen Status tritt hinter die zentrale, diagnostische Funktion des Naturzustandes zurück.“ 55 Ebd., S. 865.

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auch sei – man kann die Lebensweise, die dort herrschen würde, wo keine öffentliche Macht zu fürchten ist [where there were no common power to fear], aus der Lebensweise ersehen, in die solche Menschen, die früher unter einer friedlichen Regierung gelebt hatten, in einem Bürgerkrieg abzusinken pflegen.“56 Dem Nachweis der Notwendigkeit eines starken Souveräns aus dem vorweggenommenen Szenario eines in der menschlichen Natur begründeten Kriegszustands eines jeden gegen jeden musste aber ein Induktionsschluss vorangehen. Hobbes führt ihn durch, indem er die allgemeine menschliche Natur – die anthropologische Basis – aus dem Menschen der bürgerlichen Gesellschaft herleitet. Ob der Weg dieses Verfahrens der Begründung Mitte des 17. Jahrhunderts wirklich ein neuer war, könnte nur eine eingehende, darauf ausgerichtete Untersuchung klären. Dass er zumindest nicht der übliche war, bezeugen die Wissenschaften, die der Anthro­ pologie vorausgingen und die sich ebenfalls um ein Verständnis des Menschen, wie er eigentlich ist, bemühten. Üblich war bis dahin die Begründung zum einen durch die Schriften der Offenbarung, und sie wurde zum andern allmählich abgelöst durch eine solche, die sich auf die zunehmende Zahl der Berichte von Reisenden stützte, die von Gesellschaften von „Wilden“ kündeten. Darin spiegelt sich – immerhin das darf als neue Entwicklung angesehen werden – die immer deutlichere Hinwendung zur Empirie als Erkenntnisquelle wider. Allerdings zeigt sich in vielen dieser Reiseberichte ein unklares Nebeneinander von zumeist unsystematischer Beobachtung, ungeprüfter Wiedergabe von Erzähltem und offen zutage liegender Fiktion.57 Entsprechend gering war daher ihre Zuverlässigkeit als Quelle für weiterführende Erkenntnisse.58 Hinzu kommt, dass selbst am Ende des 18. Jahrhunderts der Stand der anthropologischen Forschung immer noch harscher Kritik ausgesetzt war.59 4.2.2.2 Naturrecht – Pflicht zum Frieden, Recht auf Verteidigung

Dass Hobbes’ Argumentation eine naturrechtliche ist, bedarf keiner ausdrücklichen Erklärung. Bemerkenswert und neu allerdings ist, dass das Naturrecht, auf das er sich beruft, auf einer funktionalen Grundlage ruht. Es gibt ausdrücklich keine übergeordneten Werte, die festlegten, wie der Mensch zu handeln habe.60 Vielmehr handelt dieser 56 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 108 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Leviathan (M.), pp. 114–115. 57 Diese Reiseberichte ziehen mitunter auch die Autoren der Schottischen Aufklärung für ihre Argumentation heran. Siehe den Abschnitt 8.1.2 („Die Reiseberichte des 17. und 18. Jahrhunderts“). 58 Zum Medium der Reiseberichte als der „maßgeblichen empirischen Basis der ‚Science of Man‘“ siehe A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 180–189. 59 S.  Moravia  : Beobachtende Vernunft, S. 17  : „Wer die kulturelle Literatur durchgeht, die am Ende des Jahrhunderts ‚en vogue‘ war, wird feststellen können, wie oft und intensiv über den Stand der Kenntnisse vom Menschen geklagt wird.“ 60 Die Absage an die klassische Moralphilosophie ist hier bereits eine ausdrückliche  : „Denn es gibt kein finis ultimus, das heißt letztes Ziel, oder summum bonum, das heißt höchstes Gut, von welchen in den Schriften der alten Moralphilosophen die Rede ist.“ – T. Hobbes  : Leviathan (K.), S. 83 f. (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 85.

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ausschließlich in seinem eigenen, auf Selbsterhaltung gerichteten Interesse61 und in der Furcht vor der Bedrohung durch einen Krieg aller gegen alle. Die Konsequenz daraus  : Wie, fragt Hobbes, werden die kriegerisch vergesellschafteten Menschen zu friedlich vergesellschafteten  ? Seine Intention fasst er in der Schrift Vom Bürger zusammen  : „Von diesen Grundlagen aus[62] glaube ich die Notwendigkeit der Treue und damit die Elemente der sittlichen Tugenden und der bürgerlichen Pflichten […] dargelegt zu haben.“63 Und damit spricht er vom Staat  ; so münden seine Ausführungen sowohl im Leviathan als auch in seiner Schrift Vom Bürger in eine Staatsphilosophie ein, die nicht vorrangig einer ethischen Grundlegung verpflichtet ist, sondern die einer einzigen Funktion alles unterordnet  : eben dem Schutz dieses Bürgers. Dieser Staat allerdings ist bei Hobbes ein Abstraktum, eine Fiktion, und das, vorauf er zurückgeht, ist zwar ein Vertrag, doch dieser ist wiederum zwangsläufig eine Hypothese. Denn keineswegs wird – weder im Leviathan noch in der Schrift Vom Bürger – ein wirklich bestehendes Gemeinwesen untersucht, sondern vielmehr eine Art Utopie einer Staatsstruktur64 entwickelt, mit deren Hilfe der geforderte Schutz der Bürger vor vernichtenden gegenseitigen Auseinandersetzungen gewährleistet werden könnte. In der Schrift Vom Bürger wird der Ansatz erläutert, wenn es heißt, es „muß bei den Rechten des Staates und bei Ermittelung der Pflichten der Bürger der Staat zwar nicht aufgelöst, aber doch wie ein aufgelöster betrachtet werden, d. h. es muß die menschliche Natur untersucht werden, wieweit sie zur Bildung des Staates geeignet ist [fit to make up a civil government] oder nicht, und wie die Menschen sich zusammentun sollen, wenn sie eine Einheit werden wollen […].“65 Damit arbeitet Hobbes die Theorie eines „hypothetischen Gesellschaftsvertrages“ aus, und für einen solchen gilt  : „Die Vertragssituation wird durch ein Gedankenexperiment simuliert. Man denkt sich den Staat weg und man erhält 61 U.  F.  H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 57  : „Im Hobbesschen Universum kann es kein Naturrecht geben, das etwas anderes ist als die Klugheitsregeln der um Selbsterhaltung bemühten Individuen.“ 62 Hobbes bezieht sich hier auf die vorangehende Zusammenfassung dieser „Grundlagen“  : „Ich sah nun, daß aus diesem gemeinsamen Besitz der Dinge der Krieg und damit alle Arten von Elend für die Menschen, die sich um deren Genuß mit Gewalt stritten, notwendig hervorgehen müsse  ; obgleich alle von Natur diesen Zustand verabscheuen. So gelangte ich zu den zwei sichersten Forderungen der menschlichen Natur  : die eine ist die Forderung der natürlichen Begierden, vermöge deren jeder den Gebrauch der gemeinsamen Dinge für sich allein verlangt  ; die andere ist die Forderung der natürlichen Vernunft, vermöge deren jeder dem gewaltsamen Tode als dem höchsten Übel der Natur auszuweichen sucht.“ – Die Stelle ist bezeichnend für Hobbes’ Perspektive  : Besitz ist die Ursache der Entzweiung der Menschen (1)  ; Besitz wiederum hat seine Ursache in der Begierde der Menschen, „den Gebrauch der gemeinsamen Dinge für sich allein“ zu verlangen (2).  – T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 66. 63 Ebd., S. 66 f. 64 „Utopie“ wird mit G. Seubold verstanden als „Entwurf eines idealen Staatsgebildes oder Gesellschaftsmodells im Sinn eines Gegenentwurfs zu einem wirklich bestehenden.“ G. Seubold  : „Utopie“. – Der Begriff „Staatsstruktur“ soll deutlich machen, dass es Hobbes um Bedingungen und Voraussetzungen geht, nicht um die Ausarbeitung des Bildes von einer Gesellschaft. 65 T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 72. – OT.: ders.: Rudiments, p. XIV.

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auf diese Weise den sogenannten Naturzustand oder die sogenannte original position, aus denen heraus dann wiederum die Notwendigkeit des Staates abgeleitet wird.“66 Genau dies unternimmt Hobbes im Leviathan. Er baut seine Argumentation auf folgenden Festlegungen auf  : – Naturrecht [the right of nature]  : „[…] die Freiheit eines jeden, seine eigene Macht nach seinem Willen zur Erhaltung seiner eigenen Natur, das heißt seines eigenen Lebens, einzusetzen und folglich alles zu tun, was er nach eigenem Urteil und eigener Vernunft [in his own judgment, and reason] als das zu diesem Zweck geeignetste Mittel ansieht.“ – Freiheit  : „[…] die Abwesenheit äußerer Hindernisse. Diese Hindernisse können einem Menschen oftmals einen Teil seiner Macht wegnehmen, das zu tun, was er möchte, aber sie können ihn nicht daran hindern, die ihm verbliebene Macht so anzuwenden, wie es ihm sein Urteil und seine Vernunft gebieten [as his judgment, and reason shall dictate to him].“ – Naturgesetz [a law of nature, lex naturalis]67  : „[…] eine von der Vernunft ermittelte Vorschrift oder allgemeine Regel, nach der es einem Menschen verboten ist, das zu tun, was sein Leben vernichten oder ihn der Mittel zu seiner Erhaltung berauben kann, aber auch das zu unterlassen, wodurch es seiner Meinung nach am besten erhalten werden kann.“68 Diese Argumentation hat zwei Ebenen. Auf der ersten wird festgehalten, dass der Mensch grundsätzlich durch kein übergeordnetes Gesetz daran gehindert werden kann, sich seine Lebensumstände selbst so zu schaffen, wie es in seiner Macht steht. Dazu hat er die Freiheit, die allerdings durch äußere Bedingungen eingeschränkt werden kann. Eine solche Einschränkung entsteht für den Menschen des Naturzustands beispielsweise – und zwangsläufig – dadurch, dass seine Mitmenschen von ihren – eben denselben – Freiheiten Gebrauch machen und es dadurch zum Konflikt kommen kann, wenn etwa dieselbe Beute von mehreren zu rauben versucht wird. Das einzige, was dem Menschen durch ein „übergeordnetes Gesetz“ untersagt wird, ist, sich selbst zu vernichten. Dieses Gesetz jedoch geht auf niemandes Anordnung zurück, sondern Hobbes, der es auf diese Weise der Diskussion zu entziehen sucht, schreibt es der „Vernunft“ zu – und damit einer scheinbar unwiderlegbaren Instanz. Auf der zweiten Argumentationsebene trifft Hobbes eine wesentliche Unterscheidung. Indem er nämlich diese Verpflichtung zur Selbsterhaltung vorrangig der Vernunft zuschreibt, löst er sie aus allen anthropologischen Vorgaben, denn wenn dem Menschen 66 H. Ottmann  : Vertragstheorien in der politischen Philosophie der Neuzeit, S. 10. 67 Ich folge bei diesem Zitat aus Gründen der Einheitlichkeit der von mir verwendeten deutschen Übersetzung. Da aber im Deutschen der Begriff vom „Naturgesetz“ semantisch stark mit den Naturwissenschaften konnotiert ist, wäre hier die Übersetzung „Gesetz der Natur“ zu erwägen – und sei es nur zum Zweck der Brechung der Lesegewohnheit. 68 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 110 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Leviathan (M.), pp. 116–117.

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durch die Vernunft geboten wird, für sein Überleben zu sorgen, dann handelt es sich eben gerade nicht um eine „Anlage“ entsprechend einem Naturtrieb oder einem Instinkt. Dies ist die Situation im „Naturzustand“. Nachdem so die Voraussetzungen geklärt sind und nebenbei die Vernunft als höchste Instanz etabliert ist, lassen sich die Handlungsoptionen benennen  : Wenn „jedermann ein Recht auf alles hat, selbst auf den Körper eines anderen […], kann niemand sicher sein, solange dieses Recht eines jeden auf alles besteht, die Zeit über zu leben, die die Natur dem Menschen gewöhnlich einräumt […].“69 Das ist nicht zu widerlegen – solange die Prämisse gilt, dass Eigeninteresse (und sonst nichts) die Handlungen der Menschen leitet. Dass diese Prämisse von Teilen der Hobbes-Rezipienten als Schwachstelle ausgemacht wurde, da sie mit empirischen Mitteln nicht zu „beweisen“ war, sollte sich noch zeigen. Zudem baute sich nun eine weitere Argumentationshürde vor Hobbes auf. Er folgert aus den genannten Voraussetzungen die „Vorschrift oder allgemeine Regel der Vernunft  : Jedermann hat sich um Frieden zu bemühen, solange dazu Hoffnung besteht. Kann er ihn nicht herstellen, so darf er sich alle Hilfsmittel und Vorteile des Kriegs verschaffen und sie benützen. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste und grundlegende Gesetz der Natur, nämlich  : Suche Frieden und halte ihn ein. Der zweite Teil enthält den obersten Grundsatz des Naturrechts  : Wir sind befugt, uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen [by all means we can, to defend ourselves].“70

Auch das ist auf den ersten Blick schlüssig, doch ist im Auge zu behalten, dass Hobbes ausdrücklich nicht sagt, der Mensch sei befugt, „den Frieden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen“  ; sondern er sagt  : „uns [ourselves] mit allen Mitteln zu verteidigen“. Er entzieht sich so der – später immer wieder geführten – Diskussion um die Möglichkeit, den Frieden gewaltsam zu verteidigen. Aber eben nur unter dieser Prämisse konnte der nun folgende Schluss plausibel erscheinen  : „Aus diesem grundlegenden Naturgesetz, das den Menschen befiehlt, sich um Frieden zu bemühen, wird das zweite Naturgesetz abgeleitet  : Jedermann soll freiwillig, wenn andere ebenfalls dazu bereit sind, auf sein Recht auf alles verzichten, soweit er dies um des Friedens und der Selbstverteidigung willen für notwendig hält, und er soll sich mit so viel Freiheit gegenüber anderen zufriedengeben, wie er anderen gegen sich selbst einräumen würde.“71

Dieser Verzicht auf eine Selbst-Verteidigung in der wörtlichen Bedeutung dieses Begriffs und die Übertragung der individuellen Rechte auf einen allmächtigen, da jeglicher 69 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 110 f. 70 Ebd., S. 111 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 117. – Im Satz „Suche Frieden und halte ihn ein“ sollte Hume ein Leitmotiv für sein eigenes politisches Credo finden. Insbesondere seine Ausführungen in seinem Essay Idea of a Perfect Commonwealth sind geprägt von genau dieser Zielrichtung. Siehe den Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“). 71 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 111 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Leviathan (M.), pp. 117–118.

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Kontrolle enthobenen Leviathan ist Gegenstand des Hobbes’schen Vertragsgedankens. Dieser Vertrag ist, wie zurecht festgestellt wurde, ein „Experiment des Gedankens und Fiktion“.72 Dass hier der Schlüssigkeit mittels mehrerer stillschweigender Voraussetzungen auf die Sprünge zu helfen versucht wurde, machte diese Argumentationskette zusätzlich angreifbar. Genau dies wird auch Hume später herausarbeiten. Doch wenngleich Stringenz durchaus Hobbes’ Anliegen gewesen sein mag, so war seine eigentliche Absicht eine andere, nämlich die, in Gedanken die Konstellation eines Friedens um jeden Preis und unter allen Umständen darzulegen. Dieser Friede ist freilich ein Friede der Ordnung, nicht einer der Gerechtigkeit, und für Hobbes war er nur unter einer Voraussetzung denkbar, nämlich derjenigen absoluter Herrschaft. Auch in der Grundhaltung, die hinter dieser gedachten den gesellschaftlichen Frieden sichernden Konstellation steht, wird Hume mit Hobbes übereinstimmen.73 Die Schlüssigkeit all dieser Überlegungen hängt vollständig vom Verständnis der Grundannahmen ab, auf denen sie beruhen. Je nachdem, wie der Naturzustand beschrieben wird, wird ausfallen, was aus ihm abgeleitet werden kann. Damit ist ein Grundproblem aller Argumentation benannt, auf das noch ausführlich einzugehen sein wird.74 Im Fall von Hobbes’ politischer Philosophie führt dies zu einer unleugbaren Unübersichtlichkeit, da er seine Prämissen „nicht übersichtlich aufgelistet [hat], sondern [sie …] im Szenario des Naturzustandes“ verborgen sind.75 Hinsichtlich der Schlussfolgerungen, zu denen Hobbes gelangt, spielen die Umstände in seinem Heimatland eine prägende Rolle. England ist im 17. Jahrhundert von konfessionellen Auseinandersetzungen gezeichnet, und im Ringen zwischen der Monarchie und dem Parlament droht sich alle staatliche Ordnung aufzulösen. In dieser Situation rückte die Beziehung zwischen Ordnung und Sicherheit wie von selbst in den Mittelpunkt der politischen Analyse. 4.2.2.3 Der ‚gesellige Trieb‘ – Grotius’ Einfluss

Es braucht an dieser Stelle nicht eingehend untersucht zu werden, woraus Hobbes die ursprüngliche Inspiration zu seinem staatsphilosophischen Denken bezog, das auch durch eine große Affinität zur naturwissenschaftlichen Methodik charakterisiert war. Dieses Denken musste den Zeitgenossen als durchaus revolutionär, mitunter gar wie Hybris erscheinen, weil es in der Konsequenz ein Eingreifen des Menschen in Gottes Schöpfung – die „Natur“ – vorsah. Jedenfalls war die Rechtsphilosophie des Hugo Grotius,76 mit der er sich eingehend befasst hat, ein wichtiger Einflussfaktor auf Hobbes’ Überlegungen. Grotius ging im Sinn einer Letztbegründungsinstanz vom Recht des Men72 H. Ottmann  : Politik und Vertrag, S. 28. 73 Siehe auch den Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“). 74 Siehe den Abschnitt 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen Vorausgesetzte“). 75 U.  F.  H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 41. 76 H.  Grotius  : Recht des Krieges und Friedens.

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schen auf Leben und Unversehrtheit aus, die zu verteidigen ihm unter allen Umständen gestattet sei. Unter Berufung auf Cicero argumentiert er, es „sei die erste Pflicht, dass sich Jeder in seinem natürlichen Zustande erhalte, und dann, dass er das festhalte, was seiner Natur entspricht und das Entgegengesetzte fortstoße.“77 Dieses natürliche Recht, das Hobbes ganz gezielt aus der Perspektive des Individuums reklamieren sollte, ist bei Grotius stärker an der Gemeinschaft orientiert, die dadurch als übergeordneter Wert hervortritt. Zumindest zeigt sich dieser – wenngleich nur feine – Unterschied, wenn man die beiden Denker in diesem Punkt parallel liest.78 „Unrecht“ ist folglich (nur) das, „was der vernünftigen Natur und Gemeinschaft widerstreitet.“79 Und hieraus erwächst das schwer wiegende Argument für die Möglichkeit eines gerechten Krieges  : „Denn das Ziel des Krieges ist die Erhaltung des Lebens und der Glieder und die Verteidigung der zum Leben erforderlichen Güter.“80 Das Argument als solches wird Hobbes anerkennen  ; den Krieg allerdings, der aufgrund seiner Vorstellung vom Naturzustand ein Krieg aller gegen alle wäre, wird er mittels seines allmächtigen Souveräns „aus der Welt zu schaffen“ versuchen. In den Schriften des nahezu gleichaltrigen Grotius wird allerdings das von ­Hobbes vertretene Prinzip des Eigennutzes als vorrangiges Handlungsmotiv des Individuums noch abgelehnt, denn es heißt dort  : „Der Satz, dass jedes lebende Wesen nur den Trieb auf seinen eigenen Nutzen habe, kann in dieser Allgemeinheit nicht zugegeben werden.“81 Der Mensch strebt bei Grotius, anders als bei Hobbes, nicht unmittelbar nach Schutz, sondern zunächst nach Vergesellschaftung. Zu den dem „menschlichen Geschlecht eigentümliche[n] Tätigkeiten […] gehört der gesellige Trieb zu einer ruhigen und nach dem Maß seiner Einsicht geordneten Gemeinschaft mit Seinesgleichen […].“82 77 Ebd., Bd. 1, S. 87 (Schreibweise aktualisiert). 78 Richtet man bei der Lektüre allerdings das Augenmerk auf das Naturrecht an sich und nicht auf die Unterscheidung zwischen Individuum und Gemeinschaft, so „macht Grotius den Anfang bei den subjektiven Rechten des einzelnen.“ So H. Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 123. 79 H.  Grotius  : Recht des Krieges und Friedens, Bd. 1, S. 88. – Grotius’ Argumentation ist, im Zusammenhang gelesen, nicht so stringent, wie sie in manch einer Zusammenfassung erscheinen mag. Bereits in den Anmerkungen zum Text der hier herangezogenen deutschen Ausgabe heißt es an dieser Stelle durchaus nicht ohne Grund  : „Die drei ersten Paragraphen dieses Kapitels [– in denen die Prämissen vorgestellt werden –] sind wie Alles, was in tiefere philosophische Untersuchungen einschlägt, bei Gr. dunkel und unklar.“ Die erläuternde Literatur spiegelt dies insofern getreu wider, als sie gerade in diesem Zusammenhang unterschiedliche Gewichtungen setzt. Vgl. hierzu  : U. F. H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S.  25  ; R. Tuck  : ­Hobbes, S.  40 ff.; D.  Janssen  : Grotius, Hugo, S.  457  ; H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 123  ; zutreffend und wichtig hier auf S. 122 auch der Hinweis auf Grotius’ Schwanken zwischen rechtlicher und moralischer Begründung. 80 H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 89. 81 Ebd., S. 24. 82 H.  Grotius  : Recht des Krieges und Friedens, Bd. 1, S. 24 (Schreibweise aktualisiert). – In gleicher Weise äußert sich Grotius auch an anderer Stelle, ebd. S. 34  : „Aber dem natürlichen Recht tritt auch der Nutzen hinzu  ; denn der Schöpfer der Natur wollte, dass wir als Einzelne schwach seien und zum rechten Leben Vieles bedürfen, damit wir desto mehr zur Pflege der Geselligkeit angetrieben würden. Ebenso war der Nutzen die

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Vergesellschaftung ist folglich auch bei Grotius ein Leitgedanke, aber er ist es nicht aus denselben Gründen wie bei Hobbes. Doch wie bei diesem liegt in dieser Vergesellschaftung der Anstoß zur Schaffung von rechtlichen Vereinbarungen mit dem Zweck eines Schutzes der Gesellschaft als ganzer  : „Wenn aber der Mensch in das reifere Alter getreten ist und gelernt hat, für gleiche Fälle sich gleich zu benehmen, so verbindet er […] mit einem starken geselligen Trieb […] auch die Fähigkeit, allgemeine Regeln zu fassen und danach zu handeln.“83 Die Formulierung dieses Rechts in Form von Regeln ist das Werk des Menschen, der sie sich mittels seiner Vernunft erschließt. Was die Regeln funktional zu leisten haben, ist nicht zuletzt bereits – wie später bei Hobbes und allen Apologeten einer bürgerlichen Gesellschaft, also auch den schottischen Denkern des 18. Jahrhunderts –, den Schutz des Eigentums zu gewährleisten. Nämlich sei es Teil dieser Regeln, „dass man sich des fremden Guts enthalte und es ersetze, wenn man davon etwas besitzt oder genommen hat  ; ferner die Verbindlichkeit, gegebene Versprechen zu erfüllen, der Ersatz des durch unsere Schuld veranlassten Schadens und die Wiedervergeltung unter den Menschen durch die Strafe.“84 Noch in einer weiteren Hinsicht ist Grotius ein wichtiger Impulsgeber für Hobbes, denn er begründet seine Prinzipien nicht mehr (allein) mit dem göttlichen Willen, sondern er stellt sie auf die Grundlage menschlicher Einsicht. Er säkularisiert also das Recht, wenn er sagt  : „Diese hier dargelegten Bestimmungen würden auch Platz greifen, selbst wenn man annähme, was freilich ohne die größte Sünde nicht geschehen könnte, dass es keinen Gott gebe, oder dass er sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere.“85 Hobbes folgte dieser säkularen Sichtweise, und der Verdacht, er sei insgeheim Atheist, sollte ihn zeit seines Lebens verfolgen. Grotius’ Bedeutung reicht bis in die Schottische Aufklärung. Adam Smith erkennt in dessen Recht des Krieges und Friedens einen Schritt in eine neue Richtung. Im Schlussabschnitt seiner Theory moniert er die Diskrepanz zwischen dem positiven Recht der Staaten – das stets Ausdruck bestimmter Interessen, der „Roheit und Barbarei des Volkes“ oder Beispiel für die „unglückliche Verfassung ihrer Gerichtshöfe“ sei86 – und dem Naturrecht, das diejenigen Regeln enthalte, „welche das natürliche Rechtsgefühl vorschreiben würde“ und deren Darlegung er in den Schriften aller „alten Moralphilosophen“ vermisst  :87 „Grotius scheint der erste gewesen zu sein, der den Versuch machte, der Welt so etwas wie ein System jener Prinzipien zu schenken, welche sich durch die Gesetze aller Nationen hindurchVeranlassung zu dem bürgerlichen Recht  ; denn jene erwähnte Vergesellschaftung oder Unterwerfung hat aus irgend einem Nutzen ihren Anfang genommen.“ (Hervorh. HK). – Smith wird in dieser Frage näher bei Grotius als bei Hobbes stehen. 83 Ebd. 84 Ebd., S. 25. 85 Ebd., S. 31 (Schreibweise aktualisiert). 86 A.  Smith  : Theorie, S. 562. 87 Ebd., S. 563.

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ziehen und deren Grundlage bilden sollten  ; und sein Werk über das Recht des Krieges und des Friedens ist mit allen seinen Unvollkommenheiten vielleicht bis zum heutigen Tage das vollendetste Werk, das über dieses Thema geschrieben worden ist.“88

Der Umschlag, um den es Smith ging, ist jener der Übertragung ethischer, ehedem auf das Naturrecht gegründeter Normen in positives staatliches Recht. Er war der Ansicht  : „Jedes System des positiven Rechtes kann als ein mehr oder weniger unvollkommener Versuch zu einem System des Naturrechtes betrachtet werden oder zu einer Aufzählung der einzelnen Regeln der Gerechtigkeit.“89 Und sein Bestreben ging dahin, diesen unvollkommenen Versuch zu vervollkommnen. Das Naturrecht gab die Spielregeln vor, die in der staatlichen Rechtsordnung – Bedingung eines funktionierenden Gemeinwesens90 – auszuformulieren waren. 4.2.2.4 Die Wirkkraft des Eigeninteresses und das Eigentum als seine Folge

Mithilfe der gezeigten Verfahren und Einzelschritte entwickelt Hobbes sein Konzept des Naturzustands zu einem Analyseinstrument. Es liefert ihm den Befund der Raubtierexistenz des Menschen, doch belässt er es nicht bei dieser Feststellung. Vielmehr fragt er weiter nach dem Grund dieses räuberischen Verhaltens – denn geraubt kann ja nur werden, wenn es eine Beute gibt. Diese Beute sei, so Hobbes, nichts anderes als das persönliche Eigentum. Die folgende Passage aus Grundzüge der Philosophie verrät es  : „So erinnerte mich, als ich meine Gedanken auf die Untersuchung der natürlichen Gerechtigkeit richtete, schon der Name der Gerechtigkeit, die den beharrlichen Willen, jedem sein Recht zu gewähren, bezeichnet, daran, daß ich vor allem den Grund zu ermitteln hätte, weshalb jemand eine Sache eher die seine als die eines andern nennt.“ Und hierbei habe es sich herausgestellt, „daß dies nicht auf der Natur, sondern auf dem Übereinkommen der Menschen beruht (denn das, was die Natur für alle hervorgebracht, ist erst durch die Menschen verteilt worden) […]“91 Diese Textstelle ist nicht nur deshalb von Bedeutung, weil sie den Eigentumsbegriff ins Zentrum der Überlegungen rückt, sondern mit Blick auf die Hobbes-Rezeption auch deshalb, weil sie die Wolfsmetapher inhaltlich nachjustiert  : nämlich, dass der Mensch – 88 Ebd. 89 Ebd., S. 561 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Theory, p. 340, VII.iv.36  : “or towards an enumeration of the particular rules of justice”. 90 Ebd.: „Da die Verletzung der Gerechtigkeit ein Verhalten ist, das die Menschen niemals voneinander ruhig hinnehmen werden, ist die Obrigkeit gezwungen, die Macht des Gemeinwesens dazu zu verwenden, um die Übung dieser Tugend zu erzwingen.“ 91 T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 66 (Hervorh. HK) – Es ist nicht unproblematisch, als Hauptbeleg für eine These einen einleitenden Text, wie es ja diese Widmung ist, heranzuziehen. Aber zum einen findet sich auch die Wolfsmetapher, auf der durch die Rezeption jenes so charakteristische Hobbes-Bild aufgebaut wurde, in eben diesem Text, zum andern sind es die Formulierungen dieser Passage, die Hobbes’ Intention am prägnantesten zusammenfassen.

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„von Natur aus“ – im Umgang mit seinesgleichen eben kein Wolf sei, sondern dass er durch das Eigentum und die handlungsleitende Determinante des Eigeninteresses, das den Wunsch nach Eigentumsmehrung zu einer Zwangsläufigkeit mache, erst zu einem Wolf werde. Hobbes’ Argumentation hat sowohl einen konsekutiven als auch einen kausalen Aspekt  : Das eine folgt dem andern nach – zunächst ist die Option des Eigentums da, erst danach jemand, der Anstrengungen unternimmt, es an sich zu reißen –, aber das eine folgt auch aus dem andern. Selbst wenn diese Unterscheidung auf den ersten Blick marginal erscheinen mag, ist sie doch im Hinblick darauf, was daraus durch die Hobbes-Exegese entstanden ist, in Wirklichkeit fundamental  : Der Mensch ist eben nicht aufgrund seiner Natur kriegerisch, sondern das Kriegerische an seinem Verhalten ist eine Folge des Umstandes, dass das Eigeninteresse das menschliche Handeln leitet. Und ein Eigeninteresse als wirkende menschliche Eigenschaft bedarf eines Gegenstands, auf das es sich richten kann – in diesem Fall ist es konkret das Eigentum. Gäbe es nämlich nichts, nach dem dieses Eigeninteresse trachten könnte, ließe Letzteres sich gar nicht bemerken. Betrachtet man dieses Eigeninteresse allgemeiner, so äußert es sich Hobbes zufolge in etwas, das er Verlangen – desire – nennt  : das „Verlangen nach angenehmem Leben und sinnlichem Vergnügen“ – worin das Eigentum inbegriffen ist –, das „Verlangen nach Wissen und friedlichen Künsten“, das „Verlangen nach Anerkennung“ und das nach „Nachruhm“.92 Und dieses Verlangen ist keineswegs nur eine Laune. Vielmehr beschreibt Hobbes es als einen komplexen Mechanismus, der, ausgelöst durch eine anthropologische Vorgabe – er spricht von einem „allgemeinen Trieb“ –, den Menschen zu einem Machtstreben ohne Ende verurteile und ihm damit die Macht über sein Leben entwinde  : „So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen [a perpetual and restless desire] nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit [a general inclination of all mankind], der nur mit dem Tode endet. Und der Grund hierfür liegt nicht immer darin, daß sich ein Mensch einen größeren Genuß erhofft als den bereits erlangten oder daß er mit einer bescheidenen Macht nicht zufrieden sein kann, sondern darin, daß er die gegenwärtige Macht und die Mittel zu einem angenehmen Leben ohne den Erwerb von zusätzlicher Macht nicht sicherstellen kann.“93

Dabei besteht die „Macht eines Menschen […] allgemein genommen[,] in seinen gegenwärtigen Mitteln zur Erlangung eines zukünftigen augenscheinlichen Guts und ist entweder ursprünglich oder zweckdienlich.“94 Was diese Macht hinsichtlich ihrer sozialen Implikationen zum Problem macht, ist die Tatsache, „daß die Fähigkeit eines jeden Menschen, das, was er wünscht, auch zu bekommen, auf dieselbe Fähigkeit jedes anderen 92 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 85. 93 Ebd., S. 84 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 85. 94 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 74  ; Übersetzung modifiziert. Hervorh. wie im englischen OT. – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 74.

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Menschen trifft“95 und alle von Natur aus gleich berechtigt sind, diese Fähigkeit – unbeschränkt durch Regulative jedweder Art – zu ihrem eigenen Nutzen einzusetzen. Da von Natur aus alle Menschen das gleiche Recht (zur Ausübung ihrer Macht) besitzen, sich am Leben zu erhalten, wird aber Macht selbst zum Regulativ,96 auch wenn sie keineswegs Recht setzt. Es ist kein gesetztes Recht, das die Beziehungen der Menschen untereinander regelt, sondern es ist deren jeweilige Macht.97 Hobbes bestätigt dies implizit, wenn er sagt, es sei „nichts ungerecht, wo es kein Gemeinwesen“ gebe.98 Was aber ist dann Gerechtigkeit  ? Und was ändert sich durch das Gemeinwesen  ? Hobbes bedient sich der „üblichen scholastischen Definition“, wenn er sagt, sie sei „der ständige Wille, einem jeden das Seine zu geben“.99 Aus dieser Wendung „das Seine“ folgert er nun, dass es Eigentum geben müsse, wenn es Gerechtigkeit geben solle. Das „Wesen der Gerechtigkeit“, führt er weiter aus, liege „im Einhalten gültiger Verträge. Aber die Gültigkeit von Verträgen beginnt erst mit der Errichtung einer Staatsgewalt [– eben eines Souveräns –], die dazu ausreicht, die Menschen zu ihrer Einhaltung zu zwingen [a civil power, sufficient to compel men to keep them], und mit diesem Zeitpunkt beginnt auch das Eigentum“,100 denn erst jetzt sei die Bedingung erfüllt, dass es durch den allmächtigen Souverän auch geschützt werden könne.101 Eigentum und Gemeinwesen sind untrennbar miteinander verbunden, denn „wo es kein Gemeinwesen gibt, gibt es kein Eigentum, da alle ein Recht auf alles haben“.102  95 C.  B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 49.  96 Eine absolute Definition von Macht im naturrechtlichen Denken liefert beispielsweise B. Spinoza, einer der ersten Hobbes-Rezipienten. In  : ders.: Politischer Traktat, S. 11 f.: „Das grundlegende Recht der gesamten Natur und folglich jedes Einzelwesens geht so weit, wie ihre Macht geht  ; folglich handelt jeder Mensch bei allem, was er nach den Gesetzen seiner Natur tut, nach dem höchsten, naturgegebenen Gesetz, und er hat so viel Recht auf die Natur, wie seine Macht reicht.“ Der naturrechtliche Zustand ist, wie hier zum Ausdruck gebracht wird, sehr offensichtlich kein gesetzlicher, sofern man mit Gesetz etwas Gesetztes verbindet.  97 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 122, bringt dies wörtlich zum Ausdruck  : „Denn wo kein Vertrag vorausging, wurde auch kein Recht übertragen, und jedermann hat ein Recht auf alles  ; folglich kann keine Handlung ungerecht sein.“ (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 130.  98 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 123.  99 Ebd., S. 122 f. (Hervorh. übern.). 100 Ebd., S. 122. – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 131. 101 Die „Festsetzung von Mein, Dein und Sein […] liegt in allen Arten von Gemeinwesen in der Zuständigkeit der souveränen Gewalt [belongeth in all kinds of commonwealth to the sovereign power]. Denn wo es kein Gemeinwesen gibt, da herrscht, wie schon gezeigt wurde, ständig Krieg eines jeden gegen seinen Nachbarn, und deshalb ist alles sein, was er mit Gewalt erlangt und behält. Dies ist weder Eigentum noch Gemeinschaft, sondern Unsicherheit.“ T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 211 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 233. 102 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 122 f. – Hobbes führt diesen Gedanken in Grundzüge der Philosophie mit anderen Worten erneut aus  : „Außerdem bleibt in einer solchen Menge, die sich auf die obige Weise noch nicht zu einer Person [Hobbes versteht darunter  : zu einem Staat] vereint hat, jener Naturzustand, wo alles allen gehört  ; da ist für das Mein und Dein, was man Eigentum oder Vermögen nennt, noch kein Platz  ;

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Hobbes’ Gemeinwesen ist also nicht nur ein Staat von zivilisierten Wölfen, die ihre Interessen nunmehr unter dem Schutz eines allmächtigen Souveräns verfolgen, sondern es ist auch ein Staat von Eigentümern. Darin liegt zu einem wesentlichen Teil die Bedeutung begründet, die Hobbes für das Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft erlangen wird  : „Das Individuum entfaltete sich in bezug auf Eigentum, und zum Bestandteil des emanzipativen Bewußtseins wurde das Privateigentum“.103 Bei Locke wird dieser Aspekt des Eigentums, nämlich dass das Individuum durch die Möglichkeit, Eigentum zu schaffen, erst zum Herrn seiner selbst wird, erneut auftauchen.104 Macpherson nennt dieses Gemeinwesen – präziser ausgedrückt  : das hinter diesem Gemeinwesen stehende Gesellschaftsmodell – eine „Eigentumsmarktgesellschaft [possessive market society]“, die er von einer einfachen Marktgesellschaft unter anderem dadurch unterscheidet, dass in ihr Individuen nicht nur „Grund und Boden sowie Ressourcen“ besitzen und veräußern können, sondern dass als „Eigentum des Individuums“ auch die „Fähigkeit zu arbeiten“ angesehen werden muss und diese ebenso wie alles übrige „Eigentum […] von ihm veräußert werden“ kann.105 Die Arbeit wird als eine Ware wie jede andere betrachtet, die wie eine solche auch gewinnbringend ausgetauscht werden könne.106 Vor diesem Hintergrund ist das Hobbes’sche Gemeinwesen nicht nur ein Staat, sondern gleichzeitig auch ein Markt, und zwar ein Markt, in den das Individuum nicht nur mit seinem Besitz eintritt, sondern auch mit seinen Fähigkeiten, mit seiner Energie und mit seinen Interessen. Das Gesellschaftsmodell, das Hobbes entwickelt – und es tut angesichts der Rezep­ tionsgeschichte nichts zur Sache, ob er sich all seiner weitreichenden Implikationen nun bewusst war oder nicht –, ist jedoch keineswegs eines, in dem sich die zeitlos-unveränderliche Natur des Menschen widerspiegelt, sondern eines, das die Konturen der zeitdenn es fehlt noch die Sicherheit, welche nach dem früher Dargelegten zur Beobachtung der natürlichen Gesetze unbedingt erforderlich ist.“ T. Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 137. Es ist niemand anderes als der Souverän aus dem Leviathan, der das Fehlen dieser Sicherheit kompensiert. – Und noch eine weitere Passage von Grundzüge der Philosophie nimmt sich dieser Thematik an, um zum selben Ergebnis zu gelangen  : „Da nach dem Frühern vor der Errichtung des Staates alles allen gehört und niemand etwas sein nennen kann, was nicht ebensogut jeder andere als das Seine beanspruchen kann (denn wo alles gemeinsam ist, kann niemandem etwas zu eigen gehören), so folgt, daß das Eigentum erst mit den Staaten begonnen hat […], und daß jedem nur das zu eigen ist, was er nach den Gesetzen und vermöge der ganzen Staatsmacht, d. h. durch den, dem die höchste Macht übertragen worden, für sich behalten kann.“ T. Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 146. 103 W.  Röhrich  : Sozialvertrag und bürgerliche Emanzipation, S. 3. 104 Siehe im Abschnitt 4.2.3.2 („Vom Naturzustand zum Staat im Dienst des Eigentums“) auf S. 106 die Ausführungen zur „Autonomisierung des Individuums“. 105 C.  B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 68 f. 106 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 211. Wie sehr Hobbes vom Bild der Allgegenwärtigkeit der Arbeit gefangen ist, zeigt sich, wenn er selbst Gott damit in Verbindung bringt  : „Was den Reichtum an Rohstoffen betrifft, so ist er von Natur aus auf solche Waren beschränkt, die Gott der Menschheit […] gewöhnlich schenkt oder gegen Arbeit verkauft [either freely giveth, or for labour selleth to mankind].“ – OT.: ders.: Leviathan (M.), p. 232.

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genössischen englischen Gesellschaft nachzeichnet. Alle wesentlichen Elemente dieses Modells – das vom Menschen handelt, der von seinem Eigeninteresse geleitet ist, der in Konkurrenz zu seinen Mitmenschen steht und mittels seiner Arbeit Teil eines Marktes ist, der ebenso der Rechtssicherheit in Form von Verbindlichkeit von Verträgen und Abmachungen bedarf wie des Schutzes seines Eigentums –, all diese Elemente also gehören sehr viel mehr dieser zeitgenössischen Gesellschaft an und sind auf diese zugeschnitten, als dass sie im eigentlichen Sinn anthropologische Beweiskraft beanspruchen könnten.107 So ist das, was Hobbes insbesondere im Leviathan ausführt, nicht eine Beschreibung des Menschen an sich oder des Menschen in seinem mere state of nature, sondern ein Bild des Menschen an der Schwelle zum Homo oeconomicus.108 Macpherson bestätigt das, wenn er sagt  : „Der vernünftige Mensch einer solchen Gesellschaft, der über nennenswertes Eigentum verfügt oder darauf hofft, es zu erlangen und zu behalten, ist ohne weiteres in der Lage, sich einem Souverän zu verpflichten. Er ist an langfristige Verträge gewöhnt und weiß, daß Verträge eingehalten werden müssen. Er betreibt seine Geschäfte aufgrund rationaler Berechnung der Vorteile auf lange Sicht  ; er tut das, was seine rationale Berechnung ihn tun heißt. Er ist genau die Art von Mensch, die begreift, daß die von der souveränen Gewalt garantierte, auf Vertrag beruhende Ordnung am Ende von Nutzen für ihn ist.“109 4.2.2.5 Folgerungen

Hobbes’ Bedeutung für das politische Denken liegt selbstverständlich weniger in seinen Prämissen über die Natur des Menschen, als in den Schlüssen, die er daraus zieht. Sein vehementes Eintreten für einen mit umfassender Macht ausgestatteten Souverän in der Funktion des Friedensstifters ist ein fester Bestandteil im Kanon der politischen Philosophie. Die Vorannahmen, die dazu geführt haben, werden zumeist auf die g­ riffige Wolfsmetapher reduziert und überziehen so das Bild mit einem Firnis vorschneller Leichtverständlichkeit. Unbestreitbar war Hobbes allerdings davon überzeugt, dass Gewaltenteilung einen Staat gefährde, da in ihr der Anlass zu Auseinandersetzungen liegen werde. Vor diesem Hintergrund ist die Haltung bemerkenswert, die Hume in dieser Frage einnehmen sollte. Auch dieser nämlich fürchtete seinerseits nichts mehr als Zerwürfnisse aufgrund von Auseinandersetzungen.110 Gerade aber Auseinandersetzungen 107 Umgekehrt gilt allerdings auch der Satz von C. Mayer-Tasch  : Autonomie und Autorität, S. 11  : „Da Recht und Staat als Gestaltungsmedien menschlichen Zusammenlebens von Menschen für Menschen geschaffen werden, tritt die Anthropologie wie von selbst in den Mittelpunkt einer jeden echten politischen Philosophie.“ 108 Der Begriff Homo oeconomicus wird hier durchaus im Bewusstsein der Tatsache ins Spiel gebracht, dass er einer späteren Epoche angehört. 109 C.  B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 115. 110 D.  Hume  : Essays (B.), Bd. 1, S. 51–60 – andererseits erblicken wir gerade in Hume einen der großen Apologeten der Gewaltenteilung – D. Hume  : Essays (B.), Bd. 2, S. 339–357. Siehe auch die Abschnitte 14.2.5

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gelte es zu vermeiden, denn  : “a kingdom divided in itself cannot stand.”111 Was Hobbes in diesem Satz als universell gültige Doktrin ausgibt, ist in Wirklichkeit einer durch den englischen Bürgerkrieg vorgegebenen Perspektive geschuldet.112 Sie prägt zumindest seinen Leviathan, und andere wichtige Beiträge, die Hobbes zum Diskurs der Aufklärung geleistet hat, treten dadurch in den Hintergrund. Bemerkenswert ist beispielsweise  : Auch wenn Hobbes das Individuum in der Konsequenz seiner Theorie durch die Forderung nach dem mächtigen Souverän umgehend aufhebt, so ist er doch derjenige, der diesen Begriff einführt. Dieses Individuum agiert „von Natur aus“, also im Naturzustand, völlig autonom  ; es gibt außer der erwähnten Verpflichtung auf die Selbsterhaltung keinerlei Einschränkungen seiner Freiheit. Hobbes deutet diese individuelle Autonomie aber als Hauptgefahr für die Menschen und schränkt sie mittels seines Vertrages auf die radikalst mögliche Weise ein, indem er den Leviathan mit absoluter Macht ausstattet und damit gleichzeitig dem Individuum alle Macht vorenthält. Die individuelle Freiheit ist der Preis, der für das Versprechen auf kollektive Sicherheit gezahlt werden muss. „Individuum“, „Autonomie“ und „Eigentum“ sind Schlüsselbegriffe bei Hobbes. Dennoch gilt  : Wenn er vor diesem Hintergrund – auch – als ein „Gründungsvater der politischen Philosophie des Liberalismus“ gesehen wird, so geschieht dies tatsächlich „entgegen seinen eigenen Intentionen“.113 Sein Beitrag aber ist auch deshalb von grundlegender Bedeutung für die politische Philosophie, die nach ihm kommen sollte, weil er den Begriff der Gesellschaft mit dem des Marktes verbindet – mag Letzterer auch noch unscharf sein. Er bringt das Eigeninteresse als das zentrale handlungsleitende Motiv des Menschen ins Spiel – die schottischen Denker sollten daran anknüpfen.114 Und Hobbes führt neben den oben erwähnten so zentrale Begriffe wie „Freiheit“ (liberty) und „Staatsgewalt“ (dominion) in die Debatte ein oder gibt ihnen zumindest Konturen, die die weitere Auseinandersetzung prägen sollten. 4.2.3 John Locke

„Jede Generation von Staatstheoretikern zieht aus der Beschäftigung mit Hobbes ihre eigenen Lehren“115 – das gilt auch für die ihm unmittelbar nachfolgende. Der aus heutiger Sicht einflussreichste unter den großen Denkern des 17. Jahrhunderts, die Hobbes’ politische Philosophie einer grundlegenden Kritik unterziehen, ist John Locke (1632– 1704).116 Diese Kritik ist in Teilen durchaus so fundamental, dass man ihn als „Jäger des („Zur Typologie der Parteien  : ‘Of Parties in General’“) sowie 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“). 111 T.  Hobbes  : Leviathan (M.), p. 168 (Hervorh. übern.). 112 U.  F.  H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 51. 113 Ebd., S. 37. 114 Siehe den Abschnitt 10.3 („Das Interesse“). 115 R. Voigt  : Thomas Hobbes (1588–1679), S. 154. 116 Es finden sich sowohl Stimmen, die die Unterschiede beider Ansätze in den Vordergrund rücken (etwa

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Leviathan“ verstehen oder auch missverstehen kann.117 Dabei gilt sein Bemühen nicht so sehr der Initiierung einer staatsphilosophischen Grundsatzdebatte, sondern es steht vielmehr – wenngleich nicht nur – im Zeichen eines politischen Zwecks, den es verfolgt. Ebenso wie Hobbes’ Leviathan sind Lockes Two Treatises of Government, sein politisches Hauptwerk,118 inhaltlich deutlich im politischen Kontext ihrer Zeit verankert und zu großen Teilen durch die historischen Umstände geprägt, nämlich durch die Spätphase der Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert.119 Vordergründig sind es religionspolitische Auseinandersetzungen, die die Ereignisse in der Vorrevolutionszeit bestimmen. Es ist ein Streit um die Legitimation des Staates, in dem das Gottesgnadentum gegen das Prinzip der Volkssouveränität steht. Zwischen 1679 und 1681 kulminiert die Auseinandersetzung in der so genannten Exclusion Crisis. Auslöser dieser innenpolitischen Krise ist eine dynastische Frage  : Auf König Karl II., der eine Politik der Toleranz auch gegenüber den Katholiken pflegt, soll dessen Bruder Jakob, ein Katholik, als Monarch folgen. Der Adel, insbesondere die im Unterhaus repräsentierte gentry, befürchtet eine katholische Restauration. Das Parlament versucht diese per Gesetz zu verhindern und greift so „entscheidend in das überlieferte Verfassungsgefüge der Monarchie“ ein.120 Eine treibende Kraft auf Seiten des Parlaments ist der Erste Earl of Shaftesbury, vormaliger Lord Ashley, der 1672 für kurze Zeit Lordkanzler ist und sich später unter anderem vehement für Gesetzesinitiativen zur Änderung der Thronfolge einsetzen wird.121 Locke, seit 1667 Shaftesburys Arzt und mit diesem persönlich eng verbunden, übernimmt die theoretische Fundierung von dessen politischer Zielsetzung.122 Rawls insbesondere mit Blick auf die Problematik des Gesellschaftsvertrags bei Hobbes und Locke. In  : ders.: Geschichte der politischen Philosophie, S. 171), als auch solche, die deutlich das Verbindende zwischen beiden Philosophen betonen (so etwa C. B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 234, 269 ff., 301). 117 Der Hinweis auf eine so lautende Aussage von Georg Jellinek findet sich bei Mayer-Tasch  : Autonomie und Autorität, S. 7. 118 J.  Locke  : Regierung. – OT.: ders.: Government. 119 H.-C. Schröder  : Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, S. 8, begründet, warum er in diesem Fall die Verwendung des Plurals „Revolutionen“ für angemessen hält  : „Die Periode zwischen 1640 und 1689 bildet in England insofern eine Einheit, als in ihr im wesentlichen gleichbleibende Verfassungsfragen und Konflikte ausgetragen wurden und die schließlich vollzogene Entscheidung Englands künftigen, von der auf dem europäischen Kontinent vorherrschenden Entwicklung abweichenden ‚Sonderweg‘ endgültig festlegte. Es handelt sich um die Entscheidungsphase der neueren englischen Geschichte. Andrerseits erscheint es problematisch, fast ein halbes Jahrhundert nationaler Geschichte unter dem Begriff einer Revolution zu subsumieren.“ 120 P.  Wende  : Großbritannien 1500–1800, S. 31. 121 Hierbei handelt es sich um Anthony Ashley-Cooper, 1st Earl of Shaftesbury (1621–1683)  ; dieser war der Großvater des Moralphilosophen Anthony Ashley-Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury (1671–1713), auf den unten im Zusammenhang mit der Theorie des Moral Sense näher eingegangen wird und der in seiner Jugend von Locke erzogen und unterrichtet wurde. 122 H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 344, überschreibt das Kapitel, in dem er das Zusammenwirken Lockes und Shaftesburys darstellt, bezeichnend mit „Locke und Shaftesbury oder theo­

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In der Nomenklatur der englischen Politik gesprochen handelt es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Whigs und Tories, die hier auf theoretischer, mehr noch auf propagandistischer Ebene ausgetragen wird.123 Diese Konstellation ist in den innenpolitischen Kämpfen seit dem 17. Jahrhundert zwar ein festes Motiv, doch hat sie für die darin vertretenen Positionen einen geringeren Erklärungswert, als man erwarten könnte,124 denn diese zeigen sich in der Folgezeit oft wenig konturiert. So häufig insbesondere das Etikett „Whig“ vergeben wird, so unscharf ist damit in aller Regel umrissen, wie der jeweilige Autor, dem es angeheftet wird, einzuordnen wäre.125 Diese Feststellung findet sich durch Brewer gestützt, der bereits für die Mitte des 18. Jahrhunderts, also für die Epoche der Schottischen Aufklärung, von einer Ein-Parteien-Regierung spricht, die aus einer „Koalition von Whig-Gruppierungen“ bestanden habe.126 4.2.3.1 Die ‘Two Treatises’ – Streitschrift und theoretisches Konzept

Die erhebliche Bedeutung, die Lockes Two Treatises of Government für die politische Theorie erlangen sollten, überdeckt allzu leicht, dass es sich dabei zunächst um Streitschriften handelt, die eng mit den zeitgenössischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang stehen. Die Geschichte des politischen Denkens sieht die beiden Abhandlungen Lockes als die ideologische Legitimierung der Glorious Revolution,127 die die Überwindung des retische und praktische Politik“. – M. Brocker  : Arbeit und Eigentum, S. 138, spricht allerdings davon, ­ ocke habe „Shaftesbury gelegentlich auch in politischen Fragen […] beraten [und habe sich] zunächst L fast ausschließlich auf die Medizin und die empirische Naturforschung [konzentriert].“ 123 Die beiden Parteibezeichnungen sind während der Exclusion Crisis entstanden. Zur Erklärung der Herkunft und Bedeutung der Namen Whig und Tory finden sich Hinweise bei D. Hume. In  : ders.: The History of England, vol. 6, p. 381. 124 Angesichts der Tatsache nämlich, dass Whigs und Tories im frühen 18. Jahrhundert des Öfteren ihre politischen Positionen tauschten, handelt es sich beim Bild eines Zwei-Parteien-Antagonismus eher um eine Fiktion denn um ein stabiles politisches Szenario englischer Innenpolitik. Siehe J. C. D. Clark  : A General Theory of Party, Opposition and Government, pp. 295–325  ; p. 295. – Zur Bedeutung der Whigs und Tories in der Anfangszeit ihres Wirkens siehe H. Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 346 f. 125 Von Bedeutung für das politische System in England ist jedoch, dass es die Whigs waren, die zumindest in Ansätzen eine Parteiorganisation schufen, während die Tories bis zur Glorious Revolution von 1688 einfach nur die Rolle als the king’s personal followers spielten. Siehe hierzu J. C. D. Clark  : A General Theory of Party. Opposition and Government, p. 296. – Die Bestimmung der Begriffe Whig und Tory unternimmt H.-C. Schröder  : Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, S. 290, wie folgt  : „Tories  : In der ‚Exclusion Crisis‘ (1679–1681) entstandene politische Gruppierung  ; im 17. Jahrhundert waren die Tories Anhänger einer mit wirksamer Prärogative ausgestatteten Erbmonarchie und einer intoleranten anglikanischen Nationalkirche, die sich grundsätzlich gegen jedes Widerstandsrecht aussprachen. Whigs  : In der ‚Exclusion Crisis‘ (1679–1681) gebildete, für Widerstandsrecht und Gewissensfreiheit plädierende Partei, die sich den absolutistischen und katholisierenden Tendenzen der späten Stuarts widersetzte.“ 126 J. Brewer  : Rockingham, Burke and Whig Political Argument, p. 189. 127 W. Euchner  : Demokratietheoretische Aspekte der politischen Ideengeschichte, S. 9–46, hier S. 28. So auch P. Kainz  : John Locke, S. 156.

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Absolutismus in England markiert.128 Locke vertritt die Position des Parlaments, und dies prägt seine Argumentation, die allerdings mitunter unübersichtlich und weder frei von Widersprüchen noch von Wiederholungen ist.129 Auch dies hat dazu geführt, dass die beiden Texte immer noch Gegenstand von Auslegungen sind und überdies nicht selten selektiv rezipiert wurden. Die Two Treatises dienen Locke dazu, in der spezifischen Lage, in der sich England nach der Mitte des 17. Jahrhunderts befindet und die sowohl von macht- und religionspolitischen Auseinandersetzungen als auch von politischen Grundsatzfragen bestimmt ist, die Position der Parlamentsfraktion zu begründen.130 Das zentrale Thema im Hintergrund ist wie bei Hobbes die Erörterung des Verhältnisses zwischen Krone und Parlament – nun jedoch mit einer anderen Zielrichtung. Locke steht auf den ersten Blick für Verfassungsstaatlichkeit und für manche sogar für eine Begründung der Demokratie. Somit bezieht er, die Sache Shaftesburys und damit des Parlaments verfechtend, eine natürliche Gegenposition zu Hobbes, dessen Schriften als Eintreten für die absolute Monarchie gelesen werden. Doch es ist nicht Hobbes, gegen den Lockes politische Theorie sich explizit richtet, sondern Robert Filmer, ein unter Berufung auf die Bibel argumentierender Apologet der Monarchie. Dessen „Name ist heute vergessen“,131 doch war sein Einfluss während der Wirren des 17. Jahrhunderts groß.132 Mit seiner Schrift Patriarcha hatte er es, gestützt auf zahlreiche Bibelstellen, unternommen, die Monarchie zu legitimieren.133 Seine Beweisführung lief auf die These hinaus, dass die gottgewollte Regierungsform134 die 128 So u. a. H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 346. – Das auslösende Moment bei dieser Umwälzung darf, so P. Wende  : Großbritannien 1500–2000, S. 33, allerdings nicht in einer theoretischen Konzeption gesehen werden, sondern „die Furcht vor der allumfassenden monarchisch-katholischen Offensive“ war es, die über die Parteigrenzen hinaus die Kräfte gegen die Monarchie einte und den Katholizismus überwand. 129 H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 354, gebraucht gar die Wendung vom „gelegentlich ohne Sorgfalt schreibenden Locke“. 130 Die Two Treatises of Government sind in der Tat zur Zeit der Exclusion Crisis entstanden, jedoch, was ihre funktionale Zuordnung etwas verwirrend macht, erst 1689/90 erschienen. 131 H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 348. Ottmann bietet ebd., S. 348–351, im Rahmen der Beschäftigung mit Lockes First Treatise, eine ausführliche Darstellung von Filmers Argumentation. 132 W. Hofmann zufolge stellt Filmers Hauptwerk Patriarcha „die einflussreichste Monarchietheorie Englands im 17. Jh. dar.“ In  : ders.: Robert Filmer, S. 151. 133 R.  Filmer  : Patriarcha. Siehe dazu u. a. W. Euchner  : Einleitung des Herausgebers, S. 20–25  ; ferner W. Hofmann  : Robert Filmer, S. 151, sowie H. Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 348–351. 134 So u. a. in R. Filmer  : Patriarcha, p. 50  : “Now if God, […] hath taught us by Natural Instinct signified to us by the Creation, and confirmed by his own Example, the Excellency of Monarchy, why should […] We doubt, but that it is Natural  ? Do we not find, that in every Family, the Government of One Alone is most Natural  ? God did always Govern his own People by Monarchy only. The Patriarchs, Dukes, Judges, and Kings were all Monarchs. There is not in all the Scripture, Mention or Approbation of any other Form of Government.” (Hervorh. übern.)

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monarchische sei. Legitime Herrschaft sei durch Vererbung von Adam auf die Monarchen übergegangen  ; sie stütze sich auf den göttlichen Willen und nicht auf menschliche Vereinbarungen und Verträge. Der absolute Monarch verfüge über die absolute Gewalt, stehe also über dem positiven Recht. Locke widmet seinen gesamten First Treatise der Widerlegung dieser patriarchalischen Herrschaftsbegründung Filmers. Er muss sich darin gezwungenermaßen auf dessen teilweise „absurde“ Argumentation135 einlassen. Zwar hat er mit dieser „leichtes Spiel“,136 doch angesichts von Lockes theoretischem Gesamtwerk, in dem stellenweise durchaus der Anspruch auf universelle Gültigkeit anklingt, mutet dieser offensichtliche Kleinkrieg mittels Bibelzitaten, geführt überdies gegen einen bereits verstorbenen Kontrahenten,137 durchaus bizarr an. Aus heutiger Rückschau hätte eine explizite Auseinandersetzung mit Hobbes’ anspruchsvoller Theorie wesentlich näher gelegen, doch Locke konzentriert seine Angriffe auf den zwar spitzfindigen, aber doch schematisch operierenden Filmer. Die Erklärung für dessen erhebliche Wirkung liegt in der theologisch konventionellen Argumentation unter Verweis auf das Wort der Bibel, das, anschaulich und gestützt durch die Macht der Kanzeln, in weiten Kreisen der Bevölkerung eine große Überzeugungskraft entfaltet. Locke kann dies nicht ignorieren, will er denn seinem und vor allem Shaftesburys Anliegen dienen. So zerfallen die Two Treatises in zwei weitgehend getrennte Teile, nämlich einen ersten, von der aktuellen Politik bestimmten propagandistischen, der heute nur noch von philologischem Interesse ist, und einen zweiten von grundlegender Bedeutung für die politische Theorie der Neuzeit. Diese ausführlicheren Hinweise zu Filmer sind im Zusammenhang mit der Formierung des politischen Denkens in England im 17. und 18. Jahrhundert insofern nötig, als ansonsten Locke insgesamt in einem zu unmittelbaren Kontext mit Hobbes’ Leviathan verstanden werden würde. Damit soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass im Rahmen der großen politischen Theorien Filmer nach nun drei Jahrhunderten keine wichtige Rolle mehr spielt und Lockes Zweite Abhandlung über die Regierung138 insbesondere dem Leviathan in wesentlichen Aspekten tatsächlich antithetisch gegenübersteht. Im Ergebnis erscheint Lockes Theorie des Staates als eine vollständige Abkehr ­sowohl von Hobbes’ Grundannahmen über den Naturzustand und den ursprünglichen Vertrag als auch von dessen daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen. Während Hobbes in einer möglichst unumschränkten Staatsgewalt den Schutz von Leben und Eigentum am besten gewährleistet sieht, fürchtet Locke gerade die darin liegende Gefahr eines Machtmissbrauchs, der er mit der Forderung nach Gewaltenteilung zu begegnen sucht. Stellt man diesen Gesichtspunkt, sein Eintreten für eine gemischte Verfassung, in den Vor135 H.  Ottmann  : Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 351. 136 W. Euchner  : Einleitung des Herausgebers, S. 23. 137 Filmer war schon 1653 verstorben, die Patriarcha aber erst 1680, also posthum auf dem Höhepunkt der Exclusion Crisis, an die Öffentlichkeit gelangt. 138 J.  Locke  : Regierung, II, S. 197–366. Das Werk trägt den Untertitel „Ein Essay über den wahren Ursprung, die Reichweite und den Zweck einer bürgerlichen Regierung“.

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dergrund, ist Locke der Vordenker einer liberalen bürgerlichen, für manche sogar einer demokratischen Gesellschaft.139 Vor allem Letzteres steht aber in Frage, zumal Locke keine Impulse zu einer grundlegenden Modifizierung des englischen Wahlrechts gibt, das ja das Stimmrecht an den Grundbesitz koppelt140 und damit das Bestehen eines Klassenstaates141 zumindest implizit akzeptiert. Egalitäre Konstellationen, modellhaft vorgebracht, sind bei ihm ausnahmslos auf den Naturzustand beschränkt. 4.2.3.2 Vom Naturzustand zum Staat im Dienst des Eigentums

Es ist schwierig zu bestimmen, welchen Einfluss Lockes Überlegungen zum Wesen des Staates und seiner Verfassung auf die schottischen Moralphilosophen ausgeübt haben.142 Seine Schriften zur Erkenntnistheorie143 und zur Religion waren ihnen durchaus geläufig, doch als politischen Philosophen erwähnen sie ihn in ihren eigenen Werken und in ihrer Korrespondenz, soweit diese noch erhalten ist, nur vereinzelt. Das gilt auch für Hume, dessen Verhältnis zu Locke ambivalent war.144 So weist das, was als Hume’sches Gesetz145 bezeichnet wird, durchaus eine Nähe zu Lockes Überlegungen auf. Auch Smith 139 P. Kainz  : John Locke, S. 156  : „Die politische Theorie John Lockes kann man als ein solches grundlegendes Paradigma des westlichen Liberalismus interpretieren, das die universale Geltung beanspruchenden Grundlagen der freiheitlichen Demokratie der westlichen Moderne (Volkssouveränität, repräsentativer Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und Individualismus), ihrer Chancen und ihrer Widersprüche, skizziert.“ – W. Kellerwessel  : Liberalismus, S. 716. – J. Shklar  : Der Liberalismus der Furcht, S. 46. 140 P.  Wende  : Großbritannien 1500–1800, S. 36  : „Seit 1429 besaß in den englischen Grafschaften, die im Durchschnitt 3000–4000 Wähler aufwiesen, jeder das aktive Wahlrecht, der über freien Grundbesitz mit einem jährlichen Mindestertrag von 40 Shilling verfügte.“ – Siehe auch J. Rawls  : Geschichte der politischen Philosophie, S. 167. 141 J.  Rawls  : Geschichte der politischen Philosophie, S. 215. 142 Im Abschnitt 10.4 („Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘“) wird diese Problematik aufgegriffen. 143 Zum Einfluss von Lockes Theorie der Perzeptionen auf Hume siehe J. Kulenkampff  : David Hume, S. 33 f. 144 L. Kreimendahl  : Anmerkungen des Herausgebers, S. 101 f. und S. 115. – D. Hume  : Treatise, 1.2.3.|7 (Fn.)  ; 1.3.3|6 (Fn.), 1.3.14|5 (Fn.), p. 407|2 – Abstract, p.  407|2, p.  408|6  ; The Philosophical Works of David Hume, vol. 3, p. 79 (Fn.) (Of the Parties of Great Britain)  ; Hume über Lockes politische Zuordnung als Whig)  ; p.  102 (Of Civil Liberty – dort Hume kritisch über Lockes Schreibstil)  ; p. 380 (Of Self-Love). – D.  Hume  : Understanding, p. 6|4, p. 16|9 (Fn.), p. 46 (Fn.), p. 51|8 (Fn.), p. 58 (Fn.). – The Letters of David Hume, I, p. 39 (To F. Hutcheson), p. 48 (To F. Hutcheson), p. 201 (To J. Spence). – The History of England, vol. VI, p. 533, p. 548. – D. Hume  : Morals, Appendix 2|3, p. 91 (Locke wird hier neben Hobbes als einer derjenigen erwähnt, “who maintained the selfish system of morals“.) 145 Etwas verkürzt besagt dieses „Gesetz“, dass sich aus Tatsachenfeststellungen keine Normen herleiten ließen (D.  Hume  : Traktat, II, S. 211). Zur näheren Erläuterung des Hume’schen Gesetzes siehe in dieser Arbeit den Abschnitt 11.3 („David Hume  : Stabilisierung der Gesellschaft durch die ‚künstlichen Tugenden‘“) sowie J.  Kulenkampff  : David Hume, S. 104, und D. Lüddecke  : Erstlingswerk, S. 178 f. – Locke hatte, zur Verteidigung seiner Vertragstheorie (die Hume allerdings ablehnte), ausgeführt, dass „ein Schluss von dem, was war, auf das, was von Rechts wegen sein sollte, keine allzu große Beweiskraft“ habe (J. Locke  : Regierung, II, § 103, S. 269). Siehe zu diesem Aspekt im Verhältnis Humes zu Locke  : J. Waldron  : John Locke  : Social Contract Versus Political Anthropology, p. 14.

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war mit Lockes Gedanken zweifellos gut vertraut  ;146 aus der Arbeit von Mizuta wissen wir zudem, dass er in seiner privaten Bibliothek von Locke sowohl den Essay concerning Human Understanding als auch die Two Treatises of Government besaß.147 Seltener als Hume und Smith kommt Ferguson auf Lockes Arbeiten sprechen.148 Es empfiehlt sich, den Blick besonders auf zwei Voraussetzungen zu richten, von denen Locke ausgeht. Die erste besteht in der in Buch I vorgetragenen Ablehnung von Filmers Argument, Herrschaft verdanke sich dem göttlichen Willen und sei auf dem Erbweg von Adam auf die Monarchen gekommen.149 Lockes zweite Prämisse gilt der Legitimationsfrage  : Herrschaft müsse dennoch erklärbar sein  ; politische Macht könne deshalb keineswegs „nur das Produkt von Stärke und Gewalt“ sein, da „das Zusammenleben der Menschen [durchaus] anderen Regeln unterworfen ist als das der Tiere, bei denen der Stärkste die Führung gewinnt“.150 Aufschlussreich ist dabei, was Locke unter politischer Macht (political power)151 versteht. Nämlich engt er das an sich weite Bedeutungsspektrum dieses Begriffs sehr stark ein, und zwar auf den Schutz des Eigentums  : „Unter politischer Gewalt verstehe ich dann ein Recht, für die Regelung und Erhaltung des Eigentums Gesetze mit Todesstrafe und folglich auch allen geringeren Strafen zu schaffen, wie auch das Recht, die Gewalt der Gemeinschaft zu gebrauchen, um diese Gesetze zu vollstrecken und den Staat gegen fremdes Unrecht zu schützen, jedoch nur zugunsten des Gemeinwohls.“152 Ein solches Verständnis des Staates stellt diesen unumwunden in den Dienst des Eigentums – und damit folglich in den Dienst derer, die in diesem Staat tatsächlich auch Eigentümer sind. 146 A.  Smith  : Theory, p. 241|12, p. 322|6  ; WN I, p. 24 (Fn.), p. 54 (Fn.), p. 60|35, p. 189 (Fn.), p. 353|9, pp. 357–358 (Fn.), p. 430|3 (auch Fn.), p. 434 (Fn.), p. 496 (Fn.), WN II, p. 710 (Fn.), p. 933 (Fn.). – A. Smith  : The History of the Ancient Logics and Metaphysics. In  : ders.: Essays, p. 125|5. – A. Smith  : Of External Senses. In  : ders.: Essays, p. 136 (Fn.), p. 150|48, pp. 153–154 (Fn.). – Stewart (Notes to  :) Account of the Life and Writings of Adam Smith. In  : ders.: Essays, pp. 339–340, p. 343, p. 346, p. 349. – A. Smith  : Lectures RBL., p. 43|107, p. 57 (Fn.), p. 58|143. – A. Smith  : Lectures J., p. 17 (Fn.), p. 20 (Fn.), p. 142 (Fn.), p. 200|2, p. 208 (Fn.), p. 316|114, p. 316|116, p. 316 (Fn.), p. 317 (Fn.), p. 323|135, p. 338 (Fn.), p. 370|106, p. 381|135 und Fn., p. 435|94, p. 506 (Fn.), p. 508|254, p. 519 (Fn.). – A. Smith  : The Correspondence of Adam Smith, p. 47 (From E. Burke), p. 192 (From W. Robertson), p. 339, p. 343 (From Gov. Pownall). 147 H.  Mizuta  : Adam Smith’s Library, p. 151. 148 A.  Ferguson  : Principles, I, p. 73, p. 75, p. 99. – A. Ferguson  : Correspondence, vol. 1, p. 113, p. 115 (To S. Reverdil), p. 124 (T. A. Carlyle). Kein Zweifel besteht, dass Ferguson, ebenso wie Hume, Lockes auf einen fiktiven Naturzustand verweisende Argumentation kannte, diese aber verwarf  ; siehe hierzu Z. ­Batscha  /  H.  Medick  : Vorwort. In  : A.  Ferguson  : Versuch, S. 22, sowie ders.: Versuch […], S. 97–108. 149 Siehe hierzu J.  Locke  : Regierung, II, § 1, S. 199 f. 150 J.  Locke  : Regierung, II, § 1, S. 199. 151 W. Euchner übersetzt ohne ersichtlichen Grund das von Locke im Original gebrauchte political power unterschiedlich sowohl mit „politische Macht“ (J.  Locke  : Regierung, II, § 1 und § 2, S. 200, § 73, S. 247) und mit „politische Gewalt“ (u. a. J. Locke  : Regierung, I, § 48, S. 96  ; § 122, S. 160, Regierung, II, § 3, S. 200  ; II, § 71, S. 246). 152 J.  Locke  : Regierung, II, § 3, S. 200 (Hervorh. übern.).

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Daraus lässt sich für den bei weitem größten Teil der Gesellschaft ableiten, dass er in Lockes politischer Theorie in der Konsequenz de facto keine Rolle spielt, er ihn nicht berücksichtigt und ihn sich wie selbstverständlich auch von der Teilhabe an Entscheidungen ausgeschlossen denkt. Folgerichtig bildet sich in seiner Definition von „politischer Gewalt“ eben jene Hierarchie ab, die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit tatsächlich bestanden hat. Als „Basis [gemeint ist  : untere Ebene] der sozialen Hierarchie“ sieht denn auch Wende im Hinblick auf das 16. und 17. Jahrhundert „die große Masse der Bevölkerung, welche sich wiederum in verschiedene Gruppen gliedern lässt. In der Neuzeit waren dies ca. 95 % aller Engländer, die zudem vorwiegend auf dem Lande als Kleinbauern, Häusler und Landarbeiter ihr größtenteils kümmerliches Dasein fristeten.“153 Sie alle verfügten nicht über das Eigentum, zu dessen Sicherung Locke die Politik sowohl geeignet als auch verpflichtet sieht.154 Es ist also erneut ein Klassenstaat,155 von dem hier stillschweigend ausgegangen wird. Daraus ist zwar nicht vorschnell der Schluss zu ziehen, Lockes Second Treatise dürfe als ausdrückliche Legitimierung eines solchen Klassenstaates gelesen werden, doch wird Letzterer darin auch nicht zum Gegenstand kritischer Analysen gemacht  ; vielmehr wird er schlichtweg als gegeben angesehen und zumindest unhinterfragt akzeptiert. Ebenso wäre der Einwand, Lockes Demokratieverständnis stehe dem heute geläufigen eklatant nach, zwar nicht von der Hand zu weisen, doch würde man dem Second Treatise damit ebenfalls nicht gerecht werden.156 Im Rahmen dieser Untersuchung geht es nicht darum, ob Lockes politische Theorie auf Demokratie abzielt, sondern darum, dass sie von einer vorrangigen Bedeutung des Eigentums ausgeht. Damit steht Locke allerdings in der Denktradition seines Landes, denn dem Eigentumsbegriff kommt, wie oben gezeigt, in 153 P.  Wende  : Großbritannien 1500–1800, S. 19. – Noch deutlicher urteilt H.-C. Schröder  : Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, S. 13, wenn er ausführt  : „Es waren die gentlemen, die – mit Ausnahme einer relativ kurzen Phase vor und während der Englischen Revolution – politisch allein zählten und die man unter Verwendung eines von den Historikern für das 18. Jahrhundert geprägten Begriffs als ‚politische Nation‘ bezeichnen kann.“ 154 Allerdings ist Lockes Eigentumsbegriff unscharf und nicht frei von Inkonsistenzen. So findet sich neben der Bedeutung, von der hier im Wesentlichen ausgegangen wurde, auch eine weiter gefasste, die immaterielles Eigentum mit einschließt. Im Abschnitt über „Die Ziele der politischen Gesellschaft und der Regierung“ führt Locke all jene Menschen an, die sich zu einer Gesellschaft vereinigen „zum gegenseitigen Schutz ihres Lebens, ihrer Freiheiten und ihres Vermögens, was ich unter der allgemeinen Bezeichnung Eigentum zusammenfasse“. J.  Locke  : Regierung, II, § 123, S. 283 (Hervorh. HK). 155 Siehe S. 134. 156 Locke nämlich hat die Two Treatises nicht verfasst, um die Fragen unserer Tage, sondern um diejenigen seiner Zeit zu beantworten. Diesen wichtigen Hinweis gibt J. Rawls  : Geschichte der politischen Philosophie, S. 165 f.: „Wenn solche Fragen jedoch in verschiedenen historischen Zusammenhängen aufgeworfen werden, können sie unterschiedlich aufgefaßt werden, und sie sind von verschiedenen Autoren im Zusammenhang ihrer politischen und sozialen Welt sowie ihrer eigenen Auffassung der Verhältnisse und Probleme verschieden gedeutet worden. Um die Werke dieser Autoren zu verstehen, müssen wir also ihren Standpunkt identifizieren und herausbekommen, wie dieser Standpunkt die Fragestellung und die Art der Erörterung der Frage geprägt hat.“

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der politischen Philosophie Großbritanniens spätestens seit Hobbes eine für den Staat geradezu konstitutive Bedeutung zu,157 und dies wirkt ins 18. Jahrhundert hinein weiter. Schon allein deshalb waren, wenig überraschend, Überlegungen zum Eigentum auch für die Denker der Schottischen Aufklärung von zentralem Interesse.158 Auch Lockes Argumentation – genauer  : seine Argumentationsgrundlage – ist eine naturrechtliche. Doch er folgt nicht demselben Ansatz wie Hobbes, der ja seine Aussagen über den Naturzustand durch Abstraktion aus dem zivilisierten Zustand seiner zeitgenössischen Gesellschaft gewinnt.159 Locke verfolgt auf konventionelle Weise einen rationalistischen Ansatz, indem er von Setzungen ausgeht und auf deren Grundlage voranschreitet  ; auf einen unmittelbaren Wirklichkeitsbezug, den Hobbes’ Leviathan ja aufweist, oder auf die Verbindung zu einer Gesellschaftsform, über die Erkenntnisse durch Anschauung vorlägen oder zu gewinnen wären, beruft er sich nicht. Aussagen mit der Wendung „von Natur aus“ werden von ihm vielmehr mittels eines spekulativen Verfahrens in Form einer Argumentationskette gewonnen, die von folgenden drei axiomatischen Festlegungen ausgeht  : – Die Menschen leben im Naturzustand in einem Zustand der Gleichheit. – Letzterer ist zugleich ein Zustand der Freiheit. – In diesem Naturzustand herrscht „ein natürliches Gesetz, das jeden verpflichtet“.160 Locke führt in die politische Theorie zwei wesentliche Ansätze ein  : Zum einen erklärt er gesellschaftliche Ungleichheit als eine Folge von ungleich großem persönlichen Einsatz und verweist ihre Ursache damit an das Individuum zurück. Zum andern spricht er dem Geld die Funktion zu, Arbeitsleistung zu materialisieren und konservierbar zu machen.161 Damit gelingt seiner Argumentation der Übergang von der ursprünglichen Besitzgleichheit162 – und dem Gemeinbesitz163 – des Naturzustands und gleichzeitig die Legitimierung der Akkumulation von privatem Eigentum,164 dessen Bedeutung damit 157 Siehe S. 124. Im Übrigen korrespondiert dieses Ausgehen vom Eigentumsbegriff mit der charakteristischen Entwicklung der englischen Gesellschaft, in der P. Wende  : Großbritannien 1500–1800, S. 15, „jene starke Fixierung auf das Eigentum, welche zur Kontinuität der herausragenden Position des Adels bis weit hinein ins sog. bürgerliche Zeitalter beitrug“, diagnostiziert. 158 Siehe den Abschnitt 10.4 („Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘“). 159 Siehe auf S. 115 die Ausführungen über das Naturzustandsmodell bei Hobbes. 160 J.  Locke  : Regierung, II, §§ 4–6, S. 201 f. 161 Darauf wird auf S. 140 f. eingegangen. 162 J.  Locke  : Regierung, II, § 4, S. 201  : „[…] da niemand mehr besitzt als ein anderer […]“. 163 Ebd.: „[…] daß Geschöpfe von gleicher Gattung und von gleichem Rang, die ohne Unterschied zum Genuß derselben Vorteile der Natur und zum Gebrauch derselben Fähigkeiten geboren sind, ohne Unterordnung und Unterwerfung einander gleichgestellt leben sollen [should also be equal one amongst another without subordination or subjection] […]“. (Hervorh. HK) Siehe auch ebd., § 26, S. 217 f.: „Alle Früchte, die sie [die Erde] natürlich hervorbringt, und alle Tiere, die sie ernährt, gehören den Menschen gemeinsam [belong to mankind in common], weil sie wildwachsend von der Natur erzeugt werden […].“ 164 W. Röhrich erkennt darin ein Neues in der Geschichte des politischen Denkens nach Hobbes. Siehe ders.:

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ins Zentrum rückt. Eigentum existiert für Locke bereits im Naturzustand, allerdings zunächst nur in immaterieller Form, denn es wird gesagt, dass es „jeder Mensch an seiner eigenen Person“ habe165 – eine Erklärung, den beispielsweise Millar im Origin im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Sklaverei aufgreifen wird.166 Das Recht an materiellen Dingen ist in diesem ursprünglichen Zustand noch ein allen Menschen gemeinsames, denn „niemand hat ursprünglich ein persönliches Herrschaftsrecht mit Ausschluß aller übrigen Menschen über irgend etwas […].“167 Dieses Gemeineigentum allerdings erscheint politisch wie rechtlich nicht handhabbar. Erst als persönliches Eigentum gewinnt es für Locke Wert, denn er denkt die Menschheit vom Individuum her  : „Doch da die Früchte den Menschen zu ihrem Gebrauch verliehen wurden, muß es notwendigerweise Mittel und Wege geben, sie sich irgendwie anzueignen, bevor sie dem einzelnen Menschen von irgendwelchem Wert oder überhaupt nützlich sein können.“168 In diesem Vorgang des Aneignens liegt eine Schwierigkeit für eine schlüssige Argumentation. Locke überwindet sie durch die Einführung des Arbeitsbegriffs  : Arbeit ist das Eigentum des Menschen, und dieses Eigentum bringe er zum Einsatz, indem er eben arbeite und etwas „dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat“. Auf diese Weise „mische“ der Mensch sein ursprüngliches Eigentum, eben die Arbeit, mit dem, was von Natur aus vorhanden ist, und eigne sich dadurch Letzteres an  : „Denn da diese Arbeit das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters ist, kann niemand außer ihm ein Recht auf etwas haben, was einmal mit seiner Arbeit verbunden ist.“169 Dieses Argument wird freilich weniger von seiner zwingenden Logik als von seinem rhetorischen Schwung getragen, denn es besagt ohne stichhaltige Begründung – also gewissermaßen im Sinn einer Setzung –, dass Güter aus Gemeineigentum durch die „Vermischung mit Arbeit“, die persönliches Eigentum sei, ebenfalls in persönliches Eigentum übergingen.170 Macpherson hat darauf hingewiesen, dass eine wesentliche Leistung dieses Schlusses darin liege, dass Locke so „das natürliche Eigentumsrecht des Individuums von den

Sozialvertrag und bürgerliche Emanzipation, S. 24  : „In Hobbes’ Blickpunkt rückten nicht die durch die Entstehung von Klassen sich dartuenden Probleme  ; und nicht zuletzt mangels einer die gesellschaftliche Dissoziation rechtfertigenden Theorie wurde er von der bürgerlichen Gesellschaft nicht gebührend akzeptiert. Vorbehalten blieb dies John Locke, der der beginnenden bürgerlichen Gesellschaft eine Theorie des Kapitalismus übermittelte  : die der privaten Eigentumsakkumulation – verbunden mit einer Rechtfertigung der Ungleichheit der Klassen.“ 165 J.  Locke  : Regierung, II, § 27, S. 218. 166 Zu Millars diesbezüglichen Ausführungen im Origin siehe die vorliegende Untersuchung ab S. 499. 167 J.  Locke  : Regierung, II, § 25, S. 218. 168 Ebd., § 26, S. 218 (Hervorh. HK). 169 Ebd., § 27, S. 218. (Hervorh. in der dt. Übersetzung.) 170 Ebd., § 26, S. 218. Locke scheint der Überzeugungskraft dieses Schlusses selbst nicht bedingungslos vertraut zu haben, denn er schiebt ihm wie zur Absicherung nach  : „Zumindest nicht dort, wo genug und ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt.“ (Hervorh. HK)

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‚Schranken des Gesetzes der Natur‘“ befreit habe.171 Arbeitend kann sich der Mensch der ursprünglichen Festlegung auf den Gemeinbesitz entziehen. Doch die Bedeutung dieser Herleitung reicht über diesen Aspekt noch hinaus, denn das Gemeineigentum besteht darin gerade für eine juristische Sekunde und nur zu dem Zweck, für das individuelle Eigentum einen schlüssigen Ursprung zu schaffen. Die eigentliche Hürde für Locke ist die Erklärung für den Übergang zu privatem Eigentum, das ja nicht ab origine bestanden haben kann, doch dessen Sicherung von nun an ein eigentlicher Staatszweck ist.172 Darin liegt in Lockes Geschichts- und Gesellschaftsmodell die Funktion des Begriffs der Arbeit.173 Arbeit wiederum ist von Gott geboten und somit ebenso wenig hinterfragbar wie der von ihr abgeleitete Privatbesitz  : „Gott gab also durch das Gebot, sich die Erde zu unterwerfen, die Vollmacht, sie sich anzueignen  : Und die Bedingung des menschlichen Lebens, das Arbeit und Stoff, der bearbeitet werden kann, erfordert, führt notwendigerweise zum Privatbesitz.“174 Eine Diskussion von Lockes Theorie des Eigentums ausschließlich unter inhaltlichen Gesichtspunkten, etwa im Zusammenhang mit den Hobbes’schen Überlegungen zu diesem Thema, kann leicht verdecken, was sie in theoriegeschichtlicher Hinsicht auch ist, nämlich ein Beispiel für einen Paradigmenwechsel, wie er von T. S. Kuhn im Rahmen seiner Theorie der Struktur wissenschaftlicher Revolutionen beschrieben wird  : „Paradigmata“ im Sinn „allgemein anerkannte[r] wissenschaftliche[r] Leistungen, die für eine gewisse Zeit einer Gemeinschaft von Fachleuten maßgebende Probleme und Lösungen liefern“,175 werden im Zug von Krisen durch neue Erklärungen beziehungsweise Theorien abgelöst. Hier ist es der durch Locke vollzogene Übergang von der klassischen, auf Cicero zurückreichenden naturrechtlichen Theorie des durch Besitzergreifung („Okkupation“) entstehenden Privateigentums hin zu einer solchen, die den Eigentumsbegriff mit dem der Arbeit koppelt.176 Exemplarisch für die „wissenschaftliche Revolution“ im 171 C.  B. Macpherson  : Die politische Theorie des Besitzindividualismus, S. 225. 172 Zu dieser Bewertung gelangt beispielsweise U. F. H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 65, der sagt, „dass Hobbes und Locke im Bezug auf den Staatszweck nahezu vollständig einig sind (Sicherheit von Person und Eigentum) […].“ Locke selbst drückt dies explizit aus, wenn es heißt, dass „doch alle Regierung kein anderes Ziel als die Erhaltung des Eigentums“ habe. Ders.: Regierung, II, § 94, S. 262. Siehe außerdem ebd., § 124, S. 283  : „Das große und hauptsächliche Ziel, weshalb Menschen sich zu einem Staatswesen zusammenschließen und sich unter eine Regierung stellen, ist also die Erhaltung ihres Eigentums.“ (Hervorh. in der dt. Übersetzung.) Die Eigentumssicherung ist als Staatszweck genannt in  : J. Locke  : Regierung, II, § 138, S. 294  : „[…] da die Erhaltung des Eigentums der Zweck der Regierung und das Ziel ist, weshalb Menschen in die Gesellschaft eintreten […].“ 173 U.  F.  H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 71, hat ergänzend darauf hingewiesen, dass durch die Arbeit die Person selbst in dieses Eigentum eingeht  : „Das Eigentum erfährt vielmehr eine gewisse ideologische Überhöhung, weil es durch die Arbeit einen Teil der Person enthält [und] die Person somit verkörpert und symbolisiert. Das Eigentum ist Symbol der Person.“ 174 J.  Locke  : Regierung, II, § 35, S. 222 f. 175 T.  S. Kuhn  : Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 10. 176 Im Sinn einer Randnotiz ist in diesem Zusammenhang auf einen weiteren einflussreichen Denker der Zeit

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Fall dieses Paradigmas, eben die Ablösung der Okkupations- durch die Arbeitstheorie, stehen Lockes Two Treatises177 und darin seine argumentative Lösung des Problems der „individuelle[n] Inbesitznahme der genußtauglichen Gegenstände“ mittels Arbeit.178 4.2.3.3 Das Geld und die Autonomisierung des Individuums

Allerdings sind in Lockes System auch der Besitzaneignung durch Arbeit zunächst Grenzen gesetzt. Diese Grenzen gibt der unmittelbare Nutzen vor, den ein auf solche Weise erworbenes privates Eigentum seinem Besitzer gewährt  ; denn nur „[s]o viel, wie jemand zu irgendeinem Vorteil seines Lebens gebrauchen kann, bevor es verdirbt, darf er sich durch seine Arbeit zum Eigentum machen. Was darüber hinausgeht, ist mehr als sein Anteil und gehört anderen.“179 Somit besteht eine Begrenzung der Aneignungsbefugnis,180 doch besteht diese Begrenzung letztlich nur zum Schein, denn die Argumentation weist einen Ausweg, und zwar durch das Hinzukommen des Geldes, „einer beständigen Sache, welche die Menschen, ohne daß sie verdarb, aufheben und nach gegenseitiger Über-

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hinzuweisen  : Samuel Pufendorf (1632–1694). Er erweitert die Überlegungen zum Eigentum, wenn er es nicht nur vom Individuum (und dessen Recht zu seinem Erwerb) her denkt, sondern auf die Verpflichtung verweist, die aus dem Eigentum erwachse. Das ist der Blick aus der Richtung der Gesellschaft. So ist ein Kapitel in seiner Schrift Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur überschrieben mit „Über das Recht der Staatsgewalt in bezug auf das Eigentum“, und darin wird unterschieden zwischen jenem „Vermögen[, das] von der Staatsgewalt zur Verfügung gestellt“ wird, und „den Gütern, die die Bürger durch eigenen Fleiß oder auf andere Weise ganz allein erwerben“. Auf beide allerdings spricht Pufendorf dem Staat unter bestimmten Bedingungen Zugriffsrechte zu. (S. Pufendorf  : Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur, S. 200.) – Dieser Gedanke der mit dem Eigentum verbundenen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft war gegen Ende des 17. Jahrhunderts also in der Welt, und es ist anzunehmen, dass die schottischen Denker diese Einschränkung auch gekannt haben (siehe etwa H. Mizuta  : Adam Smith’s Library, p. 207, sowie K. G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 98 f.). Insgesamt jedoch wird in der Schottischen Aufklärung stark die Würdigung der Motivationsfunktion des Eigentumserwerbs überwiegen – siehe den Abschnitt 10.4 („Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘“). J.  Locke  : Government, II, pp. 207–485. – Nicht übergangen werden soll in diesem Zusammenhang der Hinweis von M.  Brocker  : Arbeit und Eigentum, S. 127, dass die eigentliche Abkehr Lockes von der Okkupationstheorie bereits in einem „vor 1680 verfaßten […] Manuskript Lockes mit dem Titel ‚Morality‘“ erfolgt ist. Darin heißt es laut Brocker  : “Man made not himself nor any other man. Man made not the world which he found made at his birth. Therefor noe man at his birth can have noe right to any thing in the world more then an other.” (Hervorh. i. OT.) M.  Brocker  : Arbeit und Eigentum, S. 175 ff. – Siehe zu diesem gesamten Themenkomplex des Paradigmenwechsels, für den Locke steht, ausführlich  : ebd., S. 125–291. J.  Locke  : Regierung, II, § 31, S. 221. U.  F.  H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 70, spricht in diesem Zusammenhang von der „Aufhebung der Aneignungsschranke“. – J. Locke  : Regierung, II, § 46, S. 231, erklärt deren Konformität mit dem Naturrecht so  : Ein jeder durfte von den beständigen Dingen so viel anhäufen, wie er wollte. Denn die Überschreitung der Grenzen seines rechtmäßigen Eigentums lag nicht in der Vergrößerung seines Besitzes, sondern darin, daß irgend etwas ungenutzt verdarb.“ Denn  : In diesem Fall „nahm er mehr, als ihm zustand, und beraubte andere.“ (Ebd. § 46, S. 230, Hervorh. in der dt. Übersetzung.)

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einkunft gegen die wirklich nützlichen, aber verderblichen Lebensmittel eintauschen konnten.“181 Die Anhäufung von Geld nämlich sei insofern zulässig, als es sich dabei um kein verderbliches Gut handle. Diese Herleitung wirkt konstruiert  ; zumindest stellt sie eine überraschende Wendung dar, denn das ganze Gebäude aus Besitzaneignungsbefugnissen, -pflichten und -beschränkungen wird mit einem Satz eingerissen, so, als sei es im Grund ohne Bedeutung. Offenkundig verfolgt Locke damit eine bestimmte Absicht, nämlich die – zugespitzt formuliert – Autonomisierung des Individuums, indem nunmehr der einzelne Mensch, auf diese Weise befreit von allen Limitierungen, die Vorsorge für sein Dasein und somit für sein Schicksal in die eigene Hand gelegt bekommt. Aus der Aufhebung der Einschränkung, sich Besitz über die eigene Nutzbarkeit desselben hinaus anzueignen, die nun durch die Möglichkeit des Transfers von verderblichen Gütern in Geld erreicht wird, entsteht Ungleichheit  : Wer mehr arbeitet, verschafft sich mehr Eigentum. Das Geld wird folglich zu dem Instrument, mit dem diese Ungleichheit festgeschrieben wird  : „Und wie die verschiedenen Stufen des Fleißes das unterschiedliche Verhältnis ihres Besitzes bedingte, so gab die Erfindung des Geldes ihnen Gelegenheit, den Besitz zu vergrößern und beständig zu machen.“182 Der Festschreibung von gesellschaftlicher Ungleichheit kommt in Lockes Wirtschaftstheorie allerdings nur die Rolle eines Nebeneffekts zu. Vornehmlich richtet sich sein Blick auf den Handel, der die Existenz des Geldes bereits voraussetzt. Denn die eigentliche treibende Kraft für eine Gesellschaft ist in Lockes Augen der Handel. In seinen Considerations formuliert er dies ausdrücklich  : „Für ein Land, das nicht über Bergwerke verfügt, bestehen zwei Wege, um reich zu werden  : entweder Eroberung oder Handelsverkehr.“ Und so, wie der Handel notwendig für die Schaffung von Reichtum ist, „ist Geld notwendig für die Beförderung des Handels.“183 Geld ist für Locke ein Tauschmittel und ein Wertmaßstab, und eben diese beiden Funktionen und nicht die Möglichkeit seiner Anhäufung – es sei denn, um Ertrag zu bringen und damit in seiner Bedeutung dem Grundbesitz gleichzukommen184 – stehen im Mittelpunkt seiner Überlegungen.185 4.2.3.4 Verstand und Moral

Lockes politische Argumentation ist verknüpft mit seinen erkenntnistheoretischen Annahmen, die den moralphilosophischen Diskurs der Aufklärung konturieren und insbesondere auf die Philosophie Humes einen nachvollziehbaren Einfluss ausgeübt haben. Ausgangspunkt ist die Vorstellung des menschlichen Verstandes (mind) als einer Tabula 181 J.  Locke  : Regierung, II, § 47, S. 231. 182 Ebd., § 48, S. 231 (Hervorh. in der dt. Ü.). 183 J. Locke  : Some Considerations of the Consequences of the Lowering of Interest, and Raising the Value of Money (1691). In  : The Works of John Locke, II, p. 8. 184 Ebd., p. 19  : “[…] to be of the same nature with land, by yielding a certain yearly income, which we call use, or interest.” 185 J. Locke ausführlich dazu ebd., pp. 21–26, bes. pp. 22–23.

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rasa  ; er erhält all sein Material aus einer einzigen Quelle, nämlich aus der Erfahrung (ex­perience)  : „Auf sie [die Erfahrung, HK] gründet sich unsere gesamte Erkenntnis, von ihr leitet sie sich schließlich her. Unsere Beobachtung, die entweder auf äußere sinnlich wahrnehmbare Objekte [external sensible objects] gerichtet ist oder auf innere Operationen des Geistes, die wir wahrnehmen und über die wir nachdenken [internal operations of our minds, perceived and reflected on by ourselves], liefert unserm Verstand das gesamte Material des Denkens. Dies sind die beiden Quellen der Erkenntnis186, aus denen alle Ideen entspringen, die wir haben oder naturgemäß haben können.“187

Im Zusammenhang mit allen Überlegungen zur Moral und den ihr zugrundeliegenden Prinzipien hat dies eine zwingende Konsequenz  : Moral ist ausschließlich Menschenwerk, und der Gedanke an angeborene Ideen wird als Spekulation verworfen.188 Locke widmet dem Nachweis, dass es keinerlei angeborene Prinzipien gebe, das gesamte Book I seines Essay concerning Human Understanding – dieser Gedanke ist das Fundament des Ganzen und der Schritt in die Autonomie  : Moral ist nichts Vorgegebenes, sondern entsteht mit den Erfahrungen des Lebens und mit deren Bewertung durch die Arbeit des Verstandes sowie im Dialog mit den anderen. Damit ist sie ein Ergebnis der Sozialisation.189 Es 186 In Humes Modell werden den „sinnlich wahrnehmbaren Objekten [external sensible objects]“ die „Eindrücke [impressions]“ entsprechen, während die Reflexionen des Verstandes (internal operations of our minds) zu „Vorstellungen [ideas]“ werden. Vgl. hierzu D. Hume  : Traktat, I, S. 8 f. – OT.: ders.: Treatise, 1.1.1.|1. 187 J.  Locke  : Verstand, I, S. 108. Die Hervorhebung (in der dt. Übersetzung) macht deutlich, worauf es Locke natürlich ankommt  : Nur das „Material“ des Denkens ist erworben – die reine Fähigkeit des Verstandes hingegen – eben zu denken – ist durchaus Teil der biologischen Ausstattung des Menschen. Aber  : „Der Verstand scheint mir nicht den leisesten Schimmer von irgendwelchen Ideen zu haben, die er nicht aus einer dieser beiden Quellen [wahrnehmbare Objekte oder auf innere Operationen des Geistes, HK] empfängt. Die äußeren Objekte versehen den Geist mit den Ideen der sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten  ; diese Ideen sind all die verschiedenen Wahrnehmungen, die die äußeren Objekte in uns erzeugen  ; der Geist versieht den Verstand [furnishes the understanding] mit Ideen seiner eigenen Operationen.“ Ebd., S. 109, Hervorh. in der dt. Übers., die die Begriffe „Geist“ und „Verstand“ offensichtlich synonym behandelt. – OT.: J.  Locke  : Understanding, I, p. 77. 188 Wie, um dies zu unterstreichen, beruft J. Locke  : Verstand, II, S. 107, selbst sich ausdrücklich auf die Empirie als seine Erkenntnisquelle, nämlich „auf die eigene Beobachtung und Erfahrung eines jeden“. 189 Locke legt zudem ausführlich dar, dass der Satz, es gebe angeborene Ideen, die Funktion einer Entmündigung darstellen und ihm somit eine Herrschaftsfunktion zukommen kann. Dabei handelt es sich dann um keine Aussage über Erkenntnistheorie, sondern um ein emanzipatorisches, eben aufklärerisches Statement. Vgl. J.  Locke  : Verstand, I, S. 103 f. (Hervorh. in der dt. Übers.)  : „Es war für die, die sich als Meister und Lehrer aufspielten, von nicht geringem Vorteil, wenn sie das zum Prinzip aller Prinzipien machten, daß Prinzipien nicht in Zweifel gezogen werden dürften. Denn war es erst einmal zum Grundsatz erhoben, daß es angeborene Prinzipien gebe, so sahen sich deren Anhänger gezwungen, bestimmte Lehren als angeboren anzuerkennen  ; damit aber wollte man ihnen den Gebrauch ihrer eigenen Vernunft und Urteilskraft entziehen und sie dazu veranlassen, diese Lehren auf Treu und Glauben anzuerkennen. In dieser Haltung

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wird nachvollzogen, wie Normen in einer Gesellschaft zustande kommen.190 Für einige bedeutende unter den nachfolgenden Denkern sollten dies herausfordernde Schlussfolgerungen sein, die sie nicht unwidersprochen ließen. 4.2.4 Shaftesbury

Anthony Ashley Cooper, der Dritte Earl of Shaftesbury (1671–1713), ist, obgleich mit John Locke nahe bekannt, der ihn als Kind unterrichtet hatte, kein politischer Philosoph. Er hinterlässt aus seinen späten Lebensjahren ein umfangreiches Œuvre zu Gegenständen der Ästhetik und Kulturphilosophie, der Religion, der Psychologie und der Ethik. Seine Schriften behandeln grundlegende Aspekte zu all diesen Themen, ohne jedoch eine Theorie im engeren Sinn zu entwerfen. Er ist ein Autor, der viele spätere Denker beeinflusst, indem er ausführlich grundlegende Fragen aufwirft und behandelt, auch wenn er diese, legt man strengere Maßstäbe für den wissenschaftlichen Diskurs an, nicht sehr systematisch untersucht.191 In seinen späten Miscellaneous Reflections sollte sich der Verfasser der einflussreichen Inquiry Concerning Virtue and Merit selbst als „glatten Dogmatiker, Formalisten und Systematiker [a plain Dogmatist, a Formalist, and Man of Method]“ kritisieren192 – dies allerdings zu Unrecht, denn in Wirklichkeit sind Shaftesburys Darlegungen der rhetorischen Brillanz sehr viel mehr verpflichtet als der argumentativen Stringenz. Auf die schottischen Denker des 18. Jahrhunderts üben insbesondere seine Überlegungen zum „moralischen Sinn [moral sense]“ dennoch eine nachhaltige Wirkung aus. 4.2.4.1 Überlegungen zum Moral Sense

Im Moral-sense-Diskurs des 17. und 18. Jahrhunderts geht es ursprünglich nicht um ein erkenntnistheoretisches oder generell philosophisches Modell, sondern um die Begründung und Formulierung einer Grundannahme, auf der eine normative Moralphilosophie überhaupt erst aufbauen kann. Diese Annahme besteht darin, dass dem Menschen in Form eines moralischen „Sinns“ von Natur aus die Fähigkeit gegeben sei, moralisch blinder Leichtgläubigkeit ließen sie sich von gewissen Leuten leichter regieren und besser ausnützen, die das Geschick und das Amt hatten, ihnen Prinzipien beizubringen und sie zu lenken. Auch verleiht es einem Menschen keine geringe Macht über den andern, wenn er die Autorität besitzt, Prinzipien zu diktieren und unantastbare Wahrheiten zu lehren oder einem andern das als angeborenes Prinzip aufzuzwingen, was den eignen Zwecken des Lehrers dienlich sein kann.“ 190 Dazu ergänzend U. F. H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 80  : „Der Inhalt der Normen, die in der moralischen Relation sanktioniert werden, bleibt im Rahmen der Lockeschen Ethik willkürlich  ; hier wird Shaftesbury ansetzen.“ 191 Für U.  F.  H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 81, ist er „wahrlich kein Systematiker  ; meistens lässt er den Leser mit mehr Fragen als Antworten zurück.“ – L. Stephen  : History of English Thought in the Eighteenth Century, vol. II, p. 15, beschreibt Shaftesbury dennoch zutreffend als „einen der Schriftsteller, deren Ruf dem Einfluss, den sie einst ausübten, kaum gerecht wird“. 192 Shaftesbury  : Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times, vol. 3, p. 84 (Hervorh. übern.; Hinweis auf dieses Zitat bei U. F. H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 82.)

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Richtiges von Falschem unterscheiden zu können. Shaftesbury besteht in An Inquiry Concerning Virtue and Merit („Untersuchung über Tugend und Verdienst“)193 darauf, dass dem Menschen von vorn herein zumindest eine moralische Grundausstattung mitgegeben sei – ein „Gefallen oder Mißfallen an sittlichen Handlungen [a Liking or Dislike of moral Actions]“ –, die ihm die Bildung von Urteilen über Recht und Unrecht erlaube, bevor er sich „mit Spekulationen oder subtileren Reflexionen über die Frage nach der Existenz Gottes befaßt.“194 Angenommen wird dieser Sinn als innate, als eine natürliche Anlage also. Er ist als solche zwar für eine Entwicklung offen, jedoch nicht im herkömmlichen Verständnis als ein in der Gesellschaft und durch sie auszubildendes, gewissermaßen erst zu sozialisierendes Vermögen. Als Teil der natürlichen Ausstattung des Menschen wird dieser Sinn als eine von Geburt an vorhandene Anlage betrachtet  ; er ist somit beispielsweise dem Gesichts- oder Tastsinn vergleichbar.195 Diese Grundüberzeugung teilen mit Shaftesbury auch weitere Moral-sense-Philosophen, doch sie teilen sie in unterschiedlichen Variationen, und mitunter verändert sich die Nuancierung der Aussagen sogar in den Werken ein und desselben Autors. Die Ausgangsüberlegung richtet sich explizit auf das „moralisch Gute und Schlechte“ und implizit zum einen auf die urteilsbildenden, zum andern auf die handlungsleitenden Kräfte,196 die in den Menschen „von Natur aus“ wirken, und sie richtet sich überdies auf die Bedeutung, die dem Verstand in diesem System zukommt. Diese Frage steht im ideengeschichtlichen Kontext der Zurückweisung eines „ethischen Egoismus“ des nur von seinem Selbstinteresse geleiteten Menschen, also einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Denken von Hobbes und Mandeville,197 aber auch mit den Einflüssen der Theologie auf die Ethik. So heißt es einleitend bei Shaftesbury in An Inquiry Concerning Virtue and Merit  : „Religion und Tugend [Letztere zu verstehen im Sinn von Ethik] scheinen in mancher Beziehung so nahe verwandt zu sein, daß man gemeinhin von ihnen annimmt, sie seien unzer193 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst. – OT.: Shaftesbury  : An Inquiry Concerning Virtue and Merit. 194 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 78. – OT.: Shaftesbury  : An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 30. 195 An anderer Stelle präzisiert Shaftesbury den Begriff „innate“  : “Therefore if you dislike the word Innate, let us change it, if you will, for Instinct  ; and call Instinct, that which Nature teaches, exclusive of Art, Culture, or Discipline.” (Hervorh. übern.). Shaftesbury  : Treatise V, The Moralists, A Philosophical Rhapsody. Being a Recital of certain Conversations on Natural and Moral Subjects. In  : ders.: Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times, pp. 101–243, hier p. 230. 196 Diese Unterscheidung zwischen Urteilsbildung und Handlungsimpuls wird später von Hutcheson vertieft, der zwischen der Wahl (election) einer Handlung und deren Billigung (approbation) unterscheidet. Siehe hierzu F.  Hutcheson  : Erläuterungen zum moralischen Sinn, S. 6. – OT.: ders.: Illustrations upon the Moral Sense. In  : ders.: An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, pp. 133–134. 197 J. Sprute  : Der Begriff des Moral Sense bei Shaftesbury und Hutcheson, S. 221. – Zu Mandeville siehe den Abschnitt 4.2.5 („Bernard Mandeville“).

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trennliche Gefährten. Und wir sind so sehr geneigt, ihre Verbindung für selbstverständlich zu halten, daß es uns kaum erlaubt erscheint, sie etwa im Reden oder auch nur im Denken zu trennen. Man kann jedoch bezweifeln, ob diese allgemeine Praxis einer gründlichen Untersuchung standhält.“198

Tugend und Religion bestehen für Shaftesbury also unabhängig voneinander. Er denkt an eine Ethik ohne „theologische Überformung“.199 Das ist eine aufklärerische These  ; sein Anliegen ist somit ein emanzipatorisches, nämlich „die Befreiung der Moral aus den Fesseln der Religion“.200 An Inquiry Concerning Virtue and Merit ist zu lesen als der Versuch dieser Befreiung – und der Schwierigkeiten ihrer Begründung. „Es wird sicher kaum in Frage gestellt werden“, sagt Shaftesbury, der mit dieser Formulierung offensichtlich rhetorische Mittel zu Hilfe ruft,201 „daß ein Wesen mit Reflexionsvermögen, schon bevor es einen festen Begriff von Gott hat, Gefallen oder Mißfallen an sittlichen Handlungen und folglich einen Sinn für Recht und Unrecht haben kann […].“202 Dass ein solches „Reflexionsvermögen“ jedoch nur die eine Bedingung für moralisches Verhalten ist und Shaftesbury nicht auf eine ausschließlich auf Vernunft gegründete Ethik hinaus will, wird erkennbar, wenn er eine weitere Voraussetzung einführt – und das ist die in diesem Zusammenhang entscheidende  : „Bevor also ein Wesen noch einen deutlichen oder positiven Begriff der einen oder anderen Art von einem Gott haben kann, darf man von ihm annehmen, daß es einen Sinn für Recht und Unrecht hat und Tugenden und Laster in verschiedenen Graden besitzt [he may be suppos’d to have an Apprehension or Sense of Right and Wrong, and be possess’d of Virtue and Vice in different degrees], wie wir es ja auch erfahrungsgemäß von Menschen wissen, die in Gegenden oder unter Umständen gelebt haben, die ihnen niemals Gelegenheit gaben, sich ernsthafte Gedanken über Religion zu machen […].“203

Zur Wahrnehmung von Recht und Unrecht gelangen die Menschen also sowohl durch ihr Reflexionsvermögen als auch durch ihren Sinn für Recht und Unrecht. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Präzisierung  : Es geht bei der Moral-sense-Fragestellung im Allgemeinen und bei Shaftesbury im Besonderen zunächst nicht um die Unterscheidung von gutem und schädlichem Verhalten schlechthin, sondern darum, ob und wodurch Menschen überhaupt in der Lage sind, eine dahin gehende Unterscheidung zu treffen. 198 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 45. 199 W.  H. Schrader  : Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, S. 3. 200 Ebd. 201 Das rhetorische Manöver besteht darin, dass gerade das, was Shaftesbury als „kaum in Frage gestellt“ ausgibt, das ist, das vor allem infrage zu stellen ist, nämlich die Richtigkeit der Annahme, es gebe ein Bewusstsein für Moral, ehe es ein Bewusstsein für Gott gibt. 202 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 78. 203 Ebd. (Hervorh. HK). – OT.: ders.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 31.

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Shaftesburys Überlegungen sind also in ihrem Kern nicht moralisch-normativer, sondern erkenntnistheoretischer Art. Eine normative „Sittenlehre“ wird aus ihnen – und das auch nicht bei allen Denkern dieser Richtung – erst in einem zweiten Schritt.204 Shaftesbury verwendet in seiner Inquiry Concerning Virtue and Merit den Begriff des moral sense allerdings nur an vier Stellen, davon zweimal in den Marginalien.205 Was er darunter versteht, bringt er dennoch klar zum Ausdruck  : „In Wirklichkeit gibt es kein vernünftiges Wesen, das nicht wüßte, daß es unvermeidlich eine Vorahnung und eine Furcht vor einer gleichen Schädigung und folglich ein Gefühl des Widerwillens und der Feindseligkeit bei jedem dies wahrnehmenden Wesen hervorruft, wenn es vorsätzlich jemand[en] beleidigt oder schädigt.“206 Diese Vorahnung und diese Furcht sind handlungsleitend. Sie übernehmen damit dieselbe zivilisatorische Reglementierungsfunktion, die Hobbes mit Rückgriff auf die Bibel einem der Naturgesetze zugesprochen hatte  : „Doch um keinem Menschen eine Ausrede zu ermöglichen, wurden diese Gesetze zu einer auch dem bescheidensten Verstande leicht einsehbaren Maxime zusammengefaßt, welche lautet  : Füge einem anderen nicht zu, was du nicht willst, daß man dir zufüge. [Do not that to another, which thou wouldest not have done to thyself ].“207 4.2.4.2 Handlungsmotiv und Selbstreflexion

Allerdings geht es Shaftesbury nicht so sehr um Vorschriften. In der Inquiry Concerning Virtue and Merit versucht er vielmehr diejenige Beziehung zu analysieren, die beim Menschen zwischen der Handlung selbst und dem Handlungsmotiv besteht – mit anderen Worten „von dem, was man bloßes Gutsein nennt und was in der Reichweite und dem Vermögen aller mit Sinnen ausgestatteten Geschöpfe liegt, zu dem, was man Tugend oder Verdienst nennt und was nur dem Menschen möglich ist.“208 Er gelangt dabei zum 204 „Sittenlehre der Vernunft“ lautet der etwas frei gewählte Titel der zeitgenössischen deutschen, von Lessing (?) vorgenommenen Übersetzung von Hutchesons posthum veröffentlichter großer Arbeit A System of moral philosophy, In Three Books, 2 vols., London 1755. Welche Schritte bei diesem Übergang von der erkenntnistheoretischen Betrachtung hin zur letztlich politischen Philosophie aufeinander folgen, zeigen die Titel der drei Bücher von Hutchesons A System of moral philosophy  : Book I – “Concerning the Constitution of Human Nature, and the Supreme Good” („Von der Beschaffenheit der Natur und dem höchsten Gute“)  ; Book II – “Containing a Deduction of the more special Laws of Nature, and Duties of Life, previous to Civil Government, and other adventitious States” („Von den besondern Gesetzen der Natur und den Pflichten des Lebens, ohne Absicht auf eine bürgerliche Regierung und andere willkürliche Stände“)  ; Book III – “Of Civil Polity” („Vom bürgerlichen Regimente“). 205 Shaftesbury  : An Inquiry Concerning Virtue and Merit, pp. 24, 27 und 30. 206 Ebd., p. 24  : “There is in reality no rational Creature whatsoever, who knows not that when he voluntarily offends or does harm to any-one, he cannot fail to create an Apprehension and Fear of like harm, and consequently a Resentment and Animosity in every Creature who observes him.” (Hervorh. HK) 207 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 134 (Hervorh. übern.). – OT.: T. Hobbes  : Leviathan (M.), p. 144. 208 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 60. – Diese Trennung in die Handlung und das ihr zugrundeliegende Handlungsmotiv ist im Übrigen die Aufgabe, die sich dem „unparteiischen Beobachter“ stellt, der in Smiths Theory eine zentrale Rolle spielen sollte. Siehe den Abschnitt 11.2.2 („Die Denkfigur des ‚unparteiischen Beobachters‘“).

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Befund einer Fähigkeit des Menschen zur Selbstreflexion, eines „nach innen gewandten Sinnes [reflected Sense]“.209 Dieser Sinn nun erweitert den menschlichen Wahrnehmungshorizont grundlegend  : „Bei einem Geschöpf, das imstande ist, sich allgemeine Begriffe von den Dingen zu bilden, sind nicht nur die äußeren Dinge, die sich den Sinnen darbieten, Gegenstände der Gemütsbewegung [affection], sondern auch die Handlungen selbst und die Gemütsbewegungen des Mitleids, der Sorge für die eigene Art, der Dankbarkeit, sowie die jeweils entgegengesetzten Gefühle, indem sie durch Reflexion in das Bewußtsein eingebracht [being brought into the Mind by Reflection] und dadurch zu Gegenständen werden.“210

Gemütsbewegungen sind eine Folge der Sinneswahrnehmungen, und sie erzeugen das Urteil über das Schöne und das Hässliche. „Indem deren Formen, Bewegungen, F ­ arben und Proportionen sich unserem Auge darbieten, ergibt sich notwendigerweise ein Eindruck von Schönheit oder Häßlichkeit, je nach den Maßen, der Anordnung und Disposition der verschiedenen Teile.“211 Hier schlägt Shaftesbury eine Brücke von den unmittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften der Dinge hin zum Verhalten der Menschen, denn er fährt fort  : „So wird notwendigerweise auch im Verhalten und den Handlungen, die sich unserem Verstand darbieten, ein offenbarer Unterschied festgestellt werden, je nach der Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit der Gegenstände.“212 Die Attribute der Schönheit und Hässlichkeit werden als auf dieses Verhalten übertragbar angenommen  ; das moralisch Gute erscheint als „schön“ (und erzeugt den Sinneseindruck der Schönheit), das moralisch Schlechte erscheint als „hässlich“ – und zwar aufgrund eines moralischen Sinnes, der zur Wirkung gelangt, indem er das menschliche Gemüt bewegt. In seinen Principles of Morals wird Hume Shaftesbury in dieser Annahme im Wesentlichen folgen.213 Es ergibt sich bei Shaftesbury also ein sehr komplexer, verschachtelter Begriff von affection  : Gemütsbewegungen werden ausgelöst, wenn die Sinne Gegenstände wahrneh209 Ebd. – OT.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 16. 210 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 60 (Hervorh. HK). – OT.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 16. Vgl. zu dieser Textstelle die Ausführungen von J. Sprute  : Der Begriff des Moral Sense bei Shaftesbury und Hutcheson, S. 224. Siehe zu dieser Thematik auch U. F. H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 86 f. (Rühl zitiert und übersetzt die Textstelle etwas anders.) 211 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 60 (Hervorh. HK). – OT.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 16. 212 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 60 (Hervorh. HK). – OT.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 16. 213 Das moralische Urteil wird hier geradezu nach ästhetischen Gesichtspunkten gefällt  : „Es muß etwas geben, daß [sic  !] um seiner selbst willen und wegen seiner unmittelbaren Harmonie und Einstimmung mit dem menschlichen Gefühl gewollt wird.“ Und so sei, um die Tugend zu erkennen, „ein gewisses Gefühl notwendig, das von der Tugend berührt wird, irgendein Geschmack oder eine Empfindung […].“ D. Hume  : Moral (K.), S. 133 (Hervorh. HK).

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men. Doch eben nicht nur Dinge, die dem Menschen äußerlich sind, können solche „Gegenstände“ sein, sondern auch seine Gemütsbewegungen – eben als „innere“ Gegenstände. Durch diesen Vorgang der Selbstreflexion nun, der eine solche „Gemütsbewegung“ zu einem betrachtbaren Objekt und somit zu einem neuen Gegenstand der Gemütsbewegung neben den äußeren Dingen macht, „wird notwendigerweise auch im Verhalten und den Handlungen, die sich unserem Verstand darbieten, ein offenbarer Unterschied festgestellt werden, je nach der Regelmäßigkeit oder Unregelmäßigkeit der Gegenstände [according to the Regularity or Irregularity of the Subjects].“214 Gerade so, wie beim Blick nach außen auf die äußeren Gegenstände Impulse der Zustimmung oder der Ablehnung hervorgerufen werden, so werden sie beim reflexiven Blick nach innen erzeugt, wenn dieser auf die inneren Gegenstände, eben auf die Gemütsbewegungen selbst trifft. Shaftesbury spricht in diesem Zusammenhang von „reflektierter Gemütsbewegung [Reflex Affection]“215 und erklärt damit den Mechanismus, der die Menschen bei sich selbst das Gute und Schlechte unterscheiden lässt.216 Worin aber besteht ein Gutes und wodurch unterscheidet es sich vom Schlechten  ?217 Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus Shaftesburys Verständnis des Naturbegriffs, und es zeigt sich, dass „Gut-Sein“ keineswegs nur eine moralische, sondern auch eine funktionale Komponente besitzt  : Gut ist etwas im Hinblick darauf, wie gut es dem Zweck dient, den die Natur ihm zugedacht hat. Aber hier stößt der Mensch an eine Grenze seiner Erkenntnismöglichkeiten, denn er weiß, wie schwierig es ist, „nur die geringste Erklärung über einen bestimmten Teil ohne eine hinreichende Kenntnis des Gan214 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 60 (Hervorh. HK). – OT.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, pp. 16–17. – Ergänzend und erläuternd hierzu in der dt. Version S. 61  : „Genau wie sich bei sinnlich wahrnehmbaren Dingen die Gestalten oder Bilder von Körpern, Farben und Tönen ständig vor unseren Augen bewegen und auf unsere Sinne einwirken, […] so sind auch bei den geistigen und intellektuellen Gegenständen die Formen und Bilder der Dinge nicht weniger aktiv und lasten nicht weniger auf unserem Geist.“ 215 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 60 (Hervorh. HK). – OT.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 16. 216 Es ist dies die „zentrale Passage aus der Inquiry“, und der Interpretationsspielraum, den sie bietet, ist durchaus thematisiert worden. Siehe hierzu U. F. H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 87, wo es heißt  : „Was der Moralsinn genau ist und wie er genau funktioniert, wird aus der oben zitierten Passage nicht klar. Das liegt daran, dass Shaftesbury schon hier begrifflich nicht sehr präzise ist. […] Damit ist nicht klar, ob der Moralsinn ein Gefühl ist oder ob er als Reflexion etwas anders ist als ein Gefühl.“ – Auch W.  H. Schrader  : Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, schreibt ebd. auf S. 12  : „Der Hinweis, daß Shaftesbury mit jenen Bestimmungen das wertende Stellungnehmen aus jeweils wechselnder Perspektive thematisiert, bleibt unbefriedigend.“ Meiner Ansicht nach ist das, was Shaftesbury in dieser Textpassage zum Ausdruck bringen wollte, aber rhetorischer Emphase geopfert haben könnte, dies  : Den moralische Sinn versteht er als ein Reflexionsvermögen (reflected sense), das zu seiner Anregung bestimmter Gefühle, eben „Gemütsbewegungen [affections]“, bedarf. 217 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 52  : „Unsere erste Absicht ist [es,] festzustellen, ob wir klar definieren können, was für eine Qualität es ist, der wir den Namen Gutsein oder Tugend geben.“

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zen [– das ist  : „die Struktur und die Gestalt der Natur“ –] zu geben […].“218 Wenn sich auch nicht ermitteln lässt, „auf welchen Zweck viele Dinge in der Natur […] sich beziehen oder welchem Ziel sie dienen“, so „können wir [doch zumindest] durch Studium und Beobachtung mit großer Genauigkeit demonstrieren“, wie stimmig alles zu einander passt und welchem Zweck „die vielen Proportionen und verschiedenen Formen der Teile bei manchen Geschöpfen tatsächlich dienen“.219 „Dienen“ bedeutet im Rahmen eines Systems, eine Funktion zu erfüllen, die den Erhalt dieses Systems gewährleisten kann. Shaftesburys Naturverständnis ist also ein Systemverständnis oder, genauer gesagt, das Verständnis eines Systems von Systemen, die jeweils über sich selbst hinaus- und auf ein nächst höheres System verweisen  : das System Mensch auf das System der menschlichen Gattung, dieses auf das System der Lebewesen allgemein, dieses auf das System der Welt und dieses auf das System des Universums.220 Alle diese Systeme stehen zueinander in Beziehung, denn die Menschen leben nach Shaftesburys Verständnis in einer Umgebung, „wo jedes Teil seinen Beitrag zum Ganzen erbringt, sich wunderbar eins ins andere fügt, und dadurch einen Beitrag zur Gesamtordnung erbringt.“221 Es ist berechtigt, Shaftesbury einen „Systemtheoretiker“ zu nennen.222 Das eine Kennzeichen des Guten ist eines, das sich an den Dingen ablesen lässt und als solches das Ergebnis einer subjektiven Beurteilung ist  : „Was immer also so beschaffen ist, daß es wirklich nicht besser sein oder angeordnet sein könnte, ist vollendet gut.“223 Das zweite Kennzeichen ist es, dass eine Kreatur mit dem Zustand im Einklang ist, den die Natur für sie vorgesehen hat. Shaftesbury denkt teleologisch, wenn er sagt, derjenige Zustand sei der richtige, den die Natur von der Kreatur „fordere“.224 Die – angenommene – Absicht der Natur ist also der Punkt, von dem auszugehen ist. Gut oder böse kann etwas immer nur in Bezug auf die Absicht der Natur sein, und diese Absicht ist zuallererst sowohl die Erhaltung des Individuums als auch die der Gattung. Gut im Sinn der Naturabsicht ist also, was diese Erhaltungsfunktion unterstützt. Damit gewinnt Shaftesbury im Gegensatz zu den Theorien von Hobbes und Locke, die am subjektiven Lust- und Unlustempfinden ausgerichtet sind, ein objektives Kriterium der Beurteilung – zumindest solange die Voraussetzung anerkannt wird, die Natur verfolge tatsächlich eine

218 Ebd., S. 51. 219 Ebd. 220 Ebd., S. 53 ff. 221 U.  F.  H. Rühl  : Moralischer Sinn und Sympathie, S. 85. 222 Ebd., S. 84  : „Shaftesbury ist ein ‚Systemtheoretiker‘. Etwas ist gut/schlecht immer nur in Relation zu einem Gesamt-System bzw. ein Teil ist immer nur gut/schlecht in Bezug zu einem Ganzen“. 223 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 47. 224 Ebd., S. 51. „Wir wissen, daß es in der Realität einen richtigen und einen falschen Zustand jeder Kreatur gibt, und daß ihr richtiger Zustand von der Natur gefordert und von der Kreatur leidenschaftlich gesucht wird. Da also in jeder Kreatur ein gewisses Interesse oder Gutes immanent ist, muß es auch ein bestimmtes Endziel geben, auf das sich jedes Ding in seiner Verfassung von Natur aus bezieht.“

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Absicht. Dieses Axiom wird von Shaftesbury keinen Zweifeln ausgesetzt  ; er belässt es bei der Hypothese. Charakteristisch für den Sprachgebrauch des Diskurses im 17. und 18. Jahrhundert ist es, dass in erkenntnistheoretischer Hinsicht eine nahe Verwandtschaft zwischen den Gebieten der Ästhetik und der Moral besteht. So setzt Shaftesbury „Regelmäßigkeit“ mit dem Schönen oder dem Guten gleich, „Unregelmäßigkeit“ mit dem Hässlichen oder dem Schlechten. Die Verbindung zwischen den beiden Bereichen der Ästhetik und der Moral besteht darin, dass sich über beide Urteile fällen lassen. Darin ist ihre seinerzeitige Nähe zueinander begründet, die sich die heutige Rezeption erst wieder bewusst machen muss. Zurück zu Shaftesburys Annahme eines reflexiven Blicks  : Erst mit ihm wird eine wertende Instanz eingeführt, der das Urteil darüber möglich ist, in welcher Absicht eine Handlung ausgeführt wurde. Nicht die Handlung selbst ist ausschlaggebend für die Beurteilung ihrer moralischen Qualität, und auch ihre Nützlichkeit für das System, in dessen Rahmen sie erbracht wird, ist es nicht. Shaftesbury ist in dieser Frage kein Utilitarist, Gut-Sein lässt sich für ihn nicht aus der Funktion einer Handlung ableiten, sondern der Geist ist es – in Shaftesbury Terminologie  : die „natürliche Gemütsverfassung [natural temper]“225 –, in dem sie ausgeführt wurde  : „Was also bloß aus einer eigennützigen Ge­ mütsbewegung heraus [thro’ an Affection merely towards Self-good] geschieht und dabei zufälligerweise vorteilhaft für die Gattung ausfällt, verweist keineswegs auf ein Gutsein des Geschöpfs […]. Mag eine Person im besonderen Fall auch noch so gut handeln  : Wenn es im Grunde dieses selbstsüchtige Streben allein ist, das sie bewegt, ist sie in sich dennoch lasterhaft.“226 Shaftesbury zieht also eine klare Unterscheidungslinie zwischen dem Guten und dem bloß Nützlichen, wenn er fordert, dass eine Tat aus einer guten „Gemütsbewegung“ heraus getan werden müsse. Und somit folgt  : „Nichts ist deshalb im eigentlichen Sinne Gutsein oder Bosheit in einer Kreatur[,] als das, was aus ihrer natürlichen Gemütsverfassung kommt [except what is from natural Temper]  ; eine gute Kreatur ist eine solche, deren natürliche Gemütsverfassung sie primär und unmittelbar, nicht sekundär und zufällig, zum Guten und gegen das Böse führt.“227 Dass Shaftesbury hinsichtlich der normativen Implikationen von „gut“ und „böse“ keinerlei Zweifel lässt, ist lediglich der Vollständigkeit halber festzuhalten. Die Naturabsicht, wie er sie versteht, gibt vor, dass das Wünschenswerte und das Nützliche deckungsgleich sind. Unwidersprochen von allen hingenommen wurde seine Theorie jedoch keineswegs, wie sich nachfolgend am Beispiel Mandevilles zeigen wird. 225 Shaftesbury  : An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 15. 226 Ebd., p. 14. 227 Shaftesbury  : Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst, S. 59. – OT.: An Inquiry Concerning Virtue and Merit, p. 15. – Vgl. in der dt. Fassung auch S. 63  : „Denn Unrecht besteht nicht lediglich in einer Handlung, die Schaden verursacht […], aber wenn etwas aus einer unzureichenden oder unangemessenen Gemütsbewegung heraus geschieht […], dann ist dies von der Natur des Bösen.“ (Hervorh. HK). – Vgl. hierzu des Weiteren J. Sprute  : Der Begriff des Moral Sense bei Shaftesbury und Hutcheson, S. 224.

Der ideengeschichtliche Kontext |

4.2.5 Bernard Mandeville

Bernard Mandeville (1670–1733) steht mit Shaftesbury im ideengeschichtlichen Kontext, auch wenn er keineswegs mit dessen Auffassung hinsichtlich des „Ursprungs der sittlichen Tugend“ übereinstimmt. In seiner Fable of the Bees228 belebt er den Hobbes’schen Grundgedanken der Eigenliebe als der wichtigsten Antriebskraft menschlichen Handelns neu und spitzt die Debatte zu  : „Alle in Freiheit lebenden Tiere [untaught Animals]“229, konstatiert er provokativ, „streben ausschließlich [are only sollicitous] nach Befriedigung ihrer Begierden und folgen ganz naturgemäß ihren Neigungen, ohne sich darum zu kümmern, welches Gute oder Böse für andere aus ihrer Befriedigung entspringt [without considering the good or harm that from their being pleased will accrue to others].“230 Mandevilles Allegorie Fable of the Bees ist ein Werk, auf das die englisch-schottische Philosophie des 18. Jahrhunderts sehr häufig Bezug nehmen wird. Dabei sprengt es die gewohnten Konventionen der Darstellungsform, denn es ist nicht etwa als eine Beschreibung des „Systems“ der Gesellschaft angelegt, sondern ein eigenwilliges und später in ähnlicher Form von keinem bedeutenden Denker mehr wiederholtes Arrangement aus stilistisch und inhaltlich unterschiedlichen Elementen.231 Der Anfangsteil der Fable of the Bees ist eine knappe satirische Gesellschaftskritik in Versform unter dem Titel The

228 B.  Mandeville  : Bienenfabel. – OT.: ders.: Fable. – Das Buch enthält in seiner endgültigen Fassung von 1723 neben einer Gesellschaftssatire in Gedichtform mit dem Titel „Der unzufriedene Bienenstock“ [The Grumbling Hive  : or, Knaves Turn’d Honest] u. a. als Erweiterungen die Essays „Eine Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend“ [An Enquiry into the Origin of Moral Virtue] (nebst umfangreichen Erläuterungen dazu, die als „Anmerkungen“ [Remarks] – ausgewiesen sind) und „Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft“ [A Search into the Nature of Society]. Das Buch hatte sofort aufsehenerregenden Publikumserfolg. F. B. Kaye  : Mandeville on the Origin of Language, p. 140, schreibt darüber  : “[T]he Fable had achieved a French translation and while it was at the height of its vogue – a vogue so great that most educated men may be presumed to have known the book.” 229 1723, als The Fable of the Bees in der vollständigen (heutigen) Fassung erstmals erschien, war die Frage, ob der Mensch dem Tierreich zugehörig sei oder eine von diesem getrennte Stellung in der Natur einnehme, noch keineswegs im spätaufklärerischen Sinn entschieden. Siehe den Abschnitt 5.4 („Naturverständnis und Anthropologie“). 230 B.  Mandeville  : Bienenfabel, S. 94. – OT.: ders.: Fable, I, p. 41. – Die gewählte deutsche Übersetzung ist erscheint nicht unproblematisch  ; im Original lautet der Satz  : “All untaught Animals are only sollicitous of pleasing themselves, and naturally follow the bent of their own Inclinations, without considering the good or harm that from their being pleased will accrue to others.” 231 Mandeville vereint darin Gedichtform – Der unzufriedene Bienenstock und sehr ausführliche zusätzliche Anmerkungen dazu –, Essays unterschiedlichen Umfangs („Eine Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend“, „Eine Abhandlung über Barmherzigkeit, Armenpflege und Armenschulen“ und „Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft“), ein erläuterndes Register und, ab der Auflage von 1723, sogar eine „Verteidigungsschrift“ größeren Umfangs („Eine Rechtfertigung des Buches gegenüber Verleumdungen, die in der Anklage des Obergerichts von Middlesex und in einem Schmähbrief an Lord C enthalten sind“).

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Grumbling Hive  : or, Knaves Turn’d Honest.232 Schauplatz ist ein Bienenstock, in dem es offensichtlich wie bei den Menschen zugeht. Das Gedicht umfasst drei Teile  : zwei Schilderungen dieser Gesellschaft – erst derjenigen, in der das Laster herrscht, dann derjenigen, in der es tugendhaft zugeht  ; und schließlich, im Sinn einer Auflösung, folgt ein Zusatz unter dem Titel The Moral. Im ersten Teil stellt Mandeville ein Gemeinwesen vor, das zwar auf Lug und Trug aufgebaut ist, in dem Geiz, Stolz, Neid und Habsucht regieren, in dem auf das Recht kein Verlass ist und in dem, anscheinend ohne Sinn, alles Geschaffene sogleich wieder zerstört wird.233 Doch dieser Staat, mag er auch lasterhaft sein, er funktioniert  ! Das ändert sich erst, als im zweiten Teil Gott Jupiter selbst diesem Treiben ein Ende bereitet und dem Bienenvolk die Rückkehr zur Tugend verordnet. Nun nämlich beginnt der Niedergang, denn mit der neuen Bescheidenheit kommt das Wirtschaftsleben zum Erliegen, mit Luxusgütern ist kein Geld mehr zu verdienen, das Bauwesen bricht zusammen und ebenso alle Handelstätigkeit. Die „Moral“, die Mandeville aus der Geschichte vom Bienenstock im dritten Abschnitt gezogen wissen will, ist ebenso einfach wie paradox  : Es ist gerade das Laster und nicht die Tugend, das einer Gesellschaft zum – wirtschaftlichen – Gedeihen verhilft.234 Mandeville entwickelt damit ein, wie Mayr es nennt, „neues Schema für die Strukturierung dynamischer Systeme“  ;235 im Zusammenhang mit Fergusons Überlegungen zur Möglichkeit der Entstehung spontaner Ordnung wird der Gedanke wieder begegnen.236 Erstmals war The Grumbling Hive im Jahr 1705 in Form eines Flugblatts aufgetaucht, dessen Verfasser anonym geblieben war und das nur eine geringe Resonanz beim Publi­ kum gefunden hatte.237 Mandeville erweiterte sein kleines Werk in der Folgezeit bis 1723 nach und nach um die oben genannten Zusätze, die Anmerkungen (Remarks) und Essays. Es sind vor allem diese Erweiterungen, die die Fable of the Bees zu einem ernstzunehmenden Buch machen, über das eine Auseinandersetzung auch unter moralphilosophischen Gesichtspunkten entsteht. Gerade in den Essays, auf die deshalb nachfolgend ausführlicher eingegangen wird,238 vertieft Mandeville seine Kritik, nimmt dem Thema die der Überzeichnung geschuldete Unschärfe, die in der Gedichtform noch kennzeichnend gewesen war, und überträgt seine Aussagen vom fiktiven Bienenstock nun explizit 232 B. Mandeville  : Der unzufriedene Bienenstock oder Die ehrlich gewordenen Schurken. In  : ders.: Bienen­ fabel, S. 80–92. – OT.: B. Mandeville  : Fable, I, pp. 17–37. 233 “Millions endeavouring to supply/Each other’s Lust and Vanity  ;/While other Millions were employ’d,/To see their Handy-works destroy’d […].” B. Mandeville  : The Grumbling Hive. In  : ders.: Fable, I, p. 18. 234 “Bare Virtue can’t make Nations live/In Splendor […].” B. Mandeville  : The Grumbling Hive. In  : ders.: Fable, I, p. 37. 235 O.  Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 169. 236 Siehe den Abschnitt 13.2 („Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung“), insbesondere S. 470. 237 E.  Utitz  : Einleitung, S.  5. 238 Es erscheint durchaus angebracht, gerade den gesamten „Anhang“ der Fable of the Bees als deren inhaltliches Kernstück zu verstehen.

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auf die reale zeitgenössische englische Gesellschaft des frühen 18. Jahrhunderts. In der Form bleibt er zwar satirisch, doch in seinem Urteil wird er nun konkret. 4.2.5.1 Zivilisation als Notwendigkeit  : ‘An Enquiry into the Origin of Moral Virtue’

In seinem ersten Essay – An Enquiry into the Origin of Moral Virtue („Eine Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend“) – zeichnet Mandeville ein pessimistisches Bild vom Menschen. Während unter den Tieren „im rohen Naturzustande diejenigen Geschöpfe am geeignetsten sind, in großer Anzahl friedlich miteinander zu leben, die den geringsten Verstand und die wenigsten Bedürfnisse haben“, erweist sich der Mensch – „ein außerordentlich selbstsüchtiges und widerspenstiges sowie auch schlaues Tier“ [an extraordinary selfish and headstrong, as well as cunning Animal] – „ohne den Druck des Beherrschtwerdens [without the Curb of Government] weniger fähig, sich lange in großer Menge zusammen zu vertragen […].“239 Zur Geselligkeit also erscheint der Mensch aufgrund seiner natürlichen Beschaffenheit nur wenig geeignet  ; der anthropologische Befund eines animal sociale ist damit, ebenso wie bei Hobbes, erschüttert. Will man diesen Menschen zu einem Zusammenleben in Gesellschaft bewegen, so ist es unumgänglich, ihn zu zivilisieren,240 also seine Selbstsucht zu kontrollieren und ihm „den Glauben beizubringen, daß es für jeden einzelnen vorteilhafter sei, seine Begierden zu unterdrücken[,] als ihnen freien Lauf zu lassen“.241 Diese Aussage Mandevilles,242 die er in seiner Enquiry into the Origin of Moral Virtue vorträgt, liest sich zunächst wie die nüchterne Feststellung, es sei eben Zwang anzuwenden, um den Menschen gesellschafts-fähig zu machen. Bei genauerem Hinsehen jedoch weist dieser Satz eine entscheidende Erklärungslücke auf, denn die Formulierung lässt nicht eindeutig erkennen, in wessen Hand Mandeville die Anwendung dieses Zwangs gelegt wissen möchte  : Sei es vorteilhafter, wenn seine (des Menschen) Begierden (von außen durch Macht und Gesetz) unterdrückt würden, oder aber, wenn er selbst seine Begierden unterdrückte  ? Folgt man hier beispielsweise Norbert Elias, so ist es genau diese Differenzierung, die die bloße Machtausübung seitens einer Obrigkeit von dem unterscheidet, was Zivilisation aus-

239 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend. In  : ders.: Bienenfabel, S. 94. – OT.: Mandeville  : An Enquiry into the Origin of Moral Virtue. In  : ders.: Fable, I, p. 41. 240 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend. In  : ders.: Bienenfabel, S. 95. Es ist auffällig – da im Kontext der Zeit keineswegs eine Selbstverständlichkeit –, dass Mandeville tatsächlich das Verb to civilize verwendet. Näheres zur Begrifflichkeit „Zivilisation/zivilisieren“ im Abschnitt 2.1.7 („Der Begriff der Zivilisation“). 241 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend. In  : ders.: Bienenfabel, S. 94 (Hervorh. HK). 242 Die deutsche Übersetzung dieser Stelle legt etwas stärker die Konnotation „Selbstzwang“ nahe, als dies beim Originaltext der Fall ist, denn dort ist zu lesen  : “The Chief Thing, therefore, which Lawgivers and other wise Men, that have laboured for the Establishment of Society, have endeavour’d, has been to make the People they were to govern, believe [glauben machen], that it was more beneficial for every Body to conquer than indulge his Appetites”. B. Mandeville  : Fable, I, p. 42.

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macht  : die „einsetzende Verwandlung zwischenmenschlicher Fremdzwänge in einzelmenschliche Selbstzwänge“.243 In einer weiteren Dichotomie teilt Mandeville sodann „das ganze [Menschen-]Geschlecht in zwei voneinander sehr verschiedene Klassen“  : „Die eine bestand aus verworfenen, niedrig gesinnten Leuten, die stets hinter Augenblicksgenüssen herjagten, der Selbstverleugnung gänzlich unfähig waren und ohne Rücksicht auf das Wohl anderer kein höheres Ziel als ihren persönlichen Vorteil kannten […]. Die andere Klasse dahingegen bestand aus erhabenen, hochgesinnten Geschöpfen, die frei von schmutziger Selbstsucht die Gaben des Geistes als ihren schönsten Besitz hochhielten und, sich ihres wahren Wertes bewußt, lediglich an der Ausbildung jener Anlagen, in denen ihr Vorzug bestand, Gefallen fänden.“244

Es könnte diese Passage als ethisch-normativer Fingerzeig gelesen werden, denn vordergründig wird Böse von Gut unterschieden. Doch das ist nicht Mandevilles Hauptanliegen. Da das Gravitationszentrum seines Menschenbildes ausschließlich der unablässig seinen Vorteil suchende Mensch ist, handelt es sich bei dieser Unterscheidung der zwei Gruppen um eine, die nur dem Schein nach besteht. In Wirklichkeit ist von ein und demselben Wesen in lediglich unterschiedlicher Erscheinungsform die Rede, nämlich von den offen Eigennützigen und denjenigen, die ihren Eigennutz verleugnen, ohne ihn jedoch im mindesten aufzugeben  : „So kam es, daß sich gerade die schlechtesten unter ihnen mehr denn alle anderen angelegen sein ließen, den Geist der Zusammengehörigkeit zu predigen, um die Früchte der Arbeit und Aufopferung der übrigen zu genießen und gleichzeitig sich mit mehr Ruhe der Stillung ihrer eigenen Bedürfnisse überlassen zu können.“245 Die „sittliche Tugend“, um deren Ursprung es dem Autor im Titel seines Textes eigentlich zu tun war, sie ist offensichtlich eine Schimäre. 4.2.5.2 Vom Guten des Schlechten  : ‘A Search into the Nature of Society’

War es Mandeville in An Enquiry into the Origin of Moral Virtue um sein Menschenbild gegangen, so offenbart er in A Search into the Nature of Society („Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft“)246 seine Vorstellung, die er von der Gesellschaft hat. Er macht darin nun deutlich, dass ihm die angesprochene Unterscheidung zwischen Fremdund Selbstzwängen sehr wohl bewusst ist. Die Fremdzwänge, die das Zusammenleben 243 N.  Elias  : Über den Prozeß der Zivilisation, Bd. 1  ; ebd. Einleitung, S. XVI. Siehe auch ders.: „Der gesellschaftliche Zwang zum Selbstzwang und das Erlernen einer individuellen Selbstregulierung im Sinne wandelbarer gesellschaftlicher Zivilisationsmuster sind soziale Universalien.“ In  : N.  Elias  : Figuration, sozialer Prozeß und Zivilisation  : Grundbegriffe der Soziologie. In  : ders.: Aufsätze und andere Schriften III, S. 112 f. 244 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über den Ursprung der sittlichen Tugend. In  : ders.: Bienenfabel, S. 96. 245 Ebd., S. 99. 246 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft. In  : ders.: Bienenfabel, S. 354–400. – OT.: ders.: Fable, I, pp. 323–369.

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der Menschen in der Gesellschaft begleiten, stehen für ihn ganz außer Frage  ; er thematisiert sie nicht weiter. Sein Interesse gilt sehr viel mehr den Selbstzwängen, und diese ruhen auf dem sicheren Fundament der menschlichen Unzulänglichkeiten  : „Hunger, Durst und Nacktheit sind die ersten Tyrannen, die uns zur Tätigkeit zwingen  ; später werden unsere Eitelkeit und Genußsucht, unsere Trägheit und Unbeständigkeit die großen Förderer aller Künste und Wissenschaften, aller Gewerbe und Handwerke, während die strengen Fronherren Not, Habsucht, Neid und Ehrgeiz, jeder im Kreise der ihm Zugeordneten, die Mitglieder der Gesellschaft bei der Arbeit festhalten und sie dazu bringen, daß sie sich sämtlich – und die meisten mit Freudigkeit – den Mühen und Plagen ihres Standes unterwerfen, Könige und Fürsten nicht ausgenommen.“247

Aus diesem pessimistischen Menschenbild folgt eine Auffassung der Gesellschaft, die diesem an Düsternis nicht nachsteht. Eine Gesellschaft zu bilden nämlich heißt zum einen, um die schlechten Eigenschaften der Menschen – Eitelkeit, Ehrsucht, Habgier und Neid – zu wissen, und zum andern, diese zu instrumentalisieren  : „Wären die Menschen von Natur demütig veranlagt und Schmeicheleien unzugänglich gewesen, so hätte der Politiker seine Ziele nimmermehr erreichen können und hätte nie gewußt, was er mit ihnen anfangen sollte.“248 Im selben Essay formuliert Mandeville dann auch seinen Schlüsselsatz nicht nur über die Bedeutung, sondern über die Funktion der individuellen Laster  : Sie verwandeln sich nicht nur in Wohltaten für alle, sondern sie machen eine Gesellschaft erst möglich  ; sie sind ihr konstitutives Element und somit jenes, das die Menschen letztlich gesellschafts-fähig macht. Denn, so sagt er, „[…] wir werden ferner finden  : je mehr des Menschen Stolz und Eitelkeit sich entfalten und seine Wünsche sich ausbreiten, desto mehr muß er dazu befähigt werden, solche großen und umfangreichen Gemeinschaften zu bilden.“249 Mandeville spricht hier nicht von einem NebeneinanderBestehen, sondern ausdrücklich – siehe die Hervorhebungen – von einer Korrelation. Die Rhetorik der Fable of the Bees ist auf den spektakulären Effekt aus. Sie ist deshalb wohlkalkuliert und auf scharfe Konturen angelegt. Mandeville tendiert also, wenig überraschend und mitunter auf Kosten einer differenzierteren Darstellung seines Stoffes, zur Inszenierung von Antagonismen. So unterscheidet er von vorn herein zwischen denen, „die die Menschheit zu zivilisieren unternommen haben“, und jenen, auf die diese Macht in Form eines Zivilisiert-Werdens einwirkt. Weitere Attribute werden diesen beiden Gruppen nicht zugeschrieben. Sie sind in diesem Text gekennzeichnet durch ihre Interessen und durch nichts weiter  : nämlich zu herrschen die einen, sich mit Be247 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft. In  : ders.: Bienenfabel, S. 397 (Hervorh. HK). 248 Ebd., S. 364. 249 Ebd., S. 377 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Fable, I, pp. 346–347. “We shall find likewise that the more their Pride and Vanity are display’d and all their Desires enlarg’d, the more capable they must be of being rais’d into large and vastly numerous Societies.”

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herrschung – sei es durch die Herrschenden, sei es durch sich selbst im Sinn von Selbstbeherrschung – zurechtzufinden die anderen. Herrschaft ist sowohl etwas Abstraktes als auch etwas stillschweigend Vorausgesetztes in dem Sinn, dass nicht weiter herzuleiten ist, worauf sie sich gründet. Es geht nirgends um die Legitimierung des Staates, sondern einzig um dessen Funktionalität. Betrachtet man die Fable of the Bees aus diesem Blickwinkel, dann handelt sie nicht von Politik, sondern von Sozialpsychologie  : Mandeville widmet sich vornehmlich der Frage, wie die Menschen miteinander umgehen, wenn sie in der Gesellschaft aufeinandertreffen, welche Motive sie dabei leiten und welche Mechanismen dabei zum Tragen kommen. Der Fable of the Bees zufolge ist der Mensch, so der grundlegende Befund ihres Autors, ein gefährliches Tier, und es gibt „kein Geschöpf auf Erden, das ungeeigneter für die Gesellschaft wäre als der Mensch. Schon ihrer hundert – wären sie alle gleichberechtigt, unter keinerlei Herrschaft und ohne Furcht vor einer irdischen Gewalt – könnten wachend keine zwei Stunden zusammenleben ohne Streit anzufangen.“250 Folgerichtig wird Mandeville im Einklang mit Hobbes und in Opposition zu Shaftesbury gesehen. Er griff mit seinen – vergleichsweise wenigen – Texten in eine Debatte über das Grundverständnis von der Natur des Menschen ein. In diesem Kontext sahen und verstanden ihn auch seine Zeitgenossen, und da diese Auseinandersetzung erbittert geführt wurde, zog sie entsprechend viel an Aufmerksamkeit auf sich. Zum Teil erklärt sich die vorübergehende Popularität des Buches hieraus. Größere Bedeutung jedoch kommt dem Umstand zu, dass seine Grundthese gerade durch die Verdichtung auf den plakativen Antagonismus vom Nutzen des Lasters und der Nutzlosigkeit der Tugend publikumskompatibel wurde. Es trifft zweifelsohne zu, dass Mandeville, wie Schrader sagt, „über eine hervorragende darstellerische Geschicklichkeit“ verfügt habe.251 Dazu gehört auch, dass er sich auf manche Differenzierungen, die dem moralphilosophischen Diskurs seiner Zeit als essentiell gegolten haben mögen, nicht einlässt und sich stattdessen auf griffige Erklärungen wie diese zurückzieht  : „Es ist also klar, daß jenes eifrige Suchen nach dem Pulchrum et Honestum nicht viel besser ist als eine Jagd auf wilde Gänse, bei der auch kein großer Verlaß ist.“252 Vor allem derlei saloppe Formulierungen waren es, die Mandeville die harsche Kritik des stets ernsthaften Adam Smith eintragen sollten, dem alle Provokation zutiefst fremd war. Dieser analysiert und kategorisiert in der sechsten Auflage seiner Theory253 die einflussreichsten moralphilosophischen Systeme und stellt dabei im neu hinzugekommenen Abschnitt „Über Systeme, welche jede sittliche Bindung aufheben“ zu Mandeville fest  : „Es gibt jedoch ein anderes System, das den Unterschied zwischen Laster und Tugend gänzlich aufzuheben scheint, und dessen Tendenz aus diesem Grunde ganz und gar verderblich ist  : ich 250 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft. In  : ders.: Bienenfabel, S. 378. 251 W.  H. Schrader  : Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, S. 40. 252 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft. In  : ders.: Bienenfabel, S. 361. 253 Es war dies die letzte von Smith selbst besorgte, 1790 erschienene Auflage des Werks.

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meine das System des Dr. Mandeville. Obwohl die Meinungen dieses Schriftstellers fast in jeder Hinsicht irrtümlich sind, so gibt es doch gewisse Erscheinungen in der Natur des Menschen, die, sofern man sie von einem gewissen Gesichtspunkt aus betrachtet, diese Meinungen auf den ersten Blick zu bestätigen scheinen könnten. Diese Erscheinungen, welche von Dr. Mandeville mit seiner lebhaften und humorvollen, wenn auch rohen und groben Beredsamkeit beschrieben und – übertrieben – dargestellt wurden, haben seinen Lehren einen Anschein von Wahrheit oder wenigstens von Wahrscheinlichkeit verliehen, welcher sehr wohl imstande ist, unerfahrene Menschen zu täuschen.“254

Es ist ein Beispiel für Mandevilles geschickt manipulative Rhetorik, wenn er im Essay A Search into the Nature of Society seine eigentliche Ausgangsthese, „nämlich daß die privaten Laster durch das geschickte Vorgehen eines tüchtigen Politikers in öffentliche Vorteile umgewandelt werden können“,255 an dessen Schluss stellt. Vor allem diese paradoxe These ist es also, die der Autor seinem Publikum am Ende mit auf den Weg geben will. Allerdings ist der Preis, den Mandeville für diesen plakativen Effekt bezahlt, die Schwächung einiger anderer Grundgedanken, ja sogar der zugrundeliegenden Argumentation selbst. Die Rezeptionsgeschichte der Fable of the Bees verrät dies deutlich, denn eher beiläufig wurden Mandevilles durchaus wichtige Hinweise zur Kenntnis genommen, dass (1) Moral von gesellschaftlichen Normen abhänge256 und es (2) für sie keine Objektivität geben könne, sondern sie immer nur ein Spiel von Interessen sei,257 sowie die Kernaussage – dass es (3) gerade die Bedürftigkeit des Menschen sei, aus der sein Antrieb zur Vergesellschaftung erwachse.258 Und der zeitlos aktuelle Gedanke, dass es (4) wirtschaftlichem Sachverstand nicht zu widersprechen brauche, gerade in der Zerstörung von Gütern eine Triebfeder der Ökonomie zu erblicken, findet sich hier bereits ebenso259 wie (5) die inhaltliche Vorwegnahme von Smiths Bonmot aus dessen Wealth of Nations, dass es nicht das Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers sei, das uns alle 254 A.  Smith  : Theorie, S. 503 f. Hervorh. HK 255 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft. In  : ders.: Bienenfabel, S. 400. – OT.: ders.: Fable, I, p. 369. 256 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft. In  : ders.: Bienenfabel, S. 356  : „Es gibt verschiedenes sowohl Lobens- wie Tadelnswertes, das abwechselnd bald bewundert, bald gemißbilligt wird, je nachdem sich Moden und Sitten ändern und die Menschen in ihrem Geschmack und ihren Launen wechseln.“ 257 Ebd., S. 363  : „Denn wir drängen unser Denken jederzeit in die Richtung, in die es von unseren Gefühlen gezogen wird. Die Selbstliebe vertritt bei allen Menschen die Sache ihrer Sonderinteressen, indem sie jedem Individuum Argumente zur Rechtfertigung gerade seiner persönlichen Neigungen liefert.“ (Hervorh. übern.) 258 Ebd., S. 374  : „Dabei wird sich zeigen, daß die soziale Natur des Menschen lediglich auf eben diesen beiden Faktoren beruht  : der großen Zahl seiner Bedürfnisse und den fortwährenden Hindernissen, die sich ihrer Befriedigung entgegenstellen.“ 259 Ebd., S. 390  : „In dem Ersatz dessen, was durch Feuer, Stürme, Schlachten, Belagerungen und Seegefechte zerstört wird, besteht ein erheblicher Teil der gewerblichen Tätigkeit […].“

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am Leben erhalte, sondern deren Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen.260 Nicht zuletzt einen Blick auf die (6) gesellschaftliche und wirtschaftliche Ressourcen entfesselnde Kraft der Arbeitsteilung – wenngleich dies auch nur ein Seitenblick ist – enthält dieser Text  : „Je ausgedehnter und je raffinierter in ihren Produkten Handel und Gewerbe sind und je mehr sie sich in viele verschiedene Zweige teilen, desto mehr Menschen können in einer sozialen Gemeinschaft zusammenleben, ohne sich gegenseitig im Wege zu sein, und desto leichter werden sie sich auch zu einer großen, mächtigen und blühenden Nation entwickeln können.“261 4.2.5.3 Moralphilosophie und das Genre der Satire

Die Fable of the Bees ist kein Werk der Moralphilosophie, sondern vielmehr ein pointierter Versuch über das Paradoxon einer tieferen Bedeutung der Unmoral. Die Texte halten der Gesellschaft auf ihre Weise den Spiegel vor, jedoch analysieren sie sie nicht mit der Detailversessenheit, wie etwa Smith sie für geboten halten wird. Dieser erweckt den Anschein, als habe er die Fable of the Bees als eine seriöse Analyse der Gesellschaft gelesen. Diesem Anspruch konnte sie allein deshalb nicht gerecht werden, weil sie als eine solche gar nicht konzipiert war. Sie war in jeder Hinsicht weit davon entfernt, ein moralphilosophisches System zu entwickeln, und Mandeville brachte deutlich zum Ausdruck, dass dies nicht sein Anliegen war. Wir verdanken ihm eine treffende eigene Charakterisierung des Werks, wenn er dafür den Begriff „Unterhaltung [Entertainment]“ verwendet, es gleichzeitig aber auch ein „Buch von strenger und hoher Sittlichkeit“ nennt.262 Beides ist ernst zu nehmen, und mit diesem Bekenntnis zum prodesse et delectare erweist sich die Fable of the Bees hinsichtlich ihrer Wirkabsicht als ein für die Literatur der Aufklärung 260 Ebd., S. 388  : „Betrachten wir alle diese Arbeiten als ebenso viele, zu verschiedenen Berufen gehörige freiwillige Handlungen und vergessen wir nicht, daß die Menschen jene Berufe eines Lebensunterhalts wegen ergreifen, um darin für sich selbst zu schaffen, wie sehr sie auch immer nur anderen zu dienen scheinen.“ (Hervorh. HK). – Wird Adam Smith ein halbes Jahrhundert später nicht vom selben sprechen, wenn er ausführt  : „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen“  ? Das Zitat siehe in  : A. Smith  : Wohlstand, S. 17. 261 B. Mandeville  : Eine Untersuchung über die Natur der Gesellschaft. In  : ders.: Bienenfabel, S. 397 (Hervorh. HK). – Siehe zu Smiths und Fergusons Bewertung der Bedeutung der Arbeitsteilung den Abschnitt 10.2 („Die Arbeitsteilung“). 262 “The Fable of the Bees was designed for the Entertainment of People of Knowledge and Education, when they have an idle Hour which they know not how to spend better  : It is a Book of severe and exalted Morality, that contains a strict Test of Virtue, an infallible Touchstone to distinguish the real from the counterfeited, and shews many Actions to be faulty that are palmed upon the World for good ones  : It describes the Nature and Symptoms of human Passions, detects their Force and Disguises  ; and traces Selflove in its darkest Recesses  ; I might safely add, beyond any other System of Ethicks  : The whole is a Rhapsody void of Order or Method, but no Part of it has any thing in it that is sour or pedantick  ; the Style I confess is very unequal, sometimes very high and rhetorical, and sometimes very low and even very trivial  ; such as it is, I am satisfied that it has diverted Persons of great Probity and Virtue, and unquestionable good Sense  ; and I am in no fear that it will ever cease to do so while it is read by such.” B. Mandeville  : Fable, I, pp. 404–405.

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durchaus typisches Werk. Mandevilles – für Smith offenkundig nicht nachvollziehbarer – Ansatz war es, die Gesellschaft von einem moralischen Standpunkt aus mit dem Mittel der Satire zu kritisieren, anstatt sie, wie es Smiths Vorgehensweise grundsätzlich war, zu analysieren und diese Analyse mit Beispielen aus der aktuellen Wirklichkeit oder aus historischen Darstellungen zu untermauern. Satire aber bedeutet  : Zuspitzung, kalkulierte Verkürzung und mitunter die Eloquenz eines Rabulisten – das war Smiths Genre nicht. Mandeville folgt in Vielem den bereits von Hobbes vorgetragenen Überzeugungen. Ihn jedoch als dessen „Popularisierer“ zu apostrophieren, weil er von den „charakteristischen Schwierigkeiten eines Popularisierers [wie] Widersprüchlichkeit, Lückenhaftigkeit und Ungenauigkeit“ heimgesucht sei,263 wird einerseits der Komplexität der Fable of the Bees und der sie begleitenden Essays nicht gerecht und hieße umgekehrt, Hobbes’ großen sozialpsychologischen und gesellschaftspolitischen Ansatz auf seine Skepsis zu reduzieren und dadurch unzulässig zu verkürzen. Fraglos steht Mandeville mit seinem düsteren Bild von der Gesellschaft in der Tradition von Hobbes, doch an den von diesem gezogenen normativen Konsequenzen zeigt er nur geringes Interesse. Auch prognostische Absichten verfolgt er nicht. Die analytischen Leistungen der Fable of the Bees stehen vielmehr im Dienst des Bestrebens, durch das Aufzeigen von Paradoxien menschliche Schwächen und das sich daraus ergebende Auseinanderfallen von Selbstbild und Außenwirkung der zeitgenössischen Gesellschaft zu entlarven. Darin beweist Mandeville spitzfindige Brillanz, und daraus vor allem speist sich seine erhebliche Bedeutung für den moralphilosophischen Diskurs des 18. Jahrhunderts. Letztlich bestand diese Bedeutung jedoch eher darin, die Debatte mit sozialpsychologischen Stichworten befeuert, als eine Gesellschaftsanalyse im engeren Sinn geliefert zu haben. Wenn man also Mandevilles Behandlung des Gegenstandes als „keineswegs systematisch“ (Schrader) beurteilt findet,264 kann das nicht überraschen. In der Fable of the Bees ein „System“ im Sinn eines Modells der Gesellschaft265 zu suchen und sodann dessen Fehlen als Mangel an gedanklicher Tiefe zu monieren, hieße, die Gattung missverstanden zu haben, der sie zugehört. Auch wenn es übertrieben wäre, von einer Parodie auf philosophische Fragestellungen zu sprechen, handelt es sich eben auch nicht um ein klassisches System der Moralphilosophie mit dem Anspruch eines Hobbes und Locke oder später der schottischen Aufklärer, sondern lediglich um Variationen über das Para­ dox vom Guten des Schlechten im Menschen, von den Lastern des Individuums, die seiner Gattung – unintendiert – Nutzen bringen. Dennoch ist Mandevilles Schrift aus den Auseinandersetzungen um die Frage, welche Motive die Menschen zu ihrem Handeln antreiben und dadurch auch die Gesellschaft formen, nie mehr verschwunden. Wie wörtlich aber dürfen wir den Autor nehmen  ? Nimmt er selbst sich aus dieser Gesellschaft 263 J. D. Young  : Mandeville  : A Popularizer of Hobbes, p. 10. 264 W.  H. Schrader  : Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, S. 52. 265 Hinweis auf die Begriffsverschiebung von „System“ zu „Modell“ bei H. C. Recktenwald  : Würdigung des Werkes, S. XVII.

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aus, die er hier beschreibt  ? Wie genau kann die hier vorgetragene Botschaft überhaupt zutreffen, wenn doch ehrliche, gänzlich interessenfreie Absichten in der Gesellschaft gar nicht vorkommen  ? So enthält die Fable of the Bees auch einen Widerspruch in sich selbst, denn sie strebt ein Gutes an, obgleich dies ihrer eigenen Argumentation zufolge nur durch ein Schlechtes zu erreichen wäre. Satire verknüpft die scharfe Beobachtung mit der Übertreibung. Somit ist sie in methodischer Hinsicht auf eine andere Weise analytisch, als es die moralphilosophischen Untersuchungen von Mandevilles Vorläufer Shaftesbury und seiner Nachfolger Hutcheson, Hume, Smith und Ferguson waren. Dass die Fable of the Bees ebenso wie die Texte der Genannten eine starke normative Komponente hat, steht außer Zweifel, wenngleich ihre Normativität keine explizite ist und das Publikum erst auf dem steinigen Weg des Selbsterkennens zu ihr finden musste. Das allerdings gehört zum Grundverständnis des von Mandeville gewählten Genres satirischer Kritik. Der Autor selbst hat das Interpretationsproblem seiner philosophischen Kritiker zu Lebzeiten eher beiläufig gelöst, als er, wegen diverser angeblicher Vergehen – Gotteslästerung, Negieren der göttlichen Vorsehung, Versuch der Unterwanderung des Gehorsams gegenüber der Kirche, Über-BordWerfen der Prinzipien der christlichen Religion, Herabsetzung der Tugend und Religion mittels „ausgeklügelter Kniffe“266 – vor Gericht gestellt, von einem „scheinbaren Paradoxon“ sprach.267 Eine weitere, die Rezeption durchaus bereichernde Lesart Mandevilles – nämlich dass die Rechtfertigung der Bedeutung der Laster nicht mit einer Rechtfertigung der Gesellschaft, die nur dank dieser Laster funktioniere, gleichzusetzen sei – findet sich bei den mit ihren Vorläufern in der Regel sehr streng verfahrenden Marx und Engels  : „[Mandeville] beweist, daß die Laster in der heutigen Gesellschaft unentbehrlich und nützlich sind. Es war dies keine Apologie der heutigen Gesellschaft.“268 Das ist ein weises Urteil, dem in dieser Angelegenheit die Endgültigkeit eines Schlussworts gebührt. 4.2.6 Francis Hutcheson

Um die Mitte der zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts bezieht Francis Hutcheson, seit 1729 Inhaber des Lehrstuhls für Moralphilosophie in Glasgow, in der Moral-sense-Kon266 B. Mandeville  : Eine Rechtfertigung des Buches […]. In  : ders.: Bienenfabel, S. 401–428  ; ebd. S. 402. 267 Ebd., S. 427. – Mandeville schwächt hier seine Worte etwas ab, wenn er die Schlüsselaussage (im engl. OT.) im Konjunktiv bringt  : „[…] aber kein ernsthafter Beurteiler wird ihre [gemeint sind die Worte „Private Laster als öffentliche Vorteile“] Unschädlichkeit in Frage stellen, wenn er den letzten Absatz gelesen hat, wo ich Abschied vom Leser nehme ‚und schließe mit der Wiederholung des scheinbaren Paradoxons [with repeating the seeming Paradox], dessen Grundgedanke auf dem Titelblatt ausgesprochen ist  : nämlich daß die privaten Laster durch das geschickte Vorgehen eines tüchtigen Politikers in öffentliche Vorteile umgewandelt werden können‘ [may be turn’d into publick Benefits].“ (Hervorh. i. OT.) – OT.: ders.: Fable, pp. 411–412. 268 F. Engels / K. Marx  : Die heilige Familie, S. 138 (Hervorh. übern.).

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troverse Stellung. Er bekennt sich in dieser Frage ausdrücklich zu Shaftesburys Haltung  : „Die Grundsätze des verstorbenen Grafen von Shaftesbury werden erläutert und gegen den Verfasser der Bienenfabel verteidigt“, heißt es im Untertitel zu seiner Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue.269 Und er nimmt das Werk zum Anlass, ein eigenes komplexes moralphilosophisches System zu entwickeln, in dem der Unterscheidung zwischen dem moralisch Guten und Schlechten eine tragende Rolle zukommt.270 4.2.6.1 Eigenliebe und Empathie

Hutchesons „System“ setzt sich allerdings aus vielen Einzelaussagen zusammen, die verstreut in mehreren seiner Werke publiziert sind. Die Anlehnung an Shaftesbury ist dabei eine zwar durchgehende, jedoch nicht ausdrückliche. In der Sache wohl am deutlichsten, wenngleich indirekt, kommt sie in der „Einleitung“271 zum Treatise II (Illustrations upon the Moral Sense) von An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections […]272 zum Ausdruck, worin es Hutcheson um den Nachweis jener Beweggründe geht, die die Menschen veranlassen, eine Handlung auszuführen beziehungsweise eine erfolgte zu billigen.273 Ausgehend von den Positionen von Hobbes und, ohne diesen hier ausdrücklich zu nennen, von Mandeville, diskutiert er die Auffassungen von „christlichen Moralisten, die diese Theorie vertreten“, „daß alle Bestrebungen des menschlichen Geistes, ja sogar aller denkenden Wesen zurückzuführen sind auf die Eigenliebe oder das Streben nach eigenem Glück, daß sämtliche Handlungen aller Menschen in diesem Streben ihre Ursache haben.“274 Gerade aber die Ausschließlichkeit dieser These weist Hutcheson entschieden zurück  : „Diese Theorie [Scheme] kann niemals die wichtigsten Handlungen im menschlichen Leben erklären, wie zum Beispiel die Handlungen, die aus Freund269 F.  Hutcheson  : An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue. 270 Siehe hierzu neben der Inquiry auch  : F.  Hutcheson  : A System of moral philosophy. 271 F.  Hutcheson  : Erläuterungen zum moralischen Sinn. Im englischen Original ist der Einführungsabschnitt nicht betitelt. – OT.: F. Hutcheson  : Treatise II, Illustrations upon the Moral Sense. In  : ders.: An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, pp. 133–137. 272 F.  Hutcheson  : An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections. 273 Hutcheson formuliert damit die klassische Fragestellung der Moralphilosophen im 18. Jahrhundert  : „Was ist richtig  ?“ und „Wie soll ich handeln  ?“ 274 F.  Hutcheson  : Erläuterungen zum moralischen Sinn, S. 7 f. – Über die Lehre jener „christlichen Moralisten“ heißt es hier, es sei „die Aussicht auf eigenes Glück [Prospect of private Happiness], die bei einigen von ihnen den einzigen Beweggrund für eine Wahl [the sole Motive of Election] bildet. Sie sind ebenso der Meinung, daß das, was einen Handelnden bestimmt, seine eigene Handlung zu billigen, deren überwiegende Tendenz hin zu seinem eigenen Glück ist […]  ; daß die Billigung der Handlung eines anderen von der Überzeugung herrührt, sie trage direkt oder indirekt zum Glück desjenigen bei, der sie billigt  ; daß jeder Handelnde erkennen kann, daß der sicherste Weg, sein eigenes Glück zu vermehren, darin besteht, allgemein nützliche Handlungen auszuführen [publickly useful Actions] und solche zu unterlassen, die allgemein schädlich [publickly hurtful] sind  ; daß wer dies nicht beachtet und allgemein schädliche Handlungen ausführt, der gesamten Menschheit Schaden zufügt, indem er einen Teil verletzt [does mischief to the whole of Mankind, by hurting any one part] […].“ (Hervorh. übern.). – OT.: F. Hutcheson  : An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, pp. 134–135.

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schaft, Dankbarkeit, natürlicher Zuneigung, Großzügigkeit, Gemeinsinn [publick Spirit] oder Mitleid erfolgen.“275 Und so stellt er dem unumschränkten Primat der Eigenliebe seine eigene Auffassung gegenüber, dass auch Empathie das Handeln der Menschen bestimmt, indem „wir nicht nur Eigenliebe [Self-Love] empfinden, sondern verschieden starke wohlwollende Neigungen [benevolent Affections] auch gegenüber anderen hegen, die uns deren Glück als einen letzten Zweck erstreben lassen, ohne daß wir dabei unser eigenes Glück im Auge haben […].“276 Diese Formulierung ist von besonderer Bedeutung, denn damit erklärt Hutcheson die Eigenliebe und die Empathie gleichermaßen zu handlungsleitenden Kräften. Er lässt in seinem Modell eine Konstellation entstehen, in der beide sich gegenseitig beeinflussen, ohne sich aufheben zu können  : „Da aber alle Menschen von Natur aus sowohl Eigenliebe als auch wohlwollende Neigungen besitzen, kann die erstere den letzteren oft entgegenwirken und umgekehrt.“277 Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein Balancemodell, wie es später etwa von Smith entwickelt werden wird. Denn dass der Ausgleich zwischen den Wirkungen der Eigenliebe und des „Wohlwollens“ – „dieser Abkömmling der christlichen Nächstenliebe“278 – der Zweck dieses Nebeneinander-Bestehens sei, wird im Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections nicht einmal angedeutet. Für Leidhold ist Hutcheson ein „skeptischer Philanthrop“,279 der sich zwar der dem Zusammenleben abträglichen Eigenschaften der Menschen, insbesondere ihrer „eigennützigen Leidenschaften“, bewusst ist, jedoch daran glaubt, dass diese ausgeglichen werden können  : „Wenn wir auch eigennützige Leidenschaften zu unserer Selbsterhaltung besitzen, so verfügen wir auch über Leidenschaften, die dem Gemeinwohl dienen [publick Passions], die uns lebhaft und aufwendig zum Einsatz für Nachkommenschaft, Freunde, Gemeinschaften [Communities] und Staaten [Countries] bewegen.“280 Auch herrscht die Überzeugung vor, dass „Laster und Elend in der Welt geringer sind, als wir uns dies in unseren melancholischen Stunden vorstellen“.281 Zudem heißt es  : „Wir wissen, dass unsere Umstände durchaus gut [absolutely good] sind, ungeachtet einer erheblichen Beimengung von Übel.“282 Letztlich überwiegt die Zuversicht, dass durch eine übergeordnete Instanz – sei es durch die Natur283, sei es durch „den großen Urheber aller 275 F.  Hutcheson  : Erläuterungen zum moralischen Sinn, S. 8 (H. im engl. OT.). – OT.: F. Hutcheson  : An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, p. 135. 276 F.  Hutcheson  : Erläuterungen zum moralischen Sinn, S. 9 (H. im engl. OT.). – OT.: F. Hutcheson  : An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, p. 136. 277 F.  Hutcheson  : Erläuterungen zum moralischen Sinn, S. 66 (H. im engl. OT.). – OT.: F. Hutcheson  : An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, p. 174. 278 W.  Leidhold  : Ethik und Politik bei Francis Hutcheson, S. 184. 279 Ebd., S. 234. 280 F.  Hutcheson  : An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, p. 46 (e. Ü.). 281 Ebd., p. 121 (e. Ü.). 282 Ebd., p. 43 (e. Ü.). 283 Ebd., p. 130  : „[…] ein Zustand des Wohlwollens, der Menschenliebe, des Mitfühlens, der gegenseitigen Hilfeleistung [mutual Aid], der Fortpflanzung und der Unterstützung der Kinder, der Liebe zu einer Ge-

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Dinge [great Author of all things]“284 – die Entwicklung hin zu einem Sieg des Guten über das Schlechte angelegt ist. Bei grundlegenden Positionen lehnt Hutcheson sich an Gedankengänge Shaftesburys an, und zwar insofern, als auch er den moralischen Sinn in der Funktion einer Unterscheidungsinstanz zwischen Gut und Böse beziehungsweise zwischen Richtig und Falsch als von Natur aus gegeben ansieht. Er setzt die Existenz eines inneren Kompasses voraus, wenn er sagt  : „Das Wort moralisch Gutes [Moral Goodness] bezeichnet […] unsern Begriff von einer bei gewissen Handlungen wahrgenommenen Beschaffenheit, die unseren Beifall findet, und vom Wunsch, die handelnde Person glücklich zu sehen, begleitet ist. Moralisch Übles [Moral Evil] bezeichnet unsern Begriff von einer entgegengesetzten Beschaffenheit […].“285 Das Gute allerdings ist nicht erst daran zu erkennen, dass es mit Beifall bedacht wird, sondern diesen Beifall kann es nur deshalb finden, weil eine Instanz als im Menschen vorhanden angenommen wird, die diesen Beifall hervorruft  : eben der moralische Sinn. Hutcheson zufolge ist der Mensch in der Lage, kraft eines ihm von Natur aus zur Verfügung stehenden Sensoriums unmittelbar, also ausdrücklich nicht mittels seiner Vernunft, moralisch zu handeln. Er kann erkennen, was gut und richtig ist. Hutcheson hat diesen Aspekt seiner Philosophie – nämlich dass das Erkennen von moralisch Gutem einen moralischen Sinn voraussetzt – immer wieder neu aufgegriffen und deutlich zu machen versucht, so zuletzt auch in seinem System of Moral Philosophy286. Dort gesteht er letztlich zu, dass moralisch gute Handlungen auch deshalb ausgeführt werden, weil sich ihr Urheber davon einen Nutzen verspricht – nämlich den, für sie Ehre zu erlangen. Doch es „ist offensichtlich, dass die Auffassung, weswegen wir die Tugend billigen, nicht darin begründet ist, dass sie Ehre verschafft [not its tendency to procure honour].“ Diesen Nutzen haben tugendhafte Handlungen vielmehr nur, wenn vorausgesetzt wird, dass das moralisch Gute als solches auch erkennbar ist – eben mittels des moralischen Sinns  : „Unser starker Wunsch, Ehre zu erlangen, und die Bereitschaft anderer, uns diese zuzugestehen, setzt bei beiden einen moralischen Sinn voraus [must presuppose a moral sense in both]. Und jede Absicht einer handelnden Person, die auf Selbstbilligung [self-approbation] gerichtet ist, muss diesen moralischen Sinn ebenso voraussetzen.“287 Auf den ersten Blick mutet dieses Beharren auf der Existenz eines moral sense wie ein halsstarriges Festhalten an einem Prinzip an. Doch in Wirklichkeit steht dahinter eine Überlegung von sehr grundsätzlicher Bedeutung, nämlich dass das moralisch

sellschaft oder zu einem Staat [Love of a Community or Country], der Ergebenheit gegenüber oder der Liebe zu einem lenkenden Geist [governing Mind] ist unser natürlicher Zustand“. (E. Ü.). 284 Ebd., p. 131 (Hervorh. übern.). 285 Franz Hutchesons […] Untersuchung unsrer Begriffe von Schönheit und Tugend, S. 111 (Hervorh. übern.; Bearb. d. Ü  : HK). – OT.: F. Hutcheson  : An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue  ; darin  : An Inquiry Concerning the Original of our Ideas of Virtue or Moral Good, pp. 83–198, hier p. 85. 286 F.  Hutcheson  : A System of Moral Philosophy. 287 F.  Hutcheson  : A System of moral philosophy, I, p. 55 (e. Ü.).

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Gute unabhängig vom menschlichen Verstandesurteil existiert  ; der moralische Sinn ist lediglich das Vermögen, dieses Gute zu erkennen. 4.2.6.2 Ethik und Politik

All dies weist Hutcheson zunächst als einen an ethischen und insbesondere an psychologischen Überlegungen interessierten Moralphilosophen aus, der sein Denken auf die Handlungen und Entscheidungen des Individuums ausrichtet und „politische Fragen nur am Rande“288 behandelt. Allerdings trifft diese Einschätzung vornehmlich auf seine frühen Schriften zu, die noch vor 1729, seiner Zeit in Glasgow, entstanden waren  : die Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue von 1725 sowie An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, with Illustrations on the Moral Sense von 1728. Ein anderes Bild bietet indes sein großes Spätwerk A System Of Moral Philosophy,289 das 1755 posthum von seinem Sohn herausgegeben wurde und das über weite Teile die für die Epoche klassischen Themen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des Staates behandelt  : Containing a Deduction of the more special Laws of Nature, and Duties of Life, previous to Civil Government, and other adventitious States (Book II) und Of Civil Polity (Book III)290. Die Parallelen im Aufbau dieser Arbeit sowohl mit Hobbes’ vorangegangenen Elements of Philosophy (1655, also genau ein Jahrhundert zuvor) als auch mit Humes nachfolgendem Treatise of Human Nature (1739/40) oder Fergusons Institutes of Moral Philosophy (1769) sind unverkennbar und ordnen sie in ein Schema ein, das für die Wissenschaftstradition Großbritanniens in der frühen Neuzeit charakteristisch ist.291 Jeweils ist der Ausgangspunkt eine 288 So W.  Leidhold  : Ethik und Politik bei Francis Hutcheson, S. 193. 289 F.  Hutcheson  : A System of moral philosophy. Das Werk erschien in zwei Bänden. Die deutsche Übersetzung, die Lessing zugeschrieben wird, erschien bereits im darauffolgenden Jahr in Leipzig unter dem Titel „Sittenlehre der Vernunft“. Aufschlussreich ist ein Blick auf die dem Text vorangestellte Liste der Subskribenten, in der sich neben vielen prominenten Köpfen ihrer Zeit auch eingetragen finden  : „The Rev. Adam Ferguson, A. M.“ und „Mr. Adam Smith, Professor of moral philosophy in the University of Glasgow, two Sets.“ 290 Von besonderem Interesse sind in diesem Kontext die folgenden Abschnitte  : „Von den Bewegungsgründen, wodurch die Menschen zu Errichtung einer bürgerlichen Regierung gebracht werden“ (4). „Von der natürlichen Methode, ein bürgerliches Regiment einzurichten, und den wesentlichen Theilen desselben“ (5), „Die verschiedenen Regierungsformen, mit dem, was sie vortheilhaftes oder nachtheiliges enthalten“ (6), „Die Rechte der Regenten, und wie weit sie sich erstrecken“ (7), „Von den Mitteln die höchste Gewalt zu erlangen, und wie fern sie gerecht sind“ (8), „Von der Beschaffenheit der bürgerlichen Gesetze und ihrer Beobachtung“ (9), „Die Gesetze des Kriegs und Friedens“ (10) sowie „Die Dauer der politischen Vereinigung und der Beschlus[s]“ (11) – hier zitiert nach der deutschen Übersetzung Lessings von 1756  ; die Rechtschreibung und die Interpunktion sind unverändert übernommen. 291 Hobbes (in Elements of Philosophy) setzt bei der „Lehre vom Menschen“ an und gelangt von dieser zur „Lehre vom Bürger“ (und hier von der „Freiheit“ über die „Staatsgewalt“ zur „Religion“), während Hume (in seinem Treatise) vom „Verstand“ über die Analyse der „Affekte“ zur „Moral“ fortschreitet, wo die Fragen des Zusammenlebens in Gesellschaft untersucht werden. Ferguson beginnt seine Institutes mit einem Kapitel über die „Naturgeschichte des Menschen“ und gelangt über eine „Theorie des Geistes/Verstandes [mind]“ und „Die Erkenntnis [knowledge] Gottes“ zu den „Gesetzen der Moral“ und schließlich die „Rechtslehre [jurisprudence]“ zur Auseinandersetzung mit dem Wesen des Staates (Of Politics). Parallel dazu handelt bei

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Erörterung erkenntnistheoretischer Voraussetzungen  : Wie gelangen die Menschen zu ihren Gewissheiten über die Welt, nach welchen Gesichtspunkten beurteilen sie Handlungen und was veranlasst sie zu diesen  ? Und stets münden die Werke in die Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Funktionsweisen von Gesellschaft und Staat. Selbst Locke war diesem Schema gefolgt, sofern man seine Auseinandersetzung mit der Erkenntnistheorie in An Essay concerning Human Understanding und seine politische Philosophie in den Two Treatises of Government als zusammengehöriges Ganzes betrachtet.292 Die Argumentationsrichtung, die das angesprochene Schema aufweist, verläuft also von der Ethik ausgehend hin zur Politik und gerät dadurch inhaltlich unter Spannung, denn mit Blick auf die menschlichen Handlungen bewertet die Ethik deren Beweggründe, während die Politik ihren Fokus auf die Handlungsfolgen richtet. Ob Hutcheson sich dieser Spannung bewusst war, ist aus seinen Schriften nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Eine bestimmte und vor allem zentrale Passage in seiner Inquiry legt eher das Gegenteil nahe, denn dort verklammert er die beiden Sphären, ohne weiter auf dieses Spannungsverhältnis einzugehen, in dem sie zueinander stehen. Er schreibt  : „Wenn wir die unterschiedlichen moralischen Qualitäten von Handlungen abwägen, um unsere Wahl zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu treffen [our Election among various Actions propos’d], […] so werden wir durch unseren moralischen Sinn für Tugend [our moral Sense of Virtue] dahin geleitet, so zu urteilen, dass […] die Tugend sich aus dem Verhältnis zwischen der Größe des Guten und der Anzahl derer ergibt, die es genießen können [that the Virtue is in a compound Ratio of the Quantity of Good, and Number of Enjoyers]. […] Es ist also diejenige Handlung die beste, die die größtmögliche Glückseligkeit für die größtmögliche Anzahl schafft.“293

Letzteres ist eine Aussage über die Funktionalität, während ein Urteil über „moralische Qualitäten“ die Ethik betrifft. Damit durchschlägt Hutcheson einen gordischen Knoten, Hutchesons System of moral philosophy das erste Buch „Von der Beschaffenheit der menschlichen Natur und dem höchsten Gute“ – darin enthalten „Von […] dem Verstande [understanding], dem Willen, und den Leidenschaften“, „Von den feinern Empfindungskräften“, „Von den letzten Bestimmungen des Willens […]“, „Von dem moralischen Gefühl […]“ und so fort –, das zweite „Von den besondern Gesetzen der Natur und den Pflichten des Lebens […]“ – hier u. a. „Die Umstände, welche das moralische Gute oder Böse der Handlungen vergrössern oder vermindern“, „Allgemeine Regeln, nach welchen die Sittlichkeit der Handlungen […] zu beurtheilen ist“ – und das dritte „Vom bürgerlichen Regimente [Civil Polity]“, das inhaltlich mit Humes Of Morals korrespondiert. 292 Einschränkend ist allerdings festzuhalten, dass Lockes First Treatise fast ausschließlich der Widerlegung der Herrschaftsbegründung Filmers gewidmet ist und somit genau genommen aus diesem Rahmen fällt. Dennoch ändert dies nichts am Aufbau seiner Argumentation insgesamt. Siehe den Abschnitt 4.2.3.1 („Die ‘Two Treatises’ – Streitschrift und theoretisches Konzept“). 293 F.  Hutcheson  : An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue, p. 125. Die im Original sehr komplexe Satzkonstruktion erfordert eine Übertragung anstelle der wörtlichen Übersetzung, HK. – Der Schlusssatz sollte dereinst noch große Bedeutung als Motto des Utilitarismus erlangen.

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indem er den moral sense nicht nur die moralische Richtigkeit, sondern gleichermaßen – und als handle es sich dabei geradezu um ein und dasselbe – die politische Zweckmäßigkeit erkennen lässt. Sowohl die Tugend als auch die – politisch – beste Handlung orientieren sich laut dieser Textpassage am größten Glück der größten Zahl. Diese Einschätzung steht im Widerspruch zu Leidhold, der schreibt  : „Während in der Ethik der Moralsinn jene Fähigkeit ist, die diese moralische Qualität von Handlungen wahrnimmt und erhellt, ist in der Politik der Zweck bereits vorgegeben […].“294 Es ist laut Hutcheson aber vielmehr der moralische Sinn – und nicht die praktische Vernunft –, der den der Politik vorgegebenen Zweck erst wahrnimmt. So vergleichsweise unscharf hier also die Trennung zwischen ethischen und politischen Aspekten gehandhabt wird, so präzise unterscheidet Hutcheson allerdings zwischen denjenigen Motiven, die Handlungen veranlassen, und jenen, nach denen Handlungen beurteilt werden, wenn er die Begriffe „Wahl“ und „Billigung“ einführt und festlegt  : „Wahl [Election] ist die Absicht, eine bestimmte Handlung anstatt ihres Gegenteils auszuführen oder anstatt untätig zu bleiben. Billigung [Approbation] unserer eigenen Handlung bezeichnet ein oder wird begleitet von einem Vergnügen beim Nachdenken über sie und bei der Reflexion auf die Neigungen [Affections], die uns zu ihr veranlaßten.“295 Im Begriff der „Billigung“ kommt also das Vermögen zur – moralischen – Bewertung einer Handlung zum Ausdruck, während mit „Wahl“ das Moment der Handlungsauslösung benannt ist. In diesem Erklärungsmodell für die Beurteilung und die Auslösung von menschlichen Handlungen spielt die Vernunft eine sehr untergeordnete Rolle  ; den eigentlichen Beweggrund sieht Hutcheson in den „Leidenschaften und Neigungen [Passions and Affections]“.296 In dieser Frage der Rolle, die der Vernunft bei der Auslösung von Handlungen zukommt, wird Hume der Richtung Hutchesons folgen,297 und Smith wird die Grundprinzipien von Hutchesons Denken in seiner Theory so zusammenfassen  : „Dr. Hutcheson hatte mit großem Aufwand von Mühe bewiesen, daß das Prinzip der Billigung sich nicht auf die Selbstliebe gründe. Er hatte auch bewiesen, daß es nicht aus irgendeiner Tätigkeit der Vernunft entspringen könne.“298 4.2.7 Das Ende der Vorgeschichte der Schottischen Aufklärung

Innerhalb dieses gewohnten Argumentationsaufbaus also, dieses analysierenden Voranschreitens vom Fühlen über das Denken des Einzelnen hin zu den Gesetzmäßigkeiten des Zusammenlebens aller, vollzog sich der moralphilosophische Diskurs in Großbri294 W.  Leidhold  : Ethik und Politik bei Francis Hutcheson, S. 204. 295 F.  Hutcheson  : Erläuterungen zum moralischen Sinn, S. 6 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections, p. 134. 296 F.  Hutcheson  : An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue, p. 101. 297 Zu Humes Argumentation in dieser Frage siehe den Abschnitt 7.4.1 („Zur Verteilung der Rollen  : Affekte versus Verstand“). 298 A.  Smith  : Theorie, S. 527.

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tannien mehr als ein Jahrhundert hindurch. Wenn hier der Terminus des „Diskurses“ herangezogen wird, so geschieht dies in dem Sinn, wie M. Foucault ihn verwendet hat  : „Diskurse im Sinne Foucaults […] sind etwas, was von vielen redenden, schreibenden und streitenden Leuten gesagt wird, und dazu gehören Pro und Kontra ebenso wie eine große Vielzahl unverträglicher connaissances. […] Es ist, als existierten […] Diskurssysteme in einem begrifflichen Raum von Möglichkeiten und als wäre der Diskurs ein Spiel mit diesen Möglichkeiten.“299 Diese Möglichkeiten, mit denen der Diskurs hier spielt, sind vielfältig  ; sie umfassen Rede und Gegenrede, strenge Untersuchung und satirische Zuspitzung, erkenntnistheoretische Analyse und politische Parteinahme, rationalistische Hypothese und empirisches Herangehen, theologische und ethische Argumentation. All dies, und keineswegs nur die von Hume später propagierte experimental method of reasoning, finden wir in den Schriften der schottischen Denker vereinigt. Mit Hutcheson erreichen die Philosophie des moral sense und die Debatten um die Frage, welche Disposition hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenlebens für den Menschen „von Natur aus“ anzunehmen sei, die Schottische Aufklärung. Deren Vorgeschichte endet hier und es entsteht ein grundlegend neuer Kontext, geprägt vor allem durch Hume, Smith und Ferguson. Noch ist die Einheit der Moralphilosophie nicht tangiert, denn auch wenn die beiden großen Argumentationslinien – hier Hobbes und Mandeville, dort Locke, Shaftesbury und Hutcheson – in der Frage auseinanderstreben, was denn „eigentlich“ in der Natur des Menschen liege – das Prinzip des Eigennutzes oder das des Gemeinsinns –, so sind sie doch durch die Überzeugung verbunden, dass es etwas den Menschen Prägendes und ihn von den übrigen Lebewesen Unterscheidendes gebe, das tatsächlich „in seiner Natur“ liege, und dass es nur darauf ankomme, diese Natur zu erkennen und auf diese Weise einen Blick in Gottes Plan oder eben in das Buch der Natur zu werfen. Der eigentliche Bruch sollte erst erfolgen, als die Perspektive der Moralphilosophie, die Rorty diejenige der „Entdeckung“ nennt, von derjenigen der „Selbsterschaffung“ abgelöst wird.300 Das geschieht unter anderem mit der Hinwendung zum Historismus und zum Bewusstsein für den Einfluss der menschlichen Sozialisation  ; sie werden den Menschen gewissermaßen aus seiner wesensmäßigen Determiniertheit befreien und ihn mehr und mehr als Ergebnis seiner Umstände interpretieren. Die Schottische Aufklärung markiert hier eine Phase des Übergangs. Sie bleibt dem Narrativ der Schöpfungsgeschichte gegenüber zwar skeptisch, entscheidet sich jedoch nicht für den Vervollkommnungsoptimismus etwa eines Condorcet und teilt auch nicht 299 I. Hacking  : Michel Foucaults unreife Wissenschaft, S. 110 f. (Hervorh. übern.). 300 Ich bediene mich hier der Terminologie von R. Rorty  : Kontingenz, Ironie und Solidarität, S. 79, wo vom „Sieg der Metaphern für Selbsterschaffung über die Metaphern für Entdeckung“ die Rede ist. Auch wenn diese Verwendung der Begriffe zweifelsohne nicht unmissverständlich ist, macht sie doch das Wesentliche anschaulich  : „Entdeckung“ steht für die Vorstellung von einer „Wahrheit“, die gefunden werden müsse oder zumindest könne, weil sie gewissermaßen „identisch [sei] mit Gott selbst oder mit der Welt nach Gottes Plan.“ (Ebd., S. 24) „Selbsterschaffung“ hingegen ist im Kontext der Aufklärung, die den Menschen zum Gestalter der Welt macht, in der er lebt, ein sich selbst erklärender Begriff.

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die Zuversicht, dass die Welt ganz in Menschenhand liege. Die wichtigste Rolle in der weiteren Entwicklung spielt nun Hume, der die beiden genannten Argumentationslinien in ein neues Licht rückt. Zwar greift er den zentralen Gedanken Hutchesons auf, das Gute sei daran zu erkennen, dass es mit Beifall bedacht werde, und mit diesem Beifall könne es nur deshalb bedacht werden, weil eine Instanz als im Menschen vorhanden angenommen werden könne, die diesen Beifall anrege  : eben der moralische Sinn. Dieser setze den Menschen in die Lage, kraft eines ihm von Natur aus zur Verfügung stehenden „Sensoriums“ unmittelbar, also nicht erst mittels seiner Vernunft, moralisch zu handeln. Der Mensch könne erkennen, was gut und richtig sei. Dieser Annahme jedoch folgt Hume in ihrer ursprünglichen Striktheit nicht mehr. Vielmehr ist seine Haltung auf den ersten Blick eine abwägende, die sich zwischen einer Gefühls- und einer Vernunftethik bewegt  ; ihn als jeweils apodiktischen Vertreter ausschließlich der einen oder anderen Richtung zuschlagen zu wollen, hieße zu verkennen, was er insbesondere in seinen Principles of Morals – nach seinem eigenen Dafürhalten die „unvergleichlich beste“ seiner Schriften – über die historische Entwicklung der „allgemeinen Grundlegung der Moral“ deutlich zu machen sucht. Dort nämlich konstatiert er in dieser Frage eine fundamentale Gegensätzlichkeit zwischen den Lehren der „alten“ und den „heutigen Philosophen“. Erstere sieht er zwar „oft betonen, daß Tugend nichts anderes als das Vernunftgemäße sei, [doch] scheinen sie im allgemeinen dennoch der Ansicht zu sein, daß die Moral ihren Ursprung aus dem Geschmack und dem Gefühl herleite“, während er gegenüber dem Gros seiner Zeitgenossen den Vorwurf des Rationalismus erhebt  : Sie würden „viel von der Schönheit der Tugend und der Häßlichkeit des Lasters reden, zumeist [jedoch versuchen], diese Unterschiede durch metaphysische Überlegungen und durch Ableitungen aus den abstraktesten Verstandesprinzipien zu erklären.“301 Hume diskutiert die Ansichten beider Schulen dem Anschein nach unvoreingenommen, doch verfällt er dabei gelegentlich auch auf den Einsatz rhetorischer Manöver. So führt er seine Leserschaft bis dicht an die eigentliche Klippe heran, an die Frage nämlich  : Wer ist im Recht  ? Seine Schlussfolgerung  : „Diese Argumente auf beiden Seiten […] sind so einleuchtend, daß ich geneigt bin zu vermuten, daß sie, die einen wie auch die anderen, stichhaltig und zufriedenstellend sind und daß Verstand und Gefühl bei nahezu allen moralischen Entscheidungen und Schlüssen zusammenwirken.“302 – Liegt in dieser Aussage ein halbherziger Kompromiss, ein Zurückweichen vor einem eindeutigen Bekenntnis  ? Wie sich zeigt, würde man Hume mit dieser Folgerung nicht gerecht werden und die eben angeführte Stelle zu Unrecht als einen Beleg für seine etwaige Inkonsequenz im Urteil heranziehen. Vielmehr zeigt sich in den Principles of Morals, wie sehr er mittlerweile auf die Schlüssigkeit seiner eigenen Erkenntnistheorie vertraut, die er im Treatise und ein Jahrzehnt später noch einmal in der Enquiry concerning Human Understanding dargelegt hatte. Die grundlegende Annahme darin  : Die Analyse des Zusammenspiels des Verstan301 D.  Hume  : Moral (S.), S. 88. 302 Ebd., S. 91.

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des mit den Affekten (passions, so der von Hume in diesem Kontext bevorzugte Begriff) erweist die handlungsauslösende Funktion letzterer, doch in einem zweiten Schritt erfolgen die Handlungskontrolle sowie die Rückmeldung der Handlungsergebnisse an die Ebene der Affekte durch den Verstand. Dies ist das Modell eines Rückkopplungssystems, in dem beide Elemente sich gegenseitig „informieren“, sich auf diese Weise beeinflussen und dadurch beide von essentieller Bedeutung sind. Humes Annahme, „daß Verstand und Gefühl bei nahezu allen moralischen Entscheidungen und Schlüssen zusammenwirken“, sollte nicht als Ausdruck der Indifferenz oder als ein nicht weiter reflektiertes Zulassen „mehrerer Wahrheiten“ missverstanden werden  ; sie ist im Gegenteil ein Statement, das die zentrale Aussage seiner Erkenntnistheorie zusammenfasst. In diesem Licht besehen wird nun sehr viel verständlicher, warum Hume den Principles of Morals selbst eine so herausragende Stellung in seinem Werk beimaß  : Sie hat den Stellenwert einer Bilanz. In der Konsequenz brachte Humes Position die moralphilosophische Debatte um den moral sense zum Abschluss, denn im Hinblick auf moralische Beurteilungen und Handlungen waren nun der moralische Sinn und der Verstand nicht länger als Gegensatzpaar, sondern als zwei Aspekte ein und derselben Fragestellung zu verstehen, die ursprünglich gelautet hatte  : Worauf beruht moralisches Handeln  ? Hume hingegen stellte die Frage neu  : Was geschieht im Fall eines Aktes von moralischem Handeln  ? Dies war eine wichtige Erweiterung des Betrachtungswinkels. Sie bestand darin, moralisches Handeln nicht länger als das Ergebnis eines Augenblicks, sondern als einen Prozess zu beschreiben, der, obwohl letztlich affektiv ausgelöst, komplexen Mechanismen der intrapersonalen Abwägung, also der kontrollierenden Verstandestätigkeit unterworfen ist.

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II. Theoretische Klärungen

5. Der Naturbegriff  : Bedeutung und wissenschafts­ theoretische Implikationen

Das neuzeitliche philosophische Denken des Westens offenbart, aus einem größeren Abstand betrachtet, eine nachvollziehbare Entwicklung. Das ursprüngliche Erklärungsschema, das das Weltverständnis der Menschen prägte und in der Konsequenz deren System der Werte und Normen nach sich zog, war ein theologisches.1 Es wurde durch eine Argumentation abgelöst, die nicht mehr von der Offenbarung, sondern von naturrechtlichen Überlegungen ihren Ausgang nahm, die unabhängig – zumindest  : zunehmend unabhängiger – neben der Religion ihren Platz einnahmen und zum Ausgangs- und Bezugspunkt für all das wurden, was als Tatsache anzuerkennen war und wie demzufolge zu handeln sei. Dieser Wandel in der Welt-Anschauung ist keine Zäsur, sondern er vollzieht sich über einen langen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten, und in ihm manifestiert sich der eigentliche Übergang zur Neuzeit. Allerdings kommt die Dynamik der Welterklärung mit dem Verweis auf die Natur nicht zu ihrem Ende. Vielmehr zeigt es sich, dass sich die Gravitationszentren dieser Welterklärung beständig weiter verschieben  : Ist es zunächst die Vorstellung eines Schöpfergottes, in der sich alles schlüssig fügt, so wird diese um die Mitte des zweiten Jahrtausends durch einen alles umfassenden Begriff der Natur erodiert, ehe diesen seinerseits nun das Vordringen einer neuen Bezugsgröße ins Wanken zu bringen scheint  : das Kriterium der Nützlichkeit. Aber bis zu diesem Punkt der Entwicklung soll dieser übergeordnete Wandel der Perspektiven an dieser Stelle nicht verfolgt werden. Wir befinden uns mit unserer Untersuchung im Schottland des 18. Jahrhunderts, und deshalb sei lediglich festgehalten  : Im Denken der Aufklärung ist der Naturbegriff bereits von ganz und gar zentraler Bedeutung.2 Es empfiehlt sich vorab, seine Implikationen und seine Funktion getrennt von den Texten der schottischen Moralphilosophen und der darin vertretenen Positionen zu betrachten. Der Verweis auf die Natur stellt sich als das Herzstück in der Argumentation der schottischen Denker dar. Von der Natur gingen sie aus und auf sie kamen sie stets wieder zurück  : Die methodische Festlegung auf die Empirie, den Primat der Erfahrung, rückt die Natur ins Zentrum – sie ist das Gegebene, von dem auszugehen ist. Die Untersuchung des Naturbegriffs in seinen unterschiedlichen Facetten bedeutet die Untersuchung jenes argumentativen Zentrums, auf das immer wieder zurückverwiesen wird. Zu diesen Facetten gehören neben dem eigentlichen Naturverständnis der Aufklärer

1 Wenn hier von „theologischem“ und nicht von „religiösem“ Weltverstehen die Rede ist, so soll damit herausgestellt werden, dass es die Theologie ist, die erklären will, wie die Religion „richtig“ zu verstehen sei. 2 R. L. Heilbronner  : The Paradox of Progress, p. 244, spricht anschaulich von der “‘human nature’, that primum mobile of the eighteenth century”.

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– etwa das argumentative Potenzial, das den Verweisen auf die Natur als der obersten Instanz zuerkannt wird, also die „Autorität der Natur“, – die wissenschaftstheoretische Frage nach der Entstehung und Vermittlung einer solchen Instanz im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses, – die Betrachtung der Rolle des Naturbegriffs im Argumentationsaufbau der jeweiligen Schriften, – die Bedeutung unterschiedlicher Prozessmodelle der Naturentwicklung und die sich daraus ergebenden Folgerungen, – die Überlegungen im Hinblick auf die Zugriffsmöglichkeiten des Menschen auf die Natur und die Umwertung der Bedeutung, die sich daraus seit Francis Bacon für die Natur ableitet. Die Untersuchung all dieser Aspekte soll den Bezugspunkt für eine sich anschließende eingehende Betrachtung jener Rolle schaffen, die Zuversicht und Skepsis in den Schriften der schottischen Denker spielen, ja überhaupt spielen können.3

5.1 Der Naturbegriff im Denken der Aufklärung

„Natur“ spielt im Denken der Aufklärung eine Doppelrolle. Zum einen gilt der Naturbegriff als fester und unumstößlicher Bezugspunkt. Der natural course of things ist das Gegebene schlechthin, und so, wie die Dinge „von Natur aus“ geordnet seien, habe – im Denken der Zeit unhinterfragt und anscheinend unhinterfragbar – alles seine Richtigkeit. Die Natur genießt die Autorität der großen Lehrmeisterin, und in ihrem Buch – dem „Buch der Natur“ – zu lesen, gibt Aufschluss darüber, wie geordnet die Welt eingerichtet ist, und, so sie es nicht ist, eben eingerichtet werden sollte. Das ist der eine Aspekt des Naturbegriffs. Der andere steht dazu in einem völligen Gegensatz  : Mit Francis Bacon ist nämlich die Sichtweise hinzugekommen, dass die Natur dem Menschen auch dienstbar gemacht werden solle. Die durch die Naturwissenschaften (natural philosophy in der Sprache der Zeit) gewonnenen Erkenntnisse zeigen die Möglichkeit eines Eingreifens in die Natur auf, und das von ihnen akkumulierte Wissen habe diesem Eingreifen zum Nutzen und Wohl aller zu dienen. 5.1.1 Der Naturbegriff als Gegenstand der Forschung

Die „objektive“ Natur des Menschen allerdings ist ein verschleierter Forschungsgegenstand, denn sie liegt nicht offen vor dem Blick der sie Betrachtenden, sondern sie zeigt 3 Siehe zu den Beziehungen, die zwischen der Natur und der Zuversicht bestehen, den Abschnitt 5.1.3 („Naturauffassung und Zuversicht“).

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sich ihnen nur indirekt, nämlich im menschlichen Verhalten. Aus den Handlungen muss darauf geschlossen werden, was diesen als „von der Natur gewollter“ Antrieb zugrunde gelegen haben mag. B. F. Skinner macht auf diesen Umstand, der die Menschenwissenschaften so grundlegend von den Naturwissenschaften unterscheidet, aufmerksam, wenn er sagt  : „Der innere Mensch ist nach dem Bilde des äußeren geschaffen worden.“4 Das war das erste Problem, mit dem sich die Moralphilosophie im 18. Jahrhundert konfrontiert sah. Es finden sich ausreichend Belege dafür, dass es den schottischen Denkern bewusst war. Jegliche Prognose über die Zukunft des Menschen gründet auf der Vorstellung, was dieser „von Natur aus“ sei und was er demzufolge vermöge. „Natur“ ist zu verstehen als das Gegebene schlechthin, und damit sind nicht nur die körperlichen ebenso wie die geistigen Anlagen selbst gemeint, sondern auch die Möglichkeiten, diese zu erweitern. Zuversicht bedeutet demzufolge kein Verfallen auf von tatsächlichen Gegebenheiten losgelöste Utopien, sondern zwingend  : Hoffnung auf etwas aus den zuvor ermittelten Voraussetzungen neu Geschaffenes. Es geht also darum, diese Voraussetzungen zu erkennen, zu beschreiben und auf dieser Grundlage, von ihnen ausgehend, Annahmen über die künftigen Entwicklungen zu treffen. Die Erforschung der menschlichen Natur ähnelt damit der Suche nach einem archimedischen Punkt. Entscheidend ist der Ausgangsbefund, und er ist im 18. Jahrhundert bald keiner mehr, der auf religiöser Offenbarung oder metaphysischer Spekulation beruht, sondern er ist – erklärtermaßen – zunächst ein anthropologischer, der sich der Anwendung der „empirischen Methode“ verdankt, und sodann ein erkenntnistheoretischer. So jedenfalls betrachten die schottischen Denker diesen Aspekt ihrer Anstrengungen, eine science of man zu schaffen, zu der die klassische moral philosophy, von der sie ausgegangen sind, weiterentwickelt werden soll. 5.1.2 Naturbild und Menschenbild

Die Überlegung, ob der Mensch Teil der Natur ist oder ihr gegenübersteht, ist ein Thema, mit dem sich das Denken der Aufklärung andauernd auseinandergesetzt hat.5 Darin spiegelt sich der im 17. und 18. Jahrhundert vollzogene charakteristische Übergang von der christlichen Perspektive, die den Menschen im Weltmittelpunkt und Gott unmittelbar gegenüber sieht, zu jener wider, die ihn, gestützt auf die gerade entstehende Wissenschaft der Anthropologie, als Ergebnis einer natürlichen Entwicklung der Welt begreift. Der Mensch wird so zu einem natürlichen Wesen mit einer allerdings einzigartigen Ausstattung und der Fähigkeit, nicht nur auf seine Umwelt verändernd zu wirken, sondern auch auf sein eigenes Fortschreiten gezielt und gestaltend Einfluss zu nehmen. K. Rahner wird Mitte des 20. Jahrhunderts in dieser Fähigkeit, die er als eine zur „Selbstmanipulation“ bewertet, eine „epochal neue Erscheinung menschlichen Freiheitswesens“ erkennen. Da4 B.  F.  Skinner  : Jenseits von Freiheit und Würde, S. 22. 5 Siehe den Abschnitt 5.4 („Naturverständnis und Anthropologie“).

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mit spielt er auf den Umstand an, dass es eben im Bereich der menschlichen Fähigkeiten und damit im Bereich der menschlichen Natur liege, die „passiv biologische Evolution“, der der Mensch als Lebewesen wie jedes andere unterliege, „durch eine aktive kulturelle Evolution, die aber seine biologische selbst fortführt“, weiterzutreiben.6 In diesem Zusammenhang ist die folgende Ergänzung angebracht, die weit über die Zeit der Aufklärung hinaus- und heranführt an die Erkenntnisse der Neurowissenschaften gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Diesen zufolge steht sogar die Annahme, die biologische Evolution sei passiv, in Frage. So gilt nunmehr im Hinblick auf die Entwicklung des Gehirns seit längerem  : Das menschliche Genom ist für die physische Organisation des Körpers – und damit des Gehirns – verantwortlich, doch legt es diese Organisation nicht vollständig fest  ; vielmehr übernimmt der lebende physische Körper die Aufgabe der Fortführung dieser Organisation. Das bedeutet, ein großer Teil der Entwicklung – eben dessen, was als die natürliche Ausstattung des Menschen und damit als die als „angeboren“ aufgefasste „menschliche Natur“ anzusehen ist – „kann nur durch die Aktivität des lebenden Organismus bestimmt werden, der sich im Laufe seines Lebens fortwährend entwickelt und verändert“.7 Der Mensch wird also, zugespitzt ausgedrückt, als dazu befähigt gesehen, über seine naturgegebenen Anlagen hinauszugehen und somit das, was im Sinn einer statischen Auffassung als seine Natur zu bestimmen versucht wurde, zu verlassen und dynamisch zu erweitern. Die Fähigkeit zu dieser Dynamisierung ist demzufolge Teil der Anlagen. Der Fortschrittsbegriff ist stillschweigend immer schon von diesem Gedanken ausgegangen. Seit die moderne Naturwissenschaft ihn nun offenbar stützt, gilt umso mehr, dass nicht nur die Welt, die ihn umgibt, sondern auch der Mensch selbst nicht als lediglich gegeben, sondern als verbesserbar anzusehen ist. Der Mensch kann seine eigene Natur verbessern. Möglicherweise aber kommt in diesem Attribut der Verbesserbarkeit neben dem Schluss auch ein Trugschluss zum Ausdruck, wie noch einmal Rahner mit Skepsis zu bedenken gibt  : „Es ist doch so, daß man unwillkürlich mit der Vorstellung der Selbstmanipulation den Gedanken verbindet, durch sie sei alles möglich und alles immer wieder möglich, jeder Fehlgriff in der Manipulation könne immer wieder revidiert werden, wenigstens in den folgenden Generationen […].“8 Allerdings spiegelt sich in diesem Vertrauen in die jederzeitige Revidierbarkeit von Fehlentwicklungen bei aller Zuversicht, die das Zeitalter der Aufklärung kennzeichnet, weder das Denken des 18. Jahrhunderts 6 K. Rahner  : Experiment Mensch, S. 55 f. 7 A.  R.  Damasio  : Descartes’ Irrtum, S. 156. – Damasio erläutert ebd. auch, welcher Interpretationsspielraum mit dieser Feststellung gegeben ist  : „Wenn ich das Wort ‚angeboren‘ verwende, schließe ich damit nicht die Möglichkeit aus, daß bei der Festlegung einer Struktur oder eines Aktivitätsmusters auch Umwelt und Lernen beteiligt sind. Noch schließe ich aus, daß vielleicht auch erfahrungsbedingte Anpassungsprozesse eine Rolle spielen. ‚Angeboren‘ verwende ich in dem Sinne […]  : Strukturen oder Aktivitätsmuster, die weitgehend, aber nicht ausschließlich vom Genom bestimmt werden und deren sich Neugeborene für die homöostatische Regulation bedienen können.“ (Hervorh. HK) 8 K. Rahner  : Experiment Mensch, S. 61.

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im Allgemeinen noch das der schottischen Denker um Hume im Besonderen wider, sondern lediglich das, was aus diesem Denken durch mancherlei Aus- und Umformungen bis zum 20. und 21. Jahrhundert geworden ist. Jedenfalls schließt sich an den zuvor skizzierten Übergang von der christlichen Weltdeutung zur aufgeklärten tendenziell ein weiterer an, nämlich ein solcher von der Zuversicht in das Weltverstehen durch die (Natur-)Wissenschaft hin zum Optimismus in deren Rolle als Erlöserin von allem Übel  :9 Die Naturwissenschaft wird, erweitert um die Technik, zur Wissenschaft von der Nutzbarmachung der Natur. Dabei handelt es sich um eine Entwicklung von zunehmender Dynamik. Noch aber befinden wir uns im Schottland der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Hier wird nun durch die neu entstehende science of man versucht, diese dynamische Entwicklung zu erklären. Dies soll im Rahmen einer neuen Methode geschehen, die nicht von apriorischen Gewissheiten, sondern von der Anschauung ausgehen zu wollen vorgibt. Mit dem Bekenntnis zur Empirie wird die Möglichkeit von Veränderbarkeit eingeräumt – einerseits. Andererseits aber geschieht die Erklärung mittels einer Argumentation, die sich auf „die“ menschliche Natur, also auf etwas Feststehendes, Statisches beruft. Es entstehen auf diese Weise verschiedene Spannungsfelder, denn die empirisch gewonnenen Erkenntnisse werden im Rahmen der Theoriebildung stets auf die Ausgangsgewissheiten zurückprojiziert – also eben auf ein statisches Menschenbild. Daraus ergeben sich Fragen  : Kann auf diese Weise überhaupt ein neues Koordinatensystem entstehen  ? Oder wird das neu Beobachtete lediglich in das bestehende Koordinatensystem der alten Gewissheiten eingeordnet  ? Denn  : Bestimmt nicht das, wovon man ausgeht, das, was man erkennt, ja überhaupt erkennen kann  ? 5.1.3 Naturauffassung und Zuversicht

Was ergibt sich mit Blick auf die Zuversicht einer science of man, die sich solcherart auf Aussagen – Feststellungen scheinbarer Gewissheiten – über die Natur beruft  ? Zuversicht beruht ja zuallererst, wie es Hume sagen wird, auf einem Wissen über Tatsachen einerseits und den daraus gezogenen Schlüssen andererseits. Sie ist also nicht blind, sondern sie gründet sich auf ein als zuverlässig erachtetes Bild von der Wirklichkeit.10 Wie kommt es zu diesem Bild und was zeigt es im 18. Jahrhundert  ? Es stellen sich die folgenden Überlegungen. 1. Der „Philosophie“ (hier  : moral philosophy) steht die „Wissenschaft“ (hier  : natural philosophy) gegenüber.11 Noch bestehen beide – im 18. Jahrhundert – weitgehend   9 Ich gebrauche hier die Begriffe der „Zuversicht“ und des „Optimismus“ in dem im Abschnitt 2.1.1.4 („Zuversicht versus Optimismus“) beschriebenen Sinn  : Zuversicht wird begründet, Optimismus ist eine Grundhaltung, die auf Begründung verzichtet. 10 Siehe den Abschnitt 7 („Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis“). 11 Noch ist die natural philosophy nicht eigentlich das, was wir heute unter Naturwissenschaft verstehen. Eine gute Definition aus der Epoche der Schottischen Aufklärung selbst findet sich in C. Maclaurin  : An Account Of Sir Isaac Newton’s Philosophical Discoveries, p. 3, und sie macht transparent, wie sehr sich die frühe Natur-

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gleichberechtigt nebeneinander, auch wenn sie sich nicht nur in ihren Gegenständen, sondern vor allem in ihren Methoden unterscheiden. In diesem Fall geht es um die Gegenstände  : Die natural philosophy, ausgehend von der Physik, befasst sich mit dem Konkreten, dem unmittelbar mit den Sinnen Wahrnehmbaren, Messbaren.12 Schwerer hat es die moral philosophy, die sich ihre Gegenstände (Werte, Pflichten, Haltungen, weit gefasst  : Sinn und Bedeutung) nur mittelbar erschließen kann. Dennoch liegt, bei aller Unvereinbarkeit der Gegenstände hinsichtlich der Auseinandersetzung mit ihnen, doch beiden ein Begriff von dem zugrunde, was als „Natur“ bezeichnet wird. Da sie sich in diesem Punkt jedoch trennen, sind wir mit zwei „Naturen“ konfrontiert, von denen aus argumentiert wird und die sich aus zwei verschiedenen Gegenständen ableiten, nämlich folgerichtig den natural subjects und den moral subjects.13 2. Welche Funktion(en) hat die Natur in der Argumentation, von der hier die Rede ist  ? Ist sie etwas einfach nur Vorhandenes oder verfolgt sie eine „Absicht“  ? Und was würde aus einer Kenntnis dieser Absicht zu folgern sein  ?14 3. Der Naturbegriff ist vieldeutig und er erscheint infolge seiner Bedeutungsweite oftmals als vage. Es würde somit zu weiteren Unschärfen führen, mit ihm ohne Berücksichtigung seines Hintergrunds an wissenschaftstheoretischen und methodischen Problemstellungen zu operieren. Also sollen diese zumindest in groben Zügen erörtert werden. – Festzuhalten ist, dass dem Naturbegriff in den Schriften der schottischen Denker implizit die Rolle einer Präsupposition – einer Vorannahme mit quasi-axiomatischem Charakter – zukommt. Da aber immer nur ausgehend von Voraussetzungen gedacht werden kann, stellen diese Voraussetzungen die Weichen (mit), die bestimmen, welchen Weg die sich ergebenden Folgerungen überhaupt einschlagen können – etwa eher hin zu einem „von Natur aus“ auf Eigennutz bedachten Hobbes’schen oder Mandeville’schen Menschen oder zu einem „von Natur aus“ guten, fürsorglichen, wie Rousseau und auch Smith ihn sahen. – Präsuppositionen sind im Übrigen Annahmen, die stillschweigend getroffen werden, mitunter auch gewohnheitsmäßig und somit unreflektiert. Da dies so ist, geht es am Rand also auch um das Unbewusste in dieser Wissenschaft, die hier betrachtet werden soll. – Daran schließt sich als Frage an, wie überhaupt Entscheidungen für bestimmte Vorannahmen getroffen werden und wie es dazu kommt, dass diesen Vorannahmen die wissenschaft tatsächlich auch noch als Philosophie der Natur begreift  : “To describe the phenomena of nature, to explain their causes, to trace the relations and dependencies of those causes, and to enquire into the whole constitution of the universe, is the business of natural philosophy.” 12 Es versteht sich aus heutiger Sicht von selbst, dass diese Aussage über die Physik mit dem Zusatz „vorerst“ zu versehen ist, denn mittlerweile kennzeichnet es ja viele ihrer Gegenstände geradezu, dass diese zumindest mit den menschlichen Sinnesorganen nicht mehr erfasst werden können. 13 Siehe den Abschnitt 5.1.4 („‘Natural and moral subjects’ – die Gegenstände der zwei ‚Philosophien‘“). 14 Siehe den Abschnitt 5.2 („Funktionen des Naturbegriffs“).

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Bedeutung von „wissenschaftlichen Tatsachen“ zuerkannt wird – als Fundamente, auf denen unbesorgt aufgebaut werden darf. Freilich steckt in einer solchen Frage sehr viel an grundlegender Skepsis gegenüber jeglicher Erkenntnis. Diese Frage ist – durch Hume – durchaus eine der Schottischen Aufklärung, und nicht zuletzt darin liegt Grund genug, sie an diese zurück zu richten. – Untersucht man Annahmen über die Natur im Hinblick auf die Haltung der Zuversicht, so stößt man zwangsläufig auf Entwicklungsmodelle, die den Gang der Natur entweder als einen von Aufstieg und darauf folgendem Niedergang beschreiben (das Model der natura lapsa) oder die – wie im Fall des Modells einer oeconomia naturae – von einem Vermögen der Natur zur Erneuerung aus sich selbst heraus ausgehen. Dass sich hieraus unterschiedliche Erwartungen an die Zukunft ableiten können, ist offensichtlich. – Sollte danach geklärt sein, welche Bedeutung der Naturbegriff als Ausgangspunkt für das Denken der Schottischen Aufklärung hat, so stellt sich als die abschließende und für die praktische Philosophie wichtigste Frage, wie eigentlich mit der Natur umzugehen sei. Steht der Mensch ihr lediglich gegenüber, ohne ein wirklich gleichwertiger, frei handelnder Teil von ihr zu sein  ? Oder kommt ihm der Natur gegenüber ein Sonderstatus zu, der es ihm gestattet, seine Rolle selbst zu bestimmen, sei es als ihr Beherrscher oder – moderner und mit einem deutlich postaufklärerischen Bewusstsein – als ihr Beschützer und Bewahrer  ? Diese Fragen verweisen zurück auf das vorangehende Kapitel, das die Formierung des Denkens der Schottischen Aufklärung zum Gegenstand hatte.15 Einzugehen ist auf das Naturverständnis Francis Bacons, der dieses neu ausrichtete, indem er der Natur das Interesse des Menschen gegenüberstellte, Nutzen aus ihr zu ziehen.16 4. Das, was über die Natur des Menschen ausgesagt wird, unterliegt im 18. Jahrhundert einer Dynamik der Veränderung. Insbesondere die Anthropologie entwickelt sich hier zu einer treibenden Kraft, indem sie zum Bindeglied zwischen Naturwissenschaft und Moralphilosophie heranreift. Die Annahmen über die menschliche Natur verändern sich dadurch erneut, und mit ihnen verändert sich das, was der Mensch erhoffen darf – also die Reichweite seiner Zuversicht.17 5.1.4 ‘Natural and moral subjects’ – die Gegenstände der zwei ‚Philosophien‘

Als Hume sich Ende der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts in den moralphilosophischen Diskurs seiner Zeit einschaltet, scheint ihm alle Bescheidenheit fremd zu sein. Was er nämlich „überall in den Lehren der bedeutendsten Philosophen zu finden“ glaubt und kritisiert, seien „Prinzipien, auf guten Glauben angenommen, lahme Schlußfolgerungen aus denselben, Mangel an Zusammenhang in den Teilen und an Beweiskraft im 15 Siehe den Abschnitt 4 („Der ideengeschichtliche Vorlauf innerhalb des angelsächsischen Diskurses“). 16 Siehe den Abschnitt 5.3 („Der Naturbegriff aus dem Blickwinkel wissenschaftstheoretischer Ansätze“). 17 Siehe den Abschnitt 5.4 („Naturverständnis und Anthropologie“).

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ganzen“. Es bedürfe nicht viel, um zu erkennen, „wie unvollkommen der gegenwärtige Stand der Wissenschaften“ sei.18 Spektakulärer hätte sich der Angriff auf die erkenntnistheoretischen Überzeugungen der Zeit kaum inszenieren lassen  : Bei den Voraussetzungen herrsche der Glaube über die Gewissheit, und entsprechend vieldeutig und wenig überzeugend sei das daraus Gefolgerte. Hume nun wähnt sich in der Lage, ein tragfähigeres Fundament zu schaffen, und das bedeutete nichts weniger als den Anspruch, „mit dem Umfang und der Leistungsfähigkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens vollkommen vertraut und [fähig zu werden], die Natur der Vorstellungen, die wir in unserem Denken verwenden, und der geistigen Operationen, die wir dabei vollziehen, verständlich zu machen.“19 Er sieht sich damit in der Tradition von Francis Bacon „und einigen neueren Philosophen in England“,20 und seine Absicht ist keine geringere, als die, „die Prinzipien der menschlichen Natur klarzulegen“. Doch diese Prinzipien liegen keineswegs offen zutage. Sie zeigen sich nicht der unmittelbaren Anschauung,21 sondern nur indirekt. Auch wenn Hume emphatisch fordert, man müsse „die bisher befolgte ermüdende und zögernde Methode verlassen und […] geraden Wegs auf […] den Mittelpunkt dieser Wissenschaften losgehen, auf die menschliche Natur selbst“,22 so ist er sich doch darüber im Klaren, dass sich diese menschliche nicht wie die äußere Natur einfach beobachten, sondern nur auf einem Umweg erschließen lässt  : „Wir müssen unsere Erfahrungen in dieser Wissenschaft also aus einer sorgfältigen Beobachtung des menschlichen Lebens gewinnen, und sie nehmen, wie sie im gewöhnlichen Lauf der Welt, in dem Benehmen der Menschen in Gesellschaft, in ihren Beschäftigungen und Vergnügungen sich darbieten [as they appear in the common course of the world, by men’s behaviour in company, in affairs, and in their pleasures].“23 Humes Naturbegriff ist also dichotom. Diejenigen Naturbereiche, mit denen sich die Naturwissenschaften befassen, werden von ihm als „Naturgegenstände [natural subjects]“ bezeichnet und sind der unmittelbaren Erforschung zugänglich. Ihnen stehen die „geistigen Objekte [moral subjects]“ gegenüber, die Gegenstand der Moralphilosophie (moral philosophy)24 sind und von denen nur auf dem Weg „der sorgfältigen und genauen Er18 D.  Hume  : Traktat, I, S. 1. – Hume spricht hier nicht von Philosophie, sondern tatsächlich von der “condition of the sciences”. – OT.: ders.: Treatise, p. 1|2. 19 D.  Hume  : Traktat, I, S. 3. 20 Ebd., S. 4  ; genannt sind „Mr Locke, my Lord Shaft[e]sbury, Dr Mandeville, Mr Hutchinson [d. i. Francis Hutcheson], Dr Butler“. – OT.: ders.: Treatise, p. 5|7. 21 Hume gesteht ein  : „Das eigentliche Wesen des Geistes ist uns ebenso unbekannt wie das der Körper außer uns.“ D.  Hume  : Traktat, I, S. 5. 22 Ebd., S. 3 f. 23 Ebd., S. 7. – OT.: ders.: Treatise, p. 6|10. 24 Wie im vorangegangenen Abschnitt 5.1.3 („Naturauffassung und Zuversicht“) ausgeführt wurde, ist der Aspekt, auf den es beim Begriff der moral philosophy ankommt, jener, dass er der Wissenschaft von der beobachtbaren, vermessbaren Natur, also der eigentlichen Naturwissenschaft, gegenübersteht. So entspricht der moral philosophy am ehesten das heutige Verständnis von „Philosophie“ und „Gesellschaftswissenschaften“, und der natural philosophy weitgehend das von „Naturwissenschaft“, ja sogar allgemein von „Wissenschaft“.

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fahrung, und der Beobachtung der besonders gearteten Wirkungen [ein Bild gewonnen werden kann und] die der Geist unter verschiedenen Umständen und in verschiedenen Situationen zutage treten läßt.“25 Somit gibt es für Hume also zum einen eine offen erkennbare und zum andern eine verborgene, noch zu erschließende Natur. Die „menschliche Natur“, von der hier und in den Werken der anderen Vertreter der Schottischen Aufklärung so häufig die Rede sein wird, ist Teil dieser letzteren, der zu erschließenden Natur, und da gilt  : Was der Mensch ist, zeigt sich darin, wie er sich verhält  ; das Wesen seines Seins erschließt sich mittels der Untersuchung seines Handelns. Ein Jahrhundert vor Hume war der Philosophie – eigentlich  : der Naturphilosophie – durch Francis Bacons Novum Organum ein neuer methodischer Weg aufgezeigt worden.26 Bacon steht für die Abkehr vom überkommenen Naturverständnis, denn er legitimiert die Zulässigkeit des Eingreifens in die Natur, ja er verpflichtet den Menschen geradezu darauf, es ihr, der „großen Baumeisterin“, gleichzutun und sich als Schöpfer gleichberechtigt neben sie zu stellen.27 Für viele der englischen und schottischen Denker des 17. und 18. Jahrhunderts war die mit diesem Anspruch verbundene Verpflichtung auf eine ausdrückliche Hinwendung zur Empirie prägend, und die Vorstellung von einer, wenn auch begrenzten, Methodengleichheit in Naturwissenschaften und Moralphilosophie übte gerade auf die Vertreter von Letzterer eine erkennbare Faszination aus. Dass bei aller Hochschätzung der empirischen Methode jedoch auch eine grundlegende Nichtübereinstimmung zwischen beiden Wissenschaftssphären bestand und zwangsläufig weiterbestand, trat im Bewusstsein des gemeinsamen Aufbruchs zunächst in den Hintergrund. Die Triebfeder beim Aufstieg der Naturwissenschaften war die Mathematik. Die Naturwissenschaften beruhten keineswegs nur auf der Empire, der Naturbeobachtung, sondern diese führte erst unter Anwendung der Mathematik zur Formulierung der stringenten, also belastbaren Naturgesetze. Bacon wurde vorgeworfen, sich dieses Zusammenhangs nicht ausreichend bewusst gewesen zu sein, jedenfalls die Rolle der Mathematik unterschätzt zu haben,28 und viele von denen, die ihm folgten, folgten ihm auch in 25 D.  Hume  : Traktat, I, S. 5. – Zum Verhältnis der beiden Wissenschaften sagt Hume ebd., S. 7  : „Die Geisteswissenschaft ist allerdings im Vergleich mit den Naturwissenschaften insofern im Nachteil, als sie bei der Feststellung der Erfahrungstatsachen [‘in collecting its experiments’] auf Versuche verzichten muß, die […] mit Vorbedacht, und in solcher Weise angestellt wären, daß sie dadurch jedem irgendwie auftauchenden speziellen Bedenken gerecht werden könnte.“ – OT.: ders.: Treatise, p. 6|10. 26 Vgl. den Abschnitt 5.3.1 („Natur als Quelle der Erkenntnis und als nützliches Gegenüber  : Bacons Weichenstellung“). 27 Zur Darstellung dieses Wandels der Naturgeschichte siehe S. Shapin  : Die wissenschaftliche Revolution, darin insbesondere den Abschnitt „Die Natur als Maschine“, S. 41–59. 28 So urteilte bereits 1870 J. H. v. Kirchmann in seiner Einführung zur deutschen Übersetzung des Novum Organum, S. 1–26, hier S. 9  : „Trotz der Universalität seines Geistes war doch die Mathematik seine schwächste Seite, ein Umstand, der Baco nicht blos das Verständniss von Galilei erschwerte, sondern überhaupt ihn tiefer in den Fesseln der Scholastik stecken bleiben liess, als man es bei seiner erklärten Gegnerschaft gegen sie hätte erwarten dürfen.“ (Hervorh. übern.). Und auch W. Krohn spricht in seiner „Einleitung“ zu F. Bacon  : Neues Organon, S. XXVII, davon, Bacon habe die Mathematik „sträflich vernachlässigt“.

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diesem stillschweigenden Übergehen der Mathematik. Die methodische Nichtübereinstimmung zwischen den Naturwissenschaften und der Philosophie mit ihren sich gerade in der Schottischen Aufklärung aus der Moralphilosophie heraus entwickelnden „Gesellschaftswissenschaften“ ist in diesem Punkt begründet, denn die „menschliche Natur“ lässt sich eben nicht in gleicher Weise unmittelbar beobachten, wie sich der Lauf der Gestirne oder chemische Reaktionen beobachten lassen. Mag der Mensch, wie La Mettrie es zugespitzt formulierte, wie eine Maschine funktionieren – als Wesen mit Emotionen, das gezwungen ist, sich mittels sehr komplexer Mechanismen der Regulierung und Kontrolle in die Gesellschaft einzufügen, funktioniert er keineswegs wie eine solche. Und dass sich ein vom Baum fallender Apfel in Richtung auf den Erdmittelpunkt bewegt, ist ein Wissen von anderer Art als dasjenige, das Humes Treatise über die menschliche Natur zu liefern imstand ist. Bei aller Wertschätzung, die sie der empirischen Methode entgegenbrachten, gestanden sich die Denker der Schottischen Aufklärung ein, dass hinsichtlich des Menschen als sozialem Wesen durchaus keine Gewissheit herrschte, sondern dieser immer nur Gegenstand der Interpretation sein konnte. Sie mussten letztlich erkennen  : Naturwissenschaften und Moralphilosophie sind inkommensurabel – eben dies spiegelt sich in Humes Unterscheidung von natural subjects und moral subjects wider. Die methodische Falle, in die die Menschenwissenschaften zwangsläufig gehen mussten, war  : Die menschliche Natur – unter der der „eigentliche“ Mensch zu verstehen war, wie er in einem ursprünglichen, vor-sozialen und vor-geschichtlichen Zustand im Moment seiner Erschaffung als Intention seines Schöpfers gedacht werden sollte, also bar jeglicher zivilisatorischer Prägungen und staatlicher Strukturen, ja noch nicht einmal vergesellschaftet –, diese menschliche Natur und dieser „natürliche“ Mensch konnten nirgends unmittelbar in Augenschein genommen werden. Diesem Mangel an Anschauungsmaterial ließ sich auch mittels der Beispiele der ansatzweise ja ebenfalls bereits strukturierten Gesellschaften der „Wilden“ nicht abhelfen, die in den zeitgenössischen Reiseund Forschungsberichten beschrieben wurden. Vielmehr konnten Aussagen über die menschliche Natur immer nur durch Verfahren der Dekonstruktion und anschließenden Rekonstruktion aus der Anschauung des bereits „zivilisierten“ Menschen gewonnen werden. Damit waren sie notgedrungen selbst bereits ein Konstrukt unter dem Einfluss der kulturellen Überzeugungen und wissenschaftlichen Lehrmeinungen, in deren gesellschaftlichem Kontext sie standen.

5.2 Funktionen des Naturbegriffs

Zu allen Zeiten gingen Denker von Grundüberzeugungen aus, denen in ihrer jeweiligen Epoche eine allgemeine Verbindlichkeit zuerkannt wurde.29 So kommt ein Sachverhalt 29 Das bedeutet indes keineswegs, dass sie diesen vorgefundenen Grundüberzeugungen auch stets treu geblieben sind.

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ins Spiel, der als „Zeitgeist“ beschrieben werden kann  : „grundlegende Annahmen […], vor deren Hintergrund die Welt gedeutet wird, wobei diese Annahmen – in der Hochblüte der betreffenden Epoche – üblicherweise unhinterfragt bleiben.“30 Solche Annahmen sind stillschweigende und allgemein akzeptierte „Gewissheiten“, auf die, ohne dass sie jeweils weiter auf ihre Schlüssigkeit hin untersucht würden, die weitere Argumentation aufgebaut werden kann. Zuversicht im übrigen gründet sich auf die Überzeugung, dass diese Annahmen zutreffen. 5.2.1 Verschiebung der Wissensbasis

Diese Grundüberzeugungen fußen im Rahmen der abendländischen Kultur bis weit über die Renaissance hinaus auf der Akzeptanz von religiösen Überlieferungen und dem strikten Glauben an deren Gültigkeit, bis sich das, was als gesichert gilt, in der „Krise des europäischen Geistes“31 (Hazard) allmählich von der Religion abzulösen beginnt. Es kommt also zu einer grundlegenden Verschiebung der Wissensbasis, zu einer Transformation dessen, worauf man sich, will man die Welt verstehen, im Sinn einer allgemein verbindlichen Gewissheit beziehen kann und stützen darf. Aussagestärkstes Beispiel für eine solche Transformation der Wissensbasis ist die Verschiebung von der Überlieferung der christlichen Offenbarung hin zum geforderten Primat der Empirie, also von religiösen Dogmen hin zur Verpflichtung auf unmittelbare Anschauung, experimentelle Rekonstruktion und Überprüfbarkeit. Aus dieser Perspektive betrachtet spielt die kritische Auseinandersetzung mit der Religion im Denken der Aufklärung nicht die Rolle des Zwecks, sondern vielmehr die eines Mittels, das den Denkraum öffnet und weitet, innerhalb dessen nun überhaupt erst argumentiert werden kann. Diese Verschiebung hat weitreichende Folgen, denn Argumente und Argumentationen sind zunächst sprachliche Gebilde. Sie stützen sich auf semantische Konvention, also auf Übereinkunft im Hinblick auf die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken. Diese Übereinkunft ist jeweils kulturell geprägt. Ihre Verbindlichkeit erhalten die Bedeutungen durch den Wortgebrauch, der Quasi-Definitionen erzeugt. Erfolgt dieser Gebrauch von Wörtern und von aus Wörtern bestehenden Argumenten in neuen Zusammenhängen, kommt es gleichzeitig zu semantischen Verschiebungen. Dass dies mehr ist als eine banale Feststellung, wird deutlich, wenn man sie an einem bestimmten Begriff nachvollzieht  : Natur.

30 G.  Streminger  : Der natürliche Lauf der Dinge, S. 10 (Hervorh. HK). 31 P.  Hazard  : Die Krise des europäischen Geistes 1680–1715, S. 24. – Hazard zeichnet ein anschauliches Bild dieses Zeitgeists, der sich vom spekulativen Denken ab- und dem zuwandte, was mit den Sinnen unmittelbar erfasst werden zu können schien. Er spricht von der „Notwendigkeit, eine Philosophie aufzubauen, die auf metaphysische Träume Verzicht leistete, die uns stets nur in die Irre führen, und die statt dessen die Erscheinungsformen studierte, die unsere schwachen Hände greifen können und die für unsere Zufriedenheit ausreichen müssen.“

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Der Naturbegriff

5.2.2 Natur-Absicht

Der Rekurs auf die Natur spielt in allen neuzeitlichen (Moral-)Philosophien die zentrale Rolle als Angelpunkt der Beweisführung, besonders auch im Denken der Schottischen Aufklärung. So beginnt Adam Smith seine Theory mit einem Hinweis auf „gewisse Prinzipien“, die „in seiner [d. i. des Menschen] Natur“ lägen.32 Der Wealth of Nations führt den Naturbegriff sogar im Titel – An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations –, und bereits das Eingangskapitel befasst sich folgerichtig mit der „natürlichen Verteilung des Arbeitsertrages auf die einzelnen Bevölkerungsschichten“.33 David Hume, der der Einleitung zu seinem Treatise of Human Nature einiges an rhetorischem Aufwand zukommen lässt, kommt auf die „Natur“ zwar erst im vierten Absatz zu sprechen, doch führt auch er den Begriff bereits im Titel seines Erstlingswerks ein und stellt dann klar  : „Alle Wissenschaften haben offenbar mehr oder weniger Bezug zur menschlichen Natur.“34 Und wenn Hume im ersten Abschnitt der Principles of Morals von der „Verschiedenheit der Menschen“ spricht, so weiß er diese als eine „von der Natur geschaffene“.35 Auch Adam Ferguson beginnt, dem Gesagten zufolge wenig überraschend, seinen Essay mit Erklärungen zu den „Grundzügen der menschlichen Natur“.36 Sein Eingangssatz lautet  : „Werke der Natur [natural productions] bilden sich im allgemeinen stufenweise. […] Nicht allein das Individuum schreitet von der Kindheit zum Erwachsenenalter fort [advances from infancy to manhood], sondern auch die Gattung selbst vom Zustand der Rohheit zur Zivilisation.“37 Das ist überdies bereits die Einführung eines Naturmodells mit einer eindeutigen Entwicklungsrichtung. Aber noch mehr als das  : Fergusons Wortwahl macht die Natur zu einem handelnden Wesen, ausgestattet mit einer Absichtsfähigkeit, eben der, Werke aus sich selbst hervorzubringen. Die Zufälligkeit wird damit aus der Natur verwiesen, und die Konsequenz, um die es im Dienst der Argumentationskette geht, lautet  : Nur dort, wo es keine Zufälligkeit gibt, können Regeln und Gesetzmäßigkeiten zum beherrschenden Prinzip werden, aus denen sich sodann ableiten 32 A.  Smith  : Theorie, S. 5. 33 A.  Smith  : Wohlstand, S. 89 (Hervorh. HK). 34 D.  Hume  : Traktat, I, S. 2 f. – Es ist charakteristisch für Humes erkenntnistheoretisches Problembewusstsein, dass er in diese Feststellung die Naturwissenschaften und die Mathematik durchaus mit einbezieht, denn derjenige, der deren Gegenstände untersucht und zu verstehen versucht, ist eben wiederum der Mensch. Die Naturwissenschaften liefern also mittels menschlicher Methoden menschliche Erkenntnisse  : „Selbst Mathematik, Naturwissenschaften und natürliche Religion sind in gewissem Maße von der Lehre vom Menschen abhängig  ; auch sie sind ja doch Gegenstände menschlicher Erkenntnis  ; das auf sie bezügliche Urteil ist Sache menschlicher Kräfte und Fähigkeiten.“ 35 D.  Hume  : Moral (S.), S. 87. 36 A.  Ferguson  : Versuch, S. 95. 37 Ebd., S. 97. – OT.: ders.: Essay, pp. 1–2 (Hervorh. HK). – Es sei zur Vermeidung eines tatsächlich naheliegenden Missverständnisses allerdings darauf hingewiesen, dass Ferguson die Vergesellschaftung des Menschen als eine anthropologische Prämisse, als – eben von der Natur – „angelegt“ versteht.

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lässt, was der Mensch entsprechend diesem Willen der Natur zu tun hat. Darin liegt der normative Aspekt von Fergusons Naturbegriff. Daneben haben bei ihm Aussagen über die Natur auch eine deskriptive Funktion, die er in wertender, einordnender Absicht verwendet. Worin nämlich der „Wert“ und die Bedeutung einer menschlichen Handlung wirklich liegen, das lässt sich erst bestimmen, wenn man die Fähigkeiten kennt, die der handelnden Person „von Natur aus“ zur Verfügung stehen. Auf diese Weise entzieht Ferguson der moralischen Beurteilung einer Handlung, wenngleich in der folgenden Aussage nur implizit, die Absolutheit  : „Das besondere Genie der Völker kann ebenso wie das der Individuen […] aus dem Zustand ihrer Vermögen geschlossen werden [the state of their fortunes].“ Wenn Ferguson hier von „Vermögen“ spricht, so ist das synonym zu „als von Natur aus vorhandene Fähigkeit oder Anlage“ zu verstehen. Das Verdienst einer Handlung steht in einer Relation zu den Anlagen, die den Handelnden von Natur aus gegeben sind.38 „Natur“ hat in diesem Kontext also die Funktion einer Bezugsgröße. – Doch kehren wir zurück zum „Willen der Natur“ und zur „Naturabsicht“. Wenn der Natur von den Denkern des 18. Jahrhunderts eine Absicht zugesprochen wird, ist dies aber noch aus einem anderen Grund keineswegs eine Floskel, sondern funktional begründet. Der Verweis auf die Natur ersetzt in der Neuzeit schrittweise den Verweis auf die biblische Überlieferung. Letztere ist weder ausschließlich religiöses Dogma noch ausschließlich historische Erzählung, sondern durch die theologische Aufarbeitung im Dienst einer Kirche mit durchaus auch weltlichen Ansprüchen nicht zuletzt ein auf göttliche Absicht gegründeter normativer Kanon. Ihr kommt dadurch eine gesellschaftliche Funktion zu. Auch wenn sich die Argumentationsbegründung von der außerweltlichen Sphäre – Gott – zur innerweltlichen – Natur – verschob, so ließ sich doch auf die Bedingung einer Absicht, die hinter allem stand, nicht einfach verzichten. Nicht eine kontingente Natur, sondern nur eine solche, die Absichten verfolgte, konnte geeignet sein, einen Schöpfer, der Absichten verfolgte, als Legitimationsinstanz zu ersetzen. Die Denkfigur einer absichtsvollen Natur ist vorgegeben durch jene eines absichtsvollen Gottes und somit argumentativ zunächst unverzichtbar. Erst die künftige weitere Säkularisierung wird diesen Zusammenhang allmählich auflösen. Von Bedeutung ist, dass es sich bei dem, was über das Wesen der (menschlichen) Natur ausgesagt wird, nach den üblichen Maßstäben keineswegs um gesicherte ­Erkenntnisse im Sinn des heutigen wissenschaftlichen Sprachgebrauchs handeln konnte, sondern um Aussagen, die den Charakter von Annahmen hatten. So überrascht es denn nicht, wenn sich in den Werken der schottischen Denker Stellen finden, in denen die grund­legenden 38 Deutlicher wird das durch die Fortsetzung des Zitats  : „Und es ist richtig, daß wir uns eine allgemeine Regel zu finden bemühen, nach der wir beurteilen können, was an den Fähigkeiten der Menschen bewundernswert ist, worin die glückliche Anwendung ihrer Anlagen [fortunate in the application of their faculties] besteht, bevor wir es wagen, ein Urteil über diesen Zweig ihrer Verdienste zu fällen, oder bevor wir uns etwa herausnehmen, denjenigen Grad an Achtung zu bemessen, den sie aufgrund ihrer verschiedenen Errungenschaften beanspruchen können [pretend to measure the degree of respect they may claim by their different attainments].“  – A.  Ferguson  : Versuch, S. 129. – OT.: ders.: Essay, p. 30.

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Schwierigkeiten einer solchen auf die Natur verweisenden Argumentation deutlich zutage treten. Francis Hutcheson etwa, von dem ein prägender Einfluss auf die ihm nachfolgenden Hume, Smith und Ferguson ausging, beginnt sein System of Moral Philosophy mit dem folgenden Gedankengang, der sich in der zeitgenössischen deutschen Übersetzung so liest  : „Die Absicht der philosophischen Sittenlehre ist, die Menschen zur Ausübung derjenigen Handlungen zu leiten, die ihre größte Glückseligkeit und Vollkommenheit am sichersten befördern können  ; insoweit dies durch Wahrnehmungen und Folgerungen, die aus der Beschaffenheit der Natur hergeleitet werden [observations and conclusions discoverable from the constitution of nature], ohne Hilfe einer übernatürlichen Offenbarung geschehen kann. Diese Grundregeln, oder Vorschriften des Verhaltens [rules of conduct] werden daher als Gesetze der Natur [laws of nature] angesehen, und das System oder die Sammlung derselben wird das Gesetz der Natur [Law of Nature] genannt.“39

Hier werden explizit in einem ersten Schritt Verhaltensmaximen aus Regeln der Natur hergeleitet und diese in einem zweiten wieder zum Natur-Gesetz erklärt. Tendenziell ist diese Argumentation also zirkulär, denn zumindest in Teilen überschneidet sich ihr Ausgangspunkt mit ihrem Ergebnis. Diese wenigen hier angeführten Textstellen – lediglich dadurch sehr lose verbunden, dass sie jeweils unmittelbar am Anfang der genannten Werke stehen und in diesen somit eine grundlegende Bedeutung haben – machen dreierlei deutlich, nämlich – dass „der Natur“ in der Argumentation eine zentrale, ja eine Schlüsselfunktion zu­ kommt,40 – dass von verschiedenen Bedeutungen von Natur die Rede ist – und dass Gewissheit darüber, was unter Natur zu verstehen ist, stillschweigend vorausgesetzt wird. Offenkundig wird der Naturbegriff in diesen Schriften also nicht nur in einem unterschiedlichen Verständnis gebraucht, sondern es werden ihm auch unterschiedliche Funktionen zugewiesen. So steht Deskription neben Normativität, und beides ist nicht zu trennen.41 Auch das zeigen die angeführten Textstellen. Dies kann für ein und denselben Autor gelten und ist gelegentlich sogar innerhalb ein und desselben Werkes festzustellen. 39 [F.  Hutcheson  :] Franz Hutchesons […] Sittenlehre der Vernunft, S. 41 (Schreibweise aktualisiert, Hervorh. übern.). – OT.: F. Hutcheson  : A System of Moral Philosophy, I, p. 1. 40 Um zu verdeutlichen, was unter „zentraler Funktion“ des Naturbegriffs zu verstehen sein könnte  : Smith verwendet, wie eine Analyse der digitalisierten Fassungen der Texte zeigt, in der Theory die Begriffe nature bzw. natural annähernd siebenhundert Mal, Hume im Treatise etwa achthundert Mal. 41 A.  Ferguson  : Gründe der Moral und Politik, S. 3, macht dieses aller Betrachtung zugrunde liegende Nebeneinander von Deskription und Normativität hier gleich in den Eingangssätzen sehr deutlich  : „Die meisten

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Ferguson etwa legt im einen Fall einen in der Natur beobachteten Sachverhalt einfach dar  : “Human Nature is Animal and Intellectual”.42 Er trifft damit die bloße Feststellung, dass der Mensch ein Lebewesen ist, wie es die Tiere auch sind. Bei der Erforschung dieses Wesens Mensch, auch dessen ist sich Ferguson bewusst, habe man vom „wirklichen Zustand“ auszugehen, eben davon, was sich unmittelbar darbietet  : „Da die Betrachtung der menschlichen Natur entweder auf den wirklichen Zustand [actual state] oder auf die Erweiterungs-Fähigkeit [improveable capacity] des Menschen gerichtet seyn kann  ; so ist es einleuchtend, daß, bey der engen Verbindung jener Untersuchungen, wir in dem, was sich auf die letztere bezieht, auf nichts anderes fußen können, als auf den Grund, den uns die erstere aufstellt.“43 Jedoch stellt Ferguson an anderer Stelle mit Blick auf die natürlichen Anlagen des Menschen auch fest  : „Diß sind, vergleichsweise, die scheinbaren Mängel [the apparent comparative defects] in dem ursprünglichen Loose, und der natürlichen Beschaffenheit des Menschen. Aber die Natur hat den bessern Theil ihrer Werke nicht ohne Ersatz [without compensation] gelassen.“44 Die Natur habe also gehandelt, wie ein Mensch dies tut.45 Dies aber ist eine Aussage, die über das, was ist und beobachtet werden kann, hinausgeht und die Natur zu einem Akteur macht, der Absichten verfolgt. Der Natur wird hier ein Wollen unterstellt  ; in ihr komme zum Ausdruck, was sein soll.46 Dinge der Natur lassen sich aus zwey verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, je nachdem man sein Augenmerk entweder auf ihren wirklichen Zustand, oder auf die Vollkommenheiten und Mängel richtet, deren sie in ihrer Art fähig sind. / Aus dem ersten Gesichtspunkte betrachtet, sind sie Gegenstände der bloßen Beschreibung [‘subjects of mere description’], oder der Aufstellung von Thatsachen  ; aus dem zweyten, sind sie Gegenstände der Werthschätzung oder der Verachtung, des Lobes oder des Tadels [‘objects of estimation or contempt, of praise or censure’].“ – OT.: ders.: Principles, I, p. 1. 42 A.  Ferguson  : Analysis of Pneumatics and Moral Philosophy, p. 7. 43 A.  Ferguson  : Gründe der Moral und Politik, S. 11. – OT.: ders.: Principles, I, p. 5. 44 A.  Ferguson  : Gründe der Moral und Politik, S. 94 f. – OT.: ders.: Principles, I, p. 52  : “Such are the apparent comparative defects in the original lot and description of man  : But nature has not left this superior part of her works without compensation.” 45 A.  Ferguson  : Gründe der Moral und Politik, S. 95 f.: „Dem Menschen hingegen sind, als eine reichliche Schadloshaltung für jede andere Gunst, die Fähigkeiten der Beobachtung und der Wahl zu Theil geworden  ; und die unmittelbare Befriedigung seiner Bedürfnisse wird ihm, nicht aus Kargheit in der Haushaltung der Natur, oder aus einem Mangel an Hülfs=Quellen, vorenthalten  ; sondern eine solche Entbehrung ist dem Loose eines Wesens angemessen, das darzu geschaffen ist[,] für sich selbst zu sorgen, das bestimmt ist, der Schöpfer seines Glücks zu seyn, seine Fähigkeiten anzubauen [‘destined to be the artificer of his own fortune, to cultivate his own faculties’], und das, wenn es schon auf einer höheren Stufe, als irgend eines der übrigen Thiere, steht, doch den ersten Unterricht im Gebrauche des Verstandes dadurch erhalten soll, das es den vergleichungs=weisen Bedürfnissen und Mängeln seiner thierischen Natur abzuhelfen hat.“ – OT.: ders.: Principles, I, p. 52. 46 Ferguson ist damit keineswegs eine Ausnahme. Bezeichnend für diesen Sachverhalt ist etwa eine Formulierung, wie Smith sie in der Theory – ders.: Theorie, S. 10 – gebraucht  : „Die Natur selbst lehrt uns, wie es scheint, daß wir diesem Affekt weniger gern unsere Zustimmung geben sollen […].“ (Hervorh. HK) – Worum es Smith inhaltlich geht, soll hier keine Rolle spielen. Wichtig ist nur der Hinweis, dass hier von einer Natur die Rede ist, die den Menschen aktiv und gewissermaßen „willentlich“ beeinflusst.

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5.2.3 Folgerungen  : Vieldeutigkeiten und Unschärfen

Dieses Nebeneinander von Deskription des in der Natur Vorgefundenen und des Verweises auf eine Naturabsicht bei den schottischen Aufklärern ist allerdings nur ein Beispiel, und es illustriert  : „Der Begriff ‚Natur‘ gehört zu den […] vieldeutigsten Begriffsbildungen der Geistesgeschichte.“47 Und  : „Die Vielfalt der Natur macht es möglich, für nahezu jede beliebige philosophische Theorie ein ‚natürliches‘ Vorbild zu finden – und ebenso für jeden Ansatz zu ihrer Widerlegung.“48 Der Naturbegriff wird damit zu einer „Leerformel“49  ; zumindest steht er in der Gefahr, eine solche zu werden, solange sich für ihn kein von allen in gleicher Weise als verbindlich akzeptiertes Verständnis formulieren lässt. Ein solches gemeinsames Verständnis aber gab es nie, in der Aufklärung vielleicht am allerwenigsten – wozu wäre es sonst auch nötig gewesen, sich ständig auf die „wahre“ Natur zu berufen  ?50 So ist in der Vieldeutigkeit des Naturbegriffs sowohl sein Mangel begründet – aber auch seine argumentative Brauchbarkeit. Die schottischen Denker nutzen den Facettenreichtum des Naturbegriffs als Fundament  ; sie bedienen sich – ein nicht aufzulösendes Paradoxon – gerade seiner Vieldeutigkeit, um Klarheit in ihren eigenen Aussagen zu schaffen. Will man ihren Darlegungen folgen, sieht man sich vor die Aufgabe gestellt, sich mit dem Naturbegriff und dem semantischen Feld auseinanderzusetzen, dem er angehört, denn er nimmt in den Werken von Hume ebenso wie in denen von Smith und Ferguson eine herausgehobene Stellung ein  : eben die des Ausgangs- und eines Fixpunktes. Das Denken der Aufklärung gebraucht den Begriff der Natur andererseits aber auch mit einer gewissen rhetorischen Beiläufigkeit. Dennoch steht er ebenso wie der der Vernunft, die als Etikett fungiert, im Zentrum. Es lässt sich kein Autor dieser Epoche finden, der sich nicht grundlegend mit dem, was Natur für den Menschen bedeutet, auseinandergesetzt und diese in seine Argumentation einbezogen hätte. Allerdings herrscht bei den Ergebnissen dieser Auseinandersetzung keineswegs Gleichklang. Was Natur wolle, welche Macht und welche Verbindlichkeit sie habe, ob der Mensch ihr gegenüber stehe oder Teil von ihr sei, all dies legte feine, aber eindeutige Unterscheidungslinien zwischen Werke, die andererseits hinsichtlich ihrer Hauptzielrichtung oftmals nur wenig zu trennen scheint. So ist „Natur“ einerseits ein verbindendes Element zwischen den Denkrichtungen des 18. Jahrhunderts, ein Zeitgeistthema gewissermaßen. Doch sie konnte auch zu einem markanten Unterscheidungskriterium zwischen auf den ersten Blick ähnlichen Positionen werden. Weder der Naturbegriff selbst noch das grundlegende Interesse an ihm und die intensive Bezugnahme auf ihn begegnen einem im Denken des 18. Jahrhunderts als etwas 47 48 49 50

H.  Schipperges  : Natur, S.  215. C.  Michels  : Idealstaat ohne Volk, S. 101. P.  Kondylis  : Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 24. Ebd., S. 24 f.

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Neues. Im Gegenteil, Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr, das ist, soweit Überlieferungen zurückreichen, ein Menschheitsthema und somit auch eines aller Philosophie und aller Religion. In der Offenbarung der abrahamitischen Religionen erschafft Gott eine Natur-Welt, der er den Menschen gegenüberstellt. Dass etwa der Mensch nach dem Sündenfall auf Gottes Geheiß hin seine Stellung in der Natur und dieser gegenüber ändern muss, ist nicht einfach Teil der Erzählung, sondern die fundamentale Festschreibung einer Konstellation und eine Determinierung – für beide Seiten, den Menschen und die Natur. Dabei ist die Sicht des Alten Testaments auf diese Beziehung weder die einzig denkbare noch die einzig bekannte. Es besteht eine große Spannweite zwischen einer dem Menschen untertanen Natur einerseits und einer übermächtigen, der sich die Menschheit fast ohnmächtig ausgeliefert sieht, andererseits. An einer vielbeachteten Stelle im Dritten Buch seines Treatise bemerkt auch Hume, es gebe „kein unbestimmteres und vieldeutigeres Wort“ als „Natur“.51 Mehr als das englische Original erhellt hier die deutsche Übersetzung den tatsächlichen Sachverhalt, denn „viel-deutig“ – vielerlei bedeutend – ist dieses Wort Natur gerade deshalb, weil es eben „un-bestimmt“, da so schwer zu bestimmen, ist. Genau davon, wie der Naturbegriff jeweils verstanden wird, hängt es ab, was durch seine Verwendung nahegelegt oder begründet werden kann, und so legt die Ausgangsüberzeugung, die ein Verfasser von der Natur hat, bereits fest, was zu begründen ihm möglich sein wird. Das Mensch-NaturVerhältnis eröffnet einen weiten Raum für Interpretationen, und das keineswegs nur im theologischen Kontext, sondern gerade auch dort, wo dieser theologische Kontext bereits verblasst ist und „die Natur […] die Funktion der fundamentalen und universellen säkularen Legitimationsinstanz“52 übernimmt. Wie lässt sich dieser Befund, die Natur fungiere im Denken der Neuzeit als fundamentale und universelle Legitimationsinstanz, veranschaulichen  ? Und was überhaupt ist eine solche Legitimationsinstanz, wozu dient und wie „funktioniert“ sie  ? Die Denkmuster der Aufklärung geben die erhofften Antworten auf diese Fragen nicht aus sich selbst heraus, sondern mittels des Verweises auf das ihnen Vorangegangene. Die Positionen der Aufklärung erwuchsen aus der argumentierenden Kritik dieses Vorangegangenen  ; sie lassen sich ja keineswegs denken als voraussetzungslose Aktivität der Vernunft, auch wenn diese so 51 D.  Hume  : Traktat, II, S. 216  ; bzw. ders.: Treatise, 3.1.2|7, wo Hume die Wörter „ambiguous and equivocal“ wählt. (Hervorh. HK). – Diese Einschätzung wird sich später bei Ferguson in ähnlicher Weise wiederfinden, wenn er in seinem Essay deutlich zu erkennen gibt, dass er den Verweis auf das Natürliche für eine zwiespältige und mitunter schwache Argumentationsgrundlage hält. Für ihn hat der Begriff „natürlich“ keine differenzierende Funktion  : „Von allen Ausdrücken, die wir bei der Untersuchung menschlicher Angelegenheiten verwenden, sind die Worte natürlich und unnatürlich am wenigsten in ihrer Bedeutung festgelegt [natural and unnatural are the least determinate in their meaning]. [… W]enn [das Wort] zur Spezifizierung einer besonderen menschlichen Verhaltensweise angewandt wird, die angeblich aus der Natur des Menschen hervorgeht, kann es zu keiner Unterscheidung dienen  : Denn alle Handlungen der Menschen sind gleichermaßen das Ergebnis ihrer Natur.“ (A. Ferguson  : Versuch, S. 107 f., Hervorh. übern.) 52 D.  Lüddecke  : Erstlingswerk, S.  168.

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sehr zu einem Leitbegriff der Epoche geworden war. Diese Feststellung ist kein Gemeinplatz, denn sie zieht die wichtige Frage nach eben diesem der Aufklärung Vorangegangenen nach sich. Auf die gibt es allerdings viele Antworten. Eine dieser Antworten ist die von Hazard, der sich des Mittels der Überzeichnung bedient, um Anschaulichkeit zu erzeugen  : „Welch unvermittelter Übergang  ! Hierarchie, Disziplin, eine von der Autorität gesicherte Ordnung, Dogmen, die das Leben mit fester Hand regeln, das liebten die Menschen des 17. Jahrhunderts. Zwang, Autorität, Dogmen, das hassen die Menschen des 18. Jahrhunderts, ihre unmittelbaren Nachfolger. Die ersteren sind christlich, die letzteren antichristlich  ; die ersteren glauben an das göttliche Recht, die anderen an das Naturrecht  ; die einen fühlen sich wohl in einer Gesellschaft, die in höchst ungleiche Klassen aufgespalten ist, die anderen träumen von nichts als Gleichheit.“53

Hazard spricht von einer Dynamik, die sich aus Gegensätzen speist. Auch wenn diese Dichotomien selten einmal so konturiert hervortraten wie etwa in der Position der Kirche im Prozess gegen Galilei und die Implikationen von dessen wissenschaftlichen Erkenntnissen einerseits54 oder im radikalen Materialismus eines La Mettrie55 andererseits, und obwohl sie immer wieder aufs Neue reflektiert und interpretiert werden, ist diese im weiteren Sinn „dialektische“ Perspektive heute geschichtlicher und ideengeschichtlicher Commonsense. Und zwischen diesen Gegensätzen einer Welt, die von Religion und theologisch legitimierter Macht beherrscht war, und einer zumindest dem Programm nach durch Empirie und Vernunft bestimmten, liegt eine kurze Epoche, die namenlos geblieben zu sein scheint und von der Hazard lediglich als von der „Krise des europäischen Geistes“ spricht.56

5.3 Der Naturbegriff aus dem Blickwinkel wissenschaftstheoretischer Ansätze

Diese Krise wird von Hazard auf den Zeitraum zwischen 1680 und 1715 datiert  ; darin entsteht das Denken der eigentlichen Aufklärung im Sinn eines Programms. Die wissenschaftstheoretische Vorbereitung allerdings reicht weiter zurück, ins frühe 17. Jahrhundert, und ein englischer Denker verleiht wie kein anderer der methodischen Neuorientierung Ausdruck  : Francis Bacon. Er fordert die Hinwendung zu induktivem Vorgehen und zu einer Wissenschaft, die auf die Anwendung ihrer Erkenntnisse auszurichten sei.57 53 P.  Hazard  : Die Krise des europäischen Geistes 1680–1715, S. 21. 54 Ausführlich und zusammenfassend dokumentiert bei A. Fölsing  : Galileo Galilei – Prozeß ohne Ende. 55 J.  O.  de  La  Mettrie  : Die Maschine Mensch. 56 Es soll nicht darüber hinweggegangen werden, dass dieses Werk Hazards zwar einerseits als „Klassiker“ gelten kann, andererseits aber selbst aus einer zurückliegenden Epoche datiert. Wenn hier darauf Bezug genommen wird, so deshalb, weil seine Anschaulichkeit beispielhaft ist und darin die Szene bis weit an ihre Ränder hin hell ausgeleuchtet wird. 57 Bacons Bedeutung als Wissenschaftstheoretiker wird heute als eher gering und wenig originell eingeschätzt

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In dieser Zeit entwickelt sich allerdings nicht nur ein neuer methodischer und wissenschaftstheoretischer Rahmen, sondern es festigen sich auch bestimmte charakteristische Vorannahmen der Aufklärungsphilosophie, die man als absolute presuppositions verstehen kann – gemäß der von Robin Collingwood im Rahmen seiner Untersuchungen zur Sprachlogik geprägten Terminologie. Darunter lassen sich die Grundvoraussetzungen verstehen, die „jede Art von Wissenschaftsprozess macht, um selbst als Prozess zu funktionieren“.58 Zudem entstehen während dieser Krise, von der Hazard spricht, jene die Aufklärung umgreifenden Konstellationen, wie sie der Mikrobiologe und Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck einst mit den Begriffen „Denkkollektiv“ und „Denkstil“ bezeichnet hat.59 Ein solcher Denkstil zeichnet sich dadurch aus, dass er Wissenschaftler unter einem Dach gemeinsamer Gewissheiten vereint. Beide Ansätze, der Collingwoods und der Flecks, untersuchen Wissenschaft gewissermaßen strukturell und mit Blick auf die in ihr wirkenden Mechanismen  ; da beide Autoren nicht ausdrücklich auf die Aufklärung eingehen, formulieren sie zwar keinen expliziten Befund über das Verhältnis der Aufklärung zu ihrer eigenen Vorgeschichte. Die Schriften beider treffen aber wichtige Aussagen darüber, was überhaupt einen wissenschaftlichen Zeitgeist ausmacht, wie dieser sich herausbildet und welche Bedeutung ihm für die thematische und argumentative Dynamik einer Epoche zukommt. Dies macht sie, auch wenn es zu ihren Erklärungsansätzen sicher zahlreiche Alternativen geben mag, im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hilfreich. Doch es sind nicht nur wissenschaftstheoretische Überlegungen, die deutlich machen, welche Bedeutung dem Naturbegriff im Denken und in der Argumentation der Aufklärung zukommt. Auch im Wandel von Naturmodellen, den Rolf Peter Sieferle untersucht hat, spiegelt sich der Übergang im Denken dieser Epoche. Darauf wird in diesem Abschnitt ebenfalls eingegangen. Zunächst jedoch stellt sich die Frage nach den Ursprüngen des wissenschaftstheoretischen Programms, an dem sich insbesondere die Protagonisten der Schottischen Aufklärung orientiert haben. Dabei fällt der Blick auf Francis Bacon, dessen Novum Organum bei allen Defiziten an praktischer Umsetzbarkeit doch wie kein anderes Werk in methodischer Hinsicht zum Orientierungspunkt der ganzen Epoche geworden war. Jedoch kann es nicht um die Frage gehen, ob der von ihm propagierte Ansatz heutigen Kriterien von Wissenschaftlichkeit standhalten würde  ; entscheidend ist vielmehr, dass dieser Ansatz zu seiner Zeit als ein äußerst starker Impuls wirkte. (siehe hierzu W. Krohn  : Einleitung), doch sollte dieses Urteil nicht darüber hinwegtäuschen, dass er als Impulsgeber für eine methodische Neuausrichtung der Wissenschaft und für deren neue Schwerpunktsetzung außerordentlich einflussreich war. Er mag nicht der theoretische Wegbereiter der neuen Zeit gewesen sein, ihr großer Apologet war er allemal, und die Anerkennung seiner Schriften, gerade auch durch die schottischen Denker, belegt dies. 58 H.  Walach  : Psychologie, S. 40. 59 L.  Fleck  : Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 38, und ders.: Das Problem einer Theorie des Erkennens, S. 87.

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5.3.1 Natur als Quelle der Erkenntnis und als nützliches Gegenüber  : Bacons Weichenstellung

Zugewiesen wird der Natur im Denken der Aufklärung nicht allein die Funktion als „vorbildliches Modell einer Selbstorganisationskapazität, das sich auf die Gesellschaft übertragen lässt.“60 Die Natur ist weit mehr als nur eine Referenz, auf die fast stereotyp Bezug genommen wird. Wofür sie jedoch positiv gesetzt steht, ist von vorn herein nicht genau auszumachen. Bereits Bacon nämlich, der Wegbereiter – wenngleich nicht eigentlich Theoretiker – des Umschwungs von wissenschaftlicher Methodik und Anspruch im frühen 17. Jahrhundert61 und aus der Sicht des 20. Jahrhunderts der Anstifter aufklärerischen Naturbeherrschungsdenkens62, schreibt 1620 in seinem Novum Organum („Neues Organon“) zweierlei  : „Ein großer Unterschied liegt zwischen den Idolen des menschlichen Geistes und den Ideen des göttlichen Geistes, d. h. zwischen gewissen leeren Bestimmungen und den wahren Kennzeichen und Merkmalen, wie sie an den Schöpfungswerken in der Natur aufgefunden werden.“63 Und  : „[E]rstrebt nun jemand, die Macht und die Herrschaft des Menschengeschlechtes selbst über die Gesamtheit der Natur zu erneuern und zu erweitern, so ist zweifellos diese Art von Ehrgeiz, wenn man ihn so nennen kann, gesünder und edler als die übrigen Arten.“64 Im ersten Fall geht es Bacon um die Natur als Erkenntnisquelle, also um eine erkenntnistheoretische Überlegung, im zweiten rückt er die Natur als das dem Menschen nützliche Gegenüber in den Blick. Das Buch erweckt eher den Eindruck einer Methodenkritik als den einer Methodenlehre im eigentlichen Sinn, wenngleich es nachdrücklich die Abkehr von der auf Syllogismen gestützten aristotelischen Vorgehensweise und die Hinwendung zur Induktion empfiehlt.65 Insbesondere bei den französischen Aufklärern im Kreis der Enzyklopädisten fiel dieser Vorschlag einer Neuorientierung auf fruchtbaren Boden, doch in gleicher Weise sahen die schottischen Denker ihn als wegweisend an.66 Genau genommen steht bei Bacon der Anspruch einer Umwälzung der wissenschaftlichen Verfahrensweise in Form einer Synthese von rationalem und empirischem Vorgehen im Mittelpunkt, wobei, rückschauend beurteilt, die eigentliche Bedeutung des Werkes eher eine politische 60 D.  Lüddecke  : Erstlingswerk, S.  168. 61 J.  B.  Bury  : The Idea of Progress, p. 50, schreibt über ihn  : “Among the great precursors of a new order of thought Francis Bacon occupies a unique position”. 62 So heißt es bei M. Horkheimer / T. W. Adorno  : Dialektik der Aufklärung, S. 10  : Bacon habe „die Gesinnung der Wissenschaft, die auf ihn folgte, gut getroffen. […] Das Wissen, das Macht ist, kennt keine Schranken, weder in der Versklavung der Kreatur noch in der Willfährigkeit gegen die Herren der Welt.“ 63 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 23, S. 91 (Hervorh. übern.). 64 Ebd., Aphorismus 129, S. 271. 65 Grundlegend zu Bacons Wissenschaftsverständnis  : R.  Nast  : Wissenschaft und Literatur im England der Frühen Neuzeit, S. 25–34. 66 Zur Bedeutung des Werks schreibt W. Krohn  : Einleitung, S. X  : „Wenn man auf irgendein einzelnes Werk weisen wollte, das zum Symbol des Aufbruchs in die Neuzeit geworden ist und in dieser säkularen Funktion die Schriften des Aristoteles ablöste – man hätte kaum eine andere Wahl als das ‚Novum Organum‘.“

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als eine wissenschaftstheoretische ist. Somit gibt es zwei Zielrichtungen, und in beiden spielt die Natur die zentrale Rolle. Zum einen wendet sich Bacon gegen einen spekulativen Rationalismus, der etwas behaupte, das sich in der Anschauung der Natur gar nicht unmittelbar offenbare. Seine antirationalistische Vorgehensweise bedient sich der Natur als eines Erkenntniskriteriums  : Was in der Natur nicht „aufgefunden“ werden könne, dessen Existenz sei zweifelhaft. Die unmittelbare Anschauung sei der Spekulation vorzuziehen, die „Interpretation der Natur“ stehe über der „Antizipation der Natur“.67 Diese Erkundung der Natur-Gesetze ist zudem als treibende Kraft eines Prozesses gedacht  : „Die Natur […] läßt sich nur durch Gehorsam bändigen  ; was bei der Betrachtung als Ursache erfaßt ist, dient bei der Ausführung als Regel.“68 Das ist die methodische Grundausrichtung Bacons. Sie zielt darauf ab, in einem ersten Schritt durch Beobachtung die Gesetzmäßigkeiten der Natur zu erkennen, um eben diese Gesetzmäßigkeiten in einem zweiten in Form von Regeln anzuwenden. Es geht also weniger um den wissenschaftlichen Beweis als vielmehr um den Wissenszuwachs, eben um den Prozess der Wissensmehrung  : „Allein mein Weg und meine Methode […] besteht darin, nicht Werke aus Werken oder Experimente aus Experimenten, wie die Empiriker, abzuleiten, sondern aus den Werken und Experimenten die Ursachen und Grundsätze, und aus diesen beiden wieder neue Werke und Experimente – wie ein rechter Dolmetscher der Natur – zu entnehmen.“69 Der Anspruch ist demzufolge zum einen ein handlungsleitender – wie ist zu handeln  ? –, zum andern ein prognostischer – welches Ergebnis wird die Folge des Handelns sein  ? Er ist offensichtlich nicht auf Erkenntnis um ihrer selbst willen gerichtet, sondern auf ein Ziel, auf etwas Vorhersehbares, der bloßen Kontingenz Enthobenes. Aber obgleich Bacon die Natur wie selbstverständlich ins Zentrum seiner Überlegungen stellt, lässt auch er offen, was genau er unter dem Begriff versteht. Er setzt ihn als Teil des Commonsense voraus und erklärt ihn deshalb nicht, sondern thematisiert lediglich, wie mit der Natur umzugehen sei. Dieses Interesse ist ein praktisches und gegen metaphysische Spekulation gerichtetes, und es gilt einer Wissenschaft – das ist  : Natur-Wissenschaft – im Dienst des Menschen.70 In diesem Kontext ist die Natur nicht der Ausgangspunkt einer Argumentation, sondern die Grundlage von Erkenntnis. Es geht um die Abkehr von den Vermutungen und um die Hinwendung zur Erkenntnis durch Anschauung. Erst nachdem die Natur sich den Sinnen offenbart habe, dürfe der Verstand, die ordnende Vernunft, zum Einsatz kommen. Dieses Argumentationsmuster gab es in der Philosophie nicht erst seit

67 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 26, S. 93. 68 Ebd., Aphorismus 3, S. 81. 69 Ebd., Aphorismus 117, S. 243 70 Ebd., Aphorismus 85, S. 187  : „Dagegen haben die Hüter der natürlichen Magie, die alles durch die Sympathie und Antipathie erklären, in müßigen und grundlosen Vermutungen den Dingen Kräfte und wundersame Wirkweisen angedichtet  ; und wenn sie etwas zustande gebracht hatten, war es von der Art, daß es mehr Staunen und Neugierde erweckte, als dem Nutzen und Gebrauch zu dienen.“

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Bacon, jedoch hat es durch ihn erheblich an Popularität gewonnen  ; all die Denker, die im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen, berufen sich ausdrücklich auf ihn.71 Aber die Ausrichtung auf das praktische Ziel dieser Methode – die Beherrschung der Natur, die Horkheimer/Adorno als Motiv so vehement in den Vordergrund rücken und auf Aspekte der Naturausbeutung und -unterdrückung einengen72 – formuliert Bacon selbst durchaus zurückhaltend. Ein totaler Herrschaftsanspruch über die Natur wird ihm eher in den Mund gelegt, als dass er ihn in solch kompromissloser Form tatsächlich vertreten hätte. Was diesen frühneuzeitlichen Wissenschaftstheoretiker vor allem beschäftigt, ist der methodische Weg, der zu beschreiten ist, um „eine Erleichterung und Verbesserung der Lage der Menschen“73 zu erreichen. Das allerdings setzt nun einen wirklichen Anspruch an die Natur voraus, denn andernfalls behielte diese ihre Weisheit für sich  : „[D]enn die Natur der Dinge offenbart sich mehr, wenn sie von der Kunst [hier zu verstehen im Sinn von „Wissenschaft“] bedrängt wird, als wenn sie sich selbst frei überlassen bleibt.“74 Es geht vornehmlich um ein Aufhelfen der Menschheit, um Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten der Natur zum Nutzen aller, nicht um eine gewaltvolle Naturbeherrschung als Programm.

71 Der Einfluss auf die Schottische Aufklärung lässt sich nachverfolgen  : Hutcheson zählt Bacon in seiner Dissertation on the Origin of Philosophy and Its Principal Founders and Exponents, p. 8, zu denen, die „einen neuen Weg aufgezeigt oder eingeschlagen“ hätten. – Hume erwähnt Bacon im Treatise, p. 5, und im Abstract, p. 407, in den Essays (M.), pp. 55, 83, 91, 209 und 265, in Understanding, p. 98, in Morals, p. 37, in der Natural History of Religion, p. 52, und in den Dialogues concerning Natural Religion, p. 19. – Smith besaß eine vierbändige Ausgabe der Werke Bacons, auf die er auch Bezug nimmt  ; siehe H. Mizuta  : Adam Smith’s Library, p. 18. Zu Bacons Bedeutung für Smith siehe auch D. Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith, pp. 5, 58, 59 und 74. – Ferguson verweist auf Bacon in seinen Principles, I, pp. 136 und 282, sowie in seinen Manuskripten (The Manuscripts of Adam Ferguson), pp. 110 und 282. – Lord Kames erwähnt Bacon in seinen Elements of Criticism, vol. 2, p. 742 (Fn.) und in den Sketches of the History of Man, book 3, pp. 623, 628 und 638  ; Kames setzt sich in den Sketches ausführlicher als jeder andere Denker der Schottischen Aufklärung mit der von Bacon vorgeschlagenen Methode auseinander (pp. 692–694) und er fasst zusammen, was seine Epoche Bacon zu verdanken glaubte  : „Nachdem die Menschen fast zweitausend Jahre lang mit Hilfe von Syllogismen an der Suche nach der Wahrheit gearbeitet hatten, schlug Lord Bacon die Induktionsmethode als wirksameren Antrieb für diesen Zweck vor. Sein Novum Organum gab den Gedanken und Arbeiten des Neugierigen eine neue Wendung, und es war beachtenswerter und nützlicher als das, was das Organum von Aristoteles zuvor geleistet hatte, und es kann als eine zweite großartige Epoche im Fortschritt der menschlichen Vernunft betrachtet werden. […] Lord Bacon hat nicht weniger Genialität gezeigt, als er diese Methode des Denkens auf Regeln reduzierte, als Aristoteles es mit der Methode des Syllogismus tat. Sein Novum Organum sollte daher als wichtigste Ergänzung der alten Logik angesehen werden. [… Die] Kunst der philosophischen Einführung wurde von Lord Bacon sehr ausführlich beschrieben, bevor die Welt irgendein akzeptables Beispiel dafür gesehen hatte. “ Ebd., pp. 692–693 (e. Ü., Hervorh. übern.). 72 M.  Horkheimer  / T.  W. Adorno  : Dialektik der Aufklärung, S. 10  : „[…] der Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Natur gebieten.“ 73 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 73, S. 157. 74 Ebd., „Die Einteilung des Werkes“, S. 57. – „Kunst“, so darf angenommen werden, verwendet Bacon hier synonym zu „menschliche Tätigkeit, die in die Natur eingreift“  ; ebd. S. 56.

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Die Frage kann gestellt werden, worauf Bacon selbst das Hauptgewicht seiner Argumentation gelegt habe  : Muss er als der Apologet einer neuzeitlichen Naturunterwerfung und letztlich Naturausbeutung angesehen werden oder galt sein Bestreben vor allem einer Neuorientierung in den Methoden des menschlichen Wissenserwerbs  ? Beide Elemente stehen in seinem Novum Organum eng beieinander, doch es ist nicht ersichtlich, weshalb zwischen beiden eine Entscheidung gefällt werden sollte. Letztlich sind sie gleichberechtigt. Das Urteil jedenfalls, das Horkheimer/Adorno in ihrer Dialektik der Aufklärung fällen, übergeht geradezu den wissenschaftstheoretischen Aspekt von Bacons Ansatz. Dabei bestimmt dessen Kritik an einer methodischen Erstarrung der peripatetischen Metaphysik der Zeit die Argumentation über weite Strecken. Man kann darin ein Plädoyer von bis dahin ungekannter Intensität für Vorurteilsfreiheit in der Wissenschaft erkennen, dessen emanzipatorischer Impetus auf Hume einen ganz offensichtlichen Einfluss ausgeübt hat. Die in der Vorrede zum Novum Organum zu lesende Aussage, dass die von den Griechen überkommene Weisheit „der Kinderstube der Wissenschaft“ angehöre und zum „Reden […] recht bereit, aber zum Schaffen untauglich und noch nicht reif“ sei, mag dabei noch als polemische Rhetorik abgetan werden  ; was Bacon dem jedoch folgen lässt, ist fraglos ernst gemeinte Methodenkritik. Deren Tenor ist  : Man baue auf Überliefertem auf, das man gläubig von den alten Autoritäten übernehme, anstatt sich an das zu halten, was sich mit den eigenen Sinnen wahrnehmen lasse. Bacon gehört damit zu den Denkern, die sich mit dem Ursprung dessen befassen, was als gewiss und verbürgt angesehen wird,75 und sich programmatisch gegen den Strom überkommener Lehrmeinungen stellen. Es scheint übertrieben, hier von einer „Lehre“ oder einer Theorie zu sprechen  ;76 vielmehr handelt es sich um ein In-Frage-Stellen überkommener Gewissheiten und Vorgehensweisen. Es ist leicht nachvollziehbar, dass Hume eine solche Denkhaltung ein Jahrhundert später wie ein Lichtblick erscheinen musste. Bacon fordert einen radikalen methodischen Neuanfang für die Wissenschaften, und dieser ist für ihn mit Skepsis gegenüber der Philosophie seiner Zeit verbunden – und mit radikaler Diktion. Seine Kritik ist fundamental und es deshalb wert, hier kurz skizziert zu werden. Er prangert die fragwürdigen „Trugbilder und falschen Begriffe [idols and false notions]“77 an, die

75 Es sind dies Überlegungen, die später etwa bei Ludwik Fleck und Robin Collingwood wiederkehren werden. Siehe die Abschnitte 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen Vorausgesetzte“) sowie 5.3.2.2 („‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft“). 76 N.  Schneider  : Grundriss Geschichte der Metaphysik, S. 127, spricht von „Bacons Idolenlehre“. 77 So die Wortwahl von N. Schneider  : Grundriss Geschichte der Metaphysik, S. 128 ff. – J. H. v. Kirchmann übersetzt in seiner Ausgabe von Franz Baco’s Neues Organon, S. 93, idols mit „Trugbilder“. – Zwischen einem Götzenbild und einem Trugbild besteht allerdings ein Bedeutungsunterschied  ; während Kirchmann also den Aspekt der kritiklosen Anbetung in den Vordergrund stellt, betont Schneider den Gesichtspunkt der Täuschung. Bacon selbst dürfte beides im Auge gehabt, aber nicht ausdrücklich auseinandergehalten haben  : sowohl die ungeprüfte Übernahme überkommener Lehrmeinungen als auch den Umstand, dass die zeitgenössische Philosophie damit Täuschungen erliege.

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dem Erkennen der Wahrheit im Weg stünden und den Verstand der Menschen gefangen hielten  :78 – Die ersten, die „Götzenbilder des Stammes [idols of the tribe]“ verleiteten dazu, die Welt aus einer verengten Perspektive der menschlichen Gattung zu sehen und zu erklären (Kritik am Anthropozentrismus). – Die „Götzenbilder der Höhle [idols of the den]“, in Anspielung auf Platons Höhlengleichnis, sodann seien Ausdruck individueller Prägungen und Perspektiven, die eine individuelle und keineswegs objektive Sicht auf die Dinge erzeugten (Kritik an der Ichbezogenheit). – Die „Götzenbilder des Marktes [idols of the market]“, die am schwersten zu fassende Gruppe,79 beruhten auf einem unreflektierten Umgang mit der Sprache und auf einer demzufolge unscharfen Begrifflichkeit. – Einer Art von Grundsatzkritik unterzieht Bacon schließlich die Werke einer spekulativen Metaphysik, die er die „Götzenbilder des Theaters [idols of the theatre]“ nennt und geradezu als Dichtungen abtut, wenn er schreibt  : „[D]enn so viele Philosophien angenommen oder erfunden worden sind, so viele Fabeln sind nach meiner Auffassung damit geschaffen und für wahr unterstellt worden, welche die Welt als unwirklich und erdichtet haben erscheinen lassen.“80 Das ist nichts weniger als ein Bruch mit der Tradition einer Metaphysik, die auf einem spekulativen Rationalismus beruht, und was Bacon nun sagt, ist  : „[D]ie gegenwärtigen Wissenschaften sind nichts anderes als eine gewisse Zusammenfassung früher entdeckter Dinge  ; sie sind nicht Grundlagen zur Forschung, noch Wegweiser zu neuen Werken.“81 Es sei „undenkbar, daß es etwas Letztes und Äußerstes in der Welt gibt, sondern immer [sei] man notwendigerweise gezwungen anzunehmen, daß es noch etwas darüber hinaus gibt.“82 Damit erklärt Bacon die Aufklärung zu einem Prozess, der nicht enden werde. Die Natur, um auf sie wieder zurückzukommen, ist bei diesem Prozess trotz des deutlichen Anspruchs, den Bacon auf ihre Dienste geltend zu machen sucht, eine Verbündete, die Hilfestellung bietet. Das ist – bei aller Tendenz in die von Horkheimer/Adorno in den Vordergrund gestellte Richtung83 – eine keineswegs überscharfe Akzentuierung in 78 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismen 38 f., S. 100 f. – OT.: ders.: Novum Organum, pp. 19–20. 79 Bacon dürfte den Begriff market im Sinn von „öffentlicher Raum des Austauschs“, hier von Begriffen, verstanden haben. 80 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 44, S. 105. 81 Ebd., Aphorismus 8, S. 83/85. 82 Ebd., Aphorismus 48, S. 109. 83 Gewiss spielt Bacons mitunter wuchtige Wortwahl der Horkheimer-Adorno-Diagnose Argumente zu, doch wenn man beim folgenden Zitat auf die Intention in gleicher Weise achtet wie auf die Formulierung selbst, so verliert der Satz (F. Bacon  : Neues Organon, „Die Einteilung des Werkes“, S. 65) merklich an Schärfe  : „Denn keine Kraft kann die Kette der Ursachen lösen oder zerbrechen, und die Natur wird nur besiegt, indem man ihr gehorcht. Daher fallen jene Zwillingsziele, die menschliche Wissenschaft und Macht, zusammen,

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der Mensch-Natur-Gewichtung. Bacons Haltung konnte, im Gegenteil, sogar überraschend differenziert sein und sich Analogien des Ausgleichs bedienen, wie in der folgenden Aussage, die einige Berühmtheit erlangt hat  : „Die, welche die Wissenschaften betrieben haben, sind Empiriker oder Dogmatiker gewesen. Die Empiriker, gleich den Ameisen, sammeln und verbrauchen nur, die aber, die die Vernunft überbetonen, gleichen den Spinnen, schaffen die Netze aus sich selbst. Das Verfahren der Biene aber liegt in der Mitte  : sie zieht den Saft aus den Blüten der Gärten und Felder, behandelt und verdaut ihn aber aus eigener Kraft [works and fashions it by its own efforts].“84

Also  : keine Entscheidung für die reine Empirie (der Ameisen, die nur herbeischaffen), keine für den reinen Rationalismus (der die Welt denkend zu erschaffen sucht), sondern eine Art von Synthese zwischen beiden. Doch diese Bienen-Metapher, so plausibel sie auf den ersten Blick erscheinen mag, sie ist in Wirklichkeit schwer aufzulösen,85 denn genau ihre wesentlichen Begriffe gehen im rhetorischen Schwung unter  : Was ist mit „behandeln [to work]“ und „verdauen [to fashion]“ gemeint  ? Bacon bleibt auch bei der Antwort auf diese Frage unkonkret, indem er es bei der Forderung nach „einem engeren und festeren Bündnisse dieser Fähigkeiten, der experimentellen nämlich und der rationalen“, belässt.86 Die Ameise jedenfalls ist als das (lediglich) arbeitende Tier zu verstehen, die Biene als jenes, das das Herbeigeschaffte – empirisch Erworbene – auch wirklich verarbeitet, indem es ihm einen Wert (im Sinn von  : Nutzen für die Menschen) gibt. Es wird deutlich, dass Bacon auf das Experiment als Triebkraft seiner neuen Wissenschaft setzt. und das Mißlingen der Werke geschieht meist aus Unkenntnis der Ursachen.“ (Hervorh. HK) – „Macht und Erkenntnis sind synonym“, folgern indes M. Horkheimer / T. W. Adorno (dies.: Dialektik der Aufklärung, S. 10) aus dieser Passage und bleiben selbst vage, indem sie nicht zwischen den Bedeutungen differenzieren, die „Macht“ in unserer Sprache hat. Da gibt es eine Macht der Unterdrückung, aber es gibt auch eine Macht des Einer-Sache-mächtig-Seins, eine Macht durch Wissen, die prognostische Sicherheit gewährt und die Bacons Intention durchaus ebenso gerecht werden könnte. 84 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 95, S. 211. – OT.: ders.: Novum Organum, p. 76. 85 Ein Auslegungsvorschlag findet sich bei C. Gerschlager  : Konturen der Entgrenzung, S. 85, die „Empiriker“ (also die „Ameisen“) als „Alchimisten und Handwerker“ ausmacht und in den „Spinnen“ die „Sophisten und Philosophen“ erblickt. – Siehe hierzu auch R. Collingwood  : Die Idee der Natur, S. 124  : „Er [Bacon] verwirft sowohl den Empirismus wie den Rationalismus  ; den Empiristen vergleicht er mit einer Ameise und den Rationalisten mit einer Spinne, während der wahre Wissenschaftler wie eine Biene sei, die das, was sie aus den Blüten gewinnt, in eine neue und kostbare Substanz verwandelt. Das heißt, der Wissenschaftler schreitet mit Hilfe von Experimenten voran, die er im Lichte von Theorien durchgeführt hat, und benutzt diese Experimente ihrerseits, um diese Theorien zu prüfen und zu bestätigen.“ 86 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 95, S. 211  : „Dem nicht unähnlich ist nun das Werk der Philosophie  ; es stützt sich nicht ausschließlich oder hauptsächlich auf die Kräfte des Geistes, und es nimmt den von der Naturlehre und den mechanischen Experimenten dargebotenen Stoff nicht unverändert in das Gedächtnis auf, sondern verändert und verarbeitet ihn im Geiste. Daher könn[t]e man bei einem engeren und festeren Bündnisse dieser Fähigkeiten, der experimentellen nämlich und der rationalen, welches bis jetzt noch nicht bestand, bester Hoffnung sein.“

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Ein wissenschaftliches Experiment allerdings ist diesem Gedankengang zufolge nichts anderes als ein kontrollierter Eingriff in die Natur, und dieser Eingriff dient sowohl zur Überprüfung der Theorie als auch dem Erwerb neuer Erfahrung.87 Dass die Aufklärung sich über einen langen Zeitraum und über weite Bereiche ihres thematischen Spektrums auf Bacon als ihren Vorläufer beziehen konnte, hat auch in diesem Credo seinen Ursprung.88 Dabei bietet Bacon durchaus Spielraum für divergierende Auslegungen, und der Eindruck einer Grundwidersprüchlichkeit seiner Darlegungen ließe sich mit einzeln aus seinem Werk herausgegriffenen Zitaten eher unterstreichen als entkräften. Probleme dieser Art wurzeln auch hier wieder in einer semantisch noch wenig reflektierten Verwendung des Begriffs „Natur“. Denn von derlei Unreflektiertheit jedenfalls kann angesichts der beiden nachfolgenden Aussagen, die überdies fast unmittelbar aneinander anschließen, durchaus gesprochen werden. Zunächst steht dabei wieder das Naturverstehen im Vordergrund, fast um seiner selbst willen  ; der materielle Nutzen erscheint untergeordnet  : „Ich erstrebe von Anfang an und auch jetzt nur lichtbringende, nicht fruchtbringende Experimente, nach dem Beispiel des göttlichen Schöpfungsaktes, der […] am ersten Tage nur das Licht hervorbrachte und ihm allein einen ganzen Tag widmete und an diesem Tag kein materielles Werk einmischte.“89 Doch vom lichtbringenden Erkennen erfolgt unmittelbar der gedankliche Sprung in eine Natur, die zur Werkstatt wird und in der eben Werke hervorgebracht werden  : „In der Tat muß man sagen, daß eine gut überprüfte und klare Erkenntnis der einfachen Eigenschaften dem Lichte gleicht, sie gewährt Zugang zu den Geheimnissen der Werkstätte der Natur, mit ihrer Macht umfaßt und zieht sie nach sich ganze Massen und Gruppen von Werken [zum einen] und die Quellen für die wertvollsten Grundsätze [zum andern].“90 Nicht wenig von Bacons Bedeutung für die Nachwelt gründet in seiner Rhetorik. O. Höffe stellt das heraus, wenn er von ihm einerseits das Bild einer der „wirkungsmächtigen Leitfiguren“ der Neuzeit zeichnet, ihn andererseits als einen bloßen naturwissenschaftlichen Amateur darstellt  : „Liebhaber zwar, doch Laie“.91 Seine eigentliche Be87 Ebd., Aphorismus 82, S. 177  : „So bleibt die bloße Erfahrung übrig  ; begegnet man ihr so obenhin, so heißt sie Zufall, sucht man sie, so nennt man sie Experiment.“ 88 O.  Höffe  : Moral als Preis der Moderne, S. 51, weist gerade in diesem Kontext auf Bacons eigentliche wissenschaftshistorische Bedeutung hin, nämlich die eines Vermittlers, nicht die eines wissenschaftlichen Pioniers  : „Bacon denkt […] nicht so sehr, wie später Kant, an erkenntnistheoretische Positionen als an damals praktizierte Wissenschaften. Falsch wäre es, Bacon deshalb ein philosophisches Defizit anzulasten. Durch einen streng erkenntnistheoretischen Diskurs würde er nämlich seine Intention, einem neuartigen Wissenschaftstyp zum Durchbruch zu verhelfen, nicht erreichen  ; zu Recht führt Bacon eine erkenntnispolitische Polemik.“ (Hervorh. übern.) 89 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 121, S. 251 (Hervorh. HK). 90 Ebd. (Hervorh. HK). 91 O.  Höffe  : Moral als Preis der Moderne, S. 49. – Ebd. im Sinn einer Konkretisierung dieses Urteils  : „­ Bacon, dem wir ohnehin keine nennenswerte Forschungsleistung verdanken, kann nicht einmal mit den Ent­ deckungen seiner Zeit erkenntnismäßig Schritt halten […].“

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deutung liege in seiner Funktion als „Vermittlungsagentur“.92 Würde man ihn gänzlich unhistorisch lesen, so erschiene er mit der soeben herausgestellten Synthese von Analyse und Umsetzung, von wissenschaftlicher Forschung und technischer Anwendung, als fast irritierend „modern“. Inspirierend war er für die Aufklärer damit allemal, und das bis hinein in die Wahl der Worte, aber auch durch seine metaphorische Verwendung des Lichtbegriffs, seinen Glauben an „Wohltaten durch Erfindungen“ und seine Zuversicht, die nicht zuletzt die eines auch hoffenden Denkers war  : „[…] die Erfindungen beglücken und tun wohl, ohne jemandem ein Unrecht oder ein Leid zu bereiten.“93 Das war es, was man suchte und (bis auf den heutigen Tag) zu finden hofft  : Nutzen für alle zu niemandes Schaden, wie Bacon, der in nicht geringem Ausmaß auch utopische Denker, es in seinem 1626 veröffentlichten Neu-Atlantis ausmalen wird. Das von ihm propagierte Vorgehen war in Wirklichkeit, wie C. Gerschlager herausgestellt hat, keineswegs experimentell in unserem Sinn – eben auf gezielten Experimenten beruhend –, sondern konnte sich weithin in einem Aufzeichnen und versuchsweisen Katalogisieren von „Tatsachen“ erschöpfen. Das tritt angesichts von Bacons großer Wirkung oftmals in den Hintergrund. Seine „experimentelle Methode“ ist in Wirklichkeit nach heutigem Verständnis nicht systematisch, sondern sie erscheint manchem eher als ein konsequentes Sammeln von Beobachtungen alles dessen, „was zufällig das Bewußtsein des Beobachters kreuzt“.94 Aber noch ein anderer Gedanke, den Bacon in seinem Novum Organum aufwirft, verdient Beachtung, insbesondere im Hinblick auf die Überlegungen zum Denkstil, wie sie Ludwik Fleck vortragen sollte.95 Dass Letzterer nämlich die von ihm dargestellten Mechanismen bereits im Detail geradezu ausformuliert hätte finden können, muss überraschen. Es überrascht auch deshalb, weil Bacon den Aufklärern als der Initiator ihres eigenen Aufbruchs galt und unter ihnen wohlbekannt war, aber bei ihnen, soweit sich das überblicken lässt, zumindest mit seiner wissenschaftskritischen Haltung keinen Niederschlag fand. Er schrieb nämlich  : „Ferner findet man in den Gebräuchen und in den Einrichtungen der Schulen, Akademien, Kollegien und ähnlicher Kreise, die zum Sitz der Gelehrten und zur Pflege der Kultur bestimmt sind, daß hier alles dem Fortschritt der Wissenschaften feindlich ist. Die Vorlesungen und Übungen 92 Ebd., S. 50. 93 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 129, S. 269. 94 C.  Gerschlager  : Konturen der Entgrenzung, S. 84. – In diesem Zusammenhang hält die Autorin ebd. präzisierend fest  : „Das Experiment, von dem Bacon ausging, war nicht identisch mit dem kontrollierten Experiment, welches den modernen Naturwissenschaften zum Durchbruch verhelfen sollte. Denn Bacon, der dem Verstand grundsätzlich mißtraute (Fallstricke der Vernunft), meinte mit dem experimentellen Vorgehen noch das rein empirische Sammeln von Tatsachen und deren unbefangene Katalogisierung. Seine experimentelle Methode, so wie er sie im zweiten Buch des ‚Neuen Organon‘ vorlegte, bestand aus einer bewußt unabgeschlossenen Kette von Beobachtungen.“ 95 Siehe den Abschnitt 5.3.2.2 („‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft“).

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sind so eingerichtet, daß es niemandem so leicht einfällt, etwas anderes als das Herkömmliche zu denken und zu betrachten. Falls nun einer doch von der Freiheit des Urteils Gebrauch machen will, so muß er sich dieser Mühe allein auf sich gestellt unterziehen  ; von einer Zusammenarbeit mit anderen wird er keinen Nutzen ziehen. Aber selbst, wenn er das auf sich nimmt, wird er bald die Erfahrung machen, daß dieser Eifer und dieser Großmut kein leichtes Hindernis für sein weiteres Fortkommen sind. Denn das Studium der Menschen ist an solchen Orten wie im Gefängnis auf die Schriften bestimmter Lehrer eingeschränkt. Falls jemand von ihnen abweicht, wird er sofort als ein Unruhestifter, der nach Neuerungen strebt, angepackt.“96

Für das frühe 17. Jahrhundert ist dies eine bemerkenswert vorgreifende Sicht auf die Wissenschaft als „Betrieb“, mit dem beispielsweise Adam Smith während seines Studiums in Oxford am eigenen Leib Bekanntschaft machen sollte  : Als er einmal vom Leiter des Kollegs bei der Lektüre von Humes Treatise überrascht wurde, der als ein anrüchiges, da offensichtlich wenig Mainstream-konformes Werk galt, trug ihm dies einen „scharfen Verweis“ ein.97 Und Hume selbst, der nur schwer über den publizistischen Misserfolg seines Treatise hinwegkommen sollte, hätte die zitierte Aussage Bacons, wenn sie ihm denn rechtzeitig zu Gesicht gekommen wäre, als Menetekel verstehen müssen. Beide, Humes als „Totgeburt aus der Druckerpresse gefallener“ Treatise und Smiths Oxforder Episode, datieren aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aber wenn man Ludwik Fleck folgen will,98 von dem nachfolgend noch die Rede sein wird, so hat sich auch durch die Aufklärung und über diese hinweg bis in die Gegenwart nichts Grundlegendes an der Dominanz und dem Beharrungsvermögen von Denkstilen geändert. 5.3.2 Die Zweifel an der Natur als dem schlechthin Selbstverständlichen

Mit Bacon hatte sich der Blick auf den Naturbegriff grundlegend gewandelt. Die Natur war nun nicht mehr nur das Gegebene, sondern auch Materie, mit der zum Nutzen der Menschheit umgegangen werden konnte. Die Einlösung des Macht-euch-die-Erdeuntertan aus dem Alten Testament hatte ein theoretisches Umdenken und die Neuformulierung des methodischen Verständnisses von „Wissenschaft“ und insbesondere von „Empirie“ beziehungsweise „experimentellem“ Vorgehen zur Voraussetzung. Dieser Impuls lässt sich in hohem Maß auf Bacon zurückführen, bei dem einer der Grundsteine für den Aufschwung liegt, den fortan die natural philosophy nehmen sollte. Und auch auf die wissenschaftstheoretischen Einflüsse, die auf die Schottische Aufklärung wirkten, war dieser Einfluss bestimmend. Der Gedanke der Möglichkeit einer Gestaltung von Natur fiel hier auf einen besonders fruchtbaren Boden. 96 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 90, S. 201 (Hervorh. HK). 97 Diese Begebenheit wird in der Smith-Literatur in unterschiedlichen Varianten berichtet. Vgl. hierzu I. S. Ross  : Adam Smith, S. 131 f. 98 Siehe den Abschnitt 5.3.2.2 („‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft“).

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Allerdings wird man mit dem Hinweis auf die Neuformulierung des Wissenschaftsbegriffs, die auf ihn zurückgeht, Bacons Bedeutung nur zum Teil gerecht. Zu einem bahnbrechenden frühen Aufklärer wird er, weil bei ihm zum methodischen Umdenken ein starker, ja geradezu radikal emanzipatorischer Impetus hinzukommt. Und dieses Emanzipationsbestreben richtet sich keineswegs nur gegen die durch die Herrschaftsfunktion der Theologie hervorgerufene Erstarrung des Denkens, sondern auch – und darin liegt etwas für die Zeit Neues – gegen den Mangel an Bereitschaft, von Grund auf Neues zu denken und eingefahrene Wege wissenschaftlicher Welterklärung gegebenenfalls zu verlassen und das Wagnis einzugehen, das es bedeutet, zu neuen Ufern aufzubrechen. „So sind ihren [der Menschen] Wissenschaften gleichsam Säulen vom Schicksal gesetzt, über die hinauszukommen man weder das Verlangen noch die Hoffnung hat.“99 Im Anspruch dieses Darüber-hinauskommen-Wollens lag Bacons Inspiration für die Nachwelt. Dass er selbst ihn wirklich eingelöst hat, gilt andererseits längst als umstritten, und heute steht sogar Bacons Beitrag zum Fortschritt der Wissenschaften der Neuzeit im Zweifel.100 Aber das ist nicht die Frage, die an dieser Stelle zu stellen ist. Vielmehr geht es darum, festzuhalten, dass die schottischen Denker des 18. Jahrhunderts Bacons Leistung als eine bahnbrechende und für sie inspirierende ansahen  ; die „Verkleinerung seiner intellektuellen Leistung“,101 die seit dem 19. Jahrhundert stattfand, war für sie noch kein Thema, das sie beschäftigt hat. Im 20. Jahrhundert erst taucht ein Grundgedanke, den Bacon geäußert hatte, wieder auf, und diesmal wird er gezielt verfolgt, nämlich  : Wie bewusst ist den Wissenschaften die Bedeutung der Grundannahmen, von denen sie ausgehen  ? Wie frei (und frei von VorUrteilen) kann die Auseinandersetzung mit neuen Problemen überhaupt sein und wovon hängt die jeweilige Herangehensweise ab, wenn von Wissenschaft die Rede ist  ? Eben diese Fragestellungen kehren drei Jahrhunderte nach Bacon etwa in den Arbeiten von Robin Collingwood und Ludwik Fleck wieder. Ihre nachfolgend zu erörternden skeptischen Antworten sind für die Beschäftigung gerade mit der Schottischen Aufklärung durchaus von Belang. Das rechtfertigt die folgende ausführliche Auseinandersetzung mit ihnen. 5.3.2.1 Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen Vorausgesetzte

Das Verhältnis von (Natur-)Wissenschaft und Philosophie untersucht Robin Collingwood (1889–1943) in Die Idee der Natur gleichermaßen historisch und im Sinn einer Grundkonstellation. Dabei sieht er (Natur-)Wissenschaft als die „detaillierte Erforschung natürlicher Tatsachen“ an und definiert  : „[D]ie Reflexion auf Prinzipien, seien es die der Naturwissenschaft oder die jeder anderen Abteilung des Denkens oder Handelns, wird gewöhnlich Philosophie genannt.“102 Das Verhältnis zwischen beiden, zwischen Wissen 99 [F.  Bacon  :] Franz Baco’s Neues Organon, Vorrede, S. 36. 100 Siehe W.  Krohn  : Einleitung, S.  IX–XII. 101 Ebd. 102 R.  Collingwood  : Die Idee der Natur, S. 9 (Hervorh. HK).

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schaft und Philosophie, ist also nicht das eines parallelen, gewissermaßen berührungslosen Nebeneinanders, sondern das einer Wechselwirkung und gegenseitiger Bedingtheit. Der Wissenschaftsprozess erscheint als infiltriert vom Einwirken des Zeitgeists  ; er ist somit nicht als ein rationaler, sondern als ein „sozialer Prozess“ aufzufassen.103 Die landläufige Vorstellung sei es, wie N. Elias sagt, dass dieser Prozess als Ergebnis das hervorbringe, das in unserer Sprache Erkenntnis oder Wissen heißt, nämlich eine „wahre Aussage“ über einen Sachverhalt.104 An diesem Punkt wählt Collingwood einen abweichenden Weg. Für ihn nämlich besteht „das Wissen nicht aus ‚Feststellungen‘, ‚Aussagen‘ und ‚Urteilen‘ […], sondern aus diesen und den Fragen, die sie beantworten wollen.“105 Zwischen Fragen und Antworten gebe es ein Verhältnis „strenger“ Korrelation. Nicht in einer für sich allein betrachteten Aussage manifestiere sich nämlich Wissen, sondern vielmehr in einem komplexen Frage-Antwort-Kontext.106 Darüber hinausgehend folgert Collingwood, dass „nicht eine bloße Aussage“ die „kleinste Einheit [sei], die als Wissen zu bezeichnen sinnvoll ist“,107 sondern dass „die wahre ‚Gedankeneinheit‘ […] etwas viel Komplexeres ist, wobei die Aussage als Antwort auf eine Frage dient.“108 Dies ist die eine Überlegung Collingwoods, auf deren Konsequenzen für die Beurteilung der Naturthematik im Denken der Aufklärung näher einzugehen sein wird  : Worauf wollen die Verweise auf die Natur eine Antwort geben  ? Eine zweite, nicht minder folgenreiche, schließt sich daran an. Es handelt sich um seine im Essay on Metaphysics ausgearbeitete Theorie der Präsuppositionen,109 die einen Detailaspekt des soeben erwähnten Frage-Antwort-Komplexes vertieft. Collingwood führt darin aus, dass das, was als Wissen bezeichnet wird, selbst durch die Korrelation von Frage und Antwort noch nicht hinreichend beschrieben werden kann. Vielmehr gelte nicht nur für jede Feststellung, dass ihr eine Frage, sondern überdies für jede Frage, dass dieser eine Präsupposition vorausgehe.110 Unter solchen Präsuppositionen, die er gerade auch im Weiterschreiten 103 H.  Walach  : Psychologie, S. 42. 104 Vgl. N. Elias  : Über die Natur, S. 118. – Elias selbst thematisiert den Begriff von den „wahren Erkenntnis­ sen“ zwar, ersetzt ihn aber durch „Fundus an realitätsgerechtem Wissen“, und „Wahrheit“ macht er anschaulich als „Sachgerechtigkeit von Erkenntnissen“ und „Wirklichkeitskongruenz von Symbolen“. 105 R.  Collingwood  : Denken, S. 32 (Hervorh. HK). – Das Werk, eigentlich als „Autobiographie“ verfasst und folglich mit starker persönlicher Färbung, enthält dennoch wichtige Aspekte von Collingwoods Philosophie, die dieser an anderer Stelle nicht mit gleicher Ausführlichkeit dargestellt hat. 106 Ebd., S. 33. Erläuternd heißt es ebd. noch  : „[…] Und eine höchst eingehende und spezielle Aussage konnte nie die Antwort auf eine unbestimmte und allgemeine, sondern nur die auf eine ebenso eingehende und spezielle Frage sein.“ 107 A.  Dorschel  : Vorgriffe, hier S.  92. 108 R.  Collingwood  : Denken, S. 36 (Hervorh. HK). „Kleinste Einheit“ und „Gedankeneinheit“ sind in Collingwoods Sprachgebrauch Synonyme. 109 R.  Collingwood  : An Essay on Metaphysics. Die zunächst offensichtlich wenig beachtete Arbeit fand erst Ende des 20. Jahrhunderts im Zug einer Neuorientierung der Wissenschaftstheorie breitere Aufmerksamkeit. 110 Ebd., p. 23  : “Prop. 1. Every statement that anybody ever makes is made in answer to a question.”  ; und p. 25  : “Prop. 2. Every question involves a presupposition.”

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von Wissenschaft vorzufinden glaubt, versteht Collingwood Vor-Annahmen, (also stillschweigende) Voraussetzungen und sogar Konventionen, die bereits bestehen, bevor das eigentliche wissenschaftliche Fragen und Antworten überhaupt einsetzt. Der Kontext, in dem das Feststellen, Aussagen und Urteilen vor sich geht, wird also erweitert um das, was ihm logisch – nicht zeitlich – vorangeht.111 Präsuppositionen lassen sich folglich als etwas unausgesprochen Vorausgesetztes auffassen, als quasi-institutionalisierte Gewissheiten, die nicht weiter hinterfragt werden, weil sie allgemein als „wahr“ erkannt oder doch zumindest anerkannt sind. Dadurch komme ihnen allerdings implizit die Bedeutung von „metaphysischen Sätzen“112 zu und sie markierten den Ausgangspunkt, von dem aus sich in einem Diskurs erst herausbilde, was überhaupt als eine sinnvolle Frage angesehen werden könne. Die Konsequenz hieraus ist  : Präsuppositionen sind Abkömmlinge des jeweils vorherrschenden Zeitgeistes und abhängig von der Gesellschaft, die sie ausprägt, und mit dem Zeitgeist und der Gesellschaft zusammen wandeln sie sich.113 Zieht man Collingwoods Überlegungen zu den Präsuppositionen nun zur Betrachtung der Werke der Schottischen Aufklärung hinzu, so liegt der Schluss nahe, dass es sich sowohl beim Naturbegriff selbst als auch bei der Vorstellung einer aktiv und absichtsvoll handelnden Natur um solche Präsuppositionen im weiteren Sinn handelt. Denn die in der Aufklärung wie zum Beweis angerufene Natur ist keine Vor-Annahme in Form einer bloßen Aussage, sondern ein Vor-Verständnis in der Art eines ganzen Komplexes von Annahmen, deren gemeinsames Merkmal es unter anderem ist, hinsichtlich ihrer Implikationen nicht untersucht worden zu sein. (Dasselbe gilt beispielsweise für den gesamten Komplex des Deismus.114) Dem Naturbegriff wird die Rolle einer Legitimationsinstanz a priori zuerkannt, die nicht hinterfragt wird und letztlich auch nicht hinterfragbar ist. Er ist somit ein unaufgehobener metaphysischer Überrest im programmatisch empirischen und explizit antimetaphysischen Denken der Zeit. Und mehr noch  : Im Naturbegriff verbirgt die Aufklärung ein Gutteil ihrer Gewissheiten darüber, welche Fragen sie für sinnvoll erachtet und welche nicht. Für die Fährte, der Collingwood mit seinen Überlegungen zu den Präsuppositionen gefolgt ist, haben sich im Übrigen auch andere einflussreiche Denker interessiert. So 111 Ebd., p. 21  : “Whenever anybody states a thought in words, there are a great many more thoughts in his mind than are expressed in his statement. Among these there are some which stand in a peculiar relation to the thought he has stated  : they are not merely its context, they are its presuppositions.” Und zur Frage der Priorität ebd.: “The priority affirmed in the word presupposition is logical priority. It is not a priority in time […].” 112 H.  Walach  : Psychologie, S. 42. 113 R.  Collingwood  : An Essay on Metaphysics, p. 48  : “I have hinted […] that absolute presuppositions change.” Und was führt zu diesem Wechsel  ? “Why […] do such changes happen  ? Briefly, because the absolute presuppositions of any given society, at any given phase of its history, form a structure which is subject to ‘strains’ […] of greater or less intensity, which are ‘taken up’ […] in various ways, but never annihilated.” 114 Siehe den Abschnitt 9.3 („Deismus und Systemdenken“).

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findet sich etwa bei M. Foucault an einer, wenngleich sicherlich nicht zentralen, Stelle seiner Werks115 im Zusammenhang mit Überlegungen zur Wissenschaftsgeschichte folgende bemerkenswerte Unterscheidung  : „[E]inerseits zeichnet die Wissenschaftsgeschichte den Fortschritt der Entdeckungen, die Formulierung der Probleme und das Aufeinanderprallen verschiedener Standpunkte nach  ; sie analysiert auch die Theorien in ihrer immanenten Ökonomie  ; kurz, sie beschreibt die Prozesse und Ergebnisse des wissenschaftlichen Bewußtseins. Aber andererseits versucht sie zu erstellen, was diesem Bewußtsein entging  : die Einflüsse, die an ihm hafteten, die impliziten Philosophien, die ihm zugrunde lagen, unartikulierte Thematik, die unsichtbaren Hindernisse  ; sie beschreibt das Unbewußte der Wissenschaft.“116

Trotz des völlig unterschiedlichen Vokabulars beider Denker ist nicht zu übersehen, dass Foucault hier vom selben redet wie zuvor Collingwood, denn auch in Begriffen wie „implizite Philosophien“ und „unartikulierte Thematik“ geht es um den axiomatischen Charakter von nicht näher hinterfragten Vorannahmen, die einer wissenschaftlichen Fragestellung zugrunde liegen können. Wiederum richtet sich also der Blick auf die Präsuppositionen, für die Foucault allerdings einen anderen Begriff einführt, nämlich den des „historischen Apriori“  : „Dieses Apriori ist das, was in einer bestimmten Epoche in der Erfahrung ein mögliches Wissensfeld abtrennt, die Seinsweise der Gegenstände, die darin erscheinen, definiert, den alltäglichen Blick mit theoretischen Kräften ausstattet und die Bedingungen definiert, in denen man eine Rede über die Dinge halten kann, die als wahr anerkannt wird. Das historische Apriori, das im achtzehnten Jahrhundert die Untersuchungen oder Auseinandersetzungen über die Existenz der Gattungen, die Stabilität der Arten, die Übertragung der Merkmale durch ganze Generationen begründet hat, ist die Existenz einer Naturgeschichte […]. Sie konstituiert ein ganzes Gebiet der Empirizität gleichzeitig als beschreibbar und als in Ordnung versetzbar.“117

Es ist damit ein Gutteil dessen beschrieben, was die Denker der Schottischen Aufklärung verbunden hat, nämlich deren Bewusstsein, dass sich in eine Ordnung bringen lassen würde, was die Empirie – ganz im Bacon’schen Sinn zu verstehen als das Sammeln von Beobachtungen – herbeigeschafft hatte. Überdies ist es von einem In-Ordnung-Versetzen dieser Beobachtungen nur noch ein kleiner Schritt zu dem, was Smith ein „System“ nennen sollte  : etwas nämlich, das „erfunden“ werde, um die Wirklichkeit abzubilden.118

115 M. Foucault  : Vorwort zur deutschen Ausgabe, S. 9–16. 116 Ebd., S. 11 (Hervorh. HK). 117 M.  Foucault  : Die Ordnung der Dinge, S. 204 (Hervorh. übern.). 118 A.  Smith  : Essays, p. 66. – Denkbar wäre auch die Formulierung  : „um die Wirklichkeit nachzubilden“.

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5.3.2.2 ‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft

Ludwik Flecks „Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv“, ausgearbeitet etwa zeitgleich mit Collingwoods Ansatz und lange vor Foucaults Überlegungen in dessen Die Ordnung der Dinge in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, steht mit diesen beiden in einem inhaltlichen Zusammenhang. Wie Collingwood sieht auch Fleck den Prozess der Wissenschaft beeinflusst durch einen Mechanismus der Sozialisierung, ja geradezu determiniert durch ihn, und wie Foucault registriert er die unreflektierten Aspekte in diesem Prozess. Doch während Collingwood, den ein sprachlogisches Erkenntnisinteresse leitet, die wissenschaftlichen und philosophischen Zeitströmungen bereits in den Präsuppositionen verankert sieht, also darin, was dem Erkennen im Sinn von axiomatischen Annahmen vorausgeht, liegt Flecks Schwerpunkt bei der eigentlichen Wissenschaftssoziologie. Er fragt, welchen „sozialen Momenten“ eine sich weiterentwickelnde Wissenschaft ausgesetzt ist119 und welchen Überprägungen durch die Gesellschaft und durch Überlieferungen sie unterliegt. Dabei führt er die Begriffe „Denkstil“120 und „Denkkollektiv“121 ein – den Denk-Stil als den intellektuellen Rahmen, innerhalb dessen die Erkenntnis anwächst, und das Denk-Kollektiv als die soziale Gruppe, die den Denkstil artikuliert, überliefert und fortschreibt.122 Es ist dies der Leitgedanke Flecks und in seinen Augen eine „simple Wahrheit, daß unsere Kenntnisse viel mehr aus dem Erlernten als aus dem Erkannten bestehen.“123 Die Folge sei oftmals ein Weiterbauen auf einem ungeprüften Fundament, dessen Bestandteile sich einzeln für sich betrachten lassen. Fleck nennt deren drei und bezeichnet sie als „Faktorensysteme“, nämlich – „die Last der Tradition“ (im Sinn einer Vorprägung dessen, was als „gesichertes Wissen verstanden wird“, also des „Weltbildes“), – „das Gewicht der Erziehung“ (im Kanon weiterzugebenden Wissens wird eine Vorfestlegung gesehen, der Vermittlungsprozess führt zu Veränderungen dieses Wissens) und

119 L. Fleck  : Die Krise der „Wirklichkeit“, S. 425. – Der Begriff der „Momente“ ist in diesem Kontext nicht ganz leicht zu durchschauen. Anscheinend verwendet Fleck ihn im Sinn von „Schwung“ oder einfach von „Dynamik“ (von „Momentum“). 120 L. Fleck  : Über die wissenschaftliche Beobachtung und die Wahrnehmung im allgemeinen, S. 68  : „Der […] Denkstil ist das Ergebnis theoretischer und praktischer Ausbildung der gegebenen Person, und indem er vom Lehrer auf den Schüler übergeht, stellt er einen gewissen traditionellen Wert dar, der einer spezifischen geschichtlichen Entwicklung und spezifischen soziologischen Gesetzen unterliegt.“ – Der Begriff Denk-Stil ist allerdings etwas missverständlich, denn das, um was es Fleck dabei geht, ist nicht nur eine bestimmte Art zu denken, sondern ein Denken unter der Voraussetzung bestimmter Grundüberzeugungen, für die es in der Standardsprache das Wort „Selbstverständlichkeiten“ gibt. 121 Ebd., S. 82  : „Was wir denken und wie wir sehen, hängt vom Denkkollektiv ab, dem wir angehören.“ 122 Dass ein solches Denkkollektiv den Denkstil dabei auch kontrolliert, ist ein naheliegender Schluss, der allerdings im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung nicht weiter verfolgt zu werden braucht. 123 L.  Fleck  : Die Krise der „Wirklichkeit“, S. 425.

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– „die Wirkung der Reihenfolge des Erkennens“ (vorangegangene Ergebnisse und Konzeptionen leiten die Suche nach neuen und geben ihnen eine Richtung vor).124 Einem wissenschaftlichen Ergebnis liegt all dies zugrunde. Das Denkkollektiv liefert also die Voraussetzungen, nämlich die Ausbildung und Schulung am als „gesichert“ verstandenen Vorwissen, die Vorauswahl der „denkbaren“ Fragen sowie, im Sinn einer Leitlinie für das weitere Vorgehen, die bisher vorliegenden Ergebnisse.125 Den wissenschaftlichen Prozess kennzeichnen demzufolge sowohl Hemmung und Kontrolle als auch Inspiration und Vorgabe von Wissenszwecken. Die Wirklichkeit wird durch das Denkkollektiv relativiert und vorgeprägt. „Die so erkannte ‚Wahrheit‘ ist also abhängig vom Denkstil und den durch ihn bestimmten Zweck des Wissens.“126 Die Lehrenden geben vor, so lässt sich folgern, was den Lernenden überhaupt als denkbar erscheinen kann. Dass darin eine Gefahr für den geistigen Fortschritt der Gesellschaft liegt, war allerdings keine neue Erkenntnis des 20. Jahrhunderts. Vielmehr hatte sie bereits Ferguson lakonisch in seinem Essay ausgesprochen  : „Ist es lediglich unsere Absicht, das zu lernen, was andere bereits gelehrt haben, so werden auch unsere bloßen Kenntnisse wahrscheinlich geringer sein als die unserer Lehrer.“127 Obgleich eine enge Verbindung zwischen Flecks „ungeprüftem Fundament“ und Collingwoods Aussage über die Bedeutung von ebenfalls unüberprüften Präsuppositionen im Wissenschaftsprozess nahe liegt, wurde dieser Übereinstimmung, soweit es erkennbar ist, in der Forschung lange Zeit keine größere Beachtung zuteil.128 Thematisiert wird dieser Zusammenhang immerhin ansatzweise von S. Toulmin,129 und T. S. Kuhn erwähnt Fleck als einen, der viele seiner Gedanken vorweggenommen habe.130 Zwar muss es an dieser Stelle bei dem Hinweis bleiben, dass das oben über Collingwood und Fleck Gesagte jeweils nur schmale Ausschnitte von deren Überlegungen herausgreift, doch um genau diese Ausschnitte geht es im Zusammenhang mit dem Naturbegriff insbesondere der Schottischen Aufklärung  : Sowohl Collingwoods Theorie der Präsuppositionen als auch Flecks Hinweise auf Denkstile und Denkkollektive formulieren wesentliche an diesen Naturbegriff zu richtende Fragen.

124 Ebd., S. 425. 125 In diesem Zusammenhang führt Fleck auch den Begriff der „mehr oder weniger unklaren […] Urideen (Präideen)“ ein. Siehe ders.: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 35. 126 L. Schäfer / T. Schnelle  : Die Aktualität Ludwik Flecks in Wissenschaftssoziologie und Erkenntnistheorie, S. 17. 127 A.  Ferguson  : Versuch, S. 387. 128 Vgl. hierzu jedoch Walach  : Psychologie, S. 39. 129 S. Toulmin  : Conceptual Revolutions in Science, p. 61–62, weist auf diesen Sachverhalt im Rahmen seiner Untersuchung der Einflüsse auf Kuhns The Structure of Scientific Revolutions hin. 130 T.  S. Kuhn  : Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 8. – Zur Bedeutung der Arbeiten Flecks für Kuhn siehe auch  : P. Hoyningen-Huene  : Thomas S. Kuhn, S. 238, 248 und 255, Fn. 3.

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Stimmt man der Ansicht zu, dass für den von sämtlichen Denkern der Aufklärung angerufenen und mit einem Vorverständnis ausgestatteten Begriff der Natur das gilt, was Collingwood als Präsupposition bezeichnet, so ist ein Ausgangspunkt für die Untersuchung aufklärerischer Argumentation gewonnen. So nämlich, wie in der Präsupposition angelegt ist, welche Fragen „sich stellen“, so ist im aufklärerischen Vorverständnis der Natur angelegt, welche Ziele die Denker, die sich auf sie beriefen, überhaupt als sinnvoll und als die ihren ansehen konnten. Flecks Ansatz hingegen versteht die Denkrichtungen als kollektive Phänomene. Die Gewissheiten ebenso wie die Tabus einer Epoche, das eben, was sie als „natürlich“ (in der Bedeutung von  : selbstverständlich) ansieht, begreift er als etwas an den jeweiligen sozialen Kontext Gebundenes. Aus dieser Perspektive wird die Formierung des Weltbildes einer Gruppe nachvollziehbar, das die Argumentationen ihrer Mitglieder schärft, eine Kollektivhaltung ausprägt und dadurch die vorherrschende Denkrichtung immer weiter stabilisiert,131 bis sie sich schließlich – und auch das findet sich in Flecks Theorie vorweggenommen – in einzelne „Schulen“, also in neue Denkstile, aufspaltet.132 All dies lässt sich im Denken der Schottischen Aufklärung nachverfolgen.133 Flecks Hinweise blieben, obgleich sie den Blick auf einen solch wichtigen Aspekt des Prozesses der Wissenschaft gelenkt haben, diejenigen eines Außenseiters. Dabei wird vermutlich niemand grundsätzlich bestreiten, dass sich wissenschaftlicher Fortschritt vornehmlich im Rahmen sozialer Prozesse vollzieht, bei denen Denkstile – man mag sie als solche bezeichnen oder nicht – manifest werden, indem sie von Denkkollektiven, wenn nicht gelenkt und kontrolliert, so doch zumindest beeinflusst werden. Wie solch ein Denkstil „arbeitet“, stellt sich Fleck zufolge so dar  : „Es entsteht eine spezifische Bereitschaft, dem Stil entsprechende Gestalten wahrzunehmen, es verschwindet dagegen parallel das Vermögen, nicht stilgemäße Phänomene wahrzunehmen, es entsteht eine entsprechende Technik usw.“134 Die Diagnose lautet in heutiger Diktion, dass die Wissenschaft einer permanenten Tendenz zur Verpflichtung auf einen vom jeweiligen 131 L. Fleck  : Das Problem einer Theorie des Erkennens, S. 111 f. – Hier heißt es zu diesem Stabilisierungsprozess  : „Die das Kollektiv erhaltende und seine Mitglieder vereinende Kraft erwächst aus der Gemeinschaft in kollektiver Stimmung. Diese Stimmung erzeugt eine Bereitschaft zum gleichgerichteten Wahrnehmen, Bewerten und Anwenden des Wahrgenommenen, d. h. einen gemeinsamen Denkstil. Sie ist ebenso die Quelle jenes Gefühls gruppeninterner Denksolidarität […], jener eigentümlichen Kollegialität, die den ‚Genossen‘, den ‚Landsmann‘, den ‚Mitgläubigen‘, den ‚Kollegen‘ u. dgl. erschafft.“ (Hervorh. i. OT.) 132 Ebd., S. 105  : „Sobald es ein Kollektiv zum Entstehen eines spezifischen Stils gebracht hat und die Arbeit an der Legitimierung der Begriffe gemäß den festgelegten Stilprinzipien beginnt, differenziert sich deren Bedeutung  : Die Worte werden vieldeutig, und jede Bedeutung beginnt, ein gesondertes Leben zu führen.“ 133 Dies wurde durchaus registriert  ; zusammenfassende Aussagen in der Art der folgenden sind hierfür ein sprechendes Beispiel  : “It has become a scholarly commonplace to portray the social and political thought of the Scottish Enlightenment as founded upon a theory of historical stages.” (D. Kettler  : History and Theory in Ferguson’s Essay on the History of Civil Society, p. 437  ; Hervorh. HK) – Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass dieses Denken etwa in allen Gesichtspunkten ein völlig gleichlaufendes war. 134 L. Fleck  : Das Problem einer Theorie des Erkennens, S. 107.

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Denkkollektiv formulierten Mainstream folge  : „Es gibt wissenschaftliche Hierarchie, Gruppen, Anhänger und Widersacher, Gesellschaften und Kongresse, periodische Journale, Austauscheinrichtungen etc. Ein wohlorganisiertes Kollektiv ist Träger des Wissens, das die Kapazität eines Individuums weit übersteigt.“135 Zu ergänzen ist allerdings, dass durchaus mehrere Denkstile parallel wirken können. Völlig neu waren Flecks Gedanken allerdings nicht, denn dass es sich bei Wissenschaft auch um einen Mechanismus der Wissensweitergabe, der Wissensselektion und der Wissensübernahme „im guten Glauben“ durch die „Schüler“ handelt und der Wissenschaft ein Trägheitsmoment des Verharrens im Bekannten innewohnt, ist ein Gesichtspunkt, den bereits Hobbes herausgestellt hatte  : „Weiter bringt die Gewohnheit zu hören es bisweilen mit sich, daß die Worte der Philosophen und Lehrer unbesehen hingenommen werden, wenn sich ihnen auch kein Sinn entlocken läßt, z. B. wenn die Worte nur ersonnen sind, um die Unwissenheit der Lehrer zu bemänteln. Die Schüler bedienen sich dann dieser Worte in dem Glauben, damit etwas zu sagen, während doch nichts mit ihnen ausgedrückt wird.“136

Es bedarf der Begründung, warum die Erklärungsansätze von Collingwood und Fleck hier in einen Kontext gestellt werden. Beide berühren sich in einem Gesichtspunkt, auf den näher einzugehen ist, weil er auch im Zusammenhang mit den schottischen Moralphilosophen von Bedeutung ist, nämlich dem einer bestimmten Funktion der Sprache  : Sie bietet dem Menschen die Möglichkeit zum Transfer von Information und verschafft ihm somit – ein Grundgedanke der entstehenden Anthropologie – seine Sonderstellung „unter den Tieren“. In England wird dem seit dem 17. Jahrhundert Beachtung geschenkt. Als typisches Beispiel hierfür kann Hobbes’ Hinweis gelten, es sei der Sprache zu verdanken, „daß ein Mensch den anderen belehren, d. h. sein Wissen dem anderen mitteilen, ihn ermahnen, um Rat fragen“ könne.137 Ferguson wird in seinen Institutes den Zivilisationssprung von der Sprache zur Schrift nachzeichnen und sagen  : „Durchs Schreiben wird das Andenken vergangner Begebenheiten, oder ehemaliger Bemerkungen und Erfahrungen, erhalten [Writing preserves the memory of past transactions, of observation, and experience]. Durch das Schreiben werden Erfindungen der Wissenschaften aufbewahrt […].“138 Aufbewahrt aber werden Fleck zufolge jene Informationen erst, nachdem sie zuvor die Filter von Denkstil und Denkkollektiv passiert haben, dem wissenschaftlichen Kanon zugeschlagen und zur „anerkannten Lehrmeinung“ erhoben wurden. Damit aber wurde an ihnen die Metamorphose von der „Information“ zum „Wissen“ vollzogen und der Aussage Verlässlichkeit zuerkannt. Collingwoods Ansatz besagt nichts anderes, als 135 136 137 138

L.  Fleck  : Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 58. T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3, S. 20. Ebd., S. 17. A.  Ferguson  : Grundsätze, S. 41. – OT.: ders.: Institutes, p. 45.

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dass durch diese Verwandlung von „Aussagen“ zu „Gewissheiten“ erst jenes Fundament geschaffen wird, für das er den Begriff der Präsuppositionen geprägt hat und auf dem weitergedacht wird. Es soll im Übrigen der Nutzen dieses Ablaufs nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden, denn so und nur so lässt sich kollektiver Wissenszuwachs denken. Die Bedeutung von Collingwoods und Flecks Überlegungen liegt vielmehr im Hinweis, dass diesem Prozess Beachtung zukommen müsse, da er tendenziell eine Verstärkung des bereits Vorhandenen bedeutet. „Erkenntnisse“ werden so zu „Voraussetzungen“, und man kann es als eine Grundeigenschaft alles Vorausgesetzten ansehen, dass es, nun einmal vorausgesetzt, in der Regel als etwas nicht notwendigerweise zu Hinterfragendes angesehen wird. 5.3.3 Die Natur in Entwicklungsmodellen

Flecks und Collingwoods Ausführungen lassen sich, wie erwähnt, komplementär lesen  : Dieser thematisiert ausführlich das Vorfeld der Theoriebildung, jener richtet sein Augenmerk auf die sich daran anschließenden Mechanismen. Gibt es eine Klammer, die beide Ansätze stärker zueinander in Beziehung setzt  ? Es liegt nahe, danach bei T. S. Kuhn zu suchen, doch liegt dessen Interessenschwerpunkt bei der Wissenschaftsgeschichte und somit bedeutend stärker bei den Fleck’schen als den Collingwood’schen Aspekten.139 Die Vorannahmen, die einer Epoche – genauer  : einer „Schule“ – gemeinsam sind, finden sich bei ihm näherungsweise im Begriff des „Paradigmas“ widergespiegelt,140 das in den Traditionen und Methoden von Wissenschaft seinen Niederschlag findet. Enger wird dieser Sachverhalt von Rolf Peter Sieferle eingegrenzt, der den Begriff des „symbolischen Feldes“ einführt und von diesem sagt, es übergreife einzelne Wissensgebiete und bilde „einen umfassenderen, aber auch vageren Verdichtungsraum von Grund-

139 T.  S. Kuhn  : Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, greift wichtige Gedanken Flecks auf und entwickelt sie weiter. So prägt er den Begriff von der „ungeschichtlichen, den wissenschaftlichen Lehrbüchern entnommenen Schablone“, die das Vorgehen der Wissenschaft vorprägt (ebd. S. 15). Auch spricht er vom „rastlosen und hingebungsvollen Versuch […], die Natur in die von der Fachausbildung gelieferten Begriffsschubladen hineinzuzwängen“ (ebd. S. 19). Und „normale Wissenschaft“ ist für ihn „eine Forschung, die fest auf einer oder mehreren wissenschaftlichen Leistungen der Vergangenheit beruht, Leistungen, die von einer bestimmten wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Zeitlang als Grundlagen für ihre weitere Arbeit anerkannt werden.“ (Ebd. S. 25) Auch das hatte Fleck bereits benannt. 140 Man kann sich sowohl an Flecks „Denkstil“ als auch an Collingwoods „Präsuppositionen“ erinnert fühlen, wenn Kuhn über „die Reihe sich wiederholender und gleichsam maßgebender Erläuterungen verschiedener Theorien in ihren Anwendungen in bezug auf Begriffsbildung [und] Beobachtung“ schreibt  : „Das sind die Paradigmata der Gemeinschaft, wie sie in ihren Lehrbüchern, Vorlesungen und Laborübungen zutage treten. Durch deren Studium und den Umgang mit ihnen lernen die Mitglieder der betreffenden Gemeinschaft ihr Fach“. (T. S. Kuhn  : Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, S. 57) „Paradigmata sind vielleicht eher da, verbindlicher und vollständiger als jedes System von Forschungsregeln, das sich eindeutig aus ihnen ableiten ließe.“ (Ebd. S. 60)

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plausibilitäten über den Aufbau der Welt.“141 Es ist insbesondere der Gesichtspunkt, dass Wissensgebiete übergriffen werden, der diesen Ansatz für eine Untersuchung der Aufklärung nützlich erscheinen lässt, während der Paradigmenbegriff lediglich „die unbefragte, selbstverständliche Voraussetzung einer bestimmten Wissenschaft“ umreißt.142 Die Aufklärung war eben gerade kein auf nur eine Disziplin beschränktes, sondern ein alle Richtungen des Denkens ihrer Zeit insgesamt übergreifendes „Projekt“. Das erst prädestiniert sie für die Anwendung des Epochenbegriffs.143 Der Erfolg ihrer Zielsetzung – „Herrschaft der Vernunft“ – sollte sich in der Veränderung von Beziehungen zeigen, nämlich der zwischen den Menschen untereinander und – etwas im Schatten stehend – der zwischen dem Menschen und der Natur. An dieser Stelle geht es um den zweiten Aspekt, und da bedeutet Herrschaft der Vernunft im Umgang mit der Natur fraglos  : Natur-Beherrschung. Einer bestimmten Zuversicht ist damit die Richtung gewiesen. 5.3.3.1 ‚Natura lapsa‘ – die ‚gefallene Natur‘

Sieferle untersucht den Naturbegriff der Aufklärung als ein symbolisches Feld im erwähnten Sinn. Dabei können zwei derartige symbolische Felder einander gegenübergestellt werden, nämlich das der oeconomia naturae (auch „Haushalt der Natur“) und das der natura lapsa (auch „gefallene Natur“). Bei beiden handelt es sich um idealtypische Denkmodelle der Zuversicht beziehungsweise der Skepsis, die als Gegensatzpaar zu verstehen sind.144 Das Natura-lapsa-Modell ist das ältere145 und, da seine Argumentation auf der biblischen Überlieferung beruht, ein durch den vorlaufenden theologischen Diskurs geprägtes.146 Die detaillierte Herleitung dieses Modells gründet auf dem I. Buch Mose. Vorauszuschicken ist allerdings  : Die Genesis handelt, wie die Bibel überhaupt, vom Verhältnis des Menschen zu Gott. Im Verhältnis des Menschen zur Natur spiegelt es sich zwar wider, doch ist die Natur nicht der eigentliche Gegenstand der Erzählung, sondern Teil ihrer Illustration. Ein Naturmodell, das sich aus der biblischen Geschichte ableitet, überbewertet also die Rolle der Natur in diesem Zusammenhang. Es ist deshalb

141 R.  P. Sieferle  : Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt, S. 11. 142 Ebd. (Hervorh. HK). 143 Vgl. A.  Meyer  : Die Epoche der Aufklärung, insbesondere S. 11–14. – Festgestellt wird, dass die Aufklärung als Begriff zu verstehen ist, der nicht beschränkt auf einen einzigen wissenschaftlichen oder gesellschaftlichen Bereich verwendet wurde  : „Seit den 1770er-Jahren entsteht der praktische Aufklärungsbegriff als Wissenschafts-, Erziehungs- und Bildungsprojekt.“ Ebd., S. 13. 144 R.  P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 14. 145 Jedoch gilt R. P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 15, zufolge auch  : Sie [gemeint ist  : beide Ordnungsmodelle] „entstammen der Vorstellungswelt des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.“ 146 Eine ausführlichere Darlegung dieser argumentativen Herleitung des Modells der natura lapsa ohne die Absicht „einer ‚richtigen‘ Auslegung dieser Texte“ unternimmt R. P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 15 ff. und S. 204, Anm. 1.

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nicht Teil der Bibel, sondern lediglich eine Ableitung daraus  ; es ist eine Interpretation, und als solche ist es abhängig von den Gewichtungen, die diese Interpretation vornimmt. Die Herleitung des Natura-lapsa-Modells lässt sich so darstellen  : Der Mensch, ursprünglich als der Hüter der Schöpfung eingesetzt, wird nach dem Sündenfall von Gott aus dem Zustand der Harmonie mit der Natur, eben aus dem Paradies, vertrieben, durch die Sintflut bestraft und zu einem Neuanfang unter gänzlich neuen Bedingungen verurteilt. Der Einklang zwischen Mensch und Natur ist zerstört  ; das neue Verhältnis ist ein hierarchisches, in dem die Natur dem Menschen untergeordnet – „untertan“ – ist. Die Natur ist also in die Strafe für den Menschen miteinbezogen, sie ist eine zusammen mit diesem gefallene, eben eine natura lapsa, so die Auflösung der Metapher. Fortan ist der Mensch mit der Aufsicht über die Natur betraut und als Instanz zu ihrer Kontrolle eingesetzt. Die Natur selbst widersetzt sich dem. Sie hat „keine innere Regularität, keine Tendenz zu einem spontanen Gleichgewicht, sondern die Aufrechterhaltung der natürlichen Ordnung liegt“, da der Mensch sie nicht selbst herbeiführen kann, „vollkommen in der Hand Gottes.“147 Die Stellung des Menschen gegenüber der Natur ist also widersprüchlich  : Einerseits steht diese dem Menschen feindlich gegenüber, andererseits ist sie ihm untergeordnet, ohne dass er allerdings in der Lage wäre, sie im Sinn des göttlichen Auftrags zu beherrschen. Die Folge dieser Konstellation ist ein mehrfach gebrochenes Verhältnis zwischen Mensch und Natur, das Ableitungen und damit Weltbildern unterschiedlicher Art – nicht zuletzt des nahen Weltendes148 – Spielraum gewährt. Eine dieser möglichen Ableitungen ist eben das Natura-lapsa-Modell. In ihm werden aus dem nach-sintflutlichen Mensch-Natur-Verhältnis mehrere Konsequenzen gezogen. So ist zum einen die Welt nicht länger ein Ort für des Menschen Vollendung, sondern einer der Bewährung für das Jenseits, das für diese Vollendung als eine Möglichkeit verheißen wird. Durch diese Jenseitsverheißung schwindet die Bedeutung der diesseitigen Welt und deren Untergang verliert an Bedrohlichkeit, denn er ist ja gleichzeitig der Übergang in die jenseitige. In einem derartigen Welt- und Naturmodell relativiert sich die Bedrohlichkeit von Krisen,149 da diese aus dem Blickwinkel der Eschatologie als Hinführung zum notwendig eintretenden, wenn nicht gar wünschenswerten Endzustand der Entwicklung aufgefasst werden müssen.150 Letztlich ist der Verfall der Welt das, was 147 R.  P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 21. 148 Eine dieser frühen und laut R. P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 17–20, viel beachteten Welt-Endzeit-Darstellungen ist diejenige des englischen Geistlichen und Hobbes-Zeitgenossen Godfrey Goodman  : The Fall of Man. Die berühmte und üblicherweise mit Hobbes in Verbindung gebrachte Folgerung „homo homini lupus“ findet sich hier (p. 252), und das Bild, das hier gezeichnet wird, ist das des Niedergangs  : “[…] there is a great decay in euery species  ; men come not to that strength nor to that growth, nor to that ripenesse of wit, nor to that fulnesse of yeeres which they did in former times  ; the world hath his period and his determinate course of yeeres  : now is the olde age or decay of this world.” (p. 353, Schreibweise des Originals, Hervorh. HK). 149 R.  P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 15. 150 Ebd., S. 17.

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mit Zwangsläufigkeit eintreten werde. Die Natur ist in diesem Verständnis der Indikator, an dem sich der Niedergang ablesen lässt  ; Naturkatastrophen erfahren durch diese Weltsicht ihre schlüssige Deutung, aber auch gesellschaftliche Entwicklungen finden auf diese Weise eine Erklärung. Das Natura-lapsa-Modell deutet die irdische Natur pessimistisch. Diese wird als passiv angesehen, ist in einem vorgegebenen Niedergang begriffen, und eine Fähigkeit zur Selbstregulierung wird ihr abgesprochen. Im Hinblick auf die Natur ist die Epoche, die der Aufklärung vorangeht, von der Vorstellung eines Gleichgewichtsmodells also weit entfernt. Ohne ein Eingreifen von außen, sei es durch die Fürsorge Gottes, sei es durch menschliches Zutun, drohe die Natur ins Chaos zu stürzen. Eine natürliche Ordnung, auf die sie zustreben könne, wird nicht angenommen. Doch wenngleich die Natur als ein System verstanden wird, das der Kontrolle und Verbesserung bedürfe, lasse sich doch die grundlegende Entwicklungsrichtung auch durch menschliche Intervention niemals umkehren. Die Natur sei, wie auch der Mensch, sterblich. Der zentrale Gedanke des Natura-lapsa-Modells ist der der Notwendigkeit von Kontrolle. Die Gesellschaftsvorstellung, die dem entspricht, ist eine absolutistische  : Wenn, wie angenommen, alles Natürliche spontan zu einem Zustand der Unordnung tendiere, setze Ordnung durchsetzungskräftige Herrschaft voraus.151 Mit Abstand betrachtet handelt es sich also um ein zeitlich lineares Modell, das von einem Anfang aus – der Erschaffung der Welt – auf ein Ende zustrebt – nämlich deren Untergang, aber auch der Erlösung. Alle Zuversicht richtet sich allein auf das Ende der Welt. Soweit es die Lebenswelt des Menschen betrifft, ist es ein Modell der Hoffnungslosigkeit und eines, das gegen jegliche Emanzipation gerichtet ist, und der natural course of things, auf dessen regulierende Kraft die schottischen Aufklärer so sehr vertrauen sollten, stand diametral zu ihm. Die Aufklärung sah sich darauf festgelegt, dieses Modell abzulösen. 5.3.3.2 ‚Oeconomia naturae‘ – der ‚Haushalt der Natur‘

Dem Natura-lapsa-Modell steht hinsichtlich der Konzeption das der oeconomia naturae gegenüber, und es markiert tatsächlich eine Gegenposition dazu. Das beginnt mit der temporalen Bewegungsrichtung als solcher, denn es ist kein lineares und auf einen Endzustand hin ausgerichtetes Stadienmodell, sondern ein Kreislaufmodell, das die Natur in einer zyklischen Bewegung von Entstehen, Vergehen und Neuentstehen sieht. Stets „erscheint das, was vermeintlich ein Beginn oder ein Abschluß ist, nur als Ausschnitt aus einer Kreisbewegung.“152 Der eingeschränkte Blick des Natura-lapsa-Modells lediglich auf diesen Ausschnitt, eben die fehlende Perspektive auf das Ganze sei es, die hinsichtlich des wahren Wesens der Welt- und Naturentwicklung zur Täuschung führe. Das Modell der oeconomia naturae begreift die Welt als ein System ohne vorgegebenes Zeitenende und seine Entwicklung als eine nicht auf ein bestimmtes Ziel hin ausgerichtete, sondern sich 151 Ebd., S. 22. 152 Ebd., S. 24. Eine Darstellung des Oeconomia-naturae-Modells findet sich ebd., S. 24–34.

Der Naturbegriff aus dem Blickwinkel wissenschaftstheoretischer Ansätze |

beständig selbst regulierende. In menschlichen Dimensionen gedacht ist die Natur also einerseits ewig, andererseits aufgrund der ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten und regelhaften Prozesse in der Lage, sich selbst zu erhalten und immer wieder zu erneuern.153 Dieses Modell einer Natur, die für sich selbst zu „sorgen“ in der Lage ist, lässt auf den ersten Blick nicht so leicht seinen Ursprung in der testamentarischen Überlieferung erkennen – den es aber wie das Natura-lapsa-Modell ebenfalls hat. Zwar steht die apokalyptische Prophezeiung eines dramatischen Weltendes nicht im Vordergrund, doch wird an der grundsätzlichen Erwartung seines Eintretens durchaus festgehalten. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Modellen aber besteht in deren prognostischer Weltwahrnehmung  : Während die „gefallene Natur“ eine unaufhaltsam niedergehende, also fallende ist, verschiebt das Oeconomia-naturae-Modell das Ende auf eine unbestimmte und auch nicht bestimmbare Zeit und postuliert somit für die Zeit bis zu dessen Eintreten Umstände, die weder dem Leben der Menschen noch der Natur insgesamt von Grund auf feindlich sind. Es verzichtet zwar keineswegs auf den göttlichen Schöpfer der Welt, sehr wohl jedoch auf dessen regelndes, strafendes oder sorgendes Eingreifen in sie.154 Die theologische Basis dieses Modells ist die Genesis des Kosmos, dessen immanente Gesetzmäßigkeiten ihn fortan autonom und dauerhaft lebensfähig erhalten.155 Die Analogie, mit der diese Vorstellung illustriert wurde, ist die eines weisen Uhrmachers, der eine Uhr so konstruiert hat, dass sie auch ohne sein Eingreifen dauerhaft funktioniert. Ob nun eine göttliche Instanz auf fürsorgliche Weise beständig in den Gang der Natur eingreift oder ob dieses Eingreifen – dies die deistische Sicht156 – einmalig und abschließend mit der Schaffung der Natur-Gesetze erfolgt sei, hat die schottischen Denker des 18. Jahrhunderts beschäftigt.157 Die Frage ist spekulativ und daher nicht abschließend zu beantworten. Rückschauend ist somit vor allem der Befund von Bedeutung, dass die Existenz dieser Gesetze zum einen als sicher angenommen wurde und es somit zum andern von Interesse erschien, diese zu finden und zu formulieren. Das im Oeconomia-naturae-Modell enthaltene Grundverständnis von Natur gab erst den nachhaltigen Impuls für die Beschäftigung mit eben dieser. So kommt es zu einer Wechselwirkung, bei der 153 Ebd. S. 24 f. 154 So beispielsweise bei A. Ferguson  : Principles, I, p. 16  : “The Author of nature has not, in any instance, provided for perpetuity in the life of any plant or animal.” 155 Autoren der Zeit, wie etwa der englische Richter Matthew Hale in seiner Primitive Origination of Mankind von 1677, gingen häufig von einer Natur aus, in die nur dann durch göttliche Fürsorge (Divine Providence) eingegriffen werde, wenn Schäden, die auf Fehlverhalten oder Unglücke zurückgingen, auszugleichen waren  : “[…] yet that same Power that first gave Being to things, hath upparted their successive Generations in the same state and natural vigour that it ever had, abating those accidental occurrences that Sin, Excess, and other occurrences have brought into things.” Ebd., p. 170 (Hinweis bei R. P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 206, Anm. 22.) 156 Vgl. den Abschnitt 9.3 („Deismus und Systemdenken“). 157 In diesem Zusammenhang sind an anderer Stelle auch die so genannten Stadienmodelle der Gesellschaftsentwicklung zu behandeln, die von den schottischen Denkern angeführt wurden. Vgl. den Abschnitt 8.3 („Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Theorie“).

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gerade durch die Annahme der Regelhaftigkeit in der Natur eine naturwissenschaftliche Betrachtungsweise der Welt angeregt wird, deren Ergebnisse umgekehrt die Belege für diese Regelhaftigkeit stets aufs Neue mit sich bringen. Das Oeconomia-naturae-Modell stützt sich also fortan selbst und ist zu seiner Stabilisierung nicht auf Argumente von außen, etwa theologischer Art, angewiesen. Je eingehender die Natur fortan untersucht wurde, desto geschlossener wurde das Bild, das man von ihr gewann  ; es war das Bild eines höchst funktionalen Ganzen, das aus einer Fülle aufeinander wohlabgestimmter Einzelteile bestand. Deren Bestimmung und Wirkweise würde sich nach und nach erschließen. Dieses Weltbild fand in der Sprache der Zeit seinen Niederschlag. Smith etwa meinte, der Mensch sei „von der Natur [einer] Situation angepaßt“158 oder etwas scheine „weise von der Natur eingerichtet“ zu sein.159 Dies ist die Vorstellung von einem Kosmos, in dem alles harmonisch zusammenwirkt, in dem die Menschheit enthalten ist und dessen Kenntnis sie zu ihrem eigenen Wohl vergrößern könne. Für die Schlussfolgerung, ein immer größeres derartiges Erfassen der Naturgesetze biete dem Menschen die Möglichkeit einer völligen Naturbeherrschung, fehlte es Smith, dem demütigen Deisten, allerdings an zuversichtlicher Kühnheit. Sein Bild von der „unsichtbaren Hand“ verrät eher ein dankbares Staunen als einen allzu zuversichtlichen Anspruch auf eine Erlösung der Gattung durch die « perfectibilité » im Stil eines Condorcet. Immerhin gab es nun ein Denkmodell, das die Welt nicht nur in einer gewollten Ordnung sah, sondern das der Natur das Vermögen zusprach, spontan, also aus sich selbst heraus, ihre innere Ordnung immer wieder aufs Neue selbst herzustellen. Ob sich daraus der Schluss ziehen lässt, diese Ordnung bedürfe zu ihrem Funktionieren „nicht länger der bewußten Kontrolle und Unterdrückung der Affekte“160 von außen, oder ob vielmehr anzunehmen ist, dass die Kontrolle von außen durch Regime oder Mechanismen der Selbstkontrolle ihm Rahmen eines „Prozesses der Zivilisation“ ersetzt werde, soll an anderer Stelle erörtert werden. Festzustehen scheint dessen ungeachtet, „daß das Modell der natura lapsa im 18. Jahrhundert so vollständig vom Modell der oeconomia naturae abgelöst wurde, daß letzteres zu einer stillschweigenden Voraussetzung des Nachdenkens über Natur überhaupt werden konnte.“161 Die theologische Interpretation der Schöpfung wurde durch die empirische Erforschung der Natur abgelöst,162 die Überlieferung sollte durch die Anschauung ersetzt werden  ; der Befund des Vorhandenseins dieser Ablösungsprozesse ist von großer Bedeutung. Allerdings musste all das noch keineswegs zu einer raschen oder grundlegenden Abkehr vom Belegcharakter der christlichen Offenbarung führen. Dies bewies beispiels158 A.  Smith  : Theorie, S. 137. – OT.: ders.: Theory, II,iii,1|1.: “fitted by nature to that situation”. 159 A.  Smith  : Theorie, S. 219. – OT.: ders.: Theory, III,3|9.: “wisely ordered by Nature”. 160 R.  P. Sieferle  : Die Krise der menschlichen Natur, S. 32. 161 Ebd., S. 15 (Hervorh. übern.). 162 Ebd., S. 30.

Der Naturbegriff aus dem Blickwinkel wissenschaftstheoretischer Ansätze |

weise der argumentative Aufbau von Abhandlungen in der Art von Millars Origin. Letzterer war zu seiner Zeit ein vielbeachtetes Werk, das einerseits durch seine Analyse von Machtstrukturen zwischen Individuen und Gruppen neue Perspektiven auf die Gesellschaft eröffnete, also jene für die Schottische Aufklärung so charakteristische soziologische Wende vollzog und dadurch als „modern“ erscheinen muss, andererseits jedoch seine Argumentation auf die herkömmliche Art durch zahlreiche Bibelstellen abstützte. 5.3.4 Folgerungen

Die jeweils spezifischen Rollen, die dem Naturbegriff durch seine Funktion als argumentativer Ausgangspunkt und als Legitimationsinstanz zugewiesen werden, sind ein markantes Differenzierungskriterium zwischen den diversen „Philosophien“ der Aufklärung, gerade auch der ihrer schottischen Vertreter. Die unausgesprochene Frage, die am Beginn aller Werke steht, lautet  : Was offenbart das Buch der Natur, was ist ihr „Wille“  ? Die „Antworten“, die die Denker dieser Zeit auf diese Frage stillschweigend zu geben glaubten, sind mit dem Begriff „Voraussetzungen“ treffender beschrieben, denn sie erfüllen die Funktion von Axiomen  : Das Natürliche, so der Gedanke, bedürfe keines weiteren Beweises, denn weiter zurück als bis zur Natur könne nicht gefragt werden – ebenso, wie zuvor nicht weiter zurück als bis zu Gott gefragt werden konnte. „Die Natur selbst kann nicht irren“, heißt es schon bei Hobbes163 im Sinn eines apodiktischen Dass ohne jegliches Warum. Doch wenngleich die Natur aus dieser Sicht als das Gegebene schlechthin und damit als die Grundvoraussetzung allen weiteren Überlegens gilt, so ist dieses Gegebene, wie nun Hume feststellen muss, eben auch ein vieldeutiges und folglich unterschiedlich gedeutetes. – Diese Überlegung hat vor einer Annäherung an die philosophischen Werke des 18. Jahrhunderts zu stehen. Die Denker der Aufklärung bauen auf einem Naturbegriff auf, der ihnen als Gedanke – es gibt gute Gründe, hier nicht von „Idee“ zu sprechen – so sehr vertraut erscheint, dass er in ihren Augen keiner Legitimation bedarf, um ihnen als „eisernes Fundament“ (im Sinn Flecks) tauglich zu erscheinen. Dies ließe sich auch als methodischer Mangel auslegen. Da dieser scheinbare Mangel jedoch in einer so auffallenden Häufigkeit auftritt, ist er kaum mehr als eben nur ein charakteristisches Merkmal des Denkens in dieser Zeit. Allerdings können wir die Selbstverständlichkeiten des 18. Jahrhunderts nicht allein schon deshalb stillschweigend übergehen, weil sie, wie anzunehmen ist, nicht mehr die unseren sind. Sie erfordern im Gegenteil besondere Aufmerksamkeit, und deshalb sollte in diesem Kapitel mithilfe von vier historischen wissenschaftstheoretischen Ansätzen (Bacon, Collingwood, Fleck, Sieferle) der Blick auf das weitgehende Fehlen einer Definition des Naturbegriffs gerichtet werden. Dass auch diese Ansätze mittlerweile „historisch“ sind – was sie aber keineswegs dem vorschnellen Urteil ausliefern sollte, sie seien „veraltet“ –, schmälert ihre Tauglichkeit im vorliegenden speziellen Kontext nicht. 163 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 32. – OT.: T. Hobbes  : Leviathan (M.), p. 29  : “Nature it selfe cannot erre.”

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Sowohl Bacon, der frühe Vorläufer und Inspirator der Aufklärer, als auch Collingwood, Fleck und Sieferle haben uns über den Einsatz des Naturbegriffs, jeder zu einem bestimmten Aspekt, etwas zu sagen. Francis Bacon steht offensichtlich wie kein anderer für den Beginn eines methodischen Umdenkens der Neuzeit,164 und die Grundgedanken, die er vermittelt, sind, dass zum einen der Zweck der Erkenntnis ihre Nützlichkeit sei und zum anderen diese Erkenntnis auf der Grundlage von Erfahrungstatsachen gewonnen werden müsse.165 In diesem Sinn spricht er zu allen  : zu Newton, zu Voltaire, zu den Enzyklopädisten und insbesondere auch zu den Denkern der Schottischen Aufklärung. In seiner Auseinandersetzung mit der Wissenschaft, dargelegt im Novum Organum, formuliert er weniger ein methodisches Programm für die Aufklärung, als dass er dieser Ziele weist. Er tut dies, wenngleich der vom ihm gewählte Titel zu viel versprochen hat, da eben nicht thematisiert wird, welche Art von Natur interpretiert werden und unter welchen Gesichtspunkten dies geschehen solle. Der Anspruch zielt auf das Was – nämlich von Grund auf und möglichst ohne Vorfestlegungen neu zu denken –, und dass Bacon beim Wie – bei der in Aussicht gestellten Methode – nach heutigen Maßstäben unscharf und auch widersprüchlich geblieben ist, wurde von den meisten einflussreichen Autoren des 18. Jahrhunderts nicht zum Thema gemacht. Deren Verzicht auf fundamentale Kritik erklärt sich nicht zuletzt dadurch, dass sie, jeder für sich, alle ihr eigenes Naturverständnis hatten. Letzteres stand in einem engen Zusammenhang mit der jeweiligen Feinausprägung ihrer eigenen Theorien. Da sich diese Theorien aber in den vorgenommenen Gewichtungen unterschieden, ist es geradezu schlüssig, dass der Ausgangspunkt, nämlich der Naturbegriff selbst, darin eine variable und eben keine feste Größe war – also an die Zwecke vor-angepasst, die mittels seiner Verwendung verfolgt werden sollten. Die Frage, die von dieser Hypothese aufgeworfen wird, ist, ob der jeweilige Naturbegriff dann tatsächlich nur stillschweigend vorausgesetzt oder aber bewusst bedeutungsoffen gehalten wurde, um sodann kalkuliert eingesetzt werden zu können.166 Das zu klären liegt allerdings jenseits der Ziele dieser Untersuchung. 164 W. Krohn  : Einleitung, S. IX f. – Ähnlich O. Höffe  : Moral als Preis der Moderne, S. 49. 165 Auf Letzteres nimmt Hume Bezug, wenn er im Untertitel seines Treatise dessen Zielrichtung herausstellt  : “Being an Attempt to Introduce the Experimental Method of Reasoning into Moral Subjects”, wobei davon auszugehen ist, dass experiment von Hume nicht in der heutigen Bedeutung („Versuch“) gebraucht wird, sondern die „bestimmte (konkrete) Erfahrung“ meint  ; experimental ist somit zu lesen als „auf Erfahrung beruhend“. – Siehe hierzu  : Englisch-deutsches Register. In  : D. Hume  : Verstand, S. 198–222, hier S. 205 f. – Vgl. auch die Angabe unter https://www.merriam-webster.com/dictionary/experimental (A.: 15. 5. 2019)  : “experimental  : of, relating to, or based on experience or experiment” (Hervorh. HK). 166 „Sobald es ein Kollektiv zum Entstehen eines spezifischen [Denk-]Stils gebracht hat und die Arbeit an der Legitimierung der Begriffe gemäß den festgelegten Stilprinzipien beginnt, differenziert sich deren Bedeutung  : Die Worte werden vieldeutig, und jede Bedeutung beginnt, ein gesondertes Leben zu führen.“ Von „Vieldeutigkeit“ spricht hier L. Fleck (in „Das Problem einer Theorie des Erkennens“, S. 107  ; Hervorh. HK), und „vieldeutig“ und damit tauglich für viele unterschiedliche Deutungsrichtungen sind eben die Naturbegriffe, deren sich die Aufklärer bedienten.

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Robin Collingwood liefert mit seinen theoretischen Überlegungen zu den Präsuppositio­ nen eine wertvolle Analogie. Präsuppositionen nämlich sind in der Gegenwartssprache das, was der Naturbegriff in den Werken der Aufklärung ist  : das vor allem anderen Angenommene nämlich, das Zugrundeliegende und der Ausgangspunkt schlechthin. Collingwoods Überlegungen zu den Präsuppositionen zeigen, dass dieses Vorausgehende zum einen ein Vorausgesetztes, zum Zweiten ein aus dem ihm Nachfolgenden zu Entschlüsselndes und zum Dritten etwas ganz und gar „Übliches“ ist oder zumindest sein kann – der alltägliche Sprachgebrauch legt es nahe. Ludwik Fleck verdanken wir die Mahnung, Gruppen von Wissenschaftlern nicht von vorn herein als Gruppen von Individuen aufzufassen, sondern, sofern sie sich zeitgleich denselben Gegenständen widmen, als Denkkollektive. Zudem erklärt er einige der Mechanismen, die zur Entstehung eines Denkstils führen, dem das individuelle Denken umgekehrt ausgesetzt ist und gehorcht. Wenn man bereit ist, die Autoren der Aufklärung als Denkkollektiv oder als mehrere Denkkollektive167 zu begreifen, so kann sich der gleichermaßen bei allen stillschweigend vorausgesetzte Naturbegriff auch als ein Phänomen eben ihres Denkstils lesen lassen. Rolf Peter Sieferle zeigt anhand von zwei ganz unterschiedlichen Naturmodellen – dem der „gefallenen Natur“ und dem des „ökonomischen Naturhaushalts“ –, dass diese nicht nur als sozial bedingte Modelle für das Weltverständnis zu betrachten sind, sondern dass durch sie auch deutlich wird, was überhaupt einer Erklärung bedarf. Jede Erklärung der Welt nämlich setzt in prognostischer Hinsicht ein Naturmodell voraus, das diese Erklärung erst möglich macht, indem es ihr einen Bezugspunkt bereitstellt. Daher wäre im Rahmen eines abgeschlossenen Naturmodells wie dem der natura lapsa, das zudem eine Bewegungsrichtung vorgibt – nämlich auf ein tatsächliches Ende, ja den Untergang hin –, weder das aufklärerische Vertrauen in die Verbesserungsfähigkeit der menschlichen Gattung noch die Zuversicht in die Optimierung der menschlichen Lebensbedingungen denkbar, weil eben der Gedanke an eine Verbesserung des Ganzen darin wie selbstverständlich nicht angelegt ist. Modelle der Zuversicht erfordern folglich die Vorstellung von einer Natur, die sich aus sich selbst heraus zu erneuern vermag.

5.4 Naturverständnis und Anthropologie

In welchen Schriften der Schottischen Aufklärung auch immer der Begriff der Natur verwendet wird (und er wird es in sämtlichen) – es zeigt sich stets eine bestimmte semantische Differenzierung. Denn es wird zum einen von der Natur gesprochen, die 167 Auf die Überlegung, ob man von der Aufklärung im Plural sprechen könne – also in Flecks Diktion von mehreren Denkkollektiven –, zielt die Formulierung des folgenden Titels ab  : S. Jüttner / J. Schlobach (Hrsg.)  : Europäische Aufklärung(en). Siehe den Abschnitt 3.2 („Einordnung, Ordnung und Kontext der Aufklärung“).

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dem Menschen gegenüber steht, und zum andern von jener, die dem Menschen als seine vorgegebene Ausstattung zugehörig ist  : eben die „menschliche Natur“. Und um auf das vorangehend Gesagte nochmals Nachdruck zu legen  : Im 18. Jahrhundert mussten rationalistische Konstrukte, also spekulative Annahmen ein im heutigen Sinn empirisch gewonnenes, belastbares Wissen über diese menschliche Natur noch in nicht unerheblichem Maß ersetzen. Dennoch trugen diese Annahmen im Sinn von Axiomen notgedrungen die Last aller weiteren Argumentation. Dies ist von weitreichender Bedeutung, denn das Naturverständnis war der Ausgangspunkt, von dem aus das menschliche Dasein erklärt werden musste  : Das, was unter der Natur selbst verstanden wird, erzeugt das Weltbild, und Aussagen über die Natur des Menschen schaffen das Menschenbild. Dieses Menschenbild liegt – mitunter explizit, meistens aber stillschweigend – den Theorien über den Menschen ebenso zugrunde, und somit gilt  : Das, was eine Theorie über den Menschen aussagt, hängt in hohem Maß davon ab, was diese Theorie ursprünglich vom Menschen vorausgesetzt hat. Zumindest ein Rest von Zirkularität bleibt hier also unaufhebbar. Wie sehr sich die Denker des 18. Jahrhunderts dieser Problematik bewusst waren, lässt sich nicht verallgemeinernd darstellen. Offensichtlich ist jedoch, dass sie den Naturbegriff, wollten sie weiterhin ausgehend von ihm argumentieren, als etwas Klärungsbedürftiges ausgemacht haben, und dieser Klärung wandten sie sich verstärkt zu.168 Die Grundfrage, die sie in diesem Zusammenhang zunächst registriert, sodann behandelt und zuletzt durch einen Entscheid geklärt haben, ist eine anthropologische, und sie lautet  : Ist der Mensch gänzlich Teil der Natur  ? Die Antworten führen von einem ursprünglichen, von den Offenbarungsreligionen vorgegebenen, Nein über ein In-gewisser-Weise-Ja zu jenem ausdrücklichen Ja, über das im Lauf der Zeit mehr und mehr Einigkeit herrscht. Das 18. Jahrhundert ist die Epoche, in der sich dieser Verständniswandel vollzieht. An seinem Anfang steht die Religionskritik, die sich den Anteil bewusst macht, den der Mensch an der biblischen Überlieferung hat. Die weitere Entwicklung wird durch die – im Sprachgebrauch der Zeit – Naturphilosophie und die frühe Anthropologie bestimmt. Sie machen den Menschen zu einem „Tier unter Tieren“. Der vorläufige Abschluss dieses Prozesses ist das Werk der empirisch-mathematischen Wissenschaften. Sie zeigen die Natur ebenso wie die Menschen gleichermaßen Gesetzen unterstellt  : eben Natur-Gesetzen. Solche Naturgesetze sind dem Zugriff des Menschen entzogen. Er kann lediglich anstreben, diese Gesetze in zunehmendem Maß zu erkennen und zu verstehen, um sie für seine Zwecke nutzbar zu machen oder zumindest im Einklang mit ihnen zu existieren. Elias spricht in diesem Zusammenhang von einer Zunahme an „realitätsgerechten Symbolen“, die „den Menschen der Gesellschaft, die diese Symbole gebraucht, eine sichere Orientierung in ihrer Welt ermöglichen“ sollen.169 Was ein Denker der Schottischen 168 Dass sie dabei mehr oder weniger zuversichtlich auf die Übertragbarkeit der von der natural philosophy angewandten Methodik auf die moral philosophy hofften, liegt nahe. 169 Vgl. N. Elias  : Über die Natur, S. 118 f.

Naturverständnis und Anthropologie |

Aufklärung unter einer sicheren Orientierung in der Welt verstehen mochte – neben aller Natur-Erkenntnis war das im Sinn Bacons auch Natur-Beherrschung –, findet sich von Ferguson in den Principles anschaulich in Worte gefasst  : „Der Mensch also, der seine Verhältnisse kennt und sich in Stand setzen will, seine Bestimmung zu erfüllen [to be qualified for his station], muss gleich sehr darauf bedacht sein, sich mit den Grundlagen von beiden näher bekannt zu machen. […] Und man kann von dem menschlichen Geschlecht überhaupt sagen, dass eine Erweiterung seiner Kenntnis ein Zuwachs seiner Macht ist [that an extension of knowledge is an accession of power].“170

Die Argumentation vieler Philosophen des 18. Jahrhunderts, keineswegs nur der schottischen, stützt sich auf die Erkenntnisse einer frühen Form der Anthropologie. Darunter ist einerseits eine „Naturgeschichte des Menschen“ zu verstehen, andererseits die Untersuchung des Menschen als eines Phänomens unter anderen innerhalb der Natur.171 Folgt man den Ergebnissen von Moravias Untersuchungen, so offenbaren sich zeitliche Parallelen bei der Entstehung von Politischer Ökonomie und Anthropologie. Während eine frühe Volkswirtschaftslehre sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Kreis der schottischen Denker aus der Moralphilosophie herausbildet, geht der Beginn der Anthropologie auf zeitgleiche Entwicklungen im Denken des französischen Zweiges der Aufklärung zurück  ;172 die schottischen Empiristen können darauf im Sinn einer Grundlagen- oder Hilfswissenschaft zurückgreifen.173 Der „Denkstil“ ging in beiden Fällen dahin, das Menschenbild aus einer spekulativ-metaphysischen Betrachtung zu lösen und es durch die Untersuchung der überprüfbaren Bedingungen der realen menschlichen Existenz zu schärfen. Die Voraussetzungen allerdings, um diese menschliche Existenz wirklich – darunter ist zu verstehen  : mit empirischen Mitteln – untersuchen zu können, mussten erst geschaffen werden. Das Programm immerhin ließ sich bereits formulieren, wie sich erneut bei Ferguson zeigt  : Es sei die „erste Pflicht der […] moralischen Weisheit […], die Aufmerksamkeit der Menschen vom Himmel auf die Erde, oder von der Betrachtung entfernter Gegenstände auf die näherliegenden und unmittelbaren Angelegenheiten des menschlichen Lebens zurück zu rufen.“174 Darin ist das Programm einer Säkularisierung 170 A.  Ferguson  : Gründe, S. 4 f. (historische Schreibweise korrigiert). – OT.: ders.: Principles, I, p. 2. 171 S.  Moravia  : Beobachtende Vernunft, S. 19. 172 Vgl. hierzu S.  Moravia  : Beobachtende Vernunft, S. 10 f., der die Gruppe der „Société des Observateurs de l’homme“ als die eigentlichen Begründer jener Wissenschaften ausmacht, „die wir heute als Kulturanthropologie und Ethnologie bezeichnen“ (ebd. S. 9). 173 In welchem Umfang die neuen Erkenntnisse von führenden Autoren wie Hume, Smith oder Ferguson tatsächlich genutzt wurden, könnte das Ziel einer eigenen Untersuchung sein. Im Fall von Smith sind wir in der glücklichen Lage, diejenige Literatur zu kennen, die er selbst gekannt haben könnte, zumindest aber besessen hat – siehe H. Mizuta  : Adam Smith’s Library. 174 A.  Ferguson  : Gründe, S. 8. – OT.: ders.: Principles, I, p. 4. – Dass durch die Nähe zum Gegenstand, dem

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der Wissenschaft zu erkennen, das zum künftigen Leitbild wurde. Sätze wie derjenige Fergusons dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Ende des 18. Jahrhunderts noch Klagen über einen Mangel an anthropologischem Wissen geführt wurden.175 Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, wie grundlegend sich die Fragestellung der Wissenschaft in den Jahrzehnten davor bereits gewandelt hatte. An die Stelle der spekulativ beantworteten Frage „Was ist der Mensch  ?“ war nämlich immer deutlicher das Bestreben getreten, herauszufinden, was der Mensch „nachweislich“, also aufgrund empirisch gewonnener Erkenntnisse sei. Es ging ausdrücklich darum, den Menschen, der gemäß der herkömmlichen – also religiös geprägten – Überzeugung und in den metaphysischrationalistischen Denktraditionen eine Sonderstellung innerhalb der Schöpfung eingenommen hatte, in die Natur einzufügen. Denn erst als deren Teil konnte er dann ja, ganz im Geist der Zeit, mit der „physikalischen“ Methode erfasst und beschrieben werden.176 Sehr konsequent hatte diesem Gedanken Voltaire in seiner Metaphysischen Abhandlung von 1734 Ausdruck verliehen. Seine Methode, die Krone der Schöpfung auf die Erde herabzuholen, war geprägt von lakonischer Rhetorik, und sie mag vielen Zeitgenossen als eine Provokation erschienen sein  : „Der Mensch ist ein schwarzes Tier mit Wolle auf dem Kopf, das auf zwei Pfoten läuft, fast so geschickt wie ein Affe, weniger stark als die anderen Tiere seiner Größe, das mehr Vorstellungen hat als sie und mehr Geschick, sie auszudrücken  ; im Übrigen ist er denselben Notwendigkeiten unterworfen, wird geboren, lebt und stirbt, ganz wie sie auch.“177 Entzauberung ist hier das Programm, und somit wurde der Mensch zu einem Tier wie fast jedes andere auch, das sich nun eben – und gerade darum musste es gehen – wie jedes andere Tier beobachten und untersuchen ließ. Nahezu zeitgleich mit Voltaire wies der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707–1778) 1735 in seinem Systema naturæ178 dem Menschen einen exakten Platz inMenschen, aber nicht zwangsläufig ein zuverlässiger Weg zu seinem Verständnis gegeben war, blieb Ferguson jedoch nicht verborgen  : „Wirklich dürfte eine der Hauptschwierigkeiten bey vorzunehmenden Untersuchungen über die Natur des Menschen, in der Vertraulichkeit [gemeint  : Vertrautheit] mit dem Gegenstande, und in der Einbildung liegen, daß wir bereits eine hinreichende Kenntniß davon besitzen.“ Ebd., S. 9. – OT.: ders.: Principles, I, p. 5. 175 S.  Moravia  : Beobachtende Vernunft, S. 17. 176 Ebd., S. 19  : „Die moderne Wissenschaft vom Menschen konnte nur dadurch entstehen, daß sie das jahrhundertelange Joch einer anspruchsvollen Anthropologie abschüttelte, die den Menschen als ein ganz besonderes Wesen der natürlichen Ordnung betrachtet hatte.“ – Eine interessante Ergänzung zu dieser Thematik liefert Ferguson in  : ders.: Gründe, S. 3  : „In Rücksicht auf das, was die Menschen wirklich gethan, oder der Beobachtung dargebothen haben, ist die menschliche Natur ein Gegenstand der Geschichte und der Physik [subject of history and physical science]  : aber in Beziehung auf die verschiedenen Grade von Gut und Böse betrachtet, deren die Menschen fähig sind, ist eben diese Natur ein Gegenstand der Disciplin [der Fachrichtung] und der Moral [the same nature is a subject of discipline and moral science].“ – OT.: ders.: Principles, I, p. 1. 177 Voltaire  : Metaphysische Abhandlung, S. 10 f. 178 C. v. Linné (Carolus Linnaeus)  : Systema Naturae/Natur=Systema. – Linnés Systematik ornet in „Des Thier=Reichs Erste Classe, die Vierfüssigen“ den Menschen unter „Erste Ordnung. Die Menschengestaltigen“ wie folgt ein  : „1. Homo. Der Mensch. 2. Simia. Der Affe. 3. Bradypus. Das Faul=Thier“ (ebd. S. 44).

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nerhalb der Natur zu, und zwar, indem er ihn strikt morphologisch und ohne jegliche Rücksichten auf theologische Dogmen179 oder metaphysisch-spekulative Vorstellungen im Sinn des kartesischen Menschenbildes einordnete, das durch einen Dualismus von Sein und Geist (res extensa und res cogitans) und dadurch eben durch das NebeneinanderSein von beiden gekennzeichnet war.180 Was zunächst aber wie ein folgerichtiger unspektakulärer Übergang vom neuzeitlichen metaphysischen Rationalismus zur Vorherrschaft empirischer Herangehensweisen aussieht, kommt hinsichtlich seiner Implikationen einer abrupten Zäsur gleich.181 Es geht nun nicht mehr um den Dualismus, also das Nebeneinander von geistiger Substanz und physischem Körper, sondern um die Erforschung von deren „konkret nachweisbaren materiell-sinnlichen Wechselwirkungen“.182 Ein weiterer wichtiger Wegbereiter dieser neuen Sicht auf den Menschen ist neben Linné der englische Gelehrte David Hartley (1705–1757).183 Er nimmt in seinen um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstandenen und bis ins 19. Jahrhundert hinein viel beachteten Observations on Man das Vorhandensein einer Interdependenz von Körper und Geist an und steht damit für die neue Perspektive. Das (Descartes’sche) Nebeneinander wird von ihm als ein Ineinander wahrgenommen. Der Geist ist mittels der corporeal causes zum Teil des Körpers geworden  ; er speist sich assoziativ aus Sinneseindrücken, und zwar auf eine im wörtlichen Sinn materielle Weise, nämlich durch subtle influences of the small parts of matter.184 Somit verliert der Geist gewissermaßen seine Immaterialität Der Mensch mag zwar an der Spitze der Tiere stehen, aber jedenfalls ist er selbst auch nur ein solches. – Die 1. Auflage war 1735 in Leiden unter dem Titel „Systema naturæ, […] sive regna tria naturæ systematice proposita per classes, ordines, genera, & species“ erschienen. 179 Kondylis spricht in diesem Zusammenhang plakativ von der „Emanzipation [der Natur] von Gott“  : P.  Kondylis  : Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 59. 180 S.  Moravia  : Beobachtende Vernunft, S. 21  : „Die Fragen, die das menschliche Denken und Fühlen betrafen, emanzipierten sich nur langsam von der Jahrhunderte alten dualistischen Philosophie, bis sie sich schließlich in einen weltlich-natürlichen, anthropologisch relevanten Rahmen eingefügt hatten.“ 181 Dies trifft insbesondere dann zu, wenn man Kondylis  : Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 36 f., folgen will, der sagt  : „Rationalismus wäre also für uns die zweckmäßige, formallogisch einwandfreie Verwendung der argumentativen Mittel, die das Denken zur Verfügung stellt, zur Untermauerung einer Grundhaltung.“ Dieser Satz klärt Grundsätzliches, und wenn man sich die Definition, die er enthält, zu eigen macht, so folgt daraus, dass der Terminus „Rationalismus“ nicht zur Abgrenzung der Aufklärung von jenem Denken geeignet ist, das ihr voranging. In diesem Sinn also, als formallogische Aussage über das jeweilige Denken, wird in dieser Untersuchung der Rationalismusbegriff verstanden und verwendet. Es soll, wieder mit Kondylis, nicht „die Absurdität [begangen werden], Thomas von Aquin für weniger rationalistisch als Hobbes, oder Machiavelli für weniger rationalistisch als Kant zu erklären“. (S. 36) 182 S.  Moravia  : Beobachtende Vernunft, S. 26. 183 Informationen über den Moralphilosophen, Psychologen, Mediziner und Mathematiker David Hartley finden sich online in  : R. C. Allen  : “David Hartley”. 184 D. Hartley (Hinweis auf ihn bei S. Moravia  : Beobachtende Vernunft, S.  26 f.)  : Observations on Man  ; hier nach der Aufl. London 1791, wo es heißt  : “Since therefore sensations are conveyed to the mind, by the efficiency of corporeal causes [… It] seems to me, that the powers of generating ideas, and raising them by

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und erscheint aufgrund dieses Zusammenhangs nunmehr mit empirischen Methoden untersuchbar, wie überhaupt die Einholung des Menschen in das Naturganze es erst vorstellbar macht, ihn „als natürliches und experimentell erfaßbares Wesen“ zu sehen und zu analysieren.185 Am Ende einer langen Entwicklung, die den Menschen aus seiner theologisch vermittelten Stellung außerhalb der übrigen Natur mittels vieler Zwischenschritte letztlich in diese einfügt, steht also ein Wesen, das als Teil der Natur wie diese selbst den Naturgesetzen unterworfen ist.186 Die Frage nach der Natur des Menschen, von allen Aufklärern sowohl gestellt als auch, entsprechend der jeweiligen Absichten, auf durchaus unterschiedliche Weise beantwortet, ist eine Frage nach diesen unabänderlichen Gesetzen. Sie zu ergründen, wurde im 18. Jahrhundert nicht nur als eine Aufgabe der Naturwissenschaft, sondern auch der entstehenden science of man aufgefasst. Insbesondere letztere geht nun ihrerseits von Vorannahmen über die Natur des Menschen aus, um zu Aussagen über diese Natur des Menschen zu gelangen – ein Paradoxon, das jedoch ein unterschwelliges blieb. Bei diesen Präsuppositionen handelt es sich um nichts anderes als um Bilder vom Menschen, und diese haben politische Implikationen, denn „was eine gute Ordnung für den Menschen ist, hängt davon ab, wer der Mensch ist.“187 Der „eigentliche“ Mensch, wie er als „von der Natur gewollt“ gedacht wird, ist nicht nur das Ziel aller Überlegungen, sondern er steht auch an ihrem Anfang, ja er geht diesen voraus. Allerdings finden sich Präsuppositionen über die Natur auch in anderen Zusammenhängen, etwa in wissenschaftstheoretischen Überlegungen. Wenn Smith versucht, dem Vorbild Newtons folgend alles menschliche Handeln als durch ein einziges Prinzip veranlasst zu erklären, ist als stillschweigende Voraussetzung mit im Spiel, dass „[…] das System der menschlichen Natur […] einfacher und angemessener [erscheint], wenn alle ihre verschiedenen Funktionen und Leistungen auf diese Weise aus einem einzigen Prin-

association, must also arise from corporeal causes, and consequently admit of an explication from the subtle influences of the small parts of matter on each other, as soon as these are sufficiently understood.” (Ebd., p. 72, Hervorh. HK) – Smith besaß Hartleys zweibändiges Werk in seiner Bibliothek  ; siehe H. Mizuta  : Adam Smith’s Library, p. 114. 185 S.  Moravia  : Beobachtende Vernunft, S. 30. 186 Wie sich diese Entwicklung vollzogen hat und wie sich in dieser Entwicklung auch im 18. Jahrhundert noch alte und neue Erklärungen wie selbstverständlich überlagern konnten, macht Linnés deutscher Übersetzer Müller deutlich. Er liefert ein eindrucksvolles Zeitbild des Naturverständnisses im Übergang von einer theologisch vermittelten zur von den Naturwissenschaften geprägten Weltsicht  : „Der Mensch wird billig als das Haupt aller Thiere oben an gesetzt. Er gehöret würklich zum Thierreich, denn die körperliche Verfassung lehret es, und zwar zu den vierfüssigen Thieren, (denn wild [sic  !] gehet er auf allen Vieren,) […] Er ist aber der edelste unter allen Thieren, weil sein Körper der künstlichste und schönste ist, weil er gerade gehet, […], und endlich deswegen, weil in ihm eine vernünftige Seele wohnet, die nach dem Bilde Gottes erschaffen ist, und weil ihm von Gott die Oberherrschaft über alle Thiere gegeben worden, ja er ist der König der Thiere.“ In  : Des Ritters Carl von Linné […] vollständiges Natursystem […], S. 61. 187 K. G. Ballestrem  : Homo oeconomicus  ?, S. 194 (Hervorh. i. OT.).

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zip abgeleitet werden.“188 Die Voraussetzung ist bei einem derartigen Vorgehen Teil der Argumentation selbst, und zwar ist sie dies im Sinn einer rhetorischen Figur, die sich dem genaueren Blick ob ihrer vordergründigen Plausibilität allzu leicht zu entziehen droht.189 In Wirklichkeit konnte es sich keineswegs stichhaltig begründen lassen, warum den „verschiedenen Funktionen und Leistungen“ nicht ebenso gut unterschiedliche Auslösefaktoren zugrunde liegen könnten – es sei denn, man glaubte wie Smith an eine bestimmte Harmonie des Kosmos, in dem sich die Wirkweise der zwischen physischen Körpern herrschenden Gravitationsgesetze ohne Abstriche auf die Handlungsantriebe der Menschen übertragen lässt. Und eine solche Grundüberzeugung von einer universellen Harmonie kann mit Collingwood als Präsupposition und mit Fleck als Uridee oder Präidee und somit als Prämisse eines Denkstils verstanden werden.

5.5 Die Spannweite des Naturbegriffs in der Schottischen Aufklärung

Um es zu rekapitulieren  : Das Menschenbild der Aufklärung ist auch das Ergebnis von mehreren Entwicklungsprozessen, in denen dem Naturbegriff eine bestimmende Rolle zukommt. Die bibelgetreue Perspektive einer ab dem Zeitpunkt der Genesis ihrem unvermeidlichen Untergang zustrebenden Welt wird im 18. Jahrhundert nachdrücklich ersetzt durch die Vorstellung von einer Natur, die durch feststehende und somit verlässliche immanente Gesetze regiert wird. Das große Rätsel der Prognose – worauf strebt alles zu  ? – sollte damit seiner Lösung umso näher gerückt werden, je mehr die Naturerkenntnis anwuchs. Das Denken der Aufklärung beraubte den Menschen also einerseits seiner Sonderstellung innerhalb der Schöpfung, gab seinem Tun aber andererseits mit der Berufung auf eine nun nicht mehr a priori dem Untergang geweihte, sondern sich stets erneuernde Natur die Aussicht auf einen Daseinssinn im Diesseits und auf stetige Verbesserung der Umstände des Lebens. War damit der gewandelte Denkstil der Epoche bereits ganz abgesteckt  ? Eine solche Folgerung entspräche wohl dem Selbstverständnis eines Großteils der Aufklärer selbst, andererseits handelt es sich dabei um einen Rückblick mit dem Abstand von zwei, drei Jahrhunderten aus einer Perspektive, die es auf übergreifende geistesgeschichtliche Entwicklungslinien abgesehen hat.190 188 A.  Smith  : Theorie, S. 140. – OT.: ders.: Theory, II,ii,3|5. – Eine besonders anschauliche Warnung vor jeglichem apodiktischem Postulat einer bestimmten Art von Wirklichkeit findet sich in einer wissenschaftstheoretischen Überlegung von Kurt Riezler aus dem Jahr 1928  : „Woher können wir wissen, daß eine von uns unabhängige Welt […] einheitlich geordnet und in dieser Ordnung beharrlich sei  ? Nur weil wir es so wünschen  ? […] Haben wir vielleicht den Wunsch zum Vater des Gedankens gemacht und diese […] Wirklichkeit mit einem Zuviel an Eigenschaften beladen  ?“ K. Riezler  : Die Krise der „Wirklichkeit“, hier S. 709. 189 Hier von einem „heuristischen“ Verfahren zu sprechen, wäre insofern nicht angebracht, als es sich nicht um eine vorläufige – ausgewiesene – Annahme handelt, sondern um eine stillschweigende. 190 In Wirklichkeit war es allerdings so, dass die überkommenen Denkformen außerhalb der akademischen

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Im Sinn einer Bezugsgröße wurde nach dem Menschen im ursprünglichen Zustand gesucht, also nach dem vom Schöpfer am sechsten Tag der Genesis in die Welt gesetzten „Original“. Aus diesem sollten die Erkenntnisse über die wahre Absicht der Natur gewonnen werden. Dieser Ansatz aber konnte zu jedem denkbaren Ergebnis führen  : zu Rousseaus von Natur aus gutem Menschen ebenso wie zu dem die eigenen Artgenossen unablässig bedrohenden, wie Hobbes ihn sich vorgestellt hatte. Auch die Aufklärer verharrten in dieser Frage noch lange in rationalistischer Spekulation, und sie fragten damit, indem sie Überlegungen zum Naturzustand anstellten, an ihrem eigentlichen Interesse vorbei. Das nämlich galt ausschließlich dem in die Gesellschaft eingebundenen Menschen ihrer Gegenwart, demjenigen, der sich von den Anfängen seiner Gattung in zahllosen Sozialisierungsschritten weit entfernt hatte. Es galt dem zivilisierten Menschen, und in Fergusons Essay wird dies deutlich.191 Dessen Charakteristikum nämlich ist es, dass darin die überkommene Fragerichtung gewissermaßen umgekehrt wird, und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen lehnt Ferguson die Versuche ab, aus einem gedachten Naturzustand „allgemeine Prinzipien“ ableiten zu wollen,192 und stellt ihnen die Perspektive auf die gegenwärtige Lage der Menschheit gegenüber. So glaubt er denn vielmehr – und zwar „ohne weiter auf moralische oder physikalische Fragen zur Art oder Quelle unserer Erkenntnis einzugehen, ohne den Scharfsinn in Frage stellen zu wollen, der jedes Gefühl analysieren will und jeder Daseinsweise bis zu ihrem Ursprung nachspüren möchte“ –, dass der „Charakter des Menschen, wie er jetzt ist, und die Gesetze seines animalischen und intellektuellen Wesens, von denen heute sein Glück abhängt, unsere Hauptaufmerksamkeit verdienen […].“193 Mit dieser Herangehensweise jedoch steht Ferguson, der ganz die Empirie als Quelle der Erkenntnis hervorhebt, im Gegensatz zu Smith, der deduktiv vorgehen wollte und durchaus noch einem rationalistischen Denken verhaftet war, wenn er alle „verschiedenen Funktionen und Leistungen [der menschlichen Natur] aus einem einzigen Prinzip“ ableiten zu können hoffte194 – und somit an die Hoffnung an eine „ideale“ Konstellation gebunden war. Doch Ferguson geht zum zweiten noch sehr viel weiter. Denn für ihn ist der Naturzustand nicht etwas, das ganz am Anfang der menschlichen Entwicklung liegt  ; vielmehr sieht er darin deren Endziel  : „Bei genauerer Nachforschung wird [der Mensch] finden, daß sein eigentlicher Naturzustand – in diesem Sinne verstanden – nicht ein Zustand ist, von dem sich die Menschheit für immer entfernt hat, sondern einer, den sie jetzt erreichen kann  ; nicht ein Zustand, der vor aller AnKreise und der Gruppe der Aufklärer selbst nur sehr langsam abgelöst wurden und mit dem Segen der Kirchen je nach Region und Bildungsstand noch sehr lange die Oberhand behielten. 191 Ebenso wie „Natur“ ist auch „Zivilisation“ ein die Schottische Aufklärung prägender Begriff. Siehe die Abschnitte 2.1.7 („Der Begriff der Zivilisation“) sowie 8.1 („Quellen zur Entwicklung der Zivilisation“). 192 A.  Ferguson  : Versuch, S. 99. 193 Ebd., S. 99 (Hervorh. HK). 194 A.  Smith  : Theorie, S. 140. – OT.: ders.: Theory II,ii,3|5.

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wendung ihrer Fähigkeiten existiert hätte, sondern einer, der durch ihre richtige Anwendung gerade errichtet wird.“195

Der Blick ist also nicht mehr in die fernste Vergangenheit, sondern in die nahe Zukunft gerichtet. Die Natur des Menschen gilt Ferguson nicht mehr als etwas Feststehendes und Gegebenes, das sich aus einer Hypothese ableiten ließe. Vielmehr ist sie einerseits etwas geradezu Konkretes, andererseits etwas historisch Gewordenes, das sich nun an den gesellschaftlichen Umständen Großbritanniens im 18. Jahrhundert ablesen lässt. Der Mensch, der im Mittelpunkt von Fergusons Aufmerksamkeit steht, ist nicht der von Sozialisierungsprozessen noch unberührte eines hypothetischen Naturzustands und auch keineswegs der Mensch „an sich“, sondern es ist derjenige, den vor Augen hatte, wer etwa in Edinburgh vor die Tür trat. Spekulative Annahmen erscheinen Ferguson in diesem Zusammenhang als unnötig  ; die „Bereiche der Einbildung und der Vernunft“ fordert er deshalb zu trennen.196 5.5.1 Das Naturverständnis im Rahmen der Interaktion zwischen den Wissenschaften

Auch wenn es in Schottland vor allem Moralphilosophen waren, die das Programm der Aufklärung am eingängigsten formulierten, so ist diese doch keineswegs nur ein geistesgeschichtliches Phänomen. Vielmehr war es gerade der Aufstieg der Naturwissenschaften, dem die Rolle des auslösenden Moments zukam. Newton wirkte als Inspirator, das Experiment197 erschien als der Schlüssel zu aller Erkenntnis. Hume wusste sich durchaus im Einklang mit den fortschrittlichsten Denkern seiner Zeit, wenn er seinem Treatise als Motto voranstellte, die experimental method der natural philosophy auf moral subjects zu übertragen,198 die Gegenstand einer neuen science of man sein sollten. In ihrer methodischen Herangehensweise näherte sich – so jedenfalls hat es den Anschein – die Moralphilosophie den Naturwissenschaften an. 5.5.1.1 Institutionalisierte Interdisziplinarität  : die ‚gelehrten Gesellschaften‘

Es kamen noch weitere Umstände hinzu, die diese Entwicklung begünstigten und, im Sinn eines Nebeneffekts, dem Naturbegriff seine charakteristischen Konturen verliehen. Parallel zum Abflauen der religiösen Dominanz über die Gesellschaft war in mehreren 195 A.  Ferguson  : Versuch, S. 107 (Hervorh. HK). 196 Ebd., S. 98  : „Bei jeder anderen Gelegenheit glaubt sich der Naturhistoriker […] verpflichtet, Tatsachen zu sammeln, anstatt Mutmaßungen anzustellen. […] Nur in bezug auf sich selbst und in bezug auf Dinge, die zu kennen am wichtigsten und zugleich auch am leichtesten ist, setzt er Hypothesen an die Stelle der Wirklichkeit und vermengt die Bereiche der Einbildung und der Vernunft [confounds the provinces of imagination and reason], der Dichtung und der Wissenschaft.“ – OT.: A. Ferguson  : Essay, pp. 3–4. 197 Zu beachten ist allerdings die historische Wortbedeutung von „Experiment“  ; siehe hierzu die Hinweise auf S. 82. 198 D.  Hume  : Treatise, p. 1.

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Staaten Europas eine besondere Kommunikationskultur entstanden, der es nach und nach gelang, sich aus den Einengungen durch überkommene Dogmen zu befreien und sich von der Kontrolle durch die Kirchen zu emanzipieren. Indem sich ethisch-normative Fragestellungen mit den in den Vordergrund drängenden naturwissenschaftlichen mischten, wurde der Gedankenaustausch auf eine grundlegende Weise interdisziplinär. Dies gilt auch für die Situation in Schottland. In Edinburgh scheint sich diese Entwicklung so unmittelbar wie nirgendwo sonst vollzogen haben, denn die prominenten Vertreter der verschiedenen Disziplinen pflegten hier sowohl untereinander als auch mit Außenstehenden einen besonders engen und direkten Kontakt.199 Eine zeitgenössische Quelle registriert gerade den letzteren Umstand als eine lokale Besonderheit – der „einfache Zugang zu Gelehrten“ wird ebenso gerühmt wie deren Bereitschaft, ihre Erkenntnisse mit anderen zu teilen.200 Den Diskurs der Schottischen Aufklärung zeichnet dieses Charakteristikum der Interdisziplinarität – zumindest eines Interesses und einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Wertschätzung unter den Fakultäten – aus. Der Normalfall an den europäischen Universitäten hingegen stellte sich zumeist noch anders dar  : Die Interaktion im akademischen Milieu war, so sie überhaupt stattfand, durch einen offenen Konflikt beherrscht, über den J. Huber sagt, dass er „die gesamte Modernisierungsgeschichte der Neuzeit durchzieht, beginnend wohl schon im 16. und 17. Jahrhundert in Gestalt der Geringschätzung, die manche Vertreter des mathematisch-naturwissenschaftlichen Rationalismus (etwa Descartes) und Vertreter der damals sogenannten humanistischen Fächer (wie Rhetorik, Poesie, alte Sprachen usw.) einander entgegenzubringen pflegten.“201 In Edinburgh hingegen war mit den Clubs und „gelehrten Gesellschaften“ ein Raum geschaffen worden, in dem sich die Fragestellungen und Erkenntnisse un199 Auf die Einbeziehung gerade dieser „Außenstehenden“ in den Gedankenaustausch weist W. C. Lehmann  : Adam Ferguson. Sociologia e filosofia politica by Pasquale Salvucci (Review), p. 168, hin, wenn er sagt, “that Scottish university professors […] always had close contact with men of affairs and with public life generally – Adam Smith’s give-and-take relations with the Glasgow merchants being an outstanding example.” 200 In diesem Zusammenhang wird häufig die Schilderung eines “Mr Amyat”, des Apothekers des englischen Königs, zitiert. Sie findet sich bei W. Smellie  : Literary and Characteristical Lives, pp. 161–162, und lautet  : “Here I stand at what is called the Cross of Edinburgh, and can, in a few minutes, take fifty men of genius and learning by the hand. The fact is well known  ; but to a native of that city, who has all his days been familiarized with it, and who has not travelled into other countries, that circumstance, though very remarkable, passes unnoticed  : Upon strangers, however, it makes a deep impression. In London, in Paris, and other large cities of Europe, though they contain many literary men, the access to them is difficult […]. In Edinburgh, the access to men of parts [zeitgenössisch für  : umfassend begabte Leute] is not only easy, but their conversation and the communication of their knowledge are at once imparted to intelligent strangers with the utmost liberality. The philosophers of Scotland have no nostrums [wörtlich  : Patentrezepte, gemeint hier wohl  : Geheimnisse]. They tell what they know, and deliver their sentiments without disguise or reserve.” Smellie (1740–1795), selbst Schotte, war der erste Herausgeber der Encyclopaedia Britannica und Naturhistoriker. Die relativierende Beurteilung dieser Quelle durch K. G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 10, der hier wohl ein gewisses Maß an Lokalpatriotismus mit im Spiel sieht, soll nicht verschwiegen werden  : „Der Bericht stammt von einem Schotten […] und ist wohl mit Vorsicht zu genießen.“ 201 J.  Huber  : Milieudynamik, S.  15.

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terschiedlichster Forschungsbereiche gegenseitig durchdringen und befruchten konnten. Hier tauschten sich die Angehörigen der politischen, kulturellen und akademischen Elite auf informelle Weise aus, denn alle waren persönlich miteinander bekannt. Eine der bekanntesten unter diesen Gesellschaften war die Select Society, die von 1754 bis 1764 bestand und deren 163 Personen umfassendes Mitgliederverzeichnis viele führende Vertreter der Schottischen Aufklärung in sich vereinigt, so neben David Hume, Adam Smith und Adam Ferguson die einflussreichen Juristen Henry Home (Lord Kames), James Boswell und James Burnett (Lord Monboddo) sowie zahlreiche Mediziner und Kaufleute, aber auch Naturwissenschaftler, Architekten, Künstler, Beamte, Geistliche und selbst Soldaten.202 Neben diesem quasi-institutionellen Rahmen des Diskurses ist auch eine Reihe von engen persönlichen Beziehungen zwischen Vertretern unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen überliefert. All dies führte zur Herausbildung jener spezifischen Kultur einer an der Praxis ausgerichteten Gelehrsamkeit, für die der Begriff vom hotbed of genius geprägt wurde.203 Es war so etwas wie ein Braintrust entstanden, und in diesem innovativen Klima erweiterten sich die Perspektiven derer, die ihm angehörten. Somit konnte auf der Grundlage unterschiedlich enger persönlicher Bekanntschaften ein Wissenstransfer zwischen den Fachrichtungen stattfinden. Die Aufklärung erhielt gerade in Schottland wertvollste Impulse durch die Vertreter der Natur- und Ingenieurswissenschaften, darunter Chemiker (Joseph Black), Geologen (James Hutton), Techniker und technische Erfinder (James Watt) und andere. Es liegt zweifelsohne nahe, dass dieser intensive gegenseitige Austausch besonders auf den „Denkstil“ (Fleck) der Moralphilosophen einen Einfluss ausübte, der im Auge zu behalten ist.204 5.5.1.2 James Hutton und der fehlgeschlagene Wissenstransfer

Stellvertretend für ähnliche Fälle ist hier das Beispiel der engen Beziehung zwischen Adam Smith und James Hutton (1726–1797) zu erwähnen. Letzterer, von Smith zu einem seiner literarischen Nachlassverwalter bestimmt und in dessen letzten Lebensjahren einer seiner engsten Vertrauten, gilt als der Wegbereiter der modernen Geologie.205 Dabei handelt es sich bei dieser Wissenschaft, ohne dass dies heute noch deutlich im Bewusstsein wäre, um eben jene, die dem Glauben an die Offenbarung vielleicht den empfindlichsten Stoß versetzte, indem sie der Natur eine Chronologie ihrer Entwicklung und damit jene neue Datierung gab, die der von der Bibel überlieferten jegliche Plausibilität 202 Das vollständige Verzeichnis der Mitglieder der Select Society of Edinburgh sowie das der abgewiesenen Kandidaten findet sich bei I. Fleßenkämper  : Considerations – Encouragements – Improvements, S. 373–383. 203 So auch der Untertitel des Bandes von Brühlmeier/Holzhey/Mudroch (Hrsg.)  : Schottische Aufklärung  : „A Hotbed of Genius“. 204 Dazu, wie naturwissenschaftliches Denken auf die Denkweise der Moralphilosophen Einfluss gewinnen konnte, siehe den Abschnitt 13 („Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen“). 205 Zu seiner Bedeutung siehe R. Trümpy  : James Hutton und die Anfänge der modernen Geologie, S. 75–89, sowie J.  Repcheck  : Der Mann, der die Zeit fand.

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entzog. Huttons Naturverständnis war ein für das 18. Jahrhundert vollkommen neues und für seine Zeitgenossen wohl befremdliches,206 denn wer hätte zuvor jemals an eine längst vergangene Welt zu denken vermocht, in der zu einer Zeit Pflanzen entstanden sein sollten, als das gegenwärtig sichtbare Land noch auf dem Meeresgrund lag  ?207 Neu war auch das Naturmodell, das hier vorgetragen wurde. Dieses war einerseits ahistorisch und ungerichtet, andererseits insofern zyklisch, als es für die Reliefbildung der Erdkruste von einer immer wiederkehrenden Abfolge von Erosion, Ablagerung, Hebung und erneuter Erosion ausging.208 Für weltverändernde Ereignisse wie die Sintflut des Alten Testaments war in diesem Modell kein Raum mehr. Vorgestellt wurden Huttons Überlegungen im Rahmen von zwei Vorträgen vor der Royal Society of Edinburgh im März und April 1785, die in schriftlicher Form existieren und auch zugänglich sind.209 Darin findet sich Huttons anschauliche Erklärung seiner Theorie in sehr geraffter Form.210 Streminger macht mit seinem Etikett „Galilei der Geologie“211 nicht nur Huttons Bedeutung innerhalb der Wissenschaft deutlich, sondern legt auch nahe, welch herausgehobene Stellung er in den gelehrten Edinburgher Zirkeln eigentlich hätte innehaben müssen. Seine Umsetzung von beobachteten Phänomenen in eine schlüssige Theorie war nichts weniger als eine der großen Meisterleistungen der Wissenschaftsgeschichte und obendrein ein Glanzstück empiriebasierter Theoriebildung.212 Doch mit seinen wissenschaftstheoretischen Überlegungen, die sowohl ein induktiver Empirismus als auch ein „finalistischer Deismus“ kennzeichneten,213 war Hutton keineswegs aus diesem Umfeld herausgehoben, sondern er befand sich vielmehr ganz im Einklang damit. So ist vor allem auf eine Parallele zwischen den Naturwissenschaften und der Moralphilosophie der schottischen Aufklärer hinzuweisen  : Auch Huttons Geologie kennt das Problem eines Urzustands, ganz in Entsprechung zum immer wieder ins Spiel gebrachten Naturzustand der Philosophie  ; doch bezeichnenderweise kann der Naturwissenschaftler – abgesehen davon, dass er die Existenz einer supreme intelligence in Betracht zieht –, diesen Ur-

206 J.  Hutton  : Theory of the Earth (1795), I, p. 20  : “[…] we are to examine the construction of the present earth, in order to understand the natural operations of time past  ; to acquire principles, by which we may conclude with regard to the future course of things, or judge of those operations  ; by which a world, so wisely ordered, goes into decay  ; and to learn, by what means such a decayed world may be renovated, or the waste of habitable land upon the globe repaired.” 207 Ebd., pp. 177–178  : “Let us, therefore open the book of nature, and read in her records, if there had been a world bearing plants, at the time when this present world was forming at the bottom of the sea.” 208 R. Trümpy  : James Hutton und die Anfänge der modernen Geologie, S. 79. 209 J.  Hutton  : Abstract of a dissertation read in the Royal Society of Edinburgh. 210 Ebd., insbesondere pp. 3–11. 211 G.  Streminger  : Adam Smith, S. 122. – Es muss ins Auge fallen, dass Streminger damit jene beiden Naturforscher, Galilei und Hutton, in einem Atemzug nennt, die den Dogmen der theologischen Welterklärung – absichtslos – mit die empfindlichsten Schläge versetzt hatten. 212 Instruktiv dazu die Darstellung von J. Repcheck  : Der Mann, der die Zeit fand. 213 R. Trümpy  : James Hutton und die Anfänge der modernen Geologie, S. 79.

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zustand von Spekulation weithin freihalten.214 Der Gedanke, dass es vom gegenwärtig Sichtbaren – man würde dies heute wohl als die „erkennbare Faktenlage“ bezeichnen – auf das Vergangene zu schließen gelte, anstatt über dieses in mehr oder weniger schlüssigen Vermutungen zu versinken, war zuvor bereits bei Ferguson aufgetaucht – der übrigens gehörte dem Zirkel um Hutton an.215 Es erscheint nahezu undenkbar, dass Smith, dem an allem Interessierten und entschiedenen Verfechter systematischen Denkens, der eine so enge Beziehung zu Hutton pflegte, sowohl die Implikationen als auch die Tragweite von dessen Werk verborgen geblieben sein können. Auch wenn der Gedanke naheliegt, dass der methodische Transfer unter den Aufklärern in Edinburgh und Glasgow stärker von den Natur- zu den Menschenwissenschaften hin verlaufen ist, als dies in umgekehrter Richtung der Fall gewesen sein wird – zumal eine solche Tendenz ja unter Berufung auf Bacon und vor allem auf Newton von den Philosophen ausdrücklich beschrieben worden war –, verlief dieser Transfer offenbar nicht wirklich zuverlässig. Und so ging manche Erkenntnis zunächst verloren, wie der Fall von Smith und Hutton es zeigt. Smith war nicht nur ein ausgesprochen stringenter, sondern darüber hinaus ein Denker, der „die wissenschaftlichen Methoden der Geistes- und Naturwissenschaften, soweit sinnvoll, als eine Einheit zu sehen und zu begreifen“ in der Lage war.216 In keinem seiner Werke beweist Smith die Richtigkeit dieser Einschätzung deutlicher als in seinem großen Essay über die History of Astronomy.217 Daran, wie hier einer der prominentesten Vertreter der Schottischen Aufklärung den Begriff des „Systems“ erläutert, zeigt sich, wie sehr die Denkansätze der Naturwissenschaften und der Moralphilosophie einander bereits durchdrungen hatten  : „Ein System“ sei, so Smith, „eine imaginäre Maschine, die wir erfinden, um in Gedanken die verschiedenen Bewegungen und Wirkungen miteinander zu verbinden, die bereits in der Wirklichkeit vorhanden sind.“218 Smith war stets auf der Suche nach den Strukturen und Wirkkräften hinter den Dingen, nach den zugrundeliegenden principles, nach Gesetzmäßigkeiten, die man beachten, aber auch – mit Fol214 J.  Hutton  : Theory of the Earth (1795), I, p. 223  : “But, in thus tracing back the natural operations which have succeeded each other, and mark to us the course of time past, we come to a period in which we cannot see any farther. This, however, is not the beginning of those operations which proceed in time and according to the wise oeconomy of this world  ; nor is it the establishing of that, which, in the course of time, had no beginning [sic  !]  ; it is only the limit of our retrospective view of those operations which have come to pass in time, and have been conducted by supreme intelligence.” (Hervorh. HK) 215 R. Trümpy  : James Hutton und die Anfänge der modernen Geologie, S. 78. 216 H. C. Recktenwald  : Würdigung des Werkes, S. XXXIV (Hervorh. übern.). 217 A.  Smith  : Essays, pp. 31–105. – Der vollständige Titel der Abhandlung lautet  : “The Principles which Lead and Direct Philosophical Enquiries  : Illustrated by the History of Astronomy”. 218 Übers. von H. C. Recktenwald  : Würdigung des Werkes, S. XXXIV. – OT.: A. Smith  : Essays, p.  66  : “Systems in many respects resemble machines. A machine is a little system, created to perform, as well as to connect together, in reality, those different movements and effects which the artist has occasion for. A system is an imaginary machine invented to connect together in the fancy those different movements and effects which are already in reality performed.”

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gen – missachten kann. So kommt es keineswegs unerwartet, wenn das obige Zitat mit einem Bekenntnis zur Vereinfachung von Prinzipien seine Fortsetzung findet219 und nur einige Zeilen später darin das Versiegen der antiken Naturforschung beklagt wird, das auf den Niedergang des römischen Reiches gefolgt sei. Erst unter den Kalifen sei sodann die „Suche nach den verbindenden Prinzipien der Natur“ wiederbelebt worden.220 Diese verbindenden Prinzipien der Natur sind es, nach denen Smith sucht und von denen sein Naturverständnis bestimmt ist. Seine Hoffnung ruht in methodischer Hinsicht erklärtermaßen auf einer von den Naturwissenschaften vorgezeichneten induktiven Vorgehensweise im Sinn Bacons. Bemerkenswert ist, dass ein schlagender Beweis für die Zulässigkeit einer solchen Vorstellung von Theorie gerade aus den schottischen Gelehrtenkreisen kam, aus Smiths unmittelbarer Umgebung, eben von James Hutton. Was Smith nämlich von Hutton hätte übernehmen können, erstaunlicherweise aber nicht übernommen hat, das war der Gedanke an die Existenz eines nicht nur ganz und gar geordneten (Groß-)Systems, sondern auch eines solchen, das in der Lage war, sich selbst am Leben zu erhalten. Überdies war ­Huttons Kreislaufmodell keineswegs nur irgendeines, sondern das Modell der wirklichen Welt schlechthin. In der Präsentation seiner Welt-Theorie findet sich der revolutio­ näre Gedanke formuliert  : Die Welt ist eine Maschine mit der Fähigkeit, sich selbst zu „reparieren“.221 Bei all dem darf außerdem nicht übersehen werden, dass Smith auch noch einen weiteren Gesichtspunkt von Huttons Theorie völlig ignoriert zu haben scheint – nämlich den, dass die geologischen Prozesse als ein sich selbst regulierendes, als ein Rückkopplungssystem verstanden werden können, vergleichbar mit dem des Marktes, wie er im Wealth of Nations beschrieben wird. Dies wird noch Gegenstand der Betrachtung sein.222 Smith aber nimmt, was angesichts des engen persönlichen Kontakts geradezu unerklär-

219 A.  Smith  : Essays, p. 66  : “The machines that are first invented to perform any particular movement are always the most complex, and succeeding artists generally discover that, with fewer wheels, with fewer principles of motion, than had originally been employed, the same effects may be more easily produced.” 220 A.  Smith  : Essays, p. 67 (Hervorh. HK). 221 J.  Hutton  : Abstract of a dissertation read in the Royal Society of Edinburgh, p. 216  : „Dies ist die Ansicht, nach der wir nun den Globus untersuchen sollen, damit wir sehen, ob es in der Beschaffenheit dieser Welt ein reproduktives Verfahren [reproductive operation] gibt, durch das eine zerstörte Beschaffenheit wieder repariert werden kann [by which a ruined constitution may be again repaired], und eine Dauer oder Stabilität, die der Maschine auf diese Weise als eine Welt, die Pflanzen und Tiere erhält, verliehen wird. | Aber ist diese Welt nur als Maschine zu betrachten, die nicht länger besteht, als ihre Teile ihre gegenwärtige Position, ihre richtigen Formen und Eigenschaften behalten  ? Oder darf sie nicht auch als organisierte Einrichtung [as an organized body] betrachtet werden  ? Eine solche hat eine Beschaffenheit, in der der notwendige Verfall der Maschine [the necessary decay of the machine] auf natürliche Weise in Ausübung der produktiven Kräfte, durch die sie gebildet worden war, repariert wird [is naturally repaired].“ (E. Ü.) 222 Siehe den Abschnitt 13.3 („Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems“).

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lich erscheint, auf Huttons Arbeiten keinen Bezug. Es ist dies einer jener Fehlschläge im wissenschaftlichen Mit- und Nebeneinander, auf die bereits angespielt wurde.223 5.5.2 Der Einsatz des Naturbegriffs im Dienst rhetorischer Manöver

Wenn die Denker der Schottischen Aufklärung den Begriff der Natur anführten, dann taten sie das weder mit deskriptivem Anspruch noch mit normativer Zielsetzung ausschließlich. Oft nämlich ist von der Natur auch dann die Rede, wenn sie im physischen Sinn gar nicht gemeint ist, nämlich in einer übertragenen Bedeutung und mit rhetorischer Absicht, wie dies in der Alltagssprache geläufig ist. Dann geht es nicht mehr nur um eine Argumentation, die bis in ihre Einzelheiten allen sachlichen Überprüfungen standzuhalten hat, sondern häufig um eine eingängige Darstellung unter Zuhilfenahme von Analogien und auch Redewendungen, deren Hauptzweck die Anschaulichkeit ist. Wenn es etwa bei Smith in der Theory heißt, dass bestimmte „Affekte als notwendige Charakterzüge der menschlichen Natur angesehen“224 würden, so ist der Naturbegriff hier eine rein rhetorische Redundanz und trifft keine Aussage über Smiths Naturverständnis. „Charakterzüge der menschlichen Natur“ ist hier gleichbedeutend mit „menschliche Eigenart“ oder „Charakteristikum des Menschen“. Keineswegs immer ist es auch wirklich die Natur, die als Zeugin angerufen wird, wenn sie im Wortstamm der verwendeten Begriffe noch auftaucht. Oft nämlich geht es nur um das Zum-Ausdruck-Bringen einer nicht eigens zu untermauernden Überzeugung, eben einer scheinbaren Selbstverständlichkeit, wenn das Wort „natürlich“ gebraucht wird.225 Dabei soll nicht der Eindruck erweckt werden, als seien sich die Edinburgher und Glasgower Philosophen der Weite des Bedeutungsspektrums des Wortes nicht bewusst gewesen. Im Gegenteil  : Einer sogar besonders feinen Differenzierung des Begriffs „natürlich“ bedient sich Hume im Buch I seines Treatise, wenn er zwischen etwas unterscheidet, das uns als natürlich erscheint, weil es auf gewohnheitsmäßigem Denken beruht, und etwas, das man als natürlich bezeichnet, weil es auf natürlichen Ursachen beruht – und zwar selbst dann, wenn es „dem eigentlich angemessenen und natürlichen Zustand des Menschen entgegengesetzt“ ist.226 223 Siehe S. 81. 224 A.  Smith  : Theorie, S. 50 f. – Im Original “regarded as necessary parts of the character of human nature”. In  : ders.: Theory, I.ii.3.1, p. 34. 225 So, wie im Deutschen die synonyme Verwendung von „natürlich“, „für gewöhnlich“ und „offensichtlich“ im Sinn einer Bekräftigung häufig ist, gibt es im Englischen die Entsprechung von naturally und obviously. Zieht man nun aber in Betracht, dass Smith in der Theory etwa 170 Mal naturally, nur dreimal obviously und 45 Mal das in der Bedeutung leicht abweichende certainly verwendet, stellt sich die Angelegenheit in einem anderen Licht dar, nämlich als Eigenart von Smiths sprachlicher Performanz  : Er zieht das eine Wort den anderen beiden ganz einfach vor. 226 Hume  : Traktat, I, S. 296  : „Wenn jemand, der im Dunkeln eine artikulierte Stimme hört, daraus schließt, es sei jemand in seiner Nähe, so denkt er richtig und natürlich [reasons justly and naturally], obgleich

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Im Sinn einer Randnotiz, die keine Vertiefung erfahren soll, darf auch Humes rhetorische Eigenart, manch schwer Erklärliches kurzerhand als „selbstverständlich“ oder als von der Natur gewollt darzustellen, nicht unerwähnt bleiben.227 Man kann darauf schließen, dass Hume dieses Vorgehen kalkuliert eingesetzt hat  ; jedenfalls steht der Vermutung von Flüchtigkeit in der Wortwahl eine bereits erwähnte Textstelle im Buch III des Treatise entgegen.228 Dort beweist er ein scharfes Bewusstsein für die Mehrdeutigkeit des Naturbegriffs, indem er dessen Bedeutungsspektrum auffächert und ihn zum einen dem des „Wunders“, daneben dem „Seltenen und Außergewöhnlichen“ und zum Dritten dem „Künstlichen“ gegenüberstellt229 – also dem Unüblichen und dem NichtUrsprünglichen. Die Welt der Wunder wird Hume an anderen Stellen seines Werkes als inexistent aussondern  ;230 wir können dies hier übergehen. Das „Seltene“ allerdings und das „Künstliche“, erst (vom Menschen) Geschaffene, sind als das der „Natur“ Entgegengesetzte von Bedeutung, denn darin kommt zum Ausdruck, was Hume beschreiben will, wenn er der Natur des Menschen auf den Grund geht  : Es ist der generalisierte oder auch idealtypische Mensch mit denjenigen Eigenschaften, die jedem Individuum der Gattung gleichermaßen gegeben sind, ohne dass vorab ein sozialer Einfluss darauf eingewirkt hätte. Die menschliche Natur ist deshalb genau dasjenige, worin alle Menschen sich gleichen und was man bei allen Menschen voraussetzen darf, ohne dass es weiterer Untersuchungen bedürfte. Das ist als semantische Basis implizit mitzudenken, wenn man in den Texten der Schottischen Aufklärung von der „menschlichen Natur“ liest. Ob der Mensch allerdings das, nur das oder überhaupt das ist, was er von Natur aus ist, darf man als die dieser Schluß lediglich der Gewohnheit entstammt, die in ihm die Vorstellung eines menschlichen Wesens erweckt und derselben, vermöge ihrer gewohnheitsmäßigen Verbindung mit dem gegenwärtigen Eindruck, Lebhaftigkeit verleiht. Wenn aber jemand, ohne zu wissen weshalb, im Dunkeln von der Angst vor Gespenstern gequält wird, so kann man zwar vielleicht von ihm auch sagen, er denke und denke natürlich, aber ‚natürlich‘ ist dann doch solches Denken nur in dem Sinne, in dem man auch von einer Krankheit sagt, daß sie natürlich sei. Sie ist es, sofern sie aus natürlichen Ursachen entsteht [as arising from natural causes]  ; sie bleibt darum doch der Gesundheit, also dem eigentlich angemessenen und natürlichen Zustand des Menschen entgegengesetzt [the most agreeable and most natural situation of man].“ (Hervorh. HK). – OT.: D.  Hume  : Treatise, 1.4.4|1, p. 290. 227 Ein Beispiel unter vielen ähnlichen für Humes Vorgehen ist dessen Stellungnahme zum Skeptizismus im Buch I des Treatise (D.  Hume  : Traktat, I, S. 245)  : „Sollte mich nun aber jemand fragen, ob ich […] wirklich einer jener Skeptiker sei, welche dafür halten, alles sei ungewiß, unser Urteilsvermögen besitze in keiner Sache und in keinerlei Weise einen gültigen Maßstab für Wahrheit und Unwahrheit, so würde ich antworten, diese Frage sei vollkommen überflüssig  ; weder ich noch irgend sonst jemand sei jemals aufrichtig und konsequent dieser Meinung gewesen. Die Natur nötigt uns mit absoluter und unabwendbarer Notwendigkeit [Nature, by an absolute and uncontroulable necessity, has determined us], Urteile zu fällen, ebenso wie sie uns nötigt zu atmen und zu empfinden.“ Wie man diese „Notwendigkeit“ erkennen kann und wie Hume sie erkannt zu haben glaubt, bleibt offen (Hervorh. HK). – OT.: D. Hume  : Treatise, 1.4.1|7, p. 123. 228 Siehe S. 189, Fn. (D. Hume  : Traktat, II, S. 216). 229 D.  Hume  : Traktat, II, S. 36. 230 D.  Hume  : Verstand, S. 128–155.

Die Spannweite des Naturbegriffs in der Schottischen Aufklärung |

offene Flanke dieses Selbstverständnisses ansehen. Ferguson hat, wie oben angedeutet,231 auf das Spannungsverhältnis zwischen dem actual state und der improveable capacity des Menschen bereits ausdrücklich hingewiesen und damit dem Themenkreis der Moralphilosophie eine „soziologische“ Perspektive nahegebracht. Dabei lotet er die von ihm ins Spiel gebrachte Erweiterungsfähigkeit – improveable capacity – nicht in normativer Hinsicht aus, sondern sucht sie als Gegebenheit – wiederum als tatsächlich naturgegebenes Potenzial – nach Art einer Bestandsaufnahme zu beschreiben.232

231 Siehe S. 187. 232 Ferguson macht somit eher Halt, als es etwa Condorcet tun wird, der das konstatierte Entwicklungspotenzial des Menschen normativ weiterdenkt und trotz eines ähnlichen Aufbaus, wie ihn Ferguson für seinen Essay gewählt hatte, letztlich bei „den künftigen Fortschritten des menschlichen Geistes“ anlangt und sich eine bessere Welt ausmalt. Siehe Condorcet  : Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes, S. 345.

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6. Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz

Eine wesentliche Facette des politischen Denkens ist die Erklärung von gesellschaftlichen Gegebenheiten mit dem Ziel einer Formulierung von Prognosen im Hinblick darauf, wie und zu welchem Zweck diese Gegebenheiten sich verändern lassen. Da ein Verändern Handeln bedeutet und dieses Handeln stets in die Zukunft gerichtet ist, ist politisches Denken auch eine Auseinandersetzung mit dem nicht mit Sicherheit Absehbaren, mit Kontingenz  : Die Analyse dient immer auch der Prognose, in der Zuversicht oder Skepsis ihren Niederschlag finden.1 Zwangsläufig geht beiden Einstellungen die Annahme voraus, dass das in der Zukunft Liegende, auf das hin nur gehandelt werden kann, ein offener Raum sei, in dem es keine Vorbestimmung gibt.2 „Handeln vermag sich nur dort zu vollziehen, wo die Dinge auch anders sein können […]. Zwangsläufige Geschehnisse pflegen wir ebensowenig Handeln zu nennen wie das schlechterdings gesetzmäßige und prognostizierbare Verhalten.“3 Wenn man von Zuversicht oder Skepsis spricht, denkt man immer auch Kontingenz mit, also die letztliche Unverfügbarkeit des Zukünftigen. Die vorliegende Auseinandersetzung mit dem politischen Denken der Schottischen Aufklärung geht davon aus, dass in ihm Annahmen über die Zukunft mitgedacht wurden. Hume, Smith oder Ferguson beschrieben ihre Gegenstände in dem Bestreben, allgemein gültige Prinzipien, de facto also Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, nach denen menschliches Handeln vor sich geht. Gesetzmäßigkeiten nämlich, das hatte sie die von ihnen ihrer methodischen Strenge wegen hoch geschätzte Physik gelehrt, implizieren die Voraussicht auf das, was auch künftig vor sich gehen werde  ; sie vertreiben das Unabsehbare. Der einer solchen Herangehensweise zugrundeliegende Gedanke ist der, dass menschliches Handeln von Absichten in Gang gesetzt wird und dass sich diese Absichten aus Interessen und damit aus Intentionen ableiten lassen.4 Die isolierte Beschreibung dieser Intentionen oder Handlungsmotive würde, so die Absicht bei diesem Denkansatz, die Mechanismen zutage treten lassen, nach denen die Interaktion in der Gesellschaft ab1 „Zuversicht“ und „Skepsis“ werden also als Sichtweisen in Bezug auf Zukünftiges verstanden, als Annahmen, dass ein bestimmter Zustand eintreten oder ein bestimmtes Geschehen sich ereignen werde. Insbesondere mit „Skepsis“ ist hier ausdrücklich nicht der methodische Zweifel gemeint, wie ihn die Wissenschaftstheorie beschreibt. 2 „Vorbestimmung“ ist im Sinn von Teleologie zu verstehen, nicht im Sinn von Gesetzmäßigkeiten, wie etwa die Naturwissenschaften sie formulieren. 3 R.  Bubner  : Geschichtsprozesse und Handlungsnormen, S. 38 (Hervorh. HK). 4 Zu diesem Erklärungsansatz in der Politischen Wissenschaft, der allgemeine, auf „Absichten“ beruhende Gesetzmäßigkeiten annimmt, die menschlichem Handeln zugrunde lägen, siehe C. Tilly  : Mechanisms in Political Processes, p. 23. Tilly gebraucht für den hier mit „Absichten“ wiedergegebenen Begriff allerdings “propensity [Neigung, Tendenz]”, und er deutet damit eine gewisse Distanz zu ausschließlich rationaler Handlungsauslösung und somit eher eine Nähe zu Humes Wortwahl von den passions an.

Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz |

läuft, und deren Folgen damit absehbarer machen. Das Herbeiführen von Absehbarkeit nun bedeutet nichts anderes als die Bewältigung von Kontingenz.5 So wichtig nun aber dieser Begriff des Kontingenten für die Verständigung über die elementare Wahrnehmung des menschlichen Daseins einerseits ist und so fundamental der Sachverhalt, den er zum Gegenstand hat, so weit, inhomogen und unscharf begrenzt ist andererseits das semantische Feld, das er öffnet. Aber auch wenn er Konjunktur hat und bisweilen mit einer Selbstverständlichkeit verwendet wird, als sei er Teil der Alltagssprache, so scheint es doch oft so, als ergebe sich seine Bedeutung aus der Performanz derjenigen, die ihn gebrauchen. Auf diese so entstehende und allenthalben beobachtbare Bedeutungsunschärfe weist F. J. Wetz hin  : „Die Ausdrücke Zufall und Kontingenz werden heute mehrdeutig gebraucht, nicht nur umgangssprachlich, sondern auch in philosophischen und wissenschaftlichen Texten. Ihnen haftet eine merkwürdige Vagheit an, die sie mit anderen hohen populären Begriffen wie ‚die Würde‘ oder ‚das Gute‘ teilen. Hier wie dort verschleiert das Pathos, das mit ihnen einherzugehen pflegt, allzu leicht deren Unbestimmtheit  ; häufig bleibt ihre genaue Bedeutung im jeweiligen Sprachgebrauch unklar. Die beiden Wörter genießen gerade heute in Philosophie und Wissenschaft besondere Wertschätzung, dennoch sah sich bislang kaum jemand genötigt, nach ihrem genauen Gewicht zu fragen.“6

Der Kontingenzbegriff ist ohne Zweifel mehrdeutig. Das macht es schwer, mit ihm zu arbeiten, ohne dass man zuvor genauere Festlegungen getroffen hätte.7 Da eine verbindliche Definition nirgends erkennbar ist, muss es an dieser Stelle genügen zu sagen, wie der Begriff nachfolgend gebraucht wird. Als kontingent soll im Rahmen dieser Untersuchung also etwas verstanden werden, das so, aber auch anders oder gar nicht sein beziehungsweise eintreten könnte  ; das ist die wohl griffigste und deshalb geläufige Definition. Mit dem Begriff soll also die Nicht-Notwendigkeit und im Bezug auf das menschliche Handeln dessen grundsätzlich offener Ausgang bezeichnet werden. Mit der Blickrichtung auf Vergangenes ist Kontingenz eine deskriptive Aussage, indem sie ein Ereignis als diejenige Möglichkeit unter mehreren beschreibt, die eben Wirklichkeit geworden ist. Man spricht in diesem Sinn von „Faktizität“8, denn vom Wirklich-geworden-Sein einer Möglichkeit wird Kontingenz aufgehoben. Im Hinblick auf Zukünftiges verlangt das Bewusstsein von Kontingenz nach der Bestimmung (oder zumindest die Überlegung), unter welchen Bedingungen je nach getroffener Handlungsentscheidung welche Möglichkeiten eintreten können. Kontingenz bezeichnet in diesem Sinn, wie man erkennen wird, nicht eine belie5 Siehe den Abschnitt 6.3 („Kontingenzbewältigungen  : Ansätze im Denken der angelsächsischen Aufklärung“). 6 F. J. Wetz  : Die Begriffe ‚Zufall‘ und ‚Kontingenz‘, S. 27. 7 Zur „Mehrdeutigkeit unseres politischen Vokabulars“ siehe M. Oakeshott  : Zuversicht und Skepsis, S. 51–54. 8 Siehe hierzu C. F. v. Weizsäcker  : Aufbau der Physik, S. 139–144.

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Der Naturbegriff

bige Zufälligkeit, sondern das Vorhandensein eines Spektrums von denkbaren (wenngleich durchaus oftmals auch ungedachten), gleich beziehungsweise unterschiedlich erwartbaren oder „wahrscheinlichen“ Möglichkeiten.9 (Wollte man ganz genau sein, müsste man gerade auch das „Undenkbare“ mit einschließen. Doch wie ließe es sich beschreiben  ?) Das Bewusstsein von Kontingenz ist übrigens kein spezifisches Merkmal des Denkens der Moderne. Bereits Aristoteles stellt der Kontingenz den abzusehenden, wahrscheinlichen Ausgang gegenüber, also dem, was „immer genau so eintritt“, und dem, was „in den meisten Fällen so“ eintritt – dem also, was vorhersehbar oder zumindest erwartbar ist.10 Es geht deshalb bei der Feststellung von Kontingenz – ebenso wie bei Prognosen – um die Wahrnehmung von Gewissheit und von Wahrscheinlichkeit, von Möglichkeit und von Wirklichkeit. Dahinter verbirgt sich eine erkenntnistheoretische Perspektive  : nämlich die Frage nach der Reichweite, der prognostischen Tauglichkeit und Verlässlichkeit menschlichen Wissens.

6.1 Kontingenz versus Zufall

Hinsichtlich der Wortbedeutung steht Kontingenz in einem Spannungsverhältnis zum Zufall, das häufig verwischt oder eingeebnet wird.11 Mitunter findet man die Bedeutungen der beiden Begriffe auch gleichgesetzt,12 doch erst ihre semantische Differenzierung   9 In diesem Zusammenhang ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass in den Naturwissenschaf­ ten Kontingenz auch in der Bedeutung von „Sonderfall“ oder „des von einer Theorie nicht erklärten Falles“ geläufig ist. Bei E. Scheibe  : Die Zunahme des Kontingenten in der Wissenschaft, S. 5, findet sich die Unterscheidung zwischen den „gesetzesartigen und kontingenten Aussagen“. Dies wird präzisiert  : „Die Natur­ gesetze können nicht von Menschen manipuliert werden, und – dies ist äquivalent – was auch immer manipulierbar ist, ist kontingent. […] Es ist einfach ein Teil der Bedeutung des Terms ‚Naturgesetz‘, daß ein solches Gesetz zu den Dingen gehört, die nicht in unsere Wahl gestellt sind.“ – Es wird deutlich, dass dabei Kontingenz als dasjenige aufgefasst wird, für das die Naturgesetzlichkeit nicht gilt oder zumindest nicht erkennbar ist. Darin kommt die Perspektive des naturwissenschaftlichen Experiments zum Ausdruck, und diese Blickrichtung ist eine auf bereits Geschehenes, nicht erst noch Geschehendes  ; die Aussage bedeutet  : Das, was geschehen ist, ist geschehen, aber nicht notwendig geschehen, sondern als Mögliches geschehen. Im Kontext dieser Untersuchung wird als kontingent das verstanden, was als Folge einer erst noch auszuübenden Handlung entweder intendiert oder unintendiert eintreten wird. 10 Aristoteles  : Metaphysik II, 4, 196b. 11 W.  Windelband  : Die Lehren vom Zufall, S. 4, definiert beispielsweise „Zufall“ ganz im Sinn jenes Begriffsverständnisses, wie es oben für „Kontingenz“ angeführt wird  : „Wenn wir daher von den mannigfachen Veränderungen, die der Begriff [Zufall] erleidet, an dieser Stelle noch absehen, so kommen alle Anwendungen des Sprachgebrauchs dahin überein, unter Zufall eine Art des Geschehens zu verstehen, die auch anders hätte ausfallen oder ganz unterbleiben können, und zufällig dasjenige zu nennen, was auch anders oder gar nicht sein könnte […].“ 12 Dass sich „die häufige Gleichsetzung von Zufall und Kontingenz nicht von selbst verstehen“ sollte, thematisiert ausführlich F. J. Wetz  : Die Begriffe ‚Zufall‘ und ‚Kontingenz‘, hier bes. S. 27. – Zur Etymologie von „Kontingenz“ siehe ebd.

Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz |

macht sie operabel. Eine solche Unterscheidungsmöglichkeit von Zufall und Kontingenz ergibt sich mit Blick auf die Begründbarkeit eines Ereignisses  : Vom Zufall ist gemeinhin die Rede, wenn etwas eintritt, ohne dass sich dafür eine Ursache erkennen und angeben lässt.13 Wiederum Aristoteles spricht in einem solchen Fall von der „(undurchschaubaren) Schicksalsfügung“ und explizit eben auch von „Zufall“.14 Wenn Kontingenz etwas bezeichnet, das so oder anders oder gar nicht eintreten kann, so trifft dies auch auf den Zufall zu  : Er ist eine Untermenge des Kontingenten, und zwar die Untermenge des nicht begründbar Kontingenten.15 „Gründe sind ganz eigentlich der Anti-Zufall“, heißt es denn auch.16 Was nämlich zufällig, also ohne benennbaren Grund geschehen ist, ist entgegen einer Handlungsintention geschehen, also entgegen dem planenden Zugriff und der damit verbundenen Prognose, ja überhaupt entgegen der Handlungsplanung. Die Denker der Schottischen Aufklärung verwendeten zwar nicht den Begriff Kontingenz, doch implizit spielt dieser in ihre Überlegungen insbesondere zu den Folgen unintendierter Handlungsfolgen und spontan sich bildender Ordnungen stark hinein.17 In diesem Sinn wird Philosophie, die Zusammenhänge aufklären und Begründungen liefern will, zu einer Strategie der Kontingenzbewältigung. Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob sich die Begründung einem empirischen oder rationalistischen Ansatz verdankt. Entscheidend ist, dass das Kontingente der Macht der Begründung weicht, mag es sich dabei nun um das Auffinden einer Regelmäßigkeit oder gar eines Naturgesetzes handeln oder um das Konstrukt eines teleologischen Ablaufs. Deshalb konnte beispielsweise Hegel sagen  : „Die philosophische Betrachtung hat keine andere Absicht, als das Zufällige zu entfernen.“18 Noch gezielter verfolgen dieses Ziel die Naturwissenschaften  : 13 Zum Verhältnis von Zufall und Kontingenz siehe A. Heuß  : Kontingenz in der Geschichte, S. 15. Vom Zufall heißt es dort  : „Der ‚lebensnaheste‘ Fall von Kontingenz ist der Zufall […]. Er gehört hochgradig in den Bereich der Kontingenz, denn er bezeichnet ein Geschehen, das in gar keiner Weise sein müßte, da keiner mit ihm vorher gerechnet hat.“ – In der Aussage, dass eine Brücke „zufällig“ einstürzt, als eine bestimmte Person sie überquert, bedeutet dieses Wort „zufällig“, dass der betreffende Mensch nicht die Ursache des Brückeneinsturzes ist und der Brückeneinsturz nicht die Ursache dafür, dass dieser Mensch die Brücke betreten hat. Anders H. Lübbe  : Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung, S. 35, der „Zufall“ und „Kontingenz“ semantisch gleichsetzt, wenn er sagt  : „In der praktischen Philosophie nennen wir Ereignisse oder Vorgänge ‚kontingent‘, sofern sie mit Handlungen handlungssinnunabhängig interferieren.“ 14 Aristoteles  : Metaphysik II, 4, 195b. – Beider Charakteristikum, das der Schicksalsfügung und das des Zufalls, ist das Fehlen ihrer Vorhersehbarkeit, und eben darin unterscheiden sie sich – das ist die Schlüsselaussage – von dem, was „immer genau so eintritt“ und dem, was „in den meisten Fällen so“ eintritt  ; ebd. 196b. 15 M. Makropoulos  : Kontingenz und Handlungsraum, S. 23  : „Jedenfalls ist der Handlungsraum gleichzeitig Zufallsbereich, und der Begriff der Kontingenz markiert damit ein erstes Problem, nämlich ein Interferenzproblem, das sich steigert, je komplexer Handlungspläne werden.“ 16 R. Bubner  : Die aristotelische Lehre vom Zufall, S. 4. 17 Siehe den Abschnitt 13.2 („Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung“). 18 F.  Hegel  : Die Vernunft in der Geschichte, S. 5. – Als Beispiel für eine Kontingenzbewältigungsstrategie, wie sie hier verstanden werden soll, taugt dieser Hegel-Satz allerdings nur bedingt. So weist D. Henrich  : Hegel im Kontext, S. 180, darauf hin, dass es Hegel um die Erkenntnis und Formulierung des (teleologischen)

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Der Naturbegriff

Naturgesetze werden üblicherweise als Aufhebung des Kontingenten verstanden – und sie leiten daraus viel an Überzeugungskraft ab. Kontingenzbewältigung kann allerdings zweierlei bedeuten. Zum einen ist sie das Zurechtkommen mit dem, was sich kontingent, unvorhergesehen und offenkundig unvorhersehbar ereignet  : das Zufällige, Zugefallene. Bewältigen lässt dies sich auf zweierlei Arten, nämlich mit einem Festhalten und mit Akzeptanz im weitesten Sinn, sofern es willkommen war, oder mittels der Tilgung der Folgen, wenn Schaden zu beklagen war. Beides ist praktische Lebensübung, aber um diese geht es hier nicht. Was die philosophische Auseinandersetzung herausfordert, ist vielmehr die Tatsache, dass es Kontingenz überhaupt gibt und man mit ihr immer wieder auch unerwartet konfrontiert wird, dass sie Planung gefährdet und deren Nützlichkeit und Reichweite grundsätzlich in Frage stellt. Alle Absichten, sich die Welt im Sinn der Aufklärung untertan zu machen, stoßen hier an eine Grenze – an eine unscharfe überdies. Was hinter dieser Grenze aufragt, ist das Problem der Kausalität, der Hoffnung auf das Heil nicht mehr in der göttlichen Gnade, sondern in der Beschreibung der Welt in Form von Ursache-Wirkungs-Konstellationen, in der „Erkenntnis“. Erkenntnis bedeutet für die Aufklärung, der sie damit eines ihrer Hauptthemen gibt, die Kenntnis von Ursachen für Wirkungen. Die Ursachen ersetzen den „Fluchtpunkt der Teleologie“.19 Der Einsatz der so verstandenen Philosophie gilt also jener „Bedrohlichkeit […], die Dingen eigen ist, welche man nicht versteht.“20 Hinter den philosophischen oder naturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt bleibt der Zufall, das Unvorhergesehene, als nicht aufklärbarer Rest übrig, von dem dann gesagt werden kann  : „Wir müssen den Zufall hinnehmen, eine theoretische Herausforderung stellt er nicht dar.“21 Denn der Zufall ist außerhalb der Reichweite jeglichen planenden Zugriffs – im Gegensatz zur Kontingenz der Welt, der mit intendiertem Handeln auf der Grundlage von Einsicht begegnet werden kann, und sei es auch noch so unzureichend. Aber der Kontingenz zu begegnen bedeutet längst nicht, sie aufzuheben. So liegt im Zuwachs an Wissen letztlich noch keine Erfolgsgarantie, denn auch das intendierte Handeln unterliegt stets der Kontingenz. Darauf weist Rahner hin  ; er spricht von diesem Handeln als der Selbstmanipulation des Systems eines – notwendigen – Ganzen des Seins zu tun ist, das alles innerweltlich Seiende umgreift. Im Letzteren hat Kontingenz zwar ihren Platz, aus Ersterem allerdings muss sie deshalb „vertrieben“ werden, weil sie dort das auf „philosophische Betrachtung“ gegründete System untergraben würde. Hegel will das Zufällige also auf einer höheren Ebene vertrieben wissen  ; ihm geht es nicht um die hier zur Debatte stehende Bewältigung von Kontingenz, sondern um ihre Austreibung aus seinem System. 19 R.  Bubner  : Geschichtsprozesse und Handlungsnormen, S. 36, verdichtet diesen Sachverhalt anschaulich zu folgender Feststellung  : „Erst seit die moderne Naturwissenschaft die ‚causae finales‘ unter Verdacht stellte, um eine strenge Kausalitätsbetrachtung auf die bewirkenden Ursachen der ‚causae efficientes‘ zu beschränken, wird Ontologie entfinalisiert.“ 20 U.  Bitterli  : Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 211. 21 Damit ist gesagt  : Der Zufall entzieht sich der Theoriebildung, und er entzieht sich ihr gewissermaßen qua definitionem. R. Bubner  : Die aristotelische Lehre vom Zufall, S. 6 (Hervorh. HK) – „Zufall“ und „Kontingenz“ können in diesem Fall als Synonyme verstanden werden.

Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz |

Menschen, der mittels dieser über das hinausgehe, was seit jeher die philosophischen Deutungen als seine „Natur“ oder als sein „Wesen“ ausgemacht haben.22 Dabei handle es sich bei dieser Selbstmanipulation „in Wirklichkeit um eine innerhalb des bleibenden Wesens wandelbare Größe mit einer nur relativen Fixiertheit“.23 Wer so denkt, sieht den Versuch, Kontingenz durch Erkenntnisgewinn zu bewältigen, an der Nichtfaktizität alles Zukünftigen scheitern, denn Selbstmanipulation – auch auf der Grundlage eines für das 18. Jahrhundert unvorstellbaren Zuwachses an Wissen und entsprechenden technischen Möglichkeiten, das ursprünglich Gegebene dem Gewünschten anzupassen – sei, so Rahner, „gerade als solche immer Wagnis in das Unvorhersehbare hinein“.24 Denn was eben nicht aus der Welt geschafft werden könne, das sei gerade das Kontingente selbst.

6.2 ‚Begründungsdefizit‘ versus ‚Grundlosigkeit‘

Ein Sich-Ergeben in dieses stets gegenwärtige Kontingente konnte freilich kein Ansatz der Aufklärung sein. Ihr Credo nämlich war, was noch heute gilt  : dass „genaugenommen nicht Grundlosigkeit, sondern Begründungsdefizit den Begriff der Kontingenz konstituiert.“25 Als Synonym für „blinden“ Zufall scheidet der Kontingenzbegriff damit aus. Die Präsupposition, die dieser Aussage aber zugrunde liegt, lautet, dass die „Grundlosigkeit“ von Ereignissen im strengen Sinn als Faktum prinzipiell in Frage steht, denn das als „grundlos“ Bezeichnete ist lediglich ein „noch nicht Begründbares“ oder ein „mit menschlichen Mitteln nicht Begründbares“.26 Dem Kontingenten steht das Regelhafte und das Regelmäßige gegenüber. Der Gegenbegriff zum Kontingenten wird „speziell in den Wissenschaften in gesetzlicher Bestimmtheit und Bestimmbarkeit nach expliziten Gesetzesformen gefunden“.27 Das Grundverständnis für den Begriff folge seit jeher der Auffassung des Aristoteles. Dieser zufolge werde „als ein Kontingentes verstanden, was auf keine Gründe zurückzuführen ist, was keine oder keine erkennbare Ursache hat und somit ‚unerklärlich‘ ist.“28 Dieses Kontingenzverständnis weicht allerdings von demjenigen ab, von dem in dieser Untersuchung ausgegangen werden soll und das nicht die Unbegründbarkeit von Sachverhalten, sondern die Unabsehbarkeit von Handlungen und Entwicklungen in den Mittelpunkt rückt. 22 K. Rahner  : Experiment Mensch, S. 55. 23 Ebd., S. 59. 24 Ebd., S. 68. 25 E. Ströker  : Kontingenz und Faktizität in wissenschaftstheoretischer Perspektive, S. 111. – Das Zitat offenbart allerdings die Gleichsetzung von Kontingenz mit Zufall. 26 Im Kontext beispielsweise einer christlichen Weltsicht könnte das entsprechende Argument lauten  : „Was aus menschlicher Perspektive zufällig und beliebig ist, das ist in der Perspektive göttlicher Vorsehung sinnvoll zusammengefügt.“ So A. Assmann  : Let it be, S. 234. 27 E. Ströker  : Kontingenz und Faktizität in wissenschaftstheoretischer Perspektive, S. 110. 28 Ebd.

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Handlungen zu planen aber, das setzt allerdings Begründbarkeit voraus. Nur wenn Aussagen über das Eintreten von Ereignissen – sei es mit Gewissheit, sei es mit Wahrscheinlichkeit – gemacht werden können, ist Handeln in die Zukunft hinein denkbar. Handeln heißt, etwas noch nicht Getanes zu tun. Das ist ohne Absicht nicht möglich. Eine Absicht aber ist ein gedanklicher Vorgriff auf Künftiges, und von diesem Künftigen muss deshalb eine Vorstellung existieren. Nur wenn eine Vorstellung davon besteht, wie etwas unter bestimmten Voraussetzungen Unternommenes sich auswirken werde (oder auch nur auswirken könnte), haben Handlungen einen „Sinn“. Fergusons Aussage etwa, Moralphilosophie sei das Wissen darüber, was sein solle, birgt in sich diese Zukunftsdimension, indem sie die Frage eröffnet, wie das, was sein soll, tatsächlich werden – im Sinn von  : realisiert werden – kann (oder auch nur werden könnte).29 Im Sein-Sollen kommt zum einen ein normativer Aspekt zum Tragen.30 Darüber hinaus liegt darin aber auch ein Verweis auf die Zukunft, insofern im Sollen das Werden mitgedacht wird.31 Kontingenz öffnet eine Perspektive auf die Zukunft, indem sie ein Nebeneinander von Möglichkeiten – etwa möglichen Handlungsfolgen – zulässt. Dies ist für die Aufklärung bedeutsam, die ja gerade kein säkulares Zeitalter in reiner Form ist, sondern die vielmehr die fundamentale Auseinandersetzung zwischen einer theologisch-teleologischen und einer säkular-entwicklungsoffenen Weltsicht vorantreibt.32 Gegen die geoffenbarte Wahrheit der Religion stellt sie die Forderung nach Erklärbarkeit der Welt.33 Wichtig ist dabei allerdings die Unterscheidung, dass es den Aufklärern nicht darum ging, etwa Gott in die Karten zu schauen, sondern dass sie vielmehr an der folgenden Fragestellung interessiert waren  : Muss das, was „so und eben nicht anders und nicht gar nicht“ eingetreten war, rückblickend für den Menschenverstand als schlüssig, weil begründbar (und somit als durchaus kontingent) angesehen werden, oder eben als nicht begründbar (und folglich als zufällig und ohne erkennbare Intention wessen auch immer)  ? Während das Zufällige also entweder verbannt oder aber hingenommen werden soll, wird Kontingenz dem gegenüber jenem Raum zugeordnet, in dem und in den hinein sich das Handeln entfalten kann. Handeln bedeutet Sich-Entscheiden. Erst wenn etwas „so oder anders möglich“ ist, wird auch eine Entscheidung für das eine oder das andere 29 A.  Ferguson  : Analysis of Pneumatics and Moral Philosophy, p. 5. 30 Im Sinn von  : Soll das, was ist, so sein, wie es ist, oder soll(te) es anders sein  ? 31 Im Sinn von  : Etwas, das ist, soll (künftig) so bleiben beziehungsweise anders werden beziehungsweise nicht mehr sein. 32 Gleichzeitig war sie mit beiden Sichtweisen verhaftet. Man denke in diesem Zusammenhang nur an Smith, der einerseits Gesetzmäßigkeiten des Wirtschaftskreislaufs aufzudecken suchte, aber durchaus davon überzeugt war, dass die Welt letztlich die Verwirklichung eines Schöpfungsplans sei. Und selbst Hume, der Religion überzeugt zum Menschenwerk erklärte, kam, wie seine zahlreichen Verweise auf die „Natur“ zeigen, ohne eine oberste, letztlich unerklärliche Instanz nicht aus. 33 Siehe A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit. – Der Titel dieses Buches illustriert diesen Prozess, der tatsächlich „von der Wahrheit [der Offenbarung] zur Wahrscheinlichkeit [der Welt-Erklärung(en)]“ verläuft.

Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz |

Vorgehen überhaupt möglich und eine Handlungsoption erkennbar. Andernfalls hätte man es mit Vorgegebenem, also bereits Entschiedenem zu tun.34 Das ist ein Gedanke der Neuzeit. An ihrer Schwelle treten die Menschen aus einer von Gott ebenso gegebenen wie vorgegebenen Welt heraus und in eine solche ein, die sie selbst gestalten und nach ihren Bedürfnissen umarbeiten können.35 Zugriff allerdings haben sie nur auf dasjenige, das nicht von vorn herein festgelegt ist, also eben auf das, das „so oder auch anders“ sein kann. Das Kontingente ist deshalb einerseits die Voraussetzung dafür, dass der Begriff vom menschlichen Handeln überhaupt einen Sinn hat  ; es ist andererseits aber – und das wiegt schwerer – auch dasjenige, dem die Menschen sich ausgesetzt sehen, und das ihnen, als Schicksal oder als Folge einer äußeren Macht, widerfährt und womit sie im Sinn von „Kontingenzbewältigung“36 umgehen müssen. Mit dem Bewusstsein von Kontingenz korrespondiert deshalb zum einen das Bewusstsein von Autonomie und Gestaltungsfreiheit, zum andern das einer immer nur begrenzten Verfügbarkeit der Welt. So haben sowohl die Zuversicht – etwas/alles ist möglich  ! – als auch die Skepsis – etwas/alles kann scheitern  ! – im Wissen um Kontingenz ihren Ursprung, und in der jeweiligen Formulierung einer entweder zuversichtlichen oder skeptischen Prognose spiegelt sich die Entscheidung zwischen beiden wider. Darin liegt eben der Grund, dass dem Kontingenzbegriff in dieser Untersuchung über die Zuversicht der schottischen Denker solche Ausführlichkeit eingeräumt wird. Erst wenn etwas so oder auch anders sein kann, also eine Alternative besteht, öffnet sich ein „Handlungsraum“,37 denn „[w]ir würden nicht handeln können, wenn die existierenden Sachverhalte es nicht zuließen, auch anders zu sein. Handeln bedeutet Setzen von Wirklichkeit, die noch nicht ist.“38 Nur unter dieser Prämisse sind Prognosen sinnvoll, und zwar nicht zuletzt schon deshalb, weil das Erfahren von Kontingenz sich auch auf Handlungen bezieht, die erst in der Zukunft liegen. Luhmann macht dies deutlich, 34 M. Makropoulos  : Modernität als Kontingenzkultur, S. 61  : „Handeln im strengen Sinne des Wortes setzt also eine signifikante Spannung zwischen der Wirklichkeit und mindestens einer anderen Möglichkeit voraus, die allererst einen distinkten Handlungsbereich bildet. Das ist systematisch der Sachverhalt – der zugleich das Zufällige näher bestimmbar macht. Zufällig ist vor diesem Hintergrund ein Ereignis nämlich gerade dann, wenn es zwar ebenfalls in diesem ‚Spielraum offener Möglichkeiten‘ eintritt, sein Eintreten aber im Unterschied zum entscheidungsgenerierten und damit begründbaren Handeln als grundlos erklärt wird.“ 35 Diese Perspektive setzt allerdings voraus, dass man unterscheidet zwischen dem biblischen „Macht-euchdie-Erde-untertan“ und etwa Bacons Zielvorstellung von einer vom Menschen nach seinen Bedürfnissen umzugestaltenden Natur, die „durch die Kunst und die Tätigkeit des Menschen aus ihrem Zustand gedrängt, gepreßt und geformt wird.“ Siehe F. Bacon  : Neues Organon, Die Einteilung des Werkes, S. 55. 36 G. v. Graevenitz / O. Marquard  : Vorwort, S. XII. – M. Makropoulos  : Kontingenz und Handlungsraum, S. 25. – M. Makropoulos  : Modernität und Kontingenz, S. 32, S. 43, S. 79, S. 20, S. 154. – H. Lübbe  : Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung, S. 35–47. – E. Ströker  : Kontingenz und Faktizität in wissenschaftstheoretischer Perspektive, S. 111. 37 M. Makropoulos  : Kontingenz und Handlungsraum, S. 23. 38 R. Bubner  : Die aristotelische Lehre vom Zufall, S. 7 (Hervorh. übern.).

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wenn er sagt  : „Der Begriff [Kontingenz] bezeichnet mithin Gegebenes (Erfahrenes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein  ; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen. Er setzt die gegebene Welt voraus, bezeichnet also nicht das Mögliche überhaupt, sondern das, was von der Realität aus gesehen anders möglich ist.“39 Dabei ist das, was über diese Realität gewusst wird, selbst wieder kontingent in dem Sinn, als es sich dabei um ein „Wissen [handelt], das das Wissen seines eigenen Andersseinkönnens impliziert.“ Denn dieses Wissen ist gewonnen aus einem „Verstehen […], das so oder anders oder noch anders verstehen kann und versteht und verstanden hat […].“40 Das Wissen um die Kontingenz der Welt unterläuft somit sowohl das, was als „Wahrheit“, als auch das, was als „Notwendigkeit“ gilt. Hinter Aussagen dieser Art lauert allerdings auch Beliebigkeit, und fast scheint es, als lade sich der Kontingenzbegriff, je nachdrücklicher er verwendet wird, mit einem immer weiteren Bedeutungsspektrum auf, das ihn letztlich verschüttet. Was unter Kontingenz verstanden wird, ist durch eine Dynamik gekennzeichnet, die bereits in der Antike einsetzt und über die christliche Welt bis in die Moderne getragen wird.41 Im Rahmen einer „Arbeitshypothese“ beschreiben v. Graevenitz und Marquard diese Dynamik als „zunehmendes Kontingenzbewusstsein“, das von einem „Notwendigkeitsschwund“ begleitet werde. Mit Blick auf seine Wirkungsgeschichte nennt Blumenberg Kontingenz einen „der wenigen Begriffe spezifisch christlicher Herkunft in der Geschichte der Metaphysik“.42 Daraus erklärt sich der sehr charakteristische Bedeutungswandel am Beginn der Neuzeit, in dem sich die emanzipatorische Emphase der Aufklärungsepoche abbildet. Das vorneuzeitliche „kreationstheologische“ Verständnis ordnet dabei Gott die Souveränität des Erschaffens zu, dem Kontingenten hingegen – hier in der Bedeutung von „Erschaffenem“ – die Ohnmacht, nämlich dass dieses, „wenn es geschaffen ist, nicht die Wahl hat, nicht geschaffen oder nicht so geschaffen zu sein“.43 Allerdings folgt aus der „christlichen Herkunft“ des Kontingenzbegriffs keineswegs seine Beschränkung auf theologische Fragestellungen. Er reflektiert im Gegenteil „Grunderfahrungen, mit denen jeder Mensch konfrontiert

39 N.  Luhmann  : Soziale Systeme, S. 152 (Hervorh. HK). 40 G. v. Graevenitz / O. Marquard  : Vorwort, S. XIV f. 41 Ebd., S. XII  : „Eine mögliche Formulierung wäre  : erst – in der Antike – war alles notwendig und (fast) nichts kontingent  ; dann – in der christlichen Welt – war Gott notwendig und alles, was nicht Gott ist (die geschaffene Welt), kontingent  ; schließlich – in der modernen Welt  : nach der Schwächung Gottes und der Schwächung des transzendentalen Subjekts – ist nichts mehr notwendig und alles kontingent.“ 42 H. Blumenberg  : Kontingenz, Kol. 1793. – Blumenbergs Kontingenzverständnis, das zwischen vorneuzeitlichem und neuzeitlichem unterscheidet und gleichzeitig „christlich“ mit „kreationstheologisch“ gleichsetzt, gewinnt seine Schlüssigkeit allerdings aus einer gewissen Vereinfachung des tatsächlichen Sachverhalts. Üblich ist eine Differenzierung zwischen antikem/griechischem, christlichem/christlich mittelalterlichem und neuzeitlichem/modernem Kontingenzverständnis. Vgl. G. v.  Graevenitz / O. Marquard  : Vorwort, S. XIII, sowie M. Makropoulos  : Kontingenz und Handlungsraum, S. 24 f., und insbesondere F. J. Wetz  : Kontingenz der Welt – ein Anachronismus  ?, S. 81–92. 43 G. v. Graevenitz / O. Marquard  : Vorwort, S. XIV, unter Bezugnahme auf Blumenberg.

Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz |

wird“, wie Wuchterl es in die Alltagssprache übersetzt44 und diese Erfahrungen als „Ordnungsbrüche“ beschreibt, die als „Unverfügbarkeiten erlebt [werden], die einerseits häufig persönliche Leiden und Krisen, gesellschaftliche Zwänge, Katastrophen und Kriege, Ungerechtigkeiten und Folgen der allgegenwärtigen Gewalt betreffen, die andererseits aber sich auch auf unverdientes Glück, zeitlich beschränkte Gesundheit, Liebe und erhebende Momente eines erfüllten Daseins beziehen können.“45 Darin liegt eine besondere Verbindung mit der Aufklärung, in der sich unterschiedliche Motive miteinander verbinden und in der ein zentrales fraglos das der „Verfügbarkeit“ ist, nämlich der mittels der fallweisen Aufdeckung von Kausalität gewonnenen Verfügbarkeit der Welt für den Menschen. Wenn Kontingenz als dasjenige Andere verstanden wird, das jenseits aller erkannten Gesetze neben dem vorhersehbaren Ablauf der Ereignisse nicht nur weiterbesteht, sondern auf diese auch unvorhersehbar und ohne erkennbaren Grund einwirkt, so ist sie eine zentrale Herausforderung für ein Denken, das sich gerade die Kontrolle des Ablaufs der Ereignisse durch „Vernunft“ – gemeint ist  : methodische Wissenschaft – zum Ziel gesetzt hat  : „Die Kontingenz erscheint dabei als Signum des Anderen der Vernunft.“46 Vernunft wird nicht nur von den Aufklärern als ein Operieren im Einklang mit den Gesetzen der Natur verstanden. Das „Andere der Vernunft“, das Kontingente, ist jedoch nicht das, was den Naturgesetzen und den sie bedingenden Notwendigkeiten entgegensteht, sondern das, was neben ihnen steht als das Nicht-Notwendige, aber durchaus Mögliche, das sich ereignet, ohne dass es gelänge, die Gesetze, nach denen es sich ereignet, zu bestimmen. Aus der menschlichen Perspektive ereignet es sich „einfach“. Wenn man den engen Bezug zwischen Naturgesetz und Vernunft im Auge behält, erschließt sich, wie sehr Kontingenz als „die Idee der Vernunftgrenzen einen genaueren Sinn“ erhält47 und zwangsläufig in der Blickrichtung der Aufklärung genau zu dem wurde, was es zurückzudrängen galt. Und diese Blickrichtung darf auch als diejenige der Schottischen Denker vorausgesetzt werden. Wie aber ist mit der Erfahrung von Kontingenz umzugehen  ? Wuchterl unterscheidet zwischen Kontingenzanerkennungen, Kontingenzbegegnungen und Kontingenzbewältigungen. Von Kontingenzanerkennung ist dann die Rede, wenn der Versuch, ein unerklärliches Ereignis in ein „naturgesetzliches Ordnungsschema“ zu integrieren, fehlschlägt und man, umgangssprachlich ausgedrückt, mit seinem Latein am Ende ist. Wird hingegen von vorn herein davon ausgegangen, dass die Erklärung eines solchen Ereignisses die Grenzen des menschlichen Erklärungsvermögens, die „Vernunftgrenzen“, überschreiten wird, handelt es sich um eine bloße Begegnung mit dem Kontingenten, ohne dass – wiederum einfach gesagt – ein weiterer Gedanke daran zu verschwenden wäre.48 Während sowohl Anerkennung von Kontingenz als auch die bloße Begegnung mit ihr keine He44 K.  Wuchterl  : Kontingenz oder das Andere in der Vernunft, S. 10. 45 Ebd., S. 11. 46 Ebd. 47 Ebd. 48 Ebd., S. 12.

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rausforderungen für einen philosophischen Erklärungsansatz darstellen, verhält es sich bei der Kontingenzbewältigung ganz anders. So weist etwa Ströker darauf hin, „daß ‚Kontingenzbewältigung‘ einen nicht ganz geringen Teil der Kultur unserer Lebenspraxis ausmacht“.49 Die Arbeiten der schottischen Denker bringen dies zum Ausdruck. Die Einstellung gegenüber Kontingenz kennt viele Spielarten. In heutiger Diktion ließen sich beim Umgang mit dieser Problematik passive Strategien (Kontingenzanerkennungen, Kontingenzbegegnungen) von aktiven (Kontingenzbewältigungen) unterscheiden. Dabei ist die Auseinandersetzung mit der Erfahrung von Nichtverfügbarkeit im Hinblick auf Künftiges und in Bezug auf die Verwirklichung von Handlungsintentionen keineswegs nur Gegenstand der Philosophie. Vielmehr sind damit gerade auch die Naturwissenschaften befasst, die „auf die Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten der Natur aus sind und darin ihre wesentliche Aufgabe und Zielsetzung finden“.50 Eine andere, pragmatische Form der Kontingenzbewältigung zeigt sich daneben in der Umwertung, ja geradezu der „Verwandlung des Zufalls in Risiko“  :51 So sind, wie Lübbe deutlich macht, in der gegenwärtigen Welt nicht zuletzt Versicherungen mit der Herausforderung der Kontingenz konfrontiert. Denn Versicherungsmathematik hat einem durchaus prognostischen Anspruch zu genügen  : „Die Bewältigung derjenigen Kontingenz, die wir als Risiken einzuschätzen gelernt haben und die zugleich in ihren potentiellen Wirkungen sich weit über die Grenzen unserer individuellen Bewältigungskapazitäten hinaus erstrecken, bewältigen wir institutionell durch Assekuranzen. Naheliegenderweise gehört der erlernte rechnerische Umgang mit Wahrscheinlichkeiten zu den kognitiven Voraussetzungen versicherungspraktischer Kontingenzbewältigung. Historisch haben sich entsprechend das Versicherungswesen und die Wahrscheinlichkeitstheorie simultan entwickelt.“52

Für die Auseinandersetzung mit der Schottischen Aufklärung ist diese Feststellung insofern von Bedeutung, als beispielsweise Hume in seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen der Beschäftigung mit Fragen der „Wahrscheinlichkeit“ einen erheblichen Stellenwert beimisst.53 Sie spielt für ihn eine wichtige Rolle als Grundlage, auf der Handlungsentscheidungen getroffen werden.54 Wahrscheinlichkeiten zu bestimmen bedeutet letztlich, mit der Kontingenz in konkrete Verhandlungen zu treten. 49 E. Ströker  : Kontingenz und Faktizität in wissenschaftstheoretischer Perspektive, S. 111. 50 Ebd., S. 109. 51 H. Lübbe  : Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung, S. 37. 52 Ebd., S. 36. 53 D.  Hume  : Traktat, I, S. 171–210. – Die „Wahrscheinlichkeit“ des Glückens eines Plans und das „Risiko“ seines Scheiterns sind zwei Seiten derselben Medaille. – Siehe das Kapitel 7 („Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis“), insbesondere darin den Abschnitt 7.4.2 („Wie Zuversicht entsteht und wie sie sich auswirkt“). 54 Es geht insbesondere um den in Humes Ansatz zutage tretenden Aspekt der „abwägenden Verstandestätigkeit“, siehe S. 266.

Die Unverfügbarkeit der Zukunft  : Kontingenz |

Hinsichtlich seiner Funktion steht der Verweis auf Kontingenz dem Gedanken an Vorgefasstheit und Determiniertheit der Welt diametral gegenüber. Teleologisches Denken und der Glaube an unverrückbare, ewige Wahrheiten, die gefunden werden könnten, sind unvereinbar mit einem Bewusstsein von Kontingenz. Diese hingegen lade, wie Rorty es ausdrückt, zu „Bereitwilligkeit zum Leben mit Pluralitäten und zum Beenden der Suche nach universeller Geltung“ ein55 – ein Gedanke, der im Gegensatz zu jener Art von Moralphilosophie steht, wie etwa Smith sie verstanden hat56 – und gehe von einer „Allgemeinheit [im Sinn von  : Allgemeinverbindlichkeit] des Moralgefühls“57 aus, zeige sich als Suche nach einer unbezweifelbaren, durch die menschliche Natur vorgegebenen und aus dieser also ableitbaren Moral, und setze die grundsätzliche Determiniertheit all dessen voraus, womit Menschen konfrontiert sind. Rorty sieht darin den „Versuch […], das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und das Streben nach individueller Perfektion zusammenzubringen“,58 und stellt ihm eine Moralphilosophie gegenüber, die von Kontingenz ausgeht. Diese habe, so Rorty, die sehr viel weniger verbindliche (und auch weniger verpflichtende) „Form historischer Erzählung und utopischer Spekulation, nicht die einer Suche nach allgemeinen Prinzipien.“59 Sie mache es nicht mehr nötig, einerseits Determiniertheit und Teleologie, andererseits Kontingenz und offenen Ausgang – das sind die beiden unvereinbar scheinenden Weltbilder – „in einer einzigen Vision zusammenzusehen“.60 Rortys Ansatz ist innerhalb der Spielarten des Umgangs mit Kontingenz also ein verhaltener. Er steht nicht für Kontingenzbewältigung, sondern für Kontingenzbegegnung und die Abkehr vom Gedanken des umfassenden Prinzips61 und der verbindlichen Erklärung. Im Vergleich mit den Hoffnungen der Aufklärung, jedenfalls derjenigen der schottischen Denker, ist er defensiv, denn das Nicht-Gelingen, Kontingenz durch ein Ihr-Entgegensetzen von Kausalität zu bewältigen, ist hier Möglichkeit, nicht Scheitern.

55 R.  Rorty  : Kontingenz, Ironie und Solidarität, S. 121. 56 Charakteristisch für Smiths Konzentration auf die Allgemeinverbindlichkeit von Thesen sind eben seine häufigen Verweise auf „Prinzipien“ – er verwendet den Begriff allein in der Theory Hunderte Male. Der Gedanke, der hinter dieser Haltung steht, kann im Glauben an Wahrheiten vermutet werden, die für unumstößlich und zeitlos gehalten werden. So spricht Smith vom „Prinzip der Wahrhaftigkeit“ und den „allgemeinen Prinzipien des Rechts und der Regierung“ (Theorie, S.  3  ; Theory, p. 3), vom Prinzip des Erbarmens und des Mitleids (Theorie, S.  5  ; Theory, p. 9), von der „Furcht vor dem Tode“ als einem der „wichtigsten Prinzipien der menschlichen Natur“ (Theorie, S.  13  ; Theory, p. 13), vom „Prinzip der Selbstbilligung und Selbstmißbilligung“ (Theorie, S.  177  ; Theory, p. 109) und überhaupt von den „unveränderlichen Prinzipien der menschlichen Natur“ (Theorie, S.  5, S.  205  ; Theory, p. 9, p. 128). 57 R.  Rorty  : Kontingenz, Ironie und Solidarität, S. 64. 58 Ebd., S. 69. 59 Ebd., S. 108. 60 Ebd., S. 16  ; ähnlich bereits auch auf S. 13. 61 Diesen Gedanken verfolgte unter den schottischen Denkern Adam Smith am intensivsten.

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6.3 Kontingenzbewältigungen  : Ansätze im Denken der angelsächsischen Aufklärung

All dies jedoch ist das Verständnis von Kontingenz in unserer Zeit. Die Philosophie der frühen Neuzeit unternimmt durchaus Anstrengungen, in der Frage des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs begriffliche Klarheit herzustellen. So lesen wir beispielsweise bei Spinoza eine geradezu apodiktische Absage an jegliche Akzeptanz des Gedankens eines „grundlosen Ereignisses“  : „Aus einer gegebenen bestimmten Ursache folgt mit Notwendigkeit eine Wirkung, und umgekehrt  : ist keine bestimmte Ursache gegeben, so kann unmöglich eine Wirkung folgen.“62 Das bedeutet zum einen, dass nichts ohne Ursache geschieht, und zum andern, dass es sich, da alles als Folge einer Ursache geschieht, bei als zufällig bezeichnetem Geschehen einfach nur um ein solches mit nicht oder noch nicht unaufgeklärter Ursache handeln kann.63 6.3.1 Francis Bacon  : die Macht des Unplanbaren

Bacon argumentiert als früher Wissenschaftstheoretiker, wenn er das zufällig sich Ereignende oder Entdeckte zu wissenschaftlicher Systematik („Theorie“) in Beziehung setzt und es davon abgrenzt. Wonach er sucht, das ist ein Prinzip, aus dem sich die zuverlässige Methode zum Auffinden wissenschaftlicher Ergebnisse ergibt. Er sagt über die Erfahrung, auf die als treibende Kraft er ja setzt  : „[B]egegnet man ihr so obenhin, so heißt sie Zufall [chance], sucht man sie, so nennt man sie Experiment.“64 Dem nicht geplanten, also unbeabsichtigten Finden steht das geplante, da methodische Auffinden gegenüber. Aber bei aller Zuversicht in die Möglichkeit dieses methodischen, planvollen Vorgehens ergibt Bacon sich letztlich der Macht des Unplanbaren, ja des Unplanbaren sogar noch im Akt jeglicher Planung  : „Denn der Zufall [chance] spielt sicherlich nicht weniger in 62 B.  Spinoza  : Die Ethik, S. 2 (Hervorh. HK). 63 Ebd., S. 35  : „Zufällig aber heißt ein Ding aus keinem anderen Grunde als mit Rücksicht auf einen Mangel unserer Erkenntnis. Denn ein Ding, von dem wir nicht wissen, ob sein Wesen einen Widerspruch in sich schließt, oder von dem wir zwar gewiß wissen, daß es keinen Widerspruch einschließt, über dessen Existenz wir jedoch mit Sicherheit nichts behaupten können, weil die Ordnung seiner Ursachen uns verborgen ist – ein solches Ding kann uns niemals weder als notwendig noch als unmöglich erscheinen, und darum nennen wir es entweder zufällig oder möglich.“ – Siehe hierzu auch  : [R. Descartes  :] René Descartes’ philosophische Werke, III, S. 137, schreibt im Zusammenhang mit den Sonnenflecken  : „Diese Entstehung und Auflösung der Flecken hängt also von so kleinen und zufälligen Ursachen ab, dass es nicht auffallen kann, wenn manchmal gar keine in der Sonne sich zeigen […].“ In dieser Wendung kommt implizit zum Ausdruck, dass Descartes zwar anerkennt, dass jedes Ereignis eine Ursache haben muss, diese jedoch „zufällig“, also unbegründbar sein kann. (Hervorh. HK) 64 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 82, S. 177. Und weiter heißt es hier  : „Die wahre Ordnung der Erfahrung zündet zuerst ein Licht an, zeigt dann bei Licht den Weg, indem sie mit einer wohlgeordneten und gegliederten Erfahrung beginnt, keineswegs aber mit einer voreiligen und irrenden. Daraus entwickelt sie die Lehrsätze und aus diesen folgert sie wiederum neue Experimente […].“

Kontingenzbewältigungen |

den Gedanken des Menschen als in seinen Werken und Taten eine Rolle.“65 Auch wenn er hier von Zufall spricht, so ist Bacons Überzeugung doch einfach nur die, dass er sich der Welt als einem „offenen Handlungsraum“66 gegenübersieht. Er weiß also um diese Art der Kontingenz in der Welt, auch wenn er sie in diesem Zusammenhang noch nicht als solche benennt. Dabei ist der Begriff contingence/contingency Anfang des 17. Jahrhunderts im Englischen bereits geläufig, wie sich in The Advancement of Learning zeigt, wo Bacon ihn im Sinn von etwas ganz allgemein Unbestimmtem verwendet.67 6.3.2 Thomas Hobbes  : Philosophie als Erkenntnis von Wirkungen

Präziser wird erst Hobbes in seiner wissenschaftstheoretischen Annäherung an den Begriff, die er im ersten Buch (“Concerning Body”) seiner Elements of Philosophy unternimmt. In zwei aufeinanderfolgenden Abschnitten dieses Werks – „Von Ursache und Wir­­kung“ und „Von Möglichkeit und Wirklichkeit“68 – dringt er, wenn auch erst vage, zur Grenze vor, die Kontingenz und ein zufälliges Eintreten von Ereignissen voneinander trennt. Dahinter steht die Frage nach der Möglichkeit von Prognosen, die ja letztlich nichts anderes sind als Schlüsse von Gegebenheiten – die sich aufgrund von Ursachen, also unter deren Einwirkung, verändern – auf Zukünftiges. Dabei verhält es sich so, dass „Zufall“ einen Bezug zur Vergangenheit hat (etwas war Zufall), die Feststellung von „Kontingenz“ („es wird etwas so oder anders oder gar nicht sein“) hingegen in die Zukunft weist. Auf den Zufall blicken wir zurück, während Kontingenz als „offener Handlungsraum“ vor uns liegt – wie eben auch all das, was prognostiziert wird. Hobbes spricht dies allerdings weder aus noch an, wenngleich auch er sich in der folgenden Textstelle mit dem Verhältnis von Zufall und Kontingenz beschäftigt  : „Zufällig heißen Accidenzien [Accidents (…) are called contingent accidents] nur im Verhältnis zu Accidenzien, die vorhergehen oder der Zeit nach früher sind, wenn sie von ihnen nicht wie von Ursachen abhängen  ; ich sage mit Rücksicht auf solche, von denen sie nicht erzeugt werden. Denn auch sie haben ihre Ursachen, durch die sie mit gleicher Notwendigkeit zustande 65 Ebd., Aphorismus 122, S. 257. – Bereits in der Zueignung an König Jacob am Beginn des Werks hatte er eben diesen Gedanken zum Ausdruck gebracht  : „Es waltet unzweifelhaft der Zufall, wie man sagt, oder ein Ungefähr sowohl in dem, was die Menschen denken, als in dem, was sie tun und sprechen. Diesen Zufall, wie ich es nennen will, möchte ich aber so verstanden haben, daß, wenn in dem, was ich hier darbringe, etwas Gutes enthalten ist, es der unermeßlichen Gnade und göttlichen Liebe und dem Glücke Deiner Zeiten zugeschrieben werde.“ Ebd., S. 10. 66 M. Makropoulos  : Kontingenz und Handlungsraum, S. 23. 67 F.  Bacon  : The Advancement of Learning, p. 102 (“for whoever is not supported by examples […], must always be exposed to contingencies“), p. 311 (“exposed to fortune and contingence”) und p. 381 (“[…] that we do not too peremptorily oblige ourselves to anything, though it seem[s] at first sight not liable to contingency […].”). 68 T.  Hobbes  : Grundzüge 1, S. 106  : „Der Ursache und der Wirkung entsprechen Möglichkeit (potentia) und Wirklichkeit (actus). Ja, es sind sogar ein und dieselbe Sache […]“

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kommen. Sonst hätten sie überhaupt keine Ursachen [for, in respect of their causes, all things come to pass with equal necessity  : for otherwise they would have no causes at all]. Das ist aber bei Dingen, die entstehen, denkunmöglich.“69

Der Begriff vom „ursachelosen“ Zufall, sagt Hobbes, habe keine inhaltliche Bedeutung, sondern er stelle lediglich eine sprachliche Konvention dar  ; Ereignisse nämlich können niemals ohne Ursache eintreten  : „[A]lles, was geschieht, auch das Zufällige, geschieht, allgemein angesehen, aus notwendigen Ursachen [generally all contingents have their necessary causes][…]  ; zufällig heißt es nur mit Bezug auf Ereignisse, von denen es nicht abhängt. Der Regen, der morgen fällt, ist notwendig, nämlich durch notwendige Ursachen hervorgebracht. Wir sehen ihn aber als zufällig an und nennen ihn auch so [but we think and say it happens by chance], da wir seine Ursachen nicht kennen, obwohl sie jetzt schon existieren.“70

Im Englischen bietet sich Hobbes eine sprachliche Unterscheidungsmöglichkeit an, doch ist diese bei genauerer Betrachtung nur eine scheinbare, denn in Wirklichkeit werden die unterschiedlichen Begriffe contingent und by chance als Synonyme verstanden  ;71 ihre bewusste Bedeutungsdifferenzierung hat offenbar erst in späterer Zeit stattgefunden. In Hobbes’ Denken scheint diese Differenzierung auch keine allzu große Rolle gespielt zu haben, denn er ebnet den Gegensatz eher ein, als dass er ihn herausarbeitet, wenn er sagt  : „Zufällig oder möglich [casual or contingent] heißt gemeinhin dasjenige, dessen notwendige Ursache man nicht durchschaut.“72 Jedenfalls legt Hobbes sowohl das Wesen von Prognosen als auch deren Verankerung in einem Ursache-Wirkungs-Kontext fest. Dem Verständnis des Philosophen und Erkenntnistheoretikers gelten sie weder als etwas aus der Luft Gegriffenes noch als Spekulation oder Ausdruck bloßer Hoffnung. Vielmehr sind sie Schlüsse und als solche sogar überprüfbar. Überspitzt formuliert sind Prognosen der Zweck dessen, was Hobbes als Philosophie bezeichnet, wenn er sagt  : „Philosophie ist die rationelle [sic  !] Erkenntnis der Wirkungen oder Erscheinungen aus ihren bekannten Ursachen oder erzeugen-

69 Ebd., S. 105. – „Accidenzien/Akzidenzien [accidents]“ wird von Hobbes hier weniger im Sinn von „Zufälle“, als vielmehr allgemeiner im Sinn von „Ereignisse“ gebraucht. – OT.: ders.: Elements, pp. 126–127. 70 T.  Hobbes  : Grundzüge 1, S. 108. – OT.: ders.: Elements, p. 130. 71 Siehe S.  Johnson  : Dictionary 1799, vol. I (A–K, ohne Paginierung), wo die Bedeutung des Adjektivs “contingent” umschrieben wird mit “falling out by chance”. Hobbes verwendet übrigens mit dem wohl am besten mit „zufällige Ereignisse“ zu übersetzenden “contingents” einen Begriff, den Johnson folgerichtig mit “a thing in the hands of chance” umschreibt. 72 T.  Hobbes  : Grundzüge 1, S. 108. – Das Zufällige und das Mögliche sind hier nahezu gleichbedeutend und keineswegs in der Weise von einander unterschieden, wie dies im heutigen Sprachgebrauch bei „Zufall“ und „Kontingenz“ häufig der Fall ist. – OT.: ders.: Elements, p. 130.

Kontingenzbewältigungen |

den Gründen und umgekehrt der möglichen erzeugenden Gründe aus den bekannten Wirkungen.“73 6.3.3 John Locke  : Bruch mit der Teleologie

Locke, der in der Linie der einflussreichen englischen Erkenntnistheoretiker auf Hobbes folgt, wird sich zur Unterscheidung von Zufall und Kontingenz ebenfalls nicht explizit äußern, zwischen beiden Begriffen implizit jedoch weiter differenzieren. Auch für ihn ist das Nicht-Geplante und Nicht-Planbare nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit völlig regellos eintretendem Zufall.74 Darüber hinaus aber räumt er neben der Möglichkeit dieses Zufalls75 zwei weitere ein, nämlich einerseits das Walten eines „freischaltenden Urhebers [determination of a free agent]“,76 zum andern die Möglichkeit, ja die Wahrscheinlichkeit eines regelhaften Ablaufs, dessen Regeln der Mensch allerdings oftmals weder kennt noch kennen kann.77 Beim Blick in die Zukunft zeigen sich also diese drei Möglichkeiten  : Zufall, göttliches Eingreifen und nicht zur Gänze verlässliche Regelhaftigkeit, also Kontingenz – und keine darüber hinaus. Locke leitet daraus ab, dass es wirkliche Sicherheit in den Annahmen über zukünftige Ereignisse nicht gebe  : „Verschiedenen Wirkungen begegnen wir täglich in dem Bereich unserer Sinne. In diesen Fällen besitzen wir von ihnen ein sensitives Wissen. […] Wir kommen bei diesen Vorgängen nicht über die Tatsachen hinaus, die uns die Einzelerfahrung erschließt  ; höchstens können wir auf Grund eines Analogieschlusses vermuten, welche Wirkungen die gleichen Körper bei anderen Versuchen wahrscheinlich hervorrufen werden [by analogy to guess what effects the like bodies are, upon other trials, like to produce].“78 73 T.  Hobbes  : Grundzüge 1, S. 6, spricht nicht von Rationalität, sondern von „getreuem Folgern“. – OT.: ders.: Elements, p. 3  : “Philosophy is such knowledge of effects or appearances, as we acquire by true ratiocination from the knowledge we have first of their causes or generation […].” 74 In An Essay Concerning Human Understanding ist gelegentlich von Zufall (chance, auch blind chance) die Rede. 75 „Zufall“ im Sinn von Hobbes, also als Geschehen infolge von – nicht erkennbaren – Ursachen. 76 J.  Locke  : Verstand, II, § 29, S. 214. – OT.: ders.: Understanding, vol. II, p. 123. 77 J.  Locke  : Verstand, II, § 29, S. 214  : „Von den Dingen, bei denen wir – soweit unsere Beobachtung reicht – finden, daß sie einen regelmäßigen Ablauf haben, können wir schließen, daß sie einem ihnen gegebenen Gesetz folgen. Dieses Gesetz kennen wir allerdings nicht. So können wir zwar feststellen, daß die Ursachen gleichmäßig wirken [proceed regularly] und daß die Folgen davon regelmäßig eintreten [do act by a law set them]. Wir besitzen jedoch davon nur ein durch Versuche gewonnenes Wissen, weil sich ihr Zusammenhang und ihre Abhängigkeit nicht aus unseren Ideen ermitteln läßt. Aus alledem ist leicht zu entnehmen, von welch großer Dunkelheit wir umgeben sind und wie wenig wir von dem Sein und den Dingen, die sind, zu erkennen vermögen. Wir werden deshalb unserer Erkenntnis nicht unrecht tun, wenn wir bescheiden bei uns denken, daß wir so weit von dem Vermögen entfernt sind, die gesamte Natur des Universums und alle Dinge, die es enthält, zu begreifen, daß uns nicht einmal von denjenigen Körpern, die uns umgeben und einen Teil von uns selbst ausmachen, eine philosophische Erkenntnis möglich ist.“ – OT.: ders.: Under­ standing, II, p. 123 78 J.  Locke  : Verstand, II, § 29, S. 214. – OT.: ders.: Understanding, II, p. 124.

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Für Hume mag diese Passage ebenso erhellend wie inspirierend gewesen sein, denn in ihr verbirgt sich bereits jener Seitenblick von der Kausalität, deren unmittelbare Erkennbarkeit er negieren wird, auf die Wahrscheinlichkeit und den ihr vorausgehenden Prozess des Abwägens. Locke stellt die Erfahrung von Kontingenz, ohne sie bei diesem Namen zu nennen, implizit in einen Zusammenhang mit der menschlichen Erkenntnis und trennt sie damit dem Wesen nach vom Zufall. Kontingenz – das Eintreten verschiedener Wirkungen, auf das wir keinen Einfluss haben – lässt sich für ihn einzig durch einen Zuwachs an gesicherten Erkenntnissen, also durch die Früchte der empirischen Wissenschaften bewältigen. Er zeigt dies in seinen Ausführungen „Über den Umfang des menschlichen Wissens“ zwar als Weg auf, rückt damit aber auch gleichzeitig das Ziel, das auf diesem Weg erreicht werden kann, in weite Ferne  : „Was aber eine vollkommene Wissenschaft von den natürlichen Körpern betrifft [perfect science of natural bodies] (von den geistigen Wesen gar nicht zu reden), so sind wir, denke ich, so weit davon entfernt, irgendwie dazu fähig zu sein, daß ich es als verlorene Mühe betrachte, danach zu streben.“79 Unausgesprochen vollzieht Locke dadurch den Bruch mit jeglicher Teleologie. Da das Weltgeschehen ja regelhaft abläuft – also nach „innerweltlichen“, wenngleich nach oftmals undurchschaubaren Regeln –, ist die Vorsehung gewissermaßen entmachtet.80 Somit gibt es für die Menschen kein verheißenes Ziel mehr, auf das sie zustreben könnten. Stattdessen wird ihnen ein Weg gewiesen, nämlich der, nach Kenntniserweiterung zu streben, um den Unwägbarkeiten und dem grundsätzlich offenen Ausgang allen Handelns zu begegnen. 6.3.4 David Hume  : Kontingenzbewältigung und Zivilisation

Als die Zukunft als ein offener Handlungsraum in der Schottischen Aufklärung zum Gegenstand der Überlegungen wird, ist ein Nebeneinander von chance und contingency im Englischen bereits geläufig. Allerdings wird zwischen den Bedeutungen der beiden Begriffe kaum differenziert. Dies lässt sich aus den Worterklärungen schließen, die S. Johnson in seinem Dictionary anführt. Hier steht chance eher für das schicksalhafte Ereignis,81 während contingency/contingency/contingent nur eine sehr dezent zur „Nichtbestimmbarkeit“ hin verschobene Bedeutung zugewiesen wird.82 79 J.  Locke  : Verstand, II, § 29, S. 214 f. (Hervorh. in der dt. Übers.). – OT.: ders.: Understanding, II, p. 124. 80 Dabei ist für Locke jedoch „Regelhaftigkeit“ keineswegs ein Synonym für „Vorsehung“. 81 S.  Johnson  : Dictionary 1799, vol. I (A–K, ohne Paginierung)  : „1. Glück/Schicksal/Zufall  ; die Ursache zufälliger Ereignisse [Fortune  ; the cause of fortuitous events] […]. 3. Zufall (im Sinn von Unfall)  ; zufälliges Ereignis [Accident  ; casual occurrence]  ; zufälliges Ereignis [fortuitous event]. […] 6. Eintreten von jeglichem (denkbaren, aber auch unvorhersehbaren) Ereignis [Possibility of any occurrence].“ 82 Ebd. (ohne Paginierung)  : „Kontingenz [Contingence. Contingency]. Die Eigenschaft, zufällig zu sein  ; zufälliges (unbeabsichtigtes) Ereignis [The quality of being fortuitous  ; accidental possibility] […]. Kontingent. […] Ausgehend vom Zufall  ; zufällig  ; durch keine sichere Regel bestimmbar [Falling out by chance  ; acciden-

Kontingenzbewältigungen |

Sowohl Hume als auch Smith widmen der für die Reichweite von Prognosen entscheidenden Frage von Zufall und Kontingenz in ihren Hauptwerken eigene Abschnitte. Hume befasst sich damit im Treatise unter dem Titel „Über die Wahrscheinlichkeit des Zufälligen [Of the Probability of Chances]“. Dabei stellt er Kontingenz – im Sinn von unterschiedlichen Möglichkeiten des Ausgangs – durchaus fest, bezeichnet sie aber in der Regel als Zufall (chance). Zwar kommt der Begriff der Kontingenz bei ihm ebenfalls vor, doch gibt es in seinem Werk insgesamt nur sehr wenige Stellen, an denen er die Problematik der nicht von vorn herein bestimmbaren Handlungsfolgen ins Auge fasst. Allerdings geschieht dies implizit, wenn er sich den Affekten der Furcht und der Hoffnung widmet und in diesem Kontext die Frage der Kausalität aufwirft.83 Hier liegt sodann auch die Verbindung von Kontingenz und Zuversicht, auf die einzugehen sein wird.84 Der Konnex von Zufall und anscheinender Ursachelosigkeit ist für Hume von nachrangiger Bedeutung. Er geht darauf auch nicht näher ein. Im Zusammenhang mit seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen steht das Erklärliche und Erklärbare im Fokus. Den Zufall definiert er im Sinn einer Bedingung und sagt, es sei „Zufall an und für sich nichts Wirkliches, vielmehr genau genommen nur die Verneinung einer Ursache […].“85 Eine Erklärung zu haben bedeutet für Hume nichts anderes, als etwas auf eine Ursache zurückführen zu können. Ohne Kenntnis des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs gibt es so etwas wie Gewissheit nicht, und Wissen und Gewissheit sind für ihn die Voraussetzungen, die Kontingenz in der Welt – auch wenn er sie üblicherweise als Zufall, chance, bezeichnet – zu bewältigen. Im Treatise ist den Überlegungen zu diesem Gegenstand mit dem dritten Kapitel „Über Wissen und Wahrscheinlichkeit [Of Knowledge and Probability]“ ein Großteil des ersten Buchs gewidmet.86 Diesen Zufall – eigentlich  : die Kontingenz – in seinen Auswirkungen auf das menschliche Dasein zu schwächen, das ist es, worum es Hume geht. Und die Mittel, dies zu erreichen, liefert ihm der Zusammenschluss der Menschen, die Gesellschaft  : „Durch die Vereinigung der Kräfte wird unsere Leistungsfähigkeit vermehrt  ; durch Teilung der Arbeit wächst unsere Geschicklichkeit, und gegenseitiger Beistand macht uns weniger abhängig von Glück und Zufall [by mutual succour we are less expos’d to fortune and accidents].“87 Damit bringt Hume gleichzeitig zum Ausdruck, worauf er vertraut, nämtal  ; not determinable by any certain rule]. […] Etwas, das in der Hand des Zufalls (der Wahrscheinlichkeit) liegt [A thing in the hands of chance].“ 83 Siehe in der vorliegenden Untersuchung das Kapitel 7 („Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis“). 84 Siehe den Abschnitt 7.4 („Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis“). 85 D.  Hume  : Traktat, I, S. 172. – OT.: ders.: Treatise, 1.3.11|4, p. 86  : “[…] chance is nothing real in itself, and, properly speaking, is merely the negation of a cause […].” 86 D.  Hume  : Traktat, I, S. 93–240. 87 D.  Hume  : Traktat, II, S. 229. – OT.: ders.: Treatise, 3.2.2|3, p. 312. – Hume stellt hier dem Zufall, die Aussage verstärkend, den Begriff „fortune“ zur Seite, etwa im Sinn von „Wechselfälle des Glücks/Schicksals“, also das, worauf der Mensch keinen Einfluss hat.

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Der Naturbegriff

lich auf die Errungenschaften einer civilized society und den Einsatz der gesellschaftlichen Kräfte in ihrer Gesamtheit. Der Mensch, den Hume als bedürftig und, für sich allein genommen, als schwach ansieht, ist einer grundsätzlichen Ergebnisoffenheit seiner Handlungen zwar ausgeliefert, aber er kann der Unwägbarkeit des Zukünftigen auch entgegentreten. Humes Zuversicht gründet weder auf religiösen Verheißungen noch auf Prophezeiungen eines guten Ausgangs der Geschichte, sondern auf menschlichem Handeln allein  : also – neben dem stillschweigend vorausgesetzten Zuwachs an Wissen – auf der Einrichtung einer funktionierenden Gesellschaft. Damit geht Kontingenzbewältigung stillschweigend von einem Aufdecken von Kausalbeziehungen auf Bereiche über, die man üblicherweise mit ihr nicht in Zusammenhang bringen würde  : auf Institutionen wie etwa den Staat mit seiner Rechtsordnung, das Eigentum oder gesellschaftliche Strukturen. 6.3.5 Adam Smith  : vorsorgende Klugheit

Auch für Smith sind die Nichtvorhersehbarkeit und Nichtbegründbarkeit von Ereignissen eine wichtige Frage. Er wendet sich ihr in der Theory zu. Das entsprechende Kapitel ist überschrieben mit „Über den Einfluß des Zufalls [fortune] auf die Empfindungen der Menschen [mankind] in Hinsicht der Verdienstlichkeit oder Tadelnswürdigkeit der Handlungen“.88 Smith verwendet für „Zufall“ in der Regel nicht das heute gebräuchliche Wort chance, sondern das semantisch näher am deutschen „Vorsehung“, „Fügung“ oder „glückliche Umstände“ liegende fortune und – seltener – hazard, das mit dem deutschen Wort „Risiko“89 in Verbindung zu bringen ist. Es gibt in der Theory eine Textstelle, die über das Verständnis von Smiths Grundhaltung im Hinblick auf Zukunftsbewältigung entscheidenden Aufschluss gewährt. Es heißt dort  : „Darum ist Sicherheit das erste und hauptsächliche Ziel der Klugheit. Sie ist immer dagegen, daß wir unsere Gesundheit, unser Vermögen, unseren Rang oder unser Ansehen irgendeiner Art von Zufall oder Gefahr aussetzen.“90 Klugheit, und zwar vorausschauende, vorsorgende Klugheit wird hier zur Grundlage des Handelns. Smith erhebt diese Klugheit gleichzeitig zum Instrument, den Unwägbarkeiten des Künftigen zu begegnen (methods of improving our fortune). Er spricht, wenn er das Wort fortune verwendet, nicht über den außerhalb der menschlichen Reichweite liegenden (blinden) Zufall, sondern vom vor uns liegenden offenen Handlungsraum, in dem Kontingenz herrscht, und er spricht zudem über die Option, 88 A.  Smith  : Theorie, S. 147–175  ; darin die Abschnitte „Über die Ursachen dieses Einflusses des Zufalls [Fortune]“ sowie „Über das Ausmaß dieses Einflusses des Zufalls [Fortune]“. – OT.: ders.: Theory, pp. 92–108. 89 S.  Johnson  : Dictionary 1799, vol. I (A–K, ohne Paginierung). Hier lautet die Umschreibung von „fortune“  : “1. The power supposed to distribute the lots of life according to her own humour. […] 2. The good or ill that befalls man. […] 3. The chance of life  ; means of living. […] 4. Success, good or bad  ; event.” Daneben aber auch  : “7. Futurity  ; future events.” – Zu „hazard“ siehe ebd.: “1. Chance  ; accident  ; fortuitous hap. […] 2. Danger  ; chance of danger. […] 3. A game at dice.” 90 A.  Smith  : Theorie, S. 345. – OT.: ders.: Theory, p. 213.

Kontingenzbewältigungen |

auf diesen vorausschauend, eben mittels planender Klugheit, Einfluss zu nehmen. Dass er von der Möglichkeit dieser Einflussnahme eine Vorstellung hat, zeigt sich, wenn er über den Zweck dieser Klugheit ausführt, sie diene der „Sorge für die Gesundheit, für das Vermögen, für den Rang und den Ruf des Individuums, d. h. also für die Dinge, von welchen der allgemeinen Ansicht nach sein Wohlbefinden und seine Glückseligkeit in diesem Leben in erster Linie abhängen […].“91 Es geht also sehr pragmatisch um die Minimierung von Risiken, und durch planvolles Handeln könne diese nicht nur gelingen, sondern sie werde es auch. Erst jetzt, nachdem dies festgestellt ist, bringt Smith den blinden Zufall ins Spiel, dessen Wirken die Menschen hilflos zusehen müssen. Und dennoch setzt er auf die Tugenden eines aufstrebenden Bürgertums, Bürgertugenden eben, auch ihn zu bannen  : „Die Wege, die sie [die Klugheit] uns in erster Linie empfiehlt, um unsere Lage zu verbessern, sind solche, die uns keinem Verlust oder Zufall aussetzen [which expose to no loss or hazard]  : wirkliches Wissen und Geschicklichkeit in unserem Gewerbe oder Beruf, Emsigkeit und Fleiß in dessen Ausübung, Sparsamkeit oder selbst eine gewisse Kargheit in allen unseren Ausgaben.“92 Kontingenz mit Klugheit zu begegnen heißt, dem Zufall mit Zuversicht entgegenzutreten und den unbekannten Schicksalsmächten in den Arm zu fallen. Wenn Smith an anderer Stelle einmal vom „Zufall, der die Welt regiert [fortune, which governs the world]“93, spricht, so widerspricht er damit also seinen wirklichen Überzeugungen. Letztlich ist das, was er dem Zufall zugesteht, nicht mehr als eine Mitregentschaft. Er gilt ihm nicht als etwas, um das zu kümmern sich lohnte, sondern er sieht in ihm höchstens so etwas wie einen unvorhersehbaren Störfall im natürlichen Lauf der Dinge, der, wie es im Wealth of Nations einmal heißt, „den Erfolg menschlicher Anstrengung […] mehr oder weniger beeinflussen“ kann.94 Zudem ist dieser Zufall nicht notwendigerweise immer ein unglücklicher, und so kann er das Handeln der Menschen auch begünstigen und befördern.95

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A.  Smith  : Theorie, S. 344 f. – OT.: ders.: Theory, p. 213. A.  Smith  : Theorie, S. 345. – OT.: ders.: Theory, p. 213. A.  Smith  : Theorie, S. 169 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Theory, p. 104. A.  Smith  : Wohlstand, S. 185. – OT.: ders.: Wealth, p. 235  : “[…] as different accidents render the efforts of human industry […] more or less successful”. 95 A.  Smith  : Wohlstand, S. 472  : „Und eine Reihe von Zufällen, die menschliche Klugheit nicht voraussehen konnte [a course of accidents, which no human wisdom could foresee], ließ [ein bestimmtes] Vorhaben weit erfolgreicher werden, als die Projektanden [sic  !] aus Gründen der Vernunft überhaupt erwarten durften.“ – OT.: ders.: Wealth, p. 564.

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7. Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis

Wie soll man handeln  ? Diese Überlegung stellt sich in jeder denkbaren Situation des täglichen Lebens. Gleichzeitig aber ist sie sowohl einer der Leitgedanken der Aufklärung1 als auch eine der zentralen Fragen, mit denen das politische Denken sich befasst. Dann umgreift sie einen solch weiten Raum von offen zutage liegenden wie auch verborgenen Gesichtspunkten – ethisch-moralischen, unmittelbar politischen, rechtlichen, aber auch psychologischen und nicht zuletzt technisch-organisatorischen –, dass es sich geradezu verbietet, nach einer eindeutigen oder gar nach einer knappen Antwort zu suchen. Und es gibt ja zum einen stets einen Handlungskontext, der verstanden und beschrieben werden muss, ehe eine Handlung sich beurteilen lässt  ; zum andern ist das Handeln, sobald es in Gang gekommen ist, auch von Maximen geleitet – Überzeugungen und Glaubenssätze aller Art sind darunter zu verstehen  : moralische, religiöse, aber etwa auch ökonomische und dergleichen mehr – wie auch von rationalem Überlegen. All dies auf eine abstrakte Weise zu erörtern kann hier nicht das Ziel sein, und so geht es nachfolgend, ohne dass die Gedankenwelt der Schottischen Aufklärung damit verlassen würde, um etwas anderes, gewissermaßen näher Liegendes, nämlich um die Frage  : Wie lässt sich beschreiben, was das Handeln überhaupt in Gang setzt  ? Handlungsauslösung ist, auch wenn er selbst es nicht so genannt hat, ein zentrales Thema der Theorie Humes, konkret gesprochen  : seiner Affektlehre. Seine Antwort lautet – und damit wird dem Folgenden vorgegriffen  : Es ist die Hoffnung, die das Handeln vorantreibt. Hume spricht in der Tat von hope, und er meint damit, wie sich zeigen wird, jene konkrete Zuversicht, die sich auf das Erreichen eines Zieles, auf die Erfüllung einer Erwartung oder auf den erwünschten Erfolg eben der Handlung richtet. Dieser Hoffnung steht in seinem Denken der Zweifel gegenüber, die Furcht vor einem Misslingen der Handlung und dem Nichterreichen des Handlungsziels. Diesen Zweifel, bei dem er nicht differenziert, ob er die Folge von – gefühlsmäßigem – Misstrauen oder von – auf Vernunftüberlegungen beruhender – Skepsis ist, bezeichnet Hume als fear. Er erklärt damit – ohne davon viel Aufhebens zu machen, nämlich verstreut in mehreren seiner Schriften und dort keineswegs in herausgehobener Position – den Ursprung dieses mächtigen, dem Menschen zur Verfügung stehenden Einflussfaktors auf das Geschehen in der Welt  : seines Handelns. Unter all den Affekten, die Hume ausgemacht hat, handelt es sich bei der Zuversicht und dem Zweifel um diejenigen, die am deutlichsten auf zukünftiges Geschehen gerich1 Damit soll keineswegs nur auf Kants „Was soll ich tun  ?“ angespielt werden. Vielmehr ist diese Frage diejenige, die sich wie von selbst stellt, sobald der von den Manipulationen seines Denkens, seiner Dogmen- und Autoritätshörigkeit befreite und mündig gewordene Mensch selbst die Initiative zu übernehmen und die Herrschaft über sein Leben zu gewinnen versucht  : „Wie soll ich handeln  ?“

Humes Fragestellung |

tet sind. Es ist angesichts der Fragestellung dieser Untersuchung naheliegend, den Blick auf die Einstellungen zu richten, die die schottischen Denker selbst im Hinblick auf die Zukunft entwickelt haben. Sahen sie sich tatsächlich am Beginn einer „Erfolgsgeschichte“, hatten sie von den künftigen Entwicklungen ein einheitliches Bild, glaubten sie überhaupt an ein weitgehend linear sich entfaltendes Geschehen oder tendierten sie zu einem wie auch immer gearteten Stadien- oder Kreislaufmodell der Natur  ?2

7.1 Humes Fragestellung

Neben anderem ist Politik die Verfolgung von Interessen, ein Handeln, das gemäß bestimmter Absichten auf benennbare Ziele gerichtet ist.3 Politisches Handeln ist (wie alles Handeln) in die Zukunft gerichtet, in einen „Handlungsraum“4, der als offen erfahren wird – ein Treffen von Handlungsentscheidungen bei gleichzeitigem Verwerfen erkannter anderer Handlungsoptionen. Es ist somit eine Auseinandersetzung mit Kontingenz, was besagen soll, dass sich Künftiges so, wie erwartet, oder anders als erwartet oder gar nicht ereignen kann.5 Da hinsichtlich des Erfolgs oder Misserfolgs von Handlungen vorab keine wirkliche Gewissheit zu erlangen ist, erfolgen diese Handlungen im Gefühl der Zuversicht oder der Skepsis – der Hoffnung auf das Erreichen des Ziels oder der Furcht (Befürchtung), es zu verfehlen. Auch das ist eines von Humes Themen. Er spricht von diesen Gefühlen als von handlungsauslösenden Affekten, und im Rahmen seiner Erkenntnistheorie versucht er sowohl darzulegen, worin sie bestehen, als auch, wie sie entstehen.6 Dabei führen ihn seine Überlegungen zu Folgendem  : Sie sehen die Einstellungen der Zuversicht und der Skepsis in den Dispositionen des menschlichen Verstandes verankert, dessen grundlegendes Operationsspektrum Hume auszuleuchten versucht, und er beschreibt sie als Ergebnisse von komplexen Denkvorgängen, wie es die Wahrnehmung von Zuständen, die Einordnung von Erfahrungen und Abwägungen im 2 Gemeint sind die Modelle einer natura lapsa, bei dem die Natur letztlich ihrem Untergang zustrebt, und einer oeconomia naturae, das die Möglichkeit eines Entwicklungskreislaufs immerhin zugesteht. Zu den genannten Naturmodellen siehe den Abschnitt 5.3.3 („Die Natur in Entwicklungsmodellen“). 3 Mit dieser nahezu unzulässigen Generalisierung soll keineswegs hintangestellt werden, dass diese Ziele sich wie folgt genauer benennen lassen  : „Politische Ideen und Theorien entstehen in der Absicht, politische Ordnungen zu verändern – oder sie vor Veränderungen zu bewahren.“ O. Hidalgo / F. Höntzsch / S. Salzborn  : Politische Ideengeschichte als Theorie der Politikwissenschaft, S. 179. 4 Ich übernehme den Begriff von M. Makropoulos. In  : ders.: Kontingenz und Handlungsraum. 5 Eine erwartete Auseinandersetzung kann also vorteilhaft oder nachteilig enden oder gar nicht erst stattfinden. 6 Die vollständige Argumentation findet sich in den folgenden Werken und Passagen  : D. Hume  : Traktat, II, S. 179, sowie ders.: Verstand, Abschnitt 4 (wie der Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu erkennen ist  ; die Bedeutung der Erfahrung im Hinblick auf die Zukunft  ; „Gleichförmigkeit“ von Vergangenheit und Zukunft), Abschnitt 5 (zum Verhältnis von Wissen und Gewohnheit) und Abschnitt 6 (über die Wahrscheinlichkeit und wie sie bestimmt wird).

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Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis

Sinn einer Ermittlung von Eintrittswahrscheinlichkeiten sind. Er arbeitet also heraus, welche Operationen des menschlichen Geistes7 den Affekten der Zuversicht und der Skepsis exakt vorausgehen. Vereinfachend ausgedrückt fragt er  : Wie entsteht jener Impuls, den wir Absicht nennen, und wie arbeitet das System, das ihre Verfolgung lenkt  ?8

7.2 Die Vorannahmen  : Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, gleichförmige Entwicklung

Eine meiner Vorannahmen für das Folgende lautet, dass im politischen Denken häufig ein Aspekt mitschwingt, der sich als „prognostischer Anteil“ ausweisen lässt. Hume ist davon implizit ausgegangen, denn er hat auf die zwei Ebenen eines „Moralsystems“9 hingewiesen, von denen Erstere in Form deskriptiver, Letztere in Form normativer Aussagen in Erscheinung tritt. Wenngleich dabei seine Aufmerksamkeit vornehmlich dem Problem des Übergangs von den Ist- zu den Sollte-Aussagen galt, so ist darin doch stillschweigend die Feststellung enthalten, dass zur Analyse (und auch zur Deskription) des Bestehenden eine Dimension hinzukommt, die in die Zukunft weist – entweder im Hume’schen Sinn als eine ethische Norm, mit der im Einklang gehandelt werden soll, oder als eine gewöhnliche Prognose. Die philosophische Analyse kommt einerseits in der Deskription des Gegenwärtigen zum Ausdruck, indem sie darlegt, was ist, doch sie richtet den Blick auch auf Zukünftiges. Auch wenn Hume und Ferguson sich in ihren theoretischen Schriften, anders als Smith, mit aktuellen politischen Fragestellungen kaum einmal befassen,10 so entspricht das Erkenntnisinteresse, das sie alle drei antreibt, im Kern demjenigen heutiger Politikwissenschaftler  : Sie „wollen im ersten Schritt Wissen über die Natur und Dynamik der politischen Welt generieren, das sie im zweiten Schritt für Politikgestaltung und -intervention verwenden können.“11   7 Mit „Geist [mind]“ bezeichnet Hume die gesamte Sphäre der menschlichen Existenz, die dem „Körper“ gegenübersteht. Gemeint ist also damit keineswegs nur die Verstandestätigkeit, wie die folgende Textstelle verdeutlicht  : „Sie [die ‚antiken Autoren‘] erkannten, daß Feigheit, Gemeinheit, Leichtsinn, Ängstlichkeit, Ungeduld, Torheit und viele andere Eigenschaften des Geistes [qualities of the mind] lächerlich oder häßlich erscheinen, obwohl sie von dem Willen unabhängig sind [though independent of the will].“ D. Hume  : Moral (K.), S. 162 f. (Hervorh. HK) – OT.: D. Hume  : Morals, p. 108.   8 Humes Modell jenes Prozesses der Abwägung, dessen Ergebnis entweder Zuversicht (hope) oder Skepsis (fear) ist, wird in den Abschnitten 7.4 („Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis“) und 7.5 („Die Grundlagen der Argumentation“) dargestellt.   9 Er meint damit sowohl die Beschreibung der Struktur einer Gesellschaft als auch ihr Wertesystem. 10 Das gilt für Humes Treatise und seine beiden Enquiries ebenso wie für sämtliche Hauptwerke Fergusons (Essay, Institutes und Principles). Hume wich von dieser Haltung in seinen Essays (bei denen es sich jedoch nach üblichem Verständnis nicht um theoretische Schriften handelt) allerdings deutlich ab, und Smiths Wealth of Nations ist eine Untersuchung, in deren Zentrum, wenngleich unausgesprochen, deutlich die praktische Nutzanwendung steht, die das Werk ja auch tatsächlich noch zu Lebzeiten seines Autors fand. 11 C. Herfeld  : Philosophie der Politikwissenschaft, S. 618.

Die Vorannahmen |

Das Verstehen soll letztlich das Handeln leiten, und gehandelt werden kann nur in einen „Handlungsraum“ hinein, der als offen verstanden wird  ; denn gäbe es nicht das Bewusstsein unterschiedlicher Handlungsmöglichkeiten, so hieße das, Handlungen als determiniert anzusehen,12 und es wäre dann sinnlos, über sie überhaupt Entscheidungen treffen zu wollen.13 Eben da dieser offene Handlungsraum sich in die Zukunft erstreckt, gibt es über ihn aber keine Gewissheit  ; üblicherweise wird er mittels Wahrscheinlichkeitsaussagen eingegrenzt. Diese werden auf der Grundlage von zwei Vorannahmen getroffen. Deren eine lautet, dass aus der Vergangenheit – anders ausgedrückt  : aus der „Erfahrung“ – Wissen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gewonnen werden kann. Bei der Untersuchung politischer Prozesse und Konstellationen speist sich diese Erfahrung aus der Betrachtung der Geschichte und den Bewertungen, die daraus gewonnen werden.14 Geschichte und Politik sind folglich insoweit komplementär, als die Erstere inner- und zwischenstaatliches Geschehen bis in die Gegenwart beschreibt und untersucht, die Letztere sich hingegen mit dem künftigen Handeln befasst – auf das sich Erwartungen und Hoffnungen richten.15 Wieder also hat man es hier mit dem Aspekt der Unterscheidung zwischen Deskription und Analyse einerseits und Normativität und Prognose andererseits zu tun.

12 Die Problematik determinierter menschlicher Handlungen rückt mit bestimmten Richtungen der Hirnforschung, die das Denken als eine Abfolge von rein physiologischen Prozessen deuten, mehr und mehr in den Vordergrund. Um Hume zu verstehen, erscheint es jedoch zunächst nicht nötig, darauf näher einzugehen. 13 An der Richtigkeit dieser Feststellung ändert auch die jüngst häufig zu hörende Wendung von der „alternativlosen“ Handlung nichts. Es ist eine rhetorische Aussage, keine Tatsachenfeststellung im eigentlichen Sinn, denn es wird damit ja keineswegs zum Ausdruck gebracht, dass es keine Handlungsalternative gäbe, sondern lediglich, dass dieser keine Erfolgsaussichten zugebilligt werden. 14 Allerdings stellt Hume an das Lehren-aus-der-Geschichte-Ziehen hohe Anforderungen  : „Hier ist indes die Bemerkung am Platze, daß uns zwar unsere Schlüsse aus der Erfahrung über Gedächtnis und Sinne hinausführen und uns Sicherheit über Tatsachen geben, die an den fernsten Orten und in frühesten Zeiten geschehen sind  ; daß aber immer irgend eine Tatsache den Sinnen oder dem Gedächtnis gegenwärtig sein muß, von der diese unsere Schlüsse den ersten Ausgang nehmen [yet some fact must always be present to the senses or memory, from which we may first proceed in drawing these conclusions]. […] Wir lernen die Ereignisse früherer Zeiten aus der Geschichte  ; aber dazu müssen wir die Bände durcharbeiten, in denen diese Belehrung enthalten ist, und von da mit unseren Ableitungen von einem Zeugnis zum anderen fortschreiten, bis wir bei den Augenzeugen und Zuschauern dieser fernen Ereignisse anlangen [till we arrive at the eyewitnesses and spectators of these distant events]. Kurz, wenn wir nicht von einer dem Gedächtnis oder den Sinnen gegenwärtigen Tatsache ausgehen, so bleiben unsere Gedankengänge reine Hypothesen […].“ D. Hume  : Verstand, S. 58. – OT.: D. Hume  : Understanding, p. 38 (Hervorh. HK). 15 Siehe hierzu auch R. Koselleck  : ‚Erfahrungsraum‘ und ‚Erwartungshorizont‘, S. 353  : „Hoffnung und Erinnerung, oder allgemeiner gewendet Erwartung und Erfahrung, – denn Erwartung umfaßt mehr als nur Hoffnung, und Erfahrung greift tiefer als nur Erinnerung – sie konstituieren Geschichte und ihre Erkenntnis zugleich, und zwar konstituieren sie diese, indem sie den inneren Zusammenhang von Vergangenheit und Zukunft früher, heute oder morgen aufweisen und herstellen.“

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Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis

Die zweite dieser Vorannahmen setzt den Lauf der Welt als einen „gleichförmigen“ voraus, der Gesetzmäßigkeiten folge  : Die Erwartung künftigen Geschehens lasse sich einzig aus der Untersuchung von bisher bereits Geschehenem ableiten  ; der Blick in die Vergangenheit gebe demzufolge Aufschluss darüber, womit künftig zu rechnen sei. Diese Annahme ist eine Grundbedingung im Hinblick auf zukünftiges Handeln. Ohne sie gäbe es keine Anhaltspunkte, auf die Erwartungen sich beziehen ließen. Hume hat Überlegungen dieser Art formuliert. Seine Erkenntnistheorie sagt allerdings nicht nur, was Menschen „gemäß ihrer Natur“ von der Zukunft erwarten dürfen, sondern er erklärt darüber hinaus, aufgrund welcher verstandesmäßigen Disposition sie Annahmen, die sich auf Künftiges beziehen, überhaupt zu treffen imstand sind. Damit macht er jene Mechanismen transparent, die Hoffnung und Furcht, hope und fear, letztlich im menschlichen Denken erst entstehen lassen. Die Schottische Aufklärung – so der geistesgeschichtliche Kontext – erscheint in verschiedener Hinsicht als eine eigenständige Ausprägung aufklärerischen Denkens, in der die Bedeutung der Vernunft eine charakteristische Relativierung erfährt. Dabei sticht Humes Affektlehre heraus, denn sie bricht gewissermaßen die Absolutheit, mit der in einem konsequenten Einsatz der Vernunft der Schlüssel zu allen künftigen Verbesserungen für die Lage der menschlichen Gattung gesehen wird. Trotz ihrer zum Teil sehr exponierten und neuen Positionen und der eigenständigen Richtungen, die von den führenden schottischen Denkern eingeschlagen wurden, ist deren Philosophie eine solche der Balance und des Ausgleichs innerhalb des weiten Spektrums des zu ihrer Zeit geführten Diskurses. Obgleich sie in Vielem neue Wege eingeschlagen haben, sind, neben anderen, Hume, Smith, Ferguson und Millar in ihren Zielformulierungen nicht konfrontativ oder apodiktisch, sondern vielmehr vermittelnd. Insbesondere für Hume haben extreme Positionen erkennbar lediglich heuristische Bedeutung  ; im Ausgleich zwischen ihnen findet er letztlich seinen eigenen Weg. Jede Meinung gilt ihm vorab als erlaubt und muss sich dem Wettstreit der Argumente stellen. Das ist sein Ideal als Philosoph ebenso wie als Historiker und politischer Denker. Und wie unverzichtbar ihm in der Philosophie die radikale Freiheit des Denkens und die Unabhängigkeit von kanonisierten Meinungen ist, erschließt sich nicht nur implizit aus vielen seiner Formulierungen, sondern er äußert dies auch ausdrücklich, wenn er in den Enquiry concerning Human Understanding über die Philosophie sagt  : „Sie, die vollkommener Freiheit als ihres höchsten Vorrechts bedarf und hauptsächlich durch den ungehinderten Kampf der entgegengesetzten Meinungen und Beweisführungen zur Blüte kommt, hatte ihre erste Wiege zu einer Zeit und in einem Lande der Freiheit und Duldsamkeit und wurde selbst in ihren ausschweifendsten Prinzipien niemals durch Glaubenssätze, Bekenntnisse und Strafbestimmungen eingeengt.“16 16 D.  Hume  : Verstand, S. 156.

Von der statischen zur dynamischen Natur des Menschen |

7.3 Von der statischen zur dynamischen Natur des Menschen

Ausgangspunkt der Philosophie, insbesondere auch der politischen, waren immer wieder stillschweigende anthropologische Annahmen über die „menschliche Natur“, also über den Menschen in seinem „eigentlichen“ – das heißt  : ursprünglichen – Zustand, der zunächst als frei von den Einflüssen der Gesellschaft gedacht wurde. Es ist dies ein Tabula-rasa-Modell, das, je nach den getroffenen Vorannahmen über die grundlegenden Dispositionen des Menschen, Raum für Projektionen jedweder Art bietet. Es kann aber zwangsläufig nur von unsicherem Erklärungswert sein, da dieser von eben diesen getroffenen Vorannahmen abhängt. Diese Annahmen artikulieren üblicherweise, was dem Menschen „an sich“ als gemäß zuzusprechen sei, und zwar dem erfahrungslosen, dem noch nicht sozialisierten Menschen.17 Es werden damit also explizit Aussagen zu den Dispositionen des menschlichen Individuums in der Art getroffen, dass es beispielsweise von Natur aus friedlich oder kriegerisch, zur Anteilnahme am Schicksal seiner Artgenossen und anderer Lebewesen fähig oder aber, ganz im Gegensatz dazu, vom Eigennutz nicht nur angetrieben, sondern geradezu beherrscht sei, und ob vernünftige Überlegungen sein Handeln bestimmten oder ob dies als das Werk von Affekten anzusehen sei. So unterschiedlich, ja konträr derlei Annahmen sein mögen, verbindet sie doch eine strukturelle Gemeinsamkeit  : Sie gehen von der Möglichkeit eines statischen Befundes aus, der einerseits universell gültig und andererseits historischen und sozialen Veränderungen nicht unterworfen sei. In dieses deterministische Menschenbild bringen die schottischen Denker des 18. Jahrhunderts nun eine dynamische Komponente ein. Diese Bewegung verläuft von Hume über Smith zu Ferguson und Millar, wie ein – eingestandenermaßen selektiver – Blick auf ihre jeweiligen Lehren verdeutlicht  : Während Humes Überlegungen einer weitgehend isoliert betrachtbaren menschlichen Natur gelten,18 die ja ausdrücklich Gegenstand seines Treatise ist, widmet Smith sich in der Theory einer abstrakten Untersuchung der Empathie als einer spezifischen Voraussetzung von Interaktion  ; Ferguson und Millar hingegen haben bereits die konkrete „bürgerliche“ (bzw. „zivilisierte“) Gesellschaft als das wesentliche Korrektiv der ehedem als statisch verstandenen menschlichen Natur im Blick  ; ihre Überlegungen gelten einem Prozess. Nach und nach weitet sich hier das Interesse auf jenen Kontext aus, innerhalb dessen dem Menschen zwischen der individuellen Autonomie einerseits und der Kontrolle durch die Gesellschaft andererseits sein Platz und damit auch sein Spielraum zugewiesen wird. Dieser Wechsel der Perspektive – unter anderem einer vom Individuum hin zur Gesellschaft – ist es, der die „Geburt der Sozi17 A.  Ferguson  : Essay, S. 97–108, widmet sich der Problematik, die derlei Vorannahmen innewohnt. 18 Dass jedoch die menschliche Natur letztlich nicht isoliert von den Einflüssen der Gesellschaft betrachtet werden könne, gesteht auch Hume zu, wenn er Politik als eine der „vier Wissenschaften“ bezeichnet, in denen „so ziemlich alles enthalten [sei], was für uns wissenswert ist“, und zwar als diejenige, die „es mit den Menschen in ihrer Vereinigung zur Gesellschaft und in ihrer Abhängigkeit von einander zu tun“ habe. D.  Hume  : Traktat, I, S. 3.

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Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis

alwissenschaften“ kennzeichnet, jenes Schlagwort, mit dem die Schottische Aufklärung auch charakterisiert wird. Es soll durch diese Differenzierungen nicht der Eindruck erweckt werden, als sei etwa Humes (mehr) psychologischer Ansatz durch den (mehr) soziologischen Fergusons einfach „überholt“ worden. Das ist keineswegs der Fall. Vielmehr erklären beide Autoren nur unterschiedliche Sphären der menschlichen Existenz. Humes Augenmerk gilt der Frage, welche Voraussetzungen und Mechanismen das menschliche Handeln bestimmen – also das Vorgehen des Menschen im Hinblick auf das, was in der Zukunft liegt. Er ordnet den komplexen Diskurs über den menschlichen Verstand auf eine neue Art, die dem allgemeinen Credo der Aufklärung in gewisser Weise sogar zuwider läuft, denn er sieht die gerade erst zur höchsten Instanz erhobene menschliche Vernunft, die auf dem Weg über die Empirie zu endlich sicheren Urteilen gelangen solle, in einer Abhängigkeit von den Affekten. Dem Vertrauen in einen freien Willen ist damit viel von seiner Kraft genommen. Die Aufklärung gilt als ein Zeitalter der Zuversicht. Das Vertrauen der Denker in eine Verbesserung der menschlichen Lebensumstände, seien es solche politisch-rechtlicher, sozialer oder ökonomischer Art, ist neben ihrer kritischen Auseinandersetzung mit den Dogmen der Offenbarungsreligion die durchgängige Konstante schlechthin. Die Befreiung vom Glauben an die vorgeblich unumstößlichen Wahrheiten entgrenzt die ehedem festgefügten Strukturen des Denkens und damit auch des Handelns. Dies wirft wie von selbst die Frage nach einer neuen Bestimmung der Handlungsziele auf. Der Re-Formulierung dieser Ziele musste allerdings eine Bestandsaufnahme vorangehen  : Was ist der Mensch seiner Natur nach und welche Möglichkeiten zu handeln bieten sich ihm aufgrund dieser Natur  ? « Perfectibilité », einer der markanten Schlüsselbegriffe des späten 18. Jahrhunderts in Frankreich, ist anfänglich noch nicht Ausdruck eines Programms, sondern nur die Verheißung einer solchen Möglichkeit. Der Mensch wird lediglich als „verbesserbar“ aufgefasst, solange das eigentliche Ziel, nämlich die Verbesserung selbst, noch nicht beschrieben ist. Der Gedanke eines Fortschritts, der als die selbstverständliche Folge von Verbesserbarkeit erscheint, ist da in der science of man noch nicht ausdrücklich formuliert.19 Zunächst ist der Befund der Verbesserbarkeit als die Wurzel der Zuversicht anzusehen. Dieser ist die Voraussetzung aller tatsächlichen Verbesserung und er wird aufgrund von Erkenntnissen getroffen, die der Anschauung geschuldet sind, nicht der Überlegung. Das Denken ist auf die Materie gerichtet  : auf Sichtbares, Messbares und aus einem unmittelbar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang heraus Verstandenes. Systeme in der Art rein rationalistischer Konstrukte gelten – wenn auch letztlich nur vorübergehend – als abgelöst. Im Hinblick auf Wahrheit und Überzeugungskraft gewinnt das Erfahrbare in dem Maß an Bedeutung, wie das lediglich Vorstellbare sie verliert.

19 Siehe den Abschnitt 8.2.2 („‚Fortschritt‘ in der Schottischen Aufklärung“).

Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis |

7.4 Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis

Hume nun klärt im Treatise und in der Enquiry concerning Human Understanding die grundlegenden Bedingungen, unter denen Zuversicht und Skepsis entstehen. Sein Interesse gilt dabei erkenntnistheoretischen Überlegungen  ; also befasst er sich weder eingehender mit bestimmten politischen Zielen, die erreicht werden sollen, noch mit der Beurteilung konkreter Entwicklungen, etwa – wie Ferguson und Millar – mit dem Zivilisationsprozess innerhalb von Gesellschaften. Sein Augenmerk richtet sich vielmehr auf die Hoffnung und die Furcht20 als zwei Affekten, die beim Individuum mit Blick auf zukünftiges Geschehen ausgelöst werden. Er stellt darüber hinaus einen Zusammenhang her zwischen diesen Affekten und dem Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem eine Person das Eintreten eines Ereignisses oder eines künftigen Zustands annimmt. Humes Leistung auf diesem Gebiet ist es, herausgearbeitet zu haben, dass es sich bei Zuversicht und Skepsis, bei Hoffnung und Furcht nicht um „Haltungen“ handelt, die einfach vorhanden sind oder sich dem Menschen etwa durch vernünftiges Überlegen aufdrängen, sondern dass man es dabei eben mit Gemütsbewegungen (passions) zu tun hat, denen Ursachen zugrunde liegen, die beschrieben werden können. Auf die Entstehung und die Wirkung der diese Affekte auslösenden Ursachen geht Hume ausführlich ein. Zuversicht bedeutet im Deutschen und damit im Sinn der vorliegenden Untersuchung, auf das Eintreten eines erwünschten Ereignisses zu vertrauen. Man spricht in diesem Fall davon, zu diesem Ereignis werde es – ergänze  : mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit – kommen. Einen Grad von Wahrscheinlichkeit angeben zu wollen setzt allerdings voraus, künftige Ereignisse als kontingent anzusehen  : Sie können so eintreten, wie man es erwartet  ; doch Entwicklungen können auch ganz anders verlaufen und ihren eigenen, eben nicht prognostizierten Verlauf nehmen. Der „Raum“ an Möglichkeiten, in den hinein eine Handlung unternommen wird, ist vorab grundsätzlich nie exakt zu bestimmen  ; hinsichtlich der Zukunft gibt es keine Gewissheit. Das ist die Ausgangslage. Aussagen über die Wahrscheinlichkeit beschreiben nun, wie die Erfolgsaussichten für eine Handlung vorab eingeschätzt werden. Hume legt ein abstraktes Modell der Bestimmung von Wahrscheinlichkeit vor, bei dem zwei Komponenten zusammenwirken  : einerseits die bereits gemachten Erfahrungen, andererseits eine hinzutretende Verstandestätigkeit, die darauf gerichtet ist, aus diesen Erfahrungen Schlüsse zu ziehen. Er sagt in diesem Sinn  : „Es muß also in allen unseren Wahrscheinlichkeitsschlüssen irgend etwas Wahrgenommenes oder der Erinnerung Gegenwärtiges dem Geiste gegeben sein  ; und daraus müssen wir etwas, das damit verbunden, aber nicht Gegenstand der Wahrnehmung oder der Erinnerung ist,

20 Hume verwendet anstelle von „Zuversicht“ und „Skepsis“ häufig die Begriffe „Hoffnung“ und „Furcht“ – hope und fear.

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erschließen.“21 Sein Ziel ist es, den intrapersonalen – also den affektiv in Gang gesetzten und sodann rational bewerteten – Prozess des Zustandekommens von Handlungsabsichten offenzulegen. Dieser Vorgang des Schließens von gemachten Erfahrungen auf künftige Ereignisse oder Umstände beeinflusst die Erwartungshaltungen, die in ihrer Rückwirkung das Handeln entweder vorantreiben oder aber behindern. 7.4.1 Zur Verteilung der Rollen  : Affekte versus Verstand

Hume kann insofern als ein besonderer Denker des Zeitalters der Vernunft gelten, als er gerade deren Einfluss auf das menschliche Handeln stark relativiert. Die entsprechende Kernaussage hierzu wurde zu einem geflügelten Hume-Wort  : „Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte [the slave of the passions] und soll es sein  ; sie darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen.“22 Für sich allein genommen scheint dieser Satz auf eine Konfrontation mit dem herrschenden Zeitgeist abzuzielen, doch erweist er sich im Kontext von Humes Affektlehre auch als durchaus schlüssig  ; darin nämlich erscheint die Vernunft als etwas der unkontrollierten Sphäre der passions nicht Über-, sondern vielmehr Nachgeordnetes. Zumindest als Letzteres kommt die Reflexion gewissermaßen doch noch zu ihrem Recht. Das ursprünglich Vorhandene aber sind die Affekte, die auf den Menschen unmittelbar einwirken, ihn, in der Begrifflichkeit unserer Zeit ausgedrückt, „triggern“, also den Schlüsselreiz für sein Handeln setzen. Ein Affekt ist somit als ein auslösender Impuls zu verstehen, auf den der Verstand im Moment des Auftretens dieses Impulses – diese Einschränkung allerdings ist von großer Bedeutung – keinen Einfluss auszuüben vermag. Denn  : „Ein Affekt ist ein originales Etwas [an original existence] […].“23 „Bin ich ärgerlich, so hat mich der Affekt tatsächlich ergriffen“, sagt Hume.24 Im Originaltext kommt noch deutlicher zum Ausdruck, worum es ihm dabei geht, nämlich um eine wirkliche Vereinnahmung, ja um eine regelrechte Besitzergreifung des Geistes durch den Affekt, denn es heißt  : “When I am angry, I am actually possest [possessed, also wirklich ‚besessen‘ in der wörtlichen wie übertragenen Bedeutung im Deutschen bzw. ‚beherrscht‘] with the passion […].”25 Da Affekte auf diese Art unmittelbar und ungefiltert auf die Person einwirken, sind sie der Ebene, auf der der Verstand Zugriff hätte, zunächst entzogen  : „Es ist also unmöglich, daß dieser Affekt von der Vernunft bekämpft werden kann oder der Vernunft und der Wahrheit widerspricht.“26 Diese Aussage, so grundlegend und klar sie ist, darf indes keineswegs verkürzt werden zu der Feststellung, der Mensch sei seinen Affekten 21 D.  Hume  : Traktat, I, S. 120. 22 D.  Hume  : Traktat, II, S. 153. – OT.: ders.: Treatise, p. 266, 2.3.3|4. 23 Ebd. – Die deutsche Übersetzung ist diffizil und nur sinngemäß, nicht jedoch wörtlich möglich, etwa mittels  : „Ein Affekt ist etwas, das unmittelbar besteht, eigentlich  : unmittelbar wirkt.“ 24 D.  Hume  : Traktat, II, S. 153. 25 D.  Hume  : Treatise, p. 266, 2.3.3|5 (Hervorh. HK). 26 D.  Hume  : Traktat, II, S. 153 (Hervorh. HK).

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vollends ausgeliefert wie ein Korken dem Wellengang des Meeres. Denn wenn der Verstand auch keine unmittelbare Befehlsgewalt über die Affekte selbst und ihr Auftreten hat, so schmälert dies längst nicht seine Bedeutung als diejenige Instanz, die registrieren und sich damit auseinandersetzen kann, was diese Affekte an Wirkungen erzeugen. Die subtile Folgerung aus dieser Rollenverteilung zwischen den Affekten und dem Verstand lautet vielmehr, dass Letzterem insofern eine Möglichkeit zur Einwirkung auf die Affekte zugestanden wird, als er (auch) in der Lage ist, selbst Affekte zu erzeugen. Hume sagt dies nicht ausdrücklich, und man darf daraus schließen, dass dieser Aspekt auch nicht im Mittelpunkt seines Interesses an diesem Thema stand  ; implizit jedoch ist diese Konsequenz zwingend, wenn es heißt  : „Es ist ausgeschlossen, daß die Vernunft die letztere Wirkung, die Verhinderung unseres Wollens, anders vollbringe, als dadurch, daß sie uns einen Impuls nach der unserem Affekt entgegengesetzten Richtung gibt [by giving an impulse in a contrary direction to our passion]  ; wirkte dieser Impuls allein, so wäre er imstande, das Wollen hervorzurufen.“27 Das, was wir unter dem Willen verstehen, sagt Hume, stehe unter dem Regiment der Affekte, wenngleich diese „in ihren heftigsten Bewegungen gezügelt werden können, wenn nämlich Nachdenken sie stärkt und der Entschluß sie unterstützt.“28 Doch auch diesem Nachdenken, zu dem der Mensch kraft seines Verstandes und seiner Fähigkeit zur Vernunft in der Lage zu sein scheint, billigt Hume nicht die Rolle einer autonomen Instanz oder einer eigenständigen Kraft gegenüber den Affekten zu. Eine solche Autonomie der Vernunft gegenüber den Affekten gibt es ihm zufolge nicht, denn was wir für Vernunft hielten und an ihr schätzten, sei, ebenso wie die Affekte, selbst nur eine Gemütsbewegung, also kein wirklich aktives Bewegen, sondern wieder nur ein Bewegt-Werden  : „Unter Vernunft verstehen wir Gemütsbewegungen, die gleicher Art sind, wie die Affekte [affections of the very same kind with the former], die aber ruhiger wirken und keinen Aufruhr in der Gemütsverfassung hervorrufen.“29 Regiert wird der Mensch jedenfalls von den Affekten, denn sogar der Impuls zu denken ist affektiver Natur. Man fühlt sich angesichts dieser Argumentation an Freuds Feststellung erinnert, dass der Mensch „nicht einmal Herr ist im eigenen Hause, sondern auf kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt von dem, was unbewußt in seinem Seelenleben vorgeht.“30 Die Metapher vom „Herrn im Haus“ bedeutet nichts anderes, als Bewusstsein – und damit Kontrolle – zu haben über die Vorgänge des eigenen Handelns und damit des eigenen Lebens. Diese Fähigkeit zur Kontrolle im Sinn einer wirklichen Beherrschung des Handelns durch den Verstand sprechen sowohl Freud (unter Hinweis auf das Über-Ich) als zuvor eben auch Hume (unter Hinweis auf die jegliches Handeln initiierende Bedeutung der Affekte) dem Menschen ab. Im Unterschied zu Freud ist es bei Hume jedoch noch nicht 27 Ebd., 152 f. (Hervorh. HK). – OT.: D. Hume  : Treatise, p. 266, 2.3.3|4. 28 D.  Hume  : Traktat, II, S. 176. 29 Ebd. – OT.: ders.: Treatise, p. 280, 2.3.8|13. 30 S.  Freud  : Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, S. 316.

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das hinter dem Unbewussten verborgene Wissen des Menschen über und um sich selbst, das seine Autonomie zur Illusion werden lässt, sondern vielmehr das Nicht-Erkennen, ja das Nicht-erkennen-Können der Impulse, die ihn eigentlich bewegen. Sein Herangehen ist das eines Erkenntnistheoretikers, nicht das eines Psychologen. Der Mangel allerdings, der von Hume beschrieben wird, ist derselbe wie jener, den Freud herausstellt  : fehlende Kontrolle, somit also eine unsichere Basis und folglich eine Ungewissheit des Menschen seiner selbst. Humes Überlegungen richten sich auf das Erkennen-Wollen dieses Nichterkennen-Könnens jener Kräfte, die den Menschen gewissermaßen statt seiner selbst bewegen. So rückt ein Komplex erneut in den Vordergrund, der im ersten Buch des Treatise bereits breiten Raum einnimmt  : „die schwache Grundlage […] in bezug auf Schärfe und Tiefe des Denkens“ und die Unbekanntheit des Wesens des Geistes.31 Hier, im zweiten Buch des Werks, geht es nun um die Erklärung der Rückwirkungen des als Ungewissheit Empfundenen auf die Affekte  : Wie werden sie von dieser Ungewissheit beeinflusst  ? 7.4.2 Wie Zuversicht entsteht und wie sie sich auswirkt

Bei Hume finden sich, über mehrere Passagen in seinem Treatise verstreut, Überlegungen, die sich in einem weiteren Sinn mit der Frage von Zuversicht und Skepsis befassen. Im Mittelpunkt steht dabei eine Stelle im Buch II, an der die Affektlehre erläutert wird. Hume widmet sich dort dem Entstehen von „Hoffnung und Furcht“ – in seiner Terminologie beides „direkte Affekte“ –, und er bewertet sie als „die einzigen, die unsere besondere Beachtung verdienen“.32 Aus welchem Grund verdienen sie diese  ? – Der Gedankengang, um den es nachfolgend geht, ist innerhalb des Treatise, wo Hume ihn letztlich nicht konsequent ausgearbeitet hat, von eher untergeordneter Bedeutung. Lediglich in einem Nebenwerk33 kam er darauf zurück, nämlich in seiner Arbeit Of the Passions, dem zweiten Teil seiner Four Dissertations von 1757.34 Dennoch verdienen seine dort angestellten Überlegungen Aufmerksamkeit, denn er greift nach annähernd zwei Jahrzehnten die Gegenstände des zweiten Buches des Treatise erneut auf. Hume setzt bei der Dichotomie von good und evil an, wobei die beiden Begriffe nicht im Sinn moralisch wertender Aussagen zu verstehen sind, also nicht auf ein Urteil des Verstandes zurückgehen, sondern als affektiv erzeugt aufgefasst werden, nämlich als Ein31 D.  Hume  : Traktat, I, S. 1 und S. 5. 32 D.  Hume  : Traktat, II, S. 179 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Treatise, p. 281, 2.3.9|9. 33 G.  Streminger  : David Hume, S. 401  : „Von den drei Neufassungen der Bücher des Treatise of Human Nature ist die Abhandlung Of the Passions gewiss die uninteressanteste […].“ 34 D. Hume  : Dissertation II  : Of the Passions. In  : ders.: Four Dissertations, London 1757, pp. 119–181. Die Critical Edition von 2009 (2007) trennt die Four Dissertations und führt die hier behandelte, zweite, unter dem Titel A Dissertation on the Passions. Das nachfolgende Zitat ist aus dieser Ausgabe entnommen  : Hier zeigt sich, wie wichtig Hume gerade die Affekte der Hoffnung und der Furcht sind  : “None of these passions seem to contain any thing curious or remarkable, except Hope and Fear […].” D. Hume  : A Dissertation on the Passions. In  : ders.: A Dissertation on the Passions. The Natural History of Religion, p. 4|7 (Hervorh. übern.).

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drücke (sensations)  : „Bestimmte Gegenstände erzeugen, aufgrund der ursprünglichen Anlage unserer Organe, unmittelbar eine angenehme Empfindung [agreeable sensation] und werden somit gut genannt  ; andere werden infolge der durch sie erzeugten unmittelbar unangenehmen Empfindung als schlecht bezeichnet.“35 Hume hält es nun für unbestritten (obgleich er dafür keine Argumente liefert), dass der menschliche Wille darauf ausgerichtet sei, das Gute herbeizuführen und das Schlechte zu meiden. Er wiederholt dies ausdrücklich in der Anfangspassage von Of the Passions,36 und im Rahmen seiner Argumentation hat dies die Funktion einer Vorannahme, auf der er das Weitere aufbaut. Der Gedanke findet sich bereits im Treatise ausgeführt  : „Jeder weiß  : wenn wir von einem Gegenstand Lust oder Unlust erwarten, so stellt sich ein entsprechendes Gefühl der Neigung oder Abneigung ein  ; und nun fühlen wir uns getrieben, dasjenige, was uns Unbehagen oder Befriedigung bereiten wird, zu vermeiden bezw. aufzusuchen. Jeder weiß ebenso, daß es nicht bei diesem Gefühl bleibt, sondern daß dasselbe uns nach allen Seiten Umschau halten läßt und alle die Dinge mitumfaßt, die mit seinem ursprünglichen Gegenstand durch die Beziehung von Ursache und Wirkung verknüpft sind. Hier nun tritt die [von der Vernunft geleitete] Überlegung ein und läßt diese Beziehung uns zum Bewußtsein kommen, und je nach dem Ergebnis unserer Überlegungen ändern sich auch unsere Handlungen.“37

Dem Verstand fällt somit die Aufgabe zu, all das zu identifizieren, was Ursache der angenehmen (Lust erzeugenden) oder unangenehmen (Widerwillen hervorrufenden) Affekte ist, damit die einen herbeigeführt und die anderen gemieden werden können. An der Vorherrschaft der Affekte ändert dies allerdings nichts, der Verstand bleibt in ihren Diensten ein Mittel zum Zweck. – An anderer Stelle wird Hume die Rolle des Verstandes noch weiter herunterspielen, indem er dann nicht mehr von einem aktiven Akt des Schließens von einer Ursache auf eine Wirkung sprechen wird, sondern von einer Gewohnheit.38 Jedenfalls ist, so Hume, bei der Entstehung der unmittelbaren Affekte der Verstand ohne Einfluss. Diese ergeben sich „ohne weiteres [immediately]“, eben „durch ein Gut oder Übel, durch Schmerz oder Freude [from good or evil, from pain or pleasure]“. Zu diesen unmittelbaren Affekten rechnet Hume „Begehren und Abscheu, Kummer und Freude“,39 und es ist leicht nachzuvollziehen, dass diese Affekte tatsächlich als unmittelbar auftretende wahrgenommen werden. Er versteht darunter, auch wenn dies nicht 35 D.  Hume  : A Dissertation on the Passions. The Natural History of Religion, p. 3|1 (Hervorh. übern.; e. Ü.). 36 D.  Hume  : A Dissertation on the Passions. The Natural History of Religion, p.  3|6  : “Desir e arises from good considered simply  ; and Aversion, from evil. The Will exerts itself, when either the presence of the good or absence of the evil may be attained by any action of the mind or body.” 37 D.  Hume  : Traktat, II, S. 152. – OT.: ders.: Treatise, p. 266, 2.3.3.|3. 38 D.  Hume  : Verstand, S. 55–59. In diesem Sinn auch  : ders.: Traktat, II, S. 143. – Näheres hierzu siehe S. 275. 39 D.  Hume  : Traktat, II, S. 136. – OT.: ders.: Treatise, p. 257, 2.3.1|1.

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seine Worte sind, dass der Verstand diese Affekte im Augenblick ihres Auftretens nicht kontrolliert. Dass allerdings auch Hoffnung und Furcht ausdrücklich zu diesen dem Zugriff des Verstandes entzogenen Affekten gezählt, ja sie mit diesen sogar im selben Atemzug genannt werden, verlangt nach einem genaueren Blick. Hoffnung ebenso wie Furcht nämlich entstehen als Folge von Einschätzungen, die der Verstand vorgenommen hat. Hoffnung zu haben setzt voraus, das Eintreten von etwas für möglich zu halten  ; das Registrieren und Bewerten einer Möglichkeit jedoch ist keine unmittelbare Empfindung, kein Affekt, sondern das Ergebnis von abwägender Verstandestätigkeit. Und Furcht zu empfinden setzt voraus, ebenso dem Eintreten von etwas nicht Erwünschtem eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuzusprechen, und auch dabei handelt es sich um eine abwägende Leistung des Verstandes. Festzuhalten ist im Sinn einer wichtigen Differenzierung also, dass es Affekte gibt, die unmittelbar auftreten, und solche, die dies vor dem Hintergrund einer Verstandesleistung tun. Beide allerdings nennt Hume „unmittelbare Affekte [direct passions]“.40 Ob Hume diese seine Unschärfe bei der Verwendung des Begriffs „unmittelbare Affekte“ entgangen ist oder ob er ihr einfach nur keine größere Bedeutung beigemessen hat (oder nicht beimessen zu müssen glaubte), scheint mir aus seinen Texten nicht ermittelt werden zu können. Im Kontext einer Untersuchung über seine Aussagen zu Zuversicht und Skepsis spielt dieser Gesichtspunkt seines Affektbegriffs allerdings eine durchaus bedeutsame Rolle. Wenn Hume der Frage nachgeht, was die Affekte der Hoffnung und der Furcht eigentlich bedingt oder hervorruft, so beschäftigt er sich zum einen mit einem wesentlichen Gesichtspunkt der alltäglichen menschlichen Wahrnehmung und zum andern mit den damit verbundenen Fragen der Handlungsauslösung. Er stellt dabei einen Zusammenhang her zwischen Hoffnung, Gewissheit (certainty) und Wahrscheinlichkeit (probability) einerseits sowie zwischen Furcht, Besorgnis und Ungewissheit andererseits. Grob vereinfacht ausgedrückt scheint der Tenor zu sein  : Wissen beruhigt, Ungewissheit erzeugt Furcht. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich dieser Ansatz, insbesondere in seinen Implikationen, allerdings als wesentlich komplexer. Hoffnung und Furcht, obgleich für Hume direkte Affekte und damit gemäß seiner Argumentation dem unmittelbaren Verstandeszugriff weitgehend entzogen, setzen für ihr Auftreten gerade die bewertende Instanz des Verstandes voraus. „Ganz dasselbe Ereignis,“ heißt es nämlich, „das im Falle seiner Gewißheit Kummer oder Freude erzeugen würde, gibt Anlaß zu Furcht oder Hoffnung, wenn es uns nur wahrscheinlich und ungewiß ist.“41 Furcht und Hoffnung stehen demzufolge jeweils in Abhängigkeit vom Befund einer Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit. Was aber gewiss ist oder wahrscheinlich, darüber kann ausdrücklich nur der Verstand42 befinden. Dieser schwankt, indem 40 D.  Hume  : Traktat, II, S. 136. – OT.: ders.: Treatise, p. 257, 2.3.1|1. 41 D.  Hume  : Traktat, II, S. 179. – OT.: ders.: Treatise, p. 281, 2.3.9|9. 42 D.  Hume  : Treatise, p. 281, 2.3.9|10, verwendet den Begriff “mind”, sagt aber im selben Kontext  : “The imagination or understanding, call it which you please […].”

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er abwägt, beurteilt und für diese Beurteilungen Erfahrungen ebenso wie Überzeugungen heranzieht, hin und her zwischen – um Humes Diktion beizubehalten – zu erwartendem Kummer oder zu erwartender Freude. „Abwechselnd überwiegt das pro und das contra der Frage, und der Geist, der den Gegenstand mit diesen Gründen für und wider betrachtet [the mind, surveying the object in its opposite principles], findet sich verwickelt in einen innern Widerstreit, der jede Gewißheit und jede sichere Meinung zerstört.“43 Die Beteiligung eines abwägenden Verstandes an diesem Prozess steht außer Zweifel, auch wenn Hume die Deutlichkeit dieser Feststellung durch seinen hier indifferenten Sprachgebrauch etwas verwischt  : Mit mind verwendet er einen Begriff, der in unterschiedlicher Bedeutung gelesen werden kann – neutral als „Geist“, auf den die Affekte einwirken, oder funktional als „Verstand“, der die Affekte einordnet. Hoffnung und Furcht – oder, hier gleichbedeutend, Zuversicht und Skepsis – sind in diesem Sinn sowohl wirkende Affekte als gleichzeitig auch Affekte, die die vorgeschaltete Kontrollinstanz des Verstandes zur Voraussetzung haben  : „Indem der Verstand [understanding] bei Fragen, die nur einen Wahrscheinlichkeitsentscheid zulassen [in all probable questions], durch entgegengesetzte Gesichtspunkte gespalten wird, werden auch die Affekte [affections] zwischen entgegengesetzten Gefühlserregungen [emotions] hin und her bewegt.“44 Die Auffälligkeit bei den Affekten der Hoffnung und der Furcht ist also, dass sie sich nicht wie die übrigen Affekte unmittelbar einstellen, sondern dass sie durch einen Prozess des Abwägens entstehen, den nur der Verstand vorantreiben kann.45 Dieses Abwägen kommt bei Hume insofern auch begrifflich zum Ausdruck, als er sagt  : „Die Affekte der Furcht und der Hoffnung können zunächst in solchen Fällen entstehen, in welchen die Möglichkeiten auf beiden Seiten gleich sind, und kein Übergewicht der einen oder der anderen Seite entdeckt werden kann.“46 Da das Abschätzen von Möglichkeiten im Sinn von Handlungsoptionen sich immer auf Zukünftiges bezieht, hat der Verstand neben der Aufgabe des Abwägens überdies eine antizipatorische Leistung zu erbringen. Diese kann ebenfalls nicht als Affekt verstanden werden, sondern muss einem solchen vorausgehen. Erst wenn der Verstand für ein künftiges Ereignis ein Maß an Wahrscheinlichkeit für dessen Eintreten ermittelt hat und das Ereignis als wünschenswert oder unangenehm, als ein Gut oder als ein Übel bewertet ist, treten die Affekte der Furcht oder der Hoffnung in Erscheinung. Hoffnung und Furcht, Zuversicht und Skepsis sind, wenngleich ausdrücklich Affekte, somit also auch Ergebnisse von Verstandesleistungen. In Humes Klassifikation der Af43 D.  Hume  : Traktat, II, S. 179. – OT.: ders.: Treatise, p. 281, 2.3.9|10. 44 D.  Hume  : Traktat, II, S. 179. – OT.: ders.: Treatise, p. 282, 2.3.9|11. 45 Man empfindet nicht grundlos Furcht und ist nicht grundlos zuversichtlich. Die Alltagssprache bietet für letzteren Fall den Begriff des Optimismus an, unter dem eine Haltung und kein begründetes Gefühl der Zuversicht zu verstehen ist. – Zu dieser grundsätzlichen Klärung des Begriffsverständnisses, von dem hier ausgegangen wird, siehe den Abschnitt 2.1.1.4 („Zuversicht versus Optimismus“). 46 D.  Hume  : Traktat, II, S. 183. – OT.: ders.: Treatise, p. 283, 2.3.9|19 (Hervorh. HK). Mit dem Begriff „entdecken“ ist erneut auf die Rolle des Verstandes verwiesen.

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fekte nehmen sie folglich eine Sonderstellung ein, da sie der von ihm gestellten Bedingung, „unmittelbar“ zu sein, streng genommen nicht genügen, wenngleich sie durchaus eine emotive Komponente enthalten. Furcht ist tatsächlich ebenso wie Hoffnung auch ein Gefühl  ; die Umgangssprache kennt sowohl die „unbestimmte“ Furcht wie die „vage“ Hoffnung. Doch genau genommen ergeben sich sowohl die Unbestimmtheit wie die Vagheit – ebenso wie die Furcht und die Hoffnung selbst – daraus, dass der Verstand weder zu einer klaren Entscheidung der Aussicht auf etwas Erwünschtes oder etwas zu Vermeidendes noch zu einem Urteil über die Wahrscheinlichkeit von deren Eintreten findet.47 So, wie der Verstand – hier  : understanding – in bestimmten Fragen zwischen verschiedenen Überzeugungen hin- und hergerissen ist, ist es das Herz zwischen gegensätzlichen Empfindungen.48 Wenn es sich, wie Hume sagt, bei Furcht wie bei Hoffnung trotzdem um Affekte handelt, dann deshalb, weil das, was die Verstandestätigkeit des Abwägens und Einordnens erzeugt, eben nicht die Gewissheit eines klaren Befundes ist, sondern ein Gefühl. Es mag den Anschein haben, dass der Unterscheidung zwischen Affekten und Verstand zu viel Bedeutung beigemessen wird, doch ist sie nach dem Gesagten und im Hinblick auf die Affekte der Hoffnung und der Furcht, die ich hier in eine unmittelbare Beziehung zu Zuversicht und Skepsis setze, unverzichtbar. Indem er dem Verstand bei der Entstehung dieser beiden Affekte eine Rolle als bewertende und einordnende Instanz zuerkennt, die bei allen übrigen direkten Affekten fehlt, gibt Hume seine Prämisse vom Verstand als Sklaven der Affekte ein wichtiges Stück weit preis. Hoffnung und Furcht, Zuversicht und Skepsis sind keine spontanen Affekte, sondern sie verdanken sich Verstandesleistungen, wie es etwa Bezugnahmen auf bereits gemachte Erfahrungen und deren Bewertungen sind. Wenn Hume von den – eigentlichen – direkten Affekten sagen konnte, sie gingen hervor „aus einem natürlichen Impuls oder Instinkt, der ganz unerklärlich ist [arise from a natural impulse or instinct, which is perfectly unaccountable]“,49 so trifft dies auf die hier in Betracht stehenden Affekte keineswegs zu. Unerklärlich sind sie gerade nicht  : Hoffnung, sofern sie nicht völlig vage ist, ist das Ergebnis einer erfolgreichen Suche nach Gründen, die einen günstigen Ausgang einer Sache nahelegen  ; sie ist also einer schlüssigen Begründung geschuldet. Sie ist, mit anderen Worten, das Werk des vergleichenden, bewertenden Verstandes, der Erfahrungen und Überzeugungen in Wahrscheinlichkeit konvertiert. Mit der Furcht verhält es sich, unter umgekehrten Vorzeichen, nicht anders. Zuversicht und Skepsis sind also, auch wenn Hume dies nirgends ausdrücklich so formuliert hat, Schlussfolgerungen von (bestehenden) Voraussetzungen 47 D.  Hume  : A Dissertation on the Passions. The Natural History of Religion, p. 4|12  : “The passions of fear and hope may arise, when the chances are equal on both sides, and no superiority can be discovered in one above the other. Nay, in this situation the passions are rather the strongest, as the mind has then the least foundation to rest upon, and is tossed with the greatest uncertainty.” 48 D.  Hume  : A Dissertation on the Passions. The Natural History of Religion, p. 4|9. 49 D.  Hume  : Traktat, II, S. 178. – OT.: ders.: Treatise, p. 281, 2.3.9|8.

Die Grundlagen der Argumentation |

auf (künftige) Ergebnisse, von Erfahrungen auf Erwartungen, von mehr oder minder gewissen Ursachen auf mehr oder minder erwartbare Wirkungen.

7.5 Die Grundlagen der Argumentation

Hume konzediert also eine Beteiligung des Verstandes an diesen Affekten der Hoffnung und der Furcht. Der Verstand wird als ein Instrument beschrieben, das in einem engen Rahmen selbst Affekte auslösen kann und von Hume vielleicht deshalb unter bestimmten Gesichtspunkten mit den Affekten in eine engere Beziehung gesetzt wird. Dieses Zugeständnis läuft seinem Suchen nach einem ebenso einfachen wie umfassenden Prinzip, das dem menschlichen Handeln zugrunde liegt, zuwider. Ob er dieses Zugeständnis allerdings bereitwillig oder widerstrebend gemacht hat, verrät er an keiner mir gegenwärtigen Stelle.50 Aber indem er die grundlegende Bedeutung von Ursache-WirkungsZusammenhängen für das menschliche Denken hervorhebt,51 verschiebt Hume nicht nur den Schwerpunkt vom ausschließlich den Affekten gehorchenden, passiven Verstand hin zu einem, der aktiv als Kontrollinstanz auftreten kann. Vielmehr schafft gerade diese Verschiebung des Schwerpunktes die Voraussetzung, unter der dem Verstand überhaupt erst die Befähigung zur Auseinandersetzung mit Zukünftigem möglich wird. In diesem Kontext ist der Verstand dann nicht mehr nur Sklave der Affekte, sondern selbst in der Lage, Handlungsänderungen zu bewirken.52 7.5.1 Zwischen Nachvollziehbarkeit und Vorstellbarkeit

Hume hat sich mit dem Gedanken, dass Denken ein Verknüpfen von Vorstellungen ist, immer wieder befasst. Die wesentlichen bereits im Treatise hierzu gemachten Aussagen umkreist er bis zum Ende seines Schaffens stets von neuem. In der Vorbemerkung zur Ausgabe letzter Hand seiner Essays sagt er sich in einigen Fragen der Erkenntnistheorie von seinem Erstlingswerk allerdings los, wenn er daran nun „Nachlässigkeiten seines 50 Humes Interesse – und Smith sollte ihm darin folgen – richtete sich darauf, den Antrieb menschlichen Handelns aus einem einzigen „Prinzip“ zu erklären  : „Im übrigen sehen wir ja auch im Verlauf der Natur überall mannigfaltige Wirkungen auf wenigen einfachen Prinzipien beruhen. Es ist ein Zeichen von Unerfahrenheit, wenn ein Naturforscher zu immer anderen Gründen seine Zuflucht nimmt, wo es sich darum handelt, verschiedene Wirkungen zu erklären. [|] Wieviel mehr wird dies zutreffen, wenn es sich um den Menschengeist handelt.“ (D.  Hume  : Traktat, II, S. 11. – OT.: ders.: Treatise, p. 185, 2.1.3|6.) Ein solches umfassendes Prinzip formuliert, wenngleich nicht „wissenschaftlich“, etwa der oben zitierte Satz „Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte“. Im Hinblick auf Hoffnung und Furcht befreit Hume die Vernunft ein Stück weit aus ihrem Sklavendasein – ohne den Beitrag eben der Vernunft könnten sie nicht entstehen. 51 Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass Hume „Kausalität“ einfach als gegeben ansieht. Zu dieser Problematik siehe den Abschnitt 7.5.2 („Kausalität  : Gewissheit aus Gewohnheit  ?“). 52 Siehe S. 265.

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früheren Gedankengangs“ beklagt.53 1748 erscheinen die Philosophical Essays concerning Human Understanding. Das Werk, das später den Titel An Enquiry concerning Human Understanding („Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“) tragen wird, ist – überschaubarer im Umfang, rhetorisch eingängiger und straffer in der Beweisführung – ein Entgegenkommen an jenes breite Publikum, das Hume mit seinen philosophischen Werken zu Lebzeiten doch nie in der erhofften Weise zu erreichen vermochte. Die Nachwelt aber hat auch dieses Entgegenkommen der Enquiry concerning Human Understanding nie bereitwillig angenommen, und so tritt diese Schrift in der Rezeptionsgeschichte nicht, wie von ihrem Verfasser erhofft, vollständig aus dem Schatten seines großen Debütwerks heraus, als dessen revidierte Fassung eines Abschnitts sie, so auch Humes eigene Intention, durchaus verstanden werden kann.54 Sehr deutlich fällt hier erneut das Bekenntnis gegen eine rationalistische Philosophie55 aus, die spekulativ und allzu optimistisch in Bereiche vorzudringen und zu „Prinzipien“ zu gelangen suche, „welche in jeder Wissenschaft den menschlichen Erkenntnistrieb beschränken müssen.“56 Hume setzt, wie wir seit der Einleitung zum Treatise wissen, der rationalistischen Konstruktion von Prinzipien mit dem Anspruch umfassender Gültigkeit die Empirie und die Beobachtung entgegen. Immer wieder besteht er auf der Anerkennung der Grenze zwischen empirisch Herleitbarem und rein gedanklichem Fortschreiten zu zwar Denkbarem, nicht jedoch Beobachtetem und Belegtem.57 Damit markiert er gleichzeitig auch die Grenze zwischen der Nachvollziehbarkeit (mittels Beobachtung) und einer reinen Vorstellbarkeit (durch Überlegung und letztlich Konstruktion), die von allen Limitierungen erlebbarer Wirklichkeit entfesselt ist. Humes Zuversicht in die Möglichkeiten, die „menschliche Natur“ zu erkennen und zu erforschen, reicht genau bis zu dieser Grenze. Die Möglichkeit jeglichen weiteren Vordringens bezweifelt

53 D.  Hume  : Verstand, S. 1. 54 D.  Hume  : Understanding, p. 1  ; hier schreibt Hume  : “Henceforth, the Author desires, that the following Pieces may alone be regarded as containing his philosophical sentiments and principles.” 55 Hume hat für „rationalistische Philosophie“ mehrere Begriffe. Er spricht von der „leichten und einleuchtenden Philosophie [easy and obvious philosophy]“, der die „unzugängliche Philosophie [abstruse philosophy]“ gegenübersteht (in  : ders.: Verstand, S. 4 f. – OT.: ders.: Understanding, p. 5|1)  ; an anderer Stelle spricht er von „der abstrakten und tiefsinnigen [abstract and profound]“ Philosophie (in  : ders.: Verstand, S. 7 und S. 9. – OT.: ders.: Understanding, p. 7|7 und p. 9|11) bzw. erneut von einer „unzugänglichen Philosophie [abstruse philosophy]“ (in  : ders.: Verstand, S. 4 und S. 16. – OT.: ders.: Understanding, p. 6|3 und 10|12). Von der „unzugänglichen Philosophie“ heißt es an einer weiteren Stelle im Gestus pauschaler Abschätzigkeit, sie habe „bisher anscheinend nur dem Aberglauben als Zuflucht und dem Widersinn und Irrtum als Deckmantel gedient [served only as a shelter to superstition, and a cover to absurdity and error  !]“. Gerade der Aberglaube als unreflektierte bloße Illusion von überprüfbarer Gewissheit aber ist es, von dem das Denken zu reinigen sei. (Ders.: Verstand, S. 16. – OT.: ders.: Understanding, p. 12|17) 56 David Hume  : Verstand, S. 4. 57 Näheres hierzu und zum „letzten aufweisbaren Prinzip“, Zusammenhänge nicht durch Verstandesakte, sondern „gewohnheitsmäßig“ zu erkennen, siehe S. 283.

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er ausdrücklich,58 und zu Fragen der Reichweite von Erkenntnis und damit der Erwartungen an die Philosophie überhaupt äußert er sich letztlich indifferent. Auch sein eigener Anspruch richtet sich ja auf ein Auffinden von „Prinzipien […], durch welche die Vorgänge im menschlichen Geiste ausgelöst werden“, zumal hier im selben Atemzug sogar von „geheimen Triebfedern [secret springs]“ die Rede ist.59 So entsteht zunächst der Eindruck eines Zurückweichens vor der Forderung nach einer strikten, ausschließlich empirischen Grundlegung der Philosophie.60 Da liegt der Gedanke an ein rhetorisches Manöver nahe, und dies umso mehr, als Hume im Fortgang seines Textes – „II. Abschnitt  : Über den Ursprung der Vorstellungen [ideas]“ – alles daransetzt, nachzuweisen, dass „aller Stoff des Denkens […] entweder von unserem äußeren oder inneren Gefühl [outward or inward sentiment] abgeleitet“ ist.61 Er nennt dies einen „allgemeinen Grundsatz [general maxim]“.62 Zwar ist Philosophie für ihn ein Arbeiten mit Vorstellungen, doch besteht er darauf, dass diese zwangsläufig an die von den Sinnen gelieferten Eindrücke (impressions) gebunden sind. Das ist seine grundlegende Annahme, und auf ihr baut seine Erkenntnistheorie auf – und damit, im Sinn eines Negativs, auch die Beschreibung all dessen, was menschlicher Erkenntnis von vorn herein entzogen ist. Darin ist das Fundament seiner Argumentation zu erblicken, dem er im Treatise mit seiner differenzierten Aufgliederung des von Perzeptionen, Eindrücken und Vorstellungen ausgehenden Erkenntnisprozesses ein Viertel des ersten Buches gewidmet hatte. Umso mehr fällt es da ins Auge, dass dieser gesamte Komplex in der Enquiry concerning Human Understanding nur noch beiläufig zur Sprache gebracht wird, zumal doch das Thema offensichtlich dasselbe ist  : das menschliche Erkenntnisvermögen und die Abläufe, denen es unterliegt. Nachdem Hume die Rollenverteilung zwischen den Affekten und dem Verstand als geklärt ansieht, richtet er seine Aufmerksamkeit nun auf den Prozess des Denkens selbst. Wieder gilt sein Bestreben der Aufdeckung eines „Prinzips“. Er fragt, wie das Denken abläuft. Ist es vornehmlich ein geordneter, sogar Gesetzmäßigkeiten folgender Vorgang oder eher ein von Zufällen bestimmter  ? Der Blick scheint also vordergründig auf die Analyse gerichtet, doch in Wirklichkeit schließt er die Prognose mit ein, denn sind erst einmal Gesetzmäßigkeiten ausgemacht, so lassen sich auch Voraussagen treffen. Die menschlichen Denkprozesse zu entschlüsseln bedeutet (oder hat zumindest das Ziel), solche Annahmen über menschliches Verhalten anstellen zu können – und damit auch über jene Aspekte der die ganze Aufklärung hindurch umkreisten „menschlichen Natur“ –, die das 58 Hume verwendet hier das Bild der „geistigen Geographie“ mit ihrer Umgrenzung, über die der menschliche Verstand nicht hinausgelangen könne. “[…] we can go no farther than this mental geography, or delineation of the distinct parts and powers of the mind […].” D. Hume  : Understanding, p. 10|13. 59 D.  Hume  : Verstand, S. 14. – OT.: ders.: Understanding, p. 11|15 (Hervorh. HK). 60 Diese umgreift in Humes Terminologie sowohl die praktische Philosophie („Moralphilosophie“) als auch, wie eben hier, die Erkenntnistheorie. 61 D.  Hume  : Verstand, S. 19. – OT.: ders.: Understanding, p. 14|5. 62 D.  Hume  : Verstand, S. 22. – OT.: ders.: Understanding, p. 16|8.

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politische Handeln betreffen. Der Umgang mit diesem Ansatz ist einerseits wesentlich für das Denken des 18. Jahrhunderts und andererseits ein differenzierendes Kriterium zwischen den einzelnen Denkern dieser Zeit. Millar etwa beurteilt die Möglichkeit von Voraussagen über Individuen skeptisch, wenn er über ihren „Charakter“ sagt, dass „eine so große Verschiedenartigkeit besteht, daß man sie nicht aus feststehenden gesicherten Ursachen ableiten kann […].“63 Humes Interesse gilt der Antwort auf die Frage, wie Denkprozesse sich vollziehen, und das heißt, ob und gegebenenfalls nach welchen Gesetzen die Gedanken aufeinander folgen. Er sagt, dass die Gedanken „bei ihrem Erscheinen im Gedächtnis oder in der Einbildungskraft einander in gewissem Grade methodisch und regelmäßig einführen“. Zugrunde liege „ein Prinzip für die Verknüpfung zwischen den verschiedenen Gedanken oder Vorstellungen des Geistes […].“64 Diese Verknüpfung der Gedanken sei auf dreierlei Weise möglich, nämlich aufgrund von „Ähnlichkeit, Berührung in Zeit oder Raum und Ursache und Wirkung [Resemblance, Contiguity in time or place, and Cause or Effect]“.65 Im Hinblick auf Humes Aussagen über jegliche Art von politischen Sachverhalten ist hier vor allem letzterer Ursache-Wirkungs-Konnex von Bedeutung. Allerdings wäre dieser Zusammenhang nur dann wirklich relevant und für Handlungsprognosen tauglich, wenn sich seine Eindeutigkeit nachweisen ließe, also wenn eine bestimmte Ursache immer eine bestimmte Auswirkung im Sinn einer Handlungsfolge nach sich zöge. An diesem Nachweis, an dieser Nutzbarmachung der theoretischen Philosophie für den Lebensalltag, arbeitet Hume bis zuletzt. Dies vor allem ist das „Prinzip“, nach dem er von Anfang an sucht und dessen Existenz er seit dem Treatise immer wieder neu beschreibt, weil er darin wohl einen Schlüssel zu eben der „menschlichen Natur“ erblickt. Denn politisches Denken setzt einen im weitesten Sinn fassbaren Menschen voraus, und fassbar ist dieser nicht, wenn er lediglich beschrieben wird, wie er ist, sondern erst, wenn dargelegt werden kann, was ihn leitet und sein Handeln bestimmt. Somit verrät es die Hoffnung auf eine Nutzanwendung erkenntnistheoretischer Befunde, wenn Hume im dritten Abschnitt seiner Enquiry concerning Human Understanding auf „die Assoziationen der Vorstellungen“ eingeht. Offensichtlich versucht er auf diesem Weg zu ergründen, wie aus einzelnen und kontingenten „Perzeptionen“ zusammenhängende Gedankengänge und damit letztlich schlüssiges Verhalten wird. Politisches Planen und Handeln ist auf diese Schlüssigkeit – mit anderen Worten  : auf diese Vorhersehbarkeit – menschlichen Verhaltens angewiesen. Genau von dieser Auffassung ist Hume geleitet, wenn er am Beispiel der Rekonstruktion historischer Zusammenhänge ausführt, 63 J.  Millar  : Ursprung, S. 50. 64 D.  Hume  : Verstand, S. 24. – OT.: ders.: Understanding, p. 17|1. 65 D.  Hume  : Verstand, S. 25. – OT.: ders.: Understanding, p. 17|2 (Hervorh. übern.). – Es fällt auf, dass Hume die Formulierung “cause or effect” wählt, obwohl er doch offenbar „Ursache und Wirkung“ zu meinen scheint, wie es Raoul Richter auch übersetzt hat.

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diese diene dem Zweck der Prognose  : „Er [der ‚Chronist oder Geschichtschreiber‘] sieht ein, daß die Kenntnis der Ursachen nicht nur die befriedigendste ist – denn diese Beziehung oder Verknüpfung ist die stärkste von allen –, sondern auch die lehrreichste  ; denn allein dies Wissen befähigt uns, über die Ereignisse Gewalt zu haben und die Zukunft zu beherrschen [we are enabled to controul events, and govern futurity].“66 Und weiter folgert er, „daß in der Geschichte die Verknüpfung der einzelnen Ereignisse, wodurch sie zu einem Ganzen vereinigt werden [in history, the connexion among the several events, which unites them into one body], die Beziehung von Ursache und Wirkung ist“.67 Aus diesem Gedanken ist umgekehrt zu schließen, dass das Berichten von Ereignissen, für die keine Ursachen angegeben werden können, in Humes Augen unergiebig ist, denn sie förderten keine Gesetzmäßigkeiten zutage und lieferten deshalb auch keine Erkenntnisse für Prognosen über das Eintreten künftigen Geschehens. Diese Folgerung, dass einzig Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen Relevanz für Voraussagen über menschliches Verhalten zukomme, bildet, ohne dass Hume dies ausgesprochen hätte, den Schnittpunkt von Erkenntnistheorie und politischem Denken. Mit dem Herausarbeiten der Bedeutung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs war somit diejenige Argumentationslinie vorgezeichnet, die es zu verfolgen galt. In einer engen Beziehung dazu steht die Untersuchung des Problems der Gewissheit  : Was ist eine Tatsache, was ist Evidenz  ? Hume nähert sich ihm mit der Distanziertheit des Skeptikers, wenn er vorausschickt  : „Tatsachen […] sind nicht in gleicher Weise [wie Beziehungen von Vorstellungen, HK] als gewiß verbürgt [ascertained]“.68 Was aber ist dann Gewissheit und was ist unter der Natur der Evidenz von Tatsachen zu verstehen  ? Logisches Denken allein, der Rückzug auf die – formale – Widerspruchsfreiheit von Aussagen, führe nicht zum Ziel, sagt Hume  : „Daß die Sonne morgen nicht aufgehen wird, ist ein nicht minder verständlicher Satz und nicht widerspruchsvoller, als die Behauptung [affirmation], daß sie aufgehen wird. Wir würden daher vergeblich versuchen, seine Falschheit zu demonstrieren.“69 Voraussetzung für die Evidenz von Tatsachen sei nicht Widerspruchsfreiheit, sondern vielmehr der Nachweis eines Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs  : „Findet jemand auf einer wüsten Insel eine Uhr oder sonst eine Maschine, so würde er schließen, daß einst Menschen auf dieser Insel gewesen sind. All unsere Gedankengänge, die Tatsachen betreffen, sind von derselben Art. Es wird hier beständig vorausgesetzt, daß zwischen der gegenwärtigen Tatsache und der aus ihr abgeleiteten eine Verknüpfung besteht.“70 Das Sich-einer-Tatsache-Vergewissern ist demnach ein Vorgang 66 D.  Hume  : Verstand, S. 27. – OT.: ders.: Understanding, p. 19|9 (Hervorh. HK). – Hume fügte diesen Satz, wohl um auf diese Aussage Nachdruck zu legen, in den Ausgaben von 1748 bis 1770 hinzu  ; die posthume Ausgabe von 1777 enthält ihn nicht mehr. 67 D.  Hume  : Verstand, S. 32. – OT.: ders.: Understanding, p. 21|14. – Hume allerdings tilgte diese 1748 hinzugefügte Aussage in der Ausgabe von 1764 wieder. 68 D.  Hume  : Verstand, S. 35. – OT.: ders.: Understanding, p. 24|2. 69 D.  Hume  : Verstand, S. 36. – OT.: ders.: Understanding, p. 24|2. 70 D.  Hume  : Verstand, S. 36 f. – OT.: ders.: Understanding, p. 25|4.

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des Schlussfolgerns, und zwar unter der Voraussetzung von Empirie, nämlich dass dessen Ausgangspunkt die Anschauung beziehungsweise die Erfahrung71 ist, nicht das Ergebnis bloßer Denkakte. Die Erfahrung ist dabei die, dass „gewisse Gegenstände beständig in Zusammenhang stehen [that any particular objects are constantly conjoined with each other]“.72 Es braucht an dieser Stelle nicht darauf eingegangen zu werden, inwieweit Humes Argumentation letztlich belastbar ist, da ja sowohl „das Zeugnis der Sinne“ als auch „die Angaben unseres Gedächtnisses“ selbst wiederum die Frage nach der Gewissheit dessen aufwerfen, was sie dem Geist liefern  : Traf eine Beobachtung tatsächlich zu, war die Erinnerung wirklich eine „untrügliche“, also ungetrogene  ? Im Hinblick auf das politische Denken Humes ist vielmehr wichtig, dass dieser Ansatz der „Wirklichkeitsvergewisserung“ Implikationen nach zwei unterschiedlichen Richtungen hin aufweist, nämlich eine in die Vergangenheit – die des Erkennens und der Dekonstruktion – und eine in die Zukunft – die der Konstruktion und des Handelns. Dieses erkenntnistheoretische Modell nämlich, das bei der Anschauung und unmittelbaren Erinnerung ansetzt, erklärt mittels Kausalzusammenhängen nicht nur rückblickend, wie Zustände geworden sind und die Welt so geschaffen haben, wie wir sie vorfinden, sondern es ermöglicht es auch, mittels dieser Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zukünftiges Geschehen zu extrapolieren, diese also prognostisch zu nutzen und somit aus ihnen Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Handlungsraums, der vor uns liegt, zu gewinnen. 7.5.2 Kausalität  : Gewissheit aus Gewohnheit  ?

Denken im Hinblick auf Prognosen bedeutet stets auch den Umgang mit der Erfahrung von Kontingenz, der Unverfügbarkeit des Zukünftigen. Wörtlich spricht Hume von der „Übertragung der Vergangenheit auf die Zukunft [transfer(ring) the past to the future]“73 oder vom „Bekannte[n] auf das Unbekannte [the known to the unknown]“.74 Dies ist eine vom Anspruch mathematischer Schlüssigkeit – genauer  : von der Geometrie – inspirierte Überlegung, hinter der Gedanken an Symmetrie und Kongruenz stehen, also der Spiegelbildlichkeit und der Deckungsgleichheit unterschiedlicher Dinge. Der Schlüssel zur Zukunft liege somit nicht in einer mittels spekulativer Überlegung zu enträtselnden Vorsehung, sondern, vordergründig betrachtet geradezu banal, in der Vergangenheit, in der sich all das finde, was sich von der Zukunft erwarten lasse. Allerdings darf man daraus nicht vorschnell schließen, Hume habe zum Ausdruck bringen wollen, dass die Zukunft in irgendeiner Weise durch die Vergangenheit vorweggenommen sei. Er enthält 71 Hume spricht hier vom „Zeugnis der Sinne [testimony of our senses]“ und von „Angaben unseres Gedächtnisses [records of our memory]“. D. Hume  : Verstand, S. 36. – OT.: ders.: Understanding, p. 24|3. 72 D.  Hume  : Verstand, S. 37. – OT.: ders.: Understanding, p. 25|6. 73 D.  Hume  : Verstand, S. 73 (auch S. 72). – OT.: ders.: Understanding, pp. 47–48|4. 74 D.  Hume  : Verstand, S. 125, Fn. – OT.: ders.: Understanding, p. 81, note 20.

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sich vielmehr jeglicher Voraussagen und zeigt lediglich auf, auf welche Weise wir zu dem Bild gelangen, das wir uns von der Zukunft machen – eben durch Projektion der zuvor interpretierten Vergangenheit, also durch ein Weiterdenken unserer Erfahrungen unter Zuhilfenahme unserer Kenntnis über – genauer  : unserer Erinnerung an – UrsacheWirkungs-Beziehungen.75 Hume sieht sich dadurch keineswegs zu der Folgerung verleitet, die Zukunft liege wie ein offenes Buch vor uns, wenn wir in der Vergangenheit nur richtig zu lesen verstünden, sondern es geht ihm darum, den Handlungsraum, in den hinein gehandelt wird, einzugrenzen und überschaubarer zu machen. Diese Eingrenzung geschieht mittels einer begrifflichen Differenzierung zwischen drei verschiedenen Graden der Gewissheit von Erkenntnis, die sich als unterschiedliche Grade der Evidenz von Ursache-WirkungsZusammenhängen auffassen lassen. Es handelt sich erstens um „diejenige [menschliche Erkenntnis], die in einem Wissen [knowledge] besteht, [zweitens um] diejenige, die auf [sicheren] Erfahrungsgründen [proofs] und [drittens um] diejenige, die auf bloßen Wahrscheinlichkeiten [probabilities] beruht.“76 Von Interesse sind die beiden letztgenannten, denn lediglich sie bieten einen Spielraum für Interpretation. Was aber sind „sichere Erfahrungsgründe“  ? Und, gefragt im Hinblick auf die Feststellung, dass einer der Schlüssel zur Zukunft in der Geschichte liege  : Steckt in der Geschichte – gemeint ist die historische Überlieferung – überhaupt das Potenzial, eben jene Erkenntnisse zu liefern, die über die Feststellung von „bloßen Wahrscheinlichkeiten“ hinausgehen  ? – Dem Versuch einer Antwort darauf wäre die Frage voranzustellen, als was Geschichte anzusehen ist  : als vorgefundene Wirkungen noch aufzufindender oder bereits aufgefundener Ursachen oder lediglich als Wirklichkeit gewordene Kontingenz  ? Es ist dies die „Frage nach anderen Verlaufsmöglichkeiten historischer Prozesse“.77 7.5.2.1 Warum es in der Geschichte keine Kausalität gibt

Dreh- und Angelpunkt von Humes Argumentation sind die Begriffe der „Erfahrung“ (experience) und der „Gewohnheit“ ([sufficient] custom). Ein Kausalzusammenhang nämlich, sagt er, könne niemals unmittelbar erkannt, sondern immer nur erfahren werden. „Man überzeugt sich leicht, daß […] der Schluß von der Ursache auf die Wirkung sich nicht ergibt aus einer bloßen Betrachtung der Gegenstände, die in dieser Beziehung stehen  ; nicht daraus, daß wir in ihr Wesen uns versenken und dabei etwa die Abhängigkeit des einen vom anderen entdecken. […] Wir können darnach allein auf Grund der Erfahrung die Existenz eines 75 Worauf hier nicht näher eingegangen werden soll  : All die Begriffe wie „weiterdenken“, „schließen“ oder „projizieren“ bezeichnen eigentlich Operationen des Verstandes und eines rationalen Vorgehens. Das macht es schwer, Humes Grundannahme zu folgen, der Transfer der Erfahrungen in die Zukunft sei eher ein Werk der Affekte als der Vernunft. 76 D.  Hume  : Traktat, I, S. 172 (Hervorh. und Einfügungen in Klammern  : HK), – OT.: D. Hume  : Treatise, p. 86, 1.3.11|2. 77 A. Hoffmann  : Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewusstsein aus historischer Perspektive, S. 56.

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Gegenstandes aus der eines anderen erschließen [’Tis therefore by experience only, that we can infer the existence of one object from that of another].“78

Kurzum  : Wir sehen es dem Ei nicht an, dass aus ihm ein Huhn wird. Doch das bedeutet mitnichten, dass wir es nicht dennoch wüssten. Dazu ist anzumerken, dass Hume, wenn er hier von einem „Gegenstand“ spricht, keineswegs dessen materielle Existenz voraussetzt  ; auch ein Ereignis oder ein Affekt können „Gegenstände“ sein, ja alles, wofür die Sprache Nomina bereithält. – „Erfahrung“ ist in diesem Zusammenhang etwas, das durch wiederholte Eindrücke erzeugt wird. Sicherheit im Hinblick auf das, was zu erwarten ist, entstehe zum einen durch die wiederkehrende Beobachtung, „daß gleiche Gegenstände unter gleichen begleitenden Umständen stets gleiche Wirkungen hervorrufen“, und zum andern eben durch Gewohnheit, die darin besteht, dass sich das Beobachtete auf immer gleiche Weise wiederholt  : „Nachdem einmal diese Regel sich durch Gewohnheit genügend festgesetzt hat, verleiht sie jedem möglichen [sprich  : künftigen] Falle ihrer Anwendung Evidenz und Sicherheit.“79 Humes Prinzip erscheint, auf diese Weise zusammengefasst, verblüffend einfach. Allerdings ist es das nur auf den ersten Blick. In Wirklichkeit liegt hier eine komplexe Theorie des menschlichen Erkenntnisvermögens zugrunde, die von mehreren Voraussetzungen ausgeht.80

78 D.  Hume  : Traktat, I, S. 116 f. (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Treatise, p. 61, 1.3.6|1–2. – Hume kam auf diesen Gedankengang in seiner Enquiry erneut zurück  : ders.: Verstand, S. 37  : „Wollen wir also eine befriedigende Auf[k]lärung über die Natur jener Evidenz erhalten, die uns der Tatsachen versichert, so müssen wir untersuchen, wie wir zur Kenntnis von Ursache und Wirkung gelangen.“ Und weiter  : „Ich wage es als einen allgemeinen und ausnahmelosen Satz hinzustellen, daß die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Falle durch Denkakte a priori gewonnen wird [that the knowledge of this relation is not, in any instance, attained by reasonings a priori]  ; sondern daß sie ganz und gar aus der Erfahrung stammt, indem wir finden, daß gewisse Gegenstände beständig in Zusammenhang stehen.“ (Hervorh. übern.) – OT.: ders.: Understanding, p. 25|6. 79 D. Hume  : Traktat, I, S. 144. – OT.: D. Hume  : Treatise, p.  73, 1.3.8|14  : “[…  ;] that like objects, plac’d in like circumstances, will always produce like effects  ; and as this principle has establish’d itself by a sufficient custom, it bestows an evidence and firmness on any opinion, to which it can be apply’d.” (Hervorh. übern.) An anderer Stelle – D. Hume, Traktat, I, S. 172 (OT.: D. Hume  : Treatise, p. 86, 1.3.11|4) – variiert Hume die Erklärung der Kausalität wie folgt  : „Die Vorstellung der Kausalität entsteht durch die Erfahrung, die uns gewisse Gegenstände beständig miteinander verbunden zeigt [The idea of cause and effect is deriv’d from experience, which presenting us with certain objects constantly conjoin’d with each other], […].“ – Auch das folgende Beispiel dient Hume der Erläuterung dieses Zusammenhangs  : „Allein Gewohnheit bestimmt uns anzunehmen, daß zwischen Vergangenheit und Zukunft Gleichförmigkeit besteht [We are determined by custom alone to suppose the future conformable to the past]. Sehe ich eine Billardkugel auf eine andere zurollen, so führt mich Gewohnheit unmittelbar dazu, eine Wirkung wie immer zu erwarten, also die zweite Kugel in Bewegung zu denken, bevor ich es sehe. Nichts in den Gegenständen selber, für sich allein und losgelöst von aller Erfahrung betrachtet, gibt mir die Berechtigung zu einem solchen Schluß.“ D. Hume  : Abriß, S. 29 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Abstract, p. 410|15. 80 Zum Problem der „Erfahrung als Quelle der Kenntnis kausaler Zusammenhänge“ bei Hume siehe J. Kulenkampff  : David Hume, S. 66–70.

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Hume geht es um zwei Sachverhalte. Ihn beschäftigen zum einen die Schlussfolgerungen, die der Mensch aus seinen Perzeptionen zieht. Diese Perzeptionen sind Geistes- und Bewusstseinsinhalte, die entweder aus unmittelbaren, von den Sinnen erzeugten Eindrücken (impressions) bestehen, oder aus Vorstellungen (ideas), genauer  : aus Abbildern solcher Eindrücke, die im Bewusstsein gespeichert sind. Hinzu tritt die Frage nach den Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Bei diesen sprächen wir von der „Wahrnehmung eines Gegenstandes [im Sinn von ‚Ursache‘] und dem Glauben an denjenigen [Gegenstand], den wir häufig in seiner Begleitung antrafen [im Sinn von ‚Wirkung‘]“.81 Damit aus den Perzeptionen überhaupt Schlüsse im Hinblick auf Zukünftiges gezogen werden könnten, bedürfe es solcher Ursache-Wirkungs-Beziehungen als Voraussetzung. Denn nur wenn wir (mit mehr oder weniger großer Sicherheit) annehmen könnten, dass ein bestimmter „Gegenstand“ (als Ursache) einen bestimmten anderen „Gegenstand“ (als Wirkung bzw. Folge bzw. Ergebnis) hervorrufe, sei die Extrapolation von einem Jetzt auf ein Dann überhaupt möglich  : „Nur die Ursächlichkeit [causation, im Sinn von ‚UrsacheWirkungs-Beziehung‘] schließt eine Verknüpfung in sich, die so beschaffen ist, daß wir aus der Existenz oder Tätigkeit eines Gegenstandes die Gewißheit schöpfen können [as to give us assurance from the existence or action of one object], es sei ihr eine andere Existenz oder Tätigkeit gefolgt oder vorangegangen […].“82 Dabei stelle sich das Bewusstsein für Kausalzusammenhänge durch Erfahrungen ein  ; der Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft – Hume spricht nicht von „schließen“, sondern er verwendet das Verb „übergehen“ (to pass) – sei ein Akt der Gewohnheit des Sich-Vorstellens  : „Wir werden also, wenn wir vom Eindruck eines Gegenstandes zur Vorstellung oder zum Glauben an einen anderen übergehen, [der durch Ersteren hervorgerufen wurde,] nicht durch die Vernunft, sondern durch die Gewohnheit oder ein Prinzip der Vorstellungsverknüpfung [a principle of association] geleitet.“83 Dass bei diesem Prozess nicht der Vernunft, sondern der Gewohnheit die Hauptrolle zukommt, wird an anderer Stelle noch einmal vertieft  : „An den Gegenständen [selbst] findet sich nichts von einer Verknüpfung  ; wir können nach keinem anderen Prinzip, als dem der Gewohnheit und ihrer Einwirkung auf die Einbildungskraft aus dem Auftreten eines Gegenstandes auf die Existenz eines anderen schließen.“84 Auf einen einfachen Nenner gebracht bedeutet das nichts anderes, als dass Hume „die Verbindung von Ursache und Wirkung, und somit alle kausale ‚Erklärung‘ von Vorgängen, auf die Assoziation des Erlebenden zurückführte“ und damit die gängige Vorstellung von Kausalität auflös81 D.  Hume  : Traktat, I, S. 183. – OT.: ders.: Treatise, p. 91, 1.3.12|7  : ”[…] the view of one object and the belief of that, which is often found to attend it”. 82 D.  Hume  : Traktat, I, S. 100 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Treatise, p. 53, 1.3.2|2. 83 D.  Hume  : Traktat, I, S. 131. – OT.: ders.: Treatise, p. 67, 1.3.7|6. – In diesem Sinn auch D. Hume  : Traktat, II, S. 143. 84 D.  Hume  : Traktat, I, S. 141 f. – So ist auch das oben erwähnte Billard-Beispiel zu verstehen  : Man sieht einer rollenden Kugel nicht an, was zu bewirken sie beim Zusammenprall mit einer anderen im Stand ist – aber man hat es oft genug gesehen, um den Effekt „mit Gewissheit“ erwarten zu dürfen.

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te.85 Das heißt aber zum einen keineswegs, dass man sich im alltäglichen Leben auch so verhalten würde, als gebe es den Ursache-Wirkungs-Zusammenhang tatsächlich nicht – denn wäre dem so, wie könnte man dann, um ein Hume-Beispiel aufzugreifen, Billard spielen  ? Und das heißt zum andern auch nicht, dass Hume Kausalität negiert. Vielmehr definiert er sie im Treatise auf eine besondere Weise, entfernt sich damit aber von der Lösung jenes Problems, das uns hier beschäftigt  : Kann aus historischen Begebenheiten zuverlässig (!) auf künftiges Geschehen geschlossen werden. Also, einfach gefragt  : Kann man aus der Betrachtung der Geschichte Prognosen ableiten  ?86 Denn nur wenn dies zuträfe, wäre die Zuversicht begründet, dass ein Zuwachs an historischem Wissen (im Sinn von „Erfahrungen“) dabei eine Hilfe sein könnte, Kontingenz zu bewältigen und den Zufall zu „vertreiben“. Hume bietet unter anderem diese Definition von Kausalität an  : „Ursache ist ein Gegenstand, der einem anderen voraufgeht, ihm räumlich benachbart, und zugleich mit ihm so verbunden ist, daß die Vorstellung des einen Gegenstandes den Geist nötigt, die Vorstellung des anderen zu vollziehen, und der Eindruck des einen ihn nötigt, eine lebhaftere Vorstellung des anderen zu vollziehen.“87 Was lässt sich daraus im Hinblick auf Voraussagen über das Verhalten von Menschen ableiten  ? Unzweifelhaft ist, dass das Verhalten von Menschen davon seinen Ausgang nimmt, welche Vorstellung sie von der Wirklichkeit haben. Die Schlussfolgerung daraus ist  : Man hat es im Hinblick auf die Frage, ob zuverlässige Prognosen aus der Geschichte abgeleitet werden können, grundsätzlich mit zwei getrennten Situationen zu tun  : der historischen und der zukünftigen. Da man es den Gegenständen88, wie Hume festgestellt hat, nicht ansehe, wie sie sich entwickeln werden,89 und die Annahmen darüber folglich dem „Prinzip der Gewohnheit“ folgen müssen, hängt das jeweilige Handeln, das historische wie das künftige, von der Vorstellung dessen ab, was „die Wirklichkeit ist“. Diese Vorstellung beruht auf keinem objektiven Befund, sondern sie ist ein Werk der Einbildungskraft der Akteure – und wird es in jedem neuen Fall wieder sein. Es gibt also diejenige Vorstellung, die die historischen Akteure von ihrer Lage hatten, und es wird jene davon unabhängige geben, die die künftigen Akteure von der ihren haben werden. Zwischen beiden besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. Gerade der in der oben angeführten Definition geforderte unmittelbare Zusammenhang („voraufgehen“, „räumlich benachbart sein“, „miteinander verbunden sein“) ist es jedoch, der die beständige Verbindung – eben Kausalität – ausmacht. Ein kausaler Zusammenhang zwischen einem historischen und einem künftigen Geschehen ist deshalb allein schon qua definitionem nicht möglich. 85 E. v. Glasersfeld  : Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, S. 349. 86 D.  Hume  : Traktat, I, S. 229–233. 87 Ebd., S. 230. 88 Unter „Gegenständen“ sind hier sowohl physische Gegenstände als auch Handlungen zu verstehen. 89 Weil, wie es in Humes oben angeführten Satz (S. 275) heißt, „der Schluß von der Ursache auf die Wirkung sich nicht ergibt aus einer bloßen Betrachtung der Gegenstände“.

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Und als ob er dem Nachdruck verleihen wollte, schiebt Hume dem sodann noch die folgende Erklärung nach  : „Die beständige Verbindung von Gegenständen im Verein mit jener psychischen Nötigung ist das, was die ‚physische‘ Notwendigkeit ausmacht  ; die Abwesenheit dieser Momente ist gleichbedeutend mit Zufall [the removal of these is the same thing with chance]. Da Gegenstände entweder verbunden oder nicht verbunden sein müssen und die Nötigung, von einem Gegenstand auf einen anderen überzugehen, für den Geist entweder besteht oder nicht besteht, so kann kein Mittelding zwischen Zufall und absoluter Notwendigkeit zugestanden werden.“90

Aus den beiden letztgenannten Textstellen ergibt sich, dass ein direkter Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen historischem und künftigen Geschehen weder besteht noch bestehen kann. Wie man sieht, verwendet Hume hier für Kontingenz den Begriff Zufall (chance). 7.5.2.2 Welche Erkenntnisse die Geschichte dennoch liefern kann

Aber zurück zu den oben genannten „Graden von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen“ – Wissen, sichere Erfahrungsgründe und bloße Wahrscheinlichkeiten91 – und damit zum Erkenntniswert, der sich aus der Geschichte gewinnen lässt. Das Wissen-Können künftigen Geschehens hatte Hume, wie gerade dargestellt, also ausgeschieden. Die „Erfahrungsgründe“ und die bloßen „Wahrscheinlichkeiten“ müssen zusammen betrachtet werden. Das ergibt sich aus seinen Überlegungen zur Entstehung von Zuversicht, auf die bereits ausführlich eingegangen wurde.92 Dabei geht es um eben jenen oben beschriebenen Vorgang, bei dem „das Pro und das Contra“ gegeneinander abgewogen werden und dadurch ein Eindruck davon entsteht, welches Geschehen mit größerer Wahrscheinlichkeit eintreten wird.93 Auch wenn wir nicht wissen können, was künftig eintreten wird, so können wir doch immerhin wissen, was wir für wahrscheinlich halten – obgleich dieses „Wissen“ eigentlich affektiven Ursprungs ist. Denn Hume sagt im Treatise, dass diese Übertragung von Vergangenem auf die Zukunft keine eigentliche Operation des Verstandes ist.94 Sie ist kein rationaler, sondern ein affektiver, der Gewohnheit folgender Vorgang, und damit steht sie wieder ganz im Einklang mit dem Diktum, dass die „Vernunft […] nur der Sklave der Affekte“ sei.95 90 D. Hume Traktat, I, S. 231. – OT.: ders.: Treatise, p. 115, 1.3.14|33 (Hervorh. übern.). 91 Siehe S. 275. 92 Siehe den Abschnitt 7.4.2 („Wie Zuversicht entsteht und wie sie sich auswirkt“). 93 Siehe S. 266. – D. Hume  : Traktat, II, S. 179  : „Abwechselnd überwiegt das pro und das contra der Frage, und der Geist, der den Gegenstand mit diesen Gründen für und wider betrachtet [the mind, surveying the object in its opposite principles], findet sich verwickelt in einen innern Widerstreit, der jede Gewißheit und jede sichere Meinung zerstört.“ – OT.: ders.: Treatise, p. 281, 2.3.9|10. 94 D.  Hume  : Traktat, I, S. 191 f. 95 D.  Hume  : Traktat, II, S. 153.

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Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis

In seiner vernunftskeptischen Grundhaltung bleibt Hume sich damit treu, doch gibt er sich mit diesem Befund noch nicht zufrieden. Denn  : Welchen Beitrag, fragt er, leistet dann die Vernunft für die Erklärung der Welt überhaupt  ? Und worüber verschafft sie uns Gewissheit  ? „Dieser Satz  : daß Ursachen und Wirkungen nicht durch die Vernunft, sondern durch die Erfahrung zu entdecken sind, wird leicht für solche Gegenstände zugegeben werden, von denen wir uns erinnern, daß sie uns früher gänzlich unbekannt gewesen sind  ; müssen wir uns doch bewußt sein, daß wir damals völlig unfähig waren, vorauszusagen, was aus ihnen entstehen werde.“96 Die Gegenstände selbst gäben keinerlei Aufschluss über ihr Wesen, und es sei uns unmöglich, zu diesem Wesen allein durch Überlegung vorzudringen. Nur durch Beobachtung, nie aber durch Denken allein erführen wir, was wir von ihnen zu halten hätten. Dadurch ist die Vernunft entzaubert, denn sie ist nicht nur den Affekten untertan, sondern sie ist nichts „ohne den Beistand von Beobachtung und Erfahrung“.97 Hume verdeutlicht diesen Gedanken erneut mit einem Beispiel der Bewegung von Billardkugeln  : „Wir meinen, wenn wir plötzlich in die Welt gestellt würden, so hätten wir von Anfang an herleiten können, daß eine Billardkugel durch Stoß einer anderen Bewegung mitteilen würde, und daß wir nicht auf das Ereignis hätten zu warten brauchen, um mit Gewißheit darüber auszusagen.“ Dabei sei hier lediglich „der Einfluß der Gewohnheit“ am Werk, der „unsere natürliche Unwissenheit“ verdecke.98 An dieser Stelle allerdings ist der Hinweis auf Humes durchaus differenzierende Haltung in der Frage angebracht, welche praktische Bedeutung seinen Aussagen zum Antagonismus von Vernunft und Gewohnheit/Erfahrung zukomme. So gibt es in der Enquiry concerning Human Understanding eine Schlüsselpassage, in der, kurioserweise versteckt in einer Fußnote, eine Klärung dieses Verhältnisses versucht wird. Darin weicht Hume vor einer eindeutigen Aussage zurück, indem er relativiert  : „Meistens unterscheiden Schriftsteller, selbst auf dem Gebiete der Moral, Politik und Physik, zwischen Vernunft und Erfahrung, in der Voraussetzung, daß die Begründungsarten gänzlich voneinander verschieden seien. […]. So lassen sich z. B. die Begrenzung und Beschränkung der Staatsregierung und eine gesetzliche Verfassung entweder durch die Vernunft verteidigen, die aus der Erwägung der großen Schwäche und Verderbtheit der menschlichen Natur uns lehrt, daß niemand ohne Gefahr mit unbeschränkter Machtvollkommenheit betraut werden kann  ; oder durch Erfahrung und Geschichte, die uns von dem ungeheueren Mißbrauch berichten, den der Ehrgeiz zu allen Zeiten und in allen Ländern mit solch unvorsichtigem Vertrauen getrieben hat. […] Wird auch zugegeben, daß die Vernunft recht einleuchtende Vermutungen über die Folgen einer bestimmten Handlungsweise unter bestimmten Umständen bilden kann, so gilt sie dennoch ohne den Beistand der Erfahrung für unvollkommen, die allein imstande 96 D.  Hume  : Verstand, S. 38. Nahezu gleichlautend auch ebd., S. 56 (Fn.). 97 Ebd., S. 40. 98 Ebd., S. 39.

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ist, den Grundsätzen, die durch Studieren und Nachdenken gewonnen werden, Beständigkeit und Gewißheit zu verleihen.“99

Was hier gefordert wird, das ist die empirische Überprüfbarkeit – und vor allem Überprüfung – von Vernunftschlüssen  ; diese eben kann „durch die Erfahrung und Geschichte“ erfolgen. Angeboten wird ein Modell der Gleichberechtigung, ja sogar der Aufgabenteilung zwischen der Vernunft und der Erfahrung, bei dem die eine die andere ergänzt – und zwar notwendigerweise. Dabei hatte Hume zuvor ein Argument für die in Wirklichkeit nachrangige Bedeutung des rationalen Denkens für das Sich-der-Welt-Vergewissern mit dem Hinweis beizubringen versucht, dass auch Kinder, die im strengen Sinn noch nicht über einen analytischen Verstand verfügten, durchaus zu einer Art von UrsacheWirkungs-Bewusstsein in der Lage seien. Eigentlicher Verstand mit der Fähigkeit zu rationalen Denkprozessen nämlich sei im folgenden Fall eben gerade nicht erforderlich  : „Ein Kind, das die Wahrnehmung des Schmerzes bei Berührung einer Kerzenflamme gemacht hat, wird sich hüten, je seine Hand einer Kerze zu nähern, denn es wird eine gleichartige Wirkung von einer Ursache gleichartiger sinnlicher Beschaffenheit und Erscheinung erwarten.“100 Es ist folglich zunächst nicht der Verstand, der uns die Zusammenhänge der Welt begreiflich macht, sondern es ist die Beobachtung auf der Grundlage der Annahme gleichmäßiger („gleichartiger“) Abläufe. Beide zusammen – die Beobachtung und die Registrierung und Einordnung durch den Verstand – gewähren den Menschen die Möglichkeit zu vorausschauendem Handeln, indem es sie (in künftigen Fällen) von gleichen Ursachen gleiche Wirkungen erwarten lässt  : „In Wirklichkeit beruhen alle Erfahrungsbegründungen auf der Gleichartigkeit, die wir unter den Naturgegenständen entdecken und die uns dazu führt, Wirkungen von gleicher Art zu erwarten wie jene, die wir als Folge solcher Gegenstände angetroffen haben.“101 Und um dies zu vertiefen, wiederholt Hume den Gedanken noch einmal in nur leicht modifizierter Form, indem er sagt  : „[…] alle Ableitung aus Erfahrung setzt als ihre Grundlage voraus, daß die Zukunft der Vergangenheit ähnlich sein wird, und daß gleichartige Kräfte mit gleichartigen sinnlichen Eigenschaften zusammenhängen werden.“102 Dies ist für das Verständnis Hume’schen Denkens eine Schlüsselstelle. Und fraglos ist diese Aussage auch hinsichtlich der Frage von größter Bedeutung, ob aus der Analyse von historischen Ereignissen auf künftige im Sinn einer Prognose oder Handlungsanweisung geschlossen werden kann.

 99 Ebd., S. 56 (Fn.; Hervorh. HK). 100 Ebd., S. 50. 101 Ebd., S. 47. – OT.: ders.: Understanding, p. 31|20. “In reality, all arguments from experience are founded on the similarity, which we discover among natural objects, and by which we are induced to expect effects similar to those, which we have found to follow from such objects.” 102 D.  Hume  : Verstand, S. 49. – OT.: ders.: Understanding, p. 32|21  : “For all inferences from experience suppose, as their foundation, that the future will resemble the past, and that similar powers will be conjoined with similar sensible qualities.”

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Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis

Es mag auf den ersten Blick der Eindruck entstehen, Hume sei beim Abwägen der Bedeutung des Verstandes und der Erfahrung letztlich indifferent, ja unentschlossen gewesen. Dabei würde dann allerdings ignoriert worden sein, dass diese „Ableitung aus der Erfahrung“ durchaus eine Verstandesleistung darstellt – wenngleich dies nirgends so ausgesprochen wird. Denn es kann gar nicht übersehen werden, dass es gerade der Verstand ist, der den Affekten hier erst die Grundlage für ihr Wirken liefert. Ob er als ein nur registrierender oder aber als ein bewertender vorausgesetzt werden muss, mag in diesem Zusammenhang offen bleiben. Jedenfalls ist es ein bestimmtes – und deshalb zu bestimmendes – Etwas, das einen Affekt auslöst. Dieses Etwas mag ein Eindruck (impression) sein oder eine Vorstellung (idea), jedenfalls aber ist es eine Wahrnehmung (perception) und damit sowohl ein Eindruck oder eine Vorstellung von Wirklichkeit als damit auch ein Bewusstseinsinhalt. Was wir als Wirklichkeit ansehen dürfen, das vermittelt uns der Verstand  ; wie mit dieser Wirklichkeit verfahren werden soll, beruht hingegen zunächst auf einem „Entscheid“ der Affekte. Dies ist die eigentliche Rollenverteilung, und nach dem Auftreten des Affekts kommt der Verstand ein zweites Mal ins Spiel, indem er den Affekt registrieren, bewerten, kontrollieren und in seinen Wirkungen modifizieren wird. Wenn man unter einem Prinzip etwas versteht, das eine ständige und allgemeine Gültigkeit besitzt und damit unter gleichartigen Voraussetzungen stets zu gleichen Ergebnissen führen wird, so ist dem soeben Gesagten zufolge dasjenige (eindeutige und unumstößliche) Prinzip, dem menschliches Handeln folgt, nicht gefunden – und zwar deshalb nicht, weil gerade die Voraussetzungen, unter denen Handlungen erfolgen, nicht eindeutig bestimmt werden können. Denn was der Verstand als Wirklichkeit registriert und bewertet, kann von Fall zu Fall und von Person zu Person unterschiedlich sein, und zwar nicht nur aufgrund individueller Erfahrung, sondern auch aufgrund des ebenfalls individuellen Umgangs damit. Hume führt also „die Verbindung von Ursache und Wirkung, und somit alle kausale ‚Erklärung‘ von Vorgängen, auf die Assoziation des Erlebenden“ zurück und zieht damit die Vorstellung von einer objektiv erfahrbaren Wirklichkeit, der sich der Mensch gegenübergestellt sieht, radikal in Zweifel.103 Das ursprünglich für die Wirklichkeitsvergewisserung so zuverlässig erscheinende Prinzip der Ursächlichkeit104 musste also neu überdacht werden, und der Aspekt, der dabei ins Blickfeld rückte, war derjenige der „Gewohnheit“. Diese trat neben die „Erfah­ rung“, aus deren Fundus der Verstand mittels eines schließenden Denkaktes einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ermitteln würde. Gewohnheit ist, verglichen mit der Ermittlung von Kausalität, ein wesentlich einfacheres „Verfahren“, was Hume auch ausdrücklich festhält  : „Wo immer die Wiederholung einer bestimmten Handlung oder Tätigkeit die Neigung hervorruft, dieselbe Handlung oder Tätigkeit[,] ohne irgend einen Anstoß durch einen Denkakt oder Verstandesvorgang, zu erneuern  : da sagen wir stets,

103 Siehe hierzu  : E. v. Glasersfeld  : Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, S. 349. 104 Siehe S. 277.

Die Grundlagen der Argumentation |

diese Neigung sei die Wirkung der Gewohnheit [Custom].“105 Es ist also nicht die Vernunft, die dem Menschen sagt, was wirklich ist und was nicht, worauf er sein Handeln und die Erwartung von dessen Erfolg gründen kann und worauf nicht, sondern es ist die Feststellung einer gleichmäßigen und verlässlichen Wiederkehr von Gegebenheiten, die ihm Anlass gibt, darin einen Zusammenhang zu sehen. Hume weiß um die desillusionierende Anmutung dieser Aussage, doch er gibt sich ausdrücklich damit zufrieden und stellt fest, dass auf tiefergehende Einsichten nicht zu hoffen sei  : „Vielleicht können wir unsere Nachforschungen nicht weiter treiben noch uns anmaßen, die Ursache dieser Ursache anzugeben, sondern müssen daran als an dem letzten aufweisbaren Prinzip all unserer Erfahrungsschlüsse [the ultimate principle, which we can assign] uns genügen lassen. Wir können ganz zufrieden sein, so weit zu kommen und sollten uns nicht über die Beschränktheit unserer Fähigkeiten beklagen, die uns nicht weiter bringen.“106

Um es rekapitulieren  : Bis hierhin also verläuft Humes Argumentationsgang so, dass die Menschen von der Vergangenheit auf Künftiges schließen, weil sie annehmen, dass Abläufe gleichförmig erfolgen.107 Es ist die Gewohnheit, durch die ihnen diese Gleichförmigkeit offenbart wird.108 Zugrunde liegt dieser Erklärung allerdings ein Analogieschluss von den Gegebenheiten in der Natur auf die menschlichen Verhältnisse  :109 Wenn die Abläufe dort gesetzmäßig vonstatten gingen, so sei dies auch hier anzunehmen.110 Im Vertrauen auf die Gleichförmigkeit (similarity) von Ereignissen, so argumentiert Hume an verschiedenen Stellen des Treatise111 und der Enquiry concerning Human Understan-

105 D.  Hume  : Verstand, S. 55 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Understanding, p. 37|5. 106 D.  Hume  : Verstand, S. 55. – OT.: ders.: Understanding, p. 37|5. 107 D.  Hume  : Verstand, S. 46. – An dieser Stelle ist wörtlich von der Bedingung die Rede, „daß die Zukunft mit der Vergangenheit gleichförmig sein werde [that the future will be conformable to the past].“ – OT.: ders.: Understanding, p. 31|19. 108 D.  Hume  : Verstand, S. 57 f.: „So ist die Gewohnheit die große Führerin im menschlichen Leben. Dieses Prinzip ist es allein, das unsere Erfahrung uns nutzbringend gestaltet und uns für die Zukunft eine Kette gleichartiger Ereignisse erwarten läßt, wie die in der Vergangenheit aufgetretenen. Ohne den Einfluß der Gewohnheit blieben wir gänzlich in Unwissenheit über jede Tatsache, die über das unmittelbar dem Gedächtnis und den Sinnen Gegenwärtige hinausreicht. Wir würden niemals die Mittel den Zwecken anzupassen wissen, noch unsere natürlichen Kräfte zur Erzeugung irgend einer Wirkung anzuwenden verstehen. Es wäre auf einmal mit allem Handeln und mit dem besten Teil geistiger Arbeit vorüber.“ In diesem Sinn hatte sich Hume zuvor bereits im „Traktat […]“ geäußert – ders.: Traktat, II, S. 143  : „Alle die Dinge, von denen wir die einen Ursache, die anderen Wirkung nennen […]. Nur durch die Erfahrung und Beobachtung ihrer beständigen Verbindung sind wir instand gesetzt, diesen Schluß zu ziehen. Und zuletzt ist dieser Schluß nichts anderes als die Wirkung der Gewohnheit auf die Einbildungskraft.“ 109 Darin liegt ein Versuch, Gegebenheiten aus der natural philosophy auf die moral philosophy zu übertragen. 110 Mehr zur häufig geübten aufklärerischen Praxis der Übertragung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse auf die Umstände des menschlichen Lebens und Zusammenlebens siehe S. 287. 111 D.  Hume  : Traktat, II, S. 137–140 und 142.

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ding112, werde Künftiges erwartbar. Aus diesem Grund könne angenommen werden, dass eine Übertragung von in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen Aufschluss über das geben werde, was bei gleichen Voraussetzungen in der Zukunft zu erwarten sein werde. Im Hinblick auf die Antizipation der Resultate von politischem Handeln nun ist es die Geschichtsschreibung, die den Fundus an Erfahrungen bereitstellt, und diese Erfahrungen sind solche der menschlichen Gattung, nicht des Individuums. Sie sind aufbewahrt im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaften. Die Bedeutung des Verstandes besteht auch hier wieder darin, die Regelmäßigkeiten zu registrieren und sie in der Erinnerung, der kollektiven ebenso wie der individuellen, aufzubewahren, um sie für künftiges Handeln verfügbar zu machen. 7.5.3 Zwischenbilanz

Da der Ausgang allen Handelns letztlich unabsehbar ist, lassen sich Voraussagen nicht mit Gewissheit, sondern lediglich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit treffen.113 Was die Menschen im Sinn eines Affekts tatsächlich bewegt, ist also gerade nicht das sichere Urteil über eine Angelegenheit, sondern im Gegenteil ein mehr oder weniger starkes Schwanken zwischen den Möglichkeiten des Erwünschten und des zu Befürchtenden, des good und des evil, von dem eingangs dieses Abschnitts bereits die Rede war. Es ist somit die Folge dessen, wie die Vergangenheit respektive die Geschichte jeweils gelesen wird. Die Affekte der Furcht oder Hoffnung entstehen nämlich nicht durch die klare Voraussicht auf ein künftiges Ereignis, sondern durch den Grad, mit dem dessen Eintreten als wahrscheinlich angenommen werden kann. Damit sind Humes Überlegungen zur Antizipation mittels Übertragung – von Erfahrungen – der Vergangenheit in die Zukunft und die Entstehung eines Bewusstseins von Wahrscheinlichkeit dargelegt. Es bleibt als letzte zu beantwortende Frage, wie sich nun der Grad der Wahrscheinlichkeit bemisst, mit dem jeweils Hoffnung oder Furcht korrespondieren. Hume bemüht zur Erläuterung eine Art Waagemodell. Er erklärt, wie es zu den Gewichtungen in unseren Zukunftserwartungen kommt und wie wir aus dieser interpretierten Vergangenheit das erzeugen, was wir Wahrscheinlichkeit nennen.114 Hoffnung und Furcht entstehen entweder durch die Voraussicht auf einen wünschenswerten Zustand oder auf einen unerwünschten, der vermieden werden soll.115 Genau genommen, sagt Hume, gehe es, da das Eintreten eines Ereignisses ja nie mit Gewissheit vorherge112 D.  Hume  : Verstand, S. 46, 47 (hier „Gleichartigkeit“), 48, 95, 99, 101–106, 112, 115, 125, 130, 134 und 178. 113 Darauf wurde bereits hingewiesen  ; siehe S. 266. 114 Humes Argumentation ist in dieser Frage nicht nur komplex, sondern überdies auch deshalb etwas unübersichtlich, weil sie einerseits über voneinander entfernte Stellen im Treatise verstreut ist und zudem in der Enquiry concerning Human Understanding erneut aufgegriffen und aus teilweise neuen Blickwinkeln abgehandelt wird. D.  Hume  : Traktat, II, S. 141 und 178–184, sowie ders.: Verstand, S. 70 ff. 115 Siehe S. 266.

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sehen werden könne, um die Wahrscheinlichkeit, mit der der jeweilige Zustand erwartet werden könne. Die Voraussetzungen sind in der Regel nicht eindeutig, und so kommt es zu einem unsicheren Urteil und zu einem Gegeneinander-Abwägen der Argumente, die für das eine oder das andere sprechen. „Wahrscheinlichkeit entsteht aus dem Gegensatz entgegengesetzter Möglichkeiten oder Ursachen, die dem Geist nicht gestatten, bei einem Gedanken zu bleiben, sondern ihn immer wieder von der einen Seite zur anderen treiben […].“116 Dass jedoch überhaupt erst ein Grad von Wahrscheinlichkeit ermittelt wird (und werden muss), ist eine Folge des Umstands, dass die Information, die durch die Erfahrung geliefert wurde, eben gerade kein eindeutiges Urteil erlaubt hat. Gerade Unentschiedenheit ist also, wie Hume sagt, konstitutiv für den Prozess der Ermittlung des Grades von Wahrscheinlichkeit, und ermittelt wird dieser in einer Art Subtraktionsoperation. Mittels einer solchen werden die Gründe für einen zu erwartenden günstigen Ausgang des Falles mit den zu befürchtenden ungünstigen „verrechnet“.117 Es ist ein Hin und Her, und dieses Hin und Her wird zu einem Hoffen und Bangen, denn „der Geist […] findet sich verwickelt in einen innern Widerstreit [contrariety]“.118 Zum ohnehin schon vorhandenen Gefühl, nein  : Bewusstsein, dass Ergebnisse von Handlungen letztlich nicht mit Sicherheit bestimmbar und somit etwas der Verfügbarkeit Entzogenes sind, gesellt sich der Eindruck, auf schwankendem Boden zu stehen, und es ist kein „Ausruhen“119 möglich zwischen den widerstreitenden Erwartungen. Hume illustriert dies mit dem Bild eben zweier Waagschalen, und je nachdem, in welche der beiden jeweils die Argumente fallen, wachsen oder verringern sich Hoffnung oder Furcht im Hinblick auf den Ausgang des künftigen Ereignisses.120 Wenn aber kein Ausruhen des 116 D.  Hume  : Traktat, II, S. 179. – OT.: ders.: Treatise, p. 281, 2.3.9|10  : ”Probability arises from an opposition of contrary chances or causes, by which the mind is not allow’d to fix on either side, but is incessantly tost from one to another, […].“ 117 D.  Hume  : Verstand, S. 130  : „Alle Wahrscheinlichkeit setzt also einen Gegensatz der Erfahrungstatsachen und Beobachtungen voraus, wobei die eine Seite die andere überwiegt und einen Grad von Evidenz erzeugt, der dieser Überlegenheit entspricht [where the one side is found to overbalance the other, and to produce a degree of evidence proportioned to the superiority]. Hundert Fälle oder Erfahrungstatsachen auf der einen und fünfzig auf der anderen Seite ergeben eine zweifelnde Erwartung des Ausgangs  ; aber hundert gleichförmige Tatsachen gegen nur eine, die ihnen widerspricht, erzeugen füglich einen recht starken Grad von Sicherheit. Überall müssen wir die entgegengesetzten Erfahrungstatsachen, wo sie es wirklich sind, gegeneinander abwägen und die kleinere Anzahl von der größeren abziehen, um die genaue Stärke der überlegeneren Evidenz kennen zu lernen.“ – OT.: ders.: Understanding, p. 84|4. 118 D.  Hume  : Traktat, II, S. 179. – Vergleiche dazu oben, S. 267, das vollständige Zitat „Abwechselnd überwiegt […].“ – OT.: ders.: Treatise, p. 281, 2.3.9|10. 119 Hume verwendet tatsächlich dieses Wort, das auf eine körperliche Befindlichkeit verweist  : ders.: Traktat, II, S. 183. – OT.: ders.: Treatise, p. 283, 2.3.9|19  : “[…] the mind has then the least foundation to rest upon […]”. 120 D.  Hume  : Traktat, II, S. 183. – Diese Stelle bietet ein anschauliches Beispiel für Humes Argumentationsstil, der sich auf charakteristische Art durch eine sehr suggestive Rhetorik auszeichnet. Deshalb wird das Folgende im Ganzen wiedergegeben  : „Die Affekte der Furcht und der Hoffnung können zunächst in solchen Fällen entstehen, in welchen die Möglichkeiten auf beiden Seiten gleich sind, und kein Überge-

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Bewusstseins auf irgend einer Art von Gewissheit möglich ist, bleibt nur die Zuflucht zur Wahrscheinlichkeit, also zu Annahmen, die auf frühere Erfahrungen zurückgehen und auf deren Eintreten man entweder mehr oder weniger zuversichtlich hoffen kann oder die man mehr oder weniger sorgenvoll befürchten muss. Auf die Entstehung des Eindrucks von Wahrscheinlichkeit im Bewusstsein geht Hume fast ein Jahrzehnt nach dem Treatise auch in seiner 1748 erstmals erschienenen Enquiry concerning Human Understanding ein. Er betont darin ein weiteres Mal die Wichtigkeit, die er diesen Abläufen im Rahmen seiner Erklärung menschlichen Handelns beimisst. Erneut spricht er von einem Abwägen, bei dem die „günstigen Fälle“ den „entgegengesetzten“ gegenübergestellt werden. Das ist ein Modell, das zum einen auf der Erfahrung fußt – darunter ist ein Sich-in-Erinnerung-Rufen bisheriger Fälle der entsprechenden Art zu verstehen –, zum andern auf der bereits erwähnten Übertragung der Vergangenheit auf die Zukunft gemäß der stillschweigenden Voraussetzung, dass „die Zukunft mit der Vergangenheit gleichförmig sein werde“.121 Es wird abgewogen, wie oft es zu einem bestimmten Ausgang eines solchen Falles kam und wie oft zum entgegengesetzten  ; und entsprechend dem Ergebnis dieser Abwägung „erzeugen [wir] jenes Gefühl, das wir Glauben [belief ] nennen, und verleihen dessen Gegenstand den Vorzug vor dem ihm widerstreitenden Erfolg, der nicht durch eine gleiche Zahl von Erfahrungstatsachen [experiments] gestützt wird und sich bei der Übertragung der Vergangenheit auf die Zukunft nicht so oft dem Denken bietet.“122 Furcht und Hoffnung kämpfen gegeneinander mit Argumenten, die der Verstand liefert. Es ist dies ein komplexes Prozedere, dem Humes Ausführungen letztlich auch nicht zu eindeutiger Schlüssigkeit verhelfen können. Er scheint sich dessen bewusst gewesen zu sein  ; die Methode seiner Beweisführung verrät es. Deren auffälligstes Merkmal sind die Vorannahmen, unter denen immer wieder die Übertragbarkeit physikalischer Gesetze auf die menschliche Natur hervorsticht. Wenn Hume ins Feld führt, die Affekte der Furcht und der Hoffnung würden sich beim oben dargestellten Abwägungsvorgang nicht vermischen, sondern sie würden jeweils aufeinander folgen, und er dies mit einer wicht der einen oder der anderen Seite entdeckt werden kann. In solchen Fällen sind die Affekte sogar am stärksten, weil der Geist am wenigsten Boden findet zum Ausruhen, sondern in der größten Ungewißheit hin und her geworfen wird. Nun werft in die Wagschale [sic  !] der Trauer einen höheren Grad von Wahrscheinlichkeit [a superior degree of probability]. Dann verbreitet sich dieser Affekt sofort über die ganze Mischung und gibt ihr die Farbe der Furcht. Vermehrt jene Wahrscheinlichkeit und damit die Trauer noch weiter, so wird die Furcht immer mehr vorherrschen und – während die Freude fort und fort abnimmt – sich zuletzt unmerklich in reine Trauer verwandeln. Habt ihr sie auf diese Stufe erhoben, so vermindert die Trauer auf dieselbe Weise, wie Ihr sie vorher vermehrt habt, indem Ihr die Wahrscheinlichkeit ihrer Berechtigung verringert. Ihr werdet sehen, wie der Affekt von Moment zu Moment heiterer wird, bis er sich unmerklich in Hoffnung verwandelt. Diese wird dann allmählich zur Freude, wenn Ihr diesen Teil der Mischung durch Steigerung der Wahrscheinlichkeit weiter vermehrt.“ – OT.: D. Hume  : Treatise, p. 283–284, 2.3.9|19. 121 D.  Hume  : Verstand, S. 46. 122 Ebd., S. 73 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Understanding, p. 47–48|4.

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Analogie von „zwei entgegengesetzten Flüssigkeiten in verschiedenen Flaschen, die ohne Wirkung aufeinander bleiben“, zu belegen versucht, so ist dies nicht mehr als ein rhetorisches Manöver zum Zweck der Veranschaulichung, bei dem Psychologie und Physik stillschweigend in eins gesetzt werden.123 Diese immer aufs neue thematisierte Hoffnung, der Überzeugungskraft der naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten entspreche etwas von vergleichbarer Stringenz in der moral philosophy oder der science of man, ist eine Konstante im Denken des 17. und 18. Jahrhunderts. Hume geht bei aller Eigenständigkeit seiner Philosophie grundsätzlich in jenem Denken auf, das bei „geisteswissenschaftlichen“ Problemen die Zuflucht zu „naturwissenschaftlichen“ Argumenten sucht. In der Hoffnung und der Furcht erkennt er fundamentale Einflusskräfte auf das menschliche Handeln. Entsprechend groß ist sein Bestreben, sie zu erklären und mittels ihrer Klärung die Bedeutung seiner Affektlehre zu untermauern. Ob diese gemäß den Erkenntnissen der modernen Neurowissenschaft „richtig“ ist, steht an dieser Stelle nicht zur Debatte  ; ihre immanente Schlüssigkeit bleibt jedenfalls anzuerkennen. Diese Schlüssigkeit verdankt sie dem Gang der Argumentation in höherem Maß als dem Gewicht der Argumente selbst – die Annahme, dass „die Affekte der Hoffnung und der Furcht Mischungen von Freude und Kummer sind“, mag sich durch Beobachtungen und Beispiele stichhaltiger oder auch weniger schlüssig begründen lassen. Durch die Analogie zur Optik, in der es „als Beweis gilt, daß ein durch ein Prisma fallender farbiger Sonnenstrahl aus zwei anderen zusammengesetzt ist, wenn sich zeigt, daß je nachdem ihr die Masse des einen oder des anderen vermehrt, derselbe bei der Mischung mehr oder weniger vorherrscht“,124 durch diese Analogie also wird die Beweisführung jedenfalls nicht überzeugender. Die Affekte des Menschen haben eben – man ist verleitet zu sagen  : „in Wirklichkeit“ – keinen erkennbaren Bezug zu den Gesetzen der Lichtbrechung. Ähnlich, wie uns heute Goethes Stolz auf seine Farbenlehre verblüfft, mag uns Humes – allerdings zeittypisches – Beharren auf angeblich engen Übereinstimmungen zwischen der natural und der moral philosophy irritieren. Seine Annahme, er habe der science of man in methodischer Hinsicht einen gänzlich neuen Weg gewiesen, ist letztlich nicht haltbar, denn bereits seit Bacons Novum Organum war dieser Weg kein neuer mehr. Dass Hume den Gedanken einer im Menschen autonom herrschenden Vernunft mit seiner Affektlehre stark in Frage gestellt hat und er im Ergebnis – nicht in der Begründung – seiner Annahmen von den Neurowissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten in gewisser Weise bestätigt zu werden scheint, ist noch kein Beleg für seine „bahnbrechende Vorläuferschaft“ auf diesem Gebiet. Im Rahmen der Fragestellungen, denen hier nachgegangen wird, kommt Hume allerdings das große Verdienst zu, gegenüber der häufig geradezu reflexhaften aufklärerischen Zuversicht immerhin die Frage aufgeworfen zu haben, was Zuversicht denn überhaupt sei, wie sie entstehe und aufgrund welcher psychologischen und erkenntnistheoreti123 D.  Hume  : Traktat, II, S. 182. 124 Ebd., S. 183.

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schen Befunde ihr welche Wirkung zuzuschreiben sei. Was als Erkenntnis zu seiner Zeit Aufsehen erregt hat, ist die grundlegende Umkehr der Rollenverteilung zwischen dem Verstand und den Affekten.125 Mag der Verstand auch mehr sein als der Sklave der Affekte – immerhin registriert er nicht nur deren Vorhandensein, sondern er liefert ihnen auch den „Input“ und ist beteiligt an der Kontrolle, Beurteilung und gegebenenfalls Modifizierung der Handlungen, die durch sie ausgelöst werden –, so ist er doch nur eine von mehreren Kräften, die den Menschen bewegen. Die Beschreibung dieser Mechanismen, wenngleich über weite Bereiche seiner Hauptschriften verteilt, muss als eine von Humes bemerkenswertesten Leistungen gelten.

7.6 Faktizität oder  : Überschneidung und Unterscheidung der Erklärungsmodelle

In Humes Erklärung der Affekte der Hoffnung und Furcht tritt eine Überschneidung von Naturwissenschaft und science of man zutage, die nicht nur, wie von den Denkern des 18. Jahrhunderts gefordert, methodischer, sondern durchaus inhaltlicher Natur ist. Sein Modell besagt, das, was von der Zukunft erhofft oder erwartet werden könne, ergebe sich aus der Widerspiegelung der Vergangenheit  : Aus dem Zurückliegenden nämlich – und nur daraus – könne (und müsse) auf das Künftige geschlossen werden. Damit dieses Zurückliegende nutzbar gemacht werden kann, muss es jedoch in glaubhaft dokumentierter Form verfügbar sein. Erst unter dieser Voraussetzung kann auch wirklich von Erfahrung gesprochen werden. Das Modell, das Hume für den Mechanismus der Entstehung der Affekte der Hoffnung und Furcht entwickelt hat, beruht im Kern auf einer Verknüpfung der Vergangenheit mit der Zukunft, genauer – und in der Sprache des Physikers – ausgedrückt, auf einer Verknüpfung der „Faktizität der Vergangenheit, die der Möglichkeit der Zukunft gegenübersteht“.126 Tatsächlich beziehen sich die Begriffe der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft auf ein Modell der Zeit, also auf ein im Kern physikalisches. Darauf ist der Blick zu richten, wenn Humes Ansatz der Erklärung von Zukunftserwartungen noch eingehender verständlich gemacht werden soll. Zurück zur Überschneidung der beiden Wissenschaftsbereiche. Sie besteht darin, dass sowohl der erkenntnistheoretische Ansatz als auch jener der Physik insoweit von gleichen Voraussetzungen ausgehen, als beide feststellen  : Die Vergangenheit ist (im weitesten Sinn) mittels Dokumenten verfügbar, die Zukunft ist es auf diese Weise nicht und kann es nicht sein, da es, wie Weizsäcker es ausdrückt, „keine gegenwärtigen Doku125 Siehe den Abschnitt 7.4.1 („Zur Verteilung der Rollen  : Affekte versus Verstand“). 126 C.  F. v.  Weizsäcker  : Aufbau der Physik, S. 140. Ergänzend dazu ebd.: „Der Fakten der Vergangenheit können wir in jedem Einzelfall nur deshalb gewiß sein, weil es gegenwärtige Dokumente dieser Fakten gibt.“ (Hervorh. HK)

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mente zukünftiger Geschehnisse“ gibt. Dokumente aber sind, damit der Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft gezogen werden kann, das Unverzichtbare schlechthin, denn sie „sind häufig geeignet, uns Gewißheit über ein vergangenes Faktum zu geben.“127 Und diese Gewissheit ist es, die auch Humes Modell der Ermittlung eines Grades von Wahrscheinlichkeit aus der Bewertung vergangenen Geschehens einfordert. Allerdings ist diese auf Überlieferung beruhende Gewissheit von einer Zuverlässigkeit eigener Art, nämlich einer auf die Vergangenheit beschränkten  : „Diese Gewißheit aus Dokumenten ist zunächst scharf zu unterscheiden von der Gewißheit, die uns reversible Naturgesetze geben. Die letztere läßt genau gleichartige Schlüsse auf die Vergangenheit und auf die Zukunft zu.“128 Das, was aus jenem Wissen, das die Überlieferung bereitstellt, nun aber gefolgert werden kann, ist eben nicht gewiss, sondern lediglich wahrscheinlich  ; hingegen würde das, was unter einer aus Naturgesetzen erschlossenen Gewissheit verstanden wird, Faktizität in beide Richtungen liefern, in die Zukunft und in die Vergangenheit – ja streng genommen sogar in den dritten Zeitmodus, den der Gegenwart. Gerade der Sachverhalt der Faktizität ist es daher, der die Trennlinie zwischen den Naturwissenschaften und der science of man markiert  : „Wenn alle drei Zeitmodi [– jener der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft –] in der Sprache der Faktizität zu beschreiben sind, so sind wir nahe dem Weltbild der klassischen Physik und ihres Realitätsbegriffs“, heißt das in der Sprache der Physiker.129 Den Menschenwissenschaften aber ist die Feststellung von Faktizität für die Zukunft verschlossen, und der vor den menschlichen Unternehmungen liegende Handlungsraum kann nicht anders denn als kontingent empfunden werden. Während die Astronomen „wissen“, wo genau sich die bekannten Gestirne in Hunderten von Jahren befinden werden, wissen wir selbst keineswegs, was in unserem Leben morgen sein wird. Daraus ist allerdings keineswegs der Schluss zu ziehen, die von den schottischen Denkern so bezeichnete Moralphilosophie, die sich mit den Dingen der Menschen befasste, hätte nichts gewusst, nur weil ihr Wissen nicht lückenlos auf reversiblen Naturgesetzen gegründet habe. An der Frage nach der Faktizität, auch der Frage nach der Gewissheit, hat sich im Lauf der Jahrhunderte der Streit um die Vorherrschaft entzündet, der bis auf den heutigen Tag brennt  : Die Naturwissenschaften haben die Moralphilosophen, die sich ihnen genähert haben, indem sie von ihren Methoden zu lernen versuchten, abgewiesen, indem sie apodiktisch auf ihrem Wahrheitsbegriff beharrten, der ausschließlich auf Natur127 Ebd., S. 140. – Anzumerken ist, dass Weizsäcker ebd. – anders als Hume, der den genannten Sachverhalt durchaus gleich beurteilt – der Zuverlässigkeit seiner Aussage mit Überlegungen zur physikalischen Dimension eingehender auf den Grund zu gehen versucht  : „Nun scheint das Vorhandensein von Dokumenten für die Vergangenheit, aber nicht für die Zukunft eine physikalische Tatsache zu sein, für welche man einen Grund in den Gesetzen der Physik suchen wird. Es liegt nahe und ist, wie wir nachher zeigen wollen, bei geeigneter Interpretation auch richtig, diesen Grund gerade in der Gültigkeit des zweiten Hauptsatzes [der Thermodynamik, HK] zu suchen.“ 128 Ebd., S. 142. 129 Ebd., S. 595.

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gesetzen beruht. Darin besteht jedoch eine unreflektierte Verengung dessen, was die Welt und das menschliche Dasein ausmacht.130 Denn auch, warum es Kriege gibt, was ein Staat ist beziehungsweise sein soll oder wie Menschen sich ihresgleichen oder der übrigen Natur gegenüber verhalten sollen, will ja gewusst werden, ist wissenswert und damit des Wissens wert – und zwar eines Wissens, das reversible Naturgesetze durchaus nicht liefern werden. Allerdings handelt es sich dabei um eine andere Art von Wissen  ; es besteht aus Analogien, Bildern und Modellen, die sich der mathematischen Beschreibung und Fixierung entziehen und die stets der Gefahr ausgesetzt sind, von menschlichem Verhalten ad absurdum geführt zu werden.131 Überflüssig sind derlei Erklärungsversuche und Modelle, wie sie die Soziologie, die Psychologie und die anderen aus der science of man des 18. Jahrhunderts hervorgegangenen Wissenschaften erstellt haben, dennoch keineswegs. Auch wenn Humes theoretische Schriften, Smiths Theory oder sein Wealth of Nations und Fergusons Essay viele neue Fragen aufwarfen und auf alte keine Antworten in der Art der genannten „Gewissheiten“ liefern konnten, setzten sie für eine künftige Erkenntnis- und Gesellschaftstheorie doch bedeutende Fundamentsteine.

7.7 Die politische Praxis und die Affekte der Hoffnung und der Furcht

Nach diesen eher wissenschaftstheoretischen Reflexionen nun aber zurück zu Humes komplexer Argumentation  : Was folgt aus ihr, wenn sie in die Sphäre der politischen Praxis übertragen wird  ? Hume schließt auf das Entstehen der handlungsleitenden Affekte der Hoffnung und der Furcht aus einem Modell der Subtraktion, in dem, vereinfacht 130 Weizsäcker, ebd., S. 598 f., spricht dieses Problem der unreflektierten Präsuppositionen – siehe den Abschnitt 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen Vorausgesetzte“) – deutlich an, wenn er herausstellt, dass es in den Wissenschaften, wie hier in der Physik, nicht nur Axiome, sondern auch apriorische Welt-Bilder gibt, die sich dem Postulat des empirischen Zugriffs wie selbstverständlich entziehen  ; es geht um das mit dem Weltbild der Physik kaum vereinbare Phänomen der Prophetie  : „Die Naturwissenschaft rühmt sich, empirisch vorzugehen. Fast keiner der Wissenschaftler, welche Prophetie als Aberglauben verwerfen, hat sich die Mühe gemacht, sie empirisch zu überprüfen. Er kennt vielleicht ein paar Prophezeiungen, die sich nicht erfüllt haben. Beispiele erfüllter Prophezeiungen kommen ihm so selten vor, daß er keine Mühe hat, sie als zufällige Übereinstimmungen zu klassifizieren. Die Frage ist in der Lebenspraxis eines Wissenschaftlers völlig legitim, welchen Bruchteil seiner Zeit er der Überprüfung unglaubwürdiger Hypothesen opfern darf. Aber hier ist die selbstverständliche Prämisse gemacht, daß die Hypothese, es gebe echte Prophetie, eben unglaubwürdig ist. Warum ist sie unglaubwürdig  ? Weil der Physiker in seinem Weltbild sich keinen Mechanismus vorstellen kann, durch den die Prophetie möglich werden könnte.“ (Hervorh. übern.) 131 Es gibt eben nicht nur eine einzige Herangehensweise, die in allen denkbaren Fällen praktikabel ist. Eine wichtige Unterscheidung, die dies deutlich macht, trifft M. Oakeshott  : Zuversicht und Skepsis, S. 20, zwischen „Ereignissen“ und „menschlichen Handlungen“. „Das Charakteristische von Handlungen“ sei, „daß sie sich nicht isoliert verstehen lassen“. Man müsse sie „in ihrem Kontext […] betrachten, […] der sich ganz und gar aus anderen Handlungen zusammensetzt.“ (Ebd., S. 21) Von Faktizität im naturwissenschaftlichen Sinn kann hier zweifellos nicht gesprochen werden.

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gesagt, die ungünstigen Erfahrungen gegen die günstigen verrechnet werden. Der Begriff der Erfahrungen ist dabei in einer weiten Bedeutung zu verstehen, nämlich zum einen im Sinn von unmittelbarer Anschauung und persönlich Erlebtem, zum andern im Sinn von historischer Überlieferung und von quasi-kanonisierten Lehrmeinungen. Es sind also auf unterschiedliche Weise wahrgenommene (und für wahr genommene) Gewissheiten, die dem Antrieb zu Handlungen oder zu deren Vermeidung zugrunde liegen. Insoweit sind Humes Ausführungen durchaus schlüssig. Dass sie jedoch das Problem von Zuversicht und Skepsis vollständig zu umfassen vermögen, erscheint fraglich, denn die oben dargelegte Abwägung im Rahmen einer Subtraktionsoperation132 beruht letztlich immer auf einer zuvor zu klärenden erkenntnistheoretischen Voraussetzung, nämlich der Antwort auf die Frage  : Was kann als gewiss gelten  ? Anschauung, Erfahrung, Überlieferung oder Lehrmeinung aber vermögen diese Frage jeweils nur teilweise zu beantworten. Hume befasst sich damit in einem eigenen Kapitel seiner Enquiry concerning Human Understanding, und was er dazu zu sagen hat, ist von grundlegender wissenschaftstheoretischer Bedeutung. Er beginnt mit der Unterscheidung der zwei Arten von Gegenständen, über die Wissen bestehen kann, den „Beziehungen von Vorstellungen [relations of ideas]“ einerseits und andererseits von „Tatsachen [matters of fact]“.133 Unter Ersteren sind solche Gegenstände zu verstehen, die „durch die reine Tätigkeit des Denkens zu entdecken [sind], ohne von irgend einem Dasein in der Welt abhängig zu sein.“134 Im Zusammenhang mit Aussagen über die Affekte der Hoffnung und Furcht sind allerdings weniger die Beziehungen von Vorstellungen von Belang als vielmehr die Tatsachen. Über sie heißt es, sie seien „nicht in gleicher Weise als gewiß verbürgt  ; ebensowenig ist unsere Evidenz von ihrer Wahrheit, wenn auch noch so stark, von der gleichen Art wie bei der vorhergehenden. Das Gegenteil jeder Tatsache bleibt immer möglich [The contrary of every matter of fact is still possible] […].“135 In diesem Kontext richtet Hume sein Augenmerk auf das, was für die Prognose hinsichtlich künftigen Geschehens bedeutsam ist. Er sagt  : „Alle Denkakte, die Tatsachen betreffen, scheinen sich auf die Beziehung von Ursache und Wirkung zu gründen. Einzig mit Hilfe dieser Beziehung können wir über die Evidenz unseres Gedächtnisses und unserer Sinne hinausgehen.“136 Es geht also um die Erkenntnis von Kausalität, und diese Erkenntnis ist nicht das Ergebnis eben jener an-

132 Siehe S. 285. 133 D.  Hume  : Verstand, S. 35. – OT.: ders.: Understanding, p. 24|1. – E. Cassirer  : Die Philosophie der Aufklärung, S. 7, zufolge habe „ein solcher methodischer Dualismus zwischen den ‘Relations of Ideas’ auf der einen, dem ‘Matter […] of Fact’ auf der anderen Seite […] in Humes ‘Enquiry Concerning Human Understanding’ seinen schärfsten Ausdruck gefunden […].“ (Hervorh. übern.) 134 D.  Hume  : Verstand, S. 35. – Hume versteht darunter Sätze „der Geometrie, Algebra und Arithmetik  ; und kurz gesagt, jede Behauptung von entweder intuitiver oder demonstrativer Gewißheit […,] durch die reine Tätigkeit des Denkens zu entdecken, ohne von irgend einem Dasein in der Welt abhängig zu sein.“ 135 Ebd. – OT.: ders.: Understanding, p. 24|2. 136 D.  Hume  : Verstand, S. 36.

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gesprochenen Denkakte, sondern sie ist, wie oben gezeigt wurde,137 aus der Gewohnheit hergeleitet. Das allerdings bedeutet die grundsätzliche Infragestellung der Möglichkeit, (absolute) Gewissheit zu erlangen, insbesondere hinsichtlich dessen, was künftig zu erwarten ist – eine Konsequenz, die Hume an anderer Stelle noch vertieft  : „Mag der Lauf der Dinge bisher noch so regelmäßig gewesen sein – das allein, ohne eine neue Begründung oder Ableitung, beweist nicht, daß es in Zukunft so bleiben muß.“138 Diese Aussage mag eher beiläufig erscheinen, doch ist sie von großer, ja grundlegender Bedeutung, wenn es darum geht, welches Maß an wirklicher Wahrheitserkenntnis Hume der science of man überhaupt zugestehen kann. Man sieht  : Es gibt keine endgültige Gewissheit, denn was heute als schlüssig erachtet wird, muss es morgen schon nicht mehr sein, und es gibt aus diesem Grund in Fragen des menschlichen Daseins auch keine Kausalität, die sich in Form von Gesetzmäßigkeiten niederschreiben ließe. In der Hoffnung ebenso wie in der Furcht – wieder können wir hier synonym von Zuversicht und Skepsis sprechen – schlägt sich das Bewusstsein dieser letztlich ungewissen Gewissheit nieder. Der Boden ist nicht fest, sondern er schwankt, und Hume selbst spricht in Bezug auf „Einwürfe gegen die moralisch-gewisse Evidenz oder gegen die Denkakte über Tatsachen [The sceptical objections to moral evidence or to the reasonings concerning matter of fact] [… vom] Schwanken unseres Urteils […] in jedes einzelnen Menschen Meinungen und Ansichten […].“139 Nichts also ist in der science of man sicher, einerseits. Andererseits darf Hume zufolge, wie soeben dargelegt, diese „objektive“ Unmöglichkeit, Gewissheit zu erlangen, das praktische Handeln keineswegs verhindern. Im Gegenteil muss sie zum Bewusstsein gebracht werden  : „Als Handelnder bin ich über den Punkt vollständig im reinen, aber als Philosoph, der einige Wißbegierde, um nicht zu sagen Zweifelsucht [curiosity, I will not say scepticism], sein eigen nennt, wünsche ich die Grundlage dieser Ableitung kennen zu lernen. Kein Studium, keine Forschung hat bisher mir die Schwierigkeit beheben oder mich in einer so wichtigen Sache befriedigen können. Was kann ich besseres tun, als die Schwierigkeit der Öffentlichkeit vorzulegen, wenn ich auch vielleicht geringe Hoffnung auf eine Lösung hege  ? Wir werden auf diese Weise wenigstens unserer Unwissenheit inne, wenn wir unser Wissen auch nicht vermehren.“140

Das ist Humes Sicht auf die Unmöglichkeit, Gewissheit zu erlangen, aus der erkenntnistheoretischen Perspektive. Doch auch als praktischer Philosoph ist er keinesfalls bereit, vor der Skepsis und dem „übertriebenen Skeptizismus [excessive scepticism]“ der Pyrrhoniker zu kapitulieren, denn  : „Jede Unterredung und jede Handlung würden sofort auf137 Siehe S. 275. 138 D.  Hume  : Verstand, S. 49. 139 Ebd., S. 185 f. (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Understanding, p. 118|21. 140 D.  Hume  : Verstand, S. 49. – OT.: ders.: Understanding, p. 33|21.

Die politische Praxis und die Affekte der Hoffnung und der Furcht |

hören [All discourse, all action, would immediately cease] und die Menschen in einem vollkommenen Dämmerzustand verharren, bis die unbefriedigten Bedürfnisse der Natur ihrem elenden Dasein ein Ziel setzten.“141 Die Konsequenz für das tägliche Leben kann also nur sein, die Unerreichbarkeit absoluter Gewissheit hinzunehmen und sich mit dem zufriedenzugeben, was erreichbar ist  : der Ermittlung von Wahrscheinlichkeit. Hume setzt sich mit dem philosophischen Skeptizismus (Pyrrhonismus) intensiv auseinander. In der Enquiry concerning Human Understanding widmet er seiner Kritik das komplette Schlusskapitel. Und er lehnt darin den philosophischen Skeptizismus ab. Die Folgerung also, die er aus seiner Analyse für die Politik zieht, kann nur lauten  : Dass man auch angesichts nicht vollständig geklärter Voraussetzungen – also ohne letztliche (erkenntnistheoretische) Gewissheit über diese erlangt zu haben – tatsächlich politisch handeln kann, ist nicht in Zweifel zu ziehen. Somit muss lediglich offen bleiben, ob der Umfang der gewonnenen Gewissheiten (wohlgemerkt  : eigentlich Wahrscheinlichkeiten) im jeweiligen Fall hinreicht, um den Schluss auf den gewünschten Erfolg dieses Handelns zuzulassen, ob also, mit anderen Worten, Zuversicht die Handlung vorantreiben oder Skepsis sie ver- oder zumindest behindern wird. Überlegungen dieser Art beziehen sich in der Regel auf die Politik im Sinn des Regierungshandelns. Auf diesem Gebiet war Hume Zeit seines Lebens nie wirklicher Akteur  ;142 seine Rolle war die eines Beobachters, Analytikers und Kommentators. Eigene Erfahrungen mit den Implikationen seiner vorangehend skizzierten Ergebnisse machte er deshalb nie, und so wissen wir nicht, welchen Niederschlag die so akribische theoretische Durchdringung der affektiv in Gang gesetzten und durch den Verstand sodann kontrollierten Handlungsmechanismen gehabt hätte, ja wir kennen nicht einmal die Auswirkungen dieser Analyse auf sein Billardspiel. Gut informiert sind wir hingegen über sein Vertrauen in die staatlichen Entscheidungsträger, in die politischen Strukturen und Entscheidungsprozesse, denn außer in seinen genannten Hauptwerken hat er hierzu seine Ansichten in mehreren seiner Essays hinterlassen. Diesen zufolge darf sein Vertrauen als gering angesehen werden, die Furcht überwog die Hoffnung bei weitem. So kann aus den diversen Vorschlägen, die Hume in Form von Kurztexten ausgearbeitet hat und in denen eine ausgleichende Grundhaltung und der Gedanke der Unverzichtbarkeit von Kontrolle eine so wichtige Rolle gespielt haben, auf eben jene „Gewissheiten“ geschlossen werden, von denen er selbst ausgegangen ist. Diese von ihm angenommenen Gewissheiten verraten viel über die große Bedeutung, die Aussagen über die Natur, insbesondere die „menschliche Natur“, zukam.

141 D.  Hume  : Verstand, S. 187 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Understanding, p. 119|23. 142 Die Funktionen, die Hume als Botschaftssekretär in Paris und später als Unterstaatssekretär in London bekleidete, waren vorwiegend exekutiver Art. Siehe hierzu  : G. Streminger  : David Hume, S. 483–486 und S. 512–520.

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7.8 Einige Bemerkungen über Humes eigene Zuversicht

Hume hat sich, wie gesehen, intensiv mit dem Problem der Gewissheit befasst  : Was ist Wissen, was ist Faktizität, was ist Sicherheit und wie gewinnen wir sie  ? Ich neige dazu, darin seine implizite Antwort auf die Herausforderung zu sehen, die darin besteht, dass der Mensch seine eigene Zukunft und die Folgen seines Handelns als kontingent erlebt. Zuversicht beziehungsweise Skepsis im Hinblick auf die Handlungsfolgen hängen davon ab, inwieweit es gelingt, zu den in Betracht stehenden Handlungen Analogien aus der Vergangenheit – also gleichartige frühere Handlungen, deren Erfolg oder Misslingen man bereits kennt – heranzuziehen. Hume spricht es nicht direkt aus, doch lässt sein oben skizzierter Gedankengang zu den Affekten der Hoffnung und der Furcht darauf schließen, dass er den Schlüssel zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens künftiger Handlungsfolgen in der Vergangenheit sieht  : in der eigenen Erfahrung, in Dokumenten und in unterschiedlichen anderen Arten der Überlieferung. Dabei stellt er zweierlei fest  : zum einen, dass wir diese Handlungsfolgen voraussehen wollen  ; zum anderen, dass uns der direkte Blick darauf verwehrt ist und es gemäß unserer Art zu existieren auch bleiben muss. Indem er sich mit der Feststellung dieses Sachverhalts bescheidet, erweist er sich als ein Philosoph, der jeglicher Teleologie mit Befremden gegenübersteht. Die Menschheit mag sich in kleinen Schritten voranbewegen – und Hume setzt alles daran, dieses Sich-Bewegen mittels methodischen Vorgehens zu erleichtern, beispielsweise, indem er deutlich zu machen sucht, was in einem Menschen vorgeht, der zuversichtlich oder skeptisch in die Zukunft blickt, in die hinein er handelt –, doch sie bewegt sich auf kein erkennbares „eigentliches“ Ziel zu. Jedenfalls unternimmt Hume keine Anstrengungen, ein solches Ziel auszuweisen. Eine Zuversicht, die über die Erfolge kleiner Schritte hinausginge, hätte ihm als Spekulation gegolten, mithin als etwas, das keinesfalls gewonnen werden konnte, sondern vielmehr überwunden werden musste. 7.8.1 Humes Erwartungen an das eigene Werk  : ‘Abstract’ und ‘A Letter from a Gentleman’

Hume hat die Aufnahme seines Treatise von 1739/40 sehr beklagt. Die Resonanz des Publikums musste ihn umso mehr enttäuschen, als er selbst sein Erstlingswerk als eine bahnbrechende, die Moralphilosophie umwälzende Leistung eingeschätzt hatte. In den folgenden Jahren versuchte er auf unterschiedlichen Wegen, seinen Überlegungen doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Bereits 1740 erschien anonym sein Abstract of […] A Treatise of Human Nature143, 1745 folgte A Letter from a Gentleman to His Friend in

143 (D.  Hume  :) An Abstract of a Book lately Published  ; entituled, A Treatise of Human Nature, &c., London 1740. – Die deutsche Fassung trägt den Titel „Abriß eines neuen Buches  : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc.“, enthalten in  : ders.: Abriß eines neuen Buches  : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. / Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh.

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Edinburgh […]144. Die beiden Schriften, Nebenwerke bestenfalls, sind insofern von Interesse, als sie sehr gut erkennen lassen, wie Hume selbst die Bedeutung seines Treatise beurteilte und was er sich als Autor fortan davon erhoffte. Es geht also hier zum einen um seine Selbstwahrnehmung als Philosoph und Wissenschaftstheoretiker. Zum andern lässt sich anhand der beiden Texte auch verfolgen, wie erfolgreich Hume darin war, seinen komplexen Ansatz einem breiteren Publikum verständlich zu machen145 und inwieweit es ihm gelang, die Probleme zu analysieren, die zum Fehlschlag des Treatise geführt hatten, und darauf mit publizistischen Mitteln zu reagieren. Er hoffte zweifellos, als er den Abstract verfasste, noch auf einen Durchbruch seiner im Treatise ausgeführten Theorie der Perzeptionen und eines Wissenserwerbs, der nicht auf einem rationalistischen Ansatz, sondern auf einem neuen Verständnis von Erfahrung und den aus ihr zu ziehenden Schlussfolgerungen beruhen sollte. Seine Überzeugung, Bedeutendes auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie geleistet zu haben, ist offensichtlich ungebrochen. Ihm selbst erscheint sein Werk „so einzigartig und neu, daß es die Aufmerksamkeit des Publikums verdient  ; umso mehr, wenn sich bestätigen sollte, was der Autor [– Hume spricht hier von sich in der dritten Person –] uns offenbar zeigen will  : folgen wir seiner Philosophie, so werden wir den größten Teil der Wissenschaften von Grund auf neufassen müssen [we must alter from the foundation the greatest part of the sciences]“,146 ja er sieht sich sogar als denjenigen, der „die Logik vollendet [finished what regards logic] und für die anderen Systemteile in seiner Theorie der menschlichen Leidenschaften [passions] den Grund gelegt“ habe.147 Jedoch wird ihm nun auch bewusst, welches Risiko er eingegangen war, indem er den Diskurs um Empirie und angeborene Ideen auf eine radikale Weise zu einem Ende zu führen versucht hatte. Er begreift, dass eine Theorie nicht nur „wahr“, sondern auch publikumskompatibel sein muss, um sich durchzusetzen. Letzterem Anspruch wird er nicht gerecht. „Statt dessen“, so erkennt er, „richten über ihn [den Autor] die wenigen, deren Urteil leicht durch Parteilichkeit und vorgefaßte Meinungen korrumpiert ist.“148 Mit diesem etwas kryptischen Satz artikuliert er seine Befürchtung, sich außerhalb jenes Diskursrahmens gestellt zu haben, den Fleck lange nach ihm als das Denkkollektiv

144 (D.  Hume  :) A Letter from a Gentleman to His Friend in Edinburgh  : Containing Some Observations on A Specimen of the Principles concerning Religion an Morality, said to be maintain’d in a Book lately publish’d, intituled, A Treatise of Human Nature, &c., Edinburgh 1745. – Die deutsche Fassung trägt den Titel „Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh“, enthalten in  : ders.: Abriß eines neuen Buches  : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. / Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh. 145 D.  Hume  : Abstract, p. 405|1  : “[…] to render a larger work more intelligible to ordinary capacities, by abridging it.” Hume sagt also, das Werk werde durch die verkürzte Darstellung verständlicher, nicht trotz ihr. Er zog also einen Schluss hinsichtlich der ordinary capacities seines Publikums. 146 D.  Hume  : Abriß, S. 3 und 5. 147 Ebd., S. 11. 148 Ebd., S. 5.

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bezeichnen wird.149 Hume zieht die Summe dieses Diskurses. Dieser hatte mit Bacons Empiriepostulat begonnen, ging mit Hobbes und über Locke, Shaftesbury und Hutcheson in die Debatte über die „menschliche Natur“ über und mündete nun in die Forderung nach einer die überlieferte moral philosophy ablösenden science of man ein. Aber unter dem Strich stand die radikale Kritik der Vernunft als der ebenso ordnenden wie bewegenden Kraft von Individuum und Gesellschaft, die für die Zeitgenossen irritierend war. Durch die Beharrungskräfte der wissenschaftlichen Gemeinschaft sah Hume sich deshalb vor die Alternative zwischen einer Modifikation seiner Positionen (zumindest in Teilen) oder einem neuen Versuch zur argumentativen Untermauerung seiner Theorie gestellt. Trotz aller Enttäuschung und ungeachtet wohl böser Vorahnungen, dass auch dies ihn nicht zum erhofften Ziel führen würde, entschied er sich für Letzteres. Bereits im Abstract wird dies deutlich.150 Hume verfolgt nun zwei Strategien. Zum einen verdichtet er den Inhalt des Treatise entsprechend dem Titel des Abstract – „Kurzfassung“ – auf einige zentrale Gesichtspunkte, von denen er zum andern denjenigen herausgreift, den er für die von ihm entwickelte Theorie als den wesentlichen ansieht  : die Erklärung nämlich, wie wir dasjenige begründen, das wir für Wirklichkeit halten. Es handelt sich dabei um einen Gegenstand, der im 3. Teil von Buch I des Treatise („Von der Vorstellung der notwendigen Verknüpfung“) behandelt worden war  : Es gebe, so heißt es dort, keine wichtigere Frage als diejenige „nach der Wirksamkeit der Ursachen“ beziehungsweise „nach dem Wesen der Kraft und der Wirksamkeit der Ursachen [power and efficacy of causes]“, also die Ergründung der Kausalität.151 Wie Hume in dieser Frage argumentiert, wird nachfolgend in der Zusammenschau von Treatise und Abstract in knapper Form erläutert. Vorausgeschickt sei allerdings der Hinweis auf die Prämisse, von der er ausgeht, nämlich seine Theorie der Perzeptionen. Diese nimmt im Treatise breiten Raum ein  ; im Abstract allerdings wird das Fundament des Ansatzes – die Gründung der Vorstellungen auf Erfahrungstatsachen, die Theorie der Perzeptionen und ihre Bedeutung für den Erkenntnisprozess – nur noch gestreift und anhand weniger Begriffsdefinitionen abgehandelt.152 Die Grundannahme, von der der Treatise ausgeht und auf den sich die Argumentation seines ganzen erkenntnistheoretischen Teils stützt, lässt sich auf die Feststellung verdichten, dass sich im menschlichen Geist zwei Arten von Inhalten finden, nämlich Eindrücke und Vorstellungen – und nichts darüber hinaus. Die Aussage, „daß alle unsere einfachen Vorstellungen, nämlich entweder mittelbar oder unmittelbar, aus ihnen entsprechenden 149 Siehe den Abschnitt 5.3.2.2 („‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft“). 150 Es deutet sich also hier bereits an, was charakteristisch für Humes Philosophie ist, nämlich dass sie, wie J.  Kulenkampff  : David Hume, S. 17, sagt, „im ganzen […] eine erstaunliche Kontinuität“ zeigt. 151 D.  Hume  : Traktat, I, S. 212 (Hervorh. übern.). – Die Behandlung dieses Abschnitts findet sich sodann in  : D.  Hume  : Abriß, S. 19–45. – OT.: ders.: Treatise, p. 105–106, 1.3.14|2–3. bzw. ders.: Abstract, pp. 410|14– 414|27. 152 D.  Hume  : Abriß, S. 13–19. – Es handelt sich dabei um ein Wiederaufgreifen der Ausführungen von Teil III, Abschnitt 14 des Buches I des Traktat, S. 210–233.

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Eindrücken hervorgehen [all our simple ideas proceed, either mediately or immediately, from their correspondent impressions]“,153 hat durchaus axiomatischen Charakter. Sie bedarf wegen der Begriffe, derer sie sich bedient, der Erklärung. Die Unterscheidung der von Hume als perceptions bezeichneten Wahrnehmungsinhalte in Eindrücke (impressions) und Vorstellungen (ideas) ist eine solche zwischen dem, was mittels der Sinne aufgenommen, und jenem, was davon im Geist hinterlegt wird.154 Die Eindrücke verhalten sich zu den Vorstellungen wie Originale zu ihren Abbildern beziehungsweise wie der unmittelbare Sinneseindruck zum Gedanken, der Erinnerung oder der Fantasie, den man mit ihm verbindet.155 Laut Humes Verständnis kann nichts im menschlichen Geist sein außer dem, was über die Sinne in Form von Eindrücken in ihn hineingelangt, und dem, was darin von diesen Eindrücken in Form von Abbildern repräsentiert ist. Im Abstract unterstreicht er diesen Gedanken und formuliert ihn prägnanter als im Treatise, wenn er sagt  : „Der erste Lehrsatz besagt, daß alle unsere Vorstellungen oder schwachen Perzeptionen ihren Ursprung [entweder] in unseren Eindrücken oder [in] starken Perzeptionen haben, und daß wir an nichts zu denken vermögen, was wir nicht zuvor gesehen oder im Geiste unmittelbar empfunden haben [that we can never think of any thing which we have not seen without us, or felt in our own minds].“156 Dieser „Lehrsatz“ ist von essentieller Bedeutung. Mit ihm bereitet Hume den B ­ oden, auf dem er seine Theorie aufbauen kann, denn trifft er zu, so ist damit ausgesagt, was unter jener „Wirklichkeit“ zu verstehen ist, von der ausgegangen und auf die alles Weitere bezogen werden kann. Also wird das im Treatise Gesagte erneut als eine Entdeckung herausgestellt, nämlich „daß den Vorstellungen stets Eindrücke vorhergehen und das[s] jede Vorstellung der Einbildungskraft zuerst in einem entsprechenden Eindruck erscheint [that impressions always take the precedency of them (= ideas)]“.157 Das Zurückführen auf die ihnen zugrunde liegenden Eindrücke, so die Überlegung, gewährleistet die Unumstößlichkeit der Vorstellungen. Diese Eindrücke – gleichgültig, ob nun unmittel153 D.  Hume  : Traktat, I, S. 16. – OT.: ders.: Treatise, p. 10, 1.1.1|11. 154 Der Begriff der Hinterlegung, der etwa in der Datenverarbeitung im Zusammenhang mit Datenbanken gebräuchlich ist, gibt anschaulich wieder, was unter idea zu verstehen ist  : etwas in einem Datenbestand – hier  : dem menschlichen Geist – Abgelegtes, auf das bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. 155 Humes Terminologie erscheint auf den ersten Blick nicht nur schlüssig, sondern auch einfach, doch fächert sie sich im Verlauf seiner Argumentation auf. So sind die impressions zu unterscheiden in Sinneswahrnehmungen (impressions of sensation, z. B. Helligkeit, Geräusch) und Selbstwahrnehmungen (impressions of reflection, z. B. Freude, Zorn), die ideas in auf Sinneswahrnehmungen zurückgehende ideas of sensation (z. B. die Vorstellung eines Klanges) oder auf Selbstwahrnehmungen zurückgehende impressions of reflection (z. B. die Vorstellung oder Erinnerung an ein – nicht unmittelbar erlebtes – Gefühl). Ich folge bei dieser knappen Differenzierung des Hume’schen Begriffsverständnisses den der deutschen Übersetzung von 1904 beigegebenen Erläuterungen von T. Lipps in  : D. Hume  : Traktat, I, S. 8, Fn. 8. 156 D.  Hume  : Abriß, S. 15. – OT.: ders.: Abstract, p. 408|6. 157 D.  Hume  : Abriß, S. 17. – OT.: ders.: Abstract, p. 409|7. – Zur entsprechenden Stelle im Treatise siehe  : D.  Hume  : Traktat, I, S. 50. – OT.: ders.: Treatise, p. 27, 1.2.3|1. (Mit precedency kommt genau genommen sogar ein „Vorrang“ zum Ausdruck.)

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Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis

bare Sinnesempfindungen oder Selbstwahrnehmungen – sind das Eigentliche, das es zu identifizieren gilt. Und so sagt Hume mit dem für ihn charakteristischen persuasiven Schwung  : „Eindrücke aber sind so klar und gewiß, daß über ihre Existenz und ihre Art kein Streit sein kann [that they admit of no controversy]“.158 Was hier entwickelt wird, ist das Grundmuster eines Verfahrens zur Überprüfung der Vorstellungen auf ihre Richtigkeit. Hume spricht davon als von einer „Methode“, also einer Vorgehensweise, mit deren Hilfe zum Wesen und Wesentlichen (substance and essence) der Dinge vorzudringen sei  : „Gemäß diesem Prinzip sucht der Verfasser, wann immer sie vorkommen, mehrdeutige Vorstellungen auf Eindrücke zurückzuführen, durch die sie klar und deutlich werden müssen. Regt sich der Verdacht, daß mit irgend einem philosophischen Wort nicht wirklich eine Vorstellung verbunden ist (und das ist nur zu oft der Fall), so ist nur zu fragen  : Von welchem Eindruck leitet sich diese angebliche Vorstellung her  ? Läßt sich kein entsprechender Eindruck nachweisen, so ist der Schluß berechtigt, daß der betreffende Terminus überhaupt keine Bedeutung hat. Nach diesem Verfahren prüft der Autor die Vorstellungen von Substanz und Essenz. Und es wäre zu wünschen, daß diese strenge Methode in allen philosophischen Auseinandersetzungen mehr Eingang fände.“159

Die hier geäußerten Gedanken stehen im engen Einklang mit dem programmatischen Motto des Treatise, ein Ansatz zu sein, der eine auf empirischen Tatsachen aufbauende Methode der Beweisführung etabliere. Damit wird der rationalistischen Spekulation eine Methode im Sinn eines Werkzeugs entgegenzusetzen versucht, mit dessen Hilfe man von der unmittelbaren Beobachtung – hier  : der Feststellung des Eindrucks (impression) – über eine darauf aufbauende Beweisführung zu allgemeinen Aussagen gelangen könne. Hume fordert damit nichts anderes, als Aussagen zu „reinigen“, indem man sie mittels eines Authentizitätsbeweises filtere. Das ist die Bedeutung der Forderung, „mehrdeutige Vorstellungen auf Eindrücke zurückzuführen“. Zweifellos liegt, wie Kulenkampff sagt, der Wert des Abstract in seiner „Prägnanz“,160 also in der Verdichtung der Argumentation des Treatise auf das für Hume Wesentliche, und so lässt sich folgern, dass es diesem besonders um den beschriebenen Rückbezug von Aussagen auf Eindrücke zu tun war. Dessen Betonung erhob er zur Kernaussage. Lässt sich im Abstract noch Humes Bestreben erkennen, dem Treatise zu seinem späten Durchbruch zu verhelfen und das Interesse des Publikums auf jene Gesichtspunkte zu lenken, die für bahnbrechend neu gehalten werden konnten, so ist die Intention im 158 D.  Hume  : Abriß, S. 17. 159 Ebd., S. 17 und 19 (Hervorh. übern.). – Die verwendete deutsche Übersetzung erscheint sehr frei, vgl. deshalb den OT.: ders.: Abstract, p. 409|7. 160 J.  Kulenkampff  : David Hume, S. 17.

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Fall des Letter from a Gentleman eine andere  : Nun geht es nicht mehr nur darum, die Argumentation des zu Unrecht missachteten Werks zu rehabilitieren. Vielmehr hatte der Fehlschlag auch die angestrebte akademische Karriere seines Verfassers in erhebliche Gefahr gebracht, und das erforderte, was dieser durchaus erkannte, eher Nachbesserungen auf publizistischem denn auf philosophischem Gebiet. Ein halbes Jahrzehnt war seit dem Erstlingswerk vergangen, als sich Hume die Aussicht auf den Lehrstuhl für Ethics and Pneumatical Philosophy an der Universität von Edinburgh eröffnete. Seine Berufung allerdings scheiterte aufgrund einer lokalpolitischen Auseinandersetzung, in die er hineingezogen worden war, also aus Gründen, auf die hier nicht näher eingegangen zu werden braucht.161 Immerhin soviel  : Er sah sich mit einer 1744 anonym in Umlauf gebrachten Streitschrift konfrontiert, die mittels gezielt aus dem Kontext gerissener Textstellen und unter Vorwänden, die man nur schwerlich als stichhaltig bewerten kann, den Inhalt des Treatise als ein Dokument seines angeblichen Skeptizismus, seines Atheismus und überhaupt seiner Amoralität in Szene zu setzen versuchte.162 Dass diese Schrift ihr Ziel nicht verfehlte und Hume der angestrebte Lehrstuhl versagt blieb, ist eine historische Tatsache, wenngleich eine solche von heute nur noch marginaler Bedeutung. Wichtiger hingegen ist die Dynamik, die sie im Hinblick auf sein Werk in Bewegung setzte, denn sie forderte ihn 1745 einerseits zu einer etwas hastigen Verteidigung heraus – eben zum Letter from a Gentleman –, und sie veranlasste ihn andererseits auch zu einer Strukturierung seiner weiteren publizistischen Anstrengungen, an deren Ende die so wichtigen Klärungen und Nachjustierungen der im Treatise vorgetragenen Philosophie standen  : die Enquiry concerning Human Understanding von 1748 und die Enquiry concerning the Principles of Morals von 1751. 7.8.2 Die zwei Formen der Skepsis

Hume stellte, wie wir wissen, in dieser Phase seines Schaffens, in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, trotz seines mittlerweile sich zaghaft abzeichnenden Erfolgs als philosophischer Essayist Überlegungen an, den großen Entwurf des Treatise noch einmal von Grund auf neu zu strukturieren. Es ist einladend, einige seiner frühen Essays und auch den Letter from a Gentleman dann als Momentaufnahmen des Übergangs vom Treatise zu den Enquiries zu lesen. Aber das wären lediglich Momentaufnahmen der Textgeschichte, nicht der Philosophie selbst, der das eigentliche Interesse zu gelten hat. Wichtiger als dieser Übergang ist deshalb die Betrachtung dessen, wohin er führte. In diesem Fall ist 161 G.  Streminger  : David Hume, S. 226–231. 162 J.  Kulenkampff  : Einleitung, zu  : D.  Hume  : Abriß, S. XIII–XV, sieht Hume als Opfer eines „Ränkespiels“, in dessen Verlauf eine anonyme Streitschrift mit dem Titel „A Specimen of the Principles concerning Religion and Morality, maintain’d in a Book lately publish’d, intituled, A Treatise of Human Nature, &c“. (ebd. S. XIV). Hume wusste von den Anschuldigungen spätestens seit August 1744, wie aus einem Brief am William Caldwell hervorgeht  : “The accusation of Heresy, Deism, Scepticism, Atheism &c &c &c. was started against me […].” J. Y. T. Greig (ed.)  : The Letters of David Hume, vol. 1, p. 57.

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das die Enquiry concerning Human Understanding und darin, um zum Thema dieses Abschnitts zurückzukehren, speziell die Behandlung der Frage der Skepsis. Der Letter from a Gentleman selbst ist, auch wenn er ein etwas helleres Licht auf einige von Humes Überlegungen wirft, kein eigentlich substantieller Beitrag zu dessen Theorie. Vielmehr trägt er alle Züge einer Verteidigungsschrift, indem er sich das argumentative Vorgehen von den im Pamphlet erhobenen Vorwürfen aufzwingen lässt, den Text somit taktischen Manövern unterwirft und recht durchschaubar in den Dienst der Anstrengungen stellt, die ersehnte Professur doch noch zu erlangen. Dass der Versuch letztlich scheitern muss, ist der Macht der politischen Allianz geschuldet, die sich gegen Hume gebildet hatte und die in vielen Positionen des Treatise einen willkommenen Vorwand erkannt zu haben scheint, den überambitionierten Nachwuchsgelehrten, als der er vielen letztlich doch immer noch erschien, auf Distanz zu halten.163 Inhaltlich ist vom Letter from a Gentleman immerhin eine klar gefasste Auseinandersetzung mit dem Vorwurf des Skeptizismus mitzunehmen, die möglicherweise etwas über die Zuversicht in die Philosophie im Allgemeinen verrät, in jedem Fall aber etwas über Humes Haltung in dieser Frage. Die Art nämlich, wie er sich gegen den Vorwurf des Skeptizismus verteidigt, lässt durchaus so etwas wie Fassungslosigkeit erkennen über die Weigerung seiner Widersacher, ihn zu verstehen. Fraglos hielt er selbst die Auseinandersetzung mit dem „skeptischen Zweifel“ für eines der Glanzstücke des Treatise. Er hatte dem Thema darin ein umfangreiches Kapitel mit dem Titel „Von den skeptischen und anderen Systemen der Philosophie“ gewidmet,164 an dessen Beginn die in seinem gesamten Werk stets wiederkehrende Frage erörtert wird, wie gewiss das ist, was wir Wissen nennen, und wie tragfähig das Fundament, auf dem wir unsere Urteile aufbauen. Dabei lässt es allein schon der Umfang der Argumentation als heikel erscheinen, diese auf eine eingängige Kernthese zu verdichten, denn ebenso, wie es mittels einer selektiven Auswahl leicht gelingen kann, selbst einen sorgfältig abgestützen Gedankengang zu diskreditieren – dies war Humes Fazit am Schluss des Letter from a Gentleman –,165 so groß erscheint andererseits auch die Gefahr, durch eine selektive Heranziehung von Zitaten das vom Autor Gewollte wohlwollend und dennoch verzerrt darzustellen. 163 Besonders getroffen hatte Hume dabei die Rolle des von ihm so hochgeschätzten Francis Hutcheson, auf dessen Wohlwollen und Unterstützung er vertraut hatte  : “But what surprizd me extremely was to find that this Accusation was supported by the pretended Authority of Mr Hutcheson […] I thought I coud depend upon Mr Hutcheson’s Friendship & Recommendation […].” J. Y. T. Greig (ed.)  : The Letters of David Hume, vol. 1, p. 58. 164 D.  Hume  : Traktat, I, S. 241–352. – OT.: “Of the sceptical and other systems of philosophy”. In  : ders.: Treatise, p. 121–178, 1.4.1.–1.4.7. 165 Geradezu resigniert sagt Hume  : „Natürlich darf man auch nicht vergessen, daß nichts so genau oder so kindlich unschuldig geschrieben werden kann, als daß nicht Künste, wie sie hier am Werke gewesen sind, alles verderben und die Sache gerade auf den Kopf stellen könnten. […] Sie wissen, wie leicht es ist, mit verstümmelten und dem Zusammenhang entrissenen Zitaten den Sinn einer jeden Abhandlung in sein Gegenteil zu verkehren, erst recht wenn es um so abstrakte Gegenstände geht, die es ihrer Natur nach schwer, ja fast unmöglich machen, sich vor dem Publikum zu erklären und zu rechtfertigen.“ D. Hume  : Abriß, S. 125.

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In dieser Hinsicht allerdings, und darin liegt meines Erachtens sein eigentlicher Wert aus heutiger Sicht, gibt der Letter from a Gentleman eine Hilfestellung, denn hier bringt Hume in einfacher Diktion und auf eine ungewohnt unspektakuläre Weise zum Ausdruck, wie er seine im Treatise angestellten Überlegungen zum skeptischen Zweifel verstanden wissen will.166 Die grundlegende Unterscheidung, die er dabei macht, ist die zwischen dem pyrrhonischen Zweifel und einer Skepsis, die im Dienst der Vergewisserung steht. Ersterer sei eine Haltung „bloß theoretischen Interesses, […] eine Art Jeux d’exprit […], ohne Einfluß auf eines Mannes feste Grundsätze und Lebensführung“, weshalb „ein Philosoph, der vorgibt, die Maximen des gemeinen Verstandes oder gar das Zeugnis seiner Sinne zu bezweifeln, eben dadurch genügend deutlich macht, daß er nicht im Ernst spricht […].“167 Diese Art von Skepsis hält Hume für rationalistische Attitüde, für publizistische Brillanz um ihrer selbst willen und deshalb für nichts weiter als ein „philosophisches Vergnügen oder eine Herausforderung an Verstand und Scharfsinn“.168 Und gegen sie richtet sich, wie er immer wieder betont, seine gesamte Erkenntnistheorie, die auf die fundamentale Bedeutung der Perzeptionen insistiert. Diese Art von destruktivem Skeptizismus hält er für eine Demonstration ohne Wert, nur dazu da, „Grundsätze, die denkbar klar sind und die für wahr zu halten uns von den stärksten Trieben unserer Natur aufgezwungen wird“, zu erschüttern.169 Zweifellos musste sich ein Denker von Humes Anspruch, der in aller Regel den Wert subtiler Unterscheidungen hoch achtete, hier vor eine hohe Hürde gestellt gesehen haben. Letztlich aber nahm er sie – wohl aus Sorge um die ihm entschwindende akademische Karriere und unter dem Druck der Notlage, in der er sich infolge der Anwürfe befand – mit dem beherzten Sprung eines Bekenntnisses zur Alltagserfahrung  : „Bescheidenheit und Demut, was unsere natürlichen Fähigkeiten anlangt, sind das Ergebnis des Skeptizismus, nicht universeller Zweifel, den doch niemand aufrecht erhalten kann und den das geringste Ereignis im Leben sofort aufheben und zunichte machen muß.“170 Der Letter from a Gentleman steht zeitlich zwischen dem Treatise und der Enquiry concerning Human Understanding. Deshalb ist die Annahme naheliegend, etwaige Neuausrichtungen in Humes Haltung könnten darin ihren Niederschlag gefunden haben. Allerdings ist dabei zwischen den philosophischen Positionen selbst und jenem Vorgehen, mit dem sie der Öffentlichkeit dargeboten wurden, zu unterscheiden. Deutlich wird das am Beispiel der Abwägung zwischen einem als radikal verstandenen Skeptizismus171 und einem moderaten, methodisch gebotenen Zweifel, mit dem sich Hume von Anfang an beschäftigte. Mitunter, insbesondere im redaktionell nicht mit allergrößter Sorgfalt ausgearbeiteten Treatise, bleibt diese Differenzierung noch unscharf  ; die angesprochene 166 Ebd., S. 97–101. 167 Ebd., S. 97. 168 Ebd., S. 99. 169 Ebd., S. 97. 170 Ebd. 171 D.  Hume  : Treatise, p. 426|22, spricht von “so extravagant a Doubt”.

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Gegenüberstellung führt dann in eine eigene Richtung und wirft eine neue Frage auf, wie im folgenden Beispiel jene nach dem Spannungsfeld zwischen Wahrheit und Wahrscheinlichkeit. So beruht die Skepsis der folgenden Aussage in der Feststellung, „Wahrheit“ sei in Wirklichkeit kein unumstößlicher Befund, sondern lediglich eine Annahme, die stets von neuem mittels Hinterfragung ihre Richtigkeit unter Beweis zu stellen habe. Hume hält fest  : Der Mensch kann irren, und das aufgrund verschiedener Ursachen  : „Unsere Vernunft muß als eine Art Ursache angesehen werden, deren natürliche Wirkung die Wahrheit ist  ; zugleich aber müssen wir annehmen, diese Wirkung könne vermöge der Dazwischenkunft anderer Ursachen und der Unbeständigkeit in der Funktion unserer geistigen Kräfte gelegentlich vereitelt werden. Damit schlägt alles Wissen in bloße Wahrscheinlichkeit um. Diese Wahrscheinlichkeit ist größer oder geringer, je nach unseren Erfahrungen über die Zuverlässigkeit oder Trüglichkeit unseres Verstandes und je nach der Einfachheit oder Schwierigkeit der Frage, um die es sich handelt.“172

Zwar stünden wir demzufolge, was unsere Sicht der Welt betreffe, grundsätzlich auf unsicherem Boden. Doch es gebe Wege, diese Unsicherheit zu bewältigen – sagt Hume und beweist hiermit seine ebenso grundsätzliche Zuversicht –, nämlich indem wir unsere Urteile an den Alltagswahrnehmungen nachschärfen  : „Wir müssen deshalb bei jeder Schlußfolgerung dafür Sorge tragen, daß wir unser erstes Urteil oder unseren ersten Akt der Zustimmung durch neue Urteile prüfen oder kontrollieren.“173 Das kann auf eine durchaus konkrete Weise geschehen  : „Wir müssen schließlich eine allgemeinere Betrachtung anstellen und eine Art Statistik aller der Fälle aufnehmen, in denen unser Verstand uns getäuscht hat, um sie mit denen zu vergleichen, in welchen sein Zeugnis sich als zutreffend erwies.“174 Dieser Gedankengang, für wahr erachtete Aussagen müssten, heruntertransformiert auf Wahrscheinlichkeiten, die sie letztlich nur sein könnten, stets aufs Neue den Filter durchaus auch alltäglicher Wahrnehmungen durchlaufen, ist für Humes Werk charakteristisch. Er taucht darin in unterschiedlichen Kontexten und Varianten auf, so etwa, wie hier, als Antidot gegen das blinde Vertrauen in spekulative Konstrukte von Wirklichkeit, oder auch, wie an anderer Stelle gezeigt, im Dienst der Bewältigung von Kontingenz. Für Hume ist es eine Frage wissenschaftlicher Korrektheit – um nicht zu sagen  : Redlichkeit –, auch scheinbare Gewissheiten immer wieder zu hinterfragen. Das bedeutet aber keineswegs, dass aus dieser Haltung, wie seine Gegner es missverstehen wollten, ein doktrinärer Skeptizismus und somit ein generelles Misstrauen sprächen, die jegliche für 172 D.  Hume  : Traktat, I, S. 241 (Hervorh. HK). 173 Ebd. 174 Ebd. – OT.: ders.: Treatise, p. 121, 1.4.1|1  : “[We] must enlarge our view to comprehend a kind of history of all the instances, wherein our understanding has deceiv’d us, compar’d with those, wherein its testimony was just and true.”

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das tägliche Leben gezogene Schlussfolgerung ad absurdum führten. Denn auch wenn es zutreffen mag, dass „alles Wissen in Wahrscheinlichkeit sich auflöst, also schließlich mit der Art der Gewißheit, die uns im gewöhnlichen Leben genügen muß, gleichartig erscheint“, so ist das keineswegs als Absolution von den Pflichten der Alltagsbewältigung zu verstehen, sondern lediglich als Mahnung, „stets das erste, aus der Betrachtung des Gegenstandes gewonnene Urteil auf Grund eines anderen, das aus der Betrachtung unseres Verstandes sich ergibt, [nach Möglichkeit zu] berichtigen.“175 Auf diese Weise wird aus dem dogmatischen und starren Skeptizismus, der a priori jeglichem Urteil mit dem Verweis auf die Ungewissheit seiner Voraussetzungen zu misstrauen vorgibt, eine Ermunterung, darauf zu vertrauen, was die Sinne (im Sinn von impressions) und der Verstand (im Sinn von ideas) an Perzeptionen uns zur Verfügung stellen. Und zu diesem Vertrauen sind wir gezwungen und es gibt dazu keine Alternative, denn  : „Die Natur nötigt uns mit absoluter und unabwendbarer Notwendigkeit, Urteile zu fällen, ebenso wie sie uns nötigt zu atmen und zu empfinden.“176 So vertrauen wir, bedeutet das, auf den Sonnenaufgang des kommenden Tages, auch wenn wir wissen, dass wir davon in einem streng erkenntnistheoretischen Sinn keine Gewissheit haben, sondern seinen Eintritt lediglich annehmen. Damit sollte hinreichend erwiesen sein, welche Rolle Hume der Skepsis im philosophischen Denken zusprach  : die der Vergewisserung und Selbstvergewisserung. In dieser Hinsicht waren seine Aussagen bereits im Treatise so eindeutig, dass sie keiner Nachschärfung mehr bedurft hätten. Deshalb ist es bestenfalls eine Frage der individuellen Bewertung, ob man die Abgrenzung von einem „unsinnigen radikalen Skeptizismus, der behauptet, es gebe keine Erkenntnis, und der mit philosophischen Dogmatismen auf gleichem Fuße steht“, im Treatise als undeutlicher ansieht als in den späteren Werken. Durchaus explizit formuliert ist diese Abgrenzung jedenfalls bereits im Erstlingswerk, wenn es da heißt  : „Sollte mich nun aber jemand fragen, ob ich […] wirklich einer jener Skeptiker [one of those sceptics] sei, welche dafür halten, alles sei ungewiß, unser Urteilsvermögen besitze in keiner Sache und in keinerlei Weise einen gültigen Maßstab für Wahrheit und Unwahrheit, so würde ich antworten, diese Frage sei vollkommen überflüssig  ; weder ich noch irgend sonst jemand sei jemals aufrichtig und konsequent dieser Meinung gewesen.“177 7.8.3 Religion

Was aber sagt das über die Bedeutung des Letter from a Gentleman aus  ? Deutlich besteht ja der Eindruck, Hume habe den Treatise nach der ersten Enttäuschung über dessen indifferente Aufnahme durch das Publikum sehr bald seinem Schicksal überlassen und neue Möglichkeiten ins Auge gefasst, seiner beruflichen Karriere nach deren missglück175 D.  Hume  : Traktat, I, S. 243. 176 Ebd., S. 245. 177 Ebd. – OT.: ders.: Treatise, p. 123, 1.4.1|7.

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tem Start aufzuhelfen. Die in Aussicht stehende Edinburgher Professur war eine solche Möglichkeit, und während sich deshalb der Abstract noch als sein Versuch lesen lässt, wirklich den Treatise inhaltlich zu rehabilitieren, ist der Letter from a Gentleman in der Absicht entstanden, eine berufliche Stellung mit Reputation zu erlangen, und diesem Ansinnen wäre ein zu nachdrückliches Insistieren auf subtilen Detailaspekten nicht dienlich gewesen. Folglich liegt es nahe, dieser Schrift in Hinblick auf Humes theoretische Positionen im Gegensatz zum Abstract keine größere Aussagekraft beizumessen. Es war in den fünf Jahren seit dem Erscheinen des Treatise deutlich geworden, dass die darin formulierten radikalen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Positionen kaum dazu geeignet sein würden, in der akademischen Welt breite Begeisterung zu entfachen. Vielmehr riefen sie Widersacher nicht nur aus den Reihen der etablierten Moralphilosophie, sondern insbesondere auch aus den klerikalen Kreisen178 auf den Plan. Religion, sagte Hume einmal, sei „nur eine besondere Art der Philosophie“.179 Wie er am eigenen Leib verspüren sollte, hatte diese Feststellung eine sachlich-inhaltliche und eine weltanschaulich-politische Seite. Theologische und philosophische Fragen ließen sich auf eine eng verwandte Art behandeln und sie zielten mitunter auf das Gleiche  : die Erklärung des Ganzen der Welt. Andererseits kam religiösen Überzeugungen nicht selten eine Herrschaftsfunktion zu, die über die politischen Strukturen noch lange mitbestimmen sollte, nachdem die aufklärerische Religionskritik ihre Unumstößlichkeit beanspruchenden „Wahrheiten“ längst ins Wanken gebracht hatte. Die Kirchen – man muss von ihnen im Schottland des 18. Jahrhunderts im Plural sprechen, denn sie waren aufgespalten in unterschiedliche Gruppen, die um die Vormachtstellung kämpften – und eine konservative, einem unkalkulierbaren gesellschaftlichen Wandel sich widersetzende Oberschicht, die sich mehr aus politischem Kalkül denn aus religiöser Überzeugung hinter den von den Kanzeln verkündeten Dogmen sammelte, gaben die Deutungshoheit in weltanschaulichen Fragen nur äußerst widerstrebend preis. Auf akademischem, insbesondere auf moralphilosophischem, also auch gesellschaftswissenschaftlichem Gebiet fanden neue Ansichten deshalb meist überhaupt nur dann Eingang in den Diskurs, wenn sie im Gewand religiöser Argumentation auftraten. Der sich stets selbstbewusst gebende Hume, der diese stillschweigende Regel zunächst im Treatise nicht konsequent beachtet hatte, bezahlte für diese Nachlässigkeit sodann ein Leben lang – zunächst mit dem erzwungenen Verzicht auf eine akademische Karriere und sein ganzes weiteres Werk hindurch mit der Pflicht zu Beteuerungen religiöser Überzeugungen, die in der vorgetragenen Weise die seinen wohl kaum gewesen sein werden. Vielmehr standen sie in einem eigenartigen Gegensatz zu seiner skeptischen Haltung gegenüber aller spekulativen Weltdeutung – ein grundsätzlicher methodischer Vorbehalt, in den er die Theologie mit einschloss. Dies verleiht Humes Argumentation bisweilen kuriose Züge. So heißt es etwa, es tue „nichts zur Sache“, ob die Menschen wirklich glaubten, es gebe eine Gottheit, die 178 G.  Streminger  : David Hume, S. 226. 179 D.  Hume  : Verstand, S. 172.

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„dem Laster Strafen und der Tugend Lohn zumessen [werde] über das hinaus, was im gewöhnlichen Naturlauf zur Erscheinung“ komme, denn auch wenn es sich bei diesem Glauben lediglich um „Vorurteile“ handle, so seien diese doch immerhin nützlich für die Aufrechterhaltung der Ordnung einer bürgerlichen Gesellschaft  : Wer den Menschen nämlich diese Vorurteile zu rauben versuche, der befreie sie „von einem Hemmnis ihrer Affekte und mach[e] die Verletzung der bürgerlichen Gesetze in der einen Hinsicht leichter und gefahrloser.“180 Eine Anklage in der Verkleidung eines Lobes vorzutragen heißt, einen vergifteten Pfeil abzuschießen. Hume brachte es darin zu großer Meisterschaft, schuf damit allerdings ein unübersichtliches Argumentationslabyrinth, in dem er mitunter seine eigene Position als Autor – wie in den posthum erschienenen Dialogues concerning Natural Religion – beinahe unauffindbar zu machen verstand. Was er selbst wirklich glaubte, taugt andererseits zu nicht mehr als zu einer Randbemerkung. Diese verdanken wir dem wegen seines verlässlichen Erinnerungsvermögens gerühmten James Boswell. Im Sommer 1776, als Hume dem Tod bereits nahe war, soll dieser auf die Frage, „ob ihn der Gedanke an die Auslöschung des Körpers nie beunruhigt habe“, geantwortet haben  : „[N]icht im geringsten, genausowenig wie der Gedanke, daß er vor seiner Geburt nicht existiert habe.“181 Die Bedeutung von Boswells Mitteilung in seinem Journal vom 3. März 1777 käme über die einer bloßen Anekdote nicht hinaus, gäbe sie nicht Aufschluss über das, was wir Humes „Zuversicht als sterblicher Mensch“ nennen können  : Bei allen Anstrengungen, als Erkenntnistheoretiker zu den Grundprinzipien der menschlichen Natur vorzudringen und die Reichweite menschlicher Erkenntnis auszuloten oder als Historiker den Verlauf der Geschichte Englands als eine schlüssige Abfolge von Ereignissen darzustellen, beschäftigte ihn die Zukunft auf lange Sicht – seine eigene ebenso wie die der Welt überhaupt – in erstaunlich geringem Maß. Für ihn war von Bedeutung, was von der Welt wahrzunehmen war, und bei einem Denker, der so sehr auf die Bedeutung der perceptions zählte – des im Wortsinn Wahrnehmbaren –, ist das keineswegs ein Widerspruch zu seiner Lehre. Und ebenso wenig ist es ein Widerspruch dazu, dass er das „leichthin“ kundtat, wie dies eine weitere Erinnerung Boswells an eine Unterhaltung mit Hume unterstreicht  : „Er hatte früher einmal zu mir gesagt, an einem Vormittag bei hellem Sonnenschein, daß er gar nicht unsterblich sein wolle. Das war eine erstaunliche Bemerkung. Der Grund, den er damals für diesen Wunsch anführte, war, daß er sich derzeit sehr wohl befinde und daß die Wahrscheinlichkeit eines vergleichbaren Wohlbefindens in einem anderen Leben sehr gering sei  ; deshalb wolle er lieber gar nicht als in einem schlechteren Zustand existieren.“182

180 Ebd. 181 J.  Boswell  : The Journal of a Tour to the Hebrides, S. 343. 182 Ebd., S. 344.

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Wir sehen deutlich, was Hume nicht glaubte  : Die Bibel war ihm keine heilige – das ewige Heil verkündende – Schrift, sondern ein historisches Dokument menschlicher Sinn­suche im Kampf gegen die Vergeblichkeit irdischen Bemühens.183 Verlässlichkeit suchte er nicht darin, sondern in einem sehr viel abstrakteren Prinzip, auf das er in all seinen Schriften immer wieder zurückkam  : in der Kausalität.184 Dass er sie in der Bibel nicht auffinden zu können glaubte und dies auch begründete, ist ein Charakteristikum seines Weltverständnisses, dem er ein Gutteil seiner Bedeutung innerhalb der Geistes­ geschichte verdankt.

183 Siehe das im Abschnitt 9.2 („David Hume über das politische Potenzial von Aberglaube und Enthusiasmus“) Gesagte. 184 Siehe den Abschnitt 7.5.2 („Kausalität  : Gewissheit aus Gewohnheit  ?“).

III. Spektrum der Zuversicht

8. Überlieferung und Erkenntnis

Hume hatte also deutlich gemacht, was Zuversicht überhaupt ist, was in einem Menschen vorgeht, der Zuversicht empfindet und dank dieses Affekts in die Lage versetzt wird, Entscheidungen über sein Handeln zu treffen. Er hatte Klarheit darüber verschafft, dass es nicht Vernunft war, die dieses Handeln in Gang setzte, sondern ein Affekt der Zuversicht, ausgelöst dadurch, dass das Hoffen (hope) auf den glücklichen Ausgang das Bangen (fear) vor dem Scheitern überwog. Wie aber waren Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, dass dieser Vorgang des Abwägens der Möglichkeiten überhaupt in Bewegung gesetzt werden konnte  ? Aus welchen Quellen ließ sich dieser Prozess der Entscheidungsfindung speisen, wovon war auszugehen und was war als gewiss anzusehen  ? Selbst wenn angenommen wurde, dass die Welt sich „gleichförmig“ entwickelte1 und somit aus Vergangenem Schlüsse auf Künftiges gezogen werden konnten, war doch zu fragen  : Wie genau wissen wir über das Vergangene überhaupt Bescheid  ? Und wodurch  ? Es erhoben sich also die Fragen nach der Zuverlässigkeit historischer Überlieferungen ebenso wie die nach dem Erkenntniswert der aufkommenden zeitgenössischen Reiseberichte, und in einigen Texten der schottischen Denker wurden sie in der Tat erörtert. Es geht in diesem Kapitel um die Untersuchung der Beziehung, die zwischen der Zuversicht im Hinblick auf das Handeln und der Bedeutung besteht, die überliefertem oder übermitteltem Wissen zuerkannt wird. Es geht mithin um das Maß, in dem Gewissheit Zuversicht gewissermaßen generieren kann. Das bedeutet  : Sind geschichtliche Überlieferungen und Reiseberichte etwas, das die Aufklärung als empirisch gewonnenes „Wissen“ akzeptieren kann  ? Und sofern dies angenommen wird  : Welcher Wert kommt diesem Wissen im Hinblick auf Prognosen zu, die Zuversicht nahelegen  ? Antworten hierauf sollen nachfolgend in den Texten der schottischen Denker gesucht werden. Wie bereits gezeigt, ist im Denken der Aufklärung keineswegs nur Aufbruch.2 Vieles Überkommene bleibt selbstverständlich, wird als gegeben angenommen und deshalb keiner eingehenderen Vergewisserung mehr unterzogen. In den Narrativen bildet sich der Zeitgeist ab. Eine neue Situation entsteht, wenn ein Ausbruch aus diesen Narrativen stattfindet. Dann wird der ehedem feste Boden der Selbstverständlichkeiten schwankend  ; es entstehen Zweifel an den anerkannten Wahrheiten, von denen die Argumentation ausgehen kann, und es wird gefragt, worauf man sich noch verlässlich stützen könne. Natürlich bleiben auch in einer neuen Zeit viele der alten Gewissheiten gewiss, doch es treten neue Erkenntnisse hinzu, die dem Denken neue Impulse vermitteln. Seit 1 Siehe Abschnitt 7.2 („Die Vorannahmen  : Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, gleichförmige Entwicklung“). 2 Siehe Abschnitt 3.1 („Narrative der Aufklärung“).

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Überlieferung und Erkenntnis

dem 17. Jahrhundert tut sich zwischen den aufkommenden Naturwissenschaften und der Moralphilosophie, zunächst fast unmerklich, in der Methodik eine Bruchlinie auf. Die schottischen Denker, insbesondere Hume, setzen ihre Zuversicht in eine Art methodischer Assimilation mit den Naturwissenschaften und übergehen damit stillschweigend die essenziell unterschiedlichen Gewichtungen, die zwischen Faktizität im naturwissenschaftlichen Sinn und den argumentativen Verfahren der Moralphilosophie bestehen. Gerade darin aber unterscheiden sich die science of man und die natural philosophy notgedrungen und unaufhebbar voneinander. „Empirisch“ bedeutet in der Naturwissenschaft etwas anderes als „erfahrungsgemäß“ in der science of man, die neu entsteht. Der Mensch, Gegenstand der Betrachtung der Moralphilosophen, entzieht sich in seiner Hyperkomplexität immer wieder deren Anstrengungen, zu eindeutigen, eben faktischen Aussagen zu gelangen. Unterschiedliche Vorgänge wie das Fallen eines physikalischen Körpers und das Handeln eines Menschen sind im Hinblick darauf, das jeweilige Geschehen zu beschreiben, wenn möglich in Form von Gesetzmäßigkeiten zu formulieren und dadurch die Möglichkeit zur Prognose künftigen Geschehens zu gewinnen, inkommensurabel.

8.1 Quellen zur Entwicklung der Zivilisation

Gleiches gilt auch für die Ausgangspunkte von natural philosophy und science of man. Einer dieser Ausgangspunkte ist die „Natur“ des Menschen, das, was dem Menschen gemäß sei und – wenn es das überhaupt geben kann – bei allen Menschen gleichermaßen vorausgesetzt werden dürfe. Auf welchem Weg ließen sich derlei Erkenntnisse gewinnen, wollte man dabei auf Spekulation und rationalistische Konstrukte verzichten und sich ausschließlich an die mit den Sinnen erfahrbaren Gegebenheiten halten  ? Erneut also die Frage  : Welches Anschauungsmaterial konnte als authentisch gelten  ? 8.1.1 Fergusons Bewertung historischer Überlieferungen

Die Überlegung, was es sei, das den Menschen in die Lage versetze, moralisch zu handeln und ihn das Rechte vom Unrechten unterscheiden zu lassen, bestimmt den moralphilosophischen Diskurs der schottischen Denker das ganze 18. Jahrhundert hindurch. Hume behandelt diese Frage im Buch III seines Treatise sowie in den Principles of Morals, Smith setzt sich damit in der Theory auseinander und bei Ferguson handeln in seinen Hauptwerken zumindest Abschnitte davon.3 Die dort aufgeworfenen Fragen berührten einen Teilaspekt dessen, was als die „menschliche Natur“ auszumachen versucht wurde. In den 3 A.  Ferguson  : Essay, pp. 35–43 (“Of Moral Sentiment”)  ; Institutes, pp. 171–190 (“Of the fundamental Law of Morality, and the Subjects to which it is applicable”)  ; Principles, II, pp. 107–177 (“Of the Fundamental Law of Morality, its immediate Applications and Sanctions”)  ; Analysis of Pneumatics and Moral Philosophy, pp. 37–45 (“Of the laws of Morality relative to External Conditions and Conduct”).

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Auseinandersetzungen um ihre Beantwortung wurde offenkundig, dass Philosophie nur argumentativ betrieben werden kann und dass die Befunde von Faktizität – darüber, was als wahr angesehen werden könne – stets durch sprachliche Begründungen gestützt sind, denn auch die Entscheidungen, was als Tatsache oder Wahrheit anzuerkennen sei, werden selbst wieder in argumentativen Prozessen getroffen. Darin liegt ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu den Naturwissenschaften mit ihrem unmittelbareren Zugang zum Tatsächlichen, den sie zumindest im 18. Jahrhundert noch der direkten Messbarkeit, der Anschauung im Wortsinn und mathematischen Darstellungsmethoden verdankten. M. Foucault trifft dementsprechend eine Unterscheidung zwischen den „edlen und strengen Wissenschaften“ der Mathematik, Kosmologie und Physik einerseits und den Wissenschaften, die er die „empirischen“ nennt und die „die Lebewesen, die Sprachen und die Ökonomie betreffen“. Damit ist gleichzeitig gesagt, Empirie sei etwas in erkenntnistheoretischer Hinsicht Nicht-Strenges, ein „den Unbestimmtheiten des Zufalls oder der Einfälle“ Ausgesetztes.4 Was hier angesprochen wird, ist die Unterscheidung zwischen den mathematischen Wissenschaften – Kosmologie und Physik beruhen essenziell auf der Mathematik – und den „Menschenwissenschaften“, die den Menschen in der Interaktion mit seinesgleichen zu beschreiben und zu verstehen suchen. Eine science of man konnte im 18. Jahrhundert allein aus diesem Grund schon gar nicht anders als „empirisch“ – also auf Erfahrung beruhend – angelegt sein, da ihr der Weg über die systematisch-analytische Methode des Experiments ebenso wenig offenstand wie die mathematische Herleitung. Empirie hat in dieser Epoche die Bedeutung eines Sammelns von durchaus auch zufälligen Beobachtungen, die es sodann zu systematisieren gilt.5 Aus diesem Umstand des direkteren Zugangs der Naturwissenschaften zur Faktizität mittels Experimenten sowie der Mess- und Kontrollierbarkeit von deren Ergebnissen wird im Lauf der Zeit – zudem begünstigt durch die Möglichkeit der Umsetzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse im Sinn Bacons einer Beherrschung der Natur – jene Vorherrschaft in Fragen der Weltdeutung abgeleitet, die zuvor unter dem Druck der neuzeitlichen Religionskritik den Kirchen entwunden worden war.6 Die Naturwissenschaften sind damit der Verlockung ausgesetzt, sich der Notwendigkeit einer Beschäftigung mit 4 M.  Foucault  : Die Ordnung der Dinge, S. 9. 5 Zu diesen wissenschaftstheoretischen Fragen hatte zuvor bereits Francis Bacon Überlegungen angestellt. Siehe den Abschnitt 5.3.1 („Natur als Quelle der Erkenntnis und als nützliches Gegenüber  : Bacons Weichenstellung“). 6 N. Elias  : Wissenschaft oder Wissenschaften  ?, S. 60–93, hier S. 60, differenziert stärker  ; er spricht von „den drei großen Wissenschaftsbereichen, die sich bisher herausgebildet haben, den physikalischen, biologischen und Menschenwissenschaften […]. Gemeinsam ist den Wissenschaftlern vor allem ihre Funktion, die Aufgabe der geplanten Ausweitung des menschlichen Wissensfundus, der überprüfbaren Entdeckung von zuvor unbekannten Aspekten der Welt und so der Verbesserung der menschlichen Orientierung. Die wissenschaftlichen Methoden sind Mittel zu diesem Zweck. Ihm entsprechend verwenden die existierenden Wissenschaften nicht eine, sondern mehrere Methoden, zum Teil in Zusammenhang mit der Verschiedenheit ihres jeweiligen Gegenstandsgebietes“.

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den Fragestellungen jenseits des „wissbaren Wissens“ zu entziehen, indem sie diese für obsolet erklären.7 Zwar sollte diese Entwicklung letztlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Form einer offenen – je nach Standpunkt vorgenommenen – Hierarchisierung der Wissenschaften durchschlagen, doch bereits im Denken der Aufklärung kommt, angetrieben durch Bacons Verpflichtung auf die Empirie, in der Philosophie ein neues Bewusstsein für die Fragestellung auf, was überhaupt als Argumentationsbasis nutzbar gemacht werden könne  : Worauf konnte man sich berufen  ? Was war als verbürgt anzusehen, was als wahr  ? Eine probates Mittel der Argumentation war der affirmative Verweis auf unbestrittene Autoritäten. Als solche galten, auch wenn sie oft einer radikalen Kritik unterzogen wurden, die Werke der klassischen griechischen und römischen Philosophie und Geschichtsschreibung. Sich auf sie zu berufen, darf bis weit ins 18. Jahrhundert hinein als verbreitete Übung angesehen werden, zumal sämtliche Denker der Aufklärungszeit ihr Griechisch und Latein an ihnen gelernt hatten und somit gründlich an diesen Werken geschult waren. Es überrascht deshalb keineswegs, wenn man in den Texten der schottischen Denker häufig Verweisen auf Anschauungen der antiken Philosophie begegnet. Zudem finden sich bei Hume, Smith, Ferguson, Lord Kames oder Millar zahlreiche Rekurse auf die Gegebenheiten und politischen Entwicklungen, wie sie die antiken Historiographen überliefert hatten. All dies war typisch für die Zeit. Bedenkenswert ist allerdings, dass dieses Verfahren eines mitunter schematischen Verweisens auf die Antike als Verharren in den Methoden jener frühneuzeitlichen Epoche erscheint, die mit der Aufklärung ja überwunden werden sollte  : Gerade die außerordentlich strikte Anlehnung etwa an das aristotelische Denken war bis weit in die Neuzeit hinein ein Hauptmerkmal jener peripatetischen Tradition, in deren Zwängen die Philosophie ebenso gefangen war wie die aufkommende Naturforschung. Ein Beispiel für die Mühe, die es kostete, sich daraus zu befreien, liefert Galileis Schicksal. Allerdings, der wesentliche Unterschied zu den schottischen Denkern lag darin, dass für sie diese Schriften nicht mehr jenen Quasi-Gesetzescharakter besaßen, der ihnen jahrhundertelang von den kirchlichen Institutionen zugesprochen worden war. Nunmehr galten die antiken Autoren lediglich als „Gewährsleute“ und ihre Überlieferungen als Anschauungsmaterial, das man sich zunutze machte, ohne es dabei einem allzu großen quellenkritischen Eifer auszusetzen. Das heißt, man bediente sich dieses reichlich zur Verfügung stehenden Materials aus rhetorischen Gründen, mit heuristischem Nutzen und gewissermaßen mit Unbekümmertheit. Man zog heran, was der Argumentation dienlich schien, ohne der Frage nach den Kontexten dieser Quellen nachzuforschen. Was man las, nahm man als gegeben  ; zumindest jedenfalls gab man sich den Anschein, es zu tun. Die Absicht war es auch hier wieder, aus der Überlieferung historischer politischer Entwicklungen und Erfahrungen Prognosen für ein künftiges Geschehen zu extrapo7 Siehe auf S. 16 f. die Feststellung Bollnows.

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lieren. Dabei muss einerseits ins Auge fallen, dass in einem solchen Verfahren niemand unter den schottischen Autoren einen spekulativen Ansatz erkannte. Andererseits aber kamen nun Überlegungen zur Methode auf. So streift beispielsweise Humes Erkenntnistheorie diese Problematik eines solchen Vorgehens. In seiner Auseinandersetzung mit dem Gedanken, wir gingen von einem gleichförmigen Lauf der Welt aus8 – was ja einem Schließen von Vergangenem auf die Zukunft erst einen Sinn verleiht –, ist zumindest ein Ansatz erkennbar, diese Herangehensweise zu reflektieren. Verworfen wird sie allerdings nicht. Sehr viel gezielter befasst sich hingegen Ferguson mit der Bedeutung von historischen Überlieferungen und dem Umgang mit ihnen. In seinem Essay widmet er diesem Gegenstand ein ganzes Kapitel und erörtert darin, welches Maß an Authentizität diesen Texten zukomme, worüber sie Aufschluss gäben und worin sie andererseits den Ansprüchen nicht gerecht werden könnten, die manche der zeitgenössischen Autoren an sie richteten.9 Man mag darin sogar einen Bewusstseinswandel im Umgang mit historischen Zeugnissen erkennen, jedenfalls aber handelt es sich um ein beeindruckendes Beispiel für die Selbstreflexion eines Denkers, der sich seiner Quellen nicht nur bedient, sondern darüber hinaus deren Stellung in ihrem historischen ebenso wie in ihrem aktuellen Kontext zu begreifen versucht. Ferguson setzt sich damit auseinander, worüber die Schriften der Antike im Hinblick auf die Fragestellungen seiner Zeit überhaupt Aufschluss geben können, und der Weg zu einer Antwort führt ihn zu Überlegungen zum Wesen dieser Texte  : Was waren sie „eigentlich“, bevor sie zu Quellen für die Autoren des 18. Jahrhunderts geworden sind  ? Und welche „Glaubwürdigkeit für die Geschichte der Menschheit“,10 um die es Ferguson ja geht, kommt ihnen demzufolge zu  ? Sein Urteil fällt ernüchternd aus, denn er stellt fest  : „Zumeist handelt es sich dabei um bloße Vermutungen oder Erdichtungen späterer Zeitalter, und selbst dann, wenn sie zunächst einige Ähnlichkeit mit der Wahrheit hatten, verändern sie sich doch durch die Einbildungskraft jener, welche sie überliefern. Sie empfangen so in jeder Generation eine verschiedene Gestalt. Sie tragen die Prägung der Zeiten, welche sie in der Form der Überlieferung durchlaufen haben, nicht aber jener Zeitalter, auf die sie sich angeblich als Schilderungen beziehen.“11

Fergusons Umgang mit diesem Material ist also geprägt von Skepsis. Sie bewahrt ihn davor, die Aussagen wörtlich zu nehmen, da er sie nicht für authentisch hält. Er sieht   8 D.  Hume  : Verstand, S. 46. – Hier heißt es, dass „alle unsere Erfahrungsschlüsse von der Voraussetzung ausgehen, daß die Zukunft mit der Vergangenheit gleichförmig sein werde.“   9 A.  Ferguson  : Versuch, „Zweiter Teil – Von der Geschichte roher Völker, 1. Von den Nachrichten zu diesem Gegenstand aus dem Altertum“, S. 193–203. 10 A.  Ferguson  : Versuch, S. 197. 11 Ebd.

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in ihnen die Ergebnisse von Prozessen und einer Textgeschichte, in der unterschiedliche, vom jeweiligen Geist der Zeit geprägte Intentionen zusammengeflossen sind. Aufschluss über die Zeit, von der sie berichten, gäben diese Zeugnisse folglich nicht unmittelbar, sondern erst nach einer methodischen Bewertung. Wir bezeichnen dieses Verfahren, das ein philologisches ist, heute als historisch-kritische Textanalyse  ; bei Ferguson wirkt es neu und ganz im Einklang mit den programmatischen Forderungen des aufklärerischen Credos, nur auf das zu vertrauen, was zuvor Gegenstand eingehender Vergewisserung war. Dieses Bewusstsein ist auch bezeichnend für das Textverständnis, das in der folgenden Feststellung zum Ausdruck kommt. Wir können darin einerseits die Entzauberung überkommener Autorität erkennen, andererseits aber auch eine Würdigung dieser Autorität innerhalb eines neuen Kontextes  : „Es wäre lächerlich, die Sage der Ilias oder Odyssee, die Legenden von Herkules, Theseus oder Ödipus als tatsächliche Berichte über die Geschichte der Menschheit anzuführen. Aber mit gutem Recht können sie zur Vergewisserung der Anschauungen und Empfindungen des Zeitalters zitiert werden, in dem sie erdichtet wurden, oder aber um das Genie des Volkes zu charakterisieren, mit dessen Vorstellungen sie vermengt und von dem sie liebevoll erzählt und bewundert wurden.“12

Dennoch war trotz dieser Relativierung für Ferguson der Rückgriff auf antike Überlieferungen in all seinen Schriften ein unverzichtbarer Baustein der Argumentation. Allerdings empfiehlt es sich, gerade die Funktion dieses Bausteins genau im Blick zu behalten  : In aller Regel dient er nicht der Herleitung, sondern der Untermauerung der Ausführungen. Somit steht diese Funktion nicht im Dienst des Nachweises von Kausalität, sondern der Rhetorik, und Ferguson ist sich darüber durchaus im Klaren  : „Wir sollten deshalb die überlieferten Geschichten über alte Gesetzgeber und Staatengründer mit Vorsicht aufnehmen. Ihre Namen sind zwar seit langer Zeit gerühmt worden, ihre angeblichen Pläne fanden Bewunderung. Doch fast immer betrachtet man als die Wirkung planvoller Überlegung, was wahrscheinlich nur die Folge einer frühen Situation war [and what were probably the consequences of an early situation, is, in every instance, considered as an effect of design]. Wie Ursache und Wirkung werden auch Urheber und Werk beständig miteinander verbunden. Dies ist die einfachste Form, unter der wir die Begründung von Nationen betrachten können. Wir schreiben einem vorbedachten Plane zu, was nur durch Erfahrung gewußt werden konnte, was keine menschliche Weisheit vorauszusehen vermochte [what came to be known only by experience, what no human wisdom could foresee] und was kein Individuum ohne die mitwirkende Stimmung und Anlage seines Zeitalters ins Werk setzen konnte.“13

12 Ebd., S. 198. 13 Ebd., S. 259. – OT.: ders.: Essay, p. 120.

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Das ist eine Aussage von weitreichender Bedeutung. Für ihre Zeit und für einen Autor, der wegen dessen rhetorischer Überzeugungskraft so sehr auf das historische Beispiel vertraute, darf sie als revolutionär gelten, denn sie erklärt die Schlüssigkeit historischer Überlieferungen zu einem Konstrukt post factum. Fergusons Ausführungen sind, wie an diesen Beispielen zu erkennen ist, von einem hohen Maß an Methodenbewusstsein und Skepsis gegenüber den Quellen geprägt  ; dadurch sticht er aus seinem Umfeld hervor. Weder Hume noch Smith ließen der Analyse jenes Transformationsprozesses, durch den historische Überlieferung für das Verständnis der aktuellen Gegebenheiten erst nutzbar gemacht werden kann, ähnlich viel Beachtung zukommen. Teil dieses Transformationsprozesses ist es auch, den Blick auf die Bedeutungsverschiebungen zu richten, denen die verwendete Terminologie im Lauf der Jahrhunderte ausgesetzt war. So sei es, sagt Ferguson, selbst für versierte Historiker schwierig, „mit Begriffen, die einem neuen gesellschaftlichen Zustand entstammen, eine richtige Vorstellung von dem zu geben, was die Menschen in anderen, so verschiedenen Situationen waren, in Zeiten, die von ihrer eigenen so entfernt liegen.“14 Behält man im Blick, dass es bei allen Überlegungen einer science of man stets um die „Natur des Menschen“ ging, und zwar im Sinn von Merkmalen, die die Zeiten und die Kontinente übergreifen und dabei gleich bleiben, so deutet sich in Fergusons Aussagen eine Verschiebung an, auf die an anderer Stelle bereits eingegangen wurde  : Es ist der Übergang zu einem Bewusstsein von der statischen zur dynamischen Natur des Menschen, der sich hier ankündigt.15 Die historischen Quellen werden so als ein Material verstanden, das zuerst einer Reinigung zu unterziehen ist, nämlich einer Freilegung ihres Informationsgehalts nicht in einem wörtlichen, sondern in einem übertragenen Sinn. Die „Botschaft hinter der Botschaft“ erst erkennt Ferguson als die eigentliche Information an. Ein weiterer Bruch mit dem Zeitgeist kommt bei ihm noch hinzu. Er betrifft sein Verständnis von Empirie. Hierzu gibt es eine bemerkenswerte, möglicherweise aber leicht zu überlesende Feststellung in seinem Essay  : „Die uns umgebenden Gegenstände haben außer ihrem besonderen Erscheinungsbild auch ihre Beziehungen zueinander. Durch ihren Vergleich regen sie Gedanken an, die uns nicht in den Sinn kämen, wenn sie für sich betrachtet würden.“16 Diese Gegenstände hätten, wird hier gesagt, neben ihrer unmittelbaren, erfahrbaren Bedeutung eine zweite, die sich aus ihrem Verhältnis zu anderen Gegenständen ergibt, vielleicht auch aus einer Wechselwirkung mit ihnen. Es gebe also die Dimension des Wahrnehmbaren und diejenige des zu Erschließenden – somit neben dem unmittelbar Erfassbaren dasjenige, das aus dem Kontext zu rekonstruieren sei. Genau in diesem Sinn verfährt Ferguson mit historischen Überlieferungen, wenn er aus ihnen die Antwort auf die Frage sucht, welche der von den Menschen berichteten 14 A.  Ferguson  : Versuch, S. 201. – Die Gültigkeit dieser Feststellung zeigt sich im Übrigen auch am Beispiel der vorliegenden Untersuchung selbst. 15 Siehe den Abschnitt 7.3 („Von der statischen zur dynamischen Natur des Menschen“). 16 A.  Ferguson  : Versuch, S. 130.

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Eigenschaften sich bis in die Gegenwart erhalten hätten  : Was findet sich im historischen Menschen und im zeitgenössischen gleichermaßen  ? Dieser gemeinsame Nenner wäre sodann, wie zu folgern ist, eben Teil der zu entdeckenden „menschlichen Natur“. Von dieser Überlegung war es für Ferguson dann nur noch ein kleiner Schritt zur Beschäftigung mit einer weiteren Art von schriftlichen Quellen, die ebenfalls die Möglichkeit zu einem Vergleich unterschiedlicher Formen – um nicht zu sagen  : unterschiedlicher Stadien – menschlicher Existenz und Kultur zu bieten versprachen. Die Rede ist von den seit dem 17. Jahrhundert aufkommenden Berichten aus den entlegenen Regionen der Welt mit ihren frühen Formen ethnologischer Betrachtungen, wie sie beispielsweise Missionare über die indigene Bevölkerung – die „Wilden“ – in den Kolonien anstellten. 8.1.2 Die Reiseberichte des 17. und 18. Jahrhunderts

Das 18. Jahrhundert zweifelt die überkommenen Erklärungen der Welt mehr und mehr an. Selbst die historische Überlieferung hat, wie gezeigt, nicht mehr den Status absoluter Verbürgtheit. Hume wird mit seiner History of England die einschneidende Erfahrung machen, dass die „historische Wahrheit“ ein Thema darstellt, das wegen seiner politischen Komplexität und seiner Abhängigkeit von Überzeugungen kaum zu bewältigen ist  : Den Tories nämlich wird er als Whig gelten, den Whigs als Tory, und voreingenommen und parteiisch gilt er beiden gleichermaßen.17 Das, was man über die Natur des Menschen zu wissen glaubte, fällt nun einem „methodischen Vorbehalt gegenüber apriorischen Sätzen“18 zum Opfer  : Eine Wissenschaft, die das Vertrauen in die Erfahrung zum Programm macht, verlangt nach Beweisen, die auch tatsächlicher Erfahrung entsprungen sind. Die aus der Geschichte gezogenen Erfahrungen werden zunehmend als nicht generalisierbar angesehen, und so hält man nach stichhaltigeren Quellen Ausschau. Einer der Übergänge von den tradierten „Gewissheiten“ zu unmittelbaren, authentischen Zeugnissen spiegelt sich in den Texten der schottischen Denker nun mit ihren Verweisen auf Reiseberichte wider,19 die in diesem Sinn als verbürgte Informationen gelten. Am klarsten gelingt es Ferguson, den ein für seine Epoche hoch entwickeltes philologisches Methodenbewusstsein auszeichnet, das heuristische Potenzial dieses Genres für die science of man herauszuarbeiten. In seinem Essay beschreibt er das, was mit den Reiseberichten sowie mit den Überlieferungen aus der Antike gewonnen wird, als einen „Blick in den Spiegel“, denn wollte ein „Volk in den kommenden Jahrhunderten […] Nachrichten über seinen Ursprung“ erhalten, so gelänge ihm das „am besten aus 17 Zu Humes methodischem Ansatz als Historiker siehe G. Streminger  : David Hume als Historiker, S. 166– 170. 18 A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 180. 19 H.  Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, III, p. 593  : „Die Natur bewegt uns im allgemeinen dazu, uns auf die Wahrhaftigkeit anderer zu verlassen  ; üblicherweise entspricht der Grad des Vertrauens dem Grad der Aufrichtigkeit.“ (E. Ü.)

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den Erzählungen der gegenwärtigen Zeit und aus den Schilderungen […], die jetzt von Reisenden gemacht“ würden. Die Aussagekraft von Reiseberichten beruhte demzufolge auf einem einfachen Analogieschluss  : Wodurch sollten sich, fragt Ferguson, die eigenen Vorfahren „in ihren geistigen oder körperlichen Gewohnheiten, in ihren Sitten und Wahrnehmungen von einem eingeborenen Amerikaner“ der Gegenwart unterschieden haben  ?20 Und weiter  : „Wollen wir in zukünftigen Jahren eine richtige Vorstellung von dem Fortschritt [progress] bekommen, den wir von der Wiege an gemacht haben, so müssen wir unsere Zuflucht zur Kinderstube nehmen und unsere Vorstellung von einer früheren Lebensweise nach dem Beispiele jener bilden, die noch gegenwärtig in derjenigen Lebensperiode stehen, welche wir beschreiben wollen. Denn jene Lebensperiode kann auf keine andere Art ins Gedächtnis zurückgerufen werden [cannot, in any other way, be recalled].“21

Doch so sehr die Reiseberichte einen Erkenntnisgewinn verheißen mochten, konnten natürlich auch sie von der Leserschaft nicht überprüft, sondern lediglich als mehr oder weniger glaubwürdige Zeugnisse angenommen werden. Dem flüchtigen Blick mochte dabei leicht verborgen bleiben, um was es sich bei diesen Texten in Wirklichkeit häufig handelte  : nicht um sichere Quellen im Sinn des neuen Wissenschaftsverständnisses, sondern um Mischformen aus Berichten von Augenzeugen und der – oft genug interpretierenden – Wiedergabe von derlei Aufzeichnungen aus der Feder Dritter, häufig angereichert mit literarischen Schöpfungen. Da es allerdings einen fließenden Übergang innerhalb des Genres der Reiseliteratur gab, darin „Faktizität und Fiktionalität“ oszillierten22 und nicht zuletzt auch Gesellschaftsutopien und Gesellschaftskritik im Gewand von eben solchen Reiseberichten auftraten, entstand mehr und mehr ein Bewusstsein für die Problematik des tatsächlichen Erkenntniswerts dieser Gattung und von dessen Voraussetzungen.23 Worin der Wert von Zeugnissen lag, die aus der Anschauung gewonnen und häufig literarisch aufbereitet worden waren, wird von manchen der zeitgenössischen Autoren durchaus reflektiert. Ein Beispiel dafür aus dem Kontext der Schottischen Aufklärung bietet Ferguson in den Principles. Dort heißt es, „als Quellen der Erkenntnis [lassen sich] vier Gruppen unterscheiden, nämlich Bewusstsein, sinnliche Wahrnehmung, Zeugnis und Schlussfolgerung [Consciousness, Perception, Testimony, and Inference]“.24 Und eben durch das Zeugnis erhalte man Kenntnis von dem, was andere wahrgenommen hätten. „Ein großer Teil unseres Wissens [entspringt] aus dieser Quelle.“25 Ähnlich äu20 A.  Ferguson  : Versuch, S. 202. 21 Ebd., 202 f. – OT.: ders.: Essay, p. 80. 22 A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 182. 23 Aufschlussreich in dieser Hinsicht ist J. Millar  : Ursprung, S. 56 f. – OT.: ders.: Origin, pp. 90–91. 24 A.  Ferguson  : Principles, I, p. 77 (e. Ü.). 25 Ebd., I, p. 83 (e. Ü.).

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ßert sich Kames in seinen Sketches of the History of Man  ; darin befasst er sich im 3. Buch einleitend mit den „Grundsätzen der Vernunft“ und erklärt „[d]as menschliche Zeugnis [zu einer] Quelle der Erkenntnis“, durch das ein Erfahrungstransfer vom Verfasser zum Rezipienten bewirkt werde  : „Wir sind von der Natur so geformt [framed], dass wir uns auf das menschliche Zeugnis verlassen  ; durch dieses werden wir über Wesen, Eigenschaften und Begebenheiten unterrichtet, die niemals mit einem unserer Sinne erfasst wurden [that never came under any of our senses].“26 Der Reisebericht, der Zeugnisse solcher Art enthält, wird also zu einem Instrument, das den Erfahrungshorizont erweitert.27 Diese Möglichkeit zur „Erweiterung der Erkenntnis“ hatte allerdings ihren Preis. Zum einen stand die Verlässlichkeit dieser Quellen zur Debatte, zum anderen entstand die Gefahr, dass von den in den Berichten angeführten Beobachtungen allzu selektiv Gebrauch gemacht wurde.28 Wiederum Ferguson verweist auf das Problem der Verwendbarkeit von „Zeugnissen“  : „Wir setzen voraus, dass der Zeuge die Wahrheit spricht, so wie wir voraussetzen, dass der Spiegel das auf seine Oberfläche fallende Bild reflektiert. Aber die Glaubwürdigkeit des Zeugnisses [evidence of testimony] steht der [eigenen] Wahrnehmung so weit nach, als bei ihr bestimmte Mängel auftreten, die hinsichtlich der Fähigkeiten des Zeugen, seiner Beobachtungsgabe oder seiner Vorsicht, sich nicht täuschen zu lassen, seiner Aufrichtigkeit, seiner Veranlassung zur Irreführung oder jener, ihr zu widerstehen, Zweifeln offenstehen.“29

Es bestand also ein Bewusstsein dafür, dass es sich bei einem solchen Zeugnis nicht um eine wirkliche, sondern um eine übermittelte Erfahrung handelte.30 Allerdings sah man sich auf diese in den Reiseberichten übermittelten Erfahrungen angewiesen, und das führte zu einem Dilemma, das nicht übersehen werden konnte. Millar, der in seinem Origin die Quellenproblematik methodisch am stärksten durchdringt, bringt dieses Dilemma klar zum Ausdruck  : „Wir beziehen […] unsere Kenntnisse von der Daseinsform des Menschengeschlechts in den unzivilisierten Teilen der Welt vornehmlich aus den Berichten von Reisenden. Diese sind nun zwar ihrem Ruf und ihrer Stellung im Leben 26 H.  Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, III, p. 584 (e. Ü., Hervorh. HK) 27 A.  Ferguson  : Principles, I, p. 84, spricht von den Vorteilen, „die einerseits die persönliche Beobachtung und Erfahrung und andererseits die nachfolgende Erweiterung des Wissens, das aus Büchern und Unterrichtung [subsequent enlargement of knowledge that may be derived from books or information] erlangt wird.“ (Hervorh. HK) 28 F.  Bacon  : Neues Organon, Aphorismus 49, S. 112, hatte bereits Anfang des 17. Jahrhunderts auf diese Gefahr hingewiesen  : „Der menschliche Verstand ist kein reines Licht, sondern er erleidet einen Einfluß vom Willen und von den Gefühlen  ; dieses erzeugt jene ‚Wissenschaft für das, was man will‘. Was nämlich der Mensch lieber für das Wahre hält, das glaubt er eher.“ 29 A.  Ferguson  : Principles, I, p. 85 (e. Ü.). 30 Am Rand darf darauf hingewiesen werden, dass eine derartige „Erfahrung“, wie sie ein solcher Reisebericht darstellte, sich etwa in Humes Modell der Perzeptionen kaum unterbringen ließ.

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nach keineswegs über jeden Verdacht erhaben, daß sie sich nicht getäuscht haben könnten, noch auch, daß sie die von ihnen berichteten Tatsachen nicht auch hätten falsch darstellen wollen.“31 Freilich gilt Millars Interesse in erster Linie einer Entstehungsgeschichte der gesellschaftlichen Rangordnungen und Machtbeziehungen. Eine „Naturgeschichte der Menschheit“ ist ihm also vornehmlich Mittel zum Zweck. Er versteht sie als Entwicklungsgeschichte, und der darin auftauchende Faktenbegriff weicht von jenem der zu seiner Zeit vorherrschenden narrativen Historiographie ab  : „Es wird dabei der Versuch gemacht, die allgemeinen und leicht erkennbaren Fortschritte aufzuzeigen, die sich allmählich innerhalb der Gesellschaft vollziehen, um sodann die Wirkungen zu zeigen, die sich aus solchen Fortschritten für die Sitten, die Gesetze und die Regierungsform eines Volkes ergeben.“32 Doch selbst wenn die Zuverlässigkeit dieser Quellen, wie sie die Reiseberichte darstellten, gewährleistet gewesen wäre, muss doch angenommen werden, dass das, was sie an Informationen liefern konnten, nach wie vor stark von den anthropologischen und gesellschaftlichen Vorannahmen derjenigen abhängig war, die sie zum Beleg ihrer Theorien heranzogen. Es war eben keineswegs ohne Belang, ob dabei von der Uniformität des Wesens der menschlichen Gattung oder von einer grundsätzlichen Spaltung der Menschheit in „zivilisierte“ und „wilde“ Gesellschaften ausgegangen wurde. Und ebenso war es zwangsläufig von Bedeutung, ob diejenigen, die diese Berichte als Zeugen für die Richtigkeit ihrer eigenen Überlegungen anriefen, damit überkommene Welterklärungen nun stützen oder aber ablösen wollten. In diesem Sinn dienten solche Reiseberichte der Untermauerung der jeweiligen Vorannahmen  : Wie waren die Beobachtungen der Reisenden einzuordnen  ? Waren die Menschen überall auf der Welt zumindest „von Natur aus“ gleich, wie es die These von der menschlichen Uniformität besagte  ? Verkörperten die „wilden“ Einwohner entlegener Kontinente etwa eine Art Vorstufe der „zivilisierten“ Bürger, für die man schrieb  ? Ließen sich mithilfe dieser Quellen Modelle entwickeln, die es erlaubten, Prognosen über die weitere Entwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft aufzustellen  ? Kamen diese Berichte wirklich dem gleich, was das Experiment im Rahmen der Naturbeobachtung leistete  ? Und waren auch sie ein Schritt auf dem von Bacon vorgezeichneten und von Hume ausdrücklich beschrittenen Weg, „die Methode der Erfahrung in die Geisteswissenschaft [into moral subjects] einzuführen“  ?33 Der Umgang mit diesem Spektrum an Fragen lässt sich anhand von Beispielen aus den Texten der schottischen Autoren des 18. Jahrhunderts nachvollziehen.34 Oftmals waren es solche Reiseberichte oder Exkurse in die Geschichte des Altertums, die jene Außenperspektive erst schufen, aus der die zeitgenössische Gesellschaft distanziert be31 J.  Millar  : Ursprung, S. 56. 32 Ebd. 33 So der Untertitel von Humes Treatise. 34 Siehe dazu auch A. Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 183 f.

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trachtet werden konnte. Ein Beispiel für eine derartige Perspektivumkehr35 findet sich in Fergusons Essay, wo vom Zusammentreffen eines „amerikanischen Häuptlings“ mit dem „Gouverneur von Jamaika“ berichtet wird  : Ersterer habe sich verwundert gezeigt, dass in einer kriegerischen Auseinandersetzung die Kaufleute sich wie „neutrale Personen“ verhielten, die „an den Streitigkeiten ihres Landes keinen Anteil“ nähmen. „‚Warum geht Ihr nicht alle gemeinsam in einen so großen Krieg  ?‘“, lässt Ferguson den Häuptling fragen, um dann aus dessen Perspektive – eben einer Außenperspektive –, herauszustellen, dass es gerade der Handel sei, der das Wesen einer polished nation präge  : „Im übrigen wußte er augenscheinlich nicht“, fährt Ferguson fort, „wie weit auch der Krieg selbst zu einem Handelsgegenstand gemacht werden kann […], wie oft schließlich in dieser Hinsicht selbst ein Fürst, die Adeligen und die Staatsmänner in manch verfeinerter Nation als Kaufleute betrachtet werden können.“36 Das Beispiel zeigt  : Erst durch den „fragenden Blick“ des Außenstehenden verlieren die charakteristischen Merkmale der eigenen Gesellschaft ihre Selbstverständlichkeit und es zeigt sich ihre dahinter verborgene zweite, eigentliche Wirklichkeit. Ferguson rückt noch einen weiteren Aspekt der Reiseberichte ins Blickfeld – deren Ethnozentrismus  : „Wir selbst halten uns für Muster an guter Sitte und Zivilisation [We are ourselves the supposed standards of politeness and civilization], und wo nicht unsere eigenen Züge hervortreten, glauben wir, sei auch nichts vorhanden, das überhaupt wissenswert wäre.“ Das habe Konsequenzen in methodischer Hinsicht, denn es „besteht unsere Methode allzu häufig darin, […] jeden Vorzug unserer Natur solchen Fertigkeiten zuzuschreiben, die wir selbst besitzen, und uns einzubilden, daß eine bloße Verneinung all unserer Tugenden schon eine hinreichende Beschreibung des Menschen in seinem ursprünglichen Zustand sei.“37 Deutlich treten in dieser Überlegung die Anfänge einer expliziten Selbstreflexion des europäischen Kulturkreises zutage, die sich bei wichtigen Vorläufern kaum in Ansätzen und auch dann nur indirekt gezeigt hatte. So hatte etwa Locke die Indians als Zeugen zum Nachweis angerufen, dass es im Menschen keine angeborenen Prinzipien gebe, die ihn moralisch handeln ließen,38 während Rousseau mit seiner Idealisierung des – allerdings ganz und gar fiktiven – „Wilden“ diesen vor allem als rhetorische Figur einsetzte, als Konstrukt,39 um eine Art von idealisiertem Gegenbild 35 Dazu Z. Batscha / H. Medick  : Vorwort, S. 40 f.: „Vielfach wählte Ferguson bewußt den ‘native point of view’, d. h. den Standpunkt des Eingeborenen der außereuropäischen Völker, […] um die Widersprüche der ‚verfeinerten‘ und ‚zivilisierten‘ Gesellschaft seiner Zeit aufzudecken.“ 36 A.  Ferguson  : Versuch, S. 294 f. 37 Ebd., S. 196 f. – OT.: ders.: Essay, p. 75. – Es ist dies jene Methode, die bereits Hobbes zur Herleitung des „Naturzustands“ angewandt hatte, indem er aus der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit lediglich alle zivilisatorischen Errungenschaften fortgenommen hatte. (Siehe in der vorliegenden Untersuchung S. 115.) 38 J.  Locke  : Understanding, I, § 28, p. 32. 39 Es ist Rousseaus rhetorisch aufgeladener Stil, mithilfe von Gegensätzen zu argumentieren. Der „wilde Mensch“ des folgenden Zitats hat keinerlei reale Grundlage. Er ist, dem „zivilisierten Menschen“ gegenübergestellt, seinem Wesen nach einfach „der Andere“, das Spiegelbild oder eben das Negativ  ; er ist, mit

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zur europäischen Kultur herzustellen und auf diese Weise deren Entwicklungstendenzen zu konturieren und anzuklagen. Doch wenngleich ein Bewusstsein der schottischen Denker für die methodischen Probleme, die sich aus der Heranziehung der Reise- und historischen Berichte ergaben, durchaus erkennbar ist, so führte das trotz grundlegender Bedenken gegenüber deren Zuverlässigkeit doch keineswegs zum Verzicht auf sie. Man war eben gezwungen, mit diesen Problemen zurechtzukommen. Wie dies vor sich gehen konnte, zeigt eine Passage in Millars Origin, die den Wert solcher Quellen allein schon wegen deren Vielzahl gewährleistet sieht. Diese nämlich biete die Möglichkeit zu Vergleichen und somit zu einer abwägenden Bewertung  ; denn „dadurch, daß es sich um eine große Zahl und ganz verschiedenartige Berichte handelt, wächst ihnen in vielen Details eine Überzeugungskraft und Verläßlichkeit zu, die uns eine sichere Grundlage gibt […].“40 Zuverlässigkeit entstand gemäß dieser vom Wunsch getragenen Haltung gewissermaßen durch die Wiederholung ähnlich lautender Aussagen. Dass diesen Berichten eine von den allermeisten Autoren als verbindlich verstandene Weltanschauung und gerade im Fall der Missionare auch bestimmte Absichten zugrunde gelegen haben dürften, durch die das Berichtete zuerst gefiltert worden sein wird, blieb unhinterfragt. Trotz dieser Zuverlässigkeitsproblematik wurden einige dieser Reiseberichte, insbesondere diejenigen der beiden französischen Jesuitenpatres Charlevoix41 und Lafitau42, für die schottischen Autoren zur „maßgeblichen empirischen Basis“43 und ihre selektive und keineswegs systematische Auswertung ein übliches Verfahren zur Untermauerung der jeweils eigenen Hypothesen. Was versprach man sich von dieser Lektüre  ?

anderen Worten, Spekulation  : „Laßt dem zivilisierten Menschen die Zeit, alle seine Maschinen um sich zu scharen, so kann man nicht daran zweifeln, daß er den wilden Menschen mit Leichtigkeit überwindet, wenn ihr aber einen noch ungleicheren Kampf sehen wollt, so stellt sie einander nackt und unbewaffnet gegenüber, und ihr werdet bald erkennen, welcher Vorteil es ist, alle seine Kräfte unablässig zu seiner Verfügung zu haben, immer für jedes Ereignis gewappnet zu sein und sich sozusagen immer ganz mit sich zu führen.“ J.-J. Rousseau  : Diskurs über die Ungleichheit/Discours sur l’inégalité, S. 82 f. 40 J.  Millar  : Ursprung, S. 56. – Ergänzend hierzu erklärt Millar, dass die Entscheidung über die Zuverlässigkeit solcher Quellen durchaus dem Leser übertragen werden könne (ebd., S. 56 f.)  : „Wo beispielsweise sehr verschiedene Gewährsleute ohne eigentliche literarische Ansprüche und ohne Kenntnis der Schriften des jeweils anderen […] uns Darstellungen aus grauer Vorzeit oder aus den fernsten Ländern geben, in denen verschiedene Völker nach ihren ganz ähnlichen Lebensbedingungen beschrieben sind, da hat der Leser die Möglichkeit, die einzelnen Darstellungen miteinander zu vergleichen. Er kann dann jeweils nach Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung die dem betreffenden Gewährsmann zukommende Glaubwürdigkeit selbst bestimmen.“ (Hervorh. HK) – OT.: ders.: Origin, p. 90. 41 P. F. X. de Charlevoix  : Histoire et description générale de la Nouvelle France, avec le journal historique d’un voyage fait par ordre du roi dans l’Amérique Septentrionnale, Paris 1744. Das Werk wird herangezogen von Ferguson (Essay), Millar (Origin), Lord Kames (Sketches of the History of Man) und Smith (Lectures J, Wealth). 42 J.  F.  Lafitau  : Mœurs des sauvages ameriquains, comparées aux mœurs des premiers temps, Paris 1724. Das Werk wird herangezogen von Ferguson (Essay), Millar (Origin) und Smith (Lectures J). 43 A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 181.

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Zunächst lieferten einige dieser Schriften einen keineswegs nur von den schottischen Denkern, sondern auch von vielen anderen Autoren ausgewerteten Grundstock an ethnographischer Information. Vor allem Lafitau erweist sich über die Vermittlung von Detailwissen über die Naturvölker in den Kolonien hinaus auch als ein Berichterstatter, dem aufgeklärtes Denken nicht fremd ist. In der Einleitung zu seiner Histoire offenbart er ein bemerkenswertes Bewusstsein sowohl für die „Dialektik von kultureller Fremd- und Selbererkenntnis [sic  !]“44 als auch für den Zuwachs an Einsichten, der sich durch eine Annäherung an die vorgefundenen Kulturen ergibt, sofern diese gleichermaßen ohne Herablassung und ohne Idealisierung stattfindet. Die Aufklärer in Schottland dürfte seine Herangehensweise jedenfalls inspiriert haben. Lafitau schreibt über sein methodisches Vorgehen, dass er sich zum einen der Hilfe eines Missionars habe bedienen können, der bereits sechzig Jahre bei den Huronen gelebt hätte und deren Sprache beherrschte  ; diese Quellenausweisung verlieh dem Bericht ein gewisses Maß an Authentizität und damit Glaubwürdigkeit. Zum andern ging Lafitaus Erkenntnisinteresse über das eines bloßen Reiseberichterstatters weit hinaus, denn er dachte über die Zeiten und die Kulturen hinweg in Zusammenhängen und war in der Lage, das kulturhistorische Potenzial der Fakten auszuschöpfen, die er vor Ort in Erfahrung bringen konnte. Die Perspektive, die er auf die Kultur der amerikanischen Ureinwohner hatte, war dem Blick in die europäische Antike vergleichbar  : Beide Kulturen waren für ihn gewissermaßen Vorstufen der eigenen Gesellschaft.45 Dabei praktizierte Lafitau eine frühe Form der kritischen Auseinandersetzung mit dem Ethnozentrismus der Europäer seiner Zeit. Zwar war auch sein Blick der von einer höheren Warte herab, doch das Bild, das er von den „Barbaren“ in den französischen Kolonien Nordamerikas zeichnete, war differenziert und ließ ein Bewusstsein für die Dynamik kultureller Entwicklungsprozesse erkennen. Charakteristisch – wenn nicht einzigartig für seine Epoche – waren seine Überlegungen zur Genese der Religionen. Allein, dass hier im frühen 18. Jahrhundert ein christlicher Missionar inmitten der Auseinandersetzungen zwischen der eingeborenen Bevölkerung und den 44 W. Schmied-Kowarzik  : Kohl, Karl-Heinz  : Entzauberter Blick, S. 159. 45 „Nicht weniger habe ich auch die Nachrichten gelesen, die von diversen Schriftstellern zu verschiedenen Zeiten, und insbesondere von denjenigen Missionaren bekannt gemacht wurden, die durch ihre Sendbotentätigkeit [par leurs travaux Apostoliques] diese Missionen eingeweiht haben […]. Ich begnügte mich nicht nur damit, die Gemütsbeschaffenheiten der Wilden [caractere (sic  !) des Sauvages] kennen zu lernen, und mich von ihren Gewohnheiten und Gebräuchen zu unterrichten, sondern ich war insbesondere bestrebt, darin auf Fußstapfen aus dem entfernten Altertum zu treffen  ; daher bin ich diejenigen unter den ältesten Schriftstellern, die über die Sitten, Gesetze und Gebräuche der ihnen einigermaßen bekannten Völker geschrieben haben, sorgfältig durchgegangen  : zwischen beiderlei Sitten habe ich einen Vergleich angestellt. Und ich versichere, dass, wie die alten Schriftsteller es mir erleichtert haben, einige glückliche Mutmaßungen über die Wilden zu wagen, so sind mir auch die Gewohnheiten der Wilden dabei dienlich gewesen, vieles, was die Alten in ihren Schriften anführen, desto leichter zu verstehen und manche Stelle deutlicher zu erörtern.“ OT.: J.  F.  Lafitau  : Mœurs des sauvages ameriquains […], pp. 3–4. – Der hier zitierte Text folgt der deutschen Ausgabe u. d. T. „Algemeine [sic  !] Geschichte der Länder und Völker von America“, Halle 1752, bei der es sich um eine Übersetzung von Lafitaus Text handelt, S. 2 (Bearb. HK).

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Heeren der Kolonialmächte den Ureinwohnern überhaupt konzedierte, selbst eine Religion zu besitzen, bewies ein selbst für einen Aufklärer hohes Maß an religiöser Toleranz.46 Dass er darüber hinaus Parallelen zwischen dem Christentum und der Naturreligion der eingeborenen Bevölkerung erfasste und beide miteinander ganz sachlich verglich, macht Lafitau zu einem wichtigen Vorläufer der Religionsphilosophie und -soziologie.47 Damit lieferte er den europäischen Lesern nicht nur ethnologische Informationen, sondern er konfrontierte sie auch mit einer neuen Blickrichtung, einem Perspektivenwechsel, und das kann diesen nicht verborgen geblieben sein. Lafitaus Einfluss insbesondere auf Fergusons Denken ist jedenfalls deutlich erkennbar. Allerdings war Lafitaus komparativer Ansatz nicht frei von Problemen. Denn so erhellend die Ergebnisse waren, die aus dem Vergleich der Kulturen der nordamerikanischen Eingeborenen mit derjenigen der griechischen Antike gewonnen werden konnten, so sehr drängt sich doch das Bestreben in den Vordergrund, die Parallelen zwischen der frühen (griechischen) und der fremden (amerikanischen) Kultur durchgehend nachzuweisen und ihre Besonderheiten in eine Art Übereinstimmung zu bringen, auch auf Kosten der gebotenen wissenschaftlichen Distanz.48 Äußerst wertvoll für die Leserschaft in der Alten Welt waren, neben den Schilderungen der Lebensweise der indigenen Bevölkerung, allerdings die Nachrichten von der gesellschaftlichen Organisation der Völker auf diesem fremden Kontinent. Vor allem das ausführliche Kapitel über die politischen Gegebenheiten,49 die Rechtsverhältnisse, die Religion und die Lebensgewohnheiten 46 „Diejenigen Völker, die man Barbaren nennt, haben also nicht nur eine Religion, sondern eben diese Religion hat auch mit der in den ersten Zeiten […] eine solche Ähnlichkeit, dass man daraus gar bald annehmen wird, dass sie beiderseits die gleichen Grundsätze und die gleiche Anlage haben.“ OT.: J. F. Lafitau  : Mœurs des sauvages ameriquains […], p. 7. – Zitiert nach der dt. Ausgabe von 1752 (siehe vorherige Anm.), S. 4 (Bearb. HK). 47 „Überdies findet sich in dieser Religion des ersten Heidentums eine so große Ähnlichkeit mit verschiedenen Glaubenspunkten, die unsere Religion lehrt und die eine Offenbarung voraussetzen  ; man trifft darin eine solche Gleichförmigkeit des Gottesdienstes mit demjenigen an, der in der wahren Religion ausgeübt wird, daß es scheint, als es sei beinahe alles Wesentliche aus einem gemeinsamen Vorrat hergeholt worden.“ OT.: J.  F.  Lafitau  : Mœurs des sauvages ameriquains […], p. 9. – Zitiert nach der dt. Ausgabe von 1752 (siehe vorherige Anm.), S. 5 (Bearb. HK). 48 „In der Beschreibung der amerikanischen Sitten ist der Vergleich mit den Alten beständig durchgehalten worden, indem sich nicht ein einziger Zug dieser Sitten findet, für den sich nicht ein Beispiel aus dem Altertum anführen ließe. […] Meine Absicht ist es aber auch nicht, all die barbarischen Völker einzeln zu behandeln und ein jedes von ihnen mit einer bekannten Nation des Altertums zu vergleichen. Denn welche wahrscheinlichen Mutmaßungen man über einige von ihnen auch anstellen könnte – wie ich das am Beispiel der Irokesen und Huronen tatsächlich getan habe –, so scheint mir doch diese Kenntnis gar nicht notwendig zu sein. Es ist genug, wenn man bei der gesamten Übersicht über die amerikanischen Sitten eine so große Ähnlichkeit mit den Sitten der ersten Völker zeigt, dass sich daraus der Schluss ziehen lässt, sie seien alle einem Stamm entsprossen.“ OT.: J. F. Lafitau  : Mœurs des sauvages ameriquains […], pp. 17–18. – Zitiert nach der dt. Ausgabe von 1752 (siehe vorherige Anm.), S. 10 (Bearb. HK). 49 J.  F.  Lafitau  : Mœurs des sauvages ameriquains […]  ; tome premier  : « IV. De la Religion », « V. Du Gouvernement Politique », « VI. Des Mariages & de l’Education » – tome second  : « I. Occcupations [sic  !] des hommes

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insgesamt war sehr geeignet, die Gewissheiten selbst der fortschrittlicheren Europäer zu relativieren. „Wahrheiten“ schrumpften dadurch nicht selten auf den Status bloßer „Überzeugungen“. Deutlich sind die thematischen Parallelen sowie die Ähnlichkeiten im Aufbau zwischen Lafitaus Werk und insbesondere Fergusons Essay und Millars Origin, nämlich das Zusammenfließen von politischen, rechtlichen, soziologischen und ethnologischen Betrachtungen zu einer integralen Untersuchung der Gesellschaft. Die heutige Perspektive ist die, dass die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts der empirischen Untersuchung der Gesellschaft einen Schub verliehen habe, indem sie überliefertes Material (aus der Antike) durch quasi-authentisches (etwa aus den Kolonien) ersetzte. Doch wenn diese Reiseberichte auch nicht Fiktion waren, sondern auf dem Erleben ihrer Verfasser beruhten, so war ihr eigentlicher Zweck doch oftmals eher ein allgemeinbildend unterhaltender denn ein wissenschaftlich analytischer. So verfolgte Lafitau seinen Plan des Kulturenvergleichs von europäischer Antike und amerikanischer Eingeborenengesellschaft  ; Charlevoix richtete sein Augenmerk auf eine Darstellung dieser Eingeborenenkultur im Rahmen einer Chronologie des Kolonisationsprozesses, während der im 18. Jahrhundert viel gelesene, mittlerweile jedoch nahezu vergessene Lahontan (auch  : La Hontan) diesen Kolonisationsprozess und vor allem dessen militärische Begleitumstände in ein kritisches Licht rückte.50 Rekapituliert man die Dynamik, die diese Reiseberichte für den Diskurs einer s­cience of man in Gang setzten, so zeigt sich ihre Bedeutung in doppelter Hinsicht. Zum einen beförderten sie eine Entwicklung, die anthropologische Befunde nicht länger aus spekulativen Vorannahmen, religiöser Offenbarung oder der Rezeption antiker Überlieferungen zu gewinnen suchte, sondern stattdessen auf die Nachvollziehbarkeit durch Anschauung (mit der Option ständiger Revision angesichts neuer Beobachtungen) setzte.51 Die Wissenschaft vom Menschen fand so zu einer zeitgemäßen Form. Durch die Darstellung etwa des Übergangs von einer Daseins- oder Wirtschaftsform in eine andere, der Entwicklung von einer Herrschaftsstruktur aus einer vorhergehenden, entstand Nachvollziehbarkeit. Die statische „Natur des Menschen“ wurde zum Prozess einer Geschichte der menschlichen Gattung dynamisiert, die in dem neuen Begriff der „Naturgeschichte“ ihren Ausdruck fand. So heißt es in Millars Origin programmatisch  : „Die folgende Untersuchung möchte unter mehreren wichtigen Gesichtspunkten die Naturgeschichte der Menschheit darstellen [is intended to illustrate the natural history of mankind].“52 Die Bedeutung der Reiseberichte als Quellen für die Arbeiten der schottischen Denker war allerdings unterschiedlich. Während Hume seine Analyse der menschlichen Natur als erkenntnistheoretische Untersuchung anlegt und dadurch innerhalb der Schottischen dans le Village », « II. Occupations des femmes », « III. De la Guerre », « IV. Des Ambassades & du Commerce » […], « IX. De la Langue ». 50 K.-H.  Kohl  : Entzauberter Blick, S. 61, nennt Lahontan „einen der radikalsten Denker der frühen französischen Aufklärung“. 51 Siehe hierzu ausführlicher A. Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 181. 52 J.  Millar  : Ursprung, S. 56. – OT.: ders.: Origin, p. 89 (Hervorh. HK).

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Aufklärung eine Sonderstellung einnimmt, greifen seine Nachfolger immer stärker auf empirisches Material (im oben genannten Sinn) zurück, wobei das aufkommende Genre der Reiseberichte bereits annähernd dieselbe Rolle wie das gebräuchliche Verweisen auf die antiken Texte übernimmt. Meyer charakterisiert diesen Sachverhalt als „Variantenreichtum der Studien zum Menschen“.53 Ferguson verweist in seinem Essay an sieben Stellen auf Lafitau und an dreizehn auf Charlevoix  ; Millar beruft sich in seinem Origin, dessen Analyse der gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsstrukturen als Endpunkt der skizzierten Entwicklung eines Prozesses der thematischen Neuausrichtung innerhalb der Schottischen Aufklärung angesehen werden kann, ebenfalls an mehreren Stellen auf diese beiden Gewährsleute, also auf die Verwendung von „Zeugnissen“ im oben erwähnten Sinn Fergusons. Fraglos führten die Reiseberichte des 17. und 18. Jahrhunderts zu einer Verbreiterung der empirischen Basis für die entstehenden Gesellschaftswissenschaften der Aufklärungszeit. In der Art des Gebrauchs, der von diesen Texten gemacht wurde, spiegelt sich allerdings ein methodisches Problem wider, das zu dieser Zeit erst unzureichend reflektiert war und auf die bereits angesprochene Thematik der Präsuppositionen zurückverweist.54 Natürlich war zu fragen, von wem und mit welcher Intention die Berichte verfasst worden waren. Aber nicht minder wichtig ist natürlich die Überlegung, von wem, mit welcher Intention und wozu sie herangezogen wurden. Dass sie eben das belegen, was sie belegen sollen, ist durchaus nicht nur der Zweck, sondern auch das Problem wohl der allermeisten Zitate in der Literatur. Sehr viel mehr, als dass sie eine Grundlage für Faktizität gewesen wäre, war die empirische Basis der science of man offenkundig eine solche für den Commonsense innerhalb des jeweiligen „Denkkollektivs“. Am Beispiel der Verwendung von Reiseberichten wird somit deutlich, wie sehr gerade eine Wissenschaft von der Gesellschaft der Klarheit über den eigenen Standpunkt bedurft hätte. Ein wissenschaftstheoretisches Problem lag, wie Bitterli meint, darin, dass „die Qualität eines Forschungsergebnisses durch die Unbestechlichkeit des Betrachters und das kritische Verfahren des die Informationen sammelnden und vergleichenden Gelehrten allein nicht […] gewährleistet werden“ konnte. Reiseberichte waren subjektiv, und nicht weniger spiegelten sich in ihnen die Vorannahmen derer, die sie verwendeten. Nimmt man das fortgeschrittene Methodenbewusstsein der Zeit allgemein in den Blick, so mag die Annahme zwar nahe liegen, es habe „zu den großen Leistungen der Aufklärungsepoche [gehört], diesen Tatbestand klar erkannt zu haben.“55 Anhaltspunkte dafür, dass dies auch für die Texte der schottischen Denker gegolten haben könnte, lassen sich jedoch kaum finden. Im Gegenteil trifft man mitunter auf Beispiele eines geradezu frappierenden Mangels an der Bereitschaft, die eigene überkommene Weltsicht zu relativieren. Sogar Hume, der sich zurecht viel auf seine Fähigkeit zugutehielt, auch Selbstverständliches 53 A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 189. 54 Siehe den Abschnitt 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen ­Vorausgesetzte“). 55 U.  Bitterli  : Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“, S. 317.

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von Grund auf neu zu denken, konnte es für angebracht halten, im Zug einer Neuausgabe einem seiner Essays eine Ergänzung anzufügen, die einer fast schon überwunden geglaubten Weltsicht das Wort redete.56 8.1.3 Folgerungen für den Zivilisationsbegriff

Zurecht wird immer wieder darauf hingewiesen, dass das, was unter dem Begriff Schottische Aufklärung zusammengefasst wird, in einer Vielzahl von Spielarten auftrat. Die sich formierende science of man betrachtet den Gegenstand ihrer Untersuchungen, eben den Menschen, aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Ausgangspunkte, von denen aus Hume, Smith, Ferguson und Millar sich dem in der Gesellschaft lebenden Menschen und den Antrieben, die ihn leiten, nähern, sind durchaus unterschiedlich. Das gilt in gleicher Weise für die Ergebnisse dieser Annäherungen. Diese sind geprägt von den jeweils eher erkenntnistheoretischen, politisch-ökonomischen oder soziologischen Fragestellungen der jeweiligen Verfasser. Die Moralphilosophie wird von ihnen aufgefächert, und dieser Vorgang des Auffächerns wird auch als Prozess interpretiert, nämlich als „markante Verschiebung von der ‚Science of Man‘ zur ‚Natural History of Mankind‘“,57 bei dem die anthropologische Annäherung an den Untersuchungsgegenstand sich mehr und mehr von axiomatischen Vorannahmen hin zur Anschauung verschiebt. Sowohl die Blicke in die Antike als auch die Rezeption der Berichte, die von Reisenden und Missionaren veröffentlicht wurden, boten Vergleichsmöglichkeiten mit der eigenen Kultur des Zusammenlebens und sollten im Sinn zusätzlicher Perspektiven verallgemeinerbare Erkenntnisse über die Natur des Menschen liefern. Der zivilisierte Mensch des 18. Jahrhunderts las aus dem Vergleich mit den „Wilden“ beziehungsweise mit den Menschen des Altertums nicht nur seinen eigenen Entwicklungsstatus ab, sondern er konnte seiner eigenen Lebensweise gegenüber eine Außenperspektive einnehmen, die ihn zur Schlussfolgerung eines gesellschaftlichen Fortschritts führte. Das ist soweit nicht nur schlüssig, sondern auch naheliegend.

56 Den erstmals 1748 veröffentlichten Essay Of National Characters ergänzte Hume für die Ausgabe von 1753/54 mit dem Satz  : „Ich hege den Verdacht, daß die Neger und allgemein alle anderen Menschenrassen (denn es gibt vier oder fünf verschiedene Arten) den Weißen von Natur aus unterlegen sind. Es gab noch nie eine zivilisierte Nation von anderer Hautfarbe als der weißen oder auch einen einzelnen von Bedeutung in Tat oder Spekulation. Keine erfindungsreichen Manufakturen bei ihnen, keine Künste, keine Wissenschaften. Andererseits haben die gewöhnlichsten und barbarischsten Weißen, wie z. B. die Germanen, in der Antike und die Tataren heute immer noch etwas Bedeutendes in ihrer Tapferkeit, ihrer Regierungsform oder einer anderen Einzelheit an sich. Ein so gleichartiger und konstanter Unterschied könnte nicht in so vielen Ländern und Jahrhunderten auftreten, wenn die Natur nicht einen ursprünglichen Unterschied zwischen diesen Menschenrassen gemacht hätte. Ganz zu schweigen von unseren Kolonien, sind Negersklaven in ganz Europa verstreut, von denen keiner jemals Anzeichen der Erfindungsgabe gezeigt hat, obwohl niederes Volk unter uns aufsteigt und sich in jedem Beruf auszeichnet.“ D. Hume  : Essays (B.), Bd. 1, S. 165. 57 A.  Meyer  : Von der Wahrheit zur Wahrscheinlichkeit, S. 189.

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Keineswegs weniger naheliegend wäre es allerdings gewesen, einen weiteren Perspektivwechsel vorzunehmen und in diesen die unteren, besitzlosen und nicht im Entferntesten an den politischen Entscheidungen im Staat beteiligten Schichten der eigenen Gesellschaft mit einzubeziehen. Diese Bevölkerungsteile – durchaus Menschen mit einer „menschlichen Natur“ – waren weder Gegenstand der Betrachtung noch des Interesses der aufgeklärten Denker. In deren Schriften wird ihnen, wenn sie darin überhaupt Erwähnung finden, der Status einer bloßen Gegebenheit zugewiesen. Der Staat der schottischen Denker ist einer ohne Volk. Das allerdings ist ein zeittypisches Merkmal der moral philosophy jener Zeit, und dieses mit heutigen Maßstäben zu bewerten, würde zu nicht mehr als einer leeren Bekundung führen und keine nennenswerten Ergebnisse zutage fördern. Es ist offensichtlich, dass die „soziale Frage“ noch keine war, die das 18. Jahrhundert wirklich intensiv beschäftigt hätte. Folglich wurde nur in äußerst geringem Umfang versucht, aus der Anschauung der Lebensweise und der Lebensumstände des übergroßen Teils der unteren Schichten überhaupt Erkenntnisse zu gewinnen. Man schrieb über Politik, blickte dabei jedoch am größten Teil dessen vorbei, was ihr eigentlicher Gegenstand ist, nämlich die ganze Gesellschaft – also unter Einbeziehung ihres übergroßen Unterschichtsanteils. Man übersah diesen Bevölkerungsteil einfach und klammerte ihn aus den Überlegungen zur Natur des Menschen weitgehend und wie selbstverständlich aus, als handelte es sich bei den labouring poor (Smith) um eine eigene Spezies. Dies konnte mitunter zu Feststellungen führen, die aus heutiger Sicht befremdlich wirken und in denen sich, wie etwa bei Smith, auf eine seltsame Weise sachliches Interesse mit einem Mangel an Empathie zu frappierender mitmenschlicher Distanziertheit verband  : „Jedes Lebewesen vermehrt sich natürlich nur in Einklang mit den Mitteln, die zu seiner Existenz notwendig sind, keines kann diese Grenze jemals überschreiten. In einer zivilisierten Gesellschaft kann indes die Knappheit an Lebensmitteln nur in den unteren Schichten Schranken setzen, wenn die Spezies Mensch sich weiter vermehren will. Das geschieht ausschließlich auf die Weise, daß die meisten der in diesen fruchtbaren Ehen geborenen Kinder sterben.“58

Abgesehen davon stellt sich nun die Frage, welche Art von Erkenntnissen durch die Gegenüberstellung der als rude, barbarous und uncivilized bewerteten indigenen Kulturen der neuen Welt mit der als hoch entwickelt betrachteten polished oder civilized society im Großbritannien des 18. Jahrhunderts gewonnen werden sollte. Je nach Vorverständnis der Autoren waren hier unterschiedliche Sichtweisen möglich. Gemeinsam war ihnen, dass in ihren Schriften den Überlieferungen aus der Antike weitgehend die Funktion einer Bestätigung stillschweigender Vorannahmen zukommt, während das den Reiseberichten Entnommene in höherem Maß selbst zu einem Ausgangspunkt neuer Überlegungen wird. Das gemeinsame Einladende an beiden Quellentypen war die Möglichkeit des Vergleichs, der Gegenüberstellung, wobei von der Warte der zeitgenössischen 58 A.  Smith  : Wohlstand, S. 69.

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Gesellschaft aus sowohl die Gemeinwesen der Antike als auch die indigenen Kulturen in den Kolonien als defizitär angesehen wurden. Daran allerdings, wie diese Defizite beschrieben und bewertet wurden, sowie, welche Schlussfolgerungen sich daraus ergaben, schieden sich mitunter die Geister. Zwischen den schottischen Denkern treten bei dem, was unter „Zivilisation“ verstanden wird, durchaus deutliche Unterschiede zutage, auf die einzugehen sich lohnt. 8.1.3.1 David Hume  : Zivilisation und Regulation

Hume etwa handhabt die Gegenüberstellung von zivilisiert/kultiviert und unzivilisiert/ barbarisch ohne begriffliche Tiefe und im Sinn eines geradezu platten Antagonismus, wenn er in den Principles of Morals pauschalierend die „große Überlegenheit der zivilisierten [civilized] Europäer über die barbarischen [barbarous] Indianer“ ins Feld führt.59 Was auf den ersten Blick aussieht wie eine einfache Feststellung, zeigt sich bei näherer Betrachtung als die stillschweigende Annahme einer Kausalität, die nahelegt, die Europäer seien überlegen, eben weil sie zivilisiert und diese „Indianer“ es nicht sind. Worin die Überlegenheit besteht und auf welchen Gebieten sie vermutet wird, findet sich dabei nicht näher erläutert. Allerdings ist Humes Urteil in dieser Frage für die Schottische Aufklärung nicht repräsentativ. Zumindest zeigen sich differenziertere Aussagen zur Gegenüberstellung von „Wilden“ und „Zivilisierten“ bei jenen, die sich gezielter als er mit Überlegungen zur Entwicklung der – insbesondere „bürgerlichen [civil]“ – Gesellschaft, befassten. Für Humes Begriffsverständnis ist es charakteristisch, dass bei ihm sehr deutlich die Verknüpfung von Zivilisiertheit und der Einhaltung von Regeln im Vordergrund steht. Man begegnet dieser Verknüpfung in den Principles of Morals an mehreren Stellen, und die Aussage ist dabei stets dieselbe. Einmal geht es um die Anerkennung von „Kriegsgesetzen“,60 ein anderes Mal wird im konventionell geregelten Umgang mit Kriegsgefangenen ein Kennzeichen einer zivilisierten Nation ausgemacht,61 und unzweifelhaft erscheint die Fähigkeit zur Affektkontrolle als eine notwendige Voraussetzung von Zivilisation.62 Zivilisiert ist für Hume – und im übrigen später auch für Millar63 – ein Volk dann, wenn es 59 D.  Hume  : Moral (K.), S. 26. – OT.: ders.: Morals, p. 18. 60 D.  Hume  : Moral (K.), S. 22  : „Und wenn eine zivilisierte Nation mit Barbaren [barbarians] Krieg führt, die auch im Krieg keinen Regeln folgen, dann muß auch die erstere aufhören, diese Regeln zu beachten, da sie keinem Ziel mehr dienen […].“ – OT.: ders.: Morals, p. 16. 61 Ebd., S. 84  : „Ein Kriegsgefangener wird in allen zivilisierten Ländern mit Rücksicht auf seine Verhältnisse behandelt […].“ 62 Ebd., S. 113 (Fn.)  : „Es scheint sicher, und zwar sowohl aus Vernunftgründen wie auch aus Erfahrung, daß ein roher, unkultivierter Wilder seine Liebe und seinen Haß hauptsächlich durch Ideen von privatem Nutzen und Schaden reguliert und nur schwache Vorstellungen von einer allgemeinen Regel oder einem System von Verhaltensweisen besitzt [has but faint conceptions of a general rule or system of behaviour].“ – OT.: ders.: Morals, p. 76, n. 57. 63 J.  Millar  : Ursprung, S. 113  : „Je zivilisierter die Menschen, desto eher begreifen sie die Vorteile, die die Existenz einer regelrechten Regierungsgewalt in sich birgt.“

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sich Regeln gibt und diesen unterwirft. Er war dieser Ansicht treu geblieben, denn bereits im Treatise hatte er ausgeführt  : „Zahlreiche [numerous – gemeint  : bevölkerungsreiche] und zivilisierte Gesellschaften können nicht ohne Regierung bestehen, und eine Regierung ist nutzlos ohne strikten Gehorsam.“64 Und deshalb kennzeichne einen „Menschen im Zustand der Zivilisation, [dass er] unter einer bestimmten Disziplin und Erziehung groß geworden“ sei.65 Für Hume ist die Verbindung von Zivilisation mit institutionalisierten Regulativen eine Tatsache, die er wie selbstverständlich feststellt. Den folgerichtigen nächsten Schritt unternimmt er nicht  : nämlich die Überlegung, dass solchen Regulativen ein Prozessgeschehen ihrer Entstehung vorausgegangen sein könnte oder auch eine Korrelation derart bestehe, dass mit der „Höherentwicklung“ der Zivilisation ein Anwachsen und eine Verfeinerung des Apparats gesellschaftlicher Regularien und Kontrollmechanismen parallel läuft. Für Hume war eine zivilisierte Gesellschaft gleichbedeutend mit einer Gesellschaft von Weißen. Am deutlichsten bringt er dies in seinem Essay Of National Characters („Über nationale Charaktere)66 zum Ausdruck, wo er in einer Fußnote die Feststellung trifft  : „Ich hege den Verdacht, daß die Neger und allgemein alle anderen Menschenrassen […] den Weißen von Natur aus unterlegen sind. Es gab noch nie eine zivilisierte Nation von anderer Hautfarbe als der weißen oder auch einen einzelnen [Menschen] von Bedeutung in Tat oder Spekulation.“67 Das ist eine Feststellung, die nicht nur unverhohlen einen polygenetischen Rassismus zum Ausdruck bringt, sondern gleichzeitig ein Licht darauf wirft, wie sehr trotz aller Bekenntnisse zu einer empirischen Vorgehensweise die Argumentation gerade Humes von reinen Vorannahmen ausgehen konnte. Hume war nicht nur ein subtiler, sondern eben auch ein elitärer Denker, der sich von der verbreiteten Weltsicht der Oberschicht, der er entstammte, nicht selten stärker leiten ließ als von eingehenden Beobachtungen. Insbesondere Schwarze als Menschen minderer Ordnung anzusehen, war zwar ein verbreiteter, jedoch unter aufgeklärten Zeitgenossen keineswegs von allen unwidersprochen hingenommener Standpunkt. Hume verrät damit eine Gesinnung, die über die üblichen Absichten eines politisch Konservativen weit hinausgeht  ; sie ist insofern reaktionär, als sie es auf die Zementierung von sozialen Hierarchien abgesehen hat, die von der Mehrzahl der übrigen schottischen Denker seiner Zeit, wenn nicht zu überwinden, so doch in ihrer Entstehung und in ihrem Wesen zumindest zu verstehen versucht wurden.68 Hume ignorierte, ja negierte offensichtlich in dieser Frage 64 D.  Hume  : Traktat, II, S. 306 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Treatise, 3.2.10.|1. 65 D.  Hume  : Traktat, II, S. 222. 66 D. Hume  : Of National Characters. In  : ders.: Essays (M.), pp. 197–215. – Dt. Fassung  : ders.: Essays (B.), Bd. 1, S. 154–173. 67 D.  Hume  : Essays (B.), Bd. 1, S. 165 (Fn.). 68 Siehe hierzu die sorgfältige textkritische Analyse der genannten Fußnote im Essay Of National Characters von J. Immerwahr  : Hume’s Revised Racism, pp. 481–486. Immerwahr macht deutlich, dass es sich bei Humes Aussage – die dieser im Übrigen in späteren Ausgaben abschwächte, ohne sie wirklich zurückzunehmen – keineswegs um eine Nachlässigkeit gehandelt hat, sondern dass sein „Rassismus absichtlich und be-

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den aktuellen Stand der Erkenntnis.69 Dies sollte ihn andererseits nicht daran hindern, mit Bezug auf Sueton, Plutarch, Ovid und andere gegen die häusliche Sklaverei in der Antike Stellung zu beziehen.70 8.1.3.2 Adam Ferguson  : Zivilisation und Fähigkeiten

Bei Ferguson lässt sich in den Principles der Ansatz erkennen, den Vergleich der unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungsstufen im Sinn einer Möglichkeit zur distanzierten Bewertung der eigenen Gesellschaft zu unternehmen. Es geht ihm darum, auf diese Weise differenziertere Erkenntnisse als nur eine Affirmation der eigenen Zivilisation und ihrer sozialen Hierarchien zu gewinnen  : „Der Wilde, der alle die verschiedenen Arbeiten des menschlichen Lebens, so gut er kann, für sich selbst verrichtet, steht freilich dem durch Wissenschaft gebildeten Künstler unendlich nach  ; aber er erhebt sich vielleicht ebenso sehr über den bloßen Handarbeiter, der nichts weiter als ein Werkzeug in der Hand des Künstlers oder Meisters ist. Es gibt, in den früheren Zeitaltern des menschlichen Geschlechts, eine Kunst, zu der jeder Einzelne von Jugend auf angezogen wird, und deren Ausübung er nicht ohne die größte Gefahr jemals aufgeben kann – den geprüften Scharfblick [that of penetration and sagacity, im Sinn von  : Durchdringung und Verstandesschärfe] in Ansehung des Freundes, mit dem er gemeine Sache zu machen, oder des Feindes, vor dem er sich zu hüten hat. [… Es] würde von Unwissenheit zeugen, wenn wir, bei der gegenwärtigen Aufzählung der durch die Künste des Handels zur erhaltenden Vorteile, den vergleichsweisen Wert der Menschen einzig und allein nach dieser Rücksicht bestimmen wollten.“71

Ferguson unterscheidet also zwischen gewissermaßen ursprünglichen Fähigkeiten des Menschen und solchen, die dieser im Zug der Entwicklung der Gesellschaft erworben hat. Diese Unterscheidung ist eine zwischen den unmittelbar nützlichen Fähigkeiten und den in der (oder für die) Gesellschaft nützlichen, die er durchaus beide als auf ihre Weise wertvoll anerkennt. In diesem Zusammenhang wird auch die menschliche Arbeit zu einem Bezugspunkt. 8.1.3.3 Adam Smith  : Zivilisation und Wohlstand

Ein weiteres Beispiel für die unterschiedliche Verwendung des Zivilisationsbegriffs durch die schottischen Denker liefert Smith in der Theory  : „Unter zivilisierten Nationen [civilized nations] werden diejenigen Tugenden, die sich auf die Menschlichkeit gründen, mehr gepflegt als jene, die sich auf Selbstverleugnung und Beherrschung der Affekte dacht [deliberate and considered] war“ (ebd., p. 485). – Siehe hierzu ferner die Untersuchung von E. C. Eze  : Hume, Race, and Human Nature. 69 Siehe ergänzend hierzu den Abschnitt 10.1.1 („‘Experimental Method’“). 70 D. Hume  : Of the Populousness of Ancient Nations. In  : ders.: Essays (M.), hier besonders ab p. 384. 71 A.  Ferguson  : Gründe, S. 419. – OT.: ders.: Principles, I, p. 251 (historische Schreibweise korrigiert).

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gründen.“72 Anders als Hume verbindet er also Kontrolle – hier im Sinn von Selbst- und Affektkontrolle sowie von Selbstdisziplin – ausdrücklich nicht mit einer zivilisierten, sondern vielmehr mit einer barbarischen Gesellschaft.73 Allerdings stehen diese seine wörtlichen Aussagen im Widerspruch zur eigentlichen Intention des Werks  : So ist die Theory ja eine sehr umfassende Untersuchung gerade jener Kontrollmechanismen, mit denen der „zivilisierte“ Mensch zu Bewertungen des Verhaltens seiner selbst und anderer sowie zur Leitung seines eigenen Handelns gelangt. Der gesamte Abschnitt, in dem das Modell des unparteiischen Beobachters dargelegt wird, ist in diesem Sinn aufzufassen.74 Dass Smith hingegen bei der Gegenüberstellung von zivilisierter und „primitiver“ Gesellschaft den Begriff der Arbeit und speziell der Arbeitsteilung mit Blick auf deren Funktion ins Spiel bringt – die Konnotation eines Zustands der Zivilisation mit der Arbeitsteilung ist für ihn selbstverständlich75 –, verbindet ihn mit Ferguson.76 Im Wealth of Nations zeigen sich allerdings auch die Schattenseiten der zivilisierten, eben arbeitsteiligen Gesellschaft, nämlich die Abstumpfung des Geistes als Folge der immer gleichen Arbeitsroutinen. Hierin erkennt Smith die Gefahr der „entwickelten und zivilisierten Gesellschaft [improved and civilized society]”, wenngleich nicht ihr Schicksal  : Es liege am Eingreifen des Staats, diese Folgen abzuwehren.77 Somit bleibt eine zivilisierte Gesellschaft für Smith etwas Erstrebenswertes  ; er begrüßt sie, aber er begrüßt sie nicht vorbehaltlos. Seine Haltung in diesem Punkt ist gespalten  : In der Arbeitsteilung erkennt er einerseits den Hauptantrieb für die gesellschaftliche Höherentwicklung, die für ihn mit der wirtschaftlichen parallel läuft. Dadurch betreibt er eine semantische Annäherung, die eine arbeitsteilige Gesellschaft mit einer zivilisierten ebenso wie mit einer reichen in eins setzt. Andererseits weist er bereits in seinen Lectures auf die Problematik hin, dass „zivilisiert“ keineswegs auch „gerecht“ bedeuten müsse. Zwar behebe die Arbeitsteilung den Mangel an Gütern und schaffe dadurch Wohlstand,

72 A.  Smith  : Theorie, S. 332. – OT.: ders.: Theory, pp. 204–205, V.2.8. – Ähnlich äußert sich Smith, Theorie, auch auf S. 335. 73 A.  Smith  : Theorie, S. 336  : „[…] in gleicher Weise gestatten die Regeln des Anstandes unter zivilisierten Völkern ein lebhafteres Benehmen, als es unter Barbaren [barbarians] gutgeheißen wird.“ – OT.: ders.: Theory, p. 207, V.2.10.  – Theorie, ebd., S. 337  : „So groß ist der Unterschied zwischen dem Grad von Selbstbeherrschung [self-command], wie er bei einem zivilisierten und jenem, wie er bei einem barbarischen Volke gefordert wird [which are required in civilized and in barbarous nations], und so verschieden sind die Maßstäbe, nach welchen sie die Schicklichkeit des Betragens beurteilen.“ – OT.: ders.: Theory, p. 208, V.2.10 – Theorie, ebd., S. 340  : „Abhärtung der Gefühle ist derjenige Charakterzug, der den Verhältnissen eines Wilden am meisten angemessen ist  ; Empfindsamkeit ist am passendsten für denjenigen, der in einer sehr hoch zivilisierten Gesellschaft lebt.“ 74 Siehe den Abschnitt 11.2.2 („Die Denkfigur des ‚unparteiischen Beobachters‘“). 75 A.  Smith  : Lectures J, p. 489  : “In an uncivilized nation, and where labour is undivided […].” 76 A.  Smith  : Wohlstand, S. 10  : „Was in einem primitiven Volk ein einzelner an Arbeit leistet, verrichten in einer zivilisierten Gesellschaft zumeist mehrere.“ – Vgl. dazu  : A. Ferguson  : Principles, I, p. 251. 77 A.  Smith  : Wohlstand, S. 662 f. – OT.: ders.: Wealth, p. 782, V.i.f|50.

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doch dessen gleichmäßige Verteilung im Sinn einer Meritokratie bewirke sie deshalb nicht zwangsläufig, ja es sei eher das Gegenteil der Fall  : „Es ist die Arbeitsteilung, die den Reichtum [opulence] eines Landes vermehrt. In einer zivilisierten Gesellschaft gibt es, obwohl eine Arbeitsteilung vorhanden ist, keine gleichmäßige Teilung, denn es gibt viele, die überhaupt nicht arbeiten. Die Teilung des Reichtums erfolgt nicht entsprechend der Arbeit. […] So hat jener, der sozusagen die Last der Gesellschaft trägt, am wenigsten Vorteile [Thus he who, as it were, bears the burthen of society has the fewest advantages].“78

Das wird konstatiert, doch der nun folgerichtige Schritt, nämlich der Übergang von der Ökonomie zur Politik, wird zunächst nicht vollzogen. Smith bleibt bei seinem Thema,79 und wenn wir bei unserem Thema, der Zuversicht, bleiben, so haben wir festzustellen, dass seine Zuversicht sich auf eine Zivilisation richtet, in der der Wohlstand vielleicht nicht als das wichtigste Ziel, aber als die Voraussetzung von allem anderen anerkannt wird, das zu wünschen ist. 8.1.3.4 John Millar  : Zivilisation und Anpassung

Von allen prominenten Autoren der Schottischen Aufklärung ist Millar derjenige, der dem Quellenwert der Reiseberichte und der historischen Überlieferungen die meiste Skepsis entgegenbringt.80 Dennoch beruft er sich häufig auf diese Texte, wobei sich sein Interesse nicht auf eine antagonistische Gegenüberstellung von „Wilden“ und „Zivilisierten“, also auf die Bestimmung der Zivilisationsstufe der gegenwärtigen Gesellschaft beschränkt. Zwar geht auch er von einem ursprünglichen Zustand aus, den er einem entwickelten gegenüberstellt, doch richtet er sein Augenmerk viel stärker auf den Prozess der zivilisatorischen Entwicklung, dem das Individuum ebenso wie die Gesellschaft ausgesetzt ist  : „Der kulturelle Fortschritt eines Volkes im bürgerlichen Leben führt in der Stellung der Einzelnen und in der gesamten Verfassung des Staatswesens vielfältige Wandlungen herbei.“81 Eine Konstante der Entwicklung ist dabei, dass der Zivilisationsfortschritt auf eine öko78 A.  Smith  : Vorlesungen (B.), S. 180. – OT.: ders.: Lectures J, pp. 489–490. – In der Literatur findet sich häufig die Praxis, Smiths Lectures so zu behandeln, als handele es sich dabei um in gleicher Weise authentische Veröffentlichungen wie bei der Theory oder beim Wealth of Nations. Dies missachtet Smiths eigene Absichten, die er zu diesem Material zum Ausdruck gebracht hat, als er alle unveröffentlichte Texte und Manuskripte kurz vor seinem Tod von J. Black und J. Hutton vernichten ließ. Darin liegt ein eindeutiges Statement, und darin liegt im Übrigen auch der Unterschied zu Fergusons Lehrbüchern, bei denen es sich um von diesem bearbeitete Editionen seiner Unterrichtsmaterialien handelt, die zudem zu seinen Lebzeiten viel beachtet und in mehrere Fremdsprachen übersetzt wurden. 79 Smith nämlich fährt – man möchte sagen  : ungerührt – fort  : “We shall next shew how this division of labour occasions a multiplication of the product […].” A. Smith  : Lectures J, p. 490. 80 Siehe S. 318. 81 J.  Millar  : Ursprung, S. 214 (Hervorh. HK).

Quellen zur Entwicklung der Zivilisation |

nomische Komponente zurückgeführt wird und in der Möglichkeit zur Ansammlung von Besitz seinen Ausdruck findet. Da Millar in einer kriegerischen Gesinnung „eine Begleiterscheinung der fortdauernd wirren Lebensumstände einer einfachen Gesellschaft“ ausmacht, ist es nur folgerichtig, wenn er daraus den Schluss zieht, dass „die Höherentwicklung des Lebens“, die er „Handwerk und Gewerbe“ zuschreibt, „zur Milderung der Härte im Menschen“ beitrage.82 Er sagt  : „Daß die Menschen im Naturzustand der Wildheit weitgehend keine Regierungsformen kennen noch auch sich irgendwelchen Zwang aufzuerlegen gewohnt sind, ist zur Genüge bewiesen, aber die in diesem Falle offenbare Ungebundenheit stammt aus ihren dürftigen Lebensumständen […].“ Daraus ergebe sich für den Einzelnen die Notwendigkeit zur Verhaltensanpassung im Sinn von Unterordnung unter von allen anerkannte Autoritäten  : „Als die Bewohner der Erde in jenen einfachen Epochen noch aus Hirten- oder Bauernstämmen bestanden, machte die bekannte Form der Eigentumsverteilung die große Mehrzahl des Volkes abhängig von einigen wenigen Fürsten, und Ehre bedeutet dann wesentlich Treue und Unterordnung […].“83 Millar war ein Schüler Smiths  ; er veröffentlichte seinen Origin im Jahr 1771, also lediglich vier Jahre nach Fergusons Essay, aber fünf Jahre vor Smiths Wealth of Nations. Das Werk lässt sich schon allein deshalb keineswegs als eine bewusste rückschauende Bestandsaufnahme der Überlegungen jener beiden Denker missverstehen. Es war vielmehr in seiner Verbindung von historischer und soziologischer Analyse – man kann auch sagen  : als eine sich auf die Geschichte stützende Untersuchung der sozialen Beziehungen beziehungsweise Hierarchien – etwas von Grund auf Selbstständiges, und zwar sowohl hinsichtlich der Methode als auch des Themenspektrums. Dennoch erscheint gerade Millar als derjenige, bei dem einige der unterschiedlichen Positionen der schottischen Moralphilosophie des 18. Jahrhunderts zusammenfließen  : – Er stellt – wie Hume – die Verbindung einerseits zwischen den Fortschritten der Zivilisation und andererseits einer zunehmenden Akzeptanz von Regeln her  ; – er weist – wie Smith und Ferguson – auf den Zusammenhang hin, der zwischen Zivilisation und Arbeit besteht  ; – er ist sich – wie Ferguson, wenngleich stärker als dieser – der Problematik des zweifelhaften Nutzens der zeitgenössischen Reiseberichte für Aussagen über die Gegenwartsgesellschaft bewusst, – und er teilt sowohl Smiths Zuversicht in die Entwicklungspotenziale freisetzende Bedeutung der Arbeit als auch Fergusons und Smiths Bedenken hinsichtlich der aus der Individualisierung der Gesellschaft sich ergebenden Anonymisierung und ihrer sozialen Folgen.84 82 Ebd., S. 215 (Hervorh. HK) 83 Ebd., S. 230. 84 Ebd., S. 264  : „Denn aus der einfachen Gesinnung eines Volkes, das kein Luxusleben kennt, dürfen Menschen, die völlig mittellos geworden sind, sich lindernde Fürsorge erhoffen von den gelegentlichen Gaben ihrer Nachbarn. Aber in einer kommerziellen und bevölkerungsreichen Nation, wo die meisten Menschen für ihre Existenz schwer arbeiten müssen, können viele Personen durch eine Reihe von Zufällen in Bedürf-

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8.2 Vom ‚Fortschritt‘ zur ‚Vervollkommnung‘

„Fortschritt“ ist ein Schlüsselwort. Wie kein zweiter steht dieser Begriff im Hinblick auf die Entwicklung der Gesellschaft für Zuversicht. Seine Verwendung ist der Indikator für eine günstige Zukunftserwartung. Allerdings gehen wir, wenn wir das feststellen, vom Sprachverständnis der Gegenwart aus, nicht von dem der schottischen Denker des 18. Jahrhunderts. In deren Werken ist, auffallend bei Vertretern der Aufklärung, selten von progress die Rede. Offenbar hat dieses Wort eine Bedeutungsgeschichte, die vorab eine nähere Betrachtung rechtfertigt. 8.2.1 Vorüberlegungen zur Semantik

Üblicherweise wird der Epoche der Aufklärung zwar eine Tendenz zum Fortschrittsglauben zugesprochen, doch ist hier eine differenzierende Bewertung angebracht. So ist Rousseaus kritische Sicht auf die Wirtschaftsgesellschaft nur ein Beispiel unter mehreren für die durchaus auch vorhandenen skeptischen Strömungen in dieser Zeit, und gerade sein Einfluss auf die schottischen Denker ist erwiesen.85 Wie deutlich schlägt auch skeptisches Denken – trotz all der Hoffnung, die sie in die Möglichkeiten künftiger Entwicklung setzen – sich in ihren Arbeiten nieder  ? Der Fortschrittsbegriff hat einen Bedeutungswandel durchgemacht. Worin zeigt er sich  ? Und lassen sich seine Bedeutungsverschiebungen nachverfolgen und erklären  ? Mit Johnson’s Dictionary 86 steht für das 18. Jahrhundert ein zeitgenössisches Bedeutungswörterbuch der englischen Sprache zur Verfügung, das zu dieser Thematik näheren Aufschluss geben und wegen seiner großen Ausführlichkeit als aussagekräftig für die hier behandelten Texte angesehen werden kann. Seine Konsultation bietet mehrere Vorteile  : Zum einen gibt es die Wortbedeutungen eben der Zeit wieder, in der die Hauptwerke der schottischen Autoren entstanden, zum andern lässt sich auf zeitlich weit auseinander liegende Auflagen zurückgreifen,87 anhand derer sich gegebenenfalls auftretende Bedeutungsverschiebungen nachzeichnen lassen. Zudem ist Samuel Johnson, wiewohl nicht Schotte, derselben Bildungsschicht zuzurechnen wie die schottischen Moralphilosophen. Von diesen, insbesondere von Smith, ist überliefert, dass sie mit dem besonderen Eifer von Dialektsprechern um einen möglichst korrekten Gebrauch der englischen Hochsprache bemüht waren. Man darf deshalb davon ausgehen, dass sie, abgesehen von gelegentlichen scottisms, einen bewussten Gebrauch des Englischen pflegten und sich folgtigkeit geraten, während gleichzeitig, ihrer Zahl und auch des herrschenden Geists der Zeiten wegen, ihr Elend bei ihren Mitmenschen kaum Beachtung findet.“ 85 Aufschlussreich hierzu  : I. McDaniel  : Philosophical History and the Science of Man in Scotland, pp. 543– 568. 86 S.  Johnson  : Dictionary 1755 – sowie diverse weitere Auflagen, die dazu herangezogen werden können, Begriffsverschiebungen nachzuvollziehen. 87 Die 1. Auflage erschien 1755, eine 8., korrigierte und überarbeitete Auflage 1799.

Vom ‚Fortschritt‘ zur ‚Vervollkommnung‘ |

lich an jenen Wortbedeutungen orientiert haben werden, wie sie Johnsons Dictionary dokumentiert. Dieses Sprachbewusstsein – sowohl im Hinblick auf Kompetenz als auch auf Performanz – muss vorab erwiesen sein, wenn man aus dem von ihnen verwendeten Vokabular die Haltungen der Verfasser ableiten will. Die Frage, die sich nun stellt, lautet  : Wie ist der Begriff des Fortschritts (in seiner wertenden Bedeutung) von dem (deskriptiven) der bloßen Entwicklung abzugrenzen  ? Löwith etwa weist auf die Schwierigkeit dieser Unterscheidung hin, wenn er von einem mitunter „unvermerkten“ Übergang zwischen beiden spricht.88 Beide Begriffe seien mehrdeutig, auch hinsichtlich ihrer Konnotationen. Gemeinsam sei ihnen, dass sie Veränderungen bezeichneten.89 So kann sich etwas einfach nur weiter entwickeln und ist dann ein fortlaufender Prozess, der zunächst nicht bewertet zu werden braucht – die Geschichte der Evolution beispielsweise ist in diesem Sinn die Geschichte einer Entwicklung, deren Ziel wir nicht bestimmen können. Anders verhält es sich, wenn sich etwas auf ein Ziel, gar auf einen Endzustand zubewegt, sich also nicht nur weiter entwickelt, sondern weiterentwickelt – so entwickeln sich Pflanzen und Lebewesen auf ihr „voll entwickeltes“ Stadium zu und machen in diesem Prozess Fortschritte in ihrer Entwicklung, die eine vorgezeichnete Richtung verfolgt. „Fortschritt“ ist im letzteren Fall kein neutraler Begriff mehr, der lediglich ein Voranschreiten konstatiert, sondern er bezeichnet die Bewegung in diejenige Richtung, die als die richtige oder notwendige ausgemacht ist. Zu unterscheiden sind drei Arten des Fortschrittsbegriffs  : – Zum einen ist da das rein deskriptive Verständnis, das die Fortsetzung eines Verlaufs konstatiert. Man spricht hier vom „genetischen“ Fortschrittsbegriff.90 – Daneben existiert ein wertender – „normativer“ – Fortschrittsbegriff, der immer dann Anwendung findet, wenn dieses Voranschreiten eines Prozesses als eine Verbesserung gegenüber den früheren Gegebenheiten aufgefasst wird.91 – Und sofern diese Verbesserung eines Zustandes im Rahmen eines Gesamtablaufs gesehen wird, der zu einem (angenommenen idealen) Endzustand führen und dort seinen Abschluss finden soll, wird der Fortschrittsbegriff teleologisch verstanden.92 Dies ist 88 K. Löwith  : Das Verhängnis des Fortschritts, S. 392  : „Der Begriff des Fortschritts geht oft unvermerkt über in den der Entwicklung. […] Der Fortschritt ist […] eine Bewegung des Werdens auf etwas Künftiges hin  ; aber nicht jedes Werden und nicht jede Entwicklung ist schon ein Fortschritt. Die Wassermassen eines Flußlaufes bewegen sich auf etwas hin, der Fluß macht aber keine Fortschritte. Alles organisch Lebendige bewegt sich entwickelnd auf etwas hin, es schreitet aber nicht fort.“ 89 Ebd.: „[…] Entwicklung und Fortschritt[,] sind ihrer formalen Struktur nach ein Werden im Unterschied zu einem feststehenden Sein.“ 90 F.  Rapp  : Fortschritt, S. 26. 91 Ebd., S. 26 f. 92 F. Rapp, ebd., S. 22 f., zufolge beruht der teleologische Fortschrittsbegriff auf einem methodischen Verfahren der Rekonstruktion, das darin besteht, dass, ausgehend von der Gegenwart, „die historischen Ereignis- und Wirkungszusammenhänge schrittweise [zurückverfolgt] werden. Dabei wird jeweils von Ursachen auf Wirkungen geschlossen.“ Da die historische Entwicklung in der betrachtbaren Gegenwart endet, entsteht der Eindruck, sie habe sich gewissermaßen mit Zwangsläufigkeit auf dieses Ziel zubewegt  : „Dieser Ursache-

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die dritte Art, ihn aufzufassen. Häufig steht er dann in Verbindung mit der Vorstellung von einer „Absicht“ der Geschichte oder der Natur, wie sie in spekulativen Konzeptionen angenommen werden. Insbesondere die letzten beiden Aspekte sind im Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Untersuchung von Interesse. 8.2.2 ‚Fortschritt‘ in der Schottischen Aufklärung

In den hier betrachteten Schriften des 18. Jahrhunderts allerdings ist „Fortschritt“ – progress, seltener improvement beziehungsweise advance/advancement – ein bei weitem noch nicht so häufig verwendeter und keinesfalls der so selbstverständlich eingesetzte Terminus, mit dem man es heute zu tun hat. Gleichwohl kommt er vor, eigentlich jedoch betritt er hier erstmals den Schauplatz der Debatten, und er tut dies in etwa zeitgleich mit einem weiteren  : „Zivilisation“  ; ja, die genauere Betrachtung offenbart, wie der „Fortschritt“ durch den Zivilisationsbegriff sogar erst seine eigentliche Richtung zugewiesen bekommt. Letzterer nämlich erweist sich insofern als besonders geeignet, Befunde über (statische) Zustände zu treffen, als er es zulässt, Aussagen über den jeweiligen Zivilisationsstatus von Gesellschaften, den Stand ihrer Zivilisation, zu formulieren. Er erlaubt damit Vergleiche. Auf diese Weise wird sowohl die Feststellung eines absoluten Gegensatzes von „zivilisiert“ und „unzivilisiert“ möglich oder eben, wie es sich den um eine klare Ordnung bemühten Beobachtern in der Frühphase der modernen Anthropologie darstellt, die weitverbreitete Gegenüberstellung von „Wilden“ und „Zivilisierten“.93 Diese geschieht im Hinblick auf eine Konturierung des eigenen, nämlich „aufgeklärten“ Selbstverständnisses. Neben dieser absoluten Unterscheidung zwischen einer unzivilisierten, „rohen [rude]“, und einer zivilisierten, „verfeinerten [polished]“ Gesellschaft gab es allerdings bereits einen Blick auf die Möglichkeit gradueller Abstufungen zwischen beiden, an denen sich dann eben der jeweilige Entwicklungsstand ablesen zu lassen schien. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang Fergusons Wort vom „Fortschritt der Zivilisation [progress of civilization]“,94 mit dem er diesen Sachverhalt zum Ausdruck bringt, um ihn allerdings sogleich zu relativieren und um eine zusätzliche Dimension zu erweitern, wenn er schreibt, damit – mit diesem „Fortschritt“ – „brechen neue Krankheiten aus, und neue Heilmittel finden Anwendung.“95 Darin kommt einerseits der Glaube an die immanente Antriebskraft eines Systems von challenge and response zum Ausdruck, das die Entwicklung vorantreibe. Doch Ferguson offenbart mit seiner Aussage auch ein Wirkungs-Zusammenhang ist in seinem Gesamtduktus voraussetzungsgemäß ‚zielgerichtet‘ strukturiert, weil genau diejenigen Ereignisstränge verfolgt werden, die zu unserer Gegenwart geführt haben.“ (Ebd., S. 23  ; Hervorh. HK) 93 Siehe hierzu U.  Bitterli  : Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. 94 Ferguson  : Versuch, S. 423. – OT.: ders.: Essay, p. 230. 95 A.  Ferguson  : Versuch, S. 423 f.

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im Grund ambivalentes, ja sogar gebrochenes Verhältnis zu diesem Fortschritt, von dem implizit gesagt wird, dieser habe auch einen Preis, nämlich den einer Verschlechterung der Gegebenheiten zumindest für einzelne Gruppen der Gesellschaft. Somit taucht neben der absoluten Fortschrittszuversicht,96 jenem grob vereinfachenden Etikett für die Aufklärung, ein relativierendes Moment auf, das man, vor seiner näheren Untersuchung, eine „skeptische Zuversicht“ nennen kann. Besieht man sich in Johnson’s Dictionary den Eintrag progress, so offenbart sich da ein Spektrum auffallend neutraler, nicht wertender Bedeutungen, das sich zudem in dem halben Jahrhundert des Betrachtungszeitraums nicht verändert. Sowohl 1755 als auch 1799 findet sich für den Begriff keine deutlich zukunftsoptimistische Konnotation. Aufgeführt werden  : 1. “course, procession, passage”  ; 2. “advancement, motion forward”  ; 3. “intellectual improvement, advancement in knowledge”  ; 4. “removal from one place to another”  ; 5. “a journey of state, a circuit”.97 Bemerkenswert ist vor allem die dritte der hier aufgeführten Bedeutungen – „geistige Verbesserung, Weiterentwicklung der Erkenntnis“ –, in der sich eine Verbindung von „Fortschritt“ und „Verbesserung“ zumindest andeutet, wenngleich lediglich für den eingegrenzten Bereich des Geisteslebens und der Wissenschaft. Genau in dieser Eingrenzung aber deutet sich im Englischen des 18. Jahrhunderts bereits diejenige Bedeutung an, mit der der Fortschrittsbegriff eine bis in die Gegenwart immer engere Verbindung eingehen wird  : Fortschritt wird zu allererst und auch zu dieser Zeit bereits im Zuwachs an unmittelbar verwertbarem Wissen ausgemacht. Wenn Smith, wie sich am Wealth of Nations exemplarisch zeigen lässt, von progress beziehungsweise von improvement schreibt,98 dann zumeist im Zusammenhang mit der Infrastruktur geografischer Räume,99 mit dem Aufschwung der Landwirtschaft,100 mit der Gewinnung und Verarbeitung von Materialien und Rohstoffen,101 mit Gewerbe und Manufakturen,102 mit technischen Produktionsmethoden,103 mit der Kriegstechnik104 sowie, in Übereinstimmung mit Johnsons angeführter Definition, ganz allgemein mit der Philosophie und Wissenschaft.105  96 Ein Beispiel für absolute oder selbstverständliche Fortschrittszuversicht in der Schottischen Aufklärung ist beispielsweise der folgende Satz Millars, mit dem er den Anspruch seines Hauptwerks umreißt  : „Es wird dabei der Versuch gemacht, die allgemeinen und leicht erkennbaren Fortschritte aufzuzeigen, die sich allmählich innerhalb der Gesellschaft vollziehen, um sodann die Wirkungen zu zeigen, die sich aus solchen Fortschritten für die Sitten, die Gesetze und die Regierungsform eines Volkes ergeben.“ Millar  : Ursprung, S. 56.  97 S.  Johnson  : Dictionary 1755 (unpaginiert), Lemma “progress”.  98 Das geschieht im umfangreichen Wealth of Nations nur etwa hundert Mal.  99 A.  Smith  : Wohlstand, S. 21 und 128. 100 Ebd., S. 66, 156, 161, 173 f., 184, 187, 192, 196 f., 200, 205 f., 210, 276, 301, 312 f., 315, 318 f., 321, 324, 342, 344, 446, 476, 514, 592, 706, 708 und 710. 101 Ebd., S. 68, 152 f., 156, 160, 184, 194 und 196 f. 102 Ebd., S. 71, 333, 364, 558 und 648. 103 Ebd., S. 75, 206 f., 228, 244, 568, 589 und 591. 104 Ebd., S. 600. 105 Ebd., S. 655.

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Dass dabei progress nicht selbstverständlich dieselbe Bedeutung hat wie unser heutiger Begriff „Fortschritt“, verrät die Formulierung natural progress of things toward improvement, durch die zwischen „Fortschritt“ und „Verbesserung“ klar unterschieden wird.106 Man kann daran die Tendenz ablesen, dass Smith nicht so sehr von „Fortschritt“ – progress –, als vielmehr von „Verbesserung“ – also improvement – spricht, wenn er das auszudrücken versucht, was unser heutiger Fortschrittsbegriff meint. So sagt er etwa  : „Die Städte […] gaben […] einen gewissen Anstoß zum wirtschaftlichen Aufschwung und gesellschaftlichen Fortschritt aller [gave some encouragement to the industry and improvement of all].“107 Dieser Sachverhalt wird durch die folgende Stelle bestätigt  : „In weiten Teilen Europas waren somit Handel und Gewerbe der Städte nicht die Folge[,] sondern die Ursache für den Fortschritt [improvement] auf dem Lande.“108 Smiths Unterscheiden zwischen „Fortschritt“ und „Verbesserung“ ist also nachweisbar. Das in diesem Zusammenhang jedoch sehr viel Bemerkenswertere – insbesondere für einen Moralphilosophen wie ihn, der sich im Rahmen einer neuen science of man ausführlich mit den sozialen, rechtlichen und psychologischen Aspekten des menschlichen Zusammenlebens befasst hat –, ist, dass er die Begriffe progress und improvement in Bezug auf die Gesellschaft nahezu nicht anwendet. „Fortschritt“, in der heutigen Bedeutung des Wortes, ist für ihn verknüpft mit der Sphäre des Materiellen, der Ökonomie, auch mit der von Wissenschaft und Philosophie, nicht jedoch mit der des Politischen und Sozialen. Er ist damit kein Sonderfall. Vielmehr erweist er sich wie alle, auf die Bacons Einfluss prägend gewirkt hat, als Kind seiner Epoche  : Es waren eben die Naturwissenschaften, die belastbare Fakten verhießen und in methodischer Hinsicht der Aufklärung den Leitgedanken lieferten.109 Erst die drei hier behandelten Begriffe zusammen – Fortschritt, Verbesserung und Zivilisation – ergeben ein Ganzes im Sinn eines gewissermaßen „zusammengesetzten Begriffs“. Noch deutlicher wird Smiths weitgehende Ausklammerung dieser drei Begriffe im Zusammenhang mit der Sphäre des Politischen und Sozialen in der Theory, seiner großen Arbeit über die Regulative und Mechanismen menschlichen Zusammenlebens. Dies ist folgerichtig, denn er betrachtet diese Mechanismen der Interaktion als Teil der Natur des

106 Ebd., S. 277. – H. C. Recktenwald übersetzt diese Stelle mit einem „natürlichen Fortschritt zum Besseren hin“, was im heutigen Sprachgebrauch des Deutschen nahezu einer Tautologie gleichkommt, denn wir setzten Fortschritt – nicht ein Fortschreiten  ! – wie selbstverständlich mit Verbesserung in eins. – OT.: ders.: Wealth, p. 343. – Der natural course of things ist also, wenngleich für unser Begriffsverständnis ungewohnt, durchaus ein progress. 107 A.  Smith  : Wohlstand, S. 334. – OT.: ders.: Wealth, p. 411. 108 A.  Smith  : Wohlstand, S. 340. – OT.: ders.: Wealth, p. 422. 109 Hierzu H. Lüthy  : Geschichte und Fortschritt, S. 25  : „Ziel aller Fortschritte der Wissenschaft ist die Beherrschung der Materie  ; Ziel der Zivilisation ist die sinnvolle Ordnung des menschlichen Zusammen­ lebens. Wenn wir diese beiden Ziele verwechseln, wie es der moderne, rein wissenschaftliche Fortschrittsbegriff tut, dann wird die Gesellschaft selbst zur technisch beherrschbaren Materie […].“

Vom ‚Fortschritt‘ zur ‚Vervollkommnung‘ |

Menschen, also tendenziell als feste anthropologische Determinanten, somit als vorgegeben und deshalb folgerichtig außerhalb von Kategorien wie Fortschritt und Verbesserung. 8.2.3 ‚Vervollkommnung‘

Zuversicht ist ein implizites Generalthema der Aufklärung. Die Überlegungen richten sich auf die Folgen menschlichen Handelns, genauer  : auf dessen Erfolg. Das allerdings ist eine vage Feststellung, denn es ist durchaus von Bedeutung, ob lediglich die Möglichkeit des Handlungserfolgs erwartet wird oder dessen Wahrscheinlichkeit oder ob dieser mit Sicherheit angenommen wird.110 Im Hintergrund der Frage nach der Zuversicht steht also die Unterscheidung zwischen Kausalität und Teleologie  : Wird der Handlungserfolg als das Ergebnis benennbarer unmittelbarer Ursachen betrachtet oder folgt das Handeln einem angenommenen übergeordneten Gesetz – die schottischen Denker sprechen häufig von einem „Prinzip“ –, aus dem sich die Entwicklung mit Zwangsläufigkeit ergibt  ? Eine normativ orientierte Moralphilosophie musste für das, was sein sollte, Begründungen ausweisen. Wollte sie sich nicht auf religiöse Dogmen berufen – und das Denken der Aufklärung wird ja gerade durch das Bestreben vorangetrieben, sich aus deren Umklammerung zu befreien –, so sah sie sich zurückverwiesen auf die Untersuchung dessen, was dem Menschen „von Natur aus“ als gemäß zuzuschreiben sei. Sie würde deshalb jene menschlichen Eigenschaften auszumachen suchen, deren Bestehen als auf Anlagen beruhend angenommen werden konnte. Die Frage etwa nach einem a priori vorhandenen moral sense, die insbesondere die englische Philosophie seit dem 17. Jahrhundert beschäftigt hat und die in der Schottischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts nach wie vor im Blickpunkt stand, ist hierfür ein Beispiel. Das als etwas Ursprüngliches, Naturgegebenes Angenommene galt dabei als die verlässlichste Grundlage für eine Herleitung dessen, „was sein soll“.111 Es spielte in diesem Denken eine herausgehobene Rolle und trat in Form der Erörterung eines ursprünglichen (Gesellschafts-)Vertrags ebenso zutage wie in den Hypothesen über einen Urzustand der menschlichen Gesellschaft. Von diesen Aussagen über ein Sollen sind jene über ein Werden grundlegend verschieden. Herleitungen aus einem Naturzustand verfügten offensichtlich nicht über den Überzeugungswert von aufgedeckten Naturgesetzen, denn gerade die prognostische Sicherheit Letzterer war ja angestrebt. Somit wurden der Nachweis und die Formulierung einer solchen naturgesetzlichen Kausalität mit dem Ziel der Befreiung aus den Unsicherheiten einer stets sich wiederholenden Erfahrung der Kontingenz auch für die science of man zu einem Ziel. Wie aber Menschen handeln würden und welche Ergebnisse dieser 110 Hume hat sich dieser Unterscheidung ausführlich angenommen. Siehe das Kapitel 7 („Humes theoretische Auseinandersetzung mit Zuversicht und Skepsis“). 111 Ein Beispiel für diese Auffassung von Moralphilosophie liefert A. Ferguson  : Grundsätze, S. 8  : „Die Moralphilosophie ist die Kenntnis dessen, was sein soll, oder die Anwendung von Regeln, die die Wahl frei handelnder Wesen bestimmen sollen.“ (Die historische Schreibweise der zeitgenössischen Übersetzung wurde korrigiert.)

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Handlungen zu erwarten wären, das blieb trotz aller Empirie unvorhersehbar und eine offene Frage, über die die Wahrheit sich zwar nicht ermitteln ließ, der man sich jedoch mit Aussagen über Wahrscheinlichkeit annähern zu können hoffte. Hume etwa ging auf diese Weise vor.112 Parallel dazu veranschaulichten einige der schottischen Denker ihre Annahmen in Form von unterschiedlichen Entwicklungsmodellen, die sie im Hinblick auf die menschliche Gesellschaft entwarfen und die als ein weiterer Versuch aufgefasst werden können, dem Problem der prinzipiellen Ergebnisoffenheit menschlichen Handelns beizukommen. Diese Modelle waren zwar keine reinen Konstrukte, denn sie entstanden häufig als Analogien zu historisch überlieferten Entwicklungen früherer Gesellschaften und Staatsgebilde. Dennoch stehen die auf diese Weise gewonnenen Prognosen in methodischer Hinsicht in einem eigenartigen Gegensatz zu einer Hauptforderung der Zeit, nämlich derjenigen nach einer Abkehr von einer spekulativen Metaphysik. Fraglos handelt es sich nämlich dabei um rationalistische Extrapolationen überlieferter Sachverhalte in prognostischer Absicht. Ein Beispiel dafür ist die Annahme, es ließen sich analog zu einzelnen Organismen auch für ganze Gesellschaften Lebenszyklen ausmachen, in denen auf einen Aufstieg und eine Blütezeit zwangsläufig der Niedergang folge. Dabei verbarg sich allerdings nicht nur hinter der Annahme dieses Niedergangs eine offene Frage, sondern sogar im Begriff der Blütezeit war implizit ein Versprechen enthalten, das bis dahin, je nach angelegtem Maßstab, keineswegs von jeder historischen Gesellschaft erfüllt worden war. Die rationalistischen Entwürfe finden ihren reinsten Ausdruck natürlich in teleologischen Konstruktionen eines determinierten Ablaufs der Weltgeschichte als ganzer, der vorgezeichnet sei und sich lediglich „erfüllen“, nicht aber frei – kontingent – entwickeln würde. Die Vorlage hierfür hat die christliche Offenbarungsreligion mit ihrem zentralen Thema eines letzten, jenseitigen Ziels geliefert, auf das alles irdische Dasein des Menschen zustrebe. Es läge nun der Schluss nahe, es sei die Philosophie der Aufklärung, die sich ja gerade durch Religionskritik maßgeblich geformt hatte, als vor solcherlei Determinismus geschützt anzusehen. In Wirklichkeit jedoch bewies die überkommene Struktur des Denkens erhebliche Widerstandskraft gegenüber den neuen Orientierungen. Insbesondere im Frankreich des 18. Jahrhunderts finden sich nicht wenige Beispiele dafür, wie die Zuversicht in die Vervollkommnungsfähigkeit – « perfectibilité » – des Menschen die Form eines unbeirrbaren, mitunter fast blinden Glaubens an den Fortschritt durch Wissenschaft annehmen konnte. Die offensichtliche strukturelle Parallele zur Offenbarungsreligion lag in der angenommenen Zwangsläufigkeit, mit der das Ziel erreicht werden würde, nur war dieses nun ins Diesseits verlegt. Wo seit Bacons Novum Organum die Vorgabe einen breiten Konsens fand, man werde mittels einer von Empirie geleiteten induktiven Methode zu Wissen um die Zusammenhänge in der Welt und letztlich zu deren „Beherrschung“ gelangen, verfielen Denker wie Turgot oder Condorcet extrapolierend bereits wieder auf eine Konkretisierung des Zukunftsbildes, in dem sich 112 Siehe den Abschnitt 7.4 („Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis“).

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die Sehnsüchte nach einer geradezu perfekten Welt weitgehend erfüllt fanden. Damit sprengten sie mittels spekulativer Annahmen den methodischen Rahmen des ursprünglichen Ziels, von erwiesenen Gesetzmäßigkeiten auszugehen – ein Weg, den die schottischen Denker allerdings nicht mitgingen. Diese formulierten das Ziel der Entwicklung, auf die sie setzten, nicht als etwas Konkretes. Wie zu zeigen ist, war ihre Zuversicht schwächer, da durch Skepsis gebrochen.

8.3 Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Theorie

In Smiths Werken stößt man immer wieder auf Stellen, die ihn als vom Gedanken eines „natürlichen Verlaufs“ der Geschichte überzeugt zeigen. Dies erscheint allerdings auf den ersten Blick aussagekräftiger, als es in Wirklichkeit ist, denn es besagt zwar, dass Smith die Welt als ein System begreift, in dem grundsätzlich eine Ordnung auszumachen ist, aber es bleibt weitgehend offen, welcher Art diese Ordnung ist. Zwar gibt es eine teleologische Ordnung, die zum Erreichen eines denkbaren (End-)Zwecks führt, aber auch eine solche, die sich einfach aus bestimmten Gesetzmäßigkeiten erklären lässt, denen menschliche Gesellschaften sowohl folgen oder auch sich entgegenstellen können. Beide Modelle lassen im 18. Jahrhundert noch deutlich ihre Wurzeln in religiösen Weltanschauungen erkennen, entweder aus einem theistischen Ansatz, der ein andauerndes Einwirken Gottes auf die Schöpfung annimmt, oder aus der Überzeugung des Deismus, dass Gott dem Menschen die Schöpfung und die in ihr wirkenden Gesetzmäßigkeiten überlassen habe, ohne weiterhin in sie einzugreifen. Die Ordnung der Natur ist in beiden Fällen eine ursprünglich göttliche, jedenfalls das Werk eines Schöpfers. Dass der Mensch innerhalb dieser Ordnung im Rahmen seiner sich mit zunehmender Erkenntnis erweiternden Möglichkeiten selbst ordnend eingreift, ist ein Gedanke der Neuzeit. Die Aufklärung formuliert ihn immer deutlicher aus. Das ist der Hintergrund, vor dem auch die schottischen Denker den Lauf der Geschichte betrachten  ; diese wird daraufhin befragt, ob sie mehr sei als die Summe von Ereignissen, nämlich eben Ausdruck einer Ordnung, aus der sich ein Entwicklungsgesetz herauslesen lasse. Die Erforschung der Geschichte stellt somit nicht nur die Frage nach dem Geschehenen, sondern sie ordnet die Abfolge dieses Geschehens zu Entwicklungszuständen im Sinn von Stadien, die einem Ordnungsschema gemäß aufeinander folgen. Aus ihr wird auf diese Weise sowohl ein Modell für das Weltverstehen als auch ein Werkzeug, das einerseits ein Ziel der Entwicklung der menschlicher Gesellschaften würde aufdecken können und deshalb andererseits in einem gewissen Rahmen Zukunft würde antizipieren lassen. Ein Ordnungsprinzip aber lässt sich aus dem Lauf der Geschichte nur dann auslesen, wenn deren Überlieferung weitgehend frei von Lücken ist. Wo die historische Quellenlage solche Lücken offen lässt, müssen diese folglich gefüllt werden  ; dazu bedienen sich die schottischen Denker eines Verfahrens, das als conjectural history

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bezeichnet wird und das ihnen dazu dienen sollte, mittels eines Verfahrens von Schlüssen Übergänge herzustellen.113 8.3.1 David Hume und die Verbindung der Begriffe ‚Überlieferung‘ und ‚Tatsache‘

Was die Geschichtsbetrachtung in der Schottischen Aufklärung kennzeichnet und sie im Sinn eines Musters durchzieht, ist ein Aufeinandertreffen zweier Sachverhalte, die als gegeben vorausgesetzt werden  : Da wird zum einen der historische Wandel thematisiert  ; er tritt in unterschiedlichen Ausprägungen zutage, nämlich entweder als ein fortlaufender Prozess von Aufstieg, Blüte und Niedergang oder als einer mit offenem Ausgang, ja ohne erkennbares Ende. Und da ist zum andern die stets aufs Neue ins Spiel gebrachte menschliche Natur, in der nach unveränderlichen Konstanten gesucht wird.114 Hume lässt diese Sicht der Dinge erkennen, auch wenn er dabei letztlich vage bleibt. Den Antagonismus zwischen dynamischem Geschichtsprozess und statischer Natur des Menschen spricht er, abweichend von seinem eigentlichen Gegenstand dort, im Essay Of the Populousness of Ancient Nations an, wobei er erwartungsgemäß die menschlichen Eigenschaften als „zu allen Zeiten gleich“ annimmt und das Ziel des historischen Prozesses offen lässt.115 Hume hat allerdings – auffallend für einen Historiker – weder eine Theorie der Geschichte formuliert noch seine methodische Konzeption explizit in einer eigenen Arbeit dargelegt. Vielmehr ist er auf die Thematik zumeist nur im Zusammenhang mit Texten zu sprechen gekommen, deren eigentlicher Gegenstand sie nicht war. Der Forschung hat er damit ein Problem hinterlassen, das diese bis zum heutigen Tag beschäftigt. Will man also mehr Klarheit gewinnen, ist man auf verstreute Passagen in seinen Werken angewiesen, doch stehen letztlich auch diese nicht in einer widerspruchsfreien Verbindung miteinander.116 Das blieb keineswegs folgenlos, und so wurde auf die Auseinandersetzungen um das „richtige“ Verständnis von Humes Geschichtsauffassung auch hingewiesen.117 Wichtige Fingerzeige finden sich neben dem schon erwähnten Text Of the Populousness of Ancient Nations in kurzen Passagen der Essays Of the Study of History („Vom Studium 113 Näheres zur Methode der conjectural history siehe im Abschnitt 10.1.2 („‘Conjectural History’“). 114 R.  G. Collingwood  : Philosophie der Geschichte, S. 91, beschreibt die Haltung der „Historiker des 18. Jahrhunderts“ in eben diesem Sinn folgendermaßen  : „Sie faßten die menschliche Natur im Sinne der Substanzlehre als etwas Statisches und Unvergängliches auf, als ein unveränderliches Substrat, das dem Ablauf der geschichtlichen Wandlungen und aller Aktivität des Menschen zugrunde liege.“ 115 D. Hume  : Of the Populousness of Ancient Nations. In  : ders.: Essays (M.) p. 378  : “Stature and force of body, length of life, even courage and extent of genius, seem hitherto to have been naturally, in all ages, pretty much the same. […] As far, therefore, as observation reaches, there is no universal difference discernible in the human species  ; and though it were allowed, that the universe, like an animal body, had a natural progress from infancy to old age […], we cannot thence presuppose any decay in human nature.” 116 Eine Folge davon und ein Indiz für den von Hume hinterlassenen Interpretationsspielraum ist etwa die Klage von S. K. Wertz  : Hume, History, and Human Nature, p. 484, der sagt, viele Aussagen und Begründungen Humes würden von der üblichen Interpretation übersehen. 117 So etwa von S. Evnine  : Hume, Conjectural History, and the Uniformity of Human Nature, pp. 591–593.

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der Geschichte“) und Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences („Über Aufstieg und Fortschritt der Künste und Wissenschaften“) sowie in knappen Aussagen in der Enquiry concerning Human Understanding und gegen Ende der History of England. Obgleich Hume – und das nicht nur in Bezug auf die Geschichte – die letztliche Erkennbarkeit von Beziehungen der Kausalität zumindest aus formalen Gründen negiert und das, was man als Gesetzmäßigkeiten interpretieren könnte, lediglich als Folgerungen aus einem wiederholt beobachteten Auftreten gleicher Ereignisse ansieht, räumt er gewisse Regelmäßigkeiten im historischen Prozess ein.118 Einen Hinweis darauf gibt er im Essay Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences, den er mit der Feststellung einleitet, es bedürfe der „genaue[n] Unterscheidung zwischen Ereignissen, die auf Z ­ ufall und solchen, die auf Ursachen beruhen.“ Und wenn er in diesem Zusammenhang die „allgemeine Regel“ formuliert, die diese Unterscheidung möglich macht, so führt er damit etwas ein, das man als den „Hauch der Geschichte“ oder, profaner, als den Wandel des Zeitgeists bezeichnen kann, nämlich eine gewissermaßen mit Zwangsläufigkeit eintretende historische Dynamik, die die ganze Gesellschaft bewegt. Er sagt  : „Ereignisse, die von wenigen Personen abhängig sind, können größtenteils dem Zufall [chance] oder geheimen und unbekannten Ursachen zugeschrieben werden, während solche Ereignisse, die von einer großen Menschenmenge herrühren, oft auf bestimmte und bekannte Ursachen [determinate and known causes] zurückzuführen sind.“119 Die „Regeln“, die sich aus der Geschichte ableiten lassen, sind keine Kausalgesetze, sondern sie ergeben sich für Hume aus der Beobachtung sich wiederholender Ereignisse.120 Dies ist allerdings eine Differenzierung, die auf die Praxis weitestgehend ohne Einfluss bleibt. Den genauesten Aufschluss über die Zuversicht, die Hume in die Kenntnis historischer Entwicklungen setzt, bietet trotz seines geringen Umfangs von nur wenigen Seiten der Essay Of the Study of History. Die ins Spiel gebrachten „Vorteile“ des Studiums der Geschichte sind das für die Aufklärung typische prodesse et delectare – „Geschichte […] verbessert unser Verständnis und festigt unsere Tugend“ (durch ihre Vorbildfunktion) – und daneben die Tatsache, dass es unterhält, indem es die Fantasie anrege.121 In Letz118 So zumindest lassen sich die folgenden beiden Aussagen verstehen. In der History of England fällt der Satz  : “[…] there is really nothing altogether new in any period of modern history […].” D. Hume  : History of England, vol. VI, p. 533 (Hervorh. HK). – Im Essay “Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences” wird er sagen  : “That when the arts and sciences come to perfection in any state, from that moment they naturally, or rather necessarily decline, and seldom or never revive in that nation, where they formerly flourished.” D. Hume  : Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences. In  : ders.: Essays (M.), p. 135. Die gesamte Zitatstelle ist im OT. kursiv gesetzt. 119 D. Hume  : Über Aufstieg und Fortschritt der Künste und Wissenschaften. In  : ders.: Essays (B.), Bd. 1, S. 122. – OT.: ders.: Of the Rise and Progress of the Arts and Sciences. In  : ders.: Essays (M.), p. 111. Die gesamte Zitatstelle ist im OT. kursiv gesetzt. 120 Siehe hierzu auf S. 276 die ausführlichere Auseinandersetzung mit Humes Vorstellung, dass Regeln etwas seien, das sich „durch Gewohnheit festsetzt“. 121 D. Hume  : Vom Studium der Geschichte. In  : ders.: Über den Freitod, S. 100. – OT.: ders.: Of the Study of History. In  : ders.: Essays (M.), p.  565  : “The advantages found in history seem to be of three kinds, as it

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terem zeigt sich ein Aspekt, der bisher noch nicht zur Sprache gekommen ist. Während nämlich üblicherweise der Zusammenhang von Geschichte und Zukunft in einem prognostischen Kontext gedacht wird – der zugrunde liegende Gedanke ist der des Lernens aus der Geschichte im Hinblick auf künftiges Handeln –, eröffnet die Fantasie den freieren und allgemeineren Blick auf Möglichkeiten122 dieses Handelns. Für Hume ist Geschichte festgehaltene Erfahrung, Überliefertes setzt er in eins mit Erfahrenem. Das zeigt sich, wenn er sagt, dass „ein so großer Teil dessen, was wir üblicherweise als Gelehrsamkeit bezeichnen und so hoch einschätzen, nicht mehr als eine Vertrautheit mit den historischen Tatsachen [historical facts]“ sei.123 Die Feststellung mutet zunächst nicht sonderlich spektakulär an, gibt sie doch eine landläufige Meinung wieder. Da aber gerade Hume es ist, der sie formuliert hat, wird das Interesse an ihr geweckt. Denn hätte nicht einem Denker, der es verstanden, ja darauf angelegt hat, die Dinge auf subtilste Weise auseinanderzuhalten und gerade dasjenige immer wieder radikal in Frage zu stellen, was gemeinhin als gesichertes Wissen angesehen wurde, die so enge Verbindung der Begriffe „Überlieferung“ und „Tatsache“ als ein Mangel an Präzision erscheinen müssen – an Präzision selbstverständlich nur in dem Sinn, wie er selbst sie üblicherweise verstand  ? So aber haben wir ein Beispiel vor uns, das erkennen lässt, wie weit sich der Historiker vom Erkenntnistheoretiker Hume unterscheiden konnte, sofern es die Absicht seiner Argumentation gebot. Diese Absicht war es hier, die Geschichtsschreibung als ein Instrument darzustellen, das geeignet wäre, die Sphäre des unmittelbar Erfahrbaren – zuverlässig  ! – zu erweitern. Dass ihn das Genre des Essays in diesem Fall von der etwa im Treatise gebotenen Verpflichtung zur übergroßen Begriffsschärfe zu entbinden schien, beförderte den Schwung seiner Rede und machte ihn gleichzeitig zuversichtlich  : „In gewisser Hinsicht können wir behaupten, daß ein Mann, der mit der Geschichte vertraut ist, von Anbeginn der Welt an gelebt hat, und in jedem Jahrhundert fortwährend seinen Wissensbestand um Neues ergänzt hat [to have been making continual additions to his stock of knowledge].“124 Diese These eröffnet einen interessanten Blick auf den Zusammenhang, der zwischen Humes allgemeinen wissenschaftstheoretischen Positionen, insbesondere seinem Begriff von Empirie, und seinem Verständnis der Geschichte besteht. Auch wenn das voransteamuses the fancy, as it improves the understanding, and as it strengthens virtue.” Vieles hängt hier allerdings an der Bedeutung von “to amuse the fancy”, denn wir können nicht wissen, ob Hume damit ein eher passives Belebt-Werden oder ein eher aktives Sich-Vorstellen von Neuem im Sinn gehabt hat. 122 Naheliegend ist die Vermutung, dass Hume hier die Bandbreite der Handlungsoptionen im Sinn hat. 123 D. Hume  : Vom Studium der Geschichte. In  : ders.: Über den Freitod, S. 101 f. – OT.: ders.: Of the Study of History. In  : ders.: Essays (M.), p. 566. 124 D. Hume  : Vom Studium der Geschichte. In  : ders.: Über den Freitod, S. 102. – OT.: ders.: Of the Study of History. In  : ders.: Essays (M.), p. 567. – Wie ein bereits erwähntes Beispiel Fergusons verdeutlicht, setzte nicht jeder von Humes schottischen Zeitgenossen in die Bedeutung historischer Überlieferung solch großes Vertrauen. Siehe hierzu das entsprechende Ferguson-Zitat zu den „überlieferten Geschichten über alte Gesetzgeber und Staatengründer“ auf S. 314.

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hende Zitat diesen Gedanken nahelegen könnte, so ist rezipierte Überlieferung ja nicht dasselbe wie gemachte Erfahrung, sondern eben – und dies nur im günstigen Fall – tradierte und gleichzeitig interpretierte Erfahrung. Die Geschichtsschreibung hat somit die Funktion eines Instruments im Dienst des empiristischen Ansatzes  : Sie erweitert die Empirie. Geht man von der Theorie der Perzeptionen aus, wie sie im Treatise ausgearbeitet ist, so handelt es sich bei historischen Überlieferungen jedoch weder um impressions („Eindrücke“, im Sinn von unmittelbaren Eindrücken des Geschehens) noch um ideas („Vorstellungen“, im Sinn von Abbildern solcher unmittelbaren Eindrücke des Geschehens), sondern um Material einer anderen Kategorie  : Man muss sie als „aufgezeichnete Vorstellungen“ beschreiben und ist damit bei der Frage nach der Bedeutung historischer Überlieferungen für die Ausbildung einer expliziten Theorie der Geschichte angelangt. Diese wissenschaftstheoretische Problematik, hinter der auch die Frage steht, inwieweit Historiographie nicht nur von vergangenem Geschehen berichtet, sondern dieses auch ex post und mit dem Wissen um späteres Geschehen deutet und damit – ob reflektiert oder nicht – verändert, behandelt Hume nicht. Zwar formuliert er im Treatise eine Begründung für sein Vertrauen gegenüber Geschichtsschreibern und dafür, wie es dazu kommt, dass sich bei historischen Zeugnissen ein Gefühl von Verbürgtheit einstellen kann  ;125 doch gibt er kein Bewusstsein für die Problematik des Wesens der historischen Überlieferung zu erkennen, nicht nur wiedergegebener, sondern stets auch bearbeiteter Stoff zu sein. 8.3.2 Adam Smith  : Zivilisation und Aufbruch

Mehr als Hume scheint sich Smith der Problematik der Zuverlässigkeit historischer Überlieferungen bewusst gewesen zu sein.126 Er unterscheidet die Berichte jener, die an den Geschehnissen selbst beteiligt waren, von denen solcher Autoren, die selbst nicht Zeugen des Geschehens waren, dafür aber in diesem Zusammenhang umso mehr „die Natur des menschlichen Geistes und die verschiedenen Leidenschaften untersucht“, also Motivforschung betrieben haben.127 Derlei Motivforschung bedeutet notgedrungen ein 125 D.  Hume  : Traktat, I, S. 196–200, insbesondere S. 198  : „Offenbar können wir von der Wirklichkeit einer Tatsache der alten Geschichte keine Gewißheit gewinnen, ohne in unseren Gedanken durch viele Millionen von Ursachen und Wirkungen, also durch eine Kette von Schlußgliedern, deren Länge beinahe unermeßlich ist, hindurchzugehen. Ehe die Kenntnis der Tatsache auf den ersten Geschichtsschreiber kommen konnte, mußte sie durch vieler Menschen Mund hindurchgegangen sein. War sie dann einmal niedergeschrieben, so bildete jede neue Abschrift ein neues Moment, von dessen Verknüpfung mit dem vorigen wir nur durch Erfahrung und Beobachtung Kenntnis erlangt haben können. Man könnte nun aus der obigen Darlegung den Schluß ziehen, daß auf Grund hiervon die Gewißheit des Inhaltes aller alten Geschichtsschreibung für uns verloren sein, oder wenigstens […] mit der Zeit verloren gehen müsse. Andererseits scheint doch dem gesunden Menschenverstand der Gedanke völlig widersprechend, daß, vorausgesetzt das Reich der Wissenschaften und die Buchdruckerkunst bleiben auf derselben Höhe wie heute, unsere Nachkommen, selbst nach tausend Jahrhunderten, je sollten zweifeln können, [dass] ein Mann wie Julius Cäsar gelebt habe.“ 126 Siehe hierzu D. Wootton  : David Hume  : “The Historian”, p. 453, n. 15. 127 A.  Smith  : Lectures RBL, pp. 93–94 (e. Ü.).

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Heraustreten des Chronisten aus dem tatsächlichen Geschehen, und das wird von Smith mehr als von Hume zu reflektieren versucht. Insgesamt betrachtet ist Smiths Sicht auf den Verlauf der Geschichte ambivalent. Zum einen zeigt sich insbesondere im Wealth of Nations eine zuversichtliche Perspektive, wenn er die Menschheit unter dem Antrieb der Arbeitsteilung und sich verfeinernder Mechanismen der Kontrolle auf dem Weg zu ihrem Ziel zeigt, das er in der Handelsgesellschaft erkennt. Andererseits beschäftigen ihn „in dunklen Momenten“ auch Zweifel und die Frage, ob die historische Entwicklung nicht vielleicht über dieses ihr Ziel hinausschießen könnte.128 Da sich in seinen Schriften für beide Sichtweisen gleichermaßen Belege finden, steht die Forschung seit jeher vor der Frage, wie dieser Gegensatz aufzulösen, zumindest aber, wie er zu erklären ist. Die übergreifende Konstellation, innerhalb der Smith auf den Geschichtsprozess zu sprechen kommt, ist die des Kosmos, der Welt und damit der Natur als einer absichtsvoll eingerichteten göttlichen Schöpfung. „Die Glückseligkeit der Menschen wie die aller anderen vernunftbegabten Geschöpfe [happiness of mankind, as well as of all other rational creatures] scheint das ursprüngliche Ziel gewesen zu sein, das dem Schöpfer der Natur vorschwebte, als er diese Wesen ins Dasein rief.“ Die Welt offenbare den ihr zugrunde liegenden „Plan […], den der Schöpfer der Natur zur Herbeiführung der Glückseligkeit und Vollkommenheit der Welt entworfen hat […].“129 Unter dieser Voraussetzung liegt es nahe, im Ablauf der Geschichte die sukzessive Verwirklichung dieses Plans zu vermuten und in den historischen Überlieferungen auch aufgezeichnet zu finden. Es kennzeichnet eine uneingeschränkt teleologische Perspektive, wenn Smith, wie in der folgenden Feststellung, nicht den Menschen autonom handeln lässt, sondern ihn als Ausführenden der Naturabsicht darstellt. Diese habe „beständig die Menschen in dieser Weise nicht nur mit einem Verlangen nach dem Zweck begabt, den sie sich vorsetzt [endowed mankind with an appetite for the end which she proposes], sondern ebenso auch mit einem Verlangen nach den Mitteln, durch die dieser Zweck allein verwirklicht werden kann […].“130 Von besonderer Bedeutung ist diese Feststellung Smiths, weil sie den Menschen nicht als ein Lebewesen zeigt, das denjenigen Interessen folgt, die es in sich selbst wahrgenommen hat, sondern das geradezu dazu bestimmt ist, Zwecke außerhalb seiner selbst – eben die von der Natur vorgegebenen – zu verfolgen. Der Mensch der Theory ist nicht (vorrangig) durch die Vernunft gelenkt, sondern durch seine Affekte in einem weiteren Sinn, der auch das einschließt, was Smith als „ursprüngliche und un-

128 Siehe hierzu anschaulich J. E. Alvey  : Adam Smith’s view of history  : consistent or paradoxical  ?, p. 1  : “Smith implies that commercial society is the end of history because (1) it supplies the ends of nature that he identifies  ; (2) it is inevitable  ; and (3) it is permanent.” Hingegen  : “[…] Smith has some dark moments in his writings where he seems to reject completely such teleological notions. In this more civic humanist mood he confesses that commercial society does not supply the ends of nature, nor is it inevitable, nor is it permanent.” 129 A.  Smith  : Theorie, S. 264 f. – OT.: ders.: Theory, p. 166, III.v|7. 130 A.  Smith  : Theorie, S. 122. – OT.: ders.: Theory, p. 77, II.i|10.

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mittelbare Instinkte [original and immediate instincts]“131 bezeichnet. Darin zeigt sich eine Übereinstimmung mit dem Hume’schen Ansatz. Smith liest den Verlauf der Geschichte in der Regel nicht als das Ergebnis vernunftgeleiteten menschlichen Handelns, sondern als die fast selbstständige Verwirklichung eines Prinzips. Er fragt nach dem Zweck und dem Ziel  : Worauf läuft der geschichtliche Prozess hinaus  ? Die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zeichnet er in Form eines Modells von vier aufeinander folgenden Stadien, die sich in der Art des Erwerbs der lebensnotwendigen Güter voneinander unterscheiden. Er gliedert also nach ökonomischen Kriterien, und die „Urfassung“ dieser seiner Geschichtskonzeption findet sich in den Lectures on Jurisprudence, den Mitschriften der Vorlesungen aus den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Aufgeführt – und nicht näher beschrieben – werden folgende „vier verschiedene Zustände, die die Menschheit“ durchlaufe  : „1. das Zeitalter der Jäger, 2. das Zeitalter der Hirten  ; 3. das Zeitalter der Landwirtschaft und 4. das Zeitalter des Handels [There are four distinct states which mankind pass thro  : — 1st, the Age of Hunters  ; 2dly, the Age of Shepherds  ; 3dly, the Age of Agriculture  ; and 4thly, the Age of Commerce]“.132 An diesem Vier-Stadien-Modell wird Smith in der Folge nichts Grundlegendes ändern, auch wenn er sich gelegentlich anderer Begriffe bedienen wird. So spricht er im Wealth of Nations von einem „Volk von Jägern“ als „der niedrigsten und primitivsten Entwicklungsstufe [the lowest and rudest state of society]“ und von „Hirtenvölkern [als] einer höheren Gesellschaftsstufe [a more advanced state of society]“  ; im Zusammenhang mit den „Ackerbauvölkern“ ist von „einer noch höheren Gesellschaftsstufe [a yet more advanced state of society]“ die Rede, und am Ende der Entwicklung von „einem zivilisierten Land [a civilized society]“.133 Die Gliederung ist also auch hier dieselbe, und die einzelnen Stufen sind gekennzeichnet durch unterschiedliche Arten der Aneignung von Besitz  : Ein Volk von Jägern erlegt die Beutetiere für seinen unmittelbaren Lebensunterhalt, wo immer es sie finden kann  ; in einer nächsten Stufe gehen die Menschen zur Weidewirtschaft über und machen sich daran, „einige der wilden Tiere so zu zähmen, daß sie diese immer zur Hand haben“  ; ein noch tieferes Verständnis in die Zusammenhänge der Natur – und vor allem eine weitere Vorausschau – erfordert es, Feldfrüchte zu kultivieren und zur Stufe des Ackerbaus überzugehen  ; der Schritt ins „Zeitalter des Handels“ erfolgt darauf insofern „in natürlicher Weise“,134 als mit den bisherigen Wirtschaftsformen mitunter Überschüsse erwirtschaftet werden, die nicht für den eigenen Bedarf verwendet zu werden brauchen 131 A.  Smith  : Theorie, S. 123. – OT.: ders.: Theory, p. 78, II.i|10. 132 E. Ü.; die vorliegenden deutschen Übersetzungen verkürzen den ursprünglichen Wortlaut  : A. Smith  : Vorlesungen (J.), S. 77. – A. Smith  : Vorlesungen (B.), S. 127, übersetzt mit „Jagd, Hirtenleben, Ackerbau und Handel“. – OT.: A. Smith  : Lectures J, p. 14, i|27. An anderer Stelle in seinen Vorlesungen formuliert Smith  : “The four stages of society are hunting, pasturage, farming, and commerce.” A. Smith  : Lectures J, p. 459. 133 A.  Smith  : Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, Düsseldorf 1999, S. 673–677. Ich zitiere hier die Übersetzung von M. Streissler, weil sie sich enger an das Original hält als jene von H. C. Recktenwald. – OT.: ders.: Wealth, V.i.a|2–11, pp. 689–695. 134 Die deutschen Begriffe sind übernommen aus  : A. Smith  : Vorlesungen (B.), p, S. 127.

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und so mit anderen gegen Güter, die nicht selbst hergestellt werden, getauscht werden können. Aufgrund einer zunächst rudimentären Form von Arbeitsteilung entstehen so Handelsbeziehungen zwischen den Akteuren.135 Festzuhalten ist also  : Für Smith entwickelt sich die Geschichte der Menschheit über einer ökonomischen Grundstruktur, die er als feststehend versteht  ; dies äußert er sowohl in den Lectures als auch im Wealth of Nations. Sein Ziel ist es nun, aus dieser Struktur in weiteren Schritten Erkenntnisse über die Entwicklung der Gesellschaft zu gewinnen. Damit steht er nicht nur vor der Aufgabe, von den jeweiligen Entwicklungsstufen ein für sich genommen schlüssiges Bild zu zeichnen, sondern auch deren Übergang von einer zur nächsten als organischen Prozess darzustellen. Außerdem hat er dabei die These zu untermauern, dass sich die Menschheit schrittweise in Richtung auf das Stadium der Handelsgesellschaft hin bewege, und zwar dies in einem sowohl notwendigen als auch andauernd verlaufenden Prozess.136 Dessen treibende Kraft ist die Arbeitsteilung, wie sie sich in den ersten drei Entwicklungsstadien wie von selbst ergibt. Smith sagt, sie entstehe „zwangsläufig, wenn auch langsam und schrittweise, aus einer natürlichen Neigung des Menschen, zu handeln und Dinge gegeneinander auszutauschen.“137 Die Folge dieser „natürlichen Neigung“ ist auf lange Sicht das Entstehen und die Aneignung von Besitz. Und daraus erwächst das Erfordernis, diesen zu sichern. So entwickelt sich aus ersten Anfängen allmählich eine Rechtsordnung als ein Mittel, die Selbsterhaltung zu erleichtern. Man erkennt unschwer, dass die Schlüssigkeit der gesamten Argumentation von der Gültigkeit der Voraussetzung abhängt, die menschliche Neigung zu handeln sei eine natürliche, naturgegebene und deshalb von der Natur – und in letzter Instanz von ihrem Schöpfer – gewollte. Dieses Geschichtsmodell ist implizit also auch ein solches der Natur. Dass diese Argumentation durchaus plausibel erscheint und demzufolge auf sie sehr häufig Bezug genommen wird, sagt nichts darüber aus, ob sie den „Tatsachen“ gerecht wird. Nicht weniger schlüssig wäre es ja, den Prozess in umgekehrter Richtung aufzufassen, also anzunehmen, dass die Arbeitsteilung das von Anfang an Notwendige und von der Natur Vorgegebene sei.138 Die Besitzunterschiede würden sich dabei als eine Folge135 Zur ausführlichen Beschreibung der einzelnen Stadien der gesellschaftlichen Entwicklung siehe  : A. S. Skinner  : Adam Smith  : an Economic Interpretation of History. In  : A. S. Skinner / T. Wilson (eds.)  : Essays on Adam Smith, hier insbesondere pp. 156–168. 136 J. E. Alvey  : Adam Smith’s view of history  : consistent or paradoxical  ?, pp. 2–3. 137 A.  Smith  : Wohlstand, S. 16. 138 Die menschliche Daseinsvorsorge erfordert unterschiedliche Fertigkeiten, die niemals alle in einer Person vereinigt sein können, und die Menschen sind „von Natur aus“ zweifellos mit unterschiedlichen Fähigkeiten ausgestattet, die sich im Zusammenspiel gegenseitig ergänzen müssen. A. Ferguson  : Versuch, S. 129, thematisiert diesen Befund einer Ungleichheit der Menschen ausdrücklich  : „Personen, die mit verschiedenen Gegenständen beschäftigt sind und in unterschiedlichen Zusammenhängen handeln, scheinen im allgemeinen auch verschiedene Talente zu besitzen oder wenigstens dieselben Fähigkeiten in verschiedener Ausbildung und den verschiedenen Zwecken angepaßt aufzuweisen.“ Und desweiteren  : „Die Fähigkeiten aktiver Menschen weisen […] eine Mannigfaltigkeit auf, die derjenigen der Gegenstände entspricht, mit denen sie sich beschäftigen.“ „Wo würden wir denn die Talente finden, die dazu befähigen, mit Menschen

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erscheinung der Arbeitsteilung darstellen, die dann erst den Austausch von Produkten nach sich zöge. – Diese mögliche Sichtweise soll keinesfalls als der Versuch missverstanden werden, Smith in diesem Punkt zu widerlegen  ; ich führe sie lediglich an, um zu zeigen, dass der Berufung auf die Natur und ihre „Absichten“ letztlich bei weitem keine so tragende Bedeutung zukommt, wie das Smith offenbar vorausgesetzt hat – und wie es in den allermeisten Schriften der Zeit gängige Übung gewesen ist. Letztlich ist es so, dass dieses Axiom der menschlichen Neigung zum Tausch der Standfestigkeit des großen Gebäudes des Wealth of Nations weder nützt noch schadet. Man könnte es in heutiger Diktion einen „Aufhänger“ nennen, und sich auf einen solchen zu berufen, erhöht die Stringenz des Ganzen nicht. Natürlich entbindet dieser Einwand nicht davon, noch folgenden weiteren Blick auf das historische Vier-Stadien-Modell zu werfen, denn in seinem Kontext werden neben dem charakteristischen Ansatz von Smiths ökonomischer Theorie auch einige der psychologischen Überlegungen deutlich, die sie stützen. Das Modell nämlich lässt sich als Koordinatensystem für den Entwicklungsstand von Gesellschaften verstehen, wenn man wie Smith den Blick auf die Bedeutung richtet, die darin bestimmten Faktoren zukommt  : dem Reichtum (und der Sicherheit seines Erhalts)  ; der Ordnung (im Sinn der inneren Sicherheit)  ; der Rechtsordnung  ; der Regierungsform  ; dem Umfang und dem Schutz des Eigentums  ; dem Entwicklungsstand der Arbeitsteilung.139 All dies wächst im Durchlauf durch die genannten Entwicklungsstadien kontinuierlich an. Die Gesellschaft wird reicher, die Mechanismen zu ihrem Schutz verfeinern sich ebenso wie jene der Kontrolle, die Arbeitsprozesse werden immer stärker untergliedert. Gleichzeitig wird das Netz der Tauschbeziehungen engmaschiger, auch tritt ihr ökonomischer und sozialer Nutzen für das Gemeinwesen zunehmend in den Vordergrund und der Handel verlangt nach günstigen Bedingungen zu seiner freien Entfaltung. 8.3.3 Adam Ferguson  : Zivilisation und Abgrund

Dasjenige der Werke Fergusons, das bis heute als ein für die Schottische Aufklärung grundlegendes wahrgenommen wird, ist sein Essay on the History of the Civil Society. Die Studie verfolgt zum einen den Entwicklungsprozess der Zivilisation und ist insofern historisch angelegt  ; zum andern handelt es sich dabei um eine Beschreibung der Beziehungen, in denen sich die Akteure in der zeitgenössischen Handelsgesellschaft wiederfinden. Das bedeutet ein Ineinandergreifen von – nach heutigem Sprachgebrauch – soziologischen, juristischen, politischen und ökonomischen Untersuchungs- und Erklärungsansätzen. Sie stellen eine für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts moderne Gesellin einem gemeinschaftlichen Ganzen [also  : arbeitsteilig, HK] zu handeln, wenn wir das Ganze in Teile zerbrechen und die Beobachtungen eines jeden auf eine gesonderte Spur beschränken  ?“ Ebd., S. 132 f. 139 Bei der Aufzählung dieser Aspekte folge ich im Wesentlichen J. E. Alvey  : Adam Smith’s view of history  : consistent or paradoxical  ?, p. 4.

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schaftsanalyse dar. Gänzlich unkonventionell allerdings ist sie auch nach den Maßstäben ihrer Zeit nicht, denn Fergusons „sozialer Evolutionismus, seine Ablehnung der sozialen Vertragstheorie, sein historischer Ansatz im Allgemeinen, und einige seiner Wirtschaftsideen“ können, wie Lehmann angemerkt hat, als durch Hume und Smiths Vorlesungen in wesentlichen Aspekten als bereits vorweggenommen gelten.140 Das ist ein Urteil, das die führenden Denker der Schottischen Aufklärung gegeneinander ausspielt, wobei es sich angesichts der persönlichen Verbindungen, die zwischen ihnen bestanden, und ihres doch eng verwandten „Denkstils“ kaum lohnt, auf solchen Differenzierungen zu beharren. Mit durchaus gleicher Berechtigung könnte sich das Augenmerk auf die vielen Parallelen richten, die in diesen Fragen zwischen den Arbeiten der Gruppe auszumachen sind. Diese Parallelen bestehen überall dort, wo es um die gesellschaftlichen Folgen jener Triebkräfte der Zivilisation geht, die gleichermaßen auf die Gesellschaft wie auf die Lebensumstände der Individuen wirken  : die methodische Neuausrichtung in den Wissenschaften, der Zuwachs an faktischem Wissen vor allem durch die Naturforschung, die Arbeitsteilung in Landwirtschaft, Handwerk und Wissenschaft sowie die rapide Vermehrung und Intensivierung von Handelsbeziehungen. Was hier registriert, untersucht und beschrieben wird – wenngleich von Hume weniger als von Smith, Ferguson und Millar –, ist das Phänomen eines sozialen Wandels. Ferguson, der aus einer ländlichen Gegend stammte, in der noch Clans weitgehend die Lebensumstände bestimmten, mag die Konfrontation mit der „fortschrittlichen, modernen, städtischen und kommerziellen“ Umgebung, in die er sich geradezu hineingestoßen sehen musste,141 als besonders einschneidend und jäh empfunden haben. Somit kann es bei ihm am wenigsten überraschen, dass er in den Umwälzungen, die der Übergang zu der zunehmend auf den Handel ausgerichteten Gesellschaft mit sich brachte, ein Krisenpotenzial erkennt und das auch deutlich zum Ausdruck bringt  : Von den sechs Kapiteln seines Essay befassen sich immerhin zwei, nämlich die letzten beiden, mit der Möglichkeit des Niedergangs und Verfalls eines solchen Sozialgefüges. Die zum dynamisierenden Prinzip der Gesellschaft erhobene Entfesselung des individuellen Eigennutzes hat in Fergusons Augen ausdrücklich eine bedrohliche Kehrseite. Seine Analyse ist von Skepsis geprägt, und nicht zufällig ist es auch die Zwischendiagnose, mit der eines der Unterkapitel beginnt  : „Beim Bemühen, ihre Vermögenslage zu verbessern,“ sagt er, „vernachlässigen die Menschen häufig sich selbst.“142 Aber diese Formulierung erscheint ihm noch nicht deutlich genug, denn bereits in der 2. Auflage des Essay präzisiert er, indem er nun bewertet, was in seinen Augen diese Verbesserung der Vermögenslage eigentlich ist  : die „Bestrebung […], die als die selbstsüchtigste von allen bekannt ist [what is accounted 140 W. C. Lehmann  : Adam Ferguson. Sociologia e filosofia politica by Pasquale Salvucci (Review), p. 165  : „Die Tiefe seines Denkens und die Originalität der Grundideen, die er in seinen Schriften über den Menschen, die Gesellschaft, die Geschichte und den historischen Prozess vorbrachte, wurden überbewertet.“ (E. Ü.) 141 Ebd., p. 167. 142 A.  Ferguson  : Versuch, S. 398.

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the most selfish of all pursuits]“.143 Da es sich dabei nicht lediglich um Gesellschaftsanalyse handelt, sondern deutlich um Gesellschaftskritik, erweist sich Fergusons Haltung als zwiespältig, und als das wurde sie von der Forschung auch wahrgenommen. Einerseits entwirft er, mittels des Einsatzes einer neuen Methodik und Betrachtungsweise, das Bild einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die zu Wohlstand ebenso wie zu Rechtssicherheit führt und dem Individuum zur Entfaltung seines Potenzials vor allem im Dienst des ökonomischen Nutzens verhilft. Andererseits sieht er die gesellschaftliche Entwicklung in der Art eines Bilanzmodells  : Was dem Individuum auf der einen Seite an Motivation zuwächst, wird dem Gesellschaftsganzen auf der anderen entzogen. Das eine begrüßt Ferguson also, das andere besorgt ihn, und der Eindruck, der auf diese Weise entsteht, ist der eines besorgten Zuversichtlichen ebenso wie der eines Fortschritte erhoffenden Skeptikers – jedenfalls der eines Denkers, der sich einer scherenschnittartigen Einordnung entzieht. Die Schwierigkeit, Fergusons Werk auf eingängige Kernaussagen zu verdichten, hat sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass im Lauf der Zeit seine auf lange Sicht einflussreicheren Zeitgenossen Hume und Smith ihren Schatten auf ihn warfen. Aus diesem holten ihn zwischenzeitlich Marx, der ihn selbst in die Reihe seiner eigenen geistigen Wegbereiter aufnahm, und die entstehende Wissenschaft der Soziologie, als deren „Vater“ er mitunter bezeichnet wird. Aber einerseits erscheint es obsolet, in einem Denker einen Vorläufer der Arbeiterbewegung zu einer Zeit ausmachen zu wollen, in der von einem Proletariat im Sinn der Industriegesellschaft noch gar nicht die Rede sein konnte, und zum andern befassen sich Wissenschaften, also auch die Soziologie, intensiver mit ihren Erkenntnissen, ihren Zielen und ihrer Zukunft, denn mit ihren Ahnen.144 Der Essay stützt sich auf die in der Schottischen Aufklärung gängige Vorstellung vom Verlauf der Geschichte, im dem sich gleichzeitig der Prozess der Zivilisation, verstanden als ein solcher der kontinuierlichen – stufenweisen [by degrees]145 – Höherentwicklung, widerspiegelt. Parallelen zu Smiths Vier-Stadien-Modell sind offenkundig, wenn mit diesem auch keineswegs Deckungsgleichheit besteht. Bevor die Unterschiede deutlich gemacht werden, noch ein Wort zur grundsätzlichen Richtung von Fergusons Ausführungen. Dieser schreibt, gemäß verbreiteter Gepflogenheiten seines Jahrhunderts, mit einer komplexen, nach heutiger Auffassung unübersichtlichen Syntax, die auch Kernaussagen der Gefahr aussetzt, als rhetorische Manöver missverstanden zu werden. So verhält es sich beispielsweise mit der Frage nach dem Ausgangspunkt seiner Theorie der gesellschaftlichen Entwicklung, nach dem „Naturzustand [state of nature]“. Ein solcher 143 Ebd. – Parallel dazu ändert er auch den Begriff für die Eigenschaft einer solchen Gesellschaft und spricht anstelle einer „verfeinerten [polished]“ nun von einer „kommerziellen [commercial] Nation“. – OT.: ders.: Essay, p. 213. 144 Hiermit sei nebenbei auch erklärt, warum in dieser Untersuchung weder auf Fergusons möglichen Einfluss auf Marx’ Philosophie noch auf seine Bedeutung für die Soziologie näher eingegangen werden wird. Beide Themen sind in meinen Augen durchaus von wissenschaftshistorischem Interesse, doch berühren sie die Frage nach der Zuversicht oder der Skepsis in Fergusons Denken nahezu überhaupt nicht. 145 A.  Ferguson  : Versuch, S. 97. – OT.: ders.: Essay, p. 7.

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kann ja in keiner historischen Quelle überliefert sein. Ferguson benennt diesen Mangel, der auch nicht behoben werden kann, sofern man es mit dem nichtspekulativen Denken ernst meint und darauf verzichtet, „Hypothesen an die Stelle der Wirklichkeit“ zu setzen.146 Wie aber ist dieses methodische Problem zu lösen  ? Ferguson sagt  : indem man die Frage anders stellt, genau genommen  : eine andere Frage an den Ausgang stellt und – darin zeigt Bacon’sches Denken sich als verinnerlicht – in den Mittelpunkt ein ganz anderes Erkenntnisinteresse stellt, nämlich „daß der Charakter des Menschen, wie er jetzt ist [as he now exists], und die Gesetze seines animalischen und intellektuellen Wesens, von denen heute sein Glück abhängt [on which his happiness now depends], unsere Hauptaufmerksamkeit verdienen  ; und ferner, daß allgemeine Prinzipien hinsichtlich dieser oder anderer Fragen nur insofern von Nutzen [useful] sind, als sie auf richtiger Beobachtung beruhen und zur Kenntnis wichtiger Konsequenzen [knowledge of important consequences] führen oder insoweit sie uns in Stand setzen, mit Erfolg zu handeln [to act with success], wenn wir intellektuelle oder physische Naturkräfte für die großen Zwecke des menschlichen Lebens anwenden [apply] wollen.“147

Ferguson lässt sich in der Frage eines original contract, durch den der Naturzustand überwunden worden sei, auf eine Argumentation kaum ein – anders als etwa Hume.148 Vielmehr weicht er auch einer eingehenderen Erörterung einer Möglichkeit dieses Naturzustands aus und erklärt sie in gewisser Weise sogar für überflüssig.149 Er bedarf nicht länger einer solchen Illustration des ursprünglichen Geschehens, wie sie in den vorauslaufenden Gesellschaftstheorien für gewöhnlich im Sinn eines Axioms am Anfang des Zivilisationsprozesses zu stehen hatte. Eine solche Festlegung, die die Menschen als „von Natur aus“ entweder selbstsüchtig und kriegerisch oder als friedlich und kooperativ bestimmen würde, trifft Ferguson nicht. Er fragt nun nicht mehr zuerst  : Woher kommen wir  ?, sondern direkt  : Worauf können wir unser Handeln gründen  ? In diesem Sinn sagt auch die oben angeführte Stelle aus dem Essay viel darüber aus, wie Ferguson als Denker einzuordnen ist, nämlich zu allererst als Moralphilosoph, dem es genau um diese Krite-

146 A.  Ferguson  : Versuch, S. 98. 147 Ebd., S. 99 (Hervorh. HK). – Mit den hervorgehobenen Stellen soll belegt werden, dass es Ferguson weniger um eine stichhaltige Erklärung ging, sondern um eine Argumentation, die im Dienst der Nützlichkeit stand, und zwar einer unmittelbaren und aktuellen. – OT.: ders.: Essay, pp. 8–9. 148 Siehe den Abschnitt 14.2.6 („Zur Legitimation des Staates  : Vertrag versus Interesse“) sowie D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), S. 301–324. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), pp. 465–487. 149 W. C. Lehmann  : Adam Ferguson. Sociologia e filosofia politica by Pasquale Salvucci (Review), p. 174  : „Die Vorstellung eines vor-sozialen Menschen, der sich historisch aus einem ‚Naturzustand‘ durch einen ‚Gesellschaftsvertrag‘ in die Gesellschaft bewegt, lehnt er [Ferguson] als sowohl der Vernunft als auch der Geschichte zuwiderlaufend völlig ab.“ (E. Ü.)

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rien geht, nach denen Menschen handeln können – und sollen.150 Und damit ist der Begriff des Naturzustands seiner bisherigen Bedeutung als zeitlicher und anthropologischer Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung als „ursprünglicher Zustand“ entkleidet und gänzlich neu definiert – als nunmehr „natürlicher Zustand“  : „Wenn wir deshalb gefragt werden, wo der Naturzustand zu finden ist, so können wir antworten  : hier ist er […]. Solange dieses tätige Wesen im Begriff ist, seine Talente anzuwenden und auf alle Gegenstände rings herum zu wirken, sind alle Situationen in gleicher Weise natürlich.“151 Es ist bereits angeklungen, dass auch Ferguson sich eines Entwicklungsmodells bedient, das die vier verschiedenen, von Smith her bekannten Möglichkeiten zur Sicherstellung des Lebensunterhalts einbezieht. Es läge daher nahe, auch bei ihm von ebendiesem Vier-Stadien-Modell zu sprechen. Dies allerdings könnte in die Irre führen, denn obgleich er ebenfalls die verschiedenen Varianten der Daseinssicherung zum Thema macht, decken diese sich mit den von Smith genannten nur in Teilen. Ferguson nämlich unterteilt abweichend von Letzterem in Fischerei beziehungsweise Jagd, Viehzucht, Ackerbau, Manufakturen und Handel.152 Vor allem aber generalisiert er dabei nicht, wie Smith, die Fortschritte einer Gesellschaft, die er als mögliche ansieht, zu einem allgemein gültigen und zwangsläufigen ablaufenden Prozess, sondern belässt es bei der – sehr viel weniger umfangreichen – Beschreibung der einzelnen Erwerbsformen. Somit handelt es sich bei ihm nicht um ein Modell des Übergangs von einem Stadium ins nächste, sondern um die Vorstellung einer komplexeren Gesamtkonstellation, in der etwa Fischerei/ Jagd, Viehzucht und Ackerbau durchaus nebeneinander bestehen können153 und erst die Übergänge zum Manufakturwesen und zuletzt zum Handel als wirkliche Entwicklungssprünge hervorgehoben werden. Den Schritt Smiths, der die zivilisatorische Entwicklung der Gesellschaft als einen gesetzmäßig ablaufenden, weitgehend linearen und fast zwangsläufigen Prozess darstellt, vollzieht Ferguson nicht mit. Dafür führt er, anders als Smith, mit der gesonderten Berücksichtigung des Manufakturwesens154 einen Zwischenschritt in die Entwicklung ein und registriert damit die tatsächliche ökonomische

150 Dieses Ferguson-Zitat stützt im Übrigen Lehmanns Einschätzung, der sagt  : “First of all, then, it should be emphatically said here that Ferguson was not primarily a sociologist, a political philosopher, or an historian, but first of all a moralist – a moralist in search, both theoretically and practically, of the good life, for the individual and for the whole community.” W. C. Lehmann  : Adam Ferguson. Sociologia e filosofia politica by Pasquale Salvucci (Review), p. 173. – Siehe hierzu auch Z. Batscha / H. Medick  : Vorwort, S. 73  : „Fergusons politische Philosophie dagegen ist, trotz ihres Selbstbezugs auf eine Spätphase gesellschaftlicher Entwicklung, nicht zur Reflexion bestimmt, sondern zur Anleitung praktischen und vorbeugenden Handelns.“ 151 A.  Ferguson  : Versuch, S. 105 f. 152 A.  Ferguson  : Grundsätze, S. 22–30. 153 Ebd., S. 23  : „Die Künste, durch die sich die Menschen die Mittel ihres Unterhalts verschaffen, sind  : die Fischerei, die Jagd, die Viehzucht und der Ackerbau.“ Von einer zeitlichen Abfolge ist dabei nicht die Rede. (Die historische Schreibweise wurde korrigiert.) 154 Ebd., S. 25  : „Die, welche kein Land besitzen, legen sich auf Manufakturen, um etwas hervorzubringen, wofür sie sich die Landprodukte kaufen können.“

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Entwicklung in Großbritannien, wie sie sich zu seiner Zeit vollzieht und den Übergang zur kapitalistischen Gesellschaft vorbereitet. Es gibt zwischen Ferguson und Smith in der Frage der zivilisatorischen und ökonomischen Entwicklung der Gesellschaft dennoch ein hohes Maß an Übereinstimmung. Allein, dass beide hierbei von den verschiedenen Arten der Existenzsicherung ausgehen, legt diese Einschätzung nahe. Smith entwickelt aus diesen Wirtschaftsformen ein Modell eines nicht nur permanenten, sondern auch zwangsläufigen Aufstrebens aus einem Zustand vollständiger Unterentwicklung hin zu einer in allen Bereichen stark differenzierten Gesellschaft, die im Handelsstaat ihr natürliches Ziel findet. Ferguson bewertet, wie gezeigt wurde, die einzelnen Entwicklungsstufen etwas anders und versteht die Zivilisation als einen einfach nur kumulativen Prozess, der von einer stetigen Zunahme menschlicher Erfahrungen – worunter ja auch die Arbeitsteilung zu verstehen ist – vorangetrieben wird.155 Aber mit welcher Ausgestaltung beide ihrer Geschichtsauffassung jeweils Schlüssigkeit zu verleihen suchen, sollte von eher untergeordneter Bedeutung zu sein, denn am Ende der Entwicklung steht bei beiden ein Zustand „kommerzieller oder bürgerlicher Vervollkommnung [commercial or civil improvement]“.156 Für Ferguson ist mit dem Erreichen der Handelsgesellschaft die Entwicklung aber nicht abgeschlossen  ; in seinen Institutes gibt er einen Überblick über die diversen Handelspraktiken  : Diesen beginnt er mit der Stufe des Tausches von Naturalien  ; darauf folgt diejenige des Tausches gegen Metalle, an die sich die Einführung des Geldes anschließt, und am Ende steht der Handel gegen Kredit. All dies ist auf wenige Seiten gedrängt, denn Ferguson ist kein Ökonom und seine Aufmerksamkeit gilt deshalb nicht in erster Linie der Entwicklung der Wirtschaft, sondern derjenigen der Gesellschaft. Für ihn ist der Mensch, indem er Handel treibt, auf Besitzerwerb aus  : „Die Menschen schreiben sich ein Recht des Eigentums[,] an den Früchten ihrer Geschicklichkeit und ihres Fleißes zu[,] und sind bemüht, sich ein Vermögen zu sammeln.“157 Das Besitzstreben fungiert als anthropologische Prämisse, auf der Ferguson aufbaut. Der Besitz jedoch, er spricht von „Reichtum“, ist kein Selbstzweck, sondern er hat mehrere Facetten  : „Der Reichtum [riches] besteht in dem Überfluss der Dinge, die etwas zur Sicherheit, zum Unterhalt, zur Bequemlichkeit und zum Schmuck [safety, subsistence, accommodation, and ornament] beitragen.“158 Insbesondere der Aspekt der Sicherheit ist im Zusammenhang mit der Frage nach der Zuversicht von Bedeutung, denn hier wird ausgesprochen, dass Reichtum, da er materielle Sicherheit zu bieten verspricht, ein Mittel der Bewältigung von Kontingenz sein kann.159

155 Siehe zu Fergusons Sicht auf die Zivilisation als einen kumulativen Vorgang auch das Zitat auf S. 382. 156 A.  Ferguson  : Versuch, S. 340. – OT.: ders.: Essay, p. 174. 157 A.  Ferguson  : Grundsätze, S. 22 (die historische Schreibweise wurde korrigiert). 158 A.  Ferguson  : Institutes, p. 27. 159 Auf den Gesichtspunkt, dass dem Besitz bzw. dem Eigentum eine Bedeutung als Mittel zur Bewältigung von Kontingenz zukommt, wird im Abschnitt 10.4 („Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘“) und vor allem im Abschnitt 10.4.1 („Eigentum und Zuversicht“) näher eingegangen.

9. Die Thematik der Religion

Sinnstiftung ist ein Aspekt, der bei allen Religionen stark im Vordergrund steht. Und dabei geht es deutlich auch um eine Sinnstiftung, die über die Sphäre des täglichen, ja des Lebens überhaupt weit hinausgeht. Der Bereich der sicht- und erfahrbaren Welt wird transzendiert, und Verheißungen spielen dabei eine grundlegende Bedeutung. Sie bewältigen in dem Sinn, wie der Begriff innerhalb dieser Untersuchung verstanden wird, Kontingenz, indem sie die Zuversicht vermitteln, der von ihnen verheißene Zustand lasse sich erreichen. Das ist die Vorannahme, unter der die Rolle beschrieben werden soll, die die Religion im Denken der Schottischen Aufklärung spielt.

9.1 Religion und Religionskritik in der Schottischen Aufklärung

Aufklärerische Religionskritik ist zweierlei  : Einerseits betreibt sie im Allgemeinen die Untersuchung von Religion und Religiosität, ihrer Funktion und ihrer Bedeutung, also von Aspekten der Spiritualität und Transzendenz. Andererseits ist sie im Konkreten eine Auseinandersetzung mit den Einflüssen des Christentums auf das Wertesystem sowie auf das Handeln des Individuums und die Entwicklung der Gesellschaft. Das ist der Blick auf die soziale und politische Dimension der verschiedenen christlichen Kirchen. Innerhalb des neuzeitlichen Staates sind Letztere ein bestimmender Machtfaktor, und wie bei jeder Macht sucht aufklärerisches Denken nachdrücklich Antworten auf die Frage nach ihrer Legitimität. Das hat zur unmittelbaren Folge, dass mit dem Anwachsen des Erfahrungswissens über die Natur die Religion hinsichtlich ihrer en passant ausgeübten Funktion als Erklärungsinstanz für die Vorgänge des realen Lebens selbst unter Legitimationsdruck gerät. Es ist ein Merkmal des „Siegeszuges“ der Naturwissenschaften, dass sie den Menschen vor die Entscheidung zu stellen vermögen, wovon er in seiner Lebensplanung und -führung ausgehen will  : vom Wort der Offenbarung, das von einer wirkmächtigen Theologie in die Form einer Doktrin gegossen worden war, oder von der Anschauung und den Schlussfolgerungen, wie sie nun aller natural philosophy voran die Physik formuliert. Faktizität, Plausibilität und rationale Argumentation treten der Forderung nach bedingungslosem Glauben an das Wort der Offenbarung als starke Gegenkräfte gegenüber und üben auf diese einen bisher nicht gekannten Rechtfertigungsdruck aus. Dabei war es keineswegs so, dass sich die Naturwissenschaft, die diese Sprengkraft eigentlich erzeugt hatte, von sich aus aktiv gegen die Macht der Kirche gestellt hätte  ; sowohl Galilei als auch Newton, beide durchaus gläubige Christen, ist der Gedanke einer solch absichtlichen Konfrontation durchaus fremd. Auch ein Mann wie der Schotte James Hutton, der im 18. Jahrhundert im Rahmen seiner Theory of the Earth die biblische Darstellung

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Die Thematik der Religion

(und Datierung) der Schöpfungsgeschichte absichtslos, aber deshalb keineswegs weniger schlüssig widerlegt hatte, verwendete kaum einen Gedanken auf die theologischen Implikationen seiner Erkenntnisse, mit denen er die biblische Chronologie fast beiläufig ausgehebelt hatte. Vielmehr sind es die Moralphilosophen, die als Erste dieses aus der empirischen Naturforschung gewonnene Potenzial in den Dienst der gesellschaftlichen Umwälzung stellen und gegen die Kirche richten – zunächst mit einer der Macht ihrer Widersacher geschuldeten argumentativen Vorsicht, danach aber, mit zunehmendem Einfluss kritischen Denkens an den Universitäten, in immer klarerer Diktion. Wenngleich die Schottische Aufklärung der Macht der Kirche insgesamt nicht mit kämpferischem Elan gegenübertritt, so spielt in den Schriften ihrer führenden Denker die Religionskritik – mit unterschiedlichem Nachdruck und mit unterschiedlicher Zielrichtung – durchaus eine Rolle. Die Spannweite des Diskurses ist groß  ; sie reicht von einer subtilen Instrumentalisierung der christlichen Argumentation über eine von Sachlichkeit bestimmte verstandesmäßige Auseinandersetzung bis hin zu mehr oder weniger eindeutigen Angriffen sowohl auf die Macht des Klerus als auch auf das Wesen von Religiosität und Glauben schlechthin. Sicherlich erklärt sich die Auseinandersetzung mit dem Religiösen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen auch dadurch, dass alle wichtigen Vertreter der schottischen Moralphilosophie im Lauf ihres Lebens selbst einmal in einer engeren Beziehung zur Kirche gestanden hatten. Diese Affinität steht im Zusammenhang mit dem von klerikalen Institutionen beeinflussten Bildungssystem des Landes, in dem es zu Zeiten von Hume, Smith und Ferguson eine keineswegs selten ins Auge gefasste Karriereoption war, im Anschluss an eine akademische Ausbildung in den Dienst der Kirche zu treten.

9.2 David Hume über das politische Potenzial von Aberglaube und Enthusiasmus

Die Forschung ist immer wieder der Frage nachgegangen, welche Bedeutung in Humes Denken der Religion zukomme. Das Hauptwerk, der Treatise, ist geradezu frei von Religionsphilosophie – in dem gesamten umfangreichen Werk begegnet man der Religion schon als Begriff lediglich an wenigen Dutzend Stellen. Eingehender befasst er sich mit dem Thema in seiner Enquiry concerning Human Understanding, in der er einen Abschnitt mit „Über Wunder“ überschreibt  ; zuvor hatte er es weniger subtil in der Argumentation, jedoch eingängiger, im Essay Über Aberglaube und Enthusiasmus1 behandelt. Mittels dieser beiden Texte lässt sich zeigen, was er dem breiten Publikum mitteilen 1 D. Hume  : Über Aberglaube und Enthusiasmus. In  : Essays (B.), Bd. 1, S. 77–85. – OT.: ders.: Of Superstition and Enthusiasm. In  : Essays (M.), pp. 73–79. – Zur Stellung des Textes in Humes Gesamtwerk siehe auch L. Kreimendahl  : Einleitung, S. XIX f., der sagt  : „Der 1741 erschienene Essay Of Superstition and Enthusiasm ist der erste Text, in dem sich Hume ausschließlich zu einem religiösen Thema äußert.“

Hume über das politische Potenzial von Aberglaube und Enthusiasmus |

wollte. Humes eigentliche und abschließende Auseinandersetzung mit der Religionsphilosophie findet sich in den posthum erschienenen, jedoch parallel entstandenen2 Dialogues concerning Natural Religion. Da dieses Werk hinsichtlich einer Untersuchung über sein politisches Denken allerdings von untergeordneter Bedeutung ist, wird hier nicht näher darauf eingegangen. Offensichtlich ist, dass Hume das Thema Religion häufig in Unschärfen eingehüllt hat, hinter denen man rhetorische Absichten vermuten kann. Spricht er beispielsweise, wie in Of Superstition and Enthusiasm, von der „wahren Religion“, so unternimmt er dies nicht, um klarzustellen, was er unter dieser verstanden wissen will. Vielmehr führt er den Begriff im Sinn eines Ideals ein, von dem sich gerade das Missverstehen und der Missbrauch von Religion scharf abheben  : „Daß die Korrumpierung der besten Dinge die größten Übel hervorbringt, ist zu einer Maxime geworden und zeigt sich unter anderem in den überaus schädlichen Folgen von Aberglaube und Enthusiasmus, durch die wahre Religion korrumpiert wird.“3 Der politische Aspekt der Religion ist für Hume deren Missbrauch. Deshalb beschäftigt ihn vorrangig deren „Einfluß [der beiden Arten von falscher Religion – Aberglaube und Enthusiasmus –] auf Regierung und Gesellschaft“.4 Politische Wirkung entfaltet Religion auf zweierlei Weise. Zum einen geschieht das, wenn sie sich in Institutionen manifestiert, also Machtstrukturen ausbildet oder stützt, die in die Gesellschaft hineinwirken. Herrschaftsinstrumente dieser Art macht Hume in den verschiedenen Kirchen aus, deren weltliche Einflussnahmen ebenso wie deren Amtsträger er stets bekämpft. Zum andern konnotiert er Religion insbesondere im Fall des Aberglaubens mit den Aspekten der Unberechenbarkeit und des Kontrollverlustes. Den Aberglauben betrachtet Hume besonders als eine Gefahr für das sich der realen Welt schutzlos ausgeliefert fühlende, ungefestigte und ungebildete Individuum  : „Schwäche, Angst, Melancholie sind […] zusammen mit Unwissenheit die wahren Quellen des Aberglaubens.“5 Diese Feststellung handelt gleichzeitig von einem Individuum, das die Kontrolle über seine eigenen Lebensumstände verloren hat und im Bewusstsein seiner Schutzlosigkeit Zuflucht in der Sphäre des Irrationalen sucht. Hume deutet diesen Vorgang geradezu tiefenpsychologisch als Selbstablehnung  : „Da Aberglaube auf Angst, Betrübnis und gedrückter Stimmung beruht, zeigt er den Menschen sich selbst in so abscheulichen Farben, daß dieser in eigenen Augen unwert erscheint, sich der Gegenwart des Göttlichen zu nähern und er sich daher naturgemäß einem anderen Menschen anvertraut, dessen fromme Lebensführung oder vielleicht Dreistigkeit und Verschlagenheit ihn von der Gottheit stärker begünstigt erscheinen lassen.“6

2 3 4 5 6

Siehe L. Kreimendahl  : Einleitung, S. XXI f. D. Hume  : Über Aberglaube und Enthusiasmus. In  : ders.: Essays (B.), Bd. 1, S. 77. Ebd., S. 78. Ebd., S. 77. Ebd., S. 79.

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Die Thematik der Religion

An diesem Punkt setze die Macht der Kirche ein, die sich die Selbstaufgabe zunutze macht und die auf einer Schutzverheißung durch ihre Priesterschaft beruht. „Daher der Ursprung von Priestern, die zu Recht als Erfindung eines furchtsamen und unterwürfigen Aberglaubens gelten können, der in stetem Selbstzweifel […] unwissend hofft, sich durch Vermittlung angeblicher Freunde und Diener der Gottheit zu empfehlen.“7 Was die Kirche anstrebe, ist für Hume die Instrumentalisierung von individuellem Kontrollverlust und Unwissenheit. Sie treibe das unaufgeklärte Volk einer machthungrigen Priesterschaft in die Arme  : „Folglich sind in fast allen religiösen Sekten Priester zu finden  : doch je stärker der Anteil an Aberglaube, desto größer ist die Autorität der Priesterschaft.“8 Verbündet sich diese dem Klerus zufallende Macht mit den Institutionen des Staates, so wird sie politisch, indem sie dazu dient, das Volk in Unmündigkeit zu halten. Anders verhalte es sich mit dem Enthusiasmus, über den Hume sagt  : „In solchem Geisteszustand fließt die Einbildung über von großen, aber verwirrten Eindrücken, denen keinerlei weltliche Schönheiten oder Freuden gleichkommen können. Alles Sterbliche und Vergängliche schwindet, denn es scheint der Aufmerksamkeit nicht wert.“9 Da so verstandener Enthusiasmus Weltabkehr bedeutet – und damit stets auch eine Ablehnung, zumindest Missachtung weltlicher, politischer Institutionen –, untergräbt er die Fundamente des Staates aktiv, während der Aberglaube staatlicher Herrschaft gegenüber nur blind ist. Vom gesellschaftlich-dynamischen Potenzial des Enthusiasmus jedenfalls ist Hume überzeugt.10 So folgert er unter Berufung auf das Beispiel der englischen Geschichte, „daß Enthusiasmus als Krankheit kühner und ehrgeiziger Gemüter naturgemäß von einem Geist der Freiheit begleitet ist, während Aberglaube Menschen zahm, unterwürfig und reif für die Sklaverei werden läßt.“11 Damit deutet er sowohl den Aberglauben als auch den Enthusiasmus, die er eingangs seines Essays lediglich als „zwei Arten falscher Religion“12 eingeführt hatte, auf eine charakteristische Weise funktional politisch. Und wenngleich er auch dem religiösen Enthusiasmus als einer irrationalen Geistesverfassung misstraut, lässt sich zumindest erahnen, dass er bei dessen Auftreten günstige, wenngleich nicht intendierte Wirkungen für möglich hält, denn es sei der „Aberglaube ein Feind, und Enthusiasmus ein Freund bürgerlicher Freiheit […].“13 Es ist dies ein Befund sowohl mit normativen als auch mit prognostischen Implikationen – bei denen Hume es allerdings belässt.   7 Ebd., S. 81.   8 Ebd.   9 Ebd., S. 77. 10 Ebd., S. 83  : „Da Enthusiasmus auf heftigen Stimmungen und einer anmaßenden Kühnheit des Charakters beruht, führt er naturgemäß zu den extremsten Entschlüssen, insbesondere nach dem Aufstieg in solche Höhen, die den verirrten Fanatiker an göttliche Erleuchtungen glauben und allgemeine Regeln der Vernunft, Moral und Klugheit verachten lassen.“ 11 Ebd., S. 84. 12 Ebd., S. 77. 13 Ebd., S. 84.

Deismus und Systemdenken |

9.3 Deismus und Systemdenken

Religion ist für Hume ein Element, das auf zweierlei Weise die freie Entfaltung der Gesellschaft behindert  : Zum einen attestiert er ihren weltlichen Institutionen eine Herrschaftsfunktion  ; diese stellten sich in den Dienst derer, denen daran gelegen sei, das Volk in Unwissenheit und folglich in Unmündigkeit zu halten. Zum andern ist sie in seinen Augen wegen ihrer von Grund auf transzendenten – Hume würde sagen  : irrationalen – Orientierung eine Kraft, die der Alltagserfahrung die Deutungshoheit über die Lebensgestaltung streitig macht, ja abspricht. Auch wenn Hume diese Haltung in seinen Schriften nicht nachdrücklich betont, so scheint sie aus diesen unterschwellig doch stets durch. Er unterscheidet sich darin sowohl von Ferguson als auch von Smith, die dieser Thematik deutlich weniger Aufmerksamkeit widmen. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass bei jenen die Einstellung gegenüber der Frage der Religion vernachlässigt werden kann. 9.3.1 Die Konzeption

Es ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die unter den Aufklärern vorherrschende theologische Konzeption des Deismus zu werfen.14 Diesen kennzeichnet die Vorstellung eines Gottes, der die Welt zwar erschaffen, sie jedoch nach dem Schöpfungsakt aus seiner Einflussnahme entlassen habe.15 Abgelöst wird dadurch die Idee des biblischen Gottes, der die Menschheit begleitet, der beobachtet, urteilt, tadelt und straft. Nunmehr herrscht also die Überzeugung, die göttlichen Gesetze seien im Werk der Schöpfung enthalten und es falle dem Menschen zu, sie darin aufzufinden und ihnen gemäß zu handeln – wozu es eben der dem Menschen ebenfalls gegebenen Vernunft und seines Erkenntniswillens bedürfe. Die Stellung des Menschen in der Welt wird gegenüber der in der Offenbarung dargelegten völlig neu festgelegt  : Die Vernunft gewinnt an Gewicht gegenüber dem Wort der Offenbarung, das Weltverstehen muss sich an der Erkenntnis der erkennbaren, „natürlichen“ Zusammenhänge orientieren. Dadurch, dass die Religion vernünftig – das heißt  : aus der Natur – erklärt und das religiöse Bewusstsein aus der anthropologischen Rekonstruktion erschlossen wird, findet eine Loslösung der Sphäre der Spiritualität von der dogmatischen Sicht auf die Offenbarung statt. Darin liegt die eigentliche Umwälzung. Im 18. Jahrhundert konkurrieren, auch unter den schottischen Denkern, mehrere teils miteinander verwandte theologische Modelle. Dabei ist die verwendete Begrifflichkeit nicht immer eindeutig.16 Zu unterscheiden ist etwa eine natürliche Religion, die 14 Vgl. hierzu  : T.  Blume  : Deismus. 15 Hierin liegt der Gegensatz zur Gotteslehre des Theismus, der einen die Schöpfung weiterhin lenkenden Gott annimmt. 16 In diesem Sinn sagt etwa L. Kreimendahl  : Einleitung, S. XXVI  : „Die nur selten anerkannte Inkohärenz der Äußerungen Humes zur Physikotheologie stellt ein offenes Problem in der Hume-Forschung dar […].“

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Die Thematik der Religion

einen Schöpfer als in seinen Werken erkennbar annimmt, von der physikotheologischen Auffassung, seine Existenz offenbare sich insbesondere in seinen Wundern.17 Humes Erkenntnistheorie ist von Skepsis geprägt. Das trifft mit einer gewissen Folgerichtigkeit auch auf seine religionsphilosophischen Annahmen zu. Das Christentum der Offenbarung ist für ihn kein Gegenstand der Auseinandersetzung mehr, die Existenz eines Schöpfers der Welt folgert er aus der Anschauung der Schöpfung, in die jener nicht mehr eingreife. Die Welt sowie die Gesetze, nach denen sie funktioniert, sind das Gegebene  ; das Handeln obliegt den Geschöpfen, die dazu selbstständig in der Lage sind und insoweit als autonom aufgefasst werden. Die früheste Textstelle, in der dies zweifelsfrei zum Ausdruck kommt, findet sich in der 1748 erstmals erschienenen Enquiry concerning Human Understanding. Das Merkmal der folgenden Passage ist ihr rhetorisches Kalkül, denn wir begegnen hier einem Schöpfer, dem die recht profane Raffinesse eines Technikers attestiert wird  : „Es spricht doch gewiß in höherem Maße für die Macht der Gottheit, wenn sie den untergeordneten Geschöpfen einen gewissen Grad von Kraft überweist, als wenn sie jedes Ding durch eigenen unmittelbaren Willensakt hervorbringt. Es zeugt von größerer Weisheit, von Anfang an das Weltgebäude mit solch vollendeter Voraussicht einzurichten [to contrive at first the fabric of the world with such perfect foresight], daß es von selbst und durch eigene Wirksamkeit allen Absichten der Vorsehung [all the purposes of providence] dienen kann, als wenn der große Schöpfer sich jeden Augenblick genötigt sähe, seine Teile zurechtzurücken und alle Räder jenes staunenswerten Triebwerks mit seinem Atem zu beleben.“18

Dieser Satz ist in seiner Konsequenz insofern von größter Tragweite, als durch ihn die Legitimation für autonomes menschliches Handeln gewonnen wird – die Welt ist damit aus sich heraus zu verstehen und wird zum Gegenstand für die Wissenschaften von der Natur, vom Menschen und von der Gesellschaft. Gott mische sich, heißt das, in die irdischen Dinge nicht ein. Im Beharren gerade auf dieser Feststellung erkannten die Kirchen einen Affront, und dieser begründete deren Vorwurf des Atheismus gegenüber Hume. Nebenbei bemerkt – und das ist keineswegs nur ein Detail –, konstatiert Hume hier nicht allein die Lösung innerweltlicher Vorgänge von göttlicher Einflussnahme, sondern er attestiert der Schöpfung zugleich eine Bestimmung, indem er ihr eine Absicht beziehungsweise einen Zweck zuspricht.19 Es wäre vorschnell, diesen Deismus-Befund bei Hume als Hinweis auf ­ähnliche Grundüberzeugungen auch der übrigen schottischen Autoren zu verstehen. Der D ­ eismus näm17 Da diese Differenzierungen im Hinblick auf die Implikationen für das politische Denken der Zeit nicht von vorrangiger Bedeutung sind, braucht an dieser Stelle nicht näher auf sie eingegangen zu werden. 18 D.  Hume  : Verstand, S. 87. – OT.: ders.: Understanding, p. 57. 19 Diese Stelle ist nur schwierig aufzulösen, denn es bedeutet einen Unterschied, ob Hume den Begriff purpose im Sinn von „Zweck“ oder von „Absicht“ verwendet hat.

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lich tritt in ihren Denksystemen in durchaus unterschiedlichen Spielarten auf. Smith etwa unterscheidet sich von Hume, wenn er besonders den Gesichtspunkt der Absicht hervorhebt, der in der Schöpfung erkennbar sei  : „Allein jeder Teil der Natur erweist, wenn man ihn aufmerksam betrachtet, in gleicher Weise die Vorsehung und die Fürsorge ihres Schöpfers, und wir können so die Weisheit und Güte Gottes selbst in den Schwächen und in der Torheit der Menschen bewundern.“20 Einer Schlussfolgerung hieraus enthält sich Smith. Ferguson wiederum steht deutlich näher bei Smith als bei Hume, wenn er sagt  : „Auf die Glaubwürdigkeit nur weniger Beobachtungen gestützt, sind wir geneigt anzunehmen, […] daß, was in der Natur mit Weisheit bezeichnet wird, auf die Wirkung physikalischer Kräfte zurückgeführt werden kann. Wir vergessen dabei, daß physikalische Kräfte, die in einer Folge angewandt und zu einem heilsamen Endzweck verbunden werden, gerade jene Beweise einer planmäßigen Anordnung ausmachen, von denen wir die Existenz Gottes herleiten […].“21

Weder bezweifelt Ferguson einen Endzweck der Schöpfung, noch stellt er dessen Erkennbarkeit in Frage, wenngleich er sie nur „Wenigen [vorbehalten sieht], die geschickt sind die Spuren der Zweckmäßigkeit in den Werken der Gottheit aufzufassen […].“ Und er fährt fort  : „Und eben dieser erhabene Unterricht erschließt dem Menschen allmählich das Geheimnis seiner Bestimmung und setzt ihn in den Stand, ein mit Bewusstsein und williger Teilnahme handelndes Werkzeug zur Erfüllung der Absichten seines Schöpfers zu werden.“22 Es gibt hier keinen Platz für radikale Emanzipation, und der Mensch ist letztlich in seinem Handeln nicht autonom. Was Ferguson hier in den Principles seinen Studenten vermittelte, war also ein Deismus, der keineswegs auf eine Kritik der Religion, ja nicht einmal auf eine Auseinandersetzung mit der Lehre der Kirche hinauslief. In politischer Hinsicht enthielt die Aussage also keinen Sprengstoff. Bedeutung hat sie aus einem anderen Grund  : Im Gedanken an die „Existenz Gottes“ in der Verknüpfung mit der Vorstellung von einer „planmäßigen Anordnung“ der Welt kommt die Idee einer Vorkonfiguration der Welt zum Ausdruck. Im Essay ist diese Argumentation aller20 A.  Smith  : Theorie, S. 171. – In Smiths Vorstellung verfolgt der Schöpfer der Welt mit seinem Werk einen Zweck, der allerdings für den Menschen nicht ohne weiteres erkennbar ist. Siehe hierzu beispielsweise ebd. S. 122, 149 f., 205, 265, 270, 272, 448, 487, 499. Im Wealth of Nations verliert diese Überlegung jedoch fast vollständig an Bedeutung. 21 A.  Ferguson  : Versuch, S. 103 (Hervorh. HK). – Allerdings ist der Mensch im Essay keineswegs nur darauf beschränkt, zur Verwirklichung des göttlichen Schöpfungsplans seinen Beitrag zu leisten. Vielmehr gesteht ihm Ferguson durchaus eine gewisse Autonomie zu, gewissermaßen ein Handeln „auf eigene Rechnung“, das ihn ein Stück weit zum Schöpfer seiner selbst werden lässt. Der Mensch, so sagt er, sei „in hohem Maße Gewohnheiten unterworfen. Durch deren Übung oder Bekämpfung kann er seine Talente und Anlagen so weit stärken oder sogar verändern, daß er weithin als der Schiedsrichter seiner eigenen Stellung in der Natur erscheint und auch als Schöpfer all derjenigen Verschiedenheiten, die in der tatsächlichen Geschichte seiner Gattung zum Vorschein kommen.“ Ebd., S. 110. – L. Hill  : The Passionate Society, p. 43, sieht in Fergusons „Gott eine distanzierte, nicht-interventionistische ‚Generalvorsehung‘“. 22 A.  Ferguson  : Gründe, S. 280 f. (Schreibweise aktualisiert).

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dings nicht konsequent durchgehalten, sondern sie wird hier abgeschwächt. Wie sich bei Fergusons Überlegungen zur Arbeitsteilung noch zeigen wird,23 wird die Entwicklung der Zivilisation letztlich als ein kumulativer Vorgang aufgefasst, als kontinuierlicher Zuwachs an Einsichten, aus dem sich eine Steigerung der Produktivität und damit des Lebensstandards ergibt24 – ein Modell, in dem trotz allen Bekenntnisses zum Deismus die Bestimmung des Platzes der Religion von nur noch untergeordneter Bedeutung ist. Die hier angeführten Beispiele machen die Spannweite des Potenzials für soziale Veränderungen deutlich, das in der deistischen Argumentation lag. Es bestand eben darin, der science of man einen weitestgehend theologiefreien Raum zu schaffen, auch wenn dieser keineswegs als ein religionsfreier zu verstehen war. Wie die Schottische Aufklärung diesen Raum von Anfang an ausgefüllt hat, kennzeichnet ihre philosophiegeschichtliche Stellung. Einen bedeutenden Teil dieses Raumes nimmt dabei das politische Denken ein. Es wird durch eine zumeist unterschwellige, von Hume jedoch stärker vorangetriebene Enttheologisierung der Weltdeutung bestimmt, die dadurch zu einer größeren gemeinsamen Schnittmenge mit der materialistischen Perspektive und einem schwächer oder auch stärker betonten Empirismus gelangt. 9.3.2 Wissenschaftstheoretische Implikationen – ‚System‘ und ‚Maschine‘

Betrachtet man die Auseinandersetzung mit dem Deismus, wie sie die schottischen Denker betrieben, nur aus der Blickrichtung der Theologie, so offenbaren sich nicht alle seine Facetten. Vielmehr ist diesen Vorstellungen von der göttlichen Schöpfung auch ein funktionaler, ja geradezu technischer Aspekt gemeinsam, der des „Systems“. Sowohl bei Ferguson – der im Zusammenhang mit staatlichen Einrichtungen und Amtsträgern sogar ausdrücklich von den „Teilen einer Maschine“ spricht25 – als auch bei Smith steht im Hintergrund das Bild des Universums als eines funktionierenden Apparats, in dem die Einzelteile wie bei einer riesigen Maschine mit Bedacht gewählt und aufeinander abgestimmt sind. Eine Vorstellung von Gott taucht in solchen Vergleichen höchstens noch in einem metaphorischen Sinn auf. So ist beispielsweise bei Hutton von einer abstrakten „göttlichen Weisheit“ die Rede  ;26 sie wird gewissermaßen als der letzte Grund für die Schaffung jenes „irdischen Systems [terrestrial system]“27 einer Welt herangezogen, das nun als „Maschine [machine]“ oder als „geordneter Körper [organized body]“28 be23 Vgl. die Ausführungen ab S. 379. 24 Vgl. S. 382. – Im Essay (A.  Ferguson  : Versuch, S. 339) wird von „aufeinanderfolgenden Verbesserungen“ die Rede sein, „die ohne Verständnis für ihre allgemeinen Wirkungen vollbracht wurden“. 25 A.  Ferguson  : Versuch, S. 339. 26 J.  Hutton  : Theory of the Earth (1788), pp. 210–211  : “We shall thus also be led to acknowledge an order, not unworthy of Divine wisdom, in a subject which, in another view, has appeared as the work of chance, or as absolute disorder and confusion.” (Hervorh. HK) 27 Ebd., p. 209. 28 Ebd., p. 216.

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zeichnet und aufgefasst wird. Die genaueste Beschreibung dessen, was der science of man eine solche Maschine an Erklärungswert bieten konnte, findet sich in Humes posthum erschienen Dialogues concerning Natural Religion  : „Seht Euch um in der Welt  ; betrachtet das Ganze und jeden Teil  ; Ihr habt darin nichts als eine einzige große Maschine, die in eine unendliche Anzahl kleinerer Maschinen geteilt ist [nothing but one great machine, subdivided into an infinite number of lesser machines], deren jede wieder bis zu einem Grade Unterteilungen gestattet, die menschliche Sinne und Fähigkeiten nicht mehr zu verfolgen und zu erklären vermögen. Alle diese verschiedenen Maschinen und selbst ihre kleinsten Teile sind einander mit einer Genauigkeit angepaßt, die jedermann, der sie jemals betrachtet hat, in staunende Bewunderung versetzt. Die wunderbare Angemessenheit von Mitteln und Zwecken in der ganzen Natur gleicht genau, wenn sie auch weit darüber hinausgeht, den Hervorbringungen menschlicher Kunst, menschlicher Absicht, Weisheit und Einsicht. Da also die Wirkungen einander gleichen, werden wir nach allen Regeln der Analogie zu dem Schluß geführt, daß auch die Ursachen einander gleichen und daß der Urheber der Natur dem Geist des Menschen einigermaßen ähnlich ist, freilich im Besitz viel größerer Fähigkeiten, entsprechend der Größe des Werkes, das er hervorgebracht hat.“29

Das alles schreibt Hume, wohlgemerkt, in einem Buch, dessen Gegenstand die Religion ist. Es rechtfertigt die Länge dieses Zitats, dass es alle wichtigen Aussagen enthält, die die Welterklärung am Beispiel der Maschine kennzeichnen  : Die Welt lässt sich als Maschine vorstellen, die wiederum aus Maschinen zusammengesetzt ist, deren Funktion der Mensch bis zu einem gewissen Grad entschlüsseln kann. Ergänzt, ja eigentlich erweitert wird dieses Bild – wenn auch etwas verschämt – durch die Schlussfolgerung einer Ähnlichkeit von Gott und Mensch. Mehr an Zuversicht ist kaum vorstellbar – jedenfalls noch nicht am Ende des 18. Jahrhunderts. Durch ausgeklügelte Mechanismen, die vom Menschen mitunter, doch keineswegs immer zu durchschauen sind, wird der reibungslose und zweckgerichtete Ablauf des Ganzen gewährleistet, dem trotz aller Skepsis und aller Zweifel ein Sinn zuerkannt wird. Die Aufgabe der Menschen ist es nun, diesen Sinn mittels Schlüssen, die aus der Anschauung gewonnen werden können, so weit wie möglich zu ergründen. Darunter ist nichts anderes zu verstehen, als dieses universale System zu rekonstruieren und die Regeln, Gesetze und Absichten, die ihm zugrunde liegen, aufzufinden und zu reformulieren. Ohne die fundamentale Überzeugung, dass hinter den gesuchten Regeln zudem Absichten stehen, gäbe es keine Aufklärung. So ist mit der Idee des Deismus eine ganz bestimmte Dynamik des Denkens verknüpft  : In dem Maß, wie sich in den Überlegungen der Zeit der Schöpfergott aus der Teilnahme am Geschehen in der Welt zurückzieht, erfolgt seine Ersetzung der so zurückgelassenen Leerstelle durch den Gedanken des Systems  ; der ehedem metaphysische Erklärungsansatz wird, ganz im Einklang mit dem 29 D.  Hume  : Dialoge über natürliche Religion, S. 19 f. – OT.: ders.: Dialogues concerning Natural Religion, p. 25.

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Denkstil der Zeit, durch einen technisch-naturwissenschaftlichen zurückgedrängt. Der Deismus ist kein Glaube im religiösen Sinn, sondern der argumentative Platzhalter, der lediglich das Vakuum ausfüllt, das der schwindende Einfluss der Offenbarungsreligion im Zusammenhang mit der Erklärung der Welt hinterlässt. Im Deismus ist eine wesentliche Voraussetzung des Systemdenkens der Zeit auszumachen. Die damit in Gang gesetzte Entwicklung zog jedoch methodische Probleme nach sich, deren Tragweite keineswegs von allen Denkern des 18. Jahrhunderts sofort erfasst wurde. Dass in der allzu innigen Hoffnung auf Gleichungen, die aufgehen – also gewissermaßen in einer Art von „Systemsucht“ –, eine Gefahr für die Zuverlässigkeit von Untersuchungen liegen konnte, war ein wissenschaftstheoretisches Problem, für das bei allen Bekenntnissen zur Empirie und Alltagserfahrung im Schottland des 18. Jahrhunderts noch kein allzu deutliches Bewusstsein erkennbar ist. Eine bemerkenswerte Ausnahme hiervon ist in den Edinburgher Kreisen allerdings mit James Steuart auszumachen, dessen gelungene Veranschaulichung gerade dieses Problems in der Einleitung zu seiner Inquiry into the Principles of Political Oeconomy ein weiteres ausführlicheres Zitat rechtfertigt  : „Die große Gefahr, der man ausgesetzt ist […], Irrtümer zu begehen, rührt davon her, weil wir bei ihrer Betrachtung nicht weit genug hinaussehen, und nicht auf den Einfluss der sie begleitenden Umstände Acht geben, um deren willen die generellen Regeln meist unbrauchbar werden. Leuten, die gute Naturgaben und Wissenschaft besitzen, wird es fast allemal gelingen, von jeder Materie wenigstens nicht ungereimt zu reden  : aber wenn sie sich mit ihren Untersuchungen in die verwickelten Interessen der Gesellschaft [interests of society] hineinwagen, so kann ein Verfasser gar leicht sich durch die Lebhaftigkeit seines Genies hinreißen lassen, dass er sich nicht um die Mannigfaltigkeit der Umstände kümmert, welche fast jede Folgerung, die er ziehen kann, ungewiss machen. Hieraus fließt, meines Erachtens, die sogenannte Systemsucht [the habit of running into what the French call Systemes]. Solche Systeme sind nichts weiter, als eine Kette zufälliger Folgerungen, die man aus etlichen wenigen, vielleicht zu voreilig angenommenen, Grundmaximen gezogen hat [no more than a chain of contingent consequences, drawn from a few fundamental maxims, adopted, perhaps, rashly]. Sie sind bloße Phantasien [mere conceits], sie verführen den Verstand, und machen den Weg zur Wahrheit unkenntlich. Man folgert eines aus dem andern, macht einen Schluss daraus, und nennt ihn einen Grundsatz  : aber kaum ist dies geschehen, so dehnt der Autor den Einfluss dieses Satzes weit über die Grenzen derjenigen Ideen hinaus, die seinem Verstand damals gegenwärtig waren, als er die Herleitung machte.“30

Was Steuart hier anspricht, ist ein zeitloses Problem der Wissenschaftstheorie, das damit natürlich keine Lösung erfährt  : Ohne eine systematische Ordnung von Ergebnissen, ohne Wissensorganisation und insbesondere ohne ein Schließen von den Einzelbeob30 J.  Steuart  : Untersuchung der Grundsätze der Staats-Wirtschaft, S. VII (Hervorh. übern., Schreibweise aktualisiert). – OT.: ders.: An Inquiry into the Principles of Political Oeconomy, p. IX.

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achtungen auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten – die schottischen Denker sprechen üblicherweise von „Prinzipien [principles]“ – ist wissenschaftliches Vorankommen nicht möglich. Die Gefahr liegt nicht in diesem Ansatz als solchem, sondern, wie Steuart wohl zum Ausdruck bringen will, darin, dem Charme immer weiterer Vereinfachungen zu erliegen, wie Smith sie in seiner berühmten Maschinen-System-Analogie in der History of Astronomy vor Augen führt  : „Systeme ähneln in vieler Hinsicht Maschinen. Eine Maschine ist ein kleines System, das hergestellt wurde, um unterschiedliche Bewegungen und Wirkungen hervorzurufen oder miteinander zu verbinden, für die ihr Schöpfer eine Veranlassung sah. Ein System ist eine fiktive Maschine, die erfunden wurde, um in der Vorstellung jene unterschiedlichen Bewegungen und Wirkungen zu verbinden, die in der Wirklichkeit bereits auftraten. Diejenigen Maschinen, die als erste erfunden wurden, um eine besondere Bewegung auszuführen, sind immer am unübersichtlichsten, und die nachfolgenden Hersteller entdecken im Allgemeinen, dass die gleichen Wirkungen mit weniger Rädern und mit weniger Bewegungsabläufen als in der ursprünglichen Ausführung leichter hervorgerufen werden können.“31

Wendet man die in dieser Analogie beschriebene Vorgehensweise auf Erklärungsmodelle an, so bedeutet das eine immer weitere Vereinfachung, die schließlich bei einem ursprünglichen Prinzip anlangt, das sich nicht weiter vereinfachen lässt. Es geht also um das Auffinden „allgemeiner Grundsätze“. Über diese Grundsätze sagt Ferguson im Essay  : „In der Theorie bekennen wir uns zur Erforschung allgemeiner Grundsätze. Um den Gegenstand unserer Untersuchung unserem Verständnis zugänglich zu machen, sind wir bereit, irgendein System anzunehmen.“ Bis hierher beschreibt er nichts anderes als das von Smith Gesagte. Doch dann fährt er fort  : „Indem wir auch menschliche Angelegenheiten auf solche Weise behandeln, möchten wir jede Wirkung aus einem einzigen Prinzip der Vereinigung oder einem einzigen Prinzip der Zwietracht herleiten. Der Naturzustand gilt uns entweder als ein Zustand des Krieges oder der Freundschaft. Dementsprechend erscheinen die Menschen als so geschaffen, daß sie sich entweder aus einem Prinzip der Zuneigung oder aus einem Prinzip der Furcht vereinigen, ganz wie dies ins System der verschiedenen Schriftsteller paßt.“32

Damit weist Ferguson auf die Möglichkeit der Umkehrung der Erklärungsrichtung hin. Diese besteht darin, dass nicht zwangsläufig die Erforschung der Wirklichkeit zur Formulierung des Systems führen muss, sondern ebenso gut auch die mittels Anschauung gewonnenen Befunde auf eine solche Weise erklärt werden können, dass sie in den Kon-

31 A.  Smith  : Essays, p. 66 (e. Ü.). 32 A.  Ferguson  : Versuch, S. 117.

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text eines bereits bestehenden Modells passen. Damit ist man wieder auf den Komplex der Präsuppositionen zurückverwiesen.33 Die Folgerung, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gotteslehre des Deismus und der Ausprägung eines Systemdenkens in der science of man auf der Grundlage des von der natural philosophy vorgezeichneten Modells bestehe, ist naheliegend. Die Nähe zwischen der Grundüberzeugung, die Welt sei von einem allwissenden Baumeister erschaffen worden, und dem Glauben an ein sich selbst stabilisierendes System fällt ins Auge. Ob aus dieser Nähe ein ursächlicher Zusammenhang herausgelesen werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden. Der Hinweis auf bestimmte Parallelen im Hinblick auf die Funktion, die zwischen dem ohne Zutun seines Schöpfers aus sich selbst heraus funktionierenden „System der Schöpfung“ einerseits und den im Schottland des 18. Jahrhunderts aufkommenden Selbstregulierungstheorien Humes (Phasenmodell der Selbstregulierung), Smiths („unsichtbare Hand“) und Fergusons („spontane Ordnung“) andererseits erkennbar sind, mag an dieser Stelle genügen.34

33 Siehe den Abschnitt 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen ­Vorausgesetzte“). 34 Nähere Ausführungen zu diesen Theorien der Selbstregulierung von Systemen siehe im Kapitel 13 („Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen“).

10. Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik

„Aufklärung“ ist kein scharf umrissener Begriff. Er enthält eine konkrete politische Dimension, denn er löst die Vorstellung von Gewissheit aus dem religiösen Kontext und überantwortet sie dem Bereich menschlichen Strebens. Erkenntnis ebenso wie die gesellschaftliche Ordnung, beide zunehmend befreit von theologischer Fesselung, werden zum Ergebnis menschlichen Bemühens. Der Übergang von offenbarter Weltdeutung zum gezielten Erwerb von Wissen wird Programm, die Welt wird zum Arbeitsfeld. Entfaltungsräume für das Individuum eröffnen sich. Es entsteht ein neues Bild, und darin zeigt sich  : Der Geschichte der Menschheit wohnt eine Dynamik inne, eine Kraft, die das Individuum zum Handeln „motiviert“ und dadurch die Zivilisation insgesamt vorantreibt. Diese Kraft wirkt auf verschiedenen Ebenen und auf unterschiedliche Weise. So ist es, betrachtet man die Geistesgeschichte und die Wissenschaften, vor allem ein methodischer Wandel, der zu grundlegenden Veränderungen führt  ; insbesondere ein empirisches Vorgehen bei der Theoriebildung in den sich ausbildenden Naturwissenschaften erzeugt ein fundierteres Verständnis für die beobachteten Zusammenhänge und begünstigt in der Folge die Entwicklung von Techniken, die die Lebensumstände der Völker verändern. Das Denken wird in diesem Bereich zum Problem-Verstehen, dem eine Zielorientierung hin zum Problem-Lösen nachfolgt. Der praktische Nutzen der empirischen Vorgehensweise rückt in den Vordergrund und legitimiert sie damit. Im Verlauf dieses Prozesses greift der methodische Wandel – in vielen Ländern Europas, und eben auch in England – auf die philosophische Welterklärung über  ; es ist immer wieder Francis Bacon hervorzuheben, der im angelsächsischen Denken die theoretische Grundlegung dieses Wandels entwickelt, vor allem aber mit Nachdruck propagiert hat. Wenn also nach den treibenden Kräften für den zivilisatorischen Aufbruch der Neuzeit Ausschau gehalten wird, so gilt es zunächst auf diesen Methodenwandel in den Wissenschaften hinzuweisen. Er bewirkt eine grundlegende Neuausrichtung des Vorgehens. Hinsichtlich der materiellen Lage der Gesellschaft geht der Strukturwandel, der sich zuerst als ein wirtschaftlicher darstellt, auf die Arbeitsteilung zurück. Kein Moralphilosoph des 18. Jahrhunderts, der sich nicht mit ihr auseinandergesetzt und sie als den Motor nicht nur der ökonomischen, sondern auch der gesellschaftlichen Dynamik hervorgehoben hätte. Insbesondere im Denken der Schottischen Aufklärung wird dieser Gedanke unisono vertreten und theoretisch untersucht. Neben dem Methodenwandel in den Wissenschaften spielt also die Arbeitsteilung, die von diesem zusätzlich angetrieben wird, eine herausragende Rolle. Als von ebenso großer Bedeutung erweist es sich da, dass die science of man die ökonomische Dynamik auf ein handelndes Subjekt zurückführen kann. Als der Akteur schlechthin erweist sich das von seinen Interessen angetriebene Individuum, das seine Anstrengungen zwar für sich selbst unternimmt, dabei jedoch

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im Sinn nicht intendierter Handlungsfolgen zum Wohl aller beiträgt. Die genannten Interessen sind eng verwoben mit einem Sachverhalt, der eigentlich in das Gebiet der Wissenschaft vom Staat gehört  : der Auseinandersetzung um die Bedeutung und die Legitimation des Eigentums. Die Möglichkeit zu dessen Erwerb wird im politischen Denken Englands spätestens seit Hobbes als die wichtigste Triebfeder aller Anstrengungen angesehen. Und auch die schottischen Moralphilosophen haben ihre Vorstellungen vom Staat, der Gesellschaft und der Ökonomie geradezu um diesen Gedanken herum ent­ wickelt. Es erscheint also denkbar, im Folgenden den Aufbruch der schottischen und englischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts aus dem Blickwinkel dieser drei genannten Wirkkräfte zu betrachten  : – aus dem Methodenwandel in den Naturwissenschaften und der sich daran orientierenden, aus der Moralphilosophie entstehenden science of man, – aus der Arbeitsteilung als dem Hauptantrieb der ökonomischen Produktivität – sowie aus den Implikationen, die sich aus der Entdeckung des wirtschaftlichen Akteurs, nämlich des von seinen Interessen geleiteten Individuums und einer immer weiteren juridischen Konkretisierung des Eigentumsbegriffs ergaben. Was die schottischen Moralphilosophen des 18. Jahrhunderts vor allem zuversichtlich stimmt, ist ihr Vertrauen in die Stärke dieser Wirkkräfte, die als die eigentlichen Triebfedern auf dem Weg hin zu einer civilised society erfahren werden.

10.1 Der Wandel in den Vorgehensweisen

Die Denker der Schottischen Aufklärung eint die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich mittels einer neuen Methodik von der Theoriebildung der traditionellen Moralphilosophie zu lösen. Darin spiegelt sich das deutliche Bekenntnis zu einem Erwerb von Kenntnissen, wie ihn die Naturwissenschaften verfolgten. Verlässliche Faktizität soll gegen spekulative Welterklärung gesetzt werden. Die Hoffnungen, prognosetaugliche Erkenntnisse zu gewinnen, lasten auf der experimental method und dem Verfahren einer conjectural history. 10.1.1 ‘Experimental Method’

Die Festlegung auf die empirische Methode ist seit Francis Bacon eine Vorgabe. Spätestens im 18. Jahrhundert wird dies in der angelsächsischen Moralphilosophie zum Commonsense. Dass an den Universitäten in Schottland konservative und kirchliche Kreise weiterhin eine starke Stellung innehaben und diese auch nicht leichthin preiszugeben bereit sind – wie die zahlreichen Auseinandersetzungen allein um akademische Ämter zeigen –, widerspricht dem nicht. Die neuen methodischen Überzeugungen haben in

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diesem Umfeld zunächst einen schweren Stand gegen die vielfältigen politischen Interessen. Als Hume allerdings um 1740 im Untertitel seines Treatise die experimental method zum Motto macht, sind die spekulative Metaphysik und die theologisch-teleologische Argumentation längst auf dem Rückzug. Genau genommen proklamiert Hume also den Abriss eines Gebäudes, das bereits am Einstürzen ist. Von größerem Interesse als das in den Vordergrund gerückte Bekenntnis zur empirischen Methode ist ohnehin die Antwort auf die Frage, auf welche Weise diese sich einsetzen lässt – und von wem sie tatsächlich eingesetzt wird. Besieht man sich die führenden Denker der Schottischen Aufklärung – Hume, Smith und Ferguson –, so zeigt sich nämlich eine Uneinheitlichkeit, die so nicht zu erwarten gewesen wäre. Auch wenn man in Hume durchaus einen bedeutenden Theoretiker – mehr jedoch  : Apologeten – der empirischen Methode sehen kann, so ist er in einem strengeren Sinn selbst doch kein Empiriker, denn dazu geht er bei der Erebung seines „Materials“ fraglos zu unsystematisch vor.1 Und auch seine Blickrichtung kann insofern noch als konventionell gelten, als er in all seinen Schriften vor allem den Menschen betrachtet, aber nicht die Menschen. Seine Vorstellung von der „menschlichen Natur“ verdankt sich – mag diese Verallgemeinerung den genauen Sachverhalt auch etwas verkürzen – eher systematischer Überlegung als einer systematischen Strukturierung von gezielten Beobachtungen realer Verhältnisse oder Vorgänge. „Empirisch“ vorzugehen bedeutet für Hume eben vor allem, wie er im Zusammenhang seiner Theorie der Perzeptionen dargestellt hat, „mehrdeutige Vorstellungen [ideas] auf Eindrücke [impressions] zurückzuführen“.2 Offensichtlich ist das nicht der Begriff von Empirie, wie er in unserer Zeit gebräuchlich ist. Die Gesellschaftswissenschaften nach heutigen Verständnis standen im 18. Jahrhundert bestenfalls an ihren Anfängen, und deshalb würde es auch zu keinem Ziel führen, hier aktuelle methodische Maßstäbe anzulegen und eine systematische Erhebung von Datenbeständen über gesellschaftliche Tatsachen zu erwarten. Die frühe science of man ist keine Wissenschaft der wirklich kontrollierten Beobachtung und schon gar keine der Zahlen. Wie sehr die Neuausrichtung jedoch bereits im Gang ist, beweisen Smiths Arbeiten  : Seine Theory ähnelt hinsichtlich ihrer Argumentationsweise durchaus noch Humes Treatise, während der Wealth of Nations bereits eine charakteristische Hinwendung zur investigativen Einzelbeobachtung und zu einer frühen Form der Datenerhebung und -auswertung erkennen lässt. Darin kann man, trotz all des von Smith an den Tag gelegten Hangs zur Überausführlichkeit und eines Sich-Ergehens in weltanschaulich-ethischen Detailbetrachtungen, mehr erkennen als nur einen Unterschied in den Mentalitäten der beiden Denker, nämlich in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht eine Zäsur. 1 Es gibt durchaus Wissenschaftler, die diesbezüglich über Hume ein noch härteres Urteil gefällt haben. J. Immerwahr  : Hume’s Revised Racism, p. 485, der sich mit dem Problem von Humes Rassismus auseinandergesetzt hat – siehe den Abschnitt 8.1.3.1 („David Hume  : Zivilisation und Regulation“) –, zitiert R. H. Popkin mit der Aussage, Hume sei ein “lousy empirical scientist” und ein “dishonest researcher” gewesen, dem es gelungen sei, “to avoid taking cognizance of the facts that disproved his claim.” 2 Siehe den Abschnitt 7.5.2 („Kausalität  : Gewissheit aus Gewohnheit  ?“).

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In der Neuausrichtung der wissenschaftlichen Methodik, deren Anfänge wir im angelsächsischen Raum bei Bacon sehen, liegt für eine ganze Epoche ein starkes Moment des Aufbruchs. Darauf ist es auch zurückzuführen, dass sich im 18. Jahrhundert aus der überkommenen Moralphilosophie überhaupt eine science of man entwickeln kann, die zu einem ersten Leitbild für die künftigen Gesellschaftswissenschaften wird. Mitunter allerdings wird die Zuversicht auch vom reinen Hoffen davongetragen. Ein Beispiel dafür bietet Hume in seinem Essay That Politics May Be Reduced to a Science,3 worin er der Hoffnung auf die Möglichkeit der Verbannung des Kontingenten aus dem politischen Handeln Ausdruck verleiht, indem er die Existenz „ewiger politischer Wahrheiten“ beschwört, die es aufzufinden und zu befolgen gelte.4 Dies erinnert bei flüchtiger Betrachtung an ein Wiederbeleben etwa der Machiavelli’schen Analyse politischer Macht, doch geht es Hume viel eher um ein Regelwerk, ja um ein Regulativ, das in der Lage ist, extreme Ausschläge der gesellschaftlichen Entwicklung zu unterbinden. Ein näheres Eingehen auf diesen Sachverhalt würde hier zu weit führen  ; ich komme darauf aber an anderer Stelle noch zurück.5 Der wohl klarste Hinweis darauf, dass die Hoffnung auf einen Zuwachs an Erkenntnis (enlargement of science) nicht so sehr über das reine Sammeln von Fakten, sondern vor allem über die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Methodik und den konsequenten Einsatz der auf diese Weise freigelegten Vorgehensweise zu führen habe, ist in Fergusons Institutes of Moral Philosophy zu sehen.6 Darin zeigt sich, wie die Wissenschaft selbst zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse wird. Für den akademischen Gebrauch wird hier in beeindruckender Stringenz aufgeschlüsselt, wie Theoriebildung funktioniert und worauf sie beruht.7 Es ist kein eigentlich moralphilosophisches Werk,8 sondern eines über die Methodik der Moralphilosophie und als solches ein Einzelfall unter den Publikationen der Schottischen Aufklärung. Auch macht es wie kein anderes in seinem Umfeld transparent, wie vorzugehen ist, um zu Erkenntnis zu gelangen. Als 3 D. Hume  : Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 7–24. – OT.: ders.: That Politics May Be Reduced to a Science. In  : ders.: Essays (M.), pp. 14–31. 4 Siehe den Abschnitt 14.2.3 („Politik als Wissenschaft  : ‘That Politics May Be Reduced to a Science’“). 5 Am deutlichsten kommt Humes Vertrauen in die strikte Regelbarkeit von Politik in seinem Essay Idea of a Perfect Commonwealth zum Ausdruck, siehe Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“). 6 A.  Ferguson  : Institutes. – Deutsche Übersetzung  : ders.: Grundsätze. 7 Es handelt sich eigentlich um ein Lehrbuch für Studenten. Die Aussage über Fergusons stringentes Vorgehen bezieht sich auf den Aufbau des Bandes. Ein Einleitungskapitel klärt die theoretischen Prämissen  : “1. Of knowledge in general – 2. Of the objects of study – 3. Of the laws of nature – 4. Of theory – 5. Of the causes that have retarded the process of science – 6. Of the maxims of reason to be followed in speculation, as well as in common life – 7. Of moral philosophy – 8. Of pneumatics”. Zitiert nach der revidierten Auflage  : A new edition enlarged, Basil 1800. – Durch die Sprache von Garves deutscher Übersetzung – „Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie“, Leipzig 1772 – wird die Klarheit des Originals allerdings etwas verwischt. 8 Womit gemeint ist  : Es ist kein Buch, das moralphilosophische Fragestellungen zum Gegenstand hat.

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Beispiel für Fergusons didaktischen Anspruch und in gleicher Weise für dessen sprachliche Umsetzung mag dienen, was er im Abschnitt „Von der Wissenschaft [Of science]“ über die Theoriebildung sagt  : „In der Wissenschaft gibt es zwei Arten von Methoden  : die analytische und die synthetische. Die analytische Methode ist diejenige, bei der wir von der Feststellung von Tatsachen beziehungsweise von Einzelfällen zur Formulierung allgemeiner Regeln gelangen.9 Mittels der synthetischen Methode schreiten wir von den allgemeinen Regeln zu ihren jeweiligen Anwendungen voran. Erstere ist die Methode der Erforschung [investigation]. Die zweite ist jene der Vermittlung [communication] und der Erweiterung der Wissenschaft. Es gibt zwei Arten der Beweisführung  : a priori und a posteriori. Beim Beweis a priori wird die Tatsache aus dem Gesetz bewiesen. Beim Beweis a posteriori wird das Gesetz mittels der Tatsache bewiesen.“10

Diese Sätze stehen am Anfang einer umfangreichen Methodenlehre mit dem Ziel, Ordnung in die Vorgehensweise der Moralphilosophie zu bringen. In ihrer Gesamtheit lassen Fergusons Institutes erkennen, auf welch starken Impuls für die science of man nunmehr die Hoffnung gerichtet war, sofern die hier dargelegte Arbeitsweise zur Anwendung käme. Unter den verschiedenen Spielarten also, mit denen im Denken der Schottischen Aufklärung Zuversicht genährt und zum Ausdruck gebracht wurde, ist die Entwicklung der empirischen Methode – wenn auch nur implizit – von besonderer Bedeutung. Diese Entwicklung erfolgt aus den Bacon’schen Ansätzen, und bereits in diesen hatte sich ein starker Geist des Aufbruchs sowie der Abkehr von religiös vorgeprägten spekulativen Konstrukten gezeigt. Vor allem aber setzte man Vertrauen in eine Vorstellung von Wissenschaftlichkeit, die ihre Stärken in einer strikten Orientierung an Kausalität sieht. Sind aber die wissenschaftstheoretischen Probleme damit wirklich vollständig gelöst  ? Das ist keineswegs der Fall. Allgemein wird die programmatische Hinwendung zur experimental method zum entscheidenden Schritt der Abkehr von den rationalistischen Ansätzen der Weltdeutung, der nicht nur von Hume geschmähten „spekulativen Metaphysik“, erklärt. Die schottischen Denker vollziehen diesen Schritt bewusst mit und sie setzen dabei auf Empirie in einem weiteren Sinn – im „weiteren“ Sinn deshalb, weil ihr Erfahrungsbegriff sich mit einem reinen Sensualismus, einem unmittelbaren sinnlichen Erfahren, weder bescheidet noch bescheiden kann, sondern auch solche Quellen der Erkenntnis mit einschließt, die keineswegs nur auf der reinen Sinneswahrnehmung beruhen. Betrachtet man nämlich die in den Schriften von Hume, Smith, Ferguson und Millar jeweils vorgetragene Argumentation, so stellt diese sich als von historischen Überlieferungen und Reiseberichten nicht weniger geprägt dar als von unmittelbarer An  9 Was Ferguson damit anspricht, nennt heute die Wissenschaftstheorie „induktives Vorgehen“ oder auch einen „Bottom-up-Ansatz“. 10 A.  Ferguson  : Institutes, pp. 3–4 (Hervorh. übern.; e. Ü., wobei die originale Gliederung in Absätze nicht berücksichtigt wurde).

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schauung. Zudem fließen in sie häufig Präsuppositionen mit ein, die als solche nicht reflektiert werden. Grundsätzlich musste das kein Makel sein, und es wurde von den schottischen Denkern auch nicht als ein solcher empfunden, denn all diese Elemente können im Rahmen einer Theoriebildung, die dem reinen Rationalismus entkommen will, immerhin ihren heuristischen Wert haben. Was dabei jedoch nahezu unbeachtet bleibt, ist, dass der Rationalismus gerade im Zug der Theoriebildung mit Macht zurückschwingen kann. Theoriebildung ist ein Verfahren der Konstruktion  ; Theorien ergeben sich nicht, sie werden aus Voraussetzungen, seien es empirisch gewonnene, seien es überlieferte oder von einem schöpferischen Verstand erzeugte, geschaffen. Um dieses Eingeständnis kommt auch nicht umhin, wer vehement auf die experimental method setzt – also auch Hume nicht. Jegliche sich daraus speisende Zuversicht, dass man in methodischer Hinsicht dem rationalistischen Denken ganz und gar entkommen wäre oder auch nur entkommen würde können, war daher unbegründet. 10.1.2 ‘Conjectural History’

In seiner wissenschaftstheoretischen Abhandlung über die History of Astronomy befasst Smith sich mit der Frage des Verständnisses von Abläufen. Was für die einen ganz im Einklang mit dem natürlichen Lauf der Dinge stehe, erscheine anderen als „insgesamt ohne Bezug und unzusammenhängend“.11 So würden Produktionsabläufe, die für jene, die sie ausführen, selbstverständlich seien, von Außenstehenden als undurchschaubar angesehen, weil diese die Ordnung der aufeinanderfolgenden Schritte nicht erkennen könnten. Smith spricht in diesem Zusammenhang von den orders of succession, die es zu erkennen gelte,12 und er leitet daraus die Aufgabe der Wissenschaft ab  : „Die Philosophie ist die Wissenschaft von den verbindenden Prinzipien der Natur [connecting principles of nature].“13 Wie sich erweisen wird, liegt gerade in diesem von Smith hervorgehobenen Aspekt des Verbindens die eigentliche methodische Herausforderung, denn nur als einem schlüssig rekonstruierten schrittweisen Prozess kommt etwa der Geschichte, aus diesem Blickwinkel betrachtet, ein verallgemeinerbarer Erklärungswert für die Fragen der Gegenwart zu. Es wird immer wieder deutlich, wie sehr den schottischen Denkern an einer belastbaren wissenschaftlichen Methodik ihrer Untersuchungen gelegen ist. Sie bringen dies in ihren diversen Bekenntnissen zu Empirie, experimenteller Methode und Abkehr von einem spekulativen Rationalismus zum Ausdruck. Allerdings kann sich auch die von ihnen angestrebte science of man letztlich nicht als das erweisen, was sie mit der Forderung nach einem empirischen Vorgehen anstreben  : eine exakte, auf klarer Faktizität beruhende Wissenschaft. So wird üblicherweise ein Mangel an prognostischer Zuverlässigkeit 11 A.  Smith  : Essays, p. 44 (e. Ü.). 12 Ebd. 13 Ebd., p. 45.

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als beklagenswert angesehen beziehungsweise, so Merton, eine sich daraus ergebende „eingeschränkte Voraussehbarkeit von Handlungsfolgen“.14 Seit Dugald Stewarts biografischem Account of the Life and Writings of Adam Smith15 ist im Zusammenhang mit dem methodischen Vorgehen der schottischen Autoren, insbesondere demjenigen Smiths, das Wort von der conjectural history (auch  : theoretical history) in der Welt.16 Stewart versuchte eine Beschreibung dieser Methode zu geben  : „Infolge dieses Mangels eines Zeugnisses [für die Faktizität] sind wir, wenn wir nicht feststellen können, wie sich Menschen tatsächlich bei bestimmten Gelegenheiten verhalten haben, gezwungen, Tatsachen durch Mutmaßungen zu ersetzen [we are under a necessity of supplying the place of fact by conjecture] […], und zwar darüber, wie [diese Menschen] wahrscheinlich gemäß den Grundsätzen ihrer Natur und den Umständen ihrer äußeren Situation vorgegangen sind.“17

Angesichts der Hinwendung zum Ideal einer reinen Erfahrungswissenschaft ist dies ein bemerkenswertes Eingeständnis, denn es besagt zweierlei  : Zum einen könne Faktizität nicht in jedem Fall gewährleistet werden, zum andern biete sich jedoch ein methodischer Ausweg aus diesem Mangel. Brewer erklärt, indem er Stewarts Ausführungen hinzuzieht, wie dieser Ausweg bei Smith ausgesehen hat  : „Stewart meinte, dass Smith (sachkundige) Konjektur [(informed) conjecture] benutzte, um die unvermeidlichen Lücken in den historischen Beweisen [the unavoidable gaps in the historical evidence] zu füllen, obwohl feindselige Kommentatoren es so interpretiert haben, dass Smith einfach die Fakten ignorierte.“18 Als „Konjektur“, so viel zur Begriffsklärung, bezeichnet die Sprachwissenschaft eine „erschlossene, vermutlich richtige Lesart eines unzulänglich überlieferten Textes“.19 Es darf damit also nicht der Verdacht bloßen Ratens in den Raum gestellt werden  ; vielmehr geht es um ein Verfahren der Rekonstruktion fehlender Elemente eines Textes mithilfe weniger anderer, die tatsächlich zur Verfügung stehen. Stewart beschreibt die Hoffnung auf das Missing Link in der Geschichte so  : „Bei der Untersuchung der Geschichte der Menschheit ebenso wie bei der Untersuchung der Erscheinungen der 14 R. K. Merton  : The Unanticipated Consequences of Purposive Social Action, p. 898. 15 D.  Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith. 16 Siehe hierzu A. Brewer  : Adam Smith’s stages of history, sowie L. Montes  : Adam Smith on the Standing Army Versus Militia Issue  : Wealth Over Virtue  ?, p. 325 und 327. – Montes bringt bei Smith die Anwendung der Methode vor allem mit dessen Ausführungen zu seinem in vier Entwicklungsstadien gegliederten Geschichtsmodell in Verbindung. 17 D.  Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith, p. 34 (e. Ü.). – Stewart spricht hier im Übrigen von der “Theoretical or Conjectural History” in synonymer Bedeutung. 18 A. Brewer  : Adam Smith’s Stages of History, p 1 (e. Ü.). 19 „Konjektur“. In  : Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1964–1977), kuratiert und bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/wdg/Konjektur (Aufruf 15. 11. 2018, Hervorh. HK).

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natürlichen Welt ist es, wenn wir den Vorgang, wie etwas entstanden ist, nicht nachzeichnen können, oft von Wichtigkeit zu zeigen, wie es infolge natürlicher Umstände hätte entstanden sein können.“20 Die Methode der conjectural history besteht also darin, die Lücken in den überlieferten historischen Berichten mittels schlüssiger Annahmen zu schließen.21 Diese Lücken waren allerdings insofern groß, als die schottischen Autoren mit einem Erkenntnisinteresse auf diese Überlieferungen blickten, das sich auf Sachverhalte richtete, die in diesen überhaupt nicht enthalten waren und es auch nicht sein konnten. Denn wie in den Ausführungen zum Geschichtsverständnis etwa Fergusons gezeigt wurde, tritt hier die grundlegende Kluft zwischen der traditionellen Herrschergeschichte und jenem Prozess auf, der aus sich selbst heraus im Sinn einer spontaneous order der Entwicklung ihre – nachträglich zu rekonstruierende – Ordnung gab. Letzterer Gedanke aber war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch neu, und in der überlieferten Historiographie zeigte sich davon kaum eine Spur. Somit stellten sich die Lücken in den historischen Quellen nicht als solche der „Handlung“, sondern als solche der Struktur und der inneren Wirkkräfte der Gesellschaften dar. Was fehlte, waren nicht Ereignisse, sondern Aussagen über Motive, Tendenzen, Strömungen und eine Vorstellung von über längere Zeiträume anhaltenden Entwicklungen. Es handelte sich also um einen durchaus weiten Brückenschlag, der hier zu leisten war  : Bekannt war der Zielpunkt des Prozesses, nämlich die „verfeinerte und zivilisierte“ Gesellschaft der Gegenwart, und als bekannt vorausgesetzt wurde der Ausgangspunkt eines rohen und wilden Anfangszustands. Die Aufgabe lag nun darin, Ausgangs- und Endpunkt mittels einer Kausalkette schlüssig zu verbinden  : „Und tatsächlich ist der Bericht zufriedenstellend, wenn eine mögliche und natürliche Verknüpfung von Ursache und Wirkung dargestellt wird.“22 In den Stadienmodellen der gesellschaftlichen Entwicklung findet sich dies verwirklicht.23 Als Beispiel für die Anwendung der Methode der conjectural history führt Stewart jedoch keinen Text von Smith an, sondern er beruft sich auf Humes Natural History of Religion.24 Hume selbst allerdings gewährt darin keine Einblicke in sein methodisches Vorgehen, die über Stewarts Erklärung hinausreichten. Die Hoffnung auf wirkliche Faktizität im Sinn selbst des seinerzeitigen Naturwissenschaftsverständnisses ist vergeblich und muss es sein, denn die „menschliche Natur“ ist immer nur das Ergebnis von Schlüs20 D.  Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith, p. 34 (e. Ü.). 21 Die aufschlussreichste mir bekannte Auseinandersetzung mit dem Verfahren der conjectural history findet sich bei H.  Medick  : Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 305–313. 22 H. M. Höpfl  : From Savage to Scotsman  : Conjectural History in the Scottish Enlightenment, p. 40 (Hervorh. übern.; e. Ü.). 23 Siehe den Abschnitt 8.3 („Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Theorie“). 24 D.  Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith, p. 34  : „Dieser Art von historischer Untersuchung, für die es in unserer Sprache keine feste Bezeichnung gibt, erlaube ich mir die Bezeichnung Theoretische oder Mutmaßliche Geschichte zu geben – ein Ausdruck, der in seiner Bedeutung schön mit Natural History, wie sie Herr Hume [in seiner Natural History of Religion] versteht, übereinstimmt und für die die französischen Autoren die Bezeichnung histoire raisonnée verwenden.“ (Hervorh. übern.; e. Ü.)

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sen  ; diese werden ausgehend von historischem Quellenmaterial auf einen „ursprünglichen“ Zustand unternommen, der zeitlich und entwicklungsgeschichtlich weit vor der Entstehung solcher Quellen liegt. Legt man den Maßstab naturwissenschaftlicher Methodik an, so ist diese „menschliche Natur“ lediglich eine Hypothese. Hume selbst sagt über sein Vorgehen  : „Betrachten wir den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft von ihren rohen Anfängen bis zu einem Zustand größerer Vollkommenheit [the improvement of human society, from rude beginnings to a state of greater perfection], so scheint mir, daß der Polytheismus oder der Götzendienst die erste und allerälteste Religion der Menschheit war und notwendigerweise sein mußte [and necessarily must have been]. Diese Meinung [opinion] werde ich durch die folgenden Argumente zu bekräftigen suchen.“25

An dieser Aussage ist zweierlei bemerkenswert  : Zum einen gibt es über die wirklich „rohen Anfänge der menschlichen Gesellschaft“ mangels schriftlicher Überlieferungen kein Faktenwissen  ; Hume spricht folgerichtig von einer „Meinung“. Zum andern gesteht er genau dieses Fehlen eines Zugangs zu wirklichen Fakten sogar ein, wenn er den Nachweis, wie er sagt, „durch Argumente“ zu führen gedenkt, also eben ausdrücklich nicht mithilfe von „Belegen“. Er weiß einerseits um die Überzeugungskraft einer naturwissenschaftlichen, also einer auf experimentell reproduzierbaren oder auf gesicherten Fakten basierenden Beweisführung, und er versucht diese auf die science of man zu übertragen und damit seine Annahmen dem „wissbaren Wissen“ zuzuschlagen  ; gleichzeitig aber ist ihm die Unmöglichkeit dieses Vorhabens bewusst. Auch wenn Hume also in der Natural History of Religion sein methodisches Vorgehen nicht en détail erläutert, so ist doch offensichtlich, dass es sich dabei um ein Verfahren des Schließens handelt. Dieses allerdings könnte nur unter der Voraussetzung als eine wissenschaftliche Methode akzeptiert werden, dass es von gesicherten Voraussetzungen seinen Ausgang nähme. Welche Annahmen über die menschliche Natur aber, um die es hier natürlich geht, sind gesichert  ? Oder vielmehr  : Unter welcher Voraussetzung können sie es überhaupt sein  ? Evnine erläutert das Verfahren der conjectural history näher und vergleicht es treffend mit dem der Triangulierung  : Man benötigt zwei feste Punkte, um von diesen aus auf einen dritten schließen zu können. Als „fest“ im Sinn von „gesichert“ gelten dabei zum einen „die äußeren Umstände, in denen sich die Menschen zum relevanten Zeitpunkt wahrscheinlich selbst befunden haben“, sowie zum andern „die menschliche Natur, insbesondere die Natur des menschlichen Geistes“. Diese Methode erfüllt, so Evnine, ihre Aufgabe allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Natur des menschlichen Geistes anders als durch Feststellungen über dessen kulturelle Hervorbringungen bestimmt werden kann, da es ja gerade diese Feststellungen sind, derentwegen die Methode der conjec­tural 25 D.  Hume  : Die Naturgeschichte der Religion, S. 2 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: The Natural History of Religion, p. 2.

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history angewandt wird.26 Hume versucht sich der Gefahr eines solchen Zirkelschlusses zu entziehen, indem er eine Setzung vornimmt  : „Die Menschen sind zu allen Zeiten und Orten so sehr dieselben, daß uns die Geschichte auf diesem Gebiete nichts Neues oder Fremdartiges berichtet.“27 Das ist weder erwiesen noch lässt es sich – mangels Zeugnissen – „auf empirischem Weg“ überhaupt nachweisen. Allerdings ist die hier formulierte Vorstellung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter den schottischen Denkern längst Commonsense,28 und so kann Hume diesen Argumentationsweg einschlagen, ohne heftigen Widerspruch befürchten zu müssen. Es ist ihm auf diese Weise möglich, der Forderung nach stichhaltigen Zeugnissen etwas entgegenzusetzen, denn  : „Die Erde, das Wasser und die anderen Elemente, die Aristoteles und Hippokrates untersuchten, sind den uns heute zur Beobachtung vorliegenden auch nicht ähnlicher als die von Polybius und Tacitus geschilderten Menschen denen sind, die jetzt die Welt regieren.“29 Hume weicht damit also einem grundsätzlichen Problem aus, das für das Verhältnis zwischen der science of man und den Naturwissenschaften kennzeichnend war und es auch noch lange Zeit bleiben sollte  : „Genau genommen findet der Sozialwissenschaftler fast immer stochastische [im Sinn von  : zufällige] Verbindungen und nicht, wie in den meisten Bereichen der Naturwissenschaften, funktionale Verbindungen.“30 Das jedoch bedeutet, dass den Sozialwissenschaften der Weg über die Berufung auf Faktizität zwar nicht in jedem Fall offensteht, allerdings auch nicht zwingend offenstehen muss, denn  : Wie diese damit zurechtkommen können, zeigt eben die Methode einer conjectural history, die die Natur des Menschen als konstant voraussetzt.31 Hume folgt dieser Vorannahme – zumindest im angeführten Beispiel. Dass er sich in anderen seiner Schriften weniger eindeutig äußert, ja sogar gegenteilige Auffassungen vertritt, ist nicht unbemerkt geblieben. Bis heute wird kontrovers diskutiert, wie dies einzuordnen ist.32 Möglicher26 S. Evnine  : Hume, Conjectural History, and the Uniformity of Human Nature, pp. 589–590  : “To conjecture about the progress of some human institution or activity, we have to fix two other points  : the external circumstances in which people are likely to have found themselves and human nature, in particular the nature of the human mind, at the relevant time.” 27 D.  Hume  : Verstand, S. 99. 28 Vgl. als Hinweis darauf D. Stewart  : Collected Works, vol. 1, p. 69  : “That the capacities of the human mind have been in all ages the same, and that the diversity of phenomena exhibited by our specie is the result merely of the different circumstances in which men are placed, has been long received as an incontrovertible logical maxim […].” 29 D.  Hume  : Verstand, S. 100. 30 R. K. Merton  : The Unanticipated Consequences of Purposive Social Action, p. 898 (e. Ü.). 31 S. Evnine  : Hume, Conjectural History, and the Uniformity of Human Nature, pp. 590  : “The simplest way of satisfying this requirement is to hold that the nature of the human mind is constant, since that would mean that we have only to look at ourselves to know what the human mind must have been like in ages past.” 32 Siehe S. Evnine  : Hume, Conjectural History, and the Uniformity of Human Nature, pp. 591  : “The question of Hume’s stance on the uniformity of human nature has been subject to much debate. […] Both sides in this debate find copious evidence for their views in the writings of Hume, and I don’t doubt that each may represent a strand in the complex web of Hume’s thought.”

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weise deutet sein Schwanken zwischen den zwei Positionen darauf hin, dass er selbst sich inmitten eines Übergangs befand, in dessen Verlauf zeitweise beide Argumentationsmuster durchgespielt wurden.33 Dass die Annahme einer statischen Natur des Menschen auch für die schottischen Denker des 18. Jahrhunderts nicht zwingend ist, zeigt sich bei Ferguson, der ihr im Essay seine Überzeugung von der Entwicklungsfähigkeit der menschlichen Gattung entgegensetzt  : „Bei anderen Tierarten schreitet das Individuum von der Kindheit bis zur Reife fort und erreicht im Verlauf eines einzigen Lebens diejenige Vollkommenheit, die ihm von Natur aus möglich ist. Die Menschen dagegen weisen in der Gattung ebenso einen Fortschritt auf wie im Individuum. Sie bauen in jedem Zeitalter auf einem Grunde, der früher gelegt wurde.“34 Ferguson findet also aus dem Dilemma, einem wissenschaftlichen Anspruch ohne die Möglichkeit eines Rekurses auf gesicherte Fakten gerecht werden zu müssen, einen anderen Ausweg als Hume. Die menschliche Natur ist für ihn nicht statisch, sondern das Fortschreiten der menschlichen Gattung vollzieht sich als ein kumulativer Prozess. Unabhängig von derlei Unterscheidungen gilt, dass die Methode der theoretical/conjectural history alle Texte der Schottischen Aufklärung insofern mitträgt, als sie als das am meisten erfolgversprechende Verfahren dafür angesehen wird, „den Fortschritt in den verschiedenen Bereichen der sozialen, politischen oder kulturellen Lebensäußerungen des Menschen aufzuzeigen und in seinem regelhaften Zusammenhang, seiner zeitlichen Abfolge und in der Verknüpfung seiner einzelnen Stufen verstehbar zu machen.“35 Ebenso, wie Stewart diese Vorgehensweise erst nachträglich, nämlich 1794, erläutert, formuliert er dann auch erst, welche Fragestellung ihr zugrunde liegt, nämlich „durch welche sukzessiven Schritte der Übergang von den ersten einfachen Bemühungen der unkultivierten Natur zu einem Zustand vollzogen wurde, der so wunderbar geordnet und komplex [wonderfully artificial and complicated] ist.“36 Nicht zuletzt erklärt die Einsicht der schottischen Denker in die Plausibilität dieses methodischen Verfahrens der conjectural history die Tatsache, dass sie ihre Überlegungen auf historische Stadien33 D. Hume  : Über nationale Charaktere. In  : ders.: Essays (B.), Bd. 1, S. 165. – Hier äußert Hume sich über die seiner Meinung nach bestehenden Unterschiede zwischen den verschiedenen Menschenrassen  : „Ein so gleichartiger und konstanter Unterschied könnte nicht in so vielen Ländern und Jahrhunderten auftreten, wenn die Natur nicht einen ursprünglichen Unterschied zwischen diesen Menschenrassen gemacht hätte.“ – Folgender Sachverhalt könnte die Auffassung von einem allmählichen Übergang von einem Argumentationsmuster zu einem anderen stützen  : Hume fügte den Zusatz, in dem sich dieses Zitat findet und der in der Erstveröffentlichung von 1748 noch fehlte, erst in der Ausgabe von 1753/54 hinzu. Man kann dies als Wandel seiner Überzeugungen verstehen. – Zur Textgeschichte siehe U. Bermbach  : Die Ausgaben der „Essays“, S. XLVII–LVIII. Dazu passt auch, dass Fergusons Essay, um den es nachfolgend geht und der in dieser Frage ein neues Argumentationsmuster aufweist, erst 1767, also fast zwei Jahrzehnte nach Humes Erstfassung von Of National Characters veröffentlicht wurde. 34 A.  Ferguson  : Versuch, S. 101. 35 H.  Medick  : Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 309. 36 D.  Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith, p. 33 (e. Ü.).

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modelle der zivilisatorischen Entwicklung abstützen. Wie Stewart veranschaulicht hat, konnten die hinzugezogenen Reiseberichte zwar Hinweise liefern und Argumentationen untermauern, doch als Fundamente entwicklungsgeschichtlicher Theorien bedurften sie der Ergänzung durch die conjectural history.37 10.1.3 Folgerungen

Wie eingangs dieses Abschnitts angedeutet, trug die schottischen Denker die große Zuversicht, ein Wandel in der Methode des Wissenserwerbs werde zu einem Durchbruch der Moralphilosophie beim Versuch, die menschliche Natur präziser zu fassen, und zu einer Verbesserung bei der Prognostizierbarkeit auch von gesellschaftlichen Entwicklungen führen. Die Hoffnung in einen schrittweisen Methodentransfer von der natural zur moral philosophy kommt in fast allen Schriften der schottischen Denker zum Ausdruck, gleichgültig, ob es sich dabei um die Analyse der Beziehungen zwischen Affekten und Verstand durch Hume handelt oder um Fergusons Hinweis auf die Bedeutung „richtiger Beobachtung“, wenn es um das Erkennen des „animalischen und intellektuellen Wesens“ des Menschen gehe.38 Am weitesten stieß beim Versuch dieses angestrebten Methodenwandels wohl Smith vor, der sich beim Wealth of Nations allerdings auch auf einem Gebiet bewegte, auf dem Messbarkeit und der Vergleich von Quantitäten Erfolge bei der Erklärung von Sachverhalten verhieß. Er darf deshalb, anders als die anderen schottischen Autoren, zumindest bei diesem Werk mit gewissen Einschränkungen tatsächlich als Empiriker gelten. Aussagen beispielsweise über die Wirkweise des menschlichen Verstandes (Hume) oder über die Entstehung und Bedeutung von Hierarchien innerhalb von Gesellschaften (Ferguson und Millar) erforderten Aussagen interpretativer Art, die seit jeher auf den Austausch von Argumenten unter der Einwirkung von grundlegenden Überzeugungen im Sinn von Präsuppositionen zurückgehen und der Ebene der Faktizität damit entzogen sind. Die Hoffnung auf einen Erkenntnisschub durch ein Sich-Verlegen auf die experimental method oder das Verfahren der conjectural history musste scheitern, und dies nicht zuletzt deshalb, weil beide zwangsläufig auf einen nicht 37 D.  Stewart  : Account of the Life and Writings of Adam Smith, pp.  33–34  : “Whence has arisen that systematical beauty which we admire in the structure of a cultivated language, that analogy which runs through the mixture of languages spoken by the most remote and unconnected nations, and those peculiarities by which they are all distinguished from each other  ? Whence the origin of the different sciences and of the different arts, and by what chain has the mind been led from their first rudiments to their last and most refined improvements  ? Whence the astonishing fabric of the political union, the fundamental principles which are common to all governments, and the different forms which civilized society has assumed in different ages of the world  ? On most of these subjects very little information is to be expected from history, for long before that stage of society when men begin to think of recording their transactions, many of the most important steps of their progress have been made. A few insulated facts may perhaps be collected from the casual observations of travellers, who have viewed the arrangements of rude nations  ; but nothing, it is evident, can be obtained in this way, which approaches to a regular and connected detail of human improvement.” 38 A.  Ferguson  : Versuch, S. 99 (Hervorh. HK).

Die Arbeitsteilung |

unerheblichen spekulativen Anteil nicht verzichten konnten, wollten sie überhaupt zu Aussagen gelangen.

10.2 Die Arbeitsteilung

Übereinstimmend begreift die Schottische Aufklärung die Geschichte als einen fortlaufenden Prozess, der in jeweils charakteristischen ökonomischen Ausprägungen seinen Ausdruck gefunden habe. Die Geschichte der menschlichen Zivilisation ist in ihren Augen eine Geschichte der Ökonomisierung der Daseinsvorsorge. Sie beginnt mit der unmittelbaren Naturaneignung des Sammelns und Erjagens von Nahrung und findet über die Wirtschaftsweisen der Viehzucht und des Ackerbaus ihren vorläufigen oder auch endgültigen Abschluss in der arbeitsteiligen polished society oder im „Handelsstaat“ des 18. Jahrhunderts. Geschichte hat, im Verständnis der schottischen Autoren, den Prozess der fortlaufenden Arbeitsteilung begleitend an ihrer Seite. Die Bedeutung, die diesem Prozess zukommt, die Dynamik, die er entfacht, und die Folgen, die er im sozialen Gefüge hervorruft, sind bestimmende Themen des Diskurses.39 10.2.1 Adam Ferguson  : Arbeitsteilung und Zivilisation

Offenkundig sieht auch Ferguson die Arbeitsteilung40 als die treibende Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung schlechthin an. Er beschränkt sich bei der Verwendung dieses Begriffs nicht auf den Einflussbereich der Ökonomie, und so widmet er sich im Essay also nicht vornehmlich den Aspekten der Produktivität und des Marktes selbst, sondern er setzt sich vor allem gezielt mit den Auswirkungen auf jene „bürgerliche Gesellschaft“ auseinander, die er beschreibt. Dies unternimmt er in einem bestimmten historischen Kontext  : Um die Zeit, in der der Essay entsteht, erleben die schottischen Lowlands einen bemerkenswerten Aufschwung. Zwischen 1728 und 1777 expandiert hier die Leinenindustrie um das Fünffache. Das hat die Einführung industrieller Produktionsmethoden zur Folge. Vor allem in den wenigen städtischen Zentren des Landes geht dies, verstärkt noch durch einen Niedergang der Landwirtschaft und eine von der Politik lediglich „begleitete“ Entvölkerung der Highlands, mit einem deutlichen Wachstum der Bevölkerung und deren Migration vom Land in die Städte einher  ; der Anstieg der Einwohnerzahlen 39 D.  Hume  : Traktat, II, S. 229, hatte bereits im Treatise die Sichtweise mit seiner Betrachtung der „Vereinigung der Kräfte“, durch die „unsere Leistungsfähigkeit vermehrt“ werde, vorgegeben. 40 R. B. Sher  : Adam Ferguson, Adam Smith, and the Problem of National Defense, p. 241, hat darauf hingewiesen, dass der Begriff einer von mehreren ist, den die schottischen Autoren „mit keinem erkennbarem Interesse an Bedeutungsnuancen“ verwendet hätten. So habe Ferguson beispielsweise die folgenden Begriffe synonym gebraucht  : “separation of arts and professions,” “subdivision of arts and professions”, “separation of labour”, “separation of tasks”, “subdivision of labour”, “subdivision of tasks”, “separation of employments”, “separation of departments, professions and tasks”, und “separation of tasks and professions”.

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Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik

in den fünf größeren Städten liegt um das Dreifache über dem Landesdurchschnitt.41 Ferguson verfolgt diese Entwicklung, möglicherweise gerade auch wegen seiner Herkunft aus den Highlands, mit aufmerksamem Blick.42 Er erkennt, wie sich jenes Phänomen entwickelt, das Brewer das „Paradox des industriellen Fortschritts“ nennt. Es besteht darin, dass auf der einen Seite die individuelle Freiheit, die politische und die Rechtssicherheit zunehmen, auf der anderen Seite aber viele Menschen in wenig qualifizierte mechanische Arbeiten getrieben und so zu Bürgern zweiter Klasse werden.43 Die Fortschritte, die sich für die „bürgerliche Gesellschaft“ ergeben, werden durch die ökonomischen Umstände teilweise wieder aufgehoben. Je nachdem, worauf der Blick sich vornehmlich richtete, ließ diese Entwicklung sich also mit Zuversicht oder Sorge bewerten. Ferguson hat dem Zusammenhang zwischen der Arbeitsteilung und dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt im Essay ein eigenes, wenngleich kurzes Kapitel gewidmet  : „Von der Teilung der Künste und Berufe“44. Viel von dem, was dazu bei anderen Theoretikern aus dem Kontext ihrer Schriften herausgelesen werden muss, findet hier explizit Ausdruck  : Die Arbeitsteilung begleitet den Fortschritt nicht, sondern sie ist dessen Vorbedingung. Dies ist für Ferguson eine Tatsache, und er leitet sie nicht etwa auf argumentativem Weg her, sondern er stellt sie seinen Ausführungen wie ein Axiom voran  : „Es liegt auf der Hand, daß ein Volk, wie sehr es auch durch ein Gefühl der Notwendigkeit und einen Wunsch nach Bequemlichkeit angetrieben wird oder durch irgendwelche Vorteile seiner Lage und politischen Grundsätze begünstigt ist, doch keinen großen Fortschritt in der Pflege der lebenserhaltenden Künste machen kann, bis es die verschiedenen Aufgaben, die jeweils besondere Geschicklichkeit und Aufmerksamkeit erfordern, voneinander getrennt und verschiedenen Personen anvertraut hat.“45

Ohne Arbeitsteilung, heißt dies geradezu apodiktisch, gebe es keinen Fortschritt. Allerdings liefert Ferguson für diese Feststellung keine nähere Begründung, denn die obligatorische Gegenüberstellung des „Wilden“, der als Synonym für alles sozial Unentwickelte, Unzivilisierte steht und damit für den gesellschaftlichen Zustand vor der Arbeitsteilung, sie gerät schon in sprachlicher Hinsicht halbherzig, wenn es heißt  : „Der Wilde oder der Barbar, der alles selbst bauen, pflanzen und herstellen muß, zieht […] den Genuß der Untätigkeit den Verbesserungen seiner Vermögenslage vor  : die Vielfalt seiner Be41 T. C. Smout  : Where had the Scottish economy got to by the third quarter of the eighteenth century  ?, p. 67. 42 J. D. Brewer allerdings zweifelt einen biographischen Hintergrund des Essay an. Siehe ders.: Putting Adam Ferguson in his Place, p. 105. – Derselben Auffassung folgt – nicht nur, aber auch unter Berufung auf ­Brewer  – C.  Smith  : Adam Ferguson and the Idea of the Civil Society, pp. 14–16. 43 J. D. Brewer  : Adam Ferguson and the Theme of Exploitation, pp. 461–478, hier p. 465. – Siehe dazu auch L. Hill  : Adam Ferguson as Corruption Theorist, p. 12. 44 A.  Ferguson  : Versuch, S. 337–341. 45 A.  Ferguson  : Versuch, S. 337 (Hervorh. HK).

Die Arbeitsteilung |

dürfnisse entmutigt möglicherweise seinen Gewerbefleiß […].“46 Indem er von „möglicherweise“ spricht, entzieht Ferguson der Aussage die unbedingte Gewissheit wieder ein Stück weit und signalisiert somit, dass dieser „Wilde“ in der Argumentation keine tragende Rolle mehr spielt  ; der Hinweis auf ihn soll lediglich andeuten, dass wir es mit einer Entwicklung zu tun haben und der zeitgenössischen eine andere Gesellschaft vorausgegangen ist, die eben noch keine arbeitsteilige war. Das Ausmaß der Arbeitsteilung und der Stand der Zivilisation korrelieren nach Fergusons Auffassung unmittelbar miteinander. Die Position, die er in dieser Frage einnimmt, findet sich auch bei anderen schottischen Denkern  ; letztlich ist sie nicht neu, sondern zeittypisch.47 Die Eindeutigkeit der Bezüge, die er darüber hinaus herstellt, ist allerdings bemerkenswert. Dabei handelt es sich nicht um Aussagen, die sich aus einer bestimmten Beweisführung ergäben, sondern um Feststellungen von Sachverhalten, die für ihn unmittelbare Evidenz besitzen. Er vermittelt den Eindruck, als ließen sie sich an der Gesellschaft einfach „ablesen“. Beispiele zieht er nicht heran, sondern er stellt einfach fest  : „Der Handwerker findet, daß seine Erzeugnisse um so vollkommener sind und in seinen Händen zu immer größeren Mengen anwachsen, je mehr er seine Aufmerksamkeit auf den besonderen Teil einer Arbeit beschränken kann.“48 Damit ist gesagt, dass die Zergliederung von komplexen Produktionsprozessen in einfachste Einzelschritte dem Einzelnen ein hohes Maß an Spezialisierung erlaubt, und je enger ein Tätigkeitsbereich ist, zu desto größerer Meisterschaft lässt es sich darin bringen. Das Ergebnis dessen ist „bei jeder Art von Ware eine perfektere Kunstfertigkeit, als sie Hände produzieren könnten, die mit vielen Dingen zugleich beschäftigt sind.“49 Die solcherart gesteigerte Qualität der Waren kommt wiederum den Wünschen der Konsumenten entgegen. Für den „gewerblichen Unternehmer“ kommt als besonderer Anreiz dieser Entwicklung noch hinzu, „daß sich seine Unkosten um so mehr vermindern und seine Gewinne dementsprechend erhöhen, je mehr er die Aufgaben seiner Arbeiter unterteilen kann und je mehr Hände er mit der Erzeugung besonderer Artikel beschäftigt.“50 Fast zwangsläufig muss da der „Fortschritt des Handels schließlich [als nichts anderes als] das Ergebnis einer fortgesetzten Unterteilung der mechanischen Künste“ erscheinen. „Durch die Teilung der Künste und Berufe“, lässt sich also konstatieren, „werden die Quellen des Reichtums eröffnet. Jede Art von Material wird bis zur größten Vollkommenheit bearbeitet, und jede Ware wird so im größten Überfluß erzeugt.“51

46 Ebd. (Hervorh. HK). 47 Dies lässt sich exemplarisch anhand von Smiths Haltung nachweisen. Siehe hierzu S. 388 ff. 48 A.  Ferguson  : Versuch, S. 337. 49 Ebd., S. 337 f. – Nicht übergangen werden darf allerdings, dass Fergusons Vertrauen in solche Abläufe auch nicht unbegrenzt war, denn auf S. 340 sagt er  : „Allerdings kann bezweifelt werden, ob das Ausmaß nationaler Leistungsfähigkeit entsprechend dem Fortschreiten der Künste zunimmt.“ 50 Ebd., S. 337. 51 Ebd., S. 338.

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Entsteht allein durch die Aufteilung der Arbeitsvorgänge also eine Konstellation, aus der jeder Gewinn zieht – gleichgültig, ob es sich um den Arbeiter, den Unternehmer, den Konsumenten oder gar den Staat handelt  ? Noch bleibt Ferguson die Antwort darauf schuldig. Vielmehr vertieft er sich weiter in das Prinzip der Aufteilung, und dabei stellt er fest  : Nicht nur die Arbeit wird geteilt in der bürgerlichen – eben einer zivilisierten – Gesellschaft, sondern sogar die Führung der Staatsgeschäfte wird in einzelne Tätigkeiten unterteilt, für deren durchaus kundige Ausführung keineswegs mehr der Blick aufs Gesamte die Bedingung wäre. Jeder hat in diesem Zusammenschluss, der Staat genannt wird, nur den Blick auf seine Tätigkeit, auf die er spezialisiert ist und auf die sich sein ganzes Interesse richtet, und es stellt sich heraus, dass dieser Staat offenbar absichtslos funktioniert. Die Menschen darin „werden, gleichsam wie die Teile einer Maschine, veranlaßt, ohne vorherige Verabredung untereinander zu einem einheitlichen Zweck zusammenzuwirken  : wie der Gewerbetreibende sind sie blind für irgendeinen übergeordneten Zusammenhang, und doch vereinigen sie sich mit ihm dazu, dem Staate seine Ressourcen, seine Leitung und seine Gewalt zu liefern.“52 Das ist der Hinweis auf eine Ordnung, die keiner bestimmten Absicht folgt – ein hyperkomplexes System, das sich aus sich selbst heraus erschafft, selbst reguliert und angesichts seiner Undurchschaubarkeit für die Menschen sogar selbst regulieren muss, um bestehen zu können. Ferguson erliegt dabei nicht der Verlockung, die Schaffung dieser Ordnung einer bestimmten Instanz zuzuschreiben – auch keiner „unsichtbaren Hand“. Beteiligte sind einzig  : die Natur, der Mensch als Teil von ihr und die „Verschiedenheit der Umstände“  : „[Die] Einrichtungen der Menschen sind […] Eingebungen der Natur und Ergebnis eines Instinkts [are suggested by nature, and are the result of instinct], der durch die Verschiedenheit der Umstände geleitet wird, in welche Menschen versetzt sind [directed by the variety of situations in which mankind are placed]. Jene Einrichtungen gingen aus aufeinanderfolgenden Verbesserungen hervor, die ohne Verständnis für ihre allgemeinen Wirkungen [without any sense of their general effect] vollbracht wurden. Sie führen die menschlichen Angelegenheiten schließlich in einen Zustand der Komplexität, wie ihn auch die größten geistigen Fähigkeiten nicht hätten ersinnen können, mit denen die Menschennatur jemals ausgerüstet wurde. Ja, selbst wenn das Ganze schließlich zur Ausführung gelangt ist, kann es nie in seinem vollen Umfang begriffen werden.“53

Die Überlegungen, die Ferguson in diesem Abschnitt also mit der Erklärung der Arbeitsteilung geradezu unverfänglich beginnt, führt er konsequent weiter zu einer Aussage über ihre Folgen  : In der „Teilung der Künste und Berufe“ liegt für ihn der Schlüssel nicht nur für die Erklärung der ökonomischen Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft, sondern für das Verständnis der sie insgesamt bewegenden Kräfte. Der Ansatz, die Mechanik der 52 Ebd., S. 339. 53 Ebd. – OT.: ders.: Essay, p. 174.

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gesellschaftlichen Entwicklungen genau zu erklären, leitet zur Einsicht in deren kontingenten Ursprung  ; „Eingebungen der Natur“, „Instinkt“ und die „Verschiedenheit der Umstände“ hätten ungeplant etwas hervorgerufen, das die Menschen „nicht hätten ersinnen können“ und das deshalb auch nicht gänzlich begriffen werden könne. Implizit trifft er damit eine Aussage hinsichtlich seiner Zuversicht, ob die bürgerliche Gesellschaft durch gemeinsames planvolles Handeln geschaffen werden könne. Er hält sie für entstanden, und zwar aus einem zufälligen und deshalb unübersichtlichen Zusammenspiel von Dispositionen, Interessen, Bedingungen der Umwelt und des jeweils bereits vorhandenen zivilisatorischen Entwicklungsstandes. Aber auch wenn Ferguson, wie im Fall der Arbeitsteilung, Kräfte ausmacht, die den Fortschritt dieser Gesellschaft antreiben, so erkennt er darin weder ein lineares noch ein zwangsläufiges Fortschreiten, denn Kontingenz, zu der er sich bekennt, bedeutet stets ein Auch-anders-verlaufen-Können einer Entwicklung. Wenn man in seiner Haltung gegenüber der Möglichkeit des gesellschaftlichen Fortschritts stärkere Zweifel erkennt als etwa in derjenigen Smiths – was üblicherweise ja der Fall ist –,54 so hat dies seine Berechtigung keineswegs nur wegen der Ausführlichkeit, mit der er auf die Schattenseiten der Arbeitsteilung zu sprechen kommt. Ebenso sehr macht ihn zum Skeptiker, dass er die Unübersichtlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklungen als unabänderlich gegeben anerkennt. Er versteht sie, beispielsweise mittels der Arbeitsteilung, zwar als beeinflussbar durch das Handeln des Menschen, aber er sieht sie letztlich nicht unter dessen Kontrolle. Es soll nun allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, allein schon die Anerkennung des Wirkens von Kontingenz sei hinreichend für den Befund, dass es einer Gesellschaftstheorie an Zuversicht fehle. Zuversicht verdankt sich, wie Hume es erklärt hat, der Annahme, eine Entwicklung werde zu einem erhofften Ende führen. Das gilt für kontingente Entwicklungen nicht weniger als für geplant veranlasste  ; auch bei Systemen, die sich aus sich selbst heraus „spontan“ ordnen, ist Kontingenz keineswegs zu bestreiten, und ebenso wenig lässt Smiths „unsichtbare Hand“ sich als etwas auffassen, das sich absichtsvollem menschlichen Handeln verdankt. Wenn Ferguson also in der Geschichte des politischen Denkens der Schottischen Aufklärung als fortschrittsskeptischer Denker gilt, so hat das weniger damit zu tun, dass er den künftigen Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung – aufklärungsuntypisch gewissermaßen – als ergebnisoffen begreift, sondern dass er die Möglichkeiten des zivilisatorischen Niedergangs stärker als einige seiner Zeitgenossen in den Vordergrund gerückt hat. Besonders deutlich erkennbar wird sein Bestreben, zwischen politischer Zuversicht und gesellschaftlich-ökonomischer Wirklichkeit zu differenzieren, wenn er dem ökonomischen und auch zivilisatorischen Entwicklungspotenzial der Arbeitsteilung deren zerstörerische Folgen ausführlich gegenüberstellt. Seine Aussagen hierzu sind so unmissverständlich, dass sie Vielen als eines der frühesten 54 Stellvertretend für viele in diese Richtung gehende Ansichten  : L. Hill  : Adam Smith, Adam Ferguson and the Division of Labour, p. 2  : “[…] neither should it be assumed that Ferguson and Smith were in agreement on all counts. While there were many overlaps […,] Ferguson was generally more negative in his attitude.”

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Beispiele einer Kritik des Kapitalismus gelten.55 Wie einflussreich diese Kritik war, wird noch zu zeigen sein.56 Zunächst aber  : Was beinhaltet sie  ? Die Arbeitsteilung erwächst zunächst aus dem Bestreben, allen Mitgliedern der Gesellschaft diejenigen Tätigkeiten zuzuweisen, zu deren Ausführung sie am besten geeignet sind. Neben den erwünschten Folgen dieses Vorgehens – der Steigerung der Qualität der Produkte und der Effizienz des Herstellungsablaufs – kommt es aber dazu, dass der Einzelne einen immer kleineren Abschnitt des Produktionsprozesses zu überblicken braucht und deshalb den Blick fürs Ganze verliert. Die Notwendigkeit des Begreifens und des kontrollierenden Beurteilens eines Arbeitsschritts wird durch das Ausführen immer gleicher Handlungen verschwinden. Der Mensch wird mechanisiert – mit weitreichenden Folgen  : „Nachdenken und Phantasie sind dem Irrtum unterworfen, aber die eingeschliffene Gewohnheit, die Hand oder den Fuß zu bewegen, ist von beiden unabhängig. Dementsprechend gedeihen die Gewerbe am besten dort, wo der Geist am wenigsten zu Rate gezogen wird [prosper most, where the mind is least consulted] und wo die Werkstatt, ohne besondere Anstrengung der Einbildungskraft, als eine Maschine [engine] betrachtet werden kann, deren einzelne Teile Menschen sind.“57

Die geistige Entwicklung eines unter diesen Voraussetzungen arbeitenden Menschen erscheint nun verzichtbar, denn jene einzelnen Teile dieser in so viele einfache Einzelschritte aufgeteilten Arbeiten erfordern zu ihrer Ausführung gerade jene Fertigkeiten, die auf diese Weise mehr und mehr an Apparate delegiert wurden. Ferguson stellt fest, dass „viele Teile in der Praxis jeder Kunstfertigkeit und in den Einzelheiten eines jeden Gewerbezweiges keine besonderen Fähigkeiten erfordern oder tatsächlich dazu tendieren, den geistigen Horizont einzuengen und zu begrenzen […].“58 Wenngleich es als naheliegend und gerechtfertigt erscheint, hier von einer frühen Kritik an der Entfremdung der Menschen durch das System des Kapitalismus zu sprechen, so handelt es sich dabei doch um eine Kritik ohne weitergehenden theoretischen Anspruch, denn Ferguson belässt es im Essay bei den wenigen hier angeführten Bedenken, ohne weiter ins Detail zu gehen. An Zuspitzung mangelt es seiner Kritik allerdings nicht, denn es heißt  : „Viele gewerbliche Künste erfordern in der Tat keinerlei geistige Befähigung. Sie gedeihen am besten bei vollständiger Unterdrückung von Gefühl und Vernunft [they succeed best under a total

55 L. Hill  : Adam Ferguson as Corruption Theorist, p. 12, fasst diese Sichtweise wie folgt zusammen  : “It is some­times suggested that Ferguson’s work on the nature, development and effects of specialization represents the first sustained critique of capitalism and market society based on the detection of alienation effects and a theory of class exploitation[.]” 56 Siehe hierzu die Ausführungen über den Einfluss Fergusons auf Marx, in dieser Arbeit S. 393. 57 A.  Ferguson  : Versuch, S. 340. – OT.: ders.: Essay, p. 174. 58 A.  Ferguson  : Versuch, S. 340.

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suppression of sentiment and reason]. Unwissenheit ist die Mutter des Gewerbefleißes ebensosehr wie des Aberglaubens.“59 Ferguson sieht durch die Arbeitsteilung und die durch sie bewirkte Fokussierung aller auf das ökonomische Interesse, das „den Erfindergeist, ja selbst den Ehrgeiz, an den Ladentisch und in die Werkstatt“ treibt, einen gefährlichen Mechanismus ausgelöst, der vom Individuum auf die Gesellschaft insgesamt überspringt und deren Zusammenhalt zerstören kann  : „Die Teilung der Berufe scheint […] eine Vervollkommnung der Geschicklichkeit zu versprechen. […] Doch am Ende und in ihren letztlichen Folgen führt diese Teilung der Berufe in gewissem Maße dazu, die Bande der Gesellschaft zu zerbrechen, leere Formen an die Stelle des Erfindergeists zu setzen und die Individuen von jenem gemeinsamen Schauplatz ihrer Beschäftigung abzuziehen, auf dem die Gefühle des Herzens und der Geist am glücklichsten Verwendung finden.“

Sein Befund lautet deshalb, dass durch die „Unterscheidung der Berufe […] die Mitglie­ der einer verfeinerten Gesellschaft voneinander getrennt werden [the members of polished society are separated from each other]“60 und es dadurch zum Niedergang der bürgerlichen Tugenden komme. Letztere illustriert er mit einem Rückgriff auf das klassische Athen, und sie sind auf einen einfachen Nenner zu bringen  : das „Interesse für den Staat“.61 Er prangert damit das Schwinden eines republikanischen Geistes an, zu dem auch die Bereitwilligkeit gehöre, das Gemeinwesen jederzeit zu verteidigen. In seiner kurzen Schrift Reflections Previous to the Establishment of a Militia hatte er gesagt  : „Aber Selbstverteidigung ist die Angelegenheit von uns allen  : und wir sind schon zu weit gegangen in der Meinung, dass Handel und Handwerk die einzigen Erfordernisse in unserem Land seien. In der Verfolgung eines solchen Gedankens arbeiten wir, um Reichtum zu erwerben, doch vernachlässigen wir die Mittel, ihn zu verteidigen [we labour to acquire Wealth –, but neglect the Means of defending it].“62 Letztlich führt die Analyse der Arbeitsteilung und der Folgen, die sie für das Individuum und die Gesellschaft mit sich bringt, Ferguson in ein Dilemma, das sich als unauflösbar erweist. Den Prozess der Aufgliederung der Arbeitsabläufe in ihre einzelnen Schritte hält er für schlüssig und zwangsläufig  : „Ein Gefühl für die Nützlichkeit 59 Ebd. – OT.: ders.: Essay, p. 174. 60 Ebd., S. 388 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Essay, p. 207. 61 Ebd., S. 388 f.: „‚Wir nehmen an ein und derselben Person‘, so bemerkte Perikles, ‚eine gleiche Aufmerksamkeit für private wie für öffentliche Angelegenheiten wahr, und an Menschen, die sich besonderen Berufen zugewandt haben, eine ausreichende Kenntnis dessen, was sich auf die Gesamtheit bezieht. Wir betrachten allein jene Menschen als völlig unbedeutend, die kein Interesse für den Staat haben.‘“ (Hervorh. HK) 62 A.  Ferguson  : Reflections Previous to the Establishment of a Militia, p. 12 (e. Ü.). – Darauf, wie im Denken der Schottischen Aufklärung die Frage der Arbeitsteilung mit derjenigen der Landesverteidigung verbunden ist, werde ich im Kapitel 12 („Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung“) eingehen.

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bringt [die Menschen] dahin, ihre Berufe immer wieder zu unterteilen.“63 Für diese Entwicklung erkennt er kein natürliches Ende, denn ebenso wie die handwerklichen und mechanischen, so lassen sich auch die geistigen Arbeiten aufteilen und spezialisieren, ja, „das Denken selbst kann in diesem Zeitalter der Arbeitsteilungen ein besonderer Beruf werden. […] Auch die Früchte des Scharfsinns werden zu Markte gebracht, und die Menschen bezahlen bereitwillig für alles, was auch immer zu ihrer Unterweisung und ihrem Vergnügen dient.“ Am Ende steht als Lohn für alle das Erreichen jener Ziele, „nach denen schon der Wilde in seinem Urwald getrachtet hatte  : Wissen, Ordnung und Reichtum.“64 Das ist die eine Seite der Arbeitsteilung, die Nutzen bringende. Doch sie kann in seinen Augen deshalb noch keineswegs als ein Prinzip des gesellschaftlichen Zusammenhalts gelten.65 Ihr gegenüber stehe beispielsweise die Ungleichheit, zu der man durch die „Ausübung verschiedener Künste gelangt“, sodann der Verlust des Menschen an „natürlicher Erhabenheit“, der in der offenbaren Notwendigkeit seine Ursache habe, die „Rücksichtnahme auf das [zu] verbergen, was sich auf seine bloße Erhaltung und seinen Lebensunterhalt bezieht.“66 Die Zwänge, die mit der Sicherung der materiellen Existenz verbunden sind, prägten die Urteile über die Menschen, und so würden „der Landarbeiter, der harte Arbeit verrichtet, um essen zu können, sowie der gewerbliche Arbeiter, dessen Kunst keine Geistesanstrengung erfordert, durch den Zweck, den sie verfolgen, und durch die Mittel, die sie zu dessen Erreichung anwenden, gleichzeitig auch erniedrigt.“67 Somit attestiert Ferguson im Kapitel „Von der Unterordnung als Folge der Teilung der Künste und Berufe“ der Arbeitsteilung eine dissoziierende Funktion – ein Ansatz, den im Kontext der Schottischen Aufklärung John Millar kein halbes Jahrzehnt nach dem Essay mit seinem Origin68 vertiefen wird. Ferguson bezieht die Inspiration für seine Thesen allerdings nicht aus der Anschauung der Gesellschaft, in der er selbst lebt. Vielmehr verweist er auf „klassische Quellen“,69 und damit weicht er vom ursprünglich erklärten Ziel einer unmittelbaren empirischen Bestandsaufnahme ab  ; bei der hätten „der Charakter des Menschen, wie er jetzt ist, und die Gesetze seines animalischen und intellektuellen Wesens, von denen heute sein Glück abhängt, unsere Hauptaufmerksamkeit verdienen“ sollen.70 Gegenüber der Erwartung künftigen gesellschaftlichen Fortschritts nimmt Ferguson eine für die Aufklärung eher untypische Haltung ein. Er weist auf die Errungenschaften des Zivilisationsprozesses hin, ohne ihnen eine generelle Zuversicht entgegenzubringen, und er widmet sich der Schattenseiten der zivilisatorischen Entwicklung und ihres dis63 A.  Ferguson  : Versuch, S. 337. 64 Ebd., S. 341. 65 M. L. Myers  : Division of Labour as a Principle of Social Cohesion, p. 440. 66 A.  Ferguson  : Versuch, S. 342. 67 Ebd. 68 J.  Millar  : Origin. – Dt. Fassung  : ders.: Ursprung. 69 L. Hill  : Adam Ferguson as Corruption Theorist, p. 1. 70 A.  Ferguson  : Versuch, S. 99.

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soziierenden Potenzials, wenn er sich mit der Arbeitsteilung auseinandersetzt  ; zudem befassen sich zwei ausführliche Teile seines Essay mit der Thematik des gesellschaftlichen Verfalls  : „Vom Niedergang der Nationen [Of the Decline of Nations]“ und „Von Korruption71 und politischer Sklaverei [Of Corruption and Political Slavery]“. Reicht dies aber aus, um seine Bedeutung als politischer Denker als die eines „Theoretikers des Verfalls“72 zu etikettieren  ? Es ist an dieser Stelle die grundsätzliche Frage zu stellen, ob Fergusons Essay on the History of the Civil Society tatsächlich eine „Theorie“ der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer Voraussetzungen, ihrer Erscheinungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten liefert. Die sprachliche Direktheit des Werks suggeriert in manchen Passagen den Eindruck von Schlüssigkeit, ohne dass tatsächlich auch Schlüsse gezogen würden. Ferguson trifft, im Gegenteil, seine Feststellungen oftmals geradezu voraussetzungslos. Im Hinblick auf das Genre, dem sein Essay zugeordnet werden muss, ist er mehr als jedes andere Werk der Schottischen Aufklärung eben tatsächlich ein überdimensionaler Essay  : eine Abhandlung, die sich mit Phänomenen betrachtend auseinandersetzt, also das Beispiel eher einer literarischen denn einer wissenschaftlichen Textgattung. Der Unterschied, der in diesem Punkt etwa zu Smith besteht, wird offensichtlich, wenn man sich dessen akribische Beschreibung der Stecknadelproduktion im Wealth of Nations73 – vom Texttyp her eine inquiry, also eine „Untersuchung“ und „Erforschung“ – vor Augen führt, wo er dem Publikum anhand dieses Beispiels Schritt für Schritt darlegt, ja geradezu „vor Augen führt“, was unter Arbeitsteilung zu verstehen ist.74 Ferguson hingegen überspringt diese Schritte und wendet sich unmittelbar den Feststellungen zu. Auch wenn er Beobachtungen und historische Überlieferungen durchaus zueinander in Beziehung setzt und sie als Momentaufnahmen von Prozessen versteht, liefert er im Wesentlichen eine Beschreibung. Smith hingegen ist darauf aus, das Beobachtete zu analysieren, es in einzelne Aspekte zu zerlegen, fast als handelte es sich um Präparate unter einem Mikroskop. Er fragt  : Wie ist etwas entstanden, wie kann es sich entwickeln  ? Somit hat man es bei Fergusons Essay und Smiths Wealth of Nations mit unterschiedlichen Gattungen von sozialwissenschaftlichen Texten und damit auch um Texte von 71 Hier nicht in der heutigen Bedeutung von „Bestechung/Bestechlichkeit“, sondern von „Korrumpierung“ oder „Verderbnis“. 72 So untersucht etwa L. Hill seine Rolle als die eines corruption theorist. In  : Dies.: Adam Ferguson as Corruption Theorist. 73 Gleiches gilt übrigens, obwohl weniger beachtet, auch für Smiths Lectures. 74 A.  Smith  : Wohlstand, S. 9. – Der Unterschied zu Fergusons Vorgehen wird sehr deutlich, wenn man sich vor Augen hält, wie Smith seine Argumentation hier vorbereitet  : „Man kann den Einfluß der Arbeitsteilung auf die gesamte Volkswirtschaft leichter verstehen, wenn man sich zunächst klarmacht, auf welche Weise sie in einzelnen Erwerbszweigen durchgeführt wird.“ Dieses Sich-Klarmachen erfolgt stets in Form von Beispielen. Die Aussage allerdings, zu der Smith gelangt, unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von der Fergusons, wenn er sagt  : „Was in einem primitiven Volk ein einzelner an Arbeit leistet, verrichten in einer zivilisierten Gesellschaft zumeist mehrere.“ – Ebd., S. 10.

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verschiedener Zielrichtung zu tun. Man könnte es dabei bewenden lassen, darin einen methodischen Unterschied zwischen Fergusons und Smiths Hauptwerken zu erkennen, wäre da nicht jene zweite Dimension beider Schriften, die sich im unterschiedlichen Erkenntnisinteresse zeigt. Nicht zuletzt, weil die Setzungen der Prioritäten ebenso wie die ihnen zugrundeliegenden Präsuppositionen verschiedene sind, unterscheiden sich sowohl die Art der Bearbeitung als auch die Ergebnisse. Denn während Smith seine Aufmerksamkeit den ökonomischen Auswirkungen der Arbeitsteilung widmet, setzt Ferguson sich stärker damit auseinander, wie diese Triebkräfte Einfluss auf die Mentalität des Gemeinwesens nehmen und in welche Richtung sie diese verschieben können. Dass es sich dabei nicht um einen mutwilligen oder gar verzerrenden Betrachtungswinkel auf die Werke der beiden handelt, lässt sich im Sinn einer Zusammenfassung an den unterschiedlichen Bewertungen des vollständigen Komplexes der Arbeitsteilung zeigen – nachfolgend an den Unterschieden, die zwischen Fergusons Ansatz um dem­ jenigen Smiths bestehen, der nun näher betrachtet wird. 10.2.2 Adam Smith  : Arbeitsteilung und Wirtschaft

Smith gibt sich im Wealth of Nations als Autor, der sein Denken auf die Vergewisserung durch die eigene Anschauung gründet. Diese Feststellung zu seiner Methode ist wesentlich. Gleich am Beginn des Werks findet sich hierfür ein Beleg, und nirgends könnte der methodische Unterschied zu Ferguson deutlicher zutage treten als in diesem ersten Kapitel von Buch I. Mit großer Genauigkeit beschreibt Smith die Arbeitsteilung am soeben angesprochenen Beispiel der Herstellung von Stecknadeln, indem er die einzelnen Produktionsabschnitte vorstellt und sich in Details vertieft, wenn er beispielsweise Stückzahlen nennt und diese in Beziehung zu jenen setzt, die zuvor mit der herkömmlichen Herstellungsmethode erzielt worden waren. Was er anschließend über die Arbeitsteilung zu sagen hat, stützt sich auf eben die Akribie, mit der er zuvor das Ausgangsmaterial für seine Überlegungen gewonnen hat. Smith erscheint hier als Denker, der nicht auf spekulativem Weg und ausgehend von Vorannahmen zu seinen Aussagen gelangt – zumindest nicht gelangen will –, sondern mittels systematischen empirischen Vorgehens. Die Strukturierung des Materials und die Verdichtung zu theoretischen Schlussfolgerungen, ja den theoretischen Ansatz überhaupt, baut er auf der so erhobenen Datenbasis auf. Die schottische Moralphilosophie entdeckt durch ihn die Bedeutung von Zahlen. Ebenso wie Ferguson sieht Smith in der Arbeitsteilung die treibende Kraft für die ökonomische Entwicklung  : „Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern.“75 Und sein Interesse gilt der Frage, worauf das, was er hier in Form einer Ausgangshypothese formuliert hat, zurückzuführen sei. Er nennt dafür drei Faktoren  :

75 A.  Smith  : Wohlstand, S. 9.

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– Zum einen führe die Spezialisierung jedes einzelnen Arbeiters auf ein engeres Tätigkeitsfeld dazu, dass seine Geschicklichkeit größer werde. – Da von ein und derselben Person nicht länger unterschiedliche Arbeiten auszuführen seien, entfalle der Wechsel von einer Tätigkeit zur nächsten, der zuvor Zeit gekostet habe. – Und zudem zerfalle der Produktionsprozess durch seine Aufteilung nicht nur in immer kleinere, sondern auch in immer einfachere Einzelschritte, die es letztlich erleichterten, ihre Ausführung zu mechanisieren, also sie Maschinen zu überlassen  ; die Arbeitsteilung gebe dadurch den „Anstoß zur Erfindung solcher Maschinen“, durch deren Einsatz die Produktivität zusätzlich gesteigert werde.76 Während die ersten beiden Punkte keinen Gegenstand für kontroverse Erörterungen bieten dürften, verbirgt sich in diesem dritten ein erhebliches Potenzial für divergierende Auffassungen. Einerseits erkennt Smith gerade in der „Mechanisierbarkeit“ von Arbeitsvorgängen den Anstoß zu einer Dynamik, die die Industrialisierung erst möglich machen werde  : „Jemand, der ausschließlich mit einem einzelnen Gegenstand befaßt ist, wird wahrscheinlich eher einfachere und geeignetere Methoden entdecken, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, als wenn seine Aufmerksamkeit auf viele Dinge gerichtet ist. Als Folge der Arbeitsteilung konzentriert sich nun jeder ganz von selbst auf einen verhältnismäßig einfachen Gegenstand, weshalb man auch erwarten kann, daß der eine oder andere bei einer bestimmten Arbeit bessere Wege herausfinden sollte, die seine Tätigkeit erleichtern, wo immer dies möglich ist. Viele Maschinen, die in ausgesprochen arbeitsteiligen Gewerben verwendet werden, sind ursprünglich von einfachen Arbeitern erfunden worden.“77

Dieses Argument ist nicht frei von einer gewissen Überschwänglichkeit, denn setzte man den Gesamtumfang der in den arbeitsteiligen Gewerben geleisteten Arbeit zum Anteil der bei dieser Gelegenheit erbrachten Erfindungsleistungen in Beziehung, so würde man in dieser Erfindungstätigkeit (inventive activity)78 kaum mehr als ein eher zufälliges Beiwerk der insgesamt monotonen Routinetätigkeiten erkennen können. Es stellt sich die Frage, ob Smith während der weiteren Arbeit am Wealth of Nations dieser übertriebene Optimismus des Anfangskapitels bewusst geworden ist und er ihn nun etwas zu moderieren suchte. Anderseits nämlich stellt er im Buch V, das den Wealth of Nations beschließt, die Folgen der Arbeitsteilung für das Individuum in einem ganz und gar anderen Licht dar. Womit 76 Ebd., S. 12 f. – Ähnlich hatte sich Smith bereits 1766 in den Lectures geäußert  : “But again, the quantity of work which is done by the division of labour is much encreased by the three following articles, first, encrease of dexterity, secondly, the saving of time lost in passing from one species of labour to another, and thirdly, the invention of machinery.” Ders.: Lectures J, p. 491. 77 A.  Smith  : Wohlstand, S. 13. 78 N. Rosenberg  : Adam Smith on the Division of Labour  : Two Views or One  ?, p. 128.

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sei zu rechnen, fragt er sich, wenn der Mensch auf die mechanische Funktion einer Maschine reduziert werde  ? Seine Prognose ist düster  : „Mit fortschreitender Arbeitsteilung wird die Tätigkeit derjenigen, die von ihrer Arbeit leben, […] nach und nach auf einige wenige Arbeitsgänge eingeengt, oftmals auf nur einen oder zwei. Nun formt aber die Alltagsbeschäftigung ganz zwangsläufig das Verständnis der meisten Menschen. Jemand, der tagtäglich nur wenige einfache Handgriffe ausführt […], hat keinerlei Gelegenheit, seinen Verstand zu üben. […] So ist es ganz natürlich, daß er verlernt, seinen Verstand zu gebrauchen, und so stumpfsinnig und einfältig wird, wie ein menschliches Wesen nur eben werden kann.“79

Dass Smith sich zur Arbeitsteilung im Anfangs- und im Schlussabschnitt des Wealth of Nations unterschiedlich äußert, wird demzufolge – auch wenn das noch näher zu betrachten ist – als offensichtlich angesehen.80 Daraus sind Deutungsprobleme erwachsen, die zu einer unterschiedlichen Bewertung seiner Analysen geführt haben und mittlerweile auf eine lange Geschichte zurückblicken. Betont wird von Vielen Smiths Rolle als der eines zuversichtlichen strengen Apologeten des freien Marktes,81 andere rücken ihn hingegen als einen frühen Kritiker der Ausbeutung im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise in die Nähe Fergusons.82 Daneben gibt es Ansätze, die das Augenmerk auf eine Widersprüchlichkeit in seinen Aussagen in Bezug auf die Arbeitsteilung richten.83 Zudem wurde diskutiert, ob und inwieweit sich die beiden Perspektiven, die zuversichtliche und die skeptische, im Rahmen eines facettenreicheren Bildes überhaupt miteinander vereinbaren lassen.84 Der Schlüssel dazu, die Aussagen zur Arbeitsteilung in den Büchern I und V in einen hinreichend konsistenten Zusammenhang zu bringen, scheint in einer näheren Betrachtung der bereits angesprochenen inventive activity zu liegen. Smith erkennt in jeglicher 79 A.  Smith  : Wohlstand, S. 662. – Ähnlich hatte Smith sich bereits 1766 in seinen Vorlesungen zu diesem Punkt geäußert  : ders.: Vorlesungen (Brühlmeier), S. 259. – OT.: ders.: Lectures J, p. 539. 80 Siehe hierzu E. G. West  : Adam Smith’s Two Views on the Division of Labour. 81 Das ist wohl die unverfänglichste Aussage, die sich – auf den ersten, auf die Aussagen zur Ökonomie allein gerichteten Blick – über die Intention des Wealth of Nations machen lässt  ; dass sie der inhaltlichen Bandbreite des Werks nicht gerecht wird, ist allerdings ein zurecht beklagter Umstand. 82 In besonderer Deutlichkeit findet sich diese Sicht etwa bei K. Marx  : „Im Eingang seines Werkes, wo die Teilung der Arbeit dem Plan des Werkes entsprechend gefeiert wird, deutet er [Smith] sie nur vorübergehend als Quelle der gesellschaftlichen Ungleichheiten an. Erst im fünften Buch über das Staatseinkommen reproduziert er Ferguson.“ Ders.: Das Kapital, S. 309, Fn. 70. 83 Siehe insbesondere E. G. West  : Adam Smith’s Two Views on the Division of Labour. – West nennt Smiths Positionen hier „gegensätzlich“ (p. 26), sagt, die Argumentation von Buch V, wo er, „was verblüfft, die Arbeitsteilung zu verdammen scheint“ (p. 25), sei jener in Buch I „ganz entgegengesetzt“ (p. 23) und behauptet, was durch die Absolutheit der Aussage wohl am schwersten wiegt, „Smiths zwei Sichtweisen auf die Arbeitsteilung sind [miteinander] unvereinbar“. (p. 27) (E. Ü.) 84 N. Rosenberg  : Adam Smith on the Division of Labour  : Two Views or One  ?

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Konstellation, die den Anreiz zur Verbesserung von Abläufen bietet – also auch für die Mechanisierung von Arbeitsabläufen –, einen Anlass zur Zuversicht. Derlei Konstellationen beschreibt er im Buch I des Wealth of Nations. Er erklärt sie überwiegend psychologisch, nämlich mit der Motivation des Individuums, die aus den unterschiedlichen Umständen der Arbeitsteilung erwachse. Die Argumentation zielt dabei gleichzeitig in zwei Richtungen  : Zum einen befreie die Konzentration auf einfachste Tätigkeiten von der Aufgabe, größere Zusammenhänge des Produktionsablaufs im Auge zu behalten  ; dadurch entstehe allerdings jene Monotonie der Beschäftigung, die bereits angesprochen wurde und die zu einer geistigen Verarmung zu führen drohe. Zum andern aber könnten sich, sagt Smith, die somit frei werdenden geistigen Ressourcen dieses Individuums auf Methoden zur Vereinfachung und Erleichterung der Arbeiten richten.85 Das bedeutet allerdings, dass er sehr wohl bereits im Buch I beide Aspekte der Arbeitsteilung anspricht  : den der Entfesselung der Ressourcen einer Wirtschaft und gleichzeitig den der korrumpierenden Auswirkungen der geistigen Unterforderung für die Arbeiterschaft. Daraus also lässt sich keine Inkohärenz folgern  ; vielmehr stehen eben die Beschreibungen gegensätzlicher, aber eben tatsächlich gleichzeitig vorhandener Wirkkräfte unvermittelt nebeneinander. Gleiches gilt, wenn Smith im Buch V darangeht, die Schattenseiten der Arbeitsteilung deutlicher herauszustellen. Es verhält sich in der Tat so, dass er im Wealth of Nations keine apodiktisch klare Aussage trifft. Dies liegt zu einem Gutteil auch an der Systematik, mit der das Buch aufgebaut ist. So ist unschwer nachzuvollziehen, wie sich darin unterschiedliche Perspektiven überlagern. Smith erörtert – allerdings, ohne dies explizit so auszuweisen – die Mechanismen sich gegenseitig überlagernder Wirkweisen des ökonomischen Ganzen. Es darf dabei nicht übergangen werden, dass er die Wirtschaft nicht als Staatsökonom in der heutigen Bedeutung des Begriffs betrachtet, sondern als Moralphilosoph, und das bedeutet  : in einem sehr viel umfassenderen Sinn. Somit bezieht sein großangelegter Wealth of Nations neben den sich gegenseitig beeinflussenden und einem Gleichgewicht zustrebenden ökonomischen Parametern des Marktes auch psychologische, soziologische, juristische, historische und ethische Überlegungen mit ein. In dieser enormen Spannweite mag der Grund für eine gewisse Indifferenz in den Aussagen liegen, die sich, behält man Smiths Gesamtkonzept – zu dem neben der Theory auch die nicht fertiggestellten und im Manuskriptstadium vernichteten Werke86 gehören – nicht im Blick, auch als Inkohärenzen missdeuten lassen.

85 A.  Smith  : Wohlstand, S. 13. 86 Man darf davon ausgehen, dass Smiths Gesamtkonzeption auch all die Bereiche umfasste, die er in seinen Lectures behandelt hatte, also Wissenschaftsgeschichte (History of Astronomy – History of the Ancient Physics – History of the Ancient Logics and Metaphysics), Erkenntnistheorie (Of the External Senses), Kunst und Literatur (Of the Nature of […] the Imitative Arts – On Rhetoric and Belles Lettres), Sprachwissenschaft (Considerations Concerning the First Formation of Languages) und Rechtswissenschaft (Lectures on Jurisprudence).

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Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik

10.2.3 Folgerungen

Wenngleich Ferguson und Smith die Bedeutung der Arbeitsteilung insofern ähnlich zu bewerten scheinen, indem sie sie als stärkste Triebfeder nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der gesellschaftlichen Entwicklung insgesamt ansehen, so tritt doch neben den methodischen Unterschieden auch derjenige zutage, der zwischen den Blickrichtungen Fergusons einerseits – Arbeitsteilung und Zivilisation – und Smiths andererseits – Arbeitsteilung und Wirtschaft – besteht. Dennoch stellt sich die Frage, was bei einer Synopse nun deutlicher ins Auge fällt  : die Unterschiede oder die Ähnlichkeiten, der Gleichklang oder die Diskrepanzen  ? Beispiele bietet die Forschung insbesondere des 20. Jahrhunderts für beide Sichtweisen. So sieht M. Foucault in Fergusons Essay einen „Text, der Adam Smith und dem Wohlstand der Nationen ganz nahe steht, wobei das Wort ‚Nation‘ bei Adam Smith in etwa die Bedeutung von [‚]bürgerlicher Gesellschaft[‘] bei Ferguson hat. Wir haben hier das politische Korrelat, d. h. das Korrelat in Begriffen der bürgerlichen Gesellschaft, zu dem, was Adam Smith in rein ökonomischen Begriffen untersuchte.“87 Foucault verengt die Zielrichtungen von Fergusons Essay und Smiths Wealth of Nations auf einen bestimmten Einzelaspekt, wenn er sagt  : „Die bürgerliche Gesellschaft Fergusons ist in der Tat das […] konkrete Ganze, innerhalb dessen sich die ökonomischen Menschen verhalten, die Adam Smith zu untersuchen versuchte.“88 Mit keiner geringeren Berechtigung ließe sich allerdings sagen, Smiths integraler Gesellschaftsbegriff, der sich explizit auf Untersuchungen und Aussagen zur Ökonomie stützt, schließe implizit Fergusons soziologische, sozialpsychologische, anthropologische, geschichtstheoretische und militärische Annäherungen an das Thema mit ein. Dieser Einzelaspekt, auf den Foucault abzielt, ist der einer „spontanen Ordnung“. Im Fall Fergusons ist es die Ordnung des gesellschaftlichen Gesamtgefüges  : „Die soziale Bindung bildet sich also spontan. Es gibt keine besonderen Operationen, die sie konstituieren oder begründen können. Die Gesellschaft muß nicht begründet werden oder sich selbst begründen. Man ist so oder so in der Gesellschaft. Die soziale Bindung hat keine Vorgeschichte.“89 Im anderen Fall, bei Smith, ist mit der spontan sich bildenden Ordnung nicht die gesellschaftliche gemeint, sondern das Gleichgewicht in den wirtschaftlichen Beziehungen der Akteure, das sich gemäß der Metapher von der „unsichtbaren Hand“ und unter deren Leitung, also ebenfalls unausweichlich, einstellt. Im Hinblick auf Ordnung besteht zwischen Ferguson und Smith tatsächlich eine auffällige grundlegende Übereinstimmung. Beide stellen, wenngleich für unterschiedliche Sphären der Gesellschaft, fest  : Ordnung kann aus sich selbst heraus entstehen, und sie tut dies 87 M.  Foucault  : Die Geburt der Biopolitik, S. 408. – Ich teile allerdings aus Gründen, die ich vorangehend dar­ gelegt habe, Foucaults Ansicht über Smiths Untersuchung in „rein ökonomischen Begriffen“ nicht. 88 Ebd. 89 Ebd., S. 410.

Die Arbeitsteilung |

auch. Allerdings ist hier zwischen dem Blick auf den Vorgang selbst, also die waltende Dynamik (hervorgehoben bei Smith), und dem Blick auf dessen Folgen (hervorgehoben bei Ferguson) zu unterscheiden. Im Glauben an eine sich spontan bildende Ordnung liegt generell ein Anlass zur Zuversicht, da der Begriff üblicherweise mit „Strukturiertheit“, „Berechenbarkeit“ und auch „Verlässlichkeit“ der Bedingungen, die ein Staat seinen Akteuren bietet, verbunden wird. Doch obgleich die beiden Denker die Arbeitsteilung für eine wesentliche Triebfeder der wirtschaftlichen ebenso wie der zivilisatorischen Entwicklung halten, führt sie ihre unterschiedliche Grundhaltung doch auf getrennte Wege. Smith richtet im Wealth of Nations den Blick auf das gesellschaftliche Entwicklungspotenzial, das er in der arbeitsteiligen Wirtschaft sieht, und er will deren Kräfte für eine Gesellschaft nutzen, die auf Wohlstand aus ist. Ferguson hingegen konzentriert seine Überlegungen nicht auf die Wirkweisen dieser arbeitsteiligen Wirtschaft, sondern er beschreibt die Auswirkungen, die von der Arbeitsteilung auf die Gesellschaft ausgehen  : Er richtet seinen Blick also weniger darauf, wie die Arbeitsteilung wirkt, sondern darauf, wie sie sich auswirkt. Was er dabei sehr deutlich herausstellt, ist die Gefahr des Verfalls. Smith hingegen erkennt in den Schattenseiten der Arbeitsteilung „Unannehmlichkeiten [inconveniences]“.90 Unannehmlichkeiten aber sind lediglich eine unwillkommene Begleiterscheinung einer insgesamt als günstig erachteten Entwicklung, jedenfalls nichts, was eine aufstrebende Gesellschaft ernsthaft gefährden könnte. Erkannt und in ihren Hauptwerken thematisiert haben die Janusköpfigkeit der Arbeitsteilung sowohl Ferguson als auch Smith. Ferguson hat die weitreichenderen Schlussfolgerungen daraus gezogen – was sicher seinen Ruf als „skeptischer“ Aufklärer befördert hat –, ohne dass er in der Beurteilung des eigentlichen Sachverhalts deutlich über Smith hinausgegangen wäre. Weder die (großen) Übereinstimmungen noch die Divergenzen (im Detail) zwischen beiden blieben nachgeborenen Theoretikern verborgen. Das bot Anlass genug für unterschiedliche Bewertungen. Beispielsweise sollte etwa der belesene Marx, der in der Pointiertheit von Formulierungen fraglos einen Wert an sich sah, Fergusons oben bereits zitierten Satz von den „vielen gewerblichen Künsten“, die „keinerlei geistige Befähigung“ erforderten, aufgreifen und gegen Smith in Stellung bringen. Er sagt, „daß […] siebzehn Jahre vor Adam Smith, dem Schüler von Adam Ferguson, dieser letztere diesen Punkt [der ‚Nachteile der Arbeitsteilung‘] in einem Kapitel, welches speziell die Arbeitsteilung behandelt, klar und deutlich auseinandergesetzt hat.“91 Fergusons Beharren auf der mit der Arbeits90 „Es gibt aber“, sagt Smith in einer seiner Vorlesungen, „auch einige Nachteile [inconveniences], die aus dem Handelsgeist entspringen. Den ersten [sic  !], den wir erwähnen, ist der, daß er die Ansichten der Menschen einengt [that it confines the views of men]. Wo die Arbeitsteilung zur Vollkommenheit gebracht ist, hat jeder einzelne nur einen einzigen Handgriff auszuführen. Darauf ist seine ganze Aufmerksamkeit konzentriert, und es gehen ihm wenig Dinge durch den Kopf, die damit nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen.“ Ders.: Vorlesungen (Brühlmeier), S. 259. – OT.: ders.: Lectures J, p. 539. 91 K. Marx  : Das Elend der Philosophie, S. 146 f.

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teilung einhergehenden Entfremdung liefert Marx den Anlass, innerhalb der Ideengeschichte der politischen Ökonomie eine Ordnung, wenngleich lediglich eine zeitliche, herzustellen. Allerdings beruht die These von Fergusons Vorläuferschaft auf einer irrigen Annahme. Denn dass mit der Arbeitsteilung und der aus ihr resultierenden Ökonomisierung der Gesellschaft92 für die Menschen auch schädliche Begleiterscheinungen – geistige Abstumpfung, Niedergang der Volks- und Jugendbildung, Nachlassen der Verteidigungsbereitschaft – einhergehen konnten, hat auch Smith erkannt und, was Marx noch nicht wissen konnte,93 bereits 1766, also vor dem Erscheinen von Fergusons Essay, in seinen Vorlesungen angesprochen.94 Beide Schotten waren sich nicht nur darin einig, dass sie die ökonomischen und, damit verbunden, die zivilisatorischen Vorzüge der Arbeitsteilung begrüßten. Ebenso erkannten sie auch deren Schattenseiten, doch leiteten sie aus ihnen unterschiedliche Prognosen ab  : Während Ferguson einen gewissermaßen systemimmanenten Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft zumindest in Erwägung zog, vermied es Smith, die sehr wohl erkannten zerstörerischen Tendenzen in die Zukunft fortzuschreiben. Seine – im Vergleich zu Ferguson – größere Zuversicht verdankte sich der wohl absichtlichen Beschränkung seiner Weitsicht in dieser Frage. Es soll durch das ausführliche Eingehen auf Fergusons und Smiths Behandlung der Arbeitsteilung nicht der Eindruck entstehen, die beiden Denker seien die Ersten oder gar die Einzigen gewesen, die sich im 18. Jahrhundert dieser Problematik zugewandt hätten. Auch Hume hatte sich bereits in seinem Treatise kurz damit befasst.95 Allerdings kann bei ihm von einer wirklichen theoretischen Bearbeitung dieser Problematik nicht gesprochen werden. Vielmehr deutet er eher flüchtig an, was Ferguson und Smith, wie vorangehend gezeigt, sehr viel grundlegender überdenken sollten, wenn er sagt  : „Wenn jeder einzelne Mensch allein und nur für sich arbeitet, so reicht seine Kraft nicht aus, um irgendein bedeutsames Werk auszuführen  ; seine Arbeit wird aufgebraucht durch die Beschaffung der mancherlei Dinge, welche die Not des Lebens erfordert  ; er bringt es in keiner Kunst zur Vollkommenheit. […] Durch die Vereinigung der Kräfte wird unsere Leistungsfähigkeit vermehrt  ; durch Teilung der Arbeit wächst unsere Geschicklichkeit, und gegenseitiger Beistand

92 Smith spricht im Sinn eines Synonyms vom „Handelsgeist“. 93 Die Nachschriften von Smiths Vorlesungen wurden erstmals Ende des 19. Jahrhunderts und lange nach Marx wieder zugänglich  : E.  Cannan (ed.)  : Lectures on Justice, Police, Revenue and Arms. 94 Siehe A.  Smith  : Vorlesungen (B.), S. 257 ff. – Die Rede ist bei den Nachteilen, „die aus dem Handelsgeist entspringen“, etwa davon, „daß er die Ansichten der Menschen einengt.“ – „Ein weiterer mit dem Handel verbundener Nachteil ist die große Vernachlässigung der Ausbildung.“ – „Eine weitere schlechte Auswirkung des Handels ist es, daß er den menschlichen Mut abschwächt und dazu beiträgt, den kriegerischen Geist auszulöschen.“ – OT.: ders.: Lectures J, pp. 539–540. 95 Näheres zu einer Ferguson und Smith vorausgehenden Behandlung der Frage der Arbeitsteilung siehe bei R.  Hamowy  : Adam Smith, Adam Ferguson, and the Division of Labour, p. 251.

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macht uns weniger abhängig von Glück und Zufall [by mutual succour we are less expos’d to fortune and accidents].“96

Der Mensch enthebe sich, sagt Hume, damit ein Stück weit seiner anthropologisch vorgegebenen Bedürftigkeit und der Schwäche seiner Natur. Dass sich die Arbeitsteilung – er verwendet nicht den Begriff division of labour, sondern er spricht von einer partition of employments – auch zum Schaden des Gemeinwesens auswirken könne, thematisiert er an dieser Stelle nicht. Auch lässt er offen, ob er diesem Aspekt überhaupt eine tiefergehende Bedeutung bemisst, wenn er abschließend erneut den Nutzen betont und die Passage mit einem prognostischen Statement der Zuversicht beschließt  : „Durch diese Vermehrung von Kraft, Geschicklichkeit und Sicherheit wird die Gesellschaft nützlich.“97 Bemerkenswert ist, dass die Arbeitsteilung auch bei Mandeville Erwähnung findet, und zwar in seiner Fable of the Bees, in einer Schrift also, die allen schottischen Denkern des 18. Jahrhunderts bekannt gewesen ist.98 Doch ist Mandeville nur ein Name mehr in einer ganzen Reihe von Moralphilosophen, die das Thema angesprochen haben und auf die deshalb Licht fällt, wenn es um die Frage geht, auf wessen Einflüsse Fergusons und Smiths diesbezügliche Erörterungen zurückgehen könnten. Im Grund sind diese Überlegungen jedoch nicht von größerer Bedeutung, denn die beiden Schotten unterscheidet von all jenen, die vor ihnen über die Bedeutung der Arbeitsteilung nachgedacht haben, etwas Wesentliches  : Bei Ferguson und Smith findet sich das Thema nicht nur ins Spiel gebracht, sondern in seiner Bedeutung für den Fortgang der zivilisatorischen Entwicklung von Gesellschaften auch als das zentrale Movens herausgestellt. Überdies erfolgt diese Einordnung unter Beleuchtung der Vor- und Nachteile der Arbeitsteilung gleichermaßen. Da Smith deren „marktrelevanten“ Aspekt stärker betont, Ferguson den sozialen, unterscheiden sich die Schlussfolgerungen der beiden Denker – allerdings bei weitem nicht in dem Maß, als dass von einer Gegensätzlichkeit gesprochen werden dürfte.

10.3 Das Interesse

Es wurden im bisherigen Verlauf dieses Kapitels sehr unterschiedliche Ursachen dafür benannt, dass die schottischen Denker die Entwicklung von Wissenschaft und Gesellschaft in einem günstigen Licht sehen konnten. Zum einen vertrauten sie auf einen Wandel 96 D.  Hume  : Traktat, II, S. 228 f. – OT.: ders.: Treatise, p. 312, 3.2.2|3. 97 D.  Hume  : Traktat, II, S. 229. 98 Wenngleich auch Mandeville die Arbeitsteilung nicht eingehender erörtert, so benennt doch auch er bereits klar deren Vorteile  : “There are many Sets of Hands in the Nation, that, not wanting proper Materials, would be able in less than half a Year to produce, fit out, and navigate a First-Rate  : yet it is certain, that this Task would be impracticable, if it was not divided and subdivided into a great Variety of different Labours  ; and it is as certain, that none of these Labours require any other, than working Men of ordinary Capacities.” – B.  Mandeville  : Fable, II, p. 142.

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der methodischen Vorgehensweise, der einen Zuwachs an wissenschaftlicher Erkenntnis verhieß. Zum andern hatten sie, indem sie das Wirken der Arbeitsteilung beschrieben, jene Kraft ausgemacht, die auf vielerlei Weise die Ursache des zivilisatorischen Prozesses zu sein schien. Mit ihr glaubten sie die treibende Kraft der Entwicklung schlechthin ausgemacht zu haben. Allerdings war damit das handelnde Individuum und vor allem das, was es eigentlich antrieb, in die Gesamtkonstellation eines fortlaufend sich perfektionierenden Gemeinwesens noch nicht integriert. Kurzum  : Was der Akteur zu bewegen vermochte, war beschrieben. Doch wodurch wurde er selbst bewegt  ? In der angelsächsischen Moralphilosophie seit dem 17. Jahrhundert begegnet man solchen bewegenden Kräften in reicher Zahl, etwa Furcht, Wünschen, Hoffnungen, guten und schädlichen Trieben – eben Affekten und Leidenschaften aller Art, wie die Denker von Hobbes über Hume bis Smith sie beschrieben und in ihren Erscheinungsformen und in ihrer Bedeutung eingeordnet haben. Hinzu kamen ein auf Bewertung und Kontrolle ausgerichteter Verstand einerseits sowie andererseits endogene Kräfte, die dessen Zugriff als weitgehend entzogen galten, wie etwa ein moral sense, der als Thema den Diskurs über eine lange Zeit beherrscht hatte. Nur ein einziges wesentliches Element, wiewohl durchaus registriert und dann und wann erwähnt, war noch nicht eingehend untersucht  : das Interesse des Individuums. Was bewirkte es und worauf ließ seine Entstehung sich zurückführen  ? Dieses „Interesse“ beziehungsweise die „Interessen“ waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Englischen ein vergleichsweise junger Begriff.99 Aufgetaucht war er in Großbritannien erst ein Jahrhundert zuvor, möglicherweise erstmals in der Schrift A Treatise of the Interest of the Princes and States of Christendome des französischen Grafen Rohan, welche die politischen Interessen verschiedener europäischer Staaten zum Gegenstand hatte und die Wortbedeutung in der Vorrede so umschrieb  : „Die Fürsten gebieten über das Volk, und das Interesse gebietet über die Fürsten. […] Der Fürst mag sich selbst täuschen, sein Rat mag bestochen sein, das Interesse allein aber kann niemals fehlgehen [the Interest alone can never faile].“100 Damit waren den Interessen über die Tatsache des bloßen Handlungsmotivs hinaus zugleich auch Unfehlbarkeit, dem Handlungsantrieb Rechtmäßigkeit attestiert. Zwar war Rohans Satz nicht mehr als eine Behauptung, doch übte diese eine gewisse Faszination aus  ; zudem erfasste man schnell das darin enthaltene argumentative Potenzial. Allerdings bedurfte es noch der Erklärung, wodurch eigentlich das Interesse solch sicheren Aufschluss über eine zu treffende Handlungsentscheidung geben konnte. Der Pamphletist Marchamont Nedham sollte das Wirken der Interessen schon bald nach Rohans Schrift folgendermaßen entschlüsseln  :

 99 Näherer Aufschluss zum Interessenbegriff und zu seiner Entstehung findet sich bei  : J. A. W. Gunn  : “Interest Will Not Lie”, sowie K.-H. Brodbeck  : „Interest will not lie“. Zur impliziten Ethik der Zinstheorie. 100 H.  [Duc de] Rohan  : A Treatise of the Interest of the Princes and States of Christendome, London 1663 (1638). “The Preface”, unpaginiert (e. Ü.).

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„Es ist eine Maxime unter den Politikern, dass das Interesse nicht lügen wird [Interest will not lie]  : Dieses kluge Sprichwort hat einen doppelten Sinn […]. Der eine Sinn ist der, dass […], wenn man weiß, worin jemandes Interesse bei einem bestimmten Spiel besteht, man sicher weiß, […] was er vorhat. […] Der andere Sinn dieser Maxime ist, dass, wenn jemand sein eigenes Interesse richtig feststellt [state] und er sich daran hält, dieses ihn weder belügen noch ihn dazu bringen wird, in der Verfolgung seiner Ziele und Absichten sich selbst zu betrügen […].“101

Damit war der Interessenbegriff zu etwas geworden, auf das die Moralphilosophie sich beziehen konnte  ; er hatte eine normative Schlagkraft gewonnen. Binnen einer relativ kurzen Zeitspanne bildete er sich, wie Hirschman feststellt, zu einem „Paradigma (à la Kuhn)“ aus. Die Folge dessen war, dass „die meisten menschlichen Handlungsweisen aus dem Eigeninteresse erklärt“ wurden.102 Besonders deutlich sollte sich das in Thomas Blounts Essay That Interest Governs the World zeigen, wo es heißt  : „Interesse ist dieser universelle Monarch, zu dem alle anderen Imperien Zuflüsse sind. Es ist das große Götzenbild, vor dem die Welt sich verbeugt  : […]. Das Interesse ist von dieser magnetischen Eigenschaft, dass unsere Neigungen fast unwiderstehlich von ihm angezogen werden  : Es ist der Pol, an den wir uns wenden, und wir richten gewöhnlich unsere Urteile in seine Richtung aus.“103

Damit sind die Interessen nicht mehr lediglich der Indikator des – politischen – Handelns, sondern überdies auch dessen Regulator.104 Aus den unfehlbaren Interessen war ein Werkzeug der Prognose geworden  : Wer die Interessen seines Gegenübers erst einmal erfasst hatte, konnte darauf schließen, was dieses unternehmen würde, sie zu verfolgen.105 – Darin lag eine Nutzanwendung des Interessenbegriffs, und übertrug man ihn auf die Ökonomie, so wurde er gar mit der Hoffnung aufgeladen, es sei möglich, die Handlungen der Akteure zu antizipieren. Es überrascht daher nicht, wenn Gunn sogar davon spricht, es scheine „sicher zu sein, dass das Modell des Homo oeconomicus Adam Smith um weit mehr als ein Jahrhundert vorausging“.106

101 M.  Nedham  : Interest will not Lie, p. 3 (e. Ü., Hervorh. übern.). 102 A.  O. Hirschman  : Leidenschaften und Interessen, S. 51. 103 T. [Pope] Blount  : Essay I. That Interest Governs the World, p. 1 (e. Ü.). 104 Dass es das Interesse sei, das die Welt regiere, ist eine Ansicht, die bereits vor Blounts Publikation in Italien verbreitet gewesen sein könnte. Eine vom Anfang des 18. Jahrhunderts datierende Zusammenstellung erwähnt folgendes italienische Sprichwort  : „Solo il Santo Interesse gouverna il Mondo [Nur das heilige Interesse regiert die Welt]“. [J. Mapletoft]  : Select Proverbs, p. 40. 105 Siehe hierzu auch J. A. W. Gunn  : “Interest Will Not Lie”, p. 557. 106 Ebd. (e. Ü.)

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10.3.1 Leidenschaften – Interessen  : Zur Genese eines Erklärungsmodells der Gesellschaft

Aus dem Gesagten ist zu ersehen, wie das Interesse in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Großbritannien zu einer Kategorie hatte werden können, die fortan ausnahmslos in alle Untersuchungen über das politische Handeln, die Moral, die Gesetze, die Wirtschaft, kurzum über die Gesellschaft in all ihren Facetten, miteinbezogen werden musste. Allerdings war der Begriff lediglich Teil eines größeren semantischen Feldes, in dessen Kontext er gebraucht wurde und innerhalb dessen er gegenüber anderen folglich abgegrenzt werden muss. Zu unterscheiden ist nämlich zunächst zwischen den Termini Leidenschaften und Interessen sowie in einem zweiten Schritt zwischen dem privaten und dem öffentlichen Interesse. Leidenschaften – im Sinn sowohl von unmittelbar wirkenden Affekten (bei Hume  : direct passions) als auch von fortdauernd bestehenden Leidenschaften im eigentlichen Sinn beziehungsweise „Passionen“ (bei Hume  : indirect passions) – sind Handlungsantriebe, denen die Menschen gewissermaßen ausgeliefert sind, die es jedoch zum Zweck eines gedeihlichen Zusammenlebens in der Gesellschaft zu kontrollieren gilt. Interessen sind Handlungsmotive, in deren Verfolgung und vor allem in deren Erreichen ein Nutzen für das Individuum oder für die Gemeinschaft gesehen wird. Von den Leidenschaften sind sie dadurch unterschieden, dass sie mittels Verstandesleistungen aktiv formuliert und reflektiert werden. Welch grundlegende Bedeutung den Interessen in der Politik zugesprochen wurde, macht Smith deutlich, der sagt, „zu Anfang [hätten sich] die verschiedenen Ziele der Politik wahrscheinlich aus privaten Interessen und Vorurteilen einzelner Bevölkerungsschichten [private interests and prejudices of particular orders of men] hergeleitet […], ohne daß die Folgen für die Wohlfahrt des Landes überhaupt bedacht oder vorhergesehen wurden […].“107 Der Satz verrät offensichtlich eine pejorative Konnotation des Interessenbegriffs, die nicht übergangen werden darf und die bereits bei Ferguson sehr deutlich hervorgetreten war.108 Dieser sieht im Primat des Interesses ein Anzeichen für eine Fehlentwicklung der bürgerlichen Gesellschaft. Der ausschließlich seinen Interessen verpflichtete Mensch erscheint bei ihm, zumindest tendenziell, als moralisch degeneriert  :

107 A.  Smith  : Wohlstand, S. 4. – OT.: ders.: Wealth, p. 11|8. 108 An Beispielen, die dies belegen, fehlt es nicht. Siehe etwa  : A. Ferguson  : Versuch, S. 143 („Übergewicht interessierten Wettbewerbs“)  ; S. 147 („Ängstlichkeiten des Interesses“)  ; S. 208 („die Schwäche der vom Interesse eingegebenen Motive“)  ; S. 289 („jene erbärmliche Partei […], die jede Angelegenheit nur im Lichte ihres persönlichen Interesses betrachtet“)  ; S. 388 („Interesse ernüchtert die Einbildungskraft und verhärtet das Herz“)  ; S. 465 („die Ängste, die sich aus der Sorge um ein armseliges Interesse ergeben“). Diese abschätzige Bewertung des Interesses kommt auch in folgender Aussage zum Ausdruck  : „Es gibt eine mächtige Verzerrung in allen Geschäften, in denen Menschen auf Irrtum, Interesse oder Ungerechtigkeit stoßen […].“ O.  Dykes  : Moral Reflections Upon Select English Proverbs, p. 22. (Hinweis bei  : J. A. W. Gunn  : “Interest Will Not Lie”, p. 559.)

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„Seine Mitmenschen fänden nur insofern Beachtung, als sie sein Interesse berühren [as they affected his interest]. Der Ausgang jeder Handlung würde nach Gewinn und Verlust charakterisiert. Die Beiworte nützlich [useful] und nachteilig [detrimental] würden dazu herhalten, seine Gefährten in der Gesellschaft zu unterscheiden, ganz so wie diese Worte den Baum, der reichlich Frucht trägt, von dem unterscheiden, der nur das Erdreich belastet oder die schöne Aussicht versperrt.“

Jedoch  : „Dies allerdings macht nicht die Geschichte unserer Gattung aus.“109 Die Interessen treiben den Menschen an, aber sie machen ihn deswegen noch lange nicht zur Gänze aus. Zumindest, so legt Ferguson nahe, sollten sie es nicht. Somit tritt in den Augen der schottischen Moralphilosophie mit dem Begriff der Interessen eine Bruchzone innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zutage, denn diese Interessen stünden nicht nur im Konflikt mit den Leidenschaften, sondern auch mit der Moral – dem „sittlichen Gefühl [moral sentiment]“, so Ferguson.110 Privates Interesse/private Interessen bezeichnen ein Ins-Auge-Fassen persönlichen Nut­ zens, insbesondere mit der Zielrichtung einer Mehrung privaten Besitzes. J­ohnson erklärt im 18. Jahrhundert den Begriff unter Anderem mit „Anliegen [concern]“, „Vor­ teil(s­streben) [advantage]“, aber auch mit „Beteiligung  : wie[:] das ist eine Sache, an der wir Interesse haben“.111 Die schottischen Denker verbinden damit üblicherweise, wenn auch nicht ausschließlich, das Streben nach materiellem Vorteil. Das private Interesse ist, so das vorwiegende Verständnis, auf den Erwerb von Eigentum gerichtet.112 Von Hume wird der Begriff aber auch in einer weiteren Bedeutung gebraucht. Für ihn richtet sich das Eigeninteresse keineswegs nur auf Besitzaneignung, sondern es ist gleichzeitig die Ursache für die Schaffung von Institutionen des Gemeinwesens, die dessen Bestand sichern.113 Beide Aspekte sind zu berücksichtigen. Öffentliches Interesse  : Hume zufolge handelt es sich dabei um dasjenige, was geeignet ist, der „Gattung [our species]“, zumindest aber der „menschlichen Gesellschaft Glück

109 A.  Ferguson  : Versuch, S. 137 f. (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Essay, pp. 35–36. 110 A.  Ferguson  : Versuch, S. 137. – OT.: ders.: Essay, p. 35. 111 S.  Johnson  : Dictionary 1755, unpaginiert, Lemma “interest”. (Der Eintrag ist in der Auflage von 1799 nahezu unverändert enthalten.) 112 A.  Ferguson  : Versuch, S. 223, etwa unterstreicht die enge Verbindung der beiden Begriffe für die Entstehung der Gesellschaft, wenn er einem Kapitel seines Essay den Titel gibt  : „Von rohen Völkern unter dem Einfluß von Eigentum und Interesse“. – Oder auch ders.: Versuch, S. 115   : „Dieser Ausdruck Interesse, der für gewöhnlich wenig mehr meint als unsere Aufmerksamkeit für das Eigentum, steht manchmal auch für Nützlichkeit im allgemeinen, und diese wiederum wird für gleichbedeutend mit Glück gehalten.“ – Ders.: Versuch, S. 470  : „Die gewerblichen Künste scheinen keine andere Grundlage in den Gemütern der Menschen zu erfordern als die Rücksicht auf das Eigeninteresse, keine andere Ermutigung als die Hoffnung auf Gewinn und auf den sicheren Besitz von Eigentum.“ 113 D.  Hume  : Traktat, II, S. 240  : „Die Fürsorge für unser eigenes und das allgemeine Interesse ließ uns die Gesetze der Rechtsordnung aufstellen.“ (Hervorh. HK)

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zu bringen [bestow happiness on human society]“.114 Es ist kennzeichnend für den in der Schottischen Aufklärung häufig auftretenden Gedanken einer Selbstregulation, dass der Gegensatz zwischen privatem und öffentlichem Interesse gerade durch die nachdrückliche Verfolgung des Ersteren aufgehoben werden kann. So sagt Ferguson  : „Oft ist das öffentliche Interesse gerade deshalb gesichert, weil ein jeder an seinem Platze entschlossen ist, sein eigenes Interesse zu wahren und nicht etwa deshalb, weil die Individuen geneigt sind, dieses öffentliche Interesse als Endziel ihres Verhaltens zu betrachten.“115 Im selben Jahr 1767, in dem der Essay erschien, sollte Steuart diesen Sachverhalt in gleicher Weise formulieren  : „Ich kann also nicht anderst glauben, als daß, bey Handlungen, die das Publicum [das ist  : die Öffentlichkeit] angehen, ein jeder auf seinen eigenen Nutzen sieht [every man is to act for his own interest in what regards the public], und, politisch davon zu urtheilen, muss er darauf sehen. Die Combination aller verschiedenen Privatinteressen ist es eben, was die Wohlfahrt des Publici zuwege [= voran] bringt […].“116 Auch Smith vertritt im Wealth of Nations mehrfach das Prinzip des Eigeninteresses als des Dieners des Gemeinwohls, und es ist kein Zufall, dass es gerade auch dort auftaucht, wo die berühmte Metapher der „unsichtbaren Hand“ eingeführt wird.117 Damit beugten sich die schottischen Denker der Realität, und diese erkannten sie dadurch an, dass sie unter allen bewegenden Kräften in der Ökonomie und in der Politik – jenseits aller auf moralischen Erwägungen basierenden Handlungsantriebe – die Interessen des agierenden Individuums als die wirkmächtigsten ansahen.118 Die Gesellschaft so zu verstehen, war nun Commonsense, doch hatte es seit Rohans und Nedhams Einführung des Begriffs immerhin eines Jahrhunderts des Diskurses bedurft, ihm zur Durchsetzung zu verhelfen. 10.3.2 Fergusons kritischer Blick auf die Erklärungsmacht des Interesses

In dieser Deutung des Interessenbegriffs wurde spätestens seit Mandevilles Fable of the Bees die Erklärung für das Funktionieren der civil society gesehen, deren Rahmen man im Markt sah und deren Wesen man deswegen allzu bereitwillig auf eines des Warenaustauschs verengte. Ferguson trat dadurch hervor, dass er dieses Gesellschafts- und vor allem Menschenbild wieder zu erweitern suchte, und zwar gerade durch ein Erweitern

114 D.  Hume  : Moral (K.), S. 15. – OT.: ders.: Morals, p. 12, 2.2|22. 115 A.  Ferguson  : Versuch, S. 266. 116 J.  Steuart  : Untersuchung der Gesetze der Staats-Wirtschaft, Bd. 1, S. 180. – OT.: ders.: An Inquiry into the Principles of Political Oeconomy, I, p. 160. 117 A.  Smith  : Wohlstand, S. 371  : „[…] gerade dadurch, daß [der Einzelne] das eigene Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft nachhaltiger, als wenn er wirklich beabsichtigt, es zu tun.“ Siehe Ähnliches auch ebd. S. 340. 118 A.  Ferguson  : Versuch, S. 343  : „Da der Reichtum ungleich verteilt war, waren allein die Vermögenden von der Arbeit befreit. Die Armen aber waren in Umstände herabgedrückt, in denen sie für ihr eigenes Auskommen arbeiten mußten  : materielles Interesse war die herrschende Leidenschaft beider.“ (Hervorh. HK)

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des Interessenbegriffs. Er hielt dem Zeitgeist das Bild des integren, moralischen – eben tugendhaften – Menschen entgegen  : „Doch die Irrtümer dieses Systems [das den Menschen so vorschnell auf seine ökonomischen Interessen reduziert, HK] bestehen nicht so sehr in allgemeinen Prinzipien als in deren besonderer Anwendung, nicht so sehr darin, die Menschen zu lehren, auf sich selbst Rücksicht zu nehmen, als vielmehr darin, sie vergessen zu machen, daß ihre glücklichsten Neigungen, ihre Redlichkeit und geistige Unabhängigkeit in Wirklichkeit ebenfalls Teile ihres Selbst sind.“119

Was aber wird aus diesen „glücklichen Neigungen“, der „Redlichkeit“ und „geistigen Unabhängigkeit“ in einer ganz und gar von den Interessen beherrschten Welt  ? Ferguson begreift durchaus, dass die Gesellschaft in materieller Hinsicht durch die Interessen der Individuen ebenso wie durch die Arbeitsteilung vorangebracht wird. Dass die beiden Prinzipien funktionieren, ist zu offensichtlich. Ebenso deutlich ist aber auch der Preis – in Form individueller Vereinzelung – erkennbar, den für dieses Funktionieren des Ganzen der Einzelne zu zahlen hat. Das Interesse ist für Ferguson, mehr als für seine schottischen Kollegen, etwas Ambivalentes  : „Laßt uns diese Beispiele [einer intakten Gesellschaft, die ‚weit davon entfernt [[ist]], die Gesellschaft nur wegen ihrer äußerlichen Annehmlichkeiten zu schätzen‘] mit dem Geist vergleichen, der in einem Handelsstaat herrscht, wo anzunehmen ist, daß die Menschen in vollem Umfange das Interesse erkannt haben, welches Personen an der Erhaltung ihres Landes haben. Wenn überhaupt jemals, so findet sich in der Tat hier der Mensch zuweilen als ein losgelöstes und einsames Wesen. Hier hat er ein Objekt gefunden, das ihn in Wettbewerb mit seinen Mitmenschen versetzt  ; er handelt mit ihnen, wie er es mit seinem Vieh und mit seinem Boden tut, des Gewinnes wegen, den sie ihm bringen. Die mächtige Maschine, von der wir annehmen, daß sie die Gesellschaft gebildet hat, sie dient hier nur dazu, ihre Mitglieder zu entzweien oder ihren Verkehr fortzusetzen, nachdem die Bande der Zuneigung zerrissen sind.“120

Es besteht im politischen Denken der Schottischen Aufklärung nie ein Zweifel, dass das Eigeninteresse der Individuen eine parallele Entwicklung von Eigentum und Zivilisation vorantreibt. Am Ende dieser Entwicklung steht der bürgerliche Handelsstaat, in dem die zeitgenössische Gesellschaft Schottlands und Englands im 18. Jahrhundert aufgeht. Mit den dem Interesse zu verdankenden Errungenschaften des Wohlstands und einer ihn schützenden Rechtsordnung hat die Nation ihr Ziel erreicht. Das ist die übliche Argumentationslinie. Die – keineswegs von allen gestellte – Frage war nun, ob mit diesem 119 Ebd., S. 113 f. 120 Ebd., S. 121. – Es ist dies eine Schlüsselstelle für Fergusons Zivilisationskritik, und als solche hat sie die Forschung dazu eingeladen, sie gelegentlich stärker, als Ferguson das selbst getan hat, in den Vordergrund zu rücken. Siehe J. Helbig  : Handgemenge, S. 183.

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Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik

Ziel auch das Ende des Zivilisationsprozesses überhaupt erreicht sei. Durch diese Frage sieht man sich an die Gegenüberstellung der Naturmodelle einer oeconomia naturae („Haushalt der Natur“) und einer natura lapsa („gefallene Natur“) erinnert.121 Für Ferguson ging es darum, ob die Gesellschaft in der Lage sein würde, ihre „sozialen Defizite“ aus sich selbst heraus zu beheben, oder ob sie sich, wie es sich in Form der Vereinzelung zeigte, von nun an im Niedergang befände. Aber was auch immer aus seiner Sicht auf die weitere Entwicklung folgen mochte – der Rat zu einem Eingreifen in diesen Prozess war von einem konservativen Denker wie ihm nicht zu erwarten  : „Stabilität ist von größerer Bedeutung als jeder Vorteil, der durch Veränderung erzielt werden kann.“122 10.3.3 Das Interesse und die Akteure

Im Gefolge des Interessenbegriffs betraten den Schauplatz nun die eigentlichen Akteure, nämlich all jene, die Waren herstellten, austauschten und konsumierten sowie Dienstleistungen erbrachten und in Anspruch nahmen. Und es waren insbesondere diejenigen, die in der Lage waren, sich Eigentum zu verschaffen. Vor allem deren Erwartungen an einen Erfolg ihres Handelns innerhalb der Gesellschaft sind es, die darüber Auskunft geben, ob der Fortgang der Geschichte mit Zuversicht oder mit Sorge und Skepsis betrachtet wird. Je gezielter das Gemeinwesen unter Aspekten der Ökonomie betrachtet wird, desto mehr verlangen die Interessen dieser Akteure nun nach Entfaltungsmöglichkeiten, nach Raum und Ausdehnung in Form von steigender Produktivität und Nachfrage. Dass die Gesellschaft Anstrengungen für eine dahingehende Entwicklung zu unternehmen habe, ist unter den schottischen Denkern weithin unstrittig. Über die Wirtschaft des Landes denken sie mit dem Ziel nach, sie von Hemmnissen zu befreien. Ihre Hoffnung gilt dem Auffinden von Mechanismen der Selbstregulierung der Wirtschaftsabläufe, die ein – kurioserweise durch ein wiederum in Interessen gefangenes – Eingreifen von außen erübrigen. In diesem Kapitel wurde in den ersten drei Abschnitten auf solche Mechanismen eingegangen, deren Kennzeichen die Selbstregulierung des „Systems Staat“ ist. Dass allerdings, bei aller ihnen entgegengebrachten Zuversicht, selbst im Gegeneinander der Interessen ein Mechanismus der Selbstregulierung erkannt werden darf, erscheint nicht stichhaltig – denn dieses Gegeneinander hat kein Ziel und es birgt keinen Automatismus in sich, der auf ein Gleichgewicht zustreben würde. Damit fehlen die Hauptbedingungen, die von einer Selbstregulierung sprechen ließen. Vielmehr wirken mit den Interessen Kräfte, denen sich lediglich gegenläufige Interessen entgegenstellen können  ; sind diese zu schwach, unterliegen sie einfach, und diejenigen, die sich durchsetzen, bestimmen den weiteren Weg. Das allerdings ist ein Mechanismus der Verdrängung, keiner des Ausgleichs.

121 Siehe den Abschnitt 5.3.3 („Die Natur in Entwicklungsmodellen“). 122 A.  Ferguson  : Principles, II, p. 474–475 (e. Ü.).

Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘ |

Dennoch  : Es entsteht in der Neuzeit ein „Handelsstaat [commercial state]“123 als institutioneller Rahmen einer „bürgerlichen Gesellschaft [civil society]“. Diese verdanke ihre Ausgestaltung nicht zuletzt den Interessengegensätzen auf einer höheren Ebene, nämlich der zwischen den Völkern  : „Ohne die Rivalität der Nationen und ohne die Praxis des Krieges könnte“, so Ferguson, „die bürgerliche Gesellschaft selbst kaum Inhalt und Form gefunden haben. Zwar könnten die Menschen ohne förmliche Übereinkunft Handel treiben, doch ohne Übereinstimmung innerhalb der Nation in Sicherheit zu leben, dies wäre ihnen nicht möglich.“124 Was hier anklingt, ist die Hochschätzung der Interessen ebenso wie die Sorge vor ihren schädlichen Auswirkungen  : Zum einen regeln die Interessen das Zusammenspiel, doch regeln sie nur den Markt, die Wirtschaft, und dadurch stehen sie im Dienst des gemeinsamen Wohlstands der Nationen  ; zwischen Letzteren bedürfe es jedoch wirklicher „Übereinstimmung“. Zum andern aber wird den Einzelinteressen, so sehr sie die Entwicklung vorantreiben – und der Glaube gerade daran ist bei allen schottischen Denkern gleichermaßen vorhanden –, letztlich nur wenig integratives Potenzial attestiert. Ferguson artikuliert dies am deutlichsten. Er weist darauf hin, dass das Bild der Entwicklung der Gesellschaft durch die Hereinnahme der Interessen allein noch nicht vollständig ist. Vielmehr geht er daran, eine Folgenabschätzung dieses eben durch die Interessen vorangetriebenen Prozesses zu leisten, und dazu erscheint ihm eine Unterscheidung zwischen den ökonomischen und moralischen Konsequenzen unabdingbar. Während sich das Handeln der Akteure selbst vor allem an der Gewinnerwartung sowie an der Verbesserung der Lebensumstände orientiert und dadurch im Sinn nicht intendierter Handlungsfolgen zum „Wohlstand“ der Nation beiträgt, stellen die Moralphilosophen dem erwarteten ökonomischen Nutzen die sozialen und auch die moralischen Kosten gegenüber. Dabei treten Gegensätze zutage. Für Smith, der sie voll Zuversicht in einem Gesamtbild aufzuheben versucht, sollte das, wie seine unterschiedlichen Blickrichtungen in Buch I und Buch V des Wealth of Nations verraten, mitunter einer inneren Zerreißprobe gleichkommen.

10.4 Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘

Die Schottische Aufklärung konkretisiert nun das, was unter Interesse verstanden wird, indem sie den Begriff mit der Vorstellung des Strebens nach persönlichem Besitz ver123 A.  Ferguson  : Essay, p. 24. 124 Ebd., S. 127. – Auch in diesem Punkt stimmt Steuart mit Ferguson weitgehend überein, wie seine folgende Formulierung zeigt  : „So lang es verschiedene Staaten giebt, muß es verschiedene Interessen geben, und wenn diese verschiedene Interessen nicht durch Einen [sic  !] Staatsmann besorgt werden, so ist ein gemeines Wohl eine Chimäre  ; wo es aber kein gemeines Wohl giebt, da muß jedes Interesse absonderlich betrachtet werden.“ J.  Steuart  : Untersuchung der Gesetze der Staats-Wirtschaft, Bd. 1, S. 443.

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knüpft.125 Eigentum und Interesse sind bei allen schottischen Denkern eng miteinander verbunden, ja ohne die Möglichkeit der Erlangung von Eigentum fehlte dem Interesse der Akteure der Gegenstand, auf den es sich richten kann. Smith bringt dies auf eine für seine Verhältnisse sehr lakonische Weise zum Ausdruck  : „Jemand, der kein Eigentum erwerben kann, kann auch kein anderes Interesse haben, als möglichst viel zu essen und so wenig wie möglich zu arbeiten.“126 Ähnlich bewertet Ferguson das Interesse am persönlichen Besitz als das eigentliche motivierende Element, das die Menschen bewegt  : „Die gewerblichen und kommerziellen Künste gingen aus der Liebe zum Eigentum hervor und wurden durch die Aussicht auf Sicherheit und Gewinn angespornt.“127 Und Kames spricht sogar von einem „Eigentumssinn [sense of property]“, über den der Mensch verfüge.128 Der Eigentumsbegriff, der zuvor bereits, wie oben gezeigt wurde,129 in der ideengeschichtlichen Tradition der Schotten von fundamentaler Bedeutung gewesen war, rückt damit ins Zentrum. Offenkundig ist die Anknüpfung an Lockes Argumentation in dieser Frage. Dieser hatte das Eigentum zu einem Recht erklärt sowie den Staat auf dessen Schutz verpflichtet.130 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts spielt dieser Gedanke weiterhin eine Rolle, denn es könne, wie nun Hume sagt, niemand „bezweifeln, daß die Übereinkunft, durch welche das Eigentum bestimmt und die Sicherheit des Besitzes gewährleistet wird, von allen Bedingungen für die Begründung der menschlichen Gesellschaft die notwendigste“ sei.131 Diese Übereinkunft mag als eine ursprünglich freiwillige 125 Siehe S. 399  : „Privates Interesse/private Interessen“. 126 A.  Smith  : Wohlstand, S. 319. – Ähnlich auch ebd., S. 320  : „Pächter können nämlich als freie Männer Eigentum erwerben, und da sie am Bodenertrag beteiligt sind, sind sie ganz einfach daran interessiert, daß die gesamte Ernte so groß wie nur möglich ausfällt, damit auch ihr Anteil zunehmen kann.“ Dass es gerade die Motivation des Eigentümers ist, die den Erfolg verheißt, liest sich ebd. auf S. 341 so  : „In Europa verhindern das Erstgeburtsrecht und einzelne Gewohnheitsrechte die Aufteilung großer Güter und damit eine Vielzahl kleiner Grundeigentümer. Gerade sie gehören aber in der Bewirtschaftung des Bodens zu den fleißigsten, einfallsreichsten und erfolgreichsten, weil sie nämlich jeden Fleck ihres Landes kennen, es mit jener Zuneigung betrachten, die Eigentum, namentlich kleines Eigentum, gewöhnlich erweckt, und sich über jede Verbesserung freuen, weil sie an ihrem Boden hängen.“ 127 A.  Ferguson  : Versuch, S. 323 (Hervorh. HK). – Die Aussicht auf Sicherheit“ ist dasjenige, das dem Individuum dazu dient, die Erfahrung von Kontingenz – mit anderen Worten  : von Ohnmacht im Hinblick auf zukünftiges Geschehen – zu bewältigen. 128 Dass hier tatsächlich der deutsche Begriff „Sinn“ und nicht „Gefühl“ gemeint ist, wird durch Lord Kames’ nachgeschobene Präzisierung deutlich  : “The sense of property is slower in its growth toward maturity than the external senses, which are perfect even in childhood […].” (Hervorh. HK) H. Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, I, p. 68. 129 Siehe dazu im Fall von Hobbes den Abschnitt 4.2.2.4 („Die Wirkkraft des Eigeninteresses und das Eigentum als seine Folge“) und im Fall von Locke den Abschnitt 4.2.3.2 („Vom Naturzustand zum Staat im Dienst des Eigentums“). 130 Siehe S. 135. 131 D.  Hume  : Traktat, II, S. 235 (Hervorh. HK). – H. Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, I, p. 68, äußert sich ähnlich  : “Among the senses inherent in man, the sense of property is eminent.”

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gedacht sein,132 doch sie bedarf in einem großen Gemeinwesen angesichts der darin wirkenden unterschiedlichen Interessen und der ungleichen Verteilung von Macht einer institutionellen Sicherung. Der Staat gewährleistet sie in Form einer Rechtsordnung, die durchzusetzen er in der Lage sein muss, denn  : „Der Ursprung der Rechtsordnung“, sagt Hume, „erklärt den des Eigentums. Dieselbe künstliche Vereinbarung und Erfindung der Menschen läßt beide entstehen“133 – allerdings, so ist zu ergänzen, ist das Eigentum vor der Rechtsordnung da  : „Sobald man nun diese Übereinkunft hinsichtlich der fremden Enthaltung von Besitz eingegangen ist und jedermann Sicherheit seines Besitzes erlangt hat [also nachdem das Eigentum de facto bereits besteht, HK], stellen sich alsbald die Vorstellungen von Rechtsordnung und Rechtswidrigkeit, von Eigentum, Recht und Verpflichtung ein.“134 Ferguson argumentiert ähnlich. „Das Gesetz [law, hier wohl im Sinn von  : Recht, HK]“ sei, so heißt es im Essay, „ein Vertrag, auf den sich die Angehörigen einer Gemeinschaft geeinigt haben und unter dem Obrigkeit wie Untertanen dauerhaft ihre Rechte genießen und den gesellschaftlichen Frieden aufrechterhalten. Das Verlangen nach Gewinn ist der Hauptanlaß zu Übergriffen. Das Gesetz hat seinen hauptsächlichen Bezugspunkt deshalb im Eigentum.“135 Die grundlegende politische Bedeutung des Eigentums – jenseits seiner rein materiellen für den, der es eben besitzt – ist es also, die Rechtsordnung des Staates geradezu hervorzurufen. Dies sind die Voraussetzungen, aufgrund derer sich für die schottischen Autoren eine Reihe weiterer Fragen zur Funktion des Eigentums stellen  : – Zum einen bewerten sie die ungleiche Verteilung persönlichen Besitzes in der Gesellschaft als Ansporn für die handelnden Akteure  :136 „Eigentum ist im gewöhnlichen Lauf der Dinge ungleich verteilt. Wir sind deshalb genötigt, dem Reichen Verschwendung zu erlauben, damit der Arme bestehen kann. Wir sind genötigt, bestimmte menschliche Stände zu dulden, die der Notwendigkeit der Arbeit enthoben sind, damit ihre Lage als ein Gegenstand des Ehrgeizes erscheint, und desjenigen Ranges, nach dem die Geschäftigen streben.“137 Das ist die psychologische Funktion des Eigentums, und sie steht in enger Verbindung mit dem Begriff des Interesses. – Ebenfalls von großem Stellenwert und von den schottischen Moralphilosophen eingehend diskutiert ist die Frage, welche unmittelbar politische Bedeutung dem Eigentum für die Entstehung des Staates und seiner Institutionen, wie etwa einer Rechtsordnung, zukommt.138 132 In diesem Sinn ist auch Fergusons Formulierung zu verstehen, die Menschen würden „gelehrt, auf ihr Interesse zu achten, sich gleichzeitig aber unrechtmäßiger Gewinne zu enthalten.“ A.  Ferguson  : Versuch, S. 224 (Hervorh. HK). 133 D.  Hume  : Traktat, II, S. 234. 134 Ebd. 135 A.  Ferguson  : Versuch, S. 302. – OT.: ders.: Essay, p. 150. 136 Siehe den Abschnitt 10.4.1 („Eigentum und Zuversicht“). 137 A.  Ferguson  : Versuch, S. 416 (Hervorh. HK). 138 Siehe den Abschnitt 10.4.2 („Das Eigentum und die Genese des Staates“).

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– Neben dessen Funktion als derjenigen Kraft, die die Entwicklung der Gesellschaft vorantreibt, erkennt etwa Ferguson im Eigentum zudem eine strukturierende und moderierende Funktion.139 Denn der Wunsch, es zu erlangen, dränge den Bürger zur aktiven Partizipation am politischen Leben  ; Gesellschaften hingegen, die sich diesem Wunsch widersetzten, sähen sich mit den Vorzeichen ihres Niedergangs konfrontiert.140 Fergusons Bürger ist niemals nur darauf beschränkt, lediglich passiver Teil der Gesellschaft zu sein, sondern er ist stets als deren Mitgestalter und Verteidiger gefordert. Eine wesentliche Funktion des Eigentums ist es, ihm dazu den Antrieb zu liefern. – Eine weitere Bedeutung des Eigentums wird darin gesehen, ein Indikator für den Entwicklungsstand der Gesellschaft zu sein.141 Die zivilisatorische Geschichte der Menschheit verlaufe dieser Sichtweise zufolge von den „Jägervölkern“, für die Gemeinbesitz angenommen wird, über die höher entwickelten Wirtschaftsweisen von Viehzucht und Ackerbau zum zeitgenössischen Handelsstaat hin, der über ein hoch entwickeltes System der Rechtspflege verfüge.142 10.4.1 Eigentum und Zuversicht

Auf den ersten Blick verbirgt sich hinter Fergusons Worten ein wenig spektakulärer Befund. Allerdings ist er insofern näherer Betrachtung wert, als er, fast zu übersehen, das Folgende mit einschließt  : Sowohl das Eigentum als auch die Rechtsordnung, die es schützt, dienen beide dem, was oben über die Bewältigung von Kontingenz gesagt wurde. Diese besteht in diesem Fall darin, dass gewisse – materielle (Besitz) und rechtliche (Schutz durch das Gesetz) – Aspekte des in der Zukunft Liegenden absehbar zu werden scheinen. Ferguson spricht in diesem Zusammenhang von der „Gewohnheit, im Hinblick auf entfernte Ziele zu handeln“.143 Helbig nennt dies treffend einen Vorgang der „Gewöhnung 139 Siehe den Abschnitt 10.4.3 („Die Bedeutung des Eigentums für die Differenzierung der Gesellschaft“). 140 A.  Ferguson  : Versuch, S. 445  : „In Staaten, in denen Eigentum, Distinktion und Vergnügen als Köder für die Einbildungskraft ausgeworfen werden und der Leidenschaft als Anreiz dienen, scheint sich das Gemeinwesen zur Erhaltung seines politischen Lebens auf den Grad an Wetteifer und Eifersucht zu stützen, mit dem die Parteien sich einander widersetzen und gleichzeitig in Schranken halten. In der Brust des Bürgers bildet der Wunsch nach Beförderung und Gewinn das Motiv, das ihn antreibt, sich auf öffentliche Angelegenheiten einzulassen [the motives from which he is excited to enter on public affairs]. Er richtet sein politisches Verhalten nach diesen Erwägungen ein. Deshalb läuft die Unterdrückung von Ehrgeiz, von Parteienhader und von öffentlicher Mißgunst auch in keinem Fall auf eine Reform hinaus, sie ist vielmehr ein Symptom der Schwäche und ein Vorspiel zu noch niedrigeren Bestrebungen und verderblichen Vergnügungen.“ – OT.: ders.: Essay, p. 245. 141 Siehe den Abschnitt 10.4.4 („Das Eigentum als Indikator für den Entwicklungsstand der Gesellschaft“). 142 Ferguson ist mit dieser Sicht unter den schottischen Denkern kein Einzelfall. Im Sinn einer Präzisierung dieses Gedankens hält auch Smith gegen Ende des Wealth of Nations fest  : „Handel und Gewerbe können selten sehr lange in einem Land gedeihen, das ohne geordnetes Rechtswesen ist, in dem sich die Menschen ihres Eigentums nicht sicher fühlen […].“ A. Smith  : Wohlstand, S. 785. 143 A.  Ferguson  : Versuch, S. 205 (Hervorh. HK). – Ferguson ergänzt  : „Diese Gewohnheit wird nur langsam

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an die Zukunft“.144 Diese Gewohnheit setzt aber eben gerade das voraus, wovon die vorliegende Untersuchung handelt  : Vertrauen in die Zukunft – eben Zuversicht. Und diese ist, wie Hume gezeigt hat, ein Hoffen auf dasjenige, das begründet erwartbar erscheint.145 In diesem Fall richtet sich das Hoffen darauf, dass über einmal erlangtes Eigentum auch künftig verfügt werden könne, denn genau das gewährleiste das Gesetz. Überspitzt gesagt  : Im Eigentum materialisiert sich ein Stück Zukunft. Und eben nur mit dieser Zuversicht kann die angesprochene „Gewohnheit, im Hinblick auf entfernte Ziele zu handeln“, wachsen. Es gibt neben den vier oben genannten Eigenschaften des Eigentums also noch eine weitere, die man seine Wertaufbewahrungsfunktion nennen kann. Sie wird in den hier herangezogenen Texten der schottischen Denker zwar nicht ausdrücklich thematisiert, jedoch offenkundig mitgedacht. Voraussetzung für eine derartige Funktion des Eigentums ist allerdings eine Rechtsordnung, der alle, die solches besitzen, gleichermaßen vertrauen. Das Rechtssystem wiederum kann die faktische Sicherung des Eigentums nur dann leisten, wenn es gelingt, dieses Eigentum über sein rein materielles Vorhandensein hinaus zu einer Art Rechtsgut zu machen und es entsprechend zu legitimieren. Es ist Ferguson, der aus dieser Erkenntnis heraus die Skizze einer Typologie des Eigentumserwerbs entwickelt  : „Das Gesetz hat seinen hauptsächlichen Bezugspunkt […] im Eigentum. Es will die verschiedenen Arten bestimmen, nach denen Eigentum erworben werden kann, wie etwa durch Ersitzung, Abtretung und Erbfolge.“ Es geht also um den Nachweis eines rechtlich einwandfreien, nachvollziehbaren Eigentumserwerbs durch seinen Besitzer. Gelinge dies, so Ferguson weiter, dann treffe das Gesetz „die nötigen Vorkehrungen, um den Besitz von Eigentum sicher zu machen.“146 Allerdings deutet Ferguson die genannten drei Möglichkeiten des Eigentumserwerbs lediglich an, ohne den Gedanken entschieden weiterzuverfolgen. Konsequenter war in dieser Frage Hume, der es im Treatise unternimmt, das Wesen des Eigentums als eines Rechts zu klären. Er nennt vier Umstände, die zur Entstehung des Eigentumsrechts führen könnten  : „erste Besitzergreifung, Verjährung, Zuwachs und Erbfolge [occupation, prescription, accession and succession]“.147 Dabei stellt die Besitz­ ergreifung im eigentlichen Sinn die Schaffung dieses Rechts auf eine Sache dar, das zuvor noch nicht bestanden hat  ; die Verjährung besagt, dass es sich um die Erklärung des Rechts auf eine bereits in Gebrauch befindliche Sache handelt, dessen Ursprung nicht mehr nachvollziehbar ist  ; aus dem Ertrag aus einer Sache, die sich bereits im Eigentum befindet, entsteht das Eigentumsrecht durch Zuwachs aus dieser Sache.148 Derjenige Fall, der im Hinblick auf den Gedanken der Zuversicht der Akteure als der wichtigste erausgebildet, sie stellt in Wirklichkeit ein Hauptunterscheidungsmerkmal von Völkern im fortgeschrittenen Zustand der gewerblichen und kaufmännischen Künste dar.“ 144 J.  Helbig  : Handgemenge, S.  176. 145 Siehe den Abschnitt 7.4 („Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis“). 146 A.  Ferguson  : Versuch, S. 302. 147 D.  Hume  : Traktat, II, S. 249. – OT.: ders.: Treatise, p. 312, 3.2.3|5. 148 D.  Hume  : Traktat, II, S. 250–254.

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scheint, ist der des Eigentumserwerbs mittels Erbfolge. Hume allerdings begründet ihn von allen vier genannten wohl am schwächsten, wenn er sagt  : „Das Recht der Erbfolge ist ein natürliches Recht, weil es sich auf die angenommene Zustimmung der Eltern oder nahen Verwandten und auf das allgemeine Interesse der Menschheit gründet. Dies verlangt, daß eines Menschen Besitztümer auf diejenigen übergehen, die ihm am teuersten waren, weil der Gedanke an dieselben ihn im Leben fleißiger und genügsamer macht.“149 Man erkennt unschwer das geringe Gewicht dieser Argumente, doch ebenso wird deutlich, worauf Hume mit ihnen abzielt  : Es geht ihm darum, Demotivation beim Erwerb von Eigentum zu vermeiden, indem es für rechtens erklärt werde, es über den Tod seines Besitzers hinaus in dessen Sinn an seine Nachkommen weiterzugeben. Das genau ist es, was Hume als „das allgemeine Interesse der Menschheit“ ansieht, vielmehr  : es dazu erklärt. Das ist es aber auch, was Ferguson im Essay mit seinem Wort von der „Gewohnheit, im Hinblick auf entfernte Ziele zu handeln“, beschwören sollte.150 Zuversicht verdankt sich der Überzeugung, das eigene Handeln führe – in diesem Fall eben unter dem Schutz des Rechts – zur Erreichung der eigenen Ziele, hier  : der materiellen Absicherung der eigenen Hinterbliebenen. Die Rechtsordnung befreit das Eigentum von der Eigenschaft der Flüchtigkeit. Die lapidare Feststellung dieses Sachverhalts könnte so lauten  : Zuverlässige Planbarkeit bedeutet Kontingenzbewältigung, und die Voraussetzung für eine zuverlässige Planbarkeit ist Rechtssicherheit. Das ist der Kontext, in dem die Intention der folgenden Stelle des Treatise deutlich wird  : „Die Ordnung, welche die Sicherheit des Besitzes gewährleistet, resultiert auch nicht etwa darum in geringerem Maße aus menschlicher Übereinkunft, weil sie allmählich entsteht und in langsamem Fortschritt und vermöge wiederholter Erfahrungen von den Unzuträglichkeiten ihrer Übertretung Kraft gewinnt. Im Gegenteil, solche Erfahrungen vergewissern uns nur desto mehr, daß das Bewußtsein des gemeinsamen Interesses von allen unseren Mitmenschen geteilt wird, und sie wecken in uns das Zutrauen [anders ausgedrückt  : die Zuversicht, HK], daß sie auch in Zukunft ihr Verhalten entsprechend regeln werden.“151

Der Vollständigkeit halber ist noch festzuhalten, dass eine ähnliche, sogar noch ausführlichere Typologie des Eigentumserwerbs auch von Smith überliefert ist, allerdings nur in Form einer Mitschrift, die von seiner Rechtsvorlesung erhalten geblieben ist.152 Da es sich dabei um kein originäres Werk Smiths oder gar um einen von ihm autorisierten Text handelt und die Unterscheidung der Formen des Eigentumserwerbs nur von peripherer Bedeutung ist, wird an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen. 149 150 151 152

Ebd., S. 255–258. Siehe S. 406. D.  Hume  : Traktat, II, S. 233 f. (Hervorh. HK). A.  Smith  : Vorlesungen (B.), S. 126–145.

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10.4.2 Das Eigentum und die Genese des Staates

Ferguson diskutiert die Beziehung, die zwischen der Bedeutung des Eigentums und dem Stand der zivilisatorischen Entwicklung eines Volkes besteht, und er erkennt einen festen Zusammenhang zwischen der jeweiligen historischen Kulturstufe und der Eigentumsordnung, die ihr entspricht. In den Eigentumsverhältnissen sieht er die historischen Entwicklungsphasen gespiegelt. Völker, die in einer ursprünglichen Kultur als Sammler und Jäger lebten, schenkten „dem Eigentum wenig Aufmerksamkeit“ und wiesen „kaum erste Anfänge von Unterordnung oder Regierung auf.“153 Erst das Eigentum bedinge also eine Regierung, schaffe „Unterordnung“ und damit den Gegensatz von Herrscher und Untertan. Zur Untermauerung dieser Feststellung wird der rhetorische Schwung Rousseaus genutzt  : „Derjenige, der zuerst sagte ‚ich will mir dieses Feld aneignen, ich will es meinen Erben hinterlassen‘, nahm nicht wahr, daß er die Grundlagen bürgerlicher Gesetze und politischer Einrichtungen schuf.“154 Dass Ferguson die Formulierung im Essay als seine eigene ausgibt, fällt auf, denn in der Regel benennt er seine Quellen zumindest grob. Das gibt zur Vermutung Anlass, Rousseaus markanter, aus dem Jahr 1755 stammender Satz habe ein gutes Jahrzehnt nach seiner ersten Veröffentlichung selbst in Großbritannien bereits als einfache Tatsachenfeststellung Einzug in den Diskurs gehalten. Er mag also zu einer stehenden Wendung geworden sein, deren Herkunft jedem so klar war, dass es hier einer Quellenangabe nicht mehr bedurfte. Der Schluss kann also nur lauten  : Ferguson war sich selbst bewusst, mit dieser Wendung nichts Neues mehr zu sagen  ; sie war schlichtweg Stand der Debatte und Ausdruck des Zeitgeistes. Jedoch  : Lässt sich die Entstehung des Staates wirklich allein auf das Eigentum zurückführen, nur weil dieses die „Grundlagen bürgerlicher Gesetze und politischer Einrichtungen“ geschaffen habe  ? Zumindest in dieser Ausschließlichkeit sagt Ferguson das nicht, und seine Aussagen in dieser Frage sind eher vage. Der Idee eines Gesellschaftsvertrags weicht er aus und die Bedeutung zielgerichteten politischen Handelns spielt er immer wieder herunter. Auch wenn er sich häufig darauf verlegt, mithilfe historischer Belege die politische Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zu rekonstruieren, stellt sich ihm diese Entwicklung letztlich nicht als die Verwirklichung von Absichten dar  : „Die menschlichen Angelegenheiten nehmen in der Zwischenzeit ihren Fortgang“, heißt 153 A.  Ferguson  : Versuch, S. 204. 154 Ebd., S. 258. – Rousseaus originale Formulierung lautet  : „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen  : dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft.“ J.-J. Rousseau  : Diskurs über die Ungleichheit/Discours sur l’inégalité, S. 173 (Hervorh. übern.). Erwähnenswert ist, dass Medick/Batscha in ihrer Einleitung zur deutschen Übersetzung des Essay auf diese Parallelität nicht eingehen und F. Oz-Salzberger Fergusons argumentative Rousseau-Anleihe als Irrtum auffasst, wenn sie schreibt  : “Ferguson would not subscribe to Rousseau’s famous dictum, in his Discours sur l’inégalité (1755), that the first appropriator of land was ‘the real founder of civil society’.” F. Oz-Salzberger  : Introduction, zu  : A. Ferguson  : Essay, p. XVIII (Hervorh. übern.).

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es denn auch, und  : „Wie die Winde, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen, und die wehen, wohin sie wollen, stammen auch die Formen der Gesellschaft von einem dunklen und fernen Ursprung her.“155 10.4.3 Die Bedeutung des Eigentums für die Differenzierung der Gesellschaft

Das Eigentum ist dabei eine formende Kraft von einiger Bedeutung, immerhin. Denn „Völker, die sich in den Besitz von Herden gesetzt haben, zu deren Unterhalt sie von Weideland abhängen, wissen, was es heißt, arm oder reich zu sein. Sie kennen die Beziehungen zwischen Schutzherrn und Klienten, zwischen Diener und Herrn, und klassifizieren sich selbst nach dem Ausmaß ihrer Vermögen.“156 Indem es so unumwunden als Kriterium der gesellschaftlichen Differenzierung aufgefasst wird, kommt dem Eigentum damit eine weitere Bedeutung zu. Das ist keineswegs Fergusons Sicht allein. Vielmehr steht die Schlüssigkeit, ja geradezu die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung etwa auch für Hume gänzlich außer Frage. In den Principles of Morals erklärt er  : „Vollkommene Gleichheit des Eigentums zerstört allen Gehorsam, schwächt die Autorität des Magistrats extrem und muß die Macht ebenso wie das Eigentum nahezu restlos nivellieren.“157 Eigentumsunterschiede aber begünstigen Herrschaft, erzeugen also Rangunterschiede und differenzieren so die Mitglieder der Gesellschaft. Smith teilt diese Ansicht  : „Regieren und Verwalten [Regierung, HK] setzen eine gewisse Unterordnung voraus [Civil government supposes a certain subordination]. Da aber die Notwendigkeit einer Regierung [necessity of civil government] Schritt für Schritt mit dem Erwerb von wertvollem Eigentum zunimmt, muß auch der Hauptgrund, der ganz zwangsläufig zu Unterordnung führt, nach und nach mit der Eigentumsbildung an Bedeutung gewinnen.“158 Dabei erscheint Smith das, was er als „Unterordnung“ bezeichnet, als etwas Unvermeidliches. Umso mehr hält er sie für schlüssig erklärbar. Sie sei zurückzuführen auf vier Arten, in denen sich Überlegenheit ausdrücke  : auf persönliche Fähigkeiten [superiority of personal qualifications], auf das Alter [superiority of age], auf das Vermögen [superiority of fortune, im Sinn von Besitz] und auf die Herkunft 155 156 157 158

A.  Ferguson  : Versuch, S. 257 f. Ebd., S. 204. D.  Hume  : Moral (K.), S. 30. A.  Smith  : Wohlstand, S. 601 f. (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Wealth, p. 710, V.i.b|3. – Abweichend von der Übersetzung H. C. Recktenwalds („öffentliche Verwaltung“) bevorzuge ich für beide Stellen, an denen Smith hier von civil government schreibt, das deutsche „Regierung“. Tatsächlich finden sich in den deutschen Fassungen der Werke der schottischen Denker für civil government zahlreiche Varianten, so etwa hier „Regieren und Verwalten“ (S. 601), sodann „Verwaltung“ (S. 601), „Regierung“ (S. 605), „Regierungsgewalt“ (S. 605), „zivile Regierung“ (S. 682/696), „bürgerliche Regierung“ (S. 682 f.), „Zivilregie­ rung“ (S. 481/517), „Zivilverwaltung“ (S. 481 f.), „Kolonialregierung“ (S. 498), „Staatswissenschaft“ [sic  !] (S. 575)  ; H. Medick übersetzt in Fergusons Essay mit „bürgerliche Regierung“ (S. 235), „Regierung“ (S. 296) sowie business of civil government mit „Regierungsgeschäfte“ (S. 338)  ; T. Lipps hingegen bevorzugt in Humes Treatise stets „bürgerliche Regierung“ (S. 287/291/320).

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[superiority of birth].159 Diese Unterscheidungen Smiths lassen darauf schließen, dass auch bei ihm ein Bewusstsein für die Notwendigkeit besteht, die gesellschaftliche Hier­ archie durch das Rechtssystem nicht nur zu schützen, sondern sie – ebenso wie das Eigentum160 – auch zu legitimieren. Dass dem Eigentum auch hier eine wichtige Rolle zukommt, ist der Wendung von der superiority of fortune zufolge offensichtlich. Zwischen dem persönlichen Eigentum und der Notwendigkeit einer rechtlichen Basis zu dessen Sicherstellung besteht ein enger Zusammenhang – eine Annahme, die sich bei Smith ebenso wie bei Ferguson und Hume findet. Daraus ergibt sich folgerichtig die Frage nach den genaueren Aufgaben des Rechtswesens und nach den Institutionen der Rechtspflege  ; es muss also überraschen, dass die drei Autoren sich weder in Form einer umfassenden Theorie des Eigentums noch des Rechts wirklich damit auseinandersetzen. Vielmehr finden sich ihre Einlassungen zu dieser Thematik lediglich in die ökonomischen, soziologischen und psychologischen Untersuchungen des jeweiligen Œuvres eingewoben. Daraus und aus ihren ideengeschichtlichen Kontexten sind sie jeweils zu entnehmen, mitunter auch nur zu rekonstruieren.161 Dass die schottischen Denker die gesellschaftliche Differenzierung als etwas Notwendiges ansahen, ist offensichtlich. Die englische und die schottische Gesellschaft kannten strenge und vor allem auch undurchlässige Hierarchien. Die Eigentumsordnung trug ihren wesentlichen Teil dazu bei, diesen Zustand zu zementieren, und insbesondere ein so sehr auf Moderation bedachter Autor wie Hume dürfte kaum einen Gedanken daran verschwendet haben, die herrschenden Strukturen radikal in Frage zu stellen. Fergusons Position weicht davon insofern ab, als er, wenn auch nur in einer fast beiläufigen Wendung, immerhin konzediert, dass die Menschen „durch Zufall in ungleiche Lebenslagen gekommen“ seien.162 Er legitimiert also diese Hierarchien nicht von vorn herein. 10.4.4 Das Eigentum als Indikator für den Entwicklungsstand der Gesellschaft

Eigentum zu besitzen bedeutet nicht zuletzt die Hoffnung, morgen noch Zugriff auf etwas zu haben, das man sich heute verschafft hat. Der Begriff des Eigentums verweist auf den der Zukunft, mehr noch  : Er bietet die Aussicht auf bestimmte materielle Umstände 159 A.  Smith  : Wohlstand, S. 602 f. – OT.: ders.: Wealth, pp. 711–713, V.i.b|5–8. 160 Vergleiche das auf S. 407 über Fergusons Typologie des Eigentumserwerbs Gesagte. 161 Allerdings ist bei Smith die Einschränkung zu machen, dass auf ihn eine solch generalisierende Aussage nur bedingt zutrifft, denn er hat sich ja in seinen Lectures on Jurisprudence dieses Themas durchaus ausführlich angenommen. Dies führt zu der etwas unbefriedigenden Konsequenz, dass man es dabei nicht mit einem von ihm selbst autorisierten Werk zu tun hat, sondern lediglich mit einer – überdies lang nach seinem Tod aufgefundenen – Mitschrift von seinen Vorlesungen zum Thema. Er hatte es zu Lebzeiten nie zu einer eigenständigen Theorie des Rechts ausgearbeitet, und so muss diesen Texten eher die Bedeutung von Hintergrundinformationen beigemessen werden  ; bei der Suche nach authentischen Aussagen Smiths bleibt man vor allem auf den Wealth of Nations angewiesen. 162 A.  Ferguson  : Versuch, S. 228.

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in dieser Zukunft. Man weiß – oder hat die sichere Vorstellung zu wissen –, worauf man auch in dieser Zukunft Zugriff haben wird. Sicher kann diese Vorstellung allerdings nur dann sein, wenn es etwas gibt, das sie sicher macht, also eben das Eigentum sichert. Und das ist die Rechtsordnung einer Gesellschaft, oder, allgemeiner ausgedrückt, der Staat. Eine Gesellschaft, die kein Eigentum kennt, bedarf auch keiner Institutionen, die es schützen. Ursprüngliche Formen des Zusammenlebens in Gemeinschaften, die sich ihr Überleben nur mittels der täglichen gemeinsamen Jagd, also frei von ökonomischen Strukturen, sichern können, kennen keinen persönlichen Besitz. Die schottischen Autoren stimmen darin weitgehend überein.163 Ebenso wird eine Entwicklungslinie angenommen, die von ursprünglicher Besitzlosigkeit über den nicht institutionell gesicherten Besitz zum Handelsstaat hin verläuft.164 Dort nämlich, heißt es bei Ferguson, wo „Gewalttätigkeit unterdrückt“ sei, könne der Mensch sich „einträglichen Gewerben zuwenden, sich auf eine langwierige, mühevolle Aufgabe beschränken und mit Geduld auf den späteren Ertrag seiner Arbeit warten.“165 Mit dem Eigentum, das durch eine Rechtsordnung verlässlich geschützt wird, ist die Entwicklung in der Gegenwart der schottischen Denker angekommen. Wer Eigentum erwirbt, erlangt – durch die nun qua Rechtsordnung gewährleistete Sicherheit, dass es ihm auch künftig zur Verfügung stehe – im übertragenen Sinn einen Blick in die Zukunft. Dieses Eigentum ist, unter staatlichem Schutz stehend, der Kontingenz der Welt ein Stück weit entrissen. Eigentum lässt sich somit in der Verbindung mit der Rechtsordnung der civil society als Instrument der Kontingenzbewältigung begreifen. 163 Beispiele für die Vorstellungen von der Beziehung zwischen der ursprünglichen Gesellschaft und der Rolle, die das Eigentum darin spielt, finden sich u. a. an folgenden Stellen  : A. Smith  : Wohlstand, S.  601  ; A.  Ferguson  : Versuch, S.  223  ; D.  Hume  : Traktat, II, S.  289  ; J.  Millar  : Ursprung, S.  58  ; H.  Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, vol. I, pp. 68–69 (ders.: Versuche über die Geschichte des Menschen, Bd. 1, S. 74 f.) 164 Zu den Vorstellungen von der allmählichen Genese des Eigentums siehe A. Ferguson  : Versuch […], S. 223 f. – Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch Smiths Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Entwicklungsstand von Gesellschaft, Eigentum und Rechtsordnung (am Ende des folgenden Zitats). Sie geben nicht zuletzt ein eindrucksvolles Beispiel für Smiths mitunter sich in Ausuferungen verlierender, allerdings auch beharrlicher Argumentationsweise  : „Bei Jägervölkern findet man ganz selten einen Berufsrichter oder eine regelmäßige Rechtspflege, denn es gibt kaum Privateigentum […]. Menschen, die kein Eigentum besitzen, können gegenseitig nur ihrer Person oder ihrem Ruf schaden. Wenn aber jemand einen anderen tötet, verwundet, schlägt oder diffamiert, so leidet zwar derjenige, dem der Schaden zugeführt wird, der Täter zieht jedoch keinerlei Vorteil daraus. [… Bei] Eigentumsdelikten […] entspricht der Nutzen der Person, die das Unrecht begeht, häufig dem Verlust des Geschädigten. […] Auf einen sehr Reichen kommen dann wenigstens 500 Arme, denn der Überfluß weniger setzt Armut bei vielen voraus. Ein solcher Reichtum der Besitzenden reizt zur Empörung der Besitzlosen, die häufig, durch Not gezwungen und von Neid getrieben, sich deren Eigentum aneignen. Nur unter dem Schutz einer staatlichen Behörde kann der Besitzer eines wertvollen Vermögens, Frucht der Arbeit vieler Jahre oder sogar vieler Generationen, auch nur eine einzige Nacht ruhig und sicher schlafen. Er ist ständig von unbekannten Feinden umgeben, […] vor deren Unrecht ihn nur der mächtige Arm einer Zivilbehörde schützt, die stets zu einer Bestrafung bereit ist.“ A. Smith  : Wohlstand, S. 601. 165 A.  Ferguson  : Versuch, S. 224.

Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘ |

10.4.5 Das Eigentum und die Bedeutung von Autonomie und Kontrolle

In den Texten der schottischen Denker sind die Aspekte der Rechtsordnung, des Eigentums und des Interesses im Zusammenhang zu betrachten. So kehrt Letzteres nämlich in dieser gedachten Konstellation nun in einem neuen Gewand zurück  ; denn zum Interesse der Akteure, Besitz zu erlangen, tritt nun das anders gelagerte Interesse hinzu, diesen Besitz behalten zu können. „Anders gelagert“ nenne ich dieses „zweite“ Interesse aufgrund seiner gegenläufigen Zielrichtung. Denn während das Interesse der Besitzaneignung eine möglichst vollkommene Freiheit von allen – staatlichen – Reglementierungen einfordert, muss das Interesse an Besitzsicherung auf einer möglichst rigiden Durchsetzung jener – ebenfalls staatlichen – Rechtsordnung bestehen, die den Besitz vor fremdem Zugriff schützt. Das kann nichts anderes bedeuten, als dass es innerhalb der Gesellschaft einerseits Sphären geben muss, auf die die von ihr geschaffene Rechtsordnung einwirken kann (um den Besitz zu garantieren), und andererseits solche, die von solchen Zugriffen möglichst frei zu sein haben  : „Weniger Staat  !“ lautet das Mantra aller auf Gewinnerzielung ausgerichteten Unternehmen bis heute. Das Interesse am Besitzerwerb und das Interesse an der Besitzsicherung reklamieren für sich Unterschiedliches  : Ersteres Autonomie des Individuums in der Verfolgung seiner Ziele, Letzteres die Kontrolle der Einhaltung seiner Rechte mittels der staatlichen Rechtsinstitutionen. Allerdings erfolgt diese Feststellung hier lediglich der Vollständigkeit halber, denn sowohl der Besitzerwerb als auch die Besitzsicherung folgen ihrer je eigenen „Logik“ üblicherweise seit jeher wie selbstverständlich. Ein einheitliches „Prinzip“ – um bei der Terminologie der schottischen Autoren des 18. Jahrhunderts zu bleiben –, das für die beiden genannten Bereiche gleichermaßen gälte und nach dem in dieser Frage einheitlich verfahren werden könnte, gibt es nicht. 10.4.6 Die Verteilung des Eigentums und die Hoffnung auf einen Trickle-down-Effekt

In den Aussagen Humes, Fergusons und Smiths zur Rolle des Eigentums und zur Bedeutung seines Schutzes liegt ein Moment der Verführung, die Thematik ausschließlich unter materiellen und eben politischen Aspekten zu betrachten. Dabei weist der Begriff durchaus noch andere Facetten auf. Das auf den Erwerb von Eigentum gerichtete Interesse nährt die Zuversicht – nämlich jene der Individuen auf Verbesserung des sozialen Status, sowie jene der Gesellschaft insgesamt auf allgemeinen Wohlstand. Smith hatte in seiner Theory den Gedanken einer Art von ungeteiltem Wohlstand in einer Gesellschaft ins Spiel gebracht und auch in diesem Zusammenhang von einer „unsichtbaren Hand“ gesprochen, die den Überfluss der einen zu einer Wohltat für diejenigen ummünze, deren Los es sei, den Reichen ihren Reichtum zu verschaffen. Das, worauf Smith angesichts der gesellschaftlichen Hierarchien doch recht arglos setzt, ist eine Art von unintendiertem Trickle-down-Effekt  :

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Das Vertrauen in die ökonomische und gesellschaftliche Dynamik

„[Der] Magen [= des stolzen und gefühllosen Grundherrn] wird nicht mehr aufnehmen können als der des geringsten Bauern. Den Rest muß er unter diejenigen verteilen, die auf das sorgsamste das Wenige zubereiten, das er braucht, unter diejenigen, die den Palast einrichten und instandhalten […]  ; sie alle beziehen so von seinem Luxus und seiner Launenhaftigkeit ihren Teil an lebensnotwendigen Gütern, den sie sonst vergebens von seiner Menschlichkeit oder von seiner Gerechtigkeit erwartet hätten.“166

In diesen Sätzen steckt die Feststellung, die als stillschweigende Annahme im Titel des Wealth of Nations zum Ausdruck kommt, ohne dass Smith sie ausspräche  : Der Reichtum der Nation sei – mehr oder weniger – gleichbedeutend mit demjenigen aller Bürger, die ihr angehörten. Man spürt geradezu Smiths Enthusiasmus beim Gedanken an diesen unintendiert sich einstellenden Nutzen seines hier vorgestellten Systems, das allerdings nur dann Teil einer wohleingerichteten Welt wäre, wenn Smiths Annahme auch wirklich zuträfe – was sie, wie die weitere Entwicklung gelehrt hat, nur in sehr eingeschränktem Maß tut. Smith weiter  : „Von einer unsichtbaren Hand werden sie [= die Reichen, HK] dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustandegekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre  ; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung.“167

Es ist dies die Zuversicht des Adam Smith der Theory, nicht des Wealth of Nations, und sie ist in dieser frühen Phase der Theoriebildung in gleicher Weise übergroß wie letztlich unbegründet. Allerdings war diese Zuversicht bei Smith auf Dauer keine ungebrochene, und auch Ferguson teilte sie nicht. Vielmehr begegnet man sowohl im Essay als auch im Wealth of Nations Differenzierungen. So ist für Ferguson etwa das Recht auf Eigentum in der zivilisierten Gesellschaft ein Kennzeichen von Freiheit  : „Nimmt man von einem Bürger an, daß er Eigentums- und Standesrechte hat und in deren Ausübung geschützt ist, so gilt er als frei.“168 Das ist angesichts der politischen und vor allem der sozialen Lage, in der sich die Gesellschaft befindet, für und über die der Essay geschrieben wurde, ein wenig origineller Gedanke, denn in ihm spiegeln sich offensichtlich die tatsächlichen Umstände wider. Wer kein Eigentum besitzt, wird nicht als Teil dieser Gesellschaft betrachtet,169 166 A.  Smith  : Theorie, S.  296. 167 Ebd., S. 296 f. 168 A.  Ferguson  : Versuch, S. 302. – A. Smith  : Wohlstand, S. 734, argumentiert in diesem Punkt ähnlich  : „Indessen ist jene Steuer für jemanden, der sie zahlt, ein Zeichen der Freiheit und nicht der Sklaverei. Sie bringt zwar zum Ausdruck, daß er Untertan einer Regierung ist, doch beweist sie auch, daß er nicht Eigentum eines Herrn ist, da er ja selbst einiges Eigentum besitzt.“ (Hervorh. HK) 169 Siehe den Abschnitt 4.1 („Der historische und politische Kontext“).

Das Eigentum als ‚die notwendigste Bedingung der Gesellschaft‘ |

und nicht nur das allein  : Er ist, wie dies Smith anklingen lässt, deren Widersacher  : „Wird also eine Regierungsgewalt zu dem Zwecke eingerichtet, das Eigentum zu sichern, so heißt das in Wirklichkeit nichts anderes, als die Besitzenden gegen Übergriffe der Besitzlosen zu schützen.“170 Damit sind die wirklichen Verhältnisse wieder zu ihrem Recht gekommen, indem sich die Zuversicht, die eine solche Argumentation verbreitet, unverhohlen darauf beschränkt, eine Zuversicht der Besitzenden zu sein.

170 A.  Smith  : Wohlstand, S. 605.

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11. Zuversicht in die Tugend

„Gerechtigkeit“, heißt es in Humes Treatise im Abschnitt „Über Laster und Tugend“, „ist die Stütze der Gesellschaft [Justice is the support of society], Ungerechtigkeit würde, wenn man ihr freien Lauf ließe, schnell zu deren Untergang führen. […] Aus diesem Grunde gelten jene Eigenschaften als Tugenden, diese als Laster.“1 – Das, worauf die Schottische Aufklärung ihre Hoffnungen auf ein Aufblühen der Gesellschaft richtete, war neben einem Aufschwung der Wissenschaft im Allgemeinen und ihrer Methoden im Besonderen sowie einer Verbesserung der ökonomischen Gegebenheiten weiterhin der tugendhafte Mensch, der neben dem Interesse an seinem eigenen Fortkommen dasjenige der Gemeinschaft im Auge behielt. Das Vertrauen in die individuellen Tugenden und die Zuversicht in den gesellschaftlichen Fortschritt waren kongruent. Neu war das nicht, denn seit der Antike steht der Begriff der Tugenden im Zentrum auch des politischen Denkens als ein Ausdruck für gute – das heißt das Wohl der Gesellschaft befördernde – individuelle Eigenschaften.2 Die englisch-schottische Moralphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts weicht von diesem Grundverständnis nicht nennenswert ab, doch finden sich bei ihr mitunter Erweiterungen des Bedeutungsspektrums dessen, was als „Tugend (virtue)“ bezeichnet wird.3 Die Tugend jedenfalls ist den Denkern der Schottischen Aufklärung als ihr zentrales Thema4 auf eine geradezu selbstverständliche Weise geläufig. Darin liegt begründet, dass bei ihnen ausdrückliche Klärungen des Begriffs im Sinn von Definitionen nicht im Mittelpunkt stehen  ;5 vielmehr übernehmen in ihren Texten diese Funktion nicht selten 1 D.  Hume  : Traktat, II, S. 26 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Treatise, p. 193, 2.1.7|3. 2 T. Schramme  : Tugend, S. 1359  : „Wo [der Ausdruck ‚Tugend‘] verwendet wird, ist er meist mit solchen Charaktereigenschaften verbunden, die eine Person dazu befähigen, zugunsten anderer zu handeln.“ 3 Smith beispielsweise spricht in der Theory von der „Tugend der Klugheit (prudence)“ als einer solchen, die vor allem auch dem Individuum dient (siehe unten S. 339). – Generell zum Begriffsverständnis des 18. Jahrhunderts im Englischen siehe S. Johnson  : Dictionary 1755, II, weist eine Reihe von Bedeutungen aus, so u. a. “moral goodness”, “a particular moral excellence”, “efficacy  ; power”, “acting power”  ; “bravery  ; valour”, “excellence  ; that which gives excellence”. Als Synonyme für das üblicherweise im Deutschen verwendete „Tugend“ bieten sich im hier betrachteten Kontext besonders „moralische Integrität/Vortrefflichkeit“ sowie, im Zusammenhang mit dem Miliz-Diskurs in der Schottischen Aufklärung – siehe Kapitel 12 („Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung“) – „Mut, Tapferkeit“ an. 4 Als Beispiele dafür gelten können die ausführlichen „Tugend“-Kapitel in Humes Treatise (2.1.7 Of vice and virtue, 3.1 Of virtue and vice in general und 3.3 Of the other virtues and vices) und in Smiths Theory (I.i.5 “Of the amiable and respectable virtues”, II.ii.1 “Comparison of those two virtues [Justice and Beneficence]” und VI.i–VI.iii “Of the Character of Virtue”, VII.ii “Of the different Accounts which have been given of the Nature of Virtue”). 5 Ausnahmen hiervon finden sich allerdings noch dort, wo es um die akademische Ausbildung geht. So trifft etwa Ferguson in seinen Institutes, die sich als Lehrbuch für Studenten verstehen, im Sinn einer Begriffsklärung die Feststellung  : „[...] so giebt es auch gewisse Eigenschaften, die von allem Menschen auf

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Aufzählungen, Beschreibungen und Bewertungen von bestimmten als Ideale verstandenen Charaktereigenschaften oder Verhaltensweisen. Diese Ideale speisen sich zu einem Gutteil aus ethischen Bewertungen, die sich in die antike Philosophie6 zurückverfolgen lassen.7 An diesen Texten geschult worden zu sein, darf bei sämtlichen Denkern der Neuzeit als obligatorisch gelten. Auch für die Autoren der schottischen M ­ oralphilosophie kann dies wie selbstverständlich angenommen werden. Sie verstanden unter den Tugenden (gute) menschliche Eigenschaften und unterschieden einerseits zwischen charakterlichen8 – „intellektuellen“ beziehungsweise „sittlichen“9 – und körperlichen, zum andern zwischen „natürlichen“ – im Sinn von „von Natur aus vorhandenen“ – und solchen, die sie „künstliche“ nannten und bei denen sie „vom Menschen herbeigeführte“ im Blick hatten.10 Illustriert wurden diese Tugenden für gewöhnlich im Sinn eines stillschweigenden Verweises auf den Commonsense mittels Belegstellen aus den klassischen Texten.11 Auch in der Argumentation von Hume, Smith und Ferguson war dieses Vorgehen das gewissermaßen übliche Mittel der Wahl, denn so, wie das „Denkkollektiv“ (im Sinn Flecks) in Edinburgh und Glasgow eine in sich weitgehend geschlossene Gruppe bildete, war auch sein „Denkstil“ in seinen Grundannahmen für dessen Mitglieder verbindlich.12 Es liegt deshalb nahe, dass dem solcherart tradierten klassischen Tugendideal fast zwangsläufig die Tendenz innewohnte, in einer Bedeutungsstatik zu verharren – und dies umso mehr, als die moralische Natur des Menschen als weitgehend konstant angenommen wurde gleiche Weise hochgeschätzt werden, diejenigen nämlich, durch welche der einzelne Mensch das Beste des menschlichen Geschlechts zu befördern geschickt wird [which constitute or procure the good of mankind]  : als Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung, und Muth. | Diese Eigenschaften werden gemeiniglich unter dem Namen Tugend begriffen. [Such qualities are generally comprehended under the title of Virtue.]“ A. Ferguson  : Grundsätze, S. 33 f. – OT  : ders.: Institutes, p. 38 (Hervorh. übern.).   6 Eine sehr umfassende Rekonstruktion eines solchen Sich-Berufens auf klassische Autoren hat Mizuta für Smith vorgenommen. Wir wissen so, welche Philosophen (und anderen Schriften) des Altertums Smith unter anderem für seine eigene Argumentation herangezogen hat. Siehe hierzu H. Mizuta  : Adam Smith’s Library, pp. 14–16 (Aristoteles), pp. 54–57 (Cicero), p. 87 (Epiktet), pp. 196–198 (Platon), p. 226 (Seneca), pp. 89–90 (Euripides), bei Bedarf aber auch die Bibel (pp. 26–27).   7 Nicht übergangen werden soll freilich, dass zu diesen im eigentlichen Sinn „klassischen“ Texten auch Schriften aus der politischen Philosophie der Renaissance hinzutraten, doch verwiesen auch sie in ihrem Grundansatz wiederum auf antikes Denken.   8 A.  Smith  : Theorie, unterscheidet etwa beim „Charakter des Individuums“ zwischen dessen Einwirken auf „die eigene Glückseligkeit“, was er „Klugheit“ nennt (S. 350) und dessen Einwirken auf „Glückseligkeit anderer“ (S. 353).   9 Siehe beispielsweise A.  Smith  : Theorie, S. 350. 10 Im Sinn eines Sammelbegriffs sprechen sie von diesen einzelnen individuellen „Tugenden“ (virtues) als von der „Tugend (virtue)“. 11 Ein Beispiel dafür liefert etwa Smith, wenn er in der Theory sehr ausführlich das Denken von Platon, Aristoteles, der Stoa und anderer klassischer Autoren referiert und erläutert. Siehe A. Smith  : Theorie, S. 343–433 („Sechster Teil. Wen nennen wir tugendhaft  ?“). 12 Siehe den Abschnitt 5.3.2.2 („‚Denkstil‘, ‚Denkkollektiv‘ und soziale Bedingtheit von Wissenschaft“).

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Zuversicht in die Tugend

und es somit auch die Kriterien moralischer Urteile bleiben zu können schienen. Tatsächlich ist festzustellen  : Es wurde eher marginal reflektiert, ob – und inwieweit – mit der zwar registrierten und auch eingehend beschriebenen gesellschaftlichen Dynamik gleichzeitig ein Wandel ethischer Werte und moralischer Urteile einhergehen würde. Das lässt bei den schottischen Denkern eine gewisse Einheitlichkeit im Umgang mit dem Begriff der Tugend erwarten, die auf den ersten Blick auch durchaus besteht. Es bei diesem Befund bewenden zu lassen, hieße aber, die funktionale Aufladung zu ignorieren, die dem Tugendbegriff in den neuen Theorien nunmehr zugedacht wird  : Er ist sowohl in Humes Treatise als auch Smiths Theory keineswegs nur eine Referenz, auf die lediglich Bezug genommen wird, sondern er wird zum Gegenstand dieser Theorien selbst, indem seine traditionelle Bedeutung nun erweitert und als eine dynamische Wirkkraft interpretiert wird  ; Tugenden beziehungsweise tugendhaftes Verhalten üben einen Einfluss auf das Gesellschaftsgefüge aus, und ihre Funktionsweise lässt sich isoliert betrachten und darstellen.13 Die individuellen Tugenden werden somit zu einer die Gesellschaft prägenden Größe. Hume, Smith und insbesondere Ferguson verbindet, dass ihre Zuversicht in die Tugenden in der Annahme besteht, dass sie zum Wohl des Gemeinwesens wirken – zumindest immerhin wirken können. Allerdings behandeln sie diesen Sachverhalt in unterschiedlicher Weise  ; er wird damit zu einem Unterscheidungsmerkmal zwischen ihren Theorien über den Wandel der Gesellschaft und insbesondere über dessen Aussichten.

11.1 David Hume

David Hume propagierte, wenn er von der experimental method sprach, als Wissenschaftstheoretiker eine empirische Herangehensweise. Das bedeutet, dass er den analytischen Ansatz in den Vordergrund seines Interesses stellte – was die in seinen Schriften durchaus nicht zu übersehenden normativen Aspekte bis zu einem nicht unerheblichen Grad verdeckte. Vorauszuschicken ist bei ihm also mit Blick auf den Tugendbegriff  : Betrachtet wird vor allem, wie Tugenden entstehen, wie sie wirken und welche individuellen und gesellschaftlichen Funktionen sie erfüllen. Diesem Ansatz muss allerdings die Überlegung vorangehen, wie moralische Normen – die sich ja in Aussagen über Tugenden widerspiegeln – überhaupt erkannt und formuliert werden. 13 Das heißt nicht, dass man in Smiths Theory ein Buch ausschließlich über die Tugend sehen darf. Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Werks, so stellt man fest, dass ein Abschnitt, der sich explizit mit den Tugenden befasst, von Smith erst in der letzten zu seinen Lebzeiten veröffentlichen Auflage von 1790 hinzugefügt wurde. Dieser hinzugekommene 6. Teil mit dem Titel „Wen nennen wir tugendhaft  ?“ wirkt wie die nachträgliche Hervorhebung des Generalthemas, unter dem das Buch steht. Bis zu dieser Ausgabe gilt, was K.  G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 60 f. sagt, nämlich dass Smith „über das ganze Werk verteilt“ – also nicht verdichtet in einem eigenen Abschnitt – immer wieder auf die Frage eingegangen sei, „[w]elche Charaktere und Handlungen […] es [seien], die die Zustimmung eines unparteiischen Zuschauers“ erhielten.

David Hume |

11.1.1 Das Hume’sche Gesetz und die Frage nach dem Erkennen moralischer Normen

Der Gegensatz zwischen dem, was ist, und dem, was sein sollte, ist für Hume folglich keiner, der entschieden werden muss, sondern lediglich einer, den er beschreibt und analysiert. Damit ist einer seiner zentralen Gegenstände berührt. Ferguson wird die Frage nach dem Sein und die Frage nach dem Sollen noch zwei getrennten „Wissenschaften“ zuordnen  : die Überlegungen zum Sein der physical science und jene zum Sollen der moral science.14 Hume bringt beide Fragestellungen in einer einzigen – allerdings neu auszurichtenden – Wissenschaft unter, nämlich in seinem Ansatz einer science of man. Darauf gründen sich seine Zuversicht und das Vertrauen in die von ihm angewandte Methode. Eine Stelle im Buch III des Treatise, an der dies besonders deutlich zum Ausdruck kommt (oder vielleicht auch nur zum Ausdruck zu kommen scheint), hat es zu einiger Prominenz gebracht  ; darin nämlich wird formuliert, was gemeinhin als das Hume’sche Gesetz bezeichnet wird. Dieses lautet, dass sich aus Feststellungen von Tatsachen keine Aussagen über Normen ableiten ließen. Das ist allerdings nur eine Paraphrase dessen, was Hume möglicherweise mit folgenden Sätzen hatte klarstellen wollen  : „In jedem Moralsystem [system of morality], das mir bisher vorkam, habe ich immer bemerkt, daß der Verfasser eine Zeitlang in der gewöhnlichen Betrachtungsweise vorgeht, das Dasein Gottes feststellt oder Beobachtungen über menschliche Dinge vorbringt. Plötzlich werde ich damit überrascht, daß mir anstatt der üblichen Verbindungen von Worten [the usual copulations of propositions] mit ‚ist‘ und ‚ist nicht‘ kein Satz mehr begegnet, in dem nicht ein ‚sollte‘ oder ‚sollte nicht‘ sich fände. Dieser Wechsel vollzieht sich unmerklich  ; aber er ist von größter Wichtigkeit. Dies sollte oder sollte nicht drückt eine neue Beziehung oder Behauptung [some new relation or affirmation] aus, muß also notwendigerweise beachtet und erklärt werden [For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, ’tis necessary that it shou’d be observ’d and explain’d]. Gleichzeitig muß ein Grund angegeben werden [a reason shou’d be given] für etwas, das sonst ganz unbegreiflich scheint, nämlich dafür, wie diese neue Beziehung zurückgeführt werden kann auf andere, die von ihr ganz verschieden sind.“15

Festzustellen ist zunächst, dass Hume sein „Gesetz“ im zitierten Absatz des Treatise keineswegs ausdrücklich als ein solches formuliert hat.16 Es mag zutreffen, dass er eine dahin gehende Aussage hatte nahelegen wollen, doch nicht einmal das steht zweifelsfrei fest  ; und hätte er sie tatsächlich explizit so getroffen, ließe überdies ihre Richtigkeit sich in Zweifel ziehen.17 Was er lediglich feststellt, ist, dass Ist-Aussagen Feststellungen von an14 Zu Fergusons entsprechender Definition siehe in dieser Untersuchung S. 347. 15 D.  Hume  : Traktat, II, S. 211 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Treatise, p. 302, 3.1.1|27. 16 Zum Umgang mit der Problematik, Hume in diesem Punkt misszuverstehen und das Missverstandene nachfolgend als „Gesetz“ zu etikettieren, siehe D. Lüddecke  : Erstlingswerk, S. 176–179. 17 Siehe zu diesem Problem J. Kulenkampff  : David Hume, S. 105 (sowie ebd. Fn. 2).

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Zuversicht in die Tugend

derer Art – wörtlich  : von some new relation – sind als Formulierungen von Normen. Er sagt nicht, dass Normen sich nicht aus Tatsachenfeststellungen herleiten ließen, sondern nur, dass dies, wenn es unternommen werde, einer Begründung bedürfe.18 An einer solchen Begründung, die auf einer tatsächlichen Beweisführung beruht hätte, versucht Hume sich allerdings nicht und sie beschäftigt ihn wohl auch nicht, denn sein genereller Ansatz ist ein anderer  : Für ihn sind Normen zu einem Gutteil insofern der Sphäre des mit Argumenten Begründbaren enthoben, als sie gar „nicht durch die Vernunft allein […] erkannt werden können [are not discoverable merely by reason]“.19 Das Erkennen von Normen, des „sittlich Guten und des sittlich Schlechten [moral good or evil]“, findet sich bei ihm von der Verstandes- auf die Empfindungsebene verschoben  ; es handelt sich um vornehmlich empfundene und somit „erfahrene“ Perzeptionen, nicht jedoch um „verstandene“ (und in erster Linie auch nicht zu verstehende) Zusammenhänge. Er vertieft dies sogar noch, wenn er sagt  : „Die kennzeichnenden Eindrücke, durch die wir das moralisch Gute und das moralisch Schlechte erkennen, sind also nichts anderes als besondere Lust- und Unlustgefühle [nothing but particular pains or pleasures] […].“ Und folglich gelangt er zu dem Schluss, „daß es bei allen Untersuchungen über diese sittlichen Unterscheidungen genügt, wenn wir die Gründe [principles] aufweisen, die uns bei der Betrachtung eines Charakters Befriedigung oder Unbehagen empfinden lassen.“20 Hume bringt hier den Sensualismus gegen den Rationalismus, also gegen die Instanz des Verstandes, in Stellung, doch ist dieser Sensualismus ein methodisch wankender, solange er auf einem Fundament von „Gründen“ oder „Prinzipien“ stehen soll – „Befriedigung“ und „Unbehagen“ sind eben gerade weder Prinzipien (im Sinn von Grundsätzen) noch Gründe (im Sinn von Begründungen), sondern Empfindungen.21 Humes Versuch, die Moralphilosophie zu einer „Wissenschaft“ zu machen, besteht erklärtermaßen in dem Ansatz, sie auf empirisch Feststellbares zu gründen. Empirisch feststellbar ist für ihn dann etwas, wenn es unmittelbar mit den Sinnen zu erfassen ist und nicht erst mittels Verstandesleistungen ermittelt wird.22 Die Umwelt wird durch die 18 D.  Lüddecke  : Erstlingswerk, S.  178 f. 19 D.  Hume  : Traktat, II, S. 212. – OT.: ders.: Treatise, p. 302, 3.1.2|1. 20 D.  Hume  : Traktat, II, S. 213 (Hervorh. übern.). – OT.: ders.: Treatise, p. 303, 3.1.2|3. 21 Diese Feststellung treffe ich im Bewusstsein der Sprachproblematik, die hier vorliegt. Denn entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie der Begriff “principles” aufzufassen ist. Die hier herangezogene Übersetzung (D.  Hume  : Traktat) entscheidet sich für das deutsche „Gründe“, das sowohl eine semantische Nähe zu „Auslöser“ oder „Ursache“ als auch zu „Begründung“ oder „Begründbarkeit“ aufweist. Hume dürfte in der zitierten Aussage eher die letztgenannte Bedeutung im Auge gehabt und die „auf Argumenten beruhende Begründung“ für ein moralisches Urteil gefordert haben, nicht die „Ursache“, durch die dieses Urteil ausgelöst wurde. Gerade diesem seinem eigenen Anspruch wurde Hume jedoch hier nicht gerecht  : Er gab für das moralische Urteil eben keine Begründung, sondern benannte lediglich seinen Auslöser, nämlich eine Empfindung. 22 Humes Verständnis des Empiriebegriffs ist ein Thema für sich. Siehe hierzu etwa die folgende Feststellung von L.  Kreimendahl  : Humes verborgener Rationalismus, S. 1  : „Hume selbst hat weder dem Problem des Nachweises der empirischen Genesis seiner Grundprinzipien noch ihrer Hierarchie und Kompatibilität Beachtung geschenkt.“

David Hume |

Sinne erfahren, alles beginnt mit den Eindrücken, und diese wirken unmittelbar nicht auf den Verstand. Dieses Verständnis von Empirie deckt sich nicht mit dem der Gegenwart, bei dem Aspekte der experimentellen Reproduzierbarkeit eines psychologischen oder sozialen Sachverhalts oder das Kriterium der Quantifizierbarkeit deutlich stärker hervortreten.23 Solche Strategien sind Humes Denken noch fremd. Dessen Vorstellung von Empirie geht von der Interpretation generalisierter erinnerter menschlicher Verhaltensweisen aus. Sein Vorgehen fußt auf Konstruktion, nicht auf Dekonstruktion, und insofern ist es – auch wenn er es selbst nicht eingestanden hätte – in methodischer Hinsicht durchaus noch rationalistisch geprägt. Seine Überlegungen gehen, um es in seinen eigenen Begriffen auszudrücken, in einem hohen Maß von den ideas, nicht von den impressions aus. Kreimendahl hat zudem darauf hingewiesen, dass wichtige Schriften ­Humes in ihren Eröffnungssequenzen Präsuppositionen enthalten, die die Ergebnisse seiner sich daran anschließenden Überlegungen „prädeterminierten“.24 Dass in diesen Präsuppositionen ein bestimmtes Naturverständnis prägend ist, wurde bereits thematisiert.25 Moral zeigt sich für Hume als etwas mit den Sinnen zu Erfassendes, ja sie wird auf diese Weise geradezu selbst zu einem Sinn  : Die Unterscheidung zwischen moralisch richtigem und falschem Verhalten beruht für ihn nicht auf einem Verstandesurteil, sondern sie ist eine gefühlte. Für dieses Fühlen-Können attestiert Hume dem Menschen eine natürliche Anlage. Und folglich gelte für die „Moral“, die als ein Gefühl betrachtet wird, „daß sie [es ist, die] unsere Affekte und Handlungen beeinflußt[,] und über die ruhigen und gleichgültigen Urteile unseres Verstandes hinausgeht.“26 Auch in der Frage der Moral – und damit jener der Bewertung von Tugenden – gilt also  : „Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte und soll es sein […].“27 Die Bedeutung der Fragestellung, was natürlich sei und was in der Natur des Menschen liege, sie ist ein hervorstechendes Kennzeichen der Aufklärung insgesamt, insbesondere aber eines der angelsächsischen des 17. und 18. Jahrhunderts. Hume ist diesbezüglich ebenso wenig ein Sonderfall, wie es Ferguson oder Smith sind. Allerdings findet Humes Auseinandersetzung mit diesem Thema sehr viel intensiver auf der Ebene der psychologischen Analyse statt, als dies bei seinen beiden Landsleuten der Fall ist. Diese setzen den Begriff der Naturgegebenheit in ihren Schriften zwar durchaus zum Zweck 23 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die in den Sozialwissenschaften praktizierten Verfahren, nicht nur mittels Versuchsanordnungen, sondern auch mittels Verfahren der Quantifizierung zu Ergebnissen zu gelangen. S. Mau  : Das metrische Wir, S. 231, spricht in diesem Zusammenhang für die Gegenwart von den „Leidenschaften des Quantifizierens […], die von der immer umfangreicheren Infrastruktur des Monitorings, des Datensammelns und des Bewertens getragen werden“. 24 Bei L.  Kreimendahl  : Humes verborgener Rationalismus, S. 15, heißt es, „mit den Humeschen Definitionen sind die Weichen auf bestimmte Positionen hin bereits gestellt“. 25 Siehe den Abschnitt 5.3.2.1 („Präsuppositionen – der Naturbegriff als das unausgesprochen Vorausgesetzte“). 26 D.  Hume  : Traktat, II, S. 197. – Ich folge, indem ich hier „Moral“ anstelle von „Sittlichkeit“ verwende, der Übersetzung von H.  Pauer-Studer  : David Hume. Über Moral, S. 15 (Hervorh. HK). 27 D.  Hume  : Traktat, II, S. 153. – OT.: ders.: Treatise, p. 266, 2.3.3|4.

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der Beweisführung ein, hinterfragen ihn dabei aber keineswegs radikal, sondern übernehmen eher eine Perspektive des Commonsense.28 11.1.2 Stabilisierung der Gesellschaft durch die ‚künstlichen Tugenden‘

Humes Denken geht häufig von Gegenüberstellungen aus. Ein Beispiel dafür ist seine Theorie der Perzeptionen eingangs des Treatise, ein anderes seine Analyse des Verhältnisses zwischen den Affekten und der Vernunft. In diesem der Erkenntnistheorie nahen Bereich entwickelt er seine Theorien beide Male aus sehr grundlegenden Annahmen, die er jeweils auch darlegt. Das ist charakteristisch für seine Methode, und so kann es nicht überraschen, wenn er davon auch im „politischen“ Abschnitt des Treatise – “Of Morals” – nicht abgeht und seine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Tugenden mit einer solchen Gegenüberstellung beginnt, nämlich der zwischen den „natürlichen“ und „künstlichen“. Rasch wird deutlich, dass er damit auf das Verhältnis abzielt, das zwischen Anlagen und Sozialisierungsfolgen besteht – und sodann auf die Beantwortung der impliziten Frage  : Was ist Zivilisation  ? Die „natürlichen Tugenden [natural virtues]“29 sind für Hume deshalb „natürliche“ Eigenschaften, weil die Menschen sie im Wortsinn „von Natur aus“ besitzen und sie im Übrigen als solche auch nicht ändern können.30 „Tugenden“, also positiv konnotierte Eigenschaften im Gegensatz zu den Lastern (vices), sind sie, weil sie Affekte der Zustimmung erzeugen.31 „Künstliche Tugenden [artificial virtues]“32 sind Hume zufolge solche Eigenschaften, die „Lust und Zustimmung nur auf Grund einer künstlichen Veranstaltung [by means of an artifice or contrivance] erwecken, die aus den Lebensverhältnissen und Bedürfnissen der Menschheit entsteht“.33 Damit ist auf den Bereich der Sozialisation verwiesen, aber darüber hinaus auch auf das, was nach heutigem Sprachgebrauch unter Zivilisation (im Sinn von „Zivilisierung“) verstanden wird und was Hume mit „menschlicher Übereinkunft [human conventions]“ bezeichnet.34 28 Wobei hinzuzufügen wäre  : Es ist durchaus auch Teil dieses Commonsense, dass etwas als „natürlich“ oder „im Einklang mit dem Lauf der Natur“ angesehen werden kann, ohne dass dafür die Bedingungen vorab geklärt worden wären, sprich, dass „Natur“ und das, was von ihr abgeleitet wird, unhinterfragt und unthematisiert dem Bereich der Präsuppositionen zugeschoben wird. 29 Hume prägt den Begriff im Treatise (D.  Hume  : Treatise, 3.2.2|19, 3.2.2|23, 3.2.5|6, im Abschnitt “Of the other virtues and vices”, ebd., pp. 367–378) und im Letter (D.  Hume  : Treatise, p. 430). 30 D.  Hume  : Traktat, II, S. 287  : „Die Menschen können weder bei sich noch bei anderen jene Beschränktheit der menschlichen Natur [the narrowness of soul], die sie das Nächste dem Entfernteren vorziehen läßt, von Grund aus heilen. Sie können ihre Naturen nicht ändern.“ – OT.: ders.: Treatise, p. 344, 3.2.7|6. 31 Humes Tugendverständnis im Treatise wirft viele Fragen auf, zumal es von zentraler Bedeutung ist. Es lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln analysieren. Siehe dazu H. Pauer-Studer  : Kommentar, S. 349 ff. (natürliche Tugenden) und S. 347 (künstliche Tugenden) sowie D. Lüddecke  : Erstlingswerk, S. 179–188. 32 Hume verwendet den Begriff neben dem Treatise (D.  Hume  : Treatise, 3.3.1|9, 10, 13) im Letter (D.  Hume  : Treatise, p. 430). 33 D.  Hume  : Traktat, II, S. 219. – OT.: ders.: Treatise, p. 307, 3.2.1|1. 34 D.  Hume  : Traktat, II, S. 226. – OT.: ders.: Treatise, p. 311, 3.2.1|17.

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Unter „menschlicher Übereinkunft“ versteht Hume den Sachverhalt einer gesellschaftlichen Gegebenheit, auf die weitgehend der Begriff der Einrichtung zutrifft,35 und damit bringt er zum Ausdruck, dass die Gesellschaft auf das, was sie an den künstlichen Tugenden als das eben Tugendhafte verstanden wissen will, Einfluss nehmen kann. Das muss zunächst verwirren, denn gerade der Tugendbegriff ist wesentlich etwas an das Individuum und eben nicht an die Gesellschaft Gebundenes  ; wir sprechen vom tugendhaften Verhalten bestimmter Menschen, nicht von der Tugend einer Gesellschaft – einerseits. In Wirklichkeit beschreibt Hume etwas deutlich Komplexeres, nämlich eine Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft, und zwar zum Nutzen beider. Denn andererseits  : „Künstliche Tugenden“, sagt Pauer-Studer, „sind moralische Institutionen [= Einrichtungen], denen eine Konvention zugrunde liegt, sich an gewisse Normen und Regeln zu halten. […] Die moralische Qualität und Richtigkeit der Einrichtung ergibt sich aus der allgemeinen Praxis des Befolgens der entsprechenden Konvention.“36 In eben diesem „Akt“ des Befolgens der Konvention geht das Tugendhafte vom Individuum auf die Gesellschaft über. Und streng genommen sind die künstlichen Tugenden deshalb nicht der Sphäre des Individuums zugeordnet, sondern derjenigen des Staates. Es stellt sich nun für Hume die Frage, was diese künstlichen Tugenden leisten – worauf kommt es mehr an  : auf die von ihren Tugenden geleiteten Individuen oder auf einen wohleingerichteten Staat  ? Im Essay Of Parties in General fällt seine Antwort angesichts der Akribie, mit der er sich im Treatise den individuellen Tugenden gewidmet hatte, überraschend deutlich zugunsten der Rolle des Staates aus, denn wer von der „Erziehung der Jugend, dem Effekt weiser Gesetze und Institutionen“ spricht, sieht im Staat einen Akteur, der gezielt handelt  : „Diese Segnungen können jedoch nur von einer guten Regierung herrühren, ganz zu schweigen von allgemeiner Tugend und hoher Moral in einem Staat, die für Glück unerläßlich sind. Sie können weder aus den feinsinnigsten philosophischen Lehren oder sogar den strengsten Geboten der Religion entstehen, sondern beruhen allein auf der tugendhaften Erziehung der Jugend, dem Effekt weiser Gesetze und Institutionen [from the virtuous education of youth, the effect of wise laws and institutions].“37

Es ist eine Eigenart von Hume als Autor, dass er einerseits feinste Bedeutungsunterschiede thematisiert, andererseits den dies erfordernden sehr bewussten Wortgebrauch nicht immer konsistent durchhält. So bezeichnet er künstliche Tugenden auch als „soziale 35 Unter solcherart künstlichen Tugenden versteht Hume etwa Rechtssinn, Treue und Loyalität. Siehe H. Pauer-Studer  : Kommentar, S. 347, sowie D. Lüddecke  : Erstlingswerk, S. 181. 36 H.  Pauer-Studer  : Kommentar, S.  347. 37 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), Bd. 1, S. 51. – OT.: ders.: Essays (M.), p. 55. – Vgl. den Hinweis auf diesen Aspekt von Humes Verständnis der Bedeutung der Tugend bei J. Robertson  : The Scottish Enlightenment and the civic tradition, p. 161.

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[social virtues]“38, eben durch die Gesellschaft hervorgerufene  ; doch da liegen Fallstricke, denn eine Gleichsetzung von „künstlich“ mit „sozial“ ist keineswegs zulässig. Vielmehr ist – in den Principles of Morals – von „gesellschaftlichen Tugenden der Humanität und des Wohlwollens [social virtues of humanity and benevolence]“ die Rede  ; diese seien „angetrieben durch das natürliche Mitgefühl“. Daneben spricht Hume von „den sozialen Tugenden von Gerechtigkeit und Treue [the social virtues of justice and fidelity]“.39 Die künstlichen Tugenden sind als eine Untergruppe der sozialen zu verstehen. Welche Bedeutung haben sie in Humes theoretischer Konzeption  ? Gerade infolge der Einführung des Begriffs der künstlichen Tugenden unterscheidet sich Humes Position deutlich von derjenigen etwa Fergusons. Dessen Verständnis von Tugend ist, wie noch dargelegt wird, das eines Ideals.40 Auf die künstlichen Tugenden, wie Hume sie versteht, trifft dies nicht zu. Diese sind für ihn ein integrales Element der Gesellschaft und überdies eines, das von dieser beeinflusst wird, und keines, das ihr gegenüberstünde. Und wenn man von einem integralen Element spricht, so scheint dies sogar noch untertrieben zu sein, denn im Grund sind es die künstlichen Tugenden, die das Gemeinwesen in seinem Kern sogar zusammenhalten  ; sie sind also nicht nur dessen integraler, sondern geradezu dessen essentieller konstitutiver Bestandteil. Durch die Erklärung des Ursprungs der Rechtsordnung wird dies offenkundig. Dabei ist die Ausgangshypothese jene häufig herangezogene anthropologische Annahme, die vom Menschen als einem von Natur aus unvergleichlich bedürftigen Wesen ausgeht, das sich einzig durch einen fortgesetzten Prozess des Zusammenschlusses, der „Vergesellschaftung“, gegenüber seiner feindlichen Umwelt behaupten könne  : „Unter allen Tieren, die den Erdball bevölkern, gibt es keines, gegen das die Natur auf den ersten Blick grausam verfahren zu sein scheint  ; nur gegen den Menschen (scheint sie grausam). Wie zahllos sind die Bedürfnisse und notwendigen Ansprüche, mit denen sie ihn belastet, und wie gering die Mittel, die sie ihm zur Befriedigung derselben gewährt hat. […] Nur durch Vergesellschaftung kann er diesen Mängeln abhelfen und sich zur Gleichheit mit seinen Nebengeschöpfen erheben, ja sogar eine Überlegenheit über dieselben gewinnen.“41

38 Hume spricht von den social virtues im Treatise (D. Hume  : Treatise, 3.3.1|11, 3.3.6|6), im Letter (D.  Hume  : Treatise, p. 430) sowie in den Principles of Morals (D.  Hume  : Morals, pp. 7–10, 12, 27, 33–34, 43–45, 54, 62–63, 78, 96, 104–105). 39 D.  Hume  : Moral (K.), Anhang 3 („Einige weitere Überlegungen über die Gerechtigkeit“), S. 144 f. – Die hier gewählte Übersetzung schafft insofern neue Probleme, als sie Humes ursprüngliche Wortwahl – social – nicht konsequent beibehält, sondern zwischen „gesellschaftlichen Tugenden“ und „sozialen Tugenden“ wechselt und so (unabsichtlich  ?) einen Anklang an die Bedeutungsebene der Gesinnung ins Spiel bringt  ; das lag Hume fern. – OT.: ders.: Morals, p. 96. 40 Siehe hierzu den Abschnitt 11.3.2 („Unterordnung, Loyalität  : die Funktion der Tugend“). 41 D.  Hume  : Traktat, II, S. 228.

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Alles an dieser Argumentation hängt von der Vergesellschaftung der Menschen ab, ohne die man über das Eigentum ebenso wenig wie über den Staat nachzudenken bräuchte. Aber es stellt sich die Frage, wodurch diese Vergesellschaftung zustande kommt. Ist sie ein natürlicher Prozess, vorgegeben von den Eigenschaften, die die Menschen von Natur aus determinieren  ? Hume, trotz all seines sonstigen Beharrens auf dem „natürlichen Lauf der Dinge“, lässt Zweifel daran erkennen. Der Mensch ist vielmehr geleitet von seinen Interessen, und diese Interessen richten sich stärker auf das eigene Fortkommen als auf das der Gesellschaft. Er ist ergriffen von einer Parteilichkeit für sich selbst und die ihm Nahestehenden. Am „allgemeinen Bewußtsein des gemeinsamen Interesses“ fehle es zwar nicht, aber ohne eine wechselseitige Übereinkunft zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft setze dieses Interesse sich nicht zum Nutzen des Ganzen durch.42 Diese Übereinkunft ist das, was Hume unter der erwähnten „künstlichen Veranstaltung“ versteht, und es ist bezeichnend, dass ihr Gegenstand vordergründig die Rechtsordnung, in Wirklichkeit jedoch der Schutz des Eigentums ist.43 Die Zuverlässigkeit dieses Schutzes ist in seinen Augen essentiell für das Funktionieren einer Gesellschaftsordnung  : „Im ganzen müssen wir darnach die Schwierigkeiten der Gesellschaftsgründung höher oder geringer anschlagen, je nach den Schwierigkeiten, welchen die Regelung und Einschränkung dieses Affektes begegnet.“44 Gemeint ist mit diesem Affekt die „Begierde, Güter und Besitz für uns und unsere nächsten Freunde zu erlangen, [die] unersättlich, andauernd, allgemein verbreitet und unmittelbar zerstörend für die Gesellschaft“ ist.45 Welches Mittel aber gibt es gegen diesen zerstörerischen Affekt  ? Humes Antwort  : Es sind die Tugenden, nämlich die künstlichen  ! Mittels (der „künstlichen Veranstaltung“) der Rechtsordnung setzt die Gesellschaft ihr Interesse an ihrem Bestand gegen den Ansturm der individuellen Interessen ihrer Mitglieder durch.46 Die davon abgeleitete künstliche Tugend des Rechtssinns dient dem Zweck, „Abhilfe gegen die Parteilichkeit unserer Zuneigungen [a remedy for the partiality of our affections]“ zu schaffen.47 Hume beschreitet allerdings in methodischer Hinsicht einen anderen Weg als seine schottischen Zeitgenossen, wenn er in den Vordergrund seiner Betrachtungen die grundlegende Frage stellt  : Wie gelangt man überhaupt zu einem Urteil über Tugenden  ? Zunächst hält er fest, ein solches Urteil sei affektiven Ursprungs  : „Gunst und Ungunst, die dem Tugend- bezw. Lasterhaften zuteil werden, sind offenbar Folgen der Gefühle von Lust und Unlust.“48 Er sagt darüber hinaus, eines der Kennzeichen eines tugendhaften 42 Ebd., S. 232 f. 43 Ebd., S. 234 f. – Zur Bedeutung des Eigentums bei Hume siehe S. 404. 44 Ebd., S. 235 (Hervorh. HK). – Siehe auch J. Dunn  : From applied theology to social analysis, p. 130. 45 D.  Hume  : Traktat, II, S. 235. 46 Die folgende Aussage von J. Dunn  : From applied theology to social analysis  : the break between John Locke and the Scottish Enlightenment, p. 130, ist deshalb auch in dieser Zuspitzung nicht von der Hand zu weisen  : “Obligation, property and right in human society all depend upon the stability of possessions.” 47 D.  Hume  : Traktat, II, S. 232. – OT.: ders.: Treatise, p. 314, 3.2.2|8. 48 D.  Hume  : Traktat, II, S. 345.

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Charakters sei es, „seiner natürlichen Tendenz nach vorteilhaft für die Gesellschaft“ zu sein.49 Darum sei auch „Rechtlichkeit nur darum eine sittliche Tugend, weil sie auf das Wohl der Menschheit tendiert [justice is a moral virtue, merely because it has that tendency to the good of mankind]. Ja[,] sie ist gar nichts anderes als eine künstliche Erfindung zu diesem Zweck.“50 Doch nicht in jedem Fall ist diese Nützlichkeit eines solcherart tugendhaften Charakters erkennbar, denn „besondere Zufälligkeiten [könnten] seine Betätigung verhindern und es dem Menschen unmöglich machen, seinen Freunden und seinem Vaterlande zu dienen“.51 Auf welche Weise aber kommt es dann zu einer moralischen ­Bewertung  ? Durch einen Akt der „Sympathie“, sagt Hume, und zwar, indem man sich an den Eindrücken anderer orientiert, sich in sie einfühlt  : „Und jetzt ist das Mitgefühl [= die Sympathie] mit denen, die mit der fraglichen Person in Verkehr stehen, das Mittel, durch das wir am leichtesten einen neuen Standpunkt gewinnen.“52 Dass es Hume hier nicht nur um das Verstehen des Gegenübers geht, sondern er die Möglichkeit eines „neuen [– eigenen –] Standpunkts“ mitdenkt, darf man übrigens als einen Unterschied zu dem Sympathie-Ansatz auffassen, den später Smith vertreten wird.53 Bemerkenswert ist nicht so sehr der hier geschilderte Vorgang als solcher, sondern die Tatsache, dass Hume dabei ausdrücklich die Sphäre des Individuums verlässt und das Zustandekommen eines moralischen Urteils – zumindest auch – als das Ergebnis eines Interaktionsprozesses darstellt, bei dem die ursprünglichen Empfindungen des Beobachters einem gesellschaftlichen Korrektiv ausgesetzt sind. Bei der Sympathie bleibt es deshalb nicht  ; das beim Gegenüber „Mitgefühlte“ – also auch dessen moralische Bewertungen –, wirkt zurück auf das beobachtende Individuum  : „Im moralischen Urteil transzendiert das Subjekt seinen persönlichen Standpunkt und öffnet sich der Sichtweise anderer Personen“.54 Ob man es bei dieser Feststellung belassen will, hängt davon ab, worauf man blickt  : auf das Individuum oder auf die Gesellschaft. Sichtbar jedenfalls wird zweierlei  : – Für die einzelne Person, die sich ein moralisches Urteil bildet, ist das Hinzukommen der Außenperspektive eine Art Hilfestellung bei ihrer Integration in die Gesellschaft. – Die Gesellschaft selbst gewinnt mit der damit verbundenen Option einer Bewertungskorrektur des individuellen Urteils ein Instrument der sozialen Kontrolle – und das umso mehr, wenn diese Außenperspektive vom Individuum auch eins zu eins übernommen wird. Letzteres allerdings steht in Frage, da „die Legitimität der Mei49 Ebd., S. 337. 50 Ebd., S. 330. – OT.: ders.: Treatise, p. 369, 3.3.1|9. 51 D.  Hume  : Traktat, II, S. 338. 52 Ebd., S. 337. – Hume nimmt damit in Ansätzen bereits jene Denkfigur des unparteiischen Beobachters vorweg, die Smith in seiner Theory detailliert ausarbeiten wird  ; siehe den Abschnitt 11.2.2 („Die Denkfigur des ‚unparteiischen Beobachters‘“). 53 Siehe hierzu Näheres im Abschnitt 11.2.2 („Die Denkfigur des ‚unparteiischen Beobachters‘“). 54 A.  Waldow  : Wie privat sind Ideen  ?, S.  246.

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nungen anderer“ nicht generell vorausgesetzt werden dürfe  : „Einerseits werden Zeugen nur dann akzeptiert, wenn sie sich unter Bezugnahme auf erfahrbare Ereignisse als glaubwürdig herausgestellt haben, andererseits wird der Wert einer Aussage daran bemessen, inwiefern sie sich in das auf Beobachtung gestützte weitere System von Überzeugungen [des Individuums] integrieren lässt.“55 Unabhängig von der Bewertung, ob die Kontrolle des Einzelnen durch die Gesellschaft im Vorgang der Bildung moralischer Urteile zum Tragen kommt, ist diese im Treatise vorgestellte Perspektive neu, und obgleich sie den nachfolgend behandelten Texten von Ferguson und Smith zeitlich vorausgeht, haben diese sie im Kern nicht oder zumindest nicht im vollen Umfang aufgegriffen. Auch wenn dem Ansatz einer Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Tugenden im Rahmen von Humes Theorie von Gesellschaft und Staat eine durchaus tragende Rolle zukommt, fällt die Schlussfolgerung daraus im Hinblick auf die Zuversicht und die Bewältigung von Kontingenz knapp aus  : Durch das Element der künstlichen Tugenden, die zu den natürlichen hinzutreten, ist der Gesellschaft eine Möglichkeit gegeben, auf die Entfaltung der individuellen – und das bedeutet vor allem  : auf deren sich gegen das Gemeinwohl richtende und diesem nicht verantwortliche – Interessen einzuwirken, sie zu kontrollieren, zu konturieren und letztlich in ihrem Sinn zu moderieren. Dieses Bestreben nach Moderation und dem Vorbeugen eines Kontrollverlusts läuft bei allem, was Hume über die Gesellschaft, die Regierung und den Staat sagt, stets als Subtext mit.56

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Richtet sich bei Hume infolge der Unterscheidung der künstlichen von den natürlichen Tugenden der Blick vor allem auf die gesellschaftliche Funktion Ersterer, so ist Smiths Ansatz in der Theory deutlich dem Handlungsspektrum des Individuums verpflichtet. Sie ist ein Buch über menschliches Handeln, über die Motive, durch die dieses Handeln ausgelöst wird, über die Antriebe, denen es folgt, und über die anthropologischen und psychologischen Voraussetzungen, die ihm zugrunde liegen. Deutlich wird das unter anderem an seiner Denkfigur eines „unparteiischen Beobachters“, auf deren Doppelfunktion als ethisches Bewertungskriterium und gleichzeitig als ein Instrument sozialer Kontrolle in diesem Abschnitt noch ausführlicher einzugehen sein wird.

55 Ebd., S. 255 f. 56 Am deutlichsten kommt dies im Essay Idea of a Perfect Commonwealth zum Ausdruck. Siehe den Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“).

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11.2.1 Tugendlehre oder „wirkliche“ Theorie  ?

Ballestrem hat die Frage aufgeworfen, wie Smith selbst sein hier dargelegtes System der Moralphilosophie verstanden habe  : als Ethik im herkömmlichen Sinn von „Tugend- und Pflichtenlehren“ oder als eine „wirkliche“ Theorie mit dem Ziel, auf dem Weg der Untersuchung und Deskription einen psychologischen oder soziologischen Sachverhalt zu fassen.57 Es ist der Antagonismus zwischen normativem und analytischem Anspruch, dem sich die entstehende science of man auch hier, wie zuvor bereits bei Hume, gegenübersah. Dass dabei der Analyse ein großes, wenn nicht gar das Übergewicht zuerkannt wurde, zeigt sich darin, dass Smith das vorrangige Interesse des Individuums für sich und seine eigenen Belange als durchaus naturgegeben – und damit einer Bewertung a priori entzogen – anerkennt.58 Ebenso sachlich wie deutlich kommt dies zum Ausdruck, wenn es heißt  : „Die Sorge für die Gesundheit, für das Vermögen, für den Rang und den Ruf des Individuums, d. h. also für die Dinge, von welchen der allgemeinen Ansicht nach sein Wohlbefinden und seine Glückseligkeit in diesem Leben in erster Linie abhängen, wird als die eigentliche Obliegenheit derjenigen Tugend betrachtet, die man gemeinhin Klugheit nennt.“59 Der Satz gibt sich als eine Tatsachenfeststellung  ; eine moralische Bewertung enthält er nicht. Allerdings war Smith sich der dem Gegensatz von Wertung und Beschreibung innewohnenden Problematik durchaus bewusst. Um sie seinem Publikum vor Augen zu führen, nimmt er bereits in der Theory einige Unterscheidungen vor  ; er differenziert zwischen unterschiedlichen Arten, auf die „verschiedene Schriftsteller die praktischen Regeln der Sittlichkeit dargestellt“ hätten. Dabei verwirft er die klassische (antike) Moralphilosophie – sie habe „sich damit begnügt, in ganz allgemeiner Weise die verschiedenen Laster und Tugenden zu beschreiben“60 – ebenso wie die Kasuistik, die ihre Aufgabe darin erkenne, lediglich „Regeln für das Verhalten eines guten Menschen

57 K.  G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 57. – Siehe auch ebd. S. 89  ; hier lautet die Gegenüberstellung „Ethik“ versus „Sozialpsychologie“. Zum Vergleich  : Es ist dies eine Frage, die sich dem zuvor Gesagten zufolge bei Hume überhaupt nicht stellt – beziehungsweise eindeutig so beantworten lässt, dass im Treatise in dieser Hinsicht normative Aspekte nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. 58 A.  Smith  : Theorie, S. 355  : „Jeder Mensch ist, wie die Stoiker zu sagen pflegten, in erster Linie und hauptsächlich seiner eigenen Obsorge empfohlen  ; und sicherlich ist jeder Mensch in jeder Beziehung geschickter und geeigneter, für sich selbst zu sorgen als für irgendeinen anderen. Jedermann fühlt seine eigene Lust und seine eigene Unlust viel lebhafter als die eines anderen.“ – Das Eigeninteresse ist also weder lobenswert noch verwerflich, es ist schlichtweg eine Tatsache und deshalb der moralischen Bewertung zunächst enthoben. – Vgl. hierzu auch W. Eckstein  : Einleitung, S. XLVIII. 59 A.  Smith  : Theorie, S. 344 f. 60 Ebd., S. 538. – In diesem Zusammenhang erklärt Smith indirekt, was er für das Ziel einer moralphilosophischen Theorie halten würde, die seinen Vorstellungen entspräche  : „eine große Zahl von genauen Regeln aufstellen zu können, die ausnahmslos in allen einzelnen Fällen gelten sollten [to lay down exact and precise rules for the direction of every circumstance of our behaviour].“ – OT.: ders.: Theory, p. 329, VII.iv|6.

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vorzuschreiben“.61 Smiths Absichten reichen weiter, er vertraut auf die Leistungsfähigkeit einer – seiner – neuen und analytischen Methode, bei der weder allein eine Beschreibung von Phänomenen noch eine ausdrückliche Formulierung von Normen noch von Regeln für Einzelfälle das Ziel seien, sondern die Isolierung eines „Prinzips“, mit dem sich die Entstehung moralischer Urteile62 aus dem menschlichen Lebenskontext im Sinn eines grundlegenden Faktums erklären lasse.63 Im Buch V des Wealth of Nations wird er sich später mit der Geschichte der Moralphilosophie auseinandersetzen und auch einen Abriss des zeitgenössischen akademischen Ausbildungssystems geben, in dessen Rahmen diese Moralphilosophie gelehrt wurde.64 Dabei trifft er mehrere wichtige Feststellungen, aus denen sich Rückschlüsse darauf ziehen lassen, welche Vorstellungen von Philosophie und Wissenschaft, ja welche Ansprüche an beide ihn leiten. Er sagt, zusammengefasst, Folgendes  : Philosophie war in ihren Ursprüngen Naturphilosophie und als solche der Aufgabe gewidmet, die Erklärungen der „bedeutsamen Erscheinungen in der Natur“ dem Aberglauben und religiöser Deutung zu entwinden. Die Moralphilosophie ist infolge dessen eine Weiterentwicklung dieser ursprünglichen Welterklärung, nämlich deren Ausdehnung auf den gesellschaftlichen Kontext65 durch eine Ermittlung von „eingeführten und anerkannten Grundsätzen […] über zulässige oder unsittliche Lebensführung“. Mit der Vermehrung solcher „Maximen der Vernunft und der Sittlichkeit“ erst habe sich die Notwendigkeit ergeben, diese „durch eine [sic  !] oder mehrere allgemeine Prinzipien miteinander zu verknüpfen, aus denen sie alle wie Wirkungen aus ihren natürlichen Ursachen abzuleiten sind“.66 Wie oben bereits angedeutet, lautet die Frage  : „Tugend- und Pflichtenlehren“ oder „wirkliche“ Theorie  ? – Smith beantwortet sie hier selbst, und das gesuchte „Prinzip“, das erklärt, wie moralische Urteile zustande kommen, bezeichnet er als das der „Sympathie [sympathy]“67. Damit zielt er auf etwas ab, das im heutigem Sprachgebrauch eher dem nahekommt, was wir als „Empathie“ bezeichnen. Das ist zum einen die Fähigkeit (und auch Bereitschaft), sich die 61 Ebd., S. 542. 62 Es geht Smith ausdrücklich um das Zustandekommen solcher moralischer Urteile, nicht um die Formulierung von Regeln. 63 In seiner History of Astronomy wird Smith erklären, worin seine Hoffnung (und Zuversicht) in eine systematisierende Wissenschaft besteht  : „Es kommt jedoch oft vor, dass ein großes verbindendes Prinzip […] als ausreichend erachtet wird, alle widersprechenden [discordant] Phänomene, die in einer Gesamtheit von Dingen [in a whole species of things] vorkommen, miteinander zu verbinden.“ A. Smith  : Essays, p. 66 (e. Ü.). 64 A.  Smith  : Wohlstand, S. 645–656. 65 Ebd., S. 652  : „Zu jeder Zeit und überall in der Welt muß sich der Mensch mit der Eigenart, der Vorstellung und dem Handeln des anderen beschäftigt und viele beachtliche Regeln und Maximen für menschliches Verhalten und Zusammenleben entwickelt haben […].“ (Hervorh. HK) 66 Ebd. 67 S.  Johnson  : Dictionary 1755, II, klärt über den Sprachgebrauch des Begriffs zu Smiths Lebzeiten auf, wenn er im Sinn einer Definition ausführt  : “Fellowfeeling  ; mutual sensibility  ; the quality of being affected by the affection of another”.

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Beweggründe und Stimmungen anderer zu vergegenwärtigen, indem man sich innerlich in ihre Lage versetzt  :68 „Wir sind in den anderen und sie in uns.“69 Und das ist zum Zweiten die Fähigkeit (und Bereitschaft), die Gefühlslage eines Gegenübers zu evozieren und auf diese Weise nicht nur wie dieses zu denken, sondern wie dieses auch zu empfinden und dessen affektive Befindlichkeit zu teilen. 11.2.2 Die Denkfigur des ‚unparteiischen Beobachters‘

Worauf zielt Smith mit diesem Sympathie-Prinzip ab  ? Die Schwierigkeit, der er sich in seiner Theory gegenübersieht, besteht im Versuch, geistige und psychologische Vorgänge, die in hohem Maß mit Wertung und Bewertung aufgeladen sind, sachlich als bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgende Prozesse zu beschreiben, wie es ja der Anspruch der science of man ist. Im Sinn einer gedanklichen Hilfskonstruktion führt er die Denkfigur eines „unparteiischen Beobachters [impartial spectator]“70 ein, eine gedachte intrapersonale Instanz, die selbst am Geschehen zwar unbeteiligt, aber mit dem „Gefühl für das sittlich Richtige“ ausgestattet ist.71 Dieser Beobachter ermöglicht es, sich in die Empfindungen der Mitmenschen hineinzuversetzen und so deren Handeln mit ihren Augen zu betrachten. Dazu muss er sich „gleichsam in zwei Personen“ teilen, nämlich in die des Richters und in die von jenem, dessen Handlung geprüft wird.72 Sympathie ist dabei 68 Es ist wichtig, auf die Bedeutungsverschiebung hinzuweisen, der der Sympathiebegriff im Deutschen seit dem 19. Jahrhundert ausgesetzt war. Siehe „sympathie“. In  : Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960)  : „[…] in der sphäre naturmystischer vorstellungen von einer geheimen physischen oder physiologischen verbindung zwischen körpern anorganischer oder organischer natur, vgl. ‚sympathie und antipathie in der natur (die verborgene), da etwas mit einem andern entweder überein stimmend oder widerlich ist‘ Ludwig t.-engl. (1716) 1931“. (Digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/dwb/sympathie (A.: 18. 1. 2019.) In der Gegenwartssprache ist die Bedeutung hingegen „Zuneigung, Wohlwollen, Geneigtheit“, und das ist nicht Smiths Begriffsverständnis. („Sympathie“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/Sympathie (A.: 18. 1. 2019.) 69 R. Brandt  : Erfahrung und Skepsis. 70 Smith versucht an keiner Stelle, diese Instanz des unparteiischen Beobachters zu definieren. So ist dessen wesentliche, aber auch einzige Eigenschaft eben die, unparteiisch zu sein oder, wie man präziser, aber auch sperriger sagen könnte, „frei von jeglichem Interesse zu sein – außer eben dem Interesse, frei von Interesse zu sein“. Smith übernimmt mit der Instanz des unparteiischen Beobachters unausgesprochen einen Gedanken, den bereits Hume im Treatise formuliert hatte  : „Nur wenn wir einen Charakter im allgemeinen ohne Beziehung auf unsere besonderen Interessen betrachten, erzeugt er das unmittelbare Gefühl oder Empfinden, auf Grund deren wir ihn als moralisch gut oder schlecht bezeichnen.“ D. Hume  : Traktat, II, S. 214. 71 A.  Smith  : Theorie  ; darin handelt der gesamte 1. Abschnitt des 1. Buchs, S. 5–31, von diesem „Gefühl für das sittlich Richtige“. Siehe ferner S. 57, 224, 272, 399 f., 429, 431, 433, 504 und 556. 72 In der Theory erklärt Smith die Vorgehensweise dieses „unparteiischen Beobachters“ ganz genau  : „Wenn ich mich bemühe, mein eigenes Verhalten zu prüfen, wenn ich mich bemühe, über dasselbe ein Urteil zu fällen und es entweder zu billigen oder zu verurteilen, dann teile ich mich offenbar in all diesen Fällen gleichsam in zwei Personen. Es ist einleuchtend, daß ich, der Prüfer und Richter, eine Rolle spiele, die verschieden ist von

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das „Werkzeug“, dessen dieser unparteiische Beobachter sich bedient, um zu den eigentlichen Motiven der handelnden Person vorzudringen. Das Wesen und die Aufgabe dieser Smith’schen Gedankenfigur ist es, diese Motive gewissermaßen zu „objektivieren“  ; ihr Blick dringt durch die Oberfläche hindurch, durch den äußeren Anschein, den sich die handelnde Person gibt oder zu geben bemüht ist, und zu ihren „wahren“ Antrieben, also zur moralischen Basis ihres Handelns, vor. Was Smith mit der Eigenschaft der Unparteilichkeit zum Ausdruck bringen will, ist  : Der Standpunkt des unparteiischen Beobachters muss, um die Funktion einer moralischen Instanz erfüllen zu können, frei von jeglichen eigenen Interessen sein.73 Zur Illustration der Wirkweise seines Sympathie-Systems spielt Smith dieses an zahlreichen Beispielen durch, und zwar in drei unterschiedlichen Settings  : – Der unparteiische Beobachter betrachtet eine handelnde Person.74 – Der unparteiische Beobachter betrachtet eine Person, die sich einer Handlung gegenübersieht.75 – Der unparteiische Beobachter betrachtet die eigne als die handelnde Person, d. h. Subjekt und Objekt der Betrachtung fallen zusammen.76 Der unparteiische Beobachter ist in diesem Fall also identisch mit der handelnden Person, und so sagt Smith  : „Wir bemühen uns, unser Verhalten [selbst] so zu prüfen, wie es unserer Ansicht nach irgendein anderer gerechter und unparteiischer Zuschauer prüfen würde.“77 Der für Smiths Konzeption78 bedeutendste Aspekt ist der letztgenannte  : Es geht nämlich in erster Linie um die Bewertung des eigenen Verhaltens. Man wird nicht fehlgehen, jenem anderen Ich, nämlich von der Person, deren Verhalten geprüft und beurteilt wird. Die erste Person ist der Zuschauer, dessen Empfindungen in bezug auf mein Verhalten ich nachzufühlen trachte, indem ich mich an seine Stelle versetze und überlege, wie dieses Verhalten mir wohl erscheinen würde, wenn ich es von diesem eigentümlichen Gesichtspunkt aus betrachte. Die zweite Person ist der Handelnde, die Person, die ich im eigentlichen Sinne mein Ich nennen kann, und über deren Verhalten ich mir – in der Rolle eines Zuschauers – eine Meinung zu bilden such[e]. Die erste ist der Richter, die zweite die Person, über die gerichtet wird.“ A.  Smith  : Theorie, S. 181 (Hervorh. übern.). 73 Dass dieser unparteiische Beobachter auf der Grundlage des moralischen Wertesystems der beobachtenden Person agiert und damit an der Grenze der geforderten Objektivität angelangt ist, übergeht Smith – oder er bemerkt es nicht, wie es die folgende Aussage eher vermuten lässt  : „Da wir keine unmittelbare Erfahrung von den Gefühlen anderer Menschen besitzen, können wir uns nur so ein Bild von der Art und Weise machen, wie eine bestimmte Situation auf sie einwirken mag, daß wir uns vorzustellen suchen, was wir selbst wohl in der gleichen Lage fühlen würden.“ A. Smith  : Theorie, S. 5 f. 74 A.  Smith  : Theorie, u. a. S. 107 f. (Gefühl der Dankbarkeit und Vergeltung), S. 125 (Wohltätigkeit und Gerechtigkeit), S. 175 (nicht intendiertes Ergebnis einer Handlung). 75 Ebd., u. a. S. 160 (Bewertung einer Bestrafung), S. 169 (Bewertung eines Aktes der Vergeltung). 76 Ebd., S. 136, S. 183 (Selbstbewertung einer Handlung oder eines Verhaltens), S. 145 (Selbstbewertung von Empfindungen), S. 178 (Selbstbilligung und Selbstmissbilligung), S. 186, S. 189 (Selbstbewertung von Beweggründen). 77 Ebd., S. 178. 78 Eine zur obigen Darstellung alternative, anschauliche Charakteristik von Smiths Konzeption des unpartei­

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wenn man daher diese Bewertung der Handlungen anderer so betrachtet, als diente sie lediglich dem „Training“ des unparteiischen Beobachters. Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Verständnis, dass der unparteiische Beobachter durch seine Zustimmung zu – oder auch seine Ablehnung gegenüber – Handlungen nicht unmittelbar diese selbst (im Sinn ihrer Nützlichkeit – ein Gedanke, den Hume ins Spiel gebracht hatte79) beurteilt, sondern lediglich die inneren Beweggründe, die zu ihnen führen.80 Es findet also eine Betrachtung aus zwei verschiedenen Blickwinkeln statt. Smith unterscheidet folgerichtig zwischen einer „Gerichtsbarkeit des ‚äußeren‘ Menschen“, die sich am tatsächlich erfolgten Zuspruch oder Tadel der Außenwelt orientiert, und einer „Gerichtsbarkeit des ‚inneren‘ Menschen“, die im Zug einer Selbstbewertung das Urteil darüber spricht, ob eine Handlung wirklich als lobenswert oder tadelnswert anzusehen sei.81 Mit dem „inneren Menschen“ ist die Vorstellung des moralischen Werts einer Handlung verknüpft, nämlich – und das führt zurück zur Ausgangsthematik dieses Abschnitts – ihr Grad an „Tugendhaftigkeit“  ; im Urteil des äußeren Menschen hingegen bemisst sich lediglich der nach außen hin wahrnehmbare Handlungserfolg, der gleichgesetzt werden kann mit dem Grad der Übereinstimmung mit den gesellschaftlichen Erwartungen. Ballestrem spricht im Zusammenhang mit dieser Vorstellung der „Gerichtsbarkeiten“ von einem Modell von „Instanzen“, die bei der Bewertung einer Handlung „Grade der Objektivität“ verkörperten.82 Smith, der Deist, hatte dieses Modell noch weiter ausgearbeitet, nämlich als höchste Instanz den „allweisen Schöpfer der Natur“ eingeführt, dem die wahren Motive nicht verborgen blieben.83 Doch die Funktionalität dieses Modells geht über die moralische Bewertung von Handlungsmotiven, wie diese eine normative „Tugend- und Pflichtenlehre“ angestrebt hätte, unverkennbar hinaus. Das wird deutlich, ischen Beobachters bietet K. G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 61. Er führt aus  : „[Smith] unterscheidet zwischen einer Person, die fühlt und handelt (the person principally concerned), und einem Zuschauer, der fühlt und urteilt (the spectator). Die Person erscheint entweder als passiv oder als aktiv, d. h. ihr widerfahren Ereignisse oder es gehen Ereignisse von ihr aus.“ 79 In den Prinzipien der Moral schreibt Hume ganz in diesem Sinn  : „Der Gedanke, daß unser Lob der sozialen Tugenden auf deren Nützlichkeit beruht, scheint so natürlich zu sein, daß man erwarten würde, dieses Prinzip bei jedem moralischen Schriftsteller als das Hauptfundament seines Denkens und seiner Untersuchung anzutreffen.“ D.  Hume  : Moral (K.), S. 48 (Hervorh. HK). – Dem hält Smith entgegen, man werde „bei näherer Prüfung finden, daß die Nützlichkeit einer Gesinnung selten den ersten Grund unserer Billigung derselben bildet, und daß die Empfindung der Billigung immer ein Gefühl von der sittlichen Richtigkeit dieser Gesinnung in sich enthält, das von der Wahrnehmung ihrer Nützlichkeit ganz verschieden ist.“ A. Smith  : Theorie, S. 303 f. 80 Die nachfolgend zitierte Stelle, an der Smith dies deutlich macht, ist nur eine unter vielen in der Theory, an denen dieser Gedanke zum Ausdruck gebracht wird  : „Wir sympathisieren also nicht schon darum mit der Dankbarkeit eines Menschen gegen einen anderen durchaus und von ganzem Herzen, weil dieser andere der Urheber des Glücks jenes Menschen gewesen ist, sondern nur dann, wenn er dieses Glück aus Beweggründen herbeigeführt hat, denen wir ganz und gar zustimmen können.“ A. Smith  : Theorie, S. 114 (Hervorh. HK). 81 Ebd., S. 205 f. 82 K.  G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 81. 83 A.  Smith  : Theorie, S. 205.

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wenn Smith ein mögliches Schwankend-Werden der Selbstbewertung in solchen Fällen beschreibt, in denen sie mit der Fremdbewertung nicht mehr übereinstimmt  : „Der von uns in Gedanken vorgestellte unparteiische Zuschauer unseres Verhaltens scheint seiner Meinung zu unseren Gunsten nur mit Furcht und Zögern Ausdruck zu geben […], wenn die Meinung aller derjenigen, mit deren Augen und von deren Standort aus er unser Verhalten anzusehen trachtet, einhellig und entschieden gegen uns ist.“84 Man sieht in diesem Bild den mahnenden Zeigefinger, denn das, was Smith hier umschreibt, ist das Faktum sozialen Drucks. Auf welche Weise nun wird geregelt, wie mit diesem umzugehen ist  ? 11.2.3 Die Doppelfunktion  : ethisches Bewertungskriterium und Instrument sozialer Kontrolle

Zunächst ist festzuhalten, dass die Instanz des unparteiischen Beobachters also in Wirklichkeit eine Doppelfunktion innehat  : Er nimmt neben der moralischen Bewertung von Handlungen und Beweggründen auch eine solche ihrer gesellschaftlichen Angemessenheit vor. Damit steht er nicht nur im Dienst des Individuums und dessen Bestrebens, moralisch „richtig“ zu handeln, sondern auch im Dienst der Gesellschaft, die abweichendes Verhalten missbilligt, sanktioniert und zu eliminieren versucht. Der unparteiische Beobachter ist also auch eine Instanz sozialer Kontrolle.85 Damit stellt Smith das menschliche Handeln in den Rahmen eines Rückkopplungssystems  : Der unparteiische Beobachter bewertet die Handlungen nicht nur im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit den Normen der Gesellschaft, sondern auch entsprechend der ihnen zugrunde liegenden Beweggründe des Individuums. Diese Bewertungen dienen der Moderation und Modifikation von dessen Handeln im Hinblick auf ihre Konformität mit den Regeln des gesellschaftlichen Verkehrs. Sie tun dies zwar nicht ausschließlich, aber es gehört doch unverkennbar zu ihren Aufgaben. Die Tatsache, dass in diesem Zusammenhang von Motiven die Rede ist, bedeutet ein Vordringen psychologischer Gesichtspunkte in das Regelsystem der Ethik, und diesen Kriterien gesteht Smith eine große Bedeutung zu. Zwar geht er davon aus, dass es für die Aufrechterhaltung der Ordnung in einem Gemeinwesen ausreiche, wenn seine Bürger – aus welchen Beweggründen auch immer – die bestehenden Gesetze befolgten. Doch er scheint diesem „Frieden aus Gehorsam“ insgeheim zu misstrauen, denn er sucht ihn zusätzlich zu stabilisieren, indem er ihn auf ein Fundament stellt, das sich als „Normenkonformität aus innerem (psychologischem und ethischem) individuellen Antrieb“ heraus beschreiben lässt. So handelt ein ganzer Textabschnitt im dritten Teil der Theory vom „Verlangen nach Lob und dem Verlangen nach Lobenswürdigkeit“ im Sinn einer festen anthropologischen 84 Ebd., S. 207. 85 Allerdings ist der Begriff der Kontrolle mehrdeutig und spielt gerade in seiner Mehrdeutigkeit im beide großen Schriften umfassenden System Smiths seine wichtige Rolle.

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Gegebenheit im Menschen, die ihn dazu bewege, nach den Maßstäben der Gesellschaft „richtig“ zu handeln. Smith sagt, es sei nicht allein der Wunsch, gut zu erscheinen, sondern auch der Wunsch, gut zu sein.86 Sucht man nach Anzeichen für eine Zuversicht Smiths in die Entwicklung der zivilisierten Bürgergesellschaft, so kann man hier ein solches finden. Was er nämlich en passant zum Ausdruck bringt – möglicherweise, ohne dass ihm dies zu Bewusstsein gekommen sein mag, denn er thematisiert diesen Sachverhalt nicht weiter –, ist die doppelte Funktionalität des unparteiischen Beobachters als ein ethisches Bewertungskriterium und gleichzeitig als ein Instrument sozialer Kontrolle. So kann das Individuum einerseits durch Introspektion, bei der die Handlungsmotive bewertet werden, ein die Gesellschaft schädigendes Verhalten der – inneren – Anklage aussetzen. Zudem löst der unparteiische Beobachter einen Mechanismus der impliziten Handlungsmoderation aus, der einem zu starken In-den-Vordergrund-Drängen eigennütziger individueller Interessen entgegenwirkt, da diese den moralischen Bewertungen, wenngleich nicht zwingend untergeordnet, so doch zumindest ausgesetzt werden. Das Prinzip der Sympathie dient ja keineswegs nur einem bloßen Sich-hinein-Versetzen in die Gefühlslage anderer, sondern es erzeugt auch ein „Gefühl für die Interessen seiner Mitmenschen […], das die Grundlage der Gerechtigkeit und der Gesellschaft überhaupt bildet“.87 Smiths Überlegungen zur sozial regulativen Funktion der Denkfigur des unparteiischen Beobachters stehen keineswegs im Zentrum seiner Theory  ; dieser Hinweis erübrigt sich nahezu. Das Werk ist vielmehr das, was es seinem Motto zufolge ausdrücklich sein will  : der „Versuch einer Analyse der Prinzipien, mittels welcher die Menschen naturgemäß zunächst das Verhalten und den Charakter ihrer Mitmenschen, dann von sich selbst beurteilen.“88 Das ist eine ethische Studie aus einer deutlich zutage tretenden psychologischen Perspektive und keineswegs eine soziologische Analyse der zeitgenössischen Gesellschaft, selbst wenn sie der Bedeutung gesellschaftlicher Aspekte durchaus Rechnung trägt. Welchen Stellenwert hat dieser Ansatz in der Geschichte der angelsächsischen Moralphilosophie  ? Indem Smith das Prinzip der Sympathie einführt (und sich dabei an ­Humes Wortgebrauch anlehnt89), löst er sich von der Vorstellung eines moral sense, der 86 Es habe nämlich die Natur den Menschen „nicht nur mit dem Verlangen begabt, gelobt und gebilligt zu werden, sondern auch mit dem Verlangen, so zu sein, daß er gelobt werden sollte, oder so zu sein, wie er selbst es an anderen Menschen billigt. Das erste Verlangen hätte nur den Wunsch in ihm erwecken können, für die Gesellschaft geeignet zu scheinen [made him wish to appear to be fit for society]. Das zweite war notwendig, um ihn zu einem Menschen zu machen, der eifrig bemüht ist, wirklich für die Gesellschaft tauglich zu sein [in order to render him anxious to be really fit].“ A.  Smith  : Theorie, S. 187 f. – OT.: ders.: Theory, p. 117, III.ii|7 (Hervorh. HK). 87 A.  Smith  : Theorie, S. 166. 88 “An Essay towards an Analysis of the Principles by which Men naturally judge concerning the Conduct and Character, first of their Neighbours, and afterwards of themselves.” So lautet der Untertitel der 6., noch zu Smiths Lebzeiten erschienenen Auflage, London 1790 (Übersetzung  : K. G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 58). 89 D.  Hume  : Traktat, II, S. 48  : „Keine Eigenschaft der menschlichen Natur ist, sowohl an sich, als auch in ihren Folgen bedeutsamer als die uns eigentümliche Neigung, mit anderen zu sympathisieren, und auf dem

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von Shaftesbury oder Hutcheson als eine „von Natur aus“ vorhandene Anlage des Menschen ins Spiel gebracht worden war. Auf die Denkfigur des unparteiischen Beobachters trifft dies nicht zu  ; dieser nämlich ist keine – passive – Anlage im Sinn eines Erkenntnisinstruments, sondern ein – agierender – Bewertungsmechanismus im Dienst eines Erkenntnisvorgangs. Er ist kein „Sinn“, sondern eine durchgeführte Verstandesleistung. Allerdings rückt dabei das Wesen dieser Erkenntnis in den Blickpunkt  : Gewinnt sie der Verstand weitgehend allein und selbstständig, oder ist sie affektiver Art, also auf Gefühlsbewegungen zurückzuführen  ? Man braucht an dieser Stelle nicht auf den Streit zwischen Psychologie und Neurowissenschaften einzugehen, ob menschliches Verhalten nun angeboren, durch Erziehung geformt oder gar physiologisch determiniert sei. Vielmehr mag hier die Feststellung genügen, dass Smith sich zwischen beiden Erklärungsansätzen bewegt, denn die Sympathie selbst ist zwar als eine dem Menschen gegebene Fähigkeit zu betrachten, jedoch führt sie erst über eine vom Verstand zu erbringende Bewertungsleistung zu einem Ergebnis, eben zum moralischen Urteil. Der Fähigkeit zur Sympathie kommt im Rahmen dieses Modells lediglich die Bedeutung einer Voraussetzung zu. 11.2.4 Die Tugend der Klugheit  : unmittelbare Kontingenzbewältigung

Smith müssen wir uns als einen ergebnisorientierten Denker vorstellen. Die Theory ist über weite Strecken durchaus auch eine Tugendlehre, wenngleich eine solche, die im Gewand einer empirischen Untersuchung menschlichen Handlungsvermögens und menschlicher Handlungsweisen auftritt. Wenn er sich mit den Tugenden auseinandersetzt, so geschieht dies zumeist mit dem Blick dessen, der die menschlichen Fähigkeiten als Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten betrachtet. Es ist dies eine Zielrichtung, die den Mittelweg sucht zwischen der Deskription, die herausarbeitet, was ist, und dem normativen Anspruch, der formuliert, was sein soll. Das Augenmerk gilt zuletzt sehr deutlich dem, was sein kann, und an einer Stelle in der Theory wird deutlich, wie sehr gerade das Zurechtkommen-Wollen mit der Unverfügbarkeit zukünftigen Geschehens, der Anspruch, Kontingenz zu bewältigen, ein Generalthema in Smiths Denken ist. An keiner Stelle wird dies deutlicher als dort, wo es ihm um die Erklärung dessen geht, was er für die wirkliche Bedeutung der Klugheit hält, die er eine Tugend nennt  : „Darum ist Sicherheit das erste und hauptsächliche Ziel der Klugheit. Sie ist immer dagegen, daß wir unsere Gesundheit, unser Vermögen, unseren Rang oder unser Ansehen irgendeiner Art von Zufall oder Gefahr aussetzen. Sie ist eher behutsam als unternehmungslustig, sie ist eifriger darauf bedacht, uns die Vorteile zu erhalten, die wir bereits besitzen, als uns zum Erwerb neuer, noch größerer Vorteile anzuspornen. Die Wege, die sie uns in erster Linie empfiehlt, um Wege der Mitteilung deren Neigungen und Gefühle, auch wenn sie von den unseren noch so verschieden, ja denselben entgegengesetzt sind, in uns aufzunehmen.“ (Hervorh. HK)

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unsere Lage zu verbessern, sind solche, die uns keinem Verlust oder Zufall aussetzen  : wirkliches Wissen und Geschicklichkeit in unserem Gewerbe oder Beruf, Emsigkeit und Fleiß in dessen Ausübung, Sparsamkeit oder selbst eine gewisse Kargheit in allen unseren Ausgaben.“90

Diese Auffassung von Tugend, die eine so verstandene Klugheit in den Blick nimmt, zielt offensichtlich auf Vorausschau im Hinblick auf das Handeln. Zwar ist es nicht zwingend, in dieser Perspektive Smiths den zentralen Aspekt seiner Überlegungen zur Tugend zu sehen, doch fraglos ist damit die Bedeutung der oben gestellten Frage nach dem Wesen seiner Moralphilosophie – Tugendlehre oder „wirkliche“ Theorie  ? – relativiert. Denn geht es hier nicht allzu deutlich auch um die gewissermaßen „praktische“ Überlegung  : Wie kann der Mensch, dem so viele der tieferen Zusammenhänge der Welt verborgen sind und es vielleicht für immer bleiben werden, mit dem, was er dennoch in Erfahrung bringen kann, sich in Sicherheit bringen  ? Ohne Bewertungssystem und -maßstäbe gibt es keine Bewertung. All die von Smith beschriebenen Bewertungsanstrengungen nun, die der unparteiische Beobachter unternimmt, sind, auf der Grundlage eines impliziten Inventars von Werten, auf den er Bezug nehmen kann, der „Maßstab, mittels dessen man die Angemessenheit oder Schicklichkeit der Neigungen bestimmen oder beurteilen“ kann. Für den unparteiischen Beobachter gilt also beides  : Er beruht auf Wertvorstellungen und er bringt sie auch hervor. Denn des Weiteren führt Smith aus  : „Jener genaue und klare Maßstab kann nirgends anders gefunden werden als in den sympathetischen Gefühlen des unparteiischen und wohl unterrichteten Zuschauers.“91 Letzterer liefert folglich den Orientierungsrahmen – vielmehr  : er ist geradezu dieser Rahmen –, durch den der Begriff der Tugend (virtue) bestimmt wird. Virtue lässt sich in diesem Kontext möglicherweise besser mit „Vortrefflichkeit“ übersetzen, da auf diese Weise der komparative Aspekt – Vor-Trefflichkeit, also ein aus der Masse herausragender Status, ein in besonderer Weise hervorzuhebendes Verhalten – deutlicher in den Vordergrund gerückt wird. Für die Tugend gilt wie selbstverständlich, dass sie das Urteil eines hohen Wertes darstellt, und ihre Bedeutung besteht in der dem innewohnenden Leitbildfunktion.92

11.3 Adam Ferguson

An diesem Punkt tritt nun allerdings eine charakteristische Trennlinie zwischen den führenden Denkern der Schottischen Aufklärung zutage, denn während Hume vor allem im 90 A.  Smith  : Theorie, S. 345. 91 A.  Smith  : Theorie, S. 479. 92 Bereits Smith hatte in der Theory im Sinn einer dahin gehenden Definition gesagt  : „Tugend ist eine hervorragende Trefflichkeit [excellence], etwas ungewöhnlich Großes und Schönes, das sich weit erhebt über alles, was gemein und gewöhnlich ist [which rises far above what is vulgar and ordinary].“ A. Smith  : Theorie, S. 34. – OT.: ders.: Theory, p. 25, I.i.5|6 (Hervorh. HK).

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Treatise und Smith in der Theory den Tugendbegriff in seinem Herkommen, in seinem Wesen und hinsichtlich seiner psychologischen Facetten analysieren, stehen bei Ferguson die normativen Aspekte – Was kann und soll individuelle Tugend für den Zusammenhalt der Gesellschaft leisten  ? – im Vordergrund. 11.3.1 Traditioneller versus ‚moderner‘ Blick auf die Tugend

War Humes Standpunkt nämlich derjenige der sich konstituierenden science of man, die zeigen will, wie die Abläufe im Menschen „funktionieren“, und beschrieb Smith mit der Denkfigur des unparteiischen Beobachters einen Bewertungsmechanismus für tugendhaftes Verhalten, so hing Ferguson noch deutlich dem Gedanken der besagten „Ethik im herkömmlichen Sinn von ‚Tugend- und Pflichtenlehren‘“ (Ballestrem) an und suchte darzulegen, was unter „richtigem Handeln“ zu verstehen sei. Das antike Tugendideal, das die Bedeutung des für das Gemeinwohl eintretenden Bürgers hervorhebt, ist dabei sein Bezugspunkt.93 Gerade in der Gegenüberstellung von Hume und Ferguson zeigt sich nun eine ideengeschichtliche Dynamik, und es deutet sich an, in welche Richtung sich die Moralphilosophie entwickeln sollte. Dass Humes – wenn wir es so nennen wollen – „modernere“ Sicht jener eher herkömmlichen Fergusons hier zeitlich vorausgegangen ist,94 führt das Gesagte nicht ad absurdum. Ferguson strebt nach klaren Definitionen. Er erklärt in seiner Analysis of Pneumatics sein noch der moralphilosophischen Tradition verpflichtetes Verständnis des Gegensatzes von Wissenschaft (physical science – „das Wissen darüber, was ist“) und Philosophie (moral science – „das Wissen darüber, was sein sollte“).95 In Letzterem kommt der Standpunkt einer normativen Ethik explizit zum Ausdruck  : „Ein Grundsatz in der moralischen Wissenschaft ist eine Wahrnehmung von Gut oder Böse, die dazu dient, die Entscheidung in einer Vielzahl von Situationen zu lenken.“96 Für Ferguson steht die Frage nach dem richtigen Verhalten im Vordergrund, nicht diejenige nach dem Verfahren, wie dessen Richtigkeit ermittelt werden kann. Hume hingegen hatte sich der Beschreibung desjenigen Mechanismus zugewandt, der derlei Verhaltensentscheidungen bewirkt und ihr Zustandekommen erklärt, und damit den Gegenstand der Moralphilosophie in einen Bereich verschoben, den Ferguson wohl weniger der Philosophie, sondern vielmehr der „Wissenschaft“ zugewiesen hätte. Für diese nämlich gelte  : „Ein Prinzip in der Wissen93 In diesem Sinn formulieren auch Batscha/Medick  : Einleitung, S. 63  : „Nun ist Fergusons Ideal sicher die Reaktivierung der antiken Tugend (‚virtue‘), da er in der aktiven und konfliktfreudigen Teilnahme der Bürger die angemessenste Form politischen Handelns sieht.“ 94 Hume veröffentlichte seinen Treatise of Human Nature 1739/40, Fergusons Institutes of Moral Philosophy erschienen 1769, seine Principles of Moral and Political Science erst 1792. Smiths Theory of Moral Sentiments, die im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht, erschien erstmals 1759, liegt also zeitlich zwischen den genannten Schriften der anderen beiden Autoren. 95 A.  Ferguson  : Analysis of Pneumatics and Moral Philosophy, p. 5 (e. Ü.). 96 Ebd. (e. Ü.).

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schaft [physical science] ist eine bekannte Tatsache [some known fact], die dazu dient, die verschiedenen Erscheinungsformen zu berücksichtigen, die als ihre Auswirkungen oder Folgen betrachtet werden.“97 Wie sich in der Frage der künstlichen Tugenden gezeigt hat, geht es Hume um die Erscheinungsformen, mehr noch aber um deren Auswirkungen. Das ist Fergusons Blickrichtung nicht. Eine ausdrückliche Erklärung, wie Tugend sich ihren Weg zur Handlungsauslösung des Individuums bahnt, hält er nicht bereit. Vielmehr erläutert er, was wir unter dieser Tugend zu verstehen haben und welches Spektrum an Handlungen ihr zugeordnet sind. Das ist insofern bemerkenswert, als es sich bei diesem Begriff der Tugend um einen solchen handelt, der in der Zeit als so vollkommen geläufig angesehen werden darf, dass Hume und Smith ihn, wie eingangs dieses Kapitels bereits ausgeführt, mit großer Selbstverständlichkeit verwenden, ohne ihn wirklich definiert zu haben. Anders Ferguson  : Dieser kommt zwar Hume in dessen intellektueller Gewandtheit als innovativer Theoretiker nicht gleich und steht auch hinter Smiths Argumentation zurück, die ihre Anschaulichkeit ihren lebendigen Szenarien und ihrem enormen Reichtum an Beispielen verdankt, doch er ist ein Denker, der mit profunder Systematik vorgeht. Zu dieser gehören exakte Definitionen, also semantische Kompetenz, und darüber verfügt er in einem hohen Maß. Was er in seinen Institutes über den Begriff der virtue an definitorischer Präzision zu bieten hat, ist in der Schottischen Aufklärung ohne Beispiel.98 Man kann seine dort dargebotenen Bestimmungen des Begriffs als grundlegend und für die Zeit als allgemein verbindlich ansehen. Seine Vorgehensweise rechtfertigt es deshalb, etwas eingehender betrachtet zu werden. Ausgehend von den allgemeinen Begriffsdefinitionen, sagt Ferguson, zusammengefasst, das Folgende  : Tugend ist an Handlungen gebunden  ; die Menschen wünschen für sich persönliche Vollkommenheit (“being desirous of personal excellencies”) und empfinden Befriedigung in tugendhaften Handlungen (“actions that tend to the purposes of virtue”).99 Tugend aber ist eine Befähigung der Seele (“a qualification of the mind”). Das füllt den Terminus noch kaum mit Inhalt  ; da jedoch „der Begriff ‚Tugend‘ in jeder Sprache gleichbedeutend […] mit allen erforderlichen Effekten und Erscheinungen dieser Qualifikation“ sei, ließen sich folgende vier Hauptbestandteile (“four capital branches”) der Tugend benennen, nämlich Gerechtigkeit (auch  : Rechtschaffenheit), Klugheit, Mäßigung und Mut (“Justice or Probity, Prudence, Temperance, and Fortitude100”). Nähere  97 Ebd. (e. Ü.).  98 Es darf dabei allerdings nicht übersehen werden, dass es sich bei den Institutes um ein Lehrbuch für den akademischen Betrieb handelt, nicht um eine für die Verständigung mit Kollegen konzipierte philosophische Abhandlung im strengen Sinn. Berücksichtigung verdient auch die Tatsache, dass das Werk immerhin erst drei Jahrzehnte nach Humes Treatise auf den Markt kam.  99 A.  Ferguson  : Institutes, p. 219 (e. Ü.). 100 Dass hier den Begriff fortitude, eben Tapferkeit, fällt, verdeutlicht den engen Bezug zur Thematik der Landesverteidigung – Miliz oder stehendes Heer –, der in Fergusons Überlegungen eine bedeutende Rolle spielt. F. Oz-Salzberger  : Introduction, p. X, bringt diesen Aspekt ausdrücklich zur Sprache  : “More than

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Erläuterungen folgen  : Unter der Gerechtigkeit versteht Ferguson den „Respekt vor den Rechten und dem Glück der Menschheit“  ; Klugheit ist die menschliche Fähigkeit, den Wert der Zwecke und die Eignung der Mittel zu ihrer Erlangung (“the value of ends, and the fitness of means”) zu unterscheiden  ; Mäßigung bedeutet das Sich-Fernhalten von niederen Vergnügungen, die die (wertvollen) Bestrebungen der Menschen in die Irre leiten  ; und Mut ist das Vermögen, sich Widrigkeiten, Schwierigkeiten und Gefahren zu widersetzen.101 Hier finden sich also alle Vorzüge des Individuums versammelt, die geeignet sind, die Gesellschaft zu stabilisieren  : individuelle Zielstrebigkeit, im Zaum gehalten durch die Einsicht in die Notwendigkeit zur Zurückhaltung, dazu die Verpflichtung auf die Bereitschaft, sich selbst und das gemeinsame Ganze notfalls zu verteidigen. 11.3.2 Unterordnung, Loyalität  : die Funktion der Tugend

Man erkennt hier das Bestreben, den wie selbstverständlich verwendeten Tugendbegriff nicht nur in seinem Bedeutungsinhalt präziser zu fassen, sondern ihn auch in seiner gesellschaftlichen Funktion zu reflektieren. Deshalb gliedert Ferguson das, was für ihn Tugend ist, immer weiter auf – die Pflichten der Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit in private und öffentliche (private or public), die privaten Pflichten wiederum in Ehrlichkeit, Offenheit, Frömmigkeit, Freundschaft, Dankbarkeit usw. Die öffentlichen Pflichten („des rechtschaffenen Mannes im Hinblick auf den Staat“) seitens der Untertanen (on the part of the subject) sieht er in Treue und Gehorsam, diejenigen seitens der Obrigkeit (magistrate) im Schutz, diejenigen seitens der Gemeinschaft (all parties) im Gemeinsinn (public spirit).102 Zu diesem Verfahren der Begriffsdifferenzierungen, bei dem es um die Wortbedeutung geht, tritt nun auch der Anspruch hinzu, zu klären, worin die Funktion der Tugend besteht. Wäre Ferguson unter den schottischen Denkern der Erste gewesen, der diesen Ansatz gewählt hätte, so ließe sich annehmen, beispielsweise Hume und Smith hätten sich auf ihn bezogen. Doch so verhält es sich nicht  ; vielmehr ist Ferguson wohl derjenige, der diesen üblicherweise – und zwar sehr wohl auch von den Genannten – verwendeten Tugendbegriff explizit streng definiert und auf diese Weise gewissermaßen post festum Klarheit in das diesbezügliche Begriffsverständnis der Schottischen Aufklärung bringt. Das soll heißen  : Was Ferguson unter Tugend versteht und begrifflich fixiert, dürften zuvor bereits sehr wahrscheinlich auch Hume und Smith darunter verstanden haben. Dennoch lassen sich auch hier Diskrepanzen zwischen den Autoren feststellen. Man darf Pococks Einschätzung folgen, der Begriff der Tugend sei als „der aussagekräftigste für Gleichgewicht, Gesundheit und bürgerliche Persönlichkeit verwendet“ worden.103 any other thinker of the Scottish Enlightenment, Ferguson was to insist on military valour as a cornerstone of civic virtue.” – Siehe hierzu in der vorliegenden Untersuchung den Abschnitt 12.2 („Adam Ferguson und die Miliz-Frage  : Schule der Tugend“). 101 A.  Ferguson  : Institutes, pp. 221–223. 102 Ebd., p. 229. 103 J. G. A. Pocock  : Virtue and Commerce in the Eighteenth Century, p. 121.

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Wenn Ferguson nun die staatsbürgerlichen Tugenden in den Blick rückt – die zweifellos „Untertanentugenden“ sind –, so konturiert er damit ein Bild der Gesellschaft, in dem das Individuum dem Gemeinwesen im Wortsinn eben untertan ist. Denn was die Formel, der Bürger schulde dem Staat „Treue und Gehorsam“, eigentlich zum Ausdruck bringen soll, ist eine bestimmte Form von Loyalität – Ferguson spricht von einem public spirit – gegenüber dem Gemeinwesen. Diese Loyalität äußert sich sowohl in der getreuen Erfüllung aller Pflichten, die dem Individuum im Dienst des allgemeinen Wohls übertragen wurden (“faithful discharge of any office intrusted for the public good”), als auch in einem beständigen In-den-Vordergrund-Stellen (“continual preference”) der öffentlichen Sicherheit und des Gemeinwohls, um diese vor privaten Interessen und parteiischen Erwägungen (“to separate interests, or partial considerations”) zu schützen.104 Gerade die letztgenannte Feststellung muss auffallen  ; sie ist im Kontext der Schottischen Aufklärung von einiger Tragweite.105 Fergusons Verständnis von Tugend ist das von einem Ideal – ist sie gewährleistet, floriert das Gemeinwesen, aber es bricht zusammen, wenn sie fehlt. Pocock spricht in diesem Zusammenhang von einem „statischen“ Ideal.106 Tugend ist eine individuelle, zumindest an Personen gebundene Eigenschaft. Gemeinschaften von Individuen, also auch Staaten, können nicht tugendhaft sein, sondern lediglich aus tugendhaften Mitgliedern bestehen. Wen Ferguson allerdings mit diesen Individuen im Auge hat, ist somit näherer Betrachtung wert. Denn die im Zusammenhang mit der Beschreibung des historischen und politischen Kontextes getroffene Feststellung, dass im England des 18. Jahrhunderts „Politik von wenigen zum Nutzen weniger gemacht“ worden sei,107 sie trifft im vollen Umfang auch auf Schottland zu. Somit liegt es nahe, Fergusons Appell an die Bürgertugenden als einen solchen zu lesen, den er an die tatsächlichen Akteure der schottischen Politik richtet, nämlich an den Adel und an eine gebildete und/oder ökonomisch dominierende Oberschicht.108 Jedenfalls lässt Ferguson keinen Zweifel daran, dass es eben die Tugend der Individuen ist, die die Gesellschaft trägt und stabil hält. Damit erkennt er dem Individuum eine gänzlich andere Funktion im Staat zu, als Smith und auch Hume. Insbesondere Smith setzt ja 104 A.  Ferguson  : Institutes, p. 229. 105 Siehe den Abschnitt 10.3 („Das Interesse“). 106 J. G. A. Pocock  : Virtue and Commerce in the Eighteenth Century, p. 121  : “Since the former [nämlich “virtue”] was essentially a static ideal, any change was likely to threaten corruption, and degeneration was likely to prove uncheckable.” 107 Siehe den Abschnitt 4.1 („Der historische und politische Kontext“). 108 So sagen Batscha/Medick  : Einleitung, S. 14, von der „frühen schottischen Sozialwissenschaft“, sie habe „die unmittelbaren Adressaten und Schutzpatrone der schottischen Intelligenz, die agrarkapitalistisch wirtschaftende Gentry und den Hochadel des eigenen Landes daran [erinnert], nicht einfach ein älteres feudales Selbstinteresse durch ein moderneres kommerzielles zu ersetzen. Vielmehr sollten sie ihre angestammte Rolle als herrschende Klasse durch die aktive Praxis einer politischen, sozialen und kulturellen Hegemonie behaupten, welche den älteren ‚Werten‘ und den neuen sozialökonomischen ‚Realitäten‘ zugleich Rechnung trug.“

Adam Ferguson |

auf das – wie auch immer in Schach zu haltende – lebhafte Eigeninteresse des Einzelnen, das ihm als Triebkraft der gesellschaftlichen, weil ökonomischen Entwicklung gilt.109 Ferguson hingegen behält die gewissermaßen traditionelle Perspektive bei, gerade in diesem Eigeninteresse liege die Gefahr für den Niedergang (corruption) der Gemeinschaft  ; bereits im Essay findet sich diese Überzeugung ausdrücklich formuliert. Er sagt hier nämlich, dass es das Individuum dem Ganzen schuldig sei, sein Eigeninteresse – selbst  ! – in Zaum zu halten. Ein solches Verhalten entspricht seiner Vorstellung von Tugendhaftigkeit  : „Wir haben bereits bemerkt, daß es das Glück des Individuums ausmacht, für sein Verhalten die richtige Wahl zu treffen, daß diese Wahl ihn [sic  !] dazu bringen wird, in der Gesellschaft anderer das Gefühl für sein persönliches Interesse zu verlieren und in der Erwägung dessen, was er [sic  !] dem Ganzen schuldig ist, auch jene ängstlichen Sorgen zu unterdrücken, die sich auf ihn [sic  !] selbst als einen bloßen Teil beziehen.“110

Es ist die Hoffnung auf Tugenden wie diese, die Fergusons Zuversicht tragen. Der Gegensatz zu den vergleichsweise sachlichen, wenngleich nicht kühlen Analysen Humes und Smiths fällt deutlich ins Auge.111 Und noch in einer weiteren Hinsicht unterscheidet sich Fergusons Denkansatz von dem der beiden, nämlich darin, dass er die Tugend gewissermaßen aus einer entgegengesetzten Perspektive denkt. Während bei Hume, insbesondere aber bei Smith, der Wert bestimmter Tugenden genau untersucht und hervorgehoben wird, ist Fergusons Blick angezogen von deren Verschwinden, das er in einem Szenario mit düsteren Farben ausmalt. Sein Stichwort, das er sowohl auf das Individuum als auch auf den Staat anwendet, lautet „Korruption“, und seine ambivalente Haltung gegenüber der bürgerlichen, auf wirtschaftlichen Fortschritt ausgerichteten Gesellschaft zeigt sich in diesem Punkt überdeutlich. Mehrere Abschnitte des Essay handeln davon, wie die Entwicklung der auf kollektiven Wohlstand verpflichteten bürgerlichen Gesellschaft in ihr Gegenteil umschlagen kann, wenn die Staatsbürgertugenden erlahmen und das Individuum mit dem Erreichen der eigenen wirtschaftlichen Sicherheit das gemeinsame Ganze aus den Augen verliert.112 109 Siehe hierzu das auf S. 315 im Zusammenhang mit Smith über Interessen als Handlungsmotive Gesagte. 110 A.  Ferguson  : Versuch, S. 417 (Hervorh. HK). 111 Es gibt allerdings auch ein anderes Verständnis des Tugend-Themas in Fergusons Essay, das hier zumindest Erwähnung finden soll. So schreibt F. Oz-Salzberger  : Introduction, pp. 17–18  : „Der Essay ist eine Untersuchung des materiellen und moralischen Fortschritts von Gesellschaften, die eindeutig von Schottlands Zustand inspiriert ist […]. Ihre zentrale Frage betrifft den Platz und die Ersetzbarkeit der Bürgertugend im modernen Staat.“ (E. Ü.) – Einen Hinweis in dieselbe Richtung hatten zuvor bereits Batscha/Medick  : Einleitung, S. 13, gegeben, als sie sagten, es sei den schottischen Denkern darum gegangen, „ob und wie die aktiven Bürgertugenden einer ‚civil society‘ mit dem Reichtum, dem Luxus, aber auch der notwendigen Gerechtigkeit einer ‚commercial society‘ überhaupt vereinbar waren oder angesichts des Übergangs zur Moderne modifiziert und angepaßt werden mußten.“ 112 A.  Ferguson  : Versuch, S. 394  : „Derjenige, der sich im Rahmen politischer Einrichtungen, die er aufgrund seiner persönlichen Sicherheit für völlig gesichert hält, auf den bloßen Genuß seines Vermögens verlegt,

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Zuversicht in die Tugend

Es würden dann „die Menschen entweder räuberisch, betrügerisch und gewalttätig, bereit, die Rechte anderer zu beeinträchtigen, oder aber sie werden servil, käuflich und niederträchtig, imstande, selbst ihre eigenen Rechte aufzugeben.“113

11.4 Folgerungen

Es gibt unter dem gemeinsamen Dach dessen, was Schottische Aufklärung genannt wird, in dieser Frage zwei grundlegend verschiedene Sichtweisen. Diejenige von Hume und Smith ist es, im Eigeninteresse des Individuums etwas für den Staat Nützliches zu erkennen, während Ferguson gerade darin eine potenziell zerstörerische Kraft sieht, die er fürchtet und vor der er warnt. Seine Charakterisierung des Individuums im Zustand der Korruption lautet  : „Das Individuum schätzt sein Gemeinwesen dann nur noch insofern, als es seinem persönlichen Vorankommen oder Gewinn dienstbar gemacht werden kann. Es setzt sich zu seinen Mitmenschen in Wettbewerb.“114 Die Frage, die sich nun stellt, ist die nach dem auslösenden Moment dieser entweder nützlichen oder zerstörerischen Kraft des Interesses  : Liegt es im Individuum als eine Art von Anlage „von Natur aus“ oder verbirgt es sich in bestimmten Erscheinungen der gesellschaftlichen Entwicklung  ? Der Verdacht, ein solcherart charakteristisches Phänomen der gesellschaftlichen Entwicklung zu sein, richtet sich beispielsweise auf die Arbeitsteilung. Auf deren unter bestimmten Umständen zerstörerisches Potenzial weisen, wenngleich in unterschiedlicher Deutlichkeit, Ferguson und Smith gleichermaßen hin.115 Doch es ist nicht zu übersehen, dass dort, wo Letzterer das Wirken eines Prinzips herauszuarbeiten versucht, in dem er den Schlüssel zu einer günstigen Entwicklung der Gesellschaft erkennt, Ersterer auf die Bürgertugenden setzt – und deren Erlahmen befürchtet. der hat in Wirklichkeit die Vorteile, die er aus der Tugend anderer gezogen hat, zu einer Quelle der Korruption verkehrt [has in fact turned to a source of corruption the very advantages which the virtues of the other procured].“ (OT.: ders.: Essay, pp. 210–211.) – Ebd., S. 396  : „Gewöhnliche Einrichtungen endigen schließlich mit einem Nachlassen ihrer Kraft. Sie sind zur Erhaltung von Staaten unfähig, weil sie die Menschen dazu verleiten, sich auf ihre Fertigkeiten statt auf ihre Tugenden zu verlassen [rely on their arts, instead of their virtues] und dasjenige schon für eine Verbesserung der Menschennatur zu halten, das doch nur ein bloßer Zuwachs an Bequemlichkeit oder an Reichtum ist.“ (OT.: ders.: Essay, p. 212.) – Ebd., S. 438  : „Dennoch sind Nationen mit einem hohen Entwicklungsstand der kommerziellen Künste der Korruption ausgesetzt, sofern sie Reichtum als Hauptgrund von Auszeichnung gelten lassen, ohne daß dieser Reichtum durch persönliche Erhabenheit und Tugend unterstützt [unsupported by personal elevation and virtue] würde. Sie wenden ihre Aufmerksamkeit hiermit der Verfolgung des Eigeninteresses als des Weges zu Achtung und Ehre zu.“ (OT.: ders.: Essay, p. 241.) 113 A.  Ferguson  : Versuch, S. 418. 114 Ebd. 115 Hier nochmals im Detail auf den Aspekt der Arbeitsteilung einzugehen, würde allerdings bedeuten, die Thematik des Tugendbegriffs zu verlassen. Es sei deshalb auf den Abschnitt 10.2 („Die Arbeitsteilung“) verwiesen.

Folgerungen |

Kontingenzbewältigung ist stets der Versuch, nicht nur Wissen, sondern vor allem auch Kontrolle zu gewinnen über die Gegebenheiten, denen sich der Mensch gegenübersieht und an denen er sein Handeln ausrichtet. Die Tugenden sind dabei, so lehren es die schottischen Denker, zum einen eine stabilisierende Kraft, und zum anderen werden sie als probates Mittel der Gemeinschaft verstanden, soziale Kontrolle über ihre Individuen zu gewinnen, sofern Letztere sich Tugendhaftigkeit im Sinn eines Leitmotivs für ihr Handeln zu eigen machen. Im Übrigen  : Will man die Bedeutung bewerten, die die schottischen Denker der Tugend im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Gesellschaft zuerkennen, kann ein wesentlicher Aspekt nicht übersehen werden. Die Rolle, welche die Tugenden in den Überlegungen von Hume, Ferguson und Smith spielen, ist nicht die einer Gegebenheit, die sich beim Individuum oder in der Gesellschaft tatsächlich vorfinden ließe, sondern die einer Voraussetzung. Seien, so lässt sich schließen, bestimmte Bedingungen erfüllt – etwa eine bestimmte Art tugendhaften Verhaltens –, dann und nur dann böte sich Anlass zur Zuversicht in die künftige Entwicklung. Die Tugenden sind als eine variable, nicht als eine feste Größe zu verstehen, und vor allem als eine Zielvorstellung. Anders als rekonstruierbare historische Gesetzmäßigkeiten, anders als die Überzeugung von einer Welt, deren Entwicklung einem mit göttlicher Weisheit geschaffenen Plan folge, lässt sich von den Tugenden eben nicht sagen, dass sie in der bürgerlichen Gesellschaft vorhanden sind, sondern dass sie in dieser vorhanden sein können, vielleicht auch sein sollen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind die Tugenden letztlich ein Desiderat und sie markieren insofern eine ideengeschichtliche Rückfallposition, als mit dem Verweis auf ihre Bedeutung der Blick vom Sein auf das Sollen gerichtet wird. Auch wenn in den Texten der Schottischen Aufklärung die Analyse der Abläufe, mit denen das Innere der Individuen mit dem Äußeren der Gesellschaft interagiert (oder interagieren könnte), von beeindruckender Subtilität ist – das beste Beispiel dafür ist Smiths geradezu filigrane Dekonstruktion des „unparteiischen Beobachters“, mit der die Mechanismen moralischen Verhaltens offengelegt werden –, ist die Auseinandersetzung mit den Tugenden noch einer traditionellen moral philosophy verpflichtet. Erst im Vergleich mit dem Schwenk hin etwa zur Untersuchung von feedback systems, die die Gesellschaft regulieren können,116 wird der eigentliche Aufbruch deutlich, der nun erfolgen sollte.

116 Siehe hierzu ausführlich den Abschnitt 13 („Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen“).

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12. Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung

Einen weiteren Schwerpunkt im politischen Denken der Schottischen Aufklärung bilden die Überlegungen zur nationalen Verteidigung. Die Frage, die zum Teil vehement diskutiert wird, ist dabei, ob zur Verteidigung1 der bestehenden Gesellschaft eher ein stehendes Heer oder eine Miliz geeignet sei. Es gab seit dem 17. Jahrhundert eine entsprechende Debatte sowohl in England als auch in Schottland, und sie wurde stets kontrovers geführt.2 Von den schottischen Moralphilosophen, und hier insbesondere von Ferguson und Smith, wird die Frage unterschiedlich beantwortet. So ist etwa Ferguson ein entschiedener Verfechter einer Bürgerwehr (militia), und er widmet dem Thema sogar eine eigene Schrift3 und in seinem Essay ein Kapitel.4 Smith hingegen vertritt in all seinen Schriften, abschließend im Wealth of Nations und zuvor bereits in seinen Rechtsvorlesungen der Jahre 1762/63 und 1766 (Lectures on Jurisprudence), die Auffassung, dass nur ein stehendes Heer (standing army) in der Lage sei, einer entwickelten und arbeitsteiligen Gesellschaft ausreichenden Schutz vor den ihr von außen drohenden Gefahren zu bieten. Die Debatte um die Miliz steht in einer ideengeschichtlichen Tradition, die berücksichtigt werden muss. Seit der Antike besaß das Thema, welche Bedeutung der Miliz im Kontext der Überlegungen hinsichtlich der bestmöglichen Form einer Regierung zukomme, Einfluss auf das politische Denken. Die Autoren der Renaissance, die sich akribisch mit dem Aufstieg und Fall des römischen Reiches auseinandersetzten, stellten die Frage nach der Wichtigkeit eines kriegerischen Geistes der Bevölkerung und artikulierten in diesem Zusammenhang das, was als klassischer Republikanismus bezeichnet wird – mit Blick auf das Individuum wird neben anderem unter einer republikanischen Gesinnung dessen Bereitschaft hervorgehoben, für die Gemeinschaft einzustehen und das Gemeinwesen gegebenenfalls zu verteidigen. Innerhalb der institutionellen und materiellen Bedingungen, die eine Republik ausmachen, in der die bürgerliche Tugend das 1 Grundsätzlich geht es bei dieser Frage stets um beides  : die Verteidigung des Staates nach innen und nach außen. 2 Zur Auseinandersetzung in England siehe M. M. Goldsmith  : Public Virtue and Private Vices  : Bernard Mandeville and English Political Ideologies in the Early Eighteenth Century, besonders pp. 480–490. Gold­ smith rekapituliert – ebd., p. 487 – die „republikanische“ Sichtweise folgendermaßen  : „Das Gleichgewicht der Regierung kann nur aufrechterhalten werden, indem die militärische Gewalt in den gleichen Händen wie das Eigentum und die politische Macht bleibt und zur Praxis der alten Republiken zurückkehrt, als ‚es keinen Unterschied zwischen dem Bürger, dem Soldaten und dem Ehemann‘ gab. […] Für England ist die Lösung eine Miliz.“ (E. Ü.) 3 A.  Ferguson  : Reflections Previous to the Establishment of a Militia. 4 A. Ferguson  : Von Nationalverteidigung und Eroberung. In  : ders.: Versuch, S. 290–299. – OT.: ders.: Of National Defence and Conquest. In  : ders.: Essay, pp. 141–148.

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Ziel des Bürgers ist und in der die Freiheit herrscht, ist die Frage der Miliz ein grundlegendes moralisches Anliegen.5 Infolge der verbreiteten Bezugnahme auf die griechisch-römische Tradition war eine Miliz von Bürgern ein Kernthema des politischen Diskurses innerhalb der Schottischen Aufklärung. Was ist darunter zu verstehen – und vor allem  : Was verstehen die schottischen Denker des 18. Jahrhunderts darunter und was verbinden sie damit  ? Was zudem unterscheidet eine Miliz „in moralischer Hinsicht“ von einer stehenden Armee  ? Gerade letztere Frage stellt sich vor allem im Zusammenhang mit Smith nachdrücklich, denn bei ihm zeigt sich, dass der Begriff des „stehenden Heeres“ durchaus unterschiedlich verstanden werden konnte.6 Milizen werden von der Bevölkerung getragen. Aus ihrer Mitte werden die Soldaten in Krisenzeiten rekrutiert, und nur im Kriegsfall werden sie in der Regel mit wirklichen Kriegswaffen ausgerüstet. Für einen derartigen Typus einer Verteidigungsarmee ist ein vergleichsweise geringes Ausbildungsniveau kennzeichnend, denn die Schulung im Umgang mit Waffen erfolgt, anders als bei einem stehenden Heer, nur im Bedarfsfall. Da bei den europäischen Großstaaten eine allgemeine Wehrpflicht noch nicht eingeführt ist und diese Idee folglich keine Rolle spielt,7 wird als Gegenentwurf zu einer solchen Miliz im 18. Jahrhundert nach wie vor ein aus Söldnern zusammengestelltes stehendes Heer verstanden, wie es in der frühen Neuzeit üblicherweise eingesetzt wurde, nicht aber eine Armee aus Wehrpflichtigen oder aus Berufssoldaten aus dem eigenen Volk. Zwischen diesen beiden Organisationsformen von Streitkräften wurde also unterschieden, wenn es um das Pro und Contra einer Miliz ging. Festzuhalten ist, dass die Debatte auf ein stehendes Heer von aus dem eigenen Volk rekrutierten Soldaten erst spät erweitert wird, wobei insbesondere Smiths Argumentation Bedeutung zukommt. Die Auseinandersetzungen um diesen Gegenstand haben in Schottland eine politische Vorgeschichte – dazu sogleich mehr –, auf die auch um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach wie vor Bezug genommen wird. Sie ist einerseits geprägt von Grundhaltungen, in denen normative Aspekte zum Ausdruck kommen, andererseits von Schlussfolgerungen aus ökonomischen, soziologischen und psychologischen Aussagen über die Gesellschaft. All dies bedarf vorab der näheren Erklärung, damit in einem weiteren Schritt dargelegt werden kann, dass und inwieweit sich in der Debatte um die militia issue grundlegende Gesichtspunkte des politischen Denkens widerspiegeln. Die markanteste politische Zäsur in der Vorgeschichte der Schottischen Aufklärung stellt fraglos die 1707 vollzogene Vereinigung des Landes mit England dar. Dieses Ereignis veränderte nicht nur die völkerrechtliche Stellung des Landes. Im Zug einiger Entwicklungssprünge löste sich die deutliche Konfrontation zum wirtschaftlich dominanten 5 L. Montes  : Adam Smith on the standing army versus militia issue  : wealth over virtue  ?, p. 316. 6 Näheres siehe S. 448. 7 Unter den großen europäischen Nationen beginnt die Geschichte der allgemeinen Wehrpflicht mit der Französischen Revolution.

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Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung

Nachbarn England auf und durch die union wurde die ehemals zu schützende Grenze im Süden marginalisiert. Die letzte schottische Erhebung von 1745/46 endete mit der Zerschlagung der traditionellen Clan-Kultur in den schottischen Highlands und in deren Folge mit dem Untergang der zwar nicht mehr intakten, aber immer noch vorhandenen militärischen, auf dem Milizwesen beruhenden Verteidigungsstrukturen des Landes. Doch wenngleich die Landesverteidigung von nun an für Schottland kein unmittelbares, also kein praktisch-politisches Thema mehr war, so blieb sie doch weiterhin Gegenstand einer theoretischen Erörterung. Diese wurde mit einer Heftigkeit geführt, die selbst einem weiterhin unabhängigen Schottland angemessen gewesen wäre. Die bleibende Aktualität des Miliz-Diskurses noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erklärt sich ebenso wenig von selbst wie die Intensität, mit der dieser sowohl auf politischer Ebene – was hier ausgespart werden kann – als auch an den Universitäten und in den gebildeten Kreisen generell ausgefochten wurde. Es stellt sich also die Frage, ob die normativen Frontstellungen für und wider eine Miliz beziehungsweise ein stehendes Heer nicht nur die Landesverteidigung im unmittelbaren Sinn betrafen, sondern vielleicht ein Spiegelbild tiefer gehender Bestrebungen und grundsätzlicherer Haltungen waren. Miliz, das bedeutet stets die Forderung nach dem Einsatz der eigenen Person für die gemeinsamen Werte einer Gesellschaft, also die Identifikation mit dem, wofür gekämpft wird.8 Die Motivation für den Angehörigen einer Miliz liegt im Schutz des Eigenen, wobei unter diesem Eigenen nicht nur das tatsächliche materielle Eigentum, sondern auch die eigene Verfassung oder Regierungsform verstanden werden muss. Diesen Sachverhalt kennzeichnet im Deutschen das Synonym „Bürgerwehr“  : Die Mitglieder des Gemeinwesens erwehren sich der Bedrohung von außen, indem sie ihr eigenes Leben einsetzen. Gegenübergestellt wird diesem Typus einer Miliz derjenige einer aus Söldnern gebildeten Armee. Auf Berufsheere dieser Art fiel im 18. Jahrhundert ein schlechtes Licht. Sie galten als kostspielig und, da man ihnen keine wirkliche Identifikation mit der Sache, für die sie zu kämpfen hatten, zutraute, auch als unzuverlässig. Bereits in Machiavellis Analyse der Macht, auf die auch die schottischen Denker immer wieder Bezug nehmen, war dieses Misstrauen gegenüber Söldnertruppen durchaus drastisch zum Ausdruck gebracht worden.9 Hier sah man die sachlichen Argumente vereint, die gegen ein stehendes Heer sprachen.

8 J. G. A. Pocock  : Virtues, rights, and manners, p. 40, spricht in diesem Zusammenhang anschaulich vom “citizen in the Greek sense of one who rules and is ruled”. 9 N.  Machiavelli  : Der Fürst, S. 49 f.: „Söldner und Hilfstruppen nützen nichts und sind gefährlich. Ein Herrscher, der sich auf Söldner stützt, wird niemals auf festem Boden stehen und sicher sein  ; denn Söldner sind uneinig, machtgierig, ohne Disziplin und treulos, überheblich gegenüber den Freunden, feig vor dem Feind, ohne Furcht vor Gott, ohne Redlichkeit gegen die Menschen. Man schiebt seinen Untergang nur so lange hinaus, als man den Angriff hinausschiebt. Im Frieden wird das Land von ihnen ausgeplündert, im Krieg vom Feind. Der Grund hierfür ist der, daß sie sich durch nichts gebunden fühlen und kein anderes Motiv sie im Feld hält als das bißchen Sold, der nicht ausreicht, um sie gerne für dich sterben zu lassen.“

Die frühe Pro-Miliz-Argumentation in Schottland  : Andrew Fletcher |

12.1 Die frühe Pro-Miliz-Argumentation in Schottland  : Andrew Fletcher

In der Idee der Miliz klingt eine idealtypische republikanische Verstellung der Antike an, die von den schottischen Moralphilosophen in die Neuzeit übertragen wurde  : Im Zentrum steht der „streitbare“ Bürger, der für sein Gemeinwesen Verantwortung auf sich nimmt. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts zeigt sich in Schottland eine breite Akzeptanz des Gedankens einer auf eine Miliz gegründeten Landesverteidigung. Andrew Fletcher of Saltoun (1655–1716), ein vehementer Gegner der Union Schottlands mit England, dessen Bedeutung darin liegt, die Milizthematik dauerhaft in der öffentlichen Diskussion verankert zu haben,10 propagierte 1698 in einer Streitschrift11 den Milizgedanken unter funktionalen Gesichtspunkten. Da die darin enthaltene Argumentation für das Pro-Miliz-Engagement der Zeit als repräsentativ angesehen werden kann, sollen darauf zunächst einige wenige Schlaglichter geworfen werden. „Söldnerheere“, so sagt Fletcher, seien „geschaffen, um eine Nation zu versklaven.“ Sie bestünden aus Männern, die aus dem Krieg ein Geschäft machten, auf dessen Dauerhaftigkeit ihr ganzes Leben hindurch sie hofften. Es bedürfe hoher und dauernder Steuern für ihren Erhalt. Ihr Interesse sei es, den Kriegszustand zu erhalten, und er nennt sie „eine nutzlose und unerträgliche Last [useless and insupportable burden] in Friedenszeiten“. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sei die einzige Macht, die „solch einer Sorte von Leuten bedurft“ habe, das alte Rom gewesen, da es sich ständig im Kriegszustand befunden habe.12 Für Fletcher ist „eine gute Miliz […] von solch großer Wichtigkeit für eine Nation, dass ihr die Hauptrolle in der Verfassung jeder freien Regierung“ zukomme.13 Wer jung und gesund sei, dazu über ein Vermögen verfüge, der solle dieses und sein Land mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln selbst verteidigen, anstatt Steuern zu bezahlen zum Unterhalt eines Söldners, der ihn zwar im Kriegsfall verteidige, ihn in Friedenszeiten aber versklave.14 Der unausgesprochene Ratschlag – an den „freien Bürger“ – lautet also, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und zwar in eine Hand, die Waffen trägt und mit ihnen umzugehen im Stand ist.15 Und noch ein weiterer Gesichtspunkt ist zu erwähnen, da er im Miliz-Diskurs nach der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder auftauchen wird  : Fletcher entwickelt den Gedanken eines Lagerlebens als einer Schule des Lebens und vor allem als einer solchen der Tugendhaftigkeit – “[s]uch a camp would be as great a school of virtue as of military discipline” –, 10 L. Montes  : Adam Smith on the standing army versus militia issue  : wealth over virtue  ?, p. 320. 11 A.  Fletcher  : A Discourse of Government. 12 Ebd., pp. 27–28. 13 Ebd., p. 41 (e. Ü.). 14 Ebd., p. 45. 15 Ebd., pp. 43–44  : “And I cannot see, why arms should be denied to any man who is not a slave, since they are the only true badges of liberty and ought never, but in times of utmost necessity, to be put into the hands of mercenaries or slaves  : neither can I understand, why any man that has arms, should not be taught the use of them.” Fletchers Ziel ist es, „dass das ganze freie Volk jeder Nation […] an den Waffen geübt“ werde.

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Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung

„in der die Jugend lernt, im Bedarf an wenigem auszuhalten, mit der geringen Vergütung zurecht zu kommen, welche die Natur erfordert, zu erdulden ebenso wie zu handeln, ebenso bescheiden zu sein wie tapfer, Scham zu empfinden über jegliche Anmaßung oder Ungerechtigkeit, […] widerfahrene Ungerechtigkeiten zu vergeben, aber mit Freuden die Gelegenheit des Todes zu ergreifen, um jene [Ungerechtigkeiten] zu rächen, die dem eigenen Land zuteil wurden.“16

Die Rolle, die hier einer Miliz zugesprochen wird, reicht offensichtlich weit über deren militärische Funktion hinaus. Sie stellt sich vielmehr dar als ein integratives Element für die Gesellschaft im Ganzen, dies allerdings mit der Einschränkung, dass – zeittypisch – unter diesem Ganzen ausschließlich der männliche Teil der Nation verstanden wird. Fletchers Argumentation legt offen, dass die Milizfrage von den schottischen Politikern und in ihrem Gefolge auch von den Moralphilosophen keineswegs allein unter militärischen Gesichtspunkten betrachtet wurde.17 Sich mit ihr auseinanderzusetzen bedeutete nicht nur, nach dem am besten geeigneten Mittel zu Landesverteidigung zu suchen. Vielmehr war die Miliz darüber hinaus von emblematischer Bedeutung  : Die Entscheidung für sie kam einer Entscheidung für einen bestimmten Gesellschafts- und Bürgertypus gleich, in jedem Fall aber dem Bekenntnis zu einer bestimmten Form bürgerlicher Gesinnung. Wie sich zeigen sollte, richtete sich dieses Bekenntnis auf einen Idealtypus, der sehr viel mehr von Bildern aus der antiken Überlieferung gespeist war,18 als dass er sich unmittelbar den Augen der Zeitgenossen dargeboten hätte. Dieser Typus war, wenngleich keine Illusion, so doch ein Desiderat. Um dies näher zu erläutern, kehre ich zurück zum Gedanken der Arbeitsteilung.

12.2 Adam Ferguson und die Miliz-Frage  : Schule der Tugend

Es lassen sich im Denken der Schottischen Aufklärung im Diskurs um die Miliz zwei Grundpositionen ausmachen, nämlich zum einen ihre sehr nachdrückliche Befürwortung, die vor allem von Ferguson zum Ausdruck gebracht wird, und zum andern ihre Ablehnung zugunsten – einer allerdings ganz bestimmten Form – eines stehenden Heeres, wie sie sich bei Smith findet. Fergusons Haltung in der Frage einer Miliz wird üblicherweise aus seinem Essay erschlossen. Es zeigt sich jedoch, dass seine früher erschienenen Reflections Previous to the Establishment of a Militia in mancher Hinsicht aufschlussreicher sind, zumal die Miliz16 Ebd., pp. 55–56 (e. Ü.). 17 Dass Fletchers Denken dem Kreis um Smith und Ferguson bekannt gewesen ist, lässt sich voraussetzen, denn in Smiths Bibliothek etwa fanden sich “The political works of Andrew Fletcher, esq  ; containing, […] III. Discourses concerning the affairs of Scotland  ; written in the year 1698. […], London […] 1737.” Siehe H.  Mizuta  : Adam Smith’s library, p. 94. 18 Auch Machiavelli hatte sich ja letztlich in seiner eigenen Argumentation auf antike Überlieferungen be­ zogen.

Adam Ferguson und die Miliz-Frage  : Schule der Tugend |

Thematik bei dieser Streitschrift ja im Zentrum steht. Fergusons Argumentation darin ist dem ersten Anschein nach eine historische, wenn er sich auf das Beispiel der „Vorfahren“ beruft. Allerdings kann er sich nicht auf wirkliche Quellen beziehen, wenn er sagt, von Rechtssicherheit habe in früher Zeit keine Rede sein können, viel gegenseitige Feindschaft habe geherrscht19 – und so sei der Waffengebrauch zur eigenen Sicherheit das Gebot schlechthin gewesen und Tapferkeit habe unter den Tugenden an erster Stelle gestanden. Sein Vorgehen beschränkt sich mangels zuverlässiger Quellen darauf, ein schlüssiges Bild zu entwerfen, aus dem er in einem zweiten Schritt so etwas wie ein schottisches Selbstverständnis einer durch die äußeren Umstände bedingten natürlichen Tapferkeit herausliest,20 die im Volkscharakter liege – einer eher vagen Größe, wie man festhalten muss. Dass die Umstände das Verhalten bedingten, ist eine soziologische Perspektive, und Ferguson behält sie in seiner weiteren Argumentation bevorzugt bei  : „Die Verhaltensweisen einer Nation verschieben sich stufenweise, und der Stand der bürgerlichen Politik und des Handels, zu dem wir gelangt sind, haben unser Verhalten in diesem Punkt stark beeinflusst.“21 Die Rangordnung in der Gesellschaft leite sich wohl deshalb nicht länger aus der Tapferkeit ab  ; vielmehr sei nun der Wohlstand zum Kennzeichen von Distinktion und Ehre geworden.22 Dieser Wohlstand sei, worauf immer wieder hingewiesen wird, eine Folge der „natürlichen Tendenz“ zur Arbeitsteilung,23 und er habe, wie ebenfalls betont wird, auch seinen Preis. Dieser Zivilisierung und Befreiung vom „grimmigen und habgierigen Geist unserer frühen Vorfahren“ stehe etwas gegenüber, das Ferguson als Verfall deutet  : „Die Herzen unseres Volkes sind nicht aus Stahl, sie sind verweichlicht durch den Nichtgebrauch der Waffen, durch die Sicherheit und die friedfertigen Beschäftigungen.“24 Diese Wortwahl verrät mehr als nur die Sorge um eine mangelnde Verteidigungsbereitschaft des Volkes, und sie zielt auch keineswegs nur auf den offenkundigen militärischen Aspekt. Vielmehr sieht Ferguson hier ein Symptom für etwas Grundsätzlicheres, darüber Hinausgehendes  : für den Verfall und Niedergang der staatsbürgerlichen Gesinnung und Tugendhaftigkeit. Verteidigungsbereitschaft ist, gemäß dieser Denkweise, ein Kennzeichen republikanischen Geistes, und sie findet ihren ganz natürlichen Ausdruck in einer Vertrautheit aller mit Waffen. Dieser Gedanke, ja diese Grundhaltung zerrt bei Ferguson wie ein Gegengewicht an der durch die Arbeitsteilung bewirkten (Höher-)Entwicklung zur zeit19 A.  Ferguson  : Reflections Previous to the Establishment of a Militia, p. 6  : “Every Family in the Country had its Rival, and the Dependents of each were nursed up in mutual Jealousy and Animosity, they were fond of the Sword, because it was their best Security […].” 20 Ebd., p. 5  : “The very Miseries and Inconveniencies they laboured under, bred them to the Use of Arms and a warlike Disposition.” 21 Ebd., p. 8 (e. Ü.). 22 Ebd., p. 9. 23 Ebd., p. 14  : “I have been so particular in representing the State of our Manners, a State which every civilized, and above all every commercial People has a natural Tendency to […].” 24 Ebd., p. 15 (e. Ü.).

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genössischen commercial society, auf die ja doch alles zulaufe. Denn daraus erwächst eine Zerrissenheit, die im Bedauern des Niedergangs der antiken Bürgertugenden – die auch die Tugenden waren, die noch Fletcher hochgehalten hatte – ihren Ausdruck findet, zumal dieser Niedergang eben als ein zwangsläufiger sowohl erkannt als auch anerkannt wird. Denn darin, dass die Arbeitsteilung, in der ja der eigentliche Grund für diese Entwicklung liege, als „natürlich“ und schon allein deshalb als unumkehrbar verstanden und dadurch in den Rang einer historischen Quasi-Gesetzmäßigkeit erhoben wird, liegt begründet, dass Fergusons Position in der Tat als eine pessimistische verstanden werden kann  : Gesetzmäßigkeiten erlauben eben keine Abweichungen, der Verfall der Tugend muss ihm demzufolge als unausweichlich erscheinen. Andererseits aber darf diese Skepsis keineswegs im Sinn eines Pars-pro-Toto als Fergusons ausschließliche Überzeugung herausgegriffen werden. Im Gegenteil differenziert der Essay gerade in der Abwägung zwischen dem Wünschenswerten und dem Unerwünschten der historischen Entwicklung stark. So finden sich, wie das folgende Beispiel zeigt, durchaus Bekundungen der Zuversicht und des Vertrauens in die Richtigkeit des Laufs der Dinge  : „Erst in der Führung der Geschäfte der bürgerlichen Gesellschaft finden die Menschen Gelegenheit zur Betätigung ihrer besten Fähigkeiten wie auch den Gegenstand ihrer besten Regungen.“25 Und dass diese bürgerliche Gesellschaft und die politischen Strukturen, die sie sich zu geben in der Lage ist, dieses Vertrauen letztlich auch verdienen, sieht er als erwiesen an. Er sagt  : „Überall in Europa werden im Sold dienende, disziplinierte Armeen aufgestellt. Sie stehen bereit, den Erdball zu überqueren. Gleichsam wie eine von schwachen Dämmen gehaltene Flut werden sie hieran nur durch politische Formen oder durch ein zeitweiliges Machtgleichgewicht gehindert [only restrained by political forms, or a temporary balance of power].“26 Die politischen Mechanismen der modernen Zivilisation sind es also, bedeutet das, die den Kriegsgeist überkommener Epochen zu zähmen in der Lage sind. Es begegnen also in Fergusons Argumentation Zuversicht und Skepsis gleichermaßen. Das sind Ambivalenzen, die nicht leicht aufzulösen sind, denn man findet sich in seinen Schriften mit einem eigenartigen, vielleicht auch wenig schlüssigen Nebeneinander konfrontiert  : Während in seinem Denken die fortgesetzte Arbeitsteilung die Rolle einer fast unumstößlichen historischen Konstante innehat, konzediert er andererseits ein Vorherrschen von Kontingenz im menschlichen Handeln, das sich dieser Konstante sowohl fügen als auch widersetzen könnte – also eine der Erosion durch Kontingenz ausgesetzte, sozusagen „weiche“ Teleologie  : 25 A.  Ferguson  : Versuch, S. 301. – Dass Ferguson allerdings diese „besten Regungen“ wiederum mit kriegerischen assoziiert, wird aus der Fortsetzung des Satzes ersichtlich  : „Die Kriegskunst wird erst dann vollkommen, wenn sie gleichsam auf die Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft aufgepropft wird.“ – Zu Fergusons Bekundungen einer zuversichtlichen Haltung bei der Betrachtung „verfeinerter und kommerzieller Völker“ siehe ebd., S. 347 f. 26 A.  Ferguson  : Versuch, S. 299. – OT.: ders.: Essay, p. 148.

Adam Ferguson und die Miliz-Frage  : Schule der Tugend |

„Jeder Schritt und jede Bewegung der Menge wird sogar in denjenigen Zeitaltern, die man die aufgeklärten nennt, mit gleicher Blindheit für die Zukunft gemacht [made with equal blindness to the future]. Die Nationen stoßen gleichsam im Dunkeln auf Einrichtungen, die zwar durchaus das Ergebnis menschlichen Handelns sind, nicht jedoch die Durchführung irgendeines menschlichen Planes [not the execution of any human design].“27

Wenngleich Ferguson also die Menschheit als Ganzes den historischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sieht, ist er gleichwohl vom zwar kontingenten, aber eben doch selbstbestimmten Handeln der Individuen überzeugt. Letztere sind in seinen Augen immerhin so frei in ihren Handlungsentscheidungen, dass er es geboten finden kann, darauf Einfluss zu nehmen, indem er das von ihm geschätzte republikanische, aus der Antike gespeiste Ideal hochhält. Dabei argumentiert er letztlich nicht aufgrund von Faktizität, sondern ideologisch, eben einer weltanschaulichen Idee folgend. Diese Ideologie28 ist jene Form eines Republikanismus, wie er in den Überlieferungen der klassischen Antike zutage tritt. Auf einen sehr einfachen Nenner gebracht, ist das eine Gesellschaft ohne Individuum, in der das Wohl der Gemeinschaft über allem steht und der Dienst an ihr als die oberste aller bürgerlichen Pflichten gilt. Ferguson hat, ebenso wie fast alle anderen Denker seiner Zeit, die historischen Überlieferungen aus dieser Zeit gelegentlich „Erfahrungen“ gleichgestellt.29 Der Grundtenor dieser historischen Überlieferungen allerdings ist der einer Beschreibung und Kommentierung sich aneinanderreihender kriegerischer Auseinandersetzungen. Wie getreu die tatsächliche, die Alltagsgeschichte nämlich, sich in diesen Texten widerspiegelt, braucht an dieser Stelle nicht erörtert zu werden – hier geht es vielmehr um den Hinweis, dass alle akademisch gebildeten Schotten des 18. Jahrhunderts an diesen Überlieferungen geschult worden sind, geschult im Griechischen und Latein, geschult dadurch aber auch in einem Verständnis von Politik, als deren essentielles Element das Kriegerische, gleichgültig ob als Tat oder als Gesinnung, verstanden wird. Der Bürger der Antike wird implizit stets als kriegerischer, zumindest kriegsfähiger Mensch mitgedacht. In allen Ableitungen aus dieser Zeit, in allen Schlüssen, die aus ihnen gezogen werden, spielt die bewaffnete Auseinandersetzung eine wesentliche Rolle. Das ist eine Denkweise, die aus den Texten, 27 A.  Ferguson  : Versuch, S. 258. – OT.: ders.: Essay, p. 119. 28 Verstanden wird unter Ideologie definitionsgemäß ein „System von Ideen, Anschauungen und Begriffen, das einen bestimmten gesellschaftlichen Standpunkt widerspiegelt“. – „Ideologie“. In  : Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache (1964–1977), kuratiert und bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, https://www.dwds.de/wb/wdg/Ideologie (A.: 19. 6. 2018). 29 Es gibt im Essay eine aufschlussreiche Stelle, an der sich erkennen lässt, wie Ferguson historische Überlieferungen generell bewertet  : „Zur einen Zeit kann die Schule ihr Licht und ihre Anweisung aus dem praktischen Leben beziehen, zu einer anderen Zeit werden die Reste eines tatkräftigen Geistes sicherlich durch literarische Denkwürdigkeiten wesentlich unterstützt [the remains of an active spirit are greatly supported by literary monuments], ferner auch durch die Geschichte von Begebenheiten, in der Beispiele und Erfahrungen früherer und besserer Zeiten aufbewahrt sind.“ – A. Ferguson  : Versuch, S. 333. – OT.: ders.: Essay, p. 171.

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an denen man sich bildete, stillschweigend übernommen wurde. Man betrachtete deshalb die zeitgenössische bürgerliche Gesellschaft wie durch einen Raster der griechischen oder römischen, eben keineswegs bürgerlichen (im Verständnis des 18. Jahrhunderts). Ferguson war von all dem nicht frei, konnte es wohl infolge seiner Ausbildung gar nicht sein. Ich habe an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass er ein klares Bewusstsein für die historischen Quellen besaß und sie in der Regel nicht für bare Münze im Sinn einer wirklichen Faktizität nahm, wenngleich er sie zur rhetorischen Untermauerung seiner Ausführungen häufig heranzog.30 Doch ein solches Bewusstsein hielt ihn dennoch nicht davon ab, diese Denkstruktur, die tendenziell die Gesellschaft aus dem Kriegszustand heraus auffasst, in sein eigenes Denken einzubinden. So plausibel auf den ersten Blick das Bild der antiken Gesellschaft auch sein mochte, die mangels verfeinerter politischer Mechanismen des Interessenausgleichs ihr Heil spontan im Griff zum Schwert sucht, so vorschnell und letztlich erfolglos war doch die Hoffnung auf einen wirklichen Erkenntnisgewinn aus diesem Bild im Hinblick auf die zeitgenössische Gesellschaft. Fergusons Einsatz für eine republikanische Gesinnung erscheint nicht als radikal. Er stellt diesen Republikanismus der von ihm untersuchten civil society auch nicht als Alternative gegenüber, sondern im Sinn eines Korrektivs. Das muss berücksichtigt werden, denn andernfalls erklärte man Ferguson zum Reaktionär, der er schon wegen seiner Akzeptanz der Arbeitsteilung nicht war. Jedenfalls hatte er hier das Rad der Geschichte keineswegs zurückdrehen wollen, und die commercial society als Folge der Arbeitsteilung ist für ihn, und darin stimmt er mit Smith überein, eine historische Zwangsläufigkeit. Der Niedergang der bürgerlichen Gesellschaft jedoch ist es keineswegs. Diesen befürchtet er zwar und er gibt dieser Befürchtung auch breiten Raum, doch hält er ihn im Grund für abwendbar, und eine Bürgermiliz ist für ihn ein geeigneter Schritt, gegen diese drohende corruption der civil society anzugehen. In der Institution der Miliz sieht er den besten Weg, um die bürgerliche Tugend wiederherzustellen, ohne die Vorteile der Handelsgesellschaft zu opfern.31 Das Ziel, das mittels eines intakten Milizwesens verfolgt werden soll, entspricht demjenigen, das zuvor bereits Fletcher herausgestellt hatte  : Geschicklichkeit und Vertrauen, abgeleitet vom Gebrauch von Waffen, und die Gewohnheit der Unterordnung unter ein unbedingtes Kommando,32 sowie, nicht zuletzt, die Formung des Charakters insgesamt.33 30 Siehe zu Fergusons Einschätzung der Bedeutung von historischen Überlieferungen die Ausführungen ab S. 313. 31 L. Montes  : Adam Smith on the standing army versus militia issue  : wealth over virtue  ?, p. 321. 32 A.  Ferguson  : Reflections Previous to the Establishment of a Militia, p. 18. – Ein Jahrzehnt später wird Ferguson in seinem Essay die Bedeutung von Gehorsam auch in der bürgerlichen Gesellschaft – zumindest, wenn sie sich im Kriegszustand befindet – dann geradezu überspitzt herausstellen  : „Ein Mensch, der nicht gelernt hat, blind zu gehorchen, wenn der Staat ihn einem militärischen Anführer unterstellt hat, und der nicht willens ist, seiner persönlichen Freiheit auf dem Schlachtfeld mit demselben Großmut zu entsagen, mit der er sie in den politischen Beratungen seines Landes behauptet, er hat die wichtigste Lektion der bürgerlichen Gesellschaft noch zu lernen.“ (Ders.: Versuch, S. 292.) 33 A.  Ferguson  : Reflections Previous to the Establishment of a Militia, p. 42  : “This Principle […] would form the

Adam Smith und die Miliz-Frage  : latente Ambivalenz |

Ferguson thematisiert nicht nur ein Spannungsverhältnis zwischen der commercial society und dem bürgerlichen Humanismus.34 Darüber hinaus wird in seinen Schriften auch ein Widerstreit zwischen einer pessimistischen und einer zuversichtlichen Haltung deutlich, der unaufgelöst bleibt. Fergusons Sorge gilt der durch die Arbeitsteilung hervorgerufenen Individualisierung der Gesellschaft, dem Erlahmen des Gemeinschaftssinns, was für ihn gleichbedeutend ist mit dem Niedergang der republikanischen Gesinnung, wie er sie versteht. Diese Sorge ist viel eher eine solche um die Moral als eine um die Politik. Sein Bestreben ist es, der Politik eine höher entwickelte Moral entgegenzuhalten. Und die Miliz ist, wie gezeigt wurde, in seinen Augen eine geeignete Schule der Moral. Dass bei einer „moralisch motivierten“ Armee gleichzeitig die Landesverteidigung in besseren Händen läge, erscheint in diesem Kontext eher als zusätzlicher Nutzen, zumal diese Landesverteidigung seit der Niederschlagung der letzten Erhebung des alten Schottland von 1745/46 kein eigentlich dringliches schottisches Thema mehr war.

12.3 Adam Smith und die Miliz-Frage  : latente Ambivalenz

Smiths Haltung unterscheidet sich von der Fergusons. Da er sich gegen eine Miliz nicht apodiktisch wendet, sondern differenzierend – wenngleich nicht immer konsistent – argumentiert, bieten seine Passagen zu diesem Thema Anlass zu einer eingehenderen Auseinandersetzung. Es ist dies eine ähnliche Problematik, wie man ihr bereits im Fall der Arbeitsteilung begegnet ist  : Smith behandelt mitunter die gleiche Thematik in unterschiedlichen Kontexten und Werken, aber unter verschiedenen Gesichtspunkten. Da er dabei gelegentlich zu von einander abweichenden Bewertungen gelangt, zieht er den Vorwurf von Widersprüchlichkeit auf sich. Die Folge ist innerhalb der Forschung eine Suche nach seiner „eigentlichen“ Intention, mit der sich – gäbe es sie denn – eine bestimmte Auslegung erhärten ließe.35 Smiths Methodik wird man damit allerdings nicht gerecht  : Die „Wahrheit“ der Gesellschaft ist für ihn nicht immer dieselbe wie die des Individuums, die der Ökonomie mochte eine andere sein als die der Rechtswissenschaft, die soziologische Perspektive bot ihm andere Einsichten als die psychologische. Die Hoffnung auf Kongruenz der Aussagen erfüllt sich nicht in jedem Fall, wie oben schon Smiths unterschiedliche Bewertungen der Arbeitsteilung in den Büchern I und V des Wealth of Nations gezeigt haben.36 Für diesen Sachverhalt ist der Begriff des „Adam-Smith-Problems“ zum Etikett geworden,37 doch greatest of Characters, would be a sure Foundation to the Virtues of Public Life, and furnish the best handle to military Punishments and Rewards.” 34 L. Montes  : Adam Smith on the standing army versus militia issue  : wealth over virtue  ?, p. 321. 35 Eine knappe Gegenüberstellung gegensätzlicher Smith-Auslegungen in dieser Frage findet sich bei J. E. ­Alvey  : Adam Smith’s View of History  : Consistent or Paradoxical  ?, pp. 1–2. 36 Siehe ab S. 388. 37 Zur Diskussion um das Adam-Smith-Problem siehe ausführlich K. G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 195–198, sowie R.  P.  Hanley  : Adam Smith and the Character of Virtue, pp. 15–52.

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wird man in Wirklichkeit in diesem umfangreichen Œuvre mit einer ganzen Reihe von Adam-Smith-Problemen konfrontiert, wie eines eben auch die Behandlung der Frage der Miliz darstellt. Seine Haltung zu dieser hat sich – was kaum zu bestreiten ist38 – in der Abfolge seiner Arbeiten nachweisbar verändert. Bei Montes findet sich diese Entwicklung anhand von Textstellen ausführlich dokumentiert.39 Die Frage, ob der moderne Staat sein Heil in die Hände von Berufssoldaten legen oder aber einer aus seinen eigenen Bürgern gebildeten Miliz vertrauen solle – die militia issue –, überschneidet sich mit einer anderen Thematik, die als corruption debate bekannt ist. Letztere steht im Zusammenhang mit einem Stadienmodell der Geschichte, zu dem die Denker der Schottischen Aufklärung eine starke Affinität hatten.40 Die Arbeitsteilung spielt darin eine wichtige Rolle, denn die einzelnen Phasen werden in diesem Modell gleichzeitig als Entwicklungsstadien betrachtet, für die ein unterschiedlich hohes und von Stufe zu Stufe höheres Maß an Spezialisierung kennzeichnend ist. Am Anfang steht ein Zustand, der unter anderem als „barbarisch“, „wild“ und „unzivilisiert“ etikettiert wird  ; an oberster Stelle findet sich die nahezu vollständig arbeitsteilige, rechtssichere, individualisierte und von Interessen geprägte Eigentums- und Handelsgesellschaft, die commercial beziehungsweise civil society. Darauf konzentrieren sich die Betrachtungen der schottischen Autoren. Insbesondere in der gestärkten Bedeutung des Individuums und dessen Orientierung am Eigeninteresse wird allerdings ein impliziter Faktor der Destabilisierung dieser Gesellschaft gesehen. Ferguson sieht dazu, wie oben gezeigt, in einer Miliz, der entsprechenden Ausbildung und der damit verbundenen Erziehung zu den Bürgertugenden und zum Gemeinschaftssinn ein wirksames Gegenmittel. Smith stimmt mit ihm bezüglich der historischen Entwicklung der menschlichen Zivilisation und auch in der Analyse ihrer Gefährdungen in einem hoch entwickelten Zustand der Gesellschaft zwar weitgehend überein, setzt jedoch keine Hoffnung in eine Miliz, sondern vertraut auf ein stehendes Heer. Wie hat man sich ein solches vorzustellen  ? Zweifellos liegt Smith der Gedanke an eine Truppe von Söldnern, die bei Bedarf und für eine bestimmte Zeit angeheuert wird, völlig fern. Vielmehr denkt er an ein zu seiner Zeit noch kaum gebräuchliches System, in dem eine Art allgemeiner Wehrpflicht eine Rolle spielt  : „Da jeder Bürger verpflichtet war, wenn er dazu aufgerufen wurde, eine vorgeschriebene Anzahl von Jahren in der Armee der Republik zu dienen, war er notgedrungen gezwungen, eine solche Ausbildung zu absolvieren, ohne die er ja sonst für den

38 L. Montes  : Adam Smith on the standing army versus militia issue  : wealth over virtue  ?, p. 315. 39 Ebd., pp. 322–328. – Montes’ Betrachtung ist umfassend  ; er hat folgende Quellen herangezogen  : The Theory of Moral Sentiments, Lectures on Jurisprudence, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations sowie die Correspondence of Adam Smith. 40 Eine ausführlichere Darstellung der von Smith und Ferguson propagierten Stadienmodelle der historischen Entwicklung siehe im Abschnitt 8.3 („Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Theorie“) und dort insbesondere in den Abschnitten 8.3.2 („Adam Smith  : Zivilisation und Aufbruch“) und 8.3.3 („Adam Ferguson  : Zivilisation und Abgrund“).

Adam Smith und die Miliz-Frage  : latente Ambivalenz |

Heeresdienst nicht tauglich sein konnte.“41 Da ein solches Fundament der militärischen Verteidigung zu seiner Zeit in Europa kaum gebräuchlich war, stützt er seine Argumentation durch das Beispiel der antiker Republiken. Diese hätten die „Kriegsbereitschaft ihrer wehrfähigen Bürger dadurch wach [gehalten], daß sie das militärische und körperliche Training erleichterten, dazu ermutigten, ja sogar die Masse des Volkes zu diesen Übungen zwangen.“42 Leicht lässt sich erkennen, dass Smith sich in mehrfacher Hinsicht eine Synthese vorstellt  : Er teilt weitgehend Fergusons Annahme einer charakterbildenden Funktion der Milizausbildung, doch richtet er, wenn er von den Streitkräften spricht, sein Augenmerk stets auf den militärischen Aspekt als den in seinen Augen wesentlichen. Deshalb stellt er an das, was er als stehendes Heer bezeichnet – und was man eben keinesfalls mit einer Armee von Söldnern gleichsetzen darf –, genau jene Anforderungen, die in gleicher Weise für eine Miliz im Ferguson’schen Sinn gelten  : die Rekrutierung aus der eigenen Bevölkerung, eine fachkundige Ausbildung im Umgang mit Waffen und körperliches Training, und zwar all dies mit Betonung des öffentlichen Interesses und organisiert von den staatlichen Organen und unter deren Kontrolle.43 Es liegt nahe, daraus den Schluss zu ziehen, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen in den Details der häufig betonte Gegensatz zwischen Ferguson und Smith in der Frage der Streitkräfte eher ein marginaler ist. Zu ähnlich sind sich beide hinsichtlich ihrer Dominanten  : Beide bestehen sie auf einer Rekrutierung der Streitkräfte aus dem Volk selbst, und für beide stehen die „republikanischen Tugenden“ im Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Diese Tugenden sind es, auf die sich ihre Zuversicht richtet. Sie vertrauen zuallererst dem Volk selbst und der Bereitwilligkeit, die es zu seiner eigenen Verteidigung an den Tag legen werde. Wenngleich Smiths Eintreten für ein stehendes Heer unstrittig ist, handelt es sich dabei allerdings bei näherer Betrachtung dem Wesen nach um nichts anderes als um eine Volksarmee. Doch es muss in seinem Leben auch Phasen gegeben haben, in denen er für den Gedanken einer Miliz im eigentlichen Sinn, wie sie Ferguson forderte, durchaus aufgeschlossen war. So berichtet Rea, Smith sei 1762 eines der Mitglieder, wenn nicht sogar ein Gründungsmitglied des Edinburgher Poker Club gewesen, dem er dann bis 1774 angehörte.44 Dieser war ein Gremium mit dem Ziel politischer Agitation, nämlich die allgemeine Stimmung für die Aufstellung einer nationalen schottischen Miliz

41 A.  Smith  : Wohlstand, S. 666. – Smith nimmt hier Bezug auf die „griechischen und römischen Republiken“, die er als vorbildhaft ansieht. 42 Ebd., S. 665. 43 Ebd., S. 667  : „Selbst wenn die soldatische oder kämpferische Haltung der Menschen für die Verteidigung des Landes nutzlos wäre, würde sie dennoch die ganze Aufmerksamkeit der Regierung verdienen, damit sich jede Art seelischer Verstümmelung, Entstellung und Erbärmlichkeit [mental mutilation, deformity and wretchedness], welche die Feigheit notwendigerweise einschließt, nicht unter der Bevölkerung ausbreiten kann […].“ – OT.: ders.: Wealth, p. 787. 44 J.  Rae  : Life of Adam Smith, p. 134, p. 137.

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Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung

„anzuschüren“45. Diese Milizfrage sollte den Poker Club allerdings ungelöst überleben, zumal England sich nach der noch kurzen Zeitspanne, die seit dem letzten schottischen Aufstand vergangen war, nicht auf eine Bewaffnung der dem Staat eingegliederten Nachbarn im Norden einlassen wollte.46 Es ist vorstellbar, dass Smith von der gesellschaftlichen Bedeutung des Poker Club47 stärker angezogen war als von dessen politischem Anliegen, doch kann seine Mitgliedschaft zumindest als Indiz dafür gesehen werden, dass er eine Miliz nicht grundsätzlich ablehnte. In seinen Werken verrät er eher eine gewisse Ambivalenz bei diesem Streitthema, dessen weltanschauliche Facette er eben von der militärischen zu trennen wusste. Es liegt nahe, Smiths abschließendes Urteil in dieser Frage zunächst in dem Werk zu suchen, das er als letztes vollendet hat. Im Buch V des Wealth of Nations fasst er zusammen  : „Am Beispiel Europas zeigt sich heute deutlich genug, daß mit fortschreitender [zivilisatorischer] Entwicklung die militärische Ausbildung nach und nach schlechter wird, wenn die Regierung nicht eigens darauf achtet und sie unterstützt, und daß zugleich auch der Wehrwille bei der Masse des Volkes verlorengeht. Die Sicherheit eines jeden Landes muß aber stets mehr oder weniger von der Verteidigungsbereitschaft der gesamten Bevölkerung abhängen. Tatsächlich würde in unserer Zeit diese Abwehrbereitschaft allein, also ohne die Hilfe durch ein wohldiszipliniertes Stehendes Heer, wohl nicht ausreichen, um irgendein Land zu verteidigen und zu schützen, aber dort, wo der einzelne Bürger soldatische Haltung zeigt, würde sicherlich ein kleineres Berufsheer genügen. Diese Einstellung würde außerdem auch die Gefahren, ob wirklich vorhanden oder nur eingebildet, außerordentlich verringern, die man gewöhnlich von einem Stehenden Heer für die Freiheit befürchtet.“48

Diese Aussage enthält zwei grundlegende Annahmen. Zum einen geht Smith von einer gegenläufigen Bewegung der durch die Arbeitsteilung bewirkten Höherentwicklung der Zivilisation und einem parallel dazu verlaufenden Erlahmen der bürgerlichen Tugenden („Wehrwille“) aus, zum andern sieht er in einem disziplinierten stehenden Heer die einzige Möglichkeit, den diagnostizierten Mangel an „soldatischer Haltung“ auszugleichen. Das bedeutet, dass Smith und Ferguson in der Diagnose – moralischer Niedergang in hochentwickelten Gesellschaften – weitgehend übereinstimmen, sich in ihren Schlussfolgerungen – Miliz oder stehendes Heer – jedoch grundlegend unterscheiden.

45 Daher auch der Name  : poker = Schürhaken. 46 J.  Rae  : Life of Adam Smith, pp. 135–136. 47 Ebd. – Die Mitgliederliste, ebd., p. 136, liest sich als Who’s who der gebildeten Kreise Schottlands  : “Duke of Buccleugh, Lords Haddington, Glasgow, Glencairn, Elibank, and Mountstuart  ; Henry Dundas, Lord Advocate  ; Baron Mure, [David] Hume, Adam Smith, [John] Robertson, [Joseph] Black, Adam Ferguson, John Home, Dr. [Hugh] Blair, Sir James Steuart the economist, [George] Dempster, Islay Campbell, afterwards Lord President  ; and John Clerk of Eldin”. 48 A.  Smith  : Wohlstand, S. 666 (Hervorh. HK).

Folgerungen |

Doch die beiden vertreten noch in einem weiteren wichtigen Punkt widerstreitende Ansichten. Denn in diesem Zusammenhang ist nicht nur Smiths Feststellung „der unwiderstehlichen Überlegenheit eines Berufsheeres über jede Art von Miliz“49 von Bedeutung, sondern auch seine Vorstellung vom Zweck der Streitkräfte, den er ausschließlich in der Verteidigung des Territoriums erkennt, wie es der erste Satz des Kapitels über die „Ausgaben für die Landesverteidigung“ implizit aussagt  : „Nur eine Regierung, die Streitkräfte unterhält, kann ihre Hauptaufgabe [first duty] erfüllen, das Land vor Gewalt und Angriffen anderer Staaten zu schützen.“50 Diese Festlegung auf die Defensive ist bemerkenswert, denn eine derartige Beschränkung war im 18. Jahrhundert angesichts der zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Staaten keineswegs Commonsense. So ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, dass etwa Ferguson das entsprechende Kapitel in seinem Essay mit „Von Nationalverteidigung und Eroberung [Of National Defence and Conquest]“51 überschreibt und darin die Möglichkeit expansiver Absichten durchaus gleichwertig neben die Sicherung des eigenen Territoriums stellt  : „Die Maximen der Eroberung sind nicht immer von denen der Selbstverteidigung zu unterscheiden. Wenn der Nachbarstaat gefährlich ist, wenn er zu wiederholten Malen lästig fällt, dann stellt seine Schwächung und Entwaffnung eine Grundregel dar, eine Regel, die ihren Sinn ebenso in Überlegungen der Sicherheit wie der Eroberung findet.“52

12.4 Folgerungen

Fergusons Eintreten für eine Bürgermiliz ist in seinem Werk durchgängig beibehalten und eindeutig. Deren Ablehnung durch Smith ist es indes keineswegs – wenngleich sich in seinen Schriften Stellen finden lassen, die dies nahelegen könnten. Neben dessen Detailversessenheit ist das starke Bestreben, Beobachtungen zu differenzieren und mögliche Schlussfolgerungen daraus ausführlich abzuwägen, ein hervorstechendes Kennzeichen seines Argumentationsstils. Darin – und nicht etwa in einer Nachlässigkeit – liegt begründet, was oben als Adam-Smith-Problem(e) bezeichnet wurde.53 Wie ist mit dieser Schwierigkeit umzugehen  ? Zum einen, indem man sie als gegeben akzeptiert. Zum andern, indem man dem Reflex widersteht, in seinem großen Werk durch eine selektive Auswahl von Aussagen eine Eindeutigkeit erzwingen zu wollen, die es meines Erachtens nicht gibt. Smiths Behandlung der Frage der Miliz jedenfalls legt ein solches Urteil ­nahe.54 49 Ebd., S. 595. 50 Ebd., S. 587 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Wealth, p. 689. 51 A.  Ferguson  : Versuch, S. 290 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Essay, p. 141. 52 A.  Ferguson  : Versuch, S. 297. 53 Siehe S. 453. 54 Diese Sicht der Dinge verdanke ich nicht nur eigenen Überlegungen. Inspirierend war vielmehr auch M ­ ontes’

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Zuversicht und der Diskurs um die Landesverteidigung

Wie in der Frage der Arbeitsteilung haben wir es auch hier wieder mit offenbar unterschiedlichen Sichtweisen von Ferguson und Smith zu tun. Allerdings sind diese Diskrepanzen nicht grundsätzlicher Art, sondern eher die Folge unterschiedlicher Betonungen. Die Debatte ähnelt jener über die Bewertung der Arbeitsteilung, mit der sie im übrigen ja eng verknüpft ist  : In der Arbeitsteilung sehen beide Denker – Smith weniger, Ferguson mehr – eine bewegende Kraft, die die Individuen auf ihr Eigeninteresse verweist und damit die Identifikation mit dem gemeinsamen Ganzen der Gesellschaft – dem Commonwealth – schwächt. Ferguson malt im Essay dieses Szenario einer sich immer mehr verfeinernden Gesellschaft aus und formuliert seine Befürchtung unmissverständlich, wenn er sagt, ein solcher Prozess liefe „dann möglicherweise darauf hinaus, alle Stände ihren jeweiligen besonderen Vergnügungen nachgehen zu lassen. Sie können solche Vergnügungen unter dieser Voraussetzung auch ziemlich ungestört genießen. Die Folge einer derartigen Verfassung kann aber auch ein Streben nach Gewinn sein, den alle Stände dann ohne jede Rücksicht auf das Gemeinwohl für sich behalten dürfen.“55 Wie gezeigt wurde, liegt der Antrieb zur Verfeinerung in der Arbeitsteilung, und diese wiederum befördert die Individualisierung, die Verfolgung eigener Interessen, deren eines die Schaffung von persönlichem Besitz darstellt. Die besorgte Schlussfolgerung, die Ferguson daraus zieht, lautet  : „Sollte dies das Endziel politischer Kämpfe sein, dann kann die Durchführung dieser Absicht, nämlich dem einzelnen sein Besitztum und die Mittel zu seinem Lebensunterhalt zu sichern, die Ausübung gerade jener Tugenden unterbinden, die erforderlich waren, um die Herbeiführung dieses Ziels zu gewährleisten.“56 Es ist dies eine bedeutsame Passage des Essay, denn Ferguson bringt darin zum Ausdruck, dass der commercial society ein Widerspruch immanent ist  : Je höher sie sich entwickelt, desto mehr wachsen in ihr die Kräfte der Selbstzerstörung an. Was hier anklingt, ohne im Detail ausgearbeitet zu werden, ist der Gedanke eines Rückkopplungssystems, das aus sich selbst heraus eine ihm entgegenwirkende Gegenkraft erzeugt. Damit ist ein Thema angesprochen, das in Fergusons Denken eine herausgehobene Rolle spielt, nämlich das der unvorhergesehenen beziehungsweise unbeabsichtigten Folgen zweckgerichteter Handlungen.57 Nicht unerwähnt bleiben soll abschließend zu dieser Thematik, dass auch Millar der Frage der Landesverteidigung Aufmerksamkeit schenkt. Bei ihm, der sich vor allem den Machtkonstellationen innerhalb der Gesellschaft widmet, stehen allerdings nicht, wie bei Ferguson und Smith, das Pro und Contra von Miliz und stehendem Heer im Mittelpunkt, nachvollziehende Analyse der Milizfrage im Sinn eines Denkprozesses von Smith, der sich über fast alle seine Werke hinzog. Siehe hierzu L. Montes  : Adam Smith on the standing army versus militia issue  : wealth over virtue  ?, pp.  322–328. 55 A.  Ferguson  : Versuch, S. 393. 56 Ebd. 57 Siehe den Abschnitt 13.2 („Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung“).

Folgerungen |

sondern der Zusammenhang zwischen einer sich vervollkommnenden Zivilisation und dem Nachlassen der Verteidigungsbereitschaft des Individuums, wenn er ausführt  : Die „althergebrachte Einrichtung, wonach jeder Waffenfähige auf eigene Kosten zum Feldzug zu erscheinen hat, wird eine unerträgliche Bürde für alle, die ein Leben in Muße und Vergnügen entkräftet hat oder die ihren einträglichen Berufen nachgehen – weshalb man allmählich zur Verwendung von Söldnertruppen in der Landesverteidigung übergeht.“58 Auch wenn Millar in einer Miliz das besser geeignete Instrument der Landesverteidigung sehen mochte, so hielt er doch ein stehendes Heer – sogar eines, das unter Verzicht auf die Landesbevölkerung zusammengestellt würde – für dasjenige, das sich letztlich würde realisieren lassen. Die Milizfrage steht bei ihm keineswegs wie bei Ferguson im Mittelpunkt  ; sie liefert ihm lediglich das Stichwort, um die Auswirkungen der „Kultiviertheit auf Naturell und Eigenschaften eines Volkes“ zum Thema zu machen.59

58 J.  Millar  : Ursprung, S. 239. 59 Ebd.

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13. Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen

In Großbritannien kommt, zunächst im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen, seit dem frühen 18. Jahrhundert der Gedanke an sich selbst regulierende Systeme (feedback systems) auf. Das für diese verwendete Bild ist das der Waage.1 Es steht für Modelle der Balance und des Ausgleichs  ; sie bedeuten eine Abkehr von hierarchisch aufgebauten, von außen gelenkten Systemen.2 In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird die Waage-Metapher mehr und mehr zur Illustration der in der Gesellschaft wie auch in der Wirtschaft widerstreitenden Kräfte herangezogen. Insbesondere im politischen Denken der Schottischen Aufklärung, aber auch in ihren ökonomischen Konzeptionen, drängen nun Systeme in den Vordergrund, die mittels Mechanismen der Selbstkontrolle zur Regulierung von Prozessen in der Lage sind. Der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen der im Zug der Aufklärung sich durchsetzenden Gotteslehre des Deismus, die das Universum als ein aus sich selbst heraus funktionsfähiges System ohne weiteres Zutun seines Schöpfers begreift, und sich selbst regulierenden sozialen Systemen wurde bereits angesprochen.3 Worin nun liegt die Bedeutung solcher feedback systems im Zusammenhang mit der Frage nach der Zuversicht in Modellen der Gesellschaft  ? – In der Beschreibung eines Systems, das die Eigenschaft besitzt, sich selbst zu regulieren und dabei stets einem Zustand des Gleichgewichts der Kräfte zuzustreben, verbirgt sich eine prognostische Komponente, denn es geht um einen Ablauf des Geschehens, der nicht nur mit Folgerichtigkeit, sondern mit einer Zwangsläufigkeit vonstatten geht  : Er kann nicht anders ablaufen, als er es tut, und das bedeutet nichts anderes, als dass er gesetzmäßig abläuft beziehungsweise, etwas weiter gefasst, mit der Unabänderlichkeit eines Naturgesetzes, und damit wäre das Geschehen der Möglichkeit eines kontingenten Verlaufs enthoben. Scheinbar ohne Absicht war damit die Volkswirtschaftslehre methodisch in einen Bereich vorgedrungen, der bis dahin von den Naturwissenschaften besetzt schien. Betrachtet man diese Entwicklung aus der Perspektive der Wissenschaftsgeschichte, so ist hier von einer Zäsur zu sprechen. Smiths Wort vom Wirken der „unsichtbaren Hand“ ist das prominenteste Beispiel für ein derartiges Selbstregulierungsmodell, doch es ist nicht das einzige und auch nicht das früheste, das sich finden lässt. Vielmehr ist bereits in den merkantilistischen angelsächsischen und französischen Wirtschaftstheorien des frühen 18. Jahrhunderts die Artikulation dieses Gedankens nachweisbar – zuerst nur in Ansätzen, bald aber deutlicher ausgeprägt. Das erste klar ausgearbeitete Beispiel für ein zirkuläres Ablaufschema wirtschaftlicher Prozesse findet sich in Humes Essay Of the Balance of Trade (Über die 1 Näheres zur Waage-Metapher siehe S. 468. 2 O.  Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 169, spricht von der neuen Ordnungsvorstellung als von einer „liberalen“. 3 Siehe den Abschnitt 9.3.2 („Wissenschaftstheoretische Implikationen – ‚System‘ und ‚Maschine‘“).

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Handelsbilanz) von 1752.4 Seine ausdrücklich zu einer umfassenden Theorie der Volkswirtschaft konkretisierte Ausformulierung erfährt dieses Konzept bekanntermaßen allerdings erst 1776 in Smiths Wealth of Nations. Unter den schottischen Denkern der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts blieb diese Idee der Selbstregulierung jedoch nicht auf die wirtschaftlichen Abläufe beschränkt, sondern sie wurde in modifizierter Form auch auf das Gefüge des politischen Systems übertragen. Als ein wichtiger Beleg hierfür lässt sich Fergusons Essay von 1767 lesen, durch den deutlich wird, dass solche sich selbst regulierenden Systeme einen erkennbaren Bezug zu der Epoche und ihrem Denken aufweisen, in der sie sich herausgebildet haben.5 In ihnen spiegeln sich – wenn auch zumeist nur implizit – die Gesellschafts- und Wirtschaftskonzepte des aufkommenden Liberalismus wider. Und noch zwei weitere Aspekte verdienen Beachtung, denn sie sind grundlegend  : Zum einen bewirkt keineswegs jede Art von Rückkopplung in einem System zwangsläufig dessen Selbstregulierung, zum andern führt auch nicht jeder Selbstregulierungsvorgang zur Herstellung eines Gleichgewichtszustands. Die Beispiele, die in diesem Kapitel noch folgen, werden dies zeigen. Während bei Smith im Wealth of Nations die Gesetze des Marktes diesen – zwangsläufig – in ein Gleichgewicht bringen, verhält es sich mit dem „unparteiischen Beobachter“ in seiner Theory anders  : Da eröffnen dessen Rückmeldungen an die agierende Person selbst zwar Möglichkeiten einer Verhaltensbewertung, doch bewirkt diese nicht zwangsläufig bereits eine Verhaltensmodifikation  ; sie hat lediglich das Potenzial dazu. Ähnliches gilt in Humes Affektlehre für das Zusammenspiel zwischen den Affekten und dem Verstand  : Letzterer hat die Funktion einer Kontrollinstanz über die handlungsauslösenden Affekte inne, ohne deshalb über diese Affekte zu herrschen  ; dem Gleichgewichtsgedanken kommt hier keine Bedeutung zu. Eine wiederum andere Zielrichtung verfolgt Ferguson, wenn er die Austragung von Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Gesellschaft als einen Prozess interpretiert, in dessen Verlauf sich diese selbst reguliere.6 Deshalb ist im Sinn einer Begriffsbestimmung festzuhalten  : Der Sachverhalt der Rückkopplung bedeutet lediglich, dass Informationen über den jeweiligen Status eines Prozesses auf diejenige Ebene im System zurückgelangen, von der aus der weitere Ablauf gesteuert wird. Dies kann dazu führen, dass sich ein Gleichgewichtszustand – beispielsweise, wie von Smith gedacht, zwischen Angebot und Nachfrage – einstellt. Doch ebenso gut kann es durch Rückkopplung auch zu einer immer stärkeren Dynamisierung eines Prozesses kommen, der das ursprüngliche System letztlich zerstört  ; die Geschichte mancher politischer Umwälzungen liefert dafür überzeugende Belege. Der Rückkopp4 Siehe den Abschnitt 13.1 („David Hume  : Phasenmodell der Selbstregulierung“). 5 Zur Funktion des Gedankens der Selbstregulierung als „neues Schema für die Strukturierung dynamischer Systeme“ (O. Mayr) siehe S. 470. 6 Siehe den Abschnitt 13.2 („Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung“).

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lungsbegriff ist grundsätzlich neutral. Die Feststellung einer Rückkopplung konstatiert lediglich einen bestimmten von mehreren möglichen Wegen, den Statusinformationen innerhalb eines Systems nehmen können. Über die Zielrichtung, also über den Umgang des Systems mit diesen Informationen, sagt der Rückkopplungsbefund zunächst nichts aus. In das Blickfeld der Schottischen Aufklärung allerdings gelangte die systeminterne Rückkopplung – das System-Feedback –, als ihr Potenzial für eine System-Regulierung, mehr noch  : für eine Selbst-Regulierung des Systems, erkannt wurde. Dass das Spektrum an Möglichkeiten, das sich hierdurch auftat, als ein weitgespanntes gedacht werden muss, lässt sich anhand der Beispiele von Hume, Smith, Watt und Hutton zunächst grob skizzieren. Bei Hume ist der Zusammenhang mit Überlegungen zur Rückkopplung zunächst nicht leicht ersichtlich. Dass aber auch er sich durchaus explizit mit einem feedback system auseinandergesetzt hat, soll unten anhand eines Beispiels gezeigt werden.7 Von noch größerer Bedeutung und auch von sehr viel größerer Tragweite ist bei Hume allerdings die Verknüpfung eines Rückkopplungsmodells mit fundamentalen Gesichtspunkten seiner Erkenntnistheorie. Dieses Modell, das die Rollenverteilung zwischen den Affekten und dem Verstand bei der Auslösung und sodann bei der Kontrolle von Handlungen beschreibt, verlegt den handlungsauslösenden Impuls zwar in die Sphäre der Affekte, spricht jedoch dem Verstand jene Beurteilungsfunktion zu, die über ein bloßes StatusFeedback insofern weit hinausgeht, als Hume ihr das Vermögen einräumt, selbst Affekte zu erzeugen und somit wiederum das Handeln zu beeinflussen, ja sogar ein „Wollen hervorzurufen [to cause [[…]] any act of volition]“.8 Auf die genaue Argumentation Humes wurde in dieser Untersuchung bereits an anderer Stelle eingegangen.9 Ein gänzlich anderer Stellenwert als bei Hume kommt dem Feedback-Gedanken bei Smith zu. Um dies darzulegen, ist etwas weiter auszuholen. – Mit Überlegungen zur Selbstregulierung von Systemen befassten sich zuerst Techniker und Naturforscher, ehe sich die Aufmerksamkeit der entstehenden Gesellschaftswissenschaften darauf richtete und entsprechende Modelle umfassende Bedeutung erlangten. In dieser Hinsicht kam es gerade an den schottischen Universitätsstädten zu einer charakteristischen Konstellation. Sie bestand darin, dass sich im täglichen gesellschaftlichen Miteinander jener als hot-bed of genius in die Wissenschaftsgeschichte eingegangene „Schmelztiegel“ entwickelte, in dem sich die Denkweisen von Natur- und Moralphilosophie überschnitten und bis zu einem gewissen Grad miteinander verbanden. Die Berührungspunkte, die sich allein im Umfeld von Smith ergaben, können, so offen, wie sie zutage traten, schwerlich übersehen werden. Beispielsweise pflegte Smith sowohl zu James Watt als auch zu James Hutton einen engen persönlichen Kontakt, und diese beiden befassten sich, wenngleich auf völ7 Siehe ab S. 464 die Ausführungen zu Humes Essay Of the Balance of Trade. 8 D.  Hume  : Traktat, II, S. 152 f. – OT.: ders.: Treatise, p. 266, 2.3.3|4 9 Siehe das im Abschnitt 7.4.1 („Zur Verteilung der Rollen  : Affekte versus Verstand“) Gesagte.

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lig unterschiedliche Art, intensiv mit der Regulierung von Systemen  : Watt hatte eine Fliehkraftregelung für Dampfmaschinen entwickelt, die selbsttätig deren konstanteren Betrieb ermöglichte,10 und Huttons tatsächlich epochale Leistung11 bestand in der Entdeckung und Beschreibung des erdgeschichtlichen Ablaufschemas einer Wiederkehr von Erosion, untermeerischer Sedimentation, Verfestigung der Sedimente zu neuem Gestein (Konsolidierung), Hebung dieser Gesteine über die Meeresoberfläche und dadurch einer Neuentstehung von Land, mit dessen erneuter Erosion der Prozess von neuem beginnt.12 Bei genauer Betrachtung handelt es sich dabei nicht nur um ein sich selbst steuerndes System von wahrhaft unvorstellbarer Dimension, sondern en passant auch um eine Widerlegung der christlichen Kosmogonie. Es ist angesichts der von Smith ins Spiel gebrachten Metapher von der „unsichtbaren Hand“ nur schwer vorstellbar, dass diese durch Watt und Hutton gebotene doppelte Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit dem Modell eines feedback system keine nachvollziehbaren Spuren in den Überlegungen dieses so umfassend interessierten Denkers hinterlassen haben sollte. Doch es findet sich nirgends ein Hinweis, dass Smith sich mit den Erkenntnissen der beiden so tiefgreifend befasst hätte, dass ein ausdrücklich von ihnen ausgehender Impuls auf seine eigenen theoretischen Konzepte nachweisbar wäre.13 So bleibt neben dem wenig befriedigenden Gedanken an eine bloße Koinzidenz der sehr viel näher liegende an den Geist jener Zeit, in der die Idee der Selbstregulierung von Systemen offenbar verbreitet an Attraktivität gewann. Der Gedanke eines feedback system mag, wenn man sich Flecks Überlegungen zum Denkstil vor Augen führt, einfach in der Luft gelegen haben  : Der Systemgedanke war im 18. Jahrhundert nun etabliert, und die Untersuchung von Systemen zog die Frage nach ihrer Regulierung nach sich. Doch worin nun kann der Reiz der Einführung dieses ursprünglich in der Technik beobachteten Selbstregulierungsgeschehens in das politische und ökonomische Denken gelegen haben  ? Welche Erwartungen knüpfte Smith daran  ? Keinesfalls außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang, dass mit der Übertragung des Selbstregulierungsgedankens auf politische und wirtschaftliche Großsysteme eine Zuversicht in die künftige Entwicklung der Gesellschaft begründet werden konnte  : Wenn von bestimmten Entwicklungsprozessen anzunehmen war, dass sie „von selbst“ einen erwünschten Zustand, insbesondere den eines Gleichgewichts, anstreben würden, so minderte das erheblich die bedrohliche Anmutung von Zukunftsungewissheit. Wenn im Folgenden im Zusammenhang mit der Selbstkontrolle von Systemen als von Rückkopplungssystemen die Rede ist, so gilt es vorab zwei Grundmuster solcher Systeme zu unterscheiden  : solche, die in der Lage sind, eine bestehende Dynamik umzukehren, 10 Siehe O.  Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 231–234. 11 Siehe zu Hutton den Abschnitt 5.5.1.2 („James Hutton und der fehlgeschlagene Wissenstransfer“). 12 J.  Hutton  : Theory of the Earth, I, pp. 3–200 (= Chapter I). 13 Dies bestätigt O.  Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 235, der sagt, es lasse sich darauf „schließen, daß die liberale Ordnungsvorstellung von der praktischen Technik selbstregulierender Maschinen nicht nennenswert beeinflußt wurde.“

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von solchen, die sie verstärken. Im Kontext der Politik und der Wirtschaft sind jene Selbstkontrollmechanismen von Interesse, für die Mayr die Bezeichnung “control system with negative feedback” verwendet.14 Dabei ist unter einer „negativen“ Rückkopplung zu verstehen, dass ein Prozess, während er abläuft, solche Signale aus dem eigenen System erhält, die ihn zu einer Umkehr seiner bisherigen Bewegungsrichtung veranlassen – im Gegensatz zu einer „positiven“ Rückkopplung, welche die Bewegung verstärkt. Als Beispiel für ein System mit negativer Rückkopplung, dessen allgemeine Kenntnis vorausgesetzt werden kann, gilt etwa jenes von Angebot und Nachfrage beim Warenaustausch, die sich stets auf einen Zustand des Gleichgewichts einpendeln. Im Folgenden soll nun auf die bereits ins Spiel gebrachten und durchaus unterschiedlichen Selbstregulierungssysteme von Hume, Ferguson und Smith näher eingegangen werden.

13.1 David Hume  : Phasenmodell der Selbstregulierung

Wie Viner bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt hat, waren Systeme dieser Art zur Zeit der Schottischen Aufklärung nicht mehr neu.15 Allerdings erwiesen sich die frühen Darstellungen, die sich in den Werken von Gervaise16 (1720), Cantillon17 (1730/34) und Vanderlint18 (1734) finden, als noch nicht so konsequent ausgearbeitet, wie es dann jenes von Smith sein sollte.19 Und als mutmaßlich erstes Beispiel einer „hinreichend formulierten ökonomischen Rückkopplungsschleife“ kann deshalb jene Erklärung angesehen werden, die David Hume in seinem Essay Of the Balance of Trade 1752 geliefert hat.20 14 O. Mayr  : Adam Smith and the Concept of the Feedback System, p. 2. – Meine in diesem Abschnitt vorgebrachten Überlegungen sind durch Mayrs Aufsatz ausgelöst worden, auch wenn dort nicht so weit gegangen wird, zu behaupten, im Aufkommen der Feedback-Gedankens unter den schottischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts dürfe man eine charakteristische Neuorientierung im politischen Denken erkennen. 15 Siehe hierzu J. Viner  : English Theories of Foreign Trade Before Adam Smith. 16 I.  Gervaise  : The system or theory of the trade of the world. – Zu Gervaises Konzept der „Selbstregulierung in der Wirtschaftstheorie“ siehe auch O. Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 199–202. 17 R.  Cantillon  : Essai sur la nature du commerce en general. Adam Smith besaß diese Ausgabe  : siehe H. Mizuta  : Adam Smith’s Library, p. 45. 18 J.  Vanderlint  : Money answers all Things. 19 So O. Mayr  : Adam Smith and the Concept of the Feedback System, p. 3, unter Berufung auf J. Viner  : English Theories of Foreign Trade Before Adam Smith. – Dass im Zusammenhang mit Smith von Systemen im Plural die Rede ist, trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht nur im Wealth of Nations, sondern durchaus auch in der Theory Elemente enthalten sind, die als Rückkopplungen aufgefasst werden können. 20 D. Hume  : Of the Balance of Trade. In  : ders.: Essays (M.), p. 308–326. – Die Editionsgeschichte von Humes Essays ist unübersichtlich  ; dieser Essay war mit einigen weiteren Abhandlungen zu ökonomischen Fragen erst 1752 – bei Green/Grose fälschlich „1742“ – in die in Edinburgh erschienene Ausgabe der Essays aufgenommen worden, die dann den Titel „Political Discourses“ trug.

David Hume  : Phasenmodell der Selbstregulierung |

Eine von Humes offensichtlichsten Stärken als Autor lag in seiner Vielseitigkeit. Mit dem Genre des Essays bot sich ihm beispielsweise eine geeignete Publikationsform für die jeweils gesonderte Behandlung unterschiedlicher politischer und ökonomischer Fragen, ohne dass er dazu des Kontextes einer übergreifenden Theorie bedurft hätte. Die unmittelbar im Anschluss an den Treatise im Jahr 1742 veröffentlichten Essays, Moral and Political in zwei Bänden sind im Wesentlichen Erörterungen von Fragen der Zeit, und eine davon betraf die Leitlinien, an denen Staaten ihre Wirtschaftspolitik auszurichten hatten. Es ging um die Gegenüberstellung des Protektionismus, der merkantilistischen Überzeugungen folgte, mit dem aufkommenden Gedanken an einen staatsseits nicht eingeschränkten Warenaustausch. Hume zeigt sich mit Of the Balance of Trade als ein Apologet des Freihandels. Er weist auf einen Mechanismus des ökonomischen Niveauausgleichs hin, der zwischen den einzelnen nationalen Volkswirtschaften wirke. Dabei ist bemerkenswert, dass dieser Ausgleich als Konsequenz aus den Eigenschaften der zwischenstaatlichen Handelsbeziehungen selbst beschrieben wird, dass er also nicht mittels regulierender Eingriffe von außen stattfindet, sondern vielmehr in Form von Rückkopplungsschleifen wirkt. Der Begriff der „Schleife“ soll besagen, dass es sich um eine Dynamik handelt, die letztlich nie zu einem Stillstand kommen, sondern stets von Neuem durch ein andauerndes Vergleichen von Systemparametern zur Fortsetzung angeregt wird. Das Gleichgewicht, das auf diese Weise entsteht, kann folglich immer nur ein dynamisches, nie aber ein statisches sein. Hume erläutert den Ablauf, indem er ein mehrteiliges Szenario entwirft, anhand dessen er den vollständigen Vorgang der Selbstregulierung in seine Einzelschritte zerlegt und dadurch dessen Struktur transparent macht.21 Die erste Phase des Prozesses wird im – hypothetischen – Niedergang der Binnenwirtschaft gesehen  : „[1] Angenommen, vier Fünftel des gesamten Geldes in Großbritannien würden über Nacht vernichtet, und die Nation wäre damit in Hinsicht auf Hartgeld in den gleichen Zustand versetzt […], was wäre die Folge  ? [2] Müßte nicht der Preis aller Arbeit und Waren entsprechend sinken und alles so billig verkauft werden wie zu jenen Zeiten  ? Welche Nation könnte dann mit uns auf ausländischen Märkten konkurrieren oder zu den gleichen Preisen Schiffahrt betreiben oder Waren verkaufen wollen, die uns ausreichenden Profit einbrächten  ?“ Daran schließt sich die zweite Phase an, beginnend mit der Ausgleichsbewegung, die durch das Preisgefälle zwischen beiden Volkswirtschaften in Gang gesetzt wird. „[3] In welch kurzer Zeit müßte uns dies also das Geld zurückbringen, das wir verloren hätten und uns auf die Ebene aller benachbarten Nationen erheben  ?“ In der nun folgenden dritten Phase kommt diese Ausgleichsbewegung wieder zur Ruhe  : „[4] Wo wir, nachdem wir sie erreicht hätten, sofort allen Vorteil durch billige Arbeit und Waren verlieren würden und der weitere Geldfluß durch unsere Fülle und Sättigung gebremst würde.“ Dieser Ruhezustand wird allerdings nur so lange bestehen, 21 D. Hume  : Über die Handelsbilanz. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 234 f. – Eine Darstellung von Humes Entwurf findet sich bei O. Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 203 ff.

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bis durch die Umstände von Neuem ein Ungleichgewicht zur einen oder zur anderen Seite hin entsteht, das entsprechend den soeben beschriebenen Mechanismen erneut ausgeglichen wird.22 Der gesamte von Hume hier beschriebene Ablauf stellt in der Tat einen vollständigen Prozess dar, der zum Ausgleich führt. Dieser beginnt mit einer Phase der Prosperität und setzt sich fort über deren Abflauen, den Umschlag in eine gegenläufige Entwicklung mit dem Zurückfallen unter das Ausgangsniveau bis zum Erreichen eines Tiefpunktes, an dem der Übergang in eine Aufwärtsbewegung beginnt, mit der schließlich der ursprüngliche Status wieder erreicht oder übertroffen wird. Hume beschreibt damit also, möglicherweise erstmalig, einen volkswirtschaftlichen Regelkreis, und zwar – man muss einschränkend sagen  : annähernd, denn eigentlich handelt es sich ja um eine Erklärung anhand eines Beispiels – in Form eines Gesetzes. Darüber hinaus vertritt er den Gedanken der Allgemeingültigkeit seines Ablaufschemas für die Wirtschaft. Das Modell ist also eine Art von Postulat eines Gesetzes, das immer gilt. Dies gibt Hume ausdrücklich zu verstehen, wenn er hinzufügt  : „Die gleichen Ursachen, die diese übertriebenen Ungleichheiten [des obigen Beispiels] korrigieren könnten […], müssen offensichtlich im gewöhnlichen Lauf der Natur auch deren Auftreten verhindern und auf ewig [must for ever] in allen benachbarten Nationen das Geld im ungefähren Verhältnis zu Kunst und Fleiß jeder Nation erhalten.“23 Freilich stellt Hume seine immanent durchaus plausible Argumentation letztlich selbst auf tönerne Füße, wenn er den Ausgleich der Handelsbilanz mit dem Ausgleich des Niveaus von miteinander in Verbindung stehenden Wasservolumina gleichzusetzen versucht und sich von diesem Gedanken geradezu forttragen lässt  : Die Stellen, an denen diese Gleichsetzungen erfolgen, fallen in diesem Essay ins Auge.24 So lässt Hume sich auf 22 Humes Argumentation ist gewissermaßen symmetrisch, denn im Anschluss an das soeben beschriebene Szenario folgt nun eines unter genau umgekehrten Vorzeichen, beginnend mit einem aus dem Ungleichgewicht resultierenden Aufschwung der Binnenwirtschaft „Großbritanniens“  : „[1] Nimmt man weiter an, daß alles Geld in Großbritannien in einer Nacht um das Fünffache vermehrt würde, müßte nicht der gegenteilige Effekt auftreten  ? [2] Müßten nicht alle Arbeit und Waren in so astronomische Höhen steigen, daß keine benachbarte Nation es sich leisten könnte, von uns zu kaufen, [3] während andererseits ihre Waren vergleichsweise so billig würden, daß sie uns trotz aller Gesetze, die man dagegen erlassen könnte, überschwemmen und uns unser Geld entziehen würden, [4] bis wir auf eine Ebene mit den Ausländern gesunken wären und jene große Überlegenheit im Reichtum verloren hätten, die uns solche Nachteile gebracht hatte  ?“ D. Hume  : Über die Handelsbilanz. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 235. 23 Ebd. (Hervorh. HK). – OT.: D. Hume  : Of the Balance of Trade. In  : ders.: Essays (M.), p. 312. 24 Siehe hierzu folgende Beispiele aus D. Hume  : Über die Handelsbilanz. In  : ders.: Essays (B.), 2  : „[…] weil es unmöglich ist, Geld anders als jede Flüssigkeit über sein angemessenes Niveau hinaus anzuhäufen […]. […] jede Wassermasse kann über das Niveau des umgebenden Elements hinaus erhöht werden, wenn sie damit nicht in Verbindung steht. Wird die Verbindung durch ein materielles oder physikalisches Hindernis unterbrochen […], so kann in einem solchen Fall auch in Bezug auf Geld große Ungleichheit entstehen.“ (S. 236) – „Ein großer Staat würde seinen Reichtum in gefährlichen und unbedachten Vorhaben vergeuden, und außerdem wahrscheinlich sehr viel [W]ertvolleres zerstören, nämlich den Fleiß, die Moral und Zahl seiner Menschen. Die Flüssigkeit ist in diesem Fall zu weit erhöht worden und sprengt und zerstört ihren

David Hume  : Phasenmodell der Selbstregulierung |

rhetorische Manöver ein, die allerdings fehlschlagen müssen, weil Geld im eigentlichen Sinn, wie es die Metapher nahelegt, ja keineswegs (passiv) „fließt“, sondern vielmehr (aktiv) transferiert wird, und zwar aufgrund menschlicher Interessen, die sich niemals als wirkliche Gesetzmäßigkeiten beschreiben lassen, und nicht gemäß physikalischer Gesetze. Die Dynamik von Finanzströmen ist keine natürliche, sondern eine „künstliche“ Tatsache, und sie zu ergründen muss eben bedeuten, Kenntnis über menschliche Absichten zu erlangen, nicht über Naturgesetze. Dass der Essay trotz dieser nicht überzeugenden Geld-Wasser-Analogie viele volkswirtschaftliche Bewegungen durchaus mit Scharfblick herausarbeiten kann, verdankt er den zahlreichen Verweisen auf überlieferte historische Sachverhalte, unter denen der wohl wichtigste jener auf die wirtschaftliche Entwicklung in Schottland und England nach der politischen Union der beiden Länder war. Dabei kam Hume die dort noch sehr lebendige Erinnerung zu Hilfe, denn der Zusammenschluss von 1707 hatte einen „empirischen“ Beleg für die These vom allgemeinen Nutzen freier Handelsbeziehungen erbracht  : Insbesondere in Schottland war es durch den nun ungehinderten Zugang zu den Märkten Englands und seiner Kolonien zu einem erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung gekommen, der keineswegs zu Lasten Londons gegangen war  :25 „Welche der Nationen hat durch […] freien Handel von der anderen gewonnen, seit die Union die Schranken zwischen Schottland und England beseitigt hat  ? […] Der Abbé du Bos berichtet uns, daß man vor der Union in England allgemein befürchtet habe, daß Schottland ihm bald seinen Schatz entziehen werde, wenn freier Handel erlaubt sei, während auf der anderen Seite des Tweed die entgegengesetzte Besorgnis geherrscht habe  : Mit welcher Berechtigung in beiden Fällen, hat die Zeit gezeigt.“26

Hume belässt es weitgehend bei dieser Beobachtung. Essays, wie er sie schrieb, sind Detailbetrachtungen, frei vom Anspruch, in politische Theorie zu münden. Ohne Wirkung blieben diese Gedanken zum Freihandel dennoch nicht  ; sie bedurften der Vertiefung, und die leistete der für ein solches Vorhaben allein schon wegen seiner Neigung zu akribischer Bestandsaufnahme von Tatbeständen in besonderer Weise geeignete Smith. Bevor jedoch auf dessen Überlegungen zu einem Rückkopplungssystem näher eingegangen wird,27 richtet sich der Blick auf Ferguson. Behälter.“ (S. 245) – „ […] mehr als tausend Jahre ist das Geld Europas in einem offenen und merklichen Strom nach Rom geflossen, doch Rom ist durch viele geheime und unsichtbare Kanäle geleert worden […].“ (S. 250) 25 Allerdings war der unmittelbare und größte Gewinn für England die Befreiung von politischen Befürchtungen, die sich aus den Konflikten um die Thronfolge einerseits und der Sorge um eine mögliche Koalition Schottlands insbesondere mit Frankreich gespeist hatten. 26 D. Hume  : Über die Handelsbilanz. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 237 f. 27 Siehe den Abschnitt 13.3 („Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems“).

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13.2 Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung

In Großbritannien wandelte sich seit dem frühen 18. Jahrhundert die Vorstellung von der Ordnung des Staates. Das traditionelle Modell, bei dem das politische oder wirtschaftliche System seine Ordnungsimpulse durch eine Autorität von außen erhalten hatte, wurde nach und nach durch ein neues, „liberales“ ersetzt, für das der Gedanke der Selbstregulierung an Bedeutung gewann. Es war dies gleichzeitig der Übergang von einem statischen zu einem dynamischen Verständnis des Gefüges der Gesellschaft, in dem zwischen den Zielen der staatlichen Ordnung und der individuellen Freiheit durch einen immanenten Regelmechanismus ein Gleichgewicht der Kräfte hergestellt werden sollte, also ein Machtgleichgewicht (balance of power) angestrebt wurde. Tatsächlich zeigt sich im politischen Denken seit der Renaissance eine solche Hinwendung zum Gedanken des Gleichgewichts. Das gilt sowohl für die Kräfteverhältnisse zwischen den europäischen Staaten, wo das Hegemoniestreben sukzessive der Schaffung von Koalitionen Platz machte, die mit dem Ziel geschlossen wurden, Konstellationen der Machtbalance zwischen den Mächten zu erreichen. Ein anderes Beispiel für das Bestreben nach Ausgleich bietet die Entwicklung der Handelsbeziehungen  : Hatten sich die Nationen gemäß merkantilistischer Überzeugung zuvor an der Zielvorstellung von möglichst großen Überschüssen im Außenhandel orientiert – einem Übergewicht der Ausfuhren gegenüber den Einfuhren –, so trat seit dem 16. Jahrhundert in den theoretischen Schriften28 und sodann auch im politischen Handeln selbst das Ideal einer ausgeglichenen Handelsbilanz in den Vordergrund. Im 18. Jahrhundert schließlich war das Gleichgewichtsmodell zumindest in der Politik Großbritanniens, wenngleich nicht immer das alleinige Handlungsziel, so doch immerhin eine bedeutende Option, die bei Entscheidungen mit einbezogen wurde. Die diesem Systemverständnis angemessene Metaphorik war, wie bereits angedeutet, die einer Waage.29 Das erscheint angesichts der naheliegenden Assoziation mit der Vorstellung eines Gleichgewichts zunächst als schlüssig. Doch genauer besehen sind die Konnotationen des Waagebegriffs keineswegs eindeutig, denn als Werkzeug dient sie ja zwei durchaus unterschiedlichen Aufgaben, nämlich einerseits zur Feststellung von Gewichtsunterschieden (und Gewichtungen), andererseits zur Herstellung eines Gleichgewichts. Eine Gleichsetzung der Waage-Metapher mit dem Gleichgewichtsmodell ist deshalb nicht zielführend, und dies wird anhand der Schriften der schottischen Moralphilosophen auch deutlich. Ferguson verwendet beispielsweise in seinem Essay den Begriff der Waage nicht metaphorisch. Spricht er von balance, so bezeichnet er nicht das Werkzeug (scale, die Waage 28 Siehe hierzu J. Viner  : English Theories of Foreign Trade Before Adam Smith, I, p. 257  : “Although the concept of a national balance of trade was already common in the sixteenth century, the exact term itself seems to have first been coined in 1615, when it almost immediately passed into common usage.” (Hervorh. HK) 29 O.  Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 170 ff.

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mit ihren beiden Waagschalen, wie sie etwa in der Gerechtigkeitsmetapher von Justitia vorkommt), sondern einen Zustand, eben den eines Gleichgewichts oder einer Balance.30 Dass er einen solch ausgeglichenen Zustand als einen politisch erstrebenswerten ansieht, steht dabei außer Zweifel. Dabei begreift auch er das angestrebte Gleichgewicht nicht als ein statisches, sondern als ein dynamisches, das sich stets von neuem einstellen muss und auch tatsächlich einstellt, indem die Mitglieder der Gesellschaft jeweils ihre eigenen Absichten verfolgen. Die folgende Textstelle im Essay verdeutlicht das exemplarisch. Ferguson führt aus  : „Freiheit wird durch die beständigen Meinungsverschiedenheiten und Gegensätze der vielen aufrechterhalten, nicht etwa durch ihren gemeinsamen Eifer für eine unparteiische Regierung.“31 Der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Ziel des Ausgleichs zwischen unterschiedlichen Standpunkten also, so mühevoll er sein mag, erzeugt die gemeinsame Basis einer funktionierenden Gesellschaft. Die Akzeptanz von Entscheidungen ist eine Folge der im Diskurs erzeugten Transparenz. Fergusons Vorstellung steht in einem engen Zusammenhang mit der Bedeutung, die er den Gesetzen beimisst  : Es ist die einer moderierenden Instanz, welche die Regeln fixiert, nach denen der – im Übrigen niemals endende – Interessenausgleich geordnet stattfinden kann  :32 „Die Liebe zum Gemeinwohl und der Respekt vor den Gesetzen, das sind die Punkte, in denen die Menschen einig sein müssen. Wenn aber in strittigen Fragen die Ansicht eines einzelnen oder irgendeiner Partei unabänderlich befolgt wird, dann ist die Sache der Freiheit bereits verraten.“33 Andernfalls jedoch, so ist zu ergänzen, ist dieser Sache der Freiheit durchaus gedient  : Unter der Voraussetzung nämlich, dass diese Regeln von allen beachtet werden, erscheint Ferguson durch die Dynamik des permanenten Interessenausgleichs im Diskurs der Fortbestand der Gesellschaft als gesichert. Ja, ohne den „Schauplatz, […] auf dem die Parteien um Macht, und Privilegien oder um Gleichheit miteinander ringen“, werde die „Gesellschaft selbst nicht mehr länger bestehen“ können. Vielmehr sei es gerade der gesunde „Menschenverstand […], der in der Auseinandersetzung mit den Privatansichten einzelner Individuen und mit den Ansprüchen der Parteien [struggling with the private views of individuals, and the claims of party] als der große Gesetzgeber der Nationen angesehen werden“ könne.34 Die Aufhebung von Interessen- und von Klassengegensätzen – einen statischen Zustand also –

30 Die Entsprechung im Deutschen lautet  : „Etwas ist in der Waage“ bzw. „ausgewogen“. 31 A.  Ferguson  : Versuch, S.  266.  – Vgl. hierzu C.  Smith  : Adam Ferguson and the Idea of Civil Society, pp. 210–211. 32 Eine noch etwas weiter gehende Beurteilung findet sich bei Batscha/Medick  : Einleitung, S. 65 f.: „Denn nur im wechselseitigen Austragen sozialer und politischer Konflikte, im Prozeß der Läuterung der verschiedenen realen Interessen auf diesem Wege scheint ihm [Ferguson] die Gewähr der wahren Interessenwahrnehmung der politischen Bürger zu liegen. […] Gesetze sind auf diese Weise […] stets Ausdruck der Interessenwidersprüche […]. Nicht Gleichschaltung und Anpassung werden von Ferguson gefordert, sondern der nach dem Austragen politischer Kämpfe erreichte und deshalb vertretbare Kompromiß.“ 33 A.  Ferguson  : Versuch, S. 455. 34 Ebd., S. 275. – OT.: ders.: Essay, p. 131.

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betrachtet Ferguson jedenfalls für ein funktionierendes Gesellschaftsgefüge keineswegs als Bedingung.35 Bewertet man die angeführten Zitate als zentrale Aussagen in Fergusons Argumentation und nicht lediglich als bloße rhetorische Bekenntnisse, so lassen sie sich als die Beschreibung eines sich selbst stabilisierenden, zumindest jedenfalls eines sich selbst regulierenden Systems lesen  : Gerade die Tatsache verschiedener Interessenlagen erzwingt es geradezu, dass ein Prozess des Interessenausgleichs in Gang kommt. Dieser zwingt die verschiedenen Akteure zum Kontakt miteinander und damit zu einem Verfahren des Aushandelns. „Gesetzgebung“, so sagt Ferguson ausdrücklich, sei „ein fortgesetztes Aushandeln [a continued negotiation], bei dem die Parteien frühere Artikel erläutern oder weitere Vereinbarungen zu ihrem gemeinsamen Vorteil oder ihrer gemeinsamen Sicherheit“ träfen. Das Ergebnis sei ein „faires Übereinkommen [a fair convention]“.36 Starren Frontstellungen innerhalb der Gesellschaft wird dadurch entgegengewirkt. Der Verpflichtung auf die Kommunikation kommt eine deeskalierende Funktion zu. Dass Ferguson der Einwand, es könne sich hierbei auch um Wunschdenken handeln, bewusst war, gibt er dadurch zu erkennen, dass er ihn zu entkräften sucht  : „Zuweilen werden inmitten der Parteizwiste die öffentlichen Interessen, ja sogar die Grundsätze der Gerechtigkeit und der Redlichkeit vergessen. Doch daraus ergeben sich keineswegs unausweichlich jene fatalen Konsequenzen, die ein solches Maß an Korruption [in der Bedeutung von  : Sittenverfall] mit sich zu führen scheint. Oft ist das öffentliche Interesse [public interest, evtl. zutreffender  : „Gemeinwohl“] gerade deshalb gesichert, weil ein jeder an seinem Platze entschlossen ist, sein eigenes Interesse zu wahren [because each, in his place, is determined to preserve his own], und nicht etwa deshalb, weil die Individuen geneigt sind, dieses öffentliche Interesse als Endziel ihres Verhaltens zu betrachten.“37

Das aber gerade ist es, was ein sich selbst stabilisierendes System kennzeichnet  : der absichtslos herbeigeführte Effekt – das System ist dauerhaft stabil, obwohl niemand die Absicht verfolgt noch verfolgen muss, sein Funktionieren zu gewährleisten. Man kann Fergusons Thesen vor dem Hintergrund des Hinweises von Mayr betrachten, es sei im 18. Jahrhundert in Großbritannien allmählich das Verständnis für ein „neues Schema für die Strukturierung dynamischer Systeme“ aufgekommen  ; man habe erkannt, dass bestimmte Systeme die Fähigkeit zur Selbstregulierung besaßen.38 Davon abgesehen, dass bereits zu Anfang des Jahrhunderts in Mandevilles Bienenstock ein sol35 In diesem Sinn ist auch die folgende Feststellung zu verstehen, mit der Ferguson den Klassenstaat als eine vorhersehbare Konsequenz der gesellschaftlichen Entwicklung konstatiert  : „Mit dem Fortschreiten der gewerblichen Künste und der Staatskunst werden die Angehörigen eines jeden Staates in Klassen eingeteilt.“ A.  Ferguson  : Versuch, S. 295. 36 A.  Ferguson  : Principles, I, p. 304 (e. Ü.). 37 Ebd., S. 266. – OT.: ders.: Essay, p. 124. 38 O.  Mayr  : Uhrwerk und Waage, S. 169.

Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs |

ches sich selbst stabilisierendes System zu erkennen ist, stellt sich die Frage  : Wie hat man sich dessen Wirkweise vorzustellen  ? Grundsätzlich stehen sich zwei Modi gegenüber, nach denen sich die Entwicklung der Gesellschaft vollzieht  : entweder infolge eines absichtsvollen Handelns der die Abläufe beherrschenden Akteure – worunter in der Regel Führungspersönlichkeiten wie Gesetzgeber, Feldherrn, Herrscher, verstanden werden – oder als unintendierte Folgen von Handlungen im Rahmen der jeweils aktuellen Situation – als Ergebnisse spontaner Ordnung (spontaneous order), also „aus sich selbst heraus“.39 Die traditionelle Form der Erzählung von Geschichte war bis weit ins 18. Jahrhundert hinein die eines die Ereignisse jeweils bestimmenden Handelns von Persönlichkeiten. Geschichte war damit das Ergebnis von verwirklichten oder gescheiterten Aktionen Einzelner, und an diese die Abläufe strukturierenden und prägenden Individuen war ihre Überlieferung gebunden. Verstand man die Absichten der Akteure, so verstand man den Prozess. Zwar spiegelt sich ein Bewusstsein für den grundsätzlich kontingenten Verlauf der Geschichte in Begriffen wie „Schlachtenglück“ wider, doch die Unverfügbarkeit der jeweiligen Zukunft wurde als eine zu bewältigende – und von den bestimmenden Akteuren eben bewältigte oder nicht bewältigte – angesehen. Den Führungspersönlichkeiten wurde die Fähigkeit zum Erkennen des jeweils „historischen Moments“ zuerkannt, dies aber nur in der Art einer Voraussetzung. Die geschichtliche Tat bestand darin, die spezifische historische Situation nicht nur zu erfassen, sondern aus ihr die Optionen auszulesen, die sich dem Handeln boten, und in der Folge eben in den Gang der Geschichte einzugreifen, „Geschichte zu schreiben“, sie also – „entschlossen“ oder „kühn“ oder „tatkräftig“ – handelnd umzuschreiben. Historiographie dieser Art ist zwangsläufig eine Personenbeziehungsweise Herrschergeschichte. Die Grundannahme bei diesem Denkansatz war es, im Einzelnen sei das bewegende Moment der Geschichte auszumachen – ein bewusster Entschluss etwa, ein bestimmtes Gesetz und anderes in dieser Art. Hume, Smith, Ferguson und Millar übernahmen diese Denkweise offensichtlich nicht. Sie suchten nach den zugrunde liegenden Strukturen, nach dem Wandel des Zeitgeists, nach den sich mit einer gewissen Schlüssigkeit, ja Zwangsläufigkeit ergebenden Veränderungen. Damit verstanden sie Geschichte nunmehr als einen Prozess, in dem sich zwar bestimmte Entwicklungsphasen oder -stadien nachweisen ließen,40 der jedoch aus sich selbst heraus stets aufs Neue Zustände von gesellschaftlicher Ordnung erreichte. Das Geschichts- und Gesellschaftsmodell, das dieser Auffassung zugrundeliegt, ist das einer spontaneous order. Bevor wir uns der Frage zuwenden, was man sich unter dem Sich-Ausbilden einer auf diese Weise entstehenden Ordnung vorzustellen hat, noch ein Wort zum Begriff selbst. 39 Siehe zu diesem Thema  : R. K. Merton  : The Unanticipated Consequences of Purposive Social Action. – R. Vernon  : Unintended Consequences. – B. Gurung  : Institutional change  : the unanticipated consequences of action. – Cordasco/Bavetta  : Spontaneous Order. 40 Zu den von den schottischen Denkern bevorzugten Stadienmodellen der Entwicklung der Zivilisation siehe den Abschnitt 8.3 („Vorstellungen vom Gang der Geschichte und ihrer Bedeutung für die Theorie“).

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Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen

Spontaneous order besagt, dass ein System aus sich selbst heraus einen Zustand der Ausgeglichenheit erreicht, und zwar aufgrund bestehender Voraussetzungen und der Schlüsse, die aus diesen gezogen werden, sowie der Handlungen, zu denen es diesen Schlüssen zufolge kommt. Es ist möglich, dass es sich dabei um einen Zustand eines tatsächlichen Gleichgewichts der Kräfte handelt – wie Hume dies stets für wünschenswert erachtete – oder nur um ein vorübergehendes Zur-Ruhe-Kommen einer Entwicklung, die bald erneut in eine Dynamik übergehen würde. Das entscheidende Kriterium, das von einer spontaneous order sprechen lässt, ist allerdings nicht der Grad ihrer letztlichen Stabilität, sondern die Tatsache, dass sie absichtslos und nicht als Ergebnis menschlicher Planung eintritt.41 Ferguson widmet der Darlegung seiner Geschichtsauffassung im Essay breiten Raum. Dazu bringt er den Begriff der „Neigung“ ins Spiel  : Nur wenn eine solche (im Volk) im Hinblick auf bestimmte Ziele vorhanden sei, könne es der Regierung gelingen, Veränderungen herbeizuführen, denn er nimmt an, dass „die berühmten Krieger und Staatsmänner, die als Gründer dieser Gesellschaft [– die Rede ist von Rom und Sparta –] gelten, nur eine hervorragende Rolle unter den zahlreichen anderen Menschen spielten, die zu den gleichen Einrichtungen neigten [who were disposed to the same institutions].“42 „Neigung“ ist, wie etwa auch „Tendenz“, ein unscharfer Begriff, der für eine Kraft steht, die nicht exakt bestimmt werden kann. Was genau es also ist, das die besagten „Veränderungen“ herbeiführt, lässt sich zumeist nicht ausmachen. Immerhin soviel  : Nicht die einzelnen Führer tragen die Entwicklung, sondern diese erscheint als eine Folge der Umstände, und die handelnden Persönlichkeiten sind lediglich ein Teil von diesen. Umstände jedoch sind etwas ganz anderes als Absichten und Taten, und daraus ergibt sich ein Bild von Geschichte, die keine vom Menschen gemachte, sondern eine – immerhin – unter seiner Beteiligung entstandene ist. Die Menschen allerdings werden sehr wohl als handelnde Akteure begriffen, die, wie man schlussfolgern darf, ihre Interessen in die Auseinandersetzungen einbringen. Dort führen sie einen Zustand herbei, der von ihnen einzeln gar nicht angestrebt war, sich jedoch letztlich als die stimmigste Lösung für das gesellschaftliche Gesamtgefüge ergibt. Und Ferguson lässt keinen Zweifel aufkommen, dass dies alles auch genau so seine Richtigkeit habe.43 41 Genau genommen empfiehlt es sich überdies, im Deutschen – wegen der dort vorherrschenden Konnotation von „spontan“ mit „plötzlich/unmittelbar“ – nicht von „spontaner Ordnung“ zu sprechen, sondern von einer „Ordnung aus innerem Antrieb“ bzw. von einer „unintendierten Ordnung“. 42 A.  Ferguson  : Versuch, S. 260 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Essay, p. 121. 43 Am Ende des zweiten Bandes der Principles erläutert er diesbezüglich  : „Und zum Abschluss unserer Betrachtung des Themas können wir nun feststellen, dass die Zusammenkunft der Menschen keinesfalls als eine Ansammlung bewegungsloser oder ruhender Stoffe zu betrachten ist, sondern ein Aufeinandertreffen lebendiger und wirkender Naturen ist. Die Ordnung, die sie empfinden können, ist nicht, wie die von Steinen in einer Wand oder einem Bogen, die der relativen Lage oder Stelle, sondern der Tätigkeit und der Zusammenarbeit in verschiedenen Funktionen oder des Gleichgewichts, des Gegengewichts und der gegenseitigen Korrektur, wo die Wirkung einer einzelnen Kraft unvollständig und falsch sein mag, aber das allgemeine Ergebnis günstig und angemessen ist.

Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems |

Geschichte ist für Ferguson, auch wenn sie in den vom ihm zurate gezogenen Quellen zumeist anders dargestellt wird, weder das Werk einzelner Protagonisten noch das Ergebnis geglückter Planung  : „Keine Verfassung wird durch Verabredung gebildet, keine Regierung entspricht der Kopie eines Plans.“ Die Zukunft liege offen vor uns  : Wir seien blind für sie.44 Der Verstehbarkeit ist sie schon allein deshalb enthoben, weil sich nur etwas verstehen lässt, das bereits existiert. Damit ist die Reichweite von Prognosen eingeschränkt. Sieht man aber die zurückliegende, bereits vollendete Geschichte weder als das Ergebnis von absichtsvoller Planung noch als einen nach kausalen Gesetzmäßigkeiten verlaufenden Prozess an, sondern als das unintendierte Ergebnis einer Summe von Handlungen  : Worauf kann Zuversicht sich dann gründen  ? Ferguson gibt zwei Antworten. Zum einen setzt er darauf, dass bürgerliche Tugenden im Verlauf der Entwicklung die Oberhand behalten – wir kamen darauf an anderer Stelle bereits zu sprechen.45 Zum andern geht er, wie voranstehend ausgeführt wurde, davon aus, dass ein System, also auch die Gesellschaft im Rahmen ihrer zivilisatorischen Entwicklung, aus sich selbst heraus zu einer Ordnung findet.46

13.3 Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems

Smith teilte Fergusons diesbezügliche Annahmen in einem gewissen Umfang, jedoch nicht vollständig. Er war sich der Bedeutung nicht intendierter Handlungsfolgen für den Fortgang des Ganzen bewusst – schließlich war dieser Gedanke spätestens seit Mandevilles Fable of the Bees in seiner Übertragung auf die Gesellschaft präsent, und Smith hatte sich damit, wenngleich sehr kritisch, in der Theory ausführlich auseinandergesetzt.47 Allerdings ging er in seiner Zuversicht in die Möglichkeiten zur Selbstregulierung von Systemen über Fergusons Theorie einer spontaneous order einen Schritt hinaus. Mit Blick

So ist die lebendige Ordnung der Natur überall  ; und die Bilanz dieser Auseinandersetzung, die sich auf die Glückseligkeit der Nationen bezieht, kann in diesen umfassenden, wenn auch vagen Ausdrücken zusammengefasst werden, dass die Glückseligkeit der Nationen dem Grad entspricht, in dem jeder Bürger sicher ist, und dort am vollkommensten, wo jede aufrichtige oder unschuldige Anstrengung des menschlichen Geistes gefördert wird, wo die Regierung auf die Weisen übergeht und wo der nicht streitlustige Schwache geschützt ist.“ – A. Ferguson  : Principles, II, pp. 511–512 (e. Ü.). 44 A.  Ferguson  : Versuch, S. 260 f. 45 Zu Fergusons Vorstellung von der Bedeutung der Tugend(en) der Individuen im Hinblick auf das Gemeinwohl siehe den Abschnitt 11.3.1 („Traditioneller versus ‚moderner‘ Blick auf die Tugend“). 46 Dass Ferguson hingegen die Erfolgsaussichten menschlicher Planung pauschal gering einschätzte, machte er in den Principles deutlich, wo er dem politischen Wandel attestierte, dieser vollziehe sich „mit völliger Blindheit gegenüber der Zukunft oder Unkenntnis der Folgen, die sich wahrscheinlich ergeben werden“. A.  Ferguson  : Principles, I, p. 314 (e. Ü.). 47 Siehe hierzu A.  Smith  : Theorie, S. 503–514.

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Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen

auf die ökonomische Entwicklung der Gesellschaft drang er dabei in einen neuen Bereich vor, indem er die Wirkweise von Rückkopplungsschleifen genauer beschrieb. Das erste Buch seines epochalen Wealth of Nations beginnt Smith aufschlussreich für all diejenigen, die in einer Überschrift bereits Aufschluss finden wollen  : „Was die produktiven Kräfte der Arbeit verbessert und nach welcher natürlichen Ordnung sich ihr Ertrag auf die einzelnen Schichten der Bevölkerung verteilt“,48 heißt es da, und dies verheißt einerseits ausdrücklich eine Verbesserung der Umstände, schränkt andererseits jedoch ein, dass sich der „Ertrag“ der vorgestellten Maßnahmen entsprechend einer „natürlichen“ – und das bedeutet nicht zwangsläufig  : „gerechten“ – Ordnung auf das Volk verteilen werde.49 Wer diese Überschrift so auffasst, muss bei Smith allergrößte Akribie im Umgang mit Begriffen voraussetzen, und tatsächlich wird diese Annahme durch das meiste, das über seine Arbeitsweise überliefert ist, gestützt  : Er zeigt sich als ein in hohem Maß sprachbewusster Autor,50 der in aller Regel überlegt formuliert und in dessen Wortwahl sich daher nicht leicht Zufälligkeiten finden lassen. Wenn am Beginn des Wealth of Nations nun von einer „natürlichen“ und nicht von einer „gerechten“ Ordnung die Rede ist, darf man folgern, dass es hier um den Prozess der Verteilung des „Volkswohlstands“ geht und nicht um die moralische Bewertung seiner Ergebnisse. Jedenfalls ist es so, dass Smith offenbar annahm, sich mit der Verwendung des Begriffs „natürlich“ klar ausgedrückt zu haben und sich um dessen genauere Bestimmung nicht weiter bemühen zu müssen.51 Wenngleich sich jedoch aus der Formulierung der genannten Überschrift ableiten lässt, dass Smiths Grundhaltung hinsichtlich der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung von Zuversicht geprägt war und er den Fortgang dieser Entwicklung in die Hand des Menschen gelegt sah, so ist seine Argumentation doch keineswegs übersichtlich, sondern – sie füllt ja zwei umfangreiche Werke – ebenso detailreich wie komplex. Sie nimmt von einer ganzen Reihe von Voraussetzungen ihren Ausgang, die keineswegs alle auf empirisch gewonnene Erkenntnisse zurückgehen, sondern daneben auch auf anthropologische, individualpsychologische und sozialpsychologische Grundannahmen. Zudem steht im Zentrum eine Vorstellung von der Natur des Menschen, die gleichermaßen als Ausgangspunkt wie als Projektionsfläche der Theorie fungiert. 48 A.  Smith  : Wohlstand, S. 7. – Die „produktiven Kräfte“ sind zu verstehen als die Quelle, aus der jeglicher Volkswohlstand kommt. Deshalb gilt  : Was diese produktiven Kräfte verbessert, verbessert wie von selbst die Lage eines Volkes. 49 A.  Smith  : Wealth, p. 13  : “Of the Causes of Improvement in the productive Powers of Labour, and of the Order according to which its Produce is naturally distributed among the different Ranks of the People”. (Hervorh. HK) 50 Siehe auch den Abschnitt 14.3 („Adam Smith über die Bedeutung der Sprache“). 51 Das ist, wie oben bereits ausführlich dargelegt wurde, ein Charakteristikum der Schottischen Aufklärung allgemein und der Texte Smiths im Besonderen, das die Forschung durchaus registriert hat. Ein schlüssiger Klärungsvorschlag hinsichtlich der Begriffsverwendung im Wealth of Nations stammt von L. Hill  : „Obwohl Smith niemals richtig definiert, was der Begriff ‚natürlich‘ in diesem Zusammenhang bedeutet, scheint ‚natürlich‘ im Allgemeinen einen Zustand zu bezeichnen, in dem die angeborenen Triebe der menschlichen Akteure freie Hand haben […].“ – L. Hill  : Adam Smith and the Theme of Corruption, p. 644–645 (e. Ü.).

Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems |

Obgleich es als erwiesen gelten darf, dass Smiths Veröffentlichungen letztlich keine vollkommene Konsistenz aufweisen, so sind doch seine beiden fertiggestellten Hauptwerke, die Theory und der Wealth of Nations, als zwei komplementäre Teile eines einheitlichen Gedankengebäudes zu behandeln, dem eine punktuelle Exegese einzeln herausgegriffener Textstellen keineswegs gerecht würde. Der Deist Smith dachte die Welt als ein Gefüge sich ergänzender Systeme, deren einzelne Bestandteile nach einem höheren, doch für den Menschen durchaus nicht immer einsichtigen Plan ineinander griffen. Dabei war der Wissenschaft, hier der science of man, die Aufgabe zugedacht, zum einen die Funktionsweise dieser Systeme zu erkennen – man kann sie sich als aus bestimmten Elementen beziehungsweise Mechanismen zusammengesetzt vorstellen –, zum anderen die Zwecke zu beschreiben, deren Verfolgung sie gemäß einem höheren Plan jeweils dienten (oder doch zumindest anscheinend dienten). Diese Zwecke erreichen sie im Rahmen einer Art von Eigendynamik, sei es, dass sie menschliche Eigenschaften ausnützen, sei es, dass sie die Dinge „wie von selbst“ geschehen lassen. Die eingängige Metapher, die Smith hierfür geprägt hat, ist jene von der „unsichtbaren Hand“. In ihr finden sich drei Aspekte vereint  : der Systemgedanke selbst, die Überzeugung der Zielgerichtetheit dieses Systems unabhängig von menschlichen Intentionen sowie dessen immanente Regelhaftigkeit. Differenziert man weiter, so zeigen sich in Smiths Theorie zwei Typen von Systemen, nämlich diejenigen, die allein schon deshalb autonom funktionieren müssen, weil sie, wie das „System“ der Gestirne, dem menschlichen Zugriff entzogen sind,52 und solche, in die menschliches Handeln eingreifen kann – wie etwa die Abläufe der Wirtschaft, die der Wealth of Nations nachzeichnet. Den entscheidenden Veränderungsimpuls, der auf das System wirtschaftlicher Interaktionsprozesse wirkt, macht Smith in der Arbeitsteilung aus. Dieses Thema steht am Anfang, die Beweisführung nimmt davon ihren Ausgang. Es ist deshalb geboten, noch einmal darauf zurückzukommen und anhand weniger Aspekte dieses grundlegenden 1. Buches die Richtung der Analyse deutlich zu machen, die Smith hier einschlägt. Er setzt dabei Grundbegriffe wie „Arbeit“ oder „Produktivität“ voraus  ; im kurzen Vorspann „Einführung und Plan des Werkes“ hatte er sie ins Spiel gebracht, war auf sie jedoch nicht näher eingegangen. Es fällt auf, dass die Argumentation unmittelbar und ausschließlich von den ökonomischen Abläufen ausgeht – die Wirtschaft erscheint als ein Räderwerk, eine machine.53 Die Perspektive ist eine technische, ganz so, als handle es sich um einen Apparat. An einer Beschreibung der menschlichen Bedürfnisse fehlt es zunächst ebenso wie an den Rückgriffen auf die „menschliche Natur“, die ja ansonsten in der moral philosophy dieser Zeit stets als Ausgangspunkt fungiert.54 Somit gilt auch die erste 52 Siehe hierzu Smiths Ausführungen in seiner History of Astronomy. In  : ders.: Essays, pp. 31–105. – Wie weit Smith hier die Bedeutung des Begriffs „System“ dehnt, zeigt sich, wenn er machine als Synonym für system verwendet  : “How many wheels are necessary to carry on the movements of this imaginary machine, the system of Eccentric Spheres  !” Ebd., p. 66 (Hervorh. HK). 53 Vgl. zur Bedeutung von machine im Kontext mit system das Zitat auf S. 229 (Fn. 218). 54 G. Streminger  : Die unsichtbare Hand des Marktes und die sichtbare Hand des Staates, S. 160 f. und S. 160,

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Zuversicht in die Selbstregulierung von Systemen

Analyse dem Mechanismus des wirtschaftlichen Systems selbst, nicht seiner Verankerung in den Bedingungen des menschlichen Daseins. Überlegungen dazu werden von Smith nachgereicht.55 Die Arbeitsteilung wird zunächst nur beschrieben, ihr Nutzen im Sinn eines die materiellen Lebensumstände verbessernden Mechanismus herausgestellt  : Der Einzelne wird entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt, sein Potenzial im Hinblick auf ihn selbst und auf die Gesellschaft dadurch ausgeschöpft  ; Zeit, die üblicherweise für den Wechsel von Arbeitsschritten verloren geht, wird eingespart  ; durch die Aufteilung von Tätigkeiten in einfachste Einzelschritte wird die Mechanisierung von Arbeitsvorgängen begünstigt. Die Arbeitsteilung stellt sich folglich als ein Vorgang der Anpassung und mitunter sogar der Ersetzung der Menschen im Rahmen des Produktionsprozesses dar. Welche anthropologische Disposition dazu den Anstoß gibt, führt Smith, entgegen seiner gewohnten Argumentationsweise, zunächst nicht näher aus. Er weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der Arbeitsteilung um eine Entwicklung handelt, die ihren für die gesamte Gesellschaft nützlichen Effekt erzielt, ohne ausdrücklich mit dieser Absicht in Gang gesetzt worden zu sein  : Das „ungeheure Anwachsen der Produktion in allen Gewerben, als Folge der Arbeitsteilung“ führe dazu, „daß sich von selbst allgemeiner Wohlstand in allen Schichten der Bevölkerung“ ausbreite.56 Es ist durchaus zulässig, hier von einem „System“ in dem Sinn zu sprechen, wie Smith ein solches üblicherweise verstanden hat  : als etwas, das zwar einer Ordnung unterliege, dessen tiefere Bedeutung und dessen eigentlicher Zusammenhang mit den allgemeinen Gegebenheiten sich allerdings erst dem geschulten Blick von „Philosophen und Theoretikern“57 offenbare. Diese, so sagt er, seien „auf Grund ihrer Spekulationen häufig imstande, Phänomene, die sehr verschieden sind und wenig Bezug zueinander haben, sinnvoll zu verknüpfen.“58 Ein System dieser Art ist nicht eigentlich real, sondern Smith versteht es als ein gedankliches Konstrukt oder auch als einen spekulativen Nachbau – als eine Rekonstruktion, eigens dafür geschaffen, „in Gedanken die verschiedenen Bewegungen und Wirkungen miteinander zu verbinden, die bereits in der Wirklichkeit vorhanden sind.“ Ein so verstandenes „System“ ist für Smith ausdrücklich ein Erklärungsmodell.59 Es verkörpert die Wirklichkeit nicht, sondern es dient dazu, sie anschaulich zu machen. Die Idee der Arbeitsteilung als eines ohne absichtsvolles menschliches Zutun in Gang gesetzten Vorgangs, zuvor lediglich unscharf angedeutet, wird mittels eines anthropologischen Axioms gestützt  : Anm. 3, bestätigt das Fehlen einer „Theorie menschlicher Bedürfnisse“ im Wealth of Nations, weist aber darauf hin, dass Smith sich dieses Gegenstands in den Lectures on Jurisprudence angenommen habe. 55 A.  Smith  : Wohlstand, Zweites Kapitel („Das Prinzip, das der Arbeitsteilung zugrunde liegt“), S. 16–19. 56 Ebd., S. 14 (Hervorh. HK). – Im OT. heißt es, “a general plenty diffuses itself through all the different ranks of the society.” Ders.: Wealth, p. 22, I.i.|10 (Hervorh. HK). 57 A.  Smith  : Wealth, p. 21, I.i|9, spricht von ihnen als “those who are called philosophers or men of speculation”. 58 A.  Smith  : Wohlstand, S. 14. 59 A.  Smith  : Essays, p. 66  : “A system is an imaginary machine invented to connect together in the fancy those different movements and effects which are already in reality performed.”

Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems |

„Die Arbeitsteilung, die so viele Vorteile mit sich bringt, ist in ihrem Ursprung nicht etwa das Ergebnis menschlicher Erkenntnis, welche den allgemeinen Wohlstand, zu dem erstere führt, voraussieht und anstrebt. Sie entsteht vielmehr zwangsläufig, wenn auch langsam und schrittweise, aus einer natürlichen Neigung des Menschen [of a certain propensity in human nature], zu handeln und Dinge gegeneinander auszutauschen [to truck, barter, and exchange one thing for another].“60

Für Smith ist die Arbeitsteilung also ein zwar nicht geplanter, jedoch auch unausweichlicher Prozess, der in einer natürlichen Disposition des Menschen begründet liegt. Dass er diese „natürliche Neigung“ für „die notwendige Folge der menschlichen Fähigkeit, denken und sprechen zu können“ hält, lässt er anklingen  ; einer Antwort auf die Frage, ob sie angeboren sei, weicht er aus.61 Alles, was in diesem Sinn „zwangsläufig“ – gemeint ist  : unintendiert – entsteht, ist die Folge einer spontaneous order, eines Prinzips, das bereits ausführlicher im Zusammenhang mit dem Denken Fergusons beschrieben wurde.62 Und Arbeitsteilung entsteht gewissermaßen von selbst, wenn das Individuum mit der Gesellschaft – welches Zeitalters auch immer – konfrontiert wird, und sie wird dadurch zur Triebfeder der Zivilisation, dass sie den Interessen des Menschen und seiner Bedürftigkeit gleichermaßen entgegenkommt. In diesem Zusammenhang erscheint der Begriff „zivilisiert“, obgleich von den schottischen Denkern kaum jemals präzisiert und wie selbstverständlich verwendet, als der Schlüssel zum näheren Verständnis der Überlegung. Wenn es nämlich heißt, dass „ohne Mithilfe und Zusammenwirken Tausender von Menschen in einem zivilisierten Land [in a civilized country] nicht einmal der allereinfachste Mann selbst mit jenen Gütern versorgt werden könnte, die wir gewöhnlich, fälschlicherweise, grob und anspruchslos nennen“,63 so steht dieses Wort „zivilisiert“ für zweierlei  : Einerseits bedeutet für Smith „zivilisiert“ das Ergebnis, das durch die Arbeitsteilung erst hervorgebracht wird, nämlich beispielsweise die ausreichende Versorgung selbst des „allereinfachsten Mannes“ mit Gütern des täglichen Bedarfs  ; andererseits ist Zivilisation – im Sinn der gemeinsamen Verfolgung des Zwecks durch die Gesellschaft, zufriedenstellende Lebensbedingungen für ihre Mitglieder zu schaffen – die Voraussetzung für diese Arbeitsteilung in der Zukunft. Allerdings betont Smith erneut, dass es sich bei dieser gemeinsamen Verfolgung eines Zwecks nicht um eine absichtsvolle Handlung oder um ein „Ergebnis menschlicher Erkenntnis“ handelt, sondern um einen „zwangsläufigen [necessary]“ Vorgang, angetrieben vom „eigenen Interesse“ der Menschen [their own advantage], ihrer „Eigenliebe [self-love]“ und dem Streben nach „Vorteil“, nicht jedoch vom „Wohlwollen der Mitmenschen“.64 So ungern er es gehört hätte, ist Smiths Schlossfolgerung in ihrer Betonung der Interessengeleitetheit 60 61 62 63 64

A.  Smith  : Wohlstand, S. 16 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Wealth, p. 25, I.ii|1. A.  Smith  : Wohlstand, S. 16. Siehe S. 471 ff. A.  Smith  : Wohlstand, S. 15 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Wealth, p. 23, L.i|11. A.  Smith  : Wohlstand, S. 16 f. – OT.: ders.: Wealth, pp. 25–27.

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der Menschen ein Anklang an Mandevilles Fable of the Bees  :65 „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“66 Was Smith in erster Linie unter „zivilisiert“ versteht, ist, bei Berücksichtigung der Theory wenig überraschend, die Deckung jeglichen Bedarfs, des materiellen wie des emotionalen, durch ein Handeln unter Einbeziehung der Möglichkeiten von Kooperation, denn  : „In einer zivilisierten Gesellschaft [civilized society] ist der Mensch ständig und in hohem Maße auf die Mitarbeit und Hilfe [cooperation and assistance] anderer angewiesen […].“67 Das bedeutet  : Als treibende Kraft bei der Entwicklung der Volkswirtschaft erweist sich die Arbeitsteilung als Folge der „Neigung zum Tausch“,68 und diese wird, im Sinn einer natürlichen menschlichen Anlage, als von den Absichten der Menschen entkoppelt aufgefasst. Normative Überlegungen spielen allein schon deshalb hier keine wichtige Rolle, weil es zur Arbeitsteilung im Lauf des Prozesses der Zivilisation zwangsläufig kommt, also ohne dass irgendjemand diesen Zweck verfolgte. Smith formuliert damit ein Entwicklungsmodell der Gesellschaft, das man ein eingeschränkt teleologisches nennen könnte, da diese zwar nicht gezielt einen Zweck verfolgt, jedoch durchaus auf ein Ziel zusteuert. Durch die Annahme der Zwangsläufigkeit, mit der die Arbeitsteilung die Dynamik der ökonomischen und damit auch der gesellschaftlichen Entwicklung in Gang hält, ist dieses Modell – man darf sagen  : ebenfalls zwangsläufig – als eines der Zuversicht angelegt. Doch die Arbeitsteilung bringt die Gesellschaft nicht nur voran, sondern sie strukturiert sie auch, gewinnt dadurch weitere Bedeutung und wird so zum eigentlich zentralen Element  : „[…] die verschiedensten Talente, welche erwachsene Menschen unterschiedlicher Berufe auszuzeichnen scheinen, sind meist mehr Folge als Ursache der Arbeitsteilung.“69 Smith erklärt somit aus der Arbeitsteilung heraus keineswegs nur die Mechanismen der Volkswirtschaft, sondern zugleich wesentliche Teile des gesellschaftlichen Gefüges.70 Sein Argumentationsansatz und dessen Reichweite sind damit umrissen.

65 Smith zeigt sich in der Theory über Mandevilles Werk geradezu empört. Unter der Überschrift „Über Systeme, welche jede sittliche Bindung aufheben“ setzt er sich mit dem „System, das den Unterschied zwischen Laster und Tugend gänzlich aufzuheben scheint“, ausführlich auseinander. Er hält Mandevilles Ausführungen zwar für „fast in jeder Hinsicht irrtümlich“, doch muss er konzedieren, dass „gewisse Erscheinungen in der Natur des Menschen, die, sofern man sie von einem gewissen Gesichtspunkt aus betrachtet, diese Meinungen auf den ersten Blick zu bestätigen scheinen könnten.“ A. Smith  : Theorie, S. 500–514. (Das Zitat findet sich auf S. 503.) 66 A.  Smith  : Wohlstand, S. 17. – OT.: ders.: Wealth, pp. 26–27, I.ii|2. 67 A.  Smith  : Wohlstand, S. 16. – OT.: ders.: Wealth, p. 26, I.ii|2. 68 A.  Smith  : Wohlstand, S. 17  : „Wie das Verhandeln, Tauschen und Kaufen das Mittel ist, uns gegenseitig mit fast allen nützlichen Diensten, die wir brauchen, zu versorgen, so gibt die Neigung zum Tausch letztlich auch den Anstoß zur Arbeitsteilung.“ 69 Ebd., S. 18. 70 J. Millar wird diesen Gedanken der Strukturierung der Gesellschaft durch die verschiedenen Rollen, die sich aus der Arbeitsteilung ergeben, vertiefen, ohne allerdings den Begriff zu gebrauchen.

Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems |

Zurück zum Wealth of Nations. Es ist zu zeigen, dass Smith die Wirtschaft – nämlich deren Kreislauf – als ein System betrachtet, das unter gewissen Bedingungen nicht nur funktioniert, also den Wohlstand der Nationen vergrößern kann, sondern auch in der Lage ist, sich selbst zu stabilisieren. Es ist allerdings noch etwas näher zu betrachten, wie Smith dieses System beschreibt und die damit für die Gesellschaft – man kann auch sagen  : für die Politik – verbundenen Optionen interpretiert. Grundsätzlich, so sagt er im 8. Kapitel („Der Lohn der Arbeit“) des 1. Buches, führe die Arbeitsteilung zu einer Erhöhung der Produktivität und diese sodann zu einer Steigerung des Lohnes. Der Lohn werde aber durch zwei Faktoren geschmälert, nämlich durch die Grundrente und durch den Kapitalgewinn. Mache sich ein Handwerker selbstständig, so komme zur Einnahmequelle Lohn noch die Einnahmequelle Kapitalertrag hinzu.71 Es herrsche ein Gegensatz der Interessen  : Die Arbeiter „neigen dazu sich zusammenzuschließen, um einen höheren Lohn durchzusetzen, die Unternehmer, um ihn zu drücken“.72 Dabei seien die Unternehmer, da weniger an der Zahl und mit den Gesetzen auf ihrer Seite, im Vorteil. Den Mechanismus der Lohnkämpfe beschreibt Smith ohne Parteinahme für eine der beiden Seiten.73 Seine Kritik daran äußert er, wenn überhaupt, in der Regel in Form von leiser Ironie.74 Ausführlich und mit vielen Beispielen75 wird der Mechanismus von Angebot und Nachfrage als ein feedback system beschrieben, das stets zum Gleichgewichtszustand tendiert. Das ist laut Smith das Grundprinzip, dem die Wirtschaft folge.76 Dieses Prinzip regle nahezu alles  : den Preis, die Aufwendungen für den Lohn, das Verhältnis von Kapitalertrag und Lohn, ja sogar das Bevölkerungswachstum77 über die Lebensbedingungen (gute Bedingungen lassen das Bevölkerungswachstum ansteigen, wodurch ein Überange71 A.  Smith  : Wohlstand, S. 56 f. 72 Ebd., S. 58. 73 Ebd., S. 58 f. 74 So sagt er über die Zusammenschlüsse von Arbeitern zum Zweck von Lohnforderungen  : „[…] die Arbeiter machen stets ein großes Geschrei darum, schrecken gelegentlich auch nicht vor roher Gewalt und grober Beleidigung zurück, um möglichst rasch eine Entscheidung über ihre Forderungen zu erzwingen.“ (Ebd., S. 59) Und im Zusammenhang mit amtlichen Berichten über die wirtschaftliche Entwicklung führt er einmal aus  : „Der Ertrag solcher Arbeiten [selbstständiger Handwerker, die nicht ausschließlich für den Markt arbeiteten] wird deshalb in jenen amtlichen Berichten nicht immer erfaßt, deren Ergebnisse von Zeit zu Zeit in großer Aufmachung veröffentlicht werden, so, als ob manche unserer Kaufleute und Fabrikanten des öfteren voller Eitelkeit beanspruchen würden, sie kündigten Aufstieg und Niedergang von Weltreichen an.“ Ebd., S. 74 (Hervorh. HK). 75 Beispielsweise zieht Smith amtliche Produktionszahlen von Manufakturen (ebd., S. 73) ebenso heran wie die Arbeit eines französischen „Steuereinnehmers“ namens Messance (ebd., S. 73, 169 f. und 204), persönliche Recherchen (ebd., S. 66 und 69) oder die zur Zeit der Entstehung des Wealth of Nations ganz aktuelle Untersuchung seines Zeitgenossen Richard Burn (ders.: The History of the Poor Laws) heran (ebd., S. 67). 76 Ebd., S. 60 ff. 77 Ebd., S. 69 f.: „Auf solche Art reguliert die Nachfrage nach Arbeitskräften, wie bei jeder anderen Ware, das Wachstum der Bevölkerung. Sie beschleunigt es, wenn es zu langsam ist, und sie hindert es, wenn es zu schnell ist. Es ist diese Nachfrage, welche das Ausmaß der Fortpflanzung in allen Ländern der Welt regelt und bestimmt […].“

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bot von Arbeitskräften wiederum auf die Löhne und damit auf die Lebensbedingungen drückt). Zwar stellt dieses Prinzip, das Smith hier darlegt, lediglich eine Richtschnur dar, eine generelle Tendenz des Geschehens, und es darf daraus nicht einfach geschlossen werden, dass er für dieses Prinzip auch absolute Gültigkeit in allen denkbaren Fällen postuliert habe. Allerdings bedeutet die Gewissheit des Wirkens eines Prinzips nichts anderes als die Aneignung von Zukunft, denn voraussehen zu können, wie etwas sich entwickeln werde, gibt Sicherheit im Hinblick auf die Optionen für künftiges Handeln. Darauf kann die Zuversicht sich gründen, man ist auf das Kommende vorbereitet. Wem aber dient das Prinzip  ? Sind funktionierende wirtschaftliche Abläufe ein Wert an sich oder erhebt sich dahinter doch die Frage, was an ihnen wem nutzen und wem schaden könnte und möglicherweise auch werde  ? Grundsätzlich ist für Smith die „Verbesserung der Lebensumstände der unteren Schichten auch für die Gesellschaft als Ganzes vorteilhaft“, doch argumentiert er in dieser Frage zweigleisig, nämlich nicht nur ökonomisch, sondern auch moralisch  : „Es ist zudem nicht mehr als recht und billig, wenn diejenigen, die alle ernähren, kleiden und mit Wohnung versorgen, soviel vom Ertrag der eigenen Arbeit bekommen sollen, daß sie sich selbst richtig ernähren, ordentlich kleiden und anständig wohnen können.“78 Hohe Löhne bedeuten Prosperität in einem Land – allerdings weist Smith darauf hin, dass es gerade die Phase des Wachsens einer Wirtschaft ist und nicht deren möglichst hoher Entwicklungsstand, der für eine Gesellschaft am günstigsten sei  ;79 sie führten nicht zu einem Sinken des Arbeitseinsatzes, sondern im Gegenteil eher zur Selbstausbeutung der Arbeiter wegen deren „Wunsch nach mehr Verdienst“.80 Smith versteht das System der Wirtschaft als ein Geflecht von sich gegenseitig beeinflussenden Wirkungen. Im sich anschließenden Kapitel („Der Kapitalgewinn“) wird dies erneut deutlich  : „Die Höhe des Kapitalgewinns hängt ebenso wie die Lohnhöhe vom zuoder abnehmenden Wohlstand und Vermögen eines Volkes ab.“81 Nichts funktioniert für sich allein, alles wird bestimmt vom Ineinanderwirken von Rückkopplungsschleifen. Es werden die gegenseitigen Abhängigkeiten erläutert, in diesem Fall jedoch nicht auf geschichtliche Befunde gestützt  : „Vollends unmöglich wird es […] sein, mit einiger Genauigkeit zu sagen, wie hoch er [der durchschnittliche Gewinn für all die verschiedenen Gewerbe] früher oder gar in weiter zurückliegenden Zeiten gewesen sein mag.“82 Aus dem zwangsläufigen Verzicht auf historisches Material erklärt sich denn auch die 78 Ebd., S. 68. – Dass Smith diese Aussage trifft, zeigt, dass ihr Inhalt im 18. Jahrhundert noch keine Selbstverständlichkeit war. 79 „Man sollte wohl noch hinzufügen, daß das Los der ärmeren Arbeiter und damit der Masse der Bevölkerung offenbar dann am leichtesten und besten ist, wenn die Gesellschaft auf dem Wege zu weiterem Wohlstand ist und nicht schon den Zenit des Reichtums erreicht hat. Ihr Los ist hart in einer stationären und erbärmlich in einer schrumpfenden Wirtschaft. Der Aufschwung ist in der Tat für alle Schichten erfreulich und willkommen, die Stagnation hingegen lähmend und der Niedergang trostlos.“ Ebd., S. 70 (Hervorh. HK). 80 Ebd., S. 71. 81 Ebd., S. 76. 82 Ebd.

Adam Smith  : Selbstregulierung als Eigenschaft der Regelhaftigkeit des Systems |

Tendenz zur Abstraktheit dieser Argumentation. Smith diskutiert die Entwicklungen in der Art von Wenn-dann-Sequenzen, indem er jeweils einen Parameter (Kapitalgewinn, Arbeitslohn …) verstärkt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die übrigen darlegt. Abstraktheit kennzeichnet dieses Verfahren deshalb, weil dadurch zwar die Mechanismen des Systems deutlich werden, jedoch eine Übertragung auf eine reale Situation nicht stattfindet. So wird schlüssig dargelegt, wie die Entwicklung eines Landes durch „den Aufbau neuer Erwerbszweige“ aus den bereits vorhandenen Branchen Kapital abziehen müsse und dies dazu führen werde, dass dort infolge einer Warenverknappung der Rückgang des Wettbewerbs mit der Folge von Preissteigerungen bei gleichzeitig höherem Kapitalertrag und niedrigeren Löhnen das Ergebnis sein würden.83 Auf die tatsächlich bestehenden wirtschaftlichen Gegebenheiten eines Landes überträgt Smith diesen Ablauf indes nicht, und so ist sein abschließender Schritt zunächst keiner hin zu einer Handlungsempfehlung, sondern die Beschreibung eines hypothetischen Zustands  : „Hat ein Land einmal das Höchstmaß an ausgeglichenem Wohlstand erreicht, den es aufgrund der Eigenart seines Bodens und Klimas sowie seiner Lage zu anderen Ländern überhaupt erwerben kann, so daß es sich weder fort- noch rückentwickeln kann, dürften dort Arbeitslohn wie Kapitalgewinn äußerst niedrig sein.“84 Ein solches „Höchstmaß an ausgeglichenem Wohlstand“ ist eine reine Hypothese – ökonomischer Stillstand ist ein idealtypischer und lediglich denkbarer, aber niemals ein realer Zustand –, definiert eben durch vollständige Bedarfsdeckung und damit wie von selbst durch die Unnötigkeit, Kapital in die wirtschaftliche Entwicklung zu investieren  ; ohne derlei Investitionen aber entsteht kein weiterer Wettbewerb um Arbeitskräfte und damit um das Lohnniveau. Derjenige Satz nun, der im Rahmen dieser Untersuchung die größte Aufmerksamkeit verdient, steht am Anfang des 10. Kapitels („Lohn und Gewinn bei verschiedener Verwendung der Arbeit und des Kapitals“)  : „Vor- und Nachteile beim Einsatz von Arbeit und Kapital in den einzelnen Erwerbszweigen halten sich zwangsläufig innerhalb eines bestimmten Gebietes genau die Waage, zumindest sind sie ständig auf einen Ausgleich gerichtet [must, in the same neighbourhood, be either perfectly equal or continually tending to equality].“85 Was Smith mit dieser Aussage nun ein weiteres Mal ins Spiel bringt, ist der Gedanke an ein feedback system, allerdings eines, das nur unter bestimmten Bedingungen funktionieren wird. So heißt es, der Ausgleich werde nur „dort eintreten, wo die Dinge ihrem natürlichen Lauf [natural course] überlassen sind, wo uneingeschränkt Freiheit [perfect liberty] herrscht und wo jeder wirklich so frei ist, daß er eine Beschäftigung wählen kann, die ihm zusagt und sie auch beliebig oft wechseln darf.“86 Es ist nicht zu verkennen, dass Smith damit das Funktionieren des selbsttätigen Ausgleichsmechanismus den so genannten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, also 83 Ebd., S. 80 f. 84 Ebd., S. 82. 85 Ebd., S. 85. – OT.: ders.: Smith  : Wealth, p. 116, I.x.a|1. 86 A.  Smith  : Wohlstand, S. 85. – OT.: ders.: Smith  : Wealth, p. 116, I.x.a|1.

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der Politik auflastet, die die erforderliche Freizügigkeit des Arbeitsmarktes gewährleisten müsse. Und er denkt seinen Gedanken bezeichnenderweise im Konjunktiv,87 denn es ist dies eben die Problematik aller idealtypischen Modelle und somit auch diejenige des hier vorgestellten  : Nirgends in einer menschlichen Gesellschaft herrscht die Freiheit „uneingeschränkt“ und nichts dort ist ganz und gar dem „natürlichen Lauf überlassen“. Vielmehr ist es geradezu das Wesensmerkmal jeder Form von gesellschaftlicher Ordnung, Entwicklungen eben nicht ihrem ‚natürlichen‘ Lauf zu überlassen, sondern diesen Lauf den jeweiligen Interessen entsprechend oder im Sinn einer Gesamtkonzeption zu lenken und damit umzulenken. Diese Lenkung mag, je nach weltanschaulichen Prämissen oder je nach vorherrschenden politischen Überzeugungen, unterschiedlich stark ausgeprägt sein – vorhanden jedoch ist sie immer. Smith, als Realist, muss sich bewusst gewesen sein, dass Politik stets auch Ordnungspolitik ist, dass Politik folglich regelt und die Einhaltung der Regeln kontrollieren muss, um sich nicht selbst aufzuheben. Welche Bedeutung also hat, so er nicht unbedacht gemacht wurde, der Hinweis auf den „natürlichen Lauf“  ? Darf man ihn als rhetorische Figur, als Abstraktion von den wirklichen Verhältnissen verstehen, mit dem Ziel, deren Defizite kenntlich zu machen  ? Die Antwort darauf wird komplex ausfallen, denn sie hat zwischen zwei Aspekten zu unterscheiden  : Einerseits kann kein Zweifel bestehen, dass für Smith dieser von ihm ins Feld geführte „natürliche Lauf“ in der Wirklichkeit nicht existiert. Denn er sagt  : „Die Politik in Europa läßt […] den Dingen nicht vollkommene Freiheit und bewirkt dadurch andere Ungleichheiten von viel größerer Tragweite.“88 Andererseits fungiert diese „vollkommene Freiheit“ im Wealth of Nations aber als Leitmotiv für eine erst zu schaffende politische – hier lediglich wirtschaftspolitische – Grundkonzeption, als ein, wenngleich letztlich nicht in reiner Form erreichbares, so doch anzustrebendes Ideal. Smiths Wealth of Nations ist als eine grundsätzliche Analyse aller Parameter angelegt, die in einer Volkswirtschaft als variabel gedacht werden können. Er ist eine Beschreibung der bestehenden Verhältnisse und er ist, im V. Buch vor allem, eine Kritik an ihnen gleichermaßen. Dabei stützt er sich nahezu ausschließlich auf tatsächliche Beobachtungen, Auskünfte von Gewährsleuten und überlieferte Daten  : Tagelöhne in unterschiedlichen Branchen und verschiedenen Gegenden des Königreichs, Warenpreise in ihrer historischen oder jahreszeitlichen Entwicklung. Die einzig verlässliche Grundlage für eine Theorie ist für Smith empirisches Material  : Preise, Kosten, Summen, die er in reichem Maß und mit größter Akribie gesammelt hat. Dies wirkt in seiner geradezu detailversessenen Präzision zunächst überbordend, doch es ist offenkundig, was auf diese Weise bezweckt werden sollte  : die Entwicklung eines Modells der volkswirtschaftlichen Konstellationen, 87 A.  Smith  : Wealth, p. 116, I.x.a|1  : “This at least would be the case in a society where things were left to follow their natural course, where there was perfect liberty […].” (Hervorh. HK) 88 A.  Smith  : Wohlstand, hier zitiert nach der an dieser Stelle genaueren Übersetzung von Streissler  : A. Smith  : Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker, Bd. 1, S. 187 (Hervorh. HK). – OT.: A. Smith  : Wealth, p. 135, I.x.c|1  : “But the policy of Europe, by not leaving things at perfect liberty, occasions other inequalities of much greater importance.”

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das es ihm möglich machte, nacheinander die Veränderung sämtlicher Parameter in ihrer Wirkung durchzuspielen. Der Wealth of Nations ist, bei all seiner Apologie eines sich frei entfaltenden Austauschs von Waren und Dienstleistungen, zunächst kein normatives Buch. Im Vordergrund steht dabei eindeutig die Analyse, nicht die Kritik.89 Unter den Publikationen der schottischen Denker ist es, nebenbei bemerkt, das wohl treffendste Beispiel für die Anwendung der empirischen Methode, denn abgesehen von geschichtlichen Überlieferungen, die er lediglich zur Illustration seiner Ausführungen heranzieht, stützt Smith sich in großem Umfang auf unmittelbare Anschauung und Informationen aus seiner alltäglichen Umgebung. Das führt zwar nicht selten zu einer Dehnung der Argumentation, verleiht der Darstellung aber auch Plastizität und Authentizität. Dies macht das Werk, worauf im Zusammenhang mit seiner Rezeptionsgeschichte möglicherweise nicht deutlich genug hingewiesen wurde, unter den Schriften der schottischen Denker des 18. Jahrhunderts in methodischer Hinsicht zur bemerkenswerten Ausnahme.

13.4 Regulierung durch die Domestizierung der Leidenschaften durch die Interessen  ?

In diesem Kapitel wurden bisher drei unterschiedliche Arten von Regelungsmechanismen aufgezeigt, die in den Augen der schottischen Denker den gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen die Richtung wiesen  : – Hume formulierte in seinem Essay Of the Balance of Trade als Erster von ihnen den Gedanken eines Modells von Rückkopplungsschleifen, in denen das System der Wirtschaft beständig Anstöße zu einer Regulierung seines Status aus sich selbst heraus erhält. – Von Ferguson kamen zwei weitere Erklärungsansätze hinzu, die nicht auf die Wirtschaft gerichtet waren, nämlich zum einen derjenige, dass ein fortwährender Diskurs einen permanenten Interessenausgleich innerhalb der Gesellschaft bewirke und damit zum Fortbestand des Gemeinwesens beitrage  ; der zweite, nicht weniger wichtige Gedanke Fergusons war, dass die zivilisatorische Entwicklung absichtslos erfolge und Ordnung sich spontan, also aus innerem Antrieb, einstelle oder zumindest einstellen könne. – Das ausgereifteste Modell eines Systems, das sich mithilfe von Rückkopplungsschleifen selbst reguliert, arbeitete Smith aus. Dabei konnte er auf Humes vergleichsweise rudimentäre Ausführungen zu diesem Thema zurückgreifen, doch gelangte er anhand zahlreicher Beispiele und Einzelbeschreibungen von Abläufen zu einer sehr viel ausgefeilteren, elaborierten Beschreibung des Marktmechanismus. Diese wurde wegwei89 Nur in ganz seltenen Fällen bewertet Smith die Sachverhalte, die er beschreibt. Kritik äußert er, wenn überhaupt, sehr dezent und höchstens in einem Tonfall leiser Ironie  : „Sobald in einem Land aller Boden in Privateigentum ist, möchten auch die Grundbesitzer, wie alle Menschen, dort ernten, wo sie niemals gesät haben.“ A.  Smith  : Wohlstand, S. 44.

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send für die Beurteilung des Stellenwerts der Ökonomie für die Strukturierung der Gesellschaft. All diese Erklärungsansätze verband der Gedanke einer Entwicklung, die ohne die Einflussnahme durch politische Maßnahmen auskam, jedenfalls nicht unmittelbar auf Planung, Gesetzgebung oder Einsatz von institutionellen Gewalten zurückzuführen war. Zwar bestritt keiner der genannten Denker, dass diese Kräfte sich letztlich in der Ausformung der Gesellschaft niederschlagen würden, doch wurden solche Einflüsse eben auch nicht ausdrücklich zu einem Thema gemacht, das die Politik betraf. Für die durch die Naturwissenschaften vorgeprägte Denkrichtung war die Suche nach Gesetzmäßigkeiten kennzeichnend – worunter die Suche nach Kausalität und somit das Forschen nach jeweils nur einer einzigen bestimmenden Wirkkraft (im Sinn einer Ursache) zu verstehen ist. Naturwissenschaftliche Erklärungen verdanken sich der Vereinfachung komplexer Sachverhalte, der Reduktion auf das Allgemeine unter Weglassung des Besonderen  ; so sah es beispielsweise Smith. Erklärungsansätze hingegen, die die gesellschaftlichen Phänomene als Folgen des Zusammenwirkens vieler unterschiedlicher Gegebenheiten verstehen, die auf ebenso viele unterschiedliche Weisen aufeinander einwirken können, waren nicht das, wonach die sich neu formierende science of man mit Nachdruck Ausschau hielt. Der naturwissenschaftlich inspirierte Zeitgeist war fasziniert von perfekten – und das heißt  : einfachen – Mechanismen und damit von einer Zurückführung auf eindeutige Prinzipien. Smith hatte in seiner History of Astronomy mittels einer Maschinenanalogie zum Ausdruck gebracht, dass er den Fortschritt – und damit wohlgemerkt auch den wissenschaftlichen Fortschritt – in Verfahren fortlaufender Vereinfachung erblickte.90 Zu den genannten Mechanismen, mit denen in der Schottischen Aufklärung die Regulierung von in der Gesellschaft ablaufenden Vorgängen zu erklären versucht wurde, trat nun noch ein weiterer hinzu, der sich aus einem Wandel des Gesellschaftsverständnisses seit der Renaissance fast wie von selbst ergab  : Es ging, worauf A. O. Hirschman hingewiesen hat, um den Gedanken einer möglichen „Transformation der zerstörerischen Leidenschaften in konstruktive Neigungen“.91 Ich befasse mich deshalb nachfolgend noch einmal mit dem Begriff des Interesses, das ja in einem zurückliegenden Abschnitt bereits in seiner Funktion als eine treibende Kraft der zivilisatorischen Entwicklung der Gesellschaft beschrieben wurde.92 Nun wird es um die Frage gehen, ob dem Interesse daneben in diesem Prozess nicht auch eine regulierende, möglicherweise sogar ausgleichende Funktion zuzusprechen ist. Bevor ein damit ins Auge gefasster gesellschaftlicher Regulie90 A.  Smith  : Essays, p. 66, IV|19  ; „Die Maschinen, die zuerst erfunden wurden, um eine bestimmte Bewegung auszuführen, sind immer die komplexesten, und nachfolgende Künstler entdecken im Allgemeinen, dass mit weniger Rädern, mit weniger Bewegungsprinzipien, als ursprünglich verwendet, dieselben Effekte leichter erzeugt werden können.“ (E. Ü.) 91 A.  O. Hirschman  : Leidenschaften und Interessen, S. 25. 92 Siehe den Abschnitt 10.3 („Das Interesse“).

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rungsprozess näher untersucht werden kann, bedarf es allerdings einer Klärung dessen, was unter „Leidenschaften“ in den Theorien der schottischen Denker zu verstehen ist. Nahezu alle Autoren des schottischen „Denkkollektivs“ setzten sich in ihren Schriften nicht nur mit dem Verlauf der historischen Entwicklung der Gesellschaft auseinander, sondern auch mit den möglichen Folgen ihres gegenwärtigen Zustands und mit ihren Aussichten. Es ging dabei um die politisch-rechtlichen, ökonomischen und moralischen Konsequenzen des Zivilisationsprozesses. Am deutlichsten ausgeprägt finden sich solche Überlegungen dort, wo die gesellschaftliche Entwicklung als in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen stehend aufgefasst wird. Exemplarisch für diese Sichtweise sind Abschnitte von Smiths Wealth of Nations, doch ähnliche Denkansätze finden sich beispielsweise auch in Fergusons Essay, in Millars Origin und in einigen von Humes Essays, also überall dort, wo jenseits einer aktuellen Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Gegebenheiten die fortlaufende Entwicklung über die Gegenwart hinaus zu antizipieren versucht wird. Ausgangspunkt der Analyse ist jeweils die Arbeitsteilung, als deren Hauptfolge man die Steigerung der Produktivität beziehungsweise, im heutigen Sprachgebrauch ausgedrückt, allgemein die Möglichkeit wirtschaftlichen Wachstums ausmacht. Wird dieser Prozess in die Zukunft weitergedacht, so stellt sich die Frage nach den Konsequenzen dieses Wachstums nicht nur für die Wirtschaft im Besonderen, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Das kommt der Suche nach einer Prognose der sozialen und politischen Folgen gleich  ; bei Smith findet sie sich im Buch V des Wealth of Nations. Das politische Denken der Aufklärung stand, wie zu rekapitulieren ist, in einer christlichen Tradition und war ursprünglich geprägt von deren ethischem und damit normativem Grundverständnis. Diesem zufolge hatte man es mit erlaubten, gottgefälligen Beschäftigungen des Menschen zu tun und daneben mit solchen, die ihm entweder nicht gestattet waren oder die zumindest in einem geringen Ansehen standen. Mit der in der Neuzeit einsetzenden Kritik der Religion verlieren die durch die christliche Ethik bestimmten Handlungsmaximen an gesellschaftlicher Verbindlichkeit und die normative Bewertung menschlicher Leidenschaften verschiebt sich. Gleichwohl bleibt deren Unterscheidung in wertvolle und abzulehnende bestehen. Bei Smith klingt dieser Sachverhalt im Einleitungskapitel der Theory an, wenn er sagt  : „Es gibt Affekte [passions], die sehr stark zum Ausdruck zu bringen unanständig ist, selbst bei solchen Gelegenheiten, in denen wir, wie man zugeben muß, nicht umhin können, sie im höchsten Grade zu fühlen. Und es gibt andere, deren stärkste Äußerung bei vielen Gelegenheiten als äußerst tugendhaft gilt […].“93 In diese Sichtweise spielt nun allerdings eine semantische Problematik hinein, denn der von den Schotten verwendete Begriff der passions ist in seiner Bedeutung keineswegs scharf umrissen. Deutlich machen lässt sich das anhand von deutschen Übersetzungen, in denen bei passions zum einen von „Affekten“ – im Sinn von „heftige Gemütsbewegung“,94 „innere Erregung“ –, zum andern von „Leidenschaften“ – im 93 A.  Smith  : Theorie, S. 37 f. (Interpunktion modifiziert, Hervorh. HK). – OT.: ders.: Theory, p. 27, I.ii.intro|2. 94 F.  Kluge  : Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 17.

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Sinn von „starke Neigung“, „ausgeprägtes Interesse“ – die Rede ist. Inwieweit werden solche Begriffsverständnisse im Deutschen dem Sprachgebrauch der schottischen Denker gerecht  ? – Es ist ebenso unumgänglich wie naheliegend, zur Klärung dieses semantischen Problems, das gleichzeitig ein solches der psychologischen Grundannahmen ist, entsprechende Ausführungen Humes heranzuziehen. Dieser hatte sich ja mit dem Wesen der Affekte und ihrem Einfluss auf menschliches Handeln im Buch II seines Treatise eingehend befasst. Von ihm stammen auch die oben angeführten Differenzierungen. Allerdings verwendet er dabei eine andere Terminologie, denn er nimmt die Unterscheidung nicht zwischen „Affekten“ und „Leidenschaften“ vor, sondern zwischen „direkten“ und „indirekten“ Affekten (direct/indirect passions). Dabei versteht er unter den direkten Affekten „Begehren, Abscheu, Schmerz, Freude, Hoffnung, Furcht, Verzweiflung und beruhigende Gewißheit [desire, aversion, grief, joy, hope, fear, despair and security]“, unter den indirekten „Stolz, Kleinmut, Ehrgeiz, Eitelkeit, Liebe, Neid, Mitleid, Groll, Großmut und die aus ihnen ableitbaren Affekte [pride, humility, ambition, vanity, love, hatred, envy, pity, malice, generosity, with their dependants]“.95 Im Deutschen nun sind „Affekte“ und „Leidenschaften“ – für die eine Übersetzung mit dem allerdings nicht mehr zeitgemäßen Wort „Passionen“ dem Verständnis der schottischen Denker wohl am nächsten käme – keine Synonyme. Vielmehr handelt es sich bei den „Affekten“ um Handlungsimpulse, die durch die Unmittelbarkeit, mit der sie auftreten, charakterisiert sind.96 Das Kennzeichen der „Passionen“ ist demgegenüber ihr fortdauerndes Bestehen. Während Affekte als spontan hervortretende Handlungsauslöser zu verstehen sind, bewirken Leidenschaften eher die länger andauernde Moderation des Handelns, das sie gleichwohl ebenfalls in Gang zu setzen vermögen.97 In beiden Fällen aber ist das Passiv bestimmend  : Die handelnde Person ist den Affekten wie den Leidenschaften gleichermaßen ausgesetzt.98 Was die beiden Begriffe überdies verbindet, ist ein funktio95 D.  Hume  : Traktat, II, S. 5. – OT.: ders.: Treatise, p. 182, 2.1.2|4. 96 Unter den Affekten „Handlungsimpulse“ zu verstehen, entspricht allerdings nur der deutschen Semantik  ; Hume unterschied zwischen beiden durchaus. Näheres hierzu siehe S. 489. 97 Nicht immer wurde bei den deutschen Übersetzungen der Werke etwa von Smith diese Unterscheidung berücksichtigt. So lautet eine Überschrift in der Theorie  : „Über jene Affekte [passions], die ihren Ursprung einer besonderen Richtung oder Beschaffenheit der Einbildungskraft verdanken.“ Smith analysiert hier jene „Zuneigung, wie sie sich natürlicherweise zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechtes ausbildet, die lange Zeit all ihre Gedanken aufeinander gerichtet haben.“ Eindeutig geht es hier also um eine Bewegung des Gefühls nicht in einem bestimmten Augenblick – einen Affekt –, sondern um einen emotionalen Status über einen längeren Zeitraum hinweg – eben um eine Leidenschaft. A.  Smith  : Theorie, S. 44 f. – OT.: ders.: Theory, p. 31, I.ii.2|1. 98 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf Spinozas Definition eines Affekts in Form einer Passivkonstruktion, bei der der Träger der Handlung als Objekt erscheint. Spinoza sagt, er verstehe darunter „die Erregungen unseres Körpers, durch welche das Tätigkeitsvermögen eben dieses Körpers vermehrt oder vermindert, gefördert oder gehemmt wird […].“ (Hervorh. HK). – [B.] Spinoza  : Die Ethik, S. 113. – Die Verbindung zu Spinoza herzustellen, ist insofern zulässig, als hinreichend belegt ist, dass Hume Spinozas Schriften kannte und sich mit ihnen auseinandergesetzt hat. Siehe hierzu D. F. Norton / M. J. Norton (ed.)  : David Hume  : Treatise, vol. 2  : Editorial Material, pp. 702, 726, 796, 801–803, 806 u. a.

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naler Aspekt  : Unter Leidenschaften ebenso wie unter Affekten werden Begierden und Handlungsantriebe verstanden, die nach Humes Verständnis einer Kontrolle durch die Vernunft weitgehend entzogen sind.99 Diesen Leidenschaften – passions – nun wird von den schottischen Denkern eine Art von sozialer Steuerungsfunktion zugesprochen. Sie werden als konstitutiver Teil der „menschlichen Natur“ vorausgesetzt. Im Hinblick auf die Fragestellung dieser Untersuchung beschäftigen uns unter diesen Leidenschaften jene, die Hume als die indirect passions – im Deutschen  : „Leidenschaften“ oder eben „Passionen“ – ausgewiesen hat und die nicht zu den unmittelbaren Handlungsauslösern zählen, sondern den Menschen in der Art von Persönlichkeitsmerkmalen eignen. Hume zählte eine Reihe von ihnen auf und ließ gleichzeitig die Option offen, aus den genannten weitere abzuleiten – wichtig erscheinen in einer Gesellschaft, in der der Erwerb von Eigentum einen hohen Stellenwert besitzt, vor allem noch die Habsucht und eben all jene private vices wie etwa die „Gier nach all dem Gewinn“,100 die schon Mandeville aufgeführt hatte und die seiner Demonstration zufolge in public benefits umzuwandeln waren  :101 „Laster“ – vices – ist lediglich ein anderes Wort für „schädliche Leidenschaften des Individuums“, und sie sind zusammen mit den ihnen gegenübergestellten „Tugenden“ eines der Grundthemen der angelsächsischen Moralphilosophie. Nun zurück zu Hirschmans Überlegungen.102 Sie befassen sich mit der Umwandlung dieser für die Gesellschaft schädlichen Leidenschaften in solche, die dem gemeinsamen Interesse von Nutzen sind. Neben diesem „Transformationsprozess“ der Leidenschaften führte im 18. Jahrhundert die Auseinandersetzung mit Mandevilles vielbeachteter Paradoxie der privaten Laster, die das öffentliche Wohl befördern, zu einem Wandel in der Bewertung dieser Leidenschaften. Auf diese Weise richtet sich der Blick auf einen weiteren Mechanismus der Regulation von in der Gesellschaft auftretenden Wirkkräften  ; er tritt zu den drei oben dargestellten hinzu.103 Der ethische Rahmen der frühen kapitalistischen Gesellschaft erfährt durch ihn eine markante Verschiebung, die sich als Fortsetzung eines Prozesses der Abkehr vom zuvor von religiösen Dogmen bestimmten frühneuzeitlichen gesellschaftlichen Moralkodex auffassen lässt.104 Der Bedeutungswandel  99 Das entspricht nicht der Alltagswahrnehmung, die für die Handlungsauslösung ein Vorherrschen der bewussten Willensentscheidung annimmt. Hume hingegen, der das Denken seiner schottischen Zeitgenossen maßgeblich prägte und deshalb hier als Bezugspunkt gelten muss, sah die Vernunft als eine kontrollierende Instanz an, die den Affekten untergeordnet sei. Vgl. hierzu  : D. Hume  : Traktat, II, S. 153  : „Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte […].“ – Ein Gutteil der Komplexität dieses semantischen Problems ist allerdings Humes Begrifflichkeit geschuldet, die keineswegs immer konsequent durchgehalten ist. 100 B.  Mandeville  : Bienenfabel, S. 61. 101 Mandevilles Fable of the Bees vom Anfang des 18. Jahrhunderts trug den Untertitel  : “or, Private Vices, Publick Benefits”. 102 Die folgenden Ausführungen verdanken wesentliche Denkanstöße dem Abschnitt „Interessen und Widersacher der Leidenschaften“ in  : A. O. Hirschman  : Leidenschaften und Interessen, S. 17–76. 103 Es handelt sich dabei um die auf S. 483 genannten „Regelungsmechanismen“. 104 Der Hinweis auf Mandeville soll keinesfalls den Eindruck erwecken, dass dieser der Erste oder gar der

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besteht darin, dass die Interessen, wie Hirschman es ausgedrückt hat, als „Bezähmer der Leidenschaften“ auftreten.105 Unter welchen Bedingungen aber kann dies geschehen  ? Die Antwort auf diese Frage führt zurück zu Humes Lehre von den Affekten. Zunächst  : Das Interesse ist etwas von den Affekten und Leidenschaften zu Unterscheidendes. Auch wenn es wie diese eine affektive Komponente enthält, so tritt zu dieser doch ein Aspekt des Kalküls, der Reflexion oder eben der Kontrolle durch Überlegung hinzu. Interessen sind auf die Zukunft bezogen. Es gibt im Buch III des Treatise eine Stelle, an der Hume genau dies herausarbeitet  : „Ich sehe, es liegt in meinem Interesse [interest], einen anderen im Besitz seiner Güter zu lassen, vorausgesetzt, daß er in gleicher Weise gegen mich verfährt [das heißt  : verfahren wird]. Er seinerseits ist sich eines gleichen Interesses bei der Regelung seines Verhaltens [regulation of his conduct] bewußt. […] Die Handlungen eines jeden von uns beiden sind bedingt durch die Handlungen des anderen und geschehen unter der Voraussetzung, daß auch von der anderen Seite etwas Bestimmtes geschieht [is to be perform’d on the other part].“106

Was hier beschrieben wird, ist eine durchaus komplexe Verstandesoperation, keineswegs ein affektiver Impuls. Wie deutlich wird, ist das Verfolgen von Interessen ein aktives Vorgehen, während man den Affekten und Leidenschaften – passiv – ausgesetzt ist, sie also im wörtlichen Sinn erleidet. Bezeichnenderweise beschreibt Hume diesen Sachverhalt in einem Kontext, in dem es um jenen Teil der Rechtsordnung geht, die das Eigentum schützt. Wohlgemerkt ist das Interesse, auf das sich hier der Blick richtet, ein privates, das sich mit dem öffentlichen Interesse nicht decken muss und diesem in vielen Fällen auch gegenübersteht.107 Es wird noch zu zeigen sein, dass das öffentliche Interesse etwas seinem Wesen nach anderes ist als das private, nämlich etwas, das, so Hume, die „künstliche Übereinkunft zur Einführung [von] Regeln“ zur Voraussetzung hat.108 Zudem hat es die Aufgabe, die divergierenden privaten Interessen im Zaum zu halten. Humes Erkenntnis war nicht neu  : In England lässt sich die Konturierung des von ihm thematisierten Gegensatzes von Interessen und Leidenschaften unschwer bis zu Einzige gewesen wäre, der dieser Paradoxie Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Allerdings zeigt die Rezeptionsgeschichte der Fable of the Bees, dass es sich dabei um das in dieser Hinsicht wohl einflussreichste und am eingehendsten rezipierte Werk zu dieser Thematik gehandelt haben dürfte. Hingewiesen sei beispielsweise auf Smiths sehr ausführliches Eingehen darauf in seiner Theory, und zwar bezeichnenderweise im Abschnitt „Über einige Systeme der Moralphilosophie“ (Hervorh. HK) im Kapitel „Über Systeme, welche jede sittliche Bindung aufheben“. A. Smith  : Theorie, S. 500–514. 105 A.  O. Hirschman  : Leidenschaften und Interessen, S. 39. 106 D.  Hume  : Traktat, II, S. 233 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Treatise, p. 315, 3.2.2|10. 107 Hume macht an anderer Stelle auch deutlich, es zeige „die Erfahrung zur Genüge, daß die Menschen im gewöhnlichen Leben keine Reflexionen über das öffentliche Interesse anzustellen pflegen […].“ D. Hume  : Traktat, II, S. 223. 108 Ebd.

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­Hobbes’ Leviathan zurückverfolgen, wo er sich sogar in einem noch klareren Licht zeigt, nämlich als Antagonismus von Leidenschaften (passions) und Vernunft (reason)  : „Die Leidenschaften [passions], die die Menschen friedfertig machen, sind Todesfurcht, das Verlangen nach Dingen, die zu einem angenehmen Leben notwendig sind, und die Hoffnung, sie durch Fleiß erlangen zu können. Und die Vernunft [reason] legt die geeigneten Grundsätze des Friedens nahe, auf Grund derer die Menschen zur Übereinkunft gebracht werden können.“109 Was die Leidenschaften in diesem Fall jedoch zähmt, sind nicht die unmittelbaren Interessen an sich, sondern es sind die durch die Vernunft artikulierten und durch sie gelenkten Interessen – und damit ist es letztlich die Vernunft selbst. Man ist geneigt, in Hobbes’ Worten begriffliche Festlegungen zu sehen, auf denen sich aufbauen ließe. Doch die verwendete Terminologie erweist sich in Wirklichkeit weiterhin als lediglich eingeschränkt belastbar. Die Klärung, derer sie bedarf, leistete erst Hume. Eine solche Präzisierung der Interessen-Leidenschaften-Beziehung ist insbesondere dann erforderlich, wenn man Hirschmans Hinweis auf die Regulierungsfunktion berücksichtigt, die die Interessen im Hinblick auf die Leidenschaften auszuüben in der Lage seien. Eine dahingehende „Formulierung“, heißt es dort, sei „gefunden [worden], und zwar in der Weise, daß die Interessen der Menschen ihren Leidenschaften gegenübergestellt wurden, um damit die günstigen Folgen, die sich ergeben, wenn die Menschen sich durch ihre Interessen leiten lassen, dem verhängnisvollen Zustand entgegenzusetzen, der herrscht, wenn die Menschen ihren Leidenschaften die Zügel schießen lassen.“110 Damit wird zum einen gesagt, dass Interessen nicht als Teil der Leidenschaften – im Hume’schen Sinn von „Affekten“ (passions) – anzusehen sind, sondern als etwas von diesen zu Unterscheidendes. Zum andern kommt von Hume die grundlegende These, nichts könne „den Impuls eines Affektes [impulse of passion] unterdrücken oder verzögern, als ein entgegengesetzter Impuls“.111 Und er ergänzt sie um die in diesem Zusammenhang wichtige Feststellung, dass ein solcher Impuls nicht zwangsläufig affektiven Ursprungs sein müsse, sondern auch auf die Tätigkeit des Verstandes zurückgehen könne  : „Entspringt aber dieser entgegengesetzte Impuls aus der Vernunft, so muß dieses Vermögen auch einen ursprünglichen Einfluß auf den Willen haben [if this contrary impulse ever arises from reason, that latter faculty must have an original influence on the will] und imstande sein, einen Willensakt ebensowohl zu erzeugen wie zu verhindern.“112 Daraus folgt, dass es auch außerhalb der Affekte „Impulse“ gibt, die auf das Handeln Einfluss nehmen können – und eben solche Impulse können durch die Interessen hervorgerufen werden.113 Und wenn, so ist zu ergänzen, diese „Impulse affektiver Art“ tatsächlich her109 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 109. – OT.: T. Hobbes  : Leviathan (M.), p. 116. 110 A.  O. Hirschman  : Leidenschaften und Interessen, S. 40. 111 D.  Hume  : Traktat, II, S. 153. – OT.: ders.: Treatise, p. 266, 2.3.3|4. 112 D.  Hume  : Traktat, II, S. 153. – OT.: ders.: Treatise, p. 266, 2.3.3|4. 113 Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings folgende Differenzierung  : Genau genommen ist es nicht die Vernunft, die eine Handlung auslöst, sondern es ist der durch sie hervorgerufene „Impuls“  : “Since reason alone can never produce any action, or give rise to volition […].” D. Hume  : Treatise, p. 266, 2.3.3|4.

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vorgerufen werden, dann sind sie in der Tat geeignet, die Leidenschaften zu bezähmen, wie Hirschman es sagt. Unter den Möglichkeiten, die zur Selbstregulierung des Systems der Gesellschaft zur Verfügung stehen und die in diesem Kapitel behandelt wurden, steht jene der „Bezähmung der Leidenschaften durch die Interessen“ hinter den übrigen zurück. Humes Phasenmodell der Selbstregulierung (1), Fergusons Modell, das spontane Ordnung im Diskurs oder mittels unintendierter Handlungsfolgen erzeugt (2), und vor allem Smiths Feedback-System (3) erklären Ordnung als gewissermaßen selbsttätig ablaufende Prozesse innerhalb des Systems. Die „Bezähmung der Leidenschaften durch die Interessen“ hingegen läuft demgegenüber auf eine Ordnungsfunktion von außen hinaus. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an den Gedanken Humes, dass ein Zusammenhang zwischen dem Interesse und der Schaffung einer Rechtsordnung bestehe.114 Die Regelung eines Systems durch solche „Gesetze der Rechtsordnung“ ist eben gerade kein Selbstregulierungsvorgang, da sie die Folge von Interessen ist. Für diese ist kennzeichnend, dass sie von außen an das betrachtete System herangetragen werden.

114 Siehe S. 399 (Fn. 113).

14. Zuversicht in der Schottischen Aufklärung – charakteristische Einzelaspekte

In diesem Kapitel wird auf eine Reihe von Einzelfragen eingegangen, deren ausführliche Behandlung die Argumentation des Vorangegangenen unzulässig unterbrochen hätte. Es geht um keine neuen Gesichtspunkte mehr, sondern um eine Art Kaleidoskop von Variationen der bereits abgehandelten und um eine Darstellung dessen, was man als das Spektrum der Zuversicht in der Schottischen Aufklärung bezeichnen kann. Dabei werden einige Fragestellungen der „eigentlichen“ politischen Theorie, die mitunter hinter die Untersuchung des Aspekts der Zuversicht zurückgetreten ist, noch einmal deutlicher in den Fokus rücken. Behandelt werden bestimmte Themen, die in den Diskursen des 18. Jahrhunderts eine wichtige Rolle gespielt haben. So war die im folgenden Abschnitt untersuchte Thematik des Sklavenhandels und der Möglichkeiten seiner Abschaffung eine solche von unmittelbarer politischer Aktualität. Wenn sie hier behandelt wird, dann deshalb, weil es dabei um die Frage der Zuversicht bei einem zeitgenössischen politischen Thema geht  : Bestehen Bedingungen, unter denen sich der Sklavenhandel abschaffen lässt  ? Daran schließt sich die eingehendere Betrachtung mehrerer Hume’scher Essays an. Sie bietet die Gelegenheit zur Beschäftigung mit einigen Fragestellungen, die für die neuzeitliche politische Theorie von grundlegender Bedeutung waren und deshalb immer wieder aufgegriffen wurden. Es sind Texte über Politik und über politische Theorie. In diesem Zusammenhang kommt auch der einzige Text der Schottischen Aufklärung zur Sprache, der im Sinn einer Utopie und somit als Entwurf von etwas Zukünftigem verstanden werden kann  : die Idea of a Perfect Commonwealth. Eine wichtige Facette der Zuversicht in der Schottischen Aufklärung stellen Smiths Bemühungen dar, Sachverhalte in Form von „Systemen“ zu beschreiben. Hinter der Idee des Systems nämlich steht der Gedanke des regelhaften Ablaufs eines Geschehens, und darin verbirgt sich ein Aspekt der Kontingenzbewältigung  : Regelhafte Abläufe verheißen antizipierbare Ergebnisse. Smiths Überlegungen zur Sprache, die in diesem Abschnitt herausgegriffen werden, sind gewiss kein naheliegendes Beispiel für seine sich auf eine neue science of man gründende Zuversicht, doch selbst hier wird deutlich  : Entwicklung zum Besseren hin bedeutet in Smiths Wissenschafts- und Methodenverständnis stets Vereinfachung, und auf dieses sein „Prinzip“ zielt er fast ausnahmslos ab, hier sogar, wenn es um die Entwicklung der Sprache geht. Die sich daran anschließende Beschäftigung mit Millars Origin ist insofern gerechtfertigt, als dieser Text in gewisser Weise das Projekt der Überführung der moral philosophy in eine science of man vollendet, das in der Schaffung einer integralen Wissenschaft vom Menschen in der Gesellschaft besteht. Auch wenn diesem Werk heute nur noch eine vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit zuteil wird, ist es doch unter methodischen As-

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pekten bemerkenswert und Ausdruck der Zuversicht auch eines schottischen Aufklärers, der ganz selbstverständlich die Verbesserung der Umstände in Abhängigkeit von einem Zuwachs an Wissen sieht. Den Abschluss bildet – der Vollständigkeit halber – ein kurzes Eingehen auf M. Oake­ shotts „Zuversicht und Skepsis“, das den Zuversichtsbegriff zwar in eine zusätzliche Richtung hin weitet, jedoch im Zusammenhang mit der Schottischen Aufklärung keine zusätzlichen Aufschlüsse gewährt. Immerhin bedarf es der Begründung, warum auf diesen Ansatz nicht ausführlich eingegangen wurde.

14.1 Die Sklavenfrage

An dieser Stelle ein Wort zur Problematik der Sklavenfrage allgemein. Sie wird im Vereinigten Königreich im 18. Jahrhundert auf unterschiedliche Weise erörtert, nämlich unter ethischen ebenso wie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. In erster Linie geht es dabei um die grundsätzliche Haltung gegenüber dem Sklavenhandel, an dem England sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts noch beteiligt, gegen den sich jedoch im 18. Jahrhundert mehr und mehr Widerstand formiert. Wenngleich sie sich mitunter dazu äußern, spielen die schottischen Denker in dieser Debatte keine große Rolle. Auffallend ist der weite Bedeutungshorizont, mit dem sie den Begriff des „Sklaven [slave]“ gebrauchen, denn sie fassen Sklaverei nicht als ein auf ökonomische Ausbeutung beschränktes Phänomen auf. So verwenden sie den Ausdruck auch allgemein für einen Zustand der rechtlosen Abhängigkeit – nicht zuletzt innerhalb der Familie –, also nicht zwangsläufig eingeengt auf die mit Rechtlosigkeit verbundene wirtschaftliche Ausbeutung der Arbeitskraft des Individuums.1 Ein solches Begriffsverständnis steht in Übereinstimmung mit der Definition von Johnson’s Dictionary und trägt dem verbreiteten Sprachgebrauch Rechnung, der eine Konnotation von slavery allgemein mit Knechtschaft herstellt.2 Unter der „Sklavenfrage“ soll nachfolgend die Auseinandersetzung mit der Sklaverei als einer staatlich tolerierten, ja sogar geförderten Institution der Entrechtung von Menschen mit dem Ziel von deren wirtschaftlicher Ausbeutung, wie sie die europäischen Mächte zum Zweck der Entwicklung ihrer Kolonien betrieben, verstanden werden. Es gab in Großbritannien für diese Praxis ebenso Befürworter – deren Zahl im 18. Jahrhundert abnahm – als auch Gegner, die „Abolitionisten“, die für deren Abschaffung eintraten. Üblicherweise werden vor allem Ferguson, Smith und Millar dem letzteren Lager zugerechnet  : Die Abschaffung der Sklaverei war eine Menschenrechtsforderung und da1 Bereits Montesquieu hatte zwischen einer Knechtschaft der Sklaven und einer „Hausknechtschaft“ der Frauen unterschieden. Ders.: Vom Geist der Gesetze, S. 270. 2 S.  Johnson  : Dictionary 1799, Lemma “Slave”  : “1. One mancipated to a master  ; not a free man  ; a dependant. […] 2. One that has lost the power of resistance. […] 3. It is used proverbially for the lowest state of life.” Das nicht mehr gebräuchliche “mancipate” bedeutet wohl „in Unterwerfung oder Knechtschaft legen“. Siehe  : https://www.merriam-webster.com/dictionary/mancipate (A.: 15. 5. 2019).

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mit genuin eine solche der Aufklärung. Eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Texten der Schottischen Aufklärung ergibt hier allerdings keineswegs ein so eindeutiges Bild, wie dies zu erwarten wäre. Dies hat mehrere Ursachen. So erhebt sich vorab die Frage, worin man eine Gegnerschaft zum Sklavenhandel zu erblicken bereit ist. Reicht es dazu aus, wenn ein Autor sich mit diesem lediglich nicht einverstanden gezeigt oder ihn ausdrücklich abgelehnt hat  ? Oder durfte hier vielleicht ein sehr viel entschiedener Einsatz erwartet werden  ? Fest steht jedenfalls, dass keiner der genannten Denker in dieser Frage ein Engagement hat erkennen lassen, das über letztlich vage Bekundungen gegen das Übel der Sklaverei hinausgegangen wäre.3 Als intellektuelle Speerspitze im Kampf gegen den Sklavenhandel jedenfalls können die Hauptvertreter der Schottischen Aufklärung nicht missverstanden werden. Vielmehr konstatierten sie Sklaverei zunächst einfach als Faktum, als eine weit, ja weltweit verbreitete Gegebenheit, die sich hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile diskutieren ließ. Den Umgang mit dem Thema kennzeichnet, weit entfernt von einer leidenschaftlichen Verdammung dieses Phänomens, eine auffallende Sachlichkeit, ja geradezu Nüchternheit, die aus heutiger Sicht nach den Auseinandersetzungen des 19. und 20. Jahrhunderts befremden mag.4 Betrachtet man das Thema im Zusammenhang mit der Frage nach der Zuversicht der schottischen Autoren, so kann es vornehmlich darum gehen, herauszufinden, ob sie diese Hoffnungen in die Abschaffung des Sklavenhandels als begründet ansahen. Es geht also um eine Zuversicht, die sich auf das politische Handeln der Institutionen des englischen Staates richtet. 14.1.1 Der Gegensatz von Adam Ferguson und David Hume

Fergusons Annäherung an das Thema etwa beginnt mit einer rechtlichen Definition  : In der Sprache des römischen Rechts, heißt es in den Principles, habe der Sklave den Status einer Sache, nicht den einer Person innegehabt.5 Freilich sei mit der weiten Verbreitung der Sklaverei kein Grund gegeben, sie auch im Sinn einer Selbstverständlichkeit zu akzeptieren. Zwar möge es Menschen geben, die sich mit ihrer rechtlosen Lage versöhnt hätten, doch könnten „wir deshalb an[nehmen], dass sie ihre Zustimmung zur Knecht3 Es gibt allerdings Gründe, die es nahelegen, Millar aus diesem pauschal anmutenden Kollektivurteil auszunehmen. Siehe hierzu Näheres im Abschnitt 14.4 („Machtbeziehungen  : John Millars Blick auf die Gesellschaft“). 4 Ein Beispiel für die Selbstverständlichkeit, mit der etwa Hume von der Existenz von Sklaven ausging, findet sich im Treatise, wo ganz sachlich festgestellt wird  : „So gelten die Früchte unseres Gartens, die Nachkommenschaft unseres Viehs, die Arbeit unserer Sklaven [the work of our slaves] als unser Eigentum, auch schon ehe sie in unserem Besitz sind.“ D. Hume  : Traktat, II, S. 254. – OT.: ders.: Treatise, p. 327, 3.2.3|10 (Hervorh. HK). Die Stelle macht deutlich, dass die Möglichkeit, einen Sklaven wie ein Ding „zu besitzen“, nicht im Geringsten hinterfragt wurde. 5 A.  Ferguson  : Principles, II, p. 242  : “In the language of the Roman law a slave was said to be a thing and not a person. Servus non est persona sed res.”

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schaft im vollen Umfang dieses Begriffs gegeben haben  ?“6 Es gebe kein Recht, auf das Sklaverei sich zurückführen lasse. „Aus dem Ganzen“, sagt Ferguson nämlich, „müssen wir also schließen, dass das Verhältnis von Herrn und Sklave das Ergebnis von Gewalt ist und nicht wie Besitz, Eigentum oder gesetzlicher Befehl auf einem gerechten Titel der Besetzung, Arbeit, Konvention oder Verwirkung entstanden sein kann [cannot have arisen, like possession, property, or lawful command, upon any just title of occupancy, labour, convention, or forfeiture].“7 Dies ist eine Argumentation, die in der Tradition naturrechtlicher Erörterungen steht. Sie orientiert sich an Rechtsprinzipien, nicht an einem zu entdeckenden Zweck und auch nicht an etwaigen Interessen. Eine ähnliche Begründung hatte Ferguson zuvor schon in den Institutes ins Feld geführt  : „Kein Vertrag oder eine Verwirkung kann einen Menschen seiner Rechte berauben oder ihn zum Eigentum eines anderen machen [can deprive a man of all his rights, or render him the property of another]. | Niemand wird als Sklave geboren, weil jeder mit allen seinen ursprünglichen Rechten [original rights] geboren wird. | Niemand kann ein Sklave werden  ; denn niemand kann, in der Sprache des römischen Rechts, von einer Person zu einem Ding oder einem Gegenstand des Eigentums werden. | Das vermeintliche Eigentum des Herrn am Sklaven ist daher ein Akt der Usurpation, nicht des Rechts [is matter of usurpation, not of right].“8

Die Frage allerdings, die uns hier beschäftigen muss, ist nicht die, ob Ferguson der Sklaverei jegliche Legitimität absprach – was er zweifellos tat –, sondern ob er unter den gegebenen Umständen eine Möglichkeit sah, sie zu überwinden und, was noch wichtiger ist, ob er die Zuversicht hatte, dass dies in absehbarer Zeit geschehen konnte. In seinen Hauptwerken äußerte er sich hierzu nicht. Sprach er von Sklaverei, so meinte er damit entweder diejenige in der eigenen zeitgenössischen Gesellschaft – und zwar im Sinn einer soziologischen Aussage, mit der er die Herrschaftsverhältnisse zwischen Angehörigen ein und derselben Nation beschrieb – oder die Sklaverei, von der die Überlieferungen aus der Antike berichteten und mit denen er illustrieren konnte, was er darunter verstand. Zur Auseinandersetzung mit der Problematik des Sklavenhandels finden sich von ihm keine nennenswerten Beiträge. „Sklaverei“, „Versklavung“ und vor allem „Selbstversklavung“ ehedem freier Bürger sind in seinen Augen vielmehr die Gefahren einer polished

6 A.  Ferguson  : Principles, II, pp. 241–242  : “It cannot be doubted, that persons may be found under the denomination of slaves, as much in appearance reconciled to their state, as men are ever observed to be in any other condition of life  : Shall we therefore suppose them to have given their consent to servitude in the full extent of that term  ?” 7 Ferguson  : Principles, II, p. 256. – Eine ähnliche Zielrichtung der Argumentation lässt auch die folgende Aussage Fergusons erkennen  : “The contract of master and slave, if any such were supposed to exist, is such, on the part of the slave, as is not consistent with free will or the exercise of reason. It is the resignation of every thing, in exchange for nothing.” Ebd., p. 243. 8 Ferguson  : Institutes, pp. 201–202.

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society, sofern es nicht gelänge, diese vor den ihr innewohnenden Verfallstendenzen, der „Korruption“, zu bewahren.9 In einem ähnlichen Sinn hatte zuvor bereits Hume den Begriff der Sklaverei zur Bezeichnung einer sozial untergeordneten Stellung gebraucht, die es zu meiden gelte. „Wenn Reichtum Vergnügen und Stolz, Armut hingegen Unlust und Niedergedrücktheit hervorruft, so muß aus demselben Grunde Macht die ersteren, Knechtschaft die letzteren Gefühlserregungen erzeugen. Macht oder Herrschaft über andere ermöglicht es uns, alle unsere Gelüste zu befriedigen  ; Knechtschaft [slavery], die uns dem Willen anderer unterwirft, setzt uns vielen Nöten und Kränkungen aus.“10 Im Übrigen war Humes Denken, wenn nicht von einem latenten Rassismus, so zumindest jedoch von einem deutlichen Ethnozentrismus geprägt. Darin kam seine elitäre Grundhaltung zum Ausdruck, die ein Nebeneinander von Menschen und „Untermenschen“ als selbstverständliche Gegebenheit verstand. Dies zeigt sich besonders in seinem Essay Of National Characters, wenn es heißt  : „Ich hege den Verdacht, daß die Neger und allgemein alle anderen Menschenrassen […] den Weißen von Natur aus unterlegen sind. […] Ein so gleichartiger und konstanter Unterschied könnte nicht in so vielen Ländern und Jahrhunderten auftreten, wenn die Natur nicht einen ursprünglichen Unterschied zwischen diesen Menschenrassen gemacht hätte. Ganz zu schweigen von unseren Kolonien, sind Negersklaven in ganz Europa verstreut, von denen keiner jemals Anzeichen der Erfindungsgabe gezeigt hat, obwohl niederes Volk unter uns aufsteigt und sich in jedem Beruf auszeichnet.“11   9 Diese Thematik ist es, die den abschließenden Teil des Essay bestimmt  : „Von Korruption und politischer Sklaverei“. Siehe A.  Ferguson  : Versuch, S. 413–441. 10 D.  Hume  : Traktat, II, S. 46. – OT.: ders.: Treatise, p. 205, 2.1.10|11. – Weitere Aussagen Humes, in denen dieselbe Sichtweise zum Ausdruck kommt, siehe  : ders.: Traktat, II, S. 113 („Bei meiner Betrachtung über das Wesen des Ehrgeizes bemerkte ich, daß den Großen eine doppelte Lust aus ihrer Macht erwächst, wenn sie ihre eigene Lage mit der ihrer Sklaven vergleichen.“). Siehe ferner  : ders.: Traktat, II, S. 174 („Tugend, Genie, Macht und Reichtümer sind aus diesem Grunde mit Höhe und Erhabenheit assoziiert  ; Armut, Sklaverei und Torheit werden dem Sinken und der Niedrigkeit [begrifflich] zugesellt.“), sowie ders.: Moral, S. 90 („Wer ist nicht von einem besonderen Beispiel der Geistesgröße oder Würde des Charakters beeindruckt, die aus einer erhöhten Empfindung fließt, der Verachtung der Sklaverei und dem edlen Stolz und Mut, die von bewußter Tugend herrühren  ?“). Siehe auch  : ders.: Über Aberglaube und Schwärmerei. In  : ders.: Die Naturgeschichte der Religion. Über Aberglaube und Schwärmerei. Über die Unsterblichkeit der Seele. Über Selbstmord, S. 77 f. („[…] nicht zu erwähnen, daß die Schwärmerei als Krankheitsbild einer kühnen und ehrgeizigen Gemütsart natürlicherweise von einem Geist der Freiheit begleitet wird, so wie auf der anderen Seite der Aberglaube die Menschen zahm und kriecherisch macht und sie zur Sklaverei abrichtet.“) 11 D. Hume  : Über nationale Charaktere, in  : ders.: Essays (B.), S. 165 (Fn.). – Auffällig ist auch an dieser Stelle wieder, wie die „Natur“ in dieser Argumentation die Doppelrolle der Präsupposition und des aus ihr abgeleiteten Ergebnisses zu spielen hat  : Hume scheint sich nicht bewußt zu sein, dass er die „Negersklaven“ in eben dem Zustand ihrer Sklaverei betrachtet, also depraviert von Rechtlosigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung. In eben diesem Zustand jedoch ist es freilich nur naheliegend, dass sie sich nicht durch Initiative und „Erfindungsgabe“ auszeichnen. Diesen ihren durch die Existenzbedingungen der Sklaverei,

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An dieser Stelle wird ein eklatanter Unterschied zu Ferguson sichtbar, denn wo Hume die Differenzierung zwischen Herren und Sklaven als naturgegeben annimmt, erklärt jener sie als institutionell begründet  : „Durch politische Institutionen werden Rechte geschützt oder aufgehoben [By political institutions, rights are preserved or invaded], Menschen werden in die Beziehung von Gleichen oder von Herrn und Sklaven gebracht, ihre Verbrechen werden zugelassen oder unterbunden, und ihre Umgangsformen werden verbessert oder verdorben.“12 Und in Fergusons Manuskripten findet sich eine Aussage, die in dieselbe Richtung weist  : „Angst ist das Bindeglied, das dem Tyrannen seine Macht gibt, den Sklaven zu fesseln [Fear is the link by which the Tyrant holds his Power by which the Slave is bound]. Wenn du frei wärst, darfst du die Kette nicht tragen  ; aber weise Ungerechtigkeit zurück, wo auch immer sie ist.“13 14.1.2 Adam Smith und der Zusammenhang von Sklaverei und Regierungsform

Während also Hume die Sklaverei als ein naturgegebenes Phänomen auffasst – und damit als ihr entschiedener Gegner ausscheidet – und Ferguson sie ansatzweise als ein gesellschaftliches Phänomen zu erklären versucht, ist Smiths Position in dieser Frage komplexer und keineswegs dazu geeignet, in einem Satz zusammengefasst zu werden. Gemeinhin gilt er als erklärter Gegner der Sklaverei, und unter den schottischen Denkern ist er derjenige, der das Thema in seinen Schriften wohl am häufigsten aufgreift. Dabei fällt auf, dass er, wie übrigens auch Millar, das Problem argumentativ zumeist aus der ökonomischen Perspektive angeht. So stützt sich ein Großteil seiner Einwände gegen die Sklaverei auf Nachweise ihres mangelnden wirtschaftlichen Nutzens.14 Auch durch Hoffnungslosigkeit und Apathie hervorgerufenen Mangel an „Erfindungsgabe“ deklariert Hume kurzerhand und völlig unreflektiert zu einem naturgegebenen. Er erzeugt unter Verzicht auf den Ausweis seiner Ausgangsannahme geradezu handstreichartig eine „Naturgegebenheit“, wo keine ist, indem er aus einer Folgeerscheinung eine Ursache macht. Der Schluss lautet dann  : Weil der Sklave von Natur aus über keine Erfindungsgabe verfüge, sei es nur natürlich (und deshalb erklärlich), dass er zum Sklaven geworden sei. 12 A.  Ferguson  : Institutes, pp. 292 (e. Ü.). 13 A.  Ferguson  : Manuscripts (Characteristics of Man[’]s Nature), pp. 273. 14 A.  Smith  : Wohlstand, S. 70  : „Wenn nun auch die Überanstrengung eines freien Dienstboten zu Lasten seines Arbeitgebers geht, so kommt sie ihm doch zumeist weit weniger teuer als die eines Sklaven. […] Auch lehrt die Erfahrung zu allen Zeiten und bei allen Völkern, wie ich glaube, daß von freien Menschen geleistete Arbeit letztlich immer billiger kommt als die, welche Sklaven verrichten.“ – Ganz ähnlich, ebd., S. 319  : „Die Erfahrung zu allen Zeiten und in allen Völkern beweist, wie ich glaube, daß die Arbeit eines Sklaven am Ende die teuerste ist, obwohl sie offenbar lediglich seinen Unterhalt kostet.“ – Ebd., S. 327  : „[…] die Bürger wurden nunmehr wirklich frei in unserem Sinne, nachdem sie die stärksten Fesseln der Leibeigenschaft und Sklaverei loswaren.“ – Ebd., S. 579 f.: „In den Gewerben, die Sklaven betrieben, mußten also in der Regel mehr Arbeitskräfte eingesetzt werden, um die gleiche Leistung zu erzielen, als in jenen Unternehmen, die Freie leiteten. Aus diesem Grunde ist auch die Arbeit eines Sklaven zwangsläufig in der Regel teurer gewesen als die eines Freien.“ – Ebd., S. 734 f.: „Eine Kopfsteuer für Sklaven ist etwas völlig anderes als eine für Freie, denn diese wird von Personen entrichtet, denen sie auferlegt wird, jene aber von anderen. Die erste ist entweder völlig willkürlich oder völlig ungleich, in den meisten Fällen beides, die zweite ist keinesfalls

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gibt es Passagen, in denen Smiths von Empathie geprägte Grundhaltung mit seinem ökonomischen Pragmatismus kollidiert – und diesem letztlich erliegt.15 Das darf nicht überraschen, denn für den Smith des Wealth of Nations ist es geradezu charakteristisch, dass er seine Gegenstände fast ausschließlich unter funktionalen Aspekten betrachtet. Das führt mitunter zu zwar durchaus sachlichen, jedoch mit ihrem eklatanten Mangel an Empathie fast grotesken Analysen, in denen der Sklave zu einem bloßen frei disponiblen Gegenstand verkommt. Darin mehr zu sehen als nur eine rein technische Auseinandersetzung mit ökonomischen Sachverhalten, nämlich eine Stellungnahme zur menschenrechtlichen, eben politischen Dimension der Sklavenfrage, scheint nicht geboten. Dass Smith der Sklaverei grundsätzlich, insbesondere dem Sklavenhandel, starke Vorbehalte entgegengebracht hat, darf weder bezweifelt werden, noch steht es zu seinen Aussagen im Wealth of Nations in einem Widerspruch. Er sieht darin einfach eine Gegebenheit, deren Überwindung er sich allerdings von einer Gesellschaft allein, die unter einer „freiheitlichen Regierung“ einen ungehinderten Warenaustausch betreibt, nicht verspricht.16 Dass Smith dennoch als ein entschiedener Gegner der Sklaverei gilt, geht möglicherweise auf einen Hinweis zurück, der sich in der Rückschau des Engländers Thomas Clarkson auf die Geschichte der Bestrebungen zur Abschaffung des Sklavenhandels findet. Darin bestätigte dieser Smith, „die Sache der geschädigten Afrikaner gefördert“ zu haben.17 Den Beleg für die Berechtigung dieser Aussage dürfte er in der Theory gefunden haben, wo Smith schrieb  : „Niemals übte das Schicksal seine Herrschaft über die Menschen in grausamerer Weise aus, als damals, wie es jene Völker von Helden dem Auswurf der Gefängnisse Europas unterwarf, Schurken, die weder die Tugenden der Länder besitzen, aus denen sie kommen, noch die der Länder, in die sie gehen, und deren Leichtsinn, Roheit und Niederträchtigkeit sie der gerechten Verachtung der Besiegten preisgibt.“18 Dazu sagte Clarkson  : „Und jetzt, im Jahr 1776, zeigte er [Smith] in seinem Wealth of Nations auf eindringliche Weise (denn er appellierte an das Interesse der Betrof-

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willkürlich, obwohl in mancher Beziehung ungleich, da der Wert der einzelnen Sklaven unterschiedlich ist.“ (Hervorh. HK) – Ebenso  : ders.: Lectures J, p. 453  : „Es ist noch ein Nachteil mit der Sklaverei verknüpft, nämlich der, daß sie die Zahl der freien Leute vermindert, sogar in einem unausdenklichen Ausmaß  ; denn jeder Sklave nimmt einem freien Manne den Platz weg.“ (Ü.: J. Jastrow, S. 71) A.  Smith  : Wohlstand, S. 493  : „In allen europäischen Kolonien wird der Zuckeranbau mit Hilfe von Negersklaven betrieben, da man der Ansicht ist, die körperliche Konstitution der im gemäßigten Klima Europas geborenen Menschen könne die Schwerarbeit des Anbaus unter der brennenden Sonne Westindiens nicht ertragen […]. So wie aber Gewinn und Erfolg im Ackerbau mit Vieh von der guten Behandlung der Tiere abhängen, hängt der erfolgreiche Anbau mit Sklaven davon ab, wie umsichtig man sie einsetzt und anleitet. Und wie man wohl allgemein anerkennt, werden die Sklaven der französischen Pflanzer besser eingesetzt als die der englischen.“ A.  Smith  : Wohlstand, S. 494  : „Die Geschichte aller Zeiten und Völker hat, so glaube ich, bewiesen, daß die Lage eines Sklaven unter einer Willkürherrschaft besser ist als unter einer freiheitlichen Regierung.“ T.  Clarkson  : The History of the Rise, Progress, and Accomplishment of the Abolition of the African Slave-Trade, I, p. 86. A.  Smith  : Theorie, S. 335.

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fenen), wie teuer die Arbeit der Afrikaner war oder wie unzweckmäßig es war, Sklaven zu beschäftigen.“19 Clarksons History dürfte in Kreisen der Abolitionisten hoch im Kurs gestanden haben und entsprechend von vielen gelesen worden sein. So liegt es nahe, dass die dort getroffenen Aussagen sich in Arbeiten über Smith wiederfinden.20 Wenn es dort jedoch heißt, Letzterer habe zu jenen Professoren der Universität von Glasgow gehört, die „laut und deutlich gegen die Fortsetzung dieses grausamen Handels protestierten“, so trifft das den Kern von Smiths Argumentation nur ungenau, denn dessen „lauter und deutlicher Protest“ bestand eher im Hinweis auf die Nutzlosigkeit der Sklaverei (wie im Wealth of Nations dargelegt) als im Aufschrei gegen die Grausamkeit, die sie für Millionen von Afrikanern bedeutete und auf die er in der Theory eher zaghaft, da nur an einer Stelle, hingewiesen hatte. In Großbritannien gehört die Debatte um die Aufhebung des Sklavenhandels ohne Zweifel zu den wichtigen politischen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts. Der Niederschlag hingegen, den dieses Thema in den Überlegungen der schottischen Denker findet, erscheint überraschend gering. Im Wesentlichen beschränken sich deren Erörterungen auf die wirtschaftlichen Aspekte der Sklaverei  ; der Fokus der Argumentation liegt auf dem Versuch, nachzuweisen, dass jenen Individuen, denen es nicht möglich ist, mit ihren Anstrengungen Besitz zu erwerben, das Interesse am Erfolg ihrer Arbeit fehlen werde. Bei Smith zeigt sich dies am deutlichsten, denn so, wie er im Eigennutz des Individuums die Hauptantriebskraft für gesellschaftlichen Wohlstand proklamiert, muss er es in der Umkehrung dieses Gedankens als folgerichtig ansehen, dass dort, wo dem Eigennutz keine Entfaltungsmöglichkeit geboten wird, eben auch keine wirtschaftlichen Anstrengungen unternommen werden.21 Von diesem Prinzip eines Zusammenfallens des sich entfaltenden Eigennutzes mit gesamtgesellschaftlichem Wohlstand ist Smith überzeugt, doch lässt er Zweifel daran erkennen, dass dieses Prinzip sich auch in der Sklavenfrage durchsetzen könne, sprich  : für die Abschaffung des Sklavenhandels wirksam werde. Bereits in seinen Lectures hatte er die Ansicht vertreten, dass die Aussicht auf die Abschaffung der Sklaverei von der jeweiligen Regierungsform eines Landes abhängig sei. Gerade in demokratisch verfassten Staaten stießen, wie er sagt, dahingehende Absichten auf Schwierigkeiten, da hier eine Personalunion von Gesetzgebern und Sklavenhaltern bestehe, und letztere würden „niemals dazu neigen, sich von einem so wertvollen Teil ihres Eigentums zu trennen“.22 Freilich beruht Smiths Skepsis in dieser Frage auf der 19 T.  Clarkson  : The History of the Rise, Progress, and Accomplishment of the Abolition of the African Slave-Trade, I, pp. 85–86 (e. Ü.). 20 I.  S. Ross  : Adam Smith, S. 258. 21 Denn  : „Jemand, der kein Eigentum erwerben kann, kann auch kein anderes Interesse haben, als möglichst viel zu essen und so wenig wie möglich zu arbeiten.“ A. Smith  : Wohlstand, S. 319. – Siehe hierzu in dieser Untersuchung auch S. 404. 22 A.  Smith  : Lectures J, p. 186, iii|114  : “In a democraticall government it is hardly possible that [slavery] ever should [be abolished], as the legislators are here persons who are each masters of slaves  ; they therefore will never incline to part with so valuable a part of their property […].” – Vgl. hierzu auch  : ders.: Wohlstand,

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stillschweigenden Vorannahme einer Demokratie der Besitzenden, und nicht einer solchen, die den politischen Willen aller Mitglieder der Gesellschaft repräsentiert.23 14.1.3 John Millar und der Zusammenhang von Sklaverei und Eigentum

Eine Sonderstellung unter den Publikationen der schottischen Denker stellt Millars Origin dar. Dessen abschließendes sechstes Kapitel handelt zwar seinem Titel zufolge von der „Gewalt des Herrn über seine Knechte“, doch setzt es sich so dezidiert mit der die zeitgenössischen Debatten bestimmenden Sklavenfrage auseinander, dass man darin dessen Hauptanliegen erkennen kann. Sklaverei, gleichbedeutend mit Knechtschaft,24 meint auch bei Millar die Aneignung eines Menschen, der über kein materielles Eigentum verfügt, durch einen andern. Smith hatte in seiner Vorlesung eine rechtliche Definition des Eigentumsbegriffs gegeben, die Millar als sein Schüler mutmaßlich gekannt hat  : „Eigentum ist als ein ausschließliches Recht [exclusive right] zu betrachten, durch das wir jede andere Person davon abhalten können, in irgendeiner Form das zu verwenden [hinder any other person from using in any shape], was wir auf diese Weise besitzen.“25 Noch anschaulicher und in seiner funktionalen Konsequenz hinsichtlich der Sklaverei konkreter als bei Smith wird der Eigentumsbegriff, wenn man ihn im weitgefassten Sinn Lockes versteht, der sagt, „jeder Mensch [habe] ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein.“26 Dies bedeutet implizit, dass ein Sklave nicht nur kein Recht an sich selbst habe, sondern auch kein Recht auf materielles Eigentum beanspruchen könne. Nach Millars Überlegung gehört die Entstehung der Sklaverei zu den üblichen Gegebenheiten in den frühen „rohen Zeiten“ der Menschheit. Sklave wie Knecht wurde man vor allem als Kriegsbeute oder durch Verarmung  : „Wer […] durch Nichtstun keinen Besitz erworben oder durch unglückliche Umstände sein Eigentum verloren hat, lebt zwangsläufig in […] Elend.“27 Daraus ist sodann der S. 394 f.: „In jedem Land, wo es eine solche unglückliche gesetzliche Regelung der Sklaverei gibt [gemeint ist ein Gesetz, das den Sklaven vor der Gewalttätigkeit seines Herrn schützt], mischt sich die Obrigkeit zum Schutz der Sklaven mehr oder weniger in die Leitung privater Betriebe ein. In einem freien Land hingegen, wo der Eigentümer selbst Mitglied der Volksvertretung oder Wähler ist, darf sie sich dies nur mit größter Vorsicht und Behutsamkeit erlauben. Sie muß den Eigentümer mit Respekt behandeln, was es ihr gleichzeitig erschwert, den Sklaven zu schützen. In einem Land, in dem die Regierung dagegen willkürlich handelt, mischt sich die Behörde sogar in die Vermögensangelegenheiten des einzelnen ein […]  ; in diesem Fall ist es für sie leichter, den Sklaven zu schützen. […] Die Geschichte aller Zeiten und Völker hat, so glaube ich, bewiesen, daß die Lage eines Sklaven unter einer Willkürherrschaft besser ist als unter einer freiheitlichen Regierung.“ 23 Vgl. hierzu S. 108. 24 „Knecht“ bezeichnet bei Millar nicht nur die Funktion des Bediensteten, sondern auch die des Sklaven, des zu einem Objekt des Handels gewordenen Menschen „in Knechtschaft“  ; siehe J. Millar  : Ursprung, S. 232. 25 A.  Smith  : Lectures J, p. 10 (e. Ü.). 26 J.  Locke  : Regierung, II, § 27, S. 218. 27 J.  Millar  : Ursprung, S. 232 und S. 234.

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Ausweg versperrt, denn der rechtliche Status spiegelt sich im ökonomischen wider und umgekehrt. Ebenso, wie diese elende Lage einen ökonomischen Aspekt aufweise, resultiere auch die Möglichkeit der Befreiung daraus aus den ökonomischen Gegebenheiten – nämlich durch Schaffung von Eigentum. Infolge der „segensreichen Wirkungen friedlicher Tätigkeiten“, also mit „der Höherentwicklung von Handel und Gewerbe“, gewännen die „Armen […] bessere Chancen, ihren Lebensunterhalt durch Beschäftigungsarten zu verdienen, die kaum zu nennenswerter Unterwerfung oder Abhängigkeit führen“.28 Inwieweit Millar davon überzeugt ist, die Sklaverei, gegen die er sich entschiedener als seine schottischen Kollegen wendet, könne tatsächlich im Zug dieser „Höherentwicklung von Handel und Gewerbe“ letztlich von selbst verschwinden, lässt sich nur schwer beurteilen.29 Ich ziehe eine solche Überzeugung bei ihm gerade deshalb in Zweifel, weil er gegen die Sklaverei ebenso wie Smith ökonomisch argumentiert,30 indem er ihre Unrentabilität nachzuweisen versucht.31 Und das ist keineswegs dasselbe, wie auf die „segensreichen Wirkungen friedlicher Tätigkeiten“ zu setzen. Der Vollständigkeit halber ist abschließend in diesem Zusammenhang mit der Behandlung der Sklaverei in der Schottischen Aufklärung noch Lord Kames zu erwähnen, der den Begriff zwar sehr häufig instrumentalisiert, indem er ihn anhand von Beispielen aus der Antike zur Illustration seiner Sketches of the History of Man heranzieht. Dabei jedoch erfüllt er ihn im Kontext seiner Zeit nicht mit Leben. So befasst Kames sich zwar, wie Millar, mit dem Sachverhalt der Versklavung der Frau in der Familie,32 doch zieht er keine Parallelen zur zeitgenössischen britischen Gesellschaft und analysiert folglich auch die dort vorhandenen Hierarchien nicht. Vielmehr verharrt er bei zahllosen Beispielen, die mit dem Großbritannien seiner Zeit nichts zu tun haben. Er bleibt in diesem Punkt, anders als Ferguson, Smith oder Millar, ein Aufklärer, der eine umfangreiche Argumentation zwar in Stellung bringt, sie letztlich aber nicht einsetzt.

28 Ebd., S. 238 f. 29 Siehe hierzu ebd., S. 234. – Jedenfalls gibt Millar sich zumindest an dieser Stelle keinen Illusionen über die von den schottischen Denkern so häufig ins Spiel gebrachte menschliche Natur hin, denn er sagt  : „Auch ist nur schwer zu bestimmen, welches Maß von Gewalt wir uns nach den Grundsätzen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit überhaupt über unsere Mitmenschen anmaßen dürfen. Aber es bleibt ohne Frage eine Tatsache, daß der Mensch gewöhnlich so beschaffen ist, daß er die Macht in einer Weise benutzt, wie sie seine Interessen am besten fördert und die herrschenden Neigungen seines Charakters am ehesten befriedigt.“ Sprich  : Was den Menschen in seinem Handeln leitet, das ist in der Regel eben nicht „Menschlichkeit“, sondern es sind seine Interessen. – Man kann dies schwerlich als bloße Rhetorik abtun. 30 Dies stellt auch T.  Clarkson  : The History of the Rise, Progress, and Accomplishment of the Abolition of the African Slave-Trade, I, p. 86 fest, wenn er sagt  : „Er erklärte die Nutzlosigkeit der Sklaverei im Allgemeinen wegen ihrer negativen Auswirkungen auf Industrie, Bevölkerung und Moral. Diese Auswirkungen verband er mit dem in unseren Inseln verfolgten landwirtschaftlichen System.“ (E. Ü.) 31 J.  Millar  : Ursprung, S. 237 f. 32 H.  Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, I, pp. 272–284.

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14.2 Zu David Humes Argumentation in einigen seiner Essays

David Hume hat, legt man die üblichen Maßstäbe an und vergleicht man ihn mit anderen bedeutenden Philosophen, deren Einfluss sich über eine lange Zeit erhalten hat, ein Œuvre hinterlassen, das gewissermaßen auf dem Kopf steht. Seine rezeptionsgeschichtlich wichtigste Arbeit, den Treatise, verfasste er am Beginn seines Wirkens  ; sie ist das Erstlingswerk eines noch nicht dreißigjährigen Privatgelehrten, konzipiert als Entree in eine akademische Laufbahn. Dieser Umstand erklärt bereits viel über das Schicksal, das dem Buch zu Lebzeiten seines Autors zuteil wurde. A Treatise of Human Nature, als großer Wurf angelegt, enttäuschte die Erwartungen seines Verfassers ganz und gar, denn sowohl die verkaufte Auflage als auch die Publikumsresonanz blieben weit hinter dem zurück, was dieser sich ausgemalt hatte. Dass ihn dies überraschen konnte, verrät seine Unerfahrenheit mit den Gepflogenheiten des akademischen Betriebs und der intellektuellen Aufnahmefähigkeit selbst einer gebildeten Leserschaft. Dort stellte man sich die naheliegende Frage, ob es überhaupt sein konnte, dass jemand, der nicht erst mit einem „vielversprechenden Debüt“ seine Teilnahme am Diskurs angemeldet hatte, ein unbeschriebenes Blatt also, gewissermaßen aus dem Nichts ein Werk mit solch grundlegendem Anspruch vorlegte, das nicht nur durch seine erkenntnistheoretische Tiefe, sondern überdies durch Eloquenz auffiel und sich selbst möglichen Konfliktthemen keineswegs verschloss. Die intendierte Leserschaft jedenfalls scheint misstrauisch vor der Gefahr zurückgeschreckt zu sein, einem Blender aufzusitzen, ließ das Buch zunächst auf geradezu demonstrative Weise unbeachtet und gab dadurch dem weiteren Schaffen Humes eine charakteristische Wendung. Der nämlich sah sich nun dazu veranlasst, jetzt erst all die kleineren und eingängigeren Arbeiten nachzuliefern, die üblicherweise einem Opus magnum sonst vorausgehen. Bei diesen kleineren Arbeiten, die Hume dem Treatise bald nachschob, handelt es sich um Politische und ökonomische Essays,33 eine Sammlung von kürzeren Texten, in denen er viele Überlegungen seines Hauptwerks in einer eingängigeren Form erneut aufgriff. Das bedeutet keineswegs, dass es sich dabei um „Anmerkungen“ zu diesem oder um „Nebenwerke“ handelt, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Vielmehr sind die Essays, ursprünglich sicher auch gedacht als Versuch, im Gespräch zu bleiben,34 als ein wesentliches Element seines politischen Denkens zu verstehen.35 Sie lösen Einzelaspekte des Politischen aus dem Gesamtzusammenhang des Treatise heraus und behandeln sie als 33 D.  Hume  : Essays (B.). – Den besten Überblick über die zahlreichen Editionen und Varianten der Texte bietet deren vollständige Veröffentlichung durch E. F. Miller von 1985, die auch einen ausführlichen Anmerkungsapparat enthält  : D.  Hume  : Essays (M.). – Zur Textgeschichte siehe ausführlich auch U. Bermbach  : Die Ausgaben der ‚Essays‘. 34 J. Kulenkampff  : Nachwort, S. 121, spricht in diesem Zusammenhang von „der von Hume ins Auge gefaßten Allianz zwischen der Sphäre der Konversation und der gelehrten Welt“. 35 J. Kulenkampff  : Zustimmung, nicht Macht, legitimiert Herrschaft. David Humes ‚Essays‘, S. 768 (Hervorh. HK).

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eigenständige Fragestellungen. Zwar geschieht dies im Rahmen dessen, was das Genre des Essays vorgibt, also unter Verschiebung weg von der systematischen Strenge und hin zu einer mehr suggestiven Diktion und einer rhetorischen Geläufigkeit, also von der Philosophie hin zur philosophischen Betrachtung. Dennoch machen diese Texte durchaus transparent – und vielleicht sogar transparenter als das Hauptwerk selbst, aber das soll an dieser Stelle lediglich eingeworfen und nicht bewertet werden –, welche Intentionen Hume bei dieser Thematik verfolgt hat. Manches in den Essays korrespondiert mit den Ausführungen des Treatise und präzisiert das dort Gesagte in den meisten Fällen, wie eine parallele Lektüre deutlich macht. Die systematische Strenge des Treatise ist nun allerdings deutlich zurückgenommen. In der Darstellungsform des Essays bietet sich Hume die Gelegenheit, stärker auf rhetorische Mittel zu vertrauen, als ihm dies in seiner großangelegten Abhandlung zulässig erschienen war. Etwas schwieriger wird es dadurch, jeweils den Kern dieser Texte freizulegen, denn die Gefahr, dem gefälligen Fluss der Diktion zu erliegen, ist groß. Die Beweisführung ist weniger konsequent durchgehalten, die zu verhandelnden Gegenstände sind überschaubarer, kleine (und mitunter auch größere) Abschweifungen sind zugelassen, und unter dem durchaus sachlichen Grundton liegt mitunter eine leise Ironie, der die Aufgabe zuzukommen scheint, Einverständnis mit dem Gesagten zu erheischen. Die grundlegende kritische Distanz zum Objekt der Betrachtung bleibt allerdings stets gewahrt. Die Essays erschienen seit 1741 in zahlreichen verschiedenen, auch von Hume zu Lebzeiten immer wieder neu zusammengestellten Ausgaben. Das allein schon beweist die große Bedeutung, die ihnen ihr Verfasser beigemessen hat. Allerdings stellt der Variantenreichtum der Texte heutige Untersuchungen vor Schwierigkeiten, denn die Essays waren ein ständiges work in progress, und als solches spiegeln manche zwar die Entwicklungen von Humes Gedanken bis in Nuancen hinein wider, dies jedoch um den Preis, dass es zwar viele Textfassungen gibt, auf die man sich beziehen kann, aber keine, auf die man sich zwingend beziehen müsste – es sei denn, man ginge den etwas zu einfachen Weg, die jeweils letzten Versionen zu den „eigentlichen“ zu erklären. Würde man so denken, bedeutete dies, dass es beispielsweise vom Treatise, der zu Humes Lebzeiten gerade ein einziges Mal erschien – und das dreieinhalb Jahrzehnte vor dem Tod seines Verfassers –, in diesem Sinn gar keine Ausgabe gibt, in der sich der „späte Hume“ hätte zu erkennen geben können. In den beiden Bänden von 1741/42, die auf den Treatise folgten, veröffentlichte Hume unter dem Titel Essays  : Moral and Political insgesamt 27 Essays  ; drei weitere Arbeiten folgten im Jahr 1748 (Three Essays  : Moral and Political), 1752 erschienen weitere zwölf Texte dieses Genres unter dem Titel Political Discourses. Die englischsprachige, von E. Miller editierte Ausgabe von 1985, auf die hier im Sinn einer Referenz Bezug genommen wird, enthält nun insgesamt 49 Essays, darunter jedoch auch zu Lebzeiten des Autors nicht veröffentlichte und daneben solche, die von ihm zurückgezogen wurden.36 Die Titel der diversen Ausgaben sind nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn Hume ver36 D.  Hume  : Essays (M.), pp. vii–ix.

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sammelte hier nicht nur Texte zur Moralphilosophie im engeren Sinn, sondern es finden sich darunter auch Betrachtungen zu einem erweiterten Kreis von Themen, beispielsweise über Literatur, Religion sowie (nach heutigem Sprachgebrauch) psychologische und soziologische Gegenstände. Im Vordergrund stehen aber tatsächlich „politische und ökonomische Essays“, wie dies der Titel der derzeit gebräuchlichen deutschen Ausgabe auch ausweist.37 Allerdings war im Kontext dieser Arbeit eine Auswahl zu treffen. Die Kriterien, unter denen sie erfolgte, sind diese  : Herangezogen werden diejenigen Texte, die entweder direkt im Zusammenhang mit den Ausführungen des Treatise stehen, diese mit anderen Worten also rekapitulieren oder präzisieren. Daneben erschienen jene Essays von Belang, in denen Hume das Spektrum der politischen Themen unter dem Eindruck der gesellschaftlichen Gegebenheiten im England seiner Zeit erweiterte. Zudem war der Blick dabei auf einige wesentliche Aspekte im politischen Denken Humes zu lenken, insbesondere natürlich im Hinblick auf die Frage der Zuversicht. 14.2.1 Die Hoffnung auf die Bildbarkeit des Menschen  : ‘Of the Delicacy of Taste and Passion’

Humes Essay-Sammlung von 1741 wird eingeleitet von Of the Delicacy of Taste and Passion („Über das Feingefühl von Geschmack und Leidenschaft“). Wir dürfen davon ausgehen, dass die Platzierung des Textes an dieser prominenten Stelle der Veröffentlichung wohlüberlegt war, da ihm auf diese Weise programmatische Bedeutung zukam.38 Im Hinblick auf Humes explizit politische Philosophie sind die darin angestellten Überlegungen zwar auf den ersten Blick von untergeordneter Bedeutung, doch aufschlussreich ist immerhin das Bild vom Menschen, das hier entworfen wird.39 Gegenstand der Betrachtung ist zunächst der Typus des leidenschaftlich empfindenden Menschen,40 der überaus feinfühlig auf alle Wechselfälle des Lebens reagiert, mit lebhafter Freude, wenn ihm das Schicksal gewogen ist, und mit tiefem Gram im Fall von Missgeschick und Widrigkeiten. Er leidet tatsächlich an einer Überfülle von Leidenschaft (passion), auch an zu offen ausgelebtem Sentiment,41 jedenfalls an zu heftigen Gefüh37 D.  Hume  : Essays (B.). 38 Der Klärung bedürfte demzufolge allerdings die – hier nicht zu beantwortende – Frage, weshalb ausgerechnet dieser Essay in die deutschsprachigen Ausgaben nicht aufgenommen wurde. 39 G.  Streminger  : David Hume, S. 206, sieht in dem Essay die Behandlung „von einem zentralen Thema der praktischen Philosophie Humes, nämlich […] der Unterscheidung zwischen ‚ruhigen‘, moralischen, und ‚heftigen‘ Gefühlen“. (Hervorh. übern.) 40 D. Hume  : Of the Delicacy of Taste and Passion. In  : ders.: Essays (M.), p. 3  : „subject to a certain delicacy of passion“ (Hervorh. übern.) 41 Die exakte Entsprechung des facettenreichen Begriffs “passion” im Deutschen ist schwer zu bestimmen. Es wird eine Unschärfe bleiben, doch besteht eine solche bereits im Original. So weist Miller darauf hin, dass Hume in diesem Essay den Begriff “passion”, der ja in der Theorie der Perzeptionen eine bedeutende Rolle

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len. „Menschen dieses Charakters haben zwar ohne Zweifel mehr lebendige Freuden, aber auch mehr drückende Sorgen“,42 meint Hume – „ganz zu schweigen davon, dass Menschen mit solch lebhaften Leidenschaften Gefahr laufen, jenseits aller Grenzen von Besonnenheit und Umsicht zu geraten, und in ihrer Lebensführung das Falsche tun, das oft nicht wieder gutzumachen ist.“43 Wir gehen nicht fehl, wenn wir da die Kritik an einem der Korrektur bedürftigen Charakter heraushören. Wie sieht diese Korrektur aus, was kann einen davor bewahren, das Falsche zu tun  ? Und was wäre das Richtige  ? Der Essay nimmt, wie es sein Titel schon ankündigt, eine Unterscheidung vor, und stellt dem Feingefühl der Leidenschaften ein solches des Geschmacks gegenüber. Beide sind zwar hinsichtlich ihrer Intensität von gleicher Qualität,44 doch in ihren sozialen Implikationen unterscheiden sie sich grundlegend. So ist das Feingefühl des Geschmacks erstrebenswert und soll kultiviert werden, während das Feingefühl der Leidenschaften beklagenswert ist und kuriert werden solle.45 Im großen und ganzen behandelt Hume beide als Arten von Charakterzügen, als etwas Gegebenes und in der jeweiligen Persönlichkeit fest Angelegtes. Während im einen Fall die Menschen zu geradezu hilflosen Spielbällen äußerer Einflüsse werden, sehen sie sich im anderen Fall durch ihre erlesene Bildung – ihre Kultiviertheit – geschützt, die es ihnen ermöglicht, den Charakter der Menschen ebenso zu beurteilen wie Werke des Geistes und der Kunst.46 Auf diese Bildung, diese Bildbarkeit der Menschen vertraut Hume, denn auf diese Weise werde das Urteil (judgment)47 sicherer und man verliere so schrittweise die so lästige übersteigerte Leidenschaftlichkeit.48 Das Feingefühl werde also, dies die Argumentation, umgelenkt von einem sozial unverträglichen in einen sozial erstrebenswerten Zustand. Auch wenn es übertrieben sei zu sagen, ein kultivierter Geschmack in den schönen Künsten könne spielt, hier in einem engeren Sinn versteht, und zwar, um „to designate only the more violent passions, such as love and hatred, grief and joy, or pride and humility.“ D. Hume  : Of the Delicacy of Taste and Passion. In  : ders.: Essays (M.), p. 4 (note). – Siehe zur Problematik der Wortbedeutung des Begriffs “passion” auch den Abschnitt 13.4 („Regulierung durch die Domestizierung der Leidenschaften durch die Interessen  ?“). 42 D. Hume  : Of the Delicacy of Taste and Passion. In  : ders.: Essays (M.), p. 4 (e. Ü.). 43 Ebd. (e. Ü.). 44 Ebd., p. 5  : “In short, delicacy of taste has the same effect as delicacy of passion”. 45 Ebd.: “I believe, […] that, notwithstanding this resemblance, delicacy of taste is as much to be desired and cultivated as delicacy of passion is to be lamented, and to be remedied, if possible.” 46 Ebd., p. 6. 47 Der Begriff “judgment” bezeichnet bei Hume ein Wirklichkeitsbewusstsein, das über den Akt der unmittelbaren Wahrnehmung hinausgeht (vgl. D. Hume  : Traktat, I, S. 148, Anm. 177). Es ist also eine Verstandesleistung gemeint – nämlich die des Beurteilens –, und nicht deren Ergebnis. – In der deutschen Literatur wird nur wenige Jahrzehnte später mit dem Genre des Bildungsromans der Aufklärungsgedanke der Bildbarkeit seinen Niederschlag finden. In Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ offenbart der Protagonist des Romans seine Intention und gibt damit einen Beleg für die von Hume thematisierte Synthese der Sphären von Kultur – hier unter anderem die Welt des Theaters – und Lebenswelt  : „Daß ich dir’s mit einem Worte sage. Mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht.“ J.  W.  v.  Goethe  : Wilhelm Meisters Lehrjahre, S. 302 (5. Buch, 3. Kap., Hervorh. übern.). 48 D. Hume  : Of the Delicacy of Taste and Passion. In  : ders.: Essays (M.), p. 6.

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die Leidenschaften gänzlich auslöschen, so mache er den Geist doch unempfänglicher für gröbere und heftige Empfindungen.49 Damit wird die Beschäftigung mit der Schönheit – entweder der Dichtkunst, der Beredsamkeit, der Musik oder der Malerei – zu einem Vorgang der Zivilisierung, der Zivilisation50  : Sie befreiten den Verstand von der Hetze des Geschäftslebens und der Interessen.51 Dieser einleitende Essay ist kein deskriptiver, sondern ein normativer Text. Er trifft keine Aussage über den politischen Körper im Verständnis eines Hobbes, aber er gibt Aufschluss über Humes Vorstellungen, aus welchen Menschen dieser politische Körper im günstigen Fall zusammengesetzt sein sollte  : Von bildbaren Menschen ist die Rede, die ihre Leidenschaften und Interessen unter Kontrolle haben und über ein geschultes Urteilsvermögen verfügen. Shaftesburys Einflüsse auf dieses Denken sind unverkennbar. Es ist dies ein Text der Zuversicht, allerdings nicht des Vertrauens in Maßnahmen und damit auch nicht in die Politik, sondern eine Gesellschaft aus Gebildeten. Sollte man sagen, es sei die Zuversicht in eine Utopie  ? Das Volk jedenfalls, das den Hume’schen Staat dieses Essays bevölkert, wird angesichts dieser Apologie einer ästhetischen Bildung sicherlich nicht als das „einfache Volk“ gedacht  ; der „vierte Stand“ hat noch keinen Namen. 14.2.2 Umdenken  : ‘Of the Liberty of the Press’

Hume diskutiert in Of the Liberty of the Press („Über die Pressefreiheit“)52 Regierungsformen sowie die Bedingungen, die zu ihnen führen und die durch sie geschaffen werden. Er würdigt „die große Freiheit“, die darin bestehe, „der Öffentlichkeit mitzuteilen, was uns beliebt und offen jede Maßnahme des Königs oder seiner Minister zu kritisieren.“ Es ist dies eine Freiheit, die Großbritannien seiner „gemischten Regierungsform“ verdanke, „die weder rein monarchisch noch rein republikanisch“ sei.53 Es gebe, zugestandenermaßen, einen Widerstreit der Interessen zwischen dem Monarchen und seinen Untertanen, zwischen dem „Magistrat“ auf der einen und dem Volk auf der anderen Seite. Dieser Gegensatz aber stellt sich bei Hume nicht als Kampf dar, sondern lediglich als gesellschaftliches Klima eines gegenseitigen Argwohns,54 und der könne überwunden werden. 49 Ebd.: “[…] the rougher and more boisterous emotions.” 50 Zu den Aspekten von „Zivilisation“ siehe den Abschnitt 2.1.7 („Der Begriff der Zivilisation“). 51 “They draw off the mind from the hurry of business and interest  ; cherish reflection  ; dispose to tranquillity  ; and produce an agreeable melancholy, which, of all dispositions of the mind, is the best suited to love and friendship.“ D. Hume  : Of the Delicacy of Taste and Passion. In  : ders.: Essays (M.), p. 7. 52 Hinweise zur Textgeschichte gibt U. Bermbach  : Einleitung, S. XXV ff., Anm. 77, 84 und 85. – Siehe hierzu auch  : D.  Hume  : Essays (M.), pp. 601–602. Miller listet hier, p. 602, die 17 unterschiedlichen, zwischen 1741 und 1777 in Großbritannien erschienenen Ausgaben von Humes Essays auf. 53 D. Hume  : Über die Pressefreiheit. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 1. – OT.: D. Hume  : Of the Liberty of the Press. In  : ders.: Essays (M.), p. 9. 54 Das Original – D. Hume  : Of the Liberty of the Press. In  : ders.: Essays (M.), p. 10 – spricht von “jealousy”  ;

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„Entfernt man sich nun von den Extremen [der rein monarchischen beziehungsweise rein republikanischen Regierungsform, HK] und mischt ein wenig Monarchie mit Freiheit, so wird die Regierung dadurch stets freier, mischt man andererseits ein wenig Freiheit mit Monarchie, so wird das Joch dadurch immer schwerer und untragbar.“55 Wenn es etwa darum gehe, „den Ehrgeiz des Hofes zu zügeln“, so sei nichts „zu diesem Zweck so wirkungsvoll wie die Pressefreiheit, durch die alle Bildung, aller Verstand und aller Geist einer Nation auf Seiten der Freiheit eingesetzt werden können und jeder zu deren Verteidigung angeregt wird.“56 Die Pressefreiheit ist also ein Mittel der Kontrolle, und Hume vertraut darauf, wie er stets auf Einrichtungen vertraut, die geeignet sind, Kräfte zu moderieren.57 Dieser Essay gehört zu den weniger beachteten. Er gebe lediglich einen Blick frei auf „Humes ganz und gar undramatisches politisches Denken“ und seine erkennbare Vorliebe für „gesellschaftliche ‚Normallagen‘“, meint der deutsche Herausgeber.58 Tiefere und vor allem differenziertere Einblicke in die Entwicklung des Autors gewährt allerdings eine Beschäftigung mit der Textgeschichte.59 So beschloss Hume diese Veröffentlichung ursprünglich mit einem Bekenntnis seiner Hoffnung auf die Entwicklungsfähigkeit des (gemeinen) Volkes, das „mit der wachsenden Erfahrung der Menschheit nicht mehr so gefährlich ist, wie es sonst dargestellt wurde.“60 Denn eine freie Presse werde dazu beitragen, ein verantwortungsvoll handelndes Volk – gemeint ist eine bürgerliche Gesellschaft – zu schaffen, und so sei es „zu hoffen, dass die Menschen in ihrer Beurteilung öffentlicher Angelegenheiten sicherer werden, je mehr sie sich Tag für Tag an die freie Diskussion darüber gewöhnen und immer schwerer durch jedes faule Gerücht und jeden öffentlichen es ist nicht eindeutig zu entscheiden, ob Hume damit wirklich stets „Argwohn“ (wie in der Übersetzung) oder mitunter auch den hinsichtlich seiner Bedeutung konfrontativeren Begriff (gegenseitige) „Missgunst“ zum Ausdruck bringen will. 55 D. Hume  : Über die Pressefreiheit. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 1 (Hervorh. HK). Die Hervorhebungen machen anschaulich, wie sehr Hume dazu neigt, die Konstellation geradezu zu bagatellisieren und sie zu einem (Gedanken-)Spiel zu verkleinern, in dem jeweils nur „ein wenig“ hier weggenommen und dort dazugegeben wird. 56 Ebd., S. 4. 57 Ins Extrem treibt Hume diesen Gedanken eines undurchdringlichen Geflechts von gegenseitigen Kontrollen in seinem Essay Idea of a Perfect Commonwealth. Siehe den Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“). 58 U.  Bermbach  : Einleitung, S.  XLIV. 59 Diese Textgeschichte ist durchaus verwirrend. Hume hat seine Essays bis zu seinem Tod über einen Zeitraum von mehr als dreieinhalb Jahrzehnten (zwischen 1741 und 1777, posthum) in immer neuen Zusammenstellungen publiziert. Die heute vorwiegend herangezogenen Ausgaben – englische Version  : D. Hume  : Essays (M.), deutsche Version  : ders.: Essays (B.) – nennen 17 zu Humes Lebzeiten erschienene Ausgaben (A–R). 60 D. Hume  : Über die Pressefreiheit. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 5. – OT.: D. Hume  : Of the Liberty of the Press. In  : ders.: Essays (M.), pp. 604–605 (Ausgaben A–P [1741–1768])  : “It has also been found, as the experience of mankind increases, that the people are no such dangerous monster as they have been represented, and that it is in every respect better to guide them like rational creatures than to lead or drive them like brute beasts.” (Hervorh. übern.)

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Aufschrei zu verführen sein werden.“61 Diese Zuversicht Humes in die Macht der Information, der Aufklärung eben, ist ein Charakteristikum des politischen Denkens seiner Zeit. Und so steht es in allen Ausgaben, die zu Lebzeiten Humes erschienen sind.62 In der letzten Ausgabe der Essays allerdings, von Hume zwar noch selbst besorgt, erschienen allerdings erst im Jahr nach seinem Tod,63 äußert er am Schluss von Of the Liberty of the Press nun einen gänzlich anderen Gedanken. Er nimmt eine Umgewichtung seiner Aussagen über gemischte Regierungsformen und die Bedeutung der Pressefreiheit vor und verkürzt zudem den Text auf etwa zwei Drittel seines ursprünglichen Umfangs. Durch diese Veränderungen entsteht ein von Grund auf neuer Tenor  : „Obwohl es schwierig wenn nicht unmöglich ist, ein passendes Gegenmittel zu empfehlen, muß gleichwohl zugestanden werden, daß unbeschränkte Freiheit der Presse eines der Übel ist, die jenen gemischten Formen der Regierung eigen sind.“64 Hume zieht es am Ende seines Lebens also in Zweifel, dass eine freie Presse unter allen denkbaren Umständen für das Gemeinwesen von Nutzen sein werde. Was er genau befürchtet, spricht er nicht aus, doch es erschließt sich aus vielen seiner Aussagen, wie sehr er unkontrollierte und letztlich außer Kontrolle geratende Entwicklungen fürchtet. Welche Bedeutung müssen wir der angeführten Textmodifikation beimessen  ? Fraglos handelt es sich bei ihr um mehr als nur um eine redaktionelle Überarbeitung von Formulierungen. Inwieweit aber ist sie der Beleg für einen grundlegenden Wandel im Denken Humes  ? Dieser hatte in den früheren Fassungen des Essays seine Sorge vor einer sich auflösenden Gesellschaft sehr deutlich formuliert und dabei Vertrauen in die Presse gesetzt, wenngleich er dabei einschränkte  : Auf des Volkes wachsende Sicherheit in der Beurteilung öffentlicher Angelegenheiten sei lediglich „zu hoffen“ (und eben nicht „zu vertrauen“) – ebenso wie auf einen Rückgang seiner Manipulierbarkeit.65 Hume beschwört die Gefahr eines Machtmissbrauchs der Krone, und er hält fest  : „Nichts ist zu diesem Zweck so wirkungsvoll wie die Pressefreiheit, durch die alle Bildung, aller Verstand und aller Geist einer Nation auf Seiten der Freiheit eingesetzt werden können und jeder zu deren Verteidigung angeregt wird.“66 Das publizierte freie Wort allein aber setze noch keinen Automatismus zum Besseren in Gang, die freie Debatte erfordere vielmehr Gewöhnung, „Tag für Tag“.67 Das war zunächst die Grundhaltung des Textes. Dessen Geschichte verrät nun, dass Hume offenbar selbst über eine längere Zeit darin schwankte, welche Schlussfolgerung er aus ihm ziehen sollte. So fehlten in der (vorletzten) Ausgabe von 1770 sowohl der 61 D. Hume  : Über die Pressefreiheit. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 5. 62 D.  Hume  : Essays (M.), p. 602. 63 D.  Hume  : Essays and Treatises on Several Subjects. Dieser Ausgabe folgt die heute üblicherweise herangezogene Ausgabe von Humes Essays  : ders.: Essays (M.). 64 D. Hume  : Über die Pressefreiheit. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 4 (Hervorh. HK). 65 Ebd., S. 5. 66 Ebd., S. 4. 67 Ebd., S. 5.

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ursprüngliche Textschluss, der die Argumentation pro Pressefreiheit untermauerte, noch das oben zitierte mahnende Fazit, das in der Ausgabe letzter Hand gezogen wurde.68 Erst in der Überarbeitung von 1776/77 entschloss Hume sich dann zu seiner nachdrücklichen Warnung vor einer unbeschränkten – eben unkontrollierten – Presse. Im Lauf der gut dreieinhalb Jahrzehnte, die zwischen der ersten Veröffentlichung des Essays (1741) und dessen letzter Überarbeitung liegen, hatte sich die Perspektive des Autors also erkennbar verändert. Er hatte die Zuversicht, auf eine freie Presse ließe sich in jedem Fall vertrauen, verloren. Sein letzter Blick ist ein pessimistischer. 14.2.3 Politik als Wissenschaft  : ‘That Politics May Be Reduced to a Science’

Den frühen Hume kennzeichnet ein geradezu überschwänglicher Erkenntnisoptimis­ mus,69 dem er keineswegs nur in seinem umfangreichen Treatise programmatisch Ausdruck verliehen hat. Auch den kleineren Werken aus dieser Zeit ist die Aufgabe zugedacht, den Lesern die Hinführung der politics zu einer science vor Augen zu führen – eben zu einer von naturwissenschaftlicher Methodik getragenen, zumindest aber inspirierten Wissenschaft.70 So schreibt er in seinem Essay That Politics May Be Reduced to a Science („Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse“)71  : „Die Macht der Gesetze und bestimmter Regierungsformen“ sei so groß, „daß sich daraus manchmal Folgerungen ziehen lassen, die ebenso verallgemeinerbar und sicher sind wie alle, die uns die mathematischen Wissenschaften liefern.“72 Das ist eine kühne, vielleicht aber auch nur keck provokante Antwort auf die Frage  : Was können wir im Hinblick auf das Regieren wissen  ? Zwar belässt Hume es bei den Einschränkungen, dass sich diese Folgerungen „manchmal“ und aus der Betrachtung „bestimmter“ Regierungsformen ziehen ließen, aber die Absicht, die Sphäre des Politischen den zufällig waltenden und unkontrollierten Kräften zu entwinden, tritt klar zutage. Keineswegs bestünden zwischen den verschiedenen Regierungsformen erhebliche Unterschiede, und man „würde nur mit Bedauern denken wollen, daß menschliche Angelegenheiten nicht mehr Stabilität erlangen könnten[,] als die zufälligen Launen und Charaktere einzelner Menschen ihnen geben.“73 Be68 So E.  E.  Miller in  : D.  Hume  : Essays (M.), p. 604. 69 P.  Kondylis  : Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus, S. 499 (Fn. 20), benennt diesen Sachverhalt, ebenfalls zutreffend, als „jugendliche Schärfe“. 70 G. S. Rousseau  : Doctrines of Optimism, 1727–1827, and the Fallout of Enlightenment, p. 19, präzisiert, was diese Wissenschaft kennzeichnet  : “[…] ‘science’  : that is, collected as data, classified into logical and rational categories, and extrapolated into categories of explanation based on corollaries and first principles.” 71 D. Hume  : Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 7–24. – OT.: ders.: That Politics May Be Reduced to a Science. In  : ders.: Essays (M.), pp. 14–31. – Hinweise zur Text­ geschichte gibt U. Bermbach  : Einleitung, S. IX, Anm. 6, S. XX f., Anm. 54 und 58, S. XXIII, Anm. 69, und S. XXVIII, Anm. 87. – Siehe hierzu auch  : D. Hume  : Essays (M.), pp. 601–602. 72 D. Hume  : Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 8 f. 73 Ebd., S. 7.

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klagt wird, mit anderen Worten, die Unsicherheit von Prognosen im Hinblick auf das der Kontingenz ausgesetzte politische Handeln. „Launen“ sind Zufälligkeiten, und eben die gilt es aus der Politik – wie auch sonst aus dem Leben – möglichst zu verbannen. Bemerkenswert ist dabei weniger der Anspruch selbst, sondern es ist Humes Zuversicht, diesen durch ein Auffinden von Regeln und damit von eindeutigen Handlungsanweisungen einlösen zu können. Dabei lässt allein schon die ausgreifende Wortwahl sich als ein Indikator dieser Zuversicht auffassen, etwa wenn von einem „universalen Axiom [an universal axiom]“ die Rede ist, von „allgemeine[n] Wahrheiten [general truths] […], die auch durch die Launen oder Erziehung von Untertanen oder Souverän nicht zu verändern sind“74, oder von „ewigen politischen Wahrheiten [eternal political truths] […], die weder durch Zeit noch durch Zufall zu verändern sind“.75 Darin liegt gleichzeitig ein Versprechen der Möglichkeit, prognostische Zuverlässigkeit aus der Betrachtung historischer Entwicklungen und Konstellationen zu gewinnen. Implizit stellt dieses Postulat eine Auflehnung gegen die Einsicht in einen kontingenten Verlauf der Geschichte dar. Allerdings steht nicht nur Hume, sondern die Aufklärung generell in diesem Punkt vor einem Dilemma  : Einerseits hofft man auf die Entdeckung solch „universeller Axiome“ und objektiver Wahrheiten, denn diese wären die Voraussetzung, dass das politische Handeln ein Stück weit der Unvorhersehbarkeit enthoben wird. Andererseits schwingt die moral philosophy beim Versuch, diese gesuchten ­Axiome aufzufinden, wieder ins Spekulative zurück. Denn wenn als „Ausgangsmaterial“ die Geschichtsschreibung der Römer herangezogen wird oder ausgewählte Darlegungen Machia­vellis über das Regierungshandeln im Allgemeinen, so hat man es eben nicht mit belastbaren empirisch erhobenen Daten76 zu tun, sondern mit Überlieferungen und Ansichten, die der interpretativen Wertung offenstehen und ihrer auch bedürfen. Das, was eine solche Interpretation stets nur liefern kann, sind gerade keine nach logischen oder Vernunftkategorien klassifizierten Daten, aus denen sich wirkliche Grundprinzipien ableiten ließen. So ist dieser Essay keineswegs, wie es sein Titel verheißt, als Dokument der Grundlegung einer neuen politischen Wissenschaft zu werten, die von objektiven Grundlagen ausgehen kann, sondern lediglich als eine Einladung zu systematische(re)m Vorgehen bei der Analyse historischer politischer Systeme, und zwar mit der Blickrichtung auf das jeweils zeitgenössische. Und im Mittelpunkt dieses aktuellen Regierungssystems, zu dem hier geraten wird, steht erneut ein Set von Kontrollmechanismen, die den Missbrauch von Ämtern geradezu von selbst unterbinden sollen. Die Frage ist auch hier wieder  : Wie regelt man und wie regelt sich das politische System eines Staates  ? ­Humes 74 D. Hume  : Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 11. – OT.: ders.: That Politics May Be Reduced to a Science. In  : ders.: Essays (M.), p. 18. 75 D. Hume  : Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 14. – OT.: ders.: That Politics May Be Reduced to a Science. In  : ders.: Essays (M.), p. 21. 76 Vgl. G. S. Rousseau  : Doctrines of Optimism, 1727–1827, and the Fallout of Enlightenment.

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Hoffnung nämlich richtet sich auf eine einzuführende Konstellation, in der es sich tatsächlich selbst regelt. Er setzt weniger auf „richtiges“ Handeln, sondern vielmehr auf künstlich geschaffene Einrichtungen, die den Akteuren „falsches“ Handeln unmöglich machen. Das ist kein Mechanismus einer Selbstregulierung, sondern ein von Grund auf geregelter und kontrollierter „Apparat“. Bei Humes „wissenschaftlich“ zu betreibender Politik handelt es sich gerade nicht um einen von innen her wirkenden Mechanismus (im Sinn eines Feedback-Systems), sondern um ein geschaffenes und von außen eingesetztes Regelwerk  : „Gesetzgeber sollten daher die zukünftige Regierung eines Staates nicht völlig dem Zufall anvertrauen, sondern ein System von Gesetzen schaffen, das die Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten bis in die entfernteste Nachwelt regelt. […] Im kleinsten Hof oder Amt wirken vorgegebene Formalien und Methoden, nach denen die Geschäfte geführt werden müssen, als bedeutende Kontrolle der natürlichen Verworfenheit der Menschen. Warum sollte dies nicht auch in öffentlichen Angelegenheiten der Fall sein  ?“77

Es empfiehlt sich, diesen Essay in der Zusammenschau mit der Utopie Idea of a Perfect Commonwealth zu betrachten. Sie ist als dessen Fortführung und Ausarbeitung zu lesen.78 Wenngleich Hume sein ausdrückliches Ziel, Politik auf eine Wissenschaft zu „reduzieren“, nicht erreichen kann, so legt er es hier doch auf ein neues Politikverständnis an. Es findet seinen Ausdruck in jenen „fachlich-disziplinären Ausdifferenzierungen […], welche für die weitere Entwicklung der wissenschaftlichen Einzeldisziplinen bestimmend werden“ sollten.79 „Wissenschaft“ bedeutet in diesem Zusammenhang nicht etwa ein Auffinden und Formulieren von dauerhaft gültigen Gesetzmäßigkeiten, sondern von Regeln für das Regierungshandeln, die so beschaffen sind, dass sie gerade von den Interessen der jeweiligen Akteure nicht ausgehebelt werden können. Das allerdings war zu Humes Zeiten längst kein neuer Ansatz mehr, sondern bereits ein Verharren im Überkommenen, wenngleich ihm hier – mithilfe vor allem des Titels – ein neues Gewand zu schneidern versucht wird. 14.2.4 Einige Schlaglichter auf das Wesen und die Aufgaben von Regierungen

Gerade in seinen Essays, die häufig ihren Entstehungsanlass in der aktuellen politischen Situation in Großbritannien erkennen lassen, spielt Hume immer wieder Überlegungen zum Handeln und zur Legitimität von Regierungen durch. Er unternimmt dies unter verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlicher Zielrichtung. So finden sich deskriptiv angelegte Texte neben normativen, in denen dem „richtigen“ Handeln größere 77 D. Hume  : Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 16 f. 78 Siehe hierzu die Ausführungen ab S. 540. 79 U.  Bermbach  : Einleitung, S.  VIII.

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Aufmerksamkeit zuteil wird als der Analyse eigentlicher Handlungsmöglichkeiten, die den jeweiligen politischen Institutionen offenstehen. 14.2.4.1 Interesse, Macht und Eigentum  : ‘Of the First Principles of Government’

Wie funktioniert Herrschaft  ? Damit beschäftigt sich dieser Essay mit dem Titel Of the First Principles of Government („Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung“)80. Die „Vielen [werden] von Wenigen regiert“, und Erstere ordnen „ihre eigenen Gesinnungen und Leidenschaften denen ihrer Herrscher“ unter.81 Hume spricht von stillschweigender Unterwerfung, und er nennt sie ein „Wunder“, denn sie gründe sich auf nichts weiter als auf „Meinung [opinion]“.82 Diese Meinung sei allerdings keineswegs etwas Beliebiges, etwas, das sich je nach Laune einstelle, sich ändere oder wieder verschwinde, sondern sie sei eine Folge von Interessen und sie stelle zudem ein Urteil über Rechtmäßigkeit dar. Wer nun erwarte, daraus leiteten sich starke Kräfte für einen Zusammenhalt eines Staates ab, der sieht sich enttäuscht. Denn die Interessen seien bereits dann gewahrt, wenn die Einsicht bestehe, „daß eine Regierung allgemein von Nutzen ist“ und wenn man von einer Regierung sagen könne, sie sei „ebenso vorteilhaft wie jede andere“.83 Das sind allerdings Minimalanforderungen. Und mit der Rechtmäßigkeit, die die Untertanen den Herrschern zuerkennen, verhält es sich ähnlich. Es gebe das Recht auf Macht, und Hume sieht es vornehmlich auf die Tradition gegründet, die „stets die Meinung über Rechtmäßigkeit“ bestimme.84 Lassen sich Beliebigkeit – es bedarf eben einfach einer Regierung – und historische Zufälligkeit – es regieren diejenigen, die traditionell regiert haben – wirklich als stabilisierende Pfeiler eines Staatsgefüges verstehen  ? Hume stünde bei seiner Analyse, als die sich dieser Essay im Übrigen kaum missverstehen lässt, mit leeren Händen da, wenn er nicht zuletzt doch noch auf ein wirkliches Fundament gestoßen wäre und aufgegriffen hätte, was er im Treatise bereits ausgeführt hatte, nämlich „daß das Recht auf Eigentum und die Meinungen darüber in allen Angelegenheiten der Regierung maßgeblich sind.“85 „Öffentliches Interesse, Recht auf Macht und Recht auf Eigentum“ also sind die „primären“, die Grundprinzipien, auf denen staatliche Herrschaft ruht. Hinzu kommen „weitere Prinzipien“ – Hume nennt sie „sekundäre“ –, die diese primären näher 80 D. Hume  : Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), Bd. 1, S. 25–30. – OT.: ders.: Of the First Principles of Government. In  : ders.: Essays (M.), pp. 32–36. – Hinweise zur Textgeschichte gibt U. Bermbach  : Einleitung, S. XXII f., Anm. 63 und 68, S. XXV, Anm. 76. – Siehe hierzu auch  : D.  Hume  : Essays (M.), pp. 601–602. 81 D. Hume  : Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), Bd. 1, S. 25. 82 Ebd., S. 25. – OT.: ders.: Of the First Principles of Government. In  : ders.: Essays (M.), p. 32. 83 D. Hume  : Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 25. 84 Ebd., S. 25. 85 Ebd., S. 26. – OT.: ders.: Of the First Principles of Government. In  : ders.: Essays (M.), p. 33  : “It is sufficiently understood, that the opinion of right to property is of moment in all matters of government.” (Hervorh. HK)

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modifizieren  : „Eigeninteresse, Angst und Sympathie“.86 Unter dem Eigeninteresse der Regierten versteht er deren Erwartung der Nützlichkeit der Regierung in Form etwa von „Belohnung im Gegensatz zum allgemeinen Schutz, den uns eine Regierung bietet“  ; hinzu kämen als stabilisierende Elemente die Angst (vor dem „Zorn eines Tyrannen“) und die Sympathie87, die zum Ausdruck bringe, dass einem Herrscher „Eigenschaften von öffentlichem Wert“ zugesprochen würden.88 Hume beschließt seine Ausführungen mit einer Betrachtung des politischen Systems Großbritanniens, in dem er lebt. In ihrer Art dürften seine Erwägungen eher für die Geschichts- als für die Politikwissenschaft von wirklichem Nutzen sein, und die Rezeptionsgeschichte dieses Essays ist ein Hinweis auf dessen untergeordnete Bedeutung. Jedoch können diese wenigen Seiten für all jene, die sich mit den Facetten von Humes Herangehensweise an das Phänomen Herrschaft und Staat befassen, durchaus von Interesse sein, denn in ihnen zeigt sich deutlich der Primat einer auf Anschauung gegründeten Bestandsaufnahme gegenüber einer normativen Ausrichtung  :89 Das Vorgefundene wird geordnet, doch es zu verändern ist das Ziel nicht. Das ist eine von Grund auf andere Ausrichtung, als man ihr etwa in That Politics May Be Reduced to a Science oder in Idea of a Perfect Commonwealth begegnet. Eine grundlegende Widersprüchlichkeit des Autors innerhalb seines Werks sollte man allerdings daraus nicht ableiten  : Hume konnte sich in seinen Essays offensichtlich auf beides einlassen, auf die Normativität und die Deskription, und so entsteht der Eindruck eines Experimentierens, das die Suche nach dem „wirklichen“ Hume vergeblich erscheinen lässt. Allerdings fällt bei all diesem Changieren zwischen den Herangehensweisen ein Aspekt auf, in dem sich eine verbindende Klammer erkennen lässt. Es ist dies Humes Aversion gegen Unruhe und gegen unkontrollierte Abläufe. Diese Aversion findet ihren Ausdruck im häufig wiederkehrenden Rat zur „Mäßigung“ und in der letztlichen Bereitschaft, Gerechtigkeit dem Frieden unterzuordnen. Im Hume’schen Sinn hat Aufklärung eine starke Tendenz zum Verstehen und nur eine geringe zur Veränderung. 14.2.4.2 Stabilisierung der Macht durch Gewohnheit  : ‘Of the Origin of Government’

Hume fügte diesen Text mit dem Titel Of the Origin of Government („Über den Ursprung der Regierung“)90 der letzten Ausgabe seiner Essays hinzu, die er kurz vor seinem Tod noch betreute und die 1777 posthum erschien.91 Während die meisten seiner Essays auf 86 D. Hume  : Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 27. 87 „Sympathie“ ist hier im alltagssprachlichen Sinn zu verstehen  ; damit ist also nicht Smiths in der Theory gebrauchter Sympathiebegriff gemeint, der das Sich-einfühlen-Können in die Handlungsmotive anderer bezeichnet. 88 D. Hume  : Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 27. 89 Damit steht der Text in einem Gegensatz zu Of the Delicacy of Taste and Passion, siehe oben S. 505. 90 D. Hume  : Über den Ursprung der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 31–35. – OT.: ders.: Of the Origin of Government. In  : ders.: Essays (M.), pp. 37–41. 91 Hinweise zur Textgeschichte gibt U. Bermbach  : Einleitung, S. XI, Anm. 12 und 17, S. XVIII, Anm. 41,

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die frühen vierziger Jahre des 18. Jahrhunderts zurückgehen, hat man es hier mit einem ausgesprochenen Spätwerk zu tun. Zwar handelt es sich um eine Miniatur von im Druck gerade einmal fünf Seiten,92 viel zu wenig also für ein analysierendes Werk von grundlegender Bedeutung  ; dennoch lässt sich dieser Text als Zusammenfassung wesentlicher Grundgedanken sowohl von Humes Auffassung von Politik als auch der anthropologischen Prämissen lesen, von denen sein Denken ausgeht. Der Mensch, heißt es hier, sei „in eine Familie geboren“93 und werde damit als soziales Wesen von Anfang an gesehen. Weiter zurück in Richtung auf einen Ur- oder Naturzustand greift die Darstellung nicht. Unter dem Zwang von „Notwendigkeit, natürlicher Neigung und Gewohnheit [compelled [[…]] to maintain society, from necessity, from natural inclination, and from habit]“ schaffe der Mensch die Gesellschaft, die er im Fortgang der Geschichte zu einer „politischen“ ausbaue, „damit Gerechtigkeit geübt werden kann, ohne die es weder Frieden noch Sicherheit noch Handel untereinander geben“ könne.94 Der Staatszweck ist damit formuliert, und „die Notwendigkeit von Gerechtigkeit zur Aufrechterhaltung von Freiheit und Ordnung“ werde, so meint Hume, allgemein erkannt. Im Widerstreit zwischen der Vernunft, die diesen Staatszweck durchaus erkenne, und der natürlichen Vorprägung, die den Menschen als bestimmt von Eigeninteresse zu Lasten der Gemeinschaft zeige – was die Schwäche seiner Natur sei –, behalte die Natur die Oberhand  : „Diese große Schwäche der menschlichen Natur ist unheilbar [is incurable in human nature].“95 Dies ist der Hintergrund, vor dem die Aufgabe der Politik gedacht wird, und diese Aufgabe ist es, „zu mildern, was nicht zu heilen ist“.96 Der Antagonismus von Einsicht in die Notwendigkeit von Gerechtigkeit einerseits und einem dieser Gerechtigkeit entgegengesetzten Verhalten unter dem Diktat von individuellen Interessen andererseits erzeuge den Staat  : „Es stellt sich heraus, daß Ordnung in der Gesellschaft am besten durch die Regierung [by means of government] aufrecht erhalten wird […].“97 Die Entwicklungsgeschichte der Regierung korrespondiert mit der Geschichte des von Anbeginn an als sozial gedachten einzelnen Menschen insofern, als sie die Ausgangssituation als gegeben annimmt  : Der Naturzustand spielt als Argument keine wichtige Rolle, denn es wird nicht darauf eingegangen, ob die ersten Herrscher ihre Macht einfach der „Lust zu herrschen“ verdankten oder irgendwelchen anderen Umständen. Zu ihrem Amt seien sie und S. XXV, Anm. 75. – Siehe hierzu auch  : D. Hume  : Essays (M.), pp. 601–602, sowie  : The Philosophical Works of David Hume, vol. 3, p. 37, wo es heißt  : “This Essay is not published in any of the Editions prior to Edition Q [= 1777, HK].” 92 D.  Hume  : Essays and Treatises on Several Subjects, pp. 35–39. 93 D. Hume  : Über den Ursprung der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 31. 94 Ebd. – OT.: ders.: Of the Origin of Government. In  : ders.: Essays (M.), p. 37. 95 D. Hume  : Über den Ursprung der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 31. 96 Ebd., S. 31 f. 97 D. Hume  : Über den Ursprung der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 32. – OT.: ders.: Of the Origin of Government. In  : ders.: Essays (M.), p. 39 (Hervorh. HK).

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„durch offene oder stillschweigende Übereinkunft des Volkes“98 gelangt, doch für Hume ist dieser Vorgang ohne weiteren Belang  ; er präzisiert ihn nicht. Vielmehr belässt er es bei der Feststellung  : „Regierung beginnt eher zufällig und unvollkommen.“99 Erst das, was diesem Beginn folgt, ist von Bedeutung. So gilt die Aufmerksamkeit einzig dem „Verlauf der weiteren Entwicklung der Gesellschaft“100, und es ist dies eine Geschichte der Machterweiterung, die der Herrscher mithilfe von „Anhängern“ und „redlichen Männern [men of probity]“ sowie unterstützt von „gleichgültigen Personen [indifferent persons]“ erreiche (interesse-lose Personen, also solche, die frei von eigenen Interessen sind). Sei diese Macht erst einmal groß genug, so erhalte sie sich nicht nur durch sich selbst, sondern sie werde durch menschliche Verhaltensweisen noch stabilisiert  : „Durch Gewohnheit [habit] wird bald bestärkt, was durch andere Prinzipien der menschlichen Natur unvollständig begründet wurde.“101 Dass die Menschen gewohnheitsmäßig handelten und gleichgültig seien, das sind in Humes politischer Philosophie wiederkehrende anthropologische und psychologische Vorannahmen und deshalb Konstanten. „Gewohnheit“ und „Gleichgültigkeit“ aber sind letztlich unscharfe Begriffe. Dennoch kommt ihnen in der Argumentation eine zentrale Bedeutung zu. Beide sind sie dem Zugriff einer Vernunft, die entscheiden will und aufs Handeln abzielt, entzogen  ; sie kommen ohne Vernunft aus. Wer gewohnheitsmäßig handelt, tut dies ohne nähere vorherige Überlegung  ; wer gleichgültig handelt, verfolgt mit seinem Handeln keine Interessen und agiert nicht zielgerichtet. Er treibt in sein Handeln hinein, ohne dieses wirklich zu kontrollieren. Es ist dies der Befund eines Quasi-Fatalismus. Könnte allein dieser, möchte man folgern, die Notwendigkeit des Staats und einer diese Umstände ordnenden Regierung hinreichend begründen, so wäre politische Theorie verzichtbar. Setzt man diese Aussage allerdings in Beziehung zu Humes unentwegt geäußerter Sorge um politischen Ausgleich und seinen Appellen zur „Mäßigung“, so kann man in diesem Text einen Akt der Koketterie erkennen. Hume vollzog ihn, weil er dazu argumentativ in der Lage war. 14.2.4.3 Über den Zweifel an den Gefühlen  : ‘Of the Independency of Parliament’

In Of the Independency of Parliament („Über die Unabhängigkeit des Parlaments“)102, einem Essay, der in den Ausgaben von 1741 bis 1760 enthalten war, diskutiert Hume das Kräfteverhältnis von Parlament und Krone. Der Text ist mit seinen zahlreichen Bezugnahmen auf die zeitgenössische politische Lage in Großbritannien um die Mitte des 18. Jahrhunderts vornehmlich eine Auseinandersetzung mit dem Status quo und nur am Rand  98 D. Hume  : Über den Ursprung der Regierung. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 32 (Hervorh. HK).  99 Ebd., S. 33. 100 Ebd. 101 Ebd. – OT.: ders.: Of the Origin of Government. In  : ders.: Essays (M.), p. 39. 102 D. Hume  : Über die Unabhängigkeit des Parlaments. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 36–43. – OT.: ders.: Of the Independency of Parliament. In  : ders.: Essays (M.), pp. 42–46. – Hinweise zum Text gibt U. Bermbach  : Einleitung, S. XI, Anm. 13, S. XXVI, Anm. 78. – Siehe auch  : D. Hume  : Essays (M.), pp. 601–602.

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eine theoretische Untersuchung über gemischte Verfassungen. In den späteren Ausgaben fehlt er, und der Grund dafür mag in seiner nachlassenden Aktualität gelegen haben. Aus heutiger Sicht interessant, weil typisch für Humes Methode politischer Erörterungen, ist allerdings die Hinführung zum Thema. Wovon, fragt er, müssen wir ausgehen, wenn wir eine Verfassung ausgestalten  ? „Politische Autoren“ werden angeführt, die dazu geraten hätten, im Menschen a priori einen Schurken zu sehen, „der bei all seinen Handlungen kein anderes Ziel außer seinen privaten Interessen [private interest] verfolge.“103 Es sei die Herausforderung für ein gut eingerichtetes Regierungssystem, es so zu gestalten, dass der Mensch „trotz seiner unstillbaren Habsucht und seines Ehrgeizes dazu bewegt“ werde, „zum öffentlichen Wohl beizutragen“.104 Wir werden diesem Ansatz in seiner konkreteren Ausarbeitung noch in einem anderen Zusammenhang erneut begegnen.105 Hume geht vom potenziell gegen die Gemeinschaftsinteressen gerichteten Eigeninteresse der Menschen aus, und in dieser Frage steht er, was die Analyse anbelangt, nahe bei ­Hobbes. Doch anders als dieser sucht er die Lösung des Problems nicht in einer Übertragung der Macht auf einen tendenziell unkontrolliert agierenden Souverän, sondern im Gegenteil in dessen strikter Kontrolle, wobei hier unter Souverän einfach nur diejenige Instanz im Staat zu verstehen ist, der das Regierungshandeln obliegt. Das Bewertungskriterium für ein gut eingerichtetes Staatswesen ist die Tauglichkeit seiner Kontrollinstanzen.106 An einen Mechanismus der Selbstregulierung im Sinn Mandevilles glaubt er nicht. Folglich sind an eine Verfassung zwei vorrangige Anforderungen zu richten. Ihr erster Zweck sei es, die Einzelinteressen dem Gemeinschaftsinteresse dienstbar zu machen. Den erfülle sie aber nur dann hinreichend, wenn das, was sie anstrebe, nämlich die „Sicherheit unserer Freiheiten und Besitztümer“, nicht allein „vom guten Willen unserer Herrscher“ abhänge.107 Und darin eben besteht die zweite Aufgabe der Verfassung  : Sie müsse als Struktur – im Sinn von Mechanismen gegenseitiger Kontrolle – funktionieren, und das heißt  : unabhängig von der Integrität der Akteure. Es geht dementsprechend, wie stets bei Hume, um die Kunst, „durch die geschickte Aufteilung der Macht“ partikulare Interessen mit denen der Öffentlichkeit in Übereinstimmung zu bringen.108 Das Ziel ist damit zwar formuliert, doch zu Überlegungen, wie es zu erreichen sei, lässt Hume sich nicht herbei.109 Immerhin legt er dar, worauf sich diese seine Reserviertheit gründet  : „Alle Fragen zur geeigneten Mitte zwischen Extremen sind schwer zu entschei103 D. Hume  : Über die Unabhängigkeit des Parlaments. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 36. – OT.: ders.: Of the Independency of Parliament. In  : ders.: Essays (M.), p. 42. 104 D. Hume  : Über die Unabhängigkeit des Parlaments. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 36. 105 Siehe den Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“). 106 Siehe auch hierzu Näheres im Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“). 107 D. Hume  : Über die Unabhängigkeit des Parlaments. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 36. 108 Ebd., S. 39. 109 Das unternimmt er eben in seiner utopischen Idea of a Perfect Commonwealth. Siehe den Abschnitt 14.2.7 („Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’“), ab S. 421.

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den, zum einen, weil sich nicht leicht Worte finden lassen, um diese Mitte zu bestimmen, und zum anderen, weil Gut und Böse in solchen Fällen unmerklich ineinander übergehen, daß sogar unsere eigenen Gefühle [sentiments] zweifelhaft und unsicher werden.“110 Dieses Ausweichen mutet auf den ersten Blick wie die Flucht in einen Gemeinplatz an. Bei näherer Betrachtung jedoch und insbesondere, wenn man sich vor Augen hält, wie im Treatise die Beziehung zwischen Glauben (im Sinn von „Wahrscheinlichkeitserkenntnis“) und Gefühl (im Sinn von „Sinnesempfindung“) dargestellt wird, findet man sich unvermutet im Zentrum von Humes erkenntnistheoretischen Überlegungen wieder, nämlich bei der Frage  : Was ist Wissen, was ist Gewissheit, und auf welchem Weg gewinnen wir sie  ? Die Antwort – eine der Antworten – finden wir im Treatise im Abschnitt „Über die Ursachen des Glaubens“, wo es heißt, dass „alle Wahrscheinlichkeitserkenntnis nichts als eine Art von (subjektiver) Empfindung [all probable reasoning is nothing but a species of sensation]“ sei,111 und es wird deutlich, dass Unsicherheit in den Empfindungen, in den Gefühlen, einem Erkennen der Wirklichkeit im Weg steht  : „Wenn ich einer Beweisführung den Vorzug vor einer anderen gebe, so besteht, was ich tue, einzig darin, daß ich aus meinem unmittelbaren Gefühl entnehme, welche Beweisführung in ihrer Wirkung (auf meinen Geist) der anderen überlegen ist.“112 Dieses „Gefühl“ versteht Hume als Affekt. Triebe man diese Argumentation auf die Spitze, so besagte sie, auch das Überzeugt-Sein von vernünftigen Überlegungen sei letztlich ein Gefühl. Hume spricht das nicht wörtlich aus – zu bedenken gibt er es aber allemal. Zwischen der Veröffentlichung des ersten Buches des umfangreichen Treatise und derjenigen dieses kurzen Essays Of the Independency of Parliament lag gerade ein Jahr. Was im einen Fall eine groß angelegte Beweisführung erforderte, taucht im anderen Fall als schwacher Widerschein, fast als Marginalie auf, und doch handelt es sich um ein und dasselbe Denken. Meines Erachtens ist es dieses Schlaglicht auf die Kohärenz in den frühen Veröffentlichungen Humes, das diesem Essay aus heutiger Sicht eine Bedeutung gibt, die über seinen eigentlichen Inhalt hinausreicht. 14.2.4.4 Die Frage nach der Entscheidung zwischen absoluter Monarchie und Republik

Auch dieser Text, dessen vollständiger Titel Whether the British Government Inclines More to Absolute Monarchy, or to a Republic („Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert“)113 lautet, ist typisch für Humes 110 D. Hume  : Über die Unabhängigkeit des Parlaments. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 42 (Hervorh. übern.). – OT.: D. Hume  : Of the Independency of Parliament. In  : ders.: Essays (M.), p. 46. 111 D.  Hume  : Traktat, I, S. 141. – OT.: ders.: Treatise, p. 72, 1.3.8|12. 112 D.  Hume  : Traktat, I, S. 141. – OT.: ders.: Treatise, p. 72, 1.3.8|12  : “When I give the preference to one set of arguments above another, I do nothing but decide from my feeling concerning the superiority of their influence.” 113 D. Hume  : Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 44–50. – OT.: ders.: Whether the British Government Inclines More to Absolute Monarchy, or to a Republic. In  : ders.: Essays (M.), pp. 47–53.

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Art, politische Sachverhalte zu diskutieren – und dies in mehrfacher Hinsicht. So stützt sich etwa die Argumentation durchgehend sowohl auf Beispiele aus der Geschichte als auch auf Bemerkungen zur aktuellen Lage des Staates, und sie endet nicht in einem Entweder-oder, sondern sie tendiert zu einem charakteristischen Sowohl-als-auch, dem stets wiederkehrenden Appell zur Mäßigung im Urteil ebenso wie im Handeln. Ausgangsüberlegung ist ein Rekurs auf die Frage  : Was können wir wissen  ? Welche Zuversicht ist angebracht hinsichtlich der Absichten, die wir verfolgen  ? Die Antwort ist in ihrem Duktus kategorisch, und es ist – scheinbar – die Antwort des Skeptikers  : „Ein starkes Vorurteil [violent prejudice] gegen fast alle Wissenschaften wird bestätigt, wenn man bedenkt, daß kein weiser Mann, auch wenn er noch so überzeugt von seinen Prinzipien wäre, Voraussagen zu irgendeinem Ereignis oder den letzten Konsequenzen von Angelegenheiten wagen [dares prophesy] würde.“114 Offensichtlich ist, dass Hume auf das Kontingente im Hintergrund menschlichen Handelns anspielt. Was man darüber hinaus jedoch für einen eleganten, vielleicht auch nur nachlässig eleganten Einleitungssatz halten könnte, zeigt sich bei näherer Betrachtung als komplexe, ja geradezu kryptische Aussage, denn worin gerade das „starke Vorurteil gegen die Wissenschaften“ bestehen sollte, ist keineswegs so klar, wie es der rhetorische Schwung nahelegt. Wie nämlich sollte dieses Vorurteil lauten, das hier bestätigt werde  ? Dass die Wissenschaften keinen zuverlässigen Blick auf Zukünftiges gewähren  ? Und wenn ja, wer pflegt dieses Vorurteil  ? Sind es nicht die Wissenschaften selbst, deren jeder ja implizit so etwas wie ein prognostischer Anspruch innewohnt, auf den gerade das neuzeitliche, das aufgeklärte Denken so sehr gesetzt hat  ? Beobachtet man denn nicht die Natur, legt man denn nicht die Geschichte aus und wägt man nicht ökonomische Analysen gegeneinander ab, um Aussagen treffen zu können über das, was sich künftig ereignen werde  ? Studiert man nicht beispielsweise Physiologie und Anatomie des Menschen, um Anhaltspunkte für die Wirksamkeit von ärztlichen Maßnahmen zu gewinnen  ? Es ist dies ein Einleitungssatz von bemerkenswerter Raffinesse, sofern man Hume Absicht zubilligt, wenn er hier von einem „Vorurteil“ und nicht von einer „Erkenntnis“ spricht. Von Letzterer würde er zweifelsohne gesprochen haben, wenn er selbst davon überzeugt gewesen wäre, Wissenschaft könne definitiv keine Aussagen über Zukünftiges formulieren. Demzufolge liegt es also vielmehr nahe, dass er den Begriff des Vorurteils gerade deshalb wählt, weil er auf dessen Konnotation mit „irrig“ setzt  : In Humes Augen ist es eben gerade keine zutreffende Feststellung, dass sich über zukünftige Entwicklungen keinerlei Prognosen anstellen ließen. Wie selbstverständlich geht er nämlich im Folgenden daran, den Schleier, der über einer zukünftigen britischen Regierungsform liegt, zumindest ein Stück weit zu heben, indem er fragt, wohin diese Regierung – zumindest – tendiere. 114 D. Hume  : Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 44. – OT.: ders.: Whether the British Government Inclines More to Absolute Monarchy, or to a Republic. In  : ders.: Essays (M.), p. 47.

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Das „Vorurteil“, dass sich politische Entwicklungen grundsätzlich nicht vorhersagen ließen, ist gegen den Zeitgeist der Aufklärung gerichtet. Hume teilt dieses Vorurteil nicht. Er ringt also mit dem Kontingenzbefund, will sich nicht geschlagen geben. Im Hinblick auf die wissenschaftliche Methode ist er zuversichtlich. Allerdings ist seine Argumentation gegen dieses Vorurteil auch nicht nachdrücklich. Vielmehr verliert er diesen Aspekt alsbald aus den Augen und wendet sich stattdessen seinem Titelthema zu, ob die Entwicklung auf eine absolute Monarchie oder eine Republik zutreibe. Er unternimmt dies auf typische Weise abwägend, ausgleichend, eben mäßigend, indem er dazu rät, die „Angelegenheiten […] ihrem natürlichen Fortschritt und Verlauf [their natural progress and operation] [zu] überlassen“.115 Zwar werde „die Macht der Krone dank ihres großen Einkommens eher zunehmen“.116 Nicht zu bestreiten sei der „Einfluß des Eigentums auf die Macht“, andererseits jedoch könne „die Maxime, daß die Verteilung der einen von der Verteilung des anderen abhängig sei, nur mit verschiedenen Einschränkungen akzeptiert werden“.117 Alles wird auf diese Art verglichen und sodann relativiert, keine Aussage gilt apodiktisch, und geradezu programmatisch scheint Hume das Für und das Wider darauf verpflichten zu wollen, sich die Waage zu halten. Und warum auch nicht  : „Es ist bestens bekannt, daß jede Regierung ein Ende finden und der Tod für den politischen Körper ebenso wie für den tierischen unvermeidlich ist.“118 Wieder, wie bereits in Of the Origin of Government, enden Humes Überlegungen in einem Quasi-Fatalismus.119 Aber was wird bis zu diesem unausweichlichen Ende dieser Entwicklung auf Großbritannien zukommen  ? Hume weiß es nicht (oder gibt sich zumindest nicht den Anschein, es zu wissen). Ein wenig sieht es sogar so aus, als sei es ihm im Grund gleichgültig, denn eben geradezu fatalistisch mutet auch sein Fazit an  : „Wir haben […] zwar mehr Grund zur Furcht vor der Monarchie [to be more jealous of monarchy], weil durch sie eher Gefahr droht, doch ebenso gibt es mehr Anlaß zur Furcht vor einer republikanischen Regierung [to be more jealous of popular government], denn die Gefahr durch sie ist schrecklicher.“120 Handelt es sich um eine sprachliche Fehlleistung (avant la lettre), wenn Hume vor beiden Regierungsformen jeweils mehr Furcht haben zu müssen glaubt  ? Am Ende steht dann fast ein Abwinken, ein Herabdimmen aller Grundsatzfragen und 115 D. Hume  : Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 49. – OT.: ders.: Whether the British Government Inclines More to Absolute Monarchy, or to a Republic. In  : ders.: Essays (M.), p. 52. 116 D. Hume  : Whether the British Government Inclines More to Absolute Monarchy, or to a Republic. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 48. 117 D. Hume  : Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert. In  : ders.: Essays (B.), S. 44. 118 Ebd., S. 48. 119 Siehe S. 514. 120 D. Hume  : Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 49 f. – OT.: ders.: Whether the British Government Inclines More to Absolute Monarchy, or to a Republic. In  : ders.: Essays (M.), p. 53.

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Streitthemen auf sehr menschliche Dimensionen  : „Dies sollte uns in all unseren politischen Kontroversen Mäßigung lehren.“121 Wieder ist es dieses so grundsätzliche Statement seiner konservativen Haltung, mit dem Humes Überlegungen so häufig enden. Der Schluss aus all dem kann nur lauten, dass es bei Einbeziehung der vorangehend betrachteten Texte Schwierigkeiten bereiten muss, in Hume einen konsequenten politischen Denker im eigentlichen Sinn zu erkennen. Fraglos sind seine Überlegungen zu Staat und Gesellschaft, die er im Treatise ausbreitet, sorgfältig und grundlegend. Doch in seinen Essays vertieft er sie nicht, sondern er gibt sich vielmehr den Anschein, als kokettiere er immer wieder mit der Möglichkeit, die verschiedenen Aspekte unterschiedlich, ja sogar gegenläufig zu bewerten. 14.2.5 Zur Typologie der Parteien  : ‘Of Parties in General’

Die Abhandlung mit dem Titel Of Parties in General („Über Parteien im allgemeinen“)122 ist in sämtlichen Ausgaben der Essays enthalten, die Hume selbst betreut hat. Er überarbeitete sie über die Jahre hinweg in Details, veränderte sie jedoch dabei in ihren grundsätzlichen Aussagen nicht nennenswert. Zwar mag ihr Titel die mehr oder weniger nüchterne Klärung der grundsätzlichen Frage verheißen, welche Wertigkeit und Funktion Parteien in einem Staat besitzen – in Wirklichkeit sieht man sich jedoch einer Polemik gegenüber. Hume beginnt diese insofern mit rhetorischer Finesse, als er zunächst den Gegenstand seiner Betrachtungen, eben Parteien, mit keinem Wort erwähnt, sondern das Gebilde Staat gewissermaßen von einem glücklichen Ende her denkt, als „ein System von Gesetzen und Institutionen […], mit dem Frieden, Glück und Freiheit zukünftiger Generationen gesichert werden.“123 Ein solcher Staat allerdings ist nicht das Ergebnis eines Werdens, sondern die Folge eines an Personen festzumachenden Gründungsaktes  : „Von allen Menschen, die sich durch bemerkenswerte Leistungen auszeichnen, gebührt die meiste Ehre jenen Gesetzgebern und Staatsgründern“, die ein System wie das soeben benannte geschaffen hätten.124 Diese Leistungen von Fähigen mögen begünstigt werden durch den Einfluss von Erfindungen und Künsten, durch eine gute Regierung, besonders durch eine allgemeine Tugend und hohe Moral im Staat. Sie können weder „aus den feinsinnigsten philosophischen Lehren oder sogar den strengsten Geboten der Religion bestehen, sondern beruhen allein auf der tugendhaften Erziehung der Jugend, dem ­Effekt weiser Gesetze und Institutionen.“125 121 D. Hume  : Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 50. 122 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 51–60. – OT.: ders.: Of Parties in General. In  : ders.: Essays (M.), pp. 54–63. – Hinweise zum Text gibt U. Bermbach  : Einleitung, S. XXXIII, Anm. 111, S. XXXIV, Anm. 114. 123 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 51. 124 Ebd. 125 Ebd.

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Ein guter Staat ist also lediglich deshalb ein solcher, weil er weise eingerichtet ist und gute Voraussetzungen hat  ? Ist ein guter Staat also Glückssache  ? Das wäre eine, wenn auch zugespitzte, so doch zu platte Schlussfolgerung für einen politischen Denker von Humes Format. Gerade dessen überwiegend sehr kalkulierter Umgang mit Formulierungen lässt vermuten, dass es ihm bei dieser einleitenden Passage zu Of Parties in General weniger darum geht, ein idealtypisches Bild von einem gedachten funktionierenden und wohleingerichteten Staat zu zeichnen, sondern es vielmehr beabsichtigt ist, klar den Antagonismus zwischen diesem Staat einerseits und all den Bedrohungen herauszupräparieren, denen er sich andererseits gegenübersieht. Denn nun erst, nachdem dieser Staat in der einleitenden Darstellung so recht in seinem Glanz erstrahlt, führt Hume die Parteien ein, und wie er dies bewerkstelligt, ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Er argumentiert rhetorisch so, dass das Urteil bei der Lektüre leichtfallen muss, indem er ein Gutes in Stellung bringt, gegen das er das Schlechte antreten lässt  : „So sehr man unter den Menschen die Gesetzgeber und Staatsgründer ehren und respektieren sollte, so sehr sollte man die Gründer von Sekten und Faktionen verachten und hassen, denn der Einfluß von Faktionen ist dem von Gesetzen genau gegensätzlich.“126 Sekten, Faktionen  ? Erzeugt wird damit allein schon durch die pejorativen Konnotationen dieser Begriffe, ihre Anklänge an Zersplitterung und Auflösung, ein möglichst entschiedener Gegensatz zum gut eingerichteten Gemeinwesen. Parteien aber sind keine Sekten, mag man einwenden, und Faktionen sind vielmehr von einer Parteilinie abweichende Gruppierungen, doch Hume passen solche Unterscheidungen offensichtlich nicht in die Argumentation. Besieht man sich den Übergang vom ersten zum zweiten Satz des folgenden Zitats genauer, so mutet er an dieser Stelle geradezu gewaltsam an  : „Faktionen [factions] untergraben die Regierung, machen Gesetze wirkungslos und führen zu heftigsten Feindseligkeiten zwischen Menschen derselben Nationalität, die sich gegenseitig unterstützen und beschützen sollten. Die Gründer von Parteien [parties] sollten uns deshalb noch verhaßter sein, weil solche Ansätze nur schwer wieder auszumerzen sind, wenn sie einmal in einem Staat Wurzeln geschlagen haben.“127 Den Wechsel von Faktionen auf Parteien vollzieht Hume, wie es scheinen will, im rhetorischen Schwung und en passant ganz so, als handle es sich dabei um Synonyme. Dabei bleibt er auch in den Ausführungen, die sodann folgen und die es tatsächlich auf eine Systematisierung von Parteien im Allgemeinen anlegen. Er unterscheidet zunächst zwischen personalen und realen Faktionen, wobei sowohl er selbst die Gleichsetzung von „Faktion“ und „Partei“ vornimmt als auch seine Leserschaft ihm darin, wie die hier berücksichtigte Rezeptionsgeschichte zeigt, ohne Einwände folgt. Spaltungen in personale Faktionen sieht Hume „am ehesten in kleinen Republiken“ – als Beispiele werden die italienischen Stadtrepubliken der Renaissance angeführt –, also dort, wo Protagonisten, die miteinander persönlichen Umgang haben, aufgrund von „Leidenschaften“, wie „Liebe, Eitelkeit, Rivalität, […] aber auch Ehrgeiz 126 Ebd. 127 Ebd., S. 51 f. (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Of Parties in General. In  : ders.: Essays (M.), pp. 55.

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und Abneigung“128, in Konflikt geraten. Die Macht der „Leidenschaften“ ist ein fester Bestandteil von Humes anthropologischen Grundannahmen.129 Persönliche Motive sind in den Menschen wesensmäßig verwurzelt, und so darf auf das selbstständige Verschwinden dieser Motive ebenso wenig gehofft werden wie auf ihre erfolgreiche dauerhafte Beseitigung. Soweit kann an Humes Skepsis kein Zweifel bestehen. Erheblich komplexer wird das Bild, wenn es um die Untersuchung der realen Faktionen geht. Dabei handelt es sich um solche, die aus benennbaren Sachgründen entstanden sind. Hume unterscheidet bei diesen Gründen zwischen Interesse, Prinzip und Affekt.130 Als die natürlichste Form gilt ihm die Verfolgung eines bestimmten Interesses,131 und es sei „[g]roßes Geschick des Gesetzgebers nötig, um solche Parteien zu verhindern“.132 Sie sind jedoch nichts anderes als eben unvermeidlich, denn „viele Philosophen sind der Ansicht, daß dieses Geheimnis [der Verhinderung solcher Parteien, HK] so wie das Unsterblichkeitselixier oder das Perpetuum mobile die Menschen zwar in der Theorie erheitern, jedoch in der Praxis niemals gelöst werden kann.“133 Parteien, so ist dies zu verstehen, die sich infolge von Interessen bilden, werde es immer geben, sie sind durch die Menschennatur selbst bedingte notwendige Übel. Der Gedanke, dass Parteien eine Funktion, ja sogar ein Nutzen zukommen könnte, nämlich der, die Interessen zu formulieren und sie dadurch erst verhandelbar zu machen, wird nicht gedacht. Das wäre Ferguson’sches Denken,134 und dessen mögliche Konsequenzen dürften Hume zu riskant gewesen sein. Dabei sind Parteien aus Interesse für Hume noch keineswegs die bedrohlichsten. Gefährlicher erscheinen ihm Parteien aus Prinzip, also solche, denen eben kein erklärliches Interesse zugrunde liegt, sondern eine Grundüberzeugung. Insbesondere „gegensätzliche religiöse Prinzipien“ werden in diesem Zusammenhang herausgestellt, wobei für ein weltanschauliches „Prinzip“ kennzeichnend ist, dass es Vernunftgründen wenig zugänglich ist und durch Widerspruch erst herausgefordert wird  : „Daher rührt der Eifer, den die meisten Menschen in einer Auseinandersetzung entwickeln, und daher auch ihre Ungeduld mit Widerspruch [impatience of opposition – intendiert dürfte sein  : Widerstand gegenüber gegensätzlichen Ansichten] sogar bei überaus spekulativen und gleichgültigen Meinungen.“135 128 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 52. 129 Wenn es dafür eines Belegs bedarf, so findet ein solcher sich etwa im Treatise, wo es heißt  : „Offenbar wirken in uns die Lust- und Unlustempfindungen, Affekte und Leidenschaften, von denen wir nicht annehmen, daß sie irgend welche Existenz außerhalb des Bewußtseins besitzen, mit größerer Heftigkeit […].“ D.  Hume  : Traktat, I, S. 259. 130 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 55. 131 Ebd.: „Zwei Stände, wie z. B. der Adel und das Volk […], verfolgen natürlich ein bestimmtes Interesse. Wir können auch vernünftigerweise kein anderes Verhalten erwarten, wenn man das Maß an Selbstsucht in der menschlichen Natur bedenkt.“ (Hervorh. HK) 132 Ebd., S. 55. 133 Ebd., S. 55 f. (Hervorh. HK). 134 Siehe den Abschnitt 13.2 („Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung“). 135 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 57.

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Als wichtigstes Beispiel für die Schädlichkeit von Parteien aus Prinzip gelten Hume „Religionskriege und religiöse Spaltungen“,136 wobei er hier mit einer bemerkenswerten Unterscheidung die praktische Anwendbarkeit seiner Parteitypologie unter Beweis stellt  : „Auf seiten der Menschen kann man solche [religiösen] Spaltungen zu Recht als Faktionen aus Prinzip bezeichnen, auf Seiten [sic  !] der Priester, durch die sie in erster Linie gefördert wurden, handelt es sich in Wahrheit um Faktionen aus Interesse.“137 Es bleibt abschließend zu erklären, was Hume unter „Parteien aus Affekt“ versteht. Affekte, so lehrt er in seinem Treatise, haben keine Gründe, sondern Ursachen  ; sie sind affiziert, also durch einen Impuls und somit gerade nicht durch vernünftige Überlegung angeregt.138 Parteien aus Affekt entstehen also weder zum Zweck der Verfolgung von Interessen noch aufgrund von inhaltlichen Überzeugungen, sondern sie sind die Folge von persönlicher Anziehung, aus „der Verbundenheit von Menschen zu bestimmten Familien oder Personen […], von denen sie gerne regiert werden wollen.“139 Wie um den Nachweis zu führen, dass dem rationalen und staatsmännischen Handeln der Zugriff auf das entzogen ist, was Parteien hervorbringt und in ihrer Wirksamkeit ausmacht, streift Hume hier den Aspekt des Irrationalen in der Politik. Seine in That Politics May Be Reduced to a Science geäußerte Zuversicht, durch ein Auffinden von Regeln das Zufällige aus der Politik dauerhaft vertreiben zu können,140 sie scheint hier ganz und gar verflogen. Geradezu lakonisch konstatiert er nun  : „Wir halten die Beziehung zwischen uns und unserem Herrscher gern für sehr eng und vertraut. Der Glanz von Majestät und Macht verleiht auch dem Glück einer einzelnen Person einige Bedeutung. Und wenn jemand nicht aus Gutmütigkeit dieses imaginäre Interesse entwickelt, so wird ihn seine Bösartigkeit aus Trotz und Widerstand gegen jene, die seine Ansichten nicht teilen, dazu verleiten.“141 Diese Feststellung darf als Humes Erweiterung der Parteientypologie um Aspekte der Massenpsychologie und ihrer Potenziale gelesen werden. Erklärt ist damit implizit auch ein Phänomen einer sehr viel späteren Zeit, das Hume noch nicht einmal vorausgeahnt haben kann, nämlich das des überzeugten Nicht-Wählers. Dessen Haltung lässt sich gerade aus der Umkehrung der genannten Annahme erklären, nämlich aus einer sehr unvertrauten Beziehung zwischen ihm und seinem „Herrscher“ beziehungsweise der Gesamtheit aller seiner wählbaren möglichen Herrscher.

136 Ebd. 137 Ebd., S. 58 (Hervorh. HK). 138 Humes diesbezügliche Formulierung aus dem Treatise sei an dieser Stelle wiederholt  : „Nichts aber kann den Impuls eines Affektes unterdrücken oder verzögern […]. Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte und soll es sein  ; sie darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen.“ D.  Hume  : Traktat, II, S. 153. – OT.: ders.: Treatise, p. 266, 2.3.3|4. – Zu dieser Schlüsselpassage in Humes Affektlehre siehe in dieser Arbeit ausführlich den Abschnitt 7.4.1 („Zur Verteilung der Rollen  : Affekte versus Verstand“). 139 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 59. 140 Siehe S. 509. 141 D. Hume  : Über Parteien im allgemeinen. In  : ders.: Essays (B.), 1, S. 60.

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Hume, das ist ein wiederkehrender Eindruck, ist gewiss kein Freund erbitterter Aus­ einandersetzungen und heftiger Debatten mit dem Ziel der Durchsetzung von Interessen. „Mäßigung“, die “lesson of moderation in all our political controversies”142 ist es, die es stets zu lernen gelte. Parteien misstraut er von Grund auf. Genau genommen lehnt er sie sogar als schädlich ab. Dafür jedenfalls, dass er, wie Bermbach meint, Parteien gegenüber möglicherweise eine „ambivalente“ Haltung143 an den Tag gelegt haben könnte, kann dieser Essay keinen Beleg liefern – zu wenig spricht für sie. Und vor allem spricht gegen sie Humes unerwartete Behandlung – nämlich Ablehnung – der „Parteien aus Interesse“, zumal er das Interesse ja als konstitutiv für den Staat ansieht.144 14.2.6 Zur Legitimation des Staates  : Vertrag versus Interesse

Im folgenden Abschnitt geht es um die Thematik der Legitimität von Regierungsformen oder von Verfassungen. Dabei ist die Ausgangsannahme, dass der Nachweis von Legitimität und die Möglichkeit der Akteure, Zuversicht in die Entwicklung eines Gemeinwesens zu entwickeln, miteinander in einem Zusammenhang stehen. Zweifellos gibt es unterschiedliche Arten, die eine Verfassung für diejenigen verbindlich machen, die unter ihr leben. Die Begründung von Legitimität jedenfalls enthält in sich die Begründung der Verbindlichkeit der von den Mitgliedern einer Gesellschaft anzuerkennenden Regeln. Je überzeugender diese Verbindlichkeit dargelegt werden kann, umso robuster wird der gesellschaftliche Zusammenhalt sich gegen Tendenzen seiner Auflösung behaupten lassen. Das Gelingen des Nachweises von Legitimität hat somit auch einen in die Zukunft gerichteten Aspekt. Dadurch erklärt sich nicht nur die große Bedeutung der Vertragstheorien, sondern auch der Diskurs um ihre Widerlegung und Ersetzung durch andere Begründungen von staatlicher Legitimität, für die etwa Humes Denken ein Beispiel liefert. Um zu zeigen, wovon genau Hume sich abwendet, wenn er den „ursprünglichen Vertrag [original contract]“ verwirft, ist vorab auf des Wesen der Vertragstheorien im Allgemeinen einzugehen. Danach kann dann gezeigt werden, was Hume an deren Stelle setzt und welche Konsequenzen sich aus dem neuen Legitimationsmodell im Hinblick auf die Zuversicht der Akteure ergeben. 14.2.6.1 Funktion und Bedeutung der Vertragstheorien

Ein Grundgedanke von Vertragstheorien ist es, eine Gesellschaft ohne weitere Vorgaben und ausschließlich durch den gleichgerichteten Willen zwischen allen Mitgliedern zu begründen. Einen Gesellschaftsvertrag dieser Art gibt es in der Wirklichkeit der Staaten 142 So findet es sich im Essay mit dem Titel Whether the British Government Inclines More to Absolute Monarchy, or to a Republic formuliert  ; siehe D.  Hume  : Essays (M.), p. 53. 143 U.  Bermbach  : Einleitung, S.  XXXIII. 144 Siehe hierzu, wie auf S. 511 ausgeführt, Humes Ansicht, Herrschaft beruhe auf „Meinung“ und diese wiederum auf „Interessen“.

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allerdings nicht. Die Neuzeit kennt ihn als ein Gedankenspiel der politischen Theorie, mit dem sich Grundüberlegungen zur Konstituierung von Gesellschaften artikulieren lassen.145 Nie ist er wirklich der „Schöpfungsakt“ einer Gesellschaft, sondern eben eine Idee und als solche eine Hypothese und ein Denkmodell. Seine Bedeutung ist die der „zentralen Argumentationsfigur der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft“,146 wobei durchaus unterschiedliche Gesellschaftsformen Gegenstand oder Ziel dieser Argumentation sein können.147 Die ursprüngliche Funktion als eine „rechtliche Fixierung post factum“,148 wie dies für den Fall der Lehensgesellschaft galt, hatte der Vertragsgedanke da längst verloren. Vielmehr ignoriert der gedachte Vertrag ausdrücklich alle Vorgaben und „wird zur Idee einer Gesellschaft, die auf nichts Vorgegebenes und nichts Feststehendes, sondern auf Übereinkunft und Abmachung allein gestellt sein soll.“149 Wie Röhrich unterschieden hat, fallen dem Gesellschaftsvertrag in der politischen Theorie zwei Funktionen zu, eine erklärende und daneben die der Legitimierung  : Dieses Modell nämlich, so heißt es bei ihm, „subsummierte die Sozialbeziehungen unter das Vertragsdenken und legitimierte mit dieser Dimension, bei gleichzeitiger Liquidierung der alten Feudalität, die Herrschaft des Bürgertums.“150 Diese Feststellung ist folgenreich, denn wird dieser original contract, wie etwa von Hume, als Argumentationsgrundlage in Zweifel gezogen, so entsteht zwangsläufig eine Erklärungs- und Legitimationslücke  ; die Beziehungen unter den Individuen in einer Gesellschaft müssen dann anderweitig erklärt und die Grundlage des Staates muss auf andere Weise legitimiert werden, beispielsweise durch die Interessen der Akteure.151 Der Gesellschaftsvertrag blendet die historische Entwicklung eines Gemeinwesens weitgehend aus  ; er stellt auf einen Neuanfang.152 Dennoch ist auch eine solche hypothetische Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien nie voraussetzungslos. Inhaltlich ist sie an ihre jeweilige Zeit gebunden, denn sie beruht auf Annahmen und Überzeu145 H. Ottmann  : Vertragstheorien in der politischen Philosophie der Neuzeit, S. 10, über dieses Moment des Durchspielens von Überlegungen  : „Naturzustandskonstruktionen können reizvolle Gedankenspiele sein.“ 146 K. G. Ballestrem  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, S. 11. 147 Ebd., S. 10  : „Wenn wir uns ansehen, worauf sich bei den verschiedenen Vertragstheoretikern die Menschen in einem Zustand der Freiheit und Gleichheit einigen, so finden wir, daß sie sich bei Hobbes für den Absolutismus entscheiden, bei Locke für einen relativ liberalen Rechtsstaat mit repräsentativer Regierung  ; bei Rousseau für eine Republik, in der das Volk als Ganzes über Gesetze beschließt […].“ 148 H. Ottmann  : Politik und Vertrag, S. 22. 149 Ebd. 150 W.  Röhrich  : Sozialvertrag und bürgerliche Emanzipation, S. 1. 151 Siehe dazu den Abschnitt 10.3.3 („Das Interesse und die Akteure“). 152 Der Zweifel an einer Argumentation, die die Gesellschaft aus überlieferten historischen Fakten herleitet, kann im Übrigen auf unterschiedlichen Überlegungen beruhen. J. Locke  : Government, § 101, p. 397, konstatiert zum einen, dass es an solchen historischen Belegen fehle, wenn er sagt, dass “it is not at all to be wondered, that history gives us but a very little account of men, that lived together in the state of nature”. Daneben aber zweifelt er am erkenntnistheoretischen Nutzen solcher historischer Herleitungen, wenn er sagt, dass “an Argument from what has been, to what should of right be, has no great force”. (Ebd., § 103, p. 398)

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gungen und beruft sich auf Grundgewissheiten ihrer Epoche, die sich beispielsweise dem Glauben an religiöse Offenbarungen ebenso wie rationalistischen Herleitungen oder einem bestimmten anthropologischen Vorverständnis verdanken können. Das Bild vom Menschen – ob radikaler Egoist, ob geleitet von sozialen Trieben oder ob reiner Altruist – prägt das für ihn gedachte Modell einer Gesellschaft, für die sowohl ein System institutionalisierten Zwanges als auch Mechanismen der Konsensfindung und der Kooperation kennzeichnend sein können. Wenn also „den Naturrechtstheoretikern des 17. und 18. Jahrhunderts […] der Gesellschaftsvertrag als Grundlage jeder Staatstheorie [galt]“,153 so trifft es gleichzeitig auch zu, dass sich in diesem gedachten Vertrag die anthropologischen Vorannahmen des jeweiligen Verfassers getreulich abbildeten. Das Endergebnis der Argumentation war also – zwangsläufig – in diesen Vorannahmen, die ihr zugrunde lagen, in weniger scharfen Umrissen bereits vorgezeichnet. In den Vertragstheorien der Neuzeit und insbesondere in derjenigen Lockes werden die Menschen als von Natur aus freie und gleiche Rechtssubjekte betrachtet, die sich in freiwilliger Übereinkunft im Sinn eines gegenseitigen Versprechens auf eine gemeinsame politische Ordnung verpflichten.154 Dabei gibt es grundsätzlich drei mögliche Ausprägungen einer solchen Übereinkunft  : den ursprünglichen, den impliziten und den hypothetischen Vertrag. Diese drei Vertragstypen sehen eine Gesellschaftsordnung dann und nur dann als legitim an, „wenn ihr alle, die unter dieser Ordnung leben, als Freie und Gleiche in einem Vertrag zugestimmt haben oder immer wieder zustimmen oder im Prinzip zustimmen könnten.“155 Beim ursprünglichen Vertrag – auch „Urvertrag [original contract]“ – hat man sich die Gründung des Staatsgefüges als eine tatsächlich beschlossene Verfassung im Sinn einer Vereinbarung unter Freien und Gleichen vorzustellen.156 Es geht hier um eine tatsächlich erfolgte Vertragsunterzeichnung, wie sie im kleinsten Maßstab beispielsweise mit dem Mayflower Compact von 1620 überliefert ist.157 Wie bei einem unbefristeten Vertrag üblich, bindet die Zustimmung diejenigen, die sie unterzeichnet haben, auf Dauer. 153 K. G. Ballestrem  : Die Idee des impliziten Gesellschaftsvertrags, S. 35. 154 K. G. Ballestrem  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, S. 2. – Dazu J. Locke  : Regierung, II, § 95, S. 264  : „Da die Menschen […] von Natur aus alle frei, gleich und unabhängig sind, kann niemand ohne seine Einwilligung aus diesem Zustand [estate] verstoßen und der politischen Gewalt eines anderen unterworfen werden.“ 155 K. G. Ballestrem  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, S. 4 (Hervorh. übern.). 156 Dazu J.  Locke  : Regierung, II, § 4, S. 201, der darlegt, „in welchem Zustand sich die Menschen von Natur aus befinden. Es ist ein Zustand vollkommener Freiheit [state of perfect freedom] […]. Es ist drüber hinaus ein Zustand der Gleichheit, in dem alle Macht und Rechtsprechung wechselseitig sind, da niemand mehr besitzt als ein anderer [a state also of equality, wherein all the power and jurisdiction is reciprocal, no one having more than another] […].“ (Hervorh. nur in der dt. Fassung, nicht aber im engl. Original.) Bemerkenswert ist, wie unter Gleichheit Besitzgleichheit verstanden und – unter Bezugnahme auf R. Hookers Of the Laws of Ecclesiastical Politiy – mit „natürlicher Gleichheit“ gleichgesetzt wird  : „Diese natürliche Gleichheit der Menschen ist […] selbstverständlich und außer aller Frage“. Ebd., § 5, S. 201. 157 Hierzu H. Ottmann  : Vertragstheorien in der politischen Philosophie der Neuzeit, S. 5, und K. G. Balles­ trem  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, S. 5.

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Anders verhält es sich beim „impliziten Vertrag [implicit contract]“, bei dem die Zustimmung immer wieder von Neuem erfolgen muss und bei dem sich zwangsläufig die Frage stellt, in welcher Form diese Erneuerung des Einverständnisses erfolgen kann oder unter welchen Voraussetzungen sie auch ohne diese ausdrückliche Zustimmung, also eben implizit, als erbracht anzusehen wäre. Reicht zur Legitimierung des Staates beispielsweise die „stillschweigende Zustimmung“ seiner Bürger aus  ? Und was ist unter einer stillschweigenden Zustimmung überhaupt zu verstehen – etwa bereits die Tatsache einer Nicht-Auswanderung  ?158 Die Bedingung der erbrachten Zustimmung zum Gesellschaftsvertrag, wie sie beim Urvertrag durch die ausdrückliche Übereinkunft der Beteiligten faktisch vorliegt und beim impliziten Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen als vorliegend angenommen wird, entfällt beim dritten Vertragstypus, dem hypothetischen Vertrag. Dieser besagt  : „Ordnung ist legitim, wenn ihr alle als Freie und Gleiche in einer hypothetischen Vertragssituation zustimmen könnten.“159 Die Vertragsmodelle von Hobbes, der ein solches im Leviathan darlegt, und von Locke sind Beispiele für den genannten Typus. Diese gedankliche Konstruktion ist einem naheliegenden Einwand ausgesetzt  : Der hypothetische Vertrag ist, wie es die Bezeichnung sagt, eine Hypothese und somit eben kein Vertrag. So stellt dies sinngemäß Ottmann fest,160 und er macht dabei eine grundlegende Problematik deutlich  : „Die methodische Abstraktion von der bestehenden Gesellschaft hin zum fiktiven Zustand zwingt die Theoretiker dazu, nach Wegen zu suchen, wie die Fiktion wieder in die Realität gelangen kann.“161 Und tatsächlich sind im Rahmen der Vertragstheorien gerade diese hypothetischen Verträge eine Landkarte jener Wege, die, ausgehend von den jeweiligen Hypothesen, zu praktikablen Gesellschaftsmodellen leiten wollen  ; so lassen sich Detailprobleme des Staatsverständnisses isoliert betrachten. Insbesondere Letzteres begründet ihre große Bedeutung für die politische Philosophie.162 Es handelt sich um Annahmen über fiktive Zustände, um zu Aussagen über erst noch zu schaffende Zustände zu gelangen.163 Das Erkenntnisinteresse der Vertragstheorien ist somit zunächst ein normatives und erst nachgeordnet ein analytisches.

158 K. G. Ballestrem  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, S. 5, und ausführlich  : ders.: Die Idee des impliziten Gesellschaftsvertrags. 159 K. G. Ballestrem  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, S. 6 (Hervorh. übern.). – Siehe in diesem Sinn hierzu auch J. Rawls  : Geschichte der politischen Philosophie, S. 261. 160 H. Ottmann  : Vertragstheorien in der politischen Philosophie der Neuzeit, S. 10 ff. 161 Ebd., S. 11. 162 H. Ottmann  : Vertragstheorien in der politischen Philosophie der Neuzeit, S. 10, weist darauf hin, dass gerade „ein hypothetischer Vertrag von bekannten Philosophen angesetzt wird  : von Hobbes, Kant, Rawls […].“ (Hervorh. übern.) 163 K. G. Ballestrem  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie, S. 3, unterstreicht dies mit seiner Formulierung, es werde bei der Konzeption des Gesellschaftsvertrags „eine anthropologische These vorausgesetzt, mit der sich begründen läßt, warum die Menschen ein Interesse an Gerechtigkeit im Sinne fairer Entscheidung und Kooperation haben.“ (Hervorh. HK)

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Mit dieser Ausgangslage ist konfrontiert, wer sich der Problematik eines theoretischen „ursprünglichen Vertrags“ widmet. Das gilt auch für Hume, der das darin zum Ausdruck gebrachte Denkmodell gleichwohl verwirft. 14.2.6.2 Die neue Legitimation des Staates durch die Interessen  : ‘Of the Original Contract’

Am Beginn seines Essays Of the Original Contract („Über den ursprünglichen Vertrag“)164 klärt Hume zunächst Grundsätzliches  : „Keine Partei“, sagt er, könne „heute auf ein System philosophischer oder spekulativer Prinzipien zusätzlich zu ihren politischen oder praktischen verzichten. Deshalb stellen wir fest, daß jede der Faktionen, in die dieses Land gespalten ist, ein entsprechendes System entwickelt hat, das ihr politisches Programm abdecken und rechtfertigen soll.“165 Es ist dies der (nur in der deutschen Übersetzung zweigeteilte) Einleitungssatz des viel beachteten Textes, und er gibt, ohne dass der Autor darauf ausdrücklich hinweist, den Blick auf mehrere Vorannahmen frei, nämlich  : – Parteien agieren auf einem weltanschaulichen Fundament aus politischen und praktischen Prinzipien  ; sie bündeln, artikulieren und vertreten also Interessen. – Über diesem Fundament der Interessen, dem eigentlichen politischen Programm, errichten sie einen argumentativen – eigentlich  : ideologischen – Überbau, mit dem dieses Programm zum einen erklärt, zum andern gerechtfertigt werden soll. – Die Philosophie leistet in diesem Aufgabenfeld gewissermaßen Hilfsdienste, indem sie den Erklärungsbereich um hypothetische Annahmen erweitert. Hume unterscheidet – und dazu benötigt er nur diesen erwähnten einen Satz – zwischen tatsächlicher Absicht und der darübergelegten Folie des öffentlichen Bekenntnisses von Parteien. Zudem begründet er implizit die Notwendigkeit, die philosophische Argumentation, die er somit in den Verdacht bringt, eine aufgesetzte zu sein, einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. Denn es stellt sich die Frage  : Welche „philosophischen und spekulativen Prinzipien“ hat der Autor dabei im Auge  ? Inhaltlich ist dieser Einleitungssatz also eine Behauptung, für deren Richtigkeit kein Nachweis zu erbringen versucht wird. Er ist nicht Teil der Argumentationskette, sondern er ist ihr vorangestellt, denn man erkennt unschwer, dass Hume hier etwas als erwiesenes Faktum ausgibt, das eigentlich Teil seiner Rhetorik ist. 164 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 301–324. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), pp. 465–487. 165 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 301. – Einen noch direkteren Einblick in die Funktionsweise dieses Einleitungssatzes bietet das englische Original  : “As no party, in the present age, can well support itself, without a philosophical or speculative system of principles, annexed to its political or practical one  ; we accordingly find, that each of the factions, into which this nation is divided, has reared up a fabric of the former kind, in order to protect and cover that scheme of actions, which it pursues.” D. Hume  : Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 465 (Hervorh. HK). Auch wenn hier der Originaltext keiner semantischen Analyse unterzogen werden soll, scheint in Humes Wortwahl doch die Überlegung anzuklingen, dass in den Erklärungen der politischen Parteien ein mögliches Verbergen der wahren Absichten mitschwingt.

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Die beiden „Systeme spekulativer Prinzipien“, gegen die hier vorgegangen wird, dienen der Herleitung politischer Legitimität. Im ersten Fall erfolgt diese Herleitung aus einem göttlichen Willen, im anderen aus einer „Art von ursprünglichem Vertrag“.166 Dabei ist für Hume die theologische Argumentation nicht von Interesse und er erledigt sie kurzerhand mit Ironie, also mit rhetorischen Mitteln  : „Niemand, der an eine allgemeine Vorsehung und die Führung aller Ereignisse im Universum nach einem einheitlichen Plan und in weiser Absicht glaubt, wird bestreiten, daß Gott letztlich der Urheber [the deity is the ultimate author] jeder Regierung ist.“ Folglich  : „Aus den gleichen Voraussetzungen, aus denen sich die Macht des Herrschers in jedem Staat entwickelt, entstanden auch alle kleinliche Rechtsprechung und jede begrenzte Autorität. Deshalb handelt ein Polizist – ebenso wie ein König – in göttlichem Auftrag und besitzt ein unantastbares Recht.“167 Wenn letztlich alles gottgewollt sei, dann bedeute das nichts anderes, als dass jede Macht auf dieser Welt sich mit dem gleichen Recht darauf berufen könne, von Gott eingesetzt zu sein. Das sei ein Argument, das keine Erklärung liefere, sondern sie überflüssig zu machen suche. Doch auch das Zurückgreifen auf einen ursprünglichen Gesellschaftsvertrag könne die Legitimität von staatlicher Ordnung nicht hinreichend begründen, denn selbst ein solcher sei letztlich ein „spekulatives Prinzip“.168 Dass Menschen, die „an körperlichen und […] sogar an geistigen Kräften und Fähigkeiten fast ebenbürtig sind, […] sich zunächst nur mit eigener Zustimmung zusammengeschlossen und einer Autorität unterworfen haben“, stellt Hume nicht in Abrede, denn „wir beobachten sie deutlich in der Natur des Menschen und in der Gleichheit oder ungefähren Gleichheit, die bei allen Wesen dieser Art festzustellen ist.“169 Die Tatsache des Zusammenschlusses und der gemeinsamen Unterordnung unter eine Regierung, wie (un)freiwillig auch immer diese erfolgt seien, ist offensichtlich und wird nicht bezweifelt, die Existenz eines Urvertrags sowie dessen Sinn jedoch durchaus.170 Dieser sei empirisch nicht belegt, und das ist für Humes 166 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 301. – Damit ist gewissermaßen die Filmer-Locke-Konstellation beschrieben, siehe Abschnitt 4.2.3.1 („Die ‘Two Treatises’ – Streitschrift und theoretisches Konzept“). 167 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 302 f. (Hervorh. übern.). 168 Ebd., S. 301. – Diejenige Partei, die Herrschaft durch einen ursprünglichen Vertrag legitimiert, „begründet Regierung allein durch die Zustimmung des Volkes und geht davon aus, daß es eine Art von ursprünglichem Vertrag gibt, durch den die Untertanen sich stillschweigend das Recht auf Widerstand gegen ihren Herrscher vorbehalten, wenn sie sich durch die Autorität unterdrückt fühlen sollten, die sie ihm aus bestimmten Gründen freiwillig überlassen haben.“ 169 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 303. – Im Originalwortlaut  : “In vain, are we asked in what records this charter of our liberties is registered.” D. Hume  : Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 468. 170 Warum die Menschen Herrschaft als legitim anerkennen, sei von recht untergeordneter Bedeutung, solange sie sie überhaupt anerkennen. „Zudem“, so sagt Hume, „finden sich allenthalben Untertanen, die dieses Recht ihres Fürsten anerkennen und glauben, mit der Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber einem bestimmten Herrscher geboren zu sein, gerade so wie sie ihren Eltern Ehrfurcht und Pflichterfüllung

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nicht zuletzt rhetorische Absichten, wie selbstverständlich, Argument genug  : „Die Frage nach Dokumenten, in denen eine Liste unserer Freiheiten verankert wäre, ist vergeblich. Sie sind weder auf Pergament noch auf Papier oder Baumrinde niedergeschrieben.“171 Aber ist für die Sache an sich ein solches Pergament überhaupt von Bedeutung  ? Natürlich ist Hume sich über den Modellcharakter der Theorie vom ursprünglichen Vertrag im Klaren. Er weiß durchaus, dass es Hobbes und Locke, deren Gedanken zum Thema er hier reflektiert, nicht nur um die theoretische Beschreibung des Verhältnisses zwischen Untertan und Herrscher und um beider Rechte und Pflichten geht, sondern auch – ja vor allem – um eine Legitimation, die Verhältnisse zu schaffen in der Lage ist, die als bindend aufgefasst werden. Hobbes unterscheidet zwischen einem „Gemeinwesen durch Aneignung“ und einem „Gemeinwesen durch Einsetzung“,172 wobei es gerade der Akt der Einsetzung sei, der einen Vertrag erfordere, denn dieser halte die Ableitung „alle[r] Rechte und Befugnisse dessen oder derer“ fest, „denen die souveräne Gewalt durch die Übereinstimmung des versammelten Volkes übertragen worden“ sei.173 Der Gesellschaftsvertrag dient hier der Einsetzung einer Macht, der man sich zum Zweck des Schutzes vor einem Zustand des Krieges „eines jeden gegen jeden“ unterordnet. Für diesen Krieg kennt Hobbes „in der menschlichen Natur drei hauptsächliche Konfliktursachen  : erstens Konkurrenz, zweitens Mißtrauen, drittens Ruhmsucht.“174 Diese eingesetzte Macht, der durch den Vertrag geschaffene Leviathan, ist seinem Wesen nach ein Souverän  ; seine Funktion ist die eines unumschränkten Herrschers, aber auch einfach die Verkörperung des Staates. Jedenfalls ist er „eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam […].“175 schulden. Diese Bindungen gelten als unabhängig von unserer Zustimmung […].“ D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 305. 171 Ebd., S. 303. 172 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 150. – OT.: T. Hobbes  : Leviathan (M.), p. 159  : “A commonwealth is said to be instituted, when a multitude of men do agree, and covenant, every one, with every one, that to whatsoever man, or assembly of men, shall be given by the major part, the right to present the person of them all, that is to say, to be their representative  ; every one, as well he that voted for it, as he that voted against it, shall authorise all the actions and judgements, of that man, or assembly of men, in the same manner, as if they were his own, to the end, to live peaceably amongst themselves, and be protected against other men.” (Sämtliche Hervorh. übern.) 173 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 150. – OT.: T. Hobbes  : Leviathan (M.), p. 159. 174 T.  Hobbes  : Leviathan (K.), S. 106. 175 Ebd., S. 148 f. – Dort findet sich die gesamte Argumentation  : „Der alleinige Weg zur Errichtung einer solchen öffentlichen Macht, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen Angriffen zu schützen […], liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können [that may reduce all their wills, by plurality of voices, unto one will]. […] Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam, als hätte jeder zu jedem gesagt  : Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren [give up my right of governing myself], unter der Bedingung, daß du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst. Ist dies geschehen, so nennt

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Humes Zielrichtung hingegen ist eine grundlegend andere als diejenige von Hobbes (und Locke). Das beginnt damit, dass er sich hinsichtlich der Gründung eines Staates auf Hobbes’ Unterscheidung zwischen Aneignung und Einsetzung gar nicht einlässt, wenn er kategorisch feststellt  : „Fast alle Regierungen, die es zur Zeit gibt oder über die geschichtliche Quellen existieren, sind ursprünglich entweder durch Usurpation oder Eroberung oder beides entstanden, jedoch stets ohne die Vorspiegelung einer fairen Zustimmung oder freiwilligen Unterwerfung der Menschen.“176 Und selbst wenn es jemals diesen von Hobbes angesprochenen „Vertrag eines jeden mit jedem“ gegeben hätte, so sei es aus einem ganz banalen Grund überflüssig, ihn zu erörtern, denn es wäre „die Übereinkunft so alt und durch tausend Wechsel der Regierung und der Fürsten derart in Vergessenheit geraten, daß ihr heute keinerlei Autorität mehr zugemessen werden“ könne.177 Kurzum  : Sie ist verjährt. Staaten würden, so Hume, von ihren Bürgern nicht aufgrund stichhaltiger Begründungen als legitim angesehen, sondern sie bestünden, ohne wirklich hinterfragt zu werden, gewohnheitsmäßig  : „Gehorsam und Unterwerfung werden derart zur Gewohnheit, daß die meisten Menschen nicht mehr nach ihrem Ursprung oder ihrer Begründung fragen, ebenso wie beim Gesetz der Schwerkraft […].“178 Und dem Herrschaftsanspruch eines Fürsten, heißt es mit offenkundiger Lust an der Banalisierung, „stimmen [die Menschen] zu, weil sie ohnehin ihn von Geburt her für ihren rechtmäßigen Herrscher halten.“179 Das ist eine ausdrückliche Absage sowohl an historische Begründungen als auch an vertragstheoretische Herleitungen. Worin ist das Motiv für Humes eher lakonische als argumentreiche Abkehr von den vertragstheoretischen Überlegungen seiner prominenten Vorgänger zu sehen  ? Er hält ihre Theorien über den ursprünglichen Vertrag für spekulativ – in seinen Augen ein gravierender Makel schlechthin. Ihre Herleitung des Staates aus den drei Schritten vom Naturzustand über einen Gesellschaftsvertrag hin zu einem organisierten Gemeinwesen will er nicht nachvollziehen. In Wirklichkeit sei die Entwicklung keineswegs einem solch starren Ablaufschema gefolgt, denn die Staaten seien nicht das Ergebnis von Zustimmung. Vielmehr habe „Eroberung oder Usurpation – mit anderen Worten Gewalt – zur Auflösung althergebrachter Regierungen [geführt] und war Ursprung fast aller neuen […].“ So zeigten „Vernunft, Geschichte und Erfahrung […], daß alle politischen Gesellschaften einen viel ungenaueren und weniger geregelten Ursprung hatten.“180 Hume beschäftigen, wenn er über den Staat nachdenkt, die praktischen Erwägungen. In seinen Essays kommt das zum Ausdruck, in der Argumentationsstruktur von Of the man diese zu einer Person vereinte Menge Gemeinwesen [commonwealth], auf lateinisch civitas.“ (Hervorh. übern.) – OT.: T. Hobbes  : Leviathan (M.), pp. 157–158. 176 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 306. 177 Ebd. 178 Ebd., S. 305. 179 Ebd., S. 314. 180 Ebd., S. 309 f.

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Original Contract ganz besonders. So liefert ihm der „ursprüngliche Vertrag“ zwar das Stichwort für seine Ausführungen, nicht jedoch deren Thema. Dieses nämlich ist nicht die Genese von Staaten und letztlich vielleicht nicht einmal von deren Legitimität  ; vielmehr ist es die Frage, ob und warum es Staaten zwangsläufig gibt, wozu sie, mit anderen Worten, „nützen“. Der Mittelpunkt der Wissenschaften ist für ihn eben „die menschliche Natur selbst“, wie er es im Treatise schon früh erklärt hatte.181 Bereits dort findet man die Hinweise auf dieses sein Erkenntnisinteresse im Hinblick auf Politik, denn in der Einleitung heißt es dort  : „[D]ie Politik hat es mit den Menschen in ihrer Vereinigung zur Gesellschaft [men as united in society] und in ihrer Abhängigkeit voneinander zu tun.“182 Der Essay Of the Original Contract ist nicht zuletzt deshalb von besonderer Bedeutung für die Beschäftigung mit Humes politischem Denken, weil darin die Konturen seines Grundverständnisses von Philosophie ebenso wie von Politik erkennbar werden. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass es ihm um eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Vertragstheorie ebenso wenig geht wie um eine Untersuchung jener Argumentation, die eine Regierung als durch göttlichen Willen eingesetzt ansieht. Beides beruht für ihn, cum grano salis, auf Spekulation und sei allein deshalb schon zu verwerfen. Die Diskussion beider Herleitungen dient ihm als eine rhetorische Hinführung zu der Frage, was die Menschen jenseits aller Freiwilligkeit geradewegs dazu verpflichte – und zwar aus anthropologischen Gründen und aufgrund ihrer Natur, der sie sich nicht entziehen können –, sich in Staaten zusammenzuschließen. Er betrachtet die Menschen als Wesen, die durch natürliche Veranlagung ebenso wie durch soziale Bezüge determiniert sind und deren Handlungen zum einen durch Disposition geprägt, zum andern und vor allem aber durch Interessen geleitet sind. Abgeschnitten ist dadurch die Zuflucht zu metaphysischen oder teleologischen Begründungen „von außen her“, sei es durch ein von Gott oder einen „natürlichen Lauf der Dinge“ auf ein Ziel hin gelenktes Schicksal, sei es durch fiktive Herleitungen wie einen Gesellschaftsvertrag. Dieser Beweisführung widmet Hume in Of the Original Contract die ersten beiden Drittel, indem er es auf Plausibilität anlegt und historische Beispiele heranzieht. Es ist dies, mit einem Abstand von einigen Jahrhunderten betrachtet, der argumentativ starke Teil dieses Textes. Die Legitimation der Tories, „Regierung geheiligt und unangreifbar zu machen, indem sie diese auf Gott zurückführt“, verliert durch Humes Argumente und Rhetorik ebenso alles Zwingende wie jene der Whigs, die die „Regierung allein durch die Zustimmung des Volkes [begründet sehen und davon ausgehen,] daß es eine Art von ursprünglichem Vertrag gibt, durch den die Untertanen sich stillschweigend das Recht auf Widerstand gegen ihren Herrscher vorbehalten, wenn sie

181 D.  Hume  : Traktat, I, S. 4. 182 Ebd., S. 3. – D. Hume  : Treatise, p. 4|5  : “[…] politics consider men as united in society, and dependent on each other.” Humes Intention lässt sich als auf die Gegenwart gerichtet auffassen, also wäre zu lesen “men as they are united in society” und nicht “men as they became united in society”.

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sich durch die Autorität unterdrückt fühlen sollten […].“183 Man kann festhalten, dass diese Argumentation Hume zu seinem ins Auge gefassten Ziel führt, doch muss man andererseits im Blick behalten, mit welcher Methode hier vorgegangen wird. Nämlich erdrückt der Essay den Gedanken eines Gesellschaftsvertrags zwar mit dem Gewicht historischer Belege aus der Geschichte der Griechen, der Römer und auch derjenigen Englands bis herauf in die jüngere Vergangenheit. Inhaltlich jedoch setzt er sich mit ihm überhaupt nicht auseinander. Dies allerdings wäre das Gebot für Hume als politischen Theoretiker gewesen, wenn er den Gesellschaftsvertrag nicht als das begriffe, was zu sein dieser vorgibt, sondern als das, was er tatsächlich ja ist  : ein Denkmodell, an dem sich die Bedingungen staatlicher Legitimität veranschaulichen, zumindest aber erörtern ließen. Abstrakte Überlegungen und eine theoretische Untersuchung umgeht er unter Berufung auf konkrete Beispiele aus der Geschichte. Er gewinnt gewissermaßen deshalb, weil er die Regeln der Auseinandersetzung verletzt, ja missachtet. Somit gibt es für Hume ebenso wenig einen Gründungsakt eines Staates, wie es einen göttlichen Auftrag dazu gibt. Aller Zusammenschluss ist durch die Menschen selbst begründet, durch ihre Interessen und durch ihre angeborenen Veranlagungen. Dennoch gerät die Argumentation im letzten Drittel des Essays, wenn das eigentliche Anliegen behandelt wird, in Schwierigkeiten. Für derlei Schwierigkeiten gibt es in Humes Texten stets einen zuverlässigen Indikator, nämlich den Einsatz einer persuasiven Diktion. Im Folgenden nämlich kehrt er sich endgültig von der Idee des Gesellschaftsvertrags ab. Offenbar hält er sie durch seine bis dahin angeführten Argumente für ausreichend widerlegt. Eingeführt wird nun diejenige Feststellung, mit der der ursprüngliche Vertrag tatsächlich obsolet wird  : Eine Gesellschaft braucht nämlich nicht erst durch einen initialen Akt geschaffen zu werden, da sie ja in den menschlichen Interessen so sehr verankert ist, dass es sie gewissermaßen allein schon deshalb gibt, weil es Menschen gibt  : „Etwas Erfahrung und Beobachtung genügen, um uns zu zeigen, daß die Gesellschaft ohne die Autorität von Magistraten unmöglich erhalten werden könnte und daß diese Autorität der Verachtung anheimfallen würde, sobald man ihr nicht mehr genau gehorchte. Die Beachtung dieser allgemeinen und offensichtlichen Interessen184 ist die Quelle aller Loyalität und jener moralischen Verpflichtung, die sich daraus ableitet.“185

Das, was vorangehend als „persuasive Diktion“ apostrophiert wurde, wird in dieser Passage an zwei Stellen manifest, nämlich zum einen in dem geradezu apodiktischen 183 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 301. 184 Zu beachten ist, dass die Interessen, von denen hier gesprochen wird, nicht dieselben sind, die sich aus dem Streben etwa nach Eigentum ergeben. Siehe zu dem damit verbundenen Fragenkomplex den Abschnitt 10.3 („Das Interesse“). 185 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 317 (Hervorh. HK).

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Terminus „unmöglich“, zum anderen in jenem „offensichtlich“, dessen Aufgabe es ist, ein Ergebnis zu proklamieren, das mit solcher Evidenz noch gar nicht vorliegt. Hume legt diesen Nachdruck auf seine Ausführungen, als wolle er es nicht darauf ankommen lassen, ob das Publikum ihm in seinen Gedanken freiwillig folgt. Rhetorische Figuren dieser Art sind bei Hume in der Regel der Hinweis auf die Nähe von Kernaussagen. So ist es auch hier, im inhaltlich zentralen Abschnitt des Textes. Nachdem der Gedanke an göttliche Einsetzung von Regierungen mit leichter Hand verworfen und die Idee vom Gesellschaftsvertrag mit historischen Beispielen als widerlegt erklärt worden ist, ist für Hume nunmehr der Rahmen für die Darlegung seiner anthropologisch-politischen Grundannahmen geschaffen. Diese stehen ja im Zentrum all seiner Überlegungen, wie er dies bereits zu Beginn des Treatise explizit dargelegt hatte  : „Es gibt keine Frage von Bedeutung, deren Lösung in der Lehre vom Menschen nicht miteinbegriffen wäre[,] und keine kann mit einiger Sicherheit entschieden werden, solange wir nicht mit dieser Wissenschaft vertraut geworden sind. […] Wie die Lehre vom Menschen die einzig feste Grundlage für die anderen Wissenschaften ist, so liegt die einzig sichere Grundlage, die wir dieser Wissenschaft geben können, in der Erfahrung und Beobachtung.“186

Was aber beobachtet Hume, wenn er nach den Gründen forscht, die die Menschen dazu bewegen, Staaten zu bilden  ? Es charakterisiert seine Herangehensweise, dass er sich politischen Fragen über den Begriff der Moral nähert, darüber also, wozu der Mensch sich im Sinn unmittelbarer Antriebe durch Pflichtgefühl oder Neigung veranlasst sieht. Hier geht es ihm um „zwei Arten moralischer Pflichten.“187 Zur ersten Art zählen „jene, zu denen Menschen durch natürlichen Instinkt oder eine unmittelbare Neigung veranlaßt werden, unabhängig von allen Begriffen von Verpflichtung und allen Ansichten über öffentlichen oder privaten Nutzen. […] Die zweite Art moralischer Pflichten wird nicht von einem ursprünglichen Naturinstinkt unterstützt, sondern beruht allein auf einem Gefühl der Verpflichtung aus der Erkenntnis der Erfordernisse menschlicher Gesellschaft […].“188

Übertragen in den heutigen Sprachgebrauch ist hier einerseits von angeborenem – natürlichem – und andererseits von in der Gesellschaft erlerntem – erworbenem – Verhalten die Rede. Dabei wird der „ursprüngliche Naturinstinkt“ als eine feste, durch Verstand und Absichten nicht beeinflussbare Größe verstanden, der in seiner sozial wertvollen Ausprägung etwa in Form von „Kinderliebe, Dankbarkeit gegenüber Wohltätern und Mitleid mit Unglücklichen“189 für eine Gesellschaft Nutzen erbringen könne, ohne für 186 D.  Hume  : Traktat, I, S. 4. 187 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 316. 188 Ebd., S. 316. 189 Ebd.

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deren Bestand unabdingbar zu sein, während er ihr in seiner negativen Ausprägung der Eigenliebe oder des Strebens „nach unbegrenzter Freiheit oder Herrschaft über andere“190 gleichermaßen auch Schaden zufügen könne. Unverzichtbar für die Erhaltung einer menschlichen Gesellschaft seien hingegen diejenigen – beeinflussbaren und daher variablen – moralischen Pflichten, die aus den „Erfordernissen menschlicher Gesellschaft“ selbst abgeleitet seien. Hume benennt sie ausdrücklich, und er wiederholt damit das im Treatise Gesagte  :191 „Gerechtigkeit, Respekt vor dem Eigentum anderer, Treue und das Einhalten von Versprechen sind deshalb verpflichtend geworden und haben Autorität über die Menschheit erlangt.“192 Somit entsteht ein Nebeneinander von ursprünglichen Neigungen – im Sinn von  : Affekten, passions – einerseits und sozialen Pflichten andererseits, wobei die Ersteren darauf ausgerichtet sind, das Individuum zu stärken und seine Autonomie auszuweiten.193 Letztere hingegen schaffen die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Vereinigung, indem sie die ursprünglichen Neigungen kontrollieren.194 Dabei würde man nun erwarten, dass der von seinen ursprünglichen Neigungen angetriebene Mensch mit besonderer Energie nach Freiheit oder Selbstbestimmung, eben nach Autonomie strebte. Doch charakteristischerweise stellt Hume in diesem Zusammenhang vor allem das „Laster“ des Strebens nach Besitz heraus. Zuallererst bedürfe also das Bestreben, sich unbegrenzt Besitz anzueignen, der sozialen Kontrolle  : „Offensichtlich liebt jeder Mensch sich selbst mehr als jeden anderen, und dies veranlaßt ihn, seinen Besitz so weit wie möglich zu vergrößern. Nichts kann ihn von diesem Drang abbringen außer Überlegung und Erfahrung, durch die er die schädlichen Folgen dieses Lasters und die dadurch drohende völlige Auflösung der Gesellschaft erkennen lernt. Seiner ursprünglichen Neigung oder seinem Instinkt wird damit Einhalt geboten, und sie werden durch erneute Beurteilung und Beobachtung kontrolliert.“195

Dies ist die Schlüsselpassage für das Verständnis des Bildes, das Hume von der Interdependenz zwischen Individuum und Gesellschaft zeichnet  : Zum einen schlägt sich das individuelle Streben nach Freiheit in einem Streben nach Besitz nieder. Nur eine funktionierende Gesellschaft, die Rechtssicherheit bietet und die Zuversicht nährt, dieser Besitz sei geschützt, kann diesem Besitzstreben jedoch eine Perspektive in die Zukunft geben. Damit diese Gesellschaft funktionieren kann und das individuelle Besitzstreben nicht gewaltsame Züge annimmt, bedarf es einer ausgleichenden Kraft, die zwischen den Wünschen des Individuums und den Bedürfnissen der Gesellschaft vermittelt. Das 190 Ebd., S. 317. 191 D.  Hume  : Traktat, II, Über Moral, Zweiter Teil, 2.–5. Abschnitt. 192 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 316. 193 Ebd., S. 317. „Unseren ursprünglichen Instinkten zufolge streben wir nach unbegrenzter Freiheit oder Herrschaft über andere […].“ 194 Das bedeutet nichts anderes, als dass sie die menschliche Autonomie einschränken. 195 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 316.

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Individuum hat die Tendenz zur Autonomie, die Gesellschaft hat die entgegengesetzte Tendenz zur Kontrolle des Individuums.196 Bei Hume nun ist ein beträchtlicher Teil dieser Kontrolle der individuellen – „ursprünglichen“ – Neigungen in das Individuum selbst verlagert, indem es mittels „Überlegung und Erfahrung“ lernt, die „schädlichen Folgen“ seiner Absichten, die die Gesellschaft bedrohen, zu erkennen und gemäß dieser Erkenntnis zu handeln  : Ohne Vernunft des Einzelnen gebe es keine Gesellschaft, denn „nur durch Überlegung werden wir veranlaßt, solch starkes Verlangen im Interesse von Frieden und öffentlicher Ordnung aufzugeben.“197 Wieder, wie schon im Zusammenhang mit den Mechanismen der Entstehung von Zuversicht (hope), ist der Verstand lediglich diejenige Instanz, die die Affekte bewacht und moderiert, sie im Zaum hält. Die eigentlichen Handlungsimpulse sind affektiver Natur.198 Es liege also im Interesse der Menschen, die Gesellschaft zu erhalten, und es sei eben dieses Interesse, das als Korrektiv der ursprünglichen, also natürlichen Handlungsantriebe wirke  : „[…] die Menschen unterwerfen sich aufgrund offensichtlicher Interessen und Erfordernisse der menschlichen Gesellschaft.“199 Diese Interessen also sind es, die in Humes Augen einen wirklichen Gesellschaftsvertrag, ja sogar das Denkmodell eines solchen, überflüssig machen. „Wir gewinnen nichts durch die Verknüpfung der Verpflichtung zu Loyalität mit der zur Treue“, wie sie durch den ursprünglichen Vertrag vorgenommen wird, „denn beide haben die gleiche Macht und Autorität. Die allgemeinen Interessen oder Erfordernisse der Gesellschaft reichen aus, um beide zu erhalten.“200 Die Gesellschaft werde nicht deshalb erhalten, weil jemand die Verpflichtung eingegangen sei, sie erhalten zu wollen, sondern ihre Erhaltung liege im Interesse der Akteure  : „Die allgemeine Verpflichtung, die uns an Regierung bindet, entsteht aus dem Interesse und den Erfordernissen der Gesellschaft  ; und diese Verpflichtung ist sehr stark.“201 Die Notwendigkeit der durch einen Vertrag erwirkten Loyalität der Bürger gegenüber dem Souverän findet sich ersetzt durch das Interesse, das diese Bürger als Individuen haben. Der Staat werde, ungeachtet seiner Legitimität, wie 196 Ausführlicheres zu dem hier angesprochenen Verhältnis von Autonomie und Kontrolle im Abschnitt 10.4.5 („Das Eigentum und die Bedeutung von Autonomie und Kontrolle“). 197 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 317. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 480  : “And it is reflection only, which engages us to sacrifice such strong passions to the interests of peace and public order.” 198 Siehe den Abschnitt 7.4 („Humes Annäherung an die Begriffe Zuversicht und Skepsis“). 199 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 317. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 481  : “[…] on account of the apparent interests and necessities of human society”. 200 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 317. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 481  : “The general interests or necessities of society are sufficient to establish both.” 201 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 322. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 486  : “The general obligation, which binds us to government, is the interest and necessities of society  ; and this obligation is very strong.”

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von selbst respektiert, weil er dem Interesse seiner Bürger diene und dieses Interesse somit einen funktionierenden Staat erfordere. Bedarf aber deshalb die Frage nach der Legitimität eines Staates, deren Beantwortung Auskunft darüber gibt, wem die Bürger „von Rechts wegen“ ihren Gehorsam schulden, nicht dennoch der Klärung  ? Wieder weicht Hume hier einer eindeutigen Aussage aus. Er weiß  : Ohne Gehorsam gegenüber der Regierung kann eine Gesellschaft nicht existieren. Aber kann das in den Augen eines politischen Philosophen eine hinreichende Begründung sein  ? Hume behandelt Herrschaft – er wählt als Beispiel die römische Kaiserzeit202 – in gleicher Weise wie Besitz. Besitz kann erworben oder usurpiert sein. Ist der Besitz eines Herrschaftsgebietes und seiner Bevölkerung rechtmäßig, so ist es auch die Herrschaft selbst. Aber wie schwierig ist es doch, diese Rechtmäßigkeit nachzuweisen  ; und kommt es nicht gelegentlich vor, dass „Historiker bei der Erforschung der Ursprünge dieser königlichen Familie bis in älteste Zeiten feststellen, daß sie ihre Autorität ursprünglich durch Usurpation oder Gewalt erlangt hat“  ?203 Hume lässt keinen Zweifel daran, dass er die Möglichkeit, Legitimität von Herrschaft mittels historischer Begründungen nachzuweisen, für eine Illusion hält. Doch auch wenn es für ihn in letzter Konsequenz eine historisch herleitbare legitime Herrschaft nicht gibt und sie formal wohl nur mittels des von ihm abgelehnten hypothetischen ursprünglichen Vertrages legitimiert werden könnte, erwächst daraus noch längst nicht, wie man vermuten könnte, das Recht der Untertanen, dem Souverän den Gehorsam zu verweigern. Der Staat liegt eben im unmittelbaren Interesse der Individuen, und allein schon dadurch ist die Frage nach der Legitimität diesem Interesse nachgeordnet. Dieses Interesse nun gebietet Hume zufolge eine sehr pragmatische Konsequenz, und dass diese die Naturrechtstheorien geradezu ad absurdum führt, hindert ihn nicht, sie dennoch vorzuschlagen. Diese Lösung besticht, selbst wenn sie den Erfordernissen eines abstrakten Gerechtigkeitsbegriffs keineswegs genügt, doch durch ihre unmittelbare Brauchbarkeit. Es ist ganz einfach die Anerkennung des Status quo  : „Die augenblicklichen Besitzverhältnisse [present possession] haben bedeutende Autorität in diesen Fällen, mehr noch als bei privatem Eigentum [private property], vor allem wegen der Unruhen, die mit allen Revolutionen und Regierungswechseln verbunden sind.“204 Und Unruhen lägen wiederum eben keineswegs im Interesse der Bevölkerung  ; Hume verrät an vielen Stellen seines Werkes, dass sie das sind, was auch er am meisten fürchtet. Er zeigt sich hier erneut als ein Mann des Ausgleichs, und bereits zuvor hatte er in diesem Sinn gefordert  : „Doch kein Mensch darf radikale Neuerungen [violent innovations] durchführen, die sogar dann gefährlich sind, wenn der Gesetzgeber sie un202 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 319. 203 Ebd., S. 318. 204 Ebd., 2, S. 322 f. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 486  : “Present possession has considerable authority in these cases, and greater than in private property  ; because of the disorders which attend all revolutions and changes of government.”

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ternimmt. Man muß stets mit mehr Schaden als Nutzen durch sie rechnen.“205 Niemals erwächst für Hume Zuversicht aus dem Gedanken an grundlegende Umwälzungen. 14.2.6.3 Der Vorrang der Interessen  : ‘Of Passive Obedience’

Das alles bedeutet nichts anderes, als dass Hume den Zweck des Staates, der darin besteht, einer Gesellschaft ihren inneren Frieden zu erhalten, höher bewertet als die Antwort auf die Frage nach seiner Legitimität. Und ganz, als ob dieses Bekenntnis nach mehr Nachdruck verlangte, stellt er dem Essay Of the Original Contract eine kurze Ergänzung zur Seite. Sie trägt den Titel Of Passive Obedience („Über passiven Gehorsam“)206, und darin greift er noch einmal die beiden Begründungssysteme auf, mit denen traditionell staatliche Legitimität hergeleitet wurde  : das der göttlichen Einsetzung und das des Urvertrags. Erneut verwirft er sie beide als spekulative Konstrukte. Allerdings ist die Zielrichtung seiner Argumentation diesmal etwas geändert und die Begründung des Staates noch deutlicher  : „Die Verpflichtung zur Gerechtigkeit [obligation to justice] beruht ausschließlich auf den Interessen der Gesellschaft, die Achtung vor dem Eigentum fordern [mutual abstinence from property], um so Frieden unter den Menschen zu sichern.“207 Es ist dies allerdings ein Satz, der aufgrund des unklaren Bezugs Fragen aufwirft  : Wer ist zu Gerechtigkeit verpflichtet  ? Der Souverän  ? Der Staat als Ganzes, indem er eine gerechte Ordnung schafft und sichert  ? Die „Untertanen“, indem sie sie stets befolgen  ? Oder ist diese Verpflichtung einfach ein abstrakter, universell gültiger Wert  ? Durch die Verknüpfung des Gerechtigkeitsbegriffs mit dem des Eigentums gibt Hume erneut den Blick auf sein Staatsverständnis frei  : Was den Staat begründet, das sind die Interessen, und zwar in erster Linie die Interessen der Bürger, doch es sind auch die Interessen des Souveräns – Hume selbst verwendet bezeichnenderweise sovereigns, also den Plural. Die Wahrung der Interessen nun erfordert die Gerechtigkeit, von der Hume spricht – und zwar von beiden Seiten. Liest man die vorstehend zitierte Aussage über die „Verpflichtung zur Gerechtigkeit“ flüchtig und lässt sich dabei vom vermeintlichen Schlüsselbegriff des Eigentums blenden, so kann man den Autor allerdings leicht missverstehen. Die Aussage lautet keineswegs, dass der Schutz des Eigentums der Bürger der eigentliche Zweck des Staates ist. Vielmehr verhält es sich so, dass der Schutz des Eigentums selbst wieder nur einem Zweck dient, nämlich der Sicherung des Friedens. Der Konsekutivsatz bringt das zum Ausdruck  : „Achtung vor dem Eigentum […], um so Frieden unter den Menschen zu

205 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 313. Diese Aussage – “violent innovations no individual is entitled to make” – illustriert eine Grundüberzeugung der Hume’schen politischen Philosophie. – OT.: ders.: Of the Original Contract. In  : ders.: Essays (M.), p. 477. 206 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 325–328. – OT.: ders.: Of Passive Obedience. In  : ders.: Essays (M.), p. 488–492. 207 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 325. – OT.: ders.: Of Passive Obedience. In  : ders.: Essays (M.), p. 489.

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sichern.“208 An oberster Stelle also steht in dieser Argumentationskette der Frieden. Dem dient der Schutz des Eigentums, und die Institution, die diesen Schutz des Eigentums gewährleistet, ist der Staat. Das nämlich ist unter der den Frieden, weil das Eigentum sichernden „Verpflichtung zur Gerechtigkeit“ zu verstehen, und sie ist eine gegenseitige  : Der Staat dient der Allgemeinheit, indem er deren Interessen dient, und deshalb schuldet diese Allgemeinheit dem Staat „Gehorsam“, und es „sollte berücksichtigt werden“, sagt Hume, „daß unter normalen Umständen Gehorsam unsere Pflicht ist und deshalb an erster Stelle eingeprägt werden muß.“209 Der Begriff des Gehorsams wird auf diese Weise dem gesellschaftlichen Nutzen unterstellt. Das reicht aus, um ihn als verpflichtend zu begründen. Im ersten Teil des folgenden Satzes ist dies ausgesprochen  : „Gesunder Menschenverstand [common sense] lehrt uns, daß Regierung uns zwar mit dem Ziel ­öffentlichen Nutzens zu Gehorsam verpflichtet, diese Pflicht aber der primären und ursprünglichen Verpflichtung weichen muß, wenn in außergewöhnlichen Fällen Gehorsam öffentlichen Ruin bedeuten würde.“210

Was Hume hier jedoch auch sagt, ist, dass dieses Nutzenkonzept nicht nur geeignet ist, einen Ersatz für die herkömmliche Legitimation des Staates zu liefern, diesen also stützt, sondern dass es diesen Staat umgekehrt auch der Überprüfung aussetzt. Es gibt ihn deshalb, weil er den Interessen seiner Mitglieder nützt. Nützt er diesen Interessen nicht mehr, so ist er in Frage gestellt und verliert, mit anderen Worten, seinen eigentlichen Zweck und damit seine Legitimität. Der Text rückt also nach der Erklärung des Staatszwecks die Erörterung des Widerstandsrechts der Bürger gegen den Staat in den Fokus. Es sei, so Hume, der hiermit an Locke anknüpft,211 „in außergewöhnlichen oder dringenden Notfällen, in denen die Ausübung von Gerechtigkeit [execution of justice] sehr schädliche Folgen hätte, [einleuchtend, dass] Tugend zeitweilig zugunsten öffentlichen Nutzens außer acht gelassen werden muß.“212 „Ausübung von Gerechtigkeit“ bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als die Wahrung des Friedens. Doch wenngleich Hume den Staatsbürgern ein Recht zum Widerstand grundsätzlich zugesteht, nennt er – im Gegensatz etwa zu Locke, der diese Thematik ausführlich

208 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 324. – OT.: ders.: Of Passive Obedience. In  : ders.: Essays (M.), p. 489. “As the obligation to justice is founded entirely on the interests of society, which require mutual abstinence from property, in order to preserve peace among mankind […].” (Hervorh. HK) 209 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 326. 210 Ebd., S. 325 (Hervorh. HK). – OT.: ders.: Of Passive Obedience. In  : ders.: Essays (M.), p. 489. 211 Siehe zum Widerstandsrecht bei Locke W. Euchner  : Naturrecht und Politik bei John Locke, S. 212–218. 212 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 325. – OT.: ders.: Of Passive Obedience. In  : ders.: Essays (M.), p. 489.

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erörtert hatte213 – doch keine Bedingungen, unter denen der Gebrauch dieses Rechts gestattet ist, sondern er bleibt allgemein, wenn er sagt  : „Widerstand ist unter außergewöhnlichen Umständen zulässig [admitted in extraordinary emergencies], und die Frage für aufrechte Denker ist nur, welches Ausmaß von Not solchen Widerstand rechtfertigen und ihn rechtmäßig und lobenswert machen würde.“214 Wie Hume sagt  : Es ist eine Frage, und er beantwortet sie nicht, denn es wird von ihm dieses „Ausmaß von Not“ nicht näher zu beschreiben versucht  : „Hier muß ich nun gestehen,“ sagt er, „daß ich immer solchen Auffassungen zuneigen werde, bei denen die Bande der Loyalität sehr eng gezogen werden und deren Verletzung nur als letzter Ausweg in verzweifelten Fällen [as the last refuge in desperate cases] verstanden wird, in denen die Öffentlichkeit durch Gewalt und Tyrannei in der größten Gefahr ist.“215 Kaum von der Hand zu weisen ist da der Eindruck, diese Passage sei letztlich für eine präzise Definition des Widerstandsrechts zu abstrakt gefasst und habe mehr die Funktion einer Warnung für despotische Herrscher, als die, die Bürger mit dem Gedanken an dieses ihr Recht vertraut zu machen. Immerhin räumt Hume ein  : „Ein Recht ohne die dazugehörigen Mittel wäre jedoch eine Absurdität. Das außergewöhnliche Mittel in diesem Fall ist daher Widerstand, wenn die Situation sich so weit zuspitzt, daß die Verfassung nur dadurch verteidigt werden kann.“216 Wieder unternimmt er einen Versuch zur Klärung, aber wieder bricht er ihn ab. Die „Verfassung“, das ist der Status quo, und Humes Bestrebungen gelten dessen Erhaltung und keineswegs der Suche nach den Bedingungen, ihn zu verändern. Das ist das Denken eines politischen Konservativen in einem ursprünglichen Sinn. Einige Betrachtungen über die politische Situation im England des 18. Jahrhunderts beschließen den Essay, ohne mehr zu sein als eine bloße Vervollständigung des thematischen Rahmens. Was den Autor hier wirklich leitet, ist die Frage, was eigentlich der Staat sei und was er zu sein habe. So verdient dieser kurze Text die Aufmerksamkeit innerhalb dieser Untersuchung vor allem wegen seiner Offenlegung von Humes praktisch-philosophischem Staatsverständnis, das auf Interessen und somit mittelbar auf das Eigentum fokussiert ist. Im Sinn eines Resümees ist festzuhalten, dass Hume mit den beiden Essays Of the Original Contract und Of Passive Obedience, die thematisch eine Einheit bilden, den Übergang von der Vertragstheorie zum Utilitarismus vollzieht. Seinen Überlegungen zufolge bedarf der Staat weder einer historischen Legitimation noch einer solchen durch einen hypothetischen Vertrag, solange sich sein Nutzen für die Individuen erweist, die in ihm zu213 J.  Locke  : Regierung, II, S. 344–366 (19. Kapitel  : Die Auflösung der Regierung). – H. Ottmann  : Die Geschichte des politischen Denkens, Bd. 3/1, S. 362, bewertet die „Lehre vom Widerstandsrecht“ als den Kulminationspunkt von Lockes Second Treatise. 214 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 326. – OT.: ders.: Of Passive Obedience. In  : ders.: Essays (M.), p. 490. 215 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 326. – OT.: ders.: Of Passive Obedience. In  : ders.: Essays (M.), p. 490. 216 D. Hume  : Über passiven Gehorsam. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 328.

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sammengeschlossen sind. Und in einem unmittelbaren Sinn nützlich ist der Staat, wenn er den Individuen die Möglichkeit zum Erwerb von persönlichem Eigentum bietet und dieses sodann mittels einer Rechtsordnung schützt, deren Verbindlichkeit er durchzusetzen in der Lage ist. Es scheint zulässig, davon zu sprechen, dass er die metaphysisch-spekulative Legitimation des Staates durch eine quasi-materialistische ersetzt, sie jedenfalls durch eine solche zumindest stützt. Die Plausibilität dieses Ansatzes ist nicht länger nur verstehbar, sondern geradezu greifbar. Das wird umso deutlicher, wenn man Of Passive Obedience weniger als ein selbstständiges Werk, sondern vielmehr als eine Vertiefung von Of the Original Contract auffasst,217 was in der Rezeption der Hume’schen Essays allerdings nicht die gängige Lesart ist.218 Um nun zuletzt wieder auf die Frage zurückzukommen, die diese Untersuchung zu beantworten sucht  : Im Hinblick auf die Zuversicht der Akteure ist es ganz einfach so, dass sich aus dem Rückgriff auf die Interessen eine deutlich eindringlichere, weil unmittelbarer greifbare Legitimation des Staates ergibt, als aus den Vertragstheorien. Wenn es die Interessen sind, die den Staat generieren, dann kann davon ausgegangen werden, dass der Staat im „Interesse dieser Interessen“ agieren wird. Darin ist, anders als beim Gesellschaftsvertrag, ebenso ein Vorgriff auf die Zukunft enthalten, wie auch die prognostische Einschätzung, dass das Vorhaben, die Gesellschaft dauerhaft zu stabilisieren, auch gelingen werde, denn nun wirken alle wesentlichen Elemente zusammen  : Veranlagung („natürlicher Instinkt“ und „unmittelbare Neigung“)219, Vernunft und Interessen. 14.2.7 Humes Exkurs in die Utopie  : ‘Idea of a Perfect Commonwealth’

Eine besondere Stellung unter Humes Schriften nimmt der Essay mit dem Titel Idea of a Perfect Commonwealth („Die Idee einer vollkommenen Republik“)220 ein. Ballestrem nennt den Text einen „detaillierten Plan einer Verfassung für eine Republik auf großem Territorium“.221 Nach diesem Verständnis handelte es sich um einen staatsrechtlichen Entwurf, eine Art Umsetzung der Analysen des dritten Buches des Treatise oder der Principles of Morals etwa. Aber ist er das tatsächlich  ? 217 Diese Perspektive auf die beiden Essays wird unter anderem auch durch ihre Geschichte gestützt, denn Hume veröffentlichte sie zusammen erstmals in einer Ausgabe mit dem Titel “Three Essays, Moral and Political  : Never before published”, London 1748. 218 Es hat sich eingebürgert, Humes Essays durchgängig als eigenständige Werke zu lesen und auch zu analysieren. Siehe beispielsweise G. Streminger  : David Hume, S. 289–292, wo Of the Original Contract und Of Passive Obedience jeweils isoliert für sich, also ohne Bezug aufeinander behandelt werden. – J. Rawls  : Geschichte der politischen Philosophie, S. 243–262, behandelt beispielsweise den Essay Of the Original Contract, ohne auf Of Passive Obedience überhaupt näher einzugehen. 219 D. Hume  : Über den ursprünglichen Vertrag. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 316. 220 D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 339–357. – OT.: ders.: Idea of a Perfect Commonwealth. In  : ders.: Essays (M.), pp. 512–529. 221 K.  G. Ballestrem  : Adam Smith, S. 133.

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Hume wagt sich mit diesem Text auf ein Gebiet, das ihm nach eigenem Bekunden stets als verbotenes Terrain galt, nämlich auf das der politischen Utopie. Er spekuliert und er entwickelt in Form eines Gedankenspiels in Teilen tatsächlich das Modell eines Staates und seiner Institutionen. Offensichtlich vollzieht er wenigstens dieses eine Mal den Schritt von is zum ought. Allerdings schickt er dem Text, wie zur Entschuldigung, einige Grundüberzeugungen voraus, nämlich  : Regierungsformen seien kein geeigneter Gegenstand für Experimente, und selbst falls Reformen – „Neuerungen“ – ins Auge gefasst würden, so hätten diese moderat auszufallen und das Bestehende weitestgehend zu erhalten  ; zudem sei an die „zentralen Säulen und Stützen der Verfassung“ tunlichst nicht zu rühren.222 So unabhängig, ja radikal Hume also in seinen erkenntnistheoretischen Analysen sein mochte, so zurückhaltend, ja fast zaudernd erscheint er oftmals bei der Formulierung von deren politischen Konsequenzen, auf die er sich nur im Schutz einer wenig entschlossenen, ja ausweichenden Rhetorik einlässt. Dann wirkt er hin- und hergerissen zwischen seiner konservativen Grundhaltung und der Lust am Gedankenexperiment, von der er sich in die Nähe der Utopie tragen lässt, auch wenn er dieses Genre illusionslos beurteilt  : „Alle Pläne für Regierungen, die von großen Besserungen in den Umgangsformen der Menschheit ausgehen, sind eindeutig phantastisch“,223 sagt er mit Blick auf Platon und Thomas Morus. Hume ist es in diesem Essay um eine Regierungsform zu tun, die sich gerade trotz der Unmöglichkeit, die besagten „Umgangsformen der Menschheit“ zu bessern, als zweckdienlich behaupten kann. Das System, nach dem er sucht und das er hier hypothetisch entwickelt, muss also eines sein, das den Willen des Volkes repräsentiert, ohne von den Eigeninteressen seiner Individuen korrumpiert werden zu können – und so ist es bereits in seinen Voraussetzungen als ein System der Machtkontrolle und nicht der Machtentfaltung des Volkes angelegt.224 Das ist Humes Blickrichtung. Eine Theorie der politischen Repräsentation entwirft er damit nicht  ; die Idea of a Perfect Commonwealth beschränkt sich auf ein theoretisches Durchspielen von Bestimmungen und Beziehungskonstellationen rein im Hinblick auf ihre Zweckdienlichkeit, und sie will vorgeblich auch nicht mehr sein. Und doch stellt Hume, für ihn nach all seinen Geißelungen rationalistischspekulativer Entwürfe völlig unerwartet, ein konkretes Modell mit Zahlen, akribisch genau bestimmten Zuständigkeiten und Befugnissen vor,225 das gerade durch seine Aus222 D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 339. 223 Ebd., S. 340. – Zu Bacons Utopie Neu-Atlantis äußert er sich nicht. 224 Dabei ist der Begriff „Volk“ in diesem Zusammenhang allerdings irrig, und er entspricht keineswegs dem heutigen Begriffsverständnis  : Diejenigen, deren politischer Wille hier repräsentiert werden soll, sind die Angehörigen der besitzenden Klasse, nämlich „[a]lle Landbesitzer mit einem Jahreseinkommen von 20 Pfund in den Bezirken und alle Hausbesitzer mit einem Vermögen von 500 Pfund in den Stadtgemeinden […].“ D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 342. 225 Dass es ihm damit durchaus ernst ist, verrät er fast verschämt durch die folgende rhetorische Überlegung  : „Und wer weiß, ob nicht im Fall der Entscheidung dieser Kontroverse durch allgemeine Übereinstimmung der Weisen und Gebildeten irgendwann in der Zukunft eine Gelegenheit genutzt werden könnte, um

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gefeiltheit die Begeisterung ihres Schöpfers für die Sache verrät.226 An der Praktikabilität will dieser keinen Zweifel aufkommen lassen.227 Der Skizze, nach der ein Land „in eine Republik verwandelt werden soll“, ist trotz ihres geringen Umfangs minutiös, dicht und ein eindrucksvolles Beispiel systematischen Überlegens. Da sie wichtige Aspekte von Humes politischem Denken zusammenfasst, soll sie zumindest in ihrer Zielrichtung dargelegt werden. Am Anfang schlägt Hume vor, das Land in 100 Bezirke (counties), und von denen wiederum jeden in 100 Gemeinden (parishes) aufzuteilen.228 Aus den so geschaffenen überschaubaren Einheiten – es sind immerhin deren 10.000 – gehen durch Wahl die politischen Gremien und Institutionen hervor. Die Bezirke wählen sodann „in geheimer Abstimmung einen Landbesitzer des Kreises zu ihrem Vertreter“ als „Bezirksrepräsentanten“  ; über die Möglichkeit zur politischen Partizipation entscheidet also die ökonomische Stellung. Diese Bezirksrepräsentanten wählen wiederum jeweils zehn Magistrate (also Amtsträger) und einen Senator. Es entsteht auf diese Weise ein politischer Apparat von erheblichem Umfang  : „In der ganzen Republik gibt es daher 100 Senatoren, 1100 Bezirksmagistrate und 10.000 Bezirksrepräsentanten, denn allen Senatoren geben wir die Autorität von Bezirksmagistraten und allen Bezirksmagistraten die Autorität von Bezirksrepräsentanten.“ Dabei sind die Senatoren „mit vollständiger exekutiver Gewalt der Republik betraut“, während die legislative Gewalt bei den Bezirksrepräsentanten liegt.229 Das sind, unübersichtlich genug, die Ausgangselemente, und aus diesen heraus werden die Beziehungen entwickelt, in denen sie zueinander stehen. Ein genaueres Eingehen auf die Details des Modells, das Hume nun ausbreitet, erübrigt sich zwar „angesichts des doch nur noch historischen Interesses“, das es genießt.230 Umso mehr jedoch ist die Zielrichtung von Bedeutung. Der Essay nämlich entwirft keine Utopie im Sinn eines als real dargestellten funktionalen Gesamtsystems, sondern er handelt nahezu ausschließlich von Mechanismen der gegenseitigen Kontrolle der einzelnen oben genannten Elemente die Theorie in die Praxis umzusetzen, indem man entweder eine alte Regierung auflöst oder durch den Zusammenschluß von Menschen in einem entlegenen Teil der Welt eine neue gründet  ? Es wird in jedem Fall von Vorteil sein, wenn man weiß, was in dieser Art das vollkommenste ist. Eine bestehende Verfassung oder Regierungsform könnte durch vorsichtige Änderungen und Neuerungen soweit wie möglich daran angepaßt werden, ohne daß die Gesellschaft dadurch zu stark erschüttert würde.“ D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 340. – Ein Zeichen der Zuversicht in die Praktikabilität seines Entwurfs  ? 226 Dass Hume sich damit auf das Feld der Spekulation begibt, ist ihm bewusst. Er gesteht dies wörtlich ein  : „Alles, was ich in diesem Essay anstrebe, ist eine Wiederbelebung dieses Gegenstandes der Spekulation […].“ D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 340. 227 Selbstbewusst schreibt er  : „Hier nun ist eine Form der Regierung, gegen die ich theoretisch keine bedeutenden Einwände finden kann.“ D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 342. 228 Ebd. 229 Ebd., S. 343. 230 A. Pfahl-Traughber  : ‚Freie Regierung‘ und ‚vollkommene Republik‘, S. 138.

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und letztlich der Staatsgewalten insgesamt. Dieses Prozedere der in die Zuständigkeit der jeweils anderen Seite eingreifenden Entscheidungsbefugnisse, Blockierungs- und Aufhebungsmöglichkeiten legt Hume mit großer Akribie, ja geradezu pedantisch dar, wobei die Sorge vor Kompetenzmissbrauch seine Überlegungen wesentlich stärker einnimmt als das Ziel politischer Handlungsfähigkeit. Hier kann keines der Verfassungsorgane autonom handeln, also wirklich agieren, und wenn man die zahlreichen Interdependenzen, die der Text auflistet, in Gedanken durchspielt, erschließt sich einem das Gesamtbild nicht einer Gewaltenteilung, sondern dasjenige einer geradezu unauflösbaren Verstrickung der Gewalten ineinander. Die Realisierbarkeit dieses Staatsmodells darf also, entgegen Humes eigener Einschätzung, zumindest als umstritten gelten.231 In ihrer Mischung aus Überexaktheit und gleichzeitiger Knappheit ist die Darstellung ohne Zweifel verwirrend, in Teilen aber auch verworren, da die verwendeten Begriffe nicht immer eindeutig sind. In ihrer stellenweisen Übergenauigkeit liegt denn auch die eigentliche Schwäche dieser Skizze, und das wurde bald beklagt. So schrieb C. A. Fischer, von dem eine frühe Übersetzung des Textes ins Deutsche stammt  : „Dies ist die Skizze von Verfassung, die H. bis in die kleinsten Details mit einer Genauigkeit und Vorsicht ausgearbeitet hat, die nichts zu wünschen übrig läßt, als weniger Verwickelung. Da der Faden seines Planes durch die Menge Vorschriften, Reden und Dekrete häufig versteckt fortläuft, so ist die Schwierigkeit nicht klein[,] derselben zu folgen, und den oft zerschnittenen Zusammenhang deutlich zu entdecken.“232

Doch so sehr sich Humes Essay auch seiner Nachvollziehbarkeit widersetzen mag, so eindeutig und unmissverständlich tritt daraus andererseits zutage, welche Intention ihn hervorgebracht hat  : die Sorge vor Machtmissbrauch und die Absicht, diesen durch Mechanismen der Machtaufhebung ins Verfassungsgefüge zu implementieren und dadurch einzuhegen.233 Die Utopie, die hier entwickelt wird, ist geradezu eine solche des Argwohns, beherrscht von einem Hobbes’schen Misstrauen gegenüber den dem Eigennutz verpflichteten Interessen der Menschen. Bei der Wahl der Staatsform erfolgt keine eindeutige Festlegung. Die Monarchie wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, doch soll sie kontrollierbar und eine „eingeschränkte“ sein sowie eine, in der dem Monarchen ein 231 E.  C.  Mossner  : The Life of David Hume, p. 269, hielt es für „unrealisierbar“  ; G. Streminger  : David Hume, S. 346 f., weicht einem Urteil hierüber aus. 232 C. A. Fischer  : David Hume’s vollkommene Republik, S. 12 f. 233 Aussagekräftig ist, wie Bermbach Humes Intention zusammenfasst, wenngleich auch er die Frage nach der Kohärenz des Textes ausklammert  ; ders.: Einleitung, S. XXXVI–XXXIX  : „Stabilität und Wandel, individuelle Freiheit und politische Autorität, Einzelinteresse und Gemeinwohl, Rechtsgleichheit und Herrschaft der Gesetze, Kontrolle von Religion und Militär durch eine bewußt geplante und organisierte Politik sollen in einem System aufeinander bezogener Institutionen mit auf Zeit gewählten Politikern integriert werden.“ Hierzu ferner A. Pfahl-Traughber  : ‚Freie Regierung‘ und ‚vollkommene Republik‘, S. 138.

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Parlament mit zwei starken Kammern gegenübersteht.234 Einerseits überlegt sich Hume die „wichtigsten Änderungen, die sich für die britische Regierung vorschlagen ließen, um sie dem vollkommensten Modell der eingeschränkten Monarchie anzugleichen“, andererseits hält er eine „Aristokratie [für] ein ausgezeichnetes Bollwerk sowohl für als auch gegen [!] die Monarchie.“ Denn  : „Im Augenblick hängt das Gleichgewicht unserer Regierung zum Teil von den Fähigkeiten und dem Verhalten des Souveräns ab, Umstände, die veränderlich und unsicher sind.“235 Also ist es ein vorrangiges Ziel, diesen Souverän zu kontrollieren, denn Hume sieht einen großen Nachteil darin, dass „der persönliche Charakter des Königs weiter großen Einfluß auf die Regierung haben“ werde.236 Den Willen zur Verständigung und zum Interessenausgleich stellt er über alles andere, und deshalb liegt seine Hoffnung erkennbar auf einer Verfassungsordnung, die eine solche Verständigung geradezu unausweichlich macht, indem sie diese mittels eines vorgeschriebenen Verfahrens zum Ausgleich der konkurrierenden Interessen zu erzwingen sucht.237 Trotz seiner Knappheit entwirft der Text ein Szenario fast lückenloser Regularien im Dienst der Systemstabilisierung. Jede Instanz kann Einfluss auf das Handeln der jeweils anderen ausüben, und über kurz oder lang kann niemand seine Interessen unbeobachtet und gegen das Gemeinwohl verfolgen. Man muss diesem Entwurf, wie gesagt, pedantische Züge attestieren. Dabei zielt die Pedanterie eben auf ein Vorgehen, das die Kontrollierbarkeit eines Systems über dessen Beweglichkeit und Handlungsfähigkeit stellt  : Bevor es sich in die falsche Richtung bewege, sei der Stillstand als das kleinere Übel vorzuziehen. Allerdings lässt Hume es nicht bei den Mechanismen gegenseitiger Kontrolle der einzelnen Akteure bewenden. Es gibt in seinem System auch durchaus Bereiche, denen eine hierarchische Ordnung vorgegeben ist, ohne dass dies eigens begründet werden würde. So ist das hypothetische Gemeinwesen beispielsweise ein streng laizistisches, wobei die staatlichen und die kirchlichen Bereiche nicht nur getrennt sind, sondern der Klerus den weltlichen Instanzen – genauer  : der Exekutive – strikt untergeordnet ist  : „Der Rat für Religion und Bildung überwacht [inspects] die Universitäten und den Klerus“, heißt es da.238 Damit sind jene gesellschaftlichen Bereiche – Religion und Bildung – unter 234 D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 354. – Hume orientiert sich am politischen System Großbritanniens seiner Zeit  ; das Zensuswahlrecht ist für ihn selbstverständlich und die Machtbalance zwischen Parlament und Krone einer der konkreten Angelpunkte seiner Überlegungen. 235 Ebd. (Hervorh. HK). 236 Ebd., S. 354 f. 237 Es hat den Anschein, als versuche Hume mittels Institutionen das zu erzwingen, was Ferguson sich von den frei waltenden Kräften verspricht, nämlich deren Selbstregulierung im Diskurs. Siehe den Abschnitt 13.2 („Adam Ferguson  : Selbstregulierung im Diskurs und die Vorstellung spontaner Ordnung“). 238 D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 345. – Räte sind dabei nicht Personen, sondern Gremien mit jeweils fünf Mitgliedern, also Körperschaften. Hume sieht sechs Räte vor  : „einen Staatsrat [für die Außenpolitik], einen Rat für Religion und Bildung, einen Rat für Handel, einen Rat für Gesetze, einen Kriegsrat [für die Belange des Militärs] und einen Rat der Admiralität [für die Marine]“. Diesen obliegt es, die politischen Entscheidungen zu treffen, doch verfügen sie über keine

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Aufsicht gestellt, denen in einem Staat das größte meinungsbildende Potenzial zuerkannt werden musste. Hume hat in seinem ganzen umfangreichen Werk keine ausdrückliche politische Theorie vorgelegt.239 Seine Idea of a Perfect Commonwealth lässt einige der Gründe durchscheinen, die dafür ausschlaggebend gewesen sein mögen. So ist er insofern kein utopischer Denker im üblichen Sinn, als er seine Staatsvorstellungen nicht in Aktion zeigt, sondern lediglich die Bedingungen seiner Verfassungsorgane und ihrer Funktionsweisen durchspielt. Seine Utopie ist ein Modell und als solches statisch, denn Hume beschreibt keine Abläufe, sondern nur die Strukturen, die diesen zugrunde lägen. Er malt keine Zukunft aus, sondern er klärt nur die Bedingungen, die seines Erachtens erfüllt sein müssten, damit dem allgemeinen Interesse gedient sei. Des Weiteren fällt insbesondere in diesem Essay auf, wie reserviert der Autor sich zu den Staatszielen äußert. Er formuliert kein politisches Ziel, sondern er bleibt bei seiner Sorge um den inneren Frieden und eine Ordnung stehen, deren wesentliches Merkmal es ist, eine stabile zu sein. Dabei zeigt er sich in Vielem schwankend, versucht die Balance zwischen einer zentralistischen Grundausrichtung und föderalistischen Korrektiven, zwischen einer konstitutionell kontrollierten Monarchie und solchen Regularien zu halten, „die als Antizipation späterer räte-demokratischer Vorstellungen erscheinen.“240 In diesem Schwanken zwischen einer sich frei entfaltenden gesellschaftlichen Dynamik einerseits und dem Rückgriff auf umfassende strukturelle Kontrollmechanismen, die er dieser gegenüberstellt, kommt zum Ausdruck, dass Humes Zuversicht eine verhaltene ist  : Mag das Eigeninteresse der Menschen die zivilisatorische Weiterentwicklung auch noch so sehr vorantreiben, so liegt in ihr auch ein mächtiges Potenzial der Störung und sogar der Zerstörung, das durch eine „weise“ Einrichtung des Staates aufgefangen werden muss. Wenn in diesem Text also ein Vertrauen zum Ausdruck gebracht wird, dann ist es nicht das in die treibende Kraft des individuellen Eigeninteresses, sondern jenes in die Möglichkeit, dessen Unwägbarkeiten auf der Ebene der Verfassung wirksam beizukommen. Denn die hier vorgestellte „vollkommene Republik“ ist eine solche, die von der Unvollkommenheit des Individuums ausgeht und diese anerkennt. Dabei ist der „Souverän“ nicht jener alles beherrschende eines Hobbes, sondern selbst des Schutzes bedürftig. Hume schützt ihn durch rechtliche Strukturen, die die souveräne Entscheidungsbefugnis in ein Korsett der Sorge einschnüren, sie aufteilen und mittels ihrer Instanzen jede ihrer noch so kleinen Bewegungen überwachen. Seine ganze Hoffnung richtet sich auf die Stabilität dieses Korsetts, das den politischen Körper, dem er von Grund auf misstraut, gewissermaßen fürsorglich fesselt. Befehlsgewalt. Vielmehr müssen sie „alles dem Senat vorlegen“, von dem sie durch Wahl bestimmt wurden. (Ebd., S. 344) 239 A. Pfahl-Traughber  : ‚Freie Regierung‘ und ‚vollkommene Republik‘, S. 137, spricht davon, dass Hume „kein politisches Hauptwerk in umfangreicher Form“ verfasst habe. Die Frage ist da allerdings, was ein „politisches“ Werk ist, denn sowohl das Buch III des Treatise also auch die Principles of Morals lassen sich ja durchaus als explizite Auseinandersetzungen mit Fragen der Politik lesen. 240 U.  Bermbach  : Einleitung, S.  XXXVII f.

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Die Beschäftigung mit diesem Essay kann auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden – auf einer der Analyse und auf einer der Interpretation. Die Analyse kann Hinweise darauf erbringen, ob das dargelegte Modell eines Verfassungssystems in seiner Funktion als grundsätzlich praktikabel gedacht werden kann. Hume scheint dies zwar angenommen zu haben, denn das verrät er durch die diffizile Ausgestaltung der einzelnen Elemente, die er dadurch gewissermaßen „startklar“ macht. Doch seine eigentliche Bedeutung kommt dem Essay als einer theoretischen Skizze und in seinen „weltanschaulichen“ Grundannahmen zu. So ist ein gewisser Einfluss auf die Väter der amerikanischen Verfassung, insbesondere auf J. Madison, belegt.241 Dieser Einfluss allerdings schlägt sich allenfalls in der Rezeption von dessen allgemeinen Erörterungen nieder, in deren Zentrum das Ziel der Machtbalance steht, keineswegs in der Übernahme der von Hume hier ausgearbeiteten Verfassungsstrukturen. Selbst dann, wenn Hume demokratische Verfahren erörtert, unternimmt er dies unverhohlen mit dem Hintergedanken, diese im Sinn eines Korrektivs gegen die Gefahr einer „unbegrenzten Macht“ in Stellung zu bringen  ; diese Macht nämlich werde „durch eine wohlausgewogene Demokratie korrigiert, indem man den Menschen das Recht gibt, alljährlich die Bezirksrepräsentanten zu wählen.“242 Dabei habe die Mitsprache des gesamten Volkes mittels demokratischer Verfahren auf untere Ebenen der Repräsentation beschränkt zu bleiben, denn  : „Demokratien sind turbulent“, und so ist das, was Hume an ihnen schätzt, nicht etwa die möglichst getreue Abbildung des Volkswillens, sondern sehr viel mehr der – funktional entgegengesetzte – Aspekt von dessen Vereinzelung, an der sich jegliche unkontrollierbare Dynamik bricht. Die Überlegung ist also, „wie man das Volk entweder mit seinen Stimmen oder bei den Wahlen in kleine Teile trennt und unterteilt“, denn es bestehe die Gefahr, dass die „Gewalt öffentlicher Strömungen und Neigungen immer deutlich spürbar werden“ könnte.243 Auch deshalb sieht er die legislative Entscheidungsgewalt lieber in anderen Händen als in denen des Volkes, zu dem er angesichts einer allgegenwärtigen Gefahr durch „Intrigen, Vorurteile und Leidenschaften“ kein Zutrauen hat  : „Aristokratien eignen sich besser für Frieden und Ordnung […].“244 Die zweite Blick, der auf die Idea of a Perfect Commonwealth zu werfen ist, gilt ­Humes Grundhaltung, also seinen Vorannahmen und sodann den Schlüssen, die er daraus zieht. Unbestreitbar erzeugt die Genauigkeit, mit der in diesem Essay eine Architektur eines Staatsgefüges entworfen wird, den Eindruck einer Konzeption, die reif für ihre Umset­ zung ist. Doch das ist nicht die Intention dieses Textes. Dafür nämlich verliert sein Verfasser sich einerseits zu oft in grundsätzlichen Erwägungen, andererseits gewährt er 241 A. Adams / W. Paul  : Einleitung, S. LXXIX. 242 D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 353 (Hervorh. HK). 243 Ebd., S. 355 f. – Der Gedanke einer „Vereinzelung der politischen Macht mittels Demokratie“ tritt im englischen Original noch deutlicher zutage  : “For however the people may be separated or divided into small parties, either in their votes or elections […].” D. Hume  : Idea of a Perfect Commonwealth. In  : ders.: Essays (M.), p. 528. 244 D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 356.

Zu David Humes Argumentation in einigen seiner Essays |

seinen Überlegungen über das, was eben nicht sein soll, bemerkenswert viel Raum. Hier fehlt das Zukunftsvertrauen, das die klassischen Utopien kennzeichnet, und der Blick in die bedrohlichen Abgründe einer unkontrollierten und unkontrollierbaren gesellschaftlichen Dynamik gibt die Perspektive vor, aus der hier der Staat betrachtet wird. Utopien sind Idealisierungen einer von der Schwerkraft der realen Welt (weitgehend) befreiten Zukunft. Humes „vollkommene Republik“ handelt nicht von einem gelobten Land dieser Art. Sie bleibt dem politischen System, in dessen Kontext dieser Entwurf entstand, unmittelbar verhaftet – und letztlich soll dieser Bezugsrahmen auch gar nicht verlassen werden. Somit diskutiert der Text ausführlich die Gefahren, denen sich das System infolge der Ordnung der politischen Partizipation gegenübersieht.245 Die ins Feld geführten Maßnahmen sind nicht die, mit denen man einen Staat von Grund auf neu entwerfen könnte, sondern sie sind als Eckpunkte von Reformen der konstitutionellen Monarchie konzipiert, die Großbritannien im 18. Jahrhundert auf sich zukommen sah. Als das Konzept einer möglichen Verfassung ist dieser Ansatz nicht angelegt, eher schon als Studie eines Themenspektrums, in dem der Gewaltenteilung die zentrale Stellung zukommen sollte.246 So gibt es darin keine einzige Institution oder politische Macht, bei der Hume nicht umgehend die Frage aufwirft  : Wodurch ist diese Macht begrenzt  ? Und sogleich wird ein feines Netz von Interdependenzen über sie gebreitet, in dem sie sich zur insgeheimen Freude seines Schöpfers verfängt. Wie vordringlich für Hume eine strikte Kontrolle der Entscheidungsgewalt ist, zeigt sich an einer Passage, die vom Senat handelt. Es geht hier um die Gefahren – „sowohl die Zersplitterung als auch die völlige Konformität“ –, denen dieses mächtigste Gremium dieser Staatskonzeption ausgesetzt ist.247 Dagegen soll Vorsorge durch Maßnahmen getroffen werden, die den einzelnen Senatoren alle persönliche Macht entziehen. Gegen den Zusammenschluss der Senatoren im Sinn einer Gleichschaltung schlägt Hume jährliche Wahlen (und damit sehr kurze Amtsperioden) vor, ferner eine Beschneidung der Macht durch Zuerkennung nur weniger Ämter (mit der Folge nur geringer Entscheidungsbefugnisse der einzelnen Mitglieder) sowie eine Art Schattengremium von „Bewerbern“, die 245 Ebd., S. 354. Hier schlägt Hume explizit politische Maßnahmen vor. 246 Eine andere Einschätzung nimmt allerdings U. Bermbach  : Einleitung, S. XXXIX, vor  : „Es ist ein unter funktionalen Gesichtspunkten konzipiertes Modell, fern aller historischen Einbettung und aller Tradition […].“ – Dem stehen Humes eigene Aussagen und Erwartungen entgegen  : „Die wichtigsten Änderungen, die sich für die britische Regierung vorschlagen ließen, um sie dem vollkommensten Modell der eingeschränkten Monarchie anzugleichen, sind anscheinend die folgenden.“ Und dann geht Hume auf die aktuellen politischen Gegebenheiten ein, auf den Wahlzensus, auf die Bedingungen für die Mitgliedschaft im House of Commons, auf die Mitgliederzahl im House of Lords. Des Weiteren diskutiert er u. a. Aspekte des englischen Parteiensystems. Es ist zwar zutreffend, dass Hume sich mit ausdrücklichen Vorschlägen zur Reform der politischen Struktur des Staates sehr zurückhält, doch gibt ihm dieser Staat erkennbar die Fragestellungen vor, über die er nachdenkt. Letztlich hängt die Bewertung des Textes davon ab, ob man ihn auf seine Praktikabilität hin analysiert oder ob man es unternimmt, etwas über Humes grundlegende Haltung in Fragen der Staatsorganisation herauszufinden. 247 G.  Streminger  : David Hume, S. 346.

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dafür vorgesehen sind, in den Senat nachzurücken. Die Spaltung des Senats in Faktionen soll verhindert werden durch seine geringe Zahl von Mitgliedern, durch die Abhängigkeit von den Wählern (die einem Verfolgen von Partikularinteressen im Weg stehen würde), ferner durch die Möglichkeit des Ausschlusses aus dem Senat für den Fall, dass ein Senator offen zu einer „Faktion“ tendiere, und zuletzt durch eine Art von kollektiver Selbstverpflichtung.248 So offenbart der Essay eine Konstante in Humes Grundhaltung, auf die dieser sich in all seinem Denken über den Staat stets aufs Neue zurückfallen lässt  : Seine Sorge gilt einem Zuviel an Macht und an Unabhängigkeit der Entscheidungsträger, ferner der – vor allem intransparenten – Bildung von Interessensgruppen („Faktionen“) und der Möglichkeit zu ausufernden Erörterungen mit ungewissem Ausgang im Vorfeld des politischen Entscheidungsprozesses. Es ist das Bild eines Staates, der sich nicht mehr bewegen kann – zu Humes Erleichterung auch nicht in die falsche Richtung.

14.3 Adam Smith über die Bedeutung der Sprache

Adam Smith registrierte, worauf mehrfach hingewiesen wurde, Entwicklungen aller Art in seinem alltäglichen Umfeld mit bemerkenswerter Aufmerksamkeit. Sein Werk verrät dies an vielen Stellen und seine Schriften weisen ihn als einen sorgfältigen Analytiker aus, dem Unbestechlichkeit im Urteil als ein hoher Wert galt. Überschwang und Euphorie waren ihm fremd. Dieser sachliche Blick auf die Gegebenheiten mag ihn davor bewahrt haben, im „natürlichen Lauf der Dinge“249 von vorn herein bereits Verbesserungen zu erblicken. Er untersucht die gesellschaftlichen Prozesse in der Hoffnung, darin einen gesetzmäßigen Verlauf aufdecken zu können, und er beschreibt die Lebensumstände mit dem Ziel, Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung zu finden. Allerdings wird er dabei nie in solcher Weise von der Begeisterung am Neuen fortgetragen, wie sie etwa Condorcet mit seiner Zuversicht in die menschliche « perfectibilité » zum Ausdruck bringt. Vielmehr durchzieht eine – im umgangssprachlichen Sinn – skeptische Grundhaltung Smiths gesamtes Werk, und sie tritt immer dann besonders deutlich in den Vordergrund, wenn er über den Preis nachdenkt, der für das Neue zu zahlen ist. Auch an seinen weniger prominenten Arbeiten lässt sich dies nachweisen.

248 D. Hume  : Die Idee einer vollkommenen Republik. In  : ders.: Essays (B.), 2, S. 350 f.: „Es wäre daher angebracht, daß der Senat einige allgemeine Beschlüsse zur Vergabe von Ämtern an seine Mitglieder fassen würde.“ Daran schließt sich, ganz im Duktus des gesamten Essays, eine Reihe von sehr detailgenauen Vorschlägen an, die dieses Verfahren näher illustrieren  : „Man könnte zum Beispiel beschließen, daß niemand ein Amt ausüben darf, bevor er vier Jahre im Senat gesessen hat  ; daß mit Ausnahme von Botschaftern niemand zwei Jahre nacheinander im Amt sein kann  ; daß jedermann höhere Ämter nur über die niedrigen erreichen kann  ; daß niemand ein zweites Mal Protektor werden kann etc…“ 249 Der “natural course of things” ist eine Formulierung, die G. Streminger  : Der natürliche Lauf der Dinge, aufgegriffen hat.

Adam Smith über die Bedeutung der Sprache |

14.3.1 Sprache als System – ‘Considerations concerning the First Formation of Languages’

Smith wird von der Forschung bestenfalls am Rand als Sprachphilosoph wahrgenommen. Zu sehr stehen die Untersuchungen, die er auf diesem Gebiet unternahm, im Schatten seiner beiden großen Werke, und zu gering ist der Einfluss, den seine kaum ausgearbeiteten Lectures250, deren genaue Urheberschaft überdies Anlass zu fortgesetzten Erörterungen gab,251 auf die Entwicklung der modernen Sprachwissenschaft ausgeübt haben.252 Dennoch werfen die Ergebnisse, zu denen Smith dort und in seinen Considerations concerning the First Formation of Languages253 gelangt, ein Licht auf seine präzise Erfassung von Prozessen. Er unterscheidet darin bei der Entwicklung einer Sprache zwischen bloßen Veränderungen und funktionalen Verbesserungen und bewertet beide auch unter ästhetischen Gesichtspunkten. In seiner Argumentation bedient er sich dabei sowohl empirisch gewonnener Ergebnisse, überlässt sich aber auch spekulativen Folgerungen. Er stellt sich der Aufgabe, aus der Anschauung gewonnenes Material in einen schlüssigen Zusammenhang zu bringen, und geht dabei von bestimmten anthropologischen Vorannahmen aus. Dass sich dieses Verfahren in der nachträglichen Analyse komplexer darstellt, als es ursprünglich war und sein konnte, zeigt sich am Beispiel seiner Vorstellungen von der Sprachgenese.254 Die Sprache nimmt demnach von „Namen“ ihren Ausgang, mit denen die frühen Menschen die Gegenstände ihrer unmittelbaren Umgebung bezeichnet hätten. Die Kulturleistung, die sich daran als erstes anschließt, ist eine Art von sprachlicher Abstraktion, durch die die ursprüngliche Bezeichnung eines Gegenstandes „unmerklich zum gemeinsamen Namen einer ganzen Klasse“ wird.255 So gelangt Smith von den Nomina und ihrer Funktion, Gegenstände zu identifizieren, zu jenem Vokabular, das der Differenzierung dient  : Den Nomina werden allmählich Eigenschaften beigelegt, und zu diesem 250 A.  Smith  : Lectures RBL, pp. 1–200. 251 Siehe zu dieser Diskussion G. Stremingers Ausführungen in  : ders.: Adam Smith. Der Sprachphilosoph, S. 25 f. (Fn. 7), sowie A. Brewer  : Adam Smith’s Stages of History, p. 3. 252 Dazu G. Streminger  : Adam Smith. Der Sprachphilosoph, S. 48, Anm. 33  : „Die allermeisten Darstellungen der Geschichte der Sprachwissenschaft […] erwähnen nicht einmal seinen Namen.“ – E. Coseriu zufolge ist Smith die ihm zustehende Würdigung möglicherweise zu Unrecht vorenthalten worden, denn er sieht ihn „am Anfang der strukturalen Sprachtypologie“. Und ein „Prinzip“ entdeckt Smith, so Coseriu weiter, auch in der Entwicklung der Sprachen  : „Smith nimmt einerseits einen logischen Fortschritt an – und in dieser Hinsicht seien die modernen Sprachen fortgeschrittener – aber auch zugleich einen ästhetischen Zerfall.“ E.  Coseriu  : Geschichte der Sprachphilosophie von der Antike bis zur Gegenwart  ; darin der Abschnitt über Smith, S. 183–188, hier S. 187 f. 253 A. Smith  : Considerations Concerning the First Formation of Languages, and the Different Genius of original and compounded Languages. In  : A. Smith  : Lectures RBL, pp. 201–226. 254 Dass er sich bei diesem Gegenstand deutlich erkennbar auf John Locke beziehen konnte, ohne dass er sich unmittelbar auf ihn berufen hätte, sei der Vollständigkeit halber vermerkt. Vgl. J. Locke  : Verstand, II, Von den Wörtern, S. 1–165. 255 A.  Smith  : Lectures RBL, p. 204.

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Zweck „entstehen“ die Adjektive. Sodann habe sich im Zug der Vergesellschaftung der Menschen die Aufgabe gestellt, Beziehungen zwischen den mit Eigenschaften charakterisierten Gegenständen herzustellen, und so seien die Präpositionen entstanden.256 Dem liegt die quasi-anthropologische Hypothese zugrunde, dass Sprachentstehung ebenso wie individueller Spracherwerb überhaupt an gesellschaftliche Erfordernisse gebunden sei. Jedoch erweist sich diese Feststellung nicht wirklich als schlüssig. Sie kann durchaus unterschiedlich interpretiert werden  : nämlich entweder, dass die zunehmende Vergesellschaftung der Menschen eine wachsende Komplexität ihres Kommunikationsvermögens nach sich zieht, oder, dass diese Vergesellschaftung, die ja von der Zuverlässigkeit und Eindeutigkeit verbaler Interaktion in hohem Maß abhängt, ihrerseits durch die Leistungsfähigkeit einer differenzierteren Kommunikation erst vorangetrieben wird. Smith vermag diese Problematik nicht zu klären, ja es finden sich keine Hinweise, dass sie ihm überhaupt bewusst gewesen ist. Immerhin reflektiert er aber den Zusammenhang zwischen Kommunikation und Sozialisation  : Dichtere soziale Beziehungen erforderten vom Sprachsystem die Möglichkeit zu deren Abbildung. In der Entwicklung der Sprache schlage dieses Erfordernis sich in einer wachsenden Abstraktionsleistung nieder. Als Sprache entstanden sei – in the beginnings of language –, hätten die Menschen nämlich versucht, jedes einzelne Ereignis, von dem sie Notiz genommen hätten, durch ein spezielles Wort auszudrücken. Da dies zu einer unendlichen Anzahl von Wörtern geführt hätte, seien sie – „teils gedrängt durch die Notwendigkeit, teils geführt durch die Natur“ – dazu übergegangen, „jedes Ereignis in das aufzuspalten, was man seine metaphysischen Bestandteile nennen könnte [what may be called its metaphysical elements], und Wörter einzuführen, die nicht so sehr die Ereignisse selbst bezeichnen sollten, als vielmehr die Bestandteile, aus denen sie zusammengesetzt waren.“257 Das allerdings ist Spekulation, und was in Wirklichkeit nur als ein unintendierter Prozess vorstellbar ist, wird hier so beschrieben, als habe es sich dabei um die bewusste Entscheidung einer Sprachgemeinschaft gehandelt. Wäre der Verfasser dieser Theorie nicht Smith, könnte man dies als ein Defizit an Reflexionstiefe werten, doch überraschen darf diese Aussage nicht, denn er neigte durchaus dazu – siehe auch das prominentere Beispiel der „unsichtbaren Hand“ –, hinter NichtIntendiertem eine höhere Absicht zu erkennen, beziehungsweise, wie in diesem Fall, das Wirken eines „Systems“ oder die Arbeit einer „Maschine“. Eine Maschinenanalogie nämlich ist es, die Smith zur Verdeutlichung der Entwicklung der Sprache dient. Er erläutert, dass in einer Maschine sich ein Prozess der Vereinfachung abbilde und sie sich zu einem zusammengesetzten System entwickelt habe.258 Es handelt sich um den Glauben an ein 256 Ebd., pp. 205–206. 257 Ebd., p. 218 (e. Ü.). Mit „metaphysisch“ meint Smith wohl eher „übergeordnet“, vermutlich sogar „konstituierend“. 258 Bereits in seinen Lectures findet sich dies ausgeführt  : “The languages in this have made advances a good deal similar to those in the constructions of machines. They at first are vastly complex but gradually the different parts are more connected and supplied by one another. But the advantage does not equally cor-

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induktives „Vorgehen“ der Sprache selbst, der er damit eine Art von Eigendynamik zuspricht  : Die ursprüngliche lexikalische Komplexität – Smith führt die Vielzahl von Deklinations- und Flexionsformen der alten Sprachen an – sei in ein System von Regeln zur Verknüpfung einfacherer Elemente übergegangen. So seien bei den modernen, zusammengesetzten Sprachen (compounded languages259) die Wortformen weniger differenziert, dafür die Zahl der Präpositionen größer. Daraus entwickelt Smith einen Grundsatz  : Je einfacher eine Sprache aufgebaut sei, desto vielfältiger müssten ihre Deklinationen und Konjugationen sein. Ein Weniger an Elementen werde durch leistungsfähigere Möglichkeiten der Verknüpfung ersetzt.260 Dahinter steht überdies der Gedanke, dass sogar die Sprache ein System sei, dem ein gewisses Potenzial zur „Selbstoptimierung“ innewohne  : Sie werde mit der Zeit einfacher und zugleich leistungsfähiger. Das erinnert wiederum an seine Vorstellung von den Maschinen, die zunächst oftmals für jede auszuführende Bewegung eine spezielle konstruktive Lösung erforderten, während allmählich erkannt würde, dass sich mit einem Prinzip mehrere Bewegungen erzeugen ließen und die Maschine so nach und nach immer einfacher werde.261 Die Marespond. The simpler the machine the better, but the simpler the language the less it will have variety and harmony of sound and the less it will be capable of various arrangement  : and lastly it will be more prolix.” A.  Smith  : Lectures RBL, p. 13, I.v.34. 259 G. Streminger  : Adam Smith  : Der Sprachphilosoph, S. 31, setzt Smiths Verwendung des Begriffs “compounded” mit „zusammenhängend“ gleich, wenn er schreibt  : „Aber wenn auch durch die Trennung in seine Elemente die Beschreibung eines Ereignisses komplizierter wurde, so wurde das ganze Sprachsystem dadurch zusammenhängender (compounded), es war leichter zu erfassen und im Gedächtnis zu behalten.“ (Hervorh. übern.) – Was Smith  : Lectures RBL, p. 214, jedoch mit dieser Wortwahl auch bezeichnen wollte, war, dass es ursprüngliche, alte Sprachen gab (primitive, uncompounded languages) und neue sich durch Zusammensetzung aus alten und neueren bildeten und auf diese Weise eben zusammengesetzte Sprachen (compounded languages) waren  : “The English is compounded of the French and the ancient Saxon languages.” (A.  Smith  : Lectures RBL, p. 222, Hervorh. HK). 260 Das Grundprinzip wird im folgenden Satz formuliert  : “In general it may be laid down for a maxim, that the more simple any language is in its composition, the more complex it must be in its declensions and conjugations  ; and, on the contrary, the more simple it is in its declensions and conjugations, the more complex it must be in its composition.” (A. Smith  : Lectures RBL, pp. 221–222.) – Smith demonstriert diesen Sachverhalt mittels des Vergleichs von klassischem Griechisch und Latein mit den modernen Sprachen des Französischen und Italienischen. – Einen weiteren Schritt dieser Entwicklung markierten die Hilfsverben, deren Rolle er mittels eines Vergleichs des Englischen mit dem Französischen und Italienischen demonstriert  : “As the English language, therefore, is more complex in its composition than either the French or the Italian, so is it likewise more simple in its declensions and conjugations. […] Two auxiliary verbs supply all the deficiencies of the French and Italian conjugations  ; it requires more than half a dozen to supply those of the English, which, besides the substantive and possessive verbs, makes use of do, did.; will, would  ; shall, should  ; can, could  ; may, might.” (A.  Smith  : Lectures RBL, p. 223, Hervorh. übern.) 261 A.  Smith  : Lectures RBL, p. 223  : “All machines are generally, when first invented, extremely complex in their principles, and there is often a particular principle of motion for every particular movement which it is intended they should perform. Succeeding improvers observe, that one principle may be so applied as to produce several of those movements  ; and thus the machine becomes gradually more and more simple, and produces its effects with fewer wheels, and fewer principles of motion.”

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schinenanalogie, deren Smith sich hier bedient, ist in der Literatur der Zeit ein häufiger anzutreffendes Erklärungsmuster.262 Mit technischen Praktikern, vor allem mit James Watt, pflegte er Kontakt, und es wird berichtet, dass er, ohnehin detailversessen und an Zusammenhängen aller Art interessiert, sich auch im Alltag die Dinge genau erklären ließ. Insbesondere sein Wealth of Nations ist hierfür ein deutlicher Beleg. Glaubt man seinen Zeitgenossen, so müssen Maschinen Smiths Denken gefangen genommen haben und fester Bestandteil des Bildes gewesen sein, das er sich von der Welt gemacht hat. Nur so wird verständlich, wie in die Erörterung eines so technikfernen Gegenstandes wie der Sprache überhaupt der Hinweis auf Maschinen gelangen konnte. Was sagt dies über Smiths Zuversicht aus  ? Entwicklung zum Besseren hin bedeutet für ihn stets Vereinfachung. Dies ist ein Grundprinzip, das sich aus seinen Schriften herauslesen lässt, und es gilt unterschiedslos  : gleichgültig, ob es dabei um Theorien im allgemeinen geht, um die Sprache oder um technische Vorrichtungen.263 Mit immer weniger einzelnen Elementen, dafür jedoch umso komplexeren Verknüpfungen werde deren Leistungsfähigkeit erhöht. Darin kommt für Smith wahre Effizienz zum Ausdruck. 14.3.2 Zur Rhetorik

Es fügt sich schlüssig in dieses Bild, dass der akademische Lehrer Smith in den Vorlesungen seiner Hörerschaft an der Universität zu Glasgow nicht nur darlegt, was Sprache bedeutet, wie sie entstanden und wie sie aufgebaut ist, sondern darüber hinaus Empfehlungen zum zweckmäßigen Sprachgebrauch erteilt, in denen sich seine Überzeugung widerspiegelt, sich beim Schreiben so kompliziert wie nötig, aber so einfach wie möglich zu fassen. Doch diese Vorlesungstexte sind auch deshalb von großer Bedeutung, weil sie sich als Grundsatzerklärung des Autors über den Schreibstil im Allgemeinen und seinen eigenen im Besonderen lesen lassen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, sind die Lectures on Rhetoric and Belles Lettres eher ein Puzzle denn ein übersichtliches Vademecum. Wie Streminger bereits ausgeführt hat, bleibt Smith eine eindeutige Antwort auf die Frage, was „ein Autor tun [müsse], um seinen Stil in ästhetischer Hinsicht zu verbessern“, zwar schuldig,264 doch lässt sich anhand diverser Textstellen immerhin die Zielrichtung 262 Siehe hierzu auch das auf S. 229 (FN. 218) im Zusammenhang mit Smiths History of Astronomy Gesagte. 263 Der Gedanke der Verbesserung durch Vereinfachung taucht bei Smith auch an einer anderen, prominenteren Stelle auf, nämlich in seiner History of Astronomy, und dort in einer gewissermaßen authentischeren – da von ihm selbst autorisierten – Version als in der First Formation of Languages. Er schreibt dort  : “The machines that are first invented to perform any particular movement are always the most complex, and succeeding artists generally discover that, with fewer wheels, with fewer principles of motion, than had originally been employed, the same effects may be more easily produced.” (A. Smith  : Essays, p. 66.) – Sehr ähnlich hatte Smith dies bereits in seinen Vorlesungen zum Ausdruck gebracht  : “The languages in this have made advances a good deal similar to those in the constructions of machines. They at first are vastly complex but gradually the different parts are more connected and supplied by one another.” (A. Smith  : Lectures RBL, p. 13.) 264 G. Streminger  : Adam Smith  : Der Sprachphilosoph, S. 34.

Adam Smith über die Bedeutung der Sprache |

deutlich erkennen. So zeigt sich, etwas überraschend angesichts der sehr profunden klassischen Bildung Smiths, eine kritische Haltung gegenüber der antiken Rhetorikauffassung, deren Fokus auf einer Vereinnahmung des Adressaten mittels Überredung gelegen habe.265 Rhetorik im aufklärerischen Sinn hingegen sieht ihren Zweck in der Mitteilung, der möglichst authentischen Vermittlung nicht allein von Überzeugungen, sondern von Gedanken überhaupt – in der Weitergabe von Information. Die von Smith angestrebte sprachliche Kommunikation ist demzufolge ein sehr geordneter Vorgang, bei dem gerade auch Empathie – oder Sympathie, um bei der von ihm gewählten Terminologie zu bleiben – eine zentrale Rolle spielt. Das Sich-Hineinversetzen in die Haltung des Gegenübers ist Smith ebenso wichtig wie das Sich-Vergewissern, ob das Gesagte im erwarteten Sinn verstanden wurde. Der heutige bildhafte Sprachgebrauch bedient sich des Bildes vom Zuhörer, der „an der richtigen Stelle abgeholt werden“ müsse, und so abgenutzt diese Wendung mittlerweile auch sein mag, so anschaulich gibt sie in diesem Kontext wieder, worauf es Smith ankommt  : Es geht ihm darum, eine Verbindung zum Adressaten aufzunehmen – oder doch zumindest zu ergründen zu versuchen, wie diese herzustellen sein könnte. Die „Sympathie“, wie Smith sie versteht, ist dazu gerade deshalb sehr geeignet, weil sie eine Methode ist, sich oder sein Gegenüber einem Urteil zu unterziehen.266 Getragen von einem unübersehbaren normativen Anspruch – dem Ethos, dass es zu allererst um Verständigung gehen müsse –, ist sprachliche Kommunikation bei Smith niemals explizit appellativ gedacht, sondern sie wird stets als Transferprozess verstanden. Zahlreiche Textstellen in seinen Lectures untermauern dies.267 Darin macht Smith deutlich, wie sehr er rhetorische Manipulation nicht nur verachtet und warum er sie deshalb auch als dem Zweck einer Mitteilung wenig dienlich ablehnt. So ist es nur schlüssig, dass der Begriff Stimmungslage/Sinn – sentiment – in den Vorlesungen drei Dutzend Mal verwendet wird, insbesondere in der sechsten Vorlesung, die die Sprachbilder und Redefiguren zum Gegenstand hatte.268 Propagiert wird eine Rhetorik, die alle letztlich manipulativ intendierten Redefiguren der klassischen Rhetoriken verwirft und strikt auf Offenheit setzt – man mag vom Ideal einer durchschaubaren und eben auch einfühlsamen Rhetorik sprechen.269 Im Hinblick auf deren Umsetzbarkeit ist Smith zuversichtlich. 265 Es liegt nahe, dass Smith bei diesen Vorbehalten die Sophisten im Auge hatte und deren Ansatz unzulässigerweise etwas verallgemeinerte. 266 G. J. Andree  : Zur Natürlichkeit der Moralphilosophie Adam Smiths, S. 361  : „Mit der Sympathie hat Smith die natürliche Grundkraft gefunden, die als Grundlage unserer Beurteilung des fremden sowie des eigenen Verhaltens angesehen werden kann.“ (Hervorh. HK) 267 Geradezu im Sinn eines Plädoyers für Prägnanz, Angemessenheit, Klarheit und Authentizität als den wichtigsten Grundregeln für einen Schriftsteller (prose writer) liest sich, “that the perfection of stile consists in Express[ing] in the most concise, proper and precise manner the thought of the author, and that in the manner which best conveys the sentiment, passion or affection with which it affects or he pretends it does affect him and which he designs to communicate to his reader.” (A. Smith  : Lectures RBL, p. 55.) 268 Ebd., p. 25  : “Lecture 6th. […] Of what is called the tropes and figures of speech.” 269 Ebd.: “When the sentiment of the speaker is expressed in a neat, clear, plain and clever manner, and the passion or affection he is poss[ess]ed of and intends, by sympathy, to communicate to his hearer, is plainly

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Zuversicht in der Schottischen Aufklärung – charakteristische Einzelaspekte

14.4 Machtbeziehungen  : John Millars Blick auf die Gesellschaft

John Millars in der Rückschau wohl einflussreichste Publikation, der Origin of the Distinction of Ranks (ursprünglich  : Observations Concerning the Distinction of Ranks in Society), erschien erstmals 1771. Als endgültige Fassung des Werks ist die 3. Auflage von 1779 anzusehen, nun unter dem Titel The Origin of the Distinction of Ranks. An Inquiry into the Circumstances which Gave Rise to Influence and Authority in the Different Members of Society. Das Buch ist geprägt durch eine juristische Perspektive auf seinen Gegenstand. Zwar handelt es von den „Ständen“ der Gesellschaft, doch diese werden unter dem Aspekt von Machtverhältnissen – genauer noch  : Machtbeziehungen innerhalb der verschiedenen Gruppen und zwischen diesen – dargestellt. Die Konstellationen, die Millar hier untersucht, sind die von Mann und Frau, Vater und Kindern, Oberhaupt und Untertanen einer „Stammesgesellschaft“, Herrscher und „Unterbeamten“, Herr und Knechten beziehungsweise Sklaven, wobei durch Letzteres der Blick auf die Debatte über eine Grundsatzfrage der zeitgenössischen Gesellschaft gerichtet wird.270 14.4.1 Zur Soziogenese der Macht

Millars Betrachtung der Macht- als Rechtsverhältnisse beruht einerseits auf seiner Überzeugung von ihrer in eine bestimmte Richtung verlaufenden historischen Entwicklung, andererseits auf der Einbeziehung der wirtschaftlichen Faktoren, die er als eine die Gesellschaft prägende Komponente herausstellt. Die Stände und damit auch Standesunterschiede ergeben sich für ihn aus der Eigentumsordnung. Es ist ein charakteristisches Kombinieren unterschiedlicher Perspektiven auf die Gesellschaft, das eine allzu eindeutige Etikettierung des Werkes – etwa als eines der Soziologie, wie es üblicherweise geschieht – fragwürdig erscheinen lässt. Man könnte den Origin in diesem Sinn eher als ein „typisches“ Werk der Schottischen Aufklärung ansehen, das, ausgehend vom klassischen Themenspektrum der Moralphilosophie, einen weiteren und für die damalige Zeit unkonventionellen Ansatz der Gesellschaftsanalyse entwickelt, hier eben eine frühe und dennoch bereits umfassend angelegte Soziogenese der Macht. Als solches war die Publikation im 18. Jahrhundert selbst im aufgeklärten Schottland etwas Neues, ja fremd und wohl auch von einer „provokativen Wirkung auf die Zeitgenossen“ und „durchaus revolutionär“.271 Doch es ist nicht allein ihr neu anmutender Gegenstand, der es nahelegt, Millars Untersuchung unter den Texten der Schottischen Aufklärung eine Sonderstellung zuzusprechen  ; auch der methodische Ansatz weist bei allen Parallelen zu den Werken Humes, Fergusons und Smiths bestimmte, von diesen and cleverly hit off, then and then only the expression has all the force and beauty that language can give it.” 270 Siehe den Abschnitt 14.1.3 („John Millar und der Zusammenhang von Sklaverei und Eigentum“). 271 W. C. Lehmann  : Einleitung, S. 13 f.

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abweichende, Schwerpunktsetzungen auf, die nicht übergangen werden sollen. Vor allem verdienen folgende vier Merkmale Beachtung, auf die Lehmann hingewiesen hat  : – Millars Intention ist es, für geschichtlich tradierte Tatsachen völker- und zeitübergreifende „allgemeingültige Bestimmungen […] zu finden“.272 – An historisch überlieferten Begebenheiten sind es sowohl deren Ursachen, die ihn beschäftigen, als auch die mögliche Dynamik, die durch diese Ursachen in Gang gesetzt wird. – Dabei ist der Blick vor allem auf technologische und ökonomische Faktoren sowie auf die Rolle gerichtet, die dem Eigentum zukommt. – Zugrunde liegt dem Ansatz die Annahme, dass sich in der Gesellschaft eine Entwicklung vom Ungeordneten zur Ordnung, vom Niederen zum Höheren und vom Ein­ fachen zum Komplexen nachvollziehen lasse. Dieser letzte Aspekt ist allerdings kein vordergründig methodischer, sondern in seinem Kern ein weltanschaulicher. In ihm kommt die Zuversicht des Aufklärers zum Ausdruck, der ganz selbstverständlich die Verbesserung der Umstände in Abhängigkeit von einem Zuwachs an Wissen sieht. Etwas verwirrend erscheint es da, dass Lehmann gerade in Millars „Evolutionismus“ dessen „Methode“ erkennt und ihn „zum wesentlichen Charakteristikum“ des Origin erklärt. Wenn man nämlich unter einer Methode eine Vorgehensweise versteht, mit deren Hilfe und unter deren Einsatz man zu Erkenntnissen gelangt, trifft dies auf den „Evolutionismus“ eben nicht zu. Dieser ist nicht die Methode, sondern entweder deren Ergebnis oder aber schlicht deren Vorannahme.273 14.4.2 Methode und Methodenbewusstsein

Millar selbst beschreibt sein Vorgehen als den Ansatz, auf der Grundlage „der Betrachtung der in verschiedenen Teilen der Welt entstandenen unterschiedlichen Rechtsordnungen und aus der Erkenntnis der dabei zutage tretenden folgenreichen Zusammenhänge […] die Erfahrungen anderer Menschen nutzbringend verwerten“ zu können.274 Das bedeutet auch  : Politisches Handeln setzt für ihn das Verständnis für die Umstände voraus, in denen es stattzufinden hat, und diese Umstände sind dann umso besser verständlich, je mehr es gelingt, ihre Entstehung nachzuvollziehen. Er entwickelt unter der Voraussetzung dieser Prämisse ein Entwicklungsmodell der Gesellschaft, das aus den allesamt solcherart ausgerichteten Werken der Schottischen Aufklärung dadurch hervor272 Ebd., S. 39. – Diese Hoffnung, auf unabänderliche, „zeitlose“ Fakten zu stoßen, war im Übrigen nicht neu. Sie findet sich auch bei Hume, etwa in seinem Essay That Politics May Be Reduced to a Science („Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse“), D. Hume  : Essays (M.), p. 21  : Die Rede ist hier von “[…] those eternal political truths, which no time nor accidents can vary.” 273 W. C. Lehmann  : Einleitung, S. 41. 274 J.  Millar  : Ursprung, S. 47.

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sticht, dass es nicht nur Kontinuitäten herauszuarbeiten sucht, sondern in verschiedener Hinsicht auch die Bedingungen dieses Modells selbst reflektiert. Auffällig am Origin ist tatsächlich das Methodenbewusstsein, das darin zum Ausdruck kommt. Millar setzt sich mit dem Wert der Quellen auseinander, die er heranzieht. Das führt ihn zu einer Relativierung von deren Bedeutung. Wenngleich er in diesem Punkt nicht allzu ausführlich wird, wirken seine Formulierungen im Vergleich zu den anderen schottischen Autoren seiner Zeit bemerkenswert konkret. Sein Ausgangspunkt ist, anders als bei Hume und auch anders als bei Smith und Ferguson, nicht die zeittypische Überlegung zur Natur des Menschen, also der Ausweis von gleichbleibenden und allgemein gültigen Grundbedingungen im Sinn von „Prinzipien“. Vielmehr geht sein Ansatz in diesem Punkt von der Konstatierung gerade von Unterschieden aus  : Man habe es mit „unterschiedlichen Rechtsordnungen“ zu tun, und die Unterschiede sowohl zwischen solchen der zeitgenössischen Gesellschaft selbst und ihren historischen Vorstufen einerseits als auch zwischen gegenwärtig bestehenden Gesellschaften verschiedener Gegenden andererseits lassen sich untersuchen. Für diese unterschiedlichen „je eigentümlichen Rechts- und Regierungsformen“ die Gründe zu benennen, das ist das erste Anliegen des Origin, und Millar lässt von Anfang an keinen Zweifel aufkommen, dass es „die ganz unterschiedlichen Lebensumstände [sind], aus denen heraus sich für die Bewohner bestimmter Länder auch die Unterschiede in den Anschauungen und den Motiven des Handelns ergaben.“275 Nicht dem Menschen „an sich“ gilt also die Aufmerksamkeit, sondern den Umständen, die ihn prägen.276 Offensichtlich bedeutet dies eine Verschiebung von der traditionellen moralphilosophischen Perspektive hin zu einer soziologischen, hinter der zudem ein rudimentäres Geschichtsmodell steht. Millars Grundannahme ist es, dass „der Mensch mit einem Streben begabt [ist], das ihn zur Höherentwicklung seiner Lebensverhältnisse befähigt.“277 Die in den Schriften der Aufklärung verbreitet angestellten Erwägungen, ob nun mehr ihr Eigeninteresse oder mehr ihre Fähigkeit zur Empathie das Handeln der Menschen bestimme, umgeht der Origin weitgehend.278 Die Natur des Menschen wird, ganz im Einklang mit dem sich abzeichnenden Wandel im Denken der Schotten, im Allgemeinen nicht mehr als statisch und als festgelegt verstanden, sondern als dynamisch. Sie wird dadurch zur bewegenden Kraft, durch die „sein [– des Menschen –] Fortschritt Stufe 275 Ebd. – Der Gedanke eines Zusammenhangs zwischen den natürlichen Lebensumständen – etwa des Klimas – und der „Geisteshaltung“ der Menschen war zu Millars Zeiten bereits nicht mehr neu. Bei Montesquieu findet er sich beispielsweise im Geist der Gesetze im Abschnitt „Über die Gesetze in ihrem Bezug zur Art des Klimas“ ausführlich diskutiert. Montesquieu  : Vom Geist der Gesetze, S. 255–258. 276 Diese charakteristische Blickrichtung lässt sich ebenfalls auf den Einfluss Montesquieus zurückführen. In Vom Geist der Gesetze hatte dieser sehr ausführlich die Einflussfaktoren untersucht und beschrieben, die auf Verfassungen und die unterschiedlichen Regierungsformen einwirken. 277 J.  Millar  : Ursprung, S. 48. 278 Allerdings ist festzuhalten, dass Millar in seinen Ausführungen zur Sklaverei doch den übermächtigen Einfluss des Eigeninteresses auf das Handeln anzuerkennen scheint. Siehe S. 499.

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für Stufe“ zunehme.279 Denn  : Nicht mehr so sehr, dass der Mensch auf etwas festgelegt sei, steht im Zentrum der Überlegungen, sondern dass er vielmehr über die Fähigkeit zur Entwicklung und Anpassung verfüge. Letztere sei es, so Millar, die ihn voranbringe  : „Seine überall gleichen Bedürfnisse und die Fähigkeiten, mit denen diese Bedürfnisse gestillt werden [the similarity of his wants, as well as of the faculties by which those wants are supplied], haben auch überall eine bemerkenswerte Übereinstimmung in den verschiedenen Stufen seines Fortschritts [a remarkable uniformity in the several steps of his progression] gezeitigt.“280 Zum einen ist der Mensch folglich auf jeder Stufe seiner Entwicklung ein anderer, zum andern aber ist er der jeweiligen Stufe stets auch angepasst. Dabei sieht Millar eine Wechselwirkung zwischen dieser Anpassungsleistung und der Verbesserung der materiellen Lebensumstände für die ganze Gesellschaft. Zivilisation281, also eine Verfeinerung der Sitten und der Gebräuche des Umgangs miteinander, gilt ihm als eine Folge besserer Lebensbedingungen. Zivilisation hat bei Millar also einen durchaus materiellen und nicht nur geistigen Aspekt. Anders ausgedrückt  : Mit „einem feinausgebildeten Sinn für das Vergnügen begabt“ zu sein, das wäre bei einem „Wilden gänzlich fehl am Platz“ und man könne „erkennen, wie völlig unvereinbar eine solche Lebensverfeinerung mit seinen anderen Charakterzügen wäre.“282 Umgekehrt bedeutet das, dass der zivilisierte Brite des 18. Jahrhunderts mit seinen verfeinerten Verhaltensweisen den Erfordernissen einer unzivilisierten Gesellschaft eben nicht angepasst wäre und in dieser nicht bestehen könnte. Freilich stellt sich die Frage, wie und mit welcher Intention der Origin überhaupt zu lesen ist. Das Werk sagt einiges über den Wissenschaftsbegriff jener science of man aus, an deren Schaffung die schottischen Denker arbeiteten. Millar weist der Historiographie die Funktion der Bereitstellung von Belegen zu und gebraucht die Überlieferungen ebenso wie die neueren Reiseberichte im Sinn eines Inventars, von dem nicht ausgegangen, sondern auf das vielmehr zurückgegriffen wird. Der Ansatz nämlich erscheint von der ersten Zeile an geprägt von einem Blick auf soziale Beziehungen, nicht auf geschichtliche Ereignisse. Es fällt also schwer, daran zu glauben, dass sich die Erkenntnisse über die „Rangordnungen und Stände der Gesellschaft“ aus der Betrachtung der Geschichte – ja selbst aus den Berichten der Reisenden – erst ergeben haben könnten.283 Man darf in der Feststellung, dass Machtbeziehungen auf allen Ebenen der Gesellschaft bestanden und sich im Lauf des „kulturellen Fortschritts“ herausgebildet und ausgeformt hätten, eher eine Vorannahme Millars als die Schlussfolgerung aus einer Auswertung von Geschichts279 J.  Millar  : Ursprung, S. 48. – Darin ist eine Parallele zu Humes Denken erkennbar  ; siehe den Abschnitt 7.3 („Von der statischen zur dynamischen Natur des Menschen“). 280 Ebd., S. 48. – OT.: ders.: Origin, p. 84. 281 Hier verstanden nicht als Prozess, sondern als das Ergebnis eines Prozesses. 282 J.  Millar  : Ursprung, S. 81. 283 Allerdings dürften die Geschichtsbetrachtungen und die Lektüre der Reiseberichte, auch wenn das nur schwierig zu belegen sein wird, bei Millar beiläufig zur Entstehung eines neuen Problembewusstseins für die gesellschaftlichen Konstellationen geführt haben.

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quellen sehen. Dies wird dadurch erhärtet, dass der folgende Satz bezeichnenderweise im Sinn einer solchen Vorannahme gerade am Beginn des fünften Kapitels des Origin steht, und nicht etwa in der Art eines Fazits an dessen Ende  : „Der kulturelle Fortschritt eines Volkes im bürgerlichen Leben führt in der Stellung der Einzelnen und in der gesamten Verfassung des Staatswesens vielfältige Wandlungen herbei.“284 Das ist eben keine Erkenntnis, sondern eine Vorannahme, von der Millar von vorn herein überzeugt ist. 14.4.3 Geschichte und Ökonomie oder  : Die Setzung des Schwerpunkts

Neu war deshalb nicht die „Entdeckung“ eines gesellschaftlichen Wandels zum Besseren als solchem, sondern Millars Vorgehen bei seinem Bemühen, diesen als schlüssig nachzuweisen. So legt er seine Analyse der Rangordnungen als ein historisches Ablaufmodell an, als dessen Ausgangspunkt ein Zustand „bar jeder Kultur [destitute of culture]“ angenommen ist.285 Ähnlich wie Smith oder Ferguson unterscheidet er die „verschiedenen Stufen“ des Fortschritts. Den Hintergrund der im Origin betriebenen Analyse bildet das eingeführte Geschichtsmodell der vier Entwicklungsstadien der menschlichen Zivilisation, die als jeweils ökonomisch determiniert verstanden werden  : der Urzustand einer von der Jagd bestimmten Daseinssicherung unter „Bedingungen von Not und primitiver Unkultur [poverty and barbarism]“286 – die „Aufzucht von Vieh“, das „pastorale Zeitalter [pastoral ages]“287 – die „Ackerbaukultur [improvement of agriculture]“288 – die (arbeitsteilige) Gesellschaft mit ihren allmählichen Fortschritten in den praktischen Bereichen von Handwerk und Gewerbe [the improvement of useful arts and manufactures], die zur Entstehung des Handels führen.289 Zwar spielen diese Phasen tragende Rollen und sie geben die implizite Gliederung von Millars Werk vor – seine „Beweisführung“290 –, doch er versteht dieses nicht als eine Kulturgeschichte, sondern als eine Untersuchung von Machtverhältnissen. Somit werden etwa im ersten Kapitel die genannten Stufen nicht vorrangig in ihrer Bedeutung als Indikatoren der generellen Entwicklung der menschlichen Gattung gewürdigt, sondern sie dienen hier vornehmlich der Illustration der Zwischenschritte in den „Beziehungen der Geschlechter“. Der Origin ist ein in geschichtliche Phasen gegliedertes Modell der allmählichen Entwicklung der Zivilisation, das mit seiner Schwerpunktsetzung jedoch sehr viel mehr ein ökonomisches ist. Nicht die Chronologie des Ablaufs ist demzufolge das Entscheidende, sondern das Fortschreiten von einem anfangs materiell prekären (Ur-)Zustand hin zur von Handel und Gewerbe 284 Ebd., S. 214. 285 J.  Millar  : Ursprung, S. 48. – OT.: ders.: Origin, p. 84. 286 J.  Millar  : Ursprung, S. 81. – OT.: ders.: Origin, p. 116. 287 J.  Millar  : Ursprung, S. 88. – OT.: ders.: Origin, p. 123. 288 J.  Millar  : Ursprung, S. 96. – OT.: ders.: Origin, p. 130. 289 J.  Millar  : Ursprung, S. 112. – OT.: ders.: Origin, p. 143. 290 A. Garrett  : Introduction, p. X. – Garrett trifft darin in der Überschrift eines Abschnitts in der Tat diese Wortwahl  : “The Argument of the Ranks” (Hervorh. HK).

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geprägten zeitgenössischen Gesellschaft. Millars Argumentation ist von den Annahmen Smiths beeinflusst und folgt der aus dessen Rechtsvorlesung bekannten Perspektive, die einen Zusammenhang zwischen den Entwicklungsstufen der Menschheit mit der Aneignung von Eigentum herstellt  : „Bevor wir genau diese oder eine der anderen Methoden in Betracht ziehen, durch die Eigentum erworben wird, empfiehlt es sich zu beachten, dass die Regelungen, die sie betreffen, je nach dem Zustand oder der Zeit, in der sich die Gesellschaft gerade befindet, erheblich variieren müssen. Die vier Stadien der Gesellschaft sind diejenigen der Jagd [Age of Hunters], der Weidewirtschaft [Age of Shepherds], des Ackerbaus [Age of Agriculture] und des Handel [Age of Commerce].“291

Das Schema folgt also den wechselnden Arten einer gleichwohl sich ständig verbessernden Daseinssicherung, mit denen jeweils charakteristische Formen der Eigentumsordnung korrespondieren. Die Rangordnungen, um deren Untersuchung es Millar geht, finden nach diesem Verständnis des Gesamtzusammenhangs in den Eigentumsverhältnissen lediglich ihren Ausdruck. Millar schließt von diesem Prozess einer Verbesserung der ökonomischen Situation auf einen solchen der Verfeinerung in den Beziehungen  : „Je mehr Erfolg den Menschen in diesen großen Fortschritten beschieden ist […], desto weitere Bereiche eröffnen sich allmählich  ; Gelüste und Begierden erwachen zunehmend oder stellen sich im Verfolg einer Reihe von Lebensgewohnheiten ein.“ Erst als er sich in seinen Ausführungen der Gesellschaft seiner Gegenwart nähert, wird Millar konkreter. Nun nämlich „entwickeln sich die verschiedenen Handwerkszweige“, und aus diesen erwachsen „Handel, daneben Wissenschaft und Literatur“.292 Der Technik/Technologie und der Ökonomie werden tragende Rollen zuerkannt. Mit der „schrittweisen Verbesserung der Annehmlichkeiten in den Lebensverhältnissen“ setzt jener grundlegende Wandel ein, der in der Entstehung des Eigentums und in der Schaffung jener „Rechtsgebräuche [the various rights of mankind]“, die es schützen, seinen Ausdruck findet und eben jene Gesellschaft hervorbringt, wie man sie kennt.293 Millar äußert all dies in der Form eines Statements, begründet es kaum, entwickelt keine aufwendige Argumentation. Den „Fortschritt vom Nichtwissen zum Wissen, von rohen Bräuchen zu kultivierten Sitten“, betrachtet er schlicht als eine Tatsache, ebenso, dass „zahlreiche Zufallsursachen dazu beigetragen [hätten], einen solchen Fortschritt in verschiedenen Ländern entweder voranzutreiben oder aber aufzuhalten.“294 Die Entwicklung der Gesellschaft wird also einerseits als schlüssig und nachvollziehbar dargestellt, andererseits aber auch als kontingent. Dass dieser Prozess 291 A.  Smith  : Lectures J, p. 14 (e. Ü.). 292 J.  Millar  : Ursprung, S. 49. 293 Ebd. – OT.: ders.: Origin, p. 85. 294 J.  Millar  : Ursprung, S. 50.

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einem Gesetz gemäß verlaufen zu sein scheint, stellt Millar keineswegs in Abrede, aber er bemüht sich im Gegensatz zu Smith und Ferguson weder um die ausgearbeitete Formulierung eines solchen Gesetzes noch um dessen dezidierte Herleitung. Prognostische Absichten treiben ihn nicht an. 14.4.4 Anmerkungen zu Millars Abweichungen vom Denkstil der Schottischen Aufklärung

Welche Beweggründe hatte Millar für dieses Abweichen von den Gepflogenheiten, vom Denkstil  ? Lassen sie sich in seiner Einstellung gegenüber historischen Berichten finden  ? Smith und Ferguson argumentieren bekanntermaßen unter Zuhilfenahme zahlreicher Verweise auf die Überlieferungen antiker Autoren. Millar steht ihnen darin nicht nach, vertritt diesen Quellen gegenüber jedoch eine andere Haltung. Die Verwendung dieser Berichte im Sinn von historischen Belegen setzte voraus, ihnen zum einen eine besondere Bedeutung beizumessen und sie andererseits wörtlich zu nehmen. Geschichte und politische Veränderung würden, meint Millar, in diesem Fall – wenngleich ihr Verlauf als gesetzmäßig angenommen wird – tendenziell als das Werk staatsmännischer Kunst verstanden, also als eine Aufeinanderfolge von individuellen Handlungen mit beabsichtigten Folgen. Er reflektiert diese Vorstellung und spricht in diesem Zusammenhang von einer „Reihe besonders gearteter Einrichtungen, deren Ursprung im gelegentlichen Dazwischentreten von Einzelpersonen [liege], die als Haupt einer Gemeinschaft zufällig auch außergewöhnliche Gaben und besondere politische Anschauungen“ mitgebracht hätten.295 Zwar erkennt er, wie wir gesehen haben, die Mitwirkung des Zufalls in der Geschichte an, doch als maßgeblicher bewertet er das, was man als das Trägheitsmoment in der geschichtlichen Entwicklung bezeichnen könnte, nämlich die Macht von „natürlich entstandenen Sitten und Gebräuche[n] [those natural manners and customs]“ und die beharrende Kraft von „nach Urvätersitte überkommenen Grundanschauungen [the influence of all the prejudices derived from ancient usuage]“.296 Damit erweist er sich, was seine Ansichten über die Bedeutung und Zuverlässigkeit historischer Quellen anbelangt, als Skeptiker. Gegenüber der Zuverlässigkeit dessen, was überliefert wurde, hegt er erhebliche Vorbehalte, und er begründet sie auch  : „Nun kommt uns Kunde von den meisten dieser Helden und Weisen, die als Gründer und Ordner von Staatswesen figurieren, ja nur aus ganz ungesicherten Überlieferungen oder direkt aus der Sagengeschichte. Und so sei uns die Vermutung gestattet, daß ihre Taten vielfach übertrieben, ihre Leistungen fehlgedeutet wurden, entweder weil es sich um Figuren aus dunkler 295 Ebd. 296 Ebd., S. 51. – OT.: ders.: Origin, p. 86. – Es erscheint der Hinweis angebracht, dass der Begriff “prejudice” eine Tendenz zum deutschen „Vorurteil/Voreingenommenheit“ aufweist, was dieser Stelle – im Gegensatz zur Übersetzung – eine abwertende Bedeutung verliehe.

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Vorzeit handelt oder aber aus dem Moment großer Bewunderung seitens der sehr viel späteren Nachwelt heraus.“297

Damit steht Millar zum einen in einem auffallenden Gegensatz zu einigen der anderen führenden Denker der Schottischen Aufklärung. Andererseits ist gerade sein Origin ein Werk, dessen Argumentation in besonderem Maß vom heuristischen Nutzen solcher historischen Überlieferungen profitiert, ja davon geradezu abhängt, da es die Machtkonstellationen zwischen den Menschen eben als einen Entwicklungsprozess im Verlauf der Menschheitsgeschichte nachzuzeichnen sucht. Da dies ohne die Berufung auf historische Quellen aber nicht gelingen kann, konfrontiert Millar sein Publikum geradezu mit einer Überfülle an Belegen,298 deren Zuverlässigkeit er, wie gezeigt, andererseits aber selbst in Frage gestellt hat. Es liegt nahe, darin ein methodisches Dilemma zu sehen. Jedenfalls macht ihn dieses Spannungsverhältnis, das sich hier zwischen Quellenskepsis und Quellenverwendung auftut, unter den schottischen Denkern zu einem Sonderfall, der nur schwierig einzuordnen ist. Millars theoretischer Ausgangspunkt ist der „Wilde“, für den er zwei Voraussetzungen als gegeben annimmt  : Er sei zum einen vom „Erwerb der Grundnotwendigkeiten des Lebens“ so vollständig in Anspruch genommen, dass ihm die Anstrengungen der reinen Existenzsicherung keinerlei „Muße oder besondere Anreize“ zur Höherentwicklung gewährten. Zudem kenne der soziale Verband, in dem er sich bewege, kein Eigentum und demzufolge keine Möglichkeit einer Verbesserung des Status darin.299 Von diesen beiden Aspekten ist der eine – der Kampf ums physische Überleben – eine gängige Annahme, die sich bei vielen Denkern des 18. Jahrhunderts findet und die Millar wohl auch deshalb nicht mehr ausdrücklich belegt. Beim anderen Gesichtspunkt jedoch, der Eigentumsthese, handelt es sich um die Feststellung einer Funktionalität. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen „Reichtum und Gesittung [opulence and civilized manners]“300, und das ist das Thema, auf das Millar sich mit seiner Beweisführung konsequent zubewegt. Was hier anklingt, wenngleich nicht ausgesprochen wird, ist, dass es ökonomische Gegebenheiten sind, die die Zivilisation nicht nur vorantreiben, sondern auch konturieren. Diese Zivilisation jedoch scheint einen solchen Kontext immer wieder zu verschleiern,

297 J.  Millar  : Ursprung, S. 52. 298 Siehe J.  Millar  : Ursprung. – Allein im Kapitel I beruft Millar sich auf zahlreiche Gewährsleute und Quellen, so beispielsweise auf Cornelis de Pauw, Antonio de Herrera y Tordesillas (S. 60, ohne die beiden Autoren namentlich nennen), Tacitus (S. 60, 77), Caesar (S. 60, 66, 69, 79), Cicero (S. 62), (Johann Gottlieb) Heineccius (S. 62), (Barnábe) Brisson (S. 63), (Joseph) Lafitau (S. 64), Plutarch (S. 67), Lucan (S. 67), Herodot (S. 69), Dr. (?) Banks (S. 69), (John  ?) Hawkesworth (S. 69 f.), Homer (S. 71), das Alte Testament (S. 71, 75–78.), (John) Byron (S. 74), Sir Thomas Smith (S. 78). Überdies gibt Millar zahlreiche Quellen, aus denen er seine Informationen geschöpft hat, nicht an. 299 Ebd., S. 58 f. 300 Ebd., S. 236. – OT.: ders.: Origin, p. 249.

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indem sie ihn hinter Phänomenen wie Umgangsformen, Gesetzen und Machtbeziehungen verbirgt.301 Allerdings verwendet Millar selbst den heute gebräuchlichen Begriff „Zivilisation“ noch kaum. Lediglich am Ende des fünften Kapitels des Origin spricht er davon, dass die „Freiheitsliebe […] zwangsläufig Schaden erleiden müsse, je größer die Fortschritte der Menschen in Zivilisation und Lebenskultur [progress in civilization and in the arts of life] seien.“302 An einer weiteren Stelle zeigt sich dann, wie sehr er den Begriff civilization ambivalent verstanden hat  : Einerseits steht sie bei ihm für einen Zustand, in dem der Mensch zwar „die segensreichen Wirkungen friedlicher Tätigkeiten erfahren“ hat  ; andererseits spiegelt sich in dieser civilization aber auch der Verlust der Bereitschaft zum Einsatz für die Gemeinschaft, insbesondere zur Landesverteidigung wider. Diese sei „eine unerträgliche Bürde für alle, die ein Leben in Muße und Vergnügen entkräftet“ habe.303 Millars Verständnis von dem, was Zivilisation bedeutet, deckt sich also in Vielem mit dem der anderen schottischen Denker. Wie diese ist er der Ansicht, dass die Zivilisation der Gesellschaft nütze, indem sie sie friedlicher und das Leben in ihr überschaubarer mache, dass sie andererseits aber auch ihren Preis fordere, der im Verlust des individuellen Engagements für die Gemeinschaft bestehe. Im Hinblick auf die soeben ins Spiel gebrachte Sorge vor einem Niedergang der bürgerlichen Tugenden treten die Parallelen zu Ferguson am deutlichsten hervor. Deutlich wird im Origin zum Ausdruck gebracht, dass die Gesellschaft sich auf ein Mehr an Zivilisation zubewege, und das ist gleichbedeutend mit einer zunehmenden Differenzierung in allen Lebensbereichen, also eben auch mit einem „Unterschied in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft“. In diesem Punkt stimmen neben anderen Hume, Smith (dieser, wie Lehmann meint, „mehr implicite als ausdrücklich“304), Ferguson und Millar zwar grundsätzlich überein, doch zählt es zu den geradezu klassischen Forschungsproblemen der Schottischen Aufklärung, mit welchem Nachdruck jeder für sich einen derartigen Evolutionismus vertreten hat. Von Bedeutung ist dies, wenn man der Frage nachgeht, in welchem Maß in diesen Entwicklungsmodellen der Gesellschaft das Moment der Zuversicht zum Ausdruck kommt. Millar äußert diesbezüglich, dass eine mutmaßlich kontinuierliche Entwicklung „in stetem Fortschritt [in a gradual progression] aus den rohen Anfängen heraus in Kunst und Wissenschaft zu den schönsten Entdeckungen und in Sitte, Umgang und Bildung zu höchster Vollendung geführt [to the most exalted refinement of taste and

301 1899, also lange nach Millar, wurde dieser Gesichtspunkt des zivilisatorischen Verschleierungseffekts von T. Veblen in seiner Theorie der feinen Leute aufgegriffen und scharf akzentuiert. 302 J.  Millar  : Ursprung, S. 230. – OT.: ders.: Origin, p. 243 (Hervorh. HK). 303 J.  Millar  : Ursprung, S. 239. – OT.: ders.: Origin, p. 251. – Millar schreibt hier  : “The influence of civilization upon the temper and dispositions of a people has at the same time a tendency to produce a total revolution in the manner of conducting their military operations.” 304 W. C. Lehmann  : Einleitung, S. 41 (Hervorh. übern.).

Michael Oakeshotts ‚andere‘ Zuversicht |

manners]“ habe.305 Das allerdings ist ein Urteil aus der Rückschau. Einer Prognose über den zeitgenössischen Status quo der Gesellschaft hinaus, wie etwa Hume sie zumindest hat anklingen lassen,306 enthält er sich. Im Einklang mit Smith und Ferguson befindet Millar sich, wenn er im Eigennutz und im Interesse der Menschen den Schlüssel zur wirtschaftlichen Entfaltung und als deren Folge die Höherentwicklung der Gesellschaft ausmacht. Millars Zuversicht in die Entwicklung kommt darin zum Ausdruck, dass er einen direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Wirtschaft und persönlicher Freiheit postuliert.307

14.5 Michael Oakeshotts ‚andere‘ Zuversicht – und warum sie hier keine Rolle spielt

Eine Erweiterung hat der Zuversichtsbegriff im Rahmen des politischen Denkens um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts durch Michael Oakeshott erfahren. Dieser machte unter dem Rubrum von „Zuversicht und Skepsis“ auf „Politikstile“ beziehungsweise unterschiedliche „Prinzipien neuzeitlicher Politik“ aufmerksam.308 Er unterschied einen Typus von Weltmodellen, die einem menschlichen Zugriff grundsätzlich entzogen seien, von einem solchen, der gerade dieses Eingreifen erfordere. Zu Ersteren gehörten sowohl die Vorstellung von der Welt als einem vollkommenen System, der „besten aller Welten“, als auch jene Lehre, „die menschliche Vollkommenheit [als] ein durch die Vorsehung garantiertes, vom menschlichen Verhalten unabhängiges Geschenk“ ansieht.309 Diese Passage in Oakeshotts Argumentation ist, da es in der vorliegenden Untersuchung ja um die verschiedenen Aspekte der Zuversicht geht, von Bedeutung. Was sich 305 J.  Millar  : Ursprung, S. 81. – OT.: ders.: Origin, p. 115. 306 D.  Hume  : Essays (B.), 1, S. 150 f. – Hume stellt hier in seinen Ausführungen Über Aufstieg und Fortschritt der Künste und Wissenschaften eine Prognose des zwangsläufigen Niedergangs, indem er ausführt, „daß Künste und Wissenschaften von dem Moment an, in dem sie in einem Staat vollkommen ausgereift sind, naturgemäß oder sogar zwangsläufig verfallen und selten oder nie in einer Nation wieder aufleben, in der sie zuvor geblüht haben.“ 307 J.  Millar  : Ursprung, S. 262  : „Keine Schlußfolgerung ist deshalb so sicher wie diese, daß die Menschen grundsätzlich mehr Energie entfalten, wenn sie für ihren eigenen Vorteil arbeiten, als wenn man sie zwingt, sich einzig für den Vorteil eines andern abzumühen. So zeitigt denn die Existenz der persönlichen Freiheit die unfehlbaren Ergebnisse, daß sie die Menschen im Lande immer tätiger macht, dadurch mehr Nahrung und Lebensmöglichkeiten schafft, so daß notwendigerweise auch die Bevölkerungszahl ansteigt – und mithin die Stärke und Sicherheit einer Nation sich erhöht.“ 308 M.  Oakeshott  : The Politics of Faith and the Politics of Scepticism  ; dt. Ausgabe  : ders.: Zuversicht und Skepsis. Dort lesen wir auf S. 250 von T. Fuller, dem Herausgeber dieser posthum herausgegebenen Schrift  : „Zuversicht und Skepsis wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeführt und wahrscheinlich 1952 vollendet.“ – Das genaue Entstehungsdatum der Schrift ist also nicht bekannt. 309 M.  Oakeshott  : Zuversicht und Skepsis, S. 54 f. – Oakeshott spricht im Zusammenhang mit ersterer von der „Lehre des kosmologischen Optimismus“. Siehe hierzu die im Abschnitt 2.1.1.4 („Zuversicht versus Optimismus“) vorgenommene Unterscheidung zwischen „Zuversicht“ und „Optimismus“.

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Zuversicht in der Schottischen Aufklärung – charakteristische Einzelaspekte

hier jedoch vollzieht, ist der gedankliche Übergang von Weltmodellen zu einem bestimmten Verständnis von politischem Handeln. Die erwähnten Modelle einer vollkommenen Welt nämlich sind gerade solche, die im Grund genommen des politischen Handelns nicht bedürfen. Angesichts der Art von Vollkommenheit, wie sie in ihnen zum Ausdruck kommt, sind wie selbstverständlich sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit von Veränderung ausgeschlossen. Es entfällt des Handlungsziel, denn das Charakteristikum der Vollkommenheit ist eben gerade Nicht-Verbesserbarkeit. Im Gegensatz dazu muss ein Weltverständnis, das sich mit dem Können und Sollen menschlichen Handelns im Hinblick auf eine Verbesserung dieser Welt befasst, den Gedanken an Vollkommenheit aufgegeben haben. Die beiden vorgestellten „Weltmodelle“ waren keineswegs bereits „Politikstile“. Das, was auf sie folgte aber, die „Politik der Zuversicht“, war es sehr wohl. Zu rekapitulieren ist, dass seit dem Beginn der Neuzeit eine Abkehr von den eine Vollkommenheit voraussetzenden Weltmodellen stattfand. Grund hierfür waren der Zuwachs an „gesichertem“, weil aus der Anschauung gewonnenem Faktenwissen sowie der durch dieses Wissen hervorgerufene Plausibilitätsschwund der geoffenbarten Religion.310 Andere Modelle der Welterklärung als das der Offenbarung wurden damit denkbar – beispielsweise das der natura lapsa oder der natura naturans311 –, und neben den Schöpfer der Welt trat als sein irdischer Statthalter der Mensch. Dessen Rolle schloss das Recht mit ein, über den Umgang mit dem zu verwaltenden Gut, der Welt, selbst eine normative Aussage zu treffen. Diese lautete, die Vollkommenheit sei keineswegs gegeben, jedoch anzustreben. Sie anzustreben bedeutete nun, auf ein Ziel hin – politisch – zu handeln und im Hinblick auf die Erreichung dieses Ziels durch Zuversicht angespornt oder durch Skepsis zurückgehalten zu werden. „Die Vollkommenheit der Menschen soll“, so erklärte es Oakeshott, „das Werk menschlicher Anstrengung sein, und die Zuversicht, daß die Unvollkommenheit verschwindet, entspringt dem Glauben an die menschliche Kraft, nicht dem Vertrauen auf die göttliche Vorsehung.“312 Drei Konsequenzen ergeben sich aus dieser Feststellung. Zum einen  : „Vollkommenheit oder Heil ist im Diesseits zu erlangen  : Der Mensch kann seine Erlösung in der Geschichte finden.“ Zudem  : „Die Menschen sind […] Produkte ihrer Lebensbedingungen, und folglich wird ihre Vollkommenheit als durch die Lebensumstände bedingt begriffen“ – woraus sich die Aufgabe der Politik ergibt  :313 Es ist nämlich die Regierung „der entscheidende Motor der auf Vollkommenheit abzielenden Verbesserung. Aus diesen Gründen soll die Tätigkeit des Regierens darin bestehen, das Handeln der Menschen zu überwachen und zu organisieren, um menschliche Vollkom310 Siehe den Abschnitt 9.1 („Religion und Religionskritik in der Schottischen Aufklärung“), 311 Siehe den Abschnitt 5.3.3 („Die Natur in Entwicklungsmodellen“). 312 M.  Oakeshott  : Zuversicht und Skepsis, S. 55. 313 „Politik“ kann in einer engeren und einer weiteren Bedeutung verstanden werden – als die Lehre von der Führung des Staates, aber auch lediglich als zielgerichtetes Verhalten. Oakeshotts Verständnis umfasst beide.

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menheit zu erlangen.“314 Und für die Entstehung einer solchen „Politik der Zuversicht“ sei die „entscheidende Bedingung […] ein erstaunlicher und berauschender Zuwachs menschlicher Macht“.315 Das ist ein keineswegs auf das 20. Jahrhundert beschränktes Politikverständnis, denn wer sich mit der schottischen Aufklärung befasst, sieht sich bei diesem Zitat einer bis hinein in die Wortwahl auffallenden Parallele zu Ferguson gegenüber, der festgestellt hatte  : „Und man kann von dem menschlichen Geschlecht überhaupt sagen, dass eine Erweiterung seiner Kenntnis ein Zuwachs seiner Macht ist.“316 Es ist auch nicht zu übersehen, dass im Begriff der Macht Oakeshotts Politikstil der Zuversicht mit einem, ja wohl dem Anliegen der Aufklärung zusammenfällt  : der Einsetzung der Menschen „als Herren“ der Natur.317 Ob es den Aufklärern nun um ein materielles Sich-der-Welt-Bemächtigen ging oder nur um Weltaneignung durch Weltverstehen, braucht an dieser Stelle nicht erörtert zu werden  ; von Bedeutung ist zunächst nur, dass mit der Aufklärung an die Stelle des In-der-Welt-Seins nunmehr ein Welt-Verändern im Hinblick auf ein Ziel getreten war, das wir „Verbesserung“ nennen können oder, mit Condorcet, perfectibilité. Der Abstand zwischen dem jeweils gegenwärtigen Zustand und diesem Ziel konnte somit ins Auge gefasst, beschrieben und ermessen werden – und das drückte sich im Begriff der Zuversicht aus, die den Grad der angenommenen Wahrscheinlichkeit für das Erreichen dieses Ziels widerspiegelte. Damit verhält es sich also wie bei Hume, für den Zuversicht ja ebenfalls kein absoluter Begriff war, sondern der darin ein jeweils höheres oder geringeres Maß an Erfolgserwartung für Handlungen sah.318 Allerdings  : Wollte man im Oakeshotts Ansatz eine tatsächliche Parallele zum Denken der Schottischen Aufklärung erkennen, wäre das vorschnell, denn er befasste sich mit der Politikausübung und nicht damit, was ihr an Bewertungen vorausgeht. Was Oakeshott jedoch sehr wohl mit der schottischen moral philosophy des 18. Jahrhunderts verbindet, ist sein nachdrückliches Verweisen auf Francis Bacon als den großen Initiator, den er allerdings als Politiker und nicht als Wissenschaftstheoretiker beurteilt. Das darf man als ein grundlegendes Unterscheidungsmerkmal werten. Zuversicht beleuchtet Oakeshott konkret im Zusammenhang mit der „Tätigkeit des Regierens im Dienste der menschlichen Vollkommenheit“, was „eine vollständige und unermüdliche Kontrolle der menschlichen Tätigkeiten voraussetzt“ und zu diesem Zweck darauf aus ist, „die dazu nötige Macht in ihren Händen zu konzentrieren.“319 Fraglos steckt in diesen Gedanken eine größere Nähe zu Foucault (und wohl auch Elias) als zu Hume, Ferguson und Smith. Oakeshotts „Zuversicht und Skepsis“ handelt von der „Kunst, den Zustand der Welt in Ordnung zu bringen“,320 während die Fragen der Schotten darauf gerichtet 314 M.  Oakeshott  : Zuversicht und Skepsis, S. 56. 315 Ebd., S. 57. 316 A.  Ferguson  : Gründe, I, S. 5 (historische Schreibweise korrigiert). 317 Horkheimer/Adorno  : Dialektik der Aufklärung, S. 9. 318 Siehe den Abschnitt 7.4.2 („Wie Zuversicht entsteht und wie sie sich auswirkt“). 319 M.  Oakeshott  : Zuversicht und Skepsis, S. 93. 320 Ebd., S. 112 (Hervorh. HK).

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waren, welches Zutrauen in die Kräfte gerechtfertigt war, die dazu geeignet erschienen, dass dieser Zustand der Welt von sich aus in Ordnung komme  : nämlich der Wandel der wissenschaftlichen Methode als Versprechen auf Wissenszuwachs, die Arbeitsteilung als Motor der Produktivität und damit des „Wohlstands der Nation“, das Interesse als motivierende Kraft des Individuums und das Eigentum als Objekt, auf das sie gerichtet war, dazu die Tugend als das bewährte Leitmotiv schlechthin – kurzum  : das Vertrauen in die Entwicklung und das Selbstregulierungspotenzial der civil society, die als eine commercial society gedacht wurde. Zweifellos öffnet Oakeshotts Ansatz eine weitere Perspektive auf den Begriff der Zuversicht, nämlich die auf den Zusammenhang mit dem Regierungshandeln. Diese Perspektive ist diejenige auf die Macht, und die Zuversicht darin bezieht sich auf die Erweiterung dieser Macht im Dienst der Kontrolle über den Staat und der radikalen Ausbeutung jeglicher Ressourcen. Dieses Denken war der Schottischen Aufklärung im Grund fremd und in ihr höchstens in schwachen Ansätzen vorhanden, zumal sie, wie deutlich geworden ist, ohnehin in ihren Absichten keineswegs radikal war. Selbst Smith, der sich mit den Aufgaben des Staates im Wealth of Nations eingehend beschäftigte, richtete seinen Blick mehr auf dessen ökonomische Strukturen, nicht so sehr auf die Entfaltung von Macht. Überwiegend konzentrierte sich Humes, Fergusons und Smiths Nachdenken darüber, ob nun Anlass zur Zuversicht oder zur Sorge bestehe, auf die bewegenden Kräfte, die sie in der zeitgenössischen Gesellschaft als immanente vorzufinden glaubten. Sie dachten dabei weniger an Machtausübung – der sie stets misstrauisch gegenüberstanden –, sondern vielmehr an Regulierung (als deren moderate Variante). Am liebsten aber dachten sie an Selbst-Regulierung im engeren oder weiteren Sinn  : an das Zusammenwirken der Eigenschaften eines gut eingerichteten Systems, dem man höchstens dann und wann ein wenig auf die Sprünge helfen musste. Zuversicht, wie sie von Oakeshott als Politikstil verstanden wird, ist paradoxerweise etwas zutiefst Pessimistisches. So sagt er über die philosophes, die Wegbereiter der Französischen Revolution und allesamt „Aufklärer“  : „Indem sie alte Vorurteile zerstörten, schufen sie neue. Zu ihrem Vermächtnis gehörte die klar ausgesprochene Auffassung, die eigentliche Aufgabe des Menschen bestehe in der Ausbeutung aller Ressourcen der Erde und die Regierung sei zur Leitung und Koordination dieser Aufgabe berufen […].“321 Das erinnert nun tatsächlich sehr viel mehr an die „vollends aufgeklärte Erde“ eines Horkheimer und Adorno, die diese „im Zeichen triumphalen Unheils“ strahlen sahen,322 und keineswegs an eine letztlich segensreich wirkende „unsichtbare Hand“ eines Smith. So sagt Oakeshott, was Zuversicht auch sein kann. Das rechtfertigt zumindest den Hinweis auf seinen Ansatz. Über die Zuversicht im Denken der Schottischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts allerdings sagt er nichts, und das wiederum rechtfertigt, dass dieser Hinweis knapp ausfällt. 321 Ebd., S. 125. 322 Siehe S. 67.

Schluss

15. Zusammenfassung

Der philosophie- und wissenschaftsgeschichtliche Epochenbegriff „Schottische Aufklärung“ ist erst Mitte des 20. Jahrhunderts eingeführt worden. Er verbindet mehrere Sachverhalte miteinander  : – eine Richtung des Denkens speziell der angelsächsischen Moralphilosophie, die in methodischer Hinsicht neue Schwerpunkte setzt  ; – einen Raum, nämlich die schottischen Universitäten von Edinburgh und Glasgow und ihr Umfeld  ; – eine Konstellation, und zwar ein dichtes Netz persönlicher Beziehungen, das einen unmittelbaren Gedankenaustausch zwischen führenden Natur- und Moralphilosophen begünstigt (wobei der Begriff „Schottische Aufklärung“ zumeist nur auf Letztere angewendet wird)  ; – eine Gruppe von Autoren, in deren Mittelpunkt David Hume, Adam Smith und Adam Ferguson stehen  ; sie vor allem sind es, die auch heute noch Beachtung finden – und auch verdienen  ; – eine Epoche, nämlich ungefähr das halbe Jahrhundert zwischen 1740 und 1790, in dem die einflussreichsten Schriften entstanden sind  ; – eine Entwicklung, nämlich die Schaffung einer science of man durch die Erweiterung der Moralphilosophie um neue Erklärungsansätze für das Individuum und die Gesellschaft, darüber hinaus um neue Gegenstände und die Vorbereitung ihrer Auffächerung in die späteren sozialwissenschaftlichen Disziplinen, wie sie heute bestehen  ; – eine Gesellschaftswahrnehmung, von der angenommen wird, sie sei von der für die Aufklärung insgesamt als typisch angesehenen insofern abgewichen, als sie das Entwicklungspotenzial der bürgerlichen Gesellschaft ambivalent bewertet, indem sie in ihr Verfallstendenzen ausmacht. Mit Blick auf die Ideengeschichte geht es um Entwicklungen, die zum Teil parallel verlaufen, sich aber auch gegenseitig beeinflussen. In Gang gebracht werden sie am Beginn der Neuzeit mit einem Aufschwung der Naturphilosophie, die mittels einer auf Empirie setzenden Methodik immer mehr in die Lage kommt, reproduzierbare Ergebnisse und damit Faktizität zu liefern. Die Vorgänge in der Welt werden auf eine neue Weise erklärt. Die Erkenntnisse der Naturphilosophie, die auf das Beobachtbare, Messbare und mittels der Methode der Mathematik gesetzmäßig Darstellbare abzielt, geraten in Konflikt mit dem bis dahin vorherrschenden und durch eine dogmatische Theologie gestützten Weltmodell der christlichen Offenbarungsreligion und damit mit deren Kosmogonie. Sie schwächen Letztere zunächst absichtslos, treiben aber zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit dem Gültigkeitsanspruch des geoffenbarten Wortes voran. Diese weitet sich über die Kritik an den sich gegen ihren Plausibilitätsschwund wehrenden theologi-

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Zusammenfassung

schen Lehren zu einer Kritik an der Religion selbst und an jenen Machtstrukturen aus, die die christliche Kirche zum geistigen und weltlichen Machtzentrum innerhalb der Gesellschaft gemacht hatten. „Aufklärung“ ist das Etikett für diesen Prozess. In ihrer moderaten Ausprägung behält diese im Deismus die Vorstellung von einem Schöpfer des Universums bei, dem sie jedoch ein regelndes Eingreifen in die Welt abspricht. Im Mittelpunkt des Weltverständnisses steht nicht mehr der weise handelnde Gott, sondern das von diesem den Menschen hinterlassene weise eingerichtete System, das ihnen in Form der Natur gegenübertritt. Die Natur wird zum greif- und begreifbaren Ersatz für den unbegreifbaren Gott. In der sich durchsetzenden Vorstellung wird diese Natur mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen  : mit einem Willen und einer Absicht. Die Natur wird zum Gegenüber, das Auskunft gibt in faktischer wie normativer Hinsicht, und sie wird zur Begründungsinstanz, die in den weltlichen Belangen zunehmend die Stelle der Offenbarung einnimmt. Die führenden schottischen Denker des 18. Jahrhunderts waren sich bei der Bewertung dieser Entwicklung in ihren Grundzügen einig. In bestimmten Einzelfragen jedoch ist dieses einheitlich erscheinende Bild deutlich nuanciert. Wenn man von der Schottischen Aufklärung im Sinn eines Kollektivbegriffs spricht, so geschieht das in der Überzeugung, man habe es mit einen verbindenden „Denkstil“ zu tun, der die Erweiterung der moral philosophy um die „Gegenstände“ der Ökonomie, der Psychologie und der Soziologie vorbereitet hat – man sprach deshalb von der „Geburt der Sozialwissenschaften aus dem Geiste der Moralphilosophie“. Und dieser wissenschaftsgeschichtliche Hintergrund ist es auch, der die genannten Autoren zu einem „Denkkollektiv“ vereint. Andererseits findet sich in ihren Texten eben durchaus Trennendes  ; Unterschiede bestanden nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in methodischer Hinsicht. Vergleiche der Konzeptionen von Hume, Smith und Ferguson sind auch deshalb problematisch, weil sich diese Denker nicht immer mit denselben Gegenständen befassten – und wenn es doch der Fall war, dann geschah dies oftmals unter verschiedenen Aspekten. Die folgende Zusammenfassung wird zwar die Argumentationsrichtung dieser Untersuchung verdeutlichen, doch ebnet die gebotene Generalisierung auch Nuancen ein und erzeugt zugleich Überbetonungen. Sie ist deshalb in dem Bewusstsein zu lesen, dass sich die Wirklichkeit weniger eindeutig dargestellt hat, als sie nachfolgend ins Bild gesetzt wird, und dass sich so manche scheinbare Eindeutigkeit einem subjektiven Blick ebenso wie den objektiven Gegebenheiten selbst verdanken könnte. Schlüssigkeit ist nichts von vorn herein Bestehendes, sondern sie entsteht beim Vorgang des Schließens – und durch die Wahl der Perspektive.

15.1 Rekapitulation

Mehrere Überlegungen haben die Vorgehensweise dieser Untersuchung mitbestimmt. Es wurde angenommen, dass bei Texten, die sich mit der politischen und rechtlichen

Rekapitulation |

Ordnung der Gesellschaft sowie mit ihrer Entstehung und ihren Entwicklungsmöglichkeiten befassen, der Begriff der „Zuversicht“ mit dem der „Kontingenz“ in einer Zusammenschau zu behandeln ist. Analysen werden implizit im Hinblick auf Prognosen gemacht. So ist das Bemühen um das Verständnis sowohl der Gesellschaft als auch der ökonomischen und rechtlichen Stellung des Individuums nicht zuletzt darauf ausgerichtet, politisches Handeln absehbar zu machen, also Kontingenz zu bewältigen. In der Zuversicht kommt zum Ausdruck, in welchem Maß diese Absehbarkeit von Handlungen verwirklicht ist. Dieser Zusammenhang wurde von Hume beschrieben. Das Narrativ der Schottischen Aufklärung

Der Eindruck, die Schottische Aufklärung habe zu einem Denkstil gefunden, in dem im Vergleich mit der Aufklärung insgesamt eine geringere Zuversicht in die künftige Entwicklung der Gesellschaft zum Ausdruck komme, ist in einer solch generalisierten Form nicht zutreffend. Vielmehr bot sich bei genauerer Betrachtung ein sehr differenziertes Bild. So wurden zwar große Erwartungen in die von der stetig zunehmenden Arbeitsteilung wie von einem Motor angetriebene commercial society gesetzt, doch verkannte man dabei das dieser Gesellschaft innewohnende dissoziierende Potenzial keineswegs. Die Textstellen, die ihren möglichen Niedergang unterschiedlich ausführlich thematisieren, belegen dies. Die Konstellation

Charakteristisch für die schottischen Aufklärer ist ihre Konstellation als eine Gruppe. Deren Forschungsinteresse ist keineswegs auf das Gebiet der Philosophie beschränkt, sondern es stellt sich als das Amalgam vieler Einflüsse des gesamten Geisteslebens im Umfeld der Universitäten von Edinburgh und Glasgow dar. Moralphilosophen, Naturwissenschaftler, Techniker, Theologen, Mediziner und Künstler pflegten dort enge persönliche und gesellschaftliche Beziehungen. So erklärt sich, wie etwa die naturwissenschaftliche Methodik nicht nur ins Blickfeld der Moralphilosophen rückte, sondern von diesen zumindest ansatzweise auch assimiliert werden konnte. In deren Texten kamen selbst Analogien zur Technik auf. Es entwickelte sich eine Art von Methodentransfer, der die Bestrebungen nach einer Abkehr von einer spekulativen Metaphysik intensivierte und so das Entstehen einer science of man vorbereitete. Das Umfeld, in dem dies geschah, ist gekennzeichnet durch das Schwinden des Einflusses der christlichen Welterklärung, die durch eine Berufung auf die Natur mehr und mehr verdrängt wurde. Die Facetten dieses Verdrängungsprozesses waren herauszuarbeiten. Die Stellung der Schottischen Aufklärung in der angelsächsischen Philosophie

Es trifft nicht zu, dass das Aufblühen der schottischen Philosophie des 18. Jahrhunderts „aus dem Nichts“ (T. C. Smout) erfolgt war. Vielmehr ließ sich darstellen, dass die meisten Elemente dieses Denkens in der vorauslaufenden angelsächsischen Philosophie bereits ausgearbeitet, jedenfalls aber angelegt waren. Dies ist allerdings nicht dahingehend

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zu verstehen, als habe es sich dabei um eine linear und bruchlos verlaufende Argumentation gehandelt, in die das Denken der Schottischen Aufklärung sich am Ende nahtlos eingefügt hätte – vielmehr sind auch Positionen, die im Lauf der Debatten modifiziert und verworfen worden waren, Teil dieses Diskurses. Zu rekapitulieren ist  : Von Francis Bacon ging Anfang des 17. Jahrhunderts ein starker Impuls zu einem Methodenwandel in der Moralphilosophie aus. Die für die Neuzeit so entscheidende Neubewertung der Natur wurde von ihm maßgeblich vorangetrieben. Sein Einfluss reicht erkennbar bis zu den schottischen Denkern des 18. Jahrhunderts. Von kaum geringerer Bedeutung für sie war das Denken Thomas Hobbes’. Zwar teilten sie nicht dessen Gedanken zu einem die Gesellschaft generierenden Urvertrag, doch folgten sie jener Argumentation, die das Eigeninteresse und dessen Bedeutung für das Eigentum als treibende Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung hervorhob. Übernommen wurde von ihnen auch die Vorstellung von einem im Dienst des Eigentums stehenden Staates, die ebenfalls auf Hobbes zurückging und von John Locke präzisiert worden war. Lockes theoretische Grundlegung des Widerstandsrechts der Bürger gegen einen Staat, der seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, fand in der schottischen Moralphilosophie ebenso Widerhall. Shaftesburys Vorstellung von einem moral sense gab, von Francis Hutcheson vermittelt, insbesondere Hume und Smith den Anstoß zu weitergehenden Differenzierungen im Rahmen des Affekte-Verstand-Diskurses. Und in Bernard Mandevilles von den Schotten so ungeliebtem Schlagwort von private vices, die sich unintendiert in public benefits verwandeln würden, fanden Hume, Smith und Ferguson neben einer Apologie des Eigennutzes im Ansatz bereits vor, was sie dann zur Selbstregulierung von Systemen unter Stichworten wie invisible hand und spontaneous order weiter ausarbeiten sollten. All das kam also keineswegs from nothing. Deshalb erschien es geboten, die Argumentationslinie, die von Bacon bis zur Schottischen Aufklärung (und natürlich über diese hinaus) führt, ausführlich nachzuzeichnen. Die Erforschung der Schottischen Aufklärung

Die Schottische Aufklärung ist erst um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, also vergleichsweise spät, ins Blickfeld der Forschung gerückt. Deren Ergebnisse zeigen ein charakteristisches Bild. Es leitet sich davon ab, dass mit der Entstehung einer science of man eine Entwicklung eingesetzt hat, in deren Verlauf es zur Abspaltung der heutigen sozialwissenschaftlichen Disziplinen aus der traditionellen Moralphilosophie kam. Daran richtete sich das Forschungsinteresse aus, und entsprechend lassen sich mehrere Richtungen unterscheiden, aus denen drei hervorragen. Die erste dieser Richtungen nahm ihren Ausgang von eben den genannten Disziplinen, und hier stand jene im Vordergrund, die die Gesellschaft aus dem Blickwinkel der Politischen Ökonomie betrachtete und die insbesondere auf Smiths Wealth of Nations einging. Eine zweite Themenlinie, die von den schottischen Denkern neben der ersten, ökonomischen, verfolgt wurde, war die historische, die das Projekt einer Geschichte der Zivilisation verfolgte. Dieser Prozess der Zivilisationsgeschichte wurde in der Regel als

Rekapitulation |

verknüpft mit den Wirtschaftsformen früherer „Stadien“ der gesellschaftlichen Entwicklung aufgefasst. Die dritte Richtung sodann setzte zwar ebenfalls bei der Geschichte an, ging jedoch fließend in eine Untersuchung der Machtstrukturen über, die sich zwischen den Gruppen der Gesellschaft ausmachen ließen. Das war derjenige Blickwinkel, der heute als ein soziologischer bezeichnet wird. Es lassen sich also, vorgegeben durch das Themenspektrum der Schottischen Aufklärung, ökonomische, historische und soziologische Forschungsansätze unterscheiden. Daneben gab es seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine Forschungsrichtung, die sich der Schottischen Aufklärung als einem eigenständigen Phänomen widmete und jene Aspekte herauszuarbeiten suchte, die einerseits die Autoren und ihre Themen zu einem geschlossenen Ganzen machten, andererseits den schottischen Kontext zu den übrigen europäischen „Aufklärungen“ in Beziehung setzte und von diesen als „Sonderfall“ abgrenzte. Der wohl größte Teil der Publikationen umfasst jene Untersuchungen, die von den einzelnen Autoren und ihren Werken ausgingen und die Schottische Aufklärung somit eher mittelbar, als eine Art Hintergrund, behandelten. Als die einflussreichsten Denker zogen dabei Hume und Smith nicht nur die meiste Aufmerksamkeit auf sich, sondern sie standen auch stellvertretend für das „Denkkollektiv“, als dessen Repräsentanten sie angesehen wurden. Das führte zu einer mitunter verengten Wahrnehmung des tatsächlichen thematischen Spektrums der Schottischen Aufklärung. Die Problematik der Vorannahme der menschlichen Natur

Der Begriff der „menschlichen Natur“ war gleichermaßen Ausgangs- und Mittelpunkt der Argumentation der schottischen Denker. Dieser zentrale Aspekt wurde in dieser Untersuchung in seiner Problematik aus mehreren Blickwinkeln näher beleuchtet. Die Natur nämlich kann nur unter erheblichen Vorbehalten als wirkliches Faktum angesehen werden, insbesondere dann, wenn es nicht um empirisch quantifizierbare Befunde geht (wie sie die Naturwissenschaft kennt), sondern um so unscharfe Sachverhalte wie menschliches Verhalten, gesellschaftliche Prozesse, Emotionen, Affekte, Interessen und dergleichen mehr, was sich unter dem Begriff der menschlichen Natur subsumieren lässt. In der mit der gesellschaftlichen Interaktion befassten Moralphilosophie war die Natur folglich ein metaphysischer Begriff rationalistisch-spekulativen Ursprungs – ein Umstand, der jedoch weitgehend verdeckt blieb. Die science of man handhabte den Naturbegriff so, als sei er ein statischer und gleichzeitig universell gültiger, der sich mittels Gesetzen beschreiben ließe und Prognosen ermögliche. Dass all das nicht der Fall war, bezogen die schottischen Denker zunächst nicht in ihre Überlegungen mit ein. So war die Berufung auf die menschliche Natur, salopp gesagt, gleichermaßen das Kernstück und die Sollbruchstelle ihrer Argumentation, denn wofür diese Natur stand, richtete sich in einem hohen Maß nach den Vorannahmen derjenigen, die ihre Beweisführung auf sie gründeten  : Dieser Ansatz konnte zu jedem denkbaren Ergebnis führen – zu dem von Natur aus guten Menschen Rousseaus ebenso wie zu jenem, der die eigenen Artgenossen

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Zusammenfassung

unablässig bedrohte und von dem Hobbes ausgegangen war. Der Naturbegriff war also eine Präsupposition im Sinn R. Collingwoods  : eine Vor-Annahme und eine stillschweigende Voraussetzung, die bereits besteht, bevor das eigentliche wissenschaftliche Fragen und Antworten überhaupt einsetzt. Deshalb dürfen solche am Anfang einer Theorie stehenden Präsuppositionen nicht mit Tatsachenfeststellungen gleichgesetzt werden. Sie sind etwas unausgesprochen Vorausgesetztes und Ausdruck des Einverständnisses mit einer Konvention im Sinn quasi-institutionalisierter Gewissheiten, die nicht weiter hinterfragt werden, weil sie allgemein als „wahr“ erkannt oder doch zumindest anerkannt sind. Deshalb durfte die Untersuchung des Denkens der Schottischen Aufklärung nicht erst bei ihren Ergebnissen ansetzen, sondern musste es bereits bei den diesen zugrunde liegenden Vorannahmen und ihren Implikationen. Die Schottische Aufklärung als Denkkollektiv

Diese Untersuchung geht davon aus, dass sich die Schottische Aufklärung als Denkkollektiv auffassen lässt, wie es L. Fleck verstanden hat. Dieser sah den Prozess der Wissenschaft beeinflusst durch einen Mechanismus der Sozialisierung, ja geradezu determiniert durch ihn, und er wies auf die unreflektierten Aspekte in diesem Prozess hin. Er fragte, welchen sozialen Einflüssen eine sich weiterentwickelnde Wissenschaft ausgesetzt sei und welchen Überprägungen durch überliefertes „Wissen“ sie unterliege. Dabei führte er zwei Begriffe ein  : den Denk-Stil als den intellektuellen Rahmen, innerhalb dessen die Erkenntnis anwächst, und eben das Denk-Kollektiv als die soziale Gruppe, die den Denkstil artikuliert, überliefert und fortschreibt. Er ging davon aus, „daß unsere Kenntnisse viel mehr aus dem Erlernten als aus dem Erkannten bestehen.“ Die Folge sei oftmals ein Weiterbauen auf einem ungeprüften Fundament, und er nannte dafür als Gründe – „die Last der Tradition“ (im Sinn einer Vorfestlegung auf das, was als „gesichertes Wissen verstanden wird“, also des „Weltbildes“), – „das Gewicht der Erziehung“ (im Kanon weiterzugebenden Wissens wird eine Vorfestlegung gesehen, der Vermittlungsprozess führt zu Veränderungen dieses Wissens) und – „die Wirkung der Reihenfolge des Erkennens“ (vorangegangene Ergebnisse und Konzeptionen leiten die Suche nach neuen und geben ihnen eine Richtung vor). Humes Vorstellung von Zuversicht

Die Verwendung des Zuversichtsbegriffs innerhalb dieser Untersuchung erforderte seine Definition. Hume hat sie im Treatise und in der Enquiry concerning Human Understanding geliefert. Unter den Denkern der Schottischen Aufklärung war er der einzige, der sich der Frage annahm, was Zuversicht überhaupt sei, wie sie entstehe und was sie bewirken könne. Er wies darauf hin, dass der Impuls zu jeglichem Handeln nicht von der Vernunft, sondern von der Zuversicht der Akteure ausgehe. Und es waren seine Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Verstand und den Affekten, die darüber aufklärten, dass von einer unmittelbaren Beziehung zwischen der Zuversicht und dem In-Gang-Setzen von Handlungen ausgegangen werden könne. Der „Affekt“ der Zuversicht (hope) ist zwangs-

Rekapitulation |

läufig in die Zukunft gerichtet, in einen Bereich der Nicht-Absehbarkeit des Geschehens. In der Zuversicht ebenso wie in der Skepsis (fear, nicht im Sinn von „Furcht“, sondern von „Befürchtung“) kommen jeweils bestimmte Einschätzungen zum Tragen  : Hoffnung zu haben setzt voraus, das Eintreten von etwas für möglich zu halten. Das Registrieren und Bewerten einer Möglichkeit jedoch ist keine unmittelbare Empfindung, kein voraussetzungslos auftretender Affekt, sondern das Ergebnis einer abwägenden Tätigkeit des Verstandes  : Der Verstand ermittelt aufgrund von erworbenen Kenntnissen und gesammelten Erfahrungen den Grad der Wahrscheinlichkeit, mit dem ein Erfolg des Handelns angenommen werden kann. Darin liegt das eigentliche Zusammenspiel, von dem Hume im Treatise so plakativ gesagt hat  : „Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte und soll es sein  ; sie darf niemals eine andere Funktion beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen.“ Mit diesem Satz allerdings verkürzte er zugunsten der Plakativität seine eigene Intention  ; die nämlich war weniger apodiktisch und lautete  : Der Impuls der Handlungsauslösung ist nicht das Werk vernünftiger Überlegung, sondern er ist affektiver Natur. Dem Verstand fällt die Funktion zu, das Handeln sodann zu moderieren. Damit konterkarierte Hume die aufklärerische Grundüberzeugung, die da lautete  : Alles Handeln könne sich nur dann als richtig erweisen, wenn es denn den Weisungen durch die Vernunft folge. Er stellte dabei einen Zusammenhang her zwischen Hoffnung (im Sinn von Zuversicht), Gewissheit und Wahrscheinlichkeit einerseits sowie zwischen Furcht (im Sinn von Skepsis), Besorgnis und Ungewissheit andererseits. Und das bedeutete implizit  : Wissen beruhigt, indem es hilft, Künftiges absehbar zu machen. Ungewissheit, das Bewusstsein von Kontingenz, erzeugt Furcht. Zuversicht ergibt sich aus dem Glücken der Bewältigung von Kontingenz  : Der Unabsehbarkeit des künftigen Geschehens sollten Gewissheiten abgerungen werden. Somit ging es um Kontingenzbewältigung mittels des Durchschauens der Ursachen, die einem Geschehen zugrundeliegen  : also um Kausalität, das heißt um Wirkungen, deren Ursachen exakt benannt werden können. Ursächlichkeit und allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten, wie die Naturgesetze sie darstellten, erzeuge die erhoffte Absehbarkeit eines künftigen Geschehens. Wissen allein bot zwar noch keine Kontrolle darüber, aber es verhieß sie immerhin. Die Bedeutung der Geschichte

Für die moral philosophy als einer Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse aus der Anschauung und nicht mehr mittels rationalistischer Spekulation zu erbringen hatte, gewann die Frage nach der Verlässlichkeit von Quellen erheblich an Bedeutung. Das herkömmliche Verfahren der Argumentation mittels des Verweises auf historische Überlieferungen wurde zwar beibehalten, doch geschah dies vor dem Hintergrund eines zunehmend kritischen Bewusstseins. Der Wert von Zeugnissen wurde stärker als zuvor hinterfragt, gleiches galt für die Verwendung der neu aufgekommenen Gattung der Reiseberichte. Ebenso wurde erörtert, ob Geschichte gleichförmig verlaufe und ob von historischen Entwicklungen überhaupt auf die Gegenwart geschlossen werden könne. Dies alles

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Zusammenfassung

prägte das Bild, das von der zeitgenössischen Zivilisation und der von ihr zu erwartenden Entwicklung gezeichnet wurde. Deismus und Systemdenken

Der Verlauf der Aufklärung ist, so das gängige Narrativ, von der Religionskritik nicht zu trennen. Dass die Autorität der Kirchen ins Wanken geriet, war das Ergebnis von zwei gegenläufigen Prozessen. Der eine stellte sich gewissermaßen als „philosophische“ Hinterfragung der kirchlichen Dogmen dar, als Religionskritik im wörtlichen Sinn. Diese Anstrengungen wurden gestützt und verstärkt durch einen zweiten Prozess, den jene Ergebnisse vorantrieben, die die Naturphilosophie der Neuzeit vorweisen konnte  : Sie stellten die theologischen Erklärungen der Welt nicht nur infrage, sondern sie unterliefen die Plausibilität der christlichen Kosmogonie insgesamt. So verloren die Kirchen nach und nach ihre durch die Theologie gestützte politische Vormachtstellung und ihre ehedem erdrückende Dominanz bei der Weltdeutung. Dabei war die Religionskritik der Schottischen Aufklärung, gemessen an der Argumentation in Frankreich, verhalten. Die Vorstöße in diese Richtung durch Hume, den wohl einzigen Religionskritiker unter den bedeutenden schottischen Denkern seiner Zeit, waren zwar wohlbegründet und grundlegend, aber nicht wirklich konfrontativ. Der Weg der schottischen Moralphilosophen war es nicht, gegen die religiöse Dogmatik anzugehen, sondern deren Deutungshoheit über die Lebensgestaltung stillschweigend zu übergehen und an ihre Stelle eine deistische Auffassung zu setzen. Diese nahm zwar einen Schöpfer des Universums an, negierte jedoch dessen Eingreifen in das Geschehen der Welt. Mit dieser Idee des Deismus nun war eine ganz bestimmte Dynamik des Denkens verknüpft  : In dem Maß, wie in den Überlegungen der Zeit dem Schöpfergott eine Teilnahme am Geschehen in der Welt abgesprochen wurde und er dieser somit als ihr aktiver Lenker fehlte, erfolgte die Ersetzung der so zurückgelassenen Leerstelle durch die Vorstellung der Welt als eines wohlgeordneten Systems, das festen Prinzipien gehorchte. Diese Prinzipien galt es aufzufinden, und so erwuchs aus der Dekonstruktion der sicht- und verstehbaren Welt die (Re-)Konstruktion von „Systemen“, in denen sie sich abbildete. Der Gedanke des Systems wurde prägend  : „Ein System“ sei, so Smith, „eine imaginäre Maschine, die wir erfinden, um in Gedanken die verschiedenen Bewegungen und Wirkungen miteinander zu verbinden, die bereits in der Wirklichkeit vorhanden sind.“ Mit der auf den Menschen und seine gesellschaftlichen Beziehungen übertragenen Maschinenanalogie schien ein Modell gefunden, in dem sämtliche wirkenden Kräfte einzeln zueinander in Beziehung gesetzt und analysiert werden konnten. Es ist schlüssig, darin einen Zuwachs an Zuversicht in einen als gesetzmäßig angenommenen Lauf der Dinge zu erkennen. Methodenwandel und Zuversicht

Der metaphysisch-rationalistische Erklärungsansatz wurde, ganz im Einklang mit dem Denkstil der Zeit, durch einen naturwissenschaftlich-technischen, jedenfalls empirischrationalen, zurückgedrängt. Faktizität und Kausalität waren die Ziele, die man verfolgte,

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und damit ging es auch um die Frage  : Welche Quellen der Erkenntnis sind verlässlich  ? Die Schottische Aufklärung formulierte diesen Gedanken nicht explizit, doch ihre Anstrengungen lassen an vielen Stellen erkennen, dass sie ihn umzusetzen bestrebt war. Sie machte das auf verschiedene Weise deutlich, etwa indem sie einen Wandel in ihren Vorgehensweisen propagierte  : einen methodischen Übergang von der spekulativen und rationalistischen Metaphysik zu einer experimental method, die auf einen Erkenntnisgewinn durch Empirie und unmittelbare Wahrnehmung aus war. Geschichtliche Überlieferungen bewerteten die Autoren häufig als Erfahrungstatsachen. Oftmals stützten sie darauf ihre Argumentation. Da historische Berichte jedoch niemals ein bruchloses Bild des Geschehens vermitteln können, wichen sie auf ein Verfahren aus, das ihnen geeignet schien, die unvermeidlichen Lücken in den Überlieferungen mittels schlüssiger Annahmen zu füllen  : die Methode der conjectural history. Ein konkretes Ergebnis, das dieser Denkansatz erbrachte, war die Schaffung von Modellen, die die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft in Form einer Abfolge von vier Stadien darstellten  : Ausgehend von einer Kultur von Sammlern und Jägern münde die Entwicklung nach einigen Zwischenstufen letztlich in die zeitgenössische polished oder commercial society, eine Gesellschaft, in der die Interessen der Individuen und das Prinzip des Eigennutzes die treibenden Kräfte seien und die ein Höchstmaß an Arbeitsteilung und ein dichtes Netz von Handelsbeziehungen präge. Arbeitsteilung, Eigennutz und Eigentum

Eine Moralphilosophie, die sich auf die menschliche Natur als ausweisbares Faktum stützte, würde bei dem Versuch scheitern müssen, in den Abläufen des individuellen und gesellschaftlichen Lebens Gesetzmäßigkeiten von universeller Gültigkeit und Zuverlässigkeit – in der Art der oben ins Spiel gebrachten Naturgesetze – aufzufinden. Was die Menschen ausmache, wie ihre Natur sei, ersehe man daraus, wie sie sich verhielten, meinte etwa Ferguson. Aber menschliches Verhalten ist eben nicht einheitlich, gehorcht keinen unumstößlichen Gesetzen, sondern ändert sich mit den Zeiten und mit den Umständen, in denen diese Menschen leben. Sie verhalten sich unterschiedlich je nach Charakter und Fähigkeiten, physischer und psychischer Disposition, je nach den Erfahrungen, die sie machen und die sie als Grundlage für ihr Handeln auswerten. Darauf also würden sich zuverlässige Aussagen über das, was sein und geschehen werde, nicht aufbauen lassen, denn hier verlief die Grenze zwischen den Methoden der natural philosophy und der science of man, und sie war unüberwindlich. Wie aber war im Hinblick auf menschliche Handlungen dennoch Absehbarkeit zu erlangen  ? Ausdrücklich setzte man auf die bereits erwähnte neue Methodik des Erkenntnisgewinns (experimental method und conjectural history). Man ging daran, die Ursachen der Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung systematischer zu untersuchen, die man zum einen in der Arbeitsteilung erkannte, zum andern im individuellen Eigennutz, der auf die Mehrung materiellen Besitzes abziele. Der moralphilosophische Erklärungsansatz wurde dadurch auf die Ökonomie und die Rechtslehre ausgedehnt. Ferguson fasste dies in dem Satz

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zusammen  : „Die gewerblichen und kommerziellen Künste gingen aus der Liebe zum Eigentum hervor und wurden durch die Aussicht auf Sicherheit und Gewinn angespornt.“ Die Zielrichtung war  : Anreiz durch die Möglichkeit der Schaffung von Eigentum und sodann dessen Sicherung durch eine Rechtsordnung, die zu gewährleisten Sache des Staates sei. Deshalb ist es nur schlüssig, wenn für Hume „von allen Bedingungen für die Begründung der menschlichen Gesellschaft“ die Gewährleistung der Sicherheit des Besitzes „die notwendigste“ war. Die Gesellschaft der Schottischen Aufklärung wurde als eine von Eigentümern gedacht. Zuversicht und Skepsis oder  : der Blick auf die Chancen und auf die Gefahren

Dass in einer so verstandenen commercial society von der Sphäre der Ökonomie nicht nur eine starke Prägung ausging, sondern auch eine Gefahr für den Zusammenhalt der Gesellschaft, wurde keineswegs übersehen. In die Zuversicht in das Anwachsen des Wohlstands der Nation mischte sich bei Smith, mehr noch bei Ferguson, die Sorge vor einem allgemeinen Erlahmen der die Gesellschaft verbindenden Kräfte, vor einem Verfall der Bürgertugenden. Letztere zu stützen wurde als ein vorrangiges Erfordernis betrachtet, und in diesem Punkt schlug der in allen Schriften der schottischen Denker zum Ausdruck gebrachte analytische Anspruch, die Wirklichkeit zu beschreiben und zu erklären, in einen normativen Reflex um, nämlich in die nachdrücklich gestellte Frage  : Was ist das Richtige und wie ist es zu erreichen  ? Die Antworten, die darauf zu geben versucht wurden, traten in einem Bereich zutage, der auf den ersten Blick mit der Frage nach der Zuversicht nur wenig zu tun zu haben scheint  : im Diskurs um die Landesverteidigung, der geprägt war von der Erörterung des Pro und Contra von Miliz und stehendem Heer. Diese Auseinandersetzung wurde am Beispiel von Smith und Ferguson nachverfolgt. Es kam darin Fergusons Zuversicht in die integrative Kraft des Gedankens der Identifikation der Bürger mit ihrem Staat als einem Wert zum Ausdruck. Der Milizgedanke stand für die Tugend eines Eintretens für das gemeinsame Ganze. Die Landesverteidigung einem stehenden Heer von Söldnern zu überantworten, das kam einer Delegierung der eigenen Interessen an Außenstehende gleich. Die Abkehr vom Rationalismus als dem Fundament der Weltdeutung, die methodische Neuorientierung der moral philosophy durch Verfahren der experimental method und der conjectural history, die deistische Überzeugung von einer auf wenigen Prinzipen aufgebauten Ordnung der Welt, das Vertrauen in die Arbeitsteilung und die Wirkkraft der im Prinzip des Eigennutzes zum Ausdruck kommenden Interessen der Individuen als die treibenden Kräfte der Entwicklung – allein dies wären in der Wahrnehmung der schottischen Denker hinreichende Gründe für einen zuversichtlichen Blick auf die künftige Entwicklung der Gesellschaft gewesen, in der sie lebten. Dabei blendeten sie die Schwierigkeiten, die sich in einer stark durch die Ökonomie bestimmten commercial society ergeben konnten – Vereinzelung, schwindendes Gemeinschaftsinteresse, die mit der arbeitsteiligen Produktionsweise einhergehende Abstumpfung und Entfremdung des Individuums, auch die Möglichkeit einer zunehmenden Verelendung der labouring poor

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(Smith) –, keineswegs aus, beachteten sie allerdings auch nicht alle mit der gleichen Aufmerksamkeit. Am deutlichsten lassen sich die Unterschiede in den Perspektiven zwischen Ferguson und Smith ausmachen, und wenngleich von einer Gegensätzlichkeit der Auffassungen keineswegs die Rede sein kann, überwiegt bei der Grundtönung des Denkens der beiden doch im einen Fall eher die Zuversicht (Smith), im andern eher die Skepsis (Ferguson). Hume hingegen entzieht sich einer solchen Einordnung aus mehreren Gründen. Sein Beitrag zum Thema Zuversicht war erkenntnistheoretischer Art  : Er arbeitete heraus, was Zuversicht war, nicht, ob sie angebracht war. Bewertungen der zeitgenössischen Gesellschaft finden sich in seinen theoretischen Hauptwerken in einem vergleichsweise geringen Maß, und wenn er sich Fragen des politischen Handelns zuwandte, so standen im Vordergrund stets sein Bestreben nach Moderation und die Sorge um das Bestehende. Für einen Denker der Aufklärung lag ihm der Gedanke an grundlegende gesellschaftliche Veränderungen erstaunlich fern. Selbstregulierung von Systemen

Gegenüber dem Gedanken einer Regulierung des Gesellschaftsgefüges von außen gewann in der Schottischen Aufklärung mehr und mehr jener einer Selbstregulierung von Systemen an Bedeutung. Überlegungen zum freien Spiel der Kräfte wurden nun angestellt. Für Hume, Smith und Ferguson gingen die Höherentwicklung der Zivilisation und eine Verfeinerung von gesellschaftlichen und individuellen Kontrollmechanismen Hand in Hand. Kontrolle zeigt sich als ein wichtiges Element einer jeden Art von Interaktion, indem Zustände fortlaufend registriert und an das handelnde „System“ rückgemeldet werden. Hume in seinem Treatise und Smith in seiner Theory beschrieben dezidiert, wie die Handlungsauslösung und die Handlungsmoderation auf ein intrapersonales Zusammenspiel von Sinneseindrücken und deren Bewertung zurückgeführt werden konnten. Am klarsten trat dies in Smiths Denkfigur des „unparteiischen Beobachters“ zutage, aber auch Humes Überlegungen zu den „künstlichen Tugenden“ gingen in diese Richtung. Die „einsetzende Verwandlung zwischenmenschlicher Fremdzwänge in einzelmenschliche Selbstzwänge“, von der N. Elias als einem Kennzeichen der Zivilisation sprach, tauchte hier auf, und es wurde beschrieben, wie sich daraus ein Effekt einer Stabilisierung der Gesellschaft ergeben konnte. In diesen Kontext gehört auch, dass in Fergusons Essay ebenso wie in Millars Origin über längere Passagen hinweg der Aspekt der Unterordnung (subordination) thematisiert wird, denn Unterordnung ist in vielerlei Hinsicht gleichbedeutend mit der Akzeptanz von gesellschaftlichen Regeln. Im Verlauf des Prozesses der Zivilisation gewinnt das Eigentum an Bedeutung, und die Anstrengungen, es zu schützen, finden ihren Niederschlag in einer Zunahme von Regeln und damit in verstärkter Kontrolle. Die angelsächsische Moralphilosophie, in die die Schottische Aufklärung einmündete, hatte seit Hobbes darauf hingewiesen. Im Zusammenhang damit fällt auf, wie in den Texten neben die Beschreibung von Kontrollmechanismen, die von außen her auf das Individuum und die Gesellschaft wirk-

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ten, die Auseinandersetzung mit Rückkopplungssystemen und dem Gedanken einer Selbstregulierung trat und rasch an Bedeutung gewann. Kaum Beachtung findet hingegen, dass man Humes Affekttheorie als Beschreibung eines Rückkopplungssystems lesen kann, ja lesen muss  : Die Analyse des Zusammenspiels des Verstandes mit den Affekten zeigt die handlungsauslösende Funktion letzterer, doch in einem zweiten Schritt erfolgen die Handlungskontrolle sowie die Rückmeldung der Handlungsergebnisse an die Ebene der Affekte durch den Verstand. Beide Elemente informieren sich in Rückkopplungsschleifen gegenseitig und nehmen dadurch moderierend Einfluss aufeinander. Erst Smith aber brachte die Idee eines Rückkopplungssystems ins allgemeine Bewusstsein, indem er im Wealth of Nations die Tendenz des Marktes beschrieb, aufgrund innerer Gesetzmäßigkeiten stets einem Zustand des Gleichgewichts zuzustreben, und dafür die Metapher der „unsichtbaren Hand“ einführte. Dass dies eine Überlegung war, die auf Hume zurückging, ließ sich nachweisen. Erstmals hatte Smith die Metapher in der Theory im Zusammenhang mit dem Trickle-down-Effekt verwendet, durch den infolge der „natürlichen Selbstsucht und Raubgier“ der Wohlhabenden – absichtslos – die ausreichende Versorgung der Armen gewährleistet werde. Eine weitere Spielart der Selbstregulierung eines Systems machte Ferguson zum Thema, der im Wettstreit zwischen unterschiedlichen Interessen innerhalb eines durch Gesetze abgesteckten Rahmens das Kennzeichen einer funktionierenden und überlebensfähigen Gesellschaft sah. Auch die aus einem solchen Diskurs hervorgegangene Ordnung ist keine künstlich geschaffene (einer planvoll handelnden Politik), sondern eine spontan und vor allem absichtslos entstandene  : „Oft ist das öffentliche Interesse gerade deshalb gesichert, weil ein jeder an seinem Platze entschlossen ist, sein eigenes Interesse zu wahren, und nicht etwa deshalb, weil die Individuen geneigt sind, dieses öffentliche Interesse als Endziel ihres Verhaltens zu betrachten.“ Seit Mandevilles Fable of the Bees war dieser Gedanke einer unintendierten Selbstregulierung des Gemeinwesens nicht mehr neu, doch mit Ferguson und Smith wurde er in den übergeordneten Zusammenhang einer Beschreibung der zeitgenössischen britischen Gesellschaft gestellt.

15.2 Folgerungen

Kann es als Ergebnis durchgehen, wenn diese Untersuchung zu dem Schluss kommt, die Schottische Aufklärung habe zur Zuversicht ein ambivalentes Verhältnis gehabt  ? Dabei bleibt nach all dem bisher Gesagten keine andere Wahl, als genau dies festzuhalten. Zu rekapitulieren ist, dass die schottischen Denker um Hume unter dem Eindruck eines Aufbruchs standen. Die Loslösung von theologischen Dogmen war bereits weit vorangeschritten, die politische Macht der Kirchen geschwunden. In methodischer Hinsicht hatte die natural philosophy einen neuen Weg gewiesen, der auch den Moralphilosophen gangbar erschien und ihnen ein Vorgehen nahelegte, das ihnen sehr viel größere Verlässlichkeit durch die unmittelbare Anschauung (einschließlich der historischen Überliefe-

Folgerungen |

rung und zeitgenössischer Reiseberichte) verhieß. So glaubten sie sich an der Schwelle zur Überwindung des Rationalismus, wenngleich sie mitunter reflexartig in spekulative Tendenzen zurückfielen. Das Voranschreiten der menschlichen Gesellschaft sahen sie durch die fortlaufende Arbeitsteilung als gegeben an, als eine Entwicklung, die nur in eine Richtung verlaufen konnte. Darin, ob diese Entwicklung ein natürliches Ende finden oder ohne ein festes Ziel immer weiter voranschreiten würde, waren sie allerdings ebenso uneins, wie sie es in der Beurteilung der Gefahren waren, die sie in der Zivilisation sahen – oder eben nicht sahen. Dass die polished society ihrer Zeit in die Industriegesellschaft einmünden würde, war für sie nicht absehbar. Einig waren sie sich zweifellos darin, in einem Zuwachs an Wissen etwas Erstrebenswertes zu erkennen. Diesen Zuwachs an Wissen sahen sie auch in der Aufdeckung von Systemen, worunter sie verstanden, Einblick in die geordnete Einrichtung der Welt zu gewinnen, von der sie als Deisten überzeugt waren. Die Annahme, die Welt sei das Werk eines Schöpfergottes, der sie mit Bedacht eingerichtet habe, eröffnete ihnen die Möglichkeit, diese Welt als System zu verstehen, in dem alles wohlgeordnet ineinandergriff. Wiewohl sie hinsichtlich der Verbesserbarkeit der Welt ebenso wenig Zweifel hatten wie hinsichtlich ihrer Verbesserungswürdigkeit, hielten sie doch großen Abstand zu jeglichen Forderungen nach grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen. Keinesfalls vollzogen die schottischen Denker einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Vielmehr entwickelten sie weiter, was sie aus der ihnen vorauslaufenden angelsächsischen Denktradition aufgenommen hatten – und natürlich auch aus dem Diskurs der Aufklärung auf dem Kontinent, der hier nicht näher beleuchtet wurde. Zudem nahmen sie interessiert Kenntnis von den um sie herum vor sich gehenden Entwicklungen auf allen Gebieten der Wissenschaften, und sie erkannten infolge des herrschenden „Denkstils“ rasch, was davon sich schlüssig in ihre eigenen Theorien integrierten ließ. Der Wissens- und Methodentransfer zwischen der natural und der moral philosophy trat mitunter deutlich zutage, doch konnte er auch auf eine kaum nachvollziehbare Weise unterbleiben, wie sich im Fall von Smith und Hutton zeigen ließ. Und die Zuversicht  ? – Hume setzte großes Vertrauen in die Anwendung der experimental method, doch damit verließ er den Bereich der Wissenschaftstheorie nicht. Seine Zuversicht galt den Möglichkeiten der Analyse und der Nützlichkeit der Entdeckung sowohl allgemeiner Gesetzmäßigkeiten als auch Widersprüche. Deshalb konnte er auf die Überwindung des Aberglaubens im Volk hoffen, doch formulierte er für das Volk und damit für die Gesellschaft kein Entwicklungsziel  : Er war eingenommen von der Gesellschaftsordnung, in der er lebte. In den Hoffnungen, sie grundlegend zu erneuern, sah er sogar die größtmögliche Gefahr. Von einer science of man, deren erkenntnistheoretischen Anspruch er formulierte und deren Gegenstand er um wesentliche Fragen der Psychologie erweiterte, erhoffte er sich ein Verstehen, kein Verändern. Er war ein überaus wendiger Denker, der Prognosen jedoch vermied. Sein politisches Denken steht weitgehend im Konjunktiv.

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Smith, der Hume in Vielem nahe stand, war der gesellschaftlichen Wirklichkeit ungleich näher als dieser. Selbst die Theory, die eigentlich von ethischen Fragestellungen ihren Ausgang nahm, erwies sich als eine außerordentlich fundierte Untersuchung der individuellen Handlungsauslösung und -kontrolle. Und mit dem Wealth of Nations legte er die bis dahin gründlichste Analyse der gesellschaftlichen Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehungen unter den Menschen vor. Dass freie Handelsbeziehungen zwischen den Staaten den allgemeinen Wohlstand der Staaten vermehren würden, war seine feste Überzeugung. Nicht sehr viel mehr als eine Randnotiz allerdings war es ihm wert, dass der Wohlstand der Nation nicht mit dem Wohlstand der ihr angehörenden Individuen gleichgesetzt werden konnte. Seine Zuversicht galt dem Abstraktum der Zivilisation, die für ihn keineswegs in der Gesamtheit aller zivilisierten Individuen bestehen musste. Sein Interesse war auf die Schaffung und die Sicherung des gesellschaftlichen Reichtums gerichtet, nicht auf dessen gerechte individuelle Verteilung. Insoweit war er ein Denker der Zuversicht  ; die Problematik eines möglichen Niedergangs der Gesellschaft gerade infolge ihrer Ökonomisierung erfasste er grundsätzlich, doch gewährte er ihr nicht viel Raum. Auch das jedoch verrät Zuversicht, nämlich die, dass die Zivilisation aus sich selbst heraus die Mittel zu ihrem Erhalt und ihrer Fortentwicklung finden werde. Ferguson, obwohl wegen seines geänderten Blickwinkels auf die Gesellschaft und seines tendenziell soziologischen Denkansatzes durchaus ein Neuerer, war kein Apologet einer neuen Zeit, sondern ein Mahner. Bei aller Würdigung der Errungenschaften der commercial society dachte er doch deren immanente Tendenzen zu ihrem Verfall hin immer mit. Im wachsenden Reichtum der Gesellschaft sah er die mögliche Erlösung und die Gefahr des Niedergangs gleichermaßen, wenngleich ihm dieses Szenario kein auswegloses zu sein schien  ; er beschrieb es im Sinn einer Möglichkeit, nicht einer Gesetzmäßigkeit. Sein Essay ist ein Buch der Zuversicht und der Sorge gleichermaßen. Die Gefahr des Niedergangs der Gesellschaft und die Verdrängung der republikanischen Tugenden durch die korrumpierenden und lähmenden Effekte eines allgemeinen Wohlstands hob er stärker hervor als Smith. Auf die Wirksamkeit der Gegenmittel, wie etwa die Erneuerung des Gemeinschaftsbewusstseins durch die Einrichtung einer Bürgermiliz anstelle eines stehenden Heeres, hoffte er wohl mehr, als dass er wirklich an sie geglaubt hätte. Der Illusion, eine Gesellschaft werde ihren inneren Frieden erst dann erlangt haben, wenn es ihr gelungen sei, alles Konfliktpotenzial auszuräumen, erlag er nicht. Seine Überzeugung, dass die gesellschaftliche Ordnung die Folge eines im Diskurs gelingenden Interessenausgleichs sei, verrät, dass er auf die Möglichkeiten vertraute, die die Wirklichkeit eben bot.

Anhang

Zur Abfassung des Textes

Es kann bei Arbeiten dieser Art mitunter Gründe geben, von Regeln, die eigentlich als verbindlich gelten, abzuweichen. Wo solche Gründe vorlagen, wurde also ein eigener Weg eingeschlagen. Auf folgende Besonderheiten ist hinzuweisen  : – In den meisten Fällen wurde bei der Wiedergabe der Textstellen auf die vorliegenden (derzeit gebräuchlichen) deutschen Übersetzungen zurückgegriffen. Da die von den Autoren verwendeten Begriffe von grundlegendem Interesse sind, wurden, um dabei eine ausreichende Transparenz zu gewährleisten und einen Eindruck von der ursprünglichen gebrauchten Terminologie zu vermitteln, in die deutschen Zitate zwischen eckigen Klammern – [ ] – die Schlüsselbegriffe oder kurze Passagen aus den Originaltexten eingefügt. In diesen Fällen wurde die jeweilige Textstelle sowohl der deutschen als auch der englischen Ausgabe ausgewiesen (beispielsweise  : A. Smith  : Theorie, S. 123. – OT.: ders.: Theory, p. 78, II.i|10). Hervorhebungen in den Originaltexten wurden beibehalten und, ebenso wie die nachträglich durch den Verfasser dieser Arbeit vorgenommenen kursiven Auszeichnungen, kenntlich gemacht. Historische Übersetzungen der Originaltexte ins Deutsche wurden mit herangezogen. Wenn dabei Angleichungen an die derzeit gebräuchlichen Schreibweisen stattfanden, wurde dies ebenfalls angegeben. – Grundsätzlich gilt für alles in eckigen Klammern – [ ] – Stehende, dass es sich dabei, wenn nicht um den Wortlaut des Originals, um bei der Abfassung des vorliegenden Textes nachträglich Eingefügtes handelt, das weder in den Originaltexten noch in deren Übersetzungen in der vorliegenden Form enthalten war. – In der Regel verweisen die Stellenangaben in den Anmerkungen auf die Seitenzahlen in den jeweiligen Werken. Bei den Originaltexten von David Hume wird außer diesen Seitenangaben auch noch die Zählung der Critical Edition angeführt, in der teilweise eine Absatzzählung vorgenommen wird. Die Stellenangaben in den Originaltexten von Adam Smith enthalten außer den Angaben der Seitenzahlen auch die Zählung der Glasgow Edition, die in Teilen ebenfalls eine Absatzzählung enthält. – In den Anmerkungen wurden im Interesse der Lesbarkeit für die zitierten Haupttexte der schottischen Autoren Kurztitel verwendet. Entsprechende Angaben dazu finden sich nachfolgend ab S. 473. – Bei An- und Abführungszeichen wurden die Konventionen der jeweiligen Sprachen beibehalten (deutsch  : „ “ – englisch  : “ ” – französisch  : « »). An- und Abführungszeichen in Zitaten wurden mit folgenden einfachen An- und Abführungszeichen wiedergegeben  : deutsch  : ‚ ‘ – englisch  : ‘ ’. – Fremdsprachliche Begriffe, bei denen es sich nicht um eigentliche Zitate handelt, wurden kursiv und ohne An- und Abführungszeichen gesetzt. Längere fremdsprachliche Textstellen stehen stets zwischen An- und Abführungszeichen.

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Zur Abfassung des Textes

– Im Text werden für die Werke des 17. und 18. Jahrhunderts deren englische Originaltitel (bzw. Kurztitel) verwendet. Das hat seinen Grund zum einen darin, dass dadurch Eindeutigkeit geschaffen wird. Zum andern tragen die deutschen Übersetzungen von Fall zu Fall unterschiedliche Titel, und deren Verwendung würde zu Unklarheiten geführt haben.

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen

A. Aufruf (einer Internet-Adresse) Bd./Bde. Band/Bände Bearb. Bearbeitung ders. derselbe (der vorstehend Genannte) dies. dieselbe (die vorstehend Genannte) E. Jahr der Erstveröffentlichung e. Ü. eigene Übersetzung ebd. ebenda (= im selben Werk auf derselben Seite) ebd. S. im selben Werk auf der Seite (…) ed. editor  ; edited (Herausgeber, Herausgeberin  ; herausgegeben) f. folgende Seite ff. folgende und die darauffolgende Seite Fn. Fußnote, Anmerkung H. Heft Hervorh. Hervorhebung Hervorh. HK. Hervorhebung durch den Verfasser (dieser Arbeit) hinzugefügt Hervorh. übern. Hervorhebung wurde von der Vorlage/vom Originaltext übernommen HK Verfasser dieser Arbeit (Helmut Krämer) hrsg. herausgegeben (von) Hrsg. Herausgeber, Herausgeberin Jg. Jahrgang n. note (Fußnote, Anmerkung) no. number/Nummer Nachdr. Nachdruck o. J. ohne Angabe des Erscheinungsjahrs o. O. ohne Angabe des Erscheinungs- bzw. Druckorts OT. Originaltext p./pp. page/pages repr. reprint(ed) S. Seite(n) s. siehe vol. volume (Band) | Dieses Zeichen steht in bestimmten Quellenangaben (etwa Hume, ­Critcal Edition, oder Smith, Glasgow Edition) jeweils vor dem Absatzzähler. Es kennzeichnet zudem diejenigen Stellen in den Originaltexten, an denen dort ein neuer Absatz beginnt.

Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

Die Veröffentlichungssituation bei den Hauptwerken der Schottischen Aufklärung

Seitdem viele Bibliotheken weltweit dazu übergegangen sind, ihre historischen Buchbestände zu digitalisieren und sie in dieser Form dem Publikum mittels des Internets verfügbar zu machen, sind auch von nahezu allen wichtigeren Veröffentlichungen der Schottischen Aufklärung die zeitgenössischen Ausgaben sehr gut zugänglich. So liegen aus der Entstehungszeit der Werke häufig sogar unterschiedliche Auflagen vor. Das gilt zumeist auch für die frühen Übersetzungen ins Deutsche. Manche dieser Übersetzungen sind allerdings, wie dies im 18. Jahrhundert weit verbreitet war, Opfer starker Eingriffe in den Originaltext geworden  ; zudem tragen sie die Spuren des seither zu beobachtenden und zu beachtenden Wandels der deutschen Sprache. Sie sind deshalb mitunter nur sehr eingeschränkt nutzbar  ; eine eingehende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Werken sollte sich nicht auf diese historischen Übersetzungen stützen. David Hume

Im Fall Humes liegt seit dem Beginn dieses Jahrtausends eine sehr sorgfältige Critical Edition seiner meisten Werke vor  ; sie ersetzt die bis dahin maßgebliche Edition von T. H. Green und T. H. Grose, 4 Bde., London 1874/75 (Nachdr.: Aalen 1964). Der Abschluss dieses Projekts ist bereits absehbar. Eine umfangreiche Edition von Humes Correspondence liegt ebenfalls vor. Problematischer verhält es sich mit der deutschen Übersetzung insbesondere des Treatise, die in ihrem Kern auf die Arbeiten von T. Lipps vom Anfang des 20. Jahrhunderts zurückgeht und deren Sprachgebrauch nicht mehr in jeder Hinsicht aktuell ist. Von Humes Essays hingegen sowie von seinen beiden Enquiries liegen deutlich jüngere Übersetzungen vor. Adam Smith

Die aktuelle Referenz für eine Beschäftigung mit dem Werk Smiths ist die sechsbändige Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith, die in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts erarbeitet wurde und Smiths erhaltenes Werk vollständig zugänglich macht. An deutschen Übersetzungen von Smiths Publikationen liegen die Theory und der Wealth of Nations vor. Übersetzungen der Essays on Philosophical Subjects sowie der Lectures on Rhetoric and Belles Lettres sind vorläufig Desiderat.

Die Veröffentlichungssituation bei den Hauptwerken der Schottischen Aufklärung |

Eine Übersetzung der Lectures on Jurisprudence existiert zwar,1 doch gibt sie weder den vollständigen Text des Originals wieder, noch ist sie mit der Glasgow Edition abgestimmt. Adam Ferguson

Die aktuelle Ausgabe von Fergusons Essay2 ist die 2007 von F. Oz-Salzberger besorgte. Die derzeit zu verwendende deutsche Ausgabe ist diejenige von Batscha/Medick (1986). Fergusons Correspondence ist in einer zweibändigen Edition zugänglich. Weder der Bedeutung der Institutes noch derjenigen der Principles wird gerecht, dass man bei ihnen auf die Ausgaben aus ihrer Entstehungszeit zurückgreifen muss. Die Übersetzungen der beiden Werke ins Deutsche (von C. Garve bzw. von K. G. Schreiter) datieren ebenfalls noch aus dem 18. Jahrhundert  ; sie sind vornehmlich von historischem Interesse. Seit dem Jahr 2006 ist eine von V. Merolle betreute Edition der Manuscripts of Adam Ferguson verfügbar, die einen bis dahin kaum beachteten Teil von dessen Werk erschließt. Von den zahlreichen Nebenwerken Fergusons3 gibt es weder aktuelle Ausgaben noch Übersetzungen ins Deutsche. John Millar

Die aktuelle Ausgabe von Millars Origin4 ist diejenige von A. Garrett aus dem Jahr 2006. In deutscher Übersetzung und versehen mit einer ausführlichen Einleitung von W. C. Lehmann erschien das Werk 1985. Millars im deutschen Sprachraum wenig beachteten, ursprünglich vierbändigen Historical View of the English Government5 gaben M. Salber Phillips und D. R. Smith 2006 in einem Band heraus. Von diesem Werk existiert eine deutsche Fassung aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Titel Entwicklung der englischen Staatsverfassung. Henry Home, Lord Kames

Auch Lord Kames’ umfangreiche Hauptwerke liegen in vergleichsweise neuen Ausgaben vor  : Die Elements of Criticism6 in einer von P. Jones betreuten Ausgabe von 2005 und die

1 A.  Smith  : Vorlesungen (B.) 2 A.  Ferguson  : Essay, erschienen in der der Reihe Cambridge texts in the history of political thought. 3 Gedacht ist hier neben Analysis of Pneumatics and moral philosophy vor allem an Reflections Previous to the Establishment of Militia. 4 J. Millar  : Origin, erschienen in der Reihe Natural law and enlightenment classics beim Liberty Fund/Indianapolis 5 J.  Millar  : An Historical View of the English Government, erschienen in der Reihe Natural law and enlightenment classics beim Liberty Fund/Indianapolis. 6 H.  Home, Lord Kames  : Elements of Criticism, erschienen in der Reihe Natural law and enlightenment classics beim Liberty Fund/Indianapolis.

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

Sketches of the History of Man7 in einer Edition von J. A. Harris aus dem Jahr 2007. Von beiden Werken sind digitalisierte Versionen der deutschen Übersetzungen aus dem Jahr 1790 online zugänglich.

Verzeichnis der verwendeten Quellentexte Zur Systematik der folgenden Angaben

Die Angaben zu den Veröffentlichungen erfolgen in der Reihenfolge ihrer Erstveröffentlichungsdaten. Die Angaben zu den deutschen Übersetzungen schließen sich an jene zu den – zumeist englischen – Originalen unmittelbar an. Bei Textzusammenstellungen, die mehr als ein Originalwerk enthalten, erfolgt die Nennung in der Reihenfolge der Ersterscheinungsjahre (z. B. bei der Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith, Bände 3–6). Da es keinen Sinn ergäbe, bei Werken aus längst vergangenen Jahrhunderten das Erscheinungsjahr einer aktuellen Ausgabe vor dem Werktitel anzuführen, werden beim nachfolgenden Verzeichnis das Jahr der Ersterscheinung und der jeweils verwendeten Ausgabe nachgestellt. Verzeichnis der im Text verwendeten Kurztitel der Quellentexte

Im Text der Untersuchung werden zum Zweck der besseren Lesbarkeit für manche häufig zitierte Werke Kurztitel verwendet. Es handelt sich um die folgenden  : Ferguson A.  Ferguson  : Essay A.  Ferguson  : Gründe A.  Ferguson  : Grundsätze A.  Ferguson  : Institutes A.  Ferguson  : Principles A.  Ferguson  : Versuch

Ferguson, Adam  : An Essay on the History of Civil Society. Ferguson, Adam  : Adam Fergusons ausführliche Darstellung der Gründe der Moral und Politik. Ferguson, Adam  : Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Ferguson, Adam  : Institutes of Moral Philosophy. (I/II) Ferguson, Adam  : Principles of Moral and Political Science. Ferguson, Adam  : Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft.

7 H.  Home, Lord Kames  : Sketches of the History of Man, erschienen in der Reihe Natural law and enlightenment classics beim Liberty Fund/Indianapolis.

Verzeichnis der verwendeten Quellentexte |

Hobbes T.  Hobbes  : Elements T.  Hobbes  : Leviathan (K.) T.  Hobbes  : Leviathan (M.) T.  Hobbes  : Rudiments T.  Hobbes  : Grundzüge 1 T.  Hobbes  : Grundzüge 2/3

Hobbes, Thomas  : Elements of Philosophy. In  : The English Works of Thomas Hobbes. Vol. 1. Hobbes, Thomas  : Leviathan. Hrsg. von Hermann Klenner. Hobbes, Thomas  : Leviathan. In  : The English Works of Thomas Hobbes. Vol. 3. Hobbes, Thomas  : Philosophical Rudiments Concerning Government and Society. Vol. 2. Hobbes, Thomas  : Grundzüge der Philosophie. Erster Teil  : Lehre vom Körper. Hobbes, Thomas  : Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil  : Lehre vom Menschen und vom Bürger.

Hume D.  Hume  : Abriß

D.  Hume  : Abstract D.  Hume  : Brief

D.  Hume  : Essays (B.) (1/2) D.  Hume  : Essays (M.) D.  Hume  : Letter D.  Hume  : Moral (K.) D.  Hume  : Moral (S.) D.  Hume  : Morals D.  Hume  : Traktat (I/II) D.  Hume  : Treatise D.  Hume  : Understanding

Hume, David  : Abriß eines neuen Buches  : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc.. In  : ders.: Abriß eines neuen Buches  : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. / Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh. Hume, David  : A Treatise of Human Nature. A Critical Edition. Vol. 1. Hume, David  : Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh. In  : ders.: Abriß eines neuen Buches  : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. / Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh. Hume, David  : Politische und ökonomische Essays. Hrsg. von U. Bermbach. Hamburg 1988. Hume, David  : Essays, Moral, Political, and Literary. Edited by E. F. Miller. Hume, David  : A Treatise of Human Nature. A Critical Edition. Vol. 1. Hume, David  : Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Hrsg. von M. Kühn. Hume, David  : Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Hrsg. von G. Streminger. Hume, David  : An Enquiry concerning the Principles of Morals. A Critical Edition. Hume, David  : Ein Traktat über die menschliche Natur. Hume, David  : A Treatise of Human Nature. A Critical Edition. Vol. 1. Hume, David  : An Enquiry concerning Human Understanding. A Critical Edition.

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

D.  Hume  : Verstand

Hume, David  : Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hrsg. von R. Richter.

Johnson S.  Johnson  : Dictionary 1755 S.  Johnson  : Dictionary 1799

Johnson, Samuel  : A Dictionary of the English Language. London 1755. Johnson, Samuel  : A Dictionary of the English Language. London 1799.

Locke J.  Locke  : Government (I/II)

Locke, John  : Two Treatises on Government. In  : The Works of John Locke. Volume the Fourth. J.  Locke  : Regierung (I/II) Locke, John  : Zwei Abhandlungen über die Regierung. Hrsg. von Walter Euchner. J.  Locke  : Understanding (I/II) Locke, John  : An Essay concerning Human Understanding. In  : The Works of John Locke. Volume the First and Volume the Second. J.  Locke  : Verstand (I/II) Locke, John  : Über den menschlichen Verstand.

Mandeville B.  Mandeville  : Bienenfabel B.  Mandeville  : Fable (I/II)

Mandeville, Bernard de  : Die Bienenfabel. Mit einer Einleitung von Walter Euchner. Mandeville, Bernard de  : The Fable of the Bees. With a Commentary Critical, Historical, and Explanatory by F. B. Kaye.

Millar J.  Millar  : Origin J.  Millar  : Ursprung

Millar, John  : The Origin of the Distinction of Ranks. Edited by A. Garrett. Millar, John  : Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft.

Smith A.  Smith  : Essays

Smith, Adam  : Essays on Philosophical Subjects with Dugald Stewart’s Account of Adam Smith. (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 3).

Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen |

A.  Smith  : Lectures J A.  Smith  : Theorie A.  Smith  : Lectures RBL A.  Smith  : Theory A.  Smith  : Vorlesungen (B.) A.  Smith  : Vorlesungen (J.) A.  Smith  : Wealth

A.  Smith  : Wohlstand

Smith, Adam  : Lectures on Jurisprudence. (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 5). Smith, Adam  : Theorie der ethischen Gefühle. Hrsg. von H. D. Brandt. Smith, Adam  : Lectures on Rhetoric and Belles Lettres. (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 4). Smith, Adam  : The Theory of Moral Sentiments. (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 1). Smith, Adam  : Vorlesungen über Rechts- und Staatswissenschaften. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von D. Brühlmeier. Smith, Adam  : Vorlesungen über Rechts-, Polizei-, Steuer- u. Heereswesen. Mit einem Geleitwort von J. Jastrow. Smith, Adam  : An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 2). Smith, Adam  : Der Wohlstand der Nationen. Aus dem Englischen übertragen […] von H. C. Recktenwald.

Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen Bacon, Francis  : Lord Franz Bacon über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften, verdeutscht und mit dem Leben des Verfassers und einigen historischen Anmerkungen, herausgegeben von D[r]. J. H. Pfingsten. Darmstadt 1966 (Repr. der Ausgabe Pest 1783  ; = Übersetzung von  : Advancement of Learning. E.: 1605. – Advancement of Learning. By Lord Bacon. Edited by Joseph Devey. O. O., o. J. [New York 1901]. E.: 1605. – Novum Organum, by Lord Bacon, edited by Joseph Devey. New York 1902. E.: 1620. – Neues Organon. Teilband 1. Herausgegeben und mit einer Einleitung von W. Krohn. Lateinisch– deutsch. Darin enthalten  : Instauratio Magna – Große Erneuerung der Wissenschaften  ; Novum Organum – Das Neue Organon oder die wahre Anleitung zur Interpretation der Natur. Hamburg 1990. E.: 1620. – Franz Baco’s Neues Organon. Übersetzt, erläutert und mit einer Lebensbeschreibung des Verfassers versehen von Julius Hermann von Kirchmann. (= Franz von Verulam’s, des Erzkanzlers von England, Grosse Erneuerung der Wissenschaften). Berlin 1870. E.: 1620. Blount, Tho[mas] Pope  : Essays on Several Subjects. London 1697. Boswell, James  : The Journal of a Tour to the Hebrides, with Samuel Johnson. Dublin 1785. – The Life of Samuel Johnson, A New Edition. London o. J. [1867]. E.: 1791. Buffon, Georges Louis Le Clerc de  : Herrn von Buffons Naturgeschichte des Menschen. Bd. 2. Berlin 1807. E.: seit 1749. Burn, Richard  : The History of the Poor Laws  : With Observations. London 1764. Burnett, Thomas  : The Sacred Theory of the Earth. Containing an Account of the Original of the Earth and of all the Changes which it hath already undergone, or is to undergo, till the Consummation of all Things. In 2 volumes. Glasgow 1753. E. (in englischer Sprache)  : 1684/1690.

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

Butler, Joseph  : Fifteen Sermons Preached at the Rolls Chapel […] to which are Added, Six Sermons Preached on Public Occasions. London 1792. E.: 1726. – Bestätigung der natürlichen und geoffenbarten Religion aus ihrer Gleichförmigkeit mit den Einrichtungen und dem ordentlichen Laufe der Natur. Aus dem Englischen übersetzt. Leipzig 1756. E.: 1736. Cantillon, Richard  : Essai sur la nature du commerce en general. Traduit de l’anglois. London 1755. Carlyle, Alexander  : A Letter to his Grace the Duke of Buccleugh, on National Defence. London 1778. Charlevoix, P. François Xavier de  : Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande  ; oder Sammlung aller Reisebeschreibungen […]. Leipzig 1756 (= Übersetzung von  : Histoire et description générale de la Nouvelle France, avec le journal historique d’un voyage fait par ordre du roi dans l’Amérique Septentrionnale, Paris 1744, durch Johann Joachim Schwabe). Clarkson, Thomas  : The History of the Rise, Progress, and Accomplishment of the Abolition of the African Slave-Trade by the British Parliament. In 2 volumes. London 1808 Condillac, Etienne Bonnot de  : Condillac’s Abhandlung über die Empfindungen. Aus dem Französischen übersetzt mit Erläuterungen und einem Excurs über das binoculare Sehen von Dr. Eduard Johnson. Berlin 1870. E.: 1754. Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de  : Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes. Herausgegeben von Wilhelm Alff. Frankfurt/M. 1963. E.: 1793. Descartes, René  : René Descartes’ philosophische Werke. Übersetzt […] von Julius Hermann von Kirchmann. 1.  Abtheilung  : Lebensbeschreibung. Abhandlung über die Methode. Berlin 1870. E.: 1637. – René Descartes’ philosophische Werke. Übersetzt […] von Julius Hermann von Kirchmann. 2.  Abtheilung  : Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie. Berlin 1870. E.: 1644. – René Descartes’ philosophische Werke. Übersetzt […] von Julius Hermann von Kirchmann. 3.  Abtheilung  : Die Prinzipien der Philosophie. Berlin 1870. – René Descartes’ philosophische Werke. Übersetzt […] von Julius Hermann von Kirchmann. 4.  Abtheilung  : Ueber die Leidenschaften der Seele. Berlin 1870. E.: 1649. – Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft. Übersetzt und herausgegeben von Lüder Gäbe. Hamburg 1979. E.: ca. 1628. Diderot, Denis  : Enzyklopädie. Philosophische und politische Texte aus der ‹Encyclopédie› sowie Prospekt und Ankündigung der letzten Bände. München 1969. – Gedanken zur Interpretation der Natur. Philosophische Grundsätze über Materie und Bewegung. Aus dem Französischen von Theodor Lücke. Leipzig 31976. – / Alembert, Jean-Baptiste le Rond d’  : Artikel aus der von Diderot und d’Alembert herausgegebenen Enzyklopädie. Aus dem Französischen von Theodor Lücke. Leipzig 21984. Dunbar, James  : Essays on the History of Mankind in Rude and Cultivated Ages. London 1780. – Versuche über die Geschichte der Menschheit in rohen und gesitteten Zeitaltern. Leipzig 1781 (=  Übersetzung von  : Essays on the History of Mankind in Rude and Cultivated Ages). Dykes, Oswald  : Moral Reflections Upon Select English Proverbs. Accommodated to the Humour and Manners of the Present Age. London 1708. Ferguson, Adam  : A Sermon Preached in the Ersh Language to His Majesty’s First Highland Regiment of Foot, Commanded by Lord John Murray, at their Cantonment at Camberwell, on the 18th Day of December. London 1746.

Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen |

– Reflections Previous to the Establishment of Militia. London 1756. – The Morality of Stage-Plays Seriously Considered. Edinburgh 1757. – Analysis of Pneumatics and Moral Philosophy. For the Use of Students in the College of Edinburgh. Edinburgh 1766. – An Essay on the History of Civil Society. Dublin 1767. – An Essay on the History of Civil Society. Edited by Fania Oz-Salzberger  ; Cambridge 2007 [1995]. E.: 1767. – Abhandlung über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Nach dem englischen Original, und zwar nach der Ausgabe letzter Hand (7. Aufl. 1814), ins Deutsche übertragen von Valentine Dorn. Eingeleitet von Heinrich Waentig. Jena 1923 (= Übersetzung von  : An Essay on the History of Civil Society). E.: 1767. – Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Herausgegeben und eingeleitet von Zwi Batscha und Hans Medick. Übersetzt von Hans Medick. Frankfurt/M. 1986 (= Übersetzung von  : An Essay on the History of Civil Society). E.: 1767. – Institutes of Moral Philosophy. For the Use of Students in the College of Edinburgh. Edinburgh 21773. E.: 1769. – Adam Fergusons Grundsätze der Moralphilosophie. Übersetzt und mit einigen Anmerkungen versehen von Christian Garve. Leipzig 1772 (= Übersetzung von  : Institutes of Moral Philosophy). E.: 1769. – Institutes of Moral Philosophy. A New Edition, Enlarged. Basil 1800. – Essays on the Intellectual Powers, Moral Sentiment, Happiness, and National Felicity. Paris 1805. – The History of the Progress and Termination of the Roman Republic. In 3 volumes. Dublin 1783. – Principles of Moral and Political Science. Being Chiefly a Retrospect of Lectures Delivered in the College of Edinburgh. In 2 volumes. Edinburgh 1792. – Nachdr. dieser Ausgabe (“With an In­ tro­duction by Jean Hecht”)  : Hildesheim–Zürich–New York 1995. – Adam Fergusons ausführliche Darstellung der Gründe der Moral und Politik. Erster Theil. Aus dem Englischen übersetzt und mit einer Abhandlung über den Geist der Fergusonschen Philosophie begleitet von K. G. Schreiter. Zürich 1796 (= Übers. des 1. Bd. v.: Principles of Moral and Political Science). E.: 1792. – Minutes of the life and character of Joseph Black. In  : James Hutton & Joseph Black. Biographies by John Playfair and Adam Ferguson, from Volume V of Transactions of the Royal Society of Edinburgh (1805), pp. 101–117. Edinburgh 1997. – The Correspondence of Adam Ferguson. 2 volumes (vol. 1  : 1745–1780, vol. 2  : 1781–1816). Edited by Vincenzo Merolle. London 1995. – The Manuscripts of Adam Ferguson. Edited by Vincenzo Merolle. London 2006. Filmer, Robert  : Patriarcha  ; or the Natural Power of Kings. London 1680. Fischer, Christian August  : David Hume’s vollkommene Republik frey nach dem Englischen […]. Leipzig 1799. Fletcher, Andrew  : A Discourse of Government With relation to Militias. Edinburgh 1755 (Reprint der Ausgabe Edinburgh 1698). Fontenelle, Bernard de  : Dialogen über die Mehrheit der Welten. Berlin 1789. E.: 1686. Fronsperger, Leonhard  : Von dem Lob deß Eigen Nutzen. Frankfurt/M. 1564. Fordyce, David  : The Elements of Moral Philosophy, in Three Books with A Brief Account of the Na-

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

ture, Progress, and Origin of Philosophy. Edited and with an Introduction by Thomas Kennedy. Indianapolis 2003. E.: 1754. Furetière, Antoine   : Dictionaire Universel. Contenant generalement toutes les Mots François [Schreibweise des Originals]. La Haye–Rotterdam 1690. E.: 1684. Galilei, Galileo  : Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische. Aus dem Italienischen übersetzt […] von Emil Strauss. Leipzig 1891. E.: 1632. Gervaise, Isaac  : The system or theory of the trade of the world  : Treating of the different kinds of value. Of the ballances of trade. Of exchange. Of manufactures. Of companies. And shewing the pernicious consequences of credit, […], London 1720. Goethe, Johann Wolfgang v.: Wilhelm Meisters Lehrjahre, Berliner Ausgabe, Berlin 31976. E.: 1795/96. Goodman, Godfrey  : The Fall of Man, or the Corruption of Nature, Proved by the Light or Naturall Reason. London 1616. Gordon, Thomas  : A Discourse of Standing Armies  ; Shewing the Folly, Uselesness, and Danger of Standing Armies in Great Britain [Schreibweise des Originals]. By Cato. London 1722. Gregory, John [anonym]  : A Comparative View of the State and Faculties of Man. With those of the Animal World. London 1765. Grotius, Hugo  : Recht des Krieges und des Friedens. 2 Bände. Aus dem Lateinischen des Urtextes übersetzt, […] Julius Hermann von Kirchmann. Berlin 1869. E.: 1625 („De jure belli ac pacis“). Grove, Henry  : A System of Moral Philosophy. London 21749. Hale, Matthew  : The Primitive Origination of Mankind, Considered and Examined According to the Light of Nature. London 1677. Hamilton, Alexander / Madison, James / Jay, John  : Die Federalist-Artikel. Politische Theorie und Verfassungskommentar der amerikanischen Gründerväter. Herausgegeben, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Angela Adams und Willi Paul Adams. Paderborn–München–Wien– Zürich 1994. Harrington, James  : The Oceana and other Works of James Harrington. London 1737. E.: 1656. – Oceana. Aus dem Englischen übertragen von Klaus Udo Szudra. Leipzig 1991. E.: 1656. Hartley, David  : Observations on Man, His Frame, His Duty, and His Expectations. In 2 volumes. London 1791. E.: 1749. – David Hartleys Betrachtungen über den Menschen, seine Natur, seine Pflicht und Erwartungen. Aus dem Englischen übersetzt. In 2 Bänden. Rostock–Leipzig 1772/73. E.: 1749. Helvétius, Claude Adrien  : Diskurs über den Geist des Menschen. Aus dem Französischen. Leipzig– Liegnitz 1760. E.: 1758. Hobbes, Thomas  : Elements of Philosophy. In  : The English Works of Thomas Hobbes. First collected and edited by William Molesworth. Vol. 1. London 1839. E.: 1642–1658. – Grundzüge der Philosophie. Erster Teil  : Lehre vom Körper. Übersetzt von Max Frischeisen-Köhler. Leipzig 1915. E.: 1655. – Grundzüge der Philosophie. Zweiter und dritter Teil  : Lehre vom Menschen und vom Bürger. Übersetzt von Max Frischeisen-Köhler. Leipzig 1918. E.: 1658/1642. – Vom Menschen. Vom Bürger. Eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg 1959. E.: 1658/1642. – Philosophical Rudiments Concerning Government and Society. In  : The English Works of Thomas Hobbes. First collected and edited by William Molesworth. Vol. 2. London 1839.

Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen |

– Leviathan or, the Matter, Form, and Power of a Commonwealth. In  : The English Works of Thomas Hobbes. First collected and edited by William Molesworth. Vol. 3. London 1839. E.: 1651. – Hobbes’s Leviathan. Reprinted from the Edition of 1651. Oxford 1909. E.: 1651. – Leviathan oder Materie, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens. Teil I und II. Herausgegeben […] von Hermann Klenner. Aus dem Englischen übersetzt von Walter Euchner. Leipzig 1978. E.: 1651. – Behemoth  : the History of the Causes of the Civil Wars of England. In  : The English Works of Thomas Hobbes. First collected and edited by William Molesworth. Vol. 4. London 1839. E.: 1681 (posthum). Holbach, Paul Henri Thiry d’  : System der Natur. Leipzig 1841. E.: 1770. Home, Henry (Lord Kames)  : Elements of Criticism. In 2 volumes. Edited and with an Introduction by P. Jones. Indianapolis 2005. E.: 1762. – Grundsätze der Kritik. In 6 Bänden. Übersetzt von J. N. Meinhard. Leipzig 31790 (= Übersetzung von  : Elements of Criticism). E.: 1762. – Essays on the Principles of Morality and Natural Religion. Corrected and Improved, in a Third Edition. Several Essays Added Concerning the Proof of a Deity. Edited and with an Introduction by M. C. Moran. Indianapolis 2005. E.: 1751. – Sketches of the History of Man. Considerably Enlarged by the Last Additions and Corrections of the Author. In 3 books (Book I  : Progress of Men Independent of Society  ; Book II  : Progress of Men in Society  ; Book III  : Progress of Sciences). Edited and with an Introduction by J. A. Harris. Indianapolis 2007. E.: 1774. – Versuche über die Geschichte des Menschen. Aus dem Englischen übersetzt. In 3 Büchern (Buch I  : Das Wachsthum der Menschen in ihrem einzelnen Zustande  ; Buch II  : Das Wachsthum der Menschen in der Gesellschaft  ; Buch III  : Das Wachsthum der Wissenschaften). Wien 1790 (=  Übersetzung von  : Sketches of the History of Man). E.: 1774. – Untersuchung über die moralischen Gesetze der Gesellschaft von Heinrich Home. Karben 1998 (Repr. der Ausgabe Leipzig 1778). Hooker, Richard  : The Works of […] Richard Hooker. Arranged by John Keble. In 3 volumes. Oxford 7 1888. Horne, George  : A Letter to Adam Smith, LL.D. on the Life, Death, and Philosophy of his Friend David Hume, Esq. A New Edition. London 1799. Hume, David  : A Treatise of Human Nature. An Abstract of … A Treatise of Human Nature. A Letter from a Gentleman to his Friend in Edinburgh. A Critical Edition  ; edited by D. F. Norton and M. J. Norton  ; vol. 1  : Texts. Oxford–New York 2011 (Pb.) [2007]. E.: 1739/40. – A Treatise of Human Nature. A Critical Edition  ; edited by D. F. Norton and M. J. Norton  ; vol. 2  : Editorial Material including. Oxford–New York 2007. – Ein Traktat über die menschliche Natur. [3 Bücher] In 2 Bänden (Bd. I  : Buch 1, Bd. II  : Buch 2/3). Übersetzt, mit Anmerkungen und Register versehen von T. Lipps. Hamburg 1989 (Repr. v. 1904/1906  ; =  Übersetzung von  : A Treatise of Human Nature). E.: 1739/40. – Abriß eines neuen Buches  : Ein Traktat über die menschliche Natur, etc. / Brief eines Edelmannes an seinen Freund in Edinburgh. Übersetzt und mit einer Einleitung hrsg. von J. Kulenkampff. Hamburg 1980 (Übersetzung von  : An Abstract of … A Treatise of Human Nature. A Letter from a Gentleman to his Friend in Edinburgh). – Essays, Moral, Political, and Literary. Edited and with a Foreword, Notes, and Glossary by E. F.

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

Miller. Based on the 1777 edited originally published as vol. 1 of Essays and treatises on several subjects. Indianapolis 1987 [1985]. E.: ab 1741. – Two Essays (I. On Suicide  ; II. On the Mortality of Soul). Now first printed.8 Edinburgh 1789. – Politische und ökonomische Essays (1, 2). 2 Bände. Übersetzt von S. Fischer. Mit einer Einleitung herausgegeben von U. Bermbach. Hamburg 1988.9 – Essays and Treatises on Several Subjects. In 2 volumes  ; A New Edition. London 1777. – Vom schwachen Trost der Philosophie. Essays. Auswahl, Übersetzung und Nachwort von J. Kulenkampff. Göttingen 1990. – Über den Freitod und andere Essays. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von M. Kühn. München 2009. – An Enquiry concerning Human Understanding. A Critical Edition  ; edited by T. L. Beauchamp. Oxford–New York 2000. E.: 1748. – Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Herausgegeben von R. Richter. Hamburg 1973 (Repr.) (= Übersetzung von  : An Enquiry concerning Human Understanding). E.: 1748. – Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Herausgegeben von H. Herring. Stuttgart 1998 [1982] (= Übersetzung von  : An Enquiry concerning Human Understanding). E.: 1748. – An Enquiry concerning the Principles of Morals. A Critical Edition  ; edited by T. L. Beauchamp. Oxford–New York 2006 (Pb.) [1998]. E.: 1751. – Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Übersetzt und herausgegeben von G. Streminger. Stuttgart 1984 (= Übersetzung von  : An Enquiry concerning the Principles of Morals). E.: 1751. – Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral. Übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von M. Kühn. Hamburg 2003 (= Übersetzung von  : An Enquiry concerning the Principles of Morals). E.: 1751. – A Dissertation on the Passions. The Natural History of Religion. A Critical Edition  ; edited by T. L. Beauchamp. Oxford–New York 2009 (Pb.) [2007]. E.: 1757. – Four Dissertations (I. The Natural History of Religion  ; II. A Dissertation on the Passions  ; III. Of Tragedy  : IV. Of the Standard of Taste). London 1757. – Die Naturgeschichte der Religion. Über Aberglaube und Schwärmerei. Über die Unsterblichkeit der Seele. Über Selbstmord. Übersetzt und herausgegeben von L. Kreimendahl. Hamburg 1984 (= u. a. Übersetzung von  : The Natural History of Religion). – Dialogues concerning Natural Religion. O. O. 1779 (posthum). – Dialoge über natürliche Religion. Übersetzt und mit einer Einleitung versehen von F. Paulsen (1905)  ; neu bearbeitet von G. Gawlick. Hamburg 41968 (= Übersetzung von  : Dialogues concerning Natural Religion). E.: 1779 (posthum).

8 Die beiden Texte waren in Wirklichkeit bereits zuvor veröffentlicht worden  : Essays on Suicide and the Immortality of Soul, ascribed to the late David Hume, Esq. Never before published. London 1783. 9 Es gibt von Humes Essays eine Vielzahl von Zusammenstellungen. Hume veröffentliche diese Texte bis zu seinem Tod in immer neuen, auch unterschiedlich zusammengestellten Ausgaben. Eine Gesamtaufstellung in chronologischer Reihenfolge wäre deshalb an dieser Stelle zu aufwendig. Siehe die ausführliche Angaben zur Veröffentlichungsgeschichte der Essays in der Edition von E. F. Miller, Indianapolis 1987, darin unter “Variant Readings”, pp. 599–648. Siehe auch die Angaben hierzu bei G. Streminger  : David Hume, München 22011, S. 594–598, sowie in der deutschen Ausgabe Politische und ökonomische Essays von U. Bermbach, Hamburg 1988, darin im Teilband 1 unter „Die Ausgaben der ›Essays‹“, S. XLVII–LIII.

Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen |

– Letters of David Hume to William Strahan. Oxford 1888. – New Letters of David Hume. Edited by R. Klibansky and E. C. Mossner. New York–London 1983 (repr.) [1954]. – The Letters of David Hume. 2 volumes  ; edited by J. Y. T. Greig. Oxford 1969 (repr.) [1932]. – The Life of David Hume. Written by Himself [= My Own Life]. London 1777. – The History of England from the Invasion of Julius Caesar to The Revolution in 1688. In 6 volumes. Based on the Edition of 1778, with the Author’s Last Corrections and Improvements. Indianapolis 1983. E.: 1754–1762. – The Philosophical Works. In 4 volumes  ; edited by T. H. Green and T. H. Grose. London 1874/75  ; Reprint der Aufl. London 1882  : Aalen 1964. Hutcheson, Francis  : An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue in Two Treatises. Edited and with an Introduction by Wolfgang Leidhold. Indianapolis 2008 [2004]. E.: ab 1725. – Franz Hutchesons der Rechte Doctors und der Weltweisheit Professors zu Glasgow Untersuchung unserer Begriffe von Schönheit und Tugend in zwo Abhandlungen. Aus dem Englischen übersetzt [von J. H. Merk]. Frankfurt–Leipzig 1762 (= Übersetzung von  : An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue). E.: ab 1725. – Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections. With Illustrations on the Moral Sense. London 1728. – Abhandlung über die Natur und Beherrschung der Leidenschaften und Neigungen und über das moralische Gefühl insonderheit  ; aus dem Englischen des Herrn Franz Hutcheson[s]. Leipzig 1760 (=  Übersetzung von  : Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections). E.: 1728. – Erläuterungen zum moralischen Sinn. Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Joachim Buhl. Stuttgart 1984 (= Übersetzung von  : Illustrations on the Moral Sense). E.: 1728. – Logic, Metaphysics, and the Natural Sociability of Mankind. Edited by J. Moore and M. Silverthorne. Texts translated from the Latin by M. Silverthorne. Introduction by J. Moore. Indianapolis 2006. E.: ab 1730. – A Short Introduction to Moral Philosophy, in Three Books  ; Containing the Elements of Ethicks and the Law of Nature. Glasgow 1747. – A System of Moral Philosophy. In Three Books. Published from the Original Manuscript by his Son Francis Hutcheson. […] To which is prefixed Some Account of the Life, Writings, and Character of the Author. 3 books in 2 volumes. London 1755 (posthum). – Franz Hutchesons der Rechte Doctors und der Weltweisheit Professors zu Glasgow Sittenlehre der Vernunft. 2 Bde. Aus dem Englischen übersetzt [von G. E. Lessing]. Leipzig o. J. [1756] (= Übersetzung von  : A System of Moral Philosophy.) E.: 1755 (posthum). Hutton, James  : Theory of the Earth  ; or an Investigation of the Laws observable in the Composition, Dissolution, and Restoration of Land upon the Globe. By ]ames Hutton, M. D. In  : Transactions of the Royal Society of Edinburgh. Part 1. Edinburgh 1788, pp. 209–304. – Abstract of a dissertation read in the Royal Society of Edinburgh, upon the seventh of March, and fourth of April, M,DCC,LXXXV, concerning the system of the Earth, its duration, and stability. Edinburgh[?] 1790[?]. – Theory of the Earth. With Proofs and Illustrations. In Four Parts. Edinburgh 1795. Johnson, Samuel  : A Dictionary of the English Language  : in which the Words are deduced from their Originals, and Illustrated in their Different Significations by Examples of the best Writers. In 2 volumes. London 1755.

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

– A Dictionary of the English Language  : in which the Words are deduced from their Originals, and Illustrated in their Different Significations by Examples from the best Writers. In 2 volumes. London 1799. Kames, Lord  : siehe Home, Henry. Kant, Immanuel  : Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von G. Hartenstein. Leipzig 1853. E.: 1781. Lafitau, Joseph François  : Allgemeine Geschichte der Länder und Völker von America. Erster Theil. Nebst einer Vorrede Siegmund Jacob Baumgartens. Halle 1752. (= teilw. Übersetzung von  : ders.: Mœrs des Sauvages Ameriquains, Comparées aux Mœrs des Premiers Temps. Paris 1724.) Lahontan, Louis Armand de Lom d’Arce de  : New Voyages to North-Amerca. In 2 volumes. London 1703. Linné, Carl von  : Caroli Linnaei, Sueci, Doct. Medic. Systema Naturae, Sive Regna Tria Naturae Systematice Proposita Per Classes, Ordines, Genera Et Species (Natur-Systema Oder Die in Ordentlichem Zusammenhange vorgetragene Drei Reiche der Natur nach ihren Classen, Ordnungen, Geschlechtern und Arten in die Deutsche Sprache übersetzet, […] von Johann Joachim Langen. Halle 1740. E.: 1735. – Des Ritters Carl von Linné Königlich Schwedischen Leibarztes […] vollständiges Natursystem (alle sechs Theile oder Classen des Thierreichs). Nürnberg 1773. E.: 1735. Locke, John  : Two Treatises on Government. In  : The Works of John Locke. In 9 volumes. Volume the Fourth, pp. 207–485. London 121824. E.: 1689. – Zwei Abhandlungen über die Regierung [Buch I/II]. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner. Frankfurt/M.–Wien 1967 (= Übersetzung von  : Two Treatises on Government). E.: 1689. – An Essay concerning Human Understanding. In  : The Works of John Locke. In 9 volumes. Volume the First and Volume the Second. London 121824. E.: 1690. – Über den menschlichen Verstand. Neu übersetzt von C. Winkler. Hamburg 31976 (= Übersetzung von  : An Essay concerning Human Understanding). E.: 1690. – The Reasonableness of Christianity. In  : The Works of John Locke. In 9 volumes. Volume the Sixth, pp. 1–180. London 121824. E.: 1695. Machiavelli, Niccolò  : Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung. Übersetzt, eingeleitet und erläutert von R. Zorn. Stuttgart 21977. E.: 1532. – Der Fürst. Übersetzt und herausgegeben von R. Zorn. Stuttgart 61978. E.: 1532. Maclaurin, Colin  : An Account of Sir Isaac Newton’s Philosophical Discoveries. In 4 books. London 21750. E.: 1748. Mandeville, Bernard de  : The Grumbling Hive  : or, Knaves Turn’d Honest. London 1705. – The Fable of the Bees  : or, Private Vices, Publick Benefits. In 2 volumes. With a Commentary Critical, Historical, and Explanatory by F. B. Kaye. Oxford 1924. E.: 1714. – Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile. Mit einer Einleitung von Walter Euchner. Frankfurt/M. 21998. E.: 1714. – Free Thoughts on Religion, the Church, and National Happiness. By the Author of the Fable of the Bees. London 1723. Mapletoft, John  : Select Proverbs, Italian, Spanish, French, English, Scotish [sic  !], British, &c. Chiefly Moral. The Foreign Languages done into English. London 1707. Millar, John  : Observations Concerning the Distinction of Ranks in Society. London 1771 (= Erstfassung v. The Origin of the Distinction of Ranks.)

Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen |

– The Origin of the Distinction of Ranks  : Or, An Inquiry into the Circumstances Which Give Rise to Influence and Authority, in the Different Members of Society. Edited and with an Introduction by A. Garrett. Indianapolis 2006. (Grundlage des Textes ist die posthume 4., korrigierte Aufl. Edinburgh 1806.) – Vom Ursprung des Unterschieds in den Rangordnungen und Ständen der Gesellschaft. Übersetzt von H. Zirker. Mit einer Einleitung von W. C. Lehmann. Frankfurt/M. 1985 [1967] (= Übersetzung von  : The Origin of the Distinction of Ranks). – An Historical View of the English Government. From the Settlement of the Saxons in Britain to the Revolution in 1688. Edited by M. Salber Phillips and D. R. Smith. Introduction by M. Salber Phillips. Indianapolis 2006. E.: 1787. – John Millar’s Historische Entwicklung der englischen Staatsverfassung. Aus dem Englischen von D. [Dr.] K[arl] E[rnst] S[chmid]. 3 Bde. (Bd. 4 von Millars Originalfassung ist nicht übersetzt). Jena 1819, 1820, 1821 (= Übersetzung von  : An Historical View of the English Government). E.: 1787. Milton, John  : John Milton’s Politische Hauptschriften. In 2 Bänden. Übersetzt […] von Wilhelm Bernhardi. Berlin 1874/76. Monboddo, James Burnett, Lord  : Of the Origin and Progress of Language. In 3 volumes. Edinburgh 1773. – Des Lord Monboddo Werk von dem Ursprunge und Fortgange der Sprache. Übersetzt und abgekürzt von E. A. Schmid. In 2 Bänden. Riga 1784/85. (= gekürzte Übersetzung von  : Of the Origin and Progress of Language.) Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède de  : Vom Geist der Gesetze. Eingeleitet, ausgewählt und übersetzt von Kurt Weigand. Stuttgart 1965. E.: 1748. Nedham, Marchmont  : Interest Will Not Lie. Or  : A View of England’s True Interest […]. London 1659. – The Excellence of a Free State. London 1767. E.: 1656. North, Roger  : Examen  : Or an Enquiry into the Credit and Veracity of a Pretended Complete History […]. London 1740. Paine, Thomas  : Rights of Man  : Being an Answer to Mr. Burke’s Attack on the French Revolution. London 21791. Paley, William  : The Principles of Moral and Political Philosophy. 2 volumes in 1. New York 1835. E.: 1785. – W. Paleys Grundsätze der Moral und Politik. 1. Bd. Aus dem Englischen übersetzt. Mit einigen Anmerkungen und Zusätzen von C. Garve. Leipzig 1787 (= Übersetzung von  : The Principles of Moral and Political Philosophy). E.: 1785. Playfair, John  : Illustrations of the Huttonian Theory of the Earth. (Reprint der Ausgabe Edinburgh 1802.) Cambridge 2001. – Biographical account of the late Dr James Hutton. In  : James Hutton & Joseph Black. Biographies by John Playfair and Adam Ferguson, from Volume V of Transactions of the Royal Society of Edinburgh (1805), pp. 39–99. Edinburgh 1997. Pufendorf, Samuel von  : Acht Bücher | Vom Natur- und Völcker-Rechte. In 2 Bänden. Frankfurt/M. 1711. E.: 1672. – Über die Pflicht des Menschen und des Bürgers nach dem Gesetz der Natur. Herausgegeben und übersetzt von Klaus Luig. Frankfurt/M.–Leipzig 1994. E.: 1673.

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

Ray, John  : Three Physico-Theological Discourses Concerning I. The Primitive Chaos, and Creation of the World. II. The General Deluge, its Causes and Effects. III. The Dissolution of the World, and Future Conflagration. London 1713. – (Johann)  : Der Welt Anfang/Veränderung u. Untergang. Hamburg 1698 (= Übersetzung von  : Three Physico-Theological Discourses). E.: 1713. Reid, Thomas  : Essays on the Active Powers of Man. Edinburgh 1787. – Thomas Reid’s […] Untersuchung über den menschlichen Geist, nach den Grundsätzen des gemeinen Menschenverstandes. Aus dem Englischen nach der dritten Auflage übersetzt. Leipzig 1782. E.: 1764. Robertson, William  : An Historical Disquisition concerning The Knowledge which the Ancients had of India. London 1791. – William Robertson’s […] Historische Untersuchung über die Kenntnisse der Alten von Indien […]. Aus dem Englischen, mit einer Vorrede von Georg Forster. Berlin 1792. E.: 1791. – Geschichte von Schottland. In 6 Bänden. Aus dem Englischen übersetzt […] von W. H. v. Vogt. Leipzig 1826. E.: 1794. Rohan, H.  Duc de  : A Treatise of the Interest of the Princes and States of Christendome. London 1663 (1638). Rousseau, Jean-Jacques  : Diskurs über die Ungleichheit/Discours sur l’inégalité. […] neu editiert, übersetzt und kommentiert von Heinrich Meier. Paderborn–München–Wien–Zürich 1984. E.: 1755. Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, Third Earl of  : An Inquiry Concerning Virtue and Merit. In  : ders.: Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times. In 3 volumes. Edited by Douglas den Uyl. Indianapolis 2001. Vol. 2, pp. 1–100. E.: 1699. – Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times. In 3 volumes. Edited by Douglas den Uyl. Indianapolis 2001. E.: 1711. – Eine Untersuchung über Tugend und Verdienst. In  : ders.: Standard Edition (= Sämtliche Werke, ausgewählte Briefe und nachgelassene Schriften, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Wolfram Benda, Wolfgang Lottes, Friedrich A. Uehlein & Erwin Wolff.) Bd. II, 3  : Praktische und Politische Philosophie. Stuttgart 1998. E.: 1699. Smellie, William  : The Philosophy of Natural History. In 2 volumes. Dublin 1790. – William Smellie’s Philosophie der Naturgeschichte. Aus dem Englischen übersetzt […] von E. A. W. Zimmermann. Berlin 1791 (= Übersetzung von  : The Philosophy of Natural History). E.: 1790. – Literary and Characteristical Lives of John Gregory, Henry Home, Lord Kames, David Hume, and Adam Smith. Edinburgh 1800. Smith, Adam  : The Theory of Moral Sentiments. Edited by A. L. Macfie and D. D. Raphael (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 1). Indianapolis 1982 (repr.) [1976/1979]. E.: 1759. – Theorie der ethischen Gefühle. Auf der Grundlage der Übersetzung von Walther Eckstein neu herausgegeben von H. D. Brandt. Hamburg 2010 (= Übersetzung von  : The Theory of Moral Sentiments). E.: 1759. – An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. In 2 volumes  ; edited by R. H. Campbell and A. S. Skinner  ; textual editor W. B. Todd (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 2). Indianapolis 1981 (repr.) [1976/1979]. E.: 1776. – Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. Aus dem Engli­schen übertragen und mit einer umfassenden Würdigung des Gesamtwerkes von H. C.

Verzeichnis der Originaltexte und ihrer Übersetzungen |

Recktenwald. München 1978 [1974] (= Übersetzung von  : An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations). E.: 1776. – Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker. In 2 Bänden. Aus dem Englischen übersetzt von Monika Streissler. Herausgegeben und eingeleitet von Erich W. Streissler. Düsseldorf 1999 (= Übersetzung von  : An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations). E.: 1776. – Eine Untersuchung über Natur und Wesen des Volkswohlstandes. [Neuausgabe nach der Ausgabe letzter Hand (4. Aufl. 1786), ins Deutsche übertragen von Ernst Grünfeld und eingeleitet von Heinrich Waentig, Jena 1923.] Gießen 2000 [1973] (= Übersetzung von  : An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations). E.: 1776. – The Correspondence of Adam Smith. Edited by E. C. Mossner and I. S. Ross (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 6). Indianapolis 1987 (repr.) [1977]. – Lectures on Jurisprudence. Edited by R. L. Meek, D. D. Raphael and P. G. Stein (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 5). Indianapolis 1982 (repr.) [1978]. – Vorlesungen über Rechts-, Polizei-, Steuer- u. Heereswesen gehalten in der Universität Glasgow von Adam Smith. Nach der Ausgabe von E. Cannan ins Deutsche übertragen von S. Blach. Mit einem Geleitwort von J. Jastrow. Halberstadt 1928 (= Übersetzung von  : Lectures on Jurisprudence). – Vorlesungen über Rechts- und Staatswissenschaften. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Daniel Brühlmeier. St. Augustin 1996 (= Übersetzung von  : Lectures on Jurisprudence). – Essays on Philosophical Subjects with Dugald Stewart’s Account of Adam Smith. Edited by W. P. D. Wightman, J. C. Bryce (Essays) and I. S. Ross (Dugald Stewart’s Account) (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 3). Indianapolis 1982 (repr.) [1980]. – Lectures on Rhetoric and Belles Lettres. Edited by J. C. Bryce (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith  ; 4). Indianapolis 1985 (repr.) [1983]. Smith, Thomas  : The Commonwealth of England  : And the manner and Governement thereof. London 1640. E.: 1583 (lat.). Smollett, Tobias  : Humphrey Clinkers denkwürdige Reise. Leipzig o. J. (21971). E.: 1771. Snetlage, Leonhard Wilhelm  : Nouveau Dictionnaire Français et Allemande contenant les éxpressions de nouvelle Création du Peuple Français  : ouvrage additionnel au dictionnaire de l’Academie française et à tout autre Vocabulaire, Gottingue (= Göttingen) 1795. Spinoza, Baruch de  : Die Ethik. Schriften und Briefe. Übersetzt von Carl Vogl, herausgegeben und revidiert von Friedrich Bülow. Stuttgart 1976. E.: 1677 (posthum). – Politischer Traktat. Aus dem Lateinischen übersetzt von Gerhard Güpner. Leipzig 1988. E.: 1677 (posthum). Steuart, James  : An Inquiry into the Principles of Political Oeconomy  : Being an Essay on the Science of Domestic Policy in Free nations. In 2 volumes. London 1767. – Untersuchung der Grundsätze der Staats-Wirtschaft, oder Versuch über die Wissenschaft der innerlichen Politik in freien Staaten […] von Herrn John [sic  !] Steuart. In 2 Bänden. Hamburg 1769 (=  Übersetzung von  : An Inquiry into the Principles of Political Oeconomy). E.: 1667. Stewart, Dugald  : The Collected Works of Dugald Stewart. In 11 volumes. Edinburgh 1754/55. – Dugald Stewart’s […] Anfangsgründe der Philosophie über die Menschliche Seele. In 2 Bänden. Aus dem Englischen übersetzt […] von Samuel Gottlieb Lange. Berlin 1794. – Account of the Life and Writings of Adam Smith, LL.D. from the Transactions of the Royal Society of Edinburgh. Read by Mr. Stewart, Jan. 21 and March 18. 1793. O. O., o. J. [1794  ?].

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

Turgot, Anne Robert Jacques  : Untersuchung über die Natur und den Ursprung der Reichthümer und ihrer Vertheilung unter den verschiedenen Gliedern der bürgerlichen Gesellschaft. Aus dem Französischen übersetzt. Lemgo 1775. E.: 1769/70. Vanderlint, Jacob  : Money answers all Things  : or, an Essay to make Money Sufficiently plentiful Amongst all Ranks of People, and Increase our Foreign and Domestick Trade  ; Fill the Empty Houses with Inhabitants, Encourage the Marriage State, Lessen the Number of Hawkers and Pedlars, and in a great measure, prevent giving long Credit, and making bad Debts in Trade. […], London 1734. (Berücksichtigt sind nur die Groß-Klein-Schreibungen, jedoch nicht die Auszeichnungen des Originaltitelblatts.) Voltaire (François-Marie Arouet)  : Candide oder der Optimismus. Frankfurt/M. 1972. E.: 1759. – Metaphysische Abhandlung. In  : ders.: Recht und Politik. Schriften 1. Herausgegeben von Günther Mensching. S. 7–75. Frankfurt/M. 1978. E.: 1784 (posthum). – Philosophische Briefe. Aus dem Französischen von Rudolf von Bitter. Frankfurt/M. 1992. E.: 1733, – Philosophisches Wörterbuch. Leipzig 31967. E.: 1764.

Verzeichnis der verwendeten Sekundärliteratur

Zur Systematik  : Das Erscheinungsjahr der verwendeten Ausgabe schließt sich an den Namen des Verfassers/der Verfasserin an, das Erscheinungsjahr der Erstausgabe wird in Klammern nach dem Erscheinungsort angegeben. Bei Texten aus dem Internet steht das Datum des letzten Aufrufs ebenfalls am Ende in Klammern. Zur Typographie  : Die Titel von Monographien sowie Zeitschriftentitel sind kursiv gesetzt. Adams, Angela / Paul, Willi  ; 1994  : Einleitung, zu  : Alexander Hamilton, James Madison, John Jay  : Die Federalist-Artikel. Paderborn, S. XXVI–XCIII. Ahnert, Thomas  ; 2010  : Fortschrittsgeschichte und Religiöse Aufklärung. William Robertson und die Deutung außereuropäischer Kulturen. In  : Hardtwig, Wolfgang (Hrsg.)  : Die Aufklärung und ihre Weitwirkung. Göttingen, S. 101–122. Ahrendt, Hannah  ; 1981  : Vita activa oder Vom tätigen Leben. München (1958). Allen, Richard C.; 2013  : David Hartley. In  : The Stanford Encyclopedia of Philosophy (2002), http:// plato.stanford.edu/archives/sum2013/entries/hartley/ (A.: 13. 1. 2019). Allan, David  ; 2008  : Making British Culture. English Readers and the Scottish Enlightenment, 1740–1830. New York. Alvey, James E.; 1988  : Adam Smith’s Three Strikes Against Commercial Society. In  : International Journal of Social Economics, vol. 25, issue 9, pp. 1425–1441. – 2003  : Adam Smith’s View of History  : Consistent or Paradoxical  ? In  : History of the Human Sciences, vol. 16, no. 2, pp. 1–25. – 2004  : The ‘New, Optimistic, Theistic View’ of Adam Smith and the Problem of Smith’s ­‘Pessi­mistic’ Views of History. Discussion Paper no. 04.03 (march 2004), Massey University, ­Department of Applied and International Economics, no. 23703 https://EconPapers.repec.org/ RePEc:ags  :masddp  :23703 (A.: 2. 4. 2019).

Verzeichnis der verwendeten Sekundärliteratur |

Andree, Georg Johannes  ; 2002  : Sympathie als Grundlage der natürlichen Moralität. Ein Beitrag zu Adam Smiths Moralphilosophie. In  : Aufklärung & Kritik 1, S. 18–41. – 2005  : Zur Natürlichkeit der Moralphilosophie Adam Smiths. In  : Fricke/Schütt 2005, S. 347–374. Anikin, Andrej  ; 1990  : Der Weise aus Schottland – Adam Smith. Berlin. Asbach, Olaf (Hrsg.)  ; 2009  : Vom Nutzen des Staates. Staatsverständnisse des klassischen Utilitarismus  : Hume – Bentham – Mill. Baden-Baden. Assländer, Michael S.; 2010  : Freiheit ist kein Selbstzweck. Adam Smiths „Der Wohlstand der Nationen“. In  : Merkur, H. 09/10 (Sept.), Die Grenzen der Wirksamkeit des Staats. Über Freiheit und Paternalismus, S. 776–783. Assmann, Aleida  ; 1998  : Let it be. Kontingenz und Ordnung in Schicksalsvorstellungen bei Chaucer, Boethius und Shakespeare. In  : Graevenitz/Marquard 1998, S. 225–244. Åström, Karl Johan / Murray, Richard M.; 2009  : Feedback Systems. An Introduction for Scientists and Engineers. Princeton–Oxford. Atkinson, Ronald F.; 1961  : Hume on ‘Is’ and ‘Ought’  : A Reply to Mr. MacIntyre. In  : The Philo­ sophical Review, vol. 70, no. 2 (Apr.), pp. 231–238. Baker, Keith Michael  ; 1995  : Aufklärung und die Erfindung der Gesellschaft. In  : Klein, Wolfgang  /  Naumann-Beyer, Waltraud (Hrsg.)  : Nach der Aufklärung  ?. Berlin, S. 109–124. Baldamus, Wilhelm  ; 1979  : Das exoterische Paradox der Wissenschaftsforschung. Ein Beitrag zur Wissenschaftstheorie Ludwik Flecks. In  : Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie X/2, S. 213–233. Ballestrem, Karl Graf  ; 1983  : Vertragstheoretische Ansätze in der politischen Philosophie. In  : Zeitschrift für Politik, S. 1–17. – 1986  : Die Idee des impliziten Gesellschaftsvertrags. In  : Kern, Lucian / Müller, Hans-Peter (Hrsg.)  : Gerechtigkeit, Diskurs oder Markt  ? Opladen, S.  35–44. – 1988  : Die schottische Aufklärung. Ein Bericht über den Stand der Forschung. In  : Dickerhof, Harald (Hrsg.)  : Heinz Hürten zum 60. Geburtstag. Frankfurt/M. – 1997  : David Hume und Adam Smith. Zur philosophischen Dimension einer Freundschaft. In  : Ziemske, Burkhardt u. a. (Hrsg.)  : Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag. München, S. 873–887. – 2001  : Adam Smith. München. – 2004  : Homo oeconomicus  ? Zum Menschenbild des klassischen Liberalismus. In  : Raab, Josef (Hrsg.)  : Klassische Menschenbilder. Regensburg, S. 193–212. Baruzzi, Arno  ; 1973  : Mensch und Maschine. Das Denken sub specie machinae. München. Batscha, Zwi  /  Medick, Hans  ; 1986  : Vorwort. In  : Adam Ferguson  : Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt/M., S. 7–91. Battegay, Raymond  /  Rauchfleisch, Udo (Hrsg.)  ; 1990  : Menschliche Autonomie. Göttingen. Beauchamp, Tom L.; 2006 a  : A Note on the Text. In  : David Hume  : An Enquiry concerning the Principles of Morals, A Critical Edition. Oxford (1998), pp. LXXXI–LXXXIII. – 2006 b  : Introduction  : A History of The Enquiry on Morals. In  : David Hume  : An Enquiry concerning the Principles of Morals, A Critical Edition. Oxford (1998), pp. XI–LXXX. – 2009 a  : A Note on the Text. In  : David Hume  : A Dissertation on the Passions / The Natural History of Religion, A Critical Edition. Oxford (2007), pp. CXXXIII–CXXXV. – 2009 b  : Introduction  : A History of Two Dissertations. In  : David Hume  : A Dissertation on the Passions / The Natural History of Religion, A Critical Edition. Oxford, pp. XI–CXXXII.

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

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Verzeichnis der verwendeten Quellentexte und Sekundärliteratur

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Dank Die vorliegende Untersuchung entstand in den Jahren von 2012 bis 2019. Im Sommer 2019 wurde sie als Dissertation an der Universität der Bundeswehr München eingereicht, an der mir hervorragende Arbeitsbedingungen geboten wurden. In einer Arbeit wie dieser spiegeln sich vielerlei Anregungen von außen wider – Bekräftigung und Aufmunterung ebenso wie kritische Einwände. Mir ist bewusst, wie sehr ich, im Sinn Ludwik Flecks, Teil eines „Denkkollektivs“ bin und, bei aller Selbstreflexion, unter dem Einfluss des von ihm beschriebenen „Denkstils“ stehe. Meine eigenen Anstrengungen sehe ich deshalb vor dem Hintergrund vieler Einflüsse und eines hohen Maßes an Unterstützung seitens all jener, die mich in dieser Zeit mit ihrer Inspiration, aber auch mit ihrem Zuspruch begleitet und so meine Herangehens- und Sichtweise immer wieder tangiert haben. Es ist mir ein großes Anliegen, allen, die mir die Gelegenheit zum Gedankenaustausch geboten haben, an dieser Stelle herzlich zu danken. In besonderem Maß gilt dieser Dank Professor Dr. Dirk Lüddecke, meinem Doktorvater, der durch seine Art der Betreuung dieser Arbeit die Grenzen zwischen Leitung, Anleitung und Begleitung geradezu aufgehoben hat. Der Austausch mit ihm hat mich manchen möglichen Irrweg meiden und manche neue Perspektive erkennen lassen  ; mit seinem Interesse am Vorankommen der Arbeit und an ihren oftmals nur kleinen Fortschritten hat er mich in meinem Vorhaben nicht nur von Anfang an bestärkt, sondern meine Begeisterung für die Sache auch über die Jahre hin dauerhaft lebendig gehalten. Zu spätem, aber aufrichtigem Dank bin ich den Professoren Karl Graf Ballestrem (†) und Henning Ottmann verpflichtet, meinen einstigen Lehrern am Geschwister-SchollInstitut der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ich erkenne deutlich, wie sehr ihr Einfluss auf meine Art der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema und auch auf die Darstellungsweise der vorliegenden Untersuchung durchscheint. Manfred Poser hat meine Arbeit nach ihrer Fertigstellung mit großer Sorgfalt korrekturgelesen. Ihm danke ich herzlich für diese mir sehr wertvolle Unterstützung  ! Die vorliegende Buchausgabe wurde vom Böhlau Verlag hervorragend betreut. Für die Organisation danke ich Frau Svenja Lilly Kempf und Frau Julia Roßberg sowie für die sehr gelungene Realisierung Herrn Michael Rauscher. Zuletzt dies  : Weder Wissensdrang noch Eifer noch Durchhaltevermögen könnten hinreichen, eine Arbeit wie diese sowohl zu beginnen und als auch zum Abschluss zu bringen. Als wichtigstes Momentum erscheint mir in der Rückschau vielmehr die Zuversicht, dass das Vorhaben auch gelingen werde. Diese Zuversicht verdanke ich, neben allen hier bereits Genannten, ganz besonders dem Austausch mit meiner Frau ­Brigitte. Ihr Interesse war mir Motivation und ihr Zuspruch war mir eine große Unterstützung und Entlastung. Dafür gebührt ihr mein allergrößter und herzlicher Dank. Gröbenzell, im Frühjahr 2021

Helmut Krämer