Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union [1. Aufl. 2019] 978-3-658-27996-7, 978-3-658-27997-4

Daniele Saracino fasst den in der Europaforschung bisher zu wenig beachteten Solidaritätsbegriff systematisch für eine w

815 42 3MB

German Pages XVII, 341 [354] Year 2019

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-27996-7, 978-3-658-27997-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVII
Einleitung (Daniele Saracino)....Pages 1-14
Solidarität in der Europäischen Union (Daniele Saracino)....Pages 15-67
Solidarität in der europäischen Asylpolitik (Daniele Saracino)....Pages 69-150
Solidarität in der „Flüchtlingskrise“ (Daniele Saracino)....Pages 151-236
Synthese (Daniele Saracino)....Pages 237-282
Fazit (Daniele Saracino)....Pages 283-291
Back Matter ....Pages 293-341

Citation preview

Daniele Saracino

Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union

Solidarität in der Asylpolitik der ­Europäischen Union

Daniele Saracino

Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Wolfram Hilz

Daniele Saracino Bonn, Deutschland Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2019

ISBN 978-3-658-27996-7 ISBN 978-3-658-27997-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Geleitwort

Solidarität ist in den Jahren der vielfachen Krisen der Europäischen Union – spätestens seit der „Euro-Krise“, über die „Flüchtlingskrise“ bis zur „Brexit-Krise“ – zu einem der schillerndsten Begriffe der Gegenwart geworden. So vielfältig die unterschiedlichen Einsatzzwecke des Solidaritätsbegriffs der letzten Jahre sind, so vielfältig sind auch die Interpretationen. Unterschiedliche, oft auch gegensätzliche Auslegungen von gemeinsam in den Integrationsverträgen verankerten Begriffen sind per se nicht problematisch. Schon die Klauseln der „immer engeren Union“, der Unionsbegriff selbst oder auch die Terminologie der „gemeinsamen Politik“ weisen darauf hin, dass unscharfe Begriffe eine spezifische Rolle im Integrationsprozess spielen. Vielfach helfen Sie dabei, durch – sprichwörtliche – Formelkompromisse endlose Debatten auf europäischer Ebene zu beenden. Zugleich können Interpretationsspielräume von den EU-Partnern innenpolitisch dazu genutzt werden, Widerstände gegen Gemeinschaftsprojekte argumentativ aus dem Weg zu räumen. Unschärfen bzw. bewusst offengelassene inhaltliche Präzisierungen führen jedoch auch immer wieder zu Auseinandersetzungen, da Ungenauigkeit in einem ansonsten sehr stark regelbasierten Projekt ein Widerspruch in sich zu sein scheint. Und sobald der Versuch unternommen wird, auf europäischer Ebene gemeinsame Auslegungen für diffuse europäische Begriffe zu erreichen, ist Streit meist vorprogrammiert. Daniele Saracino hat im vorliegenden Werk den Solidaritätsbegriff als Fokussierungspunkt der widersprüchlichen, teils nicht mehr auf einen Nenner zu bringenden Diskussion im Kontext der gemeinsamen Asylpolitik der Europäischen Union in den Mittelpunkt gerückt. Hierbei treibt ihn das Anliegen an, klarzumachen, inwiefern der insbesondere in der gemeinsamen europäischen Asylpolitik wiederholt implizit, aber auch explizit erwähnte Solidaritätsbegriff eine Schlüsselrolle spielt, um die Schwierigkeiten in diesem Politikbereich der EU zu verstehen. Er beschäftigt sich bei seiner Forschung zugleich mit der sehr grundsätzlichen Frage nach der generellen Bedeutung des Solidaritätsbegriffs in der Europäischen Union über die europäische Asylpolitik hinaus. Dabei gelingt es ihm

VI

Geleitwort

unter Rückgriff auf die Begriffsgeschichte von Solidarität in überzeugender Weise nachvollziehbar zu machen, warum ein gemeinsames Solidaritätsverständnis unter den Mitgliedern der EU die Vorbedingung von Integration in jeder Hinsicht ist: Wenn nämlich Solidarität eingefordert werden muss bzw. abgelehnt werden kann, wie in der Migrationskrise seit 2015 geschehen, ist dies schlicht Ausdruck eines fehlenden Solidaritätsverständnisses. Es ist angesichts dieses klaren Befundes spannend zu lesen, wie Daniele Saracino herausarbeitet, über welche defizitären Konstruktionen des unsolidarischen „Dublin-Systems“ alle EU-Mitglieder jahrzehntelang versucht haben, das als Gemeinschaftsanliegen identifizierte Politikfeld „Flucht und Asyl“ trotz eklatanter Gründungsmängel fortzuschreiben. Die Ereignisse des Herbstes 2015 – begrifflich als „europäische Flüchtlingskrise“ in der Öffentlichkeit verankert – sind folglich Ausdruck einer grundlegenden „Solidaritätskrise“ unter den EU-Partnern, wie der Verfasser nachvollziehbar herausarbeitet. So präzise und im Ergebnis klar die Analyse der Solidaritätsdefizite durch Daniele Saracino ausfällt, so gewinnbringend sind auch seine darüber hinausgehenden Reformvorschläge: In einer von vielen kritisch beurteilten Phase der europäischen Integration wird es unvermeidbar sein, sich lange akzeptierter Formelkompromisse zu entledigen. Nicht nur in der Asylpolitik, sondern sehr grundlegend müssen sich alle EU-Partner im Klaren darüber werden, ob sie das Integrationsprojekt gemeinsam solidarisch reformieren, oder doch lieber verlassen wollen – andernfalls würde der aktuell dominierende Streit zwischen den Mitgliedern zum selbstzerstörerischen Dauerzustand. Das vorgelegte Buch von Daniele Saracino ist somit einerseits ein zentraler Beitrag zum Verständnis der tiefliegenden Probleme in der europäischen Asylund Flüchtlingspolitik, andererseits aber auch ein wichtiges Forschungsdesiderat zum europäischen Integrationsprozess und dessen innewohnenden Widersprüchen. Es ist zu wünschen, dass die hier vorgelegte Arbeit die zahlreichen Leser anregen möge, die Diskussion weiterzuführen, um angesichts vielfach feststellbarer destruktiver Dynamiken, positiveren Überlegungen in einem eng verflochtenen Europa Argumente zu liefern. Prof. Dr. Wolfram Hilz Bonn, im August 2019

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2019 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Forschungsrelevante Ereignisse wurden bis zum Jahreswechsel 2018/2019 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfram Hilz. Er gewährte mir in meiner Forschung größtmögliche Freiheit, stand mir stets mit hilfreichem Rat zur Seite und förderte meine akademische Laufbahn auf vielfältige Weise. Einen besseren Betreuer hätte ich mir nicht wünschen können. Herzlich danken möchte ich auch Prof. Dr. Ludger Kühnhardt für die Anfertigung des Zweitgutachtens. Dr. Volker Best, Dr. Domenica Dreyer-Plum, Florian Engels, Dr. Jörg Löschke und Dr. Shushanik Minasyan verdanke ich wertvolle Anmerkungen am Manuskript der Arbeit, die mich bei der Fertigstellung maßgeblich weitergebracht haben. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Mutter Rosanna, die große Entbehrungen auf sich genommen hat, um ihren beiden Kindern als ersten im Familienstammbaum einen Hochschulabschluss zu ermöglichen. Ich habe es dank ihr nun sogar zur Promotion geschafft. Grazie mamma! Daniele Saracino Köln, im August 2019

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung .................................................................................................1 1.1. Fragestellung ............................................................................................. 1 1.2. Forschungsstand ........................................................................................ 5 1.3. Aufbau und Methodik ............................................................................. 10 2 Solidarität in der Europäischen Union .................................................... 15 2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität........................................................... 18 2.1.1. Ursprung im römischen Recht ......................................................... 19 2.1.2. Adaption im Zuge der Französischen Revolution ............................ 20 2.1.3. Neuausrichtung im postrevolutionären Frankreich .......................... 21 2.1.4. Wirkung in der Arbeiterbewegung ................................................... 23 2.1.5. Verwendung in der aufkommenden Soziologie: Comte und Durkheim ......................................................................................... 25 2.1.6. Der französische Solidarismus ......................................................... 29 2.1.7. Solidarität in der katholischen Soziallehre ....................................... 31 2.1.8. Solidarität in der Gegenwartsdebatte: Habermas und Honneth........ 34 2.1.9. Zusammenfassung: Das Konzept der Solidarität ............................. 37 2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union ................................. 41 2.2.1. Die Europäische Union als „Rechtsgemeinschaft“ .......................... 42 2.2.2. Das Solidaritätsprinzip als conditio sine qua non der Europäischen Union ......................................................................... 45 2.2.2.1. Solidarität und Gemeinwohl in der Europäischen Union .......... 45

X

Inhaltsverzeichnis 2.2.2.2. Verrechtlichung des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union ................................................................. 50 2.2.3. Das Solidaritätsprinzip im Vertrag von Lissabon ............................ 52 2.2.3.1. Integrationshistorischer Hintergrund ........................................ 52 2.2.3.2. Werte, Grundsätze und Ziele des Vertrags von Lissabon ......... 55 2.2.3.3. Das Loyalitätsprinzip ................................................................ 57 2.2.4. Das Solidaritätsprinzip in den asylpolitischen Zielvorgaben des Vertrags von Lissabon ..................................................................... 61 2.3. Zusammenfassung ................................................................................... 64

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik ............................................. 69 3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem ..... 71 3.1.1. Die rechtlich-politische Ausgangssituation in der europäischen Asylkooperation ............................................................................... 71 3.1.2. Der Beginn: Die „TREVI“-Zusammenarbeit ................................... 74 3.1.3. Von „Schengen“ zu „Dublin“ .......................................................... 75 3.1.4. Die Auswirkungen der weltpolitischen Umwälzungen um 1990 ..... 79 3.1.5. Vom Maastrichter Vertrag bis zum Programm von Tampere .......... 85 3.1.6. Die Massenzustrom-Richtlinie ......................................................... 89 3.1.7. Die erste Phase des GEAS ............................................................... 92 3.1.8. Die zweite Phase des GEAS ............................................................ 95 3.2. Solidarität im Dublin-System ................................................................ 101 3.2.1. Beschaffenheit und Ziele des Dublin-Systems ............................... 102 3.2.2. Hintergründe zur Zuständigkeitsallokation im Dublin-System ...... 104 3.2.3. Von Dublin I zu Dublin II .............................................................. 108 3.2.4. Von Dublin II zu Dublin III ........................................................... 111 3.2.5. Verletzung des Solidaritätsprinzips durch das Dublin-System ...... 115

Inhaltsverzeichnis

XI

3.2.6. Höchstrichterliche Eingriffe in das Dublin-System ....................... 119 3.2.7. Konsequenzen des Dublin-Systems für das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union............................................................. 123 3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) ......................... 125 3.3.1. Der Beginn der finanziellen Solidaritätskomponente ..................... 126 3.3.2. Entwicklung zum AMIF ................................................................ 127 3.3.3. Einordnung und Problematisierung ................................................ 129 3.4. Solidarität im Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) ............................................................................... 138 3.4.1. Ziele und Umsetzung ..................................................................... 139 3.4.2. Hintergründe .................................................................................. 140 3.4.3. Einordnung und Problematisierung ................................................ 141 3.5. Zusammenfassung und Bewertung ........................................................ 143 4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“ ..................................................... 151 4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt zu Beginn des Arabischen Frühlings............................................................................. 152 4.1.1. Der Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien ........................ 153 4.1.2. Der internationale Militäreinsatz im libyschen Bürgerkrieg .......... 153 4.1.3. Der italienisch-französische Konflikt als Ergebnis der Migrationsbewegungen über das Mittelmeer ................................. 157 4.1.4. Die Lösung des Konfliktes: Das „Schengen Governance Package“ ........................................................................................ 159 4.1.5. Einordnung der europäischen Antwort auf die Migrationsbewegungen über das Mittelmeer im Jahr 2011 ........... 162 4.1.6. Bewertung hinsichtlich der Solidarität in der europäischen Asylpolitik und der „Flüchtlingskrise“ .......................................... 165 4.2. Der Weg zur „Flüchtlingskrise“ ............................................................ 169

XII

Inhaltsverzeichnis 4.2.1. Der Beginn des syrischen Bürgerkriegs ......................................... 169 4.2.2. Die Flüchtlingstragödie vor Lampedusa am 3. Oktober 2013 und ihre Folgen .............................................................................. 170 4.2.3. Von „Mare Nostrum“ bis „Triton“ ................................................. 173 4.2.4. Die asylpolitischen Leitlinien des Europäischen Rates ab 2014 .... 175 4.2.5. Die humanitäre Notlage der Syrer in Folge des Bürgerkriegs........ 177

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“ ....... 179 4.3.1. Asylantragszahlen in der EU .......................................................... 179 4.3.2. Auftakt im April 2015: Der Zehn-Punkte-Plan des Rates .............. 180 4.3.3. Die „Migrationsagenda“ der Kommission ..................................... 182 4.3.4. Die Militäroperation „Sophia“ ....................................................... 186 4.3.5. Der erste Umsiedlungsbeschluss und das Neuansiedlungsprogramm ....................................................................................... 187 4.3.6. Intensivierung der Wanderungsbewegungen in die EU ................. 188 4.3.7. Eskalation im Spätsommer 2015 .................................................... 190 4.3.8. Der zweite Umsiedlungsbeschluss des Rates ................................. 192 4.3.9. Die „Hotspots“ ............................................................................... 194 4.3.10. Die Schließung der Balkanroute .................................................. 196 4.3.10.1. Deutschland beginnt Grenzkontrollen und beendet den Selbsteintritt ........................................................................... 196 4.3.10.2. Kettenreaktion von Grenzschließungen entlang der Balkanroute ............................................................................ 201 4.3.11. Die EU-Türkei-Erklärung ............................................................ 203 4.3.11.1. Einordnung und Problematisierung ...................................... 204 4.3.11.2. Bilanz .................................................................................... 207 4.3.12. Finanzielle Hilfsmechanismen ..................................................... 209 4.3.13. Das Ende der Krise? Die Entwicklungen im Jahr 2018 ............... 211

Inhaltsverzeichnis

XIII

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Symptom einer innereuropäischen Solidaritätskrise ..................................................................................... 216 4.4.1. Die Problematik des zweiten Umsiedlungsbeschlusses des Rates .................................................................................................. 218 4.4.1.1. Die Begründungen der mit „Nein“ stimmenden Mitgliedstaaten ....................................................................... 219 4.4.1.2. Die Klagen gegen den Ratsbeschluss vor dem EuGH ............ 224 4.4.1.3. Bilanz des Ratsbeschlusses ..................................................... 228 4.4.2. Bewertung: Eine neue Qualität der Solidaritätskrise...................... 229 4.5. Zusammenfassung und Bewertung ........................................................ 231 5 Synthese ............................................................................................... 237 5.1. Bewertung der asylpolitischen Maßnahmen anhand des Solidaritätskonzeptes ............................................................................. 237 5.1.1. Das Dublin-System ........................................................................ 239 5.1.2. AMIF und EASO ........................................................................... 240 5.1.3. Der Ratsbeschluss vom 22. September 2015 ................................. 241 5.1.4. Zusammenfassende Bewertung ...................................................... 242 5.2. Die aktuelle Reform der Dublin-III-Verordnung................................... 244 5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System ................................................. 254 5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration................................... 267 6 Fazit ..................................................................................................... 283 Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................... 293

Abkürzungsverzeichnis

ABl.

Amtsblatt der Europäischen Union

Abs.

Absatz

AEMR

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

AfD

Alternative für Deutschland

AMIF

Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

Art.

Artikel

BAMF

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

BIP

Bruttoinlandsprodukt

BMI

Bundesinnenministerium

EASO

Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen

EFF

Europäischer Flüchtlingsfonds

EGKS

Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EP

Europäisches Parlament

Erw.

Erwägungsgrund

ESI

Emergency Support Instrument

EU

Europäische Union

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Union

EUNAVFOR MED

European Union Naval Force – Mediterranean

XVI

Abkürzungsverzeichnis

Eurodac

European Dactyloscopy – europäische Datenbank zum Abgleich von Fingerabdrücken

EUROSUR

European Border Surveillance System

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

Fidesz

Magyar Polgári Szövetség – Ungarischer Bürgerbund

FPÖ

Freiheitliche Partei Österreichs

Frontex

Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache

GAMM

Global Approach to Migration and Mobility

GEAS

Gemeinsames Europäisches Asylsystem

GFK

Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge – Genfer Flüchtlingskonvention

GRCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

Herv.

Hervorhebung

HGAM

Hochrangige Gruppe Asyl und Migration

i. O.

im Original

ISF

Fonds für die innere Sicherheit

MEP

Mitglied des Europäischen Parlaments

NATO

North Atlantic Treaty Organization

NGO

Non-governmental Organization

o. J.

ohne Jahr

o. O.

ohne Ort

o. V.

ohne Verfasser

ÖVP

Österreichische Volkspartei

Abkürzungsverzeichnis

XVII

PiS

Prawo i Sprawiedliwość – Recht und Gerechtigkeit

RFSR

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Rn.

Randnummer

SDÜ

Schengener Durchführungsübereinkommen

SGP

Schengen Governance Package

UN

United Nations

UNHCR

United Nations High Commissioner for Refugees

WFP

World Food Programme

1 Einleitung

1.1. Fragestellung „Der Begriff klingt einerseits so warm, gemütlich und, obwohl ein Fremdwort, vertraut, daß [sic!] sich jeder mit ihm anfreunden kann; andererseits scheint seine Allgemeinheit noch allemal ein Schlupfloch offenzulassen, durch das sich der einzelne, wenn es bedrohlich wird, konkreteren Verhaltensaufforderungen mit einer von Fall zu Fall variierenden Begründung entziehen kann.“1

Die Rede ist hier von Solidarität. Uwe Volkmann verweist bei seiner Beschreibung des Begriffs auf die durchweg positive Konnotation, die mit ihm gemeinhin verbunden wird. Wahrscheinlich macht genau diese Beobachtung seine mannigfaltige Verwendung erklärbar, die den Begriff zum „wohl unersetzbaren Hoffnungs- und Sehnsuchtswort der Gegenwart werden lässt.“2 Gleichzeitig bringt das Zitat zum Ausdruck, dass die Nutzung des Begriffs oftmals keine ernstzunehmenden Konsequenzen nach sich zieht, weswegen man ihn auch schon als „inhaltslose Beschwörungsformel“3 bezeichnet hat. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Solidarität als schillernder, diffuser, im öffentlichen Gebrauch fast ubiquitär wirkender Begriff. Seine Verwendungsbezüge sind vielfältig: Er veranschaulicht das Verhalten in familiären oder freundschaftlichen Verhältnissen, spiegelt den Zusammenhalt in Vereinen, Parteien oder Verbänden wider, fordert auf zur Hilfe für in Not geratene Einzelpersonen oder Gruppen, wirbt für Unterstützung in politischen Kampagnen, beschreibt einen Kerngedanken hinter dem Wohlfahrtsstaat oder den internationalen Beziehungen zwischen Staaten. Solidarität kann ebenso ganz abstrakt den „sozialen Kitt“4 einer

1 2

3

4

Volkmann, Uwe (1998): Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, Tübingen, S. 1. Große Kracht, Hermann-Josef (2017): Solidarität und Solidarismus. Postliberale Suchbewegungen zur normativen Selbstverständigung moderner Gesellschaften, Bielefeld, S. 10. Böhr, Christoph (2006): Solidarität: Anmerkungen zu einem politischen Begriff, in: Bermes, Christian/Henckmann, Wolfhart/Leonardy, Heinz (Hg.): Solidarität. Person & Soziale Welt, Würzburg, S. 49-60, S. 54. Laitinen, Arto/Pessi, Anne Birgitta (2015): Solidarity: Theory and Practice. An Introduction, in: Dies. (Hg.): Solidarity. Theory and Practice, Lanham, S. 1-29, S. 9.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Saracino, Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4_1

2

1 Einleitung

Gesellschaft bezeichnen. Der Bezug des Solidaritätsbegriffs umfasst mehrere Dimensionen und erstreckt sich über eine Vielzahl von Lebensbereichen und wissenschaftlichen Disziplinen. Darüber hinaus kann sein Bedeutungsgehalt je nach Sichtweise variieren. Im Grunde erweckt die Mannigfaltigkeit der Nutzung den Anschein, dass nicht einmal im Ansatz ein Einvernehmen darüber besteht, was unter Solidarität eigentlich genau zu verstehen ist. Dies lässt den Begriff einerseits willkürlich und verwässert wirken, macht seine Nutzung aufgrund seiner positiven Wirkung andererseits aber auch so reizvoll. Besonders deutlich wird dies im Kontext der Europäischen Union, wo Solidarität bereits im Gründungsakt der Europäischen Integration als „solidarité de fait“5 Eingang fand. Im letzten Jahrzehnt hat der Begriff in der EU noch einmal eine Konjunktur erfahren: Zum einen durch den Vertrag von Lissabon, in dem er 16 Mal vorkommt und in dem zwei explizite Solidaritätsartikel implementiert wurden.6 Zum anderen im Zuge der zwei großen Krisen: Der „Eurokrise“ und der „Flüchtlingskrise“. Gerade letztere hat sich ins öffentliche Bewusstsein eingebrannt wie kaum eine zweite Krise in der Geschichte der Union. Die sich wiederholenden Schiffstragödien im Mittelmeer,7 der Treck von Flüchtenden8 über die Balkanroute via Ungarn nach Österreich und Deutschland9 und vor allem das Bild der an der türkischen Mittelmeerküste angespülten Leiche des dreijährigen Jungen Alan Kurdi10 haben die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Asylpolitik 5

6 7

8

9

10

Schuman-Erklärung – 9. Mai 1950, http://europa.eu/about-eu/basic-information/symbols/europe-day/schuman-declaration/index_de.htm, letzter Zugriff am 07.01.19. Näheres dazu in Kap. 2.2.3.1. Vgl. Art. 80 AEUV und Art. 222 AEUV. Allein in den Jahren 2015 und 2016 zählte das UNHCR knapp 9.000 Tote. Vgl. UNHCR (2019): Mediterranean Situation, https://data2.unhcr.org/en/situations/mediterranean, abgerufen am 27.02.2019. Flüchtlinge sind genau genommen nur solche Personen, die im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention als solche anerkannt wurden. Umgangssprachlich werden aber meist alle sich auf der Flucht befindenden Menschen als Flüchtlinge bezeichnet. Zum Wohle der Präzision wird diese Arbeit auf diese umgangssprachliche Nutzung möglichst verzichten und nur dann verwenden, wenn es sich um weitestgehend feststehende Begriffe (z. B. „Flüchtlingskrise“) oder Paraphrasierungen handelt. In anderen Fällen werden in dieser Arbeit präzisere Bezeichnungen wie „Flüchtende“, „Geflüchtete“, „Asylsuchende“ oder „Schutzsuchende“ verwendet. Vgl. Amjahid, Mohamed (2015): Der Flüchtlingsmarsch der Hoffnung: Auf der Autobahn nach Wien, Tagesspiegel, 04.09.2015, https://www.tagesspiegel.de/politik/der-fluechtlingsmarsch-der-hoffnung-auf-der-autobahn-nach-wien/12280574.html, abgerufen am 27.02.2019. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2015a): Mittelmeer: Foto eines toten Jungen wird zum Symbol der Flüchtlingskrise, 03.09.2015, https://www.zeit.de/politik/ausland/2015-09/mittelmeer-fotosymbol-fluechtlingskrise, abgerufen am 27.02.2019.

1.1. Fragestellung

3

der Europäischen Union ausgerichtet, die seit dem Spätsommer 2015 unter besonderen Druck geriet. Die Frage nach Solidarität stand dabei stets im Mittelpunkt, sei es in Bezug auf die Kooperation der Mitgliedstaaten untereinander oder sei es bezogen auf den Umgang mit Asylsuchenden. Besonders deutlich wurde dies bei den öffentlichkeitswirksamen Debatten um die Verteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten der EU. So haben sich einige Mitgliedstaaten einem Ratsbeschluss vom September 2015 verweigert, der schutzberechtigte Personen von Italien und Griechenland in den Rest der EU umverteilen sollte. Dieser innereuropäische Konflikt bestand auch weiter, nachdem der Europäische Gerichtshof den Ratsbeschluss zwei Jahre später für rechtens erklärt hatte.11 Ferner konnte man in den letzten Jahren beobachten, wie die Seenotrettung auf dem Mittelmeer immer mehr in Misskredit geriet, unter anderem weil die EU-Mitgliedstaaten untereinander keine solidarische Lösung für die Übernahme der Geretteten finden konnten und Asylsuchende von der Überfahrt abgehalten werden sollen.12 Die „Flüchtlingskrise“ hat tiefe Gräben in der asylpolitischen Kooperation in der EU aufgedeckt, die offensichtlich sehr eng mit der Frage nach der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten verknüpft sind. Dementsprechend gewinnt ein Forschungsinteresse an der Untersuchung des Zusammenhangs von Solidarität und der Asylpolitik der Europäischen Union hohe politikwissenschaftliche Relevanz. Dazu muss einerseits geklärt werden, was unter Solidarität überhaupt zu verstehen ist; andererseits muss die Bedeutung von Solidarität in der Europäischen Union allgemein und in der europäischen Asylpolitik im Speziellen ergründet werden, denn: „Auch bei der Analyse der EU kommt es auf das Wort an.“ 13 Vor dem Hintergrund, dass Solidarität ein schwer zu fassender Begriff ist, der gleichzeitig aber von erheblicher Wichtigkeit in der Europäischen Union und ihrer Asylpolitik ist, wird das Forschungsdesiderat deutlich: Den Zusammenhang von Solidarität in der 11

12

13

Vgl. MacDonald, Alastair/Sinner, Michele (2017): EU refugee court ruling triggers new eastwest feuding, Reuters, 06.09.2017, https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-easteurope/eu-refugee-court-ruling-triggers-new-east-west-feuding-idUSKCN1BG35V, abgerufen am 27.02.2019. Eine besonders erhitzte Debatte entlud sich in Deutschland um einen Zeitungsartikel, in welchem pro und contra der Seenotrettung entgegengestellt wurden. Vgl. Lau, Miriam/Lobenstein, Caterina (2018): Seenotrettung – Oder soll man es lassen?, Zeit Online, 11.07.2018, https://www.zeit.de/2018/29/seenotrettung-fluechtlinge-privat-mittelmeer-pro-contra/komplettansicht, abgerufen am 27.02.2019. Kühnhardt, Ludger (2019): „Was braucht es, um die Bürger künftig wieder für die EU zu begeistern?“, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, Online First Articles, https://link.springer.com/article/10.1007/s41358-019-00168-5, abgerufen am 07.02.2019, S. 2.

4

1 Einleitung

Europäischen Union und ihrer Asylpolitik operationalisierbar und analysierbar zu machen, um nachvollziehbare, plausible Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck lässt sich die vorliegende Dissertation von der Forschungsfrage leiten, welche Rolle Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union spielt. Ziel dieser Arbeit ist mithin zu klären, ob Solidarität in der Europäischen Union und ihrer Asylpolitik besteht. Da sich aus den grundlegenden europäischen Regelungen keine Definition herauslesen lässt, muss die Bedeutung des Begriffs erfasst werden. Somit wird eine wissenschaftliche Bestimmung des Solidaritätsbegriffs und seiner Übersetzung in die Sphäre der Europäischen Union erforderlich. Ferner muss untersucht werden, ob sich möglicherweise spezifische Ausprägungen von Solidarität im Bereich der Asylpolitik erkennen lassen. Dabei ist die Differenzierung der Politikbereiche wichtig: Grenzschutz, Einwanderung und Asyl sind verschiedene Regelungsbereiche, die auch im Primärrecht entsprechend unterteilt sind.14 Es ist also auf eine strikte Eingrenzung auf die asylpolitischen Belange zu achten. Die Forschungsfrage soll einige Desiderate angehen und forschungsrelevante Beiträge liefern, die sich aus den bisherigen Überlegungen ergeben. Es ist wichtig, in dieser Arbeit zu klären, was Solidarität überhaupt bedeutet, und einen Beitrag zur Theoretisierung des Begriffs zu leisten. Ebenso wird angestrebt, das Wesen und die Charakteristik von Solidarität als Grundsatz in der Europäischen Union zu explizieren. Auf Basis dieser grundlegenden Erkenntnisse soll geklärt werden, welche Ausprägung das Solidaritätsprinzip in der Asylpolitik findet und ob sich in diesem spezifischen Zusammenhang systemimmanente Probleme feststellen lassen. Dies soll den Blick darauf freilegen, welche strukturellen Probleme mit Solidarität in der Asylpolitik bestehen und wie sich diese in der „Flüchtlingskrise“ geäußert haben. So soll ein Beitrag zur Erforschung der Ursachen der „Flüchtlingskrise“ geleistet werden. Ein weiteres Ziel besteht mithin darin, die Auswirkungen von Solidaritätsproblematiken in der Asylpolitik auf die gesamte Union in den Blick zu nehmen. Letztendlich soll ein Verständnis dafür erlangt werden, was Solidarität in der Europäischen Union und ihrer Asylpolitik bedeutet, welche Rolle sie in diesem Kontext spielt, welche Probleme in diesem Verhältnis

14

Der Bereich Grenzschutz bzw. Grenzkontrollen wird unter Art. 77 AEUV geregelt, der Bereich Asylpolitik in Art. 78 AEUV und der Bereich Einwanderung in Art. 79 AEUV.

1.2. Forschungsstand

5

auftreten und welche Auswirkungen dies im Unionszusammenhang hat. Ein solches Forschungsdesign ist in der Forschung bisher einmalig, bedient zahlreiche Erkenntnisdesiderate und nimmt sich einer erheblichen Forschungslücke an.

1.2. Forschungsstand In Bezug auf die erkannte Forschungslücke ist zuerst einmal feststellbar, dass bisher keine ausreichende Theoriebildung zum Solidaritätsbegriff stattgefunden hat, obwohl er omnipräsent zu sein scheint.15 Dies wird gemeinhin folgendermaßen erklärt: Der Solidaritätsbegriff ist im Gegensatz zu Begriffen wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit in seiner theoretischen und analytischen Bearbeitung randständig.16 Zum einen liegt dies an der Jugend seiner Relevanz: Bei den Klassikern der politischen Philosophie von Platon bis Rawls findet der Begriff keine oder keine nennenswerte Berücksichtigung. Er gewinnt erst im Laufe des 19. Jahrhunderts – primär in Frankreich – außerhalb eines ursprünglich rein rechtlichen Kontextes an Prominenz. Ganz grundsätzlich liegt die Randständigkeit aber an der Dominanz derjenigen Auffassung der neuzeitlichen Philosophie, die eine Prävalenz der kognitivistisch begründeten Pflichtenethik und ihres Universalisierungsgebots mit sich bringt.17 Das heißt, dass erstens die Begründung universeller Normen im Vordergrund steht: Verpflichtungen ergeben sich nur für das Individuum und die Menschheit als Ganzes.18 Partikulare Gemeinschaften, auf die sich Solidarität bezieht, werden gemeinhin nicht als Referenzobjekte für moralische Normen anerkannt. Das zweite Problem in dieser Dominanz ist die Formulierung von positiven Pflichten durch den Solidaritätsbegriff. Darunter fallen beispielsweise Hilfspflich-

15

16

17

18

Vgl. Wilde, Lawrence (2007): The Concept of Solidarity: Emerging from the Theoretical Shadows?, in: The British Journal of Politics and International Relations, Jg. 9 (1), S. 171181, S. 171. Vgl. Bayertz, Kurt (1998): Begriff und Problem der Solidarität, in: Ders. (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 11-53, S. 12f. Vgl. Münkler, Herfried (2004): Enzyklopädie der Ideen der Zukunft: Solidarität, in: Beckert, Jens et al. (Hg.): Transnationale Solidarität. Chancen und Grenzen, Frankfurt a. M., S. 15-28, S. 17. Vgl. Bayertz (1998): S. 13.

6

1 Einleitung

ten. In der modernen Philosophie ist die Freiheit der höchste Wert und die Individualität das Ideal.19 Der Fokus liegt eher auf Unterlassungspflichten, die die legitimen Interessen der Individuen absichern. Freiheit und Gleichheit zum Beispiel formulieren subjektive Rechte von Individuen, die als universell angesehen werden. Exemplarisch sind hier die Menschenrechte zu nennen. Die von Gruppen oder Gemeinschaften ausgehenden Ansprüche und Pflichten werden als heteronom angesehen und stehen damit im Widerspruch zur Vorstellung von universeller Freiheit und individueller Selbstbestimmung in der dominierenden Grundhaltung der Philosophie.20 Vor diesem Hintergrund stellt Hermann-Josef Große Kracht treffend fest: „Von daher ist heute ein nahezu vollständiges Fehlen anspruchsvoller Solidaritätstheorien der modernen Gesellschaft festzustellen, die es in Sachen interdisziplinärer Fundierung, systematischer Entfaltung, argumentativer Stringenz und allgemeiner Zustimmungsfähigkeit auch nur ansatzweise mit den verschiedenen, oft hoch differenziert ausgearbeiteten Freiheits-, Gleichheits- und Gerechtigkeitstheorien aufnehmen können, die der politische Liberalismus in seiner langen Erfolgs- und Dominanzgeschichte in immer neuen Anläufen auflegen und etablieren konnte. Man kann vor diesem Hintergrund schon froh sein, wenn im gesellschaftstheoretischen und politikphilosophischen Diskurs der Gegenwart das Fehlen einer angemessenen Solidaritätstheorie überhaupt hinreichend bemerkt und als Desiderat deutlich zur Sprache gebracht wird“21

Besonders stark verdeutlicht wird dieser Befund bei der Durchsicht von einschlägigen Lexika oder Periodika, die Begriffe zu ihrem Hauptgegenstand haben. So führen weder die „Geschichtlichen Grundbegriffe“, das „Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680-1820“, die „Contributions to the History of Concepts“, das „Archiv für Begriffsgeschichte“ oder die „Stanford Encyclopedia of Philosophy“ Artikel zu Solidarität. Erst in jüngster Zeit haben sich Versuche in verschiedenen geisteswissenschaftlichen Teildisziplinen herausgebildet, dem Solidaritätsbegriff theoretisch

19 20 21

Vgl. Münkler (2004): S. 17. Vgl. Bayertz (1998): S. 14. Große Kracht (2017): S. 12f.

1.2. Forschungsstand

7

auf den Grund zu gehen. Seit den 1990er Jahren haben sich dieses Desiderats vereinzelt Autoren22 angenommen, alle weisen aber stets ausdrücklich auf die nicht intendierte Letztgültigkeit und die Veränderbarkeit ihrer Ergebnisse hin. 23 In den meisten Fällen verzichten die Autoren jedoch auf eine forschungsadäquate Systematisierung von Solidarität, übernehmen bereits vorhandene, unzulängliche Definitionen oder bestimmen sie intuitiv; dadurch werden ihre Solidaritätskonzeptionen unzureichend für eine theoretische Debatte.24 Dadurch leidet der Solidaritätsbegriff an einer chronischen Unterbestimmtheit und unterliegt einer uneinheitlichen, heterogenen, oft intuitiven und damit ungenauen Nutzung25 – im Übrigen unabhängig von den geisteswissenschaftlichen Teildisziplinen.26

22

23

24

25

26

Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit nicht ausdrücklich in geschlechtsspezifische Personenbezeichnungen differenziert. Die gewählte männliche Form schließt eine adäquate weibliche Form gleichberechtigt ein. Vgl. Hondrich, Karl Otto/Koch-Arzberger, Claudia (1992): Solidarität in der modernen Gesellschaft, Frankfurt a. M.; Piazolo, Michael (2004): Solidarität. Deutungen zu einem Leitprinzip der Europäischen Union, Würzburg; Wildt, Andreas (1998): Solidarität – Begriffsgeschichte und Definition heute, in: Bayertz, Kurt (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 202-216. In der politikwissenschaftlichen Bearbeitung ist hier beispielsweise auf die Konzeption von Knodt/Tews/Piefer zu verweisen, die Solidarität in der Europäischen Union zu systematisieren suchen, dies aber nur auf einer äußerst schwachen begriffstheoretischen Basis tun. Vgl. Knodt, Michèle/Tews, Anne/Piefer, Nadine (2015): Formen der Solidarität in der Europäischen Union, in: Kneuer, Marianne/Masala, Carlo (Hg.): Solidarität. Politikwissenschaftliche Zugänge zu einem vielschichtigen Begriff, Baden-Baden, S. 107-131. Letztendlich berufen sie sich gar auf eine Definition bei Bayertz (1998), die selbst unzureichend ist, anstatt eine eigene zu erarbeiten. Dementsprechend fehlt in ihrer Analyse des Bereiches der europäischen Asylpolitik ebenfalls eine notwendige Konzeption und Ausdifferenzierung. Vgl. Löschke, Jörg (2015): Solidarität als moralische Arbeitsteilung, Münster, S. 9ff; Stjernø, Steinar (2005): Solidarity in Europe. The history of an idea, Cambridge, S. 19ff.; Müller, Andreas Th. (2010): Solidarität als Rechtsbegriff im Europarecht, in: Sedmak, Clemens (Hg.): Solidarität. Vom Wert der Gemeinschaft, Darmstadt, S. 77-104, S. 101; Gussone, Peter (2006): Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union und seine Grenzen, Berlin, S. 29f.; Wildt (1998): S. 210ff. Für die Rechtswissenschaft beispielhaft: Kücük, Esin (2016): Solidarity in EU Law. An Elusive Political Statement or a Legal Principle with Substance?, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 23 (6), S. 965-983; Klamert, Marcus (2014): The Principle of Loyalty in EU Law, Oxford; Hieronymi, Tonia (2003): Solidarität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, Frankfurt a. M.; Lais, Martina (2007): Das Solidaritätsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, Baden-Baden; Gussone (2006). Für die philosophische Bearbeitung: Hondrich/Koch-Arzberger (1992); Pankoke, Eckart (1995): Grenzen der Solidarität. Vom Mit-Leid zur Solidar-Partnerschaft, in: Orsi, Giuseppe et al. (Hg.): Solidarität, Frankfurt a. M., S. 81-105. Für die Soziologie: Tranow, Ulf (2012): Das Konzept der Solidarität. Handlungstheoretische Fundierung eines soziologischen Schlüsselbegriffs, Wiesbaden; Zürcher, Markus Daniel (1998): Solidarität, Anerkennung und Gemeinschaft. Zur Phänomenologie,

8

1 Einleitung

Von diesem Makel ist auch die Politikwissenschaft betroffen, und das obwohl der Begriff in politischen Debatten omnipräsent zu sein scheint. Dies gilt für den medialen Diskurs ebenso wie für den wissenschaftlichen, in dem ein Forschungsdesign wie das der vorliegenden Arbeit erstaunlicherweise absent ist. 27 Ein konkretes Beispiel soll das Problem illustrieren: In einem Aufsatz zu Solidarität in bestimmten Aspekten der Asylpolitik beruft sich die renommierte Expertin Evangelia Tsourdi28 auf eine Solidaritätsdefinition von Peter Hilpold,29 der seine Konzeption wiederum von den in ihrer Substanz völlig unzureichenden Vorarbeiten von Karel Wellens30 und Irina Domurath ableitet.31 Letztere baut ihre Definition von Solidarität auf einer solch dünnen Basis auf, dass sie an Unwissenschaftlichkeit grenzt. So wird letztlich der Anschein einer hinreichenden und forschungsadäquaten Operationalisierung von Solidarität erzeugt, die einer Prüfung nicht einmal im Ansatz standhält. Wenn angesehene Politikwissenschaftler mit einer auf solchem Wege entwickelten Solidaritätskonzeption arbeiten, erweckt das den fehlleitenden Anschein, eine substantiell hinreichende Bearbeitung von Solidarität vorzufinden. Dies ist für eine systematische und forschungsadäquate Untersuchung von Solidarität in den Politikwissenschaften allgemein und in der europäischen Asylpolitik im Speziellen höchst abträglich. Das Forschungsdesign

27

28

29

30

31

Theorie und Kritik der Solidarität, Tübingen/Basel. Für die Politikwissenschaft: Kneuer, Marianne/Masala, Carlo (2015): Politische Solidarität. Vermessung eines weiten und unerschlossenen Feldes, in: Dies. (Hg.): Solidarität. Politikwissenschaftliche Zugänge zu einem vielschichtigen Begriff, Baden-Baden, S. 7-25; de Witte, Floris (2015): Justice in the EU. The Emergence of Transnational Solidarity, Oxford. Eine wenig bekannte Ausnahme, die sich diesem Anspruch annähert, ist die Arbeit von Sally Scholz: Vgl. Scholz, Sally J. (2008): Political Solidarity, University Park. Dort sucht man eine Systematisierung, die einer theoretischen Kontestation genügen würde, jedoch auch vergeblich. Zu viele Lücken in der Aufarbeitung und Explikation des Solidaritätsbegriffs bestehen, was im Ergebnis zu einer unbefriedigenden Enge der Definition führt. Zu diesem Befund kommen auch Kneuer/Masala (2015): S. 11. Vgl. Tsourdi, Evangelia (2017): Solidarity at work? The prevalence of emergency-driven solidarity in the administrative governance of the Common European Asylum System, in Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 667-686. Vgl. Hilpold, Peter (2015): Understanding Solidarity within EU Law: An Analysis of the „Islands of Solidarity“ with Particular Regard to Monetary Union, in: Yearbook of European Law, Jg. 34 (1), S. 257-285. Vgl. Wellens, Karel (2005): Solidarity as a Constitutional Principle: Its Expanding Role and Inherent Limitations, in: Macdonald, Ronald/Johnston, Douglas (Hg.): Towards World Constitutionalism, Den Haag, S. 775–807. Vgl. Domurath, Irina (2013): The Three Dimensions of Solidarity in the EU Legal Order: Limits of the Judicial and Legal Approach, in: European Integration, Jg. 35 (4), S. 459-475.

1.2. Forschungsstand

9

dieser Dissertation hat zum Ziel, diese Mängel zu vermeiden und stattdessen eine in dieser Form erstmalige Ausarbeitung vorzulegen. Die Anforderung, dass das vorgelegte Solidaritätskonzept auch einer theoretischen Diskussion standhalten können und zu dieser einen substantiellen Beitrag leisten soll, ist also wichtig, da so gut wie keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Solidaritätsbegriff diesen Anspruch erfüllt. 32 Darüber hinaus führt die Unzulänglichkeit in der systematischen Aufarbeitung des Solidaritätsbegriffs häufig zum Phänomen der Konjektur: Dabei werden Forschungsgegenstände unter den Solidaritätsbegriff subsumiert, ohne dass diese in den Quellen dementsprechend benannt wurden. So kann man beispielsweise den Freundschaftsbegriff von Aristoteles33 oder Konzeptionen von Karl Marx34 nicht einfach als Solidarität bezeichnen, ohne dass die Urheber ihre Bearbeitungen dementsprechend benannt haben. Ohne die Eigenleistung eines Konzepts unter systematischer Aufarbeitung des Solidaritätsbegriffs zu liefern, die einer theoretischen Kontestation standhalten kann, ist eine solche Kategorisierung wissenschaftlich nicht statthaft. Erst wenn hinreichend begriffsgeschichtlich und systematisch dargelegt wurde, was unter Solidarität zu verstehen ist, wird es plausibel und forschungsrelevant, andere Konzeptionen darunter zu subsumieren. Auf diese Weise wird dem Anspruch einer substanziellen wissenschaftlichen Debatte Rechnung getragen. Diesem Anspruch kommen praktisch kaum Autoren nach. Es ist auffällig, dass die meisten Verfasser, auch wenn sie ganze Monografien zu Solidarität ausarbeiten, keinen eigenen Beitrag zur Theoretisierung anbieten. Auffallend viele Publikationen, die sich im Rahmen der Forschungsfrage mit Solidarität auseinandersetzen,

32

33

34

Ein bekanntes Beispiel ist Jürgen Schmelters Dissertation: Schmelter, Jürgen (1991): Solidarität. Die Entwicklungsgeschichte eines sozialethischen Schlüsselbegriffs, München. Ihr wurde zurecht Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen: Vgl. Wildt, Andreas (1995a): Bemerkungen zur Begriffs- und Ideengeschichte von „Solidarität“ und ein Definitionsvorschlag für diesen Begriff heute, in: Orsi, Giuseppe et al. (Hg.): Solidarität, Frankfurt a. M., S. 37-48, S. 45; Fiegle, Thomas (2003): Von der Solidarité zur Solidarität. Ein französisch-deutscher Begriffstransfer, Münster, S. 27. Sie wird daher in dieser Arbeit nicht weiter berücksichtigt. Vgl. Küppers, Arnd/Nothelle-Wildfeuer, Ursula (2011): Solidarität, in: Kolmer, Petra/Wildfeuer, Armin (Hg.): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band 3, Freiburg, S. 2027-2041, S. 2028; Denninger, Erhard (2009): Solidarität als Verfassungsprinzip. Ideengeschichtlicher Hintergrund und moderne Deutungsversuche, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Jg. 92 (1), S. 20-30, S. 21. Vgl. Stjernø (2005): S. 47.

10

1 Einleitung

sind daher aufgrund von substantiellen Mängeln unbrauchbar für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung.35 Dieser Praxis wird die vorliegende Arbeit entgegentreten und einen wichtigen Beitrag zur Schließung der erkannten Forschungslücke leisten.

1.3. Aufbau und Methodik Die Arbeit gliedert sich in vier Teile und besteht aus sechs Oberkapiteln (1-6): Einem theoretischen Teil zur Ergründung des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union (Oberkapitel 2) und einem empirischen, in welchem zum einen die entscheidenden Bestandteile des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems 36 (GEAS) (Oberkapitel 3), zum anderen das konkrete Fallbeispiel der „Flüchtlingskrise“ (Oberkapitel 4) auf das Solidaritätsprinzip hin untersucht werden. Schließlich werden die Ergebnisse im Einzelnen auf das im Theorieteil erarbeitete Konzept der Solidarität abgeprüft sowie die Auswirkungen der Befunde auf das europäische Asylsystem und die Europäische Union insgesamt hin reflektiert (Oberkapitel 5). Um eine hinreichende Explikation von Solidarität leisten zu können, wird sich die vorliegende Arbeit die geschichtliche Entwicklung des Begriffs anschauen und eine systematische Aufarbeitung leisten (Kapitel 2.1.). Eine solche 35

36

Um nur einige Beispiele zu nennen: Giannakopoulos, Angelos (2017): Introduction, in: Ders. (Hg.) Solidarity in the European Union: Challenges and Perspectives, Research Paper No. 9, Daniel Abraham Center for International and Regional Studies, Tel Aviv, S. 11-19; Pensky, Max (2008): The Ends of Solidarity. Discourse Theory in Ethics and Politics, Albany; Groenendijk, Kees (2013): Solidarität im europäischen Einwanderungs- und Asylrecht, in: Barwig, Klaus/Beichel-Benedetti, Stefan/Brinkmann, Gisbert (Hg.): Solidarität. Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 2012, Baden-Baden, S. 41-52; Immerfall, Stefan (2016): Mehr Solidarität durch „Mehr Europa“?, in: Aschauer, Wolfgang/Donat, Elisabeth/Hoofmann, Julia (Hg.): Solidaritätsbrüche in Europa. Konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde, Wiesbaden, S. 49-71; Rauscher, Anton (1995a): Grundlegung und Begriffsgeschichte des Solidaritätsprinzips, in: Ders. (Hg.): Die soziale Dimension menschlichen Lebens, St. Ottilien, S. 1-18; Haller, Gret (2002): Die Grenzen der Solidarität. Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation und Religion, 2. Auflage, Berlin; Dallinger, Ursula (2009): Die Solidarität der modernen Gesellschaft. Der Diskurs um rationale oder normative Ordnung in Sozialtheorie und Soziologie des Wohlfahrtsstaats, Wiesbaden. Das GEAS besteht aus Dublin-III-Verordnung, Eurodac-Verordnung (beide zusammen bilden das Dublin-System), Asylverfahrens-Richtlinie, Aufnahme-Richtlinie und AnerkennungsRichtlinie. Auch die Massenzustrom-Richtlinie wird zum GEAS gezählt, allerdings muss diese eigens im Rat aktiviert werden, was bisher nie geschehen ist. Ausführlicher dazu Kap. 3.1.

1.3. Aufbau und Methodik

11

Herangehensweise ermöglicht die Nachvollziehbarkeit und Perspektivierung dieses schillernden Begriffs, die für die fortlaufende Untersuchung zwingend notwendig ist. Es ist unumgänglich, zuerst den Ursprung, die relevanten Entwicklungslinien und die wesentlichen Bedeutungsvariationen aus der Geschichte des Solidaritätsbegriffs aufzuzeigen. Zusätzlich werden diese Aspekte, wenn nötig, diskutiert, zueinander in Beziehung gesetzt und kontextualisiert. Darauf aufbauend wird ein Konzept von Solidarität erarbeitet, das als theoretisches Fundament der Forschungsfrage dienen soll (Kapitel 2.1.9.). Dieses Konzept soll zugleich zum Desiderat der Theoretisierung des Solidaritätsbegriffs beitragen. Anschließend wird untersucht, wie sich Solidarität als Grundsatz in der Europäischen Union im Allgemeinen und in der Asylpolitik im Speziellen zu erkennen gibt (Kapitel 2.2.). Dabei ist für den Fortgang der Untersuchung fundamental, dass sich das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union nicht auf die intrapersonale Ebene37 und auch nicht auf Drittstaaten und ihre Angehörigen richtet.38 Diese beiden Dimensionen bleiben dementsprechend ausgespart. Die Hauptadressaten des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union sind die Mitgliedstaaten – daher wird diese Relation in der Bearbeitung der Forschungsfrage im Zentrum stehen. Zudem findet sich in der Asylpolitik eine Spezialausprägung des unionalen Solidaritätsprinzips in Art. 80 AEUV, welche für die Fokussierung der Forschungsfrage und die Eingrenzung des Untersuchungsbereiches zentral ist. Dieser spezifische Zuschnitt wird sich entsprechend im erarbeiteten Solidaritätskonzept widerspiegeln (Kapitel 2.3.).

37

38

Im Kontext dieser Fragestellung geht es, grob, um eine gemeinsame Identität der Unionsbürger mit dem Ziel einer europäischen Solidargemeinschaft, die über einen einheitlichen europäischen Demos zusammenwachsen soll und damit Input-Legitimation für die EU erreichen kann, aber bis heute nicht besteht und in absehbarer Zukunft auch nicht entstehen wird. Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang (2009): Die Bedingungen europäischer Solidarität, in: Mikolajczyk, Beata et al. (Hg.): Bedingungen europäischer Solidarität, Frankfurt a. M., S. 17-30. Dieses Thema wird fast ausschließlich im Zusammenhang mit der Debatte um ein Demokratiedefizit in der Europäischen Union geführt, für das ein nicht bestehender europäischer Demos verantwortlich sei. Für einen einführenden Überblick über die Argumente in der Debatte um das Demokratiedefizit in der EU vgl. Schmidt, Vivien A. (2012): Democracy and Legitimacy in the European Union, in: Jones, Eric/Menon, Anand/Weatherill, Stephen (Hg.): The Oxford Handbook of the European Union, Oxford, S. 661-675. Die Begründung hierfür liegt in der Charakteristik des Solidaritätsbegriffs: Echte Solidarität kann sich nur innerhalb einer spezifischen Bezugsgruppe entfalten, welche im vorliegenden Fall die Europäische Union ist. Die Ausführungen in den entsprechenden Kapiteln werden dies herausarbeiten und belegen.

12

1 Einleitung

Am Anfang des dritten Oberkapitels wird demonstriert, wie sich das Solidaritätsprinzip in der Integrationsgeschichte der europäischen Asylpolitik entwickelt und manifestiert hat (Kapitel 3.1.). Gleichzeitig illustriert dieser Abschnitt die wichtigsten asylpolitischen Leitlinien sowie deren Ursachen und Auswirkungen auf den Status quo des GEAS. Der empirische Teil der Arbeit analysiert diejenigen Regelungsbereiche, die für die Forschungsfrage relevant sind: Zum einen das Dublin-System, welches die Zuständigkeit unter den Mitgliedstaaten für das Asylverfahren eines Antragstellers bestimmt (Kapitel 3.2.). Es stellt das Fundament des GEAS dar, auf dem alle weiteren Maßnahmen des Asylsystems fußen. Seine Vereinbarkeit mit dem Solidaritätsprinzip ist maßgeblich für die gesamte Kooperation im Bereich Asyl.39 Zum anderen sind dies die expliziten Solidaritätsinstrumente im GEAS: das finanzielle in Form des Asyl- Migrations- und Integrationsfonds (Kapitel 3.3.) und das operationale in Form des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (Kapitel 3.4.). Sie bauen nicht direkt auf dem Zuständigkeitssystem auf, sondern flankieren das GEAS und sind zur Füllung entstehender Solidaritätsdesiderate entworfen worden. Ob sie diese Funktion erfüllen können, wird in den entsprechenden Kapiteln geprüft. In Oberkapitel 4 wird die Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union anhand eines Fallbeispiels untersucht. Dazu dient die europäische „Flüchtlingskrise“, die ab Sommer 2015 ins öffentliche Bewusstsein trat. Der Vorlauf zur Krise lässt sich jedoch bis in die Anfänge des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 zurückverfolgen. Dort führte die plötzliche Einwanderung einiger Tausend Menschen, die im Zuge der Aufstände in den Umbruchstaaten in die EU flohen, zu einem innereuropäischen Konflikt, der in der Retrospektive als eine Art Generalprobe für die Geschehnisse ab Sommer 2015 bezeichnet werden kann (Kapitel 4.1.). Dort zeigten sich in kleinerem Maßstab jene Konfliktpotentiale, Lösungsstrategien und Defizite in der unionalen Asylpolitik, die sich vier Jahre später zu einer der größten Krisen in der Geschichte der EU zuspitzen sollten.

39

In einer Zwischenevaluation der Dissertation wurde festgestellt, dass das Dublin-System gegen das Solidaritätsprinzip verstößt, weswegen eine Untersuchung der weiteren Regelungen im GEAS hinfällig wurde. Die Pathologien des GEAS werden durch die Dysfunktionalität des Dublin-Systems verursacht. Durch die Feststellung des Defektes im Fundament ist das darauf aufbauende Gebilde mit systemischen Defiziten versehen. Diese Erkenntnis wird im Laufe des Oberkap. 3 nachvollziehbar dargelegt und in Oberkap. 5 nochmals untermauert. Die ursprünglich im Forschungsdesign vorgesehene Untersuchung der weiteren Regelungen des GEAS wurde daher aus dem Projekt gestrichen, da sie irrelevant geworden war.

1.3. Aufbau und Methodik

13

Die weiteren Entwicklungen auf dem Weg zur Flüchtlingskrise werden ebenfalls beleuchtet: Die Auswirkungen des syrischen Bürgerkrieges und die Flüchtlingstragödien auf dem Mittelmeer, sowie die Antworten, die die EU auf diese Entwicklungen gab (Kapitel 4.2.). Im Anschluss wird rekonstruiert und untersucht, auf welche Weise sich das Solidaritätsprinzip während der „Flüchtlingskrise“ offenbarte (Kapitel 4.3.). Dabei wird deutlich werden, dass die strukturellen Defizite im GEAS, die durch das Dublin-System verursacht werden, so groß sind, dass im Bereich der Asylpolitik keine funktionierenden Lösungen gefunden werden konnten. Eine Schlüsselrolle übernahm dabei ein Instrument zur mandatorischen Umsiedlung von Asylsuchenden aus besonders betroffenen Mitgliedstaaten auf die weiteren: Der Ratsbeschluss vom 22. September 2015. Diese Maßnahme wurde erstmalig in der Geschichte der Union ergriffen und führte beispielhaft vor Augen, welche elementaren Probleme in der europäischen Asylpolitik in Bezug auf Solidarität vorherrschen. Warum sich die „Flüchtlingskrise“ im Lichte der erarbeiteten Erkenntnisse als Symptom einer dauerhaft bestehenden Solidaritätskrise in der Asylpolitik der Europäischen Union verstehen lässt und warum dies von fundamentaler Relevanz für die gesamte Union ist, wird in einem eigenen Kapitel erläutert (Kapitel 4.4.). Dabei wird deutlich werden, dass die erkannte Solidaritätskrise mit ihrem vorläufigen Höhepunkt – der „Flüchtlingskrise“ – zu einer Erosion der Europäischen Integration beiträgt. Im letzten Abschnitt des empirischen Teils werden die für die Forschungsfrage wesentlichen Ergebnisse aus den Oberkapiteln 3 und 4 mit dem im theoretischen erarbeiteten Solidaritätskonzept zusammengebracht (Oberkapitel 5). Dazu werden die Erkenntnisse auf die einzelnen Bedingungen des Konzeptes hin überprüft. So soll festgestellt werden, ob Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union besteht, und die Leitfrage dieser Dissertation abschließend beantwortet werden. Darüber hinaus wird in diesem Oberkapitel der aktuelle Reformprozess des Dublin-Systems diskutiert (Kapitel 5.2.). Dort soll beleuchtet werden, ob und wie dieses neuerliche Vorhaben der Reform des Zuständigkeitssystems die festgestellten strukturellen Defizite im Fundament des GEAS angeht. Anschließend werden Wege aufgezeigt, wie die elementaren Probleme des Dublin-Systems überwunden werden könnten (Kapitel 5.3.). Die unter Experten reflektierten Alternativen zum Zuständigkeitssystem werden einer kritischen Analyse unterzogen. Im Zuge dessen wird unter Einbeziehung der in der Arbeit erzielten Befunde auch ein eigener Entwurf für eine Neustrukturierung der Zuständigkeitsallokation für

14

1 Einleitung

Asylverfahren in der Europäischen Union präsentiert. Abschließend werden die Rückwirkungen der wesentlichen Befunde dieser Dissertation auf die Europäischen Union diskutiert (Kapitel 5.4.). Dazu werden vor allem die aktuellen Entwicklungen in den Mitgliedstaaten in den Blick genommen, in denen die Zunahme an Einfluss von politischen Akteuren des rechten Spektrums zu beobachten ist, die eine europakritische Haltung offen zum Ausdruck bringen. Ob und inwiefern dies mit den Problemen hinsichtlich der Solidarität in der Asylpolitik zu tun hat, wird das Kapitel zu ergründen suchen. Im Fazit werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und zu einer Perspektivierung in Bezug auf weitere Forschungsdesiderate geführt (Oberkapitel 6).

2 Solidarität in der Europäischen Union

Dieses Kapitel hat zum Ziel, ein Konzept der Solidarität zu entwickeln, das als theoretisches Fundament der Forschungsfrage dienen soll. Dazu wird im ersten Teil eine systematische Aufarbeitung des Solidaritätsbegriffs mithilfe seiner begriffsgeschichtlichen Entwicklung geleistet, um ein theoretisch und substantiell hinreichend ausgearbeitetes Konzept der Solidarität vorstellen zu können (1.). Im zweiten Teil werden die Spuren des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union verfolgt und untersucht, in welcher Rolle, Ausprägung, Reichweite und Wirkung es in der Union seine Bedeutung entfaltet und implementiert ist (2.). Daraufhin werden die Erkenntnisse der beiden Abschnitte aufeinander übertragen und zu einem Konzept der Solidarität für die Europäische Union amalgamiert (3.). Für die Verfolgung dieses Vorhabens muss man zunächst konstatieren, dass Begriffe keineswegs klar eingrenzbare Gegenstände sind: „Begriffe sind Konzentrate verschiedener Bedeutungsgehalte.“40 Ein Begriff „bündelt die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung und eine Summe von theoretischen und praktischen Sachbezügen in einem Zusammenhang“41, der nur durch den Begriff selbst gegeben ist. Begriffe können daher nur interpretiert werden, sind notwendigerweise vieldeutig und können somit nicht exakt bestimmt werden wie Worte. 42 Der Bedeutungsreichtum von Begriffen kann nicht durch Definitionen erschöpft werden.43 Grundsätzlich ist auch Begriffsgeschichte selbst ein klärungsbedürftiger Gegenstand. Sie kann nicht genau beschrieben werden, ihre Methodik und Theorie sind umstritten, weshalb sie ein methodisch offenes Projekt sein muss. 44 Die

40

41 42

43

44

Koselleck, Reinhart (1972): Einleitung, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 1, Stuttgart, S. XIII-XXVII, S. XXII. Ebd., S. XXIII. Diese Ansicht wird vor allem vonseiten der Linguistik kritisiert. Vgl. Müller, Ernst/Schmieder, Falko (2016): Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin, S. 297. Vgl Konersmann, Ralf (1995): Semantik, historische, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9, Basel, S. 593-598, S. 594. Vgl. Müller/Schmieder (2016): S. 13ff.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Saracino, Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4_2

16

2 Solidarität in der Europäischen Union

Abgrenzung zur historischen Semantik ist sinnvoll, kann aber nicht trennscharf geleistet werden.45 Aufgrund der Charakteristik, sowohl von Begriffen als auch von Begriffsgeschichte, gilt die Methode des begriffsgeschichtlichen Zugangs als vom Forscher, seinen Fragesellungen und Erkenntnisinteressen abhängig, da eine vollständige Begriffsgeschichte unmöglich ist.46 Damit wird ein personalisierter Zugang durch die Linse des eigenen Forschungsdesigns legitim und notwendig. In der Begriffsgeschichte werden philosophische und historiografische Forschungslinien unterschieden. Erstere findet sich im deutschen Sprachraum am prominentesten im „Historischen Wörterbuch der Philosophie“, dessen Intention die Bestimmung von Begriffen durch ihre Geschichte statt durch ihre Definition war.47 Dort wurde die zentrale Aufgabe der Begriffsgeschichte so bestimmt, dass sie Wandlungen und Veränderungen des Begriffswortes auffinden, Gründe der Veränderung nachspüren und haltbare Deutungen liefern müsse, unter ständiger Berücksichtigung des geschichtlichen Kontextes.48 Begriffsgeschichte sei integraler Bestandteil der Philosophie und wissenschaftliche Erkenntnis sei nur dann erfolgreich, „wenn der jeweilige Begriffsgebrauch der verwendeten Begriffe in seiner geschichtlichen Wirksamkeit aufgearbeitet und der Begriff dadurch im eindeutig geklärten Bedeutungszusammenhang systematisierbar“49 werde. So verstanden darf die Systematisierung des Begriffs nicht hinter die historische Einbettung zurückfallen. Die historiographische Forschungslinie wurde in Deutschland hauptsächlich durch das Projekt der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ vertreten. Dort wurde als Ausgangspunkt eine „Sattelzeit“ postuliert, die sich von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zog, in der sich die Begriffe neuzeitlich wandelten und grundlegende semantische Veränderung vollzogen.50 Damit fiele – wie das 45

46 47 48

49 50

Müller und Schmieder sehen die Begriffsgeschichte als eine von vielen Möglichkeiten der historischen Semantik, die allerdings zu methodischem Expansionismus neige und unzählige Forschungsfelder umfasse. Vgl. Ebd., S. 20. Historische Semantik kann wohl am sinnvollsten als Oberbegriff verstanden werden, in dem auch Problem- oder Ideengeschichte Platz finden. In diesem Sinne ist sie eine „interpretierende Bedeutungsgeschichtsschreibung“: Konersmann (1995): S. 593. Vgl. Koselleck, Reinhart (2010): Begriffsgeschichten, Frankfurt a. M., S. 87. Vgl. Müller/Schmieder (2016): S. 116. Vgl. Meier, Helmut G. (1971): Begriffsgeschichte, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 1, Basel, S. 788-808, S. 807. Ebd., S. 789. Vgl. Koselleck (1972): S. XV.

2 Solidarität in der Europäischen Union

17

folgende Kapitel zeigen wird – die Wandlung des Solidaritätsbegriffs in genau diese Zeitspanne. In der historiographischen Forschungslinie wird Begriffsgeschichte historisch-kritisch verstanden: Bedeutungsgehalte werden eingekreist durch Textanalyse und Wortgebrauch, Wort und Sachverhalt werden interpretiert, das begriffliche Ergebnis wird definiert.51 Dabei gilt das diachrone Prinzip: Begriffe werden aus dem Kontext gelöst, Bedeutungen durch die Zeiten hindurch verfolgt und einander zugeordnet – daraus summiert sich die Geschichte des Begriffs.52 Begriffe und Wirklichkeiten ändern sich auf unterschiedliche Weise, vor allem auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Wortbedeutung und Wortgebrauch können niemals im Verhältnis eins zu eins zur Wirklichkeit stehen.53 Begriffe haben demnach verschiedene Zeitschichten, in denen sie jeweils verschiedene Bedeutungen erfassen können.54 Begriffsgeschichte fragt nun danach, welche Erfahrungen und Sachverhalte auf ihren Begriff gebracht werden und danach, wie diese Erfahrungen und Sachverhalte begriffen werden. Sie leistet eine Analyse von im Laufe der Geschichte auftretenden Konvergenzen, Verschiebungen und Diskrepanzen des Verhältnisses von Begriff und Sachverhalt. 55 In der Politikwissenschaft ist die Begriffsgeschichte nie erkennbar über den Schatten einer Hilfswissenschaft hinausgetreten. Eine Ausnahme stellt die Arbeit Kari Palonens dar, der die Möglichkeit sah, Begriffsgeschichte durchaus selbst als Politikwissenschaft auszuüben.56 Er orientierte sich in seiner Arbeit an dem historiographischen Ansatz und sah Streitigkeiten um Begriffe als notwendige Bedingung für ein hinreichendes Politikverständnis: Begriffe seien Teil der Politik, und ihre Umstrittenheit wünschenswert zur Analyse innerhalb der Politikwissenschaften.57 Charakteristisch für den politischen Gebrauch von Begriffen sei die Tatsache, dass zwischen Dingen und Worten, zwischen Realität und Rhetorik kein ein-

51 52 53 54 55 56

57

Vgl. Ebd., S. XX. Vgl. Ebd., S. XXI. Vgl. Koselleck (2010): S. 67. Vgl. Ebd., S. 90. Vgl. Ebd., S. 99. Vgl. Palonen, Kari (2002): Begriffsgeschichte und/als Politikwissenschaft, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Jg. 44, S. 221-234, S. 221. Vgl. Ebd., S. 225.

18

2 Solidarität in der Europäischen Union

deutiger Unterschied gemacht werden könne: Worte seien in der Politik schon Taten.58 Begriffliche Kontroversen seien geradezu die Voraussetzung für die Interpretation der Begriffsbildung und -wandlung.59 Eine begriffsgeschichtliche Politikanalyse könne „aus scheinbar Nebensächlichem, wie Bezeichnungen und Bedeutungen, einleuchtende Schlüsse“ 60 ziehen. Diese Grundannahmen der begriffsgeschichtlichen Forschung soll auch diese Arbeit leiten: Historiographische und philosophische Ansätze sollen zusammengedacht werden. Es wirkt überzeugend, einer rein historiographischen Vorgehensweise den Mangel einer Systematisierung vorzuwerfen und sie daher zu inkorporieren. Ebenso scheint eine rein philosophische Vorgehensweise wertvoll durch den historisch-kritischen Ansatz ergänzt werden zu können. Die Relevanz und der Mehrwert für eine politikwissenschaftliche Analyse, in deren Zentrum der Solidaritätsbegriff steht, sind evident.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität Im Folgenden wird der Begriffsgeschichte von Solidarität nachgegangen, die die für die vorliegende Forschungsfrage relevanten Strömungen und Entwicklungslinien berücksichtigt. Dabei wird angestrebt, die wesentlichen Bedeutungsgehalte zu darzulegen.61 Die Darstellung erfolgt disziplinübergreifend. Daraus wird ein Konzept von Solidarität extrahiert, das einer theoretischen Kontestation standhalten können soll. Dazu werden in notwendigem Maße auch theoretische Kontextu-

58 59 60 61

Vgl. Ebd., S. 226. Vgl. Ebd., S. 227. Ebd., S. 232. Da es unmöglich ist, eine ganzheitliche Begriffsgeschichte darzulegen, ist es methodisch geboten, eine Auswahl mit Fokus auf das Forschungsinteresse zu treffen. Vollumfänglich jegliche Literatur zu sichten, die sich mit Solidarität beschäftigt, ist – speziell für eine Dissertation – nicht umsetzbar. Mithin wurden gezielt Auslassungen vorgenommen, wenn sie keine neuen Bedeutungsgehalte bereitstellten. Letztlich ist die Darlegung in dieser Arbeit als Beitrag zu einer Theoriediskussion gedacht, die vor allem in der Politikwissenschaft erst noch Fahrt aufnehmen müsste. Zudem gibt es das Forschungsdesign dieser Arbeit nicht her, auch unbedeutendere, irrelevante oder redundante Positionen der Vollständigkeit halber aufzuführen. Andere Autoren haben sich der Aufgabe angenommen, eine solche umfangreichere Darstellung der Geschichte des Solidaritätsbegriffs beizusteuern, jedoch stellen auch diese Arbeiten nur selektive Untersuchungen dar. Vgl. Stjernø (2005); Große Kracht (2017).

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

19

alisierungen in die Darlegung mit eingewoben. Letztlich soll ein Solidaritätskonzept entstehen, dem auf nachvollziehbare und überzeugende Weise ein unzweideutiger Bedeutungsgehalt zugewiesen wird. 2.1.1. Ursprung im römischen Recht Der Ursprung des Solidaritätsbegriffs wird gemeinhin mit der Arbeiterbewegung in Verbindung gebracht, wo er als Kampfbegriff des Proletariats gegen die Bourgeoisie genutzt wurde. Vielleicht vermutet man seine Wurzeln auch in philosophischen und soziologischen Bearbeitungen. In der Realität entspringt der Solidaritätsbegriff aber der Sphäre des römischen Rechts. Dort meinte die obligatio in solidum die Schuld oder Verpflichtung, die ein einzelner Schuldner gegenüber der Gesamtschuldnerschaft, der er angehört, zu übernehmen hat.62 Mehrere Schuldner stehen also für eine gemeinsame Schuld, wobei jeder einzelne Schuldner gegenüber dem Gläubiger für jeden anderen Schuldner für die Gesamtschuld haftet. Wurde ein Schuldner zahlungsunfähig, mussten die anderen seine Schuld übernehmen. So konnte es auch möglich werden, dass nur ein Schuldner übrigblieb, der für die gesamte Schuld haften musste. In dieser rechtlichen Dimension werden fremde Personen, verschiedene Rollen und heterogene Interessen aneinander gebunden,63 wenn sie auch nicht über eine gemeinsame Identität oder über ein Partikularziel hinaus miteinander verbunden werden.64 Zur Kontextualisierung dieses gemeinhin politisch aufgeladenen Begriffs ist dies höchst relevant, da die Tatsache seines rechtlichen Ursprungs für einen rational grundierten Impetus spricht, der ihm zugrundliegt. Dies wird in seiner Verwendung häufig außer Acht gelassen. Das rechtliche Prinzip der Solidarobligation hat sich bis heute in der ein oder anderen Form in vielen Rechtssystemen erhalten, vor allem in Frankreich, wo die römische Rechtstradition besonders stark nachwirkt.65

62

63

64 65

Vgl. Röttgers, Kurt (2011): Fraternité und Solidarität in politischer Theorie und Praxis – Begriffsgeschichtliche Beobachtungen, in: Busche, Hubertus (Hg.): Solidarität. Ein Prinzip des Rechts und der Ethik, Würzburg, S. 17–54, S. 24. Vgl. Brunkhorst, Hauke (2002): Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur globalen Rechtsgenossenschaft, Frankfurt a. M., S. 10. Vgl. Zürcher (1998): S. 53. In Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuch, §§420-432. In weiteren europäischen Staaten: Vgl. Looschelders, Dirk (2017): §§420-432, in: von Staudinger, Julius (Hg.): Kommentar zum

20

2 Solidarität in der Europäischen Union

2.1.2. Adaption im Zuge der Französischen Revolution Diese spezielle Rechtstradition ist wohl der Grund dafür, dass der Gewinn an Bedeutungsvariationen des Solidaritätsbegriffs in Frankreich beginnt und die systematischen Auseinandersetzungen mit ihm dort am stärksten verankert sind. 66 Solidarität ist in Frankreich in seinem ursprünglichen Rechtszusammenhang substantivisch, adverbial und adjektivisch ab dem 17. Jahrhundert in französischen Lexika nachweisbar.67 1770 nutzt ihn Voltaire – wohl erstmals – mit einer veränderten und aus dem rechtlichen Kontext herausgelösten Konnotation, als er das Verhalten der Jesuiten untereinander als solidarisch in Bezug auf das Verhältnis zum französischen König bezeichnete.68 Diese zarte konnotative Wende wurde dann während der Französischen Revolution weitergeführt, als Mirabeau den Solidaritätsbegriff bei einer Rede vor der Nationalversammlung am 28.10.1789 auf politisch-soziale Sachverhalte überträgt.69 Auch Danton nutzte am gleichen Ort 1793 den Begriff eindeutig losgelöst von seiner rechtlichen Form und näherte ihn damit dem heutigen Bedeutungsspektrum weiter an.70 Beide sprachen im Sinne der Solidarität von einer sozialen wechselseitigen Abhängigkeit. Ein Nebeneinander des alten und neuen Bedeutungszusammenhangs entstand in diesem Zeitraum, wie sich an der weiterhin rein rechtlichen Gebrauchsweise im Code Civil 1804 ablesen lässt. 71 Gerade weil neue Bedeutungsvariationen des Solidaritätsbegriffs um den Zeitraum der Französischen Revolution auftraten, ist es für die Analyse wichtig, die Beziehung zum Begriff der „Fraternité“ zu beleuchten. Häufig wird zwischen diesen beiden Begriffen nicht ausreichend differenziert.72 Es ist festzustellen, dass

66

67 68 69 70 71 72

Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 397-432 (Erlass, Abtretung, Schuldübernahme, Schuldner- und Gläubigermehrheit), 16. Auflage, Berlin. Erstaunlicherweise hat der Begriff in Großbritannien trotz des starken Einflusses der „sozialen Frage“ auf die gesellschaftlichen Entwicklungen im 19. Jahrhundert dort keine erwähnenswerte Rolle gespielt. Vgl. Metz, Karl H. (1995): Solidarität und Geschichte. Institutionen und sozialer Begriff der Solidarität in Westeuropa im 19. Jahrhundert, in: Orsi, Giuseppe et al. (Hg.): Solidarität, Frankfurt a. M., S. 17-36, S. 25ff.; Metz, Karl H. (1998): Solidarität und Geschichte. Institutionen und sozialer Begriff der Solidarität in Westeuropa im 19. Jahrhundert, in: Bayertz, Kurt (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 172-195, S. 180ff. Vgl. Zoll, Rainer (2000): Was ist Solidarität heute?, Frankfurt a. M., S. 35. Vgl. Ebd., S. 20. Vgl. Röttgers (2011): S. 25. Vgl. Zoll (2000): S. 20f. Vgl. Wildt (1998): S. 203f. Vgl. Depenheuer, Otto (1998): „Nicht alle Menschen werden Brüder“. Unterscheidung als praktische Bedingung von Solidarität. Eine rechtsphilosophische Erwägung in praktischer

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

21

beide Begriffe immer gleichzeitig und nebeneinander existierten, auch schon während der Französischen Revolution. Sie sind allerdings zu keinem Zeitpunkt inhaltlich austauschbar gewesen.73 Sie wiesen verschiedene Entwicklungslinien auf und waren niemals synonym.74 Der Solidaritätsbegriff emanzipierte sich nach der Französischen Revolution von dem der Fraternité und löste ihn in seiner Funktion als zentralen Gesinnungsbegriff endgültig in den 1840er Jahren ab, ohne ihn jedoch inhaltlich zu ersetzen.75 Brüderlichkeit und Solidarität beschreiben also verschiedene Sachverhalte; letzterer Begriff hat ersteren insofern ersetzt, als seine Benutzung für die politischen Bedeutungszusammenhänge besser geeignet gewesen zu sein scheint.76 Solidarität wird, gemäß der bisher rein juridischen Nutzung, in der Französischen Revolution als rechtliche Ausgestaltung und damit politische Einlösung der Brüderlichkeit vorgebracht.77 Solidarität gewinnt also sowohl in der Absetzung von der juristischen Nutzung als auch durch die Abgrenzung zur Brüderlichkeit im Frankreich der 1830er und 1840er Jahren an politisch-sozialem Profil. 2.1.3. Neuausrichtung im postrevolutionären Frankreich Diese Emanzipation wurde durch eine zunehmende Politisierung erwirkt, die der Solidaritätsbegriff in Folge der Revolution in Frankreich erlangte. Zuerst versuchten einige restaurationsorientierte französische Autoren Anfang des 19. Jahrhunderts die Ideen der Revolution zu überwinden und legten Solidarität theologisch

73 74

75 76

77

Absicht, in: Isensee, Josef (Hg.): Solidarität in Knappheit: Zum Problem der Priorität, Berlin, S. 41-66, S. 51; o. V. (2009): Brüderlichkeit, in: Gessmann, Martin (Hg.): Philosophisches Wörterbuch, 23. Auflage, Stuttgart, S. 112; von Bogdandy, Armin (2009): Grundprinzipien, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 13-71, S. 69. Vgl. Piazolo (2004): S. 50. Vgl. Röttgers (2011): S. 21f. Zu beachten dabei vor allem seine Kritik an Brunkhorst (2002), dem er zurecht Konjektur und ein „Durcheinanderwirbeln“ von Begriffen vorwirft. Vgl. Röttgers (2011): S. 22f. Vgl. Bayertz (1998): S. 11. So argumentiert z.B. auch Siegfried Schieder am Beispiel der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA): Brüderlichkeit sei mit der Zeit zu einer bloßen Phrase und Gesinnung verkommen, die keine praktische Konkretisierung mit sich brachte. Genau dies sollte der Solidaritätsbegriff ändern. Daher wurde er im Reglement des IAA benutzt, um eine Brüderlichkeit der Tat zu insinuieren. Vgl. Schieder, Wolfgang (1972): Brüderlichkeit, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 1, Stuttgart, S. 552-581, S. 578f. Vgl. Küppers/Nothelle-Wildfeuer (2011): S. 2029.

22

2 Solidarität in der Europäischen Union

aus, in einer Gottbezogenheit und damit Urbindung aller Menschen untereinander.78 Hippolyte Renaud veröffentlicht 1842 dann zum ersten Mal ein Buch, das im Titel „Solidarität“ trug – eine Zusammenfassung der Lehren Charles Fouriers.79 Hier wird der Solidaritätsbegriff zum ersten Mal zu einem zentralen Bestandteil einer intendierten Gesellschaftsreform, die auch die Programmatik der 1848er-Revolution entscheidend mitbestimmen wird.80 Fourier selbst hat den Begriff selbst nur sparsam und adjektivisch benutzt, wobei die Verwendung von juristisch über wohlfahrtstaatlich bis sozialkämpferisch mäandert.81 Renaud hat seine Interpretation von Fouriers frühsozialistischen Lehren aber mit diesem Schlagwort betitelt.82 Dort spricht er vom „göttlichen Gesetz der Solidarität“ und von der Solidarität als „gerechte und heilige Sache“83. Deskriptive und moralisch-normativen Elemente werden hier ebenso erkennbar wie religiöse. Hier wird die Nutzung des Solidaritätsbegriffs als Verbindungsstück einer alten und neuen Verwendungsweise offensichtlich. Erstmals systematisch in einem rein philosophisch-wissenschaftlichen und vollständig vom juristischen Gebrauch befreiten Kontext eingeführt wird Solidarität durch den französischen Philosophen Pierre Leroux, der 1840 in seinem Werk „De l’humanité“ den Begriff als zentrales Konzept einer theoretischen Abhandlung verwendet.84 Solidarität wird bei Leroux in Anlehnung an die christliche Lehre als altruistisches Gefühl bestimmt, das alle Menschen untereinander und mit Gott verbindet.85 Leroux möchte die christliche Nächstenliebe, die er kritisiert, da sie nur auf Gott ausgerichtet sei und nicht auch auf die Menschen untereinander, durch Solidarität ersetzen. Die Menschheit sei als Spezies vereint, woraus er eine wechselseitige Verantwortlichkeit und Verpflichtungen ableitet: 78 79

80 81 82

83

84 85

Vgl. Fiegle (2003): S. 41ff.; Große Kracht (2017): S. 21ff. Vgl. Renaud, Hippolyte (1842): Solidarité. Vue synthétique sur la doctrine de Ch. Fourier, Paris. Vgl. Wildt (1998): S. 206. Vgl. Stjernø (2005): S. 28. Die Übersetzung hat möglicherweise auch die Verbreitung des Solidaritätsbegriffs in Deutschland gefördert. Vgl. Wildt, Andreas (1995b): Solidarität, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9, Basel, S. 1004-1015, S. 1006. Renaud, Hippolyte (1855): Solidarität. Kurzgefaßte Darstellung der Lehre Karl Fourier’s, 3. Auflage, Zürich, S. 34. Vgl. Metz (1995): S. 21. Vgl. Wildt (1998): S. 205f.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

23

„Leroux postuliert nun ‚solidarité‘ als ein Gefühl wechselseitiger Verbundenheit und Verantwortlichkeit, das sowohl die Liebe zu den Mitmenschen wie auch die Liebe zu sich selbst und letztlich auch die Liebe zu Gott umfasst. Anders als ‚charité‘ ist ‚solidarité‘ auf das Diesseits ausgerichtet und stellt insofern ein Moralprinzip dar, das die Menschen direkt (nicht über einen außenstehenden Gott) miteinander verbindet [Herv. i. O.].“86

Diese gegenseitige und unaufhebbare Verbundenheit der Menschen untereinander und mit dem göttlichen Sein interpretiert er gegen die patriarchale Tradition des Christentums im Sinne der Freiheits- und Gleichheitsambitionen seiner Zeit.87 Solidarität bleibt bei Leroux durch den Verzicht auf den universellen Gehalt der Nächstenliebe auf partikulare Gesellschaften beschränkt: Die Menschen sind sich nur dann wechselseitig verpflichtet, wenn sie durch das gesellschaftliche Zusammenleben miteinander verbunden sind. Damit wird Solidarität Aufgabe der Politik, die diese Verbundenheit aufzeigen, die Verpflichtung organisieren und konkretisieren muss.88 2.1.4. Wirkung in der Arbeiterbewegung In der aufkommenden Arbeiterbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts wird Solidarität als reformistischer Gesinnungsbegriff verwendet, der für das Füreinandereinstehen und den Zusammenhalt in Bezug auf ein gemeinsames Interesse steht.89 Der Solidaritätsbegriff erhält damit nicht nur eine dezidiert politische Komponente, sondern verstärkt auch seine Entwicklung zu einem soziomoralischen Prinzip. Es ist jedoch auch festzuhalten, dass eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Begriff im marxistischen Denken nicht erwähnenswert stattgefunden hat.90 Im Kommunistischen Manifest kommt der Solidaritätsbegriff nicht ein einziges Mal vor. Solidarität bewegte sich damit im Zusammenhang mit der Arbeiterbewegung lediglich im Bereich des Kampfes, den das Proletariat gemeinsam – solidarisch – im Sinne ihrer gemeinsamen Interessen führen muss. In den Ausführungen von Ferdinand Lasalle tritt die fundamentale Wichtigkeit von Solidarität als Zentralbegriff der Arbeiterbewegung deutlich hervor. 86 87 88 89 90

Zürcher (1998): S. 61. Vgl. Große Kracht (2017): S. 57f. Vgl. Zürcher (1998): S. 61. Vgl. Gussone (2006): S. 24f. Vgl. Große Kracht (2017): S. 65f.

24

2 Solidarität in der Europäischen Union

Lasalle nutzte ihn als deskriptiven Begriff zur Bezeichnung der Gleichheit der Interessen und der Interdependenz der Arbeiter zur Durchsetzung dieser Interessen. 1863 schreibt er, wegen der Ungleichheiten zwischen den Individuen müsse in einem sittlich geordneten Gemeinwesen die Solidarität der Interessen, die Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit in der Entwicklung zur Freiheit des Individuums hinzutreten.91 Karl Liebknecht geht 1871 noch weiter: „Der Begriff der allgemeinen menschlichen Solidarität ist der höchste Kultur- und Moralbegriff; ihn voll zu verwirklichen, das ist die Aufgabe des Sozialismus.“92 Systematisch bearbeitet hat aber auch er den Begriff nicht, was angesichts dieser rhetorischen Zuspitzung verwunderlich ist. Schließlich fasst Eduard Bernstein 1910 die Wichtigkeit des Solidaritätsbegriffs für die Arbeiterbewegung wie folgt zusammen: „Man kann auch sagen, daß [sic!] innerhalb der Arbeiterbewegung kein Prinzip, keine Idee stärkere Kraft ausüben, als die Erkenntnis von der Notwendigkeit der Solidaritätsausübung. Gegen sie kommt keines der anderen großen normgebundenen Prinzipien des sozialen Rechts auf – weder das Prinzip der Gleichheit, noch das Prinzip der Freiheit.“93

Doch auch bei Bernstein sucht man eine systematische Konzeption vergeblich. In der Arbeiterbewegung wird Solidarität exklusiv auf die Klasse der Arbeiter bezogen und als Kampf-Solidarität formuliert, die als Mittel zum Zweck auf die Herstellung der Gemeinschaft gerichtet war.94 Der partikulare Gruppenbezug wird hier besonders betont, besitzt dabei aber keine Bindung an den Nationalstaat. Erkennbar wird eine Verbundenheit durch gemeinsame Interessen, die zum Handeln zur Erreichung gemeinsamer Ziele (Reform oder gar Revolution) auffordert. Die Reichweite ist explizit auf Trans- bzw. Internationalität ausgelegt. Später wird dieses Motiv auch in anderen sozialen Bewegungen aufgenommen, beispielsweise in der Frauenbewegung.95 Das Fehlen einer Theoriediskussion um Solidarität in 91

92

93 94

95

Vgl. Bernstein, Eduard (Hg.) (1919): Ferdinand Lasalle: Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, Berlin, S. 195. Liebknecht, Wilhelm (1976): Zu Schutz und Trutz. Festrede gehalten zum Stiftungsfest des Crimmitschauer Volksvereins, gehalten am 22. Oktober 1871, in: Ders.: Kleine politische Schriften, Leipzig, S. 84-132, S. 99. Bernstein, Eduard (1910): Die Arbeiterbewegung, Frankfurt a. M., S. 134. Vgl. Tenfelde, Klaus (1998): Arbeiterschaft, Solidarität und Arbeiterbewegung. Kommentar zum Beitrag von Karl H. Metz, in Bayertz, Kurt (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 195-201, S. 197. Im Theorienspektrum der Internationalen Beziehungen findet sich dieses Motiv heute vor allem im Neogramscianismus wieder: Solidarität gilt dort als praktische Orientierung in einem

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

25

der Zeit der aufkommenden „sozialen Frage“ ist möglicherweise auf die beschriebene Enge der Nutzung des Begriffs zurückzuführen. 2.1.5. Verwendung in der aufkommenden Soziologie: Comte und Durkheim August Comte hat den Solidaritätsbegriff in den akademischen Diskurs der Soziologie eingeführt, als deren Mitbegründer er gilt.96 Comte stellte fest, dass „überall, wo irgend ein System besteht, hinfort auch eine gewisse Solidarität bestehen muß [sic!]“97, und damit eine „allumfassende soziale Solidarität“98 in der menschlichen Gesellschaft. Comte nutzt Solidarität durchgehend deskriptiv und strikt moralfrei zur Beschreibung sozialer Interdependenzen zwischen Individuen, die unabhängig von deren Empfindungen und Einsichten bestehen.99 Comte selbst war so überzeugt von der Existenz dieses Phänomens, dass er „auch keinen förmlichen, methodischen Nachweis einer solchen grundlegenden Solidarität zwischen allen möglichen Seiten des sozialen Organismus zu liefern [brauche], über die außerdem heute bei allen vernünftig Denkenden, wenigstens im Prinzip, keine ernsten Meinungsverschiedenheiten mehr bestehen.“100

Ein solcher Ansatz ist offensichtlich höchst verwundbar und wenig hilfreich für eine Theoretisierung des Begriffs. Solidarität ist bei Comte verbunden mit seinem Begriff der Kontinuität: Sie ist der integrative Mechanismus der Gesellschaft, durch den zwischen den Gene-

96

97

98 99 100

sozio-politischen Kampf gegen Ausbeutung und für eine Transformation der existierenden Ordnung von Marginalisierten, die sich in vergleichbaren strukturellen Bedingungen wiederfinden. Vgl. Weber, Martin (2007): The concept of solidarity in the study of world politics: towards a critical theoretic understanding, in: Review of International Studies, Jg. 33 (4), S. 693-713, S. 697f. Diese akademische Verwissenschaftlichung von Solidarität hatte in der Folge erheblichen Einfluss auf die Bearbeitung in anderen wissenschaftlichen Teildisziplinen. Vgl. Fiegle (2003): S. 91ff. Comte, Auguste (1923): Soziologie. Aus dem französischen Original ins Deutsche übertragen von Valentine Dorn und eingeleitet von Professor Dr. Heinrich Waentig in Halle a. d. S., Band 1, Der dogmatische Teil der Sozialphilosophie, 2. Auflage, Jena, S. 254. Ebd. Vgl. Große Kracht (2017): S. 97. Comte (1923): S. 238.

26

2 Solidarität in der Europäischen Union

rationen kulturelle Güter weitergegeben werden, von denen vor allem die bestehende Generation abhängig ist, und durch welche die Individuen aneinander gebunden werden.101 Seine Soziologie zeige „notwendig unmittelbar und ununterbrochen, wie die Masse des Menschengeschlechtes, in der Gegenwart, in der Vergangenheit und selbst in der Zukunft, in jeder Hinsicht und immer mehr, sei es örtlich oder zeitlich, eine ungeheure und ewige soziale Einheit bildet, deren verschiedene individuelle oder nationale Organe, unaufhörlich durch eine innige und allumfassende Solidarität verbunden, jedes auf seine Art und in einem bestimmten Maße zur fundamentalen Entwicklung der Menschheit unvermeidlich beitragen;“102

Comte denkt Solidarität – in Abgrenzung zu den Vertragstheoretikern – als gegenseitige Abhängigkeit innerhalb der Individuen einer Gesellschaft nicht als künstliches Ergebnis eines Vertrags, sondern als natürlich aus der Geschichte erwachsen.103 In diesem Zusammenhang sieht Comte in der fortschreitenden Arbeitsteilung in der Gesellschaft auch den Ausdruck der sozialen Solidarität. 104 Gleichzeitig ist er angesichts der Zersplitterung und Spezialisierung in der modernen Gesellschaft auch skeptisch in Bezug auf die integrative Kraft der Arbeitsteilung, die er der geistig-moralischen Sphäre zuordnet und ein erzieherisches Postulat zuweist.105 Ein Schüler Comtes, Émile Durkheim, stellt Solidarität mit seinem 1893 erschienen Werk „Über soziale Arbeitsteilung“106 in den Mittelpunkt seiner soziologischen Theorie und greift dabei die Lehren seines akademischen Lehrers auf. Durkheim versteht die Bindungskräfte, die eine Gesellschaft zusammenhalten – die soziale Solidarität – als Relationierungsmodus: Sie ist eine Form der Soziabilität, die einen Zusammenhang zwischen einer Gesellschaft und ihrem Regel- und

101 102 103 104 105 106

Vgl. Stjernø (2005): S. 32. Comte (1923): 297. Vgl. Fiegle (2003): S. 93. Vgl. Comte (1923): S. 436. Vgl. Große Kracht (2017): S. 90ff. Durkheim, Émile (1893): De la division du travail social. Étude sur l'organisation des sociétés supérieures, Paris.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

27

Wertesystem bezeichnet.107 Diese so verstandene Solidarität differenziert Durkheim in zwei verschiedene Existenzformen: Mechanische Solidarität sei der vorherrschende Solidaritätstyp in segmentär differenzierten – „traditionellen“ – Gesellschaften.108 Diese Gesellschaften funktionieren in seiner Darstellung folgendermaßen: Ohne ausgeprägte Autonomie der Individuen erwächst dort ein Kollektivbewusstsein, das sich aus einer gemeinsamen sozialen Lage und aus Ähnlichkeit speist.109 Die diesen Gesellschaften inhärente Ähnlichkeit des Denkens, Fühlens und Handelns führe zu einer Übereinstimmung der Denk- und Lebensweise und damit zu einem kollektiven Verbundenheitsgefühl, auf dem die soziale Solidarität beruht.110 Sie entsteht mechanisch – heute würde man sagen „automatisch“. Die zweite Existenzform – organische Solidarität – sei hingegen das vorherrschende Solidaritätsprinzip in arbeitsteilig differenzierten – „modernen“ – Gesellschaften.111 Diese Gesellschaften funktionieren ähnlich einem organischen, differenzierten Organismus, in dem alle Teile aufeinander abgestimmt miteinander kooperieren müssen, damit er funktioniert. Die Verschiedenheit ist hier also der entscheidende Faktor: Mit der steigenden Arbeitsteilung und Individualisierung der Menschen in der Gesellschaft verstärke sich auch ihre Interdependenz, da sie immer stärker von der Produktion und Rolle der anderen Gesellschaftsmitglieder abhängig werden.112 Auch hier bildet also Solidarität – die organische – die Grundlage für ein Kollektivbewusstsein, das in diesem Verständnis über die ökonomischen Abhängigkeitsbeziehungen hinausgeht.113 In den modernen Gesellschaften mit organischer Solidarität sind soziale Kontrolle und Sanktionen notwendig, um die Gesellschaftsmitglieder dazu zu bringen, für das Zusammenleben unabdingbare Kompromisse und Konzessionen zu reglementieren.114 Hier wird deutlich, dass Durkheim Solidarität sowohl deskriptiv als soziales Faktum in der

107

108

109 110 111 112 113 114

Vgl. Müller, Hans-Peter/Schmid, Michael (1992): Arbeitsteilung, Solidarität und Moral. Eine werkgeschichtliche und systematische Einführung in die „Arbeitsteilung“ von Émile Durkheim, in: Durkheim, Émile: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, Frankfurt a. M., S. 481-521, S. 489f. Vgl. Durkheim, Émile (1992): Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, Frankfurt a. M., S. 229ff. Vgl. Zoll (2000): S. 27. Vgl. Piazolo (2004): S. 99f. Vgl. Durkheim (1992): S. 237ff. Vgl. Bayertz (1998): S. 27. Vgl. Fiegle (2003): S. 161. Vgl. Tranow (2012): S. 18.

28

2 Solidarität in der Europäischen Union

Beschreibung von Gesellschaften verwendet, als auch eine normative Komponente postuliert.115 In Durkheims Ausführungen überlagert die organische Solidarität schließlich die mechanische zunehmend und ersetze diese.116 Er befindet sich mit seinem Entwurf in weitgehender Übereinstimmung mit der Theorie des Übergangs der Gemeinschaft zur Gesellschaft von Ferdinand Tönnies.117 Im Gegensatz zu Tönnies bewertet Durkheim diesen Prozess jedoch nicht als Niedergang der Solidarität, sondern als notwendige Entwicklung im Zuge der gesellschaftlichen Prozesse. In Durkheims Theorie wird das Verhältnis der gesellschaftlichen Verbundenheit und den notwendigen Sanktionen nicht geklärt. Somit bleibt eine notwendige Präzisierung des Verhältnisses zwischen deskriptiven und normativen Elementen aus.118 Auch die strikte Trennung von mechanischer und organischer Solidarität und damit von traditioneller und moderner Gesellschaft erscheint fragwürdig,119 ebenso ihre größtenteils holzschnittartige Konzeption.120 Letztlich bleibt der Solidaritätsbegriff bei ihm vage und sehr weit gefasst, die breite Auslegung lässt ihn konturenlos wirken. Das lässt sich mit seinem genuin soziologischen Ansatz erklären, indem er Solidarität als gesellschaftliche Tatsache erkennt, für die er Explikationen finden möchte und die nicht auf bestimmte zu erreichende Ziele der Gesellschaftsmitglieder gerichtet ist. Er bleibt in seiner Theoriebildung auch immer auf die gesamte Gesellschaft bezogen, damit auch implizit auf den Nationalstaat. Kleinere oder auch gesellschaftlich übergreifende Einheiten lässt er damit aus dem Blick. Die Konsequenzen, die sich aus dem postulierten Status quo ergeben, wie beispielweise gegenseitige Hilfsmechanismen innerhalb der Gesellschaft oder die Spezifika des Füreinandereinstehens, fehlen ebenfalls.

115

116 117

118

119 120

Hier liegt man falsch, wenn man Durkheims Systematisierung als rein deskriptiv charakterisiert, wie z.B. Zürcher (1998): S. 64. Vgl. Durkheim (1992): S. 229. Vgl. Tönnies, Ferdinand (1991) [1935]: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt. Ulf Tranow legt plausibel dar, dass es ihm dafür an einer Theorie des sozialen Handelns mangelt, die die Motivstruktur und Handlungsrationalität der Menschen miteinbezieht. Vgl. Tranow (2012): S. 18. Vgl. Hondrich/Koch-Arzberger (1998): S. 17. Vgl. Müller/Schmid (1992): S. 512f.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

29

2.1.6. Der französische Solidarismus Eine gänzlich andere Auseinandersetzung mit dem Solidaritätsbegriff als jene im Ansatz Durkheims findet sich beim geistigen Vater des „Solidarismus“ – Léon Bourgeois. Solidarität ist bei ihm als sozialreformerisches Anliegen konzipiert und dementsprechend praxisnäher an der „sozialen Frage“ der Zeit orientiert, und weniger abstrakt-akademisch. Durch Bourgeois und seine solidaristisch denkenden Mitstreiter kommt der Solidaritätsbegriff damals in der Mitte der französischen Gesellschaft an, auch weil er keinen Klassenkampf oder Revolution fordert, sondern gesamtgesellschaftlich orientierte Reformen anstrebt.121 Seine Solidaritätstheorie wird 1896 veröffentlicht. 122 Dort hat er den Begriff der sozialen Solidarität aus einer Verknüpfung von wissenschaftlicher Methode und moralischer Idee erarbeitet. Er konzipiert Solidarität als soziale Forderung: Sie existiert als Prinzip des gesellschaftlichen Zusammenlebens, woraus wechselseitige Verpflichtungen resultieren.123 Ausgangspunkt ist dabei das Konzept der sozialen Schuld, die jeder Mensch qua Geburt gegenüber der Gesellschaft auf sich lädt und gegenüber der Gesellschaft abzutragen hat. 124 Dies ist aber eher in Anlehnung an Comtes Konzeption zu verstehen und ist vollständig losgelöst von der christlichen Lehre der Erbsünde. Dabei arbeitet er mit zwei komplementären Solidaritätsbegriffen: einem deskriptiv-naturwissenschaftlichen („solidarité naturelle“)125 und einem normativ-sozialen („solidarité sociale“)126. In der solidarité naturelle versteht Bourgeois die Menschen als Teile in einem Organismus, die – durch die gemeinsame Schuldnerschaft gegenüber der Gesellschaft – aufeinander angewiesen und voneinander abhängig sind. Gleichzeitig sind sie aber auch Mitglieder einer sozialen Gemeinschaft: Die dort natürlich vorkommende Ungleichheit soll die solidarité sociale beheben, indem Gerechtigkeit hergestellt werden soll.127 Die solidarité sociale korrigiert also in Bourgeois‘ Konzeption die solidarité naturelle, in der die natürlichen Abhängigkeiten unweigerlich zu Ungleichheiten und Ungerechtigkeit führen. Es ist dann 121

122 123 124 125 126 127

Vgl. Hayward, J.E.S. (1959): Solidarity: The Social History of an Idea in Nineteenth Century France, in: International Review of Social History, Jg. 4 (2), S. 261-284, S. 278ff. Vgl. Bourgeois, Léon (1896): Solidarité, Paris. Vgl. Zürcher (1998): S. 62. Vgl. Bourgeois (1896): S. 115ff. Vgl. Ebd., S. 37ff. Vgl. Ebd., S. 73ff. Vgl. Zürcher (1998): S. 65.

30

2 Solidarität in der Europäischen Union

die Aufgabe von Normen, den sozialen Ausgleich zwischen den Gesellschaftsmitgliedern herzustellen. Bourgeois versteht die soziale Solidarität als Theorie der sozialen Gerechtigkeit, die an die Stelle der christlichen Nächstenliebe und republikanischen Brüderlichkeit tritt.128 Der Trias von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wird die Trias Solidarität, Gleichheit, Freiheit entgegengestellt.129 Die Bürger sind einander aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit in der gesellschaftlichen Kooperation verpflichtet und nicht aufgrund abstrakter Rechtsgrundsätze oder moralischer Prinzipien. Bourgeois konzipiert die solidarité sociale als objektiv bestehende Verpflichtung: „‚Solidarität‘ ist als Prinzip des Zusammenlebens wissenschaftlich sanktioniert und nicht religiös oder ideologisch verklärt [Herv. i. O.].“130 Auch im Solidarismus wird Solidarität also deskriptiv als soziale Tatsache gesehen. Daraus leitet Bourgeois normative soziale Verpflichtungen zur Realisierung von Gleichheit, Freiheit und vor allem Gerechtigkeit ab. Solidarität sieht er als Statik und Baumasse der Gerechtigkeit, die er als Bedingung für die gesellschaftliche Ordnung ansieht, deren Mitglieder sich nur durch Freiheit entwickeln können.131 Dabei konzeptualisiert Bourgeois durch den Solidarismus den Ausgleich der individuell vorhandenen Vor- und Nachteile zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft als quasi-vertragliche Regelung, welche er dann konkret zu einem Vorschlag eines Sozialsystems entwickelt, dessen Kernpunkt eine progressive Einkommenssteuer ist.132 Dieser konkret politisch-praktische Ansatz, der die Theorie des Solidarismus durchzieht, hat die Idee in Frankreich so erfolgreich werden lassen, dass sie dort bis heute in zeitgenössischer Adaption präsent ist.133

128 129

130 131 132 133

Vgl. Wildt (1995): S. 1008. Vgl. Große Kracht, Hermann-Josef (2015): „Die bedeutendste Entdeckung unserer Zeit“ (Charles Gide). Postliberale Solidaritätsdiskurse im Frankreich des 19. Jahrhunderts, in: Kneuer, Marianne/Masala, Carlo (Hg.): Solidarität. Politikwissenschaftliche Zugänge zu einem vielschichtigen Begriff, Baden-Baden, S. 29-50, S. 43. Zürcher (1998): S. 67. Vgl. Große Kracht (2017): S. 236. Vgl. Fiegle (2003): S. 121ff. Vgl. Wildt (1995): S. 1009.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

31

2.1.7. Solidarität in der katholischen Soziallehre In der katholischen Soziallehre stellt Solidarität neben Personalität und Subsidiarität eines der drei zentralen Ordnungsprinzipien der Gesellschaft dar. Ansatzpunkt ist hier die Menschenwürde, die durch die Gottesebenbildlichkeit gegeben ist. Dadurch besteht eine wechselseitige Bezogenheit aller Menschen auf die gesamte Gesellschaft, aus der eine gegenseitige Verpflichtung zur wechselseitigen Achtung der Menschenwürde entspringt.134 Solidarität ist Seinsprinzip des Menschen durch seine gottgegebene Anlage als soziales Wesen und drückt insofern „das wechselseitige Aufeinander-Angewiesen-Sein, die gegenseitige Abhängigkeit, die Bindung aller an die Gesellschaft und deren Rückbindung an die Einzelnen als ihre Glieder aus.“135 Aus dieser theologischen Fundamentierung folgt, dass Solidarität im Menschen als Wesensmerkmal konstitutiv angelegt und damit als universell verstanden wird. Heinrich Pesch hat mit seinem „Lehrbuch der Nationalökonomie“ (19051923) das christliche Gesellschaftsdenken erstmals systematisiert. Er plädierte dort für eine Art dritten Weg zwischen (kollektivistischem) Sozialismus und (individualistischem) Liberalismus, die er in Anlehnung an die französischen Vorläufer „Solidarismus“ nennt.136 Aus der wechselseitigen Abhängigkeit des Menschen ergibt sich für Pesch Solidarität gleichzeitig als deskriptives Seinsprinzip und moralisches Verplichtungsprinzip: „Für jeden denkenden Menschen ist die Verbindung zwischen der tatsächlichen Solidarität und der Solidarität als sittlicher Forderung durch das göttliche Sittengesetz von selbst gegeben.“137 Erstere beschreibt den Aufbau der Gesellschaft, zweitere die Pflicht aller Gesellschaftsmitglieder, auf das Gemeinwohl hinzuwirken.138 Diese Pflicht zur Solidarität sei „eine heilige Pflicht, weil sie in der menschlichen Natur ihre Fundamente hat und darum

134 135 136

137 138

Vgl. Küppers/Nothelle-Wildfeuer (2011): S. 2033. Rauscher, Anton (1975): Personalität. Solidarität. Subsidiarität, Köln, S. 24. Vgl. Pesch, Heinrich (1914): Lehrbuch der Nationalökonomie, Band 1, 2. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, S. 393. Ebd., S. 394f. Vgl. Bohrmann, Thomas (2006): Solidarität und Solidarismus bei Henrich Pesch (1854-1926), in: Hilpert, Konrad/Bohrmann, Thomas: Solidarische Gesellschaft. Christliche Sozialethik als Auftrag zur Weltgestaltung im Konkreten, Regensburg, S. 13-28, S. 25.

32

2 Solidarität in der Europäischen Union

eine Forderung des natürlichen Gottesrechtes darstellt.“ 139 Das Gemeinwohl verbindet Pesch mit Gerechtigkeit, weswegen er den Staat in der Pflicht sieht, soziale Gerechtigkeit herzustellen.140 Aus der gottgegebenen menschlichen Natur ergibt sich bei Pesch faktisch Solidarität, die wiederum dazu verpflichtet, das Gemeinwohl anzustreben. Nur im Zusammenwirken mit anderen kann der Mensch seine Ziele erreichen: Die wechselseitige Bindung ermöglicht erst die Freiheit, mit der sich der Menschen entfalten kann.141 Es war Pesch’s Schüler Oswald von Nell-Breuning, der (neben Gustav Gundlach) die gesellschaftsanalytische Perspektive in der Denktradition Peschs fortführte. Seine Schrift „Baugesetze der Gesellschaft“ von 1968 versteht sich als Kurzfassung von Peschs Monumentalwerk.142 Solidarität ist bei Nell-Breuning neben der Personalität und der Subsidiarität ein grundlegendes Prinzip des gesellschaftlichen Lebens: „Der Mensch ist als Person zwar mehr als nur ein Teil des gesellschaftlichen Ganzen. Er ist aber seinem Wesen nach hingeordnet auf die Gesellschaft; ebenso wesensnotwendig ist die Gesellschaft ihrerseits hingeordnet auf die Einzelmenschen, die ihre Glieder sind.“143 Nell-Breuning nennt dies „Gemeinverstrickung“: Die Gemeinschaft und ihre Glieder sind wechselseitig aufeinander angewiesen und voneinander abhängig.144 Daraus folgt für ihn eine Gemeinhaftung der Menschen, die er als Baugesetz der Gesellschaft bezeichnet.145 Solidarität ist gleichzeitig auch Seinsprinzip der Gesellschaft, nach der der Mensch aufgrund seiner Natur auf das Leben in der Gemeinschaft ausgelegt ist. 146 Die wechselseitige Abhängigkeit ergibt sich sowohl von Einzelnem und Ganzem, als auch von Gemeinwohl und Einzelwohl. Damit wird keine moralische, sondern eine ontologische Solidarität beschrieben. Solidarität wird zur Pflicht des Menschen und zum

139

140 141

142 143

144 145 146

Pesch, Heinrich (1899): Liberalismus, Socialismus und christliche Gesellschaftsordnung, Band 2, 2. Auflage, Freiburg, S. 433. Vgl. Große Kracht (2017): S. 31. Vgl. Rauscher, Anton (1995b): Solidarität, in: Görres-Gesellschaft (Hg.): Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, Band 4, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, S. 1191-1194, S. 1192. Vgl. Nell-Breuning, Oswald (1990) [1968]: Baugesetze der Gesellschaft, Freiburg, S. 11. Kerber, Walter (1995): Solidaritätsprinzip, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9, Basel, S. 1015-1018, S. 1015. Vgl. Nell-Breuning (1990): S. 17. Vgl. Ebd., S. 21. Vgl. Ebd., S. 22.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

33

„Grundgesetz der gegenseitigen Verantwortung“147, zum Baugesetz der menschlichen Gemeinschaft, welches ihre Struktur bestimmt.148 In dieser Auffassung bedarf es nicht der individuellen Zustimmung zur Solidarität, sondern sie muss vom Menschen anerkannt werden. Da ansonsten gegen die menschliche Natur verstoßen würde, muss sich das Individuum dementsprechend verhalten. Die Verwirklichung des Solidaritätsprinzips obliegt zwar dem freien Willen des Menschen, ist aber aus seiner gottgegebenen Natur heraus ein normativ-rechtliches Gebot.149 Dieser moralische Imperativ ergibt sich aus dem Gebot Gottes, das schließlich auch zu einer staatsbürgerlichen Pflicht erhoben werden kann.150 Ein Problem, das diese Konzeption der katholischen Soziallehre hat, ist offensichtlich: Sie ist anfällig für den naturalistischen Sein-Sollen-Fehlschluss. Daher haben Alois Baumgartner und Wilhelm Korff versucht, die Herleitung des Solidaritätsprinzips anders zu akzentuieren. Sie definieren das Solidaritätsprinzip durch seine Hinordnung auf den Menschen als Person mit Würde, das alle gleichsam in die Pflicht nimmt: „Solidarität meint sonach eine zu gegenseitiger Verantwortung motivierende Einstellung, die auf einem elementaren Bewusstsein von Zusammengehörigkeit gründet und eben darin selbst in der Partikularität ihrer jeweiligen Zielsetzungen eine wesentliche humane Dimension menschlichen Miteinanders ausdrückt und aktualisiert.“151

Die Verfolgung von Partikularinteressen durch die Individuen in der Gesellschaft müsse zudem auf das Gesamtwohl ausgerichtet sein.152 Durch die in der katholischen Soziallehre herrschende Definition des Gemeinwohls als Gerechtigkeit bedeute Solidarität „mithin, die auf dem Menschsein beruhende Pflicht, unter Rückbezug auf ein als Ziel vorgegebenes Ganzes (Gemeinwohl) Gerechtigkeit zu verwirklichen.“153 147 148 149 150 151

152 153

Ebd., S. 11. Vgl. Ebd., S. 15. Vgl. Ebd., S. 58. Vgl. Zürcher (1998): S. 82f. Baumgartner, Alois/Korff, Wilhelm (1999): Sozialprinzipien als ethische Baugesetzlichkeiten moderner Gesellschaft: Personalität, Solidarität, Subsidiarität, in: Görres-Gesellschaft (Hg.): Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 1, Gütersloh, S. 225-237, S. 231. Vgl. Ebd., S. 233. Küppers/Nothelle-Wildfeuer (2011): S. 2033.

34

2 Solidarität in der Europäischen Union

Baumgartner und Korff wollen den Solidaritätsbegriff von seinem Partikularzusammenhang lösen und erklären ihn daher zu einem universalen Handlungsprinzip.154 Dies ist im Zusammenhang mit dem Postulat der Menschenwürde ein logischer Schritt. Solidarität muss demnach unter allen Menschen gelten und wird als Mittel zum Zweck der Realisierung von Gerechtigkeit alias Gemeinwohl erkannt. Damit wird auch jegliche Solidarisierung, die die Ansprüche der Gerechtigkeit und der Menschenwürde unbeachtet lässt, ethisch defizitär.155 Schließlich weisen auch Baumgartner und Korff darauf hin, dass Solidarität zum Rechtsprinzip im freiheitlichen Sozialstaat werden muss, um sie realisierbar zu machen.156 Dies verträgt sich freilich nur schwer mit dem Postulat der Universalität.157 Es legt aber offen, dass in der katholischen Soziallehre neben deskriptiven und moralischen Elementen des Solidaritätsprinzips auch immer normativrechtliche mitgedacht werden, die in der politischen Praxis umgesetzt werden müssen. Die Faktizität des Menschen als solidarischem Wesen muss ihre Geltung in seinem Handeln erhalten, das durch das Recht abgesichert wird. Letztlich können die Anpassungen zur Vermeidung des naturalistischen Fehlschlusses auch in dieser auf die Menschenwürde bezogenen Form nicht überzeugen. Ein „elementares Bewusstsein von Zusammengehörigkeit“ und „eine zu gegenseitiger Verantwortung motivierende Einstellung“ bleiben bloßes Postulat. Die Menschen gehen die daraus resultierende Pflicht nicht freiwillig ein, die Handlungsmotivation wird in gewissem Sinne hinzugedichtet und ihnen aufoktroyiert. Es bleibt ebenso offen, wie der Schritt vom deskriptiven Element zur normativen Umsetzung mit Universalisierungsanspruch gelingen soll. Das Ziel der Universalisierung von Solidarität gelingt in der katholischen Soziallehre somit nicht plausibel. 2.1.8. Solidarität in der Gegenwartsdebatte: Habermas und Honneth Bei Jürgen Habermas ist Solidarität der zur individuellen Gleichbehandlung komplementäre Gesichtspunkt zur Gerechtigkeit und lässt dabei eine klare Orientierung an das Gemeinwohl erkennen: „Dieses Prinzip wurzelt in der Erfahrung, daß 154 155 156 157

Vgl. Baumgartner/Korff (1999): S. 232. Vgl. Küppers/Nothelle-Wildfeuer (2011): S. 2035. Vgl. Baumgartner/Korff (1999): S. 233. Auf die offensichtlichen Schwächen dieser Verbindung hat Markus Daniel Zürcher hingewiesen. Vgl. Zürcher (1998): S. 87.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

35

[sic!] einer für den Anderen einstehen muß [sic!], weil alle als Genossen an der Integrität ihres gemeinsamen Lebenszusammenhangs in derselben Weise interessiert sein müssen.“158 Daher fordere Gerechtigkeit als ihr Anderes Solidarität, was die beiden Begriffe zu zwei Aspekten derselben Sache mache, und nicht zu sich gegenseitig ergänzenden Aspekten: „Gerechtigkeit [Herv. i. O.] bezieht sich auf die gleichen Freiheiten unvertretbarer und sich selbst bestimmender Individuen, während sich Solidarität [Herv. i. O.] auf das Wohl der in einer intersubjektiv geteilten Lebensform verschwisterter Genossen bezieht – und damit auch auf die Erhaltung der Integrität dieser Lebensform selbst.“159

Man könne Gerechtigkeit für das Individuum nicht fordern, ohne die Anderen in der Gemeinschaft miteinzubeziehen. Damit verliere Solidarität ihre partikulare Ausrichtung als Teil einer universalistischen Moral.160 Für (s)eine ideale Kommunikationsgemeinschaft ist eine unkündbare Solidarität zwingend notwendig, sonst sei ihre Idee nicht universalisierbar.161 Aus dem gegenseitigen Schutz des Individualwohls durch Solidarität als Füreinandereinstehen unter Gerechtigkeitsprinzipien leitet Habermas also ab, dass dadurch das Gemeinwohl erreicht würde, und zwar über partikulare Beziehungen hinausgehend. Im Zuge der Globalisierung sieht Habermas die Gefahr einer Erosion der nationalstaatlich orientierten Solidarität. Die historische Symbiose zwischen Republikanismus und Nationalismus müsse aufgelöst werden und durch einen Verfassungspatriotismus ersetzt werden, der die neue globalisierte und heterogene Mehrheitskultur aneinander binden kann.162 Dabei bildet die deliberative Meinungs- und Willensbildung der Bürger die Grundlage für die Herstellung von Solidarität, die allgemein anerkannten Maßstäben sozialer Gerechtigkeit genügen muss und durch eine faire Verteilung von und angemessene Ausstattung mit Rechten erhalten werden könne.163 158

159 160 161 162

163

Habermas, Jürgen (1991): Gerechtigkeit und Solidarität. Zur Diskussion über „Stufe 6“, in: Ders. (Hg.): Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt a. M., S. 49-76, S. 70. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 72. Vgl. Habermas, Jürgen (1998): Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: Ders. (Hg.): Die postnationale Konstellation. Politische Essays, Frankfurt a. M., S. 91-169, S. 113ff. Vgl. Ebd., S. 117.

36

2 Solidarität in der Europäischen Union

Obwohl sich Habermas in vielen seiner Schriften mit der Europäischen Union beschäftigt hat, hat er Solidarität nie auf der Akteursebene der Mitgliedstaaten gedacht und ist in seinen Betrachtungen immer in der intersubjektiven Sphäre verblieben.164 Dabei wird ihm zurecht vorgeworfen, dass er den Begriff zu weit fasst und somit überdehnt, keine trennscharfen Differenzierungen zwischen gesellschaftstheoretischen und normativen Aspekten vorgenommen hat, und ihn daher letztlich nicht ausreichend systematisch theoretisiert. 165 Dadurch wird vor allem auch sein Universalisierungsargument unplausibel. Der Habermas-Schüler Axel Honneth nimmt von seinem Lehrer in seiner Gesellschaftstheorie das Thema der Anerkennung als dem sozialintegrativen Element von Gesellschaften auf.166 Seine zentrale Grundannahme lautet mithin: „um zu einem ungebrochenen Selbstverhältnis gelangen zu können, bedürfen menschliche Subjekte über die Erfahrung von affektiver Zuwendung und rechtlicher Anerkennung hinaus stets auch noch einer sozialen Wertschätzung, die es ihnen erlaubt, sich auf ihre konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten positiv zu beziehen.“167

Daraus folgert er drei Anerkennungssphären: die emotionale (Liebe), die kognitive (Recht) und die soziale: In letzterer vollziehe sich die Anerkennung durch Solidarität.168 Solidarität drückt bei Honneth soziale Wertschätzung aus und ist auf die individuellen Fähigkeiten und Eigenschaften von Personen gerichtet. Der Einzelne wird als für die Gemeinschaft unverzichtbare Person anerkannt.169 Dies geschieht 164

165 166 167

168 169

Bezogen auf die Möglichkeit einer Bürgersolidarität innerhalb der Europäischen Union geht Habermas davon aus, dass sich die Bevölkerungen durch den Impetus eines schon vorherrschenden pluralistischen Staatsbürgerethos von den ethnischen oder nationalstaatlichen Motiven der Solidarität immer weiter lösen werden. Vgl. Habermas, Jürgen (2008): Konstitutionalisierung des Völkerrechts und die Legitimationsprobleme einer verfassten Weltgesellschaft, in: Brugger, Winfried/Neumann, Ulfrid/Kirste, Stephan (Hg.): Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, Frankfurt a. M., S. 360-379, S. 378. Die Herausbildung einer paneuropäischen Solidarität zwischen den Bürgern sei insofern – wie er am Beispiel der Unionsbürgerschaft verdeutlichen will – ein logischer und folgerechter Prozess. Dieser setze allerdings voraus, dass die sozialen Ungleichheiten innerhalb der EU ausgeglichen werden. Vgl. Habermas, Jürgen (2012): Zur Verfassung Europas. Ein Essay, Bonn, S. 81f. Vgl. Löschke (2015): S. 33f; Wildt (1998): S. 213; Große Kracht (2017): S. 324. Vgl Habermas (1991): S. 70. Honneth, Axel (1992): Kampf und Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt a. M., S. 196. Vgl. Ebd., S. 211. Vgl. Küppers/Nothelle-Wildfeuer (2011): S. 2035.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

37

durch die gegenseitige Anerkennung von Leistungen und Fähigkeiten, die von der Gesellschaft als wertvoll angesehen werden.170 Die Personen erkennen, dass andere ihnen bei der Erreichung von Zielen helfen können, und bringen einander daher in einer gemeinsamen Lebenspraxis Solidarität entgegen.171 Ferner ist ein gemeinsamer Werthorizont notwendig, als Grundlage der gemeinsamen Lebenspraxis und der gegenseitigen Wertschätzung.172 Wie Habermas identifiziert Honneth Solidarität ausschließlich in der intersubjektiven Ebene. Ebenso ist beiden die Gemeinwohlorientierung gemeinsam. Die eigentümliche Bestimmung von Solidarität nach Leistungen und Fähigkeiten, also nach kapitalistischen Nützlichkeitserwägungen, hat später dazu geführt, dass Honneth den Solidaritätsbegriff fallengelassen und ihn durch den der „Leistung“ ersetzt hat.173 Diese Revision ist wohl auch auf den Mangel einer moralischen Komponente zurückzuführen, die das Solidaritätskonzept in den sozialphilosophischen Überlegungen Honneths hat.174 2.1.9. Zusammenfassung: Das Konzept der Solidarität Aus den begriffsgeschichtlichen Ausführungen lässt sich festhalten, dass der Solidaritätsbegriff rechtliche, philosophische, theologische, soziologische, wirtschaftswissenschaftliche und politische Elemente hat, die sich überlappen. Die Gemeinsamkeiten werden nun kurz zusammengefasst und zu einem selbstständigen Konzept von Solidarität vereinigt. Solidarität besitzt sowohl eine deskriptive wie auch eine normative Dimension. Zu ersterer gehört, dass Solidarität auf partikulare Gruppen beschränkt ist, in denen sich Akteure aneinander binden und Abhängigkeiten bzw. Interdependenzen entwickeln. Solidarität kann nicht überzeugend mit einem Universalisierungsgebot bestimmt werden.175 Solidarität gegenüber allen stellt für einen Akteur eine

170 171

172 173 174 175

Vgl. Honneth (1992): S. 209. Vgl. Honneth, Axel (2000): Posttraditionale Gemeinschaften. Ein konzeptueller Vorschlag, in: Ders.: Das Andere der Gerechtigkeit, Berlin, S. 328-338, S. 331. Vgl. Ebd., S. 332. Vgl. Große Kracht (2017): S. 327. Vgl. Löschke (2015): S. 51. Dazu trägt wahrscheinlich auch bei, dass universelle Prinzipien keine zeitliche Einschränkung besitzen. Menschenrechte beispielsweise sollen in jeder Hinsicht grenzenlos sein. Der Solidarität inhärent ist jedoch eine Möglichkeit zur Beendigung: Solidaritäten können enden, da Gruppenzugehörigkeiten aufgekündigt werden dürfen oder sich Interessen ändern können.

38

2 Solidarität in der Europäischen Union

Überforderung dar.176 Damit geht ein ausschließender Charakter von Solidarität einher. Akteure können aber stets mehrere Solidaritäten besitzen. Solidarität ist niemals der Zweck an sich. Sie ist immer auf ein gemeinsames Ziel gerichtet, das die Bezugsgruppe zu erreichen sucht und dessen Legitimität von ihr anerkannt ist.177 Dieses Ziel wird häufig mit dem Gemeinwohl in Verbindung gebracht. Damit ist Solidarität auch kein Wert an sich. Sie kann auf Werte bezogen sein, die die Bezugsgruppe erreichen möchte. Die Ziele müssen aber nicht notwendigerweise Werte sein, gleichwohl muss Solidarität normativ dem Anspruch von höherstufigen moralischen Begriffen bzw. universellen Werten genügen.178 Ansonsten wäre die Zuschreibung von Solidarität unter Terrororganisationen, organisierter Kriminalität oder Diktatoren legitim. Man sollte also nicht von Solidarität sprechen, wenn diese nicht auf eine Form der Zielerreichung gerichtet ist, die mit Freiheits-, Gleichheits- und vor allem Gerechtigkeitsprinzipien in Einklang zu bringen ist. In diesen Fällen wäre eine andere Begriffsauswahl geboten, beispielsweise die der Loyalität.

176

177

178

Dieses Problem wird in der sozialphilosophischen Auseinandersetzung an einigen Stellen mit dem Prinzip der „moralischen Arbeitsteilung“ gelöst. Solidarität fungiert dann, grob, über ihr konstitutives Element der Partikularität als eine Art Entlastungsmechanismus für die Überforderung von Akteuren, da Hilfspflichten nur im begrenzten Maße eingegangen werden können. Vgl. hier vor allem Löschke (2015), aber auch Depenheuer (1998) oder Angehrn, Emil (2001): Solidarität als Leitbegriff der Sozialphilosophie, in: Küchenhoff, Joachim (Hg.): Solidarität und Selbstverwirklichung, Gießen, S. 13-31. Vgl. Bedorf, Thomas (2011): Politik, Recht oder Moral? Zur Frage nach der Begründung von Solidarität, in: Busche, Hubertus (Hg.): Solidarität. Ein Prinzip des Rechts und der Ethik, Würzburg, S. 107-126, S. 109; Mau, Steffen (2005): Leerstelle europäische Solidarität?, in: Berger, Johannes (Hg.): Zerreißt das soziale Band? Beiträge zu einer aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte, Frankfurt a. M., S. 245-272, S. 247; Schieder, Siegfried (2009): Zur Theorie der Solidarität und internationalen Gemeinschaft, in: Harnisch, Sebastian/Maull, Hanns W./Schieder, Siegfried (Hg.): Solidarität und internationale Gemeinschaftsbildung. Beiträge zur Soziologie der internationalen Beziehungen, Frankfurt a. M., S. 11-59, S. 21.; Rehg, William (2007): Solidarity and the Common Good. An Analytical Framework, in: Journal of Social Philosophy, Jg. 38 (1), S. 7-21, S. 8; Piazolo (2004): S. 193; Zürcher (1998): S. 175. Vgl. Bayertz (1998): S. 50; Münkler (2004): S. 16; Schieder (2009): S. 20; Zürcher (1998): S. 176; Löschke (2015): S. 71ff.; Derpmann, Simon (2013): Gründe der Solidarität, Münster, S. 206ff.

2.1. Begriffsgeschichte von Solidarität

39

Zur normativen Dimension von Solidarität gehört, dass die Verbundenheit zwischen den Akteuren, die die Erwartung von Gegenseitigkeit beinhaltet, in reziproken Verpflichtungen mündet.179 Wichtig ist hier, dass die Erwartung der Gegenseitigkeit im Zentrum steht: Das beinhaltet, dass ein Akteur die notwendige Hilfsleistungen von der Gruppe erwartet, wenn er sie benötigt, jedoch keine direkte Gegenleistung erwartet, wenn er sie leistet. Wenn ein Akteur einer Unterstützungspflicht nicht nachkommen kann, ist dies akzeptabel; nicht jedoch, wenn er sie erbringen könnte, aber es nicht tut. Ebenso akzeptiert ein Akteur damit, möglicherweise nie Empfänger von Hilfsleistungen zu sein, wenn er sie nicht benötigen sollte. Dementsprechend gehört zur normativen Dimension grundsätzlich, dass sich die eingegangenen Verpflichtungen zu Unterstützungs- und Hilfeleistungen konkretisieren, die wechselseitig sind und die Verwirklichung der gemeinsamen Ziele sichern sollen.180 Das schützt den Solidaritätsbegriff vor einer rein appellativen Bestimmung, über die er klar erkennbar hinausgeht. Akteure sichern das Erreichen ihrer Ziele insofern ab, als sie für sie füreinander einstehen und gegenseitige Pflichten kreieren. Die Kreierung und Konkretisierung von Verpflichtungen wird ebenso wie das Auffinden von Verbundenheit in Bezugsgruppen in der politischen Sphäre vollzogen. Damit wird in diesem Konzept dafür plädiert, das supererogatorische Moment ausdrücklich nicht zwingend unter Solidarität zu subsumieren.181 Solidarität als Handlung ohne Reziprozitätserwartung, ohne legitimen Anspruch, ohne daraus resultierende Hilfspflichten, ist keine Solidarität. Das Supererogatorische – also der freiwillige Akt der „Solidarisierung“, der über das geforderte Maß hinausgeht – enthält weder notwendigerweise eine Reziprozitätserwartung noch Hilfspflich-

179

180

181

Vgl. Bayertz (1998): S. 49; Hondrich/Koch-Arzberger (1992): S. 14; Zürcher (1998): S. 103; Mau (2005): S. 247; Schieder (2009): S. 32f.; Wildt (1998): S. 212; Küppers/Nothelle-Wildfeuer (2011): S. 2027; Derpmann, Simon (2009): Solidarity and Cosmopolitanism, in: Ethical Theory and Moral Practice, Jg. 12 (3), S. 303-315, S. 305. Vgl. Röttgers (2011): S. 52; Bedorf (2011): S. 109; Gussone (2006): S. 24f.; Hondrich/KochArzberger (1992): S. 14; Mau (2005): S. 247; Schieder (2009): S. 21; Küppers/Nothelle-Wildfeuer (2011): S. 2027; Hinkmann, Jens/Noetzel, Thomas (1999): Solidarität, in: Burkard, Franz-Peter/Prechtl, Peter (Hg.): Metzler Philosophie Lexikon. Begriffe und Definitionen, 2. Auflage, Stuttgart, S. 548-549, S. 548. So aber Wildt (1998): S. 213.

40

2 Solidarität in der Europäischen Union

ten, und mündet daher wohl eher in einen Akt der Liebe, Freundschaft, Barmherzigkeit oder Nächstenliebe. Denn er hat nicht zwingend einen partikularen Gruppenbezug und wirkt zufällig und willkürlich. Eine Solidarisierung wird nur dann zur Solidarität, wenn sie alle Bedingungen des Konzeptes erfüllt. Daher ist es wichtig zu erkennen, dass Solidarisierung nur einen Teilaspekt von Solidarität darstellt, auf den notwendigerweise weitere Bedingungen folgen müssen, um echte Solidarität zu konstituieren. Damit geht auch ein Plädoyer dafür einher, nicht jede Form von Hilfsbereitschaft und -ausübung, Interessensgleichheit oder Handlungsaufforderung mit dem Solidaritätsbegriff zu verbinden. Dies ist insbesondere in der öffentlichen Wahrnehmung des Solidaritätsbegriffs zu häufig der Fall und verwässert den Begriff für eine handhabbare und zielführende Nutzung. Im Endergebnis teilt sich Solidarität in vier Bedingungsfaktoren auf, die das Konzept der Solidarität dieser Arbeit konstituieren: (1) Solidarität hat immer einen partikularen Charakter und ist nur auf spezifische Gruppen anwendbar. (2) Solidarität ist auf ein gemeinsames Ziel gerichtet, dessen Legitimität von der Bezugsgruppe anerkannt ist. Solidarität ist das Mittel zum Zweck zur Erreichung dieses Zieles. (3) Solidarität schafft eine wechselseitige Verbundenheit und verlangt eine reziproke Verpflichtung. (4) Solidarität äußert sich in einem Füreinandereinstehen für das gemeinsame Ziel, welches sich in Unterstützung und Hilfe ausdrückt. Alle vier Faktoren sind untrennbar miteinander verbunden, bedingen sich gegenseitig und stellen wechselseitige Bezüge zueinander her. Sie sind in einer Bewertung als Maßstab nicht voneinander loszulösen und im Verbund anzuwenden und einzuhalten. Solidarität entsteht und funktioniert also im aufgeklärten Eigeninteresse von Akteuren. Der Akteur erkennt, dass er gewisse Ziele nur gemeinsam mit anderen erreichen kann und bildet zu diesem Zweck mit diesen eine Bezugsgruppe. Daraus ergeben sich für die Akteure auf freiwilliger Basis konkrete, reziproke Verpflichtungen in Form von Unterstützung und Hilfe, die zur Zielverwirklichung

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

41

eingegangen werden.182 Die Bezugsgruppe befindet sich in einer wechselseitigen Verbundenheit, innerhalb derer für das gemeinsame und legitimierte Ziel füreinander eingestanden wird. Dieser Prozess des Solidaritätsvollzugs von im aufgeklärten Eigeninteresse handelnden Akteuren vollzieht sich aufgrund der Charakteristika in der politischen Sphäre. Dort werden die spezifischen Verbindungen herausgebildet, die Verpflichtungen organisiert und konkretisiert. 183 Im folgenden Abschnitt wird vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse der für die Forschungsfrage relevante Teil des Solidaritätsbezugs in der Europäischen Union untersucht. Das hier erarbeitete Konzept von Solidarität wird dabei auf die Sphäre der Europäischen Union übertragen und mit den dort vorzufindenden spezifischen Charakteristika von Solidarität synthetisiert. Daraus wird ein Ergebnis gewonnen, das als Grundlage für den Fortgang der Analyse dienen wird.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union Nachdem im vorangegangenen Abschnitt der Kerngehalt des Solidaritätsbegriffs aus historischer und theoretischer Sicht herausgearbeitet worden ist, soll er im Folgenden für die Forschungsfrage operationalisiert werden. Die Konkretisierung hinsichtlich der Frage, welche Bedeutung der Solidaritätsbegriff in der Asylpolitik der Europäischen Union hat, muss seinen Kerngehalt gänzlich miteinbeziehen. Zuerst wird dafür dargelegt, welche Rolle Solidarität in der Europäischen Union generell spielt und wie sie dort konkret ausgestaltet ist. In einem zweiten Schritt werden diese Überlegungen auf die institutionellen Grundbedingungen der EU hin konkretisiert. Schließlich werden die Ergebnisse mit dem erarbeiteten Konzept der Solidarität zusammengeführt. Das Resultat wird als Grundlage für die Analyse in den Folgekapiteln dienen.

182

183

Vgl. Offe, Claus (2016): Europa in der Falle, Berlin, S. 139. Er sieht die Gültigkeit von Solidarnormen nur auf Basis freiwilliger Zusammenkünfte gerechtfertigt. Vgl. Heinig, Hans Michael (2013): Solidarität im föderalen Verbund. Rückwirkungen auf den Status des Bürgers und seiner Rechte, in: Calliess, Christian (Hg.): Europäische Solidarität und nationale Identität. Überlegungen im Kontext der Krise im Euroraum, Tübingen, S. 143157, S. 157.

42

2 Solidarität in der Europäischen Union

2.2.1. Die Europäische Union als „Rechtsgemeinschaft“ Winston Churchill machte in seiner berühmten gewordenen Rede am 19. September 1946 an der Züricher Universität deutlich, dass die Schrecken der beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine „Neuschöpfung der europäischen Völkerfamilie“ 184 forderten, die in „eine Art Vereinigte Staaten von Europa“185 münden solle, um „Frieden, Sicherheit und Freiheit“186 wiederherstellen zu können. Dieses friedensstiftende und -sichernde Motiv fand Eingang in die internationalen Beziehungen der europäischen Nachkriegsordnung, in der Machtkämpfe um die Vorherrschaft der Nationalstaaten Europas durch die Herrschaft des Rechts ersetzt werden sollten.187 Dementsprechend wurde in der Europäischen Integration „[n]icht Gewalt, nicht Unterwerfung als Mittel eingesetzt, sondern eine geistige, eine kulturelle Kraft, das Recht.“188 Die Europäische Union wurde damit zu der nach Walter Hallsteins Begriffsprägung benannten „Rechtsgemeinschaft“ (heute auch: „Rechtsunion“), zur Schöpferin des Rechts, zur Rechtsquelle und Rechtsordnung.189 Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Begriffsprägung später übernommen, standardisiert und verstetigt.190 Vor diesem Hintergrund werden die im Zuge der Europäischen Integration durch ihre Mitgliedstaaten gemeinsam vereinbarten politischen Erzeugnisse grundsätzlich in Recht gegossen. So wird der Bestand des politischen Willens abgesichert. Die einheitliche Geltung und Anwendung des Unionsrechts ist eine Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union als Rechtsgemeinsaft.191 Das Recht sorgt gleichzeitig für die Einhaltung der Verfolgung der gemeinsamen Einzelinteressen und für die Zurückdrängung der Einzelinteressen, 184

185 186 187

188 189 190

191

Churchill, Winston (1946): Rede an der Universität Zürich, 19. September 1946, https://www.churchill-in-zurich.ch/de/churchill/churchills-zurcher-rede/, abgerufen am 06.01.2019. Ebd. Ebd. Vgl. Nicolaysen, Gert (2008): Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, in: Weidenfeld, Werner (Hg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 105-121, S. 114. Hallstein, Walter (1973): Die Europäische Gemeinschaft, Düsseldorf/Wien, S. 33. Vgl. Ebd., S. 33ff. Vgl. Zuleeg, Manfred (1994): Die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 47 (9), S. 545-549, S. 545ff. Vgl. Zuleeg, Manfred (2009): Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 1045-1076, S. 1064.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

43

die gegen das gemeinsame Recht verstoßen.192 Politische Anfälligkeiten durch nationale Egoismen können durch das Recht eingehegt werden.193 Über die Rechtsnatur der Europäischen Union gibt es bisher keine konsentierte Theorie und daher auch keine einheitliche Terminologie. 194 Das liegt daran, dass das Gebilde mit den hergebrachten Kategorien nicht eindeutig zu fassen ist. Sicher ist, dass sich im Prozess der Europäischen Integration Verfassungsstaaten so miteinander verbunden haben, dass die Intensität der Bindung die eines bloßen Staatenbundes deutlich übersteigt, während gleichzeitig die Staatlichkeit eines Bundestaates nicht erreicht wird.195 Das Bundesverfassungsgericht hat dafür den Begriff des „Staatenverbundes“196 geprägt. Dieser wird in der Forschung, ebenso wie die Charakterisierung der EU als einzigartigem Gebilde „sui generis“, als unzureichend kritisiert.197 Es gibt Vorschläge, die EU als „Föderation“198 aufzufassen, als „Verfassungsverbund“199, als „Staatenverbindung“200, als „Staaten- und Verfassungsverbund“201 oder gar als „zielgebundenes transnationales Gemeinwesen auf vertraglicher Grundlage“202. Auch wenn man die vertragsrechtliche 192

193 194

195

196

197

198

199

200 201

202

Vgl. Bieber, Roland (2002): Solidarität als Verfassungsprinzip der Europäischen Union, in: von Bogdandy, Armin/Kadelbach, Stefan (Hg.): Solidarität und Europäische Integration, Baden-Baden, S. 41-52, S. 47. Vgl. Nicolaysen (2008): S. 105. Vgl. Hatje, Armin/Müller-Graff, Peter-Christian (2014): §1: Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht, in: Dies. (Hg.): Enzyklopädie Europarecht, Band 1, Baden-Baden, S. 5188, Rn. 85. Vgl. Kirchhof, Paul (2009): Der europäische Staatenverbund, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 1009-1043, S. 1019. Dafür maßgebend war das „Maastricht-Urteil“: Vgl. Bundesverfassungsgericht (1993): BVerfGE 89, 155 – Maastricht. Urteil des Zweiten Senats vom 12. Oktober 1993 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. und 2. Juli 1993, 2 BvR 2134, 2159/92, 89, 155, Karlsruhe. Vgl. Geiger, Rudolf (2017): Art. 1 EUV, in: Geiger, Rudolf/Khan, Daniel-Erasmus/ Kotzur, Markus (Hg.): EUV. AEUV, Vertrag über die Europäische Union, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Kommentar, 6. Auflage, München, Rn. 13. Diese Zuschreibung ist aber deswegen nicht falsch. Nettesheim, Martin (2012): Art. 1 EUV, in Grabitz, Erhard/Hilf, Meinhard/Nettesheim, Martin (Hg.): Das Recht der Europäischen Union. EUV/AEUV, Loseblattausgabe, München, Ergänzungslieferung 48, Rn. 61. Pernice, Ingolf (1995): Bestandssicherung der Verfassungen. Verfassungsrechtliche Mechanismen zur Wahrung der Verfassungsordnung, in: Bieber, Roland/Widmer, Pierre (Hg.): Der europäische Verfassungsraum, Zürich, S. 225-264, S. 261. Geiger (2017): Art. 1 EUV, in: Geiger/Khan/Kotzur, Rn. 12. Calliess, Christian (2016): Art. 1 EUV, in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias (Hg.): EUV/AEUV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, 5. Auflage, München, Rn. 41ff. Hatje/Müller-Graff: (2014): Rn. 2.

44

2 Solidarität in der Europäischen Union

Grundlage im rechtstheoretischen Sinne nicht als Verfassung bezeichnen dürfte, weil eine Verfassung nur durch ein verfassunggebendes Staatsvolk geschöpft werden darf, welches es in der EU nicht gibt, 203 so wird die primärrechtliche Grundlage der Europäischen Union dennoch als Verfassung verhandelt. Im Zuge der Eigenartigkeit seiner Rechtsnatur lässt sich das Primärrecht der EU als Verfassung im funktionalen Sinne oder Verfassungsvertragsrecht verstehen. 204 Im Lichte dieser Erkenntnisse scheint es angemessen, von der Europäischen Union als einem Staaten- und Verfassungsverbund sui generis zu sprechen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der in Rechtsquellen und Forschungsliteratur gemeinhin genutzte Begriff der Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf die Europäische Union problematisch ist. Die fehlende Staatlichkeit der EU lässt eine solche Verwendung eigentlich nicht zu. Passender und zielführender ist es, von der „Herrschaft des Rechts“ zu sprechen – eine Terminologie, die sich am Begriff des „rule of law“ orientiert.205 Diese Herrschaft des Rechts ist für die EU wichtiger als für die Nationalstaaten: Sie spielt in Ermangelung anderer Integrationsfaktoren wie gemeinsame Sprache oder Geschichte die herausragende Rolle des Zusammenhalts.206 Ein nachhaltiger Rechtsbruch durch einen Mitgliedstaat kommt aus diesem Grund einem Ausscheiden aus der Union gleich, denn ein Recht auf Verweigerung ist im Primärrecht nicht vorgesehen. Sich außerhalb der Rechtsgemeinschaft und der Herrschaft des Rechts aufzustellen heißt, den Zusammenschluss zu verlassen, da es der Union durch die nicht vorhandene Staatlichkeit an Sanktionsgewalt zur Zwangsdurchsetzung des Rechts mangelt, die ein Nationalstaat zur Verfügung hat. Das Recht der EU ist vor dem diesem Hintergrund also nicht bloß das Produkt der politischen Entscheidungen seiner Mitgliedstaaten und auch nicht nur Mittel zum Zweck der Integration: Es ist Inhalt und Ausdruck der Europäischen Integration selbst.207 Politik und Recht müssen daher bei der vorliegenden Analyse zusammengedacht werden.

203 204 205 206 207

Vgl. Kirchhof (2009): S. 1020. Vgl. Hatje/Müller-Graff (2014): Rn. 19. Vgl. von Bogdandy (2009): S. 36f. Vgl. Ebd., S. 40. Vgl. Grimmel, Andreas/Jakobeit, Cord (2014): §2: Die integrationstheoretischen Grundlagen des Europarechts, in: Hatje, Armin/Müller-Graff, Peter-Christian (Hg.): Enzyklopädie Europarecht, Band 1, Baden-Baden, S. 89-112, Rn. 1.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

45

2.2.2. Das Solidaritätsprinzip als conditio sine qua non der Europäischen Union Wie gezeigt wurde, muss der gemeinsame politische Wille in der Europäischen Union in Recht gegossen werden, damit er Bestand haben kann, verlässlich umgesetzt und eingehalten wird. Somit ist es nur logisch, dass auch Solidarität in der EU durch das Recht verankert werden muss. Wie bereits angedeutet, gibt es im Europarecht aber keine Definition von Solidarität.208 Somit wird davon ausgegangen, dass ein Solidaritätsverständnis besteht, das in den ideengeschichtlichen Kontext eingebettet ist und dadurch auf ein vorausgesetztes Vorverständnis bezogen wird.209 Dieses Vorverständnis wurde im Vorlauf geklärt und auf ein allgemeingültiges Konzept konkretisiert. Dabei wurde deutlich, dass Solidarität partikularistisch zu verstehen und immer auf ein gemeinsames Ziel gerichtet ist, dessen Legitimität von der Bezugsgruppe anerkannt wird. Im Kontext der Europäischen Union ist dies das gemeinsame Interesse der im aufgeklärten Eigeninteresse handelnden Akteure, welches sich im Gemeinwohl äußert. 2.2.2.1. Solidarität und Gemeinwohl in der Europäischen Union Akteure wie Nationalstaaten oder Personen bilden Gemeinschaften zum Zwecke der Gemeinwohlerzielung.210 Das „Gemeinwohl zielt als Begriff auf gemeinsame Ziele, Kooperationseffekte und ein Handeln, das auf den Erhalt der jeweiligen Gemeinschaft und die Reproduktion ihrer Voraussetzungen gerichtet ist.“ 211 Ausgangspunkt ist dabei die Einsicht, dass der Mensch nur im Zusammenwirken mit anderen seine Ziele erreichen kann.212 Das Gemeinwohl stellt in diesen Zusammenhang das allgemeine und gemeinsame Wohl der Bürger dar, dessen Verwirklichung die höchste Aufgabe staatsbezogenen Handelns ist, das seine Legitimität wiederum aus dem Grad der Verwirklichung des Gemeinwohls bezieht.213 Im 208

209 210

211

212

213

Im Völkerrecht existiert eine solche Definition im Übrigen auch nicht. Vgl. Gussone (2006): S. 44. Vgl. Müller (2010): S. 77. Vgl. Anzenbacher, Arno (2011): Gemeinwohl, in: Kolmer, Petra/Wildfeuer, Armin (Hg.): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band 1, Freiburg, S. 919-931, S. 919. Münkler, Herfried/Bluhm, Harald (2001): Einleitung: Gemeinwohl und Gemeinsinn als politisch-soziale Leitbegriffe, in: Dies. (Hg.): Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, Berlin, S. 9-30, S. 13. Vgl. Hollerbach, Alexander/Kerber, Walter/Schwan, Alexander (1995): Gemeinwohl, in: Görres-Gesellschaft (Hg.): Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, S. 857-863, S. 858. Vgl. Ebd., S. 859.

46

2 Solidarität in der Europäischen Union

Staat ist das Gemeinwohl das normative Ideal, programmatische Leitlinie und Legitimationsprinzip von Herrschaft, Politik und Recht.214 In freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratien ist die Bestimmung des Gemeinwohls offen für die gesamte Bandbreite politischer Konzepte und Interessen und der damit zusammenhängenden pluralistischen Meinungs- und Willensbildung.215 Das Gemeinwohl wird im Interessenwettbewerb ausgehandelt und wird aposteriorisch bestimmt. Für diesen Prozess bedarf es Grundrechte, wie eine gerechte Sozialordnung oder Rechtsstaatlichkeit, um das Gemeinwohl verwirklichen zu können.216 Letztlich wird das Gemeinwohl in freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratien im politischen Willensbildungsprozess verhandelt und muss durch das Recht konkretisiert werden. Das Recht sichert die Verfahren zur Gemeinwohlgewinnung und verschafft den Gemeinwohlbelangen Geltungssicherheit.217 Diese Prämissen werden in den Verfassungen festgelegt und ihre Konkretisierungen äußern sich in den Staatszielen. In der heutigen Welt können einzelne Staaten die Gemeinwohlerwartungen ihrer Bürger aber kaum noch alleine erfüllen.218 Durch die zunehmende Internationalisierung sowie die Globalisierungsprozesse hat der Nationalstaat seine Fähigkeit immer stärker eingebüßt, das Gemeinwohl herzustellen. Das erfolgreiche Gemeinwohlprojekt westlicher Demokratien gerät vor allem durch den Entzug von wirtschaftlicher Souveränität im nationalen Rahmen in Gefahr.219 Die Legitimität seiner Konstitution, nämlich die Fähigkeit, die Angelegenheiten, die sich auf sein Territorium beziehen, in Eigenverantwortung und unbehelligt von Dritten zu regeln, geht verloren.220 Er kann damit seine zentralen Staatsaufgaben nicht mehr alleine erfüllen und ist dazu gezwungen, in übergreifenden Organisationen mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten.221 214 215

216 217 218

219 220 221

Vgl. Anzenbacher (2011): S. 919. Vgl. Härtel, Ines (2012): § 82: Kohäsion durch föderale Selbstbindung – Gemeinwohl und Rechtsprinzipien Loyalität, Solidarität und Subsidiarität in der Europäischen Union, in: Dies. (Hg.): Handbuch Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, Band IV, Berlin/Heidelberg, S. 63-241, S. 175. Vgl. Hollerbach/Kerber/Schwan (1995): S. 860. Vgl. Härtel (2012): S. 178. Vgl. Pernice, Ingolf (2013): Solidarität in Europa. Eine Ortsbestimmung im Verhältnis zwischen Bürger, Staat und Europäischer Union, WHI Paper 01/2013, Walter-Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht, Berlin, S. 5. Vgl. Anzenbacher (2011): S. 929. Vgl. Volkmann (1998): S. 408. Vgl. Kirchhof (2009): S. 1025.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

47

Heutzutage ist die Gemeinwohlverwirklichung damit nicht mehr nur die Angelegenheit eines Staates, sondern wird tendenziell supranational angelegt.222 Zu den Interessen, die das Gemeinwohl betreffen, gehören neben wirtschaftlichem Wohlstand auch die Friedensicherung, der Erhalt von Sicherheit, die Steuerung von Migration, sowie der Umwelt- und Klimaschutz.223 Das Interesse, dieser Prozesse Herr zu werden, verbindet die Nationalstaaten. Dementsprechend schließen sie sich zur Erhaltung des Gemeinwohls zusammen. Die EU ist daher „von einzelnen, rechtlich gleichgestellten Parteien freiwillig zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks […] geschaffen“224. Die nationalstaatlichen Gemeinwohlaspekte werden dabei nicht verdrängt, sondern auf der supranationalen Ebene zu einer eigenen, europäischen Perspektive auf das Gemeinwohl transformiert: Es liegt eine Art Amalgamierung zwischen nationalen Gemeinwohlaspekten und dem gemeinsamen Wohl der EU vor.225 Die Gründung der Europäischen Union beruht also auf der Einsicht der Mitgliedstaaten, dass sie diejenigen Interessen, die sie gemeinsam haben, nicht mehr auf sich allein gestellt und somit leichter im Verbund erreichen können. Die Legitimität der Gemeinwohlverwirklichung wird vom Nationalstaat auf die supranationale Ebene übertragen, wenn dort das Gemeinwohl besser verwirklicht werden kann. Der Nationalstaat ist damit nicht mehr die einzige Bezugssphäre für Solidarität. Die Europäische Union übernimmt die Staatsziele, mit der sie die Mitgliedstaaten ausgestattet hat, im Sinne ihrer Bürger. Im Primärrecht sind diese gemeinsamen Interessen in Art. 3 EUV des Lissabonner Vertrags als operative Ziele verankert, inklusive des dafür benötigten Verwirklichungsrahmens der Grundwerte und Grundprinzipien in Art. 2 EUV. Die dort festgehaltenen Elemente ergeben die Idee eines unionalen Gemeinwohls. 226 In den entsprechenden Politiken in den einzelnen Sachbereichen gestalten sich die Gemeinwohlbelange aus.227 Sinn und Ziel der EU sind also nicht etwa die Realisierung einer Föderation oder die Überwindung der Nationalstaaten, sondern der 222 223

224 225 226 227

Vgl. Hollerbach/Kerber/Schwan (1995): S. 860. Internationale Rechtsregime haben sich in diesen Bereichen im Übrigen auch weltumspannend entwickelt, um diesen Problemen in der globalisierten Welt Herr zu werden. Vgl. Wolfrum, Rüdiger (2006): Solidarity amongst States: An Emerging Structural Principle of International Law, in: Dupuy, Pierre-Marie et al. (Hg.): Völkerrecht als Wertordnung. Common Values in International Law, Festschrift für/Essays in Honour of Christian Tomuschat, Kehl am Rhein, S. 1087-1101. Hatje/Müller-Graff (2014): Rn. 16. Vgl. Härtel (2012): S. 189. Vgl. Hatje/Müller-Graff (2014): Rn. 17. Vgl. Härtel (2012): S. 149.

48

2 Solidarität in der Europäischen Union

Versuch, ihre Mitglieder in Bezug auf wirtschaftlichen Wachstum und Problemlösungskompetenzen auf anderen Politikfeldern zu stärken.228 Die Integrationsprozesse sind heute also nicht mehr nur als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg zurückzuführen, sondern aktualisieren sich mit den Neuordnungen der Welt, den gesellschaftlichen Herausforderungen und den politischen Machtverhältnissen. Die grundlegende Bedeutung des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union ergibt sich nun durch dessen Verbindung mit dem emanzipierten Gemeinwohl der EU. So muss die Bereitschaft zur Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten notwendigerweise als Voraussetzung bestehen, da sonst keine funktionsfähige und effektive Kooperation möglich ist.229 Die Kenntnisnahme einer Solidaritätspflicht durch die Teilnehmer verdeutlicht die Anerkennung der Existenz eines europäischen Gemeinwohls, dessen Erzielung im gemeinsamen Interesse liegt.230 Die EU stellt eine besonders verdichtete Form dieser Kooperation dar, in der eigenständige Staaten freiwillig Zuständigkeiten zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele auf die Union übertragen haben. Den EU-Mitgliedstaaten „kommt im Rahmen der europäischen Integration daher eine neuartige Verantwortung bei der Gewinnung und Gestaltung von Solidarität zu: Sie müssen an der Findung und am Schutz des gemeinsamen Interesses, des europäischen Gemeinwohls, mitwirken.“231 Für das Solidaritätsprinzip in der EU bedeutet das eine zweifache Auffächerung. Zum ersten äußert sich Solidarität in ihrer deskriptiven Dimension: Die Gemeinschaftsmitglieder begeben sich durch die freiwillige Einigung auf die pflichtmäßige Verfolgung gemeinsamer Interessen bzw. Ziele in eine faktische wechselseitige Abhängigkeit. Die eigenen Ziele sind nämlich von der Erfüllung der gemeinschaftlichen Ziele – dem Gemeinwohl – abhängig, können also nur im Zusammenwirken mit den anderen Gemeinschaftsmitgliedern erreicht werden. Die Existenz eines gemeinsamen Interesses wird als legitim anerkannt, welches von der Summe der Einzelinteressen unterschieden werden kann. In diesem Zusammenhang werden die Interessen der anderen Gemeinschaftsmitglieder als

228

229 230

231

Vgl. Sangiovanni, Andrea (2013): Solidarity in the European Union, in: Oxford Journal of Legal Studies, Jg. 33 (2), S. 213-241, S. 228. Vgl. Lais (2007): S. 46f. Vgl. Bieber, Roland/Kotzur, Markus (2016): §3: Strukturprinzipien und EU-Verfassung, in: Bieber, Roland et al. (Hg.): Die Europäische Union. Europarecht und Politik, 12. Auflage, Baden-Baden, S. 101-127, Rn. 20. Calliess, Christian (2016): Art. 222 AEUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 10.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

49

gleichwertig mit den eigenen angesehen. Die Verfolgung der gemeinsamen Interessen und deren Schutz werden daher in gleicher Weise geleistet wie die der eigenen Interessen. Das beinhaltet auch die Bereitschaft einzelner Gemeinschaftsmitglieder dazu, in gewissen Fällen die Hinnahme von Nachteilen bzw. den Verzicht auf Vorteile zu akzeptieren, wenn diese dem Gemeinwohl dienen.232 Es entsteht eine Verbundenheit zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern, die eine freiwillige Verpflichtung jedes einzelnen Mitgliedes gegenüber dem Ganzen voraussetzt, was die Verfolgung des Gemeinwohls und dessen Vorrangigkeit vor dem Eigeninteresse betrifft.233 Aus dieser Verbundenheit folgen zum zweiten konkrete Solidaritätspflichten, welche die normative Dimension der Solidarität ausmachen. Die Gemeinschaftsmitglieder partizipieren und wirken generell mit an der Verwirklichung des Gemeinwohls und leisten dazu Unterstützung und Hilfe für die anderen Gemeinschaftsmitglieder.234 Daraus folgen allgemeine und spezielle Verhaltens-, Handlungs- und Unterlassungspflichten.235 Diese sollen den Bestand und die Zuverlässigkeit der Gemeinwohlverwirklichung durch alle Gemeinschaftsmitglieder nachhaltig sichern. Solidarität ist damit zum einen Voraussetzung für den Willen der Nationalstaaten, sich aus Gründen der Gemeinwohlverwirklichung zu verbinden und damit gewisse Pflichten einzugehen, die gegebenenfalls die Hinnahme von Nachteilen für die eigenen Interessen bedeuten kann, und beantwortet damit die Frage, warum Solidarität in der EU überhaupt notwendig ist.236 Jeder Mitgliedstaat geht freiwillig, aus Gründen der politischen Vernunft und im aufgeklärten Eigeninteresse eine Verbindung mit anderen Staaten ein, um sich auf gewisse Ziele zu verpflichten. Dabei übernimmt das Recht eine herausragende Rolle: „Das Recht wird zur zentralen Voraussetzung für den Übergang zu einem auf Solidarität gegründeten Zusammenleben der Staaten und zur Legitimation eines europäischen Gemeinwohls

232

233 234 235 236

Vgl. Tomuschat, Christian (1987): Solidarität in Europa, in: Capotorti, Francesco et al. (Hg.): Du droit international au droit de l’intégration. Liber Amicorum Pierre Pescatore, Baden-Baden, S. 729-758, S. 734. Vgl. Hieronymi (2003): S. 14. Vgl. Lais (2007): S. 45. Vgl. Calliess (2016): Art. 222 AEUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2. Ähnlich auch: Hieronymi (2003): S. 50.

50

2 Solidarität in der Europäischen Union

jenseits desjenigen der Mitgliedstaaten.“237 Es macht die Mitgliedstaaten haftbar für die Konsequenzen ihres Handelns in einer Gemeinschaft, deren Pflichten sie durch ihren freiwilligen Beitritt akzeptieren müssen. 238 2.2.2.2. Verrechtlichung des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union Der Gerichtshof der EU hat die Geltung eines rechtlich greifbaren Solidaritätsprinzips bereits früh festgestellt. 239 Maßgebend dafür ist das so genannte „Schlachtprämienurteil“ aus dem Jahr 1973: „Stört ein Staat aufgrund der Vorstellung, die er sich von seinem nationalen Interesse macht, einseitig das mit der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft verbundene Gleichgewicht zwischen Vorteilen und Lasten, so stellt dies die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor dem Gemeinschaftsrecht in Frage und schafft Diskriminierungen für die Einzelnen, und zwar in erster Linie für die Staatsangehörigen des Staates, der sich außerhalb des Gemeinschaftsrechts stellt. Ein solcher Verstoß gegen die Pflicht zur Solidarität, welche die Mitgliedstaaten durch ihren Beitritt zur Gemeinschaft übernommen haben, beeinträchtigt die Rechtsordnung der Gemeinschaft bis in ihre Grundfesten.“240

Die entscheidende Festlegung, dass die Mitgliedstaaten beim Eintritt in die Union eine Pflicht zur Solidarität eingehen, wird hier kodifiziert. Dabei nimmt der EuGH zwei grundlegende Feststellungen vor: Zum ersten ist der Wille zur gegenseitigen Solidarität die notwendige Voraussetzung für die Nationalstaaten, sich in einer Rechtsgemeinschaft zu vereinigen. Sie sind sich dieser speziellen Pflicht bewusst, bevor sie der Union beitreten. Zweitens wird durch eine Verletzung des Solidaritätsprinzips die gesamte Rechtsordnung ins Wanken gebracht, was einer Gefährdung des Integrationsprojekts gleichkommt. Es darf also nicht gebrochen werden,

237

238

239

240

Calliess, Christian (1999): Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union. Vorgaben für die Anwendung von Art. 5 /ex-Art. 3b) EGV nach dem Vertrag von Amsterdam, 2. Auflage, Baden-Baden, S. 188. Vgl. Sangiovanni, Andrea (2012): Solidarity in the European Union. Problems and Prospects, in: Dickson, Julie/Eleftheriadis, Pavlos (Hg.): Philosophical Foundations of European Union Law, Oxford, S. 384-411, S. 388. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (1969): Verbundene Rechtssachen 6/69 und 11/69, Urteil vom 10.12.1969, Luxemburg, Rn. 14/17. Gerichtshof der Europäischen Union (1973): Rechtssache 39/72, Urteil vom 07.02.1973, Luxemburg, Rn. 24f.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

51

da man sich sonst außerhalb der Rechtsordnung, und damit außer der Union aufstellt. Dieses Verdikt stellt die rechtliche Umsetzung der Frage nach dem warum des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union dar. Weitere Urteile des EuGH haben die Solidaritätspflicht der Mitgliedstaaten nicht nur bestätigt, sondern sogar noch weiter angereichert, beispielsweise durch die Feststellung, dass die Mitgliedstaaten ihre Einzelinteressen unter die Unionsinteressen stellen müssen oder den Vorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht akzeptieren müssen.241 Nach dem Zusammenschluss, bei dem sie freiwillig und im vollen Bewusstsein eine Solidaritätspflicht eingehen, einigen sich die Mitgliedstaaten auf konkrete Rechtsnormen, die die Erreichung ihrer gemeinsamen Ziele absichern sollen. Solidarität wird zur notwendigen Bedingung, die gemeinsam getroffenen Entscheidungen verlässlich und adäquat umzusetzen. Schließlich sollen die durch rechtliche Normierung umgesetzten politischen Maßnahmen dazu führen, dass Solidarität in der EU weiterentwickelt und gestärkt wird.242 Es ist einleuchtend, dass alle Gemeinschaftsmitglieder von der Verwirklichung der gemeinsamen Ziele – auf die sich alle gemeinsam und freiwillig geeinigt haben – profitieren. Das stärkt die Verbundenheit und den Willen, die Kooperation kontinuierlich zu erweitern. Das gegenseitige Vertrauen wird durch die Einhaltung des Rechts gestärkt und damit Solidarität zwischen den Mitgliedern weiterentwickelt. So wird auch politischer Zusammenhalt gefördert. Dies ist wichtig, da es letztlich vom politischen Willen der Mitgliedstaaten abhängt, das Recht auch konsequent einzuhalten. Ist diese Bereitschaft nicht vorhanden, kommt das Fundament der EU ins Wanken. Es ist damit auch ein Gebot politischer Klugheit der Mitgliedstaaten, Solidarität anzuwenden, denn: „Die Union soll auch eine politische Union im Sinne einer Solidargemeinschaft sein“243. Daher ist diejenige Erscheinungsform der Solidarität, das Recht auch anzuwenden,

241

242 243

Vgl. Marias, Epaminondas A. (1994): Solidarity as an objective of the European Union and the European Community, in: Legal Issues of European Integration, Jg. 21 (2), S. 85-114, S. 90ff. Vgl. Lais (2007): S. 98. Progin-Theuerkauf, Sarah (2015): Art. 80 AEUV, in: von der Groeben, Hans/Schwarze, Jürgen/Hatje, Armin (Hg.): Europäisches Unionsrecht. Vertrag über die Europäische Union. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 7. Auflage, Baden-Baden, Rn. 3.

52

2 Solidarität in der Europäischen Union

wenn es von einem Mitgliedstaat als nachteilig empfunden wird, zwingend notwendig.244 Die politische Solidaritätsbereitschaft einzelner Mitgliedstaaten kann ferner stets variieren, weshalb sie einer starken Unterstützung durch Rechtsnormen bedarf. Diese Verrechtlichung von Solidarpflichten wiederum aber benötigt bei der Rechtserzeugung bereits ein Solidaritätserfordernis. Somit ergänzen sich Solidarität und Recht: Recht dient zur Normierung konkreter Solidaritätsverpflichtungen und deren Einhaltung, der politische Wille zur Solidarität wird bei der Rechtserzeugung und der Akzeptanz dieser benötigt.245 Die Darstellung hat gezeigt, dass Solidarität das Fundament ist, ohne das die Europäische Union nicht bestehen und funktionieren kann. Das Solidaritätsprinzip ist daher die conditio sine qua non der Europäischen Union, die alle Handlungsebenen durchdringt.246 2.2.3. Das Solidaritätsprinzip im Vertrag von Lissabon Die Frage danach, wie die Solidaritätspflicht operationalisiert werden soll, hat sich in der Europäischen Union durch eine prozedurale Ausformung des Solidaritätsprinzips – dem Loyalitätsprinzip – manifestiert, das sich im Lissabonner Vertrag in Art. 4 Abs. 3 EUV äußert, und das sich bis an den Ursprung der Europäischen Union zurückverfolgen lässt. In diesem Abschnitt wird daher zuerst ein kurzer integrationshistorischer Kontext bereitgestellt, der die Wichtigkeit der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten verdeutlicht. Darauf folgt die Herausarbeitung der Solidaritätsprinzips im Vertrag von Lissabon. Anschließend wird das Loyalitätsprinzip als operationale Ausprägung des Solidaritätsprinzips im Europarecht analysiert. 2.2.3.1. Integrationshistorischer Hintergrund Im Integrationsprozess wurde der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten von Anfang an eine zentrale Rolle zugewiesen. Im Zuge dessen, was allgemein als Ursprungsakt der Europäischen Integration angesehen wird, erklärte Robert Schumann am 9. Mai 1950: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und

244 245 246

Vgl. Calliess (1999): S. 194. Vgl. Lais (2007): S. 109. Zur gleichen Conclusio, allerdings auf anderem Wege, kommt auch Gussone (2006): S. 244.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

53

auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat [Herv. durch D.S.] schaffen.“247 Diese Forderung nach einer „Solidarität der Tat“ 248 erhielt in der Folge Eingang in die Präambel des Vertrages zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS).249 Dort wurde das Ziel angelegt, die Solidarität zwischen den Teilnehmerstaaten gemeinsam und schrittweise zu entwickeln. Davon ausgehend verlangte eine kontinuierlich fortschreitende Integration eine immer engere und ausgeweitete Kooperation auf immer mehr Ebenen und Politikfeldern von einer steigenden Zahl von Mitgliedstaaten. Dabei blieb Solidarität ein integraler Bestandteil des Integrationsprozesses. Auch wenn in den Römischen Verträgen kein Hinweis auf Solidarität zu finden war.250 So legte der erste Davignon-Bericht von 1970 als eines der Ziele einer gemeinsamen Außenpolitik die Festigung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten fest.251 Diesen Anspruch bestätigte der zweite Davignon-Bericht.252. Darüber hinaus wurde bei der anvisierten Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion auf dem Pariser Gipfeltreffen 1972 festgehalten, dass eines der Ziele dieses 247

248

249

250

251

252

Schuman-Erklärung – 9. Mai 1950, http://europa.eu/about-eu/basic-information/symbols/europe-day/schuman-declaration/index_de.htm, abgerufen am 07.01.19. Hermann-Josef Große Kracht hat darauf hingewiesen, dass angesichts der solidaristischen Tradition in Frankreich „solidarité de fait“ eigentlich als immer schon bestehende „faktische Solidarität“ übersetzt werden müsste, und nicht etwa als „Solidarität der Tat“, was die offizielle Übersetzung ist. Dies wäre eine gehörige semantische Verschiebung, die in Anbetracht der Begriffsgeschichte sinnvoll erscheint, und die den Solidaritätsbegriff im Zusammenhang mit dem europäischen Projekt der Nachkriegszeit noch wirkungsmächtiger erscheinen lassen würde. Vgl. Große Kracht, Hermann-Josef (2014): Katholische Kirche und soziale Solidarität in Europa, in: Knodt, Michèle/Tews, Anne (Hg.): Solidarität in der EU, Baden-Baden, S. 4162, S. 51f. Vgl. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 18. April 1951, Paris, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/ ?uri=CELEX:11951K/TXT&from=DE. Im dritten Erwägungsgrund heißt es: „In dem Bewußtsein [sic!], daß [sic!] Europa nur durch konkrete Leistungen, die zunächst eine tatsächliche Verbundenheit schaffen, und durch die Errichtung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung aufgebaut werden kann“. Im Französischen „solidarité de fait“, wurde sie damals noch mit „tatsächliche Verbundenheit“ übersetzt. Auch kein Aufgreifen der „tatsächlichen Verbundenheit“ aus dem EGKS-Vertrag. Knodt/Tews/Pieper (2015): S. 109, behaupten, dass alle primärrechtlichen Verträge den Solidaritätsbegriff enthalten haben. Das ist schlichtweg falsch. Vgl. Report by the Foreign Ministers of the Member States on the problems of political unification, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin of the European Communities, Jg. 3 (11), November 1970, S. 9–14, S. 10. Vgl. Second Report on European Political Cooperation on Foreign Policy, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin of the European Communities, Jg. 7 (9), September 1973, S. 14– 21, S. 14.

54

2 Solidarität in der Europäischen Union

Unterfangens die Grundlage gegenseitiger Solidarität sein solle.253 Den Tindemans-Bericht vom Dezember 1974 über die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zu einer Europäischen Union durchzieht die Forderung nach einer Ausdehnung der Solidarität in alle Kooperationsbereiche und in jegliche Dimensionen des Handeln als das fundamentale europäische Prinzip.254 Und in einem Bericht aus dem Jahr 1975, in dem die Zukunftsperspektiven in Bezug auf die Entwicklung gemeinsamer Politikfelder präsentiert wurde, hob die Kommission die Wichtigkeit der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten hervor, und zwar mit besonderem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Rechtsbasis, um dieses Ziel zu erreichen.255 Im letzten größeren bereichsspezifischen Integrationsprojekt, der Vergemeinschaftung der Innen- und Justizpolitik, spielte die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten durch die diffizile Interessenkonstellation explizit erst seit dem Verfassungskonvent im Jahr 2002 eine herausgehobene Rolle. 256 Diese Entwicklungen in der Europäisierung der verschiedenen Politikbereiche führten zu einer ständigen Aufwertung von Solidarität sowohl auf qualitativer als auch auf quantitativer Ebene innerhalb der Europäischen Union. 257 Die bereits aufgeführten Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigen dies. 258 Auch der Blick auf die primärrechtliche Entwicklung stützt diesen Befund. In der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 wurde das Ziel, „solidarisch zu handeln“259, in die Präambel aufgenommen. Im Maastrichter Vertrag wurde als Unionsaufgabe festgelegt, „die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten […] solidarisch zu gestalten“260. Hinsichtlich der gemeinsamen Wirtschafts- und Währungspolitik forderte der Maastrichter Vertrag, „die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.“261 Im Vertrag von Amsterdam kam für den Bereich der

253

254

255

256 257 258 259 260

261

Vgl. Erklärung der Pariser Gipfelkonferenz, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Jg. 6 (10), Oktober 1972, S. 15–24, S. 16. Vgl. Bericht über die Europäische Union, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin der Europäischen Gemeinschaften (1975), Sonderbeilage 1/1976, S. 11-39. Vgl. Report on European Union, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin of the European Communities, Sonderbeilage 5/1975, S. 5–42, S. 10ff. S. Kap. 3.1.7. Vgl. Müller (2010): S. 78. S. Kap. 2.2.2.2. Einheitliche Europäische Akte, in: ABl. Nr. L 169, 29.06.1987, S. 1-28, Erw. 5. Vertrag über die Europäische Union [Vertrag von Maastricht], in: ABl. Nr. C 191, 29.07.1992, S. 1-110, Art. A. Ebd., Art. 2.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

55

Außen- und Sicherheitspolitik hinzu, dass sich die Mitgliedstaaten „aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität“262 unterstützen sollten mit dem Auftrag, ihre „gegenseitige politische Solidarität zu stärken und weiterzuentwickeln“263. Der Vertrag von Nizza konsolidierte die entsprechenden Einfügungen aus den Vorgängerverträgen.264 2.2.3.2. Werte, Grundsätze und Ziele des Vertrags von Lissabon Substantiell und materiell hat das Solidaritätsprinzip im Vertrag von Lissabon265 eine erhebliche Aufwertung erfahren. In Art. 2 des EUV werden die grundlegenden Werte und Prinzipien der Union formuliert: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“ Dabei ist festzustellen, dass Solidarität nicht in der Reihe der Werte genannt wird, was nach den beschriebenen Bedingungsfaktoren des vorliegenden Solidaritätskonzeptes folgerichtig ist. Solidarität wird im Folgesatz des Art. 2 EUV als Voraussetzung beschrieben, durch die sich die gesamte Gesellschaft, bestehend aus den Gesellschaften der Mitgliedstaaten, als Prinzip auszeichnet: „Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“266 Auf diese Weise wird Solidarität deskriptiv als gegeben angesehen, durch die Beziehung zu den Werten aber auch ihre normative Abhängigkeit als Notwendigkeit betont.

262

263 264

265

266

Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, in: ABl. Nr. C 340, 10.11.1997, S. 1-144, Art. J.1 Abs. 2. Ebd. Vgl. Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [Vertrag von Nizza], in: ABl. Nr. C 325, 24.12.2002, S. 1-184, Art. 1 VEU; Art. 11 Abs. 2 VEU; Art. 2 VEG. Vgl. Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [Vertrag von Lissabon], in: ABl. Nr. C 326, 26.10.2012, S. 1-390. Die Frage, ob man beispielsweise Gerechtigkeit nicht eigentlich unter die Werte subsumieren müsste, ist sicherlich relevant und folgerichtig, jedoch außerhalb des Rahmens dieser Arbeit angesiedelt.

56

2 Solidarität in der Europäischen Union

Art. 2 EUV ist so zu verstehen, dass durch ihn der Rahmen des europäischen Werteverständnisses festgelegt wird. Diese Werte sollen einheitsbildend, legitimationsfördernd und identitätsstiftend wirken und so auch die Solidaritätsbereitschaft erhöhen.267 Die formulierten Grund-sätze wie Solidarität, Toleranz und Pluralismus sind nicht nur Wunschbilder, sondern die Mitgliedstaaten wie auch die Unionsstruktur legen sich auf diese Merkmale fest. Sie sind allerdings schwerlich justitiabel und benötigen eine Konkretisierung.268 Eine solche ausgestaltende Konkretisierung wird in Art. 3 EUV vorgenommen, welcher die übergeordneten Ziele der Union formuliert. Diese Ziele sind vergleichbar mit den Staatszielbestimmungen von Nationalstaaten und sollen durch Integration erreicht werden.269 Sie geben den Aufgabenrahmen der Union vor und stellen den integrationspolitischen Bauplan der EU dar.270 In Art. 3 Abs. 3 EUV wird klar ausgedrückt, dass eines dieser Ziele die Förderung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten ist: „Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten.“ Dies ist die Stelle, an der das Solidaritätsprinzip in der mitgliedstaatlichen Dimension als Generalklausel und Strukturprinzip des Unionsrechts verortet ist.271 In diesem Artikel wird zudem die Zielbestimmung von Solidarität in den gemeinsamen Politikbereichen zum Ausdruck gebracht.272 Die Generalklausel verpflichtet die Unionsorgane ebenso wie die Mitgliedstaaten.273 Konkrete Handlungsanweisungen oder Kompetenzvorschriften macht

267 268

269 270

271

272

273

Vgl. Calliess, Christian (2016): Art. 2 EUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 31. Vgl. Heintschel von Heinegg, Wolff (2018): Art. 2, in: Heintschel von Heinegg, Wolff/Vedder, Christoph (Hg.): Europäisches Unionsrecht. EUV/AEUV/GRCh/EAGV, Handkommentar, 2. Auflage, Baden-Baden, Rn. 12. Vgl. Ruffert, Matthias (2016): Art. 3 EUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 2. Vgl. Terhechte, Philipp (2014): Art. 3 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 53. Ergänzungslieferung, Rn. 9. Vgl. Ohler, Christoph (2018): Art. 222 AEUV, in: Streinz, Rudolf (Hg.), EUV/AEUV. Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 3. Auflage, München, Rn. 1; Petrus, Szabolcs/Rosenau, Henning (2018): Art. 80 AEUV, in: Heintschel von Heinegg/Vedder, Rn. 1; Ruffert (2016): Art. 3 EUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 41. Für eine Übersicht der Manifestierung von Solidarität in den verschiedenen Kooperationsbereichen der EU vgl. Saracino, Daniele (2017): Why Solidarity is Crucial to the Asylum Policy of the European Union, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 39-62, S. 45ff. Vgl. Terhechte (2014): Art. 3 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Rn. 27.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

57

Art. 3 EUV allerdings nicht.274 Dennoch ist er rechtlich bindend und wirkt nicht nur als politisches Programm.275 Seine Ziele müssen die Rechtsanwendung leiten.276 Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten in der Implementierung, Umsetzung und Anwendung aller Unionsmaßnahmen ihre gegenseitige Solidarität zu beachten haben. Die Adressaten müssen die vorgegebenen Ziele nicht nur akzeptieren, sondern auch aktiv fördern.277 Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon hat der EuGH die Befugnis erhalten, alle Maßnahmen der Union an den vorgesehenen Zielen aus Art. 3 EUV zu prüfen.278 Die Aufwertung, die das Solidaritätsprinzip mit dem Vertrag von Lissabon erhalten hat, kann damit auf seine Justiziabilität und Interpretation hin getestet werden.279 2.2.3.3. Das Loyalitätsprinzip In Art. 4 EUV werden die Grundsätze des Verhältnisses zwischen Union und den Mitgliedstaaten niedergelegt. Für den Kontext der vorliegenden Arbeit ist dabei Absatz 3 von entscheidender Bedeutung: „Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben. Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.“

274 275 276

277 278 279

Vgl. Geiger, Rudolf (2017): Art. 3 EUV, in: Geiger/Khan/Kotzur, Rn. 2. Vgl. Terhechte (2014): Art. 3 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Rn. 28. Vgl. Becker, Ulrich (2019): Art. 3 EUV, in: Becker, Ulrich/Hatje, Armin/Schoo, Johann/Schwarze, Jürgen (Hg.): EU-Kommentar, 4. Auflage, Baden-Baden, Rn. 7. Vgl. Ruffert (2016): Art. 3 EUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 4. Vgl. Pechstein, Matthias (2018): Art. 3 EUV, in: Streinz, Rn. 4. Vgl. Ross, Malcolm (2010): Solidarity – A New Constitutional Paradigm for the EU?, in: Borgmann-Prebil, Yuri/Ross, Malcolm (Hg.): Promoting Solidarity in the European Union, New York, S. 23-45, S. 45.

58

2 Solidarität in der Europäischen Union

Hier wird der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit formuliert, der im deutschen Sprachraum auch unter dem Begriff der „Unionstreue“280 bekannt ist. Dieses Loyalitätsprinzip ist eine grundlegende Norm des Unionsrechts und quasi Geschäftsgrundlage des Integrationsprojekts, welches für die Funktionsfähigkeit der EU als übergreifender Rechtsgrundsatz und maßgebendes Verfassungsstrukturprinzip fundamental ist.281 Dieser Passus war in ähnlicher Formulierung bereits im EGKSVertrag zu finden und wurde bis zum Vertrag von Lissabon kontinuierlich zum unionalen Verfassungsprinzip weiterentwickelt.282 Das Prinzip gilt für alle Politikbereiche der Union283 und sowohl für das Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander als auch für jenes zwischen der Union und den Mitgliedstaaten und – in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 EUV – das der Institutionen untereinander.284 Der Grundsatz legt den Adressaten eine Loyalitätspflicht auf, die sich auf die Einhaltung der gemeinsamen Ziele bezieht.285 Die Parteien gehen eine „Zweckförderungspflicht mit der Konsequenz einer Treuepflicht“286 ein. Diese Pflicht gliedert sich in Handlungs-, Unterstützungs- und Unterlassungspflichten. Erstere umfassen konkret die ordnungsgemäße Anwendung, den Anwendungsvorrang sowie die einheitliche Geltung und Sicherung des Unionsrechts287; ferner die unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts und die Staatshaftung bei Verletzung des Unionsrechts.288 Die Unterstützungspflichten richten sich primär an die Mitgliedstaaten: Sie müssen die Unionstätigkeit aktiv fördern.289 Als drittes legt das

280

281

282

283 284

285

286 287 288 289

„Unionstreue“ wird von den meisten Experten als Begriff abgelehnt. Mittlerweile hat sich „loyale Zusammenarbeit“ durchgesetzt. Benutzt werden aber auch: „Kooperationsgebot“, „Loyalitätsprinzip“ oder „Loyalitätspflicht“. Vgl. Calliess, Christian/Kahl, Wolfgang/Puttler, Adelheid (2016): Art. 4 EUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 29ff. Vgl. Hatje, Armin (2019): Art. 4 EUV, in: Becker/Hatje/Schoo/Schwarze, Rn. 22; Obwexer, Walter (2015): Art. 4 EUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Rn. 67. Vgl. Schill, Stephan/Krenn, Christoph (2018): Art. 4 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 65. Ergänzungslieferung, Rn. 59f. Vgl. Kahl, Wolfgang (2016): Art. 4 EUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 24. Vgl. Blanke, Hermann-Josef (2013): Art. 4 TEU, in: Blanke, Hermann-Josef/Mangiameli, Stelio (Hg.): The Treaty on European Union (TEU). A Commentary, Berlin/Heidelberg, Rn. 86ff. Vgl. Bieber, Roland (2013): Gegenseitige Verantwortung – Grundlage des Verfassungsprinzips der Solidarität in der Europäischen Union, in: Calliess, Christian (Hg.): Europäische Solidarität und nationale Identität. Überlegungen im Kontext der Krise im Euroraum, Tübingen, S. 67-82, S. 76. Hatje/Müller-Graff (2014): Rn. 16. Vgl. Obwexer, Walter (2015): Art. 4 EUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Rn. 95ff. Vgl. Hatje (2019): Art. 4 EUV, in: Becker/Hatje/Schoo/Schwarze, Rn. 32ff. Vgl. Geiger, Rudolf (2017): Art. 4 EUV, in: Geiger/Khan/Kotzur, Rn. 8.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

59

Loyalitätsprinzip den Adressaten eine Unterlassungspflicht auf, die ihnen verbietet, „die uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Unionsrechts und die Wirksamkeit der zu dessen Vollzug ergangenen oder zu treffenden Maßnahmen [zu] beeinträchtigen oder aus[zu]schalten“290. Das Loyalitätsprinzip schützt auf diese Weise die Resultate der europäischen Rechtsetzung gegen die nachträgliche Infragestellung durch die Mitgliedstaaten.291 Allerdings ist dies in dem Sinne zu verstehen, dass den erzielten Ergebnissen angesichts von kontinuierlichen Regierungswechseln in den zahlreichen Mitgliedstaaten der Union eine zwingend notwendige Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit verliehen werden soll.292 Die Funktionsfähigkeit der Union wird abgesichert, damit sie „nicht den Wechselfällen diplomatischer Stimmungen ausgesetzt ist oder jedenfalls trotz einer Verstimmung fortzuwirken vermag.“293 In diesem Sinne adressiert das Loyalitätsprinzip auch eine einvernehmliche Konfliktlösung.294 Alles in allem wird deutlich, warum die Loyalitätspflicht die unverzichtbare Geschäftsgrundlage der EU ist, weshalb es nur logisch erscheint, dass sich das Prinzip historisch durch alle Gemeinschaftsverträge hindurchzieht. Nun ist es von entscheidender Wichtigkeit, das Loyalitätsprinzip vom Solidaritätsprinzip zu differenzieren. Leider wird in der Forschung überwiegend nicht ausreichend zwischen den beiden Prinzipien unterschieden, oder noch schwerwiegender: Sie werden als äquivalent bezeichnet.295 Der Lissabonner Vertrag präzisiert jedoch die Tatsache, dass beide Prinzipien voneinander getrennt betrachtet werden müssen, in Art. 24 Abs. 3: „Die Mitgliedstaaten unterstützen die Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität und achten das Handeln der Union in die-

290 291 292 293 294

295

Streinz, Rudolf (2018): Art. 4 EUV, in: Streinz, Rn. 68. Vgl. von Bogdandy (2009): S. 55. Das bedeutet nicht etwa eine Art Unveränderlichkeits- oder Ewigkeitsklausel. Tomuschat (1987): S. 754. Vgl. Hatje, Armin (2001): Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, BadenBaden, S. 106. Vgl. Timmermans, Christiaan W.A. (2008): The Basic Principles, in: Kapteyn P.J.G et al. (Hg.): The Law of the European Union and the European Communities, Alphen an den Rijn, S. 115–174, S. 147; Terhechte, Philipp (2014): §7: Prinzipienordnung der Europäischen Union, in: Hatje, Armin/Müller-Graff, Peter-Christian (Hg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 1, Baden-Baden, S. 329-366, Rn. 44f.; Zuleeg, Manfred (2004): Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, Baden-Baden, S. 42; Blanke (2013): Art. 4 TEU, in: Blanke/Mangiameli, Rn. 81ff.

60

2 Solidarität in der Europäischen Union

sem Bereich.“ Dies belegt zweifelsfrei, dass das Unionsrecht Loyalität und Solidarität nicht synonym verwendet. Das Loyalitätsprinzip ist vielmehr eine notwendige prozedurale Ausprägung des selbstständigen und allgemeingültigen Solidaritätsprinzips. Diese Ausdifferenzierung wird schon im EuGH-Urteil vom 10. Dezember 1969 erkennbar, wo es heißt: „[D]ie Solidarität, die gemäß der in Art. 5 des Vertrages eingegangenen Verpflichtung diesen Verpflichtungen wie dem gesamten Gemeinschaftssystem zugrundeliegt.“296 Art. 5 des EWG-Vertrages ist ein Vorgänger von Art. 4 Abs. 3 des EUV. Die Formulierung lässt eine Unterscheidung des Solidaritätsprinzips in die in Art. 5 EWG auferlegten Verpflichtungen einerseits (Loyalität) und übergreifend für das gesamte Gemeinschaftssystem andererseits (Solidarität) erkennbar werden. Zur weiteren Bestätigung hat der EuGH in mehreren Urteilen unzweideutige Aussagen zum Loyalitätsprinzip gemacht, die die Auffassung bestätigen, dass die beiden Prinzipien voneinander differenziert werden müssen.297 Es tritt also eindeutig eine Differenzierung des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union zutage: Einerseits findet sich das allgemeine Solidaritätsprinzip, das festlegt, warum Solidarität von vornherein notwendigerweise existieren muss. Andererseits findet sich ein prozedurales Solidaritätsprinzip, das sich über das Loyalitätsprinzip in Art. 4 Abs. 3 des EUV zu erkennen gibt und festlegt, wie Solidarität in der EU konkret ausgestaltet wird. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Europäische Union ohne Solidarität nicht existieren kann. Der Abschnitt hat dargelegt, warum das Solidaritätsprinzip die conditio sine qua non der EU ist und wie sich diese Tatsache im europäischen Recht äußert. Die in Freiheit erfolgte Selbstbindung der Mitgliedstaaten an das EU-Recht, durch die nationale Kompetenzen auf die supranationale Ebene verlagert werden, um die gemeinsamen politischen Ziele in konkreten Rechtsnormen zu implementieren und zu akzeptieren, dass die Kontrolle der Anwendung dieser Normen von supranationalen Institutionen wahrgenommen wird, macht das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union unverzichtbar. Jede Nichteinhaltung des gemeinsam durchgesetzten Rechts, die nachhaltig nicht zur Erreichung der gemeinsam ausgehandelten politischen Ziele führt, stellt eine Verletzung des Solidaritätsprinzips dar. Wird das Recht nicht mehr befolgt, wird dem 296 297

Gerichtshof der Europäischen Union (1969): Rn. 14/17. Vgl. Obwexer (2015): Art. 4, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Rn. 60.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

61

gesamten Integrationsprojekt der Sinn und die Funktionsfähigkeit entzogen, da die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft nur auf Basis des Rechts funktionieren kann. 2.2.4. Das Solidaritätsprinzip in den asylpolitischen Zielvorgaben des Vertrags von Lissabon Der Bereich der Asylpolitik ist Teil der Innen- und Justizpolitik der EU, welche mit dem Terminus „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (RFSR) bezeichnet wird. Der Vertrag von Lissabon kodifiziert in Art. 3 Abs. 2 EUV den RFSR als eines seiner Ziele, dem die Politikbereiche Asyl, Einwanderung und Grenzschutz zugeordnet sind. Durch die Aufhebung der Säulenform im Lissabonner Vertrag wurden die Bereiche der Innen- und Justizpolitik, die vorher noch auf erste und dritte Säule verteilt waren, unter dem RFSR vereinigt.298 Im Zuge dessen wurde die Asylpolitik vergemeinschaftet, das heißt in das supranationale EURecht überführt, in dem das ordentliche Gesetzgebungsverfahren das Regelverfahren darstellt.299 Damit steht dem EuGH nun eine umfassende Rechtsprechungsbefugnis zu, die nur durch den Vorbehalt der Mitgliedstaaten in Belangen der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit eingeschränkt wird.300 Im entsprechenden Abschnitt des AEUV wird vor allem die integrative Vertiefung in diesem Politikbereich festgeschrieben.301 In Art. 67 AEUV werden die Grundsätze des RFSR festgelegt. Dort heißt es in Absatz 2: „Sie [die Union, D.S.] stellt sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden, und entwickelt eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen, die

298

299

300

301

Vgl. Bauer, Michael (2008): Organisation und rechtlicher Rahmen des Politikfelds Inneres und Justiz nach dem Vertrag von Lissabon, in: Weidenfeld, Werner (Hg.): Lissabon in der Analyse. Der Reformvertrag der Europäischen Union, Baden-Baden, S. 99-114, S. 101 Vgl. Petrus, Szabolcs/Rosenau, Henning (2018): Art. 67 AEUV, in: Heintschel von Heinegg/Vedder, Rn. 3. Vgl. Haack, Stefan (2010): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Vertrag von Lissabon – Rhetorik oder Integrationsschub?, in: Leiße, Olaf (Hg.): Die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, Wiesbaden, S. 220-233, S. 231. Vgl. Kampfer, Georg Kristian (2010): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Demesmay, Claire/Marchetti, Andreas (Hg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung, Baden-Baden, S. 73-88, S. 74.

62

2 Solidarität in der Europäischen Union sich auf die Solidarität der Mitgliedstaaten gründet und gegenüber Drittstaatsangehörigen angemessen ist. Für die Zwecke dieses Titels werden Staatenlose den Drittstaatsangehörigen gleichgestellt.“

Die Geltung des Solidaritätsprinzips wird hier noch einmal explizit aufgegriffen mit dem besonderen Hinweis auf die mitgliedstaatliche Komponente und unter Nichteinbeziehung von Drittstaatsangehörigen. Das weist darauf hin, dass der Geltung des Solidaritätsprinzips zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Asylpolitik ein herausgehobenes Gewicht beigemessen wird. Im entsprechenden Art. 78 AEUV, in dem die Ziele der gemeinsamen Asylpolitik formuliert werden, erscheint kein weiterer Hinweis auf Solidarität. Dafür ist dem Politikbereich Asyl, Einwanderung und Grenzschutz aber ein Solidaritätsartikel hinzugefügt worden. Dabei handelt es sich um Art. 80 AEUV: „Für die unter dieses Kapitel fallende Politik [Asyl, Einwanderung, Grenzschutz; D.S.] der Union und ihre Umsetzung gilt der Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, einschließlich in finanzieller Hinsicht. Die aufgrund dieses Kapitels erlassenen Rechtsakte der Union enthalten, immer wenn dies erforderlich ist, entsprechende Maßnahmen für die Anwendung dieses Grundsatzes.“

Diese Solidaritätsklausel nimmt eine außerordentliche Stellung im Vertragswerk ein. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass in der Asylpolitik offenbar eine besonders hohe Solidaritätsnotwendigkeit gegeben ist, die allen Vertragspartnern bewusst zu sein scheint. Grund dafür ist, dass die geografischen Gegebenheiten in der EU eine ungerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten in diesen Politikbereichen nach sich ziehen, die durch die Zuständigkeitsallokation des Dublin-Systems hervorgerufen wird, für die Ausgleichsmechanismen gefunden werden müssen. Mitgliedstaaten an der südlichen und östlichen Peripherie tragen die größte Verantwortung für die Bewältigung der Migrationsbewegungen nach Europa aus dem globalen Süden, unabhängig von den Migrationsursachen.302 Dementsprechend fordert der Artikel noch einmal explizit die Geltung des Grundsatzes der Solidarität ein, der mit der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten verbunden wird.303 Für die Asylpolitik fällt dieser Aspekt also 302 303

S. Kap. 3.2.2. Siehe dazu ausführlich Oberkap. 3, zur Genese dieser Verbindung vor allem Kap. 3.1.7. und 3.2.2.

2.2. Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union

63

unter die Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen, die zu erfüllen sind, um das Solidaritätsprinzip zu einzuhalten. Ausdrücklich benannt ist in dem Artikel allerdings nur die finanzielle Komponente, andere Maßnahmen werden nicht erwähnt. Dennoch werden unter solidarischen Ausgleichsmaßnahmen auch Informationsaustausch, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen oder technische Unterstützung subsumiert. 304 Der Artikel ist insgesamt eher vage und unkonkret formuliert, was seine Normativkraft und damit seine Justiziabilität schwächt.305 Gemeinhin herrscht daher die Auffassung, dass Art. 80 AEUV keine eigenständige Kompetenz für die Verabschiedung von Maßnahmen darstellt,306 was dazu führt, dass die EU-Institutionen eine weitreichende Auslegungsfreiheit in Bezug auf „entsprechenden Maßnahmen“ zur Förderung von Solidarität und gerechter Verantwortlichkeitsaufteilung haben.307 Nichtsdestotrotz bestärkt Art. 80 AEUV die Pflicht der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen, bei allen Maßnahmen in der Asylpolitik die Einhaltung des Solidaritätsprinzips zu beachten, welches durch eine gerechte Verantwortlichkeitsaufteilung unter den Mitgliedstaaten Ausprägung finden muss. Die spezielle Einschränkung „immer, wenn dies erforderlich ist“, schränkt im Gesetzgebungsprozess entsprechend die Reichweite ein. Eine schlüssige Erklärung dafür lautet, dass es sich bei dieser Anweisung um den Verweis auf das Subsidiaritätsprinzip handelt: Also immer nur dann, wenn die Mitgliedstaaten die gemeinsamen Ziele nicht alleine umsetzen können, seien entsprechende Maßnahmen „erforderlich“. 308 Dementsprechend sind für diese Spezialausprägung des Solidaritätsprinzips nur diejenigen Maßnahmen relevant, in denen sich die explizite Berücksichtigung des Art. 80 AEUV findet. Ansonsten ist anzunehmen, dass die Unionsgesetzgeber nicht davon ausgegangen sind, dass eine Erforderlichkeit im Sinne des Subsidiaritätsprinzips gegeben war. Demzufolge sind Asylverfahrens-Richtlinie, Anerken-

304 305 306

307

308

Vgl. Rossi, Matthias (2016): Art. 80 AEUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 4. Vgl. Kotzur, Markus (2017): Art. 80 AEUV, in: Geiger/Khan/Kotzur, Rn. 1. Damit ist er im rechtlichen Sinn eine klassische Querschnittsklausel. Vgl. Thym, Daniel (2015): Art. 80 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 57. Ergänzungslieferung, Rn. 4. Vgl. Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (2016a): Legal Framework for EU Asylum Policy, in: Dies. (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. A Commentary, 2. Auflage, München, S. 1023-1053, Rn. 43. Vgl. McDonough, Paul/Tsourdi, Evangelia (2012): The „other“ Greek Crisis: Asylum and EU Solidarity, Refugee Survey Quarterly, Jg. 31 (4), S. 66-100, S. 96.

64

2 Solidarität in der Europäischen Union

nungs-Richtlinie und Aufnahme-Richtlinie nicht von dieser asylpolitischen Spezialausprägung des unionalen Solidaritätsprinzips betroffen.309 Diese Exklusion ist plausibel, denn bei der Durchführung dieser Maßnahmen sind die Mitgliedstaaten nicht auf die gegenseitige Kooperation angewiesen. Die Unionsgesetzgeber haben die Umsetzung der intendierten Ziele also auf der mitgliedstaatlichen Ebene besser aufgehoben gesehen. Anders ist dies bei der Feststellung der Verantwortlichkeit für die Antragsteller durch das Dublin-System, bei der die Mitgliedstaaten zu einer Kooperation gezwungen sind. Das gleiche gilt für den AMIF und EASO, bei denen entweder die Geldtransfers von allen Mitgliedern geleistet werden oder die Mitarbeiter von allen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden. Das Solidaritätsprinzip erhält seinen spezifischen Ausdruck in der Asylpolitik also in der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten und muss in allen Maßnahmen Berücksichtigung finden. Für den Fall, dass ein Mitgliedstaat die gemeinsamen intendierten Ziele der Asylpolitik, die zum Wohle der gesamten Union funktionieren soll, in diesem Sinne nicht erfüllen kann, existieren entsprechende Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung des Solidaritätsprinzips in seinem spezifischen Ausdruck des Politikfeldes.

2.3. Zusammenfassung Eine besondere Leistung der Europäischen Integration ist die rechtliche Verpflichtung auf gemeinsam legitimierte Gemeinwohlbelange, die sich in der Schaffung von Institutionen, denen die auf das Solidaritätsprinzip gestützte Verwirklichung dieser Ziele obliegt, äußert.310 Die rechtliche Bindung des Integrationsprozesses darf insgesamt als Erfolgsgarant desselben gelten.311 Die Herrschaft des Rechts ist in diesem Zusammenhang als Stärke zu sehen, weil damit Solidarität normiert wird und nicht nur als politisches Postulat besteht.312 Die Untersuchung in diesem zweiten Teil der Arbeit ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union ihre conditio 309

310 311 312

In diesen zum GEAS gehörenden Richtlinien findet sich kein Hinweis auf die Berücksichtigung von Art. 80 AEUV. Vgl. Calliess (2016): Art. 222 AEUV, in Calliess/Ruffert, Rn. 10. Vgl. Terhechte (2014): Rn. 19. Vgl. Calliess (1999): S. 189.

2.3. Zusammenfassung

65

sine qua non darstellt. Die prozedurale Ausformung des Solidaritätsprinzips findet sich im Primärrecht als Loyalitätsprinzip, welches die fundamentale Geschäftsgrundlage der Union bildet, die ihre Funktionsweise sichert. Im Lissabon-Vertrag hat das Solidaritätsprinzip eine Aufwertung erfahren und wurde insbesondere in der asylpolitischen Zusammenarbeit geschärft. Es wurde dort in Art. 80 AEUV mit der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten verbunden. In der begriffshistorischen und systematischen Auseinandersetzung mit Solidarität hat sich ein Grundgehalt der Bedeutungsvariationen zu erkennen gegeben, der extrahiert und zu einem Konzept zusammengefasst wurde. Nun lässt sich feststellen, dass sich die zentralen Befunde beider Untersuchungsgegenstände zu einem Solidaritätskonzept verbinden lassen, dass seine Gültigkeit für die Europäische Union entfaltet: (1) Solidarität hat immer einen partikularen Charakter und ist nur auf spezifische Gruppen anwendbar. Die Europäische Union ist eine solche Bezugsgruppe, die sich aus einem bestimmten gemeinsamen Interessenzusammenhang der Mitglieder gebildet hat. (2) Solidarität ist auf ein gemeinsames Ziel gerichtet, dessen Legitimität von der Bezugsgruppe anerkannt ist. Solidarität ist das Mittel zum Zweck zur Erreichung dieses Zieles. Das gemeinsame Ziel der Europäischen Union ist das Gemeinwohl, auf das sich die Unionsmitglieder einigen. Zur Verwirklichung dieses Zieles wird Solidarität sowohl als Voraussetzung als auch als Vehikel benötigt, um diese Zielverwirklichung zu operationalisieren. (3) Solidarität schafft eine wechselseitige Verbundenheit und verlangt eine reziproke Verpflichtung. Die Mitgliedstaaten der EU verbinden sich wechselseitig über die Rechtsgemeinschaft bezogen auf die Ziele, auf die sie sich in der politischen Sphäre freiwillig geeinigt haben. Nur durch die Herrschaft des Rechts können sie sichergehen, dass alle Maßnahmen zur Verwirklichung des Gemeinwohls auch eingehalten werden. Sie handeln im aufgeklärten Eigeninteresse. Das Solidaritätsprinzip sorgt hier einerseits dafür, dass alle Akteure grundsätzlich alle Verpflichtungen umzusetzen haben; andererseits sorgt es über das Loyalitätsprinzip dafür, wie die Zielverwirklichung ausgestaltet wird.

66

2 Solidarität in der Europäischen Union

(4) Solidarität äußert sich in einem Füreinandereinstehen für das gemeinsame Ziel, welches sich in Unterstützung und Hilfe ausdrückt. Die Gemeinschaftsmitglieder stehen füreinander auch dann ein, wenn ein bestimmter Teil der Zielverwirklichung zeitweise Nachteile bzw. den Verzicht auf Vorteile mit sich bringt. Das Gemeinschaftsinteresse übertrumpft dabei das nationalstaatliche Interesse in Bezug auf das Erreichen des „großen Ganzen“. Das Solidaritätsprinzip drückt sich dabei in konkreten Maßnahmen durch Unterstützungs- und Hilfeleistungen in den Politikbereichen aus, um die Gemeinwohlverwirklichung gewährleisten zu können. Alle vier Bedingungen müssen erfüllt sein, um das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union einzuhalten. Es zeigt sich, dass es ein allgemeingültiges, alle Regelungsbereiche übergreifendes Solidaritätsprinzip in der EU gibt, das inhaltlich bestimmt werden kann. Es ist im Konstrukt der Europäischen Union durch Bedingungsfaktoren (1), (2) und (3) verarbeitet und damit systemimmanent. Zusammen mit Bedingungsfaktor (4) wird diese Solidarität im europäischen Staatenund Verfassungsverbund die notwendige Bedingung zur Verwirklichung ihrer Ziele. Die vierte Bedingung muss bei der Untersuchung der einzelnen Politikbereiche verstärkt in den Blick genommen werden, da die Ausgestaltung der Hilfsund Unterstützungsmechanismen jeweils unterschiedlich sein kann. Die ersten drei Bedingungen sind durch die Charakteristik der Union als freiwilliger Verbund mit Gemeinwohlorientierung unter Herrschaft des Rechts und ausgestattet mit dem Loyalitätsprinzip zur Funktionsbewahrung in ihrer Ausgestaltung konstant. Das hier dargelegte Prinzip ist demnach mit all seinen Bedingungen auch im Bereich der Asylpolitik einzuhalten. Ein Verstoß gegen einen der Bedingungsfaktoren würde gleichzeitig einen Verstoß gegen das Solidaritätsprinzip darstellen.313 Für den Fokus dieser Arbeit sind also die spezifischen Ziele des Politikbereichs Asyl in den Blick zu nehmen und die Maßnahmen, die diese verwirklichen sollen. Die Implementierung und Umsetzung aller asylpolitischen Maßnahmen müssen mit dem Solidaritätsprinzip vereinbar sein. Das Besondere am Bereich der Asylpolitik ist nun die Forderung der gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten, die sich über Art. 80 AEUV äußert. Das Solidaritätsprinzip entfaltet dahingehend in der europäischen Asylpolitik eine zusätzliche Wirkung: Es fordert für jede Maßnahme die konkrete Pflicht, die gerechte 313

Als Beispiel: Wenn es keine Hilfs- und Unterstützungsmechanismen zur Zielverwirklichung gäbe, wäre Bedingung (4) verletzt und das Solidaritätsprinzip nicht eingehalten.

2.3. Zusammenfassung

67

Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, und zwar immer, wenn dies erforderlich ist. Seinen Bezug kann diese asylpolitische Ausprägung allerdings nur auf diejenige Maßnahme entwickeln, die genau diese Verteilung der Verantwortlichkeiten regelt und gleichzeitig der Erforderlichkeit genügt: Das Dublin-System. Zusätzlich zählt dazu die Forderung von Hilfsund Unterstützungsleistungen zum Wohle der Zielerreichung durch die Behebung möglicherweise aufkommender Ungerechtigkeiten in der Verantwortungsaufteilung. Darunter fallen spezielle finanzielle (der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds) und operative (das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen) Ausgleichsmaßnahmen. Aus diesen zielpolitischen Vorgaben des Primärrechts ergibt sich die Auswahl der zentralen sekundärrechtlichen Maßnahmen, die im Folgenden hinsichtlich des vorgestellten Solidaritätskonzeptes geprüft und analysiert werden.

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Im vorangegangenen Kapitel wurde dargelegt, wie sich auf Basis des entworfenen Solidaritätskonzeptes das Solidaritätsprinzip der Europäischen Union manifestiert. Demnach verpflichtet das Solidaritätsprinzip alle Adressaten in der EU dazu, sich an der Verfolgung der gemeinsamen Ziele zu beteiligen und diese keinesfalls zu unterminieren. Alle implementierten Maßnahmen müssen dem Solidaritätsprinzip entsprechen. Das Solidaritätsprinzip fordert im Hinblick auf die Kooperation der Mitgliedstaaten dementsprechend die korrekte Implementierung aller sekundärrechtlichen Maßnahmen.314 Im speziellen Bezug der Asylpolitik verlangt es ferner die Unterstützung aller Mitgliedstaaten untereinander, ihre nationalen Asylsysteme so zu entwickeln, dass sie zum Wohle der ganzen Union funktionieren.315 Dabei spielt auch das gegenseitige Vertrauen eine wichtige Rolle: Die Mitgliedstaaten müssen untereinander die Gewissheit haben, dass jeder seinen Verpflichtungen nachkommt. Gegenseitiges Vertrauen kann demgemäß als Ausdruck des Loyalitätsprinzips verstanden werden: Mitgliedstaaten, die ihren Pflichten nachkommen, können sich gegenseitig vertrauen.316 Letztlich müssen alle Teile der Union darauf vertrauen, dass die gemeinsame Rechtsetzung eingehalten wird, 314

315

316

Vgl. Europäische Kommission (2011a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über verstärkte EU-interne Solidarität im Asylbereich. Eine EU-Agenda für weitergehende Teilung der Verantwortung und mehr gegenseitiges Vertrauen, KOM(2011) 835 endgültig, 02.12.2011, Brüssel, S. 2; Rat der Europäischen Union (2012a): Schlussfolgerungen des Rates über einen gemeinsamen Rahmen für echte und praktische Solidarität gegenüber Mitgliedstaaten, deren Asylsysteme besonderem Druck, einschließlich durch gemischte Migrationsströme, ausgesetzt sind, 7485/12, ASIM 20 Front 42, 09.03.2012, Brüssel, S. 3; Europäisches Parlament (2012): Bericht über verstärkte EU-interne Solidarität im Asylbereich, 2012/2032(INI), A7-0248/2012, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, 19.07.2012, Brüssel, S. 14; Pascouau, Yves (2012): Schengen and Solidarity: The fragile balance between mutual trust and mistrust, Policy Paper Nr. 55, Notre Europe, Paris, S. 7. Vgl. Boswell, Christina/Vanheule, Dirk/van Selm, Joanne (2011): Die Umsetzung von Artikel 80 AEUV zum Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, einschließlich in finanzieller Hinsicht, im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, Studie für den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments, Brüssel, S. 118. Vgl. Thym, Daniel/Tsourdi, Evangelia (2017): Searching for solidarity in the EU asylum and border policies: Constitutional and operational dimensions, in: Maastricht Journal of European and Comparative law, Jg. 24 (5): S. 605-621, S. 617.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Saracino, Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4_3

70

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

die Aushebelung des Sekundärrechts und damit die Untergrabung des Integrationserfolgs verhindert wird.317 Das Solidaritätsprinzip ist daher vom gegenseitigen Vertrauen nicht zu trennen, da eine ausgewogene Teilung der Verantwortung im GEAS die Bereitschaft der Mitgliedstaaten erhöhen kann, ihren pflichtgemäßen Beitrag hinreichend zu leisten.318 Im Falle der Unfähigkeit eines Mitgliedstaates, die eingegangen Pflichten zu erfüllen, erfordert Solidarität dementsprechend auch Solidaritätsmaßnahmen zur Unterstützung, um das Vollzugsdefizit zur gemeinsamen Zielerreichung zu beheben und das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen. Ein auch durch Hilfsmaßnahmen nicht behebbares Vollzugsdefizit würde für eine Verletzung des Solidaritätsprinzips sprechen. Mangelnder Wille hingegen, die eingegangen Verpflichtungen einzuhalten, stellt unmittelbar einen Solidaritätsbruch dar und schwächt das gegenseitige Vertrauen. Eine solche Verletzung der conditio sine qua non der Europäischen Union müsste den Delinquenten von Unterstützungsmaßnahmen ausschließen oder andere konkrete Konsequenzen mit sich bringen. Art. 80 AEUV fordert zusätzlich zur ohnehin schon bestehenden Pflicht zur Solidarität in der Europäischen Union, diese in der gemeinsamen Asylpolitik mit der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten zusammenzudenken. Unter den Artikel fallen Kompensationsmechanismen, um die Anforderungen zu erfüllen. Ausdrücklich benannt ist in Art. 80 AEUV allerdings nur die finanzielle Komponente, die sich in der Praxis durch den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) manifestiert. Es werden aber gemeinhin darunter weitere kompensatorische Maßnahmen subsumiert, wie Informationsaustausch, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen oder technische Unterstützung.319 Diese materialisieren sich in der asylpolitischen Praxis durch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO). Im Folgenden werden daher die für das Solidaritätsprinzip in der Asylpolitik der Europäischen Union relevanten Maßnahmen untersucht: Erstens, das Zuständigkeitssystem, welches die Verantwortlichkeitsteilung für Asylgesuche in der Union regelt und unter dem Begriff „Dublin-System“ bekannt ist (2.). Zweitens, der finanzielle Kompensationsmechanismus für den Bereich Asyl, der AMIF 317

318 319

Vgl. Meyer, Frank (2017): Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens – Konzeptualisierung und Zukunftsperspektiven eines neuen Verfassungsprinzips, in: Europarecht, Jg. 52 (2), S. 163185, S. 178. Vgl. Fröhlich, Daniel (2011): Das Asylrecht im Rahmen des Unionsrechts, Tübingen, S. 263. Vgl. Rossi (2016): Art. 80 AEUV, in: Calliess/Ruffert, Rn. 4.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

71

(3.). Und drittens, die Asylunterstützungsagentur EASO (4.). Vorangestellt ist ein kurzer integrationspolitischer Überblick über die wichtigsten Stationen des Integrationsprozesses der europäischen Asylpolitik, der das Fundament für die Analyse legt. Dort soll sich zeigen, welche Entwicklungen zum GEAS geführt haben, wann sich Solidarität in ihrer asylpolitischen Ausprägung manifestiert hat und wie die Materialisierung des Solidaritätsprinzips vorangeschritten ist (1.).

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem In diesem Kapitel erfolgt eine überblickartige Darstellung des Integrationsprozesses in der europäischen Asylpolitik. Dabei werden die wichtigsten Stationen, Entwicklungen und Hintergründe beleuchtet, die das Fundament zum Verständnis der Analyse des Solidaritätsprinzips im GEAS legen. Die Untersuchung lässt sich von der Spur des Solidaritätsprinzips leiten. Begrifflich wurde das Gemeinsame Europäische Asylsystem 1999 durch das Programm des Europäischen Rates von Tampere aus der Taufe gehoben.320 Es wurde dort als Teil des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts konzipiert, der im EU-Rahmen mit dem Vertrag von Amsterdam (1997/1999) stellvertretend für die Kooperation in der Innen- und Justizpolitik als Integrationsziel formuliert wurde.321 Die Integrationsgeschichte der Innen- und Justizpolitik, zu der die asylpolitische Zusammenarbeit gehört, lässt sich jedoch konkret bis in die 1970er Jahre zurückverfolgen. 3.1.1. Die rechtlich-politische Ausgangssituation in der europäischen Asylkooperation Zunächst ist es wichtig, den Rahmen des internationalen und europäischen Asylrechts zu klären. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht, das 1948 in Art. 14 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) Einzug gefunden

320

321

Vgl. Europäischer Rat (1999): Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 15./16. Oktober 1999, Tampere, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm, Art. 13. Vgl. Vertrag von Amsterdam: Art. B.

72

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

hat.322 Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus dem Jahr 1951 mit ihrem Protokoll von 1967 hat dieses Recht präzisiert, indem sie definierte, was unter einem „Flüchtling“ zu verstehen ist.323 Darüber hinaus hat die GFK verboten, dass Signatarstaaten einen Flüchtling „auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen [dürfen], in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“324

Dieses Gebot der Nicht-Zurückweisung oder non-refoulement-Gebot ist zum zentralen Baustein des internationalen Flüchtlingsrechts geworden. In der ständigen Rechtsprechung europäischer Gerichte beispielsweise spielt es eine große Rolle.325 Die Grundrechtecharta der Europäischen Union (GRCh) übernahm in Art. 18 das Menschenrecht auf Asyl und die Bestimmungen der GFK. 326 Durch den Vertrag von Lissabon ist sowohl die GRCh in den rechtlichen Besitzstand der EU übernommen, als auch die Geltung der GFK explizit in Art. 78 Abs. 1 AEUV garantiert worden.327 Dieser menschen- und grundrechtliche Rahmen macht die europäische Zusammenarbeit in Sachen Einwanderung besonders heikel, da er grundsätzlich mit dem Primat des Nationalstaates über seine Souveränität konfligiert. Der moderne Nationalstaat erhält seinen Herrschafts- und Machtanspruch unter anderem über das dazugehörige Territorium und dessen Grenzen, und damit auch darüber, wer 322

323

324 325

326

327

Vgl. Vereinte Nationen (1948): Resolution der Generalversammlung 217 A (III). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, A/RES/217 A (III), 10. Dezember 1948, Paris, abrufbar unter: https://www.un.org/Depts/german/menschenrechte/aemr.pdf. Vgl. UNHCR (1951/1967): Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 und Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967, Genf, abrufbar unter: https://www.unhcr.org/dach/wp-con-tent/uploads/sites/27/2017/03/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf, Art. 1. Ebd., Art. 33. Vgl. Cremer, Hendrik (2016): Menschenrecht Asyl, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 66 (10-11), S. 40-44, S. 43. Vgl. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in: ABl. Nr. C 364, 18.12.2000, S. 122, Art. 18. Zum erweiterten Kontext des internationalen Flüchtlingsrechts vgl. Hilz, Wolfram (2017): Refugees and Asylum Seekers as a Challenge for Europe, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 11-32, S. 17ff.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

73

unter welchen Bedingungen dieses Territorium betreten darf.328 Zu seinen Kernaufgaben gehört es, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, weswegen er Belange, die diese Aspekte betreffen, nur widerwillig an eine supranationale Ebene abgibt.329 Die Supranationalisierung in der Innen- und Justizpolitik bedeutet, an den Grundfesten der Rechtfertigung des modernen Nationalstaats zu rütteln.330 Nun wurde im Zuge des europäischen Binnenmarktprojektes die Personenfreizügigkeit mit der nationalstaatlichen Souveränität verbunden und von der Schwierigkeit belastet, diesen Bereich zu supranationalisieren, obwohl die Mitgliedstaaten ihre nationale Souveränität über Einwanderung behalten wollten. 331 Der Prozess hin zur Personenfreizügigkeit in der EU führte so zu einer Herausforderung der Souveränität der Mitgliedstaaten, da die Abschaffung der Grenzkontrollen den Verzicht auf ein Element ihrer staatlichen Herrschaft bedeutet. 332 Durch ungewollte, unautorisierte Einwanderung – in der Sprache der EU gemeinhin als „irreguläre“ Migration bezeichnet – fühlen sich Nationalstaaten in ihrer Souveränität bedroht, insbesondere dann, wenn sie diese nicht mehr autark gestalten können.333 Die Kontrolle über die eigene Souveränität wird ohnehin schon durch die Menschenrechte eingeschränkt, zu denen auch der Flüchtlingsschutz gehört, die sich die Mitgliedstaaten selbst auferlegt haben.334 Dies erzeugt ein Spannungsfeld zwischen dem Kernbereich staatlicher Souveränität und dem Schutz der Menschenrechte, das für Nationalstaaten nur schwer aufzulösen ist. 335 Dementsprechend zäh und kontrovers vollzog sich der Integrationsprozess in der gemeinsamen Asylpolitik der Europäischen Union.

328

329 330

331

332 333

334

335

Vgl. Baumann, Mechthild (2006): Der deutsche Fingerabdruck. Die Rolle der deutschen Bundesregierung bei der Europäisierung der Grenzpolitik, Baden-Baden, S. 18. Vgl. Kampfer (2010): S. 73. Vgl. Monar, Jörg (2009): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 749-800, S. 751. Vgl. Geddes, Andrew (2008): Immigration and European Integration. Beyond fortress Europe?, 2. Auflage, Manchester, S. 65. Vgl. Baumann (2006): S. 27. Vgl. Etzold, Benjamin (2009): Illegalisierte Migration in der Flüssigen Moderne. Migranten aus Afrika und die europäische Grenzsicherungspolitik, Berlin, S. 59. Vgl. Joppke, Christian (1999): Immigration and The Nation-State. The United States, Germany, and Great Britain, Oxford, S. 5. Vgl. Angenendt, Steffen (2007): Irreguläre Migration als internationales Problem. Risiken und Optionen, SWP-Studie, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, S. 18.

74

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

3.1.2. Der Beginn: Die „TREVI“-Zusammenarbeit Auf einem Ratstreffen in Rom wurde im Dezember 1975 beschlossen, eine Arbeitsgruppe zur gemeinsamen Terrorismusbekämpfung zu gründen, was im Folgejahr geschah.336 Seitdem traf sich die TREVI-Gruppe337 regelmäßig, bestehend aus den Innenministern der EU-Mitgliedstaaten sowie Offiziellen von Seiten der Justiz und der Polizei, um in dafür geschaffenen Arbeitsgruppen folgende Themen zu erörtern: den gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus, Informationsaustausch, Aus- und Weiterbildung von Polizei sowie die dazugehörige Ausstattung, das gemeinsame Vorgehen gegen organisiertes Verbrechen mit speziellem Fokus auf den Drogenhandel, und – ab 1989 – die Konsequenzen aus dem Wegfall der Binnengrenzen durch das geplante Schengen-System und die damit verbundenen Sicherheitsrisiken.338 Die Europäisierung der Innen- und Justizpolitik nahm hier ihren Anfang. Die TREVI-Gruppe wurde außerhalb des EU-Rahmens gegründet; ihr lag auch kein Rechtsakt zugrunde. Die erörterten Themen sollten intergouvernemental gelöst werden, frei von demokratischen und rechenschaftspflichtigen Begrenzungen.339 So war die TREVI-Gruppe in der Lage, in ihrem Handeln nationalen und europäischen Kontrollmöglichkeiten zu entgehen. An den Treffen nahmen manchmal auch Vertreter von Staaten teil, die (noch) nicht zur EU gehörten, wie zum Beispiel aus Österreich, der Schweiz, Schweden, den USA, Kanada oder Australien.340

336

337

338 339 340

Vgl. Bunyan, Tony (1993): Trevi, Europol and the European State, in: Ders. (Hg.): Statewatching the New Europe. A Handbook on the European State, London, S. 15-36, S. 15. Heute wird gemeinhin angenommen, dass TREVI das Akronym für „Terrorisme, Radicalisme, Extrémisme et Violence Internationale“ sei. Das bestreitet Antonio Cruz und gibt an, dass dies eine nachträgliche Erfindung von Journalisten sei. Der eigentliche Grund sei der Gründungsort, nahe dem Trevi-Brunnen in Rom. Vgl.: Cruz, Antonio (1993): Schengen, ad hoc Immigration Group and other European intergovernmental bodies in view of Europe without internal borders, Briefing Paper Nr. 12, Churches‘ Commission for Migrants in Europe, Brüssel, S. 16. Vgl. Bunyan (1993): S. 15f.; Cruz (1993): S. 16f. Vgl. Geddes (2008): S. 75. Vgl. Müller, Thorsten (2005): Eine Außenpolitik für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden, S. 105-121, S. 107.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

75

3.1.3. Von „Schengen“ zu „Dublin“ Ab Anfang der 1980er Jahre gewann dann das Ziel zur Vollendung des Binnenmarktes und der dazu notwendigen Personenfreizügigkeit wieder an Dynamik, welches schon 1957 durch die Römischen Verträge im Primärrecht verankert worden war.341 Am 13. Juli 1984 kamen Frankreich und Deutschland im Saarbrücker Vertrag überein, die gegenseitigen Grenzkontrollen schrittweise abzubauen.342 Bereits in diesem Abkommen wurde die Verlagerung gemeinsamer Kontrollen an die Außengrenzen reflektiert.343 Im darauffolgenden Jahr wurden die BeneluxStaaten zu diesem Projekt hinzugezogen. Ergebnis war das Schengener Abkommen vom 14. Juni 1985, das den schrittweisen Wegfall der Grenzkontrollen zwischen den teilnehmenden Staaten zum Ziel hatte.344 Gleichzeitig wurden in dem Abkommen Maßnahmen zur Kontrolle der nun gemeinsamen Außengrenzen festgelegt.345 In beiden Verträgen wird Solidarität zwischen den Völkern in der Präambel rein rhetorisch-appellativ als abstrakte Zielerklärung formuliert, die durch die Zielmotive der Abkommen gestärkt346 beziehungsweise bekräftigt347 werden solle. Es erfolgt keine Manifestation in Rechten oder Pflichten, ein Solidaritätsprinzip wird weder angedeutet noch substantiell ausgestaltet. Am Tag der Unterzeichnung des Schengener Abkommens erschien das Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes. Dort wurde das Ziel formuliert, in der Europäischen Union einen gemeinsamen Markt ohne Grenzen für den Verkehr von Waren, Dienstleitungen, Kapital und Personen bis Ende

341

342

343 344

345 346 347

Vgl. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 25.03.1957, Rom, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX: 11957E/ TXT&from=en, Art. 2. Vgl. Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze, 13.07.1984, Saarbrücken, abrufbar unter: https://www.cvce.eu/content/publication/2005/9/29/46468e59-54ec-41c1-a15e-258d92568910/publishable_de.pdf. Vgl. Ebd., Art. 8. Vgl. Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, 14. Juni 1985, Schengen, in: ABl. Nr. L 239, 22.09.2000, S. 13-18. Vgl. Ebd., Art. 17. Vgl. Ebd., Erw. 2. Vgl. Saarbrücker Vertrag: Erw. 2.

76

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

des Jahres 1992 zu errichten.348 Wie im Schengener Abkommen wurde dort darauf verwiesen, dass mit dem Wegfall der Binnengrenzen kompensatorische Maßnahmen an den Außengrenzen notwendig würden.349 Mit der Einheitlichen Europäischen Akte, unterzeichnet am 28.02.1986 und in Kraft getreten am 1.7.1987, wurde das Ziel des Binnenmarktes als primärrechtliche Vorgabe implementiert.350 Der Abbau der Grenzkontrollen zwischen einigen Staaten Europas begann mit dem Ziel, wirtschaftliche Hindernisse abzubauen und die Reisefreiheit ihrer Bürger zu erleichtern.351 Die Logik einer intendierten Personenfreizügigkeit bringt mit sich, dass zwischen den teilnehmenden Staaten die Migrationspolitik abgestimmt werden muss, da diese nun eine viel größere Auswirkung auf die Nachbarstaaten haben kann. Für die teilnehmenden Staaten galt es daher, gemeinsame Maßnahmen zu finden, die die fortan gemeinsamen Außengrenzen betrafen. Das gilt insbesondere für unautorisierte bzw. ungewollte Migration, allen voran Asylmigration. Diese Entwicklung brachte jene Akteure auf den Plan, die im Zuge des Schengen-Prozesses ihren Einfluss schwinden sahen: die mitgliedstaatlichen Innenministerien. Sie fürchteten durch den Abbau der Binnengrenzen um ihre Budgets und Einflussmöglichkeiten, woraufhin sie auf die Notwendigkeit ihrer Expertise in Bezug auf die Gefahren von grenzüberschreitender Kriminalität der neuen, europäischen Zusammenarbeit hinwiesen.352 Mechthild Baumann hat dies im Fall Deutschlands besonders gründlich nachgewiesen: Sie zeichnet nach, wie das Bundesinnenministerium (BMI) aus einer Selbsterhaltungsstrategie heraus, nachdem es anfangs von Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem Kanzleramt beim Binnenmarktprojekt außen vor gelassen wurde, eine Gefahr für die innere Sicherheit durch den bevorstehenden Abbau der Binnengrenzen heraufbeschwor und Sicherheit zur obersten Priorität beim Thema Einwanderung machte.353 348

349 350 351 352

353

Vgl. Europäische Kommission (1985): Vollendung des Binnenmarktes. Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, (KOM)85 310 endgültig, 14.06.1985, Brüssel, S. 4. Vgl. Ebd., S. 10; S. 14. Vgl. Einheitliche Europäische Akte: Art. 8a. Vgl. Saarbrücker Vertrag: Art. 11ff.; Schengener Abkommen: Erw. 1-4. Vgl. Hix, Simon/Høyland, Bjørn (2011): The Political System of the European Union, 3. Auflage, London, S. 295. Vgl. Baumann (2006): S. 104ff. Zu diesem Zweck stockte das BMI zum Beispiel schon kurz nach der deutsch-französischen Einigung 1984 die Kontrollen an den Grenzen auf, um höhere Deliktzahlen zu produzieren und öffentlichkeitswirksam seine Wichtigkeit in Szene zu setzen. Vgl. Baumann, Mechthild (2008): Der Einfluss des Bundeskanzleramts und des Bundesministeriums des Innern auf die Entwicklung einer europäischen Grenzpolitik, in: Aybek, Can

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

77

Aus der TREVI-Gruppe ging als Reaktion auf diese Entwicklung die „Adhoc-Gruppe Einwanderung“ hervor. Sie sollte sich um diejenigen Maßnahmen nach dem Wegfall der Binnengrenzen kümmern, die den befürchteten Kontrollverlust über die Einwanderung in den binnengrenzfreien Raum kompensieren sollten.354 Ihre Untergruppen erörterten die Zugangsvoraussetzungen zum Binnenmarkt, Visumsfragen sowie die Themen Asyl und Außengrenzen. 355 Da TREVI sich vor allem um Kriminalitätsbelange kümmerte, ist die Verbindung mit der Adhoc-Gruppe Einwanderung besonders relevant: Eine Verbindung zwischen Kriminalität und Einwanderung kommt hier besonders zum Tragen. 356 Die zuständigen Regierungsvertreter gingen nachweislich von einem kausalen Zusammenhang zwischen steigender Terrorismusgefahr, dem Wegfall von Grenzkontrollen und der Einwanderungspolitik aus.357 Schließlich nutzte die Ad-hoc-Gruppe Einwanderung auch europäische Netzwerke mit weiteren Vertretern der Innenressorts, wie die TREVI-Gruppe, um dieses neu entstehende europäische Betätigungsfeld mit seiner Agenda inhaltlich zu besetzen.358

354

355 356

357 358

M. et al. (Hg.): Migrations- und Integrationsprozesse in Europa. Vergemeinschaftung oder nationalstaatliche Lösungswege?, Wiesbaden, S. 17-33, S. 26. Vgl. Lavenex, Sandra (1999): Safe Third Countries. Extending the EU Asylum and Immigration Policies to Central and Eastern Europe, Budapest, S. 37. Vgl. Cruz (1993): S. 14. Bei der „Versicherheitlichung“ von Migrationspolitik lautet die These, dass Einwanderung als Gefahr für die innere Sicherheit der Nationalstaaten geframt wurde und dieser Aspekt das dominierende Merkmal auch der Asylpolitik ist. Diese These wurde in der Forschungsliteratur lange Zeit weitgehend unangefochten vertreten. Vgl. Huysmans, Jef (2000): The European Union and the Securitization of Migration, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 38 (5), S. 751-777; Tsoukala, Anastassia (2005): Looking at Migrants as Enemies, in: Bigo, Didier/Guild, Elspeth (Hg.): Controlling Frontiers. Free Movement Into and Within Europe, Aldershot, S. 161-192; Schlentz, Dace (2010): Did 9/11 matter? Securitization of Asylum and Immigration in the European Union in the period from 1992 to 2008, Working Paper Series No. 56, Refugee Studies Centre, Oxford. In den letzten Jahren gibt es aber durchaus überzeugende Gegenstimmen, die mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung der asylpolitischen Maßnahmen kein Primat der Sicherheitsinteressen erkennen können. Vgl. Dreyer-Plum, Domenica (2017): Kosmo-polis EU. Eine kosmopolitische Untersuchung europäischer Grenz- und Asylpolitik, Baden-Baden, S. 332; Kaunert, Christian/Léonard, Sarah (2012): The development of the EU asylum policy: venue-shopping in perspective, in: Journal of European Public Policy, Jg. 19 (9), S. 1396-1413, S. 1401ff; Boswell, Christina/Geddes, Andrew (2011): Migration and Mobility in the European Union, Basingstoke, S. 174. Vgl. Bunyan (1993): S. 31. Dabei gäbe es durchaus auch andere Ressorts, die legitimen Anspruch auf einen Gestaltungsauftrag bei Einwanderungsfragen hätten, wie zum Beispiel Außen oder Soziales.

78

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

In der Schengen-Gruppe, der TREVI-Gruppe und der Ad-hoc-Gruppe Einwanderung waren häufig die gleichen Personen für die überlappenden Zuständigkeitsbereiche verantwortlich.359 Vor dem Hintergrund dieser Interessen-, Akteursund Prozesskonvergenz entstand 1990 das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), das im Vergleich mit dem Schengener Abkommen ein deutliches Framing von Einwanderung als Sicherheitsproblem aufwies.360 Die Strategie der Innenministerien war also erfolgreich: Nicht nur in Deutschland gab das Bundeskanzleramt seine Verhandlungsführerschaft in Sachen Schengen relativ schnell an das BMI ab,361 sondern in der gesamten europäischen Zusammenarbeit in Sachen Einwanderungspolitik übernahmen die Innenressorts das Zepter des Handelns, wie man an der Zusammensetzung der TREVI-Gruppe oder der Ad-hoc-Gruppe Einwanderung erkennen kann. Im SDÜ wurden als kompensatorische Maßnahmen gemeinsame Kontrollen an den Außengrenzen, eine gemeinsame Visavergabe, Verantwortlichkeiten für Asylverfahren und Informationsaustausch über das Schengener Informationssystem beschlossen.362 In den Artikeln 28 bis 38 wurden die Zuständigkeitsbestimmungen für Asylverfahren festgelegt. Das Abkommen setzte ein Exekutivkomitee ein, das geheim tagte und Beschlüsse fasste, aber bindende Vorschriften implementierte; es konnte sogar bestimmen, dass die Entscheidungen selbst geheim blieben.363 Die Umgehung demokratischer Rechenschaftspflichten wurde dadurch weiter vorangetrieben. Ein Hinweis auf Solidarität findet sich im SDÜ nicht. Im gleichen Jahr wurde das „Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags“364 – das Dubliner Übereinkommen (Dublin I) – beschlossen, das ein Arbeitsprodukt aus der Ad-hoc-Gruppe Einwanderung 359 360

361 362

363

364

Vgl. Lavenex (1999): S. 37. Vgl. Guiraudon, Virginie (2000): European Integration and Migration Policy: Vertical Policymaking as Venue Shopping, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 38 (2), S. 251-271, S. 260. Vgl. Baumann (2006): S. 147. Vgl. Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, in: ABl. Nr. L 239, 22.09.2000, S. 19-62. Vgl. Noll, Gregor (2000): Negotiating Asylum. The EU Acquis, Extraterritorial Protection and the Common Market of Deflection, Den Haag, S. 124. Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags [Dubliner Übereinkommen], in: ABl. Nr. C 254, 19.08.1997, S. 1-12.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

79

war.365 Dies übernahm die Zuständigkeitsbestimmungen weitgehend aus dem SDÜ. Dublin I wurde wie das Schengener Abkommen und das SDÜ als internationaler Vertrag außerhalb des EU-Rahmens ausgestaltet. Damit waren die beiden zentralen Bausteine der europäischen Migrationspolitik auf den Weg gebracht, wobei das Dublin-Zuständigkeitssystem die Konsequenz aus dem Schengen-Prozess ist und den Ankerpunkt der gemeinsamen Asylpolitik bildet. Für das Solidaritätsprinzip in der Asylpolitik der Europäischen Union spielten diese Entwicklungen vorerst eine untergeordnete Rolle. Sie hatten Solidarität zwischen den Teilnehmerstaaten nicht zum Gegenstand und wurden darüber hinaus außerhalb des Gestaltungsrahmens der EU geschlossen. Erst mit Inkrafttreten von Dublin I im Jahr 1997, der unionalen Zielsetzung eines gemeinsamen Asylsystems im Programm von Tampere 1999 und der anschließenden Implementierung gewinnt das Solidaritätsprinzip in seiner asylpolitischen Ausgestaltung in der EU an Kontur. 3.1.4. Die Auswirkungen der weltpolitischen Umwälzungen um 1990 Die anfängliche Europäisierung der Asylpolitik geschah inmitten des Zusammenbruchs der alten Weltordnung, die den Eisernen Vorhang beseitigte und den Kalten Krieg beendete. Dies hatte nicht nur grundlegende Auswirkungen auf neue Akteurs-, Interessen- und Machtkonstellationen weltweit, sondern vor allem auch auf die Permeabilität von Grenzen und die globalen Mobilitätsoptionen der Menschen. Vor allem die Grenzen im Osten wurden plötzlich wieder durchlässig, was die Regierungen im Westen argwöhnisch beobachteten und nach gemeinsamen politischen Antworten verlangte.366 Aber auch andere Regionen, beispielsweise in Afrika, waren von den weltweiten Umwälzungen betroffen, was dort zu starken Migrationsbewegungen führte. Für Europa wogen die kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan Anfang der 1990er Jahre am schwersten. Gerade die kurz zuvor wiedervereinte Bundesrepublik Deutschland war von den daraus resultierenden Fluchtbewegungen des zusammenfallenden Ex-Jugoslawien besonders betroffen, weswegen sie auch besonders laut nach einer gemeinsamen europäischen Lösung der

365 366

Vgl. Cruz (1993): S. 15. Vgl. Noll (2000): S. 157.

80

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Krise rief.367 Damit einher gingen in Deutschland schwere innenpolitische Auseinandersetzungen um das Thema Asyl, was sich zur so genannten „Asylkrise“ steigerte: Schon seit Mitte der 1980er Jahre hatte dort eine Mixtur aus der Familienzusammenführung der so genannten „Gastarbeiter“ und der vermehrten Einwanderung von Spätaussiedlern zu hitzigen Debatten in Politik, Gesellschaft und Medien um die Gefahren von gehäufter Einwanderung und zu Verschärfungen in der Einwanderungspolitik geführt.368 Diese Dynamik verstärkte sich mit den Fluchtbewegungen aus dem Balkan Anfang der 1990er weiter. Als Ergebnis stand der so genannte „Asylkompromiss“, der in Deutschland eine erhebliche Beschneidung des verfassungsmäßig garantierten Rechtes auf Asyl mit sich brachte.369 Die Asylzahlen gingen daraufhin stark zurück.370 Dadurch dass sich die Bundesrepublik als Ergebnis dieser Entwicklungen immer stärker vor Einwanderung abschottete, waren auch die anderen europäischen Staaten dazu gezwungen, eine Abschottungspolitik voranzutreiben, da die nicht mehr in Deutschland einwandernden Schutzsuchenden auf andere Staaten ausweichen mussten.371 Die Notwendigkeit der einwanderungspolitischen Reformen im Innern wurde dabei auch mit der Europäisierung der Einwanderungspolitik verbunden.372 Damit begann, noch bevor das SDÜ oder das Dubliner Übereinkommen überhaupt in Kraft getreten waren, in Europa ein „Wettlauf nach unten“: Das heißt, dass die Mitgliedstaaten ihre Einwanderungssysteme möglichst restriktiv ausgestalten, um möglichst unattraktiv für ungewollte Migranten zu sein.373 Es

367 368

369 370

371

372

373

Vgl. Geddes (2008): S. 77f. Vgl. Herbert, Ulrich (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München, S. 231ff. Vgl. Ebd., S. 315ff. Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2017): Das Bundesamt in Zahlen 2016. Asyl, Migration und Integration, S. 11. Vgl. Kannankulam, John (2014): Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Migrationspolitik. Die Asyldebatte als Schlüsselereignis des schwerfälligen Wandels vom Gastarbeiterregime hin zu Managed Migration in der Bundesrepublik Deutschland, in: Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ (Hg.): Kämpfe um Migrationspolitik. Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung, Bielefeld, S. 93-112, S. 111. Vgl. Lavenex, Sandra (2001): The Europeanisation of Refugee Policies: Normative Challenges and Institutional Legacies, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 39 (5), S. 851-874, S. 862. Vgl. Chetail, Vincent (2016a): The Common European Asylum System: Bric-á-brac or System?, in: Chetail, Vincent/de Bruycker, Philippe/Maiani, Francesco (Hg.): Reforming the Common European Asylum System. The New European Refugee Law, Leiden/Boston S. 338, S. 12.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

81

liegt in der Natur des Europäisierungsprozesses, dass den Mitgliedstaaten gleichzeitig die Möglichkeit gegeben wurde, zukünftige EU-Regelungen im Sinne einer solchen asylpolitischen Strategie beeinflussen zu können. Die ursprünglichen Schengenstaaten – allen voran Deutschland – waren dafür maßgebend.374 Im Zuge dessen entwickelte sich in Europa das Leitmotiv der Externalisierung von Asyl- und Grenzschutzpolitik. Bei dieser auch „Exterritorialisierung“ genannten Politik wird die Verantwortung für Flüchtlings- und Grenzschutz in die Herkunfts- und Transitstaaten verlagert.375 Dabei wird ungewollte bzw. unautorisierte Einwanderung als „illegal“ oder „irregulär“ stigmatisiert und ihr asylrechtlicher Anspruch delegitimiert. Faktisch ist diese Art von Einwanderung nach internationalem und europäischem Recht aber erlaubt.376 Die rhetorische Verwendung der „Illegalität“ und „Irregularität“ ist somit bewusst fehlleitend, denn jeder Drittstaatsangehörige hat ein Recht auf die Prüfung seines Asylverfahrens in der Europäischen Union.377 Genau genommen handelt es sich bei „Irregularisierung“ um eine diskursive Konstruktion, bei der jede Form von Migration im Zusammenhang mit Asyl als „irregulär“ bezeichnet wird.378 Ebenso verhält es sich mit der Zuschreibung der „illegalen Migration“. Auch hier wäre es treffender, von „illegalisierter“ Einwanderung zu sprechen.379 Denn die Entscheidung darüber, welche Migranten willkommen sind und welche nicht, ist eine rein politische und nicht

374

375

376

377

378

379

Sandra Lavenex hat nachvollziehbar dargelegt, dass es sich bei diesem Prozess auch um eine Agenda der Redistribution von Verantwortlichkeiten von denjenigen Staaten gehandelt hat, die bis zu diesem Zeitpunkt die größte Verantwortung im Bereich Asyl auf sich genommen hatten, hin zu denen, die beispielsweise von den Fluchtbewegungen im Zuge der BalkanKriege nicht so stark betroffen waren. Vgl. Lavenex (1999): S. 59ff. Die Verantwortlichkeitszuteilungsmechanismen aus dem SDÜ, die im Dubliner Zuständigkeitssystem weitgehend übernommen wurden, sind unzweideutiger Ausdruck dieser Verlagerung. Häufig firmiert dies – vor allem in der öffentlichen Debatte – unter dem Terminus der „Festung Europa“. Dieser etwas undifferenzierte Begriff hat einen populistischen Einschlag und wird häufig zur Emotionalisierung der Debatte verwendet. Diese Arbeit verzichtet daher auf seine Nutzung. Vgl. Stern, Joachim/Tohidipur, Timo (2014): §14: Migration von Drittstaatsangehörigen, in: von Arnauld, Andreas (Hg.): Enzyklopädie Europarecht, Band 10, Baden-Baden, S. 769-854, Rn. 71. Dies gilt für jeden Staat, der der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten ist. Im europäischen Rechtekorpus ist dieses Recht in Art. 18 GRCh und in Art. 78 Abs. 1 AEUV verbrieft. Vgl. Kraler, Albert/Rogoz, Madalina (2011): Irregular Migration in the European Union since the turn of the millennium – development, economic background and discourses, Database on Irregular Migration, Working Paper 10, o. O., S. 7. Vgl. Etzold (2009): S. 145ff.

82

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

etwa objektiv oder wertfrei.380 Schon eine trennscharfe Unterscheidung zwischen freiwilliger und erzwungener Migration ist fast unmöglich.381 Das liegt auch daran, dass erzwungene Migration politisch definiert ist, freiwillige aber nicht.382 Unter diesen Voraussetzungen wird ermöglicht, das Ersuchen von Asyl in der EU als illegitim und illegal zu framen, um den Zugang zu erschweren. In der Konsequenz müssen Flüchtende auf Schmuggler zurückgreifen, wenn sie die EU erreichen wollen, da ihnen legale Wege fast vollständig versperrt sind.383 Die EU fördert also als die „irreguläre“ Einwanderung durch die Externalisierung der Asylpolitik, indem sie Schutzsuchende zu dieser Form der Einreise zwingt. 384 In der Europäisierung war die Ausdehnung der europäischen Migrationspolitik über das Territorium der EU hinaus sowohl auf supranationaler Ebene als auch durch einzelne Mitgliedstaaten immer schon inhärent. 385 Das Ziel bestand von Anfang an in der Externalisierung der Migrationskontrolle: „One of the clearest tendencies in the formation process of an EU frontier regime is the gradual externalization of control: externalization through prevention, such as economic transfer and assistance, early warning systems, humanitarian aid, and the creation of safe zones in the vicinity of conflicts, or through determent – such as the concepts of safe third country or safe country of origin.”386 380

381

382

383

384

385

386

Vgl. Baumann, Mechthild/Lorenz, Astrid/Rosenow, Kerstin (2011): Linking Immigration Policies and Migrants’ Journeys: An Interdisciplinary Endeavor, in: Dies. (Hg.): Crossing and Controlling Borders. Immigration Policies and their Impact on Migrants’ Journeys, Leverkusen, S. 9-21, S. 10. Vgl. Faist, Thomas (2000): The Volume and Dynamics of International Migration and Transnational Spaces, Oxford, S. 23ff. Vgl. Düvell, Franck (2006): Europäische und internationale Migration. Einführung in historische, soziologische und politische Analysen, S. 18. Vgl. Costello, Cathryn/Mouzourakis, Minos (2017): The Common European Asylum System. Where did it all go wrong?, in: Fletcher, Maria/Herlin-Karnell, Ester/Matera, Claudio (Hg.): The European Union as an Area of Freedom, Security and Justice, Abingdon/Oxon, S. 263297, S. 279. Vgl. Marx, Reinhard (2012a): Ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) noch reformfähig?, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 32 (6), S. 188-194, S. 190. Vgl. Hess, Sabine/Tsianos, Vassilis (2007): Europeanizing Transnationalism! Provincializing Europe! – Konturen eines neuen Grenzregimes, in: Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, 2. Auflage, Bielefeld, S. 23-38, S. 28. Gil Araújo, Sandra (2011): Reinventing Europe’s Borders: Delocalization and Externalization of EU Migration Control through the Involvement of Third Countries, in: Baumann, Mechthild/Lorenz, Astrid/Rosenow, Kerstin (Hg.): Crossing and Controlling Borders. Immigration Policies and their Impact on Migrants’ Journeys, Leverkusen, S. 21-44, S. 37.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

83

Ungewollte Migranten sollen demnach gar nicht erst europäischen Boden betreten können, ein Asylverfahren gar nicht erst ermöglicht werden. Als innereuropäisches Mittel der Umleitung der Verantwortung an die Außengrenzstaaten dient das Dublin-System, das über das Verursacherprinzip unter Sanktionsandrohung dazu motivieren soll, möglichst keine ungewollten Migranten Einlass zu gewähren.387 Die Außengrenzstaaten wiederum werden dadurch motiviert, ihrerseits die ungewollte Einwanderung zu verhindern, indem sie Drittstaaten einbinden. Die entsprechenden Instrumente wurden schon im Schengen-Prozess externalisiert, zum Beispiel über Rückübernahmeabkommen, sichere Dritt- und Herkunftsstaatregelungen.388 Beispielhaft sichtbar wird dieser bereits im Kern der Europäisierung angelegte Impuls der Externalisierung an der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten des Schengen-Systems schon am 21.3.1991 ein Rücknahmeabkommen mit dem gerade erst wieder unabhängig gewordenen Polen vereinbarten. 389 Polen reagierte darauf selbst seinerseits mit Rückübernahmeabkommen mit seinen Nachbarstaaten und Transitstaaten.390 Einzelne Mitgliedstaaten, vor allem auch Deutschland, haben sehr früh nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mit den osteuropäischen Staaten zusammengearbeitet und ihre restriktiven Einwanderungspolitiken erfolgreich dorthin exportiert.391 Später im Erweiterungsprozess wurde die Übernahme dieser Politiken mandatorisch.392 Die Beitrittskandidaten, die gerade erst ihre Souveränität zurückerlangt und praktisch keine Erfahrung mit Einwanderung hatten, arbeiteten stark auf eine zukünftige EU-Mitgliedschaft hin. Sie übernahmen daher die restriktiven und auf Abwehr ausgerichteten Politiken, weil sie Angst davor hatten, dass die Migranten, die unter der neuen weltpolitischen Konstellation vermehrt westwärts zogen, bei ihnen verbleiben könnten.393 387

388

389

390 391 392 393

Vgl. Mouzourakis, Minos (2014): „We need to talk about Dublin”. Responsibility under the Dublin System as a blockage to asylum burden-sharing in the European Union, Working Paper Nr. 105, Refugee Studies Center, Oxford, S. 10f. Vgl. Boswell, Christina (2003): The „external dimension” of EU immigration and asylum policy, in: International Affairs, Jg. 79 (3), S. 619-638, S. 622. Vgl. Mikolajczyk, Barbara (2002): Poland, in: Byrne, Rosemary/Noll, Gregor/Vedsted-Hansen, Jens (Hg.): New Asylum Countries? Migration Control and refugee Protection in an Enlarged European Union, Den Haag, S. 48-77, S. 56. Vgl. Ebd., S. 61. Vgl. Lavenex (1999): S. 120. Vgl. Geddes (2008): S. 184. Vgl. Byrne, Rosemary/Noll, Gregor/Vedsted-Hansen, Jens (2002): Transformation of Asylum in Europe, in: Dies. (Hg.): New Asylum Countries? Migration Control and refugee Protection in an Enlarged European Union, Den Haag, S. 423-431, S. 425.

84

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Die gleiche Herangehensweise kann auch für die afrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten nachgewiesen werden. Ab 1995 versuchte die EU das Einreisen von Angehörigen dieser Länder über das Mittelmeer zu unterbinden, indem die Verantwortung dafür den betreffenden Staaten übertragen wurde. 394 Diese Politik wurde in der Folge auf alle relevanten Herkunfts- und Transitstaaten auf dem afrikanischen Kontinent ausgeweitet.395 Die externe Dimension ist heute prominent in den Programmen des Europäischen Rates zur Ausgestaltung der Innen- und Justizpolitik und dem Gesamtansatz für Migration und Mobilität (GAMM) vertreten und deutlich erkennbar als Stützpfeiler der europäischen Asylpolitik.396 Auch in der neuen Reformphase des GEAS soll der Flüchtlingsschutz weiter externalisiert werden, wobei mittlerweile auch die Schließung der Migrationsrouten und das Angehen der Migrationsursachen mit in den Zielkanon aufgenommen wurden.397 Die Externalisierung der Verantwortung für ungewollte bzw. nicht autorisierte Einwanderung jenseits der EUGrenzen ist eine unumstrittene und von der Union selbst propagierte Grundkonstante europäischer Asylpolitik, die alle Aspekte ihres Handelns in diesem Bereich durchwirkt. Diese Entwicklung entsprang den weltpolitischen Umwälzungen um 1990 und ihren Auswirkungen auf die sich im Aufbau befindliche asylpolitische Zusammenarbeit in der EU.

394

395

396

397

Vgl. Gil-Bazo, Maria-Teresa (2006): The Practice of Mediterranean States in the Context of the European Union’s Justice and Home Affairs External Dimension. The Safe Third Country Concept Revisited, in: International Journal of Refugee Law, Jg. 18 (3-4), S. 571-600, S. 593. Vgl. Carling, Jörgen/Hernández-Carretero, María (2011): Protecting Europe and Protecting Migrants? Strategies for Managing Unauthorised Migration from Africa, in: The British Journal of Politics and International Relations, Jg. 13, S. 42-58. Für eine ausführliche Diskussion dieser Aspekte in den Programmen des Europäischen Rates zur Innen- und Justizpolitik sowie des GAMM vgl. de Bruycker, Philippe/Tsourdi, Evangelia (2016): Buildung the Common European Asylum System beyond Legislative Harmonisation: Practical Cooperation, Solidarity and External Dimension, in: Chetail, Vincent/de Bruycker, Philippe/Maiani, Francesco (Hg.): Reforming the Common European Asylum System. The New European Refugee Law, Leiden/Boston, S. 473-538, S. 475ff. Vgl. Europäische Kommission (2017a): Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Commission contribution to the EU Leaders' thematic debate on a way forward on the external and the internal dimension of migration policy, COM(2017) 820 final, 07.12.2017, Brüssel, S. 7f.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

85

3.1.5. Vom Maastrichter Vertrag bis zum Programm von Tampere Während sich global ein neues Ordnungssystem formierte und sich auf europäischer Ebene die Anfänge der Kooperation in der Asylpolitik manifestierten, gab sich die Europäische Union ein neues Gerüst, in dem sie sich mit dem Vertrag von Maastricht am 7.2.1992 (in Kraft 1.11.1993) grundlegend reformierte. Die Themen Asyl und Einwanderung wurden hier erstmals ins Primärrecht eingebracht. Im Titel VI des Maastrichter Vertrages wurden die Bestimmungen zur Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres festgelegt, wobei die Bereiche Asylpolitik und Grenzkontrollen als Angelegenheit „von gemeinsame[m] Interesse“398 bestimmt wurden. Dabei wurden die bisherigen Strukturen der Ad-hoc-Gruppen übernommen und dementsprechend in der dritten, intergouvernementalen Säule untergebracht, in der das Einstimmigkeitsprinzip vorherrschte. 399 So wurden die bisherigen Prozesse und Strukturen der intergouvernementalen Zusammenarbeit in den EU-Rahmen eingebunden und formalisiert. In der Kooperation bei den Themen Einwanderung und Asyl galt von nun an die alleinige Entscheidungskompetenz des Rates, der EuGH hatte keine Rechtsprechungsbefugnis.400 Der letztgültige Vorbehalt bei jedem Integrationsschritt lag nach wie vor bei den Mitgliedstaaten. Die Skeptiker unter den Mitgliedstaaten ließen eine weitreichendere Vergemeinschaftung nicht zu, weswegen sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt werden konnte, und dieser hieß weiterhin: restriktive Einwanderungskontrolle.401 Eine Ausbreitung der Befugnisse auf andere Akteure wollten die Mitgliedstaaten offenbar möglichst verhindern. Am 26.3.1995 konnte das SDÜ in Kraft treten, nachdem ein langer Ratifikationsprozess in den Mitgliedstaaten und technische Umsetzungsprobleme zu einer erheblichen Verzögerung geführt hatten.402 In Deutschland war dafür auch die bereits angesprochene Agenda des BMI verantwortlich, das zwecks der Durchsetzung seiner Sicherheitsinteressen die Umsetzung absichtlich hinauszögerte.403

398 399

400 401 402 403

Vertrag von Maastricht: Art. K.1. Vgl. Fischer, Hans-Georg (2014): Die Entwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Els, Frank et al. (Hg.): Justiz und innere Sicherheit im EU-Recht. Die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Köln, S. 9-19, Rn. 31. Vgl. Vertrag von Maastricht: Art. K.3. Vgl. Geddes (2008): S. 91. Vgl. Noll (2000): S. 125. Vgl. Baumann (2006): S. 108ff.

86

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Aber auch nach dem offiziellen Inkrafttreten waren Griechenland und Italien vorerst nicht in der Lage, alle Bedingungen zu erfüllen, weshalb sich die Operationalisierung noch weiter verzögerte.404 Frankreich erhielt daher die Grenzkontrollen gegenüber Italien noch aufrecht – allerdings auch gegenüber den Niederlanden wegen der als dort lax empfundenen Drogenpolitik.405 Auch hier zeigen sich die Vorbehalte der Nationalstaaten gegenüber dem Souveränitätsverlust, die sich in mangelndem gegenseitigem Vertrauen äußern, was die Einhaltungen der Verpflichtungen angeht. Das Inkrafttreten des Dubliner Übereinkommens zog sich ebenfalls lange hin, nämlich bis zum 1.9.1997. Ein großer Schritt in der Europäisierung der Asylpolitik wurde durch den Vertrag von Amsterdam getan. Er wurde am 2.10.1997 unterzeichnet und trat am 1.5.1999 in Kraft.406 Er konstituierte den RFSR als Konzept für die Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik und verschob die Bereiche Außengrenzkontrolle, Einwanderung, Asyl, justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und Zusammenarbeit im Zollwesen von der dritten in die supranationale erste Säule. 407 Allerdings behielten sich die Mitgliedstaaten eine fünfjährige Übergangsfrist vor, in der noch einstimmig und nicht nach dem gemeinschaftlichen Entscheidungsverfahren beschlossen wurde sowie das Initiativmonopol der Kommission mit ihnen geteilt werden musste.408 In einem Zeitraum von fünf Jahren sollten Maßnahmen im Bereich Asyl vereinbart werden, die die Zuständigkeitsallokation sowie Mindestnormen für Aufnahme, Anerkennung und Verfahren festlegen sollten.409 Damit war der Rahmen der Zielsetzungen für das, was kurze Zeit später im Programm von Tampere erstmals als Gemeinsames Europäisches Asylsystem bezeichnet wurde, gesetzt. In

404

405

406 407 408 409

Vgl. Niessen, Jan (1996): Introduction, in: Guild, Elspeth/Niessen, Jan (Hg.): The Developing Immigration and Asylum Policies of the European Union. Adopted Conventions, Resolutions, Recommendations, Decisions and Conclusions, Den Haag, S. 3-63, S. 30. Dahinter verbirgt sich vermutlich ein politisches Manöver der damals rechtsgerichteten Regierung: Vgl. Geddes (2008): S. 84f. Vgl. Vertrag von Amsterdam. Vgl. Ebd., Art. K.1-K.3. Vgl. Ebd., Art. 73 o. Vgl. Ebd., Art. 73 k.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

87

Art. 73 k des Amsterdamer Vertrags wurde in Absatz 2 darüber hinaus die Rechtsbasis für die kurz darauf beschlossene Massenzustrom-Richtlinie410 und den Europäischen Flüchtlingsfonds411 gelegt. Letzterer war ein Schritt, der der „Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vertriebenen Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten“412 dienen sollte. Von Solidarität wurde im Bereich Asyl allerdings noch nicht gesprochen. Die große Herausforderung, die die Mitgliedstaaten für diesen Integrationsschritt meistern mussten, lässt sich vielleicht am besten dadurch verdeutlichen, dass nicht alle diesen Schritt mitmachen wollten. Dänemark beteiligte sich nicht an der Vergemeinschaftung der Asylpolitik („opt-out“),413 ebenso wie Großbritannien und Irland, die sich aber die Möglichkeit sicherten, von Fall zu Fall entscheiden zu können, ob sie sich an einer Maßnahme beteiligen möchten („opt-in“).414 Hier stechen die Widerstände durch die nationalstaatlichen Vorbehalte in Bezug auf die Souveränität so stark hervor, dass dieser Politikbereich erstmals in der Geschichte der Europäischen Integration die Möglichkeit, sich aus Integrationsschritten herauszuhalten und trotzdem Teil der EU zu bleiben, hervorbrachte: die differenzierte Integration. Ähnliches gilt für die Übernahme des Schengen-Besitzstandes in den Vertrag von Amsterdam und die damit verbundene Überführung ins Primärrecht der EU. Auch hier wurden Großbritannien und Irland opt-outs zugestanden, während alle zukünftigen Mitgliedstaaten den Schengen-Besitzstand übernehmen müssen. Dänemark wurde zwar Vollmitglied, sicherte sich aber für jede Ergänzung des Schengen-Acquis das Recht auf opt-in.415 Damit fanden sich nun verschiedene Teile der Innen- und Justizpolitik in verschiedenen Bereichen des Unionsrechts 410

411

412 413

414

415

Vgl. Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, in: ABl. Nr. L 212, 07.08.2001, S. 12-23. Vgl. Entscheidung des Rates vom 28. September 2000 über die Errichtung eines Europäischen Flüchtlingsfonds (2000/596/EG), in: ABl. Nr. L 252, 06.10.2000, S. 12-18. Vertrag von Amsterdam: Art. 73 k, Abs. 2. Vgl. Protokoll über die Position Dänemarks, in: ABl. Nr. C 340, 02.10.1997, S. 101-102, Art. 1. Vgl. Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands in: ABl. Nr. C 340, 02.10.1997, S. 99-100, Art. 3. Vgl. Protokoll über die Position Dänemarks: Art. 5.

88

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

wieder. Unter dieser Konstellation ist auch das Konzept des RFSR zu verstehen, der als das übergreifende, verbindende Element dieser Zerstückelung dient. Zu einem ähnlichen Zweck wurde vom Rat im Dezember 1998 beschlossen, eine „Hochrangige Gruppe Asyl und Migration“ (HGAM) ins Leben zu rufen, „die ein gemeinsames, integriertes und säulenübergreifendes Konzept zur Situation in den wichtigsten Herkunfts- und Transitländern von Asylbewerbern und Zuwanderern ausarbeiten“416 sollte. Dabei sollte sie auch Aktionspläne für einzelne Herkunftstaaten erstellen. Heute besteht die Hauptaufgabe der HGAM in der institutionellen Koordination der äußeren Dimension der europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik, insbesondere im Kontext des Gesamtansatzes für Migration und Mobilität.417 Er besteht aus Abgesandten der Ressorts Äußeres, Inneres und Entwicklung, ist dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten unterstellt und verfolgt nachgewiesenermaßen eine eindeutige sicherheitspolitische Agenda, die auf die Externalisierung der asylpolitischen Ziele der EU abzielt. 418 Im Zuge der Amsterdamer Einigung war der RFSR in der integrationspolitischen Agenda der EU ganz nach oben gerückt. Auf welche Weise die spezifischen Ziele umgesetzt werden sollten, wurde auf der Sitzung des Europäischen Rates von Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 beschlossen. Dort waren die Staats- und Regierungschefs „übereingekommen, auf ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem hinzuwirken“419, das „eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Staates, gemeinsame Standards für ein gerechtes und wirksames Asylverfahren, gemeinsame Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern und die Annäherung der Bestimmungen über die Zuerkennung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft“420

beinhalten sollte. Das bestätigte den sekundärrechtlichen Rahmen, der durch den Vertrag von Amsterdam bereits vorgegeben worden war. Als Fernziel gab der Europäische Rat aus, dass „[a]uf längere Sicht […] die Regeln der Gemeinschaft zu einem gemeinsamen Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen 416

417 418 419 420

Rat der Europäischen Union (1999): Mandat der Hochrangigen Gruppe „Asyl und Migration“: Erstellung von Aktionsplänen für einige der wichtigsten Herkunfts- und Transitländer von Asylbewerbern und Zuwanderern, 5264/99, JAI 1 AG 1, 13.01.1999, Brüssel, S. 1. Vgl. Gil-Bazo (2006): S. 581. Vgl. Geddes (2008): S. 178. Tampere Programm (1999): Art. 13. Ebd., Art. 14.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

89

Status für diejenigen, denen Asyl gewährt wird, führen [sollen].“421 Nachdem kurz zuvor das Konzept des RFSR etabliert worden war, wurde nun die asylpolitische Spezifikation durch das GEAS ausgearbeitet und eine Rahmenstruktur mitgegeben, die den Impuls für die Ausgestaltung der zukünftigem EU-Asylpolitik gab. 3.1.6. Die Massenzustrom-Richtlinie Solidarität wurde im Tampere-Programm noch keine größere Rolle in Bezug auf Asyl zugewiesen. Lediglich in Bezug auf die am 20.07.2001 verabschiedete Massenzustrom-Richtlinie wurde der Rat aufgefordert „auf der Grundlage der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten Einvernehmen zu erzielen“422. Diese Richtlinie wird gemeinhin dem GEAS zugeordnet, nimmt aber eine Sonderstellung ein, da sie vom Rat extra ausgelöst werden muss und nur in einem solchen Fall in der Praxis zum Einsatz kommen würde. Dies ist aber bisher noch nie geschehen. Die Implementierung einer solchen Maßnahme war den Akteuren notwendig erschienen, da sich während der Jugoslawien-Kriege und der Kosovo-Krise in den 1990er Jahren herausgestellt hatte, dass die bestehenden Instrumente nicht in der Lage waren, eine faire Teilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Fluchtbewegungen in Europa herzustellen. 423 Gleichwohl wurde das Problem als solches sowohl im Rat als auch von der Kommission erkannt und führte zur Verabschiedung der Massenzustrom-Richtlinie.424 Das Ziel dieser Maßnahme ist, „Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen aus Drittländern, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, festzulegen und eine ausgewogene Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten zu fördern.“425

421 422 423

424 425

Ebd., Art. 15. Ebd., Art. 16. Vgl. Noll, Gregor (2002): Protection in a Spirit of Solidarity?, in: Byrne, Rosemary/Noll, Gregor/Vedsted-Hansen, Jens (Hg.): New Asylum Countries? Migration Control and Refugee Protection in an Enlarged European Union, Den Haag, S. 305-324, S. 317. Vgl. Richtlinie 2001/55/EG: Erw. 2-4, 6, 8. Ebd., Art. 1.

90

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Dabei wird nicht näher definiert, was unter „Massenzustrom“ zu verstehen ist. Der Rat muss auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die Existenz eines solchen Massenzustroms feststellen, damit der Lastenteilungsmechanismus in Gang gesetzt werden kann.426 Dabei wird eindeutig festgehalten, dass es sich um einen Solidaritätsmechanismus handeln soll.427 Die Instabilität des Asylsystems eines Mitgliedstaates oder seine Unfähigkeit, mit einem erhöhten Aufkommen von Schutzsuchenden zurechtzukommen, ist dabei keine hinreichende Indikation für eine Aktivierung der Richtlinie, ebenso wenig wie ein erhöhtes Aufkommen in nur einem einzigen Mitgliedstaat, wenn der Grund dafür die Nähe zur Hauptregion der Wanderungsbewegungen liegt.428 Selbst wenn der Mechanismus in Gang gesetzt würde, unterliegt seine Funktionsfähigkeit einer festgelegten doppelten Freiwilligkeit: Sowohl ein Mitgliedstaat muss sich freiwillig bereit erklären, Personen aufzunehmen, als auch müssen die Personen selbst zustimmen, in einen anderen Staat transferiert zu werden.429 Erstere Entscheidung soll dabei „im Sinne der Gemeinschaftssolidarität“430 erfolgen. Die doppelbödige Flexibilität sowohl vor als auch nach Aktivierung der Richtlinie ist von den Verfassern gewollt gewesen, hat sich in der Folge aber als strukturelle Schwäche herausgestellt.431 Einer der weltweit angesehensten Experten beim Thema europäische Asylpolitik, Steve Peers, behauptet, dass der Unwille der Mitgliedstaaten, die Richtlinie anzuwenden, ein gutes Zeichen für das internationale Schutzsystem in der EU sei.432 Sie begründe nämlich ein potentielles Risiko für die Genfer Flüchtlingskonvention, da die festgelegten Schutzstandards niedriger seien als im überlagernden Flüchtlingsrecht vorgesehen. Weiter behauptet er, dass die Richtlinie auch positive Effekte haben könne, zum Beispiel wenn sie auf Menschen angewendet würde,

426 427 428

429 430 431

432

Vgl. Ebd., Art. 5. Vgl. Ebd., Erw. 20. Vgl. Skordas, Achilles (2016): Council Directive 2001/55/EC of 20 July 2001 on minimum standards for giving international protection in the event of a mass influx of displaced persons, in: Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. A Commentary, 2. Auflage, München, S. 1054-1107, Art. 2, Rn. 22. Vgl. Richtlinie 2001/55/EG: Art. 25. Ebd. Vgl. Beirens, Hanne et al. (2016): Study on the Temporary Protection Directive. Final report, Study for the European Commission, Directorate-General for Migration and Home Affairs, Brüssel, S. 2f. Vgl. Peers, Steve (2016a): EU Justice and Home Affairs Law, Volume 1: EU Immigration and Asylum, 4. Auflage, Oxford, S. 282.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

91

die sich noch nicht auf EU-Territorium befinden und damit nicht am Asylsystem partizipieren können – beispielsweise bei Naturkatastrophen.433 Diese Behauptungen sind wenig stichhaltig. Zum einen liefert Peers keine unterstützenden Belege dafür, dass die Mitgliedstaaten aus den Bedenken der mangelhaften Schutzstandards heraus die Richtlinie nie aktiviert haben. Wenn diese Bedenken tatsächlich existieren würden, hätte eine Reform der Richtlinie oder ein Mechanismus zur Verantwortlichkeitsteilung im Dubliner Zuständigkeitssystem diese beheben können. Auch die Möglichkeit, die Richtlinie in Fällen außerhalb des EU-Territoriums anzuwenden, ist ein rein fiktionales Szenario. Durch die Tatsache, dass beide Argumente aus Mangel an Belegen nicht in der politischen Realität verankert sind, werden sie für eine forschungsrelevante Analyse weitgehend hinfällig. Wie eine von der Kommission in Auftrag gegebene Studie gezeigt hat, sind die wahren Gründe für die trotz zahlreicher in Frage kommender Fälle nie erfolgte Aktivierung eher andere: So wäre die Ausstattung mit Rechten für die Asylsuchenden größer als der Status quo in einigen Mitgliedstaaten und der vergebene Schutzstatus wohl zu dauerhaft.434 Es gibt Befürchtungen, dass die Eingriffe in die nationale Souveränität zu groß sind und eine Aktivierung eine Sogwirkung auf Drittstaatsangehörige haben könnte.435 Schließlich wollen die Mitgliedstaaten vermeiden, dass diejenigen, die ihre Asylsysteme nicht adäquat ausgebaut haben, durch den Hilfsmechanismus belohnt werden.436 Die Autoren schlagen daher eine kumulative Verbesserung in allen wesentlichen Punkten vor, insbesondere bei der Definition des „Massenzustroms“ und der mitgliedstaatlichen Freiwilligkeit bei der Beteiligung.437 Wie in Kapitel 4.3. gezeigt werden wird, hat in den Jahren 2015 und 2016 zweifellos ein „Massenzustrom“ vorgelegen. Die Richtlinie wurde dennoch ignoriert und es wurden neue Wege zu einer Verantwortlichkeitsteilung beschritten. In dem Kapitel werden sich auch die angeführten Argumente widerspiegeln, die die grundsätzliche Ablehnung der Richtlinie durch die Mitgliedstaten als Instrument in der Asylpolitik unterstreichen. Letztlich sprechen die zahlreichen Mängel im 433

434 435 436 437

Vgl. Peers, Steve (2015a): Temporary Protection, in: Ders. et al. (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. Text and Commentary, Band 3: EU Asylum Law, 2. Auflage, Leiden/Boston, S. 571-617, S. 598. Vgl. Beirens et al. (2016): S. 36. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 4f.

92

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Design, die Vorbehalte der Mitgliedstaaten und die nie erfolgte Anwendung dafür, dass die Massenzustrom-Richtlinie politisch hinfällig ist. Die erste explizit unter dem Postulat eines Solidaritätsmechanismus getroffene Maßnahme des GEAS kann also als gescheitert betrachtet werden. 3.1.7. Die erste Phase des GEAS Als erster Schritt zur Ausgestaltung des im Programm von Tampere auf Grundlage des Amsterdamer Vertrags neu konzeptionierten GEAS wurde am 28.9.2000 der Europäische Flüchtlingsfonds gegründet.438 Kurz darauf verabschiedete der Rat am 11.12.2000 die Eurodac-Verordnung „für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens“ 439. Der Reformvertrag von Nizza, unterzeichnet am 26.02.2001 und in Kraft ab dem 1.2.2003, brachte keine Änderungen in der Asylpolitik.440 Die Überführung des reformierten Dubliner Übereinkommens ins EU-Recht (Dublin II) erfolgte am 18.2.2003.441 Dem vorausgegangen war die „Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten“442. Zur Vervollständigung der Ziele aus dem

438 439

440

441

442

S. Kap. 3.3. Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, in: ABl. Nr. L 316, 15.12.2000, S. 1-10. Näheres dazu in Kap. 3.2.1. Vgl. Angenendt, Steffen (2008): Die Migrations- und Asylpolitik der Europäischen Union, in: Weidenfeld, Werner (Hg.): Die Europäische Union: Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 268-293, S. 278. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, in: ABl. Nr. L 50, 25.02.2003, S. 1-10. Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, in: ABl. Nr. L 31, 06.02.2003, S. 18-25.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

93

Tampere-Programm und dem Amsterdamer Vertrag folgte dann die Anerkennungs-Richtlinie443, die noch kurz vor der Osterweiterung am 1.5.2004 verabschiedet wurde. Die Asylverfahrens-Richtlinie444 folgte mit etwas Verspätung am 1.12.2005. Damit war das Gerüst des GEAS implementiert worden. Bemerkenswert ist, dass der Begriff „Solidarität“ in allen Sekundärrechtsakten nur ein einziges Mal in der Dublin-II-Verordnung und zweimal im Ratsbeschluss zum Europäischen Flüchtlingsfonds verwendet wird.445 In der Folge wurde das Solidaritätsprinzip für die Asylpolitik aber wichtiger. Abzulesen ist diese Entwicklung am Nachfolgeprogramm von Tampere – dem auf der Sitzung des Europäischen Rates am 4. und 5. November 2004 verabschiedeten „Haager Programm“.446 Unter dem Eindruck der Terroranschläge von New York (11.9.2001)447, Madrid (11.3.2004) und London (11.7.2005) standen dort der Sicherheitsaspekt448 und das Ziel der Bekämpfung des Terrorismus449 merklich im Mittelpunkt der Staats- und Regierungschefs. Für den Bereich der Asylpolitik wurde die Kommission durch das Haager Programm aufgefordert, die bisherigen Rechtsakte des GEAS bis zum Jahr 2007 zu evaluieren und darauf aufbauend Reformvorschläge für eine zweite Phase des GEAS auszuarbeiten, die von Rat und EP bis Ende 2010 verabschiedet werden sollten.450 Dies sollte in enger Anlehnung an die Ziele geschehen, die wenige Tage 443

444

445 446

447

448

449 450

Vgl. Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, in: ABl. Nr. L 304, 30.09.2004, S. 12-23. Vgl. Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, in: ABl. Nr. L 326, 13.12.2005, S. 13-34. S. Kap. 3.2. und 3.3. Vgl. Rat der Europäischen Union (2004): Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Tagung des Europäischen Rates 4./5. November 2004, 14292/04, CONCL 3, 05.11.2004, Brüssel, S. 11ff. Diese Schlussfolgerungen des Europäischen Rates wurden vom Rat veröffentlicht. Die sicherheitspolitischen Nachwirkungen des Anschlags auf das World Trade Center hatten sich bereits im ersten Paket der asylpolitischen Maßnahmen niedergeschlagen. Vgl. Kugelmann, Dieter (2015): §41: Einwanderungs- und Asylrecht, in: Kadelbach, Stefan/Schulze, Reiner/Zuleeg, Manfred (Hg.): Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Auflage, Baden-Baden, S. 2500-2585, Rn. 13. Nicht weniger als dreißigmal wird der Begriff Sicherheit verwendet, wobei die Nennungen in der Begriffstrias „Freiheit, Sicherheit, Recht“ nicht einmal mitgezählt sind. Freiheit wird dagegen nur viermal außerhalb der Begriffstrias verwendet. Zudem wird an sechzehn Stellen die Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität thematisiert. Dieses Begriffspaar wird im Haager Programm siebzehnmal genannt. Vgl. Rat der Europäischen Union [Europäischer Rat] (2004): S. 18.

94

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

zuvor im Vertrag über eine Verfassung für Europa festgelegt worden waren. 451 Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Einrichtung eines gemeinsamen, europäischen Asylverfahrens gelegt.452 In diesem Zusammenhang betonte das Haager Programm für den Bereich Asyl: „Grundlagen in dieser Phase sollten Solidarität und ausgewogene Teilung der Verantwortung, einschließlich der finanziellen Auswirkungen und einer engeren praktischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, sein: Dies schließt auch technische Hilfestellung, Ausbildung, Informationsaustausch, Überwachung der sach- und fristgerechten Umsetzung und Anwendung der entsprechenden Rechtsakte sowie eine weitere Harmonisierung des Rechts ein.“453

Der Europäische Rat setzte hier die Leitlinie, in der Asylpolitik Solidarität zukünftig mit der ausgewogenen Teilung der Verantwortung zusammenzudenken. Dabei nahm er den Vorschlag eines neuen Solidaritätsartikels aus dem Verfassungsvertrag auf.454 Ausdrücklich wies das Haager Programm darauf hin, dass auch im Grenzschutz eine ausgewogene Verteilung der Verantwortung erforderlich sei. 455 Zu diesem Zweck erstellten Rat und Kommission einen gemeinsamen Aktionsplan, der „unter strikter Einhaltung der in den Verträgen vorgesehenen Rechtsgrundlagen sowie der Grundsätze der Solidarität, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit durchgeführt“456 werden sollte. Wie in diesem Zitat durch den strengen Verweis auf die bestehenden Verträge deutlich wird, war in dem Aktionsplan zur Umsetzung des Haager Programms von den Zielen aus dem Verfassungsvertrag keine Rede mehr, da dessen Implementierung in den Volksabstim-

451 452 453 454

455 456

Vgl. Ebd., S. 14. Vgl. Ebd., S. 18. Ebd., S. 17. Die Arbeitsgruppe „Freiheit, Sicherheit, Recht“ des Konvents hatte sich auf die Einführung eines solchen Artikels für die Bereiche Asyl, Grenzschutz und Einwanderung ausgesprochen. Vgl. Europäischer Konvent (2002): Revised Draft Final Report, Working Group X, Working document 18 REV 1, 26.11.2002, Brüssel, S. 5. Im Verfassungsvertrag war er dann ursprünglich als Art. 13 vorgesehen. Vgl. Europäischer Konvent (2003): Area of freedom, security and justice – draft Article 31, Part One – draft articles from Part Two, CONV 614/03, 14.03.2003, Brüssel, S. 18. Im Verfassungsvertrag firmierte er dann letztlich unter Art. III – 268. Vgl. Vertrag über eine Verfassung für Europa, in: ABl. Nr. C 310, 16.12.2004, S. 1-474. Vgl. Rat der Europäischen Union [Europäischer Rat] (2004): S. 23. Rat der Europäischen Union (2005): Aktionsplan des Rates und der Kommission zur Umsetzung des Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, in: ABl. Nr. C 198, 12.08.2005, S. 1-22, S. 1.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

95

mungen in Frankreich (29.5.2005) und den Niederlanden (1.6.2005) krachend gescheitert war. Im Sinne der Weiterentwicklung des RFSR und vor allem des Solidaritätsprinzips in der Asylpolitik war das ein Rückschlag. Denn der Vertrag hatte die wesentlichen Neuerungen des Konventsentwurfs übernommen, in dessen Verlauf sich die zuständige Arbeitsgruppe auf die Notwendigkeit der Einführung eines Solidaritätsartikels ausgesprochen hatte, der auch die Verantwortlichkeitsteilung und die finanzielle Komponente miteinbezog.457 Die unionsweite Einigkeit über das Erfordernis eines solchen primärrechtlichen Artikels für die Asylpolitik und die konkrete Materialisierung stellten einen großen Sprung für die Bedeutung des Solidaritätsprinzips in dieser ersten Phase des GEAS dar. 3.1.8. Die zweite Phase des GEAS In ihrem „Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem“ 458 steckte die Kommission die Ziele ab, die ihr durch den Europäischen Rat für die zweite Phase des GEAS vorgegeben worden waren: „Das Grundkonzept des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, wie im Tampere-Programm definiert und durch das Haager Programm bestätigt, besteht darin, dass ein einheitliches Asylverfahren und ein einheitlicher, unionsweit gültiger Rechtsstatus etabliert werden. Letztendliches Ziel auf EU-Ebene ist es, gleiche Bedingungen für alle zu schaffen und ein System zu errichten, das wirklich schutzbedürftigen Personen in allen Mitgliedstaaten ein gleichwertiges, hohes Schutzniveau garantiert und gleichzeitig denjenigen, die als nicht schutzbedürftig angesehen werden, eine faire und effiziente Behandlung zuteil werden lässt.“459

Dabei fokussierte sich die Kommission darauf, „unionsweit höhere einheitliche Schutzstandards und ein gleiches Schutzniveau zu erreichen sowie ein hohes Maß an Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen.“460 Dementsprechend kamen alle asylpolitischen Maßnahmen auf den Prüfstand. Zwar stellte die

457

458

459 460

Zu den Neuerungen im Konventsentwurf vgl. Monar, Jörg (2003): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Verfassungsentwurf des Konvents, in: Integration, Jg. 26 (4), S. 536-549, S. 544f. Europäische Kommission (2007a): Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem, KOM(2007) 301 endgültig, 06.06.2007, Brüssel. Ebd., S. 2. Ebd., S. 3.

96

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Kommission auch fest, dass „ein dringender Bedarf an mehr Solidarität im Asylbereich [besteht], dass die Verantwortung für die Bearbeitung von Asylanträgen und Schutzgewährung in der EU gerecht geteilt werden.“461 Jedoch lieferte sie keine Vorschläge, wie dieser Missstand behoben werden solle. Nachdem die Überprüfungs- und Konsultationsphase abgeschlossen war, offenbarte die Kommission im darauffolgenden Jahr, wie die zweite Phase des GEAS ihren Vorstellungen nach abgeschlossen werden sollte. Dabei verschob sie die zeitliche Vorgabe des Europäischen Rates nach hinten.462 Sie wies auf die ihrer Ansicht nach größten Probleme im GEAS hin und machte detaillierte Vorschläge, wie diese durch Reformen zu lösen sein könnten. Sie zielte dabei auf die Verhinderung von Sekundärbewegungen von Asylsuchenden, das Streben nach einem gemeinsamen Asylverfahren, die Förderung der praktischen Zusammenarbeit und einheitlichere Schutzstandards.463 Als weiteres Ziel gab sie die Verbesserung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten an: Durch „die weitere Angleichung der einzelstaatlichen Asylverfahren, Rechtsnormen und Aufnahmebedingungen sowie die verstärkte praktische Zusammenarbeit“464 könnten die Sekundärbewegungen von Asylsuchenden eingedämmt werden, „die größtenteils auf die unterschiedliche Anwendung der Vorschriften zurückzuführen sind. Dies könnte letztlich zu einer gerechteren Verteilung der Asylanträge zwischen den Mitgliedstaaten führen.“465 Dies war ein Verweis auf das im Haager Programm angesprochene und mittlerweile im Reformvertrag von Lissabon festgeschriebene Prinzip der Solidarität und gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten, das dadurch zum Leitthema des GEAS geworden war. Als Ergebnis des Scheiterns des Verfassungsvertrags unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union am 13. Dezember 2007 den Vertrag von Lissabon, der am 1.11.2009 in Kraft trat. Mit ihm wurde die bisherige

461 462

463 464 465

Ebd. Vgl. Europäische Kommission (2008a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Künftige Asylstrategie, Ein Integriertes Konzept für EU-weiten Schutz, SEK(2008) 2029, SEK(2008) 2030, KOM(2008) 360 endgültig, 17.06.2008, Brüssel, S. 2. Vgl. Ebd., S. 3f. Ebd., S. 8. Ebd.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

97

Säulenstruktur aufgelöst.466 Dadurch gilt nun in weiten Teilen des RFSR das ordentliche Gesetzgebungsverfahren – im Bereich Asylpolitik nach Art. 78 AEUV vollständig. Das bedeutet, dass nun auch das Europäische Parlament eine sehr viel größere Rolle erhält, was man im Rückblick auf die starken Souveränitätsvorbehalte der Mitgliedstaaten in diesem Bereich durchaus als überraschende Entwicklung beurteilen kann.467 In den Zielen der Asylpolitik in Art. 78 AEUV des Lissaboner Vertrags wird nicht mehr wie bisher nur von zu implementierenden Mindestnormen gesprochen, sondern von einer gemeinsamen Politik, die die Union entwickelt „in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem“. Der EuGH hat ein umfangreicheres Prüfrecht im RFSR erhalten – nur nicht bei Maßnahmen der Mitgliedstaaten bezüglich der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung.468 Auf Grundlage der Neuerungen im Vertrag von Lissabon legte der Europäische Rat den Pakt für Asyl und Einwanderung nach, in dem er die asylpolitischen Ziele konkretisierte. Er verlangte für das GEAS ein höheres Schutzniveau, ein einheitliches Asylverfahren, einen einheitlichen Status für Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte sowie die Gründung eines Asylunterstützungsbüros.469 Ein weiterer Schritt zur Konkretisierung bildete dann das Stockholmer Programm, das auf der Sitzung des Europäischen Rates am 10. und 11. Dezember 2009 beschlossen wurde und die Nachfolge des Haager Programms antrat. 470 Darin verpflichtete sich der Europäische Rat dem Ziel, „dass ein gemeinsamer Raum des Schutzes und der Solidarität geschaffen wird“471. Das GEAS solle zukünftig auf hohen Schutzstandards beruhen, das gleichwertige Aufnahmebedingungen, gleiche Verfahrensbedingungen und Gleichbehandlung in der Statusdetermination 466

467

468 469

470

471

Vgl. Hellmann, Vanessa (2009): Der Vertrag von Lissabon. Vom Verfassungsvertrag zur Änderung der bestehenden Verträge – Einführung mit Synopse und Übersichten, Berlin, S. 2. Vgl. Carrera, Sergio/Guild, Elspeth (2010): The European Union’s Area of Freedom, Security and Justice ten years on, in: Carrera, Sergio/ Eggenschwiler, Alejandro/Guild, Elspeth (Hg.): The Area of Freedom, Security and Justice Ten Years on. Successes and Future Challenges under the Stockholm Programme, Centre for European Policy Studies, Brüssel, S. 1-12, S. 6. Vgl. Haack (2010): S. 231. Vgl. Rat der Europäischen Union (2008): Europäischer Pakt zu Einwanderung und Asyl, 13440/08, ASIM 72, 24.09.2008, Brüssel, S. 11. Dieses Programm des Europäischen Rates wurde vom Rat veröffentlicht. Vgl. Europäischer Rat (2009): Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 10./11. Dezember 2009, EUCO 6/09, CO EUR 6, CONCL 4, 11.12.2009, Brüssel. Europäischer Rat (2010): Das Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, in: ABl. Nr. C 115, 04.05.2010, S. 1-38, S. 32.

98

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

beinhalte.472 Durch eine kohärente Anwendung gemeinsamer Regeln solle Sekundärmigration verhindert und das gegenseitige Vertrauen erhöht werden.473 Ferner erklärte das Stockholmer Programm, dass „wirksame Solidarität mit den Mitgliedstaaten, die einem besonderen Zuwanderungsdruck ausgesetzt sind“ 474, gefördert werden solle, und zwar dadurch dass sich die Mitgliedstaaten „beim Aufbau ausreichender Kapazitäten in ihren nationalen Asylsystemen gegenseitig […] unterstützen.“475 Solidarität wird hier vom Europäischen Rat als „Teilung der Verantwortung“476 in Bezug auf die Angleichung der nationalen Asylsysteme verstanden. Bezeichnend ist, dass nicht von einer gerechten Teilung der Verantwortlichkeiten durch ein entsprechendes Zuständigkeitssystem gesprochen wird. Es wird die Verantwortung betont, die nationalen Asylsysteme so auszustatten, dass sie möglichst alle auf gleiche Weise in der Lage sind, Asylsuchende aufzunehmen. Eine Differenzierung in Bezug auf wirtschaftlichen Kapazitäten, Bevölkerungsgrößen oder die geografische Lage der Mitgliedstaaten, die für die Aufnahmebereitschaft von Asylbewerbern eine wichtige Rolle spielen, wird dabei nicht vorgenommen. In dieses vorerst letzte fünfjährige Programm des Europäischen Rates zur Gestaltung der Innen- und Justizpolitik fällt die letzte Revisionsrunde der Asylbestimmungen. So wurde am 13.12.2011 die reformierte Anerkennungs-Richtlinie477 verabschiedet, woraufhin am 26.6.2013 die Dublin-III-Verordnung478,

472 473 474 475 476 477

478

Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung), in: ABl. Nr. L 337, 20.12.2011, S. 9-26. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 31-59.

3.1. Das Solidaritätsprinzip im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem

99

die Eurodac-Verordnung479, die Aufnahme-Richtlinie480 und die AsylverfahrensRichtlinie481 folgten. Sie bilden in dieser Form den Status quo des GEAS, zusammen mit der Massenzustrom-Richtlinie und flankiert vom am 9.5.2010 gegründeten EASO482 und dem am 16.4.2014 eingerichteten Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds483. Es ist das erste Mal in der Geschichte der asylpolitischen Zusammenarbeit der EU, dass alle neu geschaffenen oder reformierten sekundärrechtlichen Maßnahmen durch die Gemeinschaftsmethode, also von Kommission, Rat und Europäischem Parlament im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden mussten. Zusätzlich müssen durch den Vertrag von Lissabon alle Maßnahmen zu Asyl, Grenzschutz und Einwanderung Art. 80 AEUV entsprechen.484 Nach über 30 Jahren Integrationsprozess in der Innen- und Justizpolitik haben die Mitgliedstaaten einen großen Teil ihrer Souveränität über die Belange der Einwanderung im Bereich der Asylpolitik (und des Grenzschutzes) an die supranationale Ebene abgegeben und unterliegen nun der entsprechenden demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrolle. 479

480

481

482

483

484

Vgl. Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von ITGroßsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 1-30. Vgl. Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlament und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 96-116. Vgl. Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 60-95. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, in: ABl. Nr. L 132, 29.05.2010, S. 11-28. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 516/2014 des Europäischen Parlament und des Rates vom 16. April 2014 zur Einrichtung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, zur Änderung der Entscheidung 2008/381/EG des Rates und zur Aufhebung der Entscheidungen Nr. 573/2007/EG und Nr. 575/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Entscheidung 2007/435/EG des Rates, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 168-194. Für Aufnahme-, Verfahrens- und Anerkennungsrichtline gilt dies zwar auch, jedoch sind sie für die vorliegende Untersuchung gegenstandslos. S. Kapitel 1.3. und Kapitel 2.2.4.

100

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Im Anschluss an die Entwicklungen durch das Stockholmer Programm und den Vertrag von Lissabon veröffentlichte die Kommission am 2.12.2011 eigens für die „verstärkte EU-interne Solidarität im Asylbereich“485 eine Mitteilung. Dort bekundete sie, dass Solidarität „einer der Grundwerte der Europäischen Union und eines der Grundprinzipien der gemeinsamen europäischen Asylpolitik“486 sei, welches nunmehr durch die Einführung von Art. 80 AEUV niedergelegt worden sei. 487 Sie wies darauf hin, dass Solidarität mit der Verantwortung verbunden sei, das internationale und europäische Recht einzuhalten, da dies zu mehr gegenseitigem Vertrauen führe, was für eine größere Solidarität unabdingbar sei. 488 Dabei setzte die Kommission große Erwartungen in EASO. 489 Sie ging auch auf das Ziel eines gemeinsamen Asylverfahrens ein, für das sie eine Machbarkeitsstudie versprach, und machte sich für die Anwendung der Massenzustrom-Richtlinie stark.490 Der Rat antwortete auf die Mitteilung zurückhaltend und stellte die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten als Grundbedingung für Solidarität in den Mittelpunkt: „Verantwortung und gegenseitiges Vertrauen sind die Säulen, auf die der gemeinsame Rahmen für echte und praktische Solidarität gestützt werden sollte. i) Die Mitgliedstaaten [Herv. i. O.] sollten sich uneingeschränkt an die von ihnen gegebenen Zusagen halten, ihre Verpflichtungen auf EUEbene und internationaler Ebene im Bereich des Asyl- und des Migrationsrechts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einzuhalten. ii) Die Mitgliedstaaten [Herv. i. O.] sollten sicherstellen, dass faire und effiziente Asylsysteme als ein Aspekt eines besseren Migrationsmanagements in der Union vorhanden sind. Mit einem solchen reibungslos funktionierenden und robusten System sollten die Mitgliedstaaten uneingeschränkt in der Lage sein, Migrationsschwankungen zu bewältigen und Solidaritätsmaßnahmen empfangen zu können.“491

Eine ähnliche Reaktion zeigt der Rat in Bezug auf gemeinsam durchgeführte Asylverfahren, dessen Möglichkeit erst einmal eingehend geprüft werden sollte. 492 485 486 487 488 489 490 491 492

Europäische Kommission (2011a). Ebd., S. 2. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 3ff. Vgl. Ebd., S. 10f. Rat der Europäischen Union (2012a): S. 3f. Vgl. Ebd., S. 12.

3.2. Solidarität im Dublin-System

101

Das Europäische Parlament übernahm in seiner Replik hingegen weitgehend die Sicht der Kommission zur Solidarität im Asylbereich. Solidarität sei Leitbild des GEAS und Grundprinzip des EU-Rechts, „wonach die Mitgliedstaaten sowohl die Vorteile als auch die Lasten in gleicher und fairer Weise teilen sollten“493. Es sei die Pflicht aller Organe, Agenturen und Mitgliedstaaten der EU, das Solidaritätsprinzip umzusetzen.494 Beim Thema gemeinsamer Asylverfahren plädierte das EP für die Möglichkeit einer gemeinsamen Bearbeitung von Asylanträgen, allerdings nur, falls ein Mitgliedstaat Kapazitätsprobleme aufweise.495 Die Schaffung von umfassenden Solidaritätsgrundlagen, durch die Mitgliedstaaten darin unterstützt werden, die Qualität ihrer Asylsysteme zu verbessern, führe zu einer richtigen Funktionsweise des GEAS, und zwar durch die ordnungsgemäße Umsetzung der Asylvorschriften.496 Hier lässt sich ein Integrationsschub erkennen, den das Solidaritätsprinzip durch die Einführung von Art. 80 AEUV erfahren hat. Auch die Gleichstellung des Europäischen Parlaments mit dem Rat führt augenscheinlich zu einer größeren Gewichtung von Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Das EP stellt sich in seiner Stellungnahme eindeutig auf die Seite einer fairen Verantwortlichkeitsteilung und gegen die reine Verantwortungsrhetorik des Rates. Vor dem Hintergrund der Zuständigkeitsallokation durch das Dublin-System ist diese Interessenkonstellation besonders interessant.

3.2. Solidarität im Dublin-System In diesem Abschnitt erfolgt eine Untersuchung des Solidaritätsprinzips der Europäischen Union im Dublin-System. Zu diesem Zweck werden zuerst die Beschaffenheit und Hintergründe des Dublin-Systems erläutert, um ein Fundament für die Analyse bereitzustellen. Davon ausgehend wird untersucht, inwieweit sich das Solidaritätsprinzip in der Genese des Dublin-System manifestiert und materialisiert hat. Sodann wird geprüft, ob das Dublin-System mit dem Solidaritätsprinzip der Europäischen Union kompatibel ist und welche Rolle dahingehend höchstrichter-

493 494 495 496

Europäisches Parlament (2012): Erw. B. Vgl. Ebd., S. 5. Vgl. Ebd., S. 11. Vgl. Ebd., S. 17.

102

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

liche Eingriffe gespielt haben. Schließlich werden aufgrund der festgestellten Tatsache, dass das Dublin-System und das Solidaritätsprinzip nicht im Einklang stehen, die daraus resultierenden Konsequenzen reflektiert. 3.2.1. Beschaffenheit und Ziele des Dublin-Systems Als es entwickelt wurde, sollte das Dublin-System drei Hauptzielen dienen, die bis heute die Kernelemente darstellen. Erstens sollte es festlegen, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist. Dies wird – mit Ausnahmemöglichkeiten der Familienzusammenführung und für unbegleitete Minderjährige – primär nach dem Verursacherprinzip497 geregelt, das die Verantwortung für das Asylverfahren demjenigen Mitgliedstaat auferlegt, der für den irregulären Grenzübertritt eines Drittstaatsangehörigen in die EU verantwortlich ist. 498 Es soll aber auch, zweitens, allen Asylsuchenden ein Verfahren garantieren, und so genannte „refugee-in-orbit“-Situationen verhindern, in denen sich kein Staat für das Verfahren verantwortlich fühlt und Asylsuchende so in einem rechtlichen Limbus gelassen werden.499 Drittens soll verhindert werden, dass Asylsuchende sich selbst aussuchen, in welchem Mitgliedstaat sie einen Antrag stellen, oder gar mehrere Anträge stellen – das so genannte „Asylshopping“.500

497

498 499 500

Dieser Begriff hat einen leicht wertenden Beiklang, weswegen er häufig auch als „Ersteinreiseprinzip“ bezeichnet wird. Diese Formulierung ist allerdings nicht korrekt, da die Zuständigkeit eindeutig demjenigen Mitgliedstaat zugewiesen werden soll, der die nicht autorisierte bzw. ungewollte Einreise eines Drittstaatsangehörigen nicht verhindert hat. Dafür soll der die Einreise verursachende Mitgliedstaat durch die Übernahme des Verfahrens verantwortlich gemacht werden. Der wertende Beiklang ist also nicht Ergebnis eines tendenziösen Framings, sondern die zutreffende Beschreibung durch Kenntnis der Sachlage. Siehe dazu Kap. 3.2.3. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Art. 13. Vgl. Ebd., Art. 3. Vgl. Hruschka, Konstantin/Maiani, Francesco (2016): Regulation (EU) No 604/2013 of the European Parliament and the Council establishing the criteria and mechanisms for determining the Member State responsible for examining an application for international protection lodged in one of the Member States by a third-country national or a stateless person (recast), in: Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. A Commentary, 2. Auflage, München, S. 1478-1604, Art. 1, Rn. 3. Mit dem Terminus „Asylshopping“ wird suggeriert, dass Asylsuchende auf der Suche nach ihrem Wunschort unerlaubterweise durch die EU wandern – also nach ihrem Asylverfahren „shoppen“ und das System ausnutzen. Dies soll durch eine klare Zuständigkeitsallokation unter den Mitgliedstaaten verhindert werden, bei der die Präferenzen der Asylsuchenden keine Rolle spielen sollen. Diese Weiterwanderung – die „Sekundärmigration“ – soll in diesem Zusammenhang ebenfalls verhindert werden. Zur Problematisierung des Begriffs vgl. Mouzourakis (2014): S. 21ff.

3.2. Solidarität im Dublin-System

103

Es soll sichergestellt werden, dass einem einzigen Mitgliedstaat die Verantwortung für das Verfahren sicher und nachvollziehbar zugewiesen werden kann.501 Zu diesem Zielkontext gehört, dass die so genannte Sekundärmigration verhindert werden soll, durch die Asylsuchende von einem Mitgliedstaat, in dem sie eigentlich ihren Antrag stellen müssten, in einen anderen weiterreisen. Zum Beispiel dann, wenn sie sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihnen zugewiesenen bessere Aussichten auf Erfolg und/oder bessere Bedingungen erhoffen, oder dort bereits soziale Verbindungen bestehen. Ein weiteres wichtiges Element des Dublin-Systems, das sich aus dem ursprünglichen Übereinkommen bis heute erhalten hat, ist die so genannte „Souveränitätsklausel“ bzw. „Selbsteintrittsklausel“: Sie erlaubt es jedem Mitgliedstaat, freiwillig und unter Zustimmung der betreffenden Person, die Zuständigkeit für einen Asylantrag zu übernehmen.502 Als „Dublin-System“ gilt gemeinhin die Kombination aus Dublin-Verordnung und Eurodac-Verordnung. Letztere wurde ursprünglich im Jahr 2000 „zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens“503 eingeführt und durch eine Durchführungs-Verordnung ergänzt.504 Die Notwendigkeit der Eurodac-Verordnung war nach dem Inkrafttreten des Dubliner Übereinkommens schnell klar geworden, da zur Verhinderung von Mehrfachanträgen durch Asylsuchende eine Datenbank nötig wurde, die bereits registrierte Personen zwischen den Signatarstaaten auffindbar macht, um den für den Asylantrag verantwortlichen Staat ermitteln zu können.505 Mit der Einführung der Eurodac-Datenbank sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Fingerabdrücke und personenbezogenen Daten von Asylsuchenden und Drittstaatsangehörigen, die im Zusammenhang mit der irregulären Überquerung der Außengrenze erfasst wurden, und von Drittstaatsangehörigen, die ohne Aufenthaltserlaubnis in einem Mitgliedstaat aufgefunden

501 502 503 504

505

Vgl. Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Art. 3. Vgl. Dubliner Übereinkommen: Art. 3 Abs. 4; Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Art. 17. Verordnung (EG) Nr. 2725/2000. Vgl. Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, in: ABl. Nr. L 62, 05.03.2002, S. 1-5. Vgl. Europäische Kommission (2000): Überprüfung des Dubliner Übereinkommens: Ausarbeitung von Gemeinschaftsrechtsnormen zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, SEK(2000) 522, 21.03.2000, Brüssel, S. 11.

104

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

wurden, zu erfassen.506 Dabei dürfen die Daten nur von Personen aufgenommen werden, die mindestens 14 Jahre alt sind.507 Diese Grundbausteine gelten bis heute auch in der aktuellen Fassung der Eurodac-Verordnung, deren Zielrahmen bei der Reform 2013 „zum Zweck der Verhütung, Aufdeckung oder Untersuchung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten“508 erweitert wurde. In keiner der Versionen der Eurodac-Verordnungen wird Solidarität thematisiert. Da die Datenbank nur das technische Hilfsmittel zur Zuständigkeitsermittlung ist, ist ihre Bedeutung für das Solidaritätsprinzip an das Funktionieren der Dublin-Verordnung gekoppelt und den dort festgelegten Prinzipien untergeordnet. Deswegen überrascht die Auslassung des Solidaritätsbezugs kaum, da die Verordnung durch diese Nachrangigkeit in ihrer Relevanz für das Solidaritätsprinzip im GEAS vernachlässigbar ist.509 3.2.2. Hintergründe zur Zuständigkeitsallokation im Dublin-System Zum Verständnis der Funktionslogik des Dublin-Systems ist zu berücksichtigen, dass es „nicht als Lastenteilungsinstrument konzipiert“510 wurde. Es wurde 1990 als Instrument der Allokation von Zuständigkeit unter den teilnehmenden Staaten durch oben genannte Prinzipien beschlossen, deren Ziele nicht die gerechte Verteilung von Verantwortung unter den Mitgliedern miteinbezogen. Dementsprechend ist im Dubliner Übereinkommen auch kein Hinweis darauf zu finden; ebensowenig Verweise auf Solidarität oder Lastenteilung. Die Gründe für diese Auslassung liegen zum einen an der Charakteristik der Europäisierung der Asylpolitik. Die globalen Umwälzungen um 1990, die

506 507 508 509

510

Vgl Verordnung (EG) Nr. 2725/2000: Art. 4ff. Vgl. Ebd., Art. 8. Verordnung (EU) Nr. 603/2013: Erw. 13. So ist beispielsweise die Nichtregistrierung der betreffenden Personengruppen durch die Mitgliedstaaten kein Verstoß gegen die Eurodac-Verordnung, sondern gegen die Dublin-Verordnung. Vgl. Lehner, Roman (2015): Grenze auf, Grenze zu? Die transnationale Wirkung von Rechtsverstößen im Dublin-System, VerfBlog, 30.10.2015, https://verfassungsblog.de/grenze-auf-grenze-zu-die-transnationale-wirkung-von-rechtsverstoessen-im-dublinsystem/, abgerufen am 09.12.2018. Dies hat während der Häufung solcher Fälle in der „Flüchtlingskrise“ auch der EuGH bestätigt. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017a): Kroatien ist für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz von Personen zuständig, die seine Grenze während der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 in großer Zahl überschritten haben, Pressemitteilung 86/17, 26.07.2017, Luxemburg. Europäische Kommission (2007): S. 11.

3.2. Solidarität im Dublin-System

105

weltweit Migrationsbewegungen beschleunigten und in Europa eine Abschottungspolitik gegenüber Drittstaatsangehörigen vorantrieben, führten zu einem Wettlauf zwischen den Mitgliedstaaten der EU um möglichst unattraktive Bedingungen innerhalb des europäischen Flüchtlingsschutzregimes.511 Deutschland und Frankreich zum Beispiel, traditionell attraktive Länder für den Flüchtlingsschutz, setzten im Zuge der Europäisierung auf der nationalen Ebene sehr restriktive Asylpolitiken um.512 Schutzsuchende sollten so möglichst davon abgehalten werden, in Europa Schutz zu suchen; wenn sie die Europäische Union aber erreichten, sollten sie ihren Asylantrag möglichst nicht im eigenen Land stellen. Die Balkankrise Anfang der 1990er Jahre verursachte große Migrationsbewegungen, durch die sich zeigte, dass keine gerechte Verantwortlichkeitsverteilung in Europa vorhanden war. Nur vier Staaten (Deutschland, Österreich, Schweden und die Schweiz) hatten 84% aller bosnischen Flüchtlinge aufgenommen, davon Deutschland alleine 58%.513 Deswegen wirkte vor allem die Bundesrepublik Deutschland darauf hin, diesen Zustand noch vor Inkrafttreten des Dublin-Regimes zu verändern.514 Dies sollte eine gerechte Verantwortlichkeitsverteilung herbeiführen, die das Verursacherprinzip aus den geplanten Dublin-Regelungen nicht hätte gewährleisten können. Gegen den Widerstand einiger Partnerländer ließ sich eine solche auf Solidarität basierende Lösung, für die ein Verteilungssystem für Geflüchtete nach Vorbild des Königsteiner Schlüssels vorgesehen war, nicht durchsetzen.515 Für die Hauptaufnahmeländer des Westens und Nordens gab es somit ein erkennbares Interesse daran, diese Verantwortlichkeitsverteilung zu ihren Gunsten zu verändern. In der Kosovo-Krise am Ende der 1990er Jahre wiederholte sich die gleiche unsolidarische Verantwortlichkeitsverteilung in Europa noch einmal.516 Das Dublin-System war zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft getreten und die Union auf 15

511

512 513 514

515 516

Dieser bereits angesprochene „race to the bottom” lässt sich auch heute noch beobachten, was sich insbesondere auch während der „Flüchtlingskrise“ gezeigt hat. Vgl. Slominski, Peter/Trauner, Florian (2018): How do Member States Return Unwanted Migrants? The Strategic (non-)use of “Europe” during the Migration Crisis, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 101-118, S. 114. Vgl. Lavenex (1999): S. 66. Vgl. Noll, Gregor (2000): S. 287. Vgl. Hailbronner, Kai (2000): Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, Den Haag, S. 477ff. Vgl. Noll (2000): S. 292ff. Vgl. Ebd., 286ff.

106

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Mitglieder angewachsen. Das Versagen hinsichtlich gerechter Verantwortlichkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten während der Fluchtbewegungen aus dem ehemaligen Jugoslawien nach seinem Zerfall in den 1990er Jahren wurde unverkennbar. So wuchs das Interesse der Hauptaufnahmeländer weiter an, diese Verantwortung an andere Akteure weiterzugeben. Zu diesem Interessenkontext gehört auch, dass die nördlichen Mitgliedstaaten aus historischen und wirtschaftlichen Gründen heraus eher ein System der dichten Grenzen mit Fokus auf die Verhinderung von unerwünschter Migration durch Kontrolle verfolgten, während die südlichen traditionell eher durchlässige Grenzen bevorzugten.517 Für die Wirtschaften in Staaten wie Italien oder Griechenland spielten undokumentierte Migranten, zum Beispiel als Saisonarbeiter für den landwirtschaftlichen Sektor, eine wichtige Rolle. Die Schattenwirtschaft war und ist ein wichtiger Faktor in beiden Staaten und schafft eine dementsprechende Nachfrage nach saisonalen Arbeitskräften.518 Nationale Einwanderungspolitiken waren dort bis zu den Anfängen einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik daher nur spärlich vorhanden und entsprangen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.519 In Griechenland wurde das erste Einwanderungsgesetz 1992 implementiert, welches die Nachfolge von Regelungen aus dem Jahr 1948 antrat. 520 In Italien dauerte es bis 1998, bis das erste systematische Einwanderungsgesetz in Kraft trat.521 Beide Gesetze wurden erst infolge des Druckes durch den Europäisierungsprozess in der Migrationspolitik verabschiedet und mussten die Leitlinien und An-

517

518

519

520

521

Vgl. Kasparek, Bernd/Tsianos, Vassilis (2012): „This is not Europe!“ Reconstructing Schengen, in: Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ (Hg.): Die EU in der Krise. Zwischen autoritärem Etatismus und europäischem Frühling, Münster, S. 72-93, S. 78. Vgl. Für Italien: Finotelli, Claudia/Sciortino, Giuseppe (2009): The importance of Being Southern: The Making of Policies of Immigration Control in Italy, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 11 (2), S. 119-138, S. 138. Für Griechenland vgl. Riedel, Sabine (2011): Illegale Migration im Mittelmeerraum. Antworten der südlichen EU-Mitgliedsstaaten auf nationale und europapolitische Herausforderungen, SWP-Studie, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, S. 27. Vgl. Baldwin-Edwards, Martin (1997): The Emerging European Immigration Regime: Some Reflections on Implications for Southern Europe, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 35 (4), S. 497-519, S. 506. Vgl. Triandafyllidou, Anna (2009): Greek Immigration Policy at the Turn of the 21st Century. Lack of Political Will or Purposeful Mismanagement?, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 11 (2), S. 159-177, S. 160. Vgl. Finotelli/Sciortino (2009): S. 125.

3.2. Solidarität im Dublin-System

107

forderungen daraus übernehmen, die dem Erstbetretungsstaat die Hauptverantwortung zuwiesen, auf Externalisierung drangen und auf die Verhinderung von unautorisierter Einwanderung zielten. Dazu gehörte aber auch die Implementierung eines Rechtsschutzes von Migranten nach internationalen Rechtsmaßstäben, der bis in die 1990er Jahre hinein kein signifikantes Thema in den südlichen Mitgliedstaaten war, während dieser Aspekt in den nördlichen Mitgliedstaaten aufgrund der langen Erfahrung mit Einwanderung bereits weitgehend implementiert worden war.522 Schon die Unterscheidung – vor allem die rechtliche – von Migranten und Flüchtlingen ist für die südlichen Staaten erst im Zuge der Europäisierung der Asylpolitik relevant geworden, da jene für Flüchtende selten Zielort, sondern eher Transitzonen zur Weiterreise in wohlhabendere Regionen im Norden waren.523 Vor dem Hintergrund der Interessen- und Prozessstruktur lässt sich nachvollziehen, warum und wie sich die Agenda der festen Grenzen und Einwanderungskontrolle der nördlichen Staaten in der gesamten EU durchgesetzt hat. Sie hatten im Gegensatz zu den südlichen eine klare Agenda zur Ausgestaltung dieser Politiken und diese zum Leitmodell gemacht, dem die anderen Mitgliedstaaten folgten. Durch die Erfahrungen im Zuge der Balkan-Krisen war es für diese Staaten von besonderer Wichtigkeit und Dringlichkeit, dieses Modell zu implementieren. So wurde durch den Schengen-Prozess und die Dublin-Regelungen die Hauptverantwortung von den westlichen und nördlichen Mitgliedstaaten, in denen die meisten Menschen eigentlich Asyl beantragen wollen, in die südlichen und östlichen verlagert.524 Jene Mitgliedstaaten waren aber keine historischen Zielstaaten für Asylsuchende und besaßen daher keine zureichenden Asylsysteme, um der Aufgabe gerecht zu werden, die Hauptaufnahmeländer für Schutzsuchende innerhalb der Europäischen Union zu sein, wie sie es nach dem Dubliner Zuständigkeitssystem hätten sein müssen.525 Ferner ist es für Staaten wie Italien und Griechenland schlicht nicht möglich, ihre Meeresgrenzen annähernd umfänglich so zu 522 523 524

525

Vgl. Baldwin-Edwards (1997): S. 513. Vgl. Ebd., S. 510. Vgl. Peers, Steve (2015b): The Dublin III Regulation, in: Ders. et al. (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. Text and Commentary, Band 3: EU Asylum Law, 2. Auflage, Leiden/Boston, S. 345-428, S. 346. Vgl. Pelzer, Marei (2011): Unsolidarisches Europa. Das Asylzuständigkeitssystem „Dublin II“ untergräbt den europäischen Flüchtlingsschutz, in: Kritische Justiz, Jg. 44 (2), S. 262-271, S. 263.

108

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

kontrollieren wie die Landgrenzen Deutschlands oder Österreichs. Das DublinSystem ist demgegenüber jedoch indifferent. Schon 1997 stellte Martin Baldwin-Edwards in Aussicht, dass es undenkbar sei, dass die südlichen Mitgliedstaaten wie Italien und Griechenland die Kontrollmechanismen von Schengen und Dublin umsetzen könnten, weil diese vollkommen inkonsistent seien mit den wirtschaftlichen und politisch-rechtlichen Voraussetzungen in der Region.526 Allerdings wies er auch darauf hin, dass die Bedürfnisse und Interessen dieser Staaten zwar nicht in die Europäisierung der Politiken eingeflossen seien, sie diese aber auch nicht proaktiv angemeldet hätten, sondern nach und nach die neuen Regelungsmechanismen übernommen hätten, ohne dazu gezwungen worden zu sein.527 Die im Dublin-System vereinbarte Zuständigkeitsallokation durch das Verursacherprinzip führt also dazu, dass den Außengrenzstaaten der EU, vor allem den südlichen, durch ihre geografische Lage ein unverhältnismäßig hoher Anteil der Verantwortlichkeit für Asylsuchende in der Europäischen Union zugewiesen wird. Die Kriterien sind gegenüber den wirtschaftlichen Kapazitäten sowie den politisch-rechtlichen Hintergründen der Mitgliedstaaten, die erheblich divergieren, jedoch gleichgültig. 3.2.3. Von Dublin I zu Dublin II Schon in ihrer ersten Prüfung des Dubliner Übereinkommens wies die Kommission darauf hin, dass das Abkommen die Erwartungen nicht erfüllt habe. 528 Das Verursacherprinzip unterzog es dabei keiner Bewertung, sondern verwies darauf, dass die Zuständigkeitsbestimmung in der Praxis schwierig sein könne, aber eben „eine politische Entscheidung für die Europäische Gemeinschaft getroffen wurde.“529 Nachdem sie in dem Dokument die Herausforderungen in Bezug auf das Erreichen der Ziele von Dublin I kritisch dargelegt hat, resümiert die Kommission: „Es ist nicht klar, ob das Übereinkommen derzeit ausreichende Vorteile bietet, um

526 527 528 529

Vgl. Baldwin-Edwards (1997): S. 514. Vgl. Ebd., S. 513f. Vgl. Europäische Kommission (2000): S. 12. Ebd., S. 12.

3.2. Solidarität im Dublin-System

109

die Aufwendung an Ressourcen für seine Durchführung rechtfertigen zu können.“530 Dies verdeutlicht, dass das Dubliner Zuständigkeitssystem von Anfang an Funktionsdefizite aufwies, durch die die Kommission an seiner Existenzberechtigung zweifelte. In den Erläuterungen zum Vorschlag zur Dublin-II-Verordnung, also der Maßnahme, die das Zuständigkeitssystem in den EU-Rahmen implementierte, unterstrich die Kommission nachdrücklich, warum die Zuständigkeitsallokation mit dem Begriff „Verursacherprinzip“ gekennzeichnet werden muss und die Bezeichnung „Ersteinreiseprinzip“ zwar nicht falsch, aber unvollständig und fehlleitend ist: Derjenige Mitgliedstaat müsse für die Prüfung eines Asylantrages verantwortlich sein, der „am stärksten an der Einreise des Asylbewerbers ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder seinem Aufenthalt in diesem Gebiet beteiligt war“531 und „seine Außengrenzen nicht ordnungsgemäß kontrolliert oder die Einreise ohne Visum ermöglicht hat“532. Und weiter: „Eine zweite Reihe von Kriterien soll gewährleisten, dass aus dem Unvermögen eines Mitgliedstaats, die illegale Einwanderung zu bekämpfen, Konsequenzen gezogen werden [Herv. durch D.S.]. Das Dubliner Übereinkommen sah bereits vor, dass sich ein Mitgliedstaat, in dem sich ein Asylbewerber vor der Antragstellung mindestens sechs Monate lang illegal aufgehalten hat, nicht auf das Kriterium der illegalen Einreise berufen kann, um den Mitgliedstaat, über den der Asylbewerber in die Europäische Union eingereist ist, zu ersuchen, die Zuständigkeit für die Antragsprüfung zu übernehmen. Diese Bestimmung machte deutlich, dass ein Mitgliedstaat, der den illegalen Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen in seinem Hoheitsgebiet nicht wirksam bekämpft, gegenüber seinen Partnern die gleiche Verantwortung trägt wie ein Mitgliedstaat, der nicht für eine hinlängliche Kontrolle seiner Außengrenzen gesorgt hat. Dem Vorschlag zufolge wird dieser Ansatz auf weitere Situationen angewandt.“533

Diese Logik hat sich bis heute nicht verändert. Es ist offensichtlich, dass diese Verantwortlichkeitszuteilung diejenigen Staaten diskriminieren muss, die an den

530 531

532 533

Ebd., S. 23. Europäische Kommission (2001): Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM(2001) 447 endgültig, 26.07.2001, Brüssel, S. 3. Ebd. Ebd., S. 3f.

110

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Außengrenzen liegen, da diese unverhältnismäßig mehr Grenzübertritte zu schultern haben. Dazu kommt, dass beispielsweise Italien seine Seegrenze und Griechenland seine zahlreichen Inseln in der Ägäis schlicht nicht so kontrollieren können, wie Mitgliedstaaten mit reiner Landgrenze oder ohne Außengrenze. Es ist erkennbar, dass eine gerechte Verantwortlichkeitsteilung oder Solidarität nicht Ziele des Dublin-Systems waren. Hingegen zeigt sich in diesem Zitat eindeutig, dass die Abschottung vor ungewollter, „illegaler“ Einwanderung und der Bestrafung derjenigen Mitgliedstaaten, die diese nicht wirksam verhindern können, die eigentliche Intention war. Es wurde also schon in der Anfangsphase der Implementierung des Dublin-Systems deutlich, dass die Funktionslogik erhebliche Probleme in Bezug auf die Geltung des Solidaritätsprinzips mit sich bringt, da es unverhältnismäßige und damit ungerechte Verteilung von Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten schafft und Mitgliedstaaten an den Außengrenzen zielgerichtet sanktioniert. An der Tatsache, dass Art. 80 AEUV in dieser Form bereits im Verfassungsvertrag vorgesehen war534 und mit Lissabon neu ins Primärrecht eingeführt wurde, kann man ablesen, dass den Vertragspartnern bei der Überführung des Dubliner Übereinkommens in EU-Recht durch die Dublin-II-Verordnung bewusst gewesen sein muss, dass die Einhaltung des Solidaritätsprinzips durch die Funktionslogik des Allokationssystems nicht gewährleistet wird.535 Es gab eine Notwendigkeit dafür, die Geltung des Solidaritätsprinzips für den Bereich Asyl extra primärrechtlich hervorzuheben und sie mit der gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten zu verbinden. In der neuen Dublin-II-Verordnung selbst ließ sich in diesem Zusammenhang nur der Hinweis finden, dass „die Erreichung eines Gleichgewichts der Zuständigkeitskriterien im Geiste der Solidarität“536 erforderlich sei. Es ist nur schwer zu verstehen, wie ein solches Gleichgewicht hergestellt werden soll, wenn die Kriterien nicht im Sinne fairer Verantwortlichkeitsteilung konzipiert worden sind. Daher wirkt ein solches Statement wie leere Rhetorik. Insbesondere vor dem Hintergrund des nahezu zeitgleich konzipierten und im Verfassungsvertrag eingebauten Solidaritätsartikels, der später zu Art. 80 AEUV wurde. Dublin II wurde also im Bewusstsein implementiert, dass die Verordnung nicht mit dem eigens 534 535 536

S. Kap. 3.1.7. Die Deliberationen zu diesen beiden Prozessen liefen nahezu gleichzeitig ab. Verordnung (EG) Nr. 343/2003: Erw. 8.

3.2. Solidarität im Dublin-System

111

asylpolitisch geschärften und zum primärrechtlichen Postulat erhobenen Solidaritätsprinzip vereinbar ist. 3.2.4. Von Dublin II zu Dublin III Obwohl die Dublin-Regelungen zweimal reformiert wurden, hat sich der Erbdefekt – das Verursacherprinzip – bis heute als das Kernelement des GEAS erhalten. Auch im Kommissionsbericht zur Überprüfung des Dublin-Systems bis zum Jahr 2005 wies die Kommission an mehreren Stellen darauf hin, dass die festgelegten Ziele nicht erreicht würden.537 Die Zahlen zwischen eingehenden und ausgehenden Aufnahmegesuchen stimmten nicht überein, die Überstellungen wurden nicht ausreichend durchgeführt, es wurden zu viele Mehrfachanträge registriert, Souveränitätsklausel, Humanitätsklausel und Familienzusammenführung würden von den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt, Fristen würden nicht eingehalten; außerdem sei die Zahl der illegal Eingereisten erstaunlich niedrig, weswegen davon auszugehen sei, dass der Pflicht zur Aufnahme der Fingerabdrücke nicht ausreichend nachgekommen werde.538 Trotzdem resümierte die Kommission, dass zum einen die Dublin-II-Verordnung zufriedenstellend angewandt würde, zum anderen das Zuständigkeitssystem funktioniere,539 und darüber hinaus die Ziele des Dublin-Systems großenteils erreicht worden seien.540 Dieser Befund ist angesichts der empirisch festgestellten Dysfunktionalität nahezu absurd und zeigt, dass die Kommission das Dublin-System gegen die überzeugende Faktenlage verteidigt. Sie weicht damit auch von dem Befund der Evaluation aus dem Jahr 2000 ab. Dort hatte sie sich stärker von einer Sinnhaftigkeit der Aufrechterhaltung eines nicht funktionierenden Systems distanziert.541 Eine solche Argumentation ist im Überprüfungsbericht von Dublin II nicht mehr auffindbar. Dieser Befund lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Kommission in Anbetracht der Diskrepanz zwischen empirischem Ergebnis und der notwendigen, aber nicht realistisch durchsetzbaren Konsequenz einer Ersetzung des

537

538 539 540 541

Vgl. Europäische Kommission (2007b): Bericht der Kommission zur Bewertung des DublinSystems, SEK(2007) 742, KOM(2007) 299 endgültig, 06.06.2007, Brüssel, S. 4ff. Vgl. Ebd., 4ff. Vgl. Ebd., S. 6. Vgl. Ebd., S. 14. Vgl. Europäische Kommission (2000): S. 23.

112

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Dublin-Systems eine pragmatische Konklusion wählte, die allerdings kontrafaktisch ausfällt. Die Gründe dafür lassen sich nur schwer nachvollziehen. Es liegt aber nahe, dass die Kommission in ihrer Kernaufgabe als Hüterin der Verträge ihren Auftrag so versteht, gemeinschaftlich beschlossene Politik zu fördern. Dies kann die kleinschrittige Verbesserung der Einzelteile des Dublin-Systems bedeuten mit dem Ziel, die Funktionalität zu erhöhen. Vor dem Hintergrund, dass die Kommission sich angesichts der Entwicklungen in den 1990er Jahren und der Reform von Dublin I mit der Tatsache abgefunden zu haben schien, dass eine Ablösung des Verursacherprinzips von den Mitgliedstaaten nicht gewollt ist, versuchte sie wohl, eine pragmatische Lösung zu finden. Denn die Kommission versuchte in der Anfangszeit der europäischen Zusammenarbeit mehrfach, das Thema zur EU-Kompetenz zu erheben, scheiterte aber am Widerwillen der Mitgliedstaaten.542 Sie akzeptierte daher letztlich ihre Ohnmacht und hielt sich aus pragmatischen Gründen bis zum Ende der 90er Jahre mit Initiativen zurück und übernahm vorrangig eine Beobachterrolle.543 Diese Einschätzung wird von einem weiteren Papier aus dem Jahr 2008 gestützt, in dem die Kommission prophezeite, dass mit der Vollendung des GEAS und den damit intendierten Zielen die meisten Schwachpunkte des Dublin-Systems beseitigt werden würden.544 Mehr Solidarität solle nicht durch ein neues Lastenteilungsinstrument, sondern durch die Ausweitung verschiedener Mechanismen bereits bestehender Maßnahmen, wie EASO, der Finanzierungsinstrumente oder der gemeinsamen Bearbeitung von Asylanträgen erreicht werden.545 Auch hier scheint sich die Kommission auf Reformschritte des Machbaren, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Mitgliedstaaten und gegen die beobachtbaren praktischen Erfordernisse zu orientieren. Solidarität soll durch Maßnahmen erreicht werden, die die Zuständigkeitsallokation, die den Mangel an Solidarität erst hervorruft, flankieren.

542 543 544 545

Vgl. Geddes (2008): S. 76. Vgl. Lavenex (1999): S. 59ff. Vgl. Europäische Kommission (2008a): S. 9. Vgl. Ebd. S. 9f.

3.2. Solidarität im Dublin-System

113

Im Reformschritt von Dublin II zu Dublin III hatte die Kommission einen Aussetzungsmechanismus der Dublin-Allokation vorgeschlagen, der im Falle einer Überforderung eines Mitgliedstaates ausgelöst werden sollte.546 Man beachte, dass hier erstmals Art. 80 AEUV beachtet werden musste, der im Reformvertrag von Lissabon eingeführt worden war. Die Anforderung an die Einhaltung des Solidaritätsprinzips mit seiner asylspezifischen Ausgestaltung der gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten galt von nun an für jede zu implementierende Maßnahme im GEAS. Während der Verhandlungen über eine Reform der Dublin-II-Verordnung riefen vier besonders betroffene Mittelmeeranrainer-Mitgliedstaaten 2009 in einem ungewöhnlich deutlichen Schritt die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten dazu auf, „to ensure a more equitable allocation of responsibility for the examination of asylum applications.“547 Sie beklagten dabei, dass sie als südliche Küstenstaaten durch steigende Einwanderungsraten besonders bestraft würden.548 Nichtsdestotrotz setzte sich der Aussetzungsmechanismus im Rat nicht durch. 549 In den Verhandlungen waren die nördlichen Staaten nicht bereit gewesen, von der Unmittelbarkeit des Verursacherprinzips abzurücken, wie es die südlichen Staaten forderten.550 Stattdessen wurde ein Frühwarnmechanismus implementiert: Die Kommission kann auf Grundlage der von EASO bereitgestellten Informationen feststellen, dass die Anwendung der Dublin-Verordnung „infolge der konkreten Gefahr der Ausübung besonderen Drucks auf das Asylsystem eines Mitgliedstaats und/oder von Problemen beim Funktionieren des Asylsystems eines Mitgliedstaats beeinträchtigt sein könnte“551 und einen präventiven Aktionsplan von dem 546

547

548 549

550

551

Vgl. Europäische Kommission (2008b): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), KOM(2008) 820 endgültig, 03.12.2008, Brüssel, S. 9. Die Innenminister Zyperns, Griechenlands, Italien und Maltas: Cyprus, Greece, Italy and Malta Paper, verfügbar unter http://www.laprevidenza.it/attachments/posts/0970_Final_paper_Versione_firmata.pdf, abgerufen am 14.01.2018, S. 4. Vgl. Ebd., S. 1. Vgl. Hruschka, Constantin (2013): Klarere Abläufe und gestärkte Verfahrensrechte – eine erste Einschätzung der Neufassung der Dublin-II-Verordnung, in: Achermann, Alberto et al. (Hg.): Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, S. 199-218, S. 200. Vgl. Dreyer, Domenica (2014): Europäische Gerichte als Akteure einer individualrechtlich orientierten Asylpolitik, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 34 (10), S. 358-365, S. 363. Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Art. 33 Abs. 1f.

114

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

betroffenen Mitgliedstaat einfordern, für dessen Erstellung allerdings keine Pflicht besteht.552 Sollte der Mitgliedstaat diese Option wählen, begleitet die Kommission zusammen mit EASO die Bearbeitung des Aktionsplanes, der, so er nicht die erwünschten Ziele erbringt, zu einem Krisenbewältigungsplan führt, ebenfalls begleitet von der Kommission und EASO.553 Diese Prozesse sind äußerst vage Konstrukte, die weder erkennbare Pflichten noch greifbare Ziele aufweisen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Pläne lässt sehr zu wünschen übrig und es bleibt fraglich, ob der Frühwarnmechanismus zu Verbesserungen im GEAS führen kann. Bezeichnend für die Implementierung dieses Frühwarnmechanismus als Kompromiss zum Aussetzungsmechanismus ist die Bezugnahme in der Präambel der Dublin-III-Verordnung: „Ein Prozess für Frühwarnung, Vorsorge und Bewältigung von Asylkrisen, mit dem eine Verschlechterung in oder der Zusammenbruch von Asylsystemen verhindert werden sollen, wobei das EASO […] eine Schlüsselrolle spielt, sollte geschaffen werden, um eine tragfähige Zusammenarbeit im Rahmen dieser Verordnung sicherzustellen und das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Asylpolitik zu stärken. […] Solidarität, die ein Kernelement des GEAS bildet, geht Hand in Hand mit gegenseitigem Vertrauen. Durch die Steigerung dieses Vertrauens könnte der Prozess für Frühwarnung, Vorsorge und Bewältigung von Asylkrisen die Lenkung konkreter Maßnahmen echter und praktischer Solidarität gegenüber Mitgliedstaaten verbessern, um den betroffenen Mitgliedstaaten im Allgemeinen und den Antragstellern im Besonderen zu helfen. Gemäß Artikel 80 AEUV sollten die Rechtsakte der Union, immer wenn dies erforderlich ist, entsprechende Maßnahmen für die Anwendung des Solidaritätsgrundsatzes enthalten und der Prozess sollte durch derartige Maßnahmen flankiert werden.“554

In diesem Auszug spiegelt sich das ganze Dilemma des Dublin-Systems wider. Insbesondere die Aussage, dass der Frühwarnmechanismus durch die Steigerung des gegenseitigen Vertrauens die praktische Solidarität verbessern könnte, ist in Anbetracht der Nichtdurchsetzung des Aussetzungsmechanismus ein Eingeständnis des Scheiterns in Bezug auf die Einhaltung des Solidaritätsprinzips. Die Vag-

552 553 554

Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., Art. 33 Abs. 3f. Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Erw. 22.

3.2. Solidarität im Dublin-System

115

heit der Ausgestaltung des Frühwarnmechanismus lässt sich auch dahingehend interpretieren, dass dieser Kompromiss der kleinstmögliche gemeinsame Nenner war, auf den sich die Mitgliedstaaten zu einigen bereit waren. Diese Passage ist Ausdruck dafür, dass eine echte Befolgung des Solidaritätsprinzips in der Asylpolitik nicht möglich zu sein scheint, auch nicht durch die Einführung von Art. 80 AEUV. Dabei wäre das Verursacherprinzip mit dem Aussetzungsmechanismus gar nicht beseitigt worden; doch eine Übernahme von Verantwortung für Asylsuchende bei einer Überlastung eines Mitgliedstaates war offensichtlich keine realisierbare Option, sodass dieser Kompromiss dabei herauskam, der an der ungerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten im GEAS nichts ändert. Stattdessen wird die Solidaritätspflicht aus Art. 80 AEUV durch die geplante Implementierung von flankierenden Maßnahmen angegangen. Der eigentliche Auslöser im Dublin-System, der die Missverhältnisse kreiert und in diesem Sinne reformiert werden müsste, bleibt unangetastet. 3.2.5. Verletzung des Solidaritätsprinzips durch das Dublin-System Schaut man sich die systemimmanente Umsetzung des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union an, die am Anfang dieses Kapitels noch einmal zusammengefasst wurde, stellt man fest, dass das Verursacherprinzip unzweifelhaft gegen das Solidaritätsprinzip der Europäischen Union verstößt.555 Die Absicht, Mitgliedstaaten für eine nicht erreichte Verhinderung ungewollter bzw. nicht autorisierter Einwanderung zu sanktionieren, kann nicht mit einer gerechten Zuständigkeitsallokation in Einklang gebracht werden, die zum Wohle der gesamten Union funktioniert. Das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaten wird so untergraben. Zudem ist der Vorwurf der Verursachung einer solchen Einwanderung durch einen Mitgliedstaat unlogisch. Die Ursachen für Asylzuwanderung liegen nicht in den Aufnahmestaaten. Ihnen die Verantwortung für ein hoch komplexes und individuelles Motiv wie Flucht zu übertragen, welches fast ausschließlich auf die Bedingungen in den Herkunftsorten zurückzuführen ist, ist widersinnig.556 Ebenso ab-

555 556

Die Bewertung anhand des erstellten Solidaritätskonzeptes erfolgt in Kap. 5.1. Menschen können durch Abwehrpolitiken generell kaum in ihrer Entscheidung beeinflusst werden, zu migrieren. Wenn sie in ihrer Heimat nichts mehr zu verlieren haben und durch die Wanderung nur gewinnen können, werden sie die Strapazen immer auf sich nehmen. In den allermeisten Fällen sind sie selbstbestimmte Akteure und keine Objekte bzw. Opfer, die von

116

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

wegig ist, den menschen- und grundrechtlich verbrieften Anspruch auf ein Asylverfahren als Strafe zu verstehen, für die ein Staat im Gegenzug die Verantwortung übernehmen muss, weil er den Zugang dazu nicht verhindern konnte.557 Die zugrundliegende Logik des Zuständigkeitssystems, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unautorisierte Einwanderung zu verhindern, ist evident. Sie gibt sich als Primat der europäischen Asylpolitik zu erkennen, die bereits im Fundament der Zuständigkeitsallokation angelegt wurde. Selbst wenn man der EU diese Agenda nicht unterstellen würde, müsste man zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass die Verantwortlichkeitszuteilung durch die geografischen Gegebenheiten geregelt werden soll. Dies wiederum wäre erst recht eine Verletzung des Solidaritätsprinzips, insbesondere nach Einführung von Art. 80 AEUV. 558 Die Kommission gestand bereits in ihrem Grünbuch zur Ausgestaltung des GEAS ein, dass „ein dringender Bedarf an mehr Solidarität im Asylbereich [besteht] um sicherzustellen, dass die Verantwortung für die Bearbeitung von Asylanträgen und die Schutzgewährung in der EU gerecht verteilt werden.“ 559 Das ist ein implizites Eingeständnis des Mangels an Solidarität, das durch die Zuständigkeitsallokation des Verursacherprinzips hervorgerufen wird. Auch der Europäische Rat hat auf diesen Missstand hingewiesen, als er forderte: „Diejenigen Mitgliedstaaten, die aufgrund ihrer geografischen Lage mit einem Zustrom von Einwanderern konfrontiert sind oder die nur über begrenzte Mittel verfügen, müssen sich auf die wirkliche Solidarität der Europäischen Union verlassen können.“ 560 Das Europäische Parlament stellte seinerseits fest, dass das Dublin-System den Mitgliedstaaten keine Möglichkeit gebe, die Zuständigkeiten auf gerechte Weise unter den Mitgliedstaaten aufzuteilen, und dass es den Mitgliedstaaten, „die Einund Ausgänge der EU darstellen, eine unverhältnismäßig große Last aufbürdet“561.

557

558

559 560 561

politischen Akteuren kontrolliert werden können. Die Frage ist dann nur, ob sie ihr Ziel erreichen können und welche Wege sie dafür beschreiten müssen. Vgl. Baumann, Mechthild/Lorenz, Astrid/Rosenow, Kerstin (2011): Unintended Effects of Immigration Policies for Governments and Migrants: Conclusions, in: Dies. (Hg.): Crossing and Controlling Borders. Immigration Policies and their Impact on Migrants’ Journeys, Leverkusen, S. 273-287, S. 278f. Reinhard Marx spricht in diesem Zusammenhang vom Verursacherprinzip als „Fremdkörper im menschenrechtlich begründeten Flüchtlingsrecht.“: Marx (2012a): S. 193. So auch Hruschka/Maiani (2016): Art. 13, Rn. 1; Kücük, Esin (2016): The Principle of Solidarity and Fairness in Sharing Responsibility: More than Window Dressing?, in: European Law Journal, Jg. 22 (4), S. 448-469, S. 468. Europäische Kommission (2007a): S. 2. Rat der Europäischen Union [Europäischer Rat] (2008): S. 9. Europäisches Parlament (2012): S. 11.

3.2. Solidarität im Dublin-System

117

Der Rat ist dort etwas zurückhaltender, wo es um das Eingeständnis geht, dass die spezielle Natur des Dublin-Allokationssystems für eine unverhältnismäßige Verteilung der Verantwortlichkeiten verantwortlich ist. Er spricht sich dabei grundsätzlich für Solidarität „gegenüber den Mitgliedstaaten, die ganz unmittelbar von Migrationsströmen betroffen sind“562 und „gegenüber Mitgliedstaaten, die am meisten von Asyl- und gemischten Migrationsströmen betroffen sind, durch die eine außergewöhnliche Belastung ihres Asyl- und Migrationssystems hervorgerufen wird“563, aus, vermeidet aber eine Schuldzuweisung an den Dublin-Mechanismus. Erst kürzlich hat die Kommission eingeräumt, dass die Mängel im GEAS auf die Mängel des Dublin-Systems zurückzuführen sind und unabhängig von Krisen zutage treten, ohne jedoch grundsätzlich vom Allokationssystem abrücken zu wollen.564 Auch in den derzeitigen Verhandlungen um die Reform der Dublin-IIIVerordnung sieht der Reformvorschlag der Kommission keine Abschaffung des Verursacherprinzips vor, sondern lediglich einen finanziellen Korrekturmechanismus für Mitgliedstaaten, die einem „unverhältnismäßigen Druck“565 ausgesetzt sind. Und das obwohl die Kommission in ihrer „Migrationsagenda” erst kurz zuvor festgestellt hatte, dass das Dublin-System nicht so funktioniert, wie es sollte.566 Somit wird die Ursache der Verletzung des Solidaritätsprinzips wider besseres Wissen nicht angetastet.567

562 563 564

565

566

567

Rat der Europäischen Union (2012a): S. 2. Ebd. Vgl. Europäische Kommission (2016a): Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und Erleichterung legaler Wege nach Europa, COM(2016) 197 final, 06.04.2016, Brüssel, S. 4. Europäische Kommission (2016b): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), COM(2016) 270 final, 04.05.2016, Brüssel, S. 4. Eine ausführliche Analyse des Reformvorhabens siehe Kap. 5.2. Vgl. Europäische Kommission (2015a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Die Europäische Migrationsagenda, COM(2015) 240 final, 13.05.2015, Brüssel, S. 16. Vgl. Marx, Reinhard (2016a): Reform des Dubliner Systems – Kritische Auseinandersetzung mit den Plänen der Europäischen Kommission, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 36 (11-12), S. 366-375, S. 374.

118

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Damit wird die Grundproblematik nicht behoben: Das Dublin-System hat sich allen seinen Zielen nach als dysfunktional erwiesen.568 Neben dem Beharren auf dem Verursacherprinzip liegt dies daran, dass dieses spezielle Zuständigkeitssystem unter der Prämisse steht, dass in allen teilnehmenden Staaten die gleichen Voraussetzungen in den nationalen Asylsystemen sowie ähnliche wirtschaftliche und politische Bedingungen herrschen. Schutzsuchende sollten überall kohärente Standards vorfinden, die bestimmte Mitgliedstaten nicht attraktiver machen als andere. Dies war aber zu keinem Zeitpunkt der Fall569 und verstärkt die Motivation der Asylsuchenden, sich aus überforderten Aufnahmestaaten auf den Weg der Sekundärmigration zu machen, um bessere Bedingungen in anderen Mitgliedstaaten aufzusuchen.570 Eines der primären Interessen der Kommission und der Mitgliedstaaten, die nicht die Hauptlast der Aufnahme leisten, ist es wiederum, diese Sekundärmigration zu verhindern.571 Allerdings veranlasst das Verursacherprinzip Mitgliedstaaten dazu, einigen Verpflichtungen, die ihnen das Dublin-System auferlegt, absichtlich nicht nachkommen zu wollen.572 Würde die intendierte Zuständigkeitsallokation funktionieren, würden in den Außengrenzstaaten absolut gesehen zu jeder Zeit die meisten Registrierungen getätigt und Asylanträge gestellt. Da dies nicht der Fall ist, ist dies ein überzeugender Beleg für die Dysfunktionalität des DublinSystems.573 So wird deutlich, dass die Außengrenzstaaten nachweislich durch das

568

569

570 571 572

573

Diese Tatsache ist extensiv belegt. Vgl. Fröhlich, Daniel (2016): Zuständigkeitsallokation im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem. Telos, Krise und Reform des „Dublin-Systems“, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, Jg. 31 (3), S. 215-236. S. 221ff.; European Council on Refugees and Exiles (2008): Sharing Responsibility for Refugee Protection in Europe: Dublin Reconsidered, Brüssel, S. 9ff.; Maiani, Francesco (2016): The Reform of the Dublin III Regulation, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel, S. 12ff; Hruschka/Maiani (2016): Art. 1, Rn. 4. Schon im Jahr 2000 wies die Kommission selbst darauf hin, dass die Unterschiede in Asylrechtspraxis und Statusdetermination zwischen den Mitgliedstaaten schon zu gerichtlichen Urteilen geführt hätten, die die Rücküberstellung verhinderten. Vgl. Europäische Kommission (2000): S. 20. Vgl. Chetail (2016a): S. 7. Vgl. Europäische Kommission (2016a): S. 7; Europäische Kommission (2016b): S. 4. Philipp Bruycker und Evangelia Tsourdi fordern auf nachvollziehbare Weise ein objektives Beurteilungskriterium dafür, ob ein Mitgliedstaat nicht fähig ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, oder eben nicht willens ist. Davon könne man dann Solidaritätsmechanismen abhängig machen. Vgl. de Bruycker/Tsourdi (2016): S. 511. Vgl. Costello/Mouzourakis (2017): S. 285.

3.2. Solidarität im Dublin-System

119

Verursacherprinzip dazu motiviert werden, seine Regelung nicht einzuhalten. Eine solche Praxis erfüllt den Tatbestand des Bruches des Solidaritätsprinzips. 574 Auch der Verzicht auf die Herstellung gleichwertiger Aufnahme- und Versorgungsstandards fördert die Sekundärmigration und widerspricht damit dem Interesse der Mitgliedstaaten. Eine solche Weiterwanderung zu unterbinden, ohne Asylverfahren, Versorgung und Statusdetermination anzugleichen, erweist sich als Fiktion.575 Allerding ist auch fraglich, ob eine Angleichung solcher Standards wirklich zu einem Ende der Sekundärmigration führen würde. Asylsuchende würden wohl auch bei gleichen Aufnahme- und Versorgungsbedingungen unter den Mitgliedstaaten weiterwandern, da sie nicht nur ökonomische Interessen verfolgen.576 Es ist nicht belegbar und wissenschaftlich daher nicht haltbar davon auszugehen, dass gleiche Bedingungen automatisch zu einer gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten führen. Im Gegenteil, die Forschung zeigt, dass soziale und kulturelle Faktoren, wie Sprache, bereits bestehende Kontakte, frühere Aufenthalte, kulturelle Nähe oder auch Integrationsbedingungen eine mindestens genauso große Rolle spielen.577 Die beobachtbaren Ergebnisse in Bezug auf die Ziele des Dublin-Systems haben also den Effekt, dass auch weitere Ziele im GEAS nicht eingehalten werden können. Weitere Maßnahmen werden nicht korrekt umgesetzt, wodurch letztlich das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Erfüllung der gemeinsamen Pflichten untergraben wird. Dieser Prozess fördert weitere Solidaritätsbrüche. Ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem, in dem das Recht herrscht, alle Ziele und Pflichten als legitim anerkannt werden, und das zum Wohle aller Mitglieder funktioniert, ist auf diese Weise nicht zu erreichen. 3.2.6. Höchstrichterliche Eingriffe in das Dublin-System Die Unzulänglichkeiten in den nationalen Asylsystemen haben sich bis heute erhalten und zuletzt im Jahr 2011 zu einem wegweisenden Urteil des EuGH geführt,

574

575 576 577

Wie in Kap. 2.2. gezeigt, verletzt ein solches beabsichtigtes und nachhaltiges Vorgehen das Loyalitätsprinzip, was wiederum einen Bruch des Solidaritätsprinzips bedeutet. Vgl. Marx (2012a): S. 189. Vgl. Mouzourakis (2014): S. 21. Dazu ausführlich Kap. 5.3.

120

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

in dem der Gerichtshof aufgrund „systemischer Mängel“578 im dortigen Asylsystem die Überstellungen nach Griechenland verbot. Effektiv zog dies die faktische Suspendierung der Dublin-II-Verordnung nach sich. Konkret ging es dabei um Fälle, in denen Asylsuchende gemäß der DublinII-Verordnung nach Griechenland überstellt wurden, obwohl dort grobe Mängel im Asylsystem vorherrschten.579 Den Betroffenen drohte dort unmenschliche Behandlung und ein unfaires Asylverfahren, was den überstellenden Mitgliedstaaten hätte bewusst sein müssen, denn diese Mängel wurden unter anderem bereits durch eine Entscheidung des EGMR festgestellt.580 Die überstellenden Mitgliedstaaten hatten so gegen Art. 4 der Grundrechtecharta der EU verstoßen, gleichzeitig wurde aber eben auch ein Verstoß Griechenlands gegen die Asylverfahrens- und Aufnahmerichtlinie festgestellt.581 Der EuGH gab in dem Urteil zu verstehen, dass die Mitgliedstaaten zwar grundsätzlich darauf vertrauen dürfen, dass die Maßnahmen des Sekundärrechts und die Grundrechte von allen Mitgliedstaaten eingehalten werden, dafür aber keine Garantie bestehe. Insbesondere dann nicht, wenn, wie in diesem Falle Griechenland, auf dem Mitgliedstaat eine unverhältnismäßig große Last liege, 582 die dem Art. 80 AEUV widerspricht. Die bis dahin geltende apriorische, unwiderlegliche Sicherheitsvermutung innerhalb der EU wurde damit aufgehoben. 583 Eine Verletzung ist dann festgestellt, wenn „systemische Mängel“ vorherrschen, die jedoch nicht auf die Verletzung einzelner Bestimmungen oder Grundrechtsverletzungen zurückgeführt werden können.584 Ausnahmen von der Schutzvermutung verlaufen durch das Urteil somit weiterhin in sehr engen Grenzen, damit das effet-

578

579

580

581 582 583

584

Gerichtshof der Europäischen Union (2011a): Verbundene Rechtssachen C-411/10 und C493/10, Urteil vom 21.12.2011, Rn. 94. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2011b): in Asylbewerber darf nicht an einen Mitgliedstaat überstellt werden, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden, Pressemitteilung 140/11, 21.12.2011, Luxemburg. Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2011): Belgische Behörden hätten Asylbewerber nicht nach Griechenland abschieben dürfen, Pressemitteilung 043, 21.01.11, Straßburg. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2011a): Rn. 94. Vgl. Ebd., Rn. 87. Vgl. Bank, Roland/Hruschka, Constantin (2012): Die EuGH-Entscheidung zu Überstellungen nach Griechenland und ihre Folgen für Dublin-Verfahren (nicht nur) in Deutschland, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 32 (6), S. 182-188, S. 188 Vgl. Marx, Reinhard (2012b): Solidarität im grundrechtskonformen europäischen Asylsystem, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 31 (7), S. 409-413, S. 411.

3.2. Solidarität im Dublin-System

121

utile-Prinzip585 gesichert werden kann und weil sich die Mitgliedstaaten untereinander grundsätzlich vertrauen können müssen.586 Nach diesem Urteil können absehbare, gravierende Rechtsverletzungen für Einzelfälle nicht mehr ignoriert werden, nur weil sie im betreffenden Staat nicht an der Tagesordnung sind.587 Etwas auseinander gehen die Expertenmeinungen, ob die höchstrichterlichen Entscheidungen die Interessen der Mitgliedstaaten priorisiert oder die individualrechtliche Komponente gestärkt haben. Es gibt Stimmen, die argumentieren, der EuGH habe die Grundrechte von Asylsuchenden der europäischen Asylpolitik übergeordnet;588 beziehungsweise habe das Dublin-System durch die Möglichkeit zur Überstellungseinschränkung einen menschenrechtlichen Vorbehalt erhalten.589 Andere sind der Ansicht, dass der EuGH die Staatszentriertheit des Dublin-Systems mit dem Urteil bestätigt und den individualrechtlichen Aspekt nur in sehr engen Grenzen und nur als Reaktion auf das EGMRUrteil erlaubt habe.590 Demnach solle die Beachtung der Menschenrechte die praktische Wirksamkeit des Dublin-Systems nicht aufheben können.591 Mit dem Urteil kam zum einen zum Ausdruck, dass der EuGH eine Pflicht der Mitgliedstaaten anmerkt, andere Mitgliedstaaten, die unter besonderer Belastung im Asylsystem stehen und deren Asylsysteme dadurch „systemische Mängel“ aufweisen, zu unterstützen, indem sie eben dorthin keine weiteren Asylsuchenden zurückstellen. Zum anderen wird auf das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens592

585

586

587

588 589

590

591 592

Nach diesem Prinzip muss das Unionsrecht in den Mitgliedstaaten so umgesetzt werden, dass es seine volle und praktische Wirksamkeit im Sinne seines Zweckes entfalten kann. Vgl. Marauhn, Thilo (2015): §7: Unionstreue, in: Kadelbach, Stefan/Schulze, Reiner/Zuleeg, Manfred (Hg.): Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Auflage, Baden-Baden, S. 317-338, Rn. 32. Vgl. Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (2012): Vertrauen im europäischen Asylsystem, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 31 (7), S. 406-409, S. 408. Vgl. Lübbe, Anna (2014): „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 34 (3), S. 105-111, S. 111. Vgl. Dreyer (2014): S. 362. Vgl. Thym, Daniel (2011): Menschenrechtliche Feinjustierung des Dublin-Systems zur Asylzuständigkeitsabgrenzung – Zu den Folgewirkungen des Straßburger M.S.S.-Urteils, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 31 (11-12), S. 368-378, S. 372 Vgl. Marx, Reinhard (2017): Die Rechtsprechung des EuGH zu den Zuständigkeitskriterien im Dubliner System, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 36 (21), S. 1595-1598, S. 1598. Vgl. Hailbronner/Thym (2012): S. 406. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2011a): Rn. 83. An dieser Stelle spricht das Urteil in diesem Zusammenhang vom „Daseinsgrund der Union“. Leider liefert die Stelle keine Erklärungen, was das Gericht unter dem Daseinsgrund versteht. Es äußert lediglich, dass „die

122

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Bezug genommen, welches nach dem EuGH-Urteil eben nur dann bestehen kann, wenn auch eine faire Verteilung der Lasten bzw. Verantwortlichkeiten gegeben ist. Demnach können weniger betroffene Mitgliedstaaten nicht von unverhältnismäßig stark belasteten Mitgliedstaaten verlangen, dass diese in solchen Extremsituationen ihren Verpflichtungen ohne weiteres nachkommen. 593 Es wird also mit diesem Urteil eine Unterstützungspflicht im Sinne des Solidaritätsprinzips vor dem Verursacherprinzip priorisiert, wonach einem Mitgliedstaat zugestanden werden kann, der Pflicht zur Verfahrensdurchführung in bestimmten Situationen nicht nachkommen zu müssen. Man kann das Urteil durchaus dahingehend interpretieren, dass der EuGH damit die Unfähigkeit des Dublin-Systems festgestellt hat, dem Solidaritätsprinzip entsprechend eine faire Verteilung der Lasten bzw. Verantwortlichkeiten im GEAS herbeizuführen. Grundsätzlich zeigte sich in aller Deutlichkeit, dass das Allokationssystem nach „Dublin“ nicht nur an sich gegen das Solidaritätsprinzip verstößt, sondern auch sekundäre Rechtsbrüche herbeiführt. Das heißt, dass die Charakteristik des Dublin-Systems die Mitgliedstaaten dazu bringt, mit diesem System verbundene Rechtsverpflichtungen nicht einhalten zu können, und dass dies von der Jurisdiktion in bestimmten Situationen als legitim angesehen wird. Dies wiederum stellt einen kumulativen Bruch des Solidaritätsprinzips dar, der vom Verursacherprinzip ausgelöst wird. Die höchstrichterliche Feststellung, dass im Falle „systemischer Mängel“ nicht in das betroffene Land zurücküberstellt werden darf, wurde im Reformschritt zur Dublin-III-Verordnung aufgegriffen.594 Nicht zum ersten Mal wurde damit eine wirklich substantielle Veränderung des Dublin-Systems durch eine höchstrichterliche Entscheidung erzwungen.595 An der Zuständigkeitsallokation durch

593

594 595

Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.“, was ebenso wie der Daseinsgrund auf dem Spiel stünde. Eine substantielle Anreicherung, vor allem im Hinblick auf das „Schlachtprämien-Urteil“, hätte hier spannende Argumente liefern können. In mehreren Urteilen im Jahr 2013 hat der EGMR Überstellungen nach Italien geprüft und dort keine „systemischen Mängel“ festgestellt, wobei er konkretisierte, dass es keinen generellen Anspruch von Personen auf die Gewährleistung eines bestimmten Lebensstandards gibt, solange das Schutzniveau den Ansprüchen der EMRK genügt. Vgl. Thym, Daniel (2013): Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 33 (9), S. 331-334, S. 333. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Art. 3. Vgl. Peers (2015b): S. 382.

3.2. Solidarität im Dublin-System

123

das Verursacherprinzip änderte die Reform jedoch nichts Grundsätzliches, obwohl die EuGH-Entscheidung dafür hinreichend Argumentation geliefert hatte. 3.2.7. Konsequenzen des Dublin-Systems für das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union Es gibt Stimmen, die argumentieren, dass eine Aufrechterhaltung des Dublin-Systems eine Verletzung des Art. 80 AEUV darstellt, die man vor dem EuGH einklagen könne.596 Eine solch eindeutige Positionierung ist in der Forschungsdebatte ungewöhnlich, was wohl vor allem daran liegt, dass die Justiziabilität des Art. 80 AEUV gemeinhin bezweifelt wird.597 Für diese skeptische Position spricht, dass eine solche Klage bisher nicht angestrengt wurde, obwohl einige Mitgliedstaaten unverhältnismäßig stark unter dem Dublin-System leiden und die Dysfunktionalität extensiv belegt ist. Zudem scheinen auch die politischen Hürden zu hoch zu sein, da trotz des Pochens auf Art. 80 AEUV vonseiten benachteiligter Mitgliedstaaten nie ernsthaft eine Klage in Erwägung gezogen worden ist. Auch von der Kommission ist ein solches Ansinnen nicht bekannt. Fakt ist, dass „[d]ie bisherige Praxis, den Ländern an den EU-Außengrenzen die alleinige Verantwortung für die Durchführung der Verfahren, die Rückführung abgelehnter und die Integration anerkannter Asylbewerber zuzuweisen, […] als ursächlich für den kalten Boykott des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems seitens der Erstaufnahmestaaten angesehen werden [kann].“598

Das Dublin-System schafft die Anreize zu diesem „Boykott“599 bzw. der „kalkulierte[n] Inaktivität und Nichtumsetzung“600 selbst, indem es Mitgliedstaaten aufgrund einer perfiden Verursachungslogik und ihrer zufälligen geografischen Lage 596

597 598

599 600

Vgl. Bast, Jürgen (2014): Solidarität im europäischen Einwanderungs- und Asylrecht, in: Knodt, Michèle/Tews, Anne (Hg.): Solidarität in der EU, Baden-Baden, S. 143-161, S. 151; ähnlich auch: Moreno-Lax, Violeta (2017): Solidarity’s reach: Meaning, dimensions and implications for EU (external) asylum policy, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 740-762, S. 754, die das Dublin-System als verfassungswidrig einstuft. Vgl. Thym (2015): Art. 80 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Rn. 3f. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): Chancen in der Krise: Zur Zukunft der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa, Jahresgutachten 2017, Berlin, S. 14. So auch Bast (2014): S. 150. Kasparek/Tsianos (2012): S. 79.

124

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

benachteiligt. Die benachteiligten Mitgliedstaaten können nicht mehr erkennen, wie ihre Interessen im gemeinsamen Asylsystem noch angemessen berücksichtigt werden. Sie behelfen sich durch den beschriebenen „kalten Boykott“, um damit eine Art Solidarität durch die Hintertür zu erzwingen. Oder sie sind schlicht nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen, bekommen von der EU aber auch keine entsprechende Unterstützung. Vor allen Dingen im Laufe der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrise hat sich beispielsweise in Griechenland herausgestellt, dass durch die Überlastung der Kapazitäten der besonders betroffenen Staaten, die durch das Dublin-System noch verschlimmert werden, die internationalen und europäischen Standards kaum bis gar nicht eingehalten werden können.601 Ob die mangelnde Umsetzung nun beabsichtigt ist oder in ungenügenden Unterstützungsmaßnahmen begründet liegt – beides stellt einen Bruch des Solidaritätsprinzips dar. Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass die Ansichten zwischen den Akteuren – Mitgliedstaaten wie EU-Institutionen – darüber, wie diese allseits bekannten Vollzugsdefizite zu lösen sind, zu stark divergieren.602 Kommission und Europäisches Parlament deuten immer wieder an, dass diejenigen Mitgliedstaaten, die durch das Dublin-System unverhältnismäßig stark belastet werden, unterstützt werden müssen. Auf der anderen Seite fordert der Rat, dass die Verantwortlichkeiten zuerst einmal akzeptiert und erfüllt werden sollen, wodurch gegenseitiges Vertrauen gewonnen würde, worauf wiederum Solidarität aufbauen und folgen würde. Denn Solidarität in Form von Unterstützungsleistungen soll keinen Anreiz für Versagen und Fahrlässigkeit gegenüber dem Funktionieren des GEAS schaffen. Dieser Interessengegensatz ist kaum aufzulösen. Er entspringt allerdings auch einem widersprüchlichen Argument: Wieso sollte ein Mitgliedstaat die Verpflichtungen eines Dublin-Systems erfüllen, das selbst das Solidaritätsprinzip verletzt und damit die conditio sine qua non der EU? Hilfsmaßnahmen davon abhängig zu machen, unsolidarische, ungerechte und unverhältnismäßige Pflichten zu erfüllen, ist paradox. Auch wenn ein Mitgliedstaat durch die Nichterfüllung selbst einen Solidaritätsbruch initiiert, so folgt dieser nur auf den durch den Erbdefekt des Dublin-Systems verantworteten. Das Verursacherprinzip müsste zuerst beseitigt werden, um einen „kalten Boykott“ zu delegitimieren. Die Forderung nach der 601 602

Vgl. McDonough/Tsourdi (2012): S. 96. Mehr zu der Interessendivergenz – auch im Hinblick auf die Mitgliedstaaten – in Kap. 5.4.

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

125

Erfüllung der Pflichten der Dublin-Zuständigkeitsallokation als Voraussetzung für Solidarität beruht auf der falschen Annahme der Legitimität – vielleicht sogar Legalität – des Dublin-Systems und ist dadurch selbst illegitim. Es ist evident, dass aus der Natur des Verursacherprinzips ein kumulativer Bruch des Solidaritätsprinzips entspringt. Es verstößt durch die Art der Zuständigkeitsallokation zuerst einmal selbst, wie ausführlich belegt wurde, gegen das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, besonders hervorstechend gegen Art. 80 AEUV. Darüber hinaus hat sich herausgestellt, dass die Ziele des Dublin-Systems nachhaltig nicht erreicht werden: „The evidence accumulated over twenty years of experience suggests that the Dublin system is inapt to effectively and efficiently fulfill its basic functions, and that it causes considerable costs to society and hardship for the persons concerned.”603 Auch hier ist ein Mangel an Solidarität dafür verantwortlich, dass Akteure entweder nicht fähig oder nicht willens sind, die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Im ersteren Fall müssten die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, um dem unfreiwilligen Solidaritätsbruch entgegenzusteuern bzw. ihn aufzuheben. Dies ist in über 20 Jahren der Existenz des DublinSystems nicht geschehen. Bei einem beabsichtigten Außer-Acht-Lassen der gemeinsamen Ziele ist die Verletzung des Solidaritätsprinzips noch eindeutiger. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, dass der Erbdefekt des Dublin-Systems neben einem kumulativen auch einen inkrementellen Bruch der conditio sine qua non der Europäischen Union verursacht.

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) Gegenwärtig ist die explizite Forderung nach der finanziellen Ausgestaltung des Solidaritätsprinzips im Asylrecht in Art. 80 AEUV festgeschrieben. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds stellt die entsprechende Sekundärrechtsmaßnahme dar. Der Fonds dient der „effizienten Steuerung der Migrationsströme und zur Durchführung, Konsolidierung und Weiterentwicklung der gemeinsamen Asylpolitik“604. In Bezug auf die Asylpolitik sind darunter die Stärkung des GEAS

603 604

Hruschka/Maiani (2016): Art. 1, Rn. 4. Verordnung (EU) Nr. 516/2014: Art. 3.

126

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

durch die Verbesserung von Aufnahmebedingungen und Verfahren für Asylsuchende zu verstehen,605 die Erweiterung der Kapazitäten in Bezug auf Gestaltung, Monitoring und Evaluierung der Asylpolitik- und verfahren der Mitgliedstaaten 606 sowie Ressourcenaufbau für Neuansiedlungsprogramme.607 Darüber hinaus stellt der Fonds Mittel zur Integration und für Rückkehrprogramme von Drittstaatsangehörigen zur Verfügung.608 Insgesamt wurde er mit einem Umfang von 3,137 Mrd. Euro für den Zeitraum von 2014-2020 ausgestattet.609 Im Zuge der „Flüchtlingskrise“ wurde seine Kapazität auf 6,888 Mrd. Euro erhöht.610 3.3.1. Der Beginn der finanziellen Solidaritätskomponente Mit der Einrichtung des Europäischen Flüchtlingsfonds (EFF) im Jahre 2000 wurde am Ausgangspunkt des Vergemeinschaftungsprozesses der europäischen Asylpolitik die finanzielle Komponente implementiert: „Die Umsetzung einer solchen Politik [der Asylpolitik, D.S.] muss sich auf die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten stützen und setzt die Existenz von Mechanismen voraus, die dazu bestimmt sind, zu einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen der Mitgliedstaaten beizutragen, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und vertriebenen Personen und den Folgen aus dieser Aufnahme verbunden sind. Hierzu sollte ein Europäischer Flüchtlingsfonds errichtet werden.“611

Schon damals wurde also darauf hingewiesen, dass die finanzielle Komponente in Form des EFF einen Solidaritätsmechanismus darstellen soll. Damit war er – kurz nach der Implementierung des Dublin-Zuständigkeitssystems – ein erster Baustein für einen Ausgleichsmechanismus bei der Aufnahme von Geflüchteten zwischen

605 606 607 608 609 610

611

Vgl. Ebd., Art. 5. Vgl. Ebd., Art. 6. Vgl. Ebd., Art. 7. Vgl. Ebd., Art. 3. Vgl. Ebd., Art. 14. Vgl. Europäische Kommission (2018a): Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Zwischenbewertung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und des Fonds für die innere Sicherheit, COM(2018) 464 final, 12.06.2018, Brüssel, S. 4. Entscheidung 2000/596/EG: Erw. 2.

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

127

den Mitgliedstaaten.612 Ausgestattet war der Ursprungsfonds mit 210 Mio. Euro,613 wobei einerseits an jeden Mitgliedstaat ein Pauschalbetrag vergeben wurde, andererseits Geld gemäß der absoluten Aufnahme von Schutzbedürftigen bzw. Antragstellern der letzten drei Jahre an die Staaten verteilt wurde. 614 In der Maßnahme fehlt der explizite Hinweis auf die unfaire Verteilung der Verantwortlichkeiten beziehungsweise Lasten zwischen den Mitgliedstaaten, die durch das Dublin-System verursacht werden. 3.3.2. Entwicklung zum AMIF Alleine in der Einrichtungsverordnung des AMIF wird der Begriff „Solidarität“ elf Mal verwendet, acht Mal bezieht sich Solidarität konkret auf jene zwischen den Mitgliedstaaten. Unter anderem ist dort festgehalten, dass eine gemeinsame europäische Asylpolitik sich auf die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten „gründen”615 soll, der Fonds „der Solidarität durch finanzielle Unterstützung für die Mitgliedstaaten Ausdruck verleihen“616 soll, die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten „gestärkt“617 werden soll, oder die Ziele des Art. 80 AEUV „verwirklicht“618 werden sollen. In der Verordnung zu den Bestimmungen des AMIF, in der die Fondsverwaltung insbesondere in Bezug auf Ausgabenfinanzierung, Monitoring und Kontrolle geregelt wird, wird gar zum Ausdruck gebracht, dass die Unionsmittel „ein konkretes Zeichen für die Solidarität“619 sein sollen, ohne welche „die gemeinsamen Herausforderungen nicht bewältigt werden können“620. Die

612

613

614 615 616 617 618 619

620

Vgl. ter Steeg, Marcus (2006): Das Einwanderungskonzept der EU zwischen politischem Anspruch, faktischen Regelungsbedürfnissen und den primärrechtlichen Grenzen in Titel IV des EG-Vertrages, Köln, S. 294. Gregor Noll hielt diesen Betrag für völlig unzureichend angesichts der Zielbestimmung. Vgl. Noll (2002): S. 319. Vgl. Entscheidung 2000/596/EG: Art. 10. Verordnung (EU) Nr. 516/2014: Erw. 1. Ebd., Erw. 7. Ebd., Erw. 44; Art. 3. Ebd., Art. 18. Verordnung (EU) Nr. 514/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und das Instrument für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 112-142, Erw. 3. Ebd.

128

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Rolle, die die finanzielle Seite des Solidaritätsmechanismus in der Asylpolitik spielen soll, wird damit klar konturiert. In der Vorgängerversion des AMIF waren die verschiedenen Bereiche Asyl, Außengrenzschutz, Integration und Rückkehr noch in einzelne Fonds aufgegliedert. Die vier entsprechenden Fonds wurden unter dem Rahmenprogramm für „Solidarität und die Steuerung der Migrationsströme“ geführt. In ihrem Vorschlag für das Rahmenprogramm brachte die Kommission zum Ausdruck, dass sich durch die bisher umgesetzten Maßnahmen im Bereich der Asylpolitik unterschiedliche Belastungen für einzelne Mitgliedstaaten ergeben hätten: „So kommen einige für einen unverhältnismäßig großen Teil der Maßnahmen auf, die der Gemeinschaft insgesamt nutzen werden. Eine unausgewogene Anwendung würde das Ziel vergleichbarer Bedingungen gefährden.“621 Das ist ein unmissverständlicher Hinweis auf die ungerechte Verantwortlichkeitsverteilung, die im europäischen Asylsystem vorherrscht, und die, wie bereits gezeigt wurde, auf das Verursacherprinzip im Dublin-System zurückzuführen ist. Man erkennt den Lernprozess, den die Kommission seit dem EFF aus dem Jahr 2000 und den weiteren implementierten Asylrechtsmaßnahmen durchgemacht hat. In der Umsetzung des Flüchtlingsfonds für den Zeitraum von 2008 bis 2013 wurde dementsprechend festgehalten, dass die Asylpolitik „auf der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten beruhen“622 und dazu beitragen soll, „dass alle Mitgliedstaaten einen gerechten Teil der Verantwortung hinsichtlich der finanziellen Lasten übernehmen, die sich aus der Einführung eines integrierten Grenzschutzes an den Außengrenzen der Europäischen Union und aus der Umsetzung gemeinsamer asyl- und einwanderungspolitischer Maßnahmen […] ergeben“623. Zudem wurde das Ziel ausgegeben, dass der Fonds „die Anwendung des Solidaritätsprinzips zwischen den Mitgliedstaaten fördern soll.“624 Auch an dieser Stelle

621

622

623 624

Europäische Kommission (2005a): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Aufstellung eines Rahmenprogramms für Solidarität und die Steuerung der Migrationsströme für den Zeitraum 2007-2013, KOM(2005) 123 endgültig, 06.04.2015, Brüssel, S. 4. Entscheidung Nr. 573/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Mai 2007 zur Einrichtung des Europäischen Flüchtlingsfonds für den Zeitraum 2008 bis 2013 innerhalb des Generellen Programms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ und zur Aufhebung der Entscheidung 2004/904/EG des Rates, in: ABl. Nr. L 144, 06.06.2007, S. 121, Erw. 6. Ebd., Erw. 13. Ebd., Art. 1.

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

129

lässt sich herauslesen, dass eine Anwendung des Solidaritätsprinzips offenbar zu diesem Zeitpunkt nicht hinreichend gegeben war. Um mehr „Flexibilität und Kohärenz bei den Finanzmitteln“625 zu gewährleisten, wurde mit der Zusammenführung der vier Fonds in einen einzelnen die „Vereinfachung, Rationalisierung, Konsolidierung und Transparenz der Finanzierung in diesem Bereich“626 angestrebt. Die Verteilung der Mittel erfolgt auch in der aktuellen Variante immer noch nach der Weise, wie man sie in der Ursprungsform des EFF im Jahr 2000 festgelegt hat. 3.3.3. Einordnung und Problematisierung Die Vergabepraxis des AMIF und seiner Vorgänger ist kritisch zu betrachten, da durch diese Mittelvergabestruktur die Gelder anhand absoluter Zahlen von Asylsuchenden und geschützten Personen zugeordnet werden. Die Relation der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten wird nicht einbezogen, wie es beispielsweise durch die Berücksichtigung des Bruttosozialprodukts, des Verhältnisses der geschützten Personen pro Einwohner oder ähnliche Parameter möglich wäre. Ob damit die intendierten Ziele einer effizienten Steuerung der Migrationsströme, Stärkung und Verbesserung von Aufnahmebedingungen und Kapazitätserweiterung erreicht werden können, erscheint fraglich. Es wird ein Anreiz geschaffen, absolut gesehen mehr Menschen aufzunehmen, was hinsichtlich der gravierenden Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, was Bevölkerungszahlen und wirtschaftliche Stärke angeht, fehlgeleitet scheint.

625 626

Verordnung (EU) Nr. 516/2014: Erw. 1. Ebd., Erw. 5.

130

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Tabelle 1: Asylanträge pro eine Million Einwohner 1998-2007. Quelle: Eurostat.627

1998 1999 2000 2001 2002 2003

2004

2005

2006 2007

Belgien

373

513

640

775

832

965

939

791

486

458

Deutschland

1202 1155

956

1073

862

612

431

350

255

232

Frankreich

1731 2521 2285 3756 4880 3995

3025

2738

1563 1439

Griechenland 1451 1267 1837 2645 3705 3506

2580

1945

2687 3972

Italien

230

239

167

161

178

241

Malta

2155 3504 4168 2388 1823 1311

1192

1203

843

1094

Niederlande

2889 2492 2767 2037 1158

827

601

756

885

433

Österreich

275

142

286

507

520

749

408

824

1115 2274

Schweden

692

1121

763

936

630

236

158

159

209

Ungarn

416

660

412

396

888

1146

2487

2912

3175 3365

Zypern

333

1156

942

2324 1345 6169 13381 10525 6102 8944

627

324

266

305

281

339

Vgl. Eurostat (2019a): Population change - Demographic balance and crude rates at national level, [demo_gind], abgerufen am 17.01.2019; Eurostat (2019b): Asylbewerber und erstmalige Asylbewerber nach Staatsangehörigkeit, Alter und Geschlecht Jährliche aggregierte Daten (gerundet), [migr_asyappctza], abgerufen am 17.01.2019. Eigene Zusammenstellung.

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

131

Tabelle 2: Asylanträge pro eine Million Einwohner 2008-2017. Quelle: Eurostat.628

2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

2015

2016 2017

Belgien

1495 2015 2410 2925 2535 1885 2100

3463

1260 1237

Deutschland

330

390

595

650

945

1575 2500

5441

8789 2402

Frankreich

655

740

795

865

925

985

1000

1063

1138 1359

Griechenland 1775 1415

910

820

850

745

900

1047

4625 5295

Italien

k.A.

165

565

260

470

1100

1369

1998 2089

Malta

6350 5765 4250 4525 4980 5330 3200

3948

3989 3502

Niederlande

930

1025 1600

2546

1136

Österreich

1530 1890 1320 1715 2065 2070 3300

9970

4587 2526

Schweden

2710 2610 3410 3150 4625 5680 8400 16016 2267 2220

Ungarn

315

Zypern

4370 3345 3580 2200 1895 1450 2000

628

290

980

465

910

210

875

170

k.A.

215

1905 4300 17699 2870 2486

942

318

3350 5235

Vgl. Eurostat (2009): Asyl in der EU im Jahr 2008: Rund 20 000 Asylbewerber wurden jeden Monat in der EU27 registriert, Pressemitteilung 66/2009, 08.05.2009, Luxemburg; Eurostat (2010): Asyl in der EU27: Im Jahr 2009 wurden rund 260 000 Asylbewerber registriert, Pressemitteilung 64/2010, 04.05.2010, Luxemburg; Eurostat (2011): Asyl in der EU27: Anzahl der registrierten Asylbewerber in der EU27 stabil bei rund 260 000 im Jahr 2010, Pressemitteilung 47/2011, 29.03.2011, Luxemburg; Eurostat (2012): Asyl in der EU27: Die Anzahl der registrierten Asylbewerber in der EU27 stieg auf 301 000 im Jahr 2011, Pressemitteilung 46/2012, 23.03.2012, Luxemburg; Eurostat (2013): Asyl in der EU27: Die Anzahl der registrierten Asylbewerber in der EU27 stieg auf über 330 000 im Jahr 2012, Pressemitteilung 48/2013, 22.03.2013, Luxemburg; Eurostat (2014): Asyl in der EU28: Deutlicher Anstieg der registrierten Asylbewerber auf nahezu 435 000 in der EU28 im Jahr 2013, Pressemitteilung 46/2014, 24.03.2014, Luxemburg; Eurostat (2015a): Asyl in der EU: Zahl der Asylbewerber in der EU im Jahr 2014 sprunghaft auf mehr als 625 000 gestiegen, Pressemitteilung 53/2015, 25.03.2015, Luxemburg; Eurostat (2016a): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: Rekordzahl von über 1,2 Millionen registrierten erstmaligen Asylbewerbern im Jahr 2015, Pressemitteilung 44/2016, 04.03.2016, Luxemburg; Eurostat (2017): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: 1,2 Millionen erstmalige Asylbewerber im Jahr 2016 registriert, Pressemitteilung 46/2017, 16.03.2017,Luxemburg; Eurostat (2018a): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: 650 000 erstmalige Asylbewerber im Jahr 2017 registriert, Pressemitteilung 47/2018, 20.03.2018, Luxemburg. Eigene Zusammenstellung.

132

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Viele Staaten, die primär Nutznießer der intendierten Ziele sein sollten, sind ja gerade nicht in der Lage, absolut gesehen mehr Menschen aufzunehmen, weil sie nicht die wirtschaftliche Stärke und kleine Bevölkerungen aufweisen – wie Griechenland oder Zypern. Es wird nicht beachtet, dass Griechenland in den Jahren 2008 bis 2011 (und wieder 2017) und Zypern in den Jahren 2008 bis 2014 (und wieder 2017) im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl mehr Asylsuchende aufgenommen haben als beispielsweise Deutschland.629 Nach den Vergaberichtlinien des AMIF bekam aber Deutschland für diese Jahre deutlich mehr Geld, obwohl die Verantwortungsübernahme Griechenlands und Zyperns verhältnismäßig größer war. Es ist schwer nachvollziehbar, warum diese Staaten eine solche Praxis aufrechterhalten sollten, wenn sie der finanzielle Solidaritätsmechanismus dafür nicht entsprechend entschädigt. Gleichzeitig sollen diese Staaten auch noch Kapazitätenaufbau betreiben. Auch wenn man wirtschaftlich stärkere, jedoch nicht an den südlichen Außengrenzen gelegene Saaten als Vergleich hinzunimmt, kommt man zu den gleichen Schlussfolgerungen. Im Vergleich zu Deutschland hat Belgien von 2008 bis 2013 pro Kopf mehr Asylsuchende aufgenommen, Schweden und Österreich von 2008 bis 2015. Nimmt man von 2008 bis 2011 Frankreich als Maßstab, das in den Jahren absolut gesehen die meisten Asylsuchenden in der EU aufgenommen hatte, ergibt sich ein ähnliches Bild: Im Vergleich zu Deutschland gab es im Verhältnis zwar ein wenig mehr aufgenommene Menschen, gegenüber Belgien, Österreich, Schweden, Zypern oder Malta aber weniger. Im Übrigen ist Italien in diesem Zeitraum nie unter den ersten Plätzen zu finden, nicht einmal während der „Flüchtlingskrise“. Wie hier ein Interesse verfolgt wird, das GEAS zum Wohle aller zu verbessern, ist nicht zu erkennen. Mithilfe dieser Zahlen könnte man viele weitere Vergleiche anstellen, die die Zielführung des AMIF und seine Anreizstruktur ad absurdum führen. Insbesondere dann, wenn man die jeweiligen wirtschaftlichen Voraussetzungen miteinbezöge und die Kapazitäten der nationalen Asylsysteme. Ganz allgemein kann man anhand der Tabellen 1 und 2 auch die Frage nach den Hauptaufnahmeländern von Asylsuchenden in der EU neu stellen. Gemeinhin werden darunter diejenigen Mitgliedstaaten subsumiert, die absolut die meisten Asylsuchenden aufnehmen. Es scheint jedoch plausibler, stichhaltiger und über-

629

Vgl. Tabelle 1 und Tabelle 2.

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

133

zeugender zu sein, die Verantwortungsübernahme relativ zu den eigenen Kapazitäten zugrunde zu legen, wenn man beurteilen möchte, wer die Hauptverantwortung für Asylsuchende in der EU trägt. Schaut man sich die Zahlen an, so haben die Außengrenzstaaten Griechenland, Zypern, Malta seit der Implementierung des Dublin-Systems verhältnismäßig deutlich mehr Verantwortung übernommen (bzw. übernehmen müssen) als beispielsweise Deutschland oder Frankreich.630 Der Fokus auf absolute Zahlen erscheint im Lichte der komplexen Realität zu eng und verfehlt die eigentlichen Ziele des finanziellen Solidaritätsmechanismus. Es bleibt offen, welche Anreize bevölkerungsärmeren Mitgliedstaaten angeboten werden, die vielleicht sogar noch defizitäre Asylsysteme haben und wirtschaftlich angeschlagen sind. Sie müssten dauerhaft sehr viel mehr Asylsuchende aufnehmen, um entsprechend mehr Mittel aus dem AMIF zu erhalten. Das können sie aber aus genau den Gründen nicht leisten, für die sie finanzielle Unterstützung benötigten. Ihre Kapazitäten müssten zuerst aufgebaut werden, bevor sie absolut gesehen mehr Menschen aufnehmen können. Außerdem müsste ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden. Die Anreizstruktur des AMIF und seiner Vorgänger führt damit ins Paradoxe: Sie fördert das Gegenteil von ihren eigentlichen Zielen. Ganz grundsätzlich müsste eher die relative Aufnahme von Asylsuchenden im Zentrum des Vergabemodus stehen, und nicht die absolute. In dieser Form kommt die finanzielle Solidaritätskomponente des GEAS dem Anspruch einer gerechten Teilung der Verantwortlichkeiten nicht nach.631 Es bleibt daher fraglich, ob diejenigen Mitgliedstaaten, die finanzielle Unterstützung in höherem Maße brauchen, diese auch wirklich erhalten, da das derzeitige Finanzallokationssystem Mitgliedstaaten bevorzugt, die absolut gesehen viele Asylsuchende aufnehmen, und nicht jene beispielsweise an den europäischen Außengrenzen mit tendenziell strukturell schwächer ausgestatteten Asylsystemen oder hoher Aufnahme von Asylsuchenden im Verhältnis zur eigenen Bevölkerung. 632 Insbesondere die „neueren“ Mitgliedstaaten bräuchten stärkere Anreize, ihre nationalen 630

631 632

Insbesondere in der Debatte um die „Flüchtlingskrise“ wird diese Tatsache häufig nicht beachtet. Vgl. de Bruycker/Tsourdi (2016): S. 503. Vgl. Garlick, Madeline (2016): The Dublin System, Solidarity and Individual Rights, in: Chetail, Vincent/de Bruycker, Philippe/Maiani, Francesco (Hg.): Reforming the Common European Asylum System. The New European Refugee Law, Leiden/Boston, S. 159-194, S. 191f.; Pollet, Kris (2013): Enhancing intra-EU Solidarity. Tools to Improve Quality and Fundamental Rights Protection in the Common European Asylum System, ECRE Paper, European Council on Refugees and Exiles, Brüssel, S. 31.

134

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Asylsysteme auszubauen, um die Standards des GEAS einhalten zu können.633 Die Vergabepraxis des AMIF und seiner Vorgänger leistet ein solches Anreizsystem nicht. Man kann konstatieren, dass neben den negativen Anreizen, die das Dublin-System den Peripherie-Staaten zur Nichtbeachtung der Verpflichtungen zur Aufnahme des Asylverfahrens gibt, auch die Mittelvergabe durch den AMIF als Fehlanreiz zum solidarischen Handeln in der Asylpolitik wirkt. Die momentane Mittelvergabestruktur des AMIF kann die intendierten Ziele nicht erfüllen und läuft der Möglichkeit einer gerechten Verantwortlichkeitsaufteilung entgegen. Es stehen zwar auch Mittel zur Soforthilfe (ursprünglich 385 Mio. Euro, während der „Flüchtlingskrise“ erhöht) zur Verfügung;634 ob diese aber dafür ausreichen, die Ziele des AMIF wie die Kapazitätserweiterung der nationalen Asylsysteme der betreffenden Mitgliedstaaten über die Versorgung in der Notsituation hinaus zu erreichen, erscheint fraglich. Ebenso, ob die finanzielle Ausstattung des Fonds generell ausreicht, die intendierten Ziele hinreichend erfüllen zu können. Schon im EFF im Zeitraum von 2008 bis 2013 war diese Voraussetzung nicht gegeben. 635 Im Lichte dieser Erkenntnisse kam auch eine Vorarbeit zu der anstehenden Halbzeit-Evaluation, die die Nutzung des AMIF auf nationalstaatlicher Ebene untersucht, zu dem Ergebnis, dass die Verteilungsformel nicht die Bedürfnisse der Mitgliedstaaten widerspiegelt.636 Dementsprechend schlug die Autorin vor, dass die Zuweisung der Gelder aus dem AMIF auf aktuellen Zahlen von Eurostat beruhen sollte, die das nationale BIP, die Arbeitslosenquote, das Risiko sozialer Exklusion der ansässigen Bevölkerung sowie die Nutzung der Notfallhilfe-Gelder aus dem Zeitraum 2014-2020 umfassen solle.637 Diesem Befund ist im Lichte der empirischen Erkenntnisse zuzustimmen. In der kurz darauf erfolgten Zwischenbewertung des AMIF (und des ISF) äußert sich die Kommission nicht zu den dargelegten Problemen, im Gegenteil: Es findet sich im Prinzip gar keine kritische Äußerung.638 Eine abschließende Bewertung sei zwar schwierig, da die meisten Projekte noch andauerten, aber, so

633 634 635 636

637 638

Vgl. Pollet (2013): S. 31. S. Kap. 4.3.12. Vgl. Bast (2014): S. 152f.; Pollet (2013): S. 31. Vgl. Westerby, Rachel (2018): Follow the Money. Assessing the use of EU Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF) at the national level, Brüssel, S. 8. Vgl. Ebd., S. 48. Vgl. Europäische Kommission (2018a).

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

135

formuliert es die Kommission, „[w]as die Wirksamkeit angeht, hat der AMIF einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Asylsysteme und zur Stärkung der Aufnahmekapazitäten in den Mitgliedstaaten geleistet.“ 639 Die Evaluation wird überschattet von den Ereignissen der „Migrationskrise“: Ohne den AMIF, so die Kommission, „hätte die EU nicht so wirksam auf die Migrationskrise reagieren können“640. Sie fährt fort, dass der AMIF in dieser schwierigen Situation ein wichtiges Instrument gewesen sei, „weil er sowohl kurzfristige Soforthilfemaßnahmen als auch einen eher langfristigen Kapazitätsaufbau im Bereich Asyl, Integration und Rückkehr/Rückführung ermöglichte. Der Fonds trug insbesondere zu einer Stärkung der Aufnahme- und Bearbeitungskapazitäten der Mitgliedstaaten bei, als diese mit den enormen Migrationsströmen konfrontiert waren.“641

Er habe „[d]ie Stärkung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und die Übernahme gemeinsamer Verantwortung […] hauptsächlich durch Soforthilfe, Umsiedlungsmechanismen und Neuansiedlungsprogramme der EU erreicht.“ 642 Vor allem „[d]ie AMIF-Soforthilfe war ein wichtiges Instrument zur Unterstützung der Mitgliedstaaten in der Migrationskrise von 2015 und danach. Sie erwies sich als leistungsfähiges Werkzeug zur Stärkung der Solidarität und ermöglichte eine raschere und gezieltere Reaktion auf die Krise.“643

Der Fonds habe „trotz des eher geringen Umfanges […] einen beträchtlichen EU-Mehrwert [Herv. i. O.] erzeugt […] durch die transnationale Dimension bestimmter Maßnahmen […] sowie durch die Lastenteilung auf EU-Ebene, die vor allem durch die Soforthilfe und den Umsiedlungsmechanismus im Rahmen nationaler Programme unterstützt wird – beides stichhaltige Beweise für die Anwendung des Solidaritätsprinzips.“644

639 640 641 642 643 644

Ebd., S. 9. Ebd., S. 11. Ebd., S. 18. Ebd., S. 10. Ebd. Ebd., S. 11.

136

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Solche „Beweise“ sind freilich nur dann wirklich stichhaltig, wenn sie nicht bloße Behauptungen sind. Genau über dieses Substanzniveau kommt die Bewertung der Kommission aber nicht hinaus, da sie ausschließlich die absoluten Zahlen heranzieht, die ausgegeben worden sind. Der Bericht liefert keinerlei Bewertungskriterien oder Maßstäbe, nach denen man bemessen könnte, ob die finanziellen Mittel tatsächlich zum langfristigen Kapazitätenaufbau oder zur Stärkung der Aufnahmeund Bearbeitungskapazitäten beigetragen haben. Zudem ist es fraglich, ob auf die „Migrationskrise“ wirklich „so wirksam“ reagiert worden ist und wie leistungsfähig die Werkzeuge wirklich waren. Dies wird in der Evaluation der Kommission nicht belegt und nicht plausibel dargelegt. Von „stichhaltigen Beweisen für die Anwendung des Solidaritätsprinzips“ kann also keineswegs gesprochen werden. Vielmehr ist es so, dass die Mittelausstattung der Soforthilfe angesichts der immensen Herausforderungen der Krise wohl immer noch zu gering gewesen ist. Zudem ist auch eine Verbesserung der Lage in Bezug auf Aufnahme- und Versorgungskapazitäten in den besonders betroffenen Mitgliedstaaten nicht zu erkennen. Der angesprochene Umsiedlungsmechanismus hat ebenfalls nicht funktioniert. 645 Darüber hinaus geht der Bericht auch nicht auf die fehlgeleiteten Anreize zur Ausschüttung der Mittel im AMIF ein. Auf dieser Grundlage eine „Stärkung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten“ zu konstatieren, ist nicht nachzuvollziehen. Es bleibt festzuhalten, dass es zwar einen finanziellen Solidaritätsmechanismus gibt, dieser jedoch seine Ziele nicht ausreichend erreicht. Es findet keine signifikante und beobachtbare Milderung der ungerechten Verantwortlichkeitsaufteilung statt. Die vom Verursacherprinzip besonders betroffenen Mitgliedstaaten werden vom finanziellen Kompensationsmechanismus nicht hinreichend unterstützt, sodass die negativen Effekte des Dublin-Systems nicht aufgefangen werden können. Zu diesem Befund passt einerseits, dass die Union in Art. 80 AEUV einerseits unmissverständlich klarmacht, dass die finanzielle Komponente, materialisiert durch den AMIF, eine konkrete Maßnahme darstellt, durch die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten in der gemeinsamen Asylpolitik ihren Ausdruck findet. Andererseits wird durch die Formulierungen in Bezug auf Solidarität in den AMIF-Verordnungen auch deutlich, dass Solidarität zwar als apriorische Bedingung für die gemeinsame Politik bezeichnet wird, die allerdings noch nicht hinreichend vorhanden ist und dementsprechend gestärkt werden muss. Darin spiegelt 645

S. Kap. 4.4.

3.3. Der Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds

137

sich der Grund für die Implementierung von Art. 80 AEUV wider: Der durch die Ausgestaltung des Dublin-Systems verursachte Erbdefekt des GEAS muss behoben werden, ohne diesen selbst reformieren zu können. Implizit wird damit eingestanden bzw. bestätigt, dass im GEAS ein Mangel an Solidarität herrscht, der für das Nichtfunktionieren vor allem der Zuständigkeitsallokation verantwortlich ist, obwohl nur mit einem funktionierenden Solidaritätsprinzip ein GEAS zum Wohle aller bestehen kann. Der AMIF liefert weitere Belege dafür, dass die Defizite in der gemeinsamen europäischen Asylpolitik im direkten Zusammenhang mit einem Bruch des Solidaritätsprinzips stehen, und dass diese Sicht sogar von der Union selbst geteilt wird: „Im Sinne einer größeren Solidarität und einer besseren Aufteilung der Verantwortung unter den Mitgliedstaaten — insbesondere gegenüber den von den Asylströmen am meisten betroffenen Mitgliedstaaten — sollte ein ähnlicher auf finanzielle Anreize gegründeter Mechanismus auch für die Überstellung von Personen, die internationalen Schutz genießen, von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat eingerichtet werden. Solch ein Mechanismus sollte Mitgliedstaaten mit einem absolut oder proportional höheren Aufkommen an Asylsuchenden und Personen, die internationalen Schutz genießen, entlasten.“646

Es findet sich also sogar in der AMIF-Verordnung selbst eine Aufforderung, das Verursacherprinzip im Dublin-System im Sinne einer gerechteren Zuständigkeitsallokation zu überdenken. Das ist deswegen so hervorstechend, da die Maßnahme von Parlament und Rat auf Vorschlag der Kommission beschlossen wurde und im Rat offensichtlich kein hinreichender Widerstand gegen diese Formulierung aufgekommen ist. Das mag damit zusammenhängen, dass die Präambel für die tatsächliche Regelung wenig Bedeutung hat und man dort leichter einen politischrhetorischen Kompromiss unterbringen kann. Dennoch sollte man die politische Wirkung eines solchen Statements nicht unterschätzen. Man kann diese Passage durchaus dergestalt deuten, dass der finanzielle Solidaritätsmechanismus nicht ausreichend ist, den durch das Dublin-System verursachten Bruch des Solidaritätsprinzips zu kitten. Das unterstreicht den vorläufigen Befund der Unzulänglichkeit des AMIF hinsichtlich seiner Ziele, insbesondere bezogen auf die Wiederherstellung des Solidaritätsprinzips. 646

Verordnung (EU) Nr. 516/2014: Erw. 44.

138

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

3.4. Solidarität im Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) Einer der wichtigsten Faktoren zur Idee einer Asylunterstützungsagentur waren die unterschiedlichen Anerkennungsraten der verschiedenen Schutzstatus zwischen den Mitgliedstaaten und das dadurch heterogene Schutzregime innerhalb der EU („Asyllotterie“), das angeglichen werden sollte, um Kohärenz im GEAS zu schaffen.647 Die Kommission plante die Umsetzung der vom Europäischen Rat im Haager Programm geforderten „Unterstützungsagentur für alle Formen der Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen der gemeinsamen europäischen Asylregelung“648, welche Hand in Hand mit der Einführung eines einheitlichen Asylverfahrens gehen sollte.649 Die Kommission konkretisierte diese Aufforderung später,650 und der Europäische Rat beschloss die Gründung einer solchen Agentur für 2009.651 Das Stockholmer Programm spezifizierte dann die Charakteristika des künftigen Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen als „wichtiges Instrument für die Entwicklung und Umsetzung des GEAS […] zur Verstärkung aller Formen der praktischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten“ 652, das „eine gemeinsame Schulungsplattform für nationale Asylbeamte weiterentwickeln“653 und die „Verbesserung der Konvergenz und der laufenden Qualität im Hinblick auf die Verringerung von Diskrepanzen bei Asylentscheidungen“654 zum Ziel hatte. Daraufhin wurde EASO im Jahr 2010 ins Leben gerufen und nahm im darauffolgenden Jahr seine Arbeit auf.

647

648

649 650 651 652 653 654

Vgl. Comte, Fancoise (2010): A New Agency is born in the European Union: The European Asylum Support Office, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 12 (4), S. 373-405, S. 394. Europäische Kommission (2005b): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre. Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, KOM(2005) 184 endgültig, 10.05.2005, Brüssel, Vorhaben 63. Vgl. Ebd. Vgl. Europäische Kommission (2007a): S. 10. Vgl. Europäischer Rat: (2008): S. 11. Europäischer Rat (2010): S. 32. Ebd. Ebd.

3.4. Solidarität im Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen

139

3.4.1. Ziele und Umsetzung In der dazugehörigen Verordnung wurde festgeschrieben, dass „das Unterstützungsbüro die Entwicklung der Solidarität innerhalb der Union unterstützen“ 655 soll, und zwar „[h]insichtlich der Mitgliedstaaten, deren Asyl- und Aufnahmesysteme vor allem aufgrund ihrer geografischen oder demografischen Lage einem besonderen und unverhältnismäßigen Druck ausgesetzt sind“656. Hier findet sich das Eingeständnis einer ungerechten Verantwortlichkeitsaufteilung durch das DublinSystem wieder, für die EASO als Kompensationsmechanismus vorgesehen ist. Ein einheitliches europäisches Asylverfahren ist im Übrigen bisher nicht umgesetzt worden. Die Organisationsstruktur der Agentur ähnelt der von Frontex, ihr Handeln ist demgemäß von den mitgliedstaatlichen Interessenlagen abhängig.657 In der Praxis kann EASO die Mitgliedstaaten technisch und operativ bei der effektiven Anwendung des europäischen Asylrechts aufgrund von gemeinsamen Tätigkeiten im Bereich der Ausbildung, der Informationssammlung und -aufarbeitung (z.B. über die Herkunftsländer von Asylsuchenden) sowie bei der Rechtsumsetzung unterstützen.658 Die Agentur kann Mitgliedstaaten auch bei Maßnahmen zur Umsiedlung659 und Neuansiedlung660 helfen. Dazu können transnationale Unterstützungsteams mit nationalen Beamten an einen Mitgliedstaat entsendet werden.661 Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf Mitgliedstaaten gelegt, die einem besonderen Druck ausgesetzt sind.662 Bemerkenswert ist, dass eine solche Belastung der nationalen Asylsysteme gekennzeichnet sein kann „durch einen plötzlichen Massenzustrom von Drittstaatsangehörigen, die internationalen Schutzes bedürfen“663, und „aufgrund der geografischen oder demografischen Lage des Mitgliedsstaates entstehen“664 kann. An dieser Stelle wird wiederholt verdeutlicht,

655 656 657 658 659 660 661 662 663 664

Verordnung (EU) Nr. 439/2010: Erw. 7. Ebd. Vgl. Stern/Tohidipur (2014): Rn. 121. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 439/2010: Art. 2ff. Vgl. Ebd., Art. 5. Vgl. Ebd., Art. 7. Vgl. Ebd., Art. 13ff. Ebd., Art. 8ff. Ebd., Art. 8. Ebd.

140

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

dass EASO als Solidaritätsmaßnahme aufgrund der Schieflage durch das Verursacherprinzip des Dublin-Systems notwendig ist, da die bloße geografische Lage bereits eine unverhältnismäßige Mehrbelastung hervorrufen kann. Dies bestätigt die implizierte Anerkennung des Bruchs des Solidaritätsprinzips durch das Dublin-System. EASO soll hier als ein sekundärer Reparaturmechanismus der durch „Dublin“ verursachten Schäden dienen und auf dem Umweg Solidarität herstellen. 3.4.2. Hintergründe Insbesondere die Kommission hatte große Hoffnungen in EASO bezüglich der Verbesserung praktischer Zusammenarbeit und damit der Stärkung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten gesetzt: „Das Unterstützungsbüro wird gewährleisten, dass die praktische Zusammenarbeit zu einer tragenden Säule des Asylsystems der Union wird.“665 Und weiter erwartete sie, „dass das EASO zu einem Schlüsselakteur bei der Bewältigung von asyl- und migrationsbezogenen Notlagen werden kann.“666 Die Erwartungshaltung des Rates war zwar etwas verhaltener, jedoch maß auch er der Agentur eine wichtige Rolle in einem gemeinsamen Rahmen für echte und praktische Solidarität zu, durch die „Schaffung eines soliden Fundaments für gegenseitiges Vertrauen durch eine Verbesserung der Zusammenarbeit, einschließlich der praktischen Zusammenarbeit, zwischen den Asylbehörden der Mitgliedstaaten unter der Koordinierung des EASO.“ 667 Das Europäische Parlament betonte in seiner Antwort auf das Kommissions-Papier im Zusammenhang mit EASO nicht ausdrücklich Solidarität, sondern dass „eine engere praktische Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gefördert und somit zum Abbau erheblicher Unterschiede in den asylpolitischen Ansätzen sowie zur Schaffung besserer und gerechterer Asylsysteme in der EU beigetragen werden kann“668. Daneben werden in dem EP-Papier einige Forderungen an EASO gestellt, was die wirksame und zielgerichtete Arbeit der Agentur betrifft, wie beispielweise eine enge Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und dem UNHCR, der Informati-

665 666 667 668

Europäische Kommission (2011a): S. 3. Ebd., S. 4. Rat der Europäischen Union (2012a): S. 6. Europäisches Parlament (2012): S. 7.

3.4. Solidarität im Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen

141

onsermittlung und -aufarbeitung für die nationalen Asylbehörden, allgemeine Verbesserungen in den Prozessen des GEAS oder die Unterstützung in Notlage geratener Mitgliedstaaten.669 3.4.3. Einordnung und Problematisierung Eine unabhängige Evaluation nach den ersten dreieinhalb Jahren seiner Tätigkeit kam zu einem überwiegend positiven Fazit der Arbeit von EASO. Die Agentur habe ihre Aufgaben und Ziele bis auf kleinere Verbesserungsmöglichkeiten erfüllt, habe sich als Hauptinformationsquelle im Asylbereich für die Mitgliedstaaten und EU-Institutionen positioniert, zu einer vertieften Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten beigetragen und großes Potential gezeigt, Konvergenz zwischen den nationalen Praktiken im Asylbereich herstellen zu können.670 Lediglich die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und NGOs müsse noch verbessert sowie eine bessere Koordinierung mit anderen EU-Agenturen und dem UNHCR erreicht werden.671 Die gleichen Verbesserungsnotwendigkeiten werden von Experten unterstrichen,672 die darauf hinweisen, dass EASO auch eine zentrale Rolle bei einem zukünftigen einheitlichen, EU-weiten Asylverfahren spielen könnte.673 Auf diese Möglichkeit – die ja am Ausgangspunkt zur Idee der Agentur stand – hat kürzlich auch die Kommission noch einmal hingewiesen.674 Andere Experten vertreten die Auffassung, dass EASO die hohen Erwartungen bisher eher nicht erfüllt habe – und die praktische Unterstützung durch die Vorgehensweise von UNHCR oder lokal agierenden NGOs erfolgversprechender seien.675 Einige Bedenken zur Arbeit von EASO, vor allem im Einklang mit den Zielvorgaben, werden zwar vorgebracht, aber auch mit der Jugend der Agentur in

669 670

671 672 673

674 675

Vgl. Ebd. Vgl. Ernst & Young (2015): European Asylum Support Office. Independent External Evaluation of EASO’s activities covering the period from February 2011 to June 2014, Final Report, December 2015, o. O., S. iiif. Vgl. Ebd., S. vi. Vgl. Pollet (2013): S. 5. Vgl. Wagner, Martin et al. (2016): The Implementation of the Common European Asylum System, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel, S. 11f.; Pollet (2013): S. 5. Vgl. Europäische Kommission (2016a): S. 14f. Vgl. Garlick (2016): S. 189ff.

142

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

Verbindung gebracht, sodass eine abwartende Position eingenommen wird.676 Gemeinsam haben die Analysen aber auch, dass der Arbeit von EASO großes Potential bescheinigt wird, ein wertvolles Werkzeug der praktischen Kooperation und damit der operativen Solidarität werden zu können. Generell sei die Agentur aber mit zu wenigen Ressourcen ausgestattet und habe zu wenige Kompetenzen, um das GEAS wirklich verbessern zu können.677 Derzeit wird in der EU eine Reform von EASO verhandelt. In ihrem Reformvorschlag hat die Kommission erklärt, dass die Agentur zu einem eigenständigen Kompetenzzentrum umgebaut werden soll, um „die strukturellen Defizite des GEAS zu beheben.“678 Es ist auffallend, wie unzweideutig hier von der Kommission auf die Mängel im GEAS hingewiesen wird. Die neue Asylagentur soll dementsprechend „die Entwicklung der Solidarität innerhalb der Union unterstützen.“679 Dafür soll EASO aber keine neuen Kompetenzen erhalten, sondern sollen seine bisherigen erweitert werden, um die Erreichung der ursprünglich intendierten Ziele zu verbessern.680 Es bleibt abzuwarten, inwieweit die reformierte Asylagentur die nach wie vor hohen Erwartungen an ihren Beitrag zu einem besseren Funktionieren des GEAS erfüllen können wird. Angesichts der eher kosmetischen Änderungen durch den Reformvorschlag der Kommission erscheint es aber fraglich, ob die intendierten Effekte erzielt werden können. Ohne ein europäisiertes Asylverfahren ist Skepsis in Bezug auf nachhaltige positive Effekte auf das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten und damit das Solidaritätsprinzip angebracht. Grundsätzlich stellt die Agentur aber einen Unterstützungs- und Hilfsmechanismus dar, der dem Solidaritätsprinzip entspricht. Die Verletzung durch den Erbdefekt des DublinSystems kann EASO jedoch nicht aufheben.

676 677

678

679 680

Vgl. de Bruycker/Tsourdi (2016): S. 488ff. Vgl. de Bruycker, Philippe/Tsourdi, Evangelia (2015): EU Asylum Policy: In Search of Solidarity and Access to Protection, Policy Brief 2015 (6), Migration Policy Center, Florenz, S. 9. Europäische Kommission (2016c): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Asylagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 439/2010, COM(2016) 271, 04.05.2016, Brüssel, S. 2. Ebd., Erw. 19. Vgl. Ebd., S. 7.

3.5. Zusammenfassung und Bewertung

143

3.5. Zusammenfassung und Bewertung Die migrationspolitische Kooperation in Europa begann außerhalb des Rechtsrahmens der EU. Solidarität spielte in diesem frühen Stadium des Ausgestaltungsprozesses, aus dem sich später das GEAS entwickelte, keine nennenswerte Rolle. Das Ziel eines gemeinsamen Binnenmarktes, für das die Binnengrenzkontrollen auch für Personen wegfallen mussten, hat dazu geführt, dass sich die teilnehmenden Staaten über die Kompensationen dieses Kontrollverlustes und auf eine gemeinsame Migrationspolitik verständigen mussten. Durch offene Binnengrenzen hat die Einwanderungs-, Asyl- und Grenzschutzpolitik jeden einzelnen Mitgliedstaates viel größere Auswirkungen auf alle anderen Teilnehmer. Dafür musste eine Lösung gefunden werden. Die Europäisierung der Asylpolitik ist dementsprechend nicht aus einem menschenrechtlichen Impetus heraus gestaltet worden, etwa angestoßen durch Probleme im internationalen Flüchtlingsregime, sondern rief als Nebenprodukt des Binnenmarktprojektes nach einer gemeinsamen Politik. Die Integration stellte sich durch die Herausforderung nationalstaatlicher Souveränität als besonders schwierig heraus. Die Staaten geben ihre Kompetenzen im Bereich Einwanderung nur sehr widerwillig ab, da dies den Kern ihrer Legitimität berührt. Insbesondere die Ministerien des Innern, traditionell mit Fragen der Einwanderungskontrolle, der Grenzsicherung und grenzüberschreitenden Kriminalität betraut, haben ein ausgeprägtes Interesse daran, in diesen Fragen die Gestaltungsführerschaft einzunehmen. Sie suchten anfangs der Integration in der Innen- und Justizpolitik Wege außerhalb des Unionsrahmens, und weitgehend abgeschirmt vor demokratischer Kontrolle auf intergouvernementaler Ebene, ihre Interessen möglichst prägnant durchzusetzen. Als die Innenministerien während der ersten praktischen Erfolge bei der Abschaffung der Grenzkontrollen zwischen einigen europäischen Staaten dabei kurz ins Abseits gerieten, gewannen sie die Verhandlungsführerschaft schnell zurück und bestimmen seither den Kurs in der europäischen Asylpolitik. Durch die weltpolitischen Umwälzungen um 1990 mit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs, die mitten in der Europäisierungsprozess hereinbrachen, gingen eine allgemein erhöhte Mobilisierung und kriegerische Auseinandersetzungen in der Nachbarschaft einher, die sowohl die Furcht vor erhöhten Migrationsbewegungen als auch tatsächliche hohe Fluchtbewegungen in die EU bedingten. Dies führte letztlich zu einer Strategie, die die Vermeidung von ungewollter bzw. nicht

144

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

autorisierter Migration priorisierte. Die daraus folgende Externalisierung der Einwanderungskontrolle ist die bis heute vorherrschende Grundkonstante europäischer Asylpolitik. Sie äußert sich sowohl im 1990 beschlossenen Dubliner Zuständigkeitssystem, das die Verantwortung für Asylgesuche an die Außengrenzen verlagert, als auch in Regelungen über sichere Herkunfts- und Drittstaaten, Rücknahmeabkommen mit Herkunfts- und Transitstaaten oder in der Abschottung der Außengrenzen durch Kooperation mit bereitwilligen Mittelmeeranrainern und mittlerweile auch der Schließung von Migrationsrouten. Generell spiegeln die Prozesse in der Europäisierung der Asylpolitik ein grundsätzliches Spannungsverhältnis liberaler Demokratien wider: dem zwischen der souveränen Selbstbestimmung und der Einhaltung der Menschenrechte. 681 Konkret wird dieses Spannungsverhältnis zwischen innerstaatlichen Sicherheitserwägungen und Menschenrechtsfragen ausgetragen.682 Die mitgliedstaatliche Souveränität wurde gegenüber der Supranationalität vorgezogen, was zu einer Verschiebung der Priorität der menschenrechtlich gebotenen Flüchtlingsaufnahme zu einer Politik der Verhinderung der Aufnahme von Asylsuchenden und unautorisierter Migration allgemein geführt hat.683 Der Schutz von Flüchtenden wurde so zweitrangig gegenüber dem primären Ziel, Einwanderung zu reduzieren. Souveränität und Kontrolle über die Grenzen waren im Ausgestaltungsprozess wichtiger als die Schutzgewährung von Bedürftigen. 684 Die Priorität des Grenzschutzes und der Abwehr von ungewollter Einwanderung setzte sich gegenüber dem Flüchtlingsschutz durch.685 Asylsuchende wurden so von Anfang der europäischen Asylzusammenarbeit an außen vor gelassen, eher wie Waren an die Binnenmarktlogik angepasst, obwohl es sicherlich auch möglich gewesen wäre, Schutzsuchende mit den gleichen Pflichten und Rechten wie EU-Bürger zu versehen.686 Die asylpolitische Strategie der EU manifestierte sich rasch als kollektive Verantwortungsvermeidungspolitik, die bis heute sowohl im Innern der Union als 681

682 683 684 685

686

Vgl. Benhabib, Seyla (2009): Die Rechte der Anderen. Ausländer, Migranten, Bürger, Bonn, S. 14. Vgl. dazu auch Dreyer-Plum (2017): S. 518. Vgl. Lavenex (2001): S. 855. Vgl. Lavenex (1999): S. 162. Vgl. Chetail (2016a): S. 37; Düvell, Franck (2013): Flüchtlinge an den Grenzen Europas, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 63 (47), S. 24-30, S. 24. Vgl. Guild, Elspeth (2006): The Europeanisation of Europe’s Asylum Policy, in: International Journal of Refugee Law, Jg. 18 (3-4), S. 630-651, S. 633ff.

3.5. Zusammenfassung und Bewertung

145

auch nach außen wirkt. Dabei haben die Staaten die Europäisierung nachweislich dazu genutzt, um ihre Kapazitäten in der Einwanderungskontrollen zu vergrößern.687 In der Prägungszeit der asylpolitischen Integration spielte Solidarität dabei kaum eine Rolle. Das Solidaritätsprinzip der EU wurde generell erst dann relevant, als das Asylzuständigkeitssystem 2003 in EU-Recht überging. Es wurde allerdings auch schon vorher von den involvierten Akteuren reflektiert, spätestens mit dem Tampere-Programm 1999. Aus diesem resultierten ein finanzieller Kompensationsmechanismus und die Massenzustrom-Richtlinie, die durch europäisches Recht gesetzt wurden. Kurz darauf entwickelte sich im Verfassungskonvent die Idee eines primärrechtlich zu verankernden Solidaritätsartikels, der speziell für die Asylpolitik (sowie Grenzschutz und Einwanderung) gelten sollte und mit der gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten verbunden wurde. Ein solcher Artikel fand sich im Verfassungsvertrag dann auch wieder. Nach dessen Scheitern wurde die Idee erst im Haager Programm aufgegriffen und von den europäischen Institutionen immer stärker thematisiert. Letztlich fand sich das Prinzip der Solidarität mit seiner speziellen asylpolitischen Ausprägung der gerechten Verantwortlichkeitsteilung in Art. 80 AEUV des Lissabonner Vertrags wieder. Seitdem ist seine Beachtung Pflicht für alle asylpolitischen Maßnahmen. Die Bedeutung der Frage nach der Solidarität im europäischen Asylsystem ist entsprechend allenthalben enorm gestiegen. Die Entscheidung, die Zuständigkeit für in der EU gestellte Asylanträge primär über das Verursacherprinzip im Dublin-System zu regeln, ist der Erbdefekt, der die Pathologien des GEAS hervorruft. Sie liegt in der Interessendurchsetzung eines eher in nördlichen Mitgliedstaaten geprägten Einwanderungsmodells begründet, das harte Grenzen und strenge Einwanderungskontrolle bevorzugt. Diese Staaten hatten zudem während der kriegerischen Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren den Großteil der Verantwortung für die von dort entspringende Fluchtmigration übernommen und wollten eine Wiederholung für die Zukunft verhindern. Die südlichen Mitgliedstaaten funktionierten traditionell eher mit offenen Grenzen und besaßen kaum Erfahrung mit Fluchtmigration. Sie nahmen den politischen Gestaltungsrahmen nördlicher Prägung ohne größere Gegenwehr hin. Das 687

Vgl. Joppke (1999): S. 270; Joppke argumentiert zudem, dass die Staaten generell die Limitierungen ihrer Souveränität wohlwissend in Kauf nahmen, da sie als (neo-)liberale Staaten den Gewinn aus Einwanderung höher werten. Vgl. Joppke, Christian (1998): Why Liberal States Accept Unwanted Immigration, in: World Politics, Jg. 50 (2), S. 266-293, S. 270.

146

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

führte dazu, dass das Fundament des GEAS keine gerechte Verantwortlichkeitszuteilung kennt, im Gegenteil: Es wälzt die Verantwortung für Asylsuchende an die Außengrenzstaaten ab und sanktioniert diejenigen Mitgliedstaaten, die Asylanträge in der Union nicht verhindert haben. Die Grundkonstante europäischer Politik, die auf Abwehr von Asylmigration aus ist, verstärkt diesen Effekt, da die Verantwortlichkeitsteilung dadurch noch weiter unterminiert und die strukturelle Schwäche des Verursacherprinzips nicht angegangen wird.688 Die Zuständigkeitslogik benachteiligt die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen und lässt außer Acht, dass eine lückenlose Kontrolle von Grenzen unmöglich ist, insbesondere wenn diese sich auf See befinden. Sie nimmt außerdem keine Differenzierung von wirtschaftlichen oder politischen Voraussetzungen in den Mitgliedstaaten vor. Alles in Allem verstößt das Dublin-System durch die Zuständigkeitsallokation des Verursacherprinzips eindeutig gegen das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union. Spätestens mit Einführung von Art. 80 AEUV ist diese Erkenntnis nicht mehr von der Hand zu weisen. Auch Urteile des EuGH bestätigen, dass das Dublin-System den Anforderungen des Solidaritätsprinzips und der gerechten Teilung der Verantwortlichkeiten nicht gerecht wird. Darüber hinaus hat sich das Dublin-System seit seiner Einführung als dysfunktional hinsichtlich seiner Ziele erwiesen. Diese Tatsache ist nicht nur extensiv belegt, sondern sogar von der Kommission (und dem Europäischen Parlament) in ihren Einschätzungen bestätigt worden. Die zum Zwecke der Beseitigung der Mängel des Dublin-Systems implementierten Solidaritätsmaßnahmen wie der AMIF oder EASO sind Flickwerkzeuge, die keine umfassende Lösung für die akuten Probleme im GEAS darstellen können. Sie sollen die Symptome lindern, die der Erbdefekt – das Verursacherprinzip – hervorruft. Dieses Vorhaben erreicht sein Ziel nicht. Der AMIF ist seiner Ausrichtung und Ausstattung nach nicht in der Lage, zu einer Wiederherstellung des Solidaritätsprinzips beizutragen. Eher bewirkt er das Gegenteil, indem er die falschen finanziellen Anreize setzt. EASO hat so gut wie keine durchschlagenden Befugnisse, sondern ist in seiner bisherigen Form ein besseres Beratungszentrum. Ohne zumindest die Befugnis, selbst Asylverfahren durchführen zu können, wird dieses Instrument ebenfalls stumpf bleiben. Es scheint aussichtslos, einer Agentur

688

Vgl. Thielemann, Eiko (2004): Why Asylum Policy Harmonisation Undermines Refugee Burden-Sharing, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 6 (1), S. 47-65, S. 64.

3.5. Zusammenfassung und Bewertung

147

ohne die notwendige Kompetenz zumuten zu wollen, die Standards in den Asylverfahren, ganz zu schweigen von denen bei der Unterbringung und Versorgung, in allen Mitgliedstaaten auf ein einheitliches Niveau zu heben. Es ist schwer vorstellbar, dass ohne eine Supranationalisierung wenigstens der Asylverfahren hier ein spürbarer Fortschritt bei der Einhaltung des Solidaritätsprinzips vonstattengehen kann. Aus diesen Gründen sind die flankierenden Maßnahmen, die den Solidaritätsbruch durch das Verursacherprinzip abmildern bzw. sogar aufheben sollen, fruchtlos. 689 Nicht nur aufgrund ihrer Unzulänglichkeiten bleibt es generell fraglich, ob sich ein solches Vorhaben überhaupt bewerkstelligen ließe. Symptomlinderung mag zeitweise oder ein Stück weit helfen, doch der die Pathologien hervorrufende Erbdefekt muss letztlich behandelt werden. Das Verursacherprinzip muss ersetzt werden, sonst wirken auch die Solidaritätsmaßnahmen nicht. Im Übrigen können solche flankierenden Maßnahmen auch dann noch notwendig sein, wenn eine Lösung für die Zuständigkeitsallokation gefunden würde, die mit Art. 80 AEUV vereinbar wäre. So ist es im GEAS zum Normalzustand geworden, dass die gemeinsamen Pflichten – vor allem der Zuständigkeitsallokation – nicht erfüllt werden. Das Verursacherprinzip verstößt dabei nicht nur selbst gegen das Solidaritätsprinzip in der EU, sondern verursacht selbst weitere Solidaritätsbrüche im GEAS. Es ist letztlich der Grund für ein kumulative und inkrementelle Verletzung der conditio sine qua non der Europäischen Union. Auf diese Weise wird das Misstrauen zwischen den Mitgliedstaaten gefördert. Wenn das gegenseitige Vertrauen in die Umsetzung der gemeinsamen Verpflichtungen nicht vorhanden ist, dann ist es auch unwahrscheinlicher, dass das Solidaritätsprinzip eingehalten wird. Ein GEAS, welches zum Wohle aller funktioniert, ist so nicht möglich. Ein stumpfes Schwert in der Bekämpfung des kontinuierlichen Solidaritätsbruches durch das Dublin-System ist letztlich auch die Massenzustrom-Richtlinie. Ihr Grundproblem ist, dass sie nicht automatisch unter bestimmten, objektiven Kriterien ausgelöst wird. So bleibt sie ein Ausdruck des politischen Unwillens der Mitgliedstaaten, eine gerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten in der europäischen Asylpolitik herzustellen – auch im Falle eines Massenzustroms, wenn

689

So auch Maiani (2016): S. 11, der die Solidaritätsmechanismen im GEAS als ungenügend bewertet.

148

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

sie am dringendsten nötig ist. Die Tatsache, dass sie noch nie aktiviert bzw. reformiert wurde, unterstreicht diese Einschätzung. Das Scheitern der Maßnahme ist auch dadurch zu erklären, dass sie einen Solidaritätsmechanismus hervorbringen soll, dabei aber gegen das Konzept der Solidarität verstößt: Da durch die Richtlinie keine durchgehende und gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten hergestellt werden kann, ist sie zur Einhaltung des Solidaritätsprinzips unzureichend. Nur wenn sie die Unwuchten der Dublin-Allokation zu jedem Zeitpunkt aufheben würde, würde sie die notwendige Bedingung des Solidaritätsprinzips erfüllen. Dafür ist sie aber nicht konzipiert worden. Ihr Ziel ist ja explizit die Sondersituation eines „Massenzustroms“. In diesem würde den betreffenden Personen darüber hinaus auch noch ein Schutzstatus unterhalb jenem garantiert werden, der normalerweise im europäischen Flüchtlingsschutzregime garantiert wird. Dies unterstreicht noch einmal, dass die Einhaltung des Solidaritätsprinzips politisch nicht gewollt war und daher in diesem Rechtsakt auch nicht entsprechend umgesetzt werden konnte. Zu erklären ist dieser Stand der Dinge im GEAS auch durch die Machtverhältnisse im Institutionengefüge der Europäischen Union. Die Position des Europäischen Parlaments ist, dass das Dublin-System „den Mitgliedstaaten keine Möglichkeit gibt, die Zuständigkeiten auf gerechte Weise unter den Mitgliedstaaten aufzuteilen“690. Das Zuständigkeitssystem von Dublin schwäche das gesamte GEAS.691 Auch die Kommission äußert, dass die Mängel des GEAS auf die Mängel des Dublin-Systems zurückzuführen sind und unabhängig von Krisen kontinuierlich zutage treten.692 Der Europäische Rat hat sich allerdings, trotz der Kenntnisnahme der durch die geografische Lage verursachten unverhältnismäßigen Verantwortlichkeiten, nie zu einer Abkehr vom Verursacherprinzip durchringen können und einer Umverteilung von schutzbedürftigen Personen zwischen Mitgliedstaaten nur auf freiwilliger Basis zugestimmt. 693 Der Rat macht deutlich, dass die Mitgliedstaaten zuerst ihre Pflichten aus dem Dublin-System erfüllen sollen, um gegenseitiges Vertrauen zu erlangen.694 Damit solle der Erhalt von Solidaritätsmaßnahmen sichergestellt werden.695 690 691 692 693 694 695

Europäisches Parlament (2012): S. 11. Vgl. Ebd., S. 17. Vgl. Europäische Kommission (2016a): S. 4. Vgl. Rat der Europäischen Union [Europäischer Rat] (2008): S. 12. Vgl. Rat der Europäischen Union (2012a): S. 3. Vgl. Ebd., S. 4.

3.5. Zusammenfassung und Bewertung

149

Hier wird evident, dass die intergouvernementalen Institutionen nicht bereit sind, sich vom Verursacherprinzip zu verabschieden. Die supranationalen Institutionen weisen dagegen auf den Bruch des Solidaritätsprinzips und die kumulativen und inkrementellen Verletzungen desselben hin. Nimmt man die Ergebnisse des Integrationsprozesses der Zuständigkeitsallokation hinzu, so wird deutlich, dass sich die Nationalstaaten mit ihrer Positionierung durchgesetzt haben. Diese machtpolitische Konstellation ergibt sich daraus, dass der Rat eher in der Lage ist, seine Position gegenüber dem EP als die legitimere zu framen und zur Blockade bereit ist, wenn seine Kernforderungen nicht eingehalten werden.696 Das EP hat nach seiner neu gewonnenen, mit dem Rat gleichberechtigten, Rolle dagegen eher ein konsensuales Verhalten entwickelt, aus einem Gefühl für die geteilte Verantwortung für die politischen Erzeugnisse heraus.697 Dabei zeigt sich ein großer Unterscheid zwischen der geäußerten Einstellung des EP und seinem tatsächlichen Abstimmungsverhalten, das weder zu mehr Schutzorientierung noch zu gerechterer Verantwortlichkeitsteilung geführt hat.698 Das EP legt dabei ein pragmatischeres Verhalten als der Rat an den Tag, für das es seine Positionen weitgehend aufgeben muss und dementsprechend keine Veränderungen am Kern der Asylpolitik vornehmen kann.699 Die stärkere machtpolitische Position des Rates gegenüber dem Parlament liegt wohl darin begründet, dass er einheitlicher positioniert ist und legitimatorisch weniger zu verlieren hat. Das EP sieht seine Rolle offenbar nicht in einer Oppositionshaltung gegenüber dem Rat, sondern eher von dem Willen getrieben, gemeinsam Entscheidungen herbeizuführen. Möglicherweise akzeptiert das EP auch in gewisser Hinsicht die Führungsrolle des Rates in diesem Politikbereich, in dessen Genese und Charakteristik das Primat der mitgliedstaatlichen Interessen immer deutlich hervorgetreten ist. Die erst in jüngster Vergangenheit gewonnene und damit noch nicht ausgereifte Gleichberechtigung des EP mag dabei auch eine Rolle spielen, ebenso wie seine Zusammensetzung mit konservativen Mehrheiten. Nicht

696

697

698 699

Vgl. Ripoll Servent, Ariadna/Trauner, Florian (2014): Do supranational EU institutions make a difference? EU asylum law before and after “communitarization”, in: Journal of European Public Policy, Jg. 21 (8), S. 1142-1162, S. 1151. Vgl. Ripoll Servent, Ariadna/Trauner, Florian (2016): The Communitarization of the Area of Freedom, Security and Justice: Why Institutional Change does not Translate into Policy Change, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 54 (6), S. 1417-1432, S. 1429. Vgl. Mouzourakis (2014): S. 16f. Vgl. Ripoll Servent/Trauner (2014): S. 1152.

150

3 Solidarität in der europäischen Asylpolitik

zuletzt hat es auch nie ein konkretes Mandat des Europäischen Rates gegeben, das Verursacherprinzip zu ersetzen. Ein Ersetzen des Verursacherprinzips durch ein System der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten ist also bisher politisch nicht durchsetzbar gewesen. Gleichzeitig muss das Verursacherprinzip ersetzt werden, wenn die Geltung des Solidaritätsprinzips wiederhergestellt werden soll. Ein bisher nicht aufzulösendes Dilemma, das nicht nur das Erreichen der gemeinsam vereinbarten Ziele des GEAS verhindert, sondern die Europäische Union schon in heftige Krisen gestürzt hat. Im folgenden Kapitel wird mittels des Fallbeispiels der so genannten „Flüchtlingskrise“ ab 2015 untersucht werden, wie sich die Probleme des GEAS hinsichtlich des Solidaritätsprinzips unter Stress äußern. Daran anschließend wird in Oberkapitel 5 analysiert, ob das Solidaritätsprinzip in Rückgriff auf die erarbeitete Solidaritätskonzeption in der europäischen Asylpolitik Bestand hat und inwieweit die erzielten Erkenntnisse Auswirkungen auf die Europäische Integration haben.

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

In diesem Kapitel soll sichtbar gemacht werden, welche Folgen die im vorangegangenen Kapitel festgestellte Verletzung des Solidaritätsprinzips durch das Dublin-System und die daraus entstehenden strukturellen Mängel im GEAS für die asylpolitische Praxis haben. Dabei stellt sich das Fallbeispiel der so genannten „Flüchtlingskrise“ ab dem Jahr 2015 für eine Untersuchung als besonders passend heraus. Als eine der gravierendsten politischen Krisen in der Geschichte der Europäischen Union ist die Eignung der „Flüchtlingskrise“ als Analysegegenstand für die Forschungsfrage unbestreitbar. Das Solidaritätsprinzip rückte in der Hochzeit der Krise besonders stark in den Mittelpunkt. Die bestehenden asylpolitischen Maßnahmen, wie das Dublin-System, wurden auf ihre Wirksamkeit getestet. Neue Maßnahmen wie der Ratsbeschluss zur verbindlichen Umverteilung von Asylsuchenden auf alle Mitgliedstaaten hätten im Sinne des Solidaritätsprinzips ausgestaltet werden müssen und werden im Folgenden daraufhin geprüft. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem wurde vor allem in den Jahren 2015 und 2016 einem Härtetest unterworfen, dessen Folgen bis heute zu beobachten sind und die Union wahrscheinlich noch lange beschäftigen werden. Daher ist eine Untersuchung der „Flüchtlingskrise“ für die vorliegende Arbeit unverzichtbar. Die über die Medien ausgetragene öffentliche Debatte zu Ursachen, Verlauf und Auswirkungen der „Flüchtlingskrise“ wird gemeinhin emotional und selten faktenbasiert geführt. Daher soll in diesem Kapitel sehr präzise nachgezeichnet werden, wie die Ereignisse verliefen, welche Begründungen angeführt werden können, wie die Prozesse expliziert werden können, welche Antworten gefunden wurden und wie diese zu erklären sind. Dabei steht gemäß dem Forschungsinteresse dieser Arbeit das Vorgehen der EU und ihrer Mitgliedstaaten im Fokus, gekoppelt an den Aspekt des Solidaritätsprinzips.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Saracino, Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4_4

152

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt zu Beginn des Arabischen Frühlings Was in der Debatte gemeinhin als europäische „Flüchtlingskrise“ 700 bezeichnet wird, wird grundsätzlich mit den Ereignissen ab dem Spätsommer 2015 in Verbindung gebracht, als die Bilder von Flüchtlingstrecks in Richtung EU und an den Grenzübergängen der Mitgliedstaaten medial omnipräsent waren. Die „Willkommenskultur“ Deutschlands und der Ausspruch der deutschen Bundeskanzlerin Merkel – „Wir schaffen das“ – sind in diesem Zusammenhang ins kollektive Gedächtnis gerückt. Streng genommen begann diese spezifische politische Krise aber schon im April des gleichen Jahres. Der Vorlauf lässt sich sogar bis zu den Geschehnissen des Arabischen Frühlings zurückverfolgen. Die Untersuchung beginnt mit einer Episode nach Ausbruch des Arabischen Frühlings im Jahr 2011, in der die Reaktion der EU bei einer plötzlich aufkommenden, unerwarteten Migrationsbewegung von Drittstaatsangehörigen in ihr Gebiet in einem sehr viel kleineren Ausmaß als 2015/2016 auf die Probe gestellt 700

Diese Begriffsbildung ist umstritten. In der medialen Debatte im deutschsprachigen Raum hat sie sich zwar durchgesetzt, in der Forschungsdebatte werden allerdings verschiedene Begrifflichkeiten genutzt, von denen „Flüchtlingskrise“ nur eine unter vielen ist. Im englischsprachigen Sprachraum wird häufig neben „refugee crisis“ „migration crisis“ oder „migrant crisis“ benutzt. Vincent Chetail bezweifelt sogar, dass es sich überhaupt um eine „Krise“ handelt, aber wenn dem so sei, sei es eine „refugee crisis“ und keine „migration crisis“: Vgl. Chetail, Vincent (2016b): Looking Beyond the Rhetoric of the Refugee Crisis: The Failed Reform of the Common European Asylum System, in: European Journal of Human Rights, Jg. 4 (5), S. 584-602, S. 584. Andere plädieren für „Krise der Europäischen Union“: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 33; wieder andere für eine „Krise des GEAS“: Niemann, Arne/Zaun, Natascha (2018): EU Refugee Policies and Politics in Times of Crisis: Theoretical and Empirical Perspectives, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 3-22, S. 3; weitere für „Krise der Flüchtlingspolitik“: den Heijer, Maarten/Rijpma, Jorrit/Spijkerboer, Thomas (2016): Coercion, Prohibition, and Great Expectations: The Continuing Failure of the Common European Asylum System, in: Common Market Law Review, Jg. 53 (3), S. 607-641, S. 641. Weitere Autoren nennen den Gegenstand eine „Governance crisis“: Tsourdi (2017): S. 668; oder gar „European refugee humanitarian crisis“: Carrera, Sergio/Lannoo, Karel (2018): We’re in this boat together. Time for a Migration Union, Policy Insights Nr. 2018/09, Centre for European Policy Studies, Brüssel, S. 2. Radikalere Ansätze sprechen dem Begriff seine Berechtigung vollständig ab und nennen das Ganze eine „historische und strukturelle Niederlage des europäischen Grenzregimes.“: Hess, Sabine et al. (2017): Der lange Sommer der Migration. Krise, Rekonstitution und ungewisse Zukunft des Europäischen Grenzregimes, in: Dies. et al. (Hg.): Der lange Sommer der Migration. Grenzregime III, 2. Auflage, Berlin/Hamburg, S. 6-24, S. 6. In dieser Arbeit wird zugunsten des Wiedererkennungswertes der Begriff „Flüchtlingskrise“ verwendet, allerdings durchwegs in Anführungszeichen, um auf seine umstrittenen und fehlleitenden Konnotationen hinzuweisen, auf die in Kapitel 4.4. näher eingegangen wird.

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

153

wurde. Die Antwort der EU, insbesondere ihrer Mitgliedstaaten Italien und Frankreich, hat eine große Aussagekraft für das, was vier Jahre später passieren sollte. Sie eignet sich gut als Untersuchung einer Art Generalprobe für die „Flüchtlingskrise“, in der die grundlegenden Probleme, Prozesse und Akteursinteressen in Erscheinung traten. Zudem ist die Destabilisierung der Umbruchstaaten als einer der Hauptmotoren für die Fluchtbewegungen in Richtung Europa zu sehen, die die EU in der Folge vor eine der größten Herausforderungen ihrer Geschichte stellten. 4.1.1. Der Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien Am 17. Dezember 2010 entzündete sich der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in der tunesischen Kleinstadt Sidi Bouzid nach einer Konfrontation mit der örtlichen Polizei selbst.701 Die landesweiten Proteste, die diese Tat auslöste, führten wenige Wochen später zur Flucht des autokratischen Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali.702 Das Aufbegehren der Bevölkerung gegen ihr autokratisches Regime breitete sich hernach über die Regionen Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens aus und wurde zu dem, was heute „Arabischer Frühling“ bzw. „Arabellion“ genannt wird. Die Selbstverbrennung Bouazizis war der symbolische Akt gegen Unterdrückung, für Menschenrechte sowie Freiheits- und Demokratiestreben, für den einige seiner Epigonen und er (posthum) den Sacharow-Preis erhielten.703 4.1.2. Der internationale Militäreinsatz im libyschen Bürgerkrieg Nahezu gleichzeitig sprangen die Proteste auch auf Libyen über. Im Januar 2011 rief der Schriftsteller Jamal al-Hajji zu friedlichen Demonstrationen gegen die Regierung unter Machthaber Muammar al-Gaddafi auf, woraufhin er festgenommen wurde.704 Daraufhin kursierte in den sozialen Medien die Ankündigung eines 701

702

703

704

Vgl. Fahim, Kareem (2011): Slap to a Man’s Pride Set Off Tumult in Tunisia, The New York Times, 21.01.2011, https://www.nytimes.com/2011/01/22/world/africa/22sidi.html?_r=2& pagewanted=2&src=twrhp, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. Wieland, Leo (2011): Ben Ali: Der Tyrann und der Gemüsehändler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.01.2011, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ben-ali-der-tyrannund-der-gemuesehaendler-1576726.html, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. Europäisches Parlament (2011): Aktivisten des Arabischen Frühlings gewinnen den Sacharow-Preis 2011, Pressemitteilung 20111027IPR30442, 27.10.2011, Brüssel. Vgl. Shuaib, Ali (2011): Libyan held on traffic charge after protest call, Reuters, 09.02.2011, https://www.reuters.com/article/libya-rights-arrest-idAFLDE71818920110209, abgerufen am 14.11.2018.

154

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

„Tags des Zorns“ für den 17. Februar.705 Aus diesem Anlass traf sich Gaddafi mit Aktivisten, Journalisten und Medienvertretern und warnte sie unmissverständlich vor einer Teilnahme an Protesten vor dem Hintergrund der Ereignisse in Tunesien (und Ägypten).706 Die ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Regierung begannen am 15. Februar in Bengasi und ergriffen in wenigen Tagen das gesamte Land und forderten schnell Tote.707 In den Wochen danach entfesselte sich ein Bürgerkrieg, in den die internationale Gemeinschaft eingriff: Erst einigte sich der UN-Sicherheitsrat am 26. Februar 2011 auf Sanktionen gegen das Gaddafi-Regime, das unter anderem ein Waffenembargo einschloss.708 Am 17. März verhängte der Sicherheitsrat (bei einer Enthaltung Deutschlands) 709 eine Flugverbotszone über Libyen, die auch einen Militäreinsatz gegen das Regime möglich machte.710 Bereits zwei Tage später begann eine internationale Koalition, angeführt von Frankreich, den USA und Großbritannien, mit Bombardierungen 705

706

707

708

709

710

Vgl. Wikstrom, Cajsa (2011): Calls for weekend protests in Syria, Al Jazeera, 04.02.2011, https://www.aljazeera.com/news/middleeast/2011/02/201122171649677912.html, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. Mahmoud, Khaled (2011): Gaddafi ready for Libya's „Day of Rage“, Asharq al-Awsat, 09.02.2011, https://www.webcitation.org/5wP31PQo1?url=http://aawsat.com/english/news .asp?section=1&id=24095, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. BBC News (o. V.) (2011): Libya protests: Second city Benghazi hit by violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-12477275, abgerufen am 14.11.2018; Shadid, Anthony (2011): Clashes in Libya Worsen as Army Crushes Dissent, The New York Times, 18.02.2011, https://www.nytimes.com/2011/02/19/world/africa/19libya.html, abgerufen am 14.11.2018; Black, Ian (2011): Libya's day of rage met by bullets and loyalists, The Guardian, 17.02.2011, https://www.theguardian.com/world/2011/feb/17/libya-day-of-rage-unrest, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. Tagesschau.de (o. V.) (2011a): Internationale Gemeinschaft reagiert auf Libyen-Krise: UN-Sicherheitsrat beschließt Sanktionen, 27.02.2011, https://www.tagesschau.de/ausland/gaddafi242.html, abgerufen am 14.11.2018. Diese Enthaltung sorgte für kontroverse öffentliche Diskussionen: Vgl. Weiland, Severin/Wittrock, Philipp (2011): Libyen-Enthaltung in der Uno: Wie es zu dem deutschen Jein kam, Spiegel Online, 23.03.2011, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/libyen-enthaltung-in-der-uno-wie-es-zu-dem-deutschen-jein-kam-a-752676.html, abgerufen am 15.11.2018. Der Emeritus der Universität Bonn, Christian Hacke, nannte den damaligen Außenminister Guido Westerwelle aufgrund der Entscheidung gar den „borniertesten Außenminister seit von Ribbentrop“: Vgl. Spiegel Online (o. V.) (2011): Kritik an Westerwelle: „Borniertester Außenminister seit von Ribbentrop“, 22.04.2018, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kritik-an-westerwelle-borniertester-aussenminister-seit-von-ribbentrop-a758504.html, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2011): Sicherheitsrat: UN verhängen Flugverbotszone über Libyen, 18.03.2011, https://www.zeit.de/politik/ausland/2011-03/libyen-uno-flugverbotszone, abgerufen am 14.11.2018.

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

155

von militärischen Zielen des Gaddafi-Regimes.711 Am 31. März übernahm die NATO die alleinige Kontrolle über den Einsatz. 712 Nach der Vermeldung des Todes Gaddafis am 20. Oktober 2011 wurde auch das Ende des NATO-Einsatzes verkündet.713 Bis zum offiziellen Ende der Mission „Unified Protector“ am 31.10.2011 hatte die internationale Koalition 26.500 Einsätze zu verzeichnen, davon 9.700 Luftangriffe.714 Während der Militäreinsatz in Libyen in Bezug auf die Beseitigung des Diktators als Erfolg gewertet werden kann, so ist die Bewertung der Auswirkungen auf die Bevölkerung umstritten. Es liegt in der Natur eines Bürgerkrieges, dass die Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kämpfern oft fließend verläuft bzw. nur sehr schwer zu vollziehen ist. Zum Ende der Militäroperation schwankten die Angaben zu Opfern zwischen 2.000 und 30.000, wobei die überwiegende Mehrheit der Opfer auf die Kämpfe am Boden zwischen Aufständischen und Regierungstreuen zurückgeführt werden muss.715 Die Zahl direkt durch den NATO-Einsatz getöteter Zivilisten wurde zunächst auf mindestens 40 taxiert, 716 später sogar auf mindestens 72.717 Die NATO selbst wies darauf hin, dass bei einem solchen

711

712

713

714

715

716

717

Vgl. Casdorff, Stephan-Andreas et al. (2011): Libyen: Frankreich setzt Luftangriffe fort, Tagesspiegel, 19.03.2011, https://www.tagesspiegel.de/politik/libyen-frankreich-setzt-luftangriffe-fort/3968972.html, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. North Atlantic Treaty Organization (2011): Press briefing by NATO Spokesperson Oana Lungescu, joined by NATO Military Committee Chairman Admiral Giampaolo Di Paola and Commander of Operation Unified Protector, Lieutenant General Charles Bouchard (Opening remarks), North Atlantic Treaty Organization, 31.03. 2011, https://www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_71897.htm, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. Tagesschau.de (o. V.) (2011b): Libyen an historischem Wendepunkt: Gaddafi ist tot, Libyen feiert die Freiheit, 20.10.2011, https://www.tagesschau.de/ausland/gaddafi416.html, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. North Atlantic Treaty Organization (2011): Operation Unified Protector: Final Mission Stats, Fact Sheet, 02. November 2011, https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2011_11/20111108_111107-factsheet_up_factsfigures_en.pdf, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. BBC News (o. V.) (2011): Counting the cost of Nato's mission in Libya, 31.10.2011, https://www.bbc.com/news/world-africa-15528984, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. Chivers, C.J./Schmitt, Eric (2011): In Strikes on Libya by NATO, an Unspoken Civilian Toll, The New York Times, 17.12.2011, https://www.nytimes.com/2011/12/18/world/africa/scores-of-unintended-casualties-in-nato-war-in-libya.html, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. Human Rights Watch (2012): Unacknowledged Deaths. Civilian Casualties in NATO’s Air Campaign in Libya, 13.05.2012, https://www.hrw.org/report/2012/05/13/unacknowledged-deaths/civilian-casualties-natos-air-campaign-libya, abgerufen am 18.11.2018.

156

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Einsatz das Risiko niemals null sein könne und dass die Präzision der Luftschläge beispiellos gewesen sei.718 Ob der Zivilbevölkerung durch die Militärintervention geholfen wurde, ist letztlich kaum bewertbar. Befürworter verweisen auf die Brutalität des GaddafiRegimes, dessen militärische Übermacht den Regierungsgegnern bei Ausbleiben des NATO-Einsatzes erhebliche Schäden hätte zufügen können.719 Andererseits ist auch eine Argumentation stichhaltig, die auf den hohen Blutzoll verweist, der durch die aufständischen und später siegreichen Kämpfer gezahlt werden musste, und der im Nachgang eine Opferzahl in der Nähe von 30.000 sehr wahrscheinlich macht.720 Ohne das Eingreifen der NATO wären der Siegeszug der Rebellen und die damit einhergehenden Rache- und Säuberungsaktionen nicht möglich gewesen. Mit in die Bewertung einzubeziehen ist noch die ständige Gefahr, die nicht nur von den Kämpfen auf dem Boden, sondern auch von den Luftschlägen ausgeht. Egal wie man letztlich die Operation „Unified Protector“ beurteilt, so ist durch den Eingriff eine Mitverantwortung der Ausführenden für den legitimen Wunsch der Bevölkerung zur Flucht aus den umkämpften und aus der Luft bombardierten Gebieten nicht von der Hand zu weisen. Die Europäische Union begrüßte von Anfang an das Demokratiestreben der Bevölkerungen in den Umbruchstaaten und sagte ihnen ihre uneingeschränkte Unterstützung zu.721 Der Europäische Rat stützte ausdrücklich auch die Resolutionen

718

719

720

721

Vgl. BBC News (o. V.) (2012): Nato hits back at Libya's civilian deaths report, 14.05.2012, https://www.bbc.com/news/world-africa-18062012, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. Bittner, Jochen/Böhm, Andrea (2011): Dieser Krieg war gerecht. Eine Bilanz der Intervention in Libyen, Zeit Online, 27.10.2011, https://www.zeit.de/2011/44/Libyen-Intervention/komplettansicht, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. Milne, Seumas (2011): If the Libyan war was about saving lives, it was a catastrophic failure, The Guardian, 26.10.2011, https://www.theguardian.com/commentisfree/2011/oct/26/libya-war-saving-lives-catastrophic-failure, abgerufen am 15.11.2018; Mutz, Reinhard (2011): Debatte Libyenkrieg: Der Nato-Einsatz bleibt falsch, taz.de, 25.10.2018, http://www.taz.de/!5109171/, abgerufen am 15.11.2018. Vgl. Europäischer Rat (2011a): Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates am 4. Februar 2011, EUCO 2/1/11, REV 1, CO EUR 2, CONCL 1, 08.03.2011, S. 14; Europäische Kommission/Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik (2011): Gemeinsame Mitteilung an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand, KOM(2011) 200 endgültig, 08.03.2011, Brüssel, S. 2.

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

157

des UN-Sicherheitsrates zu Libyen.722 Damit lud die EU im doppelten Sinne Verantwortung für die dortigen Bevölkerungen auf sich: auf diplomatische und militärische Weise. In welcher Art die Europäische Union dieser Verantwortung nachkam, wurde relativ rasch auf die Probe gestellt, als sich vermehrt Menschen auf den Weg über das Mittelmeer machten, um im vermeintlich sicheren Hafen Europa einen Ausweg aus den Krisengebieten zu finden. 4.1.3. Der italienisch-französische Konflikt als Ergebnis der Migrationsbewegungen über das Mittelmeer Zwischen dem 9. und 12. Februar 2011 kamen ca. 3.000 Migranten auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa an.723 Daraufhin sah sich der damalige italienische Innenminister Roberto Maroni von der rechtspopulistischen Lega Nord dazu veranlasst, die Angst vor einem „Exodus biblischen Ausmaßes“ zu schüren.724 Schon am 20. Februar startete auf Antrag Italiens die Frontex-Operation „Hermes“, die „illegitime“ Grenzüberschreitungen auf die Pelagischen Inseln, Sizilien und das italienische Festland verhindern sollte.725 Die damals zuständige Kommissarin Cecilia Malmström rief zur Unterstützung der italienischen Behörden bei der Bewältigung der von ihr als „außerordentlich“ beschriebenen Migrationsbewegungen aus Nordafrika auf, was ein deutliches Zeichen der Solidarität unter den Mitgliedstaaten der EU darstelle.726

722

723

724

725 726

Vgl. Europäischer Rat (2011b): Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011, EUCO 10/1/11, REV 1, CO EUR 6, CONCL 3, 20.04.2011, Brüssel, S. 7. Schon im Januar waren die Ankünfte auf der Mittelmeerinsel leicht angestiegen. Vgl. Monzini, Paola (2011): Recent Arrivals of Migrants and Asylum Seekers by Sea to Italy: Problems and Reactions, ARI 75/2011, Real Instituto Elcano, Madrid, S. 2. Vgl. Ziniti, Allessandra (2011): Maroni: esodo biblico, Ue assente. La Tunisia invia le truppe sulle coste, La Repubblica, 14.02.2011, https://palermo.repubblica.it/cronaca/ 2011/02/14/news/sbarchi_maroni_esodo_biblico-12432273/, abgerufen am 16.11.2018. Dieses Narrativ wird im rechten Spektrum häufig verwendet, um Angst vor Einwanderung aus Afrika zu schüren. Zur Substanzlosigkeit der Warnung vor einem solchen „Exodus“ vgl. de Haas, Hein (2008): The Myth of Invasion: the inconvenient realities of African migration to Europe, in: Third World Quarterly, Jg. 29 (7), S. 1305-1322, S. 1317. Vgl. Frontex (2011): Hermes 2011 running, Pressemitteilung, 21.02.2011, Warschau. Vgl. Europäische Kommission (2011b): Statement by Commissioner Malmström announcing the launch of the Frontex operation „Hermes“ in Italy as of 20 February 2011, Memo 11/98, 20. Februar 2011, Brüssel.

158

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Der Europäische Rat unterstrich in einer Sondersitzung die Notwendigkeit der Unterstützung der von den Migrationsbewegungen besonders betroffenen Mitgliedstaaten durch Frontex und forderte gleich auch einen Ausbau der Kapazitäten der Agentur.727 Gleichzeitig kündigte er auch Beratungen mit den betroffenen Umbruchstaaten zur Verbesserung des Grenzschutzes und von Grenzkontrollen an sowie die Erleichterung der Rückkehr der Migranten.728 Aufgrund der Lage in den nordafrikanischen Umbruchstaaten gingen die Migrationsbewegungen in Richtung Europa allerdings nicht zurück. Bis zum 6. April hatten ca. 25.000 Menschen, die zum Großteil tunesischer Herkunft waren, Italien erreicht.729 Ministerpräsident Silvio Berlusconi warnte vor einem „menschlichen Tsunami“ und verkündete, dass die Lösung dieses Einwanderungsaufkommens nur die sofortige Rückkehr der Immigranten in ihre Heimatländer sein könne.730 Daraufhin schloss die italienische Regierung mit Tunesien ein Repatriierungsabkommen, worin sich Tunis verpflichtete, gegen eine Zahlung von 200 Mio. Euro seine Anstrengungen zur Verhinderung weiterer Ausreisen zu erhöhen und zurückreisende beziehungsweise zurückgeschickte Migranten wieder aufzunehmen.731 Italien prüfte gleichzeitig die Möglichkeit einer Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie auf europäischer Ebene. Dort standen die Zeichen jedoch auf Ablehnung, weswegen von einem formellen Antrag abgesehen wurde. 732 Am 5. April entschied sich die italienische Regierung dann zu einem drastischen und folgenreichen Schritt: Sie erließ ein Dekret, das allen Personen, die vom 1. Januar bis 5 April aus Nordafrika eingewandert waren, Aufenthaltsgenehmigungen aus „humanitären Gründen“ zusicherte, welche auch die Freizügigkeit im Schengen-

727

728 729 730

731

732

Vgl. Europäischer Rat (2011c): Erklärung der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011, EUCO 7/1/11, REV 1, CO EUR 5, CONCL 2, 20.04.2011, Brüssel, S. 4. Vgl. Ebd. Vgl. Monzini (2011): S. 2. Vgl. La Repubblica (o. V.) (2011): No delle Regioni alle tendopoli: Berlusconi: „Soluzione è il rimpatrio“, 01.04.2011, https://www.repubblica.it/cronaca/2011/04/01/news/non_c_accordo_tra_governo_e_regioni-14372543/, abgerufen am 16.11.2018. Vgl. La Repubblica (o. V.) (2011): Maroni firma l'accordo a Tunisi: „Sono previsti anche i rimpatri“, 05.04.2011, https://www.repubblica.it/cronaca/2011/04/05/news/maroni_a_tunisi14512895/, abgerufen am 16.11.2018. Vgl. Beirens et al. (2016): S. 126.

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

159

Raum gewährten.733 Schon am nächsten Tag reagierte die französische Regierung mit einer Anweisung an ihre Behörden, dass diese Genehmigungen ohne die vorherige Kenntnisnahme der Kommission ungültig seien, und verwies auf die Einhaltung des Schengener Grenzkodex in Bezug auf die Notwendigkeit ausreichender finanzieller Mittel bei der Einreise.734 Die französische Regierung setzte an der Grenze zu Italien Personenkontrollen ein und verweigerte einigen hundert mit den Aufenthaltsgenehmigungen ausgestatteten tunesischen Migranten die Einreise.735 Die französische Regierung erkannte die Legalität der Genehmigungen nicht an, während die italienische Regierung das französische Vorgehen als illegitimen Verstoß gegen europäische Regeln und Prinzipien verurteilte.736 Andere Mitgliedstaaten wie Belgien, die Niederlande, Österreich, Deutschland oder Finnland kritisierten das Vorgehen Italiens und drohten ihrerseits teilweise mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen.737 Der italienisch-französische Konflikt drohte sich zu einer europäischen Krise auszuweiten. 4.1.4. Die Lösung des Konfliktes: Das „Schengen Governance Package“ Um den diplomatischen Streit zu entschärfen, trafen sich der französische Präsident Nicolas Sarkozy und der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi am

733

734

735

736

737

Vgl. Presidenza del Consiglio dei Ministeri (2011): Misure di protezione temporanea per i cittadini stranieri affluiti dai Paesi nordafricani, 05.04.2011, http://www.protezionecivile.gov.it/jcms/en/view_prov.wp?facetNode_1=f1_1&request_locale=en&prevPage=provvedimenti&facetNode_3=f4_4_3&facetNode_2=emergenza_nord_africa&toptab=2&catcode=f4_4_3&contentId=LEG24087#top-content, abgerufen am 16.11.2018. Vgl. di Pascale, Alessia/Nascimbene, Bruno (2011): The „Arab Spring“ and the Extraordinary Influx of People who arrived in Italy from North Africa, in: European Journal and Law, Jg. 13 (4), S. 341-360, S. 353. Vgl. Euronews (o. V.) (2011): France: France angers Italy after blocking migrants at border, 17.04.2018, https://www.euronews.com/2011/04/17/france-angers-italy-after-blocking-migrants-at-border, abgerufen am 16.11.2018. Vgl. Pop, Valentina (2011): Franco-Italian row over Tunisian migrants escalates, EU Observer, 18.04.2018, https://euobserver.com/news/32199, abgerufen am 16.11.2018. Vgl. Carrera, Sergio et al. (2011): A Race against Solidarity. The Schengen Regime and the Franco-Italian Affair, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe, Center for European Policy Studies, Brüssel, S. 6.

160

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

26. April 2011 und einigten sich auf einen Vorschlag zur Veränderung des Schengener Grenzkodex.738 In einem gemeinsamen Brief an den Kommissionspräsidenten und den Präsidenten des Europäischen Rates schlugen sie vor, dass Grenzkontrollen von den Mitgliedstaaten leichter wiedereingeführt werden können sollten.739 Den Vorschlag begrüßte beispielsweise der deutsche Innenminister, die Kommission wies ihn in einer ersten Reaktion aber zurück.740 In seiner Antwort auf den Brief schloss Kommissionspräsident José Manuel Barroso eine Veränderung der Schengen-Regeln jedoch nicht aus – im Gegenteil – er kündigte eine Prüfung der Forderung und neue Maßnahmen an.741 Die Kommission bestätigte in der „Mitteilung zur Migration“ am 4. Mai Pläne zu neuen Möglichkeiten, Binnengrenzkontrollen einführen zu können, jedoch mit eigener Letztentscheidungskompetenz.742 Dieses Vorhaben bestätigte sie mit ihrem zweigeteilten Vorschlag zur Reform des Schengen-Systems: ein Evaluierungsund Überwachsungsmechanismus zur Einhaltung des Schengen-Acquis sowie überarbeitete Auflagen zur temporären Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen – das so genannte „Schengen Governance Package“ (SGP).743 Hierin war die Absicht der Kommission zu erkennen, sich mehr Macht und Befugnisse übertragen zu lassen, indem ohne ihre Erlaubnis keine Wiedereinführung von Grenzkontrollen mehr möglich gewesen wäre und die Evaluation der Mitgliedstaaten bei durchgeführten Grenzkontrollen unter ihrer Federführung stattgefunden hätte. 738

739

740

741

742

743

Vgl. Euractiv (o. V.) (2011): Sarkozy und Berlusconi fordern Schengen-Reform, 26.04.2011, https://www.euractiv.de/section/soziales-europa/news/sarkozy-und-berlusconi-fordernschengen-reform/, abgerufen am 16.11.2018. Der Brief ist (nur) auf Italienisch und Französisch verfügbar: Vgl. Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale: Vertice Italia-Francia: Berlusconi, „forte convergenza“, 26.04.2011, https://www.esteri.it/mae/it/sala_stampa/archivionotizie/approfondimenti/2011/04/20110426_italiafrancia.html, abgerufen am 16.11.2018. Vgl. Kreiner, Paul (2011): Flüchtlinge: Italien und Frankreich wollen Schengen-Vertrag reformieren, Tagesspiegel, 26.04.2011, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-italien-und-frankreich-wollen-schengen-vertrag-reformieren/4100472.html, abgerufen am 16.11.2018. Vgl. Europäische Kommission (2011c): Response to the joint letter from Mr Berlusconi and Mr Sarkozy, 29.04.2011, http://ec.europa.eu/archives/commission_2010-2014/president/news/ letters/2011/05/20110502_letters_1_en.htm, abgerufen am 17.11.2018. Vgl. Europäische Kommission (2011d): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Mitteilung zur Migration, KOM(2011) 248 endgültig, 04.05.2011, Brüssel, S. 8f. Vgl. Europäische Kommission (2011e): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Wahrung des Schengen-Systems - Stärkung des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen, KOM(2011) 561 endgültig, 16.09.2011, Brüssel.

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

161

Dieser Machtverschiebung im Schengen-System erteilten die Mitgliedstaaten schon vor der offiziellen Veröffentlichung eine deutliche Absage. 744 In der Folge brach ein Machtkampf um die Frage des SGP zwischen Kommission, Rat und Europäischem Parlament aus.745 Die Mitgliedstaaten übten massiven Druck auf die anderen Institutionen aus. Bereits im Mai hatte Dänemark wieder Grenzkontrollen eingeführt.746 Zum Jahreswechsel 2011/2012 kündigten die Niederlande neue Grenzüberwachungsinstrumente an.747 In beiden Fällen eröffnete die Kommission Untersuchungen zur Rechtmäßigkeit der Maßnahmen. Als die Grenzüberquerungen von der Türkei nach Griechenland Anfang des Jahres 2012 zunahmen, drohten auch Deutschland, Frankreich, Österreich, Belgien und Schweden mit der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen.748 Im französischen Wahlkampf verstieg sich Präsident Sarkozy gar zu der Drohung, den Schengen-Raum zu verlassen, wenn die Außengrenzen nicht besser kontrolliert würden.749 Im Zuge des Machtkampfes beschloss der Rat, das Europäische Parlament durch eine Änderung der Rechtsbasis (von Art. 77 AEUV zu Art. 70 AEUV) aus dem Gesetzgebungsverfahren des Evaluierungs-Teils des SGP auszuschließen.750 Es hätte in dieser Sache fortan nur noch angehört werden können. Aus diesem

744

745

746

747

748

749

750

Vgl. Rettmann, Andrew (2011): EU countries say No to commission powers on border control, EU Observer, 13.09.2011, https://euobserver.com/justice/113606, abgerufen am 17.11.2018. Für eine ausführliche Darstellung vgl. Saracino, Daniele (2014): Dimensionen europäischer Solidarität: Die Antwort der EU auf die Migrationsbewegungen über das Mittelmeer während des „Arabischen Frühlings“, in: Zeitschrift für Politik, Jg. 61 (1), S. 22-41. Vgl. Herrmann, Gunnar (2011): Rechtspopulisten gegen Schengener Abkommen: Dänemark führt die „permanente Grenzkontrolle“ wieder ein, Süddeutsche Zeitung, 12.05.2011, https://www.sueddeutsche.de/politik/rechtspopulisten-gegen-schengener-abkommen-daenemark-fuehrt-die-permanente-grenzkontrolle-wieder-ein-1.1096250, abgerufen am 17.11.2018. Vgl. Müller, Tobias (2012): EU-Grenzen: Niederländische Grenzkontrollen alarmieren Datenschützer, Zeit Online, 04.01.2012, https://www.zeit.de/politik/ausland/2012-01/kameragrenze-niederlande, abgerufen am 17.11.2018. Vgl. Carrera, Sergio (2012): An Assessment of the Commission’s 2011 Schengen Governance Package. Preventing abuse by EU member states of freedom of movement?, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe Nr. 47, Centre for European Policy Studies, Brüssel, S. 22. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2012): Wahl in Frankreich: Sarkozy droht mit Verlassen des Schengen-Raums, https://www.zeit.de/politik/ausland/2012-03/sarkozy-schengen-wahlkampf, abgerufen am 17.11.2018. Vgl. Rat der Europäischen Union (2012b): 3172. Tagung des Rates Justiz und Inneres, Pressemitteilung 10760/12, 08.06.2012, Brüssel, S. 9.

162

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Grund legte das EP vorläufig die Zusammenarbeit mit dem Rat in anderen Verfahren der Innen- und Justizpolitik auf Eis, bis die Frage des SGP geklärt sei. 751 Schließlich einigten sich beide Seiten im Verlauf des Jahres 2013 auf das SGP.752 Am 7. Oktober 2013 verabschiedete der Rat beide Teile. 753 Der neue Evaluierungsmechanismus ist seitdem gültig,754 die Neuerungen zu temporärer Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen wurden später in den überarbeiteten Schengener Grenzkodex übernommen.755 4.1.5. Einordnung der europäischen Antwort auf die Migrationsbewegungen über das Mittelmeer im Jahr 2011 Zur Kontextualisierung ist es wichtig, sich die Zahlen anzuschauen, angesichts derer sich diese aufgeheizte politische Auseinandersetzung in der EU aus dem italienisch-französischen Konflikt heraus entwickelte. Im gesamten Jahr 2011 waren in Italien 62.692 Menschen angelandet.756 Diese waren ca. zur Hälfte von Booten aus Tunesien und zur anderen Hälfte aus Libyen angekommen. Aus Tunesien kamen ab dem Rücknahmeabkommen zwischen Italien und Tunesien quasi keine Boote mehr an. Der sich ab der zweiten Märzhälfte intensivierende Bürgerkrieg in Libyen sorgte für die weiteren Anlandungen. Insgesamt flohen in Libyen aber ca. 751

752

753

754

755

756

Vgl. Carrera, Sergio/Hernanz, Nicholas/Parkin, Joanna (2013): Local and Regional Authorities and the EU’s External Borders. A Multi-Level Governance Assessment of Schengen Governance and „Smart Borders“, Centre for European Policy Studies, Brüssel, S. 8ff. Vgl. Rat der Europäischen Union (2013a): Council and the European Parliament reach a provisional agreement on the Schengen Governance legislative package, Pressemitteilung 10239/13, 30.03.2013, Brüssel. Vgl. Rat der Europäischen Union (2013b): Council adopts the Schengen Governance legislative package, Pressemitteilung 14441/13, 07.10.2013, Luxemburg. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 des Rates vom 7. Oktober 2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung des Beschlusses des Exekutivausschusses vom 16. September 1998 bezüglich der Errichtung des Ständigen Ausschusses Schengener Durchführungsübereinkommen, in: ABl. Nr. L 295, 06.11.2013, S. 27-37. Vgl. Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex). Die Version des SGP firmierte unter: Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen, in: ABl. Nr. L 77, 23.03.2016, S. 1-52. Vgl. Papavero, Giorgia (2015): Sbarchi, richiedenti asilo e presenze irregolari, Fondazione ISMU, Mailand, S. 6.

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

163

1,5 Mio. Menschen, davon knapp eine Million in die Nachbarstaaten.757 Das heißt, dass die Europäische Union nicht einmal 7% der Fluchtbewegungen über die Landesgrenzen hinweg bewältigen musste. Bei den Überfahrten starben im Jahr 2011 derweil über 1.500 Menschen.758 Die Doppelzüngigkeit des europäischen Vorgehens in Bezug auf den Arabischen Frühling – in dem Sinne, dass die Demokratisierung zwar willkommen ist, die Menschen aber nicht – zeigte sich exemplarisch an den Neuansiedlungsversprechen, die die Mitgliedstaaten machten. Im Mai sagten europäische Staaten auf einer „Pledging Conference“ insgesamt nur etwa 700 Plätze für Neuansiedlungen aus den Umbruchstaaten zu.759 Da davon ca. die Hälfte an Norwegen – einen Nicht-EU-Staat – ging, sprach die zuständige Kommissarin Malmström später davon, dass die EU die Geflüchteten im Stich gelassen habe.760 Italien versuchte auch weiterhin alles, um die Überfahrten zu stoppen. Nach der Einigung mit Tunis vereinbarte die Regierung mit dem Nationalen Übergangsrat der libyschen Rebellen am 17. Juni 2011 – während der Bürgerkrieg noch in vollem Gange war – eine Vereinbarung zum Kampf gegen die Migrationsbewegungen über das Mittelmeer und zur Rückübernahme von bereits angekommenen Migranten.761 Später wurde mit der neuen Regierung auch ein Memorandum of Understanding vereinbart, das Flüchtlingsboote stoppen und die Grenzschutzkapazitäten der Libyer stärken sollte, sowie den Bau eines Gefangenenlagers für irreguläre Migranten vorsah.762 757

758

759

760

761

762

Die restlichen ca. 550.000 Menschen waren Binnenvertriebene: Vgl. UNHCR (2012): UNHCR Global Report 2011, Libya, June 2012, http://www.refworld.org/docid/50c73 72512.html, abgerufen am 18.11.2018. Vgl. UNHCR (2012): Mediterranean takes record as most deadly stretch of water for refugees and migrants in 2011, Briefing Note, 31.01.2012, http://www.unhcr.org/news/briefing/2012/1/4f27e01f9/mediterranean-takes-record-deadly-stretch-water-refugees-migrants2011.html, abgerufen am 18.11.2018. Vgl. Europäische Kommission (2011f): Statement by Cecilia Malmström, EU Commissioner in charge of Home Affairs, on the results of the Ministerial Pledging Conference 12 May, Memo 11/295, 13.05.2011, Brüssel. Vgl. Malmström, Cecilia (2012): Refugees: How Europe failed, Times of Malta, 19.01.2012, https://www.timesofmalta.com/articles/view/20120119/opinion/Refugees-How-Europefailed.402977, abgerufen am 18.11.2018. Vgl. Reuters (o. V.) (2011): Italy signs migration accord with Libya rebels, 17.06.2011, https://www.reuters.com/article/italy-libya-idAFLDE75G1BH20110617, abgerufen am 18.11.2018. Vgl. Fandrich, Christine/Fargues, Philippe (2012): Migration after the Arab Spring, MPC Research Report 2012/09, Robert Schumann Centre for Advanced Studies, European University Institute, San Domenico di Fiesole, S. 6.

164

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Auf der europäischen Ebene sprach die Kommission angesichts der damaligen Migrationsbewegungen von einer „Krise“763 in der EU. Sie behauptete, dass „[e]inige Mitgliedstaaten wie Italien, Malta, Griechenland und Zypern […] dem massiven Zustrom [Herv. D.S.] von irregulären Migranten und in geringerem Maße auch von Menschen, die internationalen Schutz benötigen, […] ausgesetzt“764 seien. In Anbetracht der tatsächlichen Zahlen wirkt diese Einschätzung übertrieben. Sie zeigt aber auch, dass eine solch geringe Anzahl von Flüchtenden ausreicht, die EU in einen Krisenstatus zu bringen. Auch wenn die Krisen-Rhetorik in Bezug auf die EU in der Folge nicht mehr gewählt wurde, so liefert sie doch einen hilfreichen Kontext zum Verständnis der ab 2015 einsetzenden „Flüchtlingskrise“. Die Antworten, die die Europäische Union auf die plötzliche Fluchtbewegung gab, fielen dementsprechend abwehrend aus. Sowohl in einem Papier vom 24. Mai 2011765 als auch im neuen Gesamtansatz für Migration und Mobilität vom 18. November 2011766 galt der Hauptfokus der Bekämpfung der irregulären Einwanderung und dem Grenzschutz, wie es bereits in dem Papier vom 8. März 2011 der Fall war.767 Finanzhilfen wurden gewährt, um die humanitäre Lage zu verbessern und demokratische Strukturen aufzubauen. Die Übernahme von Geflüchteten wird in den Papieren hingegen nur als abstrakte Möglichkeit in Betracht gezogen, jedoch nicht konkret angeboten oder in Gang gesetzt. Die mangelnde Bereitschaft der Mitgliedstaaten dazu zeigte sich mehr als deutlich auf der „Pledging Conference“.

763 764 765

766

767

Europäische Kommission (2011d): S. 6. Ebd., S. 3. Vgl. Europäische Kommission (2011g): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Ein Dialog mit den Ländern des südlichen Mittelmeerraums über Migration, Mobilität und Sicherheit, KOM(2011) 292 endgültig, 24.05.2011, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission (2011h): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Gesamtansatz für Migration und Mobilität, KOM(2011) 743 endgültig, 18.11.2011, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission/Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik (2011).

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

165

4.1.6. Bewertung hinsichtlich der Solidarität in der europäischen Asylpolitik und der „Flüchtlingskrise“ In allen politischen Reaktionen auf die Migrationsbewegungen im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 zeigen die Ziele der EU eine klare Kontinuität: Verbesserte Rückführung durch Rückübernahme der ungewollten Migranten, Verhinderung der irregulären Migration durch einen Ausbau von Frontex und den Aufbau von Grenzschutzkapazitäten in den Umbruchstaaten. Dazu wurden auch Mobilitätspartnerschaften angeboten, die im Gegenzug zum Erreichen dieser Ziele legale Einwanderungswege offerierten.768 Die Erreichung der Ziele der EU in diesen Verträgen wird dabei stets konditional für das Gegenangebot von mehr Mobilität ausgestaltet, welches wiederum äußerst vage ausfällt.769 Vor dem Hintergrund der Priorisierung der EU-Interessen und der Konditionalität wirkt das Angebot von mehr Mobilität gegenüber den Umbruchstaaten nicht aufrichtig. In der Herangehensweise der EU waren keine Hinweise darauf zu erkennen, dass asylpolitische Solidaritätsmaßnahmen eingesetzt werden sollten, beispielsweise zur Unterstützung Italiens. Eher im Gegenteil: Ein politischer Konflikt zwischen Italien und Frankreich spitzte sich zu und die Nachwirkungen führten zu teils heftigen politischen Auseinandersetzungen, sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch zwischen den EU-Institutionen. Das Schengen-System geriet im Zuge dessen unter Druck. Dies alles wurde ausgelöst von ca. 25.000 Migranten, die innerhalb weniger Monate über das Mittelmeer in Europa ankamen. In dieser politischen Auseinandersetzung scheint es so, als hätten die Mitgliedstaaten die Gunst der Stunde nutzen wollen, das Schengen-System stärker unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei fehlte es weder an Regeln zur Bewertung der Situation, noch an deren Klarheit; eher bestand das Problem in der mangelhaften Anwendung durch die Mitgliedstaaten und die fehlende Durchsetzung durch

768

769

Dieses Instrument wird nach wie vor von der EU genutzt. Dazu muss man wissen, dass diese Mobilitätspartnerschaften zwar von der EU-Ebene ausgehandelt werden, jeder Mitgliedstaat aber selbst entscheiden kann, ob er ihnen beitritt. Vgl. Angenendt, Steffen (2011): Migration aus den Umbruchstaaten in die EU: Gesamtansatz Migration und Mobilitätspartnerschaften, in: Asseburg, Muriel (Hg.): Proteste, Aufstände und Regimewandel in der arabischen Welt. Akteure, Herausforderungen, Implikationen und Handlungsoptionen, SWP-Studie, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, S. 58-60. Vgl. Carrera, Sergio/den Hertog, Leonhard/Parkin, Joanna (2012): EU Migration Policy in the wake of the Arab Spring. What prospects for EU-Southern Mediterranean relation?, MEDPRO Technical Report Nr. 15, Mediterranean Prospects, Brüssel, S. 12.

166

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

die Kommission.770 Erst durch das Zugeständnis der Kommission, der gemeinsamen Forderung Italiens und Frankreichs nachzukommen, öffnete sie selbst die Tür zu mehr Gestaltungsspielraum für die Mitgliedstaaten. Wenn man bedenkt, dass die Intention der Kommission wohl war, den eigenen Einfluss auf das SchengenSystem zu stärken, hat sich dies als Fehleinschätzung bezüglich der Interessenlage und Machtbalance zwischen den Akteuren herausgestellt. Anstatt eine der größten Errungenschaften der Europäischen Integration zu schützen, wie es ihre Aufgabe als „Hüterin der Verträge“ gewesen wäre, oder diese gar im europäischen Sinne zu stärken, hat sie nationalstaatlichen Einfluss erhöht.771 Dabei haben sowohl Italien als auch Frankreich mit ihrem Handeln das gegenseitige Vertrauen untergraben. Die Grenzschließung Frankreichs war in Anbetracht der Zahl der ankommenden Migranten übertrieben. Dadurch, dass die französische Regierung speziell den tunesischen Migranten die Einreise verweigerte, verstieß sie zudem wohl gegen das Diskriminierungsverbot im Schengener Grenzkodex.772 Die Ausgabe der Aufenthaltsgenehmigungen der italienischen Regierung wiederum war der Versuch, die Migranten zum Verlassen des Landes zu ermutigen und so Kooperation ohne Rücksprache mit den europäischen Partnern zu erzwingen. Das Ziel Italiens war es, mit einer rechtlich fragwürdigen Praxis die Dublin-Regeln zu umgehen. In Anbetracht dieser Übertretungen von beiden Seiten stand ihr Vorgehen in einem schweren Konflikt mit dem Solidaritätsprinzip. In Bezug auf das Prinzip der loyalen Kooperation und des gegenseitigen Vertrauens ist sowohl Legalität als auch Legitimität des Handelns beider Seiten in Frage zu stellen. Die Kommission sah in dem Verhalten beider Länder zwar keinen expliziten Verstoß gegen EU-Recht, gegen den „Geist von Schengen“773 aber sehr wohl, und wies auf die Notwendigkeit einer Interpretation der Regelungen im Geiste der Solidarität und des gegenseitigen Vertrauens hin.774 Diesen Geist hatte aber die Kommission selbst durch ihr Vorgehen und das damit zusammenhängende Eingeständnis mangelhafter Regelungen selbst untergraben.775

770 771 772 773

774 775

Vgl. Carrera (2012): S. 18. Vgl. Saracino (2014): S. 34ff. Vgl. Carrera et al. (2011): S. 17. Europäische Kommission (2011i): Statement by Commissioner Malmström on the compliance of Italian and French measures with the Schengen acquis, Memo 11/538, 25.07.2011, Brüssel. Vgl. Ebd. Vgl. Pascouau (2012): S. 13.

4.1. Prolog: Der italienisch-französische Konflikt

167

Im Übrigen hat der italienisch-französische Konflikt bewiesen, wie Europa seine Unterstützung des Arabischen Frühlings verstanden hat, als die Auswirkungen durch Migration über das Mittelmeer spürbar wurden. Die zwei Gründungsmitglieder der Europäischen Union, die beide auch aktiv an der Militärintervention in Libyen beteiligt waren, lieferten eindeutig abwehrende Antworten. Daher kann man mit Carrera et al. konstatieren: „The Franco-Italian Affair therefore reveals a rather shameful ‚race to the bottom‘ by two Schengen members […] as regards the principles of solidarity, mutual respect, loyal cooperation and fundamental rights protection.“776 Auch die Reaktion anderer Mitgliedstaaten war, wie dargestellt, weder gegenüber den Umbruchstaaten noch gegenüber den EU-Partnern hinsichtlich der rhetorischen Versprechen oder politischen Vorgehensweise anders. Als Ergebnis der politischen Auseinandersetzung lässt sich erkennen: Falls ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen in den Augen eines anderen Mitgliedstaates nicht nachkommt, darf jener als Reaktion mit dem Rückzug hinter seine abgeschotteten Grenzen antworten.777 Mit diesem Verhalten sollte im Zuge des italienisch-französischen Konfliktes wohl nationalstaatliche Macht und Souveränität im Schengen-System zurückgewonnen werden. Dabei hat sich gezeigt, dass der zugrundliegende Impuls nicht das Zeigen von Solidarität durch entsprechende Maßnahmen war, sondern eher der unilaterale Akt zur Vermeidung von ungewollter Einwanderung und eine Mentalität der Verantwortungsverlagerung. Das gegenseitige Vertrauen scheint in der Asylpolitik so schwach ausgeprägt zu sein, dass eine solch geringe Inzidenz wie jene, die zum italienisch-französischen Konflikt führte, ausreicht, um einen langwierigen politischen Streit in der EU auszulösen. Die Ergebnisse des italienisch-französischen Konflikts haben erstens aufgezeigt, dass gegenseitiges Vertrauen eine notwendige Bedingung für Solidarität ist. Zweitens lassen sie darauf schließen, dass gegenseitiges Vertrauen und damit Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind. Drittens haben sie gezeigt, welch geringfügiges Sonderereignis, wie die Ankunft von 25.000 ungewollten Migranten in relativ kurzer Zeit, genügt, um mit dem Schengen-System eine der Säulen der Europäischen Integration ins Wanken zu bringen. Die Funktionalität des europäischen Asylsystems ist offensichtlich nicht ausreichend, um solche Ereignisse zu bewältigen. 776 777

Carrera et al. (2011): S. 19. Vgl. Pascouau (2012): S. 13f.

168

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Letztendlich war der Einschnitt durch das Schengen Governance Package zwar nicht so tiefgreifend, wie die politische Rhetorik und der Verhandlungsprozess vermuten lassen. Die Kommission behielt Kontrollmöglichkeiten bei der Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen und beim Evaluationsmechanismus, die Mitgliedstaaten mussten keine Einbußen ihrer nationalstaatlichen Souveränität hinnehmen und gewannen leicht an Entscheidungskompetenzen hinzu. Auch das Europäische Parlament spielte, begünstigt durch die mit dem Vertrag von Lissabon erstarkten Kompetenzen, eine größere Rolle, als es vor 2009 der Fall gewesen wäre.778 Das ändert jedoch nichts an der politischen Sprengkraft, die der italienisch-französische Konflikt entfaltete. Er lieferte einen Beleg für die fehlende Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der EU, wenn es um die Zuständigkeit für ungewollte Einwanderung von Drittstaatsangehörigen geht. Die durch das Dublin-System verantworteten Pathologien verschlimmerten den Konflikt zusätzlich: „The Schengen governance crisis ensuing from clashes between Italy and France over Arab Spring-related migratory flows was ample evidence that solidarity is a concept which still lacks substance within the AFSJ when it comes to controls of external borders and the management of migratory flows. A desire on the part of one Member State to reinstate controls along internal borders is merely a symptom of this lack of solidarity and evidence of the potentially resulting problems for the EU. The welcome albeit too limited reform of the Dublin II system, which will leave unchallenged the inegalitarian principles underlying the system governing the choice of Member State to examine an asylum application, also makes it clear that the EU is not yet at the stage of envisaging a genuine sharing between Member States of the burden of receiving asylum seekers and refugees.”779

778

779

Vgl. Pascouau, Yves (2013): The Schengen Governance Package: The subtle balance between Community method and intergovernmental approach, Discussion Paper, European Policy Center, Brüssel, S. 11. Es hatte immerhin so viel an Einfluss gewonnen, dass seine Ausgrenzung als Co-Gesetzgeber eine Kontroverse erzeugte. Es konnte einen gewissen institutionellen Druck auf die Mitgliedstaaten ausüben. Dies stellt einen spürbaren Unterschied dazu dar, wie das Schengen-System anfangs ausgestaltet wurde und lange Zeit funktionierte. Siehe dazu auch Kap. 3.1.3. Labayle, Henri/de Bruycker Philippe (2013): Towards the Negotiation and Adoption of the Stockholm Programme’s Successor for the Period 2015-2019, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel, S. 32.

4.2. Der Weg zur „Flüchtlingskrise“

169

In diesem Sinne war diese Episode eine Art „Generalprobe“ für die Herausforderungen, denen sich die EU in den Folgejahren im Zuge der „Flüchtlingskrise“ stellen musste. Das GEAS war für eine einvernehmliche Regelung der Geschehnisse im Jahr 2011 nicht gewappnet. Seine Funktionsunfähigkeit wurde angesichts der im Verglich zur „Flüchtlingskrise“ geringen Zahlen bereits deutlich. Stattdessen wurden sehr rasch Lösungswege im Bereich des Grenzschutzes gesucht.

4.2. Der Weg zur „Flüchtlingskrise“ Die „Generalprobe“ des italienisch-französischen Konfliktes endete mit der Verabschiedung der Schengen Governance Package. In den Jahren dieses Prozesses breitete sich die Arabellion von Tunesien ausgehend über zahlreiche Staaten in der europäischen Nachbarschaft aus. Vor allem der Bürgerkrieg in Syrien traf die Bevölkerung hart, in dessen Folge Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen mussten. Viele von ihnen machten sich vermehrt auf den Weg nach Europa. In diesem Kapitel wird nun nachgezeichnet, mit welcher Problemlage die Europäische Union konfrontiert war, die letztlich zur „Flüchtlingskrise“ führte. Dabei werden die Reaktionen der EU auf die Entwicklungen im syrischen Bürgerkrieg und ihre Mittelmeerpolitik angesichts sich häufender Flüchtlingsschiffstragödien verstärkt in den Blick genommen. Die Anzeichen für die Entwicklungen, die zur Eskalation im Spätsommer 2015 führten, waren seit Beginn der Arabellion sichtbar und wurden im Laufe der Zeit immer deutlicher. 4.2.1. Der Beginn des syrischen Bürgerkriegs Der syrische Machthaber Baschar al-Assad hatte angesichts der Ereignisse in den anderen arabischen Staaten in einem Interview am 31. Januar 2011 noch politische und wirtschaftliche Reformen versprochen.780 In den folgenden Tagen riefen Ak-

780

Vgl. Solomon, Jay/Spindle, Bill (2011): Syria Strongman: Time for „Reform“, in: The Wall Street Journal, 31.01.2011, https://www.wsj.com/articles/SB10001424052748704832704 576114340735033236, abgerufen am 14.11.2018.

170

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

tivisten über die sozialen Netzwerke zu „Tagen des Zorns“ auf, um gegen die Regierung zu protestieren.781 Dieser Aufruf war vorerst nicht von Erfolg gekrönt, die erhofften Massendemonstrationen blieben aus. Kurze Zeit später führte der Protest zweier Jungen jedoch zu dem von den Aufrührern gewünschten Ergebnis: Sie hatten mit Graffitis an die Mauern ihrer Schule gegen Assad protestiert, woraufhin sie von der Polizei inhaftiert und wochenlang verhört und gefoltert wurden. Als die Eltern der Jungen bei den Sicherheitsbehörden ihre Rückkehr einforderten, schlossen sich ihren Protesten immer mehr Menschen an.782 Im Laufe des März breiteten sich die Proteste dann über das gesamte Land aus, wurden zunehmend gewalttätig und forderten Todesopfer.783 Bis zum Ende des Jahres 2012 waren ca. 730.000 Menschen aus Syrien in die Nachbarstaaten geflohen.784 Im darauffolgenden Jahr war diese Zahl auf knapp 2,5 Millionen gestiegen.785 Davon floh nur ein Bruchteil in die EU: Im Jahr 2012 waren es 25.652, im Jahr 2013 52.695.786 4.2.2. Die Flüchtlingstragödie vor Lampedusa am 3. Oktober 2013 und ihre Folgen Nachdem mit der Annahme des Schengen Governance Package am 30.5.2013 der politische Konflikt aus dem Jahr 2011 vorerst beigelegt worden war, hielten die Wanderungsbewegungen nach Europa unvermindert an und stiegen sogar noch weiter. Schon im Laufe des Jahres 2013 waren ca. 100.000 Schutzsuchende mehr in die EU eingewandert als im Jahr zuvor.787 Auch die Öffentlichkeit wurde sich

781

782

783

784 785 786 787

Vgl. Keller, Gabriela (2011): Arabische Revolution: „Tag des Zorns“ scheitert in Syrien am Regime, Welt, 04.02.2011, https://www.welt.de/politik/ausland/article12449794/Tag-desZorns-scheitert-in-Syrien-am-Regime.html, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. Osius, Anna (2017): Sechs Jahre Syrienkrieg: Wie Graffiti von Schuljungen einen Bürgerkrieg auslösten, Deutschlandfunk, 15.03.2017, https://www.deutschlandfunk.de/sechsjahre-syrienkrieg-wie-graffiti-von-schuljungen-einen.1773.de.html?dram:article_id=381266, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2011): Syrien: Eskalation zwischen Demonstranten und Regime, in: 23.03.2011, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/syrien-eskalation-zwischen-demonstranten-und-regime-1608119.html, abgerufen am 14.11.2018. Vgl. UNHCR (2013): Global Trends 2012, Genf, S. 45. Vgl. UNHCR (2014): Global Trends 2013, Genf, S. 48. Vgl. Eurostat (2019b). Vgl. Abbildung 1, Kap. 4.3.1.

4.2. Der Weg zur „Flüchtlingskrise“

171

der steigenden Virulenz der Situation bewusst, als am 3. Oktober 2013 ein Flüchtlingsschiff mit ca. 550 Menschen an Bord vor der Küste von Lampedusa unterging, wobei ca. 400 Menschen starben.788 Der Rat für Justiz und Inneres plante daraufhin, eine Task Force einzusetzen, um die Werkzeuge zu erörtern, die die Union zur Verhinderung solcher Tragödien habe.789 Das Europäische Parlament wies bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass aufgrund der Situation in Syrien und den Nachbarstaaten erhöhte Wanderungsbewegungen Richtung EU zu erwarten seien, und forderte die Kommission und die Mitgliedstaaten dazu auf, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.790 Am 11. Oktober ereignete sich vor Lampedusa ein erneutes Schiffsunglück mit mehr als 200 Menschen an Bord, bei dem 34 Tote geborgen wurden. 791 Das EP wiederholte daraufhin seine Forderung nach Maßnahmen bei einem möglichen Anstieg der Migrationsbewegungen und forderte, dass die Geschehnisse vor Lampedusa einen Wendepunkt für Europa markieren sollten.792 Der damalige Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, wiederholte diesen Appell öffentlichkeitswirksam bei einer Rede beim Europäischen Rat am 24. Oktober und verschärfte ihn zu einer vernichtenden Kritik an der europäischen Asylpolitik: „Lampedusa wurde zum Gleichnis für eine europäische Flüchtlingspolitik, die aus dem Mittelmeer einen Friedhof macht.“793 In seinen Schlussfolgerungen erklärte 788

789

790

791

792

793

Vgl. Tagesschau.de (o. V.) (2013): Nach der Katastrophe vor Lampedusa. Mehr als 270 Leichen geborgen, 08.10.2013, https://web.archive.org/web/20140108130859/http:/www.tagesschau.de/ausland/lampedusa536.html, abgerufen am 27.08.2018. Vgl. Rat der Europäischen Union (2013c): 3260th Council Meeting, Justice and Home Affairs, 7 and 8 October 2013, Pressemitteilung 14149/13, PRESSE 393, PR CO 46, Luxemburg, S. 12. Vgl. Europäisches Parlament (2013a): Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten zur Bewältigung des durch den Konflikt in Syrien ausgelösten Flüchtlingsstroms. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Oktober 2013 zu Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten zur Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen infolge des Konflikts in Syrien, 2013/2837(RSP), P7_TA(2013)0414, Brüssel, S. 4. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2013): Schiffsunglück: Tote bei erneutem Bootsunglück vor Lampedusa, 11.10.2013, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-10/italien-fluechtlingsboot-gekentert, abgerufen am 27.08.18. Vgl. Europäisches Parlament (2013b): Flüchtlingswellen im Mittelmeerraum, insbesondere die tragischen Ereignisse vor Lampedusa. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2013 zu dem Zustrom von Migranten im Mittelmeerraum, insbesondere den tragischen Ereignissen vor Lampedusa, 2013/2827(RSP), P7_TA(2013)0448, Brüssel, S. 3. Europäisches Parlament (2013c): Rede beim Europäischen Rat, 24. Oktober 2013 von Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, http://www.europarl.europa.eu/former_ep_presidents/president-schulz-2012-2014/en-de/press/press_release_speeches/speeches/sp-2013/sp-2013-octob/speech-to-the-european-, abgerufen am 27.08.2018.

172

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

der Europäische Rat nach der Sitzung, dass das Europäische Grenzüberwachungssystem (EUROSUR) schnell eingeführt werden müsse, und dass die eingesetzte Task Force „Mittelmeerraum“ „gemäß den Grundsätzen der Vorbeugung, des Schutzes und der Solidarität vorrangige Maßnahmen für eine wirksamere kurzfristige Nutzung der europäischen Strategien und Instrumente festzulegen“ 794 habe. Die Ergebnisse der Task Force lauteten: „(1) Maßnahmen in Zusammenarbeit mit Drittländern (2) Regionale Schutzprogramme, Neuansiedlung und verstärkte legale Möglichkeiten der Einreise nach Europa (3) Bekämpfung von Menschenhandel, Schleuserkriminalität und organisierter Kriminalität (4) Verstärkte Grenzüberwachung, die für ein genaueres Lagebild auf See sorgt und zum Schutz und der Rettung der Leben von Migranten im Mittelmeerraum beiträgt (5) Unterstützung der Mitgliedstaaten, die hohem Migrationsdruck ausgesetzt sind, und Solidarität mit ihnen“795

In den Ausführungen der konkreten Umsetzung dieser Ergebnisse blieb die Task Force allerdings reichlich vage. Es wurde darauf hingewiesen, dass das nun einsatzbereite Grenzüberwachungssystem EUROSUR Frontex bei der verbesserten Grenzkontrolle auf See und beim Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten unterstützen solle.796 Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, ihre Neuansiedlungskapazitäten auszubauen, wofür mehr Geld von Unionsseite in Aussicht gestellt wurde.797 In der Zusammenarbeit mit Drittstaaten sollten die Mobilitätspartnerschaften ausgebaut und die Ziele des GAMM stringent verfolgt werden. 798 Menschenhandel und Schleuserkriminalität sollten von den entsprechenden Agenturen effektiver bekämpft werden.799 Schließlich blieben auch die Ausführungen zur Solidarität mit den Mitgliedstaaten, „die hohem Migrationsdruck ausgesetzt

794

795

796 797 798 799

Europäischer Rat (2013): Schlussfolgerungen der Tagung vom 24./25. Oktober 2013, EUCO 169/13, CO EUR 13, CONCL 7, 25.10.2013, Brüssel, S. 18. Europäische Kommission (2013): Mitteilung der Kommission and das Europäische Parlament und den Rat über die Arbeit der Mittelmeer-Task Force, COM(2013) 869, 04.12.2013, Brüssel, S. 3. Vgl. Ebd., S. 18ff. Vgl. Ebd., S. 13ff. Vgl. Ebd., S. 6ff. Vgl. Ebd., S. 16ff.

4.2. Der Weg zur „Flüchtlingskrise“

173

sind“ (Punkt 5), weitestgehend unkonkret: Es wird finanzielle Soforthilfe versprochen, eine von den Mitgliedstaaten freiwillig initiierte Umsiedlung untereinander empfohlen und EASO soll sich stärker in die asylpolitischen Maßnahmen einschalten, insbesondere bei der Unterstützung der Bearbeitung von Asylanträgen.800 Alles in allem boten die Ergebnisse der Task Force wenig Konkretes, kaum Innovatives und viel Altbewährtes an Lösungen. Damit blieb die Union hinter den Notwendigkeiten zurück, die die gebotene Problematik eigentlich erfordert hätte. Dies sollte sich in der Folgezeit als kurzsichtig und nachlässig erweisen. Insbesondere der Fokus auf Frontex und die mit EUROSUR zusammenhängende Technologisierung und Militarisierung der Grenzkontrolle deutet darauf hin, dass das Hauptinteresse der Union weiterhin auf der Verhinderung von ungewollter Einwanderung lag und weniger auf Flüchtlingsschutz. Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für die Außengrenzstaaten oder die Herkunfts- und Transitstaaten blieben vage. Diese Priorisierung der Abwehrstrategien sollte sich auch in den kommenden Monaten im Handeln der Union und der Mitgliedstaaten bestätigen. 4.2.3. Von „Mare Nostrum“ bis „Triton“ Trotz der schrecklichen Vorfälle im Mittelmeer und ihrer medialen Präsenz geschah in der Folgezeit politisch auf EU-Ebene nichts, um Vorbereitungen auf einen möglichen ansteigenden Zuzug von Schutzsuchenden vorbereitet zu sein und das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Stattdessen wurde die Verantwortung bei den Außengrenzstaaten belassen. Italien hatte sich im Alleingang damit hervorgetan, eine Seenotrettungsmission ins Leben zu rufen, die das Sterben auf dem Mittelmeer möglichst beenden sollte: Die Operation „Mare Nostrum“, die als Reaktion auf die Schiffsunglücke gestartet wurde.801 Sie lief offiziell am 18. Oktober 2013 als militärische und humanitäre Operation an, um im Vergleich zur üblichen Seenotrettung mit gesteigerten Ressourcen Menschenleben zu retten und gegen den Menschenschmuggel

800 801

Vgl. Ebd., S. 22ff. Vgl. ANSAmed (2013): Immigration: Italy launches Mare Nostrum, 400 more saved, 15.10.2013, http://www.ansamed.info/ansamed/en/news/sections/generalnews/2013/10/15/ Immigration-Italy-launches-Mare-Nostrum-400-saved_9466386.html, abgerufen am 27.08.2018.

174

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

vorzugehen.802 Die Kosten für den italienischen Staat betrugen dabei knapp über 9 Mio. Euro pro Monat.803 Italien wurde mit der Seenotrettung allerdings alleine gelassen, von der EU oder anderen Mitgliedstaaten gab es keinerlei Hilfe. Daher sah sich die Regierung dazu gezwungen, das Programm nach einjähriger Einsatzphase wieder einzustellen.804 In diesem Zeitraum wurden weit über 100.000 Menschen durch „Mare Nostrum“ aus dem Mittelmeer gerettet.805 Abgelöst wurde die Mission am 1. November 2014 durch die Frontex-Operation „Triton“, die durch ihre Budgetierung von nur 2,9 Mio. Euro pro Monat eine deutliche Verkleinerung des Einsatzes bedeutete.806 Es handelte sich bei „Triton“ nicht um eine Seenotrettungsmission, sondern um eine Grenzsicherungsoperation, deren Schiffe nur etwa 30 Seemeilen vor der Küste Italiens (und damit auch Lampedusas) patrouillieren sollten und nicht wie „Mare Nostrum“ proaktiv im Mittelmeer bis an die Küste Libyens eingesetzt werden konnten.807 Somit wurde das Retten von Menschenleben zum Nebeneffekt. Diese Zielausrichtung von „Triton“ wurde von Experten und NGOs dementsprechend kritisiert.808

802

803

804

805

806

807

808

Vgl. Ministero della Difesa (o. J.): Mare Nostrum Operation, http://www.marina.difesa.it/EN/ operations/Pagine/MareNostrum.aspx, abgerufen am 27.08.2018. Vgl. Senato della Repubblica (o. J.): “Da Mare Nostrum a Triton”, Legislatura 17ª – Dossier n. 210, https://www.senato.it/japp/bgt/showdoc/17/DOSSIER/0/912705/index.html?part= dossier_dossier1-sezione_sezione11-table_table7, abgerufen am 27.08.2018. Vgl. Taylor, Adam (2015): Italy ran an operation that saved thousands of migrants from drowning in the Mediterranean. Why did it stop?, The Washington Post, 20.04.2015, https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2015/04/20/italy-ran-an-operationthat-save-thousands-of-migrants-from-drowning-in-the-mediterranean-why-did-itstop/?noredirect=on&utm_term=.562c36c18de0, abgerufen am 27.08.2018. Vgl. Deutsche Welle (o. V.) (2014): Flüchtlingsmission: „Mare Nostrum“ endet, 31.10.2014, https://www.dw.com/de/fl%C3%BCchtlingsmission-mare-nostrum-endet/a-18033384, abgerufen am 27.08.2018. Vgl. Europäische Kommission (2014a): Frontex Joint Operation „Triton“ – Concerted Efforts for managing migrator flows in the Central Mediterranean, Memo 14/609, 31.10.2018, Brüssel. Vgl. Scherer, Steve/di Giorgio, Massimiliano (2014): Italy to end sea rescue mission that saved 100,000 migrants, Reuters, 31.10.2018, https://www.reuters.com/article/us-italy-migrants-eu/italy-to-end-sea-rescue-mission-that-saved-100000-migrants-idUSKBN0IK22220 141031, abgerufen am 27.08.2018. Vgl. Pro Asyl (2014): Europas Schande: „Triton“ und „Mare Nostrum“ im Vergleich, 17.10.2015, https://www.proasyl.de/news/europas-schande-triton-und-mare-nostrum-im-vergleich/, abgerufen am 27.08.2018; Davies, Lizzy/Neslen, Arthur (2015): Italy: end of ongoing sea rescue mission „puts thousands at risk“, The Guardian, 31.10.2015, https://www.theguardian.com/world/2014/oct/31/italy-sea-mission-thousands-risk, abgerufen am 27.08.2018.

4.2. Der Weg zur „Flüchtlingskrise“

175

Währenddessen stieg die Zahl der Schutzsuchenden in der EU weiter an. Für das Jahr 2014 wurden knapp 630.000 Menschen registriert, ein Anstieg von knapp 200.000 zum Vorjahr.809 Damit lag die Zahl der Asylanträge am Ende des Jahres 2014 in etwa doppelt so hoch wie im Jahr des Ausbruchs des Arabischen Frühlings. Trotz der Anstrengungen der italienischen Regierung fanden über 3.500 Menschen bei ihrer versuchten Überfahrt über das Mittelmeer den Tod 810 – fünfmal so viele wie im Vorjahr.811 Doch auch dies veranlasste die EU nicht dazu, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um auf die immer größer werdenden Wanderungsbewegungen vorbereitet zu sein. Weitere gravierende Flüchtlingstragödien auf dem Mittelmeer, wie der Tod ca. 700 Menschen bei Schiffsunglücken am 11. und 15. September 2014,812 blieben nahezu ohne Wirkung auf Öffentlichkeit und Politik. 4.2.4. Die asylpolitischen Leitlinien des Europäischen Rates ab 2014 Auf der Sitzung des Europäischen Rates, auf der die Nachfolge des Stockholmer Programms beschlossen wurde, war kaum etwas von der sich zuspitzenden Situation für die europäische Asylpolitik zu bemerken. Im Großen und Ganzen handelte es sich bei den Ergebnissen der Tagung um eine Wiederholung der Ergebnisse der Task Force „Mittelmeer“ in Inhalt und Form. Das Hauptziel sollte darin bestehen, „die vorhandenen Rechtsinstrumente und politischen Maßnahmen einheitlich umzusetzen, wirksam anzuwenden und zu konsolidieren.“813 Die weiteren maßgebenden Passagen lesen sich folgendermaßen: „Angesichts von Herausforderungen wie der Instabilität in vielen Teilen der Welt sowie der weltweiten und europäischen demografischen Entwicklungen braucht die EU eine wirksame und gut gesteuerte Migrations-, Asylund Grenzpolitik, die sich auf die Vertragsgrundsätze der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten in Einklang mit Artikel 809 810 811

812

813

Vgl. Abbildung 1. Vgl. UNHCR (2019). Vgl. Brian, Tara/Laczko, Frank (2014): Executive Summary, in: Dies. (Hg.): Fatal Journeys. Tracking Lives Lost during Migration, International Organization for Migration, Genf, S. 1113, S. 11. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2014): Mittelmeer: Hunderte Flüchtlinge ertrunken, 15.09.2014, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-09/fluechtlingsboot-unglueck-mittelmeer, abgerufen am 06.09.2018. Europäischer Rat (2014): Schlussfolgerungen der Tagung vom 26./27. Juni 2014, EUCO 79/14, CO EUR 4, CONCL 2, 27.06.2014, Brüssel, S. 2.

176

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“ 80 AEUV und seiner wirksamen Durchführung stützt. Es bedarf eines umfassenden Ansatzes, der es ermöglicht, die Vorteile der legalen Zuwanderung optimal zu nutzen, schutzbedürftigen Personen Schutz zu gewähren und gleichzeitig energisch gegen irreguläre Migration vorzugehen und ein effizientes Management der EU-Außengrenzen zu gewährleisten.“814

Oder auch: „Das Bekenntnis der EU zum internationalen Schutz setzt eine starke europäische Asylpolitik auf der Grundlage von Solidarität und Verantwortung voraus. Die vollständige Umsetzung und wirksame Anwendung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) hat daher absolute Priorität. Dies sollte zu hohen gemeinsamen Standards und stärkerer Zusammenarbeit führen, so dass gleiche Rahmenbedingungen geschaffen werden, d.h. dass Asylbewerbern innerhalb der gesamten Union die gleichen Verfahrensgarantien und der gleiche Schutz gewährt werden. Damit einhergehen sollte eine verstärkte Rolle des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO), insbesondere im Hinblick auf die Förderung der einheitlichen Anwendung des Besitzstands. Konvergierende Verfahrensweisen werden das gegenseitige Vertrauen stärken und es ermöglichen, die nächsten Schritte einzuleiten.“815

Diese Passagen sind sehr vage formuliert und werden im Folgenden auch nicht konkretisiert. Stattdessen wird gefordert, dass die irreguläre Einwanderung durch Intensivierung der Kooperation mit Herkunfts- und Transitstaaten bekämpft und verhindert werden müsse und Migrationspolitik stärkerer Bestandteil der Außenund Entwicklungspolitik werden solle.816 Letzteres solle vor allem durch eine Erhöhung der Selbstanstrengungen zu Neuansiedlung, Bekämpfung der Schleuserkriminalität, wirksame Rückkehrpolitik und Rücknahmeabkommen mit Drittstaaten geschehen.817 Schließlich solle „die Agentur Frontex als ein Instrument der europäischen Solidarität auf dem Gebiet des Grenzmanagements […] ihre operative Unterstützung besonders für Mitgliedstaaten, deren Außengrenzen einem starkem Druck

814 815 816 817

Ebd. Ebd., S. 3. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd.

4.2. Der Weg zur „Flüchtlingskrise“

177

ausgesetzt sind, verstärken und ihre Fähigkeit zur Reaktion auf die schnellen Entwicklungen der Migrationsströme unter umfassender Nutzung des Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR) erhöhen“818.

Es finden sich keine neuen oder konkreten Aufforderungen an die gesetzgebenden Institutionen, die eine Anerkennung der prekären Lage auf dem Mittelmeer oder die Risiken durch die potentiell hohen Wanderungsbewegungen aus Syrien beinhalten würden. Eine positive Lesart der Schlussfolgerungen wäre, sie als Konsolidierungsmaßnahme des GEAS anzusehen und die noch kontrolliert wirkende Lage der Asylanträge in der EU als annehmbaren Status quo für dieses Vorhaben zu nutzen. Dahingegen ist der Mangel an Ideen bzw. an Mut, die Probleme des GEAS anzugehen, deutlich zu erkennen. Gerade in „ruhigeren“ Phasen wäre das Anstoßen von grundlegenden Reformen vernünftig. Stattdessen bleiben die großen Konstanten die Externalisierung der Asylpolitik und die Verstärkung des Grenzschutzes. Diese Tendenz mag nach den Geschehnissen um die italienisch-französische Auseinandersetzung auch darin begründet liegen, dass eine Verlagerung der innereuropäischen Solidaritätsproblematik nach außen eine Möglichkeit bietet, solche Krisen zu verhindern.819 Dies kann jedoch nur eine Symptombehandlung sein, die am Kern der Problematik – der Nichteinhaltung des Solidaritätsprinzips in der EU – nichts ändert. Es bleibt festzustellen, dass die Situation – nicht nur in der Retrospektive – durchgreifendere Handlungsoptionen notwendig gemacht hätte. Die südlichen Außengrenzstaaten erhielten weiterhin keine ausreichende Unterstützung, an der Zuständigkeitsallokation wurde nicht gerüttelt. 4.2.5. Die humanitäre Notlage der Syrer in Folge des Bürgerkriegs Nicht nur stiegen die Antragszahlen und die tödlichen Unfälle im Mittelmeer stetig an, sondern noch ein weiteres Indiz machte die Geschehnisse im Laufe des Jahres 2015 erwartbar: Die humanitäre Lage der syrischen Geflüchteten in den Auffanglagern in der Krisenregion. Im September 2014 wies das World Food Programme (WFP) darauf hin, dass es in den nachfolgenden Monaten die Lebensmittelhilfen 818 819

Ebd., S. 4. Vgl. Balleix, Corinne (2014): From Lampedusa to the Post-Stockholm Programme: Difficult European solidarity in the field of migration, European Policy Brief, Nr. 24, Egmont Institute, Brüssel, S. 4ff.

178

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

für knapp 6 Mio. Syrer drastisch kürzen müsse.820 Da sich die Einnahmen des WFP ausschließlich aus freiwilligen Spenden speisen, ergab sich die Finanzierungslücke teils aus fehlender Zahlungsbereitschaft und teils aus mangelnder Zahlungsmoral der Geberstaaten bei bereits eingegangenen Versprechungen.821 Im Dezember wurde die finanzielle Notlage so schlimm, dass das WFP ein Programm für Essensgutscheine für ca. 1,7 Mio. syrische Geflüchtete in den Auffanglagern der Region einstellen musste, was im anstehenden Winter desaströse Zustände für die betroffenen Menschen befürchten ließ.822 Weiterhin lag der Grund für diese Situation an der mangelnden Zahlungsmoral einiger Geberstaaten, die die Situation in den Hauptaufnahmeländern wie Jordanien oder Libanon weiter verschärften.823 Die politische Gemengelage für die Europäische Union stellte sich also wie folgt dar: Es häuften sich mit entsprechender öffentlicher und politischer Resonanz Katastrophen mit Flüchtlingsschiffen auf dem Mittelmeer mit entsprechend vielen Toten. Weiterhin stiegen die Zahlen von Mittelmeerüberquerungen und generell von in der EU Schutzsuchenden (nicht nur aus Syrien) an. Es gab frühzeitig Warnsignale eines möglichen sprunghaften Anstiegs der Wanderungsbewegungen nach Europa, die sogar das Europäische Parlament aufgriff. Italien wurde mit einer Seenotrettungsmission von den anderen Mitgliedstaaten und der Union weitgehend alleine gelassen und beendete sie. Eine humanitäre Katastrophe der syrischen Bevölkerung in und um Syrien herum zeichnete sich ab. Die von der EU ergriffenen Maßnahmen waren nicht angemessen, um auf die Krisenlage vor Ort oder auf mögliche Auswirkungen auf die Union selbst zu reagieren, weswegen sich die Lage immer weiter zuspitzte. Es fällt schwer, auf Basis dieser Faktenlage nicht den Schluss zu ziehen, dass die EU sehenden Auges 820

821

822

823

Vgl. World Food Programme (2014): WFP muss Hilfe für syrische Familien drastisch kürzen, 18.09.2014, http://de.wfp.org/neuigkeiten/pressemitteilungen/wfp-muss-hilfe-syrien-undden-nachbarstaaten-drastisch-kuerzen, abgerufen a, 29.08.2018. Vgl. Süddeutsche Zeitung (o. V.) (2014): Welternährungsprogramm: Flüchtlinge in Nahost müssen hungern, 14.10.2014, https://www.sueddeutsche.de/politik/welternaehrungsprogramm-un-kuerzen-lebensmittelhilfen-fuer-syrische-fluechtlinge-drastisch-1.2172709, abgerufen am 29.08.2018. Vgl. World Food Programme (2014): WFP Forced To Suspend Syrian Refugee Food Assistance, Warns Of Terrible Impact As Winter Nears, 01.12.2014, https://www.wfp.org/news /news-release/wfp-forced-suspend-syrian-refugee-food-assistance-warns-terrible-impactwinter-nea, abgerufen am 29.08.2018. Vgl. Böhme, Christian (2014): Kein Geld für syrische Flüchtlinge: UN streichen Nahrungsmittelhilfe, Tagesspiegel, 01.12.2014, https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/kein-geldfuer-syrische-fluechtlinge-un-streichen-nahrungsmittelhilfe/11059010.html, abgerufen am 29.08.2018.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

179

in die große politische Krise geraten ist, die sich ab dem Frühjahr 2015 entwickelte.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“ In diesem Kapitel wird die im Jahr 2015 eintretende so genannte „Flüchtlingskrise“ im Lichte des Solidaritätsprinzips der EU und seiner speziellen Ausformung in der europäischen Asylpolitik untersucht. Zu diesem Zweck werden zuerst Zahlen, Entwicklungen und Prozesse detailliert beleuchtet, die bis zur Eskalation im Spätsommer 2015 reichen und auch den Beschluss zur Umsiedlung von 120.000 Asylsuchenden sowie die Implementierung der Hotspots in Italien und Griechenland einbeziehen (3.1-3.9). Darauf folgen eine Darlegung der Mechanismen, mit denen die EU die Krise in ihrem Sinne löste, sowie ein Blick auf die Entwicklungen im Jahr 2018 (3.10.-3.13.). 4.3.1. Asylantragszahlen in der EU Es waren nicht nur syrische Geflüchtete, die für die steigende Anzahl an Asylanträgen in der EU verantwortlich waren. Auch die Staatskrisen in Irak und Afghanistan veranlassten dort viele Menschen vermehrt dazu, Schutz in Europa zu suchen. Wurden aus Afghanistan im Jahr 2013 noch 26.215 Asylsuchende gemeldet, so waren es 2014 schon 41.405, im Jahr 2015 181.425 und dann gar 186.605 im Jahr 2016.824 Ebenso verhielt es sich mit Anträgen aus dem Irak: von 10.740 (2013), über 21.365 (2014) zu 124.970 (2015) mit dem Höhepunkt 130.100 im Jahr 2016. Zählt man die syrischen Anträge hinzu, so stellten diese drei Herkunftsländer im Jahr 2015 allein ca. die Hälfte aller Asylanträge in der EU, im Jahr darauf sogar über 50%.825 Es lässt sich somit feststellen, dass der exorbitante Anstieg der Gesamtzahlen in den Jahren 2015 und 2016 überwiegend auf die Asylsuchenden aus diesen drei Ländern zurückzuführen ist. In Abbildung 1 ist zu sehen, wie die Antragszahlen seit Beginn des Arabischen Frühlings immer weiter gestiegen waren. Die Spitze wurde dann mit einer plötzlichen und erheblichen Steigerung von 2014 nach 2015 erreicht. Im ersten 824 825

Vgl. Eurostat (2019b). Vgl. Ebd.

180

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Quartal des Jahres 2015 war dies noch nicht zwingend abzusehen, da die Zahl von 184.815 Asylanträgen fast exakt gleich hoch war wie im letzten Quartal 2014. 826

Asylanträge in der EU 1.322.845

1.400.000

1.260.910

1.200.000 1.000.000 800.000

712.235 626.960

600.000 431.095 400.000

309.040 335.290

200.000 0 2011

2012

2013

2014

2015

2016

2017

Abbildung 1: Asylanträge in der Europäischen Union. Quelle: Eurostat.827

4.3.2. Auftakt im April 2015: Der Zehn-Punkte-Plan des Rates Was in der Nacht des 12. auf den 13. April 2015 geschah, kann man als den Auftakt zur so genannten „Flüchtlingskrise“ bezeichnen: Ein Flüchtlingsboot kenterte vor der libyschen Küste, was vermutlich 400 Menschen den Tod brachte.828 Seit

826

827 828

Vgl. Eurostat (2015b): Asyl in der EU im ersten Quartal 2015: 185 000 erstmalige Asylbewerber in der EU im ersten Quartal 2015, Pressemitteilung 112/2015, 18.06.2015, Luxemburg. Vgl. Eurostat (2019b). Vgl. Zeit Online (o. V.) (2015b): Libyen: 400 Flüchtlinge im Mittelmeer vermisst, 15.04.2015, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/fluechtlinge-mittelmeer-libyen-ertrunken-frontex-italien, abgerufen am 29.08.2018.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

181

Anfang des Jahres waren bis zu diesem Zeitpunkt schon 900 Menschen im Mittelmeer bei dem Versuch der Überfahrt ertrunken, was auch auf die Ersetzung von „Mare Nostrum“ durch „Triton“ zurückgeführt wurde.829 In der Nacht vom 18. auf den 19. April 2015 kenterte ein weiteres Flüchtlingsschiff mit nach Augenzeugenberichten ca. 950 Menschen an Bord, von denen mehr als 700 als ertrunken galten.830 Dieses Unglück bedeutete eine der größten Flüchtlingstragödien im Mittelmeer und stellte das Ereignis vom 3. Oktober 2013 deutlich in den Schatten. Dieses Ereignis war das Fanal, das die EU zum Handeln in ihrer Asylpolitik zwang. Noch am Tag der Nachricht kamen die Außen- und Innenminister zu einer gemeinsamen Ratssitzung zusammen und präsentierten einen Zehn-Punkte-Plan mit Sofortmaßnahmen zur Bewältigung der Krisensituation im Mittelmeer. Dabei versprachen sie unter anderem die Aufstockung der finanziellen und operativen Mittel für die Frontex-Operationen „Triton“ und „Poseidon“831 sowie deren erweiterten Einsatzradius.832 Darüber hinaus sollten EASO-Teams zur Unterstützung nach Griechenland und Italien gesendet, Optionen zur Verteilung von Geflüchteten in Notfallsituationen sowie Möglichkeiten zur Neuansiedlung geprüft und die Schleuserkriminalität bekämpft werden.833 Wenige Tage später kam der Europäische Rat zu einer Sondersitzung zusammen, um die Lage zu beraten. Er bestätige in seiner Erklärung weitestgehend die Ziele aus dem Zehn-Punkte-Plan und kündigte an, „die EU-Operationen Triton 829

830

831

832

833

Vgl. Blickle, Paul et al. (2015): Ein gut bewachtes Massengrab, Zeit Online, 17.04.2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/mittelmeer-fluechtlinge-schiffsunglueck-sicherheit, abgerufen am 29.08.2018. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2015c): Flüchtlinge: Mehr als 700 Menschen ertrinken im Mittelmeer, 19.04.2015, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/fluechtlinge-lampedusa-unglueck, abgerufen am 29.08.2018. Die Zahl wurde später auf ca. 500 Tote korrigiert. Vgl. AP News (o. V.) (2016): Italy lowers toll from 2015 migrant wreck after ship raised, 30.06.2016, https://apnews.com/f9fa179e09a349038e08a48209fc5001/italy-lowers-toll-2015 -migrant-wreck-after-ship-raised, abgerufen am 29.08.2018. „Poseidon“ ist eine unter der Führung von Frontex durchgeführte gemeinsame Operation mit der griechischen Küstenwache, die seit 2006 existiert, und seitdem mehrere Änderungen und Erweiterungen erfahren hat. Vgl. Campesi, Giuseppe (2014): Frontex, the Euro-Mediterranean Border and the Paradoxes of Humanitarian Rhetoric, in: South East European Journal of Political Science, Jg. 2 (3), S. 126-134, S. 129. Ihr Hauptziel ist die Kontrolle der griechischtürkischen Grenze, sowohl zu Wasser als auch an Land. Vgl. Frontex (o. J.): Operation Poseidon, https://frontex.europa.eu/along-eu-borders/main-operations/operation-poseidon-greece-/, abgerufen am 16.01.2019. Vgl. Europäische Kommission (2015b): Gemeinsame Tagung des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ und des Rates „Justiz und Inneres“: Zehn-Punkte-Plan zur Migration, Pressemitteilung IP/15/4813, 20.04.2015, Luxemburg. Vgl. Ebd.

182

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

und Poseidon rasch zu verstärken, indem die Finanzmittel für diesen Zweck in den Jahren 2015 und 2016 mindestens verdreifacht“834 würden. Zudem versprach er, „die Nothilfe für die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen aufzustocken und Optionen für eine Notfall-Umverteilung auf freiwilliger Basis unter allen Mitgliedstaaten zu prüfen“835. In seiner Reaktion begrüßte das Europäische Parlament die geplante Aufstockung von „Triton“ und mahnte in der Reaktion auf die Tragödien im Mittelmeer eine Reaktion gemäß Art. 80 AEUV an.836 Darüber hinaus forderte es die Kommission auf, das Mandat von EASO auszuweiten, um dessen operative Rolle in der Bearbeitung von Asylanträgen in den Mitgliedstaaten zu stärken.837 Zudem forderte das EP die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie oder des NothilfeMechanismus in Art. 78 Abs. 3 AEUV.838 Bei den Themen Schleuserkriminalität und Neuansiedlung stimmte es mit den Plänen von Rat und Europäischem Rat überein. 4.3.3. Die „Migrationsagenda“ der Kommission Die Reaktion der Kommission ließ nicht lange auf sich warten: Sie stellte am 13. Mai 2015 ein umfangreiches Konzept vor, mit dem sie den migrationspolitischen Herausforderungen zu begegnen gedachte. In ihrer Migrationsagenda stellte sie zu diesem Zweck kurzfristige and langfristige Maßnahmen vor. 839 Die wesentlichen Punkte der Sofortmaßnahmen griffen die Anstöße von Rat, Europäischem Rat und Europäischem Parlament auf. Zuvorderst wurde die Verdreifachung der Mittel der Frontex-Operationen Triton und Poseidon angekündigt, „um den gleichen Umfang

834

835 836

837 838 839

Europäischer Rat (2015a): Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates von 23. April 2015 – Erklärung, EUCO 18/15, CO EUR 4, 23.04.2015, Brüssel, S. 1. Ebd., S. 2. Vgl. Europäisches Parlament (2015): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 29. April 2015 zu den jüngsten Tragödien im Mittelmeer und zur Migrations- und Asylpolitik der EU, 2015/2660(RSP), P8_TA(2015)0176, Brüssel, S. 3. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Europäische Kommission (2015a).

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

183

an Einsätzen wie im Rahmen der früheren italienischen Operation „Mare Nostrum“ zu gewährleisten.“840 Damit gestand die EU implizit die mangelnde Unterstützung Italiens bei „Mare Nostrum“ und die Verkleinerung von „Triton“ als Fehler ein. Die zweite wegweisende Entscheidung der Kommission sah vor, „einen zeitlich befristeten Verteilungsmechanismus für Personen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen“841 einzuführen, der „eine faire und ausgewogene Beteiligung aller Mitgliedstaaten an dieser gemeinsamen Anstrengung gewährleiste[n]“842 sollte. Den Grund für diese außergewöhnliche Maßnahme begründete die Kommission so: „Die Asylsysteme der Mitgliedstaaten sind heute einem nie dagewesenen Druck ausgesetzt, und es ist absehbar, dass sich der Zustrom von Flüchtlingen in die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen in den kommenden Sommermonaten fortsetzen wird. Die EU sollte nicht abwarten, bis der Druck unerträglich wird. Angesichts des Massenzustroms sind die Aufnahme- und Betreuungskapazitäten der örtlichen Einrichtungen bereits jetzt angespannt.“843

Was hier hervorsticht, ist die Feststellung eines „Massenzustroms“, der bereits vor der Intensivierung im Sommer wahrgenommen wird. Zudem ist bemerkenswert, dass eben jene Intensivierung korrekt früherkannt wird. Das Bestreben, vor einer befürchteten Eskalation der Lage wirksame Politiken zu implementieren, ist nicht zu übersehen. Die Neuansiedlungspläne nahm die Kommission ebenfalls auf und kündigte ein EU-weites Programm zur Übernahme von 20.000 Personen bis 2020 an und stellte für die Jahre 2015 und 2016 50 Mio. Euro in Aussicht.844 Ausführungen zur Bekämpfung der Schleusernetze845 und der Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Verhinderung der irregulären Migration846 fehlten ebenfalls nicht. Um die besonders unter Druck stehenden Mitgliedstaaten an den Außengrenzen zu unterstützen, versprach die Kommission die Entwicklung eines 840 841 842 843 844 845 846

Ebd., S. 4. Ebd., S. 5. Ebd. Ebd. Vgl. Ebd., S. 6. Vgl. Ebd., S. 4f. Vgl. Ebd., S. 6f.

184

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

„Brennpunkt-Konzeptes“ (im Folgenden: „Hotspots“), „bei dem das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO), Frontex und Europol vor Ort mit Mitgliedstaaten an den Außengrenzen zusammenarbeiten werden, um ankommende Migranten rasch erkennungsdienstlich zu behandeln, zu registrieren und ihre Fingerabdrücke abzunehmen.“847 Zudem stellte die Kommission für diese Staaten 60 Mio. Euro Soforthilfe für ihre Aufnahme- und Versorgungskapazitäten bereit.848 Zu den langfristigen Zielen gab die Kommission vier Schritte bekannt. Erstens sollten die Anreize für irreguläre Immigration reduziert werden, durch eine entsprechende Kooperation mit Drittstaaten, einen stärkeren Fokus auf die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, die Bekämpfung von Schleusernetzwerken und eine effizientere Rückführungspolitik.849 Zweitens sollte das Grenzmanagement vor allem durch eine Stärkung von Frontex verbessert werden, mit explizitem Hinweis auf die Rolle als Solidaritätsmotor der Grenzschutzagentur.850 Unter dem dritten Ziel einer Weiterentwicklung der gemeinsamen Asylpolitik stellte die Kommission zuerst einmal fest, dass es den Mitgliedstaaten untereinander an gegenseitigem Vertrauen fehle, was an dem uneinheitlichen Asylsystem liege.851 Daher müssten die Vorschriften des GEAS endlich vollständig und kohärent angewendet werden, weswegen die Kommission auch vermehrt Vertragsverletzungsverfahren in Erwägung ziehe.852 Insbesondere die Probleme des Dublin-Systems wurden in dem Papier in den Blick genommen. Dessen Mechanismus funktioniere „nicht so, wie er sollte.“ 853 Die Mitgliedstaaten wurden in der Migrationsagenda ermahnt, die entsprechenden Verordnungen ordnungsgemäß anzuwenden, insbesondere bei der Abnahme von Fingerabdrücken.854 Explizit wurden die Mitgliedstaaten auch aufgefordert, „umfassender und regelmäßig die Ermessensklauseln [zu] nutzen, die ihnen ermöglichen, einen Asylantrag zu prüfen und die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen zu entlasten.“855

847 848 849 850 851 852 853 854 855

Ebd., S. 7. Vgl. Ebd., S. 8. Vgl. Ebd., S. 9ff. Vgl. Ebd., S. 13f. Vgl. Ebd., S. 15. Vgl. Ebd. Ebd., S. 16. Vgl. Ebd. Ebd.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

185

Generell fällt an der Migrationsagenda auf, dass ungewöhnlich offen und frei von den üblichen politischen Zwängen, die vor allem oft durch Rücksichtnahme auf die Mitgliedstaaten einfließen, über die Problematik Bericht erstattet wird. Dies sticht vor allem in der Einleitung hervor, in der die wissenschaftlichen Fakten und Standpunkte der Zivilgesellschaft besondere Berücksichtigung finden. Dabei geht es um die Anerkennung der Komplexität im Umgang mit „mixed migration flows“856 sowie Migration als anthropologischem Kontinuum, die man nicht einfach an Grenzen stoppen kann;857 um die Beweggründe und Gefahren der Wanderungsbewegungen in Richtung Europa;858 die Problematik der Fremdenfeindlichkeit gegenüber Asylsuchenden, die unzureichende Politik auf dem Mittelmeer, die Notwendigkeit der Zuwanderung für die EU, die Priorisierung der Schutz-

856

857

858

Bei diesem Schlagwort geht um die anerkannte Tatsache, dass eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Migrationskategorien nahezu unmöglich ist. Gerade die Vermischung der Charakteristika und Motivationen von Migration macht diese aus. Grundsätzlich bestehen Wanderungsbewegungen daher aus „mixed migration flows“. Die Unterscheidung beispielsweise von Flucht und Migration ist eine willkürliche, von politischen Interessen gesteuerte, und basiert nicht etwa auf wissenschaftlichen Fakten. Die unterschiedlichen internationalen Standards zum Schutz innerhalb dieser Kategorien haben jedoch erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Staaten als auch auf die betroffenen Personen. Ebenso werden der öffentliche Diskurs und die Politik stark von dieser aus Sicht der Forschung fehlleitenden Kategorisierung gesteuert. Zu diesem Themenkomplex vgl. Scalettaris, Giulia (2007): Refugee Studies and the International Refugee Regime: A Reflection on a Desirable Separation, in: Refugee Survey Quarterly, Jg. 26 (3), S. 36-50; van der Klaauw, Johannes (2010): Refugee Rights in Times of Mixed Migration: Evolving Status and Protection Issues, in: Refugee Survey Quarterly, Jg. 28 (4), S. 59-86. Es ist eine gesicherte Tatsache, dass Migration ein anthropologisches Kontinuum ist. Vgl. Düvell (2006): S. 41. Die Frage ist, wie man dieser Tatsache politisch begegnet, insbesondere angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen, die Migration mit sich bringt. Vgl. Castles, Stephen/de Haas, Hein/Miller, Mark J. (2014): The Age of Migration. International Population Movements in the Modern World, 5. Auflage, Basingstoke, S. 317ff. Häufig werden in diesem Kontext nur die Probleme auf dem Mittelmeer wahrgenommen. Dabei wird vergessen, dass die meisten Bootsflüchtlinge nicht aus den nordafrikanischen Staaten kommen, sondern diese nur als Transitorte nutzen und aus dem subsaharischen Raum stammen. Die Wege, die viele bis zur Abfahrt über das Mittelmeer auf sich nehmen müssen, sind eher noch gefährlicher als die Überfahrt selbst. In einem gemeinsamen Projekt haben europäische Journalisten nachzuweisen versucht, welche Kosten und Mühsal die Migranten tragen und wie viele den Weg nach Europa mit dem Leben bezahlen mussten. Über 30.000 Migranten sind von 2000 bis Mitte 2016 dabei gestorben, die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Vgl. The Migrants‘ Files (2016): The human and financial cost of 15 years of Fortress Europe. Counting the Dead, http://www.themigrantsfiles.com/, abgerufen am 07.01.2019. Eine persönliche Perspektive hat der Journalist Fabrizio Gatti beigetragen, der Migranten auf dem Weg aus dem Senegal nach Italien begleitet hat: Vgl. Gatti, Fabrizio (2013): Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa, 2. Auflage, Hamburg.

186

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

pflicht gegenüber Schutzbedürftigen und die Einhaltung menschen- und grundrechtlicher internationaler Standards.859 Dieser Impetus ist bemerkenswert, da er von der üblichen Charakteristik abweicht und damit einen neuen Akzent in der Asylpolitik setzt. Dieser Impuls muss sich als krisenfest erweisen und stellt eine Herausforderung vor allem für den Rat dar. Die Entwicklung dieses abweichenden Impulses in der Krise, der vor allem für den Rat eine Herausforderung darstellt, wird im Laufe der Analyse weiter beobachtet. 4.3.4. Die Militäroperation „Sophia“ Als ersten Schritt zur Umsetzung der Migrationsagenda beschloss der Rat am 18. Mai 2015 eine Militäroperation, die dazu führen sollte, „das Geschäftsmodell der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetze im südlichen zentralen Mittelmeer zu unterbinden […], indem systematische Anstrengungen unternommen werden, um Schiffe und an Bord befindliche Gegenstände, die von Schleusern oder Menschenhändlern benutzt oder mutmaßlich benutzt werden, in Einklang mit dem anwendbaren Völkerrecht […] auszumachen, zu beschlagnahmen und zu zerstören.“860

Die EUNAVFOR MED-Mission wurde am 22. Juni 2015 eingeleitet.861 Später erhielt die „Sophia“ genannte Operation eine Erweiterung ihres Mandats, mit dem sie beauftragt wurde, Kapazitätsaufbau und Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine zu leisten.862 Da die eingesetzten Schiffe im Mittelmeer patrouillieren, sind sie auch verpflichtet, im Fall der Fälle Seenotrettung zu leisten. Diese ist aber kein explizites Ziel der Mission, die militärisch ausgelegt ist, weswegen sie auch vom Rat für Auswärtige Angelegenheiten beschlossen wurde. Sie steht damit neben der Operation „Triton“ mit gänzlich anderem Profil. 859 860

861

862

Vgl. Europäische Kommission (2015a): S. 1f. Beschluss (GASP) 2015/778 des Rates vom 18. Mai 2015 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED), in: ABl. Nr. L 122, 19.05.2015, S. 31-35, Art. 1. Vgl. Beschluss (GASP) 2015/972 des Rates vom 22. Juni 2015 über die Einleitung der Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED), in: ABl. Nr. L 157, 23.06.2015, S. 51. Vgl. Beschluss (GASP) 2016/993 des Rates vom 20. Juni 2016 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED Operation SOPHIA), in: ABl. Nr. L 162, 21.06.2016, S. 1820.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

187

Zunächst wurde das Mandat von „Sophia“ bis zum 31.12.2018 verlängert. In den Verhandlungen über den weiteren Einsatz weigerte sich die italienische Regierung vorerst, eine Verlängerung mitzutragen, solange die Anlandung von geretteten Migranten – wie derzeit noch festgelegt – nur an italienischen Häfen vollzogen wird.864 Die Regierung verlangte, dass die Schiffe mit Schutzsuchenden an Bord auch andere EU-Häfen im Mittelmeer ansteuern sollen. Sollte es keine Änderungen geben, drohte Außenminister Enzo Milanesi mit der Sperrung der italienischen Häfen und forderte die Solidarität der anderen Mitgliedstaaten ein.865 Diese Entwicklung zeigt, dass die Unterscheidung der Problembereiche der europäischen Seenotrettung und der Verteilung der Verantwortlichkeiten nicht trennscharf vollzogen werden kann. Hier muss also wieder primär die Frage nach der Solidarität in der europäischen Asylpolitik beantwortet werden. Von europäischen Schiffen gerettete Menschen müssten entsprechend gerecht über die Mitgliedstaaten verteilt werden. Zuletzt wurde das Mandat nach Querelen um die Verantwortlichkeitszuteilung nur um drei weitere Monate verlängert.866 863

4.3.5. Der erste Umsiedlungsbeschluss und das Neuansiedlungsprogramm Am 23. Mai 2015 verkündete die Kommission einen Teil der Umsetzung ihres Versprechens aus der Kommissionsagenda, Verstöße gegen das GEAS konsequenter ahnden zu wollen. Sie brachte insgesamt 40 Vertragsverletzungsverfahren gegen insgesamt 19 Mitgliedstaaten auf den Weg, die alle vier der fünf zentralen Rechtsakte bis auf die Dublin-III-Verordnung betrafen.867 863

864

865

866

867

Vgl. Beschluss (GASP) 2017/1385 des Rates vom 25. Juli 2017 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED Operation SOPHIA), in: ABl. Nr. L 194, 26.07.2017, S. 6162. Vgl. Euractiv (o. V.) (2018a): Italy to push EU for reform of „Operation Sophia“, 30.08.2018, https://www.euractiv.com/section/justice-home-affairs/news/italy-to-push-eu-for-reform-ofoperation-sophia/, abgerufen am 04.09.2018. Vgl. Küstner, Kai (2018): Zukunft von „Sophia“: EU ringt mit Italien um Mittelmeer-Mission, Tagesschau.de, 30.08.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/eu-einsatz-mittelmeer101.html, abgerufen am 04.09.2018. Vgl. Euractiv (o. V.) (2018b): Mittelmeermission „Sophia“ drei Monate verlängert, 19.12.2018, https://www.euractiv.de/section/europakompakt/news/mittelmeermission-sophia-drei-monate-verlaengert/, abgerufen am 14.01.2019. Vgl. Europäische Kommission (2015c): Mehr Verantwortung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: Europäische Kommission bringt Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf Kurs

188

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Am 27. Mai legte die Kommission den Vorschlag zur Umsetzung eines ihrer zentralen Vorhaben aus der Migrationsagenda vor: die Umsiedlung von 40.000 Personen aus den besonders unter Druck geratenen Mitgliedstaaten Italien und Griechenland in den Rest der EU unter Berufung auf Art. 78 Abs. 3 AEUV. 868 Der Europäische Rat segnete das Vorhaben auf seiner Sitzung einen Monat später ab und sagte darüber hinaus weitere 20.000 Plätze zur Neuansiedlung zu.869 Die Staats- und Regierungschefs bestätigten zudem die Einrichtung der „Hotspots“, von denen aus die Umsiedlung organisiert und durchgeführt werden sollte, und mahnten eine wirksame Rückführungspolitik an.870 Der Fokus der Schlussfolgerungen lag insgesamt deutlich auf einer möglichst schnellen und wirksamen Eindämmung der irregulären Migration.871 Einen weiteren Monat später fasste der Rat den von der Kommission vorgeschlagenen Beschluss zur Umsiedlung von 40.000 Personen, die unzweifelhaft Anspruch auf internationalen Schutz haben sollten.872 Dabei wurde auch die Neuansiedlung von weiteren 20.000 Menschen beschlossen, woran sich auch Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz beteiligten.873 4.3.6. Intensivierung der Wanderungsbewegungen in die EU Währenddessen hatte sich die Zahl der Schutzsuchenden im zweiten Quartal 2015 im Vergleich zum ersten noch einmal erhöht. Bis zur Jahreshälfte waren nun knapp 400.000 neue Asylanträge in der EU eingegangen.874 Damit wurde auf Ganzjahressicht ein Rekord angesteuert, womit sich der Handlungsdruck für die Akteure weiter verstärkte. Nachdem nun die Erweiterung der Seenotrettung, die Einrichtung der Hotspots und die Pläne zur Umsiedlung und Neuansiedlung als

868

869

870 871 872

873 874

und leitet 40 Vertragsverletzungsverfahren ein, Pressemitteilung IP/15/5699, 23.09.2015, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission (2015d): Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, COM(2015) 286 final, 27.05.2015, Brüssel. Vgl. Europäischer Rat (2015b): Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 25. und 26. Juni 2015, EUCO 22/15, CO EUR 8, CONCL 3, 26.06.2015, Brüssel, S. 2. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 1. Vgl. Rat der Europäischen Union (2015a): Outcome of the Council Meeting, 3405th Council meeting, Justice and Home Affairs, 11097/15, PRESSE 49, PR CO 41, 20.07.2015, Brüssel. Vgl. Ebd., S. 6. Vgl. Eurostat (2015c): Asyl in der EU: Über 210 000 erstmalige Asylbewerber in der EU im zweiten Quartal 2015, Pressemitteilung 163/2015, 18.09.2015, Luxemburg.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

189

konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht worden waren, geriet die Situation im August mit ihrem vorläufigen Höhepunkt endgültig zur „Flüchtlingskrise“. Während des Sommers hatte sich die Route über den westlichen Balkan als Hauptweg für diejenigen Menschen herauskristallisiert, die in der EU Schutz suchten. Dabei gelangten sie meist über die Türkei nach Griechenland, um von dort weiter über Mazedonien und Serbien Ungarn zu erreichen.875 Am 1. Juli 2015 hatte das WFP verkündet, dass es die Lebensmittelhilfe für Millionen syrische Geflüchtete im Libanon und Jordanien weiter kürzen müsse.876 Die gesamte Hilfsleistung für syrische Geflüchtete in der Region war zu diesem Zeitpunkt zu 81 Prozent unterfinanziert.877 Die Türkei hatte zwar großzügig ihre Grenzen für Schutzsuchende geöffnet – nicht nur aus Syrien, sondern auch aus dem Irak. Jedoch hatten sie kaum eine Möglichkeit, dort gesellschaftlich Fuß zu fassen: Sie wurden in der Türkei als Gäste behandelt, die auf ihre Rückkehr warten durften, ohne einen rechtlichen Flüchtlingsstatus zuerkannt zu bekommen, weswegen sie keine offizielle Arbeitserlaubnis erhielten und nur eingeschränkten Zugang zum Gesundheits- und Schulsystem.878 Knapp zwei Millionen Geflüchtete waren so einer Perspektivlosigkeit ausgesetzt, die sie vermehrt die Balkanroute in Richtung EU einschlagen ließ.879 Da die östliche Balkanroute mit schwer zu überwindenden Hindernissen belegt worden war, setzten die meisten Menschen von der Türkei über die Ägäis nach Griechenland über und wanderten von dort unregistriert weiter nach Mitteleuropa.880

875

876

877

878

879

880

Vgl. Maxwill, Peter (2015): Flüchtlingsreport: Amnesty prangert Polizeiwillkür auf dem Balkan an, Spiegel Online, 07.07.2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/amnesty-international-veroeffentlicht-fluechtlingsreport-eine-tortur-a-1042253.html, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. World Food Programme (2015): WFP muss Nothilfe für syrische Flüchtlinge weiter kürzen, 01.07.2015, http://de.wfp.org/WFP-muss-Nothilfe-fuer-syrische-Fluechtlinge-weiterkuerzen, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Deutschlandfunk (o. V.) (2015): Syrische Flüchtlinge erhalten weniger Unterstützung, 03.07.2015, https://www.deutschlandfunk.de/welternaehrungsprogramm-syrische-fluechtlinge-erhalten.2852.de.html?dram:article_id=324449, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Seibert, Thomas (2015): Syrer in der Türkei – Gäste ohne Rechte, Tagesspiegel, 23.09.2015, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlingskrise-syrer-in-der-tuerkeigaeste-ohne-rechte/12358234.html, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Seibert, Thomas (2015): „Warum sind die denn bei uns nicht glücklich?“, Tagesspiegel, 16.09.2015, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-in-der-tuerkei-warum-sind-diedenn-bei-uns-nicht-gluecklich/12329972.html, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 31.

190

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

4.3.7. Eskalation im Spätsommer 2015 Da Ungarn Mitte Juli 2015 angefangen hatte, an der Grenze zu Serbien einen 175 km langen Grenzzaun zu bauen, war für die Schutzsuchenden eine gewisse Eile geboten.881 Wegen des immer größer werdenden Andranges hatte Mazedonien am 20. August 2015 den Ausnahmezustand erklärt und die Grenze zu Griechenland geschlossen.882 Aufgrund der Vehemenz des Andranges wurde der Grenzübergang drei Tage später wieder geöffnet, da Mazedonien – aber auch Serbien – nur Durchgangsstationen für die Flüchtenden waren auf ihrem Weg nach Mitteleuropa.883 Beide Länder waren mit dem plötzlichen und ungewöhnlich hohen Aufkommen von Flüchtenden überfordert, dazu mit unzureichenden Kapazitäten und Politiken gegenüber Asylsuchenden ausgestattet, weswegen es dort – vor allem in Serbien – zu erheblicher Unterversorgung bis hin zu Menschenrechtsverletzungen kam.884 Verschlimmert wurde die Situation auf der Route auch dadurch, dass sich viele Menschen aus einigen Balkanstaaten ebenfalls dazu entschlossen, sich dem Treck anzuschließen und in die EU einzuwandern.885 In dieser zugespitzten Situation sorgte ein Tweet des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für Aufsehen: „#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.“886 Damit hatte die Bundesregierung ent-

881

882

883

884

885

886

Vgl. Zeit Online (o. V.) (2015d): Flüchtlinge: Ungarn beginnt mit Bau von Grenzzaun, 13.07.2015, https://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/ungarn-grenzzaun-fluechtlinge-serbien, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Spiegel Online (o. V.) (2015): Flüchtlinge: Mazedonien erklärt den Ausnahmezustand, 20.08.2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-mazedonien-erklaert-ausnahmezustand-a-1049053.html, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2015a): Flüchtlingsstrom: Tausende auf „Balkan-Route“ unterwegs, 23.08.2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tausendefluechtlinge-auf-balkan-route-unterwegs-nach-europa-13765563.html, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Pro Asyl (2015): Letzter Ausweg Balkan-Route: Die Not der Flüchtlinge, 24.08.2015, https://www.proasyl.de/news/letzter-ausweg-balkan-route-die-not-der-fluechtlinge/, abgerufen am 01.09.2018; Hassel, Florian (2015): Flüchtlinge auf dem Balkan: Auf der Strecke, Süddeutsche Zeitung, 25.08.2015, https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-auf-derstrecke-1.2619615, abgerufen 01.09.2018. Vgl. Hassel, Florian/Pantel, Nadia (2015): Was Menschen vom Balkan zur Flucht treibt, Süddeutsche Zeitung, 17.08.2015, https://www.sueddeutsche.de/politik/sichere-herkunftsstaatendemokratien-mit-fussnote-1.2610249, abgerufen am 01.09.2018. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2015): #Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

191

schieden, „auf Rücküberstellungen von syrischen Asylbewerbern in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Regelfall zu verzichten.“ 887 Darunter fielen damit auch Rückstellungen nach Ungarn. Deutschland machte so von dem Selbsteintrittsrecht der Dublin-III-Verordnung Gebrauch. Durch die prekäre Situation auf der Balkanroute sah sich Ungarn mit einer ungewöhnlich hohen Zahl Flüchtender konfrontiert. Im Jahr 2014 kamen in Ungarn knapp 43.000 Asylsuchende an (davon etwa 28.000 nur im letzten Quartal888), im Vergleich zu knapp 19.000 im gesamten Jahr zuvor und gar nur 2.155 im Jahr 2012.889 Durch die Entwicklungen auf der Balkanroute schnellten die Zahlen 2015 in Ungarn extrem in die Höhe: Während bis Juni ca. 33.000 Menschen ankamen, wurde diese Zahl im Juli noch einmal erreicht, im August wurden dann noch einmal fast 50.000 Menschen registriert.890 Die meisten dieser Menschen wollten aber nach Österreich beziehungsweise Deutschland weiterreisen. Die ungarische Regierung zeigte ohnehin kein Interesse daran, den Flüchtenden eine akzeptable Versorgung anzubieten. So verschlimmerte sich die Situation zum Beispiel am Budapester Keleti-Bahnhof in der ersten Septemberwoche immer weiter: Mehrere Tausend Menschen warteten auf eine Möglichkeit zur Weiterreise, die ihnen nicht genehmigt wurde, mussten unter freiem Himmel übernachten und wurden nicht von der öffentlichen Hand versorgt.891 Daraufhin machten sich am 4. September mehr als 2.000 von ihnen zu Fuß in Richtung ungarisch-österreichischer Grenze auf den Weg.892 Noch in derselben Nacht einigten sich die deutsche Bundeskanzlerin Merkel und der österreichische Bundeskanzler Faymann auf eine Initiative des ungarischen Ministerpräsidenten

887

888 889 890

891

892

verfolgt, 25.08.2015, https://twitter.com/BAMF_Dialog/status/636138495468285952, abgerufen am 01.09.2018. Bundesregierung (2015a): Europäische Flüchtlingspolitik. Dublin-Abkommen gilt für alle EU-Staaten, 03.09.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/09/ 2015-09-02-fluechtlinge-dublin-verfahren.html, abgerufen am 01.09.2018. Vgl. Eurostat (2015b). Vgl. Eurostat (2015a). Vgl. Juhász, Attila/Hunyadi, Bulcsú/Zgut, Edit (2015): Focus on Hungary: Refugees, Asylum and Migration, Study commissioned by the Heinrich-Böll-Stiftung, Prag, S. 12. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2015e): Budapest: Tausende Flüchtlinge harren vor Keleti-Bahnhof aus, 02.09.2015, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-09/budapest-keletibahnhof-fluechtlinge, abgerufen am 03.09.2018. Vgl. Orth, Stephan (2015): Flüchtlinge auf Ungarns Autobahnen: Dann eben zu Fuß, Spiegel Online, 04.09.2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-ungarn-zu-fussunterwegs-mit-einem-treck-a-1051498.html, abgerufen am 03.09.2018.

192

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Orbán hin zu einer Aufnahme der mehreren tausend Geflüchteten, die in Budapest auf ihrer Weiterreise warteten oder sich bereits auf den Weg gemacht hatten. 893 Daraufhin wurden Bus- und Bahntransfers organisiert, um die Menschen nach Österreich und Deutschland zu transportieren.894 In Anbetracht der kontroversen und teils polemisch geführten Debatten zu dieser Entscheidung Merkels (und Faymanns) ist festzustellen, dass diese Aktion eine Ausnahme bleiben sollte, die zur Linderung der in Ungarn entstandenen Notlage dienen sollte.895 Dies unterstrich die Bundesregierung, indem sie betonte, dass diese Situation keinesfalls anhalten solle, und erinnerte die ungarische Regierung an ihre Verpflichtungen im Dublin-System.896 Auch wenn die Entscheidung sehr kurzfristig fiel und nicht in einem größeren europäischen Kontext getroffen wurde, so war sie für den Moment, auf eine gewisse Anzahl von Menschen begrenzt und zur Verhinderung eines humanitären Desasters auf europäischem Boden gedacht. Das berühmt-berüchtigte Zitat der Bundeskanzlerin – „Wir schaffen das!“ – ist übrigens eine Aussage, die am 31. August 2015 – also im Vorfeld dieses Ereignisses – von ihr getätigt wurde, und nicht etwa als Reaktion darauf.897 4.3.8. Der zweite Umsiedlungsbeschluss des Rates Nach dieser unter besonderen Umständen herbeigeführten Sonderlösung zwischen den drei Mitgliedstaaten Deutschland, Österreich und Ungarn schritt die EU auf ihrem festgelegten Kurs weiter. Am 9. September schlug die Kommission eine

893

894

895

896

897

Vgl. Blume Georg et al. (2016): Grenzöffnung für Flüchtlinge: Was geschah wirklich?, Zeit Online, 22.08.2016, https://www.zeit.de/2016/35/grenzoeffnung-fluechtlinge-september2015-wochenende-angela-merkel-ungarn-oesterreich, abgerufen am 03.09.2018. Vgl. Tagesschau.de (o. V.) (2015): Österreich und Deutschland erlauben Einreise. Der Weg nach Westen ist offen, 05.09.2015, https://www.tagesschau.de/ausland/ungarn-fluechtlinge133.html, abgerufen am 03.09.2018. Vgl. Bundesregierung (2015b): Bundeskanzlerin Merkel telefoniert mit Ministerpräsident Orbán, Pressemitteilung 309/2015, 05.09.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2015/09/2015-09-05-merkel-orban.html, abgerufen am 03.09.2018. Vgl. Bundesregierung (2015c): „Wir haben eine akute Notlage bereinigt“, 06.09.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/09/2015-09-05-einreise-fluechtline-ungarn.html, abgerufen am 06.09.2018. Vgl. Bundesregierung (2015d): Sommerpressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel im Wortlaut, 31.08.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/08/2015-08-31-pk-merkel.html, abgerufen am 03.09.2018.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

193

Erweiterung des Umsiedlungsmechanismus vor – zu den ursprünglich festgelegten 40.000 sollten nun weitere 120.000 Menschen umgesiedelt werden, was explizit eine Reaktion auf die Antragszahlen von Juli und August war. 898 Daher wurde nun auch Ungarn als Nutznießer in den Beschlussvorschlag mitaufgenommen und sollte in gleichem Maße wie Griechenland entlastet werden. Dabei sollte auch dieser Mechanismus auf zwei Jahre begrenzt werden und nur Personen umfassen, die eindeutig internationalen Schutz genießen würden – der Kommission zufolge Antragsteller aus Ländern, die im EU-Durchschnitt laut Eurostat eine Anerkennungsquote von mindestens 75% aufwiesen.899 Fünf Tage später beschloss der Rat zuerst einmal die Umsiedlung der 40.000 Menschen (24.000 aus Italien, 16.000 aus Griechenland) auf Grundlage des Vorschlags vom 27. Mai.900 Am 22. September besiegelte der Rat dann die Umsiedlung von 120.000 Personen gemäß dem Vorschlag vom 14. September, allerdings nur noch aus Italien und Griechenland.901 Von dem endgültigen Beschluss war Ungarn ausgenommen worden, da es sich gegen die Implementierung dieser Maßnahme grundsätzlich zur Wehr setzte.902 Ungarn wollte nicht als Mitgliedstaat an den Außengrenzen qualifiziert werden, so die offizielle Begründung.903 Die Regierung Orbán war nicht einverstanden mit der mandatorischen Übernahme von Kontingenten aus dem zweiten Ratsbeschluss; der erste war noch auf Basis freiwillig zur Verfügung gestellter Kontingente zustande gekommen.

898

899 900

901

902

903

Vgl. Europäische Kommission (2015e): Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien, Griechenland und Ungarn, COM(2015) 451 final, 2015/0209 (NLE), 09.09.2015, Brüssel, S. 4. Vgl. Ebd., S. 5. Vgl. Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, in: ABl. Nr. L 239, 15.09.2015, S. 146-156. Vgl. Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, in: ABl. Nr. L 248, 24.09.2015, S. 80-94. Vgl. Regierung des Großherzogtum Luxemburg (2015): Außerordentliche Tagung des Rates „Justiz und Inneres“ – Minister beschließen mit qualifizierter Mehrheit den provisorischen Mechanismus für die Notfall-Umsiedlung von 120.000 Personen, die internationalen Schutz brauchen, 22.09.2015, http://www.eu2015lu.eu/de/actualites/articles-actualite/2015/09/22conseil-jai-extra/index.html, abgerufen am 24.09.2018. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017b): Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot, Rechtssachen C‑643/15 und C‑647/15, Slowakische Republik und Ungarn gegen Rat der Europäischen Union, 26.07.2017, Luxemburg, S. 3.

194

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Diese Opposition unterstützten die Slowakei, Rumänien und die Tschechische Republik, die dementsprechend ebenfalls gegen den Ratsbeschluss votierten.904 Damit fiel der Anteil der aus Ungarn umzusiedelnden Personen vorerst aus den Zuweisungen heraus. 4.3.9. Die „Hotspots“ Die Umsiedlung sollte in Hotspots in Italien und Griechenland organisiert werden, die dort zu diesem Zweck eingerichtet wurden. Am 14. Dezember 2015 hatte die EU dem UNHCR 80 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, um die Unterbringung in und die Umverteilung aus den griechischen Hotspots zu unterstützen. 905 Derzeit sind dies vier Aufnahmeeinrichtungen in Italien mit einer Kapazität von 1.600 Plätzen (ein fünfter befindet sich im Aufbau) und fünf in Griechenland mit Platz für 7.450 Menschen.906 In diesen Hotspots wird EASO zur Unterstützung der Asylverfahren sowie der Koordinierung der Umsiedlung eingesetzt, Frontex für die Registrierung sowie die Rückführung abgelehnter Asylbewerber und Europol sowie Eurojust für die Zerschlagung der Schleuser- und Schleppernetzwerke.907 Problematisch ist das Hotspot-Konzept in vielerlei Hinsicht. Da ihm kein Rechtsakt zugrundliegt, ist ganz grundsätzlich die Daseinsberechtigung der Hotspots anzuzweifeln.908 Zudem haben EASO-Offizielle in Griechenland nachweislich die Befragungen in den Asylverfahren selbst durchgeführt und selbständig Entscheidungen über Asylverfahren getroffen, was ihr rechtliches Mandat übersteigt.909 Die Statusdetermination ist nicht europäisiert, sondern obliegt allein den Mitgliedstaaten und darf damit nicht von EU-Institutionen letztverantwortlich

904

905

906 907

908

909

Vgl. Rat der Europäischen Union (2015b): Protokoll der Tagung des Rates der Europäischen Union (Justiz und Inneres) vom 22. September 2015, 12295/15, LIMITE, PV/CONS 47, JAI 684, 13.10.2015, Brüssel, S. 3. Vgl. Europäische Kommission (2015f): Europäische Kommission und UNHCR starten Mietkostenzuschuss- und Gastfamilienprogramm zur Bereitstellung von 20 000 Aufnahmeplätzen für Asylsuchende in Griechenland, Pressemitteilung IP/15/6316, 14.12.2015, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission (2017b): Hotspot State of Play, 18.12.2017, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission (2015g): Explanatory note on the „Hotspot“ approach, 15.07.2015, Brüssel, S. 4f. Vgl. Menendéz, Augustín José (2016): The Refugee Crisis: Between Human Tragedy and Symptom of the Structural Crisis of European Integration, in: European Law Journal, Jg. 22 (4), S. 388-416, S. 408. Vgl. Horii, Satoko (2018): Accountability, Dependency, and EU Agencies: The Hotspot Approach in the Refugee Crisis, in: Refugee Survey Quarterly, Jg. 37 (2), S. 204-230, S. 225.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

195

durchgeführt werden. EASO-Mitarbeiter dürfen daher in solchen Verfahren nur assistieren. Auch in den italienischen Hotspots sind Probleme mit der Einhaltung rechtlicher Prinzipien nachgewiesen: So werden unerlaubterweise Zwangsmaßnahmen zum Abgeben der Fingerabdrücke angewendet; die Polizei übernimmt Aufgaben, die über ihre Kompetenzen hinausgehen.910 In beiden Ländern wird zudem die Inhaftnahme der Asylsuchenden standardmäßig praktiziert und es gibt kein Monitoring der Vorgänge in den Hotspots.911 Ein weiteres Problem, das hin und wieder auch mediale Aufmerksamkeit erhält, ist die chronische Überlastung der Aufnahmezentren vor allem in Griechenland, in denen häufig sehr viel mehr Menschen leben müssen als vorgesehen.912 Diese Probleme haben sich nach dem EU-TürkeiStatement noch einmal verschärft, da es EASO seitdem auch obliegt herauszufinden, welche Antragsteller in die Türkei zurückgeführt werden können. 913 Im Hinblick darauf, dass den in den Aufnahmeeinrichtungen ankommenden Menschen nun zu fast 100% die Fingerabdrücke zur Registrierung abgenommen werden, kann man aus Kommissionssicht die Hotspots als „operativen Erfolg“914 werten. Die deutsche Bundesregierung gab bekannt, dass die Umverteilungsverfahren unproblematisch verliefen und die Aufenthaltsdauer für Schutzsuchende in den italienischen Hotspots maximal 72 Stunden betrage.915 Letztlich ist das Ergebnis aber, dass die Belastung von Italien und Griechenland nicht etwa

910

911 912

913 914

915

Vgl. Papadopoulou, Aspasia (2016): The implementation of the hotspots in Italy and Greece. A Study, Dutch Council for Refugees, Amsterdam, S. 51. Vgl. Ebd., S. 51f. Vgl. UN News (o. V.) (2018): Refugees overcrowded to „boiling point“ on Greek island, warns UN agency, 31.08.2018, https://news.un.org/en/story/2018/08/1018112, abgerufen am 10.09.2018; Asylum Information Database (2018a): Conditions in Reception Facilities. Greece, http://www.asylumineurope.org/reports/country/greece/reception-conditions/housing/conditions-reception-facilities, abgerufen am 10.09.2018; Asylum Information Database (2018b): Conditions in Reception Facilities. Italy, https://www.asylumineurope.org/reports/country/italy/reception-conditions/housing/conditions-reception-facilities, abgerufen am 10.09.2018. Vgl. Horii (2018): S. 222. Europäische Kommission (2017c): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Umsetzung der Europäischen Migrationsagenda, COM(2017) 558 final, 27.09.2017, Brüssel, S. 13. Vgl. Deutscher Bundestag (2016): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Claudia Roth (Augsburg), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union, Drucksache 18/10152, 26.10.2016, Berlin, S. 4ff.

196

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

verringert, sondern im Gegenteil verstärkt wurde, wenn man die strukturellen Fehler im Design und der Implementierung miteinbezieht.916 Italien und Griechenland werden durch das Hotspots-Konzept gezwungen, die ankommenden Geflüchteten zu registrieren und sie danach zu versorgen. Dem konnten sie, bevor es die Hotspots gab, durch Nichteinhaltung der Dublin-Regeln entgehen, wodurch sie einen Teil ihrer unverhältnismäßig hohen Verantwortung an andere Mitgliedstaaten abgaben. Dieses Vorgehen ist durch das Hotspot-Konzept nur noch eingeschränkt möglich. Gleichzeitig ist die Unterstützungsleistung der anderen Mitgliedstaaten und der Kommission nicht hinreichend. Das bezeugt unter anderem die Tatsache, dass die involvierten EU-Agenturen mit ihren Aufgaben überfordert sind, da die Mitgliedstaaten nicht genügend Experten zur Verfügung stellen.917 Die ungerechte Verantwortlichkeitszuteilung im GEAS, die gegen das Solidaritätsprinzip verstößt, wird so noch tiefer verankert. Die Funktionsfähigkeit des Dublin-Systems wird durch die Hotspots zwar verbessert, die aus der Zuständigkeitsallokation resultierenden Probleme für das GEAS und letztlich die gesamte EU jedoch verstärken sich. 4.3.10. Die Schließung der Balkanroute Durch die Eskalation im Spätsommer 2015 wurde in der EU nach Wegen gesucht, die Fluchtbewegungen zu stoppen. Relativ rasch nach der Sonderregelung zwischen Ungarn, Österreich und Deutschland begann die Einsetzung von Mechanismen zur Verringerung der Zahl von Asylsuchenden. Im Folgenden wird geschildert und diskutiert, wie die Einführung von Grenzkontrollen sowie die Beendigung des Selbsteintritts durch Deutschland zur proklamierten „Schließung“ der Balkanroute führten. 4.3.10.1. Deutschland beginnt Grenzkontrollen und beendet den Selbsteintritt Da der Zuzug von Schutzsuchenden nach Deutschland und Österreich nicht abbrach, führten beide Länder kurz nacheinander – am 13. bzw. 15. September 2015

916

917

Vgl. Guild, Elspeth/ Costello, Cathryn/Moreno-Lax, Violeta (2017): Implementation of the 2015 Council Decisions establishing provisional measures in the area of international protection for the benefit of Italy and of Greece, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel, S. 9. Vgl. Horii (2018): S. 227.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

197

– Grenzkontrollen entlang der Migrationsroute ein.918 Kurz darauf begann Ungarn mit dem Bau einen Grenzzauns zu Kroatien.919 Dadurch wichen die Flüchtenden über Kroatien nach Slowenien aus. Diese beiden Staaten organisierten wie Mazedonien einen Transit, wodurch bis Oktober eine Art Korridor, weniger eine Route, installiert wurde, durch den die Menschen von Griechenland aus bis nach Deutschland gebracht wurden.920 Die Politik des „Durchwinkens“ von Flüchtenden hatte damit ihren Zenit erreicht. Obschon damit die ganze Dysfunktionalität des zu diesem Zeitpunkt vollends zusammengebrochenen Dublin-Systems noch einmal deutlich sichtbar wurde, so war das Prozedere des „Durchwinkens“ nichtsdestoweniger als illegal einzustufen.921 Dies hat der EuGH im Jahr 2017 bestätigt.922 Am 21. Oktober 2015 beendete Deutschland die Praxis des Selbsteintritts für Asylgesuche syrischer Flüchtender.923 Ob dieses Vorgehen überhaupt rechtens war, ist unter Experten umstritten. Grundsätzlich sind zu dieser Debatte zwei konkurrierende Sachverhalte festzuhalten: Auf der einen Seite würde eine extensive Anwendung des Selbsteintrittsrechts das Zuständigkeitssystem unterhöhlen und könnte eine Verletzung des effet-utile-Prinzips darstellen, weswegen sie nicht grenzenlos ausfallen darf.924 Auf der anderen Seite ist der Selbsteintritt nicht an

918

919

920

921

922 923

924

Vgl. Deutsche Welle (o. V.) (2015): Jetzt auch Grenzkontrollen in Österreich, 15.09.2015, https://www.dw.com/de/jetzt-auch-grenzkontrollen-in-%C3%B6sterreich/a-18716719, abgerufen am 05.09.2018. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2015b): Flüchtlingskrise: Ungarn baut Zaun an der Grenze zu Kroatien, 18.09.2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/fluechtlingskrise-ungarn-baut-zaun-an-der-grenze-zu-kroatien-13810213.html, abgerufen am 05.09.2018. Vgl. Kasparek, Bernd (2017): Routen, Korridore und Räume der Ausnahme, in: Hess, Sabine et al. (Hg.): Der lange Sommer der Migration. Grenzregime III, 2. Auflage, Berlin/Hamburg, S. 38-51, S. 42. Vgl. Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (2016b): Grenzenloses Asylrecht? Die Flüchtlingskrise als Problem europäischer Rechtsintegration, in: Juristenzeitung, Jg. 71 (15-16), S. 753-763, S. 758; Peukert, Alexander et al. (2016): Einreisen lassen oder zurückweisen? Was gebietet das Recht in der Flüchtlingskrise an der deutschen Staatsgrenze?, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 36 (4), S. 131-136, S. 131. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017a). Vgl. Zeit Online (o. V.) (2015f): Flüchtlingskrise: Deutschland wendet Dublin-Verfahren wieder an, 10.11.2015, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-11/fluechtlingskrisedeutschland-dublin-verfahren-syrer, abgerufen am 20.09.2018. Vgl. Filzwieser, Christian/Sprung, Andrea (2014): Dublin III-Verordnung. Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand 01.02.2014, Berlin, Art. 17, K. 2.

198

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

materielle Bedingungen geknüpft, womit ein erheblicher Spielraum für die Exekutive besteht.925 Somit besteht ein Interpretationsspielraum in Bezug auf die Frage, ob Deutschland das Dublin-System außer Kraft gesetzt926 und damit gar das gesamte Asylsystem untergraben hat;927 oder ob die deutsche Bundesregierung innerhalb eines zeitlichen und letztlich auch quantitativ begrenzten Rahmens gehandelt hat, was eben keinen Rechtsbruch darstellen würde.928 Stichhaltiger erscheint die zweite Argumentation. Zum einen hatte die Bundesregierung das Dublin-System nicht außer Kraft gesetzt, sondern ausdrücklich vom darin vorgesehenen Recht des Selbsteintritts Gebrauch gemacht. Dies wurde zudem nur auf syrische Staatsbürger und für einen Zeitraum von weniger als zwei Monaten – also quantitativ und qualitativ begrenzt – angewendet. Die Kommission hatte die Mitgliedstaaten in der Migrationsagenda noch zu einem solchen Vorgehen ermutigt.929 Der EuGH bestätigte im Jahr 2017 die Praxis des Selbsteintritts, insbesondere in Zeiten hoher Flüchtlingsaufkommen, explizit als rechtskonform und als Ausdruck von Art. 80 AEUV.930 Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung plausibler, dass Berlin mit dieser Praxis versuchte, das Dublin-System am Leben zu erhalten, und es nicht etwa eigenmächtig zum Einsturz brachte. Wenn es während des Zeitraums des Selbsteintritts zusammengebrochen war, wofür vieles spricht, dann aufgrund der Probleme auf der Westbalkanroute, die innerhalb der EU von Griechenland ausgingen und auch von Kroatien und Slowenien nicht behoben wurden. Deutschland war in diesem Sinne das letzte Glied in der Kette, das auf diese Entwicklungen reagierte. Eher ist das Vorgehen der Bundesregierung als Reaktion auf den Kollaps zu sehen. Diese Einschätzung gilt wohl auch für die Ankündigung des Selbsteintritts im Falle syrischer Flüchtender.931 925

926 927 928

929 930

931

Vgl. Wendel, Mattias (2016): Asylrechtlicher Selbsteintritt in der Flüchtlingskrise, in: Juristenzeitung, Jg. 71 (7), S. 332-341, S. 338. Vgl. Peukert et al. (2016): S. 135. Vgl. Hailbronner/Thym (2016b): S. 759. Vgl. Brings, Tobias/Farahat, Anuscheh/Oehl, Maximilian (2016): Von wegen „Rückkehr zum Recht“: Warum die deutsche Grenzpolitik den Maßgaben des Dublin-Systems entspricht, VerfBlog, 09.03.2016, https://verfassungsblog.de/von-wegen-rueckkehr-zum-recht-warum-diedeutsche-grenzpolitik-den-massgaben-des-dublin-systems-entspricht/, abgerufen am 21.09.2018; Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 32. Vgl. Europäische Kommission (2015a): S. 16. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017c): Rechtssache C‑646/16, Urteil vom 26.07.2017, Luxemburg, Rn. 100. Eine sachliche und faktenbasierte Analyse kann nicht belegen, dass diese Ankündigung einen „Pull-Faktor“ erzeugt hat, da ein solcher kausaler Zusammenhang schlicht nicht herstellbar

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

199

Hinzu kommt die Tatsache, dass durch die Behauptung einer „Außerkraftsetzung“ oder einer „Untergrabung“ ein vorangegangener Status quo insinuiert wird, der nie existiert hat, da das Dublin-System auch ohne die ungewöhnlich hohen Zahlen von Schutzsuchenden realiter nie funktioniert hat.932 Diese Debatte hängt mit der Kontroverse um die angebliche „Grenzöffnung“ zusammen, die Deutschland vollzogen habe. Zuerst einmal ist dazu festzuhalten, dass dieser Vorwurf bereits semantisch widersinnig ist, da es dafür eine geschlossene Grenze braucht, die zwischen den Mitgliedern der Schengen-Staaten nicht existiert. Daran wird bereits der Wille deutlich, rhetorisch einen Rechtsbruch zu framen, weswegen dieser Mythos besonders in Kreisen des rechten Spektrums verwendet wird.933 Hier befinden sich die Vertreter derjenigen Argumentationslinie, die das Vorgehen der Bundesregierung als nicht mit geltendem Recht vereinbar sehen, deutlich in der Minderzahl. Das liegt auch daran, dass die Befürworter sich zum Beispiel auf Art. 20 der Dublin-III-Verordnung stützen, wonach die Zurückweisung von Drittstaatsangehörigen an der deutsch-österreichischen Grenze (beziehungsweise jeder Binnengrenze zwischen Mitgliedstaaten des Dublin-Systems) die „grundsätzlich vorgesehene Rechtsfolge“934 im Europarecht sei. Der betreffende Artikel bezieht sich allerdings auf die Verhinderung des so genannten Botschaftsasyls und gewinnt nur Geltung, wenn ein Asylantrag vom Staatsgebiet eines anderen Staates aus gestellt wird, wovon der Bereich der eigenen Staatsgrenze ausdrücklich ausgenommen ist.935 Die Zuständigkeit für ein Asylverfahren ist immer zuerst zu prüfen, weswegen eine Abweisung von Schutzsuchenden an der Grenze nicht mit geltendem Recht vereinbar wäre.936 Im Übrigen sind alle anderen Argumentationen gegenstandslos, die die Normenhierarchie nicht beachten,

932 933

934 935

936

ist. Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017), S. 32. Vgl. Kap. 3.2.7. Vgl. zum Mythos des Rechtsbruches und der Nutzung durch das rechte Spektrum wie der „Erklärung 2018“: Thym, Daniel (2018): Der Rechtsbruch-Mythos und wie man ihn widerlegt, VerfBlog, 02.05.2018, https://verfassungsblog.de/der-rechtsbruch-mythos-und-wieman-ihn-widerlegt/, abgerufen am 23.09.2018. Peukert et al. (2016): S. 133. Vgl. Cremer, Hendrik (2018): Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze? Eine menschen- und europarechtliche Bewertung, Stellungnahme, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin, S. 7. Die extensive Debatte ist zwar rechtlich kompliziert, aber in der Sache eindeutig gegen den Standpunkt von Peukert et al. (2016) geführt worden: Vgl. Thym, Daniel (2015): Jenseits von Dublin: zulässige Rückschiebungen in die Nachbarstaaten, VerfBlog, 01.11.2015, https://verfassungsblog.de/jenseits-von-dublin-zulaessige-rueckschiebungen-in-die-nachbarstaaten/,

200

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

nach der Europarecht deutsches Recht und die Dublin-III-Verordnung in Fällen von Asylbegehren den Schengener Grenzkodex überformen. Nichtsdestoweniger zeigte dieser Zustand auf der Balkanroute die Untauglichkeit des Verantwortungszuteilungssystems in Anbetracht der Anzahl der Flüchtenden, nicht nur für die Außengrenzstaaten, sondern für alle, die in dieser Situation schlicht keine Verantwortung übernehmen wollten. Dazu stellte Angela Merkel am 7. Oktober 2015 bei einer Rede vor dem Europäischen Parlament fest: „Seien wir ehrlich: Das Dublin-Verfahren in seiner jetzigen Form ist in der Praxis obsolet. Es war in der Tat gut gemeint; ohne Zweifel. Doch unter dem Strich hat es sich angesichts der Herausforderungen an unseren Außengrenzen als nicht tragfähig erwiesen. Ich setze mich deshalb dafür ein, dass wir ein neues Vorgehen für Fairness und Solidarität in der Lastenteilung vereinbaren.“937

Dieses Eingeständnis der deutschen Bundeskanzlerin ist bemerkenswert. Sie bezog den Misserfolg des Dublin-Systems keineswegs nur auf die damalige Situation, sondern auf das Zuständigkeitssystem insgesamt. Damit bestätigte eine der führenden Regierungschefinnen der EU die Tatsache, die bereits im vorangegangenen Kapitel dargelegt wurde, und die sich in der „Flüchtlingskrise“ als fatal erwies: Das Dublin-System hat zu keinem Zeitpunkt seine Ziele erreicht beziehungsweise funktioniert und war angesichts der Ausnahmesituation im Sommer 2015 zeitweise vollends zusammengebrochen. Seine Unangemessenheit hatte sich nunmehr vollumfänglich und für alle sichtbar offenbart.

937

abgerufen am 23.09.2018; Lehner, Roman (2016): Grenze zu, dank Art. 20 Abs. 4 Dublin-IIIVO? Eine Replik, VerfBlog, 26.02.2016, https://verfassungsblog.de/grenze-zu-dank-art-20abs-4-dublin-iii-vo-eine-replik/, abgerufen am 24.09.2018; Hruschka, Constantin (2018): Dublin ist kein Fünf-Minuten-Verfahren – Zu Zurückweisungen an der Grenze, VerfBlog, 23.06.2018, https://verfassungsblog.de/dublin-ist-kein-5-minuten-verfahren-zu-zurueckweisungen-an-der-grenze/, abgerufen am 24.09.2018; Schmalz, Dana (2018): Weshalb man Asylsuchende nicht an der Grenze abweisen kann, VerfBlog, 13.06.2018, https://verfassungsblog.de/weshalb-man-asylsuchende-nicht-an-der-grenze-abweisen-kann/, abgerufen am 24.09.2018; Brings/Farahat/Oehl (2016). Bundesregierung (2015e): Rede von Bundeskanzlerin Merkel am 7. Oktober 2015 vor dem Europäischen Parlament, 07.10.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/ 2015/10/2015-10-07-rede-bkin-eu-parlament.html, abgerufen am 24.09.2018.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

201

4.3.10.2. Kettenreaktion von Grenzschließungen entlang der Balkanroute Um den anhaltenden Fluchtbewegungen über die Balkanroute Einhalt zu gebieten, trafen sich elf der betroffenen Regierungschefs am 25. Oktober in Brüssel zur Erörterung entsprechender Maßnahmen. Dabei kam ein 17-Punkte-Plan heraus, der vor allem auf die verbesserte Zusammenarbeit aller Beteiligten unter Einbeziehung von Frontex, Europol und UNHCR, zur Kontrolle und Beschränkung der Migration, aber auch zur besseren Betreuung der Schutzsuchenden abzielte. 938 Im November beschränkten Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien die Einreise für Flüchtende auf die Herkunftsländer Syrien, Afghanistan und Irak.939 Trotzdem wurden im letzten Quartal 2015 in der EU 426.205 neue Asylanträge gezählt.940 Im ganzen Jahr 2015 hatten somit 1.255.640 Menschen in der EU einen Asylantrag gestellt, allein in Deutschland davon 441.800.941 Die Gesamtzahl der registrierten Asylsuchenden in Deutschland lag bei 890.000.942 Der Unterschied erklärt sich durch die Verzögerung bei der Aufnahme der Asylverfahren durch die Überlastung der zuständigen Behörden. Im März wurde die Balkanroute dann für „geschlossen“ erklärt – sofern es eben möglich ist, mit politischen Maßnahmen Grenzen wirksam zu schließen. 943 Nachdem im Februar Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien den Zugang quantitativ schon stark eingeschränkt hatten, verkündete Slowenien nun, dass es keine Schutzsuchenden mehr passieren lassen wolle, es sei denn, sie stellten einen

938

939

940

941 942

943

Vgl. Europäische Kommission (2015h): Flüchtlingsströme auf der Westbalkanroute: Staatsund Regierungschefs einigen sich auf 17-Punkte-Plan, Pressemitteilung IP/15/5904, 25.10.2015, Brüssel. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2015g): Balkan: Nur noch Syrer, Iraker und Afghanen dürfen durch, 19.11.2015, https://www.zeit.de/politik/2015-11/fluechtlinge-balkanroute-balkanstaaten-einreise-syrien-afghanistan-irak, abgerufen am 05.09.2018. Vgl. Eurostat (2016b): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: Zahl der erstmaligen Asylbewerber im ersten Quartal 2016 auf unter 290 000 gefallen, Pressemitteilung120/2016, 16.06.2016, Luxemburg. Vgl. Eurostat (2016a). Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2016): 890.000 Asylsuchende im Jahr 2015, Pressemitteilung, 30.09.2016, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2016/09/asylsuchende-2015.html, abgerufen am 05.09.2018. Tatsächlich handelt es sich wohl nur um eine Verlangsamung der Wanderungsbewegungen. Die Balkanroute ist für Menschen nicht unpassierbar geworden, sondern wurde nur mit mehr Hürden belegt. Vgl. Volkenborn, Larissa (2019): Migrationsexperte im Interview: „Das Gerede von einer drohenden Invasion aus dem Süden ist Unsinn“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2019, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fluechtlinge-drohenden-invasion-aus-dem-sueden-ist-unsinn-16003673.html, abgerufen am 18.02.2019.

202

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Asylantrag.944 Dieses Vorgehen löste eine Kettenreaktion aus: Unmittelbar danach verkündeten Kroatien, Serbien und Mazedonien, dass sie ebenso handeln würden.945 Die deutsche Bundeskanzlerin kritisierte die nationalen Alleingänge mit Hinweis auf die Problematik, die sich nun für Griechenland ergebe, und sprach sich wiederholt für eine gemeinsame europäische Lösung aus. 946 Die österreichische Regierung hingegen begrüßte die Schließung der Balkanroute und bekräftige den Wunsch, dies zum Dauerzustand zu erheben.947 Sowohl Berlin als auch Wien verwiesen dabei auf die Notwendigkeit einer Einigung mit der Türkei. Wenige Tage zuvor hatte der türkische Ministerpräsident Davutoğlu bei einem Sondergipfel den EU-Staats- und Regierungschefs ein Angebot zur Eingrenzung der hohen Einwanderungszahlen gemacht: Alle neuen irregulären Migranten, die von der Türkei aus auf den griechischen Inseln ankommen, sollten auf Kosten der EU zurückgeführt werden. Im Gegenzug sollte für jeden von der Türkei von den griechischen Inseln rückübernommenen Syrer die Neuansiedlung eines weiteren Syrers aus der Türkei in die Mitgliedstaaten der EU ermöglicht werden. 948 Dieses Angebot mündete in die zentrale Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei, die das Hauptziel der EU – die rasche Verringerung der Asylzahlen – am erfolgreichsten zu erreichen vermochte.

944

945

946

947

948

Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2016): Balkanroute: Slowenien lässt keine Flüchtlinge mehr durch, 08.03.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/auch-slowenien-und-serbien-lassen-keine-fluechtlinge-mehr-durch-14113762.html, abgerufen am 05.09.2018. Vgl. Peerenboom, Christoph (2016): Seit Mitternacht: Balkanroute faktisch dicht, Tagesschau.de, 09.03.2016, https://www.tagesschau.de/ausland/balkanroute-geschlossen-101.html, abgerufen am 05.09.2018. Vgl. Tagesspiegel (o. V.) (2016): Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge: Angela Merkel: „Wir können nicht ein Land alleine mit dem Problem lassen“, 10.03.2016, https://www.tagesspiegel.de/politik/schliessung-der-balkanroute-fuer-fluechtlinge-angela-merkel-wir-koennen-nicht-ein-land-alleine-mit-dem-problem-lassen/13071820.html, abgerufen am 05.09.2018. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2016b). Flüchtlingskrise: Österreichs Innenministerin: „Balkanroute bleibt geschlossen“, 10.03.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/oesterreich-hart-nach-balkanrouten-schliessung-fuer-fluechtlinge14116094.html, abgerufen am 05.09.2018. Vgl. Rat der Europäischen Union (2016a): Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, Pressemitteilung 807/16, 08.03.2016, Brüssel.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

203

4.3.11. Die EU-Türkei-Erklärung Am 18. März 2016 gaben die EU und die Türkei einen gemeinsamen Plan bekannt, um „die irreguläre Migration aus der Türkei in die EU zu beenden.“ 949 Folgende waren die zentralen Vereinbarungen: 1.

2.

3.

4. 5.

Beginnend am 20. März 2016 sollten alle neuen irregulären Migranten, die von der Türkei auf die griechischen Inseln gelangen, unter Einhaltung des internationalen und des EU-Rechts in die Türkei zurückgeführt werden. Für jeden von den griechischen Inseln in die Türkei rückgeführten Syrer sollte ein anderer syrischer Flüchtling aus der Türkei in der EU neu angesiedelt werden, wobei diejenigen bei der Neuansiedlung bevorzugt werden sollten, die noch nicht irregulär in die EU eingereist waren und dies auch noch nicht versucht hatten. Für diese Neuansiedlung wurden von Unionseite zum einen jene 18.000 Plätze zur Verfügung gestellt, die noch auf dem Neuansiedlungsvorhaben des Europäischen Rates vom 20. Juli 2015 beruhten. Weitere 54.000 Plätze wurden aus dem Umsiedlungsbeschluss vom 22. September 2015 versprochen – also aus jenem Kontingent, welches ursprünglich Ungarn zugedacht worden war. Das UNHCR sollte bei der Durchführung dieses Vorhabens miteinbezogen werden. Für das Vorhaben versprach die EU 6 Mrd. Euro bis zum Ende des Jahres 2018 zur Verfügung zu stellen.

Des Weiteren wurde vereinbart, möglichst bald die Visumspflicht für türkische Staatsangehörige in der EU aufzuheben, die gemeinsame Zollunion zu erweitern und eine Neubelebung des Beitrittsprozesses in Gang zu setzen. Bereits drei Tage nach der Erklärung schlug die Kommission eine Änderung des Umsiedlungsbeschlusses vom 22. September 2015 vor, wonach die noch

949

Rat der Europäischen Union (2016b): Erklärung EU-Türkei, 18. März 2016, Pressemitteilung 144/16, 18.03.2016, Brüssel.

204

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

nicht zugewiesenen 54.000 Plätze auf den 1:1-Beschluss des EU-Türkei-Erklärung übertragen werden sollten.950 Demnach sollten die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus dem Umsiedlungsbeschluss durch die Neuansiedlung von sich in der Türkei aufhaltenden Syrern erfüllen können, ohne dass dadurch das Neuansiedlungsversprechen vom 20. Juli 2015 berührt würden.951 Genau diese Änderungen wurden vom Rat am 29. September 2016 beschlossen. 952 Die Mitgliedstaaten nahmen die Erklärung zum Anlass, nur noch Asylsuchende umzusiedeln, die vor dem Inkrafttreten am 20. März 2016 aus der Türkei nach Griechenland gekommen waren.953 4.3.11.1. Einordnung und Problematisierung Die EU-Türkei-Erklärung ist kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern eine politische Vereinbarung. Gleichwohl gründen Teile der Vereinbarung auf rechtlichen Übereinkünften: Die Rückführung irregulärer Migranten von Griechenland in die Türkei wird vom Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei gedeckt.954 Menschen, die in Griechenland einen Asylantrag stellen, können aufgrund der Annahme, dass die Türkei ein sicherer Drittstaat sei, in die Türkei zurückgeführt werden.955 Dieser Punkt ist besonders brisant und umstritten. Schutzsuchende können in der Türkei nämlich nur Asyl beantragen, wenn sie aus Europa

950

951 952

953

954

955

Vgl. Europäische Kommission (2016d): Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, COM(2016) 171 final, 21.03.2016, Brüssel, S 2. Vgl. Ebd., S. 3. Vgl. Beschluss (EU) 2016/1754 des Rates vom 29. September 2016 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/1601 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, in: ABl. Nr. L 268, 01.10.2016, S. 82-84. Vgl. Die Kommission duldete dieses Vorgehen, obwohl ihm keine Rechtsgrundlage zugrunde liegt. Vgl. Heuser, Helen (2018): Zwei Jahre EU-Umsiedlungsprogramm: Erfolgreiches Pilotprojekt oder gescheiterter Notfallmechanismus?, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 37 (6), S. 364-368, S. 364. Vgl. Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Türkei über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt, in: ABl. Nr. L 134, 07.05.2014, S. 327. Vgl. Europäische Kommission (2016e): Implementing the EU-Turkey Statement – Questions and Answers, Factsheet, 08.12.2016, Brüssel.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

205

kommen, da die Türkei die Genfer Konvention unter dieser Einschränkung unterzeichnet hat. Trotzdem hat die Kommission entschieden, dass die Türkei im Sinne der Asylverfahrens-Richtlinie als sicherer Drittstaat angesehen werden kann: „The Commission, as communicated to the Greek authorities on 5 May, and again on 29 July, finds that the legal framework in Turkey which establishes the protection status granted to Syrians (Temporary Protection Regulation) appears as sufficient protection or protection equivalent to that foreseen by the Geneva Convention. The Commission assesses that Turkey has taken all the necessary measures in order to allow Greece to declare, on the basis of individual assessments, an application for asylum inadmissible in accordance with the Asylum Procedures Directive for both Syrian and nonSyrian applicants for asylum who had irregularly crossed into the Aegean Islands via Turkey as of 20 March 2016. Moreover, at the meeting of the Justice and Home Affairs Council on 20 May 2016, Member States indicated that they share this assessment.”956

Griechenland selbst hatte die Türkei bis zur Erklärung nicht als sicheren Drittstaat angesehen.957 Dies belegt die griechische Rechtspraxis.958 Erst als die griechische Regierung im Zuge der Erklärung und auf Druck der EU ihre Gerichtsbarkeit zugunsten des Staates und zuungunsten der menschenrechtlichen Akteure veränderte, änderten sich die Entscheidungen im Sinne des Vorhabens der Erklärung. 959 Eineinhalb Jahre nach der Vereinbarung, am 22. September 2017, urteilte das höchste Verwaltungsgericht Griechenlands, dass die Türkei als sicherer Drittstaat angesehen werden könne. Besonders umstritten war dabei der Entschluss, diesen Sachverhalt nicht vor den EuGH zu bringen, mit einer 13:12-Richterentscheidung.960

956 957 958

959

960

Ebd. Vgl. Menendéz (2016): S. 409. Vgl. Gkliati, Mariana (2017a): The application of the EU-Turkey deal. A critical analysis of the decisions of the Greek Appeals Committees, in: European Journal of Legal Studies, Jg. 10 (1), S. 81–123. Vgl. Gkliati, Mariana (2017b): The EU-Turkey Deal and the Safe Third Country Concept before the Greek Asylum Appeals Committees, in: Movements, Jg. 3 (2), S. 213-224, 215f. Vgl. Asylum Information Database (2017): Greece: The ruling of the Council of State on the asylum procedure post EU-Turkey deal, http://www.asylumineurope.org/news/04-102017/greece-ruling-council-state-asylum-procedure-post-eu-turkey-deal, abgerufen am 09.09.2018.

206

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Die Diskussion um die Frage, ob die Türkei als sicherer Drittstaat angesehen werden kann, wird kontrovers geführt.961 Dabei stellen die wenigen Befürworter eher die Wünschbarkeit der Ziele der Erklärung und die Anstrengungen der Türkei in den Mittelpunkt, die Situation der Geflüchteten im Land zu verbessern.962 Die Gegner dieser Einschätzung sind zahlreicher und bieten eine quantitativ und qualitativ überzeugendere Bandbreite an Argumenten. Dabei sticht die Tatsache hervor, dass die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nicht im vollen Umfang unterzeichnet hat und sich damit nicht im Einklang mit dem internationalen und europäischen Flüchtlingsschutz befindet.963 Gut dokumentiert sind sowohl „push-backs“ der türkischen Behörden, die gegen das non-refoulement-Gebot verstoßen, als auch Aufenthalts- und Schutzbedingungen, die nicht mit internationalem und europäischem Recht vereinbar sind.964 Zudem hat sich die Sicherheitssituation der Geflüchteten nach den Umwälzungen in der Türkei durch den Putschversuch im Juli 2016 weiter verschlechtert.965 Noch grundsätzlicher werden Zweifel geäußert, ob die Erklärung überhaupt rechtlich verbindlich ist.966 Die Legitimität der Umsetzung wird darüber hinaus dadurch unterminiert, dass sich das UNHCR und andere NGOs, die in die Arbeit in den Hotspots involviert waren, aus Protest gegen die Erklärung aus vielen Teilen ihrer Tätigkeit vor Ort zurückgezogen haben, da sie keine „Gefangenenlager“ bzw. „Deportationslager“ unterstützen wollten.967 Obwohl das UNHCR in der EU-Türkei-Erklärung explizit als Akteur genannt worden war, wies es eine

961

962

963 964

965 966 967

Vgl. die Debatte zwischen Kay Hailbronner und James Hathaway, beginnend mit: Hathaway, James C. (2016): Three legal requirements for the EU-Turkey deal: An interview with James Hathaway, VerfBlog, 09.03.2016, https://verfassungsblog.de/three-legal-requirements-forthe-eu-turkey-deal-an-interview-with-james-hathaway/, abgerufen am 25.09.2018. Vgl. Thym, Daniel (2016a): Why the EU-Turkey Deal is Legal and a Step in the Right Direction, VerfBlog, 09.03.2016, https://verfassungsblog.de/why-the-eu-turkey-deal-is-legal-anda-step-in-the-right-direction/, abgerufen am 25.09.2018; European Stability Initiative (2015): Turkey as a „Safe Third Country“ for Greece, Background Document, 17.10.2015, Berlin/Brüssel/Istanbul. Vgl. anstatt vieler: Chetail, Vincent (2016b): S. 592. Vgl. Roman, Emanuela/ Baird, Theodore/Radcliffe, Talia (2016): Why Turkey is not a „Safe Country“, Statewatch Analysis, London. Vgl. Menendéz (2016): S. 410. Vgl. Heuser (2018): S. 364. Vgl. Nebehey, Stephanie/Tagaris, Karolina (2016): UNHCR says won't work in Greek „detention centers“ in swipe at EU-Turkey deal, Reuters, 22.03.2016, https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-greece-unhcr/unhcr-says-wont-work-in-greek-detentioncenters-in-swipe-at-eu-turkey-deal-idUSKCN0WO31Z, abgerufen am 09.09.2018.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

207

Teilhabe in jeder Form von sich und engagierte sich fortan in Griechenland nur noch außerhalb ihrer Reichweite.968 Die EU-Türkei-Erklärung setzt mit seinen Mechanismen einen doppelten Anreiz für Asylsuchende:969 Einerseits einen negativen, indem Menschen, die über die Türkei irregulär nach Griechenland einreisen, in die Türkei zurückgeführt werden, wenn sie dort keinen Asylantrag stellen oder ihr Antrag als unzulässig angesehen wird. Auf der anderen Seite besteht ein positiver Anreiz für syrische Geflüchtete, die in der Türkei bleiben und nicht versuchen, irregulär nach Griechenland zu gelangen, durch die Chance, über das 1:1-Verfahren in die EU zu gelangen. Somit wird das Hauptziel der EU erreicht: die Zahl von Schutzsuchenden in der EU weitestmöglich zu reduzieren. Da die meisten Flüchtenden nicht in Griechenland bleiben wollen und somit dort auch keinen Asylantrag stellen, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Türkei zurückgeführt. Es sei denn, sie schaffen es, unregistriert weiterzureisen. Dies dürfte im Grunde auf sehr viele Menschen zutreffen. Da die Chance auf eine Neuansiedlung gering ist – und ferner nur für Syrer gilt – ist der Anreiz für diese Menschen nach wie vor groß, Schutz in den Staaten Mitteleuropas zu suchen. Dieser Antrieb wird durch die schlechte Situation der Geflüchteten in der Türkei wohl eher noch verstärkt. Auch die nach wie vor bestehende Überlastung des griechischen Asylsystems – auch in den Hotspots – dürfte ein weiterer Ansporn sein, der Registrierung dort zu entgehen und weiterzuwandern. 4.3.11.2. Bilanz Die EU-Türkei-Erklärung lässt sich durch ihre Beschaffenheit und Wirkungsweise zweifelsohne in die übliche Praxis der Externalisierung von Verantwortung einordnen, die eine der Grundkonstanten der europäischen Asylpolitik ist. Die Verantwortung wird auf den Drittstaat Türkei verlagert mit dem Ziel, die Anzahl der Schutzsuchenden in Europa so weit wie möglich zu verringern. Die Vereinbarung trägt dazu bei, dass der Flüchtlingsschutz dem Ziel der Abwehr von Flüchtenden untergeordnet wird. Die unionalen Prinzipien und Normen werden durch die Behandlung der betroffenen Menschen in der Türkei untergraben. 968

969

Vgl. UNHCR (2016): UNHCR redefines role in Greece as EU-Turkey deal comes into effect, 22.03.2016, http://www.unhcr.org/news/briefing/2016/3/56f10d049/unhcr-redefines-rolegreece-eu-turkey-deal-comes-effect.html, abgerufen am 09.09.2018. Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 54f.

208

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Immerhin erwies sich diese politische Maßnahme im Sinne des eigentliches Zieles der EU als effektiv: Hatten von Januar bis März 2016 noch über 150.000 Menschen Griechenland über das Meer von der Türkei aus erreicht, so waren es im gesamten Rest des Jahres nur noch knapp 22.000.970 Im gesamten Jahr 2015 waren es noch ca. 856.000 Menschen gewesen.971 Im Jahr 2017 verringerte sich die Zahl der Asylanträge in der EU um ca. eine halbe Million im Vergleich zu 2016.972 Über die Türkei erreichten 2017 nur noch knapp 36.000 Menschen Griechenland.973 In diesem Sinne hat die EU-Türkei-Erklärung gezeigt, dass Fluchtmigration durchaus gesteuert werden kann.974 Dies belegt zum einen den Erfolg aus Sicht der EU, die Wanderungsbewegungen gebremst zu haben, zeigt aber auch, dass die Gesamtverringerung deutlich kleiner ausfällt als jene zwischen der Türkei und Griechenland. Das bedeutet, dass die Schutzsuchenden neue bzw. alternative Reiserouten suchten, um in die EU zu gelangen. Bis Ende März 2018 wurden 12.778 Syrer von der Türkei in Mitgliedstaaten der EU umgesiedelt.975 Zwei Jahre nach der Implementierung der EU-TürkeiErklärung ist dies ein überschaubares Ergebnis. Den Kommissionspapieren ist nicht zu entnehmen, ob die Neuansiedlungsvereinbarung mit der Türkei als Erfolg angesehen wird. Anders ist dies bei dem Hauptziel, der Verringerung der irregulären Einwanderung, das von der Kommission als eindeutiger Erfolg verbucht wird.976 Unter dem Aspekt des Solidaritätsprinzips in der Europäischen Union ist aus den politischen Ergebnissen – Schließung der Balkanroute und EU-Türkei-

970

971 972 973 974

975

976

Vgl. European Stability Initiative (2017): The Refugee Crisis through Statistics. A compilation for politicians, journalists and other concerned citizens, Berlin/Brüssel/Istanbul, S. 14. Vgl. UNHCR (2019). Vgl. Abbildung 1. Vgl. UNHCR (2019). Vgl. Thym, Daniel (2018): Migrationssteuerung im Einklang mit den Menschenrechten – Anmerkungen zu den migrationspolitischen Diskursen der Gegenwart, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 38 (5-6), S. 193-200, S. 194. Vgl. Europäische Kommission (2018b): Operational implementation of the EU-Turkey Statement, Factsheet, 26.03.2018, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission (2018c): EU-Turkey Statement two Years on, Factsheet, 14.03.2018, Brüssel. Die Verbuchung der Verringerung als Erfolg von EU-Seite ist Kommissionspapieren deutlich zu entnehmen. Vgl. Europäische Kommission (2017c): S. 4; Europäische Kommission (2018d): Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Progress report on the Implementation of the European Agenda on Migration, COM(2018) 250 final, 14.03.2018, Brüssel, S. 6.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

209

Erklärung – abzuleiten, dass sie den Handlungsdruck auf die Mitgliedstaaten, innereuropäische Lösungen zu finden, verringert haben. Die erhebliche Reduzierung der Antragszahlen lässt die Krise weniger virulent und akut erscheinen. Durch die Externalisierung der Problematik auf die Türkei, die als Pförtner für Schutzsuchende auf dem Weg in die EU fungiert, tritt die Symptomatik eines nicht funktionierenden europäischen Asylsystems weniger zutage. So wird ein Burgfriede in der Union erreicht, der allerdings fragil ist. Denn der Beachtung des Solidaritätsprinzips mit gerechter Verantwortlichkeitsaufteilung ist man durch die Lösungsstrategien nicht nähergekommen. Die zugrundeliegenden Probleme des GEAS und die daraus folgende politische Krise bestehen auch weiterhin. Der Status quo ist vom Willen von Drittstaaten abhängig und kann von der EU nur mittelbar gesteuert werden. 4.3.12. Finanzielle Hilfsmechanismen Im Zuge der Krise hat die Europäische Union in regelmäßigen Abständen zusätzliche finanzielle Mittel zur Notfallunterstützung aus den vorhandenen Fonds zur Verfügung gestellt. Diese summierten sich bis zur Mitte des Jahres 2018 auf ca. 1,5 Mrd. Euro (siehe Tabelle 3). An die Mitgliedstaaten gingen davon ca. 750 Mio. Euro. Die finanzielle Komponente des Solidaritätsprinzips wurde dadurch mit Leben gefüllt. Zu beachten ist dabei aber, dass die Kommission die finanziellen Aufwendungen, die über den Internal Security Fund (ISF) verteilt werden, dazuzählt. Dieser ist jedoch nicht der Asylpolitik, sondern der Grenzschutzpolitik977 und der polizeilichen Zusammenarbeit978 zuzuordnen. Genau genommen machte die asylpolitische Notfallunterstützung der Mitgliedstaaten bis Juni 2018 also nur knapp 442 Mio. Euro aus.

977

978

Vgl. Verordnung (EU) Nr. 515/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung für Außengrenzen und Visa im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 574/2007/EG, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 143-167. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 513/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/125/JI des Rates, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 93-111.

210

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Tabelle 3: Finanzielle Mittel zur Notfallunterstützung in Euro im Zuge der Flüchtlingskrise bis Juni 2018.

Notfallunterstützung seit der Migrationsagenda979

AMIF

ISF

AMIF+ISF

Griechenland

200,82 Mio.

Italien

179, 37 Mio.

Alle beteiligten Mitgliedstaaten

Internationale Organisationen

441,72 Mio.

316,93 Mio.

ESI

758,65 Mio.

171 Mio.

605 Mio.

Neben den bereits bestehenden Werkzeugen für die finanzielle Seite der Krisenbewältigung schlug die Kommission am 2. März 2016 vor, zusätzliche finanzielle Mittel auf Grundlage von Art. 122 AEUV als Soforthilfe-Instrument (Emergency Support Instrument – ESI) bereitzustellen.980 Die Kommission berief sich dabei zwar auf ein Handeln der Union zugunsten der betroffenen Menschen in den Mitgliedstaaten im „Geiste der Solidarität“981, bezog sich dabei aber nicht auf Art. 80

979

980

981

Vgl. Europäische Kommission (2018e): Updated Annex 8 of Communication from the Commission to the European Parliament and the European Council and the Council - Managing the refugee crisis: State of Play of the Implementation of the Priority Actions under the European Agenda on Migration (COM(2015) 510), 25.06.2018, Brüssel; Europäische Kommission (2018f): Managing Migration. EU Financial Support to Greece, Factsheet, 15.06.2018, Brüssel; Europäische Kommission (2018g): Managing Migration. EU Financial Support to Italy, Factsheet, 15.06.2018, Brüssel. Eigene Zusammenstellung. Vgl. Europäische Kommission (2016f): Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Bereitstellung von Soforthilfe innerhalb der Union, COM(2016) 115 final, 02.03.2016, Brüssel. Ebd., S. 3.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

211

AEUV oder explizit auf die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Der Rat verabschiedete am 15. März die entsprechende Verordnung, durch die die Union „im Geiste der Solidarität handeln“982 sollte, „um auf die grundlegenden Bedürfnisse der Katastrophenopfer in der Union einzugehen und zur Verringerung der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Katastrophen in den betroffenen Mitgliedstaaten beizutragen.“983 Bis Ende Juni 2018 wurden aus diesem Topf 605 Mio. Euro an Finanzhilfen an internationale Organisationen verteilt.984 4.3.13. Das Ende der Krise? Die Entwicklungen im Jahr 2018 Es ist weder dem öffentlichen Diskurs noch der wissenschaftlichen Debatte zu entnehmen, dass die „Flüchtlingskrise“ als beendet erklärt werden könne. Die Auswirkungen der großen Migrationsbewegungen der Jahre 2015 und 2016 sind politisch bis heute zu spüren, erkenntlich am Erstarken rechtspopulistischer und nationalkonservativer Parteien sowie den noch andauernden Reformdebatten bezüglich des GEAS. Jedenfalls sind die Erstantragszahlen im Jahr 2017 gegenüber den beiden Vorgängerjahren deutlich gesunken, und zwar um knapp die Hälfte auf knapp über 700.000.985 Im Jahr 2018 scheint sich diese Verringerung weiter fortzusetzen, bis zum Ende des zweiten Quartals hatten weitere 268.000 Menschen einen Erstantrag gestellt.986 Damit bewegen sich die Zahlen im Jahr 2018 auf jene zu, die im Jahr 2014 erreicht worden waren. Ob die nackten Zahlen die Behauptung eines Endes der Krise allein rechtfertigen, darf bezweifelt werden. Eine Normalisierung der Zustände in der EU wurde durch die „Schließung“ der Balkanroute und die EU-Türkei-Erklärung in Gang gesetzt. Zum Ende des Jahres 2016 hatte die Kommission dann erstmalig versucht, das Dublin-System wieder EU-weit funktionsfähig zu machen, indem sie die schrittweise Wiederaufnahme von Rücküberstellungen nach Griechenland

982

983 984 985 986

Verordnung (EU) 2016/369 des Rates vom 15. März 2016 über die Bereitstellung von Soforthilfe innerhalb der Union, in: ABl. Nr. L 70, 16.03.2016, S. 1-6, Erw. 6. Ebd. Vgl. Europäische Kommission (2018f). Vgl. Abbildung 1. Vgl. Eurostat (2018b): First-time asylum applicants up 4% in Q2 2018, 25.09.2018, https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-eurostat-news/-/DDN-20180925-1?inheritRedirect=true&redirect=%2Feurostat%2Fde%2Fweb%2Fasylum-and-managed-migration%2Fpublications, abgerufen am 18.10.2018.

212

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

empfahl.987 Die griechische Regierung stimmte dem Ansinnen nach langem Zögern erst im August 2017 und mit Einschränkungen zu.988 Jedoch wurden von 2.312 Übernahmeersuchen aus Deutschland nur 81 von Griechenland überhaupt anerkannt, überstellt wurde bis zum Ende des Jahres 2017 keine einzige Person.989 Somit ist das Dublin-System derzeit zwar wieder in allen Mitgliedstaaten in Betrieb, hat jedoch nichts an Funktionsfähigkeit hinzugewonnen. Im Jahr 2018 standen die asylpolitischen Themen im Rat kaum noch auf der Agenda. Das mag damit zusammenhängen, dass die Reformbemühungen – vor allem in Bezug auf die Dublin-III-Verordnung – im Gesetzgebungsverfahren stecken. Letztendlich hat sich aber eine Konzentration auf die Gestaltungsmöglichkeiten im Grenzschutz und die Kooperation mit Drittstaaten zur Verhinderung des Zugangs von Asylsuchenden auf EU-Territorium durchgesetzt. Dies hatte sich bei den politischen Maßnahmen als Antwort auf die Krise bereits eindeutig gezeigt. Auch die Kommission hat sich von der progressiven, am Flüchtlingsschutz orientierten und auf die grundlegende Reform der funktionsunfähigen Teile des GEAS fokussierten Linie, die noch in der Migrationsagenda zu bemerken war, spürbar verabschiedet. Sie teilte in einer Zwischenbilanz der Agenda mit, dass die Reaktionen auf die Krisensituation „positive Auswirkungen“990 gehabt hätten, sprich den „irregulären und unkontrollierten Zustrom“991 durch die EU-TürkeiErklärung zu beenden, das Außengrenzmanagement zu intensivieren, sowie Rückkehr und Rückübernahme besser durchzusetzen.992 Die Mittelmeerroute mithilfe der libyschen Küstenwache geschlossen zu haben, zeige ebenfalls erste Erfolge.993 Sie wies darauf hin, dass Rückführungen ausdrücklich auch als Signal ausgesendet werden, dass Menschen die Reise in die EU gar nicht erst antreten sollen, und 987

988

989

990 991 992 993

Vgl. Europäische Kommission (2016g): Empfehlung der Kommission vom 8.12.2016 an die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Überstellungen nach Griechenland gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, C(2016) 8525 final, 08.12.2016, Brüssel, S. 17. Vgl. Lohse, Eckart (2017): Asylbewerber: Wieder Rückführungen nach Griechenland geplant, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.08.2018, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fluechtlingspolitik-erstmals-wieder-rueckfuehrungen-nach-griechenland15139682.html, abgerufen am 19.10.2018. Vgl. Deutscher Bundestag (2018): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das Jahr 2017 – Schwerpunktfragen zu Dublin-Verfahren, Drucksache 19/921, 26.02.2018, S. 19. Europäische Kommission (2017c): S. 4. Ebd., S. 3. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 6.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

213

kündigte eine verstärkte Kooperation mit Drittstaaten zur Steuerung von Migration an.994 Die Kommission hatte sich mit dieser Analyse spürbar der Herangehensweise des Rates angenähert, sich dabei kaum zur konkreten Ausgestaltung von Solidarität im GEAS geäußert und die politischen Ergebnisse im Gegensatz zu Positionen in Vorgängerpapieren nicht mehr kritisiert. In einem weiteren Papier vom Dezember 2017, in dem der Fahrplan bis Juni 2018 dargelegt wurde, ist dieser Ansatz fortgeschrieben. Die Kommission äußerte dort den Wunsch, dass die Anerkennungsraten im GEAS nicht so stark variieren sollten wie derzeit – anstatt eine Angleichung zu fordern oder gar ein gemeinsames Asylverfahren wie in Vorgängerpapieren.995 Die externe Dimension zur Schließung der Migrationsrouten müssten ausgebaut werden unter stärkerer Einbindung der Herkunft- und Transitstaaten in Afrika.996 In einem weiteren Fortschrittsbericht ist zum Thema Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten gar nichts mehr zu finden.997 Das gesamte Papier beschäftigt sich ausschließlich mit dem Vorgehen auf den Migrationsrouten unter dem Ziel der Verringerung der ankommenden Asylsuchenden. Dabei stehen wieder Rückkehr, Rückübernahme, Außengrenzschutz und Kooperation mit Drittstaaten im Mittelpunkt. Den Themen Umsiedlung, Neuansiedlung und Integration sind zweieinhalb von 26 Seiten gewidmet.998 Das in diesen Papieren anvisierte Ziel war ein Gipfel des Europäischen Rates am 28./29. Juni 2018. Dort bestätigen die Staats- und Regierungschefs noch einmal nachdrücklich, welches das Hauptziel in der Lösung der Krise ist: eine „wirksame Kontrolle der EU-Außengrenzen“999, durch die „die Zahl der festgestellten illegalen Grenzübertritte in die EU seit ihrem Höhepunkt im Oktober 2015 um 95% verringert“1000 wurde. Der Europäische Rat sei „entschlossen, diese Politik fortzusetzen und zu verstärken, um eine Wiederholung der unkontrollierten Migrationsbewegungen des Jahres 2015 zu verhindern und die illegale Migration

994 995 996 997 998 999

1000

Vgl. Ebd., S. 23ff. Vgl. Europäische Kommission (2017a): S. 4. Vgl. Ebd., S. 7. Vgl. Europäische Kommission (2018d). Vgl. Ebd., S. 23ff. Europäischer Rat (2018a): Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates (28. Juni 2018), EUCO 9/18, CO EUR 9, CONLC 3, 28.06.2018, Brüssel, S. 1. Ebd.

214

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

über alle bestehenden und neuen Routen weiter einzudämmen.“1001 Dafür rückt nun verstärkt die Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent in den Blick, „um das Migrationsproblem an seiner Wurzel anzugehen“1002. Zudem erinnerte der Europäische Rat die Mitgliedstaten daran, dass sie „eine wirksame Kontrolle der EU-Außengrenzen mit finanzieller und materieller Unterstützung der EU gewährleisten müssen“1003 und „die effektive Rückführung irregulärer Migranten deutlich verstärkt werden“1004 müsse. Zu den Problemen innerhalb der EU äußerte er sich dergestalt, dass er die Gefährdung der Integrität des GEAS und Schengens der Sekundärmigration zuwies.1005 Zu den Reformanstrengungen des GEAS äußerte sich der Europäische Rat nur insoweit, dass er eine baldige Ergebnisfindung anmahnte, und speziell in Bezug auf die Dublin-Verordnung ein Konsens „auf der Grundlage eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Verantwortung und Solidarität“1006 gefunden werden müsse. In den Schlussfolgerungen deutet nichts darauf hin, dass eine Änderung der Zuständigkeitszuweisung angestrebt wird. Die Formulierung lässt eine Interpretation dahingehend zu, dass die Verantwortung für die Erfüllung der bereits bestehenden Verpflichtungen als Voraussetzung für Solidarität gesehen wird.1007 Auf einem Treffen am 18. Oktober 2018 erörterte der Europäische Rat die Lösungsbestrebungen erneut. Dabei wurde die Fortführung der laufenden Anstrengungen angeregt, mit einem speziellen Fokus auf ein umfassenderes Vorgehen gegen Schmugglernetzwerke und die Ausweitung und Verbesserung der Rückführung.1008 Zum GEAS oder zum Thema Solidarität wurde nichts Substantielles beschlossen. Schließlich wurde im Jahr 2018 auch die Mittelmeeroperation „Triton“ durch die Operation „Themis“ abgelöst, die nun im zentralen Mittelmeerraum die

1001 1002 1003 1004 1005 1006 1007

1008

Ebd. Ebd., S. 3. Ebd. Ebd. Vgl. Ebd., S. 4. Ebd. Eine Forderung, die, wie in Kap. 3.2.7. erörtert, angesichts eines Dublin-Systems, das gegen das Solidaritätsprinzip verstößt, widersprüchlich ist. Vgl. Europäischer Rat (2018b): Conclusions of European Council meeting (18 October 2018), EUCO 13/18, CO EUR 16, CONCL 5, 18.10.2018, Brüssel, S. 1.

4.3. Rekonstruktion: Das Solidaritätsprinzip in der „Flüchtlingskrise“

215

Bewegungen von Algerien bis Albanien überwachen soll.1009 Die einschneidendste Änderung der Mission ist wohl jene, nach der gerettete Personen nicht mehr nur nach Italien gebracht werden, sondern zum nächsten erreichbaren Hafen.1010 Dies ist wohl auf den Vorsatz Italiens zurückzuführen, nicht mehr die alleinige Verantwortung für die aus Seenot geretteten Menschen tragen zu müssen, und dabei die EU und die Mitgliedstaaten zu mehr Hilfe zu bewegen.1011 Die gleiche Forderung wird bei der Verlängerung der Operation „Sophia“ von italienischer Seite gestellt.1012 Der Hauptfokus von „Themis“ wurde zudem auf das Vorgehen gegen grenzüberschreitende Kriminalität gelegt, wodurch die Seenotrettung in der Priorität wohl verdrängt worden ist.1013 Diese Anpassung der Politik im Mittelmeer ist ein Hinweis darauf, dass Maßnahmen, die dem Solidaritätsprinzip entsprechen, in diesem Bereich nach wie vor nicht zu erreichen sind.1014 Zudem verstärkt diese Art von europäischer Mittelmeerpolitik den Impetus, eine Lösungsfindung ausschließlich im Grenzschutz anzustreben, unter Vermeidung einer wirkungsvollen Alternative in der Asylpolitik, wodurch eine gerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten und ein funktionierendes GEAS zum Wohle aller Akteure behindert werden.

1009

1010

1011

1012 1013

1014

Vgl. Frontex (2018): Frontex launching new operation in Central Med, Pressemitteilung, 01.02.2018, https://frontex.europa.eu/media-centre/news-release/frontex-launching-new-operation-in-central-med-yKqSc7, abgerufen am 19.10.2018. Vgl. Oliver Meiler (2018): Mittelmeer: Kurskorrektur, Süddeutsche Zeitung, 01.02.2018, https://www.sueddeutsche.de/politik/mittelmeer-kurskorrektur-1.3849958, abgerufen am 19.10.2018. Vgl. Scherer, Steve (2018): In new EU sea mission, ships not obliged to bring migrants to Italy, Reuters, 01.02.2018, https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-italy/in-neweu-sea-mission-ships-not-obliged-to-bring-migrants-to-italy-idUSKBN1FL62M, abgerufen am 19.10.2018. S. Kap. 4.3.4. Vgl. Deutsche Welle (o. V.) (2018): Frontex launches new EU border control mission Operation Themis, 01.02.2018, https://www.dw.com/en/frontex-launches-new-eu-border-controlmission-operation-themis/a-42417610, abgerufen am 19.10.2018. Zu den Auseinandersetzungen beim Thema Seenotrettung siehe auch Kap. 5.4.

216

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Symptom einer innereuropäischen Solidaritätskrise 4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise Die so genannte europäische „Flüchtlingskrise“ war seit dem Spätsommer 2015 in der öffentlichen Debatte allgegenwärtig. Der Begriff wurde im Zeitraum von August 2015 bis September 2017 von einschlägigen deutschen Medien deutlich häufiger verwendet als die Begriffe „Terrorismus“ oder „Islam“. 1015 Diese mediale Aufmerksamkeit war gleichzeitig Symptom und Beschleuniger einer politischen Krise, die in der Europäischen Union zu nachhaltigen Verwerfungen geführt hat. Diese politische Krise wird ursächlich mit den Migrationsbewegungen – hauptsächlich aus dem Bürgerkriegsland Syrien – über den Balkan in die Europäische Union in Verbindung gebracht. Damit wird impliziert, dass die Krise durch die Flüchtenden verursacht wurde, die in Europa Schutz vor Verfolgung und Krieg suchten. Häufig wird dabei auf das schiere Ausmaß des „Flüchtlingsstroms“1016 verwiesen, das einen erheblichen „Migrationsdruck“1017 auf das europäische Asylsystem verursache, dem dieses nicht hinreichend standhalten könne. 1018 Dadurch wird in der öffentlichen Debatte ein negatives Bild der Fluchtbewegungen mittels 1015

1016

1017

1018

Im Zeitraum von August 2015 bis September 2017 wurde der Begriff „Flüchtlingskrise“ in den überregionalen Tageszeitungen Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt und Handelsblatt, in den jeweiligen Print- und Onlineausgaben in insgesamt 16519 Artikeln verwendet (Terrorismus: 8851; Islam: 8284). In den überregionalen Wochenzeitschriften Die Zeit und Der Spiegel dazu in 4196 Artikeln (Islam: 2326; Terrorismus: 2151). In den zehn regionalen Tageszeitungen Tagesspiegel (Berlin), Märkische Allgemeine (Brandenburg), Rheinische Post (Nordrhein-Westfalen), Hamburger Abendblatt, Freie Presse (Sachsen), Mitteldeutsche Zeitung (Sachsen-Anhalt), Darmstädter Echo (Hessen), Hannoversche Allgemeine Zeitung (Niedersachsen), Thüringer Allgemeine und Allgemeine Zeitung (Rheinland-Pfalz) wurde der Begriff nur in den Printausgaben im gleichen Zeitraum in 10833 Artikeln verwendet (Terrorismus: 4501; Islam: 5781). Die Ergebnissuche erfolgte über die Datenbank Genios. Überregionale Zeitungen Print & Online: 1828 Artikel; Wochenzeitschriften Print & Online: 211 Artikel; Regionale Zeitungen Print: 1396 Artikel. Auswahl und Quelle siehe FN 1015. Ein Begriff, den vor allem die Kommission in ihren Veröffentlichungen häufig benutzt: Vgl. Europäische Kommission (2008a): S. 10; Europäische Kommission (2013): S. 4; Europäische Kommission (2015a): S. 5; Europäische Kommission (2016a), S 4; Europäische Kommission (2017c), S. 14. Zum Problem der negativen Stigmatisierung von Migranten durch Wassermetaphorik wie „Flüchtlingsstrom“ oder „Migrationsdruck“ siehe: Böke, Karin (1997): Die „Invasion“ aus den „Armenhäusern Europas“. Metaphern im Einwanderungsdiskurs, in: Böke, Karin/Jung, Matthias/Wengeler, Martin (Hg.): Die Sprache des Migrationsdiskurses. Das Reden über „Ausländer“ in Medien, Politik und Alltag, Opladen, S. 164–193; Butterwege, Christoph (1999): Massenmedien, Migrant(inn)en und Rassismus, in: Butterwege, Christoph/Hentges, Gudrun/Sarigöz, Fatma (Hg.): Medien und multikulturelle Gesellschaft, Opladen, S. 64–89.

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise

217

eines Bedrohungsszenarios kreiert, was zur Folge hat, die Lösung der „Flüchtlingskrise“ darin zu sehen, Schutzsuchende am Eintritt in die Europäische Union zu hindern. Dies zeigt sich an konkreten politischen Erzeugnissen in Reaktion auf die „Flüchtlingskrise“, wie der Schließung der Westbalkanroute, Kontrollen an den Binnengrenzen, Errichten von Grenzzäunen, der problematischen EU-TürkeiErklärung oder der Debatte um eine Obergrenze zur Aufnahme von Flüchtenden.1019 Abgesehen davon, dass Schutzsuchende so nicht als Opfer, sondern als Verursacher der Krise und somit als Schuldige konstruiert werden, offenbart es auch eine verzerrte, eurozentrische Perspektive. Schaut man auf die weltweiten Flüchtlingszahlen, wäre es angebrachter von einer kontinuierlichen und sich verschlimmernden globalen Flüchtlingskrise zu reden, die weder auf die letzten Jahre, und schon gar nicht auf Europa begrenzt ist.1020 Europa trägt nur einen Anteil von knapp über 5% am weltweiten Flüchtlingsaufkommen.1021 Insbesondere im Zuge der „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015 und 2016 ist darauf zu verweisen, dass der Anteil der 28 EU-Mitgliedstaaten an der weltweiten Aufnahme syrischer Geflüchteter, gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, mit knapp 12% eher gering ausgefallen ist. 1022 Allein die kleinen und wirtschaftlich angeschlagenen Nachbarländer Syriens, Libanon und Jordanien, haben in diesem Zeitraum mit 1,65 Millionen syrischen Geflüchteten ca. 28% der Gesamtzahl aufgenommen.1023 In der Türkei hatten Ende 2016 mit knapp 3,3 Millionen Personen fast 50% der aus Syrien Geflohenen Zuflucht gefunden.1024 In Anbetracht dieser Faktenlage ist es einerseits abwegig, über eine „Flüchtlingskrise“ zu debattieren, die exzeptionell Europa widerfahren wäre. Andererseits kann die

1019

1020

1021 1022 1023 1024

Zur Debatte um die Obergrenze: Vgl. Sirleschtov, Antje (2016): Flüchtlinge in Europa: Österreich führt Obergrenzen ein, Merkel ist weiterhin dagegen, Tagesspiegel, 20.01.2016, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-in-europa-oesterreich-fuehrt-obergrenzenein-merkel-ist-weiterhin-dagegen/12855990.html, abgerufen am 12.03.2019; Süddeutsche Zeitung (o. V.) (2017): Asyl: Österreich will Obergrenze für Flüchtlinge in allen EU-Staaten, 06.01.2017, https://www.sueddeutsche.de/politik/asyl-oesterreich-will-obergrenze-fuer-flue chtlinge-in-allen-eu-staaten-1.3322233, abgerufen am 12.03.2019. 68,5 Millionen Menschen mussten bis zum Ende des Jahres 2017 von zu Hause fliehen. Die meisten davon waren Binnenvertriebene (40 Millionen). Anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende machen zusammen 28,5 Millionen Menschen aus. Vgl. UNHCR (2018): Global Trends. Forced Displacement in 2017, Genf, S. 2. Vgl. Ebd., S. 14. Knapp 700.000 Personen. Vgl. Eurostat (2019b). Vgl. UNHCR (2018): S. 14ff. Vgl. Ebd.

218

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

politische Krise nicht singulär auf die als zu groß empfundene Zahl von Schutzsuchenden zurückgeführt werden. Aus den Ergebnissen dieses Kapitels lässt sich die Erkenntnis gewinnen, dass die „Flüchtlingskrise“ vielmehr Ausdruck einer latenten, innereuropäischen Solidaritätskrise1025 ist, die immer dann besonders sichtbare Merkmale ausbildet, wenn die EU unvorbereitet und in einem kurzen Zeitraum mit einem als außergewöhnlich hoch empfundenen Flüchtlingsaufkommen konfrontiert wird. Es zeigt sich dabei, dass die schiere Anzahl weitgehend unbedeutend ist.1026 Die Hauptproblematik ist vielmehr das Design des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, dessen Kernstück – das Dublin-System – verantwortlich ist für eine kontinuierliche Krise in der europäischen Asylpolitik, die anhand spezieller Sonderereignisse lediglich besonders offensichtlich wird. Die EU selbst ist die Ursache der „Flüchtlingskrise“, indem sie zulässt, dass ihr konstituierendes Prinzip – das Solidaritätsprinzip – durch das Dublin-System verletzt wird.1027 4.4.1. Die Problematik des zweiten Umsiedlungsbeschlusses des Rates Als Beleg der europäischen Solidaritätskrise, die in der Zeit ab Sommer 2015 besonders sichtbar geworden ist, dient der Umsiedlungsbeschluss vom 22. September 2015. Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag zur Umsiedlung von 120.000 Personen mitgeteilt, dass die „innereuropäische Solidarität gestärkt“ 1028 werden müsse. Dementsprechend berief sie sich auf Art. 80 AEUV und forderte „konkrete Maßnahmen der Solidarität gegenüber den Mitgliedstaaten an den Außengrenzen“1029. Deren Asylsysteme seien einem beispiellosen Druck ausgesetzt und ihre Aufnahme- und Bearbeitungskapazitäten durch den Massenzustrom stark ausgelastet.1030 Um „eine faire und ausgewogene Beteiligung aller Mitgliedstaaten an 1025

1026

1027 1028 1029 1030

Am 15. April 2016 sprach der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Bezug auf die Situation in und um Syrien von einer „Krise der Solidarität“ („crisis of solidarity“). Vgl. United Nations (2016): Refugee Crisis about Solidarity, Not Just Numbers, Secretary-General Says at Event on Global Displacement Challenge, Pressemitteilung, 15.04.2016, https://www.un.org/press/en/2016/sgsm17670.doc.htm, abgerufen am 24.10.2018. In seiner Rede begründete oder kontextualisierte er die Nutzung dieser Terminologie allerdings nicht. Wie man an den Entwicklungen während des italienisch-französischen Konfliktes 2011 (Kap. 4.1.) unmissverständlich ablesen kann. Vgl. Kap. 3.2.5. Europäische Kommission (2015e): S. 2. Ebd., S. 10. Vgl. Ebd., S. 1.

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise

219

dieser gemeinsamen Anstrengung“1031 zu gewährleiten, beinhaltete der Vorschlag eine Umverteilung aus Ungarn, Italien und Griechenland nach einem Schlüssel, der BIP, Bevölkerungszahl, Arbeitslosenquote und die Zahl der bisher aufgenommenen Asylbewerber und neu angesiedelten Flüchtlinge miteinbezog.1032 Bei der Umsetzung des Kommissionsvorschlags stellte der Rat fest, dass „[a]ngesichts der anhaltenden Instabilität und Konflikte in der unmittelbaren Nachbarschaft Italiens und Griechenlands […] es sehr wahrscheinlich [ist], dass deren Migrations- und Asylsysteme auch künftig einem erheblichen, zunehmenden Druck ausgesetzt sein werden“1033, weswegen es „unerlässlich [ist], gegenüber Italien und Griechenland Solidarität zu bekunden und die bisher zu ihrer Unterstützung ergriffenen Maßnahmen durch vorläufige Maßnahmen im Bereich Asyl und Migration zu ergänzen.“1034 Der Rat bestätigte zudem die Berufung auf Art. 80 AEUV nachdrücklich.1035 Der Beschluss sollte also dem Solidaritätsprinzip in der europäischen Asylpolitik Ausdruck verleihen und diejenigen Mitgliedstaaten unterstützen, die durch die hohen Flüchtlingszahlen unverhältnismäßig viel Verantwortung tragen mussten: die Außengrenzstaaten Italien, Griechenland und Ungarn. Da die ungarische Regierung nicht mit der verpflichtenden Übernahme von Asylsuchenden einverstanden war, wurde das Land letztendlich nicht als begünstigtes aufgenommen.1036 Schließlich stimmte Ungarn, wie auch die Tschechische Republik, die Slowakei und Rumänien, gegen den Beschluss, was aber nicht für eine Sperrminorität ausreichte. Daher wurde der Ratsbeschluss verabschiedet, was in der Folge zu heftigen politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen führte, die bis heute nachwirken. Insbesondere das Solidaritätsprinzip und das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaten wurden auf eine schwere Probe gestellt. 4.4.1.1. Die Begründungen der mit „Nein“ stimmenden Mitgliedstaaten Gerade in Ungarn hatte die Regierungspartei Fidesz die Fluchtbewegungen in und durch das Land genutzt, ihre nachlassenden Umfragewerte durch eine wohlkonzertierte PR-Kampagne gegen Geflüchtete und für eine langfristige Strategie 1031 1032 1033 1034 1035 1036

Ebd. Vgl. Ebd. Beschluss (EU) 2015/1601: Erw. 16. Ebd. Vgl. Ebd., Erw. 17, 30. S. Kap. 4.3.8.

220

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

der nationalen Einheit zu verbessern.1037 Dabei griff sie die in Ungarn latent vorhandene Xenophobie als Richtschnur auf, um die Geflüchteten als Feindbild und als Bedrohung der sozialen Werte und nationalen Interessen zu darzustellen.1038 Erstaunlicherweise sprach sich aber Ende 2015 eine Mehrheit der Ungarn für die Aufnahme von Flüchtenden aus Krisengebieten und für eine europäische Quotenverteilung aus.1039 Das Vorgehen der Regierung Orbán trug dessen ungeachtet Früchte, was sich an Rekordhöhen des Xenophobie-Levels in der ungarischen Bevölkerung in den Jahren 2016 und 2017 sowie an den verbesserten Umfragewerten der Fidesz ablesen ließ.1040 Aus den bereits genannten Gründen wurde Ungarn in dem endgültigen Ratsbeschluss nicht mehr als Nutznießer der Umverteilung, sondern als Empfänger eines Kontingents von Asylsuchenden geführt und hätte nach dem festgelegten Schlüssel ca. 1.200 Asylsuchende aufnehmen sollen.1041 Zu ihrer Ablehnung erklärte die ungarische Regierung, dass sie die „für den Schutz der südlichen Grenzen Ungarns notwendigen Maßnahmen“1042 durchgeführt habe, „um der Verantwortung, die sich aus den Verpflichtungen Ungarns aufgrund der Gesetzgebung der EU und des Schengen-Kodex ergibt, gerecht zu werden.“1043 Andere Mitgliedstaaten wären diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen, weswegen nun von Ungarn noch weitere Leistungen erwartet würden.1044 Die Aussagen verdeutlichen, dass die ungarische Regierung die asylpolitische Dimension unerwähnt lässt und lediglich auf die grenzschutzpolitische Dimension verweist. Auf die Erwägungsgründe der politischen Maßnahme auf Grundlage von Art. 80 AEUV oder Art. 78 AEUV ging sie nicht ein.

1037

1038 1039

1040 1041

1042 1043 1044

Vgl. Barlai, Melani/Sik, Endre (2017): A Hungarian Trademark (a „Hungarikum“): the Moral Panic Button, in: Barlai, Melani et al. (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 147-168, S. 152. Vgl. Ebd., S. 152ff. Vgl. Beger, Paula (2018): Par ordre du mufti? Kontestation der Visegrád-Gruppe gegen den europäischen Umverteilungs- und Neuansiedlungsmechanismus für Flüchtlinge, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, Jg. 12 (1), S. 247-262, S. 256. Vgl. Barlai/Sik (2017): S. 163. Tschechien wurde ca. 1.500 Personen zugewiesen, der Slowakei ca. 800 und Rumänien ca. 2.500. Vgl. Beschluss (EU) 2015/1601: S. 93f. Rat der Europäischen Union (2015b): S. 6. Ebd. Vgl. Ebd.

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise

221

Die slowakische Regierung erklärte ihre ablehnende Haltung damit, dass der Beschluss das Problem der Sekundärmigration nicht angehe sowie die Präferenzen der Asylsuchenden nicht beachte, und behauptete eine Sogwirkung durch die Maßnahme.1045 Die ersten beiden Argumente sind im Kern durchaus berechtigte Einwände. Ein Verteilungsmechanismus für Asylsuchende ohne die Einbeziehung ihrer Präferenzen ist wohl grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. 1046 Zudem ist der Beschluss keine explizite Maßnahme zur Verhinderung der Sekundärmigration. Das muss er allerdings auch nicht sein, da seine primären Ziele andere sind. Ob er in der Lage ist, Sekundärmigration zu verhindern, ist nachrangig. Sie aus diesem Grund abzulehnen, ist daher wenig überzeugend. Vor allem deswegen, da auf die Intention einer gerechteren Aufteilung von Verantwortung im Sinne von Art. 80 AEUV von slowakischer Seite nicht eingegangen wird. Ebensowenig leuchtet ein, dass plötzlich die Präferenzen der Asylsuchenden ins Zentrum des Interesses rücken. Dieser Ansatz war aus dem GEAS eigentlich immer systematisch ausgeschlossen worden. Man wollte, im Gegenteil, immer explizit verhindern, dass Asylsuchenden ein Mitspracherecht bei der Auswahl des Asyllandes gegeben wird – eine Praxis, die in der EU unter „Asylshopping“ verhandelt wird.1047 Beide Argumente wirken vorgeschoben, um die grundsätzliche Ablehnung von mandatorischer Übernahme ungewollter Einwanderung zu verbergen. Sie lenken von den eigentlichen Zielen des Ratsbeschlusses ab. Die Behauptung einer Sogwirkung gibt diese verdeckte Intention ein Stück weit preis. Dieses Argument ist letztlich völlig substanzlos, kann nicht nachgewiesen werden und ist ein klassisches Mittel der Beschwörung eines fiktionalen Szenarios, das Ängste schüren soll. Noch deutlicher in ihrer Ablehnung wurden die Regierungen Rumäniens und der Tschechischen Republik, die anderen beiden „Nein“-Stimmen. Die tschechische Regierung prophezeite: „Die vorgeschlagene Umsiedlungsregelung wird niemals funktionsfähig sein“1048. Damit sollte sie recht behalten. Weiterhin erklärte sie: „Für die Tschechische Republik besteht der entscheidende Mangel der Umsiedlungsregelung darin, dass der freie Wille der umgesiedelten Personen 1045 1046 1047 1048

Vgl. Ebd., S. 8. Dazu ausführlich Kap. 5.3. Vgl. Kap. 3.2.1. Rat der Europäischen Union (2015b): S. 4.

222

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“ nicht genügend berücksichtigt wird, ganz zu schweigen vom Aspekt der Sekundärmigration im Schengen-Raum. Als Ergebnis werden die umgesiedelten Personen lediglich näher zu den Staaten gebracht, in die sie eigentlich wollen; dies alles auf Kosten der EU, wobei noch mehr Anreiz für Zuwanderung in die EU geschaffen wird.“1049

Damit lag die tschechische Regierung weitgehend auf der Argumentationslinie der Slowakei. Sie begründete ihren Standpunkt zudem damit, dass man der Sekundärmigration gar Vorschub leisten würde, weil man den Asylsuchenden helfe, dorthin zu gelangen, wo diese eigentlich ihren Antrag stellen wollten. Plausibel ist dieser Vorwurf nicht, da auch die tschechische Regierung nicht voraussagen kann, welche Asylsuchenden wohin transferiert werden und welche Präferenzen sie haben. Für ihre Argumente gilt damit die gleiche Einschätzung mangelnder Stichhaltigkeit wie im Falle der Slowakei. Darüber hinaus machte die tschechische Regierung aber auch Bedenken hinsichtlich des Verfahrens und der mandatorischen Natur des Beschlusses geltend. Solche Entscheidungen sollten einvernehmlich getroffen werden, und die zwangsweise Teilnahme könne dem Geiste der Zusammenarbeit in der EU schaden, auch wenn die Maßnahme im Namen der Solidarität durchgeführt werde. 1050 Schließlich begründete auch die rumänische Regierung ihre Ablehnung. Sie war der Auffassung, „dass das Auferlegen von verpflichtenden Quoten keine tragfähige Lösung für das Flüchtlingsproblem darstellt. Dieser Ansatz zielt nur auf die unmittelbaren Symptome ab und nicht auf die Ursachen des Phänomens. Eine Herausforderung von solcher Tragweite kann nicht durch das Auferlegen eines automatischen Systems zur Umverteilung von Migranten gelöst werden. Es ist unbedingt notwendig, die Besonderheiten der einzelnen Mitgliedstaaten und ihre tatsächlichen Aufnahme- und Integrationskapazitäten zu berücksichtigen.“1051

Die Kritik, dass eine Zwangsmaßnahme gegen den Willen einiger Mitgliedstaaten im Namen der Solidarität falsch sein könnte, ist erst einmal einleuchtend. 1052 Mit 1049 1050 1051 1052

Ebd. Vgl. Ebd. Ebd., S. 7. So z.B. Nettesheim, Martin (2017): Das EU-Recht in der Krise – ein schwieriges Verhältnis, VerfBlog, 15.09.2017, https://verfassungsblog.de/das-eu-recht-in-der-krise-ein-schwierigesverhaeltnis/, abgerufen am 07.10.2018.

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise

223

Blick auf die bisher erarbeiteten Ergebnisse zum Solidaritätsprinzip erweist sie sich jedoch als hinfällig. Denn dem geltenden Rechtskorpus sind alle Mitgliedstaaten freiwillig und im vollen politischen Bewusstsein beigetreten, dass dieser einzuhalten ist. Das Solidaritätsprinzip äußert sich in Pflichten, die notwendigerweise einzuhalten sind. Art. 78 Abs. 3 sieht einen Notfallmechanismus vor, der mit qualifizierter Mehrheit im Rat aktiviert werden kann. Damit ist das daraus entstehende Recht von allen Mitgliedstaaten zu akzeptieren, ob es ihnen politisch gefällt oder nicht. Wie in Kapitel 2.2.2.1. gezeigt wurde, müssen manchmal auch als nachteilig empfundene Maßnahmen in Kauf genommen werden, wenn sie dem Wohle der gesamten Union dienen sollen. Die im Beschluss formulierten unionalen Ziele, insbesondere die Materialisierung von Art. 80 AEUV, haben Vorrang vor den mitgliedstaatlichen Interessen. Wobei an dieser Stelle die Frage offen bleibt, inwiefern die Aufnahme von, wie im Falle Tschechiens, etwa 1.500 Asylsuchenden wirklich als „Nachteil“ gewertet werden muss. Jedenfalls ist der Verweis der tschechischen und rumänischen Regierungen darauf, dass die Implementierung von Maßnahmen auf der Basis des Primärrechts als Gefahr für eine funktionierende Zusammenarbeit in der EU gesehen werden könnte, weitaus bedenklicher als das Ergebnis des Ratsbeschlusses. Dieses Ansinnen bedeutet nämlich ein Abrücken vom Loyalitäts- und damit vom Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union. Die Durchsetzung des Beschlusses ist sicherlich kein Paradebeispiel der politischen Kultur in der EU gewesen, wo gerade im Rat bei solchen umstrittenen Entscheidungen im Zweifel eine konsensuale Einigung gesucht wird. So hatte der Europäische Rat eine „einvernehmliche“1053 Einigung bezüglich der Umverteilung verlangt. Ob dies nun einstimmig oder mehrheitlich bedeutet, ist eine Frage der Interpretation. Faktisch wurden jedoch bei den beiden Umsiedlungsbeschlüssen zwei verschiedene Wege der Verantwortungsübernahme gewählt – freiwillig und mandatorisch – die eine politische Kontestation des zweiten durchaus legitim erscheinen lässt. Denn es ist augenscheinlich nicht möglich gewesen, den Beschluss über die Verteilung von 120.000 Personen auf freiwilliger Basis einstimmig zu erreichen. Ob es politisch klug ist, eine verpflichtende Verteilung dann gegen den ausdrücklichen Willen einiger Mitgliedstaaten durchzusetzen, ist fraglich. Die Frage danach, ob in diesem Falle Legalität auch Legitimität bedeutet, ist nicht eindeutig zu beantworten. 1053

Europäischer Rat (2015b): S. 2.

224

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Fakt ist, dass der informelle Konsens im Rat beim zweiten Ratsbeschluss nicht eingehalten wurde, was zeigt, wie kontrovers die Entscheidungsfindung im Zuge der Krise geworden war.1054 Möglicherweise kann man sogar so weit gehen zu behaupten, dass die verpflichtenden Quoten eine ausdrückliche Kampfansage an die Staaten Osteuropas gewesen ist, die, mit der zeitweisen Ausnahme Ungarns, in den Krisenjahren kaum Flüchtende aufgenommen hatten.1055 Wenn dies der vorherrschende Impetus bei der Entscheidungsfindung war, ist allerdings Skepsis angebracht, was die politische Umsichtigkeit und Legitimität betrifft. 4.4.1.2. Die Klagen gegen den Ratsbeschluss vor dem EuGH Die Ablehnung der Slowakei und Ungarns ging letztlich so weit, dass beide Länder am 2. und 3. Dezember 2015 gegen den Ratsbeschluss Klage vor dem EuGH einreichten, welche sich vor allem auf die Vorwürfe der mangelnden Rechtsbasis, von Verfahrensfehlern und der Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme gründeten.1056 Am 6. September 2017 wies der EuGH die Klage in allen Punkten ab.1057 In der Begründung heißt es, dass der Rat verpflichtet gewesen sei, Art. 80 AEUV anzuwenden, da dieser für alle Maßnahmen in der Asylpolitik gelte. 1058 Ferner stellte der EuGH klar, dass, wenn sich Mitgliedstaaten in einer Notlage befinden, die von Art. 78 Abs. 3 abgedeckt ist, „die Belastungen, die mit den aufgrund dieser Vorschrift zugunsten der betreffenden Mitgliedstaaten erlassenen vorläufigen Maßnahmen verbunden sind, grundsätzlich auf alle anderen Mitgliedstaaten aufgeteilt werden [müssen], im Einklang mit dem Grundsatz der Solidarität und der gerechten 1054

1055

1056

1057

1058

Vgl. Trauner, Florian (2016): Asylum policy: the Eu’s ‘crises’ and the looming policy regime failure, in: Journal of European Integration, Jg. 38 (3), S. 311-325, S. 322. Vgl. Lehner, Roman (2015): Bailout in der Flüchtlingskrise: Zum Notfallumsiedlungsbeschluss des Rates der EU vom 22.09.2015, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 35 (10), S. 365-372, S. 367. Vgl. Klage, eingereicht am 2. Dezember 2015 — Slowakische Republik/Rat der Europäischen Union, Rechtssache C-643/15, in: ABl. Nr. C 38, 01.02.2016, S. 41-43; Klage, eingereicht am 3. Dezember 2015 — Ungarn/Rat der Europäischen Union, Rechtssache C-647/15, in: ABl. Nr. C 38, 01.02.2016, S. 43-44. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017): Der Gerichtshof weist die Klagen der Slowakei und Ungarns gegen die vorläufige obligatorische Regelung zur Umsiedlung von Asylbewerbern ab, Pressemitteilung 91/17, 06.09.2017, Luxemburg. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017e): Verbundene Rechtssachen C-643/15 und C-647/15, Urteil vom 06.09.2017, Luxemburg, Rn. 252.

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise

225

Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, der nach Art. 80 AEUV für die Politik der Union im Asylbereich gilt.“1059

Die Stärkung der Außengrenzen, die finanzielle und die operative Unterstützung seien keine ausreichenden Maßnahmen gegen den plötzlichen und starken „Zustrom“ und den dadurch entstehenden „Druck“ auf die Asylsysteme Italiens und Griechenlands gewesen.1060 Der Vorwurf, dass die Maßnahme nicht geeignet gewesen sei, um das intendierte Ziel zu erreichen, sei ebenfalls nicht haltbar, da dies auch durch die mangelnde Umsetzung einiger Mitgliedstaaten begründet sei.1061 Zudem verstoße dieses Handeln, allen voran Ungarns und der Slowakei, ausdrücklich gegen „die Pflicht zur Solidarität und zur gerechten Aufteilung der Lasten“1062, wie Generalanwalt Yves Bot in seiner Einschätzung des Falls schrieb. Bot hatte bereits im Vorfeld die Abweisung aller Klagepunkte vorgeschlagen. 1063 In seiner Begründung ging er ausführlich auf den Zusammenhang des Umsiedlungsbeschlusses mit dem Solidaritätsprinzip in der EU ein: „Die vorliegenden Klagen geben uns die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass die Solidarität zu den wesentlichen Werten, ja sogar zu den Grundlagen der Union gehört. Wie sollte die Solidarität zwischen den Völkern Europas vertieft und ein immer engerer Zusammenschluss dieser Völker geschaffen werden, wie es in der Präambel des AEU-Vertrags gefordert wird, wenn es zwischen den Mitgliedstaaten an Solidarität fehlt, sobald sich einer von ihnen in einer Notlage befindet? Wir haben es hier mit dem Inbegriff dessen zu tun, was sowohl die Daseinsberechtigung als auch die Zielsetzung des Projekts Europa ausmacht.“1064

Der Beschluss sei Ausdruck der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten1065 und Solidarität ein Grundwert der Union,1066 welcher Kernstück des Integrationspro-

1059 1060 1061 1062

1063 1064 1065 1066

Ebd., Rn. 291. Vgl. Ebd., Rn. 258. Vgl. Ebd., Rn. 223f. Gerichtshof der Europäischen Union (2017f): Generalanwalt Bot schlägt dem Gerichtshof vor, die Klagen der Slowakei und Ungarns gegen den vorläufigen obligatorischen Mechanismus zur Umsiedlung von Asylbewerbern abzuweisen, Pressemitteilung 88/17; 26.07.2017, Luxemburg. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017b): S. 51. Ebd., 17. Vgl. Ebd., 16. Vgl. Ebd., 18.

226

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

zesses sei.1067 Diese Ansicht bestätigt das Gewicht und die Reichweite des Solidaritätsprinzips, wie es in Kapitel 2.2. dargelegt wurde. Weiter führt Yves Bot aus, dass speziell in der Asylpolitik Solidarität zudem sowohl Grundpfeiler als auch Richtschnur sei.1068 Mit dem beklagten Beschluss erhalte die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten einen konkreten Inhalt und einen rechtsverbindlichen Charakter.1069 Auch diese Positionierungen der konkreten Ausgestaltung des Solidaritätsprinzips in der Asylpolitik unterstützen die Ergebnisse, die in Kapitel 2.2. erarbeitet wurden. Vor allem folgende Stellungnahme ist dabei besonders beachtenswert: „In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die unterlassene Anwendung des angefochtenen Beschlusses auch die in Art. 80 AEUV niedergelegte Pflicht zur Solidarität und zur gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten verletzt.“1070

Der Generalanwalt ist also der Ansicht, dass Art. 80 AEUV eine Solidaritätspflicht begründet, und dass die Nichtbefolgung des gemeinsamen Asylrechts eine Verletzung dieser Pflicht darstellt. Dies ist in Kenntnis des Loyalitätsprinzips aus Art. 4 Abs. 3 EUV zwar nicht überraschend, in Hinblick auf eine festgestellte Solidaritätspflicht jedoch bemerkenswert. Angesichts dieser Positionierung des Generalanwalts ist gleichwohl festzuhalten, dass es sich bei dieser Stellungnahme um eine Einzelmeinung handelt, die – wenn auch mit viel Gewicht – nicht zwingend die Positionierung des Gerichts widerspiegeln muss. Dementsprechend hat sich im endgültigen Urteil eine solche Lesart von Art. 80 AEUV beziehungsweise des Solidaritätsprinzips nicht manifestiert. Das Gericht ging den Gegenstand äußerst zurückhaltend an. Es bestätigte lediglich die Übereinstimmung des Beschlusses mit Art. 80 AEUV als dessen zwangsweisen Ausdruck.1071 Notwendig war nach Ansicht der Richter damit nur die Einhaltung des Solidaritätsprinzips durch die Maßnahme; aus dem Urteil folgt hingegen nicht die mandatorische Implementierung einer solchen Maßnahme nach Art. 80 AEUV. Das Gericht hat damit die in Kapitel 2.2.4. dargelegte Skepsis gegenüber der Justiziabilität des Artikels und seine Eigenschaft als klassische Querschnittsklausel implizit bestätigt. 1067 1068 1069 1070 1071

Vgl. Ebd., 19. Vgl. Ebd., 20. Vgl. Ebd., 23. Ebd., 242. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017e): Rn. 252.

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise

227

Anders verhält es sich mit der mangelnden Umsetzung des Beschlusses durch die Mitgliedstaaten. Das Gericht rekurrierte dabei auf den Umstand, dass zum Zeitpunkt des Urteils, wenige Wochen bevor der anvisierte Zweijahreszeitraum ablief, gerade einmal 27.700 (abzüglich des Kontingentes aufgrund der EUTürkei-Erklärung) Personen umgesiedelt worden waren, wobei Ungarn und Polen bis dato keine einzige Person aufgenommen hatten.1072 Hier bestätigte der EuGH eine Verletzung der Solidaritätspflicht, die sich aus Art. 80 AEUV ergebe. Damit konkretisierte das Gericht das Solidaritätsprinzip, indem es eine Solidaritätspflicht anerkannte, der alle Maßnahmen in der Asylpolitik nachkommen müssen. Darunter fällt auch das Dublin-System. Während die slowakische Regierung das Urteil widerstrebend akzep1073 tierte, regierte die ungarische Regierung ungehalten und kündigte an, auch weiterhin keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen.1074 Dieser intransigenten Ankündigung Ungarns schloss sich die polnische Regierung an.1075 Nachdem die liberale Vorgängerregierung dem Ratsbeschlüssen noch zugestimmt hatte, verweigerte sich die im November 2015 an die Regierung gekommene rechtsnationale PiS jeglicher Übernahme von Flüchtlingen und unterstützte die Klagen Ungarns und der Slowakei gegen den Ratsbeschluss.1076 Zu diesem Zeitpunkt war die polnische Bevölkerung – wie in Ungarn – eigentlich mehrheitlich für eine Übernahme von Flüchtenden aus Gebieten mit bewaffneten Konflikten und für eine Umverteilung per Quote.1077 Die PiS-Regierung nahm die Geschehnisse in der Kölner Silvesternacht 2015 und die Terroranschläge in Brüssel und Paris im März 2016 zum An-

1072

1073

1074

1075

1076 1077

Vgl. Europäische Kommission (2017d): Annex to the Report from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council, Fifteenth report on relocation and resettlement, Annex 3, COM(2017) 465 final, 06.09.2017, Brüssel, S. 2. Vgl. Süddeutsche Zeitung (o. V.) (2017): Flüchtlinge: Ungarn nennt Urteil empörend und verantwortungslos, 06.09.2017, http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-ungarnnennt-urteil-empoerend-und-verantwortungslos-1.3654806, abgerufen am 15.12.2018. Vgl. Becker, Markus (2017): Widerstand gegen EuGH-Urteil: Ungarn rüttelt an Europas Fundament, Spiegel Online, 06.09.2017, http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-lehnteugh-urteil-ab-juristen-sehen-eu-recht-in-gefahr-a-1166403.html, abgerufen am 15.12.2018. Vgl. Welt (o. V.) (2017a): Polen und Ungarn kritisieren EuGH-Urteil, 07.09.2017, https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article168406534/Polenund-Ungarn-kritisieren-EuGH-Urteil.html, abgerufen am 16.01.2019. Vgl. Gerichtshof der Europäischen Union (2017b): S. 6. Vgl. Beger (2018): S. 253.

228

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

lass, die Aufnahme von muslimischen Geflüchteten als Sicherheitsrisiko und Gefahr für polnische Werte zu framen, woraufhin sich auch die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung zurückging.1078 4.4.1.3. Bilanz des Ratsbeschlusses Durch die Umschichtung der 54.000 Plätze aus dem zweiten Ratsbeschluss und abzüglich der Zahl, die noch aus dem ersten Ratsbeschluss umverteilt werden müsste, ergibt sich für den Status quo des zweiten Ratsbeschlusses eine umzuverteilende Menge von knapp über 98.000 Personen. Als der Zeitrahmen zur Umsetzung dieser Maßnahme ablief, waren von diesen 29.144 tatsächlich umgesiedelt worden.1079 Die Kommission rief daher die Mitgliedstaaten dazu auf, die Umsiedlungen aus Griechenland und Italien freiwillig weiterzuführen.1080 Bis zum 7. März 2018 stieg die Gesamtzahl auf 33.846 an.1081 Damit liegt sie deutlich unter einem Drittel der ursprünglich anvisierten Ziele. Zählt man die etwa zeitgleich unter der EU-Türkei-Erklärung neuangesiedelten Menschen hinzu, ergibt sich die Summe von ca. 47.000 Menschen.1082 Im Hinblick auf das bei der Implementierung der Umsiedlungsbeschlüsse und der EU-Türkei-Erklärung vorgesehene Ziel von 178.000 Um- und Neuansiedlungen in der EU ist das Ergebnis ernüchternd. Die Kommission spricht diesbezüglich trotzdem von einem „Erfolg“, da „[m]ehr als 96 % aller berechtigten Personen, die von Italien und Griechenland für eine Umverteilung gemeldet wurden, […] inzwischen umgesiedelt“ 1083 worden seien.

1078

1079

1080

1081

1082

1083

Vgl. Sadowski, Piotr/Szczawinska (2017): Poland’s Response to the EU Migration Policy, S. 211-234, in: Barlai, Melani et al. (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S 220ff. Vgl. Europäische Kommission (2017e): Umverteilung: Geteilte Verantwortung, Factsheet, 26.09.2017, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission (2017f): Umverteilung: Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der EU, Factsheet, 15.11.2018, Brüssel. Vgl. Europäische Kommission (2018h): Annex to the Communication from the Commission to the European Parliament, The European Council and the Council. Progress report on the Implementation of the European Agenda on Migration, COM(2018) 250 final, Annex 4, 14.03.2018, Brüssel, S. 1. Vgl. Europäische Kommission (2018i): Annexes to the Communication from the Commission to the European Parliament, The European Council and the Council. Progress report on the Implementation of the European Agenda on Migration, COM(2018) 301 final, 16.05.2018, Brüssel, S. 9. Europäische Kommission (2018d): S. 23.

4.4. Die „Flüchtlingskrise“ als Solidaritätskrise

229

Da die Kommission im gleichen Papier aber nur einen Satz später auf die Vertragsverletzungsverfahren aufgrund der bereits beschriebenen Nichtumsetzung verweist,1084 ist diese Bewertung doch eher mit Skepsis einzuordnen. Für den mangelhaften Normvollzug spielen auch der hohe bürokratische Aufwand, der für die Umsetzung eines Umsiedlungsmechanismus benötigt wird, sowie die Mängel in der Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten eine Rolle. 1085 Hauptverantwortlich für die geringe Erfolgsquote ist trotzdem der Unwillen der Mitgliedstaaten. Kurz vor dem offiziellen Ablaufdatum des zweiten Ratsbeschlusses hatten nur Malta und Estland ihre Verpflichtungen erfüllt. 1086 Ungarn und Polen hatten bis dato nicht an der Umverteilung teilgenommen, Tschechien verweigerte seit Mai 2016 seine Teilnahme.1087 Da sich diese Verweigerungshaltung nicht änderte, leitete die Kommission am 15. Juni 2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die drei Staaten ein, welches am 7. Dezember 2017 in einer Klage vor dem EuGH mündete.1088 Das Urteil des Gerichts steht noch aus. 4.4.2. Bewertung: Eine neue Qualität der Solidaritätskrise In dieser Situation lässt sich eine neue Dimension der Verletzung des Solidaritätsprinzips erkennen: eine offene Ablehnung der Umsetzungspflicht eines gemeinsam getroffenen Sekundärrechtsaktes. Mit dem Ratsbeschluss vom 22. September 2015 wurde der Versuch unternommen, Art. 80 AEUV substantielle Geltung zu verschaffen und damit die durch das Dublin-System hervorgerufenen Probleme abzumildern. Dieses Vorhaben ist vorerst gescheitert. Schlimmer noch – es hat zu weiteren Rechtsbrüchen geführt und damit den Bruch des Solidaritätsprinzips kumuliert, und nicht etwa gestoppt. Die derzeitige Situation, in der geltendes Recht von einzelnen Mitgliedstaaten einfach nicht anerkannt wird, kann nicht als mangelnder Rechtsvollzug aus nachvollziehbaren Zeit- oder Kapazitätsgründen abge-

1084 1085 1086

1087 1088

Vgl. Ebd. Vgl. Maiani (2016a): S. 11. Vgl. Europäische Kommission (2017g): Report from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Fifteenth report on relocation and resettlement, COM(2017) 465 final, 06.09.2017, Brüssel, S. 4. Vgl. Ebd., S. 3. Vgl. Europäische Kommission (2017h): Umverteilung: Kommission verklagt die Tschechische Republik, Ungarn und Polen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung IP/17/5002, 07.12.2017, Brüssel.

230

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

tan, sondern muss eher als offene Revolte gegen die Asylpolitik der Union kategorisiert werden. Die Herrschaft des Rechts in der EU wird durch die Unterlassung der Umsetzung bedroht.1089 Der Grund für dieses Verhalten liegt weniger bei einer generellen europakritischen Haltung der Akteure. Es ist eher das Ergebnis und ein sichtbares Symptom der kontinuierlichen Solidaritätskrise in der Asylpolitik der EU, die ausgelöst und perpetuiert wurde durch den Defekt des Verursacherprinzips als Allokationssystem für Asylsuchende in der EU. Wie in Kapitel 3.2.3. geschildert, wurde Art. 80 AEUV vor allem auch zur Behebung dieses Defekts in den Lissabon-Vertrag eingebracht, der wiederum als Stützpfeiler für den Ratsbeschluss diente. Der Ratsbeschluss hat die Lage aber nicht etwa im Sinne von Art. 80 AEUV verbessert, sondern noch verschlimmert, da sich nun einzelne Mitgliedstaaten offen außerhalb des EU-Rechts aufstellen und damit das Solidaritätsprinzip aufheben. Die Weigerung der Regierungen Polens und Ungarns, den Ratsbeschluss vom 22. September 2015 auch nach der gescheiterten Klage vor dem EuGH umzusetzen, ist der vorläufige Höhepunkt der europäischen Solidaritätskrise. Das Dublin-System, das durch die Ausgestaltung seines Allokationssystems für Asylsuchende – das Verursacherprinzip – gegen das Solidaritätsprinzip der Europäischen Union verstößt, ist gescheitert. Es verwirklicht die intendierten Ziele nicht und verursacht darüber hinaus weitere Rechtsbrüche im europäischen Asylsystem. Die conditio sine qua non des europäischen Integrationsprojekts wird damit nicht mehr eingehalten. Die Geschäftsgrundlage der Europäischen Union wird in Frage gestellt. Man darf in dieser Situation nicht vergessen, dass sich die entsprechend handelnden Mitgliedstaaten eben nicht nur einem Beschluss verweigern, sondern sich dadurch auch außerhalb des Funktionssystems der EU im Allgemeinen positionieren. Dies alles ist Ergebnis einer europäischen Solidaritätskrise, deren Symptom gemeinhin und fälschlicherweise als „Flüchtlingskrise“ bezeichnet wird. Die Migrationsbewegungen nach Europa ab dem Spätsommer 2015 legten den Blick frei auf die tieferliegenden Probleme in der europäischen Asylpolitik – insbesondere im Dublin-System – und werden nicht etwa von den Schutzsuchenden verursacht. Sie existierten lange bevor das GEAS ab September 2015 für kurze Zeit vollends zusammenbrach. Dabei spielt es generell keine signifikante Rolle, wie stark die Migrationsbewegungen ausfallen oder in welch kurzer Zeit sie erfolgen. 1089

Vgl. Guild/Costello/Moreno-Lax (2017): S. 8.

4.5. Zusammenfassung und Bewertung

231

Der italienisch-französische Konflikt im Jahr 2011 wurde von ca. 25.000 Migranten ausgelöst und brachte erhebliche diplomatische Verwerfungen mit sich, die Jahre andauerten und einen Vorgeschmack auf die tiefe politische Krise ab dem Jahr 2015 gaben. Diese wiederum stellt eine besonders hervorstechende Ausprägung der dauerhaften Solidaritätskrise dar und wird die Europäische Union wohl noch lange beschäftigen.

4.5. Zusammenfassung und Bewertung Der Versuch, durch die asylpolitische Maßnahme des Umsiedlungsbeschlusses vom 22. September 2015 eine Lösung des Problems der Verantwortlichkeitsverteilung in der „Flüchtlingskrise“ herbeizuführen, ist gescheitert. Die intendierte Erzwingung einer Solidarität ex post, die das Scheitern des Dublin-Systems durch den Umweg über Art. 78 Abs. 3 AEUV mithilfe des Art. 80 AEUV überlagern sollte, ist damit ebenfalls fehlgeschlagen. Dabei stößt das Verhalten der Visegrád-Staaten, insbesondere Tschechiens, Polens und Ungarns, allenthalben auf Unverständnis. Allerdings sollte man bei aller berechtigter Kritik an ihrem Verhalten auch bedenken, dass der Ratsbeschluss kein Paradebeispiel der politischen Kultur innerhalb der EU darstellt, wo solche gravierenden Entscheidungen tendenziell im Konsens gefällt werden, wie sich beim Ringen um eine Dublin-Reform unter Beseitigung des Verursacherprinzips zeigt, die aufgrund des Widerstands weniger Mitgliedstaaten seit den 1990er Jahren nicht gelingt. Die offene Revolte gegen den Ratsbeschluss vom 22. September 2015 war in Anbetracht der teils diametral entgegengesetzten Interessen, Standpunkte und Entwicklungen der letzten Jahre erwartbar. Letzten Endes hat der Ratsbeschluss in eine Sackgasse geführt. So gut wie keiner der beteiligten Staaten hat seine Verpflichtungen erfüllt, einige verweigerten sich dem Beschluss vollkommen. Selbst ein Urteil des EuGH reichte nicht dafür aus, dass Tschechien, Polen und Ungarn ihre Pflicht anerkannten und die Maßnahme umsetzten. Dieses in der Europäischen Integration beispiellose Verhalten zeigt den Grad der Desintegration, die die EU im Bereich der Asylpolitik kennzeichnet. Da das Design des GEAS grundsätzlich nicht dem Solidaritätsprinzip entspricht, sind auch nachträgliche Solidaritätswerkzeuge, die nur die Symptome der durch das Dublin-System hervorgerufenen Pathologien lindern sollen, stumpf.

232

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Einige Staaten fühlen sich offensichtlich nicht mehr an das Solidaritätsprinzip gebunden. Sie verweisen stattdessen auf die Einhaltung des bestehenden Systems, das nicht dem Solidaritätsprinzip entspricht, und perpetuieren so Solidaritätsverletzungen. Sie wollen allerdings auch keine Verpflichtungen mehr eingehen, die die Verletzung des Solidaritätsprinzips abmildern können. Dabei gehen sie soweit, sich der Herrschaft des Rechts zu entziehen. Dieses Verhalten stellt einen Bruch mit den fundamentalen Prinzipien der Europäischen Union dar, der eigentlich tiefgreifende Konsequenzen für die betreffenden Akteure nach sich ziehen müsste. Solange diese nicht erfolgen, wird eine Beschädigung der Säulen der EU hingenommen und die Funktionsweise des europäischen Projekts weiter eingeschränkt werden. Erweitert man den Fokus von der Position der Visegrád-Staaten zum Ratsbeschluss auf die EU-28, stellt man fest, dass ein generell geltendes Verteilungssystem nach Quoten bis heute keine ausreichende Mehrheit unter den Mitgliedstaaten gefunden hat. Die Hauptaufnahmeländer von Asylsuchenden in der EU, wie Deutschland, Österreich oder Schweden, waren zwar an der Spitze der Befürworter der temporären Umsiedlungsbeschlüsse, blockierten aber offenbar bei den Verhandlungen der Dublin-III-Reform einen automatischen und dauerhaften Umsiedlungsmechanismus.1090 Das deutet drauf hin, dass auch diese Mitgliedstaaten in der Frage eines zum Wohle aller funktionierenden GEAS letztlich nicht im europäischen Interesse handeln.1091 Ihre Beweggründe zur Ablehnung eines Quotenverteilungssystems für Asylsuchende mögen vielleicht andere sein, im Ergebnis unterscheiden sie sich aber nicht von denen der Viségrad-Staaten. Um der „Flüchtlingskrise“ Herr zu werden, sind die bisherigen politischen Reaktionen nicht hinreichend. Gegenmaßnahmen wie die EU-Türkei-Erklärung oder die Schließung der Balkan-Route haben nicht zu einem Ende der Krise geführt, sondern nur zu einem Rückgang der Asylantragszahlen. Die europäischen Akteure sind mit dem Ausrufen eines Endes der Krise auch deswegen noch zurückhaltend, da sie politische Verwerfungen erzeugt hat, die noch lange nicht geglättet worden sind. Die Reduzierung der nicht autorisierten und ungewollten Einreisen hat nur die Symptome gelindert, nicht die Ursache behoben. 1090

1091

Vgl. Zaun, Natascha (2018): States as Gatekeepers in EU Asylum Politics: Explaining the Non-adoption of a Refugee Quota System, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 44-62, S. 58. Ausführlich zur Reform der Dublin-III-Verordnung und zu Alternativen der Zuständigkeitsallokation siehe Kap. 5.2. und 5.3.

4.5. Zusammenfassung und Bewertung

233

Maßnahmen, wie die Implementierung der Hotspots unter verstärkter Rolle von EASO, haben die grundsätzlichen Probleme des GEAS eher noch verstärkt als abgemildert. Den Außengrenzstaaten Italien und Griechenland wird so noch mehr Verantwortung zugeteilt, anstatt diese zu europäisieren. Da EASO weder über ein ausreichendes Mandat noch über ausreichende Ressourcen verfügt, kann das Asylunterstützungsbüro nicht in dem Maße Hilfe leisten, um die zusätzliche Verantwortung aufzufangen. Durch die höheren Registrierungsraten in diesen Mitgliedstaaten wird nun zwar das Dublin-System in dieser Hinsicht funktionsfähiger, das Solidaritätsprinzip in seiner spezifischen Ausgestaltung in der Asylpolitik wird jedoch weiter ausgehöhlt. Die Verantwortung wird noch ungerechter verteilt. Zudem wurde in diesem Kapitel gezeigt, dass eine dauerhafte Solidaritätskrise in der Asylpolitik der Europäischen Union vorliegt, die durch den Erbdefekt im Dublin-System hervorgerufen wird, unabhängig von den Asylzahlen vorherrscht und kontinuierlich besteht. Die grundsätzlichen Probleme des GEAS, für die die großen Migrationsbewegungen der Jahre 2015 und 2016 nur als Vergrößerungsglas gewirkt haben, müssen nach wie vor gelöst werden. Weder die EU-Türkei-Erklärung noch die Schließung der Balkanroute haben etwas zu den notwendigen Reformen des Dublin-Systems, zur Angleichung der Aufenthaltsbedingungen innerhalb der EU oder der Beendigung der Asyllotterie für Asylsuchende beigetragen. Sie haben lediglich die Symptome der Krise gelindert, die durch die besonders hohen Asylzahlen deutlich zum Vorschein kamen. Der eigentliche Fokus zur Lösung der Krise hat sich dementsprechend weg von notwendigen Reformen in der Asylpolitik und hin auf den Grenzschutz bewegt: zur Verhinderung der irregulären Migration in das Gebiet der EU. Dahinter verbirgt sich die Logik, dass ohne ungewollte Zuwanderung auch das Dubliner Zuständigkeitssystem besser funktionieren würde, auch wenn es nicht dem Solidaritätsprinzip entspricht. Vor dem Hintergrund, dass das Dublin-System nie voll funktionsfähig gewesen ist – auch nicht in Zeiten niedriger Asylantragszahlen – und weltweit steigenden Migrationsbewegungen scheint dieses Handeln jedoch kurzsichtig zu sein. Hatte am Anfang der Krise vor allem auch die Kommission noch eine Reformnotwendigkeit im Bereich des GEAS erkannt und Änderungen vorgeschlagen, so hat sie sich mittlerweile in ihrer Position den Gegebenheiten – den Interessen der Mitgliedstaaten – angepasst. Da eine Erneuerung der europäischen

234

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

Asylpolitik – insbesondere der Verantwortlichkeitsverteilung durch das Dubliner Zuständigkeitssystem – auch durch eine derart zugespitzte Krise mit den Mitgliedstaaten nicht zu erreichen war, wandelte sich ihre Agenda. Von einer notwendigen und strukturellen Reform ist mittlerweile kaum noch die Rede. Stattdessen liegt der Fokus fast ausschließlich auf der Verringerung der Asylimmigration durch Verstärkung des Außengrenzschutzes und der Externalisierung der Asylpolitik durch die Verlagerung der Verantwortlichkeiten auf Drittstaaten. Deutlich erkennbar ist damit ein vergleichbarer Wandel der Kommissionsposition, wie sie bereits im Zuge der Dublin-Reformen dargestellt wurde: Wenn die Kommission merkte, dass ihre auf Europäisierung abzielende und auf die Herstellung des Solidaritätsprinzips beruhende Agenda auf zu großen Widerstand der Mitgliedstaaten stieß, passte sie sich deren Interessen an.1092 Obwohl sich die Kommission der Funktionsunfähigkeit des GEAS im Grunde bewusst ist und dementsprechend die Chance zur Reform während der einsetzenden Krise nutzen wollte, hat sie sich im Laufe von nur zwei Jahren von diesem Vorhaben verabschiedet. Die gleiche Entwicklung konnte bei den Verhandlungen um eine Veränderung des Schengen-Systems im Zuge des italienisch-französischen Konfliktes beobachtet werden.1093 Dieses Verhaltensmuster der Kommission kann als Eingeständnis der Machtlosigkeit gegenüber den Interessen der Mitgliedstaaten gedeutet werden. Alternativlos ist dieses Verhalten der Kommission keineswegs, vor allem dann nicht, wenn es wider besseres Wissen geschieht. So muss man das Vorgehen und die Rolle der Kommission im GEAS als mindestens schwach, wenn nicht sogar europapolitisch riskant bewerten. Die willfährige Unterordnung unter den Willen der Mitgliedstaaten kann unter den Bedingungen der Solidaritätskrise und des nach wie vor nicht funktionierenden GEAS nicht der Anspruch der Kommission gemäß ihrer Rolle im Institutionengefüge der EU sein. Bestehende Regeln müssen eingehalten werden. Dazu gehört die unzweideutige Pflicht, dass spätestens seit der Geltung des Lissabonner Vertrags alle asylpolitischen Maßnahmen dem Solidaritätsprinzip entsprechen müssen, was die gerechte Aufteilung von Verantwortlichkeiten inkludiert. Es erscheint äußerst fraglich, ob die Kommission die Implementierung dieser Pflicht beim Schengen Governance Package, der Dublin-Reform, der Umsetzung des Ratsbeschlusses oder den finanziellen Hilfsmitteln mit 1092 1093

S. Kap. 3.2.4. S. Kap. 4.1.6.

4.5. Zusammenfassung und Bewertung

235

gebotenem Maße Nachdruck verliehen hat. In den Ergebnissen spiegelt sich dies nicht wider. Dementsprechend ist auch die Mittelmeerpolitik zu bewerten. Nachdem „Mare Nostrum“ durch die mangelnde Solidarität der EU und der Mitgliedstaaten gescheitert war, wurden die Nachfolgeprogramme nach und nach zu reinen Grenzschutzoperationen transformiert, bei denen die Seenotrettung zu einer notwendigen Last geworden zu sein scheint. Das Ziel der Rettung von Menschenleben ist dabei in der Priorität hinter die politischen Auseinandersetzungen in der EU in Sachen Verantwortlichkeitsverteilung und hinter das Ziel der Verhinderung der Asylmigration zurückgefallen. Vor allem Italien ist nicht mehr bereit, die Hauptverantwortung für die Seenotrettung zu übernehmen, und fordert Hilfe von den Mitgliedstaaten, die diese, wenn überhaupt, nur sehr widerwillig mit unzureichenden Mitteln leisten. Währenddessen wird die Seenotrettung kriminalisiert. 1094 Dabei hat sich auf dem Mittelmeer eine hoch versicherheitlichte und militarisierte Politik durchgesetzt, wie sich nicht nur an den Operationen Themis und Sophia, sondern auch an der NATO-Operation „Sea Guardian“ nachweisen lässt, die nicht an demokratische Aufsicht gebunden ist und nachweislich Menschenrechtsverstöße zu verzeichnen hat.1095 Im Zuge dieser Entwicklung werden auch Menschenrechte versicherheitlicht, untereinander hierarchisiert und gegeneinander ausgespielt, um das Hauptziel – die Verhinderung der irregulären Migration – noch effektiver erreichen zu können.1096 So wird die Integrität der europäischen Außengrenze als Menschenrecht und sicherheitspolitisch höchstes Ziel konstruiert, das mit allen Mitteln verfolgt muss, während der Flüchtlingsschutz dahinter zurückfällt. Diese Art der Politikgestaltung schiebt die Verantwortung für die politischen Probleme und die Funktionalität der europäischen Asylpolitik den Geflüchteten zu, verlagert die Herausforderungen vor die Grenzen der EU und schafft so neue Probleme. Sie wirft beispielsweise Fragen nach der Menschenrechtsproblematik in den Drittstaaten auf oder trägt zu einem xenophobischen Klima gegen Einwanderer in der EU bei, was wiederum zu großen Problemen bei der Integration der Migranten führt. Die rechtsstaatlichen Prinzipien, Werte und Ziele der EU 1094 1095

1096

S. Kap. 5.4. Vgl. Moreno-Lax, Violeta (2018): The EU Humanitarian Border and the Securitization of Human Rights: The „Rescue-Through-Interdiction/Rescue-Without-Protection“ Paradigm, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 119-140, S.127ff. Vgl. Ebd., S. 131.

236

4 Solidarität in der „Flüchtlingskrise“

geraten so unter erhöhten Druck.1097 Die durch Politiker und Massenmedien verbreitete Panik im Zuge der „Flüchtlingskrise“ ist gefährlich für die Zukunft der Union und hat den Erfolg des Rechtspopulismus mit ermöglicht.1098 Diese Situation ist noch ein weiteres Indiz dafür, dass das System der Verantwortlichkeitsteilung von Grund auf anders organisiert werden muss – und zwar im Kompromiss zwischen allen Akteuren und zum Wohle der gesamten Europäischen Union. Dabei scheint es nach wie vor unmöglich zu sein, im europäischen Asylrecht einen Interessenausgleich herzustellen, der beispielsweise auch die Asylsuchenden miteinbezieht, da die Divergenz der Interessen zwischen den Mitgliedstaaten zu groß ist und einige schlicht keine Notwendigkeit zur Reform sehen. Dadurch werden die politischen Maßnahmen, die im Zuge der Krise durchgeführt worden sind, als Ersatzhandlungen für das Scheitern der Asylpolitik ins Zentrum der Problemlösungsstrategie gestellt. Die wesentlichen Probleme im Bereich Asyl werden übertüncht und in den Hintergrund gedrängt. Diesen Prozess kann man einerseits als pragmatisch bewerten, da Lösungen dort gesucht werden, wo sie auch umsetzbar sind. Andererseits werden die Probleme immer wieder deutlich hervortreten, wenn die Funktionsfähigkeit des GEAS nicht gegeben ist und die der EU eingeschränkt wird. Für zukünftige Herausforderungen lässt diese Perspektive weitere gravierende Probleme befürchten.

1097

1098

So stellt Menendéz einen großen Riss zwischen dem Bekenntnis zum Recht auf Asyl und den tatsächlichen Praktiken fest: Dieses Menschenrecht habe eine sehr enge Lesart erhalten, sodass nicht jeder Schutzsuchende einen Antrag stellen können dürfe, der objektiv bewertet wird, sondern dass diese Menschen eher als illegitime Schutzsuchende begriffen werden, die das generöse normative Bekenntnis der Staaten auszunutzen suchen. Das führe zu einem nur vorgespielten Bekenntnis zum Recht auf Asyl, das sich mit der Praxis nicht vereinen lasse, und das die Wurzel des Schocks sei, den Europa ab 2015 verspürt habe. Vgl. Menendéz (2016): S. 391. Vgl. Chetail (2016b): S. 602. Siehe dazu die Diskussion in Kap. 5.4.

5 Synthese

In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurde das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union im Hinblick auf seine Entwicklung, Ausprägung, Bedeutung und Auswirkung im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem untersucht. Im Rückgriff auf die Forschungsfrage wurden dafür sowohl die wesentlichen Regelungsbereiche als auch deren praktische Umsetzung anhand des Fallbeispiels der „Flüchtlingskrise“ herangezogen. Im Folgenden werden nun die wesentlichen Ergebnisse dieser Prüfung mit dem im Kapitel 2.3. erstellten Solidaritätskonzept abgeglichen (1.). Dabei wird die Frage beantwortet werden, ob und inwieweit Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union besteht. Daran anschließend wird die aktuelle Debatte über die Reform der Dublin-III-Verordnung analysiert (2.). Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang, welche Lehren die EU aus der „Flüchtlingskrise“ für das Zuständigkeitssystem gezogen hat und welche Auswirkungen dies auf das Reformvorhaben hat. Mögliche Alternativmodelle zur Zuständigkeitsallokation in der europäischen Asylpolitik werden ebenfalls diskutiert (3.). Im Zuge dessen wird auch ein eigenes Alternativmodell präsentiert, welches mit dem Solidaritätsprinzip vereinbar wäre. Schließlich werden die Probleme der europäischen Asylpolitik, die sich durch die „Flüchtlingskrise“ deutlich verschlimmert haben, und ihre Rückwirkung auf Entwicklungen in der Europäischen Union insgesamt reflektiert (4.). Vor diesem Hintergrund werden auch die aktuellen Auseinandersetzungen um die Seenotrettung im Mittelmeer und der Rechtsruck in einigen Mitgliedstaaten der Union thematisiert. 5.1. Bewertung der asylpolitischen Maßnahmen anhand des Solidaritätskonzeptes 5.1. Bewertung anhand des Solidaritätskonzeptes In Kapitel 2.3. wurde dargelegt, dass in der Konstruktion der Europäischen Union als Staaten- und Verfassungsverbund sui generis die Bedingungen (1), (2) und (3) des entworfenen Solidaritätskonzeptes als übergreifendes Solidaritätsprinzip mit prozessualer Ausprägung eingearbeitet sind. Ausdruck erhält das Solidaritätsprin-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Saracino, Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4_5

238

5 Synthese

zip der EU zusätzlich durch Bedingung (4), wonach sich Solidarität in einem Füreinandereinstehen für die gemeinsamen Ziele durch konkrete Unterstützungs- und Hilfeleistungen äußert. Diese können in den einzelnen Politikbereichen gemäß den dort vorliegenden Spezifika ausgestaltet werden. Für eine Übereinstimmung mit dem Solidaritätsprinzip müssen alle vier Bedingungen erfüllt sein. Im Fall der gemeinsamen Asylpolitik regelt das Dublin-System die Zuständigkeiten für die Asylantragsteller. Damit ist es grundlegend für die darauf aufbauenden Regelungen zur Herstellung eines gemeinsamen Asylsystems zum Wohle der gesamten Union. Entspricht die Zuständigkeitsallokation nicht dem Solidaritätsprinzip, kann auch das GEAS insgesamt nicht mit ihm vereinbar sein, da die Zuständigkeiten nach einem defekten Prinzip zugewiesen würden. Die asylpolitische Spezialausprägung des Solidaritätsprinzips in der EU findet sich in Art. 80 AEUV, welcher die Berücksichtigung der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten fordert. Diese Forderungist damit einzuhalten, um die Existenz von Solidarität in der europäischen Asylpolitik feststellen zu können. In Art. 80 AEUV ausdrücklich benannt ist die finanzielle Unterstützungskomponente, die sich in der EU über den AMIF materialisiert. Ein operativer Ausgleichsmechanismus wurde durch EASO geschaffen. Diese sind die konkreten Unterstützungs- und Hilfsleistungen, die zu einer gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der gemeinsamen Asylpolitik beitragen sollen. In der „Flüchtlingskrise“ ist eine weitere konkrete Unterstützungsmaßnahme hinzugekommen: Die Umsiedlung von Asylsuchenden aus besonders betroffenen in die anderen Mitgliedstaaten. Der Ratsbeschluss vom 22. September 2015 wurde bei seiner Ausgestaltung von den zustimmenden Mitgliedstaaten explizit als Erfüllung des Solidaritätsprinzips nach Art. 80 AEUV verstanden. Der EuGH hat dies im Nachhinein als rechtskonform, angemessen und notwendig bestätigt.1099 Im Folgenden werden erst das Dublin-System (1.1.), danach die flankierenden finanziellen und operativen Maßnahmen (1.2.), danach der Ratsbeschluss (1.3.) auf das Solidaritätskonzept hin geprüft. Schließlich werden die Ergebnisse dieser Prüfung im Rückgriff auf die Forschungsfrage zusammenfassend bewertet (1.4.).

1099

Siehe dazu Kap. 4.4.1.2.

5.1. Bewertung anhand des Solidaritätskonzeptes

239

5.1.1. Das Dublin-System Wie in Kapitel 3.2.5. gezeigt wurde, lässt sich belegen, dass das Dublin-System gegen das systemimmanente Solidaritätsprinzip der EU verstößt: Es erreicht keines seiner Ziele und es motiviert manche Mitgliedstaaten zur Nichteinhaltung. Durch seine Dysfunktionalität fördert es weitere Rechtsbrüche in anderen Bereichen des GEAS. Darüber hinaus verstößt es gegen die spezifische asylpolitische Ausformung des Solidaritätsprinzips, indem es die Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten ungerecht aufteilt. Durch die Nichteinhaltung der vom Dublin-System auferlegten Pflichten erkennen die jeweiligen Mitgliedstaaten das gemeinsame Ziel des Verursacherprinzips nicht als legitim an und negieren die reziproke Verpflichtung zur Erreichung des Zieles. Damit ist ein Verstoß gegen die Bedingungen (2) und (3) des Solidaritätskonzeptes gegeben. Die Logik des Verursacherprinzips bzw. die geografische Verantwortlichkeitszuteilung sind ungerecht, schwächen die wechselseitige Verbundenheit und untergraben die Verfolgung des Gemeinwohls. Die Charakteristik der Zuständigkeitszuteilung führt nachweisbar zur Einsicht einiger Mitgliedstaaten, dass das Dublin-System ihren Interessen so stark schadet, dass sie den daraus folgenden Pflichten nicht mehr nachkommen. Da dieser Status quo schon seit über 20 Jahren vorherrscht, kann auch nicht mehr von zeitweiligen Nachteilen gesprochen werden, die Mitgliedstaaten gemäß dem Solidaritätsprinzip manchmal zur Erreichung des Gemeinwohls hinnehmen müssen. Da dieser Malus auch mit den finanziellen und operativen Unterstützungs- und Hilfsmaßnahmen nicht behoben werden kann, stellt die Zuständigkeitslogik des DublinSystems einen Bruch mit den Bedingungen (2), (3) und (4) des erstellten Solidaritätskonzeptes dar. Die Herbeiführung weiterer Rechtsbrüche durch die Zuständigkeitsallokation ist für die Fälle, in denen sie mutwillig geschehen oder durch Unterstützungsund Hilfeleistungen nicht aufgefangen werden können, ebenfalls als Verstoß gegen die Bedingungen (2), (3) und (4) zu werten. Als Beispiel können dabei Fälle gelten, bei denen die Mitgliedstaaten ihre Aufnahme- und Versorgungsbedingungen derart schlecht ausgestalten, dass sie gegen gemeinsame Standards verstoßen, um damit Schutzsuchende von einem Asylgesuch in ihrem Land abzuhalten bzw.

240

5 Synthese

sie zur Weiterwanderung zu bewegen. Diese Praxis befolgte beispielsweise Ungarn während der „Flüchtlingskrise“.1100 5.1.2. AMIF und EASO Der finanzielle Solidaritätsmechanismus ist nicht in der Lage, ausreichend Unterstützung zu leisten, um die Ziele des GEAS zu erreichen. Die Anreizstruktur des AMIF begünstigt tendenziell nicht diejenigen Mitgliedstaaten, die die Hilfe am dringendsten benötigen würden. Die Orientierung an der absoluten Aufnahme von Asylsuchenden und nicht etwa an der Aufnahme relativ zur einheimischen Bevölkerung ist dafür hauptverantwortlich. Auch werden die Ressourcenausstattung der jeweiligen nationalen Asylsysteme oder die generelle wirtschaftliche Stärke nicht berücksichtigt. Damit wird keine gerechtere Verteilung der Verantwortlichkeiten geschaffen, im Gegenteil: Die durch das Dublin-System bestehenden Probleme hinsichtlich des Solidaritätsprinzips werden eher noch verstärkt. Damit ist eine Verletzung von Art. 80 AEUV festzustellen, was gleichzeitig einen Verstoß gegen ein ausdrückliches Ziel der Maßnahme bedeutet.1101 Auch die weiteren auferlegten spezifischen Ziele zu Erreichung eines zum Wohle aller Teilnehmer funktionierenden gemeinsamen Asylsystems erreicht der AMIF nicht.1102 Da die Legitimität der Ziele des AMIF aber von allen Mitgliedstaaten in der Praxis offenbar akzeptiert wird, es also nicht zu einem „kalten Boykott“ wie etwa beim Dublin-System kommt, besteht bei einer wörtlichen Lesart kein Verstoß gegen die Bedingungen des Solidaritätskonzeptes. Durch den Verstoß gegen Art. 80 AEUV ist dennoch eine Verletzung des Solidaritätsprinzips erkennbar. Demnach liegt ein Befund vor, der eine Lesart des Solidaritätskonzeptes zulässt, in der der AMIF zwar nicht gegen den Wortlaut, wohl aber gegen die praktische Umsetzung des Konzeptes in der EU und ihrer Asylpolitik verstößt. Daran wird erkennbar, wie wichtig die Übertragung der theoretischen Einfassung des Solidaritätsbegriffs in die Sphäre des Untersuchungsgegenstandes ist, um präzise und für die politikwissenschaftliche Praxis relevante Ergebnisse zu erhalten.

1100 1101 1102

S. Kap. 4.3.7. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Art. 18. S. Kap. 3.3.3.

5.1. Bewertung anhand des Solidaritätskonzeptes

241

Der operative Solidaritätsmechanismus – EASO – ist zu jung und mit zu wenigen Kompetenzen ausgestattet, um eine gerechte Verantwortlichkeitsaufteilung herzustellen. Durch diese Einschränkungen sind die Ziele EASOs entsprechend kleinformatig ausgegeben, sodass das Asylunterstützungsbüro die eigenen, spezifischen Ziele zumindest nicht verfehlt. Es kann die Ziele aber auch nicht in dem Maße erfüllen, dass es das Solidaritätsprinzip erhalten könnte. Somit findet sich bei EASO weder eine Verletzung von Art. 80 AEUV noch eine der Bedingungsfaktoren des Solidaritätskonzeptes. Um jedoch durchschlagenden Erfolg im Sinne eines zum Gemeinwohl funktionierenden GEAS zu haben, müssten das Asylunterstützungsbüro spürbar mit mehr Ressourcen und Kompetenzen ausgestattet werden. Darüber hinaus müssten wohl auch andere Bereiche des GEAS weiter supranationalisiert werden, wie die Asylverfahren oder die Aufnahme und Versorgung von Asylsuchenden, wo ein entsprechend ausgestattetes EASO die Führungsrolle übernehmen könnte. Die in den Hotspots in Griechenland festgestellten Rechtsüberschreitungen durch Mitarbeiter des EASO befinden sich bezüglich des Solidaritätsprinzips in einer Grauzone.1103 Ein vorsätzlicher und nachhaltiger Rechtsbruch bei der Bearbeitung von Asylanträgen, mit dem sich die Agentur demonstrativ gegen die bestehende Regelung stellen würde, dass Asylanträge nur von der nationalen Ebene entschieden werden dürfen, wäre als Verletzung des Loyalitätsgebots und damit des Solidaritätsprinzips zu werten. Damit würde das gemeinsame Ziel nicht mehr als legitim anerkannt und die reziproke Verpflichtung verworfen. Die Bedingungen (2) und (3) würden dadurch nicht mehr eingehalten. Da es sich bei dem Fehlverhalten wohl aber nur um einige Fälle über einen kurzen Zeitraum handelte, kann dieser Schluss nicht plausibel gezogen werden. Anders sähe es beispielsweise aus, wenn die beschriebene Praxis nach wie vor und trotz politischer Eingriffe andauerte. 5.1.3. Der Ratsbeschluss vom 22. September 2015 Der Ratsbeschluss vom 22. September 2015 war in der Geschichte der EU einmalig und äußerst kontrovers. Trotz seiner nachhaltigen Kontestation durch einige Mitgliedstaaten war er rechtens und angemessen. Er wurde auf Basis des Primärrechts implementiert unter ausdrücklicher Beachtung des Art. 80 AEUV. Sein Ziel 1103

Siehe dazu Kap. 4.3.9.

242

5 Synthese

war die Unterstützung der Mitgliedstaaten Griechenland und Italien, die unter den speziellen Umständen einer besonderen Hilfsmaßnahme bedurften. Jedoch waren sich die Mitgliedstaaten bei dieser Zielbestimmung untereinander so uneinig, dass das Ergebnis von einigen nicht akzeptiert wurde. Die Auseinandersetzungen um den Ratsbeschluss, in Kap. 4.4. ausführlich geschildert, haben gezeigt, dass in der asylpolitischen Ausrichtung der Union insgesamt Uneinigkeit herrscht. In der Folge wurde deutlich, dass die Legitimität von Art. 78 Abs. 3 nicht mehr allgemein anerkannt wird. Ebenso kam zum Ausdruck, dass kein Konsens darüber besteht, dass eine gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten in der Asylpolitik überhaupt hergestellt werden sollte. Somit wurden das Primärrecht und die darüber gebundenen Ziele nicht mehr von allen Mitgliedstaaten akzeptiert. Die gegen die abweichenden Meinungen durchgesetzte reziproke Verpflichtung zur Einhaltung der Maßnahme wurde dementsprechend nicht anerkannt. Es bestand offensichtlich im Hinblick auf die Asylpolitik keine Verbundenheit mehr zwischen allen Mitgliedern, was die Zielerreichung in Bezug auf das Gemeinwohl betrifft. Dementsprechend wollten die Mitglieder auch nicht füreinander einstehen. Die Bedingungen (2), (3) und (4) des Solidaritätskonzeptes werden damit in Bezug auf den Ratsbeschluss nicht eingehalten. Letztlich haben die Auswirkungen des Ratsbeschlusses – und letztendlich die gesamte „Flüchtlingskrise“ – aufgezeigt, dass die Interessendivergenz in der Asylpolitik mittlerweile so groß geworden ist, dass nicht mehr davon gesprochen werden kann, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Ziele verfolgen, bzw. die im GEAS festgelegten Ziele noch von allen als legitim angesehen werden. Daher wurden auch nur noch grenzschutzpolitische Maßnahmen bzw. die Kooperation mit Drittstaaten zur Beilegung der „Flüchtlingskrise“ herangezogen. In der Asylpolitik ist eine gemeinsame Strategie nicht mehr zu bewerkstelligen. 5.1.4. Zusammenfassende Bewertung Das gemeinsame Ziel eines zum Wohle aller Unionsmitglieder funktionierenden Asylsystems, für das zuerst einmal die Verantwortlichkeiten gerecht aufgeteilt werden müssten, wird durch das zuständige Dublin-System nicht erreicht. Die Mitgliedstaaten stehen für die Art und Weise der Zuständigkeitsallokation nicht füreinander ein. Es existieren zwar konkrete Unterstützungs- und Hilfsleistungen, die die Mängel des Dublin-Systems (und des gesamten GEAS) abmildern sollen,

5.1. Bewertung anhand des Solidaritätskonzeptes

243

diese schaffen aber keine Besserung im Erreichen der Ziele – eher im Gegenteil. Die Mitgliedstaaten sind sich offensichtlich sogar uneins darüber, worin die gemeinsamen Ziele in der Asylpolitik überhaupt bestehen. Einige Mitgliedstaaten verfolgen offenbar kein GEAS zum Wohle aller Teilnehmer, sondern nur zum eigenen national orientierten Wohl, welches nicht mehr kongruent mit dem europäischen Gemeinwohl zu sein scheint. Das defekte Dublin-System ist durch die von ihm ausgehende Verletzung des Solidaritätsprinzips für diese Tendenz mitverantwortlich. Die Herrschaft des Rechts versagt an dieser Stelle. Die Einhegung der mitgliedstaatlichen Interessen funktioniert nicht mehr, was zu inkrementellem Rechtsbruch führt. Besonders deutlich wurde dies beim Ratsbeschluss vom 22. September 2015. Dort war zu erkennen, dass sich die Mitgliedstaaten über die gemeinsam im Primärrecht festgelegten asylpolitischen Ziele nicht mehr einig sind. Legitimität und Funktionsfähigkeit des GEAS sind nicht mehr ausreichend gegeben. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ausreichend mit Ressourcen und Kompetenzen sowie der korrekten Anreizstruktur ausgestattete Hilfsmechanismen überhaupt in der Lage wären, den Erbdefekt des GEAS – das DublinSystem mit seinem Verursacherprinzip – zu beheben. Angesichts der tiefgreifenden Verstöße gegen das Solidaritätsprinzip durch das Dublin-System ist hier Skepsis angebracht. Nach den bisherigen Ausführungen erscheint es von oberster Priorität, die Basis des europäischen Asylsystems, auf der alle anderen Maßnahmen aufbauen – die Zuständigkeitsallokation – grundsätzlich zu reformieren. Dies muss dann im Einklang mit der conditio sine qua non der Europäischen Union geschehen – dem Solidaritätsprinzip. Vor allem müsste dabei auch die spezielle asylpolitische Ausformung der gerechten Verantwortlichkeitsaufteilung beachtet werden. Erst, wenn ein solches Zuständigkeitssystem implementiert ist, könnten wohl Hilfs- und Unterstützungsmechanismen greifen, um die vorkommenden Probleme bei der Zielerreichung zu beheben. Dadurch, dass das Fundament des GEAS gegen drei der vier Bedingungsfaktoren verstößt, sind alle darauf aufbauenden Maßnahmen fallibel bzw. nicht integer. Wenn als Ausgangspunkt bereits die conditio sine qua non nicht eingehalten wird, ist alles daraus Erwachsene von diesem Fehler durchsetzt. Im auf die Metapher des Erbdefekts übertragenen Sinne führt das Verursacherprinzip zu Fehlbildungen im gesamten Organismus, welcher dadurch nicht überlebensfähig ist. Indem die Zuständigkeitsallokation nicht im Interesse aller Mitgliedstaaten

244

5 Synthese

und gemäß gerechter Verantwortlichkeitsaufteilung ausgestaltet wurde, im Gegenteil sogar mit einem Impetus der Sanktionierung auf Basis ungerechter und widersinniger Prinzipien, kann sie nicht zum Erreichen der Ziele aller Mitglieder und damit auch nicht zum Gemeinwohl führen. In diesem Falle ist es nur logisch, dass nicht alle Mitgliedstaaten ihr Eigeninteresse im Gemeinschaftsinteresse verwirklicht sehen. Dazu kommt, dass eine gerechte Verantwortlichkeitsteilung für verschiedene Mitgliedstaaten mittlerweile etwas anderes bedeutet: Manche wollen gar keine Kooperation in der Asylpolitik mehr, sondern nur noch im Grenzschutz. Sie erkennen die europäischen Pflichten des Asylrechts teils gar nicht mehr an. Der Mangel an wechselseitiger Verbundenheit in der asylpolitischen Kooperation hat zu einer Erosion des Willens zur Pflichterfüllung geführt. Ein gemeinsames asylpolitisches Ziel ist nicht mehr zu erkennen, für das man gegenseitig einstehen müsste. Somit ist dem Solidaritätsprinzip die Grundlage, wie im Solidaritätskonzept dargelegt, fast völlig entzogen. Das Loyalitätsprinzip entfaltet seine Geltung hier kaum noch. Ohne die Einhaltung der conditio sine qua non wird die asylpolitische Kooperation in der EU unmöglich. Mehr als deutlich hat sich diese Entwicklung in der „Flüchtlingskrise“ gezeigt. Die Auswirkungen werden die EU wahrscheinlich noch lange beschäftigen.

5.2. Die aktuelle Reform der Dublin-III-Verordnung In ihrer Migrationsagenda vom Mai 2015 hatte die Kommission noch keine Reform des Dublin-Systems ins Spiel gebracht.1104 Die reformierte Dublin-III-Verordnung war gerade erst in Kraft getreten, die Eskalation der Wanderungsbewegungen in die EU stand erst noch bevor. Dementsprechend stellte die Kommission in einem Strategiepapier zur Reformierung des GEAS ein knappes Jahr später fest, dass erhebliche strukturelle Defizite und Unzulänglichkeiten in der Konzeption und Umsetzung der Asylpolitik während der Krise deutlich zutage getreten seien.1105 Dort benannte sie zwar das Ziel einer „Abkehr von einem System, das aufgrund seiner Konzeption oder mangelhaften Implementierung bestimmten Mitgliedstaaten unverhältnismäßig viel Verantwortung aufbürdet“ 1106, bekannte sich 1104 1105 1106

S. Kap. 4.3.3. Vgl. Europäische Kommission (2016a): S. 2. Ebd.

5.2. Die aktuelle Reform der Dublin-III-Verordnung

245

aber gleichzeitig zum bestehenden Zuständigkeitssystem.1107 Diese widersprüchliche Herangehensweise bekräftigte die Kommission noch weiter: Sie erklärte, dass mangelnde Lastenteilung in der Krise sichtbar geworden sei, grundsätzlich aber auch unabhängig von der Krise zutage trete, weswegen „mit hoher Wahrscheinlichkeit“1108 davon auszugehen sei, dass das derzeitige Dublin-System dem anhaltenden Migrationsdruck nicht gewachsen sei, und die Missachtung weiterer EU-Vorschriften durch das Dublin-System verursacht werden.1109 Diese Argumentation nutzte die Kommission als Grundlage für einen zweigeteilten Vorschlag zur Reform des Dublin-Systems: Die erste Variante enthielt eine Ergänzung des gegenwärtig bestehenden Systems durch einen Korrekturmechanismus bei „unverhältnismäßig großen Zustrom“1110 auf das nationale Asylsystem. Die zweite Variante beinhaltete folgenden Vorschlag: einen allgemeingültigen „Verteilungsschlüssel, der sich nach Größe, Wohlstand und Aufnahmekapazitäten der Mitgliedstaaten richten würde. Ein solches Vorgehen würde gegenüber dem aktuellen System einen fundamentalen Wandel darstellen.“1111 Darüber hinaus stellte die Kommission klar, dass die freie Wahl der Asylsuchenden nicht zur Debatte stünde, da dies die Konzentration der Anträge auf nur wenige Mitgliedstaaten begünstigen würde und keine Gewähr böte für solidarische und faire Verantwortungsteilung.1112 Kurz nach der Veröffentlichung der Kommissionspläne antwortete das Europäische Parlament darauf und stellte fest, dass das Dublin-System nicht objektiv sei, keine fairen Kriterien zur Zuweisung von Zuständigkeiten beinhalte und das System in der Praxis nicht angewendet würde.1113 Damit stimmte es mit der Einschätzung der Kommission größtenteils überein. Die Schlussfolgerung des EP sah jedoch anders aus: Es forderte aufgrund der Nichterreichung der Ziele eine Überarbeitung des Verursacherprinzips.1114 Dabei sollten nach seiner Vorstellung die 1107 1108 1109 1110 1111 1112 1113

1114

Vgl. Ebd., S. 4. Ebd. Vgl. Ebd. Ebd., S. 8. Ebd., S. 9. Vgl. Ebd., S. 7. Vgl. Europäisches Parlament (2016): Die Lage im Mittelmeerraum und die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes der EU für Migration. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. April 2016 zur Lage im Mittelmeerraum und zur Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes der EU für Migration, 2015/2095(INI), P8_TA(2016)0102, Brüssel, Erw. AA. Vgl. Ebd., S. 17.

246

5 Synthese

Kriterien der Umsiedlungsbeschlüsse für ein neues Zuständigkeitssystem genutzt werden.1115 Darüber hinaus forderte es ein europäisches Asylverfahren, unterstützt durch ein breites Hotspot-System1116 und die gegenseitige Anerkennung der Positiventscheide von Asylverfahren.1117 Das EP verwies darauf, dass „Solidarität der Grundsatz sein muss, auf dem die Tätigkeit der EU im Bereich der Migration basiert“1118. Im nur wenige Wochen später vorgebrachten Reformvorschlag der DublinIII-Verordnung entschied sich die Kommission für Variante 1 des Strategiepapiers.1119 Dabei stellte sie zum wiederholten Male fest, dass die Ausgestaltung der Asylvorschriften grundlegende Mängel aufweise und keine tragfähige Aufteilung der Verantwortung bewerkstelligen könne.1120 Die Flüchtlingskrise habe erhebliche strukturelle Schwächen des Dublin-Systems aufgezeigt, die zu einer Überlastung einiger Mitgliedstaaten führe, die wiederum in einer Missachtung der Vorschriften münde.1121 Eine Prüfung habe ergeben, dass die Dublin-III-Verordnung nicht korrekt angewendet werde, keine faire Verantwortungsteilung ermögliche, die Zuständigkeitsbestimmungen unter den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgelegt werden, die langen Verfahren Sekundärmigration begünstigen, sowie der Frühwarnmechanismus nicht genutzt werde.1122 Kurzum: Es stellte sich wieder heraus, dass die Ziele des Dublin-Systems in der Praxis nicht umgesetzt werden, es gegen das Solidaritätsprinzip verstößt und darüber hinaus weitere Rechtsbrüche verursacht. Die Schlussfolgerung, die die Kommission daraus zog, lautete: Der Druck auf Antragsteller, im Staat der Erstbetretung den Asylantrag zu stellen, sowie auf Mitgliedstaaten, ihrer Verpflichtung nach dem Verursacherprinzip nachzukommen, solle unter Androhung von Konsequenzen erhöht werden, um der Sekundärmigration Einhalt zu gebieten.1123 Der vorgeschlagene Korrekturmechanismus solle ausgelöst werden, wenn die Zahl der Anträge in einem Mitgliedstaat 150% nach einem Referenzschlüssel bestehend aus 50% der Bevölkerungsgröße und 1115 1116 1117 1118 1119 1120 1121 1122 1123

Vgl. Ebd., S. 17f. Vgl. Ebd., S. 18. Vgl. Ebd. Ebd., S. 13. Vgl. Europäische Kommission (2017b): S. 4. Vgl. Ebd., S. 2. Vgl. Ebd., S. 3. Vgl. Ebd., S. 9ff. Vgl. Ebd., S. 16ff.

5.2. Die aktuelle Reform der Dublin-III-Verordnung

247

50% des BIP des Mitgliedstaates übersteigt. Ein EU-weites elektronisches Erfassungssystem soll die Berechnung der Anträge gewährleisten, und Antragsteller sollen nach der Zulässigkeits-, aber vor der Dublin-Prüfung im Falle der Auslösung proportional an die anderen Mitgliedstaaten verteilt werden.1124 Zusätzlich wurde für diesen Korrekturmechanismus für unwillige Mitgliedstaaten eine Hintertür – von der Kommission „Solidaritätsbeitragsmechanismus“ genannt – eingebaut: Sie können sich vorübergehend (für 12 Monate) aus der Zuweisung für 250.000 Euro pro Antragsteller herauskaufen.1125 In Bezug auf Solidarität ist festzustellen, dass der Begriff im Kommissionsvorschlag nur sehr sparsam verwendet wird. Eigentlich bezieht sich seine Nutzung lediglich auf den Beitrag zum „Herauskaufen“ aus dem Korrekturmechanismus. Auch Art. 80 AEUV wird nur auf diesen konkreten Zusammenhang bezogen.1126 Dabei müsste er zwingend für das gesamte Zielspektrum der Verordnung Anwendung finden.1127 Doch in diesem Reformvorschlag ist nicht einmal mehr der Hinweis darauf zu finden, dass alle Maßnahmen des GEAS in Einklang mit Art. 80 AEUV stehen müssen, wie es noch in der Dublin-III-Verordnung der Fall war.1128 Dieser Rückzug aus der Pflicht zur Einhaltung des Solidaritätsprinzips ist bemerkenswert. Diese Forderung wird nicht einmal mehr deklaratorisch vorgebracht. Der grundsätzliche Impetus des Reformvorschlags zielt auf Restriktionen ab: Verhinderung von Sekundärmigration durch Zwangs- und Sanktionsmaßnahmen, teils erhebliche Beschneidung der subjektiven Rechte von Antragstellern, Einschränkung der Souveränitätsklausel, die Verschärfung des Verursacherprinzips, Einbeziehung der Prüfung von ersten Asyl- sowie sicheren Herkunfts- und Transitstaaten. Bei der Einschätzung des Vorschlags sind sich prinzipiell alle Experten einig, dass er Verstöße gegen internationales und europäisches Recht in sich trägt, die Sekundärmigration nicht verhindern, sondern eher fördern wird, weder eine gerechtere noch eine effizientere Verantwortlichkeitszuteilung herstellen kann, und dass der Korrekturmechanismus nicht funktionieren wird.1129 Kurzum: 1124 1125 1126 1127

1128 1129

Vgl. Ebd., S. 21. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 32f. Diese Tatsache wurde an vielen Stellen dieser Arbeit belegt. Nicht zuletzt anhand des EuGHUrteils zum Ratsbeschluss vom 22. September 2015. S. Kap. 4.4.1.2. Vgl. Verordnung (EU) Nr. 604/2013: Erw. 22. Vgl. Maiani (2016); Marx (2016a); Guild/Costello/Moreno-Lax (2017); Chetail (2016b); Peers, Steve (2016b): The Orbanisation of EU asylum law: the latest EU asylum proposals,

248

5 Synthese

In dieser Ausgestaltung würde eine Dublin-IV-Verordnung einen „Rollback“1130 darstellen, durch den die Kommission ihrer Rolle als Hüterin der Verträge nicht gerecht würde.1131 Steve Peers verdeutlicht die potentiellen Auswirkungen so: „Let’s put it plainly: asylum-seekers who flout the Dublin rules will be left to starve in the streets – even children, torture victims and other vulnerable people. And fast-tracking their asylum application implicitly aims at refouling them to their country of origin, with only limited suspensive effect of any appeal to the courts.”1132

Die Lösungsformel der „Flüchtlingskrise”, die, wie in Oberkapitel 4 gezeigt wurde, im Sinne der EU-Grenzkontrollpolitik hauptsächlich in der EU-Türkei-Erklärung und der Schließung der Balkanroute lag, um die irreguläre Einwanderung zu verhindern, soll durch die restriktivere Ausrichtung des Vorhabens verankert werden. Die Verantwortungsverlagerung an die Außengrenzen und nach außerhalb der EU wird weiter verschärft. In diesem von Peers „Orbanisierung“ genannten Impetus kommt die Kommission dem Willen derjenigen Mitgliedstaaten nach, die ihre nationalstaatlichen Interessen vor die europäischen stellen und dadurch auch die menschenrechtliche Grundierung des GEAS zurückdrängen wollen. Menschenrechts-NGOs1133 und Experten der EU-Asylpolitik lehnen den Vorschlag daher einhellig ab und verweisen unisono auf das Fehlen der Einbeziehung der Präferenzen der Asylsuchenden selbst, die für ein funktionierendes GEAS entscheidend sei.1134 Auch die Option, dass sich Mitgliedstaaten aus dem Korrekturmechanismus herauskaufen können, wird sowohl empirisch als auch ethisch

1130

1131

1132 1133

1134

Statewatch Analysis, London; Maiani, Francesco (2017): The reform of the Dublin system and the dystopia of „sharing people“, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 622-645. Pichl, Maximilian (2016): Dublin IV: Europäischer Asylausstieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 61 (10), S. 9-12, S. 10. Vgl. Hruschka, Constantin (2016): Dublin ist tot! – Lang lebe Dublin! Anmerkungen zum Kommissionsvorschlag vom 4. Mai 2016, Fluchtforschungsblog, 28.06.2018, https://fluechtlingsforschung.net/dublin-ist-tot-lang-lebe-dublin/, abgerufen 19.02.2019. Peers (2016b): S. 10. Vgl. Deutscher Anwaltverein et al. (2015): Für die freie Wahl des Zufluchtslandes in der EU. Die Interessen der Flüchtlinge achten, Juni 2015, o. O.; Amnesty International et al. (2016): Flüchtlingspolitik in Europa – Nein zu dieser „Dublin-IV-Verordnung“!, Dezember 2016, o. O.; Amnesty International et al (2018): Für den Fortbestand des Zugangs zum individuellen Asylrecht in Europa. Zu den aktuellen Reformvorschlägen für das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), Januar 2018, o. O. Vgl. Guild/Costello/Moreno-Lax (2017): S. 10; Maiani (2017): S. 630; Pichl (2016): S. 12; Chetail (2016b): S. 596.

5.2. Die aktuelle Reform der Dublin-III-Verordnung

249

sowie im Sinne von Art. 80 AEUV in Frage gestellt.1135 Letztlich würden die strukturellen Probleme des GEAS, die auch zur „Flüchtlingskrise“ geführt haben, durch die Vorschläge nur weiter verschlimmert. Die intendierten Ziele des Reformvorschlags seien „bound to fail as they have for several decades.“ 1136 Der Rat reagierte zurückhaltend auf den Kommissions-Vorschlag und einigte sich zunächst nur auf die Zuwendung zu den Themen Verhinderung der Sekundärmigration sowie schnellere und effizientere Zuständigkeitsfeststellung. 1137 Das Europäische Parlament ergriff nach einem weitgehenden Stillstand des Reformprozesses Ende des Jahres 2017 die Initiative, indem es einen Alternativvorschlag unterbreitete, den es selbst „kühn, aber pragmatisch“1138 nannte. Dieser durch seine Berichterstatterin bekannt gewordene „Wikström-Bericht“ stellte fest, dass die Mängel der Dublin-III-Verordnung grundlegend und strukturell seien, weswegen diese auch grundlegend und strukturell reformiert werden müsse – unter Abschaffung des Verursacherprinzips.1139 Die Zuständigkeitskriterien würden nach dem Vorschlag des WikströmBerichts durch einen dauerhaften Umverteilungsmechanismus ersetzt werden, der familiäre Bindungen sowie vorherige Erfahrung der Antragsteller in Mitgliedstaaten bei der Zuständigkeitszuteilung priorisieren würde.1140 Dabei dürften die Antragsteller unter vier Mitgliedstaaten wählen, „die die geringste Anzahl von Antragstellern im Vergleich zu ihrem gerechten Anteil aufgenommen haben.“ 1141 Dieser Anteil würde auf Grundlage des BIP und der Bevölkerungszahl der Mitgliedstaaten errechnet. Die Sekundärmigration würde, so der Bericht, sowohl durch dieses begrenzte Mitspracherecht verringert, als auch durch die Möglichkeit, sich in Gruppen von bis zu 30 Personen zur Umsiedlung anzumelden, um

1135 1136 1137

1138

1139 1140 1141

Vgl. Guild/Costello/Moreno-Lax (2017): S. 9. Chetail (2016b): S. 602. Vgl. Rat der Europäischen Union (2016c): Sachstandsbericht, 12724/16, ASILE 39, CODEC 1350, 04.10.2016, Brüssel, S. 3. Europäisches Parlament (2017): Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), (COM(2016)0270 – C8-0173/2016 – 2016/0133(COD)), A8-0345/2017, 06.11.2017, Brüssel, S. 122. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 122. Ebd., S. 123.

250

5 Synthese

bestimmte soziale Bindungen miteinbeziehen zu können.1142 Diese Wahlmöglichkeiten würden allerdings nur dann zur Verfügung gestellt, wenn sich die Antragsteller auch im Land der Ersteinreise erfassen ließen.1143 Dem Vorschlag zufolge würde diese Art von Druck nicht nur auf die Antragsteller, sondern auch auf die Mitgliedstaaten ausgeübt werden. Wenn diese sich nicht an die Regeln hielten, sollen Zwangsmaßnahmen greifen: Sollten beispielsweise die Außengrenzstaaten ankommende Antragsteller nicht pflichtgemäß erfassen, würden diese aus dem Umsiedlungsmechanismus ausgeschlossen werden.1144 Denjenigen Mitgliedstaaten, die sich nicht an der Aufnahme von Schutzbedürftigen beteiligen möchten, sollen dem Vorschlag zufolge EU-Mittel gestrichen werden.1145 Weitere, grundlegende Neuerungen bestehen im Wikström-Bericht darin, dass die Aufnahmekosten durch den EU-Haushalt gedeckt und der Überstellungsmechanismus von EASO durchgeführt werden würde.1146 Die Antragsteller sollen ebenfalls zusätzliche Hilfe durch die EU erhalten.1147 Allerdings beinhaltet der Bericht keine Forderung nach einem europäisierten Asylverfahren. Der Wikström-Bericht ist in der Tat als „kühn“ zu bezeichnen. Er ist der bisher radikalste Vorschlag einer EU-Institution, die grundlegenden Probleme des Dublin-Systems, insbesondere das Verursacherprinzip, durch einen Mechanismus zu ersetzen, der mit dem Solidaritätsprinzip und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten zu vereinbaren ist. Vor diesem Hintergrund ist der Verstoß lobenswert. Um dieses Ziel wirklich zu erreichen, müssten die hohen Verwaltungskosten, die durch einen kontinuierlichen Umsiedlungsmechanismus unweigerlich entstehen, hinreichend von EU-Seite gedeckt werden. Den Mitgliedstaaten an den Außengrenzen dürften im Verhältnis zu den anderen keine höheren Kosten aufgebürdet werden. Es müsste zwingend darauf hingearbeitet werden, dass das reformierte Zuständigkeitssystem mit Art. 80 AEUV in Einklang steht. Zudem müssten alle Mitgliedstaaten mit diesem System einverstanden sein. Ein Fiasko wie die Bilanz des Ratsbeschlusses vom 22. September 2015 müsste ausgeschlossen werden können. Für die Entscheidung sollte also eine einstimmige Entscheidung gesucht werden. 1142 1143 1144 1145 1146 1147

Vgl. Ebd. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 125. Vgl. Ebd. Vgl. Ebd., S. 123. Vgl. Ebd., S. 124.

5.2. Die aktuelle Reform der Dublin-III-Verordnung

251

Fraglich ist, wie sinnvoll es ist, einen Mitgliedstaat, der seinen Verpflichtungen auch nur zweitweise nicht nachkommen kann, mit so strengen Sanktionen wie einem Ausschluss zu belegen. Es ist Skepsis dahingehend angebracht, ob sich Mitgliedstaaten durch ein Bestrafungsszenario dazu motivieren lassen, ihren Registrierungspflichten nachzukommen. Wenn aus den betreffenden Staaten aufgrund der Sanktion keine Personen mehr umgesiedelt würden, stiege ihre Motivation eher noch an, nicht zu registrieren. Es wäre wahrscheinlich die bessere Lösung, zum einen die Registrierung und zum anderen das gesamte Asylverfahren zu europäisieren, was bereits im Tampere-Programm als Ziel für das GEAS ausgegeben wurde und seitdem auch von Kommission und EP gefordert wird. 1148 Letztendlich bleibt auch die Frage offen, warum Antragstellern nicht die volle Wahlfreiheit gewährt werden soll. Dies wäre ein durch und durch kühner Ansatz gewesen, der vollends mit der bisherigen Orthodoxie des Dublin-Systems bräche und überdies ganz auf Höhe des Forschungsstandes wäre. Denn mittlerweile ist unter Experten weitgehend anerkannt, dass ein Zuständigkeitssystem ohne Einbezug der Präferenzen der Antragsteller nicht funktionieren kann. 1149 Sollte der Vorschlag des Wikström-Berichts angenommen werden, wäre also weiterhin mit großer Gegenwehr vonseiten der Geflüchteten zu rechnen.1150 Sekundärmigration kann kaum gegen die Interessen der Asylsuchenden gebremst werden. Am Ende bliebe das Dogma bestehen, dass den Antragstellern keine freie Wahl zugestanden werden soll, und dass ihre Sekundärbewegungen verhindert werden müssen, wenn nötig durch Zwang.1151 Das Zepter des Handelns lag nach diesem einschneidenden Schritt des EP beim Rat. Dieser zeigte jedoch wenig Bereitschaft, den Wikström-Bericht zur Grundlage weiterer Verhandlungen zu machen. Ein Vorschlag des bulgarischen Ratsvorsitzes, der vor allem auf die Bedenken der Visegrád-Staaten eingegangen

1148 1149

1150 1151

Siehe dazu Kap. 3.1.7 und 3.1.8. Vgl. Maiani, Francesco/Hruschka, Constantin (2017): The Report of the European Parliament on the reform of the Dublin system: certainly bold, but pragmatic? – EU Immigration and Asylum Law and Policy Blog, 20.12.17, https://eumigrationlawblog.eu/the-report-of-the-european-parliament-on-the-reform-of-the-dublin-system-certainly-bold-but-pragmatic/, abgerufen am 20.01.2019. Ausführlich zu diesem Aspekt siehe Kap. 5.3. Vgl. Maiani (2017): S. 639. Vgl. Ebd., S. 640.

252

5 Synthese

war, brachte keine Fortschritte.1152 Die Außengrenzstaaten, allen voran Italien, ließen sich darauf nicht ein, während sich die Visegrád-Staaten einer Quotenregelung nach wie vor völlig verschlossen.1153 Dementsprechend ist der Wikström-Bericht in einer Sackgasse angekommen, wie die Namensgeberin selbst berichtet: „Der Widerwillen des Europäischen Rats [gemeint ist der Rat, D.S.] übersteigt jede Vorstellungskraft. Die Mitgliedsstaaten verschleppen die Entscheidung. Wieder und wieder sagen sie uns, sie müssten sich den Text ansehen. Aber da gibt es nichts anzusehen, sie müssen sich jetzt endlich damit befassen und daran arbeiten. Wir brauchen den Rat, weil wir Ko-Gesetzgeber sind. Und ich bin bereit, in Verhandlungen zu treten. Aber der Rat liefert einfach nicht, und wir bedauern das sehr, gemeinsam mit der Kommission.“1154

Es scheint wohl so zu sein, dass die Fronten zwischen den Mitgliedstaaten so verhärtet sind, dass ein Kompromiss im Rat in weiter Ferne liegt. So äußert sich Monika Hohlmeier, MEP: „Aber wir kommen derzeit gar nicht zu Trilogverhandlungen, weil innerhalb des Rates, sprich zwischen den verschiedenen Ländern und Mitgliedsstaaten, der Streit so groß ist, dass sie gar keine gemeinsame Position zum Verhandeln haben, und deshalb derzeit bei der Umverteilung und bei Dublin überhaupt keine Verhandlungen stattfinden, nur informelle interne Gespräche.“1155

Der österreichische Ratsvorsitz versuchte in der zweiten Hälfte 2018 den Stillstand zu durchbrechen. Im Vorlauf des Treffens des Europäischen Rats am 18. Oktober 2018 kam heraus, dass die österreichische Ratspräsidentschaft einen Vorschlag unterbreitet hatte, der sich von verpflichtenden Quoten bei der Aufnahme von 1152

1153

1154

1155

Vgl. Rat der Europäischen Union (2018): Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing the criteria and mechanisms for determining the Member State responsible for examining an application for international protection lodged in one of the Member States by a third-country national or a stateless person (recast). New Dublin: Reversing the Dynamics, 7674/18, ASILE 12, CODEC 471, 09.04.2018, Brüssel. Vgl. Volksblatt (o. V.) (2018): Totalblockade der Dublin-Reform, 05.06.2018, https://www.volksblatt.li/Nachricht.aspx?src=vb&id=202546, abgerufen am 04.02.2018. Dierks, Benjamin (2018): EU-Gipfel und Dublin-Reform: Woran ein gemeinsames EU-Asylrecht scheitert, Deutschlandfunk, 18.09.2018, https://www.deutschlandfunk.de/eu-gipfelund-dublin-reform-woran-ein-gemeinsames-eu.724.de.html?dram:article_id=428436, abgerufen am 04.02.2019. Ebd.

5.2. Die aktuelle Reform der Dublin-III-Verordnung

253

Asylsuchenden endgültig verabschieden sollte: Ein Weg der Solidarität bedeute, „dass jeder einen Beitrag leistet – dort, wo er das kann und wo es sinnvoll ist“1156, so Bundeskanzler Sebastian Kurz, der seinen Vorschlag „Solidarität statt Quoten“1157 nannte. Mit diesem rhetorischen Trick – streng genommen ein Oxymoron – wollte er offensichtlich eine Quotenregelung delegitimieren und seiner Idee eine breite Akzeptanz verschaffen.1158 Kurz stellte seinen Vorschlag dabei als pragmatischen Ansatz vor, da eine mandatorische Quotenverteilung in der EU nicht mehrheitsfähig sei; eine Art des selektiven Beitrags als Solidaritätsmaßnahme, die sich die Mitgliedstaaten selbst aussuchen dürften, hingegen sehr wohl. 1159 Vor allem die deutsche Bundesregierung sträubte sich gegen diesen Vorschlag, was die Aussage von Bundeskanzlerin Merkel verdeutlichte: „Ich glaube, dass wir es uns damit noch ein bisschen zu einfach machen. Das hört sich erst einmal als Überschrift gut an. Aber wenn alle sagen ‚Die verpflichtende Solidarität, die ich mir heraussuche, ist die Solidarität, mehr Geld für Afrika zu geben‘, dann haben wir bestimmte Probleme nicht gelöst, und die Ankunftsstaaten werden sozusagen wieder alleingelassen.“1160

Nur einen Tag vorher hatte sich die deutsche Kanzlerin noch pessimistischer zum Thema solidarische Verantwortlichkeitszuteilung in der europäischen Asylpolitik

1156

1157 1158

1159

1160

Österreichisches Bundeskanzleramt (2018): Bundeskanzler Kurz: Solidarität statt Quoten in der Migrationspolitik, 18.10.2018, https://www.bundeskanzleramt.gv.at/-/bundeskanzlerkurz-solidaritat-statt-quoten-in-der-migrationspolitik, abgerufen am 19.10.2018. Ebd. Dass dieser Aussage ein fehlgeleitetes Verständnis von Solidarität in der EU, insbesondere im Falle des Zuständigkeitssystems des Dublin-Systems zugrunde liegt, wurde in dieser Arbeit bereits hinreichend dargelegt. Eine Quotenregelung, wie sie die Kommission oder der Wikström-Bericht vorschlagen haben, ist sehr viel eher mit Art. 80 AEUV zu vereinbaren als der Status quo oder der Vorschlag des österreichischen Bundeskanzlers. Durch eine solche Verwendung soll möglicherweise ein Quotensystem als konträr zu Solidarität diskreditiert werden. Vgl. Kronen Zeitung (o. V.) (2018): Flüchtlinge: Kurz für Solidarität statt Quoten, 18.10.2018, https://www.krone.at/1791479, abgerufen am 19.10.2018. Bundesregierung (2018a): Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat in Brüssel, 18.10.2018, https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-zum-europaeischen-rat-1540246, abgerufen am 19.10.2018.

254

5 Synthese

geäußert: „Das bleibt ein ungelöstes Thema.“1161 Im August hatte Merkel das Dublin-System bereits als nicht funktionsfähig bezeichnet.1162 Letztlich gelang auch dem österreichischen Vorschlag kein Durchbruch. Die Dublin-Reform ist mittlerweile am Ende der Sackgasse angekommen. Das Vorhaben wurde Ende 2018 von der Kommission vorerst aufgegeben, was das gesamte Reformpaket des GEAS auf Eis gelegt hat. 1163 Es ist nicht auszuschließen, dass einige Regierungen auf Zeit spielen, da sie bei der Europawahl im Mai 2019 große Zuwächse erwarten und damit die Parlamentsmehrheit hinter dem Wikström-Bericht hinfällig werden könnte. Jedenfalls ist mit dem Stillstand im Rat und den sich verschärfenden Interessengegensätzen keine kurzfristige Lösung zu erwarten.

5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System Es gab während der Existenz des Dublin-Allokationssystems vereinzelt durchaus Bestrebungen, das Verursacherprinzip durch ein faires System der Verteilung von Asylsuchenden auf alle Mitgliedstaaten zu ersetzen. Die Implementierung eines solchen Systems wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Mitgliedstaaten, der Kommission oder dem Europäischen Parlament befürwortet, die Vorstöße scheiterten aber regelmäßig.1164 Eine rechtliche Grundlage dafür stellt das Primärrecht in Artikel 78 AEUV durchaus bereit.1165 Ein solcher Mechanismus der gerechten Verantwortlichkeitsaufteilung wäre, bedenkt man die Dysfunktionalität des Dublin-Systems und die Auswirkungen auf das gesamte europäische Asylsystem, ein Gebot politischer

1161

1162

1163

1164 1165

Bundesregierung (2018b): Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel, 17.10.2018, https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/regierungserklaerung-von-bundeskanzlerin-merkel-1539574, abgerufen am 19.10.2018. Vgl. Tagesschau.de (o. V.) (2018a): Treffen mit Spaniens Premier: Merkel kritisiert DublinSystem, 12.08.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/merkel-sanchez-105.html, abgerufen am 19.10.2018. Vgl. Gotev, Georgi (2018): Juncker-Kommission gibt Dublin-Reform auf, Euractiv, 05.12.2018, https://www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/news/juncker-commission-gives-up-on-dublin-asylum-reform/, abgerufen am 04.02.2019. Vgl. Progin-Theuerkauf (2015): Art 80 AEUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Rn. 2. Vgl. Thym, Daniel (2016): Art. 78 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, 60. Ergänzungslieferung, Rn. 38; Hailbronner/Thym (2016a): Rn. 28.

5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System

255

Klugheit. Eine Beachtung des Solidaritätsprinzips in der EU kann es mit dem Verursacherprinzip nicht geben. Daher müsste das Dublin-System durch einen Verantwortlichkeits-Zuteilungsmechanismus ersetzt werden, der auf dem Prinzip der Solidarität und der gerechten Verantwortlichkeitsteilung basiert. Auch wenn die Debatte unter den Entscheidungsträgern ausschließlich über einen gerechten Verteilungsmechanismus von Asylsuchenden – beispielsweise durch Quoten – geführt wird, wäre ein solcher nicht die einzige Möglichkeit, das GEAS gemäß des Solidaritätsprinzips auszugestalten. Damit eine Umverteilung, wie jene nach den Reformvorschlägen von Kommission und Parlament, funktionieren kann, müssten die Maßnahmen auf einer Kooperation mit den Asylsuchenden basieren und dem Verständnis, dass ihre Akzeptanz der Umsiedlung der Schlüssel zum Erfolg des Systems ist.1166 Bemerkenswert ist, dass die Kommission schon im Jahr 2000, in ihrer Evaluation des Dubliner Übereinkommens, offen ein Alternativmodell zum Verursacherprinzip reflektierte: Sie beschrieb dort die Möglichkeit, dass der erste Mitgliedstaat, in dem eine Person nach freier Wahl einen Asylantrag stellt, verantwortlich für das Verfahren ist: „Dieses Modell könnte sicherlich die Grundlage für ein klares und funktionelles Verfahren darstellen, bei dem eine rasche Abwicklung und Rechtssicherheit gewährleistet sind, die Abschiebung von Flüchtlingen von einem Mitgliedstaat zum anderen vermieden wird, das Problem der Mehrfachanträge Berücksichtigung findet und die Einheit der Familie sichergestellt ist. Allerdings wäre dazu eine Harmonisierung in anderen Bereichen wie bei Asylverfahren, Aufnahmebedingungen, der Auslegung des Flüchtlingsbegriffs und des subsidiären Schutzes erforderlich“1167.

Auch im Kommissions-Vorschlag zur Dublin-II-Verordnung wurde dieses Modell noch einmal aufgegriffen: „Die glaubwürdigste Alternative bestünde darin, die Zuständigkeit ausschließlich vom Ort der Antragstellung abhängig zu machen. Dieses Konzept könnte sicherlich die Grundlage für ein klares und funktionelles Verfahren darstellen, bei dem eine rasche Abwicklung und die Rechtssicherheit gewährleistet sind, die Abschiebung von Flüchtlingen von einem Mitglied-

1166 1167

Vgl. Guild/Costello/Moreno-Lax (2017): S. 10. Europäische Kommission (2000): S. 24.

256

5 Synthese staat zum anderen vermieden wird, das Problem der Mehrfachanträge Berücksichtigung findet und die Einheit der Familie sichergestellt ist. Allerdings wäre dazu – wie die Kommission festgestellt hat – eine Harmonisierung in anderen Bereichen wie Asylverfahren, Aufnahmebedingungen, Auslegung des Flüchtlingsbegriffs und subsidiärer Schutz erforderlich, damit die Faktoren an Bedeutung verlieren, die Asylbewerber bei der Wahl des Mitgliedstaats, in dem sie ihren Antrag stellen, beeinflussen könnten.“1168

Die Kommission begründet den Verzicht auf dieses Alternativmodell also damit, dass die Divergenz in den nationalen Asylsystemen dazu führen könnte, dass sich Schutzsuchende nach den besten Bedingungen umsehen würden, und damit dem „Asylshopping“ Vorschub geleistet würde. Wenn man bedenkt, dass genau dies in der Praxis seit Beginn der europäischen Asylkooperation auch mit dem Verursacherprinzip als Zuständigkeitsbestimmung geschieht, überzeugt diese Argumentation nicht. Die Probleme der Nichterreichung der Ziele, die aus dem Zuständigkeitssystem folgten, hätten zu diesem Zeitpunkt genauso gut dazu führen können, das System zu ersetzen. Ein „weiter so“ gegen die empirisch beobachtbare Dysfunktionalität wirkt weniger plausibel als eine Änderung des Systems, das in der Reflektion der Kommission als „Grundlage für ein klares und funktionales Verfahren“ genannt wird. Genau die seit über 20 Jahren beobachtbare und ausgiebig belegte Dysfunktionalität des Dublin-Systems, das die Sekundärmigration nicht stoppt, sondern fördert, verhindert augenscheinlich eine möglicherweise besser geeignete Alternative. Und das obwohl, um ein weiteres paradoxes Moment hinzuzufügen, die Dublin-Logik der Schengen-Logik diametral entgegensteht. Gerade das so genannte „Asylshopping“ ist ja eine rationale Entscheidung eines Menschen, Asyl dort zu suchen, wo bessere Bedingungen, eine höhere Chance auf einen Schutzstatus oder familiäre Verbindungen bestehen. Was sonst von liberalen Demokratien propagiert wird, und was zu den Grundprinzipien des Binnenmarktes gehört, nämlich die freie Wahl im Wettbewerb der Staaten, wird den Asylsuchenden verwehrt. Es lässt sich zwar ein Wettbewerb beobachten, allerdings einer „nach unten“ um die wenigsten Asylsuchenden. Die Möglichkeit zur Wahlfreiheit ist mit dem Begriff „Asylshopping“ sogar negativ geframt.

1168

Europäische Kommission (2001): S. 2.

5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System

257

Dabei sind sich die Experten weitgehend darüber einig, dass nur ein System unter Einbeziehung der Präferenzen der Antragsteller dazu führen kann, die Dysfunktionalität des Zuständigkeitssystems aufzuheben. Die Logik dahinter ist eindeutig: Menschen lassen sich kaum dazu zwingen, an einem Ort zu bleiben, an dem sie nicht sein möchten. Insbesondere dann nicht, wenn sie ihre Heimat mit einem klaren Ziel verlassen, und genau diesen Weg unter hohen Kosten beschritten haben. Sie suchen Bedingungen, die ihren menschen- und grundrechtlichen Bedürfnissen entsprechen und unter denen sie den besten Zugang zu Schutz und Integration haben. Dabei werden sie auch durch soziale, kulturelle und wirtschaftliche Parameter motiviert, ebenso wie durch Freundschafts- und Familienbande. Sie werden möglichst weiter migrieren, bis sie ihr Ziel erreicht haben. Insbesondere in einem Raum ohne Binnengrenzen, der ein solches Verhalten begünstigt und in dem diese Option allen anderen sich legal aufhaltenden Menschen gewährt wird. Deswegen müssen ihre Bedürfnisse in ein funktionierendes europäisches Asylsystem miteinbezogen werden. Für ein solches Modell werden hauptsächlich zwei Varianten diskutiert: Ein Modell der freien Wahl (i) und ein Modell der freien Wahl mit Einschränkungen (ii). (i) Das Modell der freien Wahl ist einfach zu verstehen: Antragsteller erhalten die Möglichkeit, frei zu wählen, wo sie ihren Asylantrag stellen. Dies ist im Übrigen die Empfehlung, die auf die GFK und die AEMR zurückgeht, da das Flüchtlingsrecht menschenrechtlich fundiert ist.1169 Ein solches Modell hätte viele Vorteile gegenüber dem bestehenden System: Man sparte sich den Aufwand der Zuständigkeitsprüfung ebenso wie den der möglichen Rücküberstellungen. Antragsteller wären maximal kooperationsbereit: Sie hätten keine Anreize mehr, sich nicht registrieren zu lassen oder irregulär weiterzuwandern. Zudem wäre es ein harter Schlag gegen Schmugglernetzwerke.1170 Die Ein- und Weiterreise von Antragstellern stünde nicht mehr so stark im Fokus der Behörden und wäre so auch im Sinne der Mitgliedstaaten. Einwände gegen die Variante der freien Wahl können zum einen sein, dass sie einen „Pull-Faktor“ darstellen, der Drittstaatsangehörige dazu bringt, sich auf den Weg in die EU zu machen.1171 Zum anderen könnte man einwenden, dass 1169 1170 1171

S. Kap. 3.1.1. Vgl. Maiani (2016): S. 46. Das behauptet z.B. die Europäische Kommission: Vgl. Europäische Kommission (2017a): S. 5.

258

5 Synthese

durch die unterschiedliche Attraktivität der Mitgliedstaaten keine gerechte Teilung der Verantwortlichkeiten hergestellt werden kann und damit auch das Solidaritätsprinzip nicht erfüllt wird.1172 Es müsste bei der Ausgestaltung darauf geachtet werden, dass ein solches System nicht zu einem Wettlauf um die unattraktivsten Bedingungen führt, um möglichst keine Antragsteller anzuziehen. Dies könnte angesichts von (noch) 28 Mitgliedstaaten ein äußerst schwieriges Unterfangen werden. Dem Pull-Faktor-Argument ist zu entgegnen, dass es sich dabei um eine rein hypothetische, substanzlose Behauptung handelt, die nicht mit empirischen Erkenntnissen belegt werden kann. Bezeichnenderweise hatte die Kommission dies selbst im Jahr 2000 eingestanden.1173 Das Argument widerspricht zudem den Erkenntnissen der Migrationsforschung, nach denen die Erklärung komplexer Begründungsmuster von persönlichen Fluchtmotiven von Menschen durch starre und vereinfachte Schemata wie pull- und push-Faktoren längst der Vergangenheit angehört.1174 Von solchen kontrafaktischen und irrationalen Argumenten sollten sich politische Entscheidungen möglichst nicht leiten lassen. Der zweite Einwand ist stichhaltiger. Dort, wo bereits Netzwerke bestehen, die Gesellschaften gemeinhin Aufnahmegesellschaften von Migranten sind, die Versorgungsmöglichkeiten besser sind und das Wohlstandsniveau höher ist, dorthin wandern Asylsuchende erfahrungsgemäß eher. Beobachten konnte man dies beispielsweise – in absoluten Zahlen gemessen – in der „Flüchtlingskrise“. Dagegen kann man anführen, dass Zuteilungssysteme niemals eine perfekte Verantwortlichkeitszuteilung liefern können, und dass auch dieses Modell daher mit Solidaritätsmechanismen flankiert werden müsste.1175 Das gilt auch für die Gefahr des „Wettlaufs nach unten“, der durch die Kompensierung der Hauptaufnahmestaaten mit erheblichen finanziellen Mitteln verhindert werden müsste. Ferner müsste man bedenken, dass es fragwürdig ist, die Hauptverantwortung nur nach absoluten Zahlen zu messen. Deutschland hat beispielsweise seit Einführung des Dublin-System nur im Jahr 2016 die Hauptverantwortung für Asylsuchende getragen, wenn man die Anträge relativ zu einer Einwohnerzahl als Bemessungsgrundlage nimmt.1176 Diese Zählweise ist überzeugender als die nach

1172 1173 1174 1175 1176

Vgl. Europäische Kommission (2016a): S. 7. Vgl. Europäische Kommission (2000): S. 13. Vgl. Düvell (2006): S. 90. Vgl. Maiani (2016): S. 47. S. Tabelle 2 in Kapitel 3.3.3.

5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System

259

reinen absoluten Zahlen, die keinerlei Vergleichsparameter zur Kontextualisierung und Einordnung bieten. Besser wäre es, man zöge noch die wirtschaftliche Stärke und die Kapazitäten des nationalen Asylsystems hinzu, um wirklich bestimmen zu können, welcher Mitgliedstaat in der Lage ist, wieviel Verantwortung zu tragen. Schon bei der Berücksichtigung der Bevölkerungsgröße wird klar, dass die absoluten Zahlen die Wirklichkeit der Verantwortungsübernahme deutlich verzerren.1177 Ein solcher Maßstab relativer Verantwortungsübernahme müsste Richtwerte liefern, nach denen Solidaritätsmaßnahmen ausgegeben werden. Diese wäre nachvollziehbarer und gerechter als die bisherigen Solidaritätsmechanismen. Die Erfolgsaussichten eines Systems der freien Wahl hingen also auch davon ab, wie die Solidaritätsmechanismen ausgestaltet würden. Sollte eine Reform die Zustimmung aller Mitgliedstaaten erhalten und zu einem solchen System führen, wäre das gegenseitige Vertrauen wohl um ein Vielfaches höher als im DublinSystem, welches zum Nachteil der Außengrenzstaaten gereicht, vollständig dysfunktional ist und teils nicht mehr befolgt wird. Ein neuer Ansatz, der die unweigerliche Einbeziehung der Antragsteller beachtet, von vornherein mit Art. 80 AEUV in Einklang gebracht wird und den Interessenausgleich zwischen allen Akteuren sucht, wäre zweifellos im Vorteil gegenüber dem bestehenden System. Um den Bedenken zu entgehen, dass eine solche Neuausrichtung nur wieder zum Verstoß gegen das Solidaritätsprinzip führt und eine ungerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten schafft, könnte man aber auch ein Modell der freien Wahl unter bestimmten Einschränkungen konzipieren. (ii) Dabei könnte beispielweise das Verursacherprinzip durch ein reines Ersteinreiseprinzip ersetzt werden: Wo Asylsuchende als erstes in der Union ankommen, stellen sie den Antrag. Menschen mit anerkanntem Schutzstatus würden dann mit Mobilitäts- und Niederlassungsrechten ausgestattet werden, um die Integration – vor allem in den Arbeitsmarkt – zu erleichtern.1178 Damit würde die SchengenLogik auf alle Personen ausgedehnt, die einen legalen Status im Schengen-Raum besitzen. Die Ressourcenersparnis wäre ähnlich wie bei dem Modell der freien Wahl. Das Verursacherprinzip würde dadurch aufgehoben, dass die geografische Lage bzw. die Nicht-Verhinderung der Einreise nicht mehr bestraft würde. Schutzberechtigte hätten die freie Wahl des Ziellandes.

1177 1178

S. dazu die Tabellen 1 und 2 in Kapitel 3.3.3. Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 42ff.

260

5 Synthese

Auch gegen dieses Modell könnte man einwenden, dass letztlich nur wenige Mitgliedstaaten im Fokus der Schutzberechtigten stehen würden. Dementsprechend wären auch hier wirksame Solidaritätsmechanismen vonnöten, die auf einer nachvollziehbaren und gerechten Bemessungsgrundlage beruhen. Nachteilig auslegen kann man den Umstand, dass die Außengrenzstaaten durch ein Ersteinreiseprinzip nach wie vor einen unverhältnismäßig hohen Aufwand für die Aufnahme, Versorgung und Verfahren zu leisten hätten. Dafür müssten entsprechend operative Hilfsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Auch europäisierte Verfahren wären zur besseren Verantwortlichkeitsaufteilung denkbar. Ein anderer Weg wäre, mit diesem reinen Ersteinreiseprinzip zu arbeiten, aber den Kriterien der Familienzugehörigkeit und der bestehenden Verbindungen zu einem Mitgliedstaat – beispielsweise vorherige Aufenthalte wie Studium oder verbürgte persönliche Beziehungen – Vorrang in der Zuständigkeitsallokation zuzubilligen. Dabei müsste darauf geachtet werden, dass der freiwillige Charakter für die Wahl der Antragsteller bestehen bleibt, die Schutzgewährten müssten Freizügigkeitsrechte erhalten.1179 Nach diesem Modell wäre sowohl zu erwarten, dass die Sekundärbewegungen drastisch reduziert würden, als auch dass das System durch die Rücknahme von Zwangsmaßnahmen und Rechtsstreitigkeiten schneller und wirtschaftlicher ablaufen würde. Gleichzeitig wäre aber auch hier die Hauptverantwortung wieder den Außengrenzstaaten übertragen. Dies bleibt das Grundproblem des Ersteinreiseprinzips. Um die Belastungen der Außengrenzstaaten unter Beibehaltung der eingeschränkten freien Wahl abzumildern, wäre es auch denkbar, die Schutzsuchenden dort nur der Sicherheitsprüfung und Eurodac-Aufnahme zu unterziehen sowie die Reiseberechtigungen auszustellen.1180 Möglich wäre aber auch, dass sich Antragsteller bei der Ankunft in der EU auf einen Mitgliedstaat zur Verfahrensdurchführung festlegen müssen und ihnen bei einer unerlaubten Weiterwanderung in einen anderen Mitliedstaat Strafen auferlegt würden, wie zum Beispiel die Kürzung von Sozialleistungen.1181 Damit diese Alternativmodelle funktionieren können, müsste ein Paradigmenwechsel in der europäischen Asylpolitik vonstattengehen. Der Erbdefekt des

1179 1180 1181

Vgl. Maiani (2016): S. 50f. Vgl. European Council on Refugees and Exiles (2008): S. 30. Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 44.

5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System

261

GEAS, der die Mitgliedstaaten dafür bestraft, die ungewollte bzw. nicht autorisierte Einreise von Drittstaatsangehörigen nicht verhindert zu haben und auf Basis der geografischen Lage weitere Ungerechtigkeit hervorruft, müsste in jedem Fall beseitigt werden. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass ein Prinzip der Ersteinreise – wie das Verursacherprinzip oft fälschlicherweise genannt wird – nicht für die Zuständigkeitsallokation verwendet werden könnte. Von zentraler Bedeutung wäre die Beachtung des Solidaritätsprinzips und seiner spezifischen Ausprägung in Art. 80 AEUV. Darüber hinaus bedarf es der gegenseitigen Anerkennung der Positiventscheidungen der Mitgliedstaaten über die Schutzgewährung.1182 Auch diese Notwendigkeit wurde bereits in der Kommissions-Evaluation von Dublin I im Jahr 2000 erkannt.1183 Bis heute existiert in der Union nur die gegenseitige Anerkennung der Negativbescheide. Dieser Zustand belegt das fehlende gegenseitige Vertrauen unter den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Statusdetermination. Davon zeugt die „Asyllotterie“, die Asylsuchende in der Europäischen Union vorfinden.1184 Unter diesen Umständen kann es weder ein einheitliches Asylsystem geben, in dem alle Mitgliedstaaten loyal zusammenarbeiten, noch eines, das den Antragstellern gegenüber fair ist. Eine Reform des Zuständigkeitssystems müsste primär menschen- und grundrechteorientiert sein und dürfte nicht die Zentrierung auf die nationalstaatlichen Interessen beibehalten.1185 Diese Interessenhierarchie hat das Dublin-System und das gesamte GEAS in seiner Entwicklung bis heute vorrangig geprägt und zu den ausführlich dargelegten Problemen geführt.1186 Die Auswirkungen wurden

1182

1183 1184

1185 1186

Vgl. Guild, Elspeth et al. (2015): Enhancing the Common European Asylum System and Alternatives to Dublin, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe, No. 83, Center for European Policy Studies, Brüssel, S. 2; Mitsilegas, Valsamis (2017): Humanizing solidarity in European refugee law: The promise of mutual recognition, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 721-739, S. 739; Deutscher Anwaltverein et al. (2015): S. 12; European Council on Refugees and Exiles (2008): S. 34. Vgl. Europäische Kommission (2000): S. 19. Also die Tatsache, dass Antragsteller in verschiedenen Mitgliedstaaten völlig verschiedene Erfolgschancen auf einen Schutzstatus haben. Das läuft dem Ziel eines gemeinsamen Schutzraumes, in dem vergleichbare Standards herrschen, völlig entgegen. Auch dies motiviert Schutzsuchende zur Sekundärmigration. Vgl. European Council on Refugees and Exiles (2008): S. 14; Maiani (2016): S. 21. Vgl. Marx (2012a): S. 192; Mitsilegas (2017): S. 739. S. Kap. 3.1.1.ff; Kap. 3.5.

262

5 Synthese

erst kürzlich wieder beim Reformvorhaben der Dublin-III-Verordnung sichtbar.1187 Das Ziel eines zum Wohle aller Teilnehmer funktionierenden GEAS hat in der EU Vorrang vor nationalstaatlichen Interessen, die diesem Ziel entgegenlaufen. Ebenso müssen die Anerkennung und Befolgung von europäischen und internationalen Menschen- und Grundrechten Vorrang vor nationalen Interessen haben, die möglicherweise gegenläufig sind. Dazu gehört auch die Familienzusammenführung.1188 Wenn man Sekundärmigration unterbinden möchte, dann geht das nur mit einem System, das die Präferenzen der Asylsuchenden so weit wie möglich einbezieht.1189 Dazu überlässt man Schutzsuchenden zur Antragstellung entweder eine vollständig freie Wahl des Mitgliedstaates, oder man stattet sie mit entsprechenden Freizügigkeitsrechten nach der Schutzgewährung aus, wie sie alle anderen Personen mit legalem Aufenthaltsstatus in der EU auch haben. Das könnte zu einem erheblichen Abbau des Ressourcenaufwandes für Verfahren, Überstellungen und Prüfungen führen. Ferner sind positive Effekte bei der Integration von Schutzgewährten zu erwarten.1190 Auch die Wirtschaft könnte von der Mobilität neuer Arbeitskräfte profitieren. Die finanzielle Ausstattung des GEAS müsste massiv erhöht werden.1191 Dabei müssten die Mitgliedstaaten, die die größte Verantwortung bei der Aufnahme übernehmen, eine adäquate Kompensation ihrer Leistungen erfahren. Die zuständigen Behörden müssten so versorgt werden, dass den Mitgliedstaaten keine finanzielle Überlastung droht, im Gegenteil: Es müssten Anreize zur Verantwortungsübernahme geschaffen werden. Verfahren, Unterbringung, Versorgung und Integration dürften von den Mitgliedstaaten gar nicht erst als Last begriffen werden. Dabei wäre auch ein arbeitsteiliges Modell denkbar: Einige Staaten nehmen mehr Flüchtende auf, während andere Staaten die finanzielle Kompensation

1187 1188 1189

1190

1191

S. Kap. 5.2. Vgl. Guild/Costello/Moreno-Lax (2017): S. 10. Vgl. European Council on Refugees and Exiles (2008): S. 34; Wagner et al. (2016): S. 11; Guild et al. (2015): S. 3. Vgl. Marx (2012a): S. 194; European Council on Refugees and Exiles (2008): S. 27f; Maiani (2016): S. 22. Vgl. Guild et al. (2015): S. 3; Maiani (2016): S. 59; Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 43; European Council on Refugees and Exiles (2008): S. 32.

5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System

263

leisten. Dies würde ohnehin zu der bestehenden Tendenz einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten passen.1192 Ebenso könnte eine „Koalition der Willigen“ voranschreiten:1193 Im Sinne der differenzierten Integration könnten einige Mitgliedstaaten ein neues System der Zuständigkeitszuteilung aufbauen, das mit dem Solidaritätsprinzip vereinbar ist. Dies stünde in der Tradition der asylpolitischen Integration und könnte als Vorzeigeprojekt dazu führen, dass sich nach und nach andere Mitgliedstaaten anschließen. Eine Zentralisierung der Asylverfahren ist ebenfalls zwingend notwendig, um die vielen Probleme des GEAS anzugehen.1194 Die „Asyllotterie“, die Antragsteller in der EU vorfinden, führt zu einer unterschiedlichen Statusdetermination, die sich ein „gemeinsam“ genanntes Asylsystem nicht erlauben kann. Schon im Jahr 2000 hatten nationale Gerichte Überstellungen in andere Mitgliedstaaten verhindert.1195 Dieser Zustand hat sich bis heute eher weiter verschärft.1196 Die Asyllotterie motiviert Flüchtende dazu, sich der Registrierung in bestimmten Mitgliedstaaten zu entziehen, und fördert Sekundärmigration. Dadurch wird das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten untergraben. Zudem ist es schwer zu akzeptieren, warum die grundrechtlichen Bedingungen zwischen den Mitgliedstaaten der EU so stark divergieren. Die Ziele des GEAS verlangen Einheitlichkeit. Insbesondere wenn man bedenkt, dass bereits das Programm von Tampere ein gemeinsames Asylverfahren forderte und sich dieses Ziel im Primärrecht wiederfindet. Die gesamte Logik des GEAS sollte sich daher vom Ermessen der Mitgliedstaaten wegbewegen hin zur Union.1197 In Abwägung der substanziellen Erkenntnisse der vorgebrachten Modelle, ihrer Probleme und Chancen, könnte das folgende Modell einen erfolgreichen Kompromiss darstellen, der auf der einen Seite die Interessen der EU-Akteure hinreichend berücksichtigt, und auf der anderen die Erkenntnisse der Forschung und die Bedenken von Menschenrechts-NGOs miteinbezieht.

1192 1193

1194 1195 1196 1197

Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 45. Vgl. Mercator Dialogue on Asylum and Migration (2018): 2018 MEDAM Assessment Report on Asylum and Migration Policies in Europe, Kiel, S. 126f. Vgl. Guild et al. (2015): S. 3; Maiani (2016): S. 59. Vgl. Europäische Kommission (2000): S. 20. Vgl. Garlick (2016): S. 171f. Vgl. Chetail (2016a): S. 38.

264 1. 2.

3.

4.

5.

1198

1199

1200

5 Synthese Das Verursacherprinzip wird abgeschafft. Asylanträge können in dafür vorgesehen europäischen Behörden in allen Mitgliedstaaten gestellt werden. 1198 Es wird ein Netz von Registrierungszentren entlang der EU-Außengrenzen aufgebaut, in denen sich Schutzsuchende verpflichtend registrieren müssen, die unter Federführung der Union betrieben werden. Weitere Zentren müssten in jedem Mitgliedstaat vorhanden sein, da Asylanträge zwar hauptsächlich, aber nicht ausschließlich bei der Überquerung der Außengrenze gestellt werden.1199 EASO übernimmt die behördliche Federführung, ist für Aufnahme, Registrierung, Versorgung und Informationsvermittlung sowie Menschen- und Grundrechtsschutz verantwortlich. Dementsprechend müssten die Kompetenzen und Ressourcen der Asylunterstützungsbehörde erweitert werden. Bei der notwendigen Sicherheitsüberprüfung wird die Unterstützung durch Eurojust gewährleistet. In diesen Zentren wird das europäisierte Asylverfahren durchgeführt. Eine entsprechende europäische Gerichtsbarkeit müsste zur Verfügung stehen, die den angemessenen Rechtsschutz garantiert. Wird einer Peron ein Schutzstatus gewährt, darf die sich den Mitgliedstaat aussuchen, der ihr den Schutz gewährt. Ansonsten organisiert die Behörde die Rückführung. 1200 Um eine unverhältnismäßige Verteilung der Verantwortlichkeiten zu verhindern, muss die Finanzierung dieses reformierten GEAS massiv erhöht werden. Die aufnehmenden Mitgliedstaaten müssen für ihre Aufnahme- und Integrationsleistung entsprechend kompensiert werden. Dabei ist auszuhandeln, wie sich Mitgliedstaaten, die wenige oder keine Schutzgewährte aufnehmen, entsprechend und verhältnismäßig stärker an der Finanzierung beteiligen. Ebenso müssen die Kosten des europäisierten Verfahrens aus EUMitteln getragen werden.

Dafür könnten die bestehenden Asylbehörden genutzt und entsprechend angepasst werden, die in den Mitgliedstaaten existieren. Damit würde das „Hotspot“-Modell erweitert werden. Die Mängel, die in Kapitel 4.3.9. beschrieben wurden, müssten bei der Implementierung beseitigt werden, wobei die weiteren Europäisierungsmaßnahmen des vorgestellten Modells hilfreich wären. Diese Verfahren müssten entsprechend zügig durchgeführt werden. Als Vorbild kann dafür das niederländische System dienen, in denen Verfahren bei gewöhnlichen Ankunftszahlen innerhalb einiger Wochen abgeschlossen werden können. Vgl. Thränhardt, Dietrich (2016): Asylverfahren in den Niederlanden, Studie für die Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh, S. 8ff.

5.3. Alternativmodelle zum Dublin-System 6.

7.

265

Nach einer Übergangsfrist kann der aufnehmende Mitgliedstaat entscheiden, ob er den Schutzgewährten Freizügigkeit gewährt. Da die Mitgliedstaaten im Schengen-System dieses Recht per Visaerteilung ohnehin besitzen, wird es einfach auf Menschen mit einem anderen legalen Aufenthaltsstatus erweitert. Es muss ein unabhängiges Monitoring implementiert werden, dass den sukzessiven Aufbau dieses neuen, europäisierten Systems verfolgt, die Zustände in den Registrierungszentren überwacht und die Einhaltung der Rechtsstandards sowohl bei den Verfahren als auch bei der Integration beobachtet. Dies könnte beispielsweise die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte unter entsprechender Anpassung ihrer Kompetenzen und Ressourcen übernehmen.

In diesem Modell würden die Mitgliedstaaten die Kosten für die Dublin-Verfahren einsparen.1201 Die Kosten für die Überstellungen würden ebenfalls wegfallen. Mit dem Verzicht auf ein Umverteilungssystem werden die Probleme der Zwangsausübung auf Mitgliedstaaten und Antragsteller umgangen, ebenso wie der zu erwartende hohe verwaltungstechnische und finanzielle Aufwand, der damit einhergehen würde. Die kontroverse Debatte um die im Mittelmeer geretteten Flüchtenden würde mit diesem Modell hinfällig. Das Monitoring könnte auch einen Mechanismus zur Früherkennung beinhalten, der – in Zusammenarbeit mit Frontex – frühzeitig erkennen kann, ob unerwartet und plötzlich hohe Wanderungsbewegungen zu erwarten sind. Durch ein solches Instrument könnte die EU besser in die Lage gebracht werden, auf eine Situation wie ab Sommer 2015 adäquat zu reagieren. Die nationalen Asylsysteme, die derzeit weit entfernt sind von der Herstellung kohärenter und gemeinsamer Standards, wären kaum noch abhängig vom möglichen Unwillen der Mitgliedstaaten, ihre Kapazitäten auszubauen. Durch die Europäisierung würde es zu einer gemeinsamen, europäischen Anstrengung werden, das Niveau innerhalb der EU anzugleichen. Ein Wettlauf um die schlechtesten Standards würde so verhindert werden, ausgehend von einer entsprechenden 1201

Erstaunlicherweise spielt die Frage der Kosten des Dublin-Systems auch in der wissenschaftlichen Debatte kaum eine Rolle. Dabei dürften sie für die Mitgliedstaaten nicht unerheblich sein, wenn man an die aufwendigen Feststellungsverfahren denkt oder an die Kosten der Rücküberstellungen von Antragstellern. Für die Bewertung der Sinnhaftigkeit der Aufrechterhaltung des Dublin-Systems würde dieses Kriterium sicherlich hilfreich sein. Vgl. Mouzourakis (2014): S. 26. Deswegen fordert beispielsweise ECRE schon länger eine umfängliche Kostenanalyse. Vgl. European Council on Refugees and Exiles (2013): Dublin II Regulation. Lives on hold, Brüssel, S. 10.

266

5 Synthese

finanziellen Ausstattung. Um zu verhindern, dass Schutzgewährten schlechte Behandlung droht, wenn sie ihren Zielstaat erreichen, müsste die Union entsprechend handeln, um die Integration zu ermöglichen. Dabei wäre die strengere Überwachung der Einhaltung der Rechtsstandards ebenso erforderlich wie die finanzielle Unterstützung beim Aufbau entsprechender integrationspolitischer Ressourcen. Mitgliedstaaten darf nicht die Möglichkeit gegeben werden, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Dies gilt sowohl für eine faire finanzielle Beteiligung als auch für die Übernahme von Schutzgewährten. Ein schlichte „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber der Aufnahme jeglicher Schutzgewährter wäre im Sinne des Solidaritätsprinzips nicht zu akzeptieren. Eine intransigente Haltung wie bei der Umverteilung nach dem Ratsbeschluss vom 22. September 2015 muss dazu führen, diese Staaten nicht in das neue System mitaufzunehmen. Eine „Koalition der Willigen“ wäre wohl die Konsequenz, und im Sinne eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten auch eine ernstzunehmende Alternative. Dies würde im Gegenzug freilich dazu führen, dass die unwilligen Staaten keine Flüchtenden in die Staaten des neuen Systems passieren lassen dürften. Sie müssten dementsprechend auch Einbußen im Schengen-System in Kauf nehmen. Es kann dabei nicht darauf hinauslaufen, sich dem Solidaritätsprinzip und der gerechten Teilung der Verantwortung zu entziehen, nach wie vor aber alle wirtschaftlichen Vorteile der Union zu genießen. Zumindest bei den Subventionen der Kohärenz- oder Agrarpolitik müssten die Auswirkungen für die unkooperativen Staaten spürbar werden. Die frei werdenden finanziellen Mittel könnte man in das neue Asylsystem umleiten. Es ist in gewisser Weise logisch, dass es nicht die eine perfekte Lösung oder das eine optimale System in der Praxis geben kann. Jedes Modell wird gewisse Unzulänglichkeiten mit sich bringen. Ziel der europapolitischen Praxis muss jedoch sein, ein System zu finden, welches das Unionsinteresse am besten verfolgt. Die Europäische Union benötigt ein gut funktionierendes Asylsystem zum Wohle aller Beteiligten, das dem Solidaritätsprinzip Rechnung trägt und für eine gerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten sorgt. Zudem muss die Entscheidungsfindung evidenz- und faktenbasiert sein. Dafür ist das bestehende System ungeeignet, wie diese Arbeit extensiv belegt hat. Die vorgestellte Alternative bezieht hingegen die wesentlichen Forschungserkenntnisse mit ein. Ein Paradigmenwechsel in der Zuständigkeitsallokation des GEAS ist zwingend erforderlich. Gleichzeitig ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich geworden, dass ein solcher Systemwechsel politisch kaum durchsetzbar ist. Die

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

267

„Flüchtlingskrise“, in der die Dysfunktionalität des Systems vollends zum Vorschein kam, hat dieses Dilemma noch einmal eindrücklich bestätigt. Die dauerhafte Solidaritätskrise im GEAS macht eine grundlegende Reform zwingend notwendig, die in der politischen Realität nicht umsetzbar scheint. Bisher ist dies ein nicht aufzulösendes Problem gewesen, welches nicht nur das Erreichen der gemeinsamen Ziele verhindert, sondern die Europäische Union in einen dauerhaften Krisenstatus versetzt. Ein Umdenken ist erforderlich, das mittelfristig einen Ausweg aus der Sackgasse des Dublin-Systems zulässt.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration Vor dem Hintergrund der tiefgreifenden strukturellen Probleme des GEAS, die in der „Flüchtlingskrise“ besonders deutlich zutage getreten sind, wird die Realisierbarkeit der traditionellen Integrationsmethode – der Dichotomie zwischen verbessertem rechtlichen Supranationalismus bei begrenzter politischer Integration – in Zweifel gezogen.1202 Die Basis dieser Reflexion ist die Erkenntnis, dass ein Unterschied zwischen der Normgebung durch die EU und ihren Institutionen und der Rechtswirklichkeit im Normvollzug in den Mitgliedstaaten vorherrscht, der zu den Funktionsdefiziten im GEAS führt.1203 Daher müsse in der Asylpolitik ein anderes supranationales Modell gefunden werden, welches der operationalen Natur in diesem Politikbereich gerecht werde, und eben nicht nur auf Integration durch Recht setzt.1204 Auch die andere große Krise der Europäischen Union – die „Eurokrise“ – habe gezeigt, dass die in anderen Bereichen bewährte Methode der Integration durch Recht nicht ausreiche, da die Umsetzung in den Mitgliedstaaten gravierende Mängel aufweist.1205 Diese Analyse überzeugt angesichts der in dieser Arbeit gewonnenen Erkenntnisse. Im vorrangegangenen Abschnitt wurden Lösungsmechanismen aufgezeigt, die diesem grundsätzlichen Problem entgegengestellt werden können. Es erscheint unausweichlich, den Normvollzug ebenso wie die Normgebung in der Asylpolitik der supranationalen Ebene zu überlassen. Ansonsten sind zukünftige 1202

1203 1204 1205

Vgl. Thym, Daniel (2016b): The „Refugee Crisis” as a Challenge of Legal Design and Institutional Legitimacy, in: Common Market Law Review, Jg. 53 (6), S. 1545-1574, S. 1554. Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 34. Vgl. Thym (2016b): S. 1558. Vgl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): S. 38.

268

5 Synthese

Krisen unausweichlich, die zu einer zunehmenden Erosion des europäischen Projekts führen könnten. Denn bisher ist nicht zu erkennen, dass die EU aus den beiden angesprochenen Krisen, die gleichwohl noch nicht beendet sind, gestärkt hervorgegangen wäre. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Dabei werden die Machtverhältnisse in der Europäischen Union sichtbar rekonfiguriert. Nachdem die nördlichen und westlichen Staaten den Gestaltungsrahmen in der Asylpolitik vorgegeben haben, was die südlichen Staaten ohne Gegenwehr akzeptierten und die östlichen im Zuge des Erweiterungsprozesses übernehmen mussten, haben vor allem die mittelost- und osteuropäischen Mitgliedstaaten in den letzten Jahren stark an Profil und Einfluss gewonnen. 1206 Dieser Prozess kann damit erklärt werden, dass diese Mitgliedstaaten durch ihre geringen Antragszahlen eine bessere Verhandlungsposition gegenüber denjenigen Mitgliedstaaten haben, die viele Anträge bearbeiten müssen und daher die Kooperation dringender benötigen.1207 Die Visegrád-Staaten beispielsweise haben wenig Anreiz, ein System zu ändern, das ihren Interessen stark entgegenkommt. 1208 So liegt letztlich die Macht in ihren Händen, einen Politikwechsel herbeizuführen. Da sie von rechtspopulistischen Regierungen mit mehr oder weniger rechtsnationalem Einschlag angeführt werden, welche migrationsfeindliche Einstellungen besitzen, sehen sie keine Notwendigkeit, zum Beispiel ein Umverteilungssystem nach Quoten herbeizuführen. Diese neue Machtkonstellation lässt die bisherigen Forschungserkenntnisse hinter sich, die den „neuen“ Mitgliedstaaten kaum Einfluss auf die Politikgestaltung in der EU bescheinigten.1209 Dies hat sich nun beobachtbar verändert, auch weil sie – wie im Falle der Viségrad-Staaten – in der Asylpolitik weitgehend geschlossen auftreten. Man darf angesichts des Verhaltens der Visegrád-Staaten nicht vergessen, dass der spezielle Ansatz der Abwehrhaltung und Verantwortungsverlagerung gegenüber Einwanderung von Unionsseite auf die Beitrittskandidaten während des

1206 1207 1208

1209

S. Kap. 3.2.2. Vgl. Zaun (2018): S. 48. Selbst als Ungarn im Jahr 2015 für seine Verhältnisse eine extrem hohe Zahl von Antragstellern registrierte, sorgte die Regierung mit mutwillig herbeigeführten schlechten Konditionen dafür, dass die meisten einfach weiterwanderten. Diese Sekundärmigration ist wiederum ein kontinuierlich auftretendes Phänomen im GEAS und kaum zu verhindern. Mitgliedstaaten, die sich der Asylzuwanderung vollständig verschließen wollen, können sich also sowohl auf das Verursacherprinzip berufen als auch die Dysfunktionalität des Dublin-Systems ausnutzen. Vgl. Zaun (2018): S. 58.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

269

Erweiterungsprozesses transferiert wurde. Diesen Staaten, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kaum nationale Strukturen oder Institutionen im Bereich Asyl aufgebaut hatten, wurde also von EU-Seite vorgegeben, dass unautorisierte Einwanderung möglichst zu verhindern sei. Mit Ausnahme der AsylverfahrensRichtlinie wurde die Implementierung der ersten Phase des GEAS noch vor der Erweiterung im Jahre 2004 durchgeführt, um die neuen Mitgliedstaaten vor vollendete Tatsachen zu stellen, ohne sie aber am Ausgestaltungsprozess beteiligt zu haben.1210 Die EU kann also ein Stück weit sowohl für die migrationsfeindlichen Einstellungen als auch für den Widerwillen in den betreffenden Staaten, sich zum wiederholten Male Politiken auferlegen zu lassen, die ihre Interessen nicht berücksichtigt, mitschuldig gemacht werden. Gleichzeitig ist es aber auch zutreffend, dass die politischen Eliten in diesen Mitgliedstaaten aus machtpolitischen Gründen selbst Fremdenfeindlichkeit schüren, und das obwohl – oder gerade, weil – dort kaum Kulturfremdes anzutreffen ist.1211 Die Staaten, die sich einer gerechten Verteilung der Verantwortlichkeiten während der kontinuierlich existierenden Solidaritätskrise verweigern, sind Trittbrettfahrer im GEAS, da ihnen die Verantwortung durch die Dysfunktionalität des Systems abgenommen wird. Geflüchtete wollen höchstens in Ausnahmefällen in diesen Staaten Schutz suchen, und ohne eine gerechte Verantwortlichkeitsteilung müssen sie weder entsprechende finanzielle noch operationale Hilfe leisten oder gar Asylsuchende verpflichtend übernehmen. Ihr Vorgehen lässt sich auch dadurch erklären, dass das Solidaritätsprinzip in den letzten drei Erweiterungsrunden kein konkreter Bestandteil der Verhandlungen gewesen ist.1212 Dadurch haben die neuen Mitgliedstaaten möglicherweise nicht ausreichend verstanden, dass durch den Beitritt auch Verantwortlichkeiten und Pflichten in der Asylpolitik hinzukommen, die sie ohne den Beitritt nicht gehabt hätten. Es ging den Beitrittsstaaten wohl hauptsächlich darum, wie sie am meisten profitieren können, und nicht etwa darum, wie sie selbst ihren Beitrag zur

1210

1211 1212

Vgl. Keßler, Stefan (2013): Einleitung: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem, in: Informationsverbund Asyl und Migration (Hg.): Neuregelungen im EU-Flüchtlingsrecht. Die wichtigsten Änderungen bei Richtlinien und Verordnungen, Beilage zum Asylmagazin 78/2013, Berlin, S. 1-6, S. 2. Vgl. Beger (2018): S. 251. Vgl. Kogovsek Salamon, Neza (2017): The principle of solidarity in asylum and migration within the context of the European Union accession process, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 687-702, S. 700.

270

5 Synthese

Mitgliedschaft leisten können.1213 Das Solidaritätsprinzip fordert aber nicht nur den Genuss von Vorteilen, sondern auch die Akzeptanz von zeitweiligen Nachteilen oder den Verzicht auf Vorteile, wenn dies das Gemeinwohl fördert. Den Beitrittsstaaten der drei Ostererweiterungsrunden hätte die Pflicht zur Solidarität bewusst gewesen sein müssen, und damit auch, welche Pflichten sich daraus ergeben. Dieses Versäumnis ist gewiss nicht nur den neuen Mitgliedstaaten, sondern auch der Aufnahmeseite anzulasten, die diesen Aspekt offenbar nicht zum Gegenstand konkreter Deliberationen gemacht hat. Demgemäß muss dies in die Beurteilung miteinbezogen werden, wenn Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen unter Berufung auf die aus ihrer Sicht nicht beachteten europäischen Werte die mandatorische Quotenregelungen ablehnen und sich im Zuge dessen sogar außerhalb der Herrschaft des Rechts in der EU aufstellen. Was von Aussagen von ungarischen Regierungsmitgliedern zu halten ist, die über das EuGH-Urteil vom 6. September 2017 sagen, es habe „das europäische Recht und die europäischen Werte vergewaltigt“1214, oder den errichteten Grenzzaun als Akt der Solidarität ansehen, 1215 muss auch im Lichte dieser Erkenntnisse bewertet werden. Diese Art von Rhetorik zielt darüber hinaus darauf ab, die eigene Wählerschaft und nationale Ressentiments zu mobilisieren, die sich gegen Fremdbestimmung aus Brüssel und Migration im Allgemeinen richten. Insbesondere während der „Flüchtlingskrise“ haben sich diese Verhaltensweisen verstärkt. Rechtspopulistische Parteien profitierten dabei verhältnismäßig stark von der höheren Salienz der Medienberichterstattung und ihrer eigenen Instrumentalisierung des Themas. Die plötzliche auftretenden starken Migrationsbewegungen nach Europa führten zu mehr Medienberichterstattung und politischer Debatte über das Thema, was die latent vorhandene Skepsis gegenüber Migration und die damit verbundenen Ängste aktiviert hat.1216 Die Krise hat Anti-Migrationseinstellungen mobilisiert,

1213 1214

1215

1216

Vgl. Ebd., S. 701. So der ungarische Außenminister Péter Szijjártó. Vgl. Schubert, Gerald (2017): Ungarn: EuGH-Spruch „vergewaltigt europäische Werte“, Der Standard, 06.09.2017, https://derstandard.at/2000063708798/Ungarn-EuGH-Spruch-verewaltigt-europaeische-Werte, abgerufen am 12.02.19. Vgl. Brössler, Daniel (2017): Europa: EU erteilt Orbán eine Abfuhr, Süddeutsche Zeitung, 01.09.2017, https://www.sueddeutsche.de/politik/europa-eu-will-nicht-fuer-orbns-grenzzaun -zahlen-1.3649565, abgerufen am 12.02.19. Vgl. Mercator Forum Migration und Demokratie (2018): Migration und Populismus, MIDEM Jahresbericht 2018, Dresden, S. 16f.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

271

insbesondere bei Menschen mit konservativ-autoritären Wertorientierungen, wobei zu beobachten ist, dass die Bevölkerungen insgesamt nicht migrationsskeptischer oder –feindlicher wurden – mit Ausnahme der Visegrád-Staaten.1217 Nicht alle Bürger wurden gleich beeinflusst durch die „Flüchtlingskrise“: Diejenigen, deren politische Tendenzen eher rechts angesiedelt sind und/oder die negative Einstellungen gegenüber Migranten haben, wurden hauptsächlich beeinflusst, während bei Bürgern mit Tendenzen zum linken politischen Spektrum keine Änderung festgestellt werden konnte.1218 Die Aktivierung führt zu mehr Wählerstimmen für rechtspopulistische Parteien, die entsprechende Kampagnen fahren. Eine höhere Politisierung von Asylund Flüchtlingspolitik führt generell zu mehr Restriktion in diesem Politikbereich.1219 Dabei ist es nebensächlich, ob der Anstieg nur imaginiert ist, beispielsweise durch politische Kampagnen und Medienberichterstattung: Die Wirkungskette bleibt die gleiche.1220 Die öffentlichen Debatten werden daher meist nicht in einem sachlichen, faktenbasierten Stil geführt. Emotionen werden in Migrationsthemen mithin oft wichtiger als Fakten und führen bei öffentlicher Politisierung zu restriktiveren Politiken gegenüber Migranten und Geflüchteten. Erwiesen ist, dass die Wanderungsbewegungen von Flüchtenden in die EU und die entsprechende mediale Berichterstattung mit der Verstärkung des Euroskeptizismus der EU-Bürger während der „Flüchtlingskrise“ und der Abnahme ihres Vertrauens in die nationalen Institutionen korreliert hat.1221 Dabei zeigt sich, dass sich europäische Entwicklungen auf die Einstellungen gegenüber der EU auswirken, nationale Entwicklungen dagegen hauptsächlich auf die Einstellung gegenüber nationalen Institutionen.1222 Da sich die Asyl- und Flüchtlingsthematik bestens für eine rechtspopulistische Aneignung und Politisierung eignet, wie es in einigen Mitgliedstaaten zu beobachten war und ist, sollte man den entsprechenden Akteuren möglichst nicht das Framing des Diskurses und die normative Grundlegung überlassen, um die damit verbundenen Probleme zu verhindern.1223 1217 1218

1219 1220 1221 1222 1223

Vgl. Ebd., S. 18. Vgl. Harteveld, Eelco et al. (2018): Blaming Brussels? The Impact of (News about) the Refugee Crisis on Attitudes towards the EU and National Politics, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 157-177, S. 174. Vgl Thym (2016b): S. 1570. Vgl. Mercator Forum Migration und Demokratie (2018): S. 18f. Vgl. Harteveld et al. (2018): S. 173. Vgl. Ebd., S. 174. Vgl. Thym (2016b): S. 1570.

272

5 Synthese

Genau dies scheint aber in vielen Teilen der Europäischen Union geschehen zu sein. Das zeigen die Wahlergebnisse der letzten Jahre. Nicht nur die Visegrád-Staaten werden von rechtspopulistischen Parteien mit variierenden völkischnationalistischen Agenden regiert. Das gleiche gilt nun auch in Österreich, wo eine Koalition aus konservativer ÖVP und einer rechtspopulistischen FPÖ mit stark völkisch-nationalem Kern und autoritärem Habitus regiert. Ähnlich wie Deutschland ist Österreich eines der Hauptzielländer von Asylsuchenden, nahm aber im Zuge der Krise im November 2015 eine entschieden protektionistische Haltung gegenüber Schutzsuchenden an.1224 Grund hierfür ist ein ausgeprägter Wohlstandschauvinismus der Bevölkerung, die zudem Einwanderung kontrafaktisch vermehrt mit einer empfundenen Steigerung der Kriminalität verbindet. 1225 Auch in Italien werden Migranten von den Medien traditionell als Kriminelle stigmatisiert.1226 Die italienische Bevölerung hat größere Vorbehalte gegenüber Migranten als die meisten westeuropäischen Bevölkerungen.1227 Seit 2018 regiert dort eine Koalition aus Links- und Rechtspopulisten, wodurch Matteo Salvini, der Parteichef der Lega (Nord), Innenminister wurde: Seine Partei profitiert vom Themenkomplex Flucht und Migration besonders stark.1228 Seine Rhetorik ist von einem antieuropäischen Kurs geprägt, und seine harte Linie gegenüber Migranten bewertet die Mehrheit der Bevölkerung positiv.1229 Dieser Kurs konnte deswegen so gut Fuß fassen, da die italienische Öffentlichkeit besorgt ist wegen der Unfähigkeit der EU, adäquat auf die Migrationskrise zu reagieren, und den Eindruck hat, dass Italien das Flüchtlingslager der EU ist und mit dem Problem alleingelassen wird.1230 Selbst in Schweden, einem traditionellen Einwanderungsland, dessen Bevölkerung mehrheitlich positive Einstellungen gegenüber Migration hegt, hat sich das Parteienspektrum in den letzten Jahren inhaltlich auf die rechtspopulistischen

1224

1225 1226

1227 1228 1229 1230

Vgl. Gruber, Oliver (2017): „Refugees (no Longer) Welcome”. Asylum Discourse and Policy in Austria in the Wake of the 2015 Refugee Crisis, in: Barlai, Melani et al. (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 39-57, S. 51. Vgl. Mercator Forum Migration und Demokratie (2018): S. 128f. Vgl. Stocchiero, Andrea (2017): The Public Debate on the Italian Isolation in the European Union Migration Crisis, in: Barlai, Melani et al. (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 169-191, S. 172. Vgl. Mercator Forum Migration und Demokratie (2018): S. 89. Vgl. Ebd., S. 91ff. Vgl. Ebd., S. 95f. Vgl. Stocchiero (2017): S. 183.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

273

Schwedendemokraten zubewegt.1231 Dabei hatte das Land 2013 entschieden, allen syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen einen unbefristeten Schutzstatus zu gewähren und den Familiennachzug zu erlauben.1232 Im Zuge der eskalierenden Situation durch die Asylzahlen 2015 wurde das nationale Asylsystem jedoch überfordert, wodurch es in der Folge zu einer Reihe von asyl- und flüchtlingsrechtlichen Restriktionen kam.1233 Durch die erfolgte Entspannung hat sich die Bevölkerung mit dieser für Schweden neuartigen Herangehensweise angefreundet.1234 Die selbsternannte „humanitäre Supermacht“, deren konservativer Ministerpräsident noch 2014 seine Landsleute dazu aufrief, ihre Herzen für Flüchtlinge zu öffnen, 1235 hat damit einen Weg eingeschlagen, der ähnlich dem seiner nordischen Nachbarn ist.1236 Auch die beiden vielleicht wichtigsten Motoren der Europäischen Integration, Frankreich und Deutschland, sind von dem Aufstieg der rechten Kräfte spürbar betroffen. In Frankreich kam die rechtsextreme Kandidatin des Front National in die Stichwahl um die Präsidentschaft 2017 und erhielt dort ein Drittel der Stimmen.1237 In Deutschland kam mit der AfD erstmals in der Nachkriegsgeschichte eine Partei des rechtsnationalen Spektrums in den Bundestag und erreichte gleich

1231 1232

1233

1234

1235

1236

1237

Vgl. Mercator Forum Migration und Demokratie (2018): S. 157ff. Vgl. Pabst, Sabrina (2013): Sweden opens doors to Syrian refugees, Deutsche Welle, 07.09.2013, https://www.dw.com/en/sweden-opens-doors-to-syrian-refugees/a-17072567, abgerufen am 15.02.19. Vgl. Parusel, Bernd (2017): The Swedish U-turn on Asylum and its Consequences, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 63-84. Vgl. Bucken-Knapp, Gregg (2017): From „Open your Hearts” to Closed Borders: Sweden, the Refugee Crisis and the Role of Discourse, in: Barlai, Melani et al. (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 283-296, S. 294. Vgl. Bock-Häggmark, Karin (2014): Wahl in Schweden: Konservative zittern um die Macht, Tagesspiegel, 22.08.2014, https://www.tagesspiegel.de/politik/wahl-in-schweden-konservative-zittern-um-die-macht/10369756.html, abgerufen am 15.02.19. Als Beispiel sei hier Finnland genannt, dessen politischer Mainstream sich ebenfalls der migrationsfeindlichen Agenda der „Wahren Finnen“ angepasst hat, seitdem diese Partei landesweite Erfolge feiert. Vgl. Nordberg, Camilla (2017): Nordic Perspectives on the European Asylum System: The Dismantling of the Finnish Welfare State and the Rise of an overt AntiImmigration Agenda, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 99-110. Über 10,5 Millionen Wahlberechtigte gaben ihre Stimme Marine Le Pen. Vgl. Welt (o. V.): (2017b): Frankreich: Alle Ergebnisse der Präsidentenwahl im Überblick, 07.05.2017, https://www.welt.de/politik/ausland/article164336249/Alle-Ergebnisse-der-Praesidentenwahl-im-Ueberblick.html, abgerufen am 23.02.19.

274

5 Synthese

12,6% der Stimmen.1238 Die Strategie der AfD, die vor allem aus Provokation, Verschiebung des Sagbaren und der kontrafaktischen Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Kriminalität und Zuwanderung besteht, hat für sie offensichtlich Früchte getragen.1239 Sie profitierte dabei auch von der Salienz der Medienberichterstattung, die allein im Jahr 2015 deutlich mehr Beiträge zum Thema Flüchtlinge hervorbrachte als in den vorherigen sechs Jahren zusammen.1240 Da die Forschung eindeutig belegt, dass die Berichterstattung über Migranten in den deutschen Medien zuungunsten der Einwanderer weitgehend negativ verzerrt ist,1241 spielen diese Zusammenhänge für die Erfolge der AfD sicherlich eine Rolle. All diesen Parteien ist nicht nur der migrationsfeindliche Kurs gemeinsam, sondern auch eine EU-kritische Haltung. Bemerkenswert ist aber, dass eine solche Haltung unter den Bürgern der EU keine Konjunktur hat. Das Vertrauen in die Europäische Union hat laut des letzten Eurobarometers (November 2018) gegenüber des letzten vor der öffentlich wahrgenommenen Krise (November 2014) sogar leicht zugenommen.1242 Ebenso hat sich auch das positive Bild der Union in der Ansicht der Bürger im gleichen Zeitraum leicht verbessert. 1243 Gleichzeitig ist aber bei der Einschätzung, welches Problem das derzeit wichtigste ist, das Thema Einwanderung1244 sprunghaft angestiegen und vom vierten auf den ersten Platz geklettert.1245

1238

1239

1240

1241

1242

1243

1244

1245

Vgl. Der Bundeswahlleiter (2017): Bundestagswahl 2017: Endgültiges Ergebnis, Pressemitteilung 34/17, 12.10.2017, Wiesbaden. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass ein solcher kausaler Zusammenhang nicht hergestellt werden kann. Vgl. Mercator Forum Migration und Demokratie (2018): 59ff. Vgl. Meier-Braun, Karl-Heinz (2016): Medien und Flüchtlingspolitik, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 36 (9), S. 288-292, S. 289. Vgl. Bonfadelli, Heinz (2007): Die Darstellung ethnischer Minderheiten in den Massenmedien, in: Bonfadelli, Heinz/Moser, Heinz (Hg.): Medien und Migration. Europa als multikultureller Raum?, Wiesbaden, S. 95-116, S. 100. November 2018: „Eher Vertrauen“: 42%, „Eher kein Vertrauen“: 48%. Vgl. Europäische Kommission (2018k): Standard-Eurobarometer 90. Herbst 2018, Brüssel, S. 18. November 2014: „Eher Vertrauen“: 37%, „eher kein Vertrauen“ 50%. Vgl. Europäische Kommission (2014b): Standard-Eurobarometer 82. Herbst 2014, Brüssel, S. 8. November 2018: „Positiv“: 43%, „Negativ“: 20%. Vgl. Europäische Kommission (2018j): S. 8; November 2014: „Positiv“: 39%, „negativ“ 22%. Vgl. Europäische Kommission (2014b): S. 6. Hier muss man vorsichtig sein, da den Befragten die Antwortmöglichkeiten vorgegeben werden. Diese Optionen stimmen möglicherweise nicht mit einer persönlichen Auswahl überein, die die Befragten treffen würden, beispielsweise bei stark national geprägten Problemen. Vgl. Europäische Kommission (2014b): S. 15; Europäische Kommission (2018j): S. 12.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

275

Dieses Ergebnis erscheint paradox: Einerseits haben die EU-Bürger ein überwiegend positives Bild von der EU, andererseits bringt ihr nur eine Minderheit Vertrauen entgegen. Dieser Status quo hat sich auch durch die hohen Einwanderungsraten der Jahre 2015 und 2016 kaum geändert, die hauptsächlich mit der so genannten „Flüchtlingskrise“ verbunden werden. Auch in den Mitgliedstaaten Italien und Österreich, in denen die Regierungen einen eindeutigen Rechtsruck erfahren haben, ist kein von dieser Erkenntnis abweichender Trend erkennbar. 1246 Diese Tendenzen verleihen der Schlussfolgerung Stichhaltigkeit und Plausibilität, dass weniger eine europakritische Haltung der Bürger für den Erfolg der rechtspopulistischen Parteien verantwortlich ist, als vielmehr die Salienz des Themas Einwanderung. Dieses Thema wurde von Parteien des rechten Spektrums erfolgreich aktiviert und genutzt, um Wahlerfolge bei den Menschen zu erzielen, die ohnehin migrationsfeindliche Einstellungen haben. Im Übrigen bestätigt dies nur einen weiteren Sachverhalt, den die Forschung in letzter Zeit immer genauer herausgearbeitet hat: Wenn Personen einmal eine Einstellung zum Thema Einwanderung gewonnen haben, bleibt diese stabil, auch wenn „exogene Schocks“ wie die „Flüchtlingskrise“ auftreten.1247 Der Aufstieg von Parteien mit einwanderungsfeindlichen Agenden kann demnach nicht durch sich verändernde Einstellungen zu Einwanderung erklärt werden.1248 Das bedeutet auch, dass Personen mit einwanderungsfeindlichen Einstellungen trotzdem Parteien wählen können, die migrationsfreundlich sind, wenn Einwanderung ein Thema mit niedriger Salienz ist, und umgekehrt.1249 Vor dem Hintergrund dieser Befunde ist davon auszugehen, dass die Politisierung von Asyl- und Flüchtlingsfragen vonseiten der rechtspopulistischen Parteien so lange befeuert werden wird wie möglich. Diese Mobilisierungsstrategie war bisher erfolgreich, hat zu mehr politischen Restriktionen geführt und zu öffentlichkeitswirksamen Kontroversen. Beides steht auf der Agenda rechter Parteien ganz oben. 1246

1247

1248 1249

Italienische Staatsangehörige hatten im Jahr 2014 zu 34% ein positives Bild der EU (28% ein negatives), im Jahr 2018 zu 35% (27% negativ). Österreichische Staatsangehörige hatten im Jahr 2014 zu 31% ein positives Bild der EU (36% negativ), im Jahr 2018 zu 40% (22% negativ). Vgl. Europäische Kommission (2018j): S. 10; Europäische Kommission (2014b): S. 7. Dies ist eines der zentralen Ergebnisse einer kürzlich erschienen Metaanalyse, die 76 Artikel von 1993-2018 untersucht sowie 7 Panelbefragungen zu den Themen „Rezession 2008“, „Brexit“ und „Flüchtlingskrise“ durchgeführt hat. Vgl. Kustov, Alexander/Laaker, Dillon/Reller, Cassidy (2019): The Stability of Immigration Attitudes: Evidence and Implications, o. O. Vgl. Ebd., S. 3. Vgl. Ebd.

276

5 Synthese

Passend dazu ist eine EU-weite Strategie einiger rechter Parteien zu erkennen, eine abgestimmte Kampagne mit Blick auf die Europawahl im Mai 2019 zu fahren, um dort einen möglichst großen europakritischen Block zu stellen.1250 Der thematische Ankerpunkt, von Salvini und Orbán im August 2018 gesetzt, ist die Flüchtlingspolitik.1251 Sie werden dabei vom ehemaligen Wahlkampfstrategen Donald Trumps, dem Rechtsextremen Steve Bannon, unterstützt, der ein breites Netzwerk europakritischer Parteien knüpfen möchte, um das Ziel der Desintegration der EU voranzutreiben.1252 Als Hauptgegner gilt ihnen die proeuropäische Agenda eines Emmanuel Macron, den vor allem die italienische Regierung bekämpft.1253 Im Februar 2019 kam es zum Affront zwischen den beiden Ländern, als sich der stellvertretende Ministerpräsident Italiens – Luigi di Maio von der 5Sterne-Bewegung – mit Unterstützung Salvinis mit Vertretern der Gelbwesten in Frankreich traf, die den Rücktritt Macrons fordern.1254 Frankreich berief daraufhin – erstmalig seit Ende des Zweiten Weltkriegs – seinen Botschafter aus Rom zurück.1255 Eine solche diplomatische Eskalation mit einer der wenigen verblieben europäischen Staatschefs, die sich klar proeuropäisch positionieren, ist wohl kalkuliert. Sie spaltet die EU und soll europakritische Wählerstimmen mobilisieren. Demgemäß hat auch die ungarische Regierung im Februar 2019 zum wiederholten Mal eine antieuropäische Kampagne gestartet, mit der sie neben George Soros

1250

1251

1252

1253

1254

1255

Vgl. Al-Serori, Leila (2018): Europawahl: Rechte Zerstörungspläne, Süddeutsche Zeitung, 31.07.2018, https://www.sueddeutsche.de/politik/europawahl-rechte-zerstoerungsplaene1.4075247, abgerufen am 16.02.2019. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2018a): Treffen in Mailand: Orbán und Salvini planen Allianz der Migrationsgegner, 28.08.2018, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-08/treffen-in-mailand-matteo-salvini-viktor-orban-allianz-migrationsgegener, abgerufen am 16.02.2019. Vgl. Schumann, Harald (2018): Vor der Europawahl 2019: Der EU droht durch den Rechtspopulismus eine Zerreißprobe, Tagesspiegel, 24.09.2018, https://www.tagesspiegel.de/politik/vor-der-europawahl-2019-der-eu-droht-durch-den-rechtspopulismus-eine-zerreissprobe/23103706.html, abgerufen am 16.02.2019. Vgl. Ladurner, Ulrich (2019): Warum teilt Italiens Innenminister so gegen Frankreichs Präsidenten aus?, Zeit Online, 13.02.2019, https://www.zeit.de/2019/08/emmanuel-macronmatteo-di-salvini-gelbwesten-italien-frankreich, abgerufen am 16.02.2019. Vgl. Jansen, Thomas/Wiegel, Michaela (2019): Di Maio trifft „Gelbwesten“: Ein Affront gegen Macron, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.2019, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/affront-gegen-macron-di-maio-trifft-gelbwesten-in-paris-16027965.html, abgerufen am 20.02.2019. Vgl. König, Jürgen/Migge, Thomas (2019): Europa: Der Streit zwischen Frankreich und Italien eskaliert, Deutschlandfunk, 08.02.2019, https://www.deutschlandfunk.de/europa-derstreit-zwischen-frankreich-und-italien-eskaliert.724.de.html?dram:article_id=440596, abgerufen am 20.02.2019.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

277

auch den Kommissionspräsidenten Juncker diffamierte und Unwahrheiten vor allem zum Thema europäische Migrationspolitik verbreitete.1256 Mittels der weiteren Mobilisierung über die Flüchtlingsfrage möchte die Allianz der rechten Parteien die europäischen Institutionen schwächen, um ihre politischen Agenden, die häufig nicht mit den Werten und Grundsätzen der EU in Einklang stehen, abzusichern.1257 Ein Erfolg dieser Allianz würde die Errungenschaften der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit gefährden. Das hängt wohl nicht nur davon ab, wie erfolgreich das Bündnis bei der Europawahl abschneiden wird, sondern auch davon, wie geschlossen es nach der Wahl im EP auftreten wird, angesichts doch einiger inhaltlicher Unterschiede zwischen den zahlreichen Parteien mit einem Spektrum von rechtspopulistisch bis rechtsextrem.1258 Zu beobachten ist diese Strategie auch beim Thema Flucht über das Mittelmeer. Die italienische Regierungskoalition wehrt sich seit ihrer Amtsübernahme 2017 unter dem federführenden Innenminister Salvini dagegen, die Verantwortung für schiffbrüchige Asylsuchende auf dem Mittelmeer zu übernehmen. In der Folge kommt es nicht nur zu einer vermehrten Kriminalisierung der Seenotrettung, sondern auch zu immer wiederkehrenden öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen Salvinis, wie mit den Geflüchteten umzugehen ist. Schon länger werden private Akteure wie Fischerboote durch Kriminalisierung beispielsweise von italienischen Behörden eingeschüchtert, wenn es um Seenotrettung geht.1259 Das Europäische Parlament hat im Zuge der Verschärfung dieser Vorgehensweise darauf hingewiesen, dass Menschenhandel und -schleusung zwar bekämpft werden müssten, aber ohne Nothilfeleister zu kriminalisieren.1260 Dabei geht die Verschärfung der Kriminalisierungspolitik nicht nur von 1256

1257

1258

1259

1260

Vgl. Becker, Markus (2019): Anti-EU-Kampagne: Kommission nimmt Orbáns Herausforderung an, Spiegel Online, 19.02.2019, http://www.spiegel.de/politik/ausland/anti-eu-kampagne-durch-ungarn-eu-kommission-kritisiert-orban-a-1254093.html, abgerufen am 20.02.2019. Vgl. Knaus, Gerald (2018): Europawahl 2019: Angriff auf Europa, Zeit Online, 29.12.2018, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/europawahl-2019-viktor-orban-matteo-salvinipolitischer-umsturz/komplettansicht, abgerufen am 16.02.2019. Vgl. Von Ondarza, Nicolai/Schenuit, Felix (2018): Schatten über den Europawahlen. Drei Szenarien für EU-skeptische Parteien nach den Wahlen 2019, SWP-Aktuell, Nr. 58 Oktober/2018, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, S. 2ff. Vgl. den Hertog, Leonhard (2012): Two Boats in the Mediterranean and their Unfortunate Encounters with Europe’s Policies towards People on the Move, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe Nr. 48, Center for European Policy Studies, Brüssel, S. 5. Vgl. Europäisches Parlament (2015): S. 4.

278

5 Synthese

Italien aus, sondern wurde auch in Griechenland betrieben.1261 Auch Malta verfolgt die gleiche Politik: Die dortige Regierung blockierte das Rettungsschiff „Lifeline“ im Juli 2017 und klagte den Kapitän an.1262 Auch Spanien hat sich an der Behinderung der privaten Seenotrettung beteiligt. 1263 Italien beschlagnahmte die „Iuventa“ von der Organisation „Jugend Rettet“ im August 2017.1264 Anfang des Jahres 2018 beschwerten sich die Betreiber privater Seenotrettung wie „Ärzte ohne Grenzen“ über die Kriminalisierung der Seenotrettung durch die EU, die zum Ziel habe, Flüchtenden das Erreichen der EU zu verwehren.1265 Im Falle des Rettungsschiffes „Aquarius“ führte der politische Druck sogar dazu, dass der Einsatz am Ende des Jahres 2018 beendet werden musste: Die Betreiber gaben an, Opfer einer gezielten Kampagne zu sein, die letztlich internationales Recht und humanitäre Prinzipien untergrabe, um Seenotrettung zu verhindern und Flüchtende vor allem mithilfe der libyschen Behörden zum Verbleib in Afrika zu zwingen.1266 Vorausgegangen war der mehrmalige Entzug der Flagge auf Druck von EU-Mitgliedstaaten.1267 Wiederholt kam es dazu, dass Schiffe, die Menschen in Seenot aufgenommen hatten, tagelang auf offener See verharren mussten, weil ihnen die Anlandung von Italien oder Malta verwehrt wurde, bis eine Lösung für die Flüchtenden zur

1261

1262

1263

1264

1265

1266

1267

Vgl. Christides, Giorgos (2018): Griechenland kriminalisiert Seenotretter: Vom Helfer zum Häftling, Spiegel Online, 01.10.2018, http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenlandsstaat-gegen-helfer-seenotrettung-ist-kein-verbrechen-a-1229735.html, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Spiegel Online (o. V.) (2017): Festgesetzt: Weiteres Rettungsschiff vor Malta blockiert, 03.07.2018, http://www.spiegel.de/politik/ausland/weiteres-fluechtlings-rettungsschiff-vormalta-blockiert-a-1216309.html, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2018b): Private Seenotrettung: Sea-Eye-Schiff darf Spanien verlassen, 21.12.2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-12/private-seenotrettung-mittelmeerdeutsches-schiff-sea-eye, abgerufen am 28.02.2019. Vgl. Tagesspiegel (o. V) (2017): „Jugend Rettet“: Schiff deutscher Flüchtlingsretter in Italien beschlagnahmt, 03.08.2017, https://www.tagesspiegel.de/politik/jugend-rettet-schiff-deutscher-fluechtlingsretter-in-italien-beschlagnahmt/20138824.html, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Ärzte ohne Grenzen (2018a): EU und Mitgliedsstaaten kriminalisieren Seenotrettung im Mittelmeer - Schutzsuchende werden nach Libyen zurückgezwungen, Pressemitteilung, 21.03.2018, https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/eu-und-mitgliedsstaaten-kriminalisieren-seenotrettung-im-mittelmeer-schutzsuchende-werden-nach, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Ärzte ohne Grenzen (2018b): Mittelmeer: Rettungsschiff Aquarius muss Einsatz beenden, Pressemitteilung, 07.12.2018, https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/aquarius-einsatz-beendet, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Hodali, Diana (2018): Zivile Seenotrettung: Aquarius 2 mit ungewisser Zukunft, Deutsche Welle, 08.10.2018, https://www.dw.com/de/aquarius-2-mit-ungewisser-zukunft/a45804879, abgerufen am 18.02.2019.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

279

Verteilung in der EU gefunden wurde.1268 Die Auseinandersetzungen um die Verantwortung für in Seenot geratene Menschen werden vor allem zwischen den Mittelmeeranrainern Malta und Italien ausgetragen, die beide wiederum eine ständige Verantwortungsübergabe an Libyen bevorzugen.1269 Im Spätsommer 2018 waren die Verhinderungsmaßnahmen der Staaten so erfolgreich, dass keine private Seenotrettung mehr möglich war. Erst im November 2018 konnte das erste Schiff der Hilfsorganisationen wieder zurück ins Mittelmeer.1270 Nachdem auch im Jahr 2019 die Behinderungen weitergingen, bei denen die „Sea Watch 3“ im Hafen von Catania festgesetzt worden war, ist nunmehr nur eines von zehn möglichen Schiffen zur privaten Seenotrettung in der Lage.1271 Währenddessen sind im Jahr 2018 nach UNHCR-Angaben 2.277 Menschen im Mittelmeer ertrunken, seit 2014 beträgt die Zahl 17.821.1272 Auf Basis des Internationalen Übereinkommens zur Seenotrettung von 1979 müssten die Mitgliedstaaten eigentlich dafür Sorge tragen, dass jeder schiffbrüchigen Person auf See geholfen wird, medizinische Erstversorgung geleistet und sie in einen sicheren Hafen verschifft wird.1273 Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 besagt, dass diese Pflicht von den Flaggenstaaten der Schiffe durchgesetzt werden muss, wenn dadurch nicht die eigene Mannschaft, die Passagiere oder das Schiff in Gefahr gebracht werden. 1274 Überlagert werden diese Regelungen vom non-refoulement-Gebot der GFK, das lange Zeit

1268

1269

1270

1271

1272 1273

1274

Vgl. Tagesspiegel (o. V.) (2018): Flüchtlinge im Mittelmeer: „Lifeline“-Aktivisten sehen sich als Opfer einer „Kriminalisierungskampagne“, 28.06.2018, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-im-mittelmeer-lifeline-aktivisten-sehen-sich-als-opfer-einer-kriminalisierungskampagne/22740620.html, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Tagesschau.de (o. V.) (2018b): Nach tagelangem Streit: „Diciotti“ legt auf Sizilien an, 21.08.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/diciotti-sizilien-101.html, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Vu, Vanessa (2018): Flucht über das Mittelmeer: Die zivilen Seenotretter kehren zurück, Zeit Online, 30.11.2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-11/flucht-mittelmeer-zivile-seenotrettung-private-rettungsaktionen-organisationen-sea-watch, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Zeit Online (o. V.) (2019): Rettungsschiff: „Sea-Watch 3“ im Hafen von Catania festgesetzt 01.02.2019, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-02/rettungsschiff-seawatch-3-seenotrettung-catania-hafen-reede, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. UNHCR (2019). Vgl. Klepp, Silija (2011): Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz. Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer, Bielefeld, S. 39. Vgl. Ebd., S. 40.

280

5 Synthese

von europäischer Seite auf dem Mittelmeer nicht beachtet wurde.1275 Dessen Geltung auch auf hoher See wurde im wegweisenden Hirsi-Jamaa-Urteil vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bestätigt.1276 Der EGMR legte fest, dass auch auf hoher See niemand in einen Staat – im Urteil bezogen auf Libyen – abgeschoben, abgewiesen oder ausgeliefert werden darf – im Urteil durch Italien – wo ihm ernsthaftes Risiko der Todesstrafe, Folter, erniedrigende oder unmenschliche Behandlung drohen.1277 Menschen muss auch auf hoher See die Möglichkeit gegeben werden, Zugang zu einem Asylverfahren zu erhalten, und die rettenden Schiffe müssen in den nächstliegenden europäischen Hafen gebracht werden.1278 Das Urteil unterband damit die anhaltende push-back-Praxis im Mittelmeer, die vor allem von Italien durchgeführt worden war, aber auch von Frontex und anderen Mitgliedstaaten genutzt wurde.1279 Neben dieser Praxis sind aber auch Fälle unterlassener Hilfeleistung dokumentiert, bei denen Schiffbrüchige, trotz der Möglichkeit zur Rettung durch sich in der Nähe befindlicher Schiffe, unter Missachtung der pflichtmäßigen Seenotrettung einfach ihrem Schicksal überlassen wurden.1280 Durch das Hirsi-Jamaa-Urteil wurden diese Praktiken eigentlich weitgehend unterbunden. Nun werden sie im Zuge der neuen Strategie der europäischen Mittelmeeranrainer wieder vermehrt genutzt, um Menschen an der Überfahrt aus Libyen zu hindern oder sie der libyschen Küstenwache zu überlassen, wenn sie im Mittelmeer aufgegriffen werden. Dass Menschen in Libyen dabei nicht sicher im Sinne der GFK und der EMRK sind, ist über jeden Zweifel erhaben: So werden Migranten aus libyschen Flüchtlingslagern als Sklaven verkauft,1281 werden dort unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten, 1275

1276

1277

1278

1279 1280

1281

Vgl. Fischer-Lescano, Andreas/Löhr, Tillmann/Tohidipur, Timo (2009): Border Controls at Sea: Requirements under International Human Rights and Refugee Law, in: International Journal of Refugee Law, Jg. 21 (2), S. 256-296, S. 292ff. Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2012a): Case of Hirsi Jamaa and Others v. Italy, Judgement, 23.12.2012, Straßburg. Vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2012b): Returning migrants to Libya without examining their case exposed them to a risk of ill-treatment and amounted to a collective expulsion, Pressemitteilung 075/2012, 23.02.2012, Straßburg. Vgl. Weber, Albrecht (2012): Menschenrechtlicher Schutz von Bootsflüchtlingen. Bedeutung des Straßburger Hirsi-Jamaa-Urteils für den Flüchtlingsschutz, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 32 (8), S. 265-270, S. 269. Vgl. den Hertog (2012): S. 3. Vgl. Strik, Teneke (2012): Lives lost in the Mediterranean Sea: who is responsible?, Report, Committee on Migration, Refugees and Displaced Persons, Council of Europe, Straßburg. Vgl. Lobenstein, Caterina (2017): Zwangsarbeit: „Sie sind Sklaven“, Zeit Online, 27.04.2017, https://www.zeit.de/2017/18/zwangsarbeit-libyen-fluechtlinge-sklaven/komplettansicht, abgerufen am 18.02.2019.

5.4. Rückwirkungen auf die Europäische Integration

281

nicht ausreichend ernährt1282 und misshandelt.1283 Ein interner Bericht des Bundesaußenministeriums, der per Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz veröffentlicht werden musste, sprach sogar von „KZ-ähnlichen Zuständen“ in den libyschen Flüchtlingslagern.1284 Wie dies mit den Werten und Grundsätzen der Europäischen Union vereinbar sein soll, ist nicht nachzuvollziehen. Würde Heribert Prantl Recht behalten, und man „das 21. Jahrhundert einmal daran messen [wird], wie es mit den Flüchtlingen umgegangen ist.“1285, käme die Europäische Union wohl nicht gut dabei weg. Währenddessen geht die Unterstützung der libyschen Küstenwache durch die Union unvermindert weiter.1286 Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass das primäre Ziel der EU die Verhinderung von Fluchtmigration um jeden Preis ist, indem sie die Grenzen unpassierbar macht. Eine Lösung von Streitfragen in der Asylpolitik, wie beim Thema Flucht über das Mittelmeer, kann aufgrund der konträren Interessen nicht gefunden werden. Also treibt die EU die Externalisierung voran und verstärkt den Grenzschutz. Ein Leitmotiv, welches in dieser Arbeit schon anhand des Dubliner Zuständigkeitssystems, während des Arabischen Frühlings und der „Flüchtlingskrise“ aufgedeckt wurde. Alle in diesem Kapitel diskutierten Entwicklungen wären ohne die kontinuierlich bestehende Solidaritätskrise im GEAS, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der „Flüchtlingskrise“ gefunden hat, so nicht denkbar. Die Auswirkungen eines völligen Stillstandes in der gemeinsamen Asylpolitik, in der momentan eine gemeinsame Zielrichtung nicht zu erkennen ist, hat unzweifelhaft zu desintegrativen Tendenzen beigetragen. Stattdessen werden Lösungsansätze nur noch im Bereich des Grenzschutzes angestrebt. Oder die Mitgliedstaaten betreiben Alleingänge, die dem europäischen Projekt schaden. Nicht zuletzt die Asylsuchenden leiden unter 1282

1283

1284

1285

1286

Vgl. Böhme, Christian (2017): Flüchtlinge in libyschen Lagern: Ärzte ohne Grenzen: Es herrschen Hunger und Krankheiten, Tagesspiegel, 25.05.2017, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-in-libyschen-lagern-aerzte-ohne-grenzen-es-herrschen-hunger-und-krankheiten/19853338.html, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Amin, Nina (2018): Libysches Flüchtlingslager: Krätze, Hunger, Enge, Tagesschau.de, 04.05.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlingslager-libyen-101.html, abgerufen am 18.02.2019. Vgl. Semsrott, Arne (2018): Exklusiv: Interner Diplomatenbericht zu „KZ-ähnlichen“ Verhältnissen in libyschen Flüchtlingslagern, Blog FragDenStaat, 07.05.2018, https://fragdenstaat.de/blog/2018/libyen-fluechtlingslager/, abgerufen am 18.02.2019. Prantl, Heribert (2017): Europäische Flüchtlingspolitik in der Sackgasse? – „Wir schaffen das!“ – Aber wie?!: Eine neue Eiszeit in der Migrationspolitik?, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 37 (3), S. 101-104, S. 103. Vgl. Europäische Kommission (2018d): S. 12.

282

5 Synthese

diesen Entwicklungen, wenn auf dem Mittelmeer eine kollektive Strategie der unterlassenen Hilfeleistung betrieben wird und ihr Anspruch auf Menschen- und Grundrechte allgemein erodiert. Die mangelnde Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union trägt dafür einen großen Teil der Verantwortung.

6 Fazit

Ziel dieser Arbeit war es zu beantworten, was Solidarität in der Europäischen Union bedeutet und ob Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union besteht. Als erstes wurde dazu festgestellt, dass dem Solidaritätsbegriff ein Bedeutungsgehalt zugewiesen werden kann, demzufolge dieser schillernde und in seiner omnipräsenten Nutzung teils willkürlich wirkende Begriff in seiner Funktion eingegrenzt und konkretisiert werden kann. Das in Kapitel 2.1.9. vorgestellte Konzept versteht sich zum einen als theoretisches Fundament der Forschungsfrage. Zum anderen soll es explizit als Beitrag zur Theoretisierung des Solidaritätsbegriffs verstanden werden. Die Randständigkeit des Begriffs in der Forschung steht in keinem Verhältnis zu seiner Relevanz in Politik und Gesellschaft. Daher ist die systematische Herangehensweise an das, was Solidarität überhaupt bedeutet, als Aufforderung zu einer Debatte zu verstehen, die vor allem in der Politikwissenschaft erst noch Fahrt aufnehmen muss. Das Konzept zur Festlegung darauf, was Solidarität in der Europäischen Union bedeutet, und die Darstellung der spezifischen asylpolitischen Ausprägung des Solidaritätsprinzips wurde in Kapitel 2.3. vorgestellt. Hier ergeben sich vielfältige Optionen und Desiderate für weitere Forschung: Zum Beispiel die Aufstellungen konkurrierender Solidaritätskonzepte oder die Frage danach, wie sich Solidarität in anderen Politikbereichen der Union äußert. Die Hoffnung darauf, dass die Auseinandersetzung mit Solidarität eine ähnliche Wichtigkeit wie die Erörterung von Begriffen wie Freiheit oder Gerechtigkeit erhalten könnte, ist angesichts ihrer herausgehobenen Bedeutung wohl nicht zu hoch gegriffen. Letztlich wäre es zu begrüßen, wenn eine solche Debatte in die Öffentlichkeit und zu den politischen Entscheidungsträgern durchdringen würde. Das gilt vor allem für die Sphäre der Europäischen Union. Dem Befund, dass das Solidaritätsprinzip in der EU als ihre conditio sine qua non zu verstehen ist, muss entsprechend Rechnung getragen werden. Es ist vor diesem Hintergrund kaum zu akzeptieren, dass Solidarität nahezu willkürlich und je nach Interessenlage anders benutzt wird. Der Begriff wird so auf problematische Weise instrumentalisiert. Umsichtiger wäre es, seine Bedeutung zu konsolidieren und dafür Akzeptanz zu kreieren – wie auch immer diese Bedeutung dann verstanden wird. Erst dann wird Solidarität als Begriff greif- und © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Saracino, Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4_6

284

6 Fazit

handhabbar, kann Orientierung schaffen und erhält möglicherweise die für die EU als Rechtsgemeinschaft dringend benötigte Justiziabilität. Als zweites kann man eine Besonderheit des unionalen Solidaritätsprinzips in der Asylpolitik identifizieren, welche sich über Art. 80 AEUV zu erkennen gibt: die Pflicht zur Berücksichtigung der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten bei allen Maßnahmen der Asylpolitik. Dieser Solidaritätsartikel ist ein Ergebnis der Zuständigkeitsallokation für Asylverfahren in der Europäischen Union, die über das Dublin-System geregelt wird. Primär geschieht dies über das Verursacherprinzip, das die Verantwortlichkeiten denjenigen Mitgliedstaaten zuweist, die die im Vorfeld nicht autorisierte – und letztlich ungewollte – Einreise von Drittstaatsangehörigen nicht verhindert haben. Dieser „Fremdkörper im menschenrechtlich begründeten Flüchtlingsrecht“ 1287 begründet mittels dieser Funktionslogik eine unverhältnismäßig hohe Verantwortungsverlagerung in die Außengrenzstaaten vor allem im Süden der Union. Das Verursacherprinzip provoziert die Nichtbefolgung der Ziele des GEAS durch einige Mitgliedstaaten: Beispielsweise kommen Griechenland und Italien ihren Pflichten zur Registrierung von Asylsuchenden nicht im ausreichenden Maße nach. Auch werden teilweise Versorgungs- und Verfahrensstandards in einigen Mitgliedstaaten nicht eingehalten. Beides führt dazu, dass die Flüchtenden innerhalb der EU weiterwandern können oder müssen, um anderswo einen Asylantrag zu stellen. Die Verhinderung dieser „Sekundärmigration“ wäre aber eigentlich eines der Hauptziele des Dublin-Systems – eines von vielen Zielen, die nicht erreicht werden. Alles in allem ist extensiv belegt worden, dass die Ziele des Dublin-Systems nicht erfüllt werden und auch nie erfüllt worden sind. Letztlich ist unter diesen Voraussetzungen deutlich geworden, dass das Dublin-System gegen das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union und seine Spezialausprägung in der Asylpolitik verstößt. Das Verursacherprinzip im System der Zuständigkeitszuweisung ist der Erbdefekt des GEAS und ruft Pathologien im gesamten europäischen Asylsystem hervor. Die flankierenden Solidaritätsmaßnahmen des GEAS können diese strukturellen Mängel nicht beheben. Der finanzielle Solidaritätsmechanismus – der AMIF – verschlimmert die Probleme eher noch, da er fehlgeleitete Anreize setzt. Die finanzielle Kompensation wird hauptsächlich über die absoluten Aufnahmezahlen geleistet, was die Größe der Bevölkerung, wirtschaftliche Stärke oder Ressourcen des nationalen Asylsystems außer Acht lässt. Mitgliedstaaten, die seit der 1287

Marx (2012a): S. 193.

6 Fazit

285

Einführung des Dublin-Systems relativ gesehen eigentlich die größere Verantwortung auf sich genommen haben, werden durch die Logik der Mittelvergabe zusätzlich benachteiligt. Der operationale Solidaritätsmechanismus – EASO – hat weder die Kompetenzen noch die Ressourcen, die systemischen Defizite auszugleichen. So läuft die Symptombehandlung durch die flankierenden Solidaritätsmaßnahmen ins Leere oder verschlimmert die strukturellen Defizite sogar noch. Es ist klar geworden, dass ohne ein im Sinne des Solidaritätsprinzips ausgestaltetes Zuständigkeitssystem kein Asylsystem zum Wohle aller Teilnehmer existieren kann – so wie es das Solidaritätsprinzip eigentlich fordert. Ohne eine solche Neuerung liegt auch die Supranationalisierung von Aufnahme, Versorgung und Verfahren von Antragstellern in weiter Ferne. Der strukturelle Fehler im Fundament des GEAS muss erst beseitigt werden, um alle darauf aufbauenden Regelungen vollständig funktionsfähig machen zu können. Erst dann würden wohl auch flankierende Solidaritätsmaßnahmen ihren Zielen näherkommen können. Ein Fundament, das gegen die conditio sine qua non der Union verstößt, führt zu einer Delegitimierung nicht nur der eigenen Geltung, sondern der Geltung aller darauf aufbauenden Maßnahmen. Für die am System Teilnehmenden kann es also ein legitimes Vorgehen sein, ihren Pflichten nicht mehr nachzukommen, weil sich diese Pflichten aus der illegitimen und möglichweise illegalen Zuständigkeitsallokation des Dublin-Systems ergeben. Pflichten, die sich aus einer Grundlage speisen, die gegen die notwendige Bedingung der Funktionsweise der Union verstößt, müssen zwangsweise Einbußen ihrer Legitimität hinnehmen. Vor diesem Hintergrund ist ein hinreichend funktionierendes GEAS undenkbar. Als drittes sind die strukturellen Probleme des GEAS in der Analyse der „Flüchtlingskrise“ verdeutlicht worden. Diese sind so stark ausgeprägt, dass eine Lösung der Krise mit asylpolitischen Maßnahmen nicht möglich war. Das Scheitern des Ratsbeschlusses vom 22. September 2015 zur mandatorischen Umsiedlung von Asylsuchenden aus besonders betroffenen Mitgliedstaaten in die weiteren hat dies nachdrücklich belegt. Als Alternative wurden die Lösungsstrategien im Bereich des Grenzschutzes durch die EU-Türkei-Erklärung und die Schließung der Balkanroute gesucht. Damit ergab sich auch ein weiterer Befund: Die Verlagerung der Verantwortlichkeiten nach außen, die eine der Leitlinien der europäischen Migrationspolitik seit ihren integrationshistorischen Anfängen ist, wurde auch in der „Flüchtlingskrise“ weiterverfolgt und sogar noch intensiviert. Es hat

286

6 Fazit

sich einmal mehr gezeigt, dass das primäre Ziel der EU ist, den Eintritt von Asylsuchenden auf EU-Boden möglichst zu verhindern. Daher verfestigte sich während der Krise die Logik der Verantwortungsverlagerung nach außen, die sich innerhalb der EU durch das Dublin-System manifestiert, und außerhalb der EU durch die Verantwortungsübertragung auf Herkunfts- und Transitstaaten vollzogen wird. Schon in der „Generalprobe“ der „Flüchtlingskrise“ – dem italienisch-französischen Konflikt im Jahr 2011 – hatte sich gezeigt, wie fragil das GEAS ist. Einige Tausend in Italien angelandete Migranten reichten aus, um eine teils harsche diplomatische Auseinandersetzung innerhalb der EU zu entfachen, die zu einer Veränderung des Schengener Grenzkodex führte. Diese Episode führte vor Augen, dass sich die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Asylregelungen gegenseitig nicht vertrauen.1288 Die Regelungen sind so dysfunktional, dass schon eine kleine Anzahl von ungewollten Einwanderern ausreichte, um diplomatische Erschütterungen zu erzeugen. Als im Spätsommer 2015 dann bis dahin nicht gekannte Wanderungsbewegungen in der EU auftraten, brach das Asylsystem endgültig zusammen. Der Ratsbeschluss vom 22. September 2015 sollte dafür sorgen, dass das GEAS unter den außerordentlichen Bedingungen wieder besser funktioniert, indem er dem Solidaritätsprinzip Ausdruck verlieh. Das Scheitern der Umsetzung des Ratsbeschlusses belegt klar und deutlich, dass dieser Ansatz nicht von allen Mitgliedstaaten akzeptiert wurde. Eine Lösung im Sinne des Solidaritätsprinzips, die der EuGH als rechtens und angemessen beurteilte, lag nicht im gemeinsamen Interesse der Mitgliedstaaten. Als Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass ein Asylsystem zum Wohle aller, welches mit der conditio sine qua non der Union und ihrer asylpolitischen Spezialausprägung in Art 80 AEUV in Einklang steht, mit dem Dublin-System weder im Normalzustand noch im Ausnahmezustand möglich ist. Die Interessen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die gemeinsamen Ziele und das Gemeinwohl im asylpolitischen Bereich gehen dafür zu stark auseinander. Manche Mitgliedstaaten

1288

Die Forschung zum gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten ist äußerst randständig. Hier ist ein Desiderat erkennbar, dieses Phänomen und seine Bedeutung sowohl für die Europäische Union allgemein als auch für die Asylpolitik im Speziellen verstärkt in den Blick zu nehmen. Gegenseitiges Vertrauen ist eng mit dem Solidaritätsprinzip verknüpft. Hier könnte weitere Forschung Erkenntnisse liefern, wie die Europäische Union auch als politische Union besser funktionieren kann bzw. wie sich die EU jenseits des Rechts zu einem stabileren Gebilde entwickeln könnte.

6 Fazit

287

verschließen sich vollkommen der Kooperation in der Asylpolitik. Ein gemeinsames Interesse, auf dem die Vereinigung in der EU überhaupt erst beruht, ist nicht mehr zu erkennen. Auch dieser Status quo wird letztlich vom Dublin-System mitverursacht. Manche Mitgliedstaaten erkennen nicht mehr, wie ihren Interessen durch das Verursacherprinzip noch Geltung zukommt. Andere sehen im Verursacherprinzip das unverrückbare Fundament des GEAS, das mit ihren Interessen am besten in Einklang steht. Die einen sehen die ungerechte Verantwortlichkeitsaufteilung im GEAS als legitime Begründung zur Nichtbeachtung von rechtlichen Pflichten an, die anderen sehen in der Dysfunktionalität des GEAS die Möglichkeit, genau diese für ihre Blockadehaltung gegenüber Asylsuchenden auszunutzen. Einige Mitgliedstaaten verlangen also ein solidarisches Zuständigkeitssystem, andere profitieren wiederum von der mangelnden Solidarität. Das führt zu dem faktischen Status quo, dass das Zuständigkeitssystem zwingend reformiert werden müsste, weil es gegen das Solidaritätsprinzip verstößt, die politische Realität dies aber nicht hergibt. Aus diesem Dilemma erwachsen nachhaltige negative Konsequenzen für das gesamte europäische Projekt. Als viertes hat die vorliegende Dissertation herausgearbeitet, dass die „Flüchtlingskrise“ als Symptom einer kontinuierlich bestehenden Solidaritätskrise in der Asylpolitik der Europäischen Union zu verstehen ist, die seit der Implementierung des Dublin-Systems besteht und durch den Bruch des Solidaritätsprinzips durch das Verursacherprinzip verursacht wird.1289 Ein solches Symptom war auch der italienisch-französische Konflikt im Jahre 2011. Da die strukturellen Defizite im GEAS ebenfalls mit dem Erbdefekt im Zuständigkeitssystem in Verbindung gebracht werden müssen, lautet die plausible Schlussfolgerung, dass eine vernünftige und zum Wohle aller Teilnehmer funktionierende Asylpolitik nicht mit dem derzeitigen System der Zuständigkeitszuweisung bestehen kann. Die Konsequenzen daraus tragen nicht zuletzt diejenigen Menschen, die in der EU Schutz suchen. Einige Mitgliedstaaten weisen erhebliche Mängel in den Aufnahme- und Versorgungsbedingungen auf, die kaum europäischen Standards entsprechen. Diese Zustände werden in der Türkei noch unterboten, die nach der EU-Türkei-Erklärung 1289

Daher liegt Ivan Krastev falsch, wenn er die „Flüchtlingskrise“ als Auslöser der Desintegration Europas beurteilt und dies polemisch als „Europas 11. September“ bezeichnet. Vgl. Krastev, Ivan (2017): Europadämmerung. Ein Essay, Berlin, S. 25. Abgesehen davon, dass eine solche monokausale Argumentation der vielschichtigen Probleme der EU, die zu Tendenzen der Desintegration führen, unseriös ist (man denke an die „Eurokrise“), liegt diesem Argument auch ein fundamentales Missverständnis der europäischen Asylpolitik zugrunde.

288

6 Fazit

als „Türsteher“ der EU einen großen Teil der Verantwortung im Austausch für Geldzahlungen für die Schutzsuchenden übernimmt. In Mittelmeer findet von europäischer Seite nunmehr so gut wie keine Seenotrettung mehr statt – auch weil sich die Mitgliedstaaten nicht über eine gerechte Aufteilung der Verantwortung für die Geretteten einigen können. Die Flüchtenden, die den Seeweg wählen, werden so ihrem Schicksal oder den libyschen Partnern überlassen. Beides hat für die Schutzsuchenden schreckliche Konsequenzen. Die Erosion der menschenrechtlich grundierten Werte und der Beachtung der selbstauferlegten Pflichten im Flüchtlingsschutz schreitet in der Union zusehends und stetig voran. All dies unter der Prämisse, möglichst keinen Asylsuchenden in der EU Eintritt zu gewähren, weil eine gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten nicht im gemeinsamen Interesse der Mitgliedstaaten steht. Diese Entwicklungen sind eindeutig mit der Dysfunktionalität des GEAS aufgrund der Nichteinhaltung des Solidaritätsprinzips im Dublin-System verbunden. Im Lichte der erarbeiteten Ergebnisse konnte die Forschungsfrage dieser Dissertation folgendermaßen beantwortet werden: Dem Solidaritätsbegriff kann nach systematischer Bearbeitung ein unzweideutiger Bedeutungsgehalt zugewiesen werden, der mit den systemimmanenten Bedingungen der Solidarität in der Europäischen Union zusammengebracht werden kann. Die dergestalt konzeptionierte Solidarität spielt in der Europäischen Union die Rolle der conditio sine qua non, die in der Asylpolitik zusätzlich eine gerechte Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten verlangt. Ohne die Einhaltung des Grundsatzes der Solidarität kann die EU nicht funktionieren. Zusätzlich dazu müssen die Zuständigkeiten in der Asylpolitik gerecht aufgeteilt werden. Da das vorhandene System der Zuständigkeitsallokation – das Dublin-System – dies nicht gewährleistet, wird das Solidaritätsprinzip gebrochen. Eine nach dem vorgestellten Solidaritätskonzept verstandene Solidarität lässt sich in der Asylpolitik der Europäischen Union nicht erkennen. Die daraus resultierenden Konsequenzen haben wiederum Dysfunktionalität im gesamten Asylsystem zur Folge. Dieser Zustand der ständigen Solidaritätskrise hat seinen Ursprung in der Ausgestaltung der asylpolitischen Leitlinien außerhalb des EU-Rahmens, welche sich an den Interessen der nördlichen Mitgliedstaaten orientierte und sich unter innenministerieller Ägide vollzog. Im Zuge dessen schufen die Nationalstaaten, abgeschirmt vom Einfluss der EUInstitutionen oder parlamentarischer Kontrolle, das Verursacherprinzip, welches von einer Agenda der Verantwortungsverlagerung an die Außengrenzen bzw. an

6 Fazit

289

Herkunfts- und Transitstaaten und dem Ziel der Verhinderung von ungewollter bzw. nicht autorisierter Einwanderung bestimmt wird. Obwohl das Dublin-System gegen das Solidaritätsprinzip verstößt und Pathologien in der gemeinsamen Asylpolitik hervorruft, wurde sein Erbdefekt nie repariert, auch nicht nach seiner Überführung in den EU-Rahmen. Trotz mehrerer Versuche, einer extensiv belegten Dysfunktionalität, sowie einer ständigen Kontestation von Experten und eines Teils der Mitgliedstaaten, ist dies nie gelungen. Daran lässt sich in gewisser Weise auch das Phänomen der Pfadabhängigkeit ablesen, welches ein interessanter Ansatz für weitere Forschung zum Verständnis der europäischen Asylpolitik sein könnte. Letzten Endes lassen sich die Auswirkungen des zentralen Befundes dieser Arbeit, nämlich dass keine Solidarität in der europäischen Asylpolitik besteht und dies eine Verletzung der conditio sine qua non der EU darstellt, in den Entwicklungen der letzten Jahre klar erkennbar nachvollziehen. Für echte Solidarität wäre es notwendig, dass sich die Mitgliedstaaten aus einem gemeinsamen Interesse heraus auf Ziele einigen, die sie in der Europäischen Union in Recht gegossen freiwillig verfolgen würden. Eine solche Gemeinsamkeit ist in der Asylpolitik aktuell nicht zu erkennen. Die Vorstellungen einer gelungenen Asylpolitik divergieren zwischen den Mitgliedstaaten mittlerweile so stark, dass es in diesem Bereich keinen gemeinsamen Nenner mehr gibt. Die Entwicklungen in der „Flüchtlingskrise“ und ihre Auswirkungen belegen dies. Obwohl die Ziele nach wie vor im Primärrecht und der sekundärrechtlichen Ausgestaltung festgelegt sind, werden sie nicht mehr im ausreichenden Maße und von allen Mitgliedstaaten verfolgt. Dies ist freilich kein neues Ergebnis, jedoch hat die „Flüchtlingskrise“ für das strukturelle Defizit zwischen Normgebung und Normvollzug wie ein Brennglas gewirkt. Die Herrschaft des Rechts wird in der Asylpolitik nicht mehr gemeinschaftlich anerkannt, was die Umsetzung des Ratsbeschlusses nochmals nachdrücklich vor Augen geführt hat. Genau genommen funktionieren die Grundvoraussetzungen der EU im Bereich der Asylpolitik damit nicht mehr. Dieser für das Wesen der Union gefährliche Status quo verlangt von den Beteiligten das Beschreiten neuer Wege in der Asylpolitik. Wenn das Zuständigkeitssystem in der EU nicht so reformiert werden kann, dass es dem Solidaritätsprinzip entspricht, muss eine „Koalition der Willigen“ vorangehen, um dieses Ziel zu erreichen. Im Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten und der differenzierten Integration ist dies eine Option, die durchaus erfolgversprechend sein

290

6 Fazit

könnte. Ansonsten wird nicht nur die gemeinsame Asylpolitik, sondern das gesamte Europäische Projekt weiter erodieren, wie es spätestens seit dem Erstarken der europakritischen Kräfte in Europa zu beobachten ist. Die EU muss der Gefahr, die von ihren Gegnern ausgeht, etwas entgegensetzen, wenn sie ihre Funktionsfähigkeit erhalten will. An dieser Stelle ist vor allem auch die Europäische Kommission gefragt, deren Rolle in den Entwicklungen der unionalen Asylpolitik in dieser Arbeit ausführlich analysiert wurde. Sie hat ihre am europäischen Gemeinwohl und meist auch am Flüchtlingsschutz und Forschungsstand orientierten Ursprungspositionen in der Asylpolitik stets im Sinne des Rates aufgegeben. Sei es in den Reformschritten der Dublin-Verordnungen oder sei es während der „Flüchtlingskrise“. Auch das Parlament hat sich trotz seiner vom Primat der Menschenund Grundrechte geleiteten Rhetorik letztlich immer so entschieden, wie es die Mitgliedstaaten vorgaben. Der Rat hat sich in dieser Konstellation als die Institution herausgestellt, die ihre Interessen fast ohne Einschränkungen durchsetzen kann. Lediglich dem EuGH sind punktuelle individualrechtliche Verbesserungen im GEAS zu verdanken. Weitere Forschung im Hinblick auf die spezifischen Rollen wäre wünschenswert, um die Logiken, Dynamiken, Synergien und Prozesse im Zusammenspiel der Institutionen und ihre Auswirkungen auf die Asylpolitik besser zu verstehen. Als letztes soll der Hinweis darauf nicht fehlen, dass es von herausgehobener Wichtigkeit ist, Asylpolitik faktenbasiert anzugehen. Dieser Notwendigkeit kommen die Politiken in Europa nur höchst selten nach. Die emotionale Aufladung der Diskussionen über die Themen Einwanderung und Integration führen häufig zu symbolpolitischen, populistischen Maßnahmen. Eine Mitschuld daran muss auch den Medien zugewiesen werden. Die Salienz des Themas Einwanderung in der medialen Berichterstattung steht in keinem Verhältnis zu der tatsächlichen Relevanz oder den damit einhergehenden Problemen. Die Medien tragen durch ihre unverhältnismäßige und oft verzerrte Berichterstattung dazu bei, dass Populisten mit dem Thema Einwanderung Wählerstimmen gewinnen. Die Emotionalisierung sollte der Sachlichkeit weichen, das Thema Asyl wieder auf das angebrachte Normalmaß zurückgefahren werden. Sonst lässt sich die häufige Mythenbildung beim Thema Migration nur schwerlich wieder zurückdrängen. Dazu

6 Fazit

291

gehört die Illusion, dass ungewollte Einwanderung nach Europa aufgehalten werden könne.1290 Expertenwissen, Anliegen der Bevölkerungen und nationalstaatliche Fürsorgepflicht müssen in der EU mit ihrem menschen- und grundrechtlichem Wertekanon sowie dem Solidaritätsprinzip in Einklang gebracht werden, um vernünftige und kluge Asylpolitik zu gestalten, die die Interessen aller Akteure miteinbezieht. Ansonsten sind weitere und verstärkt negative Rückwirkungen auf das historisch einmalige europäische Projekt zu erwarten.

1290

Die Forschungslage dazu ist eindeutig. Weder Restriktionen noch Entwicklungsstrategien können Migration stoppen. Wirtschaftliche und menschliche Entwicklung koinzidiert gar nachweislich mit einer Erhöhung der Auswanderungsmotivation statt mit einer Verringerung. Vgl. Castles/de Haas/Miller (2014): S. 323.

Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen

Primärrecht der Europäischen Union Einheitliche Europäische Akte, in: ABl. Nr. L 169, 29.06.1987, S. 1-28. Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft [Vertrag von Nizza], in: ABl. Nr. C 325, 24.12.2002, S. 1-184. Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union [Vertrag von Lissabon], in: ABl. Nr. C 326, 26.10.2012, S. 1-390. Protokoll über die Position Dänemarks, in: ABl. Nr. C 340, 02.10.1997, S. 101-102. Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands in: ABl. Nr. C 340, 02.10.1997, S. 99-100. Vertrag über die Europäische Union [Vertrag von Maastricht], in: ABl. Nr. C 191, 29.07.1992, S. 1-110. Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 18. April 1951, Paris, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:11951K/TXT&from=DE [nicht im Amtsblatt veröffentlicht]. Vertrag über eine Verfassung für Europa, in: ABl. Nr. C 310, 16.12.2004, S. 1-474. Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, in: ABl. Nr. C 340, 10.11.1997, S. 1-144. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 25. März 1957, Rom, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CEL EX: 11957E/TXT&from=en [nicht im Amtsblatt veröffentlicht].

Sekundärrecht der Europäischen Union Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Türkei über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt, in: ABl. Nr. L 134, 07.05.2014, S. 3-27. Beschluss (EU) 2015/1523 des Rates vom 14. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, in: ABl. Nr. L 239, 15.09.2015, S. 146-156.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Saracino, Solidarität in der Asylpolitik der Europäischen Union, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27997-4

294

Quellen- und Literaturverzeichnis

Beschluss (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, in: ABl. Nr. L 248, 24.09.2015, S. 80-94. Beschluss (EU) 2016/1754 des Rates vom 29. September 2016 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/1601 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, in: ABl. Nr. L 268, 01.10.2016, S. 82-84. Beschluss (GASP) 2015/778 des Rates vom 18. Mai 2015 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED), in: ABl. Nr. L 122, 19.05.2015, S. 31-35. Beschluss (GASP) 2015/972 des Rates vom 22. Juni 2015 über die Einleitung der Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED), in: ABl. Nr. L 157, 23.06.2015, S. 51. Beschluss (GASP) 2016/993 des Rates vom 20. Juni 2016 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED Operation SOPHIA), in: ABl. Nr. L 162, 21.06.2016, S. 18-20. Beschluss (GASP) 2017/1385 des Rates vom 25. Juli 2017 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2015/778 über eine Militäroperation der Europäischen Union im südlichen zentralen Mittelmeer (EUNAVFOR MED Operation SOPHIA), in: ABl. Nr. L 194, 26.07.2017, S. 61-62. Entscheidung des Rates vom 28. September 2000 über die Errichtung eines Europäischen Flüchtlingsfonds (2000/596/EG), in: ABl. Nr. L 252, 06.10.2000, S. 12-18. Entscheidung Nr. 573/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Mai 2007 zur Einrichtung des Europäischen Flüchtlingsfonds für den Zeitraum 2008 bis 2013 innerhalb des Generellen Programms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ und zur Aufhebung der Entscheidung 2004/904/EG des Rates, in: ABl. Nr. L 144, 06.06.2007, S. 1-21. Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, in: ABl. Nr. L 212, 07.08.2001, S. 12-23. Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten, in: ABl. Nr. L 31, 06.02.2003, S. 18-25. Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, in: ABl. Nr. L 304, 30.09.2004, S. 12-23. Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft, in: ABl. Nr. L 326, 13.12.2005, S. 13-34.

Quellen- und Literaturverzeichnis

295

Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung), in: ABl. Nr. L 337, 20.12.2011, S. 9-26. Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 60-95. Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlament und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 96-116. Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, in: ABl. Nr. L 316, 15.12.2000, S. 110. Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, in: ABl. Nr. L 50, 25.02.2003, S. 1-10. Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 über die Einrichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, in: ABl. Nr. L 62, 05.03.2002, S. 1-5. Verordnung (EU) 2016/369 des Rates vom 15. März 2016 über die Bereitstellung von Soforthilfe innerhalb der Union, in: ABl. Nr. L 70, 16.03.2016, S. 1-6. Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex). Die Version des SGP firmierte unter: Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen, in: ABl. Nr. L 77, 23.03. 2016, S. 1-52. Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 des Rates vom 7. Oktober 2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung des Beschlusses des Exekutivausschusses vom 16. September 1998 bezüglich der Errichtung des Ständigen Ausschusses Schengener Durchführungsübereinkommen, in: ABl. Nr. L 295, 06.11. 2013, S. 27-37. Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, in: ABl. Nr. L 132, 29.05.2010, S. 11-28.

296

Quellen- und Literaturverzeichnis

Verordnung (EU) Nr. 513/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit und zur Aufhebung des Beschlusses 2007/125/JI des Rates, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 93-111. Verordnung (EU) Nr. 514/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und das Instrument für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 112-142. Verordnung (EU) Nr. 515/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung für Außengrenzen und Visa im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 574/2007/EG, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 143167. Verordnung (EU) Nr. 516/2014 des Europäischen Parlament und des Rates vom 16. April 2014 zur Einrichtung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, zur Änderung der Entscheidung 2008/381/EG des Rates und zur Aufhebung der Entscheidungen Nr. 573/2007/EG und Nr. 575/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Entscheidung 2007/435/EG des Rates, in: ABl. Nr. L 150, 20.05.2014, S. 168-194. Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehrund Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 1-30. Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), in: ABl. Nr. L 180, 29.06.2013, S. 31-59.

Europäische Kommission Europäische Kommission (1985): Vollendung des Binnenmarktes. Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat, (KOM)85 310 endgültig, 14.06.1985, Brüssel.

Quellen- und Literaturverzeichnis

297

Europäische Kommission (2000): Überprüfung des Dubliner Übereinkommens: Ausarbeitung von Gemeinschaftsrechtsnormen zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, SEK(2000) 522, 21.03.2000, Brüssel. Europäische Kommission (2001): Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem Mitgliedstaat gestellt hat, KOM(2001) 447 endgültig, 26.07.2001, Brüssel. Europäische Kommission (2005a): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Aufstellung eines Rahmenprogramms für Solidarität und die Steuerung der Migrationsströme für den Zeitraum 2007-2013, KOM(2005) 123 endgültig, 06.04.2015, Brüssel. Europäische Kommission (2005b): Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Das Haager Programm: Zehn Prioritäten für die nächsten fünf Jahre. Die Partnerschaft zur Erneuerung Europas im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, KOM(2005) 184 endgültig, 10.05.2005, Brüssel. Europäische Kommission (2007a): Grünbuch über das künftige Gemeinsame Europäische Asylsystem, KOM(2007) 301 endgültig, 06.06.2007, Brüssel. Europäische Kommission (2007b): Bericht der Kommission zur Bewertung des DublinSystems, SEK(2007) 742, KOM(2007) 299 endgültig, 06.06.2007, Brüssel. Europäische Kommission (2008a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Künftige Asylstrategie, Ein Integriertes Konzept für EU-weiten Schutz, SEK(2008) 2029, SEK(2008) 2030, KOM(2008) 360 endgültig, 17.06.2008, Brüssel. Europäische Kommission (2008b): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), KOM(2008) 820 endgültig, 03.12.2008, Brüssel. Europäische Kommission (2011a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über verstärkte EU-interne Solidarität im Asylbereich. Eine EU-Agenda für weitergehende Teilung der Verantwortung und mehr gegenseitiges Vertrauen, KOM(2011) 835 endgültig, 02.12.2011, Brüssel. Europäische Kommission (2011b): Statement by Commissioner Malmström announcing the launch of the Frontex operation “Hermes” in Italy as of 20 February 2011, Memo 11/98, 20. Februar 2011, Brüssel. Europäische Kommission (2011c): Response to the joint letter from Mr Berlusconi and Mr Sarkozy, 29.04.2011, http://ec.europa.eu/archives/commission_2010-2014/president/news/letters/2011/05/20110502letters1en.htm, abgerufen am 17.11.2018.

298

Quellen- und Literaturverzeichnis

Europäische Kommission (2011d): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Mitteilung zur Migration, KOM(2011) 248 endgültig, 04.05.2011, Brüssel. Europäische Kommission (2011e): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Wahrung des Schengen-Systems - Stärkung des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen, KOM(2011) 561 endgültig, 16.09.2011, Brüssel. Europäische Kommission (2011f): Statement by Cecilia Malmström, EU Commissioner in charge of Home Affairs, on the results of the Ministerial Pledging Conference 12 May, Memo 11/295, 13.05.2011, Brüssel. Europäische Kommission (2011g): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Ein Dialog mit den Ländern des südlichen Mittelmeerraums über Migration, Mobilität und Sicherheit, KOM(2011) 292 endgültig, 24.05.2011, Brüssel. Europäische Kommission (2011h): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Gesamtansatz für Migration und Mobilität, KOM(2011) 743 endgültig, 18.11.2011, Brüssel. Europäische Kommission (2011i): Statement by Commissioner Malmström on the compliance of Italian and French measures with the Schengen acquis, Memo 11/538, 25.07.2011, Brüssel. Europäische Kommission (2013): Mitteilung der Kommission and das Europäische Parlament und den Rat über die Arbeit der Mittelmeer-Task Force, COM(2013) 869, 04.12.2013, Brüssel. Europäische Kommission (2014): Frontex Joint Operation „Triton“ – Concerted Efforts for managing migrator flows in the Central Mediterranean, Memo 14/609, 31.10.2018, Brüssel. Europäische Kommission (2014b): Standard-Eurobarometer 82. Herbst 2014, Brüssel. Europäische Kommission (2015a): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Die Europäische Migrationsagenda, COM(2015) 240 final, 13.05.2015, Brüssel. Europäische Kommission (2015b): Gemeinsame Tagung des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ und des Rates „Justiz und Inneres“: Zehn-Punkte-Plan zur Migration, Pressemitteilung IP/15/4813, 20.04.2015, Luxemburg. Europäische Kommission (2015c): Mehr Verantwortung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: Europäische Kommission bringt Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf Kurs und leitet 40 Vertragsverletzungsverfahren ein, Pressemitteilung IP/15/5699, 23.09.2015, Brüssel. Europäische Kommission (2015d): Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, COM(2015) 286 final, 27.05.2015, Brüssel.

Quellen- und Literaturverzeichnis

299

Europäische Kommission (2015e): Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien, Griechenland und Ungarn, COM(2015) 451 final, 2015/0209 (NLE), 09.09.2015, Brüssel. Europäische Kommission (2015f): Europäische Kommission und UNHCR starten Mietkostenzuschuss- und Gastfamilienprogramm zur Bereitstellung von 20 000 Aufnahmeplätzen für Asylsuchende in Griechenland, Pressemitteilung IP/15/6316, 14.12. 2015, Brüssel. Europäische Kommission (2015g): Explanatory note on the „Hotspot“ approach, 15.07. 2015, Brüssel. Europäische Kommission (2015h): Flüchtlingsströme auf der Westbalkanroute: Staats- und Regierungschefs einigen sich auf 17-Punkte-Plan, Pressemitteilung IP/15/5904, 25.10.2015, Brüssel. Europäische Kommission (2016a): Reformierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und Erleichterung legaler Wege nach Europa, COM(2016) 197 final, 06. 04.2016, Brüssel. Europäische Kommission (2016b): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), COM(2016) 270 final, 04.05.2016, Brüssel. Europäische Kommission (2016c): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Asylagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 439/2010, COM(2016) 271, 04.05.2016, Brüssel. Europäische Kommission (2016d): Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/1601 des Rates vom 22. September 2015 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland, COM(2016) 171 final, 21.03.2016, Brüssel. Europäische Kommission (2016e): Implementing the EU-Turkey Statement – Questions and Answers, Factsheet, 08.12.2016, Brüssel. Europäische Kommission (2016f): Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Bereitstellung von Soforthilfe innerhalb der Union, COM(2016) 115 final, 02.03. 2016, Brüssel. Europäische Kommission (2016g): Empfehlung der Kommission vom 8.12.2016 an die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Überstellungen nach Griechenland gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, C(2016) 8525 final, 08.12.2016, Brüssel. Europäische Kommission (2017a): Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Commission contribution to the EU Leaders' thematic debate on a way forward on the external and the internal dimension of migration policy, COM(2017) 820 final, 07.12.2017, Brüssel. Europäische Kommission (2017b): Hotspot State of Play, 18.12.2017, Brüssel.

300

Quellen- und Literaturverzeichnis

Europäische Kommission (2017c): Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Umsetzung der Europäischen Migrationsagenda, COM(2017) 558 final, 27.09.2017, Brüssel. Europäische Kommission (2017d): Annex to the Report from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council, Fifteenth report on relocation and resettlement, Annex 3, COM(2017) 465 final, 06.09.2017, Brüssel. Europäische Kommission (2017e): Umverteilung. Geteilte Verantwortung, Factsheet, 26.09.2017, Brüssel. Europäische Kommission (2017f): Umverteilung: Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der EU, Factsheet, 15.11.2018, Brüssel. Europäische Kommission (2017g): Report from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Fifteenth report on relocation and resettlement, COM(2017) 465 final, 06.09.2017, Brüssel. Europäische Kommission (2017h): Umverteilung: Kommission verklagt die Tschechische Republik, Ungarn und Polen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung IP/17/5002, 07.12.2017, Brüssel. Europäische Kommission (2018a): Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Zwischenbewertung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und des Fonds für die innere Sicherheit, COM(2018) 464 final, 12.06.2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018b): Operational implementation of the EU-Turkey Statement, Factsheet, 26.03.2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018c): EU-Turkey Statement two Years on, Factsheet, 14.03. 2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018d): Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Progress report on the Implementation of the European Agenda on Migration, COM(2018) 250 final, 14.03. 2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018e): Updated Annex 8 of Communication from the Commission to the European Parliament and the European Council and the Council - Managing the refugee crisis: State of Play of the Implementation of the Priority Actions under the European Agenda on Migration (COM(2015) 510), 25.06.2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018f): Managing Migration. EU Financial Support to Greece, Factsheet, 15.06.2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018g): Managing Migration. EU Financial Support to Italy, Factsheet, 15.06.2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018h): Annex to the Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Progress report on the Implementation of the European Agenda on Migration, COM(2018) 250 final, Annex 4, 14.03.2018, Brüssel.

Quellen- und Literaturverzeichnis

301

Europäische Kommission (2018i): Annexes to the Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council and the Council. Progress report on the Imple-

mentation of the European Agenda on Migration, COM(2018) 301 final, 16.05. 2018, Brüssel. Europäische Kommission (2018k): Standard-Eurobarometer 90. Herbst 2018, Brüssel. Europäische Kommission/Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik (2011): Gemeinsame Mitteilung an den Europäischen Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Eine Partnerschaft mit dem südlichen Mittelmeerraum für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand, KOM(2011) 200 endgültig, 08.03.2011, Brüssel.

Europäisches Parlament Europäisches Parlament (2011): Aktivisten des Arabischen Frühlings gewinnen den Sacharow-Preis 2011, Pressemitteilung 20111027IPR30442, 27.10.2011, Brüssel. Europäisches Parlament (2012): Bericht über verstärkte EU-interne Solidarität im Asylbereich, 2012/2032(INI), A7-0248/2012, Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, 19.07.2012, Brüssel. Europäisches Parlament (2013a): Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten zur Bewältigung des durch den Konflikt in Syrien ausgelösten Flüchtlingsstroms. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 9. Oktober 2013 zu Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten zur Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen infolge des Konflikts in Syrien, 2013/2837(RSP), P7_TA(2013)0414, Brüssel. Europäisches Parlament (2013b): Flüchtlingswellen im Mittelmeerraum, insbesondere die tragischen Ereignisse vor Lampedusa. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2013 zu dem Zustrom von Migranten im Mittelmeerraum, insbesondere den tragischen Ereignissen vor Lampedusa, 2013/2827(RSP), P7_TA(2013)0448, Brüssel. Europäisches Parlament (2015): Entschließung des Europäischen Parlaments vom 29. April 2015 zu den jüngsten Tragödien im Mittelmeer und zur Migrations- und Asylpolitik der EU, 2015/2660(RSP), P8_TA(2015)0176, Brüssel. Europäisches Parlament (2016): Die Lage im Mittelmeerraum und die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes der EU für Migration. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. April 2016 zur Lage im Mittelmeerraum und zur Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes der EU für Migration, 2015/2095(INI), P8_TA(2016)0102, Brüssel. Europäisches Parlament (2017): Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), (COM(2016)0270 – C8-0173/2016 – 2016/0133(COD)), A8-0345/2017, 06.11.2017, Brüssel.

302

Quellen- und Literaturverzeichnis

Europäischer Rat Europäischer Rat (1999): Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 15./16. Oktober 1999, Tampere, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm. Europäischer Rat (2009): Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 10./11. Dezember 2009, EUCO 6/09, CO EUR 6, CONCL 4, 11.12.2009, Brüssel. Europäischer Rat (2010): Das Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, in: ABl. Nr. C 115, 04.05.2010, S. 1-38. Europäischer Rat (2011a): Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 4. Februar 2011, EUCO 2/1/11, REV 1, CO EUR 2, CONCL 1, 08.03.2011, Brüssel. Europäischer Rat (2011b): Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 24./25. März 2011, EUCO 10/1/11, REV 1, CO EUR 6, CONCL 3, 20.04.2011, Brüssel. Europäischer Rat (2011c): Erklärung der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates vom 11. März 2011, EUCO 7/1/11, REV 1, CO EUR, 5CONCL 2, 20.04.2011, Brüssel. Europäischer Rat (2013): Schlussfolgerungen der Tagung vom 24./25. Oktober 2013, EUCO 169/13, CO EUR 13, CONCL 7, 25.20.2013, Brüssel. Europäischer Rat (2014): Schlussfolgerungen der Tagung vom 26./27. Juni 2014, EUCO 79/14, CO EUR 4, CONCL 2, 27.06.2014, Brüssel. Europäischer Rat (2015a): Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates von 23. April 2015 – Erklärung, EUCO 18/15, CO EUR 4, 23.04.2015, Brüssel. Europäischer Rat (2015b): Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 25. und 26. Juni 2015, EUCO 22/15, CO EUR 8, CONCL 3, 26.06.2015, Brüssel. Europäischer Rat (2018a): Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates (28. Juni 2018), EUCO 9/18, CO EUR 9, CONLC 3, 28.06.2018, Brüssel. Europäischer Rat (2018b): Conclusions of European Council meeting (18 October 2018), EUCO 13/18, CO EUR 16, CONCL 5, 18.10.2018, Brüssel.

Gerichtshof der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union (1969): Verbundene Rechtssachen 6/69 und 11/69, Urteil vom 10.12.1969, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (1973): Rechtssache 39/72, Urteil vom 07.02.1973, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (2011a): Verbundene Rechtssachen C-411/10 und C493/10, Urteil vom 21.12.2011, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (2011b): in Asylbewerber darf nicht an einen Mitgliedstaat überstellt werden, in dem er Gefahr läuft, unmenschlich behandelt zu werden, Pressemitteilung 140/11, 21.12.2011, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (2017a): Kroatien ist für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz von Personen zuständig, die seine Grenze während der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 in großer Zahl überschritten haben, Pressemitteilung 86/17, 26.07.2017, Luxemburg.

Quellen- und Literaturverzeichnis

303

Gerichtshof der Europäischen Union (2017b): Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot, Rechtssachen C‑643/15 und C‑647/15, Slowakische Republik und Ungarn gegen Rat der Europäischen Union, 26.07.2017, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (2017c): Rechtssache C‑646/16, Urteil vom 26.07.2017, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (2017d): Der Gerichtshof weist die Klagen der Slowakei und Ungarns gegen die vorläufige obligatorische Regelung zur Umsiedlung von Asylbewerbern ab, Pressemitteilung 91/17, 06.09.2017, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (2017e): Verbundene Rechtssachen C-643/15 und C647/15, Urteil vom 06.09.2017, Luxemburg. Gerichtshof der Europäischen Union (2017f): Generalanwalt Bot schlägt dem Gerichtshof vor, die Klagen der Slowakei und Ungarns gegen den vorläufigen obligatorischen Mechanismus zur Umsiedlung von Asylbewerbern abzuweisen, Pressemitteilung 88/17, 26.07.2017, Luxemburg.

Rat der Europäischen Union Rat der Europäischen Union (1999): Mandat der Hochrangigen Gruppe „Asyl und Migration“: Erstellung von Aktionsplänen für einige der wichtigsten Herkunfts- und Transitländer von Asylbewerbern und Zuwanderern, 5264/99, JAI 1 AG 1, 13.01. 1999, Brüssel. Rat der Europäischen Union [Europäischer Rat] (2004): Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Tagung des Europäischen Rates 4./5. November 2004, 14292/04, CONCL 3, 05.11. 2004, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2005): Aktionsplan des Rates und der Kommission zur Umsetzung des Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, in: ABl. Nr. C 198, 12.08.2005, S. 1-22. Rat der Europäischen Union [Europäischer Rat] (2008): Europäischer Pakt zu Einwanderung und Asyl, 13440/08, ASIM 72, 24.09.2008, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2012a): Schlussfolgerungen des Rates über einen gemeinsamen Rahmen für echte und praktische Solidarität gegenüber Mitgliedstaaten, deren Asylsysteme besonderem Druck, einschließlich durch gemischte Migrationsströme, ausgesetzt sind, 7485/12, ASIM 20 Front 42, 09.03.2012, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2012b): 3172. Tagung des Rates Justiz und Inneres, Pressemitteilung 10760/12, 08.06.2012, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2013a): Council and the European Parliament reach a provisional agreement on the Schengen Governance legislative package, Pressemitteilung 10239/13, 30.03.2013, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2013b): Council adopts the Schengen Governance legislative package, Pressemitteilung 14441/13, 07.10.2013, Luxemburg. Rat der Europäischen Union (2013c): 3260th Council Meeting, Justice and Home Affairs, 7 and 8 October 2013, Pressemitteilung 14149/13, PRESSE 393, PR CO 46, Luxemburg.

304

Quellen- und Literaturverzeichnis

Rat der Europäischen Union (2015a): Outcome of the Council Meeting, 3405th Council meeting, Justice and Home Affairs, 11097/15, PRESSE 49, PR CO 41, 20.07.2015, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2015b): Protokoll der Tagung des Rates der Europäischen Union (Justiz und Inneres) vom 22. September 2015, 12295/15, LIMITE, PV/CONS 47, JAI 684, 13.10.2015, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2016a): Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, Pressemitteilung 807/16, 08.03.2016, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2016b): Erklärung EU-Türkei, 18. März 2016, Pressemitteilung 144/16, 18.03.2016, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2016c): Sachstandsbericht, 12724/16, ASILE 39, CODEC 1350, 04.10.2016, Brüssel. Rat der Europäischen Union (2018): Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing the criteria and mechanisms for determining the Member State responsible for examining an application for international protection lodged in one of the Member States by a third-country national or a stateless person (recast). New Dublin: Reversing the Dynamics, 7674/18, ASILE 12, CODEC 471, 09.04.2018, Brüssel.

Sonstige EU-Quellen Bericht über die Europäische Union, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin der Europäischen Gemeinschaften (1975), Sonderbeilage 1/1976, S. 11-39. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in: ABl. Nr. C 364, 18.12.2000, S. 1-22. Erklärung der Pariser Gipfelkonferenz, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin der Europäischen Gemeinschaften, Jg. 6 (10), Oktober 1972, S. 15–24. Frontex (2011): Hermes 2011 running, Pressemitteilung, 21.02.2011, Warschau. Frontex (2018): Frontex launching new operation in Central Med, Pressemitteilung, 01.02.2018, https://frontex.europa.eu/media-centre/news-release/frontex-launching-new-operation-in-central-med-yKqSc7, abgerufen am 19.10.2018. Frontex (o. J.): Operation Poseidon, https://frontex.europa.eu/along-eu-borders/main-operations/operation-poseidon-greece-/, abgerufen am 16.01.2019. Klage, eingereicht am 2. Dezember 2015 — Slowakische Republik/Rat der Europäischen Union, Rechtssache C-643/15, in: ABl. Nr. C 38, 01.02.2016, S. 41-43. Klage, eingereicht am 3. Dezember 2015 — Ungarn/Rat der Europäischen Union, Rechtssache C-647/15, in: ABl. Nr. C 38, 01.02.2016, S. 43-44. Report by the Foreign Ministers of the Member States on the problems of political unification, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin of the European Communities, Jg. 3 (11), November 1970, S. 9–14. Report on European Union, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin of the European Communities, Sonderbeilage 5/1975, S. 5–42. Second Report on European Political Cooperation on Foreign Policy, in: Europäische Kommission (Hg.): Bulletin of the European Communities, Jg. 7 (9), September 1973, S. 14–21.

Quellen- und Literaturverzeichnis

305

Europäischer Konvent (2002): Revised Draft Final Report, Working Group X, Working document 18 REV 1, 26.11.2002, Brüssel. Europäischer Konvent (2003): Area of freedom, security and justice – draft Article 31, Part One – draft articles from Part Two, CONV 614/03, 14.03.2003, Brüssel. Vertrag über eine Verfassung für Europa, in: ABl. Nr. C 310, 16.12.2004, S. 1-474.

Internationale Abkommen Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über den schrittweisen Abbau der Kontrollen an der deutsch-französischen Grenze, 13.07.1984, Saarbrücken, abrufbar unter: https://www.cvce.eu/content/publication/2005/9/29/46468e59-54ec-41c1-a15e-25 8d 92568910/publishable_de.pdf. Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags [Dubliner Übereinkommen], in: ABl. Nr. C 254, 19.08.1997, S. 1-12. Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, 14. Juni 1985, Schengen, in: ABl. Nr. L 239, 22.09.2000, S. 13-18. UNHCR (1951/1967): Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 und Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967, Genf, abrufbar unter: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/03/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf. Vereinte Nationen (1948): Resolution der Generalversammlung 217 A (III). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, A/RES/217 A (III), 10. Dezember 1948, Paris, abrufbar unter: https://www.un.org/Depts/german/menschenrechte/aemr.pdf. Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, in: ABl. Nr. L 239, 22.09.2000, S. 19-62.

Internationale Organisationen Ärzte ohne Grenzen (2018a): EU und Mitgliedsstaaten kriminalisieren Seenotrettung im Mittelmeer - Schutzsuchende werden nach Libyen zurückgezwungen, Pressemitteilung, 21.03.2018, https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/eu-und-mitglied sstaaten-kriminalisieren-seenotrettung-im-mittelmeer-schutzsuchende-werdennach, abgerufen am 18.02.2019. Ärzte ohne Grenzen (2018b): Mittelmeer: Rettungsschiff Aquarius muss Einsatz beenden, Pressemitteilung, 07.12.2018, https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/aquarius-einsatz-beendet, abgerufen am 18.02.2019.

306

Quellen- und Literaturverzeichnis

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2011): Belgische Behörden hätten Asylbewerber nicht nach Griechenland abschieben dürfen, Pressemitteilung 043, 21.01.11, Straßburg. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2012a): Case of Hirsi Jamaa and Others v. Italy, Judgement, 23.12.2012, Straßburg. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2012b): Returning migrants to Libya without examining their case exposed them to a risk of ill-treatment and amounted to a collective expulsion, Pressemitteilung 075/2012, 23.02.2012, Straßburg. UNHCR (2012): Mediterranean takes record as most deadly stretch of water for refugees and migrants in 2011, Briefing Note, 31.01.2012, http://www.unhcr.org/news/ briefing/2012/1/4f27e01f9/mediterranean-takes-record-deadly-stretch-water-refugees-migrants-2011.html, abgerufen am 18.11.2018. UNHCR (2016): UNHCR redefines role in Greece as EU-Turkey deal comes into effect, 22.03.2016, http://www.unhcr.org/news/briefing/2016/3/56f10 d049/unhcr-redefines-role-greece-eu-turkey-deal-comes-effect.html, abgerufen am 09.09.2018. United Nations (2016): Refugee Crisis about Solidarity, Not Just Numbers, Secretary-General Says at Event on Global Displacement Challenge, Pressemitteilung, 15.04.2016, https://www.un.org/press/en/2016/sgsm 17670.doc.htm, abgerufen am 24.10.2018. World Food Programme (2014): WFP Forced To Suspend Syrian Refugee Food Assistance, Warns Of Terrible Impact As Winter Nears, 01.12.2014, https://www.wfp.org/ news/news-release/wfp-forced-suspend-syrian-refugee-food-assistance-warnsterrible-impact-winter-nea, abgerufen am 29.08.2018. World Food Programme (2015): WFP muss Nothilfe für syrische Flüchtlinge weiter kürzen, 01.07.2015, http://de.wfp.org/WFP-muss-Nothilfe-fuer-syrische-Fluechtlingeweiter-kuerzen, abgerufen am 01.09.2018.

Nationalstaatliche Quellen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2015): #Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt, 25.08.2015, https://twitter.com/BAMF_Dialog/status/636 138495468285952, abgerufen am 01.09.2018. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2017): Das Bundesamt in Zahlen 2016. Asyl, Migration und Integration, Nürnberg. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2016): 890.000 Asylsuchende im Jahr 2015, Pressemitteilung, 30.09.2016, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2016/09/asylsuchende-2015.html, abgerufen am 05.09.2018. Bundesregierung (2015a): Europäische Flüchtlingspolitik. Dublin-Abkommen gilt für alle EU-Staaten, 03.09.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/20 15/09/2015-09-02-fluechtlinge-dublin-verfahren.html, abgerufen am 01.09.2018. Bundesregierung (2015b): Bundeskanzlerin Merkel telefoniert mit Ministerpräsident Orbán, Pressemitteilung 309/2015, 05.09.2015, https://www.bundesregierung.de/ Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2015/09/2015-09-05-merkel-orban.html, abgerufen am 03.09.2018.

Quellen- und Literaturverzeichnis

307

Bundesregierung (2015c): „Wir haben eine akute Notlage bereinigt“, 06.09.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2015/09/2015-09-05-einreise-fluechtline-ungarn.html, abgerufen am 06.09.2018. Bundesregierung (2015d): Sommerpressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel im Wortlaut, 31.08.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/08/2015-08-31-pk-merkel.html, abgerufen am 03.09.2018. Bundesregierung (2018a): Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat in Brüssel, 18.10.2018, https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-zum-europaeischen-rat1540246, abgerufen am 19.10.2018. Bundesverfassungsgericht (1993): BVerfGE 89, 155 – Maastricht. Urteil des Zweiten Senats vom 12. Oktober 1993 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. und 2. Juli 1993, 2 BvR 2134, 2159/92, 89, 155, Karlsruhe. Der Bundeswahlleiter (2017): Bundestagswahl 2017: Endgültiges Ergebnis, Pressemitteilung 34/17, 12.10.2017, Wiesbaden. Deutscher Bundestag (2016): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Luise Amtsberg, Claudia Roth (Augsburg), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union, Drucksache 18/10152, 26.10. 2016, Berlin. Deutscher Bundestag (2018): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE, Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das Jahr 2017 – Schwerpunktfragen zu Dublin-Verfahren, Drucksache 19/921, 26.02.2018. Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale (2011): Vertice ItaliaFrancia: Berlusconi, „forte convergenza“, 26.04.2011, https://www.esteri.it/ mae/it/sala_stampa/archivionotizie/approfondimenti/2011/04/20110426_italiafrancia.html, abgerufen am 16.11.2018. Ministero della Difesa (o. J.): Mare Nostrum Operation, http://www.marina.difesa.it/EN/operations/Pagine/MareNostrum.aspx, abgerufen am 27.08.2018. Österreichisches Bundeskanzleramt (2018): Bundeskanzler Kurz: Solidarität statt Quoten in der Migrationspolitik, 18.10.2018, https://www.bundeskanzleramt.gv.at/-/bundeskanzler-kurz-solidaritat-statt-quoten-in-der-migrationspolitik, abgerufen am 19.10.2018. Presidenza del Consiglio dei Ministeri (2011): Misure di protezione temporanea per i cittadini stranieri affluiti dai Paesi nordafricani, 05.04.2011, http://www.protezionecivile.gov.it/jcms/en/view_prov.wp?facetNode_1=f1_1&request_loale=en&prev Page=provvedimenti&facetNode_3=f4_4_3&facetNode_2=emergenza_nord_africa&toptab=2&catcode=f4_4_3 &cont entId=LEG24087#top-content, abgerufen am 16.11.2018. Regierung des Großherzogtum Luxemburg (2015): Außerordentliche Tagung des Rates „Justiz und Inneres“ – Minister beschließen mit qualifizierter Mehrheit den provisorischen Mechanismus für die Notfall-Umsiedlung von 120.000 Personen, die in-

308

Quellen- und Literaturverzeichnis

ternationalen Schutz brauchen, 22.09.2015, http://www.eu2015lu.eu/de/actualites/articles-actualite/2015/09/22-conseil-jai-extra/index.html, abgerufen am 24.09. 2018. Senato della Repubblica (o. J.): “Da Mare Nostrum a Triton”, Legislatura 17ª – Dossier n. 210, https://www.senato.it/japp/bgt/showdoc/17/DOSSIER/0/912705/index.html? part=dossier_dossier1-sezione_sezione11-table_table7, abgerufen am 27.08.2018.

Reden und Schriften Bernstein, Eduard (Hg.) (1919): Ferdinand Lasalle: Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, Berlin. Bundesregierung (2015e): Rede von Bundeskanzlerin Merkel am 7. Oktober 2015 vor dem Europäischen Parlament, 07.10.2015, https://www.bundesregierung.de/Content/ DE/Rede/2015/10/2015-10-07-rede-bkin-eu-parlament.html, abgerufen am 24.09. 2018. Bundesregierung (2018b): Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Merkel, 17.10.2018, https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/regierungserklaerung-von-bundeskanzlerin-merkel-1539574, abgerufen am 19.10.2018. Churchill, Winston (1946): Rede an der Universität Zürich, 19. September 1946, https://www.churchill-in-zurich.ch/de/churchill/churchills-zurcher-rede/, abgerufen am 06.01.2019. Die Innenminister Zyperns, Griechenlands, Italien und Maltas: Cyprus, Greece, Italy and Malta Paper, verfügbar unter http://www.laprevidenza.it/attachments/posts/ 0970_Final_paper_Versione_firmata.pdf, abgerufen am 14.01.2018. Europäisches Parlament (2013c): Rede beim Europäischen Rat, 24. Oktober 2013 von Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, http://www.europarl.europa.eu/former_ep_presidents/president-schulz-2012-2014/en-de/press/press_release_speeches/speeches/sp-2013/sp-2013-octob/speech-to-the-european-, abgerufen am 27.08.2018. Liebknecht, Wilhelm (1976): Zu Schutz und Trutz. Festrede gehalten zum Stiftungsfest des Crimmitschauer Volksvereins, gehalten am 22. Oktober 1871, in: Ders.: Kleine politische Schriften, Leipzig, S. 84-132. Malmström, Cecilia (2012): Refugees: How Europe failed, Times of Malta, 19.01.2012, https://www.timesofmalta.com/articles/view/20120119/opinion/Refugees-HowEurope-failed.402977, abgerufen am 18.11.2018. North Atlantic Treaty Organization (2011): Press briefing by NATO Spokesperson Oana Lungescu, joined by NATO Military Committee Chairman Admiral Giampaolo Di Paola and Commander of Operation Unified Protector, Lieutenant General Charles Bouchard (Opening remarks), 31.03.2011, https://www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_71897.htm, abgerufen am 15.11.2018. Schuman-Erklärung – 9. Mai 1950, http://europa.eu/about-eu/basic-information/symbols/europe-day/schuman-declaration/index_de.htm, abgerufen am 07.01.19.

Quellen- und Literaturverzeichnis

309

Statistische Daten Eurostat (2009): Asyl in der EU im Jahr 2008: Rund 20 000 Asylbewerber wurden jeden Monat in der EU27 registriert, Pressemitteilung 66/2009, 08.05.2009, Luxemburg. Eurostat (2010): Asyl in der EU27: Im Jahr 2009 wurden rund 260 000 Asylbewerber registriert, Pressemitteilung 64/2010, 04.05.2010, Luxemburg. Eurostat (2011): Asyl in der EU27: Anzahl der registrierten Asylbewerber in der EU27 stabil bei rund 260 000 im Jahr 2010, Pressemitteilung 47/2011, 29.03.2011, Luxemburg. Eurostat (2012): Asyl in der EU27: Die Anzahl der registrierten Asylbewerber in der EU27 stieg auf 301 000 im Jahr 2011, Pressemitteilung 46/2012, 23.03.2012, Luxemburg. Eurostat (2013): Asyl in der EU27: Die Anzahl der registrierten Asylbewerber in der EU27 stieg auf über 330 000 im Jahr 2012, Pressemitteilung 48/2013, 22.03.2013, Luxemburg. Eurostat (2014): Asyl in der EU28: Deutlicher Anstieg der registrierten Asylbewerber auf nahezu 435 000 in der EU28 im Jahr 2013, Pressemitteilung 46/2014, 24.03.2014, Luxemburg. Eurostat (2015a): Asyl in der EU: Zahl der Asylbewerber in der EU im Jahr 2014 sprunghaft auf mehr als 625 000 gestiegen, Pressemitteilung 53/2015, 25.03.2015, Luxemburg. Eurostat (2015b): Asyl in der EU im ersten Quartal 2015: 185 000 erstmalige Asylbewerber in der EU im ersten Quartal 2015, Pressemitteilung 112/2015, 18.06.2015, Luxemburg. Eurostat (2015c): Asyl in der EU: Über 210 000 erstmalige Asylbewerber in der EU im zweiten Quartal 2015, Pressemitteilung 163/2015, 18.09.2015, Luxemburg. Eurostat (2016a): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: Rekordzahl von über 1,2 Millionen registrierten erstmaligen Asylbewerbern im Jahr 2015, Pressemitteilung 44/2016, 04.03.2016, Luxemburg. Eurostat (2016b): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: Zahl der erstmaligen Asylbewerber im ersten Quartal 2016 auf unter 290 000 gefallen, Pressemitteilung120/2016, 16.06. 2016, Luxemburg. Eurostat (2017): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: 1,2 Millionen erstmalige Asylbewerber im Jahr 2016 registriert, Pressemitteilung 46/2017, 16.03.2017, Luxemburg. Eurostat (2018a): Asyl in den EU-Mitgliedstaaten: 650 000 erstmalige Asylbewerber im Jahr 2017 registriert, Pressemitteilung 47/2018, 20.03.2018, Luxemburg. Eurostat (2018b): First-time asylum applicants up 4% in Q2 2018, 25.09.2018, https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-eurostat-news/-/DDN-201809251?inheritRedirect=true&redirect=%2Feurostat%2Fde%2Fweb%2Fasylum-andmanaged-migration%2Fpublications, abgerufen am 18.10.2018. Eurostat (2019a): Population change - Demographic balance and crude rates at national level, [demo_gind], abgerufen am 17.01.2019. Eurostat (2019b): Asylbewerber und erstmalige Asylbewerber nach Staatsangehörigkeit, Alter und Geschlecht Jährliche aggregierte Daten (gerundet), [migr_asyappctza], abgerufen am 17.01.2019.

310

Quellen- und Literaturverzeichnis

North Atlantic Treaty Organization (2011): Operation Unified Protector: Final Mission Stats, Fact Sheet, 02. November 2011, https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/pdf_2011_11/20111108_111107-factsheet_up_factsfigures_en.pdf, abgerufen am 15.11.2018. UNHCR (2012): UNHCR Global Report 2011, Libya, June 2012, available at: http://www.refworld.org/docid/50c7372512.html, abgerufen am 18.11.2018. UNHCR (2013): Global Trends 2012, Genf. UNHCR (2014): Global Trends 2013, Genf. UNHCR (2018): Global Trends. Forced Displacement in 2017, Genf. UNHCR (2019): Mediterranean Situation, https://data2.unhcr.org/en/situations/mediterran ean, abgerufen am 27.02.2019.

Literatur Monographien Baumann, Mechthild (2006): Der deutsche Fingerabdruck. Die Rolle der deutschen Bundesregierung bei der Europäisierung der Grenzpolitik, Baden-Baden. Benhabib, Seyla (2009): Die Rechte der Anderen. Ausländer, Migranten, Bürger, Bonn. Bernstein, Eduard (1910): Die Arbeiterbewegung, Frankfurt a. M. Boswell, Christina/Geddes, Andrew (2011): Migration and Mobility in the European Union, Basingstoke. Bourgeois, Léon (1896): Solidarité, Paris. Brunkhorst, Hauke (2002): Solidarität. Von der Bürgerfreundschaft zur globalen Rechtsgenossenschaft, Frankfurt a. M. Calliess, Christian (1999): Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union. Vorgaben für die Anwendung von Art. 5 /ex-Art. 3b) EGV nach dem Vertrag von Amsterdam, 2. Auflage, Baden-Baden. Castles, Stephen/de Haas, Hein/Miller, Mark J. (2014): The Age of Migration. International Population Movements in the Modern World, 5. Auflage, Basingstoke. Comte, Auguste (1923): Soziologie. Aus dem französischen Original ins Deutsche übertragen von Valentine Dorn und eingeleitet von Professor Dr. Heinrich Waentig in Halle a. d. S., Band 1, Der dogmatische Teil der Sozialphilosophie, 2. Auflage, Jena. Dallinger, Ursula (2009): Die Solidarität der modernen Gesellschaft. Der Diskurs um rationale oder normative Ordnung in Sozialtheorie und Soziologie des Wohlfahrtsstaat, Wiesbaden. De Witte, Floris (2015): Justice in the EU. The Emergence of Transnational Solidarity, Oxford. Derpmann, Simon (2013): Gründe der Solidarität, Münster. Dreyer-Plum, Domenica (2017): Kosmo-polis EU. Eine kosmopolitische Untersuchung europäischer Grenz- und Asylpolitik, Baden-Baden.

Quellen- und Literaturverzeichnis

311

Durkheim, Émile (1893): De la division du travail social. Étude sur l'organisation des sociétés supérieures, Paris. Durkheim, Émile (1992): Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, Frankfurt a. M. Düvell, Franck (2006): Europäische und internationale Migration. Einführung in historische, soziologische und politische Analysen. Etzold, Benjamin (2009): Illegalisierte Migration in der Flüssigen Moderne. Migranten aus Afrika und die europäische Grenzsicherungspolitik, Berlin. Faist, Thomas (2000): The Volume and Dynamics of International Migration and Transnational Spaces, Oxford. Fiegle, Thomas (2003): Von der Solidarité zur Solidarität. Ein französisch-deutscher Begriffstransfer, Münster. Filzwieser, Christian/Sprung, Andrea (2014): Dublin III-Verordnung. Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand 01.02.2014, Berlin. Fröhlich, Daniel (2011): Das Asylrecht im Rahmen des Unionsrechts, Tübingen. Gatti, Fabrizio (2013): Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa, 2. Auflage, Hamburg. Geddes, Andrew (2008): Immigration and European Integration. Beyond fortress Europe?, 2. Auflage, Manchester. Große Kracht, Hermann-Josef (2017): Solidarität und Solidarismus. Postliberale Suchbewegungen zur normativen Selbstverständigung moderner Gesellschaften, Bielefeld. Gussone, Peter (2006): Das Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union und seine Grenzen, Berlin. Habermas, Jürgen (2012): Zur Verfassung Europas. Ein Essay, Bonn. Hailbronner, Kai (2000): Immigration and Asylum Law and Policy of the European Union, Den Haag. Haller, Gret (2002): Die Grenzen der Solidarität. Europa und die USA im Umgang mit Staat, Nation und Religion, 2. Auflage, Berlin. Hallstein, Walter (1973): Die Europäische Gemeinschaft, Düsseldorf/Wien. Hatje, Armin (2001): Loyalität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, Baden-Baden. Pesch, Heinrich (1914): Lehrbuch der Nationalökonomie, Band 1, 2. Auflage, Freiburg. Hellmann, Vanessa (2009): Der Vertrag von Lissabon. Vom Verfassungsvertrag zur Änderung der bestehenden Verträge – Einführung mit Synopse und Übersichten, Berlin. Herbert, Ulrich (2001): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München. Hieronymi, Tonia (2003): Solidarität als Rechtsprinzip in der Europäischen Union, Frankfurt a. M. Hix, Simon/Høyland, Bjørn (2011): The Political System of the European Union, 3. Auflage, London. Hondrich, Karl Otto/Koch-Arzberger, Claudia (1992): Solidarität in der modernen Gesellschaft, Frankfurt a. M. Honneth, Axel (1992): Kampf und Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt a. M. Joppke, Christian (1999): Immigration and The Nation-State. The United States, Germany, and Great Britain, Oxford. Klamert, Marcus (2014): The Principle of Loyalty in EU Law, Oxford.

312

Quellen- und Literaturverzeichnis

Klepp, Silija (2011): Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz. Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer, Bielefeld. Koselleck, Reinhart (2010): Begriffsgeschichten, Frankfurt a. M. Krastev, Ivan (2017): Europadämmerung. Ein Essay, Berlin. Lais, Martina (2007): Das Solidaritätsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, BadenBaden. Lavenex, Sandra (1999): Safe Third Countries. Extending the EU Asylum and Immigration Policies to Central and Eastern Europe, Budapest. Löschke, Jörg (2015): Solidarität als moralische Arbeitsteilung, Münster. Müller, Ernst/Schmieder, Falko (2016): Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin. Nell-Breuning, Oswald (1990) [1968]: Baugesetze der Gesellschaft, Freiburg. Noll, Gregor (2000): Negotiating Asylum. The EU Acquis, Extraterritorial Protection and the Common Market of Deflection, Den Haag. Offe, Claus (2016): Europa in der Falle, Berlin. Pesch, Heinrich (1899): Liberalismus, Socialismus und christliche Gesellschaftsordnung, 2. Auflage, Freiburg. Peers, Steve (2016a): EU Justice and Home Affairs Law, Volume 1: EU Immigration and Asylum, 4. Auflage, Oxford. Pensky, Max (2008): The Ends of Solidarity. Discourse Theory in Ethics and Politics, Albany. Piazolo, Michael (2004): Solidarität. Deutungen zu einem Leitprinzip der Europäischen Union, Würzburg. Rauscher, Anton (1975): Personalität. Solidarität. Subsidiarität, Köln. Renaud, Hippolyte (1842): Solidarité. Vue synthétique sur la doctrine de Ch. Fourier, Paris. Renaud, Hippolyte (1855): Solidarität. Kurzgefaßte Darstellung der Lehre Karl Fourier’s, 3. Auflage, Zürich. Schmelter, Jürgen (1991): Solidarität. Die Entwicklungsgeschichte eines sozialethischen Schlüsselbegriffs, München. Scholz, Sally J. (2008): Political Solidarity, University Park. Stjernø, Steinar (2005): Solidarity in Europe. The history of an idea, Cambridge. ter Steeg, Marcus (2006): Das Einwanderungskonzept der EU zwischen politischem Anspruch, faktischen Regelungsbedürfnissen und den primärrechtlichen Grenzen in Titel IV des EG-Vertrages, Köln. Tönnies, Ferdinand (1991) [1935]: Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Darmstadt. Tranow, Ulf (2012): Das Konzept der Solidarität. Handlungstheoretische Fundierung eines soziologischen Schlüsselbegriffs, Wiesbaden. Volkmann, Uwe (1998): Solidarität – Programm und Prinzip der Verfassung, Tübingen. Zoll, Rainer (2000): Was ist Solidarität heute?, Frankfurt a. M. Zuleeg, Manfred (2004): Der rechtliche Zusammenhalt der Europäischen Union, BadenBaden. Zürcher, Markus Daniel (1998): Solidarität, Anerkennung und Gemeinschaft. Zur Phänomenologie, Theorie und Kritik der Solidarität, Tübingen/Basel.

Quellen- und Literaturverzeichnis

313

Beiträge in Sammelbänden und Schriftenreihen Angehrn, Emil (2001): Solidarität als Leitbegriff der Sozialphilosophie, in: Küchenhoff, Joachim (Hg.): Solidarität und Selbstverwirklichung, Gießen, S. 13-31. Angenendt, Steffen (2008): Die Migrations- und Asylpolitik der Europäischen Union, in: Weidenfeld, Werner (Hg.): Die Europäische Union: Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 268-293. Barlai, Melani/Sik, Endre (2017): A Hungarian Trademark (a „Hungarikum“): the Moral Panic Button, in: Barlai, Melani/Fähnrich, Birte/Griessler, Christina/Rhomberg, Markus (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 147-168. Bast, Jürgen (2014): Solidarität im europäischen Einwanderungs- und Asylrecht, in: Knodt, Michèle/Tews, Anne (Hg.): Solidarität in der EU, Baden-Baden, S. 143-161. Bauer, Michael (2008): Organisation und rechtlicher Rahmen des Politikfelds Inneres und Justiz nach dem Vertrag von Lissabon, in: Weidenfeld, Werner (Hg.): Lissabon in der Analyse. Der Reformvertrag der Europäischen Union, Baden-Baden, S. 99-114. Baumann, Mechthild (2008): Der Einfluss des Bundeskanzleramts und des Bundesministeriums des Innern auf die Entwicklung einer europäischen Grenzpolitik, in: Aybek, Can M./Ette, Andreas/Hunger, Uwe/Michalowski, Ines (Hg.): Migrations- und Integrationsprozesse in Europa. Vergemeinschaftung oder nationalstaatliche Lösungswege?, Wiesbaden, S. 17-33. Baumann, Mechthild/Lorenz, Astrid/Rosenow, Kerstin (2011): Linking Immigration Policies and Migrants’ Journeys: An Interdisciplinary Endeavor, in: Dies. (Hg.): Crossing and Controlling Borders. Immigration Policies and their Impact on Migrants’ Journeys, Leverkusen, S. 9-21. Baumann, Mechthild/Lorenz, Astrid/Rosenow, Kerstin (2011): Unintended Effects of Immigration Policies for Governments and Migrants: Conclusions, in: Dies. (Hg.): Crossing and Controlling Borders. Immigration Policies and their Impact on Migrants’ Journeys, Leverkusen, S. 273-287. Bayertz, Kurt (1998): Begriff und Problem der Solidarität, in: Ders. (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 11-53. Bedorf, Thomas (2011): Politik, Recht oder Moral? Zur Frage nach der Begründung von Solidarität, in: Busche, Hubertus (Hg.): Solidarität. Ein Prinzip des Rechts und der Ethik, Würzburg, S. 107-126. Bieber, Roland (2002): Solidarität als Verfassungsprinzip der Europäischen Union, in: von Bogdandy, Armin/Kadelbach, Stefan (Hg.): Solidarität und Europäische Integration, Baden-Baden, S. 41-52. Bieber, Roland (2013): Gegenseitige Verantwortung – Grundlage des Verfassungsprinzips der Solidarität in der Europäischen Union, in: Calliess, Christian (Hg.): Europäische Solidarität und nationale Identität. Überlegungen im Kontext der Krise im Euroraum, Tübingen, S. 67-82. Bieber, Roland/Kotzur, Markus (2016): §3: Strukturprinzipien und EU-Verfassung, in: Bieber, Roland/Epiney, Astrid/Haag, Marcel/Kotzur, Markus (Hg.): Die Europäische Union. Europarecht und Politik, 12. Auflage, Baden-Baden, S. 101-127.

314

Quellen- und Literaturverzeichnis

Böckenförde, Ernst-Wolfgang (2009): Die Bedingungen europäischer Solidarität, in: Mikolajczyk, Beata/Ociepka, Beata/Pollack, Detlef/Sokol, Jan/Vogt, Matthias Theodor (Hg.): Bedingungen europäischer Solidarität, Frankfurt a. M., S. 17-30. Böhr, Christoph (2006): Solidarität: Anmerkungen zu einem politischen Begriff, in: Bermes, Christian/Henckmann, Wolfhart/Leonardy, Heinz (Hg.): Solidarität. Person & Soziale Welt, Würzburg, S. 49-60. Bohrmann, Thomas (2006): Solidarität und Solidarismus bei Henrich Pesch (1854-1926), in: Hilpert, Konrad/Bohrmann, Thomas: Solidarische Gesellschaft. Christliche Sozialethik als Auftrag zur Weltgestaltung im Konkreten, Regensburg, S. 13-28. Böke, Karin (1997): Die „Invasion“ aus den „Armenhäusern Europas“. Metaphern im Einwanderungsdiskurs, in: Böke, Karin/Jung, Matthias/Wengeler, Martin (Hg.): Die Sprache des Migrationsdiskurses. Das Reden über „Ausländer“ in Medien, Politik und Alltag, Opladen, S. 164–193. Bonfadelli, Heinz (2007): Die Darstellung ethnischer Minderheiten in den Massenmedien, in: Bonfadelli, Heinz/Moser, Heinz (Hg.): Medien und Migration. Europa als multikultureller Raum?, Wiesbaden, S. 95-116. Bucken-Knapp, Gregg (2017): From „Open your Hearts” to Closed Borders: Sweden, the Refugee Crisis and the Role of Discourse, in: Barlai, Melani/Fähnrich, Birte/Griessler, Christina/Rhomberg, Markus (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 283-296. Bunyan, Tony (1993): Trevi, Europol and the European State, in: Ders. (Hg.): Statewatching the New Europe. A Handbook on the European State, London, S. 15-36. Butterwege, Christoph (1999): Massenmedien, Migrant(inn)en und Rassismus, in: Butterwege, Christoph/Hentges, Gudrun/Sarigöz, Fatma (Hg.): Medien und multikulturelle Gesellschaft, Opladen, S. 64–89. Byrne, Rosemary/Noll, Gregor/Vedsted-Hansen, Jens (2002): Transformation of Asylum in Europe, in: Dies. (Hg.): New Asylum Countries? Migration Control and refugee Protection in an Enlarged European Union, Den Haag, S. 423-431. Carrera, Sergio/Guild, Elspeth (2010): The European Union’s Area of Freedom, Security and Justice ten years on, in: Carrera, Sergio/ Eggenschwiler, Alejandro/Guild, Elspeth (Hg.): The Area of Freedom, Security and Justice Ten Years on. Successes and Future Challenges under the Stockholm Programme, Centre for European Policy Studies, Brüssel, S. 1-12. Chetail, Vincent (2016a): The Common European Asylum System: Bric-á-brac or System?, in: Chetail, Vincent/de Bruycker, Philippe/Maiani, Francesco (Hg.): Reforming the Common European Asylum System. The New European Refugee Law, Leiden/Boston S. 3-38. Costello, Cathryn/Mouzourakis, Minos (2017): The Common European Asylum System. Where did it all go wrong?, in: Fletcher, Maria/Herlin-Karnell, Ester/Matera, Claudio (Hg.): The European Union as an Area of Freedom, Security and Justice, Abingdon/Oxon, S. 263-297. de Bruycker, Philippe/Tsourdi, Evangelia (2016): Buildung the Common European Asylum System beyond Legislative Harmonisation: Practical Cooperation, Solidarity and External Dimension, in: Chetail, Vincent/de Bruycker, Philippe/Maiani, Francesco

Quellen- und Literaturverzeichnis

315

(Hg.): Reforming the Common European Asylum System. The New European Refugee Law, Leiden/Boston, S. 473-538. Depenheuer, Otto (1998): „Nicht alle Menschen werden Brüder“. Unterscheidung als praktische Bedingung von Solidarität. Eine rechtsphilosophische Erwägung in praktischer Absicht, in: Isensee, Josef (Hg.): Solidarität in Knappheit: Zum Problem der Priorität, Berlin, S. 41-66. Fischer, Hans-Georg (2014): Die Entwicklung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Els, Frank/ Fischer, Hans-Georg/Keller, Matthias/Quarch, Matthias (Hg.): Justiz und innere Sicherheit im EU-Recht. Die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Köln, S. 9-19. Garlick, Madeline (2016): The Dublin System, Solidarity and Individual Rights, in: Chetail, Vincent/de Bruycker, Philippe/Maiani, Francesco (Hg.): Reforming the Common European Asylum System. The New European Refugee Law, Leiden/Boston, S. 159-194. Gil Araújo, Sandra (2011): Reinventing Europe’s Borders: Delocalization and Externalization of EU Migration Control through the Involvement of Third Countries, in: Baumann, Mechthild/Lorenz, Astrid/Rosenow, Kerstin (Hg.): Crossing and Controlling Borders. Immigration Policies and their Impact on Migrants’ Journeys, Leverkusen, S. 21-44. Grimmel, Andreas/Jakobeit, Cord (2014): §2: Die integrationstheoretischen Grundlagen des Europarechts, in: Hatje, Armin/Müller-Graff, Peter-Christian (Hg.): Enzyklopädie Europarecht, Band 1, Baden-Baden, S. 89-112. Groenendijk, Kees (2013): Solidarität im europäischen Einwanderungs- und Asylrecht, in: Barwig, Klaus/Beichel-Benedetti, Stefan/Brinkmann, Gisbert (Hg.): Solidarität. Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 2012, Baden-Baden, S. 41-52. Große Kracht, Hermann-Josef (2014): Katholische Kirche und soziale Solidarität in Europa, in: Knodt, Michèle/Tews, Anne (Hg.): Solidarität in der EU, Baden-Baden, S. 41-62. Große Kracht, Hermann-Josef (2015): „Die bedeutendste Entdeckung unserer Zeit“ (Charles Gide). Postliberale Solidaritätsdiskurse im Frankreich des 19. Jahrhunderts, in: Kneuer, Marianne/Masala, Carlo (Hg.): Solidarität. Politikwissenschaftliche Zugänge zu einem vielschichtigen Begriff, Baden-Baden, S. 29-50. Gruber, Oliver (2017): „Refugees (no Longer) Welcome”. Asylum Discourse and Policy in Austria in the Wake of the 2015 Refugee Crisis, in: Barlai, Melani/Fähnrich, Birte/Griessler, Chris-

tina/Rhomberg, Markus (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 39-57. Haack, Stefan (2010): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Vertrag von Lissabon – Rhetorik oder Integrationsschub?, in: Leiße, Olaf (Hg.): Die Europäische Union nach dem Vertrag von Lissabon, Wiesbaden, S. 220-233. Habermas, Jürgen (1991): Gerechtigkeit und Solidarität. Zur Diskussion über „Stufe 6“, in: Ders. (Hg.): Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt a. M., S. 49-76. Habermas, Jürgen (1998): Die postnationale Konstellation und die Zukunft der Demokratie, in: Ders. (Hg.): Die postnationale Konstellation. Politische Essays, Frankfurt a. M., S. 91-169.

316

Quellen- und Literaturverzeichnis

Habermas, Jürgen (2008): Konstitutionalisierung des Völkerrechts und die Legitimationsprobleme einer verfassten Weltgesellschaft, in: Brugger, Winfried/Neumann, Ulfrid/Kirste, Stephan (Hg.): Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert, Frankfurt a. M., S. 360-379. Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (2016a): Legal Framework for EU Asylum Policy, in: Dies. (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. A Commentary, 2. Auflage, München, S. 1023-1053. Härtel, Ines (2012): § 82: Kohäsion durch föderale Selbstbindung – Gemeinwohl und Rechtsprinzipien Loyalität, Solidarität und Subsidiarität in der Europäischen Union, in: Dies. (Hg.): Handbuch Föderalismus – Föderalismus als demokratische Rechtsordnung und Rechtskultur in Deutschland, Europa und der Welt, Band IV, Berlin/Heidelberg, S. 63-241. Hatje, Armin/Müller-Graff, Peter-Christian (2014): §1: Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht, in: Dies. (Hg.): Enzyklopädie Europarecht, Band 1, Baden-Baden, S. 51-88. Heinig, Hans Michael (2013): Solidarität im föderalen Verbund. Rückwirkungen auf den Status des Bürgers und seiner Rechte, in: Calliess, Christian (Hg.): Europäische Solidarität und nationale Identität. Überlegungen im Kontext der Krise im Euroraum, Tübingen, S. 143-157. Hess, Sabine/Kasparek, Bernd/Kron, Stefanie/Rodatz, Mathias/Schwertl, Maria/Sontowski, Simon (2017): Der lange Sommer der Migration. Krise, Rekonstitution und ungewisse Zukunft des Europäischen Grenzregimes, in: Hess, Sabine/Kasparek, Bernd/Kron, Stefanie/Rodatz, Mathias/Schwertl, Maria/Sontowski, Simon (Hg.): Der lange Sommer der Migration. Grenzregime III, 2. Auflage, Berlin/Hamburg, S. 6-24. Hess, Sabine/Tsianos, Vassilis (2007): Europeanizing Transnationalism! Provincializing Europe! – Konturen eines neuen Grenzregimes, in: Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas, 2. Auflage, Bielefeld, S. 23-38. Hilz, Wolfram (2017): Refugees and Asylum Seekers as a Challenge for Europe, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 11-32. Honneth, Axel (2000): Posttraditionale Gemeinschaften. Ein konzeptueller Vorschlag, in: Ders.: Das Andere der Gerechtigkeit, Berlin, S. 328-338. Hruschka, Constantin (2013): Klarere Abläufe und gestärkte Verfahrensrechte – eine erste Einschätzung der Neufassung der Dublin-II-Verordnung, in: Achermann, Alberto/Amarelle, Cesla/ Caroni, Martina/Epiney, Astrid/Kälin, Walter/Uebersax, Peter (Hg.): Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, S. 199-218. Hruschka, Konstantin/Maiani, Francesco (2016): Regulation (EU) No 604/2013 of the European Parliament and the Council establishing the criteria and mechanisms for determining the Member State responsible for examining an application for international protection lodged in one of the Member States by a third-country national or a stateless person (recast), in: Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. A Commentary, 2. Auflage, München, S. 1478-1604.

Quellen- und Literaturverzeichnis

317

Immerfall, Stefan (2016): Mehr Solidarität durch „Mehr Europa“?, in: Aschauer, Wolfgang/Donat, Elisabeth/Hoofmann, Julia (Hg.): Solidaritätsbrüche in Europa. Konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde, Wiesbaden, S. 49-71. Kampfer, Georg Kristian (2010): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Demesmay, Claire/Marchetti, Andreas (Hg.): Der Vertrag von Lissabon. Analyse und Bewertung, Baden-Baden, S. 73-88. Kannankulam, John (2014): Kräfteverhältnisse in der bundesdeutschen Migrationspolitik. Die Asyldebatte als Schlüsselereignis des schwerfälligen Wandels vom Gastarbeiterregime hin zu Managed Migration in der Bundesrepublik Deutschland, in: Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ (Hg.): Kämpfe um Migrationspolitik. Theorie, Methode und Analysen kritischer Europaforschung, Bielefeld, S. 93-112. Kasparek, Bernd (2017): Routen, Korridore und Räume der Ausnahme, in: Hess, Sabine/Kasparek, Bernd/Kron, Stefanie/Rodatz, Mathias/Schwertl, Maria/Sontowski, Simon (Hg.): Der lange Sommer der Migration. Grenzregime III, 2. Auflage, Berlin/Hamburg, S. 38-51. Kasparek, Bernd/Tsianos, Vassilis (2012): „This is not Europe!“ Reconstructing Schengen, in: Forschungsgruppe „Staatsprojekt Europa“ (Hg.): Die EU in der Krise. Zwischen autoritärem Etatismus und europäischem Frühling, Münster, S. 72-93. Keßler, Stefan (2013): Einleitung: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem, in: Informationsverbund Asyl und Migration (Hg.): Neuregelungen im EU-Flüchtlingsrecht. Die wichtigsten Änderungen bei Richtlinien und Verordnungen, Beilage zum Asylmagazin 7-8/2013, Berlin, S. 1-6. Kirchhof, Paul (2009): Der europäische Staatenverbund, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 1009-1043. Kneuer, Marianne/Masala, Carlo (2015): Politische Solidarität. Vermessung eines weiten und unerschlossenen Feldes, in: Dies. (Hg.): Solidarität. Politikwissenschaftliche Zugänge zu einem vielschichtigen Begriff, Baden-Baden, S. 7-25. Knodt, Michèle/Tews, Anne/Piefer, Nadine (2015): Formen der Solidarität in der Europäischen Union, in: Kneuer, Marianne/Masala, Carlo (Hg.): Solidarität. Politikwissenschaftliche Zugänge zu einem vielschichtigen Begriff, Baden-Baden, S. 107-131. Kugelmann, Dieter (2015): §41: Einwanderungs- und Asylrecht, in: Kadelbach, Stefan/Schulze, Reiner/Zuleeg, Manfred (Hg.): Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Auflage, Baden-Baden, S. 2500-2585. Laitinen, Arto/Pessi, Anne Birgitta: Solidarity (2015): Theory and Practice. An Introduction, in: Dies. (Hg.): Solidarity. Theory and Practice, Lanham, S. 1-29. Marauhn, Thilo (2015): §7: Unionstreue, in: Kadelbach, Stefan/Schulze, Reiner/Zuleeg, Manfred (Hg.): Europarecht. Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Auflage, Baden-Baden, S. 317-338. Mau, Steffen (2005): Leerstelle europäische Solidarität?, in: Berger, Johannes (Hg.): Zerreißt das soziale Band? Beiträge zu einer aktuellen gesellschaftspolitischen Debatte, Frankfurt a. M., S. 245-272. Metz, Karl H. (1995): Solidarität und Geschichte. Institutionen und sozialer Begriff der Solidarität in Westeuropa im 19. Jahrhundert, in: Orsi, Giuseppe/Seelmann, Kurt/Smid, Stefan/Steinvorth, Ulrich (Hg.): Solidarität, Frankfurt a. M., S. 17-36.

318

Quellen- und Literaturverzeichnis

Metz, Karl H. (1998): Solidarität und Geschichte. Institutionen und sozialer Begriff der Solidarität in Westeuropa im 19. Jahrhundert, in: Bayertz, Kurt (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 172-195. Mikolajczyk, Barbara (2002): Poland, in: Byrne, Rosemary/Noll, Gregor/Vedsted-Hansen, Jens (Hg.): New Asylum Countries? Migration Control and refugee Protection in an Enlarged European Union, Den Haag, S. 48-77. Monar, Jörg (2009): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht: Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 749-800. Müller, Andreas Th. (2010): Solidarität als Rechtsbegriff im Europarecht, in: Sedmak, Clemens (Hg.): Solidarität. Vom Wert der Gemeinschaft, Darmstadt, S. 77-104. Müller, Hans-Peter/Schmid, Michael (1992): Arbeitsteilung, Solidarität und Moral. Eine werkgeschichtliche und systematische Einführung in die „Arbeitsteilung“ von Émile Durkheim, in: Durkheim, Émile: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, Frankfurt a. M., S. 481-521. Müller, Thorsten (2005): Eine Außenpolitik für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hg.): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, Baden-Baden, S. 105-121. Münkler, Herfried/Bluhm, Harald (2001): Einleitung: Gemeinwohl und Gemeinsinn als politisch-soziale Leitbegriffe, in: Dies. (Hg.): Gemeinwohl und Gemeinsinn. Historische Semantiken politischer Leitbegriffe, Berlin, S. 9-30. Münkler, Herfried (2004): Enzyklopädie der Ideen der Zukunft: Solidarität, in Beckert, Jens/Eckert, Julia/Kohli, Martin/Streeck, Wolfgang (Hg.): Transnationale Solidarität. Chancen und Grenzen, Frankfurt a. M, S. 15-28. Nicolaysen, Gert (2008): Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft, in: Weidenfeld, Werner (Hg.): Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn, S. 105-121. Niessen, Jan (1996): Introduction, in: Guild, Elspeth/Niessen, Jan (Hg.): The Developing Immigration and Asylum Policies of the European Union. Adopted Conventions, Resolutions, Recommendations, Decisions and Conclusions, Den Haag, S. 3-63. Noll, Gregor (2002): Protection in a Spirit of Solidarity?, in: Byrne, Rosemary/Noll, Gregor/Vedsted-Hansen, Jens (Hg.): New Asylum Countries? Migration Control and Refugee Protection in an Enlarged European Union, Den Haag, S. 305-324. Nordberg, Camilla (2017): Nordic Perspectives on the European Asylum System: The Dismantling of the Finnish Welfare State and the Rise of an overt Anti-Immigration Agenda, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 99110. Pankoke, Eckart (1995): Grenzen der Solidarität. Vom Mit-Leid zur Solidar-Partnerschaft, in: Orsi, Giuseppe/Seelmann, Kurt/Smid, Stefan/Steinvorth, Ulrich (Hg.): Solidarität, Frankfurt a. M., S. 81-105. Parusel, Bernd (2017): The Swedish U-turn on Asylum and its Consequences, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 63-84.

Quellen- und Literaturverzeichnis

319

Peers, Steve (2015a): Temporary Protection, in: Peers, Steve/Moreno-Lax, Violeta/Garlick, Madeline/Guild, Elspeth (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. Text and Commentary, Band 3: EU Asylum Law, 2. Auflage, Leiden/Boston, S. 571-617. Peers, Steve (2015b): The Dublin III Regulation, in: Peers, Steve/Moreno-Lax, Violeta/Garlick, Madeline/Guild, Elspeth (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. Text and Commentary, Band 3: EU Asylum Law, 2. Auflage, Leiden/Boston, S. 345-428. Pernice, Ingolf (1995): Bestandssicherung der Verfassungen. Verfassungsrechtliche Mechanismen zur Wahrung der Verfassungsordnung, in: Bieber, Roland/Widmer, Pierre (Hg.): Der europäische Verfassungsraum, Zürich, S. 225-264. Rauscher, Anton (1995a): Grundlegung und Begriffsgeschichte des Solidaritätsprinzips, in: Ders. (Hg.): Die soziale Dimension menschlichen Lebens, St. Ottilien, S. 1-18. Ross, Malcolm (2010): Solidarity – A New Constitutional Paradigm for the EU?, in: Borgmann-Prebil, Yuri/Ross, Malcolm (Hg.): Promoting Solidarity in the European Union, New York, S. 23-45. Röttgers, Kurt (2011): Fraternité und Solidarität in politischer Theorie und Praxis – Begriffsgeschichtliche Beobachtungen, in: Busche, Hubertus (Hg.): Solidarität. Ein Prinzip des Rechts und der Ethik, Würzburg, S. 17-54. Sangiovanni, Andrea (2012): Solidarity in the European Union. Problems and Prospects, in: Dickson, Julie/Eleftheriadis, Pavlos (Hg.): Philosophical Foundations of European Union Law, Oxford, S. 384-411. Saracino, Daniele (2017): Why Solidarity is Crucial to the Asylum Policy of the European Union, in: Hilz, Wolfram/Saracino, Daniele (Hg.): Nordic Perspectives on the European Asylum System. The Cases of Sweden and Finland, Baden-Baden, S. 3962. Schieder, Siegfried (2009): Zur Theorie der Solidarität und internationalen Gemeinschaft, in: Harnisch, Sebastian/Maull, Hanns W./Schieder, Siegfried (Hg.): Solidarität und internationale Gemeinschaftsbildung. Beiträge zur Soziologie der internationalen Beziehungen, Frankfurt a. M., S. 11-59. Schmidt, Vivien A. (2012): Democracy and Legitimacy in the European Union, in: Jones, Eric/Menon, Anand/Weatherill, Stephen (Hg.): The Oxford Handbook of the European Union, Oxford, S. 661-675. Skordas, Achilles (2016): Council Directive 2001/55/EC of 20 July 2001 on minimum standards for giving international protection in the event of a mass influx of displaced persons, in: Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (Hg.): EU Immigration and Asylum Law. A Commentary, 2. Auflage, München, S. 1054-1107. Stern, Joachim/Tohidipur, Timo (2014): §14: Migration von Drittstaatsangehörigen, in: von Arnauld, Andreas (Hg.): Enzyklopädie Europarecht, Band 10, Baden-Baden, S. 769-854. Stocchiero, Andrea (2017): The Public Debate on the Italian Isolation in the European Union Migration Crisis, in: Barlai, Melani/Fähnrich, Birte/Griessler, Christina/Rhomberg, Markus (Hg.): The Migrant Crisis: European Perspectives and National Discourses, Wien, S. 169-191.

320

Quellen- und Literaturverzeichnis

Tenfelde, Klaus (1998): Arbeiterschaft, Solidarität und Arbeiterbewegung. Kommentar zum Beitrag von Karl H. Metz, in Bayertz, Kurt (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 195-201. Terhechte, Philipp (2014): §7: Prinzipienordnung der Europäischen Union, in: Hatje, Armin/Müller-Graff, Peter-Christian (Hg.), Enzyklopädie Europarecht, Band 1, Baden-Baden, S. 329-366. Timmermans, Christiaan W.A. (2008): The Basic Principles, in: Kapteyn P.J.G./McDonnell, Alison/Mortelmans, Kamiel/Timmermans, Christiaan W.A. (Hg.): The Law of the European Union and the European Communities, Alphen an den Rijn, S. 115– 174. Tomuschat, Christian (1987): Solidarität in Europa, in: Capotorti, Francesco/Ehlermann, Claus-Dieter/Frowein, Jochen/Jacobs, Francis/Koopman, Thijmen/Kovar, Robert (Hg.): Du droit international au droit de l’intégration. Liber Amicorum Pierre Pescatore, Baden-Baden, S. 729-758. Tsoukala, Anastassia (2005): Looking at Migrants as Enemies, in: Bigo, Didier/Guild, Elspeth (Hg.): Controlling Frontiers. Free Movement Into and Within Europe, Aldershot,S. 161-192. von Bogdandy, Armin (2009): Grundprinzipien, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 13-71. Wellens, Karel (2005): Solidarity as a Constitutional Principle: Its Expanding Role and Inherent Limitations, in: Macdonald, Ronald/Johnston, Douglas (Hg.): Towards World Constitutionalism, Den Haag, S. 775–807. Wildt, Andreas (1995a): Bemerkungen zur Begriffs- und Ideengeschichte von „Solidarität“ und ein Definitionsvorschlag für diesen Begriff heute, in: Orsi, Giuseppe/Seelmann, Kurt/Smid, Stefan/Steinvorth, Ulrich (Hg.): Solidarität, Frankfurt a. M., S. 37-48. Wildt, Andreas (1998): Solidarität – Begriffsgeschichte und Definition heute, in: Bayertz, Kurt (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem, Frankfurt a. M., S. 202-216. Wolfrum, Rüdiger (2006): Solidarity amongst States: An Emerging Structural Principle of International Law, in: Dupuy, Pierre-Marie/Fassbender, Bardo/Shaw, Malcolm N./Sommermann, Karl-Peter (Hg.): Völkerrecht als Wertordnung. Common Values in International Law, Festschrift für/Essays in Honour of Christian Tomuschat, Kehl am Rhein, S. 1087-1101. Zuleeg, Manfred (2009): Die Vorzüge der Europäischen Verfassung, in: von Bogdandy, Armin/Bast, Jürgen (Hg.): Europäisches Verfassungsrecht. Theoretische und dogmatische Grundzüge, 2. Auflage, Berlin, S. 1045-1076.

Beiträge in Fachzeitschriften Baldwin-Edwards, Martin (1997): The Emerging European Immigration Regime: Some Reflections on Implications for Southern Europe, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 35 (4), S. 497-519.

Quellen- und Literaturverzeichnis

321

Bank, Roland/Hruschka, Constantin (2012): Die EuGH-Entscheidung zu Überstellungen nach Griechenland und ihre Folgen für Dublin-Verfahren (nicht nur) in Deutschland, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 32 (6), S. 182-188. Beger, Paula (2018): Par ordre du mufti? Kontestation der Visegrád-Gruppe gegen den europäischen Umverteilungs- und Neuansiedlungsmechanismus für Flüchtlinge, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, Jg. 12 (1), S. 247-262. Boswell, Christina (2003): The „external dimension” of EU immigration and asylum policy, in: International Affairs, Jg. 79 (3), S. 619-638. Campesi, Giuseppe (2014): Frontex, the Euro-Mediterranean Border and the Paradoxes of Humanitarian Rhetoric, in: South East European Journal of Political Science, Jg. 2 (3), S. 126-134. Carling, Jörgen/Hernández-Carretero, María (2011): Protecting Europe and Protecting Migrants? Strategies for Managing Unauthorised Migration from Africa, in: The British Journal of Politics and International Relations, Jg. 13, S. 42-58. Chetail, Vincent (2016b): Looking Beyond the Rhetoric of the Refugee Crisis: The Failed Reform of the Common European Asylum System, in: European Journal of Human Rights, Jg. 4 (5), S. 584-602. Comte, Fancoise (2010): A New Agency is born in the European Union: The European Asylum Support Office, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 12 (4), S. 373-405. Cremer, Hendrik (2016): Menschenrecht Asyl, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 66 (10-11), S. 40-44. de Haas, Hein (2008): The Myth of Invasion: the inconvenient realities of African migration to Europe, in: Third World Quarterly, Jg. 29 (7), S. 1305-1322. den Heijer, Maarten/Rijpma, Jorrit/Spijkerboer, Thomas (2016): Coercion, Prohibition, and Great Expectations: The Continuing Failure of the Common European Asylum System, in: Common Market Law Review, Jg. 53 (3), S. 607-641. Denninger, Erhard (2009): Solidarität als Verfassungsprinzip. Ideengeschichtlicher Hintergrund und moderne Deutungsversuche, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, Jg. 92 (1), S. 20-30. Derpmann, Simon (2009): Solidarity and Cosmopolitanism, in: Ethical Theory and Moral Practice, Jg. 12 (3), S. 303-315. di Pascale, Alessia/Nascimbene, Bruno (2011): The „Arab Spring” and the Extraordinary Influx of People who arrived in Italy from North Africa, in: European Journal and Law, Jg. 13 (4), S. 341-360. Domurath, Irina (2013): The Three Dimensions of Solidarity in the EU Legal Order: Limits of the Judicial and Legal Approach, in: European Integration, Jg. 35 (4), S. 459475. Dreyer, Domenica (2014): Europäische Gerichte als Akteure einer individualrechtlich orientierten Asylpolitik, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 34 (10), S. 358-365. Düvell, Franck (2013): Flüchtlinge an den Grenzen Europas, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Jg. 63 (47), S. 24-30.

322

Quellen- und Literaturverzeichnis

Finotelli, Claudia/Sciortino, Giuseppe (2009): The importance of Being Southern: The Making of Policies of Immigration Control in Italy, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 11 (2), S. 119-138. Fischer-Lescano, Andreas/Löhr, Tillmann/Tohidipur, Timo (2009): Border Controls at Sea: Requirements under International Human Rights and Refugee Law, in: International Journal of Refugee Law, Jg. 21 (2), S. 256-296. Fröhlich, Daniel (2016): Zuständigkeitsallokation im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem. Telos, Krise und Reform des „Dublin-Systems“, in: Zeitschrift für Gesetzgebung, Jg. 31 (3), S. 215-236. Gil-Bazo, Maria-Teresa (2006): The Practice of Mediterranean States in the Context of the European Union’s Justice and Home Affairs External Dimension. The Safe Third Country Concept Revisited, in: International Journal of Refugee Law, Jg. 18 (3-4), S. 571-600. Gkliati, Mariana (2017a): The application of the EU-Turkey deal. A critical analysis of the decisions of the Greek Appeals Committees, in: European Journal of Legal Studies, Jg. 10 (1), S. 81–123. Gkliati, Mariana (2017b): The EU-Turkey Deal and the Safe Third Country Concept before the Greek Asylum Appeals Committees, in: Movements, Jg. 3 (2), S. 213-224. Guild, Elspeth (2006): The Europeanisation of Europe’s Asylum Policy, in: International Journal of Refugee Law, Jg. 18 (3-4), S. 630-651. Guiraudon, Virginie (2000): European Integration and Migration Policy: Vertical Policymaking as Venue Shopping, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 38 (2), S. 251-271. Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (2012): Vertrauen im europäischen Asylsystem, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 31 (7), S. 406-409. Hailbronner, Kay/Thym, Daniel (2016b): Grenzenloses Asylrecht? Die Flüchtlingskrise als Problem europäischer Rechtsintegration, in: Juristenzeitung, Jg. 71 (15-16), S. 753763. Harteveld, Eelco/Schaper, Joep/de Lange, Sarah/van der Brug, Wouter (2018): Blaming Brussels? The Impact of (News about) the Refugee Crisis on Attitudes towards the EU and National Politics, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 157-177. Hayward, J.E.S. (1959): Solidarity: The Social History of an Idea in Nineteenth Century France, in: International Review of Social History, Jg. 4 (2), S. 261-284. Heuser, Helen (2018): Zwei Jahre EU-Umsiedlungsprogramm: Erfolgreiches Pilotprojekt oder gescheiterter Notfallmechanismus?, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 37 (6), S. 364-368. Hilpold, Peter (2015): Understanding Solidarity within EU Law: An Analysis of the „Islands of Solidarity“ with Particular Regard to Monetary Union, in: Yearbook of European Law, Jg. 34 (1), S. 257-285. Horii, Satoko (2018): Accountability, Dependency, and EU Agencies: The Hotspot Approach in the Refugee Crisis, in: Refugee Survey Quarterly, Jg. 37 (2), S. 204-230. Huysmans, Jef (2000): The European Union and the Securitization of Migration, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 38 (5), S. 751-777.

Quellen- und Literaturverzeichnis

323

Joppke, Christian (1998): Why Liberal States Accept Unwanted Immigration, in: World Politics, Jg. 50 (2), S. 266-293. Kaunert, Christian/Léonard, Sarah (2012): The development of the EU asylum policy: venue-shopping in perspective, in: Journal of European Public Policy, Jg. 19 (9), S. 1396-1413. Kogovsek Salamon, Neza (2017): The principle of solidarity in asylum and migration within the context of the European Union accession process, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 687-702. Kücük, Esin (2016): Solidarity in EU Law. An Elusive Political Statement or a Legal Principle with Substance?, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 23 (6), S. 965-983. Kücük, Esin (2016): The Principle of Solidarity and Fairness in Sharing Responsibility: More than Window Dressing?, in: European Law Journal, Jg. 22 (4), S. 448-469. Lavenex, Sandra (2001): The Europeanisation of Refugee Policies: Normative Challenges and Institutional Legacies, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 39 (5), S. 851-874. Lehner, Roman (2015): Bailout in der Flüchtlingskrise: Zum Notfallumsiedlungsbeschluss des Rates der EU vom 22.09.2015, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 35 (10), S. 365-372. Lübbe, Anna (2014): „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 34 (3), S. 105-111. Maiani, Francesco (2017): The reform of the Dublin system and the dystopia of „sharing people“, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 622-645. Marias, Epaminondas A. (1994): Solidarity as an objective of the European Union and the European Community, in: Legal Issues of European Integration, Jg. 21 (2), S. 85114. Marx, Reinhard (2012a): Ist die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) noch reformfähig?, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 32 (6), S. 188-194. Marx, Reinhard (2012b): Solidarität im grundrechtskonformen europäischen Asylsystem, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 31 (7), S. 409-413. Marx, Reinhard (2016a): Reform des Dubliner Systems – Kritische Auseinandersetzung mit den Plänen der Europäischen Kommission, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 36 (11-12), S. 366-375. Marx, Reinhard (2017): Die Rechtsprechung des EuGH zu den Zuständigkeitskriterien im Dubliner System, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Jg. 36 (21), S. 15951598. McDonough, Paul/Tsourdi, Evangelia (2012): The „other“ Greek Crisis: Asylum and EU Solidarity, in: Refugee Survey Quarterly, Jg. 31 (4), S. 66-100. Meier-Braun, Karl-Heinz (2016): Medien und Flüchtlingspolitik, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 36 (9), S. 288-292. Menendéz, Augustín José (2016): The Refugee Crisis: Between Human Tragedy and Symptom of the Structural Crisis of European Integration, in: European Law Journal, Jg. 22 (4), S. 388-416.

324

Quellen- und Literaturverzeichnis

Meyer, Frank (2017): Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens – Konzeptualisierung und Zukunftsperspektiven eines neuen Verfassungsprinzips, in: Europarecht, Jg. 52 (2), S. 163-185. Mitsilegas, Valsamis (2017): Humanizing solidarity in European refugee law: The promise of mutual recognition, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 721-739. Monar, Jörg (2003): Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Verfassungsentwurf des Konvents, in: Integration, Jg. 26 (4), S. 536-549. Moreno-Lax, Violeta (2017): Solidarity’s reach: Meaning, dimensions and implications for EU (external) asylum policy, in: Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 740-762. Moreno-Lax, Violeta (2018): The EU Humanitarian Border and the Securitization of Human Rights: The „Rescue-Through-Interdiction/Rescue-Without-Protection“ Paradigm, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 119-140. Niemann, Arne/Zaun, Natascha (2018): EU Refugee Policies and Politics in Times of Crisis: Theoretical and Empirical Perspectives, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 3-22. Palonen, Kari (2002): Begriffsgeschichte und/als Politikwissenschaft, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Jg. 44, S. 221-234. Pelzer, Marei (2011): Unsolidarisches Europa. Das Asylzuständigkeitssystem „Dublin II“ untergräbt den europäischen Flüchtlingsschutz, in: Kritische Justiz, Jg. 44 (2), S. 262-271. Peukert, Alexander/Hillgruber, Christian/Foerste, Ulrich/Putzke, Holm (2016): Einreisen lassen oder zurückweisen? Was gebietet das Recht in der Flüchtlingskrise an der deutschen Staatsgrenze?, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 36 (4), S. 131-136. Pichl, Maximilian (2016): Dublin IV: Europäischer Asylausstieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 61 (10), S. 9-12. Prantl, Heribert (2017): Europäische Flüchtlingspolitik in der Sackgasse? – „Wir schaffen das!“ – Aber wie?!: Eine neue Eiszeit in der Migrationspolitik?, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 37 (3), S. 101-104. Rehg, William (2007): Solidarity and the Common Good. An Analytical Framework, in: Journal of Social Philosophy, Jg. 38 (1), S. 7-21. Ripoll Servent, Ariadna/Trauner, Florian (2014): Do supranational EU institutions make a difference? EU asylum law before and after „communitarization“, in: Journal of European Public Policy, Jg. 21 (8), S. 1142-1162. Ripoll Servent, Ariadna/Trauner, Florian (2016): The Communitarization of the Area of Freedom, Security and Justice: Why Institutional Change does not Translate into Policy Change, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 54 (6), S. 1417-1432. Sangiovanni, Andrea (2013): Solidarity in the European Union, in: Oxford Journal of Legal Studies, Jg. 33 (2), S. 213-241. Saracino, Daniele (2014): Dimensionen europäischer Solidarität: Die Antwort der EU auf die Migrationsbewegungen über das Mittelmeer während des „Arabischen Frühlings“, in: Zeitschrift für Politik, Jg. 61 (1), S. 22-41.

Quellen- und Literaturverzeichnis

325

Scalettaris, Giulia (2007): Refugee Studies and the International Refugee Regime: A Reflection on a Desirable Separation, in: Refugee Survey Quarterly, Jg. 26 (3), S. 3650. Slominski, Peter/Trauner, Florian (2018): How do Member States Return Unwanted Migrants? The Strategic (non-)use of „Europe“ during the Migration Crisis, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 101-118. Thielemann, Eiko (2004): Why Asylum Policy Harmonisation Undermines Refugee Burden-Sharing, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 6 (1), S. 47-65. Thym, Daniel (2011): Menschenrechtliche Feinjustierung des Dublin-Systems zur Asylzuständigkeitsabgrenzung – Zu den Folgewirkungen des Straßburger M.S.S.-Urteils, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 31 (11-12), S. 368-378. Thym, Daniel (2013): Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 33 (9), S. 331-334. Thym, Daniel (2016b): The „Refugee Crisis“ as a Challenge of Legal Design and Institutional Legitimacy, in: Common Market Law Review, Jg. 53 (6), S. 1545-1574. Thym, Daniel (2018): Migrationssteuerung im Einklang mit den Menschenrechten – Anmerkungen zu den migrationspolitischen Diskursen der Gegenwart, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 38 (5-6), S. 193-200. Thym, Daniel/Tsourdi, Evangelia (2017): Searching for solidarity in the EU asylum and border policies: Constitutional and operational dimensions, in: Maastricht Journal of European and Comparative law, Jg. 24 (5): S. 605-621. Trauner, Florian (2016): Asylum policy: the Eu’s ‘crises’ and the looming policy regime failure, in: Journal of European Integration, Jg. 38 (3), S. 311-325. Triandafyllidou, Anna (2009): Greek Immigration Policy at the Turn of the 21st Century. Lack of Political Will or Purposeful Mismanagement?, in: European Journal of Migration and Law, Jg. 11 (2), S. 159-177. Tsourdi, Evangelia (2017): Solidarity at work? The prevalence of emergency-driven solidarity in the administrative governance of the Common European Asylum System, in Maastricht Journal of European and Comparative Law, Jg. 24 (5), S. 667-686. van der Klaauw, Johannes (2010): Refugee Rights in Times of Mixed Migration: Evolving Status and Protection Issues, in: Refugee Survey Quarterly, Jg. 28 (4), S. 59-86. Weber, Albrecht (2012): Menschenrechtlicher Schutz von Bootsflüchtlingen. Bedeutung des Straßburger Hirsi-Jamaa-Urteils für den Flüchtlingsschutz, in: Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, Jg. 32 (8), S. 265-270. Weber, Martin (2007): The concept of solidarity in the study of world politics: towards a critical theoretic understanding, in: Review of International Studies, Jg. 33 (4), S. 693-713. Wendel, Mattias (2016): Asylrechtlicher Selbsteintritt in der Flüchtlingskrise, in: Juristenzeitung, Jg. 71 (7), S. 332-341. Wilde, Lawrence (2007): The Concept of Solidarity: Emerging from the Theoretical Shadows?, in: The British Journal of Politics and International Relations, Jg. 9 (1), S. 171-181. Zaun, Natascha (2018): States as Gatekeepers in EU Asylum Politics: Explaining the Nonadoption of a Refugee Quota System, in: Journal of Common Market Studies, Jg. 56 (1), S. 44-62.

326

Quellen- und Literaturverzeichnis

Zuleeg, Manfred (1994): Die Europäische Gemeinschaft als Rechtsgemeinschaft, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 47 (9), S. 545-549.

Presseartikel Al-Serori, Leila (2018): Europawahl: Rechte Zerstörungspläne, Süddeutsche Zeitung, 31.07.2018, https://www.sueddeutsche.de/politik/europawahl-rechte-zerstoerungsplaene-1.4075247, abgerufen am 16.02.2019. Amin, Nina (2018): Libysches Flüchtlingslager: Krätze, Hunger, Enge, Tagesschau.de, 04.05.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/fluechtlingslager-libyen-101.html, abgerufen am 18.02.2019. Amjahid, Mohamed (2015): Der Flüchtlingsmarsch der Hoffnung: Auf der Autobahn nach Wien, Tagesspiegel, 04.09.2015, https://www.tagesspiegel.de/politik/der-fluechtlingsmarsch-der-hoffnung-auf-der-autobahn-nach-wien/12280574.html, abgerufen am 27.02.2019. AP News (o. V.) (2016): Italy lowers toll from 2015 migrant wreck after ship raised, 30.06.2016, https://apnews.com/f9fa179e09a349038e08a48209 fc5001/italy-lowers-toll-2015-migrant-wreck-after-ship-raised, abgerufen am 29.08.2018. BBC News (o. V.) (2011): Counting the cost of Nato's mission in Libya, 31.10.2011, https://www.bbc.com/news/world-africa-15528984, abgerufen am 15.11.2018. BBC News (o. V.) (2012): Nato hits back at Libya's civilian deaths report, 14.05.2012, https://www.bbc.com/news/world-africa-18062012, abgerufen am 15.11.2018. Becker, Markus (2017): Widerstand gegen EuGH-Urteil: Ungarn rüttelt an Europas Fundament, Spiegel Online, 06.09.2017, http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarnlehnt-eugh-urteil-ab-juristen-sehen-eu-recht-in-gefahr-a-1166403.html, abgerufen am 15.12.2018. Becker, Markus (2019): Anti-EU-Kampagne: Kommission nimmt Orbáns Herausforderung an, Spiegel Online, 19.02.2019, http://www.spiegel.de/politik/ausland/anti-eukampagne-durch-ungarn-eu-kommission-kritisiert-orban-a-1254093.html, abgerufen am 20.02.2019. Bittner, Jochen/Böhm, Andrea (2011): Dieser Krieg war gerecht. Eine Bilanz der Intervention in Libyen, Zeit Online, 27.10.2011, https://www.zeit.de/ 2011/44/Libyen-Intervention/komplettansicht, abgerufen am 15.11.2018. Black, Ian (2011): Libya's day of rage met by bullets and loyalists, The Guardian, 17.02.2011, https://www.theguardian.com/world/2011/feb/17/libya-day-of-rageunrest, abgerufen am 14.11.2018. Blickle, Paul/Faigle, Philip/Polke-Majewski, Karsten/Stahnke, Julian/Venohr, Sascha (2015): Ein gut bewachtes Massengrab, Zeit Online, 17.04.2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/mittelmeer-fluechtlingeschiffsunglueck-sicherheit, abgerufen am 29.08.2018. Blume Georg/Brost, Marc/Hildebrandt, Tina/Hock, Alexej/Klormann, Sybille/Köckritz, Angela/Krupa, Matthias/Lau, Miriam/von Randow, Gero/Theile, Merlind/Thumann, Michael/Wefing, Heinrich (2016): Grenzöffnung für Flüchtlinge: Was ge-

Quellen- und Literaturverzeichnis

327

schah wirklich?, Zeit Online, 22.08.2016, https://www.zeit.de/2016/35/grenzoeffnung-fluechtlinge-september-2015-wochenende-angela-merkel-ungarn-oesterreich, abgerufen am 03.09.2018. Bock-Häggmark, Karin (2014): Wahl in Schweden: Konservative zittern um die Macht, Tagesspiegel, 22.08.2014, https://www.tagesspiegel.de/politik/wahl-in-schwedenkonservative-zittern-um-die-macht/10369756.html, abgerufen am 15.02.19. Böhme, Christian (2014): Kein Geld für syrische Flüchtlinge: UN streichen Nahrungsmittelhilfe, Tagesspiegel, 01.12.2014, https://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/keingeld-fuer-syrische-fluechtlinge-un-streichen-nahrungsmittelhilfe/11059010.html, abgerufen am 29.08.2018. Böhme, Christian (2017): Flüchtlinge in libyschen Lagern: Ärzte ohne Grenzen: Es herrschen Hunger und Krankheiten, Tagesspiegel, 25.05.2017, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-in-libyschen-lagern-aerzte-ohne-grenzen-es-herrschenhunger-und-krankheiten/19853338.html, abgerufen am 18.02.2019. Brössler, Daniel (2017): Europa: EU erteilt Orbán eine Abfuhr, Süddeutsche Zeitung, 01.09.2017, https://www.sueddeutsche.de/politik/europa-eu-will-nicht-fuer-orbnsgrenzzaun-zahlen-1.3649565, abgerufen am 12.02.19. Casdorff, Stephan-Andreas/Keller, Claudia/Schäuble, Juliane/Meier, Albrecht (2011): Libyen: Frankreich setzt Luftangriffe fort, Tagesspiegel, 19.03.2011, https://www.tagesspiegel.de/politik/libyen-frankreich-setzt-luftangriffe-fort/3968972.html, abgerufen am 15.11.2018. Chivers, C.J./Schmitt, Eric (2011): In Strikes on Libya by NATO, an Unspoken Civilian Toll, The New York Times, 17.12.2011, https://www.nytimes.com/2011/12/18/ world/africa/scores-of-unintended-casualties-in-nato-war-in-libya.html, abgerufen am 15.11.2018. Christides, Giorgos (2018): Griechenland kriminalisiert Seenotretter: Vom Helfer zum Häftling, Spiegel Online, 01.10.2018, http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenlands-staat-gegen-helfer-seenotrettung-ist-kein-verbrechen-a-1229735.html, abgerufen am 18.02.2019. Davies, Lizzy/Neslen, Arthur (2015): Italy: end of ongoing sea rescue mission „puts thousands at risk“, The Guardian, 31.10.2015, https://www.theguardian.com/world/ 2014/oct/31/italy-sea-mission-thousands-risk, abgerufen am 27.08.2018. Deutsche Welle (o. V.) (2014): Flüchtlingsmission: „Mare Nostrum“ endet, 31.10.2014, https://www.dw.com/de/fl%C3%BCchtlingsmission-mare-nostrum-endet/a18033384, abgerufen am 27.08.2018. Deutsche Welle (o. V.) (2015): Jetzt auch Grenzkontrollen in Österreich, 15.09.2015, https://www.dw.com/de/jetzt-auch-grenzkontrollen-in-%C3%B6sterreich/a18716719, abgerufen am 05.09.2018. Deutsche Welle (o. V.) (2018): Frontex launches new EU border control mission Operation Themis, 01.02.2018, https://www.dw.com/en/frontex-launches-new-eu-bordercontrol-mission-operation-themis/a-42417610, abgerufen am 19.10.2018. Deutschlandfunk (o. V.) (2015): Syrische Flüchtlinge erhalten weniger Unterstützung, 03.07.2015, https://www.deutschlandfunk.de/welternaehrungsprogramm-syrischefluechtlinge-erhalten.2852.de.html?dram:article_id=324449, abgerufen am 01.09. 2018.

328

Quellen- und Literaturverzeichnis

Dierks, Benjamin (2018): EU-Gipfel und Dublin-Reform: Woran ein gemeinsames EUAsylrecht scheitert, Deutschlandfunk, 18.09.2018, https://www.deutschlandfunk.de/eu-gipfel-und-dublin-reform-woran-ein-gemeinsames-eu.724.de.html?dra m:article_id=428436, abgerufen am 04.02.2019. Euractiv (o. V.) (2011): Sarkozy und Berlusconi fordern Schengen-Reform, 26.04.2011, https://www.euractiv.de/section/soziales-europa/news/sarkozy-und-berlusconifordern-schengen-reform/, abgerufen am 16.11.2018. Euractiv (o. V.) (2018a): Italy to push EU for reform of „Operation Sophia“, 30.08.2018, https://www.euractiv.com/section/justice-home-affairs/news/italy-to-push-eu-forreform-of-operation-sophia/, abgerufen am 04.09.2018. Euractiv (o. V.) (2018b): Mittelmeermission „Sophia“ drei Monate verlängert, 19.12.2018, https://www.euractiv.de/section/europakompakt/news/mittelmeermission-sophiadrei-monate-verlaengert/, abgerufen am 14.01.2019. Euronews (o. V.) (2011): France: France angers Italy after blocking migrants at border, 17.04.2018, https://www.euronews.com/2011/04/17/france-angers-italy-after-blocking-migrants-at-border, abgerufen am 16.11.2018. Fahim, Kareem (2011): Slap to a Man’s Pride Set Off Tumult in Tunisia, The New York Times, 21.01.2011, https://www.nytimes.com/2011/01/22/world/africa/22sidi.ht ml?_r=2&pagewanted=2&src=twrhp, abgerufen am 14.11.2018. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2011): Syrien: Eskalation zwischen Demonstranten und Regime, in: 23.03.2011, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naherosten/syrien-eskalation-zwischen-demonstranten-und-regime-1608119.html, abgerufen am 14.11.2018. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2015a): Flüchtlingsstrom: Tausende auf „BalkanRoute“ unterwegs, 23.08.2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tausende-fluechtlinge-auf-balkan-route-unterwegs-nach-europa-13765563.html, abgerufen am 01.09.2018. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2015b): Flüchtlingskrise: Ungarn baut Zaun an der Grenze zu Kroatien, 18.09.2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/fluechtlingskrise-ungarn-baut-zaun-an-der-grenze-zu-kroatien13810213.html, abgerufen am 05.09.2018. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2016a): Balkanroute: Slowenien lässt keine Flüchtlinge mehr durch, 08.03.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/auch-slowenien-und-serbien-lassen-keine-fluechtlinge-mehr-durch14113762.html, abgerufen am 05.09.2018. Frankfurter Allgemeine Zeitung (o. V.) (2016b). Flüchtlingskrise: Österreichs Innenministerin: „Balkanroute bleibt geschlossen“, 10.03.2016, http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/oesterreich-hart-nach-balkanrouten-schliessung-fuerfluechtlinge-14116094.html, abgerufen am 05.09.2018. Gotev, Georgi (2018): Juncker-Kommission gibt Dublin-Reform auf, Euractiv, 05.12.2018, https://www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/news/junck er-commission-givesup-on-dublin-asylum-reform/, abgerufen am 04.02.2019. Hassel, Florian (2015): Flüchtlinge auf dem Balkan: Auf der Strecke, Süddeutsche Zeitung, 25.08.2015, https://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-auf-der-strecke-1.26 19615, abgerufen 01.09.2018.

Quellen- und Literaturverzeichnis

329

Hassel, Florian/Pantel, Nadia (2015): Was Menschen vom Balkan zur Flucht treibt, Süddeutsche Zeitung, 17.08.2015, https://www.sueddeutsche.de/politik/sichere-herkunftsstaaten-demokratien-mit-fussnote-1.2610249, abgerufen am 01.09.2018. Herrmann, Gunnar (2011): Rechtspopulisten gegen Schengener Abkommen: Dänemark führt die „permanente Grenzkontrolle“ wieder ein, Süddeutsche Zeitung, 12.05.2011, https://www.sueddeutsche.de/politik/rechtspopulisten-gegen-schengener-abkommen-daenemark-fuehrt-die-permanente-grenzkontrolle-wieder-ein1.1096250, abgerufen am 17.11.2018. Hodali, Diana (2018): Zivile Seenotrettung: Aquarius 2 mit ungewisser Zukunft, Deutsche Welle, 08.10.2018, https://www.dw.com/de/aquarius-2-mit-ungewisser-zukunft/a45804879, abgerufen am 18.02.2019. Jansen, Thomas/Wiegel, Michaela (2019): Di Maio trifft „Gelbwesten“: Ein Affront gegen Macron, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.2019, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/affront-gegen-macron-di-maio-trifft-gelbwesten-in-paris16027965.html, abgerufen am 20.02.2019. Keller, Gabriela (2011): Arabische Revolution: „Tag des Zorns“ scheitert in Syrien am Regime, Welt, 04.02.2011, https://www.welt.de/politik/ausland/article12449794/Tagdes-Zorns-scheitert-in-Syrien-am-Regime.html, abgerufen am 14.11.2018. Knaus, Gerald (2018): Europawahl 2019: Angriff auf Europa, Zeit Online, 29.12.2018, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/europawahl-2019-viktor-orbanmatteo-salvini-politischer-umsturz/komplettansicht, abgerufen am 16.02.2019. König, Jürgen/Migge, Thomas (2019): Europa: Der Streit zwischen Frankreich und Italien eskaliert, Deutschlandfunk, 08.02.2019, https://www.deutschlandfunk.de/europader-streit-zwischen-frankreich-und-italien-eskaliert.724.de.html?dram:article_id=440596, abgerufen am 20.02.2019. Kreiner, Paul (2011): Flüchtlinge: Italien und Frankreich wollen Schengen-Vertrag reformieren, Tagesspiegel, 26.04.2011, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-italien-und-frankreich-wollen-schengen-vertrag-reformieren/4100472.html, abgerufen am 16.11.2018. Kronen Zeitung (o. V.) (2018): Flüchtlinge: Kurz für Solidarität statt Quoten, 18.10.2018, https://www.krone.at/1791479, abgerufen am 19.10.2018. Küstner, Kai (2018): Zukunft von „Sophia“: EU ringt mit Italien um Mittelmeer-Mission, Tagesschau.de, 30.08.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/eu-einsatz-mittelmeer-101.html, abgerufen am 04.09.2018. La Repubblica (o. V.) (2011): No delle Regioni alle tendopoli: Berlusconi: „Soluzione è il rimpatrio“, 01.04.2011, https://www.repubblica.it/cronaca/2011/04/01/news/non_ c_accordo_tra_governo_e_regioni-14372543/, abgerufen am 16.11.2018. La Repubblica (o. V.) (2011): Maroni firma l'accordo a Tunisi: „Sono previsti anche i rimpatri“, 05.04.2011, https://www.repubblica.it/cronaca/2011/04/05/news/maroni_ a_tunisi-14512895/, abgerufen am 16.11.2018. Ladurner, Ulrich (2019): Warum teilt Italiens Innenminister so gegen Frankreichs Präsidenten aus?, Zeit Online, 13.02.2019, https://www.zeit.de/2019/ 08/emmanuelmacron-matteo-di-salvini-gelbwesten-italien-frankreich, abgerufen am 16.02.2019.

330

Quellen- und Literaturverzeichnis

Lau, Miriam/Lobenstein, Caterina (2018): Seenotrettung – Oder soll man es lassen?, Zeit Online, 11.07.2018, https://www.zeit.de/2018/29/seenotrettung-fluechtlinge-privat-mittelmeer-pro-contra/komplettansicht, abgerufen am 27.02.2019. Lobenstein, Caterina (2017): Zwangsarbeit: „Sie sind Sklaven“, Zeit Online, 27.04.2017, https://www.zeit.de/2017/18/zwangsarbeit-libyen-fluechtlinge-sklaven/kompletta nsicht, abgerufen am 18.02.2019. Lohse, Eckart (2017): Asylbewerber: Wieder Rückführungen nach Griechenland geplant, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.08.2018, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/fluechtlingspolitik-erstmals-wieder-rueckfuehrungen-nach-griechenland-151 39682.html, abgerufen am 19.10.2018. MacDonald, Alastair/Sinner, Michele (2017): EU refugee court ruling triggers new eastwest feuding, Reuters, 06.09.2017, https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-easteurope/eu-refugee-court-ruling-triggers-new-east-west-feuding-idUSKC N1BG35V, abgerufen am 27.02.2019. Mahmoud, Khaled (2011): Gaddafi ready for Libya's „Day of Rage“, Asharq al-Awsat, 09.02.2011, https://www.webcitation.org/5wP31PQo1?url=http://aawsat.com/english/news.asp?section=1&id=24095, abgerufen am 14.11.2018. Maxwill, Peter (2015): Flüchtlingsreport: Amnesty prangert Polizeiwillkür auf dem Balkan an, Spiegel Online, 07.07.2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/amnesty-international-veroeffentlicht-fluechtlingsreport-eine-tortur-a-1042253.html, abgerufen am 01.09.2018. Milne, Seumas (2011): If the Libyan war was about saving lives, it was a catastrophic failure, The Guardian, 26.10.2011, https://www.theguardian.com/commentisfree/ 2011/oct/26/libya-war-saving-lives-catastrophic-failure, abgerufen am 15.11.2018. Müller, Tobias (2012): EU-Grenzen: Niederländische Grenzkontrollen alarmieren Datenschützer, Zeit Online, 04.01.2012, https://www.zeit.de/politik/ausland/2012-01/kamera-grenze-niederlande, abgerufen am 17.11.2018. Mutz, Reinhard (2011): Debatte Libyenkrieg: Der Nato-Einsatz bleibt falsch, taz.de, 25.10.2018, http://www.taz.de/!5109171/, abgerufen am 15.11.2018. Nebehey, Stephanie/Tagaris, Karolina (2016): UNHCR says won't work in Greek „detention centers“ in swipe at EU-Turkey deal, Reuters, 22.03.2016, https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-greece-unhcr/unhcr-says-wont-work-ingreek-detention-centers-in-swipe-at-eu-turkey-deal-idUSKCN0WO31Z, abgerufen am 09.09.2018. Oliver Meiler (2018): Mittelmeer: Kurskorrektur, Süddeutsche Zeitung, 01.02.2018, https://www.sueddeutsche.de/politik/mittelmeer-kurskorrektur-1.3849958, abgerufen am 19.10.2018. Orth, Stephan (2015): Flüchtlinge auf Ungarns Autobahnen: Dann eben zu Fuß, Spiegel Online, 04.09.2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-in-ungarnzu-fuss-unterwegs-mit-einem-treck-a-1051498.html, abgerufen am 03.09.2018. Osius, Anna (2017): Sechs Jahre Syrienkrieg: Wie Graffiti von Schuljungen einen Bürgerkrieg auslösten, Deutschlandfunk, 15.03.2017, https://www.deutschlandfunk.de/ sechs-jahre-syrienkrieg-wie-graffiti-von-schuljungen-einen.1773.de.html?dram:ar ticle_id=381266, abgerufen am 14.11.2018.

Quellen- und Literaturverzeichnis

331

Pabst, Sabrina (2013): Sweden opens doors to Syrian refugees, Deutsche Welle, 07.09.2013, https://www.dw.com/en/sweden-opens-doors-to-syrian-refugees/a-17 072567, abgerufen am 15.02.19. Peerenboom, Christoph (2016): Seit Mitternacht: Balkanroute faktisch dicht, Tagesschau.de, 09.03.2016, https://www.tagesschau.de/ausland/balkanroute-geschlossen-101.html, abgerufen am 05.09.2018. Pop, Valentina (2011): Franco-Italian row over Tunisian migrants escalates, EU Observer, 18.04.2018, https://euobserver.com/news/32199, abgerufen am 16.11.2018. Rettmann, Andrew (2011): EU countries say No to commission powers on border control, EU Observer, 13.09.2011, https://euobserver.com/justice/113606, abgerufen am 17.11.2018. Reuters (o. V.) (2011): Italy signs migration accord with Libya rebels, 17.06.2011, https://www.reuters.com/article/italy-libya-idAFLDE75G1BH20110617, abgerufen am 18.11.2018. Scherer, Steve (2018): In new EU sea mission, ships not obliged to bring migrants to Italy, Reuters, 01.02.2018, https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-italy/innew-eu-sea-mission-ships-not-obliged-to-bring-migrants-to-italyidUSKBN1FL62M, abgerufen am 19.10.2018. Scherer, Steve/di Giorgio, Massimiliano (2014): Italy to end sea rescue mission that saved 100,000 migrants, Reuters, 31.10.2018, https://www.reuters.com/article/us-italymigrants-eu/italy-to-end-sea-rescue-mission-that-saved-100000-migrantsidUSKBN0IK22220141031, abgerufen am 27.08.2018. Schubert, Gerald (2017): Ungarn: EuGH-Spruch „vergewaltigt europäische Werte“, Der Standard, 06.09.2017, https://derstandard.at/2000 063708798/Ungarn-EuGH-Spru ch-verewaltigt-europaeische-Werte, abgerufen am 12.02.19. Schumann, Harald (2018): Vor der Europawahl 2019: Der EU droht durch den Rechtspopulismus eine Zerreißprobe, Tagesspiegel, 24.09.2018, https://www.tagesspiegel.de/politik/vor-der-europawahl-2019-der-eu-droht-durch-den-rechtspopulismus-eine-zerreissprobe/23103706.html, abgerufen am 16.02.2019. Seibert, Thomas (2015): „Warum sind die denn bei uns nicht glücklich?“, Tagesspiegel, 16.09.2015, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-in-der-tuerkei-waru m-sind-die-denn-bei-uns-nicht-gluecklich/12329972.html, abgerufen am 01.09. 2018. Seibert, Thomas (2015): Syrer in der Türkei - Gäste ohne Rechte, Tagesspiegel, 23.09.2015, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlingskrise-syrer-in-der-tuerkei-gaesteohne-rechte/12358234.html, abgerufen am 01.09.2018. Shadid, Anthony (2011): Clashes in Libya Worsen as Army Crushes Dissent, The New York Times, 18.02.2011, https://www.nytimes.com/2011/02/19/ world/africa/19libya.html, abgerufen am 14.11.2018. Shuaib, Ali (2011): Libyan held on traffic charge after protest call, Reuters, 09.02.2011, https://www.reuters.com/article/libya-rights-arrest-idAFLDE 71818920110209, abgerufen am 14.11.2018.

332

Quellen- und Literaturverzeichnis

Sirleschtov, Antje (2016): Flüchtlinge in Europa: Österreich führt Obergrenzen ein, Merkel ist weiterhin dagegen, Tagesspiegel, 20.01.2016, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-in-europa-oesterreich-fuehrt-obergrenzen-ein-merkel-ist-weiterhin-dagegen/12855990.html, abgerufen am 12.03.2019. Solomon, Jay/Spindle, Bill (2011): Syria Strongman: Time for „Reform“, in: The Wall Street Journal, 31.01.2011, https://www.wsj.com/articles/SB1000142405274870 48327045761143407 35033236, abgerufen am 14.11.2018. Spiegel Online (o. V.) (2015): Flüchtlinge: Mazedonien erklärt den Ausnahmezustand, 20.08.2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-mazedonien-erkla ert-ausnahmezustand-a-1049053.html, abgerufen am 01.09.2018. Spiegel Online (o. V.) (2011): Kritik an Westerwelle: „Borniertester Außenminister seit von Ribbentrop“, Spiegel Online, 22.04.2018, http://www.spiegel.de/politik/ deutschland/kritik-an-westerwelle-borniertester-aussenminister-seit-von-ribbentrop-a-758504.html, abgerufen am 15.11.2018. Spiegel Online (o. V.) (2017): Festgesetzt: Weiteres Rettungsschiff vor Malta blockiert, 03.07.2018, http://www.spiegel.de/politik/ausland/weiteres-fluechtlings-rettungsschiff-vor-malta-blockiert-a-1216309.html, abgerufen am 18.02.2019. Süddeutsche Zeitung (o. V.) (2014): Welternährungsprogramm: Flüchtlinge in Nahost müssen hungern, 14.10.2014, https://www.sueddeutsche.de/politik/welternaehrungsprogramm-un-kuerzen-lebensmittelhilfen-fuer-syrische-fluechtlinge-drastisch1.2172709, abgerufen am 29.08.2018. Süddeutsche Zeitung (o. V.) (2017): Asyl: Österreich will Obergrenze für Flüchtlinge in allen EU-Staaten, 06.01.2017, https://www.sueddeutsche.de/politik/asyl-oesterreich-will-obergrenze-fuer-fluechtlinge-in-allen-eu-staaten-1.3322233, abgerufen am 12.03.2019. Süddeutsche Zeitung (o. V.) (2017): Flüchtlinge: Ungarn nennt Urteil empörend und verantwortungslos, 06.09.2017, http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-ungarn-nennt-urteil-empoerend-und-verantwortungslos-1.3654806, abgerufen am 15. 12.2018. Tagesschau.de (o. V.) (2011a): Internationale Gemeinschaft reagiert auf Libyen-Krise: UNSicherheitsrat beschließt Sanktionen, 27.02.2011, https://www.tagesschau.de/ausland/gaddafi242.html, abgerufen am 14.11.2018. Tagesschau.de (o. V.) (2011b): Libyen an historischem Wendepunkt: Gaddafi ist tot, Libyen feiert die Freiheit, 20.10.2011, https://www.tagesschau.de/ausland/gaddafi416.html, abgerufen am 15.11.2018. Tagesschau.de (o. V.) (2013): Nach der Katastrophe vor Lampedusa. Mehr als 270 Leichen geborgen, 08.10.2013, https://web.archive.org/web/20140108130859/http:/www.ta gesschau.de/ausland/lampedusa536.html, abgerufen am 27.08.2018. Tagesschau.de (o. V.) (2015): Österreich und Deutschland erlauben Einreise. Der Weg nach Westen ist offen, 05.09.2015, https://www.tagesschau.de/ausland/ungarn-fluechtlinge-133.html, abgerufen am 03.09.2018. Tagesschau.de (o. V.) (2018a): Treffen mit Spaniens Premier: Merkel kritisiert Dublin-System, 12.08.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/merkel-sanchez-105.html, abgerufen am 19.10.2018.

Quellen- und Literaturverzeichnis

333

Tagesschau.de (o. V.) (2018b): Nach tagelangem Streit: „Diciotti“ legt auf Sizilien an, 21.08.2018, https://www.tagesschau.de/ausland/diciotti-sizilien-101.html, abgerufen am 18.02.2019. Tagesspiegel (o. V.) (2016): Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge: Angela Merkel: „Wir können nicht ein Land alleine mit dem Problem lassen“, 10.03.2016, https://www.tagesspiegel.de/politik/schliessung-der-balkanroute-fuer-fluechtlinge-angela-merkel-wir-koennen-nicht-ein-land-alleine-mit-dem-problem-lassen/13071820.html, abgerufen am 05.09.2018. Tagesspiegel (o. V.) (2017): „Jugend Rettet“: Schiff deutscher Flüchtlingsretter in Italien beschlagnahmt, 03.08.2017, https://www.tagesspiegel.de/politik/jugend-rettetschiff-deutscher-fluechtlingsretter-in-italien-beschlagnahmt/20138824.html, abgerufen am 18.02.2019. Tagesspiegel (o. V.) (2018): Flüchtlinge im Mittelmeer: „Lifeline“-Aktivisten sehen sich als Opfer einer „Kriminalisierungskampagne“, 28.06.2018, https://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-im-mittelmeer-lifeline-aktivisten-sehen-sich-als-opfereiner-kriminalisierungskampagne/22740620.html, abgerufen am 18.02.2019. Taylor, Adam (2015): Italy ran an operation that saved thousands of migrants from drowning in the Mediterranean. Why did it stop?, The Washington Post, 20.04.2015, https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2015/ 04/20/italy-ran-anoperation-that-save-thousands-of-migrants-from-drowning-in-the-mediterraneanwhy-did-it-stop/?noredirect=on&utm_term=.562c36c18de0, abgerufen am 27.08. 2018. Volkenborn, Larissa (2019): Migrationsexperte im Interview: „Das Gerede von einer drohenden Invasion aus dem Süden ist Unsinn“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.02.2019, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fluechtlinge-drohendeninvasion-aus-dem-sueden-ist-unsinn-16003673.html, abgerufen am 18.02.2019. Volksblatt (o. V.) (2018): Totalblockade der Dublin-Reform, 05.06.2018, https://www.vol ksblatt.li/Nachricht.aspx?src=vb&id=202546, abgerufen am 04.02.2018. Vu, Vanessa (2018): Flucht über das Mittelmeer: Die zivilen Seenotretter kehren zurück, Zeit Online, 30.11.2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/201811/flucht-mittelmeer-zivile-seenotrettung-private-rettungsaktionen-organisationen-sea-watch, abgerufen am 18.02.2019. Weiland, Severin/Wittrock, Philipp (2011): Libyen-Enthaltung in der Uno: Wie es zu dem deutschen Jein kam, Spiegel Online, 23.03.2011, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/libyen-enthaltung-in-der-uno-wie-es-zu-dem-deutschen-jein-kama-752676.html, abgerufen am 15.11.2018. Welt (o. V.) (2017a): Polen und Ungarn kritisieren EuGH-Urteil, 07.09.2017, https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article168406 534/ Polen-und-Ungarn-kritisieren-EuGH-Urteil.html, abgerufen am 16.01.2019. Welt (o. V.): (2017b): Frankreich: Alle Ergebnisse der Präsidentenwahl im Überblick, 07.05.2017, https://www.welt.de/politik/ausland/article164336249/ Alle-Ergebnis se-der-Praesidentenwahl-im-Ueberblick.html, abgerufen am 23.02.19. Wieland, Leo (2011): Ben Ali: Der Tyrann und der Gemüsehändler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.01.2011, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ben-ali-dertyrann-und-der-gemuesehaendler-1576726.html, abgerufen am 14.11.2018.

334

Quellen- und Literaturverzeichnis

Wikstrom, Cajsa (2011): Calls for weekend protests in Syria, Al Jazeera, 04.02.2011, https://www.aljazeera.com/news/middleeast/2011/02/2011 22171649677912.html, abgerufen am 14.11.2018. Zeit Online (o. V.) (2011): Sicherheitsrat: UN verhängen Flugverbotszone über Libyen, 18.03.2011, https://www.zeit.de/politik/ausland/2011-03/libyen-uno-flugverbotszone, abgerufen am 14.11.2018. Zeit Online (o. V.) (2012): Wahl in Frankreich: Sarkozy droht mit Verlassen des SchengenRaums, https://www.zeit.de/politik/ausland/2012-03/sarkozy-schengen-wahlkam pf, abgerufen am 17.11.2018. Zeit Online (o. V.) (2013): Schiffsunglück: Tote bei erneutem Bootsunglück vor Lampedusa, 11.10.2013, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-10/italienfluechtlingsboot-gekentert, abgerufen am 27.08.18. Zeit Online (o. V.) (2014): Mittelmeer: Hunderte Flüchtlinge ertrunken, 15.09.2014, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-09/fluechtlingsboot-unglue ck-mittelmeer, abgerufen am 06.09.2018. Zeit Online (o. V.) (2015a): Mittelmeer: Foto eines toten Jungen wird zum Symbol der Flüchtlingskrise, 03.09.2015, https://www.zeit.de/politik/ausland/2015-09/mittelmeer-foto-symbol-fluechtlingskrise, abgerufen am 27.02.2019. Zeit Online (o. V.) (2015b): Libyen: 400 Flüchtlinge im Mittelmeer vermisst, 15.04.2015, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/fluec htlinge-mittelmeerlibyen-ertrunken-frontex-italien, abgerufen am 29.08.2018. Zeit Online (o. V.) (2015c): Flüchtlinge: Mehr als 700 Menschen ertrinken im Mittelmeer, 19.04.2015, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-04/fluechtlingelampedusa-unglueck, abgerufen am 29.08.2018. Zeit Online (o. V.) (2015d): Flüchtlinge: Ungarn beginnt mit Bau von Grenzzaun, 13.07.2015, https://www.zeit.de/politik/ausland/2015-07/ungarn-grenzzaun-fluech tlinge-serbien, abgerufen am 01.09.2018. Zeit Online (o. V.) (2015e): Budapest: Tausende Flüchtlinge harren vor Keleti-Bahnhof aus, 02.09.2015, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-09/budapest-keleti-bahnhof-fluechtlinge, abgerufen am 03.09.2018. Zeit Online (o. V.) (2015f): Flüchtlingskrise: Deutschland wendet Dublin-Verfahren wieder an, 10.11.2015, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-11/fluechtlingskrisedeutschland-dublin-verfahren-syrer, abgerufen am 20.09.2018. Zeit Online (o. V.) (2015g): Balkan: Nur noch Syrer, Iraker und Afghanen dürfen durch, 19.11.2015, https://www.zeit.de/politik/2015-11/fluechtlinge-balkanroute-balkanstaaten-einreise-syrien-afghanistan-irak, abgerufen am 05.09.2018. Zeit Online (o. V.) (2018a): Treffen in Mailand: Orbán und Salvini planen Allianz der Migrationsgegner, 28.08.2018, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-08/treffen-inmailand-matteo-salvini-viktor-orban-allianz-migrationsgegener, abgerufen am 16. 02.2019. Zeit Online (o. V.) (2018b): Private Seenotrettung: Sea-Eye-Schiff darf Spanien verlassen, 21.12.2018, https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-12/private-seenotrettung-mittel meer-deutsches-schiff-sea-eye, abgerufen am 28.02.2019.

Quellen- und Literaturverzeichnis

335

Zeit Online (o. V.) (2019): Rettungsschiff: „Sea-Watch 3“ im Hafen von Catania festgesetzt 01.02.2019, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-02/rettungsschiff -sea-watch-3-seenotrettung-catania-hafen-reede, abgerufen am 18.02.2019. Ziniti, Allessandra (2011): Maroni: esodo biblico, Ue assente. La Tunisia invia le truppe sulle coste, La Repubblica, 14.02.2011, https://palermo.repubblica.it/cronaca/ 2011/02/14/news/sbarchi_maroni_esodo_biblico-124322 73/, abgerufen am 16.11. 2018.

Forschungspapiere Angenendt, Steffen (2007): Irreguläre Migration als internationales Problem. Risiken und Optionen, SWP-Studie, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin. Angenendt, Steffen (2011): Migration aus den Umbruchstaaten in die EU: Gesamtansatz Migration und Mobilitätspartnerschaften, in: Asseburg, Muriel (Hg.): Proteste, Aufstände und Regimewandel in der arabischen Welt. Akteure, Herausforderungen, Implikationen und Handlungsoptionen, SWP-Studie, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, S. 58-60. Juhász, Attila/Hunyadi, Bulcsú/Zgut, Edit (2015): Focus on Hungary: Refugees, Asylum and Migration, Study commissioned by the Heinrich-Böll-Stiftung, Prag. Beirens, Hanne/Maas, Sheila/Petronella, Salvatore/van der Velden, Maurice (2016): Study on the Temporary Protection Directive. Final report, Study for the European Commission, Directorate-General for Migration and Home Affairs, Brüssel. Boswell, Christina/Vanheule, Dirk/van Selm, Joanne (2011): Die Umsetzung von Artikel 80 AEUV zum Grundsatz der Solidarität und der gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeiten unter den Mitgliedstaaten, einschließlich in finanzieller Hinsicht, im Bereich Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung, Studie für den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments, Brüssel. Carrera, Sergio (2012): An Assessment of the Commission’s 2011 Schengen Governance Package. Preventing abuse by EU member states of freedom of movement?, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe Nr. 47, Centre for European Policy Studies, Brüssel. Carrera, Sergio/den Hertog, Leonhard/Parkin, Joanna (2012): EU Migration Policy in the wake of the Arab Spring. What prospects for EU-Southern Mediterranean relation?, MEDPRO Technical Report Nr. 15, Mediterranean Prospects, Brüssel. Carrera, Sergio/Guild, Elspeth/Merlino, Massimo/Parkin, Joanna (2011): A Race against Solidarity. The Schengen Regime and the Franco-Italian Affair, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe, Center for European Policy Studies, Brüssel. Carrera, Sergio/Hernanz, Nicholas/Parkin, Joanna (2013): Local and Regional Authorities and the EU’s External Borders. A Multi-Level Governance Assessment of Schengen Governance and „Smart Borders“, Centre for European Policy Studies, Brüssel. Carrera, Sergio/Lannoo, Karel (2018): We’re in this boat together. Time for a Migration Union, Policy Insights Nr. 2018/09, Centre for European Policy Studies, Brüssel.

336

Quellen- und Literaturverzeichnis

Cremer, Hendrik (2018): Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze? Eine menschen- und europarechtliche Bewertung, Stellungnahme, Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin. Cruz, Antonio (1993): Schengen, ad hoc Immigration Group and other European intergovernmental bodies in view of Europe without internal borders, Briefing Paper Nr. 12, Churches‘ Commission for Migrants in Europe, Brüssel. de Bruycker, Philippe/Tsourdi, Evangelia (2015): EU Asylum Policy: In Search of Solidarity and Access to Protection, Policy Brief 2015 (6), Migration Policy Center, Florenz. den Hertog, Leonhard (2012): Two Boats in the Mediterranean and their Unfortunate Encounters with Europe’s Policies towards People on the Move, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe Nr. 48, Center for European Policy Studies, Brüssel. Ernst & Young (2015): European Asylum Support Office. Independent External Evaluation of EASO’s activities covering the period from February 2011 to June 2014, Final Report, December 2015, o. O. European Council on Refugees and Exiles (2008): Sharing Responsibility for Refugee Protection in Europe: Dublin Reconsidered, Brüssel. European Council on Refugees and Exiles (2013): Dublin II Regulation. Lives on hold, Brüssel. European Stability Initiative (2015): Turkey as a „Safe Third Country“ for Greece, Background Document, 17.10.2015, Berlin/Brüssel/Istanbul. European Stability Initiative (2017): The Refugee Crisis through Statistics. A compilation for politicians, journalists and other concerned citizens, Berlin/Brüssel/Istanbul. Fandrich, Christine/Fargues, Philippe (2012): Migration after the Arab Spring, MPC Research Report 2012/09, Robert Schumann Centre for Advanced Studies, European University Institute, San Domenico di Fiesole. Giannakopoulos, Angelos (2017): Introduction, in: Ders. (Hg.) Solidarity in the European Union: Challenges and Perspectives, Research Paper No. 9, Daniel Abraham Center for International and Regional Studies, Tel Aviv, S. 11-19. Guild, Elspeth/Costello, Cathryn/Garlick, Madeline/Moreno-Lax, Violeta (2015): Enhancing the Common European Asylum System and Alternatives to Dublin, CEPS Paper in Liberty and Security in Europe, No. 83, Center for European Policy Studies, Brüssel. Guild, Elspeth/Costello, Cathryn/Moreno-Lax, Violeta (2017): Implementation of the 2015 Council Decisions establishing provisional measures in the area of international protection for the benefit of Italy and of Greece, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel. Kraler, Albert/Rogoz, Madalina (2011): Irregular Migration in the European Union since the turn of the millennium – development, economic background and discourses, Database on Irregular Migration, Working Paper 10, o. O. Kustov, Alexander/Laaker, Dillon/Reller, Cassidy (2019): The Stability of Immigration Attitudes: Evidence and Implications, o. O. Labayle, Henri/de Bruycker Philippe (2013): Towards the Negotiation and Adoption of the Stockholm Programme’s Successor for the Period 2015-2019, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel.

Quellen- und Literaturverzeichnis

337

Maiani, Francesco (2016): The Reform of the Dublin III Regulation, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel. Monzini, Paola (2011): Recent Arrivals of Migrants and Asylum Seekers by Sea to Italy: Problems and Reactions, ARI 75/2011, Real Instituto Elcano, Madrid. Mouzourakis, Minos (2014): „We need to talk about Dublin”. Responsibility under the Dublin System as a blockage to asylum burden-sharing in the European Union, Working Paper Nr. 105, Refugee Studies Center, Oxford. Papadopoulou, Aspasia (2016): The implementation of the hotspots in Italy and Greece. A Study, Dutch Council for Refugees, Amsterdam. Papavero, Giorgia (2015): Sbarchi, richiedenti asilo e presenze irregolari, Fondazione ISMU, Mailand. Pascouau, Yves (2012): Schengen and Solidarity: The fragile balance between mutual trust and mistrust, Policy Paper Nr. 55, Notre Europe, Paris. Pascouau, Yves (2013): The Schengen Governance Package: The subtle balance between Community method and intergovernmental approach, Discussion Paper, European Policy Center, Brüssel. Peers, Steve (2016b): The Orbanisation of EU asylum law: the latest EU asylum proposals, Statewatch Analysis, London. Pernice, Ingolf (2013): Solidarität in Europa. Eine Ortsbestimmung im Verhältnis zwischen Bürger, Staat und Europäischer Union, WHI Paper 01/2013, Walter-Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht, Berlin. Pollet, Kris (2013): Enhancing intra-EU Solidarity. Tools to Improve Quality and Fundamental Rights Protection in the Common European Asylum System, ECRE Paper, European Council on Refugees and Exiles, Brüssel. Riedel, Sabine (2011): Illegale Migration im Mittelmeerraum. Antworten der südlichen EU-Mitgliedsstaaten auf nationale und europapolitische Herausforderungen, SWPStudie, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin. Roman, Emanuela/Baird, Theodore/Radcliffe, Talia (2016): Why Turkey is not a „Safe Country“, Statewatch Analysis, London. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2017): Chancen in der Krise: Zur Zukunft der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa, Jahresgutachten 2017, Berlin. Schlentz, Dace (2010): Did 9/11 matter? Securitization of Asylum and Immigration in the European Union in the period from 1992 to 2008, Working Paper Series No. 56, Refugee Studies Centre, Oxford. Strik, Teneke (2012): Lives lost in the Mediterranean Sea: who is responsible?, Report, Committee on Migration, Refugees and Displaced Persons, Council of Europe, Straßburg. Thränhardt, Dietrich (2016): Asylverfahren in den Niederlanden, Studie für die Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh. von Ondarza, Nicolai/Schenuit, Felix (2018): Schatten über den Europawahlen. Drei Szenarien für EU-skeptische Parteien nach den Wahlen 2019, SWP-Aktuell, Nr. 58 Oktober/2018, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin. Wagner, Martin/Baumgartner, Paul/Dimitriadi, Angeliki/O’Donnell, Rebecca/Kraler, Albert/Perumadan, Jimy/Schlotzhauer, Jan Hagen/Simic, Ivana/Yabasun, Dersim

338

Quellen- und Literaturverzeichnis

(2016): The Implementation of the Common European Asylum System, Executive Summary, Study for the European Parliament’s Committee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Brüssel. Westerby, Rachel (2018): Follow the Money. Assessing the use of EU Asylum, Migration and Integration Fund (AMIF) at the national level, Brüssel.

Online-Ressourcen ANSAmed (2013): Immigration: Italy launches Mare Nostrum, 400 more saved, 15.10.2013, http://www.ansamed.info/ansamed/en/news/sections/generalnews/20 13/10/15/Immigration-Italy-launches-Mare-Nostrum-400-saved_9466386.html, abgerufen am 27.08.2018. Asylum Information Database (2017): Greece: The ruling of the Council of State on the asylum procedure post EU-Turkey deal, http://www.asylumineurope.org/news/0410-2017/greece-ruling-council-state-asylum-procedure-post-eu-turkey-deal, abgerufen am 09.09.2018. Asylum Information Database (2018a): Conditions in Reception Facilities. Greece, http://www.asylumineurope.org/reports/country/greece/reception-conditions/housing/conditions-reception-facilities, abgerufen am 10.09.2018. Asylum Information Database (2018b): Conditions in Reception Facilities. Italy, https://www.asylumineurope.org/reports/country/italy/reception-conditions/housing/conditions-reception-facilities, abgerufen am 10.09.2018. Brian, Tara/Laczko, Frank (2014): Executive Summary, in: Dies. (Hg.): Fatal Journeys. Tracking Lives Lost during Migration, International Organization for Migration, Genf, S. 11-13. Brings, Tobias/Farahat, Anuscheh/Oehl, Maximilian (2016): Von wegen „Rückkehr zum Recht“: Warum die deutsche Grenzpolitik den Maßgaben des Dublin-Systems entspricht, VerfBlog, 09.03.2016, https://verfassungsblog.de/von-wegen-rueckkehrzum-recht-warum-die-deutsche-grenzpolitik-den-massgaben-des-dublin-systemsentspricht/, abgerufen am 21.09.2018. Hathaway, James C. (2016): Three legal requirements for the EU-Turkey deal: An interview with James Hathaway, VerfBlog, 09.03.2016, https://verfassungsblog.de/ three-legal-requirements-for-the-eu-turkey-deal-an-interview-with-james-hathaway/, abgerufen am 25.09.2018. Hruschka, Constantin (2016): Dublin ist tot! – Lang lebe Dublin! Anmerkungen zum Kommissionsvorschlag vom 4. Mai 2016, Fluchtforschungsblog, 28.06.2018, https://fluechtlingsforschung.net/dublin-ist-tot-lang-lebe-dublin/, abgerufen am 19.02.2019. Hruschka, Constantin (2018): Dublin ist kein Fünf-Minuten-Verfahren – Zu Zurückweisungen an der Grenze, VerfBlog, 23.06.2018, https://verfassungsblog.de/dublin-istkein-5-minuten-verfahren-zu-zurueckweisungen-an-der-grenze/, abgerufen am 24.09.2018. Human Rights Watch (2012): Unacknowledged Deaths. Civilian Casualties in NATO’s Air Campaign in Libya, 13.05.2012, https://www.hrw.org/report/2012/05/13/unackno

Quellen- und Literaturverzeichnis

339

wledged-deaths/civilian-casualties-natos-air-campaign-libya, abgerufen am 18.11.2018. Kühnhardt, Ludger (2019): „Was braucht es, um die Bürger künftig wieder für die EU zu begeistern?“, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, Online First Articles, https://link.springer.com/article/10.1007/s41358-019-00168-5, abgerufen am 07. 02.2019. Lehner, Roman (2015): Grenze auf, Grenze zu? Die transnationale Wirkung von Rechtsverstößen im Dublin-System, VerfBlog, 30.10.2015, https://verfassungsblog.de/ grenze-auf-grenze-zu-die-transnationale-wirkung-von-rechtsverstoessen-im-dublin-system/, abgerufen am 09.12.2018. Lehner, Roman (2016): Grenze zu, dank Art. 20 Abs. 4 Dublin-III-VO? Eine Replik, VerfBlog, 26.02.2016, https://verfassungsblog.de/grenze-zu-dank-art-20-abs-4-dubliniii-vo-eine-replik/, abgerufen am 24.09.2018. Maiani, Francesco/Hruschka, Constantin (2017): The Report of the European Par-liament on the reform of the Dublin system: certainly bold, but pragmatic? – EU Immigration and Asylum Law and Policy Blog, 20.12.17, https://eumigrationlawblog.eu/the-report-of-the-european-parliament-on-the-reform-of-the-dublin-system-certainly-bold-but-pragmatic/, abgerufen am 20.01.2019. Nettesheim, Martin (2017): Das EU-Recht in der Krise – ein schwieriges Verhältnis, VerfBlog, 15.09.2017, https://verfassungsblog.de/das-eu-recht-in-der-krise-ein-schwieriges-verhaeltnis/, abgerufen am 07.10.2018. Pro Asyl (2014): Europas Schande: „Triton“ und „Mare Nostrum“ im Vergleich, 17.10.2015, https://www.proasyl.de/news/europas-schande-triton-und-mare-nostrum-im-vergleich/, abgerufen am 27.08.2018. Pro Asyl (2015): Letzter Ausweg Balkan-Route: Die Not der Flüchtlinge, 24.08.2015, https://www.proasyl.de/news/letzter-ausweg-balkan-route-die-not-der-fluechtlinge/, abgerufen am 01.09.2018. Schmalz, Dana (2018): Weshalb man Asylsuchende nicht an der Grenze abweisen kann, VerfBlog, 13.06.2018, https://verfassungsblog.de/weshalb-man-asylsuchende-nic ht-an-der-grenze-abweisen-kann/, abgerufen am 24.09.2018. Semsrott, Arne (2018): Exklusiv: Interner Diplomatenbericht zu „KZ-ähnlichen“ Verhältnissen in libyschen Flüchtlingslagern, Blog FragDenStaat, 07.05.2018, https://fragdenstaat.de/blog/2018/libyen-fluechtlingslager/, abgerufen am 18.02.2019. The Migrants‘ Files (2016): The human and financial cost of 15 years of Fortress Europe. Counting the Dead, http://www.themigrantsfiles.com/, abgerufen am 07.01.2019. Thym, Daniel (2015): Jenseits von Dublin: zulässige Rückschiebungen in die Nachbarstaaten, VerfBlog, 01.11.2015, https://verfassungsblog.de/jenseits-von-dublin-zulaessige-rueckschiebungen-in-die-nachbarstaaten/, abgerufen am 23.09.2018. Thym, Daniel (2016a): Why the EU-Turkey Deal is Legal and a Step in the Right Direction, VerfBlog, 09.03.2016, https://verfassungsblog.de/why-the-eu-turkey-deal-is-legaland-a-step-in-the-right-direction/, abgerufen am 25.09.2018. Thym, Daniel (2018): Der Rechtsbruch-Mythos und wie man ihn widerlegt, VerfBlog, 05.02.2018, https://verfassungsblog.de/der-rechtsbruch-mythos-und-wie-man-ihnwiderlegt/, abgerufen am 23.09.2018.

340

Quellen- und Literaturverzeichnis

UN News (o. V.) (2018): Refugees overcrowded to „boiling point“ on Greek island, warns UN agency, 31.08.2018, https://news.un.org/ en/story/2018/08/1018112, abgerufen am 10.09.2018.

Lexikonartikel Anzenbacher, Arno (2011): Gemeinwohl, in: Kolmer, Petra/Wildfeuer, Armin (Hg.): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band 1, Freiburg, S. 919-931. Baumgartner, Alois/Korff, Wilhelm (1999): Sozialprinzipien als ethische Baugesetzlichkeiten moderner Gesellschaft: Personalität, Solidarität, Subsidiarität, in: GörresGesellschaft (Hg.): Handbuch der Wirtschaftsethik, Band 1, Gütersloh, S. 225-237. Hinkmann, Jens/Noetzel, Thomas (1999): Solidarität, in: Burkard, Franz-Peter/Prechtl, Peter (Hg.): Metzler Philosophie Lexikon. Begriffe und Definitionen, 2. Auflage, Stuttgart, S. 548-549. Hollerbach, Alexander/Kerber, Walter/Schwan, Alexander (1995): Gemeinwohl, in: Görres-Gesellschaft (Hg.): Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, S. 857-863. Kerber, Walter (1995): Solidaritätsprinzip, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9, Basel, S. 10151018. Konersmann, Ralf (1995): Semantik, historische, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9, Basel, S. 593-598. Koselleck, Reinhart (1972): Einleitung, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band 1, Stuttgart, S. XIII-XXVII. Küppers, Arnd/Nothelle-Wildfeuer, Ursula (2011): Solidarität, in: Kolmer, Petra/Wildfeuer, Armin (Hg.): Neues Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Band 3, Freiburg, S. 2027-2041. Meier, Helmut G. (1971): Begriffsgeschichte, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 1, Basel, S. 788-808. o. V. (2009): Brüderlichkeit, in: Gessmann, Martin (Hg.): Philosophisches Wörterbuch, 23. Auflage, Stuttgart, S. 112. Rauscher, Anton (1995b): Solidarität, in: Görres-Gesellschaft (Hg.): Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, 7. Auflage, Freiburg/Basel/Wien, S. 1191-1194. Schieder, Wolfgang (1972): Brüderlichkeit, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, Band 1, Stuttgart, S. 552-581. Wildt, Andreas (1995b): Solidarität, in: Ritter, Joachim/Gründer, Karlfried/Gabriel, Gottfried (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 9, Basel, S. 1004-1015.

Quellen- und Literaturverzeichnis

341

Rechtskommentare Becker, Ulrich/Hatje, Armin/Schoo, Johann/Schwarze, Jürgen (Hg.) (2019): EU-Kommentar, 4. Auflage, Baden-Baden. Blanke, Hermann-Josef/Mangiameli, Stelio (Hg.) (2013): The Treaty on European Union (TEU). A Commentary, Berlin/Heidelberg. Calliess, Christian/Ruffert, Matthias (Hg.) (2016): EUV/AEUV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta, Kommentar, 5. Auflage, München. Geiger, Rudolf/Khan, Daniel-Erasmus/ Kotzur, Markus (Hg.) (2017): EUV. AEUV, Vertrag über die Europäische Union, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Kommentar, 6. Auflage, München. Grabitz, Erhard/Hilf, Meinhard/Nettesheim, Martin (Hg.) (o.J.): Das Recht der Europäischen Union. EUV/AEUV, Loseblattausgabe, München. Heintschel von Heinegg, Wolff/Vedder, Christoph (Hg.) (2018): Europäisches Unionsrecht. EUV/AEUV/GRCh/EAGV, Handkommentar, 2. Auflage, Baden-Baden. Streinz, Rudolf (Hg.) (2018): EUV/AEUV. Vertrag über die Europäische Union und Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, 3. Auflage, München. von der Groeben, Hans/Schwarze, Jürgen/Hatje, Armin (Hg.) (2015): Europäisches Unionsrecht. Vertrag über die Europäische Union. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 7. Auflage, Baden-Baden. von Staudinger, Julius (Hg.) (2017): Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 2, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 397-432 (Erlass, Abtretung, Schuldübernahme, Schuldner- und Gläubigermehrheit), 16. Auflage, Berlin.