Soziale Fürsorgetätigkeit in den Vereinigten Staaten: Reiseskizzen [Reprint 2018 ed.]
 9783111541211, 9783111173061

Table of contents :
Inhalt
Vorbemerkung
I. Ankunft in New York. Einwanderer
II. Negerfrage
III. Die Fürforge für Bedürftige
IV. Ein Waifenhaug in Baltimore
V. Gluckliche taubftumme Kinder
VI. Bryn Mowr. Schulpflicht. Kinderarbeit
VII. Kinderlefehallen
VIII. Children's Village
IX. Das Frauenreformatory in Bedford (New York)
X. Einige Bemerkungen über Er= Ziehung. George Junior Republic
XI. Eine Strafanftolt
XII. Jugendgerichte
Schlussbemerkung

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Soziale

Fürsorgetätigkeit in den

Vereinigten Staaten. Reiseskizzen von

Elsa von Liszt.

BERLIN 1910. J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, G. m. b. H.

Inhalt. Vorbemerkung I. Ankunft in New York. Einwanderer . . . IL Negerfrage IH. Die Fürforge für Bedürftige IV. Ein Waifenhaus in Baltimore. Säuglingsftir= forge in Cleveland V. Glückliche taubftumme Kinder VI. Bryn Mawr. Schulpflicht. Kinderarbeit . . VII. Kinderlefehalien VIII. Children's village IX. Das FrauenreformatoryinBedford (NewYork) X. Einige Bemerkungen über Erziehung. George Junior Republic XI. Eine Strafanftalt XII. Jugendgerichte Schlußbemerkung

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Vorbemerkung.

Die Veröffentlichung der folgenden Blätter bedarf einer gewiffen Reditfertigung. Ich bin nidit ganz drei Monate in den Vereinigten Staaten gewefen; bin nidit fehr weit herumgekommen; ich habe allerdings fehr viele gemeinnützige Anft alten und Vereine kennen gelernt — aber eingehende fyfte= matifche Studien habe idi nidit gemacht. Das hat feine Nachteile und feine Vorzüge. Ich kann keinen wiffenfdiaftlichen Überblick über ein befKmmtes Gebiet geben; aber ich habe eine Fülle verfchiedenartigfler Eindrücke gewonnen, deren Wiedergabe doch auch für andere Intereffe haben kann. Ich weiß genau, daß mein Einblick in die Verhält= niffe ein oberflächlicher gewefen iffc. Es ift immer fchwer, fida in eine fremde Umgebung hineinzudenken, hinein= zufühlen; doppelt fchwer hier, wo die hiflorifchen, wo die wirtfchafllichen und die politifchen Vorausfe^ungen von den unferen fo fehr abweichen. Ich bitte darum, meine Äufzeichungen fo aufzu= nehmen, wie fie gemeint find — als die anfpruchslofe Darfteilung perfonlicher Eindrücke.

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I. Ankunft in New York.

Einwanderer.

Immer reger wird das Leben auf dem Waffer, je näher wir an New York herankommen; immer größer wird der Verkehr. Einfahrende und aus= laufende Ozeandampfer begegnen fich, große und kleine Fahrzeuge jeder Art drängen fich auf dem Waffer herum und laffen uns die Kunft des Lotfen be= wundern, der unfer Riefenfchiff ruhig und ficher durch alles hindurchlenkt. Bald bekommen wir audi die „Ferries" zu Gefidit, jene fo «harakterifHfdien plumpen und doch flinken Fährboote, die den Verkehr zwifchen den durch den Fluß getrennten Vororten von New York vermitteln. Und nun nahen wir uns der Riefenftadt felbfl. Gleich der erfle Anblick gibt ein Bild ihrer Groß= artigkeit; es ifl, als fei die Stadt für diefen Eindruck extra aufgebaut worden. Links ragt die koloffale Freiheitsflatue in die Luft, das Wahrzeichen von New York. Rechts verbindet eine wundervolle Brücke das Häufermeer von Brooklyn mit Manhattan, der eigent= liehen City von New York. Als fchmale Halbinfel fpringt Manhattan in das Waffer vor, und hier auf der Südfpitje liegen fie faft alle beieinander, die höch= ften der Wolkenkratjer. Mit ihrer Unregelmäßigkeit, ihrer Riefenhaftigkeit, ihrer Häßlichkeit kommen fie

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uns grotesk und gefpenftig vor, befonders wenn man, wie es mir gefchah, fie allmählidi aus dichtem Nebel auftaudien fieht. Wenn das Auge fidi langfam an das Häufermeer gewöhnt hat, fo fieht es neben den 20- und 30 (lockigen Haufern audi ganz gewöhn= liehe drei- und vierflödrige liegen. Dazwifchen, faß erdrückt von den Riefen, ift eine Kirdie, die in diefer Umgebung einen ganz verfchüchterten Eindruck macht. Und fehen wir noch naher zu, fo find dazwifchen noch andere Bauten, angeklebt an die großen, möchte man fafl fagen: ganz kleine Häusdien, Hütten, fchmutjig und halb verfallen, die nun einen gar feltfamen Kon= traft mit den anderen bilden. Diefes Bild der Einfahrt in New York bin ich während meines ganzen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten nicht losgeworden. Uberall finden wir ja diefe Gegenfalje, nicht nur bei den Bauten, fondern auf allen Gebieten des Lebens; und das ift es vor allem, was uns die Beurteilung des Landes fo erfdiwert. Wir fehen glänzende moderne Einrichtungen und daneben Uberbleibfel einer längfl vergangenen Zeit; wir finden Anfchauungen, die unferer europäifchen Kultur weit vorausgeeilt find, wir finden andere, die wir feit Jahr= zehnten überwunden haben. Wir fehen vielleicht eine mit allen Erfordernden der modernen Hygiene und des künfllerifchen Gefchmacks ausgerottete Anflalt — wir ahnen nicht, daß nicht weit davon für ganz die= felbe Kategorie von Menfchen eine andere Anflalt exiftiert, klein, fchmu^ig, kaum notdürftig den befchei= denflen Anforderungen der Neuzeit entfprechend. Wenn wir einen Blick in die engen Negergäßdien,

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die alleys, werfen, die fidi zwifchen den eleganten, breiten Straßen hinziehen, fo find -wir entfetjt über den Sdimutj, die Unordnung, die da herrfdien. Ge= kehrt wird hier nidit, aller Straßenkot bleibt liegen; in der Mitte fließt ein Badi des Abflußwaffers, große Eimer mit den Küdienabfällen flehen vor den Türen. Und doch wiffen wir, daß im ganzen die Reinlichkeit auf einer viel höheren Stufe fleht, als bei uns. Wö