Gott hat in der bisherigen Exegese des Röouml;merbriefs kaum einen eigenen Gegenstand der Untersuchungen dargestellt. Di
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German Pages 524 Year 2008
Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Kapitel 1. Einleitung
Kapitel 2. Römer 3,1–8
Kapitel 3. Römer 3,21–31
Kapitel 4. Römer 4
Kapitel 5. Römer 9
Kapitel 6. Römer 11,25–36
Kapitel 7. Römer 15,7–13
Kapitel 8. Fazit und Ausblick
Backmatter
Jochen Flebbe Solus Deus
Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche
Herausgegeben von
James D. G. Dunn · Carl R. Holladay Hermann Lichtenberger · Jens Schröter Gregory E. Sterling · Michael Wolter
Band 158
≥
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Jochen Flebbe
Solus Deus Untersuchungen zur Rede von Gott im Brief des Paulus an die Römer
≥
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISSN 0171-6441 ISBN 978-3-11-020217-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin
für Dr. Klaus Kulinat (1935–2002), der mir die Bedeutung des Wortes „Getti“ erklärt hat
Vorwort Diese Untersuchung wurde im Wintersemester 2006/07 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn als Dissertation angenommen. Für den Druck habe ich sie geringfügig überarbeitet. An erster Stelle steht der Dank an Professor Dr. Michael Wolter. Er hat mir als seinem Mitarbeiter in mehrfacher Hinsicht den Freiraum zur eigenen Forschung gegeben, der aber zu jeder Zeit auch durch ein engagiertes Gespräch und ein intensives Mitdenken seinerseits gefüllt werden konnte; dabei gingen sein Interesse und seine Anteilnahme in seiner freundlichen und menschlichen Art weit über das Werk hinaus. Herrn Professor Dr. Günter Röhser danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Es war so sorgfältig erstellt, das es nicht nur inhaltlich anregend war, sondern gleich auch gute Dienste auf dem Weg zur Drucklegung geleistet hat. Danken möchte ich an dieser Stelle auch der Bonner neutestamentlichen Sozietät von Prof. Dr. Michael Wolter und Prof. Dr. Rudolf Hoppe, in der vieles hier Abgedruckte vorher diskutiert wurde, ebenso wie meinen studentischen Lehrern, den Professoren Dr. Klaus Wengst, Dr. Horst Balz und Dr. Berndt Schaller, die sich je auf ihre Weise in der Arbeit wiederfinden. Für wichtige Gespräche auf dem Weg danke ich Prof. Dr. Matthias Konradt, Prof. Dr. Philip Esler, Rev. Dr. John Muddiman und Dr. Stefan Schreckenberg. Leonie Stein, Maren Bohlen, Oliver Franzmann und Gerd Maeggi danke ich für die Arbeit, die sie sich beim Korrekturlesen gemacht haben; auch Klara Findenegg und Irmgard Findenegg haben sich dieser Mühe bereitwillig unterzogen, wofür ich ganz herzlich danke. Steffen Riesenberg hat den wesentlichen Anteil daran, dass sich das Manuskript in eine Druckvorlage verwandelte, hierfür sei ihm herzlich gedankt. Nicht zuletzt gilt mein Dank dem Herausgeberkreis für die Aufnahme dieser Untersuchung in die Reihe „Beihefte zur Zeitschrift für die
VIII
Vorwort
Neutestamentliche Wissenschaft“ und dem Verlag Walter de Gruyter, namentlich Herrn Dr. Carsten Burfeind, für die gute Zusammenarbeit. Bonn, im März 2008
Jochen Flebbe
Inhalt
Vorwort
.................................................................................................... VII
Kapitel 1: Einleitung .................................................................................... 1 1.1 Gott ........................................................................................................ 1 1.2 Der Römerbrief .................................................................................... 3 1.3 Paulus ................................................................................................... 7 1.4 Rede ....................................................................................................... 8 1.5 Forschungsgeschichte ........................................................................ 9 1.6 Untersuchung .................................................................................... 17 Kapitel 2: Römer 3,1–8 ............................................................................... 20 2.1 Einleitung ........................................................................................... 20 2.2 Röm 2 als Voraussetzung für Röm 3,1–8 ....................................... 22 2.3 Kontextbezug und Einheitlichkeit von Röm 3,1–8 ....................... 25 2.4 Analyse von Röm 3,1–8 .................................................................... 2.4.1 V.1.2 .......................................................................................... 2.4.2 V.3 ............................................................................................. 2.4.3 V.4 ............................................................................................. 2.4.4 V.5.6 .......................................................................................... 2.4.5 V.7 ............................................................................................. 2.4.6 V.8 .............................................................................................
27 27 32 36 41 49 52
2.5 Der Kontext nach hinten: Röm 3,9 .................................................. 54 2.6 Fazit ..................................................................................................... 58 Kapitel 3: Römer 3,21–31 ........................................................................... 61 3.1 Einleitung ........................................................................................... 61
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Inhalt
3.2 Abgrenzung und Bedeutung von Röm 3,21–31 ........................... 63 3.3 Der Teilabschnitt Röm 3,21–26 ........................................................ 67 3.3.1 Analyse von Röm 3,21–26 ..................................................... 67 3.3.1.1 V.21 .......................................................................... 67 3.3.1.2 V.22a ........................................................................ 70 Exkurs: Zur dikaiosÚnh qeoà in Röm 3,21–26: genitivus subiectivus, genitivus obiectivus, genitivus auctoris .................................................... 71 3.3.1.3 V.22b.23 ................................................................... 77 3.3.1.3.1 Rückblick: Das Syntagma di¦ g¦r nÒmou ™p…gnwsij ¡mart…aj in Röm 3,20b .......................... 81 3.3.1.3.2 Das Syntagma Østeroàntai tÁj dÒxhj toà qeoà ...... 82 3.3.1.4 V.24 .......................................................................... 87 3.3.1.5 V.25a ........................................................................ 93 3.3.1.5.1 prot…qesqai .............................................................. 96 3.3.1.5.2 ƒlast»rion ................................................................. 98 3.3.1.6 V.25b.26 ................................................................. 104 3.3.1.6.1 Die Struktur .......................................................... 105 3.3.1.6.2 Einzelanalyse ......................................................... 110 3.3.1.6.3 Die Bestätigung von V.25b.26ab in V.26c ............. 116 3.3.1.6.4 edj t¤ eÌnai a§t¤n d…kaion ...................................... 118 3.3.2 Fazit zum Teilabschnitt Röm 3,21–26 ................................ 121 3.4 Der Teilabschnitt Röm 3,27–31 ...................................................... 3.4.1 Einleitung .............................................................................. 3.4.2 Analyse .................................................................................. 3.4.2.1 V.27 ........................................................................ 3.4.2.2 V.28 ........................................................................ 3.4.2.3 V.29 ........................................................................ 3.4.2.4 V.30a ...................................................................... 3.4.2.5 V.30b ...................................................................... 3.4.2.6 V.31 ........................................................................ 3.4.3 Fazit zum Teilabschnitt Röm 3,27–31 ................................
123 123 124 124 131 137 139 145 153 159
3.5 Fazit ................................................................................................... 161 Kapitel 4: Römer 4 .................................................................................... 163 4.1 Einleitung ......................................................................................... 163 4.2 Forschungsgeschichtlicher Kontext .............................................. 164
Inhalt
XI
4.3 Der Kontext von Röm 4 und die Stellung und Funktion im Gesamtbrief ................................................................................ 166 4.4 Analyse der Aussagen über Gott in Röm 4 ................................. 4.4.1 Abraham als Gegenstand eines „Gotteskapitels“ ........... 4.4.2 Röm 4,1–2: o§ pr¤j qeÒn – Die Unterscheidung von menschlicher und göttlicher Wirklichkeit als hermeneutische Grundlegung ........................................... 4.4.3 Röm 4,3 Die Abrahamgeschichte der Schrift als Grundlage für Aussagen über Gott ................................... 4.4.4 4,3–5(6): Die Bestimmung von Gottes Wirklichkeit durch die Bestimmung seines log…zesqai ......................... 4.4.5 Die galatische Parallele ....................................................... 4.4.6 Röm 4,5: Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ ............................................... 4.4.6.1 Positionen der Forschung ...................................... 4.4.6.2 Der Traditionshintergrund .................................... 4.4.6.3 dikaiîn tÕn ¢sebÁ in Röm 4 ................................. 4.4.6.4 ¢seb»j als „Heide“ ............................................... 4.4.6.5 Der Bezug zu 1,18–32 ........................................... 4.4.6.6 Ð pisteÚwn ............................................................. 4.4.6.7 Schluss ................................................................... 4.4.7 Röm 4,6–8: Ein Davidpsalm als Garant für die theologische Interpretation der Abrahamgeschichte ................ 4.4.8 Röm 4,9–16:Verdeutlichung, explizites Ziel und Universalität ..................................................................................... 4.4.9 Röm 4,17: qeÒj Ð zJopoiîn toÝj nekroÝj kaˆ kalîn t¦ m¾ Ônta æj Ônta ................................................................ 4.4.9.1 Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj ........................................ 4.4.9.2 Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj als Bekehrungshandeln Gottes in Röm 4 ..................................................... 4.4.9.3 Ð kalîn t¦ m¾ Ônta æj Ônta ................................ 4.4.9.4 Die Gottesprädikationen von V.17 in der Argumentation von Röm 4 .................................... 4.4.9.5 Das Verhältnis von V.17b zu V.24 und zu Röm 1,18–32 .......................................................... 4.4.10 Röm 4,18–22: Statt Zweifel Akzeptanz des entworfenen Gottesbildes und seiner aktuellen Realität ...................... 4.4.11 Röm 4,23–25: Die aktuelle Konkretion der christlichen Perspektive ...........................................................................
170 170
172 176 178 182 190 191 194 205 208 212 213 216 217 225 232 233 240 242 244 247 248 253
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Inhalt
4.5 Fazit ................................................................................................... 260 Kapitel 5: Römer 9 .................................................................................... 268 5.1 Thema und Einordnung ................................................................. 268 5.2 Abgrenzung des Abschnittes ........................................................ 269 5.3 Analyse von Röm 9,6–33 ................................................................ 5.3.1 V.6–9 ....................................................................................... 5.3.1.1 V.6 .......................................................................... 5.3.1.2 V.7 .......................................................................... 5.3.1.3 V.8.9 ....................................................................... 5.3.2 V.10–13 ................................................................................... 5.3.2.1 Analyse .................................................................. 5.3.2.2 Vergleich mit Jakob-Esau-Darstellungen der Tradition ................................................................ 5.3.3 V.14–18 ................................................................................... 5.3.4 V.19–21 ................................................................................... 5.3.5 V.22–24 ................................................................................... 5.3.6 V.25–29 ................................................................................... 5.3.7 V.30–33 ...................................................................................
274 274 274 279 283 288 288 294 300 305 317 329 336
5.4 Fazit ................................................................................................... 349 Kapitel 6: Römer 11,25–36 ....................................................................... 355 6.1 Einleitung ......................................................................................... 355 6.2 Analyse von Röm 11,25–36 ............................................................ 6.2.1 Analyse von V.25–32 ............................................................ 6.2.1.1 V.25–27: Die konkret-praktische Lösung .............. 6.2.1.1.1 V.25.26a ................................................................. 6.2.1.1.2 V.26b.27 ................................................................. 6.2.1.2 Analyse von V.28–32: Begründung und theologische Lösung ............................................... 6.2.1.2.1 V.28 ........................................................................ 6.2.1.2.2 V.29 ........................................................................ 6.2.1.2.3 V.30f ....................................................................... 6.2.1.2.3 V.32 ........................................................................ 6.2.2 Analyse von V.33–36: Grundlegende theologische Axiome .................................................................................. 6.2.2.1 V.33 ........................................................................
356 356 356 356 365 370 370 377 380 388 392 393
Inhalt
6.2.2.2 6.2.2.3 6.2.2.4
XIII
V.34 ........................................................................ 393 V.35 ........................................................................ 395 V.36 ........................................................................ 397
6.3 Fazit ................................................................................................... 401 Kapitel 7: Römer 15,7–13 ......................................................................... 405 7.1 Einleitung ......................................................................................... 405 7.2 Zur Bedeutung und Funktion von Röm 15,7–13 im Gesamtbrief ...................................................................................... 406 7.3 Analyse von Röm 15,7–13 .............................................................. 7.3.1 V.7 ........................................................................................... 7.3.2 V.8.9a ...................................................................................... 7.3.3 V.9b–12 ................................................................................... 7.3.3.1 V.9b ........................................................................ 7.3.3.2 V.10 ........................................................................ 7.3.3.3 V.11 ........................................................................ 7.3.3.4 V.12 ........................................................................ Exkurs: ™lp…j als Differenzmarker ...................................... 7.3.4 V.13 .........................................................................................
410 410 412 422 423 427 428 432 433 435
7.4 Fazit ................................................................................................... 440 Kapitel 8: Fazit und Ausblick ................................................................. 444 8.1 Fazit ................................................................................................... 444 8.2 Ausblick ............................................................................................ 457 Literaturverzeichnis ................................................................................. 459 1.
Quellen ............................................................................................. 459
2.
Hilfsmittel ........................................................................................ 463
3.
Darstellungen .................................................................................. 464
Register
.................................................................................................... 489
1.
Stellenverzeichnis ........................................................................... 489
2.
Autorenverzeichnis ......................................................................... 505
Kapitel 1 Einleitung 1.1 Gott Gott ist „the neglected factor in New Testament theology“1. Diese Feststellung von N.A. Dahl aus dem Jahre 1975 gilt auch heute noch, und sie trifft insbesondere den gegenwärtigen Stand der Paulusforschung2. Unter den zahllosen und kaum mehr zu überschauenden Untersuchungen zu dem Apostel und seinen Texten ist nur eine verschwindend kleine Minderheit zu finden, die der Rede von Gott bei Paulus eigene Aufmerksamkeit widmet. Nach Christologie, Anthropologie3 und New Perspective4 fehlt es immer noch an einer umfassenden und geeigneten Darstellung über Gott im paulinischen Denken5. Dabei ist der Grund für die Nichtbeachtung des Gottes-Themas keineswegs in den Texten selber zu finden. Vielmehr sind alle echten Paulusbriefe mehr oder weniger von einer vitalen Rede von Gott durchzogen. Nicht nur im Neuen Testament insgesamt, sondern auch im Corpus Paulinum ist qeÒj das am häufigsten verwendete Substantiv6. Dieser Sachverhalt ist aber – ganz offensichtlich aufgrund der Perspektive und des Vorverständnisses der Exegeten – in seiner Faktizität und Bedeutung nie richtig in den Blick des Interesses geraten. 1
2
3 4 5 6
N.A. Dahl, Factor [1975], 5; auch ders., Factor [1991], 153. Vgl. auch C. Böttrich, Rede, 59: „Die Gotteslehre scheint eher ein Stiefkind der ntl. Theologie zu sein“; sowie J. Giblet, Révélation, 231. Vgl. J. Coppens, Dieu, 331. – Im Hinblick auf die übrigen Schriften des Neuen Testaments lässt sich sagen, dass hier die Debatte über Gott langsam in Gang kommt, wie etwa die Darstellungen von M.M. Thompson, God und G. Guttenberger, Gottesvorstellung zeigen sowie die Darstellung von J.H. Neyrey, God, die Gott in Mk, Mt, Joh, Act, Röm, 1Kor, Gal und Hebr untersucht. Vgl. nur den Überblick über die theologischen Themen des Röm bei M. Theobald, Römerbrief, VI–VIII. Vgl. J.D.G. Dunn, The New Perspective on Paul. Zur Arbeit von P.-G. Klumbies, Rede vgl. unten 1.5. Vgl. P.-G. Klumbies, Rede, 11.
2
Einleitung
Wirft man zum Beispiel einen Blick auf den scheinbar so christologischen Galaterbrief7, ergibt sich ein erstaunlicher Befund: Das Lexem qeÒj (31x) hält sich in seinem Vorkommen zahlenmäßig die Waage mit den Belegen für CristÒj (34x)8. Dabei ist es in seinem syntaktischen Auftreten spezifisch und bestimmt entscheidende und grundlegende Passagen des Briefes: Syntaktisch gesehen ist Gott wiederholt das Subjekt von Aktionen, die Jesus Christus als Objekt betreffen, so etwa in der Erweckung in 1,1 oder in der Offenbarung des Sohnes in Paulus in 1,15f. Auch in den entscheidenden Aktionen der Rechtfertigung ist Gott der Akteur: Gott macht die Heiden aus Glauben gerecht (3,8), er verleiht dem Testament Gültigkeit (3,17), durch ihn wird man Erbe (4,7), er hat die Adressaten berufen (1,6). Weiter stellt Gott vielfach das Ziel und die Richtung aller Aktion und aller Darlegung dar: So mündet etwa der autobiographische Bericht in 1,24 in dox£zein tÕn qeÒn, als Ziel des Dem-Gesetz-Sterbens wird das Leben für Gott genannt (2,19), und es ist der Stand der Adressaten, Kinder Gottes zu sein (3,26). Gott ist auch der entscheidende, der fundamentale Maßstab in der Auseinandersetzung. So ist die in 1,10–12 aufgezeigte, den gesamten Brief kennzeichnende, grundlegende Alternative die zwischen Gott und Mensch9. Der entscheidende Unterschied im Status der Adressaten wird in 4,8ff benannt mit der Kenntnis und Erkenntnis Gottes und dem Erkanntsein durch Gott gegenüber der Nichterkenntnis. In der narratio (1,6f) wird als Grund des Briefes benannt, dass die Adressaten sich von Gott abgewendet haben. Man könnte die Aufzählung noch weiter fortführen, und sicher bedarf jede der angeführten Aussagen einer eigenen exegetischen und kontextbezogenen Würdigung. Aber es geht doch aus dieser Aufstellung deutlich hervor, dass der Galaterbrief keineswegs so christologisch be7
8 9
Vgl. nur zuletzt J. Frey, Galaterbrief, 196 mit der Aufführung von Christus unter der Überschrift „Kernbegriffe und leitende Kernsätze“, unter der „Gott“ (fast) nicht auftaucht. Vgl. zu allen Briefen die schöne Übersicht bei H. Moxnes, Theology, 16 mit Anm. 5. U.E. kann – bei aller gebotenen Vorsicht bei der rhetorischen Bestimmung des Galaterbriefes – 1,10–12 durchaus etwas Ähnliches wie die Funktion einer propositio zugeschrieben werden, insofern Paulus hier ein grundsätzliches Motto angibt, welches das Thema immer wieder bestimmt und die letztlich entscheidende Frage für die Beurteilung des Streitpunktes und der sich daraus ergebenden Entscheidung darstellt. Außerdem hat vorher in 1,6.7 auch eine narratio stattgefunden. – Gegen H.D. Betz, Galaterbrief, 212ff, der die propositio in 2,15–21 sieht. S.A. Cooper, Narratio, 114f klassifiziert mit Marius Victorinus Rhetor zwar 1,13–2,16 als narratio, bestimmt aber 1,11–12 folgendermaßen: „Verses 11 – 12 … lay out the agenda for the first part of the following section, which the rhetor labels as a narratio“. Damit wird aber 1,11–12 durchaus der Charakter einer propositio attestiert, insofern diese Verse als Programm, das im Folgenden ausgeführt wird, fungieren. Im Unterschied dazu sehen wir nur den Geltungsbereich von 1,10–12 nicht auf 1,13–2,16 beschränkt, sondern im gesamten Brief. Zur Diskussion vgl. D.F. Tolmie, Analises und H. Hübner, Galaterbrief.
Der Römerbrief
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stimmt ist, wie bisher immer angenommen – und dass Gott als entscheidender Faktor in der paulinischen Argumentation bei einer sich von einer christologischen Engführung lösenden Betrachtung unabweisbar in den Blick kommt. Weitere Beispiele aus weiteren Briefen ließen sich ebenfalls anfügen mit erstaunlichen Implikationen. So stellt interessanterweise in 1Kor 1,18 Gott das Alte und Bekannte dar, von dem aus das Neue zu erklären und zu verstehen ist. Somit wird hier nicht etwa Gott durch das Kreuz und damit durch Jesus Christus neu erklärt oder neu bestimmt, sondern das Kreuzesgeschehen und Jesus Christus werden vielmehr dadurch verständlich, dass sie von einem bekannten Wissen über Gott her zu begreifen sind. Weiter ist in 1Kor 1,30 nicht etwa davon die Rede, dass man durch Christus zu Gott10 käme, sondern durch Gott und sein Grund und Rahmen lieferndes Handeln ist man in Christus Jesus. In 1Kor 10,26 findet sich mit dem Zitat von Ps 24,1 in der Entscheidung über Speisefragen ein in seinem weltumspannenden Charakter eigentlich nicht zu überbietendes theo-logisches Argument. Und noch bevor die Adressaten von 1Thess mit Christus in Verbindung gebracht werden, wird als ihr spezifisches Kennzeichen angegeben, dass sie an Gott glauben und ihm dienen (1Thess 1,8f). Damit ist ein weites Spektrum hinsichtlich der Bedeutung der Rede von Gott für Paulus ebenso eröffnet wie eine ganze Reihe von Fragen und Problemen, die sich angesichts dieser Rede von Gott aus den genannten Texten ergeben. Wie wichtig ist das zweifelsohne vorhandene Thema Gott für Paulus und seine Verkündigung wirklich? In welchem Verhältnis steht es zu den übrigen Themen seiner Verkündigung? Was ist alt und was ist neu bei der Rede von Gott? Wer bestimmt wen – Gott Christus oder Christus Gott? Wer ist Subjekt und wer ist Prädikat bzw. Objekt? Welche Funktion also kommt Gott in der Argumentation zu, wie lässt er sich bestimmen und was können wir nach Paulus von Gott wissen?
1.2 Der Römerbrief Zur Beantwortung dieser Fragen und zu einer in der Forschungslandschaft ersten Orientierung über Gott bei Paulus soll in der vorliegenden Untersuchung aus verschiedenen Gründen am Römerbrief gearbeitet werden: Der Römerbrief ist nach weitem Konsens der letzte große 10
Vgl. nur W. Thüsing, Per Christum in Deum.
4
Einleitung
Paulusbrief11 und füllt auch dieses zeitliche Charakteristikum inhaltlich in Richtung einer zusammenfassenden und grundlegend entfaltenden Summe aus, insofern er viele wichtige Elemente der vorhergehenden Briefe wieder aufnimmt12 und diese in einer diesen gegenüber deutlich strukturierten und ausführlich und zusammenhängend erörternden Weise darstellt. So ist vielfach und durchaus nicht zu Unrecht vom Römerbrief als „Testament“13, theologischem „Vermächtnisbrief“14 oder von der „Summe des Evangeliums“15 oder aber auch von einer „retractatio“16 gesprochen worden. Das Stichwort der retractatio macht darauf aufmerksam, dass der Römerbrief auch im Hinblick auf sein historisches Umfeld und die intendierten Leser mit der Frage, an wen sich Paulus bei seinen Ausführungen eigentlich wendet, äußerst interessant ist. Denn zum einen ist im Unterschied zu anderen Briefen deutlich, dass Paulus mit seinem Schreiben an die ihm unbekannte Gemeinde in Rom, bei der er Hilfe erwartend von der Möglichkeit der Gemeinsamkeit ausgeht17, vielleicht teils skeptische und ablehnende, aber nicht in einen aktuellen Konflikt mit ihm selber verwickelte Hörer durch Überzeugung für sein gesamtes Programm gewinnen will18. Andererseits fließen Erfahrungen von vorangegangen und außerhalb des unmittelbaren Zusammenhangs des Briefes noch leben11
12 13 14
15 16 17 18
Anders etwa F. Vouga, Galaterbrief, 255, der den Galaterbrief als dem Römerbrief folgende und diesen systematisch zusammenfassende Schrift sieht, etwa aufgrund vermeintlicher argumentativer Probleme in Röm 9–11. Dagegen spricht aber nicht nur die argumentative Konsistenz dieser Kapitel (vgl. dazu unten Kapitel 5 und 6) und der gegenüber Gal viel klarere rhetorische Aufbau des Röm. – U. Schnelle, Einleitung 153ff ordnet den Philipperbrief (und den Philemonbrief, a.a.O., 166f) nach dem Römerbrief in die in Jerusalem beginnende Gefangenschaftszeit des Paulus ein. Demgegenüber spricht einiges für eine Abfassung von Phil in Ephesus. Denn nach Act 19,23–40 und 1Kor 15,32 kann man durchaus eine Haft (über deren Dauer Phil nichts sagt) und eine bedrohliche Situation in Ephesus ausmachen. Vor allem aber lassen sich die Ausführungen in Phil 3 dann besser verstehen und einordnen, wenn sie, wie der Galaterbrief, vor dem Römerbrief geschrieben wurden (vgl. U.B. Müller, Brief, 170; I. Broer, Einleitung, 386–391). Vgl. dazu die „Paulus-Synopse“ bei M. Theobald, Römerbrief, 111. Vgl. G. Bornkamm, Der Römerbrief als Testament des Paulus. Vgl. E. Dinkler, Verhältnis, 84. – Allerdings macht E. Lohse, Römer, 45 zurecht darauf aufmerksam, dass der Charakter des Vermächtnisses oder Testamentes nicht etwa dadurch entsteht, dass es das letzte Vorhaben ist, welches Paulus den nach ihm Kommenden übergibt – denn die Spanienauslassungen verweisen ja auf weitere Pläne – sondern eben durch die gegenüber den früheren Briefen zusammenfassende und zusammenhängend entfaltende Art und Weise der Darstellung offensichtlich entscheidender Elemente. Zum letzten Vorhaben und Vermächtnis ist der Römerbrief dann faktisch geworden. E. Lohse, Römer, 45. M. Theobald, Römerbrief, 112. Vgl. a.a.O., 40; R. Jewett, Paul, 142ff. Vgl. T. Schmeller, Paulus, 436.
Der Römerbrief
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digen Konflikten in die Darstellung mit ein19. Dies ist ersichtlich etwa aus 3,8, zum Teil auch aus dem Diatribenstil, der die vorangegangenen Auseinandersetzungen aufnimmt20, und durch die angekündigte bevorstehende Jerusalemreise (15,25ff), die mit einer Situation der Verteidigung und Rechenschaft des Paulus vor feindlich Gesinnten (15,31) sicher auch auf die gegenwärtige Situation des Briefschreibenden ausstrahlt21. Somit fällt beides „in eins zusammen: die Botschaft, die er in Rom predigen will und in Jerusalem verteidigen muss“22. Dies geschieht damit in einer biografischen Situation des Paulus bei der Abfassung des Römerbriefes, die in besonderer Weise als Wendepunkt bestimmt ist: Auf der einen Seite steht Paulus mit der Jerusalemreise und der Übergabe und fraglichen Akzeptanz der Kollekte an einem Punkt, an dem ihm neben der Gefahr für die eigene Person eine Ablehnung seiner Botschaft droht, die seine ganze Verkündigung massiv berühren und seine Position in der Bewegung des frühesten Christentums in Frage stellen würde23. Deshalb ist eine überzeugende Darlegung seiner Botschaft in Jerusalem ebenso wichtig wie im Hinblick auf die Gemeinde in Rom, deren Solidarität für Paulus in diesem Zusammenhang von vitalem Interesse ist. Auf der anderen Seite steht Paulus mit den Plänen der Spanienreise die Möglichkeit einer umfassenden Ausweitung seiner universal angelegten Mission vor Augen, für die er ebenfalls auf die Unterstützung der römischen Gemeinde angewiesen ist24. Und insofern die römische Gemeinde eine wesentlich heidenchristliche Gemeinde ist und damit genau das verkörpert, was Paulus verkündet, ist auch die Beziehung zwischen Paulus und dieser Gemeinde im Hinblick auf Botschaft und Mission des Paulus durchaus nicht unwichtig. Diese Bedeutung wird noch dadurch gesteigert, dass die Gemeinde selber von der Spannung geprägt ist, die für den Konflikt um die paulinische Botschaft typisch ist: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die die Botschaft von der gesetzesfreien Heidenmission begrüßen und sie in Richtung einer Trennung von Israel und den jüdischen Wurzeln weiterdenken. Auf der anderen Seite gibt es solche, die sich stark innerhalb der jüdischen Linien mit entsprechenden Praktiken verstehen25. Damit 19 20 21
22 23 24 25
Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 70. Vgl. T. Schmeller, Paulus, 436. Vgl. G. Bornkamm, Römerbrief, 137; U. Wilckens, Abfassungszweck, 139; diese These wurde von J. Jervell, Brief, 64ff auf die Spitze getrieben mit der Annahme von Jerusalem als eigentlicher Adresse. G. Bornkamm, Testament, 138. Vgl. A.J.M. Wedderburn, Reasons, 40f. Vgl. a.a.O., 141f. Vgl. a.a.O., 44f.140f.
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Einleitung
spricht Paulus mit dem Römerbrief zugleich in eine innergemeindliche Konfliktsituation hinein, die er zu lösen versucht (Röm 13–15), weil mit der innergemeindlichen Einheit auch seine Verkündigung und die Praxis der Gemeinden aus Heiden und Juden auf dem Spiel stehen. Damit haben die grundlegenden Ausführungen des Römerbriefes also auch einen klaren lebensweltlichen Bezug. Will man also den in unserem kurzen Rundgang durch Gal, 1Thess und 1Kor aufgeworfenen Fragen nach Gott bei Paulus nachgehen, empfiehlt es sich, beim Römerbrief anzusetzen, da zu erwarten ist, dass vorher entstandene Fragen und Elemente hier am ausführlichsten, grundlegendsten und zusammenhängendsten dargestellt werden. Insbesondere auch der Aspekt der retractatio, nach dem in den vorhergehenden Briefen – in stärker polemischen Zusammenhängen – gemachte Aussagen mit einem Abstand und in einer neuen Situation merklich differenzierter re-arrangiert sind, könnte auf einen weiteren hermeneutischen Punkt zugunsten des Röm hinweisen: „Hermeneutisch folgt daraus, dass es dem Willen des Paulus entspräche, die Kampfepistel Gal vom theologisch ausgereifteren, irenischen Röm her auszulegen und nicht umgekehrt … Der Römerbrief ist nicht das Resultat einiger Tage, sondern die Frucht langen Nachdenkens“26. Diese Verhältnisbestimmung darf mutatis mutandis auch auf die anderen großen Paulusbriefe ausgeweitet werden. Alles dies wird dadurch unterstützt, dass gerade auch im Hinblick auf andere Briefe der Römerbrief die klarste rhetorische Struktur der paulinischen Briefe aufweist27 und somit für die Funktion der Rede von Gott in der Argumentation hier die sichersten und klarsten Aussagen zu gewinnen sind. Und auch wirkungs- und rezeptionsgeschichtlich gesehen ist ein Ansatz im Römerbrief sinnvoll, da er „diejenige Schrift des Paulus (und des Neuen Testaments) ist, die das theologische Denken des Christentums begründet und eröffnet“28. Will man sich also über den christlichen Gottesbegriff vergewissern, liegt es nahe, zu allererst einen Blick in den Römerbrief zu werfen.
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M. Theobald, Römerbrief, 114. Vgl. a.a.O., 115: „Mit seiner sorgfältigen Disposition lädt Röm als ‚Evangeliumsbrief‘ förmlich [Hervorhebung von mir, J.F.] dazu ein, auf seinem Stand die Theologie des Paulus in Grundzügen darzustellen“. O. Wischmeyer, Römerbrief, 272.
Paulus
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1.3 Paulus Paulus steht angesichts der Frage nach „Apostate or apostle of Israel?“29 bzw. in seiner Eigenschaft als Exponent im Prozess und hinsichtlich des Problems der Entstehung des Christentums aus dem Judentum für besondere Implikationen der Untersuchung der Rede von Gott im Römerbrief. Diese Rolle und Funktion von Paulus ist etwa dadurch gekennzeichnet, dass er sich einerseits als schrift- und traditionstreuer Jude zu erkennen gibt, andererseits eine jüdische Unterscheidungen aufhebende Gemeinschaft von Juden und Heiden begründet und vertritt, die nach Act 11,26 eine dem Judentum gegenüber so differente Identität entwickelt, dass sie mit einem neuen Wort als Cristiano… gekennzeichnet werden muss. Nicht zuletzt setzt sich Paulus im Römerbrief auch mit seinem jüdischen Ich auseinander. Daraus ergeben sich als Implikation etwa folgende Fragen: Welche Rolle spielen also in dieser Spannung die Rede und das Verständnis von Gott bei der Formation des Christentums aus dem Judentum heraus? Welche Schlaglichter auf das Verhältnis von Judentum und Christentum wirft die Rede von Gott bei Paulus? Ist für Paulus Jesus Christus der hermeneutische Schlüssel für Gott, und kann ein unscharf erscheinender Gott Israels nur mit dieser „Sehhilfe“ allererst scharf erkannt werden – oder liefert umgekehrt Gott den hermeneutischen Rahmen, der nicht überschritten werden kann und aus dem heraus das Christusgeschehen vollumfänglich verständlich wird? Dabei kommt wiederum Gott die Funktion einer entscheidenden Mitte und einer wesentlichen Schnittmenge hinsichtlich jüdischer und christlicher Aussagen zu. Auch in der so skizzierten paulinischen Färbung der Frage nach der Rede von Gott kommt dem Römerbrief die Funktion eines idealen Untersuchungsfeldes zu, als er über weite Strecken – in welcher konkreten Form auch immer – durchaus als „dialogus cum Iudaeo“30 in Interpretation der gemeinsamen Schrift und Tradition verstanden werden kann. Dabei dürfte deutlich und angesichts der Entscheidung und Bewertung der Fragen hilfreich sein, dass es angesichts der sprachlichen Vergegenwärtigung Gottes keine objektiv beschreibbaren Formen der Gegenwart Gottes geben kann, sondern Vergegenwärtigung und sprachliche Realisierung immer in verschiedenen, konkreten Objektivationen bestehen. Die Frage nach dem Verhältnis der Rede von Gott in der paulinischen Spannung zwischen Judentum und sich herausbildendem Chris29 30
J.D.G. Dunn, Apostate, 256. J. Jeremias, Gedankenführung, 149.
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tentum kann also nur die des Verhältnisses verschiedener konkreter Objektivationen zueinander sein.
1.4 Rede Damit stehen wir bei der Problematisierung der Rede von Gott. In Bezug auf dieses weite Feld, ob und wie es überhaupt möglich ist, von Gott zu sprechen, und welches Verhältnis Sprache und Wirklichkeit hierbei haben, können im Hinblick auf unser Vorhaben einige wenige Eckpunkte genügen: Zuallererst ist zu sagen, dass das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit nie und in keiner Weise als unmittelbarer, direkter Bezug zwischen zwei deckungsgleichen Größen zu verstehen ist. Sprache ist grundsätzlich metaphorisch und eine „Lüge im aussermoralischen Sinn“31. Sprache kann also a priori nicht Dinge wahrheitsgemäß beschreiben oder ein Ding von seinem Selbst her adäquat wiedergeben. Damit sind wir aber dem Zwang und der Illusion enthoben, wir müssten und könnten eine weitere Bestimmung unternehmen, wie man von Gott reden kann bzw. welchen Bezug die sprachlichen Aussagen von Gott zur Wirklichkeit „Gott“ haben. Die Aufgabe ist dann vielmehr, die Rede innerhalb ihres eigenen Systems der Sprache zu untersuchen und dieses zu beschreiben. Da der Gegenstand unserer Untersuchung in erster Linie Texte sind, sind also die Implikationen der Frage nach der Möglichkeit der Rede von Gott im Hinblick auf unser Vorhaben begrenzt. Zum zweiten muss aber natürlich die Besonderheit des Ausdrucks ‚Gott‘ berücksichtigt werden. Der Signifikant /Gott/ ist ein Substantiv, das nicht einen Referenten wie jedes andere Wort hat. Im Gegensatz zu anderen sprachlichen Ausdrücken ist Gott kein Gegenstand, der durch die Sprache bezeichnet wird. Wir finden also hinter dem Wort ‚Gott‘ keinen Gegenstand, sondern nur neue und weitere Wörter, auf die bei dem Gebrauch des Wortes ‚Gott‘ verwiesen wird. Damit gilt also für das Wort ‚Gott‘ in besonderer Weise das, was Ludwig Wittgenstein für die Ermittlung von Bedeutung allgemein formuliert hat: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“32. Auch damit sind wiederum die Implikationen der Frage nach der Möglichkeit der Rede von Gott für den Zusammenhang unserer Fragestellung begrenzt, da wir es, wie gesagt, mit Texten zu tun haben, und deshalb einfach beschreiben können, welche Wörter das Wort Gott nach sich zieht, auf welche es verweist, 31 32
F. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 43.
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welche an seine Stelle treten oder zu welchen es in Opposition steht. Damit ergibt sich ein methodisch begrenztes, aber plausibles und sinnvolles Vorhaben in Bezug auf die Rede von Gott im Römerbrief: Wir untersuchen nicht Gott, sondern die Rede von Gott – und ganz exakt gefasst untersuchen wir Paulus-Rede, die das Wort ‚Gott‘ verwendet. In Bezug auf die Relevanz dieser Rede ist dann nur festzustellen, ob sie für diejenigen, die sie verwenden, eine Plausibilität in ihrer Wirklichkeit erweist33, ob es Erfahrungen gibt, dass man sinnvoll von Gott sprechen kann34.
1.5 Forschungsgeschichte An erster Stelle ist hier die eingangs gemachte Bemerkung, dass Gott der vernachlässigte Faktor in der Paulusforschung ist, zu wiederholen und auszuführen: Mit anderen Worten ist das, was zu unserem Thema an Forschungsgeschichte vorliegt, sehr eingeschränkt, weil die Theo-logie des Paulus im engeren Sinne lange Zeit überhaupt kein Thema für die Paulusforschung war und gerade erst dabei ist, ein Thema zu werden. So liegt für den deutschen Sprachraum mit der Arbeit von P.-G. Klumbies nur eine Untersuchung zu diesem Thema vor35, zu der noch die thematisch perspektivierte Arbeit von W. Schrage36 hinzugefügt werden kann, und zu der die beiden englischsprachigen Arbeiten von H. Moxnes, speziell zu Röm 437, und N. Richardson38 hinzukommen. Damit liegt aber für die Frage nach Gott im Römerbrief als selbständige Darstellung nur die eine, auf Röm 4 konzentrierte Monographie von H. Moxnes vor. Dieser kurzen Aufzählung gegenüber zeigt ein Blick in die neueren Kompendien und Darstellungen zu Paulus, seinem Leben und seinem 33
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Vielleicht kann man in diesem Sinn das Diktum von R. Bultmann, Sinn, 34 verstehen: „Und in der Tat ist das die einzige Antwort auf die Frage, ob und wann wir von Gott reden können: wenn wir müssen“ [Hervorhebung im Original]: Die Frage nach der Möglichkeit der geschehenden Rede von Gott ist eben dann beantwortet, wenn sie – und eben nichts anderes – plausibel ist für die, die sie benutzen. In diese Richtung geht vielleicht auch die sich anschließende Bemerkung von R. Bultmann (a.a.O., 35): „Ob dieses Müssen Wirklichkeit ist, können wir nur glauben“. Es gibt also keine objektive Verifizierung der Möglichkeit der Rede von Gott und ihrer Wirklichkeit, sondern vielmehr nur die eigene und gemeinschaftliche (kirchliche) Erfahrung, dass Wirklichkeit plausibel beschrieben ist. – Vgl. auch E. Jüngel, Gott, 100: „Eine Verifikation Gottes außerhalb des Glaubens kommt also … nicht in Frage“. Vgl. dazu E. Jüngel, Gott, 81. P.-G. Klumbies, Rede. W. Schrage, Einheit. H. Moxnes, Theology. N. Richardson, Language.
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Werk und zu seiner Theologie im weiteren Sinne, dass die Frage nach der Rede von Gott bei Paulus noch kaum Eingang in die gegenwärtige Diskussion gefunden hat. So finden sich etwa in M. Theobalds im Jahr 2000 erschienenen Übersichtsband zum Römerbrief39 in der Auflistung der theologischen Themen des Briefes zwar Anthropologie, Christologie, Ekklesiologie, Israel und Ethik, aber kein eigenes Thema Gott. Dieser kommt nur unter dem Kapitel „Gerechtigkeit Gottes“ zur Sprache, welches aber stärker mit dem Glauben und anderen Themen als mit Gott selber befasst ist. In J.D.G. Dunns „Theology of Paul the Apostle“ nimmt der Abschnitt „God“ einen vergleichsweise geringen Umfang ein40, was ebenso für die jüngste Paulusdarstellung von U. Schnelle41 wie auch für das neue Kompendium von O. Wischmeyer42 gilt. Diese Darstellungen spiegeln ziemlich exakt die Situation wider, dass Anthropologie und Christologie die großen Forschungsgegenstände der paulinischen Literatur sind, denen dann auch Pneumatologie, Eschatologie und Ekklesiologie nachfolgen. Für die Forschungsgeschichte vor den Arbeiten von H. Moxnes, P.-G. Klumbies und N. Richardson sei für die Details zu dem wenigen, das es gibt, auf den entsprechenden Abschnitt in der Darstellung von P.-G. Klumbies43 und auch von H. Moxnes44 und N. Richardson45 verwiesen. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung reicht es aus, wenn wir einige solche systematisierenden und zusammenfassenden Beobachtungen nennen, welche die Ausgangslange für unsere Untersuchung inhaltlich suffizient beschreiben. Dabei wird es – mit anderen Worten – um die Frage gehen, warum die Theo-logie als Thema in der Paulusforschung so wenig Beachtung gefunden hat. Weitere, eher die Details und die spezifischen Fragestellungen der untersuchten Einzeltexte betreffende forschungsgeschichtliche Beobachtungen und Voraussetzungen werden dann bei der Analyse dieser Einzeltexte genannt.
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M. Theobald, Römerbrief. J.D.G. Dunn, Theology. Dort kommt Gott als Thema nur im Abschnitt „God and Humankind“ mit 24 Seiten vor, während etwa der Abschnitt „Humankind under Indictment“ 94 Seiten in Anspruch nimmt und der Abschnitt über Jesus Christus 164 Seiten. U. Schnelle, Paulus. Dort wird für den Römerbrief Gott nicht als bestimmender, eigener Faktor genannt, und unter den Themen bekommt die Theologie im engeren Sinne 21 Seiten, während der Christologie 81 Seiten und der Anthropologie 63 Seiten reserviert sind. O. Wischmeyer, Paulus. Vgl. P.-G. Klumbies, Rede, 13–30. Vgl. H. Moxnes, Theology, 1–9. Vgl. N. Richardson, Language, 9–25.
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Eine erste Antwort zu dieser Frage ergibt sich aus dem immer noch obligatorisch großen Seitenumfang für die Darstellung der Anthropologie in den Gesamtdarstellungen zur paulinischen Theologie, der uns zu der reformatorischen Fragestellung des „Menschen vor Gott“ und der existenzialen Interpretation R. Bultmanns und ihrer Wirkung als Gründe führt46: Dadurch, dass es um die Frage des Menschen vor Gott ging, konnte es zu R. Bultmanns programmatischer These kommen, dass man, wolle man von Gott reden, vom Menschen reden müsse47, was dann dafür gesorgt hat, dass sich das Interesse an Paulus und seinen Texten, wenn es nicht schon auf Seiten der Christologie lag, auf die Anthropologie gerichtet hat. Des Weiteren gibt es auf die Frage noch ziemlich genau zwei tiefergehende – und einander konträr gegenüberstehende Antworten: Die erste Antwort besteht in der Annahme, dass Paulus das traditionelle jüdische Gottesbild als „fraglose Gewißheit“48 unverändert übernehme und dann eigentlich auf dem Gebiet der Christologie schöpferisch tätig werde. Damit war aber für den einen Teil der Paulusforscher Gott deshalb kein Thema eigenständiger Untersuchungen, weil das Gottesbild des Paulus gegenüber dem akzeptierten und verbreiteten jüdischen Gottesbild nichts Eigenständiges und Zusätzliches aufweise, sondern in diesem voll aufgehe. Wenn man demnach über den Gott des Alten Testamentes Bescheid wisse, wisse man auch genug über Gott bei Paulus. Damit hat Gott für Paulus nur relative Bedeutung. Bedeutung habe für ihn das, was in Christus geschehen ist, und damit die Darstellung und Auseinandersetzung mit dem Christusgeschehen, worin dann die „eigenständige Leistung“ des Paulus liege49. Weil Gott von Paulus also ganz traditionell verstanden werde und Paulus‘ eigentliche Aktivität demgegenüber auf dem Gebiet der Christologie liege, sei Gott auch kein Thema für die Paulusforschung. Das einzige, was Gott sozusagen neu gemacht habe, sei, dass er Jesus von den Toten auferweckt habe. Hier ist allen voran W.G. Kümmel50, aber auch K.H. 46 47
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Vgl. nur H. Moxnes, Theology, 4. Vgl. R. Bultmann, Sinn, 28: „Es zeigt sich also: will man von Gott reden, so muss man offenbar von sich selbst reden“ [Hervorhebung im Original]; und ders., Theologie, 192: „Jeder Satz über Gott ist zugleich ein Satz über den Menschen und umgekehrt. Deshalb und in diesem Sinn ist die paulinische Theologie zugleich Anthropologie“ [Hervorhebung im Original]. K.H. Schelkle, Paulus, 185. P.-G. Klumbies, Rede, 14. W.G. Kümmel, Theologie, 145f.221; vgl. dazu ders., Gottesverkündigung, 66–68 u. passim. – Auch E. Fascher, Gott, 1715–1717 wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt (vgl. P.-G. Klumbies, Rede, 22 u. A. Lindemann, Rede, 9f). Allerdings
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Schelkle51 zu nennen, die an ältere Vertreter wie etwa W. Wrede52 und A. Deißmann53 anschließen können. Die andere Seite argumentiert genau umgekehrt. Danach werde Gott für Paulus eigentlich, endgültig oder neu erst durch Jesus Christus erkannt. Gott werde für Paulus so wesentlich und so neu durch Jesus Christus bestimmt und allererst durch ihn erkennbar, dass es wiederum nicht möglich oder sinnvoll ist, sich mit Gott zu beschäftigen, sondern allein mit dem Christusgeschehen, da man aus diesem alles Nötige über Gott erfahre (G. Delling)54. In der Gegenwart wird diese Position repräsentiert vor allem durch die Arbeit von P.-G. Klumbies55, und sie findet sich auch in dem neuen Paulusbuch von U. Schnelle: „Im machtvollen Christusgeschehen zeigt sich definitiv, wer Gott ist“56. Es kann dann noch über Christozentrik und Theozentrik diskutiert werden57. Diese Diskussion ist aber unter den gegebenen Voraussetzungen relativ müßig, da Jesus Christus formal dem Gott unterstellt wird, der wesentlich durch ihn gekennzeichnet ist. Wiederum können wir hier als Beleg ein Zitat von U. Schnelle anführen, indem wir das angeführte Zitat noch etwas ergänzen: „Paulus… kennzeichnet… die Theozentrik als entscheidendes Strukturmerkmal der Christologie. Im machtvollen Christusgeschehen zeigt sich definitiv, wer Gott ist“58. Insofern diese Positionen, wie an U. Schnelle deutlich wird, weitgehend auch heute noch gelten, haben wir für unsere Untersuchung natürlich eine hoch interessante Ausgangsbasis: Ist nun die Gottesvorstellung des Paulus genau deckungsgleich mit der zeitgenössischen antik-jüdischen – oder ist sie ganz anders, nämlich christologisch bestimmt? Und hat eine Überordnung Gottes über Christus irgendeinen Aussagewert
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lässt sich E. Fascher der genannten Position nicht uneingeschränkt zuordnen, insofern er auch eine Modifizierung in der Rede von Gott sieht (Gott, 1715ff). Vgl. K.H. Schelkle, Paulus, 185f. Vgl. W. Wrede, Paulus, 80 u. passim. Vgl. A. Deißmann, Paulus, 145. Vgl. G. Delling, Botschaft, 19; ders., Christusbezeichnungen, 418.422. Vgl. P.-G. Klumbies, Rede (vgl. dazu im Einzelnen in diesem Abschnitt unten); vgl. auch E. Gräßer, Gott, 231.258; C. Böttrich, Rede, 78. – Nicht eindeutig lässt sich die Position von A. Lindemann, Rede bestimmen: Einerseits spricht er davon, „daß die paulinische Theologie also im Lichte der Christologie zu sehen ist“ (a.a.O., 26), andererseits sieht er, dass das Gottesverständnis in der Gerechtigkeit Gottes, wie sie in Gottes in Röm 3,21–31 beschriebenem Handeln zum Ausdruck kommt, am besten fassbar sei (a.a.O., 23f). Weil aber eine klare Bestimmung von diesem in Röm 3,21–31 beschriebenen Handeln bei A. Lindemann fehlt im Hinblick auf die Frage von Kontinuität oder Diskontinuität und vom Primat von Theologie oder Christologie, bleibt seine Position am Ende uneindeutig und damit aussagelos. U. Schnelle, Paulus, 340. Vgl. dazu P.-G. Klumbies, Rede, 24–32. U. Schnelle, Paulus, 340. Vgl. auch A. Lindemann, Rede, 10f.26; E. Gräßer, Gott, 187f.
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– oder bestimmt letztlich doch Christus, weil er einem wie auch immer aussagelosen Gott untergeordnet ist? Der erste, der diese Auffassungen, die eine Auseinandersetzung mit Gott als eigenem Thema verhindert haben, durchbrochen hat, war H. Moxnes59. Er wandte sich der paulinischen Theo-logie und nicht der Anthropologie oder der Christologie zu und konnte zeigen, dass die Argumentation mit Gott eine eigenständige und entscheidende Funktion in der paulinischen Verkündigung, insbesondere auch zur Bearbeitung von Konflikten, hat. In seiner Arbeit zeigt Moxnes, dass die Gottesaussagen einen konkreten und situativen Bezug auf Auseinandersetzungen um die paulinischen gemischtchristlichen Gemeinden aus Juden und Heiden haben und damit im Spannungsfeld unterschiedlicher Auffassungen von den Anhängern dieser Gemeinden auf der einen Seite und jüdischen und judenchristlichen Gegnern auf der anderen Seite stehen. Damit macht H. Moxnes für die paulinische Rede von Gott als wichtiges Kennzeichen geltend, dass sie nicht in der Gestalt von dogmatischen Aussagen eines Lehrschreibens daherkommt, sondern dass sie vielmehr wichtige Funktionen innerhalb einer solchen Argumentation einnimmt, die lebensweltliche Bezüge hat und im Kontext einer geschichtlichen Situation verortet ist. Leider ist dieser Ansatz von H. Moxnes, der im wesentlichen auf Röm 4 fokussiert ist, nicht weiter verfolgt und ausgeweitet worden. Ihm gegenüber steht bei den nachfolgenden Arbeiten von P.-G. Klumbies und N. Richardson zur paulinischen Rede von Gott wieder stärker das Verhältnis von Christologie und Theologie im Mittelpunkt des Interesses. Dabei ist insbesondere für die Darstellung von P.-G. Klumbies bemerkenswert, dass sie die Arbeit von H. Moxnes vollständig ignoriert60. Dementsprechend ist auch ein situativer, funktionaler Ansatz in der Arbeit nicht zu finden. Der Ansatz, die paulinische Rede von Gott in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext darzustellen, erweist sich dann als zu umfangreich, um wirkliche Ergebnisse zu erbringen, denn die Beschreibung des Gottesverständnisses in jüdischen Schriften ist zu oberflächlich, um einen echten Vergleichspunkt zu liefern, und mündet dementsprechend in ein viel zu undifferenziertes Bild: „Bei aller Verschiedenheit im einzelnen zieht sich durch die behandelten Schriften aus hellenistisch-römischer 59 60
H. Moxnes, Theology; vgl. oben. So wird bei P.-G. Klumbies, Rede die Arbeit weder in dem Abschnitt über die Forschungsgeschichte genannt, noch findet sich im Namensregister ein Eintrag ‚Moxnes‘, und in der Diskussion einschlägiger Texte (Röm 4,17) wird auch nicht auf H. Moxnes Bezug genommen.
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Zeit als ein gemeinsames Element das Empfinden eines ungeheuren Abstands zwischen Gott und Mensch“61. „Die Beziehung zwischen Gott und Mensch wird zwar als Postulat aufrecht erhalten. In der Realität tritt sie jedoch zurück“62. Da hat dann Paulus leichtes Spiel, den christlichen Gott den Menschen näher zu rücken, und bei ihm wird „demgegenüber … die Rede von Gott gerade von der heilstiftenden Beziehung Gottes zum Menschen her entwickelt“63. P.-G. Klumbies kommt dabei zu dem Ergebnis: Für Paulus „ist sein Gottesverständnis mit dem des Judentums unvereinbar“ und zwar deshalb, weil für Paulus Gott ganz eindeutig von Christus her neu bestimmt werde. Jede andere Feststellung „verkennt die grundlegende Bedeutung der Christologie für das paulinische Reden von Gott. Die soteriologisch verstandene Christologie führt Paulus zu einem Gottesverständnis, das sich von dem jüdischer Schriftsteller, so unterschiedlich dieses in seinen einzelnen Ausprägungen auch ausfällt, signifikant unterscheidet“64. Dabei seien diese insbesondere durch eine Betonung der „Gottheit Gottes“65 gekennzeichnet. Wir haben den leichten Verdacht, dass P.-G. Klumbies bei seiner Untersuchung insgesamt von einem bestimmten dogmatischen Vorverständnis geprägt ist, das ihm die Sicht auf die Texte verstellt. Deshalb wird unsere Analyse der Einzeltexte immer wieder auch von der Auseinandersetzung mit P.-G. Klumbies geprägt sein. Die Studie von N. Richardson ist primär linguistisch konzipiert und nimmt von daher die Verortung der Rede von Gott in ihrem geschichtlichen Zusammenhang nur am Rande auf. Wie P.-G. Klumbies geht auch N. Richardson über den Röm hinaus und untersucht Texte aus mehreren echten Paulinen. Dabei lässt sich als signifikantes Resultat festhalten: „Paul‘s language about God and about Christ are thoroughly interdependent, but that interdependence is not straightforwardly reciprocal: Paul’s CristÒj-language is grammatically subordinate to his qeÒj-language (the language pattern reflecting theology) while qeÒj-language points to God as origin, author, warrant and goal”66. Dabei ist dann im Ergebnis von Kontinuität und Diskontinuität in der Rede von Gott zu sprechen67, insofern alttestamentliche Aussagen, insbesondere über Gnade und Liebe, radikalisiert würden68 61 62 63 64 65 66 67 68
P.-G. Klumbies, Rede, 104. A.a.O., 244. Ebd. A.a.O., 245. A.a.O., 244. N. Richardson, Language, 311; vgl. auch 305. Vgl. a.a.O., 312ff. Vgl. a.a.O., 313f.
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und bekannte Aussagen über Gott in einen neuen Kontext gestellt würden69. Interessanterweise nimmt auch J.H. Neyrey in seinem Überblick über Gott im Neuen Testament70 in dem Abschnitt über den Römerbrief71 nicht den funktionalen Ansatz von H. Moxnes auf, sondern spricht demgegenüber vielmehr davon, dass in Röm eine systematisch-theologische Darstellung Gottes erfolge, indem Paulus den klassischen Weg von Epistemologie, Wesen/Natur, Ethik wähle72. Inhaltlich sei Gott ganz wesentlich durch eine Doppelheit der Attribute und Kräfte gekennzeichnet, nämlich durch Erbarmen und Richten, sowie durch Schöpfung und Vollendung73. Hinsichtlich der Einordnung von Paulus in dessen eigene, jüdische Umwelt macht J.H. Neyrey eine interessante Bemerkung: „if this material [das Paulus in seiner Darstellung von Gott verwendet, der Verf.] is the orthodox heritage of Israel, then Paul‘s orthodoxy cannot be called into question. His doctrine of God, then is nothing novel, defective, or deviant“74. Einige weitere, kleinere Beobachtungen weisen nun darauf hin, dass Gott als Thema der paulinischen Theologie nach den Jahren der Abstinenz durchaus im Kommen ist. Nicht zuletzt W. Schrages Arbeit zum paulinischen Monotheismus hat mit der These, dass für Paulus am Ende des geschichtlichen Prozesses auch die Einheit Gottes stehe75, darauf hingewiesen, dass Gott ein wichtiger Faktor in der paulinischen Theologie ist. Und E. Reinmuth nennt seine Paulusdarstellung im Untertitel: „Gott neu denken“76. Naturgemäß kommt in dieser auf Paulus als biblische Gestalt77 abzielenden Darstellung Gott als eigenes Thema nicht wirklich bestimmend vor78, aber die Charakterisierung dieser Gestalt als eine, die Gott neu denkt79, zeigt doch an, dass mit der Frage nach Gott möglicherweise das wesentliche Charakteristikum paulinischer Verkündigung getroffen ist. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch, dass D.A. DeSilva in seiner Einleitung in das Neue Testa-
69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79
Vgl. a.a.O., 308. J.H. Neyrey, God. Vgl. a.a.O., 107–143 mit der Überschrift: „A systematic theology: God in Romans“. Vgl. a.a.O., 109ff. Vgl. a.a.O., 142. A.a.O., 143. Vgl. W. Schrage, Einheit, 146. E. Reinmuth, Paulus. So der Titel der Reihe der Darstellung von E. Reinmuth, Paulus. Vgl. a.a.O., 11ff u. passim: Nach der Erwähnung in der „Einführung“ wird von der Gottesfrage doch schnell wieder abgerückt. Vgl. a.a.O., 243.
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ment80 den Abschnitt über den Römerbrief überschreibt mit „The God of Jews and Gentiles“81. Auch wenn dann im Rahmen einer Einleitung keine differenzierte Darstellung erfolgen kann und sich auch D.A. DeSilva wesentlich auf die Gerechtigkeit Gottes beschränkt82 und auch etwa Röm 4 nicht als „Gotteskapitel“ beschreibt83, wird auch hier deutlich, dass mit Gott nicht nur für Paulus allgemein, sondern insbesondere auch für den Röm ein ganz entscheidender und wesentlicher Punkt getroffen ist, der eine Näherbestimmung verdient. Zu nennen sind vielleicht auch noch die in jüngster Zeit erschienenen Arbeiten von J. Woyke und D. Starnitzke. D. Starnitzkes Untersuchung der „Struktur paulinischen Denkens im Römerbrief“ sieht im Röm eine argumentative Doppelstruktur von menschlicher und göttlicher Sicht zu Tage treten84. Damit hat D. Starnitzke immerhin indirekt attestiert, dass Gott offensichtlich in der Argumentation des Römerbriefs eine wichtige Rolle spielt. Weiter lässt er aber Gott wesentlich christologisch bestimmt sein, und er liest den Römerbrief weniger als ein geschichtliches Zeugnis der Diskussion um die paulinischen Gemeinden denn vielmehr als einen eher philosophischen Text, der an der „Frage des Menschen nach sich selbst“ orientiert ist85. J. Woyke macht weniger Gott als die Götter zum Gegenstand einer Untersuchung verschiedener Texte aus den echten Paulinen86. Damit steht also nicht die Rede von Gott selber im Zentrum der Untersuchung J. Woykes, sondern die paulinische Rede über die Götter und die pagane Umwelt. Dabei kommt J. Woyke zu dem wichtigen Ergebnis, dass alle paganen sogenannten Götter gegenüber dem einen und wahren Gott völlig „depotenziert und degradiert“ seien87 und dementsprechend überhaupt keinen Bezug zu oder „Anteil an der göttlichen Wirklichkeit“ haben88. Für die paulinische Verkündigung des übrigbleibenden einen Gottes sei entscheidend, dass es sich dabei „um den konkreten Gott, der (auch) durch die Juden angebetet wird“ handele89, dass sie „binitarisch“90, d.h. in der Rede von dem Vater und dem Sohn erfolge und dass sie nicht „propädeutisch“ geschehe91, sondern „die Ver80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91
Vgl. D.A. DeSilva, Introduction. A.a.O., 598. Vgl. a.a.O., 606–611. Vgl. a.a.O., 613ff. Vgl. D. Starnitzke, Struktur, 478 u.ö. A.a.O., 485. Vgl. J. Woyke, Götter. A.a.O., 447f. A.a.O., 449. A.a.O., 458. A.a.O., 457. A.a.O., 458.
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kündigung des einen Schöpfergottes zum Proprium [Hervorhebung im Original] des paulinischen Evangeliums“ gehöre92.
1.6 Untersuchung Zieht man die bisherigen Ausführungen zusammen, so ergeben sich daraus die wesentlichen Linien für das Vorhaben dieser Arbeit. Am Römerbrief in seiner besonderen Eigenschaft als „Summe“ oder retractatio soll die paulinische Rede von Gott untersucht werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Römerbrief zwar die ausführlichste und zusammenhängendste Darstellung paulinischer Verkündigung in einer weniger polemischen Situation, aber gleichwohl kein Lehrtraktat ist, sondern die geschichtliche Situation der paulinischen Mission von auch für Heiden vorbehaltlos offenen, gemischtchristlichen Gemeinden im Blick hat. Nach den bisherigen Ausführungen wird es vor allem um die Relevanz der Rede von Gott im Römerbrief für die paulinische Verkündigung und ihre Argumentation gehen und im Hinblick auf die beiden genannten Forschungspositionen um die Frage von vollkommener Deckungsgleichheit und Kontinuität oder unvereinbarer Neuerung der paulinischen Rede im Hinblick auf Vergegenwärtigungen Gottes im antiken Judentum. Damit verbunden ist zugleich die Frage nach dem Verhältnis von Christologie und Theologie. Die Frage, ob nun die paulinische Rede von Gott noch als „jüdisch“ bezeichnet werden kann oder doch „christlich“ genannt werden muss, macht sich dabei besonders auch an der Person des Paulus fest, der als Jude den Heiden ein Evangelium des Heils in Christus verkündet. Nicht zuletzt wird sich diese Frage vielleicht auch daran entscheiden, was man denn inhaltlich, material über die paulinische Gottesrede sagen kann. Da wir es beim Römerbrief zuallererst mit einem Text zu tun haben, und dazu noch mit einem erkennbar rhetorisch sorgfältig gestalteten93, werden wir uns der Aufgabe vor allem in textlinguistisch-rhetorischer Weise stellen94. An erster Stelle stehen also Texte, die auf ihre Struktur,
92 93 94
Ebd. So doch ein breiter Konsens, vgl. nur M. Theobald, Römerbrief, 59; Einzelnachweise in den jeweiligen Analysen. Vgl. zur Nähe von Textlinguistik, Semiotik und Rhetorik etwa H.F. Plett, Textwissenschaft; U. Eco, Semiotik, 123ff. u. passim; aber auch R. Barthes, Rhetorik. Zur Grundlegung und zur Methode vgl. etwa H. Lausberg, Handbuch und ders., Elemente; R.D. Anderson, Theory, 58; sowie G. Ueding, Rhetorik; G. Ueding/B. Steinbrink, Grundriss; H.F. Plett, Textanalyse; und K. Brinker, Textanalyse.
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ihre intentio operis95, sowie auf ihre Funktion im textlichen Kontext und in der Kommunikationssituation des Gesamttextes untersucht werden sollen. Da Paulus vielfach explizit oder implizit Texte aus der Schrift, d.h. dem Alten Testament, zitiert oder auf solche anspielt und weil vielfach auch die Rezeption und je eigene Vergegenwärtigung von Texten und Motiven aus dieser Schrift im Paulus umgebenden, antiken Judentum in der Darstellung des Röm anklingt, wird wesentlich auch darauf zu achten sein, wie Paulus jeweils mit „Schrift und Tradition“ arbeitet und wie seine Aussagen sich zu diesen verhalten. Dabei sind wir uns bewusst, dass eine solche Redeweise von „Schrift und Tradition“ anachronistisch ist, weil im 1. Jh. n. Chr. der Kanonisierungsprozess im Judentum noch nicht abgeschlossen war und „die nachbibl. jüd. Schriftsteller oft nicht eindeutig zw. ihren eigenen und bibl. Texten unterschieden“96 und weil der Begriff der „Tradition“ seine spezifische Prägung im sich später formierenden rabbinischen Judentum als „mündliche Lehre“ gefunden hat97. Insofern aber doch „bereits im 1.Jh. die fünf Bücher der Tora und die meisten in die HB aufgenommenen Schriften als autoritativ angesehen“ wurden98 – wofür die paulinische Wendung nÒmoj kaˆ profÁtai in Röm 3,21 ein guter Beleg ist – und es daneben eben noch eine umfangreiche, auf diese Schriften und ein gemeinsames kulturell-religiöses Inventar Bezug nehmende Literatur gibt, erscheint es uns möglich, der Einfachheit halber von „Schrift und Tradition“ zu sprechen, womit wir eben mit Letzterem das in den außerbiblischen antik-jüdischen Texten greifbare, gemeinsame religiös-kulturelle Wissen meinen. Dabei käme eine Untersuchung der Rede von Gott in Röm einer Versfür-Vers-Analyse des Briefes gleich, wie H. Moxnes zu Recht bemerkt99. Da dieses im Rahmen unseres Vorhabens sicher nicht leistbar ist, gilt es Teiltexte auszuwählen, um aus exemplarischen Einzeluntersuchungen ein Gesamtbild zu erstellen. Dabei sind die zu untersuchenden Texte in erster Linie nach ihrer Funktion im rhetorischen Aufriss des Röm und dann auch aufgrund thematisch-inhaltlicher Gesichtspunkte ausgewählt100. So werden 3,21–31 als Aufnahme und Ausführung der propositio untersucht, 11,25–36 als Ende des argumentierenden Hauptteiles (Ende der sich aus confirmatio und refutatio zusammensetzenden argu95 96 97 98 99 100
Zur intentio operis vgl. U. Eco, Interpretation, 31. C. Hezser, Tradition, 506. Vgl. H. Liss, Tradition, 506. C. Hezser, Tradition, 505. Vgl. H. Moxnes, Theology, 17. Zur Begründung unserer jeweiligen rhetorischen Einordnung der Texte vgl. jeweils unten z.St.
Untersuchung
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mentatio)101 und 15,7–13 als peroratio. Insofern sich das Gottesthema als besonderes Thema zwischen „Evangelium und Israel“ darstellt und die Frage von Kontinuität und Diskontinuität aufwirft, liegt es nahe, Texte heranzuziehen, die dieses ausdrücklich thematisieren oder inhaltlich in diese Richtung weisen. Von daher kommen 3,1–8, die Theodizee angesichts Israels besonderer Beziehung zu Gott, und Röm 9, die „Israelfrage als Gottesfrage“, als zu untersuchende Texte hinzu. Ergänzt wird die Auswahl durch Röm 4, das in doppelter Hinsicht in die Untersuchung mit einbezogen werden sollte: Zum einen kann dieser Text als ein sich anschließendes Argument für 3,21–31, also die Ausführung der propositio, gelten, und zum anderen ist es der Text, der in besonderem Maß in einer unserer Blickrichtung entgegengesetzten Weise gelesen wurde: Traditionell als Text der paulinischen Anthropologie, i.e. der Situation des Menschen vor Gott, oder der menschlichen Seite des Glaubens gelesen, ist es der Text, an dem H. Moxnes seine Entdeckungen zur Relevanz des Gottesthemas in Röm gemacht hat. Damit haben wir mit der Auswahl der Texte auch dem Befund Rechnung getragen, dass Röm 1–4 und 9– 11 in besonderer Weise durch das Thema „Gott“ geprägt sind102. Weiter kommt hinzu, dass sich in Röm an Aussagen über Gott häufig Syntagmen wie „für Juden und Griechen“ o.ä. anschließen103. Auch diese Beobachtung hat ihren Niederschlag in der Auswahl der Texte gefunden, die eben diesen Zusammenhang der Rede von „Juden und Griechen“, und damit den Zusammenhang der gemischtchristlichen Gemeinden, mit berücksichtigt. Dabei wird sich aber gerade auch an der Auswahl in besonderer Weise zeigen, ob es sinnvoll ist, die paulinische Rede von Gott im Römerbrief zu untersuchen und ihren Stellenwert und ihre Kontur zu ermitteln: Nämlich daran, ob sich aus einer Auswahl von verstreut liegenden Texten, die man natürlich auch unter anderen Gesichtspunkten hätte zusammenstellen können, doch ein Bild der paulinischen Rede von Gott mit gewissen Linien und Konstanten bei allen rhetorischen und funktionellen Unterschieden und Eigengewichten der Texte ergibt.
101 Vgl. etwa M. Theobald, Römerbrief, 61. 102 Vgl. auch H. Moxnes, Theology, 15. 103 Vgl. a.a.O., 13f.
Kapitel 2 Römer 3,1–8 2.1 Einleitung „Romans 3. 1–8 is one of the most puzzling passages in the epistle”1. Mit diesem Urteil von D.R. Hall ist der Konsens in der Exegese von Röm 3,1–8 schon erschöpfend beschrieben. Von da an gehen die Meinungen nicht nur über die zahlreichen Einzelprobleme des Textes, sondern vor allem auch über die Funktion und Bedeutung des Abschnittes innerhalb des gesamten Briefes weit auseinander. Auf der Seite derer, die dem Abschnitt nur schwer eine argumentative Klarheit und eine sinnvolle Funktion im Gesamttext zuerkennen können, hat sich C.H. Dodd am weitesten exponiert mit seinem berühmten Statement: „The argument of the epistle would go much better if this whole section would be omitted“2. Hier seien exemplarisch auch O. Kuss3 und neuerdings auch D. Zeller4, H. Räisänen5 und R.H. Bell6 genannt. In diesem Zusammenhang wird zum Teil auch noch zusätzlich angeführt, dass Röm 3,1–8 in sich gar nicht homogen sei, sondern eigentlich in zwei Abschnitte, nämlich V.1–4 und V.5–8 zerfalle7.
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5 6 7
D.R. Hall, Romans, 183. C.H. Dodd, Romans, 46. Vgl. O. Kuss, Römerbrief, 99: „Digression“. Vgl. D. Zeller, Römer, 77: „Dies ist zweifellos im Vergleich zu den Hauptgedanken von 1,18–3,20 eine Abschweifung, die wohl der Jude im Apostel erzwingt […] es folgen zwei Gänge von Frage und Antwort aufeinander, die Paulus immer mehr von seinem Ziel abdrängen“. H. Räisänen, Verständnis, 200: „Exkurs“. R.H. Bell, God, 209: Paulus „moved away from his main theme“. Vgl. O. Kuss, Römerbrief, 99 und neuerdings auch D. Starnitzke, Struktur, 111.121.126, der 3,1–8 auf verschiedene Abschnitte aufteilt: so segmentiert er in 2,17–3,4 und 3,5– 18, wobei er nur für die letztere Einteilung bemerkt, dass t… ™roàmen einen Abschnitt anführe, sonst aber keine Argumente bringt. – Vgl. dazu auch S.K. Stowers, Dialogue, 708.
Einleitung
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Solche Einschätzungen weisen nicht nur darauf hin, dass es offensichtlich nicht ganz einfach ist, unseren Abschnitt in seiner Aussage und Funktion zu erfassen, sondern sie sagen auch etwas über die besondere Beziehung zwischen Röm 3,1–8 und seinem textlichen Umfeld aus. Stärker noch als bei anderen Abschnitten tritt hier zu Tage, wie das Verstehen des Einzelabschnittes und des Gesamttextes aufeinander bezogen sind8: Insofern Gesamttext und Teilabschnitt in deutlicher Spannung bzw. Beziehungslosigkeit gesehen werden, wird das Verständnis unseres Abschnittes zu einem hohen Indikator für das Verstehen des Gesamttextes, wie umgekehrt Verstehenskonzepte des Gesamttextes sich auch daran messen lassen müssen, wie sich Röm 3,1–8 darin integrieren lässt. Die Bewertung von Röm 3,1–8 als Digression bzw. die Feststellung, dass unter Auslassung des Abschnittes der Duktus der Argumentation des Briefes stringenter wäre, zeigt, dass vom Kontext ein Bild entworfen wurde, in dem 3,1–8 nur eine störende Funktion einnimmt9. Das lässt fragen, ob nicht weitere Verstehensbemühungen mit neuen Perspektiven auch für den Gesamttext erforderlich sind, die ein solches Textbild entwerfen, in dem Röm 3,1–8 als notwendiger und sinnvoller Argumentationsschritt erscheinen kann. Umgekehrt geht es dann darum, welche Impulse das Verstehen von Röm 3,1–8 für das Verständnis des Kontextes hat. Das Verständnis von Röm 3,1–8 wird sich also folglich auch auf das Verständnis von Röm 1,18–2,29 und Röm 3,9ff auswirken. Dementsprechend sind in der neueren Forschung Bestrebungen zu verzeichnen, Röm 3,1–8 als sinnvollen und notwendigen Schritt in der Gesamtargumentation zu erweisen, so etwa von R.B. Hays10, P.J. Achtemeier11 und D. Sänger12, oder mit W.S. Campbell den Abschnitt sogar als Schlüsselstelle des Briefes zu verstehen13. Neutraler formuliert spricht J.D.G. Dunn von einer „railway junction“14, insofern aus der begonnenen Argumentationslinie sich nun in verschiedene Richtungen Fragen und Themen ergeben, die im weiteren Verlauf des Briefes noch verfolgt werden. 8 9
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Vgl. dazu G. Bornkamm, Teufelskunst, 140f. Vgl. etwa H. Räisänen, Verständnis, 188, der bemerkt, 3,3 störe in dem Zusammenhang des Kontextes, weil es dort darum gehe zu zeigen, dass alle unter der Sünde seien, und nicht darum wie in 11,1.23, die heilsgeschichtliche Kontinuität aufzuweisen. Vgl. R.B. Hays, Psalm, 107ff. Vgl. P.J. Achtemeier, Structure, 87 u. passim. Vgl. D. Sänger, Verkündigung, 153ff. – Auch die neueren Kommentare von K. Haacker (Römer, 76f) und E. Lohse (Römer, 115) bestreiten ausdrücklich, dass eine Abschweifung in 3,1–8 vorliege. Vgl. W.S. Campbell, Key, 22ff. J.D.G. Dunn, Romans I, 130.
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Römer 3,1–8
Immerhin lässt sich in der Tat für Röm 3,1–8 gegenüber Röm 2 eine deutliche Veränderung in der Darstellungsweise feststellen15, insofern in V.1–8 in einer Dichte Fragen auftauchen, wie sie vorher nicht aufgetreten sind. Und diese Fragen stellen sich über Stichwortverbindungen auch deutlich als Fragen hinsichtlich des bisher Dargestellten dar und haben ebenso in verschiedener Hinsicht auch noch ein Nachleben in Röm16. Insofern also Röm 3,1–8 einen neuralgischen Punkt in der gegenwärtigen Römerbriefexegese darstellt, sich deutlich als Bearbeitung und Klärung des bis hierher Gesagten auf einer neuen Ebene zeigt17 und dabei mit seinen Themen zugleich auf die weitere Argumentation verweist und in bestimmter Weise mit dem Verständnis auch des Gesamtbriefes verbunden ist18, ist es naheliegend und sinnvoll, hier mit einer Analyse im Hinblick auf die Rede von Gott einzusteigen. Immerhin ist von V.2 bis V.7 in jedem Vers qeÒj mindestens einmal lexikalisiert, und es wird in der Literatur auch der Begriff der „Theodizee“ mit dem Abschnitt in Verbindung gebracht19.
2.2 Röm 2 als Voraussetzung für Röm 3,1–8 Entsprechend den in der Einleitung gemachten Bemerkungen soll zunächst Röm 2 als unmittelbare Voraussetzung für Röm 3,1–8 skizziert werden, um ein erstes Urteil über das Verhältnis des Abschnittes zum Kontext fällen zu können. Das Thema von Röm 2 kann man nämlich weder unter einer Gesamtüberschrift für Röm 1,18ff „alle unter dem Zorn Gottes“20 noch unter einer spezielleren Überschrift für Röm 2 „die Juden unter dem Zorn Gottes“21 fassen. Denn Röm 2 ist weder ausschließlich noch überwiegend von negativen Gerichtsaussagen bestimmt, sondern durchaus auch von positiven Urteilen im Richten Gottes (2,7.10.27–29)22. Berücksichtigt man 15 16 17 18
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Vgl. nur E. Lohse, Römer, 115; K. Haacker, Römer, 75. Vgl. nur W.S. Campbell, Key, 32f. Vgl. nur E. Lohse, Römer, 115; K. Haacker, Römer, 75. Vgl. nur P. Stuhlmacher, Römer, 48: „Der nachstehende Argumentationsgang [Röm 3,1–8, d. Verf.] […] ist aber eben deshalb für das Ganze des Römerbriefes besonders interessant“. Vgl. nur W. Klaiber, Theodizee, 227; T. Eskola, Theodicy, 96ff. Bei T. Holmen, Motifs wird der Text leider in keiner Weise erwähnt, was in seiner problematischen Engführung der Theodizee auf den Zusammenhang allein des Leidens Christi begründet ist. H. Räisänen, Verständnis, 188. E. Lohse, Römer, 97; vgl. auch P. Stuhlmacher, Römer 38; U. Wilckens, Römer 1, 121. Damit ist aber auch das Urteil von O. Wischmeyer, Gerichtsrede, 374 u.ö. über Röm 2 nicht zutreffend, die zwar sieht, dass Röm 2 der „universalen Perspektive“ verpflich-
Röm 2 als Voraussetzung für Röm 3,1–8
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nun noch, dass anerkennende Urteile in Gegenüberstellung zu verdammenden Gerichtsaussagen stehen, so ergibt sich als Thema für Röm 2 nicht in erster Linie der Zorn Gottes, sondern nach der Darstellung des Zorns Gottes in 1,18ff spätestens ab 2,5b die Frage nach Gottes nach beiden Seiten offenem Gericht. Bestimmend sind nun V.5b–13.25–29 mit den gleichgewichtigen Gerichtsaussagen zum Heil und Unheil mit ihren entscheidenden Axiomen in V.5b.6 und V.1123. Es geht damit in Röm 2 um das unparteiische Gericht Gottes nach den Werken als oberstes Axiom24. Dieses wird kürzer für die Heiden V.14–16 und länger für die Juden V.17–24 ausgeführt und ausgehend von den Juden in V.25–29 noch einmal zusammengeführt. Indem das Axiom des unparteiischen und gerechten Gerichtes Gottes nach dem Tun über jeden als oberstes Axiom herausgestellt und verdeutlicht wird, steht es über einer Differenzierung von Juden und Heiden mit ihrer Implikation der besonderen Nähe der Juden zu dem Gott, der alle richtet. Dies verdeutlicht sich in der längeren Explikation der These von V.11 im Hinblick auf die Juden in V.17–29, wo direkt veranschaulicht
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tet ist, aber diese Perspektive argumentativ aufgrund der „allgemeinen Anthropologie“, die hier grundsätzlich negativ ausgeführt werde, erreicht sieht. Demgegenüber weisen positive und negative Gerichtsurteile Gottes darauf hin, dass die universale Perspektive in Röm 2 nicht über die Anthropologie, sondern über die Unparteilichkeit Gottes im Gericht nach den Werken erreicht wird. Vgl. J.M. Bassler, Impartiality, 152; M. Mayordomo, Paulus, 221. Vgl. J.M. Bassler, Impartiality, 136.137ff; neuerdings auch M. Mayordomo, Paulus, 205. – Auch wenn man sozusagen in der Stoßrichtung gegen die bisherige Exegese den Abschnitt besser mit „Gottes Unparteilichkeit“ als mit einem vom Text nicht gedeckten „alle sind unter der Sünde“ überschreiben sollte, so ist doch wichtig, beide Elemente der These von Röm 2 zu sehen, sonst ist auch 3,1–8 nicht zu verstehen: Die These benennt a) die Unparteilichkeit Gottes im b) Gericht nach den Werken. Denn eine Unparteilichkeit Gottes in der Liebe, im Heil würde zwar auch Probleme, aber keinesfalls die Probleme heraufbeschwören, mit denen sich Paulus nach diesem Axiom, der Unparteilichkeit im Gericht nach den Werken, auseinandersetzen muss: Diese Unparteilichkeit bringt natürlich die Frage nach Israel in seiner bisher angenommenen parteilichen, vorzüglichen Stellung vor Gott mit sich, besonders wenn damit das Gericht nach Werken und somit Heil- bzw. Strafwirken Gottes verbunden ist. Das unparteiliche Gericht nach den Werken ist vor dem Hintergrund von Ps 143,2 (der explizit nicht genannt wird, aber doch ein Untergrund für die These von der Unparteilichkeit und dem Gericht nach den Werken ist, vgl. auch 3,9) ein echtes Theodizeeproblem für Israel, aber auch darüber hinaus: Wozu führt die Unparteilichkeit Gottes und das Gericht nach den Werken, wenn vor Gott kein Lebender gerecht ist? Was macht es für einen Sinn, von Heilsgrößen wie Beschneidung und Tora zu reden, wenn diese nicht bei Gott angesiedelt sind in ihrer Wirksamkeit, sondern zur Rettung abhängig vom Verhalten, den Taten des Menschen, sind und eben gerade deshalb keine nützlichen Heilsgrößen mehr sind, weil die Taten der Menschen eben unter der Sünde und so sind, dass keine Heilsgröße dadurch aktiviert wird. Wozu führt es, dass Gott ein unparteilicher Richter ist, wenn alle unter der Sünde sind? Dann ist Gottes Wirken – bei vielleicht den besten Absichten – de facto negativ.
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Römer 3,1–8
wird, was die These von der Unparteilichkeit Gottes im Gericht nach den Werken als oberstes Axiom bedeutet: Wenn Gott unparteilich im Gericht nach den Werken ist, dann sind auch Tora und Beschneidung Größen, die sich an diesem Axiom orientieren müssen25. Sie sind dann keine Heilsgrößen per se mehr, sondern sind den Maßstäben der Unparteilichkeit und dem Gericht nach Werken unterworfen. Gericht nach Werken bedeutet selbstredend, dass nicht die Hörer oder Empfänger, sondern die Täter des Gesetzes gerechtfertigt werden (V.13). Entsprechend sind Beschneidung und Tora abhängig vom Vorzeichen des Tuns: Dem Täter des Guten nützen sie. Sind die Werke aber so, dass ihr Täter dem Zorn verfällt, dann werden Beschneidung und Tora nichtig als Heilsgrößen. Die Unparteilichkeit Gottes in diesem Gericht nach Werken bringt konsequent auch weiter mit sich, dass durch das Tun des Guten Nichtjuden dadurch in den Genuss der Heilskraft von Judesein und Beschneidung kommen, weil diese sich auf dem Tun des Guten aufbaut bzw. das Tun des Guten als Beschneidung angerechnet wird, weil es zum Heil führt. Damit bedeutet die Herausstellung des unparteilichen Gerichtes nach Werken als oberstes Axiom eine Hierarchieverlagerung, die Gottes Unparteilichkeit im Gericht nach Werken über jeden so vorordnet, dass die Größen von Judesein, Beschneidung und Besitz der Tora in ihrer Bedeutung eingeordnet werden26. Zugleich bringt die Unparteilichkeit dieses Gerichtes mit sich, dass Judesein und die damit verbundenen Heilsgrößen nicht mehr nach menschlichen, äußerlich verfügbaren Maßstäben bestimmt werden, sondern nach einem Gott vorbehaltenen, inneren Wirklichkeitsentscheid: nach dem Verborgenen, was Gott als unparteilicher Richter sieht (vgl. Prov 17,3; 21,2). Nicht die für den Menschen sichtbare Zugehörigkeit zum jüdischen Volk bestimmt das Judesein als Heilsgröße, sondern nur das für menschliche Wahrnehmung Unsichtbare, und daher von jedem Menschen, ob Jude oder Heide zu Erwerbende, macht das Judesein aus: das verborgene Innere, das beschnittene Herz führt zur Anerkennung durch Gott. Maßstab und Vollzug des Urteils und damit die gesamte Heilswirklichkeit werden dem Menschen entzogen und allein Gott zugeordnet (vgl. 2,29 mit 3,27). Röm 2 mit V.5b.6 und V.11 dient also dazu, aufgrund der überkommenen und gemeinen Vorstellung von Gott als unparteiischem Richter den Unterschied zwischen Juden und Heiden zu relativieren und sie im Hinblick auf Gott als absolut Gleichgestellte in seinem gerechten Gericht 25 26
Vgl. auch M. Konradt, Gericht, 501.511 u.ö. Vgl. J.M. Bassler, Impartiality, 151f.
Kontextbezug und Einheitlichkeit
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zu präsentieren27. Damit zeigt sich schon der Eingang des Römerbriefs, unterstützt durch die propositio, deutlich durch eine „ekklesiologische“ Fragestellung gekennzeichnet, also durch die Fragestellung nach den beiden Gruppen von Juden und Heiden hinsichtlich ihrer Zuordnung zu Heil und Unheil, und nicht durch eine individualistische Fragerichtung nach dem einzelnen Menschen vor Gott28.
2.3 Kontextbezug und Einheitlichkeit von Röm 3,1–8 Damit schließt V.1 absolut konsequent und logisch an den vorangehenden Text an. Wenn die Unparteilichkeit Gottes den Unterschied zwischen Juden und Heiden einebnet, und Juden und Heiden ein und dieselbe Möglichkeit zum Heil haben und in gleicher Weise auch dem Gericht Gottes zum Unheil unterworfen sind, dann ist die Frage nach dem Mehr und dem Nutzen des Judeseins im Hinblick auf Gott und das Heil kein Abweichen, sondern trifft als Anfrage zur Klärung genau ins Zentrum der vorangegangenen Argumentation. Nur wenn man die Argumentation des Röm und damit auch das Thema des Röm anthropologisch-individualistisch versteht, ergeben sich Probleme im Hinblick auf die Frage von V.1. Der über V.1 begründete Zusammenhang von V.1–8 mit der vorangegangenen Argumentation wird noch deutlicher und für den gesamten Abschnitt V.1–8 bestätigt, wenn man berücksichtigt, dass es viele Stichwortverbindungen von V.1–8 zu Röm 2 gibt29: 'Iouda‹oi V.1 / 2,9.10.17.28.29; çfšleia V.1 / 2,25; peritom» V.1 / 2,25–29; ¢lhq»j/¢l»qeia V.4.7 / 2,2(.8.20); dikaioàn V.4 / 2,13; kr…nein/kr…ma V.4.6.7.8 / 2,1.2.3.12.16.27; ¢dik…a V.5 / 2,8; Ñrg» V.5 / 2,5.8. Im Hinblick auf die Frage nach der Einheitlichkeit von V.1–8 als zusammenhängender Teilabschnitt ist Folgendes zu bemerken: Wir haben also in V.1 die logisch und sinnvoll anknüpfende Frage und deren Antwort in V.2. In V.3 verknüpft t… g£r mit dem Vorhergehenden, V.1.2. Für V.3–7 lässt sich eine klare rhetorische Struktur ermitteln: Sie ist aus drei gleichen, sich wiederholenden Einheiten aufgebaut: V.3.4; V.5.6; V.7. Eine solche Einheit besteht aus drei Teilen: 1. richtige Annahme mit e„; 2. falscher Schluss daraus mit m» in Frageform; 3. Abweis des falschen Schlusses und Aufrichtung der richtigen, geltenden Aussage. In V.7 ist das nicht 27 28 29
Vgl. a.a.O., 143.152; M. Konradt, Gericht, 515. So aber D. Starnitzke, Struktur, 86 u.ö.; H. Conzelmann, Rechtfertigungslehre, 398. Vgl. auch E. Lohse, Römer, 115; U. Wilckens, Römer 1, 161.
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Römer 3,1–8
ganz durchgeführt, statt des dritten Teiles folgt in V.8 ein Anschluss weiterer falscher Schlüsse in Form von Verlästerungen. Dabei gibt es kunstvolle Stilmittel, etwa einen Chiasmus von Person und Eigenschaft in V.3f und V.530. Oppositionen ziehen sich durch den ganzen Text, verteilt auf Mensch und Gott (etwa ¢lhq»j/yeÚsthj). Ein Blick auf die sich durchziehenden Stichwortverbindungen ist besonders aufschlussreich: a) lÒgia toà qeoà V.2 – lÒgoij sou V.4 b) ¢lhq»j V.4 – ¢l»qeia V.7 c) dikaiwqÍj V.4 – ¢dik…a, dikaiosÚnh, ¥dikoj V.5 – œndikoj V.8 d) yeÚsthj V.4 – yeÚsmati V.7 – (blasfhmoÚmeqa V.8) e) kr…nesqai V.4 – krine‹ V.6 – kr…nomai V.7 – kr…ma V.8 f) (t…nej V.3 –) p©j V.4 – ¹mîn V.5 – k¢gè V.7 (t…nej V.8) Wenn man diese Stichwortverbindungen und die Deduktion anhand der Pronomina (f) noch genauer anschaut, dann fällt auf, dass die Deduktion und jede der vier aufgeführten Stichwortverbindungen b)–e) ihr erstes Auftreten des Stichwortes in V.4 haben, dass also die Stichwortverbindungen und Deduktion von V.4 ihren Ausgang nehmen. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass in V.4 die entscheidende These des Abschnittes steht, die Anlass zu einer Diskussion bietet, welche in den folgenden V.5–8 auch geschieht, indem auf unterschiedliche Stichworte Bezug genommen wird. Wenn man dann noch berücksichtigt, dass V.4 auch Bezüge zu den vorhergehenden Versen unseres Abschnittes hat – etwa die Stichwortverbindung lÒgia toà qeoà V.2 – lÒgoij sou V.4 und V.4 als Teil der in V.3 beginnenden, ersten der drei gleichen rhetorischen Einheiten –, in denen dieser Vers selber vorbereitet wurde, dann legt es sich in der Tat nahe, von V.4 als dem Zentrum des Abschnittes auszugehen, auf das die Argumentation vorbereitend zuläuft und von dem sie dann ihren Ausgang nimmt. Dafür spricht auch, dass nach der Vorbereitung von V.4 in V.1–3 in V.4 zum ersten Mal in unserem Abschnitt auch mit kr…nesqai das entscheidende Stichwort und Thema von Röm 2 auftaucht, das dann weiter bestimmend ist. Die Häufigkeit des Vorkommens von Lexemen mit krin* (zusätzlich auch: Ñrg») sowohl in V.1–8 als auch in allen Teilen von Röm 231 zeigen nicht nur die enge Verbundenheit von V.1–8 mit dem Vorhergehenden an, sondern bestätigen auch unseren inhaltlichen Ausgangspunkt: Das Thema von Röm 2 ist das unparteiische Gericht Gottes – und das wird in unserem Abschnitt aufgenommen. Wenn man dann noch die Beobach30 31
Vgl. J. Jeremias, Chiasmus, 287f. Wenn U. Wilckens, Römer 1, 163 feststellt, 3,1 beziehe sich auf 2,17ff zurück, so ist das zwar nicht falsch, trifft es aber nicht exakt: Das grundlegende Axiom, was 3,1 auslöst, findet sich in 2,9f und in 2,11.
Analyse
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tung hinzuzieht, dass in zwei der drei gleichgestalteten rhetorischen Einheiten V.3.4; V.5.6 und V.7 in der falschen Schlussfolgerung mit Ñrg» V.5 und kr…nesqai V.7 das Gericht Gottes Gegenstand des fraglichen Fehlschlusses ist und dass jede dieser rhetorischen Einheiten in ihrem dritten, bestätigenden Teil ebenfalls das Gericht Gottes zum Gegenstand hat (kr…nesqai V.4, kr…nein V.6), dann kann man nicht umhin festzustellen, dass das Gericht Gottes, Thema von Röm 2, in unserem Abschnitt nun in Frage steht. Damit sind wir bei einer weiteren Voraussetzung für die Interpretation unseres Abschnittes: V.1–8 kann man also nicht verstehen von einer individualistischen Fragestellung des Menschen vor Gott her, es geht auch nicht um Fragen, die sich um Gottes Gnade gegenüber dem Sünder drehen32, sondern es steht das in Röm 2 beschriebene unparteiische Gericht über die beiden Gruppen von Heiden und Juden, in die sich die gesamte Menschheit aufteilen lässt, hinsichtlich der Frage nach der einen besonderen Gruppe, nämlich den Juden, hier zur Diskussion.
2.4 Analyse von Röm 3,1–8 2.4.1 V.1.2 V.1 schließt also sinnvoll an das Vorangehende an, indem die daraus unmittelbar entstandene, zentrale und naheliegende Frage benannt wird. t… oân wird dabei von S.K. Stowers als sprachliches Signal der Diatribe gesehen33. Demgegenüber ist aber festzuhalten, dass sich der Argumentationsstil gegenüber Röm 2 deutlich verändert34. Es fehlt sowohl die dort vorhandene 2.Person wie auch die explizite Benennung von fiktiven Gesprächspartnern (¥nqrwpe 2,1; sÚ 2,17). So weist D.R. Hall im Anschluss an R. Bultmann35 und G. Bornkamm36 zu Recht darauf hin37, dass t… oân eher eine innere Debatte einleitet, indem es der Abwehr falscher Konsequenzen oder der Einleitung von Folgerungen dient. Und in der Tat besteht der Charakter der Fragen hier in echten Problemen und Anfragen, die sich aus der bisherigen Darstellung ergeben haben, und nicht in dezi32 33 34 35 36 37
So etwa J. Lambrecht, Sinning, 152; J.D.G. Dunn, Romans I, 141; E. Käsemann, Römer, 77. Vgl. S.K. Stowers, Dialogue, 715. Zur Kritik an S.K. Stowers vgl. auch K. Haacker, Römer, 75. Gegen U. Wilckens, Römer 1, 161. Vgl. R. Bultmann, Stil, 67. Vgl. G. Bornkamm, Teufelskunst, 141, der im weiteren Verlauf seiner Ausführungen dann aber doch zur Diatribe zurückkehrt. Vgl. D.R. Hall, Romans, 183.
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Römer 3,1–8
diert deliberativen Fragen, die einfach die Argumentation zu ihrem Ziel vorantreiben sollen, wie etwa in 3,27. Dabei „erübrigt es sich […], die Fragen bestimmten Gesprächspartnern zuzuordnen“38, also nach konkreten Gegnern zu fragen, denn es ist für das Verständnis vollkommen ausreichend, dass die Fragen sich als ganz naheliegend und damit zureichend als aus dem sachlichen Zusammenhang sich ergebend bestimmen lassen. Es sind Fragen, wie sie jeder mit der jüdischen Tradition Vertraute und somit auch Paulus selber stellen könnte39. Und selbstverständlich können andererseits auch naheliegende und berechtigte Einwände die Argumentation sinnvoll voranbringen. Die in V.2a gegebene Antwort ist in der Tat anders, als aus dem vorhergehenden Argumentationsgang zu erwarten wäre40. Aus dem Vorhergehenden wäre abzuleiten, dass die Frage zwar berechtigt ist, dass es aber durch das übergeordnete Axiom der Unparteilichkeit Gottes keine Vorzüge der Juden geben kann, bzw. dieser Nutzen und der Sonderstatus hinfällig werden, wenn die Werke dementsprechend, nämlich sündig sind. Stattdessen folgt eine pleonastische Bejahung der besonderen Stellung der Juden mit polÚj und kat¦ p£nta trÒpon. Damit ist zu attestieren, dass Paulus in einer gewissen Spannung verbleibt: Einerseits wird in Röm 2 vehement und entschieden über die Unparteilichkeit Gottes die Gleichstellung von Juden und Heiden herausgearbeitet, nun aber bei dem Innehalten in der Argumentation in V.1.2 eine dem Vorherigen folgende, radikale Konsequenz abgelehnt und Sonderaussagen für die Juden nicht unterlassen, sondern getätigt. Das „viel in jeder Hinsicht“ könnte auf eine Aufzählung, wie etwa in 9,4, hinweisen41 oder auf eine ordnende Gewichtung von den Vorzügen/dem Nutzen vorausweisen. Letzteres ist mit prîton mšn V.2b gegeben: Insofern eine Weiterzählung oder Aufzählung nicht folgt, steht das prîton mšn hier für die ordnende Gewichtung und Hervorhebung des genannten Vorzuges/Nutzens42. Eine solche Funktion von prîton mšn ohne Weiterführung erhellt auch aus 1,8 und 1Kor 11,18. Als vor allem kennzeichnender Inhalt der Sonderstellung der Juden wird nun genannt: ™pisteÚqhsan t¦ lÒgia toà qeoà. Das paulinische Hapaxlegomenon ist hier mit J.W. Doeve43 ganz klar als die gesamte von Is38 39 40 41 42 43
E. Lohse, Römer, 116. Vgl. R. Bultmann, Stil, 67: Paulus „formuliert deshalb die Einwendung oft nicht mit direkten Worten des Gegners, sondern als seine eigenen Worte“. Vgl. E. Lohse, Römer 116; H. Räisänen, Verständnis, 186. So etwa W.S. Campbell, Key, 33; K. Haacker, Römer, 76; W. Sanday/A.C. Headlam, Romans 70. Vgl. E. Lohse, Römer, 116. Vgl. J.W. Doeve, Notes, 111–123, der zeigt, dass t¦ lÒgia vielfach göttliche Orakel be-
Analyse
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rael empfangene Offenbarung Gottes44, verstanden als die Schriften des Alten Testaments, zu bestimmen45, in Entsprechung dazu, wie die Wendung lÒgia toà qeoà in Ps 106,11LXX auftaucht46. Dabei muss auch nicht zwischen Geboten47 und Verheißung48 entschieden werden, insofern sich auch mit der Tora Verheißung verbindet und jüdischer Tradition entsprechend auch für Paulus Gottes Wort durch beides bestimmt ist49. So kann man lÒgia toà qeoà nicht auf die Messiasverheißung oder Christusoffenbarung hin verstehen50. Denn wir hatten den Abschnitt V.1–8 als Antwort auf Röm 2 bestimmt, von dem her – und nicht etwa von der propositio 1,16.17 her – lÒgia toà qeoà zu bestimmen sind. In Röm 2 war aber wesentlich nicht vom Evangelium und Jesus Christus die Rede – nämlich nur einmal in 2,16 und dort durch mou deutlich von einer spezifischen Verbindung zu Israel abgesetzt und im Hinblick auf verborgene und nicht sichtbar kennzeichnende Dimensionen –, sondern vielmehr deutlich von den ureigensten, äußerlich und menschlich fassbaren jüdischen Kennzeichen im Hinblick auf die Unterscheidung von anderen. Dementsprechend kann es auch hier, wo es um das, was die Juden spezifisch auszeichnet, in keiner Weise um das nivellierende Evangelium gehen – dies kann nur mit einer quantitativen Unterscheidung des prîton von 1,16 Besonderes im Hinblick auf die Juden aussagen –, sondern um die Juden und Heiden wirklich unterscheidende Geschichte Gottes mit Israel, also die geschichtlich im Alten Testament greifbare Offenbarung Gottes an Israel. Dafür spricht auch der Geschichtliches anzeigende Aorist ™pisteÚqhsan51. Zugleich ist das Passiv ™pisteÚqhsan natürlich ein passivum divinum, womit nur bestätigt wird, dass es um die Frage der besonderen Beziehung der Juden zu Gott und Gottes zu den Juden geht und diese Beziehung wesentlich als eine von Gott ausgehende Aktion benannt wird. Das wird in Kombination mit dem prîton natürlich besonders signifikant52. Damit können wir aber schon eine wichtige Beobachtung festhalten. Das
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47 48 49 50 51 52
zeichnen und im biblisch-jüdischen Sprachgebrauch entsprechend die Worte Gottes für sein Volk meinen (Ps 106,11LXX; Arist 177). So auch E. Lohse, Römer, 116f; G. Bornkamm, Teufelskunst, 142f. Vgl. K. Haacker, Römer, 76. lÒgoj kommt im Singular sehr häufig, aber auch im Plural öfter mit Ð qeÒj oder kÚrioj in LXX vor, vgl. nur Ex 24,3; Dtn 9,10 u.ö.; zu lÒgia als „göttliche Worte“ vgl. Arist 177; als „Hl. Schrift“ vgl. Josephus, Bell 6,311. Vgl. P. Stuhlmacher, Römer, 50. Vgl. H. Lietzmann, Römer, 45. Vgl. nur Röm 2,18–28; 3,27–31; 13,8–10 u.ö. Gegen W. Sanday/A.C. Headlam, Romans, 70; W. Schmithals, Römerbrief, 105f. Vgl. K. Haacker, Römer, 76. Vgl. auch E. Lohse, Römer, 116.
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wesentliche Kennzeichen Israels besteht eben, wie es die Antwort mit dem geschichtlichen Aorist einer Handlung deutlich macht, in der Geschichte Gottes mit Israel. Es kann offensichtlich nur erzählerisch gefasst werden und geht grundlegend von Gott aus. Eine dogmatische Antwort wird nicht gegeben. Wenn man etwa an Ex 24 denkt, dann ist mit den lÒgia toà qeoà das Grunddatum der Besonderheit Israels gegeben: Gott hat ihm seine Offenbarung in Verheißung und Gebot anvertraut, so dass man ™pisteÚqhsan t¦ lÒgia toà qeoà als Formel für den Bund verstehen kann und das gewichtende prîton ganz einsichtig wird. Durch ™pisteÚqhsan wird nun ein besonderes Verständnis der lÒgia toà qeoà und damit des Verhältnisses Gott-Israel intendiert: Die alttestamentliche Offenbarung, ihrem Wesen nach Tora und Verheißung, wurde anvertraut, d.h. ist also so gegeben, dass ein entsprechendes Verhalten auf Seiten der Empfänger durch sie gefordert und eine bestimmte Verantwortung mit ihr verbunden ist, so wie es pisteÚein im passivischen Gebrauch markieren kann: Es bezeichnet das Ineinander von Gabe und Aufgabe bis hin zur Amtseinsetzung (1Sam 3,20), Übertragung von Aufgaben (Gal 2,7; 1Thess 2,4 u.ö.)53. Dem Anvertrauen entspricht also eine angemessene Reaktion, ein Verhalten des Empfängers. Damit skizziert Paulus aber das, was Israel anvertraut ist, und damit die besondere Stellung im Hinblick auf Gott anders als etwa über „erwählen“ im Sinn von Dtn 7,7 oder Ps 135,4 als etwas, das sein Grunddatum zwar in Gott hat, aber nicht allein von Gott abhängig und bei ihm aufgehoben ist, sondern die Seite derer, die betraut werden, deutlich mit einbezieht. Damit akzentuiert Paulus mit ™pisteÚqhsan t¦ lÒgia toà qeoà, dass der Bund als Signum Israels zwei Seiten hat, nämlich neben der initiativen Seite Gottes auch die Seite des Menschen, der entsprechend reagieren muss und damit auch mit seiner Aktion in den Blick kommt. Damit ist aber nun anhand dessen, was mit prîton als wesentlich zu nennen ist von dem, was Israels Vorzugsstellung ausmacht, eine Brücke zu schlagen zu 2,11.12.13.17–29: Dort wurde ausgesagt, dass nÒmoj und Beschneidung als Indikatoren einer Vorzugsstellung abhängig sind davon, wie ein Jude handelt: Entspricht er ihnen durch gutes Handeln, werden sie ihm zu Heilsgrößen, handelt er schlecht, werden sie für ihn nichtig54. Damit berührt sich das in V.2 mit ™pisteÚqhsan gegebene Verständnis der lÒgia toà qeoà durchaus: Sie sind von Gott gegeben in einer Weise, dass die Menschen in einer bestimmten Weise handelnd mit ihnen 53 54
Vgl. auch K. Haacker, Römer, 76. Umgekehrt können sich Heiden diese Heilsgrößen durch Handlungen erwerben, aber darum geht es ja nicht in erster Linie in dem Einwand V.1.
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umgehen, entsprechend auf sie reagieren. Durch die erzählerische Wesensbeschreibung des Verhältnisses zwischen Israel und Gott wird also mit dem Faktor des entscheidenden menschlichen Tuns ein durchschlagender Vergleichs- und Anknüpfungspunkt zu Röm 2 genannt. Das wird auch dadurch unterstrichen, dass Elemente des pisteÚesqai im Sinne der besonderen Aufgabe in 2,19–21 ja genannt sind, ebenso wie zwischen der Aufgabe und ihrer Erfüllung schon differenziert wird. Damit greift Paulus mit V.2b das auf, was er schon in 2,17–29 ausgesagt hat: nämlich dass göttliche Verheißungen, die Heilsgrößen Gottes, immer zwei Seiten haben: eine menschliche und eine göttliche. Zugleich ist mit V.2b eine Brücke zum folgenden V.3 geschlagen, indem mit der doppelten Implikation von pisteÚesqai die zwei Seiten angeführt sind, die dann jeweils zu betrachten und miteinander in abwägende Beziehung zu bringen sind: Betrauender und Betrauter. Dabei sind diese Aussagen neben ihrer Funktion der Antwort auf Röm 2 aufgrund der grundlegenden Bedeutung von ™pisteÚqhsan t¦ lÒgia toà qeoà als Israels Betrauung mit Gottes verpflichtender Offenbarung im Sinne dessen, was Israel von allen anderen Völkern unterscheidet, und durch das prîton mšn auch als eine grundsätzliche Verhandlung des Status’ Israels zu verstehen. Auf diese Weise hat Paulus mit dem so verheißungsvoll und projüdisch klingenden Satz ™pisteÚqhsan t¦ lÒgia toà qeoà den eben noch (V.2a) so pleonastisch bestätigten Vorzug der Juden in entscheidender Weise umgeformt und damit in entscheidender Weise eingeschränkt: Die Vorzugsstellung der Juden ist tatsächlich gegeben (V.2a), aber sie ist eben eine zweiseitige: Einerseits versteht Gott sich in seiner Bindung an Israel als dessen Heilschaffender. Aber diese Verheißung umfasst andererseits auch den Anspruch und die Verpflichtung eines rechten Umgangs damit in Israel. Wer in Israel nicht recht damit umgeht und übertritt, untreu wird, macht Gottes Heilsinitiative für Israel für sich unwirksam. Allerdings darf daraus kein Gegensatz des Paulus zum Judentum konstruiert werden, das er hier verlassen will. Denn die Korrelation von Gottes Zuwendung zu Israel mit der Antwort des Volkes ist selbstverständlich ein genuin biblisch-jüdisches Motiv, wie es etwa in der deuteronomistischen Theologie greifbar ist55. So antwortet Paulus mit V.2b zum einen auf den berechtigten Einwand, der sich aus seiner Argumentation 2,11–29 ergeben hatte, so, dass er diesem Einwand zunächst durchaus und scheinbar gegen seine eigene Argumentation Recht gibt. Zugleich schafft er in derselben Formulierung 55
Vgl. zuletzt etwa W. Dietrich, Geschichtswerk, 690ff.
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die Voraussetzung, um 2,11–29 – und 3,3ff – argumentativ zu verteidigen: Paulus bestätigt zunächst gegen seine vorausgegangene Argumentation den Sachverhalt, auf den der Einwand sich gründet, transformiert und akzentuiert aber seinen materialen Gehalt so, dass er zum Argument und zur Bestätigung für die vorangegangene, vom Einwand in Frage gestellte Argumentation und für die weiteren Ausführungen wird.
2.4.2 V.3 Paulus hat also mit ™pisteÚqhsan t¦ lÒgia toà qeoà V.2 eine Aussage getroffen, die zum einen akzeptiert ist und nicht weiter belegt werden muss und die andererseits ein Potential in der eben geschilderten Weise enthält, welches die Argumentation von Röm 2 rechtfertigt und die folgende ermöglicht. Dieses Potential wird nun mit t… g£r;56 aktiviert, insofern diese Frage anzeigt, dass in der Aussage etwas für die Argumentation verborgen ist, das nun erschlossen wird57: Damit ist auch deutlich, dass die Frage von V.3 eindeutig vom regieführenden Autor selber kommt und es sich hier um eine rhetorische, deliberative Frage handelt, um seine Argumentation zu befördern. Hier stellt also nicht ein fiktiver Interlokutor die speditierende Frage, und es handelt sich schon gar nicht um einen Einwand eines realen Gegners58. Lexikalisch-semantisch ist der Zusammenhang von V.2 und V.3 durch ™pisteÚqhsan – ºp…sthsan, ¢pist…a, p…stin gegeben59. Und mit diesen drei Begriffen aus V.3 wird nun das Potential von ™pisteÚqhsan semantisch eng anschließend ausgeschöpft. Zunächst machen ºp…sthsan und ¢pist…a – auch gegenüber p…stij – deutlich, dass man sich, auch im Sinne von Gottes unparteiischem Gericht nach den Werken auf zweierlei Weise zur Betrauung mit den lÒgia toà qeoà und damit zum Sonderstatus Israels im Hinblick auf Gott verhalten kann. Vor allem aber wird nun 56 57
58
59
Gegen J. Lambrecht, Sinning, 148f, der die Frage von V.3a bis hinter t…nej gehen lässt. t… g£r ist also in seiner syntaktisch-semantischen Funktion viel eindeutiger und spezieller zu bestimmen, als es in Bauer-Aland, 305 mit der allgemeinen Klassifizierung als „Überleitung“ geschieht. Man kann t… g£r auch keinesfalls als „was macht’s“ spezifizieren, wie es Bauer-Aland, 305 weiter tun und es dementsprechend in der Exegese weit verbreitet ist, vgl. nur E. Lohse, Römer, 115; K. Haacker, Römer, 74; P. Stuhlmacher, Römer, 45; D. Zeller, Römer, 78. Denn das Verhalten, was beurteilt wird, wird erst danach mit ºp…sthsan beschrieben. Vielmehr muss t… g£r sich auf V.2b beziehen und kann dann nur aktivierend verstanden werden im Sinne von „Was bedeutet das nämlich für die Argumentation?“. Gegen D. Zeller, Römer, 78; an dieser Stelle richtig S.K. Stowers, Dialogue, 715 – nur dass er die Frage als Teil eines wohlgestalteten philosophischen Schulgespräches mit einem Schüler sieht. Vgl. nur G. Bornkamm, Teufelskunst, 143.
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explizit gemacht, dass ™pisteÚqhsan zwei Akteure hat, deren Handeln bemessen wird, und dass dementsprechend die Israelfrage nicht nur von Gott, sondern auch von den Juden als den Menschen aus betrachtet werden muss. Für diese menschliche Seite der betrauten 'Iouda‹oi wird nun festgestellt, dass einige untreu waren. Ein Teil der Juden hat sich also nicht entsprechend der von Gott kommenden Sonderstellung verhalten, sondern mit ¢-pist…a das Gegenteil davon getan. Damit steht ºp…sths£n tinej in Verbindung mit 2,8.9.17–24.25–29, wo ebenfalls vom Fehlverhalten der Juden mit entsprechendem Urteil Gottes vor dem Hintergrund eines besonderen Anspruches die Rede war. Somit hat einerseits 2,17– 24 V.3 vorbereitet und andererseits nimmt nun V.3 diese Aussagen bestätigend auf und ordnet sie in die Diskussion ein: Für die von Röm 2 ausgelöste Frage wird attestiert, dass die Ausführungen von 2,8.9.17–29 nicht zurückzunehmen sind, sondern tatsächlich gelten. Und das insofern, als eben das Verhältnis Gott-Israel ein zweiseitiges ist, in das das menschliche Verhalten mit einzubeziehen ist. Zugleich ist aber mit der Feststellung über Israels negatives Verhalten – und daran sieht man, wie eng V.1–8 an Röm 2 anknüpfen – ein verurteilendes Gerichtsurteil Gottes mit der Folge der Unheilssituation impliziert, wie die Weiterführung in V.4f deutlich macht. Dass diese Situation der durch Fehlverhalten angesichts des unparteiischen Gerichts im Unheil befindlichen Juden als unumstößlich erwiesen ist, wird daran deutlich, dass diese Seite mit e„ als realer Bedingungssatz formuliert ist60. Die Frage ist nun, inwiefern dadurch die Sonderstellung der Juden berührt ist und wie das auf diese hin zu vermitteln ist, die ja in V.2 gerade bestätigt wurde, allerdings als zweiseitige. Und genau damit ist die Korrelation gegeben: Die Unterordnung der Heilsgrößen (Tora und Beschneidung) des Sonderstatus’ unter das unparteiische Gericht nach Werken steht nicht im Widerspruch zum Sonderstatus Israels, weil auch dieser etwas ist, was nicht allein vom Initiator, Gott, zu verantworten ist, sondern wo menschliches Verhalten eine entscheidende Rolle spielt. Und dementsprechend muss nun die Schilderung des Handelns der einen Seite, nämlich der Menschen, in der Frage nach dem Sonderstatus auch auf die andere Seite, nämlich Gott, bezogen werden. Es muss das Problem durch das zweiseitige Muster der Sonderstellung gelöst werden, indem die unumstößlich festgestellte eine Seite des Musters (¢pist…a) auf die andere (p…stij toà qeoà im Hinblick auf perissÕn toà 'Iouda…ou) bezogen wird. Mit katarge‹n wird nun die Vermittlung in der extremsten Weise vorgenommen – und verneint. 60
Vgl. zu e„ + Indikativ im Neuen Testament „in der Beziehung auf eine vorliegende oder behauptete Wirklichkeit“ BDR 371.
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Damit ist die Antwort entwickelt, die zum einen die in Röm 2 gemachten Aussagen bestätigt und zum anderen eine Lösung für den durch diese Aussagen gefährdeten Sonderstatus findet. Das Wesen des Sonderstatus’ war als ein zweiseitiges beschrieben worden. Dabei ist es nun aber so, dass das dementsprechend aussagbare Fehlverhalten der einen Seite, der Menschen, die andere Seite, Gott, in ihrer Beziehung zu der diskutierten Größe des Sonderstatus‘ in keiner Weise negativ berührt. Die menschliche Seite macht also die Seite Gottes in ihrer Beziehung – und das heißt in ihrer Kontinuität und ihrer Treue – nicht zunichte. Damit ist die zweiseitige Struktur des Bundes in der Lage, das Problem der zwei einander widersprechenden Aussagen zu lösen, insofern die Aussage des Gerichtes nach Werken durch die eine Seite und die Aussage der Heilskontinuität durch die andere Seite garantiert wird. Über diese Seite Gottes wird somit auch der in Frage stehende Sonderstatus gesichert. In dem Problem der Einebnung des Vorzuges Israels durch das objektive Gericht nach Werken wird also der Vorzug letztlich durch die Seite Gottes gesichert, für den seine Treue so wesentlich ist, dass sie als unumstößliches Kontinuitätsmoment die Vorzugsstellung Israels argumentativ aufrechterhalten kann. Die p…stij ist, wie die semantisch eng verbundene ¢l»qeia ein unverzichtbares Axiom des Glaubens Israels – und selbstverständlich auch des paulinischen Denkens –, wie es etwa Ps 144,13LXX (pistÕj kÚrioj ™n to‹j lÒgoij a§toà); 116,2LXX (¹ ¢l»qeia toà kur…ou mšnei e„j tÕn a„îna); Dtn 32,4 (qeÕj pistÒj kaˆ o§k œstin ¢dik…a d…kaioj kaˆ Ósioj kÚrioj) oder auch PsSal 8,28; 9,2 deutlich machen. Dabei ist ¢pist…a nicht als Unglaube gegenüber dem Evangelium61, sondern als Bundesbruch62, Nicht-Entsprechung zu der Betrauung mit den Worten Gottes, zu verstehen. Dabei gelten im wesentlichen die Argumente, die wir für das Verständnis von lÒgia toà qeoà angeführt haben. Indem ºp…sthsan und ¢pist…a daran anknüpfen, sind auch diese nicht von Christus und dem Evangelium, sondern von der Geschichte Gottes mit Israel her zu verstehen. Dazu kommt, dass ºp…sthsan und ¢pist…a durch den Bezug zu Röm 2 gerade durch das dort Genannte auch gefüllt werden. In dem schon benannten Bezugspunkt 2,17–24 wird nicht der Unglaube gegenüber dem Evangelium, sondern Israels an den Vorgaben Gottes gemessenes Fehlverhalten genannt.
61 62
So C.H. Cosgrove, Occasion, 97; H. Räisänen, Verständnis, 189; C.E.B. Cranfield, Romans I, 180. So doch die deutliche Mehrheit der Exegeten, vgl. nur E. Lohse, Römer, 117 mit Anm. 6; K. Haacker, Römer, 77; G. Bornkamm, Teufelskunst, 143 mit Anm. 8.
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Mit einem solchen Verständnis von ¢pist…a als Bundesbruch bestätigt sich auch, was wir schon zu V.2 bemerkt hatten: Mit ºp…sthsan setzt sich die Narration von ™pisteÚqhsan fort, man kann von Ex 24 her an Ex 32 denken, und wie „die Sonderstellung Israels vor Gott […] nur narrativ ausgesagt werden“63 kann, ist das Problem auch weiter narrativ-geschichtlich verankert. Insofern geschieht die Argumentation in V.3 auch unter vielen Auslassungen von Elementen, die der Leser selber ergänzen muss, sehr komprimiert und zugleich komplex, denn in V.3 wird die Fortsetzung der Erzählung aus V.2 eingeordnet in die Struktur einer rhetorischen Frage. Dabei machen nun Form und Bedeutung von p…stij toà qeoà die schon durch die rhetorische Frage als bestimmendes Strukturelement angedeutete Veränderung der Argumentation von der Narration zu Grundsatzfragen hin deutlich: p…stij toà qeoà bezeichnet natürlich einerseits auf der narrativen Ebene im Anschluss an ™pisteÚqhsan V.2 Gottes weiteres Verhalten im Gegenüber zu dem hinter der Substantivierung ¢pist…a liegenden Verhalten der Menschen, dem ºp…sthsan. Darüber hinaus zeigt p…stij toà qeoà aber eine weitere, andere Form der Rede an: Als von der Narration losgelöstes Abstraktum und axiomatisches Element des jüdischen Gottesverständnisses stellt sie ein für die Rede von Gott grundlegendes Element dar, welches in der Form einer Infragestellung zum Gegenstand der Theodizee wird64. Somit ist also in V.3 aus der Fortführung der Narration mit ihrer Darstellung des konkreten und historischen Verhältnisses zwischen Gott und Israel die Theodizeefrage geworden: Die Vorzugsstellung Israels ist wesentlich mit Gott verbunden, der ja, wie an ™pisteÚqhsan zu sehen, der Ursprung des Vorzuges ist. Wenn aber nun durch die eine Seite diese Vorzugsstellung zur Unheilssituation hin in Mitleidenschaft gezogen ist, was ist dann mit Gott und seiner p…stij im Hinblick auf das von ihm initiierte Heil? Damit ist aber deutlich geworden, dass das konkrete Verhältnis und Geschehen zwischen Gott und Israel immer zugleich grundlegende und axiomatische Bedeutung für die Theologie, die Rede von Gott überhaupt hat. Mit der p…stij toà qeoà im Hinblick auf die den Gott Israels kennzeichnende Beziehung zu Israel steht gleichsam auch seine Gottheit auf dem Spiel65. Und so geht es bei der p…stij toà qeoà um eine Frage, die dann auch für die paulinische Verkündigung von entscheidender Bedeutung ist, denn ohne eine Treue und konsistente Verlässlichkeit Gottes ist auch das ganze Christusgeschehen 63 64 65
K. Haacker, Römer, 76. Vgl. T. Eskola, Theodicy, 96. Vgl. a.a.O., 29ff.
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für die Gläubigen nur eine wackelige und womöglich kurzfristige Angelegenheit. Dieser Aspekt kommt dann in 11,29 zum Ausdruck. Damit sind wir also aufgrund der Natur der Sache durch die logische Frage von V.1 bei der Theodizee gelandet.
2.4.3 V.4 Was durch die Form der mit m» konstruierten rhetorischen Frage schon ausgesagt wurde, wird nun mit m¾ gšnoito in der deutlichsten Form explizit gemacht. Die Abweisung der Annahme, dass Israels Untreue Gottes Treue negativ berühren würde, ergibt sich klar aus dem gemeinsamen Wissen um Gott und seine p…stij. Dennoch zeigt m¾ gšnoito an, dass es mit dem alleinigen Abweis nicht getan ist, denn m¾ gšnoito fungiert überall nicht als Schlusspunkt, sondern als Doppelpunkt, der der abgewiesenen falschen Aussage explizit die richtige Annahme entgegenstellt. Damit läuft aber die Diskussion von V.1–3 mit ihrer speditierenden, hermeneutischen Frage von V.3 auf V.4 als das entscheidende Argument hinaus: Wenn entsprechend der p…stij toà qeoà die Aufhebung des Bundes nicht Gottes Reaktion auf Israels Untreue sein kann und damit auch nicht die Erklärung für das Gericht nach Werken, wie ist dann zu erklären, dass Israel gerichtet wird? Wie sind das Gericht Gottes über Israel und die Treue Gottes, wie sind bestehender Bund und wirkliches Gericht zusammenzubringen? Wie kann die Treue Gottes gerettet werden, wenn Israel im Unheil ist? Die in V.3 narrativ angeführte Lösungsrichtung verlangt mit der aus ihr hervorgegangenen Theodizee eine axiomatische Diskussion, einen grundlegenden Schlüssel. Dieser ist mit dem schon in V.3 implizierten fundamentalen Unterschied zwischen Gott und Mensch gegeben. Dieser Unterschied weist im Gegensatz zu der unumstößlichen Wahrhaftigkeit und Treue Gottes die Sündhaftigkeit aller Menschen auf und macht sie bewusst. Wie bei jeder guten Theodizee wird auch hier der Blick von Gott als des entscheidenden, aber in Frage stehenden Axioms auf den Menschen gelenkt66: Die anthropologische Konstante der Sünde markiert und füllt hier den fundamentalen Gegensatz und ist des Rätsels Lösung. Sie wird zur Erklärung, wie Bund und Gericht zusammenkommen. Die Zweiheit des Verhältnisses von Israel und Gott wird also nun als Zweiheit auch in der Theodizee aufgegriffen und auf die grundsätzliche 66
Vgl. J. Barton, Theodizee, 226; M. Sarot, Theodizee, 228; T. Eskola, Theodicy, 93f; vgl. auch P.-G. Klumbies, Rede, 44.
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Ebene geholt, t…nej gegenüber qeÒj (V.3) wird durch p©j ¥nqrwpoj ersetzt und die Fragen können noch deutlicher beantwortet werden. Solche grundlegenden Aussagen bedürfen natürlich einer Legitimation und Autorität, und es können nur Aussagen aus dem Fundament für die gemeinsame Sinnwelt von Gott und Israel, also aus der Schrift sein. Dementsprechend liefert Ps 115,2LXX die anthropologische Konstante für den fundamentalen Unterschied67, und Ps 50,6LXX beantwortet in der Illustration der Konstante genau die Frage, um die es hier geht. Dies wird aber in seinem vollen Umfang nur deutlich, wenn man den Kontext des Zitates mit einbezieht68, der entscheidend mit zum Verstehen und zur Funktion des Zitates in seinem neuen Umfeld in V.4 beiträgt: Psalm 51 1 Dem Chorleiter. Ein Psalm. Von David. 2 Als der Prophet Nathan zu ihm kam, nachdem er zu Batseba eingegangen war. 3 Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Gnade; tilge meine Vergehen nach der Größe deiner Barmherzigkeit! 4 Wasche mich völlig von meiner Schuld, und reinige mich von meiner Sünde! 5 Denn ich erkenne meine Vergehen, und meine Sünde ist stets vor mir. 6 Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt und getan, was böse ist in deinen Augen; damit du im Recht bist mit deinem Reden, rein erfunden in deinem Richten. (soˆ mÒnJ ¼marton kaˆ tÕ ponhrÕn ™nèpiÒn sou ™po…hsa Ópwj ¨n dikaiwqÍj ™n to‹j lÒgoij sou kaˆ nik»sVj ™n tù kr…nesqa… se) 7 Siehe, in Schuld bin ich geboren, und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen.
Der Psalmist erkennt das Gericht Gottes über ihn als gerecht an aufgrund seiner Sünde. Die Sünde des Menschen ist es, die Gott berechtigt, auch jemanden aus dem Bund zu richten. Sie ist es, die erweist, dass Gottes Gericht nicht willkürlich oder ungerecht ist angesichts seiner Heilszusage des Bundes, sondern mit Berechtigung und zu Recht erfolgt – und somit seine Bundestreue bestätigend herausstellt. Dabei markiert der in V.4 ersetzte Halbvers Ps 50,6aLXX dieselbe Voraussetzung wie sein Ersatz V.4a: Die Feststellung der Sünde gegenüber Gott. Das mÒnJ nach so… in Ps 50,6aLXX unterstreicht dabei die Dimension, um die es geht, nämlich das Verhältnis Gott69 – Mensch mit der entscheidenden Differenz der Sünde.
67 68 69
Vgl. auch 1QS 11,9; 1QH 1,26f; 1QH 9,14f. Vgl. D.R. Hall, Romans, 188; T. Eskola, Theodicy, 98; so auch schon H. Lietzmann, Römer, 45. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen I, 534f.
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Damit wird aus dem Psalmzitat in V.4 zum einen deutlich, dass das in Röm 2 genannte, im Gericht verurteilenswerte Handeln des Menschen zu Recht sein Heil von Gott berührt, denn dieses Handeln (¼marton) hat einen Bezug auf Gott (soˆ mÒnJ) als den Initiator des Heiles. Und zum anderen lässt bei diesem Bezug auf Gott dieses Handeln Gott zugleich aus der Schusslinie der Kritik kommen, insofern es eben die menschliche Seite und Aktion ist. Damit erkennt der Beter das Urteil und Strafhandeln Gottes an ihm als gerecht an. Ps 50,6LXX ist ganz konkret und einfach zu verstehen, wenn man die Aussage entsprechend 2Sam 12 vom Kommen Nathans zu David als dem Repräsentanten zugesagten göttlichen Heils her begreift, mit der Rechtfertigung der ursprünglichen Worte Gottes als Heilsworte (2Sam 12,9) bei gleichzeitiger Strafankündigung des Todes des Kindes (2Sam 12,7ff): Das Unheilshandeln Gottes im Zusammenhang mit seinem Heilsträger und seiner Heilsabsicht stellt nicht Gott in Frage, sondern erweist sich als gerecht, weil es aus der Sünde Davids herrührt, Gott also in seinem Tun und seinen Heils- und Gerichtsworten gerechtfertigt ist. Dabei ist eben Ps 50LXX nicht irgendein Psalm irgendeines Israeliten, sondern der Bußpsalm Davids nach seinem Gang zu Bathseba, im Psalter an herausgehobener Stelle stehend als Eröffnung des Davidpsalters II (Ps 52–72)70. Dadurch wird der grundlegende Aspekt der Antwort, wie die Treue Gottes, d.i. das Festhalten an seinem Bund, und das Gericht Gottes zusammengebracht werden können, ebenso unterstrichen, wie die herausgestellte Sündhaftigkeit in ihrer grundlegenden anthropologischen Dimension (Ps 50,7LXX) mit benannt wird und durch ihre exemplarische Feststellung anhand des wichtigsten Heilshoffnungsträgers Israels als ein Beleg und Beweis für p©j ¥nqrwpoj yeÚsthj fungiert. So ist die Ersetzung der individuellen Voraussetzung Ps 50,6aLXX durch die kategorial-anthropologische Voraussetzung in V.4a vollkommen begründet und legitim. Die besondere Bedeutung des Zitates von Ps 50,6LXX für V.1–8 wird nun weiter auch dadurch deutlich, dass es nicht nur eine in der Schrift vorhandene Lösung für die vermeintliche Spannung zwischen parteiischer Bundestreue Gottes und unparteiischem Gericht Gottes ist, sondern das Zitat auch lexikalisch auf der Ebene des Röm diese beiden Größen zusammenbringt: Mit to‹j lÒgoij ist V.2 aufgenommen, wo mit dem verwandten Begriff lÒgia Gottes Zuwendung zu Israel, der Bund, beschrieben wurde. Mit kr…nesqai wird der entgegenstehende zentrale Begriff aus Röm 2 aufgenommen. Beide Begriffe können zusammengeführt 70
Vgl. dazu besonders K. Seybold, Psalmen, 211.
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werden in der Weise, dass Gott als treu gerechtfertigt wird durch die Sünde des Menschen71. Diese erweist das Gericht als gerecht und als nicht im Widerspruch zu seiner Bundestreue stehend72. Damit kann man aber auch kr…nesqai V.4 schon ungeachtet seiner Bedeutung im ursprünglichen Kontext von Ps 50,6LXX eindeutig bestimmen: Es muss in V.1–8 Gottes in Röm 2 genanntes Richten gerechtfertigt werden, so dass kr…nesqai klar als Medium und damit als das aktive Richten Gottes73 zu verstehen ist, und nicht Gott in dem Prozess eines mit ihm rechtenden Menschen der Angeklagte ist74. Und in dieser Bedeutung ist kr…nesqai auch schon im Zusammenhang von Ps 50LXX selber zu bestimmen, denn es handelt sich um einen Bußpsalm, in welchem David nicht Gott einem Prozess unterzieht, wie etwa Hiob, sondern Gottes Urteil über sich als gerecht anerkennt, so dass die Nähe zum argumentativen Zusammenhang des Röm und damit die Autorität des Schriftbeweises noch deutlicher werden. Insgesamt wird auch hier wieder im Rahmen des Judentums argumentiert75, wie etwa auch Judith 11,10; Neh 9,33; Dan 9,7; PsSal 9,276 deutlich machen. Dabei sollte man einen Wechsel von dem in den jüdischen Quellen vorhandenen Rahmen des innerweltlichen Strafhandelns Gottes zum eschatischen Rahmen des endzeitlichen Weltgerichtes in Röm 1–3 nicht an V.4 festmachen. Die Tempusänderung bei nik»seij vom Konjunktiv Aorist der LXX-Vorlage zum Indikativ Futur taugt als Indikator für einen solchen Rahmenwechsel77 nicht, weil damit ja nicht das Richten, sondern das Siegen in die Zukunft verlegt würde. Und des weiteren steht auch schon katarg»sei im Futur78. Es geht also vielmehr um die aspektive Funktion des Futurs79, wie sie in biblischen Aussagen der Gewissheit 71 72 73
74 75 76 77
78 79
Vgl. D.R. Hall, Romans, 188. Gegen E. Käsemann, Römer, 76, der meint, es ginge um den Sieg des Heils Gottes. So D.J. Moo, Romans, 188; D. Zeller, Römer, 78; C.E.B. Cranfield, Romans I, 183. Bei kr…nesqai im Medium strengt immer das Subjekt den Prozess an, vgl. dazu 1Kor 6,1.6. Insofern kann kr…nesqai im Medium mit dem Subjekt sš nicht anzeigen, dass der Mensch mit Gott rechtet. Damit gegen E. Lohse, Römer, 117. – Auch die Parallelen PsSal 2,15; 3,5; 4,8; 8,7.26; 9,2 machen doch deutlich darauf aufmerksam, dass es um Gottes Richten geht, was in Frage steht. So eine erstaunliche Vielzahl von Exegeten, vgl. nur E. Lohse, Römer, 117; K. Haacker, Römer, 74.77; G. Bornkamm, Teufelskunst, 143f. Vgl. dazu auch T. Eskola, Theodicy, 99f.124. Vgl. auch PsSal 2,15; 3,5; 4,8; 8,7.26 – auch SapSal 12,12. So etwa E. Käsemann, Römer, 76, der dieses Siegen im Endgericht dann noch weiter zu einer endzeitlichen Durchsetzung von Gottes heilschaffender Gerechtigkeit hin interpretiert. Das ist aber kaum möglich, denn der Rahmen von V.1–8 ist nun einmal Gottes Gericht. Wie E. Käsemann auch J.D.G. Dunn, Romans I, 134; J. Piper, Justification, 110–112. Vgl. D. Starnitzke, Struktur, 124. Vgl. unten 3.4.2.5 mit Anm. 338; sowie BDR 362, die diese Funktion leider entgegen
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zu finden ist. Die Berechtigung des Gerichtes und die Klärung von Gericht und Treue Gottes zur Rechtfertigung der Gottheit Gottes werden so in ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung herausgehoben80. Damit ist nicht bestritten, dass Paulus die Aussagen von dem Rahmen des innerweltlichen Strafhandelns an Bundesmitgliedern in den Rahmen des endzeitlichen Gerichtes Gottes transferiert. Nur geschieht dies erst in V.5–7 mit der Anführung und Gegenüberstellung von unterschiedlich gelagerten Axiomen81. In V.4 wird sozusagen zunächst vorbereitend grundlegend die Frage von Gericht und Bundestreue behandelt82. Da aber auch die weiteren angeführten Axiome jüdischer Tradition entspringen, kann man auch dann nicht eigentlich vom Verlassen des jüdischen Rahmens reden, sondern besser von einer Pointierung und Zuspitzung jüdischer Theologumena. Wie auch im Psalm das Bekenntnis und Eingeständnis des Menschen einen besonderen Akzent eines finalen Momentes hat, nämlich das Ziel, Gott in seinen Worten und seinem Gericht zu entlasten und als treu und gerecht zu erweisen, so bestimmt auch der Imperativ ginšsqw V.4 das Ópwj final mit. Ópwj ¨n dikaiwqÍj ™n to‹j lÒgoij sou ktl. ist natürlich insofern eigentlich und zunächst konsekutiv zu verstehen83, als der Mensch nicht um eines Zieles willen sündigt – er sündigt nicht, damit Gott gerecht dasteht –, sondern Gottes Gerechtigkeit in seinem Richten eine Konsequenz aus der menschlichen Sünde ist84. Der finale Aspekt kommt aus der Aktion des Anerkennens und Erweisens, dass der Mensch yeÚsthj ist und Gott wahr, insofern diese Aktion den Gerechtigkeitserweis Gottes zum Ziel hat. Das korreliert mit der Absicht der Argumentation, bei dem Leser die Anerkennung zu erwirken, dass die Ausführungen von Röm 2 Gott und den Bund nicht in Frage stellen, sobald man einsieht, dass man mit der Sünde der Menschen rechnen muss. Es korreliert auch mit der Absicht der Argumentation, beim Leser die Einsicht zu erzielen, dass alle aufgrund der Sünde Gott gegenüber zusammengeschlossen sind. Damit wird die Bedeutung von V.4, den wir als zentral für die Argumentation von V.1–8 erwiesen hatten85, auch über diesen engeren Kontext hinaus
80 81 82 83 84 85
dem Befund auf Gebote und Verbote beschränken, in der Überschrift des Paragraphen aber immerhin richtig vom „Indikativ des Futurs für energische Aussagen“ sprechen. So auch richtig E. Lohse, Römer, 117. Vgl. dazu unten 2.4.4 und 2.4.5. Vgl. auch W. Schmithals, Römerbrief, 107. Vgl. Liddell/Scott II, 1244. Zum konsekutiven Verhältnis von Sündigen und Treueerweis auch in Psalm 51,6 selber vgl. D.R. Hall, Romans, 186f. Vgl. auch oben 2.3.
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unterstrichen. Denn dieses axiomatische Faktum der im Gegenüber zu Gott in ihrer Bedeutung geschärften, unabweisbaren Sünde aller, das im weiteren Verlauf der Argumentation (V.9) noch eine Rolle spielen wird, wird mit V.4 und nicht in Röm 1 oder Röm 2 benannt und der Diskussion zugeführt86. Die Veränderung bei den Verbformen in Genus und Modus macht somit auf die Veränderung in der Argumentation aufmerksam87 und unterstreicht den fundamentalen Unterschied zwischen Gott und Mensch und die Sonderstellung Gottes. War in V.2.3 der Indikativ Aorist als Ausdruck geschichtlicher Wirklichkeit bestimmend, so finden wir nun einen Imperativ und finale Konjunktive. Sie beschreiben so ohne Auftreten einer geschichtlichen Wirklichkeit, losgelöst, ein unbedingt zu erreichendes Ziel der Argumentation: etwas, was sein muss, weil nicht sein kann, dass es nicht ist. So markieren sie, dass die Wirklichkeit Gottes eine andere ist als die geschichtlich-menschliche und dieser unbedingt übergeordnet. Das Ziel der Gottheit Gottes ist unbegründet und unumstößlich gesetzt, ihr sind die Aussagen zugeordnet. Einerseits ist also die Argumentation bestimmt durch den Sprung nach oben, zu der Wirklichkeit Gottes, wie es sich ja auch im Wechsel dessen, der zuerst genannt wird, von V.3 zu V.4 widerspiegelt. Andererseits wird aber hier der Unterschied nicht aus Gott allein heraus gewonnen, sondern von unten wesentlich mit konstituiert durch den Faktor der menschlichen Seite, die Sünde.
2.4.4 V.5.6 V.4 hatte sich als Zentrum der Argumentation in V.1–8 bestätigt, indem dieser Vers die vorausgehende Argumentation V.1–3 in die grundsätzlichen Klärung der Theodizee münden lässt. Die Stichwortanalyse hatte gezeigt, dass von diesem Zentrum aus nun eine Diskussion der Lösung erfolgt. Diese erfolgt in V.5.6 exakt und in V.7 nicht zu Ende durchgeführt nach der ermittelten rhetorischen Struktur88. Auch V.5 selber bestätigt diese Beschreibung, indem V.5a V.4 zusammenfasst und die Lösung noch einmal kurz und explizit repräsentiert89 und daran eine Frage anschließt.
86 87 88 89
Vgl. unten 2.5. Vgl. U. Wilckens, Römer 1, 162f.165. Vgl. oben 2.3. Vgl. D.R. Hall, Romans, 188.190.
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Römer 3,1–8
Die weitere Exegese von V.5 hängt vor allem an der Klärung der Bedeutung von dikaiosÚnh und auch von sunist£nai. Insbesondere die Bedeutung von dikaiosÚnh nimmt eine Schlüsselfunktion für das Verstehen auch der weiteren Argumentation ein und soll deshalb zuerst ermittelt werden. Dabei ist die Frage, ob sie Gottes heilschaffende Gerechtigkeit90 bezeichnet, seine richtende Gerechtigkeit91 oder die Gerechtigkeit seines Gerichts92. Für das erste plädiert J.D.G. Dunn93 mit dem Argument, dass dikaiosÚnh zum ersten Mal nach 1,17 auftauche und deshalb von daher als Gottes heilschaffende Gerechtigkeit zu verstehen sei. In der Sache der in V.3 in Frage gestellten Bundestreue werde in V.5 dikaiosÚnh als Gottes unverdientes Heilshandeln an Israel geschildert und somit Gottes Treue gegenüber einem untreuen Israel ausgesagt. Damit sind die entscheidenden Aspekte zur Bestimmung von dikaiosÚnh genannt, insofern die verschiedenen Kontexte zur Bestimmung von dikaiosÚnh aufgeführt wurden. Diese können wir nun hinsichtlich ihrer Geltung und Bedeutung leicht überprüfen, um anschließend eine Bestimmung von dikaiosÚnh vornehmen zu können. Dementsprechend ist gegen J.D.G. Dunns Bestimmung von dikaiosÚnh als rettender Gerechtigkeit einzuwenden, dass nicht 1,17 den entscheidenden Kontext zum Verständnis darstellt, insofern die propositio erst in 3,21 wieder aufgenommen wird, sondern eben Röm 2. Dementsprechend steht in V.1 als Reaktion auf Röm 2 nicht Gottes unverdientes Heilshandeln an Israel zur Debatte, sondern der Bund Gottes angesichts seines unparteiischen Gerichtes auch über Israel94. Und insofern hat J.D.G. Dunn etwas Richtiges gesehen, wenn er meint, dikaiosÚnh von der Frage von V.1 und von p…stij V.3 her zu bestimmen95: Zur Debatte steht nicht eine isolierte Gerechtigkeit als Eigenschaft Gottes, auch nicht die isolierte Frage nach der Berechtigung des Gerichtes Gottes, sondern die Frage nach dem Verbleib der Sonderstellung Israels und der Berechtigung des Gerichtes angesichts der Bundeszusagen Gottes. V.1 und V.3 machen klar, dass es um die Bundestreue Gottes geht: Wenn die übergeordnete, bestimmende Frage die nach dem Bund ist, und diese anhand von p…stij diskutiert wird, zu der als alttestamentliche Bundestreue auch dikaiosÚnh 90 91 92 93 94 95
Vgl. J. Lambrecht, Sinning, 152; E. Käsemann, Römer, 76; U. Wilckens, Römer 1, 166; P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 86 u.a. Vgl. T. Eskola, Theodicy, 99; C.H. Cosgrove, Occasion, 99; H. Räisänen, Verständnis, 198; G. Bornkamm, Teufelskunst, 145. Vgl. E. Lohse, Römer, 118; K. Haacker, Römer, 78; D. Zeller, Römer, 78. Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 134.141. Vgl. auch D.R. Hall, Romans, 191. Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 143.
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(Dtn 32,4; Jer 42,5; Hos 2,21f; Neh 9,8; 1Sam 26,23; Prov 12,21f96 u.ö.) und ¢l»qeia ganz eng in Verbindung stehen (Ex 24,7; Neh 9,33; 2Makk 7,6; Jos 2,14, 1Sam 12,24; 1Makk 7,1897), dann ist es mehr als naheliegend, dass auch dikaiosÚnh in V.5 nur von daher zu verstehen ist98. Damit können wir aber nun dikaiosÚnh in Abgrenzung gegen zwei Fronten genau bestimmen99: Zum einen kann dikaiosÚnh aufgrund der Bestimmung durch den engeren Kontext V.1–8 nicht anders als im Rahmen des Bundes verstanden werden. Ein Verständnis als bloße iustitia distributiva, als richtende Gerechtigkeit Gottes oder als Berechtigung seines Gerichtes, scheidet aus. Andererseits machen der nächsthöhere Kontext von Röm 2, aber auch nik»seij ™n tù kr…nesqa… se V.4, Ñrg» V.5 und krine‹ V.6 deutlich, dass es nicht um Gottes unverdient rettendes Heilshandeln geht, sondern um die Frage nach dem Bund angesichts des Gerichtes Gottes. Diese beiden Seiten von Gericht und Bund lassen sich auf den einen Begriff der Bundestreue bringen, in dessen Sinn dikaiosÚnh hier fungiert100. Und genau dies wird über V.4 bestätigt. Denn V.4 hatte mit dem Psalmzitat ja genau beides zusammengebracht und miteinander ausgeglichen: Die Sünde des Menschen rechtfertigt Gottes Gericht an einem Heilsträger des Bundes als gerecht und stellt damit die umstrittene Bundestreue Gottes außer Frage. Auch hier markiert ¢lhq»j das Element der Treue, insofern es in LXX vor allem, aber nicht nur im Hinblick auf Personen die Zuverlässigkeit markiert (Gen 41,32; Neh 7,2; SapSal 15,1; Dan 10,1). Somit wird über V.4 auch deutlich, dass die für V.1–3 ermittelte Diskussion der Bundestreue in V.5ff tatsächlich weiter geht und p…stij V.3 tatsächlich zu Recht auch dikaiosÚnh V.5 bestimmt. Eine solche Bedeutung von dikaiosÚnh lässt sich ebenfalls vom Sprachgebrauch des Alten Testaments her bestätigen, wo dikaiosÚnh in seiner Bedeutung changiert und neben einer Bedeutung, die stärker Gewicht auf das rettende Element und Heilshandeln Gottes im Bund („Gnadenerweise“: 1Sam 12,7) legt, auch ein Verständnis im Sinne von „Bundestreue“ belegt ist, oft auch durch die Parallele zu ¢l»qeia (Gen 24,49; Jos 24,14; Ps 95,13; 118,75; 143,1; Jes 11,5). Dies ist begründet in dem relationalen Cha96
In den letzten beiden Belegen bezeichnen die beiden Begriffe die Bundestreue von Menschen, aber das nimmt nichts davon, dass sie eben Bundestreue bezeichnen, sondern unterstreicht es vielmehr. 97 In den letzten drei Belegen bezeichnet der Begriff die Bundestreue von Menschen, aber das nimmt nichts davon, dass er eben Bundestreue bezeichnet, sondern unterstreicht es vielmehr. 98 Vgl. auch R.B. Hays, Psalm, 111. 99 Vgl. auch J. Piper, Righteousness, 15, der allerdings keine Konsequenzen daraus zieht. 100 Vgl. auch R.B. Hays, Psalm, 111; P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 86.
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rakter101 von zedaka, der hier aussagen kann, dass Gott in der Relation zu Israel und zum Bund nicht in Frage gestellt ist102. Dementsprechend ist also hier dikaiosÚnh im Rahmen der Frage nach Israel zwar nicht als „unverdient rettende Gerechtigkeit“ oder als „Heilsmacht“ zu verstehen, wohl aber viel stärker und spezifischer noch als im Sinne einer „allgemeinen und bloßen Eigenschaft“ als „Gerechtigkeit im Rahmen des Bundes“ und damit als „Bundestreue“ zu verstehen. Überlegungen zu einer unverdient rettenden Gerechtigkeit spielen erst ab 3,21 eine Rolle, und eine Rede über Gottes unverdient rettende Gerechtigkeit und ein hierdurch in Frage gestelltes Gericht in V.1–8 wäre in der Tat eine unvermittelte Digression und ein Solitär, denn von der unverdient rettenden Gerechtigkeit war, abgesehen von der propositio, die Röm 1,18–3,20 nicht bestimmt und eben erst in 3,21 wieder aufgenommen wird, im Kontext überhaupt noch nicht die Rede. Auch für sunist£nai kann von V.4 und seinem Kontext her eine Entscheidung getroffen werden, und dazu gehört selbstverständlich auch die Bestimmung von dikaiosÚnh als Bundestreue. Die Bundestreue Gottes stand angesichts seines Gerichtes über David/Israel in Frage, und sie wurde durch die Sünde der Menschen erwiesen, bewiesen. Damit sind aber alle Interpretationen, die von einem generierenden Zusammenhang sprechen103, hinfällig: Weder wird hier die göttliche richtende Gerechtigkeit erst bewirkt durch die menschliche Ungerechtigkeit, noch die rettende Gerechtigkeit, indem die menschliche Ungerechtigkeit erst die Gelegenheit schafft, in der Gott richtend oder rettend tätig werden kann. Auch ein „aufdecken“ oder „offenbaren“ oder „herausbringen“104 ist kein adäquates Verständnis, denn es geht um einen Zusammenhang, in dem eine Größe in der Diskussion stand und verteidigt werden sollte: Mit p…stij V.3 war die Bundestreue schon vorhanden, aber umstritten, so dass sie einen Beweis, Erweis benötigte. Es geht also um einen reflexiven, legitimierenden Zusammenhang bei sunist£nai105. In dieser Bedeutung findet sich sunist£nai auch in Röm 5,8; 6,4; 7,11; 2Kor 6,4; 7,11, wo eine zuvor angenommene Eigenschaft sich erweist106; ein Verständnis eines generierenden Hervorbringens lässt sich nicht finden, dementsprechend
qdc
101 Vgl. nur B. Johnson, , 903. 102 Vgl. auch D.R. Hall, Romans, 189. 103 Vgl. W. Schmithals, Römerbrief, 108; H. Schlier, Römerbrief, 95; A. Kretzer, sun…sthmi, 738. 104 Vgl. H. Räisänen, Verständnis, 196. 105 Vgl. D.R. Hall, Romans, 189. 106 Vgl. E. Käsemann, Römer, 77; M. Wolter, Rechtfertigung, 176 und ausführlich C. Spicq, Agapè, 180ff, bes. 184.
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lässt sich sunist£nai auch nicht in die Nähe von faneroàn oder ¢pokalÚptein rücken107. Damit spricht nicht nur das ermittelte Verständnis von dikaiosÚnh für die ermittelte Bedeutung von sunist£nai, sondern die semantische Analyse von sunist£nai bestätigt auch das ermittelte Verständnis von dikaiosÚnh als Bundestreue, die in Frage gestellt ist. Damit ist aber V.5a als Repräsentation von V.4 erwiesen: Die in der Theodizee in Frage stehende Bundestreue kann argumentativ gerettet und außer Zweifel gezogen werden aufgrund der Ungerechtigkeit der Menschen. Diese Repräsentation erfolgt, um sie zu diskutieren, wie t… ™roàmen zeigt. Der Diskussionsbedarf ergibt sich in zweierlei Hinsicht: Erstens bedarf diese Feststellung genau dann einer weiteren Diskussion und führt Einwände herauf, die genau dann naheliegend sind und keine Abschweifung, wenn man dikaiosÚnh als Bundestreue versteht: Wenn nämlich unsere108 Ungerechtigkeit, d.h. die Davids und die der Juden, Gottes Gerechtigkeit im Hinblick auf seinen Bund, also ein eigentlich heilvolles Element, erwiesen hat, ist Gott dann nicht ungerecht, dass er Zorn und Vernichtung, also Unheil über Israel ausübt, und zwar eschatisches? Das Paradox ist demnach, dass in der Frage des umstrittenen Gerichtes die menschliche Untreue die Frage von V.1 ja gerade so beantwortet hatte, dass Gottes Bundestreue und die Geltung der heilvollen Privilegien von seiner Seite aus bestätigt worden war. Kurz: Wenn wir gerade die Bundestreue erwiesen haben, warum richtet Gott uns dann? Zum zweiten ergibt sich Diskussionsbedarf daraus, dass V.5a sozusagen eine Gegenthese zu V.3b darstellt: War in V.3b durch die Verneinung der These, dass das Verhalten einiger im Hinblick auf Gott etwas ihn in Frage Stellendes bewirke, mit o§ katarg»sei gerade ausgesagt, dass menschliches Verhalten ohne Bezug und Berührung zu Gott und der Gottesfrage ist, so dient in V.5 menschliches Handeln nun genau umgekehrt dazu, etwas über Gott auszusagen, und es wird ihm eine entscheidende Bedeutung im Hinblick auf die Bestimmung Gottes zugemessen. Damit ist aber genau der Schwachpunkt109 der Argumentation 107 Gegen W. Kasch, sun…sthmi, 896. 108 Paulus spricht hier im Zusammenschluss mit den in Frage stehenden Juden, es geht nicht um die Menschheit allgemein. Das kommt erst später, noch sind wir beim Zusammenhang der Frage des Bundes, wie auch ¢l»qeia V.7 und der weitere Argumentationsverlauf deutlich machen (vgl. K. Haacker, Römer, 78 mit Anm. 24; H. Räisänen, Verständnis, 196). 109 Dass in der Argumentation von V.1–8 ein Schwachpunkt enthalten ist, ist vielfach gesehen (vgl. nur J.D.G. Dunn, Romans I, 129f; D. Zeller, Römer, 77; U. Wilckens, Römer 1, 162) und z.T. ja bis hin zur abwertenden Einschätzung dieses Abschnittes geführt worden (vgl. C.H. Dodd, Romans, 46). Es ist aber nie eine exakte Bestimmung dessen vorgenommen worden, worin der Schwachpunkt nun genau besteht.
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von V.4.5 aufgedeckt: Es ist problematisch, Gott von den Menschen her zu bestimmen, insbesondere dann, wenn man gerade den kategorialen Unterschied ausdrücken und mit ihm argumentieren will, wenn man Gott gegenüber den Menschen aus der Schusslinie holen will. Wenn es eine Korrelation von Gott und Mensch gibt und wenn ein menschliches Element einen positiven Bezug zu der Frage von Gottes Verlässlichkeit und damit im Rahmen der Theodizee zu Gottes Gottheit hat, und sei es nur argumentativer, heuristischer Natur, dann kann man natürlich die Frage stellen, ob es angemessen ist, dass Gott den Menschen gerade in diesem Punkt richtet. Diese Schwäche in der Argumentation wird unterstützt bzw. deutlich gemacht auch durch den Wechsel in der Argumentationsweise in V.4, auf den wir aufmerksam gemacht hatten: Indem dort Gottes Gottheit und Zuverlässigkeit als unbedingt zu erreichende Diskussionsziele ohne Rücksicht darauf, wie der Bezug zur menschlichen Wirklichkeit bestimmt werden kann, ausgesagt wurden, ergibt sich genau dann die Anfrage, wenn man die unbedingt und isoliert vorgebrachte Aussage der Gottheit Gottes nun mit der menschlichen Wirklichkeit in Beziehung setzt und diese herhalten muss, um das absolute Ziel zu erreichen. Diese Schwäche in der Argumentation, die natürlich auch in der Natur der Sache liegt, ist der Grund dafür, dass Paulus die Einwände nur noch mit Fragen abwehren kann, aber nicht mehr in einer geordneten, darstellenden Argumentation. Über ein solches Maß hinaus sollte man aber V.5–8 nicht insgesamt auf die Schwäche der Argumentation zurückführen: Diese führt zwar zu der offenen, nicht perfekt geschlossenen Art und Weise der Darstellung, die in Fragen und nicht in Antworten gipfelt. Inhaltlich hat die Argumentation aber den Sinn, die durchaus berechtigten Fragen zu nutzen, um das in Röm 2 angeführte unparteiische, eschatische Gericht nach Werken aufgrund von V.4 als Axiom herauszustellen110, das unausweichlich auch von Israel nicht umgangen werden kann und so letztlich zur Einung der Menschheit führt. Dies geschieht zuerst mit der den Einwand formulierenden, rhetorischen Frage von V.5b. Hier wird mit Ñrg» eine entscheidende Akzentverschiebung vorgenommen: Konnte man aufgrund der Erzählung der Geschichte Israels mit ™pisteÚqhsan und ºp…sthsan ebenso wie aufgrund des Hintergrundes des Psalmzitates meinen, der Erweis der Gerechtigkeit des Gerichtes Gottes bezöge sich auf ein innergeschichtliches Strafhandeln Gottes, so macht Ñrg» in Aufnahme von 1,18 – wie auch sonst – 110 Vgl. S.K. Stowers, Dialogue, 717f.
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deutlich, dass es um das eschatische, das definitive endzeitliche Gericht Gottes über alle Welt geht. Genau diese Herausstellung des in Röm 2 als Axiom genannten eschatischen Weltgerichtes als auch nach der Diskussion der Bundesfrage unaufgebbar und berechtigt wird nun im Anschluss an V.5b von V.6 vorgenommen: V.5 stellt über die mit Gott nicht zusammenzubringende ¢dik…a im Hinblick auf Ñrg» eine solche Frage, die in V.6 zu der Aufrichtung des Axioms des Weltgerichts führt111. Aufgrund des Schwachpunktes, den die Argumentation enthält, kann das Axiom eben nur in der Form der Frage dargeboten werden. Dabei liegt das Argument und die Betonung auf kÒsmoj112. Es gibt über die dikaiosÚnh hinaus, die als Bundestreue eine israelspezifische und damit partikulare Gottesaussage ist, ein weiterreichenderes Axiom, nämlich den Aspekt von Gottes (richtender) Herrschaft über die ganze Welt (Jes 66,16; Ps 14,2; Ps 96,13; 4Esr 7,33f; 11,46; Sib 4,40ff.182f; TargPsJon zu Gen 4,8; TargNeof zu Gen 4,8 u.ö.113). kÒsmoj markiert also ein übergeordnetes und umfassenderes Verständnis von Gott als Herrn der ganzen Welt, das einen Universalismus anzeigt, wie er ja auch in V.4 vorgebildet ist mit p©j ¥nqrwpoj und in den entsprechend auch das partikulare, jüdische Gottesverständnis einzuordnen ist. Dabei ist wieder festzuhalten, dass nicht ein christliches Axiom einer jüdischen Aussage von Gott gegenübergestellt wird, sondern eine jüdische Gottesaussage durch eine andere traditionelle Gottesaussage beleuchtet wird114. 111 Vgl. D. Zeller, Römer 79. 112 Zur Bedeutung der Einführung von kÒsmoj vgl. auch seine Wiederholung in 3,19. Vgl. auch R.B. Hays, Psalm, 112. 113 Weitere Belege und ausführliche Darstellung bei J.M. Bassler, Impartiality, 45ff. 114 Vgl. auch T. Eskola, Theodicy, 99f.100. Den Unterschied zur jüdischen Theologie des zweiten Tempels sieht T. Eskola zu Recht darin, dass Paulus über die Gerechtigkeit des Gerichtes Gottes auch im Hinblick auf den Bund angesichts der Sünde aus einer Perspektive schreibt, indem er um das heilvolle Eingreifen Gottes in Jesus Christus weiß. Dass das Judentum des Zweiten Tempels weitgehend um dieses Wissen nicht weiß oder wissen will, ist kein Argument gegen Paulus‘ jüdische Argumentation, insofern Paulus auch dieses heilvolle Eingreifen Gottes in Jesus Christus als konform mit den Schriften und der Tradition, ja geradezu als deren schon immer vorhandenes Zentrum versteht. – Das unparteiische Gericht nach Werken über die ganze Welt, das auch Israel unvoreingenommen trifft, ist eine gängige Erklärung in der Theodizee des Zweiten Tempels (vgl. nur 4Esr 7,47ff; T. Eskola, Theodicy, 44–51.78; J.M. Bassler, Impartiality, 43f). Der Unterschied zu Paulus ist hier nur der, dass dieses Gericht nicht mit der grundlegenden und als unausweichlich charakterisierten Sünde aller Menschen zusammengebracht wird, so dass als Ausweg für Israel das Tun der Tora bleibt, genauso wie Paulus es noch in 2,6f.13.26 skizziert hatte. Die Pointe besteht also in der Zusammenfügung von Ps 115,2 mit der auf die unausweichliche Sündhaftigkeit aller zielenden kategorischen Unterscheidung von Gott und Mensch (kÒsmoj) (Hi 4,17; Ps 51,7; Jer 13,23; vgl. dazu auch O. Kaiser, Gott 3, 76ff) und des Theologumenons von Gott als Richter des Kosmos’. Beide Axiome für sich sind unbestritten biblisch-jüdische Überzeugung. Eine Gemeinsamkeit in der Rede vom Gericht Gottes über die Welt ist
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Da nun dieser Kosmos aber nach V.4 und jüdischem Wissen von Unrecht und Gottesferne durchzogen ist, muss und kann er nur mit Ñrg» gerichtet werden. Aufgrund des Schwachpunktes, den die Argumentation enthält, kann das Axiom eben nur in der Form der Frage dargeboten werden. Hinzu kommt, dass die Argumentation allein in einer hierarchischen Überordnung besteht, insofern das eine, übergeordnete und umfassendere Axiom von Gott als dem Herrn der Welt (Gen 1) dem anderen, nachfolgenden und partiellen Axiom von Gott als an Israel gebunden (Gen 12ff) einfach vorgeordnet wird. Gearbeitet wird dabei natürlich mit der kategorialen Differenz Gott – Mensch (Hi 38f u.ö.), wie sie in V.4 im Rahmen der Bundesfrage angeführt wurde und die nun universalistisch ausgeführt wird zu Gott als Herrn und Gegenüber des Kosmos, in den sich aufgrund seiner Sünde auch Israel einordnen muss. Auch wenn also Gottes Bundestreue erwiesen ist durch die menschliche Untreue, kann auf das übergeordnete Axiom des eschatischen Weltgerichtes nicht verzichtet werden, insofern diese Untreue in der theologischen Überzeugung gerade ein Gericht Gottes verlangt, und nach V.4 betrifft es eben auch die Juden. Dabei macht kat¦ ¥nqrwpon lšgw deutlich, dass bei der Argumentation ein menschliches Wirklichkeitsverständnis mit im Spiel ist, dessen Einbeziehen in die Bestimmung Gottes ohne klare Zuweisung und Klärung des Verhältnisses von menschlicher und göttlicher Wirklichkeit die Schwäche der Argumentation ausgelöst hat. Demgegenüber wird in Röm 9 dargestellt, dass die Vorstellung von Gott als Richter ohnehin eine menschliche Vorstellung ist, die Gott eigentlich gar nicht zutreffend beschreibt, und es dementsprechend besser ist, Gott anders und d.h. von Gott selbst und nicht vom Menschen her zu beschreiben. Ein solcher Ausblick und Kontrast mit Röm 9 ist insofern gerechtfertigt115, als in Röm 9,14.19 eindeutig eine vergleichbare Frage vielfach übersehen worden und besteht genau in dem, was T. Eskola als Differenz angeführt hat: Bei Paulus findet sich das unparteiische Endgericht über den ganzen Kosmos letztlich in derselben geminderten Radikalität wie in der biblisch-jüdischen Tradition: Ist es in Schrift und Tradition das Wissen um – unverdientes – Heil für Israel in diesem Gericht, so ist es bei Paulus die Perspektive des universalen Heiles, um die wissend er das radikale Gericht beschreibt. – Wird funktional die unausweichliche Radikalität des eschatischen Gerichtes gemeinsam, sowohl von Paulus wie auch von anderen jüdischen Texten, betont, so besteht dann vielmehr genau der Unterschied darin, dass die Rede vom Gericht entweder dazu dient, die ethische Differenz Israels zu schärfen, indem nur die Täter der Tora gerettet werden (4Esr), oder diese einzuebnen, indem niemand durch Tun gerettet wird aufgrund der kategorialen Sünde aller. 115 Dieser Vergleich wird auch in der Literatur vielfach angeführt (vgl. nur D. Sänger, Verkündigung, 134f.144f; D.R. Hall, Romans, 190f; H. Räisänen, Verständnis, 197f. Es
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gestellt wird. Vor diesem Hintergrund werden das Unvollkommene und Offene der Argumentation in V.1–8 und ihre Schwächen deutlicher. Damit nennt kat¦ ¥nqrwpon lšgw auch über den Bezug zu V.5 hinaus einen typischen Zug der Rede von Gott in V.1–8, der vor dem Hintergrund auch von Röm 9 verstehen lässt, warum die Argumentation hier nicht so perfekt erfolgt, wie sonst: Weil das richterliche Handeln Gottes, die Vorstellung der Entsprechung von Gott und Mensch und eines Bezuges des Handelns des Menschen auf Gott immer in Aporien führt, insofern der eigentlich kategorial andere Gott (V.4) bei einem solchen Gottesbild doch wieder kategorienwidersprechend mit menschlichen Elementen in Berührung gebracht wird.
2.4.5 V.7 Von diesem Argumentationsschritt von V.5.6 her, der den Erweis der Bundestreue in einen Bezug bringt zur Universalisierung Gottes als Richter der Welt, lässt sich sowohl inhaltlich wie argumentations-strukturell auch V.7 verstehen und seine Funktion bestimmen. Zunächst hilft die Strukturanalogie in der Argumentation zum Verständnis: So wie V.5a die unmittelbar vorangehende Argumentation V.4 repräsentierend verdeutlicht hat, genau so lässt sich auch V.7a als repräsentierende Verdeutlichung der Argumentation von V.5b.6 sehen. Es wird explizit gemacht, dass die Bundestreue116 Gottes durch die menschliche Untreue sogar in der Weise herausgestellt wird, dass Gottes universale und richtende Gottheit erscheint. Die menschliche Untreue auch eines Juden ist so grundlegend und kategorial zu bewerten, dass sie dazu führt, dass die Rechtfertigung von Gottes Bundestreue aufgrund der menschlichen Untreue noch weiter zum Erweis seiner Gottheit über den ganzen Kosmos, seiner Herrlichkeit im endzeitlichen Gericht führt117: Aufgrund der uniist aber nicht gesehen worden, dass Röm 9 das Gottesbild von Röm 2 und 3,1–8 als letztlich unangemessen qualifiziert (vgl. dazu unten 5.3.4.). 116 Vgl. J. Lambrecht, Sinning, 152. – J. Piper, Righteousness, 10; J.D.G. Dunn, Romans I, 142 u.a. nehmen hier wieder wie schon zuvor für dikaiosÚnh V.5 für ¢l»qeia Gottes rettende Gerechtigkeit an. Dabei ist der Rahmen des Bundes auch für ¢l»qeia, wie wir gesehen hatten, richtig. Nur geht es um die Bundestreue, die gerade mit ¢l»qeia ja auch ausgedrückt werden kann und die durch das Gericht Gottes in Frage steht. Bei J. Piper, Righteousness, 6ff ist es der Gegner, der immer wieder das Verständnis von Gerechtigkeit als heilschaffende Gerechtigkeit einbringt. Demgegenüber erspart auch das Verständnis von ¢l»qeia als „Bundestreue“ die Hypothese von der Erfindung eines profilierten Gegners als fiktiven Gesprächspartners. 117 Dementsprechend hat J. Lambrecht, Sinning, 147 u.ö. ™per…sseusen genau falsch zugeordnet, wenn er meint, dass die dÒxa vergrößert wird durch die Sünde. Stattdessen wird die ¢l»qeia weitergeführt.
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versalen Sünde des Menschen, und damit auch des jüdischen Menschen, führt Gottes Gerechtigkeit angesichts des Bundes noch weiter zu seiner Berechtigung des Richtens als Gott, bzw. stellt seine Gottheit gegenüber der ganzen Welt heraus. Wir sehen, wie auch diese Verdeutlichung wieder V.4 aufnimmt, dessen Elemente hier präsent sind. ¢l»qeia ist auch hier nicht anders als dikaiosÚnh V.6 als „Bundestreue“ zu verstehen118. Wie schon zu V.5.6 gesagt war, sind p…stij, dikaiosÚnh und ¢l»qeia vor dem LXX-Hintergund in semantisch enger Beziehung stehend als Bundesbegriffe zu bestimmen, und dort waren auch Belege für ¢l»qeia als „Bundestreue“ genannt. Auch in V.4 war mit ¢lhq»j die Verlässlichkeit Gottes ausgesagt, in V.5a die Bundestreue diskutiert worden, so dass alles darauf hinweist, dass in der strukturanalogen Repräsentation V.7a ¢l»qeia nicht anders denn als „Bundestreue“ zu verstehen ist; anderes wird nicht angezeigt. Auch für dÒxa lässt sich über die Funktion der Bestimmung der Gottheit Gottes gegenüber allem Menschlichen, also ihre kategorial-universale Implikation hinaus, zeigen, dass sie das Element von Gottes Herrschaft und Gericht über die Welt mit transportieren kann (Ps 57,7; 71,9; 113,4; SapSal 7,25; PsSal 17,31; Jes 6,3; 40,5 – Jos 7,19; 1Sam 6,5119 – Sir 42,17f; Jes 2,10.19.21; 3,8; 30,27.30; 66,18; Ez 39,21). Die dÒxa ist Gottes Macht und Recht zum Gericht, und im Gericht muss jeder Mensch Gott die dÒxa zuerkennen. Damit können wir aber für V.7a einen inhaltlichen Fortschritt gegenüber V.5a benennen, insofern V.7a inhaltlich einerseits mit V.5.6a korreliert, dann aber auch als eine neue Stufe zu verstehen ist, weil das vorher Gesagte verdeutlicht wird. Damit ist aber V.7a keine Wiederholung von V.5a mit anderen Worten120. So wird aber auch die Berechtigung und Funktion von V.7 klarer, die undeutlich bleiben würde, wenn man den e„-Satz von V.7a einfach als Wiederholung von V.5a versteht: Warum werden gleiche Fragen aneinander gereiht, ohne dass sie bearbeitet würden oder ein Sinn und Fortschritt für die Argumentation entstünde? Diese Undeutlichkeit lässt sich etwa an dem textkritischen Problem von dš und g£r erkennen. Das g£r lässt sich nämlich aus dš entstanden erklären, insofern eine Bedeutung von V.7a mit dš als eigenständige Aussage unklar war, insofern es nach einer bloßen Wiederholung von V.5a aussah. Indem 118 Vgl. hierzu auch H. Hübner, ¢l»qeia, 143. 119 Diese beiden Belege stellen Paradestellen für die Gerichtsdoxologie dar: Wer sich versündigt hat, wird aufgerufen, Gott die Ehre zu geben. Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen I, 544. 120 So aber die verbreitete Meinung der Exegeten, vgl. nur D. Starnitzke, Struktur, 127; implizit auch K. Haacker, Römer, 77f; D. Zeller, Römer, 79.
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man das dš durch ein g£r ersetzte, hatte man eine Funktion für V.7a gefunden, nämlich die Frage von V.6 zu begründen. Wenn nun, wie wir festgestellt hatten, die Sünde des Bundesangehörigen diese entscheidende Funktion hat, Gottes Bundestreue zu seiner Gottheit in universalem Gericht weiterzuführen, dann stellt sich die Frage, warum dieser Jude als Sünder gerichtet wird121. Dabei wird wieder, wie in V.6, die Frage in ihrer Unbeantwortbarkeit zur These, die das Gericht Gottes als unumgängliche und dominierende Größe heraushebt. Gegenüber V.6 werden nun noch zwei Verdeutlichungen vorgenommen, die die unausweichliche Berechtigung des Gerichts hervorheben: Es sind das ™gè und das æj ¡martwlÒj. Das ™gè in der Deduktion von p£j und ¹mîn122 macht die Unausweichlichkeit des Gerichtes deutlich, indem es die individuelle Ausflucht verstellt und das Universale des Gerichtes in der Erreichung auch des konkreten einzelnen jüdischen Ich sichert123. Und das æj ¡martwlÒj begründet noch einmal das Gericht als berechtigt, insofern die – schon bekannte – Tatsache des Sünderseins in V.7 gegenüber V.6 neu hinzukommt und somit den entscheidenden Punkt heraushebt: Fragen sind deshalb abzuweisen, sinnlos und bestätigen so die These, weil das Ich des Bundes ja nicht als Unschuldiger, als Gerechter, sondern eben als Sünder und deshalb berechtigt gerichtet wird. Wegen der Sünde muss Gott den Kosmos richten. Auch damit erweist sich V.7 nicht als bloße Wiederholung von V.5.6, sondern als argumentatives Fortschreiten. Zugleich macht wiederum die Form der Frage und die Wortwahl von V.7 genau das Problem explizit, was wir schon für V.5.6 benannt hatten: Das Problem der Bestimmung der Gottheit Gottes durch den Menschen. Denn dÒxa markiert die Gottheit Gottes gegenüber dem kategorial unterworfenen Kosmos, und damit wird explizit gemacht, was wir gesagt hatten, dass es eben Gottes Gottheit ist, in ihrer bezugslosen Differenz und unvermittelbaren Opposition, mit der hier argumentiert wird und die eben nun gerade bestimmt wird über das yeàsma des Menschen, also unter Rückgriff auf den Menschen. Wiederum ist dabei, wie V.7b erneut deutlich macht, das Problem offensichtlich insbesondere die Rede von Gott als dem Richter, bei der dieses Paradoxe des Rückgriffs auf den Menschen in der Bestimmung Gottes besonders oder vornehmlich zum Ausdruck kommt.
121 Gegen D. Zeller, Römer, 79, der V.5–7 nicht als Diskussion von jüdischen Fragen sieht. 122 Vgl. auch D. Sänger, Verkündigung, 138. 123 In diese Richtung auch S.K. Stowers, Dialogue, 718.
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Römer 3,1–8
Dieser argumentativen Schwäche entsprechend bilden also der Rahmen des Bußpsalmes V.4/Ps 50LXX und die Gerichtsdoxologie124 das entscheidende Moment dafür, die Frage von V.7b als vollkommen unangemessen und ihren fraglichen Inhalt damit als angemessen zu qualifizieren.
2.4.6 V.8 Für V.8 ist mit kaqèj fas…n tinej mit dem Indikativ Präsens125 deutlich ein Bezug zu wirklichen Gegnern gegeben, nachdem wir die vorherigen Fragen als zureichend aus der Sache und der Argumentation erklärbar bestimmt hatten. Zudem wird noch die Strenge des vorhergehenden rhetorischen Schemas verlassen. Das hat dazu geführt, dass V.8 von vielen Exegeten als nun vollends oder tatsächlich aus dem Rahmen der Argumentation fallend gesehen wird126: Paulus verliere hier den Faden, weil er über der Gelegenheit, mit realen Gegnern abzurechnen, Struktur und Funktion der Rede für den Argumentationsgang des Briefes vergisst, so dass am Ende nur ein emotionaler, inadäquater Akt eines erbitterten Fluches dastehe127. Gegen ein solches Verständnis von V.8 ist aber doch einiges einzuwenden, auch wenn nicht bestritten werden kann und soll, dass im Unterschied zu V.5–7 in V.8 auch die Auseinandersetzung mit wirklichen Gegnern auf dem Plan steht. Dementsprechend ist natürlich der unmittelbare Bezug von ïn tÕ kr…ma œndikÒn ™stin auf die gegnerische Unterstellung evident. Dennoch ist damit V.8c weder schwer im Kontext unterzubringen noch in seiner Funktion vollkommen beschrieben. Denn wenn man V.8c in seiner Eigenart als letztes Element des letzten Einwandes den Schlusssequenzen der anderen Einwände V.5 und V.7 zuordnet und mit V.6 und V.7b vergleicht, dann werden der Zusammenhang und die Kohärenz deutlich: Wie schon V.6 und V.7b sagt auch V.8c die Berechtigung und Bestätigung des Gerichtes Gottes aus128. Insofern lässt sich also
124 Zur Gerichtsdoxologie vgl. J.L. Crenshaw, Affirmation, 141–146; F. Horst, Doxologien, 45ff; G. v. Rad, Theologie, 369f. 125 Vgl. dagegen 9,19: ™re‹j: Futur. 126 Vgl. R.B. Hays, Psalm, 112 mit Anm. 20; O. Kuss, Römerbrief, 99; H. Lietzmann, Römer, 45. 127 So E.W. Stegemann, Gott, 107; E. Käsemann, Römer, 78f; C.E.B. Cranfield, Romans I, 187; H. Schlier, Römerbrief, 97; auch D. Zeller, Römer, 79 u.v.a.m. 128 Vgl. auch D. Starnitzke, Struktur, 128, der V.8c dann aber doch wieder als Fluch bestimmt.
Analyse
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auch der etwas anders gelagerte Fall des Verweises auf reale Gegner in das Thema von V.1–8 mühelos einordnen. Man kann nun aber noch genauer aufweisen, wie V.8 die Argumentation auch in ihrer spezifischen Fragestellung unterstützt. Dazu muss noch einmal Röm 2,2 in Erinnerung gerufen werden129, wo mit tÕ kr…ma toà qeoà ™stin kat¦ ¢l»qeian ™pˆ toÝj t¦ toiaàta pr£ssontaj in der Eröffnung der Passage über das unparteiische Gericht Gottes nach den Werken eine wichtige Bestimmung dieses Gerichtes vorgenommen wird. Das toiaàta pr£sswn ist nun aber in 2,1 mit dem Richten eines anderen, noch ergänzt durch gleichzeitige eigene ethische Unzulänglichkeit, angegeben. Mit o‡damen in 2,2 wird dies zu einem gültigen Axiom erhoben: Wer sich über andere erhebt und sie richtet und gleichzeitig selber eine verurteilenswerte Praxis aufweist, der untersteht zu Recht dem Gericht Gottes. Dieses Axiom wird nun in V.8 wieder aufgerufen und angewandt: ïn tÕ kr…ma œndikÒn ™stin. Denn das, was die Gegner mit blasfhme‹n machen, ist ja nichts anderes, als sich über andere zu erheben und zu urteilen – und das mit und bei eigener Unlauterkeit. Dieser Zusammenhang wird noch unterstrichen, wenn man auch noch 2,8 und V.4.7 mit hinzuzieht, wo das Gericht über die der Wahrheit Ungehorsamen genannt wird (2,8) und wo das das Gericht begründende und mit dem Bund in Einklang bringende menschliche Fehlverhalten als „Lüge“ gekennzeichnet wurde. Auch die Tat des blasfhme‹n erscheint also semantisch nicht unvorbereitet. Dementsprechend ist aber V.8c ïn tÕ kr…ma œndikÒn ™stin alles andere als ein unkontrollierter, rachsüchtiger Fluch, sondern vielmehr die Anwendung der in 2,1.2.8 und V.4 gesetzten und erarbeiteten Maßstäbe: Der Schuldspruch V.8c ist nichts anderes als eine Folgerung aus der Anklage 2,1ff und eine weitere Konsequenz aus der Diskussion von Bund und Richten Gottes in V.4ff130. Man kann nun noch einen Schritt weitergehen, wenn man die Identität der Gegner bestimmt. Es sind, wie engerer und weiterer Kontext ganz deutlich zeigen, jüdische Gegner. Denn mit blasfhme‹n ist eine negative Bestimmung des fas…n angegeben, die es nicht bei einer missverstandenen oder in guter Absicht ausgeführten Aussage belässt, was ja für die Bestimmung der Gegner als heidnische Libertinisten131 die Voraussetzung wäre. Ein solcher polemischer Angriff auf die Ethik des Paulus lässt sich naheliegend nur von jüdischer Seite erklären. Dies wird wiederum unterstützt durch den Bezug zu Röm 2. Denn die angeredete 2.Per129 Vgl. dazu auch D. Sänger, Verkündigung, 141ff. 130 Vgl. a.a.O., 143. 131 Dafür plädiert W.S. Campbell, Key, 36.
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Römer 3,1–8
son von 2,1 wird in 2,17 über sÚ aufgenommen und dann verdeutlicht zu einer jüdischen Person132. Damit wird aber nun die Funktion von V.8 und V.8c über die Auseinandersetzung mit einer gegnerischen Position hinaus für den Argumentationszusammenhang ganz deutlich. In der Frage der Berechtigung des Gerichtes Gottes hinsichtlich des Bundes fungiert V.8c als weitere Aussage, die dieses Gericht als gerechtfertigt und unausweichlich auch für die Juden bestätigt133. Wurde das p©j ¥nqrwpoj yeÚsthj generisch und abstrakt durch die ¢dik…a des jüdischen Wir und das ¡martwlÒj des jüdischen Ich als unausweichlich dargestellt und somit als Rechtfertigung für das Gericht Gottes auch im Hinblick auf seinen Bund, so wird es nun komplementiert durch den konkreten Fall der tinej, der in Aufnahme von 2,1f die paulinische Analyse über Israel in Röm 2 exemplarisch bestätigt und damit nach der Diskussion von V.4f einen weiteren, empirischen Beweis für die Berechtigung des Gerichtes Gottes im Hinblick auf den Bund liefert: Dass auch die Juden zu den lügenden, der Wahrheit widerstrebenden Sündern gehören, zeigt sich aktuell an den jüdischen Gegnern des Paulus, die diesen verlästern und somit einen konkreten Fall der jüdischen Sünde bilden, der das Gericht Gottes auch über Bundesangehörige nun anschaulich als berechtigt erweist. Damit soll nicht gesagt werden, dass nur um einer dienenden Funktion von V.8 für den Kontext willen Paulus die Auseinandersetzung mit den Gegnern an dieser Stelle angefügt hat. Wie auch Röm 6 zeigt, ist die Frage der Ethik in der paulinischen Verkündigung tatsächlich ein umstrittenes Feld, das Klarstellungen bedarf. Aber es ist keineswegs unbedacht und kontextwidrig, dass Paulus diese Auseinandersetzung gerade hier vornimmt, weil sie nämlich mit ihren Bezügen zu der bisherigen Argumentation auch zu einer weiteren Bestätigung und Veranschaulichung der in V.1–7 erarbeiteten Position wird.
2.5 Der Kontext nach hinten: Röm 3,9 Aufgrund dieser Analyse von V.1–8 kann noch ein Blick auf V.9 geworfen werden, insofern sich auch für das umstrittene und schwierige Verständnis von V.9 hilfreiche Implikationen ergeben. Mit dem Verständnis von V.9 hängt somit unmittelbar auch die Bestimmung des Zusammenhangs von V.1–8 und V.9 zusammen, so dass hier zugleich das oben angespro132 Vgl. D. Sänger, Verkündigung, 143 mit Anm. 427. 133 Vgl. auch P.J. Achtemeier, Structure, 86; wiewohl P.J. Achtemeier zu Unrecht hier auch wieder Gottes Gnade als zu verteidigendes Element mit ins Spiel bringt.
Der Kontext nach hinten: Röm 3,9
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chene Verhältnis von V.1–8 zum Kontext134 nun auch nach hinten bestimmt werden kann. Dass V.9 in der gegenwärtigen Exegese ein Problem darstellt, wird vor allem daran sichtbar, dass o§ p£ntwj von der Mehrzahl der Exegeten entgegen seinem belegten Sinn135 einfach willkürlich umgedreht wird zu p£ntwj o§ und dementsprechend verstanden wird als „keinesfalls“136. Ein solches gewaltsames Verständnis korreliert mit der Einschätzung von V.1–8 als Digression. Wenn nämlich o§ p£ntwj entgegen seinem Sinn die Frage eines Vorzuges der Juden mit „keineswegs“ mehr oder weniger der Antwort V.2 diametral gegenübergestellt beantwortet, dann besteht natürlich kein Zusammenhang zwischen der Frage in V.1, der Antwort in V.2 und ihrer Diskussion in V.3–8 mit V.9. Dann wäre V.1–8 in der Tat als Digression zu sehen, die zu nichts führt, und nach der V.9 mit t… oân proecÒmeqa die unbeantwortet gelassene Frage von V.1 deshalb einfach noch einmal wiederholt, um zur Argumentation zurückzufinden. Dann würde o§ p£ntwj unabhängig von dem vorher V.1–8 Gesagten nun die Frage einfach so beantworteten, wie es für die Argumentation, die nun weitergeführt werden soll, gebraucht wird. Versteht man demgegenüber o§ p£ntwj so, wie es in seiner Bedeutung belegt ist137, ist das Verständnis von V.9a ebenso leicht, wie sich auch ein klarer Zusammenhang zu V.1–8 ergibt: „Nicht in jedem Fall!“, „Nicht überhaupt!“, „Nicht durchgängig!“ Wenn so die Frage: „Was nun? Haben wir einen Vorzug?“ beantwortet wird mit: „Nicht un-bedingt!“ und dann zur Begründung noch die anthropologisch-universal markierte Sündhaftigkeit der Juden angeführt wird, fasst V.9 exakt die Argumentation von V.1–8 zusammen und verbindet sie auch mit Röm 2. Denn in V.1–8 war auf die Frage nach dem Bund, nach dem Vorteil der Juden geantwortet worden, dass dieser Vorteil noch besteht, dass er allerdings nicht so absolut und grundlegend zu verstehen ist, dass er Israel vor dem Gericht bewahren würde. Vielmehr war der Vorteil durch die Sünde der Juden so beeinflusst worden, dass er dem Gericht Gottes unterzuordnen ist, welches eben aufgrund der Sünde in die Bundesvorstellung kompatibel einzuordnen ist. Der Vorteil der 134 Vgl. oben 2.1 u. 2.3. 135 1Kor 5,10; 3Makk 1,15; Philo, Gig 56.4. 136 Vgl. auch BDR 433, wo eindeutig genannt wird, dass „die Negation […] in der Regel vor dem zu Negierenden“ steht und dass ‚durchaus nicht‘ mit p£ntwj o§ bezeichnet wird (BDR 4333). Röm 3,9 wird von BDR 4333 ohne Begründung – und d.h. nur aufgrund der bisher gängigen Exegese der Stelle – als Ausnahme angeführt. Aufschlussreich für den Druck, den dieses gängige Verständnis ausgelöst hat, ist die Übersetzung von D. Zeller, Römer, 76, der o§ p£ntwj zunächst richtig übersetzt mit „nicht unbedingt“ um dann in Klammern ein „keineswegs“ anzuführen. 137 So richtig E. Käsemann, Römer, 80f; C.E.B. Cranfield, Romans I, 191.
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Römer 3,1–8
Juden existiert damit nur bedingt, weil er durch die Sünde der Juden, die anthropologisch-universal ist, entscheidend eingeschränkt wird. Nichts anderes sagt V.9 mit einem recht verstandenen o§ p£ntwj aus138. Dabei markiert t… oân aufgrund des eine Folgerung markierenden oân eben diese Folgerung in V.9a139, und die Ergänzung der Sünde der Juden durch die der Heiden verbunden mit der Aussage des Unter-Seins drückt in V.9b die anthropologisch-universale Dimension der Sünde und ihr Gewicht aus. Diese Verzahnung und die argumentative Strukturierung und Konsistenz der Teile V.1–8 und V.9(ff) wird umso deutlicher, wenn man einen entscheidenden Punkt mit hinzuzieht, der bisher kaum gesehen worden ist: Das proVtias£meqa kann nur von V.4 her erklärt werden140. Denn V.4 und kein anderer vorausgehender Text liefert mit p©j ¥nqrwpoj yeÚsthj die Aussage, auf die in V.9 rekurriert wird. Anderswo in der vorangehenden Argumentation ist die universale, anthropologisch bestimmende und zusammenschließende Sündhaftigkeit aller Menschen nämlich entgegen vielfacher Meinung141 nicht ausgesagt. Es werden nämlich entweder nur Aussagen über ausnahmslos alle sündigen Taten (1,18: p©san ¢sšbeian kaˆ ¢dik…an; 2,1: ¥nqrwpoj p©j Ð kr…nwn) oder über das ausnahmslos und unparteiisch alle betreffende Gericht nach Werken, das aber immer als nach beiden Seiten offen mit schlechten und guten Menschen operiert, getroffen. Das Axiom der ausnahmslosen, universalen, anthro-
138 Damit entfällt die Notwendigkeit, auf die Lesart von P zurückzugreifen (so etwa K. Haacker, Römer, 79; J.D.G. Dunn, Romans I, 144.146; N.A. Dahl, Text, 184ff;), die o§ p£ntwj einfach streicht und t… oân proecÒmeqa als „was halten wir uns nun vor zu unserer Verteidigung“ versteht. Dagegen spricht nämlich zum einen, dass P nicht als ein wirklich guter Garant des ursprünglichen Textes verstanden werden kann, und zum anderen, dass dieses Verständnis wiederum suggeriert, dass die Argumentation in V.1–8 gar nicht wirklich vorangeschritten sei. Das letztere Argument spricht auch gegen die weitere immer wieder angeführte Lösung, prošcesqai im Sinne von „Ausflüchte machen“ zu verstehen (so P. Stuhlmacher, Römer, 51f; D. Starnitzke, Struktur, 130). Für unser Verständnis spricht aber, dass es am Besten in den Kontext passt, indem es den Diskussionsverlauf in V.1–8 mit seinem Ergebnis V.9 am deutlichsten zusammenbringt und insbesondere in der Lage ist, das Verhältnis der Antwort von V.2 und der Antwort in V.9 auf die selbe Frage eindeutig und zufriedenstellend zu klären. 139 Vgl. N.A. Dahl, Text, 194, der dies in seinem Verständnis von prošcesqai leider nicht weiter konsequent verfolgt. 140 Vgl. auch J.M. Bassler, Impartiality, 155: „It is nowhere unambiguously stated in 1:18– 2:29 that all without exception have sinned.“ 141 Vgl. nur H. Räisänen, Verständnis, 186.188, der meint, Röm 2 habe aufgewiesen, dass alle „unter der Sünde“ seien.
Der Kontext nach hinten: Röm 3,9
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pologischen Einung der gesamten Menschheit in der anthropologischen Konstante der Sünde findet sich somit erst in V.4. Damit wird deutlich, dass V.1–8 auch für die Gesamtargumentation eine unverzichtbare Rolle einnimmt – und man kann nur gegen C.H. Dodd sagen142: Die Argumentation des Briefes würde sehr viel schlechter verlaufen, wenn V.1–8 weggelassen würden. Damit stellt sich aber V.1–8 in der Tat als alles andere als eine Abschweifung heraus. Vielmehr bringt dieser Abschnitt einen Argumentationsfortschritt, indem er die genannten, in der Exegese oft vermischten, in der Darstellung des Briefes selber aber getrennten Elemente des unparteiischen Gerichts Gottes über alle Menschen und die anthropologische, grundsätzliche Sündhaftigkeit aller Menschen an seinem Ende zusammenführen kann: V.1–8 führt über die Bearbeitung des naheliegenden und drängenden Einwands der Sonderstellung der Juden die Zornesoffenbarung von Röm 1 und das unparteiische, eschatische Gericht Gottes von Röm 2 mittels des Kernsatzes V.4 zu der berechtigten Verurteilung und damit universalisierenden Zusammenschließung aller Menschen in V.9 – als dem Ziel von Röm 1–3143 und als Meilenstein in der Argumentation des Röm – hin. Eine solche Beurteilung von V.1–8 wird dadurch unterstützt, dass eben auch der Schlusssatz der Argumentation von Röm 1,18–3,20 in 3,19f mit ØpÒdikoj gšnhtai p©j Ð kÒsmoj tù qeù durch V.6 mit dem Axiom krine‹ Ð qeÕj tÕn kÒsmon deutlich vorbereitet ist144. Dabei summiert V.9 zugleich die für das eigentlich unlösbare Problem der Vermittlung der Sonderstellung Israels mit einem universalen Gericht erarbeitete Lösung durch o§ p£ntwj: Dieses bestätigt ganz wie V.4 einerseits Bund und Vorzugstellung, relativiert sie aber andererseits als fallweise und nicht absolut und schlechthinnig. Weiter wird aufgrund der Sünde als unausweichliches, anthropologisches Datum dieser Fall des wirkungslos gewordenen Vorzuges als entscheidend und generell bestimmt. Damit wird der Bund in Richtung Gericht nivelliert und zugleich die unterschiedslose Einheit von Juden und Heiden aufgrund der Sünde ausgesagt.
142 Vgl. oben 2.1 mit Anm. 5. 143 Damit genau entgegengesetzt etwa zu D. Zeller, Römer, 77, der behauptet: V.1–8 sei „im Vergleich zu den Hauptgedanken von 1,18–3,20 eine Abschweifung“. 144 Vgl. R.B. Hays, Psalm, 112.
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Römer 3,1–8
2.6 Fazit Röm 3,1–8 hat sich in unserer Analyse als Abschnitt gezeigt, der nicht als Abschweifung betrachtet werden kann, sondern als wichtiger Text dazu dient, unter der Bearbeitung des zentralen Einwandes die Darstellung von Röm 1 und Röm 2 zu ihrem entscheidenden Punkt zusammenzuführen, wie er in 3,9 gemacht wird. Damit muss aber von einer unverzichtbaren Funktion des Abschnittes für die Argumentation des Röm gesprochen werden. Zugleich erweist sich der Text insofern tatsächlich als „railway-junction“145, als bei der Bearbeitung des Einwandes gegen die Darstellung von Röm 2 in verschiedenen Richtungen Themen aufbrechen und alludiert werden, die im weiteren Verlauf des Röm argumentativ verfolgt werden: die Fragen nach der Sonderstellung der Juden, der Treue Gottes, der anthropologischen Grundbestimmung der Menschen, der kategorialen Differenz Gott – Mensch, die Fragen nach der Berechtigung von Gottes Richten und nach dem Verständnis der paulinischen Ethik. Insofern dürfen auch die hier gewonnenen Beobachtungen über die Rede von Gott als von einiger Bedeutung angesehen werden. Dabei ist an erster Stelle die zentrale Bedeutung der Rede von Gott zu nennen, zunächst in wort-wörtlicher Hinsicht, insofern auf den in der Mitte stehenden, Gott grundsätzlich bestimmenden V.4 die Darstellung zuläuft und von ihm den Ausgang nimmt – und dann, insofern dieser Vers zugleich die finale These von Röm 1,18–3,20 enthält. Das zentrale Axiom dieser These ist die kategoriale Unterscheidung von Gott und Mensch, die aufgrund der Vorarbeit in V.3, aber auch aufgrund der Ausführungen V.5ff als unvermittelbare Differenz aufgeführt wurde in der Hinsicht, dass nichts Menschliches die Wirklichkeit Gottes bestimmen oder berühren könne oder für diese in Anschlag zu bringen sei. Diese Unterscheidung ist für alle Argumentation und Diskussion zu beachten, andernfalls geht die Argumentation in die Irre. Material – und das ist der zweite wichtige Punkt der These von V.4 – wird die Differenz hier in erster Linie gefüllt mit der Sündhaftigkeit des Menschen, der die verlässliche Treue Gottes und damit seine Gottheit gegenübersteht. Dieses Axiom von V.4 hat Implikationen in verschiedenen Richtungen und ist in der Lage, mehrere Fragen gleichzeitig zu lösen. So kann es in der Frage von Gottes unparteilichem Gericht und Israels göttlicher Sonderstellung vermitteln. Dabei war die besondere Beziehung Israels 145 J.D.G. Dunn, Romans I, 130; vgl. oben 2.1 mit Anm. 14.
Fazit
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zu Gott zu Tage getreten, die in ihrer Infragestellung sogleich auch in die Theodizee führte. Hierfür war das zentrale Axiom zur Lösung geworden, indem es mit der vom Menschen her bestimmten fundamentalen Differenz den Blick vom umstrittenen Gott auf den fraglichen Menschen lenken konnte. Darin konnte es mit der dikaiosÚnh und ¢l»qeia als Bundestreue zugleich die Identität und Selbigkeit Gottes angesichts des in Röm 2 Gesagten erweisen. Zugleich weist die kategoriale Differenz in ihrer anthropologischen Universalisierung mit der Gegenübersetzung Gottes darauf hin, dass es neben der berechtigten und bestätigten partikularistischen Bestimmung Gottes als Gott Israels noch eine weitere Bestimmung Gottes im Hinblick auf alle Menschen und den gesamten Kosmos gibt. Damit wird also die Bestimmung Gottes als Gott Israels nicht abgeschafft oder verneint, aber es wird deutlich gemacht, dass es eine weitere Bestimmung Gottes gibt, die nicht außer acht gelassen werden darf und in gewisser Weise der israelzentrierten Bestimmung Gottes übergeordnet ist. Diese übergeordnete Bestimmung wird hier aus dem doppelten Charakter der These gewonnen, dass die Menschen universal zusammengeschlossen sind und dass die Art ihres Zusammenschlusses, nämlich die der Sünde, ein übergeordnetes Eingreifen Gottes legitimiert. Einer nicht abgelehnten Israelperspektive Gottes wird also eine universale Perspektive Gottes hinzugesellt, die erstere in entscheidender Weise mitbestimmt. Es vermittelt hier wiederum die materiale Füllung der kategorialen Differenz durch die universale anthropologische Gegebenheit der Sünde, die nivelliert. Damit leistet das entscheidende Axiom auch die Weiterführung von Gottes unparteiischem Gericht zu der aufgrund der Sünde universalen und geeinten Menschheit aus Juden und Heiden. Röm 1 und Röm 2 und Röm 3,1–8 kommen so zusammen, dass am Ende in 3,9 die mehrfach mit Hilfe von Gott ausgesagte, auf der kategorialen Differenz zwischen Gott und Mensch beruhende, unterschiedslose Einheit der Menschheit als Argument so dasteht, dass sie eine negativ bestimmte Einheit im Hinblick auf Gott ist. Alles sollte und kann aber nicht als Ersetzung eines jüdischen Gottesbildes bezeichnet werden, sondern als pointierter Umgang mit Schrift und Tradition, indem nicht anders als mit Gottesaussagen aus Schrift und Tradition gearbeitet wird. Der zentrale V.4 ist eine Kombination aus Schriftzitaten. Es findet demnach eine Diskussion im Rahmen des Judentums statt, die aufgrund der demonstrativen Gegenüberstellung und Hierarchisierung verschiedener jüdischer Axiome zu einer pointierten Aussage kommt.
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Römer 3,1–8
Zugleich hatten sich Schwierigkeiten in der Rede von Gott gezeigt. Diese bestanden vor allem in der Tatsache, dass die kategoriale Differenz von Mensch und Gott, die jede Kennzeichnung Gottes vom Menschen her ausschließt, mittels eines menschlichen Elementes, vom Menschen aus bestimmt worden war. Es ist deutlich, dass dies ein Problem darstellt, was die Schwierigkeiten in der Argumentation, wie etwa Formulierung von Thesen nur in der Möglichkeit von rhetorischen Fragen, erklärt. Dabei war klar geworden, dass insbesondere bei diesem Thema der Berechtigung von Gottes Gericht und der Vorstellung von Gott als Richter die Argumentation nicht perfekt aufgeht, weil diese Vorstellung von Gott erheblich mit menschlicher Wirklichkeitsvorstellung belastet ist. Damit darf für die nachfolgenden Analysen angenommen werden, dass eine adäquate und zufriedenstellende Rede von Gott erst und nur im Zusammenhang mit der Darstellung seines Heils vorgenommen werden kann.
Kapitel 3 Römer 3,21–31 3.1 Einleitung Die erste Frage, die sich für Röm 3,21–31 stellt, ist, ob der sicher aus zwei Teiltexten 3,21–26 und 3,27–31 bestehende Abschnitt1 überhaupt mit der Mehrheit der Exegeten als ein die Teiltexte übergreifender zusammenhängender Abschnitt zu sehen ist2, oder ob es angemessener ist, von zwei aufeinander folgenden eigenständigen Abschnitten zu sprechen3. Die Bewertung des Textes bzw. mindestens des Teiltextes 3,21–26 als ein ganz entscheidender Abschnitt des Römerbriefes ist dabei unumstritten. Er wird als „das Heuptstück und der Mittelplatz dieser Epistel und der gantzen Schrift“4, „Höhepunkt des Röm“5 oder „theologische und architektonische Mitte des Römerbriefes“6 bestimmt. Allerdings sind Gründe für diese Bewertung in der Regel kaum oder nur unzureichend genannt. Erwähnt wird zwar öfter ein Anknüpfen an die Hauptthese 1,16.17 7, aber sonst scheint vor allem ein unbestimmtes inhaltliches Empfinden, dass mit ¢polÚtrwsij ™n Cristù 'Ihsoà, ƒlast»rion und aŒma a§toà etwas ganz Besonderes ausgesagt sein muss, ausschlaggebend für solche Bewertungen zu sein. Hier muss also noch Klarheit für die Bewer1 2 3
4 5 6 7
Vgl. nur E. Lohse, Römer, 129; D. Zeller, Römer, 84; M. Theobald, Gottesbild, 134f; J.A. Fitzmyer, Romans, 341f. Vgl. etwa E. Lohse, Römer, 129; K. Haacker, Römer, 85ff; D. Zeller, Römer, 85; M. Theobald, Gottesbild, 32f. Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 163.183; P. Stuhlmacher, Römer, 54. J.A. Fitzmyer scheint trotz der Untergliederung in zwei Abschnitte bei der Kommentierung von der bestimmenden Einheit 3,21–31 auszugehen (Romans, 341f). M. Luther, Römer 1546, 39. D. Zeller, Römer, 84. O. Kuss, Römerbrief, 110; O. Kuss weiter: „von hier aus kann und muß die ganze Theologie des Römerbriefes verständlich gemacht werden“ (ebd.). Vgl. E. Lohse, Römer, 130; K. Haacker, Römer, 86; P. Stuhlmacher, Römer, 54f; J.A. Fitzmyer, 341; J.D.G. Dunn, Romans I, 163; D. Zeller, Römer, 83.84f.
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Römer 3,21–31
tung des Textes durch die Frage nach weiteren formalen Kriterien und Textgliederungssignalen geschaffen werden. Im Zusammenhang der Fragestellung dieser Arbeit ist festzustellen, dass gerade auch im Hinblick auf die unzureichende Entdeckung und Gewichtung von Gottesaussagen in anderen Texten für Röm 3,21–31 eine ganze Reihe von Exegeten die Gottesfrage immerhin als ein Element zur Kenntnis genommen hat. Dabei ist die Bedeutung dieses Elementes unterschiedlich gesehen. Neben der Bewertung als eines Elementes unter anderen kann die paulinische Rede von Gott hier auch in ihrer Bedeutung herausgehoben werden8. Einhergehend mit einer Bewertung des Abschnitts als „Brennpunkt paulinischer Theologie“9 entzündet sich gerade an diesem Text grundlegend die Frage nach der Kontinuität und der Diskontinuität der paulinischen Rede von Gott im Verhältnis zum Judentum und zum übrigen frühen Christentum. Die Kontinuität eines Gottesbildes in bundestheologischer Perspektive10 steht dabei einer mehr oder weniger revolutionären, durch die christologische Bestimmung der Aussagen über Gott ermittelten Diskontinuität gegenüber11. Hier ist demnach eine Klärung in doppelter Hinsicht und im Hinblick auf die Beziehung der beiden genannten Aspekte untereinander nötig: Ist Röm 3,21–31 der zentrale Brennpunkt der paulinischen Rede von Gott, der in seiner Diskontinuität gegenüber einem alttestamentlichfrühjüdischen Gottesbild gleichsam zu einem Paradigma für das paulinische Gottesverständnis wird, von dem her alle anderen Texte verstanden werden müssen? Denn das würde sich ja etwa aus der Kombination von Martin Luthers Bedeutungseinschätzung und P.-G. Klumbies’ an Luthers Bedeutungsbewertung anschließender inhaltlicher Profilierung ergeben. – Oder lässt sich hier eine Kontinuität in der Rede von Gott im Hinblick auf Schrift und Tradition des Judentums feststellen, die Widerhall und Parallelen auch in anderen Passagen der paulinischen Rede von Gott mindestens im Römerbrief findet und folglich dadurch unterstrichen wird, dass aus der Zusammenschau ein mehr oder weniger einheitliches paulinisches Gottesbild in dieser Hinsicht entsteht? Bestimmt wird die Bearbeitung dieser Fragen dadurch, dass der Text eine ganze Reihe von kontrovers diskutierten Einzelfragen bietet und fast jedes auftauchende Lexem verschiedene, einander oft ausschließende Begriffsverständnisse auslöst.
8 9 10 11
Vgl. M. Theobald, Gottesbild und P.-G. Klumbies, Brennpunkt; auch E. Gräßer, Gott. P.-G. Klumbies, Brennpunkt. Vgl. M. Theobald, Gottesbild, passim; K. Haacker, Römer, 95. Vgl. P.-G. Klumbies, Brennpunkt, passim; E. Gräßer, Gott, passim.
Abgrenzung und Bedeutung
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3.2 Abgrenzung und Bedeutung von Röm 3,21–31 Die Abgrenzung von 3,21–31 nach vorne und hinten ist im wesentlichen unumstritten. Die Abgrenzung nach vorne ist klar und sicher vorzunehmen. Deutliche Hinweise auf der Ebene von Textgliederungssignalen sind vorhanden. So markiert das abschließend folgernde diÒti 3,20 ein einen Gedankengang abschließendes Resümee, während in V.21 nunˆ dš als Textgliederungssignal eine klare rhetorische Funktion hat, das den Beginn von etwas Neuem anzeigt12. Semantisch wird dieser Befund bestätigt durch die Opposition von ™x œrgwn nÒmou V.20 und cwrˆj nÒmou V.21 im Hinblick auf dikaiosÚnh und p©sa/p£ntaj. Nach hinten ist zwar z.T. umstritten, ob V.31 eher den Abschluss des Vorhergehenden bildet oder die Überschrift für den folgenden Teil 4,1–25 darstellt, aber auch hier ist sowohl formal aufgrund des rhetorischen Elements der gliedernden und einleitenden Frage t… oân ™roàmen als auch aufgrund des neuen semantischen Elements 'Abra£m in 4,1 ein klarer Neuansatz zu sehen und damit nach V.31 ein Einschnitt zu machen. Auch die Begriffe nÒmoj und p…stij in V.31 haben im Hinblick auf die nächste Umgebung Bezüge zu V.30 und auch zum Vorhergehenden V.21ff haben, nicht aber zu 4,113. Die eigentliche Frage ist also die, ob es sinnvoll ist, 3,21–31 als eine Einheit zu betrachten, oder von zwei selbständigen, aneinandergereihten Abschnitten auszugehen14. Für das Letztere könnten zwar das gliedernde oân aus V.27, was bei Paulus sehr häufig als Textgliederungssignal Abschnitte abgrenzt, und die Veränderung im Stil sprechen: Während 3,21–26 durch fortlaufende15 thetische Feststellungen geprägt ist, ist 3,27–31 gekennzeichnet durch die kurzen Sätze des Frage- und Antwortspiels der Diatribe. Aber dennoch gibt es gute Gründe, beide Teile als Komponenten einer Einheit eines übergreifenden Abschnittes zu begreifen: Zum einen ergibt sich aus der Verwendung von nÒmoj in V.21b und V.31 eine klare Ringkomposition. Es geht beide Male um die Frage nach dem Verhältnis des von Paulus über dikaiosÚnh und p…stij Gesagten zur Tradition des den Gotteswillen ausdrückenden nÒmoj, einmal ausgedrückt durch die Kombination mit marturoumšnh, im anderen Fall durch die Verbindung mit katarge‹n/ ƒst£nai. Und Ringkompositionen sind ein überaus starkes paulinisches 12 13
14 15
Vgl. J. Woyke, NYNI, und M. Wolter, Rechtfertigung, 13.23f; weiteres dazu unten in 3.2. Auch wenn es Bezüge zu 4,3 (p…stij) und über œrga indirekt von nÒmoj auch zu 4,2 gibt, so sind zum einen die Bezüge zu V.30 enger und zum anderen ist mit dem neuen Element ‚Abraham‘ ein deutlicher Einschnitt gegeben. Vgl. dazu oben Anm. 3. Nämlich durch einen einzigen Satz.
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Römer 3,21–31
Gliederungselement16. Zum anderen wird diese Beobachtung unterstützt durch die nahezu einmütig angeführte, im Einzelnen noch zu beweisende Bestimmung, dass in V.21 die propositio aus 1,16.17 wieder aufgenommen wird. Denn auch dadurch wächst 3,21–31 zu einer Einheit zusammen, dass die Themen der propositio über den ganzen Abschnitt 3,21–31 verteilt sind: dikaiosÚnh qeoà und p…stij werden in 3,21–26, aber auch in 3,27–31 aufgenommen, die Kombination von Juden und Griechen wird pronominal in 3,22, renominalisiert aber in 3,29.30 wieder aufgenommen. Das die propositio bestimmende qeÒj zeigt in 3,21–2617 wie auch in 3,27–31 starke Präsenz. Damit ist deutlich, dass 3,21–31 als ein zusammenhängender Abschnitt gesehen werden muss18: „Theozentrik, Rechtfertigungsproblematik und Universalismus gewährleisten die Einheit des Abschnittes 3,21–31, dessen beide Hälften nicht ohne Berücksichtigung ihres gegenseitigen Bezuges interpretiert werden dürfen“19. Seine Position und Relevanz innerhalb der Argumentation des Briefes müssen nun im Folgenden bestimmt werden. Die Bedeutung und Funktion von 3,21–31 wird durch zwei Elemente deutlich: Zum einen durch die schon genannte und in der Forschung immer wieder gesehene Verbindung von 1,16.17 zu 3,21f20. Heißt es in 1,17 dikaiosÚnh qeoà ¢pokalÚptetai, so entspricht dem in 3,21 dikaiosÚnh qeoà pefanšrwtai; ist in 1,16 von pantˆ tù pisteÚonti die Rede, so in 3,22 von p£ntaj toÝj pisteÚontaj; dem ™k p…stewj e„j p…stin aus 1,17 kann man das di¦ p…stewj aus 3,22 zuordnen; und zu dem Zitat aus Hab 2,4 in 1,17 kann man marturoumšnh ØpÕ toà nÒmou kaˆ tîn profhtîn in Entsprechung sehen. Diese Aufnahme der propositio wird dadurch noch weiter profiliert, dass im zwischenstehenden Text ein anderes Thema abgehandelt wird, denn die Passage von 1,18–3,20 weist praktisch kein Vorkommen der entscheidenden Stichwörter dikaiosÚnh/dikaioàn21 und p…stij/pisteÚein22 auf. Stattdessen ist die Passage bestimmt durch ¢sšbeia/¢dik…a/¡mart…a und o§ proswpolhmy…a23.
16 17 18 19 20 21
22 23
Vgl. 1,19.32; 8,1f.11; 8,18.30; 1Kor 1,18–2,5 u.ö. Gegen P.-G. Klumbies, Rede, 129. So auch die Mehrheit der Exegeten, vgl. dazu oben Anm. 2. M. Theobald, Gottesbild, 134. Vgl. oben Anm. 7. Nur in 2,13 im Rahmen der Unparteilichkeit Gottes und 3,4.5 innerhalb des ohnehin im Rahmen von 1,18–3,20 eine besondere Stellung einnehmenden Abschnittes 3,1–8 mit anderen semantischen Implikationen, und 3,20 im Rahmen der negativen Bestimmung. Nur 3,2.3 innerhalb des ohnehin im Rahmen von 1,18–3,20 eine besondere Stellung einnehmenden Abschnittes 3,1–8 mit anderen semantischen Implikationen. Vgl. dazu auch oben 2.2.
Abgrenzung und Bedeutung
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Zu der semantischen Brücke von 1,16.17 zu 3,21–31 tritt nun als zweites entscheidendes Element die Einleitung des Abschnittes mit nunˆ dš hinzu. Allen temporalen Interpretationsversuchen24, die von gehörigen exegetischen Unschärfen und sekundären Eintragungen geprägt sind, zum Trotz hat jetzt J. Woyke überzeugend die schon von M. Wolter25 angedeutete logische und damit rhetorische Funktion des nunˆ dš an dieser Stelle klar und eindeutig herausgearbeitet und belegt. Dementsprechend ist festzuhalten, „dass nunˆ dš Röm 3,21 ausschließlich rhetorische Funktion besitzt und dabei einerseits die erläuternde Affirmation der Hauptthese von Röm 1,17 markiert und andererseits die Einführung eines die Argumentation von Röm 1,18–3,20 entscheidend durchbrechenden neuen Aspekts (Progression) signalisiert“26. Eine Realisierung der an sich auch möglichen temporalen Funktion des nunˆ dš ist dagegen immer an klare Hinweise auf einen Zeitaspekt aus dem Text und Kontext selber gebunden27. Solche Hinweise gibt es aber in 3,21 nicht. nunˆ dš ist hier weder durch adverbiale Bestimmungen noch durch Anknüpfung an eine Partikel bestimmt. Ein Verhältnis von einst und jetzt kann sich auch aus dem Vorkommen von marturoumšnh – pefanšrwtai nicht ergeben, da zum einen marturoumšnh als Präsenspartizip nichts Vorzeitiges im Sinne von „einst verheißen“ – und dann mit pefanšrwtai erfüllt – markieren kann und sich zum anderen marturoumšnh nicht auf das pefanšrwtai bezieht, sondern auf dikaiosÚnh qeoà. Es bezeichnet dabei die dikaiosÚnh qeoà28, um die es hier geht, als die, von der im Gesetz und den Propheten die Rede ist, und stellt damit ein inhaltliches Verhältnis her. Und schließlich kann schon gar nicht aus dem Vorkommen des Futurs in V.20 und des Perfekts in V.21 eine Gegenüberstellung von einst und jetzt erhoben werden. Das nunˆ dš ist nun nicht nur nicht temporal bestimmt, sondern steht überhaupt am Beginn eines neuen Satzes ganz allein ohne jegliche Anknüpfung an eine Partikel. In dieser Rolle, losgelöst von jeglicher, insbesondere kleinräumigen Bestimmung innerhalb eines Satzes durch 24
25 26 27
28
Zuletzt E. Lohse, Römer, 129f; auch D.J. Moo, Romans, 221; P. Stuhlmacher, Römer, 56; J.A. Fitzmyer, Romans, 343f; D. Zeller, Römer, 85; C.E.B. Cranfield, Romans, 201. – K. Haacker, Römer, 86 sieht zwar die inhaltliche Funktion deutlich, fügt aber auch den zeitlichen Aspekt als zweiten an. Auch U. Wilckens, Römer 1, 184 sieht die erste Funktion, hebt aber die zeitliche hervor. So auch E. Käsemann, Römer 86. Auch J.D.G. Dunn, Romans I, 164 hat die Möglichkeit der Anzeige des logischen Kontrasts wahrgenommen, entscheidet sich hier aber klar für die zeitliche Funktion. Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 13.23f. J. Woyke, NYNI, 206; Hervorhebungen im Original. Vgl. a.a.O., 189. Vgl. Röm 6,20–22; 7,5f; 11,30 mit Zeitadverbien; Gen 32,11; Josephus, Ant 1,46f mit signifikanter Tempusabfolge der Verben; Josephus, Bell 1,76; Ant 9,179 mit Hinweisen aus dem Kontext. Weitere Belege bei J. Woyke. Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 24f.
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Römer 3,21–31
adverbiale Bestimmungen oder Partikel, hat das nunˆ dš die rhetorische „Funktion eines Ausrufezeichens“29. Als solches rhetorisches Ausrufezeichen dient es dann dazu, die argumentativen und semantischen Beziehungen des eingeleiteten Teiltextes zum übrigen Text in ihrer Bedeutung hervorzuheben. Ein eindeutiges paulinisches Beispiel dafür ist 1Kor 15,20: 1Kor 15 17 Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden. 18 Also sind auch die, welche in Christus entschlafen sind, verlorengegangen. 19 Wenn wir allein in diesem Leben auf Christus gehofft haben, so sind wir die elendesten von allen Menschen. 20 Nun aber (nunˆ dš) ist Christus aus den Toten auferweckt, der Erstling der Entschlafenen;
So fungiert denn auch nunˆ dš in 3,21 als ein rhetorisches Element, das hier das im Folgenden Gesagte als rhetorischen, nicht zeitlichen30 Neueinsatz innerhalb des Gesamttextes qualifiziert, indem es die genannten semantischen Entsprechungen des Abschnittes 3,21–31 zu 1,16.17 bei gleichzeitiger semantischer Opposition zu 3,20 als für die rhetorische und argumentative Funktion des Abschnittes entscheidend hervorhebt. Zu der den Neueinsatz markierenden Opposition zu 3,20 kommt es, indem nunˆ dš am Übergang von 3,20 zu 3,21 bestimmt ist durch das semantische Verhältnis der beiden Verse, das es herausheben soll. Dieses ist aber gekennzeichnet durch die auf das gemeinsame Element von dikaiosÚnh/dikaioàn bezogene Opposition von ™x œrgwn nÒmou und cwrˆj nÒmou und – nicht ganz uninteressant für unsere Fragestellung – die Opposition von p©sa s£rx und qeÒj. Damit ist der Neueinsatz in V.21 insgesamt aufgrund der semantischen Entsprechungen einerseits und der Oppositionen andererseits als bestätigende Aufnahme der propositio im logischen und gedanklich fortschreitenden Gegensatz zu der Argumentation in 1,18–3,20 im allgemeinen und dem summarischen Gipfel in 3,20 im besonderen zu bestimmen. Dabei war eben die Argumentation 1,18–3,20 der propositio als argumentativer Hintergrund entgegengestellt worden. Von daher ist aber auch eine klare Begründung gegeben, wieso man zu Recht von 3,21–31 als einem herausgehobenen Abschnitt sprechen kann: Aus der Kombination der semantischen Entsprechungen und Oppositionen mit dem Textgliederungssignal nunˆ dš ist der Abschnitt profiliert nicht nur als affirmative Aufnahme der propositio, sondern aufgrund 29 30
J. Woyke, NYNI, 195. Vgl. 1Kor 5,9–11; 13,8–13, weitere Belege bei J. Woyke. Vgl. oben Anm. 24.
Der Teilabschnitt Röm 3,21–26
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seiner größeren Länge, über deren gesamtes Ausmaß die Wiederaufnahme und damit Explikation von Stichwörtern aus 1,16.17 erfolgt, auch als Ausführung der propositio; zusätzlich gekennzeichnet als Entgegnung zu der landläufig in dieser Frage vertretenen These (3,20a), die hier argumentativ bekämpft wird. Damit handelt sich also bei 3,21–31 insofern um „die Mitte des Römerbriefes“, als hier rhetorisch klar markiert die propositio des Schreibens ausgeführt wird.
3.3 Der Teilabschnitt Röm 3,21–26 3.3.1 Analyse von Röm 3,21–26 3.3.1.1 V.21 Aus dem bisher Gesagten ergibt sich also klar, dass V.21 einen Neueinsatz darstellt, bei dem die propositio aus 1,16.17 wieder aufgenommen wird, um in einem inhaltlichen Kontrast zu 3,20 und 1,18–3,20 nun argumentativ ausgeführt zu werden. Im Rahmen dieser Bestimmung übernimmt V.21 zugleich die Funktion einer Überschrift31 für den die propositio ausführenden Abschnitt 3,21–31, denn oft nimmt der erste Satz bzw. das erste Syntagma eines Abschnittes eine solche Funktion ein32. Das wird hier noch dadurch unterstrichen, dass das Fehlen von Konjunktionen in V.21 den Charakter einer proklamatorischen These anzeigt, im Unterschied zu einer auf Konjunktionen basierenden argumentativen Begründung. Letztere setzt dann mit dem g£r in V.22b ein33. In dieser Funktion der Überschrift bestimmt natürlich V.21 als hermeneutischer Schlüssel Thema und Verständnis unseres Abschnittes. In dieser Hinsicht soll nun V.21 analysiert werden. Wie aufgezeigt, ist das nunˆ dš ein rein rhetorisches Element, das als Ausrufezeichen die Aufnahme der propositio in Kontrast zu den in 3,20 gemachten Aussagen herausstellt. Demnach ist in der Überschrift V.21 kein zeitliches oder epochales Element benannt, und es geht im eingeleiteten Abschnitt nicht um eine äonen- oder heilsgeschichtliche Wende und eine damit verbundene Periodisierung der Geschichte34. Stattdessen bestimmt das 31 32 33 34
Vgl. P.-G. Klumbies, Brennpunkt, 193. Vgl. 1,18; 4,1 u.ö. Vgl. M. Theobald, Gottesbild, 136. So aber – über die in Anm. 19 Genannten hinaus – U. Luz, Geschichtsverständnis, 168ff; D. Lührmann, Offenbarungsverständnis, 151 (Interessant ist dabei, dass D. Lührmann, a.a.O., 149 sich gegen eine zeitliche Interpretation des nunˆ dš ausspricht: „Die
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nunˆ dš mit seiner logisch-rhetorischen Funktion in der Opposition zu V.20 – unterstützt durch die Aufnahme der propositio – die Überschrift als die V.20 gegenüberstehende, entscheidende und geltende Wirklichkeit und Aussage. Die Aussage selbst ist zunächst bestimmt durch cwrˆj nÒmou35, welches wiederum durch seine Position der ersten Stelle innerhalb der inhaltlichen Aussage nach dem rhetorisch-funktionalen nunˆ dš besonders gekennzeichnet ist. Weiter ist sie bestimmt durch den Begriff der dikaiosÚnh qeoà, die buchstäblich das Zentrum der Aussage bildet mit dem vorangestellten cwrˆj nÒmou und den beiden auf sie bezogenen restlichen Aussagen des Satzes, dem Prädikat und der partizipialen Bestimmung. Unter Berücksichtigung der Oppositionen zu V.20 ergibt sich folgende Bestimmung: Einem Geflecht aus Taten, Gesetz und Mensch (s£rx), für das das Urteil Gottes (™nèpion a§toà) einen negativen Bezug zur Gerechtigkeit feststellt, wird allein die zentrale Gerechtigkeit Gottes mit der klaren Bestimmung von „ohne Gesetz“ und der „Bezeugung durch das Gesetz und die Propheten“ gegenübergestellt. Die Gegenüberstellung von Gott und Mensch wird dabei als eine grundlegende unterstrichen durch den Zusatz von p©sa zu s£rx in V.20, entsprechende totale Aussagen in V.19 auf der einen Seite und durch die Verstärkung des Elements „Gott“ auf der anderen Seite durch pefanšrwtai ktl. Denn wer anders als Gott ist Urheber und Akteur der Offenbarung (in den Schriften) – wie ein Blick auf 1,2.18.17.19 bestätigt? Aufgrund dieser grundlegenden Gegenüberstellung von Gott und Mensch/Welt in 3,18.20, aber auch aufgrund der zentralen Rolle, die die Gerechtigkeit im Hinblick auf das Selbst- und Fremdverständnis Gottes spielt36, ist es keinesfalls übertrieben, festzustellen, dass V.21 mit der zentralen Aussage der dikaiosÚnh qeoà Gott selbst als zentrales Thema des Abschnittes angibt: Im Gegensatz zu 3,20 wird in V.21 nur Gott genannt und zugleich werden menschliche Elemente ausgeschlossen, insofern der ausgeschlossene nÒmoj in V.21a im Sinne des Tuns untrennbar verbunden ist mit der menschlichen Wirklichkeit und ihren Differenzierungen. Damit geht es um Gott allein, ohne irgendeine menschliche Beteiligung.
35 36
Aufeinanderfolge von 1 18–3 20 und 3 21ff ist also nicht im Sinn einer Periodisierung der Geschichte in einen alten und einen neuen Äon zu verstehen, … sondern … reflektiert Paulus hier über den Gegensatz zwischen dem Menschen (Juden wie Griechen) ohne die Gerechtigkeit Gottes und dem Menschen (Juden wie Griechen) in der Gerechtigkeit Gottes“, aber im Effekt dann doch wieder zu einem zeitlichen Verständnis zurückkehrt (a.a.O., 151).); P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 86; W. Schrage, Bedeutung, 71. Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 13; BDR 472.2. Vgl. R. Rendtorff, Theologie, 201ff; O. Kaiser, Gott 3 (= Jahwes Gerechtigkeit).
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Die beiden nÒmoj-Angaben mit ihren verschiedenen semantischen Implikationen bestimmen die Aspekte, hinsichtlich derer die Gottesfrage in unserem Abschnitt diskutiert wird. Das erste nÒmoj V.21a als oppositionelle Wiederaufnahme von ™x œrgwn nÒmou 3,20 markiert die Frage des Judentums und der jüdischen Lebensweise. Das zweite nÒmoj V.21b in der Kombination mit profÁtai bezeichnet die Heilige Schrift und damit die Tradition. Damit gibt also die Überschrift V.21 als Thema für 3,21–31 die Gottesfrage im Hinblick auf den nÒmoj an, und das heißt: Gott im Hinblick auf das Judentum – und damit natürlich auch im Hinblick auf die Völker – und Gott im Verhältnis zu der ihn bezeugenden und markierenden Tradition. Damit kann man nun auch aus der Themenangabe der Überschrift schließen, dass es sich bei 3,21–31 in der Tat um einen grundlegenden Abschnitt des Römerbriefes, ja der paulinischen Theologie überhaupt handelt, weil mit dem Thema „Gott – Juden – Heiden – Tradition“ die entscheidenden Fragen der auf die Heidenmission mit ihren neuen Gemeinden aus Juden und Heiden bezogenen Evangeliumsverkündigung berührt sind. Neben der Themenangabe lassen sich inhaltlich zwei entscheidende Weichenstellungen festhalten. Zum einen macht das cwrˆj nÒmou deutlich, dass Gott in seinem Heilshandeln unabhängig von einer Bindung an eine jüdische Lebensweise und Identität agiert. Vorhergehend war schon klar gemacht worden, dass Gott in seinem Gerichtshandeln nicht durch eine besondere Bindung an eine jüdische Identität ein besonderes Verhältnis zu Israel gegenüber den Völkern hat, weil es aufgrund seiner Unparteilichkeit grundsätzlich keinen Unterschied macht, ob man mit oder ohne Gesetz gerichtet wird, weil letztlich jedes Handeln unmittelbar in Beziehung zu Gott und seinem Urteil gesetzt wird (2,9–12). Zum anderen formuliert die partizipiale Bestimmung von marturoumšnh ØpÕ toà nÒmou kaˆ tîn profhtîn eine entscheidende inhaltliche Bestimmung der Gerechtigkeit Gottes, die im Gegensatz zu dem Verständnis einer Gerechtigkeit aus dem Tun des Gesetzes offenbart wurde: Es ist die Gerechtigkeit Gottes, von der im Alten Testament als des grundlegenden jüdischen Dokumentes die Rede ist37 – und keine andere. Damit ist aber aufgrund der genannten Bedeutung der dikaiosÚnh für die Rede von Gott nichts anderes Grundlegendes ausgesagt als die Identität und Selbigkeit Gottes38. Die offenbarte Gerechtigkeit Gottes ist keine andere als die, die nach Schrift und Tradition39 immer mit Gott verbunden war 37 38 39
Vgl. auch L. Gaston, Paul, 128. Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 25. Vgl. J. Woyke, NYNI, 203.
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Römer 3,21–31
und ihn charakterisiert hat – und damit ist auch Gott in seinem Handeln kein anderer als der, der er immer war. Dies wird sich im Verlauf der weiteren Argumentation noch bestätigen, etwa mit der grundlegenden Gottesaussage in 4,540. Diese Grundaussage als hermeneutischer Rahmen für 3,21–31 ist wohl kaum zu überschätzen. Ein grundsätzliches Verhältnis von Gott und Christus, von dem ja nachfolgend in 3,22–26 die Rede ist, ist damit ausgesagt: Gott lässt sich nicht christologisch neu bestimmen41. Er ist und bleibt der, als der und wie er im AT bezeugt ist42. Dies lässt sich auch grammatisch bestätigen dadurch, dass in unserem Abschnitt, wie auch sonst überaus häufig, Gott Subjekt in den Aussagen ist, in denen Christus dagegen durchgängig als Objekt in Erscheinung tritt43.
3.3.1.2 V.22a V.22a führt erneut die Gerechtigkeit Gottes an, was noch einmal die Zentralität des Begriffes bestätigt. Nachdem sie in V.21 durch Negation bestimmt und ihre traditionelle Identität gesichert wurde, zeigt das dš in seiner explikativen Funktion44 an, dass sie nun noch weiter präzisiert werden soll. Zwei Elemente treten dabei zu ihr hinzu: Mit di£ die Bestimmung der Art und Weise bzw. der Vermittlung der Gerechtigkeit, welche an erster Stelle mit p…stij angegeben wird, und mit e„j eine Zielrichtung, welche mit p£ntaj toÝj pisteÚontaj benannt ist. Dabei nimmt di¦ p…stewj das cwrˆj nÒmou auf und formuliert die Alternative. Nach der p£ntaj-Aussage ist der Satz zu Ende, und es beginnt mit g£r die Begründung, so dass zunächst drei Hauptpunkte aus der Vorstellung der Gerechtigkeit Gottes in V.21.22 für die Charakterisierung der Gerechtigkeit Gottes – und damit auch für Gott selbst – festgehalten werden können: a) die Selbigkeit der Gerechtigkeit im Hinblick auf Schrift und Tradition, b) die Verbindung mit dem Glauben (statt mit dem Gesetz) und c) die Universalität45. – Mit „Universalität“ ist dabei der Bezug und die Ausrichtung von Gott und seinem Handeln auf die gesamte Menschheit gemeint, jenseits der alten jüdischen Einteilung der Menschheit in Hei40 41 42 43 44 45
Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 25. Gegen P.-G. Klumbies, Rede, 184.194 u. passim. Dies lässt sich weiter erhärten durch Aussagen wie Röm 1,1f; 10,4 („Das Ziel des Gesetzes ist Christus“ – vgl. dazu unten 5.3.7); Gal 3,8; 4,21 u.ö. Vgl. N. Richardson, Language, 311, der das als spezifisches Ergebnis seiner Beobachtungen der von ihm untersuchten paulinischen Texte anführt. Vgl. BDR 447,1. In Aufnahme von 3,19 und unter Vorausschau auf V.22b.
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den und Juden mit einer exklusiven Verbindung von letzteren zu Gottes (Heils-)Handeln. Die Bedeutung des ersten Elementes, der Selbigkeit, liegt auf der Hand und ist durch die sich durch den ganzen Brief durchziehende Argumentation im Hinblick auf die Tradition gegeben. Für die Bedeutung des zweiten Elementes ist festzuhalten, dass die p…stij mit p£ntaj toÝj pisteÚontaj auch beim dritten Element als Bestimmung vertreten ist und somit der Bezug zu seinem Auftreten in 1,16 pantˆ tù pisteÚonti hergestellt ist. Und für das dritte Element des p©j ist wichtig zu sehen, dass über den Bezug zu 1,16 die Gesamtheit sich aus den Teilmengen Juden und Griechen/Heiden zusammensetzt. Vor allem ist aber über seine Wiederaufnahme in V.23 festzustellen, dass es genau das p©j ist – und damit natürlich die Universalität –, was in V.22bff erklärt wird. Für die erste Bestimmung der dikaiosÚnh qeoà durch das di£ ist nicht alternativ zu entscheiden, ob das di£ + Genitiv hier im Sinne der Vermittlung46 oder im Sinne der Art und Weise47 zu verstehen ist. Für das erste spricht V.25. Für das zweite spricht, dass es hier um eine Präzisierung der Gerechtigkeit Gottes geht und deshalb ihre Art und Weise benannt wird. Hierhin gehört die Gegenüberstellung zu cwrˆj nÒmou und Gal 3,12. U.E. schwingt hier durchaus beides mit in der Bestimmung der Gerechtigkeit. Dabei widersprechen die Bestimmungen der Gerechtigkeit Gottes in V.22a bei genauem Hinsehen auch nicht unserer Feststellung von der Selbigkeit der Gerechtigkeit und damit unserer Aussage, dass Gott der ist, als der er im AT (und der Tradition) bezeugt wird und nicht durch Christus neu bestimmt wird: Denn der Glaube und seine Verbindung zur Gerechtigkeit sind Gegenstand und Zeugnis des AT und der Tradition, wie V.27.31, Röm 4; Gal 3,8 u.ö. bezeugen. Auch dass dieser Glaube mit Christus verbunden ist, spricht in keinem Fall dagegen, weil er ebenfalls Kontinuitätsinhalt der Schrift ist, wie Röm 10,4 mit seiner Zielaussage des nÒmoj bezeugt. Gleiches gilt natürlich für die mit der Glaubensbestimmung verbundene Universalität: V.29.30; 15,7–13 u.ö.
Exkurs: Zur dikaiosÚnh qeoà in Röm 3,21–26: genitivus subiectivus, genitivus obiectivus, genitivus auctoris Hinsichtlich der Genitivverbindung von dikaiosÚnh und qeÒj ist zu klären, um was für einen Genitiv es sich hier handelt, weil damit verschiedene Verständnisse insbesondere auch im Hinblick auf das Thema des 46 47
Vgl. BDR 223.3. Vgl. BDR 223.4.
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Römer 3,21–31
Abschnittes 3,21–31 verbunden sind. Bei einem genitivus subiectivus ist Gott das Subjekt der Gerechtigkeit, und es kommt dann noch weiter entscheidend darauf an, was man unter Gerechtigkeit versteht: eine Eigenschaft, die in Bezug gesetzt werden kann zu einer iustitia distributiva, nach der Gott richtend jedem das gibt, was er verdient48, oder sozusagen ein nomen actionis mit dem Inhalt einer rettenden Handlung oder dieses etwas modifizierend einen „Machtbegriff“ Gottes. Letzteres ist vor allem von E. Käsemann49, C. Müller50 und P. Stuhlmacher51 vertreten worden. In jedem Fall aber geht es bei einem genitivus subiectivus um Gott als Subjekt, der somit das Thema des Abschnittes bestimmen würde. Demgegenüber bezeichnet der genitivus auctoris die Gerechtigkeit nicht als eine Handlung, sondern als eine eigenständige Größe, für die Gott als Urheber angegeben wird. In diesem Sinne ist sie eine von Gott gegebene Gabe, in deren Besitz der Mensch ist und mit der er eine Gerechtigkeit aufweist, die vor Gott gilt. Betont man das „Vor-Gott-Gelten“ der Gerechtigkeit, so wird diese Auffassung auch mit einer Benennung des Syntagmas dikaiosÚnh qeoà als genitivus obiectivus verbunden52. Dieses Verständnis knüpft an Martin Luthers Entdeckung der Bedeutung der Gerechtigkeit Gottes an und wurde in der exegetischen Diskussion des 20. Jhs vor allem von R. Bultmann53, H. Conzelmann54, G. Klein55 und E. Lohse56 vertreten. Bei diesem Verständnis geht es um den Status des Menschen vor Gott, womit auch eine andere thematische Bestimmung für 3,21–31 als bei einem genitivus subiectivus vorzunehmen wäre. Um nun die Genitivverbindung von dikaiosÚnh und qeÒj bestimmen zu können, ist das Entscheidende, dass man den Handlungscharakter sieht, den der Begriff dikaiosÚnh zweifellos vor seinem alttestamentlichjüdischen Hintergrund57 an sich und ohnehin schon hat und der in unserem Abschnitt dann auch explizit und besonders zu Tage tritt. Die Verwendung der Wortgruppe um dikai* in unserem Abschnitt weist klar auf ein Handeln Gottes hin. Will man von der Gerechtigkeit als einer eigenständigen Größe, nicht als Handlung reden, so ist sie als „wirk48 49 50 51 52 53 54 55 56 57
Das ist das von M. Luther, Vorrede 1545, 185f bekämpfte Verständnis. Vgl. E. Käsemann, Gottesgerechtigkeit, 181ff; ders., Römer, 87 spricht dann aber auch wieder von der Gerechtigkeit Gottes als „Gabe“. Vgl. C. Müller, Gerechtigkeit, 110–113. Vgl. P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 86–91 u. passim; ders., Römer, 57. Vgl. H. Schlier, Römerbrief, 105; C.E.B. Cranfield, Romans I, 91–100.203. Vgl. R. Bultmann, DIKAIOSUNH, 12–16. Vgl. H. Conzelmann, Grundriß § 25 II. Vgl. G. Klein, Gerechtigkeit, 1–11, bes. 4f. Vgl. E. Lohse, Gerechtigkeit, 209ff u. ders., Römer, 130. Vgl. K. Haacker, Römer, 40f.
Der Teilabschnitt Röm 3,21–26
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same Macht“58, aber nicht als in Besitz gegebene Gabe zu profilieren, was dann doch wieder auf ihren Handlungscharakter aufmerksam macht. dikaioÚmenoi V.24, dikaioànta V.26, dikaièsei V.30 bezeichnen eindeutig ein Handeln Gottes. Die Kombination von dikaiosÚnh mit faneroàn V.21 (vgl. auch 1,17 mit ¢pokalÚptein und Verbindung zur dÚnamij) und œndeixij V.26 weist die dikaiosÚnh als wirksame Größe Gottes aus, ein Status von Menschen oder ein Besitz durch Menschen ist hier ausgeschlossen. Damit ist aber auch jedes immer wieder in der Literatur angeführte Verständnis der dikaiosÚnh qeoà hier als genitivus auctoris ausgeschlossen59 – und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen durch unsere Beobachtungen, dass dikaiosÚnh hier eindeutig und nicht anders als Handeln und wirksame Macht Gottes dargestellt wird – und zum anderen dadurch, dass es einen genitivus auctoris im Griechischen als wirkliche, eigenständige Größe nicht gibt60. Dieser ist eine Erfindung neutestamentlicher Exegeten für die dikaiosÚnh toà qeoà und damit keine mögliche Kategorie für die Bestimmung und Erfassung der Aussage des Textes. Es bleibt also nur die Wahl zwischen genitivus subiectivus und obiectivus. Dabei macht letzteres hier keinen Sinn. Dementsprechend steht eben auch für andere Belege der dikaiosÚnh qeoà im Neuen Testament die Kategorie genitivus auctoris nicht zur Verfügung und es ist immer zwischen genitivus subiectivus und genitivus obiectivus zu entscheiden. Weiter bestätigt wird das alles dadurch, dass auch die Erläuterungen zur dikaiosÚnh qeoà bzw. zu dikaioÚmenoi V.24b.25 die dikaiosÚnh durch weitere Elemente des Handelns Gottes ausfüllen. Auch die Kombination mit di¦ p…stewj 'Ihsoà Cristoà V.22 schließt einen genitivus subiectivus im Sinne des Handelns Gottes nicht aus61, denn in V.30 erfolgt das mit dikaièsei benannte Handeln Gottes auch di¦ p…stewj. Bemerkenswert ist in V.26c die Kombination mit eÌnai. Hier meint Gerechtigkeit Gottes „Gottes eigene Gerechtigkeit“62: „Er ist gerecht“. Es besteht aber überhaupt kein Grund, den semantischen Bezugsrahmen zu wechseln und hier eine Eigenschaft Gottes im Sinne einer Tugend oder einer iustitia 58 59 60
61 62
K. Grünwald, Gerechtigkeit, 736. Gegen M. Wolter, Rechtfertigung, 26 und die in Anm. 53–56 Genannten. Vgl. N. Turner in J.H. Moulton, Grammar, 207: „…the only real division among the genitives is that between subjective and ojective“. N. Turner in J.H. Moulton, Grammar, 211 äußert sich auch direkt zur Frage der dikaiosÚnh toà qeoà und auch zu unserer Stelle: “But dikaiosÚnh toà qeoà Ro 117 322 … indicates the source, and is therefore subjective, as shown by the phrase ¹ ™k qeoà dikaiosÚnh Ph 39”. Dabei ist festzuhalten, dass aufgrund des hier geschilderten Handelns Gottes die dikaiosÚnh nicht eigenständig und losgelöst von ihrer Quelle auftritt, so dass sie eben Besitz der Menschen wäre, sondern dikaiosÚnh e„j gibt eine Handlung und die Richtung, das Objekt der Handlung an. Gegen E. Lohse, Römer, 130. K. Haacker, Römer, 92.
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distributiva anzunehmen. Da es keine anderen semantischen Signale gibt, gilt auch für V.26c der bisher angenommene alttestamentlich-jüdische, insbesondere auch dtjesajanische semantische Hintergrund der Gerechtigkeit Gottes als rettende Macht und als Beziehungsgröße63, nämlich in seinem Handeln in Einklang mit dem zu agieren, was die Beziehung verlangt64. Damit ist auch hier weniger eine Eigenschaft Gottes benannt als die Frage der Übereinstimmung und Entsprechung seines Handelns bzw. der Erweis seiner wirksamen Macht65. Summierend kann man also tatsächlich dikaiosÚnh qeoà hier als genitivus subiectivus bezeichnen, wenn man diesen im Rahmen einer Analogie zu einem nomen actionis so versteht, dass Gott Subjekt seines rechtfertigenden Handelns ist66. Dass demgegenüber der genitivus auctoris keine mögliche Alternative darstellt und damit ein Gabecharakter der dikaiosÚnh im Sinne eines Besitzes der Gerechtfertigten ausgeschlossen ist, ist u.E. ein deutlicher Hinweis auf den theozentrischen Charakter und die Gottes-, nicht Menschenthematik unseres Abschnittes: Es geht in erster Linie um Gott und sein Handeln und weniger um verschiedene Status von Menschen vor Gott67. Es geht nicht darum, ob Menschen mit oder ohne etwas vor Gott stehen oder treten. Die dikaiosÚnh ist eindeutig und ausschließlich mit Gott verbunden, während die Menschen mit der Sünde verbunden sind68. Mensch und Gott werden einander gegenübergestellt (vgl. 3,20 vs. 3,21) und mit bestimmten Handlungen/Begriffen verknüpft, wobei die Seite Gottes ungleich größeren Raum einnimmt und Thema ist. Dass Gottes wirksame dikaiosÚnh, sein Handeln Auswirkungen auf die Menschen hat, ist dabei unbestritten: Gott handelt in ihre Richtung (dikaiosÚnh e„j) – sie sind dann natürlich dikaioÚmenoi. Der in 3,21–26 zurücktretende Aspekt einer Benennung eines Status des Menschen mit dikaiosÚnh ergibt sich, wie B. Byrne zu Recht anmerkt, aus dem Beziehungscharakter des dikaiosÚnh-Begriffes: dikaiosÚnh als Begriff des 63 64 65
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Vgl. nur Jes 45,20–25 und unten 3.3.1.6.2. Vgl. B. Byrne, Perspective, 234 u. passim. Insofern ist P.-G. Klumbies‘ Behauptung „Paulus dynamisiert das überkommene statische Gerechtigkeitsverständnis, indem er die dikaiosÚnh aus einem Eigenschafts- zu einem Beziehungsbegriff werden lässt“ (Brennpunkt, 205) vollkommen an dem atl.jüdischen Befund und seiner Rezeption durch Paulus vorbei. So auch J.D.G. Dunn, Romans I, 166 und insbesondere P. Stuhlmacher, Römer, 57 gegen die Vertreter eines genitivus auctoris (vgl. oben Anm. 53–56) und eines genitivus obiectivus (vgl. oben Anm. 52). Gegen P.-G. Klumbies, Brennpunkt, 205, wonach „Gegenstand des paulinischen Nachdenkens in V.22–26 und V.27–31 […] der Mensch vor Gott“ ist. Für eine solche Qualifizierung reicht aber die eine Zeile des V.23 mit den Menschen als Subjekt gegenüber der Präsenz des Handelns Gottes, markiert durch qeÒj als Subjekt und dikaiosÚnh qeoà als genitivus subiectivus, in diesem Abschnitt nicht aus. Vgl. W. Stegemann, Tod, 137.
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Handelns Gottes gemäß der Beziehung zu den Menschen impliziert natürlich auch die Frage der Entsprechung der Menschen, an denen gehandelt wurde, im Hinblick auf ihre Beziehung zu Gott69. Wenn sie gerecht gemacht wurden, sind sie in der Lage, dem Geforderten der Beziehung zu Gott zu entsprechen (vgl. Ps 5,9; 35,27f; Jes 42,6; 45,8, 61,3ff u.ö.; Röm 8,4). Zu beachten ist dabei immer aber noch das Beziehungsgefälle der alttestamentlichen dikaiosÚnh-Vorstellung im Rahmen des Bundes: Es geht nicht um ein Verhältnis und eine gegenseitige Abmachung zwischen bzw. unter Gleichen, sondern um eine Verpflichtung des Subjekts/ Höher Gestellten des Bundes in Richtung des Objekts/Niedriger Gestellten70 mit entsprechenden Implikationen dann auch für letzteren. In der Frage der p…stij 'Ihsoà Cristoà gibt es u.E. keinen Anhalt, die Verbindung als genitivus subiectivus71 zu verstehen. Nirgendwo im Corpus Paulinum ist von der p…stij als Eigenschaft oder Tat Jesu Christi die 69 70 71
Vgl. B. Byrne, Perspective, 233.235. Vgl. E. Kutsch, Verpflichtung, 342ff. So R.B. Hays, Faith, 170–174; A. Vanhoye, Fede, 21 u. passim (im Sinne der „Vertrauenswürdigkeit“); M.D. Hooker, PISTIS, 336 u.ö.; L. Gaston, Paul, 117; S.K. Williams, Pistis, 476f u.ö.; B. Byrne, Reckoning, 79f; L.T. Johnson, Faith, 87ff u.ö.; G. Howard, The Faith, 212–215; ders., Inclusion, 228f; ders., On the faith, 459.465 u.ö.; M. Barth, Faith, 363–370; R.N. Longenecker, Paul, 149f; A.G. Hebert, Faithfullness, 373–379; J. Haussleiter, Glaube, 109–145.204–230 (als „Glaube“ statt „Treue“). – D. Rusam, Paulus, 47ff versucht in dem Streit um genitivus obiectivus und genitivus subiectivus zu vermitteln, indem er p…stij 'Ihsoà Cristoà als genitivus auctoris bestimmt (62.70. u.ö.). Im Ergebnis heißt das, dass „Paulus mit dem Ausdruck p…stij ('Ihsoà) Cristoà zweifellos ‚menschliches‘ Glauben meint“ (47) – und damit eben nicht eine Treue Christi –, aber dass Paulus dieses Glauben nicht als „Leistung versteht, die erbracht werden muss“, sondern dieser Glaube von Jesus Christus begründet ist, der ihn „selbst im Glaubenden schafft oder ermöglicht“ (70). D. Rusam kommt zu dieser Begründung, indem er dieses Genitiv-Problem von anderen Genitivkonstruktionen des Paulus her zu lösen versucht, weil sich aus den unmittelbaren Kontexten mit „formalen“, „grammatikalischen und sprachstatistischen“ Kriterien keine Lösung finden lasse (47.70). Demgegenüber ist festzuhalten, dass es einen genitivus auctoris im Griechischen nicht gibt und er ein exegetisches Konstrukt ist (vgl. oben den Exkurs in 3.3.2.1.). Damit bleibt nur die Entscheidung zwischen genitivus obiectivus und genitivus subiectivus, bei der man aus dem unmittelbaren Kontext heraus eine klare Entscheidung zugunsten eines genitivus obiectivus treffen kann (vgl. unten in diesem Abschnitt). In der entscheidenden Frage, ob das menschliche Glauben oder die Treue Christi gemeint ist, stimmen dabei D. Rusams Ansicht und unser Ergebnis überein. Die eher dogmatisch gefärbte Frage, die D. Rusam mit seinem Konstrukt zu klären versucht, nämlich ob der Glaube eine menschliche Leistung im Sinne eines meritum sei, liegt in dieser Form u.E. außerhalb der paulinischen Problemanzeige und Diskussion und ist aus der späteren Rezeption der Texte entstanden. Nichtsdestotrotz wird durch 3,28.30 deutlich, dass die p…stij von Paulus nicht unter Fragestellung einer Haltung oder Leistung des Menschen angeführt wird, sondern zur Beschreibung der Wirklichkeit von Gottes Heilshandeln dient (vgl. unten 3.4.2.2. und 3.4.2.5.)
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Rede72, wie dies in Bezug auf Gott durchaus geschieht (3,3; 1Kor 1,9). Und auch die Darstellung über Jesus Christus in V.24.25 erfolgt nicht so, dass daraus ein Handeln oder eine Eigenschaft Jesu Christi im Sinne seiner ihm eigenen p…stij zu entnehmen wäre: Jesus wird als Objekt des Handelns Gottes beschrieben, und das bedeutungsvolle Geschehen wird konstituiert durch das Handeln Gottes an oder in Jesus Christus, nicht durch eine Leistung Jesu Christi73. Stattdessen gibt es viele Hinweise darauf, dass p…stij und pisteÚein in unserem Abschnitt gerade als die Elemente zu bestimmen sind, die auf die von der dikaiosÚnh Gottes betroffenen Menschen bezogenen sind – und damit p…stij 'Ihsoà Cristoà als genitivus obiectivus zu verstehen ist: Hierfür ist zuallererst die klarstellende Formulierung von V.26c zu nennen, wo die Formulierung durch die Kombination mit tÒn und ™k deutlich werden lässt, dass es bei p…stij eben um das beim Menschen lokalisierte und auf Jesus Christus bezogene Element geht, und somit 'Ihsoà (Cristoà) als genitivus obiectivus verstanden werden muss74. Dieses Argument aus V.26c wird bestätigt durch die p…stij als dem Menschen zugeordnete Aktivität mit dem pisteÚontaj in V.2275. Dazu passt auch der Charakter von V.22 als Aufnahme und Fortführung der propositio 1,16.17, wo durch das Zitat von Hab 2,4 die p…stij als Aktivität des Menschen bestimmt ist76. Entsprechendes gilt auch für das Folgende in Röm 4 mit dem Zitat aus Gen 15,6 und den Formulierungen von pisteÚonti 4,5; und auch 4,24.25 wird Jesus indirekt als Inhalt des Glaubens angegeben, unter Wiederaufnahme der Darstellung in 3,24.25. Auch Gal 2,16 darf herangezogen werden als Parallelstelle, wo die zur Debatte stehende Formulierung di¦ p…stewj 'Ihsoà Cristoà besonders auch durch ka… im Sinne von „auch“ erläutert wird durch e„j CristÕn 'Ihsoàn ™pisteÚsamen77. Auch mit dieser Entscheidung, p…stij Cristoà als genitivus obiectivus zu verstehen, wird die Theozentrik unseres Abschnitts weiter unterstrichen: „Christ’s faithfullness is not something which Paul draws attention to elsewhere in the extended exposition of Roman… The cen72 73
74 75 76 77
Vgl. K. Haacker, Römer, 87. Anders ist sicher die Darstellung in Phil 2,6–11. Aber dort findet sich auch ein ganz anderer Rahmen für die Darstellung: nämlich die Frage nach dem menschlichen Verhalten, für das Christus Vorbild ist, während in unserem Abschnitt der Rahmen die Frage der Art und Weise des Handelns Gottes im Hinblick auf das Heil, also der göttliche Heilsweg für den Menschen ist. Vgl. auch J.D.G. Dunn, Romans I, 166. Vgl. nur A.J. Hultgreen, Pistis, 262f u. passim sowie E. Lohse, Römer, 31; K. Haacker, Römer 87; J.D.G. Dunn, Romans I, 166. Vgl. E. Lohse, Römer, 131. Vgl. K. Haacker, Römer, 87. Vgl. ebd.
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tral issue is how God’s righteousness operates, the means by which or ‚terms‘ on which he acts on man’s behalf.“78 Es lässt sich also hier im Hinblick auf die dikaiosÚnh qeoà und damit auf die Frage, wie Gott zugunsten der Menschen handelt, festhalten, dass sein Handeln unabhängig vom Tun des Gesetzes, stattdessen aber über den Glauben – dieser gefüllt durch Jesus Christus – und universal, aufgrund des p£ntaj toÝj pisteÚontaj in Opposition zu p©j Ð kÒsmoj und p©sa s£rx 3,19.20 erfolgt. Der Befund des Glaubens als göttliches Prinzip bei Gottes Handeln zum Heil wird bestätigt durch Aussagen wie V.27.31; in gewisser Hinsicht durch Röm 479 und Gal 3,8.10–1280. Diese Stellen bürgen zugleich für unser Verständnis von marturoumšnh ØpÕ toà nomoà kaˆ tîn profhtîn als Selbigkeitsmarker, insofern dort auch die Schrift angeführt wird, und zwar um für p…stij/pisteÚein die Identität als vom AT benanntes Prinzip hinsichtlich des Heilshandelns Gottes (denn nichts anderes benennt ja dikaiosÚnh qeoà) anzuzeigen. Damit wird aber weiterhin unterstrichen, dass es in unserem Abschnitt um Gott, nämlich mit der Frage nach seiner dikaiosÚnh um die Art und Weise seines für ihn charakteristischen Handelns zum Heil geht.
3.3.1.3 V.22b.23 Die Bedeutung der von der Schrift bezeugten dikaiosÚnh cwrˆj nÒmou, die als universale dikaiosÚnh di¦ p…stewj ('Ihsoà Cristoà) spezifiziert ist, wird nun in V.22b durch die mit g£r einsetzende Begründung klar gemacht: Unterschiedslosigkeit und ausnahmslose Gesamtheit der Menschheit sind der Hintergrund für Gottes universale, gesetzesfreie Gerechtigkeit. Dabei kann sich die Frage der Teilmengen ausschließenden Gesamtheit nur auf die Frage der Einteilung der Menschheit in Juden und Heiden beziehen. In der propositio war das p©j semantisch festgelegt als Gesamtheit der Teilmengen aus Juden und Heiden. Diese Festlegung zieht sich dann durch den gesamten Argumentationsverlauf des Römerbriefs (2,9–11; 3,9; u.ö.) und wird in unserem Abschnitt durch V.28–30 bestätigt. Das generische ¥nqrwpoj in V.28 macht zusätzlich deutlich, dass es bei der Frage nach Juden und Heiden tatsächlich um die Frage der Einheit der Menschheit geht81, wie ja schon in 3,19.20 angedeutet ist. Insofern aber als Rahmen für die Art und Weise des Heilshandelns Gottes 78 79 80 81
J.D.G. Dunn, Romans I, 166. Vgl. unten 4.4, bes. 4.4.6.6. Vgl. unten 4.4.5. Vgl. dazu unten 3.4.2.2.
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die Frage nach dem Unterschied zwischen Juden und Heiden als Teilmengen der Menschheit gesetzt wird, ist auch ohne jede Unsicherheit das Verständnis von cwrˆj nÒmou V.21 und œrga nÒmou 3,20 zu bestimmen: Durch die Opposition von 3,20 zu 3,21f sind auch die œrga nÒmou aus 3,20, die durch das cwrˆj nÒmou V.21 verneinend aufgegriffen und dementsprechend durch p…stij/pisteÚein kontrastiert werden, im Hinblick auf die Frage der Unterscheidung von Juden und Heiden zu verstehen. Und verbunden mit dieser Frage haben œrga nÒmou und der in diesem Sinne (des Tuns) verstandene nÒmoj die Funktion, Juden und Heiden in ihrer Lebensweise zu unterscheiden und damit die Identität des Judentums festzulegen, so dass es sich also um die Tora als jüdische Lebensweise im Sinne eines identity bzw. boundary marker handelt82. Um ein solches Verständnis kommt man auch hier nicht herum83. In 3,20 war deutlich gemacht worden, dass eine durch das Tun der Tora bestimmte jüdische Identität keinen Bezug zum Heilshandeln Gottes hat und dass es stattdessen irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Gesetz und der Sünde gibt. Die Begründung für die mit p£ntaj toÝj pisteÚontaj als universal bezeichnete und statt mit dem Tun des Gesetzes mit dem Glauben verbundene dikaiosÚnh qeoà liegt in der Situation der unterschiedslosen Einheit der Menschheit84. Diese Situation der Universalität statt Partialität der Menschheit wird durch das zweite g£r mit V.23 spezifiziert und begründet. Die Begründung liegt zunächst im p£ntej ¼marton, das für alle gilt. In der ausnahmslosen Verfehlung aller – der Heiden wie der Juden – kommt die Unteilbarkeit der Menschheit zustande. Dabei nimmt p£ntej ¼marton die von alttestamentlichen Aussagen geprägten Ausführungen in 3,9–20 auf. Daraus wird deutlich, dass diese ausnahmslose Verfehlung wiederum etwas ist, was aus Schrift und Tradition entnommen ist, und damit dem entspricht, was in V.21 mit marturoumšnh ØpÕ toà nÒmou kaˆ tîn 82 83
84
Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 153–155.158f; ders., Works, 524ff; ders., Perpective, 199ff; K. Haacker, Römer, 83f. Gegen J. Woyke, NYNI, 197 mit Anm. 44: „Ritualgesetze“ – wobei allein schon die Frage ist, was „jüdische Ritualgesetze“ sind; und C.E.B. Cranfield, Works, 89–101, bes. 100f. Vgl. stattdessen L. Gaston, Paul, 122: „Romans 3:21–31 is clearly about the inclusion of the Gentiles“. Und Gott erweist sich insofern als gerecht (V.26), d.h. dem der Beziehungssituation Geschuldeten entsprechend, als er der Situation der Menschheit gemäß, nämlich aussichtslos im Sumpf ohne jede eigene Möglichkeit und ohne die Möglichkeit des Gesetzes zu sitzen, die Menschen aus Glauben an Jesus Christus, d.h. durch das die Sündenverstrickung aufhebende Handeln in Jesus Christus, verbunden mit dem allen voraussetzungslos entsprechenden Prinzip des Glaubens rechtfertigt, d.h. rettet. Er bleibt sich auch treu (V.21b), weil er schon immer nach diesem Prinzip Rettung und Heil verfolgt hat.
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profhtîn angegeben ist. Dass diese Feststellung der Schrift und Tradition dabei als so grundlegend bewertet werden kann, dass sie zu einem basalen Argument im Hinblick auf die Einheit der Menschheit und die Frage nach der Art und Weise von Gottes Handeln gegenüber den Menschen werden kann, wird durch vier Dinge deutlich: a) durch Umfang und Tiefe der Schriftkatene 3,10–18; b) durch die Zusammenfassung dieser Schriftkatene als Aussage des nÒmoj, zusätzlich versehen mit dem Hinweis p©j Ð kÒsmoj und qeÒj; c) durch die Berührungen mit und Anspielungen auf die paradigmatisch zu verstehende Urgeschichte der Genesis, nämlich die Anspielungen auf Gen 6,12 in 3,20 und Gen 3 in V.23b; sowie d) durch die Formulierung von V.23b selber: Die dÒxa toà qeoà verdeutlicht das ¼marton so, dass es erst dadurch recht eigentlich zum Argument für die zur Debatte stehenden Fragen wird: Durch die Einführung der Größe Gott wird das p£ntej ¼marton in seiner axiomatischen Bedeutung unterstrichen. Mit der Anführung Gottes in V.23 werden nun auch die p£ntej einbezogen in die schon 3,20.21 angeführte Gegenüberstellung Gott – Mensch, so dass angesichts des kategorialen Unterschiedes durch Gott auf der einen Seite die Menschheit auf der anderen Seite steht. Damit entsteht aufgrund der kategorialen Differenz durch Gott auf der einen Seite auf der anderen Seite eine einzige und einheitliche Kategorie, welche die unterschiedslose Einheit der Menschheit ausdrückt und unterstreicht. Auch dieser kategoriale Aspekt ist vielfach vorbereitet, neben der Gegenüberstellung 3,20.21 auch in 2,11; 2,29; 3,4; bestätigt in 3,28ff. Es gibt deshalb keinen Unterschied, weil gemessen an dem Maßstab Gott eine kategoriale Einheit entsteht, die über alle Unterschiede dominiert. Die größte denkbare Differenz ist die zwischen Gott und Mensch, und diese dominiert somit über alle anderen Unterschiede, so etwa über die auf der Ebene der Menschen selbst vorhandene. Mit der dÒxa wird nun das ¼marton in die höchste kategoriale Unterscheidung eingestellt, so dass angesichts des generischen Elementes des ¼marton alle anderen Differenzierungen der Menschheit darunter liegen. Ähnlich war schon in 3,4 argumentiert worden85. Selbstverständlich hat die Anführung der dÒxa toà qeoà auch eine Funktion im Hinblick auf die Frage nach Gott und seinem Heilshandeln der Gerechtigkeit. Sie zeigt etwas im Grunde Selbstverständliches an, das aber in seiner Zuspitzung in der paulinischen Argumentation für diese ganz entscheidend wird: Bei der Frage nach Gott und seinem Handeln stellen allein Gott und seine Wirklichkeit den Bezugsrahmen dar, wie Gott allein der Maßstab ist, an dem in dieser Sache gemessen werden 85
Vgl. dazu oben 2.4.3.
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muss. Und das heißt weiter, dass in der Frage nach Gottes Heilshandeln die Menschen, an denen gehandelt wird und die die Beziehungsgröße für das Beziehungshandeln der Gerechtigkeit darstellen, anhand dieses Maßstabes und aus dieser Perspektive zu beurteilen sind. In dieser Hinsicht führt das Østeroàntai tÁj dÒxhj toà qeoà aus, dass die Menschen ohne jede Anknüpfungsmöglichkeit an die Wirklichkeit Gottes sind und dass sie im Hinblick auf die Wirklichkeit Gottes nichts haben, was in dieser Wirklichkeit irgendwie einzubringen, in Anschlag zu bringen wäre. Beide Elemente werden damit aus 3,19 wieder aufgenommen: Mit der Opposition von Ð nÒmoj lšgei … lale‹ und p©n stÒma fragÍ ist ausgedrückt, dass in der Frage der Rechtfertigung aus Werken und der dikaiosÚnh qeoà das alleinige Rederecht der nÒmoj, verstanden als Heilige Schrift und gleichsam hypostatische Dienerin des Gotteswillens, hat86, während menschliche Äußerungen zu diesem Thema und die Argumentation von Menschen hier ausgeschlossen werden sollen. Und dies gilt auch ganz konkret87, nämlich für Kommentare und Bemerkungen von jüdischer oder judenchristlicher Seite zu der im Brief verhandelten paulinischen Verkündigung des Evangeliums Gottes (Heiden haben zum Thema „Gott“ sowieso nichts beizutragen oder bringen einfach nicht die jüdischen Einwände): Was in der Diskussion dieser Sache zählt, ist allein die Stimme des Nomos (und der Propheten), die Gott und seine Wirklichkeit den Menschen darlegt. Paulus nimmt damit allen menschlichen Einwänden, ja überhaupt jeder menschlichen Beurteilung des von ihm dargestellten Evangeliums Gottes jegliches Recht und stellt als einzig gültige Wirklichkeit Gott, wie er von der Heiligen Schrift bezeugt wird88, hin. Der Grund dafür liegt in der den kategorialen Unterschied zwischen Gott und Menschen ausfüllenden Sünde der Menschen, die die Menschen vor Gott nicht nur zu einem Nichts werden lässt, sondern in eine Position der Schuldigkeit bringt. Darum kann es auch keine Rechtfertigung aus Werken des Gesetzes geben, weil es für den Menschen im Hinblick auf Gott weder etwas zu sagen noch etwas zu tun gibt.
86 87 88
Vgl. auch Gal 3,8 und dazu unten 4.4.5. Vgl. 3,8 und dazu oben 2.4.6. Vgl. 1,1f.17; 3,4 in Opposition zu 3,5; 3,10–21; 3,21b.27.31; 4,3 u.ö.
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81
3.3.1.3.1 Rückblick: Das Syntagma
di¦ g¦r nÒmou ™p…gnwsij ¡mart…aj in Röm 3,20b In diesem Zusammenhang ist auch zu fragen, ob das Syntagma di¦ g¦r nÒmou ™p…gnwsij ¡mart…aj in 3,20 sich nicht auch vollständig im Rahmen des bis dahin Gesagten verstehen lässt, indem es nämlich 3,9–20 abschließend bestärkt, statt eine neue zusätzliche Information zu bringen. Mit anderen Worten: 3,20b ist nicht von 5,13 oder von 7,7 – und das meint vom gängigen Verständnis89 dieser Stellen – her zu deuten und also nicht im Sinne eines secundus usus legis zu verstehen. Es ist auch nicht in dem Sinne zu erklären, dass für Gott eine Erkenntnis der Sünde aus dem Gesetz kommt, in der Weise, dass Gott ein Instrument hat, die Sünden der Menschen als solche festzustellen und zu behandeln. Viel naheliegender ist es nämlich, 3,20b im Zusammenhang mit 3,19 Ósa Ð nÒmoj lšgei zu sehen, so dass es nichts anderes aussagt als genau dieses: Nämlich dass der für Paulus und seine Argumentation so grundlegende Faktor der Sünde – der in der vorliegenden Argumentation zur Annahme der Einzigkeit und Betonung Gottes führt – keine Idee des Paulus, sondern eine Aussage des Nomos ist. Die Erkenntnis und das Wissen um diesen Faktor als eines so entscheidenden Faktors, wie er es innerhalb der paulinischen Argumentation ist, entstammt dem Nomos – und ist damit keine menschliche Aussage, sondern eine göttlich legitimierte und sanktionierte, im Bereich des göttlichen Wirklichkeitsverständnisses geltende Aussage. Es geht also nicht darum, dass durch den Nomos bestimmte Taten oder ein bestimmtes Verhalten des Menschen als Sünde erkannt und benannt werden können, sondern es geht vielmehr um die Erkenntnis der Sünde als Faktor, um ihre Bestimmung als bestimmende Funktion und Größe. Damit wird dann einerseits der als Heilige Schrift verstandene Nomos als Grundlage für die paulinische Theologie und Argumentation herausgestellt, und andererseits wird die paulinische Aussage von der Sünde als derart entscheidendem Faktor autorisiert. Für eine solche Interpretation von 3,20b spricht, neben dem im Kommentartext zu der Schriftkatene 3,19.20 vorliegenden inneren Zusammenhang des Nomos als dem Verkünder der göttlichen Wirklichkeit gegenüber dem Nomos als einer Tunsgröße90, vor allem auch die Stellung der Aussage 3,20b. Sie schließt den Teil der Ausführungen über die 89
90
Bei genauem Hinsehen wird auch bei diesen Stellen die Sünde durch das Gesetz nicht als Qualifizierung bestimmter Taten verstanden, sondern als eine Größe, auf deren Macht und Auswirkung das Gesetz hinweist. Zu dieser Opposition vgl. unten 4.4.5.
82
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Sünde 3,9–20, bzw. 1,18–3,20, als letztes Wort – gefolgt von einem, wie aufgezeigt, diametralen sachlichen und explizit rhetorisch markierten Neueinsatz – ab. An dieser Stelle ist eine den bisherigen Gedankengang unterstreichende und befestigende Bemerkung viel sinnvoller, als die unausgeführte Einführung eines erst viel später an anderer Stelle aufgenommenen neuen Gedankens: Für den bisher genannten Gedankengang wird so die Schrift als Quelle und Urheber betont (im Einklang mit der erklärten Zielsetzung/Art und Weise der Argumentation des Briefes 1,1; 3,21), und der Gedankengang wird somit an seinem Schluss mit der nötigen Evidenz versehen: Der Sinn des Nomos ist nicht, dass man aus seinen Werken gerechtfertigt würde, sondern er dient als Quelle der Erkenntnis der göttlichen Wirklichkeit, die (und das ist das in 1,18–3,20 Geschilderte) er dem Menschen vermittelt. Ein solches Verständnis passt auch viel besser zu dem in 3,21–31 gezeichneten Bild vom Nomos als Erkenntnis- und Verkündigungsquelle, als Diener und Bezeuger der göttlichen Wirklichkeit (3,21.27.31). Für eine solche Interpretation spricht weiter auch der Singular ¡mart…aj in V.20, der die Sünde als Macht, Faktor, Größe bezeichnet im Gegensatz zu bestimmten Taten oder Verhaltensweisen. Es geht um die Erkenntnis und Begründung von ¡mart…a im Sinne von Röm 3,9 und nicht im Sinne von 4,7; 11,27 usw. Dafür spricht auch die Kombination mit ™p…gnwsij statt gnîsij, insofern das Präfix „indicates some intensifying in the concept – effective knowledge, a knowing which informs character of life and influences conduct“91. Es geht darum, sich der Sünde als dieses entscheidenden Faktors bewusst zu werden mit den Konsequenzen für eine entsprechende richtige Beurteilung und Einordnung der Wirklichkeit Gottes.
3.3.1.3.2 Das Syntagma Østeroàntai tÁj dÒxhj toà qeoà Die Signalwirkung der dÒxa toà qeoà in V.23 und ihre Funktion in der Argumentation war bereits benannt worden. Die genaue Bedeutung der Wendung Østeroàntai tÁj dÒxhj toà qeoà ist jedoch umstritten. E. Lohse u.a. verstehen sie von ApkMos 21,6 her als Gottebenbildlichkeit des Menschen, derer er durch den Sündenfall verlustig gegangen ist92. An91 92
J.D.G. Dunn, Romans I, 155. So E. Lohse, Römer, 131; J.D.G. Dunn, Romans I, 167f (mit eschatischer Bestimmung); W. Schmithals, Römerbrief, 119f (auch mit eschatischer Wiederherstellung); D. Zeller, Römer, 85; E. Käsemann, Römer, 88f; U. Wilckens, Römer I, 188; H. Schlier, Römerbrief, 107; C.E.B. Cranfield, Romans 1, 204 (auch mit eschatischer Wiederherstellung); O. Michel, Römer 149; J. Jervell, Imago, 180ff (auch mit eschatischer Wiederherstellung).
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83
dere dagegen sehen in der auf die Menschen bezogenen dÒxa toà qeoà die eschatische Bestimmung des Menschen93. K. Haacker wendet gegen beide Bestimmungen ein, dass sie ein Hintergrundwissen bei den römischen Lesern voraussetzen, das bei diesen nicht anzunehmen ist, und dass sie nicht gut zur „normalen Wortbedeutung von Østere‹sqai c. gen., also ‚Mangel an etwas haben‘ und dem von Paulus gebrauchten Präsens“ passen. Deshalb bestimmt er dÒxa nicht als „Herrlichkeit“, sondern als „Ehre“, „Anerkennung“. In diesem Sinn könne dann die Wendung als genitivus subiectivus verstanden werden, dass die Menschen bei Gott keine Anerkennung haben (als Gerechte)94 oder als genitivus obiectivus, dass die Menschen der geschuldeten Ehrung Gottes nicht nachkommen95. K. Haacker sieht aufgrund von 1,21 den genitivus obiectivus als beste Verständnismöglichkeit an. U.E. ist aber die Interpretation von dÒxa als „Ehre“ und „Anerkennung“ hier zu weit hergeholt, und einige der von K. Haacker selber angeführten Argumente sprechen dafür, dÒxa im Sinne einer Teilhabe an Gottes Herrlichkeit, an einem Heilszustand oder -raum zu verstehen. Zwar hat K. Haacker recht, dass die dÒxa toà qeoà ein durchgehendes Thema des Römerbriefes ist und es natürlich auch Verbindungen zu 1,21 gibt. Aber 1,23 bringt schon wieder einen anderen Aspekt ein, und das Thema unseres Abschnittes ist eben nicht die Frage nach der Ehrung und der Anerkennung Gottes durch die Menschen, sondern die Frage nach Gottes Heilsmacht und Heilshandeln der Gerechtigkeit. Schon von daher ist es naheliegender, dÒxa hier als wie auch immer geartete Teilhabe an der Heil markierenden Herrlichkeit Gottes zu verstehen. Hinzu kommt dann das von K. Haacker angeführte Argument der „normalen“ Bedeutung von Østere‹sqai c. gen. mit der angeführten Belegstelle Josephus, Ant 15,200 im Sinne von „Mangel an etwas haben“: æj m»te o‡nou m»te Ûdatoj … ØsterhqÁnai. Dieser Sinn spricht gerade gegen das Verständnis von dÒxa toà qeoà vor allem im Sinne der menschlichen Aktivität der Ehrung Gottes, aber auch der anerkennenden Aktivität Gottes. Denn es ist naheliegender, bei Østere‹sqai c. gen. den Mangel an einem Gut, Zustand (bei Josephus: Wein und Wasser) – und im Sinne eines „Heilsgutes“, „Heilszustandes“ fungiert ja das von uns favorisierte Verständnis – anzunehmen, als den 93
94 95
So A. Nygren, Römerbrief, 116; O. Kuss, Römerbrief, 114 (mit Andeutungen auf Verlust im Sündenfall); H.W. Schmidt, Römer, 66f; A. Schlatter, Römer, 69; H. Lietzmann, Römer, 49 (mit Verweis auf Verlust im Sündenfall). So T. Zahn, Römer, 177; B. Weiss, Römer, 160f. Vgl. K. Haacker, Römer, 88f. Der von K. Haacker als Zeuge für eine „früher vorherrschende Übersetzung“ im Sinne eines nomen actionis im Sinne von „Ehre“, „Anerkennung“ angeführte E. Kühl lehnt aber diese Deutung ab und plädiert für „die Teilnahme an der Herrlichkeit Gottes in der künftigen Vollendung“ (Römer, 109).
84
Römer 3,21–31
Mangel an einer eigenen oder einer fremden Aktivität. Desweiteren bilden durchaus die Belege in ApkMos 21,2.6; grBar 4,16; TargPsJ zu Gen 2,25, auch Ps 8 ebenso einen plausiblen Verständnishintergrund. Denn K. Haacker selber nennt Gen 3 als Traditions- und Verstehenshintergrund für p£ntej ¼marton, der als urgeschichtliche Grundaussage durchaus auch bei den römischen Adressaten vorausgesetzt werden kann. Dann ist es aber auch nicht zu weit hergeholt, die damit zusammenhängende und in verschiedenen Schichten der antik-jüdischen Tradition belegte Vorstellung der dÒxa als paradiesische Heilsteilhabe des Menschen als Verstehenshintergrund anzuführen, insbesondere auch, wenn denen ™n tù nÒmJ der Mund argumentativ mit der eigenen Tradition gestopft werden soll. Und so sprechen die Texte selbst eine klare Sprache: Ps 8 6 Denn du hast ihn wenig geringer gemacht als Engel, mit Herrlichkeit (dÒxV) und Pracht (timÍ) krönst (™stef£nwsaj) du ihn. ApkMos 2096 1 Und in derselben Stunde [des Essens der Frucht, d. Verf.] wurden meine [Evas, d. Verf.] Augen aufgetan, und ich erkannte, daß ich entblößt war von der Gerechtigkeit mit der ich bekleidet war. 2 Und ich weinte und sprach: Warum habe ich dies gemacht, daß ich von meiner Herrlichkeit entfremdet wurde (Óti ¢phllotrièqhn ™k tÁj dÒxhj mou)? ApkMos 21 1 Und ich [Eva, d. Verf.] rief in derselben Stunde und sprach: Adam, Adam, wo bist Du? Steh auf, komm zu mir und ich will (dir) alles anzeigen. 2 Als aber euer Vater kam, sagte ich ihm die Worte der Gesetzwidrigkeit, welche uns wegführte von der großen Herrlichkeit (kat»gagon ¹m©j ¢pÕ meg£lhj dÒxhj) … 5 und nachdem ich ihn schnell überredet hatte, aß er. Und es wurden seine Augen geöffnet, und er erkannte sein Entblößtsein 6 und spricht zu mir: O du böses Weib, was hast du uns bewirkt? Entfremdet hast du mich von der Herrlichkeit Gottes (¢phllotr…wsaj me ™k tÁj dÒxhj toà qeoà). TargPsJon zu Gen 2,25:97 Und es waren die zwei weise, aber sie blieben nicht in ihrer Herrlichkeit (arqy)98.
96 97 98
Übersetzung nach O. Merk/M. Meiser, JSHRZ; Text nach J. Tromp, Life. Übers. d. Verf. ist das genaue aramäische Äquivalent zu hebräisch .
arqy
dwbk
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grBar 499 16 Wisse nun also Baruch: Wie Adam durch dieses Holz die Verurteilung empfing und der Herrlichkeit Gottes entkleidet wurde (tÁj dÒxhj qeoà ™gumnèqh), so begehen auch die jetzigen Menschen, die den aus ihm gewonnen Wein unersättlich , böser als Adam die Übertretung und werden sich von Gottes Herrlichkeit entfernen (tÁj toà qeoà dÒxhj makr¦n g…nonta) und sich selbst dem ewigen Feuer ausliefern.
Den Texten gemeinsam ist die Bedeutung der dÒxa als eines ursprünglichen, paradiesischen, durch die Nähe zu Gott zustandegekommenen Heilsgutes100, das als Besitz, Zustand, Ort angesprochen werden kann und dessen Adam (und Eva) durch den Sündenfall verlustig gehen. Bei ApkMos macht 21,5 (dÒxa toà qeoà) deutlich, dass es auch in 20,2 (dÒxa mou) nicht um eine menschliche Doxa geht, sondern um die Doxa Gottes, mit der er den Menschen zum Heil bekleidet hat. grBar schlägt dabei die Brücke vom Sündenfall Adams zur Aktualisierung dieses paradigmatischen Heilsverlustes, so dass die dÒxa damals wie aktuell Gottes Heil für die Menschen aussagen kann. TargPsJ und Ps 8,6 machen besonders deutlich, dass die dÒxa bzw. die Teilhabe an Gottes dÒxa zu einer originären Bestimmung des Menschen durch Gott gehört. Ob diese Teilhabe nun auf die Ebenbildlichkeit Gottes bezogen werden muss oder diese ausdrückt, sei dahingestellt und geht aus den Texten nicht zwin99 Übersetzung W. Hage, JSHRZ; Text nach J.-C. Picard, Apokalypsis. 100 Auch nach rabbinischen Texten, die man somit als weitere Belege anführen könnte, hat der ursprüngliche Mensch an Gottes Kabod Anteil, was ihm dann im Sündenfall verloren ging: BerR 11 zu 2,3: „Bei Adam verweilte Gottes Ehre nicht (sie hielt nicht aus) s. Ps 49, 21. Die Rabbinen sagten: Gottes Ehre blieb am Sabbat bei ihm [Adam, d. Verf.], erst am Ausgange desselben entzog sich ihm der göttliche Glanz und er wurde aus dem Gan Eden gewiesen s. Hi 14,20.“ (Übersetzung nach A. Wünsche). G. Kittel, dÒxa, 249, macht dann zurecht darauf aufmerksam, dass im Früh- und rabbinischen Judentum der Vorstellung nach die „heilsgeschichtliche Entwicklung … das Ziel der Wiederherstellung“ hat: BerR 12 zu 2,4: „Das stimmt mit den Meinungen der Rabbinen überein, aber nicht mit der des R. Jose, welcher unter Hinweis auf Ps 49,21 sagte: Bei Adam blieb die Herrlichkeit nicht über Nacht. Nach den Rabbinen wiederum wurde dem Adam sein Glanz erst am Ausgang des Sabbaths genommen, auch wurde er erst jetzt aus dem Gan Eden gestossen s. Gen 3,24 vergl. Hi 14,20. R. Jehuda bar Simon sagte: Das Licht, womit die Welt erschaffen wurde, leuchtete so weit, dass der erste Mensch von einem Ende der Welt zum andern sehen konnte. Als Gott die Werke des Geschlechtes Enosch, der Sündfluth und Zerstreuung sah, wie verkehrt sie waren, stand er auf und verbarg das Licht vor ihnen s. Hi 38,5. Warum wurde das Licht dem Adam entzogen? Um für die Frommen im Jenseits aufgespart zu werden, s. Gen 1,4 wo unter nur die Frommen zu verstehen sind… Obgleich alle diese Dinge [das Licht, d. Verf.] vollkommen erschaffen waren, so sind sie doch, nachdem Adam gesündigt hatte, mangelhaft geworden und sie werden nicht eher zu ihrer Vollkommenheit wieder gelangen (in ihren guten Zustand versetzt werden) als bis ben Perez [der davididische Messias, d. Verf.] kommt s. Rut 4,18.“ (Übersetzung nach Wünsche); vgl. auch SifDev 10: „Sieben Freuden (entsprechend) ist das Angesicht der Gerechten ähnlich in der Zukunft… Dem Firmament (ähnlich)? ‚Und die Verständigen werden leuchten wie der Glanz des Firmaments (Dan 12,3)‘“ (Übersetzung H. Bietenhard).
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gend hervor. Unübersehbar und für uns entscheidend ist aber, dass die dÒxa als ursprüngliches (paradiesisches) mit Gott eng verbundenes Heilsgut fungiert und dass sie so den Heilsstatus des Menschen anzeigt, dessen der Mensch durch die Sünde verlustig gegangen ist bzw. geht. Vor diesem Hintergrund ist auch die von A. Nygren, O. Kuss und anderen angeführte alternative Bestimmung von dÒxa toà qeoà als eschatische Bestimmung im Sinne der endzeitlichen Offenbarung der dÒxa und der Teilhabe der Menschen bzw. der Gerechten an ihr101 nicht völlig falsch, sondern passt durchaus in unseren Zusammenhang. Denn im Sinne der Entsprechung und Beziehung von Anfang und Ende102 und der Funktion der dÒxa toà qeoà im Rahmen einer Grundbestimmung, die man ihr im Rahmen ihrer Verwendung in der Reproduktion der als Grunddatum verstandenen Genesiserzählungen von Gen 2.3 zuschreiben kann, kann der ursprünglichen Teilhabe an der dÒxa toà qeoà und ihrer heilvollen Präsenz nach dem Verlust von Teilhabe und Präsenz durch die Sünde die letztendliche, endzeitliche Bestimmung der Menschen oder die Bestimmung der Gerechten zur dÒxa oder ihre endzeitliche Re-präsenz entsprechen und gegenüberstehen103. Eine solche Funktion von ursprünglicher Situation und endzeitlicher Einlösung104 der verwirkten Bestimmung durch die dÒxa findet sich auch in der Argumentation des Römerbriefes (15,7)105. So muss der ursprünglichen Teilhabe die Bestimmung zur endzeitlichen Teilhabe nicht widersprechen, sondern beides lässt sich so verbinden, dass aus dem Ersten das Zweite folgt und ihm entspricht. In V.23 kann man aufgrund seines generischen und grundlegenden Charakters sicher von einem Zusammenhang des Verlusts der dÒxa in Beziehung mit dem Sündenfall Gen 3 ausgehen, der nach Röm 5,12 durch Adam die Sünde als Größe einführt und somit auch auf die gegenwärtigen Menschen die Auswirkung hat, dass sie Mangel an der dÒxa toà qeoà haben. 101 Vgl. A. Nygren, Römerbrief, 116; O. Kuss, Römerbrief, 114 und Anm. 70. 102 Vgl. nur G. Kittel, dÒxa, 249 und J. Jervell, Imago, 100ff.180ff, die auf die „heilsgeschichtliche“ Rolle der Doxa in der frühjüdischen Überlieferung aufmerksam machen. 103 Vgl. über die in Anm. 100 angeführten Belege hinaus: 4Esr 7,116–125; syrBar 51,1.3; 54,15.21; ApkMos 39,2; äthHen 50,1. 104 Dementsprechend hatten auch J.D.G. Dunn, Romans I, 167f; W. Schmithals, Römerbrief, 119f; C.E.B. Cranfield, Romans 1, 204; O. Kuss, Römerbrief, 114; J. Jervell, Imago, 180ff; H. Lietzmann, Römer, 49 die streng alternative Diskussion von dÒxa toà qeoà abgelehnt und sich mehr oder weniger für sowohl den urgeschichtlichen Verlust als auch die zukünftige Bestimmung der dÒxa toà qeoà als Traditionshintergrund stark gemacht. 105 Vgl. unten 7.3.1.
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Und insofern die dÒxa toà qeoà somit als Heilsmarker fungieren kann, wird durch ihr Fehlen auch die gegenwärtige Gottes- und Heilsferne der Menschen bestimmt. Und weil die Teilhabe an ihr zur von Gott gesetzten anthropologischen Bestimmung gehört (vgl. nur Ps 8,6), insofern sie die Gottgewirktheit und Gottbezogenheit des Menschen markiert, bleibt auch nach dem Verlust der dÒxa ihre Wiederherstellung das Ziel im Rahmen der eschatischen Heilsverwirklichung und Restitution des Menschen. Aufgrund des durch die Sünde bewirkten Verlustes der dÒxa ist aber ein Eingreifen Gottes nötig, um die Menschen dieser verwirkten Bestimmung in der Endzeit wieder zuführen zu können (Röm 5,2; 15,7). Damit unterstützt dieses so konkretisierte Verständnis von dÒxa toà qeoà die von uns für die Argumentation benannte Funktion, als theologische Komponente einer anthropologischen Bestimmung das o§ g£r ™stin diastol» und das p£ntej im Sinne eines Zusammenschlusses von Juden und Heiden zu der einen Menschheit abzusichern und diesen Zusammenschluss und die Argumentation als in der Wirklichkeit Gottes begründet zu sanktionieren. Zusätzlich zur dikaiosÚnh qeoà wird also die dÒxa toà qeoà als gewichtiges Argument im wahrsten Sinne des Wortes mit ihren spezifischen semantischen Implikationen für eine von Gott her kommende und sich auf Gott beziehende Argumentation eingeführt.
3.3.1.4 V.24 Der syntaktische Anschluss in V.24 ist immer wieder als befremdlich, „obscure“106 oder als gar nicht vorhanden107 bezeichnet worden. Solche Einschätzungen sind aber nicht zutreffend. Vielmehr kann das Partizip Präsens syntaktisch an ein vorangegangenes finites Verb anschließen, die Handlung in Bezug auf dieses fortführen und „eine relativ zukünftige Handlung bezeichnen“108. Dezidiert sinnvoll und nicht bloß zufällig wäre die Fortführung mit dem Partizip Präsens dann, wenn es gewählt ist, um einen bestimmten Zusammenhang zwischen der Handlung des finiten Verbs und der partizipial geschilderten Handlung herzustellen. Dieser Zusammenhang kann hier in der Ersetzung eines Partizips Futur mit finaler Bedeutung gesehen werden109. Damit rücken dann nämlich ¼marton/Østeroàntai V.23 und dikaioÚmenoi V.24 in einen solchen Zu106 J.D.G. Dunn, Romans I, 168; vgl. auch C.E.B. Cranfield, Romans I, 205; in diesem Sinn auch D.J. Moo, Romans, 227 u.v.a. 107 Vgl. E. Käsemann, Verständnis, 96 sowie W. Schmithals, Römerbrief, 120. 108 BDR 339.2. 109 Ebd. Vgl. B.M. Fanning, Aspect, 412; vgl. z.B. Act 21,16.
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sammenhang, dass ¼marton/Østeroàntai funktional zu dikaioÚmenoi so zugeordnet werden, dass mit dem Begriff dikaioÚmenoi ein übergeordnetes Ziel angegeben wird: Es haben alle gesündigt und entbehren der Herrlichkeit Gottes, damit sie umsonst durch Gottes Gnade gerechtfertigt werden. Das generische Sündigen der Menschen und deren universale Gottesferne sind damit kein isoliertes Faktum und haben keinen Sinn in sich selbst, sondern dienen dazu, die angeführte Rechtfertigung zu ermöglichen. Sie sollen die Aktions- und damit Differenzelemente auf menschlicher Seite im Hinblick auf die Rechtfertigung ausschließen, um so das dwre¦n tÍ a§toà c£riti zu befestigen und damit ein ™x œrgwn nÒmou, einen Unterschied zwischen Juden und Heiden, in der Rechtfertigung unmöglich zu machen. Ein solches Verständnis des syntaktischen Anschlusses von V.24 durch das Präsenspartizip an V.23 macht aus mehreren Gründen Sinn110: Dieses Verständnis passt zum ermittelten Thema des gesamten Abschnittes, der Gerechtigkeit Gottes, insofern dabei das dikaioÚmenoi gegenüber der Rede von der Sünde und Gottesferne in V.23 herausgehoben wird, indem es als deren Ziel diesen übergeordnet ist. Die Schilderung der Rechtfertigung als des Themas des Abschnittes durch ein Partizip gegenüber der Rede von der Sünde in finiter Form muss dann nicht nur keine Rätsel aufgeben und als befremdlich angesehen werden in dem Sinn, dass man sich fragt, warum das Wichtige in das Partizip gesteckt wird; vielmehr weist die Konstruktion mit dem Präsenspartizip dann gerade im Gegenteil der Rede von der Sünde und der Schilderung der Rechtfertigung ein solches Verhältnis zu, bei dem die Rechtfertigung als Thema des Abschnittes als übergeordnetes Ziel herausgestellt wird. Für diese Annahme, die Partizipialkonstruktion als ein bewusstes Mittel der inhaltlichen Zuordnung von Sünde und Gerechtigkeit zur finalen Herausstellung der Gerechtigkeit zu sehen, spricht auch, dass es wahrscheinlicher ist, dass Paulus in diesem dezidiert wichtigen Abschnitt sorgfältig, sinnvoll und bewusst formuliert111, als dass er sich gerade hier befremdlich und obskur ausdrückt. Und vor allem, und das ist das Entscheidende, ist damit ein Gedanke formuliert, der sich auch an anderen Stellen des Römerbriefs findet: Die funktionale Zuordnung der Sünde und des sündigen, gottfernen Zustandes zum Heil. Insgesamt darf der gesamte Abschnitt 1,18–3,20, insbesondere 3,9–20, als argumentativ zugeordnet betrachtet werden: nämlich dem argumentativen Erweis der propositio mit der universalen Heilsan110 Damit ist also gegen D. Zeller, Römer, 86 von einem engen statt von einem „losen“ Anschluss durch das Partizip zu sprechen. 111 Vgl. R. Piper, Demonstration, 9.
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sage und ihrer Ausführung in 3,21ff112. In 5,20(f) und besonders 11,32 ist eine eindeutige und explizite finale Zuordnung von menschlicher Sünde und menschlicher Heilserlangung getroffen. Die zuletzt angeführte Parallele besteht umso stärker, als dort wie hier Gott in seinem Heilshandeln das Thema der Diskussion bestimmt und er in seiner Wirklichkeit als auktoritatives Element angeführt wird. Auch Gal 3,22 darf als inhaltliche Übereinstimmung und damit als Stützargument herangezogen werden. Besonders insofern, als in Gal 3,22 bei der finalen Zuordnung von Sünde und Heil mittels des Glaubens an Jesus Christus für die Glaubenden die zugeordnete, dienende Funktion der Sünde eine (stellvertretend für Gott durchgeführte) Aktivität der Schrift ist, ähnlich der Rede von Schrift und Sünde in Röm 3,19.20, wo die Schrift Münder stopft, den Menschen Gott gegenüber schuldig und verantwortlich macht und die Sünde als Faktor herausbringt113. Nachdem die Voraussetzungen in V.23 benannt sind, wird nun die Gerechtigkeit Gottes in V.24 im Passiv geschildert als Handlung Gottes an allen Menschen. Im Zusammenhang mit der universalen, generischen Schilderung des sündigen Heilsverlustes bei den nicht nur als glaubend bestimmten p£ntej ist auch hier durch die Fortführung des p£ntej aus V.23 mittels des Partizips Gottes Handeln in so universaler Weise ausgesagt, dass hier der Aspekt des Glaubens wegfallen kann. Inhaltlich hat das erst in 11,32 Konsequenzen; hier geht es zunächst nur darum, der an Gottes dÒxa gemessenen grundlegenden universalen Lage der Menschheit ein ebenso an Gott orientiertes universales Handeln Gottes gegenüberzustellen. Dabei bezieht sich dwre£n insofern auf den Blick auf die Menschen und weniger auf die Handlung insgesamt, als ja nicht für den Handelnden (Gott) die Rechtfertigung „umsonst“, „für nichts“ erfolgt, was da112 Darauf macht auch G. Jankowski, Hoffnung, 93 aufmerksam, dass zwischen 3,20 und 3,21ff, insbesondere 3,23 und 3,24 eigentlich nach menschlicher Logik ein Bruch besteht, weil man nach 3,23 doch erwarten müsse, dass jetzt über die Bestrafung und Ahndung, den Zorn Gottes geredet würde. Stattdessen geht es um Gottes Rettung: „Die göttliche Logik rechnet anders als die menschliche. Weder Juden noch Nichtjuden werden verdammt. Sie werden wahr.“ Genau diese andere Logik wird durch die Zuordnung von V.23 zu V.24 ausgedrückt, so wie sie 11,32 explizit wiederholt wird: Menschliche Sünde wird von Gott eingebaut in sein Heilshandeln und dient diesem. Vgl. auch 11,11ff. 113 Anders gelagert ist der Fall in Gal 3,19, das nicht in die Rede des finalen Zusammenhangs von Sünde und Heil einbezogen werden darf: Anders als die Sünde ist das Gesetz in der paulinischen Rede nie eine negative finale Größe zum Heil. Vielmehr tritt es in Gal 3,19 als ein Element auf, mit dem das Problem der Übertretungen für Israel geregelt werden kann, bis es durch das Christusgeschehen endgültig und universal gelöst wird. Vgl. dazu J.D.G. Dunn, Galatians, 188–191.
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raus deutlich wird, dass in V.25 verschiedene Aktivitäten des logischen Subjekts angeführt werden. Die Rechtfertigung erfolgt im Hinblick auf die Menschen so, dass sie für diese umsonst, als Geschenk geschieht. D.h. diese können von sich aus keine Aktivität entwickeln, um die Rechtfertigung zu erlangen, und die Rechtfertigung erfolgt nicht nach dem Prinzip des Kaufens oder Tauschens, bei dem beide Seiten beteiligt sind und die kaufende Seite mittels eines Besitzes Ansprüche, Äquivalente in den Vorgang einbringt und zum Partner wird. Beim Geschenk ist die gesamte Aktivität und Urheberschaft vielmehr ausschließlich auf den Schenkenden beschränkt, der beschenkten Seite bleibt allein das Passivum des Empfangens. Im Sinne von „ohne Gegenleistung“114 verteilt also das dwre£n im Rahmen der Bestimmung der Gerechtigkeit Gottes in der Gegenüberstellung von Mensch und Gott das Handeln allein auf die Seite Gottes, so dass Rechtfertigung und Gerechtigkeit Gottes allein eine Sache Gottes und seiner Wirklichkeit sind. Das liegt daran, dass die Menschen am Maßstab ‚Gott‘ gemessen in einem solchen Zustand sind, dass sie Gott nicht als gleichberechtigte Partner etwas bieten könnten, weil sie Gott gegenüber schuldig sind. Als Schuldige können sie nicht etwas Gerechtes als Gegenleistung für die Rechtfertigung anbieten und deshalb können sie keine eigene Aktivität bei der Rechtfertigung in Anschlag bringen: Sie können kategorisch keinen Anteil ihrer Wirklichkeit in das Geschehen einbringen. Dieser kategorische Ausschluss aufgrund der durch die Sünde illustrierten Differenz Gott-Mensch geschieht deshalb, damit die Rechtfertigung allein Gottes Sache ist, damit in der Rechtfertigung kein Unterschied zwischen Menschen ist und damit mit dem Ausschluss menschlicher Aktivität die menschliche Differenzierung von Juden und Heiden aufgrund des Tuns der Tora ausgeschlossen ist. Untrennbar gehören also p£ntej und dwre£n zusammen. Ihre Kombination in ihrer inhaltlichen Zuordnung zueinander – aufgrund der Wirklichkeit Gottes – ist die entscheidende, spezifische Bestimmung der Gerechtigkeit bzw. des Handelns Gottes. Dafür spricht besonders auch die Heraushebung beider Elemente durch ihre doppelte Erwähnung: von p©j V.22.23 und von dwre£n über tÍ c£riti in V.24. Dabei machen die beiden Bestimmungen von p©j und dwre£n Aussagen über die dikaioÚmenoi115, und somit entsteht durch beide Aussagen eine Einheit der Menschheit gegenüber Gott als allein Handelndem, so dass die Aussagen nicht als „negative Aussage (‚Anklage‘) … [und] positive Aussage gegenübergestellt“116 gese114 Vgl. Gen 29,15; Ex 21,2.11 u.ö. 115 Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 31. 116 A.a.O., 31 Anm. 97; damit gegen O. Michel, Römer, 105 und A. Nygren, Römer, 116.
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hen werden müssen, sondern vielmehr beide dazu dienen, das dikaioàn Gottes zu beschreiben. Nach der Zuweisung der Aktivität allein auf die Seite Gottes wird diese Zuweisung nun bestätigt und vor allem diese Seite weiter ausgeführt durch tÍ a§toà c£riti: Auf der Seite Gottes wird ein Instrument für die Handlung angeführt. Dabei zeigt sich, wie wichtig und weitreichend die Einführung der dÒxa toà qeoà in V.23 war, denn ihre Markierung der göttlichen Wirklichkeit als Maßstab und Diskussionsthema ist auch hier bestimmend, insofern die Erwähnung Gottes in V.24 über die pronominale Rekurrenz von qeÒj aus V.23 geschieht. Dabei signalisiert die attributive Stellung des Pronomens die Betonung117 von Gottes Urheberschaft und Handlung. Damit wird also im Anschluss an die Betonung Gottes als die die Menschen bestimmende und einende Wirklichkeit in V.23 Gott in V.24a als alleiniger Faktor im Heilshandeln markiert. C£rij als Instrument des göttlichen Handelns unterstützt die bisher beschriebene Gegenüberstellung von Gott und den Menschen mit den jeweiligen Zuweisungen, weil der Begriff zum einen den positionellen Unterschied zwischen dem höher gestellten Subjekt der c£rij und dem niedriger gestellten Empfänger oder Nutznießer transportiert118 und zum anderen ein „ohne Gegenleistung und Anhaltspunkt beim Empfänger bzw. Nutznießer“ der Handlung festhält119. Zugleich beschreibt c£rij auch positiv, material die heilbringende Art des Handelns. Dementsprechend geht die Bedeutung der Gnade hier weder in einer bloßen Doppelung zu dem vorangehenden dwre£n auf120, noch ist sie in Bezug auf die nachfolgende di£-Bestimmung mit dieser identisch121. Im Hinblick auf das dwre£n, das ja nur die Handlungsverteilung deutlich gemacht hatte, dient die Anführung der c£rij der Heraushebung des Handelns Gottes und seiner Beschreibung als eines machtvollen, heilvollen Handelns eines Überlegenen gegenüber einem Unterlegenen. U.E. verwendet Paulus c£rij auch deshalb, um neben dem alttestamentlich-jüdisch geprägten Begriff der dikaiosÚnh auch für nichtjüdisch geprägte Leser einen nachvollziehbaren Begriff zu liefern, der Gott in seinem ihn grundsätzlich bestimmenden heilvollen Handeln im Hinblick auf das Verhältnis Gott – Mensch prägnant und zutreffend beschreibt122. 117 118 119 120 121 122
Vgl. BDR 284.3. Vgl. D. Zeller, Charis, 13ff mit Belegen. A.a.O., 15f mit Belegen. Vgl. a.a.O., 155; H. Schlier, Römerbrief, 108; E. Kühl, Römer, 110. Vgl. D. Zeller, Charis, 156 mit Anm. 96. Vgl. K. Haacker, Römer, 42 zur Notwendigkeit, den alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriff für die heidenchristlichen Römer zu erläutern.
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Von daher ist es sicher zu wenig, c£rij allein als Gesinnung123 oder als einmaligen Gunsterweis124 zu verstehen, sondern bestimmt durch die Zusammenführung mit der dikaiosÚnh erscheint c£rij hier als machtvolle Größe im Handeln Gottes. Und dementsprechend ist eben c£rij nicht identisch mit der ¢polÚtrwsij im Sinne eines einmaligen Gunsterweises, sondern bildet, auch aufgrund der syntaktischen Reihenfolge, die auf die dwre£n-Bestimmung folgende Nennung einer grundsätzlichen Handlungsmacht Gottes125, die die Voraussetzung und der Grund, wenn man so will, die Energie oder Dynamis für die folgend erwähnte ¢polÚtrwsij ist126.
'ApolÚtrwsij benennt ursprünglich die Auslösung, den Freikauf von Sklaven (Ex 21,8) ebenso wie lutroàsqai, das das Auslösen von überhaupt etwas Gebundenem (Ex 13,13) bezeichnen kann. Der Freikauf von Sklaven wird dann zum Bild für die Erlösung Israels durch Gottes Rückführung aus dem Exil (Jes 52,1f), und dann können die Begriffe auch für die Erlösung aus den Sünden127 verwendet werden: Ps 129,7.8; 102,4; 33,23; 48,16LXX; Jes 44,22. Dabei wird dann von der Erlösung ganz allgemein und in einem offenen Verständnis als Tat Gottes gesprochen, ohne dass das irgendwie näher kauftechnisch konkretisiert oder kultisch spezifiziert wird. Wenn überhaupt, so ist ein spezifisches Element in dem zu finden, was mit dem deutschen „auslösen“ wiedergegeben wird: „Aus einem Besitzbereich bzw. Bestimmungsbereich herausholen und ggf. in den eigenen Bereich überführen“. In diesem Rahmen erlöst Gott Israel ohne Gegenleistung. Und im Neuen Testament wird ¢polÚtrwsij überwiegend völlig allgemein und offen verwendet, ohne dass damit ein Kaufpreis impliziert wäre128 (Lk 21,28; Röm 8,23; 1Kor 1,30; Eph 4,30; wohl auch Kol 1,14 (= ¥fesij tîn ¡martiîn, der Begriff aŒma kommt erst sechs Verse später); Hebr 11,35 im Sinne der konkreten Freilassung; nur
123 Vgl. E. Kühl, Römer, 110. 124 Vgl. O. Michel, Römer, 149; auch E. Lohse, Römer 132; R. Bultmann, Theologie, 289f. 125 Vgl. auch U. Wilckens, Römer 1, 189. E. Käsemann, Römer, 90 spitzt sie auf „die eschatologische Macht“ zu, dafür besteht aber nicht unbedingt eine Notwendigkeit. An eine forensische Bedeutung der Gnade im Sinne von Begnadigung ist hier nicht zu denken, da in den forensischen Passagen Röm 2 c£rij eben nicht erscheint und der Rahmen Gottes alttestamentliche dikaiosÚnh als sein sich in der Geschichte ereignendes und ihn grundsätzlich kennzeichnendes Handeln überhaupt ist. Gegen R. Bultmann, Theologie 284.287ff; H.H. Eßer, Gnade, 821. 126 Vgl. auch U. Wilckens, Römer 1, 189. 127 Es kann auch für das Erlösen aus Notsituationen stehen Ps 24,22; 26,11 u.ö. In unserem Zusammenhang steht natürlich die Erlösung von der Sünde im Vordergrund. 128 Gegen G. Jankowski, Hoffnung, 93f.
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Eph 1,7; Hebr 9,15 mit Blut; Eph 1,14 könnte mit peripo…hsij einen Kauf semantisch mittransportieren). Damit können wir an dieser Stelle schon einmal bilanzieren: Die Rechtfertigung als Tat der Gerechtigkeit Gottes ist für alle Menschen gleich, weil die Menschen aufgrund der aktuellen Ausprägung der Differenz Gott-Mensch nicht in der Lage sind, in diesem Bereich zu handeln; und sie ist eine Handlung, an der allein Gott beteiligt ist, durch die Macht seiner Gnade mit dem Mittel der Erlösung in Jesus Christus.
3.3.1.5 V.25a Indem V.24 eine einleitende Zusammenfassung und damit so etwas wie eine Überschrift für V.25 bildet129, ist für das Verstehen von V.25 durch V.24 Folgendes angezeigt: a) dass Gott übergeordneter Grund, Initiator und verantwortlicher Ausführender für das in V.25 genannte Geschehen ist; und b) dass, indem in V.24 allgemein und offen von einer allein bei Gott liegenden Erlösung die Rede ist, ein solcher Aspekt der allgemein und offen gehaltenen Formulierung des Heilshandelns auch für die Ausführungen in V.25 zu berücksichtigen ist. Auch in Bezug auf den syntaktischen Anschluss von V.25 sind Bedenken und Fragen dahingehend aufgetaucht, ob der Anschluss mit dem Relativpronomen nicht als Neueinsatz und Abhebung von V.24 verstanden werden muss130. Allen diesen Betrachtungen gegenüber ist aber in der Fortführung von V.24 durch den Relativsatz in V.25 insofern eine ebenso sinnvolle wie eng anschließende Konstruktion zu sehen, als mit dem Relativsatz an Jesus Christus als Mittel der ¢polÚtrwsij angeknüpft werden kann, dieser aber wieder dem Handeln Gottes zugeordnet wird. Somit gibt der Relativsatz an, „wie Gott die Erlösung vollzieht“131. Damit gelingt es durch den Relativsatz, von der Nennung Christi wieder zum eigentlichen Thema des Abschnittes zurückzufinden: zu Gott und seinem Handeln. Auf diese Weise wird die Nennung Christi in die Aussagen des Handelns Gottes eingebettet wie eine Mulde in die höhergelegene Landschaft: Von der Beschreibung des Handelns Gottes im passivischen dikaioÚmenoi und durch die Erwähnung seiner c£rij geht es syntaktisch hinunter über die mit di£ angeschlossene Bestimmung zu Cristù 'Ihsoà, 129 Vgl. auch K. Haacker, Römer, 89. 130 Vgl. zuletzt D.J. Moo, Romans, 230: „A new sentence“. 131 D. Zeller, Römer, 86.
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und von dem syntaktisch abhängigen Ón wieder zum übergeordneten prošqeto und damit zum Handeln Gottes hinauf. Ähnlich sind auch die nach prošqeto Ð qeÒj folgenden weiteren auf Jesus bezogenen Aussagen, insbesondere das ™n tù a§toà afmati – denn das ƒlast»rion ist ja schon als Objekt des Handelns Gottes diesem untergeordnet –, eingebettet in Aussagen über das Handeln Gottes, insofern darauf das e„j œndeixin zwar weniger als syntaktisch, in seiner finalen Bedeutung aber inhaltlich übergeordnetes Element folgt. Im Folgenden ist dann nur noch das Handeln Gottes maßgeblich. 'Ihsoàj CristÒj tritt also nicht anders als syntaktisch abhängig und auch vorne und hinten umschlossen – und damit gerahmt durch das Handeln Gottes auf. Damit darf man ohne große Übertreibung sagen, dass die Handlungen Gottes das Aussagegerüst des Textes bilden. Sie stellen die Hauptebene des Textes dar, in die als Niederungen Aussagen über Christus eingebettet sind. Immer wieder hat nicht zuletzt die vermeintliche Frage der syntaktischen Anschlüsse in V.24, vor allem aber in V.25, unterstützt durch für Paulus seltenes Vokabular, zu der Annahme geführt, dass Paulus hier frühchristliche Tradition rezipiere132. Umstritten ist dann aber, welchen Umfang die eingearbeitete Tradition hat. Während manche Exegeten aufgrund des scheinbar unklaren Anschlusses in V.24 die Tradition schon dort beginnen lassen133, sieht die Mehrheit in V.25 mit dem Ón die Tradition beginnen134. Die Verwendung von Zitaten einer verbreiteten frühchristlichen Tradition lässt sich nicht ausschließen und ist vielleicht gar nicht einmal unwahrscheinlich. Die Frage nach solcher Tradition ist allerdings mehr durch das „Interesse an solchen Traditionsstücken“135 bestimmt, als dass sie etwas für das Verständnis des Textes austragen würde. Denn der genaue Umfang des Traditionsstückes ist ebenso unsicher136, wie seine Rekonstruktion nicht auf Faktoren des Traditionsstückes, sondern auf Faktoren der paulinischen Texte beruht. Dass etwa dwre£n und tÍ a§toà c£riti bzw. di¦ p…stewj nicht zur angenommenen verwendeten Formel 132 Vgl. G. Fitzer, Versöhnung, 165; R. Bultmann, Theologie, 49; W. Schrage, Bedeutung, 78; K. Wengst, Formeln, 87; U. Wilckens, Römer 1, 190; D. Zeller, Römer, 86; E. Käsemann, Römer, 90; J.A. Fitzmyer, Romans, 342; P. Stuhlmacher, Römer, 55.57f; E. Lohse, Römer, 133. 133 Vgl. R. Bultmann, Theologie, 49; J.A. Fitzmyer, Romans, 342; D. Zeller, Römer, 86; E. Käsemann, Römer, 90. 134 Vgl. E. Lohse, Römer, 133; P. Stuhlmacher, Römer, 55.57f; U. Wilckens, Römer 1, 190; K. Wengst, Formeln, 87; W. Schrage, Bedeutung, 78; G. Fitzer, Versöhnung, 165. 135 K. Haacker, Römer, 89. 136 Vgl. nur die differierenden Positionen der in Anm. 133 und Anm. 134 Genannten.
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gehören137 und deshalb das Interesse und die Position des Paulus signalisieren, ist nicht der Kenntnis der Formel zu entnehmen, sondern einer Kenntnis der paulinischen Texte, in denen diese Bestimmungen wichtige und spezifische Elemente sind. Damit liefert nicht die Rekonstruktion der Formel Erkenntnisse für die paulinische Theologie, sondern, wenn überhaupt, liefert die vorherige Kenntnis der paulinischen Theologie ein Wissen für die Rekonstruktion der Formel. Entscheidend ist aber dieses: Wenn Paulus Elemente einer Tradition eingebaut hat, dann hat er das getan, um damit einen Text zu erstellen, der in seinem Endstadium Sinn macht. Und insbesondere in einem so wichtigen Abschnitt wie dem unseren ist zu erwarten, dass Paulus nichts dem Zufall überlässt oder mit einer sinnlosen Verwendung von Tradition sich selbst Schwierigkeiten dadurch bereitet, dass er seine beabsichtigten Aussagen mit ungeschickten Formulierungen138 oder Themenabweichungen, von denen er nur schwer wieder zurückfinden kann139, verdunkelt. Deshalb ist der vorliegende Text als entscheidend anzusehen140 und seine vorliegende Gestalt als bewusst und sinnstiftend zu erklären. Für die so umstrittenen syntaktischen Anschlüsse in V.24.25 ist dies auch ohne weiteres und mit guten Argumenten möglich gewesen. Das einzige, was die Tatsache einer vorhandenen Tradition zum Verständnis des vorliegenden Textes beitragen könnte, wäre dies: Aus der Verwendung von Tradition kann das Bemühen des Paulus erkannt werden, seine Aussagen als in Zusammenhang mit Traditionen stehend und damit als aufgrund ihrer breiteren Grundlage eigentlich konsensfähige oder konsensanbietende Aussagen darzustellen. Aber auch diese Erkenntnis lässt sich aus dem übrigen Text gewinnen (1,2; 2,2; 3,19.20.21 u.ö.). Dementsprechend ist für das Verständnis von V.25 und V.26 nicht die Frage nach der Aufnahme überlieferter Formeln bedeutend, sondern entscheidend sind vielmehr, so wie für die vorherigen Einheiten auch, eine sinnvolle Gliederung141, eine plausible syntaktische Zuordnung der einzelnen Elemente und eine semantische Bestimmung142 von fraglichen Begriffen besonders im Hinblick auf zugrundeliegende Traditionen im Sinne des aufgerufenen Vorstellungshintergrundes. Dabei führt nun, wie 137 138 139 140
Vgl. R. Bultmann, Theologie, 49. Vgl. E. Käsemann, Römer, 86.90. Vgl. D. Zeller, Römer, 86. In diese Richtung plädieren auch G. Röhser, Stellvertretung, 119 und M. Gaukesbrink, Sühnetradition, 229–245. 141 Vgl. K. Haacker, Römer, 89. 142 Vgl. M. Theobald, Gottesbild, 132.
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benannt, die Formulierung Ón prošqeto Ð qeÕj ƒlast»rion zum Handeln Gottes und damit auf die Hauptebene des Textes zurück. Dabei macht die semantische Verbindung von ¢polÚtrwsij und ƒlast»rion143 deutlich, dass die ¢polÚtrwsij ™n Cristù 'Ihsoà ein vollständig auf Gott zurückzuführendes und ihm zuzuschreibendes Geschehen ist, insofern nämlich das ƒlast»rion als Prädikatsakkusativ144 deutlich macht, dass Christus nur durch die Handlung Gottes zu dem wird, was er im Hinblick auf die Gerechtigkeit Gottes ist: das der ¢polÚtrwsij dienende ƒlast»rion.
3.3.1.5.1 prot…qesqai Nicht ganz leicht zu entscheiden ist dabei, welche Bedeutung prot…qesqai hier hat. Dieses Verb kann im Medium zwei Grundbedeutungen haben, zum einen „öffentlich aufstellen“145 und zum anderen „sich vornehmen“146. Beide Bedeutungen wären für V.25 möglich. Die Bedeutung von „sich vornehmen“ im Sinne von „planen“, „im Voraus bestimmen“ würde sich mit den Elementen decken, die eine Kontinuität im Sinne der Selbigkeit der Gerechtigkeit bzw. des Handelns Gottes aussagen. Wenn die Gerechtigkeit die von der Schrift bezeugte ist (V.21), der Glaube die Tora zur Geltung bringt (V.31) und insbesondere das Evangelium von dem von Gott eingesetzten Sohn in den Schriften vorverheißen und Christus das Ziel der Tora ist (10,4), dann macht prot…qesqai im Sinne von „planen“, „im Voraus bestimmen“ hier einen guten Sinn. Dabei muss man nicht zwangsläufig von einem Geschichtsplan sprechen147. Solche Anklänge und zeitliche Aspekte können gesondert markiert werden, wie z.B. Eph 3,11 prÒqesij tîn a„ènwn148. Da hier solche Elemente fehlen, ist auch prot…qesqai, wenn man es im genannten Sinn von „planen“, „im Voraus bestimmen“ verstehen will, im Rahmen des Kontextes weniger zeitlich zu verstehen, als dass es darum geht, Kontinuität und Identität, kurz die Selbigkeit auszudrücken. Das Handeln 143 Vgl. Ps 77,35.38 und 129,4.7LXX. 144 Vgl. BDR 157.1. 145 Für diese Bedeutung in V.25 plädieren z.B. E. Lohse, Römer, 133 und S. Schreiber, Weihegeschenk, 105, für den für seine Interpretation von ƒlast»rion als ‚Weihegeschenk‘ dieses Verständnis von prot…qesqai mit entscheidend ist – vgl. dazu unten 3.3.1.5.2. 146 Für diese Bedeutung in V.25 plädieren z.B. C.E.B. Cranfield, Romans I, 208–210 und D. Zeller, Sühne, 58. 147 So K. Haacker, Römer, 91. 148 Damit könnte man zugleich Eph, den so dezidiert paulinischen Deuteropaulinen, als ersten Beleg für eine Rezeption anbringen, die prot…qesqai Röm 3,25 genau im Sinne von „planen“, „bestimmen“ verstanden hat – was freilich nichts über die intentio operis des Röm aussagt.
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Gottes in Jesus Christus weicht nicht ab von dem, was Gott sich vorgenommen hat zu tun (was in der Tradition gesagt ist, wie Gott bisher war), sondern es entspricht dem, wie Gott immer schon geplant und sich bestimmt hat zu handeln. prot…qesqai im Sinne von „sich vornehmen“, „bestimmen“ ist auch mit doppeltem Akkusativ belegt, etwa in Josephus, Ant 20,157: „Wir aber haben uns als Ziel die Wahrheit gesetzt.“149 (¹me‹j dÑ skopÕn proqšmenoi t¾n ¢l»qeian). Möglich ist auch das Verständnis von „öffentlich aufstellen“150. Das würde mehr den Aktionscharakter betonen. Dabei an die Verbindung von prošqeto und Kreuzigung zu denken, ist möglich, aber keinesfalls zwangsläufig151. Wenn man nämlich ™n tù a§toà afmati nicht auf ƒlast»rion bzw ƒlast»rion prošqeto bezieht, sondern auf p…stewj152, dann ist aŒma a§toà eine neue Information, für die gilt, dass prošqeto ƒlast»rion schon ohne sie vollkommen verstanden werden kann. Es ist dann nicht angezeigt, dass ƒlast»rion prošqeto auf den Kreuzestod bezogen werden muss. Auch in vergleichbaren Formulierungen 2Kor 5,21 und 1Joh 4,10 ist mit tÕn m¾ gnÒnta ¡mart…an Øper ¹mîn ¡mart…an ™po…hsen bzw. ¢pšsteilen tÕn uƒÕn a§toà ƒlasmÕn perˆ tîn ¡martiîn ¹mîn bei dem hier geschilderten Handeln Gottes an Jesus nicht zwingend und ausschließlich der Kreuzestod gemeint153. Gegen ein Verständnis von prot…qesqai im Sinne von „öffentlich aufstellen“ spricht, dass eine solche Bedeutung sich weniger gut in den vorliegenden Zusammenhang einfügt und auch vom übrigen Corpus Paulinum her nicht unbedingt gedeckt ist. Im Kontext unseres Abschnitts geht es um Gottes Handeln in der Weise, wie Gott als der entscheidende Faktor im Einklang mit sich selbst und mit der von ihm zeugenden Tradition sein Handeln bestimmt. Es bestehen aber weder Notwendigkeit noch Anlass, das Öffentliche seines Handelns an Jesus, des Hinstellens als ƒlast»rion, anzuführen. Von daher fügt sich prot…qesqai im Sinne von „planen“, „im Voraus bestimmen“ besser in den Sinn und die Aussageabsicht von 3,21–31 ein. Auch sonst findet sich bei Paulus der Gedanke, dass Christus und das, was Gott mit ihm tut, der Absicht Gottes im Einklang mit sich selbst und des über Gott in Schrift und Tradition Bezeugten entsprechen und dass somit Gottes Handeln in Christus im Gegensatz zu einem spontanen und nun alles neu konfigurierenden 149 Übersetzung des Verfassers. Noch deutlicher könnte man übersetzen: „Wir haben für uns als Ziel die Wahrheit bestimmt“. 150 Vgl. dazu S. Schreiber, Weihegeschenk, 105ff. 151 Vgl. G. Röhser, Stellvertretung, 109.116, wiewohl G. Röhser, 119 für Röm 3,25 einen Bezug von prošqeto und Kreuz an dieser Stelle annimmt. 152 Siehe dazu unten 3.3.1.5.2. 153 Vgl. G. Röhser, Stellvertretung, 109f.116.
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Entschluss steht. Dagegen ist nicht festzustellen, dass die Betonung des „öffentlich“ im Hinblick auf das Handeln an Christus eine Rolle spielt – es sei denn, man will das „öffentlich“ auf das faneroàn bzw. ¢pokalÚptein beziehen, wobei uns aber fraglich scheint, ob die jeweiligen im Deutschen mit „offen“ bezeichneten Elemente von „offenbaren“ und „öffentlich“ semantisch tatsächlich zusammengehören. Es sprechen also wesentliche Elemente dafür, prošqeto im Sinne von „sich vornehmen“, „planen“ oder „im Voraus bestimmen“ zu verstehen154. Entscheidend und ganz unabhängig vom Verständnis von prošqeto ist für das gesamte Syntagma Ön prošqeto, dass die entstehende Wirklichkeit nur durch Gott entsteht, der renominalisiert als Subjekt des Handelns genannt wird: Jesus Christus wird zu dem, was er ist, nur dadurch, dass Gott ihn dazu bestimmt oder gemacht hat155.
3.3.1.5.2 ƒlast»rion Stark umstritten und mit gravierenden Folgen für die Gesamtsicht des Textes behaftet ist auch das Verständnis von ƒlast»rion. Zur Debatte steht dabei seit längerem die Alternative eines Verständnisses von ƒlast»rion als trwpk mit Lev 16 als intendiertem Traditionshintergrund156 und eines Verständnisses von ƒlast»rion als Aufnahme „frühjüdischer Märtyrertheologie“157 mit dem Paradebeleg 4Makk 17,22. Eine dritte Deutungsmöglichkeit hat neuerdings S. Schreiber vorgeschlagen: Er versteht ƒlast»rion als „Weihegeschenk“, das als „Dank für die Hilfe oder als Vorleistung für die Unterstützung… der Gottheit“ gegeben werde158 und das in Röm 3,25 Gott für die Menschen hinstelle159. Vor allem die erste Deutung hat den Blick auf den gesamten Text V.21–26(–31) in eine Richtung geprägt, die einem angemessenen Verständnis nicht gerade förderlich gegenübersteht. Denn das Verständnis von Ön prošqeto Ð qeÕj ƒlast»rion … ™n tù a§toà afmati als Geschehen in 154 So auch K. Haacker, Römer, 91. 155 Dieses Verständnis haben auch die parallelen Formulierungen in 1Joh 4,10 und 2Kor 5,21, wo jeweils Gott eindeutig als Subjekt des Handelns am Objekt Jesus wird, der sich durch das Handeln Gottes verändert bzw. zu dem wird, was er sein soll. 156 Vgl. P. Stuhlmacher, Römer, 55ff; G. Jankowski, Hoffnung, 94f; W. Kraus, Tod, 184f.260f u. passim (mit Modifikationen hin zum himmlischen Heiligtum, das Jesus mit seinem Blut reinigt); U. Wilckens, Römer 1, 190ff; P. Althaus, Römer, 33f; H.W. Schmidt, Römer, 68; A. Schlatter, Römer, 70f; A. Nygren, Römer, 119; E. Kühl, Römer, 113f. 157 E. Lohse, Römer, 153. Vgl. vor allem ders., Märtyrer, 147–159; sowie K. Haacker, Römer, 91; C.E.B. Cranfield, Romans I, 217f.; O. Michel, Römer, 151f. 158 S. Schreiber, Weihegeschenk, 102. 159 Vgl. a.a.O., 105f.
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Entsprechung und Überbietung von Lev 16 hat nicht zuletzt durch die damit verbundene Konkretisierung der Handlung dazu geführt, dass V.25a einen solchen Bedeutungszugewinn erfahren hat im Vergleich zum übrigen Text, dass ¢polÚtrwsij ™n Cristù 'Ihsoà in Kombination mit ƒlast»rion ™n tî a§toà afmati als Fokus und Hauptaussage des ganzen Abschnittes 3,21–26(–31) verstanden worden ist. Damit wurde Christus in seiner typologischen Parallele zu Lev 16 zum Inhalt des Gesamttextes – ungeachtet dessen, dass es sich hier nur um einen, wenn nicht unter-, so doch aber zugeordneten Aspekt der übergeordneten Frage nach Gott und seiner Gerechtigkeit handelt. Hinzu kommt noch, dass dieses Verständnis zwingend von einer angenommenen syntaktischen Zuordnung von ™n tù a§toà afmati zu (prošqeto) ƒlast»rion lebt, denn nur in der Zusammengehörigkeit beider Elemente kann tatsächlich überhaupt erst Lev 16 aufgerufen werden. Diese Zuordnung ist aber fraglich, so dass mit der Hinzuziehung von ™n tù a§toà afmati eine von außen eingetragene Bedeutungsakkumulation vorgenommen wurde, die dem Text und damit auch der Bedeutung und dem Verständnis von ƒlast»rion im Text gar nicht entspricht. Neben diesem noch zu erörternden Einwand ist vor allem aufgrund einer genauen Sicht auf Lev 16 der dort benannte Entsündigungsritus als intendierter Hintergrund abgelehnt worden160: Mit ƒlast»rion und ™n tù a§toà afmati wäre Jesus nämlich doppelt identifiziert, und zwar einmal mit der Kapporet und einmal mit dem Opfertier, das das Blut zur Besprengung liefert. Damit ist schon der Zusammenhang von Bild und Sache nicht so einfach und eindeutig parallel, dass sich zwingend und leichthin eine Analogie ergibt. Und dann dient auch noch, wie vielfach zu recht betont ist161, der Blutritus über der Kapporet in Lev 16,11– 19 der Entsündigung des Heiligtums selber, aber eben nicht der Entsündigung des Volkes als des Beziehungspartners Gottes: „Die Sühne durch den Blutritus am Jom Kippur, wie auch der Blutritus in Ez 43,18ff; 45,18ff bedeuten nicht die Wegnahme der Sünden von Menschen, sondern die Reinigung des Heiligtums von den durch die Sünder verursachten Verunreinigungen“162. Die Schilderung der Entfernung der von Gott trennenden Sünden des Volkes geschieht erst anschließend ab Lev 16,20 mit dem Sündenbock. Demnach kann also Lev 16 nicht als intendierter Hintergrund fungieren, andernfalls würde sich Jesus quasi selbst mit seinem Blut bespren160 Vgl. K. Haacker, Römer, 91. 161 Vgl. ebd. 162 W. Kraus, Tod, 161. Vgl. auch a.a.O., 54–59, wo W. Kraus dies verdienstvoll herausgearbeitet hat.
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gen, um das Heiligtum – ja welches Heiligtum eigentlich? – zu reinigen, wodurch noch keine Sünden des Volkes weggeschafft wären. Das Bild ist nur noch zu retten, wenn man wie W. Kraus versucht, Konstrukte zu entwerfen, die es ermöglichen, das in Lev 16,11–19 gereinigte Heiligtum irgendwie für die Vorstellung der in Jesus geschehenen Erlösung kompatibel zu machen durch den Entwurf eines neuen, eschatologischen Heiligtums163. Eine solche Tradition oder Implikation ist aber nun für Röm 3,25 überhaupt nicht in Anschlag zu bringen164, wie überhaupt bei allen derartigen Konstrukten165 eine solche artifizielle Leistung zusätzlich zum Text zu erbringen ist, dass man nicht mehr davon sprechen kann, dass dies der intendierte Sinn des Textes ist. Hinzu kommt nun noch, dass es, wie erwähnt, syntaktisch viel naheliegender ist, ™n tù a§toà afmati als auf di¦ p…stewj bezogen zu sehen166. Erstens steht es dort und nicht mit ƒlast»rion zusammen, und zweitens ergibt sich so auch hier wieder eine sinnvolle und folgerichtige paulinische Konstruktion. Andernfalls, wenn man di¦ p…stewj auf ƒlast»rion bezieht, steht wiederum die Konstruktion in Frage, insofern die behauptete Einfügung von di¦ p…stewj in den angenommenen ‚echteren‘ Zusammenhang von ƒlast»rion und ™n tù a§toà afmati als „empfindlich störend“167 betrachtet werden kann und damit die aktuelle paulinische Konstruktion als unelegant und notdürftig bewertet wird. Somit wird die syntaktische Plausibilität zu einem Argument dafür, ™n tù a§toà afmati auf di¦ p…stewj bezogen zu sehen. Hätte Paulus ™n tù a§toà afmati instrumental auf ƒlast»rion bezogen verstanden wissen wollen, wäre es naheliegend gewesen, es auch unmittelbar an ƒlast»rion anschließen zu lassen und dann dementsprechend di¦ p…stewj erst nach afmati anzufügen.
163 Vgl. a.a.O, 233f.259f u.ö. 164 Vgl. K. Haacker, Römer, 91 mit Anm. 37. 165 Das gilt auch für G. Röhsers Versuch (Stellvertretung, 118), Kraus’ Konstrukt zu retten. G. Röhser bemerkt, dass natürlich in Lev 16 mit der Reinigung des Heiligtums auch „sekundär“ die Sünden des Volkes beseitigt werden. Er versteht, um die Doppelung Jesu in der vermeintlichen Parallele als Opfertier und Kapporet zu vermeiden, aŒma allgemein als gewaltsamen Tod Jesu (dies vollkommen zu Recht). Dann aber ist die Frage, was in diesem Fall von Lev 16 noch überbleibt, und ob überhaupt ein Bezug gegeben und anzunehmen nötig ist, denn im Ergebnis formuliert dann auch G. Röhser offen und allgemein, ohne noch Bezug auf Lev 16 zu nehmen: „Jesus ist in seinem Leben oder/und (zugespitzt) in seinem Sterben der Ort, an dem nach Gottes Willen die Sünde konzentriert wird und zum Verschwinden gebracht werden soll.“ (a.a.O., 119). 166 Vgl. K. Haacker, Römer, 92. Schon E. Käsemann, Römer, 91 hatte bemerkt, dass ™n tù a§toà afmati bei ƒlast»rion stehen müsste. 167 H. Koch, Römer, 123.
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Belege für die Konstruktion von p…stij/pisteÚein mit ™n gibt es ausreichend (Mk 1,5; Joh 3,15; 1Kor 2,5; Gal 3,26168; Eph 1,15169; Kol 1,4; 1Tim 3,13; 2Tim 3,15). Auch in den schon genannten parallelen Stellen 1Joh 4,10 und 2Kor 5,21 wird Jesu Bedeutung als Heilsmittel ohne die Kombination des Heilsmittels (ƒlasmÒj/¡mart…a170) mit aŒma ausgesagt. Hinzu tritt als Argument für unsere Sichtweise, dass es Paulus in V.21–26 darum zu tun ist, den Glauben niemals unbestimmt zu lassen, sondern ihn immer mit Jesus Christus zu verbinden: Dies geschieht so auch konsequent in V.22a (in V.22b wäre es zuviel des Guten) und in V.26 durch 'Ihsoà Cristoà/'Ihsoà und dementsprechend dann auch in V.25 durch ™n tù a§toà afmati als p…stij ™n tù a§toà afmati. Damit ist eine Vorstellung vom Abwaschen durch Blut hier nicht gegeben. Stattdessen ist aŒma wie öfter als Chiffre für Jesu „gewaltsamen Tod“171 verwendet (vgl. 5,9; Mt 27,24; Act 20,22; Kol 1,20; 1Clem 55,1 u.ö.). Damit erhalten wir die Aussage, dass Gott Jesus als Heilsmittel durch den Glauben an seinen Tod bestimmt hat – und damit eine Aussage, die hervorragend zu den übrigen paulinischen Aussagen passt, dass eben nur durch den Glauben und für den Gläubigen Jesu Tod zum Heilstod wird (Gal 6,14172; Röm 10,9–11; 1Kor 1,18.21; 2,6.14 – vgl. auch Röm 14,14). Damit ist deutlich, dass der Tod Jesu in seiner Heilsbedeutung nichts Objektives ist und dass seine Heilswirkung auch nicht durch eine typologische oder wie auch immer geartete genaue Entsprechung zu Lev 16 und damit durch einen Vollzug des Todes im Sinne von Abwaschen der Sünden durch Blut zustande kommt oder etwa durch Entsprechung zum Sklavenfreikauf durch Zahlung eines Preises. Sondern Gott hat Jesus so zum Sühnemittel bestimmt, dass durch den Glauben an seinen Tod für den Gläubigen Jesus und sein Tod eine Heilswirkung entfalten. Auf diese Weise ist insgesamt deutlich geworden, dass auch V.25 die allgemeine und unkonkrete Rede von der ¢polÚtrwsij ™n Cristù 'Ihsoà aus V.24 fortsetzt, indem ƒlast»rion ebenso allgemein gebraucht wird173 168 Auch für Gal 3,26 ist zu bemerken, dass, sollte das ™n Cristù 'Ihsoà nicht zu p…stewj gehören, sondern eine instrumentale oder räumliche Komponente darstellen, eine andere Stellung sinnvoll gewesen wäre. 169 Vielleicht auch Eph 1,1. 170 In 2Kor 5,21 ist das Mittel für das Heil mit ¡mart…a benannt und wegen des Wortspieles mit ¡mart…an lexikalisiert. Vgl. dazu auch G. Röhser, Stellvertretung, 116–119. 171 K. Haacker, Römer, 92. Vgl. auch M. Wolter, Rechtfertigung, 21. 172 Hier durch ™mo… und k¢gè signalisiert. 173 So W. Schmithals, Römerbrief, 122 („im allgemeinen hellenistischen Sinn“); E. Käsemann, Römer, 91 („man kommt mit den Bedeutungen des griechischen Wortes aus“); H. Schlier, Römerbrief, 110; O. Kuss, Römerbrief, 157; L. Morris, Meaning, 33–43; H. Lietzmann, Römer, 49f; M.-J. Lagrange, Romains, 75f; A. Deissmann, ILASTHRIOS, 193–112. – J.D.G. Dunn, Romans, 170ff sieht beide konkreten Deutungsmöglichkeiten im Hintergrund.
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wie ¢polÚtrwsij, und, indem es nicht mit aŒma verbunden ist, ebenso allgemein ohne eine konkret im Hintergrund stehende Vorstellung174 oder nähere Ausführung als Mittel für die ¢polÚtrwsij genannt wird. Jesus wird zum ƒlast»rion durch Gottes Handeln, das mit prošqeto benannt ist und das die Bestimmung des Mittels des Glaubens an seinen Tod mit einschließt. Damit können aber das Gewicht und die Bedeutung der Rede von Jesus Christus in diesem Text175 im Vergleich zu dem Gewicht und der Bedeutung, die Gott zukommen, wieder zurechtgerückt werden: Nicht Jesus Christus bestimmt hier den Text, wie es von vielen angenommen worden ist mit dem Verweis auf eine vermeintliche Parallele in 4Makk 17,22 und vor allem in Lev 16. Insbesondere Letzteres hat zu einer immensen und unangemessenen christologischen Engführung im Text geführt durch das Eintragen eines konkreten Handelns und Anteils Jesu an der ¢polÚtrwsij und dem ƒlast»rion-Sein, indem er in die Nähe des Hohenpriesters gerückt wurde oder als Sprenger seines Blutes zum Mithandelnden in Bezug auf das ƒlast»rion und die ¢polÚtrwsij geworden ist. Dass stattdessen hier allgemein und ohne einen auszumachenden spezifischen kultischen oder märtyrertheologischen Hintergrund von ¢polÚtrwsij und ƒlast»rion geredet wird, rückt demgegenüber den Blick wieder zurecht auf Gott als Gegenstand der Diskussion, als Zentrum und allein Handelnden: Mit der allgemeinen und offenen Rede von ¢polÚtrwsij und ƒlast»rion ohne Konkretionen wird herausgestellt, dass es sich bei diesen um Elemente des Handelns Gottes handelt, die ihre Bedeutung und ihre Wirklichkeit allein daraus gewinnen, dass Gott sie zu ¢polÚtrwsij und ƒlast»rion bestimmt hat. Und zwar hat Gott diese in ihrer Wirklichkeit als heilsbedeutend und heilschaffend bestimmt durch den Glauben an Jesus und seinen Tod als einen heilsbedeutenden. Dieser Primat Gottes wird eben auch dadurch deutlich, dass, wie schon 174 Vgl. T. Zahn, Römer, 187; B. Weiss, Römer, 164. – Damit auch gegen G. Bader, Tod, 416 mit Anm. 14 und ders., Symbolik, 73 mit Anm. 163.1. – Allerdings hat G. Bader, Symbolik, 184 bemerkt, dass „das Opfer ganz am Rand des Paulinischen liegt“ (dass es damit so etwas wie eine paulinische „Grundsuppe“ (ebd.) bildet, erscheint uns angesichts des Textbefundes fraglich), und vor allem zu Recht darauf hingewiesen, dass hier eine uneindeutige Redeweise vorliegt, insofern es „Anspielungen eher als Aussagen, Anmutungen eher als Argumente“ sind (a.a.O., 183), und dass hier die Aussagen sich „ausweichend, flüchtig, schwer zu fassen“ darstellen (a.a.O., 184). Damit entstehen Berührungspunkte zu unserer Analyse von ƒlast»rion in Röm 3,25, dass hier eben kein exakt zu fassender Hintergrund von ƒlast»rion als intendiert festzustellen ist und wir es mit einer unbestimmten, allgemeinen Rede von einem Heilsmittel zu tun haben. 175 Damit ist zunächst schon etwas über die Bedeutung von Jesus Christus in Röm ausgesagt, insofern in 3,21–31 die These von 1,16f ausgeführt wird, aber noch nichts über seine Bedeutung in anderen paulinischen Briefen.
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genannt, zur Bestimmung der Handlung der Text immer wieder auf die Ebene Gottes springt. Was man demnach aber im Hinblick auf die Bedeutung von Jesus Christus in diesem Abschnitt sagen kann, ist, dass er entscheidend ist nicht für das Heilshandeln Gottes – das konstituiert alles allein Gott –, sondern unverzichtbar wichtig ist für die Bestimmung des Glaubensbegriffes, denn von p…stij/pisteÚein kann Paulus in 3,21–26 nicht reden ohne eine nominale oder pronominale Nennung von Jesus Christus anzufügen. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, nach der Ablehnung von Lev 16 als Modell zum Verständnis von ƒlast»rion nun die Märtyrertheologie, wie sie in 4Makk 17,22 fassbar ist, oder S. Schreibers Deutung als Weihegeschenk als von Paulus intendierten, bewusst-konkreten Hintergrund zu erweisen. Schon M. Wolter hatte festgestellt: „Das Sprachmaterial von Röm 3,25 erlaubt es nicht, eine spezifische Herleitung vorzunehmen, die über die allgemeine Verarbeitung des allen genannten Text- und Sachzusammenhängen gemeinsam zugrunde liegenden Gedankengangs des stellvertretenden Sühnetodes hinausgeht und eine ganz spezifische Tradition in besonderer Weise verarbeitet sieht.“176 Wir können nach unseren Analysen nun auch hinzufügen, dass in Röm 3,25 bewusst darauf verzichtet wird bzw. kein Grund vorliegt, eine spezifische Tradition als Modell für die Heilswirkung Jesu zu benennen, da diese allein dadurch zustande kommt, dass Gott sie konstituiert und eine offene und allgemeine Redeform von ¢polÚtrwsij und ƒlast»rion177 am geeignetsten ist, 176 M. Wolter, Rechtfertigung, 21. – Das gilt auch für den neuen Vorschlag von S. Schreiber, Weihegeschenk, 105ff. S. Schreibers Beobachtungen sind insofern hilfreich, als sie bestätigen, dass der Begriff ƒlast»rion für Juden wie Heiden nicht ungeläufig war. Ein konkreter Hintergrund, auf den Paulus hier „absichtlich“ (a.a.O., 105) anspielt, lässt sich aber auch bei der Deutung von ƒlast»rion als Weihegeschenk nicht ausmachen, weil eben dafür die Verwendung von ƒlast»rion in Röm 3,25 zu unspezifisch ist: Weder ist prot…qesqai in den von S. Schreiber angeführten Belegen (a.a.O., 100–102) zwingend und charakteristisch verbunden, noch finden sich dortige typische sprachliche Merkmale (etwa das Auftreten mit dem dativus commodi der Person/Gottheit, für die das Weihegeschenk gegeben wird) in Röm 3,25. – Aber noch eine weitere Beobachtung lässt sich festhalten: Insofern S. Schreiber mit seiner Interpretation eine Deutung vorgelegt hat, bei der gegenüber den beiden anderen Deutungen Jesus Christus nicht selber handelnden Anteil am Geschehen hat, sondern Gott der wesentlich und entscheidend Handelnde ist, erweist sich noch stärker, dass eine christologische Engführung von ƒlast»rion nicht geboten ist. Vielmehr ist eben das Sprachmaterial so offen und vielseitig, dass die aus dem Kontext von Röm 3,25 sich ergebende Betonung des Handelns Gottes nicht dadurch relativiert wird, dass es irgendwelche spezifischen Traditionen im Hintergrund gäbe, die eine Aktivität des als ƒlast»rion Bezeichneten selber zwingend nahelegen würden (vgl. auch a.a.O., 109). 177 Vgl. auch G. Barth, Tod, 39f; B.H. McLean, Christ, 43–46.
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Gott in seiner Rolle als Urheber und Schöpfer dieser Wirklichkeit herauszustellen und das nicht durch irgendeine Ablenkung einer wie auch immer gearteten Konkretisierung zu beeinträchtigen. 4Makk 17,22 ist insofern von Bedeutung, als es ein Beleg für eine von der konkreten Bedeutung der „Kapporet“ losgelöste und damit „allgemeine“ Verwendung von ƒlast»rion als „Heilsmittel“ ist, ohne eine mit Lev 16 verbundene kultische Konkretion oder Implikation178 nach sich zu ziehen. Auch die weitere Bedeutungsmöglichkeit von ƒlast»rion als „Weihegeschenk“ zeigt an, dass der Begriff nicht auf die Denotation eines kultischen Opfers einzuschränken ist. Dass von Text und Autor dabei nicht ausgeschlossen ist, dass die Leser sich die Heilswirkung Jesu u.a. auch mit dem stellvertretenden Märtyrertod erklären würden, dürfte auch klar sein, wenn man einen Begriff wie ƒlast»rion verwendet. Positiv bzw. explizit aussagen will der Text V.25a aber, dass die allein von Gott gesetzte Wirklichkeit des ƒlast»rion zur ¢polÚtrwsij durch den Glauben an Jesu Tod als Heilstod wirksam wird – für die Glaubenden.
3.3.1.6 V.25b.26 Mit e„j œndeixin geht es nun weiter auf der Hauptebene des Textes, mit der Rede von Gott und seinem Handeln. Dass dieses, und zwar die Gerechtigkeit Gottes, hier Thema ist, wird wieder in eindrucksvoller Weise unterstrichen: Mit der e„j-Bestimmung wird ein mit dikaiosÚnh a§toà bestimmtes Ziel angegeben, dem nun der durch Handlung bestimmte Mittelteil mit Gottes Handeln auch an Christus V.24.25a zugeordnet wird. Die dikaiosÚnh qeoà, die schon zu Beginn des Teilabschnittes durch mehrfache Erwähnung in V.21.22 (vor dem durch Handlung bestimmten Teil) der zentrale Diskussionsgegenstand war, wird nun auch in V.25b.26 (nach dem durch Handlung bestimmten Teil) wieder zentraler Gegenstand. Indem so das Christusgeschehen über das anschließende finale e„j der dikaiosÚnh qeoà zugeordnet wird, wird Gott selbst der Gegenstand der Bestimmungen, und es geht darum, wie Gott selbst durch sein Handeln in Jesus Christus bestimmt wird bzw. sich bestimmt.
178 Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 19f mit der Bemerkung „Auch für das hellenistische Judentum wird die Vorschrift, nur am Tempel in Jerusalem zu opfern, tabu und nicht so ohne weiteres zu durchbrechen gewesen sein. Angenommen werden darf höchstens eine Analogie in der Wirkung.“
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3.3.1.6.1 Die Struktur Augenfällig und entscheidend ist dabei die Struktur von V.25b.26: Zunächst einmal ist die zweifach auftretende Wendung œndeixij tÁj dikaiosÚnhj a§toà + weitere Bestimmung, die sich nur im Beginn durch die verschiedenen – aber in ihrer Verwendung hier semantisch eng verwandten – Präpositionen und die Verwendung des Artikels unterscheidet, so bestimmend, dass V.25b.26ab aus zwei gleich gebauten, parallelen Aussagen bestehen179. Diese Struktur ist selbst eine wichtige Aussage und von großem Gewicht für das Textverständnis180, zumal bei Paulus, insbesondere im Römerbrief, solche Strukturen, die aus einer deutlichen Parallele mit zugleich spezifischen Differenzen der beiden Elemente bestehen, öfter vorkommen (1,3f; 3,30; 11,22.30.31a; 15,8.9). Von dieser Struktur her müssen nun die Aussagen bestimmt werden. Dazu ist zu fragen, was parallelisiert und damit auf eine gleiche Ebene gehoben und als sich entsprechende, einander zugeordnete Aussagen dargestellt werden soll. Wichtigstes Element zu der Beantwortung dieser Frage ist zunächst einmal für V.25b.26ab das zeitliche Element, das am deutlichsten die beiden Glieder spezifiziert. Im ersten Glied ist ein rückschauendes Element durch das Präfix pro- des Verbs prog…nomai enthalten, im zweiten Glied wird die aktuelle Gegenwart durch das nàn herausgestellt. Indem in jedem Glied ein zeitliches Element genannt ist, verstärken sie sich gegenseitig und bestimmen die Aussage. Fehlinterpretiert wäre diese Beobachtung jedoch, wenn man darin zwei unterschiedliche, voneinander abgehobene und einander entgegengesetzte Äonen sehen und das wiederum als einen Beweis für ein zeitliches Verständnis des nunˆ dš V.21 verstehen würde181, das zwei gegensätzliche Epochen scharf voneinander abgrenzt. Denn der Clou der Parallelaussage in V.25b.26ab ist ja das genaue Gegenteil davon: Durch die Wiederholung der dikaiosÚnh a§toà mit gleichartiger Konstruktion wird auf ein Moment der Identität von der Zeit der Rückschau und der Zeit der Gegenwart hingewiesen; es geht um ihre Zuordnung und Beziehung aufgrund eines gemeinsamen Elements zueinander. Es ist nämlich ein und dieselbe Gerechtigkeit Gottes, die beide Aussagen bestimmt, und es sind nicht zwei Erweise, sondern einer, denn beide œndeixij-Aussagen beziehen sich auf eine einzige Handlung, 179 Vgl. M. Theobald, Gottesbild, 133.139 u. passim; gegen R. Wonneberger, Syntax, 261f und J. Weiß, Beiträge, 222. Für die von uns und M. Theobald vorgenommene Parallelisierung von V.25b.26a und V.26b sprechen aber die Überlegungen zu dominanten Elementen der Textstruktur von E. Gülich/W. Raible, Überlegungen, 74. 180 Vgl. K. Haacker, Römer, 89f. 181 So etwa P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 86.
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d.h. die eine Handlung erweist also Gottes Gerechtigkeit in zweifacher Hinsicht182. Das wird auch dadurch deutlich, dass das erste œndeixij V.25 ohne Artikel steht, das zweite œndeixij V.26 aber mit Artikel, so dass das t»n V.26 anaphorisch sein muss und es sich um ein und denselben Erweis in zweierlei Hinsicht handelt. Damit wird aber die œndeixij zum übergeordneten und bestimmenden Element der Aussage, die hier gemacht wird183. Worauf beziehen sich nun inhaltlich die beiden Aspekte des Erweises, was wird auch mittels der Zeit parallelisiert und warum stehen diese zwei Parallelaussagen hier? Die letzte Frage ist insofern durchaus berechtigt und eine Hilfe zum Verständnis der Aussage V.25b.26, als die in der Exegese häufig angeführten Antworten V.25b.26 nicht überzeugend in den Abschnitt V.21–26 einordnen können und das selbst auch immer wieder dadurch zum Ausdruck gegeben haben, dass sie von Spannungen zwischen Tradition und paulinischer Verarbeitung sprechen184 und/oder die Satzkonstruktion als „überladen“ kritisieren185. Die gängigen Antworten konturieren allein den zeitlichen Aspekt, um so einen durch die Zeit bestimmten erschöpfenden Umfang der Sündenvergebung darzustellen: Das progegonÒtwn bezieht sich dann entweder individuell auf die vor der Taufe geschehenen Sünden des Christen186 oder allgemeiner auf die vor Christus geschehenen Sünden der gesamten Menschheit187. Beides ist inhaltlich insofern unbefriedigend, als der zeitliche Aspekt an sich in unserem Abschnitt bisher keine Rolle gespielt hat – und auch in 3,27–31 nicht spielen wird, wie überhaupt nicht in 1,16–4,25. Um nun zu einer Lösung zu kommen, müssen drei Faktoren berücksichtigt werden: a) die Fortsetzung der Aussage in V.26c und die damit entstehende Gesamtstruktur; b) Thema und Fragestellung unseres Abschnittes 3,21–26.27–31; und c) der Sinn der anderen Parallelaussagen des Römerbriefes:
182 Vgl. M. Theobald, Gottesbild, 143. 183 Vgl. a.a.O., 138. 184 Vgl. P. Stuhlmacher, Römer, 58; P.-G. Klumbies, Rede, 185ff; ders., Brennpunkt, 197ff; E. Käsemann, Römer, 86.89; U. Wilckens, Römer 1, 183; R. Bultmann, Theologie, 49. 185 U. Wilckens, Römer 1, 184; vgl. K. Haacker, Römer, 89; auch E. Lohse, Römer, 129. 186 Vgl. E. Schweitzer, Mystik, 215; W. Mundle, Glaubensbegriff, 88. 187 Vgl. U. Wilckens, Römer 1, 196; W.G. Kümmel, p£resij, 262f.
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a) Die Struktur lässt sich graphisch so darstellen:
A1 A2 B1 B2
e„j œndeixin tÁj dikaiosÚnhj a§toà di¦ t¾n p£resin tîn progegonÒtwn ¡mart»matwn ™n tÍ ¢nocÍ toà qeoà (V.25b.26a) prÕj t¾n œndeixin tÁj dikaiosÚnhj a§toà ™n tù nàn kairù (V.26b) e„j tÕ eÌnai a§tÕn d…kaion (V.26ca) kaˆ dikaioànta tÕn ™k p…stewj 'Ihsoà (V.26cb)
Handlung Bestimmung Bestimmung Handlung
Diese Struktur188 kann wie folgt begründet werden: Zunächst einmal dürfte die Parallelität von A1 und A2, wie sie oben beschrieben wurde, als bestimmendes Strukturelement außer Frage stehen. Darüber hinaus muss aber der Strukturzusammenhang auch auf V.26c ausgeweitet werden: Die sich anschließende Aussage mit e„j tÒ in V.26c muss sich auf die gesamte erste Parallelaussage V.25b.26a beziehen, denn würde sie nur A2 als den letzten Teil der beiden Parallelaussagen von V.25b.26ab bestimmen, würde das Gleichgewicht der beiden parallelen Glieder gestört. Diese Annahme bekommt dadurch Unterstützung, dass auch V.26c ganz klar zweigliedrig konstruiert ist: Das wird zuallererst durch das kopulativ koordinierende ka… deutlich189. Durch dieses entstehen zwei gleichgestellte und beigeordnete Aussagen. Das wiederum wird auch daran ersichtlich bzw. dadurch gestützt, dass durch das ka… die e„j tÒBestimmung sich sowohl auf eÌnai a§tÕn d…kaion als auch auf dikaioànta tÕn ™k p…stewj 'Ihsoà, also auf beide Teilaussagen von V.26c bezieht. Dadurch ist deutlich, dass beide Teile von V.26c nicht funktional einander zugeordnet sind, sondern dadurch bestimmt sind, dass sie jeweils einem 188 Wenn G. Howard, Inclusion, 225 eine andere Struktur aufzeigt, nämlich die der Parallele zwischen ™n tù a§toà afmati und ™n tÍ ¢nocÍ toà qeoà sowie von e„j œndeixin tÁj dikaiosÚnhj a§toà und prÕj t¾n œndeixin tÁj dikaiosÚnhj sowie von di¦ t¾n p£resin tîn progegonÒtwn ¡mart»matwn und e„j tÕ eÌnai a§tÕn d…kaion kaˆ dikaioànta tÕn ™k p…stewj 'Ihsoà, so hat er nicht nur das Primat von Gottes Handeln und den Wechsel vom Thema Christus zum Thema Gott nicht berücksichtigt und die Zweigliedrigkeit von V.26c und die komplementäre gegenseitige Erläuterung von Handlung und Bestimmung in V.25b.26 nicht erkannt, sondern mit ™n tù nàn kairù auch ein Element über, das er nicht entsprechend unterbringen kann. 189 M. Theobald, Gottesbild, 150 schließt ein explikatives ka… zu Recht aus und erwägt ein kopulatives ka… und ein konsekutives ka… und entscheidet sich dann für Letzteres. Dagegen spricht aber wiederum die von uns ermittelte dominierende Struktur der Parallele mit der gegenseitigen Komplementierung ihrer Glieder von Handlung und Bestimmung.
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anderen Teil funktional zugeordnet sind. Es handelt sich also in der Tat um kopulativ koordinierte Teile, die sich nicht in erster Linie gegenseitig bestimmen sollen, sondern eine Parallele in ihrer Funktion haben, etwas Drittes final zu bestimmen. Insofern nun noch beide Teile das gleiche Subjekt haben und durch je ein Wort desselben Wortstammes dikai* geprägt sind, entstehen tatsächlich zwei parallel gebaute Aussagen, die somit auch V.26c eine klare Parallelstruktur geben. Damit ist nun aber auch deutlich, dass B1 und B2 sich nicht in erster Linie gegenseitig bestimmen sollen, denn dies ist nicht Sinn von kopulativ koordinierten Gliedern einer Parallelstruktur. Stattdessen ergeben sich in dieser Frage deutliche Bezüge zu V.25b.26ab. Denn auf der einen Seite ist allen vier Teilgliedern A1, A2, B1, B2 mit einem Wort des dikai*-Stammes ein Element gemein, andererseits gibt es innerhalb der jeweiligen Parallelstruktur solche spezifischen Differenzierungen, dass sich ein gegenseitiger Bezug nahelegt. Denn wenn man danach schaut, welche Art von Aussage gemacht wird, so ergibt sich folgendes Bild: Die Aussage A1 wird wesentlich bestimmt durch p£resij. Damit handelt es sich aber bei A1 aufgrund der Verwendung des nomen actionis p£resij ganz deutlich um eine Aktion, eine Handlung. In A2 hingegen bleibt die Handlung eher abstrakt und das differente und damit bestimmende Element der Parallelaussage ist ™n tù nàn kairù; und damit handelt es sich bei A2 um eine klare Bestimmung. Entsprechendes lässt sich auch für die beiden Aussagen von V.26c feststellen: B1 ist aufgrund von eÌnai + Adjektiv wesentlich eine Bestimmung, während B2 durch das ganz klar ein finites Verb mit Handlungsaspekt repräsentierende Partizip dikaioànta unübersehbar wesentlich eine Handlung benennt. Dann ist aber überaus naheliegend, dass sich die jeweils komplementären Elemente der beiden Parallelaussagen gegenseitig komplementieren und d.h. bestimmen. Und dies geschieht hier kunstvoll chiastisch: Handlung, Bestimmung, Bestimmung, Handlung. Wollen wir also etwas über A1 wissen, müssen wir auf B1 schauen, wollen wir etwas über A2 wissen, müssen wir auf B2 schauen. Fragen wir nun also danach, und das war ja der Ausgangspunkt unserer strukturellen Überlegungen, um welchen Aspekt es bei dem mit e„j œndeixin tÁj dikaiosÚnhj a§toà di¦ t¾n p£resin tîn progegonÒtwn ¡marthm£twn ™n tÍ ¢nocÍ toà qeoà benannten ersten Parallelglied A1 der ersten Parallelaussage geht, so antwortet uns B1 mit e„j tÕ eÌnai a§tÕn d…kaion. Diese Aussage von Gott und seiner Gerechtigkeit ist aber nicht nur die Gottesaussage und das Thema des Römerbriefes schlechthin190, 190 Vgl. E. Lohse, Römer, 136.
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sondern sie ist in der Form der Frage, ob Gott gerecht ist, im Hinblick auf die Beurteilung Gottes und seine Bestimmung immer mit der IsraelPerspektive verbunden: 3,3.5; 9,6.14; 11,1; 15,8191. Damit dient also die erste œndeixij-Aussage dazu, etwas über Gott im Hinblick auf Israel auszusagen. Entsprechend zeigt uns die Erläuterung von A2 durch B2, dass Ð nàn kairÒj bestimmt ist durch das Rechtfertigen von durch ™k p…stewj 'Ihsoà bestimmten Menschen. Das entscheidende an der Formulierung p…stij 'Ihsoà ist aber, dass sie in erster Linie auf die Heiden zielt, denn das ist der Mehrwert gegenüber der nur auf Israel bezogenen Aussage ™k nÒmou, und die Heiden sind das Neue, was hinzukommt, wenn man Menschen durch die p…stij 'Ihsoà bestimmt. b) Zur Bestimmung von Fragestellung und Thema unseres Abschnittes sei kurz in Erinnerung gerufen, dass wir das Thema von 3,21–26.27–31 bestimmt haben als die Gerechtigkeit Gottes bzw. Gott selbst, und zwar im Hinblick auf ihre/seine Identität in Bezug auf Schrift und Tradition (des Judentums) und in Bezug auf die Frage der Gleichheit und Differenz von Juden und Heiden. Insofern mit der Benennung der dikaiosÚnh qeoà diese Themen am Anfang V.21–23 bestimmt werden, ist mit der Wiederaufnahme der dikaiosÚnh nach dem Mittelteil V.24.25a auch die Weiterführung der damit verbundenen Themen in V.25b.26 zu erwarten, insbesondere dann, wenn diese auch in 3,27–31 immer noch weiter fortgeführt werden. c) Bei anderen Parallelstrukturen im Römerbrief dient die Parallele dazu, jüdische Tradition und von Gott geschaffene Gegenwart zusammenzubringen (1,3f) oder Juden und Heiden als gleich integriert und aufgehoben in das Handeln Gottes zu bestimmen. Dabei bezieht sich immer der erste Teil auf die Tradition/Israel und der zweite Teil auf die Gegenwart/Heidenaspekt, wobei der zweite Teil immer das Schwergewicht der Bedeutung erhält (1,16; 2,9.10; 3,9; 15,8.9). Es geht also immer um die zusammenhängenden und sich gegenseitig mitbestimmenden Komplexe: Tradition-Gegenwart – Juden-Heiden192. Dass diese beiden Fragestellungen zusammengehören, wird exemplarisch an 1,3ff ersichtlich, wie 1,5 deutlich macht: Auch in Röm 1,3ff ist ein zeitliches Moment ent191 3,5; 9,14; wörtlich mit einem Wort des dikai*-Stammes. Über die semantische Zusammengehörigkeit und Parallele von dikaiosÚnh mit p…stij und ¢l»qeia aufgrund des alttestamentlichen Hintergrundes und des Sprachgebrauchs der LXX kann man ohne Probleme auch die anderen Belegstellen hinzuziehen. 192 Vgl. M. Theobald, Gottesbild, 151.
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halten, auch hier geht es beim ersten Element um die jüdische Tradition und beim zweiten um die Gegenwart. Und mit 1,5 zielt die Aussage des Handelns Gottes und damit die Gegenwart besonders auf die Heiden, womit die Struktur Juden-Heiden mit der Zielrichtung Heiden aufgebaut ist. Weil diese Struktur der parallelen Aufzählung von Juden-Heiden auch in der propositio enthalten ist, ist diese Struktur ein übergeordnetes, bestimmendes Strukturelement des ganzen Römerbriefes. Weitere Parallelstrukturen machen dann deutlich, dass die grundsätzliche und effektive Gleichheit von Juden und Heiden sich aber jeweils different spezifisch manifestieren kann. So ist 15,8.9 der rettende Christusdienst für die Juden durch Gottes ¢l»qeia, für die Heiden aber durch das œleoj Gottes motiviert, während in 11,30f ein exakt gleiches Geschehen sich für Heiden und Juden zeitlich verschieden ereignet. Aufgrund aller dieser drei Faktoren a), b), c) legt es sich nahe, auch V.25b.26 als einen auf jüdische Tradition und aktuelle Gegenwart, Juden und Heiden bezogenen Parallelismus zu sehen193. Es geht also nicht um eine primär zeitliche Füllung der œndeixij, sondern die Zeitangaben dienen mit dazu, die Universalität der Gerechtigkeit Gottes in ihrer sowohl gleichmäßigen als auch spezifischen Bezogenheit auf sowohl Juden einerseits als auch Heiden andererseits auszusagen, und damit die Identität Gottes in Tradition und Gegenwart. In diesen Hinsichten soll die Gerechtigkeit Gottes als umfassend erwiesen werden. Das muss nun im Einzelnen ausgeführt und in der Einzelexegese bestätigt werden.
3.3.1.6.2 Einzelanalyse Selbstverständlich ist, dass beide œndeixij-Wendungen final sind. Das gilt auch für V.26c. Denn bei einem konsekutiven Verständnis wäre Gottes Handeln in Christus ein Element zunächst einmal an sich, das dann aber unabhängig davon erst in zweiter Linie Konsequenzen hätte. Von der Sache selbst und aufgrund auch der ganzen Einbettung ist klar, dass Gottes Handeln in Christus von vornherein einen Zweck verfolgend geschehen ist, so dass das Verhältnis eindeutig final sein muss.194 Aber auch V.26c 193 Vgl. ebd. 194 Damit ist das, was Paulus hier macht, das genaue Gegenteil von Anselms Satisfaktionstheorie. Es geht nicht darum, dass Gott Gerechtigkeit widerfährt und dass bei Gott etwas offen ist, was beglichen werden müsste und dieses das Ziel und die Motivation des Handelns ist. Sondern umgekehrt handelt Gott, um den Menschen seine Gerechtigkeit zu zeigen und zu erweisen. Das, was bei Gott vorhanden ist, soll durch Gottes
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ist final und nicht konsekutiv aufzufassen, aufgrund der Parallele zu den œndeixij-Aussagen und von der ka…-Verknüpfung her. Denn sonst wäre auch das Rechtfertigen des Glaubenden eine Konsequenz und kein Ziel, und in den bisher ermittelten Duktus passt auch besser, dass Gott sein d…kaioj eÌnai zu erweisen beabsichtigt und dass dieses nicht eine beurteilte Konsequenz aus V. 25b.26ab ist. Es besteht auch kein Anlass, für dikaiosÚnh a§toà V.25f einen Bedeutungswechsel195 anzunehmen, etwa in dem Sinn, dass hier der genitivus subiectivus nicht als das heilschaffende Handeln Gottes verstanden werden müsse, sondern im Sinne einer iustitia distributiva. Insofern steht auch mit d…kaioj eÌnai hier nicht die Frage von Anselm von Canterbury196 zur Debatte, ob Gott ungerecht sei, wenn er begangene Sünden ungestraft lässt197. Stattdessen ist hier der Begriff dikaiosÚnh als traditionelle (3,21), heilschaffende Gerechtigkeit zu verstehen, ebenso wie das Prädikat d…kaioj Gott als den Heilschaffenden ausweist. Dies wird umso deutlicher, wenn man einen Blick auf Jes 45,20–25 wirft. Jes 45 (LXX) 20 Versammelt euch und kommt! Nähert euch allesamt, ihr Entkommenen der Nationen! Keine Erkenntnis haben die, die das Holz ihres Götterbildes tragen und zu einem Gott flehen, der nicht retten kann. 21 Berichtet und bringt Beweise herbei! Ja, sollen sie sich miteinander beraten! Wer hat dies von alters her hören lassen, schon längst es verkündet? Nicht ich, der HERR? Und sonst gibt es keinen Gott außer mir. Einen gerechten und rettenden Gott gibt es außer mir nicht! ('(g· Ð qeÒj kaˆ o§k œstin ¥lloj pl¾n ™moà d…kaioj kaˆ swt¾r o§k œstin p£rex ™moà) 22 Wendet euch zu mir und laßt euch retten, alle ihr Enden der Erde! Denn ich bin Gott und keiner sonst. 23 Ich habe bei mir selbst geschworen, aus meinem Mund ist Gerechtigkeit (dikaiosÚnh) hervorgegangen, ein Wort, das nicht zurückkehrt: Ja, jedes Knie wird sich vor mir beugen, jede Zunge mir schwören 24 und sagen: Nur in dem HERRN ist Gerechtigkeit und Stärke. Zu ihm wird man kommen, und es werden alle beschämt werden, die gegen ihn Handeln in Christus sich für die Menschen erweisen und sich für sie manifestieren. Und das, was da bei Gott vorhanden ist und ihn kennzeichnet, ist nicht eine iustitia distributiva, sondern ein Heilswille und eine Heilsmacht. 195 Gegen P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 90. Indem aber P. Stuhlmacher von einem Bedeutungswechsel von der „Bundestreue“ zur „Schöpfertreue“ spricht, deutet er, bei aller Problematik seines Bedeutungswechsels, genau auf unsere Analyse des Parallelismus hin: Aspekt Israels und seines Bundes und Aspekt der Öffnung auf die Heiden hin. 196 Vgl. Anselm v. Canterbury, Cur Deus Homo. – Vgl. dazu auch R. Piper, Demonstration, 2–32, bes. 10.31; G. Plasger, Gerechtigkeit. 197 So auch H. Schlier, Römerbrief, 114; K. Berger, Material, 275; O. Kuss, Römerbrief, 161. (O. Kuss macht dabei interessanterweise genau den Vorschlag, die Parallelen in unserem Sinne zu deuten – aber nur, um ihn abzulehnen).
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entbrannt waren. (dikaiosÚnh kaˆ dÒxa prÕj a§tÕn ¼xousin, kaˆ a„scunq»sontai p£ntej oƒ ¢for…zontej ˜autoàj:) 25 In dem HERRN werden gerecht sein und sich rühmen alle Nachkommen Israels (¢pÕ kur…ou dikaiwq»sontai kaˆ ™n tù qeù ™ndoxasq»sontai p©n tÕ spšrma tîn uƒîn Israhl).
Hier wird die Frage nach der „eigenen“ Gerechtigkeit Gottes, also danach, wie Gott ist, genau damit verknüpft, wie er handelt durch seine Gerechtigkeit198. Und damit ist im ersten Glied V.25b.26a dikaiosÚnh auf Israel bezogen und zwar vor dem Hintergrund von dikaiosÚnh als Begriff des Bundes. Denn die Formulierung eÌnai a§tÕn d…kaion in der zugeordneten und somit das erste Glied bestimmenden Parallele in V.26c kann, wie gezeigt, nur als „bundestreu“ verstanden werden, denn die pist*- und d…kaiojFormulierungen im Hinblick auf Gott beziehen sich im Römerbrief auf sein Verhältnis zu Israel. Schon von daher wird also die erste œndeixijWendung als auf Israel bezogen markiert199. Und weiter kann man in der Tat auch im Hinblick auf den Inhalt dieser ersten œndeixij-Wendung zeigen, dass dieser aufgrund von Parallelen aus biblischen und antik-jüdischen Texten als eine auf Gott und Israel bezogene Aussage zu verstehen ist200. Zunächst ist dabei festzustellen, um Klarheit für die weitere Analyse zu erhalten, dass ™n tÍ ¢nocÍ toà qeoà in keiner Weise als temporale Bestimmung zu verstehen ist. Denn ¢noc» ist hier kein zeitlicher Begriff, sondern kennzeichnet als Nomen zu ¢nšcein (Akt. o. Med.) eine Tat oder auch eine Haltung201. Alle temporalen Verständnisse dieser Stelle beruhen also darauf, dass die Zeit zusätzlich eingetragen wurde, zu der dann ¢noc» das Genitivattribut wird202. Diese Vorstellung rührt von dem falschen Verständnis unserer Perikope als einer durch verschiedene Zeiten bestimmten her203. Wenn man sich vor Augen hält, dass es in unserem Abschnitt um Gottes Gerechtigkeit und damit um die Frage 198 Vgl. auch K. Haacker, Römer, 92 mit Anm. 48. 199 Gegen S.K. Williams, Death, 19–34, der die vorher begangenen Sünden auf den Götzendienst der vorher gottlosen Heiden bezieht. 200 Vgl. auch D. Zeller, Sühne, 63ff. 201 Vgl. H. Schlier, ¢nšcw, 360f. 202 So z.B .O. Michel, Römer, 146: „während der Zeit der Langmut Gottes“; auch E. Lohse, Römer, 129; P. Stuhlmacher, Römer, 55: „unter der Geduld Gottes“ statt instrumental. Ein zeitlicher Aspekt von ¢noc» ist durchaus möglich, er wird dann aber auch so gekennzeichnet, z.B. bei einer Waffenruhe, einem Nichtangreifen als militärischem Aufschub (1Makk 12,25; Jos. Bell 1,173; Ant. 6,72; 7,281). Im Zusammenhang mit Gott und Sündenvergebung hat ¢noc» aber immer die Bedeutung eines effektiven, heilvollen Handelns oder einer effektiven, heilvollen Haltung Gottes (grHen 13,2). 203 Vgl. O. Michel, Römer 147ff und die oben in Anm. 23 Genannten.
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seines Heilshandelns und seiner Bestimmung im Hinblick auf sein Heil geht, dann passt ¢noc¾ toà qeoà ohne zusätzlichen Zeiteintrag verstanden als ein Handeln bzw. eine machtvolle Eigenschaft oder eine Haltung Gottes genau in diesen Zusammenhang. Es ist dann zu Recht an Ex 34,6 mit seinen herausragenden Bestimmungen Gottes als Hintergrund zu denken204. Dass man dabei ¢noc» und makroqum…a gleichsetzen kann, erhellt aus Röm 2,4: Auch wenn dort makroqum…a und ¢noc» in einem anderen Argumentationszusammenhang mit anderen Implikationen stehen, zeigt die tautologische bzw. pleonastische Rede, dass makroqum…a und ¢noc» semantisch weitgehend deckungsgleich sind. Im Rahmen einer solchen Bestimmung als Tun oder wirkmächtige Eigenschaft Gottes ist ™n tÍ ¢nocÍ toà qeoà dann am sinnvollsten instrumental zu verstehen. Denn auch schon vorher, mit tÍ a§toà c£riti in V.24, wurde eine weitere Größe im heilvollen Handeln Gottes genannt, um das Heilshandeln der dikaiosÚnh zu füllen und zu illustrieren. Und genau in dieser Absicht wird auch ¢noc» hier angeführt. Damit ist aber für die erste œndeixij-Aussage – und damit natürlich auch für die gesamte Parallelaussage – noch einmal unterstrichen, was wir oben schon angedeutet hatten: dass es nicht um eine umfassende zeitliche Bestimmung der dikaiosÚnh qeoà durch eine Differenzierung ihres Erweises hinsichtlich temporaler Aspekte geht, sondern um die Bestimmung der dikaiosÚnh qeoà durch die Füllung und Erläuterung aus dem weiten Spektrum des Heilshandelns und der Heilsmächte Gottes. Für das weitere Verständnis von V.25b.26a im Rahmen antik-jüdischer Parallelen hat nun D. Zeller zu Recht angemerkt, dass weniger aus einer gesonderten Untersuchung jeder einzelnen der drei Komponenten progegonÒton, ¡mart»mata und p£resij/¢noc» eine Hilfe für das Verständnis zu erwarten ist, als durch das Augenmerk auf die durch das Zusammenwirken dieser drei Elemente entstehende Aussage205. Denn „Langmut“ Gottes gibt es zwar auch gegenüber den Heiden, aber die Kombination von „Langmut“ mit „Vergebung vorher geschehener Sünden“ ist eine Aussage, die sich in den Texten immer auf Israel bezieht und eine Geschichte Gottes mit seinem Volk voraussetzt: In Ex 34,6.8ff; Lev 14,18–20 wird makrÒqumoj Ð qeÒj beschworen als Grund für die sich anschließende Bitte um Vergebung der Sünden, die sich in der Geschichte Israels mit Gott abgespielt haben. Lev 14,19 macht die geschichtliche Dimension und damit die vorher geschehenen Sünden besonders deutlich. Auch in Neh 9,17 ist, wiederum im Rahmen eines 204 Vgl. U. Wilckens, Römer 1, 197; E. Käsemann, Römer, 92; D. Zeller, Sühne, 64f. – Vgl. auch J.H. Neyrey, God, 143. 205 Vgl. D. Zeller, Sühne, 61.
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Bußgebetes206, Gottes makroqum…a Grund für die angeführte Vergebung der sich in der Geschichte ereignet habenden Verfehlungen und für seine Initiative des Trotzdem-Heil-Schaffens. Auch in Joel 2,13 ist die Langmut Gottes Grund für den Umkehrruf und dafür, dass Gott sich des in der Geschichte zu Recht über Israel geschehenen Unheils gereuen lässt und sich Israel wieder gnädig zuwendet. Ebenso ist in Ps 103,8 das deutlich in Vergebung bzw. heilschaffendes Erbarmen mündende makrÒqumoj über V.7 eingebunden in die Geschichte Israels mit Gott. Und deutlich gekennzeichnet wird makrÒqumoj als auf Israel bezogene und Israel gegenüber den Heiden unterscheidende und profilierende Größe auch in SapSal 15,1: Es wird als Grund dafür genannt, dass Gott Israel anders behandelt als die Heiden, indem er nämlich aufgrund seiner Langmut Israel trotz seiner Sündhaftigkeit im Status seines Eigentums belässt. Dafür, dass es sinnvoll und berechtigt ist, diesen Strang der Verwendung und Bedeutung von makrÒqumoj, bei dem es in der Kombination mit der Geschichte und verbunden mit der Vergebung eben vorrangig auf Israel bezogen auftritt, als Hintergrund für das Verständnis von ¢noc» V. 26a heranzuziehen, spricht nun auch, dass es in unserem Text unter der Überschrift der dikaiosÚnh auftritt. Dadurch ist die Rede von der ¢noc» nämlich an eine Beziehung Gottes gebunden, insofern Gottes dikaiosÚnh ein Beziehungsbegriff ist. Diese Beziehung gab es in der Geschichte (progegonÒton) aber nur von Gott zu Israel, bzw. ist die Geschichte Gottes mit Israel wesentlich als eine Beziehung der dikaiosÚnh bestimmt. Und insofern ist ganz deutlich, dass unter der Überschrift des Erweises der dikaiosÚnh qeoà die ¢noc» im Blick auf die vorher geschehenen Sünden sich nur auf Israel beziehen kann und damit eben diese erste œndeixij-Aussage V.25b.26a Gottes Handeln an Israel zum Gegenstand hat. Damit ist zugleich auch klar, dass p£resij nicht als „tolerierendes Übersehen“ oder „Aufschub der Sündenstrafen“, sondern im Sinne von „Vergebung“, „Erlass“ zu verstehen ist207, denn Gottes ¢noc» in der Beziehung zu Israel ist immer verbunden mit einem vergebenden, heilschaffenden Handeln. Dies wird wiederum bestätigt durch die Überschrift dikaiosÚnh, denn diese im ganzen Römerbrief und unserem Abschnitt so stark profilierte Heilshandlungsmacht kann nicht plötzlich ein einfaches Übersehen der Sünden implizieren, vielmehr kann unter ihrer Überschrift nur echtes Heilshandeln stehen208. 206 Vgl. a.a.O., 64ff. 207 Vgl. U. Wilckens, Römer 1, 196; W.G. Kümmel, p£resij, 262f; H. Lietzmann, Römer, 5; Phalaris, Ep. 81,1: Crhm£twn p£resij; Berl. Griech. Urkunden 624,21; Dionysius Halic. Antiquitates Romanae 7,37,2; Dio Chrysostomos 80 (30), 19. 208 Vgl. H. Lietzmann, Römer, 51.
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Im Neuen Testament bestätigen Act 14,16 und vor allem Act 17,30 unser auf Israel bezogenes Verständnis von ¢noc» in V.26a – und zwar insofern beide Belegstellen sich eben gerade nicht als Parallele darstellen209. Das andere Profil dieser auf die Heiden bezogenen Aussagen ist deutlich: Das dort geschilderte Verhalten Gottes gegenüber den Heiden, ihre eigenen Wege und die Unwissenheit toleriert zu haben, ist eben gerade nicht, wie bei seinem Handeln gegenüber Israel, durch Beziehung und aktives Heilschaffen im Hinblick auf die Vergebung der Sünden gekennzeichnet, sondern es ist ein Sich-Selbst-Überlassen, ein bloßes Nicht-Eingreifen, Am-Leben-Erhalten, während das Verhalten der Langmut gegenüber Israel mit Beziehung und der Intention heilvoller Veränderung einhergeht210. Insofern also im Hinblick auf die Heiden anders geredet wird, stellt sich p£resij tîn progegonÒtwn ¡marthm£twn ™n tÍ ¢nocÍ toà qeoà als auf Israel bezogene Rede heraus211. Wenn sich also nun, wie in Röm naheliegend und plausibel, mit V.25b. 26a der erste Teil des Parallelwortes auf Israel und seine Geschichte bezieht, dann wird der zweite Teil auf die Heiden zielen. Und das passt auch mit dem vorliegenden Text zusammen. Denn wodurch ist die geschichtlich bisher auf Israel bezogene dikaiosÚnh a§toà ™n tù nàn kairù anders gekennzeichnet als durch die Öffnung und den Bezug zu den Heiden. Der jetzige Zeitpunkt ist geprägt durch die Verkündigung des paulinischen Evangeliums, das die immer schon in der Schrift enthaltene Verbindung von dikaiosÚnh und p…stij/pisteÚein (und deshalb ist auch eine Gegenüberstellung von zwei Zeitaltern mit 3,21 nicht haltbar, auch Röm 4 bestätigt dann, dass es schon immer so war) gegenüber der fälschlicherweise angenommenen Verbindung von dikaiosÚnh und nÒmoj deutlich macht und das damit als besonderes Ziel und Kennzeichen hat, dass auch die Heiden in den Heilsbereich Gottes eintreten können. Die verkündigte Verbindung von dikaiosÚnh und p…stij/pisteÚein schließt zwar Israel selbstverständlich mit ein, zielt aber im Besonderen auf die Heiden, weil bei dieser Verbindung das die Heiden von Israel trennende Gesetz als bedeutungslos bestimmt worden ist. Ganz deutlich sagt das z.B. 1,5 aus, das die in unserem Zusammenhang schon genannte Parallelkonstruktion 1,3f dahin führt, dass ihre mit der Tradition Israels verbundene Gegenwartsbedeutung zu einem auf die Heiden zielenden Sachverhalt 209 Gegen K. Haacker, Römer, 92 Anm. 47. 210 Vgl. in diesem Sinn des aktiven und effektiven Heilschaffens ¢noc» in grHen 13,2. 211 So auch E. Lohse, Römer, 136: „Gott hat sich als dem Bund treu erzeigt, indem er um Christi willen die Sünden vergab, die in der Vergangenheit begangen worden waren. Empfänger der Versöhnung ist also das Bundesvolk, von dessen Sünden in kollektivem Sinn gesprochen wird“.
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wird (vgl. auch Gal 3,8; auch in Röm 11,5.30 ist die gegenwärtige Zeit in erster Linie durch die Heiden bestimmt).
3.3.1.6.3 Die Bestätigung von V.25b.26ab in V.26c Haben wir zunächst versucht, die beiden Aussagen der Parallelkonstruktion V.25b.26ab aus sich heraus und im Vergleich mit anderen Texten zu verstehen, so können wir nun noch einmal zur Bestätigung dieses Verständnisses auf die oben dargelegte Weiterführung der Aussagen in V.26c und die dadurch entstehende Gesamtstruktur verweisen. Dabei bestätigt sich die von uns zunächst ohne einen Blick auf V.26c dikaioànta tÕn ™k p…stewj 'Ihsoà vorgenommene Füllung von dikaiosÚnh a§toà ™n tù nàn kairù durch p…stij dadurch, dass nun auch im strukturellen Kontext durch die Entsprechung von A2 und B2 die Bestimmung der œndeixij tÁj dikaiosÚnhj a§toà ™n tù nàn kairù inhaltlich gefüllt wird durch die Handlung dikaioànta tÕn ™k p…stewj 'Ihsoà und der Text selbst dies explizit macht. Und damit ist aufgrund der ausgeführten Zielrichtung der Verbindung von dikaiosÚnh und p…stij auf die Heiden deutlich212, dass die zweite œndeixij-Wendung auf die Heiden zielt – wie die erste œndeixij-Wendung eben Israel im Blick hat. Und auch dies wird durch die benannte Beziehung von erster und zweiter zweigliedriger Aussage bestätigt, insofern nämlich dementsprechend die Handlung p£resij tîn progegonÒtwn ¡marthm£twn ™n tÍ ¢nocÍ toà qeoà bestimmt wird durch die Benennung eÌnai a§tÕn d…kaion. Denn die Frage, ob Gott gerecht bzw. treu ist, ist eben im Römerbrief in erster Linie eine auf Israel und auf das Bundesverhältnis Gottes zu seinem Volk bezogene Frage. Damit wird insgesamt die Ausführung des einen Gerechtigkeitserweises für die Juden auf der einen Seite und für die Heiden auf der anderen Seite als Aussagesinn von V.25b.26 ganz deutlich: Gottes Handeln in Jesus ist der Erweis seiner Gerechtigkeit im Hinblick auf Israel, insofern Gott Israels Sünden als Geschichte des Bundesbruches erlässt zum Heil für Israel und sich dadurch als d…kaioj, als bundestreu erweist. Er handelt im Einklang mit dem von ihm gestifteten Bund, in dem er sich selbst für Israel verpflichtet hat. Damit haben wir in der Tat eine zweite und neue Antwort auf die Frage von 3,1.3. Sie wird weitergeführt, setzt sich expliziter und massiver manifestiert in 11,25–27 fort und wird in 11,27 konkretisierend paraphrasiert. Dort wie hier, das sei nebenbei bemerkt, ist die auf Israel bezogene Gerechtigkeit Gottes 212 Vgl. L. Gaston, Paul, 122.
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kein „Sonderweg“, der an Christus vorbeiführt213, denn, daran sei noch einmal ausdrücklich erinnert, der eine Erweis der Gerechtigkeit Gottes, der in V.25b.26a zunächst auf Israel hin ausgelegt wird, wird ermöglicht bzw. hat seinen Grund in dem zuvor V.24.25a genannten Handeln Gottes an Jesus Christus. Im Hinblick auf die Heiden ist Gottes Handeln in Jesus Christus insofern der Erweis seiner Gerechtigkeit, als dadurch die immer schon proklamierte Gerechtigkeit aus Glauben nun endlich unmissverständlich deutlich und öffentlich gemacht ist, so dass die Heiden nicht durch das Gesetz auf einem für sie fremden Weg zum Heil kommen müssen, sondern durch Gottes Rechtfertigen aus Glauben wird den Heiden ein Weg zum Heil geöffnet, der ihnen in ihrer Eigenheit gerecht wird. Und, insofern dieser Weg für Paulus der urbiblische Weg ist, wird er darüber hinaus auch Israel gerecht. V.25b.26 erläutert und interpretiert also das V.24.25a genannte Handeln Gottes in Christus so, dass sich Gott dadurch in doppelter Weise als gerecht erweist, insofern er zum einen sich Israel gegenüber als bundestreu erweist und zum anderen den Heiden nun, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ermöglicht, in die Gemeinschaft mit ihm einzutreten. Insgesamt kann damit noch einmal im Hinblick auf die Frage nach der Rezeption von vorpaulinischen Traditionsstücken ganz deutlich gesagt werden: Selbst wenn Paulus in V.25.26a auf ein Traditionsstück zurückgegriffen haben sollte, geht dieses völlig in der artifiziellen Konstruktion des Abschnittes auf, insofern Paulus mit dem von uns beschriebenen Aufbau von V.25b.26 eine Struktur schafft, die zum bestimmenden Element der Aussagen wird und den Sinn für die beiden œndeixij-Wendungen vorgibt. Diese entsprechen genau dem, was Paulus auch sonst in Röm vertritt: das sowohl gleiche wie auch je spezifisch aspektuierte Handeln Gottes für Israel und die Heiden zum Heil214.
213 So etwa der Vorwurf von D. Zeller, Römer, 199. – Vgl. dazu unten 6.2.1.1. 214 Damit kann man aber die vielfach vertretene Auffassung „the most striking feature ist the syntactical construction of vv 24–26, particularly… the awkward participial opening of v 24 (dikaioÚmenoi) and the sequence of prepositional phrases which carry the thought forward from v 25 without making clear what their mutual relationship is“ (J.D.G. Dunn, Romans I, 163) korrigieren in eine Aussage wie diese: Unser Abschnitt gehört auch deshalb zu den erstaunlichsten des Römerbriefes, weil er syntaktisch am elaboriertesten und absichtsvoll gestaltet ist mit dem Impetus, dass die Form eindrucksvoll die Botschaft mit transportiert. – Vgl. auch oben Anm. 110.
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3.3.1.6.4 e„j tÕ eÌnai a§tÕn d…kaion Gesonderte Beachtung verdient dabei noch einmal die finale Bestimmung215 e„j tÕ eÌnai a§tÕn d…kaion. Denn wenn man bedenkt, wie zentral der Terminus der Gerechtigkeit für das Verständnis Gottes ist216 und wie sehr Gott sich selbst damit verbunden hat (Jes 45,20–25), dann wird deutlich, welche Dimensionen und welches Ausmaß das von Paulus hier Vorgestellte und Diskutierte hat. Es steht nichts weniger als Gott selbst in seinem Gott-Sein auf dem Spiel, und der Aspekt der Theodizee ist berührt: In fast allen Textbereichen des AT ist Gott so mit dikaiosÚnh und dem Attribut d…kaioj verbunden, dass er selbst damit steht und fällt. Exemplarisch sei hier in kanonischer Reihenfolge zunächst verwiesen auf die zentrale Weisunge des Bundesbuches und aus Levitikus an das Volk, Recht zu praktizieren. Denn diese Weisung wird immer mit Gott begründet, woraus folgt, dass aus Gottes wesentlichem Gerechtsein und -tun die zentrale Aufforderung an das Volk, Recht zu praktizieren, folgt (Lev 19,36; 24,22; auch Dtn 16,20 u.ö.). Dann werden explizit d…kaioj und dikaiosÚnh mit Gott und seinem Namen in Verbindung gebracht und mit eÌnai zu einer Wesensbeschreibung benutzt (Dtn 32,4), zusätzlich semantisch auf Gott hin verschärft, indem sie mit anderen Gottes Gottheit aussagenden Prädikaten zusammengebracht werden (|gioj: 1 Sam 2,2; mit einem durch den Ausschluss alles anderen kategoriale Differenz markierenden o§k œstin). Auch hier tritt d…kaioj mit pistÒj und ¢lhqinÒj auf, so dass es zutreffend ist, wenn wir bei dem Aspekt der Theodizee und des Gottseins Gottes im Römerbrief d…kaioj in den Zusammenhang mit Aussagen über p…stij und ¢l»qeia Gottes stellen217. In den Propheten setzt sich die Benennung und wesentliche Charakterisierung Gottes als d…kaioj weiter fort: Jes 5,16 mit weiteren Attributen, die seine Gottheit kennzeichnen; auch 45,21; Sach 8,8 erweist sich Gottes Gottsein für Israel in seiner ¢l»qeia und dikaiosÚnh. Für die Psalmen sind ebenso zahlreiche Belegstellen zu nennen: 35,7LXX; 47,11LXX; 49,6; 114,5; wie auch für weitere und jüngere Schriften: 2Makk 1,24; SapSal 15,3 u.ö. Die Verwirklichung dieses Traditionshintergrundes als Frage nach Gott selbst wird nun im vorliegenden Text durch das a§tÒj bei a§tÕn eÌnai d…kaion realisiert und hervorgehoben, denn a§tÒj hat hier in der Bedeutung von „selber“218 die Funktion, die repräsentierte Größe gegenüber 215 216 217 218
Vgl. E. Lohse, Römer, 136. Vgl. R. Rendtorff, Theologie 2, 201ff; O. Kaiser, Gott 3 (= Jahwes Gerechtigkeit). Vgl. oben 2.4.4 und 2.4.5. R. Kühner/B. Gerth § 468.c); vgl. BDR 277.3.
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dem Rest des Syntagmas in den Fokus zu rücken219. Bei aller Thematik des Heilshandelns Gottes, das den Menschen zu Gute kommt und Auswirkungen auf sie hat, wird also der Blick gelenkt auf Gott selbst und die Frage nach seiner Identität. Und dazu wird ausgesagt, dass in seinem Handeln an Jesus Christus Gott sein Gottsein, seine Identität erweist und bestätigt. Indem Gott an Jesus Christus handelt, um sich als d…kaioj zu erweisen, wird deutlich, dass im Christusgeschehen keine radikale Neubestimmung Gottes stattfindet220. Vielmehr wird gerade auf die Kontinuität, Konsistenz und Kohärenz Gottes in seinem Handeln an Christus verwiesen, weil Gott sich darin gerade mit dem Terminus erweist, der im AT für Gott und seine Geschichte mit Israel wie kein anderer bestimmend ist: Gott hat an Christus gehandelt, um sich selbst und seine angreifbare und angegriffene Identität im Hinblick auf Israel zu bestätigen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass d…kaioj ein Beziehungsterminus bzw. Entsprechungsterminus ist. Insofern d…kaioj ein Entsprechungsterminus zu einer souveränen Selbstverpflichtung ist und dadurch begründet ist, dass Gott Sünden dahingehen lässt zum Heil, wird deutlich, dass von einer Satisfaktionstheorie Anselms von Canterbury und einem Selbsterweis Gottes durch Aufrechterhaltung seiner Ehre sowie von einer iustitia distributiva221 hier keine Rede sein kann. Vielmehr kann man mit K. Haacker feststellen: Es zeigt „sich gerade in der Rechtfertigung und nicht im Gericht Gottes eigene ‚Gerechtigkeit‘“222. Nicht also im Zumessen von Strafe und in der Ahndung von Sünden, sondern in der Frage der Manifestation seines Heils stehen Gottes Gottheit und seine Identität auf dem Spiel. Genauso sagt Gott selbst seine Identität in Ex 34,6 aus, und Ex 34,6 muss damit als ein Primärtext angesehen werden, den Paulus hier rezipiert. Dementsprechend ist unsere Passage tatsächlich als paulinische Auslegung von Ex 34,6 und auch Jes 45,21–24 anzusehen, Röm 3,21–26 ist also ein Midrasch zu Ex 34,6 (vgl. auch 1 Joh 1,9)223. Aus dieser Bewertung wird auch verständlich, wieso diese Betonung von Kontinuität und Selbigkeit Gottes sich unmittelbar mit einem Element des Neuen vereinigen kann in kaˆ dikaioànta tÕn ™k p…stewj 'Ihsoà: Gottes zunächst auf Israel bezogener Heilswille ist so grenzenlos und wesentlich (Ex 34,6), dass sich mit der israelbezogenen Heilskontinuität Gottes auch ein universaler Heilswille Gottes verbindet, und dieser 219 R. Kühner/B. Gerth § 468.c); vgl. auch BDR 472.2. 220 Gegen P.-G. Klumbies, Rede, 194ff.251f; ders., Brennpunkt, 206 u. passim; E. Gräßer, Gott, 255ff. 221 Vgl. Anselm v. Canterbury, Cur Deus homo, XII u. passim. Vgl. oben Anm. 194. 222 K. Haacker, Römer, 92. 223 Vgl. a.a.O., 92 mit Anm. 48; J.H. Neyrey, Render, 114.120f.
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Heilswille ist derart bestimmend für Gott selbst (Ex 34,6), dass ihm Ausdruck und Manifestation verliehen werden muss, wenn Gottes Identität umfassend gesichert werden soll. Dabei verdient insbesondere die plerophore Rede von Gott in der doppelten Parallelkonstruktion von V.25b.26 Beachtung. Sie macht zeigt zunächst an, dass Gott tatsächlich das Thema ist, denn in jedem der vier Teilelemente kommt Gott vor, repräsentiert durch das ihn wesentlich charakterisierende dikai*-Element, kombiniert oder verstärkt mit pronominaler Repräsentanz oder Gott als implizitem Subjekt. Die doppelte Parallelstruktur mit gegenseitiger Bestimmung der Elemente macht dabei deutlich, dass umfassend und verwoben etwas von Gott ausgesagt wird, bestimmt durch Einheit in vielen Aspekten. Mit der bestimmenden Plerophorie des dikai*-Elementes in den Parallelgliedern wird dann vor allem ausgesagt, dass Gott wesentlich und überschwänglich durch Heil gekennzeichnet ist, und dann auch, dass gerade dieses Element das wesentlich einheitsstiftende Element ist. Zugleich aber sagen die verschiedenen Glieder aus, dass dieses selbe Element in ganz verschiedener Hinsicht ausgesagt werden kann, nämlich im Hinblick auf Juden und Heiden. Damit ist aber das stilistisch-rhetorische Moment der Parallelaussage das einzige oder bevorzugte, weil einzig geeignete Mittel, mit dem Paulus den eigentlich kaum auszusagenden zentralen Sachverhalt seiner Botschaft aussagen kann: die Universalität der unterschiedslosen Einheit von Juden und Heiden in ihrem jeweils spezifischen Gottesverhältnis. Oder andersherum, das eine Handeln des einen Gottes mit dem einen Ziel, das für Juden und Heiden trotz ihrer anthropologischen Gleichheit aufgrund ihrer differenten Geschichte mit Gott doch je spezifisch, und das heißt eigentlich nur für die Juden zusätzlich spezifisch, ausgesagt werden kann. Denn das Wesen einer Parallele ist ja gerade, zwei differente, eigenständige Elemente in einer Beziehung der Einheit auszusagen und zusammenzubringen, „ein Wechselspiel von Variation und Identität“ zu sein224. Eine Parallele dient dazu, Verschiedenes unter der Überschrift der bestimmenden Gleichheit zusammenzubringen, oder umgekehrt, das Element der Gleichheit und Einheit in seiner mehrfachen und je spezifischen Manifestation zum Ausdruck zu bringen. Insofern es sich eben um das Phänomen der Parallele, aber nicht der einlinigen Einheit handelt, hat auch W. Schrage recht: Gott, der selbst nicht auf einer Position verharrt und statisch ist, sondern immer unterwegs (Ex 19,11; Jes 31,4; Act 7,34 u.ö.), ist – wenn man so will – auch noch unterwegs zu sich selbst. Dies liegt darin begründet, dass er sich bei der 224 H.F. Plett, Textanalyse, 39.
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Festlegung seiner Identität in seinen Selbstverpflichtungen und Offenbarungen auf die Menschheit in der Geschichte bezogen hat.
3.3.2 Fazit zum Teilabschnitt Röm 3,21–26 Damit können wir eine erste Zwischenbilanz ziehen. Die einleitende Anführung und häufige Rekurrenz von dikaiosÚnh qeoà in 3,21–26 zeigt an, dass es hier tatsächlich um Gott geht, der mit diesem Terminus in seinem souveränen Heilshandeln und in seinem Gottsein alles bestimmender Gegenstand der Rede ist225. Dafür spricht insbesondere auch, dass wir dikaiosÚnh toà qeoà durchgängig als genitivus subiectivus erweisen konnten, i.e. als ein von Gott ausgehendes Handeln. Es geht also nicht um den Menschen in seinem Status vor Gott226. Das Handeln Gottes qualifiziert ihn, Gott, dann auch selbst. Gottes Gottsein ist so eng mit seinem Heilshandeln und -willen verbunden, dass mit der Heilsfrage, mit seiner dikaiosÚnh, seine Identität und Gottheit steht und fällt (Jes 45,21–25). Heilshandeln und Heilswille Gottes als ihn wesentlich bestimmend werden in unserem Abschnitt bestätigt durch die vielen Heilstermini (dikaiosÚnh, c£rij, ¢noc»), die in unserem Abschnitt mit Gott verbunden sind und ein facettenreiches Bild von dem Gott des Heils zeichnen. Gottes Heilshandeln erfolgt dabei ganz göttlich, d.h. souverän aufgrund des kategorialen Unterschiedes zwischen Gott und Mensch ohne irgendeine Mitwirkung des Menschen. Auch Jesus Christus spielt dabei keine eigenständige Rolle, an ihm wird gehandelt. Deshalb findet hier auch keine inhaltliche Neubestimmung Gottes durch Jesus Christus statt, sondern in seinem Handeln an Jesus Christus erweisen sich Gottes Identität und Selbigkeit, insofern die in Gesetz und Propheten genannte, Gott schon immer bestimmende und kennzeichnende dikaiosÚnh Grund dieses Handelns ist und sich in diesem Handeln genau erweist und bestätigt. Dafür, dass Paulus hier die Identität Gottes, nämlich dessen Selbigkeit, Kontinuität und Konsistenz proklamiert und entfaltet, spricht unter anderem auch, dass unser Abschnitt nicht durch ein Element der zeitlichen Gegensätze oder Veränderungen geprägt war, wie wir an einem auf Juden und Heiden bezogenen Verständnis von V.25b.26a und 225 Damit gegen P.-G. Klumbies, Rede, 192, der meint, dass Paulus in 3,21–28 weniger von Gott redet, und sagen kann: „… ausdrücklich redet Paulus von Gott erst 3,29“. 226 Für die Gegenposition seien hier stellvertretend P.-G. Klumbies, Brennpunkt, 205 und D. Lührmann, Offenbarungsverständnis, 149 angeführt: Es „reflektiert Paulus hier über den Gegensatz zwischen dem Menschen (Juden wie Griechen) ohne die Gottesgerechtigkeit und dem Menschen (Juden wie Griechen) in der Gottesgerechtigkeit“.
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vor allem an der logisch-rhetorischen Funktion des nunˆ dš gesehen hatten, das die eine, alttestamentlich bezeugte dikaiosÚnh angeführt hatte. Die entscheidende Rolle, die Jesus Christus auch in diesem derart theo-logisch bestimmten Text zukommt, liegt in der unmissverständlichen Festlegung der p…stij als durch ihn bestimmte p…stij. Dazu passt auch die allgemeine und unbestimmte Rede über eine nicht über ihren Vorstellungshintergrund spezifizierte ¢polÚtrwsij und ein nicht konkretisiertes ƒlast»rion im Hinblick auf das, was mit Jesus Christus geschieht. Dabei wird Jesus Christus zu dem, was er ist, dadurch, das er von Gott dazu gemacht wird. Auch das weist darauf hin, dass der Anteil Jesu Christi für das Heilshandeln Gottes untergeordet ist, weil es keine konkrete Leerstelle im Heilswillen und Heilshandeln Gottes gibt, die auszufüllen Jesus Christus etwas tun müsste. Das wären Überlegungen im Sinne Anselms von Canterbury, eines Hohepriesterdienstes oder der stellvertretenden Lebenshingabe Jesu und der Frage nach dem Ausgleich von iustitia distributiva und salutifera, die aber in unserem Text eben nicht zur Sprache kommen und keine Rolle spielen. Demgegenüber ist Gott vielmehr a) so souverän und b) so durch seinen Heilswillen (Ex 34,6) wesentlich gekennzeichnet, dass er souverän Heil schaffen kann (vgl. 11,32; 2Kor 5,18: Gott versöhnte uns mit ihm selbst). Die p…stij aber muss durch den Bezug auf Jesus Christus bestimmt werden, um das universale Heilshandeln Gottes zu gewährleisten. Sie markiert, woran das souveräne Heilshandeln Gottes orientiert ist und wem es gilt: Es ist nicht orientiert am nÒmoj, nicht an einer irgendwie mit dem nÒmoj verbundenen p…stij und gilt damit nicht allein den Juden; sondern das Heilshandeln Gottes ist an der durch Jesus gekennzeichneten p…stij orientiert und gilt für denjenigen ™k p…stewj 'Ihsoà, der an den Tod Jesu als Heilstod glaubt. Damit gilt es unterschiedslos für jeden Menschen, für Juden wie für Heiden. Weil die eine Menschheit, auf die Gott bei seinem Heilshandeln trifft, eben noch in diese Gruppen der Juden und Heiden geteilt ist, darum muss das Heilshandeln Gottes auch so artifiziell und mehrteilig ausgesagt werden, wie es mit der Struktur von V.25b.26 geschieht: Es ist eine hochkomplexe Aufgabe für Gott, die in zwei Teile zerfallene Menschheit gleich und durch dieselbe dikaiosÚnh so unterschiedslos zu einer Einheit zusammenzuführen, dass dabei die aufgrund der Geschichte Israels mit Gott entstandene spezifische Differenz berücksichtigt bleibt; bzw. umgekehrt gesagt ist es höchst anspruchsvoll, in dem nach Juden und Heiden je verschiedenen Handeln der einen dikaiosÚnh die umfassende, universale und unterschiedslose Einheit dieser einen dikaiosÚnh – und damit letztlich sich selbst – zu wahren.
Der Teilabschnitt Röm 3,27–31
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3.4 Der Teilabschnitt Röm 3,27–31 3.4.1 Einleitung Über die Zusammengehörigkeit von 3,21–26 und 3,27–31 war schon genügend gesagt worden227. Es gilt nun zunächst zu klären, wie der Anschluss an V.21–26 in V.27 durch die Frage mit oân und der Stilwechsel dazu passen. Für die Frage mit oân lässt sich feststellen, dass neben einer stark gliedernden Funktion im Sinne eines Luftholens und Neuansatzes, etwa in der allgemeinen Verbindung t… oân ™roàmen228, oân auch eine Zuspitzung der Argumentation und bzw. oder eine Folgerung markieren kann, und zwar dann, wenn es mit konkret sachbezogenen Fragen verknüpft ist229. Letzteres ist auch in V.27 der Fall. Im Hinblick auf den Stilwechsel von der geschlossenen, darstellenden Ausführung in V.21–26 hin zur offenen Form von Frage und Antwort der Diatribe230 lässt sich sagen, dass gerade dieser Stilwechsel hier ein Argument für die Zusammengehörigkeit von V.21–26 und V.27–31 ist. Denn die Fragen sind hier keine Einwände von Paulus selbst oder von Gegnern231, die sich zwingend oder naheliegend aus dem bisher Gesagten ergeben (wie etwa in 3,1), sondern frei gewählte und rhetorische Fragen232. Solche Fragen bieten aber die Möglichkeit, sozusagen mit der Chance des anderen, freieren Mediums im Hinblick auf den Leser das direkt anzusprechen, herauszustellen und festzuhalten, was an der geschlossenen Darstellung entscheidend war und worauf sie zielen soll233: Nach der höchste Konzentration verlangenden Darstellung in V.21–26 schafft der Wechsel von kurzer Frage und Antwort nun Erleichterung beim Leser/Hörer234 und ermöglicht, dass dieser das ganze Ausmaß dessen, was in V.21–26 gesagt worden war, leichter erkennen kann. Damit ergibt sich nun Folgendes für die Beurteilung von Einheit und Differenz von V.21–26 und V.27–31: Die aufgrund des übergreifenden semantischen Zusammenhangs klar markierte Einheit von 3,21–31 teilt sich stilistisch deshalb in zwei Teilabschnitte, um im zweiten Teilab227 228 229 230 231
Vgl. oben 3.2. Vgl. nur 4,1; 6,1; 7,7. Röm 2,26; 11,7 u.ö.; vgl. auch 4,10. Vgl. auch D. Starnitzke, Struktur, 161. Zur Diatribe vgl. K.S. Stowers, Diatribe; D.F. Watson, Diatribe; T. Schmeller, Paulus. So etwa P. Stuhlmacher, Römer, 62; E. Lohse, Römer, 137; J.D.G. Dunn, Romans I, 184, auch wenn er von einem „less confrontal ‚we‘“ spricht. 232 Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 143 mit Anm. 46. 233 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 185; H.F. Plett, Textanalyse, 80; H. Lausberg, Handbuch, § 771. 234 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 185.
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schnitt mit anderen Mitteln das im ersten Abschnitt Gesagte den Adressaten gleichsam didaktisch und unmissverständlich auch im Hinblick auf die beabsichtigten Implikationen deutlich machen zu können235. Damit ist aber die Einheit ebenso weiter bestätigt wie die Wichtigkeit des Abschnittes unterstrichen ist. Und die Absicht des im Diatribenstil geschriebenen Textes in V.27–31 ist nicht die der polemischen Auseinandersetzung236. Das Explizitmachen von Gedanken darf hier nicht mit direkt aufgegriffenen Einwänden oder der Direktheit polemischer Angriffe verwechselt werden237.
3.4.2 Analyse 3.4.2.1 V.27 Mit der Frage poà oân ¹ kaÚchsij; wird der Blick auf die Menschheit gelenkt, und zwar erst jetzt: War V.21–26 eindeutig durch die Frage nach Gott und seinem Handeln und ihm selbst (a§tÒj) bestimmt – und eben nicht durch die Frage nach dem Menschen vor Gott –, so kommt jetzt über die kaÚchsij die Menschheit selbst ins Spiel. Denn alles, was in V.21–26 über die Menschheit gesagt wurde, wurde aus der Perspektive der Wirklichkeit Gottes oder im Zusammenhang der Rede von Gottes Handeln ausgesagt. Dass hier jetzt mit kaÚchsij über die Menschheit geredet wird – und nicht etwa allein über Israel –, lässt sich auch dann noch sagen, wenn man eine Verbindung von kaÚchsij in V.27 zu kauc©sqai in 2,17 zieht238, wo der Terminus mit den Juden verbunden ist. Denn was in 2,17 mit kauc©sqai als Israels Sonderstellung ausgesagt war, ist eine Bestimmung der menschlichen Wirklichkeit. Und an dieser Eigenschaft von Israels kaÚchsij als menschliche Wirklichkeit setzt hier die Argumentation an. Denn die Argumentation in V.21–26 war so verlaufen, dass nicht über den Spezialfall Israel diskutiert wurde, sondern mit der kategorialen Un235 Vgl. auch S. Legasse, Romains, 256.267, der aber von Konsequenzen spricht, die hier gezogen werden; ähnlich D. Starnitzke, Strukturen, 157; auch J. Cambier, Évangile, 147: „un résumé de 3, 21–26“; D. Zeller, Römer, 85; O. Michel, Römer, 154: „Folgerungen“. E. Käsemann, Römer, 96 bemerkt durchaus: „Die Argumentationen in 27 f. und 29 f. erläutern die These von 21–26“, aber als Hauptcharakteristikum sieht er dann doch eine polemische Auseinandersetzung mit den Gegnern. 236 Mit K. Haacker, Römer, 95f; gegen S. Legasse, Romains, 256; P. Stuhlmacher, Römer, 62; J.D.G. Dunn, Romans I, 184 (auch wenn er von einem „less confrontal ‚we‘“ spricht; vgl. oben Anm. 232); E. Käsemann, Römer, 96. 237 Vgl. auch T.H. Tobin, Rhetoric, 143; gegen S.K. Stowers, Diatribe, 155: „3,27–4,2 … is in the mode of indictment or censure“. 238 Vgl. nur S.J. Gathercole, Boasting, 227.
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terscheidung von Gott und Mensch alle menschliche Wirklichkeit angesichts des allein bestimmenden Handelns Gottes ausgeschlossen wurde, zu der eben auch die spezielle kaÚchsij Israels – als eben menschliche Wirklichkeit – gehört. Die kaÚchsij ist aber nun ein der Menschheit inhärentes Element der menschlichen Perspektive. P. Esler macht zurecht darauf aufmerksam239, dass kaÚchsij nicht im Zuge eines modernen westlichen Verständnisses als etwas schon per se Negatives belegt werden darf240. Mit kaÚchsij/ kaÚchma ist vielmehr der die damalige Gesellschaft von honour and shame241 prägende positiv besetzte Wert ausgesagt, der eben zugleich das die Menschheit aus der menschlichen Perspektive wesentlich bestimmende Element ist. Exemplarisch sei hier nur auf Zeph 3,19f verwiesen242: Zeph 3 19 Siehe, zu jener Zeit werde ich an denen handeln, die dich unterdrücken. Ich werde das Hinkende retten und das Vertriebene werde ich zusammenbringen. Und ich werde sie zum Lobpreis (kaÚchma) und zum Namen (ÑnomastoÚj) machen in jedem Land ihrer Schande. 20 In jener Zeit werde ich euch herbeiholen und zu jener Zeit euch sammeln. Denn ich werde euch zum Namen (ÑnomastoÚj) und zum Lobpreis (kaÚchma) machen unter allen Völkern der Erde, wenn ich euer Geschick vor euren Augen wenden werde, spricht der HERR.
Dabei ist vollkommen unwichtig für das, worauf unsere Definition von kaÚchsij/kaÚchma zielt, dass der Wert hier von Gott geschaffen wird. Vielmehr unterstützt das Eingreifen Gottes zu Israels kaÚchma im Konzert der Völker, wie entscheidend dieser Wert und dieser Status für die damalige menschliche Gesellschaft ist. Es ist dabei durchaus richtig, dass unterschiedliche Kulturen Verschiedenes mit Ehre identifizieren; das Schema von Ehre und Schande als prägendes für die damaligen Kulturen ist davon aber nicht berührt243, sondern wird als generelles zugrundeliegendes Schema bestätigt. Mit kaÚchsij verbindet sich die Positionierung und Differenzierung im gesellschaftlichen Raum, kurz: die lebensweltliche Überschrift des antiken Menschen244. Sie ist das, 239 Vgl. P. Esler, Conflict, 168. 240 So etwa U. Heckel, Ruhm, 1517. Dagegen K. Berger, Exegese, 144: „Negative Bedeutung von ‚sich rühmen‘ wird allein durch das Objekt bestimmt“. 241 Vgl. P. Esler, Conflict, 168; H. Moxnes, Honour, 62f.65f; B. Malina, Welt, 40–66; D.A. DeSilva, Shame, 77–79 u. passim. L.J. Lawrence, Ethnography, 296 spricht sich dafür aus, „honour as the dominant value in ancient texts“ gegenüber shame zu sehen. 242 Vgl. weiter Dtn 26,19; Jdt 15,9; Prov 16,31; 17,6; 19,11; Sir 31,10; 44,7; 48,4; Zeph 3,19. Vgl. Jos 6,7 u.ö. mit Ônoma. Vgl. dazu auch D.A. DeSilva, Shame, 99f. 243 Vgl. D.A. DeSilva, Shame, 143f. 244 Vgl. auch 1Kor 1,26–31. Vgl. zum Folgenden auch B. Malina, Welt, 40–66 und D.A. DeSilva, Shame, 143 u. passim.
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was die eigene Identität positiv bestimmt, in der Abgrenzung zu anderen. Sie markiert die Position, die man erreichen bzw. innehaben will, den Status in den eigenen Augen und denen der anderen innerhalb einer sich differenzierenden Gesellschaft. kaÚchsij ist somit ein Wert, der mit menschlicher Differenzierung245 verbunden ist, weil die Frage die von mehr oder weniger Ehre ist und deshalb die Gesellschaft und die Menschheit sich aufgrund der kaÚchsij, die man sich selbst zuschreibt und die einem zugeschrieben wird, differenziert. Damit ist aber auch deutlich, dass kaÚchsij kein „Existenzial“246 (darin drückt sich der Blick der heutigen, westlichen Welt aus247) ist, sondern ein sozialer und soziologischer Terminus248. Dies alles lässt sich auf der Textebene des Röm bestätigen249: Zum einen wird an 4,2 die grundsätzlich positive Bedeutung des Begriffs im Rahmen menschlicher Wirklichkeit deutlich, zum anderen wird auch der soziologische Aspekt bestätigt über 2,17.23: Verbunden mit 'Iouda‹oj, qeÒj und nÒmoj ist die kaÚchsij im Römerbrief das, was den geltenden ethnisch-religiös-ethischen Status der Juden gegenüber den Nichtjuden, die Ausdifferenzierung der Menschheit in eine in einem Heilsstatus des Ansehens vor Gott befindliche jüdische Gruppe und eine statuslose, heillose nicht-jüdische Restmenschheit markiert250. Damit ist deutlich, dass aus der theo-logischen Darstellung V.21–26 in V.27 eine Folgerung für die Menschheit gezogen wird, bzw. die Implikation für die Menschheit herausgestellt wird: Was bedeutet das bisher in V.21–26 über Gott Gesagte für die lebensweltliche Maxime der Menschheit, sich nach Ansehen und Status zu differenzieren, näherhin für die Differenzierung in Juden und Heiden? Sie ist ausgeschlossen. Die von Israel in 2,17 postulierte Sonderstellung wird also dadurch ausgeschlossen, dass sie als Spezialfall menschlicher kaÚchsij durch die kategorische Ablehnung menschlicher kaÚchsij aufgrund der kategorialen Argumentation in V.21–26, die mit der Beschreibung der Wirklichkeit Gottes die menschliche Wirklichkeit depotenziert hatte, unmöglich gemacht wird251. 245 Vgl. J. Zmijewski, KAUCAOMAI, 681. 246 Gegen zuletzt z.B. D. Starnitzke, Struktur, 175, auch 163: „Lebenshaltung“. Er gibt dem gesamten Abschnitt 3,19–31 die Überschrift: „Die Existenz ‚aus Glauben‘ als alternatives Lebenskonzept“. 247 Vgl. auch K. Stendahl, Apostle, 78 u. passim. 248 Gegen S.J. Gathercole, Boasting, 225ff.231. 249 Vgl. H. Moxnes, Honour, 63ff.71ff. 250 Vgl. S.J. Gathercole, Boasting, 226. 251 Damit gegen S.J. Gathercole, a.a.O., 225ff, der meint, die Ablehnung der kaÚchsij ziele auf eine faktisch vorhandene Soteriologie des antiken Judentums, nach der Israel aus eigener Kraft, nämlich dem eigenen Gehorsam, Ruhm und damit Gerechtigkeit er-
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Die inhaltlichen Bezüge zu der in V.22 getroffenen Aussage o§ g£r ™stin diastol» und der p£ntej-Aussage werden deutlich, und es wird klar, wie die Fragen in V.27 dazu dienen, die Essenzen und Implikationen des in V.21–26 Gesagten unmissverständlich festzuhalten und noch einmal für den Leser herauszuarbeiten: Das in V.21–26 beschriebene, Gott wesentlich bestimmende Heilshandeln der Gerechtigkeit bedeutet, dass es hinsichtlich der Heilswirklichkeit Gottes keine Unterscheidung bei den Menschen, näherhin zwischen Israel und Heiden geben kann. Dementsprechend schließt sich mit di¦ po…ou nÒmou; eine weitere Frage an. Indem sie mit tîn œrgwn präzisiert und negativ beantwortet wird und dann die stattdessen geltende Alternative angeführt wird, wird der deliberative, rhetorische Charakter der Fragen in V.27–31 ganz deutlich. Nachdem mit dem Ausschluss der kaÚchsij die wichtigste Implikation herausgestellt wurde, soll nun noch einmal der Grund dafür hervorgehoben werden, wie die Präpositionalphrase di£ + Genitiv anzeigt. Der Grund liegt im nÒmoj, der auch hier beide Male als ‚Tora im weiteren Sinn‘ verstanden werden muss. Dabei kann das Argument für das Verständnis von nÒmoj als ‚Tora‘ nicht, wie K. Haacker zu Recht kritisiert, das bloße Postulat sein, dass man „sich nicht vorstellen kann, daß Paulus dieselbe Vokabel nÒmoj dicht hintereinander in verschiedener Bedeutung gebraucht“252. Es gibt demgegenüber aber mehrere Argumente, die doch deutlich darauf hinweisen, dass nÒmoj in allen drei Fällen (wenn man es auch bei tîn œrgwn mitdenkt) in V.27 als ‚Tora‘ verstanden werden muss. Zunächst spricht der von K. Haacker als Gegenargument253 angeführte unmittelbare Satzzusammenhang dafür, nÒmoj p…stewj als ‚Tora des Glaubens‘ zu verstehen: Denn ein Bedeutungswechsel ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, hier aber im konkreten Fall sehr wohl, weil die semantische Gleichheit lange, und der vehement bestreitet, dass die Argumentation ihr Ziel im Heil für die Heiden hat, wofür die unterschiedslose Universalität der göttlichen Wirklichkeit beschrieben wird. Zu fragen ist dann aber, was die o§ g£r ™stin diastol»-Aussage in 3,22 und die Betonung der œqnh in V.29 soll (vgl. dazu oben 3.3.1.3 und unten 3.4.2.3). – Dass S.J. Gathercole in seiner Beschreibung einer einheitlichen jüdischen Soteriologie, für die grundsätzlich immer der eigene, menschliche Anteil kennzeichnend sei, falsch liegt und es vielmehr ein plurales Bild jüdischer Soteriologie mit auch der Herausstellung der menschlichen Ohnmacht und der alleinigen Macht Gottes gibt, wird allein schon aus dem oben angeführten Zitat von Zeph 3,19–20 deutlich, wo es ganz allein Gott ist, der Israel ohne jeglichen Anteil von Israel selbst zum kaÚchma macht. – Und genau dort setzt die paulinische Argumentation an, dass es allein Gott ist, der Heil verleiht und dass es deshalb aufgrund der kategorialen Differenz zwischen Gott und Menschheit und der Einheit Gottes nur ein universales Heil sowohl für Israel wie auch für die Völker geben kann. 252 K. Haacker, Römer, 93. 253 Vgl. ebd.
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von nÒmoj bei nÒmoj tîn œrgwn und nÒmoj p…stewj dadurch vorgegeben ist, dass sie beide als Antworten auf die Frage di¦ po…ou nÒmou fungieren. Genau deshalb muss nÒmoj in allen drei Fällen dieselbe Referenz haben, denn man kann nicht auf die Frage nach der Beschaffenheit eines Gegenstandes mit einer Aussage über die Beschaffenheit eben dieses Gegenstandes antworten und dann als Alternative die Beschaffenheit eines dritten Gegenstandes anführen, der nicht der vorher zweimal genannte Gegenstand ist. Das wäre aber der Fall, wenn man nÒmoj in V.27 bei den ersten beiden Belegen (nämlich auch eingetragen bei tîn œrgwn) als Tora versteht, beim dritten aber die „allgemein-griechische Bedeutung ‚Norm‘, ‚Maßstab‘“254 setzt. Für die beiden ersten Belege ist aber ganz eindeutig, dass hier nÒmoj im Sinne von ‚Tora‘ gemeint ist. Denn die Verbindung von nÒmoj und œrga kam so häufig in der bisherigen Argumentation vor und war eindeutig verbunden mit der Frage nach dem Tun der Tora, dass nÒmoj aufgrund des Genitivs tîn œrgwn nicht anders denn als ‚Tora‘ in diesem Zusammenhang verstanden werden kann255. Und auch der erste Beleg von nÒmoj in der Frage ist als ‚Tora‘ zu verstehen und nicht allgemeingriechisch als ‚Norm‘, ‚Maßstab‘. Denn tîn œrgwn verweist so eindeutig auf die Tora, dass auch in der vorhergehenden Frage di£ po…ou nÒmou; nÒmoj ohne eine gesonderte Ankündigung nichts anderes meinen kann. Ein weiteres wichtiges Argument ist die Tatsache, dass unser Abschnitt V.21–31 gerahmt ist durch die Erwähnung des nÒmoj als ‚Tora‘256. Diese ist damit als ein wichtiges Thema unseres Abschnittes eindeutig angezeigt. Hinzu kommt ferner, dass mit der Frage nach dem Verhältnis von nÒmoj und p…stij in V.31 genau die Frage nach der Beschaffenheit der 254 Ebd. – Auch H. Räisänen, Paul, 52 meint, dass Nomos hier auf keinen Fall als Tora verstanden werden kann, sondern „metaphorisch“ als „order of faith“. Er macht dafür geltend, dass durch Röm 8,2 das Gesetz so negativ charakterisiert sei, dass es nur noch in einem negativen Verständnis bei Paulus vorkommen könne – und eine positive Verbindung wie nÒmoj p…stewj demnach sich nicht auf nÒmoj im Sinne von Tora beziehen könne. Ganz konsequent ist für H. Räisänen damit die aktuelle Abschaffung des Gesetzes durch Paulus in V.27 verbunden. – Demgegenüber ist doch aber zu sagen, dass man keineswegs von einer ausschließlich negativen Redeweise von Paulus dem Gesetz gegenüber sprechen kann, sondern dass es ganz im Gegenteil zahlreiche und wesentliche positive Äußerungen über das Gesetz gibt (vgl. 3,31; 10,4; Gal 4,21 u.ö.), mit denen H. Räisänen dann entsprechend auch Schwierigkeiten in der Deutung hat (a.a.O., 69ff). Ähnlich auch D. Zeller, Diskussion, 490. Vgl. zu weiteren Vertretern von nÒmoj als Prinzip Anm. 258 u. 263. 255 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 186. – Auch H. Hübner, Gesetz, 95.119ff. H. Hübner meint aber, dass der nÒmoj richtig nur in Jesus Christus zu verstehen sei (a.a.O., 129) und verkennt dabei, dass die Wesensbestimmung der Tora als „Tora des Glaubens“ für Paulus eine biblische Aussage ist (1,17; 4; Gal 3,8 u.ö.). Vgl. zu weiteren Vertretern von nÒmoj als Tora Anm. 258 u. 263. 256 Vgl. oben 3.2.
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Tora benannt wird und damit auch gerade diese Frage nach dem qualis der Tora Thema des Abschnittes ist. Und genau dementsprechend fragt das po‹oj V.27 nicht nach zwei Gegenständen, nach der Tora und nach einer Norm, sondern nach dem qualis257 des einen Gegenstandes, nach der Beschaffenheit258 und dem Verständnis der Tora. Auch K. Haackers Hinweis auf 1Kor 15,35 als Beleg für die attributive Frage mit po‹oj als Frage nach einer Mehrzahl von Gegenständen ist als Gegenargument nicht stichhaltig, sondern bestätigt vielmehr unser Verständnis: Es geht auch in 1Kor 15,35 nicht darum, dass der Mensch zwei voneinander unabhängige Leiber benutzt, sondern um die Qualität des einen Leibes, der vor und nach der Verwandlung ganz verschieden beschaffen ist259. Eine letzte und vollkommen eindeutige Bestätigung für das hier von uns angeführte einheitliche Verständnis von nÒmoj als ‚Tora‘ in V.27 ist meistens übersehen worden und findet sich in Röm 9,31.32260. Dort spiegelt sich noch einmal der zur Diskussion stehende Zusammenhang wider: In 9,31 kann nÒmoj nicht anders denn als ‚Tora‘ verstanden werden in dem Zusammenhang von Israel und Gerechtigkeit. Denn Israel verfolgt keine Prinzipien oder Normen, sondern orientiert sich an der Weisung und dem Willen Gottes, i.e. dem nÒmoj, der Tora Gottes. Es liegt im Zusammenhang der in Frage stehenden Gerechtigkeit nahe, den nÒmoj über ein Genitivattribut als ‚Tora der Gerechtigkeit‘ zu qualifizieren (9,32) – nicht aber, ihn von einem anderen nÒmoj zu unterscheiden. Und dann zeigt im Folgenden 9,32, dass es zwei verschiedene Herangehensweisen, Verständnisse dieser Gerechtigkeit und damit unweigerlich auch der Tora gibt, denn wir haben immer wieder gesehen, wie eng nÒmoj und dikaiosÚnh verbunden sind:261 a) das Verständnis des nÒmoj als durch œrga bestimmt und damit in der Art und Weise des Tuns, der Lebensweise und b) das Verständnis des nÒmoj als durch p…stij bestimmt.
Der Hinweis, dass man bei dem als ‚Tora‘ verstandenen nÒmoj unterscheiden muss nach dem Verständnis und der Art und Weise, wie man mit ihm umgeht, und dass danach gefragt werden muss, was der nÒmoj wirklich enthält und proklamiert, findet sich häufig in der paulinischen Argumentation und ist ein wichtiger Baustein für die paulinische Darstellung (vgl. nur Röm 10,4; Gal 4,21; u.ö.). Damit wird auch in 9,31.32 ausge257 258 259 260 261
Dies ist der eigentliche Sinn von po‹oj; vgl. BDR 298.23. Vgl. G. Friedrich, Gesetz, 415. Vgl. auch a.a.O., 415ff. Vgl. S.J. Gathercole, Boasting, 226; vgl. zum Folgenden auch unten 5.3.7. Vgl. nur 3,21; auch Gal 3,8 u.ö.
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sagt, dass ein Verständnis des nÒmoj als nÒmoj der Werke verfehlt ist und das rechte Verständnis des nÒmoj, der als grundlegende, göttliche Instanz eben die Gerechtigkeit als sein Ziel nennt, die p…stij ist262. Und damit haben wir auch die Bestätigung, dass mittels der einheitlichen Bedeutung von nÒmoj als ‚Tora‘ in allen Belegen in 3,27263 die Frage nach der Tora und ihrem rechten Verständnis gestellt wird. Dementsprechend wird also in V.27 mittels der deliberativen Frage di¦ po…ou nÒmou; die Tora als Grund für die in V.27a getroffene Hervorhebung der Konsequenz für die menschliche Wirklichkeit genannt – und damit wohl eine kaum zu überbietende, ja die allgemein anerkannte höchste Autorität. Und dies fügt sich ein in den Rahmen, der den Römerbrief im Allgemeinen wie auch unseren Abschnitt V.21–31 im Besonderen bestimmt: die Frage nach der Tora, und das heißt nach Schrift, Tradition und dem Willen Gottes und seiner Gerechtigkeit. Das po‹oj weist allerdings darauf hin, dass noch zu klären ist, wie diese Autorität beschaffen ist, was sie ausmacht. Dabei ist das Verständnis dieser Autorität als nÒmoj tîn œrgwn schon von vornherein ausgeschlossen, nämlich durch das, was in 3,20 gesagt worden war. Somit ist die Frage (di¦ nÒmou) tîn œrgwn; deutlich rhetorisch und kann nur mit ‚nein‘ beantwortet werden. Sie dient also dazu, das Folgende zu schärfen und herauszuheben: Wenn der nÒmoj kein nÒmoj tîn œrgwn ist, was dann? Dann kann und muss er als nÒmoj p…stewj gefasst werden. Auch dies geschieht hier wiederum als Explizitmachung dessen, was implizit in V.21–26 enthalten ist: Der nÒmoj war in V.21 als Autorität und Auktorität für die V.21ff beschriebene Gerechtigkeit angeführt worden264. Diese Gerechtigkeit war aber als eine mit dem Glauben verbundene Gerechtigkeit bestimmt worden, so dass deshalb der nÒmoj nichts anderes sein kann als ein nÒmoj p…stewj. Wir sehen wieder, wie eigentlich schon klare und längst dargelegte Sachverhalte hier mittels der rhetorischen Fragen noch einmal unmissverständlich festgehalten und verdeutlicht werden sollen. Dennoch bedarf die Bestimmung des nÒmoj als nÒmoj p…stewj durchaus noch einer weiteren Begründung265, wie die in V.28 veränderte Fort-
262 Gegen D. Zeller, Diskussion, 492. 263 So auch E. Lohse, Römer, 137; P. Stuhlmacher, Römer, 63; J.D.G. Dunn, Romans I, 185f; U. Wilckens, Römer 1, 245; C.E.B. Cranfield, Romans I, 220. Auch J. Vos, Kunst, 71, der aber nÒmoj auf die Sinai-Tora eingrenzt. Gegen U. Schnelle, Paulus, 354; K. Haacker, Römer, 93; O. Hofius, Gesetz, 68; D. Zeller, Römer, 92f; E. Käsemann, Römer, 96; H. Räisänen, Gesetz, 117; H. Schlier, Römerbrief, 116. 264 Vgl. nur G. Friedrich, Gesetz, 410; E. Lohse, Römer, 137. 265 Vgl. auch J. Vos, Kunst, 72.
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führung der Darstellung deutlich macht: Es folgen zunächst keine weiteren deliberativen Fragen, sondern eine Begründung mit g£r. Eine solche Begründung ist deshalb angebracht, weil ja in V.21–26, wie wir gesehen hatten, vor allem die Gerechtigkeit Gottes im Zentrum stand und die Hervorhebung des Glaubens als Implikation aus dem in V.21–26 Gesagten durch die Fragen von V.27 durchaus ein Element auch des Neuen darstellt. Entsprechend rückt nun nach der ausführlichen Darstellung der Gerechtigkeit als des Handlungs- und Wesenselementes Gottes der Glaube in den Vordergrund der Ausführungen.
3.4.2.2 V.28 Ein kapitaler Fehlschluss wäre es nun, V.28 als anthropologische Grundaussage zu verstehen, wie es in der Exegese dieses Verses sehr oft geschehen ist266 und auch heute noch vertreten wird267. Vielmehr fügt sich auch V.28 nahtlos in die Gottesthematik des Abschnittes V.21–31 ein und ist deutlich eine theo-logische Aussage268. Dafür gibt es mehrere Hinweise. An erster Stelle ist zu nennen, dass dikaioàsqai als Passiv nichts anderes sein kann als ein passivum divinum269. Es macht somit im Anschluss an V.24.26 u.ö. Aussagen über die Art und Weise des Heilshandelns Gottes270 und sagt in keiner Weise etwas über anthropologische Dispositionen aus. Diese Sichtweise wird dadurch bestätigt, dass in den folgenden, die Aussage stützenden und erklärenden Versen V.29.30 nicht etwa Aussagen über den Menschen als Begründung angeführt werden, sondern Aussagen über Gott – und zwar zentrale Aussagen über Gott. Auch der weitere Verlauf der Argumentation spricht für diese Einordnung, insofern in Röm 4 als Schrift- und Traditionsbeweis nicht die Glaubensthematik als anthropologische Thematik verhandelt wird, sondern es um Gottes Gott grundsätzlich bestimmendes Handeln, wie es an Abraham ersichtlich wird, geht271. Auch die Formulierungen von V.27 haben schon da266 So z.B. E. Käsemann, Römer, 97; O. Michel, Römerbrief, 155f; H. Schlier, Römerbrief, 116f; G. Eichholz, Theologie, 225; P. Althaus, Römer, 30; T. Zahn, Brief, 201f; W. Gutbrod, Anthropologie, 177. 267 Vgl. nur D. Starnitzke, Struktur, 158: „ein anthropologischer Kernsatz“; sowie S.J. Gathercole, Boasting, 231f.; D.J. Moo, Romans, 212–217; P.-G. Klumbies, Rede, 194: „Der Gegenstand des paulinischen Nachdenkens in Röm 3,22–26 und 3,27–31 ist der Mensch vor Gott“. 268 Vgl. J. Cambier, Évangile, 146.153; neuerdings auch U. Schnelle, Paulus, 354. 269 O. Hofius, Rechtfertigung, 126 macht aus dem Passiv in seiner Darstellung ein Aktiv („das Heil erlangen“) und somit aus V.28 eine anthropologische Aussage (126f). 270 So richtig zuletzt auch K. Berger, Formen, 386. 271 Vgl. dazu unten 4.4, bes. 4.4.1.
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rauf hingewiesen, dass es in V.28 um theo-logische und nicht anthropologische Grundaussagen im Rahmen einer theo-logischen Matrix geht. Denn es war in V.27 die Konsequenz für die Menschen erwähnt worden, als Grund und Ursache für diese Konsequenz war aber der nÒmoj genannt, und zwar nicht, indem etwa mit einer anthropologischen Aussage (z.B. mit Ps 8,5; Jes 40,6 o.ä.) aus ihm zitiert worden wäre, sondern vielmehr war durch die grundsätzliche Wesensbestimmung des nÒmoj der nÒmoj in seiner umfassenden und grundlegenden Funktion als Dokument und Diener des göttlichen Willens angesprochen worden272. Anthropologisch könnte man die Aussage von V.28 nur nennen, wenn mit irgendwelchen menschlichen Dispositionen argumentiert würde, und das geschieht nun in V.27–31 in keiner Weise. Darüber hinaus hatten wir auch gesehen, wie die menschliche Situation in V.24 nicht als eine losgelöste, absolute Aussage präsentiert worden, sondern dem Handeln Gottes zugeordnet war273. Damit ist aber auch deutlich, dass der Glaube in V.27–31 nicht als ein Thema auftritt, das von der Seite des Menschen aus betrachtet wird, etwa im Sinne einer angemessenen Haltung274 oder einer rechten Existenzweise275, sondern von der Seite des handelnden Gottes aus thematisiert wird276. Die p…stij ist hier ein Element für die Beschreibung von Gott und seiner Wirklichkeit. Bemerkenswert ist dabei auch, dass in der Aussage von V.28 keineswegs p…stij an der betonten ersten Stelle steht277, sondern dikaioàsqai, so dass die Zuordnung der p…stij zum übergeordneten und bestimmenden Heilshandeln Gottes deutlich wird. Damit wird die ausführliche Bestimmung Gottes von V.21–26 als Gott der umfassenden Gerechtigkeit aufgenommen; und man könnte fast sagen, dass eigentlich schon eine derart starke Heilsorientierung Gottes eine universale Wirkung impliziert und einen Unterschied zwischen Menschen im Heil hinfällig werden lässt278. Wichtig ist auch zu sehen, dass der Singular ¥nqrwpoj in keiner Weise auf den einzelnen Menschen vor Gott verweist und damit auch kein Indiz für eine individualistisch, anthropologisch verstandene Rechtfertigungslehre ist. Auch das wird deutlich durch den folgenden V.29, der mit der Erwähnung von den sich zur gesamten Menschheit addierenden 272 273 274 275
Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 186. Vgl. oben 3.3.1.4. Vgl. R. Bultmann, Theologie, 315 u.ö.; zuletzt D. Starnitzke, Struktur 158ff.163. Vgl. R. Bultmann, Theologie, 329 u.ö.; auch D. Starnitzke, Struktur, 159; D.J. Moo, Romans, 212–217. 276 Vgl. W. Michaelis, Rechtfertigung, 122. 277 Vgl. B. Weiss, Römer, 172f. 278 Vgl. dazu auch Jes 25,6–9 und unten 3.4.2.5.
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Gruppen von Juden und Heiden sicherstellt, dass es weiterhin um die soziologische bzw. ekklesiologische Fragestellung geht. Damit handelt es sich bei dem Singular ¥nqrwpoj V.28 um einen generischen Singular, der die Menschheit in ihrer unterschiedslosen Einheit meint. Insofern ist das oft angeführte Verständnis von ¥nqrwpoj als „man“ exakt falsch279. Demgegenüber ist richtig festzustellen: Mit der Anwendung der „Kategorie ¥nqrwpoj findet die theologische Indifferenzierung von Juden und Heiden… ihren begrifflichen Ausdruck“280 – und zwar immer durch die Differenzierung Gott-Mensch. Auch V.30 weist auf diesen Zusammenhang hin, insofern nicht davon die Rede ist, dass Gott den einzelnen Menschen oder auch die Menschheit rechtfertige, sondern von seinem Handeln an Juden und Heiden. Es wird also nicht etwas über Gottes Handeln mit dem Menschen im Sinne einer den einzelnen Menschen in seinem Dasein bestimmenden Grundaussage ausgesagt, und es wird auch nicht im Rahmen einer solchen Grundbestimmung argumentiert. Vielmehr wird etwas gesagt über Gottes Handeln an den beiden menschlichen Gruppen von Juden und Heiden, in die die Menschheit zerfällt, so dass dieses Handeln die Frage der Menschheit unter diesem Aspekt ihrer Zusammengehörigkeit berührt. Auch von daher wird für V.28 klar, dass es bei ¥nqrwpoj nicht um die anthropologische Kategorie einer den einzelnen Menschen bestimmenden Grundaussage geht, sondern um den soziologischen Aspekt der Menschheit als komplementäre Ansammlung zweier dualistischer Gruppen. Das anthropologische Moment, was bei dieser Argumentation durchaus im Hintergrund steht, ist demnach das Bezogensein des Menschen auf Gott in Heil oder Gericht und damit das grundsätzliche Bedürfnis des Menschen nach Rechtfertigung durch Gott, nach einem Heilshandeln Gottes281. Die Art und Weise dieses Heilshandelns, der Rechtfertigung aber beruht nicht auf irgendwelchen anthropologischen Komponenten, sondern auf theo-logischen Überlegungen (vgl. nur V.21–26). Demnach kann man die Aussage von R. Bultmann282 umdrehen und sagen: „Wer vom Menschen reden will, muss von Gott reden.“ Somit ist V.28 in einer Reihe mit anderen theo-logischen Aussagen zu sehen, bei denen die Darstellung des Handelns Gottes an Israel oder 279 Vgl. E. Käsemann, Römer, 97; U. Wilckens, Römer 1, 247; O. Michel, Römer, 156; H. Schlier, Römerbrief, 116. 280 G. Klein, Idee, 149. 281 Vgl. Koh 7,20 in Röm 3,10: o§k œstin d…kaioj o§d eŒj. Das ist eine anthropologische Aussage. 282 Vgl. R. Bultmann, Theologie, 192: „Es zeigt sich also: will man von Gott reden, so muss man offenbar von sich selbst reden“ [Hervorhebung im Original]; vgl. oben 1.5.
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den Menschen darauf zielt, Gott selbst in seinem Handeln wesentlich zu bestimmen: Ps 103 1 Preise den HERRN, meine Seele, und all mein Inneres seinen heiligen Namen! 2 Preise den HERRN, meine Seele, und vergiß nicht alle seine Wohltaten! 3 Der da vergibt alle deine Sünde, der da heilt alle deine Krankheiten. 4 Der dein Leben erlöst aus der Grube, der dich krönt mit Gnade und Erbarmen … 12 So fern der Osten ist vom Westen, hat er von uns entfernt unsere Vergehen. 13 Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten. 14 Denn er kennt unser Gebilde, gedenkt, daß wir Staub sind. 15 Der Mensch – wie Gras sind seine Tage, wie die Blume des Feldes, so blüht er. 16 Denn fährt ein Wind darüber, so ist sie nicht mehr, und ihr Ort kennt sie nicht mehr. 17 Die Gnade des HERRN aber währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten, seine Gerechtigkeit bis zu den Kindeskindern. Jes 43 25 Ich, ich bin es, der deine Verbrechen auslöscht um meinetwillen, und deiner Sünden will ich nicht gedenken. Jes 52 3 Denn so spricht der HERR: Umsonst (dwre£n) seid ihr verkauft worden, und nicht für Geld sollt ihr gelöst werden (o§ met¦ ¢rgur…ou lutrwq»sesqe).
In diesen Aussagen, wie in vielen anderen, geht es nicht darum, die Schuld des Menschen oder Israels als eine menschliche Konstante auszusagen, sondern darum, über Gott und die Art und Weise seines Handelns zu informieren. Auch die anthropologischen Aussagen von Ps 103,15 stehen im Rahmen des Themas von Ps 103, nämlich der preisenden Beschreibung Gottes, und dienen von daher eher dazu, das in Ps 103,17 genannte Profil Gottes schärfen zu helfen, als dass hier der Mensch in seiner Bedingung Rhema wäre283. Auch diese Beobachtungen lassen V.28 in seiner Eigenschaft als Aussage über Gott und nicht über den Menschen deutlich hervortreten. Eine Parallele in diesem Sinn bietet etwa auch Gal 3,8: 283 Zu dem Begriff „Rhema“ in seiner Gegenüberstellung zum Begriff „Thema“ vgl. T. Lewandowski, Wörterbuch 3, 1124–1126. Ich verwende das Begriffspaar hier in einem freieren Verständnis nicht auf den einzelnen Satz, sondern auf einen Text bezogen: Thema als „der Teil der Äußerung, der weniger Informationen enthält als das Rhema … das, was aus Kontext und Situation ableitbar ist; Rhema ist das, was über das Thema mitgeteilt wird, was aus Kontext und Situation nicht ableitbar ist, die neue Information“ (1124). – Vgl. dazu auch unten 4.1. mit Anm. 3.
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Gal 3 8 Die Schrift aber, voraussehend, daß Gott die Nationen aus Glauben rechtfertigen werde, verkündigte dem Abraham die gute Botschaft voraus: „In dir werden gesegnet werden alle Nationen.“
Hier erfolgt die Nennung Abrahams und die Anführung von Gottes rechtfertigendem Handeln an den Heiden aus Glauben ganz deutlich mit dem Ziel einer Aussage über Gottes Willen und Wirklichkeit, und nicht um einer Skizzierung Abrahams oder der Heiden willen. Es lohnt sich auch noch, einen Blick auf die rhetorische Gestaltung des Textes in V.27.28 zu werfen: Paulus bringt zunächst in V.27 das bisher Gesagte auf den Punkt einer klaren Alternative und bezieht dann innerhalb der einander ausschließenden Optionen in V.28 eine auch deutlich als solche gekennzeichnete persönliche Position284. Dabei ist gerade die Präsentation dieser Position durch den „schriftstellerischen Plural“285 logizÒmeqa als betont eigene und persönliche Meinung286 beachtenswert: In dem sonst auf Kontinuität und Konsistenz zur Tradition angelegten Abschnitt V.21–31 führt Paulus nun plötzlich auch eine dezidiert persönliche Meinung an. Bei aller Suche nach Konsens und dem Bestreben, seine Aussagen als nichts Ungewöhnliches, sondern als in Schrift und Tradition enthaltene Aussagen darzustellen, kann er auch das Mittel einer pointiert nicht der Schrift, sondern seinem eigenen, persönlichen Denken und seiner Überzeugung entstammenden Aussage wählen. Die Aussage bekommt auch dadurch Gewicht, dass log…zesqai „is a forceful word, denoting conviction with practical consequences, and not just an abstract decision in the mind”287. Dies wird bestätigt durch die Verwendung von log…zesqai in 6,1 und 14,14. Paulus scheut sich also nicht, eine klare, eigene Position auch bei einer auf Konsens und Zustimmung angelegten Rede288 zu beziehen. Die Argumentation mit Schrift und Tradition bedeutet keine Verwässerung seines eigenen Standpunktes, und die
284 Vgl. z.B. D. Starnitzke, Struktur, 158, der aber nicht sieht, wie diese Aussage dann im Folgenden als biblisch-traditionelle Aussage qualifiziert wird. 285 Ebd. – Anders als 2,2, wo o‡damen Autor und Leser konsensual zusammenschließen soll. 286 Vgl. Jes 13,17; 1Makk 6,9. – Vgl. dazu auch J. Eichler, log…zomai, 264 u. H.-W. Bartsch, log…zomai, 874f. 287 J.D.G. Dunn, Romans I, 187. Auch über diese Bedeutung von log…zesqai wird eine Brücke zu 1,16 ™paiscÚnesqai hergestellt. 288 Dazu passt auch das Genus des Römerbriefes, das mit W. Wuellner, Rhetoric, 160; D. Dormeyer, Testament, 197; D.E. Aune, Testament, 219 als dem genus demonstrativum zugehörig zu bestimmen ist. Vgl. auch R. Jewett, Romans, 9f: „Ambassadorial Letter“. Vgl. auch oben 1.2.
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Absicht der Gewinnung seiner Zuhörer führt nicht zum Abrücken oder zu einer Modifikation von seiner persönlichen Überzeugung. Damit scheinen auf den ersten Blick eine Spannung und ein Widerspruch zu der bisherigen konsensorientierten und auf die gemeinsame Basis der Schrift ausgelegte Argumentationsstrategie zu entstehen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass Paulus hier deshalb so verfahren kann, weil die von ihm hier als persönlich markierte These sich als genau das entpuppt, was von Schrift und Tradition selbst vertreten wird. Die scheinbar persönliche Position wird im Verlauf der Argumentation im „Abrahamkapitel“ Röm 4 als ein von Schrift und Tradition bezeugter Standpunkt aufgewiesen, nachdem schon vorher V.31 auf die Kongruenz von persönlicher Aussage und Schrift und Tradition aufmerksam gemacht hat. Insofern passt auch diese Akzentuierung der persönlichen These in das bisher durchgeführte rhetorische Konzept von Kontinuität, Konsens und Gewinnung. Und es lässt sich darüber hinaus auch V.28 gleichzeitig in die aufgezeigte rhetorische Funktion des Abschnittes V.27–31 einzeichnen, das in V.21–26 Gesagte zu akzentuieren und die entscheidenden Momente herauszuheben. Dies geschieht hier nicht durch eine rhetorische Frage, sondern durch das Mittel der Präsentation als persönlich verantwortete Überzeugung, das Klarheit und Aufmerksamkeit bewirkt: „was ich damit sagen will, ist…“. Die Pluralformulierung signalisiert auch, dass diese persönlich verantwortete Aussage nicht um der Person und der Belange des Aussagenden willen vertreten wird, sondern einen Gemeinschaftsbezug hat und die persönlich verantwortete Wahrheit einer Überzeugungsgemeinschaft ist, in die auch der Leser mit einstimmen soll. Dieser Doppelaspekt kann mit E. Lohse so formuliert werden: Mit logizÒmeqa „spricht der Apostel die Glaubensüberzeugung aus, für die er in der Gemeinschaft der Glaubenden eintritt“289. Zugleich ist auch in V.28 selbstverständlich eine Parallele zur propositio 1,16.17 vorhanden. Dort sind ebenfalls die persönlich gefärbte Verantwortung und die explizite Bindung der eigenen Person an die Aussage vorhanden bei gleichzeitiger bzw. nachfolgender Artikulation der Schrift- und Traditionsgemäßheit. Auch dadurch wird die Bewertung des gesamten Abschnittes V.21–31 als Ausführung der propositio unterstrichen. In der erneuten Aufnahme der propositio einerseits und 289 E. Lohse, Römer, 137. – Vgl. auch 2Makk 2,12, wo der Verfasser mit log…zesqai die Leser bittet, ein richtiges, tiefergehendes Verständnis der Wirklichkeit zu gewinnen: „Ich bitte aber die Leser dieses Buches, die Strafen nicht zur Vernichtung, sondern zur Erziehung unseres Volkes anzusehen“ (parakalî oân toÝj ™ntugc£nontaj tÍde tÍ b…blJ … log…zesqai dÑ t¦j timwr…aj m¾ prÕj Ôleqron ¢ll¦ prÕj paide…an toà gšnouj ¹mîn eÌnai).
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in Ausführungen von V.21–26 andererseits wird nun zusammen bis hierher klar ausgesagt: Gott ist ein Gott der dikaiosÚnh, des Heilshandelns an den Menschen, und dieses ihn bestimmende Heilshandeln verwirklicht Gott durch das Prinzip des Glaubens. Diese theo-logische Komponente des Glaubens, warum Gott sich entschlossen hat, so und nicht anders an den Menschen zu handeln, bedarf aber noch weiterer Ausführung und Begründung.
3.4.2.3 V.29 In V.29 macht nun die rhetorische Frage vollständig klar, dass hier von Gott geredet wird und nicht vom Menschen. Wenn im Anschluss an V.21– 26 in V.28 die p…stij als grundsätzliches Element des göttlichen Heilshandelns nun dezidiert herausgehoben worden ist, dann bedarf es auch einer theo-logischen Begründung dieses Elementes. Nach der zentralen Wesensbestimmung Gottes in V.21–26, besonders in V.25.26 im Anschluss an Ex 34,6, folgt nun hier in der Begründung eine weitere zentral mit der Rede von Gott verbundene Frage, nämlich die Frage seiner Zuordnung und seines Geltungsbereiches. Die antike Frage nach einem Gott ist wesentlich bestimmt durch die Frage nach seinen Eigenschaften, nach dem, was er typischerweise macht, und durch die Frage nach seinem Geltungs- und Wirkungsbereich290. Ist er in seinem typischen Handeln eine lokale, eine familiäre, eine ethnisch orientierte Gottheit291? Natürlich geht es hier um den in Schrift und Tradition Israels bezeugten Gott, den Gott Israels. Und so wie die Frage hier gestellt ist, geht sie aus von gerade dieser Wesensbestimmung Gottes als des Gottes Israels und seiner Bindung an das jüdische Volk. Aber sie verknüpft dann die traditionell jüdische Teilung der Menschheit in Juden und Nichtjuden mit der Frage nach dem Anspruch und Geltungsbereich des Gottes Israels. Dabei ist der Gott Israels, bzw. der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Herr der ganzen Welt und der gesamten Menschheit, wie für Schrift und Tradition unzweifelhaft klar ist292, und wie es etwa auch in der Rede von dem „wahren Gott“293 deutlich zum Ausdruck kommt und greifbar ist. Mit dieser Grundüberzeugung von Gott wird nun die 290 Vgl. z.B. O. Kaiser, Gott 1, 90ff; ders., Gott 3, 343ff; W.H. Schmidt, Glaube, 233ff; M.M. Thompson, God, 27ff; J. Woyke, Götter, 158ff.446ff. 291 Vgl. dazu nur H.-J. Klauck, Umwelt I, 35ff.58ff u. passim; ders., Umwelt II, 17ff. 292 Ps 65,8LXX; 116,1LXX; 46,8–9; Mal 1,11; vgl. S. Legasse, Romains, 270 mit Anm. 141. Vgl. dazu auch O. Kaiser, Gott 3, 343ff; W.H. Schmidt, Glaube, 430ff. 293 JosAs 11,10; Philo, SpecLeg 1, 65.332; LegGai 45,366; 3Makk 6,18 u.ö.
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Römer 3,21–31
Frage nach der traditionellen Trennung der Menschheit beantwortet. Sie ist von Gott und seinem Wesen her, aus theo-logischen Gründen, nicht haltbar. Sosehr Gott der Gott der Juden ist – und das macht ja die Aussage 'Iouda…wn Ð qeÒj unmissverständlich klar –, sosehr ist sein Geltungsbereich und Anspruch nicht auf diese allein beschränkt, sondern er dehnt sich auch aus auf den kompletten Rest der Menschheit, die nichtjüdische Welt. Es ist ganz deutlich und wichtig zu sehen, dass Paulus die Überzeugung von Gott, dass er der Gott Israels ist, der sich wesentlich an das jüdische Volk gebunden hat, hier weder bestreitet noch verneint, sondern am Bekenntnis 'Iouda…wn Ð qeÒj explizit festhält. Was er mittels des mÒnon unternimmt, ist auszusagen, dass dieses Bekenntnis nicht das einzige ist, was wesentlich über Gott auszusagen ist. Zureichendes über Gott ist nur dann ausgesagt, wenn neben seiner Bindung an Israel auch festgehalten wird, dass Gott auch Gott für die komplette Restmenschheit, die Nichtjuden ist. Dabei macht die Form der rhetorischen Fragen ganz deutlich, dass Paulus auch in diesem Punkt, dass der an Israel sich bindende Gott keinesfalls auf Israel beschränkt und auch für die Heiden Gott ist, keine neue Gotteslehre einführt294. Wäre das nicht ein Punkt des Konsenses und der gemeinsamen Grundüberzeugung von Gott, wäre die Form der rhetorischen Frage mit der zwingenden Verneinung unmöglich. Dahinter steht natürlich die breit bezeugte Erfahrung, dass Gott mit seinem Handeln sich nicht nur auf Israel beschränkt, sondern dass er Schöpfer und Herr der Welt ist (Gen 1; Ps 47,3 u.ö.), in seinem Handeln auch Macht und Geltung über die Heiden hat (Jes 19,21f u.ö.) und auch Heiden das Handeln des Gottes Israels erfahren haben (Sach 8,23; Ps 47,10; Ps 138,4 und das ganze Hiobbuch mit Hiob aus dem Lande Uz)295. Damit ist die klassische und unlösbare Spannung der Gotteserfahrung Israels und der jüdischen Rede von Gott repräsentiert: JHWH, der sich an Israel gebunden hat und zutreffend Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs genannt werden kann und der Gott Israels (Gen 33,20), also ein ethnisch sich bindender Gott ist, geht darin nicht auf und ist damit nicht vollständig beschrieben, sondern er ist zugleich auch der Herr der ganzen Welt und der Gott der ganzen Menschheit, der alles geschaffen hat. Der Gott Israels ist zugleich Schöpfer der einen Menschheit, und der Herr der ganzen Welt hat sich an Israel gebunden (Dtn 32,8.9; Jes 44,6; Ps 95,1–7 u.ö.). Partikularismus und Universalismus gehören beide untrennbar zu dem von Israel bezeugten Gott296. 294 Vgl. K. Haacker, Römer, 95. 295 Vgl. dazu nur W.H. Schmidt, Glaube, 402–406. 296 Vgl. nur O. Kaiser, Gott 3, 380ff; W.H. Schmidt, Glaube, 404; D. Boyarin, Jew, 52ff.57ff
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Mit diesem Argumentationsgang macht V.29 deutlich, dass Gottes an den Glauben gebundene Handlungsweise etwas mit der Frage des Geltungsbereichs Gottes im Hinblick auf die Menschheit zu tun haben muss. Damit wird aber aus V.29 auch deutlich, dass es zur Paulusdeutung im Sinne der new perspective keine Alternative gibt297: Es geht um die Frage von Gott, Juden und Heiden und einer Begrenzung. Dabei macht die Frage von V.29 auch deutlich, wie Paulus dieses Dreiecksverhältnis verstanden wissen will. Es geht nicht um eine Loslösung von Israel, eine Ersetzung Israels, sondern, wie es schon in der propositio deutlich ausgesagt war, um ein kaˆ œqnh im Sinne von ‚auch‘298. Damit hat sich, nebenbei bemerkt, die Position gegenüber dem Galaterbrief (bei deutlich anderer Problem- und Diskussionslage) doch deutlich modifiziert, wo die Darstellung in der Weise fast ausschließlich auf die œqnh zielte, dass Israel mehr oder weniger an den Rand gedrängt wurde.
3.4.2.4 V.30a Der universale Geltungsbereich des Gottes Israels ist in V.29 unmissverständlich behauptet worden; eine theologische Begründung steht noch aus. Diese Begründung liefert nun V.30a, und zugleich wird in V.30b diese Begründung verknüpft mit der Nennung des über die p…stij erfolgenden Heilschaffens Gottes. Dadurch wird nun auch die p…stij aus V.27.28 mit begründet und es wird deutlich, dass Geltungsbereich Gottes und p…stij zusammenfallen. Das theologische Hauptargument ist mit eŒj Ð qeÒj ein weiteres Gottesbekenntnis, das dem ersten Gottesbekenntnis 'Iouda…wn Ð qeÒj an die Seite gestellt wird. Der Rekurs auf Dtn 6,4 liegt auf der Hand und ist unbestritten299. Damit aber verweist Paulus auf das „Grundbekenntnis Israels“300. Dass Dtn 6,4 im Rahmen des Schema Jisrael auch zu Paulus‘ Zeiten schon eine solche Funktion hatte, wird etwa von Josephus bezeugt:
297 298 299 300
u. passim; A. Runeson, Judaism, 55f; J.D. Levenson, Horizon, 143ff; M. Greenberg, Mankind, 369ff; J.D.G. Dunn, Judaism, 57ff. Vgl. dazu zuletzt auch K. Wengst, Gerechtigkeit, 141. Vgl. a.a.O., 146.150. Vgl. zuletzt E. Lohse, Römer, 138; K. Haacker, Römer, 94f. A.a.O., 95.
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Ant 4301 212 Zweimal des Tages, Morgens, wenn der Tag anbricht, und Abends, wenn man schlafen gehen will, soll man Gott für die Wohlthaten preisen, die er den aus der Knechtschaft Aegyptens Erlösten erwiesen hat, denn nichts ist billiger, als daß man Gott für die von ihm empfangenen Wohlthaten Dank sage und ihn dadurch geneigt mache, uns neue Wohlthaten zu verleihen. Man soll die Wohlthaten Gottes an die Thürpfosten und in seine Aermel einschreiben; was nur Gottes Allmacht und Güte gegen die Israeliten kund geben kann, das sollen sie an Stirn und Arm geschrieben tragen, damit Gottes Liebe gegen sie überall sichtbar werde.
Nicht zuletzt über Mesusa und Tefilim ist diese Aussage als eindeutiger Verweis auf das Schema Jisrael zu verstehen302. Rabbinische Texte belegen die herausgehobene Stellung des Schema: Ber 2,2303 Es sprach Rabbi Josua304, Quorchas Sohn: Warum geht voraus der Abschnitt „Höre Israel“[Dtn 6,4–9] dem „und es wird geschehen“ [Dtn 11,13–21]? Dass man zuerst auf sich nehme das Joch des Himmelreiches und hernach das Joch der Gebote. jBer 1.3c305 Warum werden diese beiden Abschnitte [Dtn 6,4–9 und Dtn 11,13–21, d. Verf.] täglich rezitiert? … R. Levi hingegen meint: Weil der Sinn der Zehn Gebote in diesen (Abschnitten) enthalten ist.
Aus Ber 2,2 geht deutlich eine Vorrangstellung von Dtn 6,4–9 auch innerhalb des gesamten Schemagebetes hervor. Damit steht, bezeichnet durch „das Joch des Himmelreiches“, das Bekenntnis zum Monotheismus an erster Stelle306. Das Bekenntnis zu dem einen Gott ist dem Bekenntnis zu den Geboten übergeordnet, der Monotheismus vor alles andere gesetzt. jBer 1.3c deutet ein Verständnis an, nach dem im Schema so etwas wie eine Zusammenfassung der Tora enthalten ist307. Beide Aspekte werden durch Mk 12,28–31 bestätigt, wo Dtn 6,4 als ™ntol¾ prèth bezeichnet und durch die Zusammenstellung mit Lev 19,18 eine umfassende Zusammenfassung oder Inhaltsangabe der Tora gemacht wird308. Inhaltlich drückt das eŒj Ð qeÒj die Einzigkeit und Einheit/Unteilbarkeit Gottes als miteinander verbundene Aspekte aus309: Die Einzigkeit 301 302 303 304 305 306 307 308
In der Übersetzung von F. Kaulen, Alterthümer. Vgl. auch P. Schäfer, Gottesdienst, 402; siehe auch MidrHL 2,16; BerR 20 u.ö. In der Übersetzung von O. Holtzmann. Um 150 n. Chr. In der Übersetzung von C. Horowitz. Vgl. Strack-Billerbeck IV, 189. Vgl. dazu auch G. Friedrich, Gesetz, 411. Zu dieser Zusammenfassung vgl. K. Wengst, Gerechtigkeit, 150; zu dieser Zusammenfassung der Tora im Judentum durch das Liebesgebot vgl. P. Lenhardt/P. von der Osten-Sacken, Rabbi, 178–183. 309 Vgl. dazu etwa O. Kaiser, Gott 3, 370ff.
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Gottes bedeutet zunächst einmal, dass Gott der einzige Gott ist, den Israel verehren soll und darf; mit diesem Gott ist verbunden, dass nicht gleichzeitig noch andere Götter nebenher verehrt werden dürfen. Dem eŒj entspricht das Óloj in Dtn 6,4f: Der Gott, der als der Eine und Einzige verehrt werden darf, verlangt, dass der Mensch aus Israel sich ganz und ungeteilt ihm, dem Gott Israels, widmet und nicht Teile seiner Verehrung, seiner menschlichen Kraft einer anderen Gottheit zur Verfügung stellt. Insofern entspricht also der Einzigkeit Gottes auch sein Einssein als ungeteilte Einheit: Gott ist nichts, was mit Teilung zu tun hat und Teilungen auf der menschlichen Seite des verehrenden Israeliten tolerieren würde. Die Behauptung der Einzigkeit Gottes, und damit auch verbunden seine Einheit, geht dann aber über dieses Verständnis noch weit hinaus: In dem Maße, in dem die Frage nach anderen Völkern und der Welt als Schöpfung auftauchte, wurde die Einzigkeit und „Einheit Gottes nicht nur mit der Erwählung Israels, sondern auch mit der Anerkennung“ und Verehrung „Gottes durch alle Menschen auf der Erde in Verbindung gebracht“310. Die Einzigkeit Gottes bezieht sich nun nicht mehr allein auf die Verehrung durch Israel, sondern auf die Frage der Welt und der gesamten Menschheit311: Es gibt in der Welt keine anderen Götter, und die von der Restmenschheit verehrten Götter sind keine (Jer 16,19f). Der Gott Israels ist der einzige Gott (Jes 43,10–13; 45,5; Ps 96,5). Mit dieser Überzeugung breitet sich natürlich auch der Geltungsbereich des Gottes Israels aus: Sein Geltungsbereich ist universal, er umfasst die gesamte Erde, die seine Schöpfung ist, wie auch die gesamte Menschheit, die er am Beginn geschaffen hat (Gen 1). Und dieser Überzeugung der Einzigkeit Gottes als des einen Gottes der ganzen Menschheit entspricht wiederum auch die Frage nach der Einheit Gottes, wie sie schon für die Frage der Beziehung Gott – Israel deutlich geworden war: Es ist der Gedanke, dass diese Einzigkeit Gottes sich auch darin realisiert, dass er von allen Menschen der Erde anerkannt und als der einzige Gott von allen verehrt wird, und die Menschheit sich nicht mehr in eine Gott verehrende und eine Gott nicht verehrende teilt. Solches zeigt sich insbesondere in Sach 14,9.16: Sach 14 9 Und der HERR wird König sein über die ganze Erde; an jenem Tag wird der HERR einzig (eŒj) sein und sein Name einzig (›n). …
310 K. Haacker, Römer, 95. 311 Vgl. O. Kaiser, Gott 3, 370ff; W.H. Schmidt, Glaube, 402ff.
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Römer 3,21–31
16 Und es wird geschehen: Alle Übriggebliebenen von allen Nationen, die gegen Jerusalem gekommen sind, die werden Jahr für Jahr hinaufziehen, um den König, den HERRN der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern.
Weiter sind etwa auch Zeph 2,11 und 3,9 und Jes 45,6 zu nennen: Zeph 2LXX312 11 Der Herr wird sich über ihnen [den Nationen, der Verf.] offenbaren und er wird zerstören alle Götter der Erde; und alle Inseln der Nationen werden sich vor ihm niederwerfen, jeder von seinem Ort aus. Zeph 3 9 Dann aber werde ich den Völkern andere, reine Lippen geben, damit sie alle den Namen des HERRN anrufen und ihm einmütig dienen (douleÚein a§tù ØpÕ zugÕn ›na). Jes 45LXX313 6 … damit erkennen die vom Aufgang der Sonne und die von ihrem Untergang, daß es außer mir gar keinen gibt. Ich bin der HERR - und sonst keiner –…
Es ist ganz deutlich, dass Gottes Einzigkeit und Einheit hier korreliert werden mit, ja gebunden werden an seine spürbare Herrschaft über die ganze Welt. Sie werden gebunden an den Heilszustand seiner basile…a und die Anerkennung und Verehrung des Gottes Israels durch alle Völker; der Monotheismus wird verknüpft mit der kultischen und religiösen Einheit der Menschheit. Dabei lässt sich insbesondere eine Verbindung von Dtn 6,4 und Sach 14,9 und damit eine Interpretation und Ausweitung von Dtn 6,4 in dieser Richtung aufweisen: Sie findet über die Stichwortverbindung mit eŒj statt und entspricht damit als gezera schawa einem wichtigen Prinzip jüdischer Schriftauslegung314. Greifbar wird sie etwa in der jüdischen Liturgie von Rosch haSchana, in der die ungeteilte Anerkennung und Verehrung des Gottes Israels und die religiöse Einheit der Menschheit in der Neujahrs-Amida explizit thematisiert werden315. Das eŒj Ð qeÒj markiert also schon im zeitgenössischen antiken Judentum einen Universalismus, von dem eine endzeitliche Realisierung erwartet wird (Jes 2,2–5; Mi 4,1–5; Jes 11,1–10; 45,5.6.14f.23f; 55,5; 56,7; Hab 2,14; Jer 31,34; Ps 22,28 u.ö.)316. Paulus kann also mit „eine(r) schon vorgegebene(n) ökumenische(n) Grundauslegung des jüdischen 312 313 314 315 316
Übersetzung d. Verf. Übersetzung d. Verf. Vgl. G. Stemberger, Einleitung, 28f. Vgl. dazu M. Wyschogrod, Gott, 40–43. Vgl. dazu H. Merklein, Einzigkeit, 14f.18f; auch D. Vetter, Ziel, 518; W.H. Schmidt, Glaube, 402ff.
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Grundbekenntnisses“317 arbeiten, die nichts anderes besagt, als dass die in Israels Grundbekenntnis ausgesagte Einheit und Einzigkeit Gottes verbunden wird mit der Frage nach der ganzen Welt und der gesamten Menschheit: Dem eŒj Gottes entspricht, dass auch die Menschheit nicht teilbar ist in einen ihn anerkennenden und verehrenden Teil und einen ihn nicht anerkennenden und nicht verehrenden Teil. Das eŒj Gottes als Anspruch wird eingelöst in seiner ungeteilten, heilvollen Herrschaft über die ganze Erde und durch eine ungeteilte, kultisch und religiös geeinte, eine Menschheit: „Die Geschichte des jüdischen Volkes findet ihr letztes Ziel in dem Gottesbund, der alle Menschen umschließt.“318 Damit ist deutlich, wie die Argumentation zwischen den beiden Gottesbekenntnissen V.29 und V.30 funktioniert. Das erste Gottesbekenntnis wird, wie wir gesehen hatten, nicht aufgehoben. Aber der daraus ableitbare Partikularismus wird dadurch ausgeschlossen, dass das zweite Gottesbekenntnis, das ihm an die Seite gestellt wird, als Grundbekenntnis höher bewertet wird und das dominierende Axiom abgibt. Dieses muss in der Argumentation gar nicht erläutert werden, sondern Rang und Stellung von Dtn 6,4 sprechen für sich selbst. Der Monotheismus wird als wichtigste Gottesaussage Israels angeführt, und ihm muss sich alles andere unter- bzw. zuordnen319. Dieser Primat wird zusätzlich unterstützt durch die Belege, die den Monotheismus als letztgültiges, nämlich eschatisches Ziel bestimmen. Die Aussage 'Iouda…wn Ð qeÒj lässt sich problemlos zuordnen, wenn sie nicht über den Monotheismus dominieren will. Nur die partikularistische Implikation wird ausgeschlossen320. Der monotheistische Gott ist kein anderer als der, der als Gott der Juden bekannt ist. Das 'Iouda…J prîton bleibt, es wird durch das kaˆ “Ellhni nicht in Frage gestellt. Im nachfolgenden Relativsatz V.30b werden beide Gottesaussagen schlussendlich zusammengebracht, indem Gott als der für Israel handelnde Gott ausgesagt wird und dann mit demselben Ziel auch für die Heiden handelt, und entsprechend beide Gruppen zusammen die Einheit ergeben. Insofern die Völker zum Heil Gottes, das er zuerst Israel anbietet, hinzukommen und die vereinigte Menschheit aus Gottes Handeln an Juden und Heiden entsteht, bleibt Gott auch verlässlich Gott der Juden321. 317 318 319 320 321
K. Haacker, Römer, 95. D. Vetter, Ziel, 519. Vgl. nur J. Maier, Zwischen, 192f. Vgl. K. Wengst, Gerechtigkeit, 146. Damit auch gegen z.B. U. Wilckens, Römer 1, 248: „Ebendiese Unterscheidungsmöglichkeit [zwischen der Beziehung Gottes zu Israel und den Völkern, der Verf.] aber will Paulus zerbrechen“. Vgl. auch nur 4,11.
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Auch auf Abgrenzung zielende Gottesaussagen Israels können niemals behaupten und behaupten niemals ein mÒnon Gottes in dem Sinn, dass Gott ausschließlich für Israel da wäre und außerhalb Israels keinen (heilvollen) Geltungsbereich hätte322. Es geht lediglich um ein spezifisches, besonderes Verhältnis von Gott zu Israel im Unterschied zur restlichen Menschheit323. Allerdings kann auch diese spezifische Differenz aufgrund des eschatischen Ziels des Monotheismus nur eine voreschatische sein, und sie ist nicht zwangsläufig eine un-heilvolle für die Heiden. Insofern ist die Beschreibung des jüdischen Hintergrundes für V.29.30, wie etwa D. Zeller sie vornimmt, nicht zutreffend: „Daß Jahwe auch der Gott der Heiden ist, hätte ein Jude zwar nicht bestritten, aber er kennt ihn nur als ihren Schöpfer und Richter, nicht auch als ihren Erlöser“324. Es geht also letztlich in der Argumentation von V.29.30a darum, dass Israels spezifische Gottesbeziehung nicht so ausgestaltet und verstanden wird, dass sie der von der Schrift vertretenen eschatischen Einheit der Menschheit entgegensteht und damit im Widerspruch zur Schrift den Monotheismus gefährdet. Die Argumentation mit Dtn 6,4 ist gar nicht zu überschätzen. Sie zielt in der Tat direkt ins Zentrum der jüdischen Gottesaussagen: Ein einziger Gott und kein anderer; ein unvergleichbarer Gott, dem nichts Zweites an die Seite gestellt werden kann, und der insofern eben eins und einzig ist – das ist das morgens und abends bekannte jüdische Gottesproprium. 322 Vgl. nur – auch hinsichtlich der Betonung eines heilvollen Geltungsbereich Gottes auch außerhalb Israels – A. Runeson, Judaism, 55f; J.D. Levenson, Horizon, 143ff; M. Greenberg, Mankind, 369ff; J.D.G. Dunn, Judaism, 57ff. 323 Vgl. D. Vetter, Ziel, 519. Die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführte Aussage ExR 29: „Gott sprach zu den Israeliten, Ich bin Gott über alle Weltbewohner, aber meinen Namen habe ich nur mit dem eurigen vereint, d.i. ich werde nicht Gott der Völker der Welt, sondern Gott Israels genannt“ kann aus verschiedenen Gründen nicht als grundlegende Zusammenfassung einer Heillosigkeit für die Völker implizierenden Gotteslehre (so z.B. E. Käsemann, Römer 97; U. Wilckens, Römer I, 248f; D. Zeller, Römer, 93) angeführt werden: Zum Einen sagt sie nur die besondere Bindung Gottes an Israel, also das auch in V.29 auftauchende 'Iouda…wn Ð qeÒj aus, ohne dass in SchemR 29 gleichzeitig damit oder im Anschluss daran Weiteres über Gott und die Völker ausgesagt wäre. Über die Qualität der Beziehung Gottes zu den Völkern schweigt sich nämlich ExR 29 aus: das ist nicht Gegenstand seiner Aussage. Demgegenüber gibt es über die von uns angeführten alttestamentlichen Stellen hinaus auch in der rabbinischen Literatur zahlreiche Belege, die ein heilvolles Verhältnis des Gottes Israels zu den Völkern aussagen; vgl. dazu nur D. Vetter, Ziel. Überlegt werden kann im Anschluss an K. Haacker, Römer, 95, ob dieser wahrscheinlich im 2. Jh. n. Chr. entstandene Ausspruch als Reaktion auf die paulinische Position bzw. ihre heidenchristliche Rezeption in der Konkurrenz zwischen Judentum und Kirche zu verstehen ist – immer unter der Beachtung, dass hier außer der Betonung der besonderen Bindung Gottes an Israel nichts weiter über Gott und die Heiden ausgesagt wird. 324 D. Zeller, Römer, 93.
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Bemerkenswert ist dabei auch, wie stark Paulus seine Argumentation an diese Gottesaussage bindet und in welcher Weise das geschieht: Paulus macht die Gottesaussage des Grundbekenntnisses zur Bedingung, zur Kondition. Sie wird zu dem, für das festgestellt werden muss, ob es zutrifft oder nicht: e‡per eŒj Ð qeÒj. Er verortet somit die Frage der Verifikation nicht in seiner aus der Grundaussage gefolgerten These, sondern verlegt die Frage der Wahrheit in das Grundbekenntnis Israels über Gott. Damit macht er deutlich, dass eben mit seiner Aussage diese Kondition steht und fällt, das Grundbekenntnis Israels auf dem Spiel steht. Das ist rhetorisch geschickt und wird ermöglicht durch die traditionelle Bedeutung und Sensibilität der Monotheismusaussage samt ihrer eschatischen Implikationen.
3.4.2.5 V.30b Nun fügt sich an das Grundbekenntnis ein Relativsatz an, der zunächst einmal das ganze eben beschriebene Konzept über den Haufen zu werfen scheint: Während eŒj Ð qeÒj in seinem Charakter als traditionelle Grundaussage auch mit den „ökumenischen“ Implikationen einer universalen, geeinten Menschheit außer Frage steht, scheint die weitere Attribuierung des einen Gottes als der, der durch sein Handeln mittels des Glaubens zum einen und einzigen Gott wird, dem diametral entgegengesetzt zu sein. Sie scheint von einem grundlegenden, absolut konsensualen Bekenntnis meilenweit entfernt zu sein und eher der in V.28 ausgemachten Kategorie der persönlichen Überzeugung, der individuellen Glaubenssaussage zu entsprechen; sie scheint eine neuartige Aussage zu sein325. Damit würde in V.30 zwischen dem Hauptsatz und dem Relativsatz eine starke Inkongruenz in der Argumentation entstehen. Demgegenüber gibt es aber doch eindeutige Signale, die darauf hinweisen, dass Öj dikaièsei peritom¾n ™k p…stewj kaˆ ¢krobust…an di¦ tÁj p…stewj gerade nicht als neuartige oder persönliche Aussage des Paulus verstanden werden soll. So hatten wir etwa festgestellt, dass auch die persönlich gefärbte Aussage V.28 nur scheinbar eine persönliche Aussage ist. Und dementsprechend weisen nÒmoj p…stewj in V.27 und nÒmon ƒst£nomen di¦ tÁj p…stewj in V.31 darauf hin, dass die Attribuierung des einen Gottes durch den Glauben weder eine neue noch eine persönliche Idee des Paulus ist, sondern ebenso wie das eŒj Ð qeÒj als eine Aussage der Tora, und zwar als eine Grundaussage des als Tora verstandenen nÒmoj, 325 In diesem Sinne etwa: P.-G. Klumbies, Rede, 195f; E. Gräßer, Gott, 238.254ff; auch D. Starnitzke, Struktur, 161.
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Römer 3,21–31
anzusehen ist326. Dies geschieht in V.27 und V.31 zunächst einmal auf dem Wege der bloßen Behauptung, so dass eine argumentative Begründung gefordert bleibt. Dementsprechend ist von Röm 4 zu erwarten, dass hier der Zusammenhang zwischen Monotheismus, Einheit Gottes und Ganzheit der Menschheit und Gottes Handeln via Glauben dargestellt wird. Die Frage von Kongruenz und Inkongruenz zwischen V. 30a und V.30b wird gelöst bzw. entscheidet sich in der Beantwortung der Frage: Was hat die Frage von Monotheismus und Einheit der Menschheit mit dem Glauben zu tun? Insofern und in dem Maße, in dem dies in Röm 4 geleistet wird, erscheint auch die Zusammenstellung des Grundbekenntnisses eŒj Ð qeÒj mit der Prädikation Gottes als durch den Glauben heilshandelnder als zusammengehörige Grundüberzeugung von Schrift und Tradition. Dass es in Röm 4 tatsächlich um diese Fragen gehen wird, zeigt ein Blick auf die Frage in 4,1: Mit Abraham ist das Erste angeführt, wonach aus der Tradition zu greifen ist, wenn es um die Frage des Monotheismus – und auch der Völker in diesem Zusammenhang – geht327. In 4,3 führt dann das Zitat von Gen 15,6 die p…stij zur Diskussion hinzu. Verwiesen sei auch darauf, dass schon in der propositio Paulus durch die Zusammenfügung der traditionellen Gottesgerechtigkeit mit der durch die Schrift gesicherten p…stij (Hab 2,4) Traditionelles mit Traditionellem zusammengebracht hatte. Damit wird aber auch für V.30 schon jetzt thesenartig deutlich, dass Paulus mit der Zusammenfügung von eŒj Ð qeÒj und dikaièsei peritom¾n ™k p…stewj kaˆ ¢krobust…an di¦ tÁj p…stewj eine zusammenhängende, geschlossene und ebenso traditionell wie grundlegend begründete Aussage über den Zusammenhang von Monotheismus, Glaube und der in Beziehung zur Einheit der Menschheit stehenden Einheit Gottes macht, die nicht in einen traditionellen und einen paulinischen Teil zerfällt328. Monotheismus, Glaube und Einheit der Menschheit gehören für Paulus als Grundaussagen Israels nach Maßgabe von Schrift und Tradition zusammen. Nach dieser grundsätzlichen Einordnung muss nun der Relativsatz noch einmal detailliert angesehen werden. Dabei markiert das dikaièsei mit Ój als Repräsentant von qeÒj als Subjekt, dass es auch hier bei der p…stij weiter um Gottesaussagen geht. Die p…stij wird als ein Element 326 Zur Hochschätzung des Glaubens im Judentum vgl. K. Wengst, Gerechtigkeit, 143f; A. Behrens, Vorverständnis, 332–334; vgl. nur Ex 14,31. Vgl. auch unten 4.4.6.6. 327 Vgl. nur N. Calvert-Koyzis, Paul. 328 Und damit gegen eine christologische Umformung des überkommenen Gottesbegriffes, wie etwa D. Starnitzke, Struktur, 161; P.-G. Klumbies, Brennpunkt, 192–206, bes. 206; ders., Rede, 184–196 u.ö. und E. Gräßer, Gott, 240–258, bes. 254ff; sie sehen.
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des göttlichen Heilshandelns dargestellt329. Dadurch wird V.28 in seiner Verknüpfung von p…stij und passivum divinum deutlich in seinem Charakter als Gottesaussage bestätigt330. Inhaltlich sagt dikaièsei den einen Gott als den Gott des Heils wie auch seine Einung der Menschheit als Heilseinung aus. Dieser Heilsaspekt steht im Anschluss an V.21–26. Damit tritt die Argumentation von Röm 2, die Gott als den Gott auch der Heiden insofern dargestellt hatte, als dass er unparteiisch auch ihr Richter ist, zurück, und es wird deutlich, dass die Einheit Gottes und die damit verbundene Einung der Menschheit auf das Heil zielen; bzw. umgekehrt, dass die Bestimmung Gottes als des Gottes des Heils der bestimmende Grund für die Einung ist. Genau dies war ja auch in den alttestamentlichen Aussagen zum Tragen gekommen, wo die endzeitliche Manifestation der Einheit Gottes und das Zusammenkommen von Israel und den Völkern im Rahmen der eschatischen Bestimmung und Verwirklichung von Gottes Heil geschieht. Dabei macht gerade Jesaja 25331 deutlich, dass die Verknüpfung von Gottes Heilshandeln mit dem Ende der Unterschiede kein Zufall ist. Jes 25 6 Und der HERR der Heerscharen wird auf diesem Berg allen Völkern ein Mahl von fetten Speisen bereiten, ein Mahl von alten Weinen, von markigen fetten Speisen, geläuterten alten Weinen. 7 Dann wird er auf diesem Berg die Hülle verschlingen, die das Gesicht aller Völker verhüllt, und die Decke, die über alle Nationen gedeckt ist. 8 Den Tod verschlingt er auf ewig, und der Herr HERR wird die Tränen abwischen von jedem Gesicht, und die Schmach seines Volkes wird er von der ganzen Erde hinwegtun. Denn der HERR hat geredet. 9 An jenem Tag wird man sagen: Siehe da, unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns rette! Da ist der HERR, auf den wir hofften! Wir wollen jauchzen und uns freuen in seiner Rettung!
Das Überschwängliche, Unermessliche und Unerhörte des Heilshandelns Gottes ist es, was zur Ausweitung der Grenzen und letztlich ihrer Überwindung führt. So können wir mit O. Kaiser für das von Jesaja angesagte Heil formulieren: „In seiner Gegenwart versinken die Bewertungen, welche Menschen dank ihrer begrenzten Erfahrung und Einsicht von einander machten – und damit auch die Schmach des kleinen, 329 Vgl. schon W. Michaelis, Rechtfertigung, 122f.136. 330 Vgl. oben 3.4.2.2. 331 Zur Bedeutung von Jesaja für Paulus vgl. nur: J.R. Wagner, Heralds. Dass im übrigen Paulus mit dieser Fokussierung auf Jesaja innerhalb des biblischen Kanons aus nÒmoj kaˆ profÁtai nicht alleine steht und insofern seine Randständigkeit wiederum relativiert wird, wird deutlich aus der Verbreitung von Jesaja im zeitgenössischen Judentum: Es ist eine stärkere Verbreitung der Jesajatexte als der Pentateuchtexte zu verzeichnen, wofür etwa die Qumranfunde auch ein Beispiel sind.
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elenden Volkes, am Tische dessen nun alle Völker liegen.“332 Gerade auch eine Zusammenschau von Jes 25,6–9 und Röm 1,16.17 mit den Stichworten swthr…a und dem Weichen der Unterschiede im Hinzukommen der Völker lässt den Anspruch der Argumentation in V.29.30, schriftgemäß zu sein, noch klarer hervortreten. Somit wird deutlich, dass die Bestimmung Gottes, der eine und einzige Gott zu sein, isoliert und zum Selbstzweck ausgesagt, Gott nicht wirklich wesentlich charakterisiert. Nur wenn diese Aussage in Verbindung mit einer klaren Absicht steht, diese Einheit und Einzigkeit heilvoll für alle Menschen (d.h. für Juden und Heiden) zu füllen, charakterisiert sie Gott wesentlich. Probleme bereitet das Tempus von dikaièsei, da nach dem, was in V.21– 26 gesagt ist, aber auch danach, was in 5,1 gesagt ist, das Rechtfertigungshandeln Gottes kein zukünftiges, sondern gegenwärtiges bzw. gegenwärtig schon auch realisiertes Handeln ist333. In V.26 heißt es: œndeixij tÁj dikaiosÚnhj ™n tù nàn kairù; in 5,1 heißt es: dikaiwqšntej ™k p…stewj … œcomen334. Von daher überzeugt die angebotene Lösung eines eschatologischen Futurs nicht335. Aber auch die Bestimmung als logisches Futur336 hilft nicht weiter, da auch hier nicht klar ist, was in unserem Zusammenhang ein logisches Futur sein soll. Das Problem lässt sich aber leicht lösen, wenn man den aspektiven Charakter, den das Futur, besonders auch in biblischen Zusammenhängen aufgrund des hebräisch-alttestamentlichen Hintergrunds, haben kann, berücksichtigt: Das Futur dient in diesem Fall dazu, die Gewissheit einer Handlung zu unterstreichen, insbesondere auch die theologische Unverrückbarkeit einer Aussage zu transportieren. Dies wird deutlich etwa in den Formulierungen des Dekalogs, wo die theologische Grundlegung zu futurisch formulierten Handlungen der Menschen führt und somit die Gewissheit und Festigkeit dieser Handlungen im Vertrauen auf die theologische Grundlegung aussagt337. Aber auch in Bezug auf das Handeln Gottes kann das Futur dazu dienen, dieses im Sinne einer Vertrauensaussage als grundsätzlich gewisses, unverrückbares Handeln zu charakterisieren. Hier können 332 O. Kaiser, Gott 3, 164f. 333 Vgl. E. Käsemann, Römer, 98; M. Wolter, Rechtfertigung, 95. 334 Zum indikativen Verständnis und zum textkritischen Problem vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 89ff. 335 So U. Wilckens, Römer 1, 248 mit Anm. 277; J.D.G. Dunn, Romans I, 189; W. Schmithals, Römerbrief, 131, der im vermeintlich ungewöhnlichen Gebrauch des Futurs die Spannung von „schon jetzt“ und „noch nicht“ ausgedrückt sehen will. 336 So E. Käsemann, Römer, 98; D. Starnitzke, Struktur, 160; C.E.B. Cranfield, Romans I, 222; O. Michel, Römer, 156. 337 Neben Ex 20,3ff par Dtn 5,3ff siehe auch Röm 13,9.
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beispielhaft die futurisch formulierten Gottesaussagen der Psalmen genannt werden: Ps 120,4.5LXX u.ö. Dementsprechend ist auch schon Hab 2,4 z»setai futurisch formuliert und so von Paulus in 1,17 zitiert worden. Auch hier hätte man schon monieren können, dass ein Präsens angeblich angemessener wäre. Folglich unterstreicht das Futur bei dikaièsei, dass es sich bei Gottes Heilshandeln für alle Menschen durch den Glauben nicht um eine mögliche, sondern um eine gewisse Aussage handelt, die keinen Zweifel zulässt, sondern in dem Rahmen der theologischen Vertrauenswürdigkeit Gottes unbedingt geglaubt werden darf338. Damit reiht sich also formal die Aussage dikaièsei in die Reihe alttestamentlicher Aussagen von Gottes sich gewiss ereignendem Handeln ein. In einer solchen Form von Gott zu reden, passt hervorragend in den Zusammenhang von V.29.30, der über Dtn 6,4 als biblisch geprägte Rede bestimmt wird. Seine als persönlich markierte Aussage von V.28 hätte Paulus hingegen nicht so formulieren können. Dort muss er mit passivum divinum formulieren, weil Thesenform und futurische Formulierung nicht zusammenpassen, sondern nur biblische Glaubensgewissheit und futurische Form. Damit wird aber auch deutlich, wie durch die Argumentation in V.29.30 die scheinbar persönliche These von V.28 zu einer biblisch geprägten Glaubensüberzeugung wird und einen solchen Charakter und Stellenwert bekommt. Mit den Objekten peritom»n und ¢krobust…an sind Juden und Heiden als die zur Diskussion stehenden Teile der Menschheit genannt. Vor diesem Hintergrund der Frage nach Einheit und Teilbarkeit der Menschheit ergibt nun die Addition von Juden und Heiden die Gott entsprechende Einheit der Menschheit. Dabei werden hier in bewährter Manier die Juden zuerst genannt und die Heiden addiert. Auch hierin haben wir in der Verbindung mit dikaioàn eine Wiederaufnahme der propositio und damit einen Indikator für die Wichtigkeit unseres Abschnittes und für die Einheit von 3,21–26 und 3,27–31. Dabei wird in V.30 im Vergleich zum Galaterbrief ein ganz besonderes Bemühen deutlich, nicht allein auf die Frage der Heiden zu zielen, sondern die Juden nicht zu vergessen und vielmehr über ihre primäre Erwähnung zu einer traditionsverankerten, biblischen Hinzuzählung der Heiden zu den Juden – und damit zu einer biblisch fundierten Einheit der Menschheit zu kommen. In Gal 3,8 hieß 338 Vgl. BDR 362, die diese Funktion leider entgegen dem Befund auf Gebote und Verbote beschränken, in der Überschrift des Paragraphen aber immerhin richtig vom „Indikativ des Futurs für energische Aussagen“ sprechen. Ähnlich äußert sich auch S.E. Porter, Aspect, 414 mit Anm. 16, ohne die biblische Bedeutung und den biblischen Hintergrund von HB und Septuaginta zu sehen, bzw. bezieht er diesen nur auf Gebote und Verbote (a.a.O., 419).
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es nämlich noch: proÍdoàsa dÑ ¹ graf¾ Óti ™k p…stewj dikaio‹ t¦ œqnh Ð qeÒj. Die biblisch fundierte Einheit kommt durch Gottes Handeln durch den Glauben zustande, weil in diesem Handeln die Unterschiede zwischen Juden und Heiden aufgehoben werden – wie sie etwa durch das Tun der Tora zustande kommen würden – und so eine Einheit der Menschheit entsteht. Wiederum schließt sich somit hier über die jeweilige Verbindung von Juden und Heiden mit p…stij an dikaièsei eine Parallelkonstruktion an339, die Juden und Heiden parallelisiert bei gleichzeitiger Differenzierung durch die Wahl verschiedener Präpositionen. Dabei ist nicht ganz leicht zu entscheiden, ob mit dem Wechsel der Präpositionen hier nur ein Dass der Differenzierung der gleichzeitig parallelisierten und letztendlich vereinten Juden und Heiden ausgesagt werden soll340. Dann wäre die andernorts (etwa 3,25b.26ab) auch inhaltlich ausgefüllte Differenzierung von Juden und Heiden in demselben Handeln Gottes nur wieder aufgerufen, ohne sie erneut inhaltlich zu füllen, aber um sie sozusagen als zum vereinenden Heilshandeln Gottes gehörig festzuhalten. Die andere Möglichkeit wäre, dass über die bloße Variation zur Verdeutlichung des Dass der Differenzierung hinaus mit der bewussten Wahl der Präpositionen auch hier eine inhaltliche Füllung der Differenz in der Einheit – beidesmal geht es um Gottes mit p…stij markiertes Handeln – vorgenommen werden soll. Möglich ist es immerhin, den Relativsatz so zu verstehen, dass mit ™k p…stewj die Treue Gottes zu Israel341 gemeint ist und mit di¦ tÁj p…stewj der Glaube des Menschen als Zugangsmöglichkeit zum Heil des Gottes Israels, als die Heilskraft, mit der Gott so rettet, wie es etwa bei Abraham geschehen ist. Das würde dann einem differenzierten Verständnis von ™k p…stewj und e„j p…stin der propositio entsprechen (1,17), nach dem Gott seine Gerechtigkeit aufgrund seiner Treue, aus seiner Treue heraus offenbart zur Verwirklichung, Kontinuität seiner Treue oder zur Erzeugung von Glauben beim Menschen342. Allerdings ist auch ein solches Verständnis von 1,17 nicht exakt zu fassen, und es ist hier wohl angemessener, von einem Spiel oder einer Ambiguität mit der doppelten Bedeutung von p…stij im Sinne von Treue (Gottes) und Glauben zu sprechen343. Und in V.21–26 war die p…stij eindeutig als menschlicher Glau339 Vgl. oben 3.3.1.6. zu 3,25b.26. 340 Auf jeden Fall auszuschließen ist ein Verständnis, das dem Präpositionswechsel keine Bedeutung zumisst, vgl. dazu in diesem Abschnitt unten und Anm. 350–353. 341 Diese Möglichkeit wird von J.D.G. Dunn, Romans I, 189 erwogen im Anschluss an ™k p…stewj in 1,17. 342 Vgl. dazu a.a.O., 43f; D.A. Campbell, Crux, 265–285, der unter ™k p…stewj allerdings die Treue Christi versteht. 343 Vgl. J.D.G Dunn, Romans I, 44.
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be im Rahmen des Handelns Gottes und weder als Treue Christi noch als Treue Gottes verstanden worden. Gegen eine Ausdifferenzierung von p…stij spricht auch, dass in 4,11f p…stij/pisteÚein für ¢krobust…a und peritom» in gleicher Bedeutung benannt werden. Von daher erscheint hier eine inhaltliche Bedeutungsvariation zwischen „Treue“ und „Glaube“, bezogen auf die Juden einerseits und die Heiden andererseits, doch eher unwahrscheinlich344. Andererseits ist es wiederum schwer, die Präpositionen ™k und di£ in ihrer Zuordnung auszutauschen: Ein di£ würde wesentlich schlechter zu Israel passen als zu den Heiden, wie umgekehrt das ™k besser zu Israel passt als zu den Heiden345: Denn bei ™k p…stewj hört es sich nach einer p…stij als einem vorhandenen Fundus an, aus dem geschöpft werden kann, was besser zum Vorhandenen der Geschichte Gottes mit Israel passt346. Und die Kombination von peritom» und p…stij ruft einfach Gottes Treue gegenüber Israel wach. Das gegenüber der Geschichte Israels mit Gott doch beachtenswertere und neuere – wenn auch keinesfalls widergöttliche und unbiblische – Hinzukommen der Heiden andererseits kann weniger mit dem Rückgriff auf etwas Vorhandenes beschrieben werden, vielmehr muss hier „die bisher unerreichbare Möglichkeit der Rechtfertigung als Verbindung mit dem einen Gott Israels“347 ausgesagt werden, weshalb hier p…stij mit di£ für die Nennung des Mittels348, das das Unmögliche möglich macht, genannt wird349. Das ist aber für Israel in dieser Weise nicht formulierbar. Somit können wir mit E. Käsemann feststellen: „Der Wechsel der Präpositionen ™k und di£ ist… [in erster Linie] rhetorisch, ohne deshalb… sachlich belanglos zu sein. Die religiösen Unterschiede sind überwun-
344 Völlig unmöglich ist das Verständnis von ™k p…stewj als „Treue Israels“ in der Erfüllung der Tora, wie es von J.G. Gager, Origins, 117 vorgeschlagen wird. Dass Toraobservanz irgendeinen Rettungscharakter für Israel hat, ist aufgrund der vorhergehenden Argumentation und aufgrund von 9,30ff ausgeschlossen. Ebenso ist auch ein Verständnis von p…stij im Sinne der ‚Treue Jesu‘, wie S.K. Stowers, EK PISTEWS, 674 es vorschlägt, aufgrund der Verwendung von p…stij sonst, insbesondere auch in 3,21–26, ausgeschlossen. 345 Vgl. auch S.K. Stowers, EK PISTEWS, 669ff.674. Zu der spezifischen Zuordnung aufgrund der Nicht-Austauschbarkeit vgl. auch unten 7.3.2. 346 Vgl. auch J.D.G. Dunn, Romans I, 189. 347 U. Wilckens, Römer 1, 248. 348 Vgl. S.K. Stowers, EK PISTEWS, 630. Auch wenn er unter p…stij die Treue Jesu versteht, hat er insofern Recht, als bei der Konstruktion von di£ + p…stij das Mittel und Instrument hervorgehoben werden. 349 Dazu wird Röm 4 zeigen, dass der Glaube schon immer als das Mittel bestimmt war und fungiert hat, mit dem Gott den Heiden das Hinzukommen zu ihm ermöglichte und ermöglicht, so dass auch dieses Hinzukommen von der Tradition gesichert ist.
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den, doch gibt es weiterhin Christen aus Juden und Heiden… Die Unterschiede werden in der Solidarität des Glaubens relativiert.“350 Dass der Präpositionswechsel hier eine solche Differenz in der Gleichheit ausdrücken will, ist aufgrund des dominierenden Themas der Differenz in der Einheit von Juden und Heiden nicht beiseite zu schieben. Den Präpositionswechsel als ‚ohne Bedeutungsunterschied‘ zu bezeichnen351, ist deshalb nicht zutreffend. Alle Parallelaussagen mit Juden und Heiden transportieren die paradoxe Idee der Differenz in der Einheit und der Einheit in der Differenz. In der näheren Umgebung werden in V.25.26 und dann auch in 4,11f wieder die Gleichheit bei der Verschiedenheit von Juden und Heiden dargestellt. Und dementsprechend geht es auch in V.30 darum, in der Grundüberzeugung von dem einen Gott, der in Entsprechung die eine Menschheit schafft, die Differenz Israels in dieser unterschiedslosen Einheit paradoxerweise festzuhalten, bzw. Israels Identität durch das Wechselspiel von Variation und Identität nicht verloren zu geben352. Damit kommt aber der Formulierung ™k p…stewj und di¦ tÁj p…stewj eine weitergehende Funktion zu, als nur die Ausschließlichkeit und das Allesbestimmende des Glaubens auszusagen, insofern die Variation der Präpositionen bei immer gleichem Substantiv auf das immer Gleiche und damit Unumgängliche des Glaubens hinweise353. Darüber hinaus ist es unmöglich, bei der Formulierung peritom¾ ™k p…stewj nicht die Treue Gottes gegenüber Israel auch mitzudenken. Auch wenn in erster Linie nicht sie mit der Formulierung, sondern der menschliche Glaube als Mittel Gottes bei seinem Heilshandeln gemeint ist, ist die konnotative Verbindung von ‚Treue Gottes‘ zu ‚Israel‘, aus der Israel nämlich allein lebt und existiert, so stark, dass sie hier nicht wegzudrücken ist. So liegt möglicherweise auch hier ein Spiel mit der doppelten Bedeutung von p…stij vor, wie Entsprechendes ja auch für 1,17 durchaus denkbar ist354. Israels Identität in der durch Glaube geeinten, aufgrund des Glaubens theologisch nicht teilbaren, nicht unterscheidbaren Menschheit, von der ja auch schon in V.25b.26a die Rede war, liegt auch gegenüber den vereinten, also statusgleichen Heiden in der langen
350 E. Käsemann, Römer, 98. 351 So etwa zuletzt E. Lohse, Römer, 139; A. Maillot, Romains, z.St.; C.E.B. Cranfield, Romans I, 222; H. Schlier, Römerbrief, 118; M.-J. Lagrange, Romains, 80; H. Lietzmann, Römer, 52. Auch J.D.G. Dunn, Romans I, 189 scheint dazu zu tendieren, hält aber doch eine Differenz in Anklang an 1,17 für durchaus möglich. 352 Vgl. auch K. Wengst, Gerechtigkeit, 150. 353 So etwa E. Lohse, Römer, 139; W. Schmithals, Römerbrief, 131; O. Michel, Römer, 156. 354 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 43.
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Geschichte von Gottes Treue gegenüber seinem Volk355, die ja auch in 11,25 noch besondere Wunder zeitigen wird. Insgesamt macht also auch V.30b die Bedeutung und das Gewicht Gottes in der Argumentation deutlich durch die klassische Form einer futurisch formulierten und damit gleichsam biblischen Gottesaussage, in der so auch der Glaube deutlich von der Seite des Handelns Gottes aus betrachtet wird. Die p…stij erscheint hier, syntaktisch angeschlossen an Gottes Handeln, als Mittel und Prinzip des göttlichen Handelns – und zwar im Hinblick auf die Einheit der Menschheit, und nicht so sehr aber als menschliches Tun, schon gar nicht als anthropologische Haltung oder Existenzweise. Der Glaube steht damit hier im Zusammenhang der Frage nach Gott, aber nicht der Frage nach dem Menschen356.
3.4.2.6 V.31 Nach der im Stil biblischer Vertrauensaussagen formulierten propositionalen Aussage in V.30b schließt sich in V.31 wieder eine Frage an, so dass der Abschnitt diatribisch zu Ende gebracht wird. Die Verbindung von nÒmoj und katarge‹n macht noch einmal explizit das Thema vom Verhältnis des eben Gesagten zu Schrift und Tradition deutlich. Dieses war ja schon gleich zu Beginn des Abschnittes in V.21 thematisiert und positiv dargestellt worden. In V.31 ermöglicht nun wiederum das Medium der Frage, dieses Thema für die Hörer herauszuheben und klarzustellen. Damit wird deutlich, wie wichtig dieses Thema für Paulus ist. Indem Anfang und Ende unseres Abschnittes durch dieses Thema bestimmt sind und die Frage dieses Themas am Ende mit kaum zu überbietender Deutlichkeit formuliert und entschieden wird, wird durch diese emphatische Rahmung klar, dass für das Gesagte entscheidend ist, dass es innerhalb eines bestimmten Rahmens ausgesagt wird. Dieser Rahmen ist nichts anderes als nÒmoj und nÒmoj kaˆ profÁtai. Damit ergibt sich aus der Form der Rahmung durch Stichwort- und Motivverbindung in V.21.31 verbunden mit dem im Rahmen ausgeführten Inhalt eine Darstellung, die klarstellt, dass die in V.21–31 gemachten Aussagen den Rahmen nicht sprengen und aus diesem nicht herausfallen, sondern sich vollständig innerhalb des abgesteckten Rahmens bewegen. Und sie werden zu anderen Aussagen, wenn man sie aus diesem Rahmen löst und sie nicht als Aussagen innerhalb des Rahmens von Schrift und Tradition versteht. 355 Röm 3,2; 2Sam 7,25; 1Kön 6,26; 2Chr 6,17; Hos 5,9; Jes 49,7; PsSal 8,28. 356 Gegen P.-G. Klumbies, Rede, 194.
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Gegenüber V.21 ist in V.31 die Frage unter Aussparung von kaˆ profÁtai auf nÒmoj zugespitzt. Das ist aus mehreren Gründen einleuchtend. Neben dem Aspekt der breiten Bezeugung durch die Schriften, wie diese eben in V.21 und auch in 1,2 formuliert ist, hatte sich die Argumentation doch zugespitzt auf den Begriff des nÒmoj, und die Frage nach ihm war zu einem Hauptstrang der Argumentation geworden, wie es etwa zu Beginn unseres Abschnittes in der Rede vom nÒmoj in V.20.21 und der Zuspitzung zu der Alternative dikaiosÚnh ™x œrgwn nÒmou versus dikaiosÚnh di¦ p…stewj in V.21.22 deutlich wurde. In V.27 war ein bestimmtes Verständnis des nÒmoj ausgeschlossen worden, ein anderes als bestimmend hervorgehoben worden, in V.30 auf einen zentralen Text des nÒmoj verwiesen worden. Zu dieser Arbeit mit dem Lexem nÒmoj im Text kommt noch die konnotative Bedeutung dieses Begriffs hinzu: Ausgehend von der Bedeutung von nÒmoj als „Pentateuch“ als für Israel grundlegendes Dokument des Gotteswillens verbindet sich mit nÒmoj auch der fundamentale Aspekt des „offenbarten Gotteswillens“357, der sich wiederum in der ganzen Schrift wiederfindet. Insofern wird nun nach den Diskussionen in V.21–31 die Frage nach dem Verhältnis vom hier Gesagten zum Überkommenen der gemeinsamen Tradition mit dem Stichwort nÒmoj als Repräsentant für die Schrift und den in ihr offenbarten grundlegenden Gotteswillen gestellt. In der Klartext sprechenden Form der Frage wird auch der kritische Punkt im Hinblick auf das Verhältnis zum Überkommenen explizit benannt: Es ist die p…stij. Damit sind aber auch alle anderen Punkte gleichzeitig entlastet: Die Darstellung der Gerechtigkeit Gottes und des von heilvollen Eigenschaften überquellenden Gottes und das im Grundbekenntnis Israels enthaltene Verständnis der Einheit und Einzigkeit Gottes, das die Einheit der Menschheit unausweichlich und unentrinnbar impliziert und fordert, sind unumstritten. Im Hinblick auf die p…stij wird nun mit der deutlichen Verneinung der Frage des nÒmon katarge‹n zunächst herausgehoben, dass kein Fall von Diskontinuität besteht. Die p…stij bewegt sich so vollkommen innerhalb des Rahmens des nÒmoj, dass sie diesen nicht in irgendeiner Weise berührt oder ihn gar durchbricht und aus ihm herausfällt. Damit wird auch die p…stij den unumstrittenen Elementen des stillschweigenden Konsenses hinzugefügt. Das ist, wie wir gesehen hatten, nicht vollkommen überraschend, war doch die p…stij im Zusammenhang mit traditionellen Gottesaussagen angeführt und in 357 F. Avemarie, Gebot, 630. Dieses Verständnis von nÒmoj als den fundamentalen Gotteswillen, an dem sich Leben in der Welt zu orientieren hat, wird natürlich unterstützt für die (heidnischen) römischen Leser durch das griechisch-philosophische Verständnis des kosmisch-universalen nÒmoj (vgl. H.H. Eßer, Gebot/Gesetz, 628f).
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der propositio aus dem Mund der Schrift selbst mit der Gerechtigkeit als dem Gott wesentlich bestimmenden Element verbunden worden. Die Frage von Kontinuität und Diskontinuität des Gesagten zur Wirklichkeit Gottes war mit demselben Wort katarge‹n auch schon früher gestellt worden: in 3,3. Auch dort war im Sinne der Kontinuität positiv entschieden worden. Das zeigt zum einen, wie wichtig dieses Thema ist, und deutet zum anderen auch schon auf die positive Entscheidung in V.31 hin. Mit der Entscheidung für die Kontinuität ist aber noch längst nicht alles zur Frage von p…stij und nÒmoj gesagt. Die Aussage wird mit dem sich anschließenden ¢ll£-Satz noch überboten: Das bisher Gesagte sprengt nicht nur den Rahmen von Schrift und Tradition nicht, sondern zielt geradezu ins Zentrum des geoffenbarten Gotteswillens, markiert durch nÒmon ƒst£nomen. Diese Aussage war bisher nur thesenartig angedeutet, vor allem durch die Zusammenfügung von dikaiosÚnh und p…stij in 1,17 und die Aussage des nÒmoj p…stewj in 3,27. Wieso Gotteswille und Glaube zentral zusammengehören, inwiefern die p…stij der hermeneutische, wesentliche Punkt des nÒmoj ist, ist noch zu zeigen. Dass dies in Röm 4 geschieht, darauf war schon hingewiesen worden. Aufgrund dieser Überlegungen kann nun auch noch einmal Klarheit in der Frage der Zugehörigkeit von V.31 geschaffen werden358. Während ein Teil der Exegeten V.31 als Abschluss der Einheit von V.21–31 (bzw. V.26–31) versteht359, sieht ein anderer Teil in V.31 die Einleitung von Röm 4 und lässt folglich mit V.31 den neuen Abschnitt beginnen360. Wir können nun sagen, dass in V.31 mit der Frage nÒmon katarge‹n/ƒst£nein die Stichwort- und Motivverbindung zu V.21 dominiert und die Funktion des Rahmens von V.21 und V.31 von hervorragender Bedeutung ist, wie auch der gesamte Brief gerahmt ist durch Traditions- und Kontinuitätsaussagen (1,17 – 15,9–12; 1,2). In diese Linie gehört insbesondere die Frage und Antwort von V.31a als dem erstem Teil der Aussage V.31, der sich deutlich rückblickend verstehen lässt. Der zweite Teil V.31b, mit ¢ll£ formuliert, nimmt zwar Elemente aus dem vorangegangenen auf, diese waren aber eher thesenartig vorhanden, so dass V.31b stärker nach vorn verweist361. Damit transportiert V.31 über die deutliche Funktion des hermeneutischen Rahmens für V.21–31 durch die dominierende Entsprechung mit V.21 hinaus auch ein transitorisches Element mit. Der358 Vgl. oben 3.2. 359 So z.B. P. Stuhlmacher, Römer, 64; W. Schmithals, Römerbrief, 131; E. Kühl, Römer, 131. 360 So z.B. E. Käsemann, Römer, 98; U. Wilckens, Römer 1, 250; C.H. Dodd, Romans, 64. 361 Ähnlich K. Haacker, Römer, 96.
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gleichen ist öfter in paulinischen Schlüssen362 und Scharnierstellen363 zu finden und macht Texte aus, die mehrschichtig und polyvalent und so in der Lage sind, Zusammenhänge zu verstärken und komplexe Wirklichkeit abzubilden. Genauer anzuschauen ist nun noch nÒmon ƒst£nai. Dabei ist zunächst zu klären, was genau unter ƒst£nai zu verstehen ist. Vielfach wird nÒmon ƒst£nai als rabbinischer Terminus bezeichnet, der dann mit „Aufrichten der Tora“ übersetzt wird und verstanden wird als „ihren ursprünglichen gemeinten Sinn zu erheben und zur Geltung zu bringen“364. Dabei wird immer von zahlreichen Belegen gesprochen365, allerdings wird außer Abot 4,9 keiner angeführt. Und der angenommene Sinn von ‚aufrichten‘ kommt von einem falschen Verständnis des Hifil von ~wq366. In Abot 4,9 ist keine Rede von ‚aufrichten‘ im Sinne von ‚das ursprüngliche Anliegen zur Geltung zu bringen‘, sondern schlicht und einfach in dem Sinn von: ‚die Tora halten‘367 im Sinne von ‚wirksam werden lassen‘, ‚zur Geltung bringen‘. Insofern ist es naheliegender und aussagekräftiger, auf den Gebrauch von ƒst£nai in der LXX zu schauen, und hier lässt sich dann auch ein klares Bild gewinnen368. Hier kann man ƒst£nai in klarer Opposition
362 363 364 365
Vgl. z.B. 2,1 u.ö. Vgl. z.B. 15,7 u.ö. E. Lohse, Römer, 139. Vgl. ebd.; ders., Gesetz, 121; U. Wilckens, Römer I, 249 mit Anm. 784. Immer wieder verwiesen wird dabei auf Strack-Billerbeck I, 241f, wo sich aber statt der „weiteren Belege“ nur der eine Beleg Abot 4,9 findet. O. Hofius, Gesetz, 67 mit Anm. 57 führt allerdings im Anschluss an G. Dalman, Jesus-Jeschua, 53ff mit bGitt 36b; bSanh 90a weitere Belege an, wo in Opposition zu ‚aufheben‘ die auch für ƒst£nai in entsprechender Opposition ermittelte Bedeutung von ‚zur Geltung bringen‘ hat. In bSchabb 55b; bJoma 28b; TargJes 37,32 hat mit dem Objekt Tora die Bedeutung ähnlich wie in Abot 4,9 von ‚die Tora halten‘, ‚erfüllen‘, also ‚verwirklichen‘. Gegen O. Hofius und K. Haacker, Römer, 97 ist es nicht erforderlich, zwischen dem Einzelgebot und der Gesamttora zu unterscheiden. Es geht beide Male um die Frage der Geltung, die immer Auswirkungen auf die Gestaltung der Gegenwart impliziert oder fordert. 366 Statt ‚stehen machen‘ im Sinne von einfach ‚hinstellen‘ wird der Hifil von verstanden als ‚etwas vom Liegen zum Stehen bringen‘, also ‚aufrichten‘. 367 Vgl. auch O. Hofius, Gesetz, 67 mit Anm. 57. 368 So sprechen sich R.W. Thompson, Background, 147f; H. Räisänen, Paul, 69; C.T. Rhyne, Faith, 73 und H. Hübner, Gesetz, 121f gegen eine Herleitung von nÒmon ƒst£nai von einem rabbinischen Hintergrund aus. Sie haben insofern recht, als aus dem LXXSprachgebrauch sich nÒmon ƒst£nai eindeutig erklären und verstehen lässt und als die Verfechter des rabbinischen Hintergrundes ƒst£nai fälschlicherweise als „aufrichten“ verstanden haben und sich schlecht von einer engen, geprägten Formel sprechen lässt. Sie haben insofern wiederum unrecht, als die rabbinischen Belege mit dem in der LXX ermittelten Sinn von ƒst£nai von ‚zur Geltung bringen‘, ‚erfüllen‘ (im Sinn von ‚verwirklichen‘) entsprechen.
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zu Verben mit der Bedeutung von ‚aufheben‘, ‚unwirksam machen‘ finden369: Num 30 14 Jedes Gelübde und jeder Eid eines Enthaltungsgelübdes, sich selbst zu demütigen: ihr Mann kann es bestätigen (st»sei) und ihr Mann kann es aufheben (periele‹).
Hier fungiert ƒst£nai eindeutig als Opposition zu ‚außer Kraft setzen‘ und hat damit als dessen Gegenteil die Bedeutung von ‚in Geltung setzen‘, ‚in Kraft setzen‘. Wir finden dann ƒst£nai auch in Verbindung mit nÒmoj oder dem geäußerten Willen Gottes: Gen 26370 3 Halte dich als Fremder auf in diesem Land! Und ich werde mit dir sein und dich segnen; denn dir und deinen Nachkommen werde ich alle diese Länder geben, und ich werde den Schwur aufrecht erhalten (st»sw), den ich deinem Vater Abraham geschworen habe. 2Kön 23371 24 Und auch die Totenbeschwörer und die Wahrsager und die Teraphim und die Götzen und alle Scheusale, die im Land Juda und in Jerusalem zu sehen waren, schaffte Josia ab, um die Worte des Gesetzes auszuführen (st»sV), die in dem Buch geschrieben standen, das der Priester Hilkija im Haus des HERRN gefunden hatte. Mk 7 9 Und er sprach zu ihnen: Trefflich hebt ihr das Gebot Gottes auf, damit ihr eure Überlieferung haltet (st»shte).
Von diesen Belegen her lässt sich ƒst£nai eindeutig in seiner Grundbedeutung des Gegenteils von katarge‹n, also als ‚nicht außer Kraft setzen‘, und damit als ‚zur Geltung bringen‘, ‚erfüllen‘372 im Sinne von ‚dem Gesagten und Geforderten entsprechen‘ verstehen373. Eine Wiedergabe mit ‚aufrichten‘ ist demgemäß inadäquat, weil es das Verständnis aufkommen lässt, als hätte vorher etwas darniedergelegen. Paulus sagt hier mit ƒst£nai nicht aus, dass er einen vorher verdeckten, ursprünglichen Sinn von einer falschen jüdischen Interpretation freige369 Vgl. dazu und zum Folgenden auch M. Wolter, fsthmi, 507f. 370 In Verbindung mit diaq»kh z.B. auch Dtn 8,18; 9,5 u.ö.; – 1Makk 2,27 von menschlicher Seite nach „eifern für das Gesetz“. 371 Auch 1Sam 15,11vl; 2Chr 35,19LXX; – Jer 42,14.16LXX mit rÁma und ™ntol». 372 ‚Erfüllen‘ ist hier nicht im Sinne von ‚verheißen und erfüllen‘ zu verstehen oder eng zu führen, sondern im Sinn von ‚dem Gesagten Relevanz und Realität in der Gegenwart zukommen lassen‘. 373 Damit haben wir für nÒmon ƒst£nai genau die Bedeutung ermittelt, die sich aus den von G. Dalman, Jesus-Jeschua, 53ff angeführten Belegen von in diesem Zusammenhang ergibt: ‚Die Tora zur Geltung bringen‘/‘erfüllen‘ (im Sinne von ‚verwirklichen‘); vgl. Anm. 365 u. 368.
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legt und damit wieder aufgerichtet hat374. Stattdessen betont Paulus mit ƒst£nai seine Treue und sein Festhalten an der Tora, also die Identität des Gesagten mit der Tora, und zeigt weiter auch eine Beförderung der Tora an: Mit der p…stij wird die Tora „als der im AT bezeugte Wille Gottes“375 zur Geltung gebracht, erfüllt, verwirklicht. Das ist in verschiedener Weise aus der Argumentation zu verifizieren: In Gal 3,8 etwa wird gesagt, dass die Schrift vorhergesehen hat, dass Gott die Völker aus Glauben zum Heil führt. In Röm 4,1ff wird über Gottes Heilshandeln mittels des Glaubens an Abraham als einem Fall von Schrift und Tradition geredet. Und die zentrale Forderung und Ankündigung der Tora von der (endzeitlichen) Einheit der Menschheit und Einzigkeit Gottes über Dtn 6,4 in Zusammenhang mit Sach 14,9 wird verwirklicht und kommt nun zustande durch den Glauben. ƒst£nai bezeugt also neben der Identität von Botschaft des Paulus und Botschaft der Tora auch, dass im paulinischen Wirken mit seinen heiden- und gemischtchristlichen Gemeinden die Tora erfüllt, d.h. ihre Forderungen, ihr Wille verwirklicht wird376. Damit ist aber auch deutlich, dass das nÒmon ƒst£nai keinesfalls nur eine positive Beziehung von Paulus zur Tora insofern bedeutet, als dass Paulus im Sinn von 3,20 die von der Tora attestierte Sündenverfallenheit ebenfalls erwähnt und die Tora zur Geltung bringt, indem er ihre „verurteilende Wirkung“377, ihre „Funktion der Anklage und Verurteilung [, die] für Paulus die der ursprünglichen Bestimmung der Tora entsprechende Funktion“378 sei, zum Zuge kommen lässt. Eine Funktion der Tora, auf die Macht und Realität der Sünde hinzuweisen, hatten wir zwar durchaus attestiert379. Allerdings geschieht dies dem umfassenden Heilshandeln zugeordnet, so dass – wie 3,21ff.25f; Gal 3,8 vor dem Hintergrund von Dtn 6,4 // Sach 14,9; Hab 2,4 u.ö. deutlich machen – die grundlegende Funktion der Tora die ist, den alles bestimmenden Willen Gottes zum universalen Heil auf dem Weg des Glaubens auszusagen. Sie ist somit mehr als ein bloßer „Zeuge der Glaubensgerechtigkeit“380, sondern die den Gotteswillen repräsentierende „normative Kraft“381. 374 Mit K. Haacker, Römer, 97; gegen z.B. P.-G. Klumbies, Gott, 205; E. Lohse, Gesetz, 121. 375 M. Wolter, fsthmi, 508. Vgl. z.B. auch L. Schottroff, Tora, 429f. 376 Insofern ist die Rede, dass Paulus die Tora tut, erfüllt (vgl. etwa L. Schottroff, Tora, 430), durchaus berechtigt. Auch hier wird wieder deutlich, dass das Gesetz nicht an der menschlichen Natur scheitert, sondern dass es darum geht, wie man die Tora verwirklicht, erfüllt: nämlich in Übereinstimmung mit ihr (Hab 2,4; Gen 15,6) durch und mittels des Glaubens – oder fälschlicherweise durch das Tun ihrer Einzelgebote. 377 K. Haacker, Römer, 96. 378 O. Hofius, Gesetz, 66. 379 Vgl. oben 3.3.1.3.1. 380 E. Käsemann, Römer, 98. 381 D. Zeller, Römer, 93.
Der Teilabschnitt Röm 3,27–31
159
Dementsprechend ist auch hier die Frage nÒmon katarge‹n aufgrund der Weiterführung mit ¢ll£ keine Frage, die allein bzw. wesentlich durch gegnerische Einwände oder Selbstzweifel des Paulus motiviert ist, sondern auch sie ist in erster Linie in ihrer Funktion der deliberativen, rhetorischen Frage zu verstehen, die Entscheidendes herausheben soll. Es soll weniger der Zweifel einer Diskontinuität ausgeräumt werden, sondern, wie die Fortführung mit ¢ll£ zeigt, positiv die zentrale Verbundenheit der paulinischen Aussagen mit der Schrift für den intendierten Leser unterstrichen werden. Denn die Wesensbestimmung des nÒmoj im Dienste der Offenlegung von Kontinuität und grundlegender Kohärenz ist ein zentrales, unverzichtbares Element der Argumentation wie auch 3,20; 9,31f; 10,4 zeigen. Das Aufrufen von Dtn 6,4 – und vorher schon von Ex 34,6 – und nÒmon ƒst£nomen gehören sozusagen programmatisch und inhaltlich zusammen. Und es berühren sich so auch eÌnai a§tÕn d…kaion (V.26) und nÒmon ƒst£nai. In beiden Fällen machen die Aussagen deutlich, dass es um Sicherung und Erweis der Identität Gottes und um ihre Realisierung in der Gegenwart geht. Gott verwirklicht sich, wie die Tora erfüllt wird.
3.4.3 Fazit zum Teilabschnitt Röm 3,27–31 In der Analyse von V.27–31 hatte sich die Zusammengehörigkeit von V.21–26 und V.27–31 bestätigt, vor allem durch den Stilwechsel hin zur offenen Form der Diatribe. Ihre Fragen sind in erster Linie als rhetorische, deliberative Fragen zu verstehen und sind nicht wesentlich durch die Auseinandersetzung mit Einwänden bestimmt. So dienen sie dazu, nach der dichten Argumentation von V.21–26 nun dem Leser/Hörer das Verständnis von V.21–26 zu erleichtern und ihm Ziel und Implikationen der Aussagen von V.21–26 unmissverständlich vor Augen zu führen. Die wesentliche Aussage ist dabei die kultische bzw. religiöse Einheit der Menschheit in Entsprechung mit dem Wesen Gottes als Erfüllung der Tora. Dabei wird noch stärker, als es in V.21–26 ohnehin schon geschehen ist, theo-logisch, von Gott allein her argumentiert, auch wenn in der Exegese immer wieder fälschlicherweise behauptet wird, es ginge in V.27– 31 um anthropologische Grundaussagen. Stellenwert und Gewicht der Argumentation lassen sich an der Verwendung von Dtn 6,4 ablesen. Der Monotheismus als Israels wichtigste Errungenschaft mit seinen eschatischen Implikationen einer geeinten Menschheit wird als wichtigste alttestamentliche und jüdische Gottesaussage als unüberbietbares Axiom von Schrift und Tradition herausgestellt. Das, was Paulus als seine Ver-
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Römer 3,21–31
kündigung (V.28) angeführt hat, hat seinen Grund im Wesen des Gottes Israels selbst, Einer zu sein, und in seinem im nÒmoj niedergelegten Willen, dieses Wesen samt seiner Implikationen für die Menschheit als Heilshandeln durch den Glauben zu verwirklichen. Insofern kann das paulinische Evangelium von der Heilseinung der Menschheit durch den die Unterschiede ausschließenden, religiös depotenzierenden Glauben und die daraus resultierenden gemischtchristlichen Gemeinden nichts anderes sein als Erfüllung, Verwirklichung der Tora. Dabei wird die p…stij in V.27–31 erstens nicht im Zusammenhang der Frage der menschlichen Haltung, sondern einzig und allein als Mittel Gottes zur Verwirklichung seiner angesagten und mit der Einung der Menschheit verbundenen eschatischen Einheit genannt, und sie ist zweitens in dieser Rolle selbst Element der normativen Kraft der Tora. Dieser als traditionell angeführte Zusammenhang von Monotheismus, Glaube und Einheit der Menschheit, wenn auch schon ausgesagt, bedarf noch weiterer Erläuterung, die dann in Röm 4 folgt. Damit ist aber wiederum deutlich, dass Paulus auch hier keine neue Gotteslehre einführt oder gar Gott christologisch neu bestimmt382 (von Jesus Christus ist in diesen Versen nicht die Rede). Genausowenig „schlägt [er] das Judentum von seinen eigenen Voraussetzungen aus“383. Er bekennt sich vielmehr zum Kern der jüdischen Rede von Gott und verwirklicht sie. In der paulinischen Botschaft wird der im nÒmoj bekundete Wille Gottes Wirklichkeit, in ihr bekommt die Identität des nÒmoj ihre Manifestation. Diese Kontinuität und Kongruenz zu dem, wie Gott sich in Schrift und Tradition selbst zu erkennen gegeben hat, wird auch dadurch bestätigt, dass Paulus am Bekenntnis 'Iouda…wn Ð qeÒj festhält und die Identität Gottes dadurch zu sichern versucht, dass er die mit dem Gott Israels unlösbar verbundene Spannung von Partikularismus und Universalismus nicht einebnet, sondern sie aufrecht zu erhalten und zu versöhnen sucht. Dies geschieht erneut durch eine variierende Parallelkonstruktion hinsichtlich Juden und Heiden, hier aus ™k und di£ + p…stewj bestehend, die Israels Identität gegenüber den Heiden in der vereinten Menschheit festhält, so dass in V.30b erneut das Paradoxon der unterschiedslosen Differenz bzw. der verschiedenen Gleichheit für Juden und Heiden ausgesagt wird.
382 Gegen D. Starnitzke, Struktur, 161; P.-G. Klumbies, Brennpunkt, 192–206, bes. 206; ders., Rede, 184–196 u.ö.; und E. Gräßer, Gott, 240–258, bes. 254ff. 383 E. Käsemann, Römer, 98.
Fazit
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3.5 Fazit An erster Stelle ist zu nennen, dass es in V.21–31 entgegen der immer noch vertretenen christologischen und anthropologischen Engführung im Verständnis des Textes um eine dezidiert an Gott orientierte, mit Gott argumentierende Darstellung geht. Diese geschieht mittels zweier grundlegender Überzeugungen des Judentums über Gott: Gott ist ein Gott der dikaiosÚnh, d.h. ein wesentlich vom Heil bestimmter Gott (Ex 34,6), und Gott ist Einer (Dtn 6,4). Dabei wird vor dem Hintergrund von Jes 25,6–9 deutlich, dass die im ersten Teil V.21–26 so ausführlich traktierte Bestimmung Gottes als Gott der dikaiosÚnh im Prinzip schon Grund genug ist, die Einheit der Menschheit zu begründen, insofern Gottes mit dikaiosÚnh verbundener Heilswille zur swthr…a so stark und überschäumend ist, dass darob die begrenzter menschlicher Sicht entspringenden Unterschiede versinken. Allerdings wollte die Schrift es so, hat Gott sich dafür entschieden, die in ihm begründete Einheit der Menschheit durch den Glauben zu verwirklichen, insofern in diesem die Unterschiede relativiert werden und die Einheit der Menschheit verwirklicht werden kann. Insgesamt sind wir bei dieser theologischen Argumentation und der paulinischen Rede von Gott weit davon entfernt, dass Paulus eine neue Gotteslehre einführt384 oder den überkommenen Gottesbegriff christologisch neu definiert. Die Übereinstimmung mit Schrift und Tradition und die Proklamation von Identität und Selbigkeit sind überdeutlich und haben auch deshalb ein so großes Gewicht, weil Kontinuität und Kongruenz sich explizit und implizit, auf verschiedenen Ebenen manifestieren: Der Abschnitt wird bestimmt durch den Rekurs auf zwei zentrale, vielleicht die beiden wichtigsten Gottesaussagen Israels, Ex 34,6 und Dtn 6,4. Gemeinsames Wissen der jüdischen Tradition wird aufgerufen. Es wird ein Rahmen von nÒmoj kaˆ profÁtai und nÒmoj aufgespannt für das Gesagte, um deutlich werden zu lassen, dass das Gesagte nur dann richtig verstanden werden kann, wenn es als in diesem Rahmen stehend, diesen Rahmen nicht verlassend oder ihn ändernd verstanden und ausgesagt wird. Gott handelt also in Christus nicht, um sich neu zu definieren, sondern um sich zu bestätigen, und zwar in seinen zentralen Aspekten. Dennoch kann man wiederum auch nicht sagen, dass es deshalb unnötig ist, sich mit der Rede von Gott bei Paulus zu beschäftigen, weil Pau384 Vgl. dagegen nur H. Lüdemann, Anthropologie, 157: „Nein, in dem Gottesbegriff erkennen wir den früheren Pharisäer nicht wieder“.
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Römer 3,21–31
lus das überkommene Gottesbild nicht in Frage stellt385. So war vor allem deshalb argumentiert worden, weil man oft mit einer unhinterfragten Übernahme des alttestamentlich-jüdischen Gottesbildes verbunden hatte, dass Paulus die Argumentation auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich der Christologie386 und Anthropologie führe387. Demgegenüber hatten wir gesehen, dass die Argumentation im wesentlichen gerade eine theo-logische Argumentation ist und Christologie und Anthropologie dabei keine zentrale Rolle spielen. Und weiterhin ist natürlich die zu stellende Frage, welche Aussagen aus dem reichen Fundus der überkommenen jüdischen Gottesaussagen Paulus verwendet, wie er sie gewichtet und an welcher Stelle und mit welchen Konsequenzen Paulus vom Gott Israels spricht. Dass er dabei bei zentralen Gottesaussagen Israels landet, bestätigt dann wiederum die Feststellung von Kontinuität und Kongruenz und sein Selbstverständnis, als Apostel Israels dem Willen und dem Wesen des Gottes Israels zu dienen und mitzuhelfen, den durch die dikaiosÚnh bestimmten universalen Monotheismus Israels mittels des in der Tora genannten Glaubens für alle zu verwirklichen. Insofern sind Botschaft und Mission des Paulus nichts anderes als Erfüllung der Tora. Kein Zufall ist dabei, dass auf dem engen Raum von 3,21–31 zweimal die variierende Parallelkonstruktion auftaucht, mit der Paulus in der Paradoxie der verschiedenen Gleichheit die Identität Israels innerhalb von Gottes Heilshandeln zur unterschiedslosen Einheit der Menschheit sichert. Damit sichert er auch die Identität und Selbigkeit Gottes.
385 Vgl. W.G. Kümmel, Theologie, 145; K.H. Schelkle, Paulus, 185f; H. Conzelmann, Grundriß, 185. 386 Vgl. C. Demke, Gott, 646f; A. Lindemann, Rede, 359 u.ö.; W. Thüsing, Gottesbild, 60; ders., Christum. 387 Vgl. H. Conzelmann, Rechtfertigungslehre, 193; R. Bultmann, Theologie, 192 u.ö.
Kapitel 4 Römer 4 4.1 Einleitung Mit dem vierten Kapitel des Römerbriefes wenden wir uns einem Abschnitt zu, der als „Abrahamkapitel“ des Briefes bekannt ist. Und so konzentrierte sich in der Regel der Blick auf Röm 4 auch auf die Person des Abraham als Schriftbeweis dafür, dass der Mensch gerecht werde aus Glauben und nicht aus Werken des Gesetzes. Mit der Frage nach dem Ruhm1 und dem Glauben Abrahams stand somit der Mensch in seinem Verhalten und seiner Position vor Gott im Blickpunkt der Analyse dieses Textes. Dabei ist nahezu übersehen worden, dass Röm 4 auch durch eine Reihe von Aussagen über Gott bestimmt ist2. Diese Gottesaussagen mögen bei einer ersten, auf Abraham konzentrierten Lektüre als relativ unauffällig erscheinen, auch wenn es sich bei näherem Hinsehen um äußerst profilierte und im Kontext pointierte Aussagen handelt. Dass gerade die profiliertesten Aussagen über Gott allesamt nicht eigenständig und absolut auftreten, sondern syntaktisch abhängig sind – und zwar meist als Objekt des Handelns Abrahams (vgl. 4,5.17.21) – hat mit zum Überlesen der Gottesaussagen des vierten Kapitels geführt: In der Fokussierung auf die Abrahamfigur wurden die Gottesaussagen stillschweigend als Thema für das Rhema3 der Abrahamaussagen mitgelesen4. Hinzu kam 1 2 3
4
Vgl. etwa E. Grässer, Abraham. So fehlt dieser Text z.B. auch in den Untersuchungen von P.-G. Klumbies, Rede und N. Richardson, Language. Zu den Begriffen „Thema“ und „Rhema“ vgl. T. Lewandowski, Wörterbuch 3, 1124– 1126. Ich verwende das Begriffspaar hier in einem freieren Verständnis, nicht auf den einzelnen Satz, sondern auf einen Text bezogen: Thema als „der Teil der Äußerung, der weniger Informationen enthält als das Rhema … das was aus Kontext und Situation ableitbar ist; Rhema ist das, was über das Thema mitgeteilt wird, was aus Kontext und Situation nicht ableitbar ist, die neue Information“ (1124). Dass man bei der literarischen Verarbeitung Abrahams genau hinschauen sollte, was Thema und Rhema ist, darauf hat unabhängig von Röm 4 schon S. Sandmel, Place, 29 hingewiesen: „To see what the writer makes of Abraham ist often to see most clearly
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Römer 4
noch, dass die paulinische Rede von der Rechtfertigung durch Glauben als eine Antwort auf die anthropologische Frage der Heilserlangung des Einzelnen verstanden wurde und nicht bezogen auf das Hinzukommen der Heiden und die Frage nach Juden und Heiden angesichts des einen Gottes. So hat der Glaube Abrahams als Modell des Zugangs des Einzelnen zum Heil Röm 4 zum Abrahamkapitel werden lassen und die Frage nach den Pointen, die durch die über Gott gemachten Aussagen in diesem Text gesetzt werden, zurücktreten lassen. In diesem Abschnitt unserer Untersuchung soll nun nach der Bedeutung und der Funktion der Gottesaussagen von Röm 4 gefragt werden. Dass durchaus Anlass dazu geboten ist, den Aussagen über Gott in diesem Kapitel besondere Beachtung zu schenken und eine eingehende Analyse zu widmen, darauf weisen schon zwei erste Beobachtungen zum Kapitel selber hin: Immerhin stehen im vierten Kapitel des Römerbriefes den sieben namentlichen Erwähnungen Abrahams (V.1.2.3.9.12.13.16) mit fünf Belegen von qeÒj (V.2.3.6.17.20) und einem Beleg von kÚrioj (V.8) sechs nominale Erwähnungen Gottes gegenüber. Und viermal sind Aussagen über Gott von pisteÚein (V.5.17.24) bzw. einem Synonym abhängig (V.21) und damit mit einem Wort verbunden, dem zweifelsohne bei Paulus besondere Bedeutung zukommt. Beide Beobachtungen legen es nahe, nach der Sinnlinie5 Gott im vierten Kapitel des Römerbriefes zu fragen, und gerade die letztgenannte Beobachtung bietet Anlass zu der Frage, ob nicht diese übereinstimmende Konstruktion und Einführung der Gottesaussagen darauf hinweist, dass diese vier Belege mehr oder weniger in einer Reihe mit einer sie übergreifenden und integrierenden Funktion stehen, so dass sie eine Linie bilden, die so etwas wie das Rückgrat der paulinischen Argumentation im Kapitel darstellt oder zumindest auf eine das Kapitel bestimmende Aussageabsicht hinweist.
4.2 Forschungsgeschichtlicher Kontext H. Moxnes hat in seiner 1980 erschienenen Dissertation6 als erster die Fixierung auf die Person Abrahams in der Analyse von Röm 4 durchbrochen und die Bedeutung und Funktion der Rede von Gott zum Gegenstand seiner Untersuchung gemacht. Seine Erkenntnis, dass die Rede von Gott eine wichtige und bisher unterschätzte Rolle in der paulinischen Theologie und Argumentation spielt und dass die paulinische Rede von 5 6
what the writer is trying to say.“ Zum Begriff der „Sinnlinie“ vgl. W. Egger, Methodenlehre, 97ff. Vgl. H. Moxnes, Theology; vgl. auch oben 1.5.
Forschungsgeschichtlicher Kontext
165
Gott weniger als eine dogmatisch geprägte Abhandlung zu sehen ist, sondern funktional verstanden werden muss, indem sie wichtige Aufgaben im Rahmen der Bildung und Identitätsstiftung der neuen Gemeinde übernimmt7, bildet auch den Hintergrund seiner Analyse von Röm 4. Dieses funktionale Verständnis der Rede von Gott im Kontext der neu entstandenen Gemeinden aus Juden und Heiden, das unsere Analysen bisher bestimmt hat, wird demnach auch Ansatzpunkt für unsere Analyse des vierten Kapitels des Römerbriefes sein. H. Moxnes‘ Untersuchung ist nun vor allem auf die Gottesprädikationen von 4,17 ausgerichtet, die seiner Meinung nach das Zentrum der Gottesaussagen des vierten Kapitels bilden und deshalb auch im Zentrum seiner Analyse stehen. Aus den Ergebnissen der Analyse und der traditionsgeschichtlichen Einordnung von H. Moxnes bezieht auch unsere Analyse viele Impulse. Was die Moxnes’sche Arbeit aber in ihrer Fokussierung auf 4,17 nicht leistet, ist eine gleichmäßige Analyse aller Gottesaussagen, bzw. mindestens der mit pisteÚein/plhrofore‹n verbundenen, und eine explizite und eingehende Zusammenschau der Gottesaussagen von Röm 4. Eine solche Zusammenschau steht auch insofern noch aus, als – im Gegensatz zur Aufnahme einiger Einzelbeobachtungen von H. Moxnes8 – das Augenmerk und die Bedeutung, die H. Moxnes insbesondere 4,17 beigemessen hat, nicht rezipiert worden sind in der Weise, dass die Frage nach Gott zu einer Perspektive und einem Zugang zu Röm 4 geworden wäre9. Aufschlussreich sind in dieser Hinsicht insbesondere auch die einleitenden Abschnitte zu Röm 4 auch der neueren Kommentare, in denen dem Leser ausnahmslos Abraham als hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis von Röm 4 an die Hand gegeben wird, die die Argumentation mit Gott als wichtiges Element des Kapitels aber völlig un-
7 8 9
Vgl. dazu oben 1.5. Vgl. z.B. M. Neubrand, Abraham, 265; D.J. Moo, Romans, 262ff. Eine rühmliche Ausnahme bildet G. Saß, Verheißungen, der am Rand seiner auf das Stichwort der „Verheißung“ ausgerichteten Analyse von Röm 4 H. Moxnes‘ Ansatz aufführt (378) und richtig bemerkt, dass „Röm 4 [gegenüber Gal 3, d. Verf.] sehr viel stärker theozentrisch ausgerichtet ist“ und dass es hier „das Motiv des einen Gottes für Juden und Heiden (vgl. 3,29f), das sich in den verschiedenen Gottesprädikationen wiederspiegelt“, ist (388 Anm. 238). Allerdings stellt G. Saß dann z.B. auch wieder fest: „Der sachliche Schwerpunkt in 4,2–12 liegt auf den anthropologischen Implikationen des Evangeliums“ (a.a.O., 406). – Auch N. Calvert-Koyzis, Paul nimmt den Ansatz von H. Moxnes auf, insofern sie in ihrer Untersuchung zur Bedeutung der Abrahamtradition im frühen Judentum und Christentum Abraham in den Zusammenhang des Monotheismus stellt. Röm 4 ist in ihrer Arbeit aber nur ein kurzer Abschnitt gewidmet (vgl. a.a.O., 130–135).
166
Römer 4
erwähnt lassen10. Und bei den Untersuchungen von P.-G. Klumbies11, N. Richardson12 und W. Schrage13, die sich explizit mit der Rede von Gott bei Paulus befassen, fehlt Röm 4 ganz. Als paradigmatisch für die Rezeption von H. Moxnes kann die Untersuchung von M. Neubrand zu Röm 4 angeführt werden: Obwohl M. Neubrand durchaus einzelne Beobachtungen von H. Moxnes‘ Arbeit aufnimmt14, spricht sie im Hinblick z.B. auf die Gottesprädikationen in 4,17 von „Stützargumenten“15. Einer solchen nach wie vor vorherrschenden Sichtweise gegenüber, die davon ausgeht, dass den Gottesaussagen in Röm 4 eben lediglich dienende und stützende Funktion im Hinblick auf die Abrahamfigur zukommt, die als das eigentliche Thema des Kapitels anzusehen sei, soll in unserer Untersuchung nun danach gefragt werden, ob den Gottesaussagen des vierten Kapitels nicht eine eigenständige Bedeutung zukommt, die aus einer hier erstmals erfolgenden Gesamtschau der Aussagen heraus möglicherweise sogar mit dem eigentlichen Anliegen des Kapitels beschrieben werden kann, dem dann umgekehrt die Abrahamaussagen als dienende Aussagen zugeordnet werden müssen.
4.3 Der Kontext von Röm 4 und die Stellung und Funktion im Gesamtbrief Erste Beobachtungen an Röm 4 selber hatten darauf hingewiesen, dass die Rede von Gott in diesem Textabschnitt eine besondere Rolle spielt und so eine Untersuchung lohnenswert sein könnte. Hier ist vor allem die Verknüpfung der zentralen paulinischen Vokabel pisteÚein16 mit den Gottesprädikationen zu nennen17. Daneben können aber auch der Kontext und die Stellung und Funktion des Kapitels im Verlauf der Argumentation des Briefes Auskunft darüber geben, welches Gewicht und welche Bedeutung den in ihm enthaltenen Gottesaussagen zukommt. Hier sind zwei Aspekte zu nennen: Zum einen geht es um die naheliegende Frage, was Röm 4 als „Schriftbeweis“ eigentlich beweist und in welchem 10
11 12 13 14 15 16 17
Vgl. D.J. Moo, Romans, 255–257; K. Haacker, Römer, 98f; E. Lohse, Römer, 128.146.151. 153.159. Vgl. jetzt aber anders: D.A. DeSilva, Introduction, 598, zu Röm insgesamt: „The God of Jew and Gentile.“ Vgl. P.-G. Klumbies, Rede; vgl. auch oben 4.1. und 1.5. Vgl. N. Richardson, Language; vgl. auch oben 4.1. und 1.5. Vgl. W. Schrage, Einzigkeit; vgl. auch oben 1.5. Vgl. oben Anm. 8. M. Neubrand, Abraham, xii und 277. Vgl. nur G. Barth, p…stij, 224. Vgl. oben 4.1.
Der Kontext und die Stellung und Funktion im Gesamtbrief
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unmittelbaren Kontext es steht; zum anderen ist die von E. Adams aufgrund von Textverweisen ins Spiel gebrachte Entsprechung zu 1,18–31 in den Blick zu nehmen18. Für die erste Frage ist zunächst aus dem Text selber zu antworten: In 3,21, der Überschrift des vorangehenden Abschnittes, war mit dikaiosÚnh qeoà marturoumšnh ØpÕ toà nÒmou kaˆ tîn profhtîn gesagt worden, dass das anschließend Vorgestellte nichts anderes ist als die in der Schrift bezeugte Gerechtigkeit Gottes. Insofern nun in Röm 4 mit der Schrift im Hinblick auf dikaiosÚnh argumentiert wird, wird in Röm 4 also die dikaiosÚnh toà qeoà bewiesen19. Insofern wir diese Formel in 3,21–31 ganz klar als genitivus subiectivus und damit als Signifikant für das Handeln Gottes bestimmen konnten, wird schon aus dieser Entsprechung von 3,21 und Röm 4 deutlich, dass bei Röm 4 als „Schriftbeweis“ das Handeln Gottes Gegenstand des Beweises ist. Weiter ist festzustellen, dass dem Abschnitt Röm 4 nicht unmittelbar der Teilabschnitt 3,21–26 vorausgeht, sondern der Teilabschnitt 3,27–3120. Diese eigentlich überflüssige, weil selbstverständliche Feststellung ist aber insofern von Bedeutung, als die vermeintliche oder wirkliche Unterschiede in den beiden genannten Teileinheiten sich auch auf die Frage der Perspektive auf den Text von Röm 4 entscheidend auswirken: 3,21–26 hat als einer der Paradetexte für eine auf den Heilszugang des Einzelnen hin verstandene Rechtfertigungslehre fungiert21, und es ist auch tatsächlich ein konkretes „Wie“ des Gerechtwerdens des einzelnen Menschen durch den Singular von 3,26 genannt – auch wenn letztendlich diese Angaben Aussagen über das Handeln Gottes sind und auch in diesem Abschnitt selber deutlich im Rahmen der mit der paulinischen Mission verknüpften Frage nach Juden und Heiden stehen22. So hat 3,21– 26 den irrtümlichen Anlass zu einem Blick auf Röm 4 und die Person Abrahams unter der Prämisse der Frage nach dem Menschen und seiner Positionierung vor Gott geliefert. 18 19
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Vgl. E. Adams, Faith. Vgl. auch H. Hübner, Gesetz, 123, der aber die Bedeutung von dikaiosÚnh qeoà als genitivus subiectivus in diesem Zusammenhang nicht erkannt hat und damit nicht gesehen hat, dass hier das ausgesagte Handeln Gottes Gegenstand des Beweises ist. Stattdessen vermutet H. Hübner, dass „die völlige Unangemessenheit bewiesen werden solle, das Gesetz als ‚Gesetz der Werke‘ zu sehen“. So sieht z.B. E. Käsemann, Römer, 118 den Abschnitt 4,1–22 zwar richtig als Beweis für eine vorangehende These, aber eben fälschlicherweise für „die paulinische These von 3,21–26“: denn nach 3,21–26 folgt eben noch 3,27–31, bis der Beweis in 4,1 einsetzt, und die Frage-Antwort-Form weist eindeutig 3,29.30(.31) als zur Diskussion stehende These aus. In diesem Sinne falsch auch z.B. U. Wilckens, Römer 1, 280. Vgl. M. Luther, Vorrede, 7; ders., Roemer, 39; vgl. auch D. Zeller, Römer, 94. Vgl. oben 3.3.1.6.3 und D. Zeller, Römer, 94.
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Römer 4
Demgegenüber setzt der zweite, unserem Text unmittelbar vorausgehende Teilabschnitt 3,27–31 einen eindeutig anderen Akzent: Wie wir gesehen hatten, steht in seinem Zentrum eine exponierte Gottesaussage, die zugleich am Ende der Argumentation von 3,21–31 und von 1,18–3,31 lokalisiert ist. Diese Gottesaussage in 3,29.30 ist die Begründung für die die propositio von 1,16.17 wiederaufnehmende und die vorherige Argumentation zusammenfassende These von 3,28. Sie berührt neben dem in 3,21–26 genannten Handeln Gottes nun auch eine Grundaussage über Gott und zitiert mit Dtn 6,4 einen Grundtext des Judentums. So bringt also der unmittelbar vorangehende Kontext mit dieser zentralen These an bedeutender Stelle die Gottesfrage auf das Tableau. Indem sich nun dieser einzigartigen, exponierten Gottesaussage von 3,29.30, auf die die gesamte Argumentation von 1,16f – eigentlich sogar schon von 1,1: e§aggšlion qeoà – zugelaufen ist, eine ganze Reihe von weiteren Gottesaussagen in Röm 4 unmittelbar anschließt, wird es zu wenig sein, die Gottesaussagen von Röm 4 als Thema für das Rhema der Abrahamaussagen anzusehen. Vielmehr kommt Röm 4 aus dem Kontext heraus die Funktion zu, die thesenartige Gottesaussage von 3,29.30 zu begründen und zu stützen, so dass man zu der umgekehrten Fragestellung kommen kann und muss, inwiefern die Abrahamaussagen dem Rhema der Gottesaussagen dienend zugeordnet sind. Deutlich passt dazu auch das ermittelte Verhältnis von nÒmoj und p…stij in 3,31: nÒmoj ist hier gerade in Verbindung mit der Diskussion um das Wesen und Verständnis Gottes im umfassenden und weiteren Sinn zu verstehen nicht als Gesetzbuch oder das konkrete Gebieten Gottes, sondern als seine grundlegende Absicht und Willen23. Und das rechte Verständnis dieses grundlegenden Willens Gottes ist es, das nach 3,31 zur Debatte steht. In diesen Rahmen ist entsprechend auch die p…stij einzuzeichnen: Mit der zweifachen Erwähnung des nÒmoj ist nicht der Mensch in seinem Glauben vor Gott das Thema, sondern die Frage, auf die der Schriftbeweis in Röm 4 antwortet, ist die rechte Interpretation des überlieferten Gotteswillens und damit Gott selber. Für Gott aber wird reklamiert, mittels des Glaubens zu handeln und ein und derselbe Gott für Juden und Heiden zu sein, so dass sein grundlegender Wille auch auf das Heil und das Hinzukommen der Heiden zielt. 23
Vgl. oben 3.4.2.6. – In diese Richtung auch U. Wilckens, Rechtfertigung, 42; gegen H. Hübner, Gesetz, 124, der gerade auch im Zusammenhang von 3,31 und Röm 4 meint, hier ginge es zwar um das Gesetz als Schrift, aber nicht bezogen auf grundlegende Aussagen über den Gotteswillen, sondern nur bezogen auf sich selber: Das Gesetz als Schrift wird aufgerichtet, insofern es „von sich selber, daß es, insofern es göttliche Forderung ist, nicht ‚Gesetz der Werke‘ sein will“ bezeugt.
Der Kontext und die Stellung und Funktion im Gesamtbrief
169
Wie eng die Abschnitte 3,27–31 und 4,1–25 zusammengehören und wie deutlich Röm 4 die Begründung für die zentrale These von 3,29.30 ist, darauf verweisen über den eben geschilderten Zusammenhang hinaus die Stichwortverbindungen, die es nur zwischen 3,27–31 – und eben nicht zwischen 3,21–26 – und Röm 4 gibt. Dabei bestimmt die Abfolge der Stichwörter in 3,27–31 auch die Reihenfolge der Themen in 4,1–25 mit, so dass auch aufgrund dieser Strukturentsprechung Röm 4 nur die Begründung für 3,27–31 sein kann24: kaÚchsij 3,27 – kaÚchma 4,2; œrgon 3,27.28 – ™rg£zesqai 4,2.4.5.6; peritom»/¢krobust…a 3,30 – 4,9.10.11.1225; darüber hinaus auch: œqnh 3,29 – 4,17.18. Auf einen zweiten Aspekt der Beziehung von Röm 4 zum übrigen Brieftext hat E. Adams26 aufmerksam gemacht. Ausgangspunkt sind wiederum auffällige Stichwort- und Motivverbindungen, und zwar diesmal zwischen 1,18–32 und 4,1–25: 1,18
¢sšbeia, ¢dik…a
–
4,5
dikaioànta tÕn ¢sebÁ
1,20.25
kt…sij, kt…saj
–
4,17
Schöpfungsaussagen
1,20
dÚnamij (qeoà)
–
4,21
dunatÒj ™stin (Ð qšoj)
1,21
tÕn qeÕn o§c æj qeÕn ™dÒxasan
–
4,20
doÝj dÒxan tù qeù
Ausgehend vor allem von der Verbindung von 1,18 und 4,5 werden die Beziehung und das Verhältnis von 1,18–32 und 4,1–25 deutlich: Der als ¢seb»j gekennzeichnete Abraham erinnert in seiner Schilderung an die ¢sšbeia in 1,18 und die sich dort anschließende Darstellung: Was bei Abraham als Heiden an Erkenntnis und Anerkenntnis Gottes geschildert wird, steht in genauem Kontrast zu dem in 1,18ff benannten Versagen der Heiden in der Erkenntnis und der Anerkenntnis Gottes. Damit fungiert Abraham in Röm 4 in kontrastierender Entsprechung zu 1,18–32 als Beispiel, anhand dessen die Anerkenntnis Gottes, des Schöpfers, durch einen Heiden ausgesagt wird. Das muss im Einzelnen bei der Untersuchung der jeweiligen Texte diskutiert und bewertet werden, insbesondere bedarf das Verständnis von Abraham als Heiden aufgrund von 4,5 einer besonderen Erläuterung. Erweist sich aber diese Gegenüberstellung von 1,18–32 und 4,1–25 als tragfähig, so wird auch dadurch Röm 4 in seiner Funktion als „Got24 25 26
K. Berger, Abraham, 65 sieht immerhin, dass 4,1–8 3,27–31 begründet, hat dabei aber die weiteren Bezüge übersehen. Vgl. H. Moxnes, Theology, 223–230, bes. 228f. Vgl. E. Adams, Faith; zum Folgenden bes. 48–55.
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Römer 4
teskapitel“ unterstrichen, indem das Thema des Wesens und Handelns Gottes und seiner mangelnden Erkenntnis und Anerkenntnis durch die Heiden aus 1,18–32 durch seine kontrastierende Aufnahme in 4,1–25 auch diesen Abschnitt thematisch mitbestimmt.
4.4 Analyse der Aussagen über Gott in Röm 4 4.4.1 Abraham als Gegenstand eines „Gotteskapitels“ Es mag auf den ersten Blick wie ein Argument gegen unseren Blick auf Röm 4 als „Gotteskapitel“ erscheinen, dass das Kapitel in seinem ersten Vers mit der Frage nach einem Menschen, nämlich dem das ganze Kapitel bestimmenden Abraham, zu beginnen scheint. Aber auch diese Beobachtung ist nicht ganz zutreffend, insofern Abraham nicht als Mensch, sondern als prop£twr Israels bestimmt wird. Damit wird eine wichtige Akzentuierung Abrahams getroffen und so könnte man eher fragen, ob Röm 4 nicht ein „Israelkapitel“ ist27. Aber diese Frage lässt sich ganz einfach beantworten, wenn man in Anschlag bringt, wie Israel seinen Gott benennt und welchen Zusammenhang das Alte Testament selber zwischen Gott und Abraham herstellt: Die Formel „der Gott Abrahams“ (Gen 31,42.53; Ps 47,10) als Ausgang und erste Stufe für die ebenfalls mit Abraham konstruierte Formel „der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs“ (Ex 3,6 u.ö.) macht deutlich, dass die Person Abrahams mit den mit ihr verbundenen Erzählungen nicht auf die Definition des Menschen zielt, sondern dass sich – nach der Urgeschichte der Genesis – zuallererst und primär an Abraham zeigt, mit welchem Gott Israel und die Menschheit (Gen 12,1–3; Ps 47,10) es zu tun haben, wer und wie Gott ist28. Wenn man dies in Betracht zieht, dann ist es nur zu verständlich, warum Paulus bei der Begründung seiner Gottesthese 3,29.30 unmittelbar auf Abraham zu sprechen kommt. Hinzu tritt selbstverständlich der Aspekt, dass in Abraham sich Gottes besonderes Verhältnis zu Israel zu manifestieren beginnt29, so dass an Abraham un27
28 29
In diese Richtung etwa N. Calvert-Koyzis, Paul, 1, die die Bedeutung Abrahams für die Identität des Gottesvolkes herausstellt. – Zur Bedeutung der Abrahamfigur im antiken Judentum vgl. auch O. Schmitz, Abraham, 99ff und S. Sandmel, Place, 30ff. So findet sich dann bei N. Calvert-Koyzis, Paul, 1 die Feststellung, dass an Abraham für das Gottesvolk sichtbar würde, was es glauben solle. Unabhängig davon, dass schon das erste Wort des Tanachs, , im Judentum das Handeln Gottes als ein auf Israel bezogenes Handeln Gottes verstehen lassen kann, beginnt die Geschichte des Ursprungs des Volkes selber doch erst mit Abraham.
tyXarb
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lösbar die Dreiecksfrage von Gott, Israel und Heiden angebunden ist, die Abraham zu der vieldiskutierten Figur des antiken Judentums gemacht hat für die Frage nach Gott unter den Heiden (Gen 12,3; Josephus, Ant 1,154–157; Jub 11,15ff; Philo, Abr 69ff; BerR 53,9 u.ö.) und die Frage, wer zu Israel gehört, d.h. zum Heilsraum, zu der Gemeinschaft mit Gott (vgl. nur Mt 3,9par). Diese Dreiecksfrage hat Paulus im vorangehenden Abschnitt aufs Tapet gebracht und der damit verbundene Traditionsrahmen ist es, in den das vierte Kapitel einzuzeichnen ist. Damit können wir aber auch die Frage, warum Paulus dazu kommt, nach der Ausführung der Propositio in 3,21–31 nun Abraham anzuführen, mehrschichtig beantworten: Insofern die Rechtfertigungslehre die Frage von Juden/Heiden/Gott zum Thema hat, liegt ein Rückgriff auf Abraham als Argument von Schrift und Tradition in dieser Frage nahe. Dies ist sicher auch von den jüdisch bestimmten Gegnern des Paulus so gesehen worden, so dass auch ein weiterer, äußerer Grund vorliegen wird: Diese werden zuerst in der Frage der paulinischen gemischtchristlichen Gemeinden Abraham als Gegenargument angeführt haben30, dass man nur mit der Beschneidung zu Israel, dem von Gott ausgegrenzten Heilsraum, gehören kann. Damit liegt aber auch ein Rückgriff auf den Galaterbrief nahe, in dem Paulus in der ersten Auseinandersetzung mit den Gegnern die Rechtfertigungslehre genau so als Frage von Gott und den Heiden vor dem Hintergrund der Juden beschrieben (™k p…stewj dikaio‹ t¦ œqnh Ð qeÒj (3,8)) und in diesem Zusammenhang auch Abraham angeführt hatte. Dies konnte er zum einen tun, weil die Schrift eine heilvolle Dreiecksbeziehung von Abraham, dem Stammvater der Juden, Gott und den Völkern aussagt, die so zum Argument für Paulus wird, wie es sich in Gal 3,8 mit dem Zitat von Gen 12,3 findet. Und zum anderen sind in Gen 15,6 mit Abraham noch weitere Begriffe verbunden, die inhaltlich für das paulinische Evangelium, d.h. die Rechtfertigungslehre, entscheidend sind: dikaiosÚnh und p…stij. Aus Gal 3,8 ergibt sich dann auch eine Perspektive auf Abraham in einem „Gotteskapitel“: Weil Gott etwas vor hatte, handelte er an Abraham. Damit legt es sich nahe, in der Analyse auch einen Seitenblick auf Gal 3 zu werfen, wo schon einmal mit Abraham argumentiert wurde.
30
Vgl. zuletzt M. Konradt, Glauben, 25; auch J. Roloff, Abraham, 238; B.W. Longenecker, Triumph, 31f; J.L. Martyn, Issues, 18.20ff.162ff.
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4.4.2 Röm 4,1–2: o§ prÕj qeÒn – Die Unterscheidung von menschlicher und göttlicher Wirklichkeit als hermeneutische Grundlegung Die erste Erwähnung Gottes findet sich in 4,2. Sie macht ganz deutlich, welche Bedeutung Gott in der paulinischen Argumentation zukommt. Die Frage nach der Rechtfertigung aus Werken und des Rühmens wird ganz einfach und klar entschieden: Die Diskussion, ob Abraham Werke hatte, die zu seiner Rechtfertigung führen, und der aus ihnen folgende Ruhm wird abgeschnitten durch das ¢llm o§ prÕj qeÒn. Dabei gibt die Konstruktion von V.2b mit ¢ll£ die Struktur der Argumentation an: Es geht um die Eröffnung eines Gegensatzes, bei dem das zweite Glied V.2b die Aussagen des ersten Gliedes V.2a durch die Gegenüberstellung eines neuen Geltungsbereiches begrenzt und damit für den Argumentationszusammenhang entwertet. Dieser Argumentationsstruktur entspricht auch der Indikativ von œcei in V.2a. Die Aussage von V.2a ist nicht absolut falsch und „nicht schlechthin irreal“31. Ihr wird mit dem Indikativ ein Geltungsbereich zugestanden, der aber eingeschränkt wird durch das ¢ll£32, das einen zweiten Geltungsbereich gegenüberstellt, in dem diese Aussage verneint wird und keine Geltung hat. Dass Paulus also zunächst die Aussage des kaÚchma Abrahams nicht rundherum ablehnt, sondern sie innerhalb eines bestimmten Geltungsbereiches akzeptiert, erklärt sich aus der Bedeutung Abrahams im zeitgenössischen Judentum und bestätigt unsere Annahme zu der Funktion der Abrahamfigur in Röm 4: Abraham ist für Paulus das Thema, die Matrix, mit der Paulus das Rhema seiner Gottesaussagen – im Hinblick auf seine jüdisch bestimmten Gegner bzw. Hörer – aussagen will33. Insofern 31 32
33
U. Wilckens, Römer 1, 262. Das haben diejenigen Ausleger nicht gesehen, die meinen, dass der Indikativ œcei insofern ein Rätsel aufgebe, als Paulus vorher, etwa in 3,27, eine Möglichkeit des Ruhmes aus Werken vollkommen ausgeschlossen habe (so etwa K. Haacker, Römer, 99; J. Lambrecht, Conditions, 155; S.J. Gathercole, Boasting, 366f): Es gibt diesen Ruhm auch für Paulus, aber eben nur innerhalb der menschlichen Wirklichkeit und nicht im Geltungsbereich der göttlichen Wirklichkeit. Und da 3,27 ganz deutlich im Rahmen der Beschreibung der göttlichen Wirklichkeit steht, kann dort auch das Rühmen dezidiert ausgeschlossen werden. U. Wilckens, Römer 1, 262 und D. Starnitzke, Struktur, 165 haben immerhin gesehen, dass die Aussage V.2a „nicht schlechthin irreal ist“, weil sie für andere, nämlich weite Teile der jüdischen Tradition real sei. Dass Paulus selber diese Aussage für real ansieht, nämlich in einem klar umrissenen Geltungsbereich, ist von U. Wilckens und D. Starnitzke aber nicht gesehen worden. Richtig aber R. Liebers, Gesetz, 71f. Zur Diskussion vgl. vor allem E. Gräßer, Abraham, 16f, der für die Gesamtaussage des Paulus keinen Unterscheid zwischen Realis und Irrealis sieht, aber feststellt, dass auch ein Realis in Sinne einer „eingeschränkten Konzession“ (a.a.O., 16) möglich wäre, die eben auf den Bereich coram hominibus begrenzt ist. Das ist nicht gesehen worden von M. Neubrand, Abraham, 95, die für V.2 durchaus
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bildet die gemeinsame Überzeugung der Bedeutung und der positiven Bewertung Abrahams für Paulus den Ausgangs- und Ansatzpunkt seiner Argumentation. Paulus kann und will nicht an dem positiven Abrahambild kratzen, das die Tradition als Grundlage für ihn und seine Gegner zeichnet, das natürlich auch durch ein kaÚchma Abrahams ausgesagt wird und dessen er so bedarf, um seine Aussagen über Gott mit einem Anknüpfungs- und Autoritätspunkt für seine Gegner zu versehen. Die Bereiche, die hier nun einander gegenübergestellt werden, sind Gott und Mensch34. Dieser Gegensatz von prÕj ¥nqrwpon – prÕj qeÒn ist mehr als ein unausgesprochener35, denn neben dem o§ prÕj qeÒn auf der einen Seite wird die Gegenüberstellung der göttlichen zu der menschlichen Wirklichkeit auch dadurch deutlich, dass Paulus in V.4, gekennzeichnet durch die Begriffe ™rg£zesqai, misqÒj und Ñfe…lhma, mit der Schilderung der menschlichen Arbeitswelt die menschliche Wirklichkeit beschreibt. Dass es hier tatsächlich um die menschliche Wirklichkeit als menschliche Wirklichkeit geht, die nichts mit der göttlichen Wirklichkeit zu tun hat und damit nicht in Entsprechung, sondern in Opposition der göttlichen Wirklichkeit entgegengesetzt ist, wird dadurch deutlich, dass Paulus hier nicht signalisiert, dass es ihm bei der Schilderung von menschlicher Wirklichkeit um eine bildhafte oder vergleichende Beschreibung oder Diskussion von göttlicher Wirklichkeit geht, wie es etwa in Gal 3,15; 4,24; 1Kor 9,8 oder auch Röm 3,5 geschieht. In diesen Rahmen der bestimmenden Opposition von menschlicher Sicht der Dinge und dem, was von Gott her zu sagen ist, lässt sich nun auch V.1 einordnen, weil kat¦ s£rka in die Linie der Opposition zu prÕj qeÒn und damit in die Linie dessen, was im Bereich der menschlichen Wirklichkeit von Abraham zu sagen ist, eingereiht werden muss. Denn kat¦ s£rka ist kein negativer Begriff per se, der moralische Verdorbenheit bezeichnet, sondern ein dem alttestamentlichen Sprachgebrauch entstammendes Synonym für kat' ¥nqrwpon36, das schlicht und einfach die Bedingungen und Gegebenheiten des Menschen als Menschen – und somit oft im Kontrast zu dem, was bei Gott gilt und möglich ist –, bezeichnet37. So hat es auch hier keinen negativen Klang38, sondern gibt den
34 35 36 37 38
feststellt, dass Paulus „den Blick auf die theologische Dimension und das Erwählungshandeln Gottes“ lenkt, aber dann wieder davon spricht, dass es um eine „Korrektur“ geht „im Hinblick auf die Art und Weise, wie Abraham gesehen werden kann“, und die exakte Zuordnung von Thema und Rhema nicht vornimmt. Vgl. D. Starnitzke, Struktur, 166. Gegen U. Wilckens, Römer 1, 262. Vgl. Ps 77,39; 64,3; 55,5 LXX; Gen 6,3 u.ö. Vgl. auch A. Sand, s£rx, 550. Vgl. auch K. Grünwald, s£rx, 471. Vgl. E. Käsemann, Römer, 100.
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Geltungsbereich der über Abraham gemachten Aussage prop£twr ¹mîn an. So lässt sich also folgender Argumentationsverlauf für den Beginn von Röm 4 feststellen: Zur Debatte stehen die in 3,27–31 gemachten Aussagen über Gott, die einer Begründung und Erhärtung aus Schrift und Tradition des Judentums bedürfen. Paulus führt Abraham an und macht mit tÕn prop£tora ¹mîn und œcei kaÚchma Aussagen über ihn, die der Tradition entsprechen und von den jüdischen Gegnern bzw. Hörern ungeteilte Zustimmung erhalten39 oder von ihnen als Zitate in den Streit um die paulinische Theologie eingebracht werden40. Damit ist zunächst einmal eine gemeinsame Grundlage geschaffen und der Konsens hergestellt, dass Abraham der Ausgangspunkt und die Matrix sein kann, an der die zur Debatte stehenden Aussagen diskutiert werden können, kurz, dass Abraham als Schriftbeweis taugt und von den Gegnern akzeptiert werden kann, insofern in den Aussagen über ihn eine gemeinsame Schnittmenge besteht. Zugleich aber wird schon bei der ersten gemeinsamen Aussage mit kat¦ s£rka (= kat' ¥nqrwpon) ein Maßstab benannt, der einen Rahmen und damit Grenzen für die Gültigkeit dieser Aussage setzt und ihr somit eine universale Geltung nimmt. So läuft die Anführung der zunächst Paulus und seine Gegner/Zweifler verbindenden Aussagen über Abraham auf die Eröffnung eines zweiten Maßstabes zu, der entgegengesetzt den Bereich benennt, in dem diese Aussagen nicht gelten. Dies geschieht mit Nennung Gottes. Damit sind der Rahmen und der Maßstab genannt, in dem die Argumentation geführt werden muss: Gott. Gott ist das Argument, das bei der diskutierten Frage zählt und das den Bereich und die Wirklichkeit, um die es geht, markiert. Und indem die Geltung der zunächst bejahten und Gemeinsamkeit stiftenden Aussagen für diesen entscheidenden und zur Debatte stehenden Bereich verneint wird, und diese zugleich auf den zu diesem Bereich bzw. Maßstab in Opposition stehen Bereich begrenzt werden, werden sie als Argumente für die zur Diskussion stehende Frage nutzlos und entwertet. Es geht nicht darum, was nach dem Maßstab menschlichen Verständnisses, geltender menschlicher Wirklichkeit, über Abraham ausgesagt werden kann, sondern es geht darum, was in Hinsicht auf Gott über Abraham ausgesagt werden kann. Dafür steht ¢ll' o§ prÕj qeÒn. Ein solcher Beginn der Argumentation von Röm 4 dürfte somit als ein erster Beweis für unsere These, dass Abraham das Thema für das Rhema der Gottesaussagen in diesem Kapitel bildet, aufzufassen sein. Denn ein Beginn steckt immer den Rahmen für das Verständnis des Fol39 40
In diesem Sinne auch der Indikativ von œcei V.2. So z.B. K. Haacker, Römer, 100.
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genden ab, indem er Signale und Leseanweisungen für das Nachstehende gibt. Paulus beginnt mit dem Bekannten und Vertrauten an Abraham, um dann deutlich zu machen, dass es nicht um diese menschliche Betrachtungsweise Abrahams geht, sondern um die Frage nach Gott41. Und die ist es auch, die nach 3,27–31 auf dem Tapet steht42. Insofern ist die Kongruenz von 3,27–31 und Röm 4 hier signalisiert, und es ist deutlich, dass nicht Abraham als Mensch diskutiert werden soll43, sondern das, was anhand von Abraham als einer Autorität und Maßgabe der Tradition über Gott ausgesagt werden kann. Das liegt insofern ebenso auf der Hand, wie es bindend und autoritativ ist, als Gott eben kein anderer ist als der Gott Abrahams. Diese Kongruenz wird auch dadurch unterstrichen, dass in 3,27–31 die Gottesfrage im Zusammenhang eines Vorzuges der Juden (3,27)44 und der Frage von Juden und Heiden steht. Dieser Zusammenhang ist auch in 4,1.2 präsent, denn alles, was nach menschlicher Weise über Abraham gesagt wird, meint sein Judesein. Das ist bei tÕn prop£tora ¹mîn offensichtlich, gilt aber auch für ™x œrgwn ™dikaièqh und kaÚchma. Denn beide Begriffe sind im Römerbrief auf das Judentum bezogen. Wie wir gesehen haben, sind œrga als œrga nÒmou als jüdische Lebensweise gemäß der Tora zu verstehen45 und kaÚchma im Anschluss an kaÚchsij als das Pochen auf eine besondere Stellung Israels vor Gott46. So macht die Einleitung zum sogenannten Schriftbeweis mit ihrer Argumentationsstruktur „ja – aber“ deutlich, dass sich zwar im Bereich der menschlichen Wirklichkeit Juden von Heiden unterscheiden, dass es diese Unterscheidung aber im Bereich Gottes, der ja in 3,29 als ein Gott von Juden und Heiden behauptet wurde, aufgrund des dort geltenden Maßstabes nicht gibt. Daraus ergibt sich die Frage, was man an Abraham aber dann über Gott lernen kann, wenn gerade das nicht, dass Gott in Abraham den Juden eine Sonderstellung bereitet habe, weil er sich an Abraham als Gott des von Abraham leiblich abstammenden Volkes Israel erwiesen habe. Denn dass man an Abraham etwas über Gott lernen kann, das hat Paulus in den ersten beiden Versen signalisiert, indem er Abraham angeführt hat in der Erläuterung der Gottesfrage und indem er mit der Erwähnung der traditionellen Aussagen die Erwartung bestätigt hat, dass Abraham 41 42 43 44 45 46
Vgl. J.H. Neyrey, God, 121. Vgl. N.A. Dahl, God, 178. Gegen E. Gräßer, Abraham, bes. 5.20f u. passim. Vgl. oben 3.4.2.1. Vgl. J.D.G. Dunn, Works, 527ff; vgl. auch M. Bachmann, Keil, 132 u. passim mit ausführlicher Diskussion. Vgl. K. Haacker, Römer, 92.
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ein maßgeblicher Punkt in Fragen der Tradition von Israel und seinem Gott ist.
4.4.3 Röm 4,3 Die Abrahamgeschichte der Schrift als Grundlage für Aussagen über Gott Nach der Einleitung und Perspektiveneröffnung in V.1.2 antwortet auf diese Frage nun V.3. Dabei verweist Paulus auf die Schrift. Sie stellt eine gemeinsame Grundlage47 dar, wie sie ja Paulus schon in V.1.2 ins Spiel gebracht hat und die er braucht, wenn er seine Gegner/Hörer überzeugen will. Zugleich führt Paulus mit der Schrift eine Autorität an48. Auch ein Bezug zu 3,31 ist gegeben. nÒmoj als „Tora im weiteren Sinne“ verweist natürlich auch auf die Schrift, in der dieser Gotteswille niedergelegt ist. Wenn Paulus den nÒmoj aufrichten will, muss er die Schrift richtig zu Gehör bringen49. An dem angeführten Zitat von Gen 15,6 wird geradezu klassisch die schon erwähnte Funktion der Abrahamerzählung deutlich, auf die es hier ankommt: Es wird eine Geschichte erzählt von Abraham und Gott, und in dem Handeln Abrahams im Hinblick auf Gott wird Gott erkannt, und in Gottes Handeln mit Abraham gibt sich Gott zu erkennen. So wird anhand dieser Geschichte deutlich, wer Gott ist.50 Insofern es eine Geschichte Gottes mit einem Menschen ist oder eine Geschichte eines Menschen mit Gott, wird in zweiter Linie natürlich an dieser Geschichte auch etwas über den Menschen vor Gott deutlich. Dass es nun im hier vorliegenden Fall tatsächlich in erster Linie darum geht, über Gott etwas zu erfahren, wird vor allem an zwei Dingen deutlich. Zum einen an der erwähnten Entgegenstellung von ¢ll' o§ prÕj qeÒn in V.2, die das Thema angibt und der Erklärung bedarf, und zum 47
48
49 50
Zu Gen 15,6 als gemeinsamer Grundlage für Paulus und das zeitgenössische Judentum vgl. auch A. Behrens, Vorverständnis, 339. A. Behrens wendet sich gegen eine vorschnelle Einteilung von jüdischen und christlichen Auslegungen in „falsch“ und „richtig“ (328.340) und stellt vielmehr fest: Es „greift die paulinische Exegese von Gen 15,6 eine Offenheit des Textes auf, die eben in dem Text selber angelegt ist“ (339). Damit gegen M. Oeming, Beleg, 194–196; D.U. Rotzoll, Beleg, 26f. Zur paulinischen Verwendung der Schrift als Autorität für seine Verkündigung vgl. auch D.-A. Koch, Schrift, 323ff u. passim. – Anders als D.-A. Koch, a.a.O., 340 u.ö. sehen wir aber mehr Berührungspunkte zwischen dem zeitgenössisch jüdischen und paulinischer Schriftverständnis und können vor allem nicht erkennen, dass Paulus immer nur von Christus her zum Inhalt der Schrift kommt (a.a.O., 331ff.354), sondern sehen vielmehr umgekehrt, dass Paulus von der Schrift her zum Verständnis des Christusgeschehens kommen kann (vgl. nur 3.4.2.4., 4.4.5. u.ö.). Vgl. Gal 4,21. Vgl. ApkAbr 12; Jub 11; Philo, Abr 15; Josephus, Ant 1,154ff; vgl. dazu unten 6.4.2.
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anderen am Zitat von V.3 in Kombination mit dem weiteren Verlauf der Argumentation: Aus dem Zitat Gen 15,6 wird das Stichwort ™log…sqh51 in den folgenden Versen aufgegriffen und weiter bestimmt und erfährt V.22–24 eine erneute Aufnahme. Damit ist es der zweite Teil des Zitates von Gen 15,652 und damit die Seite Gottes, die den Gegenstand der Überlegungen bildet. In jedem der acht folgenden Verse kommt das Stichwort log…zesqai mindestens einmal vor. Die einzige Ausnahme bildet V.7 mit dem ersten Vers des zweiten Schriftzitates. Dieser steht allerdings wiederum in semantischer Parallele zu dem zweiten Vers des Schriftzitates V.8, der das Stichwort log…zesqai enthält. So rankt sich das zweite Schriftzitats V.7.8 als Ganzes um das Stichwort log…zesqai und erläutert dieses. Das Stichwort p…stij/pisteÚein ist hingegen nicht in jedem dieser Verse präsent. Und dementsprechend wird im unmittelbar auf das Zitat von Gen 15,6 folgenden V.4 nicht die p…stij oder das pisteÚein beschrieben, sondern die im Bereich der menschlichen Wirklichkeit geltende Art des log…zesqai, um anhand des Kontrasts daran dann im nächsten Vers V.5 die göttliche Art des log…zesqai deutlich zu machen. Die hier ebenfalls vertretene p…stij dient dazu, das göttliche log…zesqai zu definieren, das finite, die Handlung bestimmende Verb ist log…zetai. Diese Beobachtung und Bewertung wird im Folgenden durch das zweite angeführte Zitat eindrucksvoll bestätigt: Indem auch das zweite Schriftzitat angefügt wird aufgrund des log…zesqai – und nicht wie mit Hab 2,4 auch möglich aufgrund von p…stij/pisteÚein – und das log…zesqai nicht nur der Auslöser der gezera schawa53 ist, sondern auch das inhaltlich bestimmende Wort aufgrund der semantischen Parallelität von Ps 31,1 LXX und Ps 31,2 LXX ist, wird vollends klar, dass es in diesem Abschnitt 4,3–10(11f) um die Erklärung und argumentative Befestigung des log…zesqai geht, und dass damit das Gewicht auf der zweiten Hälfte des einleitenden Zitates von Gen 15,654 und damit auf der Seite Gottes liegt55. Das heißt also, dass mit der Anführung der Abrahamfigur mittels Gen 15,6 Aussagen über Gott gemacht werden sollen und Abraham das Material für die Gottesaussagen als das, worauf die Rede zielt, darstellt. 51 52
53
54 55
Vgl. dazu M. Neubrand, Abraham, 154ff. Vgl. zu „Glauben“, „Anrechnen“ und „Gerechtigkeit“ als den drei entscheidenden Begriffen von Gen 15,6 A. Behrens, Vorverständnis, 329 sowie G.v. Rad, Anrechnung, 130ff. Die gezera schawa ist die zweite von sieben Auslegungsregeln des Hillel (TSan VII). Sie beruht auf dem Prinzip der Stichwortverbindung in der Richtung, dass Texte (Sätze) mit dem selben Stichwort sich gegenseitig erläutern. Vgl. dazu G. Stemberger, Einleitung, 28f; J. Jeremias, Gedankenführung, 149f. Vgl. auch H. Moxnes, Theology, 108f. Das ist nicht gesehen worden von M. Neubrand, Abraham, 154ff, die die häufige Rekurrenz von log…zesqai durchaus bemerkt.
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4.4.4 4,3–5(6): Die Bestimmung von Gottes Wirklichkeit durch die Bestimmung seines log…zesqai Der Blick auf V.3 und den weiteren textlichen Verlauf hatte auf das log…zesqai56 als das entscheidende Handeln Gottes an Abraham hinsichtlich der Frage, wer Gott ist, verwiesen. Die Frage nach Gott wird nun weiter beantwortet, indem in V.3–5 dieses log…zesqai Gottes semantisch bestimmt wird. Dazu gibt natürlich das wörtliche Zitat aus Gen 15,6 LXX als Ausgangspunkt der Bestimmung eine erste Orientierung. Zunächst einmal ist für die grundlegende Richtung des Handelns Gottes die Bestimmung e„j dikaiosÚnhn entscheidend57. Diese Bestimmung mag in ihrer scheinbaren Banalität vielleicht zunächst überraschen, ist aber durchaus von Bedeutung für die Frage, was Paulus von Gott im Zusammenhang von Juden und Heiden sagen will. Als Terminus des Heils markiert diese Bestimmung, dass an Abraham der grundsätzliche Heilswille Gottes deutlich wird, dass Gott ein Gott des Heils ist. Dies ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen für die Frage nach dem paulinischen Gottesverständnis insgesamt: Im Hinblick auf die Argumentation von 1,18–3,20 ist zu sagen, dass der Zorn und die Vernichtungsseite des Gerichtes nicht die grundlegende oder eigentliche Botschaft ist, die Paulus von Gott aussagen will, sondern dass seine Botschaft von Gott die Botschaft von dem Gott ist, der durch Heil gekenn56
57
M. Neubrand, a.a.O., 158–161, macht zu Recht gegen H.-W. Heidland, Anrechnung, 84–102 und ders. log…zomai, 287ff darauf aufmerksam, dass „Paulus nicht an einer Charakterisierung und Klärung des Verblexems log…zesqai gelegen ist“. H.-W. Heidland hatte eine spezielle paulinische Klärung des log…zesqai in der Hinsicht vertreten, dass Paulus mit dem Aufgreifen eines imputativen griechischen Sprachgebrauchs sich gegen einen „spätjüdischen Verdienstgedanken“ beim Gebrauch von log…zesqai wende (Anrechnung, 84ff) und somit mit seiner Charakterisierung von log…zesqai mit dem Judentum breche (log…zomai, 293). Demgegenüber wendet M. Neubrand zu Recht ein, dass zwischen zwei solchen Sprachgebräuchen nicht unterschieden werden kann und dass sich die Bedeutung von log…zesqai aus dem Kontext hier deutlich ergibt (a.a.O., 159.161). log…zesqai ist das aus dem Zitat entnommene Handeln Gottes, welches entscheidend durch e„j dikaiosÚnhn und noch weiter durch Ps 31,1fLXX bestimmt wird. Insofern Paulus daran interessiert ist zu bestimmen, wem dieses Heilshandeln Gottes gilt, bestimmt er log…zesqai e„j dikaiosÚnhn – und damit Gottes Heilshandeln – inhaltlich, ohne log…zesqai selber unter die Lupe zu nehmen. Dass Paulus selber darin keinen Bruch zum Judentum sieht, wird daraus deutlich, dass er diese Fragen unter positiver Verwendung von Schrift und Tradition bearbeitet. Zu log…zesqai e„j dikaiosÚnhn vgl. auch Ps 106,31, wo Gott dem Pinhas seine Eifertat als Gerechtigkeit anrechnet, und 1Makk 2,52, wo dem in der Erprobung (Gen 22,1) für treu befundenen Abraham dafür Gerechtigkeit angerechnet wird (vgl. K. Haacker, Römer, 101; J.D.G. Dunn, Romans I, 201). Damit wird deutlich, dass das Entscheidende für die Beschreibung Gottes ist, wem Gott typischerweise Gerechtigkeit anrechnet (vgl. M. Neubrand, Abraham, 156f): einem Frommen, der eine Tat vorweisen kann – oder einem ¢seb»j. Vgl. dazu unten 4.4.6.3.
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zeichnet ist. Insofern ist die Anführung von Gen 15,6 eine Bestätigung der Schrift für die im Briefeingang vor 1,18–3,20 gelegte Grundlinie in 1,1 und 1,16.17, die in 3,21ff wieder aufgenommen wird: Paulus ist berufen, vom Heil Gottes und vom Gott des Heils zu reden. Das bestätigt sich unter anderem auch in 11,3258. Zum anderen ist entscheidend, dass Paulus diese Grundbestimmung Gottes auch in der Frage nach den Heiden aufrechterhält und als Aussage der Schrift anführt59: Diese Frage nach den Heiden und ihrem Heil und nach dem Verhältnis Gottes zu den Heiden ist in dem Rahmen zu diskutieren, dass Gott ein Gott ist, der sich an Abraham als Gott des Heils erwiesen hat. Die zweite entscheidende Bestimmung ist die von p…stij/pisteÚein60. Damit sind das Prinzip und der Maßstab benannt, die bei dem Gott des Heils gelten. Wie wir gesehen hatten, stehen sich menschliche und göttliche Wirklichkeit, menschliches und göttliches Prinzip gegenüber. Das Prinzip der menschlichen Welt ist in V.2a61 und V.4 benannt. Es ist das Prinzip der œrga/™rg£zesqai, das nicht das Prinzip und der Maßstab für Gottes heilvolle Wirklichkeit ist. In V.4 und V.5 wird nun das bei Gott geltende Prinzip des Glaubens noch weiter bestimmt. In V.4 geschieht dies mittels der negativen und positiven Bestimmungen des Prinzips der menschlichen Wirklichkeit, aus denen sich die Profilierung des göttlichen Prinzips ergibt, weil dieses in Kontrast zum menschlichen Prinzip steht. Denn nach V.2 ist alles das, was menschlich zu sagen ist, gerade nicht im Hinblick auf Gott zu sagen, so dass V.4 eine Erläuterung und Ausführung von V.2a ist. In V.5 erfolgt die Bestimmung so, dass durch die gleiche Grundstruktur wie beim Schriftzitat – die Form von pisteÚein beschreibt, wem etwas geschieht, die Form von log…zesqai nennt, was geschieht, wieder verbunden mit e„j dikaiosÚnhn, das das Ziel angibt – in erweiterter Paraphrase der Schriftaussage das Prinzip Gottes anhand seines Handelns mit Abraham beschrieben wird, so dass V.5 eine Erläuterung von V.2b und V.3b ist. Demnach gehören auf die Seite des menschlichen Prinzips der œrga/™rg£zesqai: misqÒj und Ñfe…lhma und unter Einschluss von V.2 kaÚchma, die damit allesamt keine Rolle auf Seiten des göttlichen Prinzips spielen. Und auf 58 59
60 61
Vgl. unten Kap. 6.2.1.2.3. Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 203, der zu V.3 noch einmal hervorhebt, dass dikaiosÚnh traditionell für Gottes Heilsverhältnis zum Volk Israel steht. – Und diese Gott grundsätzlich kennzeichnende Heilsbestimmung gilt auch im Zusammenhang mit den Heiden. Zu pisteÚein/ hif. als wichtiger Begriff auch schon innerhalb des AT selber vgl. A. Behrens, Vorverständnis, 332–334; H. Wildberger, „Glauben“, 386 u. passim. Vgl. oben 4.4.2.
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die Seite des göttlichen Prinzips der p…stij/pisteÚein gehören wie eben benannt der Ausschluss der Elemente des menschlichen Prinzips – wie auch V.6 noch einmal deutlich macht mit cwrˆj œrgwn – und die c£rij. Damit hat Paulus in dieser Bestimmung des log…zesqai Gottes durch die Kontrastierung des an Abraham offenbar werdenden Handelns Gottes zum menschlichen Bereich die entscheidenden Stichworte wieder aufgenommen, die er in 3,21–31 zur Beschreibung des Heilshandelns Gottes verwendet hat: p…stij/pisteÚein 3,22.25.26.27.28.30.31; c£rij 3,24; œrga 3,27; cwrˆj œrgwn 3,28; kaÚchsij 3,27. Dabei werden die Elemente, die bei der Beschreibung in 3,21–31 Gottes Heilshandeln positiv bestimmt haben, auch in der Beschreibung der an Abraham deutlich gewordenen Wirklichkeit Gottes auf die Seite Gottes gestellt, wie die bei der Beschreibung in 3,21–31 Gottes Heilshandeln über ihre Negation bestimmenden, ausgeschlossenen Elemente auf die Seite der menschlichen Wirklichkeit gesetzt werden, wo sie im Hinblick auf Gott keine Geltung haben. Damit hat Paulus die in 3,21–26.27–31 gemachten Aussagen begründet, weil das dort von ihm Geschilderte dem entspricht, was anhand der Abrahamfigur von der Schrift als göttliche Wirklichkeit offenbar wurde, im Kontrast zu dem, was menschliche Wirklichkeit und Maßstäbe bedeuten und damit im Bereich Gottes keine Gültigkeit hat. Es wird somit deutlich, wie die an Abraham erkennbaren Grundsätze Gottes, kurz Gott selber, zur Begründung des von Paulus vorher Vertretenen werden. Es ist nun noch hinzuzufügen, dass die für den Bereich der menschlichen (Arbeits-) Wirklichkeit genannten Elemente, auch wenn sie insofern keine bildhafte Rede darstellen, als sie der menschlichen Wirklichkeit entstammend gerade diesen Bereich markieren sollen62, hier in eine ganz spezifische Richtung weisen und einen ganz spezifischen Ausschnitt dieser Wirklichkeit beschreiben: Sie meinen die Identität des Judentums und die jüdische Lebensweise. Die œrga werden im Kontext (vgl. 3,20.28) klar als Werke des Gesetzes, also als das Tun der Tora – und das ist eben nichts anderes als die jüdische Lebensweise63 – bestimmt. kaÚchma meint das jüdische Bewusstsein einer besonderen Stellung und Beziehung zu Gott (vgl. 2,17), misqÒj und Ñfe…lhma rufen den Status, die Beziehungsart eines Anspruchs wach, den Israel aufgrund der von Gott ihm gegenüber eingegangenen Bundesverpflichtung benennen kann (vgl. 3,1ff), und die c£rij auf der göttlichen Seite hat als Opposition auf
62 63
Vgl. oben 4.4.2. Damit gegen E. Gräßer, Abraham, 19 u.ö., der im Anschluss an R. Bultmann meint, es ginge um die „sündig-eigenmächtige Haltung“ des Menschen an sich. Vgl. auch M. Bachmann, Keil 132 u. passim und Anm. 45.
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der menschlichen Seite mit dem nÒmoj wiederum ein Signum des Judentums (vgl. 4,16; 6,14 u.ö.). Damit nimmt sich nun die vollständige Argumentation so aus: An gängigen Meinungen über Abraham wird die Beachtung des Unterschiedes zwischen menschlicher und göttlicher Wirklichkeit etabliert und es wird deutlich gemacht, dass Urteile und Maßstäbe des menschlichen Bereiches auch auf diesen Bereich begrenzt sind, weil sie keine Gültigkeit im Bereich der Wirklichkeit Gottes haben. Es wird dann an Abraham ein Grundsatz und Prinzip des Handelns Gottes zum Heil entwickelt, das wiederum das menschliche Prinzip begrenzt, weil eben menschlicher Bereich und göttlicher Bereich einander gegenüberstehen und einander ausschließen, wie auch V.5a m¾ ™rgazomšnJ pisteÚonti deutlich macht64. Indem nun die Identität des Judentums und seine jüdische Lebensweise dem menschlichen Bereich zugewiesen werden als dem menschlichen Prinzip entsprechend und folgend, sind sie für den Bereich der göttlichen Wirklichkeit bedeutungslos. Dieser Bereich ist aber der, um den es geht und der zur Diskussion steht, wie 3,27–31 deutlich gemacht hat. Damit wird den jüdischen Argumenten, die die jüdische Identität und das jüdische Seinsverständnis im Hinblick auf die Frage nach Gott und den Heiden in Anschlag bringen, der Boden entzogen, weil sie sich als ungeeignet für die Diskussion dieser Frage erweisen. Denn sie sind auf den menschlichen Bereich beschränkt; für diese Frage gelten aber das von der Schrift benannte Prinzip und die Wirklichkeit Gottes. Die Wirklichkeit Gottes aber steht in Opposition zu menschlichen Maßstäben und begrenzt diese auf den menschlichen Bereich und die Gültigkeit in Fragen der menschlichen Wirklichkeit, weil sie nicht den Maßstäben des göttlichen Bereiches entsprechen aufgrund der Unterschiedenheit von Gott und Mensch. Gott kann also auch hinsichtlich seiner heilvollen Zuwendung unterschiedslos Gott auch für Heiden sein, weil das Prinzip der jüdischen Identität, was zur Unterscheidung von Juden und Heiden führt, ein menschliches Prinzip ist, das im anders gelagerten Bereich der Wirklichkeit Gottes keine Gültigkeit hat. Es ist also deutlich, dass es hier um die Wirklichkeit Gottes geht und wie die Frage nach Gott und die Rede davon, wie Gott handelt und wie er ist, die Diskussion bestimmt, prägt und entscheidet. Das an der Erläuterung von Gen 15,6 gewonnene log…zesqai 64
D. Starnitzke, Struktur, 167 deutet den Singular falsch, wenn er meint, dieser hebe den „Gesichtspunkt der Individualität“ hervor und weise so auf das Thema hin, wie der Einzelne vor Gott bestehen könne. – Stattdessen dient aber der Singular wie in 3,28 dazu, das Generische des Handelns Gottes zu markieren.
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Gottes e„j dikaiosÚnhn ist also nichts anderes als sein dikaioàn ™k/di¦ tÁj p…stewj, und die Schrift bestätigt damit das, was Paulus in 3,29.30 thesenartig über Gott gesagt hat, als die geltende Wirklichkeit Gottes.
4.4.5 Die galatische Parallele Ein kurzer Blick auf den Galaterbrief kann dieses Verständnis weiter unterstützen und zugleich das theo-logische Profil unseres Abschnittes schärfen helfen. Die Parallele in Gal 3 besteht neben dem Rekurs auf die Abrahamfigur mit demselben Zitat von Gen 15,6, das auch hier am Anfang der Ausführungen steht, auch in der vergleichbaren Position des Abrahamargumentes in der Abfolge der Argumentation: Zunächst wird die Rechtfertigung durch Christus und den Glauben ohne Gesetzeswerke/Gesetz unter Erwähnung der Hingabe/Hinstellung Christi und des Kreuzes bzw. Todes/Blutes Christi geschildert: Gal 2,16–21 par Röm 3,21–26. Dann folgt ein daran anschließender thesenartiger, fragender und zuspitzender Zwischenabschnitt, der die geschilderte Rechtfertigung durch Christus zu dem Punkt führt, um den es Paulus dabei aktuell geht und in dem die p…stij eine wichtige Rolle spielt: Gal 3,1–5 par Röm 3,27–31. Dann folgt jeweils der begründende und entscheidende Rekurs auf den Abraham der Schrift: Gal 3,6–16(–29)65 par Röm 4,1–2566. Im Unterschied zum Römerbrief67 ist die Kommunikationssituation des Galaterbriefes aber eine ganz andere. Sie ist bestimmt durch einen aktuellen Konflikt, in dem sich Paulus an eine wesentlich heidenchristliche Gemeinde gegen eine von Judenchristen vertretene Forderung wendet, nach der Heiden erst durch Beschneidung Juden werden müssen, um an Gottes Heil in Jesus Christus partizipieren zu können68. In der galatischen Parallele beginnt der Abschnitt in 3,6 unmittelbar mit dem Schriftzitat aus Gen 15,6. So wird hier vorher kein hermeneutischer Rahmen aufgespannt wie in Röm 4, sondern ausgehend vom bloßen Zitat wird die Argumentation entwickelt: Zunächst wird in V.7–9 die Bedeutung der Schriftaussage deutlich gemacht. Sie zielt auf Gottes Handeln mit den Völkern und beinhaltet das Heil für die Völker (V.8). Nachdem die Bedeutung und die Implikation des Zitates klar gemacht wurden, folgt dann in V.10–14 die Begründung. Dabei erfolgt die gesamte 65 66 67 68
Zu Gal 3 als „Kommentar“ zu Gal 2,15–21 vgl. auch K. Berger, Abraham, 47. Vgl. H. Moxnes, Theology, 223. Vgl. oben 1.2. Vgl. dazu zuletzt J. Frey, Galaterbrief, 207f; U. Schnelle, Heide, 108; R.N. Longenecker, Galatians, XCV.
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Argumentation hier im Gegensatz zum Römerbrief über die Auslegung und Erläuterung des ersten Teiles des Zitates aus Gen 15,6: Das ™log…sqh bzw. eine Form von log…zesqai findet sich weder in den nachfolgenden Versen noch sonst im gesamten Brief, stattdessen aber tritt – bis auf V.13 – in jedem nachfolgenden Satz eine Form von p…stij oder ihrer Opposition (poie‹n) auf. Auch das zur weiteren Begründung angeführte dritte Zitat in V.11 nimmt das pisteÚein aus Gen 15,6 auf – wie das zweite Zitat in V.10 die Opposition zu pisteÚein benennt – und nicht wie das entsprechende zweite Zitat im Römerbrief das log…zesqai. Der zweite Teil des Zitates aus Gen 15,6 taucht nur sporadisch und paraphrasiert wieder auf. Er markiert mit e„j dikaiosÚnhn das übergeordnete Thema, die grundsätzliche Zielrichtung der Argumentation: Es geht um die Frage des Heils, wie man in die Richtung des Heils (Gottes) kommt. Diese Bestimmung des Themas kann auch durch e§loge‹n übernommen werden. Zum anderen nennt der zweite Teil des Zitates von Gen 15,6, wie auch in V.8 und V.18, Gott als die eigentliche Autorität des Handelns; die Diskussion selber wird aber im Gegensatz zum Römerbrief durch die Bearbeitung vorwiegend des ersten Teiles des Zitates aus Gen 15,6 auf einer anderen Ebene geführt. Angezeigt durch das g£r liefern V.10–14 nun die Begründung für das in Abraham vorgestellte und auf die Völker zielende Heil durch Glauben. Die Begründung erfolgt so, dass dem beschriebenen Zusammenhang der Glaubenswelt nun Aussagen über die Welt des nÒmoj entgegengestellt werden. Das entspricht der in V.5 eröffneten Alternative von p…stij und nÒmoj, die sich gegenseitig ausschließend einander gegenübergestellt sind. Der Zusammenhang von Glaube und Heil wird zunächst indirekt bestätigt und begründet durch ein erweitertes Schriftzitat aus Dtn 27,26, indem dieses für die Alternative des nÒmoj den Zusammenhang des Unheils als von der Schrift konstituiert anführt. Dabei ist nun in der Exegese umstritten, warum und inwiefern der Zusammenhang zwischen nÒmoj und Unheil, hier nämlich ™pikat£ratoj, besteht. Und an dieser Stelle wird es weiter interessant im Hinblick auf den Vergleich zwischen Röm und Gal. So verweisen U. Wilckens69 und H. Merklein70 in ihrem Erklärungsversuch ganz auf V.10 mit seinem Zitat von Dtn 27,26. Danach liegt der Schlüssel im p©sin. Der Fluch gilt dem, der nicht alles hält, was das Gesetz gebietet. Das Gesetz wird nach dieser Erklärung insofern zum Fluch, als der Mensch als Sünder durch die Sünde nicht in der Lage ist, alles zu 69 70
Vgl. U. Wilckens, Paulus, 77–108. Vgl. H. Merklein, Auslegung, 121–136.
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halten, was im Buch des Gesetzes steht, ein komplett untadeliges Leben zu führen. Dadurch wird ihm das Gesetz, das das untadelige Halten aller seiner Gebote verlangt, zum Fluch71. Diese Erklärung, die zunächst vor dem Hintergrund von Röm 1,18–3,20 u.ö. plausibel erscheint, ist aber deshalb auszuschließen, weil sie nicht aus Gal 3,10 selbst in seinem Kontext gewonnen wurde, sondern von außen in den Text hineingelesen wurde. Das wird schon allein daran sichtbar, dass die Argumentation nicht mit V.10 endet, sondern in den folgenden Versen weitergeführt wird. Dort findet sich aber keine Wiederaufnahme von p©sin, wohl aber von poiÁsai. Allein daraus wird schon deutlich, dass die Erklärung des Zusammenhangs von nÒmoj und Unheil nicht über das p©j erfolgen kann – weil davon im weiteren Verlauf der Erklärung eben keine Rede mehr ist –, sondern über das poie‹n erfolgt; ganz zu schweigen davon, dass eben von der Sünde und vom menschlichen Vermögen hier überhaupt nicht die Rede ist. Zudem wird aus Phil 3,4–6 und auch aus Röm 4,2 deutlich, dass Paulus die vollständige und untadelige Erfüllung des Gesetzes nicht kategorisch ablehnt und durchaus Ruhm aufgrund des Tuns des Gesetzes für einen Menschen für möglich hält. Die Erklärung erfolgt in V.11 und V.12 vielmehr durch die Gegenüberstellung und Zuordnung zweier weiterer Schriftzitate, die nahezu parallel aufgebaut sind und sich unterscheiden durch das d…kaioj des ersten Zitates und durch das ™k p…stewj auf der einen und das poi»saj auf der anderen Seite. Durch das ¢ll£ in V.12 werden diese beiden Größen auch explizit einander entgegengesetzt, letztere unter Aufnahme des poiÁsai in V.10. Diese Gegenüberstellung erfolgt nun durch Ð nÒmoj o§k œstin ™k p…stewj in V.12 als Wesensaussage über den nÒmoj. Durch diese auf die Frage des Wesens des nÒmoj zielende Argumentation und die unverbundene, unerläuterte Anführung von Hab 2,4, das einfach so als Argument steht, fungieren p…stij und poie‹n als Argumente an sich, also als Grundsätze oder Prinzipien im Rahmen der Argumentation. Somit erfolgt die Begründung nicht mit einer Erklärung des p©j, in dessen Zusammenhang Fluch entsteht, sondern durch die Gegenüberstellung der Prinzipien p…stij und poie‹n im Rahmen der Frage von Heil und Unheil. Damit erfolgt die Begründung der – aufgrund der expositionellen Frage von 3,4 – den nÒmoj ausschließenden Heilsfunktion des Glaubens so: Die durch das erste Schriftzitat Gen 15,6 herausgearbeitete Verbindung von Heil und Glauben wird in V.10 damit begründet, dass der andere zur Alternative stehende Bereich für die Menschen mit Unheil ver71
Vgl. U. Wilckens, Paulus, 92ff; H. Merklein, Auslegung, 124ff.130.134.
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bunden ist. Denn wie die Schrift vom Zusammenhang von Glaube und Heil, p…stij und dikaiosÚnh gesprochen hat, so spricht sie auch vom Zusammenhang von Unheil, Gesetz und Tun, ™pikat£ratoj, nÒmoj, poiÁsai. Dabei erklärt sich das ØpÕ kat£ran/™pikat£ratoj in der paulinischen Verwendung und im Kontext des Zitates nicht, wie U. Wilckens72 und H. Merklein73 meinen, aus der Bestimmung durch o§k ™mmšnei p©sin, sondern aus seiner Opposition zu ™neuloghq»sontai und e§logoàntai in V.8.9: Paulus führt das Zitat Dtn 27,26 aufgrund der festgelegten semantischen Opposition von e§loge‹n und ™pikat£ratoj an: Er hatte das Heil für den einen Bereich gerade mit e§loge‹n ausgesagt, und nun sagen kat£ra und das Zitat mit dem Antonym ™pikat£ratoj die Opposition des Unheils semantisch exakt aus – und zugleich tut das Zitat darüber hinaus dieses sogar mit der gewünschten expliziten Bestimmung des Bereiches des Unheils als nÒmoj. Die Opposition von e§loge‹n und katar©sqai ist eine des tertium non datur, so dass eine solche Formulierung des Gegensatzes von Heil und Unheil Paulus’ Argumentation der einander ausschließenden Alternativen zusätzlich unterstützt. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, dass p©sin einfach im Zitat mitgeführt wird, ohne für den Argumentationszusammenhang, in den das Zitat gestellt wird, etwas auszusagen. Dieses Phänomen, dass es nur auf einen Teil des ganz zitierten Zitates ankommt, gibt es öfter, so etwa in Gal 4,3074. Die Begründung, warum die Alternative zum Glauben, das Gesetz, mit Unheil verbunden ist, ist ebenfalls in dem Zitat von Dtn 27,26 schon mit enthalten – nämlich weil es mit dem poiÁsai verbunden ist –, sie wird aber in den beiden folgenden Versen, wie wir gesehen haben, noch explizit gemacht. Das Heil wird jeweils – im Anschluss an V.6/Gen 15,6 und im Hinblick auf Hab 2,4 – durch dikaioàn/d…kaioj markiert. So gibt V.11 zunächst an, dass es eigentlich völlig klar ist, dass das Gesetz mit Unheil verbunden ist: weil es nicht mit Heil verbunden ist, denn das Heil ist mit dem Glauben verbunden, kommt aus dem Glauben, wie die Schrift mit Hab 2,4 eindeutig feststellt, indem sie die p…stij mit d…kaioj verbindet. Dabei spielt – im Unterschied etwa zu Röm 1,17 – das z»setai keine Rolle75, denn das d…kaioj sagt hier allein das Heil aus, weil das z»setai als paralleles Element in beiden einander gegenübergestellten Zitaten in V.11 und V.12 keinen semantischen Beitrag zu der Oppositionsermittlung leisten kann.
72 73 74 75
Vgl. U. Wilckens, Paulus, 92. Vgl. H. Merklein, Auslegung, 127. Vgl. I. Broer, Horizont, 189–191. Gegen z.B. N. Bonneau, Logic, 75.
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Diese also eigentlich offensichtliche Verbindung von Gesetz und Unheil in V.10.11 wird im nächsten Vers unterstrichen und verdeutlicht, indem in V.12 mit Hilfe einer weiteren Schriftaussage eine Aussage über das Wesen des Gesetzes gemacht wird. Durch das o§k – ¢ll£ werden zwei Größen der Zitate einander ausschließend gegenübergestellt, wobei die Schriftaussage Lev 18,5 die Größe des poie‹n für die Wesensaussage des Gesetzes benennt, so dass die andere Größe der p…stij für dieses ausgeschlossen ist. Damit ist deutlich, dass die Begründung für das Unheil des Gesetzes nicht aus der Unmöglichkeit, alles von ihm zu erfüllen, herrührt, sondern aus der Gegenüberstellung und der Zuordnung zweier gegensätzlicher und einander ausschließender Prinzipien, wie sie die Schrift – verdeutlicht durch die paulinische Gegenüberstellung parallel konstruierter Aussagen mit Hab 2,4 in V.11 und Lev 18,5 in V.12 – vornimmt. Die Schrift gibt für das Heil das Prinzip des Glaubens an. Sie bestimmt zugleich das Wesen des Gesetzes mit dem Prinzip des Tuns. Somit liegt es an dem dem Gesetz eignenden Prinzip, dass das Gesetz nicht zum Heil führen kann, weil sein Prinzip das falsche Prinzip im Hinblick auf das Heil ist, für das ein anderes Prinzip gilt76. Die Schrift hat festgelegt, dass das Heil mit dem Prinzip des Glaubens verbunden ist. Sie hat zugleich das Wesen des Gesetzes mit dem Prinzip des Tuns benannt. Insofern hat das Gesetz nicht das Prinzip, das zum Heil führt. Es hat hinsichtlich des Heils schlicht und einfach (dÁlon) das falsche Prinzip77. Und da es, wie die Alternative von e§loge‹n und kat£ra/™pikat£ratoj unterstreicht, nur Heil oder Unheil, aber kein Drittes gibt, kann aus dem Gesetz, da aus ihm kein Heil kommt, nur Unheil kommen78. Damit ist der schon im Eingangszitat von Dtn 27,26 vorgestellte Zusammenhang von Unheil, Gesetz und Tun – verflucht ist jeder Täter des 76 77
78
Vgl. N. Bonneau, Logic, 75. Vgl. W. Reinbold, Problem, 106. W. Reinbold macht zu Recht darauf aufmerksam, dass für Paulus – aber natürlich nicht nur für ihn – hinter der Schrift Gott steht und wir es somit mit einer von Gott ausgehenden Definition, einem Prinzip Gottes zu tun haben (ebd.). Damit ist auch deutlich, was R. Bultmann und seine Schüler richtig und falsch gesehen haben: Sie haben Recht mit ihrer Bestimmung des Gesetzes als falsches Prinzip im Hinblick auf das Heil, wobei man aber modifizieren muss, dass es nicht das Gesetz selber ist, sondern seine Verbindung mit dem Tunsprinzip. Falsch aber ist ihr hermeneutischer Rahmen einer individualistischen, an der Heilserlangung und der existentialistischen Grundausrichtung des einzelnen Menschen orientierten Sichtweise und die damit verbundene Bestimmung, dass das Tun des Gesetzes nicht das Heilsprinzip ist, weil der Mensch aus eigener Kraft wie Gott sein will. Darüber machen die Schriftzitate und Paulus keine Aussage, sie benennen lediglich das Prinzip des Tuns als das falsche Prinzip im Hinblick auf das Heil.
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Gesetzes – begründet79. Damit ist auch V.6 weiter begründet und erläutert. An Abraham ist dieses Prinzip und Wirklichkeitsverständnis der Schrift zum Heil – das Prinzip des pisteÚein – zur Anschauung und zum Ausdruck gekommen, untrennbar verbunden mit der Absicht Gottes mit den Völkern. So lassen sich nun wichtige Eckpunkte der Argumentation mit Abraham und Gen 15,6 in Gal 3 im Hinblick auf das Verständnis von Röm 4 benennen: In der Argumentation mit Abraham in Gal 3 geht es nicht um eine Diskussion der Person Abrahams vor Gott, bei der es um die Betrachtung des Verhaltens des Menschen vor Gott geht oder um die Auslotung und Festlegung einer conditio humana mit entsprechenden Schlüssen aus den vorhandenen oder nicht vorhandenen menschlichen Möglichkeiten (das wäre das Ergebnis der Interpretation von U. Wilckens und H. Merklein). Stattdessen werden mit der Anführung der Abrahamfigur und der Verknüpfung von Gen 15,6 mit weiteren Schriftzitaten zwei Dinge ausgesagt: In erster Linie geht es um das Wirklichkeitsverständnis der Schrift mit dem von ihr in Geltung gesetzten Prinzip zum Heil. Die Schrift hat festgelegt und es ist in ihr als geltende Wirklichkeit erkennbar, dass das Prinzip des Glaubens zum Heil führt, wie damit gleichzeitig verbunden und von der Schrift auch so benannt worden ist, dass das Prinzip des Tuns mit Unheil verbunden ist. Somit arbeitet die Diskussion auf das Wirklichkeitsverständnis und die in Geltung stehenden Prinzipien der Schrift hin, deren Klarheit und Autorität die Diskussion entscheidet. Es spielen damit also nicht die menschlichen Möglichkeiten und Bedingungen eine Rolle, sondern es geht um das, was die Schrift als maßgebende Autorität durch ihr Wirklichkeitsverständnis als geltend in Kraft gesetzt hat. Dabei zielt, und das ist das Zweite, alles Tun der Schrift auf einen anderen Punkt: Sie arbeitet auf eine bestimmte Maßnahme, eine Handlung Gottes hin. Die Schrift, die hier eindeutig im Zentrum steht80, indem ihr bestimmendes Wirklichkeitsverständnis hier dem Leser klar gemacht wird, erscheint dabei in gleichsam hypostatischer Funktion als Dienerin oder Adjutantin Gottes, die, den Willen des höchsten Souveräns frühzeitig erkennend, diesem zugearbeitet hat (V.8). Ebenso dient in V.11 das 79 80
Verflucht ist damit auch nicht der Hörer des Gesetzes, wie 4,21 deutlich macht; vgl. dazu in diesem Abschnitt weiter unten. Man beachte die aktive Rolle, die die Schrift als Subjekt in V.8 einnimmt – sie ist es, die dem Abraham verheißt – sowie die Vielzahl der Zitate, deren bestimmende Rolle durch g£r (V.10), dÁlon, Óti (V.11) und die Verbindung mit eŒnai (V.12) deutlich wird.
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Glasklare der Schrift dem Verständnis der Wirklichkeit Gottes. Diese Wirklichkeit und der Wille Gottes zielen auf die Völker. Heil gibt es bei ihm nicht aus dem nÒmoj, weil er die Absicht hat – und es auch tut –, den Völkern Heil zu verschaffen aus Glauben. Im Hinblick auf unsere ersten Beobachtungen zu Röm 4 heißt das Folgendes: In beiden Abschnitten geht es bei der Anführung der Abrahamfigur und des Zitates von Gen 15,6 in der Kombination mit weiteren Zitaten nicht um die Auslotung menschlichen Verhaltens und menschlicher Bedingungen und Möglichkeiten, die den Grund für das rechte oder falsche Verhältnis des Menschen vor Gott legen, sondern um die Erarbeitung eines übergeordneten, vom Menschen unabhängigen, grundlegenden und maßgeblichen Wirklichkeitsverständnisses und seiner geltenden Prinzipien. In Gal 3 geschieht dies unter Ausarbeitung vor allem des ersten Teils des Zitates von Gen 15,6, wobei mit p…stij/pisteÚein in erster Linie ein geltendes und maßgebliches Prinzip der Schrift gewonnen wird. Aber auch hier zielt die Argumentation in zweiter Linie auf den höchsten Souverän, Gott, hin, dessen Wille der letzte Grund für das Wirklichkeitsverständnis und die Prinzipien der Schrift ist. Prinzipien der Schrift und Wille und Handeln Gottes werden anschaulich und verdeutlichen sich beide an der Abrahamfigur, die Objekt des Handelns Gottes und der Schrift ist (3,6.8.18). Demgegenüber tritt in Röm 4 die Schrift zurück. Mit der Ausarbeitung vor allem des zweiten Teils von Gen 15,6 geht es direkt um die Wirklichkeit Gottes, bestimmt und erkennbar durch sein paradigmatisches Handeln an Abraham im Kontrast zur menschlichen Wirklichkeit. Dieser Unterschied neben der Gemeinsamkeit drückt sich am deutlichsten darin aus, dass es in Gal 3,8 die Schrift ist, die dem Abraham verheißt, während es in Röm 4 Gott ist (4,20 u.ö.). Damit kann man sagen, dass Paulus in Gal 3 stärker mit der Schrift argumentiert und in Röm 4 stärker mit dem Geschehen hinter der Schrift. Gal 3,8 markiert, dass Wille und Wirklichkeit Gottes explizit auf die Völker zielen; sein Handeln in Abraham zielt auf sein aktuelles heilvolles Handeln mit den Heiden. Ebenso hatten wir als Rahmen für Röm 4 die Frage nach Gott im Hinblick auf die Frage nach Juden und Heiden festgestellt. In beiden Passagen ist also nicht der Mensch, sondern – mittelbar und letztlich in Gal bzw. unmittelbar in Röm – Gott das an der Abrahamfigur gewonnene Argument im Rahmen einer Diskussion der Frage von Gott – Heiden – Juden.
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Damit ist unsere erste Bewertung von Röm 4 als „Gotteskapitel“ und nicht als „Abrahamkapitel“ durch den Blick auf die galatische Parallele unterstützt und gestärkt worden, indem es eben bei beiden, Gal und Röm, nicht um die Diskussion des Menschen anhand der Abrahamfigur geht, sondern die Aussagen über Abraham auf die übergeordneten, maßgebende Wirklichkeit Gottes zielen. Zugleich wird die über Gal 3 hinausgehende materiale und unmittelbar theo-logische Argumentation von Röm 4 aus dem Vergleich mit Gal 3,6–10 insofern deutlich, als dort mit der Behandlung der Protasis von Gen 15,6 die Schrift mit ihrem Prinzip der p…stij – wenn auch in ihrer Bedeutung für die Frage nach Gott – im Zentrum der Argumentation steht, während in Röm 4 mit der Ausarbeitung der Apodosis Gott selber mit seiner grundsätzlichen Handlungsweise des log…zesqai Basis und Gegenstand der Beweisführung ist. Zugleich wird durch den Blick auf Gal 3,10–12 vollends deutlich, wieso durch die paulinische Emphase der p…stij der nÒmoj aufgerichtet wird (Röm 3,31): weil die p…stij das von der Schrift als Dienerin und Ort des Gotteswillens, als nÒmoj/Tora im weiteren Sinne, genannte und in Kraft gesetzte Prinzip der Genese des Heils ist. Durch die Bedeutung und den Dienst der Schrift im Hinblick auf den Willen Gottes und den Gebrauch von nÒmoj in Gal 4,21b wird die Bedeutung von nÒmoj als Schrift und Tora im weiteren Sinne, die wir für Röm 3,31 ermittelt haben, bestätigt. Paulinisch gesprochen entspricht also diesem Verständnis von nÒmoj als Tora im weiteren Sinne Gal 4,21b. Damit wird auch und gerade in Zusammenhang mit dem eben für Gal 3,10–12 Ermittelten deutlich, woran sich die bei Paulus vorhandene unterschiedliche Beurteilung und Bewertung des nÒmoj festmacht: an der Art und Weise des menschlichen Umgangs mit dem nÒmoj, an dem Prinzip, mit dem der Mensch dem nÒmoj begegnet. Begegnet man dem nÒmoj und rezipiert man den nÒmoj mit und durch das Prinzip des Tuns (poie‹n, ™rg£zesqai, œrga ktl.) bzw. des §pÕ eŒnai, so entsteht mit dem Gesetz ein Zusammenhang des Unheils (Gal 3,10). Begegnet und rezipiert man den nÒmoj mit dem Prinzip des Hörens – das nach Röm 10,16.17 in semantischer Entsprechung mit dem Prinzip des Glaubens (Gal 3,11) steht –, so entsteht aus dem nÒmoj Heil (Gal 4,21b)81. Dabei geht es natürlich um ein Hören des nÒmoj in der Form, in der er von Paulus zu Gehör gebracht wird. Die Bewertung des nÒmoj anhand dieser beiden Prinzipien wird 81
Vgl. desweiteren zur Alternative insgesamt Röm 3,21; auch 7,14; 8,2.4 (hier mit den Prinzipien pneàma/s£rx); 10,4–8; vgl auch Gal 3,2. Der nÒmoj ist fast immer genau dann positiv besetzt bzw. fungiert positiv, wenn er mit einem dem Wortfeld von ¢koÚein zugehörigen Lexem wie lšgein, lÒgoj (Gal 5,14; 1Kor 9,8), gr£fein (1Kor 9,9), verbunden ist – im Gegensatz zu den Verbindungen mit Lexemen aus dem semantischen Feld von poie‹n.
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aus dem Zusammenhang der paulinischen Fragestellung der Diversität und Einheit von Juden und Heiden verständlich, denn das Tun des nÒmoj generiert ein Juden und Heiden unterscheidendes Ethos, während das Hören des nÒmoj in dieser Hinsicht unbedenklich ist und durch das mit der Rezeption verbundene Element der Subjektivität und Offenheit (Gal 5,14) eine Unterschiede integrierende, gemeinsame Grundlage für Juden und Heiden schaffen kann. Ob und wie Gottes Handeln an Abraham auch in Röm 4 derart explizit und unmittelbar auf die Heiden zielt wie in Gal 3, wird im Folgenden Gegenstand der Betrachtungen sein.
4.4.6 Röm 4,5: Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ Inmitten der Argumentation von 4,3–5 findet sich mit der partizipialen Gottesprädikation Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ eine Aussage, die – bei Licht betrachtet82 – eine der markantesten und prägnantesten Gottesaussagen des Neuen Testaments darstellt und deren exegetische Splitter sich insbesondere – aber nicht nur – für den deutschsprachigen Raum zu einem merkwürdigen Bild zusammenfügen, das auf ein vorhandenes exegetisches Problem mit dieser Gottesaussage hinweist. Am eigenartigsten ist dabei eine Verlegenheit hinsichtlich dieser Aussage, die sich im Ignorieren83 und dem Verzicht auf jegliche Interpretation der Aussage ausdrückt. Die Aussage wird stattdessen einfach paraphrasiert, und en passant wird noch ein „unerhört“84 oder „anstößig“85 hinzugefügt. Nachfragen nach Herkunft der Aussage aus Schrift und Tradition werden als „ganz überflüssig“ abgetan und durch die Paraphrase substituiert86.
82
83 84 85 86
So fehlt Röm 4,5 etwa in den einschlägigen Untersuchungen von C. Böttrich, Rede; G. Delling, Gottesaussagen; ders., Gottesprädikationen. – Auch K. Berger, Abraham verliert in seiner Untersuchung von Abraham in Röm 4 zu V.5 kein Wort. Daran wird exemplarisch deutlich, was für K. Bergers Untersuchung insgesamt gilt: Abraham als Matrix, mit der Gottes Handeln vorgestellt und erhoben werden soll, kommt auch bei K. Berger nicht in den Blick. Vgl. S. Kreuzer, Einordnung, 209. P. Althaus, Römer, 42. D. Zeller, Römer, 100. A. Nygren, Römerbrief, 129.
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4.4.6.1 Positionen der Forschung Von denjenigen Exegeten, die einen Versuch unternehmen, die Aussage in den Rahmen von Schrift und Tradition einzuordnen, kommt ein Teil zu dem – wiederum problematischen – Ergebnis, dass das ¢seb»j keinen Anhalt an den Abrahamerzählungen der Schrift und des Antiken Judentums habe87. Deshalb wird von einem Teil der Exegeten, für die hier beispielhaft D. Zeller und M. Neubrand erwähnt werden sollen, bestritten, dass sich die Formel überhaupt auf Abraham bezieht88. Sie ist dann sozusagen aus der ‚Sachhälfte‘ heraus entstanden, ist als eine genuin christliche Aussage aus der Wirklichkeit der Glaubenden entworfen und bleibt ein auf die ‚Sachhälfte‘ bezogenes Einsprengsel innerhalb der beispielhaften Abrahamerzählung. So urteilt etwa E. Lohse: „Paulus wählt diese Formulierung, um den Gegensatz des christlichen Glaubens gegenüber jeder Vermengung von Glauben und Werk unmissverständlich herauszustellen“89. Andere beziehen diese als genuin christlich angesehene Aussage dann doch wiederum auf die Tradition, nämlich als explizite Kontrastaussage90: Dabei ist die eine Möglichkeit, den Kontrast über die Verbindung von dikai* und ¢seb»j herzustellen. So bekommt nach D.J. Moo, der die Aussage mit reformatorischen Termini im Hinblick auf den Status des einzelnen Menschen vor Gott paraphrasiert, das Statement seine Kühnheit vor allem durch den Kontrast in erster Linie zu Ex 23,7: „denn ich werde dem Schuldigen (tÕn ¢sebÁ) nicht rechtgeben (dikaièsei)“; aber auch zu Jes 5,23: „Wehe denen,… die den Ungerechten (tÕn ¢sebÁ) wegen eines Bestechungsgeschenkes gerecht sprechen (oƒ dikaioàntej), den Gerechten aber ihre Gerechtigkeit absprechen“; und zu Prov 17,15: „Wer den Schuldigen (tÕn ¥dikon) gerecht spricht (d…kaion kr…nei) und wer den Gerechten für schuldig erklärt – ein Greuel für den HERRN sind sie alle beide.“91 87 88 89 90
91
Vgl. E. Lohse, Römer, 149. Vgl. D. Zeller, Römer, 100; M. Neubrand, Abraham, 210. E. Lohse, Römer, 149. Vgl. J. Jeremias, Glaubensverständnis, 53: Eine „paulinische Kampfformel, die den jüdischen Satz abweist, dass Gott nur den Frommen rechtfertigt“. – Im Anschluss an O. Michel, Römer, z. St. Vgl. D.J. Moo, Romans, 264. Eine mittlere Stellung nimmt B. Witherington, Romans, 125 ein, der sowohl auf den Kontrast zu den genannten AT-Aussagen hinweist als auch das im AT vermerkte Erbarmen und das Sündenvergeben Gottes benennt. Aber letztendlich ist auch für ihn dikaioànta tÕn ¢sebÁ nur als christliche Aussage, ermöglicht erst durch den Tod Christi, zu verstehen. – Zu fragen ist aber, was die Anhänger der Kontrast-Theorie mit Ez 18,23: „Sollte ich wirklich Gefallen haben am Tod des Gottlosen, spricht der Herr, HERR, nicht vielmehr daran, daß er von seinen Wegen umkehrt und lebt?“ machen.
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Dieser Kontrast kann sich noch verschärfen und ein besonderes Profil erhalten, wenn man die Aussage nicht als isoliert christliche sieht, sondern das ¢seb»j als durchaus auf Abraham bezogen versteht. Der Schlüssel zum Verständnis der Aussage liegt dann in einem Ikonoklasmus des geläufigen jüdischen Abrahambildes. So tritt für M. Theobald Paulus hier als „Bilderstürmer“92 auf, und nach U. Wilckens „geschieht also nichts anderes als das Zerbrechen des jüdisch-geläufigen Verständnisses der Rechtfertigung Abrahams, und eine völlig neue, spezifisch christliche Deutung tritt an ihre Stelle“93. Die angeführten Auffassungen über die Aussage Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ, nach denen entweder diese „genuin christliche“ Gottesaussage nicht mit Abraham verbunden ist und keinen traditionellen Bezug hat oder ein Bezug zu Schrift und Tradition ermittelt wird, der in der Opposition des radikalen Zerbrechens liegt, machen aber im Kontext keinen Sinn. Denn wie wir gesehen haben, geht es in Röm 4 ja darum, die Gottesaussagen von 3,29.30 gegenüber Gegnern und Zweiflern94 – und das heißt gegenüber jüdischen und judenchristlichen Gegnern und Hörern – zu begründen und zu beweisen. Und diese Begründung und dieser Beweis erfolgen, wie 3,31; 4,1 und auch die galatische Parallele unmissverständlich klar machen, so, dass gezeigt wird, was die Schrift, die Tora im weiteren Sinne, und die Tradition unter anderem mittels der Abrahamfigur über Gottes Wirklichkeit und Willen sagen. Das bedeutet aber, dass die Gottesaussage von 4,5 in diesem Zusammenhang einer von Gemeinsamkeiten ausgehenden paulinischen Argumentation verstanden werden muss. Ihr Ziel ist es zu erweisen, dass die vorgestellte Theologie nichts anderes ist als die Bestimmung und Herausstellung des ureigensten Sinnes und Anliegens der Tora und der jüdischen Tradition. Damit muss aber 4,5 als eine traditionelle jüdische Gottesaussage verstanden werden. Oder genauer: Die Aussage von 4,5 muss verstanden werden als eine von Paulus im Rahmen des Möglichen und Plausiblen der Tradition zugespitzte und pointierte Gottesaussage. Es kann deshalb nur um Akzentuierung und Korrektur mittels und im Rahmen der Tradition gehen, nicht um ein Zerbrechen aller Tradition durch Paulus95. Nur dann kann die Gottesaussage 92 93 94 95
M. Theobald, Römerbrief 1, 125. U. Wilckens, Römer 1, 263. Vgl. dazu oben 1.2. Vgl. zu diesem Thema auch J.D.G. Dunn, Paul. – Damit ist nicht gesagt, dass Paulus nicht auch zum Entwurf des Neuen unter Betonung der Diskontinuität in der Lage wäre – wie etwa Gal 5,11; 6,14; 1Kor 1,18ff; 2Kor 5,17 deutlich machen. Nur ist auch hierbei zu beachten, dass die Möglichkeit zu einem ohne Kontinuität, aus dem Nichts entstehenden Neuen wiederum eine nur von der Schrift und Tradition ermöglichte und bereitgehaltene Möglichkeit Gottes ist: z.B. als kain¾ kt…sij nach Jes 43,18f (65,17; 66,22).
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von 4,5 die ihr zugedachte Funktion im Rahmen der paulinischen Argumentation mit Gott in 3,29.30 und Röm 4 übernehmen. Deshalb ist auch die Begründung, die M. Neubrand für ihre Ablehnung der Identifizierung Abrahams mit dem ¢seb»j anführt, nämlich dass diese „Gleichsetzung Abrahams mit dem ¢seb»j in V 5 […] nicht nur nicht zwingend, sondern auch nur schwer dem paulinischen Gedankengang im Römerbrief, insbesondere ab 3,27ff, zuzuordnen“96 ist, auch gerade deshalb nicht zutreffend, weil sie den Argumentationsgang verkennt. Erklären lässt sie sich mit M. Neubrands Frontstellung gegen ein individualistisch-anthropologisches Verständnis des „Gegensatzes Glaube – Werke“, den sie stattdessen zu Recht „religionssoziologisch“97 auf die den Heiden von Gott eröffnete Chance bezogen sieht. Dieses anthropologisch-individualistische Verständnis ist aber für sie offensichtlich so untrennbar mit einer Deutung von ¢seb»j auf Abraham verbunden, dass sie im Zuge ihrer berechtigten Ablehnung dieses anthropologischindividualistische Verständnisses auch die Deutung des ¢seb»j auf Abraham hin ablehnen muss. Auf diese Frage von Abraham, ¢seb»j, Heiden und dem Argumentationszusammenhang kann und soll am Ende unserer Analyse der Formel von 4,5 noch eingehender und abschließend eingegangen werden. Die von uns gegenüber M. Neubrand einerseits und den Vertretern der Ikonoklasmusthese andererseits vorgenommene Bestimmung, dass die Gottesaussage von 4,5 a) auf Abraham zu beziehen und b) als traditionelle bzw. im Rahmen der Tradition mögliche Gottesaussage anzusehen ist, wird bestätigt, wenn man einen Blick auf die beiden folgenden mit pisteÚein/plhrofore‹n konstruierten Gottesaussagen aus 4,17 und 4,21 wirft. Denn diese sind zum einen unwiderlegbar mit Abraham verbunden, und zum anderen sind sie auch auf den ersten Blick als traditionell jüdische Gottesaussagen zu identifizieren. Damit bestätigt sich aber auch an diesen Aussagen die für 4,5 angegebene Funktionsbestimmung, das paulinische Gottesbild als Garanten der Wahrheit und Berechtigung der paulinischen Argumentation durch an Abraham aus Schrift und Tradition gewonnene Gottesaussagen als Schrift und Tradition entsprechend zu befestigen und zu begründen98.
96 97 98
M. Neubrand, Abraham, 210. Ebd. Vgl. dazu unten 4.4.9.
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4.4.6.2 Der Traditionshintergrund Dementsprechend gibt es auch Exegeten, die eingehender nach dem Traditionshintergund für 4,5 gefragt haben. So erwägt K. Haacker in seinem Kommentar tastend und fragend verschiedene Möglichkeiten zu einer Erklärung des ¢seb»j aus der jüdischen Überlieferung99. Er führt dazu ein Versagen Abrahams in der Elternehrung aufgrund seines Auszugs aus Heimat und Familie ebenso an, wie er die Möglichkeit in Betracht zieht, ¢seb»j als Heide für den Unbeschnittenen Abraham zu verstehen. Allerdings belässt es K. Haacker bei dieser Anführung, ohne die Möglichkeiten weiter zu verfolgen und zu einer Entscheidung zu kommen100. Demgegenüber benennen J.D.G. Dunn101 und B. Byrne102 mit dem traditionellen jüdischen Verständnis von Abraham als erstem Proselyten klar und exakt einen Anknüpfungspunkt. J.D.G. Dunn und B. Byrne nennen nur einige Belege, schöpfen diesen Gedanken nicht voll aus und stellen diesen Aspekt auch wieder neben das Verständnis der Aussage von ¢seb»j in Opposition zur Schrift (Ex 23,7 u.ö.). Dennoch ist damit aber eine erste Richtung gewiesen, dass aus antik-jüdischen Texten und Traditionen plausibel und durchaus überzeugend die Gottesaussage Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ gewonnen werden kann. Bei einem Verständnis Abrahams als erster Proselyt ist Abraham der, der sich von den Götzen zu Gott bekehrte, und damit ein Heide im heidnischen Umfeld, der – als erster – den Gott Israels entdeckt, erkannt und anerkannt hat103. So heißt es in Jub 11: Jub 11104 15 Und im siebenten Jahr dieser Jahrwoche gebar sie [Edna, die Frau Terachs, der Verf.] ihm [Terach, der Verf.] einen Sohn. Und er nannte seinen Namen Abram nach dem Namen des Vaters seiner Mutter. Denn er starb, bevor ein Sohn seiner Tochter empfangen wurde. 16 Und der Knabe begann, den Irrtum der Erde zu erkennen, wie jeder hinter dem Götzen seiner Statue her99 Vgl. K. Haacker, Römer, 102. 100 Weil K. Haacker, ebd. nicht zu einer überzeugenden Lösung gekommen ist, meint auch D. Starnitzke, Struktur, 168: „Dabei ergibt sich aber das Problem, wie man ihn [Abraham, d. Verf.] als ¢seb»j bezeichnen kann“. Im Anschluss daran, dass D. Starnitzke keine Lösung findet, ist es dann für ihn unwichtig für die Argumentation, ob sich ¢seb»j auf Abraham bezieht oder nicht. Dass darin aber der entscheidende Punkt der Argumentation liegt – etwa im Hinblick auf die Selbigkeit und Verlässlichkeit Gottes –, dazu vgl. unsere Darstellung im Folgenden. 101 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 205. 102 Vgl. B. Byrne, Romans, 149. 103 Vgl. dazu jetzt N. Calvert-Koyzis, Paul. Sie macht diesen Aspekt auch für Röm 4,5 geltend (a.a.O., 125f.134f), Röm 4 nimmt aber in ihrer Untersuchung nur einen geringen Raum ein (vgl. oben Anm. 9). 104 In der Übersetzung von K. Berger, JSHRZ.
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irrte und hinter Gußwerken. Und sein Vater lehrte ihn schreiben. Und er war ein Kind von zwei Jahrwochen an Jahren. Und er trennte sich von seinem Vater, damit er nicht mit ihm den Götzen anbetete. 17 Und er fing an, anzubeten zum Schöpfer aller Dinge, daß er ihn errette aus dem Irrtum der Menschenkinder105 und daß sein Anteil nicht falle in den Irrtum hinter Unreinheit und Schlechtigkeit.
Und in ApkAbr 8: ApkAbr 8106 1 Und es geschah, als ich so im Hofe seines Hauses zu meinem Vater Thare redete, daß die Stimme des Starken in einer Feuerflut vom Himmel fiel und sprach: „Abraham! Abraham!“ Und ich sprach: „Hier bin ich.“ 2 Und er sprach: „Du suchst den Gott der Götter und den Schöpfer im Geiste deines Herzens. Ich bin es. 3 Verlasse deinen Vater Thare, und verlasse (sein) Haus, damit nicht auch du in den Sünden deines Vaterhauses umkommst.“107 4 Und ich ging hinaus, und es geschah, als ich hinausging und noch nicht zum Hoftore hinausgelangt war, 5 da kam eine Donnerstimme und sie verbrannte (meinen Vater) und sein Haus und alles, was im Hause war bis zu einer Tiefe von vierzig Ellen.
Und bei Philo, Abr 69–72: Philo, Abr108 69 … Bei ihrer Durchforschung der in jenen (Himmelskörpern) herrschenden Ordnung, die in den Kreisbewegungen der Sonne, des Mondes und der übrigen Planeten und der Fixsterne, sowie in dem Wechsel der Jahreszeiten und in den engen Beziehungen zwischen den himmlischen und irdischen Dingen zu Tage tritt, nahmen sie [die Chaldäer, der Verf.] an, dass die Welt selbst Gott sei, indem sie sündhafterweise (o§k e§agîj) das Geschaffene dem Schöpfer gleichstellten109. 70 Nachdem Abraham in diesem Glauben herangewachsen und lange Zeit Chaldäer (Sternverehrer) gewesen war, öffnete er wie aus tiefem Schlafe das Auge der Seele und begann statt tiefer Finsternis reinen Lichtglanz zu schauen; er folgte diesem Licht und nahm wahr, was er vorher nicht gesehen hatte, einen Lenker und Leiter der Welt, der über sie waltet und in heilsamer Weise sein eigen Werk regiert und allen seinen Teilen, die seiner göttlichen Fürsorge würdig sind, seinen Schutz und Beistand angedeihen lässt. 71 Und um nun die ihm offenbarte Wahrnehmung (t¾n fane‹san Ôyin110) fester seinem Geist einzuprägen, spricht alsbald die göttliche Stimme zu ihm111: „Grosses, mein Lieber, wird oft erkannt durch einen 105 Was ist das anderes als dikaiîn tÕn ¢sebÁ (= Heide)? 106 In der Übersetzung von B. Philonenko-Sayar/M. Philonenko, Apokalypse. 107 Hier ist doch ganz klar, dass ohne Gottes Eingreifen Abraham als ¢seb»j (= Heide) umgekommen wäre und dass Gott ihn aus der ¢sšbeia rettet. – Damit ist die Frage von D. Starnitzke, Struktur, 168, wie man Abraham als ¢seb»j bezeichnen könne (vgl. oben Anm. 100), beantwortet. 108 In der Übersetzung von L. Cohn, in: Philo. Werke I. 109 Die Parallele zu Röm 1,23–25 ist offenkundig und bestätigt somit unsere Feststellung von Abraham als Heiden, der den Heiden von 1,18–23 gegenübergestellt wird. 110 Eine Aktion Gottes als logisches Subjekt. 111 Auch dieses ist ja wohl eine Aktivität Gottes.
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Umriss von kleinerem Massstabe; wenn man auf diesen hinblickt, kann man die Vorstellung bis zu unendlichen Grössen steigern. Lass darum die Himmelscharen und die chaldäische Wissenschaft beiseite und versetze dich für kurze Zeit aus dem größten Staate, aus dieser Welt, in einen kleineren, durch den du den Leiter des Alls besser wirst begreifen können.“ 72 Deshalb heisst es (in der hl. Schrift), dass er die erste Wanderung aus dem Land der Chaldäer in das der Charäer [Haran, der Verf.] gemacht habe. …
Noch deutlicher wird Philo in Virt: Philo, Virt112 212 Der Urahn des Volkes der Juden war von Geburt an Chaldäer, Sohn eines sternkundigen Vaters, der zu denen gehörte, die sich mit den mathematischen Wissenschaften befassen, die die Gestirne und den ganzen Himmel und die Welt für Götter halten, durch die, wie sie sagen, alles Gute und Schlechte geschieht, was einen jeden trifft, da es nach ihrer Meinung keinen Urgrund ausserhalb der mit Sinnen wahrnehmbaren Dinge gibt. 213 Was aber kann schlimmer sein als dies oder was kann besser den Nichtadel des Geistes erweisen, der durch die Kenntnis dieser vielen, in zweiter Reihe stehenden geschaffenen Dinge hindurch zur Unkenntnis des Einen, des Aeltesten, des Ewigen, des Schöpfers des Alls gelangt, der sowohl aus diesen Gründen der Höchste ist als auch aus vielen anderen, die ob ihrer Größe der menschliche Verstand nicht zu fassen vermag. 214 Nachdem er (Abraham) eine Vorstellung davon gewonnen und die göttliche Berufung erhalten hatte, verlässt er Vaterland, Verwandtschaft und väterliches Haus, denn er wusste, wenn er bliebe, würde ihm auch der Irrglaube an die vielen Götter bleiben, der die Entdeckung des Einen unmöglich mache, der allein der Ewige und der Vater des gedachten wie sinnlich wahrnehmbaren Alls ist, wenn er aber auswanderte, würde auch der Irrglaube aus seiner Seele schwinden, die statt der falschen Vorstellung die Wahrheit empfangen würde. 215 Das Verlangen aber nach Erkenntnis des Seienden, das ihn erfüllte, wurde noch gesteigert durch göttliche Offenbarungen, die ihm zuteil wurden: von ihnen geleitet ging er mit unverdrossenem Eifer an die Erforschung des Einen und ließ nicht eher ab, als bis er klarere Anschauungen gewonnen hatte, nicht von seinem Wesen – denn das ist unmöglich –, sondern von seinem Dasein und seinem fürsorglichen Walten. 216 Daher heisst es auch von ihm zuerst (in der hl. Schrift), dass er Gott glaubte (diÕ kaˆ pisteàsai lšgetai tù qeù prîtoj) (Gen 15,6), weil er ja zuerst den festen und unerschütterlichen Glauben (p…stin) hatte, dass es eine oberste Ursache gibt und dass sie über die Welt und alles in ihr fürsorglich waltet. Nachdem er aber den Glauben, die sicherste (bebaiot£thn) der Tugenden, gewonnen hatte, erwarb er auch alle anderen mit…
Und bei Josephus, Ant 1,154ff: Josephus, Ant 1113 154 Da nun Abraham keinen leiblichen Sohn hatte, nahm er Lot, seines Bruders Haran Sohn und seines Weibes Sara Bruder, an Kindesstatt an und verließ in seinem 75. Lebensjahre Chaldäa, weil ihm Gott befahl, in das Land 112 In der Übersetzung von L. Cohn, in: Philo. Werke II. 113 In der Übersetzung von F. Kaulen, Alterthümer.
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Canaan zu ziehen. In diesem ließ er sich nieder und hinterließ es seinen Nachkommen. Er war ein Mann von tiefer Einsicht, großer Überredungsgabe und von einem sehr gesunden Urteil. Da er sich durch seine Tugend auch bei anderen Ansehen verschafft hatte, glaubte er es an der Zeit, die herkömmlichen falschen Vorstellungen von Gott umzugestalten und zu berichtigen. Er wagte es zuerst mit dem Bekenntnis hervorzutreten, daß nur ein Gott sei (qeÕn dhmiourgÕn tîn Ólwn ›na)114, der alle Dinge hervorgebracht habe, und daß alles, was nur irgend zu des Menschen Glückseligkeit dienlich sei, uns von seiner Güte geschenkt und nicht durch eigene Kraft verschafft werde115. Dieses erkannte er nämlich durch die Betrachtung des Landes und des Meeres, der Sonne und des Mondes, sowie der Veränderungen am Himmel. „Denn hätten“, dachte er, „diese Dinge ihren Bestand durch sich selbst, so würden sie auch für die Erhaltung ihrer Ordnung Sorge tragen können; dies aber tun sie doch offenbar nicht, und deshalb können sie auch nicht durch ihre eigene Kraft uns nützlich sein, sondern sie sind durchaus abhängig von der Macht ihres Alles regierenden Herrn, dem daher auch allein Ehre und Dank (Å mÒnJ t¾n tim¾n kaˆ t¾n e§carist…an) gebührt.“116 Als nun in Folge davon die Chaldäer und andere Bewohner Mesopotamien’s sich wider ihn auflehnten, hielt er es für das Beste, aus Chaldäa auszuwandern, und so gelangte er auf den Befehl und unter dem Beistande Gottes in’s Land Canaan und ließ sich daselbst nieder.
Allein schon anhand dieser wenigen ausgewählten Texte117 wird eine Reihe von Elementen sichtbar, die deutlich machen, wie sich die paulinische Aussage pisteÚwn ™pˆ tÕn dikaioànta tÕn ¢sebÁ als aus der Tradition gewinnbare Aussage darstellt. Als erster und wichtigster Punkt wird das bestätigt, was wir als Eingangstor für die paulinische Interpretation genannt haben: Es ist überdeutlich und gilt für alle Texte, dass Abraham keinesfalls von Anfang an und als Jude in Kontakt mit dem Gott Israels kommt, sondern seine Geschichte mit Gott kommt in der heidnischen Umwelt, der er selbst angehört hat und von der er selber zunächst geprägt und bestimmt war, zustande. Abraham kommt als Heide vom Irrtum zur Wahrheit, von einem gottlosen Leben mit Götzen zu einem Leben mit Gott118. Diese Gemeinsamkeit der Texte erklärt, warum Paulus in V.5 nicht weiter erklärt oder begründet, warum Abraham als ¢seb»j von Gott gerechtfertigt wird: weil er davon ausgehen kann, dass seine 114 Man beachte die Nähe und Verbindung von Dtn 6,4 zu Abraham und der Gottesfrage – genau wie in Röm 3,29.30 – 4,5. 115 Man beachte hier die Nähe zum Anliegen des Paulus, anhand der Abrahamgeschichte von Gott eine Vorstellung als des alleinigen Souverän unabhängig von menschlichen Anteilen oder Möglichkeiten zu gewinnen. 116 Damit ist Abraham – wie für Paulus – der Gott als erster/allein recht erkennende und ihn anerkennende (Röm 4,20 vs. Röm 1,21.23). 117 Vgl. weiter die unten angeführten Texte, auch Philo, Mig 1ff; BerR 44 zu Gen 15,5; bNed 32a. 118 Vgl. N. Calvert-Koyzis, Paul, 85.
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Leser mit der Charakterisierung Abrahams als „früher heidnisch“ vertraut sind119. Dabei ist deutlich, dass dieses sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner der traditionellen Texte ist. Darüber hinaus zeigt sich eine große Variationsbreite und ein überaus freier und z.T. auch widersprüchlicher Umgang mit der biblischen Abrahamgeschichte120. So variieren z.B. die Art und Weise dessen, als was die Entstehung des Verhältnisses von Abraham und Gott gesehen und beschrieben wird. Neben der Interpretation eines mehr intellektuellen, rationalen Erkenntnisprozesses von Seiten Abrahams, etwa in Josephus, Ant I,154ff121, steht eine stärker religiöse Terminologie in Jub 11 im Vordergrund, in der ein existentielles Irren und die Verehrung und Anbetung das Tun Abrahams bestimmen122. Bei Philo123, Abr 70, wird das Auge der Seele genannt, wie in ApkAbr 8,1 der Geist des Herzens. Ebenso ist der Grad der Anteile des menschlichen und göttlichen Handelns beim Zustandekommen der Hinwendung und des Hinkommens des Heiden Abraham zu Gott deutlich unterschieden, ebenso wie Ziel und Auswirkung des Handelns von Abraham und/oder Gott. So kann allein das Handeln Abrahams, nämlich sein intellektuelles Erkennen, Grund für die Hinwendung Abrahams zu Gott sein (Josephus, Ant 1,154ff), wobei das Ziel dann eher mit Worten des philosophischen Diskurses beschrieben wird. Demgegenüber kann aber auch ein starker Anteil Gottes daran, dass Abraham zu Gott kommt, benannt werden. So ist in ApkAbr 8,2 zwar das Suchen Abrahams ein Anknüpfungs- oder Ausgangspunkt, es bleibt aber nur ein Element im Rahmen der Erzählung, dem keinesfalls die Möglichkeit zugestanden wird, selbst zur Entdeckung Gottes zu kommen. Vielmehr ist hier der Wendepunkt nur möglich mit und durch die Rede Gottes (ApkAbr 8,1–3), und die Antwort auf Abrahams Suche kann diesem nur durch eine Selbstoffenbarung Got119 120 121 122
Vgl. E. Adams, Faith, 59f; N. Calvert-Koyzis, Paul, 126. Vgl. S. Sandmel, Place, 29; auch M. Konradt, Glauben, 26ff. Vgl. dazu N. Calvert-Koyzis, Paul, 51ff. Auch wenn in der weiteren Darstellung von Jub an Abraham gezeigt wird, dass man sich von der heidnischen Umwelt separieren muss, so ist die Darstellung Abrahams, der als Heide in heidnischer Umwelt den wahren Gott entdeckt und sich zu der Errettung aus Sünden zu ihm bekehrt, ein nicht von der Hand zu weisendes Traditionselement im Hinblick auf einen Anknüpfungspunkt für die paulinische Darstellung. Vgl. dazu N. Calvert-Koyzis, Paul, 16–18 und M. Müller, Abraham-Gestalt, 247.256. – Dabei ist aber der Vergleichspunkt für Paulus und Jub weniger der Glaube, wie Müller, a.a.O., 256 meint – den holt Paulus sich aus Gen 15,6 –, sondern der der rettenden Hinwendung eines Heiden zu Gott. 123 Vgl. dazu auch N. Calvert-Koyzis, Paul, 24ff.
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tes zuteil werden. In diesen Zusammenhang gehören auch die Elemente göttlicher Offenbarung in Philo, Abr 71, mit dem entscheidenden Stichwort fane‹sa Ôyij, und in Abr 77 wird unmissverständlich mit dem Stichwort êfqh Gottes Aktivität als grundlegender Anstoß der Hinwendung Abrahams zu Gott genannt124. Und so ist in ApkAbr 8,1–3 ebenfalls Gottes Aktivität der Ausgangspunkt und sie ist zugleich auch mit der Rettung Abrahams aus dem Gericht verbunden ist, wie in Jub 11 ebenfalls Rettung und Heil als Aktion Gottes gekennzeichnet werden. Und nicht zuletzt wird in Philo, Virt 216, diese Entdeckung und Entscheidung für den einen und wahren Gott unter Aufgabe der heidnischen Identität und unter Zuhilfenahme von Gen 15,6 als pisteÚein erklärt und die p…stij als identitätsbestimmende Überzeugung von der alleinigen Existenz des fürsorgenden Höchsten als die erste und wichtigste Tugend dargestellt. Allein schon diese Beobachtungen zu der Variationsbreite der Texte machen im Hinblick auf unsere Fragestellung zweierlei deutlich: Zum einen zeigt sich, dass auf der gemeinsamen Basis der Texte mit Abraham als des Heiden, der zur Gegenwart Gottes gelangt, es zu einer solchen Variationsbreite der Interpretationen der biblischen Abrahamgeschichte kommt, die die paulinische Aussage von Röm 4,5 als eine weitere ebensolche Interpretation erscheinen lässt und nicht als eine andersgelagerte, die den Traditionsrahmen sprengt. Hier wie dort ist das Profil und die Variation in der Neufassung der Abrahamerzählung je durch den verschiedenen Kontext und die je unterschiedliche Aussageabsicht, die mit der Reproduktion des Abrahammaterials verbunden ist, bestimmt. Und so lässt sich auch die paulinische Aussage als ein – vielleicht besonders profilierter – Vorgang der auf die Aussageabsicht hin pointierten Interpretation der Tradition bestimmen, so wie es die anderen angeführten antik-jüdischen Abrahamaussagen auch sind, womit die paulinische Aussage keineswegs als Liquidierung der Tradition anzusehen ist. Zum anderen dürfte deutlich geworden sein, dass der genannte Variationsreichtum Elemente – etwa der Aktivität Gottes, der Rettung Abrahams oder der Betonung des Glaubens – enthält, die Paulus für seine Zuspitzung aufgreifen kann, und Paulus somit auch inhaltlich zwar einigen Interpretationen deutlich gegenüber steht, in Bezug auf andere wiederum ein Aspekt von Nähe und Kontinuität der Aussagen deutlich wird125. 124 Vgl. dazu auch E. Brandenburger, Pistis, 179. 125 Zur Vielfalt der Abrahambilder im Frühjudentum vgl. zuletzt M. Konradt, Glauben, 26ff.
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Dementsprechend sollen nun weitere Texte angeführt werden, die über das bisher Genannte hinaus noch klarer die paulinische Aussage nicht als Abbruch der Tradition, sondern als Fortführung und Verdeutlichung der Tradition erscheinen lassen: So ist von den Vertretern, die die Formulierung dikaiîn tÕn ¢sebÁ in radikalem Kontrast zur Tradition sehen – wie es etwa U. Wilckens in seinem Römerbriefkommentar tut –, immer wieder angeführt worden, dass in der antik-jüdischen Tradition Abraham zwar durchaus als erster Proselyt angesehen werde, dass aber damit keineswegs ein Verständnis von Abraham als eines „heidnischen Sünder[s]“ verbunden sei; stattdessen hebe sich Abraham durch seine Suche nach dem „einen wahren Gott“ von vornherein von seiner heidnischen Umgebung ab126. Diese Auffassung ist aber schon durch einige der oben genannten Texte widerlegt – etwa die Feststellung Philos in Abr 70, dass Abraham für lange Zeit ein Chaldäer mit chaldäischem Glauben war, bei dem Schöpfer und Geschöpf „sündhaft“ verwechselt wurden, oder gerade auch durch den von U. Wilckens für seine Position angeführten Text Jub 11, der für Abraham im Falle seiner Nichtbekehrung Gericht und Heilsverlust auch für ihn in Betracht zieht. Diese Aussagen stellen Abraham eindeutig als zunächst mit seiner heidnischen Umwelt verwoben dar, bzw. halten die Möglichkeit einer solchen Interpretation durchaus offen. Ein Blick auf BerR 39,8 zeigt eindeutig, dass die Ausgangssituation für Abraham durch seine Sünde des heidnischen Götzendienstes bestimmt ist. BerR 39127 8 …unser Vater Abraham fürchtete sich nämlich und sprach: es könnte irgend eine Schuld an mir haften, weil ich so viele Jahre Götzen angebetet habe. Da sprach Gott zu ihm: Dir ist der Thau deiner Jugend geworden sowie der Thau verfliegt, so verfliegen auch deine Sünden und sowie der Thau ein Zeichen von Segen für die Welt ist, so sollst auch du ein solches sein.
Es ist völlig klar, dass die Formulierung dikaiîn tÕn ¢sebÁ eine paulinische Zuspitzung und Interpretation der Abrahamgeschichte ist, aber das Zitat aus BerR 39,8 macht ebenso deutlich, dass es keine Zuspitzung ist, die in Diskontinuität ikonoklastisch-antithetisch gegenüber der Tradition verstanden werden muss, sondern die sich selber durchaus als eine synthetisch-zuspitzende Aktualisierung der Tradition versteht128 126 U. Wilckens, Römer 1, 263. 127 In der Übersetzung von A. Wünsche, Bereschit. 128 Dabei ist die Datierung von BerRabba in das 5. Jh. n. Chr. (vgl. G. Stemberger, Einleitung, 275) kein Problem im Hinblick auf unsere Folgerungen. Zum einen kann das verschriftlichte oder redigierte Material eine lange Zeit textlich für uns nicht greifbar schon z.B. mündlich existiert haben, und zum anderen und entscheidend geht es ja nicht um den Erweis einer literarischen oder ideengeschichtlichen Abhängigkeit, sondern es geht darum aufzuzeigen, dass das, was Paulus aussagt, im Rahmen der
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und so verstanden werden muss. Die paulinische Zuspitzung erscheint so als eine Interpretation, die auf viele Elemente oder Möglichkeiten der Tradition zurückgreifen kann und die sich, indem sie diese Elemente herausstellt und akzentuiert, als Verdeutlichung der Tradition versteht, die von anderen nicht in der Klarheit verstanden und gesehen worden ist wie von Paulus selber. Nebenbei wird hieran noch ein weiterer, paralleler Aspekt von BerR 39,8 deutlich: In der zweiten, positiven Interpretation des Stichwortes „Thau“ wird das Zeichenhafte, Paradigmatische, Übersich-Hinausweisende an Abraham betont – und eben auch hier gerade im Zusammenhang mit der Vergebung der mit seiner heidnischen Existenz verbundenen Sünden und der damit einhergehenden Konstituierung des Heils für und durch Abraham als Aktivität Gottes selbst – im Hinblick auf die ganze, auch heidnische Welt. Auf ein zweites Element aus der antik-jüdischen Abrahamtradition, dass das paulinische dikaiîn tÕn ¢sebÁ gerade auch im Verständnis des voraussetzungslosen Handelns Gottes vor irgendeiner jüdischen oder Gott entsprechenden Lebensweise als Aufgreifen und Zuspitzung dieser Tradition sehen lässt, hat S. Kreuzer in der Suche nach dem traditionellen Hintergrund für dikaiîn tÕn ¢sebÁ aufmerksam gemacht129. Es ist die übliche (rabbinische) Auffassung, dass Gen 15,1–21, der sogenannte Bund zwischen den Stücken, und damit auch Gen 15,6, zeitlich vor Gen 12,1ff liegt. Diese Einordnung kommt dadurch zustande, dass ein Ausgleich der divergierenden Zeitangaben von Gen 15,13 und Ex 12,40, die die Zeit des Aufenthaltes in Ägypten, allgemein aber verstanden als die Zeit von Abraham bis Mose130, unterschiedlich benennen, als notwendig erachtet und gesucht wird131: Gen 15,13 nennt 400 Jahre, Ex 12,40 430 Jahre. Um die Differenz auszugleichen, wird nun Gen 15,13 so verstanden, dass hier erst ab Isaaks Geburt gezählt wird, wegen des Wortes $[rz/ tÕ spšrma sou, und deshalb weniger als 430 Jahre, eben nur 400 Jahre zustande kommen. Somit liegt Gen 15,6 30 Jahre vor Isaaks Geburt. Bei Isaaks Geburt war Abraham 100 Jahre alt (Gen 21,5), und d.h. bei Gen
jüdischen Tradition zu verstehen ist und verstanden werden kann. Von daher ist auch ein späterer Beleg im Sinne von Sprach- und Denkmöglichkeiten des (rabbinischen) Judentums ein Argument dafür, dass Paulus mit und im Rahmen des jüdisch Denkbaren und Möglichen argumentiert (vgl. dazu K. Wengst, Johannesevangelium, 32). 129 Vgl. S. Kreuzer, Einordnung. 130 Vgl. nur Gal 3,17. 131 Vgl. zum Folgenden S. Kreuzer, Einordnung, 214ff u. G. Stemberger, Stephanusrede, 229–250, bes. 233.
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15,6 und dem Bund zwischen den Stücken war Abraham 70 Jahre alt132. Bei Gen 12,1ff und dem Auszug aus Haran war Abraham aber 75 Jahre alt (Gen 12,4). Somit liegt Gen 15,1–21, der Bund zwischen den Stücken, und damit auch Gen 15,6 vor Gen 12,1ff. Damit ist aber vollständig klar, dass Gen 15,6 sich im Rahmen des Erstkontaktes von Gott und Abraham ereignet und als Erstberufung vor aller anderen Geschichte Gottes mit Abraham und Abrahams mit Gott stattfindet. Damit aber wird deutlich bzw. kann deutlich gemacht werden, dass Gott in Abraham tatsächlich den Gottlosen gerechtfertigt hat, am völligen Nullpunkt, zum allerersten Beginn der Beziehung, ohne dass Abraham irgendeine Geschichte des frommen Lebenswandels oder eine fromme – und d.h. in irgendeiner Weise „jüdisch“ verstandene – Lebensweise vorweisen kann. S. Kreuzer will nun noch mit einem weiteren Rechenbeispiel, das an den oben genannten Ausgleich anschließt, deutlich machen, dass Gen 15,6 und der Bund zwischen den Stücken in Chaldäa, in Mesopotamien, in Baylonien, und damit in heidnischer Umwelt am heidnischsten aller Orte stattgefunden hat. Er verweist dazu auf 4Q252: 4Q252 Col II Zeile 8: Zeile 9:
wtacb … hnX ~y[b[X !b ~r]baw !rx awby ~yydXk rwam bXy ~ynX Xmxw … !rxb ~rba
Zeile 10: (… bei seinem Auszug aus Ur Kasdijim, und es kam nach Haran Abraham, ein Sohn von siebzig Jahren; und fünf Jahre wohnte Abraham in Haran …)133
Danach habe Abraham fünf Jahre in Haran gewohnt und sei beim Auszug aus Ur in Chaldäa 70 Jahre alt gewesen sei, so dass aufgrund dieser Zeitangaben Gen 15,6 sich eben in Ur in Chaldäa ereignet habe134. Das ist zwar ein mögliches Verständnis von 4Q252, bei dem S. Kreuzer auch mit der Übersetzung von F. Garcia Martinez/E.J.C. Tigchelaar135 konform geht, aber nicht ein ausschließlich mögliches Verständnis der fragmentarischen Jahresangaben von 4Q252: Die Frage ist, ob man ~ynX Xmxw auf hnX ~y[b[X ~r]baw unter Auslassung von …[!b] bezieht und Xmx zu ~y[b[X] dazu addiert, wonach Abraham 5 und 70 Jahre in Haran gewohnt hätte136, oder ob man mit ~ynX Xmxw einen neuen Satz beginnen 132 133 134 135 136
Mekh Ex 12,40 (19a); vgl. S. Kreuzer, Einordnung, 216 Anm. 27. Übersetzung d. Verf. Vgl. S. Kreuzer, Einordnung, 217f. Vgl. F. Garcia Martinez/E.J.C. Tigchelaar, Scrolls I, 503. So die Übersetzung von J. Maier, Texte 2, 196.
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lässt und Abraham damit, nachdem er mit 70 Jahren in Haran angekommen ist, dort fünf Jahre lang wohnen lässt137. Für Letzteres spricht immerhin, dass im Hebräischen bei Zahlen die Einer in der Regel vor den Zehnern genannt werden und der Wechsel von hnX zu ~ynX. Aber auch dieses Verständnis lässt darüber hinaus theoretisch auch die Möglichkeit offen, dass Abraham noch mit 70 Jahren in Haran ankam und Gen 15,6 sich dort ereignete. Dennoch trifft S. Kreuzer trotz des nicht vollkommen zweifelsfreien Arguments von der Sache her einen richtigen und wichtigen Punkt. Denn die Abrahamtradition lokalisiert den Erstkontakt zwischen Abraham und Gott, als den sie Gen 15,1–21 durch sein zeitliches Vorausgehen vor Gen 12,1ff sieht, durchaus in Ur in Chaldäa, wie auch aus den oben genannten Texten klar hervor geht: Wenn Gen 15,1–21 als Erstkontakt verstanden wird, dann kann bzw. muss allein deshalb schon das Geschehen dieses Textes in Chaldäa lokalisiert werden, da nach der Tradition der Erstkontakt Gottes mit Abraham in Chaldäa stattfand. Damit wird auch die Lokalisierung von Gen 15,6 in Chaldäa möglich. In diesen Zusammenhang – und damit als ein weiterer Beleg – gehört u.a. auch Act 7,2138: Act7 2 Er [Stephanus, d. Verf.] aber sprach: Ihr Brüder und Väter, hört! Der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham, als er in Mesopotamien war, ehe er in Haran wohnte.
Zusätzlich ist z.B. in ApkAbr 9 dieser in 8 geschilderte Erstkontakt als Bund zwischen den Stücken – und somit als Gen 15,1–21 – identifiziert, indem die Elemente des Bundes zwischen den Stücken, die zerteilten Tiere (Gen 15,9), in der Schilderung des Erstkontaktes exakt präsent sind139: ApkAbr 9 1 Da ertönte die Stimme, die zweimal zu mir sprach: „Abraham! Abraham!“ Und ich erwiderte: „Hier bin ich.“ 2 Und sie sprach: „Ich bin es, fürchte dich nicht. Denn ich bin vor allen Äonen und ein starker Gott, der im Anfange das Licht des Äons schuf. 3 Und ich bin es, der dich schützt und dir hilft. 4 Gehe und hole mir eine dreijährige Färse, eine dreijährige Ziege, einen dreijährigen Widder, eine Turteltaube und eine Taube. 5 Und bringe mir ein reines Opfer dar, und in diesem Opfer werde ich dir die Äonen darbieten und dir erklären, was du halten sollst, denn du hast es geliebt, mich zu suchen. 6 Und ich habe dich meinen Freund genannt.“140 137 So neben F. Garcia Martinez/E.J.C. Tigchelaar, Scrolls I, 503; auch D.W. Parry/E. Tov, Texts, 109. 138 Vgl. dazu G. Stemberger, Stephanusrede. 139 Vgl. S. Kreuzer, Einordnung, 218. 140 Die Erhebung in den heilvollen Status des Freundes Gottes ist deutlich eine Aktivität
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ApkAbr 10 5 Und der Engel kam, den er [Gott, der Verf.] mir [Abraham, der Verf.] in der Gestalt eines Mannes gesandt hatte, und er nahm mich bei der Rechten und stellte mich auf meine Füße. 6 Und er sprach zu mir: „Stehe auf, (Abraham), Freund des Gottes, der dich liebgewonnen hat, menschliches Zittern soll dich nicht umfangen! 7 Denn siehe, ich bin zu dir gesandt, dich zu stärken und zu segnen im Namen des Gottes, der dich liebgewonnen hat, des Schöpfers des Himmels und der Erde.“
Gerade im Vergleich mit ApkAbr 8.9.10 lässt sich die paulinische Aussage von Gott als dikaiîn tÕn ¢sebÁ gut in ihrem Verhältnis zur Tradition bestimmen. Die paulinische Aussage tritt dabei sehr schön in ihrem Verständnis als Verdeutlichung und Pointierung der Tradition und damit in ihrem Verständnis der Konformität und Kontinuität hervor: ApkAbr zeichnet den Beginn der Abrahamgeschichte als Gottes rettendes Handeln, als Erstkontakt von Gott mit dem keine Vorgeschichte mit Gott vorweisen könnenden, heidnischen Abraham. Einzige Voraussetzung ist hier Abrahams Suchen Gottes, was in keinerlei Hinsicht ein Hindernis für die paulinische Interpretation des Begriffs ¢seb»j darstellt, denn das würde auch Paulus nicht bestreiten, und es hat ja in dem ™p…steusen/pisteÚonti ein gewisses Äquivalent. Während nun Paulus in seiner Interpretation und für seine Zwecke das Gewicht auf das voraussetzungslose Retten Gottes beim Erstkontakt mit dem Heiden in heidnischer Umwelt legt, führt ApkAbr dieses Handeln fort in Richtung der Verpflichtungen und des Handelns, der jüdischen Lebensweise, die sich nun für Abraham aus diesem Erstkontakt und dem rettenden Handeln Gottes ergibt. Damit aber haben wir zwei – in wichtigen Grundzügen ähnliche – mögliche Interpretationen der biblischen und antik-jüdischen Abrahamtradition, wobei man von keiner sagen kann, dass sie nicht eine Berechtigung als authentische Interpretation und Aktualisierung der Abrahamtradition habe und sich als Abbruch und tabula rasa im Hinblick auf die Tradition darstellen und verstehen würde. Mit ApkAbr, Philo, Jub bewegen wir uns aber durchaus auch in einem zeitlichen Kontext im Hinblick auf Paulus, so dass wir bei unseren Überlegungen nicht allein auf Sprach- und Denkmöglichkeiten einer späteren rabbinischen Tradition angewiesen sind.141 Diese allerdings hält noch weitere Belege für unsere Überlegungen bereit, insofern bei der Erklärung des $l $l in Gen 12,1 beides von $lh hergeleitet und so ein Gottes, die Schaffung einer Wirklichkeit durch Gottes Reden, – wie auch im Folgenden X,5–7 das Heil für Abraham als eine in Gott und seinem freien Entschluss begründete Zuwendung Gottes erscheint. 141 ApkAbr ist um 70 n. Chr. zu datieren, Philo etwa 20 v. Chr. – 50 n. Chr., Jubiläen vielleicht Mitte 2. Jh. v. Chr., wohl aber deutlich vor Paulus.
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doppelter Auszug angenommen wird, wovon der eine und erste der aus Mesopotamien nach der Erstberufung des Bundes zwischen den Stücken (Gen 15,1–21) ist und der zweite der von Gen 12,1ff: BerR 39: 8 R. Juda sagte: Das Wort $l steht zweimal, das eine bezieht sich nämlich auf Mesopotamien und das andere auf Aram Nachor. R. Nechemja bemerkte in Bezug auf das erste $l: Nachdem Gott den Bund mit den Stücken mit Abraham geschlossen hatte, hiess er ihn nach Haran gehen.
Damit können wir ein Fazit unserer Beobachtungen und Überlegungen ziehen: Die Bezeichnung Gottes als dikaiîn tÕn ¢sebÁ in 4,5 lässt sich eindeutig in den Rahmen der jüdischen Tradition und das paulinischzeitgenössische antike Judentum einordnen142. Sie ist als zuspitzende, pointierte paulinische Interpretation dieser Tradition zu verstehen, die als solche bereithält, dass Gen 15,1–21, und damit auch Gen 15,6, das Urereignis zwischen Gott und Abraham ist und dass insofern Abraham als Gottloser, als Heide – denn so ist ¢seb»j dann zu verstehen – in Babylonien, der heidnischsten aller Gegenden, zum völligen Nullpunkt der Gottesbeziehung, abgesehen von seiner Suche nach Gott ohne Nachweis eines frommen Lebenswandels, voraussetzungslos von Gott gerettet und in eine Gottesbeziehung gerufen worden ist143. Und insbesondere Philo, Virt 216, kennzeichnet Abraham unter Verwendung von Gen 15,6 als Prototypen des heidnischen Proselyten, für dessen neue Identität pisteÚein tù qeù und vielleicht noch das Verlassen der familiären Bindungen (Virt 214) bestimmend ist – ohne dass die Tora in irgendeiner Weise erwähnt würde144.
4.4.6.3 dikaiîn tÕn ¢sebÁ in Röm 4 Das passt in den Rahmen, den wir für die Argumentation von Röm 4 angenommen haben, und bestätigt diesen zugleich: Dass es nicht um einen Bildersturm von jüdischer und alttestamentlicher Überlieferung 142 Vgl. auch G. Saß, Verheißungen, 383. 143 Damit gegen S.J. Gathercole, Boasting, 243, der behauptet, immer würde dem Handeln Gottes an Abraham in der Tradition des antiken Judentums eine Leistung Abrahams vorausgehen, und der in Anm. 80 eine „Reinwaschung Abrahams“ als Generalmotto für die Tradition impliziert. 144 Vgl. N. Clavert-Koyzis, Paul, 28. – Die Nähe zu 1Thess 1,9 ist auffällig. – Zu sagen, dass hier die Tora in keiner Weise erwähnt wird, ist, auch wenn es sie historisch z.Zt. Abrahams noch nicht gab, insofern berechtigt, als es auch Darstellungen gibt, die Abraham ein vorbildliches Halten von Geboten attestieren, und es rabbinische Auffassungen gibt, nach denen Abraham die ganze Tora kannte und beachtet hat (bNed 32a; BerR 49,2 u.ö.). Vgl. dazu auch B. Ego, Abraham.
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geht, sondern dass Paulus aufgrund einer gemeinsamen Basis der gemeinsamen Tradition seine in 3,29.30 formulierte These für Gegner und Zweifler durch diese Tradition bestätigen und begründen will145, indem er zeigt, dass seine Aussagen mit dem Uranliegen dieser Tradition konform gehen und diese so zur Geltung bringen. Dass dabei die in der bisherigen Exegese verdrängte, heruntergespielte und nur gering eingeschätzte Gottesaussage von 4,5 eine besondere und kaum zu überschätzende Rolle spielt, erhellt aus zwei Dingen, nämlich aus Inhalt und Form: Inhaltlich bekommt sie ihre Bedeutung aufgrund der festgestellten Herleitung aus der Abrahamtradition. Wir hatten oben auf die grundlegende Funktion von Abraham für die Erkenntnis Gottes hingewiesen, dass an der Geschichte Gottes mit Abraham zuallererst deutlich wird, wer dieser Gott Israels, der allein wahre und lebendige Gott, ist. Indem sich nun gerade an dieser Geschichte Gottes mit Abraham herausstellt, dass dieser allein wahre und lebendige Gott der ist, der den Heiden ohne jegliche Vorleistung eines jüdischen Lebensweges rechtfertigt, hat Paulus für seine These von 3,29.30 ein Argument von kaum zu überbietender Gravitas. In formaler Hinsicht hat E. Käsemann auf die Bedeutung des partizipialen dikaiîn tÕn ¢sebÁ aufmerksam gemacht: „Man hat zu beachten, daß die Formel liturgischen Gottesprädikationen nachgebildet ist und folglich das göttliche Handeln grundsätzlich charakterisiert“146. Abraham und partizipiale Gottesprädikation weisen also beide auf ein Gott grundsätzlich charakterisierendes Handeln Gottes hin147. Und so ist die These aus 3,29.30, dass Gott auch ein Gott für die Völker ist, durch die Abrahamgeschichte mehr als bestätigt. Denn der hier an der
145 Damit ist noch einmal die Argumentation von M. Neubrand, Abraham, 210 widerlegt (vgl. oben 4.4.6.1.), die ja aufgrund des Argumentationsrahmens bestreitet, dass das dikaioànta tÕn ¢sebÁ mit der Abrahamgeschichte zu identifizieren sei. 146 E. Käsemann, Römer, 105. – Auch wenn man den Begriff „liturgische Gottesprädikation“ mit Vorsicht genießen sollte, so ist doch klar, dass partizipiale Gottesaussagen „als Stilform aus dem hellenistischen Sprachbereich bekannt“ waren (G. Delling, Gottesaussagen, 402 – und man darf ergänzen, auch aus dem hebräischen Sprachbereich) und von der Form her der Hörer/Leser deshalb wissen konnte/musste, dass hier etwas Entscheidendes, Grundsätzliches über Gott und sein Handeln ausgesagt wird. 147 Vgl. dazu C. Böttrich, Rede, 74, der ebenfalls betont: „Gott ist es, dessen Wesen durch das in den Prädikationen fixierte Geschehen beschrieben wird.“ und weiter ausführt: „In den ntl. Gottesprädikationen sind grundlegende Aussagen über das Wesen Gottes enthalten… Neben den nominalen Prädikationen… tritt dies vor allem… in den Handlungsaussagen der partizipialen Gottesprädikationen in Erscheinung.“ (a.a.O., 77) – Röm 4,5 findet allerdings bei C. Böttrich keine gesonderte Beachtung.
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Abrahamgeschichte grundsätzlich charakterisierte eine Gott ist der, der den Heiden aus Glauben rechtfertigt148. Die Form, in der Paulus seine aus der Abrahamgeschichte gewonnene Gottesaussage präsentiert, nämlich als einer „liturgischen Gottesprädikation nachgebildet“, bietet an dieser Stelle Anlass, auf ein weiteres Charakteristikum der paulinischen Verwertung und Aktualisierung der Abrahamtradition hinzuweisen: Anknüpfend an den Strang der Tradition, die im Gegensatz zu anderen Darstellungsweisen den Anteil und das Handeln Gottes in der Abrahamgeschichte betont, wird dieser Zug von Paulus weiter zugespitzt und verstärkt, so dass die entscheidenden Momente und Gründe für die Abrahamgeschichte nicht auf der menschlichen Seite, sondern auf der souveränen Seite Gottes zu suchen sind149. Das dürfte eben auch durch die Form der partizipialen Gottesprädikation mit angezeigt sein, die das genannte Handeln Gottes als sein grundsätzliches, allein in ihm begründetes Handeln aussagt – und das bestätigt sich ja auch durch einen Seitenblick auf die galatische Parallele, wo Gottes souveräner Wunsch und Absicht als Motor der Abrahamgeschichte genannt werden (Gal 3,8). Auch darin findet sich eine Bestätigung für unsere These, dass in Röm 4 Abraham lediglich das Thema darstellt, an dem das Rhema der Gottesaussagen gewonnen werden soll, 148 S.J. Gathercole, Boasting, 248 stellt zu Recht diese Aussage als die entscheidende Gottesaussage des Paulus heraus: „This is Paul‘s God: ‚the one who justifies the ungodly‘.“ – Allerdings verbindet er diese Zuordnung zu Paulus mit einer Opposition zum antiken Judentum, als sei der Gott des Paulus nicht der Gott einer jüdischen Tradition. Das liegt darin begründet, dass S.J. Gathercole die Soteriologie des Judentums des Zweiten Tempels als grundsätzlich meritorisch und auf Entsprechung gegründet sieht (246 u.ö.). Die Frontstellung ist dann: Der Gott der Juden ist der, der die Frommen rechtfertigt, während der Gott des Paulus der ist, der den Menschen ohne religiöses Verdienst rechtfertigt. – Demgegenüber hat unsere Untersuchung der Texte gezeigt, dass man von einer ausschließlich meritorischen und auf Entsprechung gegründeten Soteriologie nicht reden kann, sondern dass es eine Variationsbreite gibt, in der – wie wir auch noch weiter sehen werden (vgl. unten 5.3.) – auch Gottes primäres und absolutes Heilshandeln ausgesagt werden kann. Wenn man dann noch sieht, dass das Thema des Paulus gerade nicht die Frage nach der Soteriologie an sich ist, sondern das Problem des gleichen Heiles des Gottes Israels für die Heiden wie für die Juden, dann wird man die wichtigste Gottesaussage des Paulus über Gott als den, der die Heiden – wie dann auch die Juden – genau wie Abraham aus Glauben rechtfertigt, als durchaus im Rahmen der jüdischen Tradition aussagbar sehen, wie an unserer Untersuchung zu Abraham deutlich geworden ist. 149 Damit haben wir hier einen ähnlichen Umgang von Paulus mit der Tradition, wie man ihn für Röm 9,13ff feststellen kann: Paulus stellt die Seite Gottes heraus und führt die Freiheit und Souveränität Gottes an als Begründung und Erklärung bei der Interpretation der Tradition. Und damit wird nicht die menschliche Seite zum Feld der Argumentensuche und der Begründungen, wie es stärker für (weite) Teile der antik-jüdischen Tradition festzustellen ist. Vgl. dazu unten 5.3. und N. Richardson, Language, 47.
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und es deckt sich mit unserer Bewertung des Abschnittes aufgrund seiner Prägung durch die Auslegung des log…zesqai aus dem Zitat von Gen 15,6 sowie mit dem Beginn der Argumentation mit der Unterscheidung und Einführung der göttlichen Wirklichkeit in 4,2b. Die an Gottes Handeln an Abraham gewonnene grundsätzliche Charakterisierung Gottes als an den Heiden zum Heil handelnd wird natürlich auch noch verstärkt und unterstützt durch die Elemente der biblischen und antik-jüdischen Abrahamtradition, die explizit von der – von Gott eingesetzten – Funktion Abrahams reden, auch den Heiden Anteil am Heil zu geben (Gen 12,3; Jub 20; PesR 43,4; BerR 53,9 zu Gen 21,7 u.ö.; vgl. Gal 3,8f). Darauf soll unten in 4.4.8 weiter eingegangen werden.
4.4.6.4 ¢seb»j als „Heide“ Zunächst sollen hier noch einige Überlegungen zum Begriff ¢seb»j angestellt werden und zu seiner von uns vorgenommenen Interpretation als „Heide“. Zu klären ist dabei, inwieweit die aufgrund der Herleitung der Gottesbezeichnung dikaiîn tÕn ¢sebÁ aus der Abrahamtradition vorgenommene Gleichsetzung von ¢seb»j mit „Heide“ sich auch vom Kontext und Argumentationszusammenhang des Römerbriefes bestätigen lässt. Die Frage ist, ob sich eben das ¢seb»j eindeutig in erster Linie auf die Heiden bezieht150, oder ob Paulus darunter primär eine alle Menschen umfassende151, d.h. auch Juden mit einschließende Qualifizierung versteht, ob es also besser im Sinne von Frevler zu verstehen ist152. Dazu soll zunächst ein Blick auf die Bedeutung von ¢seb»j in LXX und den antik-jüdischen Schriften geworfen werden. Dabei ist festzustellen, dass von hier aus keine Vereindeutigung möglich ist. Denn es finden sich sowohl Belege, in denen ¢seb»j eindeutig und ausschließlich „Heide“ meint, als auch Zeugnisse dafür, dass ¢seb»j auch Menschen aus Israel benennen kann. Für ¢seb»j als „Heide“ sei etwa der Parallelismus membrorum aus Ps 9,6 genannt: Ps 9 6 Du hast die Nationen bedroht (™pet…mhsaj œqnesin), und den Gottlosen verloren gegeben (kaˆ ¢pèleto Ð ¢seb»j), ihren Namen (tÕ Ônoma a§tîn) ausgelöscht für immer und ewig.
150 Vgl. N. Calvert-Koyzis, Paul, 134. 151 Vgl. E. Gräßer, Abraham, 19: „der ‚natürliche‘ Mensch überhaupt“. 152 So S.J. Gathercole, Boasting, 248.
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Weiter anzuführen sind etwa auch Dtn 9,5; Ps 9,18; SapSal 14,9; Josephus, Ant 20,45153 und nicht zuletzt auch Philos vielfache Gleichsetzung von ¥qeoj und ¢seb»j (Det 103,119; Post 42; Congr 57.87; Mut 61 u.ö.). Für die Verwendung von ¢seb»j für Menschen aus Israel sei auf Jer 5,26 verwiesen: Jer 5 26 Denn in meinem Volk (™n
tù laù mou) finden sich Gottlose (¢sebe‹j)…
Hierhin gehören auch 1Makk 6,21; 7,5; 2Makk 4,13; Ex 23,7; Dtn 25,1 u.ö. Dieser Befund ist sicher darin begründet, dass ¢seb»j im biblisch-jüdischen Verständnis als Äquivalent zu [Xr weniger die Person aufgrund einer Haltung als aufgrund ihres Tuns qualifiziert154, wogegen im nichtbiblisch-hellenistischen Verständnis ¢seb»j stärker durch eine Haltung der Ehrfurchtslosigkeit gegenüber einem Gott gekennzeichnet ist155. Die biblische und antik-jüdische Ambivalenz findet sich nun auch in unserem Kapitel des Römerbriefes wieder. So ist ¢seb»j von V.7 her mit ¢nom…a und ¡mart…a und dem Davidpsalm auch auf Menschen aus Israel beziehbar, während es sich von V.10 her mit ¢krobust…a eindeutig und ausschließlich auf Heiden bezieht156. Dennoch kann dieser Befund aus der semantischen Bestimmung des ¢seb»j aus der Umwelt und aus Röm 4 uns weiterhelfen, wenn man nämlich fragt, was der gemeinsame semantische Nenner der beiden vorgestellten Varianten ist. Dann nämlich kann man als semantischen Kern für ¢seb»j bestimmen, dass es denjenigen bezeichnet, der aufgrund seines Tuns oder seiner Haltung außerhalb des Gesetzes steht oder sich gestellt hat, der damit außerhalb des Heilsraumes und Bundes steht und damit in keinem (rechten) Gottesverhältnis – sei es, weil er als Heide nicht nach dem Gesetz lebt, das er nicht als Willen des einen und höchsten Gottes erkannt hat, sei es, weil er als Jude das Gesetz nicht befolgt hat. Dazu kann etwa auf Sir 41,8; Prov 28,4; 2Makk 4,17 verwiesen werden. Das ambivalente semantische Profil von ¢seb»j ist also über die Differenz von Designat und Konnotat zu beschreiben, bei der das Designat einen wegen seines Tuns nicht im Einklang mit dem Gesetz Stehenden zum Inhalt hat, die Konnotation dabei aber stark mit den Heiden verbunden ist.
153 154 155 156
Vgl. auch K. Haacker, Römer, 102 Anm. 22. Vgl. W. Günther, sšbomai, 553; P. Fiedler, ¢seb»j, 405; W. Foerster, ¢seb»j, 186. Vgl. W. Günther, sšbomai, 553f; P. Fiedler, ¢seb»j, 405; W. Foerster ¢seb»j, 184f. Zur Gleichsetzung des dikaiîn tÕn ¢sebÁ mit dem log…zesqai Gottes vgl. unten 4.4.7.
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Mit diesem Ergebnis können wir uns nun noch einmal der Frage nach der Bedeutung und der Funktion von ¢seb»j in der Argumentation von Röm 4 zuwenden. Vor der Betrachtung des engeren Kontextes als Argumentationsrahmen sei noch darauf verwiesen, dass es im Römerbrief außerhalb von 4,5 Belege für alle möglichen Verständnisse von ¢seb»j/ ¢sšbeia gibt: So ist in 1,18 ¢sšbeian durch die Verknüpfung von V.18 mit der Passage über die Heiden 1,19–32 durch das diÒti von V.19 rückwirkend doch recht eindeutig auf heidnische Menschen zu beziehen, während ¢sebe…aj in 11,26 explizit auf Israel bezogen ist und in 5,6 offensichtlich alle (Glaubenden), gleich ob Juden oder Heiden, mit dem ØpÑr ¢sebîn gemeint sind. Weiter ist zum Verständnis anzufügen, dass Paulus selber in einer gewissen Ambivalenz verbleibt, was die Unterscheidung von Juden und Heiden mittels der Gottlosigkeit und des Gottesverhältnisses anbelangt. Einer universalen anthropologischen „Gottlosigkeit“ (vgl. nur 3,9.22f; 11,32) steht die Fortschreibung einer Unterscheidung der Juden von der spezifisch heidnischen Gottlosigkeit gegenüber (vgl. nur Gal 2,15; (6,16;) Röm 1,18–32; 10,2). Eine ¢sšbeia im Sinne des nichtbiblisch hellenistischen Verständnisses der grundsätzlichen Ablehnung und des theoretischen Nicht-Anerkennens Gottes, im Sinne eines ¥qeoj wird Paulus somit wohl nur schwerlich über Israel aussprechen (vgl. auch 10,2). Und so finden sich auch im Römerbrief Heiden und Juden deshalb unter dem oben genannten semantischen Kern der ¢sšbeia zusammen, weil die Heiden aufgrund ihrer grundsätzlichen Haltung der Nichtanerkenntnis Gottes gesetz- und heillos außerhalb des durch das Gesetz markierten Heilsraumes stehen (1,18–32), während die Juden aufgrund der Übertretung des Gesetzes (2,23) außerhalb des Gesetzes und des durch ihn markierten Heilsraumes stehen. Damit sind die übergeordneten Verstehensbedingungen genannt, im Rahmen derer nun nach der Bedeutung von ¢seb»j und seiner Zielrichtung in der Argumentation von Röm 4 gefragt werden muss. Für die Beantwortung dieser Frage – Heiden oder alle Menschen – sei nun noch einmal auf die oben formulierte Feststellung verwiesen, dass die aus der Abrahamtradition gewonnene partizipiale Gottesformel dikaiîn tÕn ¢sebÁ die Begründung für die These von 3,29.30 darstellt. Wenn man sich allerdings davon eine Entscheidung der Frage „Heide“ oder „sündiger Mensch an sich“ erwartet, sieht man sich zunächst getäuscht. Während sich nämlich von 3,29, wo es eindeutig um die Frage von Gottes Handeln hinsichtlich der Völker geht, eine Vereindeutigung von ¢seb»j im Sinne eines den œqnh angehörenden, also Heide, nahelegt, ist in 3,30 mit dem Handeln des einen Gottes an Juden und Heiden in der gleichen Weise sein Handeln hinsichtlich der einen Menschheit aus-
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gedrückt, was ein Verständnis von ¢seb»j im Sinne des sündigen Menschen – gleich Jude oder Heide – impliziert. Dennoch ergibt sich von hier eine Lösung für das Verständnis und die Zielrichtung von ¢seb»j in 4,5 mittels der Bestimmung des Verhältnisses von 3,29 und 3,30 aufgrund ihrer semantischen und syntaktischen Gestaltung und Konstruktion. Wie wir oben gesehen hatten157, ist die Frage und damit das Thema, was zur Debatte steht, eindeutig 3,29: die Völker/Heiden. Und zur Beantwortung dieser Frage dient eine die ganze Menschheit, Juden und Heiden gleichermaßen betreffende Aussage. Zusammen mit dem semantischen Kern von ¢seb»j lässt sich nun für das Verständnis der Gottesprädikation von 4,5 Folgendes feststellen: Am sachgemäßesten versteht man die Formulierung dikaiîn tÕn ¢sebÁ als „der den Gesetzlosen“, nämlich „den außerhalb des vom Gesetz markierten Heilsraumes Stehenden rechtfertigt“. Dieses so beschriebene Handeln Gottes betrifft und vollzieht sich grundsätzlich für Juden und Heiden, wie durch 3,30, dessen Parallele dikaiîn tÕn ¢sebÁ ja darstellt, ebenso deutlich wird wie durch die vorher vorgenommene Analyse, dass Juden und Heiden, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, beide außerhalb des vom Gesetz markierten Heilsraumes stehen (1,18–32; 2,23; 3,22f). Damit wird aber deutlich, dass das Gesetz und der jüdische Lebensweg keine Rolle für das Rechtfertigen Gottes, für sein Heilshandeln spielen. Dennoch zielt diese Aussage hier zuerst auf die Heiden, denn Gottes Handeln an ihnen ist die Frage (3,29), die zur Debatte steht und die begründet werden muss158. Zudem ist durch die Gewinnung dieser Aussage an Abraham, dem Heiden, der zunächst durch sein Nichtkennen Gottes und die Götzenverehrung außerhalb des (durch das Gesetz markierten) Heilsraumes steht, die Akzentuierung des „gesetzlos“ im Sinne von „als Heide aufgrund der Nichtanerkenntnis Gottes und seines Gesetzes“ – gegenüber „aufgrund der Übertretung des Gesetzes gesetzlos“ – gegeben159. Insofern ist die Zielrichtung in 4,5: „der den Heiden rechtfertigt“, obwohl damit die Rechtfertigung der Juden nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern – wie wir im Folgenden noch öfter sehen werden – in zweiter Linie mit ausgesagt und mittransportiert ist. Diese Zielrichtung auf die Heiden anhand der Abrahamfigur wird wiederum bestätigt durch den Blick auf die galatische Parallele, wo die Anführung Abrahams auf Gottes Handeln an den Heiden zielt (Gal 3,8)160. Damit können 157 158 159 160
Vgl. oben 3.4.2.3 und 3.4.2.4. Vgl. N. Calvert-Koyzis, Paul, 133f. Vgl. a.a.O., 134–136. Gegen K. Berger, Abraham, 51, der zwar den Befund in Gal 3,8 feststellt, aber meint, das stünde im Gegensatz zu Röm 4. Wenn man aber sieht, wie Paulus in Röm 4,10ff die Heiden an die erste Stelle stellt und zusehen muss, dass er die Juden mit ins Boot
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wir die Gottesprädikation dikaioànta tÕn ¢sebÁ als Begründung für die These über Gott von 3,29.30 noch präziser fassen: Gott ist insofern ein Gott auch für die Völker, als er Menschen außerhalb des vom Gesetz markierten Heilsraumes rechtfertigt, zu denen man als Heide (ebenso wie als Jude) gehört. Das ist an der Geschichte Abrahams, der als Heide, der er war, von Gott zum Heil geführt wurde, unverbrüchlich und mit grundsätzlicher Gültigkeit manifest geworden. Damit erklärt, begründet und rechtfertigt diese „liturgischen Gottesprädikationen nachempfundene“ Formel gegenüber allen Gegnern und Zweiflern die umstrittene paulinische Verkündigung, dass die Heiden als Heiden vollen Anteil und Zugang zum Heil Gottes haben: In der an Abraham offenbar gewordenen grundsätzlichen Charakterisierung des Handelns Gottes ist das Hinzukommen der Heiden zum Heil begründet.
4.4.6.5 Der Bezug zu 1,18–32 Mit ¢seb»j und dem Hintergrund von Abraham als eines Heiden, der den einen Gott sucht, ihm glaubt und von Gott gerecht gemacht, gerettet wird, sind auch zwei Elemente genannt, die zurückverweisen auf den Abschnitt 1,18–32161, der, wie oben in 4.3. angeführt wurde, in einer kontrastierenden Entsprechung zu Röm 4 steht. Dementsprechend muss hier ein erster Blick auf diese Entsprechung geworfen werden: In 1,18–32 steht die ¢sšbeia im Zusammenhang mit dem dort entworfenen Bild von den Heiden162, die die Möglichkeit haben, Gott aus der Schöpfung zu erkennen, diese Möglichkeit aber nicht in der Weise genutzt haben, dass sie zu einer Anerkenntnis Gottes und zu einem rechten Verhalten des Lobens und Dankens gekommen wären. Stattdessen verharren sie bei ihren Götzenbildern und stehen so unter dem Unheil Gottes. Dabei werden diese Heiden hier gerade in den Elementen negativ gezeichnet, mit denen der Abraham der antik-jüdischen Tradition positiv gezeichnet wird: Während bei den Heiden von Röm 1,18–32 ihre Gedanken in Nichtigkeiten stecken bleiben und ihre Herzen verfinstert sind, gebraucht nach Josephus, Ant 1,154 Abraham seinen Verstand zur Erkenntnis Gottes, und nach Philo, Abr 71, gelangt Abraham durch das bekommt, dann bestätigt sich Gal 3,8 als Parallele zu Röm 4. 161 Vgl. E. Adams, Faith, 51. 162 Vgl. K. Haacker, Römer, 50f; D. Zeller, Römer, 54; E. Lohse, Römer, 83 u.ö. In diesem Punkt, dass 1,(18)19–32 sich – zumindest in erster Linie – auf die Heiden bezieht, besteht in der Forschung weitgehend Konsens. P.-G. Klumbies‘ Versuch, das hier geschilderte Versagen statt an der Nichterkenntnis Gottes an der Nichterkenntnis Christi festzumachen (Rede, 182f), ist zu Recht auf keine Akzeptanz gestoßen.
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Öffnen des Auges der Seele von der Dunkelheit zum Sehen des Lichts. Mit den in Röm 1,18–32 gezeichneten Heiden teilt der Abraham von 4,5 den gemeinsamen Ausgangspunkt der ¢sšbeia. Dabei bleibt er aber nicht stehen, sondern glaubt den Gott, der den Heiden Heil schaffen kann, womit vor dem Hintergrund des Abrahambildes der antik-jüdischen Tradition und von 1Thess 1,9 eine Abwendung von den Götzen und eine Hinwendung und Anerkenntnis des lebendigen und wahren Gottes verbunden ist, die zugleich zur Rettung aus dem der ¢sšbeia und dem dem ¢seb»j bestimmten Gericht Gottes führt. Damit haben wir einen ersten Hinweis auf eine Entsprechung von 1,18–32 und Röm 4 aufgrund von Abraham, der als Heide (4,5) einen Gegenentwurf zu den in Röm 1,18–32 gezeichneten Heiden darstellt – und das im Hinblick auf die Frage nach Gott. Das wird im Verlauf unserer Analyse von Röm 4 noch auszuweiten und genauer zu fassen sein. Immerhin zeigt sich auch daran schon ein weiterer Aspekt der paulinischen Rede von Gott: Noch jenseits von Christus und Christusgeschehen stellt grundlegend und in erster Linie die Anerkenntnis des einen, lebendigen und wahren Gottes das entscheidende Kriterium über Heil und Unheil dar163.
4.4.6.6 Ð pisteÚwn Damit haben wir auch einige Elemente zur Bestimmung des pisteÚein aus der Formel von 4,5 gewonnen. Es beschreibt das, was von menschlicher Seite der Anknüpfungspunkt für Gottes Handeln ist. Diese Aussage kann man in zwei Richtungen entwickeln. Zum einen empfängt das pisteÚein aus dem geschilderten Rahmen der Rechtfertigung des Heiden Abraham als des Gegenentwurfes zu den übrigen Heiden seine Bedeutung: Der Glaube an Gott ist das Element, worin sich Abraham von den übrigen Heiden – zu seiner und zur paulinischen Zeit – zum Heil hin unterscheidet, wie auch durch 1Thess 1,8f bestätigt wird. Aus dem Kontrast zu 1,18–23 wird deutlich, dass mit dem pisteÚein genau das ausgesagt ist, was von den Heiden im Hinblick auf Gott zum Heil gefordert, dann aber völlig ausreichend ist. Ähnlich hatte sich Philo in Virt 214–216 geäußert164. 163 Vgl. 1 Thess 1,8f. Vgl. auch N.T. Wright, Paul, 58f. – Gegen P.-G. Klumbies, Rede, 182f. 164 Vgl. weiter Philo, Her 90–99; Abr 68–88.262–276 (bes. 268.270–276); vgl. auch Jon 3,5; Jdt 14,10 u.ö. Vgl. dazu E. Brandenburger, Pistis, 178ff u. passim. E. Brandenburger stellt unmissverständlich heraus, dass sich in alttestamentlichen und frühjüdischen Texten Belege für „Glauben“ finden, in denen Glaube in einem Bekehrungszusammenhang
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Auch mit diesem ihn von den anderen Heiden unterscheidenden Glauben Abrahams als hinreichender Heilsvoraussetzung für die Heiden haben wir einen weiteren Anknüpfungspunkt an die jüdische Abrahamtradition, so dass auch diese Aussage durchaus einen Bezug zu diesem Rahmen erkennen lässt165. Über Philo hinaus wird in der Diskussion um den Anteil der Heiden an dem von Gott an Abraham offenbarten Heil von einigen Rabbinen geäußert, dass in der rechten Haltung des Menschen zu dem einen Gott das von der menschlichen Seite aus entscheidende Moment für den Anteil der Heiden am Heil zu sehen ist: In den Erklärungsversuchen für den Plural ~ynb in Gen 21,7 beim Stillen Sarahs wird im Hinblick auf die Völker geäußert: BerR 53166 9 Derselbe Rabbi [Rabbi Pinchas, der Verf.] bemerkte ferner: Es heißt ferner nicht !b Sohn, sondern ~ynb Söhne. Unsere Mutter Sara war gar zu schamhaft. Da sprach unser Vater Abraham zu ihr: „Es ist jetzt nicht Zeit zu einer solchen Schamhaftigkeit, sondern entblöße deine Brüste, damit alle erkennen, dass Gott Wunder getan hat.“ Sie tat es und ihre Brüste strömten Milch aus, wie zwei Quellen. Da kamen die Matronen und ließen ihre Kinder an ihr saugen und sprachen: Wir sind nicht würdig, unsere Kinder von der Milch dieser Tugendhaften zu nähren. Darum heißt es: Wer hätte gesagt usw. Die Rabbinen sagen: Jeder, der kommt um Himmels willen, der wird auch himmelsfürchtig. PesR 43167 4 Zu der Zeit, als Sara Isaak gebar, sagten die Nationen der Erde: „Er ist in Wirklichkeit der Sohn ihrer Sklavin, und sie tut nur so, als ob sie ihn säugt.“ Sofort darauf sagte er [Abraham, der Verf.] zu Sara: „Sara, was stehst du da! Jetzt ist nicht die Zeit für Schamhaftigkeit. Um der Heiligung des Namens willen, steh auf und mach dich frei.“ Sara stand auf und machte sich frei, und ihre beiden Brüste verströmten Milch wie zwei Strahlen Wasser so wie geschrieben steht: Sie sprach: „Wer hätte Abraham gesagt, dass Sara noch Kinder stillen werde [Gen 21,7)]?“ … Sobald die Nationen der Erde Saras Milch sahen, brachten sie ihre Kinder herbei, um sie Sara zum säugen zu geben; einige brachten ihre Kinder, um sie zu prüfen. Weder die ersteren noch die „Lebenskehre zum Glauben“ ausdrückt, bei der der „Glaubensstand“ umfassend das „an Gott orientierte Existenzvertrauen“ benennt. Vielfach geht diesem ein Offenbarungsgeschehen voraus, in dem Gott selbst vorgängig aktiv ist (vgl. nur Philo, Abr 77). 165 Gegen G.N. Davies, Faith, 143–172, der wie viele andere nur die Linie der Tradition des antiken Judentums sieht, in der der Gehorsam Abrahams gegenüber dem Gesetz betont und seine p…stij als Treue gegenüber den Prüfungen Gottes im Sinne von Gen 22 verstanden wird. Dabei werden die von uns angeführten gegenteiligen Belege und die Beobachtungen von E. Brandenburger, Pistis vollkommen ignoriert (vgl. Anm. 159). 166 In der Übersetzung von A. Wünsche, Bereschit. 167 In der Übersetzung von .
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die letzteren litten irgendeinen Verlust. Nach Rabbi Levi: Wenn sie in allem Ernst kamen, wurden sie Proselyten. Das ist es, was gesagt ist, dass Sara Kinder stillen würde.
Zum anderen, und hierin nimmt der Unterschied zur Tradition seinen Ausgangspunkt, bekommt pisteÚein seine Bedeutung dadurch, dass es in V.4–6 in eine Opposition zu den Elementen gestellt ist, die wir als Signifikanten einer jüdischen Lebensweise bestimmt haben168. Damit verliert diese für die Frage des Heilshandelns Gottes jegliche Bedeutung. Das entspricht der vorgestellten Rechtfertigung des ¢seb»j, dass Gott also den, der außerhalb des durch das Gesetz markierten Raumes steht, rechtfertigt und damit unter Absehung vom Gesetz, von einem durch das Gesetz bestimmten Raum, Heil schafft. Insofern wird dann die p…stij auch für die Juden das entscheidende Element auf der menschlichen Seite, welches somit gerade an die Stelle der œrga nÒmou, an die Stelle der durch eine wie auch immer geartete Beachtung der Tora bestimmte jüdischen Lebensweise tritt, die eine Zugehörigkeit zum Bund und zu einem durch das Gesetz abgegrenzten Heilsraum markiert. Damit liegt, wenn man so will, der signifikante Unterschied zu der antik-jüdischen Tradition darin, dass nicht nur für die Heiden – das kann man auch der Tradition entnehmen –, sondern auch für die Juden der Glaube der entscheidende Faktor zur Bestimmung dessen ist, wem Gott anrechnet (V.12) – und damit die jüdische Lebensweise nivelliert wird und es zu einem unterschiedslosen Handeln Gottes an Heiden und Juden zum Heil kommt. Durch die Einleitung unseres Abschnittes in V.2 mit dem ¢ll' o§ prÕj qeÒn und durch den Blick auf die galatische Parallele war zudem für pisteÚein deutlich geworden, dass es zwar die menschliche Seite beim Heilshandeln Gottes und insofern auch den beim Menschen liegenden Anknüpfungspunkt beschreibt, aber dass dies weniger zu verstehen ist als in der anthropologischen Frage nach den Möglichkeiten des Menschen vor Gott begründet169, sondern dass pisteÚein vielmehr als Element der Überlegungen und des Handelns Gottes zum Heil in Gott und seiner Wirklichkeit fundiert ist. Und noch ein weiterer, über diese Funktionen hinausgehender Aspekt ist hinsichtlich des pisteÚein der Formel von 4,5 zu nennen. Dieser Aspekt rührt aus der Einordnung der Aussage in den Argumentationszusammenhang von Röm 4 her und der Tatsache, dass hier eben nicht Christus Gegenstand des Glaubens ist, sondern Gott – und zwar in der Form einer „partizipialen Gottesaussage“, die als paulinisch zugespitzte und akzentuierte Grundaussage des Handelns Gottes verstanden wer168 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans I, 228f; gegen S.J. Gathercole, Boasting, 246. 169 So aber D. Starnitzke, Struktur, 167.
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den muss: Den Rahmen bildet die Diskussion um das rechte Verständnis Gottes, deren Inhalt die von Paulus aufgeworfenen Frage von 3,29 ist, die zum Ausgangspunkt für den den Vers 4,5 umfassenden Abschnitt wurde. Indem Paulus nun innerhalb dieses Rahmens seine von ihm entworfene Zuspitzung des grundlegenden Handelns Gottes mit pisteÚein verknüpft, wird nicht die Anerkennung des einen, lebendigen und wahren Gottes an sich, sondern in dem von Paulus angeführten Verständnis zum entscheidenden Punkt. Es geht also um die Erkenntnis und das Anerkennen Gottes so, wie er hier von Paulus ausgesagt wird, und damit um das von Paulus in der Argumentation angeführte und entwickelte Verständnis Gottes, das für ihn eben das in der Tradition enthaltene Verständnis Gottes ist. Insofern zielt das pisteÚein auch auf die Diskussionsgegner bzw. -partner des Paulus. Durch die Verknüpfung mit dem von Abraham im Hinblick auf dieses Gottesverständnis bereits vollzogenen pisteÚein wird nun dieses paulinische Gottesverständnis das, woran sich die rechte Gotteserkenntnis des Menschen und die rechte Anerkenntnis Gottes entscheiden170. Somit steht auch für die Gegner bzw. auch die Adressaten der römischen Gemeinde in ihrer Stellung zu dem von Paulus geschilderten Verständnis Gottes auf dem Spiel, was für Abraham und die anderen Heiden auf dem Spiel stand: Die Erkenntnis und Anerkenntnis des einen, wahren und lebendigen Gottes zum Heil.
4.4.6.7 Schluss Schon der ermittelte traditionelle Hintergrund für die Formulierung dikaiîn tÕn ¢sebÁ hatte dafür gesprochen, diese Aussage – entgegen allen Bedenken mancher Exegeten – tatsächlich als auf Abraham bezogen zu verstehen. Aber auch aus dem Text selber dürfte es bei genauer Betrachtung keine Zweifel an dieser Entscheidung geben. Denn zum einen geht es mit der Einleitung in V.1.2 ganz eindeutig um die Diskussion der Person und der Geschichte Abrahams zur Gotteserkenntnis. Und insofern ist auch V.4.5 nicht anders zu verstehen, als dass hier im Rahmen dieser Diskussion etwas über Gottes Handeln an Abraham aussagt wird171. Zum anderen wird mit denselben oder ähnlichen Worten und in gleicher bzw. ähnlicher syntaktischer Struktur die Schriftaussage von Gen 15,6 über Abraham und Gott in V.3 hier in V.5 wiederholt, so dass auch von 170 Vgl. H. Moxnes, Theology, 103. 171 Vgl. N. Calvert-Koyzis, Paul, 125.
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daher 4,5 als Reformulierung von Gen 15,6 und damit als Nacherzählung der Abrahamgeschichte zu verstehen ist. Somit ist insgesamt deutlich, dass es in V.4.5 um die Abwehr des menschlichen Abrahamverständnisses des ™x œrgwn ™dikaièqh aus V.2 und um die Erläuterung des von der Schrift bezeugten göttlichen Abrahamverständnisses von V.3 geht und nicht um eine davon losgelöste („christliche“) Diskussion. Denn nur an der konkreten Diskussion der Abrahamfigur kann Paulus „Beweise“ und Unterstützung für seine These gewinnen, nicht aber mit damit nicht in Zusammenhang stehenden allein auf seinen Überlegungen fußenden weiteren Thesen. Und so bezieht sich zusätzlich überhaupt das ganze Kapitel Röm 4 auf die Abrahamgeschichte, und Ausnahmen werden in V.6–8 und V.24f deutlich gekennzeichnet.
4.4.7 Röm 4,6–8: Ein Davidpsalm als Garant für die theologische Interpretation der Abrahamgeschichte In V.6 ist mit der Formulierung kaq£per ka… angezeigt – zumal mit einem nachfolgenden, weiteren Schriftzitat –, dass eine Bestätigung oder Parallele zu dem bisher Gesagten angeführt wird und somit nichts eigentlich Neues172. Damit ist eine fortlaufende Weiterentwicklung von Gedanken anhand der Abrahamgeschichte zunächst einmal unterbrochen. Das bedeutet wiederum auch, dass in V.3–5 zunächst die entscheidenden Aussagen entwickelt und formuliert worden sind, gleichsam als Exposition oder generelle Richtungsaussage für das Folgende. Damit wird aber noch einmal die Bedeutung und das Gewicht von 4,5 mit seiner partizipialen Gottesprädikation unterstrichen, die so zu einer Kernaussage wird und den Punkt markiert, den Paulus aus der Abrahamgeschichte herausziehen will. Und so wird mit dem Davidpsalm Ps 31,1fLXX ein Text eingebracht, der zum einen mit seinem explizit genannten Autor (V.6) über Abraham hinaus eine weitere – ähnlich grundlegende und wichtige – Person der biblisch-jüdischen Tradition anführt173 und der zum anderen einen wei172 Vgl. auch D.-A. Koch, Schrift, 222. 173 Vgl. A.J. Guerra, Romans 4, 258. – Eine streng alternative Diskussion, ob hier David als wichtige biblische Person Abraham an die Seite gestellt wird (U. Wilckens, Römer 1, 263: Abraham und David treten „Seite an Seite“) oder ob der Inhalt des Zitates das entscheidende Argument ist (M. Neubrand, Abraham, 212f), geht an der Sache vorbei. Inhaltlich ist klar, dass log…zesqai bestimmt wird und darüber weiter die Abrahamgeschichte mit ihrer Darstellung von Art und Weise des sich an Abra-
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terer Beleg aus einem anderen Teil der Schrift für die paulinische Position des rechten Schriftverständnisses/Gottesverständnisses liefert. Damit geht es zunächst einmal um Autoritäts- und Evidenzvermehrung. Schon einmal im Verlauf der Argumentation des Briefes, in 3,4, hatte ein die Davidsgeschichte explizit reflektierender Davidpsalm wichtige Aussagen und Klärungen hinsichtlich des Verständnisses des in der Diskussion stehenden Gottes gebracht174. Und in dieser Hinsicht sind die Einleitung von V.6 und das Zitat selbst auch hier zu untersuchen. Denn wie wir gesehen hatten, betont das Zitat das Handeln Gottes und macht es zum Thema, indem es über die Aufnahme des in Gen 15,6 die Seite Gottes repräsentierenden ™log…sqh dieses weiter bedenkt175. In der paulinischen Einleitung in V.6 greift die Bezeichnung makarismÒj die Terminologie aus dem Zitat selbst auf und markiert wiederum den Aspekt des Heils; es geht um das Heilshandeln Gottes. Der angefügte Relativsatz ist dann nichts anderes als eine Reformulierung von V.5 unter Auslassung von pisteÚein/p…stij: Die Gott implizit – als Objekt des Glaubens bzw. als logisches Subjekt – repräsentierenden Elemente tÕn dikaioànta und log…zetai e„j dikaiosÚnhn werden in V.6 zum Ð qeÕj log…zetai dikaiosÚnhn transformiert; das m¾ ™rgazomšnJ ist – ebenso wie das ¢sebÁ als außerhalb des Gesetzes stehend – durch das cwrˆj œrgwn (nÒmou) wiederaufgenommen176. Damit sind die Unterschiede zu V.5 und die Aussageabsicht von V.6 benennbar: Die Aktivität und die Seite Gottes werden – über die partizipiale Formel von 4,5 noch hinaus – unterstrichen, indem Ð qeÒj in V.6 explizit genannt wird und mit der Transformierung des Passivs aus V.5 in ein mediales – und als deponens medium damit in der Bedeutung aktives – log…zetai in V.6 Gott nun auch grammatisches Subjekt wird. Mit dem cwrˆj œrgwn (nÒmou) bleibt die Charakterisierung des Handelns Gottes konstant gehalten in ihrer Unabhängigkeit von dem Gegenüber: jüdische Lebensweise/außerhalb eines durch das Gesetz abgegrenzten Raumes. Es fehlt darüber hinaus signifikanterweise die p…stij bzw. das pisteÚein als das dem Menschen zugehörige und eine Aktivität des Menschen benennende Element des log…zesqai und damit des Handelns Gottes. Stattdessen wird das log…zesqai Gottes durch das Zitat aus Ps 31,2LXX bestimmt als m¾ log…shtai ¡mart…an. Diese Bestimmung wird unterstrichen ham grundsätzlich zeigenden Handelns Gottes. Insofern aber diese Bestimmung als „Nichtzurechnung der Sünde“ aus dem Munde Davids vor dem Hintergrund eigener Erfahrung kommt, verleiht seine Person dieser Klärung Autorität. 174 Vgl. oben 2.4.3. 175 Vgl. oben 4.4.3. 176 Vgl. auch U. Wilckens, Römer 1, 263.
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durch den mitzitierten V.1 des Psalmes, der vom Vergeben der Gesetzlosigkeiten und dem Bedecken der Sünde durch Gott spricht. Nun ist für das Verständnis und die Funktion dieses Zitates und seiner Einleitung noch zu bedenken, dass es eindeutig nicht als ein von der Abrahamgeschichte unabhängiger, additiver Einschub zur Legitimation einer paulinischen Aussage aus einer weiteren Quelle zu sehen ist, sondern klar mit Bezug auf die Abrahamgeschichte und um ihrer weiteren Verdeutlichung willen angeführt ist. Darauf weist nicht nur seine Stellung innerhalb der Diskussion um die Abrahamgeschichte hin, die vor und nach dem Zitat stattfindet, sondern auch die Reformulierung der in V.5 über die Abrahamgeschichte gemachten Aussagen in V.6 und nicht zuletzt die explizite Identifizierung des Makarismus u.a. durch oátoj mit dem Heilshandeln Gottes an Abraham in V.9. Somit kann nur mit dieser Funktionsbestimmung der „Verdeutlichung der Abrahamgeschichte“177, die bei den meisten Exegeten fehlt178, der Sinn des Zitates innerhalb der Argumentation vollständig erfasst werden. Was an der von Paulus schon konturierten Darstellung der Abrahamgeschichte noch zusätzlich verdeutlicht werden soll, ergibt sich aus den genannten Änderungen von V.5 zu V.6–8: Neben der genannten weiteren Hervorhebung Gottes ist es in erster Linie die Ersetzung der p…stij/pisteÚein bei der Bestimmung des log…zesqai durch das m¾ ¡mart…an – wieder mit ausdrücklicher Erwähnung Gottes über kÚrioj. Damit hat nicht die p…stij – bzw. pisteÚein – „im Makarismus Davids seine Stimme“, wie U. Wilckens vermutet179, sondern dieser Begriff fehlt gerade hier und ist Opfer der Ersetzung durch m¾ ¡mart…an geworden. Damit ist deutlich, dass es bei der Verdeutlichung hinsichtlich der Abrahamgeschichte nicht um eine Hervorhebung von p…stij/pisteÚein geht, sondern aufgrund sei177 Vgl. N. Calvert-Koyzis, Paul, 136, die explizit benennt, dass sich der Makarismus inhaltlich auf Abraham bezieht. 178 Vgl. nur U. Wilckens, Römer 1, 263, der als Bedeutung für das Zitat nur ein „Seite an Seite“-Treten von David und Abraham festmachen kann. – G. Saß, Leben, 384 hat durchaus Richtiges gesehen, wenn er meint: „Das Zitat aus Y 31,1f ist jedoch nicht allein ein zweites Zeugnis der Schrift, sondern zugleich eine (nach 1,18–3,20) sachlich notwendige Ergänzung zu Gen 15,6, mit der Paulus die Motive Rechtfertigung und Sündenvergebung miteinander verbindet. Denn das Motiv der Sündenvergebung kann aus der Abrahamgeschichte nicht aufgewiesen werden“. – Richtig ist dabei, dass Y 31,1f mit Gen 15,6 und Röm 4,5 die Abrahamgeschichte erläutert. Allerdings nicht im Sinne eines neuen Gedankens, sondern im Sinne einer Verdeutlichung, einer Explizitmachung, denn wir hatten gesehen, dass aus der Abrahamgeschichte aufgewiesen werden kann, dass Abraham als ¢seb»j gerechtfertigt wird und auch genannt wird, dass seine Sünden dabei vergeben werden (gegen K. Berger, Abraham, 66). Es muss also nur ein Element der Tradition betont und gegenüber anderen Interpretationen klargestellt werden. 179 U. Wilckens, Römer 1, 263.
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ner Ersetzung um eine inhaltliche Klärung des mit p…stij/pisteÚein und seiner Verknüpfung mit dem Stichwort log…zesqai Ausgesagten. Es wird textintern hervorgehoben, was aus der Argumentation schon deutlich geworden sein sollte, hier aber noch jedes Missverständnis ausschließend explizit gemacht werden soll: Das, worauf es ankommt bei dem richtigen Verständnis der Abrahamgeschichte, ist das als grundsätzlich vorgestellte souveräne Handeln Gottes, und zwar das von sich ausgehende, nicht in einer Entsprechung oder Folge zu einem menschlichen Handeln stehende Handeln Gottes, insofern nämlich die im Eingangszitat von Gen 15,6 beim ™log…sqh genannte menschliche Aktivität bei der Bestimmung des log…zesqai in V.6–8 auch wegfallen kann180. „Paulus bekämpft damit das sprachlich näherliegende Verständnis von Gen 15,6, wonach die gläubige Haltung von Gott anerkannt wird (…) und mit dem Bundesschluss (…) belohnt wird.“181 Herausgestellt wird somit dikaiîn tÕn ¢sebÁ als die grundsätzliche göttliche Handlung, die im mak£rioj des m¾ log…zesqai ¡mart…an ihre Entsprechung hat. Seine vollständige Bedeutung bekommt aber das m¾ log…zesqai ¡mart…an als Erklärung des log…zesqai e„j dikaiosÚnhn in der Ersetzung des ¹ p…stij log…zesqai dann durch seinen textexternen Bezug auf die im Raume stehenden (4,2a) übrigen antik-jüdischen Deutungen der Abrahamgeschichte. Denn diese halten, verbunden mit dem sprachlich naheliegenden Verständnis einer Reaktion Gottes ein Verständnis bzw. eine Möglichkeit der Deutung der p…stij Abrahams bereit, die von Paulus für die von ihm vorgelegte Deutung der Abrahamgeschichte ausgeschlossen werden muss: ein Verständnis, nach dem die p…stij Abrahams als eine Haltung und/oder ein Tun Abrahams ein Element auf der menschlichen Seite ist, an dem Gott sein Handeln als eine Reaktion orientiert mit einer Belohnung, indem er diesem Element Wert beimisst, dadurch, dass er es anrechnet – zur Gerechtigkeit. Dieses Verständnis des log…zesqai Gottes als Reaktion auf eine menschliche Tat findet sich etwa auch in Ps 106,31; Jub 30,17; TestL 6. In der Abrahamtradition wird die p…stij als dieses menschliche, die Reaktion Gottes auslösende und damit primäre Element umso deutlicher, wenn die p…stij oder das pisteÚein mit einer konkreten menschlichen Aktivität bestimmt und ausgemalt werden kann, wie etwa durch die Verbindung mit Gen 22 in Sir 180 Damit wird erneut deutlich, dass es in Röm 4 weniger um die menschliche Seite und die p…stij als Bestimmung menschlichen Handelns geht als um Gottes ihn selbst grundsätzlich charakterisierendes Handeln. Gegen etwa D. Starnitzke, Struktur, 168f, der bei David – ähnlich wie U. Wilckens (vgl. Anm. 173) – die hier gar nicht vorhandene p…stij einträgt, um zu der von ihm vorgenommenen Themenbestimmung zu kommen; vgl. K. Berger, Abraham, 66 u.v.a.m. 181 K. Haacker, Paulus, 141.
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44,19–21; 1Makk 2,52 (über peirasmÒj/peir£zein (Gen 22,1)), Jub 17; Jak 2,21–23; Hebr 11,17–19; auch Neh 9,8182. Dem aus dem Zitat von Gen 15,6 sich sprachlich nahelegenden und in der biblisch-jüdischen Tradition (auch) repräsentierten Verständnis des log…zesqai e„j dikaiosÚnhn Gottes als Reaktion auf eine menschliche Handlung, die selbst damit zum primären Element wird, und die sich in der antik-jüdischen Abrahamtradition eben in der p…stij Abrahams wiederfinden kann, setzt Paulus das ebenfalls aus der Schrift entnommene Verständnis des log…zesqai e„j dikaiosÚnhn Gottes als m¾ log…zesqai ¡mart…an gegenüber. Gottes log…zesqai e„j dikaiosÚnhn ist also nicht das Anrechnen irgendeines menschlichen Äquivalentes (p…stij), sondern Nichtanrechnen von Sünde – und damit eine allein von Gott ausgehende Aktivität ohne jede menschliche Anknüpfungsmöglichkeit. Ein di¦ toàto wie in Sir 44,21 für das log…zesqai bzw. das Heilshandeln Gottes an Abraham, das auch unter der Überschrift von mn»sqhte t¦ œrga tîn patšrwn § ™po…hsan (1Makk 2,52) benannt werden kann, wird damit abgelehnt und ausgeschlossen. Dadurch wird aber klargestellt, dass das an der Abrahamgeschichte erkennbare, Gott grundsätzlich charakterisierende Handeln Gottes nicht auf einem menschlichen Verhalten fußt oder als eine Reaktion darauf zu verstehen ist. Vielmehr ist das menschliche Handeln weder das Primäre noch spielt es überhaupt irgendeine Rolle, sondern es gilt allein die Handlung Gottes, die eine von sich ausgehende, souveräne, allein im Entschluss Gottes liegende und allein von Gott selbst angestoßene Aktion ist183. Wenn man auf BerR 39,8 schaut mit Gottes Aktivität der Wegnahme der an Abraham haftenden Sünde, wird deutlich, dass diese spezielle paulinische Interpretation der Abrahamgeschichte durch die nach dem Verständnis jüdischer Hermeneutik völlig legitime Verbindung des log…zesqai von Gen 15,6 und Ps 31,2LXX einen Anknüpfungspunkt an der Tradition hat. Der Davidpsalm ist für diese Korrektur bzw. die Klärung dieser Stelle der Abrahamgeschichte insofern geeignet, als an keinem geringeren als David in der jüdischen Tradition exakt das explizit festgemacht wird, was Paulus hier für die Interpretation der Abrahamgeschichte braucht: dass David nicht aufgrund von Werken, d.h. eines verdienten menschlichen Anknüpfungspunktes – was eben bei Abraham als Missverständnis noch möglich wäre –, sondern aus unverdienter Gnade Vergebung und damit Heil von Gott erlangt hat (MTeh 3,4; 40,2; 51,1; 51,3; bSanh 107a.b; SifDev 26)184. 182 Vgl. G.N. Davies, Abraham, 155f; K. Haacker, Paulus, 141; ders., Römer, 98. 183 Vgl. auch J.H. Neyrey, God, 121.124. 184 Vgl. C. Thoma, David, 386; sowie K. Haacker, Römer, 103.
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Zudem steht Ps 32 in PesR 45185 und bJoma 86b186 im Zusammenhang mit dem Jom Kippur, so dass seine Rolle durchaus als nicht randständig innerhalb der jüdischen Tradition angesehen werden kann, so wie David natürlich die Figur schlechthin ist, die zur Markierung und Illustration von Gottes unverdientem Handeln, seinem Heilshandeln am Sünder dienen kann. Damit können wir für die Verknüpfung von Abrahamtradition und Davidpsalm in 4,1–8 zusammenfassen: Paulus wählt Abraham, weil an ihm erkennbar wird, wer der Gott Israels ist, besonders auch im Zusammenhang der Frage von Juden und Heiden, und weil Gen 15,6 mit p…stij zunächst auch die von Paulus für Gott angeführte Alternative zu nÒmoj (im Sinne der jüdischen Lebensweise) und poie‹n liefert. Paulus kann aus der Abrahamgeschichte deutlich machen, dass Gott der ist, der mit Menschen außerhalb und unabhängig vom Gesetz Heil beginnt und somit an den Heiden handelt. Im Rahmen der Tradition könnte über die Verknüpfung von p…stij und log…zesqai das Missverständnis entstehen, dass dieses Handeln Gottes an Menschen, die wie Abraham zunächst außerhalb der Basis des Gesetzes stehen, seinen Grund und Anlass in einer menschlichen Aktivität hat, der entsprochen wird und die als eine auf den Gott Israels ausgerichtete Lebensführung verstanden werden könnte. Damit wäre die in 3,29.30 ausgesagte uneingeschränkte Zuwendung Gottes zu den Heiden gefährdet. Mit Hilfe des Davidpsalmes kann Paulus diesen Punkt entschärfen, indem er das log…zesqai Gottes in diesem Punkt näher bestimmen kann als kein menschliches Entsprechungselement enthaltend, weil es Gottes aus eigener Motivation, unabhängig von jeder menschlichen Aktivität geschenktes Heil für den Sünder, d.h. für den Menschen in voraussetzungsloser Situation, ist. Auf diese Weise ist auch das Stichwort ¢seb»j vor einem Missverständnis als eines zwar außerhalb des Gesetzes stehenden, aber an seiner Rechtfertigung irgendeinen menschlichen Anteil habenden Heiden – sei es durch erste Verdienste aufgrund seiner Suche nach Gott im Sinne eines sebÒmenoj/foboÚmenoj oder eine andere Affinität zur jüdischen Lebensweise – bewahrt. Wie Abraham nach BerR 39,8 echte Schuld aus seinem heidnischen Dasein aufzuweisen hat und damit auf Gottes Handeln angewiesen ist, so ist jeder Heide ein echter Sünder, wie das auch – ebenfalls transportiert durch den Davidpsalm – jeder Übertreter des Gesetzes, d.h. 185 Vgl. U. Wilckens, Römer 1, 263; Strack/Billerbeck II, 202f; C.E.B. Cranfield, Romans I, 234 Anm. 4. 186 Vgl. G. Jankowski, Hoffnung, 104.
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jeder Jude ist. Indem so für den Menschen aus dem Zitat aus Gen 15,6 und der Abrahamtradition, noch weiter als in deren Interpretation von V.4.5d ohnehin schon geschehen ist, die Möglichkeiten des Voraussetzung bietenden Handelns entfernt werden hin zum Ausschluss jeglicher Mitwirkung aufgrund des Fehlens der p…stij und jeglichen Elementes eines menschlichen Handelns beim log…zetai V.6 in der Einleitung zum Zitat des Davidpsalms, wird die Seite Gottes noch weiter herausgestellt und zum alleinigen und einzigen Grund erhoben. Dadurch erfährt die p…stij – anders als in Gal 3 – tatsächlich eine nicht ganz einfach zu fassende inhaltliche Bestimmung, indem sie einerseits in der Beschreibung von Gottes Heilshandeln am Menschen völlig fehlen kann und damit nicht als menschliche Aktivität, die eine göttliche Entsprechung und Reaktion beanspruchen kann, verstanden werden kann. Diese Stoßrichtung findet in 11,32 mit der Nennung von Gottes souverän-prädestinatorischem Handeln ihren Widerhall. Andererseits aber wird p…stij/pisteÚein doch genannt als das Element im Gegensatz zu nÒmoj/™rg£zesqai, das die Menschen darin, wie Gott an ihnen handelt, unterscheidet (vgl. tù dÑ m¾ ™rgazomšnJ pisteÚonti V.5), und p…stij/ pisteÚein wird zum Anknüpfungspunkt und Element dieses Handelns (log…zetai ¹ p…stij a§toà V.5). Interessant ist angesichts dieser unklaren Bestimmung von p…stij/ pisteÚein ein Blick auf die Besonderheit der nicht gewöhnlichen Konstruktion in 4,5: pisteÚein + ™p… (+ Akkusativ) lässt sich nämlich semantisch gegenüber anders konstruierten Aussagen mit p…stij/pisteÚein profilieren im Sinne von „eine Entscheidung treffen“, „etwas als wahr anerkennen“187, folglich auch im Sinne von „Glaubensentschluß, […] Bekehrung“188, „Bekenntnis“ (Lk 24,25 (mit Dativ); Act 11,17; 22,19; 1Tim 1,16 (mit Dativ); Hebr 6,1)189. Dies wird dadurch unterstützt, dass diese semantische Profilierung besonders für Paulus zutrifft, da Paulus sonst pisteÚein vorwiegend absolut gebraucht, wodurch die besondere Funktion der pisteÚein-Konstruktionen hier unterstrichen wird190. Diese semantische Profilierung von p…stij/pisteÚein hier im Sinne von „Entschluss zu glauben“ und von „Akzeptanz, Anerkennung als wahr“ passt sowohl 187 Der Bedeutungsaspekt des „Für-Wahr-Haltens“ des pisteÚein in unserem Zusammenhang wird bestätigt auch durch das synonym verwendete plhrofore‹n in 4,21; vgl. dazu unten 4.4.10. 188 U. Wilckens, Römer 1, 263; vgl. auch J. Jeremias, Glaubensverständnis, 53; E. Brandenburger, Pistis, 178ff; – vgl. dazu oben 4.4.6.6. mit Anm. 164. 189 Vgl. auch ™pistršfein + ™p… + Akkusativ (Act 11,21 u.ö.) bzw. p…stij/pisteÚein + prÒj + Akkusativ (1Thess 1,8). 190 Vgl. dazu auch unten 4.4.10. und Anm. 164.187.188; sowie H. Moxnes, Theology, 109.
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auf Abraham in 4,5 als auch auf die (Heiden-)Christen der paulinischen Gemeinden in 4,24. Damit wird aber deutlich, welche Funktion der p…stij und dem pisteÚein in unserem Zusammenhang zukommen: Verbunden mit den paulinischen Gottesaussagen geht es um den Aspekt der Anerkennung Gottes, so wie Paulus ihn in seiner Rede profiliert, also um die Zustimmung zum paulinischen Gottesbild: „Die p…stij Abrahams, die Gott ihm zur Gerechtigkeit angerechnet hat, ist also der Glaube an Gott als den, der den Frevler rechtfertigt“191. Wir können nun einige bisher formulierte Aussagen zur Rede von Gott in Röm 4 noch präziser fassen: Es werden hier an der Abrahamtradition in Kombination mit weiteren Schriftzitaten grundsätzliche Aussagen über Gott gemacht, die Gottes Handeln als ein Handeln aufweisen, das unabhängig von der menschlichen Wirklichkeit nur in Gott begründet ist und das nur darauf basiert, wie Gott ist und sein will. Als Grund und Argument gilt allein Gott. Das war schon mit dem ¢ll' o§ prÕj qeÒn (V.2) angedeutet. Damit wird aber zugleich die partizipiale Formel Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ in ihrer grundlegenden und entscheidenden Bedeutung für die Argumentation unterstrichen. Dies geschieht zusätzlich zu ihrer grammatischen Form durch die in V.6–8 stattfindende Verabsolutierung, bei der die Formel von pisteÚwn ™p… losgelöst wird, insofern dieses in V.6–8 einfach dadurch als nicht entscheidend für die Formel erklärt wird, dass es nicht wieder aufgegriffen wird, während die Formel Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ selber aber durch ihre sachliche Parallele in V.8 bestätigt wird. Ein so dargestelltes Handeln Gottes, welches zum einen als ihn grundsätzlich charakterisierend bezeichnet werden kann und das zum anderen unabhängig von jedem menschlichen Anknüpfungspunkt absolut gesetzt wird, macht dann nämlich deutlich, dass Gottes allem vorausgehender Wille und seine souveräne Wirklichkeit der entscheidende Grund und das bestimmende Argument der Darstellung sind, wie es auch in der partizipialen Gottesprädikation zum Ausdruck kommt.. Dazu passt dann wiederum die Bestimmung des pisteÚwn + ™p… + Akkusativ im Sinne der Anerkennung Gottes in seiner ihn grundsätzlich charakterisierenden Handlungsweise, das eben weniger die Funktion der Bestimmung des menschlichen Anteils beim log…zesqai Gottes übernimmt als die, die geforderte Stellung – nämlich Anerkennung und Zustimmung – zum entworfenen paulinischen Gottesbild zu markieren.
191 U. Wilckens, Römer 1, 263.
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4.4.8 Röm 4,9–16: Verdeutlichung, explizites Ziel und Universalität Nachdem mit der Verdeutlichung des Begriffes log…zesqai das Handeln Gottes in seiner charakteristischen und grundlegenden Weise und als das jenseits aller menschlichen Aktivität bestimmende Element anhand der Abrahamgeschichte freigelegt ist, werden in V.9–16192 nun die Implikationen explizit gemacht. Die gewonnenen Aussagen werden unmissverständlich auf die Fragestellung von 3,29.30 bezogen und das Argumentationsziel, für das sie eingesetzt werden, wird mehrmals ausdrücklich benannt. Das wird daran deutlich, dass in V.9 mit oân ein Neueinsatz signalisiert wird, dass mit peritom» und ¢krobust…a (V.9) die konkreten Begriffe 'Iouda…oi und œqnh aus der Ausgangsfrage von 3,29.30 wieder aufgenommen werden und dass sich dreimal der finale Infinitiv mit e„j tÒ findet (V.11(2x).16). Dabei können wir verfolgen, wie sich die von uns zu 4,1–8 gemachten Beobachtungen hier bestätigen. Dem genannten Charakter des Abschnittes entsprechend wird in V.9 in Analogie zu der Frage von 3,29.30 nun die Frage gestellt, ob dieses bisher ermittelte, von menschlichem Tun (der Tora) unabhängige, Gott grundsätzlich charakterisierende Heilshandeln Gottes – denn nichts anderes repräsentiert der Makarismus hier – sich auf Juden oder Heiden bezieht. Wurde in 3,29 nach Gott selbst gefragt, so ist es hier sein Heilshandeln, das im Hinblick auf seine Exklusivität für die Juden zur Debatte steht. – Daraus wird einmal mehr deutlich, dass Gott aus seinem Handeln erkannt wird. – Die Formulierung mit ka… im Sinne von „auch“ macht dabei wieder den Charakter der Fragestellung und die Stoßrichtung der Argumentation, die wir schon festgestellt haben, deutlich: Im Fokus stehen die Heiden, die die eigentliche Zielrichtung der Argumentation als das eigentliche Problem des paulinischen Universalismus darstellen, aber sozusagen „rückwirkend“, weil es um Universalismus und das Hinzukommen und die Einheit von Juden und Heiden geht, betreffen die Aussagen auch die Juden. Dabei ist die folgende Wiederholung des Zitates von Gen 15,6 keine inhaltliche Antwort, sondern ihm kommt die Funktion des Rückverweises an die Abrahamgeschichte zu: Der Begründungszusammenhang des Davidpsalms, der sein Ergebnis für die Vereindeutigung der Abrahamgeschichte geliefert hat, wird nun verlassen, und die weitere Klärung der Frage ist wieder anhand der Abrahamgeschichte selbst 192 So machen viele Kommentare, die Röm 4 gliedern, hier einen Einschnitt. Vgl. z.B. U. Wilckens, Römer 1, 264.
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vorzunehmen. Das Zitat tritt nun auch insofern anders auf als bei der ersten Zitation, als ihm durch die Verbindung und Interpretation mit Ps 31,1fLXX eine mögliche Interpretationsrichtung – und aus paulinischer Sicht eine Möglichkeit des Missverständnisses – genommen wurde, weil die Bestimmung der p…stij als ein primäres, den Impuls setzendes menschliches Element ausgeschlossen und das Zitat von Gen 15,6 in V.3 als theo-logisches Statement befestigt wurde. Paulus kann das Zitat nun also unbesorgt verwenden. In V.10 wird nach dem ersten Rückverweis an die Abrahamgeschichte in V.9 die dort formulierte Frage mit der Formulierung pîj oân ™log…sqh konkret auf die Abrahamgeschichte mit ihrem entscheidenden Teil bezogen, von dort ist die Antwort zu erwarten. Dabei wird durch die Frage nach dem Stichwort log…zesqai – und eben nicht nach dem p…stij/ pisteÚein – erneut bestätigt193, dass die Diskussion über die Seite Gottes und sein ihn grundsätzlich bestimmendes Handeln geht und nicht über das Tun und Lassen des Menschen. Es ist die Frage nach Gott für Juden und Heiden aus 3,29, auf die hier nun das passivum divinum aus Gen 15,6 die Antwort gibt: Gott hat an dem unbeschnittenen Abraham gehandelt. Diese Antwort ergibt sich zwingend und mühelos aus allem, was wir oben zur Abrahamtradition gesagt haben, und wird auf der Ebene des nÒmoj im Sinne des Pentateuchs/der Schrift (3,31) klar und einfach ohne irgendeine weitere Hilfe aus Tradition und Exegese dadurch ausgesagt, dass Gen 15,6 zeitlich vor Gen 17,10ff und damit vor allem vor Gen 17,24 liegt. Möglicherweise wird dieses Argument zusätzlich dadurch unterstützt, dass auch in der Abfolge der Texte im Tanach Gen 15,6 vor Gen 17 liegt und damit die wichtigere Aussage darstellt, weil die Abfolge der Texte ihre Bedeutung markiert, so wie die Tora vor den Propheten als die für das Judentum wichtigere Aussage steht194. Insofern Beschneidung und Vorhaut die Identität und den Unterschied von Juden und Heiden aussagen, ergibt sich für die Beantwortung der paulinischen Frage von 3,29 aus Gottes heilvollem Handeln an dem unbeschnittenen Abraham sein heilvolles Handeln an den und für die Heiden. In der Weise, wie die Frage von 3,29 und Gottes Handeln an Abraham paradigmatisch sind, ist auch sein Heilshandeln an den und für die Heiden ein ihn grundsätzlich charakterisierendes Handeln. Das korreliert natürlich mit der partizipialen Gottesprädikation von V.5, und 193 Vgl. auch oben 4.4.4. 194 Vgl. dazu K. Haacker, Römer, 103.
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das Verständnis von ¢seb»j in seiner Hauptzielrichtung auf die Heiden hin wird bestätigt. Damit ist das an der Abrahamgeschichte mit dem Davideinschlag entwickelte grundsätzliche Handeln Gottes als der gegenüber der menschlichen Wirklichkeit entscheidende Maßstab hier in einer weiter an Abraham erfolgten Konkretisierung zugleich noch weiter ausgeführt und als Antwort auf die Frage von 3,29 angewendet. Daraus wird deutlich, dass Paulus’ grundsätzliches theo-logisches Arbeiten sich auf die Frage nach den Heiden bezieht und auf diese zielt und dass die gewonnenen Gottesaussagen sich eben nicht auf eine nur innerjüdische Theologie begrenzen lassen. Im weiteren Verlauf der Argumentation in V.11ff scheinen nun die Aussagen über Gott vollständig zurückzutreten, bis sie in V.17 wieder aufgenommen werden195. Dabei ist es zwar völlig zutreffend, dass eine pronominale Rekurrenz oder Renominalisierung der Lexeme qeÒj bzw. kÚrioj, die in V.2–8 in ziemlicher Dichte aufgetreten sind, fehlt, dennoch ist Gott aber implizit Gegenstand von Aussagen in V.11–16, und zwar nicht nur als Geber des shme‹on und als logisches Subjekt von logisqÁnai in V.11. Anzuführen sind vielmehr auch die finalen Infinitive mit e„j tÒ und natürlich auch das Stichwort ™paggel…a. Denn wer anders als Gott ist der Urheber der in den drei finalen Infinitiven in V.11.16 gemachten Bestimmungen und hat sie als das seiner grundlegenden Absicht entsprechende Ziel festgesetzt, das sein Handeln in der Abrahamgeschichte mit den von Paulus akzentuierten Spezifika bestimmt? Stellt man diese drei finalen Bestimmungen nebeneinander, so ergibt sich ein einheitliches Bild: e„j tÕ eÌnai a§tÕn patšra p£ntwn tîn pisteuÒntwn di' ¢krobust…aj – e„j tÕ logisqÁnai a§to‹j dikaiosÚnhn – e„j tÕ eÌnai beba…an t¾n ™paggel…an pantˆ tù spšrmati (o§ tù ™k toà nÒmou mÒnon). Sie zielen alle auf die Heiden als Adressaten des Heilshandelns Gottes. Somit verbirgt sich in den drei finalen e„j tÒ + Infinitiv-Konstruktionen Gottes fundamentale Absicht, auch die Heiden als Ziel seines heilvollen Handelns in den Blick zu nehmen und so auch ein Gott für die Heiden zu sein. Bemerkenswerterweise drehen sich dabei unter der Hand die bisher gängige Reihenfolge und das Verhältnis von Juden und Heiden als Adressaten des Heilshandelns Gottes um196: In der Konstruktion des 195 Vgl. z.B. a.a.O., 105–108, wo in der Auslegung dieser Verse das Wort Gott nur zweimal vorkommt. 196 Dementsprechend geht auch der Titel der Untersuchung von M. Neubrand zu Röm 4 – abgesehen von der Unterbestimmung Gottes in der Argumentation – genau am Befund von Röm 4 vorbei: „Abraham – Vater von Juden und Heiden“. Vielmehr müsste man zutreffend – wenn man nicht überhaupt sachgemäßer „Abraham – Er-
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finalen Infinitivs von V.11.12 werden nämlich zuerst die pisteÚontej di' ¢krobust…aj genannt und darauf hin wird – wie sonst für die Heiden üblich – mit ka… die gleiche Bedeutung Abrahams auch für die peritom» angeschlossen. Auch hierin zeigt sich die Frage nach Gott und dem Heil für die Heiden als der eigentliche Zielpunkt der Argumentation. In die gleiche Richtung wie die drei finalen Infinitive weisen auch das Stichwort und der Inhalt der mit Abraham verbundenen ™paggel…a (V.13). Mit Gott als ihrem ungenannten Urheber (vgl. V.21)197 drückt auch sie Gottes Absicht und Motivation in der Abrahamgeschichte aus. Und wiederum zielt auch sie auf die Heiden, wenn auch in stärker inklusiver und universaler Manier als es zumindest bei den ersten beiden der genannten drei e„j tÒ + Infinitiv-Bestimmungen der Fall ist. Als Inhalt der Verheißung ist tÕ klhronÒmon a§tÕn eÌnai kÒsmou angegeben. Dahinter steht die Landverheißung an Abraham, die mit ihrem Auftreten auch in Gen 15,7 ein integraler Bestandteil dessen ist, was wir als Gründungsmoment der Abrahamgeschichte ausgemacht haben. Schon in der antik-jüdischen Tradition ist die Landverheißung, ermöglicht durch die Doppelbedeutung von #ra und entsprechend ¹ gÁ – als „Land“ und „Welt“ und durch gegenseitige semantische Beeinflussung mit der Verheißung einer zahlreichen, universalen Nachkommenschaft (Gen 12,3; 13,14198; 17,6; 18,18), universalistisch ausgeweitet und verstanden worden als Erbe der als Weltkörper bzw. Menschheit199 verstandenen gÁ bzw. des kÒsmoj (Sir 44,21; Jub 17,3200; 19,21)201. Gerade durch die Abrahamverheißungen von Gen 12,3; 17,5f; 18,18 jeweils mit œqnh, unterstützt auch durch Gen 13,16, kann die Landverheißung als Verheißung des Erbes – und d.h. als zu Abraham gehörend – des Kosmos im Sinne der ihn bewohnenden Menschheit verstanden werden202. Dieses Verständnis ist also ohne weiteres möglich und braucht an dieser Stelle von V.13 auch gar nicht weiter erläutert oder dargestellt zu werden, weil spätestens aus V.16 durch ™paggel…an pantˆ tù spšrmati, pat¾r p£ntwn ¹mîn und aus dem Zitat von Gen 17,5 in V.17 deutlich wird, dass der
197 198 199 200 201 202
kenntnisgrund für Gottes Handeln“ o.ä. formuliert – genau umgekehrt titeln: „Abraham – Vater von Heiden und Juden“. Zu diesem Fehlverständnis führt auch, dass M. Neubrand die Bedeutung von 4,5 als auf den Heiden Abraham sich beziehend nicht gesehen hatte (a.a.O., 210). Anders Gal 3,8, wo die Schrift die Größe ist, die verheißt; vgl. oben 4.4.5. Vgl. auch K. Haacker, Römer, 107. Vgl. M. Wolter, gÁ, 1888. Vgl. auch K. Haacker, Römer, 107. Vgl. dazu auch G. Saß, Verheißungen, 390. Vgl. auch M. Wolter, gÁ, 1888.
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in V.13 angegebene Inhalt der Verheißung so zu verstehen ist203. Und so werden diese paulinischen Anführungen wie so oft abgeschlossen durch ein Schriftzitat, das die Aussage explizit benennt und sie so autorisiert und heraushebt als nÒmoj im weiteren Sinne (3,31), als den in der Schrift niedergelegten Willen Gottes. Diese Rolle übernimmt hier in V.17 Gen 17,5 als Rede Gottes für die von Paulus implizit mittels der drei finalen Infinitive mit e„j tÒ und der ™paggel…a angeführte Aussage, dass Gott mit der Abrahamgeschichte von Anfang an (auch) die Heiden im Blick hatte und in ihr das Heil für die Heiden bzw. seine Absicht dazu konstituiert hat. Damit sind wir aber wieder bei der galatischen Parallele, bei der, wie schon gesagt, in Gal 3,8 als explizites Ziel für die Abrahamgeschichte Gottes Absicht genannt wird, den Heiden als Heiden Heil zu verschaffen204. Neben dem Zitat von Gen 17,5, den finalen Infinitiven mit e„j tÒ und der ™paggel…a macht auch das Syntagma in V.16 o§ tù ™k toà nÒmou mÒnon als Erläuterung des pant…, das in der Verneinung zugleich die ausgeschlossene Alternative mit anzeigt, das Telos aller paulinischen Theologie manifest. Dieses finale Telos ist damit natürlich der Auslöser für alle übrigen theologischen Aussagen, die ihm funktional zugeordnet sind und letztendlich keinen absoluten Wert an sich haben: Es geht um die Ausweitung des Heils des Gottes Israels hin zu einem Universalismus, der die Ausgrenzung dieses Heils allein für Israel aufhebt und es ungeachtet seiner seine ethnische Identität markierenden Lebensweise allen Menschen zukommen lässt205. Dieses Telos wird in Gal 6,15f von Paulus selbst als der Kanon seiner Theologie bezeichnet. Diese inklusive Universalität, in die das Hereinholen der Heiden mündet und die eben Heiden und Juden beide als gleichberechtigt zusammenschließt, ist im übrigen auch der Schlüssel für das richtige Verständnis von V.11.12 mit dem shme‹on œlaben peritomÁj sfrag‹da: Der Sinn der 203 G. Saß, Verheißungen, 392 meint, dass man die Formulierung nur schwer konkretisieren könne im Blick auf ihren Inhalt. Dabei ist aber der entscheidende Punkt bei der Verwendung von kÒsmoj im vorliegenden Zusammenhang doch wohl nicht, dass das Wort eine „allgemeine Benennung universalen Heiles“ ist, sondern dass es die gesamte, ungeteilte Menschheit signifiziert. Abrahams Erbe ist die ungeteilte Menschheit im Heil, wie es Gen 12,3 heißt (so auch H. Moxnes, Theology, 247ff; M. Neubrand, Abraham 253). – Richtig hat G. Saß gesehen, dass klhronom…a ktl. bei Paulus ein „eindeutig eschatologisch ausgerichteter Begriff“ ist (a.a.O., 391) – womit die universale Menschheit des Heils, die Abraham verheißen wird, eine eschatische Größe ist – wie sie sich eben jetzt im Anbruch des Eschatons nach der Auferweckung Jesu von den Toten und der Ausgießung des Geistes (Joel 3) zu realisieren beginnt. 204 Vgl. oben 4.4.5. 205 Vgl. D. Boyarin, Jew, 22f.228 u.ö.
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Erwähnung und Behandlung der peritom» Abrahams liegt hier weniger in dem Ziel ihrer Abwertung und Neutralisierung im Hinblick auf ihre Bedeutung und Voraussetzung für das Heil (der Heiden)206, denn das alles ist ja schon ausreichend bis V.10 geschehen. Außerdem wird V.11 nicht mit ¢ll£ oder einer anderen einschränkenden Konjunktion eingeleitet, sondern mit ka…. Damit kann es aber nicht um eine Abwertung der peritom» gegenüber dem log…zesqai ™n ¢krobust…v gehen, weil die Bestimmung der peritom» durch shme‹on bzw. sfrag…j hier nicht über ¢ll£ semantisch reduktiv erfolgt. Vielmehr wird hier stattdessen die peritom» als Mittel Gottes dargestellt, die Universalität von Abrahams Vaterschaft und Gottes Heil auch für die Juden zu garantieren207. Denn aufgrund der klaren, alternativen Aussage von V.10, dass eben nicht ™n peritomÍ, sondern ™n ¢krobust…v das log…zesqai erfolgte, könnte die logische Folgerung und das Missverständnis entstehen, dass die Juden aufgrund ihrer peritom» von diesem log…zesqai Gottes ™n ¢krobust…v und damit von dem an Abraham sichtbar gewordenen Heil Gottes ausgeschlossen seien. Um diesem Missverständnis zu begegnen und – im Hinblick auch auf die mit Abraham verbundene Universalität von V.16 – die Universalität des Heils und die Vaterschaft Abrahams nicht nur für die Heiden, sondern auch für die Juden zu sichern, werden V.11.12 angefügt mit der Erwähnung der peritom». Der Sinn von V.11.12 liegt also in dem ersten ka… von V.12, das die Juden mit ins Boot holt. Um die Universalität für Juden und Heiden gleichermaßen zu sichern, geschieht dementsprechend in V.11.12 folgendes: Es wird in V.11a unter Rekurrenz auf V.3–10 durch tÁj dikaiosÚnhj tÁj p…stewj tÁj ™n tÍ ¢krobust…v zunächst gesichert, wofür das Siegel steht, nämlich für ein Heil, das unabhängig von der peritom» ist und den Heiden zukommen kann. In diesem Punkt wird die peritom» von V.10 herkommend tatsächlich eingeschränkt, indem deutlich wird, dass die peritom» als Siegel bzw. Zeichen mit dem Inhalt des Siegels bzw. mit dem Bezeichneten nichts gemein hat. Das ist nötig, weil der Punkt der Verbindung von peritom» und Heil so brisant ist. Der Inhalt/das Bezeichnete ist nun der Art, dass es den Grund für die finale Bestimmung des Heils für die Heiden legen 206 So aber die meisten Ausleger: E. Lohse, Römer, 152; D. Starnitzke, Struktur, 171; K. Haacker, Römer, 103; G. Klein, Römer 4, 154ff; U. Wilckens, Römer 1, 265; G. Baumbach, Abraham 42f u.v.a.m. – M. Neubrand, Abraham, 222f wendet sich zwar gegen ein pauschales Verständnis von V.11a im Sinne einer Abwertung der Beschneidung, sieht aber nicht, dass Paulus das Siegel der Beschneidung hier positiv verwendet, um das Heil Gottes, was an Abraham dem Heiden erklärt wurde, auch für die glaubenden Juden zu sichern. 207 Vgl. G. Jankowski, Hoffnung, 105; F.-W. Marquardt, Bekenntnis, 206; auch K. Berger, Abraham, 69.
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kann (e„j tÕ eÌnai ¢utÕn patšra p£ntwn tîn pisteuÒntwn di' ¢krobust…aj V.11). Die eine Seite, die heidnische Seite der Universalität ist gesichert. Das shme‹on peritomÁj sfrag‹da wird nun mit ka… angefügt, um die mit Abraham verbundene Implikation der Universalität und das Heil, das seiner Art und seinem Inhalt nach mit der peritom» und dem Judesein selber gar nichts zu tun hat, auch für die (glaubenden) Juden zu sichern. Gottes Vergabe des Siegels an Abraham, der bisher eher als Garant Gottes für die Heiden auftrat, legt den Grund für die finale Bestimmung des Heils – das ist die Fortführung des e„j tÕ eÌnai a§tÒn von V.11 in V.12 mit kaˆ patšra – auch (ka… V.12a) für die Juden. Durch diese Tat der Gabe des Siegels der Beschneidung für das Heil der Heiden an Abraham hat Gott Abraham auch zum Vater der (glaubenden) Juden werden lassen. Er hat die Bedeutung Abrahams auch für die (glaubenden) Juden hergestellt und die Bedeutung und Wirksamkeit dieses Heiles, das ein Heil der Heiden (V.5 dikaioànta tÕn ¢sebÁ; V.10 ™log…sqh o§k ™n peritomÍ ¢ll' ™n ¢krobust…v) ist, auch für die (glaubenden) Juden gesichert. Damit hat er die Universalität des Heils des einen Gottes befestigt. Durch diese Bedeutung von V.11.12 wird noch einmal bestätigt, dass die gesamte Argumentation von Röm 4 vornehmlich auf die Heiden zielt – und dass demnach auch ¢seb»j in V.5 als „Heide“ verstanden werden kann: Paulus muss hier sogar eine Bremse einbauen, um die von ihm avisierte Universalität des von Schrift und Tradition ausgesagten Heiles des Gottes Israels, die nur in der Verankerung in und unter dem Einbezug der alttestamentlich-jüdischen Tradition bewiesen und nur durch die Einheit von Juden und Heiden garantiert werden kann, nicht nach der Seite der Juden hin aus den Augen zu verlieren208. Diese hier avisierte Universalität wird in V.16 verdeutlicht, indem dort durch die Formulierung des o§ tù ™k toà nÒmou mÒnon Abrahams Bedeutung und Gottes Verheißung auch für die noch nicht glaubenden Juden ausgesagt und offengehalten wird, ebenso wie durch das offene pat¾r p£ntwn ¹mîn. Das alles ist als grundlegender Wille und Absicht Gottes der Abrahamgeschichte zu entnehmen. Und in diesem Sinne geht es in der paulinischen Anführung der Abrahamgeschichte auch insofern um die Erkenntnis Gottes und die Frage nach Gott – und eben nicht um die Frage nach dem Menschen –, als mit den finalen Infinitiven, der Anführung der ™paggel…a und von Gen 17,5 deutlich gemacht wird, dass die Abrahamgeschichte nicht eine losgelöste, zweckfreie Episode zwischen Gott und Abraham ist, sondern eine dem grundsätzlichen Willen Gottes zugeord208 Vgl. Gal, wo Paulus u.a. mit der Abrahamargumentation die Kontinuität zu und den Einschluss Israels tatsächlich aus den Augen zu verlieren droht (3,8.14.29; 4,21–31).
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nete funktionale Bedeutung hat. Sie hat stattgefunden wegen ihrer Rolle in Gottes am Anfang stehender Absicht mit den Heiden, die Israel nicht vernachlässigt. Auch dieser Aspekt der über sich und Israel in Richtung der Heiden und des Heils für sie hinausweisenden Funktion Abrahams, die natürlich auch zusammenhängt mit der Diskussion und Funktion von Abraham als erstem Proselyten, liegt sowohl im Alten Testament als auch in der antik-jüdischen Tradition bereit und kann auch als Wille Gottes akzentuiert werden. Neben Gen 17,5 kann für das Alte Testament natürlich verwiesen werden auf Gen 12,3 und Gen 18,18 mit explizitem Ausweis als Idee Gottes im vorausgehenden Vers und als Einleitung zur Rettung von Heiden in Sodom und Gomorra. Zudem sei verwiesen auf die oben angeführten Stellen BerR 53,9 und PesR 43,4209, wo die aufgrund der Geburt Isaaks fließende Milch Sarahs, die ja insofern ein reines und originäres Werk Gottes ist, zu einem Heilsgut wird, das nicht nur die Heiden herbeiruft, sondern an dem sie auch in relativ freier Weise – indem sie Gott fürchten – Anteil bekommen.
4.4.9 Röm 4,17: qeÒj Ð zJopoiîn toÝj nekroÝj
kaˆ kalîn t¦ m¾ Ônta æj Ônta In 4,17 treffen wir auf eine Kombination von zwei weiteren Gottesaussagen, die insofern als herausgehoben und als in einer Reihe mit der Aussage von 4,5 stehend gelten können, als sie ebenfalls als partizipial formulierte Gottesprädikationen Gottes grundsätzliches Handeln darstellen und zudem ebenso im Zusammenhang mit pisteÚein stehen. Im Gegensatz zu der Gottesaussage von 4,5 ist es bei den beiden partizipialen Wendungen Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj und kalîn t¦ m¾ Ônta æj Ônta nicht nötig nachzuweisen, dass es sich hier um Aussagen im Rahmen der Tradition des antiken Judentums, ja um traditionelle Gottesaussagen des Judentums handelt. Besonders die erste Aussage Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj findet sich nicht nur im Alten Testament (Dtn 32,29; Neh 9,6; 1Sam 2,6; Ps 71,20; Jes 26,19 u.ö.), sondern z.B. auch in der zweiten Bitte des Schemone Esre: ~ytmh hyxm210 (bBer29a; cf. jBer 4.8a)211. Damit kann 209 Vgl. oben 4.4.6.2. 210 Diese Prädikation findet sich sowohl in der palästinischen wie in der babylonischen Rezension. Vgl. O. Holtzmann, Berakot, 11.13. 211 Vgl. dazu K. Herrmann, Shemone, 1279f; P. Schäfer, Gottesdienst, 404–409. Genaue Datierungen für das Shemone Esre sind schwierig, es ist aber deutlich, dass ein sehr langer Prozess seiner Bildung „Jahrhunderte vor der Tempelzerstörung begann und erst mit der Redaktion in Jabne zu einem (vorläufigen) Abschluss gelangte“ (P. Schä-
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sie aber als prominente jüdische Gottesaussage bezeichnet werden, und sie stellt auch eine echte liturgische Formel dar. Beide Aussagen sind aber in der bisherigen Exegese weitgehend als bloße Schöpfungsaussagen aufgefasst worden212. Aufzuzeigen ist deshalb, wie sie im Zusammenhang der Bedeutung Abrahams für die Heiden verstanden werden können und welche Funktion sie in der Beweisführung dafür einnehmen, dass Gott ein auch grundsätzlich für die Heiden wirkender Gott und dass das Hinzukommen der Heiden somit nach Schrift und Tradition rechtmäßig ist.
4.4.9.1 Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj Zunächst soll die erste Aussage in Augenschein genommen werden, beginnend mit einem Blick auf das Alte Testament. Dabei ist zuerst einmal festzustellen, dass die Aussage des Lebendigmachens dazu dient, die Singularität und Einzigartigkeit Gottes und somit seine Gottheit zu markieren, so etwa in Neh 9,6 und Dtn 32,39. Bemerkenswert ist, dass sich in Neh 9,6 an dieses Bekenntnis zum zJopoie‹n Gottes unmittelbar ein Hinweis auf sein Handeln an Abraham anschließt. Desweiteren kann festgestellt werden, dass die Aussage im Zusammenhang des heilvollen Handelns Gottes für sein Volk oder für den Einzelnen, seiner Hilfe und Rettung steht, vgl. Ps 71,20 u.ö.213. Bezeichnend ist nun der Kontext, in dem sich die Aussage des die Toten lebendig machenden Gottes – hier mit zJogone‹n formuliert – in fer, Gottesdienst, 408; vgl. auch J. Petuchowski, Geschichte, 413ff), und es ist auch begründet anzunehmen, dass es schon früh einen wichtigen Bestandteil des synagogalen Gottesdienstes bildete (vgl. P. Schäfer, a.a.O., 404; ähnlich auch J. Heinemann, Prayer, 22). 212 Vgl. E. Lohse, Römer, 155f; U. Wilckens, Römer 1, 273ff, der sogar JosAs 8,9 anführt (174) und von einem Bekehrungszusammenhang spricht, aber die Aussagen letztendlich auf die „Schöpferkraft Gottes“ bezieht, ohne einen Zusammenhang zum Hinzukommen der Heiden herzustellen; vgl. auch ders., Rechtfertigung, 47, wo die Formel betont auf die eschatische Totenauferweckung bezogen wird; K. Haacker, Römer 108f, der eine Verbindung von Schöpfung und Auferweckung betont und eine Rettung aus Not andeutet. In die richtige Richtung eines „ekklesiologischen“ Verständnisses geht aber andeutungsweise D. Zeller, Römer, 103 wiederum mit der Anführung eines Beleges aus JosAs 20,7, ohne diesen in der angedeuteten Hinsicht zu verfolgen und auszuwerten. Strikt gegen jeden Versuch, Schöpfungsaussagen auf die Rechtfertigung zu beziehen: K. Berger, Abraham, 72 Anm. 50; G. Klein, Gerechtigkeit, 1–12. E. Käsemann, Römer, 116f sieht die Wichtigkeit der Aussagen, ihm geht es dann aber um einen eher dogmatischen Zusammenhang von Gottes Schöpfungs- und Rechtfertigungshandeln, gefolgt von P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 227 und C. Müller, Gerechtigkeit, 53.97– 100. – Vgl. dazu auch H. Moxnes, Theology, 103–107. 213 Auch Jes 26,19. Vgl. H. Moxnes, Theology, 236.
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1Sam 2,6214 findet. Hier steht die Aussage im Rahmen sogenannter Umkehrungsaussagen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Gott die bestehenden menschlichen Ordnungen und Verhältnisse durchbricht und umkehrt, vom Kopf auf den Fuß stellt. Das Lied der Hannah, dessen Teil die Aussage von 1Sam 2,6 ist, enthält nun Umkehrungsaussagen par exellence: 1Sam 2 1 Mein Herz ist voll Freude über den Herrn, große Kraft gibt mir der Herr. Weit öffnet sich mein Mund gegen meine Feinde; denn ich freue mich über deine Hilfe. 2 Niemand ist heilig, nur der Herr; denn außer dir gibt es keinen (Gott); keiner ist ein Fels wie unser Gott. 3 Redet nicht immer so vermessen, kein freches Wort komme aus eurem Mund; denn der Herr ist ein wissender Gott, und bei ihm werden die Taten geprüft. 4 Der Bogen der Helden wird zerbrochen, die Wankenden aber gürten sich mit Kraft. 5 Die Satten verdingen sich um Brot, doch die Hungrigen können feiern für immer. Die Unfruchtbare bekommt sieben Kinder, doch die Kinderreiche welkt dahin. 6 Der Herr macht tot und lebendig (kÚrioj qanato‹ kaˆ zJogone‹), er führt zum Totenreich hinab und führt auch herauf. 7 Der Herr macht arm und macht reich, er erniedrigt, und er erhöht. 8 Den Schwachen hebt er empor aus dem Staub und erhöht den Armen, der im Schmutz liegt; er gibt ihm einen Sitz bei den Edlen (kaq…sai met¦ dunastîn laîn), einen Ehrenplatz weist er ihm zu (kaˆ qrÒnon dÒxhj kataklhronomîn a§to‹j). Ja, dem Herrn gehören die Pfeiler der Erde; auf sie hat er den Erdkreis gegründet.
Mehrere Aspekte können am Lied der Hannah deutlich werden für die semantischen Implikationen der Aussage des die Toten lebendig machenden Gottes: Die Aussage steht im Lied der Hannah unter der Einleitung und Überschrift der Singularität und damit der Gottheit Gottes (V.2). Sie wird zugleich im Text gestützt und in den Zusammenhang gestellt mit dem Schöpfungshandeln Gottes (V.8), und sie steht „in einem Kontext, der das souveräne Auserwählen Gottes zum Thema hat“215. Als ein Ziel der Umkehrungsaussagen und des Auserwählens kann man in V.8 lesen, dass der bisher ausgegrenzte und am Rande stehende Mensch aus dem Status des Nicht-Wohls – und für das Alte Testament damit sicher auch verstehbar als aus dem Status des Nicht-Heils – erhoben wird und gleichgestellt wird mit den Menschen, die ihm vom Status her überlegen 214 Vgl. dazu auch H. Moxnes, Theology, 234ff. 215 K. Berger, Missionsliteratur, 246 – ohne dass er die Bedeutung für Röm 4,17 erkennt und erwähnt.
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sind, in den Status des Wohles und Heiles hinein. Man muss nicht, aber man kann sehr gut V.8 so als Ziel des göttlichen Umkehrungshandelns lesen216. Für den Zusammenhang der Argumentation von Röm 4 ergibt sich daraus: Bei der Frage danach, wer Gott ist, hält die Tradition bereit, die Aussage vom (die Toten) lebendig machenden Gott in die Antwort mit einzubeziehen (vgl. auch Neh 9,6 u.ö.)217. Dabei wird deutlich, dass der Ursprung für diese Aussage das Schöpfungshandeln Gottes sein kann, dass aber diese Aussage in ihrer Funktion dabei nicht stehen bleibt, sondern auf eine solche Statusveränderung von Unterprivilegierten und deren Gleichstellung mit den Privilegierten zielt, die leicht auch rezipiert und verstanden werden kann hin auf das Thema der Israels Privilegien entbehrenden Heiden, die dann von Gott in denselben Status des Heils wie sein privilegiertes Volk erhoben und so mit diesem gleichgestellt werden218. Eine ähnliche Lektüre ist auch für 2Kön 5,7 möglich: 2Kön 5 7 … und er sagte: Bin ich Gott, der die Macht hat, zu töten und lebendig zu machen (toà qanatîsai kaˆ zJopoiÁsai), daß dieser zu mir sendet, einen Menschen von seinem Aussatz zu befreien (¢posun£xai ¥ndra ¢pÕ tÁj lšpraj a§toà)?
Auch hier dient der Begriff zJopoie‹n dazu, Gottes Gottheit zu markieren in seiner Differenz und seinem Kontrast zum Menschsein. Insofern legt sich der Rekurs auf die Gottesaussage des zJopoie‹n gerade auch dann nahe, wenn über Gottes Wirklichkeit im Gegensatz zur menschlichen Wirklichkeit gesprochen werden soll, wie es mit ¢ll' o§ prÕj qeÒn in Röm 4,2 angezeigt ist. Das Ziel der durch das zJopoie‹n angezeigten Möglichkeit Gottes ist in 2Kön 5,7 die Heilung vom Aussatz. Die Heilung vom Aussatz ist aber gleichbedeutend mit der Integration eines aus der menschlichen Gemeinschaft ausgegrenzten Menschen in die menschliche Gemeinschaft219. Das 216 Vgl. F. Stolz, Samuel, 30, der das Eingreifen Gottes vom Tod zum Leben in seiner Bedeutung für den sozialen Aspekt betont sieht. Vgl. auch S. Schroer, Samuelbücher, 44. 217 Vgl. H.J. Stoebe, Samuelis, 104, der die „Entschlossenheit der theologischen Aussage …, die alles Geschehen allein und ausschließlich in Jahwes Allmacht begründet sieht“, herausstellt. 218 Vgl. etwa auch Gal 6,15, wo die explizite Erwähnung der Schöpfung dazu dient, die Umkehrung bzw. Einebnung von bisherigen Statusdifferenzen zu begründen und das Heil für die Nichtbeschnittenen, die Heiden auszusagen. – Vgl. dazu auch J.D.G. Dunn, Galatians, 342f. 219 Das wurde nicht gesehen von H. Moxnes, Theology, 240, der somit die Bedeutung dieses von ihm nur am Rande erwähnten Textes unterschätzt.
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ist ein Aspekt, der nicht zusätzlich oder von außen in die Aussage von 2Kön 5,7 hineingetragen ist, sondern sowohl im Hebräischen des Tanach als auch im Griechischen der LXX ausgedrückt wird durch das jeweils für die Befreiung vom Aussatz verwendete Verb. Das im Hebräischen verwendete Verb @sa ist in seiner Grundbedeutung „einsammeln“ verbunden mit der Partikel !m auch zu einem Terminus für die mit der Heilung vom Aussatz verbundene Wiedereinführung, Aufnahme des vormals Kranken in die menschliche Gemeinschaft220 geworden. Ähnliches gilt für das Griechische mit ¢posun£gein, das als Bildung von ¢pÒ + sun£gein die Bedeutung des „Zusammenführens“, „Aufnehmens in die menschliche Gemeinschaft“221 mit der Trennung vom Aussatz verbindet. Somit ist auch dieses mit dem zJopoie‹n verbundene Ziel Gottes auslegbar und rezipierbar auf die unreinen, aus der jüdischen Gemeinschaft des Heils ausgeschlossenen Heiden hin, die durch den zJopoiîn von dem, was sie von Gott trennt, gereinigt und weggeführt und gesammelt, in die Gemeinschaft des Heils aufgenommen werden (vgl. Ez 29,13)222. Dies wird noch dadurch unterstrichen, dass es sich bei dem zu heilenden Naaman um einen Nichtisraeliten (2Kön 5,1.17) handelt. Als letzter der alttestamentlichen Belege soll Dtn 32,39 in den Blick genommen werden: Dtn 32 39 Seht nun, daß ich, ich es bin und kein Gott neben mir ist (kaˆ o§k œstin qeÕj pl¾n ™moà)! Ich, ich töte und ich mache lebendig (™gë ¢poktenî kaˆ zÁn poi»sw), ich zerschlage und ich, ich heile; und es gibt keinen, der aus meiner Hand rettet!
Auch hier steht die Aussage des zÁn poie‹n in dem Zusammenhang der Beschreibung Gottes als Gott, der hier mit zum entscheidenden Moment des Kontextes der Aussage wird, geht es doch im Moselied auch um die vergleichslose Einzigartigkeit des Gottes Israels. Dabei markiert V.39 mit seinen Aussagen des Tötens und Lebendigmachens, des Zerschlagens und Heilens und des Gott Bedingungslos-Ausgeliefert-Seins die unbegrenzte und absolute Souveränität des Gottes Israels, der alle Fäden des Handelns frei und nach seinem Willen ohne jeglichen Bezug oder Vergleich zu einer weiteren Wirklichkeit in seinen Händen hält. Auch dies ist ein Aspekt des Lebendigmachens Gottes223, der als Argument für das nach menschlich-jüdischem Ermessen nur schwer vorstellbare bedingungslose Hinzukommen der Heiden verwendet werden 220 221 222 223
#bq #bq
Vgl. E. Jenni, , 585. Vgl. H. Frankemölle, sun£gw, 701f. Vgl. P. Mommer, , 1149. Vgl. H.J. Stoebe, Samuelis, 104.
Analyse der Aussagen über Gott
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kann: Dass nämlich Gott als Gott so unabhängig und unterschieden von jeder anderen und damit auch menschlichen Wirklichkeit ist, so souverän und mächtig, dass er unabhängig von menschlichen Überlegungen und Vorstellungen frei ist zu handeln. Und dieser Argumentationsstrang findet sich ja auch in dem genannten Zusammenhang tatsächlich im Römerbrief wieder, – abgesehen von 4,17 – etwa in 9,14ff224 und 11,32225, wie ja auch im bisherigen Verlauf der paulinischen Relecture der Abrahamgeschichte Gott als der Handelnde hervorgehoben und herausgestellt wurde. Diese Stoßrichtung der Gottesaussage des Lebendigmachens der Toten ist so stark, dass sie unbedingt mitgeltend gemacht werden muss bei der Lektüre und dem Verständnis von 4,17. Dabei tut dem angeführten Verständnis von Gottes absoluter und freier Souveränität zugunsten des Handelns auch an den Heiden überhaupt keinen Abbruch, dass im ursprünglichen Kontext – im hebräischen Text noch deutlicher als in LXX – die Gottesaussage auf die Bindung des Gottes Israels an sein Volk in Opposition zu den Heiden bezogen ist. Denn in Röm 15,10 zitiert Paulus aus demselben Text, dem Moselied, den nur vier Verse entfernten Beginn von Dtn 32,43 in der im Hinblick auf die Heiden abgemilderten LXX-Fassung, um das Hinzukommen der Heiden und die universale Einheit von Juden und Heiden als schriftgemäß und -gegeben zu legitimieren. Auch das ist ein weiteres Argument dafür, dass Paulus bei der Gottesaussage des lebendigmachenden Gottes von 4,17 durchaus den in der eben genannten Stoßrichtung verstandenen Gedanken der Souveränität Gottes von Dtn 32,39 mit im Auge gehabt hat. Somit reicht allein dieses aus dem Alten Testament erhobene Potential der Aussage vom lebendigmachenden Gott schon aus, um deutlich werden zu lassen, warum und wozu Paulus diese Aussage rezipiert: nicht etwa, um Schöpfung und Rechtfertigung dogmatisch in einen Zusammenhang zu bringen226, sondern um ein weiteres theo-logisches Argument für seine Verkündigung von der Zuwendung des Gottes Israels zu den Heiden und deren Eintritt in die Heilssphäre des Gottes Israels zu liefern. Er bringt einen Gottesbeweis aus der Tradition für seine Verteidigung der Verkündigung, die die Gottesfrage auf den Plan gebracht hatte (3,29) und als deren Grundlage er Gottes Handeln in der Abrahamgeschichte angeführt hat. 224 Vgl. dazu unten 5.3.3. 225 Vgl. dazu unten 6.2.1.2.3. 226 So etwa P. Stuhlmacher, Gerechtigkeit, 227; ders. Römer, 70; C. Müller, Gerechtigkeit, 100; E. Käsemann, Römer, 117.
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Eine solche inhaltlich-funktionale Bestimmung der Formel von 4,17 wird aber noch weiter erhärtet und gestützt dadurch, dass es mit JosAs in den Texten des antiken Judentums Belege gibt, in denen die Aussage des die Toten lebendigmachenden Gottes genau auf das Thema des Hinzukommens von Heiden zum Volk Israel hin explizit gemacht wird227: Joseph wehrt Aseneths Kuss mit der Begründung ab, dass nur eine Gott verehrende228 Frau einen Gott verehrenden Mann küssen könne, und spricht im sich anschließenden Bittgebet um Aseneths Konversion und Aufnahme in das Judentum die folgenden Worte: JosAs 8229: 10 „Herr, der Gott meines Vaters Israel, der Höchste, der Starke (Ð dunatÒj) des Jakob, der da lebendigmachte (Ð zJopoi»saj230) die Dinge alle und rief (kalšsaj) von der Finsternis in das Licht und vom Irrtum in die Wahrheit und von dem Tode in das Leben (kaˆ ¢pÕ qan£tou e„j t¾n zw»n), du Herr [einige Hss. fügen hier ein: zJopo…hson kaˆ231] segne diese Jungfrau, 11 und wiedererneuere sie mit deinem Geiste, und wiederforme sie mit deiner Hand der verborgenen, und wiederlebendigmach sie mit deinem Leben (¢nazJopo…hson tÍ zwÍ sou), und sie esse Brot deines Lebens und trinke den Kelch deines Segens, und zähle dazu sie deiner Nation (tù laù sou), die du auserwähltest, bevor wurden die Dinge alle, und sie gehe hinein in deine Ruhe, die du bereitest deinen Auserwählten, und sie lebe in deinem ewigen Leben in die Ewigkeit-Zeit.“
Die Aussage und Deutlichkeit dieses Beleges lässt nichts zu wünschen übrig. Das göttliche Potential des Lebendigmachens soll sich erneut und aktuell darin manifestieren, dass Gott die Heidin Aseneth vom Tod ins Leben ruft, was semantisch bestimmt wird durch verschiedene Metaphern des Anteils am Heil und der Gemeinschaft Gottes und durch die eigentliche Rede von ihrer Aufnahme in Gottes erwähltes Volk, ins Judentum232. Damit wird deutlich, dass die Formulierung zJopoie‹n toÝj nekroÚj verstanden werden kann als metaphorische Rede für die den Wechsel von einem Unheils- in den Heilsstatus umfassende Aufnahme von Heiden ins Judentum233 – auch wenn es auch hier selbstverständlich her227 Diese Einordnung von JosAs als Literatur über das Hinzukommen der Heiden ist deutlich gesehen worden von K. Berger, Missionsliteratur, 232–248. Die Bedeutung von JosAs 8,10 in diesem Zusammenhang für Röm 4,17 ist von Berger aber nicht gesehen worden. 228 foboÚmenoj – und damit eine Opposition zu ¢seb»j. 229 In der Übersetzung von C. Burchard, Joseph. 230 Andere Hss. lesen Ð zwopoiîn. 231 Vgl. C. Burchard, Joseph, z.St. 232 Vgl. dazu jetzt R.D. Chesnut, Death, 98–103 u. passim. 233 Das ist kaum gesehen worden: schon für die Formel selbst nicht (anders K. Berger, Missionsliteratur, 233, der aber jeglichen Bezug zu Röm 4,17 bestreitet (Abraham, 72 Anm. 50)) – und schon gar nicht für den Zusammenhang von Röm 4,17. Auch z.B. nicht von G. Delling, Gottesprädikationen, 31f, der die Formel in Röm 4,17 allein auf
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rührt aus dem Zusammenhang des Schöpfungshandelns Gottes, in dem es seinen Ursprung hat. Bemerkenswert ist dabei auch, dass dieser Heilsstatus des Judentums hier als qeoseb»j bezeichnet wird. Damit wird natürlich unser Verständnis von ¢seb»j aus 4,5 auf einen Heiden hin ebenso unterstützt wie auch unser Verständnis des gesamten Handelns Gottes in Röm 4 als die Heiden zum – traditionell durch die Juden markierten – Heilsstatus führend. Diese Offenheit Gottes für alle Menschen und sein Handeln zugunsten von sündigen, gottlosen Heiden, die er in seine Heilsgemeinschaft hineinnimmt, wird unterstrichen durch das Gottesprädikat aus JosAs 13,1 kÚrioj Ð mÒnoj fil£nqrwpoj. Durch die vielfachen und intensiven Schuldbekenntnisse Aseneths wird deutlich, dass Gottes Hereinnahme in die Heilsgemeinschaft tatsächlich an einer heidnischen Sünderin erfolgte: dikaiîn t¾n ¢sebÁ – Röm 4,5. Die somit ermittelte Bedeutung von zJopoie‹n wird bestätigt durch JosAs 12,1, wo Aseneth selbst ihr eigenes Bittgebet um ihre Annahme bei Gott beginnt mit der Prädikation Gottes als des lebendigmachenden Schöpfers, und durch JosAs 20,7, wo in dem Bericht über die Reaktion von Aseneths Eltern, als sie ihrer bekehrten Tochter Aseneth ansichtig werden, sich die Formel des die Toten lebendigmachenden Gottes in genauer wörtlicher Parallele zu Röm 4,17 findet: JosAs 20: 6 Und es kamen ihr Vater und Mutter und all ihre Verwandtschaft von dem Ackergut ihres Erbteils und sahen die Aseneth wie eine Gestalt des Lichts, die bereits geschehene Totenauferweckung Christi und die zukünftige Auferweckung der Toten bezieht. C. Böttrich, Rede, 70 mit Anm. 72 sieht die Formel als einen „Brückenschlag zu philosophischen Spekulationen“; auch D. Starnitzke, Struktur, 176, der sie christologisch und auf die Empfängnis Isaaks deutet; M. Neubrand, Abraham, 287f erwähnt zwar den Zusammenhang der Heidenmission – ohne dies aber etwa auf der Grundlage der antik-jüdischen Tradition weiter deutlich zu machen. Und S.J. Gathercole, Boasting, 243 hat die Bedeutung der Formel nicht erkannt, wenn er meint, als Schaffen aus dem Nichts und ohne Voraussetzungen markiere sie die Frontstellung des Paulus gegen eine meritorische, auf Entsprechung angelegte Soteriologie. Dass sich die Formel vielmehr als mit dem Zusammenhang des Eintritts von Heiden in den Raum des Heiles des Gottes Israels verbunden erweist, bestätigt erneut, dass S.J. Gathercole u.a. mit ihrer Bestimmung der Frontstellung der paulinischen Argumentation falsch liegen. Zugleich können wir gegenüber einer mit einer solchen falschen Frontstellung verbundenen Diastase von Paulus und dem Judentum hier erneut tiefgehende Beziehungen zwischen Paulus und der vielfältigen antik-jüdischen Tradition feststellen. – U. Wilckens, Römer 1, 274 erwähnt zwar den Zusammenhang der Bekehrung und bezieht das auch auf Abraham als den ersten Proselyten, bleibt dann aber dabei stehen und sagt nichts über die Bedeutung für die Argumentation und den Zusammenhang von Gott und den paulinischen gemischtchristlichen Gemeinden. D. Sänger, Verkündigung, 147f sieht zwar den Zusammenhang zwischen Schöpfung und Bekehrung, meint dann aber seltsamerweise, Gott als Schöpfer könne nur christologisch erkannt werden – wiewohl von Christus in 4,1–22 gar nicht die Rede ist.
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und es war ihre Schönheit wie himmlische Schönheit, und sie sahen sie sitzend mit dem Joseph und angezogen mit einem Kleide der Hochzeit. Und sie erstaunten über ihre Schönheit und freuten sich und gaben die Herrlichkeit Gott (kaˆ œdwkan dÒxan tù qeù), der da lebendigmacht die Toten (tù zJopoioànti toÝj nekroÚj). Und nach diesen Dingen aßen sie und tranken und waren fröhlich.
Der Text gestaltet sich so, dass die Eltern eine Schönheit ihrer Tochter erkennen, die aufgrund von V.6 unzweifelhaft als eine durch die Bekehrung erwirkte und ermöglichte Schönheit zu bestimmen ist. Die Reaktion der Eltern, Gott als den zJopoiîn toÝj nekroÚj zu preisen, ist damit begründet und motiviert durch das Sehen der Bekehrungsschönheit der Tochter, so dass die Erkenntnis des die Toten lebendigmachenden Gottes für die Eltern auf nichts anderem beruht als auf der Erkenntnis der positiven Veränderung ihrer Tochter durch die Bekehrung, und damit die Rede vom zwopoie‹n toÝj nekroÚj nichts anderes ist als die metaphorische Umschreibung des Handelns Gottes bei der Bekehrung der Tochter, d.h. also die Hereinnahme einer Heidin in die Heilsgemeinschaft234. Damit haben wir aber einen Traditionshintergrund für Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj aufgewiesen, in dem die Formel nicht nur Gottes singuläre Gottheit, seine Hilfe und sein Umkehrungshandeln zugunsten des Heils für bisher außerhalb des Heils Stehende markieren kann, sondern der auch ein gängiges Verständnis der Formel als Gottes Hereinholen von Heiden in die Heilsgemeinschaft aufweist.
4.4.9.2 Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj als Bekehrungshandeln Gottes in Röm 4 O. Hofius hat nun diesen Bedeutungszusammenhang für die paulinische Verwendung der Gottesprädikationen von Röm 4,17 bestritten und stattdessen behauptet, die Aussage des zJopoiîn sei auf die eschatologische Totenauferweckung hin zu verstehen235. Eine Begründung wird allerdings von O. Hofius nicht angeführt, sie soll offensichtlich darin bestehen, dass die Formel des Ð zJopoiîn toÝj nekroÚj nach O. Hofius gleichbedeutend ist mit dem Ð ™ge…rwn toÝj nekroÚj von 2Kor 1,9, das für O. Hofius ebenso wie Röm 4,17 „auf die eschatologische Totenauferweckung bezo234 Dieser Text ist von H. Moxnes, Theology, 237 Anm. 24 nur als Beleg für die Formel zJopoiîn toÝj nekroÚj angeführt worden, von ihm aber in seiner Bedeutung als weiterer Beleg für die Verwendung der Formel im Zusammenhang des Bekehrungshandelns Gottes an den Heiden übersehen worden. 235 Vgl. O. Hofius, Gottesprädikationen, 60.
Analyse der Aussagen über Gott
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gen[.]“ ist, und darin, dass auch in den Makkabäerbüchern die „totenerweckende Macht Gottes“ auf die eschatische Auferweckung der Toten gemünzt ist236. Während es also für das von O. Hofius angeführte Verständnis keine wirkliche, mit dem Text in Zusammenhang stehende Begründung gibt, ist hingegen das von uns angeführte Verständnis des zJopoie‹n auf das von Gott ermöglichte Hinzukommen von Heiden in die Sphäre bzw. Gemeinschaft seines Heils durch mehrere Elemente des Textes Röm 4 selber angezeigt: Es geht in der Argumentation von Röm 4 nirgendwo um irgendwelche eschatischen Früchte der Rechtfertigung237 oder um die zukünftige Auferweckung der Toten. Vielmehr ist der vom Text selber markierte Argumentationszusammenhang der der Diskussion von Gottes Handeln für die Heiden und eines durch ihn initiierten und ermöglichten Eintretens von Heiden in das nach bisherigem Verständnis Israel reservierte Heilshandeln Gottes und damit in den der Gemeinschaft Israels reservierten Heilsraum Gottes238. Damit liegt es aber überaus nahe, der Aussage des zJopoiîn in diesem Zusammenhang eben eine solche Bedeutung und Funktion zuzumessen, wie wir es mit dem entsprechenden Hintergrund der alttestamentlichen Tradition und von JosAs getan haben. Zudem führt O. Hofius selber an, dass die „Prädikationen von V. 17b jener anderen … an die Seite treten Ð dikaiîn tÕn ¢sebÁ“ und mit ihr „parallelisiert“ sind239. Das kann aber nur zum Ergebnis haben, dass die Prädikation von 4,5 mit Gottes Handeln an den Heiden bzw. an den außerhalb des Heils Stehenden auch die Prädikationen von V.17b verstehen lässt in dem Sinn und der Funktion, in der wir sie verstanden haben, zusätzlich gestützt durch den Hintergrund von JosAs: als Gottes Ermöglichung des Eintritts der Heiden in die Heilsgemeinschaft bzw., vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Tradition, als Statusveränderung der Ausgegrenzten und Unterprivilegierten zum Heil hin. Ein drittes und letztes Argument für das von uns angeführte Verständnis ist die Kombination des zJopoioàntoj toÝj nekroÚj mit der zweiten Prädikation aus V.17b: kaloàntoj t¦ m¾ Ônta æj Ônta.
236 237 238 239
A.a.O., 61. Vgl. dazu M. Wolter, Rechtfertigung. Vgl. zuletzt M. Neubrand, Abraham, 278–281. O. Hofius, Gottesprädikationen, 61.
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4.4.9.3 Ð kalîn t¦ m¾ Ônta æj Ônta Die Prädikation Ð kalîn t¦ m¾ Ônta æj Ônta ist in keiner Weise als Aussage der eschatischen Totenauferweckung zu verstehen. Vielmehr konnten wir schon bei der Verwendung von kale‹n in Josephs Bittgebet JosAs 8,10 eindeutig feststellen, dass auch dieser Begriff ganz klar den Zusammenhang des Eintretens von Heiden in die Heilsgemeinschaft anzeigt. Für eine solche Bedeutung auch in V.17 spricht nun abgesehen vom schon genannten Argumentationszusammenhang für Röm 4 auch ganz entscheidend wiederum das in der paulinischen Prädikation enthaltende Stichwort kale‹n, und zwar in seinen alttestamentlichen Bedeutungen und in seiner paulinischen Verwendung: Denn über seinen am Beginn der Erzählung des Alten Testaments stehenden Ursprung in der Schöpfung (Gen 1,5.8.10 vgl. Ps 49,1; 146,4LXX) hinaus ist kale‹n selbstverständlich der Terminus für die Konstituierung der Heilsgemeinschaft des Gottesvolkes durch Gott selbst, z.B. in Jes 41,9; 43,1; 48,12; Jer 11,16; vgl. auch Hos 11,1240. Insbesondere das Jesajabuch nimmt hier eine wichtige Stellung ein. Jes 41 (LXX) 4 Wer hat es gewirkt und getan? Der die Generationen ruft (Ð kalîn) von Anbeginn. Ich, der HERR, bin der Erste, und bei den Letzten bin ich derselbe. 8 Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, Nachkomme Abrahams, meines Freundes, 9 du, den ich ergriffen von den Enden der Erde und von ihren fernsten Gegenden her gerufen habe (™k£les£ se), zu dem ich sprach: Mein Knecht bist du, ich habe dich erwählt und nicht verworfen …
Hier kann die partizipiale Gottesprädikation des Rufens der Generationen als Grundprädikation Gottes im Zusammenhang der Benennung der Gottheit Gottes als Erster und Letzter bei der Urheberfrage stehen (Jes 41,4). In der Fortführung wird Gottes Rufen mit der Erwählung Abrahams in Beziehung gebracht (Jes 41,8) und stellt die Konstitution der Heilsgemeinschaft durch das Rufen Israels in die Beziehung mit Gott dar. In Jes 48,12 wird Ön ™gë kalî zur Bezeichnung für Israel, wieder im Zusammenhang mit der Gottheit Gottes, die sich hier auch in seiner Erschaffung der Welt ausdrückt; das Rufen mündet in Jes 48,20 in der Aufforderung zum Auszug aus Chaldäa241 – was damals bei Abraham
240 Auch in Qumran wird Schöpfungsterminologie benutzt, um den Eintritt von neuen Mitgliedern in die Gemeinde, die ja Heilsgemeinschaft ist, zu benennen, vgl. nur 1QH 3,19–26. 241 Zur Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, insbesondere auch für Röm, vgl. F. Wilk, Bedeutung, 401.404 u. passim; J.R. Wagner, Heralds, 305 u. passim.
Analyse der Aussagen über Gott
243
den Übergang vom Heiden zum in der Gemeinschaft mit Gott Stehenden bedeutet hat. Und in diesem Sinn wird kale‹n mutatis mutandi von Paulus in Röm242 ausschließlich und in den übrigen Schriften fast ausschließlich243 verwendet: bezogen auf die Konstituierung der neuen Heilsgemeinschaft der Glaubenden aus Juden und Heiden durch Gott244. Daraus erhellt, dass es nur um genau diesen Zusammenhang bei der Verwendung der Gottesprädikationen in Röm 4,17b gehen kann: um die Entstehung der neuen Gemeinde aus Juden und Heiden, zu der eben neu auch die Heiden hinzukommen. So unterstreicht die zweite Gottesprädikation aus Röm 4,17b die Funktion der ersten im argumentativen Kontext und unterstützt sie zugleich inhaltlich. Diese Funktion im Hinblick auf das Hinzukommen der Heiden wird weiter unterstrichen durch die Formulierung t¦ m¾ Ônta: Es finden sich in der jüdischen Tradition Aussagen, die die Heiden als Nichts bezeichnen245, so dass nicht nur über das Stichwort kale‹n, sondern auch über die Aussage des Nicht(s)-Seienden die Prädikation des kaloàntoj t¦ m¾ Ônta æj Ônta auf das Hinzukommen der Heiden bezogen werden kann und muss. Verwiesen sei z.B. auf Jes 40,17LXX, wo die Feststellung der Heiden als Nichts im übrigen mit log…zesqai formuliert wird, auch hier im Zusammenhang mit der Gottesfrage: Jes 40 (LXX) 17 Alle Nationen sind wie nichts vor ihm (kaˆ p£nta t¦ œqnh æj o§dšn e„si) und gelten ihm als nichtig und leer (kaˆ e„j o§qÑn ™log…sqhsan).
Im Zusammenhang mit diesem Verständnis der beiden Gottesprädikationen, verbunden mit ihrer Parallelität und Beziehung zu der Gottesprädikation von 4,5, kann und muss natürlich auch hingewiesen werden auf das Diktum Johannes des Täufers Mt 3,9par: dÚnatai Ð qeÕj ™k tîn l…qwn toÚtwn ™ge‹rai tškna tù 'Abra£m. Auch hier kommt Gottes grundsätzliche Souveränität und Potenz zur Konstituierung der Heilsgemeinde unabhängig von menschlichen (Selbst-)Verständnissen zum Ausdruck, ebenfalls fokussiert in dem Brennpunkt Abraham und der ihm von Gott gegebenen Verheißung (man beachte die Konstruktion mit Abraham im 242 Vgl. Röm 8,30; 9,7.12.24.25.26. 243 Neben ein bis zwei Belegen für eine profan-alltägliche Verwendung: 1Kor 10,27 (15,9). 244 Vgl. 1Kor 1,9; 7,15–24; Gal 1,6(.15); 5,8.13; 1Thess 2,12; 4,7; 5,24. – Vgl. dazu auch N. Richardson, Language, 33f.259. 245 Vgl. auch die polemische jüdische Tradition, vgl. dazu H. Moxnes, Theology, 253 Anm. 83 und M. Hengel, Juden, 110f.
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Dativ und nicht im Genitiv!246). Dabei werden Sprachelemente bzw. Vorstellungen verwendet, die sich eng mit den Beschreibungen von Gottes Handeln in den beiden partizipialen Prädikationen des Römerbriefs berühren. Das Stichwort ™ge‹rai transportiert in seiner uneigentlichen Rede etwas von der Vorstellung des Übergangs vom Schlaf zum Wachen, vom Tod zum Leben – ohne dabei irgendwie in eigentlicher Rede eine eschatologische Totenauferweckung zu meinen –, berührt sich also mit der sprachlichen Vorstellung der ersten Prädikation von 4,17b. Die Steine als Objekte von Gottes konstituierendem Handeln implizieren neben dem Leblosen auch Nichtiges, Nichtsseiendes, womit sie dem m¾ Ônta der zweiten Prädikation von 4,17b nahe stehen.
4.4.9.4 Die Gottesprädikationen von V.17 in der Argumentation von Röm 4 Damit wird wiederum deutlich, wie Paulus sich auch hier in V.17 im Rahmen der Tradition bewegt, indem er vorliegende Gottesprädikationen mit ihren vorhandenen, für seine Aussageabsicht nützlichen Implikationen aufnimmt und gleichsam die Gottesprädikationen selbst durch die Art und Weise, wie er sie verwendet, die Tradition in seinem Sinne interpretieren und zuspitzen lässt. Es lassen sich mit BerR 46,2; 84,2 und mEd 5,2 auch noch weitere Belege, in denen die Konversion von Heiden zum Judentum als Leben aus dem Tod, Neugeburt und Neuschöpfung angesehen wird, nennen247. Die Tradition zeigt also an, dass dieser Vorgang der Konversion gottgewollt und gottgewirkt ist. Dass es bei diesem Vorgang weder auf das Tun der Tora noch auf die Beschneidung ankommt, das hat die vorangehende Argumentation und Gottesbestimmung des Paulus aus der Tradition erwiesen. Der so ermittelte Sinn und die Funktion der beiden Prädikationen V.17 lassen sich textintern und noch einmal zusammenfassend ganz deutlich anhand des folgenden V.18 belegen: Hier findet sich zunächst einmal als wichtiges Element, wie in V.17, eine aus dem Alten Testament zitierte direkte Rede Gottes, also das Höchstmaß an Beweis und Autorität, wenn 246 Damit haben wir einen weiteren Beweis, dass kÒsmoj als Erbe Abrahams (4,14) als „die Menschheit, die sich im Heil befindet“ verstanden werden muss – insofern hier die Menschen, die von Gott zum Heil erweckt werden, für Abraham erweckt werden – damit anders als G. Saß, Verheißungen, 392 (vgl. oben Anm. 203). 247 Weitere Belege für die Verwendung von Neuschöpfung als Eintritt in eine Gemeinschaft vgl. Qumran (vgl. Anm. 240). Auch dies wird öfter angeführt (vgl. E. Käsemann, Römer, 115), ohne dass daraus die entsprechenden Schlüsse für den Römerbrief gezogen werden. Auch bei E. Käsemann steht die Totenauferweckung im Vordergrund.
Analyse der Aussagen über Gott
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es um das Verständnis Gottes und die theo-logische Sanktionierung von Aussagen geht. Der entscheidende Schlüssel ist dabei nun das Verständnis von oÛtwj, das im Zusammenhang von Röm 4 nicht quantitativ, sondern qualitativ aufzufassen ist248. Denn was die Gottesrede in V.18 inhaltlich absichert und als dem Gott, der durch seine Rede Wirklichkeit schafft und Maßstäbe setzt (kat¦ tÕ e„rhmšnon), entsprechend aussagt, ist das abrahambezogene patšra pollîn ™qnîn, wie es in der parallelen Gottesrede aus Gen 17,5 und als das, was Abraham gottgemäß glaubt, in V.17 angeführt wird. Dabei geht es natürlich um das Stichwort ™qnîn, das seit 3,29 zur Debatte steht und so dem Zitat aus Gen 17,5 im Kontext von Röm 4 seinen Sinn und seine Stoßrichtung gibt – und nicht um das quantitative pollîn. Es geht nicht um die Quantität des in Abraham konstituierten Volkes Israel, die als bemerkenswerter und maßgebender Gotteswillen hervorgehoben werden soll, sondern um die zur Diskussion stehende Qualität der zahlreichen Nachkommen Abrahams: Es werden (auch) œqnh sein, Heiden, wie 3,29; 4,5.10.17 gezeigt haben. Das ist Gottes Wille und seine Absicht in seinem Handeln an Abraham. Deshalb auch – und das ist der alleinige Grund, nicht irgendein menschliches Defizit oder eine anthropologische Konstante – muss die Verheißung aus Glauben und aus Gnaden kommen in Opposition zu dem Gesetz, weil Gott sonst seine Rede nicht wahr gemacht hätte und sich selbst nicht treu geblieben wäre (V.16). Diese Qualifizierung der Abraham verheißenen Nachkommen als Heiden muss in die Erklärung, wie überhaupt aus Abraham eine derartige von Gott verheißene Nachkommenschaft entstehen kann, mit eingezogen werden. Und genau diese Erklärung liefern die Gottesprädikationen aus 4,17b: Sie erklären den gesamten Vorgang, wie Gott die Realisierung seiner Verheißung und Absicht mit Abraham ermöglicht hat. Sie machen zunächst verständlich, wie und warum aus den toten Leibern von Abraham und Sarah Leben und damit Nachkommen entstehen können: weil Gott der ist, der aus dem Tod Leben und durch sein Rufen aus dem Nichts eine Wirklichkeit schaffen kann und somit Isaak als Nachkommen ermöglichte. Und sie begründen weiter den zweiten Punkt, wieso diese Nachkommen auch Heiden sein können, die doch nach jüdisch-menschlichem Ermessen keine Möglichkeit der Nachkommenschaft Abrahams haben, weil sie im Vergleich zu den Juden, die bisher irrtümlicherweise als allein von Gott avisierten Nachkommen angesehen wurden, als Tote und Nichtse gelten: weil Gott, so wie er durch sein Wirken Isaak zum Nachkommen konstituiert hat, auch die in ebenso auswegloser Lage 248 Vgl. G. Jankowski, Hoffnung, 113.
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befindlichen Heiden zu Nachkommen und Erben, zu Mitgliedern der Heilsgemeinschaft machen kann – wie es in der Tradition für das Wunder der Bekehrung von Proselyten mit der Gottes Schöpfungsmacht rekapitulierenden und reformulierenden Sprache ausgedrückt wird. Damit ist also deutlich, dass Gott eine zahlreiche heidnische Nachkommenschaft als Gemeinschaft seines Heils wollte und selbst die Mittel und Wege dazu hat, dies auch zu verwirklichen; wie gesagt, immer unter Einschluss der (glaubenden) Juden, nur ist das nicht die Frage, die in erster Linie zu beantworten ist. Abraham ist dabei insofern menschliches Vorbild, als er an dieser Absicht Gottes und an seinem Willen und seiner Möglichkeit, diese Absicht auch zu verwirklichen, nicht zweifelt und damit Gott als auch auf die Heiden zielend erkennt. Dabei wird aber auch im Kontext der Gottesprädikationen von 4,17b deutlich, dass die Juden nicht aus-, sondern eingeschlossen sind in die aus vielen Völkern bestehende Nachkommenschaft Abrahams und Heilsgemeinschaft Gottes, auch wenn sie eben nicht in der Hauptlinie der Argumentation stehen: Wie die Heiden, die ja nach 1,18.32 ¢seb»j und ¥xioj qan£tou sind und somit als unfromme Tote gerechtfertigt werden, so werden auch die Juden als Tote von Gott durch die Rechtfertigung ins Leben gerufen. In V.15 war vom Gesetz die Rede, das Zorn hervorbringt. Somit stehen auch die Juden als durch das Gesetz bestimmte Gruppe unter dem Zorn Gottes (vgl. auch 2,23), was aufgrund der Ausführungen über Gottes Zorn in 1,18.32; 2,7f u.ö. nichts anderes bedeutet, als dass auch die Juden in der Sphäre des Unheils und der Gottesferne stehend des Todes schuldig, Tote sind, die der lebendig-machenden Rechtfertigung Gottes und des Rufes in seine Heilssphäre und -gemeinschaft bedürfen. Insofern bezieht sich das in den Gottesprädikationen genannte Handeln implizit auch auf die Juden, und der Bezug der Gottesaussage von Dtn 32,39249 zu den paulinischen Gottesaussagen des Römerbriefes tritt so noch einmal deutlich hervor. Dadurch wird gleichzeitig eine gedankliche Konsistenz des Römerbriefes deutlich: Heißt es in Dtn 32,39 als einem der alttestamentlichen Hintergründe für die Gottesprädikation von 4,17b: „Ich, ich töte und mache lebendig, ich verwunde und ich heile“, so heißt es in Röm 11,32: „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Unglauben, damit er sich aller erbarme“. In Gottes absoluter Souveränität und seiner grundsätzlichen Unterschiedenheit von aller anderen – und damit auch menschlichen – Wirklichkeit ist die ausnahmslose Taxierung bzw. der universale Status aller Menschen als unheilvoll „tot“ (¢seb»j, ¢peiq»j, nekrÒj) begründet, wie gleichfalls in seiner Wirklichkeit 249 Vgl. oben 4.4.9.1.
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allein Grund und Möglichkeit für die lebendigmachende Überführung dieser Menschen in eine Heilsgemeinschaft mit ihm liegen. Die – partialisierende – menschliche Wirklichkeit steht aufgrund dieses Befundes nicht zur Debatte.
4.4.9.5 Das Verhältnis von V.17b zu V.24 und zu Röm 1,18–32 Über das Geschilderte hinaus müssen nun noch zwei weitere Aspekte für V.17b und seine Funktion genannt werden: Die Frage des Bezuges des Syntagmas zJopoiîn toÝj nekroÚj aus V.17b muss nun in einem zweiten Durchgang noch einmal im Zusammenhang mit der Totenauferweckung betrachtet werden. Auch wenn jeglicher Bezug – der ja nach den entsprechenden Belegen in den Makkabäerbüchern möglich gewesen wäre (2Makk 7,9.14.22f.28; 4Makk 18,19) – zu einer eschatischen Totenauferweckung auszuschließen ist, so ist doch über die bisher erfolgte inhaltliche und funktionale Bestimmung der Formel hinaus noch ein weiterer Zusammenhang für die Formel im Kontext zu nennen: Dass ein semantischer Zusammenhang zwischen der Bezeichnung zJopoiîn toÝj nekroÚj von V.17b und der Formulierung ™ge…raj ™k nekrîn in V.24 besteht, lässt sich kaum ausblenden, und damit kann auch eine Funktion der Prädikation von V.17b in diesem Zusammenhang nicht bestritten werden – auch wenn eben wie festgestellt die Aussage von V.17 in erster Linie uneigentliche und die Aussage von V.18 eigentliche Rede ist. Und insofern sollte festgehalten werden, dass die Aussage von V.17 primär – wie oben dargestellt – zunächst auf das Hinzukommen der Heiden und dann auch auf die Zeugung Isaaks zielt. Die Verbindung von V.17b zu V.24 erfolgt eher implizit und indirekt über die Zwischenstation der Konkretisierung und Aktualisierung von V.17b in V.19. Die in V.19 anvisierte Geburt Isaaks in ihrer Formulierung bzw. Konnotierung als Leben eines Sohnes aus dem Tod durch Gott zielt auch auf V.24: auf Gottes Erweckung des Sohnes (1,4) aus den Toten, die somit natürlich auch eine Konkretion und Aktualisierung des zJopoie‹n toÝj nekroÚj Gottes ist. Somit lässt sich das Gott grundsätzlich charakterisierende Handeln Gottes in verschiedenen konkreten Manifestationen identifizieren, wobei es auch möglich ist, dass für eine bestimmte Manifestation (das Hinzukommen der Heiden bzw. das Hereinholen aller in den Heilsraum, die gemischtchristliche paulinische Gemeinde) das genannte Gott grundsätzlich charakterisierende Handeln auch zur uneigentlichen Rede, zur Metapher wird, während es in anderen Zusammenhängen als eigentliche Rede ausgesagt wird.
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Römer 4
Der zunächst zurückgestellte und als nicht entscheidend gewertete Hintergrund der Schöpfung für die Gottesaussagen von 4,17b gewinnt, wie gesagt, durch den unmittelbaren Kontext und die Fragestellung von Röm 4 selbst keine Bedeutung, wohl aber in einer zweiten Linie, und zwar aufgrund der erwähnten Gegenüberstellung von 1,18–32 und Röm 4. Wiederum geht es um Abraham als den Gegenentwurf eines positiven Heiden zum Bild der versagenden Heiden250. So ist in 1,20 von der Erkenntnis Gottes aus seinen Werken von der Schöpfung her die Rede, hinsichtlich der die Heiden insofern versagen, als dass diese nicht zum rechten Verhältnis Gott gegenüber führt, was in 1,25 mit der Verwechslung von Schöpfer und Geschöpf noch einmal aufgegriffen wird. Demgegenüber wird Abraham, dessen heidnische Existenz wir ja festgestellt hatten, in 4,17 als der gezeigt, der im Hinblick auf Gottes schöpferisches Handeln zum Glauben kommt, also zur rechten Erkenntnis und Anerkenntnis des Gottes, der sich in der Schöpfung paradigmatisch kundgetan hat und darauf fußend sich mit seinem schöpferischen Handeln in Geschichte und Gegenwart in neuen Zusammenhängen manifestiert hat und manifestiert. Während die Heiden existentiell an dem Verständnis von Gott als Schöpfer scheitern, kommt Abraham durch die Erkenntnis von Gottes schöpferischen Handeln des zJopoie‹n und kale‹n t¦ m¾ Ônta æj Ônta, das ein Gott grundsätzlich charakterisierendes Handeln ist, zur rechten Erkenntnis Gottes. Somit geht es auch beim Schöpfungsaspekt der Gottesprädikationen von 4,17b nicht um die Herstellung eines dogmatischen Zusammenhangs zwischen dem Schöpfungshandeln und dem Rechtfertigungshandeln Gottes251. Der Schöpfungsaspekt dient vielmehr dazu, in Auseinandersetzung mit 1,18–32 das Gottesverständnis der Heiden zu diskutieren, und er transportiert darüber hinaus zugleich das für die paulinische Argumentation wichtige Element der absoluten und freien Souveränität Gottes, der Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit aufgrund der Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf.
4.4.10 Röm 4,18–22: Statt Zweifel Akzeptanz des entworfenen Gottesbildes und seiner aktuellen Realität Im folgenden Abschnitt V.18–22 werden nun die von Abraham geglaubten Gottesprädikationen im Hinblick auf die Abrahamgeschichte exemplifiziert und verifiziert, wie das Relativpronomen Ój in V.18 deut250 Vgl. zum Folgenden E. Adams, Faith, 52.64. 251 Vgl. oben Anm. 212.
Analyse der Aussagen über Gott
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lich macht. Es greift Abraham aus dem Voranstehenden auf und führt seine Geschichte weiter, wobei das im Vorangehenden benannte paradigmatische Handeln Gottes an der Wundergeschichte252 der Isaakgeschichte illustriert wird. Dass dabei das paulinische Argumentationsthema nicht verloren geht, sondern der Zusammenhang gewahrt bleibt, dafür sorgt das Zitat von Gen 15,5 als Rahmenbestimmung des Ganzen. Dementsprechend ist hier hinsichtlich einer weiteren inhaltlichen Entwicklung des Gottesbildes insgesamt wenig Neues zu erwarten. In dieser Hinsicht ist nur die implizite Vorbereitung der Gottesprädikation von 4,24 zu nennen: Die Isaakgeschichte wird hier konturiert als Leben eines Sohnes aus dem Tod. Gegenüber thematischen Neuerungen steht in diesem Abschnitt die Befestigung der getroffenen Gottesaussagen und ihre Akzeptanz im Zentrum253 – und damit nun, wenn man so will, tatsächlich das Verhältnis des Menschen zu Gott. Dabei spielen Gegenwartsbezug und Pragmatik die entscheidende Rolle. Deutlich wird dies zunächst an der Gottesaussage von V.21: Ö ™p»ggeltai dunatÒj ™stin kaˆ poiÁsai. Auch diese Aussage kann in den Rahmen der Tradition eingestellt werden. So finden sich etwa in Jes 55,11; Jer 1,12 und Ez 12,25.28 vergleichbare Aussagen, die die Wirksamkeit und Relevanz des von Gott ausgehenden Wortes – sei es zum Heil oder zum Unheil – unterstreichen, indem Gott selbst für die Verwirklichung seines Wortes sorgt: Jes 55 11… so wird mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht. Es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird bewirken, was mir gefällt, und ausführen, wozu ich es gesandt habe. Jer 1 (LXX) 12 Und der HERR sprach zu mir: Du hast recht gesehen; denn ich werde über meinem Wort (toÝj lÒgoj mou) wachen, es auszuführen (tàu poiÁsai a§toÚj). Ez 12 (LXX) 25 Denn ich, der HERR, ich rede; das Wort (toÝj lÒgouj), das ich rede, wird auch geschehen (poi»sw), es wird sich nicht länger hinziehen. Denn in euren Tagen, widerspenstiges Haus, rede ich ein Wort und tue (poi»sw) es auch, spricht der Herr, HERR. 252 Vgl. H. Moxnes, Theology, 201f. 253 Eine ähnliche Bestimmung des Verhältnisses von V.17 und V.18–21 nimmt J. Jeremias, Glaubensverständnis, 55 vor: „V.16c.17 sagt, an wen Abraham glaubte [das ist doch wohl nichts anderes als die Information darüber, wer Gott ist, d.Vf.]“, und V.18–22 beschreiben dann, was Abraham mit diesem Glauben macht, dass er ihn „bewährt“. – Gegen G. Saß, Leben, 387, der behauptet, in V.13–22 ginge es einheitlich um Abrahams Verhalten gegenüber Gott.
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26 Und das Wort des HERRN geschah zu mir so: 27 Menschensohn, siehe, das Haus Israel sagt: Das Gesicht, das der schaut, geht auf viel spätere Tage hinaus; und auf ferne Zeiten hin weissagt er. 28 Darum sage zu ihnen: So spricht der Herr, HERR: Es wird sich nicht länger irgendeines meiner Worte hinziehen; das Wort (p£ntej Ði lÒgoi), das ich rede, wird auch geschehen (poi»sw), spricht der Herr, HERR.
In Jer 1,12 und Ez 12,25.28 stehen dabei lÒgouj und poiÁsai zusammen, und besonders bemerkenswert ist Ez 12,25.28 mit seinem Kontext: Hier geht es darum, einer Relativierung und Depotenzierung des verkündeten Wortes Gottes entgegenzutreten, die dem Wort Macht und Bedeutung für die Gegenwart absprechen wollen, weil es als eschatisches Wort auf eine spätere Zeit hin gesagt ist und ein so langer Zeitraum ohne jegliche spürbare Auswirkung des Gesagten auf das Gesagte folgt, dass es als leer und bedeutungslos zu betrachten ist. Demgegenüber macht Gott selbst deutlich, dass sein verkündetes Wort seiner Bedeutung und Geltung für die Gegenwart nicht enthoben werden kann, weil er selber für die Verwirklichung dieses Wortes sorgt und gegen allen Zweifel und Relativierung auch in unmittelbarer Zukunft. dunatÒj als Gottesprädikat findet sich häufig in LXX: (Gen 13,16;) (1Sam 2,9;) Ps 23,8; 88,9; Hi 36,5; Jer 39,19; Zeph 3,17; vgl. JosAs 8,10; 2Makk 8,18; 4Makk 14,17; Philo, Abr 112.175; Jos 244; Spec 1,282; Somn 2,136254; und insbesondere Dan 3,17LXX stellt eine schöne Parallele dar: Dan 3LXX 17 œsti g¦r qeÕj ™n o§rano‹j eŒj kÚrioj ¹mîn Ön foboÚmeqa Ój ™sti dunatÕj ™xelšsqai ¹m©j ™k tÁj kam…nou toà purÒj.
In V.21 kommt also keine neue Beschreibung eines weiteren Handelns Gottes hinzu, sondern es geht um eine Aussage über Gott, die auf das bisher über ihn Gesagte zielt. War bisher in der Argumentation das ™p»ggeltai diskutiert und festgelegt worden, indem geklärt und gezeigt wurde, dass kein Zweifel daran sein kann, dass die mit Abraham verbundene, in der Schrift enthaltene Verheißung das Zielen des Handelns Gottes auch auf die Heiden und Gottes Heil für die Heiden ist, so geht es nun darum, das so durch die Verheißung bestimmte Handeln Gottes 254 Vgl. nur E. Käsemann, Römer, 118, der dunatÕj kaˆ poiÁsai als jüdisches Gottesprädikat mindestens in der Diaspora bestimmt. – Gegen G. Delling, Gottesprädikationen, 27 Anm. 3, der meint, dass dun£menoj (worunter er dunatÒj subsumiert) zur Kennzeichnung Gottes in LXX selten zu finden sei. G. Delling sieht auch nicht, dass die negative Aussage im Hinblick auf andere Götter (2Chr 32,13) etwas über den Gott Israels aussagt. C. Böttrich, Rede, 75 Anm. 105 erwähnt das Prädikat nur im Hinblick auf das NT. – Nach den LXX-Belegen braucht also über die Verbreitung des Prädikates auch hier nicht diskutiert zu werden, und es bestätigt sich erneut und vollständig klar, dass Schrift und Tradition als Zeugen und Motoren, ja eben als Generatoren für die paulinischen Gottesaussagen anzusehen sind.
Analyse der Aussagen über Gott
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gegen jeden Zweifel als unumgänglich in seiner Aktualität und Wirklichkeit zu qualifizieren. Die Relevanz der so bestimmten Gottesaussagen von Schrift und Tradition soll für die aktuelle Situation und ihre Fragestellung betont werden: Was als Wort und Verheißung Gottes ermittelt werden kann, bleibt nicht in der Sphäre von Text und Tradition stehen, sondern ist auf die erfahrbare Wirklichkeit zu beziehen, weil zu Gottes Gottsein die dÚnamij gehört, seine Verheißungen in die Tat, in erfahrbare Wirklichkeit umzusetzen. Dagegen spricht auch nicht, dass das von Gott Verheißene als etwas Eschatisches bestimmt werden kann, das sich erst am Ende der Tage verwirklichen soll und wozu man das Heil für die Heiden aufgrund von z.B. Jes 2,1–4; Gal 1,4; 4,4; Röm 3,21 sicher auch rechnen könnte. Denn die Parallele von Ez 12,25.28 zeigt, dass auch dieses kein Grund ist, Gottes Wort seiner Bedeutung für die Gegenwart zu entheben und seine aktuelle Manifestation anzuzweifeln. Im Zusammenhang der vorliegenden Argumentation zielt dunatÕj kaˆ poiÁsai also darauf, den Zusammenhang der von Paulus skizzierten traditionellen Gottesaussagen und der aktuellen paulinischen Situation herzustellen und damit das Gottesverständnis an die aktuelle Situation zu binden: Die gegenwärtige Existenz paulinischer heiden- und gemischtchristlicher Gemeinden ist zu verstehen als Verwirklichung der an Abraham gebundenen, alttestamentlichen und traditionellen göttlichen Verheißung von seinem Heil auch für die Heiden, als die Manifestation seines als Hinzuführen von Heiden zur Gemeinschaft des Heils verstandenen zJopoie‹n und kale‹n, als ein Akt des Gott grundsätzlich charakterisierenden Handelns Gottes. Das liegt daran, dass zu Gott auch gehört, in der Lage zu sein, Gesagtes und Verheißenes zu verwirklichen. Diese wiederum an der Abrahamgeschichte gewonnene und gleichzeitig exemplifizierte Gottesaussage wird somit in V.18–22 zum Angelpunkt hinsichtlich der Akzeptanz der paulinischen Argumentation und des von ihm angeführten rechten Verständnisses Gottes. Sie bringt in gewisser Weise die vorher strikt auseinandergehaltenen (V.2ff) Wirklichkeiten Gottes und des Menschen wieder zusammen, indem die Oppositionen von ™paggšllein als göttlicher und poie‹n als menschlicher Wirklichkeit255 so miteinander verbunden werden, dass Gott in der Lage ist, seine göttliche Wirklichkeit des ™paggšllein in die menschlich erfahrbare Wirklichkeit durch ein poie‹n zu überführen. Insofern hängt die rechte Erkenntnis Gottes auch mit der rechten Beurteilung auch der menschlichen Wirklichkeit zusammen. Wer die menschlich erfahrbare Wirklichkeit der paulinischen Gemeinden nicht erkennt als göttliche Wirklichkeit, schei255 Vgl. Gal 3,6–12; Röm 4,4f.
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tert an einem rechten Gottesverständnis; bzw. umgekehrt formuliert gehört entsprechend der Argumentationslinie in Röm 4 zu einem rechten Gottesverständnis die Integration der Wirklichkeit der paulinischen gemischt- und heidenchristlichen Gemeinden in dieses Gottesverständnis. Dass es um die Akzeptanz eben dieses rechten Gottesverständnisses geht, bestätigt der Abschnitt V.18–22 durch die ihm eigene Wortwahl. Mit diakr…nein und plhrofore‹n bestimmen Verben des menschlichen Urteils und der Überzeugung den Abschnitt. Dabei rückt plhrofore‹n in seiner intensiven, umfassenden Bedeutung in die Nähe von pisteÚein. Mit pisteÚein, p…stij und ¢pist…a kommen Wörter dazu, in deren Grundbedeutung es ebenfalls um eine umfassende beurteilende Reaktion geht256. Hinzu kommt noch, dass diese Wörter ferner auch das Gottesverhältnis mit benennen können (1Thess 1,8) und dann die eine Beurteilung umfassende (vgl. Mt 21,25.32) entscheidende Reaktion auf die Person Jesu (Mt 8,10par; 9,22parr; 9,28; 18,6 u.ö.) bzw. Christi (Phil 1,29; Röm 9,33; Gal 2,16; Act 20,21 u.ö.), das Evangelium (Mk 1,15), das Christusgeschehen (1Thess 1,14; Röm 10,9 u.ö.), die Predigt mit Christus als Inhalt (Röm 10,17) bezeichnen. Dass es Paulus mit pisteÚein hier um ein zustimmendes Urteil, um die Anerkenntnis geht, wird auch daran deutlich, dass pisteÚein bei Paulus sonst vorwiegend absolut – und damit in anderer semantischer Profilierung als in Röm 4,5.17.18(.21) – vorkommt (1,16; 3,22; 4,11; 10,4; 13,11; 15,13)257. Damit wird mit dem Urteil und der Überzeugung Abrahams im Hinblick auf Gott das an der Abrahamgeschichte entwickelte paulinische Gottesverständnis zur Entscheidung und Anerkenntnis gestellt: Abraham, das Vorbild für Juden und Heiden, scheiterte an dem – auch für ihn – potentiell anstößigen Gott nicht, sondern akzeptierte Gottes Reden und Tun für sich und schenkte dem so erkannten Gott Anerkennung und Glauben und kam so zum richtigen Gottesverhältnis (V.20 doÝj dÒxan tù qeù). Die Darstellung dieses Verhältnisses Abrahams zu dem von ihm erkannten Gott zielt natürlich durch den Kontext und die Vorbildfunktion auf Adressaten und Gegner der paulinischen Gegenwart. Wie wir gesehen hatten, verweist das an Abraham entwickelte Gottesbild auf die gegenwärtige Wirklichkeit des Hinzukommens der Heiden in den paulinischen Gemeinden, was noch unterstützt wird durch das für den Zusammenhang der Christusbotschaft konnotierte und nun bei Abraham verwendete pisteÚein. Wer das von Paulus in Röm 4 mit seinen Impli256 Vgl. auch oben 4.4.6.6. und 4.4.7. 257 Vgl. H. Moxnes, Theology, 109 und oben 4.4.7.
Analyse der Aussagen über Gott
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kationen vorgestellte Gottesverständnis so nicht akzeptiert, sondern ablehnt, tritt in Opposition zu Abraham und scheitert an dem rechten Verständnis Gottes und damit auch am rechten Verhältnis zu Gott. Für die Juden gilt dies selbstverständlich, insofern Abraham ihre Identifikationsfigur schlechthin ist und sie natürlich in erster Linie die Gegner bzw. Diskussionspartner dieses Abschnittes sind. Im Hinblick auf die Heiden wird dies wieder deutlich an einer Gegenüberstellung des Heidenbildes in 1,18–32 und seines Gegenentwurfes mit Abraham in Röm 4. In 1,20 ist von der dÚnamij Gottes die Rede, die im Zusammenhang mit der Schöpfung erkennbar ist, aber von den Heiden nicht erkannt bzw. entsprechend gewürdigt wird. Demgegenüber ist der Abraham von Röm 4 in V.20 wiederum der, der diese dÚnamij als Teil dessen, was Gott auszeichnet, richtig erkennt und würdigt258. Hinzu kommt, dass beide Gruppen in Abraham aufgrund des für ihn formulierten doÝj dÒxan tù qeù V.20 explizit ihren Gegenentwurf finden, weil beide, die Heiden nach 1,21.25 und die Juden nach 2,23 (mit dem Antonym ¢tim£zein), hinsichtlich der Ehre Gottes scheitern. Die Bedeutung der an Abraham manifest gemachten rechten Erkenntnis Gottes als Thema dieses Kapitels wird dadurch deutlich, dass mit V.22 wiederum das mit log…zesqai benannte Heilshandeln Gottes aufgegriffen wird und hier den Abschluss dieser Verse über das richtige Verständnis Gottes bildet. Durch das abschließend folgernde diÒ wird Abrahams Heil, d.h. Gottes Heilshandeln an Abraham, begründet mit dem richtigen Gottesverständnis Abrahams, und d.h. mit einem Verständnis des Gottes Israels als dem, der in seinen bekannten Handlungen hinzielt auf das aktuelle Eintreten der Heiden in den Heilsraum des Gottes Israels und dieses begründet. Dabei sollte man noch als kleine Notiz das passivum divinum von V.20 ™nedunamèqh beachten, dass zumindest bei Abraham Gott es ist, der die angesichts der Möglichkeiten zum Zweifeln notwendige Kraft zum rechten Gottesverständnis verleiht.
4.4.11 Röm 4,23–25: Die aktuelle Konkretion der christlichen Perspektive Zwischen V.22 und V.23–25 ist bei aller Verbundenheit aufgrund von mehreren Hinweisen auch ein gewisser Einschnitt festzustellen. In V.22 wird das Ende einer Einheit insofern angezeigt, als dass diÕ ka… hier abschließend rückbezüglich folgert und nicht neu eröffnend und als dass 258 Vgl. E. Adams, Faith, 53.
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mit der Aufnahme des auch dort mit Abraham verbundenen Eingangszitates aus V.3 eine Ringkomposition entsteht, die eine geschlossene Abhandlung der Abrahamgeschichte anzeigt. Unterstützt wird dies dann dadurch, dass zwischen V.22 und V.23 keine fließende Verknüpfung vorhanden ist, sondern die erneute Anführung des Zitates in V.23 den Neuansatz deutlich macht. Inhaltlich profiliert wird der Teilabschnitt V.23–25 durch das neue bestimmende Element der in den viermal auftretenden Formen von ¹me‹j sich festmachenden 1.Person Plural, das in ein fortführendes Gegenüber zur bisher bestimmenden 3.Person (Singular und Plural) gesetzt wird. Indem auch in V.1–22 sporadisch Formen von ¹me‹j auftauchen, ist neben der quantitativen Differenz der Unterschied der beiden Teilabschnitte vor allem auch in einer unterschiedlichen Verwendung von ¹me‹j zu fassen. Während ¹me‹j in V.1–22 im Genitiv auf Abraham bezogen war mit der Folge der Identitätsbestimmung der Gruppe des Wir durch Abraham, wird ¹me‹j nun in V.23–25 im Genitiv bezogen auf den kÚrioj 'Ihsoàj und zudem nun auch mit dem log…zesqai in Verbindung gebracht. Damit ergeben sich zwei entscheidende Unterschiede zwischen den beiden Teilabschnitten: Der eine liegt darin, wie von der Gruppe geredet wird, auf die Gottes an Abraham deutlich gewordenes Heilshandeln des log…zesqai zielt. Geschieht dies in V.1–22 in der 3. Person und vermittelt so eine in sich geschlossene, objektive und neutrale Darstellung eines Sachverhaltes von außen, insofern gerade keine Involvierung von briefschreibendem Ich und Adressaten deutlich wird, so wird durch die Verbindung von log…zesqai mit ¹me‹j in V.24 nun gerade betont, dass die Gruppe aus briefschreibendem Ich und Adressaten als Betroffene involviert ist in den Vorgang des an Abraham und dem log…zesqai diskutierten Heilshandeln Gottes. Dies ist verknüpft mit dem anderen Unterschied, der in der mit 'Ihsoàj Ð kÚrioj ¹mîn anders bestimmten Identität der Gruppe von briefschreibendem Ich und Adressaten liegt: Ist es in V.1–22 eine abrahamitische Gruppe, so ist es in V.23–25 eine jesuanische Gruppe. Dabei ist die durch das mit Abraham verbundene ¹mîn (V.1.12.16) gekennzeichnete abrahamitische Gruppe im Verlauf der Argumentation in V.1–22 unterschiedlich bestimmt. Sie ist zunächst in V.1 eindeutig die Gruppe des Judentums, dann in V.12 uneindeutig die Gruppe des Judentums/glaubenden Judentums, wenn man pat»r ¹mîn von pat»r peritomÁj ktl. (V.12) her liest, oder von allen Glaubenden, Juden und Heiden, wenn man pat»r ¹mîn von patšra p£ntwn tîn pisteuÒntwn… (V.11) kaˆ… monÒn ¡lla kaˆ… (V.12) her liest, und schließlich in V.16 eindeutig die Gruppe der ganzen Menschheit aus Juden und Heiden.
Analyse der Aussagen über Gott
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Entsprechend der beiden Gruppen und der unterschiedlichen Darstellungsweisen kann man also innerhalb des Gesamtabschnittes Röm 4 zwei unterschiedliche Redeweisen feststellen: In V.1–22 liegt eine nichtchristliche Redeweise vor, die von einer jüdischen Perspektive herkommend (V.1) das Anliegen von Schrift und Tradition des Judentums und ihre Meinung über Gott gleichsam objektiv, neutral und allgemein erhebt und dies anerkannt wissen will. Für diese Redeweise fungiert Abraham als Integrationsmoment, ihre Neutralität und Objektivität kommt dadurch zustande, dass im Hinblick auf die zur Debatte stehenden Gruppen von Juden und Heiden und des auf sie bezogenen log…zesqai stets in der 3.Person gesprochen wird und nur die Bedeutung Abrahams für diese Gruppe erkennbar wird. Der allgemeine Charakter der Redeweise ist weiter begründet im Gebrauch umfassender, offener Formulierungen wie klhronÒmoj kÒsmou, pat¾r p£ntwn und pat¾r pollîn ™qnîn; hinzu tritt der Gebrauch nicht spezifisch christlicher Gottesprädikationen (V.5.17b). Demgegenüber finden wir in V.23–25 eine dezidiert christliche Redeweise259, die von der Betroffenheit und Involviertheit des als christlich gekennzeichneten Redenden und seiner Adressaten im Hinblick auf das ausgesagte Heilshandeln Gottes bestimmt ist, gekennzeichnet durch die häufige Verwendung von ¹me‹j mit Bezug auf kÚrioj 'Ihsoàj und in der Verknüpfung mit log…zesqai sowie durch das Hinzutreten spezifisch christlicher Gottesprädikationen. Folglich ist es angemessen, auch im Hinblick auf die Rede von Gott von zwei unterschiedlichen Aussagebereichen zu sprechen, nämlich von einem „jüdisch-traditionell“ perspektivierten und einem „christlich-aktuell“ perspektivierten. Diese Unterscheidung kommt z.B. auch darin zum Ausdruck, dass der Glaubende und Gott Anerkennende in V.1–22 Abraham ist, in V.24 aber die Gruppe derer, die nach V.25 das Christusgeschehen für bedeutsam halten. Vergleichbar damit ist 1Thess 1,8–10, wo erst davon die Rede ist, dass die Adressaten an Gott glauben (¹ p…stij Ømîn ¹ prÕj tÕn qeÒn) und sich von den Götzen zu Gott bekehrt haben, um ihm zu dienen, und dann ergänzt wird, dass sie auf seinen Sohn Jesus warten, der sie vom kommenden Zorn errettet. Dennoch ist zum einen zu beachten, dass dies im Rahmen des uns vorliegenden Textes keine systematisch-theologische Unterscheidung ist, sondern an den Argumentationszusammenhängen und -zielen des Briefes orientiert ist, und zum anderen, dass natürlich eine Beziehung 259 Vgl. zu dieser Bestimmung von V.1–22 und V.23–25 F. Watson, Paul, 517.
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und ein starker Zusammenhang zwischen diesen beiden unterschiedenen Teilabschnitten – und damit Aussagebereichen – gegeben ist. Darauf hatte die eingangs vorgenommene Bestimmung des Verhältnisses von V.1–22 zu V.23–25 als ein gewisser Einschnitt bei aller Verbindung aufmerksam gemacht, der unsere Redeweise von perspektivierten Aussagebereichen, die aus unterschiedlichen Perspektiven sich auf denselben, identischen Gegenstand beziehen, entspricht. Somit wird die Beziehung stärker als die Unterscheidung deutlich, und man kann für Paulus nicht von der Unterscheidung von zwei Gottesbildern, sondern nur von zwei Aussagebereichen sprechen, bei deren inhaltlicher Verbundenheit man das Verhältnis von allgemein-grundlegender Bestimmung („jüdischtraditionell“) und spezifisch-aktueller („christlich-aktuell“) Konkretion bestimmen kann. „Jüdisch-traditionelle“ und „christlich-aktuelle“ Aussagen über Gott unterscheiden sich bei Paulus also nicht inhaltlich oder im Sinne einer Neubestimmung, sondern im Sinne von grundlegender Wesensbeschreibung (3,31) und aktueller Konkretion260. Somit ist die Identität und Selbigkeit Gottes gewahrt, denn Gott erweist sich in seinem Handeln in Christus in einer Konkretion dessen, was für ihn schon von jeher ohne eine inhaltliche Bestimmung durch Christus nach dem Zeugnis von Schrift und Tradition bestimmend war: Paulus kann also in Röm 4,1–22 und 1Thess 1,8f eine traditionelle, nicht durch Jesus Christus bestimmte Rede von Gott anführen, auf die er eine Rede vom Handeln Gottes in oder an Christus folgen lässt261, so dass sich Gottes Handeln in Jesus Christus als Konkretion des unabhängig von ihm über Gott Gesagten verstehen lässt. Dies alles wird zuallererst deutlich an dem Verhältnis der in V.24 formulierten partizipialen Gottesaussage zu den bisherigen Gottesaussagen. So ist die Gottesaussage ™ge…raj 'Ihsoàn tÕn kÚrion ¹mîn ™k nekrîn zwar unterschieden von den bisherigen Gottesaussagen, insofern sie keine aus 260 Wie man schnell zu einer falschen Unterscheidung von einem „jüdischen“ und einem „christlichen“ Gottesbild gelangen kann, zeigen R.W. Thompson, Inclusion, 546 und G. Saß, Verheißungen, 373 Anm. 142, die zu Röm 3,29.30 meinen, dass in V.29 mit dem einen Gott ein jüdisches Argument angeführt würde und in V.30 mit der Rechtfertigung aus Glauben ein christliches. Das ist exakt falsch, denn für Paulus sind beide Argumente jüdische Argumente, die aus Tradition und Schrift entnommen das Wesentliche der Schrift wiedergeben (3,31): Denn das sogenannte christliche Argument der Rechtfertigung aus Glauben wird ja in Röm 4, wie wir gesehen haben, an Abraham als traditionelles, Gott schon immer wesentlich bestimmt habendes Handeln Gottes vollkommen unabhängig von Jesus Christus exemplifiziert und bewiesen. Dieses „jüdische“ Handeln Gottes wird dann in V.23–25 als sich aktuell in Christus konkretisiert habend dargestellt. 261 Vgl. F. Watson, Paul, 517.
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der Überlieferung gespeiste Gottesaussage ist, die als vollständig in den Rahmen der Tradition einordbar angesehen werden kann. Sie steht aber – und auch das ist vielfach übersehen worden – mit der bisherigen Rede von Gott in einem Zusammenhang, insbesondere ab V.17b. Das Stichwort hierfür ist das nekrÒj mit seinen semantischen Verwandten in V.17.19.24. Seine Verwendung in V.19 hat keinen wörtlichen Anhalt in der Abrahamerzählung der Genesis und ist somit eine spezifisch paulinische Akzentuierung des Sachverhalts. In seiner Verbindung mit zJopoie‹n, dunatÒj und ™ge…rein ist es bezogen auf Gottes Handeln und die Aussagen über Gott. Das Syntagma ™ge…raj 'Ihsoàn tÕn kÚrion ¹mîn ™k nekrîn ist vorbereitet durch das Gottesattribut zJopoiîn toÝj nekroÚj und durch die Abrahamgeschichte, bei der Gott dunatÒj ist, dem Abraham aus der nškrwsij einen Sohn entstehen zu lassen – und zwar den Sohn, der nötig ist für die Vaterschaft Abrahams im Hinblick auf eine universale Nachkommenschaft aus Juden und Heiden und der somit mit dieser universalen Nachkommenschaft untrennbar verbunden ist (vgl. die Bedeutung von oÛtwj in V.18)262. Gottes Handeln in der Auferweckung Jesu ist also nichts grundsätzlich und überraschend Neues, sondern es ist eine Konkretion des grundsätzlichen Handelns Gottes, Leben aus dem Tod zu schaffen. Was er jetzt an seinem Sohn erwiesen hat als Konkretion seines ihn grundsätzlich charakterisierenden Handelns, hat er zuvor an dem so paradigmatischen Abraham gezeigt – beidesmal im Hinblick auf ein und dasselbe Ziel: das Erbe des Kosmos, also die universale Menschheit des Heils aus Juden und Heiden. Insofern gibt es auch eine gewisse Parallelisierung zwischen Abraham und Gott durch die Berührungspunkte im Schicksal ihrer Söhne, was die Funktion Abrahams als Gottesillustrator in unserem Abschnitt und damit die thematische Bestimmung unseres Abschnittes als Gotteskapitel unterstützt. Sowohl bei dem Sohn Isaak wie auch bei dem Sohn Jesus war der Übergang vom Tod zum Leben notwendig dafür und zielt darauf ab, dass eine in Gottes Verheißungen an und seinem Handeln mit Abraham wurzelnde universale Menschheit aus Juden und Heiden entsteht, die sich zuerst in der Gemeinde des kÚrioj 'Ihsoàj realisiert. Aus diesem Zusammenhang erhellt auch der Sinn von V.25, in dem sich mit den passiva divina weitere Gottesaussagen, nämlich über das konkrete Handeln Gottes in der Jesusgeschichte, finden. Dabei ist es völlig unerheblich, ob in V.25 nun eine vorpaulinische christliche Tradition zu-
262 Vgl. oben 4.4.9.4.
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grunde- oder eine paulinische Bildung vorliegt263, denn ihren Sinn bekommt die Aussage durch ihre Beziehung zum Kontext. Wichtig ist, zunächst einmal die Position zu beachten, an der V. 25 steht. Zwischen 4,25 und 5,1 ist ein klare Zäsur gegeben. Diese wird markiert durch oân und den Neuansatzes durch die veränderte Erwähnung der dika…wsij, die hier nun durch das Aorist-Partizip von dikaioàn erfolgt. Damit ist das Element, das den Gegenstand der Diskussion in 1,18–4,25 bildete, jetzt als vorausgehend in Bezug auf das Folgende ausgesagt264. Auf diese Weise ist ein Einschnitt gegeben, der dem ersten Abschnitt 1,18–4,25 die Funktion der Diskussion und des Beweises der These von 1,16.17 zuweist und dem folgenden Abschnitt 5,1–11 die Funktion der Sicherung des auf der bewiesenen These fußenden bzw. daraus resultierenden Ergebnisses265. – Dass in 1,18–4,25 ein bei aller Gliederung und Einteilung zusammenzusehender Abschnitt vorliegt, dürfte einerseits aus der Begrenzung durch die These in 1,16.17 am Anfang und durch die Ergebnissicherung in 5,1ff und andererseits aus den sich durchziehenden Elementen, zu denen vor allem dikaiosÚnh ktl., aber auch ¡mart…a/ paraptèma ktl. gehören, erhellen. Sie machen die semantische Einheit des Abschnittes deutlich, indem sie als zu diskutierende Probleme diesen Abschnitt bestimmen (vgl. 3,21ff), wohingegen in 5,1–11 der Vorgang des dikaioàn und des Zustandes der ¡mart…a der Vergangenheit angehören und die Voraussetzung für den damit einen ganz anderen Charakter aufweisenden neuen Abschnitt bilden: dikaiwqšntej 5,1; œti ¡martwlîn Ôntwn 5,8. Damit bildet aber der zweiteilige, das Handeln Gottes in Jesus beschreibende Relativsatz von V.25 den letzten Satz der Argumentation von 1,18–4,25. Dabei greift V.25 in dieser Position in seiner Zweiteiligkeit die Zweiteiligkeit des Abschnittes 1,18–4,25, den er abschließt, auf. So nimmt das paredÒqh di¦ t¦ paraptèmata ¹mîn V.25a nicht nur 3,25 auf, sondern bezieht sich vielmehr auf den gesamten ersten, in 3,20 gipfelnden Teil der Unterschiedslosigkeit von Juden und Heiden aufgrund der der Unparteilichkeit Gottes gegenüberstehenden Sünde aller (1,18–3,20) – wie auch 3,25 auf dem Abschnitt 1,18–3,20 fußt, insofern 3,25 von dessen Ergebnis ausgeht. Entsprechend summiert und repräsentiert das mit ºgšrqh di¦ t¾n dika…wsin ¹mîn benannte zweite Handeln Gottes an Jesus V.25b über dika…wsij den zweiten Teil (3,21–4,25), in dem das universale 263 So ist z.B. E. Käsemann, Römer, 121f für das Erste, U. Wilckens, Römer 1, 280 eher für das Zweite. Entscheidend ist, dass V.25 eine hervorragende Funktion und Bedeutung im Kontext übernimmt und erfüllt. 264 Vgl. B.M. Fanning, Aspect, 407. 265 Vgl. M. Wolter, Rechtfertigung, 35.217.
Analyse der Aussagen über Gott
259
Heilshandelns Gottes beschrieben ist. Damit schließt der zweiteilige Relativsatz V.25 aber den zweiteiligen Gesamtabschnitt von 1,18–4,25 ab, indem er seine beiden Teile 1,18–3,20 und 3,21–4,25 repräsentierend zusammenfasst266. Von hier aus lässt sich auch eine hinzutretende Ringkomposition bzw. ein Bezug von 3,30 und 4,25b feststellen. Das in 3,30 thesenartig, allgemein und grundsätzlich ausgesagte und mit dikaioàn bezeichnete Handeln Gottes wird abschließend in 4,25 wieder aufgenommen durch das mit ™ge…rein 'Ihsoàn bezeichnete konkrete Handeln, das um der Erreichung des dikaioàn willen geschieht und bezogen auf die konkrete Gruppe von Briefschreiber und Adressaten ausgesagt wird. Das bedeutet aber auch, dass sich das den einen Gott nach Schrift und Tradition grundsätzlich charakterisierende Handeln des einheitlichen und universalen dikaioàn von Juden und Heiden – also der einen Menschheit – verwirklicht und Gestalt annimmt in dem konkreten Handeln Gottes in Christus und der daraus entstehenden Heilsgemeinschaft der gemischtchristlichen Gemeinden aus Juden und Heiden. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht verwunderlich, sondern liegt auf der Hand, dass Gottes dika…wsij mit der Auferweckung Christi verbunden wird. Denn seit 4,17b war das Gott grundsätzlich charakterisierende und seine Möglichkeiten bezeichnende Handeln des Lebendigmachens der Toten, das sich nach dem Zeugnis von Schrift und Tradition in dem von Gott gewirkten Hinzukommen von Heiden in den durch Israel bestimmten Heilsraum (dikaiosÚnh) Gottes manifestiert, Grund und Garant für die These von Gottes einheitlichem Heilshandeln nicht nur an Juden, sondern auch an Heiden (3,30), das auf die Entstehung aktueller gemischtchristlicher Gemeinden abzielt. Mit dieser Verbindung von dika…wsij mit ™ge…rein und nicht mit paradidÒnai wird der Bezug von 4,25b zu 3,30 über die von 3,30 herkommende und in 4,25 mündende Argumentation in Röm 4, die unterwegs das Lebendigmachen Gottes berührt, ganz deutlich. Damit ist ein beabsichtigter Bezug zu 3,25 ausgeschlossen, denn in diesem Fall hätte dika…wsij statt mit ™ge…rein mit paradidÒnai verbunden werden müssen. Somit kann sich dika…wsij in V.25b auch nicht auf Gottes dikaioàn in 3,21–26 beziehen. Stattdessen ist aber eben dika…wsij mit ™ge…rein verbunden, das über 4,17b.21 das grundsätzliche Handeln Gottes mit einbezieht und somit auf Gottes grundsätzlich ausgesagtes dikaioàn in 3,29.30 verweist.
266 Vgl. S. Legasse, Romains, 328f.
260
Römer 4
Das unterstreicht unsere Feststellung, dass der Teilabschnitt 4,1–25 als Begründung einer These dem Abschnitt 3,27–31 mit seiner These in 3,29.30 zuzuordnen ist – und eben nicht eine Begründung zu 3,21–26 darstellt. Damit ist aber auch unsere Bestimmung von Röm 4 als Gotteskapitel bestätigt. Mit der Bestimmung von 4,25 als letzte Worte des Abschnittes der argumentativen Ausführung und des Beweises der These von 1,16.17 wird abschließend noch ein Weiteres deutlich, das im Verlauf unserer Darstellung auch immer wieder eine Rolle gespielt hat: Indem wir 4,25 selbst und auch 4,23–25 bestimmt hatten als Teil der Beschreibung des Handelns Gottes, wie es sich konkretisiert für das Wir des Briefschreibers und seiner Adressaten, die wiederum als Repräsentanten einer gemischtchristlichen Gemeinde zu bestimmen sind, zeigt sich, dass die Argumentation und Darstellung im Brief nicht Selbstzweck und letztes Ziel, sondern dadurch bestimmt und zu verstehen sind, dass sie auf die aktuelle, konkrete geschichtliche Situation von briefschreibendem Ich und seinen Adressaten zielen und damit funktional zuzuordnen sind zur geschichtlichen Situation der paulinischen Mission mit ihren Gemeinden aus Juden und Heiden.
4.5 Fazit Die eingangs geäußerte Vermutung, dass es sich bei Röm 4 nicht um das „Abrahamkapitel“ des Römerbriefes, sondern um ein „Gotteskapitel“ handelt, bei dem Abraham das Thema für das Rhema der Gottesaussagen bildet, hat sich in mehrfacher Hinsicht klar bestätigt: Stichwortverbindungen zu 3,27–31 und die unmittelbare Folge von Röm 4 auf diesen Abschnitt zeigen an, dass Röm 4 die Funktion eines Schriftbeweises bzw. „eines Schrift- und Traditionsbeweises“ für 3,27–31 und seine zentrale Gottesthese in 3,29.30 zukommt. Weitere Stichwortverbindungen von 1,18–32 zu Röm 4 weisen darauf hin, dass für Röm 4 auch eine besondere Beziehung zu 1,18–32 besteht. Insofern in 1,18–32 das Versagen der Heiden in der Erkenntnis und der Akzeptanz Gottes benannt wird, Röm 4 mit Abraham aber einen positiven Gegenentwurf in dieser Frage zeichnet, wird die rhematisch-funktionale Bestimmung von Röm 4 als Gotteskapitel bestätigt. Hinzu kommen die Beobachtungen zu Röm 4 selbst: In V.2 wird durch ¢ll' o§ prÕj qeÒn ein hermeneutischer Rahmen allein der Wirklichkeit Gottes gesetzt. Über die häufige Rekurrenz auf log…zesqai, das auch zum Stichwort- und Inhaltgeber für die gezera schawa des zweiten alttestamentlichen Zitates in V.7.8 wird, ist das Kapitel
Fazit
261
bestimmt als Diskussion des zweiten Teiles des Zitates von Gen 15,6 und damit als Erläuterung des Handelns Gottes; somit ist es ein „Gotteskapitel“ und kein „Abrahamkapitel“. Ein Blick auf Gal 3, wo der erste Teil des Zitates von Gen 15,6 – unterstützt durch die Verbindung mit einem weiteren Zitat Hab 2,4 über p…stij/pisteÚein – ausgeführt wird und wo über die Schrift die Argumentation mit Gott nur indirekt erfolgt, lässt diese Bestimmung von Röm 4 als Gotteskapitel noch weiter hervortreten. Die Form der partizipialen und damit liturgischen Gottesprädikationen nachempfundene oder solche repräsentierende Gottesaussagen (4,5.17b) und die Verknüpfung der Gottesaussagen mit pisteÚein/plhrofore‹n (4,5.17.21.24) weisen auf das Gewicht der Gottesaussagen und ihre Funktion, Gott in seinem ihn grundsätzlich charakterisierenden Handeln zu benennen, hin. All das bestätigt sich abschließend durch die letzten Worte von Röm 4 in V.25b, wo über die Verknüpfung von dika…wsij mit ™ge…rein auf die Verbindung von Gottes dika…wsij in Röm 4 mit seinem dikaioàn in 3,27–31 hingewiesen ist, womit sich unsere Bestimmung von Röm 4 als Schrift- und Traditionsbeweis zu 3,27–31 mit seiner Gottesthese in 3,29.30 endgültig bewahrheitet hatte. In Bezug auf die das ganze Kapitel Röm 4 bestimmende Rede von Gott konnte festgestellt werden, dass sie auf zwei unterschiedliche Aussagebereiche hin erfolgt. In V.1–22 in der einen Weise, die ihren Ausgangspunkt von einer jüdischen Perspektive nimmt, bei der Briefschreiber und Adressaten als abrahamitische Gruppe bestimmt sind, aber als solche für die Aussagen dann in den Hintergrund treten, sodass bei dieser Aussageweise gleichsam objektiv, neutral und allgemein herausgearbeitet wird, wie Gott und seine Wirklichkeit nach den Aussagen von Schrift und Tradition zu sehen sind. In V.23–25 in der anderen Weise, in der Briefschreiber und Adressaten hervortreten als in das Handeln Gottes involviert, in der Briefschreiber und Adressaten als jesuanische Gruppe auftreten, und die damit subjektiv-konkret als aus einer christlichen Perspektive erfolgend bestimmt werden kann. Dabei macht die bei allen Signalen der Abgrenzung bestehende Zuordnung und Verbindung der beiden Abschnitte deutlich, dass es sich in der Tat um zwei verschiedene Perspektiven handelt, die sich auf einund denselben Gegenstand beziehen, und nicht um einander entgegengesetzte, sich ausschließende Redeweisen, die in ihrer Differenz womöglich unterschiedliche Gegenstände generieren. Ihr Verhältnis kann bestimmt werden als die Rede davon, wie Gottes ihn grundsätzlich charakterisierendes Handeln nach Schrift und Tradition allgemein zu be-
262
Römer 4
stimmen ist, und als Rede davon, wie Gott sein so und unabhängig von Jesus Christus grundsätzlich bestimmtes Handeln in der Gegenwart in Christus konkretisiert hat. Zusammengehalten werden diese Redeweisen weiter durch den Zusammenschluss aller Menschen durch Gott zu einem Ziel (11,32) und die Hinordnung allen Geschehens auf Gott zu einem Ziel (11,36). Damit bestätigt sich zum einen das Phänomen, dass Paulus keine dogmatischen Aussagen an sich, auch nicht über Gott, trifft, sondern je nach Situation und Argumentationszusammenhang einen Gegenstand in unterschiedlicher Redeweise und aus unterschiedlicher Perspektive darstellen kann (1Kor 9,19ff). Und zum anderen wird durch die Existenz verschiedener Redeweisen und Perspektiven auch hinsichtlich des einen Gottes das bestätigt, was W. Schrage als These geäußert hat, dass Paulus und mit ihm die Menschheit noch „unterwegs zur Einzigkeit und Einheit Gottes“267 sind, die sich erst noch endzeitlich vollkommen – nämlich über die ihr entsprechende Einheit der Menschheit – realisieren muss. Inhaltlich und funktional lassen sich die Gottesaussagen aus dem ersten Abschnitt V.1–22, insbesondere die drei mit pisteÚein/plhrofore‹n aus V.5.17.21 verbundenen, auf eine Linie bringen, so dass sie ausnahmslos, jede für sich und alle zusammen, dem einen Argumentationsziel der Antwort auf die Frage von 3,29 und des Beweises der These von 3,29.30 durch die Aufrichtung des nÒmoj im weiteren Sinne dienen. Sie können alle bestimmt werden als traditionelle jüdische Gottesaussagen, bzw. als aufgrund von Schrift und Tradition paulinisch zugespitzte Aussagen, die im Rahmen einer Relecture der Tradition wie jede andere Relecture auch diesen nicht sprengen. Inhaltlich liegen die Aussagen auf einer Linie, insofern sie alle den Bezug von Gottes zum Heil führenden Handeln zu den Heiden herstellen, dabei aber auch die Juden nicht ausschließen. Dabei wird mit ¢ll' o§ prÕj qeÒn zunächst die Wirklichkeit Gottes als der menschlichen Wirklichkeit gegenüberstehend und diese für ihren Bereich ausschließend bestimmt und über Gottes log…zesqai gekennzeichnet. Damit spielen auch die der menschlichen Wirklichkeit entstammenden Elemente der Unterscheidung von Juden und Heiden wie kaÚchma, œrga (nÒmou), Ñfe…lhma, misqÒj keine Rolle, und Gottes Wirklichkeit ist bestimmt durch ein Heilshandeln, das anknüpfungslos allein seine Aktivität ist und dementsprechend keine menschliche Unterscheidung, auch nicht die von Juden und Heiden, kennt. Deshalb ist der eine Gott ein Gott für die aus der Perspektive seiner Wirklichkeit unterschiedslose und da267 So der vollständige Titel von W. Schrage, Einheit.
Fazit
263
mit eine Menschheit, und somit auch ein Gott für die Heiden, die nur jüdisch-menschlich unterschieden werden. Die partizipialen Gottesprädikationen von V.5 und V.17b formulieren explizit und auf positivem Wege, dass und wie Gott an den Heiden handelt. In ihrer grammatischen Form und durch ihre enge Verbindung zu Schrift und Tradition benennen sie dieses Handeln als ein von Schrift und Tradition ausgesagtes, Gott grundsätzlich charakterisierendes Handeln: In V.5 wird an Abraham grundsätzlich deutlich, dass Gott der ist, der Heiden rechtfertigt und damit in den Heilsraum einer Gottesbeziehung holt. Dadurch sind aber die Juden nicht aus-, sondern eingeschlossen, denn aufgrund ihrer z.B. an David sichtbaren Übertretungen stehen auch sie außerhalb des Gesetzes und sind so in die Rechtfertigung der außerhalb des Gesetzes Stehenden einbezogen. Hier zeigt sich, wie stark Abraham bei Paulus zum Paradigma für die Bestimmung Gottes wird, was in Abrahams entsprechender Funktion im zeitgenössischen Judentum begründet ist: Das einmalige, auch von der Tradition nahezu übereinstimmend bezeugte Geschehen der Abrahamgeschichte, dass Gott mit Abraham, als dieser noch Heide in Babylonien war, eine Heilsbeziehung begonnen und konstituiert hat, wird von Paulus paradigmatisch so rezipiert, dass Gott in seinem Handeln wesentlich ein an den Heiden und ihren Bedürfnissen orientierter Gott ist. Die geniale Tat von Paulus liegt also darin, diesen Aspekt der Abrahamgeschichte der Tradition in die gewichtige Form einer partizipialen Gottesprädikation gegossen zu haben. Dass die dadurch entstandene Aussage des die Heiden rechtfertigen Gottes in ihrer Bedeutung von uns keineswegs überschätzt ist, wird daran deutlich, dass das von Gott verliehene Heil in V.11 dikaiosÚnh tÁj p…stewj tÁj ™n tV ¢krobust…v genannt wird, und dass Gott Abraham das Siegel der Beschneidung verleihen muss, damit ihm in seinem an den Heiden orientierten Handeln Israel nicht aus dem Blick gerät. Mit den schon in diesem Sinn des Hinzukommens von Heiden in der Tradition verwendeten Gottesprädikationen von V.17b wird Gottes Möglichkeit, an den Heiden zu handeln, unterstrichen und ebenfalls als ein ihn grundsätzlich charakterisierendes Handeln ausgesagt. Der Terminus kale‹n bestätigt explizit, was implizit schon deutlich war: Alles Handeln Gottes und die Diskussion von Röm 4 zielen auf die Konstitution einer neuen Gemeinschaft durch Gott, nämlich auf die gemischtchristliche Gemeinde aus Juden und Heiden. Und insofern sind hier in zweiter Linie dann auch die Juden in das Handeln Gottes mit eingeschlossen. Der Schöpfungshintergrund und der Hintergrund der Umkehrungsaussagen bei den Aussagen von V.17b transportiert das Element der ab-
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Römer 4
soluten und totalen Souveränität Gottes mit, das auf der Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf, Gott und aller anderen Wirklichkeit, von Gott und Mensch basiert. Unterstützt werden die Gottesprädikationen durch Schriftzitate, die ausdrücklich auf Gottes Willen und eine universale, und d.h. Heiden einschließende Menschheit zielen. Zieht man nun eine Linie von V.2 mit dem hermeneutischen Rahmen der allein maßgebenden Wirklichkeit Gottes über die wirkungsvolle Formulierung der Abrahamgeschichte als Gottesprädikation in V.5 und die Schöpfungs- und Umkehrungsaussagen in V.17b, so wird deutlich, worin das Proprium der paulinischen Gottesaussagen liegt und wie ihr Verhältnis zu Schrift und Tradition, zum umgebenden antiken Judentum zu bestimmen ist: Die Differenz liegt nicht in dem, was von Gott als möglich ausgesagt wird, denn inhaltlich sind alle Aussagen in den Rahmen der Tradition einzuzeichnen. Der entscheidende Unterschied ist, dass Paulus eine absolute Totalität Gottes und seiner Wirklichkeit entwirft, die allein maßgebend für die Diskussion aller theo-logischen und theologischen Fragen ist, und dass er in diese absolute Totalität traditionelle Einzelmotive und Elemente einzeichnet, die so an dieser allesbestimmenden Ganzheit partizipieren und diese inhaltlich ausfüllen, dass für anderes kein Platz mehr ist. Selbstverständlich ist auch die Möglichkeit der Betonung von Gottes Gottheit in ihrer ausfüllenden und bestimmenden Differenz zu allem anderen ein Element, das aus Schrift und Tradition entnommen werden kann. Diese Zuspitzung in der Kombination mit der spezifischen Auswahl der einzelnen Elemente des Handelns Gottes, die eingezeichnet werden, ist dann paulinisches Profil. Die Antwort auf die Frage von 3,29 und der Beweis der These von 3,29.30 stellt sich folglich so dar: Gott ist Gott auch der Heiden, weil seine Taten des Rechtfertigens des Heiden Abraham, des Lebendigmachens der toten Heiden und des Rufens der nichtseienden Heiden als Gottes Taten an der souveränen Totalität Gottes und seiner Wirklichkeit teilhaben bzw. diese material bestimmen und es damit nichts anderes über Gott auszusagen gibt. Er ist ganz bestimmt ist als der, der an den Gottlosen, außerhalb des Gesetzes Stehenden handelt. Weil die Juden auch außerhalb des Gesetzes stehen und ebenfalls tot sind und es somit für Gott keinen Unterschied von ihnen zu den Heiden gibt, sind sie in gleicher Weise und ohne jeden Unterschied (3,22b.23a) in dieses an den Heiden orientierte Handeln Gottes mit einbezogen, das aufgrund der Einheit Gottes und seiner souveränen Totalität nur das eine Handeln Gottes sein kann. Mit dieser eher impliziten Integration der Juden, über die und für die in der
Fazit
265
Argumentation von Röm 4 immer nur in zweiter Linie etwas ausgesagt wird, wird auch der V.30 als eben zweiter Teil der These von 3,29.30 bestätigt. In der Ausrichtung der Frage nach Gott auch für die Heiden hatte sich also die Reihenfolge des Zuerst-und-ebenso-auch des Handelns Gottes im Hinblick auf Juden und Heiden von Röm 1,16 in Röm 4 genau umgekehrt. Ein letzter Aspekt der paulinischen Rede von Gott in Röm 4 ist noch anzuführen. Die Bedeutung und das Gewicht der paulinischen Darstellung Gottes wird bestimmt durch die mehrfache Verknüpfung des von Gott Ausgesagten mit pisteÚein/plhrofore‹n und durch die Gottesaussage von V.21. Durch V.21 wird unmissverständlich herausgestellt, was immer schon mehr oder weniger auch Teil der Rede von Gott in Röm 4 war: Es handelt sich keinesfalls um eine abstrakte Darstellung Gottes, die somit ohne Konsequenzen für die menschliche Wirklichkeit bleibt, sondern nichts von dem, was Gott in Schrift und Tradition über sich selbst sagt, kann relativiert werden, indem man seine unmittelbare Bedeutung für die aktuelle, erfahrbare menschliche Wirklichkeit in Frage stellt. Vielmehr gehört zu Gott selbst, dass er das Wort und die Verheißung seiner Wirklichkeit in die menschliche Wirklichkeit transferiert und ein Wort und seine Verheißung als die menschliche Wirklichkeit bestimmend in ihr erfahrbar macht. Während es also keinen Weg und keinen Berührungspunkt vom menschlichen poie‹n in die göttliche Wirklichkeit gibt, gehört zur absoluten Totalität Gottes, das Wort und die Verheißung seiner Wirklichkeit in die menschliche Wirklichkeit des poie‹n zu überführen und es dort als poie‹n erfahrbar zu machen. Während es also kein menschliches poie‹n im Hinblick auf die göttliche Wirklichkeit gibt, gibt es ein göttliches poie‹n in der menschlichen Wirklichkeit, was sich alttestamentlich etwa im dry Gottes ausdrückt. Das heißt aber nichts anderes, als dass die gemischtchristlichen paulinischen Gemeinden als die durch Gott selbst in der menschlichen Wirklichkeit erfahrbar gemachte Wirklichkeit Gottes zu verstehen sind. Die Verbindung der Gottesaussagen mit pisteÚein/plhrofore‹n weist darauf hin, dass es um die Anerkennung und Akzeptanz des von Paulus entworfenen Gottesbildes geht. In der Argumentation war Gottes Heilshandeln als alleinige Aktivität Gottes dargestellt worden und dementsprechend im Verlauf der Argumentation dem zunächst angeführten pisteÚein/p…stij über V.6.7–8 jede Bedeutung in diesem Zusammenhang genommen. Stattdessen kam pisteÚein/p…stij die Funktion des Verhaltens zu den von Paulus angeführten Gottesaussagen, und d.h. die Funk-
266
Römer 4
tion der Anerkennung und Akzeptanz dieser Gottesaussagen und damit der rechten Erkenntnis Gottes, zu. Damit wird aber die Frage der Auseinandersetzung um das paulinische Evangelium und die paulinische Mission mit ihrer Entstehung von heiden- und gemischtchristlichen Gemeinden zu einer Frage der rechten Erkenntnis Gottes, insofern Gott in seiner Wirklichkeit und in dem ihn grundsätzlich charakterisierenden Handeln Urheber und Garant der paulinischen Verkündigung und ihrer Gemeinden ist. An diesem Punkt der rechten Erkenntnis Gottes scheitern Juden und Heiden gleichermaßen. Die Heiden scheitern, weil sie als in 1,18–32 geschildertes Gegenbild des Gott recht glaubenden Abraham von Röm 4 nicht zur rechten Erkenntnis und Anerkenntnis des Gottes, der als machtvoller Schöpfer ¢sšbeia abwendend und dikaiosÚnh anrechnend Heil für sie bereithält, gelangen. Die gegnerischen Juden und Judenchristen, die implizit als Adressaten der paulinischen Argumentation erscheinen (3,8; 4,1), scheitern mit ihrem Zweifel an der paulinischen Verkündigung und der heilvollen Legitimität der paulinischen Gemeinden ebenfalls an der rechten Erkenntnis und Anerkenntnis Gottes, weil sie in ihrem Zweifel den dahinterstehenden Gott Israels, wie er in seiner alles bestimmenden Wirklichkeit von Schrift und Tradition bezeugt wird, nicht recht erkennen. Insofern wird in Röm 4 die Frage der paulinischen Botschaft und ihrer Gemeinden zu einer Gottesfrage, an der alle Nichtglaubenden scheitern, weil sie den dahinterstehenden Gott, der in seinem begründenden Handeln total ist, nicht richtig erkennen und ihn in seinem Handeln nicht anerkennen. Die Juden verkennen dabei die Wirklichkeit Gottes, wie sie in ihrer eigenen Tradition, im nÒmoj im weiteren Sinne, bezeugt ist, den Paulus deshalb aufrichtet und aufrichten muss. Mit diesem Nichterkennen und Nichtanerkennen des paulinischen Gottesbildes ist natürlich über das rechte Gottesverhältnis und die Zugehörigkeit zu Gott und seinem Heilsraum entschieden, da Abrahams pisteÚein und plhrofore‹n semantisch besetzt wird als das grundsätzlich geforderte didÒnai dÒxan tù qeù (4,21), woran Heiden (1,21.25) und Juden (2,23) scheitern. Die Christen, die Gruppe von Briefschreiber und Adressaten, hingegen stehen wie Abraham im Heil und in der Gottesbeziehung, weil sie das Gottesbild des Abraham aufrechterhalten. Die an Abraham geschilderte Wirklichkeit Gottes bleibt für sie wirksam, weil sie an das Christusgeschehen als Konkretion dieser Wirklichkeit glauben, die in der Konstitution eines durch œqnh/¢seb»j bestimmten Heilsraumes aus toten, gesetzlosen Juden und Heiden besteht und mittels Abraham allgemein ausgesagt ein Gott grundsätzlich charakterisiendes Handeln ist.
Fazit
267
Wenn auch die Christen an das Handeln Gottes im kÚrioj 'Ihsoàj glauben, so entscheidet sich doch nach der Darstellung von Röm 4 aufgrund der Anführung von Abraham als Thema für das Rhema der Gottesaussagen in V.1–22 die Frage von Heil und Unheil nicht (erst) an der Frage nach dem Verhältnis zu Christus, sondern die Gottesfrage allein entscheidet über Unheil und Heil. Sie ist in Röm 4 das entscheidende Kriterium, nicht Jesus Christus. Damit ist aber nach Röm 4 die paulinische Verkündigung und ihre Mission keine Frage von Christologie oder Anthropologie, sondern allein eine Frage der Theo-logie.
Kapitel 5 Römer 9 5.1 Thema und Einordnung Nach der deutlichen Zäsur nach 8,39 spricht 9,1–5 ein Problem an, das sich aus der Darstellung von Röm 1–8 ergeben hat. Dieses Problem wird zu Recht „Israelproblem“ genannt.1 Dabei ist es aber wichtig, das Problem exakt zu fassen: Wie suggene‹j kat¦ s£rka deutlich macht, handelt es sich um ein geschichtlich-empirisches Problem hinsichtlich der 'Israhl‹tai. Benannt wird das Problem aber erst in 9,30ff: Israel hat die Gerechtigkeit aus Glauben nicht erlangt, stattdessen haben die Heiden diese erreicht. Das Problem besteht also in der historischen Erfahrung, dass sich die Mehrzahl der Juden dem von Paulus skizzierten Heilshandeln des Gottes, der Ð qeÕj 'Iouda…wn (Röm 3,29) ist, verweigert bzw. diesem nicht entspricht, während in den paulinischen Gemeinden zu wesentlichen Anteilen Heiden vertreten sind. Damit ist der geschichtliche Charakter des Problems deutlich. Es geht nicht um die Frage von Inkonsistenzen im Rahmen des in Röm Gesagten als Argumentation auf der Basis von Schrift und Tradition. Das Problem liegt nicht auf der Ebene, dass per se aus dem Gesagten ein Widerspruch zu dem entsteht, was in der Schrift gesagt ist. Die von uns immer wieder betonte Konsistenz und Kontinuität zu dem, was Schrift und Tradition sagen, ist durch das Gesagte selbst nicht direkt berührt. Erst durch das aktuelle Verhalten Israels kommt es zu einem Problem, insofern Israel aufgrund der Ablehnung des paulinischen Evangeliums vom Heilshandeln des einen Gottes in einen Unheilszustand fällt, der mit der in Schrift und Tradition vertretenen heilvollen Bindung dieses Gottes an Israel in eine Spannung gerät und vor allem dadurch verschärft wird, dass gleichzeitig die Heiden dieses
1
P. Stuhlmacher, Römer, 131; K. Haacker, Römer, 179; auch E. Lohse, Römer, 262 und viele andere mehr.
Abgrenzung des Abschnittes
269
Heil erlangen2. Das wiederum wirft dann natürlich die Frage nach Gott, Kontinuität und Konsistenz auf. Diese Frage wird nun in zweierlei Weise bearbeitet: in 9,6ff als Gottesfrage, was aus dem häufigen Gebrauch von qeÒj, oft auch als Subjekt, deutlich wird. Ab 10,1 tritt vornehmlich ein anderes Subjekt auf, nämlich Israel, und die Frage wird als Frage Israels verhandelt3. Im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit ist also zunächst 9,6ff zu untersuchen, und zwar so, wie K. Haacker zu Recht formuliert: „Die Israelfrage als Gottesfrage“4. Dass die in 9,1–5 aufgeworfene Israelfrage als Gottesfrage verhandelt werden muss, ist nach 3,1–8 und insbesondere auch nach 3,29 ('Iouda…wn Ð qeÒj) nicht verwunderlich, weil der eine Gott der Welt eben von der auch für Paulus die entscheidende und unverzichtbare Autorität darstellenden Schrift als der Gott Israels bezeugt wird. Dies alles wird umso deutlicher, wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass das bisher von Paulus Geschilderte immer wieder als das ureigene Handeln dieses Gottes akzentuiert wurde.
5.2 Abgrenzung des Abschnittes Zunächst sind zur Abgrenzung nach vorne einige Bemerkungen zu machen. Denn so richtig es ist, dass V.6a so etwas wie eine Überschrift darstellt5 und damit den Beginn eines neuen Abschnittes markiert, so wichtig 2
3 4 5
Damit geht etwa das Statement von A.H. Wakefield, Sovereignty, 67 zu Röm 9–11, „Rather than discussing the inclusion of the Gentiles; Paul turns instead to the status of Israel“ an der exakten Problembeschreibung vorbei. Paulus begründet, wie wir im einzelnen noch sehen werden, die Frage nach Israel als Frage nach der Berufung der Heiden und umgekehrt: vgl. nur V.24 und 11,11ff.30f. Aber auch hier wie in Röm 11 ist die Frage unlösbar mit den Heiden verbunden, vgl. nur 10,12.18; 11,11ff. K. Haacker, Römer, 188. Vgl. E. Lohse, Römer, 272; J.D.G. Dunn, Romans II, 539; C.E.B. Cranfield, Romans II, 473 u.v.a.m. Dabei weist J.D.G. Dunn zurecht darauf hin, dass V.6a als Überschrift nicht nur über 9,1–29 (so etwa G. Röhser, Prädestination, 116; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 45), sondern über den gesamten Teil Röm 9–11 fungiert (so auch R.H. Bell, Call, 212; K. Haacker, Römer, 190; E. Käsemann, Römer, 251; C.E.B. Cranfield, Romans II, 473; U. Wilckens, Römer 2, 191; R. Schmitt, Gottesgerechtigkeit, 72.76; F. Siegert, Argumentation, 124.174; M. Rese, Rettung, 423). Dies wird neben den vielen, vielen Schriftzitaten, die sich eben durch alle drei Kapitel Röm 9–11 ziehen, deutlich durch die Aussagen des Schlusses in 11,25ff, insbesondere 11,29. – Schon diese Beobachtung, dass V.6a als Überschrift fungiert – und nicht V.6b (so etwa G. Klein, Präliminarien, 335), denn er enthält ein begründendes g£r – und damit das Thema angibt, ist ein erster Hinweis auf die im Folgenden vertretene These, dass es in 9,6–33 weniger um einen doppelten Israelbegriff mit einer Scheidung innerhalb Israels geht als um die Diskussion des einen Heilshandelns Gottes (vgl. auch H.-M. Lübking, Paulus, 62; ähnlich auch G. Eichholz, Theologie, 293 und D. Zeller, Juden, 115, die beide aber das Heilshandeln zu eng auf Israel und nicht auf die eine Heilsgruppe beziehen).
270
Römer 9
ist es auch, den umstrittenen V.5b mit in die Diskussion einzubeziehen. Denn immer wieder ist auch der Übergang von V.5b zu V.6a thematisiert worden. So ist behauptet worden, dass hier „kein unmittelbarer Übergang zu erkennen“ sei6, oder es wurde die Frage gestellt, ob nicht zwischen V.5b und V.6a ein Bruch bestehe7, insofern V.4.5 die Besitztümer Israels und die Verbindung Gottes zu Israel festhalten und ab V.6ff dann im Prinzip das Gegenteil davon ausgesagt werde8. Dieses Problem kann sicher auch nicht dadurch gelöst werden, dass man wie K. Wengst versucht, die Aussagen von V.6ff dahingehend zu verstehen, dass sie uneingeschränkt positiv von einem einheitlichen empirischen Israel sprechen9. Denn dazu ist zum einen festzuhalten, dass Teil-Aussagen und einschränkende Aussagen über Israel doch zu deutlich (o§ / ¢ll¦ t¦ tškna V.8; ØpÒleimma V.27; o§k œfqasen V.31) sind – ohne dass damit das Anliegen, die Israel-Aussagen nicht vorschnell einer undifferenzierten Bewertung zu unterziehen, in Gänze abgewehrt oder als unnötig eingestuft werden soll. Zum anderen zeigt auch V.2 an, dass eine Diskrepanz zwischen Israel-Zusagen und Israel-Zustand nicht erst ab V.6ff benannt wird und damit die Rede von irgendeiner Diskrepanz oder einer Veränderung im Israelbegriff ab V.6ff nicht zusammenhanglos und überraschend kommt, sondern vorbereitet ist. Dementsprechend muss ein anderer Weg des Übergangs gesucht werden, und es lässt sich auch aufgrund semantischer Zusammenhänge eine sinnvolle Zuordnung von V.5b und V.6a vornehmen: Dafür ist zunächst einmal ganz klar auszuschließen, dass qeÒj V.5 sich über einen Relativsatz auf Christus bezieht10. In dieser Frage kann nämlich wirklich nicht sein, was nicht sein darf11: Schon unsere bisherigen Untersuchungen hatten die deutliche Unterscheidung zwischen Christus und Gott immer wieder als kennzeichnend für die paulinische Rede von Gott zu Tage gefördert, verbunden mit einer klaren, programmatischen Überordnung von Gott über Christus. Weitere Belege aus den echten Paulusbriefen bestätigen dies12, insbesondere 1Kor 15,28; 8,6; 12,6, so dass aufgrund des paulinischen Profils der Rede von Gott ausgeschlossen 6 7 8 9 10 11
12
O. Michel, Römer, 298; vgl. M. Rese, Israel, 208. Vgl. W. Schmithals, Römer, 337. Das konstatiert K. Wengst, Interpunktion, 376 bei einem Verständnis von 9,6b als Aussagesatz. Vgl. a.a.O., 376ff.380. So etwa H.-C. Kammler, Prädikation, 166ff.180; D.J. Moo, Romans, 586; M.J. Harris, Jesus, 143ff.170–172; weitere Vertreter siehe bei H.-C. Kammler, ebd. Das ist das Argument gegen eine Verbindung von qeÒj und CristÒj, was H.-C. Kammler, Prädikation, 171ff aufs Korn nimmt, aber ebenso wenig entkräften kann wie D.J. Moo, Romans, 583–586; vgl. dazu auch Anm. 13. Vgl. dazu W. Schrage, Monotheismus, 138.
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werden kann, dass Christus hier als Gott bezeichnet wird13. Wenn dieser sonst nie erwähnte oder auch nur irgendwie angedeutete Gedanke14 hier tatsächlich benannt werden sollte, dann wäre zu erwarten, dass diese plötzliche Benennung auf irgendeiner Ebene des Textes thematisiert wird und bzw. oder dass dieser neue Gedanke in irgendeiner Weise eine Funktion in der Argumentation hat15, aus der heraus seine – unkommen-
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Auch H.-C. Kammlers Argumente für eine paulinische Sicht von Jesus als Gott (Prädikation, 178) treffen die Annahme eines paulinischen Axioms der Gottheit allein Gottes nicht. Denn dass es eine deutliche Parallelität zwischen Gott und Christus in der paulinischen Rede gibt (etwa ™kklhs…a toà qeoà/toà Cristoà), bedeutet in keiner Weise, dass damit das übergeordnete Axiom der Unterscheidung durchbrochen wäre. Dass Christus in manchen Punkten, die nicht Gottes Gottheit betreffen, mit Gott parallelisiert wird, ist keine Frage seiner Göttlichkeit, insofern etwa z.B. die christliche Gemeinde in ihrer Identität durch ihn bestimmt ist, wie Israel durch die Tora, oder er Mittlerschaften übernimmt, die der Messias oder ähnliche Größen übernehmen können. Dadurch entsteht ein in bestimmten Punkten gottgleicher Status, was aber genau darauf hinweist, dass es eben nicht um eine Überbrückung der kategorialen Differenz, des Wesensunterschiedes geht. Dies wird dadurch deutlich und sanktioniert, dass es gerade in den Punkten, die Gottes Gottheit markieren, keine Parallelisierung Gottes mit Christus gibt: Die dÒxa in der Funktion der Charakterisierung Gottes (dazu gehört deutlich nicht 2Kor 8,23: „Abglanz“; vgl. 1Kor 11,7) bleibt allein Gott vorbehalten und bildet als dÒxa toà qeoà das Ziel für Christi Handeln und Funktionen (Röm 15,6.7; 2Kor 9,13; Phil 1,11; 2,11) und markiert so unwiderlegbar die kategoriale Differenz zwischen Gott und Christus. Das bestätigen gerade die Ausnahmen 2Kor 4,4, denn wo hier von der dÒxa Cristoà die Rede ist, wird sogleich hinzugesetzt, dass er nicht Gott, sondern die Ikone Gottes ist, und 1Kor 2,8, wo sich die dÒxa aus dem Kontext ergibt und wiederum Gott deutlich als übergeordneter Rahmen markiert ist (gegen R. Brucker, Jesus, 118). Hinzu kommt, und das ist ein sehr schwerwiegendes formgeschichtliches Argument, dass sich bei Paulus wie im Neuen Testament überhaupt (vgl. K. Haacker, Römer, 187) alle Eulogien auf Gott beziehen (Röm 1,25; 11,36; 2Kor 1,3; Gal 1,5; vgl. Phil 4,20; vgl. auch R. Brucker, Jesus, 117). Auch eine Bezeichnung und gottesdienstliche Anrufung von Christus als kÚrioj wird zum einen von diesen dÒxaund dox£zein-Aussagen Gottes klar beschränkt und zum anderen durch Ps 110,1ff so erklärt, dass auch sie kein Argument für die Annahme einer Göttlichkeit Christi im paulinischen Denken ist (gegen H.-C. Kammler, Prädikation, 179). Das exegetisch gewonnene theologische Argument der Gottheit allein Gottes, die die Prädikation von Christus als Gott hier ausschließt, lässt sich also nicht außer Kraft setzen. – Wenn man dann auf der sprachlichen Ebene von V.5 auf Grund der Anschlusslosigkeit der Doxologie unüberwindbare Probleme annimmt, dann muss man sich E. Gütings Beurteilung anschließen, dass auf Grund der theologischen Unmöglichkeit, dass sich die Eulogie auf Christus als Gott bezieht, hier eine Textverderbnis angenommen werden muss (Amen, 147–150). Dies ist aber nicht nötig, denn gegen die stilistische Argumentation belegen 1,25; 2Kor 11,31 und auch Ps 67,19LXX eine Variabilität in den Eulogien (vgl. auch E. Lohse, Römer, 269), so dass man mit dem vorliegenden Text in seiner Deutung von qeÒj auf Gott vollkommen zufrieden sein kann. Vgl. auch N. Richardson, Language, 255: „Paul‘s Christ-language is grammatically subordinate to his God-language… and I suggest that this feature of his letters is theologically significant“. Vgl. auch D. Zeller, Römer, 173.
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Römer 9
tierte – plötzliche Einführung plausibel wird16. Weder das Eine noch das Andere ist hier aber der Fall. Hinzu kommt weiter, dass der Übergang von V.5b zu V.6a in der Tat als unbefriedigend betrachtet werden müsste, wenn in V.5b von dem „Gott ‚Christus‘“ als Besitz der Juden die Rede wäre, in V.6a dann aber von dem Wort Gottes (nämlich des Vaters, des in den Schriften redenden „Gottes Israels“) und dann von einer damit verbundenen Reduktion Israels. Die Feststellung, dass mit qeÒj in V.5b nicht Christus gemeint sein kann, wird vielmehr weiter unterstützt durch den folgenden Text: Denn dass ab V.6 dominant von „Gott“ als Gott die Rede ist, ist unumstritten, und auch von daher ist es – wenn man nicht Brüche im Text annehmen will – naheliegend, dass auch, weil nichts anderes angezeigt ist, im vorangehenden Text, also in V.5b, von Gott als dem im AT bezeugten Gott Israels und nicht von Jesus Christus die Rede ist17. Eine Rede von Christus als Gott wäre nicht nur im Gesamthorizont paulinischer Theologie singulär, sondern auch im unmittelbaren Kontext vollkommen isoliert, da in den nachfolgenden Versen von Christus nicht mehr die Rede ist – sondern eben von Gott –, geschweige denn eine vermeintliche Gottesprädikation Christi irgendwie ausgewertet oder in die Argumentation eingeordnet würde. Wenn man dies berücksichtigt, dann kann nun folgende, in der semantischen Situation begründete, sinnvolle Gliederung vorgenommen werden: Eine Zäsur ist nach V.5a vorzunehmen, wo die Aufzählung der Besitztümer des mit kat¦ s£rka verbundenen Israels endet18. V.5b steht über Ð qeÒj in semantischem Zusammenhang mit V.6ff und hat so überleitende Funktion19. Es lenkt den Blick weg von Israel auf Gott, von dem ab V.6 die Rede ist im Zusammenhang mit dem Israelproblem20. Zugleich wird – in guter Entsprechung zu der bisher ermittelten Rede von Gott – die singuläre und allem übergeordnete Sonderrolle Gottes als Gott ausgesagt mittels der Formulierung ín ™pˆ p£ntwn21, so dass darüber auch für das Israelproblem als geltend ausgesagt wird, dass es von höherer Warte aus betrachtet werden muss, was dann in V.6ff auch geschieht. Zugleich ist damit auch signalisiert, dass dieses Problem im Zusammenhang mit 16
17 18 19 20 21
Dieses Argument, dass eine Bezeichnung Christi als Gott hier absolut neu wäre, wird dadurch unterstrichen, dass die beiden anderen Eulogien in Röm (wie immer bei Paulus, vgl. Anm. 13) sich auf Gott beziehen (1,25; 11,36; vgl. dazu auch W. Schrage, Monotheismus, 138). Vgl. auch W.A. Meeks, Trusting, 212 mit Anm. 10. Vgl. a.a.O., 212. Ähnlich wie Ð ên e§loghtÕj e„j toÝj a„înaj in 2Kor 11,31. Vgl. W.A. Meeks, Trusting, 212; R. Schmitt, Gottesgerechtigkeit, 73; auch D. Starnitzke, Struktur, 303. Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 305.
Abgrenzung des Abschnittes
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der Aussage von steht, dass Gott über allem der Gott aller ist, und somit aus einer universalistischen bzw. einheitlichen Perspektive22 zu betrachten ist. Eine Opposition – oder vielleicht besser argumentative Modifizierung und Weiterführung – von kat¦ s£rka zu Ð qeÒj darf dabei durchaus mitgehört werden, nach dem, wie die Argumentation in Röm bisher verlaufen ist (1,3f; 2,28f; 3,20f; 4,1f)23. V.5b übernimmt somit ähnlich wie 2Kor 11,31 die Funktion, die bisherige Perspektive (V.1–5a) abzugrenzen und eine neue, angemessene zu eröffnen24. Damit haben wir aber einen deutlichen und sinnvollen Übergang von V.1–5a zu V.6ff, der eben durch V.5b geschaffen wird. Nach hinten lässt man den Abschnitt für gewöhnlich in V.29 enden und in V.30 einen in Röm 10 hineinreichenden Abschnitt beginnen25. Grund dafür ist wohl vor allem die Wendung t… oân ™roàmen in V.30. Demgegenüber ist aber Folgendes zu bedenken: Die Wendung t… oân ™roàmen leitet deutlich eine Folgerung aus dem Vorhergehenden ein, insofern danach kein neues Thema angegeben wird – wie etwa in 4,1: eØrhkšnai 'Abra£m; 6,1: ™pimšnwmen (neu) tÍ ¡mart…v (alt) – sondern das Óti eine Rede ohne Angabe eines neuen Themas anführt, welche sich demnach nur auf das bisher Gesagte beziehen kann und sich somit klar als eine Folgerung darstellt. Weiterhin haben wir auch in V.14 ein Beispiel für ein nicht sonderlich stark zäsierendes t… oân ™roàmen, welches die Einheit des übergreifenden Abschnittes nicht auflöst. Dazu passt nun, dass in 10,1 mit ¢delfo… und der nach V.1ff erneuten Anführung einer persönlichen Betroffenheit26 der rhetorische Einschnitt in 10,1 gegenüber dem t… oân ™roàmen; Óti… in V.30 als sehr viel größer erscheint. Weiter stimmt damit überein, dass in V.5b.6ff Gott Subjekt des Handelns und Thema ist, während es ab 10,1ff Israel ist27: In V.33 ist nun aber noch einmal deutlich und abschließend Gott mit der Gottesrede das Subjekt und das Thema. Zudem ist in V.6ff die Rede dadurch bestimmt, dass von verschiedenen 22 23 24
25 26
27
Vgl. K. Haacker, Römer, 187; T.H. Tobin, Rhetoric, 325; J.D.G. Dunn, Romans, 536. Vgl. dazu auch D. Starnitzke, Struktur, 34f u.ö. So auch, wenngleich eher andeutungsweise, R. Schmitt, Gottesgerechtigkeit, 73. Für V.5b als Eröffnung der theo-logischen Perspektive spricht auch die Korrespondenz der Doxologie zu 11,33–36. – Auch K. Haacker, Römer, 187, spricht von einem „Gedankenschritt“. Siehe nur E. Lohse, Römer, 284; D.J. Moo, Romans, 616; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 45. Dem entspricht, dass nicht nur hier, sondern auch 9,1ff und 11,1ff der Einschnitt jeweils durch eine persönliche Notiz markiert wird, so dass aufgrund der persönlichen Einschübe eine klare, dreiteilige Struktur Gott – Israel – Lösung entsteht. Vgl. auch M. Rese, Rettung, 422; P.W. Meyer, End, 30. Vgl. J. Lambrecht, Caesura, 147.
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Römer 9
Gruppen, die einander gegenübergestellt werden (und unter denen auch Israel ist), gesprochen wird, während ab 10,1ff nur Israel als alleinige Gruppe die Struktur bestimmt: Wie nun in V.6–29 von Isaak und Ismael, Jakob und Esau, vielleicht auch von Pharao und den Israeliten, verschiedenen Gefäßen, 'Iouda…oi und œqnh, Volk und Nicht-Volk die Rede ist, so ist auch V.30–33 bestimmt durch zwei gegenübergestellte Größen: œqnh und 'Isra»l. Damit dürfte deutlich geworden sein, dass die starken semantischen Verbindungen zu V.5b.6–29 und der rhetorische Neueinsatz in 10,1 einen konsequenten Zuschlag von V.30–33 zu 10,1ff ausschließen und stattdessen nahe legen, V.30–33 zu V.5b.6–29 zuzuordnen28. Immerhin endet so der Abschnitt, der in V.5b mit Gott und in V.6a mit dem gültigen und mit Israel in Verbindung gebrachten lÒgoj toà qeoà begonnen wurde, genau damit, dass Gott abschließend in der 1.Person in Richtung Israel spricht. Eine solche Gottesrede kommt nämlich erst wieder und dann auch nicht in dieser Deutlichkeit in 10,20f vor, wo sie ebenfalls abschließenden Charakter hat. Darüber hinaus enthält aber V.30–33, vor allem mit p…stij/pisteÚein und mit 'Isra»l, das in V.7–29 nicht auftaucht, in 10,1–20 aber bestimmend wird, auch Elemente, die auf 10,1ff vorausweisen, so dass V.30–33 auch deutlich ein transitorischer Aspekt zukommt29.
5.3 Analyse von Röm 9,6–33 5.3.1 V.6–9 5.3.1.1 V.6 V.6a nimmt nun, entsprechend unserer Darstellung, das auf, was V.5b deutlich gemacht hat: Der Blick ist von der Israelfrage auf Gott zu richten. Dabei wird durch den verneinten Inhalt gleich benannt, in welcher Weise das Problem „Israel“ die Frage nach Gott berührt: Weil Gott Israel in seinem Wort Heil zugesagt hat – formuliert in 9,4 mit verschiedenen Begriffen als bleibend, in 9,30, wie sonst oft, mit dikaiosÚnh als unerreicht30 –, wirft ein Unheilszustand weiter Teile Israels bei gleichzei28 29 30
Vgl. auch K. Haacker, Römer, 190; J. Lambrecht, Caesura, 147. Vgl. auch W.A. Meeks, Trusting, 214; W. Schmithals, Römerbrief, 362–365. Damit ist ganz deutlich, dass es sich ähnlich den lÒgia toà qeoà in 3,2 nicht um die apostolische Verkündigung handelt (so etwa R.D. Kotansky, Note, 24–30; auch P.-G. Klumbies, Rede, 214: „Der lÒgoj toà qeoà ist das an Christus gebundene Evangelium“), sondern um das, was Gott im Laufe seiner Beziehung zu Israel diesem zugesagt hat, also um das, was etwa in nÒmoj kaˆ profÁtai, in der Schrift, dokumentiert ist.
Analyse von Röm 9,6–33
275
tigem Erreichen dieses Heils durch die Heiden die Frage auf, ob Gottes Wort unzuverlässig und ohne Bestand sei. Das o§c oŒon macht dabei deutlich, dass es um Interpretationsmuster für ein Geschehen geht: Für den zur Debatte stehenden empirisch-geschichtlichen Sachverhalt wird eine Deutungsmöglichkeit formuliert und zugleich durch die Krasis mit o§c Óti als eine nicht zutreffende, eine vermeintliche (o§ dš)31, vehement ausgeschlossen32. Mit dieser rhetorischen Gestaltung wird erkennbar, dass es hier um die Behandlung tatsächlicher Probleme und die Abweisung naheliegender Einwände oder möglicher Bedenken geht33, anders als bei den Fragepassagen etwa in 3,27ff; 4,1 u.ö., in denen der Diatribenstil vornehmlich die Funktion hat, die Argumentation in Richtung des Argumentationszieles voranzutreiben34. Die mit der Negation der Hinfälligkeit des Gotteswortes verbundene Aufrichtung einer unverrückbaren Festigkeit des als heilvoll zu verstehenden Wortes Gottes in V.6a hat eine doppelte Funktion im Text: Zum einen ist sie nach vorne ein Hinweis darauf, warum Gott zu loben ist, und bestätigt so V.5b und die Verbindung von V.5b zu V.6a. Zum anderen bildet V.6a, syntaktisch nicht weiter verbunden und am Anfang stehend, die Überschrift und These für den nachfolgenden Text35. Dabei findet, wie wir gesehen hatten, das Motiv vom „Wort Gottes“ einen ersten abschließenden Bezugspunkt in V.33; dennoch reicht die Überschriftenfunktion von V.6a noch viel weiter: Denn das Thema der Verlässlichkeit des Gotteswortes und das Anliegen, gegenwärtiges geschichtliches Geschehen und Wort und Absicht Gottes im Hinblick auf Israel zur Deckung zu bringen, ist vor allem in Röm 11 ebenso stark wieder präsent wie mehrfache Aussagen über die Festigkeit und die ungebrochenen Implikationen von Gottes Wort zum Heil Israels. So darf man etwa ¢metamšlhta … ¹ klÁsij toà qeoà (11,29) ebenso in Entsprechung zu V.6a sehen36, wie auch die Rettung ganz Israels (11,26f) und die universale Heilsauflösung von Verstockung (11,32) so etwas wie eine Erfüllung oder Bestätigung der in V.6a gesetzten Überschriftenthese darstellen37. Damit haben wir aber mit der Behauptung der unverrückbaren Festigkeit von Gottes ei31 32 33 34 35 36 37
Vgl. auch G. Röhser, Prädestination, 116. So richtig E. Lohse, Römer, 272; vgl. BDR 3044 und BDR 4806. Vgl. nur K. Haacker, Römer 190; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 51.54. Vgl. dazu oben 3.4.2. Vg. oben Anm. 5. Vgl. K. Haacker, Römer, 243. Zugleich entsprechen sich auch 9,5b und 11,33–36 deutlich (die in 9,5b mit e§loghtÒj benannte Handlung wird in 11,33–36 ausgeführt, Stichwortverbindungen gibt es mit qeÒj/p©j und [a§tù ¹ dÒxa] e„j toÝj a„înaj ¢m»n), so dass von einer theologischen Rahmung von Röm 9–11 gesprochen werden muss. Vgl. dazu unten Kap. 6.2.2. Vgl. auch K. Haacker, Römer, 187; J.D.G. Dunn, Romans II, 529.539.
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Römer 9
genen Heilsansagen in V.6a eine entscheidende Gottesaussage als These für einen weitreichenden Abschnitt des Römerbriefes38. Dem entspricht und dies wird bestätigt durch den Befund, dass CristÒj nur viermal, und zwar eng zusammenstehend an einer Stelle (10,4–17), und sonst gar nicht im so überschriebenen Abschnitt Röm 9–11 vorkommt39. Wenn man diesen großen Bogen von der Behauptung des Bestehens des Wortes Gottes trotz der desolaten Lage Israels in V.6a bis zu der Verwirklichung dieses Wortes in der Rettung ganz Israels und des universalen Heils in 11,25ff anschaut und zugleich in Betracht zieht, wie bedeutend Jesaja als Zeuge des Gotteswortes für Paulus ist und wie intensiv dieser mit dem jesajanischen Zeugnis auch in Röm 9-11 arbeitet40, dann liegt es nahe, Jesaja auch für die in V.6a begonnene Konzeption näher in Augenschein zu nehmen: Insbesondere nämlich für p…ptein und mšnein und die damit verbundene Konzeption, in der das Fallen und Bestehen des Gotteswortes und Israels miteinander verwoben sind, ist Jes 40,7f und auch 55,10f41 als Hintergrund heranzuziehen42: Jes 40 7 Das Gras ist verdorrt, die Blume ist verwelkt, denn der Hauch des HERRN hat sie angeweht. Fürwahr, das Volk ist Gras. 8 Das Gras ist verdorrt, die Blume ist verwelkt. Aber das Wort unseres Gottes besteht in Ewigkeit (tÕ dÑ Áma toà qeoà ¹mîn mšnei e„j tÕn a„îna). 9 Auf einen hohen Berg steig hinauf, du Freudenbotin Zion! Erhebe mit Macht deine Stimme, du Freudenbotin Jerusalem! Erhebe sie, fürchte dich nicht! Sprich zu den Städten Judas: Siehe da, euer Gott! 10 Siehe, der Herr, HERR, kommt mit Kraft, und sein Arm übt die Herrschaft für ihn aus. Siehe sein Lohn ist bei ihm, und seine Belohnung geht vor ihm her.
38
39 40 41 42
Auch E. Brandenburger, der den Bezug von V.6a auf den gesamten Abschnitt Röm 9–11 ablehnt (Schriftauslegung, 54), attestiert an anderer Stelle die thematische und gedankliche Einheit von insbesondere Röm 9,6–29 und 11,11–32 und dass „in der Erörterung über das Wesen des Gotteswortes in 9,6–13 die Grundlage für die Gesamterörterung gelegt wurde“ (Schriftauslegung, 94). Vgl. nur J.D.G. Dunn, Romans II, 529. Vgl. J.R. Wagner, Heralds, 43–305; F. Wilk, Bedeutung, 473–478.407 u. passim. Vgl. dazu nur O. Kaiser, Gott 3, 87. Vgl. K. Haacker, Römer, 191. Zwar betonen D.-A. Koch, Schrift, 352 u. passim; R.B. Hays, Echoes, 37 u.ö. und J.R. Wagner, Heralds, 305 u. passim die Bedeutung der Schrift und insbesondere Jesajas für Röm 9–11, aber Jes 40,7; 55,10 als Rahmen für die dtjes. Kapitel von Jesaja, die Paulus in besonders intensiver Weise aus der Schrift anführt (vgl. dazu besonders A. Strobel, Untersuchungen, 182–189 und C. Wolff, Jeremia, 139 zu kale‹n), ist von ihnen bisher überhaupt nicht in ausreichendem Ausmaß für die Konzeption von V.6a in seiner Implikation für Röm 9–11 gesehen worden. So findet sich nur ein schwacher Hinweis bei J.R. Wagner, Heralds, 47 Anm. 10.
Analyse von Röm 9,6–33
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11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte, die Lämmer wird er in seinen Arm nehmen und in seinem Gewandbausch tragen, die säugenden Muttertiere wird er fürsorglich leiten. 12 Wer hat die Wasser gemessen mit seiner hohlen Hand und die Himmel abgemessen mit der Spanne? Und wer hat den Staub der Erde mit einem Maß erfasst und die Berge mit der Waage gewogen, die Hügel mit Waagschalen? 13 Wer hat den Geist des HERRN ermessen, und wer ist der Mann seines Rates, den er unterwiese? 14 Mit wem beriet er sich, dass er ihm Einsicht gegeben und ihn belehrt hätte über den Pfad des Rechts und ihn Erkenntnis gelehrt und ihn über den Weg der Einsicht unterwiesen hätte?
Deutlich ist hier die Aussage vom Bleiben des Gotteswortes in die Situation eines Unheilszustandes von Israel situiert. Sie markiert den Wendepunkt zu einer heilvollen Zukunft, die das Gotteswort zeitigen wird. Weiter ist damit die Aussage der absoluten Souveränität und der unbeschränkten Eigengesetzlichkeit Gottes verbunden, in dessen Absicht der Mensch keinen Einblick hat und zu dessen Handeln es kein menschliches Einfallstor gibt. Damit sind aber mit mšnein tÕ Áma toà qeoà Elemente verbunden, die auch am Ende von Röm 11 zu finden sind43. So legt es sich nahe, den Jesajatext als Subtext der Argumentation von Röm 9–11 anzunehmen und das Statement V.6a und die weitere Argumentation als offen auf das Heil Israels hin anzusehen. Hinzu kommt noch, dass im weiteren Verlauf von Jes 40 Gott als der unvergleichliche Schöpfer den menschlichen Gottes-Bildern und Gottes-Bildnern gegenübergestellt wird und damit auch die Richtung auf V.19ff gewiesen ist, in der Gott als der wahre und souveräne Bildner auftritt. Unterstützt werden diese Gedanken mit Jes 55 durch einen weiteren (dt.-)jesajanischen Text: Jes 55 4 Siehe, ich habe ihn zu einem Zeugen für Völkerschaften gesetzt, zum Fürsten und Gebieter von Völkerschaften. 5 Siehe, du wirst eine Nation herbeirufen, die du nicht kennst; und eine Nation, die dich nicht kannte, wird zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und wegen des Heiligen Israels. Denn er hat dich herrlich gemacht. 6 Sucht den HERRN, während er sich finden lässt! Ruft ihn an, während er nahe ist. 7 Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Mann der Bosheit seine Gedanken! Und er kehre um zu dem HERRN, so wird er sich über ihn erbarmen, und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung! 8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR.
43
In diese Richtung geht auch E. Brandenburger, Schriftauslegung, 90ff.
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Römer 9
9 Denn so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn wie der Regen fällt und vom Himmel der Schnee und nicht dahin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt, sie befruchtet und sie sprießen lässt, dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot dem Essenden, 11 so wird mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht. Es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird bewirken, was mir gefällt, und ausführen, wozu ich es gesandt habe. 12 Denn in Freuden werdet ihr ausziehen und in Frieden geleitet werden. Die Berge und die Hügel werden vor euch in Jubel ausbrechen, und alle Bäume des Feldes werden in die Hände klatschen. 13 Statt der Dornsträucher werden Wacholderbäume aufschießen, und statt der Brennnesseln schießen Myrten auf. Und es wird dem HERRN zum Ruhm, zu einem ewigen Denkzeichen sein, das nicht ausgelöscht wird.
Auch hier wird einer vermeintlichen Leere des Gotteswortes angesichts einer gegenwärtigen, scheinbar aussichtslosen Unheilssituation entgegengestellt, dass das Gotteswort prozessualen Charakter hat (55,11), an dessen Ende für den Menschen unausdenkbares, dezidiert göttlich motiviertes Heil steht. Hier sind die Aussagen erneut mit der alleinigen, absoluten und für Menschen uneinsehbaren Theonomie des göttlichen Wortes verbunden (55,9.11) und ebenso bemerkenswert mit dem Herbeirufen der Nationen durch Israel (55,4.5)44. Damit macht der begründet angenommene jesajanische Hintergrund für V.6a deutlich, dass es eine handfeste Beziehung zwischen dem Anfang und dem Ende von Röm 9–11 gibt. Die jesajanischen Texte beinhalten die übergeordnete, nichtmenschliche Souveränität Gottes mit dem Bleiben des Gotteswortes ebenso wie die Wendung zum Heil für Israel und den Einschluss der Völker. Damit wird die Beziehung von V.5b und V.6a zu 11,27–32.33–36 noch deutlicher, die somit so etwas wie einen Rahmen für Röm 9–11 entstehen lässt45. Mit dieser Profilierung können auch die Unterschiede innerhalb der Gemeinsamkeit von 3,1ff und 9,1ff deutlich herausgearbeitet werden. Beide Male steht die besondere, heilvolle Beziehung Israels zu Gott in Frage. Beide Male wird mit einer vielfältigen Heilsausstattung Israels durch das Wort Gottes, die als bleibend geschildert ist, geantwortet. Während 3,4 auf diese Spannung dann auch unter Einbeziehung des Menschen antwortet, indem auf die Frage nach Gott mit einer Profilierung Gottes unter Zuhilfenahme des Profils des Menschen geantwortet wird46, arbeitet 9,6ff 44 45 46
Vgl. dazu A. Strobel, Untersuchungen, 186; vgl. auch O. Kaiser, Gott 3, 87. Vgl. K. Haacker, Römer, 191.242–245; in diese Richtung gehen auch M. Rese, Israel, 212 und E. Brandenburger, Schriftauslegung, 90–94. Vgl. dazu oben 2.4.3 und 2.6.
Analyse von Röm 9,6–33
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(dt.-)jesajanisch allein mit der sich menschlichem Vorstellungsvermögen entziehenden, sich selbst Bezug und Erklärung genug seienden Gottheit Gottes. Hier ist das Thema deutlich durch das Heil der Heiden mitbestimmt. V.6b zeigt nun an, dass die Spannung und Frage dann entsteht, wenn man mit einem falschen Israelbegriff arbeitet – und dass Gottes Wort dann bestehen bleibt und Gott dann nicht in Frage gestellt ist, wie das g£r anzeigt, wenn man den richtigen Israelbegriff verwendet. Hier ist nun die von V.6bff gelieferte Definition des Israelbegriffes bei genauem Hinsehen äußerst interessant: Auszugehen ist dabei von der Beobachtung, dass bei ™x 'Isra»l hier als singulärer Fall Israel nach einer Präposition ohne Artikel steht.47 Damit und zusammen mit der Abstammung bezeichnenden Präposition ™k48 ist es naheliegend, dass ™x 'Isra»l sich auf „Jakob“ bezieht:49 „Nicht alle von Jakob Abstammenden sind Israel“. Damit ist 'Isra»l als Kollektivbegriff hier nicht doppelt, einmal sarkisch und einmal heilsbezogen, verwendet, sondern tritt als Kollektivbegriff in V.6 nur einmal auf – gegenüber dem anderen Auftreten von 'Isra»l als Personenbegriff – und hat als Kollektivbegriff nur eine einzige Bedeutung. Als Kollektivbegriff ist 'Isra»l allein als Heilsgruppenbegriff zur Bezeichnung der Heilsgruppe verwendet, der kein anderes mit 'Isra»l bezeichnetes Kollektiv gegenübersteht.
5.3.1.2 V.7 Der göttlichen Definition der Heilsgruppe entsprechend geht es in V.7 dann sozusagen chronologisch beginnend und theologisch bedeutsam weiter mit Abraham. Daraus wird deutlich, dass nicht durch Jakob und die Zwölf Stämme, also genealogisch, sondern durch Abraham, also theologisch50, die in V.6b mit dem Kollektivbegriff 'Isra»l benannte Heilsgruppe bestimmt wird. Hier ist zunächst aber eine syntaktische und semantische Klärung notwendig, denn das o§d' Óti e„sˆn spšrma 'Abra¦m p£ntej tškna kann missverständlich aufgefasst werden51. Am sinnvollsten ist es, zur Klä47 48 49 50 51
Vgl. K. Haacker, Römer, 191; BDR 2623. Vgl. 9,10; 1,3; Gal 4,4.22 u.ö. Vgl. K. Haacker, Römer, 191; O. Michel, Römer, 300; B. Weiss, Römer, 400; vgl. Ex 19,3. Vgl. dazu oben 4.4., bes. 4.4.1. Je nachdem, ob Óti als „weil“ oder als „dass“ verstanden wird. Falsch sind die meisten Bibelübersetzungen (Luther, Elberfelder und Einheitsübersetzung), die spšrma mit „Nachkommen“ als den weiteren und tškna mit „Kinder“ als den engeren und
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rung von einer semantischen Verhältnisbestimmung von tškna und spšrma auszugehen, weil hier eindeutige Aussagen gemacht werden können. Es lässt sich einwandfrei zeigen, dass spšrma der engere, positiv qualifizierte Begriff ist gegenüber tškna als dem neutralen und weiteren. Denn im Zitat von Gen 21,21 ist spšrma auf der positiv qualifizierten Seite genannt, verbunden mit dem positiv besetzten Nachkommen Isaak und dem göttlichen Handeln. Könnte man hier noch einwenden, dass eine generelle Begründung Óti e„sˆn spšrma auf eine spezielle Bestimmung von spšrma eingegrenzt werden soll, so wird aber spätestens durch die wiederholte positive Benennung in V.8 deutlich52, dass spšrma von sich aus als engerer, positiv qualifizierter Begriff fungiert: log…zesqai e„j spšrma ist die Benennung und Konstitution der göttlichen Wirklichkeit, und spšrma kann hier absolut ohne eine weitere, eingrenzende oder differenzierende Bestimmung gebraucht werden. Der Begriff tškna hingegen erscheint ohne nähere Bestimmung offen und weit, d.h. neutral, und er bedarf zusätzlicher Bestimmung, wenn er positiv eingegrenzt werden soll. Erst mit toà qeoà und tÁj ™paggel…aj ist er semantisch isotop zum absolut gebrauchten spšrma und bezeichnet diese Gruppe53. Das tÁj sarkÒj unterstützt den im Hinblick auf spšrma nicht-qualifizierten Bedeutungsgehalt von tškna und steht hier, auch wenn es als der weitere Begriff die tškna toà qeoà mit umfassen kann, doch in einer gewissen Opposition zu spšrma. tškna als neutraler Begriff kann also sowohl positiv als auch negativ qualifiziert werden, während spšrma immer absolut steht, also ganz klar schon einen eigenen semantischen Wert in der Frage nach den qualifizierten Nachkommen hat und diesen entsprechend ausdrückt. Auch im näheren Umfeld, in V.29, ist spšrma die positiv, theologisch qualifizierte Nachkommenschaft, wie auch in Röm 4 und eigentlich fast immer in den Paulusbriefen54. Auf diese Weise ergibt sich eine klare semantische Aussagestruktur von V.7.8. spšrma bezeichnet immer die qualifizierte Nachkommenschaft, während tškna der weitere Begriff ist55, der ohne zusätzliche Be-
52 53 54 55
qualifizierten Begriff übersetzen und dann von „Nachkommen“ als weiterem Begriff über „Kinder“ als engerem Begriff wieder zu „Geschlecht“, „Nachkommenschaft“ oder „Nachkommen“ als nun plötzlich engeren und qualifizierten Begriff springen müssen. Vgl. auch K. Haacker, Römer, 192, ohne dass er sich traut, daraus auch die Konsequenzen zu ziehen. Das hat G. Röhser, Prädestination, 116 nicht gesehen, der unqualifizierte Abrahamskinder und Gottes Kinder gleich setzt. Vgl. Gal 3,19.29; vgl. auch D.J. Moo, Romans, 575. Gegen die Übersetzung von K. Haacker, Römer 188; gegen E. Lohse, Römer, 273; P. Stuhlmacher, Römer, 133f; G. Röhser, Prädestination, 116; D. Zeller, Römer, 174.176f; E. Käsemann, Römer, 250.253; U. Wilckens, Römer 2, 191f. – Richtig D.J. Moo, Romans, 575; J.D.G. Dunn, Romans II, 538.
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stimmung (oder mit nicht-positiver Bestimmung als tškna tÁj sarkÒj) allgemein die nicht weiter qualifizierte (bzw. unqualifiziert-unzureichende) Nachkommenschaft markiert. Damit liest sich der Text auf der semantischen Ebene einfach und klar strukturiert und man muss keine Bedeutungswechsel von spšrma und tškna annehmen56, denen der Leser mit hoher Aufmerksamkeit nachspüren müsste, um der Argumentation folgen zu können, indem er die wechselnde Bedeutung von spšrma und tškna je aus der Verwendung in dem Kontext ermitteln muss. Mit diesem eindeutigen semantischen Befund57 können wir nun auch die syntaktische Gestaltung von V.7 klären: Da spšrma der engere Begriff ist, kann nicht Óti e„sˆn spšrma als Begründungssatz für ein qualifiziertes, engeres tškna verstanden werden, das als p£ntej tškna durch o§dš verneint wird. Vielmehr muss o§d' Óti zusammengehören wie o§c Óti58. Óti ist hier also nicht als „weil“, sondern als „dass“ zu verstehen. Es ist in gleicher Bedeutung wie o§c oŒon dÑ Óti V.6 als Parallele dazu, markiert durch o§dš (= „auch nicht“), zu verstehen59. o§d' Óti verneint dann die vermeintliche Ansicht, dass alle als tškna60, als leibliche Kinder Abrahams, auch sein spšrma, seine theologisch qualifizierte Nachkommenschaft seien, so dass die Übersetzung lauten muss: „Auch nicht ist es so, dass Nachkommen Abrahams alle als (seine) Kinder (automatisch, genealogisch) sind, sondern in Isaak wird dir Nachkommenschaft berufen.“ Damit können wir nun die Analyse des Argumentationsganges von V.6 zu V.7ff wieder aufnehmen: In V.6 wird also mit ™x 'Isra»l ein jakobinischer Israelbegriff genannt, der via zwölf Söhne (von Freien und Unfreien) und Stämme gekennzeichnet ist durch Abstammung und damit menschliche Konstituierung. Dieser wird in V.7 ersetzt durch einen abrahamitischen Israelbegriff, oder genauer gesagt, einen abrahamitischen theologischen Nachkommenschaftsbegriff, der noch einmal eigens von einem Konzept leiblicher/menschlicher Abstammung abgegrenzt wird61. Nur so lässt sich hier ein wirklicher Zusammenhang von der Rede über 56 57
58 59 60 61
So aber H. Räisänen, Analyse, 2899 Anm. 44; auch G. Röhser, Prädestination, 116 Anm. 70. Gegen etwa K. Haacker, Römer, 191: „Dabei ist schwer zu entscheiden, was der weitere Begriff ist, der nur die natürliche Abstammung meint, und was der engere, theologisch relevante Begriff ist“. BDR 489,53. Vgl. J.D.G. Dunn, Romans II, 540 und M. Cranford, Election, 38. Deshalb fehlt der Artikel. Die theologische Qualität des abrahamitischen Nachkommenschaftsbegriffes wird in V.7 daran deutlich, dass nicht die leibliche Kindschaft, sondern die Berufung zählt, so dass Isaak, aber nicht Ismael Nachkomme ist.
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Israel (als Person) in V.6 und Abraham (als Person) in V.7 herstellen. Damit geht es nicht um eine quantitative Israelbestimmung im Sinne einer Eingrenzung auf ein fleischliches Israel, sondern um die qualitative Bestimmung von „Israel“, nämlich welche oátoi die Heilsgruppe sind: Nicht die jakobinischen oátoi, sondern die abrahamitischen. Dem entspricht, dass nach V.6b 'Isra»l nicht mehr verwendet wird als Begriff für die Heilsgruppe, sondern erst wieder in V.31 auftaucht mit deutlichem Bezug auf das ethnische Israel. Schon daraus ergibt sich, dass hier nicht mit einem doppelten Israelbegriff hauptsächlich eine Scheidung innerhalb Israels vorgenommen werden soll62, sondern dass dem ethnischen 'Isra»l kat¦ s£rka die theologisch definierte eine Heilsgruppe gegenübergestellt wird, die ein einziges Mal mit dem missverständlichen Begriff 'Isra»l benannt wird, um zu erklären, wie das Missverständnis zustande kam. Im weiteren Verlauf wird sie nur noch über das Handeln Gottes benannt, und hier in V.7 heißt sie spšrma 'Abra£m63. Sie und nicht eine Aufspaltung Israels bildet den Gegenstand der Erörterungen. Die abrahamitisch definierte eine Heilsgruppe aber kann sich der intendierte Leser nach den weiten Ausführungen in Röm 4 eigentlich schon selbst an fünf Fingern abzählen: Es ist ein theologischer Heilsgruppenbegriff, bei dem die Heilsgruppe allein durch Gottes Aktivität des log…zein 4,3 u.ö., der klÁsij 4,17 und der ™paggel…a 4,13.20 konstituiert wird und die somit anders als die jakobinische Gruppe unterschiedslos offen ist für Juden und Heiden64. Dies wird sofort bestätigt durch klhq»setai V.7. Es re-verbalisiert zum einen die Aktivität des Rufens und weist zum anderen als passivum divinum Gott als den Handelnden aus65. Durch seine Verwendung in 1,7; 8,28.30 und dann auch in V.24 kann kale‹n als Marker für die göttliche Wirklichkeit, der eine entscheidende Leseanweisung auch für das Folgende gibt, kaum überschätzt werden. Die Heilsgruppe als Nachkomme Abrahams wird hier also allein durch Gottes Rufen konstituiert, und für das Folgende ist deutlich, dass es um Gottes berufendes Handeln geht, das unabhängig vom Menschen Heil schafft. Über das verneinte oátoi, das bei einer Reduktion des Israelbegriffes auch hätte fehlen können, geht es also nicht primär darum, alle Nach62 63
64 65
So aber auch N. Richardson, Language, 32: „Paul attempts to make a distinction within Israel“. Vgl. H.-M. Lübking, Paulus, 62f: „Hinzu kommt, daß die Aufspaltung des Israelbegriffes in V. 6b nicht aus sich allein interpretiert werden will, sondern auf die weiterführende Erläuterung in V. 7–9 hinzielt… Die Vv. 7–9 sind als eigentliche Auskunft zur Frage nach der Modalität der Gottesvolk- und Israelzugehörigkeit anzusehen“. Vgl. dazu E. Brandenburger, Schriftauslegung, 63 u.ö. Vgl. K. Wengst, Interpunktion, 381; U. Wilckens, Römer 2, 192.
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kommen Jakobs für die Heilsgruppe zu differenzieren, sondern man wird vielmehr auf ein anderes oátoi verwiesen: Die Formulierung „nicht diese“ birgt immer die Aussage „welche dann? – dann diese!“ in sich, so dass eben auch zu erwarten ist, dass die positiven oátoi im Folgenden beschrieben werden und damit gerade nicht die Scheidung innerhalb Israels, sondern die positive Definition der Heilsgruppe im Vordergrund steht. Dazu passt, dass zu einer abrahamitisch definierten Heilsgruppe qualitativ anders als bei einer innerisraelitischen Scheidung nicht nur Juden, sondern auch Heiden gehören – womit unser Aspekt einer positiven, anderen Definition bestätigt wird und in der Bestimmung von oátoi schon eine Richtung gewiesen ist66.
5.3.1.3 V.8.9 Gottes Wirklichkeit als Thema wird nun bestätigt, insofern es in V.8 eine Verdeutlichung gibt, bei der solche Termini, die die menschliche Wirklichkeit bezeichnen, verneint den die göttliche Wirklichkeit bezeichnenden Termini, welche das spšrma definieren, gegenübergestellt werden. Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, dass semantisch zwischen dem Begriff uƒoqes…a V.4, der hier Israel als Sohn Gottes bezeichnet67, und tškna toà qeoà eine Verbindung gegeben ist. V.4 wird also so kommentiert, dass der Zusammenhang von Israel und Heil nicht menschlich, sondern rein göttlich zu verstehen ist, dass Israel als Heilsterminus ein göttlich definierter Begriff einer göttlich geschaffenen Wirklichkeit ist. Des weiteren ist aber V.8 ein Beweis für unsere These, dass es nicht um eine Scheidung innerhalb Israels geht, sondern die „Modalität“68 der Heilsgruppenzugehörigkeit geklärt werden soll, indem gesagt wird, welche oátoi es ausmachen. Die jeweils verschieden qualifizierten tškna definieren in Parallele zu V.6b die verneinten und die positiven oátoi. Weil auf diese Weise verschiedene Definitionen von oátoi einander gegenübergestellt werden, geht es nicht um eine Scheidung innerhalb Israels, sondern um die Qualität der Israel hinter sich lassenden einen Heilsgruppe. Dies wird auch insofern bestätigt, als die tškna tÁj ™paggel…aj (4,16) offen für Juden und Heiden sind. Damit können wir aber sagen, dass sich in der Verbindung von uƒoqes…a V.4 zu tškna toà qeoà V.7 so etwas widerspiegelt wie 3,2f von 1,16.17 her gelesen: Die Juden, das fleischliche Israel ist mit den Worten und der Sohnschaft als Heilsgruppenzugehörigkeit in der 66 67 68
Vgl. dazu unten 5.3.5. Dtn 14,1; Hos 11,1 u.ö. H.-M. Lübking, Paulus, 63.
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Geschichte (zuerst) betraut worden, lange bevor die Heiden hinzukamen, so wie entsprechend das Evangelium erst den Juden und dann den Griechen gilt. Dabei war und bleibt das Wort Gottes, die Sohnschaft als Heilsgruppenzugehörigkeit aber in seiner Qualität immer von Gott bestimmt und definiert, ohne dass es durch seine Anvertrauung an Israel eine fleischliche israelitische Qualität bekommen hätte. Diese Qualität Gottes war aber schon immer (3,21.31) so – wie wir in Röm 4 gesehen haben –, dass sie über das „Rufen“ (kale‹n) als alleinige Wirklichkeit Gottes ohne jeglichen menschlichen Einfluss und über Abraham als offen für Juden und Heiden bestimmt war. V.9 hat zwei Funktionen. Zum einen wird die Schriftgemäßheit aufgewiesen: Das eben Gesagte ist eindeutig in der Schrift verankert und dort aufzufinden69. Zum anderen wird mit dem Zitat noch einmal und hier abschließend für den ersten Argumentationsgang die Pointe von der alleinigen Aktivität Gottes gesetzt: Nicht Abraham zeugt (wie mit Hagar), nicht Sarah ist schwanger, sondern Gott kommt und Heil ist. Wenn man so will, kann man V.9b als einen paulinischen Reflex der Reich-GottesVorstellung70 sehen: Gott kommt, zu einem bestimmten kairÒj, und Heil wird Wirklichkeit, Unheil und Defizit werden bedingungslos zu Heil und Fülle71. Damit ist ein weiterer wichtiger und interessanter Punkt in der Darstellung von V.7–9 festzuhalten: Im Vergleich zu Röm 4, insbesondere zu 4,3.5.18–21, wird hier bei der Rede von Gottes Heilswirken an Abraham die Rolle Abrahams und des Menschen noch weiter zurückgefahren bzw. völlig ausgeblendet. Allein Gottes Handeln wird benannt, es allein ist bestimmend und absolut suffizient: Er ruft (V.7), seine Verheißung ist es (V.8.9), er schafft zurechnend Wirklichkeit (V.8) – ohne dass menschliche Aktionen genannt werden wie in Röm 4: dass an der Verheißung nicht gezweifelt wird (4,20) und dass geglaubt wird, was als äquivalent angerechnet werden kann (4,3). Menschliches Handeln spielt hier überhaupt keine Rolle für die Darstellung und Erklärung des Handelns Gottes. Dies wird noch weiter geschärft, wenn man bedenkt, dass es Versuche in der Tradition gibt, Gottes Handeln stärker menschlich zu erklären und mit humanen Gegebenheiten in Einklang zu bringen72. Hierzu gehört die Begründung, dass Ismael ja der Sohn der Sklavin ist, ebenso wie die Ersetzung des auf Gott zu deutenden und von Paulus so gedeu69 70 71 72
Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 67. Reich-Gottes-Vorstellung als Kommen Gottes: Vgl. die Elemente von Mk 1,15. Vgl. M. Wolter, „Gottes reich“, 12–14. Vgl. dazu N. Richardson, Language, 34f.
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teten „Er“ als Sprecher des Zitates von Gen 18,10 durch das „Wir“ der besuchenden Männer73. Demgegenüber zieht Paulus seine Argumente hier allein aus den pointierten Worten der Schrift. Gen 21,12 fungiert als entscheidendes Argument. Dieses Wort der Schrift benennt über das durch den Briefkontext des Röm semantisch besonders geschärfte kale‹n74, dass und wie Gott handelt, und reicht in seiner pointierten Verwendung als Argument vollkommen aus. Entsprechend wird auch Gen 18,10 als ein Wort Gottes gezeichnet und zu einem weiteren Argument auf derselben Ebene. Damit werden aber Bestrebungen, Menschen und Engel dazwischen zu schalten, wie sie die Tradition auch aufweisen kann, zurückgewiesen zugunsten des solus deus75. Das Wort der Schrift als Wort Gottes wird so für Paulus zum entscheidenden Argument. Der lÒgoj toà qeoà aus V.6a wird also über die rezitierte Schrift und über Gottes Aktivität des kale‹n76 als ebenso konsistent wie wirksam geschildert77 – auch das ein Hinweis darauf, dass es nicht um die Scheidung innerhalb Israels, sondern um die Gültigkeit des Wortes Gottes aufgrund der Konsistenz und Wirksamkeit bezüglich der Modalität der Konstitution und damit der Qualität der einen Heilsgruppe geht78. Des Weiteren sei noch einmal darauf hingewiesen, dass in der gesamten Darstellung zu Abraham V.7–9 der Begriff 'Isra»l nicht auftaucht. Auch diese Beobachtung weist darauf hin, dass es um die Konstitution der einen theologischen Heilsgruppe geht und somit V.7–9 ganz klar auch heidnische Implikationen hat: Diese entstehen vor allem durch den Anklang an Röm 479, wo Abraham in der Frage nach Gottes wesentlichem 73 74 75 76
77 78
79
Vgl. etwa Jub 16,1–4; vgl. auch N. Richardson, Language, 35. Aber auch 1Sam 3,4; Jes 41,9; 54,5 u.ö. Zur Formulierung vgl. auch G. Röhser, Prädestination, 119. Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 67. Allerdings ist das kale‹n in Röm nicht durch die Schöpfung bestimmt, sondern durch Gottes Aktivität hinsichtlich der Heilsgruppe, so dass Hos 11,1; JosAs 20,7 (vgl. oben 4.4.9.3.) als Paradigma zu nennen wäre. Dies wird dadurch unterstützt, dass kale‹n semantisch in Beziehung steht zu ™paggšllein, was nun definitiv nichts mit der Schöpfung zu tun hat. Dementsprechend irrt E. Brandenburger darin, wenn er die „Grundordnung der Schöpfung Gottes“ (Schriftauslegung, 78) als die Grundlage für die Gnadenwahl, die hier geschildert wird, identifiziert und meint, die Rechtfertigungslehre solle hier „schöpfungstheologisch“ abgesichert werden (a.a.O., 81). Richtig gesehen hat E. Brandenburger aber, dass es um die Identität und Treue des Wortes Gottes hinsichtlich der immer schon vorhandenen und ausgesagten Konstitution der einen, für Juden und Heiden offenen Heilsgruppe allein durch Gott (und das ist die Rechtfertigungslehre) geht, und damit nicht um eine Scheidung innerhalb Israels. Vgl. M. Rese, Israel, 212. Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 58. Gegen G. Röhser, Prädestination, 117ff. 133, für den es um eine „doppelte Vorherbestimmung Israels“, also um die Scheidung innerhalb des Israelbegriffes geht. Vgl. auch W. Schmithals, Römerbrief, 341, während E. Brandenburger, Schriftauslegung, 65 nur die Parallele zu Gal 3,4 sieht.
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Handeln, die so Israel als Thema mit präsent hat, als Prototyp eines göttlichen Handelns, das von Anfang an als wesentlich auf die Heiden hin geschehend zu verstehen ist, dargestellt worden war. Nach dieser Lektüre kann Abraham, der ¢seb»j, nicht mehr anders denn als Stammvater der voraussetzungslos zum Heil Glaubenden, und damit auch der Heiden gedacht werden. Ebenso war die V.8.9 genannte ™paggel…a unmissverständlich als unhintergehbar auf Juden und Heiden zielend bestimmt worden (4,16). Der Verzicht auf eindeutige Israelbegriffe unterstützt das Aufrufen dieses Hintergrundes beim Leser und erweist seine Annahme als berechtigt, zumal eben die entscheidenden Stichworte aus Röm 4 hier wieder auftauchen80. Nur der Glaube als wichtig und entscheidend für den Israelbegriff, bzw. für den theologischen Heilsgruppenbegriff, wie er in 3,31 genannt wird, wird hier unter den verbindenden Stichwörtern nicht mit aufgezählt. Auch dies ist der schon mehrfach beobachteten Zuspitzung hin zu der vollkommen alleinigen Aktivität Gottes geschuldet81. Aber er gehört natürlich wesentlich zur Darstellung des Röm dazu, und so darf es nicht verwundern, dass er in V.30 im Hinblick auf die Situationsbestimmung des ethnischen Israels angeführt wird, sondern es ist vielmehr zu sagen, dass die Anführung des Glaubens zur Erfassung des Phänomens Israel naheliegend ist und Kohärenz in Röm 9 auch entsteht, insofern in V.7–8 und V.30–33 Röm 4 und Röm 3,31 den Hintergrund bilden82. So wie aber die eine Heilsgruppe als theologischer Begriff zu definieren ist, fernab jedes menschlichen Einsprengsels, handelt es sich um ein Handeln, eine Wirklichkeit Gottes, die auch auf Heiden hin offen ist. Unter dieser Perspektive kann man sagen, dass K. Wengst einen richtigen Punkt gesehen hat, wenn er meint, die Argumentation in 9,6ff verlaufe zugunsten des einen gesamten Israels, auf dessen Heilskonstitution durch Gott sie ziele83. Die Argumentation zielt hier in der Tat, wie wir gesehen hatten, nicht auf eine Marginalisierung oder Schwächung Israels durch Aufteilung in ein geistiges und ein fleischliches Israel. Stattdessen 80
81 82
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Gegen G. Röhser, Prädestination, 117, der diese schwerwiegenden Argumente nicht gesehen hat und deshalb meint, „keineswegs aber darf die Verheißung hier schon auf die universale Kirche aus Juden und Heiden bezogen werden“. G. Röhser gibt damit die Position der überwiegenden Mehrzahl der Exegeten wieder. Diese Sicht erklärt auch, weshalb G. Röhser mit der Mehrheit der Exegeten zur Scheidung innerhalb Israels als Rhema kommt. Richtig hingegen neben E. Brandenburger, Schriftauslegung, 66 auch W. Schmithals, Römerbrief, 341. Vgl. auch J.R. Wagner, Heralds, 49 mit Anm. 18. Zum Zusammenhang von 3,31 und 9,30–33 war oben schon einiges gesagt worden, ebenso wie auf den auch transitorischen Charakter von 3,31 hingewiesen wurde, durch den eine Einheit von 3,31–4,24 entsteht. Vgl. dazu oben 3.4.2.1. und 3.4.2.6. Vgl. K. Wengst, Interpunktion, 380.383.392.
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geht es um eine Präsentation einer einzigen Heilsgruppe, die kraftvolle Heilsaktualität hat und in Kontinuität und Konsistenz zu den Vätern und zur Schrift steht und die einmal in V.6 „Israel“ genannt wird. Allerdings wird sie eben nur einmal „Israel“ genannt und damit treffen dann auch die Aussagen von K. Wengst nicht den Textbefund. Die von ihm zu Recht gesehene eine, einheitliche Heilsgruppe wird von einem Missverständnis befreit, dass sie aufgrund des auch verwendeten Namens „Israel“ mit dem ethnischen Israel deckungsgleich sei. Vielmehr wird sie durch andere Qualitäten bestimmt, nämlich wird sie aufgrund des Zeugnisses der Schrift von Gott her definiert und als Größe Gottes präsentiert. Es passiert also nichts anderes als das, was mit der dikaiosÚnh schon vorher in Rom geschehen ist, die in ihrer bleibenden, umfassenden, entscheidenden heilvollen Bedeutung bestätigt worden ist und nur als Größe Gottes klar herausgestellt worden ist gegenüber menschlichem Fehlverständnis84. Allerdings wird anders als bei der dikaiosÚnh der geläufige Name der einen immer schon biblisch bezeugten und definierten Heilsgruppe nicht weiter verwendet, weil er missverständlich wäre. Mit dieser Analyse wird auch die syntaktisch markierte Parallele von V.6 und V.7 in ihrer Aussage deutlich: Gottes Wort ist ebenso wenig hinfällig geworden wie Gottes Heilskonstitution etwas mit menschlich definierten, menschlich beeinflussten Gruppen zu tun hat, von denen unabhängig sie eben ihre göttliche Kraft hat. Bzw. umgekehrt gesagt: Gottes Wort ist deshalb nicht hinfällig geworden, weil Gottes Heilshandeln an Gruppen immer allein auf seiner Konstituierung beruht und menschliche Ansprüche, Paradigmen, Verhaltensweisen nicht gelten. Sofern Gottes Konstitution der auch Israel genannten einen Heilsgruppe keine Reaktion auf menschliche Vorgaben ist und keinerlei Aspekt einer Entsprechung zu menschlichen Voraussetzungen in sich birgt, sondern ein freies, allein und ausreichend in Gott begründetes Rufen ist, bleibt auch die ungeminderte Kraft und Realität von Israel als Heilsbegriff und Größe Gottes bestehen. Angesichts des geschichtlichen Verhaltens der 'Israhl‹tai genannten Menschen ist zu sagen, dass es nur dann so aussehen würde, dass Gottes Wort hinfällig wäre, wenn der Heilsbegriff „Israel“ ein vom geschichtlichen Verhalten der Menschen abhängiger, darin begründeter und damit irgendwie in Zusammenhang stehender Begriff wäre. Positiv – und im Hinblick auf den Zusammenhang von Israelfrage und Heidenproblematik formuliert – wird ausgesagt, dass die Zusammensetzung der aktuellen einen Heilsgruppe aus Juden und Heiden kein Grund zum 84
Vgl. oben 3.3.1.
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Zweifeln an der Wirksamkeit des Gotteswortes ist, sondern ein Indiz für seine Konsistenz und Wirksamkeit, weil schon mit Abraham und den mit ihm zusammengehörigen Begriffen spšrma und ™paggel…a verbunden war, dass die unabhängig jeder menschlichen Elemente konstituierte Heilsgruppe gerade offen für Juden und Heiden ist85.
5.3.2 V.10–13 5.3.2.1 Analyse In V.10 signalisiert o§ mÒnon … ¢ll¦ ka…, dass das Folgende sich an das Vorausgehende so anschließt, dass es eine inhaltliche Verbindung gibt, indem etwas Gleichgeartetes folgt, es ein tertium additionis gibt. Dabei kann das nicht nur… sondern auch die rein quantitative Bedeutung einer Addition haben und anzeigen, dass das vorher Geschilderte kein singulärer Fall ist. Es kann aber auch eine qualitative Steigerung im Bereich des tertium additionis signalisieren. Nun geht es auch in V.10–13 um die Abstammungsfrage und erneut um den Heilsgruppenbegriff, diesmal repräsentiert durch Jakob. Dabei ist die Abstammung noch deutlicher ausgeschlossen als beim ersten Beispiel, denn bei den in Frage stehenden Nachkommen fällt die menschliche Differenzierung gegenüber dem ersten Beispiel noch geringer aus bzw. ist sie mit Null zu beziffern ist. Sind bei Isaak und Ismael noch zwei Zeugungen im Spiel, so ist es hier eine einzige Zeugung. Deshalb wird hier auch ™x ˜nÕj ko…thn explizit genannt. Als weiterer steigernder Faktor kommt hinzu, dass noch im Mutterleib die Wahl Gottes geschieht, ohne dass irgendetwas Ethisches-Differenzierendes geschehen konnte. Damit wird deutlich, dass o§ mÒnon … ¢ll¦ ka… hier im Sinne einer Steigerung zu verstehen ist86. Dabei werden mit ¢gaqÒj und faàloj Begriffe genannt, die in Opposition stehende Werte benennen, mit einer Beurteilung verbunden sind und so auf Gott als Beurteilenden, als Richter der Menschen verweisen. Insofern diese verneint werden, wird deutlich, dass das Konzept des Richters für Gott hier ausgeschlossen werden soll87. Dabei ist auch 85 86 87
Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 58f.70.77f. Gegen E. Brandenburger, Schriftauslegung, 67; richtig aber z.B. E. Lohse, Römer, 274; D.J. Moo, Romans, 579; G. Röhser, Prädestination, 120. Gegen E. Brandenburger, Schriftauslegung, 69, der zwar richtig bemerkt hat, dass hier Gott als Richter im Spiel ist, aber nicht gesehen hat, dass diese Konzeption ausgeschlossen und ersetzt werden soll. Deshalb konstruiert E. Brandenburger ein Verhältnis, nach dem Gott als Richter über seiner „gnädig verheißenden“ Grundordnung der Schöpfung wacht und diese verteidigt. Gerade auch mit diesem Konzept der „gül-
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zu bedenken, dass nach jüdischem Recht Leben, Person-Sein, erst beginnt, wenn bei der Geburt der Kopf des Kindes ausgetreten ist88. Dies alles wird als die Begleitumstände für ™rršqh a§tÍ genannt und durch den vorgezogenen finalen Nebensatz als einem Ziel zugeordnet dargestellt. ™rršqh als passivum divinum weist wiederum auf Gottes Handeln hin, das Futur des Zitates auf eine Verheißung, und insofern die Verheißung zugunsten Jakobs ist, geht es um eine Heilsverheißung Gottes an Israel. Dabei nennen die Begleitumstände des ™rršqh die Art und Weise des Handelns Gottes, und über die fna-Qualifizierung erfolgen sie nicht zufällig, sondern zielgerichtet. Die Begleitumstände schließen menschliches Handeln, näherhin mit der einen Zeugung jedes differenzierende menschliche Handeln aus. Als Ziel wird das Bleiben der prÒqesij toà qeoà benannt. Damit geht es also um nichts anderes, als Gott und seinen ursprünglichen Willen als alleinige Motivation für das göttliche Handeln gegenüber jeder Einschränkung ohne Abstriche und auch in seiner Identität zu sichern89. Damit haben wir aber über fna und mšnein nun für das Handeln Gottes in längst vergangener Geschichte, auch für die Gottesaussagen des AT das Thema benannt, das in 3,21–31 für das gegenwärtige Handeln und die paulinischen Gottesaussagen ein wichtiger Aspekt war: Das Handeln Gottes zum Erweis seiner Identität und Selbigkeit. Nicht nur im in 3,24f genannten Christusereignis hat Gott sich in bestimmter Weise handelnd gezeigt, um seine Identität und Selbigkeit zu erweisen. Vielmehr wird dieser Aspekt als durchgehendes und traditionelles und nicht erst neues Thema und Anliegen Gottes dadurch deutlich gemacht, dass auch die Auswahl Jakobs zu einem bestimmten Zeitpunkt unter bestimmten Umständen erfolgte, damit Wille und Absicht Gottes ungeschmälert und Gott in seiner Absicht und seinem Handeln identisch, derselbe bliebe. Auch daran wird deutlich, dass Paulus Gott nicht als christologisch
88 89
tigen Grundordnung“, die Gott „bewahrt“, trifft E. Brandenburger, der ja sonst Entscheidendes richtig gesehen hat, einen wichtigen Aspekt des Textes gerade nicht: Es geht mit der Ablösung des der Gegenthese inhärenten Konzeptes des Richters durch die Metapher des Töpfers gerade darum, dass Gott aus sich heraus ohne menschlich einklagbare Konzepte handelt und handeln kann. Gegen einen „ordo salutis“ macht auch W. Schrage, Vorsehung, 162.164 darauf aufmerksam, dass es um den „souveränen Heilswillen Gottes geht“. Angemessener ist deshalb etwa ein Terminus „Selbstfestlegung“ oder das „sich selbst treu bleibende ‚Überraschungshandeln‘“, wie ihn G. Röhser, Prädestination, 116.120 wählt. Vgl. G.A. Wewers, Leben, 524. Dementsprechend gibt es auch keine Hinweise, dass prÒqesij als Terminologie einer vorausgehenden Schöpfungsordnung zu verstehen ist (so etwa E. Brandenburger, Schriftauslegung, 69); vielmehr geht es um die Identität des souveränen Willens Gottes, wie in 3,25; Eph 1,9; Gal 3,8; vgl. 2Makk 3,8; vgl. auch G. Röhser, Prädestination, 118.
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neu bestimmt oder bestimmbar versteht: „Gottes Gnadenwahl ist keine christologische Neuerung.“90 In der Frage des Verständnisses von Gott zeigen prÒqesij statt ¢gaqÒj und faàloj an, dass Gott nicht als ein Richter handelt, der auf die Aktion von Menschen beurteilend reagiert, sondern dass Gottes Handeln Aktion ist, die allein seinem Plan und Willen entspringt und nicht in irgendeinem Respekt auf die Menschen begründet ist. Darin ist er seit je her mit sich identisch. Insofern die prÒqesij mit kat' ™klog»n verbunden wird, wird deutlich, dass es keinesfalls um die prÒqesij an sich als Thema geht. Ganz gleich, ob man kat£ + Akkusativ hier als Ersatz für einen Genitiv versteht91 oder in der Bedeutung der Angabe eines Zieles oder Zwecks92, ist doch deutlich, dass die prÒqesij der ™klog» zugeordnet und durch sie wesentlich bestimmt wird. ™klog» ist aber ein Terminus für das Heilshandeln Gottes, insbesondere an Israel93 bzw. der Heilsgruppe, und kein Schöpfungsterminus94. Mit der Rede von dem Vorsatz zum Heil wird hier nur von einer Vorsehung Gottes zum Heil gesprochen, und damit geht es mit der prÒqesij darum, etwas über die Art und Weise des Heilshandelns Gottes auszusagen95. Damit können wir noch einmal die in V.11 vorgenommene finale Zuordnung von menschlichem Handeln zur Bestimmung der Art und Weise des Heilshandelns Gottes in Augenschein nehmen. Wir haben sie schon öfter in Röm gefunden. War in 3,23.24a davon die Rede, dass alle negativ gehandelt haben, damit die Rechtfertigung unabhängig von menschlicher Handlungsvoraussetzung allein durch Gott geschieht96, so ist hier in V.11 nun die Rede davon, dass niemand gehandelt hat, damit 90 91
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R. Schmitt, Gottesgerechtigkeit, 80. Vgl. BDR 224.1, allerdings dort fast ausschließlich auf Pronomen bezogen, weshalb hier vielleicht die Verwendung im Sinne von: „mit dem Ziel“ (vgl. Anm. 92) vorzuziehen ist. Moulton, Grammar III, 268 ordnet Röm 9,11 aber ohne Bedenken unter der possessivischen Bedeutung ein. Bauer-Aland 826; vgl. Joh 2,6; Josephus, Ant 3,268. 11,5.7.28; PsSal 18,5. Damit entfallen alle Deutungen von Röm 9 primär auf dem Hintergrund von Gottes Schöpfung und Schöpfersein, wie sie etwa E. Brandenburger, Schriftauslegung, 68.78. 81 u.ö. vorgenommen hat. Vielmehr geht es um die Souveränität und Identität des Heilshandelns Gottes im Sinne der Konstituierung der einen Heilsgruppe. G. Röhser, Prädestination, 121 erwähnt im Anschluss an H. Hübner, Ich, 29 zu Recht, dass hier nichts über die Nicht-Berufenen ausgesagt wird – gegen E. Käsemann, Römer, 255; U. Wilckens, Römer 2, 195f; O. Michel, Römer, 304 und am deutlichsten H.-M. Lübking, Paulus, 66; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 69; E. Dinkler, Prädestination, 254: praedestinatio gemina. Vgl. dazu oben 3.3.1.3 und 3.3.1.4.
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die Erwählung ohne Entsprechung zu menschlichem Handeln allein in Gottes Entschluss motiviert ist. Damit deutet sich hier weiter an, wie schon in den Ausführungen zu Abraham in den vorherigen Versen, dass das Handeln Gottes in der Konstitution der in V.6b Israel genannten Heilsgruppe parallel zu seinem Heilsschaffen des dikaioàn für Juden und Heiden zu sehen ist und also beides letztendlich verschiedene Ausprägungen ein und desselben göttlichen Prinzips darstellen. Beides hat also miteinander zu tun und lässt sich innerhalb desselben Rahmens göttlichen Handelns verstehen, so dass die eine Heilsgruppe für beide entsteht97. Das wird auch dadurch deutlich, dass parallel zu dem stärker auf Israel bzw. die Väter zielenden Begriff der ™klog» der stärker für die Konstitution der Heilsgemeinde aus Heiden und Juden zielende Begriff kale‹n verwendet wird. Auch hier geht es wiederum nicht diminuierend und differenzierend um Israel, sondern die Nennung der freien Souveränität Gottes zielt auf die Art und Weise des Heils für die in den Vätern repräsentierte eine biblische Heilsgruppe. Es wird nicht innerhalb Israels getrennt, sondern der „Israelbegriff“ neu definiert. Jakob als Repräsentant der Heilsgruppe wird von Gott her bestimmt und der Heilsgruppenbegriff theologisch definiert. Die Vorstellung von Jakob als Repräsentant des ethnischen Israel wird dahin korrigiert, dass seine Definition durch Gott entscheidend ist. Damit steht auch dem jakobinischen Israelbegriff von V.6b als dem Begriff der „Abstammung von“ der theologische Jakobbegriff als „erwählt von Gott“ gegenüber. Auch hier geht es wieder nicht um Scheidung innerhalb Israels, sondern um die biblisch-theologisch definierte eine Heilsgruppe.
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Vgl. K. Haacker, Römer, 193. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 68 sieht V.10–13 dagegen auf die Frage nach Israels Zugehörigkeit zu der einen Heilsgruppe beschränkt. Deshalb muss er auch V.11b.12a als „Digression“ (55 u.ö.) bewerten, weil er nicht gesehen hat, dass auch hier in der Schilderung des Heilshandelns an Jakob die wesentliche Offenheit der konstituierten einen Heilsgruppe aus Juden und Heiden mit impliziert ist. – Eine Parallele für eine derartige Argumentation, nämlich die biblisch bzw. traditionell verankerte und an typisch israelitische, jüdische Ausdrücke gebundene eine Heilsweise, die sowohl für Juden als auch Heiden offen ist, weil sie trotz ihrer alttestamentlich-ethnischen Terminologie und Gebundenheit ihres Beispiels an etwas Superethnischem, Superanthropologischem orientiert ist, bietet 2,25–29. Dort wird in 2,29 mit dem Begriff Jude die eine biblisch-traditionell verankerte, einheitliche und auch für Heiden offene Heilsweise aufgrund des bestimmenden Axioms Gott definiert (vgl. auch andeutungsweise E. Lohse, Römer, 272, aber im Hinblick auf eine Differenzierung). Damit bestätigt sich aber einmal mehr unser Verständnis, dass es auch mit traditionellen „Israel“-Begriffen wie 'Isra»l, 'Iakèb etc. nicht um eine Scheidung innerhalb des Israelbegriffes geht, sondern um die biblisch bezeugte, immer schon vorhandene, von Gott definierte eine Heilsgruppe.
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Unterstützt wird dieses Verständnis auch dadurch, dass in V.10 Isaak als Ð pat»r ¹mîn bezeichnet wird. ¹mîn kann hier nicht Paulus in Zusammenschluss mit den 'Israhl‹tai, den suggene‹j kat¦ s£rka, meinen98, da er in Röm 9 entweder in der ersten Person im Singular (V.3) im Zusammenhang mit der kat¦ s£rka bestimmten Größe redet oder in der 3. Person (V.5). ¹mîn ist demnach von V.24 her zu verstehen als die aktuelle Heilsgruppe der von Gott berufenen Gemeinde aus Juden und Heiden99, ähnlich 4,12.16. Indem 'Isa£k als Vater von Briefschreiber und Adressaten, die als gegenwärtige Heilsgemeinde bestimmt werden, bezeichnet wird, ist dies ein Argument dafür, dass es bei dem einmal in V.6b genannten Israelbegriff nicht um die Ausdifferenzierung des Israelbegriffes in mehrere Israelbegriffe geht, sondern um die theologische Klärung der Konstitution der einen, biblisch bezeugten Heilsgruppe. Mit Jakob aber bleibt implizit diese Heilsgruppe immer auch offen und verbunden mit dem ethnischen Israel, den 'Israhl‹tai – im Sinne des prîton. Auch diese haben allerdings den Bedingungen der Konstitution dieser Heilsgruppe zu folgen (V.31) – ähnlich der dikaiosÚnh, die als Begriff aus den Schriften Israels auch auf Israel zielt, zu den von Paulus aus der Schrift herausgearbeiteten Konditionen. Dementsprechend ist aber auch, und auch das ist sehr wichtig festzuhalten, die Schilderung von V.10–13, wie schon V.7–9, offen auf die Heiden hin: nicht allein aufgrund der aufgezeigten Parallelen zu 3,21–31 und der Beobachtung eines gemeinsamen göttlichen Fundamentes für die Rechtfertigung aus Glauben und die Konstituierung Israels, sondern auch durch die explizit machende Parenthese o§k ™x œrgwn ¢ll' ™k toà kaloàntoj. Nach all dem, was war, kann man diese Formulierung der Art und Weise des Handelns Gottes nicht anders verstehen als auch den Heiden Heil eröffnend100. Und tatsächlich werden auch im Folgenden die Begriffe explizit mit dem Heil der Heiden genannt, nämlich in V.24 für kale‹n und in V.30–32 für o§k ™x œrgwn. Damit muss man aber davon ausgehen, dass die Einfügung der Parenthese bewusst im Hinblick auf die Heiden und das Heil für sie geschehen ist. Damit wird deutlich, dass zum Proprium des ab V.7 neu bzw. richtig definierten, ursprünglichen und schriftgemäßen „Israel“begriffes schon immer gehörte, dass er mit dem 98
Gegen E. Lohse, Römer, 274; D.J. Moo, Romans, 579; D. Zeller, Römer, 177 mit Anm. 45. Wenn das ¹mîn nicht wie etwa bei den Vorgenannten selbstverständlich auf den jüdischen Hintergrund gedeutet wird, wird es in seinem Bezug gar nicht thematisiert. 99 Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 58f. 100 Vgl. auch die Verbindungen von prÒqesij, klhtÒj, ™klektÒj zu 8,28.30.33. Vgl. dazu auch K. Haacker, Römer, 192f.
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Heil der Heiden kompatibel ist und dieses ein- und nicht ausschließt101. kale‹n ist Begriff für die Konstituierung der einen Heilsgruppe durch Gott, sei es ™n 'Isa£k, sei es aktuell für Juden und Heiden ™n Cristù102. Damit ist deutlich, dass es hier tatsächlich um die „Rechtfertigungslehre“ geht103 und dass V.11b.12a gerade nicht als Digression104, sondern als hermeneutischer Schlüssel zu verstehen sind: Rechtfertigung, Gottes Wort und Israelproblem werden hier zusammengebracht. Die Israelfrage wird damit beantwortet, dass Gottes Wort nicht hinfällig geworden ist, insofern die bisher (Röm 1–8) geschilderte Rechtfertigung für Juden und Heiden unabhängig von menschlich-differenzierenden Argumenten nichts anderes ist als die in der Schrift verkündete Konstituierung der einen, auch für Heiden offenen Heilsgruppe allein durch Gott, so wie sie an Abraham, Isaak und Jakob sichtbar wird105. Dementsprechend ist die gegenwärtige Lage eines großen Heidenanteils und eines kleinen Israelanteils in der einen Heilsgruppe zwar ein äußerst trauriges menschliches (kat¦ s£rka) Problem, berührt aber, wenn man es von Gott her betrachtet (V.5b), keinesfalls irgendwie Gott und sein Israel nach wie vor als erstem anvertrautes Wort (V.5b) in einer fraglichen Weise106, sondern kann nur als Ausdruck von Identität und Bestätigung verstanden werden. Wiederum endet der Argumentationsgang mit einem Wort Gottes, indem ein Schriftzitat mit direkter Gottesrede angefügt wird. Dadurch 101 Vgl. K. Haacker, Römer, 193. 102 Vgl. a.a.O., 192 mit Anm. 24. – K. Haacker macht zurecht darauf aufmerksam, dass durch ™n 'Isa£k das ™n Cristù besser verstanden werden kann: Ein Personenkreis ist durch einen Vorläufer bestimmt, in seinem Schicksal vorprogrammiert, inhaltlich bestimmt. Das korreliert mit den Genealogien der Genesis, wo einzelne Personen zur Definition von Gemeinschaften und Gruppen dienen. Vgl. dazu F. Crüsemann, Menschheit, 180–195. – Damit erweist sich aber auch der Ansatz von D. Starnitzke, Struktur, 299ff als haltlos, der meint, in Röm 9–11 werde das Israelproblem individualistisch gelöst und es beginne damit, dass dem Israelbegriff in 9,1–13 das Konzept einer „individuelle[n] Erwählung“ (303) gegenübergestellt werde. Ähnlich auch E. Dinkler, Prädestination, 250. Schon G. Röhser, Prädestination, 118 hatte gezeigt, dass es hier „keine ‚Individuelle‘ Vorbestimmung (zum Heil)“ gibt. 103 So richtig E. Brandenburger, Schriftauslegung, 81; E. Käsemann, Römer, 254; gegen G. Röhser, Prädestination, 119; denn diese Wendungen kann man nicht anders verstehen, insofern sie eindeutig auf andere Briefstellen mit diesem Zusammenhang verweisen. 104 So fälschlich E. Brandenburger, Schriftauslegung, 55 und auch E. Käsemann, Römer, 254, obwohl sie das zentrale Thema erkannt haben. 105 Man sollte eben nur nicht wie E. Brandenburger, Schriftauslegung, 68.78.81 u.ö. und E. Käsemann, Römer, 254.256 davon sprechen, dass die Rechtfertigungslehre hier schöpfungstheologisch verankert wird, weil es für die Deutung auf die Schöpfung hin keine Hinweise gibt und es vielmehr allgemeiner um die Verankerung des Gesagten in dem von Schrift und Tradition bezeugten Handeln Gottes hinsichtlich der Heilsgruppe geht (vgl. Anm. 76). 106 Es geht also keinesfalls darum, wie D. Zeller, Römer, 177 repräsentativ für viele meint, dass Paulus mit V.10–13 „tatsächlich hier das Schicksal seines Volkes [deutet]“.
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wird insgesamt deutlich, welche Rolle das Reden Gottes im Rahmen seines Handelns und bei seinem Heilschaffen spielt und wie auch V.10–13 V.6a mit seiner These des wirksamen, identischen lÒgoj toà qeoà illustriert: Nach mehrfachem lÒgoj, wörtlicher Gottesrede und der sprachlichen Handlung des kale‹n in V.6–9 treten auch in V.10–13 kale‹n und mehrfache Gottesrede auf; die Handlung Gottes ist mit lšgein benannt107. In dem abschließenden Zitat der Gottesrede in V.13 darf das mise‹n nicht zu stark in semantischer Opposition zu ¢gap©n in Richtung einer doppelten Prädestination108 von „lieben“ und „hassen“ gesehen werden. Vielmehr bedeutet die semantische Verbindung von ¢gap©n und mise‹n nichts anderes als das Vorziehen des von ¢gap©n regierten Objektes gegenüber dem von mise‹n regierten Objekt, ohne dass damit zwangsläufig eine eigene negative Aussage über letzteres getroffen ist. mise‹n drückt hier stattdessen nur die Indifferenz aus, wie etwa Gen 29,30f; Dtn 21,15; Ri 14,16; Prov 13,24; 15,32109 zeigen. Dabei ist ¢gap©n in LXX sehr wohl ein Wort für die von Gott ausgehende besondere Beziehung Gottes zu Israel (Dtn 23,6; 32,15; Ps 46,5; 77,68LXX; Hos 11,1; Jer 38,8 u.ö.), und zwar oft in der 3. Sg. Aorist – aber damit ist eben nicht mit mise‹n zwangsläufig die Verwerfung alles anderen ausgesagt110.
5.3.2.2 Vergleich mit Jakob-Esau-Darstellungen der Tradition Es ist nun noch außerordentlich interessant, die von uns beschriebene paulinische Extraktion des „Gott allein“ aus der Jakob-Esau-Geschichte mit anderen zeitgenössischen Texten zu vergleichen, um so die paulinische Darstellung im Verhältnis zum Traditionsspektrum zu positionieren111. So ist in Jub 19 folgende Darstellung zu finden: Jub 19112 13 Und in der sechsten Jahrwoche, in ihrem zweiten Jahr gebar Rebekka dem Isaak zwei Söhne, Jakob und Esau. Jakob aber war vollkommen und rechtschaffen. Und Esau war ein harter Mann, wild und haarig. Und Jakob wohnte in Zelten. Und die beiden Männer wuchsen. Und Jakob lernte das 107 108 109 110
Vgl. auch E. Brandenburger, Schriftauslegung, 63 mit Anm. 27. Vgl. dazu Anm. 78.95. Vgl. auch Mt 6,24; Joh 12,25; Lk 14,26. Vgl. J.A. Fitzmyer, Romans, 563; auch J.D.G. Dunn, Romans II, 544f; O. Kuss, Römer, 81: „weniger lieben“; in diese Richtung gehen auch E. Lohse, Römer, 275f; ders., Prädestination, 71–80; G. Röhser, Prädestination, 121; H. Hübner, Ich, 29. 111 Vgl. dazu vorbildlich: N. Richardson, Language, 34ff. 112 In der Übersetzung von K. Berger, Jubiläen.
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Schreiben, Esau aber lernte nicht, denn er war ein wilder Mann und Jäger und lernte den Krieg, und all sein Tun war rauh. Und Abraham liebte den Jakob, und Isaak den Esau. Und Abraham sah das Tun Esaus. Und er erkannte, dass in Jakob ihm Name und Same genannt würde.
Die Bedeutung Jakobs für die Israelkonstitution in der Traditionslinie zu Abraham ist deutlich. Vor diesem Hintergrund wird die Zusammenstellung von V.7–9 und V.10–13 mit dem Ziel der Beantwortung der Frage der Konstituierung Israels – bzw. hier der biblisch verankerten einen Heilsgruppe – durch Gott noch deutlicher. Auch in Jub 19 ist selbstverständlich, dass Gott letztlich der Konstituierende ist113. Nicht zu übersehen sind aber die Unterschiede: Betont Paulus in Röm 9 in der Konstituierung das Handeln Gottes und hebt dieses durch die Schilderung der Umstände als alleinigen Faktor gegenüber allen menschlichen Elementen als bestimmend und unerklärbar heraus, so findet sich in der Darstellung des Jubiläenbuchs eine Modifizierung dahingehend, dass ein Element des Verstehens und der menschlichen Nachvollziehbarkeit aufgrund einer Entsprechung von menschlichem Tun und göttlichem Handeln in die Reproduktion der Geschichte eingearbeitet wird. Die eher voraussetzungslose, willkürliche Verheißung Gottes aus Gen 25,23 wird hier gestrichen114. Auch in den Targumim ist ein deutliches Bemühen zu spüren, Gottes Wahl menschlich zu korrelieren und dadurch als naheliegend und verständlich erklärbar zu machen: TargOnk Gen 25 23. And the Lord said to her: “There are two Nations in your womb; and one kingdom shall be stronger than the other kingdom, and the greater shall be subjected to the lesser… “ 27. When the boys grew up, Esau became a skilled hunter, but Jacob was a perfect man who attended the house of study. TargNeof Gen 25 … 27. And the boys grew and Esau was a man knowing the hunt, a man of the fields, and Jacob was a man perfect in good work, he dwelt in schoolhouses. TargPsJon Gen 25 Und ihr [Rebekka, d. Verf.] sagte JHWH: Zwei Völker hast du in deinem Bauch und zwei Königreiche werden aus deinem Bauch sich scheiden. Ein Königreich wird stärker sein als das andere Reich und der Größere wird dem Kleineren dienen, wenn die Söhne des Kleinen die Gebote des Gesetzes beachten werden. 113 So zu Recht E.P. Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 363.368. Aber bei seiner Betonung der freien und gnadenhaften Erwählung durch Gott in den Jubiläen übersieht E.P. Sanders doch, dass diese auch menschlich nachvollziehbar, mit menschlichem Verstehen korreliert werden soll. Vgl. dazu auch N. Richardson, Language, 36f. 114 Vgl. auch N. Richardson, Language, 35.
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BerR 43115 V.22 … und die Kinder stießen sich in ihrem Leibe. R. Jochanan sagte: Sie liefen aufeinander, um sich umzubringen. Resch Lakisch dagegen sagte: Sie sträubten sich, was der eine verbot, erlaubte der andere. R. Berachja sagte im Namen des R. Levi: Sage nur nicht, dass der Kampf erst nach der Geburt entstand, als Esau noch im Mutterleibe war, richtete sich schon seine Spanne (mit dem ausgestreckten Daumen) gegen Jakob, s. Ps 58,4. Oder die Worte: Die Kinder bewegten sich im Mutterleibe wollen sagen: Wenn sie (die Mutter) an Versammlungs- und Lehrhäusern stand, so wollte Jakob heraus s. Jer 1,5, ging sie dagegen an Götzentempeln vorüber, so wollte Esau heraus… V.24 Der erste kam heraus, rötlich… Warum kam Esau zuerst heraus? Damit er und mit ihm das Böse (die Sünde) herauskomme. Wie der Bademeister, sagte R. Abuhu, zuerst das Badehaus überschwemmen und hernach den Königssohn baden lässt, so kam auch Esau zuerst heraus, damit das Unreine zuerst entfernt werden sollte… Warum sah Esau rot aus? R. Abba bar Kahana sagte: Als wenn er ein Blutvergießer wäre. Als Samuel den David rot fand (1Sam 16,12), da fürchtete er sich und dachte: Ist auch dieser ein Blutvergießer wie Esau? V.26 Hernach kam sein Bruder heraus. Ein Herrscher fragte einen Gelehrten von dem Beth Sloni: Wer wird einmal die Zügel der Herrschaft nach uns ergreifen? Da holte er ein Stück weißes Papier hervor, nahm die Feder und schrieb darauf die Worte: Nachher kam sein Bruder heraus und seine Hand hielt die Ferse Esaus. Da sprechen sie: Seht einmal alte Worte aus dem Mund eines neuen Greises. Es soll dir damit gelehrt werden, wie sehr sich schon damals Jakob, dieser Gerechte, um seine Zukunft grämte.116
Insgesamt ist deutlich, wie die Wahl Gottes mit dem Tun und der Eigenschaft der Menschen korreliert und von hier aus für Menschen nachvollziehbar und begründbar wird. Das Verhalten Gottes wird erklärt und menschlichem Verstehen und Maßstäben eingeordnet. Ganz offensichtlich wird dies auch an dem Bemühen, Jakob auf im Judentum geltende Werte hin zu zeichnen. Am weitesten geht TargPsJon, der das Unbedingte der Verheißung Gottes in eine bedingte Verheißung mit menschlichem Korrelat umwandelt117. Philo, LegAll 3118 88 Bei der Erzählung von Jakob und Esau bezeichnet die Schrift jenen als Herrscher, Befehlshaber und Gebieter, den Esau als Untergebenen und Diener, während sich beide noch im Mutterleib befinden. Denn Gott, der Bildner der Geschöpfe, kennt gar wohl seine Gebilde auch vor ihrer letzten Vollendung nebst den Kräften, die sie entfalten werden, und allen ihren Werken und Leidenschaften. Wie nämlich die beharrliche Seele, Rebekka, ausgeht, Gott zu befragen, antwortet er ihr: „Zwei Stämme sind in deinem Leibe, und zwei Völker werden aus deinem Schoß hervorgehen; ein Volk wird das ande115 116 117 118
In der Übersetzung von A. Wünsche, Bereschit. Des weiteren wird zu V.27.29 Esau Prostitution, Vergewaltigung und Mord attestiert. Vgl. auch N. Richardson, Language, 40. In der Übersetzung von J. Heinemann in L. Cohn, Philo. Werke III.
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re beherrschen, und das größere wird dem kleineren dienen“ (1Mos 25,23). Denn von Natur aus dienstbar ist vor Gott das Schlechte und Unvernünftige, herrschend und frei das Edle und Vernünftige und Bessere, und zwar nicht erst, wenn beides in der Seele vollendet ist, sondern auch, wenn darüber noch Zweifel besteht; denn schon ein leiser Hauch der Tugend bringt Herrschaft und Vorrang, nicht nur Freiheit zum Vorschein, und andererseits unterjocht jedes Geschöpf des Lasters das Denken, auch wenn noch kein vollkommenes Erzeugnis daraus hervorgegangen ist.
Philo arbeitet in seiner Darstellung an zwei Punkten, an denen es auch Paulus in Röm 9 tut, nämlich an der Vorsehung Gottes119 und dem frühen Zeitpunkt der Verheißung, als die Empfangenen noch unschuldige bzw. entwicklungsfähige Kinder waren. Aber die philonische Darstellung zielt in eine ganz andere Richtung. Wieder wird eine geschlossene Welt aus menschlichen Handlungen und einer entsprechenden, sich an menschlich akzeptierten Werten orientierten Gottesbeurteilung erstellt. Vorsehung und früher Zeitpunkt dienen hier dazu, die Art und Weise der göttlichen Begutachtung, seiner Entsprechung zu den Menschen in ihren Eigenschaften und Handlungen in ihrer Strenge und lückenlosen Genauigkeit herauszustellen: Vorsehung bedeutet hier nicht den eigenen Willen Gottes, sondern die Fähigkeit, auch noch nicht sichtbares, späteres Handeln des Menschen schon jetzt zu erkennen120. Und der frühe Zeitpunkt dient dazu, den Beurteilungsmaßstab so fein zu halten, dass schon leiseste Ausschläge und Zweifel am menschlichen Verhalten registriert werden. Gott erweist sich hier als Gott, indem er in besonderer Weise, nämlich schon vorzeitig und ganz genau, den geltenden Maßstäben entsprechend als Richter auftreten kann, aber nicht dadurch, dass er absolut und in sich selbst begründet jenseits und unabhängig aller Maßstäbe und Entsprechungen handelt. Gegenüber diesen Beispielen, die allesamt Gottes Handeln menschlichem Beurteilungsvermögen verständlich machen und es so in die Welt der menschlichen Korrelation von Wirkung und Urteil einordnen wollen und die über diese Gerechtigkeit und Plausibilität von Gottes richtendem Urteilen eine Brücke zwischen Gott und Mensch schlagen121, tritt Paulus’ Bemühung in ihrer Eigenart noch deutlicher hervor. Ihm geht es mit der Heraushebung einer unbegründbaren Vorgängigkeit allen göttlichen Handelns und mit der Aufrichtung der Differenz zwischen göttlichem Handeln und menschlichem Maßstab und Urteil darum, die den 119 Vgl. dazu W. Schrage, Vorsehung, 83–85. 120 Vgl. a.a.O., 85. 121 Vgl. auch PsPhilo 32.5: „Et dilexit Deus Iacob, Esau autem odio habuit propter ponera eius“ (G. Kisch, Pseudo-Philo). Vgl. auch J.D.G. Dunn, Romans II, 544.
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Menschen nicht berücksichtigende, Gott eigene, souveräne, freie und völlig rücksichtslose Dimension göttlichen Handelns aufzurichten, die Geheimnis bleibt. Wohlgemerkt aber immer deutlich bezogen auf das Handeln Gottes zum Heil. Trotz dieser in der Reproduktion der biblischen Jakob/Esau-Erzählung divergierenden Profile sollte man Paulus in den in seiner Nacherzählung gewonnenen Aussagen nicht von Schrift und Tradition isolieren und ihn als dieser vollkommen neu gegenüber aufgestellt ansehen122. Denn zum einen ist die Rechtfertigung der Erwählung eines „guten“ Jakobs gegenüber einem moralisch zweifelhaften Esau nicht nur in der Deutung der Erzählung auf den Antagonismus Israel/Edom sondern in vielen zeitgenössischen Texten auch auf den Gegensatz Israel/Rom motiviert123. Und zum anderen gehören zum weiten Spektrum des alttestamentlich-frühjüdischen Erbes selbstverständlich auch die von Paulus vertretenen Elemente. Breit bezeugt und vertreten ist auch das Wissen um den unergründbaren und paradoxen Geheimnischarakter göttlichen Handelns im Allgemeinen und bei der Erwählung Israels, der Konstitution der Heilsgruppe im Besonderen. So kann man zwischen Dtn 7 und der in Röm 9 vertretenen paulinischen Position doch einen inhaltlichen Konnex sehen: Dtn 7 6 Denn du bist ein Volk, das dem Herrn, deinem Gott, heilig ist. Dich hat der Herr, dein Gott, ausgewählt, damit du unter allen Völkern, die auf der Erde leben, das Volk wirst, das ihm persönlich gehört. 7 Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völker wäret, hat euch der Herr ins Herz geschlossen und ausgewählt; ihr seid das kleinste unter allen Völkern. 8 Weil der Herr euch liebt und weil er auf den Schwur achtet, den er euren Vätern geleistet hat, deshalb hat der Herr euch mit starker Hand herausgeführt und euch aus dem Sklavenhaus freigekauft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.
Auch Hosea 11 kann genannt werden: Hos 11 7 Mein Volk verharrt in der Treulosigkeit; sie rufen zu Baal, doch er hilft ihnen nicht auf. 8 Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich aufgeben, Israel? Wie könnte ich dich preisgeben wie Adma, dich behandeln wie Zebojim? Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf.
122 Vergleichbar mit Paulus ist 4Esr 3,13–16 in dem, was nicht gesagt wird: So werden auch dort keine nachzuvollziehenden Gründe für die Erwählung Jakobs gegenüber Esau genannt. Vgl. auch N. Richardson, Language, 37. 123 Vgl. a.a.O., 37.43; B.C. Cresson, Condemnation, 125ff.
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9 Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken und Efraim nicht noch einmal vernichten. Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte. Darum komme ich nicht in der Hitze des Zorns.
Hinzuzuziehen ist auch SchemR 45.6 u.ö.: SchemR 45124 6 In dieser Stunde zeigte ihm Gott alle Schätze des Lohnes, welche für die Gerechten bestimmt waren, und Mose fragte: Für wen ist dieser Schatz? Für den, der die Gebote tut. Für wen ist jener Schatz? Für diejenigen, die Waisen erziehen, und so weiter bei jedem Schatz. Nachher sah er einen großen Schatz. Für wen ist dieser fragte er. Demjenigen antwortet Gott, welcher besitzt, gebe ich von seinem Lohn, und demjenigen, welcher nichts besitzt, dem gebe ich es umsonst und gebe ihm von diesem, wie es heißt: „Ich bin gnädig, wem ich gnädig sein will“ d.i. dem ich Gnade erweisen will, „und ich erbarme mich, wessen ich mich erbarmen will“.
Alle drei Texte machen auf ihre Weise gegenüber einer nachvollziehbaren Korrelation von menschlichen Eigenschaften und Handlungen und Gottes Re-aktionen die mit menschlichen Maßstäben und Überlegungen nicht zu erklärenden Beweggründe für das Heilshandeln Gottes deutlich, für dessen Art und Begründung es nur ein Motiv gibt: „Gott bin ich und nicht Mensch.“125 Damit lässt der Blick auf die Tradition zum einen noch deutlicher hervortreten, wie intensiv und konsequent Paulus in Röm 9 sein Konzept des voraussetzungslosen, eigengesetzlichen und von menschlichen Axiomen völlig unberührten Handelns Gottes verfolgt. Vor dem Hintergrund der erstgenannten Texte werden die Konturen seines Gottesbildes noch schärfer. Zum anderen machen aber die zweitgenannten Texte deutlich, dass Paulus in seiner Erstellung eines theologischen Israelbegriffs bzw. der Konstitution der einen Heilsgruppe wiederum ein durchaus innerhalb der Tradition liegendes, zugespitztes Konzept entwirft. Auch in der Tradition findet sich ein Heilswirken Gottes, bei dem die unerklärbare, bezugslose Souveränität des gegen alle Vermenschlichungen und Inanspruchnahmen unüberwindbar weit weg stehenden Gottes einem menschlichen richterlichen Verständnis einer Entsprechung von Gottes Reaktionen entgegensetzt wird und das sich so ebenfalls gegen ein rich124 In der Übersetzung von A. Wünsche, Schemot. 125 Vgl. J. Jeremias, Hosea, 140.154: „Die Selbstbeherrschung [über die nach menschlichem Ermessen nur allzu folgerichtige Vernichtung, d.Verf.] Gottes ist in Israels Verhalten ganz und gar nicht begründet …, sondern nur in Gott selber“. Vgl. auch T. Veijola, Deuteronomium, 206f: „Der spätere Bearbeiter [von Dtn 7,7f, d. Verf.] bekämpft… die eingebildeten Prärogativen der Erwählung… Mittels einer emphatischen Negation lehnt er in V.7 die Vorstellung ab, Gottes Erwählung habe ihren Grund in einer imponierenden Qualität… Im Gegenteil gründet sich die Erwählung ausschließlich auf die Liebe Jahwes (V.8), die… keine menschlichen Vorleistungen fordert, sondern sich als vorangehende, reine Gnade zeigt.“ Vgl. auch O. Kaiser, Gott 1, 190.
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terliches Tun-Ergehen-Verständnis Gottes in Bezug auf das Heil einer Menschengruppe wendet126.
5.3.3 V.14–18 V.14 markiert mit der Frage t… oân ™roàmen ein Innehalten innerhalb der Argumentation. Damit wird sowohl der enge Zusammenhang der ersten beiden Beispiele von V.7–9.10–13 ausgesagt127 als auch die Möglichkeit eröffnet und angezeigt, dass die Argumentation im Folgenden variiert und/oder fortschreitet128. Dabei deutet die Form der Frage mit m» an, dass es sich hier um einen tatsächlichen Einwand handelt129 im Gegensatz zu einer dezidiert deliberativen, rhetorischen Frage (wie etwa bei 3,27ff) im Dienst der Argumentation. Der Inhalt der Frage zeigt an, dass wir mit unserer Einschätzung der bisherigen Argumentation richtig lagen: Wir hatten ja gesagt, dass sich die Ausführungen in V.7–13 implizit gegen die Vorstellung von Gott als einem Richter wenden. Indem nun in V.14 bei der Benennung eines Einwandes der Begriff ¢dik…a verwendet wird, tritt jetzt zu Tage, welche Gottesvorstellung mit der Position, der V.7–13 entgegengestellt wird, verbunden ist130: Der Vorwurf der ¢dik…a in Bezug auf Gott setzt das Verständnis von einem Handeln Gottes voraus, das sowohl ein Handeln ist, das sich an bestimmten menschlichen Gegebenheiten orientiert und darauf reagiert, als auch zugleich in dieser Orientierung menschlich nachvollziehbar ist und in seiner Reaktion von Menschen als angemessene Entsprechung verstanden werden kann. Dies kann man sicherlich pointiert mit der Vorstellung von Gott als Richter benennen131. Indem nun aber von Gottes Ungerechtigkeit in dem Einwand die Rede ist, zeigt sich, dass aufgrund der Ausführungen von V.7-13 nicht von einem Gott gesprochen werden kann, der in reagierender und nach menschlichem Ermessen angemessener Entsprechung 126 Vgl. W.H. Schmidt, Glaube, 166–168.443ff. 127 Vgl. K. Haacker, Römer, 194. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 55 übertreibt, wenn er jegliche Bezüge von V.7–13 zu V.14–19(–21), wie etwa das Auftauchen von zwei Größen (etwa Mose und Pharao), verneint. 128 Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 329. 129 Vgl. ebd. 130 Das hat E. Brandenburger, Schriftauslegung, 60 u.ö. nicht verstanden, nämlich dass die richterlichen Elemente in der Rede von Gott die Elemente der Gegenposition sind, der hier mit einem anderen Verständnis Gottes als des ungebundenen Souverän entgegengetreten wird. E. Brandenburger verbindet stattdessen das Richterelement mit der von ihm fälschlicherweise attestierten „Schöpfungsordnung“: „Vor allem kommt Gott als Richter ins Spiel, und das bedeutet für Röm 9 ganz deutlich als Wahrer seines ‚Vorsatzes‘ als Schöpfer“. 131 Vgl. K. Haacker, Römer, 195.
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zu menschlichem Tun, kurz eben als Richter einer iustitia distributiva, agiert. Hinter einem falschen Verständnis des Israelbegriffes als Heilsgruppenbegriff steht also in der Tat eine Vorstellung von Gott als Richter, auf die die vorgenommene theologische Definition der Heilsgruppe mit ihrer Ausschaltung menschlicher Komponenten korrigierend reagiert. Dementsprechend wird der Einwand der Ungerechtigkeit nicht durch die nachträgliche Stabilisierung Gottes als Richter behandelt, indem zusätzliche Motive auf Seiten Gottes und Informationen auf Seiten der menschlichen Gegebenheiten nachgeliefert werden – wie es etwa in der Ausgestaltung der Jakob- und Esau-Figuren in Teilen der Tradition geschehen ist –, so dass das Bild eines menschlich nachvollziehbaren, adäquat reagierenden Handelns Gottes entstünde. Vielmehr wird der Einwand radikal und grundsätzlicher auf der Ebene der Gottesbilder gelöst132, was spätestens in V.21 mit der Anführung einer anderen Metapher für Gott manifest wird133. Damit wird aber auch sichtbar, wie sich die Argumentation mit und durch die Frage von V.14 nun modifiziert: Stand in V.7–13 Gott im Zusammenhang mit der theologischen Definition des Heilsgruppenbegriffes im Vordergrund, so geht es jetzt stärker um Gott und die angemessene Rede von ihm selber. Aber auch das geschieht selbstverständlich nicht isoliert im Sinne einer Prädestinationslehre, sondern um innerhalb der Argumentation das in V.7–13 im Hintergrund stehende Gottesbild gegenüber dem fälschlich angenommenen Gottesbild der Gegenposition zu explizieren und zu legitimieren. Wie nun die falsche Gottesvorstellung des reagierenden Richters durch die Proklamation des in sich und seinem Handeln völlig autonomen und absoluten Gottes korrigiert wird, darauf weist die zweifache eigene Rede Gottes in V.15 und V.17 hin. War in V.7–13 in einfachen oder parataktischen Hauptsätzen von Gottes Handeln die Rede, so geschieht dies in den Zitaten von V.15 und V.17 in hypotaktischen Konstruktionen. Indem Konditionen134 und Absichten genannt werden, das Subjekt sowohl dieser Nebensätze als auch der übergeordneten Hauptsätze Gott ist, zeigt sich, dass Gott nicht angemessen als auf Menschen reagierender Richter zu beschreiben ist, sondern vielmehr als nur sich selbst unterworfene und sich selbst bestimmende, in sich geschlossene Größe. Gott reagiert nur auf sich selbst, er handelt nur aufgrund seiner eigenen Motive und Absichten und nicht in Reaktion auf etwas anderes. Damit han-
132 Vgl. N. Richardson, Language, 44 u.ö. 133 Zur Metapher bei Paulus vgl. zuletzt C. Gerber, Paulus, 81–111 u. passim. 134 ¥n in Relativsätzen unterstreicht die Bedingung. Vgl. BDR 107.13.
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delt er, um sich selbst zu genügen, aber nicht, um irgendwelchen Vorstellungen von angemessener Reaktion zu entsprechen. In dieser hypotaktischen Rede von Gott als einem eigenen „System“135 wird also die Veränderung gegenüber V.7–13 hin zur Diskussion Gottes selbst deutlich. Dabei spielt natürlich das Zitat von Ex 33,19 auf Ex 3,14 an136, wodurch die Betonung der Gottheit Gottes in ihrer fundamentalen Differenz zum Menschen und seiner Wirklichkeit mit befördert wird und der Gottesname in Richtung eines „unableitbaren, unergründlichen Erbarmens“ als dem Zentrum des Wesens Gottes gedeutet wird137. Über die genannte Veränderung in der Argumentation sind aber keinesfalls die konstanten Elemente zu vergessen, die eine übergreifende Verbindung mit V.7–13 schaffen: Wie schon in den ersten beiden Beispielen V.7–9.10–13 werden auch hier wieder zwei Personen einander gegenübergestellt, um die Art und Weise des Handelns Gottes zu erläutern138. Und auch hier ist die grundlos Heil erfahrende Person ein Repräsentant des biblischen Israel. Auch hier geht es um die absolute Souveränität Gottes im Zusammenhang mit seinem Heilshandeln zugunsten des biblischen Israel. Damit geht also trotz der Fokussierung auf Gott selber der Aspekt der theologischen Definition des Israelbegriffes und der Art und Weise der Konstitution der Heilsgruppe nicht verloren. Mit der Wahl von Mose und Pharao als zweier Personen aus dem Exodusgeschehen, neben der Erwählung Abrahams das zweite Grunddatum von Gottes Konstitution der auch „Israel“ genannten Heilsgruppe (vgl. nur Hos 11,1), wird dieser Aspekt deutlich weitertransportiert. Dabei wird auch hier ganz klar dieses autonome Heilshandeln Gottes an „Israel“ als offen für die Heiden dargestellt. Das Ziel des Handelns am Pharao geschieht natürlich zugunsten „Israels“139, 135 Dabei ist der Clou natürlich genau der, dass Gott als sein eigenes System aller Unterordnung und Einordnung in von Menschen einklagbare und verrechenbare Schemata entzogen werden soll. Das verfehlt E. Brandenburger, Schriftauslegung, 60.68f ü.ö., wenn er meint, Ziel wäre hier die Darstellung einer „Schöpfungsordnung“, über deren Einhaltung Gott richterlich wacht. Eine Festlegung in dieser Freiheit Gottes kann man aber machen, wie wir immer wieder gesehen haben: Sie steht mit dem Heil in Zusammenhang und ist auf dieses hin geordnet. 136 Das wird weithin nicht ausreichend berücksichtigt als Element der sich menschlichem Zugriff entziehenden, kategorial anderen Heilssouveränität Gottes. So fehlt der Hinweis etwa bei D. Starnitzke, Struktur, 312; E. Lohse, Römer, 277f. Zur Verbindung von Ex 33,19 zu Ex 3,14 vgl. nur J.I. Durham, Exodus, 452 und F. Siegert, Argumentation, 128. 137 K. Haacker, Römer 194f. Über die Zentralität dieser Stelle und Vorstellung für das antike Judentum geben Sir 50,19; Schebu 4,13 und tBQ 9,30 Auskunft, wo „der Barmherzige/Erbarmende“ zum Gottesnamen geworden ist. 138 Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 329f; K. Haacker, Römer, 194. 139 Auch daran wird deutlich, dass das Verstocken auf Heil von Menschen zielt, vgl. K. Wengst, Interpunktion, 385.
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wird hier aber mit Ópwj diaggelÍ tÕ Ônom£ mou ™n p£sV tÍ gÍ zugleich mit Worten benannt140, die in ihrem Universalismus eindeutig auf Gottes Ausrichtung auf die Heiden verstanden werden müssen141: Immerhin hätte auch nach dÚnam…j142 mou Schluss im Zitat sein können, und es finden sich im weiteren Verlauf der Argumentation bis zum Ende von Röm 11 Worte und Motive des genannten Ópwj-Satzes, die den Aspekt der universalen Heilsverkündigung explizit demonstrieren (10,12f.15–18.20). Auch die paulinischen Änderungen im Zitat gegenüber Ex 9,16LXX, nämlich die Ersetzung von ›neken durch e„j mit der Verstärkung durch a§tÒ und die Ersetzung von fna durch Ópwj143, die jeweils den finalen Charakter unterstreichen, machen deutlich, dass es Paulus ganz bewusst auf das positive Ziel der Verstockung ankommt144. Damit ist aber der Gedanke, dass Verstockung einem positiven Zweck dient, ausgesprochen, so dass auch die Gedanken über die Verstockung Israels 11,1–12.28a145 und aller Menschen 11,32146 zu Heilszwecken nicht unvorbereitet und isoliert kommen. Damit wird aber weiter deutlich, dass es auch hier keineswegs um eine isolierte Souveränität Gottes an sich geht, die als reine Willkür verstanden werden muss. Vielmehr ist diese auch in diesem Abschnitt mit dem Erbarmen Gottes verbunden, das auch hier überwiegt147, nicht nur weil es auch hier um die für die Heiden offene Konstitution der biblischen Heilsgruppe geht. Nur in V.18 wird nämlich ein Gleichgewicht von Heil und Unheil genannt. Demgegenüber ist nicht nur das erstgenannte Handeln an Mose Heilshandeln, sondern auch die Verhärtung mit kaˆ Ópwj diaggelÍ ktl. verfolgt eine Heilsabsicht. Dazu wird in V.16 140 Vgl. , Römer 2, 200, der darin einen „positiven Zweck“ sieht, ohne dass er das auf die Heiden und den Universalismus deutet; ebenso F. Siegert, Argumentation, 130, ohne dass er die Aktualität des guten Zweckes, dass Gott sich auf der ganzen Erde bekannt machen will, im Hinblick auf das paulinische Anliegen gesehen hätte. 141 Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 331. 142 Auch die Ersetzung der für Paulus semantisch schwächeren „scÚj durch den stärkeren und durch 1,4.16.20; 15,13.19 deutlich heilvoll bestimmten Begriff dÚnamij spricht für eine bewusste finale Komponente zum Heil in der Reproduktion der Pharaoverhärtung. Vgl. auch N. Richardson, Language, 47. 143 Ópwj hat gegenüber ‡na den eindeutigen finalen Charakter, der bei ‡na verblassen kann. Vgl. Bauer-Aland, 754. 144 Vgl. K. Haacker, Römer, 195; D.-A. Koch, Schrift, 151. – Gegen G. Röhser, Prädestination, 123f. – Vielmehr ergibt sich auch hier eine durch Röm 9–11 durchgehende Linie der Wirksamkeit des Gotteswortes. 145 Vgl. K. Haacker, Römer, 195; J.D. Kim, God, 126. 146 N. Richardson, Language, 53; C.K. Barrett, Romans, 227. So ergibt sich auch hier eine durch Röm 9–11 insgesamt durchgehende Linie der Wirksamkeit des Gotteswortes. 147 Vgl. D. Starnitzke, Struktur, 312; T.H. Tobin, 330f. Gegen G. Röhser, Prädestination, 125, der die Freiheit Gottes „nach beiden Seiten hin“ betont.
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mit ™leîn als entscheidendem Faktor in der Bestimmung Gottes ein Fazit gezogen, und es ist nicht von einem e§dokoàn, qšlwn o.ä. auf der Seite Gottes die Rede, was aber zu erwarten wäre, wenn die Souveränität Gottes an sich, deren inhaltliche Bestimmung beliebig sein könnte, im Mittelpunkt des Fazits stehen sollte. Die zuvor schon geschehene umfassende Heilsbestimmung Gottes kann sich also nicht mehr vollkommen verflüchtigen148. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass das Zitat von Ex 33,19 ja kein antithetischer, sondern ein synthetischer Parallelismus ist und dementsprechend diese Selbstvorstellung Gottes auf Gottes „umfassendes Erbarmen“ zielt149. Wie schon in 3,26 steht somit auch hier Ex 34,6 als die entscheidende alttestamentlich-jüdische Gottesbestimmung150 im Hintergrund151. Weiterhin ist zu bemerken, dass die Frage nach dem rechten Gottesbild und der Einwand auch hier nicht abstrakt-dogmatisch gelöst werden, sondern im Grunde genommen wiederum erzählerisch152. Über die genannten Personen, die ja in einer Erzählung der Geschichte Israels miteinander verbunden sind, sind die Personenkonturierungen und die Reden Gottes nichts anderes als Reproduktion der Geschichte Israels. Damit wird auch hier narrativ mit der Erzählung von Gottes Handeln im Hinblick auf Israel geantwortet153, so dass sich die These nahe legt, dass letztlich nur narrativ auf Gottesfragen (im Zusammenhang mit Israel) geantwortet werden kann. Auch bei dieser Präsentation des alttestamentlichen Erzähltextes sind dieselben Konturierungen zu vermerken wie schon bei den Reproduktionen in V.7–9 und vor allem in V.10–13, die zugunsten der Betonung allein der Handlungswirklichkeit und des Primates Gottes erfolgten. Sichtbar wird dies hier an der Ersetzung von diathre‹n aus Ex 9,16 in der LXX-Vorlage durch ™xege…rein in V.17. Wird bei diathre‹n über den Ursprung des Pharao nichts gesagt und somit eine auch in sich selbst 148 Vgl. auch J.D. Kim, God, 126. 149 D. Starnitzke, Struktur, 312. D. Starnitzke macht zurecht darauf aufmerksam, dass auch der Kontext des Zitates die Aussage der Heilsdominanz unterstützt. Denn in Ex 33,19 antwortet Gott selber auf die Frage, ob Mose und das Volk nach der unheilvollen Episode mit dem goldenen Kalb von Gott eigentlich weiterhin und verlässlich Heil erwarten dürfen. 150 Vgl. nur Num 14,18; Neh 9,17; Ps 86,15; 103,8; 145,8; Joel 2,13; Jona 4,2; Nah 1,3; auch Dtn 7,9f; 2Kö 13,23; 2Chron 30,9; Neh 9,17; Ps 111,4; 112,4; Jes 30,18; Jer 32,18; Sir 2,11; SapSal 3,9; 4,15; 15,1; OrMan 7; PsSal 9,8–11; TJud 19,3; TSeb 9,7; JosAs 11,10; PsPhilo 13,1; 35,3; 4Esr 7,33. – Vgl. dazu auch J.D.G. Dunn, Romans II, 552 und J.H. Neyrey, God, 143. 151 Vgl. auch J. Piper, Justification, 55–68; J.D.G. Dunn, Romans II, 552. 152 Vgl. auch K. Haacker, Römer, 194. 153 Vgl. zuletzt 3,2.
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begründete Existenz des Pharao mit toleriert und die göttliche Handlung auf das Nicht-Vernichten beschränkt, so macht ™xege…rein auch für die Existenz des Pharao überhaupt Gott als Motiv deutlich154, so dass diese Existenz vollkommen und ausschließlich Grund und Sinn durch das und im Handeln Gottes hat155. Aus diesen so reproduzierten Erzählungen wird dann jeweils mit ¥ra eine Folgerung gezogen. Diese Folgerungen machen explizit klar, dass mit der Verneinung von menschlicher Absicht und Tun jegliches menschliche Element ausgeschlossen ist in Hinsicht auf das Handeln Gottes. Für dieses Handeln ist, wie wir gesehen hatten, festzuhalten, dass es ein deutlich mit Gottes Heilswillen verknüpftes Handeln ist: Mit der Klärung des Israelbegriffes als Konstitution der Heilsgruppe geht es um die Frage der Freiheit seines Heilshandelns156. Dementsprechend ist die Opposition von ™lee‹n und sklhrÚnein diesem dienend zugeordnet mit der Funktion, die absolute Freiheit Gottes in diesem Heilshandeln zu markieren157. Damit entfällt aber jede doppelte Prädestination. Dabei erinnern die Formulierungen qšlwn und vor allem tršcwn in der ersten Folgerung mit ¥ra in V.16, also in Paulus‘ eigenem Kommentar zum erzählten Geschehen der Schrift, in ihrer Gegenüberstellung zum göttlichen Handeln an menschliches Bemühen als Voraussetzung, wie es etwa in 4,4 und V.12 genannt ist158. Damit wird aber auch hier Gottes freies Heilshandeln mit Elementen der „Rechtfertigungslehre“ zusammengebracht159, so dass wir auch darüber eine Bestätigung dafür bekommen, dass es hier nicht um die Scheidung innerhalb Israels geht, sondern um die Konstitution der einen Heilsgruppe als Kehrseite derselben Medaille des einen biblisch bezeugten Heilshandelns Gottes.
5.3.4 V.19–21 Erneut taucht mit V.19 in der Argumentation eine Frage auf. Indem die Frage vom „Ich“ der Argumentation dem „Du“ der Argumentation vorweggenommen wird, erscheint sie hier ebenfalls als möglicher, nahelie154 Vgl. D.-A. Koch, Schrift, 150. 155 Vgl. N. Richardson, Language, 47; F. Siegert, Argumentation, 129. 156 Ein interessantes Beispiel dafür, wie die Heraushebung von Gottes Souveränität und Macht gegenüber seiner richterlichen Gerechtigkeit dazu dient, den Heilsüberschuss und die grundsätzliche Heilsorientierung Gottes zu illustrieren, bietet SapSal 12,12– 21, vgl. dazu unten 5.3.4. 157 Vgl. J.D. Kim, God, 127; D. Starnitzke, Struktur, 312f; T.H. Tobin, Rhetoric, 330f. 158 Vgl. auch D. Starnitzke, Struktur, 313. 159 Vgl. auch E. Brandenburger, Schriftauslegung, 80f.
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gender Einwand und schließt sich somit gut an die Frage von V.14 an160. Gleichwohl ist das Innehalten in der Argumentation hier nicht so stark, da sie durch die Vorwegnahme eines sich ergebenden Einwandes unmittelbarer und stärker an das Vorangegangene anschließt. Dennoch eröffnet diese auch die Möglichkeit, die Argumentation erneut modifizierend in eine bestimmte Richtung zu führen. Mit der Frage tauchen erneut die letzten Reste des angegriffenen richterlichen Gottesbildes auf161, so dass nun noch stärker als schon in V.14–18 geschehen allein das Gottesbild Thema wird. Dabei markiert, wie in V.14 ¢-dik…a, hier mšmfesqai in seiner Infragestellung das abgelehnte Gottesbild: Das passivum divinum verweist auf Gott, und insofern die Frage von der Position des Einwandes, aus dem Mund des Gegners162 formuliert wird, gibt es sich als das hinter der abgelehnten Position stehende Gottesbild zu erkennen. Dabei markiert mšmfestai wiederum die Gottesvorstellung, nach der Gott auf menschliches Tun reagiert, und zwar dabei wesentlich dadurch bestimmt, dass diese Reaktion nach menschlichem Verständnis gerecht, also innerhalb eines nachvollziehbaren, übergeordneten Systems von adäquater Entsprechung geschieht. Und gerade dies wird hier mit dem t… œti mšmfetai als nicht mehr gegeben angeführt. Dieses Gottesbild ist also wiederum und deutlich das des Richters, dementsprechend das Verhältnis von Gott und Mensch als eines von Richter und Zu-Richtendem zu bestimmen ist. Darin impliziert ist auch die Vorstellung des Rechtes und damit eines Gott und dem Menschen in gleicher Weise übergeordneten Maßstabes für die Reaktion Gottes auf den Menschen, dem sowohl der Mensch als verantwortlich Agierender als auch Gott als verantwortlich Reagierender in gleicher Weise unterworfen sind. Dieses Gottesbild ist aber nun durch das in der Argumentation Ausgeführte in Frage gestellt, und es steht somit in einer Schieflage dazu. Zur Begründung dieser Schieflage wird V.19b angeführt. Hier wird der alles durchbrechende Primat von Willen und Handlung Gottes festgestellt, der so ein als solches zu verstehendes menschliches Handeln in eigener Verantwortung ausschließt und damit die Konzeption von ZuRichtendem und Richter ad absurdum führt163. 160 Vgl. auch T.H. Tobin, Rhetoric, 332. 161 Vgl. K. Haacker, Römer, 195. 162 Ob man die Frage als Frage eines Gegners oder eines Schülers (so N. Richardson, Language, 45 im Anschluss an S.K. Stowers, Diatribe, 153) betrachtet, ist relativ unerheblich. Wichtig ist, dass die Frage eine echte und keine rein deliberative Frage insofern ist, als sie einen aufgrund einer anderen Position erhobenen echten Einwand gegen das Gesagte bringt und diese andere Position widerlegt werden soll. 163 Insofern geht eben auch die Konzeption von E. Brandenburger, Schriftauslegung, 60.68f u.ö. von der Schöpfungsordnung, über die Gott als Richter wacht, deutlich am Text vorbei.
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Dementsprechend arbeitet in V.20 die Ablehnung dieses Gottesbildes genau mit der Verneinung eines gemeinsamen tertium von Richter und Gerichtetem, eines beiden gemeinen und ihnen übergeordneten Maßstabes. Wieder sind wir bei der Unterscheidung Mensch-Gott, hervorgehoben durch ¥nqrwpe164. Diese kategoriale Unterscheidung165 schließt aus, dass die Beziehung zwischen Gott und Mensch die von Richter und Gerichtetem sein kann, weil darin impliziert wäre, dass auch der Mensch Gott beurteilen könnte166, weil die Beziehung zwar die des Unterschiedes von Aktion und Reaktion ist, aber das vor einem verbindenden gemeinsamen kategorialen Hintergrund des Rechts und der adäquaten Entsprechung. Deshalb muss Gott anders denn als Richter verstanden werden, und V.20b.21 führt nun die angemessene Metapher ein: Gott muss als Töpfer verstanden werden, weil dieses Bild, wie die Ausführungen deutlich machen, das Verhältnis Gott-Mensch in seiner kategorialen Differenz hin zu der absoluten Souveränität Gottes und der totalen Freiheit seines Handelns adäquat beschreiben kann. Dieser Metaphernwechsel macht deutlich, wie die Frage nach der theologischen Definition des Israelbegriffes und der Konstitution der Heilsgruppe zur Klärung des Verständnisses von Gott selber geführt hat. Dieses wiederum ist kein losgelöstes Thema an sich, sondern resultiert aus den genannten Fragen und steht im Dienst ihrer Klärung167. Darüber hinaus ist die Möglichkeit einer isolierten Definition von Eigenschaften und Verständnis Gottes an sich auch durch einige Eckpunkte deutlich begrenzt: Gott war in Röm mehrfach als Gott des Heils bestimmt, und auch im unmittelbaren Kontext ist der Zusammenhang nicht der einer Scheidung innerhalb Israels, sondern eben der der Konstitution der einen Heilsgruppe und damit der Zusammenhang des Heilshandelns Gottes. Für dieses wird die Gottesfrage diskutiert168. 164 Vgl. F. Siegert, Argumentation, 135; J.D.G. Dunn, Romans II, 556. 165 Vgl. auch Mi 6,8; Röm 2,1.3, wo dem Menschen durch ¥nqrwpe seine Position in Bezug auf Gott verdeutlicht wird. 166 Hierzu sei nur exemplarisch auf Hi 38ff verwiesen, um auch hierzu den alttestamentlich-frühjüdischen Hintergrund deutlich zu machen. 167 Damit gegen alle Versuche, in Röm 9 einen Ort systematischer Entfaltung von Prädestinationslehren zu sehen, wie er etwa auch den Aufsatz von E. Dinkler, Prädestination prägt. Vgl. dazu auch E. Lohse, Prädestination, 71–80 u. K. Haacker, Römer, 196f. 168 Vgl. dazu SapSal 12,12–21 (in diesem Abschnitt unten), wo ebenfalls die Frage nach Macht, Souveränität und Gottheit Gottes nicht isoliert, sondern in Bezug auf sein letztlich heilsorientiertes Handeln an allen Menschen diskutiert wird. Damit kann man auch in der Frage der Souveränität und ungebundenen Gottheit Gottes nicht vom „düster-dämonischen Jahwebild der jüdischen ‚Schriften‘“ und vom „altsemitisch[.] und jüdisch-apokalyptisch[.] tyrannisch[en] Gottesbild“ sprechen, wie es etwa O. Kuss, Römerbrief, 649.930f tut.
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Hinsichtlich der Zuordnung von Gottesbild und Heilskonstitution, von V.19–21 zu V.7–14, ist eine interessante Analogie zu beachten: Selbstverständlich entspricht das betonte a§tÒj des Töpferbildes in V.21 dem eŒj der Jakoberwählung in V.10169, denn semantisch betont beides das „ein-und-dasselbe“ und damit das Einfluss- und Unterschiedslose der Ausgangssituation in Bezug auf die Objekte. Somit zielt der Sachverhalt, dass der Töpfer aus ein- und demselben Material zwei vollkommen verschiedene Gegenstände machen kann, eindeutig auf Gottes Heilskonstitution von Jakob-Israel gegenüber Esau innerhalb ein und desselben Zeugungsaktes . Zur weiteren Beurteilung der Funktion des Töpferbildes ist es durchaus wichtig, zunächst einmal das Gewicht auf das in V.20 wörtlich zitierte Jesaja-Zitat170 gegenüber Jer 18,6 zu legen171 und den Kontext von Jes 29,16 mit einzubeziehen, wie J.R. Wagner es nahegelegt hat172. Dies ist auch aufgrund der schon genannten Bedeutung Jesajas für die paulinische Argumentation und der intensiven Arbeit mit Jesajatexten in Röm 9–11 geboten: Jes 29 (LXX) 1Wehe Ariel, Ariel, du Stadt, wo David lagerte! Fügt Jahr zu Jahr, lasst die Feste kreisen! 2 Aber ich werde Ariel bedrängen, dass es Weh und Wehgeschrei geben wird. Dann wird sie mir wie ein Ariel sein. 3 Und ich werde mein Lager ringsum gegen dich aufschlagen und dich mit einem Wall einschließen und Belagerungswerke gegen dich errichten. 4 Dann bist du erniedrigt und wirst aus der Erde reden, und aus dem Staub wird deine Rede dumpf ertönen. Und deine Stimme wird sein wie die eines Totengeistes aus der Erde, und aus dem Staub wird deine Rede flüstern. … 10 Denn der HERR hat einen Geist tiefen Schlafs über euch ausgegossen, ja, verschlossen hat er eure Augen; die Propheten und eure Häupter, die Seher, hat er verhüllt. 11 Und jedes Gesicht ist für euch geworden wie die Worte einer versiegelten Buchrolle, die man einem gibt, der zu lesen versteht, indem man sagt: Lies das doch! Er aber sagt: Ich kann nicht, denn es ist versiegelt. 12 Und man gibt die Buchrolle einem, der nicht lesen kann, indem man sagt: Lies das doch! Er aber sagt: Ich kann nicht lesen. 13 Und der Herr hat gesprochen: Weil dieses Volk mit seinem Mund sich naht und mit seinen Lippen mich ehrt, aber sein Herz fern von mir hält und ihre Furcht vor mir nur angelerntes Menschengebot ist:
169 Vgl. auch J.D.G. Dunn, Romans II, 557. 170 J.R. Wagner, Heralds, 62–68; D.-A. Koch, Schrift, 144. 171 Gegen R.B. Hays, Echoes, 65, der sich bis auf eine bloße Erwähnung in den Anmerkungen ausschließlich auf Jer 18 bezieht. 172 Vgl. J.R. Wagner, Heralds, 62–68; auch F. Wilk, Bedeutung, 373–378.394–396.
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14 Darum, siehe, will ich weiterhin wunderbar mit diesem Volk handeln, wunderbar und wundersam. Und die Weisheit seiner Weisen wird verloren gehen und der Verstand seiner Verständigen sich verbergen. 15 Wehe denen, die ihren Plan tief verbergen vor dem HERRN und deren Werke im Finstern geschehen, und die sagen: Wer sieht uns, und wer erkennt uns? 16 Oh eure Verkehrtheit! Soll denn der Töpfer dem Ton gleichgeachtet werden? - dass das Werk von seinem Meister sagt: Er hat mich nicht gemacht! - und ein Gebilde von seinem Bildner sagt: Er versteht nichts (oàc æj Ð phlÕj
toà keramšwj logisq»sesqe m¾ ™re‹ tÕ pl£sma tù pl£santi o§ sÚ me œplasaj À tÕ po…hma tù poi»santi oÚ sunetîj me ™po…hsaj)? 17 Dauert es nicht nur noch eine ganz kurze Weile, dass sich der Libanon in einen Fruchtgarten verwandelt und der Karmel dem Wald gleichgeachtet wird? 18 An jenem Tag werden die Tauben die Worte des Buches hören, und aus Dunkel und Finsternis hervor werden die Augen der Blinden sehen.
Deutlich ist hier folgender Ablauf zu sehen: Zunächst wird Israels Heilsferne festgestellt und durch Gottes verstockende Aktivität weiter verfolgt, die das Herrsein Israels über seine eigenen Handlungen radikal beschneidet und von wundersamen, also allein Gottes Autonomie unterworfenen Handlungen berichtet. Dann folgt die Töpfer-Ton-Metapher, die hier den entscheidenden Wendepunkt zum folgenden, eigentlich unverständlichen Heilshandeln Gottes markiert, an dessen Ende die Gottesbeziehung Israels wieder intakt ist173. Damit steht aber das Zitat Jes 29,6 im Prätext in derselben Argumentationsstruktur an derselben Stelle, wie wir sie schon für Jes 40,8 als durch p…ptein ausgelöste Anspielung in V.6a ausgemacht hatten. In Anbetracht der schon dazu angeführten Argumente174, dass Jesajazitate die folgende Argumentation in Röm 9–11 leiten und an ihrem Ende die jesajanische Antwort und Lösung in Gestalt des Heils Gottes für ganz Israel benennen175, kann man auch hier das Zitat nicht ohne die dahinterstehende Argumentationsstruktur seines Kontextes lesen. Damit steht auch in V.19–20 die Zuordnung von Heilsferne und Verstockung zu der überraschenden und ultimativen Heilshandlung Gottes an Israel unausgesprochen im Hintergrund176, die als jesajanische Struktur auch zur Struktur für die Argumentation in Röm 9–11 wird. Damit ist wiederum deutlich, dass mit der Repräsentation der Töpfer-Metapher in V.20 verbunden ist, dass die mit ihr ausgesagte absolute Souveränität und totale Freiheit Gottes ihre Manifestation über die Ver173 174 175 176
Vgl. J.R. Wagner, Heralds, 63–65. Vgl. oben 5.3.1.1. Vgl. F. Wilk, Bedeutung, 373. Vgl. auch a.a.O., 307.
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stockung hinaus gerade auch in der Wendung zu überraschenden Heilshandlungen Gottes findet. Unsere These, dass, auch wenn hier thematisch von Gottes Freiheit zu einer doppelten Prädestination die Rede ist, rhematisch und funktional diese ganz klar durch den Eckpfeiler der überschießenden Heilsorientierung Gottes auf die Qualifizierung von Gottes Heilshandeln hinzielt, wird bestätigt. Das Zitat selber ist etwas abgewandelt. Statt der Verneinung einer Beziehung (o§ sÚ me œplasaj/™po…hsaj) zwischen Getöpfertem und Töpfer, die eher eine Autonomie des Menschen impliziert, steht mit t… me ™po…hsaj oÛtwj die Unhinterfragbarkeit und somit die unverrechenbare Freiheit Gottes über den Menschen als kategoriale Differenz im Vordergrund177. Als weitere Parallele ist auch Jes 45,9 zu betrachten178. Der Zusammenhang ist hier zwar nicht so stark wie bei Jes 29,6, weil nicht die Beziehung des wörtlichen Zitates besteht, dafür gibt es aber in der Funktion des Töpferbildes im Kontext erstaunliche Parallelen zu Röm 9. Jes 45 1 So spricht der HERR zu seinem Gesalbten, zu Kyrus, den ich bei seiner Rechten ergriffen habe, um Nationen vor ihm zu unterwerfen – und die Hüften der Könige entgürte ich –, um Türen vor ihm zu öffnen, und Tore bleiben nicht verschlossen: 2 Ich, ich werde vor dir herziehen und werde die Ringmauern einebnen. Eherne Türen werde ich zerbrechen und eiserne Riegel zerschlagen. 3 Ich gebe dir verborgene Schätze und versteckte Vorräte, damit du erkennst, dass ich der HERR bin, der dich bei deinem Namen ruft, der Gott Israels. 4 Um meines Knechtes Jakob willen und Israels, meines Auserwählten, habe ich dich bei deinem Namen gerufen. Ich gebe dir einen Ehrennamen, ohne dass du mich gekannt hast. 5 Ich bin der HERR und sonst keiner. Außer mir gibt es keinen Gott. Ich gürte dich, ohne dass du mich erkannt hast, 6 damit man erkennt vom Aufgang der Sonne und von ihrem Untergang her, dass es außer mir gar keinen gibt. Ich bin der HERR – und sonst keiner –, 7 der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Frieden wirkt und das Unheil schafft. Ich, der HERR, bin es, der das alles wirkt. 8 Träufelt, ihr Himmel, von oben! Und ihr Wolken, fließt über von Gerechtigkeit! Das Land öffne seine Ackerfurchen, und sie sollen fruchtbar sein mit Heil, und es lasse Gerechtigkeit hervorwachsen zugleich! Ich, der HERR, habe es geschaffen. 9 Weh dem, der mit seinem Bildner rechtet – ein Tongefäß unter irdenen Tongefäßen! Sagt etwa der Ton zu seinem Bildner: Was machst du?, und sagt etwa dein Werk von dir: Er hat keine Hände? 177 Vgl. D.-A. Koch, Schrift, 144. 178 Vgl. J.R.Wagner, Heralds, 58.66–68; F. Wilk, Bedeutung, 304; N. Richardson, Language, 54.
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10 Weh dem, der zum Vater sagt: Warum zeugst du? und zur Frau: Warum hast du Wehen? 11 So spricht der HERR, der Heilige Israels und sein Bildner: Wollt ihr mich etwa wegen meiner Kinder fragen und über das Werk meiner Hände mir Befehl geben? 12 Ich, ich habe die Erde gemacht und den Menschen auf ihr geschaffen. Ich war es, meine Hände haben die Himmel ausgespannt, und all ihrem Heer habe ich Befehl gegeben. 13 Ich, ich habe ihn erweckt in Gerechtigkeit, und alle seine Wege ebne ich. Er wird meine Stadt bauen und meine Weggeführten freilassen, nicht für einen Kaufpreis und nicht für ein Geschenk, spricht der HERR der Heerscharen. 14 So spricht der HERR: Der Erwerb Ägyptens und der Handelsgewinn von Kusch und die Sebäer, hochgewachsene Männer, werden zu dir übergehen und dir gehören. Sie werden dir nachfolgen, in Fesseln werden sie zu dir übergehen. Und sie werden sich vor dir niederwerfen, werden zu dir flehen: Ja, bei dir ist Gott. Es gibt keinen sonst, keinen Gott! – 15 Wahrlich, du bist ein Gott, der sich verborgen hält, Gott Israels, ein Retter! – 16 Sie werden zuschanden und auch zunichte, sie alle miteinander. Sie gehen allesamt in Schmach dahin, die Götzenmacher. 17 Israel findet Rettung in dem HERRN, ewige Rettung. Ihr werdet nicht zuschanden und nicht zunichte werden in alle Ewigkeiten. 18 Denn so spricht der HERR, der die Himmel geschaffen hat er ist Gott –, der die Erde gebildet und sie gemacht hat – er hat sie gegründet, nicht als eine Öde hat er sie geschaffen, sondern zum Bewohnen hat er sie gebildet –: Ich bin der HERR, und sonst gibt es keinen Gott! 19 Nicht im Verborgenen habe ich geredet, am Ort eines finsteren Landes. Ich sprach zu den Nachkommen Jakobs nicht: Sucht mich vergeblich! Ich bin der HERR, der Gerechtigkeit redet, Wahrheit verkündet. 20 Versammelt euch und kommt! Nähert euch allesamt, ihr Entkommenen der Nationen! Keine Erkenntnis haben die, die das Holz ihres Götterbildes tragen und zu einem Gott flehen, der nicht retten kann. 21 Berichtet und bringt Beweise herbei! Ja, sollen sie sich miteinander beraten! Wer hat dies von alters her hören lassen, schon längst es verkündet? Nicht ich, der HERR? Und sonst gibt es keinen Gott außer mir. Einen gerechten und rettenden Gott gibt es außer mir nicht! 22 Wendet euch zu mir und lasst euch retten, alle ihr Enden der Erde! Denn ich bin Gott und keiner sonst. 23 Ich habe bei mir selbst geschworen, aus meinem Mund ist Gerechtigkeit hervorgegangen, ein Wort, das nicht zurückkehrt: Ja, jedes Knie wird sich vor mir beugen, jede Zunge mir schwören 24 und sagen: Nur in dem HERRN ist Gerechtigkeit und Stärke. Zu ihm wird man kommen, und es werden alle beschämt werden, die gegen ihn entbrannt waren. 25 In dem HERRN werden gerecht sein und sich rühmen alle Nachkommen Israels.
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Es beginnt damit, dass im gesamten Kapitel Jes 45 immer wieder mit betontem ™gè und Schöpfungsaussagen die Gottheit Gottes in ihrer Differenz zu dem Menschen und allem anderen ausgesagt wird. In diesem Rahmen steht nun das Töpferbild im Zusammenhang mit Gottes Heilshandeln und der darum entstandenen Diskussion. Es ist nämlich umgeben von der Schilderung von Gottes Heilshandeln an Israel durch Kyros, der als Heide und ohne Gott gekannt zu haben von Gott in ein heilvolles Verhältnis zu ihm gesetzt wird und als ausgezeichnetes Instrument zum Heil Israels dient. Diese für Israels Verständnis anstößigen Elemente des Heilshandelns Gottes werden nun mit dem Töpferbild beantwortet, das darauf hinweist, dass niemand Gott in die Art und Weise des Umganges mit seinen Kindern, hier das Heilshandeln durch Kyros179, dreinzureden und Einwände und Nachfragen zu stellen hat. Damit dient auch das Töpferbild dazu, ein umstrittenes wundersames Heilshandeln Gottes gegen menschliche Vorstellungen und Paradigmen zu legitimieren. Die Gottheit Gottes in ihrem kategorialen Unterschied zum Menschen wird somit nicht angeführt, um die unbestechliche und von Menschen unerreichte Entsprechung und Konformität Gottes mit einem übergeordneten System der richterlichen Gerechtigkeit auszusagen. Vielmehr illustriert sie, warum Gottes Heilshandeln in einer Weise erfolgen kann, die bisher als selbstverständlich betrachteten menschlichen Überzeugungen in keiner Weise entspricht. Wie auch in Hos 11,1 erklärt die Gottheit Gottes, warum Gottes Heilshandeln für Menschen anstößig und wundersam erscheint, insofern es sich eben der menschlichen Erwartung von Entsprechung und dem Maßstab der Konformität mit geltenden menschlichen Überzeugungen entzieht: weil es allein in der Wirklichkeit Gottes begründet ist und sich so als das Heilshandeln des kategorial anders zum Heil handelnden Gottes darstellt. Das Töpferbild in seiner Illustration des kategorialen Unterschiedes steht also in Jes 45 an der Stelle des für Menschen unlogischen Wendepunkts zum Heil. Und ebenso wie in V.18 steht Gottes freie und souveräne Urheberschaft von Heil und Unheil in Jes 45,7 nicht als Aussage an sich, sondern in der Funktion, die Gottheit Gottes im Hinblick auf die Freiheit und Souveränität seines Heilshandelns zu sichern. Gleichzeitig wird Gottes Heilsdominanz unverkennbar deutlich mit den Implikationen einer wunderbaren Rettung ganz Israels ebenso wie des Heils auch für die Heiden. Zugleich wird dieses unerwartete, un-menschliche Heilshandeln Gottes über Jes 45,21 als von jeher mit sich übereinstimmend ausgesagt. 179 Vgl. C. Westermann, Jesaja, 135f; auch J.R. Wagner, Heralds, 67.
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Diese Analysen haben die besondere Bedeutung und Beziehung der jesajanischen Töpferzitate für Paulus bestätigt, insofern sich eine Orientierung von Paulus am Jesajabuch und dessen Gesamtkonzeption, in die sich auch die Töpferzitate einfügen, als eindeutig gegeben erweist180. Dem steht eine weite Verbreitung des Töpferbildes gegenüber, das aber unterschiedlichen Aussageabsichten dienen kann, die sich dann nicht unbedingt mit der paulinischen in Röm 9 decken181. Ein kurzer Blick soll noch auf Jer 18 geworfen werden, da dieser Text verschiedentlich als entscheidender Prätext angeführt wird182. Jer 18 1 Das Wort, das durch den HERRN zu Jeremia geschah: 2 Mache dich auf und geh in das Haus des Töpfers hinab, und dort werde ich dich mein Wort hören lassen! 3 Und ich ging in das Haus des Töpfers hinab, und siehe, er war gerade mit einer Arbeit auf der Scheibe beschäftigt. 4 Und das Gefäß, das er aus dem Ton machte, missriet in der Hand des Töpfers. Und er machte wieder ein anderes Gefäß daraus, wie es in den Augen des Töpfers recht war zu tun. 5 Und das Wort des HERRN geschah zu mir: 6 Kann ich mit euch nicht ebenso verfahren wie dieser Töpfer, Haus Israel? spricht der HERR. Siehe, wie der Ton in der Hand des Töpfers, so seid ihr in meiner Hand, Haus Israel. 7 Einmal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es ausreißen, niederbrechen und zugrunde richten zu wollen. 8 Kehrt aber jenes Volk, über das ich geredet habe, von seiner Bosheit um, lasse ich mich des Unheils gereuen, das ich ihm zu tun gedachte. 9 Und ein anderes Mal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es bauen und pflanzen zu wollen. 10 Tut es aber, was in meinen Augen böse ist, indem es auf meine Stimme nicht hört, so lasse ich mich des Guten gereuen, das ich ihm zu erweisen zugesagt habe.
Es ist deutlich, inwieweit sich Jer 18 von Jes 29 und Jes 45 unterscheidet: Die Möglichkeiten des Töpfers werden hier verbunden mit menschlichem Handeln und dienen nicht dazu, Gottes vollkommen bezugsloses Heilshandeln auszusagen und zu begründen. Jer 18 begründet, warum Gott speziell mit Israel so verfahren kann und verfährt, wie er es tut: Sein Handeln zum Unheil gegenüber einer Heilssicherheit wird ebenso begründet, wie die Möglichkeit zu neuem Heil menschlich korreliert wird. Es ist also eher eine Parallele für die falsch verstandene Deutung von Röm 9 in der Hinsicht, dass es hier um die Begründung einer Schei180 Vgl. auch J.R. Wagner, Heralds, 353f. 181 Hi 10,8f; Sir 33,10–13; SapSal 15,7; PsSal 17,23; 1QS 11,12; 1QH 1,21; 2,20f u.ö. Vgl. dazu auch E. Lohse, Römer, 279. Am Wendepunkt zum Heil aber auch Jes 41,25; 64,7. 182 Vgl. R.B. Hays, Echoes, 65; K. Wengst, Interpunktion, 386.
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dung innerhalb Israels mit Verwerfung eines Teils Israels geht183. Die Jesajazitate mit ihrer Begründung des souveränen Heilshandelns Gottes als ermittelter primärer Hintergrund passen sich hingegen exakt in das von uns bestimmte Thema der Art und Weise der allein bei Gott liegenden Konstitution der einen Heilsgruppe ein. Dennoch macht R.B. Hays zu Recht darauf aufmerksam, dass auch in Jer 18 das Töpferbild mit einem gewissen Element des Heils verbunden ist184. Dieses ist ausgedrückt durch die Freiheit des Töpfers, Gefäße zu erneuern und zu modifizieren und dementsprechend auch zum Heil zu modifizieren. Ist dies in Jer 18,8 mit menschlicher Umkehr korreliert, so gibt es in der verschiedenen Gestaltung ein und desselben Gefäßes durch den Töpfer vom unrechten zum rechten natürlich Berührungen mit der Zuordnung der vorhergehenden Unheilssituation der Geretteten zu ihrer Heilssituation, wie sie sich 3,23.24 und 11,32 manifestiert. Zuletzt sei noch auf die Parallele in SapSal 12 verwiesen. SapSal 12185 12 Denn wer darf sagen: Was hast du getan? Wer vermag sich deinem Urteilsspruch zu widersetzen? Wer könnte dich anklagen wegen des Untergangs von Völkern, die du selbst geschaffen hast? Wer wollte gegen dich auftreten als Anwalt schuldiger Menschen? 13 Denn es gibt keinen Gott außer dir, der für alles Sorge trägt; daher brauchst du nicht zu beweisen, dass du gerecht geurteilt hast. 14 Kein König und kein Herrscher kann dich zur Rede stellen wegen der Menschen, die du gestraft hast. 15 Gerecht, wie du bist, verwaltest du das All gerecht und hältst es für unvereinbar mit deiner Macht, den zu verurteilen, der keine Strafe verdient. 16 Deine Stärke ist die Grundlage deiner Gerechtigkeit, und deine Herrschaft über alles lässt dich gegen alles Nachsicht üben. 17 Stärke beweist du, wenn man an deine unbeschränkte Macht nicht glaubt, und bei denen, die sie kennen, strafst du die trotzige Auflehnung. 18 Weil du über Stärke verfügst, richtest du in Milde und behandelst uns mit großer Nachsicht; denn die Macht steht dir zur Verfügung, wann immer du willst. 19 Durch solches Handeln hast du dein Volk gelehrt, dass der Gerechte menschenfreundlich sein muss, und hast deinen Söhnen die Hoffnung geschenkt, dass du den Sündern die Umkehr gewährst.
183 So paradigmatisch G. Klein, Präliminarien, 235 u.v.a.m. 184 Vgl. R.B. Hays, Echoes, 66. R.B. Hays hat aber den Heilscharakter von Jer 18 überspitzt und er liegt falsch, wenn er Jer 18 als Präfiguration des heilvollen Ausganges in Röm 11 sieht, denn der beruht gut (dt.-)jesajanisch allein in Gott ohne menschliche Umkehr. 185 In der Übersetzung von D. Georgi, Weisheit.
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20 Du hast die Feinde deiner Kinder, auch wenn sie den Tod verdienten, sehr nachsichtig und nur nach und nach gestraft und ihnen Zeit und Möglichkeit gegeben, sich von ihrer Schlechtigkeit abzuwenden. 21 Aber wieviel umsichtiger noch hast du deine Söhne bestraft, deren Vätern du Gutes verheißen hast, als du mit ihnen unter Eid den Bund schlossest.
Auch wenn das Töpferbild selber in SapSal 15,7 in einem anderen Kontext vorkommt und von daher für unseren Vergleich eher unbrauchbar ist, so wird doch aus SapSal 12 im Hinblick auf V.19–21, ja auch auf V.22– 25 einiges deutlich. Auch wenn richterliches und souveränes Gottesbild in SapSal 12 stärker miteinander vermischt sind, so lässt sich doch ein paralleler Argumentationsstrang auch SapSal 12 entnehmen: Es wird ganz deutlich Gottes Gottheit, die sich nicht verantworten muss, gegen jeden menschlichen Einwand und jede menschliche Rechtsforderung gestellt. Dabei wird Gottes göttliche Macht über Gottes richterliche Gerechtigkeit gestellt186. Und ähnlich der Funktion des Töpferbildes in Jer und Jes fungieren auch in SapSal 12 Gottes Gottheit und seine übergeordnete göttliche Macht dazu, ein überfließendes und letztlich nicht genau verrechenbares Heil Gottes auszusagen – und zwar im Hinblick auf alle Menschen. Damit haben wir aber interessante Vergleichspunkte zu unserem Text in Röm 9, insbesondere auch im Hinblick auf Gottes aus seiner Souveränität erwachsene Langmut in Richtung Heil angesichts seines Zorns im Hinblick auf V.22f. Mit diesen alttestamentlichen und frühjüdischen Beispielen wird zudem deutlich, dass die Ersetzung des einen Gottesbildes des Richters durch die andere Metapher des Töpfers187 keineswegs etwas mit einer Ablösung eines jüdischen Gottesbildes188 durch ein christliches Gottesbild zu tun hat. Vielmehr wird gerade auch hier wieder deutlich, wie Paulus innerhalb der Tradition arbeitet und hier durch Auswahl und Akzentuierung von Schrift und Tradition Pointen setzt – und wie stark seine theologische Generallinie ganz offensichtlich Jesaja zu verdanken ist. Das Parameter einer Aufteilung in jüdisch // christlich oder des Widerspruchs gegen die Tradition erscheint auch dann als besonders inadäquat, wenn man etwa V.13 und V.18 nur mit 2,11 vergleicht. Im Hinblick auf 2,11 widerspricht sich Paulus nämlich selbst und Aufteilungen 186 Vgl. auch F. Siegert, Argumentation, 134. 187 Alle Beispiele, insbesondere SapSal 12 (vgl. oben Anm. 168), machen deutlich, dass nicht in erster Linie oder einlinig mit der Schöpfung argumentiert wird, sondern eben mit der mannigfaltig (als Schöpfer, Bildner, Herrscher u.v.a.m.) aussagbaren Gottheit Gottes. Damit gegen E. Brandenburger, Schriftauslegung, 82ff u.ö. 188 Damit erneut gegen die Rede vom „düster-dämonischen Jahwebild der jüdischen ‚Schriften‘“ und vom „altsemitisch[.] und jüdisch-apokalyptisch[.] tyrannisch[en] Gottesbild“, wie sie etwa O. Kuss, Römerbrief, 649.930f führt (vgl. oben Anm. 168).
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und Zuordnungen von Gottesbildern finden sich innerhalb der paulinischen Rede selbst. Daraus aber sollte deutlich werden, wie stark die paulinische Rede von Gott dem Kontext der jeweiligen Argumentation geschuldet und in erster Linie von daher zu beurteilen ist189. Weil die Rede von Gott hier der Argumentation funktional zugeordnet ist, sind hermeneutische Kategorien einer in sich geschlossenen Gotteslehre und der lesenden Erstellung eines logisch regierten, systematischen Entwurfes verfehlt. Es muss also kein Ausgleich zwischen dem vertretenen Gericht nach Werken und der Rechtfertigung durch Glauben für alle und der doppelten Prädestination angestrebt werden durch Entwürfe komplizierter eschatologischer Systeme190. Stattdessen kann dieser Befund in Röm etwas anderes deutlich machen: Die paulinische Rede von Gott kann in ihrem Verhältnis zur antik-jüdischen Tradition nicht als grundsätzlicher Widerspruch oder fundamentale Neubestimmung191 definiert werden. Denn mit der Offenheit und Variationsbreite der eigenen Rede des Paulus von Gott ist auch der Schlüssel zur Positionierung von Paulus‘ Rede von Gott innerhalb der Tradition gegeben: So variantenreich und inhaltlich breit die Tradition eben ist, so ist Paulus‘ Re-präsentation Gottes in Röm Widerspruch in einer Hinsicht und Durchlässigkeit in der anderen Hinsicht, so dass Paulus‘ Selbstanspruch der Positionierung innerhalb der Tradition nicht als verfehlt angesehen werden muss und stattdessen vom Leser bei zureichender Kenntnis von Schrift und Tradition durchaus nachvollzogen werden kann192. 189 Vgl. dazu auch H. Moxnes, Theology, 283 u.ö. 190 Vgl. auch M. Konradt, Gericht, 509–515. 191 So aber P.-G. Klumbies, Rede, 213ff, der meint, in Röm 9 werde mit dem Evangelium eine neue Handlungsweise und Verkündigung Gottes der alten, an Israel gebundenen gegenübergestellt, die ebenso bedeutungs- wie wirkungslos sei: „Gott ist für Paulus nicht über sein Handeln in der Geschichte Israels zu definieren. Ihn von den Gaben der Vergangenheit her verstehen, hieße ihn an die Vergangenheit binden […] Paulus stellt dem von der Vergangenheit des eigenen Volkes her begriffenen Gott den sich über seinen lÒgoj gegenwärtig Geltung verschaffenden Gott gegenüber. Der lÒgoj toà qeoà ist das an Christus gebundene Evangelium“. So kann P.-G. Klumbies, Studien, 38 auch zu dem Schluss kommen: „Nicht Christus wird in den Rahmen eines feststehenden Gottesbegriffes eingezeichnet, sondern umgekehrt begreift Paulus Gott von Christus her.“ Dagegen spricht aber, dass in Röm 9,5bff von Christus nicht die Rede ist und dass wir auch aufgrund der Einzeichnung von Paulus in die Tradition zeigen konnten, dass es Paulus um die Identität und Selbigkeit des einen Gottes geht, der in der Art und Weise seines Tuns aus der Geschichte mit den Vätern und seinem Volk und der Schrift suffizient erschlossen werden kann. Der Clou ist in Röm 9 gerade, dass über das Nichthinfälligwerden des Gotteswortes Kontinuität und Identität Gottes ausgesagt werden. 192 P.-G. Klumbies‘ Fehlurteil (vgl. Anm. 191) ist eben auch darin begründet, dass er die zum Vergleich herangezogene Tradition zu oberflächlich als einheitliche und geschlossene Größe anführt. Vgl. nur P.-G. Klumbies, Rede, 104ff.
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Zugleich gibt es bei aller Diversität und Funktionalisierung selbstverständlich auch sich durchziehende Linien in der paulinischen Rede von Gott. Von Gottes wie auch immer gearteter, aber unablösbarer Verbindung zum Heil war schon des öfteren die Rede. Zudem liegt für V.1–5. 14–20 ein Vergleich mit 3,1–8 nahe, der weitere Linien in der Argumentation zu Tage treten lässt: Auch in 3,1–8 wirft die Frage nach Israel die Frage nach Gott auf. Sie wird ebenfalls damit beantwortet, dass Gottes Verhalten durch menschliches Verhalten vollkommen unberührt bleibt und dass der kategoriale Unterschied zwischen Gott und Mensch benannt wird. Auch dort kommt die Infragestellung des Richterbildes zum Ausdruck. Und auch dort wird demgegenüber menschliche Argumentationsweise als nicht adäquat angezeigt. Die klare Antwort aus der kategorialen Differenz zwischen Gott und Mensch führt aber dort noch nicht zur Etablierung eines neuen Gottesbildes. Insgesamt steht die Diskussion in 3,1–8 stärker im Zusammenhang des Themas „Unterschiedslosigkeit und Israel“, während, wie gesehen, 9,1–5.14–20 im Zusammenhang mit der theologischen Definition des Israelbegriffes als Heilsgruppenbegriff und damit der Frage von Gottes Heilskonstitution und Israel stehen.
5.3.5 V.22–24 Unsere Behauptung, auch die Aussage der sogenannten doppelten Prädestination, wie sie in V.21 auftaucht, sei keine in sich selbst existierende und Bestand habende Aussage, sondern der Begründung und Klassifizierung von Gottes Heilshandeln – und nicht der Scheidung innerhalb des Israelbegriffes – zugeordnet, muss sich natürlich auch im weiteren Verlauf der Argumentation bestätigen. In diesem Zusammenhang ist zunächst einmal deutlich, dass mit V.22 sozusagen die Anwendung des in V.14–21 Gesagten auf die aktuelle Frage der Gegenwart stattfindet193. Das wird daran ersichtlich, dass es zum einen viele Stichwortverbindungen von V.22.23 nach vorne gibt und dass zum anderen in V.24, syntaktisch verknüpft mit dem Syntagma der Stichwortverbindungen, ein ¹me‹j auftaucht, welches mit 'Iouda‹oi und œqnh verbunden ist. Die Stichwortverbindung ist vor allem hergestellt durch skeàoj mit positiver und negativer Bestimmung, so dass insbesondere das in V.20b.21 allein auf der Bildebene formulierte Töpferbild nun auf das auf der Sachebene liegende Handeln Gottes hin reformuliert wird. Dementsprechend werden die 193 Vgl. auch D.J. Moo, Romans, 604; D. Zeller, Römer, 179; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 74f; E. Käsemann, Römer, 260.
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tontechnischen Begriffe durch theologische Begriffe ersetzt: Ð kerameÚj wird zu Ð qeÒj, tim» und ¢tim…a werden zu Ñrg»/¢pèleia und œleoj/dÒxa. Darüber hinaus gibt es aber auch Stichwortverbindungen zu den voranstehenden Versen mit œleoj aus V.23 zu V.15ff, qšlein aus V.22 zu V.16.18, ™nde…knusqai V.22 zu V.17194 und Bezüge von makroqum…a V.22 zu œleoj V.15ff195, gnwr…zein (auch mit dÒxa/Ônoma a§toà/mou) V.22.23 zu diaggšllein V.17. Der Bezug von proetoim£zein in Verbindung mit kale‹n V.23 zu prÒqesij in Verbindung mit ™klog» V.12 zeigt eine noch weitergehende Verzahnung und Kohärenz an, und insofern sich die kat' ™klog»n prÒqesij in einem mit kale‹n verbundenen proetoim£zein widerspiegelt, wird erneut deutlich, dass es in Röm 9 durchgehend um die Konstitution der einen Heilsgruppe geht. Probleme bereitet hat nun immer wieder die syntaktische Konstruktion von V.22.23196. Dabei besteht die ältere und immer noch weitaus verbreitetste Lösung in der Annahme eines Anakoluths197 bzw. einer Aposiopese198. Man hat nämlich bei den mit e„ V.22 und mit kaˆ fna V.23 eingeleiteten Sätzen aufgrund der beiden subordinierenden Konjunktionen keine Apodosis ausmachen können. Zugleich hat sich dem oft eine inhaltliche Begründung hinzugesellt, weil man meinte, dass die Rede über die doppelte Prädestination Paulus in Aporien bringe, die er so nicht auflösen könne und wolle199, weshalb er dann in der Rede abbreche200. Dieses inhaltliche Argument trifft aber gar nicht zu, da einerseits vorher unbedenklich die souveräne Bestimmung zum Heil dem Nicht-Heil gegenüberstand und andererseits hier der Bedingungssatz mit den zum Unheil bestimmten Gefäßen nicht unaufhaltbar in irgendwelche Aussagen über das Unheil führt, die Paulus so nicht machen möchte, denn schließlich wird in V.24 syntaktisch eindeutig das sogenannte Anakoluth von V.22.23 noch weitergeführt und mit dem Heil fortgefahren201. Insofern also weder eine Notwendigkeit für die Annahme eines Anakoluths besteht noch sich aus einem solchen eine plausible inhaltliche
194 Vgl. auch U. Wilckens, Römer 2, 202f. 195 Vgl. auch J.D.G.Dunn, Romans II, 558. 196 Vgl. nur D. Starnitzke, Struktur, 315; K. Haacker, Römer, 196; P. Stuhlmacher, Römer, 135; D.J. Moo, Romans, 604; G. Bornkamm, Anakoluthe, 90ff. 197 Vgl. E. Lohse, Römer, 281; P. Stuhlmacher, Römer, 135; D.J. Moo, Romans, 604; J.D.G. Dunn, Romans II, 558. 198 Vgl. D. Starnitzke, Struktur, 335. 199 In diese Richtung: U. Luz, Geschichtsverständnis, 246 und G. Bornkamm, Anakoluthe, 91. 200 Nach E. Brandenburger, Schriftauslegung, 75 ist Paulus einfach „des Disputierens müde“. 201 Schließlich führt das Relativpronomen in V.24 den Satz von V.22.23 noch weiter fort.
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Aussage ergibt202, ist es angebracht, weiter nach syntaktisch zufriedenstellenden Lösungen zu suchen. Dementsprechend gibt es neuere Lösungsvorschläge, die in V.23 die Apodosis für die Protasis von V.22 sehen. Eine solche Lösung ist aufgrund des Ausschlusses eines Anakoluths sinnvoll und ebenso möglich wie auch zutreffend, nur sind die bis dato gelieferten Begründungen nicht vollständig überzeugend, weil sie alle dem eigentlichen Problem ausweichen. So meinen K. Haacker u.a.203 im Anschluss an F. Siegert, der Schlüssel für die syntaktische Lösung liege im ka…. Man müsse dieses ka… nur als ka… apodoseos verstehen und es ergebe sich für V.22.23 das Verhältnis von Protasis und Apodosis204. Dass es ein ka… apodoseos gibt, welches sich insbesondere auch im Anschluss an mit e„ eingeleitete Nebensätze findet und dann eine Konstruktion von „Wenn…, dann…“ markiert, ist unbestritten205 (so etwa: Gen 4,14; Mt 27,40; 1Kor 11,6; 2Kor 2,2)206. Nur ist damit nicht die Frage des fna in seiner gewöhnlich auftretenden Eigenschaft als subordinierende Konjunktion geklärt. Und das ist der eigentliche Punkt, der hinsichtlich der Funktion von V.23 als nachfolgendem Hauptsatz geklärt werden muss. Von daher ist der bisher nicht angeführte, aber eigentliche und entscheidende grammatische Schlüssel hier das grammatische Phänomen des selbständigen fna-Satzes: fna kann nicht nur in syntaktisch abhängigen Sätzen als subordinierende Konjunktion auftreten, sondern nachweislich auch einleitend in selbständigen Sätzen207. Diese finden sich besonders häufig im NT und der LXX208. In solchen selbständigen Sätzen hat fna entweder die Funktion, den Imperativ zu ersetzen (Eph 5,33) oder eine Absicht zu benennen (Gen 44,34; Lev 18,28). Dabei kann der selbständige fna-Satz, der somit den Rang eines Hauptsatzes hat, auch mit einem anderen Hauptsatz verknüpft werden, im Hinblick auf den er dann die Ab202 Gegen G. Bornkamm, Anakoluthe, 91 u.ö. 203 Vgl. K. Haacker, Römer, 196 mit Anm. 41; N. Richardson, Language, 56; G. Röhser, Prädestination 131 mit Anm. 133. 204 Vgl. F. Siegert, Argumentation, 132f. In diese Richtung schon A. Nygren, Römerbrief, 267. 205 Vgl. K. Beyer, Syntax, 69–72; BDR 442.514. Dabei ist genau hinzuschauen und mit fließenden Übergängen zu rechnen, denn das ka… kann auch stärker im Sinne von ‚auch‘ fungieren, wenn sich die Zuordnung von Apodosis und Protasis von selbst ergibt: So ist Röm 11,16 mit ‚auch‘ zu übersetzen (vgl. K. Beyer, Syntax, 72; gegen G. Röhser, Prädestination, 131 mit Anm. 133). 206 In Joh 8,19; 13,14; Röm 8,17; 11,16; Gal 4,7 u.ö. ist der Fall etwas anders gelagert, hier hat ka… doch wohl die Funktion von ‚auch‘ (vgl. K. Beyer, Syntax, 72; gegen G. Röhser, Prädestination, 131 mit Anm. 133). Deshalb ist also mit fließenden Übergängen zu rechnen und genau hinzuschauen, wann ka… stärker im Sinne von ‚auch‘ fungieren kann, wenn sich die Zuordnung von Apodosis und Protasis von selbst ergibt (vgl. auch Anm. 205). 207 Vgl. T. Kalen, Finalsätze, 37–76. 208 Vgl. a.a.O., 53ff.65ff.
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sicht benennt, wie etwa in Joh 1,8209 u.ö. Darüber hinaus kann der selbständige fna-Satz im Rang eines Hauptsatzes auch als Apodosis für eine mit e„ beginnende Protasis fungieren wie in Tob 8,12210. Damit haben wir aber eine grammatisch einwandfreie Erklärung für V.22 als Protasis und für V.23 als Apodosis gefunden. Dementsprechend ist also auch V.23 entgegen der Interpunktion nicht mit einem Fragezeichen abzuschließen211, sondern mit einem Punkt – oder besser einem Komma, weil in V.24 ein Relativsatz folgt. Insofern aus Tob 8,19 auch deutlich wird, dass für eine Protasis mit e„ ein ka… apodoseos nicht zwingend nötig ist, gibt es für das ka… zu Beginn von V.23 zwei Möglichkeiten: Entweder es fungiert als ka… apodoseos im Sinne von „dann“ oder es kann, weil ein ka… apodoseos nicht erforderlich ist, auch stärker die Bedeutung von „auch“ übernehmen, wie etwa in Joh 8,19; Röm 8,17; 11,16212. Mit diesem Ergebnis der Syntax können wir eine Übersetzung von V.22. 23 vornehmen: „Wenn aber Gott, der seinen Zorn zeigen und seine Macht bekannt machen wollte, in großer Langmut die zum Verderben bestimmten Gefäße des Zorns getragen hat, (dann) will er (auch) beifolgend den Reichtum seiner Herrlichkeit über den Gefäßen des Erbarmens bekannt machen, die er zur Herrlichkeit vorbereitet hat.“ Auf dieser Grundlage können wir uns nun den einzelnen Teilen des Satzes zuwenden. Dass nun die Aussage von der Anwendung des Töpferbildes geprägt ist, war schon erwähnt worden. Dabei ist zu registrieren, dass V.22 aufgrund des dš durch einen leichten Gegensatz zur vorherigen Aussage bestimmt ist.213 Wenn Paulus volle Kongruenz von Bild und Sache hätte attestieren wollen214, hätte er mit e„ oân (Phil 2,1; Phlm 17) fortfahren können. Des Weiteren ist der Satz wesentlich geprägt durch das am Anfang stehende und damit betonte Partizip, durch das finite und damit die eigentliche Information tragende Verb ½negken + adverbiale Bestim209 Joh 1,8: o§k n ™ke‹noj tÕ fîj, ¢ll' fna martur»sV perˆ toà fwtÒj. Vgl. dazu a.a.O., 62. 210 Tob 8,12: kaˆ e‡pen Edna tÍ gunaikˆ a§toà ¢pÒsteilon m…an tîn paidiskîn kaˆ „dštwsan e„ zÍ. e„ dÑ m¾ fna q£ywmen a§tÒn. Vgl. dazu a.a.O., 67. 211 So die Interpunktion bei NTG27 als Ausfluss der Anakoluth-Theorie. 212 Vgl. oben Anm. 205. 213 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans II, 558. Vorher kam seit V.10 dš nicht mehr vor, um ganze Syntagmen zu bestimmen, sondern nur, um im Sinne von Ö mšn… Ö dš… zwei Personen zu differenzieren, so dass V.22f durch das dš gegenüber der vorhergehenden Argumentation gekennzeichnet sind. 214 So macht C.E.B. Cranfield, Romans II, 493 zu Recht darauf aufmerksam, dass das dš signalisiert, dass Paulus einen Unterschied zwischen Töpfer und Gott setzen will.
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mung und durch die Opposition von Ñrg» und makroqum…a215. Damit ist die Aussage der Protasis aber deutlich: Gegenüber (dš) der mit der Freiheit des Töpfers verbundenen beliebigen Gestaltung von positiven und negativen Gefäßen, bei denen es völlig gleich ist, ob der Töpfer nun zum Positiven oder Negativen handelt, kommt in V.22 ein nicht übermäßiger, aber doch deutlicher Gegensatz zwischen Unheil und Heil zu Tage. Gott, der seinen Zorn und sein Vermögen erweisen wollte, hat in Geduld getragen. Innerhalb der Anwendung des Bildes wird also auf der Seite des Unheilshandelns das Element des Heilshandelns eingeführt und betont216. In Gottes ihm möglichen, souveränen Unheilshandeln, das vollkommen frei, unbestreitbar und nicht hinterfragbar ist, gibt es ein Heilselement, das allein schon dadurch, dass es in diesem Unheilshandeln auftritt, etwas Wundersames und Unverrechenbares erhält. Zudem ist es deutlich das betonte Element innerhalb dieser eigentlich dem Unheilshandeln gewidmeten Protasis: Die ausgesagte, eigentliche Aktion Gottes ist das Tragen in Geduld. makroqum…a ist gerade auch im Zusammenhang mit Gott und seinem Gericht ein deutliches Heilselement. Sie wird dem deutlich benannten Willen Gottes zum Zorn gegenübergestellt. Zudem wird sie mit poll» verstärkt217. Das ist nicht zu unterschätzen, zumal dadurch ein Anklang an Ex 34,6 u.ö. makrÒqumoj kaˆ polušleoj deutlicher wird218. Dieses Ungleichgewicht zum Heil ist als solches zusätzlich markiert, indem es gegenüber dem Gleichgewicht von Positivem und Negativem in V.21 über dš als adversative Aussage gekennzeichnet ist219. An die so skizzierte Protasis V.22 schließt sich nun die Apodosis V.23 an. Hier wird nun im Hauptsatz als selbständigem fna-Satz ein Heilshandeln Gottes als Absicht benannt. Auch daran wird der Unterschied zu V.19–21 deutlich: Waren dort eher die Rechte und Möglichkeiten Gottes benannt, so geht es nun konkret um seine Absichten, um das, was er tun will220. War das unheilsbestimmte gnwr…zein in V.22 im partizipialen und das heißt im untergeordneten Syntagma der Protasis benannt, so er215 Insofern hat das Partizip qšlwn hier durchaus ein konzessives Element (vgl. E. Käsemann, Römer, 261; J.A. Fitzmyer, Romans, 569 u.a.), wobei J.D.G. Dunn, Romans II, 558 zu Recht darauf aufmerksam macht, dass Partizipien von sich aus „ambiguous“ sind und ein relativisches Verständnis hier vollkommen ausreichend ist, insofern die Opposition eben von Ñrg» und makroqum…a gebildet wird. 216 Vgl. F. Siegert, Argumentation, 137. 217 Das ist in der Interpretation kaum zur Kenntnis genommen worden. 218 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans II, 559. 219 In diesem Rahmen ist es sicher auch kein Zufall, dass im Zusammenhang der die Unheilsabsicht benennenden partizipialen Aussage nicht dÚnamij, sondern tÕ dunatÒn steht. Denn dÚnamij ist positiver besetzt als Heilsmacht Gottes (vgl. nur 1,16), der in dem partizipialen Syntagma benannte Willen Gottes ist aber der zum Unheilshandeln. 220 F. Siegert, Argumentation, 136.
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scheint es hier verbunden mit einem Objekt des Heils als haupt-sätzliche Aussage. Damit steht also Gottes Absicht zum Heil im Zentrum. Mit je einem Auftreten von skeàoj + weiteren Bestimmungen ist deutlich eine Parallele zwischen Protasis und Apodosis vorhanden221. Damit ist das Verhältnis von V.22 und V.23 das einer Parallele und einer Bedingung in V.22, die die als daraus folgende Absicht qualifizierte Handlung in V.23 (mit) bestimmt. Dementsprechend können wir V.22.23 so bestimmen: Markiert durch die parallelisierte Aufnahme von skeàoj aus V.21 ist V.22.23 zunächst einmal die Anwendung des Töpferbildes auf das Handeln Gottes, so dass auch Gott in seinem gegenwärtigen Handeln ähnlich frei ist, zum Heil oder Unheil zu handeln. Nun steht aber über den Hauptsatz vermittelt Gottes Heilsabsicht als Aussage im Zentrum, auf die das Unheilshandeln hingeordnet ist222. Wie bestimmt nun V.22 V.23, wie ist Gottes Handeln an den Unheilsgefäßen der Heilsabsicht Gottes zuzuordnen? Wir hatten gesagt, dass das proprium von V.22 das unlogische, unsystematische Heil vor dem Hintergrund des Unheils ist, so dass genau dieser Aspekt Gottes Heilsabsicht bestimmt. Unter der Bedingung, dass Gott schon an den Gefäßen des Unheils ein das System sprengende und daher wunderbares Heil zeigt, kann bei den Heilsgefäßen die Absicht seines Heils nur ebenso wunderbar und noch dominierender sein223. Der e„-Satz bestimmt also Gottes Heilsabsicht durch den Hintergrund des Unheils als nicht-systemisch und gegenüber dem Unheil als im Übergewicht befindlich. Wenn in der Unheilsabsicht Heilshandeln erfolgt, dann muss das auch Konsequenzen für die Heilsabsicht haben. Das bestätigt sich auch in V.23, indem der hier auftauchende Heilsbegriff (dÒxa) noch mit einem Element versehen wird, das seine Quantität und Bedeutung hervorhebt224, und Gott als Heilshandelnder durch die Attribuierung den Relativsatz explizit in Aktion tritt, während er beim Unheilshandeln nur implizit über das Passiv genannt wurde225. Diese Annahme wird noch dadurch unterstützt, dass katart…zein und proetoim£zein semantisch sehr unterschiedlich profiliert sind. katart…zein ist als „Allerweltswort“226 im Sinne von 221 222 223 224 225 226
Vgl. nur ebd. Vgl. auch E. Käsemann, Römer, 262f. Vgl. B. Mayer, Heilsratschluß, 210f. Vgl. E. Käsemann, Römer, 261. Vgl. K. Haacker, Römer, 296f; F. Siegert, Argumentation, 138. Vgl. nur Esr 5,3; Mt 4,21; Lk 6,40; 1Kor 1,10; 1Thess 3,10. Dass das Allerweltswort katart…zein auch für die Schöpfung gebraucht werden kann (Hebr 11,3), ist kein Argument dafür, seine grundsätzlich unspezifische Bedeutung hier darauf einzuschränken (gegen G. Röhser, Prädestination, 129). Das Ganze wird noch dadurch unterstützt, dass Paulus, hätte er eine prädestinatorische Aussage auch in V.22 machen wollen, das Wort prokatart…zein (2Kor 9,5) zur Verfügung gestanden hätte (vgl. auch J.D.G.
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„in einen Zustand bringen“, „machen“ nicht annähernd so prädestinatorisch und unausweichlich bestimmend aufgeladen wie proetoim£zein227. Damit haben wir aber über V.22.23 eine Bestätigung, dass nicht eine Scheidung innerhalb des Israelbegriffes im Vordergrund steht, sondern dass Gottes Heilsabsicht und sein Heilshandeln bestimmt werden und damit auch Gott selbst. Arbeitet der Töpfer gleichwertig zum Heil und Unheil, so ist Gott zwar ebenso frei; in dieser Freiheit drängt sich aber das Heil bei Gott in den Vordergrund, und es wird durch sein Unheilshandeln diesem gegenüber als stärker228 und als Systemgrenzen nicht achtend, als wunderbar dargestellt. Damit geht es aber klar um die Freiheit und Unverrechenbarkeit von Gottes Heilshandeln. Und damit ist ein Argument eingeführt, das die Zugehörigkeit von Heiden zum Heilshandeln Gottes weiter plausibel erscheinen lässt229, und es geht um die Konstitution der einen Heilsgruppe. Insofern dies bestätigt wird durch den weiteren Verlauf in V.24, wo die eine Heilsgruppe nun explizit die gemischtchristliche Gemeinde aus Juden und – betont und damit zu diskutieren – aus Heiden benennt, kann und muss das Verhältnis von V.22.23 über die Funktion einer Parallele des wundersamen Heilselementes hinaus noch weiter bestimmt werden im Hinblick auf eine finale Zuordnung von Protasis und Apodosis. Dies kann in Rekurs auf andere Aussagen des Röm über das finale Verhältnis von Unheil und Heil geschehen: Unheilsaussagen und aktuelle Heilsgruppe, die mit einem finalen Element verknüpft sind, haben in 3,23.24 und 11,11f.25.30–32 eindeutig eine finale Zuordnung. Das Unheilshandeln (Gottes) ist immer die Bedingung für die Konstitution der Heilsgruppe in genau der Art und Weise, in der sie durch Gott geschehen ist: nicht auf Israel beschränkt, sondern auf alle Menschen zielend. Das Unheilshandeln geschieht also mit der Absicht und dem Ziel, dass alle – und damit eben auch als Besonderheit die Heiden – und nicht nur Israel zum Heil gelangen können. Damit ist auch für V.22.23 festzustellen, dass Gott die Gefäße des Zorns getragen hat, um sein Heil an der gegenwärtigen Heilsgruppe, denn das sind ausweislich V.24 die Gefäße
Dunn, Romans II, 559f). 227 Allein schon aufgrund des Präfixes pro-; vgl. auch SapSal 9,8; Eph 2,10. Vgl. auch F. Siegert, Argumentation, 138; J.R. Wagner, Heralds, 77 mit Anm. 104. 228 So auch E. Brandenburger, Schriftauslegung, 93 in der ihm eigenen und von uns als nicht dominierend angesehenen Schöpfungsterminologie: „Die Interpretation von Röm 9 ergab, daß Gottes Gnaden- und Richterwalten nicht, wie es die Prädestinationslehre scheinbar verlangt, gleichgewichtig in der Schwebe bleibt. Das ewige Voraus der Schöpfung ist Gottes Gnadenwille“. 229 Vgl. G. Röhser, Prädestination, 131.
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des Erbarmens, so erweisen zu können, wie es geschehen ist: auch und vor allem die Heiden integrierend. Für dieses Verständnis sprechen insbesondere auch die starken Verbindungen von V.22.23 zu V.17. Schon das Pharaobeispiel war deutlich dadurch geprägt, dass das Unheil (hier die Verhärtung Pharaos) um des Heils willen, näherhin sogar um der spezifischen Art und Weise des diskutierten Heils willen, geschehen war: mit dem Ziel der Universalität des Heiles Gottes, die die Grenze Israels zugunsten der gesamten Erde, also auch der Heiden sprengt. Für ein daran angelehntes, konkret-geschichtliches Verständnis von V.22.23 auf die jüngsten Ereignisse hin spricht auch der Tempuswechsel vom „Präsens der theoretischen Erörterung“230 V.19–21 zum Aorist der geschichtlichen Betrachtung. Damit ist aber das ka… hier eindeutig als ka… apodoseos im Sinne von „dann“ zu deuten, das die Beziehung von Protasis und Apodosis deutlich macht231. Dabei ist hier bei den skeÚh ÑrgÁj an die 'Israhl‹tai zu denken, die die im Unheil befindlichen Träger oder Erstadressaten der lÒgia toà qeoà sind. Hätte Gott diese im Unheil befindlichen vernichtet und nicht in Geduld getragen, wären auch diese Heilsworte verloren gegangen; bzw. wären sie nicht ins Unheil geraten, hätten sie nicht die Heiden zum Heil reizen können, wäre das Heil nicht zu der aktuellen Heilsgruppe aus Juden und Heiden gelangt. Ein Unheil der nicht gleich vernichteten Israeliten hat den Zugang der Heiden zum Heil, der schon immer wesentliches Element der einen Heilsgruppe war, erst möglich gemacht. Damit sind V.22.23 die Anwendung von V.14–21 auf die eine Heilsgruppe, für die sie über die Finalität des Unheils begründen, warum sie aus Juden und Heiden besteht, wie dies in den nachfolgenden Schriftzitaten bestätigt wird. Damit haben wir hier syntaktisch einwandfrei und deutlich erkennbar den „Gedanke[n] einer Funktionalität des […] Unheilshandelns Gottes zugunsten seines Heilshandelns“232. Somit deuten sich auch hier schon die Gedanken von 11,11.12.30–32 an233, und es wird wiederum deutlich, dass Röm 9–11 als einheitlich konzipiert mit sich durchziehenden Vorstellungen zu betrachten ist. Für unsere Bestimmung von V.22.23 auf die im Un230 T. Zahn, Römer, 457. Vgl auch K. Haacker, Römer 196; G. Röhser, Prädestination, 128. 231 Damit ist das ka… kein Argument gegen eine eindeutige finale statt einer nur vergleichenden Zuordnung von V.22.23 (so etwa aber E. Lohse, Römer, 280). Dafür, dass ka… hier ‚dann‘ und nicht ‚auch‘ wie etwa Röm 8,17; 11,16 bedeutet, spricht auch, dass wenn ka… im Nachsatz nicht als ka… apodoseos, sondern als ‚auch‘ fungiert, dies dadurch deutlich markiert ist, dass ein semantischer Zusammenhang von Vergleich in Kombination mit Steigerung oder Gefälle gegeben ist (¢parc»/fÚrama, …za/kl£doi vor |gioj 11,16; tškna/klhronÒmoi vor eÌnai 8,17). 232 G. Röhser, Prädestination, 132 – Hervorhebung im Original. 233 Vgl. D. Starnitzke, Struktur, 315f; J.R. Wagner, Heralds, 75–78; G. Röhser, Prädestination, 131; E. Käsemann, Römer, 261f; vorsichtig auch E. Lohse, Römer, 281.
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heil befindlichen Juden zugunsten der einen Heilsgruppe auch aus Heiden spricht neben der Verwendung von der aus Ex 34,6 stammenden und mit Israel besonders verbundenen makroqum…a234 auch, dass katart…zein bei den negativ belegten skeu» im Hinblick etwa auf 11,25ff mehr Raum zur Veränderung lässt als proetoim£zein235. Damit kann man von einer wirklichen doppelten Prädestination eigentlich nur auf der Bildebene beim Töpfer selber sprechen, denn auf der Sachebene hat Gottes Handeln und Bestimmung zum Unheil keinen Sinn in sich selbst, sondern immer nur eine zum Heil zugeordnete Funktion, und ist nach Röm 11,30–32 offensichtlich auch noch temporär beschränkt. Unsere Analyse, dass es in Röm 9 nicht um die Aufspaltung des Israelbegriffes geht, sondern um die Konstitution der einen Heilsgruppe, die durch ihren Heideneinschluss hinsichtlich des Unheils Israels Probleme aufwirft, die gelöst werden müssen, wird durch die Identifikation der skeÚh ÑrgÁj mit den im Unheil befindlichen Juden nicht in Frage gestellt, sondern in doppelter Hinsicht bestätigt. Denn zum einen berührt das prîton der Juden, ihre Betrauung mit den Worten über die eine Heilsgruppe, die Art und Weise des in diesen Worten enthaltenen Evangeliums ebensowenig wie die damit zusammenhängende Art und Weise der Konstitution der einen Heilsgruppe. Und zum anderen wird hier nun die Frage des aktuellen Unheilszustandes Israels bei gleichzeitigem Heil für die Heiden andeutungsweise auch so gelöst, dass das Unheil Israels eine von Gott gesetzte notwendige Komponente ist, um die in der Schrift festgelegte Art und Weise der einen Heilsgruppe, auch die Heiden mit einzubeziehen, aktuell zu verwirklichen. Dies, insbesondere unsere Betonung, dass V.22.23 sich durch den Verweis auf die aktuelle Heilsgruppe verstehen lassen, muss sich nun bestätigen in der Analyse von V.24. Auch der syntaktische Anschluss in V.24 ist oft als Problem gesehen worden236. Er lässt sich aber problemlos verstehen, insbesondere wenn man die syntaktische Analyse zu V.22.23 mit einbezieht. Mit der einwandfreien Auflösung von V.22.23 in Protasis und Apodosis und der damit verbundenen Bewertung von V.23 als Hauptsatz muss weder ein Anakoluth angenommen werden noch ein Fragezeichen am Ende von V.23237 stehen. Damit kann aber oÛj ktl. V.24 234 Vgl. auch oben 3.3.1.6.2.; J.D.G. Dunn, Romans II, 559; und hierzu besonders SapSal 15,2. 235 Vgl. in diesem Abschnitt oben mit Anm. 226. 236 Vgl. nur E. Lohse, Römer, 281; J.D.G. Dunn, Romans II, 570 sowie die Interpunktion bei NTG27, die vor dem Relativpronomen mit einem Fragezeichen endet. 237 So die Interpunktion bei NTG27.
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als Relativsatz verstanden werden, der ohne Schwierigkeiten an V.23 anschließt238. Dass dabei der Plural Neutrum des Bezugswortes (skeÚh) in einen Plural Maskulinum umgeändert wird, ist dem natürlichen Geschlecht der Weiterführung (¹me‹j) geschuldet239. Dabei macht V.24 nun in dieser syntaktischen Verknüpfung ganz deutlich, dass mit V.22ff die Anwendung des Töpferbildes auf Gottes Handeln in der Gegenwart vorgenommen wird, denn das ¹me‹j weist auf die Gegenwart von Verfasser und Adressaten, o§ mÒnon ™x 'Iouda…wn ¢ll¦ kaˆ ™x ™qnîn auf das aktuelle Thema des Briefes und die Frage des Heils für die Heiden angesichts des Unheils für Israel hin. Eine wichtige Funktion für das Verständnis des Zusammenhangs von V.22.23 (und damit auch von V.6a–23) und V.24 hat das Wort ka…, das vielfach nicht beachtet240 oder falsch bezogen wurde. Zu beachten ist nämlich, dass es nicht vor ¹m©j steht, sondern vor ™k£lesen. Damit wird aber nicht das „uns“ mit einem „auch“ versehen241, sondern die Handlung des Rufens242. Somit ergibt sich ein Verhältnis von Absicht und Ausführung in der Abfolge von Hauptsatz V.23 und Relativsatz V.24. Was in V.23 durch fna als Gottes Absicht ausgesagt ist, ist in V.24 durch das ka… als Verwirklichung geschildert: Gottes Willen zur Offenbarung seines souveränen, reichen Heiles ist nicht nur Absicht geblieben, sondern er hat sich auch so, wie es in seinen Bedingungen durch V.22 beschrieben wurde, tatsächlich manifestiert in dem Rufen von Adressant und Adressaten. Das ka… in dieser Stellung besagt also nicht, dass die Gruppe der ¹me‹j zu einer anderen vorhandenen Gruppe hinzugekommen wäre 243 – etwa der vorhanden Gefäße bzw. des berufenen Israel –, sondern dass sich Gottes diskutierte und beschriebene Heilsabsicht in ihrer spezifischen Weise auch tatsächlich manifestiert hat – und zwar in „uns“. Damit geht es wiederum um die Kontinuität und Konsistenz Gottes, der das, was er als lÒgoj V.6aff gesagt hat, auch in der Gegenwart V.24 tut bzw. getan hat. Das ka… geht also über den Bezug zu prohto…masen (V.23)244 noch hinaus aufgrund der Verbindung von V.22.23 zum vorher Gesagten245 und über den Bezug von ¹m©j (V.24) zu ¹mîn in V.10 und vor allem von ™k£lesen (V.24) zu V.7.12. Insofern mit ka… das in V.7–13 be238 239 240 241 242 243 244 245
Vgl. K. Haacker, Römer, 197; F. Siegert, Argumentation, 132. Vgl. BDR 134. Vgl. z.B. die revidierte Lutherbibel und die Einheitsübersetzung. So z.B. K. Haacker, Römer, 189; U. Wilckens, Römer 2, 206 Anm. 922; H. Lietzmann, Römer, 93. So richtig E. Käsemann, Römer, 264. So z.B. U. Wilckens, Römer 2, 206 Anm. 922. So J.D.G. Dunn, Romans II, 570; E. Käsemann, Römer, 264. Vgl. auch – wenn auch in seiner problematischen Terminologie von „urzeitlicher prÒqesij“ und „Grundordnung“ – E. Brandenburger, Schriftauslegung, 76.
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schriebene kale‹n in V.24 als zusammengehörend verbunden wird, wird deutlich, dass es um ein einziges Rufen und damit in Röm 9 um die Konstitution der einen Heilsgruppe geht. Weil das ka… die aktuelle Aktion auch mit den pro-Ausdrücken der vorherigen Absicht verbindet, wird deutlich, dass das gegenwärtige Geschehen keine Neuheit oder Veränderung darstellt, sondern in dem identischen, seit jeher festliegenden Willen Gottes deckungsgleich begründet ist. Dadurch wird wiederum deutlich, dass es weder in V.7–13.(14–21) noch hier um Scheidung innerhalb des Israelbegriffes und die Beantwortung der Israelfrage durch eine pars-pro-toto-Theologie geht246, sondern um die theologische Definition und damit um die Art und Weise der Konstitution der einen Heilsgruppe, immer aufgrund von Schrift und Tradition und der Selbigkeit Gottes entsprechend: Der in 9,7ff theologisch formulierte Heilsgruppenbegriff zielt also auf die gegenwärtige Gemeinde aus Juden und Heiden und wird dort aktuell verwirklicht247. Er ist nicht ethisch-ethnisch verstanden über Abstammung oder Tun der Tora, sondern die Heilsgruppe sind die Personen, die von Gott souverän zum Heil berufen sind: Abraham, Isaak, Jakob und ¹me‹j, für die alle ein und dieselbe Aktion des kale‹n gilt, die auch auf die Heiden zielt (4,17; 9,7; 9,12; 9,24). Damit ist aber auch nicht von einer Ersetzung Israels durch die Kirche die Rede248, sondern es geht um die Kontinuität des einen Heilsgruppenbegriffes von Abraham bis ¹me‹j249. Es gibt damit also einen einheitlichen, theologisch definierten „Israelbegriff“, der nichts anderes bezeichnet als die eine Heilsgruppe, die schon bei Abraham nicht ethnisch orientiert war, sondern schon immer auf Heiden und Juden in Gottes kale‹n zielte. Damit ist das Unheil Israels bei gleichzeitigem Heil der Heiden schriftgemäß. Damit ist auch Gottes Wort nicht hinfällig geworden, sondern vielmehr aktuell wirksam. Für ein solches Verständnis der paulinischen Ausführungen in V.6ff gibt es noch weitere Argumente: Immer in Röm spricht Paulus von dem einen schriftbezeugten und traditionsgemäßen Heilshandeln Gottes. Es kann zwar, wie wir gesehen hatten, paradox differenziert werden in seiner Einheit, aber diese wird eben dadurch nicht in Frage gestellt. So ist nicht nur in 1,16.17 eine Heilskraft genannt, sondern insbesondere in 3,30 246 So etwa G. Röhser, Prädestination, 121. 247 Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 75f. 248 Vgl. E. Dinkler, Prädestination, 249f mit Anm. 19; A. Schlatter, Gerechtigkeit, 231; in diese Richtung auch P. Stuhlmacher, Römer, 136; U. Wilckens, Römer 2, 209. 249 Insofern hat D. Zeller, Römer, 176 in seinem Kommentar zu V.6 etwas Richtiges gesehen: „Er denkt dabei nicht an die Kirche als das ‚Israel Gottes‘… sondern bleibt zunächst im Grundsätzlichen“.
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das einheitliche Heilshandeln Gottes für Juden und Heiden ausgesagt, unterstützt in 3,31 durch das eine Heilsprinzip, das dem nÒmoj innewohnt und für Juden zuerst und Heiden aber gleichermaßen gilt250. Grund für dieses Heilshandeln ist die eine dikaiosÚnh, die von den Schriften bezeugt wird (3,21).251 Ferner wird in Röm 4 an Abraham das eine Heilshandeln Gottes gezeigt, das von damals bis heute im log…zesqai und kale‹n besteht und hier auf Heiden zielt, aber für Juden gleichermaßen gilt252. Souverän und voraussetzungslos von Gott zum Heil gebrachte Juden und Heiden der aktuellen Gemeinde sind die Nachkommen Abrahams. Insofern also schon vorher in der Darstellung des Röm das eine biblisch bezeugte Heilshandeln Gottes und die eine biblisch verankerte Nachkommenschaft Abrahams in ihrer Transparenz auf die aktuelle Gemeinde aus Juden und Heiden ausgesagt ist, fügen sich auch die Aussagen über den einen Heilsgruppenbegriff in seiner Transparenz auf die aktuelle Gemeinde in dieses Bild ein253. Bei aller Modifikation und Veränderung – besonders hinsichtlich der angemessenen Berücksichtigung der Juden – ist auch Gal 4 als flankierendes Argument heranzuziehen, wo es eine Gruppe des Heils gibt, die sich von Isaak herleitet254. Damit ist aber deutlich, wie es das ka… vor ™k£lesen anzeigt, dass die alttestamentlichen Heilsaussagen und Heilsbegriffe wie „Israel“ V.6, Abraham, Isaak, Jakob, aber eben auch dikaiosÚnh etc., nicht auf einen Heilskern des empirischen Israel gegenüber einem zweiten Teil zielen, sondern die biblischen, den 'Israhl‹tai zuerst anvertrauten Termini keinen besonderen inhaltlichen Bezug zu Israel haben und vielmehr deckungsgleich sind mit der einen Heilsgruppe von Abraham bis ¹me‹j, die von Gott her keine Rücksicht auf ethnische Gegebenheiten kennt und für die das kale‹n das entscheidende Kriterium ist, so dass sie schriftgemäß aus Juden und Heiden bestehen kann. Deshalb ist auch die aktuelle Unheilssituation Israels bei gleichzeitigem Heil auch der Heiden kein Problem. Mit dieser Zuordnung und Analyse von V.23 und V.24 vor dem Hintergrund des Zusammenhangs von V.22–24 mit V.6b–21 wird deutlich, dass sich keinesfalls in V.24 „ein gleitender Übergang zu einem neuen Thema
250 251 252 253
Vgl. oben 3.4.2.6. Vgl. oben 3.3, besonders 3.3.1.1. Vgl. dazu oben 4.4, besonders 4.4.4 und 4.4.9.3. Dafür sprechen auch alle Bezüge, die in Röm 9 zur „Rechtfertigungslehre“ über kale‹n, tršcein, ™x œrgwn etc. gesehen werden. Vgl. P. Stuhlmacher, Römer, 134.136; E. Käsemann, Römer, 254.248.262; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 81; gegen G. Röhser, Prädestination, 119. 254 Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 59 mit Anm. 19 u. 65.
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vollzieht“255, insofern es vorher (V.7–21) um die Einengung des Gottesvolkbegriffes gegangen sei und nun in V.24ff seine Erweiterung auf dem Plan stünde. Vielmehr haben wir über Definition V.7–13(.14–21) und Anwendung (V.22–24) ein einheitliches Thema über einen einheitlichen Heilsgruppenbegriff, dessen Einheitlichkeit sich auch darin gezeigt hat, dass schon in V.7ff die theologische Definition des in V.6b noch einmalig „Israel“ genannten Heilsgruppenbegriffes eben immer als offen für die Heiden mit bestimmt war, wie es V.24 auf die Gegenwart expliziert und V.25ff durch die Schrift untermauert wird. Für Gott ist festzuhalten, dass sein Heilswille durch sein kale‹n manifest wird, das schon in Röm 4 definiert wurde und in V.25 noch weiter bestimmt wird. Damit wird er aber gegenüber einem reagierenden Richter noch weiter in Richtung eines voraussetzungslos und eigenständig Heil-Schaffenden skizziert, sicherlich auch unterstützt und verschärft dadurch, dass mit kale‹n seine Bestimmung als Schöpfer verbunden ist, die auch in den jesajanischen Prätexten Gottes souveränes und voraussetzungsloses Handeln untermauert (Jes 48,3.12 u.ö.)256. Dennoch sollte deutlich sein, dass solche Schöpfungselemente über einen verstärkenden Hintergrund für Gottes Gottheit nicht hinausgehen und die Diskussion sich materiell nicht auf der Ebene von Gott und seiner Schöpfung, sondern auf der Ebene von Gottes souveränem Heilshandeln im Sinne des kale‹n von Jes 45,3.4; 48,12 u.ö. abspielt257.
5.3.6 V.25–29 Ab V.25 schließen sich Zitate aus der Schrift an. Da diese immer nur mit kurzen Zwischentexten versehen sind, die lediglich den Redenden und z.T. die Adressaten benennen, aber in keiner Weise mit inhaltlichen Bemerkungen die Zitate gegeneinander absetzen und die Argumentation weiterführen, müssen alle Zitate als Einheit gesehen werden, für die eine Aussageabsicht und eine verbindende Idee konstitutiv ist. Damit haben wir aber mit der Ermittlung dieser übergreifenden Einheit einen Schlüssel bzw. ein Korrektiv für die Bestimmung von Thema und Aussage unseres Abschnittes V.25–29. Zugleich müssen sich die Zitate natürlich der Aussageabsicht der vorangegangenen Darstellung und dabei aufgrund 255 K. Haacker, Römer, 197. 256 Vgl. J.R. Wagner, Heralds, 71. 257 Damit etwa gegen E. Brandenburger, Schriftauslegung, 78, auch 69.76; E. Käsemann, Römer, 264.
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der syntaktischen Verknüpfung insbesondere der unmittelbar vorhergehenden Aussage V.24 zuordnen lassen258. Eine die einzelnen Zitate verbindende Aussageabsicht ergibt sich zunächst ganz naheliegend, wenn man die Adressaten der Reden ansieht: Zielt V.25f eindeutig auf die Heiden259, so ist V.27.28 sowie auch V.29 deutlich auf Israel bezogen, und zwar, nachdem 'Isra»l als – ohnehin nur einmal verwendeter – theologischer Begriff seit V.6b nicht mehr auftauchte, auf das ethnisch-empirische Israel260. Insofern es jeweils um das konstituierende Heilshandeln Gottes geht, wird somit die in V.24 explizit gemachte Zusammensetzung des theologischen Heilsgruppenbegriffes aus Juden und Heiden durch die Rede Gottes und Jesajas legitimiert261. So bezieht sich auch æj V.25 zuerst auf die adverbialen Bestimmungen o§ mÒnon ™x 'Iouda…wn ¢ll¦ kaˆ ™x ™qnîn, die als präpositionale Bestimmung das Wesen des kale‹n mit bestimmen. Damit begründen die Zitate die seit V.6b diskutierte Art und Weise der einen Heilsgruppe. Allein daraus geht schon hervor, dass das übergeordnete Thema der Schriftzitate und damit auch unseres Abschnittes nicht die Scheidung innerhalb Israels und ein doppelter Israelbegriff sein kann, sondern die Konstitution der einen Heilsgruppe. Dass das fragliche Moment dabei die Heiden sind, wird auch daran deutlich, dass die auf die Heiden abzielenden Zitate am Anfang stehen. Und insofern Hos 2,1 in JosAs 19,8 ebenfalls auf Proselyten gedeutet wird262, wird auch hier wieder deutlich, dass sich Paulus mit seiner Schriftauslegung und Verwendung durchaus im Rahmen der Möglichkeiten des antiken Judentums befindet263. Betrachtet man die Zitate noch weiter im Hinblick auf einen inhaltlichen Zusammenhang, dann lässt sich auch Folgendes als ihr gemein258 Vgl. J.R. Wagner, Heralds, 79; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 56f.76. 259 Die wenigen Versuche, die Hoseaworte auf den Einschluss des gesamten ethnischen Israel zu verstehen (A.J. McClain, Gospel, 183; J.A. Battle, Use, 115ff), sind nach der immer wieder auftauchenden deutlichen Generallinie von Röm 9 vollkommen ausgeschlossen. Vgl. auch J.P. Tanner, Covenant, 98. 260 Vgl. nur O. Hofius, Evangelium, 179 mit Anm. 175. 261 Vgl. J.R. Wagner, Heralds, 78; E. Brandenburger, Schriftauslegung, 57. 262 JosAs 19,8: „Und es sprach Joseph zu Aseneth: ‚Gesegnet bist du (selbst) (von) Gott dem Höchsten und gesegnet dein Name in Ewigkeit, denn Herr der Gott gründete deine Mauern in den höchsten (Höhen), und deine Mauern (sind) stählerne Mauern (des) Lebens, denn die Söhne des lebenden Gottes werden einwohnen in der Stadt deiner Zuflucht [D.h. ‚In dir, der Stadt der Zuflucht‘, so die Anmerkung von C. Burchard], und Herr der Gott wird König sein von ihnen in die Ewigkeiten der Ewigkeiten‘“ (in der Übersetzung von C. Burchard, JSHRZ). – In der Proselytin Aseneth kommt hier durch Gott eine „Söhne des lebenden Gottes“ genannte Heilsgruppe zustande. 263 Vgl. G. Röhser, Prädestination, 134 Anm. 144; D. Zeller, Römer, 180. Damit kann man aber nicht, wie E. Brandenburger, Schriftauslegung, 88 urteilen: „Die in 9,25f beigezogenen Hoseatexte [sind …] bei Paulus in einer Weise […] radikalisiert, wie das völlig außerhalb des Gesichtsfeldes der alttestamentlich-jüdischen Tradition steht“.
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samer Nenner beobachten: Nicht findet in allen drei Zitatblöcken eine Scheidung innerhalb Israels statt264. Es geht aber in allen drei Blöcken V.25.26, V.27.28 und V.29 um ein Heilshandeln Gottes265, markiert durch kale‹n V.25.26, sózein V.27266 und ™gkatale…pein spšrma V.29267. Nun ist aber dieses Heilshandeln eben nicht in allen drei Blöcken mit einer Scheidung innerhalb Israels verbunden, wohl aber mit einem anderen Element: mit einem Element des Nicht-Heils, markiert durch o§ laÒn, o§k ºgaphmšnh V.25.26, ØpÒleimma268 V.27 und SÒdoma, GÒmorra V.29. Damit erscheint in allen drei Aussagen das Heilshandeln Gottes vor dem Hintergrund des Unheils. Und wir haben eine Entsprechung zu V.22–24, wo Gottes Heilshandeln vor dem Hintergrund seines Unheilshandelns geschildert worden war, wie auch zu V.7–21, für das Entsprechendes gilt. So ergibt sich eine mehrfach sinnvolle und deutliche Verbindung der Zitate zum vorher Gesagten, insbesondere zu V.22–24. Über das Thema der Zusammensetzung der einen Heilsgruppe hinaus wird durch die Komponente des Unheils in den Schriftzitaten bei Gottes Heilshandeln von der Schrift das unterstützt, was schon in V.22.23 ausgesagt wurde: Durch die Schilderung von Gottes Heilshandeln vor dem Hintergrund seines Unheilshandelns erscheint das Heilshandeln Gottes weniger berechenbar, verrechenbar oder von außen veranlassbar. Vielmehr wird die Sou-
264 Auch V.28 suntšmnein bedeutet nicht „scheiden“, sondern ist parallel zu suntele‹n und bedeutet ebenfalls „vollenden“ im Sinne von ‚das Wort einholen‘, vgl. Jes 10,23; 28,22. Diese Annahme wird auch durch die Entsprechung zu der Überschrift V.6a unterstützt. Vgl. auch D.-A. Koch, Schrift, 148. 265 Zur Funktion der Jesajazitate Jes 10,22f und 28,22, Heil auszudrücken, vgl. auch J.R. Wagner, Heralds, 103f. Zum Heilshandeln in V.27–29 vgl. auch J.P. Heil, Remnant, 703ff.719f. 266 Vgl. E. Brandenburger, Schriftauslegung, 77 mit Anm. 43. 267 Dabei wird spšrma aus V.7 wieder aufgegriffen (vgl. dazu auch W.R. Stegner, Midrash, 49), und durch diesen Zusammenhang wird deutlich, welch positive Bedeutung spšrma so wie sonst auch hier hat. Damit wird zum einen die eine Heilsgruppe des Samens Abrahams bestätigt, die aus Heiden (spšrma, tškna/uƒo… toà qeoà V.7.8/ V.26) und Juden (spšrma V.7/V.29) besteht, und es wird zum anderen das Heilsimplikat für Israel dadurch deutlich, dass spšrma auch über die Verbindung zu V.7 durch die Verheißung einer Heilszukunft geprägt ist, so dass der Eintrag von „nur ein Rest“ in V.27 nicht gerechtfertigt ist (vgl. W.A. Meeks, Trusting, 216). ØpÒleimma und spšrma drücken also weniger die Reduktion aus, als dass sie vielmehr zusätzlich zu dem Hintergrund des Unheils für das Heil in gleicher Funktion die alleinige Göttlichkeit und den Verheißungscharakter des Heilshandelns Gottes auch für Israel unterstreichen. – J.-N. Aletti, Argumentation, 24 übersieht in seiner Annahme einer radikalen Ringkomposition von V.6–9 und V.27–29 die Bezüge auch zu V.26 und damit das Ziel der Integration von Juden und Heiden. 268 ØpÒleimma selbst ist doppeldeutig: In Verbindung mit sózesqai und gegenüber SÒdoma und GÒmorra transportiert es eine Heilsaussage, gegenüber ¢riqmÒj ktl. markiert es ein negatives Element.
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veränität und Freiheit Gottes in seinem Heilshandeln betont269. Diese unterstützen das für Menschen eher nicht auszurechnende (wiewohl man es bei genauer Lektüre der Schrift hätte wissen können) Hinzukommen der Heiden zum Heil. In der mit dieser Freiheit konstituierten einen Heilsgruppe ist nun zwar der Anteil der Heiden deutlich größer (laÒj) als der Anteil des ethnisch-empirischen Israels, also der Juden (ØpÒleimma/spšrma). Dennoch gilt der Hintergrund des Unheils im Hinblick auf das Heil ebenso und wesentlich für beide, was sich etwa auch in 11,30f äußert, wie auch das vor diesem Hintergrund auftretende deutliche Heilspotential ebenso klar für beide270 besteht (11,32), insofern etwa das Rufen zum Volk den Status des Nichtvolkes hinsichtlich der Heiden überwindet und im Hinblick auf das empirische Israel ein Heilsrest und spšrma bleiben und Sodom und Gomorrha eben nicht triumphieren271. Damit benennen die Zitate mit dem dem Heil zugeordneten Unheilshintergrund ein für Paulus wesentliches Element des Handelns Gottes. Und insgesamt führen so also die Zitate Juden und Heiden zu dem im souveränen, wunderbaren und unverrechenbaren Heilshandeln Gottes begründeten und so theologisch definierten Begriff der ursprünglichen, einen Heilsgruppe zusammen, auch wenn Israels Zahl dort deutlich geringer ist. Dabei bestätigt V.28 in Korrespondenz zu V.6a die Einheit und Beständigkeit, die Verlässlichkeit und manifeste Wirksamkeit des in Frage stehenden Wortes Gottes272. Zugleich lässt sich von V.28 und seinem Kontext aus auch V.6b noch einmal neu verstehen: o§ g¦r p£ntej oƒ ™x 'Isra¾l oátoi 'Isra»l sagt nicht nur aus, dass nicht alle aus dem empirisch-ethnischen Israel sich in der auch als „Israel“ bezeichenbaren Heilsgruppe wiederfinden, sondern über o§ p£ntej oátoi 'Isra»l vor allem auch, dass eben nicht diese, d.h. das ethnisch-empirische Israel, den Heilsgruppenbegriff bestimmen. Das heißt aber, dass, insofern bei der auch 'Isra»l genannten Heilsgruppe keinesfalls alle aus dem empirischen Israel kommen – sondern auch aus den Völkern –, diese Heilsgruppe auch nicht einheitlich und wesentlich in ihrer Qualität durch das empirische Israel bestimmt sein kann. Die Verneinung der auf Israel bezogenen Definition des oátoi impliziert somit zugleich eine neue Bestimmung, wer unter oá269 Damit gegen alle Deutungen, die die Resttheologie als Ziel der Aussagen von mindestens V.27–29, aber auch V.25–29 insgesamt sehen, wie etwa U. Wilckens, Römer 2, 198; G. Röhser, Prädestination, 134. 270 Vgl. auch J.R. Wagner, Heralds, 81. 271 Auf die Verbindung von 9,27–29 zu 11,26 macht J.P. Heil, Remnant, 719 aufmerksam. 272 Vgl., wenn auch anders akzentuiert, E. Brandenburger, Schriftauslegung, 58; D.-A. Koch, Schrift, 148f.
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toi zu verstehen ist273, und die primäre Frage von V.6b ist, wie dann die Gruppe wesentlich bestimmt ist. Mit der Definition „Israel“ ab V.7 geht also auch die personale Füllung dieser Heilsgruppe einher und das heißt, dass ab V.7 auch erklärt wird, wer oátoi sind, die zu „Israel“ als Heilsbegriff gehören und diesen ausmachen. Dementsprechend endet das, was in V.6 mit der Frage nach aktuell-empirischen Personen begonnen hatte und ab V.7 argumentativ aufgebaut wird, in V.24 und den Zitaten V.25–29274 mit konkreten Personen und Personengruppen: Die einmal V.6b als „Israel“ bezeichnete Heilsgruppe setzt sich nicht aufgrund physischer Abstammung oder des Tuns der Tora zusammen, sondern aus (wenigen) Juden und (vielen) Heiden, die gerufen und gerettet wurden aufgrund des vor dem Hintergrund des Unheilshandelns als souverän, wunderbar und unverrechenbar zu definierenden Heilshandelns Gottes. Beide zusammen, alle grenzenlos Gerufenen sind die oátoi aus V.6b, und dementsprechend wird das in V.6b verneinte oátoi in V.24 explizit positiv bestimmt und diese Bestimmung in V.25–29 als schriftgemäß abgesichert. Dabei hat der Zusammenhang „Gottes Heil vor dem Hintergrund seines Unheils“ immer den – mal stärkeren, mal schwächeren – Akzent zugunsten seines Heilshandelns, insofern eben das Nicht-Volk Volk wird und Sodom und Gomorrha275 sich nicht konsequent durchsetzen. Damit bestätigt sich aber tatsächlich, dass nicht die Scheidung innerhalb des Israelbegriffes im Zentrum der Ausführungen steht, sondern die theologische Definition und Bestimmung des Heilsgruppenbegriffes und die personale Füllung dieser Gruppe276. Insofern der Begriff 'Isra»l als der die Heilsgruppe bezeichnende Begriff nur in V.6b auftaucht, ist es angemessener, nicht von einer Redefinition des Israelbegriffes zu sprechen, sondern davon, dass in der Argumentation die einmal als „Israel“ bezeichnete eine Heilsgruppe definiert wird, die dann im weiteren Verlauf mit spšrma, tškna toà qeoà/tÁj ™paggel…aj, ¢gap©n, kale‹n, skeÚh ™lšouj usw. bezeichnet wird. Diese Definition, Konstitution und Füllung dieser einen Heilsgruppe, die es schon immer gegeben hat, ist Gegenstand der Ausführungen. Insofern dies alles so geschieht, wie Gott und Schrift sagen (V.28 u.ö.), ist Gottes Wort nicht hinfällig geworden. Und weil dieses Wort Gottes von sich aus schon immer auf eine Heilsgrup273 Vgl. oben 5.3.1.1. 274 Über spšrma, uƒo… toà qeoà,'Isra»l und auch lÒgoj. Zur Ringkomposition vgl. auch J.R. Wagner, Heralds, 78; W.R. Stegner, Midrash, 49. D.J. Moo, Romans, 574 sieht nur eine Beziehung zwischen V.6–13 und V.27–29. 275 Sodom und Gomorrha sind keine Chiffre für moralischen Verfall, sondern für vollkommene Vernichtung; vgl. Am 4,11; Zeph 2,9; Jes 13,19; Jer 27,40; Mt 10,15par u.ö. Vgl. auch J.R. Wagner, Heralds, 111 mit Anm. 214. 276 Vgl. auch E. Brandenburger, Schriftauslegung, 58.
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pe zielte, die unabhängig vom ethnischen Israel auf göttlich berufene Heiden und Juden aus war, stellt auch die gegenwärtige Situation, dass das ethnische Israel zum Teil nicht, die Heiden aber doch in der Heilsgruppe sind, keine Anfrage in Hinsicht auf den Komplex Gott-IsraelSchrift/Tradition dar. Vielmehr sagt die Schrift selber über die V.25–29 angeführten Zitate, dass die eine Heilsgruppe zu einem großen Teil aus Heiden und nur zu einem kleinen Teil aus Israel bestehen kann, so dass die Ausgangsfrage von Israels Unheil angesichts des Heils der Heiden überhaupt kein Problem im Hinblick auf Schrift, Tradition und Kontinuität und Konsistenz Gottes darstellt. Gerade die Beobachtung, dass das Lexem 'Isra»l in V.7–26 nicht auftaucht277, spricht auch dafür, dass nicht von einer Scheidung und dem doppelten Israelbegriff als Thema der Darstellung von 9,7–29 gesprochen werden kann. Indem aber der Begriff 'Isra»l als Begriff für die Heilsgruppe ab V.7 durch andere Begriffe ersetzt wird, kann das Lexem 'Isra»l in V.27 wieder zurückkehren zu seiner über V.4 'Israhl‹tai bestimmten Ausgangsbedeutung der über Abstammung definierten ethnischen Gruppe (oƒ ™x 'Isra»l V.6b). Innerhalb der so bezeichneten ethnischen Gruppe findet dann tatsächlich eine Einschränkung hinsichtlich der Zugehörigkeit zu der einen Heilsgruppe statt, so dass zwar nicht ein doppelter Israelbegriff, aber die Scheidung innerhalb des empirischen Israel ein Nebenprodukt der Argumentation von V.7–29 ist. Die Heilsgruppe selber ist und bleibt, wie wir gesehen hatten, die gleiche, sie wird nicht etwa erst eingeschränkt und dann wieder ausgeweitet.278 Im Hinblick auf die Ausgangsfrage nach Israel und dem Heil ist nun zu sagen, dass diese Frage tatsächlich durch eine „Redefinition279 des Israel277 Das wird von den meisten Exegeten weder erwähnt noch beachtet (so fehlt die Beobachtung z.B. bei E. Lohse, Römer; K. Haacker, Römer; P. Stuhlmacher, Römer; D.J. Moo, Romans; J.D.G. Dunn, Romans II; D. Zeller, Römer; U. Wilckens, Römer 2; G. Röhser, Prädestination), zumeist mit dem Ergebnis, dass es in 9,6–29 um die Scheidung innerhalb des Israelbegriffes bzw. den doppelten Israelbegriff geht. Nur indirekt erwähnt diesen Befund O. Hofius, Evangelium, 181 mit Anm. 15 in seiner Aufzählung, ohne das auszuwerten. 278 So etwa K. Haacker, Römer, 197; D. Starnitzke, Struktur, 308.318. 279 Auch dieser Begriff ist eigentlich unangemessen, indem er einen zu großen Gegensatz zwischen einer festgelegten und dieser neuerdings entgegengesetzten Definition mittransportiert. Man muss einfach feststellen, dass zur alttestamentlich-jüdischen Tradition das stete Definieren des Israelbegriffes als Heilsgruppenbegriff hinzugehört, der dann je nach den Definierenden sehr unterschiedlich ausfallen kann. Vgl. nur Mt 3,9par; CD 4,3f; 4QFlor 3,19; bBetsa 32b; DevR 3; BerR 53. Vgl. dazu nur D. Zeller, Römer, 176 und Strack-Billerbeck III, 125: „Die Frage, wer rechter Israelit sei, hat die alte Synagoge selbst verschieden beantwortet“. – Auch dadurch wird der jüdische Rahmen für Paulus deutlich.
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begriffes“ beantwortet wird, bei der als erstes der Begriff 'Isra»l für die Heilsgruppe nicht mehr auftaucht. Dadurch ist schon der Weg in Richtung der einen Heilsgruppe vorgezeichnet, und es wird weiter definiert, dass diese eine Heilsgruppe nicht ethnisch, sondern allein durch Gottes freies Handeln bestimmt wird280 und dass es, indem sie sich aktuell zu größeren Teilen aus Heiden und zu geringeren Teilen aus Juden zusammensetzt, eine Einschränkung innerhalb des ethnischen Israelbegriffes hinsichtlich der zum Heil Gehörenden gegeben hat. Dies ist möglich, weil Gott schon immer frei und souverän die eine Heilsgruppe nach den Kriterien seiner unverrechenbaren Berufung konstituiert hat, und weil dieses in der Schrift bezeugte Handeln schon immer ebenso für alle mit der Komponente des Nicht-Heils verbunden war, wie es auch mit einer Einschränkung des Heilsanteils innerhalb der ethnischen Israelgruppe auf einen Rest einhergehen konnte. Was wir damit akzeptieren müssen, ist, dass es schon immer eine schriftgemäße, gottdefinierte Heilsgruppe gab, innerhalb derer das Kriterium Juden oder Heiden belanglos war, und die stattdessen durch das Kriterium des souveränen, freien und unverrechenbaren Heilswillens Gottes bestimmt ist, wie er sich in seinem kale‹n manifestiert. Damit erklärt sich die gegenwärtige Unheilssituation der Mehrzahl Israels. Damit haben wir keine Ersetzung Israels durch die Kirche, weil es nur eine einzige, immer schon da gewesene biblische Heilsgruppe gibt. Ebenso wenig haben wir einen Freifahrtschein oder ein uneingeschränktes Bekenntnis zum ethnischen Israel281, für das nur zu sagen ist, dass es nach Gottes Plan und Willen mindestens anteilmäßig in der Heilsgruppe vertreten sein muss282, da in der Schrift die Zusammensetzung der Gottes Heilsabsicht entsprechenden Heilsgruppe als sowohl Juden als auch Heiden enthaltend festgelegt ist. In keiner Weise haben wir es hier mit einer pars-pro-toto- oder Resttheologie zu tun, die auf die Frage nach dem Unheil Israels mit dem heilvollen Rest der Scheidung innerhalb des Israelbegriffes antwortet283. Vielmehr wird auf die Frage nach Israel in 9,5bff geantwortet, dass man diese Frage von Gott aus betrachten muss, dessen Wort immer konsistent auf eine nicht am empirischen Israel ausgerichtete, nicht menschlich(israelitisch) verrechenbare, sondern absolut in Gott begründete menschliche Heilsgruppe aus Juden und Heiden ausging und diese entsprechend auch verwirklicht hat. 280 281 282 283
Vgl. CD IV 3f. So etwa K. Wengst, Interpunktion, 392 u.ö. Vgl. dazu etwa F. Mußner, Geschichtstheologie, 190ff u.a. So etwa G. Röhser, Prädestination, 134; W.R. Stegner, Midrash, 49; O. Hofius, Evangelium, 179 u.ö.; U. Wilckens, Römer 2, 206ff.
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Begründet ist alles darin, dass Gott nicht Richter, sondern Töpfer ist, wiewohl sich im Unterschied zu dem Töpfer der Bildebene in Gottes souveränem Handeln kein ausrechenbares Gleichgewicht von egalitärem Heil und Unheil ergibt, sondern eine mehr oder weniger starke, aber sich deutlich durchziehende Tendenz zum Heil gegenüber dem Unheil festzustellen ist284. Insofern ist Gott eben Ð kalîn.
5.3.7 V.30–33 Über die Zuordnung des auch transitorischen Abschnittes V.30–33 in erster Linie zu V.6–29 war oben schon Ausreichendes gesagt worden285. Nach unseren Ausführungen zu V.6–29 können wir nun die Folgerung286 oder Offenlegung in V.30–33287 auch inhaltlich plausibel zuordnen: War in V.6–29 beschrieben worden, dass die eine Heilsgruppe ohne menschliches Zutun allein von Gott konstituiert wird und auf wunderbare und nicht berechenbare Weise vor dem Hintergrund des Unheils verwirklicht und schon immer für die Heiden offen seiend aktuell in besonders starken Proportionen von Heiden gefüllt wird, dann passt das „Eingeständnis“, dass die nicht nach Gott fragenden Heiden das Heil Gottes erlangt haben, exakt dazu. Die Israelfrage des Röm ist ja eben dadurch wesentlich geprägt, dass Heiden das Heil erlangt haben288, denn Israel in einer Unheilssituation ist nichts Besonderes, spätestens nach der Schriftprophetie289. V.30b passt somit hervorragend zu V.6–29 als letzte Offenlegung und Weiterführung, selbstverständlich auch über die Kongruenz mit V.25.26, und gleichzeitig mit V.31 zusammen als Benennung des in V.1–5a angesprochenen Problems. Heilsgruppe bzw. Heilsraum werden in V.30–33 dabei nicht als 'Isra»l bezeichnet, was mit dem Verzicht auf 284 Insofern verfehlt etwa S. Lyonnets Formulierung „Prédestination et rébrobation selon Rom 9“ das Anliegen des Textes. 285 Wenn E. Lohse, Römer, 286 in V.30 einen neuen Abschnitt beginnen lassen will, weil Paulus hier in Röm 9–11 „zum ersten Mal auf die Theologie der Rechtfertigung […] zurückgreift“, übersieht er, dass schon vorher Rechtfertigungsbegriffe auftauchen. 286 Vgl. F. Siegert, Argumentation, 141. 287 Vgl. K. Haacker, Römer, 198. 288 Das ist weitgehend übersehen worden, wiewohl es ein wichtiges Spezifikum zum Verständnis von Röm 9 und Röm 9–11 insgesamt ist (vgl. oben 5.1. und E. Brandenburger, Schriftauslegung, 77f). Dieses Spezifikum drückt sich auch darin aus, dass eben nach 9,1–5.30–33 nicht einfach Israel im Unheil ist, sondern im Unheil angesichts eines Heilshandelns Gottes an den Heiden, und dass die gegenwärtige Zuordnung von Heil/Unheil eine in Frage stehende ist, was sich darin äußert, dass Paulus selber vom Heil wegwollte, wenn er es richtig, d.h. Israel zuordnen könnte (9,3). 289 D. Zeller, Römer, 172 verweist auf diese als Parallele, ohne den entscheidenden spezifischen Unterschied zu sehen.
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diesen Begriff seit V.6b zusammenpasst, sondern mit dikaiosÚnh markiert. Dadurch entsteht in V.30–33 der Zusammenschluss der in V.6–29 formulierten Aussagen mit dem Sprachgebrauch und Leitthema des gesamten Briefes, nämlich über die in der propositio u.ö. zentral erwähnte Gerechtigkeit Gottes vor dem Hintergrund der Frage nach Juden und Heiden290. Dementsprechend wird die dikaiosÚnh hier erneut als dikaisoÚnh ™k p…stewj bestimmt. Das fördert den Zusammenhalt des Briefes und die Geschlossenheit und Einheit seiner Aussage291, wie wir noch weiter sehen werden. Zunächst einmal wird aber das „Eingeständnis“ als Schluss aus den Ausführungen zum Israelbegriff nicht nur auf der Seite der Heiden in Konnex mit V.25.26 ausgeführt, sondern auch für Israel in Konnex mit V.27.29. Dabei wird auf beiden Seiten generalisiert, so dass aus der großen Zahl der Heiden generalisierend œqnh, wenn auch ohne Artikel, werden, und in Abgrenzung zu der geringen Zahl der in die Heilsgruppe integrierten Juden 'Isra»l als solches als nicht zu diesem Heilsziel gelangt dargestellt wird. Dadurch wird aber genau unsere Analyse unterstrichen, dass das Problem die Heillosigkeit Israels bei gleichzeitigem entsprechenden Heil der Völker ist. Der Zusammenhang von V.30.31 zum vorher Gesagten ist dabei noch weiter zu profilieren. Über die Zahlenverhältnisse hinaus bestehen weitere inhaltliche Verbindungen: So entspricht t¦ m¾ dièkonta dikaiosÚnhn katšlaben dikaiosÚnhn V.30, auch in seinem Kontrast zu dièkwn nÒmon dikaiosÚnhj… o§k œfqasen, dem kalšsw tÕn o§ laÒn mou laÒn mou V.25, insofern gerade die Gottesfernen, nicht auf Gott Ausgerichteten das Heil finden. Auch das weist auf das Umkehrproblem von Heil und Unheil und Israel und Heiden als zugrundeliegende Frage hin. Im Zusammenspiel von V.30.31 entsteht damit auch eine Parallele zu V.16: Nicht die von sich aus Aktiven haben das Heil Gottes erlangt, sondern abweichend vom Maßstab des menschlichen Bemühens ist das Ergebnis zustande gekommen, wobei beide Male die Aktiven mit Elementen des wettkämpferischen Laufens benannt werden292. Damit wird auch deutlich, wie der Ausschluss aller menschlichen Komponenten der Nivellierung Israels zugunsten des Heils auch für die Heiden durch Gott dient. Dies alles wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass in V.33 ein souveränes Handeln Gottes genannt wird als Grund für die Durchbrechung des Maßstabes von menschlichem Bemühen und Heilserfolg, so dass der ebenfalls in 290 Vgl. auch F. Siegert, Argumentation, 141. 291 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans, II, 579f. 292 Vgl. auch E. Lohse, Römer, 286; K. Haacker, Römer, 198; F. Siegert, Argumentation, 141.
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V.16 benannte Faktor des Willens und der Handlung Gottes, auch in Richtung der Souveränität von Erbarmen und Verhärtung V.18, klar präsent ist. Die Verbindung zu V.6–29 ist also deutlich gegeben. Zugleich wird aber mit dem formal aktiven katalamb£nein und dem etwas mehr menschliche Aktivität und Eigenverantwortung miteinräumenden „Stolperstein“ die Perspektive geöffnet für die Diskussion der Seite Israels, also des menschlichen Verhaltens ab 10,1293. Damit können wir uns dem Versuch eines genaueren Verständnisses der Verse zuwenden. Dabei hat vor allem das Auftreten von nÒmoj in V.31 Probleme bereitet. Insbesondere die Formulierung e„j nÒmon o§k œfqasen hat vielfach Unverständnis ausgelöst294. Man hat sich nicht vorstellen können, dass der nÒmoj als erstrebenswertes Ziel des Heils in der paulinischen Argumentation fungieren kann, und dementsprechend nÒmoj entweder in Angleichung an den ersten Beleg in V.31 durch dikaiosÚnhj ergänzt295 oder nÒmoj gleich ganz durch dikaiosÚnh296 ersetzt. Am ersten Beleg nÒmoj dikaiosÚnhj V.31a ist aber nicht zu rütteln, so dass deutlich ist, dass nÒmoj in den Aussagen von V.31 seine Rolle hat, die offensichtlich in einem positiven Zusammenhang steht und zu der auch das unverbundene Auftreten in V.31b gehört. Das Verständnis von nÒmoj lässt sich dann ganz einfach ermitteln, wenn man auf die Bedeutung von nÒmoj in der vorangegangenen Argumentation des Röm zurückgreift: Es ist zwar richtig, dass die œrga nÒmou und der nÒmoj in einem solchen Zusammenhang des Tuns und der Abgrenzung Israels in Röm als negativ bewertet werden, aber es wäre falsch, daraus auf eine grundsätzliche Unvereinbarkeit von nÒmoj und Heil zu schließen. Vielmehr hatten wir gesehen, dass sonst der nÒmoj als positive Größe in Zusammenhang mit dem Heil genannt wird. So ist er nach 3,21 die Norm, die die dikaiosÚnh definiert, und in 3,31 wird die Verwirklichung des nÒmoj explizit als Ziel der paulinischen Heilsrede genannt297. Hinter der Problematisierung der Verwendung von nÒmoj in V.31b steht also ein so nicht zutreffendes negatives Verständnis von nÒmoj, das seine Bedeutung als grundlegende
293 Vgl. K. Haacker, Römer, 202; G. Röhser, Prädestination, 156. 294 Vgl. nur E. Lohse, Römer, 286; K. Haacker, Römer, 199; D.J. Moo, Romans, 622; E.P. Sanders, Paul, 42: „an almost incomprehensible combination of words“; W. Schmithals, Römer, 363: „enigmatisch“. 295 So 2 F Y 1881 M lat sy. 296 So die Konjektur von P. Schmiedel. 297 Vgl. auch E. Lohse, Römer, 287f. Damit gegen jedes Verständnis von nÒmoj als bloße Norm, nicht im Sinne von Tora und Schrift, so etwa K. Haacker, Römer, 199; W. Sanday/A.C. Headlam, Romans, 279.
a
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Größe und Norm hinsichtlich des Heils auch für Paulus nicht erkannt hat298. Ziehen wir nun noch die Beobachtung hinzu, dass mit der Einführung der Begriffe dikaiosÚnh und p…stij in die Argumentation ab V.30 das vorher Gesagte in den Zusammenhang des Gesamtbriefes eingeordnet und Verbindungen hergestellt werden sollen299, und betrachten auch den engeren Kontext, dann ergibt sich auch für nÒmoj ein klares Bild. Über die Stichwortverbindungen von zunächst dikaiosÚnh und p…stij V.30 und dann eben auch nÒmoj V.31 werden Verbindungen zu zentralen Texten – und damit auch Gedanken – des Briefes hergestellt. Damit werden die hier geäußerten Überlegungen und Positionen zum Gottesbild und zum Heil mit den übrigen Aussagen vernetzt. Ein besonderer Bezug ergibt sich dabei über die genannten Stichworte zu dem zentralen Text 3,21–31300. Dort war durch 3,21.27.31 deutlich gemacht worden, dass der nÒmoj einen bzw. den kritischen Punkt darstellt, indem er einerseits als entscheidender Maßstab und letztgültige Autorität des Gotteswillens zum Heil hervorgehoben wurde, andererseits aber als eine umstrittene, mit unterschiedlichen Verständnissen und damit mit Fehlverständnissen verbundene Größe dargestellt wurde. Von daher ist es naheliegend, in der umstrittenen Frage nach Israel, Gott und dem Erreichen des Heiles den nÒmoj, der mit Israel ebenso unlösbar verbunden ist, wie er axiomatisch in die Erkenntnis und die Bestimmung Gottes gehört, heranzuziehen. Die vorher formulierten Aussagen über Gott und seine souveräne Konstitution der einen Heilsgruppe werden jetzt in dem weiterbestehenden Rahmen der Israelfrage bezogen auf das den Brief bestimmende Thema des nÒmoj als Autorität und Urheber der dikaiosÚnh ™k p…stewj. Dies wird umso deutlicher, wenn man noch hinzuzieht, dass sich in unmittelbarer Nähe in 10,4 mit der Frage nach dem tšloj nÒmou eine weitere grundlegende Wesensbestimmung des nÒmoj anschließt301. Gottes souveräne Definition und Konstitution der einen Heilsgemeinde mit dem Effekt, dass diese eine Heilsgemeinde nicht deckungsgleich mit 298 Vgl. D.J. Moo, Romans, 623; W. Schmithals, Römer, 363, für den Israel nicht zum Heil kam, weil es die sündenaufdeckende Funktion des Gesetzes nicht erkannt hat. 299 Vgl. F. Siegert, Argumentation, 141. 300 Vgl. auch E. Lohse, Römer, 286; P. Stuhlmacher, Römer, 138 – zu 3,31 aber nÒmoj als „Forderung“. 301 Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 341; K. Haacker, Ende, 137. – Damit ist aber auch deutlich, dass der nÒmoj als Heilsgröße nicht allein auf Israel bezogen ist als dessen spezifisches Problem oder proprium (in diese Richtung die durchaus positiven Bestimmungen des nÒmoj an dieser Stelle von F. Siegert, Argumentation, 142 und E. Lohse, Römer, 287), sondern auch für die Heiden bzw. für die Konstitution der einen Heilsgruppe, indem der nÒmoj eben von der Art und Weise des Handelns Gottes zum Heil zeugt und dafür die Norm setzt.
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dem menschlich definierten Israel ist, lässt sich somit auf die konkreten Fragen der Gegenwart und des Briefes bezogen verstehen und nachvollziehen anhand des nÒmoj: Zunächst einmal macht die Zusammenstellung von 'Isra»l, nÒmoj und dikaiosÚnh deutlich, dass die Ausgangsfrage nach Israel und dem Heil berechtigt war und dass auch hier durchaus attestiert wird, dass Israel eine besondere Beziehung zu Gott und seinem Heil hat, insofern es, mit den Worten und Willen Gottes, dem nÒmoj betraut (3,2; 9,4), sich zum Heil orientieren wollte302. Zugleich ist aber in Einklang mit der voranstehenden Erläuterung von Definition und Umfang der Heilsgemeinde festzustellen, dass trotz dieser Affinität Israel nicht zum Ziel des Heils gelangt ist. Insofern einerseits Israel im nÒmoj als seinem proprium das Heil gesucht hat und andererseits dies auch attestiert wird und weiter bestätigt ist, dass der nÒmoj das eine und entscheidende Heilsdokument des Willens Gottes ist (3,21.31), das Zeuge, Norm und als Künder Gottes Urheber der paulinischen Heilstheologie ist, ist die Formulierung e„j nÒmon o§k œfqasen weder überraschend noch unstimmig303, sondern absolut plausibel. Bei diesen Überlegungen ist dann auch klar, spätestens durch e„j nÒmon o§k œfqasen, dass nÒmoj hier keinesfalls „Prinzip“ meinen kann, sondern im Rahmen der Frage nach dem Israelproprium und als Marker des Heilsziels nur im Sinne von „Tora“ verstanden werden kann304. Warum Israel, obgleich in besonderer Weise mit dem nÒmoj verbunden, das Heilsziel verfehlen konnte, dürfte nach den bisherigen Aussagen in Röm für den Leser schon erklärbar sein, wird aber noch einmal in V.32 explizit gemacht. Dies geschieht mit di¦ t… wieder durch eine das Verständnis befördernde Frage, wie in 3,27–31: Israel ist zwar in besonderer Weise mit dem nÒmoj verbunden, aber es hat den Sinn und das Wesen dieses alles entscheidenden nÒmoj nicht verstanden305. Wie in 3,27–31 deutlich gemacht war, ist das Wesen des nÒmoj die Verbindung von Heil (dikaiosÚnh) und p…stij und nicht von Heil und œrga. Dementsprechend ist Israel in seinem Tun der Tora trotz seiner ureigenen Verbindung nicht zum nÒmoj gelangt306. 302 Vgl. E. Lohse, Römer, 287; K. Haacker, Römer, 203; C.K. Barrett, Fall, 109. 303 Vgl. E. Lohse, Römer, 287. 304 Vgl. ebd.; J.D.G. Dunn, Romans II, 582; D.J. Moo, Romans, 624f, allerdings nicht als Gesetz, das Tun fordert, sondern von der Glaubensgerechtigkeit (3,21.27–31; Gal 3,8) kündet. 305 Auch D. Starnitzke, Struktur, 322 tastet nach dem Sinn und Wesen des nÒmoj („Christus“, „Liebesgebot“) ohne zu sehen, dass mit p…stij in V.32 und 3,31 im Text die Bestimmung selber vorgenommen wird. 306 Vgl. auch C.K. Barrett, Fall, 110. – Gegen D. Zeller, Diskussion, 492; H. Räisänen, Paul, 174f; E.P. Sanders, Law, 36f.
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Diese Aussage ist so, wie gesagt, nicht wirklich neu, abgesehen von ihrer expliziten Formulierung. Dennoch fungiert die Aussage hier als eine Erklärung oder eine Manifestation der Inkongruenz von menschlichem Laufen und göttlichem Wollen und Tun. Dementsprechend wird die Aussage noch weitergeführt, und der neue Aspekt kommt in V.32b hinzu. Dieses Spiel, diese Spannung zwischen ureigener Verbindung und Nichterlangen ist begründet im souveränen Handeln Gottes und muss und kann nur als dieses verstanden werden307. Die Gabe des nÒmoj an Israel ist wie die Gabe eines Stolpersteines zu verstehen: Einerseits ist mit der Gabe an Israel, manifestiert über t…qhmi ™n Sièn, die besondere Beziehung von Gott und Israel ausgedrückt, andererseits ist aber über den Inhalt der Gabe, nämlich im Sinne eines Stolpersteins, auch die Möglichkeit bzw. die Intention des Stolperns und Nichterlangens von Gott gegeben. So wird nun die nÒmoj-Erklärung des Scheiterns Israels ganz eindeutig an die vorher formulierten Aussagen rückgebunden und zugleich eine Synthese vorgenommen, insofern die vorher formulierten Aussagen der verhärtenden und erbarmenden Souveränität Gottes hier eingeflossen sind308. Das geschieht nicht zuletzt auch über tršcein V.16 und proskÒptein V.32309, wobei letzteres in Verbindung mit einem dazu gesetzten l…qoj zu einem genialen und für die Argumentation nicht zu unterschätzenden Bild wird, das in der Lage ist, sowohl Gottes souveräne Eigenmächtigkeit des Handelns wie auch das vielleicht nicht erklärbare, aber doch begründet nachvollziehbare Scheitern Israels in sich zusammen zu bringen310. Diese Beobachtungen und Überlegungen weisen auch in eine eindeutige Richtung, wer oder was unter dem l…qoj proskÒmmatoj zu verstehen ist: Nichts nämlich weist daraufhin, hier den l…qoj proskÒmmatoj mit Christus zu identifizieren311. Denn Christus hat in der vorangegan307 Genau das erklärt der l…qoj proskÒmmatoj – das wurde nicht gesehen von G. Röhser, Prädestination, 156; vgl. aber J. Lambrecht, Caesura, 147; E. Käsemann, Römer, 269. 308 Vgl. J.D.G. Dunn, Romans II, 584. 309 Vgl. auch D. Starnitzke, Struktur, 323; K. Haacker, Römer, 198f; E. Gaugler, Römerbrief, 85ff; F.-J. Leenhard, Romains, 149; R. Badenas, Christ, 101.107. 310 Vgl. auch G. Röhser, Prädestination, 161, wiewohl er Gottes Anteil hier zu gering ansetzt: „Das Gericht Gottes [ist] in 9,31–33 allein [Hervorhebung im Original] die Folge und das Ergebnis des jüdischen Unglaubens“ (a.a.O., 156). So macht K. Haacker, Römer, 200 zu Recht für die im Hintergrund stehende Jesajastelle Jes 8,12–14 auf das aufmerksam, was auch hier eine Rolle spielt: „Die eigentliche Gefahr geht von Gott aus“. 311 So die überwiegende Mehrheit der Exegeten, vgl. nur D. Starnitzke, Struktur, 232; T.H. Tobin, Rhetoric, 342; E. Lohse, Römer, 288; K. Haacker, Römer, 200; D.J. Moo, Romans, 630; J.D.G. Dunn, Romans, 585. Sachlich so nicht zutreffend ist das dafür auch angeführte Argument, Jes 8,14 sei schon im Judentum auf den Messias gedeu-
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genen Argumentation keine Rolle gespielt, und es gibt keine sachlichen oder semantischen Zusammenhänge, die es nahe legen würden, ihn hier einzutragen312. Hier haben das Vorurteil des Primates der Christologie und die Auffassung, Christus sei der allgegenwärtige, im Zentrum stehende Diskussionspunkt, zu dieser sozusagen reflexartigen Identifizierung geführt. Demgegenüber bietet nÒmoj hier alle Voraussetzungen, um mit l…qoj identifiziert werden zu können313 als die Israel von Gott gegebene Größe, die mit der Möglichkeit des Missverständnisses verbunden das Scheitern Israels provoziert hat und die auch hier im unmittelbaren Kontext genannt ist. V.32a kann sich nach 3,27.31 nur auf Israels Scheitern am nÒmoj beziehen, welches das bestimmende Thema für V.30.33 ist, und somit müssen sich auch V.32b und das Schriftzitat eindeutig auf Israels Scheitern an der Tora beziehen, denn es kommen keine neuen Informationen, die mit Christus auf ein anderes Thema verweisen würden, und nach V.33 kommt mit ¢delfo… + persönlichem Statement ein deutlicher Neueinsatz. Weiter hatten wir gesagt, dass Israels Scheitern an der Tora aufgrund seines falschen Verständnisses zwar hier erstmals explizit formuliert, aber an sich eine sich aus bisherigen Argumentationen ergebende Aussage ist314. Es ist also viel naheliegender, V.32b.33 von dem in Röm präsenten und hier ebenfalls genannten Thema des anstoßgebenden nÒmoj her zu verstehen, als die Erklärung des Anstoßsteines von
tet worden (vgl. nur E. Lohse, Römer 288, der aber selber mit 1QS 8,7f für Jes 28,16 in seiner Deutung auf die Gemeinde selber andere Deutungsmöglichkeiten angibt; und O. Betz, Felsenmann, 61f fügt 1QH 6,26f hinzu). Die immer aufgeführte Paradestelle bSanh 38a ist ein einziger Beleg, der in seiner weinseligen Weise sicher nicht als Paradigma einer generellen messianischen Interpretation von Jes 8,14 taugt. Demgegenüber scheint die LXX mit 8,16 nÒmoj ebenso wie der JesajaTargum eher auf die Tora zu verweisen. Im JesajaTargum ist zudem der Stein deutlich durch die Memra Gottes gekennzeichnet. Wir müssen also mindestens von einer offenen Interpretationslage ausgehen. Vgl. dazu auch C.K. Barrett, Fall, 111f. Auch die Kombination von Jes 8,14 und Jes 28,16 kann nicht unbedingt – und damit auch nicht der Bezug von pisteÚwn ™p' a§tù auf 8,14 – als genuin christliche Erfindung gesehen werden (so etwa N. Richardson, Language, 73), wenn man bedenkt, dass Jes 28,16 mit Jes 8,14 spielt. ™p' a§tù ist somit keine christliche Interpolation, sondern kommt aus der LXX-Vorlage, wo es beide Texte miteinander verbindet. Vgl. dazu auch J.R. Wagner, Heralds, 150; K.R. Snodgrass, Formation, 99f; K.H. Müller, Anstoß, 78–80. Zudem macht J.E. Toews, The Law in Paul‘s Letter to the Romans: A Study of Romans 9:30–10:13, Dissertation, North Western University 1977 (zitiert nach P.W. Meyer, End, 343 mit Anm. 18) darauf aufmerksam, dass die frühchristliche Identifizierung des l…qoj aus Jes 8,14 mit Christus immer aufgrund der Kombination mit Ps 118,22 entsteht, genau wie es in 1Petr 2,4.6 der Fall ist, die aber in Röm 9,32.33 gerade fehlt. 312 Vgl. W.A. Meeks, Trusting, 217; Meyer, End, 64. 313 Vgl. W.A. Meeks, Trusting, 217; C.K. Barrett, Fall, 112f; P.W. Meyer, End, 64. – L. Gaston, Paul, 129: Das in der Tora enthaltene Evangelium. 314 Vgl. das Missverständnis in der Toradeutung 3,31. Vgl. auch C.K. Barrett, Fall, 110.
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1Kor 1,23 und der Kreuzestheologie her in Christus zu suchen315. Dementsprechend ist zu erwarten, dass sich hier noch eine neue Information zu diesem eigentlich bekannten und damit alten Sachverhalt, der in V.31.32a genannt wird, anschließt, die die Erkenntnis weiterbringt. Diese ist in dann auch mit V.32b.33 gegeben, womit die Zuordnung zu V.31.32a deutlich ist: Israels Scheitern aufgrund eines falschen Verständnisses der Tora erscheint in dem neuen Licht eines Verständnisses eines in Gottes eigener Absicht liegenden und von ihm souverän und frei herbeigeführten oder implizierten Handelns Gottes. Indem dieses Scheitern als von Gott souverän gesetzte und in ihm begründete Möglichkeit oder Absicht dargestellt wird, ist es einem souveränen Verhärten Gottes vergleichbar, so dass über V.32b.33 die Aussagen von V.6–29 auf die Offenlegung des Scheiterns Israels am nÒmoj V.31.32a bezogen werden und die Synthese entsteht316. Israels Scheitern an dem mit einem Anstoßpotential (aufgrund des von ihm ausgelösten doppelten Verständnisses) versehenen nÒmoj ist somit weder Zufall noch in einer rein menschlichen Erklärung und Ursachensuche nachvollziehbar317. Es entspricht vielmehr dem in der Schrift bezeugten ureigenen und seit jeher bestehenden, konsistenten und voraussetzungslos-souveränen Willen Gottes, wie dies insbesondere die Qualität der Aussage als Zitat der Schrift verdeutlicht. Dabei dürfte auch hier die Gesamtkonzeption des Jesajabuches zum Heil, und das heißt die bewusste Formulierung zum Stolpern ohne die Explizierung von „Fallen“ eine Rolle spielen318. Dementsprechend ist auch die Verbindung von pisteÚein + ™p… (V.33c) kein Argument für eine Identifizierung des l…qoj mit Christus319. Denn 315 Vgl. E. Käsemann, Römer, 268, gegen K. Haacker, Römer, 200. – Ohnehin ist die Parallele auch deshalb keine, weil in 9,30–33 nur Israel Anstoß nimmt, in 1Kor 1 aber Juden und Heiden. 316 Damit ergibt sich auch die Möglichkeit, l…qoj polyvalenter zu verstehen auf den Komplex des von Gott gesetzten auf Christus und die Glaubensgerechtigkeit verweisenden nÒmoj, wobei eine monoreferentielle Deutung auf Christus eben deutlich ausgeschlossen ist. Vgl. auch J.R. Wagner, Heralds, 175; N.T. Wright, Climax, 224; H. Boers, Polysemie, 91ff. Dadurch, dass Paulus eben die Identifizierung nicht explizit vornimmt wie 1Petr 2,2–8, ist eine monovalente Deutung auf Christus ausgeschlossen. 317 Insofern trifft G. Röhser, Prädestination, 158 mit seiner Formulierung „Falle für Israel“ etwas Richtiges und Wichtiges, indem eben die momentane Unheilssituation nicht in toto allein aus Israel kommt, sondern aktiv von Gott mitgestaltet ist, vgl. auch a.a.O., 159f. 318 Insofern beschreibt der von G. Röhser, a.a.O., 158 gewählte Begriff „Falle“ selber den Sachverhalt nicht so gut, als er semantisch zu negativ belegt ist gegenüber der positiven Bestimmung des l…qoj durch V.33b und die generelle Zuordnung von Unheil zum Heil wie etwa V.22.23. – Vgl. zum Hintergrund der jesajanischen Heilskonzeption J.R. Wagner, Heralds, 157.150 u.ö. 319 Vgl. nur E. Lohse, Römer, 288. – Dagegen macht J.R. Wagner, Heralds, 157 zu Recht
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nicht nur ist oder war, wie gesagt, von Christus hier nirgends die Rede, sondern es war eine Verbindung von nÒmoj und p…stij vorher eindeutig und unübersehbar hergestellt, so dass für das ™p' a§tù als Ergänzung von p…stij problemlos und eindeutig auf einen als nÒmoj verstandenen l…qoj verwiesen werden kann. Dementsprechend geht V.33c vollkommen darin auf, noch einmal die angeführte Verbindung von nÒmoj und p…stij, an der Israel gescheitert ist, durch die Autorität von Schrift und Gottesrede zu sichern. Die p…stij als entscheidender Punkt ist durch V.30 dikaiosÚnh ™k p…stewj und dann insbesondere durch V.32 als richtige gegenüber der falschen Alternative in Verbindung mit dem nÒmoj als Heilsziel genannt, die zugleich dazu führt, dass Israel am nÒmoj scheitert. Dementsprechend ist es sinnvoll und plausibel, dass in V.33b die p…stij sich auf den nÒmoj bezieht und so eben der Stolpersteincharakter des nÒmoj aufgrund seiner Verbindung zum entscheidenden Punkt der p…stij durch ein Gotteswort begründet und untermauert wird320. Auch die jesajanische Verwendung von „Glauben“ wird somit ein weiterer wichtiger Baustein im paulinischen Mosaik der p…stij321 als Wesen des nÒmoj und damit für die Schrift- und damit Gottgemäßheit seiner Verkündigung. Damit wird auch die Verbindung von V.30–33 zu 3,27–31, wo das doppelte Verständnis des nÒmoj mit seiner Möglichkeit zum Nichtverstehen bei Nichterkenntnis der inhaltlichen Verbindung von nÒmoj und p…stij genannt wird, noch einmal unterstrichen als ein Argument dafür, den durch die p…stij gekennzeichneten Stolperstein hier im nÒmoj zu sehen322.
darauf aufmerksam, dass Paulus hier nicht Jesus als Gegenstand des Glaubens präsentiert. Er sieht Gottes Handeln hier als Gegenstand des Glaubens, aber es ist sicher naheliegender, den im Text genannten und mit p…stij verbundenen Gegenstand des Heiles, also den nÒmoj, hier als Gegenstand des Glaubens zu sehen. 320 Vgl. auch P.W. Meyer, End, 343; C.K. Barrett, Fall, 112f. 321 Vgl. nur J.R. Wagner, Heralds, 142ff.169; J.D.G. Dunn, Romans II, 594. 322 Damit geht es also in V.30–32 nicht um Christus, wie W. Reinbold, Paulus, 262 in Verteidigung von E.P. Sanders, People, 37 und im Anschluss an U. Wilckens, Römer 2, 213–215 meint, sondern um das missverstandene Gesetz (so etwa E. Lohse, Römer, 287f; E. Käsemann, Römer, 268; C.E.B. Cranfield, Romans II, 512 u.v.a.m.), dessen vom ihm selbst bezeugte wesentliche Hauptsache der Glaube ist. Damit fügt sich das Verständnis von V.32 in die übrige paulinische Argumentation ein: Im Anschluss an das, was Paulus auch sonst sagt, kann o§k ™k p…stewj ¢ll' æj ™x œrgwn als die primäre Begründung fungieren, ohne dass man eine Parenthese annehmen muss (so W. Reinbold, Paulus, 263). Diese Hauptsache des Gesetzes (p…stij) ist nicht sofort eine „christliche“ Gerechtigkeit (so W. Reinbold, a.a.O., 262), sondern eine „gesetzliche“ Gerechtigkeit, indem die p…stij schon immer als das gottgewollte wesentliche Prinzip vom Gesetz und den Propheten bezeugt wurde (3,21.31; 9,6; Gal 3,8 u.ö. – Hab 2,4; Gen 15,6; Jes 18,16 u.ö.).
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Als weiteres und letztes Argument spricht die oft als Gegenargument323 angeführte Aussage von 10,4 für unsere Identifikation von l…qoj und nÒmoj. Dazu ist das Verständnis von 10,4 zu klären. Auch dazu sind als Erstes das grundsätzlich positive Verständnis und die herausragenden Bedeutung als Autorität und Norm der Evangeliumsverkündigung von nÒmoj im Römerbrief anzuführen, die sich dementsprechend auch in einem positiven Verhältnis von nÒmoj und Christus niederschlagen müssen324. Denn nach allen Aussagen des Röm, insbesondere durch 3,21.31, kann in 10,4 keinesfalls von einem Ende des Gesetzes die Rede sein325. Insofern Paulus seine Verkündigung und sein missionarisches Wirken als Erfüllung im Sinne der Verwirklichung der Tora versteht326, kann Christus als Repräsentant dieser Verkündigung nur als Ziel des Gesetzes verstanden werden. Zur weiteren Bestätigung sind als Zweites die syntaktischen Verhältnisse zu klären in der Hinsicht, was die zu bestimmende und was die bestimmende Größe ist, und das heißt für tšloj und CristÒj, was Subjekt und was Prädikatsnomen ist. Da nun zum einen Christus bisher in der Argumentation noch nicht aufgetaucht ist und zum anderen unmittelbar vorausgehend die Frage nach dem Wesen und dem Kern des Gesetzes eine Rolle spielte, kann es vom Argumentationszusammenhang her nur darum gehen, eine weitere Aussage über das Wesen des schon eingeführten nÒmoj zu machen327. Eine weitere Bestimmung des bisher noch gar nicht eingeführten Christus kommt daher nicht in Frage328. Dem entspricht auch die Satzstellung, insofern tšloj nÒmou an der ersten Stelle steht und CristÒj an zweiter Stelle. Demnach lässt sich tšloj nÒmou eindeutig als Subjekt und CristÒj als Prädikatsnomen, welches das Gegenstand der Diskussion seiende Subjekt näher charakterisiert, bestimmen329. 323 324 325 326 327 328 329
Vgl. nur J.D.G. Dunn, Romans II, 585; U. Wilckens, Römer 2, 222. Vgl. D. Starnitzke, Struktur, 328. Vgl. K. Haacker, Römer, 209 – gegen E. Lohse, Römer, 292 mit weiteren Vertretern. Vgl. oben 3.4.2.6. Vgl. K. Haacker, Ende, 137. Vgl. ebd. Für diese Analyse sprechen auch zahlreiche Beispiele, bei denen in dieser Stellung tšloj als ‚Ziel‘, ‚Wesenskern‘ eines Genitivobjektes fungiert und als Subjekt durch ein Prädikatsnomen bestimmt ist, das dieses Ziel angeben soll. Vgl. nur 1Tim 1,5; Polybios, Hist. 2,56,11; – vgl. auch Aristoteles, Poetik, 6,1450; Lukian, Hist. Conscr. 9; Plutarch, Mor 780E, woraus hervorgeht, dass tšloj dazu dient, das Wesen, die Eigenart, den Kern einer Sache zu benennen – und darum geht es in Röm 10,4 aufgrund dessen, dass das Thema „Wesen und Verständnis des Gesetzes“ mit 9,31 angeschlagen wurde. Vgl. auch K. Haacker, Ende, 133f.137 und C. Burchard, Glaubensgerechtigkeit, 354–362, der für diese Bestimmung vor allem den Argumentationszusammenhang geltend macht.
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Dies wird noch dadurch weiter unterstützt, dass immer wieder dikaiosÚnh in Konnex mit pisteÚein als Botschaft und Anliegen des damit automatisch positiv bestimmten nÒmoj bestimmt war330, zuletzt in 9,30–32. Auch in 10,4 schließt sich über die e„j-Formulierung dikaiosÚnh in Verbindung mit pisteÚein als Anliegen der Wesensbestimmung des nÒmoj an331, so dass genau dieses positive Verständnis des nÒmoj als Urheber und Norm der Glaubensgerechtigkeit hier präsent ist. Damit wird mit der mit nÒmoj im Zusammenhang stehenden e„j-Formulierung genau das Wesen des Gegenstandes bestimmt, an dessen Verständnis Israel gescheitert ist. Damit kann man als Fazit mit guten Gründen übersetzen: „Das Ziel/ die wesentliche Hauptsache des Gesetzes ist Christus zur Gerechtigkeit allen Glaubenden.“332 Das tšloj nÒmou, das Wesen des Gesetzes wird auch in 10,1–4 als Grund des Nichterreichens angegeben. Damit fungiert aber die Wesensbestimmung des nÒmoj in 10,4 über das g£r innerhalb der Argumentation in 10,1–4 wiederum als Begründung, warum Israel das Ziel der Gerechtigkeit nicht erreicht hat. Damit setzt sich aber die in 9,30–33 geführte Rede vom Wesen des nÒmoj und seinem Verständnis als anstößiges Element, an dem Israel gescheitert ist, auch über den durch ¢delfo… markierten Einschnitt hinaus fort. Da also dieser Aussagekreis der Bestimmung des in seinem Verständnis umstrittenen nÒmoj nicht verlassen wird und Christus bei seiner Erwähnung die Funktion des Prädikatsnomens hat333, ist es evident, dass für den l…qoj innerhalb dieses geschlossenen Aussagekreises über den nÒmoj in 9,31–10,4 nicht eine andere Bestimmung sinnvoll sein kann als die des hinsichtlich seines anstößigen Wesens bestimmten nÒmoj selbst. Demnach sprechen also 9,30–31 und 10,1–4 vom nÒmoj als dem diakritischen Punkt, an dessen rechtem Verständnis Israel gescheitert ist. Geschieht dies in 9,30–33 stärker unter dem Aspekt des Willens und der Setzung Gottes, der den nÒmoj als l…qoj proskÒmmatoj für Israel setzte, so erfolgt es nach dem durch ¢delfo… markierten Einschnitt ab 10,1 stärker unter der Betrachtung von Israels Verhalten unter der Perspektive der Verantwortung Israels und menschlich-rationaler Erklärung dieses Verhaltens334. So wird etwa ab 330 Diese positive Zuordnung hat z.B. O. Hofius, Gesetz, 64 u.ö. vollkommen verkannt; vgl. aber nur 3,21f; 3,27.30f. 331 Und zwar dikaiosÚnh für alle als Ziel des nÒmoj, wie es auch 3,21.27–31 und auch Gal 3,8 angibt. 332 Vgl. zuletzt D. Starnitzke, Struktur, 329 und K. Haacker, Römer, 201: „Hauptsache“. 333 Vgl. C. Burchard, Glaubensgerechtigkeit, 357. 334 Vgl. J. Lambrecht, Caesura, 147. Damit haben wir aber noch einmal ein Argument für die Verhältnisbestimmung von 9,30–33 zu 9,6–29 und 10,1–20: Es gibt mit der Diskussion des Wesens des nÒmoj im Hinblick auf Israel ein gemeinsames Element von 9,30–33 und 10,1–20. Indem aber 9,30–33 dies, wie in 9,6–29, unter dem Aspekt der Täterschaft Gottes, in 10,1–4 unter dem Aspekt der Täterschaft Israels verhandelt wird
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10,5 beschrieben, wie plausibel und naheliegend es ist, und von daher eigentlich auch für Israel leicht zu erfassen, dass Christus und Glauben Anliegen und Botschaft des nÒmoj sind. Damit wird aber unsere Bestimmung und Zuordnung des Abschnittes 9,30–33 bestätigt. Es ist deutlich zu sehen, dass in der Frage nach dem Wesen des nÒmoj in Verbindung mit Israels Suche nach dem nÒmoj in 9,30– 33 schon klar auf 10,1–21 mit dem Thema „Israel in seinem Tun und das Ziel des nÒmoj“ verwiesen wird. Damit hat sich also die auch vorausweisende Qualität des Abschnittes bestätigt. Indem aber in V.33 der nÒmoj, an dem Israel in seinem Verhalten scheitert, als von Gott gesetzter l…qoj proskÒmmatoj bezeichnet wird, ist der Abschnitt deutlich von den Aussagen von V.6–29 geprägt, die Gott als souverän schaltend und waltend beschreiben: Unabhängig vom oder wider menschliches Bemühen konstituiert er die Heilsgruppe und lässt dabei allein aufgrund seiner Absicht und mit Vertauschung der Positionen von Juden und Heiden zu Heil und Unheil gelangen. So schließt V.30-33 diesen Aussagekreis ab: Der Gott, der allein die eine Gruppe des Heils konstituiert, hat in diesem Zusammenhang den Heil verkündenden nÒmoj Israel als Stolperstein vor die Nase gesetzt. Das erklärt die Heillosigkeit Israels bei gleichzeitigem Heil der Heiden. In dieser vorausweisenden und abschließenden Funktion zeigt sich V.30–33 deutlich als transitorischer Abschnitt. Aus dieser Analyse von V.30–33 lassen sich noch drei weitere Gesichtspunkte festhalten: Zunächst wird unsere Deutung, dass es in V.6–29 nicht um einen doppelten Israelbegriff, sondern um die Definition und Füllung der einen Heilsgruppe geht, bestätigt. Denn nach der Argumentation in V.30–33 gibt es nur das eine Ziel des Heils mit seinem einen Element der p…stij. Dieses Element wird von dem nÒmoj als das eine Element des Heils, das für alle gleichermaßen Relevanz hat, verkündet, so dass auch daraus unter Aufnahme von 3,27–31 der eine, schon immer so definierte Weg des Heils für alle (vgl. auch Röm 4) hervorgeht, und damit die eine, von Isaak bis heute bestehende, berufene Heilsgruppe übereinstimmt, die aktuell wesentlich aus Heiden besteht und zu einem so geringen Teil aus Juden, dass man davon sprechen kann, dass Israel sein ureigenstes Ziel bis jetzt nicht erreicht hat. Dieses geschah der Art und Weise der Konstitution der einen Heilsgruppe entsprechend aufgrund der Absicht und des Tuns Gottes. und der für Paulus grundlegende Unterschied der zwischen Gott und Mensch ist, dem dann auch die Struktur der Argumentation in 9–11 folgt, ist es adäquater, 9,30–33 der Gottseite 9,6ff als der Israel- (Mensch-) Seite 10,1ff zuzuordnen.
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Als zweites bestätigt sich durch V.33c erneut die Annahme, dass es bei allem souveränen und nicht verrechenbaren Handeln des nach Belieben töpfernden Gottes im Gegensatz zu dem Töpfer kein Gleichgewicht zwischen Heil und Unheil gibt, sondern dass der Verdacht des Ungleichgewichtes zum Heil im Handeln Gottes durchaus begründet ist. Denn das, was in V.33 von Gott für Israel als Anstoß zum Nicht-Heil gesetzt wird, ist in Gottes eigener Absicht doch eigentlich und wesentlich ein Element des Heiles, wie die Bestimmung Ð pisteÚwn ™p' a§tù o§ kataiscunq»setai als eigene Aussage Gottes nur allzu deutlich macht. Wenn wir hier von „Verdacht“ reden, dann soll damit ausgesagt werden, dass sich dieses Ungleichgewicht zum Heil, bzw. hier präziser gefasst, diese Zuordnung des Unheils auf das Heil hin, in V.6–33 zwar unübersehbar, aber doch nicht explizit und eigens thematisiert findet335, so wie es etwa in 3,23.24; 11,15ff.32 geschieht, wo sich dieses hier eher implizite Moment klar manifestiert und sich der Verdacht somit gleichsam erhärtet336. Daraus folgt der dritte festzuhaltende Gesichtspunkt. Schon hier wird vorbereitet und ist damit enthalten – oder auch vorsichtiger formuliert: wird nicht ausgeschlossen –, dass eine Absicht Gottes mit dem nÒmoj, dessen falsches Verständnis Israel stolpern ließ, verbunden ist, die letztlich auf Heil auch für das empirische Israel zielt. In eine solche Absicht hinein gehört auch eine das Unheil relativierende finale Zuordnung von Israels Unheil zum Heil der œqnh337. Denn die Bestimmung des l…qoj proskÒmmatoj als Absicht Gottes und seine Qualifizierung als grundsätzlich dem Heil dienend lassen im Zusammenhang mit den vorhergehenden Andeutungen eines Überschwangs des Heils im souveränen Handeln Gottes eine dahinterstehende, tiefergehende Absicht Gottes zum Heil vermuten. Das bestätigt sich dann dadurch, dass nach 11,11 Gottes Absicht beim l…qoj proskÒmmatoj und dem von ihm verursachten Stolpern zwar das Straucheln338, keineswegs aber der Fall Israels ist. Ab 11,11 beginnt dann die immer deutlicher werdende finale Zuordnung von Israels Unheil zum heidnischen Heil. Damit wird aber entgegen aller Einschätzungen eines „Widerspruches“339 oder einer „Aufhebung“ des zuvor Gesagten340 der inhaltliche Zusammenhang vom Röm 9–11 deut-
335 336 337 338 339 340
Vgl. J.D.G. Dunn, Romans II, 584. Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 340–352; auch K. Haacker, Römer, 199. Vgl. T.H. Tobin, Rhetoric, 340ff; G. Röhser, Prädestination, 143.158–161. Vgl. B.W. Longenecker, Answers, 101f; O. Hofius, Evangelium, 184 mit Anm. 35. G. Lüdemann, Paulus, 35. U. Wilckens, Römer 2, 209.
Fazit
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licher341 aufgrund sich durch die gesamte Darstellung durchziehender, planvoller Möglichkeiten und Aspekte.
5.4 Fazit Entscheidend für das Verständnis von Röm 9 ist ein exaktes Verständnis des in V.1–5a angedeuteten Israelproblems. Dieses besteht nicht in der für Schrift und Tradition an sich nicht wirklich ungewöhnlichen Heillosigkeit Israels, sondern in genau der Konstellation, dass Heiden das Heil erlangt haben, das doch eigentlich mit Israel verbunden ist (V.30– 33). Schon aufgrund dieser Problemstellung ist es ausgeschlossen, dass die immer wieder angeführte Interpretation, Röm 9,6–29 antworte auf das Israelproblem mit einer in einem doppelten Israelbegriff begründeten Scheidung innerhalb Israels und einer daraus folgenden pars-prototo-Theologie, den Text wirklich trifft. Denn mit einer solchen Aussage wäre die Frage in ihrem durch die heidnische Komponente bestimmten Wesen in keiner Weise beantwortet. Zur Beantwortung wird in V.5b ein Perspektivenwechsel vorgenommen, wie er für die Argumentation von Röm typisch ist: Das Problem muss auf der Ebene des über allem stehenden, universalen Gottes und seiner Wirklichkeit und nicht kat¦ s£rka betrachtet werden. Diese theologische Bearbeitung umfasst das gesamte Kapitel Röm 9 mit Gott als hier bestimmendem Faktor, während ab Röm 10,1 mit Israel in seinem Tun und seiner Verantwortung der menschliche Faktor auf dem Plan steht. Die Struktur der Antwort lässt sich V.6a und V.6b entnehmen. Zunächst gibt V.6a im Anschluss an den in V.5b vorgenommenen Perspektivenwechsel die Antwort, dass das Problem insofern keines ist, als Identität, Kontinuität und Konsistenz Gottes davon nicht berührt werden. Zur Begründung wird angeführt, dass „Israel“ als biblische und missverständliche Bezeichnung keineswegs vollständig von den von JakobIsrael leiblich abstammenden Juden gefüllt wird und dementsprechend auch das Wesen dieser Heilsgruppe nicht durch das empirische Israel wesentlich bestimmt sein kann. Damit verweist schon das nicht in den Juden vollständig aufgehende oátoi auf eine andere, gemischte Zusammensetzung der Heilsgruppe, die durch die doppelte Leseanweisung von V.5b und V.6a im Gegenüber zum qua Abstammung menschlich de341 Vgl. G. Dautzenberg, Gott, 128.
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finierten Israel von dem universalen Gott bestimmt wird und dementsprechend wesentlich offen für die Heiden ist. Explizit beantwortet wird die Frage nach den oátoi als den dem wirksamen, identischen Wort Gottes entsprechenden oátoi in V.24: es sind die von Gott aus Juden und Heiden Gerufenenen, zu denen auch Adressant und Adressaten gehören. Die Antwort ist damit ebenso geschichtlich aktuell wie die Fragestellung. Damit ist das Rhema von V.6b.29 aber nicht eine Scheidung innerhalb Israels, sondern die Konstitution der einen, aus Juden und Heiden bestehenden Heilsgruppe durch Gott. Dabei bindet das ka… vor ™k£lesen V.24 die ebenfalls wesentlich durch kale‹n bestimmten Aussagen über die in der Schrift ausgesagte Art und Weise der Konstitution der Heilsgruppe V.7–21 mit der aktuellen Wirklichkeit V.24 als deren identische und wirksame Verwirklichung zusammen. Auch diese Identifizierung ist ein klarer Beweis, dass es um die eine Heilsgruppe von Abraham bis ¹me‹j geht. Die Konstitution dieser Heilsgruppe wird in V.7–21 gekennzeichnet als bestimmt durch Gottes souveränes, voraussetzungsloses, vollkommen freies und menschlich total unverrechenbares Handeln, wie es in seinem Rufen (kale‹n) am prägnantesten zum Ausdruck gebracht werden kann. Diese Heilsgruppe wird dabei – entsprechend dem Desiderat von V.6b, oátoi als nicht allein durch die Juden wesentlich bestimmt sein zu lassen – in jeder biblisch erzählenden kleinen Teileinheit V.7–9.10–13.14–18 als schon immer wesentlich durch ihre Offenheit auf die Heiden hin gekennzeichnet. Dies geschieht entweder durch die Bezüge über semantisch hoch aufgeladene Stichwörter zur vorangegangenen Argumentation oder über bewusste und explizite finale Setzungen. So kann nach Röm 4 Gottes Handeln an Abraham über kale‹n, log…zein und ™paggel…a nicht anders als auch auf die Heiden zielend verstanden werden, wie dies auch durch die Reminiszenzen an die Rechtfertigungstheologie als Theologie der unterschiedslosen Inklusion der Heiden unterstrichen wird, und mit der bewussten Änderung des Zitates von Ex 9,16 wird das universale Anliegen des Heiles Gottes für den ganzen Kosmos ausgesagt. So wie also aufgrund der Offenheit der in V.7–18 geschilderten Heilsgruppe für die Heiden von einer Scheidung innerhalb Israels in der Definition der Heilsgruppe für V.24 keine Rede sein kann, so macht auch das V.24 beweisende Schriftzitat mit seiner über æj laufenden Begründung der Modalität von Gottes Rufen deutlich, dass die so gerufene Heilsgruppe sich schriftgemäß aus Heiden – quod erat demonstrandum – und Juden zusammensetzt und das Postulat von einer Rest-Theologie nicht zutreffend sein kann.
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Die vielen Schriftzitate illustrieren ebenso wie die pro-Formulierungen dabei das, was in der Überschrift mit o§k ™kpšptwken Ð lÒgoj toà qeoà ausgesagt ist: Alles bewegt sich vollkommen und wesentlich im Rahmen der Selbigkeit, Kontinuität und Konsistenz Gottes, insofern die eine durch Gott allein aus Juden und Heiden konstituierte Heilsgruppe als in dieser Art und Weise wesentlich von der Schrift ausgesagter, schon immer bestehender Wille Gottes charakterisiert wird. Damit haben wir als Lösung für das von uns aufgrund von V.30–33 definierte Israelproblem des Unheils weiter Teile Israels bei gleichzeitigem Erlangen des biblisch fundierten Heils durch die Heiden die Aussage von V.6a und V.6b: Der gegenwärtige Unheilszustand weiter Teile Israels bei gleichzeitigem Heil der Heiden ist insofern kein Problem, als man diese Sachlage von Gott aus betrachten muss, und Gott, wesentlich gekennzeichnet durch sein wirksames Wort, in keiner Weise von dieser Sachlage kritisch berührt wird. Denn sein Wort war schon immer nicht auf die Konstitution einer israeldefinierten Heilsgruppe aus, sondern auf eine Heilsgruppe, die, biblisch bezeugt, ganz anderen Kriterien als der eines ethnischen Israels folgend, wesentlich aus Juden und Heiden besteht. Insofern ist die aktuelle Situation gemischtchristlicher Gemeinden nicht eine Infragestellung Gottes, sondern seine Bestätigung. Wie es dennoch dazu kommt, dass die von Paulus verkündete und verwirklichte Situation von mehrheitlich und wesentlich auch heidenchristlich bestimmten gemischtchristlichen Gemeinden zu Anfragen und Spannungen hinsichtlich des Verständnisses von Israel und Gott führt, lässt sich letztlich nur über die Betrachtung des zugrundeliegenden Verständnisses Gottes erklären – wie nur das Verständnis Gottes dementsprechend Argument und Grundlage für die Bearbeitung der Anfragen und Spannungen sein kann: Ein Problem ergibt sich genau dann, wenn man Gott als Richter versteht, der in Entsprechung zu menschlichen Wirklichkeiten in seinem Handeln wesentlich reagiert. Ein solches Verständnis von Gott, bei dem dieser als Richter ebenso wie der gerichtete Mensch einem übergeordneten System unterliegt, würde Gott und Mensch als Richter und Gerichteten auf einer gemeinsamen Ebene des Rechts oder der Prinzipien kategorial zusammenführen. Dann wäre eine Bindung des Gottes Israels an Israel ebenso einklagbar wie die Orientierung seines Handelns an menschlichen Strukturen der ethnischen Unterschiede und der religiösen Identität. Eine Ummünzung eines un-wesentlichen prîton in eine materielle und quantitative Verbindung von Gott und Israel wäre diesem Bild ebenso entsprechend wie das Verständnis von Gott und Israel in einem beiden übergeordneten System der Bindung Gottes an Israel
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als die Kategorien vorgebend. Ein solches Gottesbild hatte in 3,1–8 zu Schwierigkeiten in der Argumentation geführt und so wird im Vergleich dazu in Röm 9 ein anderes Gottesbild etabliert. Demzufolge ist Gott wesentlich Töpfer und nicht Richter. Damit gibt es keine kategorialen Verbindungen von Gott und Mensch. Die Grenze verläuft somit zwischen Gott und Mensch und nicht zwischen dem, was einem beiden übergeordneten System entspricht und was ihm nicht entspricht. Gott als über allem und allen seiend ist ein souveräner und universaler Gott. Dementsprechend agiert Gott ohne einklagbares übergeordnetes System, souverän, voraussetzungslos, in seiner totalen Freiheit. Allerdings ist gerade in dem letzten Punkt ein deutlicher Unterschied zwischen Töpfer und Gott zu sehen. Wiewohl frei nach allen Seiten, zu Heil und Unheil, ist Gottes Unheilshandeln deutlich der Illustration seines Heilshandelns zugeordnet. Das Unheil beim Heil seines Handelns markiert das Freie, Unberechenbare, Unverrechenbare und Wundersame seines Heilshandelns, was so genau die Voraussetzung bzw. das Korrelat zu der aus der Perspektive eines auf Israel begrenzten Gottesverständnisses wundersamen und nicht ausrechenbaren Berufung der Heiden zum biblischen Heil bildet. Damit kann man aber von einer wirklichen doppelten Prädestination nur beim Töpfer selber sprechen. Bei Gott ist sein freies Unheilshandeln kein Selbstzweck, sondern deutlich auf das Heil hingeordnet, insofern es dazu dient, dessen unverrechenbare Wunderbarkeit festzuhalten und noch darüber hinaus, wie in V.22.23 in Einklang mit anderen ähnlichen Aussagen des Röm manifestiert, eine Voraussetzung für das final aus dem Unheilshandeln folgende Heilshandeln zu bilden. Bei aller kategorialen Unterscheidung und souveränen Selbstbestimmung ist Gott auch in Röm 9 deutlich und wesentlich durch den Primat seines Heils, wiederum aufgerufen auch durch den Hintergrund von Ex 34,6, bestimmt. Damit lässt sich auch bestimmen, warum das Gottesbild des Richters, wie es auch in 3,1–8 verwendet wird, unangemessener als das des Töpfers ist: Es ist nicht in der Lage den dominierenden Aspekt des ungebunden Heilschaffens Gottes zu transportieren. Dabei ist festzuhalten, dass das Thema der Identität, der Selbigkeit und Konsistenz Gottes in Röm 9 eine zentrale Rolle spielt, und etwa verglichen mit 3,21–31 noch über 3,21–31 hinausgeht, weil die Identität im Gegensatz zu 3,21–31 nicht mehr nur als argumentative Begründung fungiert, sondern selber Thema wird. Diese Frage wird auf der ganzen Linie uneingeschränkt positiv beantwortet. Und dementsprechend steht eine Aussage, die meint, Gott werde hier wie überhaupt bei Paulus christologisch neu bestimmt, indem er sich „nicht [mehr] über sein Han-
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deln in der Geschichte Israels [.] definieren lasse“342 und indem „nicht Christus [.] in den Rahmen eines feststehenden Gottesbegriffes eingezeichnet [werde], sondern umgekehrt [.] Paulus Gott von Christus her“343 begreife, in einem diametralen Gegensatz zum vorliegenden Text. Die zu Tage getretene Gottesfrage wird vielmehr so bearbeitet, dass intensiv mit dem Zeugnis der Schrift und gerade auch narrativ mit Reproduktionen der Geschichte Gottes mit Israel gearbeitet wird. Christus kommt im gesamten Abschnitt Röm 9 nicht ein einziges Mal vor, auch nicht implizit in Röm 9,33. Maßgebende Normen sind vielmehr Schrift und Tradition als Zeugen des seit jeher identischen Willens Gottes, wie es etwa in Röm 9,33 mit nÒmoj besonders deutlich greifbar wird. Der springende Punkt in Röm 9 ist ja gerade, dass eine aus der christlichen Gegenwart entstandene Frage mit dem Verweis darauf, wie sie sich aus der Perspektive des in der Schrift bezeugten Gottes darstellt, beantwortet wird,