Spanische Geschichte: Von der Reconquista bis heute 9783863128289

Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts wurden mit der Überwindung der territorialen Zersplitterung und der Zurückdrängu

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Spanische Geschichte: Von der Reconquista bis heute
 9783863128289

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Titel
Impressum
Inhalt
I. Reichseinigung und überseeische Expansion
II. Weltmacht, Verwaltungsabsolutismus, Gegenreformation: das 16.Jahrhundert
III. Krise, Niedergang, Günstlingsherrschaft: das 17.Jahrhundert
IV. Zentralisierung, Vereinheitlichung, Reformismus: das 18.Jahrhundert
V. Die Krise des Ancien Régime: Politikversagen, Dynastiewechsel, Kolonialverlust
VI.Wirtschaft, Gesellschaft und Politik im Umbruch (1808–1875)
VII. Die Restauration (1875–1923): Bürgerherrschaft, Wirtschaftswandel, Nationalismen
VIII. Diktatur, Republik, Bürgerkrieg (1923–1939)
IX. Die Franco-Ära (1939–1975): Autoritarismus und ökonomische Entwicklung
X. Demokratie, Wirtschaftsmodernisierung, Krise (1975–2012)
Anmerkungen
Literatur
Personenregister
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Spanische Geschichte

Von der Reconquista bis heute

Walther L. Bernecker

Spanische Geschichte Von der Reconquista bis heute 2. Auflage

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Sonderausgabe 2012 2., erweit. und bibliogr. aktualisierte Auflage (1. Auflage 2003) © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildung: Reiterbildnis König Philipps IV. von Spanien. Werkstatt des Peter Paul Rubens, 1628 / 29. Foto: akg-images Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-25084-4 Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Umschlagabbildungen: „Seeschlacht zwischen Spaniern und Holländern vor einer Küste“, 1641, Gemälde von Abraham Willarts (1603 –1669); Reiterbildnis Philipps III. von Spanien, Gemälde wird Bartolomé González (1564 –1627) zugeschrieben. Fotos: akg-images www.primusverlag.de

ISBN 978-3-86312-308-6 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72904-3 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-72905-0 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-828-9 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-829-6 (Buchhandel)

Inhalt Inhalt

I. Reichseinigung und überseeische Expansion. . . . . . . . . . .

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II. Weltmacht, Verwaltungsabsolutismus, Gegenreformation: das 16.Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Krise, Niedergang, Günstlingsherrschaft: das 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Zentralisierung, Vereinheitlichung, Reformismus: das 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Die Krise des Ancien Régime: Politikversagen, Dynastiewechsel, Kolonialverlust . . . . . . .

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VI. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik im Umbruch (1808–1875) 111 VII. Die Restauration (1875–1923): Bürgerherrschaft, Wirtschaftswandel, Nationalismen . . . . . . 131 VIII. Diktatur, Republik, Bürgerkrieg (1923–1939) . . . . . . . . . . 150 IX. Die Franco-Ära (1939–1975): Autoritarismus und ökonomische Entwicklung . . . . . . . . . 177 X. Demokratie, Wirtschaftsmodernisierung, Krise (1975–2012) . 194 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

I. Reichseinigung und überseeische Expansion 1454–1474 1458–1479 1469 1474–1504 1478 1479 1479–1516 1479 1482 1492

Heinrich IV., König von Kastilien Johann II., König von Aragonien Heirat von Isabella und Ferdinand Isabella, Königin von Kastilien Einsetzung der Inquisition Reichseinigung in Form einer Matrimonialunion Ferdinand, König von Aragonien Frieden von Alcaçovas Beginn des Kriegs gegen Granada Sieg über Granada; Ende der Reconquista; Ausweisung der Juden; Amerikafahrt des Kolumbus; Veröffentlichung der ersten kastilischen Grammatik durch Antonio de Nebrija 1494 Vertrag von Tordesillas 1502 Zwangstaufe oder Ausweisung der Mauren 1503 Errichtung der Casa de la Contratación in Sevilla 1504–1555 Johanna die Wahnsinnige, Königin 1506 Anerkennung Philipps des Schönen als kastilischer König; Tod Philipps des Schönen und erste Regentschaft von Kardinal Cisneros 1507–1516 Regentschaft Ferdinands in Kastilien 1512 Eingliederung Navarras in die kastilische Krone

Lange Zeit galt in der Historiographie Spanien als ein früh geeinter, europäischer Nationalstaat.1 Im späten 15. Jahrhundert wurde mit der Eheschließung Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragonien (1469) die Grundlage für die zehn Jahre später erfolgte ‚Reichseinheit‘ gelegt. Wenn auch bis heute in den meisten historischen Werken an dieser Chronologie festgehalten wird, ist andererseits darauf hinzuweisen, daß trotz der (theoretisch) bestehenden religiösen und politischen Einheit sowohl während der vorangegangenen Jahrhunderte als auch in der Zeit danach die Vielfalt das herausragende Charakteristikum der spanischen Geschichte war. Von einem zentralistischen Einheitsstaat konnte keine Rede sein. Noch jahrhundertelang stellten sich die spanischen Herrscher nicht als Könige Spaniens, sondern als Monarchen der „spanischen Länder“ (las Españas) dar. Spanien blieb lange Zeit eine „zusammengesetzte Monarchie“ (monarquía compuesta); die Krone von Kastilien bestand aus ver-

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schiedenen historischen Bestandteilen, die im Laufe der Zeit allerdings weitgehend integriert wurden (das erst zwischen 1512 und 1515 eroberte Königreich Navarra behielt bis ins 19. Jahrhundert eine Sonderstellung innerhalb Kastiliens). Die Krone von Aragonien wiederum setzte sich im Osten aus dem Königreich Aragonien, der Grafschaft Katalonien und den Königreichen der Balearen und Valencias zusammen; die einzelnen Bestandteile waren zwar seit 1319 durch eine ewige Union verbunden, institutionell aber keineswegs integriert. Die Spannungen zwischen politischen Vereinheitlichungstendenzen und kultureller Verschiedenartigkeit sind bis heute ein Grundzug der spanischen Entwicklung.2 Einig sind sich die Historiker darin, daß die Regierung der „Katholischen Könige“ in mehrerlei Hinsicht einen Wendepunkt der spanischen Geschichte bedeutete: Die aus dynastischen Gründen zustande gekommene Union von Kastilien und Aragonien war die Voraussetzung für das moderne Spanien; die Eroberung des letzten islamischen Königreiches auf iberischem Boden, Granadas, bedeutete das Ende der Reconquista und den Beginn eines neuen Zeitalters; die relative religiöse Toleranz des Mittelalters und das (durchaus spannungsvolle) Nebeneinander der drei großen monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum wichen geistlicher Intoleranz und fanatischem Glaubenseifer; mit der ‚Entdeckung‘ Amerikas und der Eroberung und Missionierung des ‚neuen‘ Kontinents wurde die Grundlage für das koloniale Weltreich Spaniens gelegt. In einer auffälligen Entsprechung geschichtlicher Dynamik fallen damit der Abschluß eines jahrhundertelangen Kampfes auf der Iberischen Halbinsel und der Beginn einer ebenfalls jahrhundertelangen Kolonialherrschaft zeitlich zusammen. Die Frage liegt nahe, ob es über die zeitliche Koinzidenz hinaus einen ursächlichen Zusammenhang zwischen diesen beiden weltgeschichtlichen Ereignissen gibt.3 Noch im frühen 15. Jahrhundert war nicht abzusehen, daß die verschiedenen Reiche auf der Iberischen Halbinsel in vorhersehbarer Zeit eine Einheit bilden würden. Das Königreich Kastilien war durch innere Wirren geschwächt und konzentrierte seine Energien auf die Fortführung der Reconquista, den seit Jahrhunderten andauernden Kampf zwischen Christen und Muslimen; den Ländern der Krone von Aragonien ging es vor allem um die Sicherung außeriberischer Interessen, vornehmlich in Süditalien; das Königreich Navarra im Norden der Halbinsel war um die Bewahrung seiner Unabhängigkeit bemüht; Portugal hatte sich seit Jahrhunderten im atlantischen Raum engagiert und zu jenem Zeitpunkt bereits eine Art Nationalbewußtsein entwickelt; und das im Süden gelegene, maurische Emirat Granada war das letzte islamische Reich auf der Halbinsel, gegen das Kastilien seit Jahrzehnten einen hinhaltenden Abnützungskrieg führte.

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Von den fünf Reichen war Kastilien zweifellos das bedeutendste; ihm gehörten große Teile des Nordens, das Zentrum und der ganze Südwesten der Halbinsel. Kastilien umfaßte zwei Drittel des spanischen Gesamtterritoriums und hatte mit sechs Millionen mehr als sechs mal soviel Einwohner wie Aragonien. Lange Zeit wurde das entstehende moderne ‚Spanien‘ mit Kastilien gleichgesetzt. Während dieses schon weitgehend einheitsstaatlich organisiert war, stellte die Krone von Aragonien eine Art Föderation mit Katalonien, Valencia und Mallorca dar; auch Sizilien, Neapel und Sardinien gehörten zur Krone von Aragonien.4 Die Unterschiede zwischen Kastilien und Aragonien waren weitreichender Art und betrafen das Verwaltungssystem, die Besteuerung und die Verfassungen. Die kastilischen Stände (cortes) konnten keine starke Tradition begründen; Mitte des 15. Jahrhunderts entsandten nur noch 17 Städte Vertreter in die Cortes, in denen ganze Regionen (Baskenland, Galicien, Asturien) nicht repräsentiert waren. Auch Geistlichkeit und Adel nahmen an den Sitzungen nicht mehr teil. Die Schwäche der ‚parlamentarischen‘ Institutionen korrelierte mit der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entwickelten Theorie des Absolutismus, derzufolge der König von Gottes Gnaden „absolute königliche Macht“ besaß; seine Macht leitete der König nicht von den Menschen her, sondern von Gott, dem allein er verantwortlich war. Wenn auch in Kastilien die Lehre von der „absoluten königlichen Macht“ entwickelt wurde, stieß der Gebrauch dieser Prärogative an viele Grenzen. Der König war zwar alleiniger Gesetzgeber und Richter, seine Gesetze und Entscheidungen mußten sich aber im Rahmen des Rechts bewegen. Wenn Verfügungen gegen Gesetz und Recht verstießen, wurden sie zwar angenommen, aber nicht ausgeführt – gemäß der Formel Man gehorcht, führt aber nicht aus („Se obedece, pero no se cumple“). Bei der Festlegung neuer Steuern war die Zustimmung der Cortes erforderlich. Im Unterschied zum entstehenden kastilischen Absolutismus entwickelte die Krone von Aragonien eine ausgeprägte Form des Konstitutionalismus. Die Macht des Königs leitete sich von einem „Vertrag“ her, den dieser mit dem Volk schloß. Jegliche politische Macht konnte nur auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen ausgeübt werden. Diese Theorie der „Vertragsherrschaft“ führte in den Ländern der Krone von Aragonien schon früh zu einer Begrenzung der königlichen Macht und zu einer Teilung der Souveränität zwischen Monarch und Cortes; diese stellten mächtige Vertretungen der Eliten dar, sie waren für Steuererhebungen und Ausgabenkontrollen zuständig, königliche Gesetzesinitiativen bedurften ihrer Zustimmung. Ein Oberrichter (Justicia) wachte über die Einhaltung der Rechte des Landes durch die Krone.5 Zwischen den Sitzungsperioden

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der Cortes unterstand der König außerdem der Generalidad oder Diputación, die als ständiger Ausschuß die Kontinuität der ‚parlamentarischen‘ Kontrolle sicherstellte. Das ‚geeinte‘ Spanien bestand Ende des 15. Jahrhunderts somit aus einer Verbindung des aragonesischen Konstitutionalismus mit dem kastilischen Absolutismus. König Ferdinand von Aragonien (1479–1516) griff selten in den Verwaltungsapparat der ‚Gliedstaaten‘ seiner Krone (Aragonien, Katalonien, Valencia, Mallorca) ein, verbriefte vielmehr den Fortbestand der regionalen Sonderrechte (vor allem Kataloniens). Die Reiche der Krone von Aragonien waren vorerst nur in Personalunion miteinander vereinigt. Der König verbrachte nur wenige Jahre in seinen Kronländern, setzte vielmehr einen Vizekönig und (1494) den „Aragonienrat“ ein, der zur höchsten Verwaltungsbehörde für alle Kronländer – somit auch für Sizilien, Neapel und Sardinien – wurde.6 Über die Bedeutung der Umbruchzeit zu Ende des 15. Jahrhunderts ist unter Historikern viel gestritten worden. Immer wieder ging es um die Frage, welche Bedeutung die Reconquista für die weitere Geschichte Spaniens hatte. Zuerst ist darauf zu verweisen, daß die Reconquista als militärischer, machtpolitischer, wirtschaftlicher und siedlungsgeschichtlicher Aspekt einen Teil jener viel umfassenderen Bewegung bezeichnet, die eine fast acht Jahrhunderte andauernde geistig-kulturelle Auseinandersetzung mit dem Islam auf spanischem Boden bedeutete. Die Geschichte Spaniens von 711 bis 1492, die Eroberung weiter Teile der Iberischen Halbinsel durch die ‚Mauren‘ und die Rückeroberung durch die christlichen Königreiche, vor allem durch Kastilien – das im 11.Jahrhundert zur politisch und militärisch führenden Macht aufstieg –, stellen eines der erregendsten Kapitel abendländischer Geschichte und Kulturentwicklung dar. Das Ergebnis der Reconquista war eine folgenreiche Durchdringung und Verschmelzung verschiedener Kulturen; dieser Prozeß kann mit dem militant-ideologischen Schlagwort der ‚Rückeroberung‘ allein nicht adäquat erfaßt werden.7 Die muslimischen Berber, die 711 bei den „Säulen des Herkules“ (Gibraltar) über die Meerengen vorstießen, unterwarfen innerhalb weniger Jahre fast die gesamte Halbinsel; als Kalifat von Córdoba entwickelte dieses iberische Reich eine im damaligen Europa einmalige Blüte, die als politischer, wirtschaftlicher und kultureller Höhepunkt des Islam bezeichnet werden kann. Die ‚Rückeroberung‘ der islamisierten Halbinsel sollte sodann unter dem Zeichen zweier Legitimations- und Integrationssymbole erfolgen: Zum einen fanden die Sammlungsversuche in den christlichen Territorien unter dem mythisierten Ideal statt, die gotische Herrschaft wiedererrichten zu wollen; zum anderen mußte der Apostel Jakobus

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(Santiago), der „Maurentöter“ – bis heute Schutzpatron Spaniens –, als Integrationssymbol herhalten.8 Während das Kalifat von Córdoba auseinanderfiel und die arabischen Kleinkönige sich bekriegten, eroberten die Almoraviden und später die Almohaden große Teile Spaniens und errichteten eher fundamentalistische, religiös-politische Regime, die auf christlicher Seite scharfe Reaktionen hervorriefen. Allmählich wurde die Reconquista zum „heiligen Krieg“ und „Kreuzzug“ gegen die Feinde des Glaubens – ein Krieg, in dem die geistlichen Ritterorden eine große Rolle spielen sollten; eigentlich waren die jahrhundertelangen Auseinandersetzungen aber keineswegs ein von Heilswillen geleiteter Kreuzzug, sondern ein massives Geschäftsunternehmen, bei dem es darum ging, Territorien zu erwerben, Feudalherrschaften zu gründen und Existenzen für jüngere Söhne des Adels zu schaffen. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts hatte sich der kastilische Herrscher nach der Eroberung Toledos den Titel „Herrscher über ganz Spanien“ (Imperator totius Hispaniae) zugelegt. Insbesondere seitdem gab es ausgedehnte Friedensphasen, in denen Juden, Christen und Araber zusammenlebten und -arbeiteten. Toledo wurde zu einem internationalen Zentrum der Vermittlung griechisch-östlicher Wissenschaft und Philosophie. Aus diesem Zusammenwirken verschiedenartiger Kulturkreise, Sprachen und Religionen entstand eine einzigartige Synthese von mozárabes (arabisierten Christen), mudéjares (Moslems in christlichen Gebieten) und moriscos (getauften Moslems), die allesamt versierte Facharbeiter und geschickte Techniker waren. Ohne die Reconquista ist das heutige Spanien nicht denkbar; der Nationalstaat Spanien ist erst durch den Kampf gegen die Mauren entstanden.9 Auf die Frage, was die jahrhundertelange Herrschaft des Islam für Spanien bedeutet, sind sehr unterschiedliche Antworten gegeben worden. Die christlichen Chronisten, die zu Beginn der Neuzeit über die Ereignisse der vergangenen acht Jahrhunderte nachdachten, mußten unweigerlich die Hand Gottes am Werk sehen: Wie anders wären der Zusammenbruch des Westgotenreiches unter den Schlägen der Muslime und die allmähliche ‚Rückeroberung‘ des Territoriums unter dem Zeichen dieses christlichen Westgotenreiches zu erklären? Nur allmählich haben sich spätere Historiker von einer derart triumphalen Sicht entfernt. Für die neueren Interpretationsrichtungen wurde ein Streit bedeutsam, den vor ungefähr 50 Jahren zwei Intellektuelle, der Philologe Américo Castro und der Historiker Claudio Sánchez Albornoz, erbittert ausgetragen hatten. Beide Männer waren durch den Sieg Francos im Bürgerkrieg ins Exil getrieben worden, ersterer in die USA, letzterer nach Argentinien. Américo Castro vertrat die These, die gesamte Entwicklung Spaniens in der Neuzeit resul-

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tiere daraus, daß die Bewohner der Iberischen Halbinsel über Jahrhunderte hinweg einer menschlichen Gemeinschaft angehörten, die sich aus drei Gruppen von Gläubigen zusammensetzte: Christen, Muslime und Juden.10 Ein kulturelles Kräftedreieck aus islamischen, jüdischen und christlichen Einflüssen habe einzigartig zusammengewirkt und eine Mischkultur hervorgebracht, die nicht ausschließlich europäischen Ursprungs ist. Gegen Castros Thesen läßt sich zweifellos manches einwenden; Kontinuität zwischen der westgotischen Zeit und dem frühchristlichen Mittelalter ist vielfach nachweisbar. Castros Opponenten, allen voran Claudio Sánchez Albornoz, warfen ihm denn auch vor, mit seiner Behauptung des Zusammenwirkens der drei großen monotheistischen Religionen habe er die spanische Geschichte aus jenem europäischen Verbund gelöst, der allein christlichen Ursprungs sei.11 Castros Thesen waren für die Katholiken seiner Generation eine gewaltige Provokation. Den eigentlichen Protest erregte die Behauptung, die spanische Bevölkerung, ihre Kultur und ihr Charakter seien nicht ausschließlich christlichen (und das hieß: europäischen) Ursprungs. Heute erscheinen die Leidenschaften, die der Streit zwischen Américo Castro und Claudio Sánchez Albornoz hervorgerufen hat, weitgehend unverständlich. Kaum jemand bestreitet mehr, daß die drei Religionen und Kulturen vielerlei Spuren in Spanien hinterlassen haben. Im Gegenteil: Das über lange Phasen hinweg relativ friedliche Miteinander von Muslimen, Christen und Juden – die vielgepriesene, manchmal auch idealisierte convivencia – wird als Vorbild praktizierter religiöser Toleranz dargestellt; die kulturellen Zeugnisse des Mittelalters sind anerkannte Elemente der gemeinsamen nationalspanischen Kultur; die Reconquista wird nicht mehr als glorreiche Geburtsstunde eines national-katholischen Spanien verherrlicht, sondern gesellschaftlich und kulturell als eine Art Bürgerkrieg begriffen, in dem es den Christen um Machtausdehnung und Missionierung ging. Auch nachdem die politische Geschichte des Islam auf der Iberischen Halbinsel 1492 zu Ende gegangen war, blieb sein kultureller Einfluß noch jahrhundertelang wirksam. Die Mudéjarkunst im christlichen Spanien legt Rechenschaft davon ab. Eine neue Epoche begann, die trotz Inquisition, Vertreibungsedikten, und religiöser Intoleranz das islamische Erbe nicht verleugnete. Allerdings geht die Debatte über den (tatsächlichen oder nur erwünschten) Einfluß des Islam auf die spanische Entwicklung der Neuzeit weiter. Als ein bemerkenswertes aktuelles Beispiel ist auf den Arabisten Serafín Fanjul zu verweisen, der in seinen Studien den „Mythos“ der im Mittelalter angeblich harmonisch nebeneinander bestehenden drei „Kulturen“ angreift und betont, daß „Al-Andalus“ keinerlei kulturelle Spuren in Spa-

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nien hinterlassen habe. Der Alltag zwischen Mauren und Christen war spannungsgeladen, häufig aggressiv, und die Bevölkerung eines Landstrichs definierte sich in bewußter Abgrenzung von der jeweils anderen Religion. Diese Deutung, die sich gegen die Sicht eines Américo Castro oder Juan Goytisolo wendet, kritisiert die romantisierenden und idyllisierenden Perspektiven der araberfreundlichen Schule;12 sie läßt zugleich deutlich werden, daß das Thema auch nach Jahrhunderten in Spanien immer noch erhebliche Emotionen zu wecken vermag. Fragt man nach der inneren, politischen und nationalen Verfaßtheit Spaniens an der Schwelle zur Neuzeit, so ist einleitend auf die nachhaltigen Bestrebungen von seiten der Krone zu verweisen, einen frühneuzeitlichen, modern-absolutistischen Staat zu errichten. Seit ihrer Eheschließung im Oktober 1469 versuchten Ferdinand von Aragonien und Isabella von Kastilien, die späteren „Katholischen Könige“, die wichtigsten Staatsämter mit Angehörigen des Kleinadels und bürgerlichen Juristen zu besetzen. Diese Bestrebungen führten zwar zu einer Disziplinierung des kastilischen Adels, nicht jedoch zu seiner Entmachtung; trotz der ökonomischen Erstarkung der Krone behielt der Adel ein beachtliches Wirtschaftspotential bei. Die während der isabellinischen Epoche geschaffenen Grundlagen des Absolutismus im Königreich Kastilien gingen in erster Linie auf Kosten der Kirche, der Städte und der religiösen Minderheiten: Die Cortes wurden völlig entmachtet, die städtische Unabhängigkeit wurde zusehends eingeengt, die Landpolizei und städtische Miliz königlicher Aufsicht unterstellt. Die drei bedeutendsten militärischen Orden (Calatrava, Alcántara, Santiago) konnten weitgehend dem Einfluß der Kirche entzogen werden.13 Nachdem Isabella Ende 1474 die Thronfolge Kastiliens zu ihren Gunsten entschieden hatte, regelte sie kurz danach im „Abkommen von Segovia“ mit ihrem Ehemann Ferdinand die Aufteilung von Rechten und Kompetenzen. Ferdinand erhielt zwar ebenfalls den Königstitel für Kastilien, die eigentliche Königin und „Besitzerin“ des Reiches aber war Isabella; sie ernannte die obersten Militärs, die Statthalter und die Leiter der Zivilverwaltung. Die stark von aragonesischen Interessen beeinflußte Außenpolitik, die sich anfangs auf den Mittelmeerraum und Süditalien konzentrierte, wurde Ferdinand überlassen. Seit dem 14. Jahrhundert gehörten Sizilien und Sardinien, seit Mitte des 15.Jahrhunderts auch Neapel zu Aragonien; der italienische Besitz mußte gegen französische Begehrlichkeiten geschützt werden und band aragonesische Truppen in Italien. Das Herrscherpaar einigte sich darauf, die meisten Regierungsgeschäfte zusammen durchzuführen. Sowohl der gemeinsame Wappenspruch (Tanto monta) wie die Wappensymbole – Pfeilbündel, Kette, Joch – betonten den

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Einheits– und Unteilbarkeitsgedanken. Das Herrscherpaar festigte gemeinsam die Monarchie und schwächte den Adel. Dieser konnte durch eine geschickte Reformpolitik schließlich von den Vorzügen eines Bündnisses mit dem Königtum überzeugt werden: Besondere Bedeutung dabei erlangte das Majoratsgesetz von 1505, das die Vererbung an den erstgeborenen männlichen Nachkommen und die Unveräußerlichkeit des immobilen Vermögens festlegt. 1479 endete der Erbfolgekrieg, im Friedensvertrag von Alcaçovas mit Portugal wurde die Grenze zwischen Kastilien und dem Nachbarland anerkannt. Da im gleichen Jahr Ferdinand seinem verstorbenen Vater auf den Thron folgte, waren nunmehr beide Kronen in einer Doppelmonarchie (Matrimonialunion) vereint. Allerdings behielten beide Königreiche ihre Autonomie, die Institutionen blieben getrennt. Zukunftsweisend für den Aufbau eines ‚modernen‘ Staates wurde die Verwaltungsreform: Der seit dem 14. Jahrhundert bestehende Kronrat avancierte zu einem Regierungsinstrument der Monarchen; königlichen Sekretären, die zumeist Rechtsgelehrte waren, wurden die Staatsgeschäfte übertragen; das Kommunalsystem erfuhr auf Kosten der Macht der Aristokratie Verstärkung; mit Sondervollmachten ausgestattete königliche Vertreter hatten in den einzelnen Landesteilen die Oberhoheit der Krone sicherzustellen; die Rechtsprechung über Laien wurde dem Klerus als Lehensherr entzogen und königlichen Justizbeamten übertragen. Die innere Sicherheit oblag der „Heiligen Bruderschaft“ (Santa Hermandad), einem ehemals städtischen Schutzbund, der als Landpolizei wiedergegründet und schließlich zu einem Instrument der königlichen Finanzpolitik wurde. Während des Pontifikats des skandalumwitterten Alexanders VI. (1492– 1503) konnte das Herrscherpaar bestimmenden Einfluß auf die Ernennung der Bischöfe gewinnen und damit die Basis zu einer Art ‚Nationalkirche‘ legen. In Zusammenwirken mit der Kirchenhierarchie entwickelte sich damals ein Staatsbewußtsein, das religiöses Denken und staatliche Einheit in eins setzte.14 Das Herrscherpaar erhob den Krieg mit Granada, wo die Nasridendynastie herrschte, zum ‚nationalen‘ Anliegen, um mit seiner Hilfe die kastilische Oligarchie hinter sich zu einen. Die Propaganda des Hofes hob die Rolle der Monarchen bei der Eroberung Granadas hervor und stellte diese als ersten Schritt zur Schaffung eines kastilischen Weltreiches dar. Die Impulse, die von der Eroberung Granadas ausgingen, bewirkten eine Wiederbelebung des teilweise verlorengegangenen Kreuzzugs- und Eroberungsdrangs des kastilischen Adels; dieser Faktor sollte wenige Jahre später zum Aufbau des spanischen Weltreiches beitragen. Innenpolitisch festigte der Feldzug die Stellung der Monarchen als militärische und poli-

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Ferdinand und Isabella erobern am 2. Januar 1492 Granada. Holzrelief von Felipe Bigarny, 16.Jh., Granada, Capilla Real, Hauptaltar. Foto: AKG.

tische Führer des Reiches; strategisch ist vor allem auf den erweiterten Zugang zum Mittelmeer zu verweisen. Die sozialen und ökonomischen Folgen der Eroberung des Königreiches Granada waren vielfältig: Für ihren Widerstand während der Reconquista waren die Bewohner der meisten maurischen Städte mit der Ausweisung nach Nordafrika bestraft worden; demgegenüber waren die

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Bedingungen bei der Übergabe Granadas großzügig. Den für ihren Fleiß bekannten niederen Volksschichten sollten ähnliche Existenzbedingungen ermöglicht werden, wie sie die mudéjares im christlichen Norden hatten: Sie sollten ihr Rechtswesen behalten, ihre Sitten und Gebräuche pflegen und ihre Religion frei ausüben können. Nach wenigen Jahren bereits wurden jedoch die Grundlagen dieses tolerant-offenen Spanien wieder zerstört, was sowohl mit staatspolitischen und wirtschaftlichen Überlegungen der Krone als auch mit wachsender Intoleranz seitens der christlichen Bevölkerung zusammenhing. Als erste wurden die Juden verfolgt. Auf die umfangreichen Pogrome von 1391 folgte in der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts eine weitere antisemitische Verfolgungswelle, die 1478 in der Schaffung der Inquisition ihren Abschluß fand. Die Judenfeindschaft ist zu dieser Zeit nicht mehr ausschließlich religiöser Natur, sondern es beginnen sich Zuschreibungen auszubilden, die mit modernen rassistischen Vorstellungen vergleichbare Züge aufweisen. Zugleich artikulierten die ökonomisch bedrohten niederen Volksschichten in antijüdischen Pogromen ihren Protest gegen die bestehende soziale Ordnung. Die Schaffung der Inquisition war auf mehrere Gründe zurückzuführen: Zum einen sollten soziale Bewegungen, die schnell unkontrollierbar werden konnten, abgefangen und kanalisiert werden; zum anderen sollte die Glaubensfestigkeit der wachsenden Zahl von Konvertiten, die Sorgen bereitete, überwacht werden; schließlich konnte die Krone die Inquisition – als einzige gesamtspanische Institution – bei der Durchsetzung zentralistischer Bestrebungen einsetzen. Finanzielle Beweggründe dürften zwar anfangs nicht zu den Hauptmotiven, die Inquisition einzurichten, gehört haben; im Laufe der Jahre wurde die Beschaffung von Mitteln aus Buß geldern und dem Vermögen verurteilter Konvertiten aber zu einer wichtigen Aufgabe der Inquisition.15 Im März 1492 wurden die Juden aus Kastilien und Aragonien vertrieben; diese Maßnahme wurde in der Absicht ergriffen, den wachsenden Antisemitismus im Volk zu kontrollieren und die werdende Nation zu homogenisieren. Die Schätzungen über die Zahl der Vertriebenen schwanken zwischen 85 000 und 200 000. Zehn Jahre später wurden noch die mudéjares ausgewiesen oder zur Konversion gezwungen. Damit bot Kastilien das Bild eines religiösen Monoliths, wenn auch zahllose jüdische und moslemische Konvertiten weiterhin heimlich ihrem alten Glauben anhingen. Die Bestrebungen, das Christentum vor diesen vermeintlichen Renegaten zu schützen, sollten auf Jahrhunderte hinaus den Nährboden für die religiös-geistige Intoleranz in Spanien bilden.16 Die Einsetzung der Inquisition und die Verfolgung der conversos war in

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der Geschichtsschreibung Gegenstand vielfältiger Auseinandersetzungen. Américo Castro hat die These aufgestellt, die Inquisition sei von konvertierten Juden geschaffen worden, die dadurch ihre „Orthodoxie“ im christlichen Glauben beweisen wollten – eine Behauptung, die Benzion Netanyahu mit Nachdruck zurückwies. Dieser hob demgegenüber hervor, daß die Einrichtung der Inquisition eng mit dem Antisemitismus der Zeit zusammenhing. Das Paradoxe an der Inquisition bestand allerdings darin, daß sie vorgab, „Kryptojuden“ – also nur scheinbar zum Christentum übergetretene Juden, die insgeheim weiterhin Anhänger des Judentums waren – zu verfolgen, tatsächlich aber Christen hinrichtete. Die conversos waren nämlich, daran dürfte es heute keinen Zweifel mehr geben, keine verkappten Juden, sondern längst überzeugte Christen, die nur unter der (Androhung von) Folter angeblich judaisierende Handlungen „zugaben“.17 Mit dieser These revidierte Netanyahu die lange Zeit vertretene Behauptung, die „Katholischen Könige“ hätten die Inquisition eingesetzt, da sie die jüdische Häresie bekämpfen und die religiöse Einheit herbeiführen wollten. Netanyahu ging es demgegenüber um den Nachweis, daß die „Katholischen Könige“ mit der Gründung der Inquisition dem Drängen einer gewaltigen, fanatischen Volksbewegung nachgaben, die aus sozialen und ökonomischen Gründen harte Maßnahmen gegen die conversos forderte, nachdem diese wichtige und einflußreiche Positionen in der Gesellschaft erlangt hatten. Um sicherzustellen, daß die Inquisition mit aller Härte gegen die conversos vorgehen und auf diese Weise eine soziale Beruhigung im Volk eintreten würde, ernannten die Könige solche Christen zu Inquisitoren, die besonderen Haß auf die conversos hatten: die Dominikaner. Zugleich war Ferdinand und Isabella klar, daß die Inquisition nur relativ wenige conversos – insgesamt einige Tausend – verurteilen konnte, da die Prozesse sehr langwierig sein würden. Auf diese Weise konnten sie erreichen, daß die Volkswut besänftigt wurde und die große Masse der conversos im Land blieb – wenn auch einige geopfert werden mußten. Nicht religiöse Überlegungen, sondern Rassendiskriminierung bedingten nach Netanyahu die Einrichtung der Inquisition; das ursprüngliche Ziel war die Eliminierung aller conversos. Die schließlich von den „Katholischen Königen“ eingeschlagene ‚Lösung‘ des Problems wich dann jedoch deutlich von den radikalen Forderungen der rassistischen Extremisten in ihrer Umgebung ab. Diese hatten die Ausrottung der mächtigen Minderheit der conversos gefordert. Das Königspaar lehnte auch die Vertreibung der konvertierten Juden oder den Erlaß besonderer diskriminierender Edikte gegen sie ab. Die Einrichtung der Inquisition sollte vielmehr eine Art Ventil darstellen, um die radikale Gegnerschaft großer Bevölkerungsgruppen gegen die conversos zu kanalisieren und auf diese Weise die Sta-

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bilität des Reiches sicherzustellen. Erst rund 40 Jahre nach Einsetzung der Inquisition – und schon nach dem Tode Ferdinands – nahm der rassistische Einfluß zu, bis schließlich 1520 Gesetze gegen alle conversos erlassen wurden; darin sei das rassistische Element der Inquisition zu erkennen.18 Gegen Netanyahus Thesen sind viele Einwände vorgetragen worden. José Antonio Escudero etwa, der Leiter des Inquisitionsinstituts, bezweifelt, daß ein König wie Ferdinand, der nachgewiesenermaßen antirassistisch eingestellt und Freund von conversos war, eine rassistische Inquisition gegründet haben könnte. Wieso sollte außerdem eine gegen Juden eingestellte rassistische Inquisition auch die moriscos verfolgt haben, später dann die Protestanten, die alten Christen, selbst Kleriker, Bischöfe und sogar einen Toledaner Kardinal? Rassistisch an der Inquisition sei nur das „Blutreinheitsprinzip“ gewesen; das aber war ein späteres Phänomen und hatte nichts mit der Genese der Inquisition zu tun. Gegen eine „rassistische“ Erklärung spreche auch die Überlegung, daß die Cortes von Kastilien, in der die alt-christlichen Oligarchien saßen, nie die Einführung der Inquisition forderten. Auch Antonio Domínguez Ortiz hat sich gegen die Interpretation Netanyahus ausgesprochen. Insbesondere bezweifelte er, daß die conversos überzeugte Christen gewesen seien; in der Tradition der spanischen Geschichtsschreibung unterstellte er vielmehr einer beachtlichen Minderheit, daß sie insgeheim ihrem Glauben weiterhin anhingen und daher ein Element der Glaubensspaltung darstellten. Wären alle conversos tatsächlich überzeugte Christen gewesen, dann ließe sich die Inquisition nur als eine „Farce“ interpretieren, die mit rassistischer Zielsetzung organisiert wurde, um eine soziale Klasse zu eliminieren und politisch-ökonomische Vorteile für die Krone Spaniens zu erlangen. Davon könne aber keine Rede sein. Das Königspaar empfand ehrliche Verantwortung für die Einheit der Religion, da politische und religiöse Institutionen im frühneuzeitlichen Spanien sich nicht trennen ließen. Der Nachweis der Existenz ‚judaisierender‘ conversos habe zur Einrichtung der Inquisition und später zur Vertreibung der Juden geführt. Rassische Motive spielten keine Rolle, da die „Katholischen Könige“ in ihrer unmittelbaren Umgebung weiterhin conversos in hohen Positionen behielten. Auch könne von einem popularitätsheischenden Entgegenkommen dem niederen Volk gegenüber keine Rede sein, da dieses – von einigen Fanatikern abgesehen – sich stets in ängstlicher Entfernung von der Inquisition aufhielt. Wie andere Historiker wies auch Domínguez Ortiz den von Netanyahu vorgenommenen Vergleich zwischen der Inquisition und der „Endlösung der Judenfrage“ im nationalsozialistischen Deutschland entschieden zurück.

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Die historische Rolle der „Katholischen Könige“ wird bis heute kontrovers beurteilt. Isabellas Panegyriker verweisen, in der Tradition ihrer Chronisten, auf die Konsolidierung eines weitgehend abgewirtschafteten Reiches, auf die inneren Reformen, die Stärkung der Monarchie bei gleichzeitiger Entmachtung des Adels, die Sanierung der Staatskasse, den Aufbau einer zentralistischen Verwaltung, die Reform des Klerus, die Eroberung Granadas oder die Förderung des Christoph Kolumbus; die Kritiker weisen demgegenüber auf die Unterstützung der Inquisition, die Vertreibung der Juden und Mauren, die Unregelmäßigkeiten bei ihrer Thronbesteigung und die stiefmütterliche Behandlung ihrer Tochter Johanna hin. Nicht minder umstritten als Isabella ist in der Historiographie ihr Ehemann Ferdinand. Lange Zeit wurde der König von Aragonien als der Politiker schlechthin, als ruhmreicher „neuer Fürst“ dargestellt, etwa von Niccolò Machiavelli, von Baltasar Gracián oder im 17. Jahrhundert vom Ersten Minister Conde-Duque de Olivares, der ihn gegenüber seinem König Philipp IV. als Vorbild pries. Im Zuge der kastilischen Aufwertung Isabellas und der Schmähungen des aragonesischen Herrschers durch nationalistische Historiker vom Stile eines Ferran Soldevila wurde das Bild Ferdinands eingetrübt; schließlich erblickte man in ihm den Schuldigen für den Niedergang Kataloniens und dessen Unterordnung unter die Interessen Kastiliens. Neuerdings wird wieder, unter Rückgriff auf ältere Einschätzungen, Ferdinands Beitrag zum Ausbau eines modernen Staatswesens hervorgehoben. Wenn auch der Beitrag Ferdinands bzw. Isabellas für den iberischen Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit im einzelnen unterschiedlich gewertet wird, so sind sich die Historiker doch darin einig, in den „Katholischen Königen“ die Verkörperung der Renaissancefürsten schlechthin zu erblicken.19 An der Wende zur Neuzeit mag es in Spanien zwar gelungen sein, die politische und weitgehend auch die religiöse Einheit im Land herzustellen; ökonomisch und sozial aber entwickelten sich die einzelnen Landesteile keineswegs im Gleichschritt. Um eine allmähliche Vereinheitlichung im ökonomischen Bereich zu erreichen und den Störungen, die in den vorangegangenen Jahrzehnten durch politische Wirren im Finanz– und Währungssystem entstanden waren, zu begegnen, führten die Monarchen 1497 eine Währungsreform durch, mit der sie eine Währungseinheit, den Dukaten schufen; das bedeutete zwar noch nicht die Vereinheitlichung der Währungssysteme der beiden Königreiche Kastilien und Aragonien, war aber ein erster Schritt in diese Richtung. Weitere frühmerkantilistische und wirtschaftsdirigistische Maßnahmen trugen ebenso zur Gesundung der spanischen Wirtschaft bei wie die weitreichende Wiederherstellung

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der inneren Sicherheit, die Eroberung Granadas und die Einverleibung Neapels oder die Unterbindung der illegalen Ausfuhr von Gold- und Silbermünzen.20 Insgesamt blieb das entstehende Spanien jedoch in zumindest drei Wirtschaftsräume aufgespalten; die ‚Entdeckung‘ Amerikas und der Handel mit der Neuen Welt sollten sich auf das Wirtschaftsgefüge der verschiedenen Regionen sodann unterschiedlich auswirken: Andalusien befand sich seit dem Ende der Reconquista in einem stetigen wirtschaftlichen Aufschwung; wegen der privilegierten Stellung Sevillas im Amerikahandel sollte der Süden am unmittelbarsten vom Kolonialgeschäft profitieren: Er erlebte eine Einwanderungswelle aus Nordspanien, die exportierbaren Produkte Oliven und Wein verdrängten den Kornanbau, die Tuch- und Seidenmanufaktur kamen zu neuer Blüte. Kastilien verfügte nicht nur über das Eisen des Baskenlandes, sondern vor allem über die Wolle der über drei Millionen Merinoschafe; die Wolle entwickelte sich zum beherrschenden Wirtschaftsfaktor Kastiliens, und die „Katholischen Könige“ förderten nachhaltig die mächtige Schafzüchterorganisation Mesta.21 Die Wolle der Merinoschafe führte zum Aufblühen einer einträglichen Textilindustrie, deren Zentren in Cuenca, Segovia, Toledo und Córdoba lagen. Über den Schiffsbau und das Finanzwesen war der nordspanische Wirtschaftsraum mit Andalusien und den Kolonien verbunden. Aragonien blieb vom lukrativen Amerikageschäft vorerst ausgeschlossen, da die katalanischen Kaufleute in den westlichen Hafenstädten keine Handelskonsulate errichten durften; die Länder der Krone von Aragonien blieben auf den stagnierenden Wirtschaftsraum des westlichen Mittelmeers begrenzt. Nach seiner Thronbesteigung 1479 hatte Ferdinand für den Bereich der Krone von Aragonien protektionistische Verordnungen und Reformbestimmungen zur Gesundung der städtischen Finanzen erlassen; hier kann man Ansätze jenes frühen Merkantilismus erkennen, der später so charakteristisch für Kastilien werden sollte. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Kataloniens läßt sich – nach der ökonomischen Zerrüttung der vorhergehenden Jahrzehnte – in das Jahr 1484 datieren; im folgenden Jahrzehnt gelangten katalanische Erzeugnisse (vor allem Tuchwaren) wieder in den Mittelmeerraum und in andere Regionen Europas. Der mediterrane Wirtschaftsverbund der Krone von Aragonien war jedoch von der Ökonomie Kastiliens, die ab Beginn des 16. Jahrhunderts zunehmend auf die ‚Neue Welt‘ ausgerichtet war, weitgehend getrennt.22 Die wirtschaftlichen Unterschiede machten sich somit vor allem zwischen Kastilien und Aragonien bemerkbar; außerdem trennten Zollschranken den mediterranen Wirtschaftsverbund der Krone von Arago-

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nien und die zunehmend auf den Atlantik ausgerichtete Ökonomie Kastiliens. Trotz der relativen Absonderung der einzelnen Wirtschaftsräume waren insgesamt durchaus Bedingungen für einen raschen ökonomischen Aufstieg Spaniens vorhanden: ein expansiver Kapitalmarkt, erhebliches demographisches Wachstum, gute Handelsbeziehungen und entwicklungsfähige Märkte in Übersee. Allerdings trog der Schein: Die wirtschaftliche Grundlage war zwar entwicklungsfähig, aber auch bedrohlich schmal. Die folgenden Jahrhunderte sollten zeigen, daß Spanien machtpolitisch und territorial enorm expandierte, wirtschaftlich aber – im internationalen Vergleich – zusehends ins Abseits geriet und seine Stellung als Großmacht auf tönernen Füßen stand. Im Innern hatte die Judenvertreibung eine starke Reduzierung der städtischen Mittelschichten und des Kaufmannsstandes zur Folge, und die Vertreibung der moriscos ein Jahrhundert später (1609–1614) führte zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Erzeugung. Unter Karl V. wurde die Wirtschaftskraft des spanischen Imperiums zunehmend zur wichtigsten Grundlage der universalistischen kaiserlichen Politik; das bedeutete aber, daß die überseeischen Reichtümer nicht produktiv zur Entwicklung Spaniens eingesetzt wurden. Auch die Auswirkungen der Edelmetallzufuhren aus Amerika beeinflußten die Lage in Spanien keineswegs nur positiv. Es kam vielmehr zur Entwertung der Kaufkraft, damit zur Preissteigerung und Preisrevolution. Das einzige Mittel, um die staatlichen Einnahmen zu erhöhen, blieb somit eine vermehrte Besteuerung, deren Hauptlast – wegen der weitgehenden Steuerfreiheit von Adel und Klerus – Bürger (Gewerbe) und Bauern (Landwirtschaft) trugen. Ab der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts setzte ein unaufhaltsamer Niedergang ein.23 Die Zusammenhänge zwischen Reconquista und religiöser Uniformierung einerseits sowie der „Handelsrevolution“ des hohen Mittelalters andererseits mit der 1492 begonnenen Übersee-Expansion sind vielfältiger Art. Dabei war die ‚Entdeckung‘ des amerikanischen Kontinents durch Christoph Kolumbus (Cristóbal Colón) keineswegs Folge einer langfristigplanvollen Politik der spanischen Krone. Die vorangegangenen Entdeckungsreisen im nördlichen Atlantik und entlang der westafrikanischen Küste waren ausschließlich das Werk italienischer und portugiesischer Seefahrer gewesen; auch der Genuese Kolumbus hatte von 1476 bis 1484 in portugiesischen Diensten gestanden. Dem spanischen Hof fehlte es an Persönlichkeiten, die bereit gewesen wären, ihr politisches Gewicht für den Entdeckungsgedanken einzusetzen; Hinweise auf die zukünftige imperiale Rolle der „Katholischen Könige“ bezogen sich vor 1492 fast ausschließlich auf das Abendland und Nordafrika. Der Versuch, über den Atlantik neue Handelswege und -partner zu finden, hatte dazu geführt, daß

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seit dem späten 13. Jahrhundert insbesondere genuesisches Kapital auf die geographisch günstig gelegene Iberische Halbinsel abfloß. In der Folge wurden die iberischen Hafenstädte Barcelona, Valencia, Sevilla und Lissabon zu wichtigen Knotenpunkten der überregionalen Handels- und Linienschiffahrt. Gleichzeitig entwickelten sich die wirtschaftlich und politisch aufstrebenden iberischen Königreiche mit Hilfe genuesischer Geldmittel und genuesischen Sachverstandes zu bedeutenden Seemächten.24 Somit ist es sicherlich kein Zufall, daß der Genuese Christoph Kolumbus in iberischen Diensten die Neue Welt entdecken sollte. Die Italiener hatten auf den Kreuzzügen selbst kolonisiert und bei dieser mediterranen Kolonisation bestimmte Rechts- und Wirtschaftsformen entwickelt, die später auf Amerika übertragen wurden (etwa die Plantagenwirtschaft mit Sklaven). Zudem dienten Handelsstützpunkte sowie Plantagenkolonien der italienischen Städte im Mittelmeerraum als Vorbild für die iberische Kolonisation. Die über den mediterranen Raum vermittelte Kontinuität zum mittelalterlichen Europa stellte somit die erste Voraussetzung für die überseeische Kolonisation dar. Als zweiter Ausgangspunkt kam die Kontinuität des „Kriegsunternehmertums“ hinzu, wie es jahrhundertelang in der Reconquista praktiziert worden war. Ergänzende Momente waren die Erstarkung des Königtums unter den „Katholischen Königen“ und als wichtiges Mittelglied die Kanarischen Inseln, die zum einen wegen ihrer geographischen Lage bedeutsam waren und als Übungsfeld für die Kolonisation – mit allen auch später wieder auftauchenden Exzessen und Konsequenzen – dienten. Nachdem die Berichte des Kolumbus und anderer Seefahrer über die angeblich sagenhaften Schätze der Neuen Welt auf der Pyrenäenhalbinsel Verbreitung gefunden hatten, war ein rasch anwachsender Strom von Spaniern bereit, die Fahrt über den Atlantik zu wagen. Die Protagonisten dieses Ausgreifens nach Übersee waren in erster Linie – wie etwa Hernán Cortés – verarmte hidalgos, die nachgeborenen Söhne des Landadels, aber auch – wie im Falle von Francisco Pizarro oder Diego de Almagro – Männer aus den unteren Volksschichten. Sie waren Erben der jahrhundertealten Tradition der Reconquista, und ihre Beweggründe entsprangen vorrangig dem Machthunger und der Begierde auf Besitz. Als Antriebe für die spanische Kolonisation Amerikas lassen sich somit ausmachen: zum einen der soziale Aufstiegswille bestimmter Kreise in Andalusien und Kastilien, wobei dieser Aufstieg entweder als Bereicherung durch Handel oder durch Beute erfolgen sollte; zum anderen der Machtwille der Krone, der eng mit der traditionellen Rivalität zwischen Spanien und Portugal zusammenhing; zum dritten schließlich die Missionierung

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(durch Franziskaner, Dominikaner und andere Orden), wollten einige Missionare doch sogar ein christliches Utopia in der Neuen Welt schaffen. Die Verbindung von Heldenideal mit durchaus aufrichtigem Glaubenseifer hat dazu geführt, die Conquista als Fortführung der Reconquista zu deuten. Die – entgegen vielfachen Versprechungen – mangelnde Rentabilität der Neuen Welt führte zu einer Veränderung der ursprünglichen Konzeption. Da die Finanzierung des Gesamtunternehmens mehr Kapital erforderte als die Krone aufbringen konnte, wurden privater Initiative und privatem Kapital Anreize geboten; Kontrolle und Profit der Krone mußten allerdings gesichert bleiben. Das (portugiesische) Modell fester Handelsstützpunkte wurde damit zugunsten einer stärkeren Betonung von Herrschaftsbildung aufgegeben; nicht mehr Erweiterung des Handelsraumes war das primäre Ziel, sondern Ausweitung des Herrschaftsraumes. Die europäische Expansion wandelte sich von einem primär wirtschaftlichen zu einem vornehmlich politischen Vorgang. Entwickelte sich im Laufe der ersten Jahrzehnte nach der Entdeckung die Goldgier zur auffälligsten Triebkraft, Amerika zu erobern, so handelte es sich hierbei nicht nur um ein individuelles Laster; zu berücksichtigen sind auch die wirtschaftlichen und sozialen Tendenzen der Zeit. So mangelte es an Zahlungsmitteln von stabilem Wert, die Krone war finanziell in Bedrängnis und der niedere Adel drohte infolge der Geldentwertung zu verarmen; das betraf insbesondere die unversorgten jüngeren Söhne, die sich mit dem Schwert in der Hand eine bessere Existenz erkämpfen wollten. Außerdem galt Reichtum nach den aristokratischen Wertvorstellungen der Epoche vor allem als Mittel zum Prestigegewinn, als Pfad zu sozialem Aufstieg und Nobilitierung. Zwischen Spaniens Reconquista und Amerikas Conquista lassen sich somit vielerlei Kontinuitäten aufzeigen. Die Voraussetzungen lagen im mediterranen Raum des Spätmittelalters, in italienisch-portugiesisch-spanischen Rivalitäten und Beziehungen, im Kriegsunternehmertum der Iberischen Halbinsel, in den sozio-ökonomischen Verwerfungen der jahrhundertelangen Auseinandersetzungen. Diese Bedingungen prägten nicht nur die ersten Expeditionen und Entdeckungen, sondern auch die Inbesitznahme und Kolonisierung des ‚neuen‘ Kontinents. Als Träger der Expansion lassen sich drei Gruppen unterscheiden, die mit unterschiedlichem Gewicht und in wechselseitiger Beeinflussung auf die Kolonisation in Amerika einwirkten: die Krone, die Konquistadoren und Kolonisten sowie die Kirche. Die spanische Conquista Amerikas vollzog sich in hohem Maße unter der Kontrolle der Krone und im Rahmen einer zielorientierten spanischen

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Politik. Die Gründung einer wirtschaftlichen Monopolbehörde, der Casa de la Contratación, in Sevilla machte deutlich, daß Schiffahrt und Handel nach Lateinamerika staatlich gefördert und kontrolliert sowie Zolleinnahmen und Abgaben aus den überseeischen Unternehmungen für die Krone gesichert werden sollten.25 Entsprechend den Zielen des frühmodernen Staates zielte die Kolonialpolitik der Krone bald zusätzlich darauf ab, in Übersee eine kontinuierliche staatliche Herrschaft zu errichten und einen möglichst homogenen Untertanenverband aufzubauen. Deswegen verfolgte sie auch das Ziel, die autochthone Bevölkerung Amerikas kulturell in eine christlich-spanisch geprägte Weltordnung einzubinden.26 Mit dem Ende der Reconquista wurde eine große Zahl militärisch geschulter und geprägter Menschen ‚freigesetzt‘, die aufgrund ihrer kriegerischen Vergangenheit alle Voraussetzungen für die koloniale Invasion Amerikas mitbrachten. Angelockt durch das Abenteuer und durch Erzählungen über den sagenhaften Goldreichtum der Neuen Welt, erhofften sie sich von den überseeischen Unternehmungen in erster Linie einen materiellen und damit sozialen Aufstieg. Bald waren die Konquistadoren auch bereit, sich auf Dauer in den neu erworbenen Gebieten niederzulassen, sofern damit der Erwerb von Herrschaft, Ämtern und wirtschaftlichen Privilegien verbunden war. Die Kirche unterstützte die kolonialen Zielsetzungen der iberischen Könige, da sie aufgrund des Patronatskirchentums an die weltlichen Machtstrukturen gebunden war. Indem der Papst Portugal 1455 und Spanien 1486 bzw. 1508 das Patronatsrecht über neu eroberte Gebiete zusprach, erhielten die iberischen Herrscher den Auftrag und das Recht zur Christianisierung dieser Gebiete. Dieses Recht schloß die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten sowie die Besetzung aller kirchlichen Ämter ein. Dadurch war der Klerus zum treuen Staatsdiener bestellt und die kirchliche Verkündung an ihre gesellschaftlichen und politischen Prämissen gebunden. Die unmenschlichen Folgen der Kolonialherrschaft wurden denn auch als irdisches Martyrium der Indianer auf dem Weg zum ewigen Leben bezeichnet. Die kirchliche Botschaft wurde zum „moralischen Zement“, der das koloniale Herrschaftssystem verstärkte und legitimierte.27 Andererseits sahen die den Konquistadoren rasch nachrückenden Missionsorden in den Aspirationen der Eroberer und ihren Auswirkungen auf die Indianer ein entscheidendes Hemmnis für die Verbreitung des katholischen Glaubens. Der langjährige Wortführer dieser kirchlichen Gegenbewegung, Bartolomé de Las Casas (1474?–1566), entwickelte sich zum erbittertsten Gegner der Kolonisten. Unter seiner Führung bekämpften vor allem die allein an religiösen Belangen orientierten Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner, die sich weder von wirtschaftlichen noch von

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politischen Motiven leiten ließen, die Konquistadoren sowohl vor Ort als auch an den Königshöfen der Mutterländer.28 Der Historiker und Befreiungstheologe Enrique Dussel29 hat ein Interaktionsschema entworfen, aus dem das Zusammenwirken der für die Conquista relevanten Kräfte deutlich wird. Er geht von fünf Akteuren aus: dem Staat (der Krone), dem Geldkapital, den Konquistadoren, den Missionaren und dem „Herrschaftsobjekt“, also den Unterworfenen (Indios und später schwarze Sklaven). Letztere bildeten den gesellschaftlichen Block der Unterdrückten, die ersteren vier Kräfte stellten den Machtblock. Jeder dieser Akteure übte unterschiedliche Funktionen aus (s. Schema S. 26). Die ‚Entdeckung‘ und Inbesitznahme Lateinamerikas durch Spanien erfolgte in zwei Schüben: Während der ersten Etappe, bis etwa 1508, brachten die Konquistadoren die Antillen unter ihre Kontrolle und erkundeten die zentral- und südamerikanischen Küsten. Nach der Schaffung von sicheren Operationsbasen vollzog sich in einer zweiten Etappe die eigentliche Eroberung und Durchdringung Zentral- und Südamerikas. Noch bevor die spanische Expansion nach Amerika über das Stadium der Entdeckung hinauskam, meldete das prestigegeschwächte Portugal seinerseits Ansprüche auf Amerika an. Unter Berufung auf den früheren Vertrag von Alcaçovas (1479) machte Portugal geltend, daß die 1492 entdeckten Inseln portugiesisches Interessengebiet seien, würde man eine Linie von Kap Bojador nach Westen ziehen. Da Portugal durch den Besitz der Azoren viel günstiger zum neuen Kontinent lag, sah sich Spanien zu einer Einigung mit Portugal gezwungen. Zur Verbesserung ihrer Verhandlungsposition verlangten die „Katholischen Könige“ von Papst Alexander Vl. mehrere Bullen.30 Unter der Vermittlung des Papstes lösten die beiden iberischen Mächte im Jahre 1494 im Vertrag von Tordesillas ihren Streit. Sie teilten die außereuropäische Welt durch einen um 270 kastilische Meilen nach Westen verschobenen Längengrad in eine kastilische und eine portugiesische Hälfte. Dadurch fiel mit Ausnahme Brasiliens ganz Lateinamerika in die Interessensphäre Spaniens. Der Vertrag von Santa Fe (1492) zwischen Königin Isabella und Kolumbus hatte die Gründung von küstennahen Handelsstützpunkten vorgesehen, die als Monopolbetrieb der spanischen Krone den Handel mit der autochthonen Bevölkerung aufbauen und kontrollieren sollten. Die auf Hispaniola (Haiti) errichtete Handelsfaktorei erwies sich aber als Fehlschlag, da die Investitionen, die Gehälter der Angestellten und Warenlieferungen weit mehr Kosten verursachten, als der Tauschhandel mit den Eingeborenen an Gold einbrachte.31 Dieser wirtschaftliche Mißerfolg und die

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Die fünf „Akteure“ der Conquista (vor 1539) (3) Das spanische und europäische Geldkapital b

a

(1) Der spanische Staat c

d

(2) Der „Adel“

e

(4) Die Kirche

(der Konquistador)

(der Missionar)

f

g

(5) Der Indio (der Negersklave)

Der Staat (1) kontrollierte als entscheidender Akteur mit seiner Herrschaft die gesamte Struktur der Conquista (c, d, e). Der Konquistador (2) rekrutierte sich häufig aus der sozialen Schicht des Adels, zumeist des verarmten Landadels, dessen Existenz wegen der Landwirtschafts- und Viehzuchtkrise in Spanien durch den Eroberungs- und Plünderungszug in Übersee materiell gesichert werden sollte. Die spanischen und immer häufiger auch die europäischen Kaufleute (3) – etwa die Fugger oder die Welser – streckten als Finanziers das erforderliche Kapital zur Finanzierung der Expeditionen vor. Die Schwäche des spanischen Bürgertums infolge der Mauren- und Judenvertreibung verlieh diesen Vertretern des Kapitals große Macht über die Krone und den Adel. Kirche und Missionare (4) spielten als Vertreter der spanischen Christenheit bei der Conquista eine wesentliche Rolle; die Amtskirche lieferte die religiöse Legitimation der Eroberung und führte die ‚geistliche Conquista‘ durch. Der Indio und später der Negersklave (5) bildeten als Herrschaftsobjekte die Basis der Machtpyramide, deren Ausbeutung das ganze System erst funktionieren ließ.

Tatsache, daß Portugal 1498 Indien auf östlichem Seeweg erreicht hatte und Spanien in der Heimschaffung von kostbaren Gütern zu übertreffen drohte, veranlaßte die Krone, ihre Strategie in Übersee zu ändern. Sie brach 1495 die Monopolvereinbarung mit Kolumbus und gewährte fortan privaten Expeditionen das Recht, ein bestimmtes Gebiet für Kastilien in Besitz zu nehmen. Als Gegenleistung wurden dem Anführer nicht nur der militärische Oberbefehl über die Expedition, sondern auch die zentralen zivilen und militärischen Ämter in der eroberten Region übertragen. Außerdem wurden der gesamten Mannschaft wirtschaftliche Privilegien in Aussicht gestellt. Nach Erhalt der königlichen Zustimmung, der sogenann-

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ten Kapitulation, mußte der Anführer die Expedition selbständig finanzieren und organisieren.32 Mit dieser Vorgehensweise erreichte die Krone mit einem Schlag zwei Ziele: Sie konnte die Kosten der Entdeckungs- und Eroberungsfahrten auf private Geldgeber abwälzen, behielt aber gleichzeitig die Kontrolle über die koloniale Entwicklung, indem sie die Ausreise der Expeditionen von ihrer Genehmigung abhängig machte. Mit der Abkehr vom Konzept der küstennahen Handelsstützpunkte zugunsten einer stärkeren Betonung gesicherter politischer Herrschaftsbildung veränderten sich die Pläne der Krone, wie der amerikanische Kontinent zu beherrschen sei. Nun sollte auch das transatlantische Festland durchdrungen und so rasch wie möglich für Spanien in Besitz genommen werden.33 Damit war der Übergang zur Eroberung des gesamten Kontinents und zur Siedlungskolonisation vollzogen. Unmittelbar im Anschluß an die Eroberung eines Küstenstreifens erfolgte die Gründung von Städten. Sie dienten der Konzentration der zahlenmäßig der autochthonen Bevölkerung unterlegenen Konquistadoren, als militärische Stützpunkte und als Basen für die kolonialistische Durchdringung des jeweiligen Hinterlandes. Die Siedler strebten vor allem nach Gold, Arbeitskräften und Land. Da sie selbst nicht zur Leistung körperlicher Arbeit bereit waren, stieg der Bedarf an Arbeitskräften bei zunehmender Siedlungstätigkeit stetig an und löste räumlich immer weiter ausgreifende Sklavenjagden aus. Ähnlich raumgreifend wirkte sich der Hunger nach Edelmetallen und Landbesitz aus. Die durch den Staat kontrollierte Privatinitiative brachte den von der spanischen Krone erwünschten Effekt; innerhalb weniger Jahrzehnte wurde das hispano-amerikanische Kolonialreich in seinen annähernd endgültigen Umrissen geschaffen.34

II. Weltmacht, Verwaltungsabsolutismus, Gegenreformation: das 16. Jahrhundert 1516

Proklamation (in Brüssel) von Karl I. zum König von Kastilien und Aragonien 1517 Ankunft Karls I. in Spanien 1519 Wahl Karls V. zum Kaiser 1520/21 Comuneros-Rebellion; Germanías-Aufstand in Valencia; Eroberung Mexikos durch Cortés 1523/24 Gründung des Indienrates 1525 Schlacht von Pavia 1532 Beginn der Eroberung Perus 1534 Gründung des Jesuitenordens 1542 Erlaß von Indioschutzgesetzen 1543 Einrichtung eines Konvoisystems 1545–1563 Konzil von Trient 1556 Abdankung Karls I. 1556–1598 Philipp II., König von Spanien 1559 Friede von Cateau-Cambrésis 1561 Beginn des Aufstandes in Flandern 1568 Aufstand des Prinzen von Oranien 1570 Aufstand der Morisken in Granada 1571 Sieg von Lepanto unter Don Juan de Austria 1580 Annexion Portugals 1588 Niederlage der Großen Armada gegen England

Daß mit der Eheschließung von Ferdinand und Isabella noch kein geeintes Spanien geschaffen worden war, beweisen die Wechselfälle der Thronnachfolge. Nach dem Tode Isabellas (1504) bildeten sich zwei Parteien: Die eine sprach sich für Ferdinand als Verwalter und Regent Kastiliens aus, die andere für Johanna (1479–1555), die Tochter der „Katholischen Könige“, die nach dem frühen Tod ihrer Geschwister von ihrer Mutter Isabella als kastilische Thronerbin eingesetzt worden war. Bei Johanna hatten sich allerdings schon kurz nach ihrer Heirat (1496) mit Philipp dem Schönen, dem Sohn von Kaiser Maximilian I., Anzeichen einer psychischen Erkrankung bemerkbar gemacht. Folgt man der Darstellung von Manuel Fernández Alvarez1, dann führten im wesentlichen zwei Ereignisse zum angeblichen Wahnsinn Johannas von Kastilien: zum einen ihre sehr frühe Trennung von ihrer Familie, da sie als Sechzehnjährige in die Niederlande

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geschickt wurde, um dort Herzog Philipp zu heiraten; zum anderen ihre krankhaft-eifersüchtige Liebe zu Philipp, der zahlreiche außereheliche Liebschaften hatte, was ihre charakterliche Instabilität erheblich verschärfte, da sie weiter leidenschaftlich an ihrem Mann hing. Als Philipp 1505 überraschend starb, verschlechterte sich Johannas Zustand weiter. Kardinal Francisco Jiménez de Cisneros forderte Ferdinand auf, von Aragonien nach Kastilien zurückzukehren und die Regentschaft zu übernehmen. Johanna wurde, obwohl sie weiterhin als rechtmäßige Königin Kastiliens galt, bis zu ihrem Lebensende im altkastilischen Schloß von Tordesillas sowohl von ihrem Vater Ferdinand als auch später von ihrem Sohn Karl unter ständige Bewachung gestellt. In Anbetracht dieser konfusen Situation war lange Zeit nicht vorherzusehen, daß Karl von Gent (1500–1558), der erstgeborene Sohn Johannas der Wahnsinnigen und Philipps des Schönen, je den spanischen Thron besteigen würde. Es bedurfte einer ganzen Reihe von Todesfällen und außergewöhnlicher Umstände – etwa der Gemütskrankheit seiner Mutter –, daß Karl beim Tode seines Großvaters Ferdinand (1516) das spanische Erbe antreten konnte. Zum König von Kastilien und Aragonien wurde er im März 1516 in Brüssel proklamiert; einige Historiker nennen diese Art, vollendete Tatsachen zu schaffen, einen „Staatsstreich“.2 Als der von der ritterlich-höfischen Tradition Burgunds geprägte junge Monarch 1517 auf der Pyrenäenhalbinsel eintraf, entließ er zuerst Kardinal Jiménez de Cisneros, den Verweser Kastiliens. Sodann besetzte er viele Staatsämter mit (flämischen) Ausländern – eine Maßnahme, die ihm schnell die Abneigung seiner Untertanen einbrachte. Die Antrittsreise durch seine spanischen Kronländer war von unfreundlichen Akten und Protesten begleitet, die Bewilligung der geforderten Hilfsgelder durch die kastilischen, die aragonesischen und die katalanischen Cortes fand nur schleppend statt. Die Ständeversammlungen erkannten Karl zwar schließlich als Monarchen an, forderten von ihm aber, er solle Spanisch lernen, bald heiraten, im Land residieren sowie die Ämter und Würden nur an Kastilier vergeben. Noch problematischer wurde die Beziehung zu den Abgeordneten der Stände, als Karl im Juni 1519 nach dem Tode Maximilians zum römischen König und (als Karl V.) zum Kaiser des Reiches gewählt wurde. In klarer Voraussicht befürchteten die Vertreter der Cortes, die neue Kaiserwürde ihres Königs werde Kastilien zum Nachteil gereichen, da der Monarch sich nicht den Problemen seiner iberischen Kronländer widmen werde und die kastilischen Steuergelder ins europäische Ausland abfließen würden. Dadurch, daß Karl in Personalunion spanischer König (Karl I.) und deutscher Kaiser (Karl V.) war, läßt sich im 16. Jahrhundert die spanische

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Geschichte nicht von der des Deutschen Reiches trennen. Durch die Wahl Karls zum römischen König erhielt die spanische Monarchie ihre europäische Dimension. Die europäischen Kämpfe Karls in Italien, gegen Frankreich, die Türken und schließlich die protestantischen Fürsten im Reich betrafen daher stets auch – in der einen oder anderen Form – Spanien.3 Kaum war Karl im Mai 1520 von Spanien abgereist – zuvor hatte er seinen früheren Erzieher Adrian von Utrecht zum Regenten des Landes ernannt –, brach in Toledo ein offener Aufruhr aus, der sehr schnell auf andere Städte übergriff. Dieser Comuneros-Aufstand führte zur Einsetzung von Juntas (Räten), die sich aus Kleinadeligen und Besitzbürgern der Städte zusammensetzten. Ursprünglich war der Aufstand der Comuneros gegen die Steuerpolitik der Krone und bestimmte Einzelmaßnahmen wie die Bevorzugung von Ausländern gerichtet; in einem allgemeineren Sinne sprach aus dem Aufstand jedoch die Weigerung Kastiliens, sich in den übergeordneten Reichsverband einbeziehen zu lassen und finanzielle Beiträge für die imperiale Politik Karls zu leisten. Als der Aufruhr zu einer nationalen Bewegung wurde und die königlichen Truppen die von den Comuneros eingenommene Messestadt Medina del Campo zerstört hatten, erhielten die Aufständischen massiven Zulauf von Handwerkern, Textilarbeitern und Tagelöhnern. Als Führer profilierten sich die Toledaner Adeligen Juan de Padilla und Pedro Laso de la Vega. In Anbetracht der kritischen Situation im Lande – die Junta von Avila widersetzte sich Adrian von Utrecht und ernannte sich selbst zur Regierung Kastiliens – war der König zu Zugeständnissen bereit; er verpflichtete sich, fortan Staatsämter nicht mehr mit Ausländern zu besetzen und den kastilischen Adel stärker an der Verwaltung des Landes zu beteiligen. Zeitgleich mit dem Comuneros-Aufstand kam es in Valencia zur Rebellion der dort in Bruderschaften (Germanías) zusammengeschlossenen Zünfte; diese Erhebung, die auf die Kontrolle des Stadtregiments abzielte und gegen den Adel gerichtet war, trug von Anbeginn auch einen sozialen Charakter, nachdem die Existenz vieler Handwerker und Arbeiter Valencias – auch aufgrund einer Pestepidemie – gefährdet war. Die anfänglich eher gemäßigten Forderungen der Zünfte durchliefen alsbald einen Radikalisierungsprozeß; angestrebt wurde schließlich eine freie Republik nach dem Muster Venedigs, verbunden mit extremen sozial-religiösen Bestrebungen. Möglicherweise beeinflußten und radikalisierten sich die beiden Bewegungen gegenseitig. Die revolutionären Elemente nahmen zu, was andererseits jedoch zu einer Spaltung der Bewegung führte. Wichtige städtische

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Zentren (u. a. Burgos) wechselten wieder ins königliche Lager über, einflußreiche Großkaufleute finanzierten das königliche Heer, Adel und höhere Geistlichkeit schlossen sich den monarchischen Kräften an. Schließlich siegte die königliche Reiterei im April 1521 bei Villalar über die Aufständischen, die Comuneros-Anführer Juan de Padilla und Juan Bravo wurden hingerichtet. Kurz danach konnte auch der Germanías-Aufstand niedergeschlagen werden. Nach der gewaltsamen Beendigung beider Aufstandsbewegungen wurde die Herrschaft Karls in Spanien vorbehaltlos anerkannt.4 Im Comuneros-Aufstand sieht die neuere Geschichtsschreibung eine moderne freiheitliche Bewegung des städtischen ‚Bürgertums‘, durch dessen Niederlage sich der monarchische Absolutismus durchsetzen konnte, zugleich aber auch der Niedergang Kastiliens einsetzte. Die Comuneros erstrebten eine Art (früh-)bürgerliche Revolution, deren Ziele ein verstärktes Mitspracherecht der Städte in der Politik, die Errichtung eines repräsentativer organisierten frühneuzeitlichen Nationalstaates und eine in ihren Kompetenzen zugunsten der Regionen stark eingeschränkte Zentralgewalt waren. Die Niederlage der Aufständischen eröffnete Karl die (finanziellen) Möglichkeiten zu seiner universalen Politik; fortan sollte es zu regelmäßigen Geldabflüssen aus Kastilien hin zu den europäischen Schauplätzen kommen. Daß Kastilien immer wieder zur Finanzierung der europäischen Kriege Karls (und später Philipps II.) herangezogen werden konnte, hängt damit zusammen, daß während ihrer Regierungszeit der größte Teil des amerikanischen Kontinents erobert und dem spanischen Herrschaftsgebiet angegliedert wurde. Nach den ersten großen Entdeckungsfahrten des Christoph Kolumbus kam es seit Beginn des 16. Jahrhunderts zu weiteren spanischen Expeditionen, die – einer Diktion des Historikers Navarrete folgend – die Fahrten der „Kleinen Entdecker“ genannt werden. Schnell wurden die Umrisse Südamerikas bekannt, nachdem die Fahrten für jeden spanischen Lizenznehmer freigegeben worden waren. Zunächst ließen sich die Spanier auf den Großen Antillen, danach auf dem Festland dauerhaft nieder. Der Atlantikverkehr stieg sprunghaft an, im 16. Jahrhundert überquerten zwischen 8000 und 9000 Schiffe von Europa aus den Ozean. In den 1520er Jahren trat Amerika erstmals als eigenständiger Kontinent in das europäische Bewußtsein. Seit damals entwickelte die Neue Welt eine bemerkenswerte Eigendynamik und löste sich damit von der Suche nach einem Seeweg nach Asien. Die Europäer begannen, den amerikanischen Kontinent zu erobern. Ein Faktor verschaffte der Neuen Welt einen Wert von enormer Bedeutung: der unvorstellbare Reichtum an Gold und vor allem an Silber. Erstmals trat dieser Reichtum während der Erobe-

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rung des Aztekenreiches durch Hernán Cortés (1519–1521) vor Augen. In den folgenden Jahrzehnten wurde Amerika zum Silberlieferanten der ganzen Erde.5 Die Zentralbehörden des Mutterlandes reglementierten den Prozess der Entdeckungen und Eroberungen der großen Landregionen in der Neuen Welt in hohem Maße. Cortés’ Eroberung des Aztekenreiches löste die beiden folgenden Conquista-Unternehmungen aus: Die erste war die Eroberung des Inkareiches in Perú durch Francisco Pizarro. 1532 gelang es dem spanischen Feldherrn, den Inkakaiser Atahualpa gefangenzunehmen und zu einem unermeßlich hohen Lösegeld in purem Gold zu zwingen. Das Inkareich konnte nahezu intakt von den Spaniern übernommen werden; 1543 wurde Perú ein spanisches Vizekönigreich mit Sitz in Lima. Die zweite Unternehmung war die Eroberung der Muisca-Kultur in Kolumbien. 1537 wurde sie von Gonzalo Jiménez de Quesada, der verzweifelt nach dem Gold- und Edelsteinschatz von El Dorado suchte, entdeckt und gebrandschatzt. Auf der Suche nach weiteren Goldländern wurden immer weitere Expeditionsfahrten quer durch den amerikanischen Kontinent unternommen. 1524 eroberte Pedro Alvarado Guatemala und El Salvador, 1533 unterwarf Sebastián de Belalcázar Ecuador, 1535–1537 suchte Diego de Almagro in den Hochländern von Bolivien und in Nordchile ein weiteres Goldreich, 1529–1546 streiften im Auftrag der Welser-Gesellschaft Ambrosius Dalfinger, Nicolaus Federmann, Georg Hohermuth und Philipp von Hutten durch Venezuela und Kolumbien, 1539–1543 gelangte Hernando de Soto von Florida über den Mississippi bis in die Prärien des Mittleren Westens der heutigen USA, 1540–1552 eroberte Pedro de Valdivia Chile, seit 1536 erkundeten Konquistadoren den Süden Argentiniens und gelangten bis in den Gran Chaco, später bis zum legendären Silberberg Cerro Rico in Potosí.6 Trotz der gewaltigen Entfernungen und der Eigenmächtigkeiten der Konquistadoren wurde in der Neuen Welt in kurzer Zeit eine funktionierende spanisch-kastilische Verwaltung aufgebaut. Vorerst entstanden zwei Vizekönigreiche: das von Neu-Spanien (Mexiko) und das von Neu-Kastilien (Perú). Die neuen Verwaltungseinheiten wiederum wurden in Provinzen unterteilt, an deren Spitze ein Gouverneur mit richterlichen Befugnissen und Verwaltungsbefugnissen stand. Bedeutsam wurden die Appellationsgerichtshöfe (audiencias), von denen im Verlauf des 16. Jahrhunderts rund ein Dutzend gegründet wurde. Parallel zur zivilen Verwaltung bestand eine Militärverwaltung: Die neuen Territorien wurden in Generalkapitanate (capitanías generales) aufgeteilt, die für die innere und äußere Sicherheit zuständig waren. Sämtliche Institutionen der Neuen Welt unterstanden dem in Madrid angesiedelten Indienrat, der oberste

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Verwaltungsbehörde und oberstes Gericht in Zivil- und Strafrechtsangelegenheiten für Amerika war, außerdem noch gesetzgeberische und politische Funktionen ausübte.7 Die eigentlichen Kernpunkte der spanischen Kolonisation waren die Städte, deren Gründung von der kastilischen Krone ebenfalls genau kontrolliert wurde. Philipp II. etwa erließ 1573 detaillierte ordenanzas (königliche Anordnungen), die gewissermaßen als Urbanisationsprogramm bezeichnet werden können. Die Anweisungen lassen deutlich erkennen, daß es der spanischen Politik in Amerika darum ging, dort nach rationalen Kriterien eine neue Gesellschaft zu schaffen. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurden bereits über 40 Städte gegründet; von gewissen Ausnahmen wie der früheren Aztekenhauptstadt México und der Inkahauptstadt Cuzco abgesehen, waren fast alles Neugründungen. Die Verwaltung der Städte, die iberischem Muster folgte, unterstand dem Stadtrat (cabildo); ein vom König eingesetzter Kommissar (corregidor) überwachte die Ordnung und saß bei Streitigkeiten zwischen Spaniern und indios zu Gericht. Zu den dramatischsten und bis heute umstrittensten Phänomenen des 16. Jahrhunderts gehört der rasante Bevölkerungsrückgang in der Neuen Welt. Schätzungen gehen davon aus, daß zum Zeitpunkt der spanischen Eroberung in Amerika 80 Millionen Menschen lebten. Im Verlauf der ersten hundert Jahre der Europäisierung der Neuen Welt gingen die Zahlen um bis zu 85 Prozent zurück: Von den drei Millionen Menschen, die 1492 etwa auf Hispaniola (Haiti/Santo Domingo) lebten, war Mitte des 16.Jahrhunderts keiner mehr am Leben. Von den 25 Millionen, die 1519 in Mexiko lebten, überlebte bis Anfang des 17. Jahrhunderts eine knappe Million. Dieser katastrophale Bevölkerungsrückgang hat in der Forschung erhebliche Kontroversen ausgelöst. Heute werden im wesentlichen vier Gründe als hauptverantwortlich angegeben: An erster Stelle werden die von den Europäern eingeschleppten Krankheiten (Pocken, Gelbfieber, Typhus, Masern, Grippe etc.) aufgeführt, gegen welche die indigene Bevölkerung nicht immun war. Deutlich an zweiter Stelle werden die unmittelbaren kriegerischen Auseinandersetzungen genannt, die von den zahlenmäßig weit unterlegenen Europäern mit überlegenen Waffen – Schwertern aus gehärtetem Stahl und Musketen – ausgetragen wurden. Als dritter Grund ist auf die erzwungene Veränderung der Sozialverhältnisse zu verweisen: auf die Sklaverei der indios; auf die Ausbeutung der indigenen Arbeitskraft durch das System der encomienda, das einem Spanier erlaubte, sich der Arbeitskraft der Einheimischen zu bedienen, sowie später durch das repartimiento, bei dem ein königlicher Amtsträger die indigene Arbeit einteilte. Als vierter Grund ist noch die erzwungene Umstellung der Ernährungsgewohnheiten zu nennen: Der von

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den Spaniern eingeführte Weizen und das Zuckerrohr führten zu einer drastischen Verringerung der Anbauflächen für traditionelle amerikanische Nahrungsmittel (vor allem Mais); die Folge war Unterernährung, was in Verbindung mit der physischen Überausbeutung der indigenen Arbeitskraft zu frühzeitigem Tod führte. Bald schon machte der Arbeitskräftemangel in der Neuen Welt die Einfuhr schwarzer Sklaven aus Afrika erforderlich.8 Die Konquistadoren der ersten Stunde kamen somit in den Genuß erheblicher Vorteile und Privilegien, die immer auf Kosten der ausgebeuteten oder versklavten Indiobevölkerung gewährt wurden. Viele dieser Konquistadoren waren hidalgos, gehörten somit dem verarmten und nach Abschluß der Reconquista weitgehend funktionslosen niederen Adel an. Miguel de Cervantes hat dieser Adelsschicht, die auf eine bessere, idealisierte Vergangenheit zurückblickte, in seinem ›Don Quijote de la Mancha‹ ein literarisches Denkmal gesetzt. Auf Initiative der Missionare sah sich die spanische Krone 1542 zum Erlaß königlicher Indioschutzgesetze veranlaßt, die zu starken Unruhen unter den Eroberern und zu Spannungen mit den vom Indienrat eingesetzten Verwaltungen führten. Bei der auf die Eroberung folgenden Landnahme durch Siedler und der Eingliederung der neuen Territorien in die spanische Verwaltung arbeiteten die Kolonialadministration und der katholische Klerus Hand in Hand. Bei der Christianisierung der unterworfenen Indios ging es nicht nur um deren Seelenheil, sondern nicht minder um ihre Erziehung zu spanischen Untertanen. Die Bestrebung einer weitgehenden Akkulturation der Indios wurde durch das spanische Kirchenpatronat erleichtert, demzufolge die Kirche direkt der Krone – und nicht Rom – unterstellt war. Der relative Staatsschutz, den die Indios genossen, bewahrte sie nicht vor immensen Tribut- und Arbeitsforderungen, die zu einer systematischen Ausnutzung ihrer Arbeitskraft führten. Verschiedene Formen von Bergwerksfron führten ab 1545 zur Ausbeutung des Silberbergs von Potosí im heutigen Bolivien sowie ab 1546 der Silbervorkommen von Zacatecas und ab 1548 von Guanajuato in Mexiko. Allein im 16. Jahrhundert betrug der Wert der Edelmetalleinfuhren aus der Neuen Welt 3000 Milliarden Pesos (wobei ein Peso einem deutschen Taler entsprach). Zum Schutz dieses wertvollen Amerikahandels richtete Spanien 1543 ein Konvoisystem (Carrera de Indias) ein; nach 1565 wurde der Konvoiverkehr bis nach Manila auf den Philippinen ausgedehnt (Manila-Galeone). Der mexikanische Silberpeso entwickelte sich bald zur Kurantwährung in Asien. Neuere Schätzungen sprechen davon, daß zwischen 1570 und 1780 ungefähr 100– 130 Milliarden gemünzte oder ungemünzte Silberpesos nach Asien abgeflossen sind.

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Das entstehende Weltreich sah sich sehr bald vielfältigen (potentiellen) Gegnern ausgesetzt: dem Einbruch der Reformation, der Macht des Osmanischen Reiches, der Rivalität Frankreichs. Karl mußte daher schnell ein funktionsfähiges politisches System aufbauen, ein Verteidigungskonzept entwerfen und die zahlreichen Völker seiner Reiche zusammenführen. Spanien war durchaus auf diese Aufgabe vorbereitet, hatte es sich doch an die Spitze der schließlich unvollendeten Kirchenreform gesetzt; darüber hinaus verfügte es über den missionarischen Elan der geistlichen Orden, der in den Dienst der großen Entdeckungs- und Eroberungszüge gestellt werden konnte; die zahlreichen Feldzüge der Reconquista und die Schlachten in Italien hatten ein modernes, schlagkräftiges Heer entstehen lassen, das die neuen Feuerwaffen geschickt einsetzte; schließlich war Spanien zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein befriedetes Land, mit einer funktionierenden Verwaltung – den im Rechtswesen ausgebildeten letrados – und Polizei. Trotz dieser guten Voraussetzungen entbehrte die Monarchie jedoch der notwendigen Instrumente, die für das langfristige Überleben eines Weltreiches erforderlich gewesen wären: eines Bankwesens mit internationalen Verbindungen und vor allem einer dynamischen Schicht von Unternehmern und Händlern, die in Zusammenwirken mit dem Staat neben der politischen und militärischen eine wirtschaftliche Macht aufgebaut hätten.9 Hinzu kamen geopolitische Schwierigkeiten; zu diesen zählte vor allem die Tatsache, daß dem spanischen Reich der territoriale Zusammenhalt vollständig fehlte. Frankreich trennte die Einzelstaaten des spanischen Habsburgerimperiums voneinander; diese geopolitische Realität mußte nahezu unvermeidlich zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern führen. Gleichzeitig bildete die spanische Monarchie die wichtigste Bastion gegen die Westexpansion des Osmanischen Reiches; der Vorstoß türkischer Armeen auf Mitteleuropa wurde zu einer gewaltigen Herausforderung für die spanische Monarchie. Sultan Selim I. (1512–1520) hatte einen großen Teil des Nahen Ostens erobert, sein Nachfolger Süleiman II. (1520–1566) richtete seine Offensiven auf den Balkan, 1529 standen die Türken vor Wien. Die ständigen Vorstöße der Osmanen in das westliche Mittelmeer hielten Karl fast jahrzehntelang in Atem. Neben Italien gehörten in Europa die Niederlande zu Spanien; Karl hatte von seinem Großvater Maximilian bei dessen Tod 1519 zunächst elf Provinzen geerbt, denen er später sechs weitere hinzufügte. Diese 17 Provinzen – persönliches Herrschaftsgebiet der Habsburger Karl I. und Philipp II. – wurden durch ein Familienmitglied regiert: Statthalter waren Karls Tante Margarete von Österreich (1507–1530), seine Schwester Maria von Ungarn (1530–1555) und seine natürliche Tocher Margarete von

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Parma (1559–1567). Unterstützt wurden sie von drei Ratsgremien und den Generalstaaten – Abordnungen der Ständevertretungen aus den Provinzen, die in Brüssel tagten –, die über die Subsidien an den König entschieden.10 Die Bindung der spanischen Politik an die Reichspolitik und die Eroberung großer Gebiete in Übersee führten dazu, daß im 16. Jahrhundert die spanische Wirtschaft von zwei gegenläufigen Tendenzen geprägt wurde: Auf der einen Seite stand die wachsende Finanzlast der kaiserlichen Reichspolitik, auf der anderen das Edelmetallpotential des amerikanischen Kolonialreichs. Zur Finanzierung der politischen und militärischen Unternehmungen des Kaisers und später seines Sohnes Philipp wurde Spanien, nachdem zuerst die italienischen Kronländer und die Niederlande einen Großteil der Verpflichtungen getragen hatten, ab den 1540er Jahren verstärkt herangezogen. In Anbetracht der hartnäckigen Abwehrhaltung der aragonesischen Cortes fiel die finanzielle Hauptlast auf Kastilien, und hier wiederum (wegen der spezifischen Steuerstruktur) nahezu ausschließlich auf die abgabenpflichtigen Bürger, nicht auf Adel oder Geistlichkeit. Trotz des zunehmenden Steuerdrucks stieg jedoch die Verschuldung der Krone kontinuierlich an. Die Zahlen sprechen für sich: Karl standen als König von Spanien jährlich Einkünfte von über eine Million (seit 1542 rund eineinhalb Millionen) Dukaten zu; von (ausländischen) Bankhäusern mußte er außerdem Darlehen in Höhe von 39 Millionen [!] Dukaten aufnehmen, für die er die erwarteten Silberlieferungen aus Amerika oder die Steueraufkommen der jeweils folgenden Jahre verpfändete. Trotzdem führte die Haushaltspolitik wiederholt zur Zahlungsunfähigkeit der Krone, da sie vor allem in Karls späteren Jahren festverzinsliche Schuldverschreibungen (Juros) ausgab, für deren Zinsentilgung schließlich etwa 65 Prozent des ordentlichen Steueraufkommens ausgegeben werden mußten.11 Die Auswirkungen des wachsenden Zustroms amerikanischer Edelmetalle sind in der historischen Forschung wiederholt Gegenstand ausführlicher Erörterungen gewesen.12 In einem Teil der Literatur wird der spanische Niedergang im 17. und frühen 18. Jahrhundert in einen engen Zusammenhang mit dem Silber aus der Neuen Welt gebracht, da die inflationäre Preisentwicklung des 16. Jahrhunderts auf die Silberladungen zurückzuführen sei und die weitere Entwicklung bestimmt habe. Diese These hat Widerspruch hervorgerufen; verwiesen wurde darauf, daß Spanien damals aus unterschiedlichen Wirtschaftsräumen bestand und Andalusien etwa ab dem 16. Jahrhundert einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte, da Oliven aus Jaén, Wein aus dem Guadalquivirtal, Tuche aus Córdoba und Seide aus Granada begehrte Exportartikel waren. Auch einige Wirtschaftszweige Mittel- und Nordspaniens erlebten Exportaufschwün-

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ge: etwa die Eisenindustrie des Baskenlandes und die Wollproduktion der inzwischen auf zehn Millionen geschätzten Merinoschafe. Der Handel mit Amerika warf satte Gewinne ab. In die Kolonien wurde nahezu alles exportiert: Weine und Öle, Rosinen und Mandeln, Konfitüren und Gewürze, hochwertige Stoffe und Lederstiefel, Waffen und Eisenwaren, Glas und Geschirr. Unter den importierten Gütern standen die Edelmetalle, die der strikten Kontrolle der Krone unterlagen, mit rund 80 Prozent der Schiffsladungen an erster Stelle; Farbstoffe und Heilpflanzen dienten dem lukrativen Re-Exportgeschäft. In Sevilla entstand ein internationales Handelsnetz, an dem auch italienische und deutsche Fernhändler beteiligt waren.13 Im spanischen Europahandel dominierte die Wolle der Merinoschafe. Da der größte Teil der qualitativ wertvollen Merinowolle in die Niederlande und nach Italien exportiert wurde, forderten die Tuchhändler der wollverarbeitenden spanischen Zentren einen Verbleib der Wolle im Land, womit der zu Beginn des 17. Jahrhunderts beschleunigte Niedergang der Textilzentren aufgehalten und neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Trotz derartiger Appelle zugunsten einer Schutzzollpolitik für die einheimische Fertigung mit entsprechenden Importbeschränkungen betrieb Kastilien keine merkantilistische Politik. Den spanischen Händlern ging es vielmehr um den Export von Rohstoffen und den Import von Fertigprodukten. Regierung und Cortes waren darum bemüht, die Verbraucherpreise möglichst niedrig zu halten. Kritisch verlief die Entwicklung vor allem in einigen Wirtschaftsbereichen Kastiliens; hierzu zählten insbesondere der Ackerbau der Kleinbauern, die nach Mißernten die Hypothekarzinsen nicht mehr aufbringen konnten und sich zur Veräußerung ihres Landes genötigt sahen; die verteuerten kastilischen Tucherzeugnisse waren – als Folge von Lohnerhöhungen, die wiederum auf die inflationäre Preisentwicklung zurückzuführen waren – bald nicht mehr wettbewerbsfähig; schon 1548 mußte die Krone den Import ausländischer Tuchwaren zulassen. Über die letzten Ursachen der Wirtschaftskrise des 16. Jahrhunderts herrscht bis heute in der Forschung Uneinigkeit. Die ersten Kämpfe in Europa hatte Karl in Italien und gegen Frankreich zu bestehen. Seit den „Katholischen Königen“ waren Süditalien und Nordafrika wichtige Regionen der spanischen Mittelmeerpolitik. Die italienischen und afrikanischen Besitzungen waren mit Waffengewalt erobert worden: Sardinien kam 1325 unter die Herrschaft von Aragonien; die Eroberung Siziliens setzten 1282 ein, die aragonesische Herrschaft konsolidierte sich dort 1409; die Kämpfe um das Königreich Neapel hatten 1443 begonnen und endeten (nach mehrfachen Siegen des Gonzalo Fernández

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de Córdoba über die Franzosen) im Jahr 1504. Die anti-islamische Politik der „Katholischen Könige“ hatte auch auf die muslimische Bevölkerung Nordafrikas Auswirkungen gehabt; von dort plünderten Piraten immer wieder spanische und süditalienische Küstenorte, was wiederum dazu führte, dass spanische Truppen nordafrikanische Hafenstädte und Plätze besetzten. Besonders hartnäckig waren die Gefechte gegen den Osmanen Chaireddin Barbarossa (um 1467–1546), der große Teile Nordafrikas beherrschte. Das für das spanische Reich sehr bedeutende italienische Herrschaftsgebiet war zwar ein reiches, aber kein zusammenhängendes Territorium, da sich zwischen das Herzogtum Mailand im Norden und das Königreich Neapel im Süden der Kirchenstaat und die Republik Venedig schoben. Die nördlichen Territorien kamen größtenteils erst im 16. Jahrhundert zu Spanien: Mailand 1535, Elba 1548, einige Stützpunkte in der Toskana 1557. Die Eingliederung der toskanischen Festungsorte in das spanische Reich ging auf den Willen des spanischen Herrschers zurück, das westliche Mittelmeer lückenlos überwachen zu können. Diese Politik hatte unter den „Katholischen Königen“ mit der Einnahme der marokkanischen Stadt Melilla 1497 begonnen und später dann zur Gründung vieler Forts in Nordafrika geführt. Hauptzweck der Festungsorte war die Bekämpfung der muslimischen Gefahr und der Kaperfahrten, die von den Barbareskenstaaten aus an der gesamten Mittelmeerküste durchgeführt wurden. Die italienischen Besitzungen verwaltete der Italienrat von Spanien aus. In Sizilien blieb dem italienischen Adel eine wichtige Rolle im politischen Geschehen erhalten. Nach dem Vertrag von Cateau-Cambrésis (1559) gelang es den Habsburgern dank einer geschickt pragmatischen Politik, in Italien eine Art pax hispanica zu etablieren, die über das Jahr 1620 hinausreichte.14 Die vielfältigen Bedrohungen durch die Türken und Franzosen, später durch die protestantischen Fürsten und England, der Kaperkrieg im Atlantik und die Angriffe der nordafrikanischen Barbaresken bedingten die Militärstrategie der Spanier, die einerseits in der Sicherung der Grenzen und Küsten des Landes mit starken Festungen, andererseits in der Fernhaltung des Krieges von den eigentlichen ‚Kernländern‘ der Monarchie bestand. Karl begann auch schon sehr früh, auf beiden Seiten der Pyrenäen die Grenzen gegen mögliche Angriffe zu sichern; im Herzogtum Mailand ließ er mehrere befestigte Plätze mit spanischen Garnisonen einrichten; im Mittelmeer stationierte er den Johanniterorden auf Malta, um die Angriffe der Türken abwehren zu können; ab den 1540er Jahren wurden Hunderte von Wachtürmen und ein System von Festungen zum Schutz der gesamten Mittelmeerküste errichtet. Auch in Amerika entstand

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im 16. Jahrhundert ein gewaltiges Befestigungssystem. Alles in allem war die Strategie des Kampfes auf fremdem Boden erfolgreich. Sieht man von einigen internen Aufständen ab, genoß Spanien eine lange Friedenszeit im eigenen Land. Im Verlauf der militärischen Auseinandersetzungen in und um Italien mußte Karl vor allem gegen den französischen König Franz I. (1515–1547) kämpfen; 1525 konnten schließlich die vereinigten deutsch-spanischen Streitkräfte Karls Rivalen in der Schlacht von Pavia gefangennehmen und ihn zum Verzicht auf Mailand, Genua, Neapel und die Bourgogne zwingen. Bald nach seiner Freilassung verband sich aber Franz I. in der Liga von Cognac mit den Gegnern Habsburgs und setzte den Krieg fort, der erst 1529 mit den Friedensschlüssen von Barcelona und Cambrai beendet wurde; diese besiegelten die habsburgische Vorherrschaft in Italien. Karl war zeit seines Lebens ein reisender König. Die Kaiserwahl, die Reformation, der Kampf gegen die Türken in Mitteleuropa und im Mittelmeer machten seine Anwesenheit an den verschiedensten Schauplätzen erforderlich. 1515 hatte er auf einer Rundreise durch die Niederlande Besitz von seinem dortigen Herrschaftsbereich ergriffen; danach mußte er eilig nach Spanien reisen, weil dort sein Großvater Ferdinand von Aragonien gestorben war, und er sich schnell die spanische Krone sichern wollte; in Spanien wiederum erfuhr er vom Tod seines Großvaters väterlicherseits, des Kaisers Maximilian. Die anstehende Kaiserwahl zwang ihn 1519 zur Rückreise nach Deutschland. Kaum war er zum Kaiser gekrönt worden, hörte er vom Aufstand der Comuneros in Kastilien und vom Einmarsch der Franzosen in Navarra; diese besorgniserregenden Nachrichten veranlaßten ihn, über England nach Spanien zurückzukehren und die Rebellion zu bekämpfen. Danach blieb er knapp sieben Jahre in Kastilien (1522–1529) – wahrscheinlich die glücklichste Zeit seines Lebens. Es folgten zahlreiche Reisen nach Italien, Deutschland, Nordafrika, Frankreich, Flandern. Ein Großteil dieses unsteten Lebenswandels galt der Kriegführung: gegen die Türken, die Franzosen, die protestantischen Fürsten, die nordafrikanischen Barbareskenstaaten. Es ist kein Zufall, daß viele Maler Karl als Krieger und als Ritter in Lederrüstung porträtiert haben.15 In den vielen Jahren von Karls Abwesenheit von Spanien erwies sich seine Frau Isabella von Portugal (1503–1539) als gute Sachwalterin seiner Interessen; die eigentliche Verwaltung der spanischen Kronländer übernahmen aber Großkanzler Mercurino di Gattinara (1518–1530) und danach Francisco de los Cobos (1530–1547). Unter der umsichtigen Leitung Gattinaras wurde das frühneuzeitliche Verwaltungssystem des Landes aufgebaut: Der Staatsrat beriet den Monarchen in allen wichtigen Fragen; der

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Die Iberische Halbinsel 1580–1640.

Kriegsrat konzentrierte seine Zuständigkeit vor allem auf Spanien und das westliche Mittelmeer; der Finanzrat regelte die Fragen der königlichen Geldverwaltung; der Kastilienrat leitete die Verwaltung und das Rechtswesen Kastiliens. Im Zuge der Ausweitung des spanischen Herrschaftsbereichs mußten neue Territorialräte geschaffen werden: 1524 der Indien-

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rat für die überseeischen Besitzungen, 1555 der Italienrat für Mailand, Sizilien und Neapel, 1582 der Portugalrat nach dem Anschluß des westlichen Reiches an Spanien, 1588 der Flandernrat für die Verwaltung der Spanischen Niederlande. Die Sekretäre dieser ‚Räte‘ – zuerst überwiegend Burgunder, im Laufe der Jahre immer häufiger Spanier – entstammten zumeist dem Kleinadel oder dem Bürgertum.16 Anfangs spielten die Cortes von Katalonien, Aragonien und Valencia mit ihren weitreichenden Kompetenzen noch eine große Rolle; sie boten dem König die Gelegenheit, die Vertreñ ter von Adel, Geistlichkeit und Städten jeó des Königreichs zu treffen. Sehr bald jedoch vermieden es die Herrscher, die streitbaren Cortes, die bei den Finanzbewilligungen sehr selbstbewußt auftraten, einzuberufen; dafür stieg die Bedeutung der Vizekönige – denen es oblag, die Verhandlungen mit den Institutionen der einzelnen Königreiche zu führen –, der Statthalter in den Niederlanden und in Mailand und der Gerichtshöfe (audiencias) mit ihren umfassenden juristischen und administrativen Kompetenzen. Diese ließen deutlich den Prozeß der Rationalisierung des spanischen Staatsapparats mit Hilfe moderner Verwaltungsmethoden erkennen. Vizekönige und Statthalter waren jedoch trotz ihrer Machtfülle nur ausführende Organe mit einer zeitlich beschränkten Amtsdauer. Im Laufe der Zeit setzte sich der spanische, vor allem der kastilische Hochadel bei der Besetzung der wichtigsten Positionen in der Monarchie durch.17 Unter Philipp II. wurden die Räte zu Verwaltungsbehörden, die sich regelmäßigen Leistungskontrollen, sogenannten Visiten unterziehen mußten. Außerdem entstanden, entsprechend den politischen Erfordernissen, neue Ratsgremien. Schließlich bestand der Regierungsapparat aus 13 Räten, die teils nach geographischen, teils nach thematischen Kriterien eingerichtet worden waren. José Antonio Escudero hat diese Räte ein „geschlossenes System“ genannt, da ihr institutioneller Aufbau im wesent-

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lichen demselben Modell folgte.18 Die Sekretäre waren bekannte Persönlichkeiten im Staat mit weitreichenden Machtbefugnissen und Einflußmöglichkeiten; Francisco de los Cobos, der Staatssekretär Karls I., ist ein hervorragendes Beispiel für einen aus der Mittelschicht stammenden Ratskarrieristen. Die umfangreiche und zugleich ausdifferenzierte Verwaltungsstruktur läßt erkennen, daß das Spanien des 16. Jahrhunderts im europäischen Vergleich hoch entwickelt war: Ein moderner Staat war im Entstehen, der eine umfassende Bürokratie und weitverzweigte Diplomatie benötigte. Schon Ferdinand von Aragonien, der „Katholische König“, war für Machiavelli der Idealtypus des modernen Fürsten gewesen.19 Die Mode des spanischen Hofes wurde sodann stilbildend für Europa; spanische Mystik, Philosophie und Literatur wurden von allen Intellektuellen gelesen, die spanische Sprache war unter Politikern und Gelehrten weit verbreitet, spanisches Staats- und Völkerrecht von großer Bedeutung, die Kolonialethik hoch entwickelt. In jener Epoche entwickelte Spanien eine weltumspannende Kultur, eine Synthese, die anderthalb Jahrhunderte lang die westliche Hemisphäre prägte. Die abendländische Kunst gelangte unter spanischer Führung – allerdings mit großen Einflüssen niederländischer und italienischer Meister – nach Amerika, wo sie ab den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts in Mexiko und 20 Jahre später in Perú unter Mitwirkung indianischer und mestizischer Künstler den besonderen Sakralstil des öffentlichen Raumes (Fassaden, Altarbilder, Plätze) prägte. Das überragende Instrument, um der künstlerischen Synthese einen ‚Nationalcharakter‘ zu geben, war die spanische, präziser: die kastilische Sprache. Schon 1492 hatte der Humanist Antonio de Nebrija ihr in einer Grammatik eine klar umrissene Form gegeben; ab 1520 verzeichnete das Kastilische einen bedeutenden Vorsprung vor den übrigen europäischen ‚Volkssprachen‘. Im Gefolge der politischen und geographischen Expansion erfuhr das Kastilische sodann während des gesamten 16. Jahrhunderts einen gewaltigen Aufschwung, sie löste eine wahre Flut von Literatur aus und wurde zur Wissenschafts- und Theologensprache. Jahrzehntelang überschattete der Vormarsch der deutschen Reformation die Regierung Karls; im Reich standen dem katholischen Habsburgerkaiser starke protestantische, ständische und partikularstaatliche Kräfte entgegen. Im Zeitalter der Reformation fühlte sich Spanien dazu berufen, seine ganze politische Kraft, geistige Energie und militärische Potenz zur Erhaltung des einheitlichen katholischen Bekenntnisses im Abendland einzusetzen. Spanien wurde zum Verteidiger der Universalität des römisch-katholischen Glaubens. Mit kämpferisch-dogmatischer Men-

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talität sollte gegen die Feinde des Glaubens vorgegangen, der ganze amerikanische Kontinent katholisiert werden. Der Geist der militanten Gegenreformation breitete sich über ganz Spanien aus; er äußerte sich primär in Form einer „katholischen Reform“. Die damalige ‚Stärke‘ des spanischen Katholizismus ergab sich aus dem Zusammentreffen verschiedener Umstände: zum einen der kirchlichen Reform und einer eifernden kirchlichen Kultur, zum anderen verschiedener geistlicher Strömungen, schließlich tiefer Religiosität. Was die kirchliche Reform betrifft, so läßt sich sagen, daß sie am Ausgang des Mittelalters überfällig war. Die Verhältnisse in der spanischen Kirche lagen im argen. Der sittliche Verfall der Kirche hatte enorme Ausmaße angenommen, hohe kirchliche Ämter wurden nur als Mittel zur Finanzierung des aufwendigen Lebensstils der Amtsinhaber betrachtet, viele Kirchenfürsten waren fast permanent von ihren Diözesen und Abteien abwesend, zahlreiche bedeutende Stellen wurden mit Nichtgeistlichen besetzt, der niedere Klerus strotzte vor Unwissenheit. Die dringend notwendige Reform sollte von einem kastilisch-asketischen Franziskanermönch ausgehen, der Karriere machte wie kaum ein zweiter: Francisco Jiménez de Cisneros (1436–1517), schließlich Beichtvater und Ratgeber von Königin Isabella, Primas von Spanien, Kardinal und Großkanzler von Kastilien. Die innerkirchliche Reformbewegung im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts erhielt viele Anstöße vom kritischen Humanismus. Die Bewegung sollte der Verweltlichung des klösterlichen Lebens, dem Bildungsmangel und dem sittlichen Verfall des niederen Klerus entgegenwirken. Von Jiménez de Cisneros gingen entscheidende Impulse zur Ausbreitung des Humanismus in Kastilien aus. Damals drangen die Lehren des Erasmus von Rotterdam (1466–1536) in Spanien ein, für den sich viele Intellektuelle und die hohe Geistlichkeit begeisterten. Erasmus versuchte, in einer „christlichen Philosophie“ das geistige Gut der Antike mit dem Christentum zu verschmelzen. Einerseits wurde er zum Mittelpunkt des wissenschaftlichen Studiums der Theologie, andererseits wurde er wegen seiner Zeitkritik, die weder vor Menschen noch vor kirchlichen Institutionen und Fürstenpolitik halt machte, bewundert und gefürchtet. Marcel Bataillon schildert in seinem Buch über die religiösen Zustände zur Zeit der (Gegen-)Reformation Erasmus als Inspirator einer erneuerten katholischen Frömmigkeit. Mit dem Einzug Karls und des burgundischen Hofes kamen auch die Erasmischen Schriften nach Spanien; sie wurden bald ins Kastilische übersetzt, und Erasmus wurde ein gefeierter christlicher Autor, der die katholische Reform im vortridentinischen Spanien einleitete.20 Als jedoch durch das Lutheranertum die soeben errungene religiöse Einheit

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Spaniens bedroht schien, wurde das geistige Reformklima abrupt beendet. Die Bewegung der Illuminaten (los alumbrados), die sich auch aus erasmistischem Gedankengut nährte, wurde verfolgt; auch Anhänger des Erasmus gerieten in den Verdacht der Ketzerei und fielen der Inquisition anheim. Den Protestantismus hat die Inquisition dann auch schnell zum Erliegen gebracht. Die Schriften Luthers wurden beschlagnahmt, die wenigen lutheranischen Gruppen gewaltsam gesprengt, ihre führenden Vertreter verurteilt und in autos de fé öffentlich dem Scheiterhaufen übergeben. Nach wenigen Jahren war der Protestantismus in Spanien liquidiert; auch vom Erasmismus blieb nicht viel übrig. Damit war die geistig-geistliche Orthodoxie wiederhergestellt, ein allumfassender Konformismus machte sich breit. Das religiöse Leben wurde zunehmend von einer Festungsmentalität beherrscht.21 Die Tribunale des Heiligen Offiziums, der Inquisition, die eigentlich nur für „Glaubensangelegenheiten“ zuständig waren, weiteten bald ihren Kompetenzbereich aus; sie wurden zu einer Art politischer Polizei bei der Verfolgung von Renegaten und Aufständischen, sie überwachten den Grenzübergang nach Frankreich, verfolgten Waffenschmuggler und Pferdediebe. Die eiserne Allianz von Staat und Nationalkirche erwies sich in der Folgezeit als fundamental für die Herausbildung frühnationaler Identität und als wichtige Voraussetzung für die kulturelle Blüte des Siglo de Oro, des „Goldenen Zeitalters“22 Während vermeintliche Häretiker gnadenlos verfolgt wurden, nahm der katholische Klerus an Zahl und Einfluß immer mehr zu. Im 16. Jahrhundert gehörten ihm schon 100 000 Personen an, er verfügte über rund ein Drittel der Einkünfte des Landes. Der Zustrom zum geistlichen Stand verstärkte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte deutlich, da mit dem Priesterstand ein sicherer Lebensunterhalt garantiert war. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Klerus bereits auf über 200 000 Personen angewachsen. Die wichtigste Einnahme der Kirche war der Zehnte, d. h. ein erheblicher Teil des landwirtschaftlichen Brutto-Erlöses; hinzu kamen fromme Stiftungen und andere kirchliche Quellen. Zweifellos war die spanische Kirche sozial bevorzugt, sie verfügte über bedeutenden landwirtschaftlichen und städtischen Besitz, hatte unbestrittene Autorität über die Gläubigen und großen Einfluß im politischen Bereich. Zu den katholischen Reforminitiativen gehörte auch das Konzil von Trient, das mit Unterbrechungen von 1545 bis 1563, und stark von spanischen Klerikern, vor allem von Jesuiten, beeinflußt wurde. Eine herausragende Rolle in der Debatte um die Eucharistie spielten Kardinal Pedro Pacheco sowie die Bischöfe Diego de Avala y Esquivel, Francisco de Navarra und Martín Pérez de Ayala; Erzbischof Pedro Guerrero machte sich

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um die Reform des Klerus verdient; die Dominikaner Domingo de Soto und Melchor Cano wirkten an der Ausarbeitung der Rechtfertigungslehre und der Beichtdekrete mit. Es ging auf diesem Konzil vor allem um eine genauere Definition der katholischen Doktrin, um die Verbesserung der Ausbildung von Geistlichen und um die Bedeutung der Seelsorge. Die wichtigsten Bestrebungen der Tridentinischen Reform waren die innere Erneuerung der Kirche und die Wiederherstellung der religiösen Einheit. Diese Ziele stimmten zwar mit den politischen Bestrebungen der spanischen Monarchie überein; trotzdem erfolgte die Veröffentlichung der Dekrete des Trienter Konzils in Spanien nur unter dem Vorbehalt der königlichen Rechte, und die Durchführung der Reformdekrete stand unter der ständigen Kontrolle des Königs. In den Jahrzehnten nach Trient war der Reformeifer überall in Spanien festzustellen, wenn auch andererseits betont werden muß, daß die königlich-spanische Sorge um die Bewahrung der römischen Kirche stets von den Bemühungen begleitet war, die Kirche so weit wie möglich den Interessen der Krone unterzuordnen. Den wichtigsten theologischen Lehrstuhl der Universität Salamanca hatten nacheinander der Theoretiker des modernen Völkerrechts Francisco de Vitoria, Melchor Cano und Domingo de Soto inne; sie trugen maßgeblich zur Verbreitung der Neuscholastik bei. Was die neuen geistlichen Strömungen der Zeit betrifft, so ist vor allem auf jene Richtung des spanischen Katholizismus zu verweisen, die keinen so großen Wert auf die Riten und Gebräuche der mittelalterlichen Religion legte, sondern in einer mystischen Innenschau (und im Gegensatz zum Gemeinschaftssinn der mittelalterlichen Frömmigkeit) die tiefe Beziehung und Liebe des einzelnen zu Gott betonte. Zu den großen Liebesmystikern zählen Therese von Avila (Teresa de Jesús, 1515–1582) und Johannes vom Kreuz (San Juan de la Cruz, 1542–1591), die zugleich als große Reformer ihrer Orden, der Karmeliterinnen und Karmeliter, auftraten. Mit ihnen wandte sich die Frömmigkeit in Spanien der Innerlichkeit zu; nicht nur extrovertierte Ziele religiösen Ausgreifens standen auf dem Programm – die Reformer waren unermüdliche Prediger und reisten unentwegt –, sondern ebenso Selbstbesinnung, Spiritualität und Seelenerforschung.23 Zu den großen Gestalten der Kirchenreform wie überhaupt der spanischen Kirchengeschichte gehört zweifellos auch der Baske Ignatius (Iñigo) von Loyola (1491–1556), der Gründer des Jesuitenordens (Societas Jesu, S. J.). Er studierte Theologie und schuf 1534 in Paris die Gesellschaft Jesu. Deren Mitglieder widmeten sich vor allem der Predigt und Mission, der Orden wurde unter seinem Motto Omnia ad maiorem Dei gloriam (Alles zur größeren Ehre Gottes) zum Hauptwerkzeug der Gegenrefor-

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mation. Lange Zeit hatte der baskische Edelmann Ignatius Probleme mit den Behörden und der Inquisition, monatelang saß er im Gefängnis, acht Prozesse hatte er durchzustehen. Er war schon fast 50 Jahre alt, als der Papst 1539 die Gründungsformel der „Gesellschaft Jesu“ unterzeichnete. Die Anzahl der Erziehungs- und Missionseinrichtungen wuchs dann rasch im In- und Ausland; sie vertraten mit ihrem unbedingten Papstgehorsam im Zeitalter der Glaubenskriege kompromißlos die römische Sache. Als Ignatius 1556 starb, hatte der Orden schon über 100 Kollegienhäuser in aller Welt.24 Karl war frühzeitig bemüht, die Nachfolgefrage zu regeln. 1548 wurden die Niederlande, die seit 1530 seiner Schwester Maria als Statthalterin unterstellt waren, vom Reich losgelöst und seinem Sohn, dem Kronprinzen Philipp, zu Lehen gegeben. 1553 übertrug er seinem Bruder Ferdinand alle Angelegenheiten, die das Reich betrafen; in den Folgejahren erhielt sein Sohn Philipp Mailand, Neapel und nach dem Tod Johannas der Wahnsinnigen 1556 schließlich die spanische Königskrone. Die ausführlichen Instruktionen Karls für seine Gemahlin Isabella von Portugal und später seinen Sohn Philipp sowie sein politisches Testament verraten die Sorgen eines Staatsmanns um die Zukunft des Landes. Bei der Einschätzung von Karls Monarchie lassen sich zwei Aspekte festhalten: Einerseits kam er als Fremder nach Spanien, kannte weder das Land noch seine Sprache, durchlief sodann aber einen kontinuierlichen ‚Hispanisierungsprozeß‘, der dazu führte, daß der Kaiser und König sein Leben schließlich als ‚Spanier‘ beendete. Andererseits war er der letzte Vertreter der mittelalterlich geprägten, universalen christlichen Kaiseridee; er erhob Spanien zu einer europäischen Großmacht, verwickelte das Land aber zugleich in nahezu alle Konflikte Mittel- und Westeuropas. Diese Verstrickungen sollten sich letztlich negativ für Spanien, vor allem für die Wirtschaftskraft Kastiliens, auswirken – ein Grund für das ambivalente Bild, das Karl in der spanischen Historiographie erfahren hat.25 Karl, der den Schnittpunkt des Mittelalters und der Neuzeit markiert, wird deshalb zurecht sowohl als letzter Repräsentant der alten Ordnung wie als Wegbereiter der neuen betrachtet. Zugleich war er Vertreter der vielfältigen, widersprüchlichen Strömungen seiner Epoche. Schon zeitgenössische Historiker wie Johannes Sleidan in seinem Werk ›De statu religionis et reipublicae Carolo Quinto Caesare commentarii‹ interpretierten die Zeit der Reformation und der Regierung Karls als ein Zeitalter weltgeschichtlichen religiösen und politischen Umbruchs; sie gaben damit die historiographischen Grundmuster auch für spätere Historikergenerationen vor. 1769 deutete der schottische Aufklärungshistoriker William Robertson die Regierungszeit Karls als die entscheidende Epoche, in der

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sich das politische System Europas und das seiner Nationalstaaten formierte. Und für Leopold von Ranke stand Mitte des 19. Jahrhunderts fest, daß der Siegeszug des Protestantismus in den Jahren von Karls Herrschaft der Beginn der deutschen Nation war; daher erblickte er in Luther den eigentlichen Gegenspieler Karls und den ‚Helden‘ des Wormser Reichstags 1521. Die neuere Historiographie verweist mit Nachdruck darauf, daß sich der europäische Herrscher Karl nationalgeschichtlichen Kriterien entzieht.26 Erbe der spanischen Linie des Hauses Habsburg wurde Karls Sohn Philipp II. (1556–1598), der außer Spanien und die süditalienischen Königreiche auch die überseeischen Besitzungen, Burgund und die Niederlande übernahm; 1580 kam noch Portugal hinzu. Schließlich war Philipp Herrscher über das größte Reich, das die Geschichte je gekannt hat. Und trotzdem war Philipps Imperium nicht mehr das ‚Universalreich‘ Karls, sondern ein spanisch-katholisches Bollwerk mit einer Hauptstadt – seit 1561 Madrid – und einem Entscheidungszentrum. Seit Madrid ständiger Sitz des Hofes war, fand auch das – bei Karl noch so ausgeprägte – Reisekönigtum ein Ende. Denn nach seiner Rückkehr 1556 nach Spanien reiste Philipp II. nur noch innerhalb der Iberischen Halbinsel. Die Organe des Staatsapparats wurden in seiner neuen Hauptstadt Madrid zentralisiert. Der kleine Ort expandierte nach 1561 sehr schnell; das Pardo-Palais wurde fertiggestellt, das Lustschloß Buen Retiro in Angriff genommen, das Schloß im nahegelegenen Aranjuez nach italienischen Vorbildern ausgebaut. Vor allem aber ließ Philipp den Escorial errichten, dessen Bau über 20 Jahre beanspruchte; er war Königspalast und Kloster, Schloß und Kriegerkastell in einem, ein imperialer Monumentalbau mit geradlinigstrenger Renaissancefassade, der seit damals auch als Totengruft der spanischen Könige dient. Damit waren in und um Madrid jene Sitios Reales erbaut, die der Hauptstadt eines Weltreichs angemessen waren. Auf seine Herrschaft war der Monarch sorgfältig vorbereitet worden: Ausgebildet und erzogen wurde der junge Philipp, dessen Mutter Isabella von Portugal früh verstorben war, von Lehrern, die sein Vater ausgesucht hatte; seiner politischen Schulung lagen die berühmten ›Instrucciones‹ zugrunde – umfangreiche und mehrmals aktualisierte Handbücher –, mit denen Karl I. seinen Sohn in der Kunst des Regierens unterwies. Schon 1543 vertraute Karl ihm, dem noch nicht einmal Sechzehnjährigen, die Regierung der spanischen Königreiche an; in zahlreichen Briefen erteilte er ihm genaue Anweisungen. Auf einer langen, politischen Reise durch ganz Europa lernte Philipp seine künftigen Untertanen und Mitarbeiter persönlich kennen.27 Sein Regierungsstil läßt sich als autokratisch und bürokratisch charakte-

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risieren. Der Monarch war der souveräne Mittelpunkt aller politischen Entscheidungen, der Hochadel wurde vom Zentrum der Macht möglichst ferngehalten. Die Zentralverwaltung wurde in den Jahrzehnten seiner Herrschaft zunehmend bürokratisiert; Philipp übte persönlich die Kontrolle über die zahlreichen Gremien und Ratsausschüsse aus, die untereinander nicht koordiniert waren. Dadurch erlangte Antonio Pérez, der Erste Sekretär und faktisch alleiniger Kanzler des spanischen Reiches (1540–1611), eine außerordentliche Machtfülle. In der Spätphase seiner Regierungszeit richtete der Monarch in der Junta de Noche eine Art „Ministerrat“ ein, der ihm bei der Begutachtung der vielen Eingaben (consultas) behilflich war. Die Kompetenzen der Cortes wurden demgegenüber weiter beschnitten. Der Monarch saß viele Stunden lang in seinem Arbeitszimmer und arbeitete die Aktenberge ab. Fernand Braudel hat in dem einsamen, Papierstapel abarbeitenden Philipp die Verkörperung des modernen, bürokratisierten Staates gesehen.28 Von 1559 an hielt sich Philipp mit Ausnahme der Jahre 1581–1583 ständig in Kastilien auf; diese Phase seines Lebens hat wesentlich sein Bild in der Geschichte als „Schreibtischkönig“ geprägt. Er arbeitete minutiös alle Akten durch, las sämtliche Memoranden und Abhandlungen, die ihm vorgelegt wurden, besprach sich mit seinen Beratern und Sekretären. Zuerst in ständiger Verbindung mit Kardinal Granvella, später allein, legte er sämtliche Erlasse und Anweisungen schriftlich fest; es entstand die Herrschaft der Akten, die von Historikern stapelweise im ‚Archivo General‘ von Simancas eingesehen werden können.29 Die umfassenden Kompetenzen der königlichen Verwaltung und die persönliche Macht des Monarchen lassen das damalige Spanien als eine absolute Monarchie erscheinen. Einschränkend muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß aufgrund der Schwerfälligkeit des Verwaltungsapparates und der schlechten Verkehrsverbindungen untergeordnete Instanzen einen relativ großen Handlungsspielraum behielten und die adligen Grundherrschaften an vielen Orten das Recht hatten, Verwaltungsstellen zu besetzen. Da im 16. Jahrhundert außerdem die Krone aus finanziellen Gründen zahlreiche Adelspatente verkaufte, konnte der Einfluß der Aristokratie im Staat kaum reduziert werden. Schließlich verhinderten auch die unterschiedlichen konstitutionellen Formen der Teilreiche, daß sich der monarchische Absolutismus im Land ganz durchsetzen konnte. Seine Grenzen sollte Philipp etwa 1590 kennenlernen, als er einen Kastilier zum Vizekönig in Aragonien machte und der dortige Adel sofort auf seine althergebrachten Rechte und Freiheiten pochte. Als der Konflikt zwischen der Krone von Aragonien und dem Monarchen friedlich nicht zu lösen war, marschierten kastilische Truppen in Zaragoza

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ein. Der Vorfall ist ein gutes Beispiel dafür, daß in den Territorien der Krone von Aragonien die königlichen Machtbefugnisse Restriktionen unterlagen. In der Institution des Justicia Mayor de Aragón stieß die königliche Justiz deutlich an ihre Grenzen. Der Justicia sollte die Rechte der Aragonesen gegen die Willkür ausländischer, d. h. kastilischer Monarchen schützen; er trat daher als Verteidiger der regionalen Sonderrechte (fueros) auf. Lange Zeit wurde dieses entscheidende Amt von der Familie Lanuza besetzt; nach den Unruhen des Jahres 1591, die zur Hinrichtung des jungen Juan de Lanuza führten, besetzte der König das Amt mit Personen seines Vertrauens. Schließlich (1592) behandelte Philipp den unterlegenen aragonesischen Adel mild, da er auf enge Zusammenarbeit mit ihm angewiesen war.30 Die Spannung zwischen dem bürokratischen, kastilisch geprägten Zentralstaat und den traditionellen Rechten der Teilreiche blieb allerdings bestehen und wurde zu einem Grundproblem der neueren spanischen Geschichte. Eine anhaltende Einschränkung königlicher Rechtsprechung war auch darin zu erkennen, daß in Aragonien ein mächtiges Feudalsystem mit eigenen grundherrlichen Gerichten überlebte, die sogar Todesurteile verkündeten. Im europäischen Kontext machte sich die spanische Hegemonie besonders deutlich in den italienischen Staaten bemerkbar: Die süditalienischen Königreiche und Mailand wurden direkt von Spanien durch Vizekönige bzw. einen Gouverneur regiert; bedeutende selbständige Staaten wie Savoyen oder Genua waren außerdem von Spanien abhängig; die verkehrsgünstigen toskanischen Küstenstädte bildeten einen spanisch dominierten „Staat der Festungen“ (Stato dei Presidi), vor allem gegen türkische Einfälle; auch im Kirchenstaat brachte Philipp II. seinen Einfluß zur Geltung.31 Während Philipps Regierungszeit bestanden zwischen Spanien und England besondere Beziehungen. Durch seine Heirat mit Maria (Tudor), der Tochter Heinrichs VIII., war Philipp 1554 formal Mitregent Englands geworden. Die unter Maria eingeleitete Phase der Rekatholisierung Englands – sie ging dabei so gewalttätig vor, daß sie die Bezeichnung Bloody Mary erhielt – und des Bündnisses mit Spanien waren jedoch nur kurz, da die Königin schon 1558 starb. Ihre Nachfolgerin Elisabeth I. (1558–1603) steuerte einen eigenständigen Kurs, der zwangsläufig zum Konflikt mit Spanien führen mußte. Die spanische Seemacht wurde damals bereits in amerikanischen Gewässern regelmäßig von englischen Freibeutern wie John Hawkins oder Francis Drake herausgefordert. Philipp fühlte sich stark genug, England durch eine Flotteninvasion in die Knie zu zwingen. Die spanische Armada wurde jedoch 1588 in mehreren Gefechten von den Engländern besiegt und schließlich von den Stürmen dezimiert. Auch

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spätere Invasionsversuche scheiterten. Bei diesen hegemonialen Auseinandersetzungen zwischen England und Spanien spielten auch konfessionelle Erwägungen eine wichtige Rolle, nachdem Schottland mittlerweile im wesentlichen protestantisch geworden war und die englische Staatskirche unter Elisabeth ebenfalls einen deutlich protestantischen Charakter angenommen hatte.32 Seit 1580 schon hatte Spanien die „Armada des Atlantik“ eingesetzt, um die Küsten zu überwachen. Im Jahr 1588, beim mißglückten Landungsversuch in England, bestand sie aus 100 Galeonen, Karavellen und Galeeren. Ihre eigentliche Bedeutung bestand im Geleitschutz der Schiffe, die zwischen Spanien und Amerika verkehrten. Der transatlantische Handel war von diesem Geleitschutz abhängig. Insgesamt war die Konvoifahrt unter dem Schutz der Armada sehr erfolgreich: Zwischen 1560 und 1650 segelten 79 Flotten nach Mexiko, 69 in Richtung Tierra Firme (Isthmus von Panama) sowie 94 Geleitzüge zurück nach Spanien; insgesamt waren es rund 15 000 Schiffe, von denen nur 402 durch Schiffbruch und 62 durch Krieg oder Piraterie verlorengingen.33 Im europäischen Ringen zwischen den Häusern Habsburg und Valois kam es nach schweren Niederlagen der Franzosen bei St. Quentin 1557 und Gravelingen 1558 zum Frieden von Câteau-Cambrésis 1559, der durch eine dynastische Heirat zwischen der Tochter Heinrichs II., Elisabeth von Valois, und Philipp II. bekräftigt wurde. Der Friedensschluß machte die spanische Hegemonie über weite Teile Europas deutlich: Spanien beherrschte damals das westliche Mittelmeer, die Königreiche Neapel, Sizilien und Sardinien, es hatte sich an der toskanischen Küste festgesetzt und verfügte über zahlreiche Stützpunkte an der nordafrikanischen Küste. Jahrzehntelang war Spanien im Krieg mit den Barbareskenstaaten. Gegen diese und die Osmanen errang es im Bund mit dem Papst und den Venezianern 1571 in der größten Seeschlacht des 16. Jahrhunderts bei Lepanto unter dem Kommando von Don Juan de Austria (1547–1578) einen entscheidenden Sieg. Dieser großartige Stratege war ein unehelicher Sohn aus einer Verbindung Karls V. mit der Regensburgerin Barbara Blomberg. In gewisser Weise stellte der Sieg bei Lepanto den Höhepunkt von Philipps Herrschaft dar. Fortan sollte Spaniens europäische Großmachtstellung stets heftigeren Angriffen ausgesetzt sein.34 Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte die spanische Infanterie in Italien einen ausgezeichneten Ruf genossen; unter dem Oberbefehl von Gonzalo Fernández de Córdoba, dem Gran Capitán (1453–1515), galt sie als unbesiegbar. Umfangreiche Ordonnanzen regelten ihren Aufbau und die Einsatzstruktur. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt kann man von einem stehenden Heer sprechen, das den Zusammenhalt des spanischen Habs-

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Seeschlacht von Lepanto (7. Oktober 1571). Die drei Befehlshaber, von links: Don Juan de Austria, Marc Antonio Colonna und Sebastiano Venier. Porträtgalerie Sammlung Schloß Ambras, Innsbruck. Foto: AKG.

burgerreiches sicherstellen sollte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die Hälfte der Soldaten schon mit Feuerwaffen ausgestattet, die Aufwendungen stiegen von Jahr zu Jahr: Vor 1580 verschlang die Infanterie rund eine Million Dukaten im Jahr, 1587 bereits 3,5 Millionen. Der bankrotte spanische Staat war nicht mehr in der Lage, solche Summen aufzubringen, die Infanterie verfiel. „Einer der Hauptgründe, warum sich die Holländer zwischen 1621 und 1648 schließlich siegreich gegen die Spanier durchsetzten, war ihr Talent, neue Finanzierungstechniken für den Krieg zu erfinden, um ein riesiges Heer auf unbegrenzte Zeit zu unterhalten.“35 Der eigentliche Prüfstein für die Politik Philipps war eben dieser Aufstand der Niederlande; die Beziehungen zu Frankreich waren nach dem Frieden von Cateau-Cambrésis 1559 einige Jahrzehnte lang stabil. Philipps Ziel bestand vor allem darin, die habsburgisch-spanischen Besitzungen zu bewahren und den katholischen Glauben gegen innere und äußere Feinde zu schützen. Schon früh sah sich der Monarch gezwungen, bei bestimmten

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Fragen – etwa den Steuern oder der Stationierung spanischer Streitkräfte – auf die Vorstellungen der „Generalstaaten“, des burgundischen Ständeparlaments, einzugehen. Sein Hauptziel blieb aber das gleiche: die Niederlande enger an die spanische Krone zu binden. Jedoch führte Philipps Unfähigkeit zu erkennen, daß seine Regierungsweise der spanischen Länder sich nicht auf die spanischen Niederlande anwenden ließ, ohne unweigerlich Konflikte hervorzurufen, schließlich zum Abfall der Vereinigten Niederlande. Unter der Regierung Karls V. noch zum Reich gehörend, verloren sie durch die Teilung des habsburgischen Besitzes nach dessen Tod die Verbindung zum Reich und sanken zum Nebenland einer sich als spanisch verstehenden Monarchie herab. Die in den Niederlanden praktizierte Frömmigkeit war stark von der Devotio moderna (neue Andacht) des Thomas von Kempen (1379–1471) sowie von Erasmus von Rotterdam beeinflußt, während Luthers Reformation keine dauerhaften Wurzeln schlagen konnte. Die scharfe Religionspolitik Spaniens im 16. Jahrhundert trug dem von Toleranz getragenen Klima in den Niederlanden keine Rechnung und verschärfte die religiöse Grundstimmung. Seit Ende der 50er Jahre kam der Calvinismus von Frankreich aus ins Land, bis Mitte des 17. Jahrhunderts trat mehr als die Hälfte der niederländischen Bevölkerung zum reformatorischen Bekenntnis über.36 1566 kam es zum Bruch zwischen Spanien und den Niederlanden; Graf Egmont und Graf Hoorn, bedeutende Anführer der antispanischen Verschwörung, wurden 1568 hingerichtet, womit ein für Spanien kostspieliger Krieg und 30 Jahre Militärregierung unter den Feldherren-Regenten Herzog von Alba, Luis de Requesens, Juan de Austria und Alexander Farnese begannen. Die Konfessionsfrage, das Problem der neuen Bistümer und die Spannungen zwischen den Provinzen führten zu den zahlreichen Aufständen, die immer deutlicher eine Abspaltung des Nordens als einzige Lösung erkennen ließen, tatsächlich mit der Unabhängigkeit der Niederlande endeten und das Bild Spaniens in der europäischen Öffentlichkeit jahrhundertelang negativ beeinflußten. Die niederländischen Kleinadeligen (Geusen) formierten sich in der „Liga“, um eine tolerantere Glaubenspolitik von seiten Philipps zu erwirken. Unter der militärischen Leitung des Herzogs von Alba gingen die spanischen Truppen in äußerst brutaler Form gegen die Niederländer vor, was wiederum dazu führte, daß die verschiedenen Strömungen sich unter Führung des reichen Grundherrn Wilhelm von Oranien (1533–1584) zu einer umfassenden niederländischen Anti-Spanien-Bewegung zusammenschlossen, die außerdem von Engländern und französischen Hugenotten unterstützt wurde. Als der „Eiserne Herzog“ schließlich noch eine Verkaufssteuer einführte, um die

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militärische Infrastruktur der Spanier finanzieren zu können, stellte sich sogar die katholische Mehrheit gegen ihn; ein für beide Seiten verlustreicher Krieg sollte noch viele Jahre andauern. 1576 schien sich eine Lösung des Konflikts abzuzeichnen, als in der „Pazifikation von Gent“ festgelegt wurde, daß die spanischen Truppen das Land verlassen und in den nördlichen Provinzen Holland und Seeland Glaubensfreiheit herrschen sollte. Allerdings wurde die Vereinbarung nicht eingehalten. Auch Albas Nachfolger Luis de Requesens (1528–1576) und Juan de Austria scheiterten bei dem Versuch, die Niederlande zu befrieden. Im weiteren Kriegsverlauf näherten sich die katholischen Magnaten des südlichen Wallonien in der „Union von Arras“ 1579 wieder Spanien an, während die protestantischen Nordprovinzen sich im gleichen Jahr in der „Union von Utrecht“ zusammenschlossen und ihre zwei Jahre später proklamierte Unabhängigkeit vorbereiteten. Der ursprünglich ‚nationale‘ Kampf der Niederländer war damit zu einem religiösen geworden. Als 1598 die Generalstaaten einberufen wurden, entsandten die sieben nördlichen Provinzen keine Delegation, womit die Spaltung des Landes besiegelt wurde.37 Der Krieg sollte noch ein weiteres halbes Jahrhundert fortgeführt werden, ohne daß die zahllosen Schlachten ein greifbares Ergebnis gebracht hätten. Die Zeit arbeitete allerdings für die Niederlande, da Spanien an verschiedenen europäischen Fronten kämpfen mußte und die erstarkenden Niederlande den ausgelaugten spanischen Truppen immer entschiedeneren Widerstand entgegensetzten. In den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts mußte Philipp IV. schließlich erkennen, daß die Besitzungen nicht länger zu halten waren; die 1645 begonnenen Friedensverhandlungen mündeten 1648 in den Vertrag von Münster, der die Unabhängigkeit der Vereinigten Niederlande festschrieb. Während in den Niederlanden der Unabhängigkeitskrieg tobte, kam es 1567/68 im Gebiet des ehemaligen Emirats Granada zu einem verzweifelten Aufstand der dort friedlich lebenden rund 300 000 moriscos; da Philipp ein Zusammengehen dieser Bevölkerungsgruppe mit den Osmanen oder den Korsaren aus den Barbareskenstaaten befürchtete, die ständig Spanien angriffen, ließ er die moriscos drangsalieren, was schließlich deren Aufstand provozierte. Dieser konnte erst 1570 von Don Juan de Austria niedergeschlagen werden; rund 50 000 moriscos wurden über Mittel- und Nordspanien verstreut.38 In der Regierungszeit Philipps kamen durch Erbfall noch Portugal und mit ihm das andere überseeische Weltreich unter spanische Herrschaft. Das portugiesische Königshaus, das seit Jahrhunderten mit dem spanischen familiär verflochten war, starb 1578 in der männlichen Linie aus; damals fiel König Sebastian bei einem Feldzug in Marokko. Philipp hatte

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durchaus dynastische Ansprüche auf den portugiesischen Thron, war er doch der Sohn Isabellas, der ältesten Tochter des portugiesischen Königs Manuel I.; er mußte seinen Anspruch allerdings erst militärisch durchsetzen. Nach der Übernahme der portugiesischen Krone 1580 trieb Philipp eine kluge Portugalpolitik: Die Portugiesen durften sich im wesentlichen selbst regieren, die Vorrechte der Oligarchie wurden kaum beschnitten, alle Gesetze und Bräuche Portugals blieben bestehen. Durch den Anschluß Portugals an die spanische Krone verfügte diese über die größte Handelsflotte der Welt und erweiterte ihr Kolonialreich um ausgedehnte Besitzungen in Amerika sowie entlang der afrikanischen und der indischen Küste. Zu einer portugiesischen Aufstandsbewegung und zum Abfall von Spanien kam es erst 1640, Jahrzehnte nach Philipps Tod, als seine Nachfolger in Portugal kastilische Steuern einführen wollten.39 Lange Zeit war in der Geschichtsschreibung, wenn es um das Spanien des 16. Jahrhunderts ging, die Rede vom größten Imperium, das die Geschichte bis dahin gesehen hatte – ein Reich, in dem (angeblich) „die Sonne nicht unterging“. Diese Einschätzung ist in doppelter Hinsicht einzuschränken: Zum einen trifft die Charakterisierung allenfalls auf die Zeit nach der Eroberung der Philippinen und auf die Jahre zu, als Philipp II. zugleich König von Portugal und der weltweiten portugiesischen Besitzungen war. Zum anderen wurden der spanischen Militärmacht von Anfang an ihre Grenzen aufgezeigt; sowohl die Bilanz der Zusammenstöße mit den Türken als auch die Niederlage Spaniens im Unabhängigkeitskrieg der Niederländer und der fehlgeschlagene Versuch, in England einzufallen, legen davon beredtes Zeugnis ab. Eine nüchterne Betrachtung der ‚Weltmacht‘ Spanien läßt deutlich werden, daß der Hegemonieanspruch auf tönernen Füßen stand. Die Zahlen sprechen für sich: Trotz der vielen Territorien, die die spanischen Könige beherrschten, übertrafen ihre europäischen Besitzungen nur knapp die Fläche Frankreichs; die Anzahl der Untertanen war geringer als die des französischen Königs. „Zur Zeit der größten Bevölkerungsdichte im 16. Jahrhundert, nach 1580, lebten in Spanien rund acht Millionen Menschen, in Spanisch-Italien fünf bis sechs Millionen, davon über drei Millionen in Neapel, je eine Million auf Sizilien und im Herzogtum Mailand und noch drei Millionen in den Niederlanden. Zu diesen rund 16–17 Millionen kommt noch eine reichliche Million Portugiesen nach 1580. Um 1560 lebten in Frankreich nach übereinstimmenden Schätzungen 18–20 Millionen Menschen.“40 Auch das Osmanische Reich, der zweite große Rivale Spaniens, hatte mit 20 Millionen Einwohnern eine zahlreichere Bevölkerung als Spanien. Spanien hatte allerdings den Vorteil, mit dem aus Amerika einströmenden Gold und Silber im restlichen Europa, vor allem in Deutschland,

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mühelos Soldaten ausheben zu können. Außerdem haben neuere Studien zur historischen Demographie herausgearbeitet, daß das Königreich Kastilien in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts einen kontinuierlichen Bevölkerungszuwachs aufwies. Im Laufe des Jahrhunderts erhöhte sich der Anteil der städtischen Bevölkerung an der kastilischen von fünf auf 20 Prozent; diese wuchs insgesamt um 40 Prozent, von 5,2 auf 8,1 Millionen Einwohner. Dieser quantitative Vorteil war aber nur kurzfristig, da immer wieder Hungersnöte und Pestepidemien über Spanien – ebenso wie über andere Länder Europas – hereinbrachen und die Bevölkerung stark dezimierten.41 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts gab es keinerlei Anzeichen einer erneuten demographischen Erholung, das Land wurde vielmehr geradezu entvölkert. Schon Zeitgenossen interpretierten den katastrophalen Bevölkerungsschwund als Zeichen für den Niedergang Spaniens; die Probleme wurden nicht so sehr in Kriegen als vielmehr in der geringen Produktivität der Böden, in Mißernten und fehlenden Wirtschaftsaktivitäten gesehen. Beklagt wurden des weiteren die zu hohe Steuerlast und die Heiratskrise, da außergewöhnlich viele junge Menschen in Klöster eintraten. Während des größeren Teils des 17. Jahrhunderts stagnierten in den europäischen Gebieten des spanischen Reiches die Bevölkerungszahlen, streckenweise waren Rückgänge von bis zu 20 Prozent zu verzeichnen. Spaniens imperiale Politik führte zur Zerrüttung der Staatsfinanzen. In dem gleichen Jahr 1557, in dem Spanien einen militärischen Sieg über Frankreich erzielte, durch den seine Hegemonialstellung in Europa bis zum Dreißigjährigen Krieg festgeschrieben wurde, mußte das Land aufgrund der Erschöpfung seiner finanziellen Ressourcen zum ersten Mal den Staatsbankrott erklären. Philipp II. sah sich während seiner Regierungszeit viermal gezwungen, die Zahlungen an seine Gläubiger einzustellen; kurzfristige Lösungen bestanden immer wieder darin, die Außenstände in Schuldverschreibungen umzuwandeln und die zu erwartenden Einkünfte der Krone im vorhinein an die Kreditgeber, in- und ausländische Banken, zu verpfänden. Außerdem ließ der Monarch nichts unversucht, die Staatseinkünfte zu erhöhen: Die Kirche mußte Beiträge (subsidios) leisten, die Abgaben der Kommunen (encabezamiento) wurden bis an die Grenze der Belastbarkeit Kastiliens erhöht, der Verkauf von Ämtern und Herrschaftsrechten nahm zu; vor allem aber war es das amerikanische Silber aus den 1545 entdeckten Minen von Potosí, das es ermöglichte, die teure militärische Infrastruktur beizubehalten und imperiale Politik fortzuführen, durch die Spanien zusehends in die französischen Religionskriege und in die Auseinandersetzungen mit England verstrickt wurde. Trotzdem überschritten die jährlichen Ausgaben von circa

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zwölf Millionen Dukaten deutlich die Einnahmen, die maximal zehn Millionen erreichten. Eigentlich verfügte Kastilien über eine harte Währung; die Münzen aus dem Königreich zählten zu den besten in Europa. Schon die „Katholischen Könige“ hatten eine Politik der starken Währung betrieben, als sie das Münz- und Feingewicht für sämtliche Münzen festlegten. Karl und Philipp konnten auf eben diese Stärke der spanischen Währung hinweisen, als sie bei deutschen und später genuesischen Bankiers Anleihen zur Finanzierung der gewaltigen Staatsausgaben und der militärischen Aktivitäten aufnahmen. Ende des 16. Jahrhunderts benötigte Philipp zur Bedienung der Obligationen auf die Staatseinnahmen über sechs Millionen Dukaten; zur Verfügung standen aber nur zwei Millionen, nämlich der zwanzigprozentige Königsanteil an den Edelmetallen aus Amerika, obwohl mindestens 3,3 Millionen zur Finanzierung der allernotwendigsten Ausgaben benötigt wurden. Die Friedensphase zwischen 1609 und 1621 rettete Philipps Nachfolger und das Land über das Schlimmste hinweg. Außerdem flossen durch die ungebremsten Kupfergeldemissionen viele Millionen Dukaten in die Staatskasse. Trotzdem mußte Philipp III. mit dem genuesischen Bankhaus Ottavio Centurione einen exorbitanten Darlehensvertrag schließen, mit dem das Land sich weiter verschuldete. Der Zinssatz für die Schuldverschreibungen (juros) wurde daraufhin gesenkt, der Verkauf von Adelspatenten brachte neue Mittel in die Kassen. Nur sehr langsam und außerdem äußerst unvollständig konnte der Staat seinen Schuldenberg abbauen, 1621 mußten schon wieder Anleihen aufgenommen werden. Nicht einmal die Einrichtung einer neuen Steuer, der millones, die vor allem die Wohlhabenden belasten sollte, konnte das Problem des ewigen Staatsdefizits lösen.42 Zu diesen letztlich unlösbaren Finanzproblemen – die auf das Auseinanderklaffen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Kastiliens und der überspannten Imperialpolitik der spanischen Krone verwiesen –, kam ab den 1580er Jahren eine lang andauernde Wirtschaftskrise, unter der vor allem die Weber und die kastilische Tuchindustrie sowie die Kleinbauern des Landes zu leiden hatten. Die Verelendung des Bauerntums führte zur Landflucht und damit zu einer zunehmenden Verstädterung. In den Städten kam es allerdings zu einer deutlichen gesellschaftlichen Polarisierung: Der größere Teil der Bevölkerung zählte zu den Unterschichten – Bettler und Landstreicher gab es zuhauf –, nur wenigen gelang der Aufstieg in die Oberschicht. Was weitestgehend fehlte, war ein wirtschaftlich produktiver Mittelstand. Um das gesellschaftliche Problem der Bettler in den Griff zu bekommen, wurden erste Armenhäuser, Hospize und Spitäler gegründet.43 Eine erstaunliche soziale und geographische Mobilität trug zur Integra-

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tion verschiedenster Bevölkerungsschichten in das politische System und damit zum sozialen Frieden bei. So umfaßte etwa die Gruppe der Grandes de España, der aristokratischen Elite des Landes, im Jahr 1520 lediglich 20 und im Jahr 1616 schon 152 Personen. Auch auf den anderen Rangstufen der sozialen Hierarchie war eine vergleichbare Entwicklung zu beobachten. Das politische und institutionelle Gesellschaftsmodell war hierarchisch gegliedert; Fürsten, Adel und Stadtregierungen nahmen abgestufte Positionen ein: Die Grandes verfügten über ihre eigenen Herrschaftsbereiche, der Adel gebot über Gutsherrschaften und sprach Recht in eigenen Gerichtshöfen, das städtische Patriziat besetzte mit den letrados die meisten Ratsgremien der Monarchie und die höchsten Posten der königlichen Gerichte. Hinsichtlich der geographischen Mobilität gab es eine kontinuierliche Nord-Süd-Wanderung: Entweder ließen sich Galicier, Asturier und Kastilier in Sevilla nieder, das von 35 000 Einwohnern im Jahr 1490 auf 120 000 im Jahr 1600 anstieg und damit zur bevölkerungsreichsten Stadt der Iberischen Halbinsel wurde, oder sie wanderten von dort in die Neue Welt weiter.44 Während des gesamten 16. Jahrhunderts wurden jene kirchlichen und religiösen Tendenzen fortgesetzt, die schon zuvor angelegt waren. Dies gilt zum einen für die Unduldsamkeit Andersgläubigen gegenüber. Je stärker nämlich europaweit die Glaubenskriege tobten, desto deutlicher schottete sich Spanien nach außen hin ab; es war ein verzweifelter Versuch, seine nationale und geistige Einheit zu festigen. Politisch-militärisch und geistigreligiös lassen sich somit im 16. Jahrhundert zwei gegensätzliche Entwicklungen feststellen: Während Spanien auf der einen Seite seine Vormachtstellung in Europa und Amerika ausbauen konnte und sich damit der Welt zuwandte, riegelte es sich auf der anderen geistig vom Rest der Welt ab; die verantwortlichen Politiker waren davon überzeugt, nur so die geistigen Werte des spanischen Katholizismus retten zu können. Spanien verlor den Anschluß an die gesamteuropäische Entwicklung. Viele Historiker führen die Dekadenz des Landes, den wirtschaftlichen und machtpolitischen Niedergang seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert, auf diese Isolierung Spaniens zurück. Die Härte, die vor allem in den Jahren Philipps II. gegen die Kreise angewandt wurde, die sich des Protestantismus verdächtig machten, war auch außenpolitisch bedingt; denn im Vordringen des Protestantismus in Schottland, England und Frankreich sah Philipp eine akute politische Bedrohung. Der Aufstand der Niederlande, dessen Ursachen in der engen Verbindung religiöser und politischer Motive lagen, galt dem spanischen Herrscher als Beweis für eine internationale Verschwörung des Protestantismus gegen seine Herrschaft.45

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Immer mehr verstand sich im Spanien der Frühen Neuzeit der Staat als Garant des göttlichen Auftrags der Kirche; die Interessen der Kirche mußten stets den staatlichen Erfordernissen und Bestrebungen untergeordnet bleiben. Philipp erhob den Anspruch, „königlicher Beschützer der Kirche“ zu sein; daraus leitete er königliche Vorrechte ab. Diese Politik wurde „Regalismus“ genannt; sie führte, vor allem im 17. und 18. Jahrhundert, immer wieder zu Reibereien zwischen den spanischen Herrschern und den Päpsten. Trotz aller innerkirchlichen Probleme und der vielfältigen Spannungen zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl blieb das Land allerdings in der Einheit des Glaubens ein Bollwerk der Katholischen Kirche. Viele der ganz großen Namen der Kultur des Siglo de Oro waren Geistliche: Lope de Vega (1562–1635) erhielt die Weihen nach dem Tod seiner zweiten Frau; Tirso de Molina (1584–1648) gehörte einem Orden an; der adelige Francisco de Quevedo (1580–1645) war einer der großen Vertreter spanischer Christlichkeit; Calderón de la Barca (1600–1681) wurde mit 51 Jahren ordiniert und Ehrenhofkaplan des Königs; der Jesuit Baltasar Gracián (1601–1658) gehört zu den großen Moralisten der Weltliteratur. Die Liste läßt sich mit bekannten und weniger bekannten Namen von Priesterpoeten beliebig erweitern. Wenn auch häufig das Schwergewicht des Schaffens dieser Männer im profanen und nicht im religiösen Bereich lag, so haben sie doch viele religiöse Werke geschaffen. Dies gilt vor allem für die Gattung des auto sacramental, jenes religiöse Theaterspiel, das in volksmissionarischer Absicht der Verherrlichung des Altarsakraments am Fronleichnamstag diente. Zu Hunderten wurden von Lope de Vega und dem Jesuitenzögling Calderón de la Barca diese eucharistischen Stücke geschrieben, die zuerst in Kirchen, später an Fürstenhöfen und in allen großen Kulturzentren Europas aufgeführt wurden. Das barocke Spanien machte die Bühne zur Kanzel.46 Zu den Dichtern gesellten sich die Maler: Morales, El Greco, Ribera, Herrera, Zurbarán, Murillo und viele andere schufen in unterschiedlichster Form Bilder mit religiöser Thematik, die heute zu den großen klassischen Werken der spanischen und europäischen Malerei zählen. Kunsthistoriker haben in der spanischen Malerei des Siglo de Oro, d. h. vor allem des 17. Jahrhunderts, eine Verbindung von Realismus und katholisch-gegenreformatorischem Ethos entdeckt und diese Verbindung als den eigentlich spanischen Beitrag zur europäischen Malerei der Epoche bezeichnet.47 Unter Historikern hat Philipp II. sehr unterschiedliche Einschätzungen erfahren. Schon früh setzte sich ein Geschichtsbild fest, das in ihm den Prototyp des fanatischen, intoleranten und grausamen Herrschers sah.

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Viele Gegner Philipps haben an der Entstehung dieses Bildes mitgewirkt, vor allem der niederländische Rebell Wilhelm von Oranien, bis zu einem gewissen Grad auch Philipps Sekretär Antonio Pérez, der die Gunst seines Herrn verloren hatte und nach Frankreich ins Exil mußte. In der sodann vor allem von Briten und Niederländern geschaffenen „schwarzen Legende“ (Leyenda negra) figuriert Philipp II. als durchtriebener, von katholischem Missionseifer besessener Despot, als Kriegstreiber und einer der ersten Bürokraten der Weltpolitik.48 In den 1940er Jahren bezeichnete Gregorio Marañón den König als einen „schwachen Menschen mit Macht“; die Historikerin María José Rodríguez-Salgado spricht von ihm als ehrgeizigem und aggressivem Politiker; sie entwirft damit ein Bild, das sich deutlich vom unsicheren, unentschlossenen und zögerlichen Philipp vieler anderer Historiker unterscheidet. Einer seiner bedeutendsten Biographen, Geoffrey Parker, hält ihn für einen mißtrauischen Menschen, der dazu neigte, sich alle Staatsgeschäfte persönlich vorlegen zu lassen und selbst zu entscheiden. Während Fernand Braudel in Philipps Handeln nur eine Abfolge reaktiver Detailentscheidungen sah, geht Geoffrey Parker von einem strategischen Gesamtkonzept des Habsburgers aus, der Leitvorstellungen von politischem Handeln hatte und strategische Prioritäten setzte. In seinem „messianischen Imperialismus“ war Philipp der Überzeugung, mit seiner Politik gegen Muslime und Ketzer der Sache Gottes zu dienen; wenn er mit seinen großen Projekten gegenüber den Niederlanden und England letztlich scheiterte, so war das auf fehlerhaften Führungsstil und ideologische Borniertheit sowie auf das viel zu langsame Kommunikationssystem und die permanente finanzielle Überanstrengung des Staates zurückzuführen.49 Neben dem politisch-messianischen gab es einen Philipp, dessen Neigungen kaum in das Bild des katholischen „Ungeheuers“ passen. Mehrere Historiker haben auf der Basis neuer Dokumente umfassende Darstellungen zum Privatleben des Herrschers veröffentlicht, seine musischen und künstlerischen Interessen skizziert, den Aufbau einer beachtlichen Bibliothek beschrieben, seine Studien unterschiedlichster, auch häretischer, Texte hervorgehoben. Beeindruckend ist die bis heute in El Escorial zu besichtigende umfangreiche Sammlung der Gemälde von Tizian, Tintoretto, Velázquez und El Greco. Die neuere Forschung zeichnet somit ein sehr differenziertes Bild von Philipp. Die Briefe an seine Töchter lassen die Liebe des rey prudente zur Natur, die zärtliche Zuneigung zu seinen Kindern und das Interesse für deren Ausbildung deutlich werden.50 Der Kronprinz und junge König war aber auch offensichtlich ausschweifend in seinem Sexualleben, hatte zahlreiche Geliebte und nicht minder wenige

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außereheliche Kinder, ließ sich immer wieder auf flüchtige Liebesabenteuer ein. Als gereifter Mann wandte er sich sodann vom Glanz der Welt ab, entwickelte ein ausgeprägtes Pflicht- und Verantwortungsbewußtsein, zog sich in die Einsamkeit des Escorial zurück und versenkte sich in lange Gebete. Als kranker Greis schließlich schien er vor allem von Gedanken an Tod und Seelenheil beherrscht zu sein. Philipp II. bleibt für die Nachwelt eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der spanischen Geschichte, die Diskussion um die Einschätzung seiner Herrschaft geht weiter.

III. Krise, Niedergang, Günstlingsherrschaft: das 17. Jahrhundert 1598–1621 1598–1600

Philipp III., König Schwere Pestepidemie in Kastilien; Unterbrechung des Bevölkerungswachstums 1606 Krieg gegen die Niederlande 1609 Ausweisung der Morisken 1618 Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1621–1665 Philipp IV., König 1621–1643 „Premierminister“ Conde-Duque de Olivares 1621 Ende des Waffenstillstands mit den Niederlanden 1640 Aufstand in Katalonien Sezession Portugals 1641 Rebellion in Andalusien 1643 Spanische Niederlage bei Rocroi 1647 Aufstandsbewegungen in Sizilien und Neapel 1648 Westfälischer Friede Friedensschluß mit den Niederlanden und Anerkennung ihrer Unabhängigkeit 1659 Pyrenäenfrieden 1665–1700 Karl II., König 1665–1675 Regentschaft Maria Annas von Österreich 1668 Anerkennung der Unabhängigkeit Portugals durch Spanien 1676 Übernahme der Regierungsgeschäfte in Kastilien durch Juan José de Austria 1700–1746 Philipp V., König 1700–1713/4 Erbfolgekrieg 1703 Ausrufung des Erzherzogs Karl von Habsburg zum spanischen König 1704 Eroberung Gibraltars durch England 1705 Anerkennung Karls von Habsburg als Karl III. durch die aragonesischen Teilreiche 1713 Friede von Utrecht 1714 Friede von Rastatt

Das 17. Jahrhundert gilt in der spanischen Geschichtsschreibung als eine Phase des Verfalls und Niedergangs.1 Die erste Hälfte des Jahrhunderts war noch von Kämpfen um die Bewahrung der hegemonialen Position in

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Europa und auf den Weltmeeren beherrscht, danach war die Dekadenz unübersehbar. Das Jahrhundert begann mit einer verheerenden Pestepidemie (1598–1602), unter der vor allem Kastilien zu leiden hatte; sie kostete rund 500 000 Menschen, acht Prozent der kastilischen Bevölkerung, das Leben.2 Aufgrund weiterer Epidemien und Mißernten kam es zu einem deutlichen Rückgang der Bevölkerung – allein in Kastilien von 8,3 Millionen im Jahr 1598 auf ungefähr 6,6 Millionen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die wirtschaftliche und demographische Expansionsphase Kastiliens hatte bis in die 1570er Jahre angehalten; die darauf folgende demographische Kontraktionsphase erreichte zwischen 1650 und 1660 ihren Tiefpunkt, als die spanische Bevölkerung ihren niedrigsten Stand in der Neuzeit aufwies. 1609 wies Philipp III. (1598–1621) außerdem die wirtschaftlich aktive Gruppe der moriscos, der getauften Moslems, aus – angeblich, um die Gefahr ihrer möglichen Zusammenarbeit mit den nordafrikanischen Piraten zu bannen. Rund 273 000 Personen wurden vertrieben; einzelne Landesteile verloren durch die Vertreibung erhebliche Teile ihrer Bevölkerung: Aragonien etwa 15,2 Prozent, Valencia sogar 21,1 Prozent. Die ökonomischen Folgen, vor allem für Landwirtschaft und Gewerbe, waren verheerend.3 Der allgemeine Niedergang Spaniens machte sich am Hofe kaum bemerkbar; im Gegenteil: Günstlingswirtschaft und eine aufwendige Hofhaltung, kostspielige Jagdpartien und höfische Vergnügungen prägten den königlichen Alltag. Während Glanz und Prachtentfaltung sowie die kulturelle Blüte des Landes im Siglo de Oro ihren Höhepunkt erreichten, griff die wirtschaftliche und soziale Krise im Land immer weiter um sich. Um gegen den allgemeinen Niedergang anzugehen, wurden viele politisch-wirtschaftliche Reformprojekte veröffentlicht; ihre Autoren wurden arbitristas (Entwerfer von Projekten) genannt. Die von ihnen publizierten Traktate hatten im 17. Jahrhundert Hochkonjunktur. In ihnen wurde Klage über den allzu großen Steuerdruck geführt, das Erfordernis eines besseren Arbeitsethos formuliert, Anklage gegen die Verschwendungssucht der höheren Stände erhoben und die Forderung nach Verteilung des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens aufgestellt. Nahezu alle Autoren beklagten den „Niedergang“ Spaniens und die Krise des Imperiums; ihre Diagnose kreiste immer wieder um die Begriffe Haushaltsdefizit, Geldabfluß, Entvölkerung. Vor allem der Bevölkerungsrückgang beschäftigte sie; sie führten ihn auf Verluste im Krieg, Auswanderung nach Amerika, die Vertreibung der Morisken, auf Mißernten und vor allem auf die Pestepidemie zurück. Der Pessimismus der arbitristas war berechtigt. Obwohl neuere Studien die Tiefe der Krise im 17. Jahrhundert in Zweifel ziehen, dürften die beob-

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achteten Symptome durchaus real gewesen sein. Mit dem Aufstand der Niederlande und den Unternehmungen gegen England und Frankreich hatte der Finanzbedarf des Staates enorm zugenommen. Der größte Teil des Finanzbedarfs wurde durch die Edelmetallieferungen aus Amerika gedeckt; Ende des 16. Jahrhunderts trafen in Sevilla im Jahresdurchschnitt 220 Tonnen Silber ein. Damals machten die Silberlieferungen 23 Prozent des Staatshaushaltes aus. Im 17. Jahrhundert kamen jedoch immer weniger Edelmetallflotten in Spanien an, nachdem das Monopol von Sevilla durch Schmuggel und Betrug unterlaufen wurde. Zugleich litt die stark dezimierte Bevölkerung Kastiliens immer mehr unter der ständig wachsenden Steuerlast.4 Viele Vorschläge der arbitristas wurden auch in die Praxis umgesetzt; bei der Sanierung des Regierungs- und Verwaltungsapparates konnte man deutliche Fortschritte erkennen, wenn auch insgesamt die Reformprojekte nur unzureichend realisiert wurden, da die Politiker, allen voran Olivares, aufgrund außenpolitischer und militärischer Zwangslagen immer wieder gegen ihre eigenen politischen Prinzipien verstießen. Bald machte sich das chronische Übel der Finanzknappheit – auch wegen der Verschwendungssucht der Krone und des höfischen Lebensstils – erneut bemerkbar; zu ihrer Bekämpfung wurde in größerem Umfang minderwertiges Kupfergeld (vellones) ausgegeben. Die Folge war eine massive Inflation. Um die Staatskasse zu füllen, wurden Ämter und Grundherrschaften verkauft, neue Steuern eingeführt und der Silberabbau in Amerika forciert. Letztlich waren für den Zustand der spanischen Wirtschaft unter den Habsburgern zwei eher außen- oder reichspolitische als rein ökonomische Faktoren entscheidend: zum einen die engere Anbindung Spaniens an das westeuropäische Handelssystem, zum anderen die Handelsbeziehungen mit Hispanoamerika. Erstere resultierte aus der europäischen Dimension der Habsburgerdynastie, weswegen die ökonomisch entwickelten Gebiete Flanderns, Norditaliens und Süddeutschlands in engen Wirtschaftskontakt zu Spanien traten, was zu einem Warenaustausch mit für Madrid zunächst negativer Zahlungs- und Handelsbilanz führte; letztere hatten ein „offenes“ Wirtschaftssystem mit Übersee zur Folge, das, da keine protektionistischen Maßnahmen ergriffen wurden, ausländischen Produkten hervorragende Absatzchancen in Spanien eröffnete. Das 1543 in Sevilla gegründete Handelskonsulat vereinigte alle Großkaufleute, die mit dem Ausland Handelsbeziehungen unterhielten; auch viele Nicht-Spanier (Genuesen, Flamen, Holländer, Engländer, Hanseaten, Franzosen) ließen sich am unteren Guadalquivir nieder. Seit Holländer und Hanseaten einen Großteil des überseeischen Transports übernahmen, entwickelte sich Cádiz (ab 1630) zum wichtigsten Atlantikhafen.5

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Während des 17. Jahrhunderts bildeten sich im Verhältnis des spanischen Kolonialreiches zum Mutterland Strukturen aus, die für die späteren Beziehungen bedeutsam werden sollten: Während nämlich die Entwicklung Spaniens zumeist mit den Vokabeln Niedergang und Verfall charakterisiert wird, kann für die Kolonien nicht von Depression gesprochen werden. Manche Autoren sprechen vielmehr von der Hoch-Zeit des spanischen Amerika, während der eigene Strukturen ausgebildet wurden, die Wirtschaft sich dynamisch entwickelte, so daß von einer relativen Eigenständigkeit gesprochen werden kann. Die amerikanische Entwicklung lief somit in vielerlei Hinsicht der europäischen entgegengesetzt und nicht parallel, was lange vermutet worden war. Auf spanischer Seite hatte nur Sevilla und ab 1717 Cádiz die Lizenzierung für den Überseehandel, auf amerikanischer waren es die Häfen Veracruz, Portobelo und Cartagena de Indias. Damit konnte der transatlantische Verkehr lange Zeit unter der Kontrolle der Krone gehalten werden. Für den Erhalt der kolonialen Ordnung war der Rückgriff auf die indianische Wirtschaft unverzichtbar. Eine Kopfsteuer (tributo) wurde den Einheimischen auferlegt, die indigenen Gemeinschaften hatten Naturalien oder verarbeitete Produkte abzuliefern, über den repartimiento-Handel wurden die Einheimischen zur Abnahme von Waren gezwungen, in einigen Teilen Hispanoamerikas (Mexiko, Ecuador) entstanden Textilmanufakturen (obrajes) zur Produktion von Wolltextilien. Im Agrarbereich setzte sich im 17.Jahrhundert die Betriebsform der hacienda durch. Die koloniale Gesellschaft des 17. Jahrhunderts war relativ stabil, weil sie sich gegenüber konkreten Problemen als flexibel erwies. Obwohl sie sozial extrem ungleich war, wurden die Konsequenzen dieser Ungleichheit durch paternalistisch-moralische Prinzipien in vielfacher Hinsicht abgemildert. Die Beständigkeit der Ordnung wurde von einer relativ geringen sozialen Dynamik begünstigt. Auch die Schwäche der spanischen Krone trug zur anhaltenden Stabilität bei; der lange und umständliche Instanzenweg machte ein effizientes Regieren ohnehin unmöglich, den Kreolen blieb stets ein relativ großer Entscheidungs- und Handlungsspielraum.6 Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde auch der Tiefpunkt der Bevölkerungsentwicklung erreicht: in Mexiko zwischen 1630 und 1640, in anderen Gegenden etwas später. Danach begann eine sehr allmähliche Erholung der Bevölkerungszahlen. Als besonders zukunftsträchtig sollte sich erweisen, daß ab dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts der reale Einfluß der spanischen Krone in Amerika drastisch zurückging. Dies gilt zum einen außenpolitisch: Denn wenn auch die Spanier formal die Herrschaft über ihre Territorien behielten, gerieten sie doch nach dem Verlust ihrer Weltmachtstellung zusehends

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in die Defensive. Immer häufiger bildeten die französischen, niederländischen oder englischen Piraten – die von der Karibik aus auf Erkundigungsfahrten gingen und systematische Kaperfahrten vornahmen – ernste Bedrohungen für die Küstenorte und die Edelmetall-flotas; der von den Ausländern betriebene Schmuggel stellte eine weitere Beeinträchtigung der eigentlich monopolistischen Handelsaktivitäten der Spanier dar. Ab dem zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts zeigten die offiziellen Handelsstatistiken eine rückläufige Tendenz, im späteren Verlauf des Jahrhunderts brach das Flottensystem völlig zusammen. Im argentinisch-uruguayischbrasilianischen Grenzbereich tat sich eine neue Gefahr auf: die von São Paulo aus organisierten Sklavenjagden, die vor allem den Guaraní-Indianern galten. Diese waren von Jesuiten in Missionen organisiert und konnten 1641 den portugiesisch-brasilianischen Sklavenjägern eine schwere Niederlage zufügen. Der Einflußverlust der spanischen Krone ließ sich vor allem auch bei der Verwaltung des Überseereiches feststellen. Im 17. Jahrhundert kam der Krone nämlich die Kontrolle über das Kolonialsystem weitgehend abhanden. Die Verwaltung wurde immer häufiger von Kreolen, somit von Mitgliedern der regionalen Eliten, gestellt, obwohl dies eigentlich zur Verhinderung von Korruption nicht vorkommen sollte. Faktisch wurde die Verwaltung aber zu einer Machtbasis der amerikanischen Eliten. Ein korruptes System von Klientelismus und Nepotismus regelte den Alltag in den Kolonien; die Krone verhinderte diese Praktiken nicht, sondern förderte sie noch durch den Verkauf von Amtsstellen. Auch in der Wirtschaft nahm die Bedeutung der einheimischen Eliten zu, da sich in den Hauptstädten der Vizekönigreiche – in México und Lima – schon 1592 bzw. 1613 die Großhändler in Kaufmannsgilden (consulados) organisiert hatten und eine stärkere Beteiligung am Handel beanspruchten. Sie kontrollierten den Bergbau und damit den Aufschwung in der Silberproduktion. Als die Konkurrenz der Amerikaner immer größer wurde und die andalusischen Händler ihre Gewinne schwinden sahen, sicherte die Krone den Transatlantikhandel den Europäern, den kolonialen Binnenhandel aber den Amerikanern zu. Insgesamt läßt sich im 17. Jahrhundert deutlich die Entstehung eines kreolisch-amerikanischen Selbstbewußtseins feststellen, das im 18. Jahrhundert zu deutlicher Entfremdung zwischen Spanien und ‚Amerikanern‘ führen sollte. Während sich somit die Kolonien und das Mutterland verwaltungsmäßig und wirtschaftlich im 17. Jahrhundert eher auseinanderlebten, wurden in Spanien selbst die einzelnen Reichsteile auch nicht intensiver zusammengefaßt. In der Frühen Neuzeit behielten nämlich die (Teil-) Königreiche, aus denen sich Spanien zusammensetzte, weitgehend ihre

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wirtschaftliche Eigenständigkeit: Sie hatten eigene Zölle, ein eigenes Finanz- und Geldsystem und eine eigene Wirtschaftsstruktur. Da weder der Staats- noch der Kastilienrat Rechtshoheit über nicht-kastilische Gebiete hatten, verfügte das Reich über keine zentrale Planungs- und Entscheidungsstelle, von der aus eine nationale Wirtschaftspolitik hätte betrieben werden können. Der Binnenhandel war zersplittert, Feudalrechte wie Wegezölle bestanden fort, die Transporte zwischen den Häfen der Peripherie und dem Binnenland waren umständlich und kostspielig. Hinzu kamen gravierende wirtschaftspolitische Fehler der Herrscher: Seit den „Katholischen Königen“ wurde die Landwirtschaft, insbesondere die Getreideproduktion, vernachlässigt. Außerdem wurde die kastilische Wirtschaft nicht mit der der übrigen Teilreiche verbunden. Kastilien blieb auf den Atlantik, Aragonien auf das Mittelmeer orientiert. Unter diesen Strukturschwächen sollte die spanische Wirtschaft bis weit ins 19. Jahrhundert leiden. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts kam es immer wieder zu Mißernten und Hungerepidemien, obwohl Spanien eigentlich nicht an Nahrungsmangel litt.7 Das erforderliche Getreide als Grundnahrungsmittel wurde im Lande selbst in ausreichenden Mengen angebaut und regional verteilt; Defizite in bestimmten Regionen konnten einigermaßen durch Überschüsse aus anderen kompensiert werden. Die spanische Ostküste und Andalusien wurden aus Sizilien, das nordwestspanische Galicien aus Übersee mitversorgt. Jede größere Stadt verfügte über eine Weizenbehörde, die im 16. Jahrhundert die Getreideversorgung organisierte und damit die öffentliche Ordnung garantierte. Außerdem wurden die Städte von Vertragshändlern (obligados) versorgt. Dieses Versorgungssystem brach allerdings Mitte des 17. Jahrhunderts zusammen. Teuerung und Hungerrevolten, Landflucht und schwere Unruhen – 1647 und 1652 etwa in Andalusien – waren die Folge. Mehrere Gründe hatten zu dieser dramatischen Verschlechterung der Versorgungssituation geführt: In der Vergangenheit waren immer mehr Böden – auch solche minderer Qualität – beackert worden; schlechte Ernteerträge und Mißernten waren die Folge. Außerdem wurden die königlichen Steuern angehoben, die Städte konnten nicht mehr über die Verbrauchssteuern (alcabalas) zum Kauf teurer Lebensmittel verfügen. Des weiteren ist auf die verheerenden Pestepidemien gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu verweisen, die so viele Arbeitskräfte dahinrafften, daß das landwirtschaftliche Produktionssystem durcheinandergeriet. Schließlich muß noch die Umwandlung (vor allem in Andalusien und Neu-Kastilien) von Weizenfeldern in Weingärten und Olivenplantagen erwähnt werden, da sich den Großgrundbesitzern für Wein und Oliven ein attraktiver Markt in Amerika eröffnet hatte.

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Mit dem Regierungsantritt Philipps III. im Jahr 1598 begann eine neue Phase spanischer Regierungstätigkeit. Das Desinteresse des Monarchen an der Tagespolitik machte die Einsetzung eines Ersten Ministers, eines valido oder privado (Günstling) erforderlich. Daß validos von nun an ein Jahrhundert lang die Regierungsgeschäfte führten, hing auch damit zusammen, daß sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Lehre vom Gottesgnadentum der absoluten Monarchie durchsetzte. Den Staatstheoretikern des „Goldenen Zeitalters“ galten die Könige als geheiligte Personen, als „Stellvertreter Gottes in der weltlichen Macht“. Wenn die Könige erstmalig in eine Stadt einzogen, schritten sie unter einem Baldachin mit religiösen und politischen Symbolen. Trotz verschiedentlicher Aufstände und Rebellionen gegen die Könige gab es in der spanischen Geschichte bezeichnenderweise keine Königsmorde. Da der König unantastbar war, bedurfte es eines Regierungschefs, der für die Wirtschaftskrisen, die Inflation, die militärischen Niederlagen und alle sonstigen Übel verantwortlich gemacht werden konnte.8 Das Prinzip „Es lebe der König, nieder mit der schlechten Regierung“ drückt diese Funktionsteilung präzise aus. Validos spielten während der Regierungszeit von Philipp III., Philipp IV. und Karl II. herausragende Rollen. Zu nennen sind der Herzog von Lerma und später dessen Sohn, der Herzog von Uceda; sondann der GrafHerzog von Olivares und der Jesuitenpater Niethart; schließlich Fernando de Valenzuela, Prinz Juan José de Austria, der Herzog von Medinaceli und der Graf von Oropesa. Mehrere validos gehörten dem Hochadel an, der auf diese Weise einen Teil seiner verlorengegangenen Macht zurückerhielt und wieder in die Führungsschicht aufstieg. Philipp III. überließ die Führung der Politik von Anfang an seinem Günstling Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, dem Marquis von Denia und späteren Herzog von Lerma; seit 1612 hatte der valido auch die Zeichnungsvollmacht.9 Der König zog es vor, sich höfischen Vergnügungen wie der Jagd und dem Theater hinzugeben; Regierungsgeschäften und Aktenstudium wich er aus. Allerdings war auch der Herzog von Lerma nur bedingt an Politik interessiert; auch er beherrschte nicht die komplizierten Mechanismen der Außenpolitik. Vielmehr besetzte er die Schlüsselstellungen am Hof und in der Regierung mit seinen Gefolgsleuten, womit er seine eigene Machtsposition absicherte. Eine herausragende Rolle spielte in diesem Zusammenhang Rodrigo Calderón, an den Lerma viele Aufgaben delegierte. Sowohl Lerma selbst als auch dem von ihm protegierten hohen Adel ging es um den Zugriff auf das Königsgut und persönliche Vermögensanhäufung; neue Grundherrschaften wurden eingerichtet und Kronvasallen veräußert, so daß man für diese Zeit von einer Refeudalisierung sprechen kann.

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Die aufwendige Hofhaltung des Königs und seines Günstlings vergrößerte die Finanzprobleme des Staates. Um nicht erneut die Steuern zu erhöhen, sollten die Einnahmelücken durch Münzverschlechterung ausgeglichen werden. Daher wurde minderwertiges Kupfergeld ausgegeben, während das höherwertige Silbergeld vom Markt verschwand. Da zugleich die Edelmetallsendungen aus Amerika ihren Höhepunkt erreichten, waren Inflation und Preissteigerungen die unausweichliche Folge. Auf der Suche nach neuen Einnahmen wurden verstärkt Grundherrschaften und Ämter verkauft, weitere Steuern eingeführt. Da trotz aller Bemühungen die Krone sich immer häufiger außerstande sah, die Gehälter der Beamten zu bezahlen, griffen Korruption und Bestechlichkeit in vorher nicht dagewesener Weise um sich. 1618 entließ der König zwar seinen Günstling und ersetzte ihn durch dessen Sohn, den Herzog von Uceda; am System änderte sich aber nichts. Als 1621 Philipp III. starb, war das Land finanziell erschöpft, seine Einkünfte waren auf vier Jahre hinaus verpfändet. Auf Philipp III. folgte sein gleichnamiger Sohn Philipp IV. (1621–1665). Obwohl auch er sich, wie sein Vater, der Jagd und höfischen Vergnügungen hingab, widmete er zugleich den Regierungsgeschäften viel Zeit.10 Von Anfang an stand er unter dem Einfluß seines valido, des Graf-Herzogs von Olivares, der beherrschenden politischen Persönlichkeit seiner Zeit. Gaspar de Guzmán y Pimentel (1587–1645) gehört zu den umstrittensten politischen Persönlichkeiten der Frühen Neuzeit in Spanien. Der Graf von Olivares und Herzog von Sanlúcar la Mayor – daher sein Titel Graf-Herzog – sah sich bald der Opposition des Hochadels ausgesetzt, dessen politische Rolle er einschränken wollte. Bis zum Jahr 1624 hatte der Adel seit Jahrhundertbeginn um fast 400 Titel zugenommen; damals gab es 15 Herzöge (alle Grandes), 70 Marquis (neun davon Grandes), und 73 Grafen (7 davon Grandes); sie sollten in königlichen Diensten auf Mission geschickt werden. Der niedere Adel sollte Aufgaben in der Miliz übernehmen; ihr sozialer Aufstiegswille würde die Angehörigen dieser Gruppe zu guten und gehorsamen Soldaten machen. Eines von Olivares’ Zielen bestand darin, einen vom Hof abhängigen Dienstadel zu schaffen. Insgesamt setzte sich Philipps IV. Premierminister, der die Schriften mancher arbitristas gelesen hatte und mit deren kritischen Analysen übereinstimmte, drei Ziele: die Moralisierung der Gesellschaft, die Modernisierung der Wirtschaft, die Sanierung des Fiskus.11 Außenpolitisch ging es Olivares vor allem darum, die spanischen Interessen auf internationaler Ebene offensiv zu vertreten. In seiner kritischbeeindruckenden Denkschrift, dem Gran Memorial von 1624, analysierte er zu Beginn seiner Regierungszeit den Zustand Spaniens: Er wies auf die finanziellen Probleme, die Korruption in der Verwaltung, die Mängel in

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der Armee und das ruinierte außenpolitische Ansehen der Monarchie hin. Die Schlußfolgerung seiner Zustandsanalyse bestand aber nicht darin, die unhaltbare Position Spaniens in Europa allmählich abzubauen, sondern alle Kräfte zusammenzufassen, um durch Einsparungen im Innern die außenpolitische Position halten zu können. Olivares war davon überzeugt, daß ein Hauptproblem Spaniens darin bestand, daß dem Land die nötigen Führungseliten fehlten. Auf wirtschaftlichem Gebiet wollte er – dem Vorbild der Holländer folgend – die Spanier zu einem Volk von Händlern machen. Der mit Abstand wichtigste Reformplan von Olivares bezog sich auf die Struktur des Staates. Spanien war seit der Matrimonialunion der „Katholischen Könige“ und der Personalunion Karls I. eine – wie es Staatsrechtler ausdrückten – „zusammengesetzte Monarchie“; immer noch war die Rede von las Españas (Plural), und die einzelnen Reichsteile verfügten über weitreichende Sonderrechte und Privilegien. Olivares wies seinen König darauf hin, daß er nicht Herrscher über verschiedene Reiche und Territorien sein dürfe, sondern Monarch eines geeinten Spanien sein müsse. Spanien habe einer einheitlichen Verwaltung zu unterstehen, die Macht des Hochadels und des hohen Klerus müsse, wie auch der Einfluß der lokalen Oligarchien, zurückgebunden werden. Aus diesen politischen Zentralisierungsvorstellungen sprach ein gesamtspanisches Einheitsbewußtsein, das die Regionalismen und Autonomiebestrebungen der einzelnen Landesteile zu überwinden trachtete. Politisch absolutistisch, war das Reformprogramm wirtschaftlich zugleich merkantilistisch ausgerichtet. Als Hauptziel läßt sich die ‚Vereinheitlichung‘ des spanischen Reiches bezeichnen; ein gesamtspanisches Einheitsbewußtsein sollten geschaffen, der Hochadel und der höhere Klerus in ihren Rechten beschnitten, die lokalen Oligarchien in ihrer Machtausübung beschränkt werden.12 Die Regierungszeit Philipps IV. und des Conde-Duque begann mit einer Fülle von Reformprojekten: Die Zentralbehörden wurden regelmäßigen Inspektionen unterworfen, der Beamtenapparat verkleinert, eine Junta de Reformación zur Überwachung der Moral im öffentlichen Leben eingesetzt. Die „Reformkapitel“ von 1623 sahen zahlreiche bevölkerungspolitische und sozio-ökonomische Maßnahmen vor, die alle auf eine Erhöhung der Steuereinnahmen, eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, eine Erhöhung der militärischen Schlagkraft und eine Verschlankung der Bürokratie hinausliefen. Erfolge waren unübersehbar: Die Finanzlage verbesserte sich durch Umschuldungen und Einsparungen erheblich, der Beamtenapparat konnte verkleinert werden. Andere Maßnahmen scheiterten, weil die Cortes und die Städte sich in ihren Rechten verletzt fühlten. Von besonderer Bedeutung sollte das ambitionierte Projekt Olivares’

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werden, alle Teile der Monarchie (Aragonien, Navarra, das Baskenland) an den Lasten der Militärpolitik zu beteiligen. 1622 beschlossen die kastilischen Cortes einen entsprechenden Plan. Das 1625 verkündete Konzept einer „Waffenunion“ (Unión de Armas), das die Kosten für den Unterhalt einer bestimmten Zahl von Soldaten auf die einzelnen Teilreiche übertragen sollte, scheiterte am entschiedenen Widerstand Aragoniens und des Baskenlandes; schließlich erklärten sich die Cortes von Aragonien nur zur Zahlung einer besonderen Verteidigungssteuer bereit. Dieses und viele andere großangelegte Reformprojekte Olivares’ litten unter der Diskrepanz von Planungen einerseits und unzureichender Umsetzung andererseits. Die Zwänge der Außenpolitik führten schließlich zur Vernachlässigung der innenpolitischen Reformen.13 Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte Spanien durch Friedensschlüsse und Waffenstillstände mit England, den Niederlanden und Frankreich seine Vorherrschaft in Europa vorübergehend noch einmal behaupten können. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618 sollte jedoch schon bald die Entspannungsphase beenden. Im Verlauf dieser langen Auseinandersetzung wurde immer deutlicher, daß Spanien nicht mehr in der Lage war zu verhindern, daß Niederländer und Engländer den Überseehandel bedrohten, daß sie durch intensive Schmuggeltätigkeit dem spanischen Geschäftsinteresse schadeten, immer mehr Stützpunkte in der Karibik oder Fernost erwarben und den Sklavenhandel kontrollierten. In den 1620er Jahren verschlechterte sich somit die militärische Situation Spaniens wieder. 1621 war der Waffenstillstand mit den Niederlanden ausgelaufen; der Kampf drehte sich inzwischen nicht mehr nur um die Unabhängigkeit des Landes oder um religiöse Freiheit, sondern um die Beherrschung der Weltmeere, nachdem die Niederlande mit der Ost- und der später gegründeten Westindienkompanie Teile des portugiesischen Orienthandels und Kolonialreiches übernommen hatten. Zwischenzeitlich war die niederländische Unabhängigkeit international schon weitgehend anerkannt worden. Der wieder begonnene Krieg brachte in den 1620er Jahren vorerst für keine der beiden Seiten einen entscheidenden Durchbruch. Seit 1627 stand Spanien auch wieder im Kriegszustand mit Frankreich; 1636 fielen französische Truppen in der Franche Comté, der Freigrafschaft Burgund, und in den spanischen Niederlanden ein. Während der Landkrieg noch einigermaßen von den Spaniern bestritten werden konnte, befand sich Spanien auf hoher See und in den Kolonien bereits eindeutig in der Defensive. 1639 wurde die spanische Flotte im Kanal größtenteils von der niederländischen zerstört – ein auch nach außen hin untrügliches Zeichen dafür, daß die spanische Vorherrschaft in Europa sich ihrem Ende zuneigte.14

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Breda wechselte im Achtzigjährigen Krieg mehrfach den Besitzer. In seinem Gemälde „Die Übergabe von Breda“ (1635) hält Diego Rodríguez de Silva y Velázquez einen spanischen Sieg fest. Museo del Prado, Madrid. Foto: bpk.

Als Olivares daraufhin zur Entlastung der niederländischen Front Vorstöße vom Baskenland und von Katalonien aus auf französisches Gebiet vornehmen wollte und diese beiden Territorien zu größeren Finanzleistungen aufforderte, stieß er auf den entschiedenen Widerstand Kataloniens, das sich schließlich nur widerwillig zur Bekämpfung des französischen Eindringlings bereit fand. Als es wegen Plünderungen und Unregelmäßigkeiten zu erheblichen Spannungen zwischen der katalanischen Bauernbevölkerung und den im Fürstentum stationierten Truppen kam, entlud sich die seit Jahren spannungsgeladene Situation 1640 in einem regelrechten Aufstand gegen Kastilien, der sich zu einem Sezessionsversuch ausweitete. Calderón de la Barca hat die Übergriffe der Soldaten in seinem Werk ›El alcalde de Zalamea‹ beeindruckend dramatisiert. Den eigentlichen Beginn des antikastilischen Aufstandes bildete die Ermordung des

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Vizekönigs in Barcelona; das ›Schnitterlied‹ (Els Segadors) aus dieser Zeit ist bis heute katalanische Nationalhymne. Die Cortes brachen alle Beziehungen zu Kastilien ab und unterstellten sich Ludwig XIII. von Frankreich; vorerst gelang es Madrid nicht, den katalanischen Abspaltungsversuch zu beenden. Katalonien konnte 1652/53 allerdings für Spanien zurückgewonnen werden, und die neue Madrider Politik gegenüber den verschiedenen Reichsteilen bestand fortan darin, das Angebot an Garantien hinsichtlich der Erhaltung des früheren Verfassungszustands der beiden Staatsgebilde Kastilien und Aragonien mit militärischem Druck zu verbinden.15 Im gleichen Jahr 1640 kam es zur Sezession Portugals, die sich schon seit längerem angekündigt hatte. Da Spanien keine eigenen Truppen in Portugal stationiert hatte, konnte es die Verschwörung des dortigen Adels nicht wirkungsvoll bekämpfen. Der Herzog von Braganza wurde zum neuen portugiesischen König ausgerufen. Mehrere Faktoren hatten zu dieser für Spanien ungünstigen Entwicklung geführt: Zum einen sind die von Olivares verfügten Steuererhebungen zu nennen; zum anderen spielte die prekäre Situation im Kolonialreich und im Ostasienhandel eine Rolle, da die Portugiesen sich von den Spaniern nicht mehr genügend vor den Holländern geschützt fühlten, vielmehr im Gegenteil ihre Verbindung mit Spanien für die Handelsrückschläge verantwortlich machten. Spanische Rückeroberungsversuche in den folgenden Jahren scheiterten, nachdem Portugal ein Bündnis mit England und Frankreich eingegangen war.16 Als sich 1640 schlagartig die unterschwelligen Spannungen mit dem Ausbruch ‚protonationaler‘ Aufstände in Katalonien und Portugal entluden, während die Monarchie Philipps IV. gerade äußerste militärische Anstrengungen gegenüber Frankreich, den Vereinigten Niederlanden und Schweden zu unternehmen hatte, war das große politische Projekt von Olivares, die Einheit des Reiches zu forcieren, gescheitert. Der katalanische Aufstand machte abermals deutlich, was für ein fragiles und höchst ambivalentes Gebilde die spanische Monarchie war, da sie – trotz der eindeutigen Vorherrschaft Kastiliens – von ihrem Ursprung und ihrer verfassungsrechtlichen Konstruktion her kein einheitliches Ganzes war. Mitte des 17. Jahrhunderts befand sich die spanische Monarchie innen- und außenpolitisch in einer äußerst heiklen Lage: Olivares selbst sprach von 1640 als „dem übelsten Jahr, das die Monarchie erlebt hat.“17 Zu diesen Problemen und Desintegrationserscheinungen gesellten sich weitere Auflösungstendenzen: In Andalusien unternahm der Herzog von Medina Sidonia, in Aragonien der Herzog von Híjar einen gescheiterten Sezessionsversuch; auch in anderen Landesteilen, vor allem in Kastilien selbst, nahm die Unzufriedenheit mit den Regierungsleistungen deutlich

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zu. Sie äußerte sich in kritischen Flugschriften, Aufständen und vielfältigen Unmutsäußerungen. Schließlich war Olivares nicht länger zu halten. Als zu den Wirtschafts- und Versorgungsproblemen 1643 noch die militärische Niederlage von Rocroi gegen die Franzosen hinzukam, mußte der mächtige valido seinen Posten räumen. Sein Neffe Luis Mendes de Haro trat an seine Stelle, sollte jedoch nie sein politisches Profil erlangen. Nach seinem Sturz rechtfertige Olivares seine Politik in der apologetischen Schrift ›Nicandro‹; im wesentlichen sei er am Egoismus des reformunfähigen Adels und einer innovationsfeindlichen städtisch-oligarchischen Bürokratie gescheitert. In der Tat hatte der Premierminister Philipps IV. viele Strukturprobleme Spaniens richtig erkannt; gegen die übermächtige Opposition der ständischen Kräfte konnte er sich mit seinen Reformvorhaben jedoch – auch wegen seines autoritären Stils – nicht durchsetzen. Viele seiner Projekte – Besiedlungsaktionen, Einheitssteuer, Rechtsvereinheitlichung, Verwaltungszentralisierung, Bildungsreform und Regalismus – sollten im 18.Jahrhundert wiederaufgenommen werden.18 Mit dem Conde-Duque de Olivares trat der bedeutendste aller validos von der politischen Bühne ab. An ihm lassen sich paradigmatisch einige Strukturmerkmale der Günstlingsherrscher aufzeigen: Der Favorit war ein politischer Typus der Hochrenaissance, der selbstbewußt an die Seite des Herrschers trat und in der Art eines Regenten, allerdings ohne jegliche institutionelle Verankerung, faktisch die Macht ausübte. Von zentraler Bedeutung bei diesem neuartigen Typus, der im 17. Jahrhundert in vielen Staaten Europas anzutreffen war, waren die Strategien des Machterhalts, die einige dieser Günstlinge so virtuos beherrschten, daß sie sich – z. B. Lerma und Olivares – jahrzehntelang an der Macht halten konnten. Zu ihrem wesentlichen Rüstzeug gehörte die überdurchschnittliche soziale Kompetenz; Sensibilität und Einfühlungsvermögen ließen sie zu den eigentlichen Beherrschern der politischen Szene werden. Machterhaltend war auch die positive Umdeutung des Favoritentums. Olivares etwa propagierte mit Erfolg das Idealbild des zutiefst ergebenen und fleißigen Mitarbeiters, der die königliche Verwaltung kompetent koordinierte und die Entscheidungen des Monarchen lediglich vorbereitete. Alle Günstlingsherrscher griffen auf die visuellen Repräsentationsprogramme zurück, welche ihnen die bildende Kunst bot. In seiner Prunksucht und Unersättlichkeit hatte der Herzog von Lerma, der Günstling Philipps III., eine Vorbildfunktion.19 Griff die ältere Historiographie als Erklärungsmuster für das Aufkommen des neuen Günstlingstypus auf die Faulheit und Inkompetenz der Herrscher zurück, so wird neuerdings weit nüchterner auf die dramatisch gewachsene Komplexität der politischen Administration verwiesen, die

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eine Kanalisierung und Koordinierung von Informationen und Entscheidungen unterhalb der Ebene des Königs erforderlich machte. Von großer Bedeutung war auch die Patronage als Instrument der politischen Integration alter und neuer Eliten; hierzu brauchte der Herrscher einen selbstbewußten ‚Manager‘, der die königlichen Gunsterweise mit Feingefühl verteilte und die auftretende Unzufriedenheit auffing. Der Günstlingsherrscher war somit der Vertreter unbequemer Entscheidungen im Sinne der Staatsräson. Damit kann man den Favoriten aber nicht – wie es die frühere Geschichtsschreibung getan hat – als ein Dekadenzphänomen interpretieren; er war vielmehr letztlich eine positive, produktive Gestalt, die zwischen Mittelalter und Moderne wesentlich zur Stabilisierung der Regierungen beigetragen hat.20 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verschwand der Typus des valido wieder von der politischen Bühne; die Monarchen gingen zur Herrschaft des „Aufgeklärten Absolutismus“ über. Am Ende dieser Entwicklung sollte die Figur des Ersten Ministers (als Institution) stehen. Die verheerende Niederlage von Rocroi gegen die Franzosen im Jahr 1643 ließ deutlich werden, daß Spanien seinen machtpolitisch-militärischen Höhepunkt in Europa überschritten hatte. Rocroi beendete auch den Mythos der unbesiegbaren spanischen Infanterie. Letztlich war der Sieg der Franzosen ein Sieg der modernen Waffensysteme, der Kavallerie und der Artillerie, über die alten Bataillone der Spanier. Pierre Chaunu spricht von „reichen Waffen, die zugleich Waffen der Reichen waren.“ Ein erschöpftes Spanien mußte einem dynamischen Frankreich weichen. Der Aufstieg Frankreichs zur Vorherrschaft auf dem Kontinent war deutlich zu erkennen. 1646 gelang es den Franzosen außerdem, die spanische Landverbindung zwischen Italien und den Niederlanden zu unterbrechen, womit die militärische Situation der Spanier stets schwieriger wurde. Von Franzosen angestachelte Aufstände und Abspaltungsbewegungen in Sizilien und Neapel 1647 konnten von spanischen Truppen zwar niedergeschlagen werden; sie machten aber deutlich, daß die spanische Monarchie auch außerhalb ihrer eigentlichen ‚Kernländer‘ schwer angeschlagen war und nicht mehr auf die Loyalität ihrer Untertanen zählen konnte. Dringend notwendig war vor allem ein internationaler Friedensschluß, da Spanien schon lange militärisch und finanziell überfordert war. 1648 folgte schließlich ein Friedensschluß mit den Niederlanden, der nicht nur die Unabhängigkeit der nördlichen Niederlande anerkannte, sondern ihnen zugleich die Beteiligung am Amerikahandel einräumte.21 Der fortbestehende, längst unrealistische Primat der Großmachtpolitik beherrschte stets die Finanz- und Innenpolitik und wirkte sich ruinös für Spanien, insbesondere für Kastilien, aus. Selbst der Verkauf von 200 000

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Vasallen, rund vier Prozent der Bevölkerung Kastiliens, an europäische Herrscher und die weitere Erhöhung der Steuerlast konnten keine Kostendeckung des Staatshaushaltes bewirken. Die Krone blieb auf die Finanzierung durch genuesische und portugiesische Bankiers angewiesen, denen sie zur Sicherheit Pfandrechte auf künftige Staatseinnahmen und amerikanische Silberlieferungen übertrug. Trotz aller Bemühungen mußte 1627, 1647 und wieder 1652 der Staatsbankrott erklärt werden.22 Die spanische Gesellschaft jener Zeit war – wie im übrigen Europa auch – durch ihren ständischen Charakter und hierarchischen Aufbau bestimmt. An der Spitze standen Adel und Klerus, zu deren Privilegien Steuerfreiheit, rechtliche Bevorzugungen und soziale Hervorhebung gehörten. Das Gesellschaftssystem war nicht hermetisch abgeschlossen, ein gewisser sozialer Aufstieg war, vor allem in der Kirche, durchaus möglich. Aus finanzieller Not gingen die Herrscher auch häufig dazu über, Adelsbriefe zu verkaufen und so eine gewisse soziale Aufwärtsmobilität den wirtschaftlich Erfolgreichen zu ermöglichen. Eine bürgerliche Mittelschicht fehlte, vor allem in Kastilien, weitgehend; ein Großteil der Literatur erklärt diese Eigenart der spanischen Gesellschaftsstruktur mit der Dominanz von politisch-religiösen Herrschaftsidealen zu Lasten einer dynamischen Wirtschaftsmentalität. Die weitaus größte soziale Schicht stellte mit rund 80 Prozent die Landbevölkerung, deren umfangreichster Teil wiederum herrschaftlicher Gerichtsbarkeit unterstand und vom wirtschaftlichen Einfluß weltlicher beziehungsweise geistlicher Herren abhängig war. Die ländliche Gesellschaftsstruktur war sehr differenziert; in Andalusien überwogen bei weitem die Tagelöhner ohne eigenes Land, in Kastilien gab es viele mittlere Bauern, in Galicien herrschte ein Unteroder Weiterpachtsystem vor, in Katalonien waren durch den Schiedspruch von 1486 die abhängigen zu freien Bauern geworden, die sich durch relativ große soziale Stabilität auszeichneten. Vor allem für die niederen sozialen Schichten waren die Folgen von Mißernten, Epidemien (Pest) und Kriegsmaßnahmen verheerend: Mitte des Jahrhunderts starben in den spanischen Teilreichen in Europa rund eine Million Menschen an den Folgen einer gewaltigen Pestepidemie, ganze Landstriche wurden – auch infolge ausbleibender Ernten – entvölkert.23 Spanien wurde von Anfang an in den Dreißigjährigen Krieg hineingezogen, mußte es doch seine Landverbindung zwischen Italien und den Niederlanden sichern. Als 1648 schließlich in Münster und Osnabrück der Westfälische Friede unterzeichnet wurde, bedeutete dies für das völlig ausgelaugte Land vorerst eine wichtige Entlastung. In vielen Punkten gelangten die Rivalen um die Vorherrschaft in Europa, Spanien und Frankreich, allerdings zu keiner Einigung; die Feindseligkeiten wurden daher auch

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nicht eingestellt. Frankreichs – auch erreichtes – Hauptziel bestand darin, die Gefahr einer Einkreisung durch die Habsburger abzuschütteln und eine hegemoniale Stellung in Europa zu erlangen. Mit dem Frieden von 1648 mußte Spanien endgültig den Traum eines katholischen Reiches in einem von Madrid beherrschten Europa aufgeben. Somit beendete der Westfälische Friede gewissermaßen das Zeitalter der Gegenreformation, in dem Spanien in seinem Bemühen, mit Hilfe von Papst und Kaiser den Katholizismus europaweit zu restituieren, eine führende Rolle gespielt hatte. In den auf den Friedensschluß folgenden Jahren kehrten Barcelona und der größte Teil Kataloniens in die Obhut Philipps IV. zurück. Diese teils freiwillige, teils erzwungene Wiedereingliederung fand während der kritischen Jahre des französischen Bürgerkriegs der Fronde statt. Nach vielen Jahren Krieg war es Katalonien im Ringen zwischen Frankreich und Spanien gelungen, seine geschichtliche und verfassungsrechtliche Identität zu einem Gutteil zu bewahren; seine territoriale Integrität wurde jedoch um das Roussillon beschnitten.24 Der Krieg zwischen Frankreich und Spanien wurde erst 1659 mit dem auf der „Fasaneninsel“ des Grenzflusses Bidasoa geschlossenen „Pyrenäenfrieden“ beendet, der das bereits seit 1648 erkennbare französische Übergewicht in Europa bestätigte. Fortan bildeten die Pyrenäen die Grenze zwischen beiden Staaten. Im Norden gewann Frankreich außerdem noch Teile der spanischen Niederlande, Flanderns und Luxemburgs hinzu. Darüber hinaus enthielt der Pyrenäenfrieden eine Heiratsvereinbarung zwischen María Teresa, der ältesten Tochter Philipps IV., und Ludwig XIV. von Frankreich, was in Paris die Hoffnung nährte, einst das Erbe des spanischen Weltreiches antreten zu können. Spätestens mit dem Pyrenäenfrieden hatte das Zeitalter der spanischen Vorherrschaft seinen Abschluß gefunden; allmählich brach das Reich Karls (I./V.) auseinander. Im Frieden von Aachen 1668 mußte Spanien auf strategisch wichtige Plätze in Flandern verzichten, zehn Jahre später hatte es seine Stellung in der Franche Comté zugunsten Frankreichs zu räumen, im Frieden von Rijswijk 1697 erhielt Frankreich weitere spanische Gebiete übertragen. Seit dem Tod Philipps IV. (1665) bis zum Ende des 17. Jahrhunderts war Frankreich mit Nachdruck bemüht, seine Position als europäische Vormacht zu erhalten und auszubauen. Immer wieder von Waffenstillständen und Friedensschlüssen unterbrochen, befanden sich die beiden Nachbarn nahezu ununterbrochen im Krieg miteinander; heftig umstritten waren die spanischen Niederlande, die italienischen Besitzungen Spaniens, die Franche Comté, Katalonien, das Baskenland und Navarra. Frankreich gelang es wiederholt, sich einzelne Territorien anzueignen und international

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absichern zu lassen, verlor die Neuerwerbungen zumeist aber genauso schnell, wie sie erobert worden waren. Mit dem Tode Philipps IV. ergab sich eine schwierige dynastische Lage. Philipp IV. wurde nämlich von nur einem einzigen Sohn, dem physisch und geistig schwächlichen Karl (II.) überlebt, während dessen langer Minderjährigkeit (1661–1677) seine Mutter Maria Anna (Mariana) von Österreich vorübergehend zusammen mit einem hochadligen Rat die Regentschaft ausübte. Philipp IV. hatte noch zwei Töchter, deren Eheschließungen später die Nachfolgefrage erheblich verkomplizieren würden: María Teresa war mit Ludwig XIV. von Frankreich, Margarita Teresa mit dem deutschen Kaiser Leopold I. verheiratet. Außerdem hatte Philipp IV. einen außerehelichen Sohn mit der Schauspielerin María Calderón, den hochbegabten Juan José de Austria (1629–1679). Entscheidenden politischen Einfluß übte am Hof der deutsche Jesuitenpater Eberhard Niethart aus, der zum valido und Generalinquisitor aufstieg. 1669 zwang allerdings Juan José de Austria, der für politische Reformen eintrat, die Regentin zur Entlassung Nietharts und zur Einsetzung des aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Fernando de Valenzuela als neuen valido. Sieben Jahre später erzwang er abermals mit militärischer Gewalt in einer Art Staatsstreich die Entlassung des Günstlings und seine eigene Einsetzung als Leiter der Regierungsgeschäfte.25 Während seiner kurzen Amtszeit – Juan José starb schon 1679 – griff er mehrere Reformvorhaben auf, bekämpfte die Korruption, setzte einen „Handelsausschuß“ (Junta de Comercio) zur Belebung des Warenumsatzes ein. Juan José de Austria erfüllte jedoch – trotz seiner unzweifelhaften Begabung und Beliebtheit – die zahlreichen und hohen in ihn gesetzten Erwartungen nicht, die spanische Politik wies in den Folgejahren keine Zielstrebigkeit auf. Auf ihn folgten bis 1685 der Herzog von Medinaceli, dann bis 1691 der Graf von Oropesa als Premierminister. In den 1690er Jahren wurde der Kardinal von Toledo, Luis de Portocarrero, zum ‚starken‘ Mann am Hof, der im entscheidenden Augenblick des Todes von Karl II. Leiter der Regierungsgeschäfte war und die Nachfolgefrage maßgeblich im Sinne der Franzosen beeinflussen konnte. Innenpolitisch war das Land, dem eine straffe Führung fehlte, durch Kompetenzstreitigkeiten gelähmt; die Verwaltungsbürokratie war zwar aufgebläht, aber unwirksam. Kastilien konnte seine Vorherrschaft über die anderen Teilreiche nicht effizient aufrechterhalten, Spanien wurde wieder zu einem Verband von nur lose miteinander verflochtenen, weitgehend autonomen Landesteilen. Olivares’ Nachfolger gaben seine Zentralisierungsversuche wieder auf, da die Widerstände aus den einzelnen Landesteilen zu stark waren. Die einzelnen Reiche und Herrschaften behielten ihre fueros, die traditionellen Sonderrechte; man spricht in diesem Zusam-

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menhang von neoforalismo. Die Regierungsgewalt wurde zum Gegenstand zahlloser Palastintrigen, Recht und Ordnung konnten nicht mehr durchgesetzt werden. Hungerepidemien und Mißernten trieben die Landbevölkerung in die Städte, wo die Angekommenen allerdings keiner geregelten Arbeit nachgehen konnten und nur zur weiteren Verschlechterung der sozialen Situation beitrugen. Die Wirtschaftssituation scheint in Kastilien besonders prekär gewesen zu sein, während sich an der Peripherie des Landes erste Erholungssymptome bemerkbar machten. In der Historiographie ist nicht nur von einem Versagen der letzten Habsburger, sondern der gesamten Führungsschicht die Rede. Der Provinzadel konnte seine Privilegien und Macht ausweiten, der Landbesitz der Aristokratie wurde erweitert, der Klerus nahm an Zahl und Reichtum zu.26 Besonders kritisch war die Entwicklung im wirtschaftlichen Bereich. Zwischen 1663 und 1680 etwa mußten allein in der Gegend von Toledo an die 7000 Webstühle stillgelegt werden; einen ähnlichen Rückgang registrierte die Wollproduktion von Segovia. Der Handel mit Süditalien und den überseeischen Kolonien erlitt drastische Einbußen, ein Großteil ging in ausländische Hände über. Infolge einer katastrophalen Verkehrsinfrastruktur führten Mißernten zu Hungerjahren in vielen Landesteilen, die Landwirtschaftsproduktion war rückläufig. Der ökonomische Niedergang wiederum bewirkte Steuerausfälle; diese führten ihrerseits zu Abgabenerhöhungen, was die Not der kastilischen Bevölkerung weiter ansteigen ließ. Aus diesem Teufelskreis schien es kein Entrinnen zu geben. Der Niedergang, die „Dekadenz“, war die existenzielle Erfahrung einer ganzen Generation von Schriftstellern und Intellektuellen, die als arbitristas über die Gründe des Niedergangs und über die Möglichkeiten seiner Bekämpfung räsonierten.27 Die Krise bewirkte aber auch positive Veränderungen, vor allem an der katalanisch-aragonesischen Peripherie. Dort hatten die wirtschaftsliberalen Bestimmungen des Pyrenäenfriedens zu einer Verbesserung der Produktion geführt, und in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts wurden bereits die Grundlagen für die später so erfolgreiche katalanische Textilindustrie gelegt. Der von nun an stets zunehmende ökonomische Kontrast zwischen dem industriell prosperierenden Katalonien und dem agrarisch stagnierenden Kastilien sollte die weitere Geschichte Spaniens entscheidend prägen. In der neueren Historiographie wird verstärkt darauf hingewiesen, daß sich in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts eine allgemeine wirtschaftliche Besserung abzeichnete. Der letzte Habsburger Karl II. (1665– 1700) wird üblicherweise als schwächlich und inkompetent, ja: als „der Verhexte“ (El hechizado) dargestellt; bei der negativen Beschreibung sei-

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ner Herrschaft ist lange Zeit übersehen worden, daß die Regierungszeit Karls II. eine Phase umfassender Reformen ankündigte.28 Mit dem Erlaß verschiedener Finanzdekrete in den 1680er Jahren wurde eine Währungsreform durchgeführt, die Spanien schließlich ein stabiles Währungssystem brachte. Der „Handelsrat“ (Junta de Comercio) verfolgte eine merkantilistische Politik und führte vielfältige Reformen so die Ansiedlung und den Ausbau der Seidenindustrie, die Förderung des Weinbaus und Modernisierung des Zunftwesens durch. Der Steuerdruck auf Kastilien ließ nach, das System der Finanzverwaltung wurde gestrafft. Mit all diesen Maßnahmen wurden Grundsteine für die wirtschaftliche Wiedererstarkung Spaniens gelegt; sichtbar sollte diese allerdings erst im nächsten Jahrhundert werden.29 Eine Neu-Interpretation des ausgehenden 18. Jahrhunderts ist daher erforderlich. Traditionellerweise hat die Historiographie die Regierungszeit des letzten Habsburgers auf dem spanischen Thron mit dem Niedergang und der Dekadenz des Landes gleichgesetzt. Dabei wurde übersehen, daß die Schwächen Karls II. und seine Unfähigkeit zur Ausübung der Regierung nicht zugleich eine ausschließlich krisenhafte Entwicklung des Landes bedeuteten. Neuere Regionalstudien lassen vielmehr erkennen, daß es (zumindest in den letzten 15 Jahren des 17. Jahrhunderts) zu politischadministrativen Reformen kam, daß sowohl die Bevölkerungsentwicklung wie der Handel mit Amerika und die Edelmetallieferungen von dort wieder einen Aufschwung nahmen, daß königliche Kommissare überall im Land Kontrolltätigkeiten durchführten und die Korruption bekämpften. Freilich schlugen sich solche Veränderungen noch nicht in einem schon für Zeitgenossen sichtbaren Wirtschaftswachstum nieder; sie legten aber die Grundlagen für den Reformismus des 18.Jahrhunderts. Außenpolitisch war aufgrund der inneren Schwäche und dynastischen Krise Spaniens bei gleichzeitiger Machtsteigerung Frankreichs nicht zu erwarten, daß es bei der Besitzstandsregelung des Pyrenäenfriedens bleiben würde. Wegen der Krankheit Philipps IV. schien in Spanien schon bald ein dynastischer Wechsel anzustehen. 1661 war dann doch noch der spätere Karl II. geboren worden, aber der prekäre Gesundheitszustand dieses letzten Habsburgers auf dem spanischen Thron und seine Kinderlosigkeit ließen die europäischen Höfe ständig begierig nach Spanien schielen. 1700 kam es nach dem Tode Karls auch tatsächlich zum Krieg um das spanische Erbe. Hinsichtlich der Nachfolge gab es verschiedene Möglichkeiten: Entweder ging das spanische Erbe an die österreichische Linie der Habsburger über, was auf französischen Widerstand stieß und auch dem englischen Interesse an einem europäischen Gleichgewicht widersprach; oder ein Bourbone erhielt den spanischen Thron, was Ludwig XIV. wegen seiner

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Heirat mit der Tochter Philipps IV. reklamierte, wogegen aber die habsburgischen Ansprüche und die englische Gleichgewichtspolitik standen; als weitere Option wurde der Übergang des spanischen Erbes an einen weniger mächtigen Fürsten debattiert, etwa Joseph Ferdinand, den Sohn des Kurfürsten von Bayern, wogegen sich Habsburger und Bourbonen aussprachen); schließlich gab es mehrere Teilungspläne, denen zufolge die Erbmasse im wesentlichen zwischen Habsburgern und Bourbonen aufgeteilt werden sollte. Karl II. versuchte noch kurz vor seinem Tode, das Erbe ungeteilt zu erhalten, indem er es Philipp von Anjou, dem zweiten Sohn des Dauphins und Enkel Ludwigs XIV., zusprach. Da schließlich auch der „Sonnenkönig“ diesen Plan unterstützte, wurde Philipp (V.) im Schloß von Versailles zum König von Spanien proklamiert. Das aber bedeutete Krieg mit dem Reich, von dessen Seite der zweite Sohn des Kaisers, Erzherzog Karl, als Karl III. einige Zeit später (1703) in Wien zum (Gegen-)König von Spanien proklamiert wurde. Obwohl Philipp V. zwischenzeitlich in Spanien schon als König anerkannt worden war, führte die Kriegserklärung zu einer Polarisierung der latent stets vorhandenen Gegensätze auf der Iberischen Halbinsel. Die Länder der Krone von Aragonien bekannten sich zu Karl, Kastilien unterstützte Philipp. Damit wurden die beiden Prätendenten zugleich – und unfreiwillig – im Verlauf des Erbfolgekrieges (1701–1713/14) zu Repräsentanten zweier ‚Staatsmodelle‘: Während Philipp für die Idee einer zentralisierten, absoluten Monarchie stand, wurde Karl mit der Autonomie der peripheren Reichsteile identifiziert. Bis 1706 konnte Karl, der von den Seemächten England und die Niederlande30 sowie von Portugal unterstützt wurde, große Teile (Ost-)Spaniens erobern und schließlich Madrid einnehmen, wo er erneut zum König proklamiert wurde. Danach wandte sich das Kriegsglück wieder dem Bourbonen zu, Karl mußte sich in Barcelona verschanzen.31 Als 1711 plötzlich Kaiser Joseph I. starb, kam als Nachfolger nur sein Bruder Karl in Frage, der in Spanien um die Krone kämpfte. Diese neue Konstellation – Karl wurde im Oktober 1711 zum Kaiser gewählt – führte bald danach zur Beendigung des Spanischen Erbfolgekrieges und im April 1713 zum Frieden von Utrecht: Die spanische Krone ging an die Bourbonen über, Spanien mußte Menorca (bis 1782) und Gibraltar (bis heute) an England abtreten. Im sogenannten Asiento-Vertrag mußte Spanien außerdem den Engländern das Monopol des Sklavenhandels mit Amerika bestätigen. Das bisher spanische Königreich Sizilien ging an Savoyen über. Der ein Jahr später zwischen Frankreich und dem Kaiser geschlossene Friede von Rastatt brachte dem Haus Österreich deutliche territoriale Ge-

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winne: die ehemals spanischen Niederlande, Mailand, Mantua, Neapel, Sardinien und den „Stato dei Presidi“ an der toskanischen Küste. Der Spanische Erbfolgekrieg beendete nicht nur die spanische Hegemonie in Italien; er führte auch zu weiteren territorialen Veränderungen. Die Hauptkontrahenten waren fortan Österreich (das Haus Habsburg) und Frankreich (das Haus Bourbon). Das auf Kastilien gegründete (burgundisch-)habsburgische Großreich war endgültig zerschlagen, Spanien hatte seine Vorherrschaft in Europa definitiv verloren.

IV. Zentralisierung, Vereinheitlichung, Reformismus: das 18. Jahrhundert 1700–1746 Philipp V., König 1713 Frieden von Utrecht 1714 Frieden von Rastatt Gründung der Akademie der Sprache 1717 Eroberung Sardiniens Quadrupelallianz zwischen Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Österreich 1718 Einführung des Intendantensystems 1733 Erster Familienpakt zwischen Spanien und Frankreich 1743 Zweiter Familienpakt (Vertrag von Fontainebleau) 1746–1759 Ferdinand VI., König 1748 Frieden von Aachen 1750 Grenzvertrag mit Portugal für Besitzungen in Übersee 1753 Konkordat zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl 1756–1763 Siebenjähriger Krieg 1759–1788 Karl III., König 1761 Dritter Familienpakt 1765 Beginn der Liberalisierung des Amerikahandels 1766 Aufstand gegen Esquilache 1767 Ausweisung der Jesuiten aus Spanien und Hispanoamerika 1778 Einführung des ‚Freihandels‘ mit Hispanoamerika

Der Erbfolgekrieg zeitigte für Spanien vielfältige innenpolitische Wirkungen1: Es kam nicht nur zum dynastischen Wechsel von den Habsburgern zu den Bourbonen. Entscheidend für die weitere Entwicklung war die verfassungsrechtliche Änderung der überkommenen politischen Struktur der spanischen Monarchie. Da die östlichen Reichsteile (Aragonien, Mallorca, Valencia, Katalonien) sich nach Anerkennung Philipps im Verlauf des Krieges auf die Seite seines Gegners geschlagen hatten, war dies ein Akt der offenen Rebellion gegen den rechtmäßigen Herrscher. Die Strafe ließ nicht auf sich warten. König Philipp V. (1700–1746) entzog den Landesteilen, die im Krieg auf Seiten Karls gestanden hatten, ihre hergebrachten Selbstverwaltungsrechte. Die zwischen 1707 und 1716 erlassenen neuen Grundgesetze (Decretos de Nueva Planta) eliminierten die aus dem Mittelalter stammenden politischen Sonderverfassungen Kataloniens und Aragoniens (fueros), führten kastilisches Verwaltungsrecht ein, bewirkten

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eine politische Gleichstellung aller Landesteile – nur die loyal gebliebenen Regionen Navarra und Baskenland durften ihre Sonderrechte beibehalten! – und stärkten somit die Madrider Zentralgewalt. Erst jetzt kann man von einer Durchsetzung des absoluten Einheitsstaates in Spanien sprechen.2 Seit 1703 wurde das spanische Militär- und Finanzwesen nach französischem Vorbild reformiert. Militärisches Hauptziel war der Aufbau einer schlagkräftigen Armee; im Hinblick auf die Finanzen sollten vor allem die Mittel zur Führung des Krieges aufgebracht werden. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählte die Übertragung des kastilischen Abgabensystems auf die Reiche der Krone von Aragonien. Damit sollte die seit langem geforderte Steuergerechtigkeit hergestellt werden, Aragonien hatte sich an den gemeinschaftlichen Ausgaben ebenso wie Kastilien zu beteiligen. Diese Maßnahme hatte nicht unerheblich dazu beigetragen, daß sich Aragonien im Krieg auf die Seite des habsburgischen Gegenprätendenten Karl schlug. Eine Reform sollte in Spanien – und in Amerika – besonders bedeutsam werden: der Ausbau der Territorialverwaltung durch die Einführung von Provinz- und Heeresintendanten. Die ersten Intendanten wurden in Spanien – nach französischem Vorbild – bereits während des Erbfolgekrieges 1711 eingesetzt; nach dem Krieg wurde den Intendanten die Verwaltung sämtlicher Geschäftsbereiche übertragen. Definitiv wurden diese Beamten unter Ferdinand VI. im Jahre 1749 eingesetzt; ihre wichtigsten Aufgaben betrafen die Wirtschaftsförderung, den Ausbau der Infrastruktur und die Stadtsanierung. Ergänzt wurde die neue Verwaltungsstruktur durch die Einrichtung von Generalkapitanaten in Provinzen, in denen Truppen stationiert waren.3 Die Verwaltungsreformen der Folgezeit dienten der Stärkung der absolutistischen Zentralgewalt: Das System der kollegialen zentralen Ratsbehörden (Consejos) wurde abgeschafft, auf bürokratischer Grundlage beruhende moderne Ressortministerien wurden eingeführt; die Cortes von Kastilien übernahmen die Ständevertretung für die Gesamtmonarchie, ihre Rechte wurden jedoch zugleich weiter eingeschränkt; das Heer erfuhr eine gründliche Reform und Verstärkung, die Einberufungen beruhten auf dem System der Auslosungen (quintas) und Zwangsrekrutierungen; es wurde mit dem Neuaufbau der im Krieg von den Briten zerstörten Flotte begonnen; um einen einheitlichen Handels- und Wirtschaftsraum zu schaffen, hob man die Binnenzölle auf, zur Belebung der Industrie sollten bevorzugte fábricas reales dienen. Im Bildungsbereich wurden bedeutende Akademien gegründet: 1714 die Königliche Akademie der Sprache, 1738 die Königliche Geschichtsakademie, 1744 die Königliche Akademie der

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Schönen Künste. Vor allem die Sprachakademie trug – in Verbindung mit der Unterdrückung anderer Sprachen (Galicisch, Katalanisch) als Amtsund Unterrichtssprachen – zur Durchsetzung des Kastilischen als spanische Nationalsprache bei.4 1713 wurde auch die Thronfolgeordnung neu festgelegt. Unter Rückgriff auf das „salische Erbrecht“ wurden Frauen von der Thronfolge ausgeschlossen. Damit wollte der Bourbone Philipp sicherstellen, daß für den Fall des Ausbleibens direkter männlicher Erben seine französischen Verwandten – die männlichen Seitenlinien entstammten – die Erbfolge antraten, während die Habsburger auf weibliche Seitenlinien zurückgingen und durch diese Neuregelung von der Erbfolge ausgeschlossen blieben. Die Reformpolitik des 18.Jahrhunderts, deren eigentlicher Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts lag, erfaßte nahezu alle Bereiche des staatlich-militärischen, des wirtschaftlich-sozialen und des religiöskulturellen Lebens. Im ökonomischen Bereich ging es dem reformismo borbónico darum, Handelshemmnisse zu beseitigen, die Produktion zu stimulieren und die Steuereinziehung zu verbessern. Während der Regierungszeit Philipps V. wurden vor allem merkantilistisch beeinflußte Maßnahmen ergriffen, in der zweiten Jahrhunderthälfte lassen sich vorsichtige Liberalisierungsmaßnahmen und der Einfluß physiokratischer Ideen feststellen. Philipp V. eliminierte nicht nur die politisch-administrativen Sonderrechte Aragoniens, sondern beseitigte auch die Zollgrenzen im Innern und schuf einheitliche Währungsverhältnisse. Staatliche Manufakturen im Bereich der Glasherstellung sowie der Textil- und Lederverarbeitung wurden eingerichtet. Die höheren Steuereinnahmen wurden in den Ausbau der Verwaltung und des Militärs sowie in Infrastrukturmaßnahmen (Kanal- und Straßenbau) investiert. Unter dem Einfluß aufklärerischen und physiokratischen Gedankenguts wurden in der zweiten Jahrhunderthälfte ökonomische Liberalisierungsmaßnahmen eingeleitet, Oligopole abgebaut, wirtschaftliche Privilegien reduziert, die Manufakturen gefördert und die bestehenden Restriktionen im Amerikahandel abgebaut. Um das Schicksal der ärmeren Bevölkerungsschichten zu verbessern, wurden öffentliche Hospitäler und Getreidespeicher eingerichtet. Durch die Friedensschlüsse von Utrecht 1713 und Rastatt 1714 hatte Spanien zwar seine zentraleuropäischen und italienischen Besitzungen verloren; Philipp V. und seine zweite Gattin Elisabetta Farnese von Parma waren jedoch nicht bereit, die neuen Realitäten ohne weiteres zu akzeptieren, da sie in Italien für ihre beiden Söhne Sekundogenituren einrichten wollten. Sie wandten sich ab 1714 von Frankreich ab und waren bestrebt, die italienischen Besitzungen Spaniens wieder zu erobern. Zum einflußreichen Leiter der (Außen-)Politik wurde der Italiener Julio Alberoni, der

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die bereits begonnenen inneren Reformmaßnahmen fortsetzte, Heer und Marine reorganisierte, den Schiffbau förderte, städtische Getreidespeicher einrichtete, den Geldwert stabilisierte, die Verwaltungstätigkeit effektiver gestaltete und den Amerikahandel wiederbelebte. Außenpolitisch strebte Alberoni an, die italienischen Besitzungen zurückzugewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, schloß Spanien Abkommen mit Großbritannien und der Kurie. Der Versuch zur Veränderung des in Utrecht 1713 festgeschriebenen status quo führte jedoch schnell zur internationalen Isolierung Spaniens. Die europäischen Mächte fanden sich in einer Quadrupelallianz zur Verteidigung der Utrechter und Rastatter Bestimmungen zusammen. Als die wiederaufgebaute spanische Flotte trotzdem im Alleingang die Rückeroberung Sardiniens und Siziliens versuchte, wurde sie 1718 von der britischen in der Nähe von Messina vollständig vernichtet. Damit mußte Madrid endgültig die Friedensbestimmungen von Utrecht und Rastatt anerkennen.5 Einige Jahrzehnte später bewies in einer besonders schwierigen außenpolitischen Situation der von melancholischen Anfällen und andauernder Apathie geplagte Ferdinand VI. (1746–1759) bei der Auswahl seiner engsten Mitarbeiter eine geschickte Hand: Der Marqués de la Ensenada (1702–1781) wurde Leiter des Innenressorts, José de Carvajal y Lancaster (1698–1754) übernahm die Außenpolitik. Während Ensenada einer Allianz mit Frankreich zuneigte und das maritime Übergewicht Großbritanniens durch eine verstärkte Präsenz Spaniens zur See ausgleichen wollte, suchte Carvajal die Anlehnung an Großbritannien, war daher auch zu Zugeständnissen beim Überseehandel bereit. Ferdinand betrieb eine Neutralitätspolitik, die gewissermaßen einen Kompromiß zwischen den unterschiedlichen Positionen seiner beiden führenden Minister darstellte.6 Der Vertrag von Utrecht hatte Philipp V. den Besitz des überseeischen Kolonialreiches zugesichert; Großbritannien erhielt aber nach harten Auseinandersetzungen mit Spanien den handelspolitisch wichtigen AsientoVertrag, der dem Inselreich die lukrative Versorgung Hispanoamerikas mit schwarzafrikanischen Sklaven zusprach. Kolonialpolitisch blieb Spanien auch in Zukunft eine bedeutende Größe in Europa. Das Überseereich sollte im 18. Jahrhundert in mehrfacher Hinsicht sogar an Bedeutung gewinnen: Zum einen ist auf den Ausbau der Plantagenwirtschaft, vor allem in der Karibik, zu verweisen, da tropische Produkte wie Kakao, Farbstoffe, Tabak und Zucker in Europa zunehmend nachgefragt wurden; in diesem Zusammenhang stieg der Bedarf an schwarzen Sklaven gewaltig an. Der „atlantische Dreieckshandel“ wurde zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Zum anderen stieg der Stellenwert Amerikas als Absatzmarkt für europäische Produkte. Die europäischen Mächte waren immer

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weniger bereit, das spanische Handelsmonopol zu akzeptieren; europäische Streitigkeiten wurden immer häufiger auf die Überseegebiete ausgedehnt, die somit Teil der politischen Auseinandersetzungen wurden. Durch den Siebenjährigen Krieg wurde den spanischen Politikern endgültig die Bedeutung ihres Überseereiches bewußt. Der Verlauf des Krieges in Übersee hatte nämlich die Verwundbarkeit des spanischen Imperiums deutlich werden lassen; fortan wandte Madrid seine Aufmerksamkeit verstärkt dem Überseereich zu, das mit einem groß angelegten Reformprogramm gesichert werden sollte.7 Außen- und militärpolitisch bedeutsam wurden im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts die drei bourbonischen Familienpakte zwischen Spanien und Frankreich. Der erste aus dem Jahr 1733 legte die Grundlagen für eine langandauernde Allianz mit Frankreich, die immer wieder zu Konfrontationen mit Großbritannien – auch in Übersee – führte. Der zweite Familienpakt aus dem Jahr 1743 verpflichtete Frankreich zum Kriegseintritt gegen Großbritannien und zur Unterstützung Spaniens bei der Rückeroberung Gibraltars und Menorcas. Der dritte Pakt wurde 1761, während des Siebenjährigen Krieges, geschlossen; er war gegen die britischen Vorstöße in Übersee gerichtet und sah eine Art Kontinentalblockade gegen Großbritannien vor. Durch die Ergebnisse des Siebenjährigen Krieges sah sich Spanien fortan in Amerika allein Großbritannien gegenüber, so daß der Gegensatz zum Inselreich zu einer Konstanten der spanischen Politik wurde. In den folgenden Jahrzehnten wurde immer wieder um Menorca, Gibraltar, Florida und die britischen Stützpunkte an der mittelamerikanischen Küste gekämpft; zu Beginn der 1780er Jahre gelang Spanien auch die Rückeroberung Menorcas, Floridas und der mittelamerikanischen Stützpunkte, nicht jedoch Gibraltars. Trotz dieser kolonial- und anderen außenpolitischen Aktivitäten, vor allem in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts – im Mittelmeerraum und in Nordafrika betrieb Spanien eine sachliche Interessenpolitik, das Land beteiligte sich am Siebenjährigen Krieg, am nordamerikanischen Unabhängigkeitskampf und später an den Französischen Revolutionskriegen –, läßt sich das 18. Jahrhundert im wesentlichen als ein Zeitalter innenpolitischer Reformen bezeichnen. Der reformismo borbónico ist geradezu ein Charakteristikum des Jahrhunderts. Von zentraler Bedeutung für die Durchsetzung des Absolutismus sollte das Verhältnis zur Kirche sein. Im Erbfolgekrieg hatte Papst Clemens XI. den unterlegenen Habsburgerkandidaten anerkannt; daraufhin brach der schließlich erfolgreiche Bourbone Philipp V. im Jahre 1709 die Beziehungen zum Heiligen Stuhl ab, wies den Nuntius außer Landes und verbot (bis 1717) jeglichen Verkehr mit Rom. Der Konflikt zwischen Krone und Kirche infolge der regalistischen Politik

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Philipps, der 1707 den eigentlich steuerfreien Klerus zu Subsidienzahlungen aufforderte, um seine Truppen zu finanzieren, hatte sich schon zuvor verschärft. Melchor Rafael de Macanaz (1670–1760), ein leidenschaftlicher Theoretiker der Regalismuspolitik des Königs, arbeitete ein Dekret aus, das den Klerus zur Offenlegung seiner Besitzungen und Einkünfte verpflichtete. Damit war eine Entwicklung vorgezeichnet, die das ganze 18. Jahrhundert über andauern und zur Beschränkung der Macht und des Reichtums des Klerus führen sollte. Im weiteren Verlauf des Jahrhunderts verstärkten sich sodann die staatlichen Einmischungen in kirchliche Angelegenheiten. Die Bourbonen begründeten ihre Form des Regalismus zum einen mit dem angeblich göttlichen Ursprung der absoluten Gewalt des Monarchen, zum anderen mit dem königlichen Patronat, aus dem sich auch das Missionspatronat über Amerika herleitete, das nach mehreren Vorstufen endgültig im Konkordat von 1753 festgelegt wurde. Melchor Rafael de Macanaz, der bedeutendste Theoretiker des Regalismus, prangerte in seinen Schriften die Einflußnahme der römischen Kurie in Spanien an; er wandte sich nicht nur dagegen, daß der Klerus Immobilienbesitz anhäufte, sondern machte zahlreiche weitere Reformvorschläge zur Begrenzung der kirchlichen Macht.8 Um den monarchischen Absolutismus voll durchsetzen zu können, wurde die Lehre vom Gottesgnadentum zur offiziellen Staatsdoktrin erhoben. Die Universitätsprofessoren hatten die Rechte des Königs in kirchlichen Angelegenheiten zu verteidigen, in den Vorlesungen mußte die staatskirchliche Lehre vorgetragen werden. Der bourbonische Regalismus, der auch ein Kampf gegen den römischen Zentralismus der Päpste war, führte fast zu einer Trennung von Rom. Selbst die Inquisition sah sich im Streit mit der Krone. Die Verteidiger der königlichen Gewalt über die Kirche waren die sogenannten Jansenisten; dieser Begriff bezeichnet die radikalen Regalisten, die gegen den Machtanspruch des Papstes, gegen den Grundbesitz und die Vorrechte der Kirche und gegen die Inquisition ankämpften. Später, zur Zeit Karls III. (1759–1788), bemühte sich die Regierung unter dem Einfluß der Aufklärung darum, die Kirche in den Dienst der sozialen und der wirtschaftlichen Entwicklung zu stellen und neue geistige Tendenzen in der religiösen Bildung durchzusetzen. Der Klerus wurde dazu aufgefordert, die üppigen Prozessionen und den Reliquienkult von allem barocken Beiwerk zu befreien. Die Aufführung von autos sacramentales (Sakramentsspielen) und Tänzen in der Kirche wurde verboten. Die Pfarrer sollten sich vor allem der Erziehung widmen, Gewerbeschulen einrichten und die Bevölkerung zur Arbeit anhalten. In Übereinstimmung mit der Ethik der Aufklärung wurde der Klerus dazu aufgefordert, seine

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Privilegien dadurch zu rechtfertigen, daß er – zusätzlich zu seinen religiösen Aufgaben – eine wirtschaftlich und sozial nützliche Funktion erfüllte. Die Aufklärung ging somit zwar gegen die barocken Auswüchse der Kirche vor, sie argumentierte allerdings nicht antireligiös. Ihre große Sorge galt vielmehr der sozialen und wirtschaftlichen Reform des Landes; die übernatürliche Ordnung wurde nicht in Frage gestellt, viele Aufklärer standen der Kirche nahe oder waren selbst Geistliche. Bischöfe waren zumeist auf dem Gebiet der Wohltätigkeit engagiert und um materielle Verbesserungen innerhalb ihrer Diözesen bemüht. Führend bei der Entwicklung von Reformkonzepten in den verschiedenen staatlichen und wirtschaftlichen Bereichen waren die neugegründeten ‚patriotischen‘ Gesellschaften – Sociedades Económicas de Amigos del País –, die zu Plattformen des ökonomischen Reformismus und der politischen Meinungsbildung wurden. Einige aufgeklärte Reformer überragten alle anderen; von großer Bedeutung wurden die Schriften einer ganzen Generation aufgeklärter Beamter, die in politische Schlüsselstellungen am Hof gelangten und fortan die Innenpolitik bestimmten. Diesen patriotisch denkenden Reformpolitikern ging es vor allem darum, für Spanien die alte Prosperität vergangener Jahrhunderte wiederzuerlangen. Dieses Ziel sollte durch innere Reformen, die auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Ausland beruhten, erreicht werden. Die Aufklärung verfolgte in Spanien somit konkrete politische Ziele, sie trug weniger theoretisch-spekulative Züge.9 1724 legte der bedeutende Merkantilismus-Theoretiker Gerónimo de Uztáriz, der dem Minister José de Patiño nahestand, sein grundlegendes Werk ›Teoría y práctica de comercio y marina‹ vor; ihm ging es um eine Steigerung des Außenhandels, vor allem mit Amerika.10 José de Patiño (1666–1736), der „Colbert Spaniens“, betrieb mit der Gründung von Musterbetrieben in den 1720er und 1730er Jahren vor allem die Belebung der Industrie im ökonomisch darniederliegenden Kastilien; der einflussreiche Finanz-, Marine- und Kolonialminister José del Campillo y Cossío (1694–1744) setzte ein strafferes Verwaltungssystem für die amerikanischen Überseegebiete durch. In seinen Denkschriften aus den Jahren 1739 bis 1743, besonders bekannt ist die Schrift ›Nuevo sistema de gobierno económico para la América‹ (1743) geworden, wies er bereits auf die zentrale Bedeutung des spanischen Überseereichs für die politische und ökonomische Entwicklung Spaniens hin; er forderte, daß beide Teile der Monarchie wirtschaftlich aufeinander bezogen werden müßten; Hispanoamerika sollte verstärkt agrarische Rohstoffe produzieren, das Mutterland sollte sie industriell verarbeiten und ein eigenes Manufakturwesen aufbauen.

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Karl III., König von Spanien (1759–1788). Stich von Filippo Morghen nach einem Gemälde von Camillo Paderni. Foto: AKG.

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Rund zwei Jahrzehnte später verfaßte Bernardo Ward (?–1779?) sein ›Proyecto Económico‹, eine Denkschrift mit zahlreichen Reformvorschlägen, die in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts zum meistgelesenen wirtschaftlichen Werk in Spanien wurde. Für die Regierungsjahre Ferdinands VI. ist besonders der Marquis von Ensenada (Cenón de Somodevilla) zu nennen, der in den 40er und 50er Jahren ebenfalls „Universalminister“ war und in dieser Funktion 1757 zur Erhöhung der Steuereinnahmen das “Kataster von Ensenada”, eine umfassende Datenerhebung der Einkommens- und Vermögenssituation in Kastilien, erstellen ließ sowie nach französischem Vorbild Provinz- und Heeresintendanten beziehungsweise Generalkapitäne einführte, die eine effiziente Verwaltung sicherstellen sollten. Karl III. konnte auf eine Reihe herausragender Aufklärer als Mitarbeiter zurückgreifen: auf den Verwaltungsjuristen Pedro Graf von Campomanes (1723–1803), der den staatlichen Zentralismus und die führende Rolle des Berufsbeamtentums betonte;11 auf den Kronanwalt des Kastilienrates José Graf von Floridablanca (1728–1808), Gründer der ersten spanischen Bank (Banco de San Carlos); schließlich auf den Verwaltungsjuristen José de Gálvez (1720–1787), der in den 70er und 80er Jahren Sekretär für „Indien“, d. h. für Amerika, und Generalinspekteur des Vizekönigreichs Neu-Spanien war. Die wichtigsten Ziele der Reformer waren die ökonomische und gesellschaftliche Modernisierung Spaniens, mithin die Förderung der gewerblichen und der beginnenden industriellen Produktion. In Amerika wollten sie Bergbau und Landwirtschaft intensivieren. Die koloniale Wirtschaft sollte stärker in die metropolitane integriert werden, Spanien seine frühere Bedeutung wiedererlangen. Die spanische Aufklärung verfolgte somit vor allem wirtschaftliche Ziele, sie war praktisch-utilitaristisch, betrieb eine Reformpolitik ‚von oben‘, brach auch nicht mit der Kirche, weshalb in der Literatur die Rede von einer „katholischen Aufklärung“ ist.12 Exemplarisch läßt sich auf den Benediktiner Jerónimo Feijóo (1676–1764) verweisen, der zwar den Anschluß an das weiterentwickelte Europa anstrebte und vielerlei Reformen einforderte, in seinen Schriften aber zugleich bewußt national blieb und Religion von seiner Kritik aussparte. Diese Form der Aufklärung richtete sich lediglich gegen die traditionellen und veräußerlichten Formen der Religionsausübung, gegen Dogmatismus und Aberglauben sowie gegen gesellschaftliche Verhältnisse, die zum großen Teil mit der Kirche zusammenhingen. Mitte des 18. Jahrhunderts verfügten kirchliche Einrichtungen über fast 15 Prozent des gesamten agrarisch nutzbaren Landes, und der landwirtschaftliche Ertrag des Kirchenbesitzes belief sich auf nahezu 25 Prozent der gesamten Jahresproduktion! Der Klerus machte zwei Prozent der Bevölkerung aus, bezog aber 33 Pro-

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zent des Volkseinkommens. Dieser ruinösen Fehlentwicklung sollte gegengesteuert werden. Reformen im Agrarbereich waren schon deshalb dringend erforderlich, weil im 18. Jahrhundert die spanische Bevölkerung von rund acht auf über 14 Millionen Einwohner stieg, wobei die Peripherien des Landes dichter besiedelt waren als das Zentrum. Am dichtesten bevölkert waren nach dem Zensus von 1787 die nördlichen Regionen Galicien, Asturien und Baskenland sowie das Königreich Valencia (30–60 E/km2), gefolgt von Andalusien und Katalonien (10–30 E/km2). Der Binnenraum war mit weniger als 10 E/km2 nur sehr schwach besiedelt. Der Bevölkerungszuwachs hatte eine verstärkte Nachfrage nach Land und Agrarprodukten zur Folge. In den Regierungsjahren Karls III. entwickelten die Reformer Pläne zur Landverteilung, zur Privatisierung des Besitzes der „Toten Hand“ (Kirche, Gemeindeländereien) – Bestrebungen, die damals allerdings noch nicht zu konkreten Reformmaßnahmen führten. Immerhin wurde die Binnenkolonisation durch Ansiedlung deutscher und schweizerischer Bauernfamilien in Andalusien, in der Gegend der Sierra Morena, gefördert. Während des 18. Jahrhunderts fanden verschiedene Zensuserhebungen statt, die einen relativ soliden Überblick über die Sozialstruktur des Landes ermöglichen. Der Adel, eine rechtlich privilegierte Gruppe, stellte nach wie vor einen relativ hohen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung dar. Wenn man die Lebens- und Einkommensverhältnisse zugrunde legt, war er in sich stark differenziert. Tendenziell waren vor allem die Angehörigen des niederen (hidalgos) und des neuen Hochadels bereit, über den Staatsdienst zu Macht und Einfluß zu gelangen.13 Besonders hoch war die Zahl der Geistlichen. Mitte des 18. Jahrhunderts betrug der Anteil des Klerus an der Gesamtbevölkerung etwa zwei Prozent (16. Jahrhundert: 1,5 Prozent), wobei auch im Klerus teilweise extreme soziale Unterschiede festzustellen waren. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Kirche insgesamt über großen Reichtum verfügte, da die meisten Klöster – zumeist durch fromme Schenkungen – Land- und Immobilienbesitz angesammelt hatten. Da Armen- und Krankenfürsorge, Waisen- und Altenbetreuung und das Schulwesen weithin in den Händen kirchlicher Einrichtungen lagen, erfüllten Kirche und Klerus nach wie vor bedeutende soziale Aufgaben. Ungeachtet dieser wichtigen gesellschaftlichen Funktionen zog die Kirche im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend öffentliche Kritik an ihrem als übermäßig empfundenen Besitz sowie an der hohen Zahl der ‚unproduktiven‘ Kleriker auf sich. Die große Mehrheit der spanischen Bevölkerung, rund 90 Prozent, lebte damals noch auf dem Lande, wobei die sozialen Verhältnisse regional sehr verschieden waren. Etwas vereinfacht läßt sich sagen: Im Norden des Lan-

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des waren der größere Teil der Bevölkerung kleine Landbesitzer, während im Zentrum und vor allem im Süden zumeist Tagelöhner und Landarbeiter lebten. Vor allem bei den größeren Landbesitzern kann man von einem gewissen Reichtum sprechen, während die Wirtschaftslage bei den Unterpächtern und den Minifundisten ausgesprochen prekär war und die Lage der ländlichen Tagelöhner mit Armut und Not zu charakterisieren ist. In manchen Landesteilen konnte die arme Landbevölkerung auf kommunalem Landbesitz Gartenbau und Weidewirtschaft betreiben.14 Von besonderer Bedeutung waren die Reformen im Wirtschafts- und Sozialbereich. Es ging um die Erzielung von Wirtschaftswachstum. Hierzu wurden zuerst Handelshemmnisse abgebaut und die Steuereinziehung durch Vereinheitlichung effektiver gestaltet. Um Handel und Gewerbe zu fördern, probierte man unterschiedliche Ansätze aus. Zunächst sollte die Einrichtung monopolistischer Gesellschaften zur Durchführung des Handels mit Hispanoamerika den transatlantischen Handel ankurbeln. Gegen Ende des Jahrhunderts, in den Regierungsjahren Karls III., wurden – unter dem Einfluß der Aufklärung und physiokratischer Ideen – wirtschaftliche Liberalisierungsmaßnahmen durchgeführt und die Monopole wieder abgebaut.15 Für das 18. Jahrhundert lassen sich insgesamt einige politische Grundkonstanten herausarbeiten: Die Herrscher zielten darauf, ein zentralistisches Regiment und den monarchischen Absolutismus durchzusetzen sowie gleichzeitig die politische Machtstellung der Kirche zurückzudrängen. Die vorher bereits faktisch bestehende Dominanz Kastiliens wurde verfassungsrechtlich institutionalisiert; literarisch-kulturell setzte sich die Sprache Kastiliens als gesamtspanische Amts- und Verkehrssprache durch, das Katalanische und Valencianische verloren ihren Charakter als Hochsprachen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts griff eine neue Ethik der Arbeit und des Utilitarismus um sich. Der enzyklopädisch gebildete Schriftsteller, Staatsmann, Jurist und aufgeklärte Reformer Gaspar Melchor de Jovellanos (1744–1811) trug wesentlich zur Popularisierung der wirtschaftsliberalen und freihändlerischen Ideen Adam Smiths in Spanien bei; auf ihn geht der ›Informe sobre la ley agraria‹ zurück, eine der bedeutendsten Reformschriften der spanischen Aufklärung. Nicht überall führten die Reformbestrebungen zu Veränderungen. Wirtschaftlicher Strukturwandel fand vor allem in Katalonien statt, wo in der zweiten Jahrhunderthälfte die Textilmanufakturen einen deutlichen Aufschwung nahmen, zur maschinellen Fertigung übergingen und bald das ganze Land sowie zum Teil auch Hispanoamerika mit Textilien versorgten. Das kastilische Textilgewerbe konnte demgegenüber keine dynamische Entwicklung aufweisen. Im Baskenland deutete sich die industrielle Ent-

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wicklung der traditionellen Eisen- und Stahlproduktion in der Umstellung von Holz auf Kohle und Koks als Energieträger an; damit wurden die Grundlagen für den Aufschwung der baskisch-asturischen Schwerindustrie im 19.Jahrhundert gelegt. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unternahm Spanien auch eine gründliche Neuordnung seiner Verwaltungs-, Militär- und Handelsbeziehungen mit seinen amerikanischen Besitzungen. Diese Reformen stellten einen wesentlichen Teil eines weitergefaßten Versuchs dar, in dem europäischen System, das allmählich zu einem Weltsystem wurde, eine weniger marginalisierte Position einzunehmen. Die Anstöße zu den ehrgeizigen Reformbewegungen waren vielfältiger Art. Zuerst ist darauf hinzuweisen, daß sich Spanien seiner Marginalität in Europa bewußt wurde und die aufstrebenden anderen Mächte eifersüchtig beobachtete. Der iberische Staat mußte an einer sichereren Kontrolle der Wirtschaft seiner Kolonien interessiert sein. Über die Bedeutung dieser Kontrolle bestand kein Zweifel: Mitte des 18.Jahrhunderts war es bereits ein Gemeinplatz, daß für Spanien der amerikanische Besitz das Wichtigste und die Metropole nur das Sekundäre war. Um die Verteidigungsmöglichkeiten im karibischen Bereich des nördlichen Südamerika zu verbessern, war bereits 1717 (endgültig 1739) ein neues Vizekönigreich eingerichtet worden: Neu-Granada mit der Hauptstadt Bogotá. Die wirtschaftlichen Reformen zielten darauf, komplexere Wirtschaften (Abbau monokultureller Strukturen, Angebotsdifferenzierung) in den Kolonien herauszubilden; zugleich sollte die Kolonialökonomie gegenüber der Wirtschaft des Mutterlandes komplementär sein. Denn aus der Perspektive der politischen Macht blieb das Mutterland die wichtigste Institution. Die Stabilisierung der Verhältnisse in Spanien war ohne politische und wirtschaftliche Belebung der Kolonien unmöglich. Die Reformen in Übersee erfaßten zwar alle Zweige des gesellschaftlichen Lebens, dienten aber hauptsächlich der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung zur Erhöhung der Finanzkraft, der Verbesserung des militärischen Schutzes gegen fremde Invasionen und der Zentralisation der Staatsgewalt. Die Reformpolitik stieß in Amerika auf eine positive konjunkturelle und demographische Entwicklung und verstärkte diese ihrerseits. Zählte Hispanoamerika um 1650 lediglich zehn Millionen Einwohner, so war die Einwohnerzahl bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf 15–16 Millionen angewachsen. Die wichtigsten Reformmaßnahmen wurden in der Verwaltung und der Wirtschaftspolitik durchgeführt. Die theoretische Begründung für die Neuorientierung der spanischen Kolonialpolitik gab eine Kolonialtheorie, die, nach britisch-französischem Vorbild, die Kolonien als Rohstoff- und Absatzmarkt der Metropole betrachtete.

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Mit dieser Neuorientierung wurden auch Probleme angegangen, die in der praktischen Politik Spaniens gegenüber den Überseegebieten bereits früh auftraten. Durch konsequente Anwendung einer merkantilistischen Politik wurden ein aktiver Außenhandel und die Entwicklung von Gewerbe und Manufakturwesen angestrebt. Der Vorteil des Überseehandels sollte der spanischen Wirtschaft gesichert werden. Mit dem Vordringen merkantilistischen Denkens und Handelns schätzte man auch die Bedeutung der überseeischen Reiche Spaniens anders ein, die nunmehr zunehmend unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für das Mutterland und dessen wirtschaftlichen Wohlergehens betrachtet wurden. Einen entscheidenden Impuls erfuhr die Reformpolitik für Übersee durch die Schrift ›Neues Regierungssystem für Amerika‹, die Überseeminister José del Campillo y Cossío 1743 veröffentlichte. Er schlug vor, sämtliche Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Entwicklung der Überseeterritorien zu nutzen und in allen amerikanischen Provinzen nach dem Vorbild des Mutterlandes Intendanten einzusetzen, die nicht nur Verwaltungsaufgaben haben sollten, sondern sich vor allem der Förderung der Landwirtschaft, des Gewerbes, des Handels und Verkehrs sowie der Besiedlung zu widmen hätten. Die Überseegebiete sollten Rohstofflieferanten und Produzenten tropischer Agrarerzeugnisse für das zu entwickelnde spanische Manufakturwesen werden und zugleich dessen Waren abnehmen. In gewisser Weise könnte man Campillos Denkschrift als den ersten umfassenden und systematischen staatlichen Entwicklungsplan für Hispanoamerika bezeichnen, der freilich eine abhängige und subsidiäre Entwikklung für die Überseegebiete vorsah. Diese Überlegungen prägten maßgeblich die Reformen unter Karl III. Nach dem Siebenjährigen Krieg ließen die Maßnahmen der spanischen Regierung in Übersee erkennen, daß die militärische Sicherung der Überseegebiete, die Möglichkeiten zur Finanzierung erhöhter Verteidigungsanstrengungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Verwaltungsorganisation im Mittelpunkt der Kolonialpolitik standen. Seit 1763 wurden in Amerika neue Festungen errichtet und ein stehendes Heer aufgebaut, dazu eine wirkungsvolle Miliz. Die Maßnahmen Spaniens zur militärischen Sicherung seiner amerikanischen Besitzungen führten nicht bloß zu einer erheblichen Vermehrung der einsatzfähigen Truppen, sondern auch zu einer Militarisierung der kolonialen Gesellschaft. Die Konsequenzen dieser Militarisierung sollten vor allem während der Unabhängigkeitskämpfe sichtbar werden. Von entscheidender Bedeutung für die Verwaltungsreform wurde José de Gálvez, der in den 1770er und 1780er Jahren „Indienminister“ war und während seiner Amtszeit ein umfangreiches Reformprogramm durchführ-

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te. Er setzte den alten Vorschlag Campillos um und etablierte das in Spanien eingeführte Intendantensystem auch in Amerika.16 Obwohl die Intendanten vor allem auf dem Gebiet der Bildungs- und Wohlfahrtspolitik durchaus Erfolge verzeichnen konnten, nahm die amerikanische Bevölkerung des neue System nicht an, da zu viele etablierte Interessen durch die damit verschärfte Staatsintervention verletzt wurden. Auch die Tendenz zur Einebnung alter Privilegien, die dem Aufgeklärten Absolutismus innewohnte, bewirkte eine Lockerung der Bindungen des Kreolentums an die spanische Krone, da solche Maßnahmen die Vorrechte der kolonialen Führungsschicht beschnitten. So geriet die Reformpolitik des Mutterlandes in Konflikt mit den Beharrungstendenzen des Kreolentums und führte zum Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft. Die Reformer waren davon ausgegangen, daß durch die neue Verwaltungsorganisation die Bande zwischen dem amerikanischen Reich und dem Mutterland gefestigt würden. Die Intendanten sollten den aufgeklärten Rechts- und Wohlfahrtsstaat nach Amerika verpflanzen. Die intendierten Maßnahmen, die auch eine gerechtere Sozialordnung in Amerika herstellen und das Los der unteren Volksschichten verbessern sollten, stießen aber auf den Widerstand der kreolischen Oberschicht. Deren Opposition führte sogar zu gewaltsamen Erhebungen gegen die Repräsentanten der Krone. Insgesamt trug die Politik Spaniens dazu bei, zahlreiche latente Interessenkonflikte zu verschärfen und Gewaltmaßnahmen auszulösen. Die Antwort auf bestehende Mißstände und auf Auswüchse des bourbonischen Reformeifers bestand denn auch in zahlreichen Revolten und Rebellionen: 1780/81 kam es in Perú zum Aufstand des Inkaführers Túpac Amaru, 1781 fand in Neu-Granada (Kolumbien) die comuneros-Revolte statt, weitere indianische Erhebungen folgten, antikoloniale Verschwörungen gab es zuhauf. Aus der von der Krone anvisierten Stärkung und Konzentration der Staatsmacht ergab sich auch eine Akzentverschiebung in der Wirtschaftsund Finanzpolitik. Der stufenweise Abbau der habsburgischen Monopolgesetzgebung durch die Bourbonen schuf Voraussetzungen für eine stabilere Entwicklung von Handel, Bergbau und Manufaktur. Der erste Schritt zur Aufhebung des starren Flottensystems war die Zulassung von Handelsgesellschaften, die Kakao- und Farbholzhandel, Zuckerrohr- und Tabakhandel betrieben. Die weitere Liberalisierung des Handels führte 1778 zur Verkündung des „Freihandelsreglements“, das für 13 spanische und 24 amerikanische Häfen galt. Die Wirtschaftspolitik konzentrierte sich auf die Förderung des Silberbergbaus. Um 1800 förderte der hispanoamerikanische Bergbau (schwerpunktmäßig in Neu-Spanien) 90 Prozent der gesamten Weltausbeute an

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Silber. Die Förderleistung der Gruben erhöhte sich seit 1700 auf das Fünffache, und allein der Export zwischen 1750 und 1800 war größer als der Gesamtertrag von 1492 bis 1700. 1776 wurde im Süden des Kontinents ein viertes (und letztes) Vizekönigreich eingerichtet: Río de la Plata mit der Hauptstadt Buenos Aires. Diese Verwaltungsreform erfolgte nicht nur aus verteidigungspolitischen Gründen – man wollte sich gegen die Brasilianer und die im Südatlantik operierenden Briten besser schützen; sie diente auch der ökonomischen Vitalisierung der Atlantikregion. Die Silberausfuhr aus Hochperú (Bolivien) erfolgte fortan nicht mehr über Lima, sondern über Buenos Aires. Der Viehhandel und der Export von Häuten erlebten am Río de la Plata einen gewaltigen Aufschwung. An der Ausbreitung der Viehzucht hatten auch die Liberalisierung des Außenhandels und interkolonialen Handels sowie die zunehmende Urbanisierung des neuen Vizekönigreichs wesentlichen Anteil. Die Herden am La Plata umfaßten zehn Millionen Rinder; über den Hafen von Buenos Aires wurden jährlich etwa 1,5 Millionen Häute ausgeführt. Ökonomisch führten die Reformen somit zu einem Aufschwung der Wirtschaft, und dies gilt für sämtliche Bereiche: Bergwerke, Handel, Landwirtschaft. Erhöhte Steuereinnahmen waren ein deutlicher Reflex dieses gesteigerten Wirtschaftswachstums. Eine der zahlreichen Reformen auf kommunaler Ebene sollte im Mutterland zu einer vorübergehenden Erschütterung der absoluten Monarchie führen. Der italienische Minister Karls III., Leopoldo Marquis von Squilace (spanisch: Esquilache), führte vielfältige Änderungen durch, die – neben einer Stärkung der absoluten Staatsmacht – zu einer Rationalisierung und Modernisierung der Lebensgewohnheiten führen sollten. Zu diesen Reformen gehörte 1766 auch das Verbot von Hieb- und Stichwaffen, des Tragens der traditionellen Capa (eines mantelartigen Umhanges) und des breitkrempigen Schlapphutes – Maßnahmen, die der Erhöhung der Alltagssicherheit in den unter vielfältigen Formen der Kleinkriminalität leidenden Städten dienen sollten. Der Eingriff in diese altspanischen Gewohnheiten rief eine heftige Volksreaktion hervor, die in Tumulten und Aufständen mit Verwundeten und Toten eskalierte; erst als Esquilache verbannt und die wichtigsten Forderungen der Aufständischen wie die Rücknahme der Verbote und die Senkung der Preise für Grundnahrungsmittel erfüllt waren, endete der Motín de Esquilache, der eine Reihe wichtiger Folgen hatte: Zu den bedeutendsten gehörte zweifellos die Vertreibung der Jesuiten aus Spanien und Hispanoamerika 1767; ob das regierungsoffizielle Argument, die Jesuiten hätten hinter dem Aufstand gestanden, stimmt, ist bis heute in der Forschung heftig umstritten. Andere, wichtige Gründe dürf-

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ten die Regierung zur Vertreibung bewogen haben: So widersetzten sich die Jesuiten seit langem der regalistischen Politik der Krone, verkündeten die Lehre vom Widerstandsrecht gegen Tyrannen, hatten enormen Einfluß im Bildungsbereich – nicht weniger als 130 Kollegien waren in ihrer Hand – und umfangreiche Besitztümer, was ihnen Neid und Mißgunst einbrachte; sie hatten theologische Meinungsverschiedenheiten mit Bischöfen und anderen Orden, widersetzten sich in Amerika dem spanischen Grenzvertrag mit Portugal von 1750, da ihre Indianerreduktionen (Zusammenführung von Indianern auf einem bestimmten Territorium) in Paraguay davon betroffen wurden. Ihre Macht und Selbständigkeit waren der absolutistischen Monarchie ein Dorn im Auge. Eine weitere Folge der Erhebung war die Personaländerung an der Regierungsspitze: Die Leitung des Kastilienrates übernahm der Aragonese Pablo Graf von Aranda (1719–1798), der in der Folgezeit maßgeblich die Politik Karls III. bestimmte. Ihm gelang in den auf den Aufstand folgenden Jahren die vollständige Wiederherstellung der Staatsautorität und die weitere Durchsetzung des Absolutismus gegenüber Kirche, Adel und Zünften. Lange Zeit ging man in der Historiographie davon aus, daß die Auswirkungen der Aufklärung und später der Französischen Revolution auf Spanien eher unbedeutend waren; die Pyrenäen dienten angeblich als nahezu hermetische Grenze, um ein Übergreifen der revolutionären Ideen zu verhindern. Es war natürlich bekannt, daß eine Anzahl aufgeklärter Geister mit den aus Frankreich kommenden Ideen sympathisierte; diese afrancesados wurden aber für eine äußerst schmale Schicht von Intellektuellen gehalten, die zu den privilegierten Vertretern des Systems gehörten und mit den Problemen der großen Masse der Bevölkerung nichts zu tun hatten. Nach Jahrzehnten intensiver Forschung besteht heute kein Zweifel mehr daran, daß die Aufklärung und später die Französische Revolution für Spanien von großer Bedeutung waren.17 Aufklärerische Gedanken drangen im 18. Jahrhundert auf breiter Front in Spanien ein. In der ersten Jahrhunderthälfte trugen einzelne Persönlichkeiten wie Feijóo, Ignacio de Luzán (1702–1754), Juan de Iriarte (1702– 1771) oder Agustín de Montiano (1697–1764) zu deren Propagierung und zur Popularisierung des Rationalismus bei; in der zweiten Jahrhunderthälfte, vor allem nach 1760, erfaßte die Aufklärungsphilosophie viel breitere Schichten der spanischen Bevölkerung. Auch die Krone war willens, die königliche Macht zur Veränderung des spanischen Lebens in Übereinstimmung mit dem rationalistischen Gedankengut des Aufgeklärten Absolutismus einzusetzen. Die Ergebnisse des aufgeklärten Reformismus waren ambivalent und

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sind in der Historiographie unterschiedlich interpretiert worden: Im ökonomischen Bereich läßt sich von einem Wachstum ohne qualitative Entwicklung sprechen;18 im sozialen Sektor ging der Wunsch nach einem gewissen gesellschaftlichen Ausgleich nicht so weit, daß die Reformer die Grundlagen der Ständegesellschaft ernsthaft zu verändern versucht hätten; im Bereich der politischen Verfassung wurde die Lösung des staatlichen Organisationsprinzips in einer Stärkung des Absolutismus gesehen; im kulturellen Sektor läßt sich eine deutliche Annäherung an europäische Vorstellungen registrieren, wobei die institutionellen Grundlagen, etwa im Bildungsbereich, nicht solide genug waren, um eine Absicherung der erzielten Fortschritte sicherzustellen. Die deutlichsten Veränderungen erfuhr wohl die Staatsorganisation: Es bildete sich eine politische Struktur heraus, die immer weniger Las Españas und immer deutlicher España genannt werden kann. Die Historiographie aus der nationalistischen Peripherie des Landes hat gerade diese zentralisierende Vereinheitlichung, die gegen die traditionellen fueros gerichtet war, besonders kritisch beurteilt. Insgesamt wird man somit festhalten können, daß Spanien im 18. Jahrhundert ein Land war, das nahezu ständigen und vielfältigen Reformen unterworfen war, das sich auf dem Weg zu seiner Modernisierung befand, zugleich aber die relativ engen institutionellen und politischen Grenzen des Aufgeklärten Absolutismus nicht zu durchbrechen wagte.19 Diese Verortung zwischen Traditionalität und Erneuerung hat dem bourbonischen Reformismus Lob und Tadel eingebracht, nachdem der Einfluß aufgeklärten Gedankenguts und seine Bekämpfung im 18. Jahrhundert zur Herausbildung jener zwei Strömungen geführt hatten, die Marcelino Menéndez y Pelayo die „Heterodoxen“ und die „Anti-Heterodoxen“ genannt hat. Erstere waren die aufgeklärten Neuerer, letztere die konservativen Verteidiger des traditionellen und traditionalistischen Spanien. Die konservative Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts hat die Schuld für die „Spaltung“ Spaniens in zwei Lager auf jene Politiker geschoben, die in der Zeit der Aufklärung den französischen Enzyklopädisten folgten, die ihr Land „entchristianisieren“ wollten und das antiklerikale Vorbild für die Liberalen des 19. Jahrhunderts abgaben. Dabei identifizierte sie die Orthodoxie mit dem „Traditionellen“ und „Spanischen“, die Aufklärung mit dem „Ausländischen“ und „Heterodoxen“. Der Ursprung dieser Kategorienbildung, die in der spanischen Geschichte bis in das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts von größter Bedeutung sein sollte, lag im 18. Jahrhundert selbst, in den Jahrzehnten der Aufklärung und der Französischen Revolution sowie in der teilweise gewaltsamen Reaktion hierauf. 20

V. Die Krise des Ancien Régime: Politikversagen, Dynastiewechsel, Kolonialverlust 1788–1808 1793–1795 1795 1796 1798 1804 1805 1807 1808

Karl IV., König Krieg gegen die französische Republik Frieden von Basel Vertrag von San Ildefonso Beginn der ‚Desamortisation‘ Krieg gegen Großbritannien Schlacht von Trafalgar Vertrag von Fontainebleau Aufstand von Aranjuez Besetzung Madrids durch französische Truppen Abdankungen Ferdinands VII. und Karls IV. Einsetzung von Joseph Bonaparte als spanischer König 1808–1814 Unabhängigkeitskrieg gegen die Franzosen Beginn der Unabhängigkeitsbewegungen in Hispanoamerika

Die letzten Jahrzehnte des 18. und die ersten des 19. Jahrhunderts werden in der spanischen Historiographie als „Krise des Ancien Régime“ bezeichnet.1 Chronologisch versteht man darunter im wesentlichen die Regierungsjahre Karls IV. (1788–1808), strategisch die Orientierungslosigkeit während der Verstrickungen in die Französischen Revolutionskriege, finanziell die stets größer werdende öffentliche Verschuldung, dynastisch das – vorübergehende – Ende der Bourbonen und den Übergang der spanischen Krone an Joseph Bonaparte, politisch das Absinken in europäische Bedeutungslosigkeit, kolonialhistorisch den Verlust des gewaltigen Überseereiches. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war – auch wegen der Überseerivalitäten – der Gegensatz zu Großbritannien zu einer Konstanten der spanischen Politik geworden; diese Konstellation sollte sich erst mit der Französischen Revolution ändern. Als sich in Frankreich 1792 die radikalen Kräfte durchgesetzt hatten, wurde ein Krieg mit dem Nachbarland unausweichlich. Es ist auffällig, daß die Reformtätigkeit des Aufgeklärten Absolutismus in Spanien mit dem Tod Karls III. (1788) und dem Regierungsantritt seines Sohnes Karl IV. ein jähes Ende fand. Die zeitliche Nähe dieses Datums zum Ausbruch der Französischen Revolution 1789 hat in der Geschichtsschreibung immer wieder dazu geführt, einen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen herzustellen. Die Französische Revolution

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führte die spanische Aufklärungs- und Reformpartei in eine tiefe Krise: Karl IV. entsagte völlig dem aufklärerischen Geist seines Vaters, wenn auch die ersten Nachrichten über die der Revolution vorausgehenden Unruhen keine allzu negativen Reaktionen seitens der spanischen Politiker hervorgerufen zu haben scheinen. Der Erste Minister Graf Floridablanca, den Karl IV. auf Wunsch seines Vaters hin im Amt belassen hatte, sprach sogar 1788 von einer Revolution in Frankreich als einem denkbaren Mittel, „um die gute Ordnung und die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.“ Nach dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 unternahmen die spanischen Behörden sofort Abgrenzungsversuche gegenüber dem revolutionären Frankreich; bei diesem Bemühen sollte eine Institution erneut Bedeutung erlangen, die in der Zeit davor, wegen des Regalismus im bourbonischen Königshaus, einen Großteil ihrer Macht eingebüßt hatte: die Inquisition.2 In den auf den Juli 1789 folgenden Monaten errichtete Spanien einen regelrechten cordon sanitaire gegen das aus Frankreich einströmende Gedankengut, Zensurmaßnahmen wurden eingeführt, 1791 wurden alle nicht-offiziellen Zeitungen geschlossen. Zu einer wichtigen Hilfsinstitution der Polizei bei allen Unterdrückungsmaßnahmen wurde die Inquisition, die bei Androhung der Exkommunikation Druck, Verkauf und Lektüre französischer Bücher sowie aller anderen Publikationen untersagte, die Kritik an Kirche oder König übten. „Französische“ Ideen wurden als Ruin der politischen und sozialen Ordnung betrachtet, da sie sich gegen die christliche Hierarchie richteten. Vor allem wurden jene Ideen abgelehnt, die einen naturrechtlich hergeleiteten allgemeinen Egalitäts- und Unabhängigkeitsanspruch der Individuen zum Inhalt hatten. Trotz aller Verbots- und Unterdrückungsmaßnahmen breitete sich jedoch radikales Gedankengut nach 1789 über ganz Spanien aus: zuerst in städtischen Kreisen, sodann auch auf dem Land. Die 1789 begonnene Zusammenarbeit zwischen Regierung und Inquisition wurde in den folgenden Jahren fortgesetzt und konnte 1792 konsolidiert werden. Generalinquisitor Agustín Rubín de Ceballos hielt sich für den bevorzugten Ratgeber von Minister Floridablanca und begleitete die staatlichen Repressionsmaßnahmen mit der kirchlichen Verdammung „aufgeklärter“ Literatur. In dem kurzen Jahr 1792, in dem Pablo Graf von Aranda als Nachfolger Floridablancas Erster Minister des Reiches war, wurde der Einfluß der Inquisition begrenzt. Während des gesamten Jahres fand ein Tauziehen zwischen dem antiklerikalen Aranda und der Inquisition statt; das Bestreben des Ministers ging dahin, Zensurkontrollen ausschließlich in staatliche Hände zu überführen. Noch bevor der Kampf zwischen dem Ersten Mi-

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Die Regierung Karls IV. bedeutete das Ende der aufklärerischen Reformpolitik, die unmittelbar in die Krise des Ancien Régime überleitete. Die Krisenphänomene der Zeit spiegeln sich in dem künstlerischen Werk von Francisco José de Goya y Lucientes, dessen Radierung „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ aus dem Zyklus „Caprichos“ (1797/98) hier wie eine Warnung erscheint. Foto: bpk.

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nister und dem Heiligen Offizium entschieden war, ließ Königin María Luisa (1751–1819) den Regierungschef fallen und erzwang die Einsetzung ihres Favoriten, Manuel de Godoy (1767–1851), zum Leitenden Minister. Unter Godoy wurde zwar der Einfluß der Inquisition wieder erweitert, trotzdem kann man nicht von einer Rückkehr zum cordon sanitaireSystem Floridablancas sprechen. Vor allem wurde der antifranzösische Kampf von der ideologischen auf die militärische Ebene verlagert. Während sodann auf den Schlachtfeldern der Krieg sich zu Ungunsten Spaniens entschied, verstärkte die Madrider Regierung die geistige Abschottung gegenüber dem Nachbarland. 1794 hob Karl IV. an allen Universitäten und Seminaren die Lehrstühle für öffentliches Recht, Naturrecht und Völkerrecht auf, nachdem befürchtet wurde, daß dort über die Menschen- und Bürgerrechte sowie über die französische Verfassung gelehrt würde, die bei spanischen Intellektuellen großes Interesse hervorgerufen hatte.3 Godoy sollte sich vor allem der Rettung des Lebens der französischen Königsfamilie widmen; diese Politik scheiterte, Frankreich erklärte vielmehr Spanien den Krieg. Das Jahr 1793 bedeutete somit einen Wendepunkt im Verhältnis Spaniens zur Französischen Revolution. Der Prozeß um die Hinrichtung von Ludwig XVI. beendete die Phase interessierter ‚Neugier‘, mit der die öffentliche Meinung Spaniens bis dahin die Französische Revolution verfolgt hatte. Im Herbst 1792 hatte sich Spanien dazu entschlossen, der Koalition gegen Frankreich beizutreten. Nach dem Scheitern des Versuchs, das Leben des französischen Königs zu retten, wurde dann im Februar 1793 mit allen propagandistischen Mitteln die religiöse und monarchische Gesinnung des Volkes angefeuert, Franzosenhaß machte sich breit; Freiwillige meldeten sich massenweise, um gegen das revolutionäre Frankreich zu kämpfen. Damit war aber Godoys Illusion einer möglichen Neutralität zerstört, Madrid war vielmehr in die Arme der Briten getrieben worden. Der Krieg verlief ungünstig für Spanien: Politische Probleme, wirtschaftliche Schwierigkeiten und französische Siege zwangen schließlich zur Aufnahme von Friedensverhandlungen. Im Frieden von Basel 1795 mußte Spanien den östlichen Teil der Insel La Española, seine Kolonie Santo Domingo, an Frankreich abtreten. Der Friede sollte aber von nur kurzer Dauer sein: Bereits ein Jahr später schloß Spanien mit Frankreich den Vertrag von San Ildefonso, durch den Madrid in einen erneuten verlustreichen Krieg – diesmal gegen Großbritannien – hineingezogen wurde, der den Warenverkehr mit den Kolonien in Amerika erheblich beeinträchtigte und damit die spanische Wirtschaft erschütterte. Das spanische Schwanken zwischen Frankreich und Großbritannien läßt das Dilemma eines schwachen Landes erkennen, das nicht mehr die Kraft zu

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eigenständiger Außenpolitik aufbrachte, vielmehr Objekt wechselnder Konstellationen im europäischen Machtkampf war. Parallel zu den revolutionären Ereignissen in Frankreich und dem Kampf um die Grenzüberschreitungen des Geistes machten sich in Spanien die Folgen einer großen Wirtschaftskrise bemerkbar, die auf die schlechten Ernten von 1788 und 1789 zurückzuführen waren. Die Versorgung der Städte mit Getreide konnte nicht mehr sichergestellt werden, und der Abtransport des Weizens aus den Agrargebieten in die größeren Städte führte zu Unruhen und Aufständen. In einigen Landesteilen fanden Hungerrevolten statt, die auf die hohen Brotpreise zurückgingen. Die soziale Situation war derart angespannt, daß die Regierung beschloß, Defensivmaßnahmen zu ergreifen, um Spanien vor jeglicher revolutionären Ansteckungsgefahr zu bewahren. Es läßt sich nicht klar ausmachen, ob diese Subsistenztumulte, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts häuften, durch die Ereignisse in Frankreich zusätzliche Sprengkraft erhielten und – über die materiellen Vorstellungen hinaus – auch allgemein-politische Forderungen nach mehr Freiheit zum Ausdruck brachten. Eine Schlußfolgerung läßt sich aus den Ereignissen allerdings ziehen: Trotz aller Verbots- und Unterdrückungsmaßnahmen breitete sich radikales französisches Gedankengut nach 1789 über Spanien aus; in einigen Fällen läßt sich auch ein Zusammenhang mit den häufig stattfindenden Subsistenzrevolten feststellen. Wirtschaftliche Probleme und revolutionäres Gedankengut gingen somit an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eine für das System gefährliche Mischung ein. Die sozio-ökonomischen Verhältnisse des Landes entsprachen damals weitgehend dem Interesse einer grundherrlichen Schicht. Landeigentum war großteils an die „Tote Hand“ – Aristokratie, Kirche, Munizipium – gebunden, die Zunftordnungen schränkten die Arbeitsbeziehungen ein, vielfältige Binnenzölle erschwerten die Herausbildung eines nationalen Marktes, das Transport- und Kommunikationssystem war schwerfällig und umständlich, das Land verfügte über keine verbreitete öffentliche Ausbildung und die Universitäten waren in dogmatischer Scholastik befangen. Wie andere Länder Europas, so war auch Spanien damals überwiegend landwirtschaftlich geprägt, die Agrarproduktion war viermal so groß wie die städtische Manufakturproduktion; von den circa 10,8 Millionen Einwohnern lebten 8,6 Millionen von der Landwirtschaft und nur 2,2 Millionen von anderen Tätigkeiten. Ungefähr zwei Drittel des bebaubaren Landes war in Händen des grundbesitzenden Adels und des Klerus, zu denen sich noch die Militärorden Calatrava, Santiago und Alcántara als Bodeneigentümer gesellten. Daß die scheinbar stabile ständestaatliche Gesellschaftsstruktur bereits zahlreiche Risse auf-

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wies, sollte spätestens mit dem napoleonischen Einfall in Spanien im Jahre 1808 und dem „Befreiungskrieg“ deutlich werden. Bis dahin hatten sich die zahlreichen Bauernaufstände und Subsistenzrevolten als Formen kollektiven Sozialprotests in den Grenzen der bestehenden Sozialordnung bewegt, wenn sie auch bereits deutlich werden ließen, daß im Rahmen eines wirtschaftlichen Feudalsystems die Agrarproduktion den Erfordernissen des Bevölkerungswachstums nicht mehr gerecht werden konnte. Die spanischen Aufklärer hatten daher schon im 18. Jahrhundert die geistigtheoretischen Grundlagen für die Auflösung der Güter im Besitz der „Toten Hand“ gelegt; der Versuch einer Agrarreform ‚von oben‘ war allerdings an vielfältigen Widerständen sowie an Kapitalmangel gescheitert.4 Unzufriedenheit und Krisensymptome waren an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert keineswegs auf die bäuerliche Bevölkerung beschränkt, vielmehr weit verbreitet. Zu den Agrarkrisen kamen Epidemien wie Gelbfieber und Cholera, zunehmende Inflation und vor allem die katastrophale Situation der Staatsfinanzen, deren Sanierung schließlich zu einem existenziellen Problem der Regierung Karls IV. wurde. Wegen seiner verlustreichen Verstrickung in die auf die Französische Revolution folgenden europäischen Kriege – 1793–1795 gegen Frankreich, 1797–1801 und 1804–1808 gegen Großbritannien – stand Spanien um die Jahrhundertwende vor dem Staatsbankrott; es mußte Kredite aufnehmen und hierzu staatliche Schuldverschreibungen (vales reales) ausgeben; außerdem begann 1798 zur Tilgung der Staatsschuld eine Art ‚Desamortisation‘, d. h. eine Verstaatlichung und anschließende Veräußerung der Liegenschaften von Hospitälern, Armenanstalten, Findelhäusern, Laienbruderschaften oder frommen Stiftungen, somit primär von Wohlfahrtseinrichtungen unter kirchlicher Verwaltung. Einige Jahre später ging die Regierung mit päpstlicher Zustimmung an die Säkularisation eines Siebtels der Kirchengüter des Ordensklerus. Zwischen 1798 und 1808 flossen durch diese Verkäufe 1,7 Milliarden reales in die königliche Kasse; im Agrarbereich bestand das Ergebnis dieser ersten Desamortisationsmaßnahmen in der Festigung der landwirtschaftlichen Struktur, da die veräußerten Ländereien von den Großeigentümern aufgekauft wurden, was zu einer Potenzierung der strukturellen Ungleichgewichte im Agrarsektor führte. Ohne die Staatsschuld abtragen zu können, provozierte die Regierung mit diesen Maßnahmen den Widerstand des Klerus.5 Unter dem Druck wachsender Opposition hatte Karl IV. seinen Günstling Godoy 1798 aus dem Amt des Staatsministers entlassen, ihm aber weiterhin informellen Einfluß auf die Politikgestaltung eingeräumt.6 Der spanische Handlungsspielraum war allerdings begrenzt: Seit 1799 Napoleon Erster Konsul in Frankreich geworden war, brachte er Spanien in Abhän-

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gigkeit von Paris und zwang Madrid in einen abermaligen Krieg gegen Großbritannien. In dieser Phase wurde Godoy noch einmal zum Gestalter der spanischen Geschicke, zum übermächtigen Generalissimus und zu einer Art „modernem Diktator“. Eine Zeitlang konnte sich Spanien durch Subsidienzahlungen an Frankreich so etwas wie ‚Neutralität‘ erkaufen. Im Seekrieg gegen Großbritannien erlitt die spanisch-französische Flotte sodann 1805 bei Trafalgar eine verheerende Niederlage, die enorme Verluste an Menschen und Schiffen zeitigte, gegen die Briten, die unter dem Oberbefehl von Lord Horatio Nelson (1758–1805) kämpften; Spanien schied endgültig als Seemacht aus. Lange Zeit ging man in der Geschichtsschreibung davon aus, daß die Auswirkungen der Französischen Revolution auf Spanien eher unbedeutend waren. Die Forschung der letzten Jahre hat jedoch deutlich werden lassen, daß bei mindestens vier wichtigen Aspekten enge Beziehungen zwischen der Französischen Revolution und der Entwicklung in Spanien bestanden: Zum ersten muß erwähnt werden, daß die Revolution für die Reformbestrebungen der spanischen Bourbonen eine Zäsur darstellte, da die Reformtätigkeit der Regierung Karls III. mit dem Regierungsantritt seines Sohnes ein Ende fand. Zum zweiten ist darauf hinzuweisen, daß bei den spanischen Abgrenzungsversuchen gegenüber dem revolutionären Frankreich die Inquisition erneute Bedeutung erlangte. Sie fungierte in jenen Jahren als politische Körperschaft, weniger als Bekämpferin der Ketzerei. Nach dem Frieden von Basel 1795 verlor sie an Gewicht; später mußte sie als wirtschaftliche Macht ihre Ressourcen sogar zur Auffüllung des Staatsschatzes zur Verfügung stellen. Zum dritten machten sich in Spanien die Folgen einer Wirtschaftskrise bemerkbar, die auf die schlechten Ernten der Vorjahre zurückzuführen waren und durch die Ereignisse in Frankreich zusätzliche Sprengkraft erhielten. Zum vierten schließlich hatte die Französische Revolution eine geistesgeschichtliche Wirkung, die in ihrer Bedeutung für die weitere Geschichte Spaniens kaum überschätzt werden kann. Die Stellung zur Revolution spaltete die intellektuellen Spanier in jene zwei Gruppierungen, die sich während des 19. und 20. Jahrhunderts unter wechselnden Bezeichnungen erbarmungslos bekämpfen sollten. Im Kampf um das revolutionäre Idearium erfolgte die tiefe Spaltung zwischen den „zwei Spanien“. Das Ideal des Aufgeklärten Absolutismus wurde somit im ersten Jahrzehnt der Regierung Karls IV. durch die Wirkung der Französischen Revolution und deren Bekämpfung weitgehend zerstört. Der Sieg des reaktionären Gedankenguts resultierte direkt aus der Revolution und dem Krieg von 1793–1795, in dem Spanien gegen das revolutionäre Frankreich

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kämpfte und verlor. Religiöser und politischer Absolutismus sowie Intoleranz waren die Prinzipien, die sich nach 1789 in der spanischen Politik und Kultur durchsetzen sollten; der Höhepunkt dieses Prozesses wurde nach 1814 unter Ferdinand VII. erreicht. Liberalismus und Absolutismus erfuhren ihre ideologische Ausprägung in der für das 19. Jahrhundert so geschichtsträchtigen Form in der spanischen Auseinandersetzung um die Französische Revolution. Die andauernden Kriege seit dem Regierungsantritt Karls IV. führten zu einer vollständigen Zerrüttung der Staatsfinanzen und zwangen die Regierung, staatliche Schuldverschreibungen mit einem konkreten Tilgungsund Zinsplan auszugeben sowie mit der Säkularisierung des Kirchenbesitzes zu beginnen, um an Ressourcen zur Tilgung der Schulden zu gelangen. Über die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser ersten Desamortisation lassen sich bisher nur begrenzte Aussagen treffen; offensichtlich wurde aber die Loyalität des Klerus und anderer Schichten, etwa des niederen Adels, zur Krone erschüttert. Der Unmut gegen die königliche Familie und ihren Günstling Godoy nahm zu – auch als Folge der kriegerischen Niederlagen; die Hoffnungen konzentrierten sich nun auf den Kronprinzen Ferdinand, dessen Abneigung gegenüber Godoy bekannt war und der eine Art ‚Oppositionspartei‘ um sich gesammelt hatte. Am Hofe intrigierte jeder gegen jeden; zugleich waren die einzelnen Parteien bemüht, die Unterstützung Napoleons für ihre jeweiligen Interessen zu erhalten. Die zahlreichen Hofintrigen und Verhandlungen führten 1807 zu einem neuen Abkommen mit Napoleon: dem Vertrag von Fontainebleau, der eine Teilung Portugals zur Durchsetzung der Kontinentalsperre gegen Großbritannien vorsah und dem französischen Heer den Durchmarsch durch Spanien erlaubte. Danach überstürzten sich die Ereignisse: General Junot marschierte mit französischen Truppen durch Spanien und eroberte Portugal, es folgte General Murat mit weiteren Truppen. Am Hof in Madrid konspirierte Ferdinand inzwischen gegen seinen Vater und Godoy, die Situation wurde immer verworrener. Im März 1808 kam es sodann in Aranjuez zu einem „Volksaufstand“ gegen die Regierung; dieser Motín de Aranjuez war im Grunde genommen nichts anderes als ein von Ferdinand inszenierter Putsch.7 Godoy wurde gefangengesetzt, Karl IV. dankte zugunsten seines Sohnes ab. Dieser sollte den Thron aber nur wenige Wochen innehaben: Napoleon setzte ein Treffen zwischen den beiden Bourbonen (Vater und Sohn) in dem südfranzösischen Ort Bayonne durch. Dort verzichteten auf französischen Druck hin sowohl Ferdinand als auch Karl auf den spanischen Thron; Napoleon übertrug diesen seinem Bruder Joseph Bonaparte.

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Damit fand die bourbonische Herrschaft in Spanien vorübergehend ihr ruhmloses Ende. Die spanische Bevölkerung fand sich aber mit der neuen Situation nicht ab: Am 2. Mai 1808 kam es in Madrid zum Volksaufstand gegen die französischen Besatzer und den neuen König. Deutlicher hätte die Kluft nicht zum Ausdruck gebracht werden können, die zwischen dem Hof und der Regierung auf der einen und der Gesellschaft auf der anderen Seite herrschte. Radikalen Veränderungen waren damals nicht nur die Spanier, sondern nahezu alle europäischen Gesellschaften ausgesetzt; im spanischen Fall war allerdings die schwächliche Staatsführung in eklatanter Weise unfähig, die Geschicke des Landes selbst zu bestimmen; der Umbruch vom Ancien Régime zur relativen ‚Moderne‘ des 19. Jahrhunderts wurde wesentlich von außen angestoßen. Die Nachricht von der Einsetzung Joseph Bonapartes als spanischer König rief in Amerika lebhafte Bestürzung und Verwirrung hervor. Die kreolische Haltung zu den Ereignissen in Spanien sollte den Verlauf der Unabhängigkeitsbewegung wesentlich prägen. Infolge der politischen und militärischen Wirren, als die alten Gewalten zusammenbrachen und Spanien von fremden Heeren okkupiert wurde, bestand für das Land nicht die Möglichkeit, in seinen überseeischen Besitzungen einzugreifen. Diese historische Situation im Mutterland ermöglichte dem spanischen Amerika sich zu emanzipieren. Denn durch die Ereignisse in Europa wurden die spanisch-amerikanischen Kolonien vor die Entscheidung gestellt, ob sie, dem Beispiel der Bevölkerung des Mutterlandes folgend, Ferdinand VII. weiterhin anerkennen oder aber die neue napoleonische Dynastie akzeptieren sollten. Die kreolische Bevölkerung wandte sich von Anfang an energisch gegen die Ansprüche der neuen napoleonischen Dynastie. Ihre nahezu einhellige Ablehnung nötigte die spanischen Kolonialbehörden, dieselbe Haltung einzunehmen. Die Bereitschaft der Kreolen, der angestammten Dynastie der Bourbonen die Treue zu halten, verband sich mit dem Wunsch, die Gunst des Augenblicks zu nutzen, um die eigene Stellung gegenüber den spanischen Kolonialbehörden zu stärken und diese durch Organe der Selbstregierung zu ersetzen. Diese Bestrebungen gewannen Gestalt in der spanisch-amerikanischen Junta-Bewegung. Auf Initiative der Stadträte wurden namentlich in den größeren Städten kreolische Regierungsausschüsse errichtet, die den Anspruch erhoben, im Namen Ferdinands VII. zu regieren. Die Juntas wollten somit für die überseeischen Besitzungen weitgehende Selbständigkeit, allerdings noch im Rahmen des spanischen Imperiums erlangen. Noch überwog das Gefühl der Zugehörigkeit zu Spanien und zum angestammten Herrscher. Staatsrechtlich wurden die Kompetenzen, die die lateinamerikanischen Juntas für sich beanspruchten, mit Theorien der

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Lehre vom Gesellschaftsvertrag und der Volkssouveränität begründet, die von der Aufklärung im spanischen Amerika verbreitet worden waren, jedoch auch in der Tradition der Naturrechtslehren der spanischen Spätscholastik lagen. Erst, als in der ‚Neuen Welt‘ die Nachricht eintraf, daß die französischen Truppen nahezu ganz Spanien besetzt hatten und die Lage der bourbonischen Dynastie hoffnungslos war, übernahmen die Juntas die Regierungsgewalt und erklärten die Unabhängigkeit der ihnen unterstehenden Territorien, wodurch Amerika sich von dem französisch gewordenen Spanien löste. Als schließlich auch noch 1811 die liberalen Cortes von Cádiz nicht bereit waren, eine Gleichberechtigung Amerikas anzuerkennen, sondern darauf bestanden, daß die Führung der Universalmonarchie bei Spanien liegen müsse, war dies für die Vertreter aus Übersee der endgültige Beweis dafür, daß auch ein liberales Spanien keine Gewähr für die politische Freiheit Amerikas bot. So erschien nicht mehr der Absolutismus Ferdinands VII. als Widersacher Amerikas, sondern Spanien schlechthin. Der Kampf der Kreolen wurde deshalb zum Unabhängigkeitskampf, das Ziel war jetzt die völlige Emanzipation von Spanien.8 Aufgrund unterschiedlicher regionaler Konstellationen waren der Weg und die Mittel, mit denen die Emanzipation erreicht wurde, sehr unterschiedlich.9 Man kann deshalb behaupten, daß im spanischen Amerika zugleich mehrere Unabhängigkeiten deklariert und erkämpft wurden. Eine regionale Differenzierung bietet sich bei der Analyse an. Weil die Auseinandersetzungen nicht nur zwischen der hispanoamerikanischen Bevölkerung und Spanien stattfanden, sondern auch zwischen „patriotischen“ und königstreuen Hispanoamerikanern, ist es außerdem korrekt, von einer Bürgerkriegssituation zu sprechen, die am Anfang der Bildung von Republiken stand. „Patrioten“ – so nannten sich die Unabhängigkeitskämpfer – stellten die Kolonialsituation als ein durch Gewalt erzwungenes Abhängigkeitsverhältnis dar. Durch die Unterdrückung der Selbstbestimmung, so argumentierten sie, würden in den Kolonien wirtschaftliche Entwicklungschancen zerstört. Royalisten akzeptierten dagegen das ungleiche Verhältnis zum Mutterland. Sie sahen in der Unterordnung geradezu eine Pflicht und zögerten nicht, „Patrioten“ als Verräter an einem durch Tradition legitimierten System darzustellen. Als von spanischer Seite nach der Rückkehr Ferdinands VII. auf den Thron 1814 energisch die Wiederherstellung des Kolonialregimes betrieben wurde, eskalierte der Konflikt zwischen Königstreuen und „Patrioten“ in weiten Teilen der vier Vizekönigreiche zu blutigen Auseinandersetzungen. Struktureller Hintergrund der Unabhängigkeitsbewegung Hispanoamerikas waren die „bourbonischen Reformen“ des letzten Drittels des

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18. Jahrhunderts. Durch diese Reformen weitete die Regierung die Rechte eines Teils der Bevölkerung aus, zugleich wurden die Abgaben an den Fiskus erhöht und die Kontrolle durch externe Beamte, die Intendanten, verstärkt. Es gelang aber nicht, alle Interessen gleichermaßen zu berücksichtigen. Eine starke Kreolenfraktion, die durch den Abbau von Privilegien zurecht die Einbuße ihrer herausragenden Stellung in der Gesellschaft Hispanoamerikas befürchtete, ergriff die Initiative, verlangte Reformen und füllte schließlich das durch die französische Besetzung der Iberischen Halbinsel entstandene Herrschaftsvakuum aus. Als der spanische Monarch 1814 auf seinen Thron zurückkehrte, war der Ablösungsprozeß der amerikanischen Kolonien bereits so weit fortgeschritten, daß das Mutterland trotz militärischer Kampagnen und massenhafter Exekutionen von „Verrätern“ kein wirksames Rezept mehr zur Eindämmung der antikolonialen Bewegung fand. Neben den „bourbonischen Reformen“ spielten der Einfluß der Aufklärung, die Französische und die USamerikanische Revolution sowie das in Übersee bestehende gesellschaftlich-ethnische Konfliktpotential eine bedeutende Rolle für die Entscheidung Amerikas, sich von Spanien zu trennen. Das, was sich in Spanisch-Amerika zwischen 1810 und 1825 abspielte, war letztlich eine ‚Revolution von oben‘. Die Stärke der Kreolen und ihre Haltung hinsichtlich des Kolonialregimes waren die Variablen, die darüber entschieden, ob die Unabhängigkeit aus eigener Kraft oder unter Zuhilfenahme ‚externer‘ Befreiungsarmeen errungen wurde. In keinem Vizekönigreich traten die Kreolen als homogene Gruppe auf: Am Río de la Plata spalteten sie sich in Royalisten und „Patrioten“. In nur wenigen Städten Hispanonamerikas trat eine starke Kreolenfraktion so entschieden gegen das spanische Kolonialregime auf wie in Buenos Aires. Doch tat sich die kreolische Aristokratie der Hafenstadt schwer, in den Provinzen genügend Unterstützung für ihr Nationsprojekt zu finden. Die Spannungen zwischen der Hauptstadt Buenos Aires und den Provinzen führten zu Separationstendenzen (Uruguay, Paraguay, Bolivien). In Neu-Granada verhielten sich die Kreolen zuerst ziemlich opportu nistisch. Partikular- und Regionalinteressen überwogen auch hier gegenüber aufklärerischen Reformzielen. Die Kreolen im nördlichen Südamerika zeigten sich wenig geneigt, soziale Reformen zu verwirklichen, um die schwarzen, mulattischen und indianischen Massen in ihr Nationsprojekt zu integrieren. In Anbetracht des nach 1815 deutlich erkennbaren Reformunwillens der spanischen Bürokratie und der grausamen Praktiken der zur Rückeroberung des verlorenen Territoriums ausgeschickten spanischen Truppen gaben immer mehr Angehörige der Oberschichten ihre Indifferenz auf und optierten offen für die Gründung eines souveränen National-

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staates. Unabhängigkeit war für sie gleichbedeutend mit Übernahme der politischen Herrschaft. In Peru bildeten Kreolen und spanische Weiße eine Interessengemeinschaft, die fest entschlossen war, den Status quo zu verteidigen. Den Kreolen gelang es vorerst, die indianischen und mestizischen Massen mit klientelistischen Maßnahmen an sich zu binden. Die Befreiung ‚von außen‘ war unumgänglich. Auch in Neu-Spanien kollaborierten viele Kreolen mit dem Kolonialregime, da sie der Niederschlagung des ethnisch-sozialen Aufruhrs Priorität vor der Erringung politischer Emanzipation einräumten. Eine soziale Revolution scheiterte schließlich wegen ihres regionalen Fokus. Insgesamt war der von den mexikanischen Kreolen betriebene Aufwand zur Unterwerfung der ethnisch-sozialen Bewegung weitaus größer als der zur Erringung der Unabhängigkeit. Als entscheidendes Merkmal des lateinamerikanischen Nationalismus läßt sich die Abschüttelung kolonialer Herrschaft bezeichnen. Die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und der differierende Verlauf der Unabhängigkeitskriege hatten zur Folge, daß, obwohl einer einzigen Herrschaft und kulturellen Prägung entspringend, eine Vielzahl von Nationalstaaten das koloniale Erbe antrat. Dieser Schöpfungsakt ist der Referenzpunkt aller nationalen Mythen-, Legenden- und Traditionskonstruktionen in Hispanoamerika. Die große Mehrheit der Bevölkerung, die Frauen, Indianervölker, Schwarzen und Mulatten, mußten sich ihren Platz in den neuen Gesellschaften erst noch erkämpfen. Dieser Emanzipationsprozeß dauert bis heute an. Aus der Perspektive der großen Massen war daher das Ergebnis der Unabhängigkeitskriege äußerst zwiespältig. Für Spanien bedeutete das Ergebnis der Unabhängigkeitskriege den Verlust fast seines gesamten Kolonialreiches – nur Kuba, Puerto Rico und die Philippinen blieben ausgenommen – und ein Absinken in die weltpolitische Bedeutungslosigkeit. Der Untergang des Kolonialmarktes warf das einstige Mutterland auf seinen eigenen Markt zurück; viele Produktionsbereiche, die bis dahin von den Handelsbeziehungen mit Amerika profitiert hatten, gerieten in die Krise: die kommerzielle Landwirtschaft Andalusiens, der Weinbau am Mittelmeer, die katalanisch-valencianische Textilmanufaktur, der Wollexport. Nicht nur politisch, auch ökonomisch stand ein schwieriger Neubeginn bevor.

VI. Wirtschaft, Gesellschaft und Politik im Umbruch (1808–1875) 1808 1808–1814 1811–1814 1812 1814–1833 1820–1823 1823 1833–1839 1834 1837 1840 1841–1843 1844 1844–1868 1847–1849 1854–1856 1855 1858 1868 1868–1870 1868–1874 1869 1870–1873 1872–1876 1873/74 1875

Abdankung Ferdinands VII. zugunsten Karls IV.; Abdankung Karls IV. zugunsten Joseph Bonapartes Unabhängigkeitskrieg gegen die Franzosen Cortes von Cádiz „Verfassung der spanischen Nation“ (Cádiz) Ferdinand VII., König von Spanien „Konstitutionelle drei Jahre“ Wiederherstellung des Absolutismus Erster Karlistenkrieg „Königliches Statut“ (Estatuto Real) Neue Verfassung Abdankung der Königin-Regentin María Cristina und Ernennung Esparteros zum Regenten Regentschaft Esparteros Gründung der Guardia Civil Die Isabellinische Ära Zweiter Karlistenkrieg Progressistisches Biennium Allgemeines Gesetz über die Desamortisation von Pascual Madoz Gründung der Unión Liberal „Septemberrevolution“, Sturz der Bourbonen Regentschaft General Serranos Die „revolutionären sechs Jahre“ Neue Verfassung Amadeus I. von Aosta, König von Spanien Dritter Karlistenkrieg Erste Republik Restauration der Bourbonenherrschaft

Die spanische Historiographie läßt die neueste Geschichte des Landes mit dem Jahr 1808 beginnen. Die französische Besetzung und der Beginn des ‚Unabhängigkeitskrieges‘ (1808–1814) erhalten somit als säkularer Einschnitt eine ähnliche Bedeutung wie im Nachbarland Frankreich das Revolutionsjahr 1789. Mehr als für West- und Zentraleuropa begann für Spanien damals eine Phase politischer Instabilität. Bei eindeutigem Vorherr-

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schen innenpolitischer Probleme lassen sich zwischen dem Unabhängigkeitskrieg und dem Bürgerkrieg von 1936 weit über hundert Regierungen zählen, eine ganze Reihe von Verfassungen und verschiedenen Regimen, mehrere Attentate auf und Ermordungen von Regierungschefs, Verbannungen und Entthronungen. Das geistig-politische Leben Spaniens wurde zuerst durch die Auseinandersetzung zwischen liberalen Kräften und der nach wie vor in feudalistischen Strukturen gründenden absoluten Monarchie bestimmt; im weiteren Verlauf betrafen die soziopolitischen Auseinandersetzungen die verschiedenen Fraktionen des bürgerlichen Liberalismus, gegen Ende des Jahrhunderts kristallisierten sich als Gegner immer deutlicher Bourgeoisie und Proletariat heraus. Die aufklärerische Infragestellung der alten Ordnung, die auf einem Wertesystem basierte, das die Existenz Gottes sowie die Unantastbarkeit der Monarchie und der Ständeordnung als nicht hinterfragbare Prämissen setzte und das alle Lebensbereiche durchzog, hatte auch in Spanien schon im 18. Jahrhundert begonnen; sie erreichte ihren Höhepunkt jedoch erst im 19. Jahrhundert, in dem sie auch – bei hartnäkkigem Widerstand der Traditionalisten – zu politisch-konstitutionellen Umgestaltungen führte. Dieser Vorgang wurde durch die zunehmende Auflösung der Ständeordnung und den stets deutlicher werdenden Anachronismus der Besitzstrukturen an Grund und Boden begünstigt. Die liberalen Kreise stellten allerdings vorerst eine Minderheit dar, und das Proletariat als organisierte Kraft, als „Klasse für sich“, trat erst gegen Ende des Jahrhunderts auf den Plan. Die wirtschaftliche Entwicklung Spaniens war schon im 18. Jahrhundert gegenüber der in Großbritannien und Frankreich zurückgeblieben. Die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen für eine wirtschaftliche Umgestaltung, Modernisierung und Anpassung an neue Bedürfnisse unterblieben; vor allem fehlte es an Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten. Von den geistigen und materiellen Auswirkungen der Französischen Revolution hatten die führenden Schichten das Land weitgehend abzuschirmen versucht.1 Wie fragil Staat und Gesellschaftsstruktur des Ancien Régime waren, legte die französische Invasion von 1808 offen. Die napoleonische Besetzung Spaniens stellt zweifellos einen Wendepunkt in der Geschichte des Landes dar. Dieses zum nationalen Trauma gewordene Ereignis erschütterte sämtliche Bereiche des staatlichen Lebens. Scheinbar erfolgte damit in Spanien die Ablösung des bourbonischen durch den napoleonischen Staat; faktisch jedoch regte sich sofortiger Widerstand gegen den „Eindringling“ (rey intruso) und die revolutionären Ideen aus Frankreich. Da der Staatsapparat zusammengebrochen war und eine zentrale Staats-

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gewalt fehlte, außerdem viele noch von Manuel Godoy eingesetzte Behörden sich den Franzosen nicht entgegenstellten, entwickelte sich der am 2. Mai 1808 in Madrid begonnene Volksaufstand sehr schnell zu einem Unabhängigkeitskrieg, der als Guerrillakrieg geführt wurde. Joseph Bonaparte beherrschte im Grunde genommen nur die unmittelbar von französischen Truppen kontrollierten Gebiete; sein Bruder Napoleon mußte daher an der Spitze eines 200 000 Mann starken Heeres auf der Iberischen Halbinsel intervenieren. Bis zum Rußlandfeldzug 1812 behielten die Franzosen in Spanien die Initiative; danach befanden sie sich in der Defensive. Die Kirche unterstützte den antifranzösischen Kampf, indem sie Napoleon als Personifizierung des Antichrist darstellte und die Menschen gegen die Franzosen fanatisierte. Zugleich trug sie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung bei, indem sie die neu entstandenen Revolutionsjuntas legitimierte. Die öffentliche Ordnung sollte außerdem durch die „ehrbaren Milizen“ (milicias honradas), die sich aus „guten Bürgern“ zusammensetzten, gewährleistet werden. Die Miliz oder Bürgerwehr bestand bis 1874, wurde von konservativen Regierungen wegen ihres „Volkscharakters“ immer wieder aufgelöst, sodann aber erneut ins Leben gerufen; es handelte sich um eine Art Volksheer auf Provinzebene, das parallel zum regulären Heer bestand.2 Joseph Bonaparte machte die den Spaniern von seinem Bruder Napoleon 1808 oktroyierte „Verfassung von Bayonne“ zur Grundlage seiner Herrschaft; sie sah ein zentralistisches politisches System vor, in dem die Cortes als einflußlose ständische Vertretung fungierten; Spanien wurde zur erblichen Monarchie, der Katholizismus zur Staatsreligion. Die historische Bedeutung dieser Verfassung liegt darin, daß sie den ersten Versuch des Übergangs vom Absolutismus zum (Schein-)Konstitutionalismus darstellte. König Joseph I. führte darüber hinaus eine ganze Reihe von Reformen durch: Im Bildungssektor wurden eine zentrale Planungsinstitution geschaffen und Gymnasien gegründet; im religiösen Bereich wurden die Inquisition und einige Orden abgeschafft, außerdem die entschädigungslose Verstaatlichung der Güter von Mönchs- und Militärorden verfügt; auf landwirtschaftlichem Gebiet wurden Majorate beseitigt. Diese ‚modernen‘ Elemente der französischen Herrschaft dürften es auch gewesen sein, die einige Tausend Spanier zur Zusammenarbeit mit Bonaparte bewogen. Das Ziel dieser Kollaborateure, „Französlinge“ genannt (afrancesados) bestand in der Erneuerung der spanischen Monarchie und in inneren Reformen; sie fühlten sich stärker dem Staatsganzen als einer Herrscherperson verpflichtet. Außerdem befürchteten sie, die vielfältigen lokalen und regionalen Juntas, die nach 1808 gegründet worden waren, könnten sich weiter radikalisieren und schließlich die Republik ausrufen.3

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Während der Kampf der Spanier, unterstützt von einem britischen Heer unter dem Herzog von Wellington, gegen die Franzosen fortging, berief die Zentraljunta in den unbesetzten spanischen und den noch loyalen hispano-amerikanischen Provinzen verfassunggebende Cortes nach Cádiz ein, wo die Versammlung unter dem Schutz der britischen Flotte zusammentrat. Die wichtigste Leistung der liberalen „Cortes von Cádiz“ war zweifellos die Verfassung von 1812, die zur Magna Charta des spanischen Liberalismus wurde. Mit dieser Verfassung und den weiteren Reformen der Cortes von Cádiz suchten die liberalen Kräfte den institutionellen Rahmen für eine bürgerliche Gesellschaft in Spanien zu verwirklichen. Allerdings war die Verfassung das Werk einer fortschrittlichen Minderheit im Land, die keineswegs repräsentativ für die Sozialstruktur Spaniens zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die politischen Grundüberzeugungen der Bevölkerungsmehrheit war. Neben der Verfassung erließen die Cortes zahlreiche weitere Reformbestimmungen, die am sozio-ökonomischen Fundament des Ancien Régime rüttelten. Die neue liberale Wirtschaftsordnung etwa äußerte sich in der Abschaffung der feudalistischen Patrimonialgerichtsbarkeit und grundherrschaftlicher Rechte; Ländereien durften fortan eingezäunt und frei genutzt werden, die Weideprivilegien der mächtigen Viehzüchtervereinigung Mesta verschwanden. Weitere Erlasse sahen freie Berufsausbildung und Gewerbefreiheit vor, was der Abschaffung der Zunftordnung gleichkam. Insgesamt schufen die Cortes von Cádiz ein Reformprogramm, das den Übergang vom Ständestaat des Ancien Régime zur liberalen Gesellschaftsordnung des 19. Jahrhunderts ermöglichte und einleitete. Die beschlossenen Änderungen – Gewaltenteilung, administrative Zentralisierung, Beseitigung von Sonderrechten, Aufhebung von Privilegien, Beseitigung der Inquisition und Etablierung wirtschaftlicher Freiheiten – hätten Spanien der von der Französischen Revolution ausgelösten gesamteuropäischen Entwicklung anpassen können, wenn sich mit Ferdinand VII. nicht die traditionalistischen Kräfte und der Absolutismus abermals durchgesetzt hätten.4 Nachdem Ferdinand VII. 1814 aus französischer Gefangenschaft nach Spanien zurückgekehrt war, erklärte er staatsstreichartig die Verfassung und die gesamte Gesetzgebung von Cádiz für ungültig. Der Graben zwischen den Konservativen und den Liberalen wurde zusehends tiefer. Fortan sollten die Prinzipien „Tradition“ und „liberale Erneuerung“ das Wechselspiel der spanischen Verfassungsgeschichte bestimmen. Bis 1820 regierte Ferdinand als absoluter Herrscher; seine restaurativen Maßnahmen hoben fast alle Reformen auf: Die Behördenorganisation alten Stils wurde wieder eingeführt, die Kirche erhielt ihre Prärogativen

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zurück, religiöse Orden wurden wieder zugelassen, die Jesuiten ins Land zurückgerufen, die Inquisition erneut in ihre alten Rechte eingesetzt, die Gewerbefreiheit abgeschafft und die Zunftordnungen wieder eingeführt. Liberale und afrancesados wurden inhaftiert oder mußten ins Exil.5 Zwischen 1814 und 1820 wechselten zahlreiche Regierungen im Amt ab; ihre Lebensdauer betrug zumeist nur wenige Monate. Der Hauptgrund für die zunehmenden Schwierigkeiten der Regierungen war das Finanzproblem des Staates, das kein amtierender Minister lösen konnte. Vor dem Unabhängigkeitskrieg hatten die aus den Kolonien bezogenen Einkünfte 11 bis 15 Prozent der Staatseinnahmen betragen; dieser Prozentsatz fiel 1814–1819 auf 4,5 Prozent, danach verschwindet er ganz aus den Statistiken. Der Abfall der amerikanischen Kolonien trug somit zum schnellen Rückgang der Staatseinkünfte bei, die Einnahmen aus Hafenzöllen und die Edelmetalleinfuhr entfielen. Der Verlust der kolonialen Absatzmärkte traf nicht nur die katalanische Textilindustrie, sondern ebenso die Exportlandwirtschaft Kastiliens und indirekt eine breite Schicht von der Exportwirtschaft lebender Handwerker.6 Die Finanzkrise des Staates führte zu gravierenden Mängeln in der Ausrüstung der Streitkräfte, die immer weniger in der Lage waren, nach außen Spaniens Großmachtanspruch durchzusetzen und die Abfallbewegung in den amerikanischen Kolonien zu verhindern. Nach innen jedoch übernahm die Armee fortan eine besondere Funktion: Der Unabhängigkeitskrieg hatte eine Entwicklung ausgelöst, durch die sich das Militär in die Politik einmischen und sogar zu einem beherrschenden Faktor des staatlichen Lebens werden konnte. Versuche des restaurierten bourbonischen Königtums, das Offizierskorps in die Stellung eines widerspruchslos dienenden Instruments zurückzuführen, scheiterten. Vielmehr setzten seit 1814 pronunciamientos (Militärrevolten) ein, die fortan die Ablösung von Regierungen vornahmen. Zumeist liefen sie nach bestimmten ‚Regeln‘ ab, denen zufolge ein Militärführer sich gegen die herrschenden Mißstände ‚aussprach‘ und ein Programm als Manifest an die Truppe verkündete. Der Aufstand hatte zuerst lokalen Charakter, sprang dann auf die Provinz und von dort auf die Hauptstadt über. Nach einiger Zeit gab die Regierung ihren inzwischen sinnlos gewordenen Widerstand auf, die neuen Machthaber zogen in Madrid ein. Die meisten dieser pronunciamientos wurden im 19. Jahrhundert als liberal angesehen; dies gilt vor allem für die zwischen 1814 und 1820, als ehemalige Guerrillaführer, die inzwischen als Offiziere in der Armee dienten, durch Militärrevolten die Einberufung von Cortes und die Annahme der Verfassung von 1812 durch den König erzwingen wollten.7 Einer dieser pronunciamientos hatte 1820 Erfolg: die Militärrevolte von

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Oberst Rafael del Riego, die im liberalen Cádiz ihren Ausgang nahm, wo die spanischen Truppen unwillig auf ihre Verschiffung nach Amerika warteten, um dort die Unabhängigkeitsbewegung niederzukämpfen. Ferdinand VII. sah sich gezwungen, den Eid auf die Verfassung von 1812 zu leisten und die Cortes wieder einzuberufen. Die Liberalen hatten sich inzwischen in die eher gemäßigte Richtung der Moderados und die radikale der Exaltados gespalten; es handelte sich um Anfänge politischer Parteien. Die beiden Fraktionen bekämpften sich im Parlament derart vehement, daß die Cortes bis zur Beschlußunfähigkeit gelähmt wurden. Die Moderados waren ehemals Inhaftierte und Exilierte, die inzwischen für eine „ausgewogene“ Verfassung eintraten, während die Exaltados demgegenüber für die unveränderte Beibehaltung der Verfassung von 1812 plädierten. Sie rekrutierten sich aus den radikalen Kräften der Städte und waren antiaristokratisch. Im Unterschied zu den Moderados, die eher als Vertreter des Besitzbürgertums angesehen werden können, waren die exaltados für die unterprivilegierten Schichten durchaus attraktiv. In Madrid waren sie auch in den vielfältigen politischen Clubs, in Pressezirkeln, den „Patriotischen Gesellschaften“, den Geheimbünden und den vielen Freimaurerlogen jener Jahre repräsentiert.8 In den Jahren 1820–1823 bot sich zum ersten Mal die Gelegenheit, die Reformen von Cádiz in die Praxis umzusetzen. Das System sollte von oben verändert werden, die führenden Schichten wollte man von den Vorzügen des konstitutionellen Regimes überzeugen, das Volk aber weiterhin von der Politik fernhalten. Die Probleme ließen nicht auf sich warten: Die Kleinbauern z. B. konnten im Konstitutionalismus jener Jahre keine Vorzüge erblicken, da er sich für sie im wesentlichen in der Erhöhung ihrer direkten Besteuerung erschöpfte; der ‚revolutionäre‘ Prozeß ging zu keinem Zeitpunkt über die Grenzen eines bürgerlichen Reformismus hinaus. In der Zwischenzeit bereitete Ferdinand VII. die absolutistische Restauration vor. Auf seine Bitte hin beschloß die Heilige Allianz auf dem Kongreß von Verona 1822, für die Wiederherstellung des Absolutismus militärisch in Spanien zu intervenieren. Im Frühjahr 1823 marschierte ein französisches Heer in Spanien ein: „Die 100 000 Söhne von Ludwig dem Heiligen“; nach der Niederringung nur geringen Widerstandes stellte Ferdinand VII. die absolute Monarchie wieder her. Die „drei Verfassungsjahre“ waren sowohl an inneren Widersprüchen, vor allem an der Agrarund Steuerpolitik der Liberalen, als auch an der Intervention von außen gescheitert.9 Mit der erneuten Aufhebung der Verfassung begann das absolutistischunheilvolle Jahrzehnt 1823–1833 (la década ominosa), in dem die königliche Diktatur abermals mit repressiven Mitteln durchgesetzt wurde. Fer-

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dinand veranstaltete eine Hexenjagd auf Liberale, säuberte die Verwaltung, schloß die Universitäten, zwang führende Politiker ins Exil, machte die meisten Beschlüsse der „drei Verfassungsjahre“ rückgängig und beendete damit jegliche politische Modernisierung und gesellschaftliche Veränderung. Das Paradoxe an der Entwicklung war, daß Ferdinand nicht nur mit der Opposition der Liberalen, sondern auch mit dem Widerstand der extremen Absolutisten rechnen mußte, denen seine ‚Säuberung‘ unter den Liberalen nicht weit genug ging, die die Abschaffung jeglichen staatlichen Unterrichts forderten, die das „liberale“ durch ein Heer des Königs ersetzt wissen wollten und es dem Monarchen nicht verziehen, daß er die Inquisition nicht wiedereinführte. 1827 kam es daher in Katalonien zu einem Aufstand, der bereits die extrem reaktionär-absolutistischen Ziele der späteren karlistischen Bewegung anstrebte.10 Bei Ferdinands Tod 1833 war die Nachfolgefrage nicht eindeutig geklärt. Es begann ein Bürgerkrieg zwischen den Anhängern von Ferdinands Bruder Karl, den „Karlisten“ und denen von Ferdinands dreijähriger Tochter Isabella, deren Interessen während ihrer Minderjährigkeit von der Königinwitwe und Regentin María Cristina, den „Cristinos“ wahrgenommen wurden. Der dynastische Erbstreit war aber nur äußerer Anlaß und Fassade dieses ersten Karlistenkrieges (1833–1839), in dem es eigentlich um die Beibehaltung eines extrem reaktionären Absolutismus oder die Einführung einer konstitutionellen Monarchie auf liberaler Grundlage ging. Eigentlich war María Cristina keineswegs liberal; da aber der von der extremen Rechten unterstützte Klerikalabsolutist Karl von der Thronfolge ausgeschlossen werden sollte, verbündete sich die Regentin mit den gemäßigt-liberalen Kräften; der Krieg ging damit schließlich um die Entscheidung zwischen Liberalismus und Absolutismus, wobei letzterer sich geschickt für die Interessen der Kirche und der regionalen Sonderrechte – der fueros, besonders des Baskenlandes – einsetzte; der Schwerpunkt der karlistischen Bewegung, die unter der Devise „Gott, Vaterland, König, Fueros“ antrat, lag denn auch in Regionen, die gegen die kastilische Zentralregierung eingestellt waren. Zur sozialen Basis des Karlismus zählten vor allem die regionale Kleinund Parzellenbauernschaft des Baskenlandes, Navarras und einiger Gegenden Kataloniens (besonders des Maestrazgo), ein aktiver Teil des Klerus (Ordensgeistliche, Landpfarrer) und die am Rande der Proletarisierung lebenden urbanen Handwerkerschichten. International unterstützt wurden die Karlisten von den absoluten Monarchien der Heiligen Allianz, mithin von Preußen, Rußland und Österreich, während die „Cristinos“ vor allem von Großbritannien und Frankreich Unterstützung erfuhren. 1839 endete der Krieg in der „Umarmung von Vergara“ mit einem Kompromiß,

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demzufolge die karlistischen Offiziere bei Beibehaltung ihres Dienstgrades ins reguläre Heer übertreten durften, während die Regierung sich für die Beibehaltung der Fueros einzusetzen versprach. Der Konflikt war damit nicht gelöst, sondern in der Schwebe gelassen.11 Während auf den Schlachtfeldern die Entscheidung zwischen Liberalismus und Absolutismus fiel, übernahmen im politischen Zentrum Madrid die „Oligarchen des Liberalismus“, die Moderados, die Macht, die eine Beschränkung der monarchischen Rechte durch eine Volksvertretung durchsetzten. Mit dem von der Regentin oktroyierten Estatuto Real von 1834 institutionalisierten sie die konstitutionelle Monarchie in Spanien, die fast 100 Jahre, bis 1931, Bestand hatte. Den entscheidenden Einfluß auf die Regierungsbildung übte die Krone aus, die eine neue Regierung in aller Regel nicht nach, sondern entgegen dem Mehrheitswillen des Parlaments ernannte. Die von der Krone gestützte Regierung erlangte dann die erforderlichen Mehrheiten in Neuwahlen, an denen wegen des hohen Zensuswahlrechts vorerst nur ca. 18 000 Spanier, also 0,15 Prozent der Bevölkerung, teilnehmen konnten. Die verschiedenen Fraktionen des Liberalismus entwickelten sich jetzt zu deutlich unterschiedlichen Parteien: Auf der Rechten die „doktrinären“ oder konservativen Liberalen (Moderados), die von der „doppelten Souveränität“ des Monarchen und der Cortes ausgingen, und die nahezu ununterbrochen an der Regierung waren; auf der Linken die Progressisten, die sich auf die Verfassung von 1812 und auf das Prinzip der Volkssouveränität beriefen und für radikalere Reformen, etwa hinsichtlich des Kommunalwahlrechts und der demokratischen Organisation der Bürgermiliz, eintraten.12 Zu den wichtigsten sozio-ökonomischen und politischen Maßnahmen der liberalen Regierungen der folgenden Jahre gehörte die Desamortisation, das heißt die Aufhebung kirchlicher und adeliger Grundherrschaft sowie die Enteignung und der anschließende Verkauf kirchlicher und kommunaler Ländereien der „Toten Hand“. Die ersten Desamortisationsgesetze waren bereits zur Zeit Karls IV. und sodann während des Unabhängigkeitskrieges erlassen worden. Hintergrund dieser Maßnahmen war die staatliche Finanzmisere gewesen. Den entscheidenden Impuls erfuhr die Desamortisation in den 1830er Jahren unter Ministerpräsident Juan Alvarez Mendizábal (1835–1837), dessen Politik von bestimmten Grundideen geleitet wurde: Die Regierung bedurfte dringend finanzieller Einnahmen, um durch Verringerung der staatlichen Schuld den schon lange drohenden Staatsbankrott abwenden, den Krieg gegen die Karlisten siegreich beenden und dadurch den Thronanspruch Isabellas sichern zu können; der Staat und die Bourgeoisie mußten gegen die Macht der Kirche gestärkt, die konstitutionelle Monarchie sollte befestigt werden. Außer-

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dem sollte die Desamortisation eine an das liberale System gebundene Schicht von Agrareigentümern schaffen sowie eine bessere Nutzung des Bodens und damit einen Anstieg der Agrarproduktion zur Folge haben.13 Durch die Desamortisation Mendizábals wurden die Ländereien der Klöster und die Güter der Kommunen zum Eigentum der ‚Nation‘ erklärt und – letztere allerdings vorerst wenig konsequent – an den Meistbietenden versteigert. Von der Transaktion profitierten vor allem die Inhaber von Schuldverschreibungen, mit denen die Ländereien bezahlt werden konnten. Zu den bisherigen adeligen Grundbesitzern gesellte sich somit jetzt eine neue Schicht von Latifundisten aus bürgerlichen Kreisen. Der große Verlierer der Vermögensumschichtungen war die Kirche, besonders der Ordensklerus. Von der Desamortisation unter Pascual Madoz 1855 waren vor allem die Brach- und Allmendflächen der Gemeinden und die Güter des weltlichen Klerus betroffen. Bis 1844 waren knapp 200 000 Kirchengüter für 3,4 Milliarden reales versteigert. In dieser Phase wurden 80 Prozent der Güter des Ordens- und 40 Prozent der Immobilien des Weltklerus verkauft. Zwischen 1836 und 1900 wurden insgesamt über zehn Millionen Hektar Kirchen- und Gemeindebesitz, das heißt rund 20 Prozent der spanischen Gesamtfläche, desamortisiert.14 Das in den Kauf dieser Güter investierte Kapitalvolumen betrug 13 Milliarden reales, von denen 68 Prozent auf Kirchenbesitz entfielen. Mit Bargeld wurde allerdings nur ein relativ geringer Teil der Güter bezahlt – 1836–1844 etwa elf Prozent der Kirchengüter –, während der weitaus größte Teil mit Staatsobligationen zum Nominalwert gekauft wurde. Dadurch waren die Staatseinnahmen weit geringer, als die Verkaufssummen vermuten lassen; allerdings konnte die Regierung viele Wertpapiere zurückkaufen und auf diese Weise ihren Handlungsspielraum erweitern. Die Auswirkungen auf den Klerus waren tiefgreifend: Zwischen 1797 und 1859 sank die Zahl der Weltkleriker von 70 840 um die Hälfte auf 35 096; von den 53 098 Mönchen des Jahres 1797 lebten 1859 nur noch 719 in Klöstern, die Zahl der Nonnen sank im gleichen Zeitraum von 24 471 um rund die Hälfte auf 12 990. Der Rückgang des Mönchsklerus hatte zwar schon vor der Desamortisation von Mendizábal begonnen; durch dessen Säkularisationsmaßnahmen wurden 1837 aber nicht weniger als 23 935 Ordensgeistliche zur Aufgabe des Klosterlebens gezwungen, 1854 weitere 8341.15 Immer wieder ist in der historischen Forschung die Frage gestellt worden, ob die Maßnahmen der Liberalen, derentwegen der grundherrliche Adel seine feudalen Praktiken aufgeben mußte, durch die Säkularisation der Kirchengüter eine erhebliche Besitzumschichtung erfolgte, die Kirche einen Großteil ihrer Bedeutung einbüßte und die städtische Bourgeoisie

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zu der Kraft wurde, die von den Modernisierungsmaßnahmen am meisten profitierte, eine „bürgerliche Revolution“ bedeuteten. Die Desamortisation war zweifellos die wichtigste Maßnahme zur Konsolidierung des bürgerlich-liberalen Staates. Wird „bürgerliche Revolution“ jedoch mit gleichzeitiger Durchsetzung des Kapitalismus gleichgesetzt, so wird man im Spanien des 19. Jahrhunderts vergeblich nach einer solchen „bürgerlichen Revolution“ suchen. Nicht die Industriebourgeoisie war der Hauptakteur in jener Umbruchsituation, sondern Grundbesitzer, die Handelsbourgeoisie oder Freiberufler.16 Im politischen Bereich konnte zwar der Absolutismus endgültig überwunden werden, ökonomisch wird man aber eher von einer Übergangsphase zwischen Ancien Régime und kapitalistischer Gesellschaft sprechen müssen, da die neuen Kräfte ihre Macht nicht unabhängig von den traditionellen Großgrundbesitzern durchsetzen konnten. Im Gegenteil: Die Landoligarchie wurde gestärkt, die Großgrundbesitzer erlangten über die Moderados ihre – auch politische – Macht zurück, die neuen bürgerlichen Schichten inkorporierten sich in ein Werte- und Gesellschaftssystem, das sich am Adel orientierte. Charakteristisch hierfür waren das bürgerliche Streben nach Nobilitierung und die zahlreichen Heiratsallianzen ‚nach oben‘. Die liberale Revolution zeitigte somit widersprüchliche Auswirkungen: Auf der einen Seite wurden alte Formen sozialer und politischer Organisation zerstört, große Teile der städtischen Bevölkerung mobilisiert und politisiert; auf der anderen Seite erfolgte eine Befestigung der traditionellen Strukturen landwirtschaftlichen Eigentums und eine Konsolidierung der neu-alten Großgrundbesitzer als dominante Schicht in der Gesellschaft. Aus dieser Kombination ergab sich für das restliche 19. Jahrhundert ein hohes soziales und politisches Konfliktpotential, ohne daß entscheidende weitere Reformen durchgeführt worden wären.17 Der „doktrinäre Liberalismus“ (Luis Díez del Corral) der Moderados ging in seinem Verfassungsdenken von der Vorstellung aus, daß in einer modernen Gesellschaft das Recht zur Ausübung politischer Macht auf Reichtum und Intelligenz beruhe. Da das Regime der Moderados auf einer faktischen Allianz zwischen der grundbesitzenden Oligarchie, der entstehenden Finanz- und Industriebourgeoisie und dem besser situierten Mittelstand, das sind Karrierebeamte, Anwälte und Bürokraten, basierte, setzte es ein Zensuswahlrecht durch, das seiner sozialen Basis entsprach. Die Moderados gingen von der Vorstellung einer doppelten Souveränität aus, die gleichermaßen beim Monarchen und den Cortes lag. Beide Institutionen sollten im konstitutionellen System gemeinsam am politischen Prozeß beteiligt sein, wobei der Krone noch die Schlichtungsfunktion einer

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vierten, moderierenden Gewalt (poder moderador) über Exekutive (Ministerrat) und Legislative (Cortes) zugesprochen wurde.18 Im Gegensatz zum gemäßigten Konstitutionalismusmodell der Moderados ging das radikalere der Progressisten von der Volkssouveränität aus. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen beiden Fraktionen waren aber geringer, als es aufgrund der ständigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen den Anschein hat. Sie stimmten prinzipiell mit den Moderados darin überein, daß politische Rechte und Eigentumsrechte aufeinander bezogen sind, wenn sie auch das Wahlrecht einer breiteren Schicht öffnen wollten, da ihre – im übrigen sehr heterogene – soziale Basis vor allem die untere Mittelschicht der Städte darstellte. Deutlich feststellbare Unterschiede zu den Moderados bestanden in der akzentuierten Gegnerschaft der Progressisten gegen die Wirtschaftsmacht der Kirche, in ihrer Förderung der Nationalmiliz, in ihrem Kampf für die Demokratisierung der Lokalverwaltungen, vor allem aber in ihrer Theorie von der Legitimität der Revolution, derzufolge die „souveräne Nation“ auf die Barrikaden gerufen werden konnte, wenn es keine legalen Mittel gab, die den Zugang zur Macht ermöglichten. Die Theorie der „berechtigten“ Revolution galt primär für die Progressisten selbst, die sich für die eigentlichen Repräsentanten des Volkes hielten, da die ihnen von der Krone entgegengebrachte Gegnerschaft und das enge Zensuswahlrecht der Moderados verhinderten, daß sie über Wahlen an die Macht kamen; für die Progressisten blieb daher nur der Rekurs auf die „Volksrevolution“.19 In der politischen Praxis des 19. Jahrhunderts schloß die Krone mit den Moderados ein Herrschaftsbündnis; die Regierungen stießen bei dem Bestreben, sich aus ihrer Machtposition heraus die erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten zu beschaffen, um konstitutionell regieren zu können, auf keine größeren Schwierigkeiten. Die Progressisten mußten demgegenüber den Rahmen dieses politischen Systems sprengen und die Macht über pronunciamientos oder urbane Aufstände erringen. Verbündeter dieser urbanen Aufstände der Progressisten war stets ein Teil des Heeres, der mit den linksliberalen Vorstellungen konform ging. Diese „revolutionäre Allianz“ unternahm 1836, 1837, 1840, 1854 und 1868 erfolgreiche Revolten, aufgrund derer die Progressisten an die Macht gelangten.20 Die oktroyierte Verfassung von 1834 hatte Wählervereinigungen vorgesehen, aus denen sich bald Parteicliquen unter autoritärer Führung entwickelten. Dabei spielte das Militär eine entscheidende Rolle; an der Spitze der großen politischen Gruppen stand zumeist ein geadelter General; an der Spitze der Moderados etwa Ramón María Narváez (1800– 1868), an der der Progressisten Baldomero Espartero (1793–1879) und

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später Juan Prim (1815–1870), an der der Liberalen Union Leopoldo O’Donnell (1809–1867). Die Aufgliederung der Parteien in Gruppen, die jeweils einen rhetorisch besonders hervorstechenden Politiker und Militär als Chef anerkannten, blieb lange Zeit ein traditionelles Element der spanischen Politik.21 1840 kam es erneut zu städtischen Aufständen und in deren Gefolge zur Konstituierung vieler Juntas. María Cristina dankte als Regentin ab; der linksliberale Held des Karlistenkrieges, Baldomero Espartero, ließ sich zum Regenten des Reiches wählen (1840–1843). Während Esparteros Regentschaft waren die Progressisten an der Macht; liberale Reformen wurden verstärkt fortgeführt: Annullierung des konservativen Kommunalgesetzes, Ausbau der Nationalmiliz auf 750 000 Mann und Verkauf von Kirchenländereien. Infolge politischer und wirtschaftlicher Unzufriedenheit führten 1843 zahlreiche Aufstände und schließlich ein pronunciamiento unter Führung von General Narváez zum Sturz Esparteros, der sich zuletzt nur noch auf einen Teil der Progressisten stützen konnte.22 Im nun folgenden Vierteljahrhundert, der Isabellinischen Ära, waren die gemäßigten Liberalen, besonders die Moderados, 1858 auch die Unión Liberal, die dominierende politische Kraft in Spanien. Vorerst war Narváez der starke Mann, auf den sich Isabella II. (Regierungszeit 1844–1868) stützte. Die nunmehr konservativ-liberale Regierung übte starke Repression gegen radikale politische Gruppierungen aus, annullierte das Kommunalgesetz, löste die Nationalmiliz auf und gründete statt dessen „zum Schutz der Ordnung, der öffentlichen Sicherheit und des Eigentums“ 1844 die Zivilgarde (Guardia Civil), führte die Pressezensur ein und brachte die Desamortisationsmaßnahmen weitgehend zum Stillstand. Da die Regierung, bei starker Zentralisierung der Verwaltung, den politischen Prozeß kontrollierte, hatten die Progressisten in diesem System keine Chance, über Wahlen an die Macht zu kommen; es blieb ihnen nur der Weg des Aufstandes.23 Charakteristika jener langen Phase, in der das politische Spanien der Monarchie Isabellas II. eine „konstitutionelle Oligarchie“ darstellte, waren die Zentralisierung und Bürokratisierung des Staatsapparates – die Aufgliederung des Staatsgebietes in 49 Provinzen überstand bis heute alle folgenden Regimewechsel –, die Aussöhnung des liberalen Regimes mit dem Vatikan (Konkordat von 1851), die Kurzlebigkeit der Regierungen, Palastintrigen und Verwaltungskorruption. Einer dieser Korruptionsskandale in Zusammenhang mit den hochspekulativen Eisenbahnkonzessionen führte schließlich 1854 zum Sturz der autoritären Moderado-Regierung. General Espartero kehrte aus seinem britischen Exil zurück und übernahm während der „zwei progressistischen Jahre“ 1854–1856 die Regierungsgeschäfte; er konnte sich dabei auf die Koalitionspartei Unión

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Isabella II. eröffnet die spanischen Cortes. Holzstich 1851. Foto: AKG.

Liberal von General O’Donnell stützen, die gemäßigte Progressisten und fortschrittliche Moderados zusammenfaßte. 1856 gelangten bereits wieder die Moderados mit Narváez an die Regierung, die „zwei progressistischen Jahre“ blieben nur ein kurzes Reform-Zwischenspiel, auf das sehr schnell eine Restauration der Oligarchenherrschaft folgte.24 In dieser letzten Phase der Isabellinischen Epoche geriet die Desamortisation abermals ins Stocken, die Kirche erhielt viele ihrer Vorrechte zurück, die Wahlmanipulation wurde mittels der „Kaziken“, d. h. mittels in Politik und Wirtschaft einflußreichen Personen, zum System erhoben, die Militärs wurden durch Auslandsexpeditionen abgelenkt. Innenpolitisch bestand für die Progressisten und die links von ihnen stehenden Demokraten und Republikaner keine Chance, legal die Regierung zu übernehmen. Seit Mitte der sechziger Jahre zogen sich deshalb die Progressisten aus der politischen Arena zurück und nahmen nicht mehr an Wahlen teil. 1864 beklagten sie in einem Manifest die „traditionellen Hindernisse“ – gemeint waren die Krone und die Hofkamarilla –, die eine Entwicklung

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Spaniens verhinderten. 1866 schließlich kamen Demokraten, Progressisten und linke Unionisten im belgischen Ostende überein, die Diktatur von Narváez gewaltsam zu stürzen; an die Spitze der revolutionären Bewegung setzte sich der äußerst populäre General Juan Prim. Die „Septemberrevolution“ von 1868 lief nach dem klassischen Muster in zwei Phasen ab: Zuerst fand das militärische pronunciamiento statt, das als Auslöser für die Aufstände der städtischen Mittelschicht diente, dann folgte die Bildung urbaner Juntas, die auf lokaler Ebene die Initiative an sich rissen. Isabella II. ging ins französische Exil, die lange Ära des gemäßigten Liberalismus war zu Ende.25 Vergleicht man die wirtschaftliche, soziale und politische Situation Spaniens im Jahr 1808 mit der von 1868, dann wird ein dramatischer Unterschied deutlich. Der Absolutismus hatte endgültig dem Konstitutionalismus weichen müssen, Parteien waren entstanden, das zuvor großteils an die „Tote Hand“ gebundene Land war zur Ware und Quelle großer Kapitalakkumulation geworden. Wo zuvor vielfältige Binnenzölle und ein schwerfälliges Transportsystem die Herausbildung eines gemeinsamen Marktes erschwert hatten, gab es nun einen einheitlichen Markt mit einem vereinheitlichten Geldsystem, einheitlicher Rechtsprechung und Gesetzgebung, in dem das Eisenbahnnetz und rund 19 000 km Landstraßen Warentransport und Kommunikation erleichterten. Die ‚Sicherheit‘ der ständestaatlichen Gesellschaftsordnung war den Risiken einer Gesellschaft gewichen, die in ihrer sozialen und regionalen Mobilität keinen rechtlichen Hemmnissen mehr unterworfen war; neue Ausbeutungsmechanismen hatten zu einer Verarmung und Proletarisierung großer Teile der Bauernschaft geführt. Die entstehende Industrie brachte den nur noch von seiner Arbeitskraft abhängigen Industriearbeiter hervor. In politischer Hinsicht, im Hinblick auf die Art der sozialen Konflikte, der wichtigsten ökonomischen Realisierungen und der mentalen Disposition war die spanische Gesellschaft zum Zeitpunkt der „glorreichen Septemberrevolution“, die zum Sturz der Bourbonendynastie führte, ‚bürgerlich‘.26 Im 19. Jahrhundert erlebte die Gesellschaft gewaltige Veränderungen: Die Bevölkerung des Landes wuchs von 1797 (10,5 Millionen) bis 1860 (15,6 Millionen) um rund 50 Prozent. Im Laufe des gesamten Jahrhunderts verdoppelte sich die Bevölkerung knapp (1910: 19,9 Millionen). Zu den wichtigsten Gründen, die das geringere Bevölkerungswachstum in der zweiten Jahrhunderthälfte erklären, zählen die verhältnismäßig hohe Sterblichkeitsrate, Seuchen – so die Cholera-Epidemien 1833/35, 1853/56, 1859/60 und 1885 und Hungerepidemien 1856/57, 1868, 1882 und 1887, Kriege – besonders die Karlistenkriege – sowie vor allem die Auswanderung nach Übersee (1,5 Millionen zwischen 1857 und 1915). In der demo-

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graphischen Entwicklung verstärkte sich in diesem Zeitraum der frühneuzeitliche Trend: Die Bevölkerung der binnenspanischen Provinzen nahm anteilig ab, die der peripheren Regionen nahm zu. Auf gesamtspanischer Ebene läßt sich zugleich eine deutliche Urbanisierungstendenz feststellen, wenn auch die Urbanisierung insgesamt gering blieb. Während des gesamten Jahrhunderts zählte der größte Teil der Spanier zur Landbevölkerung; noch 1900 lebten über 50 Prozent der Bevölkerung in Ortschaften mit weniger als 5000 Einwohnern.27 Durch die liberalen Reformen löste sich die traditionelle Ständegesellschaft des Ancien Régime allmählich auf, ohne deswegen schon einer modernen Klassengesellschaft Raum zu geben. Die unternehmerische Bourgeoisie blieb sehr schwach und auf die Peripherie konzentriert. Die Gesellschaft insgesamt wurde nach wie vor von den Adelsfamilien, die nach der Desamortisation definitive Eigentumstitel auf ihre Ländereien besaßen, sowie von der nunmehr neuen agrarischen Rentnerschicht (bürgerliche Großgrundbesitzer) dominiert. Der Prozentsatz der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft betrug in den 80er Jahren noch über 72 Prozent – in Deutschland waren es bereits 1870 nur noch 50 Prozent –, deren Situation sich durch die mit der Desamortisation einhergehenden Auflösung bzw. Umstrukturierung der Zünfte, Gilden, Bruderschaften und Hilfsorganisationen, der Feld-, Flur- und Waldgemeinschaften, der Allmende sowie weiterer genossenschaftlich-gemeinschaftlicher Landeinrichtungen deutlich verschlechterte.28 Seit den Desamortisationsgesetzen hatte die Konflitivität auf dem Land einen konkreten Bezugspunkt; bis weit in das 20. Jahrhundert hinein führten die frustrierten Hoffnungen der Bauern auf Landerwerb zu Landbesetzungen, die Haltung der proletarisierten Bauernmassen erhielt antibürgerliche und antiliberale Orientierungen: Etwas schematisiert und nicht auf alle Fälle zutreffend läßt sich sagen, daß im Norden und Nordosten die Ideologie überwiegend karlistisch, im Süden anarchistisch und ‚internationalistisch‘ war. Von großer Bedeutung waren auch die Veränderungen im Industriesektor. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten sich dauerhafte, sich selbst tragende Industrieansammlungen nur in der überwiegend Baumwolle verarbeitenden Textilindustrie Kataloniens ausgebildet. Für die katalanische Industrie war der Kolonialhandel mit Textilien und Branntwein von entscheidender Bedeutung gewesen; das Wachstum des katalanischen Handels mit Amerika und die Expansion der Baumwollindustrie – von ca. 10 000 Arbeitern 1760 auf rund 100 000 in 3000 Betrieben um die Jahrhundertwende – liefen parallel.29 Um 1830 begannen in Barcelona die organisierten Arbeitskämpfe, die

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öfters mit den städtischen Konflikten zwischen den politischen Kräften des Linksliberalismus und der zu den Moderados abgewanderten Industriebourgeoisie zusammenfielen. Die Mobilisierung und Politisierung der städtischen Handwerker, die mit dem politischen Programm der liberalen Bourgeoisie übereinstimmten und zusammen mit den Arbeitern die Stoßtrupps der urbanen Aufstände jener Jahre bildeten, erfolgten gegen die zunehmende Pauperisierung und Proletarisierung des Handwerkerstandes. 1854 erfolgte in Barcelona unter der Bezeichnung „Klassenunion“ (Unión de Clases) der erste Zusammenschluß von Arbeitervereinigungen, der schon bald über 40 000 Mitglieder zählte. Mitte des Jahrhunderts gab es rund 125 000 Textilarbeiter, ca. 25 000 Bergbau- und 12 000 Metallarbeiter. Insgesamt waren in der entstehenden Industrie an die 200000 Arbeiter beschäftigt.30 Die Expansion der Industriearbeiterschaft war ein Ergebnis der eigentlichen Take-off-Phase der Industrie, die in den 30er Jahren mit der Einführung der Dampfmaschine und der mechanischen Webstühle einsetzte und bis in die 50er Jahre andauerte. 1842 soll es in Katalonien schon über 4500 Betriebe gegeben haben. In Andalusien bildete sich zugleich ein wichtiges Zentrum der Hüttenindustrie heraus; in Marbella wurde 1832 die erste Eisenschmiede eröffnet. Der gestiegene Eisenbedarf war auf die Erweiterung der landwirtschaftlichen Anbaufläche, auf den Aufschwung in der Textilindustrie und den Ausbau des Transportsystems zurückzuführen. Bis in die 60er Jahre behielten Málaga und Sevilla die Führung in der spanischen Eisenherstellung; erst danach wurden die südlichen Provinzen von der baskisch-asturischen Hüttenindustrie überrundet, die mit billigerer britischer Kohle versorgt werden konnte und über bessere Exportmöglichkeiten verfügte.31 Zum Abbau der zahlreich vorhandenen Bodenschätze wurde auf ausländisches Kapital zurückgegriffen; die Bergwerksgesellschaften in Sierra Morena und Cartagena (Blei), Ríotinto (Kupfer), Almadén (Quecksilber) und Vizcaya (Eisen) arbeiteten überwiegend mit Fremdinvestitionen (Pereyre, Rothschild, Prost-Gilhou). Der Abbau dieser Metalle trug zwar zur Kapitalbildung im Innern bei, hatte aber keine multiplikatorischen Effekte im Hinblick auf die übrigen Wirtschaftssektoren.32 Die geographisch bedingte Zweiteilung der spanischen Wirtschaft in eine sich allmählich industrialisierende Peripherie und eine nach wie vor agrarisch strukturierte Hochebene ist von Nicolás Sánchez-Albornoz als „duale Wirtschaft“ bezeichnet worden. Für die späte und sodann nur zögernde Industrialisierung des Landes lassen sich mehrere Ursachen nennen: Zu den Hauptgründen zählt der Mangel an Eigenkapital. Die Industrialisierung wurde primär mit Staatsanleihen im Ausland und aus-

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ländischen Direktinvestitionen in Spanien eingeleitet. Dies gilt vor allem für den Aufbau der Bergbau- und Schwerindustrie sowie für den Eisenbahnbau. Spaniens Stellung als auslandsabhängiges ‚halbkoloniales‘ Land wird noch deutlicher durch den Hinweis, daß der Export von Rohstoffen, das heißt von Landwirtschaftsprodukten, Erzen und Metallen, die Außenhandelsbilanz des Landes bestimmte. Der Eigenkapitalmangel hängt mit dem permanenten Budgetdefizit des Staates zusammen, das den Rückgriff auf Kredite erforderlich machte; um diese Kredite zu erhalten, war der Schuldzinssatz des Staates hoch, was einerseits eine Kapitalanlage in Staatschuldverschreibungen attraktiver als in einem produktiven Wirtschaftszweig erscheinen ließ, andererseits die Kredite aller Art zum Schaden der Gesamtwirtschaft verteuerte. Die Staatsschuld wurde somit als Hebel für die Kapitalakkumulation betrachtet; Spekulation mit Staatspapieren und später mit Eisenbahnaktien war die lukrativste Investition.33 1848 wurde die Eisenbahnstrecke Barcelona-Mataró, 1851 MadridAranjuez eingeweiht. Der rasche Ausbau des Eisenbahnnetzes, das 1865 schon knapp 5 000 km betrug, hatte allerdings nicht die erhofften Koppeleffekte, da das benötigte Material überwiegend aus dem Ausland importiert wurde, so daß der spanische Eisenbahnbau gewissermaßen als Hebel zur Förderung der französisch-britischen Industrie diente.34 Für den spanischen Industrialisierungsprozeß im 19. Jahrhundert hat Jaime Vicens Vives einige Grundcharakteristika herausgearbeitet, die den spanischen vom mitteleuropäischen ‚Normalfall‘ unterscheiden. Zuerst ist die starke Regionalisierung zu betonen, da die Industriestruktur durch ihre nahezu ausschließliche Konzentration auf die Peripherie des Landes gekennzeichnet blieb. Sodann ist – von der Ausnahme der katalanischen Textilindustrie abgesehen – auf die Abhängigkeit der industriellen Expansion von ausländischen Initiativen und Investitionen zu verweisen, was wiederum mit dem Mangel an spanischem Eigenkapital zusammenhing. Zwischen 1848 und 1881 wurden in Spanien drei Milliarden Peseten an Auslandskapital investiert, von denen 1,5 bis 2 Milliarden in den Eisenbahnbau flossen. Die Abhängigkeit vom Ausland bestand auch in bezug auf Nahrungsmittel und Kohle, Produktionsmittel und technische Neuerungen. Schließlich wurde die ausländische Konkurrenz durch das Prinzip des „reservierten Marktes“ und hohe Schutzzölle eliminiert; damit ordnete sich die spanische Industrie allerdings den Fluktuationen der landwirtschaftlichen Produktion des Landes und den sehr beschränkten Konsummöglichkeiten des Binnenmarktes unter; Spanien blieb ein Agrarland.35 Trotz dieses Befundes ist bezüglich der „Septemberrevolution“ von 1868 festzuhalten, daß sie – paradoxerweise – nicht so sehr auf fehlende Entwicklung, sondern eher auf die relative ‚Modernität‘ Spaniens zurück-

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zuführen war: in politischer Hinsicht insofern, als die Progressisten und Demokraten nicht länger bereit waren, in einem konstitutionellen System ihren dauernden Ausschluß von der Regierungsverantwortung zu akzeptieren; wirtschaftlich insofern, als die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems in den 1860er Jahren zur Überzeugung beitrug, eine Änderung sei notwendig. Seit 1866 gingen die Börsenkurse – vor allem von Staatsschuldverschreibungen – zurück, die Hälfte aller Kreditgesellschaften mußte schließen, die katalanische Baumwolltextilindustrie geriet in die Krise, wegen zunehmender Exportprobleme nahm das staatliche Zahlungsbilanzdefizit zu, erneute Produktionsprobleme auf dem Land führten 1867 zu einer Subsistenzkrise, der Eisenbahnboom war zu Ende, die ökonomische Aufschwungphase mündete in eine Rezession, die gesamtwirtschaftliche Tätigkeit schrumpfte. Viele erhofften sich von einer politischen Änderung auch wirtschaftliche Verbesserungen.36 Allerdings waren sich im Vorfeld der ‚Revolution‘ die oppositionellen Kräfte über die anzustrebenden Ziele keineswegs einig: Die Progressisten, allen voran Prim, wollten eigentlich nur einen Sturz der autoritären Moderados-Regierung; die radikalen Republikaner und Demokraten traten für eine Abschaffung der Monarchie ein; die andalusischen Landarbeiter und Teile des katalanischen Industrieproletariats erstrebten eine Änderung der Gesellschaftsstruktur. Diese Zieldisparität sollte die meisten Probleme der folgenden sechs Jahre bewirken. Die nach dem Sturz Isabellas sofort eingesetzte Provisorische Regierung unter General Francisco Serrano (1813–1882) ließ im Januar 1869 Wahlen durchführen, die nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Männerwahlrecht erfolgten. Erwartungsgemäß siegte die monarchischdemokratische Richtung; die Republikaner erhielten rund 25 Prozent der Stimmen. Die vom Parlament ausgearbeitete Verfassung von 1869 – der fortschrittlichste Verfassungstext Spaniens im 19. Jahrhundert – ging vom Prinzip der Volkssouveränität aus, betonte das Recht auf freie Religionsausübung sowie das allgemeine Wahlrecht für die erwachsene männliche Bevölkerung. Als Staatsform sah sie eine konstitutionelle Monarchie mit demokratischen Prinzipien vor.37 Im wesentlichen waren es vier Problemkomplexe, mit denen die Regierung zu kämpfen hatte: Der Umsturz in Spanien erfolgte zur gleichen Zeit, als in Kuba die Unabhängigkeitsbewegung verstärkt zu agieren begann. Erst 1878, nach einem zehnjährigen Krieg, konnte eine Waffenruhe erzielt werden. Die Republikaner präsentierten sich immer deutlicher als Alternative zum bestehenden System. In der Anfangsphase der Arbeiterbewegung wurden auch Republikanismus und Lösung sozialer Probleme, vor allem auf dem Land, weitgehend gleichgesetzt. Eine grundlegende Ände-

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rung der Verhältnisse erstrebten die Karlisten, die vorerst gewaltlos Widerstand leisteten, ab 1872 jedoch im Norden und Nordosten einen bewaffneten Aufstand und damit einen weiteren Karlistenkrieg begannen. Kubaner und Karlisten hielten die Regierung derart in Atem, daß an einen Abbau des stehenden Heeres vorerst nicht zu denken war. Das vierte Hauptproblem bestand darin, für die „Monarchie ohne Monarchen“ einen geeigneten König zu finden. Die Suche erwies sich als außerordentlich schwierig. Als Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen (1835–1905) die Krone beinahe schon sicher hatte, legte Napoleon III. von Frankreich sein Veto ein und provozierte damit den deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Schließlich wurde Amadeus von Savoyen, Herzog von Aosta (1845–1890), Sohn des italienischen Königs Victor Emanuel II., gewählt. Amadeus regierte von Dezember 1870 bis Februar 1873. Adel, Kirche und Liberale lehnten ihn ab, Republikaner intrigierten gegen ihn, die Karlisten begannen den überaus hart geführten Krieg um den Thron. Während seiner Regierungszeit fanden drei Parlamentswahlen statt, sechs Regierungen lösten sich im Amt ab. Resigniert dankte Amadeus ab, nachdem es ihm weder innen- noch außenpolitisch gelungen war, das Land zu befrieden.38 In die Jahre seiner Herrschaft fällt auch der Beginn der eigentlichen spanischen Arbeiterbewegung. Im November 1868 hatte die Provisorische Regierung das Vereinigungsrecht anerkannt; zum gleichen Zeitpunkt entsandte der anarchistische Flügel der Internationalen Arbeiterassoziation (Michael Bakunin) einen Delegierten, Giuseppe Fanelli, nach Spanien, der in Madrid und Barcelona sofort Arbeitersektionen gründete. Vorerst blieb die spanische Arbeiterbewegung anarchistisch orientiert.39 Nach Amadeus’ Rücktritt stimmte das Parlament, mangels Alternativen, für die Einführung der Republik. Die Republikanische Partei war zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits gespalten. In den zehn Monaten ihres Bestehens hatte die Republik vier Präsidenten. Im Januar 1874 besetzte General Manuel Pavía (1827–1895) das Parlament und löste es auf, womit die Erste Republik ihr unrühmliches Ende fand. Per Dekret wurde die Diktatur institutionalisiert. Inzwischen hatte der konservative Politiker Antonio Cánovas del Castillo (1828–1897), mit Vollmachten der exilierten Königin Isabella versehen, unermüdlich die Rückkehr der Bourbonen betrieben. Ende Dezember 1874 rief General Arsenio Martínez Campos (1831–1900) in Sagunto Isabellas Sohn Alphons XII. zum König aus (1874–1885). Die bourbonische Restauration stieß auf keinen größeren Widerstand.40 Die Jahre 1868–1874 gehören zweifellos zu den bewegtesten in der neueren Geschichte Spaniens. Die allgemeine Erweiterung der politischen

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Freiheit, die mit einer verstärkten Agitation von links einherging, blieb allerdings eine kurze Episode. Der Verlauf der ‚Revolution‘ legte in den Jahren nach 1868 die Zieldiskrepanz der teilnehmenden Kräfte offen und mündete schließlich in die Restauration sowohl der Monarchie als auch der vorrevolutionären gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Erste Republik scheiterte in einem Mehrfrontenkrieg gegen die Karlisten im Norden, die „kantonalistischen“ Föderalisten im Süden und Osten, die Independentisten auf Kuba, die restaurativen Monarchisten im Parlament, in den besitzenden Schichten und in der Armee. Der Versuch, die ‚politische‘ in eine ‚soziale‘ Revolution zu überführen, konnte verhindert werden; die traditionellen Eliten sollten erneut über ein halbes Jahrhundert die Hegemonie ausüben.

VII. Die Restauration (1875–1923): Bürgerherrschaft, Wirtschaftswandel, Nationalismen 1875–1923 1876 1879 1885 1885–1902 1888 1889 1890 1892

Restaurationsära Erste Wahlen und neue Verfassung Gründung des PSOE Tod Alphons’ XII., El-Pardo-Pakt Regentschaft María Cristinas Gründung der UGT Verkündung des Bürgerlichen Gesetzbuches Wiedereinführung des allgemeinen Wahlrechts Schutzzollpolitik Cánovas’; „Grundsätze von Manresa“ (katalanische Forderungen) 1895–1898 Unabhängigkeitskrieg in Kuba 1895 Gründung des PNV 1898 Vertrag von Paris; Verlust von Kuba, Puerto Rico und den Philippinen 1902–1931 Alphons XIII., König 1904 Spanisch-französischer Vertrag über die Aufteilung Marokkos 1909 Die „tragische Woche“ in Barcelona 1910 Gründung der CNT 1913 Zulassung der katalanischen Mancomunidad 1914–1918 Erster Weltkrieg; Neutralität Spaniens 1916/17 Gründung von Militärjuntas 1917 Revolutionärer Generalstreik; Staatskrise 1921 „Desaster“ von Annual (Marokko) 1923 Staatsstreich Miguel Primo de Riveras

Der eigentliche Architekt der Restauration der Bourbonendynastie und des politischen Systems der Restauration war Antonio Cánovas del Castillo. Er gründete die (Liberal-)Konservative Partei, die sich für ein starkes Königtum, eine institutionelle Neugestaltung des Staates und die Förderung der Interessen der besitzenden und gebildeten Schichten einsetzte. Zu ihren Anhängern zählten in erster Linie Großgrundbesitzer und Teile der vom Staat unabhängigen bürokratischen und militärischen Mittelschichten. Die zweite bedeutende Partei der Restaurationsära war die (Fusionistisch-)Liberale Partei unter Práxedes Mateo Sagasta (1827– 1903); ihr ursprüngliches Programm umfaßte die „aufrichtige Durchfüh-

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rung des repräsentativen Systems“, sie wünschte die Monarchie an der Spitze der „fortschrittlichen Entwicklung des Volkes“ und Opposition gegen die konservative Regierung. Die Partei vertrat vor allem die Interessen der kommerziellen und der industriellen Bourgeoisie, umfaßte aber eine sehr heterogene Mitglieder- und Wählerschaft.1 Die Restauration der Bourbonenherrschaft wurde von der Rückkehr der bürgerlich-großgrundbesitzenden Schicht an die Macht sowie von der Wiederaufnahme gemäßigt-liberaler Verfassungsvorstellungen begleitet. Die von Cánovas vorbereitete Verfassung von 1876, die formal bis 1931 in Kraft blieb, stellte die königlichen Prärogative im Verfassungssystem wieder her. Die Rückkehr zum Zensuswahlrecht beziehungsweise zum Bildungszensus wurde mit dem geringen Bildungsniveau des Volkes begründet: 1877 waren noch 75,5 Prozent der Spanier Analphabeten, 1900 immer noch 66,5 Prozent. Als die republikanisch-demokratische Opposition sich in den folgenden Jahren immer mehr auf das Wahlrecht konzentrierte, drängten schließlich auch die Liberalen auf die Gewährung des allgemeinen Männerwahlrechts, dessen Einführung 1890 allerdings keine grundlegende Änderung der Wahlergebnisse mit sich brachte.2 Seit Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts wurde der ‚Kazike‘ zur politischen Schlüsselfigur, das ‚Kazikentum‘ zum System. Der lokale Kazike (ein Großgrundbesitzer, der Bürgermeister oder der Pfarrer) übernahm die Aufgabe, vor allem auf dem Land das soziale und ökonomische Abhängigkeitsverhältnis der ‚Wähler‘ gegenüber der Administration politisch auszunutzen. Reichte die ‚normale‘ Form der Wahlmanipulation nicht aus, so wurde zu massiven Fälschungen gegriffen.3 Das Regierungssystem der Restauration wurde von einem künstlichen Parteienmechanismus der zwei führenden ‚dynastischen‘ Parteien, den Liberalen und den Konservativen, geprägt, die im ‚Pardo-Pakt‘ 1885, anlässlich des frühen Todes von Alphons XII., übereingekommen waren, zur Sicherung der Monarchie ihren Kampf gegeneinander einzustellen und in regelmäßigem Alternieren (turno) die zukünftigen Regierungswechsel durch Manipulation der Wahlergebnisse seitens der jeweils regierenden Partei friedlich vorzunehmen. Bei jeder zweiten Wahl stellten somit die Liberalen beziehungsweise die Konservativen die Regierung; der Austausch ging über die Krone vor sich. Die ständigen Wahlfälschungen schalteten nicht nur weitestgehend die demokratisch-republikanische und die sozialistische Opposition jahrzehntelang parlamentarisch aus; sie vereitelten darüber hinaus auch notwendige Strukturveränderungen innerhalb der Parteien, die im wesentlichen Parlamentsfraktionen ohne politische Verwurzelung im Volk blieben.4 Joaquín Costa (1846–1911), einer der großen ‚Erneuerer‘ in Spanien um

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Joaquín Sorolla: Königin-Witwe María Cristina leistet den Schwur auf die Verfassung (1885). Patrimonio Histórico-Artístico del Senado, Madrid. Foto: Oronoz.

die Jahrhundertwende, hat das System der Restauration eine „unheimliche Orgie von Oligarchie und Kazikentum“ genannt. Kazikentum und Wahlmanipulation waren in der überwiegend vorindustriellen, analphabetischen Gesellschaft der Restaurationsepoche funktionale Bestandteile des Regierungssystems, dessen Nutznießer im wesentlichen wiederum die Oligarchie war. Diese setzte sich aus einer adelig-großbürgerlichen Schicht agrarischer Eigentümer zusammen; die großgrundbesitzenden Familien waren eng mit Vertretern der übrigen Wirtschaftssektoren Banken und Kreditwesen, Eisenbahnen, Kolonialgeschäfte und Werften verwandt oder verschwägert. Die Zahl der Großgrundbesitzer dürfte 8000 nicht überschritten haben, von denen die meisten „absentistisch“ waren, d. h. in Madrid oder einer Provinzhauptstadt lebten und ihre Ländereien entweder einem Verwalter, dem administrador, übertragen oder verpachtet hatten.5 Charakteristische Mittel zur Integration in das System waren die Heiratsverflechtungen (zwischen Neuadeligen und aufstrebendem Bürgertum, in der zweiten Generation auch mit altadeligen Familien) und die Praxis der Nobilitierung. Im Jahr 1868 etwa gab es 1 444 Adelsträger; 1 043 davon stammten aus der Zeit vor 1834, somit waren von Isabella II. 401

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Personen in den Adel erhoben worden; es waren vor allem Militärs, einige Bankiers und Großhändler. In der Restaurationszeit wurden zwischen 1875 und 1931 weitere 516 Nobilitierungen vorgenommen, inzwischen vor allem aus Kreisen der Finanz- und Industriebourgeoisie, der Kolonialhändler und Pressemagnaten. Die Aufnahme in den Adelsstand wurde von einer ideologischen Assimilation begleitet, die den Lebensstil, die gesellschaftlichen Umgangsformen, die Übernahme aristokratischer Werthaltungen und die Distanzierung vom „niederen“ Bürgertum betraf.6 Die Restaurationsära stellt in der spanischen Geschichte nicht nur eine politische Einheit dar; sie ist zugleich die Phase, in der in einigen Landesteilen der industrielle Durchbruch gelang. Die Jahre 1868 bis 1874 hatten bereits die ausländische Investitionsneigung gefördert, da die Revolutionsregierungen eine gemäßigte Freihandelspolitik betrieben und den spanischen Markt dem ausländischen Kapital öffneten. Von besonderer Bedeutung wurde das Bergbaugesetz von 1868, das die Möglichkeit eröffnete, Abbaurechte auf Dauer zu erwerben; es führte in den folgenden Jahrzehnten zu einem gewaltigen Einströmen ausländischer Geldmittel, zu einem Anstieg von Bergbaukonzessionen und einer Ära unerwarteter Konjunktur und fieberhafter Spekulation. Das Gesetz bewirkte allerdings auch, daß in weniger als 50 Jahren die Hälfte aller ‚spanischen‘ Bergbauunternehmen in ausländischen Besitz überging, die spanischen Rohstoffvorkommen somit primär zugunsten ausländischer Interessen ausgebeutet wurden.7 Die Folgen der Investitionstätigkeit im Bergbau machten sich sofort bemerkbar. Der Anteil des Bergbaus an der Exportwirtschaft stieg derart an, daß es zu einer Veränderung der Außenhandelsstruktur kam. Nach 1869 wurde die spanische Rohbleiproduktion im Süden des Landes, Jaén, Badajoz und Córdoba bis Ende des Jahrhunderts weltweit führend; Auslandskapital war dabei entscheidend, britische und französische Gesellschaften betrieben und modernisierten die Gruben. Die Nachfrage nach Schwefelsäure in der entstehenden britischen Chemieindustrie trug zum Aufschwung des spanischen Kupferbergbaus bei. 1884 waren die RíotintoGruben bereits der größte Kupfererzeuger der Welt, 1912 machten die Eisen- und Kupferpyrite des Bezirks Huelva insgesamt 66 Prozent der Weltproduktion aus. 1870 gingen, in Zusammenhang mit einem Kreditabkommen zwischen dem spanischen Staat und dem Hause Rothschild, die Alleinverkaufsrechte an der Quecksilberproduktion der Gruben von Almadén, deren Eigentümer der spanische Staat blieb, für 30 Jahre, nach Vertragsverlängerung sogar bis 1921, an die Rothschilds über.8 Von besonderer Bedeutung für den Industrialisierungsprozeß wurde der Eisenerzbau in Vizcaya. Das Vereinigte Königreich wurde zum wich-

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tigsten Abnehmer spanischer Eisenerze, die zu 91,6 Prozent exportiert wurden. Die ausländische Nachfrage nach spanischem Erz war ein wichtiger Faktor für die spanische Kapitalbildung; ein Teil der Gewinne blieb bei den baskischen Grubenbesitzern und ermöglichte nach 1880 den aufsehenerregenden Take-off Vizcayas, das sich zum Zentrum der spanischen Schwerindustrie entwickelte. Die Verlagerung der spanischen Stahlindustrie von Asturien nach Vizcaya hatte für den asturischen Kohlebergbau gravierende Folgen, da die baskische Industrie in der Folge nicht mehr auf die Kohle der Nachbarprovinz, sondern auf die billigere britische Kohle zurückgriff, deren Import dramatisch anstieg.9 Die weitere Industrialisierung in der Restaurationsära gründete vor allem auf dem Export baskischen Eisenerzes nach Großbritannien, dem Export katalanischer Textilwaren in die verbliebenen Kolonien (Kuba) und den Geldsendungen emigrierter Spanier. Die Industrie konzentrierte sich nahezu ausschließlich in der Peripherie des Landes. Als wichtigste industrielle Gebiete entwickelten sich die Provinzen Vizcaya und Barcelona, sodann Valencia, Guipúzcoa und Asturien. Rund 80 Prozent der Gesamtindustrie waren in Rand-, nur 20 Prozent in Innerspanien lokalisiert; allein Barcelona besaß über 40 Prozent der spanischen Industrie. 75 Prozent der Roheisenerzeugung und über 50 Prozent der Rohstahlproduktion entfielen auf Vizcaya. Die Schwerindustrie war somit überwiegend in den nördlichen Provinzen, die Fertigindustrie – Holzverarbeitung, Olivenölproduktion und Textilherstellung – im katalanischen Raum und im weiteren Mittelmeerküstengebiet lokalisiert.10 Die Basken erklommen nicht nur den ersten Platz in der Schwerindustrie, sondern auch in der Handelsschiffahrt und der Finanzwirtschaft Spaniens. Bilbao etwa wurde als Folge der Eisenerzeugung und der Hüttenindustrie zum Mittelpunkt des Schiffbaus und -verkehrs; zahlreiche Schiffahrtsgesellschaften wurden gegründet. Am Nervión und bei Sestao kam es zur Anlage bedeutender Werften: 1888 etwa der Astilleros del Nervión, 1900 der Sociedad Euskalduna de Construcción y Reparación de Buques. Gegen Ende des Jahrhunderts gehörte die spanische Handelsflotte zu den bedeutendsten der Welt. Sie erwirtschaftete im letzten Drittel des Jahrhunderts sowohl im Gütertransport mit den Kolonien wie im Personentransport mit Lateinamerika große Gewinne.11 Die zum Teil beachtlichen Erfolge der Industrialisierung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Spanien zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach wie vor ein primär landwirtschaftlich geprägtes Land war. Vor Beginn des Ersten Weltkrieges beruhte der spanische Außenhandel immer noch auf dem Verkauf von Bodenprodukten und Bodenschätzen und dem Ankauf von Fertigwaren. Das

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Volkseinkommen von 10,7 Milliarden Peseten im Jahr 1914 wurde zu 38,4 Prozent aus Landwirtschaft und Viehzucht und nur zu 25,9 Prozent aus Bergbau, Industrie und Handwerk erwirtschaftet. 71,1 Prozent der Arbeitskräfte (4,2 Millionen) waren im Agrarsektor, nur 17,1 Prozent (rund eine Million) in Bergwerken, der Industrie und der Bauwirtschaft beschäftigt. Eine ‚industrielle Revolution‘ klassischen Typs fand somit nicht statt. Jahrzehntelang sollten Katalonien und das Baskenland die zwei einzigen industriellen Enklaven inmitten der vorherrschenden Agrarstruktur bleiben.12 Allerdings führte die (einseitige) Industrialisierung zur ersten bedeutenden Veränderung der spanischen Gesellschaft seit Jahrhunderten: Es entstand ein Industrieproletariat. Allein in Katalonien verfünffachte sich zwischen 1877 und 1920 die Zahl der Industriearbeiter von 76 500 auf 380 000. Ende des Jahrhunderts gab es in den Städten eine Million Arbeiter. Im Jahr 1900 stammten schon 23 Prozent (1920: 31 Prozent) der Einwohner der Provinz Barcelona aus anderen Provinzen, waren somit zugewanderte Arbeitskräfte. Die entstehende Industriearbeiterschaft wurde weder in das politische und gesellschaftliche System der Monarchie noch in das der Restauration integriert. Beim Aufbau der Industrie im Zeichen eines liberalen Kapitalismus wurden die Belange der Arbeiterschaft nur wenig berücksichtigt. Da überdies gewerkschaftliche Zusammenschlüsse bis 1887 verboten waren, entlud sich die soziale Unzufriedenheit häufig in spontanen Einzelaktionen; ein Arbeiterbewußtsein entwickelte sich erst allmählich, vor allem im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. An der Spitze der Forderungen stand die Koalitionsfreiheit.13 Ein katalanischer Arbeiter mußte im Durchschnitt 75 Prozent seines Lohnes ausschließlich für die Ernährung aufbringen. Ergebnis der Niedrigstlöhne waren Analphabetismus und Alkoholismus, Tuberkulose und Typhus, menschenunwürdige Wohnraumverhältnisse und Prostitution. Eine Besserung der Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft war von den Regierungen der Restaurationszeit kaum zu erwarten. Erst um die Jahrhundertwende wurde mit einer sozialpolitischen Gesetzgebung begonnen. Erste Gesetze betrafen den Schutz bei Arbeitsunfällen und die Regelung der Frauen- und Kinderarbeit.14 Eine spanische Arbeiterbewegung bildete sich im Zuge der Industrialisierung erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Zuvor waren Unruhen und Sozialproteste weitgehend unorganisiert und regional begrenzt gewesen. Die erste und wichtigste Strömung der Arbeiterbewegung war der Anarchismus, dessen Anfänge in das Jahr 1868 zurückreichen. Von Anfang an hatte der iberische Anarchismus sozial und regional zwei Schwerpunkte: den latifundistischen Süden des Landes, in dem der andalusische Agrar-

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und Handwerkeranarchismus Wurzeln schlug, und den relativ industrialisierten Nordosten der Halbinsel, wo sich der katalanische Anarchosyndikalismus durchsetzte. Diese soziale (Land- und Industriearbeiter) und regionale (Andalusien – Katalonien) Differenzierung war nicht nur in der Forschung Anlaß für die verschiedensten Erklärungshypothesen zu den Entstehungsursachen des spanischen Anarchismus, sondern bedingte auch wesentlich Strategie und Taktik der revolutionären Bewegung. Von 1874 bis 1881 war die Internationale in Spanien verboten. Die Illegalisierung führte bei einem Teil der anarchistischen Bewegung zur Radikalisierung und in deren Gefolge zur Spaltung des „spanischen Regionalbundes“ der Internationale. Die Auseinandersetzung zwischen kollektivistischen Anarchisten, die für legalistische Kampfmethoden und Generalstreiks eintraten, und aufständischen Anarchokommunisten, die die individuell-revolutionäre Tat propagierten, endete Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Kompromiß. 1910 wurde der „Nationale Arbeiterbund“ (Confederación Nacional del Trabajo, CNT) gegründet, der zur bedeutendsten Arbeitergewerkschaft des Landes werden sollte.15 Zur Erklärung des anarchistischen Massenerfolgs in Spanien sind zwei Ansätze verwendet worden: Der eine verweist auf den eher irrational-millenaristischen Charakter, der andere auf die überlegt-rationale Strategie der libertären Bewegung. Die Debatte zwischen „Millenaristen“ und „Rationalisten“ kann gewissermaßen auf die Auseinandersetzungen zwischen Anarchokollektivisten und Anarchokommunisten rückübertragen werden, an denen sich die Interdependenz von veränderter Produktionsweise, Qualifizierungsprozessen der Arbeiterschaft und ihrem differenzierten Organisations- und Strategieverhalten aufzeigen läßt: Während die (anarchokollektivistischen) Industriearbeiter des Nordens und qualifizierte Agrararbeiter des Südens sich bereits syndikalistisch organisierten, daher kollektive Pressionen in Form von Streiks ausüben konnten und eine insgesamt rationale Kampfstrategie verfolgten, verfügten viele (anarchokommunistische) Landarbeiter über keine solide Organisationsstruktur und waren in ihrer subjektiven Überzeugung voneinander isolierte Einzelkämpfer, deren einzige Waffe individuelle Terrorakte waren.16 Die Richtung der sogenannten „Autoritären“ organisierte in Madrid die Bewegung des marxistischen Sozialismus, die 1879 zur Gründung der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) führte. Diese verfolgte das Ziel, die politische Macht mit legalen Mitteln zu erlangen. Auch die 1888 ins Leben gerufene sozialistische Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (UGT, Allgemeiner Arbeiterbund) war reformistisch ausgerichtet und erstrebte den Aufstieg der Arbeiterklasse mit friedlichen Mitteln. Die sozialistische Bewegung

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war von Anfang an ein Zweig des europäischen Sozialismus der Zweiten Internationale. Die Organisation wurde maßgeblich von ihrem Gründer Pablo Iglesias (1850–1925) geprägt. Eine legale Basis erlangten die sozialistischen Organisationen erst 1887 durch das „Gesetz über die Vereinsbildung“. Die Sozialisten rekrutierten ihre Anhängerschaft vor allem unter den baskisch-asturischen Arbeitern, in Madrid und in einigen Teilen von Andalusien. In Katalonien fanden sie kaum Anhang. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte der PSOE weniger als 15 000, die Gewerkschaft UGT 1913 allerdings bereits 147 000 Mitglieder (1909: 43 000; 1911: 77 700; 1912: 129 000). Über die Hälfte der UGT-Mitglieder waren Minenarbeiter und Eisenbahner.17 Zu den Emanzipationsbewegungen der Arbeiterschaft trat im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine Bewegung regionaler Minderheiten, die sich unterschiedlich artikulierte. Die Regionalbewegungen entstanden, zumindest teilweise, als Reaktion auf die Zentralisierungstendenzen in der staatlichen Verwaltung: Das Restaurationssystem vereinheitlichte nicht nur die Rechtssphäre (Strafprozeßordnung, Oberstes Verwaltungsgericht, Bürgerliches Gesetzbuch), sondern hob nach den Karlistenkriegen auch die letzten Sonderrechte des Baskenlandes und Navarras auf, wo fortan sämtliche auf zentralistischer Ebene erlassenen gesetzliche Bestimmungen uneingeschränkt galten.18 Die Bewegung regionaler Minderheiten war allerdings lange vor der Restauration entstanden. In Katalonien äußerte sie sich zuerst, seit Mitte des 19. Jahrhunderts, als Kulturnationalismus. Katalanisches Geschichtsbewußtsein, katalanische Sprache und Literatur wurden wiederbelebt; die kulturelle „Wiedergeburt“ (Renaixença) kam 1859 zum Beispiel in der Reinstitutionalisierung des Dichterwettbewerbs der „Blumenspiele“ (Jocs Florals) zum Ausdruck. Allmählich erfolgte dann der Übergang vom Katalanismus als kultureller Renaissancebewegung zu einer politischen Autonomiebewegung. Die Theorie eines „nationalen Regionalismus“ betonte die historische Individualität Kataloniens, die sich in ihrem Erneuerungswillen gegen das unitarische Regime wandte.19 Diesem Sonderbewußtsein des Katalanischen entsprach auch die politische Distanz Kataloniens vom Zentrum Madrid. Von den 902 Ministern etwa, die zwischen 1833 und 1901 Regierungsämter einnahmen, waren lediglich 24 Katalanen; ein nicht minder aufschlußreicher Indikator des Spannungsverhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie ist die Tatsache, daß 1850 Katalonien zwar zehn Prozent der gesamtspanischen Bevölkerung stellte, zugleich aber 27 Prozent der Streitkräfte dort stationiert waren. Spanien wurde zwar als Staat, nicht jedoch als Nation anerkannt; als eigentliche Nation galt vielmehr Katalonien, das neben anderen Nationen innerhalb des spanischen Staates be-

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stand. Konsequenterweise wurden Selbstbestimmung und Eigenregierung für Katalonien gefordert. Eine wichtige Vorbedingung für den Konflikt zwischen katalanischer Peripherie und kastilischem Zentrum war der Strukturgegensatz zwischen dem ökonomisch entwickelten und gesellschaftlich differenzierten Katalonien auf der einen und dem industriell stagnierenden, weitestgehend agrarisch geprägten Zentralspanien auf der anderen Seite.20 Die katalanistische Bewegung im eigentlichen Sinne entstand in den 1880er Jahren als Mittelschichtphänomen, dem sich auch die Industriebourgeoisie der Region anschloß. Die Aktionen zur Verteidigung des katalanischen Rechts führten 1892 zur Verkündigung der auf Enric Prat de la Riba zurückgehenden maximalistischen Bases de Manresa, die als Grundlage des katalanischen Autonomieprogramms eine politische Neustrukturierung Spaniens forderten. Der Kompetenzbereich für Katalonien war weit gefaßt: Die Forderung nach regionaler Steuerhoheit und Münzprägungsbefugnis spiegelt das wirtschaftliche Selbstbewußtsein der Region, der Anspruch auf alleinige Souveränität über die regionale Organisation, d. h. generelle Gesetzgebungs- und Verwaltungshoheit den nationalen Charakter der Bewegung wider. Mit den Bases de Manresa wurde die katalanische Zielvorstellung von einer Ablösung der kastilischen „Fremdherrschaft“, einer Respektierung des Nationalitätenprinzips und der Einordnung eines autonomen Katalonien in einen freien Bund aller spanischen „Nationalitäten“ formuliert.21 Die Durchsetzung der Forderungen von Manresa stieß, wie nicht anders zu erwarten, auf heftige Madrider Gegenwehr. Einen entscheidenden Impuls erfuhr die katalanistische Bewegung einige Jahre später in Zusammenhang mit der innenpolitischen Krise nach dem Verlust der letzten überseeischen Kolonien 1898. Als das Restaurationssystem den katalanischen Gewerbetreibenden über Steuererhöhungen einen Großteil der Folgelasten des verlorenen Krieges aufbürden wollte, außerdem der lukrative Kolonialmarkt für katalanische Textilien verlorengegangen war, kam es zur Gründung regionalistischer beziehungsweise autonomistischer Parteien. Im Jahr 1901 wurde von Enric Prat de la Riba (1870–1917) die Regionalistische Liga Kataloniens (Lliga Regionalista de Catalunya) als konservativ-autonomistische Partei gegründet, die in den folgenden Jahren zur unbestrittenen Führungsmacht in mehreren Gebieten Kataloniens wurde. Sie hatte enge Verbindungen zur städtischen und agrarischen Großbourgeoisie; als antiliberal-bürgerliche Klassenpartei trat sie für die Familie, die Aufrechterhaltung der gegebenen juristischen und sozialen Ordnung sowie die Verteidigung des Eigentums ein. Bis zur Diktatur Primo de Riveras blieb die Lliga die dominierende katalanistische Rechts-

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partei. Im Jahr 1913 erreichte sie mit dem organisatorischen Zusammenschluß der vier katalanischen Provinzialausschüsse zur sogenannten Mancomunidad den ersten Schritt auf dem Wege institutioneller Anerkennung Kataloniens als regionaler politischer Einheit.22 Der zweite, wenn auch vorerst weit weniger dynamische Herd regionalistischer Autonomiebestrebungen entstand im Baskenland. Die Abschaffung der baskischen Sonderrechte (Fueros) 1876 war als Angriff auf das Baskenland aufgefaßt worden; erhalten blieb nur das Privileg der fiskalischen Autonomie, demzufolge die Höhe der von den Baskenprovinzen aufzubringenden Steuern mit der Zentralregierung ausgehandelt, die Art der Steueraufbringung aber dem Baskenland selbst überlassen wurde (conciertos económicos). Zusammen mit dem in der Restauration einsetzenden wirtschaftlichen Take-off und dem dadurch beförderten regionalen Sonderbewußtsein führten die Zentralisierungsmaßnahmen Madrids schnell zur Herausbildung eines baskischen Nationalismus, der sich insofern deutlich von der ersten Erscheinungsform eines Regionalbewußtseins, dem Karlismus, unterschied, als dieser kein gesamtbaskisches Bewußtsein hervorgebracht hatte. Vom neuen baskischen Nationalismus wurden vor allem jene bürgerlichen Mittelschichten erfaßt, die nicht in den Industrialisierungsprozeß einbezogen waren, sondern sich durch ihn marginalisiert oder gar existentiell bedroht fühlten.23 Als Begründer der nationalistischen Ideologie des Baskenlandes gilt Sabino de Arana (1865–1903), der unter dem Wahlspruch „Gott und alte Gesetze“ 1894 die erste nationalistische Organisation gründete, aus der ein Jahr später die Baskische Nationalistische Partei (Partido Nacionalista Vasco, PNV) hervorging. Ihr Programm war eine Mischung aus religiöstheokratischen und ethnisch-nationalistischen Elementen; ausgehend von der Annahme, die Basken seien eine Rasse und von kulturnationaler Einzigartigkeit, besonders aber ausgehend von der ‚Reinheit‘ des baskischen Volkes, propagierte sie einen unabhängigen Bund aller baskischen Provinzen, für die das neue Einheitswort Euskadi geschaffen wurde. Der baskische Nationalismus konnte zwar nicht mit der Unterstützung durch die Großbourgeoisie rechnen, fand aber von Anfang an Rückhalt bei dem niederen baskischen Klerus. Insgesamt brachten der wirtschaftliche Aufschwung in der Restaurationsära und die Zentralisierungsbestrebungen der Madrider Regierung auch die Bewegungen hervor, die mittelfristig zu einem Zündsatz für den Bestand der Restauration werden konnten: die Arbeiterschaft, die vom wirtschaftlichen Aufschwung kaum profitierte; die antizentralistischen Bewegungen des katalanischen und baskischen Nationalismus; und die kleinbürgerlich-mittelständischen Schichten, die nicht in das oligarchische Machtkartell des Restaurationsstaates integriert waren.24

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Trotz der verschiedenen innenpolitischen Krisenherde kam die erste große Krise des Systems nicht von innen, sondern von außen; es ging um das Kuba-Problem. Seit 1895 kämpften unter der Führung der „Kubanischen Revolutionären Partei“ von José Martí (1853–1895) die kubanischen Separatisten um ihre Unabhängigkeit. Kaufangebote und Ultimaten der USA wurden in Spanien bewußt nicht zur Kenntnis genommen. Als im Hafen von La Habana im Februar 1898 der US-Panzerkreuzer Maine durch eine Explosion zerstört wurde, war der Krieg zwischen den USA und Spanien um Kuba unvermeidlich. In den Seeschlachten von Cavite (Philippinen) und Santiago de Cuba büßte Spanien nicht nur seine gesamte Kriegsflotte ein, sondern verlor auch die Reste des einst mächtigsten Imperiums der Welt. In dem im Dezember 1898 abgeschlossenen Frieden von Paris verzichtete Spanien auf seine letzten Überseebesitzungen: Kuba, die Philippinen, Puerto Rico und – gegen finanzielle Entschädigung – die weitverstreuten Inselgruppen Mikronesiens. Damit war – vier Jahrhunderte nach ihrem Beginn – die spanische Kolonialherrschaft zu Ende; vom einstigen Weltreich blieb nichts übrig.25 Bis heute werden in der spanischen Historiographie die Ereignisse jenes Jahres als „Desaster“ bezeichnet. Das Jahr 1898 symbolisierte den Zusammenbruch des gesamten Restaurationssystems. Schlagartig wurde den kritischen Zeitgenossen deutlich, daß Spanien an einem Tiefpunkt angelangt war und grundsätzliche Änderungen vorgenommen werden mußten. Bei Intellektuellen setzte eine pessimistische Seelenerforschung über die (angebliche) Unfähigkeit des – hispanischen – Menschen ein, sich der Modernität von Kapitalismus und Naturwissenschaften anzupassen. Eine ganze Generation von Schriftstellern, die „Generation von 1898“, ging mit der Restaurationsära scharf ins Gericht, reflektierte unablässig das „Spanienproblem“ und erstrebte die Europäisierung des Landes.26 Auch verfassungshistorisch bedeutete die Jahrhundertwende insofern einen Einschnitt und den Beginn einer neuen Phase, als das System, die Regierung regelmäßig zwischen Konservativen und Liberalen wechseln zu lassen, in die Krise geriet. 1897 wurde Cánovas ermordet, 1903 starb Sagasta. Damit hatten die beiden dominierenden dynastischen Parteien ihre Führer verloren; eine neue Politikergeneration trat hervor. 1902 vollendete auch Alphons (XIII.) das 16. Lebensjahr, womit die lange Regentschaft seiner Mutter, der Königinwitwe María Cristina, zu Ende ging. Die Parteien splitterten sich auf, neue politische Formationen kamen hinzu; die nationalistischen, nicht in das System integrierten Bewegungen in den peripheren Industrieregionen gewannen an Bedeutung; die Arbeiterbewegung entwickelte sich nicht im, sondern gegen das System. Die Forderung nach Revision wurde immer lauter erhoben: Eine „Erneuerungsbewe-

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gung“ (Regeneracionismo) griff um sich, deren führender Vertreter Joaquín Costa einen „eisernen Chirurgen“ zur Heilung der spanischen Krankheiten forderte; des weiteren standen auf dem Forderungskatalog die allgemeine Grundschulerziehung, technische Schulen, Produktionsgenossenschaften, Wiederaufforstungs- und Bewässerungsprojekte, Verteilung brachliegender Ländereien an Bauern und die Zerschlagung des Kazikentums.27 Die Bewegung war stark vom Krausismus beeinflußt – einer philosophischen Richtung, die vom deutschen Philosophen Karl Friedrich Krause (1781–1832), der in der Nachfolge der idealistischen Ideologie Immanuel Kants stand, ihren Ausgang genommen hatte und für eine rationale Interpretation der Existenz eintrat. Der wichtigste Anhänger des Krausismus war Francisco Giner de los Ríos (1839–1915), der 1876 eine „Freie Lehranstalt“ (Institución Libre de Enseñanza) gründete, in der neue pädagogische Methoden und Inhalte praktiziert wurden; viele liberale Politiker und Künstler des 20. Jahrhunderts wurden von der „Freien Lehranstalt“ geprägt.28 Im politischen Bereich waren es auch konservative Politiker, wie die Parteiführer Francisco Silvela (1845–1905) und Antonio Maura (1853– 1925), die eine „echte Revolution von oben“ forderten. Die ersten Haushalte nach 1898 sahen Einsparungen zur Lösung des Problems des Staatsdefizits vor, eine Steuerreform und Sozialgesetze; weitere Gesetzesprojekte betrafen die Dezentralisierung, die Universitätsreform und die Energiepolitik. All diese Bemühungen erfuhren eine plötzliche Unterbrechung durch die bedeutendste Erschütterung, die das Restaurationssystem zwischen 1898 und 1917 erlebte: die „Tragische Woche“ (Semana Trágica) von Barcelona im Sommer 1909.29 Hintergrund dieser „tragischen Woche“ war abermals der spanische Imperialismus. Nach dem „Desaster“ von 1898 verfolgten spanische Politiker und Militärs im Mittelmeerraum und in Afrika wie auch die übrigen europäischen Mächte imperialistische Ziele; für die Verluste in Amerika sollte eine Kompensation in Nordafrika erreicht werden. Der spanisch-französische Vertrag von 1904 legte die Interessenssphären beider Länder in Marokko fest; das spanische Einflußgebiet wurde im wesentlichen auf die Rifregion beschränkt. 1906 ergab sich bereits die Notwendigkeit einer militärischen Intervention gegen die Angriffe der Rifkabylen auf die spanische Bergwerksgesellschaft (bei Melilla), die zum Abbau der Rohstoffe gegründet worden war. Die Spanien zugesprochene Nordzone Marokkos verwickelte das Land erneut in einen verlustreichen Kolonial- und Wüstenkrieg. Als im Sommer 1909 über 40 000 spanische Reservisten nach Marokko geschickt werden sollten, entlud sich die angestaute Spannung in

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Barcelona. Der Marokkokrieg wurde von den Arbeitern als ein reiner Klassenkrieg betrachtet. Der ausgerufene Generalstreik und die Antikriegsdemonstrationen gingen im Juli 1909 eine „tragische Woche“ lang in einen anarchistischen und antiklerikalen Aufstand über, der sich vor allem gegen Klerus und Kirche richtete. In den vorangegangenen Jahren hatte ein populistischer Demagoge, Alejandro Lerroux (1864–1949), in Katalonien in der Arbeiterschaft mit radikaler Rhetorik, die Republikanismus, Antikapitalismus und Kirchenfeindlichkeit verband, Fuß fassen können. Seine 1908 gegründete „Radikale Republikanische Partei“ war stark antiklerikal ausgerichtet.30 Von den 1909 zu Tage getretenen Problemen wurde in den folgenden Jahren kein einziges gelöst. Das Marokkoproblem belastete weiterhin die spanische Politik. Der Krieg blieb in der Bevölkerung äußerst unpopulär, die außerdynastische Linke der Republikaner und Sozialisten bekämpfte ihn, das Heer spaltete sich in africanistas und peninsulares, die Kosten stiegen. Die Restaurationspolitiker verstanden die Warnung von 1909 nicht; sie verstrickten sich zusehends in einen Kolonialkrieg, der schließlich zum endgültigen Zusammenbruch des Restaurationssystems führen sollte. Nach den ersten beiden Erschütterungen von 1898 und 1909, die das Restaurationssystem – wenn auch deutlich angeschlagen – noch überstehen konnte, trafen im Sommer 1917 drei Krisen aufeinander, die dem System einen tödlichen Schlag versetzten. Die erste dieser Krisen ging vom Militär aus. Die auf der Halbinsel stationierten Soldaten fühlten sich von der Regierung schlechter behandelt und weniger schnell befördert als die in Marokko eingesetzten africanistas, die aufgrund ihrer „Kriegsverdienste“ rangmäßig ausgezeichnet wurden. Die peninsulares brachten immer wieder ihre Unzufriedenheit über berufliche Benachteiligungen zum Ausdruck und forderten die strikte Einhaltung des Anciennitätsprinzips bei Beförderungen.31 Seit 1916 gingen die Infanterieoffiziere dazu über, als informelle Interessenvertretungen und autonome berufsständische Verbände „Verteidigungsjuntas“ (Juntas de Defensa) zu organisieren. Im Frühsommer 1917 widersetzten sich die Juntas dem Auflösungsbefehl der liberalen Regierung Manuel García Prieto (1859–1938); aus der darauf folgenden Kraftprobe zwischen der Offiziersbewegung und der Regierung ging diese, die außerdem von einem Generalstreik bedroht wurde, geschwächt hervor. García Prieto mußte zurücktreten, der Konservative Eduardo Dato (1856–1921) wurde im Juni 1917 neuer Regierungschef und erkannte die Juntas als Sprachrohr der Militärbelange an. Diese zivile Kapitulation vor den Militärs war primär darauf zurückzuführen, daß die Regierung nicht auf die Armee als Bollwerk gegen die für politische und soziale Re-

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formen eintretenden Kräfte verzichten konnte und mit allen Mitteln verhindern wollte, daß es zu einer Allianz ziviler und militärischer Protestbewegungen kam. In den folgenden Monaten unterbreiteten die Offiziersjuntas König Alphons XIII. wiederholt Ultimaten; durch dieses Verhalten etablierten sie eine mit der verfassungsmäßigen Exekutive konkurrierende autonome Vetomacht, die auch den König unter Druck setzte. Faktisch war damit das Ende des Restaurationssystems als funktionierendes konstitutionelles Parteiensystem erreicht, da die Zivilregierung sich effektiv dem Machtanspruch des Militärs unterordnen mußte.32 Der zweite Krisenherd resultierte aus dem katalanischen Nationalismus, dessen bürgerliche Träger durch die wirtschaftliche Entwicklung während des Ersten Weltkriegs ökonomisch und politisch deutlich gestärkt worden waren. Zu Beginn des Krieges hatte Spanien seine Neutralität erklärt, wenn auch im Innern eine deutliche politische Spaltung stattfand. Unabhängig von dieser ideologischen Spaltung verstand es die Wirtschaft des Landes, die offizielle Neutralität Spaniens in Handelsgewinne umzusetzen. Vor allem die katalanische Wirtschaft erlebte als Lieferant der kriegführenden Mächte – besonders der Entente – einen bedeutenden Aufschwung. Da der wirtschaftliche Aufschwung primär den Unternehmern zugute kam und die überhitzte Konjunktur inflationistische Preissteigerungen mit sich brachte, unter denen die Arbeiterschaft zu leiden hatte, zog die von Streiks und Arbeitskämpfe bedrängte Regierung es vor, lange Zeit die Cortes nicht einzuberufen.33 In Zusammenhang mit der Juntero-Rebellion erblickte die katalanische Bourgeoisie im Sommer 1917 die Chance, ihren Einfluß auf die Madrider Regierung zu erweitern, die katalanische Autonomie auszubauen und eine Verfassungsrevision im Sinne einer föderalistischen Staatsstruktur herbeizuführen. Diese Ziele verfolgte das trotz Regierungsverbots erfolgte Parlamentariertreffen in Barcelona (Movimiento Asambleista), an dem schließlich nur katalanische Abgeordnete teilnahmen. Die ursprünglich gehegte Hoffnung, die krisenhaft zugespitzte Situation vom Sommer 1917 zu einer Ausweitung der katalanischen Autonomie nutzen zu können, mußte schon deshalb unerfüllt bleiben, weil die ‚bürgerliche‘ Versammlung Barcelonas mit den gleichzeitig vorgetragenen sozialen Forderungen der Arbeiterschaft nichts zu tun haben wollte und außerdem das Militär, dessen Unterstützung man vorübergehend erwartet hatte, sich klar von den katalanischen „Separatisten“ distanzierte.34 Der dritte Krisenherd entstand aus dem im August 1917 von der sozialistischen Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (UGT) ausgerufenen „revolutionären Generalstreik“, dessen Hintergrund die Verschlechterung der sozio-ökonomischen Lage der Arbeiterschaft war. In

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ihrer Studie über die Industriewirtschaft während des Ersten Weltkriegs und in der ersten Nachkriegszeit haben José Luis García Delgado und Santiago Roldán die Auswirkungen der Kriegssituation auf Spanien und seine Wirtschaft analysiert. Äußerlich dominierten die Anzeichen von Prosperität: Überschuß in der Zahlungsbilanz, beachtliche Gewinne im Industriesektor, die ‚Bank von Spanien‘ konnte beträchtliche Goldreserven anlegen. Die Kriegsjahre wurden zum Beginn der chemischen Schwerindustrie, die Baumwolltextilien erfuhren eine Produktionssteigerung, der Auslandsabsatz stieg auf das Zweieinhalbfache, die Eisen- und Rohstahlerzeugung verdoppelte sich in den Kriegsjahren, die Gewinne der Reedereien kletterten nahezu auf das Dreizehnfache, die Gewinne der Banken vervierfachten sich.35 Allerdings wies diese Entwicklung auch Kehrseiten auf. Die im Schatten des Weltkrieges möglich gewordene wirtschaftliche Expansion führte zu keinerlei Reform im Landesinneren, die profitgierige Bourgeoisie blieb für soziale Belange blind. Kriegsspekulation und Exportboom ließen die Preise im Innern hochschnellen und trieben das Land an den Rand des Hungers. Trotz gestiegener Erzeugung waren in vielen Branchen sinkende Reallöhne zu verzeichnen. Diese Verhältnisse führten zu starker Unzufriedenheit unter den Industriearbeitern, deren Zahl infolge der Wirtschaftsexpansion deutlich angestiegen war. Die Gewerkschaften erlebten einen massiven Zulauf: Die anarchosyndikalistische CNT hatte im Dezember 1918 schon 350 000 und ein Jahr später 715 000 Mitglieder; die sozialistische UGT zählte 1917 rund 100 000 und 1921 schon 240 000 Mitglieder. Längerfristig waren die Folgen der kriegsbedingten Außenwirtschaftssituation verheerend; nach 1918 geriet die spanische Wirtschaft in die Krise, ihre Struktur wurde geschwächt, da während des Krieges ein Prozeß der Entkapitalisierung stattgefunden hatte.36 Die sozialen Auswirkungen der Kriegsentwicklung gingen zulasten der Arbeiterschaft: In der Textilindustrie blieben die Löhne lange Zeit eingefroren; der Anstieg der Sparquote der großen Masse der Bevölkerung blieb weit hinter den Preissteigerungen und der Erhöhung der Geldumlaufgeschwindigkeit zurück, so daß von einer Verarmung der Mehrheit und einer Bereicherung der Minderheit gesprochen werden kann. Der schließlich im August 1917 – zum gleichen Zeitpunkt wie die katalanische Parlamentarierversammlung – von den Sozialisten ausgerufene „revolutionäre Generalstreik“ – die anarchosyndikalistische Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo, CNT blieb weitgehend marginalisiert – wurde allerdings weder von den oppositionellen Katalanen noch von den revoltierenden junteros unterstützt. Im Gegenteil: Lliga-Chef Francesc Cambó (1876–1947) und die katalanische Industriebourgeoisie wurden

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sich sehr schnell ihrer Klasseninteressen bewußt und bekannten sich unmißverständlich zur Restaurationsordnung; und das Militär schlug im Namen von Recht und Ordnung den Arbeiteraufstand rücksichtslos nieder.37 Obwohl somit im Sommer 1917 die Militärs, die Arbeiterschaft und die politisch organisierten Katalanen gleichzeitig ihre Proteste artikulierten und eine Staatskrise heraufbeschworen wurde, erfolgte kein zielgerichtetes Zusammenwirken. Zu unterschiedlich waren Voraussetzungen und Interessen. Im Grunde genommen läutete jedoch die Krise von 1917 das Ende der Restaurationsära ein. Nach 1917 häuften sich die Krisensymptome, die sich schwerpunktmäßig in drei Bereichen bemerkbar machten: im staatlichen, im sozialen und im kolonialpolitischen. Im staatlichen Sektor äußerte sich der Zersetzungsprozeß des Restaurationssystems im immer schnelleren Wechsel der Regierungen; Kabinette der „nationalen Konzentration“ banden vorübergehend alle systemtragenden Parteien zusammen, um den Forderungen der Arbeiter, der Republikaner und der nationalistischen Regionalisten begegnen zu können. Das kazikistische System der Wahlmanipulation funktionierte nicht mehr, durch Parteineu- und -umbildungen zerfiel das Parlament in immer mehr Gruppen und Fraktionen; die Staatsordnung schien sich aufzulösen, das Land unregierbar geworden zu sein. Immer häufiger trat König Alphons XIII. als „Kabinettsmacher“ auf, nachdem das Parlament dazu nicht mehr in der Lage war; in konservativen Kreisen häuften sich die Rufe nach einer „zivilen Diktatur“, die gegen die „bolschewistische Anarchie“, gegen den „Separatismus“ und die „Schwäche des Liberalismus“ einschreiten sollte.38 Besonders dramatisch verliefen in der unmittelbaren Nachkriegszeit die wirtschaftliche Entwicklung und, in ihrem Gefolge, die sozialen Auseinandersetzungen. In der Nachkriegsdepression mußten allein in Katalonien 140 Textilfabriken schließen, im Baskenland standen die Werften leer, Bergwerke sowie die Eisen- und Stahlindustrie mußten zu Kurzarbeit übergehen und massenweise Arbeiter entlassen. Die angespannte Situation führte zwar zu gewissen staatlichen Zugeständnissen. so führte die liberale Regierung Romanones 1919 den Achtstundentag in der Industrie ein und 1920 wurde das Arbeitsministeriums geschaffen; insgesamt jedoch sah sich die Arbeiterbewegung in die Defensive gedrängt. Am härtesten war die Auseinandersetzung in Katalonien, wo die Unternehmer nicht nur eine protektionistische Schutzzollpolitik als anachronistisch-wirtschaftliches Krisenmanagement durchsetzen konnten, um sich erneut den Binnenmarkt zu reservieren, sondern außerdem auf staatliche Hilfe bei der systematischen Repression der Arbeiterschaft zählen durften. In Katalonien begannen die Unternehmer 1919 eine bis zum Beginn der

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Diktatur Primo de Riveras 1923 andauernde Großoffensive gegen die Arbeiterorganisationen, die jenen Landesteil zum Schauplatz der wohl heftigsten Sozialkonflikte im damaligen Nachkriegseuropa machte. Die gedungenen Pistolenschützen (pistoleros) der Unternehmerseite und die radikalisierten Anarchosyndikalisten lieferten sich in Barcelona fast täglich Gefechte und Straßenschlachten, deren prominenteste Opfer der konservative Ministerpräsident Eduardo Dato (1922) und der gemäßigte CNT-Führer Salvador Seguí (1923) waren.39 Neben dem industrialisierten Katalonien war zwischen 1918 und 1920 die Situation besonders auf dem andalusischen Land konfliktreich. Seit der klassischen Darstellung von Juan Díaz del Moral über die andalusischen Unruhen werden jene Jahre das „bolschewistische Triennium“ genannt; zweifellos wurden die zahlreichen Landbesetzungen und Agraraufstände – der Höhepunkt wurde 1919 mit 200 und 1920 mit 183 Landarbeiterstreiks erreicht – von den aus Rußland eindringenden Nachrichten über die dortige Revolution beeinflußt, wenn auch die Kenntnis über die Ereignisse im entfernten Rußland sehr beschränkt gewesen sein dürfte. Das revolutionäre Fieber jener Jahre erfaßte vor allem einen Flügel der Sozialistischen Partei, aus dessen Abspaltung 1920/21 – zusammen mit einer ebenfalls minoritären Fraktion der Anarchosyndikalisten – die „Kommunistische Partei Spaniens“ (Partido Comunista de España) hervorging.40 Den letzten Anstoß zum endgültigen Zusammenbruch des Systems lieferte erneut die Kolonialpolitik in Marokko. Die während des Ersten Weltkriegs unterbrochenen militärischen Operationen waren seit 1919 unter Hochkommissar Dámaso Berenguer (1873–1953) wiederaufgenommen worden. Im Juli 1921 erreichte eine Kette demütigender Niederlagen im Krieg gegen die Rifkabylen sodann ihren Höhepunkt: General Manuel Fernández Silvestre erlitt bei Annual, während eines schlecht koordinierten Vormarsches auf das zwischen Ceuta und Melilla gelegene Alhucemas, eine geradezu vernichtende Niederlage, die ihm der Kabylenführer Mohammed Abd el Krim beibrachte (1880–1963). El desastre de Annual kostete über 12 000 spanische Soldaten das Leben; seit 1909 waren damit über 20 000 Spanier im Marokkokrieg, der die spanische Regierung damals die astronomische Summe von sieben Millionen Peseten pro Tag kostete, gefallen.41 Nach Annual setzte die Suche nach den Verantwortlichen für die Katastrophe ein. Der amtliche Untersuchungsbericht wurde vorerst nicht publiziert; unter den Militärs bestand jedoch kein Zweifel darüber, daß die Ursache des Debakels in der Unfähigkeit der zivilen Regierungen, im „Verrat der Heimatfront“, in den chronischen Führungskrisen der dynasti-

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schen Parteien und der dadurch bedingten Widersprüchlichkeit der Kolonialpolitik zu sehen war. Am 13. September 1923 putschte schließlich der Generalkapitän von Katalonien, Miguel Primo de Rivera (1870–1930). In seinem Aufruf erklärte der General, er wolle „Spanien von Berufspolitikern befreien“, die das Vaterland entehrten. Er griff Separatisten und Kommunisten an; alle „Menschen guten Willens“ wurden aufgefordert, sich zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung der „Bürgerwehr“ (somatén) anzuschließen, die von den katalanischen Unternehmern 1919 als eigene Miliz im Kampf gegen die Arbeiterorganisationen gegründet worden war. Der von der katalanischen Bourgeoisie begrüßte Staatsstreich wäre fehlgeschlagen, wenn der König ihm seine Unterstützung verweigert hätte. Im vollen Bewußtsein der Folgen seiner Handlung ernannte aber Alphons XIII. Primo de Rivera zum Präsidenten eines Militärdirektoriums, womit das konstitutionelle System von 1876 sein Ende fand.42 Betrachtet man die Restaurationsära in historischer Perspektive und vergleicht sie mit der vorhergehenden „Ära der Pronunciamientos“, so fällt als erste entscheidende Veränderung gegenüber früher auf, daß Krone und Militär als Faktoren der Verfassungswirklichkeit an Gewicht verloren. Das Pronunciamiento wurde als Instrument des Machterwerbs unwirksam. Kam es trotzdem zu einem militärischen Aufstand, so erfolgte dieser von seiten der Systemgegner, der Republikaner oder Karlisten, jedoch nicht mehr innerhalb des Systems als „normaler“ Weg der Herbeiführung von Regierungswechseln. Diese äußerliche Abstinenz des Militärs, gewaltsam in den politischen Prozeß einzugreifen, darf allerdings nicht mit militärischer Einflußlosigkeit gleichgesetzt werden. Führende Generäle – allen voran Martínez Campos – waren immer wieder an Regierungswechseln beteiligt; außerdem übten sie großen Einfluß auf die Liberale Partei aus. Unter Alfons XIII. hatten führende Militärs auch eine Immediatstellung zum Monarchen inne und beeinflußten über diesen die Politik. All diese formellen und informellen Mechanismen können aber als Mittel einer ‚zivilen‘ Politik betrachtet werden. Diese Politik kam den verschiedenen Fraktionen der Oligarchie zugute, die sich turnusmäßig an der Macht ablösten und durch ein ausgeklügeltes Manipulationssystem lange Zeit zu verhindern wußten, daß die aufstrebenden republikanisch oder sozialistisch gesinnten Schichten ihre Machtposition gefährden konnten. Die lange Friedenszeit der Restauration war somit gewissermaßen die belle époque der spanischen Bourgeoisie, die einen Höhepunkt ihrer Machtentfaltung erlebte. Symbol des wirtschaftlichen Aufschwungs im Land war die Weltausstellung von 1888 in Barcelona; dem Pragmatismus des Handelns und ökonomischen Denkens entsprach als herrschende Philosophie der Positivismus. Die in das System nicht integrierten Arbeiterschichten wand-

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ten sich ihren eigenen politischen Ideologien zu: dem Anarchismus und Sozialismus.43 Der zweite Unterschied bestand in einer erhöhten Stabilität der Regierungsweise, obwohl es insgesamt zu häufigen Regierungswechseln kam. Solange aber das System funktionierte, läßt sich sagen, daß dessen Stabilität nicht trotz, sondern wegen der häufigen Wechsel in der Regierungsausübung erreicht wurde. Entscheidend war allerdings die Existenz zweier dynastischer Parteien, die bereit waren, den Mechanismus aufrechtzuerhalten. Als die dominierenden Parteiführer das Funktionieren des Systems nicht mehr garantieren konnten, löste sich dieses allmählich auf. Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, daß am Ende der Restaurationsära eine politische Situation erreicht war, die wieder derjenigen ähnelte, welche in der „Ära der Pronunciamientos“ vorherrschend gewesen war, da der König erneut in die Regierungsgeschäfte eingriff und das Militär direkt in die politische Sphäre eindrang.

VIII. Diktatur, Republik, Bürgerkrieg (1923–1939) 1923–1930 Diktatur von Miguel Primo de Rivera 1929 Beginn der Wirtschaftskrise 1930 Rücktritt Miguel Primo de Riveras; Regierung Dámaso Berenguer 1931–1936 Zweite Republik 1931 Wahlen zum Parlament; Verfassung 1932 Autonomiestatut für Katalonien; Agrarreformgesetz 1933 Gründung der Falange; Sieg der Rechtsparteien bei Parlamentswahlen 1934 „Spanische Oktoberrevolution“ 1936 Volksfrontwahlen (Februar); Sieg des Linksblocks; Beginn des Bürgerkrieges 1936–1939 Bürgerkrieg 1937 Zerstörung Gernikas durch deutsche Flieger der „Legion Condor“ 1939 Beitritt Spaniens zum Antikominternpakt; Ende des Bürgerkrieges

Durch den Staatsstreich Primo de Riveras versuchten die dominanten Schichten der Restauration, einschließlich der Krone, das System von 1876 zu perpetuieren; die unkontrollierbar gewordenen Arbeiterorganisationen sollten unterdrückt (Anarchosyndikalisten) oder voll in das System integriert (Sozialisten), die Interessen der Agrar- und Finanzoligarchie durch die Macht des Militärs gewahrt werden. Der Schlag gegen das konstitutionelle System der Restauration erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Verschiebung der Macht von der Oligarchie auf neue soziale Schichten in den Bereich der politischen Möglichkeiten gelangt war. Diese reale Gefährdung des Restaurationssystems galt es zu verhindern.1 Soziologisch betrachtet, resultierte die Diktatur aus der anfänglichen Konvergenz zweier dominanter Gruppen: der Agraroligarchie des Zentrums und der Industriebourgeoisie der Peripherie. Äußerlich blieb die katalanische Bourgeoisie zwar distanziert; ohne die politische Führung anzustreben, unterstützte sie jedoch die Diktatur in einer Weise, die ihr ökonomisch zugute kam. Zu den Unternehmern gesellte sich als weitere Regimestütze die Kirche, die umworben und mit vielen Privilegien auf dem Erziehungssektor ausgestattet wurde; der König und sein Diktator be-

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suchten den Vatikan, katholische Universitäten und Lehranstalten wurden aufgewertet.2 Das Militär stand dem Staatsstreich anfangs reserviert gegenüber; zwar opponierte kein General gegen die Machtübernahme Primo de Riveras, aber dessen Pläne zu einem möglichen Rückzug aus Marokko stießen im Heer auf Ablehnung. Gerade die Kolonialpolitik sollte dem Diktator jedoch schließlich großes Prestige und die Unterstützung der Armee einbringen: Der Angriff Abd el Krims auf Französisch-Marokko hatte einen Umschwung in der spanischen Nordafrikapolitik bewirkt. In Zusammenarbeit mit den Franzosen führte Spanien eine kriegerische Operation durch, bei der spanische Truppen 1925 bei Alhucemas landeten; 1927 konnte der Marokkokrieg im wesentlichen als beendet, das Protektorat – trotz anhaltender gelegentlicher Guerrillatätigkeiten – als ‚befriedet‘ gelten.3 Zudem unterstützten – und das ist zweifellos einzigartig im europäischen Kontext – die Sozialisten die Diktatur. Unter Rückgriff auf die katholische Soziallehre nahm Primo de Rivera – noch vor der Falange in den 30er Jahren – die Integration von Nationalismus und Sozialismus vor. Der Diktator war durchaus am Wohlergehen der Arbeiterschaft interessiert; ihm schwebte, in seiner paternalistischen Grundeinstellung, eine Interessenharmonisierung zwischen Kapital und Arbeit vor. Die Zusammenarbeit der Sozialisten mit dem Regime erfolgte vor allem über die paritätischen Schiedsgerichte (Comités Paritarios), die seit 1926 – übrigens gegen den erklärten Willen der Unternehmer – zur Regelung von Arbeitskonflikten im Industriebereich eingerichtet wurden.4 Shlomo Ben-Ami weist in seiner Studie über die Diktatur Primo de Riveras detailliert nach, daß der Anstoß zur Bildung einer Militärdiktatur nicht aus den Reihen des Militärs kam, sondern auf den Druck der katalanischen Großbourgeoisie zurückging, die in einer militärischen Führung des Landes das einzig probate Mittel sah, der zunehmenden sozialen Unruhen Herr zu werden. Im Sinne Sergio Vilars könnte man somit von einer abermaligen Instrumentalisierung der Armee durch die politisch schwache Bourgeoisie sprechen, die nicht in der Lage war, sich ein geeignetes politisches Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen zu schaffen, sondern im Krisenfall stets auf bewaffnete Lösungen zurückgriff. Allerdings stellt die Tatsache, daß aus dem pronunciamiento von 1923 eine Militärdiktatur hervorging, das auffälligste Unterscheidungsmerkmal zu den militärischen Interventionen im 19. Jahrhundert dar. Der Staatsstreich Primo de Riveras ist damit eine neue Form militärischer Intervention wie sie für das 20.Jahrhundert charakteristisch geworden ist: Die Armee intervenierte nunmehr in die Politik mit der offensichtlichen Absicht, selbst zu bestimmen und zu interpretieren, was unter nationalen Interessen zu verstehen ist.5

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Sofort nach seiner Machtübernahme beendete Primo de Rivera die „alte“ Politik: Er löste das Parlament und die Stadtverwaltungen auf, setzte neue Bürgermeister ein, versuchte, das Kazikentum auf dem Lande zu beenden, erlegte der Tagespresse eine Vorzensur auf und gründete eine eigene, offiziöse Zeitung La Nación. Um dem Regime insgesamt einen ‚zivileren‘ Anschein zu geben, gründete Primo de Rivera – nach der faktischen Ausschaltung aller politischen Parteien – 1924 mit der „Patriotischen Union“ (Unión Patriótica) eine Einheits- und Regierungspartei, deren einziger Zweck in der Legitimation seiner Politik bestehen sollte. Der Partei traten zwar bürgerlich-opportunistische Kräfte bei, sie hatte jedoch nie Massenzulauf. Die dynastischen Parteien lösten sich nach 1923 schnell auf. Viele ihrer führenden Mitglieder liefen zu republikanischen Parteien oder zur Unión Patriótica über; diejenigen, die eine klare Gegnerschaft zur Diktatur bezogen, wurden verfolgt, ihrer Ämter enthoben oder verbannt. Auch die katalanische Lliga erlitt dieses Schicksal. Von den alten Parteien konnte Alphons XIII. somit nach Beendigung der Diktatur nicht die Rettung seiner Krone und der liberal-konstitutionellen Monarchie erwarten. Die republikanischen Parteien wiederum erfreuten sich eines regen Zuspruchs.6 Nachdem die Diktatur errichtet war, fand ein Institutionalisierungsprozeß statt. Die politischen Instrumente der Restaurationsmonarchie, die Cortes, Provinziallandtage und Stadtverwaltungen, waren funktionslos geworden; das ‚Provisorium‘ mußte überwunden werden, da dessen Aufrechterhaltung über kurz oder lang eine Rückkehr zu jenem ‚alten‘ System bedeutet hätte, das gerade abgeschafft werden sollte. Die schließlich anvisierte Lösung resultierte aus dem Zusammenwirken des paternalistischen Konservativismus Primo de Riveras und des korporativistischen Autoritarismus der traditionellen Rechten. Der Übergang vom Militärdirektorium zu einer Zivilregierung 1925, der Ausbau der paramilitärischen Bürgerwehr Somatén, der (fehlgeschlagene) Versuch einer Massenmobilisierung durch die Unión Patriótica, vor allem aber die Schaffung der Asamblea Nacional Consultiva stellten die Elemente einer Verständigung zwischen den verschiedenen Fraktionen dar.7 Mit diesen Institutionen sollte einerseits die politische Mobilisierung bestimmter sozialer Schichten für eine ständige Unterstützung der Diktatur und zugleich die Organisation einer „Notablenelite“ erreicht werden, die als neue „politische Klasse“ fungieren würde. Andererseits ging es um die Schaffung einer neuen Legalität und Legitimität; hierzu aber bedurfte es, nachdem die Verfassung von 1876 außer Kraft gesetzt worden war, einer neuen Konstitution. Die Ausarbeitung dieser neuen Verfassung war die wichtigste Aufgabe der Asamblea. Der im Juli 1929 der Öffentlichkeit

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vorgelegte Entwurf wurde allerdings von Liberalen, Monarchisten und Republikanern einhellig als absolutistisch im Inhalt und undemokratisch in der Entstehung abgelehnt. Der Verfassungsentwurf war Ausdruck der traditionellen Gegnerschaft der Rechten gegen eine parlamentarische Regierung; die Minister sollten nicht verantwortlich sein. Allerdings wurden auch, unter dem Einfluß Mussolinis, königliche Prärogativen beschnitten, weshalb Alphons XIII. dem Entwurf, der sehr schnell zurückgezogen wurde, ebenfalls ablehnend gegenüberstand.8 Neben der Marokkopolitik war der eigentliche Schwerpunkt der Politik Primo de Riveras der Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsbereich; hier wollte die Diktatur ihre Erfolge erzielen und sich selbst legitimieren. Die Wirtschaftspolitik ruhte im wesentlichen auf drei Säulen: auf einem verstärkten Staatsinterventionismus in Wirtschaftsangelegenheiten, auf einem ausgedehnten Industrieprotektionismus und auf einer Politik öffentlicher Arbeitsbeschaffung. Insgesamt fand auf ökonomischem Gebiet auch eine beschränkte Modernisierung statt: Das Volkseinkommen stieg, die Industrieproduktion nahm zu, in Schlüsselsektoren – etwa Chemie, Elektrizität, Transportwesen – wurden neue Technologien eingeführt, der Dienstleistungssektor erfuhr eine beachtliche Entwicklung. 1923 wiesen die Wirtschaftsindikatoren bereits deutliche Erholungsanzeichen auf; in den folgenden Jahren expandierte die Wirtschaft sodann, was auch auf die positiven Rückwirkungen der internationalen Wirtschaftssituation zurückzuführen war. Die hochprotektionistische Außenhandelspolitik und die interventionistischen Methoden der Produktionsförderung (Industrieschutzgesetz von 1926) bewirkten eine Steigerung der industriellen Produktion, deren Index von 102,5 im Jahr 1923 fast ohne Unterbrechung bis auf 146,1 im Jahr 1931 stieg.9 Charakteristika der Wirtschaftspolitik waren – neben dem Staatsinterventionismus – der Korporativismus im Arbeitsbereich und die Entwicklungspläne als Implementierungsmechanismen der staatlichen Politik. Vielfältige Projekte wurden in Angriff genommen: Der 1924 gegründete „Nationale Wirtschaftsrat“ (Consejo de la Economía Nacional) erarbeitete einen Wirtschaftsplan, nach dem die Industrieproduktion zentral gelenkt werden sollte. Mit der CAMPSA (Compañía Arrendataria del Monopolio de Petróleo S.A.) wurde, um Spaniens Unabhängigkeit von ausländischen Erdölgesellschaften (Royal Dutch Shell und Standard Oil) zu erreichen, ein Regierungsmonopol für die Erdölversorgung geschaffen; dafür erfolgten verstärkte sowjetische Lieferungen über eine Gesellschaft, deren Hauptaktionär der Millionär Juan March (1880–1962) war, der zuvor den Alhucemas-Feldzug mitfinanziert und 1927 das Tabakmonopol in den nordafrikanischen Garnisonsstädten Ceuta und Melilla übertragen be-

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kommen hatte. Die US-Gesellschaft ITT erhielt das Monopol für das spanische Telefonnetz. Im Bereich des Verkehrswesens wurden rund 2800 km Auto- und viele Landstraßen angelegt, die Eisenbahnen unter Staatsaufsicht gestellt und elektrifiziert. Im Energiebereich wurden Flußläufe reguliert und Staudämme angelegt. Wasserwirtschaftlichen Genossenschaften unter staatlicher Oberaufsicht (Confederaciones Sindicales Hidrográficas) wurden seit 1926 die Einzelmaßnahmen übertragen. Auf den Gebieten der Wiederaufforstung und künstlichen Bewässerung von Trockenland konnten beachtliche Erfolge erzielt werden.10 Die kostspielige Politik öffentlicher Ausgaben stellte das Regime allmählich vor große Finanzprobleme, nachdem bei Beginn der Diktatur das Staatsdefizit bereits 1,2 Milliarden Peseten betragen hatte. Finanzminister José Calvo Sotelo (1893–1936) beabsichtigte zwar auf der Grundlage einer abgestuften Einkommens-, Luxus- und Gewinnsteuer eine Finanzreform; da der Plan ihm aber von Unternehmerseite den Vorwurf des „Bolschewismus“ einbrachte, wurde er fallengelassen und durch eine Erhöhung der indirekten Steuern ersetzt. Ab 1926 stieg der Pesetakurs, was dazu führte, daß viele Spekulanten Devisen zum Kauf von Peseten nach Spanien transferierten. Als aber deutlich wurde, daß die spanische Währung nicht aufgewertet würde, verkauften die Spekulanten ihre Peseten wieder. Durch den Kurssturz erlitt das Regime sowohl wirtschaftliche Verluste als auch eine politische Niederlage. Die Finanzprobleme trugen nicht unerheblich zur Destabilisierung der Diktatur bei.11 Letztlich war das Scheitern der Diktatur jedoch nicht ökonomisch, sondern politisch bedingt. Die Angriffe der Linken trugen hierzu ebenso bei wie der Entzug der Unterstützung durch die Rechte. Katholische Gewerkschafter entzogen dem Regime ihre Unterstützung, da es die sozialistische UGT bevorzugte; konservative Verfechter des Privatunterrichts waren aufgebracht, da das staatliche Schulsystem gefördert wurde; liberale und konservative Restaurationspolitiker unternahmen sogar einen Putschversuch, da sie mundtot gemacht wurden; die Intellektuellen, von denen einige anfangs die Diktatur begrüßt hatten, mußten ins Exil, so Miguel de Unamuno oder Gregorio Marañón, wandten sich von der Monarchie ab, z. B. José Ortega y Gasset mit seinem Aufruf ›Delenda est Monarchia‹, oder schlossen sich republikanischen Bewegungen an wie zahlreiche Literaten, die 1930 die Gruppe Al servicio de la República bildeten; die Studenten gründeten eine oppositionelle Organisation, den „Spanischen Universitätsbund“ (Federación Universitaria Española), der schließlich landesweit für die Republik agitierte; seit 1929 distanzierten sich die Sozialisten vom Regime; als die Wirtschafts- und Finanzprobleme zunahmen, wollten auch die meisten Unternehmer nichts mehr vom Staatsinter-

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ventionismus Primo de Riveras wissen; schon früh waren auch die Katalanisten, die anfangs ihre autonomistischen Aspirationen mit Hilfe des Diktators durchzusetzen gehofft hatten, von dessen unitaristisch-zentralistischer und schließlich antikatalanischer Politik enttäuscht worden und zu den oppositionellen Kräften übergelaufen. Den Ausschlag gab schließlich das Militär: Als Primo de Rivera auf seine Anfrage bei den Generalkapitänen, ob er weiterhin ihr Vertrauen genieße, ausweichende Antworten erhielt und der König, der die „Vormundschaft“ seines Diktators wieder abschütteln und gewissermaßen als „Befreier“ dastehen wollte, ihm das Vertrauen entzog, trat er im Januar 1930 zurück und ging ins französische Exil, wo er kurz danach starb.12 Primo de Riveras „liberaler“ Nachfolger, General Dámaso Berenguer (1873–1953), kehrte zur Verfassung von 1876 zurück und wollte die politische Praxis der Zeit vor der Diktatur wiederbeleben. Angesichts dieses anachronistischen Versuchs schlossen sich im August 1930 Republikaner, Sozialisten und Katalanische Linke im „Pakt von San Sebastián“ zusammen und verbanden mit der Forderung nach Reformen vor allem den Ruf nach der Republik. Um der Opposition keine Gelegenheit zu massiver antimonarchischer Propaganda zu geben, schob die Regierung die geplanten allgemeinen Wahlen auf und hielt statt dessen am 12. April 1931 Gemeindewahlen ab. Diese wurden allerdings unerwartet doch zu einer Abstimmung über die Staatsform, da in fast allen großen Städten die verbündeten Republikaner und Sozialisten siegten, während auf dem Land die Monarchisten entweder als Sieger aus den Wahlen hervorgingen oder zumindest mit den antimonarchischen Kräften gleichziehen konnten. Um eine blutige Auseinandersetzung zwischen Monarchisten und Republikanern abzuwenden, entschloß sich Alphons XIII. (auf Empfehlung seiner Berater) dazu, das Land zu verlassen. Er entsprach damit dem Ultimatum des Revolutionskomitees unter Niceto Alcalá Zamora (1877– 1949). Am 14. April 1931 wurde sodann, unter großem Jubel der Bevölkerung, die Zweite Spanische Republik ausgerufen.13 Das Ergebnis der Wahlen vom 12. April 1931 bedeutete eine beispiellose Niederlage für das politische System der Restaurationsmonarchie. Mit der gewaltlosen Ersetzung der Monarchie durch die Republik wurde nicht nur eine politische Ordnung durch eine andere abgelöst, sondern ein soziales System beendet. Die Republik sollte die gesellschaftliche Struktur verändern, wie sie von der Restauration in den vorhergegangenen 50 Jahren aufrechterhalten worden war. Die Restaurationsmonarchie hatte eine Epoche bis dahin beispielloser Stabilität eingeleitet; es war zugleich die „bürgerliche“ Epoche schlechthin, in der die verschiedenen Fraktionen der Oligarchie sich an der Macht ablösten und durch ein ausgeklügeltes

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Die weibliche Allegorie der Republik, das „schöne Mädchen“ genannt, bringt die Reformhoffnungen der Zeit zum Ausdruck.

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Manipulationssystem lange Zeit zu verhindern wußten, daß die aufstrebenden republikanisch und sozialistisch gesinnten Schichten ihre Machtposition gefährden konnten.14 Das 20. Jahrhundert hatte in einer ausgesprochenen Krisenstimmung begonnen. Beendete die Krise von 1898 die „ideologische Hegemonie“ des dominanten Blocks, so fand 1917 eine Krise des sozialen Gefüges und der institutionellen Ordnung statt. Das, was später die „spanische Krise des 20. Jahrhunderts“ genannt wurde – mit ihrem Höhepunkt im Bürgerkrieg von 1936 –, war 1917 in seinen Grundstrukturen bereits ausgebildet. Seit der Jahrhundertwende hatte die Krone ihre traditionelle Zurückhaltung bei der Ausübung ihrer zivilen und militärischen Prärogative aufgegeben, ihre strukturelle Dominanz im politischen System war immer deutlicher geworden. Mit der Aktivierung der monarchischen Regulativgewalt durchbrach der König die frühere Parteienpraxis, wodurch das für das Funktionieren des Zweiparteiensystems notwendige Führungsmonopol innerhalb der dynastischen Parteien geschwächt wurde. Immer häufiger verloren die Parteiführer bei der Einsetzung von Generälen an der Spitze von Übergangsregierungen die Initiative an den König; periodische Führungskrisen wurden zu einer chronischen Erscheinung, der König wandte sich zusehends von den politisch gelähmten dynastischen Parteien ab und trat immer häufiger als Sachwalter militärischer Belange auf. Damit untergrub er die Bindungen zwischen Militärs und dynastischen Parteien, trug zur Identifikation von monarchischen und militärischen Interessen bei und förderte die militärische Autonomie auf vielen Gebieten, vor allem bei der Sozial- und Kolonialpolitik.15 Äußerlich und oberflächlich war der Staatsstreich Primo de Riveras 1923 der Versuch, die ungelösten sozialen und kolonialpolitischen Fragen autoritär zu lösen. Indem der König der Aufhebung der Verfassung zustimmte und die Eliminierung der traditionellen dynastischen Rechtsparteien duldete, trug er selbst zur Zerstörung der sozialen Basis der Monarchie bei. Die Diktatur Primo de Riveras war das gescheiterte „autoritäre Modell“ einer Modernisierung, bei der die traditionellen Eliten ihre Privilegien zu konservieren trachteten. Dieses Scheitern des autoritären Lösungsweges erklärt den Übergang zur demokratischen Staatsform im Jahr 1931. Die modernisierungswilligen Sektoren des Landes, die Bourgeoisie und die Arbeiterschaft, hatten der autoritären Staatsform ihre bedingte Unterstützung in der Erwartung zukommen lassen, eine effektive Modernisierung und die Beteiligung an der Macht zu erlangen. Angesichts des Fehlschlags dieser Hoffnungen optierten sie für eine demokratische Republik.16 Die 30er Jahre gehören zu den konfliktreichsten Perioden der neueren spanischen Geschichte. Im ökonomischen Bereich unternahm die Zweite

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Republik den Versuch, die überkommenen Agrarstrukturen grundlegend zu modifizieren; politisch erfolgte eine Demokratisierung, die für die damalige Generation eine einzigartige Erfahrung darstellte; im sozialen und ideologischen Bereich waren die Jahre nach 1931 ein fortgesetzter Kampf zwischen einer katholisch-konservativen Rechten, einer bürgerlich-liberalen Mitte und einer anarchistisch-sozialistischen Linken; auf internationaler Ebene schließlich waren die spanischen Kämpfe der 30er Jahre auch eine Phase der allgemein-europäischen Auseinandersetzung zwischen Demokratie, Faschismus und Kommunismus. In diesem Kontext repräsentierte die Republik die zum Teil antagonistischen Kräfte der Demokratie und des Kommunismus, während die „nationale“ Seite die militärischen Kräfte des siegreichen Faschismus darstellte. Die Republik war im wesentlichen ein Modernisierungsregime; die Ausrufung der neuen Staatsform bedeutete die demokratische Machtübernahme der bürgerlich-republikanischen Parteien, die von ebenfalls modernisierungswilligen Teilen der Arbeiterschaft, besonders den Sozialisten, in ihrem Bestreben unterstützt wurden, die überkommenen sozio-ökonomischen und politischen Strukturen aufzubrechen und durch adäquatere zu ersetzen. Zuerst sollte ein laizistischer und liberaler Staat geschaffen werden, der den Reformvorstellungen der bürgerlich-republikanischen Kräfte entsprach; angestrebt wurde eine demokratische Verfassung, eine Militärreform, die Beschränkung der Macht der Kirche, eine Bildungsreform, die Entkrampfung des Verhältnisses zwischen Zentrum und peripheren Nationalismen, außerdem und vor allem eine Reform des Agrarsektors.17 Die Durchführung dieser Reformmaßnahmen sollte zu einer weitgehenden Isolierung der Regierung führen. In den meisten Fällen wurde allerdings der Alltag der Spanier von den Reformen kaum berührt; was die Bevölkerung jedoch zu spüren bekam, war die Wirkung einer Art „Subversion“ gegen die traditionelle, bis dahin vorherrschende Ordnung. So begrenzt die Maßnahmen der Republik, deren Ausrufung von den Arbeitern als „Revolution“ gefeiert wurde, auch gewesen sein mögen, so deutlich trat andererseits der republikanische Staat mit dem Anspruch auf, die Interessen der Mittellosen und traditionell Unterdrückten zu vertreten. Zum ersten Mal in der spanischen Geschichte rückte der Schwerpunkt der Gesetzgebung von der Begünstigung der Unternehmer und Grundbesitzer zur tendenziellen Bevorzugung lohnabhängiger Massen. Bis heute sind sich in diesem Zusammenhang die Historiker darüber uneins, ob die Republik zugrunde ging, weil sie zuviel oder zuwenig Reformen anging.18 Daß die Reformen zu weit gingen und von der Bourgeoisie nicht toleriert werden konnten, setzt sich neuerdings immer mehr als Erkenntnis

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durch. Für die Großgrundbesitzer hat diese These Edward Malefakis schon vor dreißig Jahren vertreten, indem er auf die Kräftekorrelation in der Republik verwies und betonte, daß die Reformstrategie der Regierung eine Reaktion der eingeschüchterten Oligarchie hervorrufen mußte. Pierre Vilar und viele andere haben demgegenüber betont, daß die Republik an ihrem Zögern zugrunde ging, da sie eine Art Zweifrontenkrieg führte, insofern sie die Gegnerschaft der Besitzenden provozierte, aber zugleich nicht die (volle) Unterstützung des Proletariats erhielt.19 Als 1931 die Monarchie zusammenbrach, harrten die ‚klassischen‘ Probleme Spaniens dringender denn je einer Lösung; die Hoffnungen, die in die Republik gesetzt wurden, waren derart überzogen, daß die Diskrepanz zwischen Zielvorstellungen und konkret Realisierbarem zwangsläufig zu Enttäuschungen führen mußte. Die Sozialisten interpretierten den Wechsel in der Herrschaftsform als „bürgerliche Revolution“, in der liberalrepublikanische Parteien die politische Führung zu übernehmen hätten und der Partido Socialista Obrero Español sie dabei unterstützen müsse. Bald nach 1931 kam es sodann in der republikanisch-sozialistischen Koalitionsregierung zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten und in deren Gefolge zu Flügelbildungen innerhalb des PSOE, die bis 1939 und darüber hinaus unvermindert fortbestanden.20 Im Gegensatz zu den Sozialisten betrachteten die Anarchisten die Republik von Anfang an mit Skepsis. Die Federación Anarquista Ibérica (FAI) drängte zur sofortigen Revolution, die Gewerkschaft CNT war hinsichtlich des einzuschlagenden Kurses uneinig und spaltete sich zu Beginn der Republik. Die von Anarchisten ausgerufenen Streiks und mehrere Aufstände wurden von den Behörden mit äußerster Härte niedergeschlagen; von Anfang an wurde damit deutlich, daß die Republik ihre wohl härteste Bewährungsprobe im Sozialbereich würde bestehen müssen.21 Während die Linke zu Beginn der Republik ihre traditionellen Organisationsformen entweder fortführen (PSOE, UGT) oder neu aufbauen konnte (CNT, PCE), war die Rechte vom politischen Wechsel derart überrascht und desorientiert worden, daß sie vorerst keine einheitliche Organisation zu präsentieren imstande war. Die Mittelschichten wiederum und die Kleinbourgeoisie entschieden sich in den Städten zwar mehrheitlich für die Republik, konnten auf dem Land aber ihrer Instrumentalisierung durch die traditionellen, antirepublikanischen Eliten nicht immer erfolgreich Widerstand leisten. In jedem Fall traten sie für eine ‚bürgerliche‘ Politik ein, deren Ziel die Bewahrung des sozio-ökonomischen status quo war. Verfechter einer derartigen ‚bürgerlichen‘ Politik war die Radikale Republikanische Partei (Partido Republicano Radical) von Alejandro Ler-

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roux, deren Standort während der Republik sich immer weiter nach rechts verschob. 1934 spaltete sich der linke Parteiflügel unter Diego Martínez Barrio (1883–1962) ab und bildete die Republikanische Union (Unión Republicana), die – ebenso wie die Republikanische Linke (Izquierda Republicana) von Manuel Azaña (1880–1940) – für eine umfangreiche Reformpolitik im Rahmen der parlamentarischen Republik eintrat. In Katalonien repräsentierte die linksliberale Esquerra Republicana de Catalunya unter Führung von Oberst Francesc Macià (1859–1933) und Lluis Companys (1883–1940) die Interessen des Kleinbürgertums.22 Bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung errangen die Sozialisten und die Republikaner im Juni 1931 einen überwältigenden Sieg: Die Parteien der Linken und der Mitte erhielten zusammen nahezu 400, die der Rechten ungefähr 80 Sitze im Parlament. Damit hatten zwar die reformfreudigen Kräfte ein deutliches Übergewicht in den Cortes; der Wahlsieg war jedoch zum Teil auch auf das republikanische Wahlsystem zurückzuführen, das Parteienbündnisse gegenüber isoliert antretenden Parteien begünstigte. Bei den folgenden Wahlen von 1933 wurden angesichts der zunehmenden Auffächerung der Parteienlandschaft gesamtstaatliche Wahlbündnisse wiederum dringend erforderlich; vor allem die in viele Gruppen aufgespaltenen Republikaner drängten zu Listenverbindungen, da sie ohne eine Wahlkoalition zum parlamentarischen Untergang verurteilt waren. War das Wahlsystem 1931 der Linken zugute gekommen, so profitierte 1933 die Rechte davon, die sich zwischenzeitlich organisiert und zu einem Wahlbündnis, der CEDA (Confederación Española de Derechas Autónomas), zusammengeschlossen hatte.23 Die CEDA propagierte unter ihrem Vorsitzenden José María Gil Robles (1898–1980) eine konservative, auf Privateigentum basierende Agrarpolitik; sie war die Interessenvertretung der Oligarchie und setzte sich, unter Berufung auf die Soziallehre der katholischen Kirche, für die Belange der Oberschicht ein. Die Partei bekannte sich zwar zur Republik, sah in ihr aber (wohl) nur eine taktische Notwendigkeit, um zu einem „neuen Staat“ berufsständischer Ordnung zu gelangen; vor allem bekämpfte sie die sozialistische und laizistische Gesetzgebung.24 Die Eigenart des Wahlsystems führte dazu, daß die Geschichte der Zweiten Republik in drei deutlich voneinander unterscheidbare Phasen aufgeteilt werden kann: Die erste Phase waren die Reformjahre (bienio de reformas), in denen die verbündeten Republikaner und Sozialisten die Lösung der Hauptprobleme in Angriff nahmen; die zweite Phase hat die Bezeichung „das schwarze Doppeljahr“ (bienio negro) erhalten, als viele Reformen, vor allem auf dem Agrarsektor, wieder rückgängig gemacht wurden; die Monate zwischen den Volksfrontwahlen im Februar 1936 und

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dem Beginn des Bürgerkrieges im Juli jenes Jahres stellen schließlich die dritte Phase dar, in der die Entwicklung auf dem Agrarsektor der Regierungskontrolle entglitt und revolutionäre Züge annahm.25 Zu den ersten und wichtigsten Aufgaben der Regierung gehörte 1931 die Ausarbeitung einer Verfassung, deren endgültiger Text stark von der Weimarer Reichsverfassung beeinflußt war. Zu den umstrittensten Problemkomplexen, deren Aufzählung bereits die Belastungsfaktoren der Zweiten Republik erkennen läßt, gehörten das Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und den einzelnen Landesteilen, die Regelung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche sowie die gesellschaftspolitischen Artikel wie Ehescheidung oder Schulpolitik. Bei der Frage des Eigentums stießen die sozialistischen Ziele der Vergesellschaftung mit dem bürgerlich-liberalen Bedürfnis nach Schutz des Eigentums zusammen; schließlich wurde die Möglichkeit der Zwangsenteignung „im Interesse sozialer Nützlichkeit“ vorgesehen. Die Grund- und Bürgerrechte wurden weit umfassender als in jeder früheren Verfassung geregelt.26 Die Wirtschafts- und Sozialindikatoren lassen die große Bedeutung des Agrarsektors im ökonomischen und gesellschaftlichen Bereich der Republik deutlich werden. Die ersten republikanischen Regierungen waren sich auch darüber im klaren, daß sie vordringlich die Hauptprobleme im Landwirtschaftssektor angehen mußten: die Polarisierung der Betriebsgrößen zwischen Mini- und Latifundien sowie die unausgewogene Eigentumsstruktur und alle daraus resultierenden sozialen Folgen. 1930 nahmen die Latifundien, die lediglich 0,1 Prozent aller Landwirtschaftsbetriebe darstellten, 33,28 Prozent der Gesamtoberfläche ein, während die Minifundien zwar 96 Prozent aller Betriebe stellten, aber nur über 29,57 Prozent des Bodens verfügten. Im Süden des Landes stellten die landlosen Tagelöhner nicht nur die größte gesellschaftliche Schicht, sondern zugleich das revolutionärste Potential der spanischen Agrargesellschaft dar. Deren existentielle Unsicherheit erklärt den Landhunger des landwirtschaftlichen Proletariats, von dem in den Jahren der Republik zahlreiche soziale Erschütterungen ausgingen.27 Die ersten republikanischen Regierungen gingen mit Energie an ihre große Bewährungsprobe im Agrarbereich heran, stießen jedoch schnell auf den Widerstand der Latifundisten, die jegliche Reform zu verhindern trachteten. Der mißglückte Putschversuch von General José Sanjurjo (1872–1936) im Sommer 1932 beschleunigte schließlich die Verabschiedung des Agrarreformgesetzes vom 15. September 1932, das die Frage der Grundbesitzenteignungen, der Entschädigungen und der Landverteilungen an die Agrarbevölkerung regelte. Den Auftrag zur Durchführung der Gesetzesbestimmungen erhielt das Institut für Agrarreform. Die Regie-

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rung von Manuel Azaña legte allerdings nach der Verabschiedung des Gesetzes ein auffälliges Desinteresse im Hinblick auf dessen Durchführung an den Tag, was nicht nur auf die Schwierigkeiten innerhalb der republikanisch-sozialistischen Koalition zurückzuführen war, sondern auch auf die Weigerung der ‚bürgerlichen‘ Regierung, zur Durchführung eines in seinen Konsequenzen revolutionären Gesetzes auch revolutionäre Maßnahmen zu ergreifen.28 Nach dem Wahlsieg der Konservativen 1933 ging die Regierung Lerroux sofort daran, einen Teil der zuvor erlassenen Reformgesetze außer Kraft zu setzen. Teilweise gelang es der Landoligarchie, ihren Einfluß im Süden wiederzugewinnen, wodurch sich die Lage der Agrararbeiter sprunghaft verschlechterte. Die Löhne wurden gesenkt, beschlagnahmtes Land ging an seine früheren Eigentümer zurück, die Agrarreform fand ein klägliches Ende. Die Politik der Jahre 1934/35 trug zweifellos zur Radikalisierung der Landarbeitermassen bei; die zuvor gemäßigte sozialistische Agrargewerkschaft forderte nun die soziale Revolution, die UGT insgesamt machte sich unter ihrem Führer Francisco Largo Caballero (1869–1946) revolutionäre Parolen zu eigen. Die Anarchisten wiederum gingen durch ihren Dezember-Aufstand von 1933 auf offenen Konfrontationskurs zur Republik.29 Nicht minder dramatisch gestaltete sich als zweites Hauptproblem der Republik das Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Schon bei der Verfassungsdiskussion war es bei den Fragekomplexen Glaubensfreiheit, Religionsausübung und Unterrichtswesen zu erheblichen Friktionen zwischen den laizistischen Abgeordneten und den Interessenvertretern der Kirche gekommen. Die Verfassung von 1931 garantierte sodann die Gewissensund Kultusfreiheit, alle religiösen Bekenntnisse wurden gleichgestellt, die Kirchen als Vereine betrachtet, Vergünstigungen und Unterstützungen abgeschafft. Religiöse Orden durften weder Vermögen erwerben noch Gewerbe, Handel oder Unterricht ausüben, sie wurden den allgemeinen Steuergesetzen unterworfen; der Jesuitenorden wurde verboten. Von besonderer Bedeutung sollte der Entzug der Lehrbefugnis der Kirche werden.30 Nicht nur die Beschneidung der kirchlichen Stellung im Bildungssektor führte zu heftigen Reaktionen der verunsicherten kirchlichen Hierarchie. Die in der Verfassung vorgenommene Trennung von Staat und Kirche, der laizistische Charakter des neuen Regimes und der Antiklerikalismus führender Politiker bewirkten, daß die Amtskirche zu einer Gegnerin der Republik und zu einem Sammelbecken der Reaktion wurde, wenn auch der niedere Klerus anfangs die Ausrufung der Republik keineswegs ohne Sympathien betrachtete. Die (angebliche) Verteidigung der Rechte der

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Kirche wurde in den Jahren nach 1931 auch zu einem der wichtigsten Kristallisationspunkte im antirepublikanischen Kampf der konservativen Kräfte; die weitere Diskussion der „religiösen Frage“ führte in der Folgezeit zur Herausbildung der CEDA, deren rechter Flügel stark antirepublikanisch war. Nach Meinung vieler zeitgenössischer Beobachter und späterer Historiker wurde die Religionsfrage zum wichtigsten Problem der ohnehin mit Problemen überlasteten Republik; der Bürgerkrieg ist später auch oft als Religionskrieg bezeichnet worden, wobei allerdings übersehen wurde, daß der Antiklerikalismus sich nicht gegen die Kirche als Glaubensgemeinschaft, sondern als gesellschaftlich Verbündete der traditionell Herrschenden wandte.31 In der Gegnerschaft zur Republik gesellte sich zur Kirche ein Teil des Militärs, das sich von der Regierung herabgesetzt und gedemütigt fühlte. Kriegsminister Azaña wollte mit seiner Militärreform eine Demokratisierung der Streitkräfte, die Verringerung des Militärhaushaltes und die Verkleinerung des stark aufgeblähten Offizierskorps erreichen. Im rein technischen Sinne war die Reform auch durchaus positiv: Der Militärdienst wurde verkürzt, die Anzahl der Armeedivisionen halbiert, die der Offiziere stark gekürzt, weitere Reformen sollten eine Unterordnung des Militärs unter zivile Institutionen sicherstellen. Durch diese Maßnahmen wurde allerdings das Mißtrauen der Armee gegenüber der Republik verstärkt, schon früh wurden in den Offizierskasinos Verschwörungspläne gegen die Republik geschmiedet. Von der Möglichkeit vorzeitiger Pensionierung machten eher die republikfreundlichen, nicht die antirepublikanisch eingestellten Offiziere Gebrauch.32 Partiell gelöst wurde das Problem des katalanischen Nationalismus, nachdem die Katalanisten schon im September 1932 für ihre Region ein Autonomiestatut durchsetzen konnten, das Katalonien eine eigene Regierung, die Generalitat, ein Parlament und umfangreiche Selbstverwaltungsrechte mit unteren und mittleren Verwaltungskompetenzen zugestand. Das Baskenland konnte demgegenüber in den Friedensjahren der Republik – wegen interner Auseinandersetzungen zwischen dem nur zum Teil baskischen Navarra und den übrigen Provinzen Euskadis und infolge der baskischen Divergenzen mit dem Antiklerikalismus der Madrider Regierung – kein Autonomiestatut durchsetzen. Als besonders problematisch erwies sich die Regionalismusfrage ab November 1933, als die Zentralregierung vom ‚Radikalen‘ Lerroux mit parlamentarischer Unterstützung durch die CEDA gebildet wurde. Denn: Die Basken fühlten sich in ihren traditionellen Steuerregelungen beschnitten und näherten sich, obwohl selbst katholisch-konservativ, den oppositionellen Sozialisten an. Die Katalanen wiederum wurden weiterhin von einem gemäßigten Linkskabi-

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nett regiert, das deutliche politische Differenzen zur konservativen Madrider Regierung aufwies und mit dieser bald in Konflikt geriet.33 Auf welch prekärer Grundlage die Reformen der Zweiten Republik, insbesondere auch die Ansätze zur Lösung der regionalistischen Problematik, standen, lassen die Ereignisse von Oktober 1934 deutlich werden. Seit dem Wahlsieg der Rechten herrschte im Land nervöse Spannung. In dieser kritischen Situation bildete im Oktober 1934 die CEDA mit der Radikalen Partei eine Regierungskoalition; der Regierungseintritt der CEDA wurde von der Linken als Machtergreifung des Faschismus interpretiert, den es zu verhindern galt. Die Ausrufung des Generalstreiks beantwortete die Regierung mit der Verhängung des Kriegszustandes; in Katalonien und Asturien brach die Streikbewegung nicht zusammen, sondern sie weitete sich vielmehr zu einem sozialen Aufstand aus. In Barcelona proklamierte Präsident Companys den „katalanischen Staat innerhalb der spanischen Bundesrepublik“; die Revolte konnte in Katalonien allerdings schnell niedergeschlagen werden, die Generalitat wurde suspendiert.34 Weiterreichende Folgen hatte der Arbeiteraufstand in Asturien, wo sich Sozialisten, Anarchosyndikalisten und Kommunisten unter der Parole „Vereinigt Euch, proletarische Brüder!“ zur gemeinsamen Aktion zusammenschlossen; ungefähr 30 000 Bergarbeiter leisteten zwei Wochen lang der Afrikaarmee und der Fremdenlegion unter dem Kommando von General Francisco Franco (1892–1975) Widerstand. Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurden einige 10 000 Gewerkschafter und ‚Verdächtige‘ inhaftiert.35 Die Nachwirkungen des „spanischen Oktober“ von 1934 führten zu einer deutlichen Radikalisierung der Rechten und der Linken und damit zu einer gesamtgesellschaftlichen Polarisierung im Lande: Die Rechte sah all ihre Befürchtungen bestätigt und betrachtete sich selbst als das einzige intakte Bollwerk gegen Separatismus, atheistischen Liberalismus und eine bevorstehende Sozialrevolution; eventuell bis dahin noch vorhandene republikanische Legalitätsskrupel wurden abgelegt. Die Linke wiederum sah – mit Blick auf Italien, Deutschland und Österreich – auch in Spanien den Faschismus an die Macht kommen; die Notwendigkeit des Zusammenstehens wurde deutlicher als bisher erkannt, was den Zusammenschluß zur Volksfrontkoalition erleichterte.36 Die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien über die Liquidierung des Aufstandes von 1934 lähmten das Kabinett, das mehrfach umgebildet wurde. Seine wichtigste politische ‚Leistung‘ war der systematische Abbau aller Errungenschaften der ersten Republikjahre. Korruptionsskandale in der Radikalen Partei führten schließlich zu einer totalen Regierungskrise. Im Januar 1936 löste Staatspräsident Niceto Alcalá Zamora

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(1877–1949) die Cortes auf und schrieb Neuwahlen aus. Zu diesem Zeitpunkt war das Land als Folge der Politik der beiden vorangegangenen Jahre zerrissener denn je: Die Lage auf dem Land war für viele Tagelöhner unerträglich, während die meisten Großgrundbesitzer die Enteignungsgefahren als gebannt betrachteten; die Militärs hatten ihre Konspirationspläne nicht preisgegeben; der größte Teil der kirchlichen Hierarchie stand in deutlichem Gegensatz zur Republik. In einem Klima äußerster sozialer und politischer Spannung wurden die Spanier zum dritten (und letzten) Mal aufgerufen, ein neues republikanisches Parlament zu wählen. Im Gegensatz zur Linken war die Rechte diesmal nicht in der Lage, gemeinsame Koalitionslisten zu erstellen. Das Ergebnis der Wahl war eindeutig: Abermals durch das Wahlgesetz begünstigt, erhielt die Linke eine überwältigende parlamentarische Mehrheit. Die neuen Cortes setzten sich aus 277 Abgeordneten der Volksfront, 132 der Rechten und 32 der Mitte zusammen. Obwohl die Sozialisten mit 90 Abgeordneten die stärkste Fraktion stellten, lehnten sie eine Mitarbeit in der Regierung ab. In Katalonien stellte Lluis Companys erneut die Regierung, in Madrid bildete Manuel Azaña mit seinen Linksrepublikanern wieder das Kabinett, mußte jedoch bald feststellen, daß die Arbeiterorganisationen nicht bereit waren, sich für die Verwirklichung ‚bürgerlicher‘ Reformziele einzusetzen.37 In den Monaten nach den Volksfrontwahlen wurde deutlich, daß die Reformpolitik der republikanischen Regierungen die drängenden strukturellen Probleme der spanischen Wirtschaft und Gesellschaft nicht lösen konnte. Die Arbeiterorganisationen wiederum konnten (und wollten) ihre Mitglieder nicht davor zurückhalten, die lange versprochenen, jedoch nicht realisierten Veränderungen – vor allem auf dem Agrarsektor – auf revolutionäre Weise in Angriff zu nehmen. Nach dem Februar 1936 überstürzten sich daher die Ereignisse: Landarbeiterstreiks, illegale Landbesetzungen und nachträgliche Legalisierungen von Enteignungsmaßnahmen waren an der Tagesordnung. Die Volksfrontregierung beschleunigte die Enteignungen im ersten Halbjahr ihrer Administration so sehr, daß zwischen März und Juli 1936 zahlenmäßig und ihrem Umfang nach mehr Ländereien enteignet wurden als in den vorausgegangenen fünf Jahren zusammen. Ihre eigentlich revolutionäre Akzentuierung gewann die Reform jedoch weniger durch die Maßnahmen der neuen Regierung als vielmehr durch die spontane Initiative landhungriger Agrarproletarier, die massenhaft auf eigene Faust Ländereien besetzten. Mit fieberhafter Aktivität berieten die Cortes 1936 über eine Revision der herrschenden Agrargesetze, bis durch den Militäraufstand vom 18. Juli 1936 der Versuch der Republik, die jahrhundertealten starren Agrarstrukturen zu ändern, in einer blutigen Katastrophe endete.38

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In den Jahren zwischen 1931 und 1936 war das Grundproblem der spanischen Gesellschaft deutlich geworden, das die Modernisierung und die Durchführung einer ‚bürgerlichen‘ Revolution in Spanien verhinderte: Es war die Konfrontation zwischen der grundbesitzenden und in archaischen Strukturen verwurzelten Oligarchie mit ihren Verbündeten, die zu keinerlei Veränderung ihrer aus dem 19. Jahrhundert überkommenen privilegierten Stellung bereit waren, und den Sektoren der Land- und Industriearbeiter, die in der Republik das Vehikel zur Überwindung ihrer überkommenen Benachteiligung erblickten und sich, nachdem sie in ihrer Hoffnung auf schnelle Veränderung ihrer Situation enttäuscht worden waren, von der bürgerlich-demokratischen Republik ebenso abwandten, wie ihre ‚Klassenfeinde‘ dies bereits getan hatten. Der Bürgerkrieg war das Ergebnis dieser unüberbrückbaren Gegensätze und der verzweifelte Versuch zuerst der Rechten, in Reaktion darauf dann auch der Linken, ihr Gesellschafts-, Wirtschafts- und Staatsmodell, das mit reformistisch-friedlichen Mitteln nicht zu erreichen war, gewaltsam durchzusetzen.39 Die entscheidende Frage für die Historiker lautet, wieso die Zweite Republik, der erste ernsthafte Versuch einer spanischen Demokratie, fehlschlug. Entsprechend viel ist in den letzten sechzig Jahren darüber gestritten worden, ob der Spanische Bürgerkrieg unvermeidbar war oder nicht. Symptomatisch für die Unterschiedlichkeit der Einschätzungen sind die Titel der Memoiren zweier wichtiger Politiker der Republik. Ministerpräsident Joaquín Chapaprieta nannte seine Erinnerungen ›La paz fue posible‹ (Der Friede war möglich), der CEDA-Führer José María Gil Robles titulierte die seinigen: ›No fue posible la paz‹ (Der Friede war nicht möglich). Die Divergenzen von Zeitgenossen und Historikern werden in diesen programmatischen Titelgebungen auf den Punkt gebracht. Unbestritten ist allerdings, daß die Zweite Republik von Anfang an mit strukturellen Problemen zu kämpfen hatte, die ihre friedliche Existenz schon bald gefährdet erscheinen ließen. Neuerdings hat Martin Blinkhorn auf die Hauptschwierigkeiten der spanischen Demokratie in ihren Friedensjahren hingewiesen und drei Aspekte betont: Der erste war der unvermittelte Druck zur Durchführung schneller und durchgreifender institutioneller und sozialer Reformen; der zweite die anhaltende Macht konservativer Interessen; der dritte das Wirtschaftsklima, das sich sehr von den prosperierenden 20er Jahren unterschied. Die weltweite Depression sollte die Reformen erschweren und das soziale Klima noch gespannter machen, als es ohnehin schon war. Blinkhorns Fazit bezüglich der Verantwortlichkeiten lautet: „Wenn die Absicht der Republik darin bestand, lediglich zu überleben, dann wird man kaum leugnen können, daß sowohl Republikaner als auch Sozialisten dazu beigetragen

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haben, daß der Überlebensversuch scheiterte, indem sie eine ‚gemäßigte‘, d. h. konservative Republik unmöglich machten, die unter denen, die etwas zu verlieren hatten, weniger Antagonismen erzeugt hätte. Wenn jedoch das Ziel der Republik darin bestand, Spanien die politische und soziale Demokratie zu bringen, dann muß man zugeben, daß die konsequentesten und resolutesten Feinde der Demokratisierung auf der Rechten anzutreffen waren.“40 Am Vorabend des Bürgerkrieges standen sich zwei große politische Blöcke gegenüber: die Volksfront und die Nationale Front. In ersterer waren die Sozialisten und Kommunisten, die Republikanische Linke, die regionalistischen Kräfte und die Anarchisten, diese allerdings nur als Wähler, zusammengefaßt; zu letzterer gehörten die katholischen Konservativen, Monarchisten verschiedener Richtungen, die Rechtsrepublikaner und die faschistische Falange. Die Falange, die zu jenem Zeitpunkt noch völlig unbedeutend war, wußte zwar von den Putschabsichten, hatte allerdings keinen Einfluß darauf. Großgrundbesitzer und Monarchisten haben die Rebellion zweifellos begrüßt, zum engeren Kreis der Eingeweihten gehörten aber auch sie nicht. Der Aufstand der Militärs siegte in Marokko, Sevilla, Galicien, Navarra, der Insel Mallorca, in Teilen von Andalusien und den agrarischen Gebieten Altkastiliens (Burgos, Valladolid); Oviedo und Zaragoza konnten von den Aufständischen durch eine List eingenommen werden. Der gesamte Osten (Katalonien, Valencia, Murcia) und Norden (Baskenland, Santander, Asturien) sowie große Teile des Südens (Andalusien, Neukastilien, Extremadura) blieben in Händen der Republik. Diese behielt vor allem die Kontrolle über die größeren Städte, die Wirtschaftszentren (Katalonien, Baskenland) und die Hauptstadt des Landes.41 Zu Beginn des Krieges verfügten die Regierungstruppen über rund 112 000, die Aufständischen über rund 98 000 Mann. Zu den Rebellen müssen allerdings noch das Afrikaheer (ca. 45 000 Mann) sowie die karlistischen und falangistischen Milizen hinzugerechnet werden, so daß die numerische Ausgangssituation sich für die Aufständischen günstiger als für die Republik darstellte. Diese hatte jedoch den Vorteil, über den größeren Teil der Wirtschaftskapazität des Landes zu verfügen. Außerdem wurde sie von den liberalen städtischen Mittelschichten und insbesondere von den sozialistischen und anarchistischen Arbeitern unterstützt; demgegenüber konnten die Aufständischen nur in Navarra und einigen konservativen Teilen Altkastiliens mit Unterstützung durch die Bevölkerung rechnen.42 Die militärischen Aktionen des Bürgerkriegs lassen sich in vier Abschnitte einteilen, zwischen die sich einzelne ‚Gleichgewichtsphasen‘ schoben: In der ersten Phase, die bis Frühjahr 1937 reichte, konnten die Aufständischen ca. ein Drittel des Landes unter ihre Kontrolle bringen.

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Nachdem sie mit Hilfe deutscher Flugzeuge – die spanische Marine und Luftwaffe waren zum größten Teil republikanisch geblieben – die Fremdenlegion (Tercio) und die marokkanischen Truppen (Regulares) auf die Halbinsel übergesetzt hatten, eroberten sie den Westen (Badajoz) und stellten damit die Verbindung zwischen der Nord- und Südarmee her. General Gonzalo Queipo de Llano (1875–1951) nahm den Südwesten ein, General Emilio Mola (1887–1937) den Norden und Nordwesten (außer dem Baskenland, Santander und Asturien). Wiederholte Versuche, im Herbst 1936 bzw. im Frühjahr 1937 Madrid einzunehmen, scheiterten. Mit Hilfe der Internationalen Brigaden und unter der organisatorischen Leitung von General José Miaja (1878–1958) widerstand die Hauptstadt allen Angriffen.43 In der zweiten Phase, die vom Frühjahr 1937 bis Frühjahr 1938 reichte, gelang den Nationalisten die Eroberung der Nordprovinzen. Am 26. April 1937 zerstörten deutsche Bomber der Legion Condor die heilige Stadt der Basken, Gernika. Mitte Juni 1937 wurde von den Nationalisten der „Eiserne Ring“ um Bilbao durchbrochen und die industriewirtschaftlich bedeutsame Stadt eingenommen; im Herbst 1937 folgte die Eroberung Asturiens. Als die Aufständischen Mitte April 1938 in der Provinz Castellón de la Plana zum Mittelmeer durchstoßen konnten, war Katalonien – in der dritten Phase – vom übrigen republikanischen Territorium abgeschnitten. Im Juli 1938 gelang den Republikanern ein letzter großer Sieg über die Nationalisten am Ebro. Danach befand sich das republikanische Heer nurmehr in der Defensive. Mitte November 1938 zogen sich die republikanischen Truppen über den Ebro zurück, im Dezember setzte die nationalistische Offensive gegen Katalonien ein.44 Die vierte und letzte Phase fand zwischen Dezember 1938 und März 1939 statt. Katalonien wurde in relativ wenigen Wochen erobert, Barcelona fiel Ende Januar 1939. Anfang März ergriff in Madrid eine Junta unter Oberst Segismundo Casado (1893–1968) die Macht; sie wollte, gegen den sinnlos gewordenen Durchhaltewillen von Ministerpräsident Juan Negrín (1892–1956) und der Kommunisten, einen Verständigungsfrieden mit Franco aushandeln. Dieser ließ sich aber auf das Verhandlungsangebot nicht ein; er besetzte die Hauptstadt Ende März 1939 und erklärte am 1. April den Bürgerkrieg für beendet.45 Der militärische Verlauf des Krieges läßt sich von der politischen Entwicklung, vor allem von den revolutionären und konterrevolutionären Aspekten in beiden Bürgerkriegszonen nicht trennen. Bereits eine knappe Woche nach Kriegsbeginn entstand in der „nationalistischen Hauptstadt“ Burgos unter der Leitung von General Miguel Cabanellas (1872–1938) eine provisorische Junta. In der von den Rebellen beherrschten Zone wur-

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den Gewerkschaften verboten, Parteien aufgelöst, jeglicher Widerstand gewaltsam und blutig unterdrückt. Das Agrarreformgesetz wurde sofort aufgehoben, die Böden kehrten in die Verfügungsgewalt ihrer früheren Eigentümer zurück. Seitdem die Junta de defensa nacional General Franco am 29. September 1936 in Salamanca zum „Generalissimus“ und unumschränkten Staatschef ernannt hatte, war seine Politik von dem Willen bestimmt, einerseits ein semifaschistisches System aufzubauen, in dem jedoch die heterogene Staatspartei mit ihrer falangistischen Ideologie den Staatsapparat nicht beherrschte, andererseits die Abhängigkeit gegenüber Deutschland und Italien nicht ausschließlich werden zu lassen. Eine besondere Rolle in den wechselnden innenpolitischen Konstellationen der Kriegs- und Nachkriegsjahre spielte eine Partei, zu der Franco ursprünglich keinerlei Beziehungen hatte: die Falange, deren Gründer und Chef José Antonio Primo de Rivera (1903–1936) in den ersten Kriegsmonaten von den Republikanern erschossen worden war. Franco bemächtigte sich nun der führerlosen und durch Fraktionskämpfe geschwächten Partei und vollzog in einer Überrumpelungsaktion im April 1937 mit Unterstützung seines Schwagers Ramón Serrano Suñer (*1901) die Vereinigung der Falange mit den traditionalistischen Karlisten. Nach dieser Zwangsvereinigung mußte die ‚neue‘ Falange Ideologie und Zielsetzungen der ‚alten‘ Falange aufgeben; konservative und monarchistische Programmpunkte rückten in den Vordergrund. Die Altfalangisten (camisas viejas) blieben trotz der Zwangsvereinigung ihrem Traum von einer nationalsyndikalistischen Revolution treu und bildeten im nationalistischen Lager eine Art Opposition. Mit der Einheitspartei verschaffte sich der Caudillo ein geeignetes Mittel, politische Aktivität jeder Art zu kontrollieren und zu beeinflussen; damit begann der Aufbau des „Neuen Staates“ mit seiner diktatorialen Struktur.46 Im Juli 1937 bezogen die spanischen Bischöfe von zwei Ausnahmen abgesehen in einem gemeinsamen Sendschreiben Partei zugunsten der Aufständischen, im Oktober 1937 erkannte der Vatikan Franco diplomatisch an. Damit hatte das nationalistische Regime auch formell die – faktisch schon längst bestehende – Unterstützung der Kirche gewonnen, die beim Aufbau des „Neuen Staates“ – in der Armee, der Schule, der Partei etc. – allgegenwärtig war. Eine Verordnung von Mai 1938 ermöglichte dem verbannten Jesuitenorden die Rückkehr nach Spanien. Das neue, autoritäre Staatsgebilde stützte sich auf Partei, Kirche und Armee; diese Institutionen sicherten die Herrschaft des Großgrundbesitzes, der alten Aristokratie und Oligarchie, die in ihre traditionellen, vorrepublikanischen Rechte wieder voll eingesetzt wurde.47 Während im Lager der Nationalisten zwangsweise alle politischen Kräf-

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te unter einer Führung zusammengefaßt wurden, vollzog sich in der republikanischen Zone der entgegengesetzte Prozeß einer Desintegration der politischen Kräfte. Die Regierung Santiago Casares Quiroga (1884–1950) sah sich bei Kriegsbeginn zum Rücktritt gezwungen; die Ein-Tages-Regierung von Diego Martínez Barrio nahm nicht einmal die Amtsgeschäfte auf und wurde am 19. Juli 1936 von der lediglich aus bürgerlichen Republikanern bestehenden Regierung José Giral (1879–1962) abgelöst, die bis Anfang September 1936 im Amt blieb. Angesichts seines Mißerfolgs bei dem Versuch, internationale Hilfe für die Republik zu erlangen, wich Giral dem sozialistischen Gewerkschaftsführer Francisco Largo Caballero, dessen Regierung aus Liberalen, Republikanern, Kommunisten und Sozialisten Anfang November 1936 – zum ersten Mal in der Geschichte – um Vertreter der anarchistischen Organisationen CNT und FAI erweitert wurde. Mitte Mai 1937 wurde Largo Caballero von den Kommunisten gestürzt; die nun folgende „Regierung des Sieges“ des sozialistischen Ministerpräsidenten Juan Negrín blieb – bei wiederholten Umbildungen – bis zum Ende des Kriegs im Amt.48 Im weiteren Kriegsverlauf gingen die Haltungen der verschiedenen politischen Kräfte im republikanischen Lager immer weiter auseinander; strekkenweise kann man eher von einem Gegen- als von einem Miteinander der einzelnen Parteien und Gruppierungen sprechen. In diesem internen Machtkampf gelang es den Kommunisten, aus ihrer anfangs unbedeutenden Position zum beherrschenden politischen Faktor in der republikanischen Zone zu werden. Hierzu trugen die für die Republik lebenswichtigen sowjetischen Waffenlieferungen ebenso wie die Tatsache bei, daß die Kommunistische Partei zu einem Sammelbecken der gemäßigten und kleinbürgerlichen Elemente im republikanischen Lager wurde, daß sie die Organisation der Internationalen Brigaden übernahm und wesentlichen Anteil am Aufbau der republikanischen Armee hatte. 1937 war der Partido Comunista de España mit inzwischen 250 000 Mitgliedern die dominierende Partei auf republikanischer Seite, während die zu Kriegsbeginn in einigen Landesteilen, vor allem Katalonien, dominierenden Anarchisten und Linkssozialisten den größten Teil ihres Einflusses eingebüßt hatten.49 Wichtiger als die Unterschiede in der politischen Entwicklung beider Zonen waren die Divergenzen auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet. Denn während die Konterrevolution in der Franco-Zone nahezu alle legal und illegal vorgenommenen Eigentumsveränderungen der letzten Vorkriegsmonate radikal rückgängig machte, war der Putsch der Generäle in der republikanischen Zone zugleich Katalysator einer sozialen Revolution von links, deren Träger vor allem die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter waren. Innerhalb weniger Wochen wurde in dem republikanisch ge-

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bliebenen Gebiet das bestehende politische, soziale und ökonomische System weitgehend abgeschafft und die traditionelle Form der Herrschaft liquidiert. Die Regierungen in Madrid und Barcelona blieben zwar bestehen, die tatsächliche Machtausübung ging vorübergehend aber an neue soziale Gruppen und Institutionen über. Die ‚libertäre‘ Revolution der radikaldemokratischen Kräfte richtete sich nicht (nur) gegen den Militärputsch, sondern gegen die Grundlagen der bestehenden kapitalistischen Ordnung, den Großgrundbesitz und das Privateigentum an Produktionsmitteln. Ihr Ziel war ein sozialistisches Wirtschafts- und herrschaftsfreies Gesellschaftssystem. Charakteristika der schnell um sich greifenden Revolution waren auf wirtschaftlichem Gebiet die Kollektivierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft, der Industrie und in vielen Dienstleistungsunternehmen, auf politischem Sektor der Aufbau eines lokalen und regionalen Selbstverwaltungssystems, das heterogene, räteähnliche Organe (comités) an die Stelle der abgesetzten oder geflohenen Staatsrepräsentanten setzte. Zum Hauptgegner dieser Revolution entwickelten sich im eigenen Lager sehr bald die moskauhörigen Kommunisten des PCE und die übrigen Parteien der Volksfront, die aus im einzelnen sehr unterschiedlichen Gründen zu Verfechtern des Privateigentums und der Interessen des Mittelstandes und des Kleinbürgertums wurden. Lange bevor der Bürgerkrieg zu Ende war und Franco blutig unter den republikanischen Kräften aufräumte, war die Revolution an Hindernissen und Widerständen aus dem eigenen Lager zugrunde gegangen.50 Daß das pronunciamiento vom Juli 1936 zu einem Bürgerkrieg ausgeweitet und die Auseinandersetzung damit zugleich ‚internationalisiert‘ wurde, hing mit dem Eingreifen ausländischer Mächte zusammen. Deutschland und Italien unterstützten seit Kriegsbeginn die Aufständischen – Italien war nachweislich seit 1934 an der Destabilisierung der Republik durch Unterstützung von Karlisten und Faschisten beteiligt –, die UdSSR half ab Spätherbst 1936 der Republik; Großbritannien, Frankreich und die USA bekannten sich zum Prinzip der „Nichteinmischung“.51 Zu Recht konzentrieren sich besonders viele Studien auf das Eingreifen der Achsenmächte. Vor allem das frühe deutsche Eingreifen in die innerspanische Auseinandersetzung war eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß der Aufstand nicht schon bald nach seinem Beginn wieder zusammenbrach. Die historische Forschung hat sich auch früh mit der Frage der deutschen Mitwisserschaft und Mitverantwortung am Bürgerkrieg beschäftigt. Mangels eindeutiger Quellen blühten zahlreiche Mitwissertheorien; die Forschungen der letzten Jahrzehnte haben sich jedoch immer deutlicher von den verschiedenen Theorien außerspanischer Mitverantwortung am Bürgerkrieg abgewandt und demgegenüber die endogenen

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Kriegsursachen hervorgehoben. Allerdings ist hinsichtlich der deutschen Spanienpolitik die Forschung bis heute zu keinem übereinstimmenden Ergebnis gekommen: Während nämlich in kommunistischen Darstellungen behauptet wird, daß „entscheidende Kreise des deutschen Monopolkapitals“ die Richtung der deutschen Politik gegenüber Franco-Spanien bestimmten, haben ‚westliche‘ Historiker in Abrede gestellt, daß eine Abhängigkeit der (politischen) Entscheidung, in Spanien zu intervenieren, von primär finanziellen und ökonomischen Überlegungen bewiesen werden könne. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, der deutsch-italienischen Militär- und Truppenhilfe an Franco kriegsentscheidenden Charakter zuzusprechen; umstritten sind nach wie vor Motive und Ziele des deutschen Eingreifens. Zu den wichtigsten Anfangsmotiven dürften strategische Bündnisüberlegungen (Einkreisung Frankreichs) und die antikommunistische Grundeinstellung Hitlers gehört haben; sehr bald kam der Wunsch hinzu, Italien von britischem Einfluß zu entbinden und die Beziehungen zu Mussolini zu verbessern; von nicht minder großer Bedeutung waren die ökonomischen Interessen des „Dritten Reiches“ im Hinblick auf die Erweiterung der Rohstoffbasis (besonders Eisenerz, Schwefelkies) und im weiteren Verlauf des Krieges sodann die Chance zur Erprobung neuer Waffensysteme (Flugzeuge). Der Einsatz der ‚Legion Condor‘ erfolgte aufgrund eines Hilfeersuchens Francos.52 Obwohl die deutsche Intervention in Spanien am meisten Polemiken hervorgerufen hat, waren es die Italiener, die sich insgesamt viel mehr engagierten und eine größere Anzahl an Personen und Material nach Spanien sandten als jede andere Macht. Zeitgenössische italienische Politiker gingen sogar so weit, den Bürgerkrieg als ihren eigenen Krieg zu betrachten. Mussolinis militärische Unterstützung kam Franco nicht nur direkt, sondern auch indirekt zugute, als sie die Nationalsozialisten zu einer Fortsetzung und Verstärkung ihrer Hilfeleistungen bewog. In diesem Sinne war die diplomatische und militärische Unterstützung durch Italien ein entscheidender Faktor für Francos Sieg. Mussolini verfolgte in Spanien einerseits das Ziel, langfristig seine imperialistischen Interessen im Mittelmeer abzusichern; andererseits führte das gemeinsame deutsch-italienische Vorgehen zur ‘Achse Rom-Berlin’. Die Hauptmotive für Mussolinis Interventionsentscheidung dürften Antikommunismus, Prestigebedürfnis, militärische Ambitionen, Isolierung und Schwächung Frankreichs und der Traum von einem italienischen Mittelmeer gewesen sein. Entscheidend waren letztlich wohl strategische Überlegungen. Wirtschafts- und Finanzkreise sowie das Militär zeigten sich an den Vorgängen in Spanien weitgehend uninteressiert, die militärischen Erfahrungen des Spanienkrieges wurden von den Italienern später kaum ausgewertet. Franco konnte seine

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Entscheidungsfreiheit gegenüber italienischen Einmischungsversuchen weitgehend aufrechterhalten und nach der italienischen Niederlage bei Guadalajara im Frühjahr 1937 noch weiter ausbauen.53 Nach wie vor ist der genaue Umfang der sowjetischen Militärhilfe für die Republik nicht bekannt. In den ersten Monaten des Bürgerkrieges schloß sich die Sowjetunion der französisch-“neutralistischen“ Politik an und trat dem Nichteinmischungsausschuß bei. Denn: Die revolutionäre Bewegung, die im republikanischen Herrschaftsgebiet Spaniens als Reaktion auf den Generalsputsch einsetzte, konnte die um Respektierung und weltweite Integrierung bemühte Sowjetunion in erhebliche Schwierigkeiten bringen, lag es in den kapitalistischen Staaten doch nahe, einen Zusammenhang zwischen der Revolution von links und dem rapiden Aufstieg der Spanischen Kommunistischen Partei – die wiederum Kominterndirektiven befolgte – zu erblicken. Um handelspolitische Restriktionen durch die Westmächte oder Störungen der politischen Beziehungen von Anfang an zu verhindern, unterstützte die Sowjetunion die spanische Republik vorerst nicht. Anfang Oktober 1936 vollzog Stalin sodann einen radikalen Wandel in seiner Spanienpolitik und unterstützte die Republik bis März 1938. Ohne über die russischen Intentionen genaue Auskunft geben zu können, läßt sich aus der allgemeinen Orientierung der sowjetischen Außenpolitik jener Jahre schließen, daß Stalin mit der Unterstützung der spanischen Republik auch Großbritannien und Frankreich zu Hilfeleistungen an die Republik ermuntern und somit eine Koalition zwischen den westlichen Demokratien und der Sowjetunion gegen die faschistischen Staaten erreichen wollte. Obwohl diese bündnispolitischen Überlegungen nicht aufgingen, unterstützte Stalin die spanische Republik vorerst weiter, was mit den veränderten sowjetischen Kriegszielen zusammengehangen haben dürfte: Spanien stieg nach 1936 zu einem der besten Kunden der Sowjetunion auf und bezahlte die Waffen mit dem größten Teil seiner Goldreserven; außerdem gewann das Land für die Sowjetunion eine gewisse Bedeutung als militärisches Versuchsfeld; und schließlich erkannte Stalin, daß im Zuge der Ausweitung des spanischen Konflikts Hitler sich zeitweise von seinen östlichen Expansionsplänen ablenken ließ.54 Neben die sowjetrussische Hilfe trat die Unterstützung durch die Internationalen Brigaden, die 40 000 bis 60 000 Freiwillige – die Schätzungen gehen weit auseinander – aus vielen Ländern vereinigten, darunter circa 5000 Deutsche. Die Anwerbung fand vor allem in Frankreich statt; Sammlung und Ausbildung erfolgten in Albacete. Im November 1938 wurden sie auf Beschluß der spanischen Regierung, die damit ein allgemeines Einmischungsverbot erreichen wollte, aufgelöst.55

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Der französische Ministerpräsident Léon Blum war am 20. Juli 1936 bereit, einem spanisch-republikanischen Hilfeersuchen zu entsprechen; das Kabinett jedoch beschloß kurze Zeit später eine Politik der „Nichtintervention“. Im Hinblick auf die innenpolitische Opposition und angesichts des Wunsches, andere und vordringlichere Punkte des Volksfront-Programms zu realisieren, entschloß sich Blum zu einer Änderung seiner ursprünglichen Hilfsbereitschaft. Britischer Druck dürfte bei Blums Meinungsänderung mitentscheidend gewesen sein. Die britische Politik verfolgte im Spanischen Bürgerkrieg als Ziele die Begrenzung des innerspanischen Konflikts, die Erhaltung der politischen und territorialen Integrität des Landes und die Beibehaltung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Staaten. Die USA betrieben offiziell eine strenge Neutralitätspolitik, wie im Spanish Embargo Act vom Januar 1937 festgelegt, unterstützten faktisch aber in vielerlei Hinsicht Franco.56 Das „Nichtinterventionskomitee“ trat erstmals am 9. November 1936 in London zusammen. Das Prinzip der Nichteinmischung und die Tätigkeit des Komitees verhinderten aber weder die begrenzte sowjetische und zum Teil französische Unterstützung der legalen republikanischen Regierung noch vor allem die massive, kriegsentscheidende deutsch-italienische Hilfe für die Aufständischen. Das Komitee diente den Westmächten vor allem zur Rechtfertigung ihrer eigenen Passivität und zur Ignorierung der ‚inoffiziellen‘ Unterstützung der Rebellen. Außerdem sollte es die Ausbreitung des spanischen Konflikts auf die europäische Ebene verhindern.57 Die Auswirkungen des ausländischen Eingreifens auf die beiden kriegführenden Lager waren quantitativ wie qualitativ unterschiedlich: Der Einsatz russischen Materials auf republikanischer Seite war für die Verteidigung Madrids entscheidend, und es ermöglichte die wenigen republikanischen Offensiven, zu denen es überhaupt im Kriegsverlauf kam (Brunete, Teruel, Ebro). Zum Einsatz kamen einige Hundert russische Panzer, mehrere alte Artillerie-Batterien, 500–700 Flugzeuge, bis zu 2000 russische Piloten, Techniker und Offiziere der Geheimpolizei. Die Tatsache, daß die Republik weitgehend von sowjetischer Hilfe abhing, verschaffte der UdSSR einen überragenden Einfluß auf die Innen-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in der republikanischen Zone. Die Internationalen Brigaden wiederum waren nicht nur militärisch hilfreich, sondern sie vermittelten ihren Kampfgenossen darüber hinaus ein Gefühl der moralischen Überlegenheit, das für die psychologische Kriegsführung besonders wichtig war.58 Die Hilfe, die die Nationalisten aus dem Ausland erhielten, war bei weitem entscheidender als die Unterstützung, die den Republikanern zuteil wurde. Franco wurde nicht nur von den Achsenmächten, sondern – direkt

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oder indirekt – von Briten, amerikanischen Gesellschaften sowie französischen, belgischen und Schweizer Finanzkreisen unterstützt. Die eigennützige Politik der Sowjetunion und die verlogene Haltung der Westmächte, deren ökonomische Interessen bei Franco letztlich besser aufgehoben waren als bei einer zunehmend von Kommunisten beeinflußten Volksfrontregierung, sind wesentlich für den Untergang der spanischen Republik mitverantwortlich. Diese Politik konnte ihr stets proklamiertes Ziel: die Erhaltung des Friedens, nicht erreichen. Wenige Monate nach Beendigung des Spanischen Bürgerkrieges begann der Zweite Weltkrieg.59 Der Bürgerkrieg bedeutete für die spanische Gesellschaft zweifellos eine traumatische Zäsur; er war das wichtigste Ereignis in der spanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der Krieg vereitelte die Möglichkeit einer proletarischen, anarchistisch-sozialistisch ausgerichteten Revolution; er setzte aber auch den Möglichkeiten einer demokratisch-reformistischen Politik, wie sie von bürgerlich-republikanischen und sozialdemokratischen Kräften versucht worden war, ein Ende. Die antireformistische und restaurative Zielsetzung der Aufständischen bestand darin, die alten Formen sozialer Herrschaft wiederherzustellen.60 Die Folgen des Krieges waren verheerend. An seinem Ende war Spanien ein in jeder Hinsicht verwüstetes Land. Besonders hoch waren die Menschenverluste, wenn auch die genaue Anzahl der Toten bis heute zu den umstrittensten Problemen der Kriegsgeschichtsschreibung gehört. Schon früh ist man allerdings davon abgekommen, jene – durch den Roman von José María Gironella so verbreitete – runde Zahl von „einer Million Toten“ für glaubwürdig zu halten. Hugh Thomas hat in der ersten Auflage seines Buches von 500 000 Toten gesprochen – eine Zahl, die sich keineswegs nur auf die im direkten Kampfgeschehen Gefallenen beziehen kann. Ramón Salas ist in seiner vieldiskutierten quantitativen Zusammenstellung auf rund 270 000 Tote gekommen – eine Zahl, welche die im Kampf Gefallenen und die durch Repression auf beiden Seiten Umgekommenen zusammenfaßt. Salas’ Zahlen waren in den letzen Jahren heftiger Kritik ausgesetzt, wobei vor allem seine Berechnungsmethode Zielscheibe der Angriffe war. Als Folge der republikanischen Repression sollen etwa 72 000 Menschen gestorben sein, während dieser Deutung zufolge der nationalistischen Repression bis Kriegsende nur 35 000 Personen zum Opfer gefallen wären. Später erhöhte Salas die Zahl der nationalistischen Opfer auf rund 58 000, aber auch diese Zahl dürfte, folgt man neueren Regionalstudien, noch viel zu gering angesetzt sein. Gabriel Jackson hat geschätzt, daß im Zuge der Kampfhandlungen 100 000 bis 150 000 Menschen gefallen sind, Manuel Tuñón de Lara spricht von 300 000. Eine außerordentlich große Zahl dürfte politischem Mord und Justizmord zum

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Opfer gefallen sein. Nach offiziellen spanischen Angaben waren Ende 1939 rund 270 000 Menschen in Gefangenschaft, weit über 100 000 außerdem in Lagern und „Arbeitsbataillonen“. Jackson geht davon aus, daß der massiven Repression im Herrschaftsbereich der Nationalisten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs 150 000 bis 200 000 Menschen zum Opfer fielen, mit oder ohne Kriegsgerichtsurteil.61 Auch das Exil, das Hunderttausende erleiden mußten, gehört zur sozialen Realität Franco-Spaniens und ist als besonderer Aspekt der Repressionspolitik zu werten. Die größte Welle der Flüchtlinge ergoß sich nach Frankreich, wo die Exilierten in schnell errichteten Auffanglagern eher das kümmerliche Schicksal von Gefangenen denn von politischen Asylanten fristeten. Hastig organisierte Hilfsdienste konnten zwar eine beträchtliche Anzahl von Republikanern noch vor dem deutschen Überfall auf Frankreich nach Lateinamerika – vor allem nach Mexiko – evakuieren, litten jedoch unter Eifersüchteleien und gegenseitigen Vorbehalten, die eine optimale Hilfsaktion verhinderten. Viele Republikaner wurden von der Vichy-Regierung oder den deutschen Besatzern an Franco ausgeliefert. Tausende von spanischen Republikanern kämpften im maquis und fanden dabei den Tod, Zehntausende überlebten deutsche Konzentrationslager, vor allem Mauthausen, nicht.62 Wirtschaftlich betrachtet wurde durch den Bürgerkrieg der größte Teil der Produktionsanlagen zerstört. 1940 war das Volkseinkommen auf den Stand von 1914 zurückgefallen, die erwerbstätige Bevölkerung durch den Krieg um weit über eine halbe Million gesunken. Der republikanische Staat hatte zur Kriegsfinanzierung 510 Tonnen Gold in einem Wert von 575 Millionen Dollar ausgegeben. Die Kriegskosten beider Seiten beliefen sich auf 300 Milliarden (Peseten von 1963). Rund acht Prozent aller Wohnungen waren beschädigt oder zerstört, über 40 Prozent aller Lokomotiven und Waggons unbrauchbar geworden. Die Handelsmarine büßte 225 000 Bruttoregistertonnen, d. h. über 30 Prozent ihres Gesamtbestandes, ein. Die Industrieproduktion sank 1935–1939 um 31 Prozent, die Agrarproduktion um etwas über 21 Prozent, das Volksvermögen um 25,7 Prozent, das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen um 28,3 Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen erreichte erst 1952 wieder den Stand der Vorkriegszeit.63

IX. Die Franco-Ära (1939–1975): Autoritarismus und ökonomische Entwicklung 1939–1975 Franco-Ära 1940–1945 Neutralität bzw. Nichtkriegführung Spaniens im Zweiten Weltkrieg 1941 Entsendung der „Blauen Division“ an die Ostfront 1942 Gesetz über die Bildung der Cortes 1945 „Grundgesetz“ der Spanier; Gesetz über den Volksentscheid 1946 UN-Boykottbeschluß gegen Spanien 1947 Gesetz über die Nachfolge in der Staatsführung 1953 Konkordat mit dem Vatikan; Stützpunktabkommen mit den USA 1955 Aufnahme in die UNO 1958 Gesetz über die Prinzipien der Nationalen Bewegung 1959 Verkündung des Stabilisierungsplans; Beginn einer neuen Wirtschaftspolitik 1967 Staatsgrundgesetz; Gesetz über Religionsfreiheit 1969 Ernennung von Prinz Juan Carlos zum Nachfolger Francos 1973 Ermordung von Ministerpräsident Luis Carrero Blanco durch ETA; Ernennung von Carlos Arias Navarro zum neuen Regierungschef 1975 Tod Francos; Proklamation von Juan Carlos zum König

Von Anfang an setzte das aus dem Bürgerkrieg siegreich hervorgegangene Franco-Regime die modernisierungswilligen Kräfte der Zweiten Republik – Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus und Freimaurerei – mit dem ewigen „Anti-Spanien“ gleich, verkündete die konservative Ideologie vom einmaligen Sonderweg Spaniens und seiner kreuzfahrerischen Mission in der Zeit der Säkularisierung und der Ausbreitung des Sozialismus und machte nahezu alle Modernisierungsmaßnahmen des vorangegangen Jahrfünfts rückgängig. Franco selbst bezeichnete sein Regime als eine „Rükkkehr zu den ureigensten Elementen des spanischen Wesens“, die in den Jahrzehnten des großen weltpolitischen Aufbruchs Spaniens unter den Katholischen Königen die Geschichte bestimmten. Die bewußte ‚Abkoppelung‘ der politischen Entwicklung Spaniens von den westlichen Gesellschaften und die Betonung spanischer Geschichte und Tradition als Grundlage des „Neuen Staates“ stellten fortan Charakteristika der ideologischen Argumentationsstruktur Francos dar.1

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Bei der Gestaltung des „Neuen Staates“ nach 1939 spielten konservativkatholische und militärische Traditionen ebenso eine Rolle wie die Ideologie der Falange. Da das franquistische System seine Legitimation aus dem Bürgerkrieg und dem traditionalen Katholizismus herleitete, bedurfte es keiner demokratischen Institutionen (Gewaltenteilung, allgemeines Wahlrecht); es verfügte auch über keine kodifizierte Verfassung, begnügte sich vielmehr damit, im Laufe der Jahre „Grundgesetze“ zu erlassen, die in ihrer Gesamtheit die konstitutionelle Basis des Regimes darstellten. Die eher dogmatischen Gesetze enthielten die ideologische Grundlage und staatsphilosophische Bestimmungen, während die primär staatsrechtlichen Gesetze die grundlegenden politischen Institutionen einsetzten, ihre Kompetenzen festlegten und ihre Beziehungen zueinander regelten. Das noch während des Bürgerkrieges erlassene „Grundgesetz der Arbeit“ (Fuero del Trabajo) legte das Recht auf Arbeit fest, respektierte das Privateigentum und schützte die Familie „als natürliche Urzelle und Grundlage der Gesellschaft“. Es handelt sich um den ideologisch-programmatisch wichtigsten Text auf dem Arbeitssektor. Das Gesetz fixierte die wirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen des nationalsyndikalistischen Staates und wurde zur Leitlinie der gesamten weiteren Arbeitsgesetzgebung des Franquismus; es blieb bis 1967 unverändert Grundlage aller arbeitsrechtlichen Beziehungen. Erst die durch das „Organische Staatsgesetz“ bewirkte Neufassung verzichtete auf die faschistisch inspirierten Formulierungen und strich den Hinweis auf die noch ausstehende Revolution. Der neue Gesetzestext gab außerdem die Fiktion der Interessenidentität verschiedener Klassen auf.2 Als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges das Regime außenpolitisch in Bedrängnis geriet und innenpolitisch der Guerrillakampf verstärkt wurde, war Franco mit allen Mitteln bemüht, seine Position zu festigen und sich eine zumindest pseudo-demokratische Legitimation zu verschaffen. Dementsprechend garantierte 1945 das „Grundgesetz der Spanier“ (Fuero de los Españoles) bestimmte Grundrechte, machte ihre Anerkennung allerdings von der Wahrung der „Grundprinzipien des Staates“ abhängig. Politische Betätigung wurde an die Institutionen Familie, Gemeinde und Syndikat gebunden. In Artikel 2 dieses Gesetzes hieß es: „Die Spanier sind dem Vaterland zu redlichem Dienst, dem Staatschef zur Treue und den Gesetzen zum Gehorsam verpflichtet.“3 Von besonderer Bedeutung war das „Gesetz über die Prinzipien der Nationalen Bewegung“ von 1958, das insofern über allen anderen Gesetzen stand, als keine Rechtsnorm erlassen werden durfte, die gegen die „Prinzipien der nationalen Bewegung“ verstieß; zu diesen unwandelbaren Normen und Werten zählten der katholische Konfessionalismus des Staa-

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tes, die monarchische Staatsform und die ständestaatliche Vertretung. Die gesamte Staatsordnung ruhte auf den Prinzipien der Nationalen Bewegung, die als „Glaubensgemeinschaft aller Spanier in den Idealen, welche den Kreuzzug beseelten“, definiert wurde.4 Das erste Grundgesetz von eher staatsrechtlich gestaltendem Charakter war das mitten im Zweiten Weltkrieg erlassene Gesetz über die Schaffung des Ständeparlaments (Cortes); dessen Hauptaufgabe war die „Vorbereitung und Ausarbeitung der Gesetze“, die oberste Gewalt zur Setzung von „Rechtsnormen allgemeinen Charakters“ verblieb allerdings beim Staatschef. Die Cortes waren somit in erster Linie eine beratende Versammlung, die außerdem alles andere als repräsentativ war, da von den fast 600 Mitgliedern 400 designiert wurden oder der Ständeversammlung aufgrund von Geburtsrechten angehörten; erst seit 1967 wurden fast alle CortesMitglieder gewählt; das Wahlgesetz enthielt jedoch so viele Beschränkungen, daß praktisch nur regimetreue Kandidaten gewählt werden konnten.5 Ähnlich wie beim „Grundgesetz der Spanier“ dürfte auch bei dem im gleichen Jahr 1945 erlassenen „Gesetz über den Volksentscheid“ (Referendum) die Notwendigkeit Pate gestanden haben, dem Regime eine – wie auch immer geartete – demokratisch-plebiszitäre Legitimation zu verschaffen. Nur dem Staatschef stand das Recht zu, Gesetzentwürfe dem Volksentscheid zu unterwerfen, was darauf hinweist, daß das Regime dieses Gesetz vor allem in akklamatorischer Absicht verwenden wollte. Das erste Referendum fand zwei Jahre nach Verabschiedung des Volksabstimmungsgesetzes statt: 1947, bei der Billigung des „Gesetzes über die Nachfolge in der Staatsführung“, durch das die institutionelle Grundlegung des politischen Systems des „Neuen Staates“ zum Abschluß gelangte. Die zentrale Bestimmung dieses Gesetzes besagte: „Spanien ist als politische Einheit ein katholischer, sozialer und repräsentativer Staat, der in Übereinstimmung mit seiner Tradition erklärt, als Königreich verfaßt zu sein.“ Die Staatsführung wurde Franco als persönliche, außerordentliche Magistratur mit Ausnahmecharakter übertragen; ihm allein stand das Recht zu, seinen königlichen Nachfolger zu bestimmen. Franco vereinigte in seiner Person die Ämter des Staatsoberhaupts, des Regierungschefs, des Oberbefehlshabers der Streitkräfte und des Führers der „Nationalbewegung“. Er hatte gesetzgebende und exekutive Gewalt, außerdem ernannte er die Inhaber aller wichtigen Staatsämter. Verantwortlich fühlte er sich nur „vor Gott und der Geschichte“.6 Während die traditionellen Machteliten, die Franco im Bürgerkrieg unterstützt hatten und denen der Diktator seine Herrschaft weit mehr zu verdanken hatte als einer faschistischen Massenbewegung, von Anfang an jede Modernisierung zu verhindern trachteten und alles daransetzten, die

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während der Zweiten Republik vorgenommenen strukturellen Veränderungen wieder rückgängig zu machen, hätte die Falange die Rolle eines faschistischen Modernisierungsagenten spielen können. In ihrer Betonung der ausstehenden Revolution und des einzuschlagenden „Dritten Weges“ jenseits von „liberalem Kapitalismus“ und „marxistischem Materialismus“ verstand sie sich selbst eine Zeitlang als Modernisierungselite; allerdings mußte sie ihre ursprünglich nationalsyndikalistisch-sozialrevolutionäre Orientierung bald aufgeben und machtpolitisch anderen Fraktionen des „herrschenden Blocks“ weichen. Eine rein faschistische Wirtschaftspolitik betrieb das Regime nie, wenn es vorerst auch viele Einzelmaßnahmen faschistischen Rezepturen entnahm, vor allem, wenn sie dem Paternalismus der Oberschichten entsprachen. Die neue Wirtschaftsordnung trug alle Merkmale eines Amalgams aus unspezifischen Zielvorstellungen der Falange, aus Besitzinteressen, Traditionalismus und Pragmatismus. Staat und Privatunternehmer blieben als Wirtschaftsobjekte nebeneinander bestehen.7 Historisch betrachtet war die Falange vor allem ein innenpolitisches Instrument Francos – in einer ausgesprochen prekären Phase des Systems – zur Absicherung seiner Herrschaft durch Ausbalancieren einander bekämpfender politischer Gruppen. Mit den sozialistischen Elementen ihrer Ideologie diente sie als Gegengewicht gegen die traditionelle Rechte, mit ihrem Antimonarchismus als Gegengewicht gegen die Monarchisten verschiedener Prägung im Lager Francos. Als sie zur Erfüllung ihrer Stabilisierungsaufgabe in den 50er und 60er Jahren nicht mehr benötigt wurde, sank ihre Macht zusehends.8 Die eigentlichen Gewinner des Bürgerkrieges waren somit nicht die Falangisten, sondern (neben der Kirche) Großgrundbesitz und Finanzbourgeoisie. Diesen aber ging es um eine Wiedererlangung vorrepublikanischer Macht- und Wirtschaftsverhältnisse, um die Verhinderung jeglicher Reform. Die Großgrundbesitzer wurden nach 1939 durch das ‚neue‘ Spanien vollauf entschädigt, die alten vorrepublikanischen Grundverhältnisse wiederhergestellt. In diesem Sinne kann der Franquismus in seiner Frühphase eine konterrevolutionäre Diktatur mit faschistoiden Elementen genannt werden. Während der gesamten Franco-Ära fand keine Agrarreform statt, die diesen Namen verdient hätte. Obwohl der Agrarsektor nach 1939 zugunsten der Industrialisierungspolitik weitgehend vernachlässigt wurde und das Regime insgesamt der Landwirtschaft gegenüber eine ambivalente Haltung einnahm, profitierten die Großgrundbesitzer durch die staatlich garantierten Preise außerordentlich von der Autarkiepolitik der Nachkriegszeit. Die Landarbeiterlöhne waren so niedrig, daß eine Mechanisierung der Landwirtschaft unrentabel erschien. Der staatlich garantierte

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Inlandspreis für Weizen, der bis Mitte der 60er Jahre auf über 30 Prozent der gesamten Anbaufläche bei durchwegs niedrigen Erträgen kultiviert wurde, betrug zwar fast das Doppelte des Weltmarktpreises und führte zu staatlichen Verlusten; der Staat war jedoch zur Zahlung dieses Preises bereit, da es doch die Großgrundbesitzer waren, die den Aufstand der Militärs von Anfang an vorbehaltlos unterstützt und mitgetragen hatten.9 Neben die Latifundisten trat die Finanzoligarchie, deren enge Verflechtung, ja Interessenidentität mit dem agrarkapitalistischen Sektor bereits vor dem Bürgerkrieg offensichtlich geworden war, als die Republik versuchte, zur Finanzierung der Agrarreform eine Agrarbank zu gründen und am geschlossenen Widerstand der hohen Finanzkreise scheiterte. Nach 1939 wurde die traditionell zentrale Stellung des Finanzkapitals sofort wiederhergestellt. Der 1936 beschlossene Status quo Bancario, der bis 1962 gültig blieb, verbot die Zulassung neuer Banken. Durch den 1946 gegründeten Obersten Bankenrat verfügten die Vertreter der führenden Banken über einen direkten institutionalisierten Einfluß auf die staatliche Wirtschaftspolitik. Durch die staatlich geförderte Monopolstellung der Großbanken hatte die Finanzaristokratie zugleich die Kontrolle über die Industrie, da sie die Bedingungen der Kreditvergabe bestimmte. Die hauptsächlich begünstigte Fraktion der Autarkiephase nach 1939 war somit das auf das Zentrum ausgerichtete Finanzkapital, das an keinerlei Veränderungen interessiert war. Zugleich konnte die enge Verknüpfung der Bodenbesitzeroligarchie mit der Finanzoligarchie grundlegende Strukturreformen im Agrarsektor verhindern.10 Während des Weltkrieges erklärte sich Franco abwechselnd für „neutral“ und für „nichtkriegführend“; letzteren Status hatte er im Juni 1940, kurz vor der französischen Kapitulation, angenommen. Als die Überlegenheit der Alliierten immer offenkundiger wurde, erklärte sich Spanien 1943 wieder für „neutral“; im Dezember jenes Jahres wurde die „Blaue Division“, die seit Mitte 1941 mit rund 47 000 Freiwilligen – großteils Falangisten – im Osten am Krieg gegen die UdSSR teilgenommen hatte, von der Rußlandfront zurückgezogen. Auf angelsächsischen Druck hin erklärte sich Franco sodann bereit, die Wolframlieferungen an Deutschland zu reduzieren; zugleich gewährte er den Alliierten Landeerlaubnis auf spanischen Flughäfen.11 Die Frage des spanischen Kriegseintritts blieb auch nach 1940 aktuell; innenpolitisch hatte Diktator Franco zwischen den Gruppen zu lavieren, die den Kriegseintritt wünschten, und jenen, die ihn überwiegend ablehnten. Die Befürworter einer spanischen Kriegsteilnahme gehörten einem kleinen Kreis von deutschfreundlichen Militärs und Vertretern der Fa-

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lange an, zu denen sich noch eine nicht unbedeutende Gruppierung militanter Links-Falangisten gesellte, die über eine Anlehnung an das „Dritte Reich“ doch noch ihren Traum einer nationalsyndikalistischen Revolution in die Tat umzusetzen hofften; der größte Teil des Militärs und die Großindustrie waren Gegner eines spanischen Kriegseintritts, da dieser eine erneute Destabilisierung des Landes – und damit ihrer eben erst errungenen Machtposition – bedeutet hätte. Später versuchten verschiedene deutsche Regierungs- und Parteistellen in Zusammenarbeit mit den Falange-Veteranen, den spanischen Kriegseintritt zu erzwingen. Im Juli 1942 kam es sogar zwischen Hitler und Agustín Muñoz Grandes, dem Kommandeur der „Blauen Division“, zu einem Geheimtreffen, bei dem sich Muñoz Grandes bereit erklärte, gegen Franco zu putschen und Spanien an der Seite Deutschlands in den Krieg zu führen; der Verschwörungsplan wurde schließlich jedoch fallengelassen. Durch geschicktes innen- und außenpolitisches Lavieren konnte Franco die kritische Phase des Weltkrieges im Amt überleben.12 Obwohl Spanien somit nicht am Zweiten Weltkrieg teilnahm, erlebte das Land als Folge des Bürgerkrieges, der politischen Isolierung durch das Ausland und des Ausschlusses von der Marshallplanhilfe nahezu zwei Jahrzehnte wirtschaftlicher Stagnation. Im Gegensatz zu anderen neutralen Ländern war der Zweite Weltkrieg für Spanien nicht mit einem wirtschaftlichen Aufschwung verbunden. Der Weltkrieg und sein Ausgang verschlossen vielmehr dem Land die Türen zu einer Zeit, zu der es für Spanien besonders wichtig gewesen wäre, vom Ausland Kredite für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Gesundung zu erhalten. Zwischen 1939 und 1959 betrieb die Regierung eine Autarkiepolitik im Sinne einer radikalen Importsubstitution und der systematischen Verringerung der Weltmarktverflechtung in allen Bereichen. Die importsubstituierende Industrialisierung sollte das Land von Einfuhren unabhängig machen und die Grundlage für eine verhältnismäßig arbeitsteilige und gegliederte, am inneren Markt ausgerichtete Produktionsstruktur schaffen. Angesichts der externen Rahmenbedingungen lag es zwar nahe, eine nationalistische Wirtschaftspolitik mit den Kernpunkten Autarkie und Staatsinterventionismus zu verfolgen, die man außerdem als Fortführung der isolationistischen und protektionistischen Wirtschaftspolitik deklarieren konnte, da sie in Spanien mehr oder minder konsequent seit der Schutzzollgesetzgebung aus dem Jahr 1892 praktiziert wurde; in erster Linie war dieses Konzept aber von den sozialen und wirtschaftlichen Vorstellungen der Falange bestimmt, die davon ausging, daß die Wirtschaft sich der Politik unterzuordnen habe, die Produktion im Dienste des Vaterlandes stehen und die Industrialisierung Ausdruck des nationalen Pre-

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stiges sein müsse. Außerdem traf sich diese Politik mit einem übersteigerten Nationalismus als Rechtfertigungsideologie des neuen Regimes.13 Um die Politik der Autarkie durchzusetzen, griffen die Behörden in den Wirtschaftsprozeß ein. Das Ergebnis dieser Politik der Wirtschaftslenkung war ein Sinken des allgemeinen Lebensstandards, eine laufende Erhöhung der (offiziell inexistenten) Arbeitslosigkeit, Fehlinvestitionen großen Stils, Mängel in der Qualität der Industrieerzeugnisse, Stagnation von Forschung und Entwicklung, ein ungenügendes Niveau von Produktion und Produktivität sowie – durch Schwarzmärkte, Privilegierungen und Spekulationen – Untergrabung der Wirtschaftsmoral. Nach Bürgerkrieg und Weltkrieg mußte das Land wegen des Bedarfs an Nahrungsmitteln, den es nicht selbst decken konnte, über Jahre hinweg auf die Möglichkeit verzichten, dringend erforderliche industrielle Neuausrüstungen einzuführen. Bis Ende der 50er Jahre blieb Spanien im wesentlichen ein Agrarland mit einer auf dem internationalen Markt konkurrenzunfähigen Industrie, die vor allem deshalb konkurrenzunfähig war, weil von der Politik der Autarkie eine große Anzahl kleiner Kapitalisten profitierte, die mit Hilfe günstiger Kredite die notwendigsten Güter für den inneren Markt produzierten; dabei ließ die rigide Importsubstituierungspolitik zahlreiche neue Industriezweige entstehen, die durch den staatlichen Protektionismus von der ausländischen Konkurrenz geschützt und daher zu keinerlei Rationalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen genötigt waren.14 1951 war der Mißerfolg eines Jahrzehnts wirtschaftlicher Isolierung offenkundig geworden. Eine Wendung zum Besseren schien nur mit ausländischer Hilfe und nach einer gewissen Eingliederung in den Weltmarkt möglich zu sein. Diese ausländische Hilfe brachte 1953 das Stützpunktabkommen mit den USA, das nicht unbeträchtliche Wirtschaftshilfe an Spanien vorsah. Dieses Abkommen enthielt neben technischen Bestimmungen eine Fülle von Vorschriften, die eine Neuorientierung der spanischen Wirtschaftspolitik zur Folge haben mußten. Die spanische Regierung verpflichtete sich, die Währung zu stabilisieren, einen gültigen Wechselkurs festzusetzen und aufrechtzuerhalten, das Regierungsbudget sobald wie möglich ins Gleichgewicht zu bringen, innere finanzielle Stabilität zu schaffen, allgemein: das Vertrauen in das Währungssystem wiederherzustellen. Außerdem sollten der freie Wettbewerb und die Produktivität ermutigt, die Entwicklung des internationalen Handels erleichtert und die Zollschranken vermindert werden. Die volle Durchführung dieser Vertragsbestimmungen hätte für Spanien die Beendigung der autarkistischen Wirtschaftspolitik, den Übergang zum wirtschaftlichen Liberalismus und die Eingliederung des Landes in den kapitalistischen Markt bedeutet; hierzu bedurfte es allerdings noch mehrerer Krisen und einiger innenpoli-

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tisch bewegter Jahre. Von 1951 bis 1963 belief sich die Gesamtwirtschaftshilfe der USA einschließlich sämtlicher Kredite und Schenkungen, allerdings ohne die direkte Militärhilfe auf etwas über 1,5 Mrd. Dollar; dabei nahmen die nötigen Industriegüter einen eher bescheidenen Platz ein; die gelieferten Nahrungsmittel und Rohstoffe konnten indes die Mangelerscheinungen in der Versorgung etwas mildern. Insgesamt war die spanische Regierung über die von den USA erhaltene Wirtschaftshilfe enttäuscht; die anregende Wirkung der amerikanischen Unterstützung auf die spanische Wirtschaft verflog auch rasch, die ständigen spanischen Nachforderungen blieben größtenteils unerfüllt.15 Die Verträge des Jahres 1953 mit den USA – parallel dazu wurde das Konkordat mit dem Vatikan abgeschlossen – hatten für die Stabilisierung des Regimes eher politische als wirtschaftliche Bedeutung. 1956/57 führten enorme Preissteigerungen, die in keiner Weise durch entsprechende Lohnerhöhungen aufgefangen wurden, zu sozialen Unruhen unter den Arbeitern, die zeitlich mit einer universitären Protestbewegung gegen den offiziellen Studentenverband zusammenfielen. Während sich die Arbeiter höhere Löhne erkämpften, führte außenwirtschaftlich das ungleiche Verhältnis von Importen und Exporten zu einem enormen Handelsbilanzdefizit; der Staat konnte die Zahlungsbilanz nicht mehr ausgleichen; er stand, nachdem auch die Devisenreserven stark zurückgegangen waren, vor dem finanziellen Zusammenbruch. Als die erzwungenen allgemeinen Lohnerhöhungen von 1956 die spanische Volkswirtschaft außerdem noch in eine schwere Krise stürzten und das Lohnsystem heftige Kritik erfuhr, wurde die Notwendigkeit einer Änderung der Wirtschaftspolitik immer offensichtlicher. Die Regierung stand nunmehr vor der Frage, ob sie zur alten, von der Falange vertretenen Linie wirtschaftlicher Isolierung zurükkkehren oder diese endgültig aufgeben und sich dem Wirtschaftsliberalismus verschreiben sollte. Die weitreichende Regierungsumbildung des Jahres 1957 ließ bereits die Antwort auf diese Frage erkennen. Wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung war das Revirement des Jahres 1957 nicht nur die bedeutendste Regierungsumbildung der Franco-Ära, sondern zugleich der Beginn eines grundlegenden Kurswechsels in der Wirtschaftspolitik, einer Veränderung der Entscheidungs- und Lenkungsmechanismen auf wirtschaftlichem Gebiet und des Erwerbs einer neuen Legitimitätsbasis für das autoritäre Regime.16 Bei dieser Regierungsumbildung verloren die Fraktion der katholischen Integralisten aus den Reihen der Asociación Católica Nacional de Propagandistas (ACNP), die nach 1939 enorm begünstigt worden waren, und vor allem die falangistische Fraktion an Einfluß; die wirtschaftspolitisch entscheidenden Ministerien für Handel und Finanzen gingen an Alberto

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Ullastres bzw. Mariano Navarro Rubio, die der Organisation angehörten, die im folgenden Jahrzehnt die Schalthebel der Macht innehaben sollte: dem Opus Dei. Die Männer des Opus Dei waren die eigentlichen Exponenten jener „technokratischen“ Ideologie, deren Verfechter seit den späten 50er Jahren offen auf eine durchgreifende Modernisierung der antiquierten spanischen Wirtschaftsstruktur hinarbeiteten, eine forcierte ökonomische Expansion auf der Grundlage eines selbständigen, aber vom Staat geförderten Unternehmertums anstrebten und Spanien enger an Europa, vor allem an den Gemeinsamen Markt, heranführen wollten. Wirtschaftstheoretisch förderte das Opus Dei den Neoliberalismus, der angesichts der volkswirtschaftlich archaischen Autarkievorstellungen der 40er und 50er Jahre zweifellos innovatorisch wirkte; Opus Dei verband dabei ökonomischen Liberalismus mit politischem Konservativismus. Es glaubte, Spaniens Entwicklung könne am besten durch die rasche Steigerung des Sozialprodukts gefördert werden, und dieses Ziel sei nur dann zu erreichen, wenn man die Kräfte freier Unternehmerinitiative und kommerzieller Konkurrenz im Rahmen einer modernen Marktwirtschaft möglichst ungehemmt spielen lasse und sie nicht durch Sozialreformen behindere.17 Das Handeln der Opus-Dei-Technokraten wurde von bestimmten Werten und ideologischen Mustern geleitet. Zu den Werten gehörten die besondere Betonung, ja: der Kult von Effizienzstreben, von Kompetenz, Produktivität und moderner Technik. Die ideologischen Elemente äußerten sich in der Neigung, dem Wirtschaftswachstum einen eindeutigen Vorrang gegenüber sozialem Fortschritt einzuräumen. Dementsprechend wurde die wirtschaftliche Modernisierung des Landes auf Kosten politischer Demokratie und sozialer Gerechtigkeit forciert. Bei vielen Beobachtern führte die wirtschaftspolitische Öffnung zu der Fehlannahme, daß ihr über kurz oder lang eine politische Demokratisierung folgen müsse, zumal der Wandel in der Wirtschaftspolitik eine Abkehr von falangistischen Ordnungsvorstellungen und eine neue Balance in der politischen Kräftegruppierung des Regimes implizierte. Zu lange wurde übersehen, daß die Teilliberalisierungen der 60er Jahre und die Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums nicht auf die Überwindung des Autoritarismus, sondern gerade auf seine Stabilisierung zielten.18 Die Autarkiepolitik der 40er und frühen 50er Jahre war nicht nur am Mangel wichtiger Rohstoffe und Maschinen, sondern vor allem auch am Protektionismus gescheitert. Der Übergang zu einer liberalen Wirtschaftspolitik erforderte nun vor allem eine Reorganisation des Finanzwesens, eine Verwaltungsreform im Sinne der Auflösung staatlicher Kontrollinstanzen und eine Liberalisierung des Außenhandels. Ansätze einer Um-

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orientierung waren schon 1957 zu bemerken. Der Zinssatz wurde erhöht, die Pesete abgewertet, spekulatives Geschäftsverhalten gesetzlich eingeschränkt, das System multipler Wechselkurse im Außenhandel abgeschafft. Die Wirkung dieser Maßnahmen war zwar gering, sie signalisierten jedoch dem Ausland die spanische Bereitschaft zu einer wirtschaftspolitischen Kursrevision. Zur Unterstützung der eingeleiteten Stabilisierungsmaßnahmen wurde Spanien 1958 assoziiertes, zwei Jahre später Vollmitglied der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC), des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.19 Ende Juni 1959 stellte die spanische Regierung in einem Memorandum an die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und den Internationalen Währungsfonds die geplanten Stabilisierungsmaßnahmen vor. Das einen Monat später verabschiedete „Wirtschaftsstrukturgesetz“, das unter der Bezeichnung „Stabilisierungsplan“ bekannt wurde, stand unter der Devise „Wachstum und Stabilität“. Mit dieser „wirtschaftlichen Öffnung“ verband sich eine grundlegende, am Vorbild der Wirtschaft der westlichen Industriestaaten ausgerichtete Neuorientierung der Wirtschaftspolitik. Zunächst hatten die Maßnahmen eine einschneidende Rezession zur Folge, die jedoch insofern beabsichtigt war, als die spanische Wirtschaft dadurch von den Verzerrungen und Hindernissen gereinigt wurde, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten herausgebildet hatten. Die unmittelbar Leidtragenden waren die Arbeiter und Kleinunternehmer; Produktionssenkungen führten zu umfangreichen Entlassungen; Reduktion der Überstunden und Kurzarbeit bedeuteten für viele Industriearbeiter weitere Lohneinbußen, die Reallöhne sanken. Die sozialen Spannungen nahmen nach Auslaufen des Stabilisierungsplans 1961 und dem deutlichen Anstieg der Preise erheblich zu. Am meisten begünstigte der Stabilisierungsplan zunächst die investierenden Unternehmer. Erst mittel- und langfristig konnten auch die übrigen gesellschaftlichen Gruppen von den Folgen des Plans profitieren.20 Auf den Stabilisierungsplan von 1959 folgte nach 1962 als Phase des wirtschaftlichen Take-off eine Periode des Aufschwungs mit starker unternehmerischer Konzentration und Zentralisation des Kapitals. Die Maßnahmen im außenwirtschaftlichen Bereich beseitigten die Autarkie und führten zur Eingliederung Spaniens in das internationale kapitalistische System. Die Produktion orientierte sich stärker am Export, der vom Staat intensiv gefördert wurde. Emigrationsabkommen mit europäischen Ländern förderten die Auswanderung Arbeitsuchender; die Devisen aus den Emigrantenüberweisungen und der Tourismus wiederum besserten die Zahlungsbilanz auf. Kurzum: Für Spanien hatte das Jahrzehnt des „Wirt-

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schaftswunders“ begonnen, das den Anschluß des Landes an entwickelte Industriestaaten zum Ergebnis hatte.21 Die Strategie des Opus Dei ist als „konservativ-autoritäre Modernisierung“ bezeichnet worden; das Mittel, diese Modernisierung zu erreichen, war eine beschleunigte industrielle Entwicklung klassisch-kapitalistischen Typs, die durch den politisch autoritären Rahmen des Regimes abgesichert wurde. Es ging darum, Spanien im 20. Jahrhundert die Verwirklichung der im 19. Jahrhundert gescheiterten industriellen Revolution zu ermöglichen und auf diese Weise die Entwicklung der als politisch ‚vernünftig‘ angesehenen Mittelschichten durch eine solchermaßen legitimierte technokratische Diktatur voranzutreiben. Wirtschaftlich mußten Modernisierungsmaßnahmen ergriffen werden, damit politisch alles beim alten bleiben konnte. Der Franquismus läßt sich demnach unter der begrifflichen Trias der wirtschaftlichen Entwicklung, des sozialen Wandels und der politischen Stagnation erfassen.22 Der Übergang Spaniens vom Agrar- zum Industrieland hatte nachdrükkliche Folgen für die Bevölkerungs- und Erwerbsstruktur des Landes. Vor allem in den 60er Jahren nahm die Demographie Spaniens immer ausgeprägter die Muster entwickelter Industrienationen an: Erhöhung der Lebenserwartung, Nachlassen der Geburtenhäufigkeit, Anwachsen der älteren Bevölkerung, Rationalisierung des generativen Verhaltens. Zwischen 1940 und 1981 wuchs die spanische Bevölkerung von knapp 26 auf knapp 38 Millionen Personen. Neben den demographischen Veränderungen waren es vor allem die massenhaften Wanderungsbewegungen, die das heutige Bild der spanischen Bevölkerungsstruktur prägen, wobei seit Beginn der 60er Jahre der Migrationsstrom nach Übersee allmählich verebbte und an seine Stelle die Auswanderung nach ‚Europa‘ trat.23 Wichtiger als die Auswanderung waren für die Bevölkerungs- und Erwerbsstruktur jedoch die Migrationsbewegungen im Innern des Landes. Der über Jahre ansteigende Bedarf an Industriekräften sowie die gleichzeitige Wirtschaftskrise in den agrarischen Gebieten setzten eine breite Wanderungswelle vom Land in die Stadt in Bewegung, die zu hochgradiger Verdichtung der spanischen Bevölkerung in wenigen Provinzen, zu gewaltigen Verschiebungen im Siedlungsgefüge und in deren Gefolge zu einer hohen Urbanisierungsrate führte. Zwischen 1940 und 1970 waren 21 (der insgesamt 50) Provinzen ständige Abwanderungsgebiete. Zwischen 1950 und 1960 wanderte über eine Million Landarbeiter von den agrarischen Gebieten Kastiliens, Extremaduras und Andalusiens in die industriellen Ballungszentren ab; zwischen 1961 und 1970 ist in 23 Provinzen ein Bevölkerungsrückgang, d. h. in Gebieten, die drei Fünftel der Gesamtfläche des Landes umfassen, zu verzeichnen. 1974 lebte schon ein knappes Drittel

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der gesamten spanischen Bevölkerung in Madrid, Barcelona, dem Baskenland und auf den Kanarischen Inseln. Die Land-Stadt-Migrationen bedeuteten, daß Arbeitskräfte von landwirtschaftlichen Berufen in industrielle Berufe abwanderten. 1940 waren noch rund 50 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig; bis 1976 reduzierte sich dieser Prozentsatz auf 23 Prozent. Im gleichen Zeitraum nahmen die Beschäftigten in der Industrie von 22 Prozent auf 37 Prozent und im Dienstleistungssektor von 27 auf 40 Prozent zu.24 Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, den sozialen und demographischen Veränderungen, der stärkeren Durchlässigkeit der Grenzen für Menschen und Ideen war der Immobilismus der ersten Nachkriegsjahre einer zunehmenden Mobilisierung der Bevölkerung sowie einem bewußteren politischen und sozialen Auftreten gewichen. Die geistige und materielle Unruhe äußerte sich zuerst unter Studenten und Arbeitern; erst viel später griff sie auf andere soziale Schichten und Gruppierungen über, erfaßte jedoch allmählich in der einen oder anderen Form nahezu jeden gesellschaftlichen Bereich: Studenten forderten universitäre und soziale Reformen, Arbeiter bildeten illegale Gewerkschaften, baskische und katalanische Nationalisten lehnten sich gegen die kastilische Zentralgewalt auf, die Kirche distanzierte sich (vor allem an der Basis) zusehends vom Regime, Juristen verlangten die Abschaffung der Sondergerichte, Intellektuelle protestierten gegen Mißhandlungen, Journalisten schrieben immer freimütiger über die Opposition. Diese Art des ‚inneren‘ Aufbegehrens kontrastierte deutlich zum Siechtum der Opposition im Exil, die sich in vielerlei Gruppen gespalten hatte und mehr gegen- als miteinander operierte. Seit den 50er Jahren lag die Initiative zweifellos im Landesinneren, wo die Herausbildung eines regimekritischen Bewußtseins deutliche Fortschritte machte.25 Das Ende des Bürgerkrieges hatte die gewaltsame Unterdrückung jeglicher freien gewerkschaftlichen Tätigkeit gebracht, die Interessen der Arbeiterschaft konnten nicht legal artikuliert werden. Der Franquismus richtete Zwangssyndikate ein, in denen unter Aufsicht des „nationalsyndikalistischen Staates“ Arbeiter und Unternehmer zusammengeschlossen waren. Der Staat selbst behielt sich die Festsetzung von Löhnen und Preisen vor, die Syndikate hatten lediglich die Funktion einer sozialpolitischen Beratungsstelle. Nahezu zehn Jahre lang herrschte nach dem Bürgerkrieg auf dem sozialen Sektor Grabesstille – der „Friede Francos“. Allmählich aber wurde deutlich, daß die per Dekret ‚abgeschafften‘ Konflikte zwischen Kapital und Arbeit durch staatliche Verfügungen nicht aus der sozialen Realität des Arbeitssektors verbannt werden konnten. Trotz des Streikverbots kam es immer wieder zu Arbeitskämpfen. Auch die Unter-

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nehmer zeigten sich an größerer Flexibilität gegenüber den Forderungen der Arbeiterschaft interessiert. 1956 fiel das staatliche Lohndiktat, 1957 erhielten die Syndikate das Recht übertragen, Lohn- und Arbeitsbedingungen in „Kollektivverträgen“ weitgehend selbständig, wenn auch nach wie vor unter staatlicher Kontrolle, zu regeln. Soziale Konflikte nahmen zu, und in den folgenden Jahren kam es zu einem Aufschwung der Arbeiterbewegung, der angesichts der politischen Umstände – staatliche Repressionen, Koalitions- und Streikverbot – ein erstaunliches historisches Phänomen darstellt. Aus den illegalen Arbeitskämpfen seit Ende der 50er Jahre ging eine neue und authentische Form der Interessenvertretung der Arbeiterschaft hervor: die Arbeiterkommissionen (Comisiones Obreras, CCOO). Diese breiteten sich in der ersten Hälfte der 60er Jahre über das ganze Land aus. Ihre Stärke lag zweifellos darin (mit-)begründet, daß sie Arbeiter sämtlicher ideologischer Richtungen vereinigten. Neben den Kommunisten bildeten linkskatholische Strömungen den größten Anteil in den CCOO; viele ihrer Treffen fanden auch in Kirchen und Klöstern statt. Die Regierung tolerierte anfangs die Kommissionen, da sie hoffte, über die Mitarbeit der anerkannten Führer der Arbeiterbewegung die traditionelle Gegnerschaft der Arbeiter gegenüber dem Regime überwinden und die CCOO als Instrumente systemkonformer Konfliktregelung benutzen zu können.26 Die regierungsamtliche Tolerierungspolitik fand jedoch in dem Augenblick ein Ende, als sich die Arbeiterkommissionen überregional und auf Branchenebenen zu organisieren begannen und dazu übergingen, in ihren Programmen nicht mehr nur ökonomische und soziale, sondern auch politische Forderungen wie Gewerkschaftsfreiheit, Amnestie oder Streikrecht zu artikulieren. 1967 schließlich wurden die Arbeiterkommissionen verboten, ihre Mitglieder diskriminiert oder ins Gefängnis geworfen. Damit wurde diese neue ‚soziopolitische‘ Bewegung gegen ihren Willen in den Untergrund gedrängt, von wo aus sie in den letzten Jahren des Franquismus allerdings stetig an Bedeutung zunahm, so daß sie im Übergang von der Diktatur zur Demokratie eine entscheidende Rolle spielen konnte.27 Die massive Industrialisierungspolitik der 60er Jahre hatte somit zu einem gewaltigen Anwachsen der Industriearbeiterschaft und zu einer Zunahme oppositioneller Untergrundorganisationen geführt, deren Methoden infolge des arbeitsrepressiven Systems weit radikaler, direkter und gewalttätiger waren als die gemäßigten Strategien der Gewerkschaften in den industrialisierten Demokratien des Westens. Das Hauptziel des Opus Dei-Entwicklungsmodells, die Sicherung der sozialen und politischen Stabilität des Regimes, wurde nicht erreicht. Im Gegenteil: Die Unruhen

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nahmen in den 60er Jahren derart zu, daß die Repression im Arbeitsbereich verstärkt werden mußte. Die größere Anzahl sozialer Unruhen im Spanien der 60er Jahre stellt im Industrialisierungskontext sich entwickelnder Länder allerdings keine Ausnahme dar. Wiederholt ist in der sozialwissenschaftlichen Literatur auf die destabilisierenden Auswirkungen schnellen sozio-ökonomischen Wandels hingewiesen worden, der keine größere gesellschaftliche und politische Stabilität der sich entwickelnden Länder, sondern im Gegenteil eher wachsende soziale Spannungen hervorruft. Im spanischen Fall ist in diesem Zusammenhang auf das ‚Umkippen‘ sozialer Ansprüche in politische Forderungen hinzuweisen.28 Der wesentliche Grund für die Zunahme des Konfliktpotentials dürfte in der Partialität der Modernisierungsmaßnahmen gelegen haben, die den soziopolitischen Bereich im wesentlichen aussparten. Intensivierung von Teilprozessen der Modernisierung seit Ende der 50er Jahre führte zu einer Verschärfung der Klassengegensätze und der Regionalismusproblematik. Vor allem Katalonien und das Baskenland kämpften zusehends militanter und aggressiver gegen die zentralstaatliche Diktatur Francos an. Dessen Regime betrieb von Anfang an eine systematische und brutale Politik der Unterdrückung des Katalanischen und des Baskischen. Die Repressionsmaßnahmen lassen sich sowohl als Racheakte gegen die im Bürgerkrieg auf der Seite der Republik kämpfenden Regionen wie als Versuch deuten, endgültig und kompromißlos Spanien als zentralistischen Einheitsstaat zu etablieren. In beiden Regionen kam es nach 1939 zu massenhaften ‚Säuberungen‘ in Verwaltung und öffentlichen Institutionen, viele Zeugnisse der Regionalkultur wurden zerstört oder verboten, der Gebrauch der Regionalsprachen bei Behörden und in der Öffentlichkeit mit Strafen belegt. Außerdem wurde der wirtschaftliche Einfluß beider Regionen so weit wie möglich eingedämmt, beide Landesteile mußten in Form hoher Steuerabflüsse erhebliche finanzielle Opfer für die Entwicklung des restlichen, weit weniger industrialisierten Spanien erbringen.29 Zuerst reagierte die Bevölkerung beider Regionen auf ihre systematische Diskriminierung und auf die Negierung ihrer kulturellen Eigenständigkeit in durchaus vergleichbarer Weise, indem sie sich bei Volksabstimmungen der Stimme enthielt oder in die ‚zivile‘ Gesellschaft (Vereine, Verbände) zurückzog. Während sich jedoch in Katalonien auch in der Folgezeit der Kampf im wesentlichen auf die Bewahrung und Verteidigung der Regionalsprache und Kultur konzentrierte, war es im Baskenland die Geheimorganisation ETA, Euskadi Ta Askatasuna – „Baskenland und Freiheit“, die durch Gewaltaktionen und ständig zunehmende Terrormaßnahmen das Regime in erhebliche Bedrängnis brachte, schließlich klar in die Defensive verwies.

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Zur Popularität und zum Bekanntheitsgrad von ETA, die einen nach innen wie nach außen souveränen baskischen Staat anstrebt, trugen Polizei und Staatsorgane mit ihren Verfolgungen und Massenverhaftungen, mit Folterungen und Prozessen, mit der wiederholten Verhängung des Kriegs- und Belagerungszustandes über die Baskenprovinzen, mit ihren ständigen Vorwürfen des Separatismus und Sozialismus nicht unwesentlich bei.30 Zur Abwendung der Studenten der Arbeiterschaft und der wirtschaftlich wichtigsten Regionen vom Regime, gesellte sich, vor allem seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962–1965), ein Teil der katholischen Kirche, die sich anschickte, eine neue Funktion im Staat zu übernehmen. Hatte in den ersten zwanzig Jahren des franquistischen Regimes die Hauptfunktion der Kirche in der Legitimierung der etablierten Macht bestanden, so wurde die Kirche in der zweiten Phase des Regimes der bevorzugte Ort einer reformistisch gesinnten Opposition gegenüber dem Franquismus. Die politische Funktion, die die Kirche in dieser Zeit ausübte, war eher kritischer als legitimierender Art, und es ging nicht nur um die Verteidigung religiöser Interessen gegenüber dem Staat, sondern um die Vertretung vor allem sozialer Belange weiter Bevölkerungsschichten, die keine direkte Repräsentation im System hatten. Die Kirche wurde zu einer Art Volkstribun, zum Verteidiger von Gruppen, denen die Staatsmacht gesetzliche Formen politischer Meinungsäußerungen vorenthielt.31 Betrachtet man die beiden auffälligsten Erscheinungen der 60er Jahre – den spektakulären Aufschwung der spanischen Wirtschaft und die enorme Zunahme des Krisen- und Widerstandspotentials quer durch alle sozialen Schichten und Gruppierungen – zusammen, so läßt sich unschwer erkennen, daß es dem Regime nicht gelungen ist, die erstaunlichen ökonomischen Fortschritte in eine wirtschaftliche Legitimierung des politischen Systems als Entwicklungsdiktatur umzusetzen. Die autoritäre Unterdrückung offener Auseinandersetzungen, d. h. die mangelnde Institutionalisierung von Konflikten sowie das Fehlen einer Vermeidungsstrategie, und die ideologische Überbetonung sowie gewaltsame Durchsetzung der (eher fiktiven als tatsächlichen) Einheit heizten in den ‚Wachstumsjahren‘ der Franco-Ära die Feindseligkeiten an und schufen ‚Fremdgruppen‘ – Arbeiter, Regionalisten, Klerus und Studenten – in der eigenen Gesellschaft, deren Interessen nicht in das politische System des Franquismus integriert waren. Das Ergebnis der franquistischen Politik widersprach in nahezu jedem Punkt den ursprünglichen Intentionen: Am Ende der Franco-Herrschaft war die spanische Gesellschaft politisierter, urbanisierter und säkularisierter denn je, die Arbeiter und Studenten waren so aufsässig wie noch nie, die Autonomie- und Selbständigkeitsbewegungen der Regio-

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Ehrenmal für die im Spanischen Bürgerkrieg auf nationalistischer Seite Gefallenen im Valle de los Caídos und Grablege Francos; Eingang zur Höhlenkirche und monumentales Kreuz. Foto: AKG/Paul Almasy.

nen ausgeprägter als zu jedem anderen Zeitpunkt der neueren spanischen Geschichte, Sozialisten und Kommunisten bei den ersten Wahlen nach Francos Tod so erfolgreich wie nie zuvor, die spanische Wirtschaft finanziell und technologisch vom internationalen Kapitalismus geradezu in beängstigendem Ausmaß abhängig. Hatte das Regime (notgedrungen) unter der (jahrzehntelang wiederholten) Devise „Spanien ist anders“ die These der radikalen Inkompatibilität der politischen Institutionen Spaniens und der kulturellen Werte des Landes mit dem restlichen Europa zu einer offiziösen Metaphysik hochstilisiert und die Distanz von wirtschaftlichen wie

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ideologischen Modellen westlicher Demokratien betont, so war diese bewußte Distanzierung in den 60er Jahren bereits einer deutlichen Annäherung an den Westen auf dem Gebiet der Wirtschaft und der Konsummentalität gewichen; nach dem Tode Francos erfolgte geradezu ein Wettlauf, um sich auch politisch und militärisch in das früher so verpönte System des Westens zu integrieren. Nie zuvor in seiner Geschichte dürfte Spanien so ‚europäisch‘ gewesen sein wie im Übergang zur Demokratie Ende der 70er Jahre.32 Im Sinne der konservativen Ziele des Regimes waren auch die im Zuge bzw. als Folge der Modernisierung erfolgte Fusion der Eliten und die materielle Entwicklung, vor allem der Mittelschichten, ‚dysfunktional‘. Die traditionellen Eliten aus den Bereichen Großgrundbesitz und Finanzoligarchie mußten ihre überkommenen Positionen mit den neuen Eliten aus dem Industriekapital, mit aufstrebenden Unternehmern und ‚Technokraten‘ teilen. Dies führte zu nicht unerheblichen Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen innerhalb der ‚politischen Familien‘ des Regimes. Außerdem erstrebten diese vereinigten und modernisierten Eliten einen direkteren Zugang zur Macht. Andererseits führten die Veränderungen im Lebensstandard der gewaltig expandierenden Mittelschichten dazu, daß diese deutlicher als zuvor den Unterschied zwischen ihrem materiellen Status einerseits und ihrer kulturellen bzw. politischen Lage andererseits empfanden. Die Errichtung einer ‚Mittelstandsgesellschaft‘ sollte das Land vom Druck extremer sozialer Klassen befreien und damit gleichzeitig zur Stärkung des bestehenden Systems beitragen; in den genannten Fällen führte die Modernisierung der franquistischen Diktatur jedoch nicht, wie ihre Architekten erhofften, zu ihrer Konsolidierung, sondern zu ihrer Unterminierung. Der Franquismus hat sich demnach (zumindest in seinen letzten Jahren) nicht wegen seiner Modernisierungsmaßnahmen sondern vielmehr trotz der Modernisierungsfolgen bis zum physischen Tod des Diktators halten können.

X. Demokratie, Wirtschaftsmodernisierung, Krise (1975–2012) Demokratie, Modernisierung, Krise (1975–2012)

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Rücktritt von Arias Navarro; Adolfo Suárez Regierungschef; „Gesetz über die politische Reform“ Legalisierung von Gewerkschaften und Parteien; Parlamentswahlen, Sieg der UCD; Pakt von Moncloa Verabschiedung der neuen Verfassung Erste Autonomiestatute (Baskenland, Katalonien) Leopoldo Calvo Sotelo neuer Regierungschef Beitritt Spaniens zur NATO; Parlamentswahlen, Sieg der Sozialisten; Felipe González Regierungschef Umformung Spaniens in einen dezentralisierten Staat Vollmitgliedschaft Spaniens in der EG; NATO-Referendum José María Aznar López Vorsitzender der Volkspartei; institutioneller Bruch zwischen UGT und PSOE Weltausstellung in Sevilla; Madrid Kulturhauptstadt Europas; Olympische Spiele in Barcelona PSOE-Minderheitsregierung mit parlamentarischer Unterstützung durch baskische und katalanische Nationalisten Parlamentswahlen; Sieg der Konservativen Volkspartei; Aznar Regierungschef Erfüllung der Maastrichter Konvergenzkriterien; Arbeitsmarktreformen, wirtschaftliche Liberalisierung; Eskalation des ETA-Terrors Waffenstillstand von ETA Beendigung des Waffenstillstands durch ETA; Radikalisierung der politischen Situation im Baskenland Eskalation des ETA-Terrors; millionenfache Anti-ETA-Demonstrationen; Parlamentswahlen, absolute Mehrheit der Volkspartei; Fortsetzung der Regierung Aznar Teilnahme Spaniens an der Seite der USA und Großbritanniens am Irak-Krieg; millionenfache Demonstrationen gegen die Kriegsteilnahme. Verbot der separatistischen Baskenpartei Batasuna; Freistaatsplan von Ministerpräsident Ibarretxe im Baskenland. Islamistische Attentate in Madrid (191 Tote, über 1500 Verletzte). Sieg der Sozialisten bei Parlamentswahlen; erste Regierung Zapatero. Rückzug der spanischen Truppen aus Irak. Heirat von Kronprinz Felipe mit Letizia Ortiz. Konfrontatio-

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nen zwischen Kirche und Regierung wegen gesellschaftlicher Reformgesetze. Zunahme separatistischer Tendenzen in Katalonien in Zusammenhang mit der kontroversen Diskussion über das neue Autonomiestatut. Parlamentswahlen, abermaliger Sieg der Sozialisten; zweite Regierung Zapatero. Ausbruch der Immobilien-, Finanz- und Wirtschaftskrise; in den Folgejahren dramatischer Anstieg der Arbeitslosigkeit. Endgültiger und dauerhafter Gewaltverzicht von ETA. Vorgezogene Parlamentswahlen (November); schwere Niederlage der Sozialisten, absolute Mehrheit des PP, Regierung Mariano Rajoy.

Als im Jahr 1975 Diktator Franco starb, wagten nur die wenigsten Beobachter eine Prognose über die politische Zukunft des Landes. In der Folgezeit wurden die autoritären Strukturen des Franquismus in einem derart rapiden Tempo abgebaut und durch demokratische Institutionen ersetzt, daß dieser friedliche Übergangsprozeß die internationale Aufmerksamkeit auf Spanien lenkte und für lateinamerikanische ebenso wie ostmitteleuropäische Wechsel in der Herrschaftsform als Vorbild angesehen wurde. Das Besondere des Regimewandels bestand darin, daß er unter Leitung und Kontrolle der franquistischen Institutionen und eines Teils der in ihnen vorherrschenden politischen Elite durchgeführt wurde, formal innerhalb der von Franco errichteten Legalität vor sich ging und mit dem autoritären Verfassungsrecht des Franquismus nicht brach: Hierin lag wohl der wesentliche Grund dafür, daß die Streitkräfte nicht eingriffen, sondern die Veränderung akzeptierten. Inhaltlich jedoch stellte der Wandel nicht eine Reform oder Revision des franquistischen Systems dar, sondern brach mit den Strukturprinzipien des autoritären Regimes und ersetzte dieses durch eine neue, auf demokratischen Prinzipien basierende Regierungsform.1 Der Tod Francos bedeutete noch nicht das Ende des Franquismus, war aber der Katalysator der folgenden Reformentwicklungen. Zaghafte Reformversuche der letzten franquistischen Regierung unter Carlos Arias Navarro im Jahre 1974 dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Regime zu Lebzeiten des Diktators nur unwesentliche Formveränderungen vornahm, in seinen Grundstrukturen aber unverändert blieb. In seiner Thronrede vom 22. November 1975, somit unmittelbar nach Francos Tod, kündigte König Juan Carlos I. sodann eine Öffnung und Demokratisierung des politischen Systems an. Dieses Programm wurde in der Regie-

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rungserklärung vom Dezember 1975 konkretisiert (Reform der repräsentativen Institutionen, Gewährung des Vereinigungsrechts, Ausweitung der Freiheiten und Rechte der Bürger), machte in der ersten Hälfte des Jahres 1976 jedoch unter der noch stark dem alten System verpfl ichteten Führung des aus dem Franquismus ‚übernommenen‘ Ministerpräsidenten Arias Navarro nur wenig Fortschritte. Die Frage, die sich für den König und die politisch Verantwortlichen stellte, lautete: Bruch mit dem Franquismus, wie es die Opposition forderte, oder Kontinuität bei unwesentlichen Korrekturen am System, was die Rechte erstrebte? Die schließlich eingeschlagene Lösung verzichtete auf die abrupte Demontage des Franco-Systems, setzte statt dessen auf den langsamen Wandel, auf das kompromißhafte Aushandeln von Änderungen, auf den „paktierten“ Übergang. Die transición erfolgte als Reform. Ihre Originalität bestand darin, daß sie politisch als Verhandlung zwischen Regierung und Vertretern des alten Regimes einerseits sowie den Kräften der demokratischen Opposition andererseits erfolgte, daß sie verfassungsrechtlich mit Hilfe der in den franquistischen „Grundgesetzen“ für deren Revision vorgesehenen Mechanismen stattfand, so daß die franquistische Legalität für ihre eigene Abschaffung und die Ersetzung durch eine neue, demokratische Legalität instrumentalisiert wurde. 2 Die erste, entscheidende Maßnahme im Prozeß des Übergangs war die Ablösung von Arias Navarro durch den ebenfalls aus dem alten Regime stammenden, aber reformfreudigeren Adolfo Suárez im Amt des Ministerpräsidenten im Juli 1976. Suárez’ Strategie, die bereits im „Projekt für die politische Reform“ vom September 1976 zum Ausdruck kam, besaß ein Doppelziel: Einerseits mußte er die erforderliche Unterstützung seitens der Franquisten für die geplanten, als ‚Reform‘ ausgewiesenen Änderungen erwirken, andererseits zielte er auf Duldung des eingeschlagenen, inhaltlich als ‚Bruch‘ dargestellten Prozesses seitens der demokratischen Opposition ab. Die Dialektik Reform/Bruch begleitete denn auch die gesamte Übergangsphase, deren Erfolg darin bestand, einen breiten Konsens dieser sich eigentlich ausschließenden Positionen erreicht zu haben. 3 Daß die Kräfte des alten Regimes dem politischen Wandel schließlich zustimmten, ist im wesentlichen auf vier Faktoren zurückzuführen: Zum einen bezog König Juan Carlos I. eine entschiedene Haltung, indem er den Demokratisierungsprozeß unterstützte und vorantrieb, was vor allem die Einstellung der Streitkräfte beeinflußte. Zum anderen ließ das ‚politische Klima‘, das auch immer wieder in den Massenmedien zum Ausdruck kam, eine demokratieorientierte Entwicklung als unausweichlich erscheinen. Sodann war die traditionelle Machtelite davon überzeugt, daß nur durch Preisgabe gewisser Positionen eine Radikalisierung des Prozesses ver-

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hindert werden könne. Schließlich lag die Einrichtung einer „gemäßigten“ liberal-pluralistischen Demokratie im Interesse der westlichen Staaten.4 Für das Gelingen des Übergangs waren zwei wichtige Voraussetzungen entscheidend: Zum einen liegen die tieferen Gründe für den politischen Wandlungsprozeß in den strukturellen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft; von entscheidender Bedeutung war das Vorhandensein einer ‚modernen‘ und weitgehend säkularisierten Gesellschaft, die das demographische Muster entwickelter Industrienationen, eine hohe Urbanisierungsrate, Professionalisierung und Berufsmobilität, eine hohe Alphabetisierungsquote, ein modernes Wertesystem etc. aufwies. Zum anderen ließ die nachwirkende traumatische Erfahrung mit der Gewalt, insbesondere während des Bürgerkrieges und in den ersten, stark repressiven Nachkriegsjahren, bei allen Beteiligten die Neigung zu Kompromissen deutlich steigen. 5 Im November 1976 billigten die Cortes das „Gesetz über die politische Reform“, das vorsah, die franquistische Ständekammer durch ein allgemein gewähltes Zweikammerparlament mit verfassunggebenden Vollmachten zu ersetzen. Bei einem Referendum im Dezember 1976 sprachen sich bei einer hohen Wahlbeteiligung (über 77 Prozent) mehr als 95 Prozent der Abstimmenden für das Reformprojekt aus, obwohl die demokratische Opposition, da sie am bisherigen Demokratisierungsprozeß nicht beteiligt worden war, zur Stimmenthaltung aufgerufen hatte, die in den autonomistisch orientierten Regionen besonders hoch ausfiel. Mit der Annahme des Reformgesetzes kann die erste Phase der transición als beendet gelten. In der danach beginnenden zweiten Phase hing die Dynamik des Wandels weit mehr als zuvor vom zuerst impliziten, später expliziten Konsens zwischen Regierung und demokratischer Opposition ab. Consenso wurde fortan zum Schlüsselwort aller wichtigen, den Übergang bestimmenden Entscheidungen. Die Hauptstationen in dieser zweiten Phase waren die Zulassung von Parteien und Gewerkschaften, die Parlamentswahlen von 1977, die soziopolitischen „Moncloa-Pakte“ (Oktober 1977) und die Verfassung von 1978. Inzwischen hatte sich die demokratische Opposition im Frühjahr 1976 zur „Demokratischen Koordination“ (Coordinación Democrática) zusammengeschlossen und ihre Absicht bekundet, Spanien auf friedlichem Weg in einen demokratischen Staat umzuwandeln. Auch die 1977 wieder legalisierten Gewerkschaften forcierten durch massenhaften Basisdruck den Demokratisierungsprozeß, dessen Geschwindigkeit nur aus der sich ergänzenden Dynamik von Reformwillen von oben und Veränderungsdruck von unten zu erklären ist.6 Nachdem zu Beginn des Jahres 1977 die gesetzlichen Voraussetzungen

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für freie Parlamentswahlen geschaffen waren, setzte eine parteipolitische Aktivität ungeahnten Ausmaßes ein. Die erste große Umstrukturierung der politischen Szene betraf die Rechte: Die frühere franquistische Einheitspartei Movimiento Nacional wurde aufgelöst; zur wichtigsten Partei auf der Rechten wurde die nationalistisch-konservative „Volksallianz“ (Alianza Popular, AP) unter ihrem Führer Manuel Fraga Iribarne, die in den folgenden Jahren wiederholt den Namen wechselte und heute als „Volkspartei“ (Partido Popular, PP) fi rmiert. Die traditionsreiche Sozialistische Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) konnte im Zuge ihrer Neugründung unter ihrem jungen und populären Führer Felipe González verschiedene Flügel des spanischen Sozialismus vereinen und schlagkräftige Geschlossenheit nach außen demonstrieren; mit der auf konservativer Seite heftig umstrittenen Legalisierung der Kommunistischen Partei (Partido Comunista de España, PCE) stand das Parteienspektrum auf der Linken sodann im wesentlichen fest. Im Bereich der politischen Mitte bildeten sich zahlreiche liberale, konservative, christund sozialdemokratische Parteien, die im Mai 1977 unter der Führung von Adolfo Suárez eine Wahlkoalition bildeten: die „Union des Demokratischen Zentrums“ (Unión de Centro Democrático, UCD).7 Die ersten freien Parlamentswahlen vom Juni 1977 brachten der UCD bei 34,6 Prozent der Stimmen erwartungsgemäß einen klaren Sieg über ihre Konkurrenz von rechts und links. An die zweite Stelle kam mit 29,4 Prozent die Sozialistische Partei, während die rechte Volksallianz sich mit 8,4 Prozent und die Kommunisten mit 9,4 Prozent der Stimmen zufriedengeben mußten. Der Wahlerfolg der UCD, die heterogene Interessen und Wählerschichten integrierte, war ein deutliches Anzeichen dafür, daß die früheren Gegensätze zwischen den ländlich-katholischen und den urbansäkularisierten Mittelschichten beseitigt waren. Die UCD als Partei der (rechten) Mitte war von überragender Bedeutung für Spanien, hatte das Land bis dahin doch der Tradition einer großen bürgerlichen Partei der Mitte entbehrt, die in der Lage gewesen wäre, zwischen den Extremen des parteipolitischen und ideologischen Spektrums zu vermitteln; gerade diese Aufgabe aber übernahm die UCD in der Übergangsphase.8 Die Wahlen von 1977 brachten – ebenso wie die folgenden von 1979 – keine Polarisierung der politischen Landschaft, vielmehr die Tendenz zu Konzentration und Mäßigung, eine Absage an Extreme. UCD und PSOE vereinigten zusammen etwa zwei Drittel der Wählerstimmen und drei Viertel der Cortes-Mandate auf sich; einen derartigen Strukturierungseffekt der Parteienlandschaft durch die Wahlen hatten selbst Optimisten nicht erwartet. Die Weichen waren in Richtung auf eine moderne, soziale Demokratie europäischen Zuschnitts gestellt.

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Nachdem im Dezember 1978 die neue Verfassung9 in Kraft getreten war, fanden im Frühjahr 1979 erneut Parlamentswahlen statt, die der UCD mit 35 Prozent der Stimmen abermals die Möglichkeit verschafften, eine Minderheitsregierung zu bilden. Die Sozialisten blieben mit 30,5 Prozent deutlich hinter ihren Erwartungen zurück, die Kommunisten konnten sich knapp auf 10,8 Prozent steigern, die rechte „Demokratische Koalition“ (Coalición Democrática, CD) fiel auf sechs Prozent zurück. Die autonomistischen Parteien des Baskenlandes (Partido Nacionalista Vasco, PNV) und Kataloniens (Convergencia i Unió, CiU) konnten ihren Stand von 1977 im wesentlichen halten; andere Regionen (Andalusien, Kanarische Inseln) entsandten erstmals autonomistische Abgeordnete ins Parlament. Das Wahlsystem bevorzugte die bevölkerungsschwachen ländlichen Provinzen, die im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung mehr Abgeordnete entsenden als die dichtbesiedelten städtischen Wahlkreise. Außerdem wirkt das Wahlsystem mehrheitsfördernd: Die 35 Prozent der Wählerstimmen etwa verhalfen der UCD zu über 47 Prozent der Abgeordnetensitze. Bei späteren Wahlen sollte dieses Wahlsystem den Sozialisten zu ihren absoluten Parlamentsmehrheiten verhelfen.10 Zu den Hauptaufgaben der zweiten Regierung Suárez gehörte die Lösung der Regionalfrage, die zum Teil derart ungeschickt angegangen wurde, daß die UCD dabei einen Großteil ihres politischen Kredits verspielte. Überhaupt wies die Regierungspartei sehr bald nach Amtsantritt deutliche Krisenerscheinungen auf: Fehler in der Behandlung der Autonomiefrage und wachsende Arbeitslosigkeit führten zu Prestigeverlust und empfi ndlichen UCD-Niederlagen bei Regionalwahlen, die Popularitätskurve von Suárez sank deutlich. Innerparteilich wurde die Krise immer offensichtlicher. Die Anführer der verschiedenen Parteiflügel lehnten sich gegen die autoritäre Führung von Suárez auf und setzten eine kollegiale Parteiführung durch; auch verschiedene Regierungsumbildungen konnten das Vertrauen der Bevölkerung nicht wiederherstellen. Auch nach Suárez’ Rücktritt als Parteivorsitzender und Regierungschef und seiner Ablösung durch Leopoldo Calvo Sotelo im Amt des Ministerpräsidenten 1981 konnte die UCD-Krise nicht gemeistert werden; im Gegenteil: Die Partei zerfiel zusehends, immer mehr führende Mitglieder traten aus ihr aus, die Regierung wurde nahezu handlungsunfähig. Vorgezogene Neuwahlen wurden im Herbst 1982 unausweichlich.11 Schon seit längerem waren – Meinungsumfragen zufolge – die Sozialisten in der Wählergunst gestiegen. Die Wahl von 1982 fiel zwischen ‚links‘ und ‚rechts‘, nachdem in den Monaten zuvor deutlich geworden war, daß die Parteien der Mitte keine nennenswerte Rolle spielen würden. Der PSOE präsentierte sich keineswegs radikal; er forderte den cam-

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bio, den (auch und vor allem moralisch verstandenen) Wechsel, soziale Reformen, Gerechtigkeit und Freiheit. Seit Francos Tod hatte der PSOE auf Drängen von Felipe González spektakuläre Wandlungen durchgemacht: Zuerst bekannte sich die traditionell republikanische Partei zur Monarchie; sodann legte sie sich einen staatserhaltenden Habitus zu. An die Stelle früherer Klassenkampfprogrammatik trat die Ausweitung zu einer breiten Volkspartei (catch all party), die Bezeichnung „marxistisch“ für den PSOE fiel – nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen – weg. Das Wahlprogramm der Sozialisten war pragmatisch und gemäßigt.12 Nachdem im Bereich der politischen Mitte die UCD zwischen der Notwendigkeit von Reformen und den eigennützigen Interessen konservativer Gruppen, die nur nach Pfründen trachteten, zerrieben worden war, galt im bürgerlichen Lager die Alianza Popular als einzige Partei, die den Sozialisten mit einigem Erfolg entgegentreten konnte. Mit einer Angebotsmischung zwischen rechtem Konservativismus und konservativem Liberalismus konnte Fraga Iribarne nicht nur ehemals bürgerliche MitteWähler, sondern auch Anhänger der extremen Rechten gewinnen. Schon im Wahlkampf wurde klar, daß sich hinter seiner Partei der größere Teil der vielzitierten poderes fácticos der spanischen Verfassungswirklichkeit versammelte: die Finanzoligarchie, das Militär, Teile der konservativen Bürokratie im Regierungs- und Beamtenapparat. Der nach rechts abgedriftete Unternehmerverband unterstützte Fraga als einzigen Parteiführer öffentlich.13 Das Ergebnis der Wahl vom 28. Oktober 1982 war sensationell: Bei einer hohen Wahlbeteiligung von fast 79 Prozent erreichten die Sozialisten über 48 Prozent der Stimmen und (infolge des Verhältniswahlrechts) mit 202 (von 350) Sitzen eine klare absolute Mehrheit im Parlament. Zweiter Wahlsieger wurde die Volksallianz Fragas, die mit 26 Prozent der abgegebenen Stimmen 106 Sitze (bis dahin lediglich neun) errang. Alle anderen gesamtspanischen Parteien sind als Verlierer zu bezeichnen. Eine wahre Katastrophe erlebte die UCD, die etwa 80 Prozent ihrer Stimmen verlor und sich mit lediglich zwölf Mandaten (zuvor: 168) begnügen mußte. Auch die Kommunisten mußten eine herbe Niederlage hinnehmen: Sie büßten drei Viertel ihrer Mandate ein und errangen nur noch vier Abgeordnetensitze. Über zehn Millionen Wähler gaben ihre Stimmen für die Sozialisten, mehr als elf Millionen für die Linke insgesamt ab. Die Rechte konnte demgegenüber nur mit knapp sechs Millionen, das Zentrum mit etwas über zwei Millionen, die regionalistischen Parteien mit ungefähr 11/2 Millionen Stimmen rechnen. Der Wahlausgang veränderte über Nacht die Parteienlandschaft und die politische Konstellation in Spanien.14

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Mit den Wahlen von 1982 wurde der PSOE zur beherrschenden, wenn auch in sich heterogenen Partei Spaniens. Mit dem Wahlsieg von 1982 kann auch die Periode der transición als abgeschlossen betrachtet werden. Durch den Zerfall und die Auflösung der UCD wurde das noch nicht festgefügte Parteiensystem umgebildet und destabilisiert, durch das Wahlergebnis die noch junge Demokratie allerdings deutlich stabilisiert.15 Eine der schwierigsten Hypotheken des Franquismus war das seit Jahrzehnten schwelende Regionalismusproblem. Der Weg Spaniens in die Demokratie mußte zugleich ein Prozeß der Regionalisierung, der Rekonstruktion der demokratischen Institutionen wie auch der Emanzipation einer demokratischen Kultur in den einzelnen Landesteilen sein. Schon bald sah sich die Regierung zur Erwägung der Frage gezwungen, ob es nicht angebracht sei, anstelle individueller Lösungen für einzelne Regionen eine konstitutionelle Formel mit allgemeiner Gültigkeit zu finden. Derartige Überlegungen drängten sich auf, da nach 1975 regionalistischer Eigenwillen und föderalistisch-autonomistische Bestrebungen auch in Landesteilen anwuchsen, in denen ihnen früher kein großes politisches Gewicht zukam. Die Lösung konzentrierte sich schon bald auf eine integrale Regionalisierung des Landes, d. h. auf eine regionalpolitische Neuordnung Gesamtspaniens. Die politische Dezentralisierung des Staates führte schließlich zu einem tiefgreifenden Wandel der politischen, administrativinstitutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen von Spaniens Demokratie. Heute gliedert sich das Land in 17 politisch autonome Regionen, die „Autonomen Gemeinschaften“ (Comunidades Autónomas).16 Die konstituierende Phase des Dezentralisierungsprozesses fand mit der Einrichtung der Autonomen Gemeinschaften in den Jahren 1979– 1983 ihren Abschluß. Begonnen hatte der Prozeß, dessen Verlauf durch die zeitgleiche Wirtschaftskrise erschwert wurde, in enger Wechselbeziehung mit dem stark ausgeprägten Regionalismus. ‚Nationalistische‘ Parteien im Baskenland (PNV, EE) und in Katalonien (CDC, ERC) forderten – unterstützt durch Massendemonstrationen – die Wiedereinrichtung der in der Zweiten Republik bereits innegehabten, vom Franco-Regime aber eliminierten politischen Autonomie. Auch die gesamtspanischen Linksparteien (PSOE, PCE) sahen in der politischen Dezentralisierung ein wichtiges Element der Demokratisierung des Landes. Die Verfassung von 1978 sah schließlich eine regionalistische, keine föderalistische Lösung der Autonomiefrage vor. Jede ‚Nationalität‘ und Region hat das Recht auf Selbstverwaltung. Dabei sollte der Begriff ‚Nationalität‘ den Basken, Katalanen und Galiciern vorbehalten bleiben, die sich von den übrigen Spaniern nicht nur historisch, sondern auch sprachlich-kulturell und zum Teil ethnisch unterscheiden. Die Verfassung eta-

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Asturien Kantabrien Oviedo

Baskenland

Santander

Santiago de Compostela

Galicien

Vitoria Pamplona Logroño

Kastilien-León

Porto

Navarra

La Rioja Zaragoza

Valladolid

Aragonien Madrid

Portugal

Madrid

Extremadura

Toledo

Kastilien-La Mancha

Lissabon Mérida

Valencia Valencia

Murcia Sevilla Murcia

Andalusien

Die Autonomen Gemeinschaften Spaniens (exkl. der Kanarischen Inseln).

blierte außerdem – neben dem ‚privilegierten‘ Weg zur Autonomie, der den Basken, Katalanen und Galiciern zugesprochen wurde – zwei qualitativ verschiedene Modelle von Autonomen Gemeinschaften: Das eine Modell (über Artikel 151) entsprach den Vorstellungen einer politischen Dezentralisierung, das andere (über Artikel 143) konnte zu einer politi-

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schen oder aber zu einer nur administrativen Dezentralisierung führen.17 Die unterschiedlichen Autonomie-Modelle führten auch zu verschiedenartigen Kompetenzaufteilungen zwischen Staat und Autonomen Gemeinschaften; insgesamt ergibt sich allerdings die Kompetenzenverteilung sowohl aus den Verfassungsartikeln als auch aus den einzelnen Autonomiestatuten und der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. In der Regel betreffen die Kompetenzen der Regionalorgane die Bereiche Städtebau, öffentliche Katalonien Arbeiten, Umweltschutz, Nutzung der Wasserkräfte, Wirtschaftsförderung usw.; zu den Barcelona Kompetenzen der Zentralregierung zählen u. a. Verteidigung, Außenpolitik, Zollhoheit. Die Verfassung bietet zwar die rechtliche Grundlage für die Fortsetzung der 1977 begonnenen Dezentralisierung, stellt jedoch für die meisten konkreten Fragen nur einen MiBalearen nimalkonsens dar, der viele wesentliche AsPalma de Mallorca pekte ausklammert und damit unterschiedlichen Interpretationen einen relativ großen Spielraum eröffnet.18 Die Regionalisierung des Landes hielt in den Jahren bis 1983 Politiker aller Lager in Atem. Der Verlauf der Autonomiegewährung an Andalusien führte zu wiederholten Kurswechseln der von der Unión de Centro Democrático (UCD) gestellten Regierung, die deutlich werden ließen, daß der Autonomieprozeß in den einzelnen Regionen der Zentralregierung aus der Hand glitt, daß die Regionalisierung des Landes eine Eigendynamik zu entwickeln begann, die der UCD politisch nicht mehr kontrollierbar erschien. Die Regierung hatte es versäumt, ein Modell für jene Regionen zu entwickeln, die kulturell anders geprägt sind als das Baskenland, Katalonien oder Galicien. Seit ihrem Beginn Anfang 1976 wurden die Autonomieverhandlungen von den unterschiedlichsten Reaktionen begleitet, die von überwiegender Ablehnung und Warnung vor weitergehender Dezentralisierung – vorge-

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Symbol für das neue Selbstbewußtsein der Regionen ist das Guggenheim-Museum in Bilbao (1997). Foto: Jochen Helle.

bracht von einem Teil der Streitkräfte – über die Forderung nach umfassender Autonomie oder Errichtung eines Bundesstaates – eine Zeitlang etwa vom PSOE vertreten – bis hin zu offen separatistischen Bestrebungen – für die etwa die ETA steht – reichten. Wer in den 80er Jahren, nachdem die 17 „Autonomen Gemeinschaften“ eingerichtet waren, auf die bis dahin zurückgelegten Etappen der Autonomieregelung zurückblickte, konnte zum einen die wenig konsequente, oft widersprüchliche Haltung der Zentralregierung, zum anderen die von Region zu Region unterschiedliche Problemlage feststellen, die jede Prognose auf diesem überaus vielschichtigen und komplexen Gebiet unmöglich machte.19 Außenpolitisch waren für die ersten Regierungen der Demokratie der Beitritt zur EG und zur NATO die wichtigsten Themen. Das primäre Ziel, die Mitgliedschaft in der EG, konnte von der damaligen UCD-Regierung nicht erreicht werden; deshalb forcierte die Regierung Calvo Sotelo die heftig umstrittene Frage des spanischen NATO-Beitritts. Ende Mai 1982 wurde Spanien – gewissermaßen im Schnellverfahren – sechzehntes NATO-Mitglied. Aus der Sicht der UCD sprachen mehrere Argumente für den Beitritt zur Verteidigungsallianz: Die junge Demokratie

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werde stabilisiert, die Armee durch Übernahme neuer Aufgaben von ihrer bisherigen Lieblingsbeschäftigung – Ordnungsmacht im Innern zu sein – abgelenkt, die Streitkräfte würden modernisiert, das Gibraltar- und das EG-Problem könnten einer Lösung nähergebracht werden. 20 Im Gegensatz zum schnell realisierten NATO-Beitritt waren die Verhandlungen über den EG-Beitritt nervenaufreibend und langwierig. Als in der Übergangszeit nach Francos Tod die außenpolitischen Weichenstellungen vorgenommen wurden, stand Spanien vor der Entscheidung, ob es sich stärker an (West-)Europa anlehnen, ob es die außereuropäische, vor allem die lateinamerikanische und die nordafrikanische Karte spielen oder ob es sich eine blockfrei-neutralistische Ausrichtung geben sollte. Mit der Übergabe des offi ziellen Beitrittsgesuchs am 28. Juli 1977 vollzog das inzwischen demokratische Spanien die eindeutige Hinwendung zu Europa. Im gleichen Jahr noch wurde der iberische Staat in den Europarat aufgenommen, zwei Jahre später unterzeichnete Madrid die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Beitrittsverhandlungen wurden im Februar 1979 in Brüssel aufgenommen, kamen aber bis 1982 nur wenig voran. Ein spezifisches Problem belastete die Beitrittsverhandlungen in der Schlußphase erheblich. Für die EG ging es bei der zweiten Süderweiterungsrunde nämlich nicht nur um Fragen der Integrationspolitik und der wirtschaftlichen Interessen, sondern darüber hinaus um sicherheitspolitische Erwägungen, präsentierte sich Spanien doch als wichtiges Operationsgebiet zwischen den Kanarischen Inseln und den Pyrenäen. Immer deutlicher verschmolzen EG-Beitritt und Verbleib in der NATO politisch zu einem Projekt, worunter die Akzeptanz des EG-Beitritts in der spanischen Öffentlichkeit litt, denn während Europa eigentlich bei der Mehrheit der Spanier unumstritten war, lehnten sie einen NATO-Verbleib ebenso deutlich ab. Die Vermengung beider Fragen mußte notwendigerweise zu einer stärkeren Distanzierung von Europa führen, das als Erpressung empfundene Junktim wurde scharf abgelehnt. 21 Die Wahlen von 1982 hatte die Sozialistische Partei auch wegen ihrer Anti-NATO-Parolen gewonnen; sie hatte in Aussicht gestellt, daß sie im Falle der Regierungsübernahme ein Referendum über den Verbleib des Landes in der Atlantischen Verteidigungsgemeinschaft abhalten würde. Nachdem Felipe González Ministerpräsident geworden war, merkte er rasch, daß die angestrebte Zugehörigkeit zur EG vom Verbleib in der Verteidigungsallianz nicht zu trennen war. Die europäischen Mächte und die USA legten aus geostrategischen Gründen darauf größten Wert. Das gefährliche Referendum über Spaniens Verbleib in der NATO gewann González mit dem ausdrücklichen Hinweis auf Spaniens Zukunft in Europa; in einem Interview unmittelbar vor dem Abstimmungstermin

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führte er aus: „Wir stehen heute in Spanien vor einer historischen Entscheidung: Entweder nehmen wir mit all unserer Kraft und Effi zienz am Aufbau Europas teil oder wir bleiben abermals isoliert.“ Mit solchen primär politischen und kulturellen Argumenten wurde 1986 für Spanien zum Jahr der endgültigen Integration in die EG und in die NATO. In den auf Francos Tod folgenden Jahren standen die politische Reform, die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft sowie die Regionalisierung des Landes eindeutig im Vordergrund aller Regierungsbemühungen; demgegenüber wurden die Sanierung und Modernisierung der Wirtschaft sträfl ich vernachlässigt. Der gesamte ökonomische Sektor, der in den Schlußjahren des Franquismus ohnehin in einer tiefen Krise steckte, bedurfte dringend einer Radikalkur: Die Inflationsrate hatte ständig zugenommen – 1976 belief sie sich auf rund 20 Prozent, 1977 auf rund 30 Prozent –, die Industrieproduktion stagnierte, wilde Streiks lähmten den ins Stokken geratenen Produktionsprozeß und bescherten dem Land pro Jahr weit über 100 Millionen verlorener Arbeitsstunden, das reale Wirtschaftswachstum sank, die Auslandsverschuldung kletterte – infolge der verteuerten Erdölimporte und der stagnierenden Exporte – immer höher, das Handelsbilanzdefi zit nahm zu, die Arbeitslosigkeit überschritt 1977 die Millionengrenze, die industriellen Investitionen schrumpften. Der Übergang in die Demokratie fiel in Spanien mit der durch den Ölpreisschock ausgelösten Weltwirtschaftskrise der 70er Jahre zusammen; die spanische Wirtschaft, vor allem die Industrie, war wenig anpassungsfähig und auf die einsetzende Strukturkrise nicht vorbereitet. Hinzu kam, daß die Lösung politischer Probleme in jenen Jahren absolute Priorität vor der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Staatsverschuldung und der industriellen Strukturveränderungen besaß. Weitgehende wirtschaftspolitische Abstinenz und die politische Schwäche der Regierungen in der transición trugen zur Verschärfung der Wirtschaftskrise bei: Bis 1984 kann man von einer tiefen Depression sprechen. Die Wirtschaftslage verbesserte sich erst ab 1985 deutlich: Die Investitionen und die Beschäftigung nahmen wieder zu, die Inflationsrate und das Haushaltsdefi zit gingen deutlich zurück, die Wachstumsraten des realen Bruttoinlandprodukts schnellten erneut in die Höhe. Die seit 1973 drastisch angestiegene Arbeitslosenrate konnte allerdings nicht wesentlich reduziert werden. 22 Die Verschärfung der Wirtschaftskrise nach 1975 sowie das deutliche Interesse der politischen und gewerkschaftlichen Kräfte, die entstehende Demokratie zu festigen und einen möglichen autoritären Rückschlag zu verhindern, führten bald zu einer Politik der Pakte und Übereinkommen, die eine deutliche ‚Bremswirkung‘ auf die Streikfreudigkeit der Arbeiter ausübten: Nach den Parlamentswahlen im Juni 1977 nahm die Anzahl der

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Streikenden deutlich ab, sie stieg allerdings nach der Verabschiedung der Verfassung, als die Verteilungskämpfe härter wurden und politisch die Demokratie abgesichert zu sein schien, erneut deutlich an. Diese Streikaktivitäten standen aber überwiegend in wirtschaftlichen Bezügen und hielten sich zumeist im Rahmen üblicher Arbeitskampfmaßnahmen. Seit 1980 läßt sich feststellen, daß die soziale Konzertation (Abschluß tariflicher Mantelverträge und Beschäftigungsabkommen) zu einer deutlichen Reduktion an verlorenen Arbeitsstunden im Vergleich zur zweiten Hälfte der 70er Jahre geführt hat. Auch die stets prekärer werdende Arbeitsmarktsituation dürfte zu einer Eindämmung der Streikfreudigkeit beigetragen haben. 23 Die zweite Phase des Demokratisierungsprozesses wurde im sozio-ökonomischen Bereich durch konzertierte Sozialpakte abgesichert. Der erste dieser Pakte war der zwischen Regierung und Parteien abgeschlossene „Pakt von Moncloa“ (Oktober 1977), der sowohl wirtschaftliche Modernisierungsmaßnahmen als auch politisch-strukturelle Reformen, u. a. eine Steuer- und Agrarreform sowie die Neuformulierung der Bildungs- und Erziehungspolitik, vorsah. Die Wirkungen des Moncloa-Paktes waren eher politischer als sozio-ökonomischer Natur, da die strukturellen Wirtschaftsmaßnahmen zwar weitgehend unterblieben, die politisch-programmatischen Punkte aber ihren Niederschlag in der Verfassung von 1978 fanden. Bedeutsam war der Pakt auch deshalb, weil er die gewerkschaftliche Ablehnung einer Politik der „Sozialpakte“ beendete und den Übergang zu einer neuen Phase im Verhältnis der Tarifpartner markierte. Das deutlichste Beispiel dieser neuen, vor allem bei der sozialistischen Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (UGT) feststellbaren kooperativen Haltung ist das Arbeiterstatut von 1980, eine Art Betriebsverfassungsgesetz, an dessen parlamentarischer Beratung die UGT maßgeblich beteiligt war. 24 Seit 1978 praktizierte die UGT eine Politik der Sozialpakte und Wirtschaftsabsprachen, die zumeist die Opposition der kommunistisch beherrschten Gewerkschaftsrivalin Comisiones Obreras (CCOO) hervorgerufen und die unterschiedlichen Strategien von UGT bzw. CCOO gefestigt haben. 1979 schloß die UGT mit dem Unternehmerverband Confederación Española de Organizaciones Empresariales (CEOE) ein „Grundsatzabkommen“ über Tarifverhandlungen, 1980 ein „Rahmenabkommen“, 1981 ein erneutes „Grundsatzabkommen“ und zusammen mit den Arbeiterkommissionen und der Regierung ein „nationales Beschäftigungsabkommen“, 1983 ein Tarifabkommen, 1984 das „Wirtschafts- und Sozialabkommen“, an dem sich auch die Regierung und die Vereinigung der Mittel- und Kleinunternehmer beteiligten. 25 Die Kontinuität dieser Sozialabkommen bis 1984 und der andauernde

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Einfluß der Regierung auch auf bilaterale Vereinbarungen zwischen Unternehmern und Arbeitern lassen es gerechtfertigt erscheinen, die Strategie der sozialen Konzertation als neokorporatistische Praxis zu bezeichnen, die wirtschafts- und gesellschaftspolitische Steuerungsfunktionen durch „Verbundsysteme“ von Staatsverwaltung, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften übernimmt – wenn es sich auch um ein imperfektes Neokorporatismussystem handelt, da keine starke Einheitsgewerkschaft vorhanden ist und bei den CCOO die gewerkschaftliche Konfl iktstrategie vorerst überwog. 26 Die Pakte zwischen Regierung, Unternehmern und Gewerkschaften haben vor allem den marktwirtschaftlichen, von sozialen Komponenten durchdrungenen Kapitalismus in Spanien legitimiert; sie haben bewirkt, daß die Arbeiter das bestehende Wirtschaftssystem akzeptierten (was anfangs überhaupt nicht klar war). Die Gewerkschaften waren bestrebt, die Rolle ‚ihrer‘ Parteien zu stärken und den konstitutionellen „Pakt für den Übergang“ zu konsolidieren. Daß die Arbeiter insgesamt die Marktwirtschaft akzeptiert haben, geht nicht nur aus der sinkenden Konfl iktivität hervor, sondern läßt sich auch an der damaligen Bevorzugung der ‚gemäßigteren‘ UGT und dem vollständigen Positionsverlust revolutionärer Gewerkschaften in der ersten Hälfte der 80er Jahre erkennen. Je ‚näher‘ eine Gewerkschaft an der Aushandlungspraxis der Pakte stand, desto mehr stieg sie in der Gunst der Arbeiter. Die Pakte und die mit den Tarifpartnern quasi vereinbarte Wirtschaftspolitik haben somit in wesentlichem Maße zur Konsolidierung der liberalen Demokratie beigetragen.27 Die Pakte waren eine von Tarifpartnern und Regierung gleichermaßen angewandte Methode, der Wirtschaftskrise zu begegnen. Den politisch verantwortlichen Kräften war jedoch klar, daß langfristig eine Umstrukturierung der Industrie erforderlich sein würde, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wiederherzustellen. Während jedoch die UCD-Regierungen es bei isolierten Maßnahmen beließen, die vor allem zum Abbau von Arbeitsplätzen führten, betrieben die Sozialisten seit ihrem Regierungsantritt 1982 eine kohärente und längerfristig angelegte Industriepolitik. Die industrielle Umstrukturierungspolitik der PSOE-Regierungen setzte sich das Ziel, Ressourcen an Kapital und Arbeit von Krisensektoren in zukunftsträchtige Industrien zu transferieren. Deindustrialisierung und Reindustrialisierung liefen somit parallel, die Volkswirtschaft sollte ‚modernisiert‘ und wettbewerbsfähig gemacht werden. Dabei wurde das Ziel der Vollbeschäftigung der Revitalisierung der privaten Investitionen untergeordnet. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Verstärkung sozialer und regionaler Unterschiede sowie der 1988 vollzogene Bruch zwischen Regierung und sozialistischer Gewerk-

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schaft UGT trüben im sozialen Bereich ganz erheblich die makro-ökonomische Erfolgsbilanz der Regierung. 28 Bei der Gegenüberstellung von Erfolgen und Defi ziten der PSOE-Politik der 80er Jahre wird deutlich, daß Spaniens Sozialisten die Restriktionen des Weltmarktes und den Modernisierungsdruck, der mit dem EG-Beitritt 1986 verbunden war, als handlungsbestimmend betrachtet haben. Dementsprechend konzentrierte sich die Politik auch in einer ersten Phase auf die Modernisierung der nationalen Wirtschaft, und erst für eine zweite Etappe war der Aufbau eines Wohlfahrtsstaates vorgesehen. Die Konzentration der (neo-)liberalen PSOE-Wirtschaftspolitik auf den Markt verwies Umverteilungsvorstellungen deutlich an die zweite Stelle der regierungspolitischen Ziele, während die gesamtwirtschaftliche Strategie sich primär an der Inflationsbekämpfung, der Stabilisierung der Leistungsbilanz und der Eindämmung des Defi zits im öffentlichen Sektor, etwa durch Rationalisierung und Teilprivatisierung, orientierte. Der ökonomische Modernisierungsschub in der Ära González war gewaltig: Das Bruttoinlandprodukt Spaniens stieg seit Mitte der 80er Jahre im Jahresdurchschnitt um 2,9 Prozent (EU-Durchschnitt: 2,4 Prozent), die Inflationsrate konnte halbiert, die Devisenreserven vervierfacht, der Außenhandel verfünffacht und die jährlichen Auslandsinvestitionen verachtfacht werden. Das Wohlstandsniveau der Bevölkerung wurde spürbar erhöht.29 Auch außenpolitisch ist die Bilanz durchaus erfolgreich: Außer dem EG-Anschluß und dem international erwünschten Verbleib in der NATO sind die deutlich verbesserten Beziehungen zu Frankreich – etwa in der Zusammenarbeit zur Bekämpfung des ETA-Terrorismus –, eine allmähliche Annäherung an Großbritannien in der Gibraltarfrage, die Intensivierung der Beziehungen zu Nordafrika und Lateinamerika, außerdem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel zu nennen. Das Land ist heute in alle supranationalen Organisationen der westlichen Hemisphäre integriert. 30 Die Ära González weist allerdings auch eine andere Seite auf: Bei Regierungsantritt der Sozialisten 1982 betrug die Staatsverschuldung 31,4 Prozent des Bruttoinlandproduktes, am Ende ihrer Regierungszeit 1996 lag sie bei 65 Prozent – trotz langjährigen Wachstums, milliardenfacher Unterstützung aus der Brüsseler EU-Kasse und eines stark gestiegenen Steuerdrucks. Vor allem konnte das Hauptproblem im Sozialbereich nicht gelöst werden: die hohe Arbeitslosigkeit, die – je nach Berechnungsgrundlage – zwischen 16 und 22 Prozent lag. Arbeitslosigkeit und Sozialabbau für die Verlierer des ökonomischen Modernisierungsprozesses waren auch die Hauptgründe, weswegen sich zuerst die Gewerkschaften und allmählich immer breitere Schichten der

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Gesellschaft von der Regierungspolitik abwandten. Die Regierung mußte zumindest partiell Konzessionen machen. Das Ende der Sparpolitik führte auch zum Zusammenbruch der spekulativen ‚Kasino-Wirtschaft‘, ausländische Anleger zogen erschreckt ihre Gelder ab, die Pesete verlor an Wert, eine Welle von Pleiten und Entlassungen erfaßte das Land. An diesen Schwierigkeiten zerbrach schließlich das Reformbündnis zwischen Arbeitern und urbaner Mittelschicht, das über zehn Jahre lang die Grundlage ‚felipistischer‘ Politik gewesen war. 31 In den 90er Jahren sah sich die Regierung ständigen Krisen ausgesetzt. Die Korruptionsaffären rissen nicht ab. Ende 1994 gesellte sich zu den zahlreichen Vorwürfen der Verdacht des Staatsterrorismus: Im Auftrag oder zumindest mit Billigung des staatlichen Polizeiapparats soll die zwischen 1983 und 1987 aktive Terrorgruppe Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL; Antiterroristische Befreiungsgruppen) Attentate gegen Mitglieder der baskischen Organisation ETA mit dem Ziel verübt haben, die baskische Unabhängigkeitsbewegung durch gezielten Gegenterror zu zerschlagen. Die nicht abreißende Kette von Skandalen und Verdächtigungen führte zu erheblichen Einbrüchen des PSOE in der Wählergunst. Dafür gewannen die Konservativen des Partido Popular (PP, Volkspartei) zunehmend an politischem Einfluß. Die Partei war nach verschiedenen Umbenennungen 1989 aus der früheren Alianza Popular (Volksallianz) Fraga Iribarnes hervorgegangen. Nachdem unter der Führung dieses Altfranquisten offensichtlich kein großer Stimmenzugewinn zu erreichen war, öffnete sich die neu konstituierte Partei zur Mitte und präsentierte sich pausenlos als Alternative für die Mittelschichten. 32 Um nicht von dem Negativsog der Sozialisten, der spätestens seit 1993 klar erkennbar war, erfaßt zu werden, kündigte im Herbst 1995 der katalanische Regierungschef Jordi Pujol (geb. 1930), dessen Partei seit 1993 die Sozialisten im Parlament tolerierte, die Unterstützung der Regierung González durch seine Partei auf. Damit wurden vorgezogene Neuwahlen unausweichlich. Bei den Wahlen vom 3. März 1996 wurde die Volkspartei unter ihrem noch jungen Vorsitzenden José María Aznar (geb. 1953) zwar zur stärksten politischen Kraft; ihr Vorsprung vor den Sozialisten fiel jedoch weit geringer als allgemein erwartet aus. Bei seinem Regierungsantritt fand Aznar positive volkswirtschaftliche Zahlen vor: Die Aktienkurse waren auf einem historischen Höchststand, die Zinsen fielen auf das niedrigste Niveau seit mehreren Jahren, die Pesete stieg auf ein neues Jahreshoch. Mit rund 2,2 Millionen arbeitslos gemeldeten Personen erreichte die Arbeitslosigkeit Mitte 1996 den niedrigsten Stand seit 1982. Zurückgeführt wurde die Senkung der Arbeitslosenzahlen

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auch auf die schnellen Arbeitsmarktreformen der Regierung: die drastische Liberalisierung des Arbeitsrechts und Legalisierung von „Lehrlingsverträgen“ mit Taschengeldbezahlungen. Durch Ausgabenkürzungen und Gebührenerhöhungen wurde das Defi zit auf die von Maastricht erlaubten drei Prozent des Inlandprodukts gedrückt. Der Regierungswechsel von 1996 führte in Spanien zum Gefühl einer Zeitenwende. Die Rückkehr der Konservativen an die Macht war für Spanien insofern von großer psychologischer Bedeutung, als damit ‚Normalität‘ unter demokratischen Bedingungen demonstriert werden konnte, nachdem zuvor die Überzeugung weitverbreitet gewesen war, die Rechte sei in Spanien nicht mehrheitsfähig. Die neuerliche Erfahrung eines geordneten Regierungswechsels war für die Spanier ein deutlicher Beleg für das Funktionieren ihrer demokratischen Institutionen. 33 Bezogen sich die ersten Reformen nach Übernahme der Regierung durch die Konservativen vor allem auf steuerliche Aspekte, so ging es bei dem nächsten Liberalisierungspaket 1997 im wesentlichen um die Einführung von mehr Wettbewerb in zahlreichen zuvor geschützten Wirtschaftssektoren wie dem Boden-, dem Fernmelde-, dem Energie- oder dem Transportwesen. Die Privatisierungen waren für die Regierung nicht nur ordnungspolitisch überfällig, sondern auch ein Instrument zur Haushaltssanierung. In nur zwei Jahren verkaufte sie staatliche Beteiligungen im Volumen von umgerechnet mehr als 15 Milliarden Euro; die wichtigsten Konzerne des Landes wurden voll privatisiert. Außerdem fand eine umfassende Deregulierung statt. Schlüsselmärkte wie Telekommunikation, Finanzen, Energieversorgung und Immobilien wurden von Regularien befreit und für den Wettbewerb geöffnet. Spanien konnte ohne große Probleme die Maastrichter Konvergenzkriterien erfüllen. Da die konservative Regierung im politischen Bereich keine gravierenden Fehler machte, ging sie mit guten Voraussetzungen in die Parlamentswahlen von März 2000. Der Partido Popular gewann mit 44,5 Prozent der Stimmen bei dieser Wahl die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. 34 Aufgrund des überraschend klaren Wahlergebnisses konnte Ministerpräsident Aznar seine Regierung fortsetzen, ohne wie zuvor auf die parlamentarische Unterstützung durch die katalanischen Nationalisten angewiesen zu sein. Als wichtigstes Ziel seiner zweiten Regierungsperiode defi nierte Aznar die Befriedung des Baskenlandes, Vollbeschäftigung durch Modernisierung des Marktes, Erhöhung der Mindestrenten, Neuregelung des Finanzierungsmodells der Autonomen Gemeinschaften, Justizreform, Änderungen im Berufsbildungswesen und Fortsetzung der wirtschaftlichen Liberalisierungspolitik.

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Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Franco-Diktatur hatte um die Jahrhundertwende das Land den Anschluß an Europa auch in den Kategorien realer Konvergenz geschafft. Der Transformationsprozeß von einer ebenso abgeschotteten wie zurückgebliebenen Staatsverwaltungswirtschaft zur wettbewerbsfähigen offenen Marktwirtschaft war allerdings lange und mühsam; und ohne die massive Hilfe und Rückendeckung der Europäischen Gemeinschaft, der Spanien als Vollmitglied seit 1986 angehört, und später der Europäischen Union, wären Wohlstandssprung und Wirtschaftswandel kaum möglich gewesen. Sowohl in der Regierungszeit González’ als auch Aznars war Spanien der größte Nettoempfänger von Gemeinschaftsmitteln (vor allem aus dem Kohäsions- und Strukturhilfefonds). Die Süderweiterung der Gemeinschaft hat sich im Rückblick für alle Beteiligten gelohnt. 35 Konnten die wichtigsten Probleme des Landes seit Francos Tod (Übergang von der Diktatur in die Demokratie, Demokratisierung der Streitkräfte, Regionalisierung der Staatsverwaltung, Integration in die Strukturen der Europäischen Gemeinschaft, Abbau der Arbeitslosigkeit) einigermaßen zufriedenstellend gelöst werden, so war zu Beginn des neuen Jahrtausends das Problem des ethnisch motivierten Terrorismus nach wie vor ungelöst. Der ETA-Terrorismus entwickelte sich sogar mit seinen im spanischen Kontext einzigartigen militanten Ausdrucksformen während der Regierungszeit der Konservativen zur gravierendsten Belastung von Politik und Gesellschaft des Landes. Der ethnische Nationalismus des Baskenlandes beruhte ja traditionellerweise auf der Konfl iktachse Zentrum-Peripherie, die seit Erlaß des Autonomiestatuts von Gernika im Jahre 1979 allerdings zunehmend zu einem innerbaskischen Problem geworden ist. Nach Francos Tod prägten zahlreiche Attentate, Entführungen und Bombenanschläge von ETA-Seite die Terrorismusszene. Die baskischen Separatisten entwickelten eine Doppelstrategie, um ihr politisches Ziel, ein unabhängiges Baskenland, zu erreichen: Neben den Terrorismus trat der Versuch, die staatlichen Institutionen politisch zu durchsetzen. Der zu diesem Zweck gegründeten „Patriotischen Sozialistischen Koordinationsgruppe“ KAS gehörten – neben ETA selbst – einige radikalnationalistische Organisationen an. KAS vertrat zumeist die von ETA propagierten Maximalforderungen, kämpfte aber auch für (von Teilen der baskischen Bevölkerung mit unterstützte) kurzfristige Ziele wie Zusammenlegung der baskischen Gefangenen, Amnestie oder Rückzug zentralstaatlicher Polizeikräfte aus dem Baskenland. Das Autonomiestatut von Gernika konnte nur sehr beschränkt zu einer Beruhigung des Baskenlandes beitragen, die politischen Attentate wurden fortgesetzt. 1980 schließlich gründeten alle politischen Parteien des

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Baskenlandes – mit Ausnahme von Herri Batasuna (HB), dem politischen Arm von ETA – eine gemeinsame „Friedensfront“ gegen die politisch motivierte Gewalttätigkeit in der Region. Trotzdem kam es in den folgenden Jahren zu einer Eskalation des Terrors, zur Zunahme terroristischer Anschläge und zu einer willkürlicheren Streuung der Opfer und Geschädigten. Die „Revolutionssteuer“ zur Finanzierung des ETA-Kampfes, die früher nur von besonders reichen baskischen Familien eingetrieben wurde, mußte bald von vielen Angehörigen des Mittelstandes entrichtet werden. Eine Fraktion von ETA beendete 1982 zwar den bewaffneten Kampf, der ‚militärische‘ Flügel aber setzte ihn unbeirrt fort. Die sozialistischen Regierungen von Felipe González (1982–1996) wandten verschiedene Taktiken an, um ETA zu bekämpfen. Auf der einen Seite arbeiteten sie eng mit den französischen Sicherheitsbehörden zusammen, womit der südwestfranzösische Rückzugsraum für ETA weitgehend entfiel. Auf der anderen Seite verstärkten die spanischen Behörden den Kampf gegen die Separatisten, wobei die Behörden in Form eines „schmutzigen Krieges“ auch die einem Rechtsstaat gesetzten Grenzen überschritten. Und schließlich verstärkten die PSOE-Regierungen ihre Dialogaktivitäten, um zu einem ausgehandelten Frieden zu gelangen. 36 Seit Jahren ist eine zunehmende Distanzierung der baskischen Gesellschaft von ETA festzustellen; es hat sich eine umfangreiche Widerstandsfront gegen das radikal-nationalistische Lager und dessen Gewalttaten gebildet. Inzwischen haben Millionen von Basken bei Massendemonstrationen und Generalstreiks ihre Ablehnung von ETA kundgetan. Immer breiter wird die gesellschaftliche und politische Koalition jener Kräfte, die den Terrorismus aktiv ablehnen und die radikalen Gruppen isolieren. Im Mai 2001 fanden Parlamentswahlen im Baskenland statt. Sie brachten der regierenden Partei PNV mit 42,7 Prozent der Stimmen einen überragenden Wahlsieg; der lehendakari (Regierungschef) Juan José Ibarretxe bildete erneut die Regierung. Die radikalen, ETA nahestehenden Kräfte verloren die Hälfte ihrer Stimmen und landeten bei circa zehn Prozent. Was auf den ersten Blick wie ein Sieg der Besonnenheit und der demokratischen Kräfte aussah, war tatsächlich keineswegs beruhigend, nachdem der PNV in den vorausgegangenen Jahren einen Radikalisierungsprozeß durchlaufen hatte. Nach den Wahlen setzten sich die heftigen Auseinandersetzungen zwischen der baskischen und der Madrider Regierung um die Zukunft des Baskenlandes im spanischen Staatsverband auch fort; ETA weitete seine Attentats- und Mordkampagne sogar aus und bedrohte Touristenzentren. Im selben Jahr ging auch aus der 1978 gegründeten Separatistenpartei

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Herri Batasuna („Einiges Volk“) die neue Partei Batasuna („Einigkeit“) hervor. Auch sie galt als politischer Arm der Terrororganisation ETA, erkannte die spanische Verfassung und das baskische Autonomiestatut nicht an und propagierte die Errichtung eines unabhängigen baskischen Staates unter Einschluß von Navarra und der baskischen Departements in Südwestfrankreich. Nach den Regionalwahlen von 2001 stellte Batasuna neben sieben Abgeordneten im Regionalparlament insgesamt rund 890 Gemeindevertreter; sie regierte in über 20 Kommunen. In den Folgejahren begaben sich in den Autonomen Gemeinschaften des Baskenlandes und Kataloniens Separatisten immer deutlicher in die Offensive. Im Baskenland profitierten bei Regional- und Kommunalwahlen die dort regierenden baskischen Nationalisten des PNV vom Zustrom der Anhänger von Batasuna. Die Partei war zuvor vom Obersten Gericht verboten worden. In Katalonien konnte die ebenfalls separatistische Republikanische Linke (ERC) ihren Stimmenanteil auf 16,5 Prozent verdoppeln. Im Herbst 2003 brachte dann der baskische Ministerpräsident Juan José Ibarretxe (PNV) in das Regionalparlamant eine verfassungswidrige Gesetzesinitiative für ein Unabhängigkeitsreferendum über eine einseitige faktische Loslösung des Baskenlandes von Spanien ein („Freistaat mit assoziiertem Status“). Das spanische Parlament lehnte erwartungsgemäß den baskischen Unabhängigkeitsplan mit großer Mehrheit ab. Daraufhin erklärte Ibarretxe die Regionalwahlen vom April 2005 zu einem Votum über seinen „Freistaatsplan“. Dabei erlitt der PNV allerdings eine herbe Niederlage; zusammen mit seinem Juniorpartner Eusko Alkartasuna erreichte er nur 38,6 Prozent der Stimmen (2001: 42,7 Prozent) und verlor damit die Mehrheit im Regionalparlament. Für Aufsehen sorgte dabei die „Kommunistische Partei der baskischen Länder“ (EHAK), die auf Anhieb 12,4 Prozent der Stimmen erzielte (nicht zuletzt dank der Unterstützung durch die verbotene radikalnationalistische Batasuna). Ibarretxe konnte seine Wiederwahl zum Ministerpräsidenten des Baskenlands nur dank Stimmen dieser Separatistenpartei sichern. Im September 2008 verbot das Oberste Gericht sowohl EHAK als auch die Acción Nacionalista Vasca (ANV), da beide im Verdacht standen, mit ETA zusammen zu arbeiten. Schließlich erklärte das Verfassungsgericht nahezu gleichzeitig das Freistaatsprojekt von Ibarretxe für verfassungswidrig. Während die Auseinandersetzungen zwischen der Madrider Zentrale und der radikalisierten baskischen PNV-Regierung eskalierten, entwickelte sich die zweite Legislaturperiode von Ministerpräsident Aznar (2000 – 2004) wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich. Aus ökonomischer Perspektive ließ das stetige Wirtschaftswachstum trotz der Flaute der Weltkonjunktur den viertgrößten Mitgliedsstaat zum Musterknaben des Euroraums

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aufsteigen. Insbesondere dank des Booms im Bausektor und der Ankurbelung des Konsums durch Steuersenkungen stieg das BIP im europäischen Vergleich überdurchschnittlich an. Allerdings lagen auch die Inflationsrate und die Arbeitslosenquote deutlich über dem Durchschnitt der EU. Zu erheblichen innenpolitischen Turbulenzen kam es 2003 wegen der vorbehaltlosen Unterstützung der USA und Großbritanniens durch die Regierung Aznar im Irak-Krieg. Umfrageergebnisse unter der spanischen Bevölkerung erbrachten rund 90 Prozent Ablehnung des Kriegskurses von Aznar; dieser hielt allerdings unbeirrt an seiner Politik fest, da er der Überzeugung war, daß der einzige verbleibende Hegemon der Weltpolitik, die USA, die Orientierungsmarke spanischer Außenpolitik sein müsse. Der spanische Ministerpräsident zog den Atlantismus der Absprache mit seinen EU-Partnern vor, da er Spaniens außenpolitische Zukunft in einer engen Allianz mit den USA sah. Das Ergebnis dieser Politik war allerdings nicht größerer Protagonismus Madrids in der internationalen Arena, sondern zunehmende Isolierung sowohl von jenen Kulturräumen (islamische Welt, Lateinamerika), mit denen das Land traditionell eng verbunden war, als auch von der EU, zu der es historisch und als Wertegemeinschaft gehört. Für eine taktische, vorübergehende Allianz mit den USA mußte ein außerordentlich hoher Preis bezahlt werden. Trotz dieser innenpolitischen Auseinandersetzungen sprachen wegen der sehr positiven wirtschaftlichen Entwicklung der vorhergehenden Jahre alle Prognosen für einen erneuten Wahlsieg der Konservativen bei den für den 14. März 2004 anberaumten Parlamentswahlen. Drei Tage vor den Wahlen, am 11. März, kam es allerdings zu dem verheerendsten terroristischen Attentat in der Geschichte Spaniens. Am frühen Morgen jenes Tages detonierten in Madrider Vorortbahnhöfen mehrere Sprengsätze, die insgesamt 191 Menschenleben forderten und über 1500 Personen verletzten. Auf Druck von Ministerpräsident Aznar wurde sofort die baskische Terrororganisation ETA als Urheberin der Attentate verdächtigt, um weiterer Kritik an der spanischen Irakpolitik vorzubeugen. ETA dementierte jedoch umgehend jede Beteiligung und beschuldigte stattdessen islamistische Gruppen. Einen Tag vor den vorgesehenen Parlamentswahlen verdichteten sich die Anzeichen auf einen islamistischen Hintergrund; die Regierung beharrte allerdings weiterhin auf ihrer These der ETA-Täterschaft. Bei der Aufklärung des Attentats in den folgenden Monaten wurde der Regierung Aznar vorgeworfen, die Öffentlichkeit bewußt getäuscht zu haben. Hiervon profitierten die oppositionellen Sozialisten bei den Parlamentswahlen, bei denen den Konservativen ein klarer Sieg vorhergesagt worden war, der allerdings wegen der Vertuschungs- und Vernebelungspolitik der vorhergehenden Tage unerwartet zu einer PP-Niederlage wurde. Die Sozialisten setzten sich

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mit 42,6 Prozent (PP: 37,6 Prozent) überraschend deutlich gegen die bis dahin mit absoluter Mehrheit regierende Volkspartei, die Mariano Rajoy als Spitzenkandidaten ins Rennen geschickt hatte, durch. Der Übergang der Regierungsgewalt vom konservativen José María Aznar zum Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero als Ergebnis der Wahlen vom 14. März 2004 hatte weitreichende Folgen für Spaniens Gesellschaft und das Zusammenleben der Spanier. Wie in keiner Legislaturperiode zuvor, kam es zu einer tiefgehenden Polarisierung, die das genaue Gegenteil jenes Konsenses darstellte, der in den Jahren der Transition vorgeherrscht hatte. Die neue Regierung des PSOE machte wichtige Entscheidungen der konservativen Vorgängerregierung rückgängig, sodaß von einer Art politischer Pendelbewegung gesprochen werden kann. In der Legislaturperiode 2004 –2008 entwickelte die konservative Opposition eine bewußte Strategie der ununterbrochenen Provokation (crispación). Diese langanhaltende crispación hatte verhängnisvolle Folgen für das Land. Zum einen verhinderte sie den notwendigen Dialog zwischen den großen politischen Formationen, um „Staatspakte“ in Grundfragen des Landes zu schließen. Zum anderen blieben entscheidende Zukunftsfragen wie Bildungspolitik, Klimawandel und Außenpolitik aus der Debatte ausgespart, die sich stattdessen auf besonders polemische und medienwirksame Aspekte wie die Antiterrorismuspolitik konzentrierte. Zum dritten schließlich zerstörten die persönlichen Verunglimpfungen und Beleidigungen die Glaubwürdigkeit der „politischen Klasse“, der staatlichen Institutionen und des Landes insgesamt. Deutlichster Ausdruck des Vertrauensverlustes in die Politik und die Politiker war 2011 das Entstehen der „Bewegung 15. Mai“, die sich auch „Bewegung Wahre Demokratie“ nannte und von jenen „Empörten“ getragen wurde, die mit der traditionellen Politik jeglicher Couleur gebrochen hatten. Mit ihrer Kritik am etablierten politischen System trafen sie in Spanien und weit über das Land hinaus einen empfi ndlichen Nerv. Die aggressiv-systematische Oppositionspolitik der Konservativen ging letztlich auf die fehlende Akzeptierung des Wählerwillens durch die Verlierer und die Infragestellung der Legitimität des Wahlsiegers zurück. Diese Grundhaltung stand am Anfang der konfl iktivsten Legislaturperiode in der Geschichte der spanischen Demokratie (Bernecker / Maihold 2007). Nach diesem Konzept kam es während der ersten Regierungsperiode von José Luis Rodríguez Zapatero zum ersten Mal in der Geschichte der Demokratie zu einem neuen Massenphänomen: den öffentlichen AntiRegierungs-Demonstrationen, an denen sich neben der Oppositionspartei PP auch die Kirche und zahlreiche Zivilorganisationen, etwa die Opfervereinigung Asociación de Vícitimas del Terrorismo (AVP), beteiligten.

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Analysten deuteten diesen Rekurs auf die Straße mit dem Bestreben der Konservativen, ihre Wählerklientel ständig mobilisiert zu halten. Durch den Dauerdruck der Rechten wurde Spanien zu einem Land mit zweigeteilter Gesellschaft. Unabhängig von strategischen Überlegungen hatte der konservative Partido Popular durchaus Anlaß zur Gegnerschaft, nachdem Ministerpräsident Rodríguez Zapatero in vielerlei Hinsicht die geradezu entgegengesetzte Politik zu der seines Vorgängers Aznar betrieb. Außenpolitisch führte der Sozialist einen Paradigmenwechsel durch, indem er sofort nach seiner Amtsübernahme 2004 die spanischen Truppen aus dem Irak abzog und dabei auch ein ernsthaftes Zerwürfnis mit den USA nicht scheute. Das Forum „Allianz der Zivilisationen“ war ein ebenfalls bewußtes Gegenprojekt zu Aznars einseitiger Unterstützung der USA im Irak-Krieg. Ziel des Zivilisationsforums waren Annäherung und Verständnis zwischen der westlichen und der islamischen Welt. Innen- und gesellschaftspolitisch waren die sozialistischen Gesetzgeber in jenen Jahren besonders aktiv: Verabschiedet wurden das Gesetz gegen die vom anderen Geschlecht (zumeist dem männlichen) ausgeübte Gewalt (violencia de género), das Nichtraucherschutzgesetz, das Abhängigkeitsgesetz zur Pflege älterer Personen, das Gesetz zur Ermöglichung von Eheschließungen mit Paaren desselben Geschlechts, das Gesetz zur Beschleunigung der Ehescheidung, das Gesetz zur historischen Erinnerung, das Gesetz zur positiven Diskriminierung zu Gunsten der Frauen, das Arbeitsreformgesetz zur Verringerung der Zeitarbeitsverträge und zur Erhöhung der Arbeitsplatzstabilität. Viele dieser Gesetze gingen von einem Menschenbild aus, das sich deutlich vom konservativen unterscheidet, sodaß eine Bekämpfung dieser Reformen seitens des PP durchaus verständlich erscheint. Das Verfassungsgericht wurde von den Konservativen über Jahre hinweg gewagten parteipolitischen Manövern ausgesetzt, die das Ansehen des Obersten Gerichts nachhaltig beschädigten; weder der PP noch die Kirche unternahmen etwas, als im Sender der spanischen Bischofskonferenz (COPE) die Regierung gröblichst verunglimpft und der König wiederholt zum Thronverzicht aufgefordert wurde; die konzentrierten Angriffe auf Polizisten, Staatsanwälte und Richter, die von PP-nahen Medien und PP-Politikern in Zusammenhang mit dem Großprozeß gegen die islamistischen Terroristen des 11. März 2004 unter Ausbreitung gewagter Behauptungen lanciert wurden, ließen jeglichen Respekt vor staatlichen Institutionen vermissen. Die dabei immer wieder angewandte Methode war der Verdacht; Verdachtsmomente wurden ständig gestreut, die Glaubwürdigkeit des politischen Gegners sollte unterminiert werden.

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Der Schwerpunkt der Opposition lag auf drei Feldern: den islamistischen Attentaten vom 11. März 2004, der Reform des katalanischen Autonomiestatuts und dem sogenannten „Friedensprozeß“ im Baskenland. Im Prozeß gegen die Urheber des Anschlags vom 11. März 2004 nährte die konservative Parteiführung lange und bewußt eine Verschwörungstheorie, um auf diese Weise von eigenen früheren Versäumnissen im Umgang mit dem Attentat abzulenken und Verdachtsmomente auf Polizei, Justiz und Sozialistische Partei zu lenken. Wider besseres Wissen warf sie Zapatero vor, sich an die Terrororganisation ETA verkauft, verfassungswidrige politische Zugeständnisse gemacht und die ETA-Opfer verhöhnt zu haben. Die Angriffe des PP auf die Regierung reichten vom Vorwurf einer bewußten Instrumentalisierung der Anschläge bis zum Versuch, deren Urheber immer wieder mit ETA in Verbindung zu bringen, um so die auf eine Verhandlungslösung gerichtete Antiterrorpolitik der Regierung in Bezug auf das Baskenland zu diskreditieren. Jahrelang hielt der PP auch jene Verschwörungstheorien aufrecht, denen zufolge die Attentate vom 11. März 2004 auf ein machiavellistisches Zusammenspiel von ETA und PSOE zurückzuführen waren. Während der gesamten Legislaturperiode bestanden die Konservativen auf ihrer Interpretation, die Attentate seien erfolgt, um den PP von der Macht zu vertreiben und eine Richtungsänderung in der Innen- und Außenpolitik Spaniens herbeizuführen. Deshalb wurde das Wahlergebnis von 2004 immer wieder dem Terrorismus und nicht dem manipulativen Umgang mit dem Attentat durch die damalige Regierung Aznar zugeschrieben. Zu den großen Zielen der Regierung Zapatero gehörte die Beendigung des baskischen Konfl ikts. Statt jedoch ausschließlich auf polizeiliche Maßnahmen zu setzen – die allerdings nie vernachlässigt wurden –, begann Zapatero einen „Friedensprozeß“, in dessen Rahmen erneut Verhandlungen mit ETA stattfanden, die vom PP heftig kritisiert wurden. In Zusammenhang mit der Antiterrorpolitik solidarisierte sich die größte Vereinigung von Terrorismusopfern (AVP) vorbehaltlos mit der Position des PP und wurde nicht müde, Massenveranstaltungen gegen die Regierung zu organisieren. Ein weiterer Großkampfplatz zwischen den Parteien war die Autonomie- und Territorialpolitik. Mehrere Autonome Gemeinschaften handelten in der Legislaturperiode 2004 –2008 neue Autonomiestatute aus. Den Anfang machte Katalonien. Diese Verhandlungen waren insofern besonders polemisch, als es den Katalanen vor allem darum ging, als „Nation“ anerkannt zu werden und diesen Begriff im neuen Autonomiestatut zu verankern. Die Anerkennung als „Nation“ erfolgte schließlich nur indirekt und lediglich in der (juristisch irrelevanten) Präambel des Statuts.

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Trotzdem warf der PP Zapatero vor, er zerstöre durch seine zahlreichen Zugeständnisse an die Peripherienationalismen die „Einheit Spaniens“. Gegen den größten Teil des neuen katalanischen Autonomiestatuts erhob der PP Klage beim Verfassungsgericht. Auch die Einwanderungspolitik war zwischen den beiden großen Parteien heftig umstritten. Diskrepanzen betrafen alle Aspekte: Während die sozialistische Regierung Anfang 2008 die Zahl der sich illegal im Land aufhaltenden Ausländer auf 200 000 schätzte, sprach die Opposition von 1,2 Millionen. Die „Regularisierung“ von rund 700 000 „Papierlosen“ im Jahr 2005 war ein Versuch der PSOE-Regierung, die zahlreichen Schwarzarbeiter in geregelte Arbeitsverhältnisse zu überführen; die vorhergehenden PP-Regierungen hatten ähnliche Regularisierungsprozesse durchgeführt. Während der Regierung Aznar etwa waren 500 000 „Papierlose“ registriert worden. Trotzdem behaupteten die Konservativen, die Politik des PSOE habe einen „Anlockungseffekt“ auf Tausende von Schwarzafrikanern ausgeübt, die versuchten, in kleinen Booten (pateras) spanisches Festland oder die Kanarischen Inseln zu erreichen. Besonders große Diskrepanzen zwischen Regierungspolitik und Opposition gab es in der Sozial- und Gesellschaftspolitik. Auf diesem Gebiet kam es zu einer nahezu permanenten Allianz des PP mit der katholischen Amtskirche. Konservative und Klerus machten gemeinsam Front gegen die Einführung der Homosexuellen-Ehe, gegen die Möglichkeit der „Expreß-Scheidung“, gegen das Klonen menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken, gegen die Einführung eines obligatorischen staatlichen Werteunterrichts an den Schulen (Ley de Educación para la Ciudadanía), gegen den konservative Bürgerinitiativen zum Boykott aufriefen. Die Allianz von Kirche und PP machte sich in allen Bereichen bemerkbar. Dabei griff die kirchliche Kritik auch Themen auf, zu denen sich die Kirche in der Vergangenheit nicht geäußert hatte, etwa die Antiterrorpolitik. Je näher die Wahlen von 2008 rückten, desto unverblümter agitierten die Bischöfe gegen die Sozialisten. Deren Gesetzgebung sei „antidemokratisch“, der Laizismus sei „intolerant“ und führe zur „Auflösung der Demokratie“. Wer mit Terroristen „verhandelt“ habe, könne nicht gewählt werden. Während die Bischöfe im Jahr 2000 mit keinem Wort die Gespräche der damaligen PP-Regierung mit ETA kritisiert hatten, übten sie acht Jahre später an demselben Vorgehen des PSOE massive Kritik. Zum ersten Mal in der Geschichte der Demokratie verließ die Kirche das Gotteshaus und zog skandierend und demonstrierend auf die Straße. Die Tageszeitung El País kommentierte bissig, die Bischöfe müßten inzwischen auf die Straße gehen, wenn sie Menschen treffen wollten, denn in die Kirche gehe ja keiner mehr. Und in der Tat: Spanien ist heute ein überwiegend

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laizistisches Land. In den letzten zehn Jahren haben sich rein zivile Eheschließungen verdoppelt; sie betragen inzwischen 44 Prozent von allen Heiraten. Nur noch 57 Prozent der Neugeborenen werden getauft, über 26 Prozent der Kinder werden außerhalb der Ehe geboren, Erstkommunionen und Konfi rmationen gehen ständig zurück, nur 24 Prozent der Spanier sind „praktizierende“ Katholiken, 46 Prozent der 15- bis 24jährigen bezeichnen sich als „agnostisch, atheistisch oder gleichgültig“. Die ständigen Attacken der Katholischen Kirche gegen die Regierung Zapatero erschienen umso erstaunlicher, als die sozialistische Exekutive die Beziehungen zur Amtskirche förderte, so gut sie konnte. Das neuerlassene Erziehungsgesetz behielt den konfessionellen Religionsunterricht bei; die Steuerzahlungen an die Kirche wurden von 0,52 Prozent der Lohn- und Einkommenssteuer auf 0,7 Prozent angehoben (bei Ausschluss der anderen Religionen). Allein 2008 erhielt die Kirche vom Staat über drei Milliarden Euro zur Finanzierung ihrer Bildungsinstitutionen, für Krankenpflege oder karitative Zwecke; darüber hinaus überwies das Finanzministerium 153 Millionen für Gehälter von Bischöfen und Pfarrern. Alle anderen Konfessionen zusammen erhielten 4,5 Millionen Euro, die jedoch weder für Kultur noch für den Klerus ausgegeben werden durften. Nach wie vor leisten der Regierungschef und Minister ihren Amtseid vor dem Kreuz, Staatsbegräbnisse folgen katholischem Ritual. Mit den Wahlen vom 9. März 2008 ging ein vier Jahre währender permanenter Wahlkampf zu Ende. Die erste Legislaturperiode von Zapatero war von politischer Spaltung und Polarisierung des Landes geprägt, wie sie nie zuvor in der dreißigjährigen Geschichte der Demokratie bestanden hatten. Trotz dieser Konfrontationen konnte Zapatero am Ende seiner ersten Amtszeit eine beeindruckende Bilanz ziehen: Spanien war inzwischen zur achtgrößten Wirtschaftsmacht der Erde geworden, die Bewohner des Landes übertrafen an persönlichem Wohlstand den Durchschnitt in der Europäischen Union. In nur einer Legislaturperiode waren drei Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden; aufgrund sparsamer Finanzpolitik hatte es in jedem Jahr stattliche Budgetüberschüsse gegeben. Die Pensionen stiegen jährlich mehr als der Inflationsanstieg. Der PSOE betonte im Wahlkampf natürlich vor allem die Erfolge der Regierung in den vergangenen vier Jahren: deutlicher Rückgang der sozialen Konfl iktivität, Überschuss in den Staatskassen, Wirtschaftswachstum über dem europäischen Durchschnitt, Erhöhung der Renten und des Mindestlohns, Sozialgesetze, gesellschaftlicher Fortschritt. Der PP hob demgegenüber vor allem wirtschaftliche Aspekte hervor: die beginnende Wirtschaftsrezession, kritische Punkte der Einwanderungspolitik und der öffentlichen Sicherheit, Versäumnisse in der Steuergesetzgebung.

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Der Sieg der Sozialisten am 9. März 2008 fiel deutlich aus, allerdings errang der PSOE keine absolute Mehrheit. Auch die Konservativen konnten an Stimmen und Mandaten zulegen. Die Dominanz der beiden großen Parteien mit zusammen 322 (von 350) Sitzen im Parlament und Siegen in allen Autonomen Gemeinschaften vor den dortigen Regionalnationalisten war noch nie in der Geschichte der spanischen Demokratie so ausgeprägt gewesen. Damit verstärkte sich auch der Trend zum Zweiparteiensystem. Die regionalnationalistischen Parteien, die in den letzten Jahren einen Radikalisierungsprozeß durchlaufen hatten und inzwischen offen für die Unabhängigkeit ihrer Territorien eintraten, wie der PNV im Baskenland und die ERC in Katalonien, wurden von den Wählern abgestraft. Die Botschaft war unüberhörbar: Extremistische Unabhängigkeitsforderungen wurden vom Wähler nicht honoriert. Die meisten den Nationalisten verlorengegangenen Stimmen kamen den Sozialisten zu Gute. Nach den Wahlen von 2008 war sowohl den Sozialisten als auch den Konservativen klar, daß die vergiftete Atmosphäre der letzten vier Jahre zwischen den beiden großen Parteien nicht anhalten durfte; zu sehr litten die Institutionen und die Demokratie darunter. Schon Mitte 2008 schlossen die beiden Parteivorsitzenden einen „Staatspakt“ zu zentralen Fragen des Gemeinwesens. Die kluge Entscheidung der Wähler brachte somit die Führer der Parteien zusammen und bewirkte eine Annäherung, die in den vier vorhergehenden Jahren nicht möglich schien. Der aus der konservativen Vorgängerregierung herübergerettete Wirtschaftsaufschwung hielt auch nach 2004 unter der sozialistischen Regierung Zapatero an, nachdem der neue Wirtschafts- und Finanzminister Pedro Solbes, ein ehemaliger EU-Währungskommissar, für Stabilität sorgte. In den Folgejahren öffnete sich die spanische Volkswirtschaft nach Lateinamerika und Asien, die Arbeitsmarktpolitik hatte mit über zwei Millionen unbefristeter neuer Arbeitsverträge zwischen 2006 und 2007 positive Ergebnisse vorzuweisen. Anfang 2008 deutete sich dann die ökonomische Kehrtwende an: Im Januar erlebte der spanische Börsenindex Ibex-35 infolge der US-Immobilienkrise und der internationalen Börsenschwankungen den größten Einbruch seit seinem Bestehen. Dies wirkte sich vor allem auf den Immobiliensektor aus: Schon im ersten Quartal 2008 gingen die Bauvorhaben um 32,7 Prozent und die Anträge für Baugenehmigungen im Vergleich zum Vorjahr um 61,1 Prozent zurück. Das ohnehin schon große Leistungsbilanzdefi zit von rund zehn Prozent des BIP stieg trotz sinkender Nachfrage noch weiter. Das reale Wirtschaftswachstum ging auf 1,3 Prozent zurück. Die Arbeitslosenquote stieg auf 11,2 Prozent. Angesichts der lahmenden Wirtschaft beschloss die eben in ihrem Amt bestätigte sozialisti-

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sche Regierung 2008 Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, eine niedrigere Steuerbelastung, Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen und Hilfen für den besonders betroffenen Bausektor. Trotz dieser und weiterer Investitionsprogramme hatte die Wirtschaftskrise geradezu verheerende Auswirkungen: Das BIP-Wachstum verringerte sich nach dem Platzen der Immobilienblase auf minus drei Prozent, das Haushaltsdefi zit stieg auf zehn Prozent des BIP, die Arbeitslosenrate schon 2009 auf den europäischen Spitzenwert von 17,7 Prozent und 2011 weiter auf über 22 Prozent (fünf Millionen Personen). Insbesondere junge Spanier mit Zeitverträgen sowie auf dem Bau und im Gaststättengewerbe beschäftigte Arbeitsmigranten wurden arbeitslos. Anfang 2012 war fast die Hälfte der Jugendlichen unter 25 Jahren ohne Arbeit. Der Anteil der Schattenwirtschaft am BIP wurde mit 20 –25 Prozent angegeben. In keinem anderen Land der Europäischen Union explodierte die Arbeitslosigkeit in der Krise so wie in Spanien. Dies lag vor allem daran, dass neben der internationalen Finanzkrise eine hausgemachte Überversorgungskrise im beschäftigungsintensiven Immobiliensektor ausbrach. Außerdem ist der spanische Arbeitsmarkt extrem segmentiert: Etwa 75 Prozent der Arbeitnehmer haben unbefristete Vollzeitverträge bei sozialer Absicherung, während ca. ein Viertel aller Arbeitnehmer nur befristete Verträge hat. Bei der jüngeren Generation belaufen sich die prekären Arbeitsverhältnisse sogar auf die Hälfte. Diese Zeitarbeitsverträge konnten bei Ausbruch der Krise sofort gekündigt werden. Im Mai 2010 verkündete Zapatero auf Druck der europäischen Institutionen und der Ratingagenturen den größten Sozialabbau seit Bestehen der spanischen Demokratie. Gegen den Widerstand der Gewerkschaften setzte die Regierung eine weitreichende Deregulierung der Arbeitsbeziehungen durch. Eine Rentenreform sah die Verlängerung der Lebensarbeitszeit bis 67 vor. Eine weitere Reform hatte eine massive Ausweitung von prekären Ausbildungsverträgen zur Folge. Im Sommer 2011 verständigte sich der Regierungschef im Eilverfahren mit der konservativen Opposition auf eine Schuldenbegrenzung, die ohne große Diskussion in der ersten bedeutenden Änderung der Verfassung mit Zustimmung der beiden großen Parteien in die Magna Charta aufgenommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war das Land in einem äußerst prekären fi nanziellen Zustand. Dies gilt vor allem für die völlig überschuldeten Autonomen Gemeinschaften, von denen einige schon darüber nachdachten, dem Zentralstaat im Dezentralisierungsprozeß abgerungene Kompetenzen wieder zurückzugeben, weil sie deren Ausübung nicht mehr bezahlen konnten. Überall im Land stagnierten Infrastrukturprojekte wegen fehlender Mittel. Im Gesundheits- und Erziehungswesen wurde radikal ge-

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spart. Schließlich wurde Ministerpräsident Zapatero deutlich, dass er „zur Beruhigung der Märkte“ die für 2012 vorgesehenen Parlamentswahlen vorziehen müsse. Es war abzusehen, daß aufgrund der radikalen Ausgabenkürzungen und der neoliberalen Deregulierungen im Wirtschaftsbereich die Sozialisten, die mit dem früheren Innenminister und stellvertretenden Regierungschef Alfredo Pérez Rubalcaba als Spitzenkandidaten in den Wahlkampf zogen, eine deutliche Niederlage erleben würden. In jenem äußerst problembeladenen Jahr 2011 gab es allerdings auch eine positive Nachricht: die Entwicklung im Baskenland. 2009 schon hatte eine sozialistische Minderheitsregierung nach dreißig Jahren nationalistischen Machtmonopols eine bemerkenswerte regionalpolitische Wende vollzogen. Patxi López wurde baskischer Ministerpräsident mit Duldung der Konservativen des PP. Seither ging die Regierung weit härter gegen das Sympathisantenumfeld von ETA vor. In den Folgejahren konnten wiederholt große Erfolge im Kampf gegen die Terrororganisation erzielt werden, ein Ende von ETA wurde immer wahrscheinlicher. 2010 erklärte ETA schließlich einen unbefristeten Waffenstillstand; die Partei Batasuna distanzierte sich ebenfalls von Gewaltausübung und forderte von ETA einen endgültigen und überprüfbaren Verzicht auf Gewaltanwendung. Im Herbst 2011 war es dann endlich soweit: ETA verzichtete einseitig und bedingungslos auf jegliche weitere Anwendung von Gewalt. Nach über einem halben Jahrhundert hatte die terroristische Bedrohung ein Ende. Im Kontext der dauerhaften Waffenruhe von ETA kam es im Baskenland sehr schnell zu einer Neuordnung der politischen Landschaft. Schon bei den Kommunalwahlen im Mai 2011 wurde Bildu, ein Bündnis aus Anhängern der wegen ihrer Nähe zu ETA verbotenen Batasuna-Partei und zwei kleineren linksnationalistischen Gruppierungen, auf Anhieb zur zweitstärksten politischen Kraft in der Region. Fortan stehen sich der traditionelle PNV und die radikale Partei Bildu im nationalistischen Lager als Konkurrenten gegenüber. Der PP zog im Herbst 2011 mit klassisch-konservativen Grundsätzen in den Wahlkampf; er propagierte staatliche Austeritätspolitik bei gleichzeitiger Liberalisierung der Wirtschaft, Privatisierung des Sozialstaates, Stärkung der zentralen Ebene gegenüber den Autonomen Gemeinschaften. Der PSOE trat demgegenüber für die Stimulierung der Nachfrage, die Bewahrung der Grundlagen des Sozialstaates und ein „plurales Spanien“ ein. Die Sanierung der Staatsfi nanzen sollte zwar auch über einen Abbau des Haushaltsdefi zits erfolgen; darüber hinaus aber sollten Steuereinnahmen erhöht und das Steuersystem progressiver gestaltet werden. Bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai 2011 hatten die Sozialisten bereits eine verheerende Niederlage hinnehmen müssen; sie erreichten

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im landesweiten Durchschnitt nur noch 27,8 Prozent der Stimmen. Auf kommunaler Ebene verloren sie alle größeren Städte, auch ihre historischen Bastionen Barcelona und Sevilla. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im November setzte sich für die Sozialisten der Negativtrend fort: Im Vergleich zu den Wahlen von 2008 verloren sie ca. 4,3 Millionen Stimmen. Insgesamt erzielte der PSOE 28,7 Prozent der Stimmen; damit brach die Partei gegenüber 2008 um 15 Prozentpunkte ein und stellt fortan nur 110 Abgeordnete. Es war für den PSOE das schlechteste Ergebnis seit der Wiedereinführung der Demokratie. Der PP erzielte demgegenüber das beste Ergebnis seiner Geschichte: 44,6 Prozent der Wählerstimmen brachten den Konservativen eine satte absolute Mehrheit von 186 (von insgesamt 350) Sitzen ein. Der dramatische Einbruch des PSOE bei den Wahlen wurde überwiegend mit wirtschaftlichen Argumenten erklärt. Es rächte sich, daß Ministerpräsident Zapatero die immer offensichtlicher werdende Krise im Jahr 2008 lange Zeit nicht zur Kenntnis nehmen wollte, anschließend beteuerte, ihre Überwindung werde nicht zu Lasten der Schwachen gehen, schließlich im Mai 2010 eine drastische Kehrtwende vollzog und eine Politik umsetzte, die doch (und vor allem) in zunehmendem Ausmaß die Schwächeren belastete. Ende 2011 verfügte der PP über eine flächendeckende Hegemonie von der lokalen über die regionale bis hin zur nationalen Ebene. Vergleichbar mächtig waren nur die Sozialisten knapp dreißig Jahre vorher, 1982– 83 nach den Siegen von Felipe González, gewesen. Anfang 2012 befand sich die spanische Wirtschaft in der kritischsten Situation seit Wiedereinführung der Demokratie in den 1970er Jahren. Strukturelle Hindernisse lassen es unwahrscheinlich erscheinen, daß sie schnell wieder Tritt fassen kann: So wird die spanische Ökonomie von einem hohen Anteil wenig produktiver kleiner und mittlerer Betriebe geprägt, während der Anteil technologieintensiver moderner Unternehmen gering ist. Das Bildungssystem produziert zwar viele Hochschulabsolventen; diese sind aber häufig schlecht ausgebildet, und sehr viele von ihnen fi nden allenfalls in fachfremden Berufen eine Anstellung. In den letzten Jahren kam erschwerend hinzu, daß über 30 Prozent jeder Jahrgangskohorte ihre Schulausbildung abbrachen und ohne Abschluß auf den boomenden Arbeitsmarkt wechselten. Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Wirtschaft sind eher gering. Die neue Regierung Rajoy wird sich primär auf die Sanierung der Staatsfi nanzen und des Finanzsystems sowie auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit konzentrieren müssen; außerdem wird sie ein tragfähiges Konzept für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der spanischen Wirtschaft zu entwickeln haben. Die kommenden Jahre bedürfen einer sehr großen Kraftanstrengung, um das Land wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Demokratie, Modernisierung, Krise (1975–2012)

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Personenregister

Abd el Krim, Mohammed 147, 151 Adrian von Utrecht 30 Alba, Herzog von 52f. Alberoni, Julio 84f. Alcalá Zamora, Niceto 155, 164 Alexander VI., Papst 14, 25 Almagro, Diego de 22, 32 Alphons XII. 129, 131f. Alphons XIII. 131, 141, 144, 146, 148, 150, 152f., 155 Alvarado, Pedro 32 Amadeus I., Herzog von Aosta 111, 129 Arana, Sabino de 140 Aranda, Pablo Graf von 97, 100 Arias Navarro, Carlos 177, 194f. Atahualpa, Inka 32 Avala y Esquivel, Diego 44 Azaña, Manuel 160, 162f., 165 Aznar López, José María 194, 210f., 214 –219

Personenregister

Bakunin, Michael 129 Barbarossa, Chaireddin 38 Bataillon, Marcel 43 Belalcázar, Sebastián de 32 Ben-Ami, Shlomo 151 Berenguer, Dámaso 147, 150, 155 Blinkhorn, Martin 166 Blomberg, Barbara 50 Blum, Léon 174 Braganza, Herzog von 72 Braudel, Fernand 59 Bravo, Juan 31 Cabanellas, Miguel 168 Calderón, María 77 Calderón, Rodrigo 67 Calderón de la Barca, Pedro 58, 71 Calvo Sotelo, José 154 Calvo Sotelo, Leopoldo 194, 199, 203

Cambó, Francesc 145 Campillo y Cossío, José del 88, 94f. Campomanes, Pedro Graf von 90 Cano, Melchor 45 Cánovas del Castillo, Antonio 129, 131f., 141 Carrero Blanco, Luis 177 Carvajal y Lancaster, José de 85 Casado, Segismundo 168 Casares Quiroga, Santiago 170 Castro, Américo 11–13, 17 Centurione, Ottavio 56 Cervantes, Miguel de 34 Chapaprieta, Joaquín 166 Chaunu, Pierre 73 Clemens XI., Papst 86 Cobos, Francisco de los 39, 42 Colbert, Jean-Baptiste 88 Companys, Lluis 160, 164f. Cortés, Hernán 22, 28, 32 Costa, Joaquín 132, 142 Dalfi nger, Ambrosius 32 Dato, Eduardo 143, 147 Díaz del Moral, Juan 147 Díez del Corral, Luis 120 Domínguez Ortiz, Antonio 18 Drake, Francis 49 Dussel, Enrique 24 Egmont, Graf 52 Elisabeth I. 49f. Elisabeth von Valois 50 Ensenada, Marquis von 85, 90 Erasmus von Rotterdam 43f., 52 Escudero, José Antonio 18, 41 Espartero, Baldomero 111, 121f. Esquilache, Leopoldo Marquis von 82, 96

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Personenregister

Fanelli, Giuseppe 129 Fanjul, Serafín, 12 Farnese, Alexander 52 Farnese von Parma, Elisabetta 84 Federmann, Nicolaus 32 Feijóo, Jerónimo 90, 97 Ferdinand von Aragonien 7f., 10, 13f., 17–22, 28f., 38f., 42, 56f., 69, 177 Ferdinand von Habsburg, 46 Ferdinand VI. 82f., 85, 90 Ferdinand VII. 99, 106–109, 111, 114, 116f. Fernández Alvarez, Manuel 28 Fernández de Córdoba, Gonzalo 38f., 50 Fernández Silvestre, Manuel 147 Floridablanca, José Graf von 90, 100, 102 Fraga Iribarne, Manuel 197, 199f., 210 Franco, Francisco 11, 164, 168–171, 174–182, 188, 190, 192–195, 199, 201, 203f., 211f. Franz I., von Frankreich 39 Gálvez, José de 90, 94 García Delgado, José Luis 145 García Prieto, Manuel 143 Gattinara, Mercurino di 39 Gil Robles, José María 160, 166 Giner de los Ríos, Francisco 142 Giral, José 170 Gironella, José María 175 Godoy, Manuel 102, 104–106, 113 González, Felipe 194, 197, 199, 205, 208–212 Goya y Lucientes, Francisco José de 101 Goytisolo, Juan 13 Gracián, Baltasar 19, 58 Granvella, Kardinal 48 Greco, El (Doménikos Theotokópoulos) 58f. Guerrero, Pedro 44 Guzmán y Pimentel, Gaspar de 68

Hawkins, John 49 Heinrich IV. von Kastilien 7 Heinrich II. von Frankreich 50 Heinrich VIII. 49 Herrera, Francisco de 58 Híjar, Herzog von 72 Hitler, Adolf 172f., 182 Hohermuth, Georg 32 Hoorn, Graf 52 Hutten, Philipp von 32 Ibarretxe, Juan José 213f. Iglesias, Pablo 138 Ignatius von Loyola 45f. Iriarte, Juan de 97 Isabella von Kastilien 7, 8, 13, 17–22, 25, 28, 38, 43, 56, 66, 69, 177 Isabella von Portugal 39, 46f., 54 Isabella II. 117f., 122, 124, 128f., 133 Jackson, Gabriel 175f. Jakobus, Apostel (Santiago) 10f. Jiménez de Cisneros, Francisco, Kardinal 7, 29, 43 Jiménez de Quesada, Gonzalo 32 Johann II. von Aragonien 7, 14 Johanna „die Wahnsinnige“ von Kastilien 7, 19, 28f., 46 Johannes vom Kreuz 45 Joseph Ferdinand von Bayern 80 Joseph I., Kaiser 80 Joseph I. (Bonaparte) 99, 106f., 111, 113 Jovellanos, Gaspar Melchor de 92 Juan Carlos I. 177, 195f., 217 Juan de Austria, Don 28, 50, 52f. Juan José de Austria 61, 67, 77 Junot, General 106 Kant, Immanuel 142 Karl I. s. Karl V. Karl II. 61, 77–80 Karl III. 82, 87, 89–92, 94, 96f., 99 Karl IV. 99–102, 104–106, 111, 118 Karl V. 21, 28–31, 35–39, 42f., 46f., 50, 52, 56, 69, 76

Personenregister Karl María Isidro von Bourbon 117 Karl von Habsburg 61, 80, 82f. Katholische Könige, s. Isabella und Ferdinand Kempen, Thomas von 52 Kolumbus, Christoph 7, 19, 21f., 25f., 31 Krause, Karl Friedrich 142 Lanuza, Juan de 49 Largo Caballero, Francisco 162, 170 Las Casas, Bartolomé de 24 Laso de la Vega, Pedro 30 Leopold I., Kaiser 77 Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen 129 Lerma, Herzog von 67, 73 Lerroux, Alejandro 143, 159f., 162f. Lope de Vega Carpio, Félix 58 López, Patxi 223 Ludwig XIII. 72 Ludwig XIV. 76f., 79f. Ludwig XVI. 102 Luther, Martin 44, 47, 52 Luzán, Ignacio de 97 Macanaz, Melchor Rafael de 87 Machiavelli, Niccolò 19, 42 Macià, Francesc 160 Madoz, Pascual 111, 119 Malefakis, Edward 159 Manuel I. von Portugal 54 Marañón, Gregorio 59, 154 March, Juan 153 Margarete von Österreich 35 Margarete von Parma 35 Margarita Teresa, Infantin 77 Maria Anna von Österreich 61, 77, María Cristina, Erzherzogin von Habsburg-Lothringen 131, 133, 141 María Cristina, Witwe Ferdinands VII. 111, 117, 122 María Luisa von Bourbon-Parma 102 María Teresa, Infantin 76f. Maria Tudor 49 Maria von Ungarn 35, 46

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Martí, José 141 Martínez Barrio, Diego 160, 170 Martínez Campos, Arsenio 129, 148 Mateo Sagasta, Práxedes 131, 141 Maura, Antonio 142 Maximilian I. 28f., 35, 39 Medina Sidonia, Herzog von 72 Medinaceli, Herzog von 67, 77 Mendes de Haro, Luis 73 Mendizábal, Juan Alvarez 118f. Menéndez y Pelayo, Marcelino 98 Miaja, José 168 Mola, Emilio 168 Montiano, Agustín de 97 Morales, Luis de 58 Muñoz Grandes, Agustín 182 Murat, General 106 Murillo, Bartolomé Esteban 58 Mussolini, Benito 153, 172 Napoleon Bonaparte 104, 106, 113 Napoleon III. 129 Narváez, Ramón María 121–124 Navarra, Francisco de 44 Navarro Rubio, Mariano 185 Nebrija, Antonio de 7, 42 Negrín, Juan 168, 170 Nelson, Lord Horatio 105 Netanyahu, Benzion 17f. Niethart, Eberhard 67, 77 O’Donnell, Leopoldo 122f. Olivares, Conde-Duque de 19, 61, 63, 67–73, 77 Oropesa, Graf von 67, 77 Ortega y Gasset, José 154 Pacheco, Pedro 44 Padilla, Juan de 30f. Parker, Geoffrey 59 Patiño, José de 88 Pavía, Manuel 129 Pereyre, Bankier 126 Pérez de Ayala, Martín 44 Pérez, Antonio 48, 59

260

Personenregister

Pérez Rubalcaba, Alfredo 223 Philipp der Schöne 7, 28f. Philipp II. 28, 31, 33, 35f., 41, 46–60 Philipp III. 56, 61f., 67f., 73 Philipp IV. 19, 53, 61, 67–69, 72f., 76f., 79f. Philipp V. 61, 80, 82, 84–87 Pizarro, Francisco 22, 32 Portocarrero, Luis de 77 Prat de la Riba, Enric 139 Prim, Juan 122, 124, 128 Primo de Rivera, José Antonio 169 Primo de Rivera, Miguel 131, 139, 147f., 150–153, 155, 157 Prost-Gilhou, Bankier 126 Pujol, Jordi 210 Queipo de Llano, Gonzalo 168 Quevedo, Francisco de 58 Ranke, Leopold von 47 Rajoy, Mariano 216, 224 Requesens, Luis de 52f. Ribera, José de 58 Riego, Rafael de 116 Robertson, William 46 Rodríguez de Silva y Velázquez, Diego 71 Rodríguez-Salgado, María José 59 Rodríguez Zapatero, José Luis 216 –224 Roldán, Santiago 145 Romanones, Graf von 146 Rothschild, Bankier 126, 134 Rubín de Ceballos, Agustín 100 Salas Larrazabal, Ramón 175 Sánchez Albornoz, Claudio 11f. Sanjurjo, José 161 Sebastian von Portugal 53

Seguí, Salvador 147 Selim I. 35 Serrano, Francisco 111, 128 Serrano Suñer, Ramón 169 Silvela, Francisco 142 Sleidan, Johannes 46 Smith, Adam 92 Solbes, Pedro 221 Soldevila, Ferran 19 Soto, Domingo de 45 Soto, Hernando de 32 Stalin, Josef 173 Suárez, Adolfo 194, 196–199 Süleiman II. 35 Therese von Avila 45 Thomas, Hugh 175 Tintoretto 59 Tirso de Molina 58 Tizian, Vecellio 59 Tuñón de Lara, Manuel 175 Túpac Amaru (Inkaführer) 95 Uceda, Herzog von 67f. Ullastres, Alberto 184f. Unamuno, Miguel de 154 Uztáriz, Gerónimo de 88 Valdivia, Pedro de 32 Valenzuela, Fernando de 67, 77 Vicens Vives, Jaime 127 Victor Emanuel II. 129 Vilar, Sergio 151 Vitoria, Francisco de 45 Ward, Bernardo 90 Wellington, Herzog von 114 Wilhelm von Oranien 52, 59 Zurbarán, Francisco de 58

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on der Reconquista über den raschen Aufstieg zur Weltmacht, den Niedergang des Ancien Régime und die Franco-Diktatur bis zur politischen wie wirtschaftlichen Situation im 21. Jahrhundert – Walther L. Bernecker beleuchtet in seinem kompakten Überblick die spanische Geschichte unter politik-, sozial-, wirtschafts- wie auch kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten.

»Für Studenten, Journalisten, Politiker und alle anderen, die sich für Spaniens krummen Weg in die Moderne (…) interessieren, liegt jetzt eine schlanke und fundierte Darstellung bereit.« Süddeutsche Zeitung Walther L. Bernecker, geb. 1947, ist Professor für Auslandswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur spanischen, portugiesischen und lateinamerikanischen Geschichte.

ISBN 978-3-86312-308-6

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