So spricht Mecklenburg-Vorpommern 9783831910144, 3831910146

Wer weiß schon, wann jemand "plietsch" ist und wie viel Französisches im Plattdeutschen steckt? Wer erinnert s

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So spricht Mecklenburg-Vorpommern
 9783831910144, 3831910146

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Titel
Michael Seidel – Vorwort
Jürgen Seidel – So sprach und spricht man in Mecklenburg-Vorpommern
So spricht Mecklenburg-Vorpommern – A–Z
Platt ist wunderbar – Zur Lage des Niederdeutschen in Mecklenburg-Vorpommern
Der Autor
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Inhaltsverzeichnis

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So spricht MecklenburgVorpommern

Herausgegeben vom Zeitungsverlag Schwerin Autor: Jürgen Seidel

Ellert & Richter Verlag

Vorwort

Mecklenburg-Vorpommern ist ein sogenanntes Bindestrich-Land. Und ein Einwanderungsland. Jedenfalls in früheren Zeiten. Daher rührt mindestens sprachlich eine Vielfalt, die so nicht per se zu erwarten wäre. Wer also meint, nur weil Mecklenburg-Vorpommern an der Küste liegt, spräche man hier selbstverständlich Platt oder – wie es offiziell heißt – Niederdeutsch, der irrt gewaltig. Zum einen unterscheidet sich dat Plattdüütsche schon mal erheblich in den einzelnen Regionen des Landes: An der Küste klingt es anders als im Binnenland, im westmecklenburgischen anders als im strelitzschen Mecklenburg, in Vorpommern anders als auf der Insel Poel. Die einen rollen das „r“, die anderen ziehen das „e“. Es gibt ein sogenanntes Dehnungs-„c“, das einen Teil der Menschen Mecklenburg wie „Meeeecklenburg“ aussprechen lässt. Der andere Teil spricht kurz und hart von „Mäcklenburg“. Diese Vielfalt ist aber nicht alles. Wer den Versuch unternimmt, einen typischen Mecklenburger oder Vorpommern zu finden, wie mir das vor 22 Jahren als Auftrag meiner damaligen ZDF-Redaktion erteilt wurde, wird sich wundern, wie lange es braucht: Denn dieses Land beherbergt – den Vertreibungen infolge des Zweiten Weltkriegs geschuldet – nahezu jede deutsche Volksgruppe: von Ostpreußen über Schlesier und Sudeten bis zu den Siebenbürgen. Und noch etwas ist auffällig: Überall finden sich auch sächsische und thüringische Idiome, denn infolge der künstlichen Industrialisierungsversuche in DDR-Zeiten siedelten sich zahlreiche Menschen aus den südlicheren DDR-Regionen hier im Nordosten an. Auch diese Einflüsse haben den Sprachgebrauch in MecklenburgVorpommern über die Jahrzehnte nachhaltig verändert. Ganz zu schweigen vom „Neudeutsch“, das nach dem Mauerfall und der deutschen Einheit ins Land einwanderte. So haben die im medienhaus:nord erscheinenden Zeitungen – vom Flaggschiff, der Schweriner Volkszeitung (SVZ) mit ihren neun Lokalausgaben, bis zu den Norddeutschen Neuesten Nachrichten – zu Beginn des Jahres 2013 angefangen, mit Hilfe ihrer Leser unter der Rubrik „So spricht MV!“ eine sprachkundliche Sammlung anzulegen, die einen Kompass bietet durch diese

Sprachgebrauchsvielfalt. Hunderte Leser haben über viele Monate immer neue Entdeckungen eingesandt. Wir danken ihnen dafür ganz herzlich! Denn so konnte auch unsere Zeitungsredaktion neue Wortschöpfungen entdecken, beinahe vergessene Redewendungen wieder bewusst machen – und manche Wortdeutung überhaupt verstehen. Denn auch dies gehört zu den Ergebnissen dieses Medienprojekts: Manches Wort selbst hat vielfältigere Be-Deutungen als zuvor angenommen. Das systematische Sammeln, Recherchieren und Aufbereiten dieses Wortschatzes ist das Verdienst unseres Autors Jürgen Seidel. Für diese nicht alltägliche und äußerst aufwendige Arbeit sei ihm an dieser Stelle ebenfalls gedankt. Dass Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dieser einzigartige Wortschatz nun in dieser gediegenen Buch-Edition vorliegt, dafür sage ich dem Ellert & Richter Verlag ganz besonderen Dank. Nicht nur wegen der sehr gelungenen Edition, sondern auch für die unendliche Geduld und den Langmut, den die Zusammenarbeit mit einer immer hektischen Zeitungsredaktion einem abverlangt. Ich wünsche Ihnen nun eine vergnügliche, lehrreiche und erbauliche Lektüre mit diesem mecklenburg-vorpommerschen Sprachschatz.

Ihr Michael Seidel, Chefredakteur des Zeitungsverlags Schwerin, medienhaus:nord

So sprach und spricht man in Mecklenburg-Vorpommern – Auf der Suche nach Wörtern, Begriffen und Redewendungen aus Vergangenheit und Gegenwart

„Das Menschlichste, was wir haben, ist doch die Sprache.“ So sagt es jedenfalls kein Geringerer als der Apotheker und Schriftsteller Theodor Fontane. Wenn wir uns also der Sprache, dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort einer Region, nähern, dann nähern wir uns auch den Menschen dieser Region, ihrem Fühlen und Denken, ihrem Alltag und ihren Festtagen, ihrer Herkunft und Zukunft, letztlich ihrer Identität. So gesehen ist Sprache unbedingt ein Stück Heimat. Und das gilt natürlich auch für die Heimat der zwischen Ostsee und Binnenland, zwischen Rügen ganz oben und Polz nahe Dömitz ganz unten im Lande lebenden Menschen – den Bewohnern von Mecklenburg-Vorpommern, wie das Land seit Herbst 1990 wieder heißt. Allerdings ist die Geschichte der in dieser Region gesprochenen Sprache oder, besser formuliert, der hier gesprochenen Sprachen natürlich viel älter als die gut zwei Jahrzehnte, die seitdem vergangen sind. Sie reicht Jahrhunderte zurück. Und sowohl in der Geschichte als auch in der Sprachgeschichte schwingen noch heute Erinnerungen an frühe und noch frühere Zeiten mit. Zugleich lagen Mecklenburg und Vorpommern schon immer mitten in Europa, waren Einflüssen aus anderen Gegenden und Ländern ausgesetzt, die sich auch in ihrer Sprache niedergeschlagen haben. So hört man vielleicht manchen niederländischen, schwedischen oder polnischen Import heraus. Nicht zuletzt spielten und spielen die letzten 100 Jahre mit ihren großen Umbrüchen und Verwerfungen eine entscheidende Rolle. Auch sie brachten historische und sprachgeschichtliche Veränderungen mit sich, wenn diese vielleicht auch nicht immer so offensichtlich und mit einer solchen Geschwindigkeit daherkamen und daherkommen wie das Ziehen, Schließen und Öffnen von staatlichen Grenzen. Dennoch bleiben sie bis in die Gegenwart hinein spürbar und tragen zur Identität der Bewohner von Mecklenburg und Vorpommern bei. Wer sich also den Menschen hier nähern will, der darf und sollte dies auch über die Begegnung mit ihrer Sprache, mit den von ihnen in früheren und heutigen Zeiten benutzten Wörtern, Begriffen und Redewendungen tun. Zugleich können sich auch die Mecklenburger und Vorpommern in der Beschäftigung mit und der Besinnung auf ihre eigene Sprache gewissermaßen selbst auf die Schliche kommen und sich

ihrer eigenen Identität als Bewohner und Gestalter ihres Landes MecklenburgVorpommern vergewissern – egal, ob sie wie schon ihre Eltern und Großeltern bereits hier geboren und aufgewachsen sind oder ob sie erst seit kürzerer Zeit hier leben. So oder so bekommen es alle mit einer sprachlichen Besonderheit dieses nordöstlichen Bundeslandes zu tun, die ihrerseits wieder viele kleine Besonderheiten aufzuweisen hat – die Rede ist von der niederdeutschen Sprache und von ihrem vielleicht bedrohten Reichtum. Wenn über MecklenburgVorpommern gesprochen wird, dann muss zwangsläufig auch vom Plattdeutschen gesprochen werden, von diesem „Eikbom vull Knorrn un vull Knast“, von welchem schon der Dichter Fritz Reuter (1810 – 1874) schrieb. Aber wie lebendig ist dieser „Eichbaum“ heute?

Wie steht es um das Plattdeutsche in Mecklenburg-Vorpommern?

Die gute Botschaft ist: Das Niederdeutsche gehört nach wie vor zu Mecklenburg-Vorpommern – wie das Schloss zu Schwerin oder der Leuchtturm zu Warnemünde. Es wird nach wie vor gesprochen und geschrieben, man kann es im Radio hören, manchmal auch im Fernsehen, in einigen Schulen wird es gesprochen, und es werden sogar wieder ganz offiziell neue Lehrer für das Plattdeutsche ausgebildet – in Greifswald und Rostock. Nicht zuletzt soll die seit Februar 2013 amtierende Landesbeauftragte für Niederdeutsch an den Schulen die Organisation des Plattdeutsch-Wettbewerbs für Kinder und Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern übernehmen. Außerdem sind in das seit 2010 laufende Landesmodellprojekt „Niederdeutsch in der frühkindlichen Bildung in Mecklenburg-Vorpommern“ schon knapp 20 Kindertageseinrichtungen einbezogen. Es gibt also durchaus Hoffnung für diese kräftige und knurrige, mitunter sehr deutliche und zugleich zärtliche, auf jeden Fall aber wundervolle Sprache, deren Verlust eben auch ein großes Stück Identitätsverlust mit sich bringen würde. Insofern lohnt es sich, danach zu fragen, wie verwurzelt und verbreitet das Plattdeutsche heutzutage tatsächlich noch in MecklenburgVorpommern ist. Wer spricht es noch? Zu welchen Gelegenheiten? Wer versteht es? Welche niederdeutschen Begriffe gehören noch zum Alltag? Und wie modern ist das Plattdeutsche?

Immerhin – das sollte bei der Suche nach Antworten auf die „P-Frage“ nicht vergessen werden – steht das Niederdeutsche sogar in der Verfassung dieses Landes. So heißt es im Artikel 16, der sich mit der Förderung von Kultur und Wissenschaft beschäftigt, ausdrücklich und unmissverständlich: „Das Land schützt und fördert die Pflege der niederdeutschen Sprache.“ Und es gibt sogar die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern auf Niederdeutsch. Aber in welcher Verfassung befindet sich das Plattdeutsche selbst? Wie steht es um das Platt in Mecklenburg-Vorpommern? Kurzum: Is Plattdüütsch ok hüt noch wat?

Zwischen ABV und Zweiraumwohnung – Wörter aus der DDR-Zeit

Nicht wenige der Menschen, die heute noch – oder als Rückkehrer aus ganz verschiedenen Ländern inzwischen auch wieder – in Mecklenburg-Vorpommern leben, haben zumindest einen Teil der Landesgeschichte miterlebt, als diese Region zur DDR gehörte. Auch aus dieser Zeit haben sich Wörter, Begriffe und Redewendungen in Wort und Schrift erhalten. Einige von ihnen tauchen immer mal wieder wie selbstverständlich im täglichen Sprachgebrauch auf, wie die Kaufhalle oder der Kosmonaut, für andere wiederum brauchen vor allem jüngere Landeskinder oder solche, die es aus anderen Gegenden und Bundesländern hierhergezogen hat, Entschlüsselungshilfe. Tatsächlich gibt es bereits nicht wenige Neuausgaben von zu DDR-Zeiten geschriebenen Erzählungen und Romanen, die gleich ein eigenes Wörterverzeichnis aus diesen Jahren und Jahrzehnten mitbringen. Schließlich weiß nicht mehr jeder gleich zu sagen, was eigentlich die Jungen Pioniere und die FDJ waren, was ABV oder Zweiraumwohnung, was HO oder VEB bedeuten. Kein Wunder, mit verschwundenen Zeiten verschwinden natürlich auch die in diesen Zeiten verwendeten und geläufigen Wörter, Begriffe und Redewendungen. Dennoch gehören auch sie zum sprachlichen Gepäck der hier und heute in Mecklenburg-Vorpommern lebenden und arbeitenden Menschen, von denen einst so manche aus südlicheren Gefilden in den nördlichen Teil der DDR kamen, der damals allerdings nicht zu einer politischen Einheit zusammengefasst, sondern in drei Nordbezirke gegliedert war. Und bei manch einem der früheren „Entwicklungshelfer“ ist noch heute unschwer ein leicht

sächsischer Akzent herauszuhören. Aber auch das gehört zu einer Betrachtung, die sich der Sprache Mecklenburg-Vorpommerns widmet.

Vom „aufrechten Gang“ bis „Wir sind das Volk!“ – Wörter der Wende-Zeit zwischen Sommer 1989 und Jahresende 1990

Es war wohl einer der spannendsten Abschnitte in der deutschen Geschichte, als sich im Zuge der politischen Umwälzungen in der DDR zunächst erst dort alles, zum Glück friedlich und sanft, veränderte und sich dann in einem vorher so nicht vorhersehbaren Prozess aus den beiden deutschen Staaten wieder ein Deutschland zu entwickeln begann – alle aktuellen Unzulänglichkeiten eingeschlossen. Spannend ist es auch, noch einmal jene Wörter und Wendungen nachzuverfolgen, die damals in aller Munde waren und von denen sich viele auch in der Schweriner Volkszeitung (SVZ) wiederfanden. Viele dieser WendeWörter sind inzwischen längst vergessen, nur manche wie der „Runde Tisch“ und die energische Aufforderung „Keine Gewalt!“ haben den gesellschaftlichen Umbruch überlebt. Und so war es ein besonderes Gefühl, noch einmal die dicken Mappen mit den originalen Seiten der SVZ-Hauptausgabe aus dem Zeitraum zwischen Sommer 1989 und Jahresende 1990 oder genauer gesagt zwischen dem 1./2. Juli 1989 und dem 31. Dezember 1990 durchzusehen und noch einmal die besondere Atmosphäre dieses Abschnitts der jüngeren Zeitgeschichte zu spüren.

Die Vision eines großen Wörterbüchleins

Wer nun wissen will, wie in Mecklenburg-Vorpommern gesprochen wurde und gesprochen wird, der wird und will nicht umhinkommen, diejenigen zu befragen, die hier leben, die täglich und sonntäglich sprechen und schreiben, in der Küche und in der Kirche, im Büro und in der Werkstatt, in der Schule und im Festsaal, auf dem Sportplatz und vielleicht sogar per SMS. Gibt es Letztere womöglich

sogar in einer plattdeutschen Variante? Wer Antworten sucht, der muss Fragen stellen. Ab dem 2. Januar 2013 wollten wir von den Leserinnen und Lesern der SVZ gern wissen, welche Wörter, Begriffe und Redewendungen sie und ihre Kinder, ihre Eltern oder Großeltern benutzen oder benutzt haben – egal ob plattdeutsch oder hochdeutsch. Dazu baten wir um eine kurze Erklärung, wo diese Wörter, Begriffe und Redewendungen benutzt werden und was sie bedeuten. Schließlich heißt manches andernorts ganz anders, obwohl eigentlich überall dasselbe gemeint ist. Wesentlich unterstützt haben mich dabei, vor allem für den Bereich der niederdeutschen Wörter und Redewendungen, meine beiden PlattdeutschExperten Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin bei Güstrow und Wolfgang Hohmann aus Oettelin in der Gemeinde Zepelin bei Bützow. Über eine gewisse Zeit hinweg ist nun daraus eine Art großes Wörterbüchlein entstanden, eine lebendige Dokumentation, wie man in MecklenburgVorpommern sprach und spricht. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um eine Bestandsaufnahme und Selbstvergewisserung auf Hoch- und Plattdeutsch und damit zugleich um eine Bekräftigung der eigenen regionalen Identität, der ganz eigenen Stimme im großen europäischen Sprachenkonzert. Wie hatte es doch Theodor Fontane formuliert, der sich übrigens manchmal auch zumindest in Mecklenburg aufhielt: „Das Menschlichste, was wir haben, ist doch die Sprache.“

Jürgen Seidel im Sommer 2013

A

Aant, Ånt „Aant“ ist das plattdeutsche Wort für „Ente“. Man kann die Ente mit dem langen „aa“, aber auch – wie im Neuen hochdeutschplattdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter angegeben – folgendermaßen schreiben: „Ånt“. Und die männliche Ente, der Erpel, heißt auf Plattdeutsch „Arpel“. ABF In der Nachkriegszeit boten die „Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten“ (ABF) der DDR Menschen aus diesen Berufsgruppen die Möglichkeit, innerhalb von drei Jahren in einer Art Vorstudienanstalt das Abitur und damit die Hochschulreife zu erwerben. Die meisten der insgesamt mehr als 30 000 ABF-Absolventen studierten danach auch tatsächlich. Die ABF in diesem Sinne bestanden von 1949 bis 1963 an Universitäten und Hochschulen unter anderem in Berlin und Leipzig, in Jena, Rostock und Greifswald. Die ABF in Greifswald ist auch Gegenstand des sicher noch vielen bekannten Romans Die Aula von Hermann Kant, der diesen Bildungseinrichtungen damit ein literarisches Denkmal gesetzt hat. In Halle an der Saale existierte bis 1991 zudem noch eine spezielle ABF zur Vorbereitung auf das Auslandsstudium in verschiedenen sozialistischen Ländern, insbesondere in der Sowjetunion – seit 1966 als ABF „Walter Ulbricht“. ABV Die Abkürzung ABV bezeichnete einen „Abschnittsbevollmächtigten“ der „Volkspolizei“ (VP), der in seinem „Abschnitt“ (Revier) Streifendienst versah und als Ansprechpartner für die Bürger fungierte. Außerdem war er für das Aufnehmen und Weiterleiten von Strafanzeigen, für Verkehrskontrollen und Kontrollen der Meldepflicht zuständig. Der ABV wurde auch gefragt, wenn es um die Wiedererteilung einer → Fahrerlaubnis oder um die Genehmigung einer Reise in das Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet (NSW) ging. Sein Dienstgrad war meist der eines Unterleutnants oder eines Leutnants der VP. Zu den berühmtesten ABV gehörte Der Leutnant vom Schwanenkietz, so der Titel eines dreiteiligen Films des DDR-Fernsehens von Rudi Kurz aus dem Jahr 1974, in dem der damals 33-jährige Schauspieler Jürgen Zartmann den

verständnisvollen und engagierten ABV Leutnant Werner Martin verkörperte. Der Leutnant vom Schwanenkietz ist übrigens am 27. Juli 2012 neu auf DVD herausgekommen. Achterpuurt Das plattdeutsche Wort „Achterpuurt“ hat zwei Bedeutungen. So bezeichnet es zum einen die Hintertür, zum anderen ein wesentliches Stück der menschlichen Rückseite. Es ist auch sonst im Leben wohl nie von Schaden, noch eine „Achterpuurt“ offen zu haben. achter – noch viel mehr zu diesem Stichwort Der Wortteil „achter“ weist im Niederdeutschen immer auf etwas Hinteres hin: • achter, achtern: hinten, hinter • achter de Kusen: hinter die Binde (gießen), hinter die Kauwerkzeuge (gießen) • Achter, Achtern, Achtersten: Hinterteil, Gesäß • achteran: hinterher • Achterdeil: Hinterteil, Gesäß • Achterdör: Hintertür, Gesäß • Achtergatt: After • achterher: hinterher • Achterkrett: hinteres Steckbrett für einen Kastenwagen • Achterliek: hinterer Teil des Schiffes, auch Hinterteil eines Menschen • achterna: hinterher • Achterœwerwind: im Windschatten, windgeschützt • Achterplacken: Absätze, Hacken

• Achtersälen (in de A. kamen): hinteres Sielengeschirr beim Vierergespann, sich wirtschaftlich runieren • Achterschinken: Hinterschinken • Achtersiet: Hinterseite, Gesäß • Achtersteven: Hinterteil (des Schiffes), Hintern, Gesäß • Achterstuf: Hinterstube, Hinterzimmer • achtertau: hinterzu, hinterher • achterüm: von hinten (he)rum • achterwarts: rückwärts, rückseitig Aktivist Ein „Aktivist“ war zu DDR-Zeiten ein Werktätiger, der besonders gute Arbeit leistete und auch ansonsten „auf Linie“ war. Zur offiziellen Auszeichnung als „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ oder als „Verdienter Aktivist“ gab es Ehrennadeln und Urkunden. Mitunter waren die Porträts der Aktivisten auch in der „Straße der Besten“ zu sehen, also in speziellen Schaukästen der jeweiligen Betriebe. Einer der ersten Aktivisten war der Bergmann Adolf Hennecke, ein gebürtiger Westfale, der seit 1926 in Sachsen arbeitete und am 13. Oktober 1948 in einer gut vorbereiteten Sonderschicht seine Arbeitsnorm mit 387 Prozent übererfüllte. Nach ihm wurde dann auch die sogenannte Hennecke-Aktivistenbewegung benannt: Im Interesse einer hohen Planerfüllung sollten nicht nur einzelne Aktivisten, sondern am besten ganze Brigaden (→ Brigadier) dauerhaft und allgemein hohe Leistungen erzielen. Nicht wenigen seiner Arbeitskollegen hatte Adolf Hennecke allerdings auch als „Normbrecher“ gegolten. Auf der anderen Seite ging sein Name zumindest zeitweilig in die ostdeutsche Umgangssprache ein: Wenn einer schnell ging, sagte man: „Der rennt wie Hennecke.“ Und wenn es heftig regnete, hieß es: „Es gießt wie Hennecke.“ Die eigentliche sprachliche Quelle des auch heute noch – allerdings in anderen Zusammenhängen – verwendeten Begriffs „Aktivist“ ist lateinischen Ursprungs, be-deutet doch activus so viel wie „tätig“ oder eben „aktiv“.

Amiga Wörtlich aus dem Spanischen übersetzt bedeutet dieses Wort „Freundin“. Und so hieß auch ein in den 1980er- und 1990er-Jahren weitverbreiteter Heimcomputer von Commodore. Aber nicht dieser inzwischen historische PC ist hier gemeint, sondern ein Schallplattenlabel des von dem Sänger Ernst Busch 1946 gegründeten Musikverlags „Lied der Zeit“, zu dem auch das Label → Litera gehörte. 1954 ging „Amiga“ an den → VEB Deutsche Schallplatten Berlin über und sollte als ein dem Kulturministerium nachgeordneter Betriebsteil die populäre Musik in ihrer ganzen Vielfalt präsentieren – von Beat, Rock und Pop bis zu Jazz und Schlager. Zu den meistverkauften Amiga-Platten gehörten Weihnachten in Familie mit Frank Schöbel und Aurora Lacasa, Rock ’n’ Roll Music von den Puhdys und Der blaue Planet von Karat. Seit dem offiziellen Ende von „Amiga“ 1994 wird das Repertoire von mehr als 30 000 Titeln, rund 2000 Schallplattenproduktionen und 5000 Singles von der BMG Berlin Musik GmbH, jetzt Sony Music Entertainment, vermarktet. Als Markenname für Veröffentlichungen von Tonträgern aus der DDR-Zeit wird „Amiga“ noch immer verwendet. Im Übrigen gibt es zu vielen DDR-Schallplatten, von denen nicht wenige nur mit etwas Glück und unter dem Ladentisch zu haben, also → Bückware waren, ganz eigene Geschichten. auf Augenhöhe Dieses Wortpaar hört man in letzter Zeit auch in Mecklenburg-Vorpommern häufig, egal ob im Beruf oder im Privatleben, in Politik oder Alltagspsychologie. Meist ist dabei nicht die tatsächliche Augenhöhe eines Menschen im anatomisch-biologischen Sinne gemeint, sondern es geht um die sozialpsychologische Betrachtung des Verhältnisses von Menschen zueinander, um Gleich- oder Ungleichheit, um Macht und Ohnmacht. Ist zum Beispiel von dem Wunsch nach „gleicher Augenhöhe“ oder eben einfach „auf Augenhöhe“ zum Beispiel in Gesprächen oder Verhandlungen die Rede, dann geht es um Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung der jeweiligen Partner. In der Pädagogik werden mitunter einfache Hilfsmittel benutzt, um Augenhöhe herzustellen. So kauern sich Erwachsene oft intuitiv zu Kindern nieder. Auch in der modernen Medizin beispielsweise gilt es als Ideal, dass sich der Arzt oder die Ärztin und der mündige Patient beziehungsweise die mündige Patientin

auf Augenhöhe begegnen. Ein wichtiger Hinweis dazu kommt aus der Psychologie: Die Begegnung auf Augenhöhe öffnet den Dialog zwischen Menschen und lässt Gemeinsames schaffen. Begegnung auf Augenhöhe hat nichts mit Gleichmacherei zu tun – sie respektiert die Unterschiede, betont aber die Gleichheit im sozialen Leben. Ob Menschen einander auf Augenhöhe begegnen, das hängt von der „inneren Haltung“ ab. Diese ist äußerlich nicht sichtbar, sondern sie wirkt gleichsam im Verborgenen – gewissermaßen als „geistiges Konzept“, das ständig interpretiert, was für gut angesehen wird und was eben nicht. Zudem bestimmt dieses geistige Konzept oder die innere Haltung das Handeln und Wollen der Menschen, ihre Überzeugungen und Grundannahmen. Begegnet ein Mensch dem anderen nicht auf Augenhöhe, so liegt zumeist ein gestörtes oder gekränktes Selbstwertgefühl vor. In dessen Folge ordnet sich eine Person der anderen von ihrer Haltung her ängstlich unter, oder sie stellt sich bestimmend „darüber“ und wertet die andere Person ab. Menschen, die mit der Begegnung „auf Augenhöhe“ Probleme haben, sollten sich mit den eigenen, oft weit zurückliegenden Kränkungen ihres Selbstwertgefühls auseinandersetzen. Das führt oft in die Kindheit zurück, welche die Interaktion mit den Bezugspersonen geprägt hat. Zum Schluss noch zwei hübsche Geschichten zum Thema, die sich wirklich so zugetragen haben. Die eine spielt noch zu DDR-Zeiten in einem größeren Betrieb im Industriekomplex Schwerin-Süd, wo der Werkselektriker, ein körperlich ziemlich kleiner Mann, eines Tages beauftragt wurde, für die Bediener der hochmodernen CNC-Fräsmaschinen Steckdosen anzubringen. „Wie hoch?“, fragte er. „In Augenhöhe“, lautete die Antwort, und der Werkselektriker brachte die Steckdosen in der gewünschten Höhe an – allerdings in seiner Augenhöhe. Man kann sich die Verwunderung der CNC-Fräser vorstellen, als sie die Steckdosen suchten … Die zweite Geschichte, die der Wortschatzredakteur erst kürzlich selbst erlebt hat, dient als Beweis der ersten: Während einer Kaffeepause in einer Schweriner Touristeninformation erzählte der Autor eben gerade diese erste Geschichte, als einer der Darsteller des Schweriner „Petermännchens“, des auch nicht gerade groß gewachsenen „Schlossgeistes“, dazukam, lächelnd zuhörte und am Ende freundlich sagte: „Ja, das stimmt. Diesen Elektriker von damals im SchwerinSüd, den kenne ich gut – das war ich.“ aufrechter Gang Biologisch gesehen ist der Mensch, der Homo sapiens, das

einzige Lebewesen auf der Erde, welches gewohnheitsmäßig den aufrechten Gang bevorzugt. Einer von dessen Vorteilen ist der bessere Gebrauch von Werkzeugen. Politisch gesehen ist der aufrechte Gang das Gegenteil einer gebückten, gedemütigten und unterwürfigen Haltung. Der aufrechte Gang drückt Stolz und Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Verantwortungsgefühl für die eigenen Angelegenheiten aus – ganz so, wie es sich viele DDR-Bürger für die Zeit nach der → Wende vorstellten und wünschten. Literarisch-künstlerisch gesehen soll an dieser Stelle aber auch an einen bemerkenswerten Gedichtband des am 7. Mai 1939 in Dresden geborenen Schriftstellers Volker Braun erinnert werden. Bevor Braun an der Leipziger KarlMarx-Universität ein Studium der Philosophie aufnahm, hatte er nach seinem Abitur einige Jahre im Bergbau und Tiefbau gearbeitet. Intensiv beschäftigte sich der in der DDR als staatskritisch geltende Dichter mit den Widersprüchen und Hoffnungen in einem sozialistischen Staat. Der schöne Gedichtband, auf den hier angespielt wird, erschien 1976 und trägt den Titel Training des aufrechten Gangs. Das könnte auch über die Wende-Zeit gesagt sein.

B

bannig ist ein schönes und kräftiges plattdeutsches Wort. Es stammt wohl vom Ende des 18. Jahrhunderts, ist seit dem 19. Jahrhundert im Norden stärker verbreitet und bedeutet so viel wie „sehr“, „stark“, „gewaltig“ oder auch „großartig“. Ein Beispiel: „He hett bannig wat op 'n Kassen“ (Er hat schwer was auf 'm Kasten). Er ist also sehr klug. Oder: „Dat deit mi bannig leed“ ('tschuldigung). begriesmulen, begriesmülen Heißt es über jemanden: „Dat hett em œwer begriesmult“, so bedeutet das in etwa, dass er enttäuscht und unzufrieden ist, weil etwas nicht nach seinen Vorstellungen gelaufen ist. Der Begriff „begriesmulen“ findet sich auch im Plattdeutsch-hochdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter – und zwar in den beiden Varianten „begriesmulen“ oder „begriesmülen“ für „jemanden anführen“ oder für „fehlschlagen“. Und dort finden sich auch zwei Beispielsätze: „Lat di dat nich begriesmulen“ und „Dat ward di begriesmulen“. Als Ursprung des Wortes wird „Griesmul“ angeführt: knirschendes Maul. Begrüßungsgeld Das Begrüßungsgeld bezeichnete in der → Wende-Zeit eine finanzielle Unterstützung, die in der Bundesrepublik Deutschland jedem einreisenden Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sowie der damaligen Volksrepublik Polen, soweit eine deutsche Abstammung nachgewiesen werden konnte, aus Mitteln des Bundeshaushalts gewährt wurde. Das Begrüßungsgeld war bereits 1970 in Höhe von 30 D-Mark eingeführt worden und konnte zweimal im Jahr in Anspruch genommen werden. 1988 wurde es auf 100 D-Mark erhöht, jedoch auf eine einmalige jährliche Inanspruchnahme beschränkt. Besondere politische und wirtschaftliche Bedeutung erlangte dieses Begrüßungsgeld infolge des → Mauerfalls am 9. November 1989 und in den nachfolgenden Wochen und Monaten, wo es von den oft noch westgeldlosen DDR-Bürgern gern und mitunter auch mehrfach in Anspruch genommen wurde – was offiziell eigentlich gar nicht ging. Aber DDR-Bürger beherrschten und beherrschen die Kunst der Improvisation. Heute steht das Begrüßungsgeld weniger dramatisch für eine Art

Anschubfinanzierung, die auch in Mecklenburg-Vorpommern einige Kommunen wie zum Beispiel die Landeshauptstadt Schwerin oder Rostock und Neubrandenburg neugeborenen Kindern zahlen – zur freundlichen Begrüßung auf Erden. Dieselbe Bezeichnung „Begrüßungsgeld“ gilt für eine finanzielle Unterstützung von Studenten, die ihren Hauptwohnsitz in die jeweilige Universitätsstadt – also in Mecklenburg-Vorpommern in Rostock oder Greifswald – verlegen. Beitritt Das ist eine Formulierung aus dem Grundgesetz, wie es noch vor dem später als „Wiedervereinigung“ bezeichneten Zusammenschluss der DDR und der Bundesrepublik galt. Der sogenannte Beitrittsartikel lautete in der Fassung des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 bis 1990 unverändert, auch wenn sich die bundesdeutschen Länder und ihre Bezeichnungen inzwischen verändert hatten: Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig- Holstein, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen. Vom 3. Oktober 1990 an – dem Tag des von der DDR-Volkskammer beschlossenen Beitritts zur Bundesrepublik – gab es dann im Grundgesetz zunächst keinen Artikel 23 mehr. Durch ein Gesetz vom 21. Dezember 1992, das am 25. Dezember 1992 in Kraft trat, wurde der heutige Artikel 23 des Grundgesetzes, der sogenannte Europa-Artikel, an seiner Stelle neu eingefügt. Berufsbezeichnungen, orrer: Nåmen för Deinste un Gewarf • Apotheker: Apteiker • Bäcker: Bäcker, Deichknäder • Bauer: Buer, Klutenpedder • Böttcher: Fattbinner • Dachdecker: Dackflicker, Dacklöper

• Dorfschullehrer: Köster • Elektriker: Strippentrecker, Strippenhingst • Friseur: Balbier, Bortputzer • Gärtner: Queckenpüker • Gastwirt: Kröger, Kräuger • Händler, Kaufmann: Kopmann • Hebamme: → Mudder Griepsch, Häwamm • Klempner: Bleckklopper, Bleckbüdel, Kätelflicker • Köchin: Kœksch, Pottkratzer • Lehrer: Lihrer, Schaulmeister • Maler: Måler, Farwenkleckser, Pinselschinner • Maurer: Murer, Leihmbacker • Müller: Möller • Musiker: Muskant, Spällüd (Plural) • Notar: Afkåt • Organist, Kirchendiener und Dorfschullehrer: Köster • Pastor: Preister, Paster • Polizist: Schandarm • Postbote, Briefträger: Postbüddel • Professor: Perfesser, Bäukerhingst • Schäfer: Scheeper, Lämmergrieper

• Schlosser: Kleinschmitt, Iesenpicker • Schmied: Smitt, Pier(d)schauster • Schneider: Snieder • Schornsteinfeger: Schosteinfäger, Kaminkihrer, Kiek-in’t-Rühr, swart Mann • Schuster: Schauster, Schooster, Pickhingst • Seemann: Fohrensmann • Stellmacher: Ra’måker, Radmåker • Tischler: Discher, Holtworm • Töpfer, Ofensetzer: Pötter, Pödder • Uhrmacher: Klock(en)måker, Klockenschauster • Weber: Linnenwäwer • Zahnarzt: Tähn(en)dokter, Kusenklempner, Mulschauster Besserwessi Dieser Ausdruck war und ist zum Teil noch eine verbale Form der Kritik am arroganten und überheblichen Auftreten von einigen Bürgern aus den sogenannten alten Bundesländern – also Wessis aus dem Westen – gegenüber den von ihnen offenbar als geringwertiger und irgendwie dümmer angesehenen Ossis. Diese aber wehrten sich auf ihre Weise gegen dieses besserwisserische Gehabe mit einer kreativen Zusammenziehung aus dem Besserwisser und dem Wessi – eben dem Besserwessi. Betriebsferienlager Wie schon der Name andeutet, wurden die Betriebsferienlager von Betrieben oder → Kombinaten im Wesentlichen für die Kinder der Beschäftigten unterhalten. Dorthin fuhren sie im Alter von sechs bis 14 Jahren. Für viele Menschen, die in der DDR als Kinder und Jugendliche in Betriebsferienlagern zu Gast waren, verbindet sich diese Zeit bis heute mit vornehmlich positiven Erinnerungen an Spaß, Spiel und Sport – das alles für, selbst gemessen an damaligen Verhältnissen, relativ wenig

Geld. Für die Unterhaltung und Versorgung der jeweiligen Ferienlager waren die Betriebe zuständig. Auch die Lagerleiter und Betreuer kamen zumeist aus diesem Umfeld, oft unterstützt zum Beispiel durch Studenten, die sich etwas Geld dazuverdienen wollten. Der Aufenthalt dauerte in der Regel zwei Wochen, sodass während der achtwöchigen → großen Ferien jeweils vier „Durchgänge“ möglich waren. Selbstverständlich waren die Betriebsferienlager auch eine Schule der Gemeinschaft, in der es sich ein-, aber auch unterzuordnen galt. Nicht wenige Jugendliche erlebten in den Betriebsferienlagern – von denen viele im landschaftlich besonders reizvollen Norden der DDR lagen – ihre erste Liebesromanze und ihren ersten Kuss. Und auch hier war trotz des anfänglichen großen Heimwehs am Ende der 14 Tage immer eines das Schlimmste: der Abschied. Bienchenstempel Bienchenstempel? Vor allem für Schulanfänger und in den unteren Klassen gab es zu DDR-Zeiten für artiges Verhalten und gute Leistungen „Bienchen“. Die Abbildung einer kleinen fleißigen Biene stempelten die Lehrerinnen der Unterstufe – dort unterrichteten tatsächlich vor allem Lehrerinnen, oder hatten Sie vielleicht einen Grundschullehrer? – zur Belobigung in die Hefte von Schülerinnen und Schülern oder auch ins „Muttiheft“, in das Mitteilungen der Schule an die Eltern eingetragen wurden. Die Farbe dieser kleinen Bienchen war unterschiedlich, für besonders gute Leistungen nicht selten rot. In den Anfangsjahren sollen die Lehrerinnen diese Bienchen übrigens noch von Hand gezeichnet haben, erst später kam der kleine, leicht in den pädagogischen Federtaschen zu transportierende „Bienchenstempel“ aus Holz in Gebrauch. Auf jeden Fall aber hat sich das Bienchen nach einem Bericht der taz „tief im Unterbewusstsein der Ostdeutschen eingenistet. Kein Wunder: Das Bienchen ist das kollektive DDR-Kindererlebnis schlechthin. Es war nämlich die erste Anerkennung, die der sozialistische Staat seinen ganz kleinen Bürgern zeigte. Oder entzog. Bienchen wurden in den ersten Schulklassen für Ordnung, Fleiß, Betragen und Mitarbeit vergeben.“ So gesehen war die DDR ein Arbeiter- und Bienchenstaat. Inzwischen gibt es zumindest im Internet, und zwar im „Ostprodukte-Handel“, auch wieder solche Bienchenstempel zu kaufen, um damit vielleicht den einen oder anderen freundlichen Mitmenschen oder fleißigen Mitarbeiter zu belobigen.

Allerdings mehr so zum Spaß, versteht sich. Mitunter aber kann man auch in privaten und dienstlichen Gesprächen oder am Telefon den Satz hören: „Das hast du toll gemacht. Dafür hast du dir ein Bienchen verdient.“ Und der so Gelobte strahlt … blaue Fliesen „Blaue Fliesen“, mitunter auch, aber seltener „blaue Kacheln“, waren zu DDR-Zeiten keine Wandverkleidung, sondern die Tarnbezeichnung für Westgeld – sogar in Zeitungsanzeigen nach dem Motto: „Suche Zylinderkopfdichtung für PKW Wartburg, biete blaue Fliesen.“ Und der Besitz von Westgeld erleichterte manches, vor allem die Suche nach Raritäten wie beispielsweise Autoersatzteile und Baumaterialien. Außerdem diente Westgeld als Zahlungsmittel für Schwarzarbeit. Abgeleitet wurde diese umgangssprachliche Bezeichnung von der Farbe des damaligen 100-DM-Scheines der Bundesrepublik mit dem Porträt des Kosmografen Sebastian Münster auf der Vorderseite. Dessen Hauptwerk war die erstmals 1544 erschienene, weitverbreitete und in viele Sprachen übersetzte Cosmographia – „eine Beschreibung der ganzen Welt mit allem, was darinnen ist“. Blockflöte Der Unmut der Leute richtete sich in der → Wende-Zeit und auch im Nachhinein nicht nur gegen die einst führende Kraft, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), sondern auch gegen die sogenannten Blockparteien und deren Repräsentanten. Das waren im Einzelnen die Christlich-Demokratische Union Deutschlands (CDU) des Ostens, die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), die National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) und die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD). Im sogenannten Demokratischen Block der Nationalen Front waren diese Parteien und deren in höheren und höchsten Staatsämtern der DDR wirkenden Funktionäre vereint. Die „Blockflöte“ meint also nicht das Holzblasinstrument, sondern sie spielt darauf an, dass diese Parteien die von der SED vorgegebene Musik im Block nachflöteten. blühende Landschaften „Blühende Landschaften“ sah der damalige CDUBundeskanzler Helmut Kohl auf ebenso bildhafte wie einprägsame Weise während seines Wahlkampfes in den neuen Bundesländern voraus.

Der Originalsatz lautete bei seiner ersten Verwendung im Jahr 1990: „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“ Ein Jahr später wiederholte Kohl seine visionäre Botschaft in leicht veränderter Fassung mit den Worten: „Und ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren in den neuen Bundesländern blühende Landschaften gestalten werden …“ Da es damit jedoch offenbar länger dauert, werden die „blühenden Landschaften“ mitunter auch eher ironisch gebraucht – als Bezeichnung für ein sich von seiner Industrie und seiner (jungen) Bevölkerung verabschiedendes Land. Blumen- und Pflanzennamen Die folgende Liste bietet eine kleine Übersicht hochdeutscher Blumen- und Pflanzennamen mit deren plattdeutscher Übersetzung: • Ackerschachtelhalm: Duwick, Nägenknei, Kattenstiert, Zägenboort • Ackersenf: Kütick (auch Küddik, Kürrik) • Bartnelke: Drufnägling, Kluusternelk • Dahlien: Georginen • Distel: Diestel, Sœgenkohl • Flockenblume: Poppenklœten • Gänseblümchen: Dusendschœning, Gälgööschen, Gausblaum, Maddelblaum, Marlblaum • Hagebutte, Heckenrose: Hambutt, Juckbeer, Juckbeerblaum, Wepeldurn • Johanniskraut: Christi-Krüz-Krut, Gottsgnadenkrut, Schwarten Dägen • Kapuzinerkresse: Nachtmützenblaum • Klatschmohn oder Feuerlilie: Füerblaum

• Maiglöckchen: Lilgenkunfalgen (von lateinisch Lilium convallium), Maiblaum • Margerite oder Weiße Wucherblume: Preisterkrågen • Märzenbecher: Knotenblaum • Mauerpfeffer: Murpäper • Meerrettich: Marrik, Marretzig, Tranwöddel • Ringelblume: Gälgülling • Rittersporn: Pracherlus • Rohrkolben: Bumskül, Dunnerkül, Pumpäsel • Schafgarbe: Dusendblatt, Röölk • Schneeglöckchen: Nåkelt Jungfer, Schneiglock, Schneikieker • Seerose: Måndblaum, Mümmel, Mummel, Nixenblaum, Wåterros • Tränendes Herz: Bummelharten, Dickklœten • Veilchen: Blaachööschen, Vijöölken • Vogelmiere: De Fule Deern, Häuhnermierken, Mier, Schinnerblaum, Vågelkrut • Waldmeister: Mösch • Wasserminze: Bäkmint • Wolfsmilch: Bullenkrut, Melkblaum, Wrattenkrut Bonbon (am Revers) Der oder das Bonbon, von dem hier die Rede ist, wurde am Revers getragen – das Parteiabzeichen der SED. Es wurde je nach Aussageabsicht desjenigen, der diesen Begriff gebrauchte, mal spöttisch, mal verachtend als „Bonbon“ bezeichnet. Dahinter stand nicht selten der Gedanke, dass sich SED-Mitglieder mit ihrer Parteizugehörigkeit Vorteile und Vorzüge erkauften. Allerdings soll nach Zeitzeugenberichten auch das frühere Parteiabzeichen der NSDAP im Volksmund als „Bonbon“

bezeichnet worden sein. Das erste Muster des immer wieder veränderten SED-Parteiabzeichens war kurz vor dem Vereinigungsparteitag (oder aus Sicht mancher Historiker und Journalisten: der Zwangsvereinigung) von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am 21. und 22. April 1946 von dem Braunschweiger Sozialdemokraten, Gewerkschaftssekretär, Minister und Reichstagsabgeordneten Otto Grotewohl (1894 – 1964) entworfen worden, dem späteren KoVorsitzenden der SED und ersten DDR-Ministerpräsidenten. Grotewohl war von Beruf Buchdrucker gewesen, und er konnte sehr gut malen und zeichnen. In seinem Entwurf griff er als traditionelles, auf Karl Marx und Friedrich Engels zurückgehendes kommunistisches Symbol für die geplante Vereinigung der beiden Arbeiterparteien das Zeichen der ineinandergreifenden Hände auf. Waren die ersten Parteiabzeichen noch relativ einfach gestaltet, so wurden ihre Nachfolger ab Anfang der 1970er-Jahre lackiert und mit Polyester überzogen, sodass sie tatsächlich wie ein eingewickeltes Bonbon aussahen. Die Bezeichnung des süßen Vergleichsgegenstandes für das Mitgliederabzeichen leitet sich von dem französischen Wörtchen bon für „gut“ wie in Bonjour oder Bonsoir ab. Auf Platt heißt das Bonbon laut dem Neuen hochdeutschplattdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter übrigens „Bœnger“ oder „Bœngers“, „Bongs“ oder auch „Bomke“ und „Bungs“. Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin fügt außerdem „Bontje“ und „Bontsche“ hinzu. Ein Beispielsatz: „Wein man nich, krichst uk ’n Bœnger.“ Botschaftsflüchtlinge Mehrere Tausend DDR-Bürger waren im Herbst 1989 in die bundesdeutschen Botschaften in Prag und Warschau geflüchtet, um auf diese Weise ihre Ausreise aus der DDR in die Bundesrepublik zu erreichen. Hatten sich solche Botschaftsflüchtlinge in den Monaten zuvor noch zu einer zumindest vorübergehenden Rückkehr in die DDR überreden lassen, so setzte sich jetzt zunehmend eine eher militante Haltung durch: „Die Flüchtlinge wollten unmittelbar in die Bundesrepublik ausreisen“, so der damalige bundesdeutsche Botschafter in Prag, Hermann Huber. Die Situation in der diplomatischen Vertretung wurde immer schwieriger. Schließlich drängten sich am 30. September 1989 rund 4 000 Flüchtlinge, darunter viele Kinder, in der Botschaft. An diesem Abend kommt der infolge eines Herzinfarktes geschwächte damalige bundesdeutsche Außenminister Hans-

Dietrich Genscher zu den Botschaftsflüchtlingen nach Prag und überbringt ihnen eine erlösende Botschaft: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …“ – mehr geht im Jubel der wartenden Menschen unter, und so werden Genschers Worte zum wahrscheinlich berühmtesten unvollendeten Satz der → Wende-Zeit. Bereits im Sommer desselben Jahres waren Tausende Ostdeutsche über die grüne Grenze zwischen Ungarn und Österreich in den Westen geflohen. Brigadetagebuch Als es, zu DDR-Zeiten, noch Kollektive und Brigaden (kleinste Arbeitsgruppen in einem Produktionsbetrieb) gab, wurden auch jede Menge „Brigadetagebücher“ geschrieben – mitunter sogar recht anspruchsvolle und durchaus gelungene. Sie sollten auf literarischdokumentarische Weise die Entwicklung der jeweiligen Arbeitskollektive samt ihren Fortschritten und Hemmnissen darstellen. Außerdem sollten kulturelle und gesellschaftliche Höhepunkte festgehalten werden. Und entsprechend dem Wollen und Können der jeweiligen Schreiber sind die Brigadetagebücher zum Teil erstaunlich qualitätvolle Zeugnisse dieser Zeit und nicht zuletzt ihrer Sprache – und somit auch eine Quelle für unsere Wortschatzsuche. In nicht wenigen Fällen wurden damals Kontakte zu den Zirkeln schreibender Arbeiter oder Genossenschaftsbauern gesucht. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Brigadier Der Brigadier war in der DDR der von der Werkleitung ernannte Leiter einer Arbeitsbrigade, der neben der produktiven Arbeit auch Leitungs-, Organisations- und Kontrollaufgaben zu erfüllen hatte. In der Landwirtschaft gab es den Feldbaubrigadier und den Viehzuchtbrigadier. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an das Bild Der Brigadier von Bernhard Heisig aus dem Jahr 1970, überarbeitet 1979, sowie an zahlreiche Gemälde von Willi Sitte, geschaffen im von der SED-Kulturpolitik geforderten Stil des sozialistischen Realismus. Broiler Der „Broiler“, der sicher auch heute noch vielen bekannt ist, war die im Osten übliche Bezeichnung für ein Brathähnchen. Zu Werbezwecken war damals auch schon mal von „Goldbroilern“ die Rede. Seinen Ursprung soll der zu DDR-Zeiten verzehrte Broiler (in der Bezeichnung steckt übrigens das englische Wort to broil für „braten“ oder „grillen“) in bulgarischen Mastbetrieben gehabt haben. Über diesen sozialistischen

Umweg kam der Broiler dann auch in so manche „Broiler Bar“ in der DDR. Die eine oder andere dieser speziellen Bars existiert sogar bis heute – mit Kultstatus, wie zum Beispiel die geradezu legendäre „Grillstube Broiler“ im Hotel „Neptun“ in Warnemünde mit den nach eigener Aussage „wahrscheinlich besten Broilern der Welt“. Ob das stimmt? Da hilft nur Probieren. Alles Broiler, oder was? Bückware In dem noch aus der Zeit der Kriegsrationierungen stammenden Wort „Bückware“ steckten auch zu DDR-Zeiten die beiden Wortbestandteile „Ware“ und „bücken“. Es bedeutete im wortwörtlichen wie im übertragenen Sinne, dass sich die Verkäuferin oder der Verkäufer unter den Ladentisch bücken musste, um die ansonsten für den Kunden nicht sichtbare Ware hervorzuholen – vor allem solche, die immer wieder knapp war oder zumindest zu sein schien. Daher lohnte es sich, gute Beziehungen zu bestimmten Verkäuferinnen aufzubauen. Wer über genügend → Vitamin B verfügte, der kam öfter an Bückware heran. Häufig war es sogar so, dass die Bückware extra eingepackt wurde, damit andere Kunden – ohne entsprechendes Vitamin B – nicht sehen konnten, was da gerade von unter dem Ladentisch den Besitzer wechselte – an bevorzugte Stammkunden, Verwandte und Bekannte … sowie an Leute, von denen der Verkäufer selbst irgendeine Dienstleistung erwartete. Bungalow Wie kommt ein bengalisches Haus nach Deutschland? Denn nichts anderes heißt „Bungalow“ eigentlich: Das Wort kommt aus den nordindischen Sprachen und bedeutet wörtlich „Bengalisches Haus“, also ein Haus in bengalischer Art. Diese Bezeichnung hat damit zu tun, dass sich die britischen Kolonialherren in der indischen Region Bengalen im 17. und 18. Jahrhundert die Bauweise der einheimischen Hütten zum Vorbild nahmen, um in ähnlicher Weise Häuser beispielsweise für ländliche Aufenthalte zu bauen. In der Bundesrepublik erlebten zum Teil luxuriös ausgestattete Bungalows nach dem Vorbild der USA als Wohnform in den 1960er Jahren ihre größte Blütezeit. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der 1963 von dem Architekten und Designer Sep Ruf entworfene Kanzlerbungalow in Bonn, der den Bundeskanzlern von 1964 bis 1999 als Wohnung und für Staatsempfänge in privater Umgebung zur Verfügung stand und seit 2001 unter Denkmalschutz steht. Dagegen bestimmten in der DDR vor allem typisierte Freizeit-Häuschen aus

Fertigmodulen wie die Modelle „B14“, „B19“, „B26“ das Bungalow-Bild. Anders als die kleinen Gartenhäuser in den Schrebergärten der Bundesrepublik ermöglichten sie durch Bäder, Küchen und mehrere Zimmer auch ein längeres Wohnen. Während Kleingärten in der DDR zu Pfennigbeträgen pro Quadratmeter gepachtet werden konnten, erforderten die Bungalows gleichsam als Eigenheim en miniature im Grünen etwas mehr Geld. Bungalows durften auf einem Grundstück bis zu einer maximalen Größe von 40 Quadratmetern (acht mal fünf Meter) errichtet werden. Der Bau erfolgte zumeist aus eigener Kraft sowie mit der Hilfe von mehr oder weniger fachkundigen Verwandten und Bekannten, Freunden und Kollegen. Als besonders schwierig gestaltete sich dabei oft das Beschaffen des Baumaterials – vor allem, wenn den Bungalow-Bauherren keine → blauen Fliesen zur Verfügung standen. Zudem gab es im Unterschied zum Eigenheimbau keine staatlichen Materialzuweisungen, da kein Wohnraum geschaffen wurde. Dafür war es selbstverständlich, dass man sich gegenseitig half und dann auch gemeinsam kräftig Richtfest und Einzug feierte. Der in sieben Kategorien ausgeschriebene „Deutsche Traumhauspreis“ definiert Bungalows übrigens als Wohnhäuser in ebenerdiger Bauweise, womit wir wieder beim „Bengalischen Haus“ wären – allerdings mit Wohnflächen von 113 bis 214 Quadratmetern. bussen Nein, dieses Wort ist weder die verunglückte Mehrzahl eines Beförderungsmittels noch die falsche Schreibung eines menschlichen (und besonders bei Frauen oft sehr hübschen) Körperteils, sondern hier geht es um ein plattdeutsches Verb. Als Verb bedeutet „bussen“, ein Kind mit den Armen an die Brust haltend (also doch!) in den Schlaf zu wiegen. So entsteht beim Hören dieses Wortes ein Bild voller Zuwendung und Zufriedenheit. Und dann könnte man zu dem kleinen Menschen noch ganz leise sagen: „Du büst mien Schietbüdel! Ik heff di leef“ (→ Schietbüdel, → Leef, Leif, Leev). So gesehen handelt es sich dann doch um eine Art Beförderungsmittel – in den seligen Schlaf. Buttjer, Butscher, Nauke Ein „Buttjer“ ist ein Stromer oder Herumtreiber. Das dazugehörige Verb lautet entsprechend „buttjern“ (sich herumtreiben). Mitunter wird ein kleiner Junge als „Buttjer“, „Buttsching“ oder „Butscher“ (→ Kosenamen) bezeichnet, synonym dazu aber auch als „Nauke“ – wobei letzterer Ausdruck heute nicht mehr vielen geläufig sein

dürfte.

D

Dat lött sik äten In der Reihe plattdeutscher Wendungen zum Thema Essen (siehe auch → Ogen sünd wedder grötter as de Mågen und → Wat man in Mäkelborg äten deit) ist „Dat lött sik äten“ einer der anerkennenden Aussprüche: „Das lässt sich essen.“ Es schmeckt also nicht schlecht – zum Beispiel der Sonntagsbraten. Datsche Eines steht fest: Eine Datsche ist nicht mit einem Klein- oder Schrebergarten zu verwechseln. Wichtiger Unterschied: Die Datsche diente und dient vor allem der Erholung am Wochenende, dort gab und gibt es keinen Zwang, Obst und Gemüse anzubauen. Eine Datsche war in der DDR ein gern genutztes Wochenendgrundstück mit einer Fläche von 400 bis 600 Quadratmetern, auf dem ein meist in Leichtbauweise errichtetes Fertighaus stand (→ Bungalow). Die Datsche diente auch als Ersatz für den oft unerfüllbaren Traum vom Eigenheim und bot eine gewisse Flucht aus Plattenbauten und Alltagsproblemen. Ihren sprachlichen Ursprung hat die Bezeichnung im russischen Datscha für „Gartenhaus“ oder mitunter auch „Sommervilla“ – allerdings diente die sowjetische Datscha nicht zuletzt auch der Versorgung mit Obst und Gemüse. In der DDR ging es wie gesagt vor allem um den Faktor Erholung in einem kleinen Paradies im Grünen außerhalb der Städte. Meist liegt die Datsche etwa 20 bis 40 Minuten von der Stadtwohnung entfernt. Obwohl auch die Ostdeutschen heute durch die Welt reisen können oder es finanziell gesehen mindestens könnten, hängen alte Datschenbesitzer an ihren grünen Refugien und an den damit verbundenen, oft generationenübergreifenden Erinnerungen. Nach einigen Schätzungen soll es in der DDR mit ihren knapp 18 Millionen Einwohnern etwa 3,4 Millionen Datschen gegeben haben, und damit „die weltweit höchste Dichte an Gartengrundstücken“. Andere Zahlen liegen bei rund zwei Millionen Datschen. Sogar Angela Merkel soll eine haben. DDR-Regierungssprecher Die Funktion eines Regierungssprechers hatte es in der DDR vor der → Wende nicht gegeben, wie es zuvor auch kaum

Pressekonferenzen mit Fragen und investigativen Nachfragen an Repräsentanten von Partei, Staat und Regierung gab. Der DDRRegierungssprecher, der sich erstmals am 10. November 1989 in den Zeitungen sowie in Radio und Fernsehen zeigte, hieß Wolfgang Meyer. Seine Premiere hatte er – damals allerdings noch anonym – in einer schon von ihrer Überschrift her außerordentlichen Mitteilung der DDRNachrichtenagentur ADN („Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst“): DDR-Regierungssprecher zu neuen Reiseregelungen Berlin (ADN). Wie der Regierungssprecher mitteilte, hat der Ministerrat der DDR beschlossen, daß bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden gesetzlichen Regelung der Volkskammer folgende Bestimmungen für Privatreisen und ständige Ausreisen aus der DDR ins Ausland mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt werden: 1. Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden von den zuständigen Abteilungen Paß- und Meldewesen der VolkspolizeiKreisämter kurzfristig erteilt. Versagungsgründe werden nur in besonderen Ausnahmefällen angewandt. … Erst später erfuhr die Öffentlichkeit sowohl den Namen als auch mehr über die Biografie des ersten und einzigen DDRRegierungsprechers, der in den Jahren zuvor unter anderem als ADNKorrespondent im Kongo und in Mali sowie bei der UNO in New York gewirkt hatte. Ironischerweise wird manchmal aber auch Günter Schabowski als der letzte Regierungssprecher der DDR bezeichnet. Das SED-Politbüro-Mitglied hatte auf einer internationalen Pressekonferenz am 9. November 1989, kurz vor 19 Uhr, scheinbar aus Versehen das „unverzügliche“ Gelten der Reisefreiheit für DDRBürger verkündet und damit praktisch den → Mauerfall ausgelöst – der Anfang vom Ende der DDR. De fäuhlt sik as de Sparling in de Pierschiet Wenn sich einer sozusagen sauwohl fühlt, dann sagt man im Plattdeutschen zum Beispiel über ihn: „De fäuhlt sik as de Sparling in de Pierschiet.“ Der fühlt sich also wie der Spatz in dem, was beim Pferd hinten rauskommt. De lääft as de Bull in de Wisch „De lääft as de Bull in de Wisch“ heißt wörtlich übersetzt, dass einer lebt „wie der Bulle auf der Weide“ – es geht ihm also gut. In diesem Sinne: Lassen Sie es sich gut gehen, „as de Bull in de Wisch“.

Dederon Ein weiteres Wort aus unserer Sammlung von Begriffen aus der DDR-Zeit ist „Dederon“. Oder heißt es Nylon? Oder Perlon? Oder ist es dasselbe? Im Prinzip ja, könnte man sagen. Im Grunde genommen sind „Perlon“ und „Dederon“ zwei unterschiedliche Bezeichnungen für ein und dieselbe Chemiefaser. Zu den besonderen Eigenschaften sowohl von Perlon als auch von Dederon gehören Reißfestigkeit, Pflegeleichtigkeit sowie der Vorteil, schnell zu trocknen. Und Motten sollen weder Perlon noch Dederon mögen. Der Name „Dederon“ entstand 1959 zum zehnten Jahrestag der DDR-Gründung, als man in Abgrenzung zum Westen an die Staatsbezeichnung die Endsilbe „-on“ anhängte. Ausgangspunkt des Klassenkampfs mit Handelsnamen war das 1939 auf der Weltausstellung in New York von dem amerikanischen Chemieunternehmen DuPont vorgestellte Nylon. Im selben Jahr machte sich Paul Schlack für die deutsche IG Farben an die Arbeit und entwickelte einen dem Nylon ganz ähnlichen Stoff, der allerdings als „Perlon“ bezeichnet wurde. Nach dem Entstehen der beiden deutschen Staaten 1949 wurden in der DDR aus ehemaligen Perlonfabriken Volkseigene Betriebe (→ VEB), und man trennte sich von dem gesamtdeutschen Markennamen für die Polyamidfaser. Die offizielle Losung zur Steigerung der Produktion von Kunstfasern und Kunststoffen in der DDR lautete: „Chemie gibt Brot, Wohlstand und Schönheit.“ Dederon wurde vor allem für Damenstrümpfe, Kittelschürzen und Einkaufsbeutel verwendet. Sicher können sich noch viele daran erinnern. Zumindest bei den Strümpfen und Strumpfhosen hatten die Damen in der DDR allerdings relativ häufig mit dem leidigen Problem von Laufmaschen zu kämpfen. Die Strümpfe wurden dann zu einer Annahmestelle gebracht und einige Zeit später hübsch repariert wieder abgeholt. Heute kann man hierzulande wieder Erzeugnisse aus Dederon kaufen, darunter die berühmten Kittelschürzen. Nylon, Perlon und Dederon sind und bleiben in jedem Fall ein spannendes Kapitel Wirtschafts- und Kulturgeschichte. Dialektik, dialektisch Dieser philosophische Begriff meint nach Hegel, Marx und Engels das Aufspüren von Gegensätzen in der Einheit, die letztlich die Entwicklung vorantreiben – zugegeben, sehr verkürzt formuliert. Noch kürzer wurde er zu DDR-Zeiten oft in der außerphilosophischen Praxis verwendet. Verstand jemand den Sinn einer Maßnahme nicht, so hieß es häufig auffordernd-entschuldigend: „Das musst du dialektisch sehen, Genosse!“ Gemeint war damit oft, auch einen Missstand oder etwas

Unverständliches lieber einfach zu akzeptieren, als unnötigerweise weiter darüber nachzudenken. Aber die Dialektik lässt sich eben nicht betrügen, jedenfalls nicht auf lange Sicht … Dialog „Dialog“ ist ein Hauptwort der → Wende-Zeit. Die sich zu einer politischen Opposition formierende DDR-Bürgerbewegung wie das am 9. und 10. September 1989 offiziell gegründete „Neue Forum“ verlangte in seinem Gründungsaufruf einen in der Öffentlichkeit zu führenden Dialog „über die Aufgaben des Rechtsstaates, der Wirtschaft und der Kultur“. Dierning Während → Buttjer, Butscher einen kleinen Jungen bezeichnet, wird ein kleines Mädchen im Plattdeutschen „Dierning“ oder auch „lütt Dierning“ genannt. Dœms, Dœmser Dömitz, plattdeutsch „Dœms“ oder „Däms“, ist bekannt für die dortige Festung, die auch als Gefängnis genutzt wurde. Die in den Jahren 1721 bis 1723 mit mittelalterlicher Grausamkeit geführten Prozesse mit Folterungen und Hinrichtungen während der Regentschaft des Herzogs Carl Leopold und die Einrichtung eines Zucht- und Irrenhauses 1755 auf der Festung führten dazu, dass Dömitz in den allerschlechtesten Ruf geriet, oder wie es Wilhelm Raabe 1857 in der Mecklenburgischen Vaterlandskunde sagt: „Von der Zeit an schauderte allen die Haut, wenn sie von Dömitz hörten. Niemand reisete gern dahin, um der zerstückelten Menschen willen, die dort an den Straßen hingen.“ Der Name Dömitz wurde noch im 19. Jahrhundert mit allem Schlechten und Niederen in Verbindung gebracht. Fritz Reuter schrieb: „Däms was dunnmals de Ruklas (→ Weihnachten) von ganz Meckelnborg.“ Der Stadtname stand für Strafe und überfüllte Gefängnisse. Ein „Dœmser“ ist deshalb nicht nur ein Bewohner der südlichsten Stadt MecklenburgVorpommerns, sondern in Ludwigslust auch eine übervolle Tasse Kaffee. In Hagenow sagte man bei schlechtem Wetter: „Uns’ Herrgott is ut, de sitt in Dœms, hett Backbeeren ståhlen (hat gedörrte Birnen gestohlen).“ Des Weiteren heißt es im Plattdeutschen auch: „Stillsitten is för Kinner Dœmsstråf.“ Und unartigen Kindern wird gedroht: „Du sast in’t Dœmser Lock, ok up Aaliesen steiht Dœmsstråf“ (Du musst ins Dömitzer Loch, auch auf Aaleklauen steht Festungshaft). In der Rostocker Gegend ist „Lütten Dœms“ außerdem eine Bezeichnung für den Abort.

Auch in Ortsnamen kam und kommt der Begriff vor: Malchow auf der Insel Poel wurde als „Lütten Dœms“ (Klein Dömitz) bezeichnet, da dort schwer gearbeitet wurde. „Niegen Mistörp“ bei Güstrow hieß früher „Niegen Dœms“ (Neu Dömitz), weil es dort viele Spitzbuben gegeben haben soll. Doppelanschluss Der „Doppelanschluss“ meinte zu DDR-Zeiten nicht eine besonders komplizierte menschliche Beziehung, sondern verwies auf den Umstand, dass auf eine Telefonleitung zwei Nummern geschaltet waren – also immer nur eine Familie zur selben Zeit telefonieren konnte. Wenn man selbst nicht herauskam (und auch nicht angerufen werden konnte), dann hieß es: „Mein Doppelanschluss blockiert wieder mal die Leitung.“ Das Telefonieren der Anderen sozusagen. Insgesamt soll es in der DDR rund eine Million solcher Doppelanschlüsse gegeben haben. Und manchmal fand auch jemand mit etwas Spürsinn heraus, wer da auf dieselbe Leitung geschaltet war. So gesehen doch eine etwas komplizierte menschliche Beziehung. Dorfkonsum Noch heute kauft man ein oder trifft sich auf einen Schwatz im Dorfkonsum, auch wenn es oft gar kein „Konsum“ im einstigen Sinne der Sache mehr ist – also im Besitz von Konsumgenossenschaften. Heute erfüllen oft private Einzelhändler diese Funktion. Die Idee aber ist geblieben – Kaufen und Kommunikation –, wobei das zweite Angebot heute vielleicht sogar noch wichtiger ist als früher. Ausgesprochen wird dieser „Konsum“ übrigens im Unterschied zum Verbrauch (lateinisch consumere = verbrauchen) mit der Betonung auf der ersten Silbe, also fast so, als gäbe es in dem Wort ein doppeltes n = Konn-sum. Der Ursprung des „Konsum“, des genossenschaftlich organisierten Handels in der DDR, ist älter als dieser 1949 gegründete Staat. Im Zuge der Industrialisierung wurden seit Mitte des 19. Jahrhunderts Genossenschaften gegründet. Ziel war es, die Lebenshaltung durch eine günstigere Warenversorgung zu verbessern. Eine der bekanntesten und berühmtesten dieser Verbraucher- oder Konsumgenossenschaften ist die „Rochdale Society of Equitable Pioneers“, also die Gesellschaft der redlichen Pioniere von Rochdale. Im Winter 1844 hatten deren 28 Gründungsmitglieder, größtenteils Flanellweber, in Rochdale (Manchester) ihren Laden eröffnet. Die älteste deutsche Konsumgenossenschaft wurde am 12. Juli 1850 als „Lebensmittel-Assoziation“ im sächsischen Eilenburg gegründet. Zur Bildung

eines Stammkapitals zahlten 293 Mitglieder, zumeist Handwerker und Arbeiter, monatlich zehn Silbergroschen ein. Heute zählt die Genossenschaft Sachsen Nord knapp 17 000 Mitglieder und erzielte 2012 einen Umsatz von 30 Millionen Euro. Das erste Selbstbedienungsgeschäft der DDR eröffnete die Konsumgenossenschaft Halle im Juni 1956 in der Saalestadt. Die Werbung dafür betonte drei entscheidende Vorteile: schnellere Bedienung, dreifacher Umsatz, erleichterter Einkauf. In der DDR-Umgangssprache wurde „Konsum“ bald allgemein zum Synonym für „Lebensmittelgeschäft“. Auch wenn in und nach der → Wende viele Konsumgenossenschaften den bitteren Weg in die Insolvenz antreten mussten, lebt nicht nur das Genossenschaftsmodell insgesamt und recht erfolgreich weiter, sondern auch viele einzelne Konsumgenossenschaften wie beispielsweise in Dresden, Leipzig und Weimar, aber auch die Konsumgenossenschaft Hagenow e.G. Unter dem Dach des Zentralkonsum eG mit derzeit 286 500 Mitgliedern sind aktuell zwölf eigenständige Konsumgenossen, zwei Raiffeisengenossenschaften, zwei gewerbliche Genossenschaften, eine Kreditgenossenschaft, eine Agrargenossenschaft sowie neun Gesellschaften organisiert – insgesamt 27 genossenschaftliche Unternehmen mit rund 287 000 Einzelmitgliedern gehören ihm an. Zum „Konzern der Genossen“ gehört nicht zuletzt auch der Kaffeeröster Röstfein in Magdeburg (→ Rondo). Ja, es gibt ihn immer noch – den „Konsum“, gesprochen fast so, als gäbe es in dem Wort ein doppeltes n = Konn-sum. drall Die „dralle Diern“ ist im mecklenburgischen Platt ein hübsches molliges Mädchen oder eine ebensolche junge Frau. Aber Vorsicht: Ist jemand „’nen bäten drallig“, bedeutet dies dagegen, dass er oder sie ein bisschen eigensinnig ist. Du denkst, di slögt 'n Perd Die plattdeutsche Redewendung „Du denkst, di slögt ’n Perd“ (sinngemäß: Du denkst, dich tritt ein Pferd) bedeutet, dass jemand schwere körperliche oder seelische Schmerzen erleidet. Varianten dieser Redewendung sind „Ik glöf, mi sleit/schleit ’n Pierd“ oder „Ik glöf, mi schlöcht ’n Pierd“. dwallerwatsch … ein schönes plattdeutsches Wort, welches schon ein bisschen so klingt wie das, was es bedeutet. Ist jemand „dwallerwatsch“, dann ist er (oder auch sie) wunderlich oder einfach albern.

E

Einigungsvertrag Unterschrieben wurde der Einigungsvertrag – so sein Kurztitel – zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Staatsauflösung der DDR, ihren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland und die deutsche Einheit am 31. August 1990 im Kronprinzenpalais in Berlin von den beiden Verhandlungsführern: Günther Krause für die DDR und Wolfgang Schäuble für die Bundesrepublik. Auf rund 1000 Seiten, in insgesamt neun Kapiteln und 45 Artikeln regelt der Einigungsvertrag die rechtlichen Grundlagen für den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Allerdings mussten auch die ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkriegs zustimmen. Am 12. September 1990 unterzeichneten neben den beiden deutschen Staaten auch Frankreich, Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion den „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ – den Zwei-plus-Vier-Vertrag, womit auch die außenpolitischen Aspekte für die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten geregelt wurden. Deutschland erhielt so seine volle völkerrechtliche Souveränität zurück. Am 20. September stimmten schließlich beide deutsche Parlamente dem Einigungsvertrag zu: die Abgeordneten der Volkskammer mit 299 von 380 Stimmen, die des Bundestags mit 442 von 492 Stimmen. Das Votum des Bundesrats fiel einstimmig aus. Der damalige Präsident des Bundesrats, Björn Engholm, kommentierte das historische Ereignis folgendermaßen: „Damit beenden wir endgültig die Nachkriegszeit.“ Em is nich gaut an de Mütz Die Redewendung „Em is nich gaut an de Mütz“ (wörtlich: Ihm ist nicht gut an der Mütze) kann bedeuten, dass sich eine Erkältung ankündigt – aber auch, dass jemand mit etwas nicht zufrieden ist. Erneuerung Der Begriff „Erneuerung“ war unbestritten ebenfalls ein Hauptwort der → Wende-Zeit. Tatsächlich wollten und sollten viele bislang gewohnte Institutionen und Verhaltensweisen von Grund auf erneuert werden. Manchen gelang es, manche andere erwiesen sich aber auch als

nicht mehr zeitgemäß, und so gingen sie mit dem Untergang der DDR gleich mit unter. Gewissermaßen nach dem Titanic-Prinzip, wo die Bordkapelle bis zum nassen Ende gespielt haben soll … Erntekapitän Der Begriff „Erntekapitän“ war zu DDR-Zeiten die umgangssprachlich-scherzhaft-anerkennende Bezeichnung für die Helden der Mähdrescher, welche in den Sommermonaten mutig in die „Ernteschlacht“ zogen – wie auch immer wieder in der Hauptnachrichtensendung des DDR-Fernsehens, der Aktuellen Kamera, zu sehen war. Mähdrescher (E 512) hießen in der DDR übrigens nicht nur „Mähdrescher“, sondern nach russischem Vorbild oft auch „Kombinen“ oder „Vollerntemaschinen“, und so fanden sie sogar Einzug in die Literatur. Beispielsweise findet sich im Sommerstück von Christa Wolf, welche mit ihrem Mann und Schriftstellerkollegen Gerhard Wolf lange Zeit in dem Dorf Alt Meteln bei Schwerin lebte und arbeitete, die plastische Beschreibung einer „Gerstevollerntekette“ – also des gestaffelten Einsatzes einer Formation von Vollerntemaschinen zum Einbringen dieses Getreides … Apropos Ernte. Geerntet wurde natürlich auch schon immer und vor DDRZeiten. Und da auf dem flachen Lande häufig und manchmal fast ausschließlich Platt gesprochen wurde, gibt es auch eine Reihe niederdeutscher Wörter für die Ernte und das ganze Drumherum. Die Ernte ist die „Aust“ oder in West- und Südwestmecklenburg auch die „Oorn“. Davon abgeleitet ist nach Renate Herrmann-Winter auch die Bezeichnung für das alljährliche Erntefest – die „Austköst“ oder der „Oornklatsch“. Dazu eingeladen wurde vom „Austbidder“, dem speziellen Erntefest-Boten. Regnerisches Erntewetter wurde als „Frätaust“ bezeichnet, und die für die Ernte benutzte Kleidung war die „Austdracht“. Das „Austbier“ und das „Oornbier“ waren natürlich ein spezielles Erntebier, welches in jedem Jahr aufs Neue rechtzeitig zur Ernte angesetzt und selbst gebraut wurde. Die Monatsbezeichung „Austmånd“ meint den August. Erotikmesse Mit der neuen Freiheit kamen auch neue Freiheiten in den Osten, darunter solche sexueller Natur. Die erste Schweriner Erotikmesse lockte am 1. November 1990 mit „Reeperbahnflair mitten in der Landeshauptstadt“ viele Interessenten in das Klubhaus der Kabelwerker. Im Bericht des SVZ-Reporters hieß es gleich zu Beginn: „Man kann ja

davon halten, was man will – die Erotikmesse, die am gestrigen Donnerstag im Klubhaus der Kabelwerker eröffnet wurde, war jedenfalls schon nach einer Stunde gut besucht. Allerdings nur durch ein männliches Publikum, während die Veranstalter sich auch auf Frauen eingestellt haben. Denn sechs Frauen und ein Mann gehören zum Stripteaseteam, das hier bis zum 7. November täglich ab 14 Uhr zehn Stunden seine Show abzieht.“ Außerdem berichtete der Reporter, dass es im Unterschied zu anderen ostdeutschen Städten in Schwerin für die Veranstalter Schwierigkeiten mit den Behörden gegeben habe – zumindest fast: Da eine Formalität übersehen worden war, seien erst einmal 1 000 DM Strafe fällig gewesen, und die Striptease-Show habe erst mit einer halben Stunde Verspätung beginnen können. Die Eintrittspreise für den Besuch der ersten Schweriner Erotikmesse betrugen damals übrigens für den normalen Besuch einschließlich Drink zehn DM, für den „hautnahen Strip“ im kleinen Salon waren jedoch noch einmal fünf DM draufzupacken. Fazit: „Die Show insgesamt wirkt frisch, die Ausstattung der Räume ist äußerst karg.“ Es geht seinen (sozialistischen) Gang … So hieß es zu DDR-Zeiten oft, wenn leicht und locker gesagt werden sollte, dass etwas in Ordnung war oder irgendwie in Ordnung gebracht würde. Das läuft schon – auch wenn es zu Beginn vielleicht nicht so aussah oder eigentlich gar nicht funktionieren konnte. Insofern steckte in dieser umgangssprachlichen Redewendung jede Menge Ironie – und zugleich Grundvertrauen in die Improvisationskunst im kleineren deutschen Staat. In dem kritischen Roman Es geht seinen Gang oder Mühen in unserer Ebene von Erich Loest aus dem Jahr 1977 gelangte die Wendung auch zu literarischen Ehren.

F

Fahrerlaubnis Die „Fahrerlaubnis“ war in der DDR die amtliche Bescheinigung, ein Fahrzeug führen zu dürfen. Wohl mit Absicht wurde der ältere Begriff „Führerschein“ vermieden. Erst ab 1982 hieß die Fahrerlaubnis dann auch in der DDR offiziell „Führerschein“. Von Anfang an gehörte dazu auch immer eine Stempelkarte, auf der verschiedene Verkehrsverstöße mit einer unterschiedlichen Anzahl an Stempeln geahndet wurden – bei fünf Stempeln war die Fahrerlaubnis erst mal weg, und man war gewissermaßen wieder Fußgänger. Führerscheine gab es in Deutschland seit 1909 als reichsweit gültige Bestätigung für die Berechtigung, Kraftfahrzeuge zu führen. Zuvor hatten sich Automobilisten mit einem „Prüfungsattest für Explosionsmotoren“ oder einer „Chauffeur-Befähigung“ ans Steuer gesetzt. Die Gültigkeit dieser Dokumente war allerdings auf einzelne deutsche Länder beschränkt – und das Chaos entsprechend groß. Wer mit seinem Auto in eine benachbarte Provinz fuhr, wurde nicht selten beim Grenzübertritt erst einmal verhaftet. Erst mit dem „Reichsgesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ führte der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., am 3. Mai 1909 eine reichsweit gültige Fahrerlaubnis ein und nannte sie „Führerschein“. In diesem Punkt hatte „Wilhelm Zwo“ schließlich doch seine Meinung geändert. Noch kurz zuvor hatte er nämlich gesagt: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Familie Wer wissen möchte, wie denn eigentlich die einzelnen Familienmitglieder auf Plattdeutsch bezeichnet werden, der ist mit der folgenden Auflistung sicher gut bedient: • Urgroßeltern: Urgrotöllern, Uröllern, Vöröllern • Urgroßmutter: Öllermoder, Öllermudder • Urgroßvater: Öllervadder • Großeltern: Grotöllern

• Großmutter, Oma: Grotmudder, Größing, Grotmœm, Öhmchen, Öming • Großvater, Opa: Grotvadder, Opi, Öping • Vater: Vadder, Vadding, Varrer • Mutter: Moder, Mudder, Mudding, Murrer • Eltern: Öllern • (Ehe-)Frau: Fru, Ollsch, Ollsching • (Ehe-)Mann: Kierl • Kind/Kinder: Kind/Kinner, Kinnings • Schwester: Swester, Swesting • Bruder: Brauder, Broder • Tochter: Dochter, Döchting, Diern, Deern • Sohn: Jung, Bengel, Sœhn • Schwiegereltern: Schwiegeröllern • Schwiegermutter: Schwiegermudder, Schwiegermudding, Annermudder • Schwiegervater: Schwiegervadder, Schwiegervadding • Schwiegertochter: Schwiegerdochter, Schwiegerdöchting • Schwiegersohn: Schwiegersœhn, Schwiegerjung, Dochtersmann • Tante: Tanten, Mudderswester, Vadderswester • Onkel: Unkel, Mudderbrauder, Vadderbrauder • Cousine: Mudderbrauderdochter, Vadderbrauderdochter, Vadderswesterdochter, Mudderswesterdochter

• Cousin: Mudderbraudersœhn, Vadderbraudersœhn, Mudderswestersœhn, Vadderswestersœhn FDJ Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) war die sozialistische und zugleich einzige staatlich anerkannte Jugendorganisation in der DDR, deren Vorgeschichte bis in die 1930er-Jahre des 20. Jahrhunderts in das Prager und Pariser Exil zurückreicht, später auch in Großbritannien. Offizieller Gründungstag der FDJ, zu deren Symbolen das „Blauhemd“ und das Zeichen der aufgehenden Sonne sowie der Gruß „Freundschaft!“ gehörten, war noch in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone der 7. März 1946. Name und leicht verändertes Emblem der FDJ waren von den Exilgruppen übernommen worden. Gründungsvorsitzender der Freien Deutschen Jugend war 1946 bis 1955 Erich Honecker. Die FDJ verstand sich laut Statut als „Kampfreserve der SED“, ihre Mitglieder sollten zu „klassenbewussten Sozialisten“ sowie zur Freundschaft mit der Sowjetunion, zu Völkerfreundschaft und internationaler Solidarität erzogen werden. Nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit kirchlichen Jugendgruppen kümmerte sich die Freie Deutsche Jugend um Freizeitangebote, Jugendklubs und das kulturelle Leben für junge Leute sowie über die Reiseagentur „Jugendtourist“ und Jugendhotels auch um Urlaub und Tourismus im In- und (sozialistischen) Ausland. 1989 hatte die FDJ rund 2,3 Millionen Mitglieder, das waren laut Statistischem Jahrbuch der DDR 88 Prozent der jungen Bevölkerung. Allerletzte Großaktion der FDJ war der Fackelzug in Berlin zum 40. Jahrestag der DDR am Freitag, dem 6. Oktober 1989, bei dem allerdings Applaus und „Gorbi, Gorbi!“-Rufe als Sympathiebekundungen für Michail Gorbatschow laut wurden. Die FDJ existiert auch heute noch, allerdings mit einer deutlich geringeren Mitgliederzahl als zur DDR-Zeit, nämlich maximal ein paar Hundert. Ferrerflünk Ein „Ferrerflünk“ – oder häufig auch als „Fedderflünk“ bekannt und ausgesprochen – ist das letzte Ende eines Gänseflügels, das früher gern zum Staubwischen und zum Saubermachen an schwer zugänglichen Stellen benutzt wurde. Übrigens wurden solche kräftigen Federn aus diesem „Ferrerflünk“ in alten Zeiten auch zum Schreiben benutzt – der berühmte Federkiel. Und hoffentlich hatte man dann eine saubere Handschrift …

Feste Gefeiert wurde in Mecklenburg und Vorpommern auch schon früher. Obwohl die Feste sich heute nicht mehr so vordergründig nach der bäuerlichen Arbeit oder nach religiösen Anlässen wie Ostern und Weihnachten richten, so spielt doch die Überlieferung nach wie vor eine große Rolle – auch wenn das heute nicht mehr jedem bewusst ist. Und nicht jeder weiß noch etwas mit den plattdeutschen Bezeichnungen für Feste und Feiern anzufangen. Daher hat die Wortschatzredaktion Dr. Behrend Böckmann gebeten, dazu etwas aufzuschreiben, und zwar auf Platt- und Hochdeutsch. Sie finden es bei den Stichwörtern → Ostern (Paaschen), → Pfingsten und → Weihnachten. Weitere Feste: • Niejohr: Neujahr • Fastelåm, Fastelåbend: Fasching, Fastnacht, Karneval • Stillen Friedach: Karfreitag Fisematenten Mitunter heißt es: „Mach keine Fisematenten“: Mach keinen Quatsch! Und was sind nun eigentlich Fisematenten? So genau scheinen das auch Fachleute nicht zu wissen, die etymologische Herkunft des übrigens nur in der Mehrzahl – als sogenanntes Pluraletantum – auftretenden Begriffs ist ungeklärt. Möglicherweise kommt er aus dem Latein des Mittelalters, wo er so viel bedeutete wie „Flausen“. Andere verweisen auf das italienische Wort fisima für „Laune“ oder „Grille“. Und auch eine Herkunft aus dem frühneuhochdeutschen „fisiment“ für bedeutungslosen Zierrat am Wappen wird nicht ausgeschlossen. Auf keinen Fall aber dürfte die folgende populäre Erklärung stimmen, wonach zur Franzosenzeit (1806 – 12) die französischen Soldaten deutsche Mädchen immer mit der Aufforderung gelockt hätten: „Visitez ma tente! – Besuchen Sie mein Zelt!“ Dann wäre es auch kein Wunder gewesen, wenn die jungen Frauen vor dem abendlichen Ausgang von ihren Eltern zu hören bekommen hätten: „Mach bloß keine Fisematenten!“ Aber auch wenn sie so nicht stimmen mag, ist das jedenfalls die wohl hübscheste Erklärung des Begriffs. Also machen Sie bloß keinen Quatsch, bitte! flächendeckend Dieses Adjektiv tauchte zum ersten Mal bei der Beschreibung der nahezu totalen Überwachung der DDR-Bürger durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auf – im Osten auch kurz als die

Stasi, im Westen dagegen eher kurz als der Stasi bezeichnet. Die StasiÜberwachung schloss so ziemlich jeden der insgesamt mehr als 108 000 Quadratkilometer der Fläche des kleinen Staates ein, war also im wörtlichen Sinne flächendeckend. Später wurde dieses auf den ersten Blick so unschuldig klingende Wort auch wieder unschuldig(er) gebraucht und dient seither zur Beschreibung einer Maximalversorgung wie zum Beispiel der gesetzlich angestrebten flächendeckenden Versorgung mit Kita-Plätzen – also überall im Lande. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden Dieses Zitat ist ein Gedanke von Rosa Luxemburg aus deren Schrift Zur russischen Revolution, in dem sie ihre kritische Sympathie mit Lenin und den russischen Bolschewiki ausdrückte. Geradezu revolutionäre Sprengkraft entfaltete dieser Gedanke der polnisch-deutschen Revolutionärin und im Januar 1919 gemeinsam mit Karl Liebknecht ermordeten Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum Ende der DDR, als am 17. Januar 1988 eine Gruppe von Demonstranten bei der alljährlichen „Kampfdemonstration“ zu Ehren von Karl und Rosa in Ostberlin bis dahin unbekannte Transparente entrollte. Sie wollten die anwesende SEDProminenz mit Luxemburg-Zitaten wie „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ und „Wer sich nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht“ provozieren. DDR-Sicherheitskräfte nahmen an diesem kalten Januartag mehr als 100 Personen fest. Zu den damaligen Protestierenden gehörten sowohl Ausreisewillige als auch Oppositionelle. Sie wollten die offizielle Demonstration dazu nutzen, mit Plakaten und Transparenten ihr Anliegen publik zu machen und in der DDR Menschenrechte einzufordern. Die Staatssicherheit, bereits im Vorfeld bestens über die geplante Protest-Aktion informiert, leitete ihrerseits die Aktion „Störenfriede“ ein. Es folgten Verhaftungen, Zuführungen (zeitweilige Festnahmen) und Ausbürgerungen. Freundschaftszug Mit den „Freundschaftszügen“ reisten Tausende Jugendliche und Erwachsene aus der DDR vor allem in die Sowjetunion. Wer mitfahren durfte – was eine Auszeichnung bedeutete –, darüber entschieden unter anderem Schule oder Betrieb, die → FDJ und das Jugendreisebüro.

friedliche Revolution Diese Bezeichnung ist ein großes Kompliment für die Akteure im Prozess der gesellschaftlichen Umwälzungen in der → WendeZeit in der DDR. Die friedliche Revolution in der DDR beginnt gleichsam öffentlich mit den ersten friedlichen → Montagsdemos im September 1989 in Leipzig. Am Montag, den 9. Oktober 1989 kam es zur ersten Großdemonstration von rund 70 000 Menschen in Leipzig. Sie rufen → Wir sind das Volk! und → Keine Gewalt! Die SED-Führung beabsichtigt mit Härte zu reagieren, doch die sowjetische Schutzmacht versagt ihre Unterstützung für eine gewaltsame Zerschlagung der Demonstration. Die Sicherheitskräfte greifen nicht ein – der gewaltlose Verlauf der Demonstration wird an diesem Abend zum Fanal für die friedliche Revolution. Eine Woche später, am 16. Oktober 1989, demonstrieren in Leipzig bereits mehr als 100 000 Menschen gegen die SED-Herrschaft, und auch in vielen anderen Städten der DDR gehen Menschen dafür auf die Straße. Am 18. Oktober gibt Erich Honecker auf. Egon Krenz übernimmt das Amt des Staatsratsvorsitzenden. Jedoch sind viele von dieser Entwicklung enttäuscht, gilt Krenz doch als Honeckers „Kronprinz“. Folgerichtig demonstrieren am Vorabend seiner Ernennung 300 000 Leipziger. Sie fordern freie Wahlen, Presse-, Meinungs-, Versammlungs- und Reisefreiheit. Schnell wächst die Zahl derer, die für ihre Forderungen auf die Straße gehen. Die neu entstandenen Parteien und politischen Gruppen, wie die Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP), der Demokratische Aufbruch (DA), die Deutsche Soziale Union (DSU) und die Grüne Partei der DDR, werden zu Hoffnungsträgern für diejenigen, die für Reformen in der DDR eintreten. friegen Ein plattdeutsches Wort für „heiraten“, überliefert aus der Griesen Gegend, im Südwesten Mecklenburgs, ist „friegen“. Allerdings gibt es auch die Variante „heuråden“ – und dazu ein hübsches Sprichwort: „Heuråden is gaut, nich heuråden is bäder“ (Heiraten ist gut, nicht heiraten ist besser). Oder was meinen Sie? Führungsrolle der SED Die Führungsrolle der herrschenden Kraft der DDR-Gesellschaft, der im Mai 1989 fast 2,3 Millionen Mitglieder und fast 65 000 Kandidaten für die Aufnahme in die Partei zählenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), war ganz offiziell in der DDR-

Verfassung festgeschrieben. Dort hieß es seit dem 6. April 1968 gleich im Artikel 1 klar und unmissverständlich: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“ Diese marxistisch-leninistische Partei war die SED. Es kam daher einer Revolution gleich, als eben diese Führungsrolle Anfang Dezember 1989 und damit nicht einmal vier Wochen nach dem → Mauerfall noch von der alten Volkskammer der DDR aus der Verfassung gestrichen wurde.

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Gäl is nich blot 'n Farf Wie Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin schreibt, ist Gelb im Plattdeutschen keineswegs bloß eine Farbe: Gäl sünd Zitronen, un männig Blaum hett gäle Bläuden, un deit man einen Minschen tau dull brüden, denn kann hei sik ünner Ümstänn’ gäl argern. Löppt em dei Läwer œwer, denn kann hei dei Gälsük kriegen. Man secht: „Dat is nich dat Gäl’ von’t Ei“, un will mit disse Rädensoort tau’n Utdruck bringen, dat’n Såk nich wiert ist, dat von ehr schnackt ward orrer dat ’s beacht’t wür. Is einer denn’ annern nich ganz gäl, denn ist einer up denn’ annern niedsch orrer kann em nich gaut lieden, will em wat anhemm’. Versökt ein Plattschnacker, besonners fien hochdüütsch tau schnacken, denn wür secht: „Dei schnackt œwer gäl.“ (Zitronen sind gelb, und verschiedene Blumen haben gelbe Blüten, und wird ein Mensch zu sehr gefoppt, dann kann er sich gelb ärgern. Läuft ihm die Leber über, dann kann er die Gelbsucht bekommen. Man sagt: „Das ist nicht das Gelbe vom Ei“, und will mit dieser Redensart ausdrücken, dass es eine Sache nicht wert ist, dass darüber gesprochen oder sie beachtet wird. Ist einer dem anderen nicht gelb, dann ist er auf den anderen neidisch oder kann ihn nicht gut leiden, will ihm etwas anhaben. Versucht ein Plattdeutschsprecher sich besonders umständlich und vornehm auf Hochdeutsch auszudrücken, dann wird nur gesagt: „Der spricht aber gelb.“) große Ferien im kleinen Staat Hier sei an etwas erinnert, worauf sich wohl die meisten Schülerinnen und Schüler in der DDR ein ganzes Schuljahr riesig gefreut haben – an die großen Ferien oder auch Sommerferien, die damals tatsächlich groß und vor allem lang und erholsam waren: zwei Monate, üblicherweise im Juli und August. Es war für viele Kinder und Jugendliche die wohl schönste Zeit im Jahr. Diese Ferienregelung war für alle 15 DDR-Bezirke, von Erfurt und Dresden bis Rostock, von Suhl, Gera und Karl-Marx-Stadt bis Schwerin und Neubrandenburg, einheitlich. Die großen Ferien in dem kleinen deutschen Staat begannen immer nach der Zeugnisausgabe am letzten Schultag des vergangenen

Schuljahres. Dies war immer ein Freitag. Schulbeginn war ebenfalls in allen Bezirken einheitlich zumeist an einem Montag. Ein „Überziehen“ der Ferien zum Beispiel wegen Urlaubs- und Reiseplänen der Eltern galt als unerwünscht und hatte oft einen Hausbesuch des Klassenlehrers oder der Klassenlehrerin zur Folge. Die letzten DDR-Sommerferien begannen übrigens am 7. Juli 1990. Erster Unterrichtstag danach war der 3. September 1990 – gut vier Wochen vor dem offiziellen Ende der DDR. Großer Bruder Nein, hier soll nicht von dem berühmten Roman 1984 von George Orwell („Big Brother is watching you“) die Rede sein. Es geht auch nicht um das davon abgeleitete, anfangs sehr spektakuläre, mittlerweile aber deutlich verblasste Fernsehformat des Menschenzoos Big Brother. Der Begriff bezieht sich vielmehr auf eine im inoffiziellen DDR-Sprachgebrauch häufig zu hörende und ebenso häufig ironisch gemeinte Bezeichnung für die Sowjetunion und deren Vertreter. „Großer Bruder“ spielte auf die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse zwischen der Sowjetunion und ihren Bruderstaaten an. Und obgleich man vor allem bei der Armee für die Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte oft auch den Begriff „Freunde“ hören konnte, so galt doch im Allgemeinen der Satz: „Freunde kann man sich aussuchen, Brüder nicht.“ Gymnasien In der DDR gab es keine Gymnasien, sondern zur Hochschulreife führte die Erweiterte Oberschule – die EOS. Die EOS hatte mit dem Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik vom 2. Dezember 1959 die bisherige Oberschule abgelöst. Die Zulassung zur Erweiterten Oberschule und damit auch der spätere Zugang zum Studium erfolgte nach strengen Kriterien. Allerdings ging es da nicht nur um fachliche Leistungen, sondern auch um gesellschaftliches Engagement für „Frieden und Sozialismus“. Mit den politischen Veränderungen im Zuge der → Wende änderte sich auch das Schulsystem in der DDR, und das Gymnasium kehrte nach Ostdeutschland zurück. Für Schwerin informierte der Bildungsdezernent im Dezember 1990 über die künftige Struktur des Bildungswesens: In der Landeshauptstadt werde es vier Gymnasien geben. Trotz des nicht mehr funktionierenden alten

Verwaltungsapparates habe das Schuljahr relativ ruhig und geordnet begonnen. Dies sei vor allem den Mitarbeitern des Bildungsamtes und den Pädagogen an den Schulen zu verdanken. Die Stadt habe 25 neue Schuldirektoren, das seien über 50 Prozent. Die größten Probleme entstünden beim Fremdsprachenunterricht, wo vor allem das Fach Russisch vollkommen abzustürzen drohte. Diese Entwicklung habe gestoppt werden können. Viele Schüler, die sich abgemeldet hatten, seien in den Russischunterricht zurückgekehrt …

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Hasing Hasing = Häschen – ein hübscher plattdeutscher → Kosename. Haushaltstag Der „Haushaltstag“ wurde werktätigen Frauen in der DDR bei voller Bezahlung normalerweise einmal im Monat gewährt. Gesetzlich eingeführt worden war er 1952 zunächst für verheiratete Frauen. Ab 1965 galt er auch für unverheiratete Frauen mit Kindern unter 18 Jahren, und 1977 wurde das Anrecht auf den Haushaltstag auch unverheirateten, vollzeitbeschäftigten Frauen ab 40 Jahren ohne Kinder sowie teilweise auch Männern zugestanden – alleinstehend mit Kindern oder mit erkrankter Ehefrau unter bestimmten Bedingungen. Hei is so klauk … Die Wendung „Hei is so klauk (klug) as ein Imm (Biene), kann blot kein’ Honnig schieten“ bezeichnet sinngemäß jemanden, der alles besser weiß und sich gern ungefragt in andere Gespräche einmischt. Heimatschutzbrigade Was sich auf den ersten Blick ein wenig amerikanisch anhört, das wurde Mitte Oktober 1990 auch in Ostdeutschland Realität. In der SVZ war unter der Überschrift „Schwerin marschiert in der Heimatschutzbrigade – Bundesverteidigungsministerium legte Strukturen und Gliederungen des Bundeswehrkommandos Ost offen“ in einem sehr ausführlichen Bericht unter anderem zu lesen, dass dem Heereskommando Ost bei Potsdam die Wehrbereichskommandos Neubrandenburg und Leipzig unterstellt würden. Beide Wehrbereiche hätten die Führungsverantwortung von Divisionen, denen sechs Heimatschutzbrigaden, vier Heimatschutzregimenter, Führungs-, Kampfunterstützungs-, Logistik- und Sanitätstruppen sowie 15 Verteidigungsbezirkskommandos unterstünden. Die Brigaden – so die Planung der Bonner Hardthöhe – sollten aus den ehemaligen NVA-Divisionen Erfurt, Halle, Dresden, Potsdam, Schwerin und Eggesin der Landstreitkräfte hervorgehen. In diesen Truppen würden 39 400 Berufs- und Zeitsoldaten sowie Wehrpflichtige dienen. HO & Neckermann = Honecker Als der neue DDR-Machthaber Erich

Honecker im Range eines Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der führenden Partei, der SED, Anfang der 1970er-Jahre stärker als je zuvor ins Licht der nationalen und internationalen Öffentlichkeit rückte, hatten sowohl ausländische Korrespondenten als auch DDR-Bürger einige Schwierigkeiten mit der korrekten Schreibweise des Nachnamens von Erich, dem Gründungschef der → FDJ. Für Abhilfe sorgte da eine in der Republik schnell in Umlauf kommende kleine Eselsbrücke: Honecker schreibe sich wie die Zusammenführung der 1948 gegründeten staatlichen Handelsorganisation „HO“ mit „Neckermann“, dem damals noch scheinbar allmächtigen bundesdeutschen Versand- und Urlaubsreiseunternehmen von Josef Neckermann. Der Versandhändler und erfolgreiche Dressurreiter, Weltmeister und Olympiasieger, der während der „Wirtschaftswunderzeit“ 1963 im und für den Westen die Pauschalreisen erfunden hatte, und der Neckermann-Katalog waren auch im Osten ein Begriff. Der gebürtige Saarländer Honecker, der im Sommer 2012 – wie übrigens auch Josef Neckermann – seinen 100. Geburtstag hätte feiern können, starb 1994 (zwei Jahre später als Neckermann) im chilenischen Exil. 1976 hatte er in Personalunion als Generalsekretär des ZK der SED sowie als Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates der DDR seine größte, fast absolutistische Machtfülle erlangt. Vom einstigen Neckermann-Imperium ist heute nur noch der seit Anfang 2013 vom Otto-Versand betriebene Onlineshop „neckermann.de“ übrig. Der Versandhandel Neckermann ist Ende 2012 vollständig vom Markt verschwunden, Honecker bereits kurz nach dem Ende der DDR. Holl dien Schnut! Manchmal will man so richtig wütend sein und ausrasten. Aber selbst der energische Ausruf „Halt deine Schnauze!“ klingt auf Plattdeutsch immer noch ziemlich freundlich: „Holl dien Schnut!“ Holl di fuchtig! Das ist der plattdeutsche Wunsch, ordentlich durch die Welt und durch die Zeiten zu kommen und alle Schwierigkeiten gut zu überstehen. Wörtlich übersetzt heißt es bei Renate Herrmann-Winter „Bleib gesund!“ Hühnerschreck Was war eigentlich ein „Hühnerschreck“? So wurde ein Fahrrad mit angebautem Motor bezeichnet, das mit einem Benzin-Öl-

Gemisch angetrieben wurde. In den 1950er-Jahren in Mode gekommen, war dieses Vehikel aufgrund seines kurzen Auspuffstutzens eine ohrenbetäubende Höllenmaschine. Mit einem kräftigen Tritt in die Pedale und dem Lösen der Kupplung sprang der Motor an – wenn man Glück hatte. Aber immerhin bis zu 30 Stundenkilometer schnell konnte man mit dem Hühnerschreck schon sein. Und vielleicht besitzt noch irgendwo im Lande jemand so eine Höllenmaschine? Hüpper un Husching „Hüpper“ und „Husching“ sind zwei weitere hübsche Exemplare aus der geradezu riesigen Auswahl von plattdeutschen → Kosenamen. „Hüpper“ bedeutet einfach „Hüpfer“, und „Husching“ bezeichnet ein kleines Fohlen.

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Ik heff di bannig leef So sagt man das auf Platt, wenn man verknallt ist. Und was die Liebe (→ Leef, Leif, Leev) eigentlich ist, darüber haben sich Schriftsteller und Dichter schon immer so ihre Gedanken gemacht. Hier eine kleine Auswahl ihrer Definitionen: Liebe ist …

… ein vorübergehendes Unwohlsein, heilbar durch Heirat. (Ambrose Bierce, 1842 – 1914) … ein Wahnsinn. (Heinrich Heine, 1797 – 1856) … das Amen des Universums. (Novalis, 1772 – 1801) … wenn sie dir die Krümel aus dem Bett macht. (Kurt Tucholsky, 1890 – 1935) … der Stoff, den die Natur gewebt und die Fantasie bestickt hat. (Voltaire, 1694 – 1778) Interflug Auch wenn sie schon längst nicht mehr vom Boden abhebt, so ist „Interflug“ doch noch vielen Menschen zwischen Dresden, Leipzig und Rostock, zwischen Suhl und Schwerin ein Begriff. Die „Interflug“, die 1958 gegründete „Gesellschaft für internationalen Flugverkehr m. b. H.“ mit dem einprägsamen Logo war neben der „Deutschen Lufthansa“ das zweite staatliche Luftverkehrsunternehmen der DDR und wurde 1991 aufgelöst. Der allerletzte Interflug-Flug ging am 30. April dieses Jahres mit einer TU134 A von Berlin nach Wien und zurück. Zur vollständigen Geschichte des DDR-Flugwesens gehört ein jahrelanger Streit zwischen Ost und West um den Namen „Lufthansa“. Als erste DDR-

Fluggesellschaft war die Deutsche Lufthansa (Ost) bereits im Mai 1955 gegründet worden und bestand unter diesem Namen bis 1963. Schon 1954 hatte aber die Deutsche Lufthansa (West) den Markennamen und das Logo der 1926 gegründeten alten Deutschen Lufthansa von den Alliierten erworben. Zur Interflug-Historie gehört auch das „Loch von Gander“ – diesen Auftankstopp auf dem Flughafen in der kanadischen Provinz Neufundland nutzten nicht wenige Kubareisende aus der DDR zum Abflug in die Freiheit. Und zur ostdeutschen Luftfahrtsgeschichte gehört das tragische Ende des von Ingenieuren aus Dresden konstruierten ersten deutschen Düsenverkehrsflugzeugs „152“, welches bei seinem zweiten Testflug am 4. März 1959 abstürzte. Knapp zwei Jahre später, im Februar 1961, beschloss das SED-Politbüro, den eigenständigen Flugzeugbau in der DDR einzustellen. Nicht wenige ehemalige Interflug-Passagiermaschinen vom Typ Iljuschin, Tupolew und Airbus sind noch heute unter anderen Namen im Einsatz, zum Beispiel in Russland und Kuba, aber auch im Dienste der Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung in Köln/Bonn. Sie nutzt die drei Airbusse A 310, welche die Interflug im Sommer 1988 auf Vermittlung des Politikers und Hobbypiloten Franz Josef Strauß angeschafft und bis zu ihrer Liquidation geflogen hatte. Spektakulär war im Herbst 1989 die Landung der IL-62 „Lady Agnes“ auf der eigentlich viel zu kurzen Stoppelpiste in Stölln nordwestlich von Berlin, wo der Anklamer Flugpionier Otto Lilienthal ab 1894 seine Gleitflüge durchführte und zwei Jahre später tödlich verunglückte. Seit 2012 lädt dort an Bord der „Lady Agnes“ die Dauerausstellung „Unterwegs mit der Interflug“ zum Besuch ein. Bereits seit 1991 können sich in dem Flugzeug Heiratswillige das Jawort geben – und zumindest im übertragenen Sinne in den siebten Himmel abheben. Agnes war der Vorname von Lilienthals Frau.

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Kaderschmiede Als lange nicht gehörtes Wort tauchte die „Kaderschmiede“ kürzlich in der Berichterstattung der SVZ über einen Brand in dem verlassenen Gebäude der ehemaligen Bezirksparteischule auf dem Schweriner Großen Dreesch wieder auf. In solchen Bildungseinrichtungen wurden zu DDR-Zeiten Führungskräfte oder Eliten ausgebildet. Doch gab und gibt es diesen Begriff wohl auch anderswo. So brachte ein Freund von einem Studienaufenthalt in der Schweiz eine touristische Informationsbroschüre über das Schloss Haldenstein/Chur im Kanton Graubünden mit. In der 2010 veröffentlichten Beschreibung der Geschichte dieses Schlosses findet sich der schöne Satz: „Die Leistung der Haldensteiner Erzieher beeinflusste als Kaderschmiede das geistige, kulturelle, politische und wirtschaftliche Geschehen im bündnerischen 19. Jahrhundert entscheidend …“ Aber wie kommt die Kaderschmiede, die hierzulande eher aus dem sowjetischen Russisch bekannt ist, in die Schweiz? Vielleicht hat sie Lenin dorthin gebracht. Schließlich lebten er und seine Frau Nadeshda Krupskaja zwischen 1914 und 1917 im Schweizer Exil, und zwar zunächst in Bern und später in Zürich. Lenin verbrachte dort viel Zeit in Bibliotheken und entwickelte damals unter anderem das Projekt einer Kaderpartei. Er und seine Frau genossen übrigens gern die herrliche Natur ihres Exillandes ebenso wie die berühmte Schweizer Schokolade. kandessig Das auf der zweiten Silbe betonte Adjektiv „kandessig“ (oder auch „kedessig“, „kredessig“, „kandessich“) bedeutet so viel wie „bockig“ oder „böse sein“. Im Plattdeutsch-hochdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter finden sich die Übersetzungen „aufgebracht“, „ärgerlich“ und „zornig“, aber auch „stolz“. Man kann es auch mit „frech“ oder „übermütig“ übersetzen wie in dem Beispielsatz: „Nu wees man nich kandessich!“ Seinen sprachlichen Ursprung hat auch dieses Wort wohl im Französischen. Es leitet sich von grandesse für „Hoheit“ oder „Hochmut“ ab (ähnlich die italienische grandezza und deutsch „grandios“ für „großartig“) und wurde schon bald eher negativ gebraucht. „Großartig“ galt vielen wohl als zu großartig oder großspurig …

Katteiker, Katteker Der Katteiker – in vielen plattdeutschen Gegenden auch als „Katteker“ bekannt – ist das Eichhörnchen. Und wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich bei dem Katteiker-Eichhörnchen um eine spielerische Umkehrung der „Eikkatt“, der Eichkatze. Als Grund für diese Umkehrung vermuten einige Leute, dass sich das Wort so leichter und angenehmer sprechen lasse, also insgesamt mehr Wohlklang habe. Außerdem weist die Sprachwissenschaft darauf hin, dass die vermeintliche Eiche im Katteiker auf die indogermanische Wurzel aigfür „sich heftig bewegen“ zurückgeht. Und von der in der Antike verbreiteten Ansicht, dass sich Eichhörnchen mit ihrem großen Schwanz selbst Schatten geben könnten, stammt ihr griechischer – in die wissenschaftliche Gattungsbezeichnung eingegangener – Name skiuros, lateinisch Sciurus vulgaris: „Schattenschwanz“. Katthagen Was zum Teufel bedeutet der Begriff „Katthagen“? Hat er vielleicht etwas mit Katzen zu tun, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte? Eine absolut sichere Erklärung gibt es vielleicht nicht, wohl aber eine Reihe glaubwürdiger Deutungen: So sind in etlichen deutschen Städten mittelalterlicher Gründung wie Münster oder Alt Alfeld bis heute Straßen mit dem Namen „Katthagen“ beziehungsweise „Im Katthagen“ oder „Am Katthagen“ zu finden. Sowohl in Helmstedt als auch in Rostock gibt es sogar jeweils zwei Straßen dieses Namens: „Großer Katthagen“ und „Kleiner Katthagen“. Auch Parchim verfügt über einen solchen Katthagen. Gemeinsam ist den alten Stadtstraßen mit dieser Bezeichnung, dass sie sich in aller Regel unmittelbar hinter der Stadtmauer befanden. Mit Katzen hat diese Bezeichnung jedoch kaum etwas zu tun, sondern eher mit Geschützen. Im Glossar zu dem 1889 erschienenen Buch Kasper Ohm un ick von John Brinckman wird erklärt, dass in Rostock in diesen 1594 erstmals erwähnten Straßen gleich hinter der Stadtmauer früher die„Katten“ standen. Die Katten wiederum waren die Stadtgeschütze. Auch in einer Abhandlung über Entstehung und Bedeutung der mecklenburgischen Flurnamen wird Katthagen als ein Ort erklärt, wo die sogenannten Katten (mundartlich verballhornt von „Kartaune“ = italienisch quartana bombarda = Viertelsbüchse) gesichert abgestellt worden waren, und zwar in einem „umhegten“ Raum, einem „Hagen“.

Militärgeschichtlich gesehen ist es so, dass mit der Verbreitung der Feuerwaffen im 14. und 15. Jahrhundert anfangs alle größeren Feuerrohre allgemein als „Büchse“ bezeichnet wurden. Das galt also auch für die Geschütze. Mitunter wird die Namensherkunft von Katthagen auch von den mittelalterlichen Schleudergeschützen, den Katapulten, hergeleitet. In diesem Falle dürfte es sich jedoch um eine Fehldeutung handeln, wenn man die Ausmaße dieser gewaltigen Holzkonstruktionen mit Bockgestell und Hebelarm zugrunde legt. Denn diese sperrigen Kriegsmaschinen konnten wohl kaum in den engen mittelalterlichen Gassen aufgestellt werden. Insoweit scheint dagegen eine Namenserklärung über die „Katten“, also die handlicheren Stadtgeschütze, über die damals jede größere Stadt zu Verteidigungszwecken in gewisser Anzahl verfügte, plausibler. Zu demselben Thema wies uns Mark Riedel, der Vorsitzende des Heimatbundes Parchim e. V., auf einen Text des Parchimer Heimatforschers Otto Köhncke hin, welcher in dem Parchimer Wörterbuch aus dem Schweriner Verlag Reinhard Thon, 2. Auflage 2000, zum Begriff „Katthagen“ Folgendes schrieb: „Das westliche Ende der Straße Auf dem Brook wird im Volksmund, nachdem die Piepenhägerstraße eingemündet ist, früher allgemein Katthagen genannt. Bis vor einigen Jahrzehnten führte dieser Straßenzug direkt zum Stadtgraben, dem Wasserlauf, der dann in den 1930er-Jahren zugeschüttet wird. Der Name kommt wohl daher, weil hier seinerzeit in einem Wiekhaus an der Stadtmauer die Katten – mittelalterliche Schleudergeschütze – aufbewahrt werden. Dieses Wiekhaus ist auf dem Stadtplan von 1828/29 noch eingezeichnet.“ Und Riedel fügt hinzu, dass der Weg an der Elde seit einigen Jahren offiziell „Beim Katthagen“ heiße. Alles in allem geht es bei dem Namen „Katthagen“ wohl doch eher um Waffen als um Katzen. Entsprechenden Lärm dürften sie aber auch gemacht haben – zumindest, wenn die Geschütze zum Einsatz kamen. Kaufhalle „Kaufhalle“ ist ein in der alten Bundesrepublik eher unbekannter Begriff. Dort sagte man von jeher „Supermarkt“. Aber auch die DDRKaufhalle war ein großes Geschäft, vorzugsweise ein nicht weiter unterteilter Selbstbedienungsladen, in dem Lebensmittel und sogenannte Waren des täglichen Bedarfs gehandelt wurden. Kaufhallen gab es vor allem in den Städten. Betreiber waren entweder die staatliche HO (Handelsorganisation) oder der genossenschaftliche Konsum (→ Dorfkonsum). Nach → Wende und Wiedervereinigung wurden viele Kaufhallen geschlossen, manche privatisiert, und manche dienen heute ganz

anderen, zum Beispiel kulturellen Zwecken – wie für „Konzerte in der Kaufhalle“. Ein Bild vom Inneren einer DDR-Kaufhalle kann man sich noch heute in dem doppelt legendären DEFA-Streifen Die Legende von Paul und Paula (1973) mit Angelica Domröse und Winfried Glatzeder machen. Oder in diesem Buch auf Seite 87 unten. Keine Gewalt! „Keine Gewalt!“ – so lautete ein zum Glück von allen beteiligten Seiten beherzigter Grundsatz während der teils harten politischen Auseinandersetzungen in der → Wende-Zeit, die durchaus auch zu Blutvergießen hätten führen können – wenn nur irgendjemand die Nerven verloren hätte. So aber blieb die Wende eine sanfte und → friedliche Revolution. Kindertag Jedes Jahr am 1. Juni wird auch in Mecklenburg-Vorpommern vielerorts der Internationale Kindertag gefeiert. In den neuen Bundesländern hat der Festtag für die Jüngsten seit 1950 Tradition. In der alten Bundesrepublik wurde und wird dagegen eher der Weltkindertag begangen – und zwar am 20. September. Historische Grundlage für beide Kindertage ist eine Forderung der UNOVollversammlung, wonach die Weltbevölkerung einmal im Jahr ganz besonders auf die Bedürfnisse und Rechte der Kinder aufmerksam gemacht werden sollte. Niedergeschrieben sind die universellen Menschenrechte für Kinder aller Länder in der am 20. November 1989 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Kinderrechtskonvention, die inzwischen von 193 Mitgliedsstaaten unterzeichnet worden ist, darunter Deutschland. Allerdings sind die Kinderrechte auch hierzulande noch nicht bekannt genug. Im Übrigen kommt es zum Beispiel in Berlin vor, dass man gleich beide Kindertage feiert, den am 1. Juni und den am 20. September. Kinder und Eltern finden, dass das gar nicht so schlimm sei. Und vielleicht sind zwei Kindertage sogar doppelt so schön wie bloß einer. Schließlich kann man Kinder gar nicht genug feiern, wird durch sie und mit ihnen doch die Zukunft gesichert. Das ist doch kinderleicht zu verstehen, oder? Kinosommer Der Kinosommer war zu DDR-Zeiten eine traditionelle Veranstaltungsreihe, bei der in den Sommermonaten oft auch in Freiluftkinos oder eben in Sommerkinos in Leichtbauweise neue, zumeist heitere und unterhaltsame Produktionen gezeigt wurden.

Klœndör Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin schrieb uns eine schöne plattdeutsche Erklärung der „Klœndör“, wörtlich „Schwatztür“: De Dör is tweideilig un besteiht ut einen bœweren un einen ünneren Deil. Beide Deile kann man getrennt up- und taumåken. No de Stråt hen måkt man denn den bœweren Deil up, stütt sik up denn ünneren Deil und täuft, bet einer vörbi kümmt. Denn kann de Klœnschnack losgåhn. (Diese Tür ist zweigeteilt – und zwar in einen oberen und einen unteren Teil. Beide kann man einzeln auf- und zumachen. Zur Straße hin macht man den oberen Teil auf, stützt sich dann auf den unteren und wartet, bis jemand vorbeikommt. Und wenn einer kommt, dann kann die Unterhaltung losgehen.) Koalition Mit der Rückkehr des klassischen bürgerlichen parlamentarischen Systems nach Ostdeutschland kehrten auch die dazugehörigen parlamentarischen Begriffe wie „Fraktion“, „Koalition“ und „Opposition“ in die politische Realität zurück. Den Medien fiel die Aufgabe zu, diese Begriffe zu erläutern und in ihrer praktischen Bedeutung zu erklären. So war am 22. Oktober 1990 schon auf der Titelseite der SVZ zu lesen: Während Sozialdemokraten noch stritten, machten CDU und FDP Nägel mit Köpfen – Koalition für den Landtag perfekt Berlin/Güstrow (dpa/lmv/SVZ). Eine Woche nach den ersten freien Landtagswahlen in Ostdeutschland stehen die Regierungsbündnisse in vier der fünf neuen Bundesländer fest. In Mecklenburg-Vorpommern fiel am Sonntag die Entscheidung für ein Regierungsbündnis von CDU und FDP. Auch in Thüringen und Sachsen-Anhalt sind sich CDU und FDP grundsätzlich über eine Koalitionsregierung einig. In Sachsen kann die CDU mit ihrer absoluten Mehrheit allein regieren. Nur in Brandenburg, wo die SPD die Wahl gewann, ist die Koalitionsfrage noch offen. Und so kam es dann auch. Kombinat Ein Kombinat war in der DDR der Zusammenschluss von mehreren Volkseigenen Betrieben (→ VEB), in dem bestimmte Produktionszweige technologisch und ökonomisch zusammengefasst und zentral geleitet wurden. Die ersten Kombinate waren 1946 noch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) aus den Sowjetischen

Aktiengesellschaften (SAG) wie SAG Kali und SAG Wismut (ab Ende 1953 SDAG Wismut) entstanden, die bereits 1945 enteignet worden waren und als Teil der Reparationsleistungen ursprünglich demontiert werden sollten. In größerem Umfang wurden Kombinate Ende der 1960er-Jahre, Anfang der 1970er-Jahre aus 82 Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) gebildet. In den Kombinaten waren „unter einem Dach“ Produktion, Forschung, Entwicklung und Absatz einer Branche zusammengeschlossen. Chef eines Kombinats waren jeweils Generaldirektoren oder Kombinatsdirektoren, die meist direkt dem jeweiligen Fachminister sowie der entsprechenden Fachabteilung des ZK der SED unterstellt waren. Oberster „Herr“ über die Kombinate war das für Wirtschaftsfragen zuständige SED-Politbüromitglied Günter Mittag. Insgesamt gab es zum Ende der DDR 167 zentral geleitete Kombinate und etwa 90 Kombinate der bezirksgeleiteten Industrie. Hauptziel war es, die Planwirtschaft in Schwung zu bringen und die DDR-Wirtschaft auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu machen. Die Kombinate waren gleichsam die Flaggschiffe der DDR-Wirtschaft. Bekannte und regelrecht berühmte DDR-Kombinate waren zum Beispiel VEB Gaskombinat Schwarze Pumpe, VEB Kombinat Carl Zeiss Jena, VEB Kombinat Robotron Dresden, VEB Kombinat Chemische Werke „Walter Ulbricht“ Leuna, VEB Kombinat Chemische Werke Buna Schkopau, VEB Petrolchemisches Kombinat (PCK) Schwedt/Oder sowie VEB Deutfracht Seereederei Rostock und VEB Kombinat Lederwaren Schwerin. Konsum siehe Dorfkonsum Kosenamen Es gibt davon ein klein bisschen mehr als den allgemein bekannten und viel zitierten → Schietbüdel, hier der Beweis (Sammlung von Wolfgang Hohmann aus Oettelin): • Appelschnut: Apfelschnäuzchen • Bengel (säuten): süßer Junge • Bodderlicker: Schmetterling (→ Ülepüle) • Boddermelklicker: Buttermilchlecker • Boddervågel, Fleerlink: Schmetterling (→ Ülepüle)

• Böhschœping: „Böhschaf“ • Borrerbüßogen: Butterdosenaugen, große, runde Augen • Borsbengel, Bostbengel: kräftiger strammer Junge, Schelm • Botteralf: wie Butter zerfließende ätherische Elfe, später mit „albern“ zusammengebracht • Bräkendal: Tunichtgut, zerbricht alles • Brümmer, Brümming: Brummer, Brummerchen • Butscher, Butsching: kleiner Junge, Jüngelchen (→ Buttjer) • Büxenschieter: Hosenscheißer • Dierning: kleines Mädchen (→ Dierning) • Döchting: Töchterchen • Dreckpœsel: Schmutzfink • Dreischmus, Dreeschmus: Feldmaus • Drœnbaddel, Drœnbüdel: Schwätzer, Spinner, Quasselbeutel • Drufäppel: Traubäpfel, Traubenapfel, in kleinen Trauben zusammensitzende kleine rotbäckige Äpfel, → Kosename für pausbäckige Kleinkinder • Drummel, Drümmel: kleiner dicker Mann, kleines dickes Kind • Dullbrägen: unüberlegt handelndes dickköpfiges Kind • Dümling: Däumling (eine Märchengestalt) • Dummerjahn: Kind, das sich dumm anstellt • Düsbüdel: Dummkopf, Schlafmütze • Düwing: Täubchen

• Flassköpping: Flachsköpfchen • Goldfasaning: kleiner Goldfasan • Hasing: Häschen (→ Hasing) • Häuhning: Hühnchen • Herzing: Herzchen • Hüpper: Hüpfer (→ Hüpper un Husching) • Husching: kleines Fohlen (→ Hüpper un Husching) • Krabauter: lebhaftes Kind (→ Krabauter) • Krallöging: leuchtende Äuglein • Krœt (lütt säut): kleine süße Kröte, freches kleines Mädchen • Krutul: Krauteule, etwa „kleiner Kauz“ (Hätschelname) • Küking: kleines Küken • Küselwind: Wirbelwind • Lickertähn: → Naschkatze • Lusepünging: Lausebeutelchen (von „Pung“ = Sack) • Müling: Mäulchen • Mümmelken: Verkleinerungsform zu „Mummel“ = Seerosenart (→ Blumenund Pflanzennamen) • Musche Wittkopp: kleiner Blondschopf (→ Musche Wittkopp) • Musching: Kätzchen • Naschkatt: Naschkatze (→ Naschkatt)

• Noorslöcking: Arschlöchlein • Öging: Äuglein (→ Öging) • Peting: Peterchen • Piepgössel: schwächliches Kind • Püpping: Püppchen • Püting: niedliches kleines Kind • Racker (säuten): Schlingel • Schietbüdel: Scheißbeutelchen (→ Schietbüdel) • Schieter, Schietling: Scheißerchen • Schietlöcking: Scheißlöchlein • Schmoltappel: Schmalzapfel • Schmuskatt: Schmusekatze • Schnüter, Schnüterpüter, Schnüting: Schnäuzchen • Sœhning: Söhnchen • Spatzing: Spätzchen • Stienefliesen, Stiening: kleine Christine, Christinchen • Ströper, Ströping: Herumtreiber, Strolch • Stupsnäs: Stupsnäschen • Ticking: Hühnchen • Wippstart: unruhiges Kind (Bachstelze) • Wonneproppen: Wonnekorken, gut genährtes, strammes Kind

• Zuckerschnut: Zuckerschnäuzchen Kosmonaut Da war der Unterschied eindeutig: Im Osten hießen die Weltraumfahrer „Kosmonauten“, im Westen waren es die „Astronauten“. Kosmos ist griechisch „Weltraum“, astron „Stern“, und der Wortbestandteil -nauten bedeutet so viel wie „segeln“ oder „zur See fahren“. Der berühmteste DDR-Kosmonaut und zugleich der erste Deutsche im All war der damals 41-jährige Jagdflieger und spätere NVA-Generalmajor Dr. Sigmund Jähn, der am 26. August 1978 in den Weltraum aufstieg. Sein Double, mit dem sich Jähn gemeinsam vorbereitet hatte, war Militärflieger-Kollege Eberhard Köllner, der aber damals nicht zum Zuge kam. Über den Grund für diese Entscheidung witzelte man damals in der DDR, dass es wohl nicht sein könne, dass der erste Deutsche im All ein Köl(l)ner sei, also jemand aus dem Westen … Krabauter Der Ausdruck „Krabauter“ ist der plattdeutsche → Kosename für ein lebhaftes Kind. Der Plural davon sind „Krabauters“.

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Ländereinführungsgesetz Eine große Karte auf der Blickpunkt-Seite 3 der SVZ zeigte am 24. Juli 1990 das Land Mecklenburg-Vorpommern nach dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990. Die Volkskammer hatte an jenem Sonntag nach 38 Jahren das Wiedererstehen der fünf Länder auf dem Territorium der DDR beschlossen. Ab dem 14. Oktober, dem Tag der Landtagswahlen, werde es keine Bezirke mehr geben, hieß es. Das Land Mecklenburg-Vorpommern bestehe dann aus den Bezirksterritorien Neubrandenburg, Rostock und Schwerin (ohne die Kreise Perleberg, Prenzlau und Templin). Templin ist übrigens die Kinder- und SchulzeitHeimat der gebürtigen Hamburgerin Angela Merkel (Angela Dorothea Kasner). Noch 1954, wenige Wochen nach der Geburt ihrer Tochter, war die Familie des evangelischen Pfarrers Horst Kasner aus Hamburg in die DDR übergesiedelt. Der Bundestagswahlkreis der ersten deutschen Bundeskanzlerin liegt in Mecklenburg-Vorpommern – es ist der Wahlkreis 15 Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I, der in dieser Form als Nachfolger des ehemaligen Wahlkreises 15 Stralsund – Nordvorpommern – Rügen zur Bundestagswahl 2013 neu zugeschnitten wurde. Landfilm „Unter fünf Besuchern wird nicht gespielt!“ So hieß es früher beim „Landfilm“ in der DDR, an den sich sicher noch viele erinnern können, die eben auf dem Lande aufgewachsen sind. Wie man Anfang der 1950er-Jahre etwas umständlich formulierte, oblag dem Landfilm die filmische Betreuung der Landbevölkerung. Am Anfang war das Fernsehen noch keine Konkurrenz. Und so brachten noch bis zur → Wende Filmvorführer aus den Städten die Lichtspiele mithilfe von zahlreichen Filmrollen und transportablen Tonkinokofferanlagen – oft vom legendären Typ Zeiss TK 35 – in die Dörfer. Aktuelle und ältere Produktionen für Kinder und Erwachsene wurden auf Leinwänden in Gaststätten, Dorfklubhäusern oder anderen Räumlichkeiten gezeigt. Und inzwischen heißt es in so mancher Gemeinde: „Der Landfilm ist wieder da“ – auch in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei waren und sind es oft mehr als fünf Kinofreunde …

Leef, Leif, Leev „Leef“ oder „Leif“, manchmal auch „Leev“ ist ein schönes plattdeutsches Wort, beinahe genauso schön wie das Unbeschreibliche, um das es hier geht – die Liebe. Und wer kennt sie nicht, die vielleicht schönste Liebeserklärung „up Platt“? Das Lied Dat du mien Leevsten büst … – ein Klassiker! Die dazu passenden Verben sind zum Beispiel „leef hemm’“, „giern hemm’“ oder „lieden mœgen“. Hat man sich gern, sagt man also vielleicht: → Ik heff di bannig leef. Letscho bezeichnet eine ursprünglich wohl aus Ungarn stammende Paprika-Tomaten-Gemüsemischung, die in der DDR besonders als Beilage zu Grillgerichten beliebt war und oft selbst gemacht wurde. Auch im Internet finden sich dazu heute einige Rezepte. Inzwischen wird Letscho „nach ungarischer Art“ im Glas übrigens häufig im Spreewald produziert. Und selbst bei Angela Merkel kommen nach eigener Aussage nach wie vor auch typische Speisen aus der DDR-Vergangenheit auf den Tisch, darunter Soljanka, Schaschlik und eben Letscho. Im Westen waren Begriff und Mischung dagegen fast unbekannt. Litera war ein DDR-Schallplattenlabel, das wie die → Amiga aus der ursprünglich von dem Arbeitersänger Ernst Busch gegründeten Firma „Lied der Zeit Schallplatten GmbH“ entstand. Nach politischen Turbulenzen wurde dessen Unternehmen zunächst in Volkseigentum (→ VEB) übernommen und in „VEB Lied der Zeit“ umbenannt. Seit 1954 hieß der einzige Hersteller von Schallplatten und Kassetten in der DDR dann „VEB Deutsche Schallplatten Berlin“. Neben den beiden bereits bestehenden Labels „Amiga“ und „Eterna“ gingen daraus vier weitere hervor, darunter eben auch „Litera“ für das künstlerische Wort, für Hörspiele und Lesungen. Bei „Litera“ erschienen Platten aus den Bereichen Literatur und Theater, Künstlerporträts und Dokumentation, aber auch solche, die Material boten für den Schulunterricht in Deutsch, Geschichte und Staatsbürgerkunde. Weitere Bereiche waren Humor, Unterhaltung und Kabarett sowie die auch ökonomisch sehr erfolgreiche Kinder- und Jugendliteratur. Besonderen Wert auf Qualität legte „Litera“ bei den Märchenschallplatten, die fast ausnahmslos mit Spitzenschauspielern und teils sehr aufwendig produziert wurden. Mit der → Wende und vor allem mit der Währungsunion brachen dem Unternehmen Absatz und Umsatz und damit die ökonomischen Beine weg. Auch eine letzte Hoffnung auf den japanischen Tonträgermarkt erfüllte sich nicht. Die noch verbliebenen „Litera“-Mitarbeiter wurden Anfang der 1990er-Jahre entlassen. Weitere

Hinweise zu „Litera“ gibt es im Internet unter der Adresse www.ddrhoerspiele.net – nach dortiger Aussage das „Zuhause der LiteraSchallplatten“ – mit umfangreichen Titel-, Sprecher- und Nummernverzeichnissen. Dort findet man auch Hinweise auf DDRHörspiele in aktuellen Rundfunkprogrammen.

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Mamsell Lebte früher ein unverheirateter Mann mit einer Haushälterin beziehungsweise Wirtschafterin zusammen, so hieß es über ihn: „hei un sien Mamsell“ (er und seine Wirtschafterin). Aber auch ein Familienvater sprach sein kleines Töchterchen mit „mien lütt Mamsell“ im Sinne von „mein kleines Fräulein“ an. Nicht auszuschließen ist, dass die Benutzung des Wortes „Mamsell“ in Mecklenburg aus der napoleonischen Zeit (1806 – 12) herrührt (von französisch mademoiselle). Mauerfall Fast drei Jahrzehnte oder exakt 10 680 Tage lang stand sie fast so fest und schier unzerstörbar wie ein unüberwindliches Bollwerk – die am 13. August 1961 errichtete „Berliner Mauer“. Während seines ersten und einzigen Staatsbesuchs in der Bundesrepublik im September 1987 – die Quasi-Anerkennung der DDR als zweiter, gleichberechtigter deutscher Staat – hatte Partei- und Staatschef Erich Honecker in einem Toast erklärt: „Die Mauer wird so lange bleiben, wie die Bedingungen nicht geändert werden, die zu ihrer Errichtung geführt haben. Sie wird auch noch in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe nicht beseitigt sind.“ Aber dann fiel sie gewissermaßen doch über Nacht – in der Nacht vom 9. zum 10. November 1989 nach den berühmten Worten von SED-Politbüromitglied Günter Schabowski, der auf die alles entscheidende Frage des italienischen Journalisten Riccardo Ehrmann, damals ANSA-Korrespondent in Berlin, nach dem Beginn der Reisefreiheit am 9. November gegen 19 Uhr fast beiläufig und scheinbar unvorbereitet antwortete: „Das tritt nach meiner Kenntnis, äh, ist das sofort, unverzüglich.“ Aktuelle Spekulationen gehen jedoch davon aus, dass Ehrmann einen heißen Tipp von einem Insider bekommen hatte. So oder so – nur kurze Zeit nach dem Schabowski’schen „Versprecher“ stürmten Tausende DDR-Bürger die bis dahin gut bewachte Staatsgrenze. Angeblich sollte die Mauer erst am nächsten Tag, dem 10. November 1989, gegen 4 Uhr morgens, geöffnet werden. Aber Weltgeschichte hält sich eben nicht immer an den Stundenplan …

Im Übrigen dürfte als Erfinder der Bezeichnung „Mauer“ niemand Geringerer als DDR-Staats- und SED-Parteichef Walter Ulbricht höchstpersönlich gelten: Dieser hatte während einer Internationalen Pressekonferenz am 15. Juni 1961 in Berlin, Hauptstadt der DDR, in einer ebenfalls berühmt-berüchtigten Antwort auf die Frage der West-Journalistin Annamarie Doherr, damals BerlinKorrespondentin der Frankfurter Rundschau, zu den möglichen Konsequenzen der Bildung einer Freien Stadt West-Berlin – einschließlich der Errichtung der Staatsgrenze am Brandenburger Tor – Folgendes erwidert: „Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Äh, mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft dafür voll ausgenutzt wird, voll eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“ Mauerspecht Mit dem wirklichen Mauerspecht hatten die Vertreter der Gattung des gemeinen Mauerspechts das Klopfen gemeinsam. Allerdings klopften die Mauerspechte nicht an Baumstämme, sondern so bezeichnete der Volksmund Menschen, die nach dem → Mauerfall im November 1989 die Berliner Mauer mit kleinen Hämmern und Meißeln und anderen mehr oder weniger geeigneten Werkzeugen bearbeiteten und systematisch verkleinerten. Ihre Motive für diese durchaus anstrengende Tätigkeit reichten von der Souvenirjagd über politische Gründe bis zu KunstAktionen. Auch regelmäßig wiederholte Durchsagen der Polizei (Berlin-West) „Unterlassen Sie sofort das Mauerklopfen …“ zeigten kaum Wirkung. Ähnlich wie bei mittelalterlichen Heiligenreliquien dürfte jedoch die im Umlauf befindliche Zahl von „echten“ Mauerteilen die tatsächlich mögliche Zahl solcher Mauerteile um ein Vielfaches überschreiten. Mehrgeschosser Mit „Mehrgeschosser“ bezeichnete man zu DDR-Zeiten einen in Plattenbauweise errichteten Neubaublock. Ein solcher Mehrgeschosser hatte mindestens vier Etagen, konnte aber auch sehr viel höher sein – dann sogar mit Fahrstuhl. Miss Bildung Margot Honecker: 26 Jahre lang – von 1963 bis 1989 – war

die gebürtige Hallenserin, Jahrgang 1927, und zweite Frau von Erich Honecker Minister für Volksbildung (übrigens nie als „Ministerin“ bezeichnet). Sie wirkte maßgeblich am „Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“ vom 25. Februar 1965 mit. Auch die Einführung des Wehrkundeunterrichts als Pflichtfach 1978/79 geht auf ihr Konto. In der DDR-Bevölkerung war die häufig mit lilafarbenem Haar auftretende und daher auch als „lila Hexe“ oder „blaues Wunder“ bezeichnete Politikerin nicht sonderlich beliebt. Ein besonders schönes Beispiel für Volkswitz ist in diesem Zusammenhang die aus dem kreativen Zusammenziehen von „Miss“ und (Volks) „Bildung“ entstandene Fügung „Miss Bildung“. Man muss sich diesen Begriff und seine Bedeutung in einem Wort gesprochen vorstellen … Margot Honecker lebt seit 1992 im chilenischen Exil in der Hauptstadt Santiago de Chile. Dort ist auch ihr Ehemann im Frühjahr 1994 gestorben. Miss-DDR-Wahl in Schwerin Leticia Koffke – so lautet der Name der ersten und zugleich letzten Miss DDR, welche am 22. September 1990 während einer großen Galashow in der Schweriner Halle am Fernsehturm gekürt worden war. Der SVZ war es in Zusammenarbeit mit der Hamburger Frauenzeitschrift das neue gelungen, diese schöne Wahl der schönsten Frau des kleineren deutschen Staates nach Mecklenburg zu holen. Dem Publikum sowie einer „sachkundigen prominenten Jury“ präsentierten sich 15 junge Damen aus der gesamten, damals gerade noch existierenden DDR. Für die Siegerin von Schwerin, Leticia Koffke, die heute übrigens mit ihrer Tochter in Köln lebt, ging die Karriere anschließend weiter: Als Miss DDR belegte die Blondine mit dem Gardemaß von 1,78 Metern, den langen Beinen und den großen rehbraunen Augen am 24. Oktober 1990 bei der „Queen of the World“ in Baden-Baden Platz 2. Im Dezember des gleichen Jahres wurde die aus bescheidenen Verhältnissen stammende Tochter eines Kochs und einer Krippenerzieherin in Wesseling (bei Köln) als Miss Brandenburg zur Miss Germany 1990/91 gekrönt – der ersten gesamtdeutschen seit 1933, also seit 57 Jahren. Nachdem sie als Preisgeld zum zweiten Mal nach Schwerin ein Auto geschenkt bekommen hatte – dieses Mal einen Toyota Corolla –, entschloss sich die erste und letzte Miss DDR, endlich ihren Führerschein zu machen. Vor der → Wende war ihr das als „absurdes Unterfangen“ erschienen, da sie ja doch kein

Auto bekommen hätte. Zu DDR-Zeiten hatten derartige Schönheitswettbewerbe als Erniedrigung der Frau durch den Kapitalismus gegolten und waren entsprechend unerwünscht und sogar verboten. Erst bei der 750-Jahr-Feier Berlins durfte zum ersten Mal offiziell eine „Miss Berlin“ öffentlich auftreten und sogar im Festumzug, im Bikini auf dem Arm eines riesigen Berliner Bären sitzend, an Erich Honecker & Genossen vorbeifahren. Leticia Koffke leitet heute in Köln eine Filiale des Schmuckhauses Christ – einem ihrer einstigen Sponsoren in Schwerin. Manche nennen die „Miss DDR“ auch den letzten Lichtblick aus dem Osten. Wie heißt es doch so schön: Ex oriente lux … Montagsdemo Beginnend mit der ersten derartigen politischen Massenveranstaltung am 4. September 1989 in Leipzig entwickelten sich die sogenannten Montagsdemonstrationen, die kurze Zeit später auch in anderen großen Städten der DDR wie Halle und Magdeburg, Rostock und Schwerin stattfanden, zu einem wichtigen Teil der → friedlichen Revolution. Übergreifende Parole war die Aufforderung → Keine Gewalt! Nachdem die teilweise mehr als 100 000 Teilnehmer der Montagsdemos zunächst vor allem unter der Losung → Wir sind das Volk! demonstriert hatten, wandelten sich die Forderungen allmählich zu Wiedervereinigungsgedanken: „Wir sind ein Volk!“ Muck und Muckefuck Der Begriff „Muck“ hat nichts mit dem bekannten Märchen Der kleine Muck von Wilhelm Hauff zu tun, sondern er bezeichnet ein Trinkgefäß ohne Henkel und Unterschale und ist möglicherweise eher verwandt mit dem „Muckefuck“, einem kaffeeähnlichen Getränk ohne Koffein. Und was den „Muckefuck“ selbst angeht, so könnte sich dessen Name einigen Quellen zufolge aus dem Französischen ableiten (Mocca faux = falscher Kaffee) und zum Beispiel schon unter Napoleon (1806 – 12) oder später, zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71, auch in unsere Region gelangt sein. Mudder Griepsch „Mudder Griepsch“ – so nannte man früher besonders im ländlichen Bereich die Hebamme. Zur Erklärung: „Griepsch“ kommt vom Ergreifen des Kindes bei der Geburt. Laut dem Neuen hochdeutsch-

plattdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter aus dem Hause Hinstorff gibt es für „Hebamme“ aber noch ein zweites plattdeutsches Wort: die „Häwamm“. Musche Wittkopp ist ein plattdeutscher → Kosename und bezeichnet einen kleinen Blondschopf. Im Übrigen verweist zum Beispiel das Plattdeutschhochdeutsche Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter auch auf die Ausdrücke „Musche Dickkopp“ und „Musche Buhbuh“ – Letzterer meint eine Schreckgestalt der Kinder. Oder hätten Sie bei diesem Begriff jetzt an was anderes gedacht? Der Wortbestandteil „Musche“ ist ein veralteter Ausdruck für „Herr“ und hat seinen Ursprung noch etwas ahn- und hörbar im französischen monsieur. „Musche“ wird jedoch nur im Zusammenhang mit Namen und Beinamen gebraucht. MZ Wer wollte als Junge oder auch als Mädchen nicht eine schnelle Maschine haben, ein Motorrad? In der DDR war das allerdings keine Yamaha, Honda oder Aprilia, sondern zumeist eine „MZ“. Die beiden Buchstaben stehen für → VEB Motorradwerk Zschopau im Erzgebirge, wo schon seit Anfang der 1920er-Jahre Motorräder gebaut wurden und wo einst sogar das erste Motorrad-Fließband der Welt stand. Bis zur → Wende gehörte MZ zu den größten Motorradherstellern der Welt. Und die Motorräder aus Zschopau waren begehrt, hatten sie sich doch auch bei vielen internationalen Wettkämpfen bewährt. Geradezu legendär wurden die MZ-Maschinen in den 1960er-Jahren – 1963 gewann das DDR-Nationalteam auf MZ-Motorrädern erstmals die Trophy bei der Internationalen Sechstagefahrt, den Six Days. Dieser Wettbewerb ist gleichbedeutend mit der Mannschaftsweltmeisterschaft im Motorradgeländesport. Diesem Triumph folgten fünf weitere Trophy-Siege auf MZ-Motorrädern in den Jahren 1964 bis 1967 und 1969. 1968 verletzte sich einer der Fahrer bei einem Sturz, und die MZ-Mannschaft musste das Rennen aufgeben. Ein letzter Erfolg bei der Sechstagefahrt gelang 1987, als die DDR-Trophy- und SilbervaseMannschaften den Wettbewerb gewannen. Diese Erfolge wurden auch auf den Tankdeckeln der „normalen“ Motorräder aus Zschopau kenntlich gemacht. Schauen Sie einfach mal etwas genauer hin, wenn sie mal irgendwo eine MZ erwischen – eine der technischen Legenden aus Ostdeutschland.

Das einmillionste Motorrad seit 1950, eine MZ ETS 250 Trophy Sport, lief 1970 vom Band, das zweimillionste Motorrad dann 1983, eine MZ ETZ 250. Der Autor fuhr als junger Mann selbst zunächst eine MZ ES 150, später eine 250erMaschine – und nahm darauf auch das eine oder andere hübsche Mädchen mit. Wer heute gern wieder MZ-Motorräder sehen will, der hat in MecklenburgVorpommern dank des Motorsportvereins Güstrow, der regelmäßig internationale MZ-Treffen veranstaltet, die Möglichkeit dazu. Für viele Mitglieder dieses Vereins wie auch für zahlreiche andere Leute, die ihre Jugend in der DDR verbrachten, waren eben die Maschinen aus Zschopau der Anfang von allem, um die Freiheit auf zwei Rädern zu erfahren. Und auch wenn viele von ihnen inzwischen zu anderen Marken gewechselt haben, die Liebe zur MZ ist geblieben – die Liebe zu „Made in Zschopau“.

N

Naschkatt Die „Naschkatt“ ist natürlich die Naschkatze. Als Synonyme zu diesem’ Kosenamen führt Renate Herrmann-Winter in ihrem Neuen hochdeutsch-plattdeutschem Wörterbuch unter anderem „Naschpeter“ und „Leckermul“ sowie „Muschkatt“ und „Zuckerlicker“ an. Wenn man aber zu viel nascht, dann kann man manchmal auch ein bisschen „naasch“ oder „narsch“ werden – ein bisschen merkwürdig, seltsam, wunderlich oder eben närrisch und verrückt. Vielleicht heißt es daher auch: Ich bin ganz verrückt nach dir, meine kleine Naschkatze … Außerdem soll hier auch noch auf die allerdings hochdeutsche Nebenformvariante von „naschen“ hingewiesen werden: „schnabulieren“. Sie entstand im 16./17. Jahrhundert als scherzhafte Bildung zu „Schnabel“. Neufünfland Sprachlich wohl angelehnt an Neufundland ist der lediglich inoffiziell und niemals hochoffiziell verwendete Begriff „Neufünfland“ eine kreative Bezeichnung für die fünf neuen Bundesländer, die infolge des → Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 gebildet wurden – Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings sind manche der „neuen“ Bundesländer streng historisch gesehen älter als die sogenannten alten Bundesländer. Sie haben teilweise eine hundert- oder tausendjährige Geschichte wie beispielsweise Mecklenburg und Vorpommern. So beging Mecklenburg 1995 mit großem Aufwand seine 1000-Jahr-Feier.

O

Ogen sünd wedder grötter as de Mågen Eine der zahlreichen plattdeutschen Redensarten zum Thema Essen (→ Dat lött sik äten) ist die folgende: „Ogen sünd wedder grötter as de Mågen.“ Die Augen sind größer als der Magen – jemand überschätzt angesichts appetitlichen Essens seinen Hunger. Öging Der → Kosename „Öging“ bedeutet so viel wie „Äuglein“. Und wem gefällt es nicht, wenn man ihm oder ihr schöne Äuglein macht … Ostern (Paaschen) Dr. Behrend Böckmann schreibt über „Ostern in Mäkelborg“:

Œwerall dor, wo all tau Hansetieden platt schnackt wür, hett man bet vör gaut föftig Johr nich von Ostern, sonnern von Paaschen, Paascheneier, Paaschenfüer usw. schnackt.

In Mäkelborg geef dat all an’n Sünnåbend nå’n Stillen Friedach dei iersten Paascheneier. Größing hett sei tau mien Kinnertied mit Zipollenschell infarwt un in’n Knüppelholtdiemen up’n Hoff verstäkt. Dat dat tau Paaschen Eier geef, leech doran, dat dei Häuhner feddert harrn un düchtig dorbi wiern, Eier tau leggen, un dat dei Minschen, dei bi’t Fasten wiern, disse välen Eier nich upäten künnen. Un so mössten dei upsporten Eier nu up eins an’n Mann bröcht warden. Un so keemen’s nich blot as farwte Paascheneier up’n Disch, ne, ok dei Küster kreech Eier as sien Hür, un mit Eier wür ok’n Deil Ackerpacht betåhlt. Tau Paaschen künn dei Hür orrer Pacht ok nie uthannelt warden, dei Knechten un Mäten künnen äbenso as an Martini ehr Stellung wesseln, un an’n Sünndach vör Paaschen würn dei Konfirmanden insägent, un dormit wier tau Paaschen ok dei Schaultied tau Enn’. Tau Paaschen in Mäkelborg hürte näben dat Eieräten un Eierschenken ok dat Eiertrünneln as Weddspäl, dat „Stiepen“ von Kinner, üm bi dei Öllern un inne

Nåwerschap Eier tau fechten, un dat junge Mätens sik Paaschenwåder (späder Osterwåder) hålten, wenn’t noch grågen däd. Ok Osterfüer hett dat, so wiet as’n taurüch denken kann, in Mäkelborg gäben, dei Eierleggerie hengägen güng ierst üm 1930 up’n Håsen œwer, un von dunn an keem dei „Osterhås“. Vör denn Håsen sien Tiet wier dei Voss orrer ok dei Ådebor för dei Eierleggerie taustännig. Dei Eier sülben wür’n von uns germanischen Vöröllern as’n Teiken von Fruchtborkeit un låters vonne Christen as Teiken vonne Weddergeburt düdt. Un so hemm’ sik nå un nå heidnisch un christlich Brukdom vermengeliert. (Überall dort, wo zu Hansezeiten Plattdeutsch gesprochen wurde, wurde vor gut fünfzig Jahren nicht von Ostern, sondern von „Paaschen“, „Paascheneiern“, „Paaschenfeuer“ und so weiter gesprochen. In Mecklenburg gab es schon am Sonnabend nach Karfreitag die ersten Ostereier. Großmutter hat sie zu meiner Kinderzeit mit Zwiebelschalen gefärbt und in den Knüppelholzstapeln auf dem Hof versteckt. Dass es zu Ostern Eier gab, lag daran, dass die Hühner gefedert hatten und eifrig dabei waren, Eier zu legen, und dass die Menschen beim Fasten waren und diese vielen Eier nicht essen konnten. Und so mussten die aufgesparten Eier mit einem Mal an den Mann gebracht werden. So kamen nicht nur bunte Ostereier auf den Tisch, nein, auch der Küster bekam Eier zum Lohn, und die Ackerpacht wurde auch teilweise mit Eiern bezahlt. Zu Ostern wurde auch die Pacht neu ausgehandelt, Knechte und Mägde konnten die Stellung ebenso wie zu Martini wechseln, und am Sonntag vor Ostern wurden die Konfirmanden eingesegnet, und damit war auch zu Ostern die Schulzeit zu Ende. Neben dem Eieressen und Eierverschenken gehörte in Mecklenburg das Eiertrudeln als Wettspiel zum Fest, aber auch das „Stiepen“ der Kinder. Sie „bettelten“ bei Eltern und Bekannten in der Nachbarschaft nach Eiern. Junge Mädchen holten sich im Morgengrauen Osterwasser. Auch Osterfeuer hat es, so weit man zurückdenken kann, in Mecklenburg gegeben. Die Eierlegerei ging allerdings erst um 1930 auf den Hasen über. Seit etwa dieser Zeit kommt der Osterhase, vorher war dafür der Fuchs oder der Klapperstorch zuständig. Die Eier selbst wurden von unseren germanischen Vorfahren als Zeichen der Fruchtbarkeit und später von den Christen als Zeichen der Wiedergeburt gedeutet. So haben sich nach und nach heidnisches und christliches Brauchtum miteinander vermischt.)

P

Pfingsten „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten, während Ostern, Geburtstag und Weihnachten was einbrachten“, dichtete Bertolt Brecht. Aber wie sahen die Pfingstbräuche in Mecklenburg und Vorpommern aus? Dazu noch einmal unser Gewährsmann Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin: Ik besinn mi noch, dat Größing an ehr Hus Drœht spunnt harr, achtert Hus anne Sünnensiet vör denn’ Wien un vör dat Hus, anne Stråtensiet för denn’ Pingstschmuck. Tau Pingsten mössten wi Kinner ümmer gräune Barkenrieser hålen, un dei würn denn achter dei Drœht fasthakelt. Un ok dei Kutsch för dei Pingstutfohrt wür mit Barkengräun utstaffiert. Nie nich heff ik fråcht, worüm dat so måkt wür, denn dat wür jå ümmer so måkt. Man hett ok nich dornå fråcht, worüm dat tau Pingsten kein Gåwen as tau Wihnachten geef un man nie nich as tau Paaschen Eier söcht hett. Klor wier œwer, af Pingsten bläben dei langen Strümp in’t Schapp un dormit ok dei Leibchen mit denn’ Lockgummi as Strumpholler. Mudder un Größing hollen dei Sommersåken rut, un sei hemm’ ehre anruuchten Ünnerkleder un Vaddern sien anruuchten griesen Ünnerbüxen mit son’n stink’sche Kugeln gägen dei Fladdermott inpackt. As dei Konfirmandentiet keem, mösst man an’n iersten Pingstdach inne Kark gåhn un harr grote Mäuh, dei Geschicht mit denn’ Hilligen Geist tau verståhn, die dörch Füer un Storm utschüdd’t ward. Un worüm blot up’e Aposteln, dei Jünger? Sei hemm’ sik grucht un sünd doch lostreckt, un drägen dei JesusGeschicht vonne Geburt in Bethlehem, œwer dei Krüzigung un Himmelfohrt inne Welt. Un sei vertellen ok, dat sien Seel föfdig Dåch låter so as ’n witte Duf mit Füer un Storm wedder up Irden taurüch kümmt un as Teiken för denn’ Fräden gellen süll. Œwer in uns Minschen sitt nich blot’n christlich, sonnern ok ’n heidnisch’ Wäsen, dat vör dei Vergnäugungen taustännig is. So hemm’ dei Mäkelbörger tau ehr Vergnäugen tau Wihnachten denn Rucchklås ümhertrecken låten, tau Paaschen Osterwåder hålt un tau Pingsten denn’ Pingstossen putzt un mit Barkengräun denn’ Sommer an’t Hus hålt. Dormit Pingsten nu nich blot wat för’t Hart, sonnern ok för denn Geldbüdel is,

würn nå un nå tau Pingsten Johrmarkt un Schüttenfest afhollen orrer ok allerlei Spills måkt. Dei Rieder wiern mit ehr Pier un dei Kauhjungs mit ehr „Ossen“ dorbi. Dat geef Spills för lütte Jungs un Dierns, un in’n bestimmt’ Öller hemm’s giern tausåmen „Jumfernlärn“ spält. Bi dit Späl seeten twei Dierns up einen Knarrbom, son’n Oort Karussell, un würn vonne Jungs inne Runn’ düdelt, un sei, dei Dierns, mössten denn, wenn’s so ornlich in Schwung wiern, nå wat griepen un dat tau fåten kriegen. (Ich kann mich noch daran erinnern, dass Großmutter an der Sonnenseite des Hauses Drähte für den Wein und zur Straßenseite hin für den Pfingstschmuck gespannt hatte. Zu Pfingsten mussten wir Kinder immer grüne Birkenreiser holen, und diese wurden hinter den Drähten befestigt. Und auch die Kutsche für die Pfingstausfahrt wurde mit Birkengrün geschmückt. Niemals kam ich auf den Gedanken, danach zu fragen, warum das so gemacht wurde. Man hat auch nicht gefragt, warum es zu Pfingsten keine Geschenke wie zu Weihnachten und Ostern gab. Klar war aber, dass ab Pfingsten die langen Strümpfe im Schrank blieben und damit auch die Leibchen mit dem Lochgummi als Strumpfhalter. Mutter und Oma holten die Sommersachen raus und verpackten ihre angerauten Unterkleider und Vaters graue warme Unterhosen mit stinkigen Mottenkugeln. Als die Konfirmandenzeit kam, musste man am ersten Pfingsttag in den Gottesdienst gehen und hatte große Mühe, die Geschichte mit dem Heiligen Geist zu verstehen, der durch Feuer und Sturm ausgeschüttet wurde. Und warum nur auf die Apostel, die Jünger? Sie haben sich alle sehr erschreckt und sind losgezogen, die Jesusgeschichte von der Geburt in Bethlehem über die Kreuzigung bis zur Himmelfahrt in die Welt zu tragen. Und so erzählten sie auch, dass Jesus’ Seele nach fünfzig Tagen als eine weiße Taube mit Feuer und Sturm auf die Erde zurückkehrte und dies das Zeichen des Friedens sein sollte. Aber in uns Menschen sitzt nicht nur ein christliches, sondern auch ein heidnisches Wesen, das für die Vergnügungen zuständig ist. So haben die Mecklenburger zu ihrem Vergnügen den Ruklaas zu → Weihnachten umherziehen lassen, zu → Ostern (Paaschen) das Osterwasser geholt und zu Pfingsten den Pfingstochsen geputzt und das Haus mit Birkengrün geschmückt. Damit Pfingsten nicht nur etwas für das Herz, sondern auch für den Geldbeutel ist, wurden nach und nach Pfingstmärkte und Schützenfeste abgehalten und verschiedene andere Spiele veranstaltet. Reiter mit ihren Pferden und Kuhjungen mit ihren Ochsen waren dabei. Für kleine Jungen und Mädchen gab es in einem

bestimmten Alter das Spiel „Jungfernführen“. Bei diesem Spiel saßen zwei Mädchen auf einem sich drehenden Gestell, dem Knarrbaum, und wurden von den Jungen gedreht. Und während die Mädchen sich drehten, mussten sie nach etwas greifen, das ihnen die Jungen hinhielten.) Pionierhalstuch Das Pionierhalstuch war zu DDR-Zeiten das sichtbare Kennzeichen der Mitglieder der im Dezember 1948 nach sowjetischem Vorbild gegründeten politischen Kinderorganisation, die der → FDJ angegliedert war. Ihr gehörten Mädchen und Jungen bis zur siebten Klasse an, erst als „Jungpioniere“ (1.–3. Schuljahr), danach als „ThälmannPioniere“ (4.–7./8. Schuljahr). Die Farbe des Halstuchs war zunächst einheitlich blau, ab 1973 wurde für die Thälmann-Pioniere schrittweise das Tragen des roten Halstuchs eingeführt. Aufnahmetermin war zumeist der 13. Dezember, der Gründungstag der Pionierorganisation, die im Sommer 1990 aufgelöst wurde. Bis in die Alltagssprache hinein hatte sich auch der Begriff des „großen Pionierehrenworts“ verbreitet, wenn zu DDR-Zeiten etwas – mitunter leicht ironisch – bekräftigt werden sollte. Und vielleicht weiß der eine oder andere auch noch, wie eigentlich ein Pionierknoten gebunden wurde? Das erforderte schon ein wenig Übung. Pläseer kommt wohl aus dem Französischen (plaisir) ins Plattdeutsche und bedeutet ebenso wie dort so viel wie Freude und Vergnügen. In diesem Sinne: „Väl Pläseer up Platt!“ plietsch Wenn jemand im Plattdeutschen als „plietsch“ beschrieben wird, dann drückt sich darin eine große Anerkennung aus. Der oder die so Bezeichnete gilt als schlau und pfiffig oder auch aufgeweckt und gescheit, jedenfalls als ziemlich lebenstüchtig. Der Begriff soll übrigens auf Umwegen ins Niederdeutsche gekommen sein, und zwar als Ableitung des hochdeutschen Adjektivs „politisch“, welches im 17. Jahrhundert im übertragenen Sinne französisches Benehmen bezeichnete und damals „geschickt“ oder „pfiffig-verschlagen“ meinte – eben „plietsch“. Gibt es heute noch „plietsche“ Politiker? Poliklinik Eine Poliklinik war zu DDR-Zeiten ein ambulantes Behandlungszentrum mit angestellten Fachärzten verschiedener Fachrichtungen – sozusagen ambulante Rundumversorgung unter einem Dach. Es gab auch Polikliniken, die zu Betrieben oder Hochschulen gehörten: Betriebspolikliniken und Universitätspolikliniken. Selbst

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) lobte während der Eröffnungspressekonferenz zur 9. Nationalen Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft in Rostock- Warnemünde im Sommer 2013 gerade die Polikliniken als eine positive Einrichtung der DDR, welche man lieber hätte bewahren sollen. Politessen Eine Politesse oder eine Polizeihostess – abgekürzt PH – bezeichnet laut Wikipedia eine weibliche Dienstkraft einer Gemeinde, die vorwiegend oder auch ausschließlich zum Überwachen des ruhenden Verkehrs, sprich des Parkens, eingesetzt wird. Die Bezeichnung für männliche Politessen sei dagegen „Hilfspolizist“ oder „Politeur“. Der Begriff „Politesse“ ist ein sogenanntes Kofferwort, Schachtelwort oder auch Portmanteau-Wort – eine durch die künstliche Zusammenfügung aus „Polizei“ und „Hostess“ entstandene Neuschöpfung. Im Französischen bedeutet der Begriff übrigens Höflichkeit, was aber nicht auf alle Politessen zutrifft. Ihre erste Bekanntschaft mit Politessen machten zum Beispiel die Schweriner Anfang Dezember 1990. Unter der schönen Überschrift „Die Politessen kommen“ berichtete damals die SVZ unter anderem: „… Und zwei Damen aus dem Ordnungsamt lernen gegenwärtig in Lübeck, wie sie dann im kommenden Jahr als Politessen die Parksünder bestrafen. Ab 1. Januar 1991 gilt nämlich erst das bundesdeutsche Verkehrsrecht, nach dem die Stadt die Aufsicht über den ruhenden Verkehr hat. Bleibt also bis dann das Chaos?“ Privilegien Über Privilegien wurde während der → Wende-Zeit viel und lautstark diskutiert. Allerdings ging es dabei nicht um harmlose Vorrechte – so die neutrale Übersetzung des lateinischen Wortes privilegium –, sondern um Amtsmissbrauch und Korruption von ehemals führenden Vertretern von Partei und Staat, Erich Honecker eingeschlossen. Sie sollten sich zwecks persönlicher Bereicherung an Volkseigentum vergangen haben.

Q

Quaducks, Pogg, Poch Besonders dankbar war die Redaktion für die Beiträge zum Buchstaben „Q“ – zumal diese im Allgemeinen nicht eben häufig sind. Ein bemerkenswertes Wort mit „Q“ bezeichnet im Plattdeutschen den Frosch: „Quaducks“ (Singular), „Quaducksen“ (Plural). Eine mögliche Variante dazu ist „Pogg“ oder „Poch“ (in der Mehrzahl „Poggen“) – ein Ausdruck, der nach dem Neuen hochdeutschplattdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter auch für die Kröte verwandt wird. Andere plattdeutsche Bezeichnungen für die Kröte sind – nach dem Zeugnis unseres Mitstreiters Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin – „Qualducks“, „Lork“, „Scharpogg“, „Quackpogg“ und „Puddhücks“. Die Unke heißt „Hücks“ oder „Hüx“. Die Frösche sind ebenfalls nach einem Hinweis von Dr. Böckmann als „Pogg“, „Padd“, „Pork“, „Fetsche“, „Ütsche“, „Ützepogg“, „Kullducks“, „Hüksch“, „Parr“ und „Hoppeparr“ bekannt. Und der berühmte Froschkönig aus dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm ist up Platt der „Poggenkönig“. Zu literarischen Ehren kommt der plattdeutsche Frosch außerdem in Theodor Fontanes 1894 fertiggestellten Roman Die Poggenpuhls. In diesem, einem seiner letzten Romane, gelingt es Fontane wieder ausgezeichnet, die Atmosphäre der adligen Gesellschaft in Preußen einzufangen.

R

rallögen „Ik möt jetzt een bäten rallögen“ bedeutet auf Hochdeutsch: „Ich möchte jetzt ein Schläfchen machen.“ Hätten Sie das gewusst? Wenn ja, dann dürfen Sie jetzt auch ein kleines Schläfchen machen. Andere Bedeutungsvarianten dieses Ausdrucks sind „mit der Müdigkeit kämpfen“, „die Augen kaum geöffnet halten können“. Das plattdeutsche Verb „rallögen“ bedeutet ansonsten „mit den Augen rollen“. Manchmal eben aus Müdigkeit, kurz bevor sie einem zufallen, die Augen. Manchmal aber auch, wenn jemand Unsinn erzählt. Weitere – und gebräuchlichere – Begriffe für ein kurzes Schläfchen im Plattdeutschen sind zum Beispiel „sik von binnen bekieken“, „een bäten œwerölschen“, „Ogenpläg måken“ oder „een bäten œwerdrusseln“. Übrigens wurde der niederdeutsche Begriff „rallögen“ zum schönsten plattdeutschen Wort des Jahres 2013 gewählt. Laut Jury bedeute er „besinnungslos oder schlaftrunken die Augen verdrehen“, und er sei aus knapp 20 Einsendungen ausgewählt worden, teilte das Stavenhagener Fritz-ReuterLiteraturmuseum mit. Die Ehrung war bei der Jahrestagung des Bundes Niederdeutscher Autoren im Museum erfolgt. Eine etwas kürzere Übersetzung für das Wort „rallögen“, das auch schon der Dichter Fritz Reuter verwendete, wäre „verwundert gucken“, erklärte Museumsleiterin Cornelia Nenz. Rondo Nein, hier ist nicht der musikalische Fachbegriff gemeint, sondern hier geht es um ein starkes Stück aus DDR-Zeiten, genauer gesagt: um starken Kaffee. Allerdings beginnt dessen Geschichte einige Jahrzehnte früher – und zwar im Jahr 1908 in Magdeburg. Dort ließen Kathreiners Malzkaffeefabriken ein neues Werk für ein Getränk von besonderer Qualität bauen. Nach einem Rezept des Pfarrers und Hydrotherapeuten Sebastian Kneipp hergestellt, erfreute sich der Malzkaffee damals großer Beliebtheit, und so wurden in Magdeburg bis 1945 die beiden Malzkaffeesorten „Kneipp Malzkaffee“ und „Linde“ produziert. Zwei wichtige Standortvorteile waren die fruchtbare Magdeburger Börde sowie die Nähe der Fabrik zu Bahnanschluss und Hafen und später auch zur Autobahn.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Werk enteignet und 1948 durch den Verband der Konsumgenossenschaften übernommen. 1954 wurde in Magdeburg erstmals echter Bohnenkaffee geröstet, der unter dem auch heute noch gebräuchlichen Markennamen „Röstfein“ auf den Markt kam. In den insgesamt sieben Kaffeeröstereien der DDR wurden beispielsweise in den 1970er-Jahren jährlich rund 50 000 Tonnen verschiedener Kaffeesorten produziert, darunter „Mona“, „Kosta“ und eben „Rondo“. Ohne die tägliche Tasse Bohnenkaffee auch kein Aufbau des Sozialismus … – Kaffee und Klassenkampf gewissermaßen. Doch diese Menge reichte nicht, um den Bedarf zu decken, und so kam es in der DDR Ende der 1970er-Jahre zur sogenannten Kaffeekrise: Versorgungsengpässe sorgten für Unmut im Lande. Auch ein „Kaffee-Mix“ mit 50 Prozent Roggenanteil half nicht weiter. Aus diesem Grund wurde 1982 im Röstfein-Werk Magdeburg zusammen mit Wissenschaftlern eine besonders sparsame Röstmethode entwickelt: das Wirbelschicht-Röstverfahren. Diese Erfindung trug zur quantitativ besseren Versorgung mit Bohnenkaffee bei und sicherte wenige Jahre später auch das Überleben der ostdeutschen Marke nach der → Wende. Damals wollten die DDR-Bürger erst mal Westkaffee genießen, die gewohnten Kaffeemarken wie „Rondo“ und „Mona“ verschwanden, und die sieben DDRKaffeeröstereien standen vor dem Aus. Nur das Magdeburger Werk überlebte und produzierte bis 1996 weiter Kaffee, allerdings nicht unter eigenem Namen. 1997 entschloss sich Röstfein, zunächst die Marke „Rondo Melange“ wieder einzuführen, und holte später auch weitere traditionelle Sorten wie „Mocca Fix“, „Mona“ und „im nu“ wieder auf den Markt. Heute ist die Kaffeespezialität „Rondo Melange“, veredelt mit kandierten Bohnen, das absatzstärkste Produkt des Unternehmens. Röstfein-Kaffees werden vor allem in Ostdeutschland, aber zunehmend auch in Westdeutschland getrunken. Außerdem exportiert Röstfein seine Produkte in viele Länder der Welt, darunter Belgien und Luxemburg, Spanien, Griechenland und Russland sowie Ägypten und die Elfenbeinküste. „Rondo“ – ein starkes Stück Kaffee, das man auch in verschiedenen (Ostprodukte-) Shops im Internet kaufen kann. Prädikat: „sofort lieferbar“. Runder Tisch Vielleicht die größte Nachhaltigkeit und Langzeitwirkung hat bis heute eine besondere Erfindung der → Wende-Zeit, die Institution des „Runden Tisches“. Damit wurde während der → friedlichen Revolution auf ein diplomatisch und politisch höchst effektives Verhandlungsmodell zwischen Konfliktparteien zurückgegriffen, wie es zuvor bereits Anfang 1989 bei den Veränderungen im Nachbarland Polen sowie in Ungarn

funktioniert hatte. Auf Initiative der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ wurde auch in der DDR ein solcher Zentraler Runder Tisch in Berlin eingerichtet, der am 7. Dezember 1989 zum ersten Mal zusammentrat und in der Zeit bis zur Volkskammerwahl im März 1990 die Arbeit der Übergangsregierung Modrow stark beeinflusste. Das im Wesentlichen von Kirchenvertretern moderierte Gremium aus alten und neuen Kräften bildete somit eine Art Nebenregierung. Seine letzte Sitzung fand am 12. März 1990 statt. In der Folge dieses Zentralen Runden Tisches wurde nach seinem Vorbild eine Vielzahl Runder Tische auf unterschiedlichen Ebenen bis hin zur kommunalen Ebene eingerichtet, die in der Regel bis zu den Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 arbeiteten. Prinzip und Verfahrensweise eines solchen Runden Tisches, welcher – kleines Detail am Rande – in Wirklichkeit übrigens gar nicht rund, sondern viereckig war, werden in der bundesdeutschen Gegenwart häufig bei strittigen Themen angewendet, so zum Beispiel zum Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Gesundheitswesen“ und zum Thema „Sexueller Kindesmissbrauch“. Rüste, Rüstzeit Als „Rüste“ oder „Rüstzeit“ wird besonders in den evangelischen Kirchen Ostdeutschlands ein mehrtägiges oder mitunter auch mehrwöchiges Freizeitangebot für ganz unterschiedliche Teilnehmergruppen bezeichnet. Zum Programm gehören sowohl Freizeitaktivitäten als auch Seelsorge, Kurse und Gespräche zu verschiedenen Themen mit christlichem Hintergrund. Die katholische Entsprechung zur evangelischen Rüste sind Exerzitien oder Einkehrtage. Es gibt sehr unterschiedliche Rüsten, darun-ter Rüstzeiten für Kinder und Jugendliche („Teenie-Rüstzeiten“) und für Erwachsene, Konfirmanden-Rüsten (Konfirüsten), aber auch Senioren-Rüstzeiten sowie Familiensingwochen. Hintergrund des vielleicht für heutige Ohren etwas altmodisch klingenden Wortes ist eine Aufforderung in der Bibel (Neues Testament, Epheserbrief 6, 10 – 20), sich seines Glaubens zu stärken – also zu rüsten.

S

Schietbüdel Der plattdeutsche „Schietbüdel“ bedeutet wörtlich übersetzt „Scheißbeutel“. In seiner hochdeutschen Form ein vulgäres Wort, also nicht unbedingt angenehm, gemütlich und nett. Im Plattdeutschen hingegen klingt dieses Wort, wie viele andere auch (→ Kosenamen), eher freundlich, nicht so hart und heftig. Inhaltlich trifft es die sinngemäße hochdeutsche Übersetzung als Windelpaket, Säugling oder Baby auch besser. Während die Anvertraute im Englischen also möglicherweise als „Baby“ bezeichnet wird, kann der Plattdeutsche sie auch einen „säuten Schietbüdel“ nennen, was ihm in der Regel nicht verübelt wird. Schmetterling siehe Ülepüle Schnüting Auch „Schnüting“ ist ein hübscher plattdeutscher → Kosename und bedeutet so viel wie „Schnäuzchen“. Sommer Als wir unseren Plattdeutsch-Experten Dr. Behrend Böckmann nach einer besonderen niederdeutschen Bezeichnung für den Sommer fragten, erfuhren wir, dass der Sommer einfach der Sommer sei: Dorför gifft dat würklich kein anner Wuurt. Winter is ok Winter. Herbst is dei Harst orrer Harfst, dat Fräuhjohr heit oft → Vörjohr. Liekers heff ik noch wat funnen, wat tau denn’ Sommer gaut passen deit. Dei Murer wier eis’n Sommervågel, denn dat wür in’n Sommer muert. Dorher heit dat ok: Denn’ Murer is in’n Sommer kein Bier tau düer un in’n Winter kein Brotknust tau hart. Ok dei Schmetterling heit up Platt männigmal Sommervågel, œwer ok → Ülepüle, Boddervågel, Rupenschieter … Vonne Sommersünn gifft dat Sünnenplacken, Sommerspruten orrer Sünnenstippen. Dat gifft Sommerrägen un Sommerwäder, dei Sommertiet un die Sommerutfohrt. In’n Sommer hett dei Buer mit dei Kuurnaust tau daun. Oornbier wier öltlings dat schönste Sommerfest. (Dafür gibt es wirklich kein anderes Wort. Auch Winter ist Winter. Herbst ist „Harst“. Der Frühling heißt „Fräuhjohr“, aber auch → Vörjohr. Trotzdem habe ich noch etwas gefunden, was gut zum Sommer passt. Der Maurer war früher ein „Sommervogel“, denn es wurde nur im Sommer gemauert, daher heißt es auch:

Dem Maurer ist im Sommer kein Bier zu teuer und im Winter kein Brotkanten zu hart. Auch der Schmetterling heißt manchmal auf Plattdeutsch „Sommervogel“, aber auch → Ülepüle, „Buttervogel“ oder „Raupenscheißer“ … Von der Sommersonne gibt es Sommersprossen, es gibt einen Sommerregen und Sommerwetter, die Sommerzeit und den Sommerausflug. Im Sommer hat der Bauer mit der Kornernte sein Tun. Das Erntefest war früher das schönste Sommerfest.) Spökenkieker Was ist ein „Spökenkieker“? Das plattdeutsche Wort steht wortwörtlich genommen für einen Gespensterseher. Es kann dem jeweiligen „Spökenkieker“ aber auch gewissermaßen hellseherische Fähigkeiten zubilligen, die manchmal nicht schaden können. Solche Menschen verfügen angeblich über ein „zweites Gesicht“, um in die Zukunft schauen zu können. Und in dem einen oder anderen norddeutschen Ort wie zum Beispiel Mühlenhof-Freilichtmuseum Münster hat man dem „Spökenkieker“ sogar ein Denkmal gesetzt. Sputnik Ursprünglich bezeichnete dieses russische Wort für „Begleiter“ oder „Gefährte“ die ersten zehn von der Sowjetunion gebauten und auf eine Erdumlaufbahn gebrachten künstlichen Satelliten. Mit dem am 4. Oktober 1957 ins Weltall geschickten „Sputnik 1“ begann die sowjetische Raumfahrt. Auf jene Sputniks bezogen sich auch ein Liederbuch für die Vorschulerziehung mit dem Titel Sputnik, Sputnik, kreise und ein beliebtes Märchenbuch mit sechs Märchen, die allesamt ohne „Es war einmal …“ begannen. Außerdem wurde der Begriff „Sputnik“, der übrigens von einem Verbund deutscher Medien und dem Suhrkamp Verlag zu einem der 100 wichtigsten Wörter des 20. Jahrhunderts gewählt wurde, auch für viele andere Dinge übernommen, wie Züge, Kindergärten oder Jugendzentren. Ein Radiosender des MDR heißt heute noch so. Aber es gab noch einen anderen Sputnik. Denn so hieß eine sowjetische Monatszeitschrift, die auch in deutscher Sprache erschien und in der DDR vertrieben wurde. Zum Politikum wurde das Magazin, als es am 19. November 1988 von der Postzeitungsliste der DDR gestrichen wurde, da es angeblich keinen Beitrag zur Festigung der deutsch-sowjetischen Freundschaft leiste und stattdessen verzerrende Beiträge zur Geschichte brächte – wie höchst offiziell verlautbart wurde. Diese Streichung kam einem Verbot der Zeitschrift gleich und verstärkte den Protest gegen die DDR-Führung. St. Pauli St. Pauli gibt es nicht nur in Hamburg, sondern auch in Grabow im

Landkreis Ludwigslust-Parchim. Dort bezeichnet St. Pauli einen Platz, auf dem nach der → Wende wie auf dem Hamburger Fischmarkt die Händler zu finden waren. Subbotnik Der Subbotnik war ein zu DDR-Zeiten weitverbreiteter und besonders an Sonnabenden zu hörender Begriff, der sich ursprünglich von dem russischen Wort subbota für „Sonnabend“ ableitete. Bei einem Subbotnik handelte es sich nach sowjetischem Vorbild um einen (mehr oder weniger) freiwilligen und unbezahlten Arbeitseinsatz am Sonnabend. Später wurden auch bezahlte Sonderschichten ironisch so bezeichnet. Inzwischen taucht der Begriff aber auch in Mecklenburg-Vorpommern für den alljährlichen Frühjahrsputz in Städten und Dörfern öfter wieder auf. Swœlk „Swœlk“ heißt „Schwalbe“ – und eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Ursprung dieses Sprichworts ist eine Fabel von Äsop. Danach verkauft ein verschwenderischer Jüngling wegen Schulden auch noch seinen Mantel, nachdem er eine einzelne Schwalbe gesehen hat und nun denkt, dass der Sommer beginnt. Doch es kommt anders, es bleibt kalt, er friert, und die zu früh zurückgekehrte Schwalbe erfriert. Äsops Jüngling schimpft dann sogar noch auf die arme Schwalbe. Im Neuen hochdeutschplattdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter lesen wir: „Ein Swœlk måkt keinen Sommer.“ Eben. Also behalten Sie Ihren Mantel lieber ein bisschen länger an. Ansonsten sollen Schwalben aber durchaus Glück bringen: „Wur dei Swœlk ehr Nest buucht, schleit dei Blitz nich in“ (Wo die Schwalbe ihr Nest baut, schlägt der Blitz nicht ein).

T

Tag des Lehrers Zu DDR-Zeiten hatte der 12. Juni eine ganz besondere Bedeutung, wie es zum Beispiel der von dem Schriftsteller und Journalisten Otto Häuser alias Ottokar Domma erfundene brave Schüler Ottokar einmal folgendermaßen ausgedrückt hat: „Der allerwichtigste Tag für die Lehrer ist der Tag des Lehrers. Er ist ein Tag der Liebe und der Versöhnung, und er steht im Kalender. Auf diesen Tag freuen wir Kinder uns mehr als unsere Lehrer, weil wir uns an diesem Tag nicht so anstrengen müssen, wogegen unsere Lehrer am Abend oder am nächsten Morgen meist ganz fertig sind von der vielen Ehre und Liebe. Denn an diesem Tag sagt niemand ein schlechtes Wort zu unseren Lehrern …“ So weit ein kurzer Auszug aus den tiefgründigen Gedanken des braven Schülers Ottokar, der in Häusers satirischen Schriften auch als Früchtchen und als Schalk, als Philosoph und Weltverbesserer in Erscheinung trat und der zumindest in der früheren DDR noch immer recht gut bekannt ist und hin und wieder auch gern gelesen wird. Es steckte viel Weisheit in den Texten, und man wundert sich heute bei einigen Passagen, wie sie überhaupt veröffentlicht werden konnten. Allerdings musste man dazu wie so oft zwischen den Zeilen lesen können … Tatsächlich genossen die Lehrer damals in der DDR große Wertschätzung, hatten allerdings oft auch mehr und länger zu tun als andere Werktätige. Daher durften sie sich – ein bisschen zum Ausgleich – an ihrem Ehrentag über Blumen, kleine Geschenke und eigens für sie geschriebene Lieder und Gedichte freuen. Und manch einer oder manch eine erinnert sich vielleicht noch heute ganz wie Ottokar gern an seinen Lehrer oder seine Lehrerin. Wie sagte es doch Jean Paul: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht getrieben werden können.“ Da erscheint auch die Schulzeit fast nur noch schön. So schön wie Fräulein Heidenröslein, würde Ottokar jetzt wohl hinzufügen. „Fräulein Heidenröslein“, so lautete der freundlich-anerkennende kollegiale Spitzname für eine junge Lehrerin. Taterhörn Beim Erarbeiten dieses Wörterbuchs haben wir uns auch mit

ungewöhnlichen, unbekannten und scheinbar unerklärlichen Namen von Orten, Landschaften – oder in diesem Fall: Bushaltestellen – befasst. „Taterhörn“ heißt eine Bushaltestation zwischen Hohe Düne und Markgrafenheide in Rostock. Dabei handelt es sich um einen typischen Flurnamen: „Tater“ (von „Tataren“) ist die plattdeutsche Bezeichnung für den inzwischen nicht mehr gebräuchlichen, da historisch stark belasteten Ausdruck „Zigeuner“; „Hörn“ beschreibt eine Fläche, eine Gegend. Seit dem 15. Jahrhundert ist der Aufenthalt von Sinti und Roma, die früher „Zigeuner“ genannt wurden, an der mecklenburgischen Küste nachgewiesen. Die Kultur und Lebensweise sowie das andersartige Aussehen dieser Menschen waren den Mecklenburgern, vor allem denjenigen in Ämtern und Behörden, suspekt. Man nutzte dennoch mehr oder weniger offen die sprichwörtlichen Fähigkeiten der Frauen der Sinti und Roma, die Zukunft vorauszusagen, und das handwerkliche Geschick vieler Angehöriger dieser Bevölkerungsgruppe, die einen guten Ruf als Kupferschmiede hatten. Daher stammt auch der plattdeutsche Ausdruck „Kätelflicker“: Die Handwerker der Sinti und Roma beschäftigten sich hauptsächlich mit Reparaturarbeiten an Töpfen, Pfannen und Tiegeln, da ihnen das Ausüben einer legalen Arbeit durch die Zunftregeln verboten war. Ratsbeschlüsse hatten festgelegt, dass den Sinti und Roma der Aufenthalt und das Aufbauen ihrer Lager innerhalb der Stadtgrenzen untersagt war. Oft wurde ihnen aber der Aufenthalt auf ausgewiesenen Flächen am Ortsrand gestattet. Seit dem 15. Jahrhundert haben sich für diese Flächen Flurnamen herausgebildet. Neben dem beschriebenen „Taterhörn“ bieten die folgenden historischen Ortsbezeichnungen Beispiele dafür: • Taterbarg: „Zigeunerberg“ • Taterbrok: „Zigeunerbruch“ • Taterbrügg: „Zigeunerbrücke“ • Taterbusch: „Zigeunerbusch“ • Tatergraben: „Zigeunergraben“ • Tatergrund: „Zigeunergrund“ • Taterholt: „Zigeunerholz“, „Zigeunerwald“

• Taterstieg: „Zigeunersteig“ • Taterwinkel: „Zigeunerwinkel“ Tensfäuten, Tenstfäuten, tenst 'n Fäuten „Tens(t)fäuten“ oder „tenst ’n Fäuten“ lässt sich wörtlich mit „zum Ende der Füße“ übersetzen („tenst“ entstanden aus „to Enn’s“). Wenn unsere Vorfahren im Winter im Bett kalte Füße hatten, wurde ein Beutel mit heißen Kirschkernen oder ein heißer Ziegelstein am Fußende ins Bett gelegt. Texas gibt es nicht nur in Amerika – diese ungewöhnliche Bezeichnung tragen auch eine Siedlung und eine Bushaltestelle nahe Hagenow. Wie Waldemar und Robert Siering dazu in ihrem kürzlich erschienenen informativen und vergnüglich zu lesenden Buch Orte mit kuriosen Namen in Mecklenburg-Vorpommern. Von Aalbude bis Zitterpenningshagen anmerken, erweist sich das zur Gemeinde Kirch Jesar gehörende Texas als ein Einzelgehöft. Es besteht wohl zumindest seit den 1960er-Jahren und galt „als Ausbau von etwas rauer Art“, daher die volkstümliche Bezeichnung, so Siering und Siering. Rinder – wie auf dem Gebiet des gleichnamigen amerikanischen Bundesstaates – würden dort aber nicht weiden. Trabant Kaum etwas anderes ist so sehr – fast schon wie ein Synonym – mit dem verschwundenen kleineren deutschen Staat verbunden wie der „Trabant“. Und kaum ein anderes Fahrzeug hat es in solch kurzer Zeit geschafft, zur Legende zu werden – selbst der VW-Käfer, die „Ente“ oder der Fiat 500 haben Jahrzehnte benötigt, um das zu erreichen, was der Trabant bereits kurz nach seiner Produktionseinstellung 1991 erlebte: Kultstatus. Geradezu weltberühmt wurden die wegen ihres Zweitaktmotors für westliche Nasen merkwürdig stinkenden Kleinwagen, als sie nach dem → Mauerfall zu Tausenden in den Westen fuhren und samt ihren Fahrern herzlich begrüßt wurden. Die Seriengeschichte des im → VEB Automobilwerk Zwickau und im VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau produzierten und von vielen DDRBürgern geradezu liebevoll „Trabi“ genannten Kleinwagens begann 1957. Am 7. November dieses Jahres und offiziell aus Anlass des damaligen 40. Jahrestages der Oktoberrevolution lief der erste Trabi P 50 (Nullserie) in Zwickau vom Band.

Vorausgegangen war ein am 14. Januar 1954 gefasster Beschluss des Präsidiums des Ministerrats der DDR, wonach, „um dem Mangel an Autos aus volkseigener Produktion abzuhelfen“, innerhalb von 18 Monaten ein Kleinwagen mit zwei Haupt- und zwei Nebensitzen, maximal 600 Kilogramm Gewicht und einem Kraftstoffverbrauch von 5,5 Liter/100 Kilometer, einer Jahresproduktion von 12 000 Stück, einem Preis von 4 000 Mark ab Werk sowie Verwendung von Kunststoff für die Karosserie entwickelt werden sollte – und entwickelt wurde. In der Betriebsanleitung stand: „Der Typ Trabant ist ein schnittiges, elegantes und temperamentvolles Auto.“ Aufgrund politischer Entscheidungen wurden Änderungen an Konstruktion und Design – obwohl Planungen durchaus vorlagen – nicht realisiert, und so veraltete das Fahrzeug zunehmend. Dennoch gab es in der DDR, wo man ohnehin Jahre auf ein eigenes Auto warten musste, keine preiswertere, sparsamere und robustere Alternative. Es gab im Prinzip lediglich zwei größere Überarbeitungen: 1963 erschien der Trabant 600 mit höherer Motorleistung und Geschwindigkeit und 1964 der Trabant 601 mit einer veränderten Karosserie. Für das Beschaffen von Ersatzteilen, Reifen und Batterien brauchte man einiges Geschick und oft auch → Vitamin B sowie das mehrfach aufgelegte Anleitungsbuch Trabant – Wie helfe ich mir selbst?. Insgesamt wurden in den Jahren zwischen 1958 und 1991 mehr als drei Millionen solcher DDR-typischen Kleinwagen produziert. Beim KraftfahrtBundesamt waren davon zum 1. Januar 2011 noch genau 33 726 Fahrzeuge in Deutschland registriert. Von sich selbst sagen die Besitzer dieser inzwischen zum Kultauto avancierten Kleinwagen, dass Trabantfahrer die härtesten seien. Das allerletzte Auto dieses Typs, ein Trabant 1.1, ist übrigens am 30. April 1991 vom Fließband direkt ins Automobilmuseum August Horch in Zwickau gerollt. Ihren Namen, der durch den Schuss des ersten sowjetischen Satelliten ins Weltall am 4. Oktober 1957 inspiriert war, verdankte die mitunter auch als „Rennpappe“ bezeichnete Legende auf Rädern einem Preisausschreiben. „Trabant“ bedeutet ebenso wie das russische Wort → Sputnik „Begleiter“ oder „Weggefährte“. Und das ist der Trabi ja dann auch mehr als drei Jahrzehnte lang zumeist zuverlässig gewesen. Tschechien Immer wieder mal taucht auch heute noch die Frage nach der (politisch) korrekten Bezeichnung eines unserer neun Nachbarländer auf: Heißt es nun richtig „Tschechien“ – oder ist auch „Tschechei“ zu sagen

erlaubt? Fangen wir mit der Selbstbezeichnung des Landes an, das durch die am 1. Januar 1993 vollzogene Trennung von dem slowakischen Landesteil aus dem früheren DDR-Bruderland ČSSR hervorging: Česká republika. Čechy ist das tschechische Wort für Böhmen, Urvater Čech (Tschech) der sagenhafte Gründer des Volkes der Tschechen. Česko hingegen ist das tschechische Wort für „Tschechien“. Der Begriff ist wohl bereits seit 1777 belegt, aber vor 1992 selten verwendet worden und in der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt. Im Deutschen stellt sich die ganze Angelegenheit folgendermaßen dar: Die Bezeichnung „Tschechei“ wurde seit der Gründung der Tschechoslowakei 1918 verwendet – in Anlehnung an andere Ländernamen wie Türkei und Mongolei. Das Kofferwort „Tschechoslowakei“ für den ehemaligen Gesamtstaat ist aus den Bezeichnungen „Tschechei“ und „Slowakei“ zusammengesetzt. Eine breitere Verwendung des Wortes „Tschechei“ ist seit den 1930er-Jahren festzustellen. Allerdings schleppt der Begriff „Tschechei“ wegen seiner Verwendung im NSSprachgebrauch, insbesondere wegen Hitlers Rede von der „Zerschlagung der Rest-Tschechei“, einen negativen Klang mit sich. Vor allem ältere Tschechen verbinden mit diesem Begriff die Zeit des Nationalsozialismus. Nicht zuletzt wegen dieser historischen Belastung wurde als offizielle deutsche Bezeichnung für den neuen Staat, die Tschechische Republik, „Tschechien“ vorgeschlagen – allerdings auch nur für den nichtamtlichen Gebrauch. Dennoch gilt die Kurzform des Staatsnamens „Tschechien“ auch umgangssprachlich als durchaus legitim. Und ganz nebenbei betrachtet klingt „Tschechien“ doch einfach schöner als „Tschechei“, oder? Tüderkram, Tüdelie, Tünkram Das schöne plattdeutsche Wort „Tüderkram“ kommt ebenso wie seine Verwandten „Tüdelie“ und „Tünkram“ von „tüdern“ (schwindeln) und „tüderig“ oder „tüterig“ (verwirrt, durcheinander, vergesslich sein) und bedeutet so viel wie „Kleinkram“. Und mit Kleinkram kann man sich natürlich auch schon mal „vertüdern“, also sich verzetteln, die Zeit mit unnützen Dingen verschwenden – mit Tüderkram eben. Auf der anderen Seite gehört aber auch Tüderkram unbedingt zum Leben dazu, findet die Redaktion von So spricht Mecklenburg-Vorpommern. Oder nicht?

U

Ülepüle, Bodderlicker, Boddervågel Ein „Ülepüle“ ist ein Schmetterling. Andere plattdeutsche Bezeichnungen sind „Bodderlicker“, „Boddervågel“ und „Fleerlink“. Was hat der Schmetterling nun mit der Butter zu tun? Der Grund für diese Bezeichnung liegt in einer alten, etwa seit dem 16. Jahrhundert gebräuchlichen Bezeichnung für Butter und Rahm: Früher sagte man dazu „Schmetten“. Da unsere Vorfahren die Schmetterlinge für verkleidete Hexen hielten, dachte man, diese würden sich an dem süßen Rahm laben und ihn sogar aus Kammer und Keller stehlen. Zumindest für einige Arten trifft sie wohl auch zu, diese Vorliebe für Süßes. Und „Schmetterling“ klingt doch auch viel poetischer als „Tagfalter“ und „Nachtfalter“, oder? „Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß, wie Wolken schmecken.“ Das soll der Dichter Novalis (1772 – 1801) geschrieben haben. Tatsächlich aber ist es der Anfang eines Liedes, das der vor allem als Gitarrist und Songwriter für die Nena-Band bekannt gewordene Musiker Carlo Karges (1951 – 2002) geschrieben hat. Damals noch mit seiner eigenen Band namens – „Novalis“. Ein schöner Text. So schön wie „Ülepüle“. upfidummen In Zeiten, in denen die Sonne sich viel blicken lässt, hört man vielleicht auch öfter den Spruch: „Dei hett sik bannig upfidummt.“ Das sagt man vor allem über Mädchen und junge Frauen – wobei „upfidummen“ so viel wie „sich herausputzen“, „sich auffällig anziehen“, „sich auftakeln“ bedeutet. Aber warum eigentlich nicht? Im Jahr 2005 wurde dem Verb „upfidummen“ eine besondere Ehre zuteil. In jenem Jahr ist es vom Landesheimatverband und dem Fritz-Reuter-Literaturmuseum Stavenhagen am Rande der damaligen Reuterfestspiele in der Vaterstadt des niederdeutschen Dichters zum „Plattdeutschen Wort des Jahres“ gekürt worden. Zum besten aktuellen plattdeutschen Ausdruck wurde damals gleichzeitig „Lämmerhüppen“ für „Diskothek“ gewählt. Und bei der Wahl der liebsten plattdeutschen Redensart hatte sich die Jury für den folgenden Spruch entschieden: „Denn Politik, secht de Bur, is anners as daun“ (Denn Politik, sagt der Bauer, ist anders als tun).

Aber noch einmal kurz zurück zu „upfidummen“. Wir finden dieses Wort auch in dem Gedicht Krischan Römpagel in’t Kunzert von Heinrich Seidel, in dem es an einer Stelle heißt: „Dor keem ’ne Dam’ schön dick un grot / Un ganz gefehrlich upfidummt …“ Schauen Sie einfach mal nach. up 'n Swutsch gåhn Das ist eine plattdeutsche Redewendung, wie sie zumindest in der Gegend um Boizenburg, Wittenburg und Hagenow gebräuchlich ist: „up’n Swutsch gåhn“ in der Bedeutung „ausgehen“, wobei diese Wendung immer etwas in Richtung Leichtsinn oder Liederlichkeit zum Ausdruck bringt, so wie „tau un tau giern“ für „sehr gern“. Die Redewendung findet sich zwar nicht im Wörterbuch von Renate HerrmannWinter, jedoch in dem Kleinen Plattdeutschen Wörterbuch von Johannes Sass (1889 – 1971), das seit 1956 mit weitgehend akzeptierten Schreibregeln und 5000 Wörtern in 17 Auflagen unverändert erschienen war – gewissermaßen ein niederdeutscher Duden. 2002 kam dann als modernes Gebrauchswörterbuch der neue Sass heraus, inzwischen auch schon wieder in 6. Auflage. Der SassWortbestand deckt das Gebiet des Nordniederdeutschen ab, das in SchleswigHolstein, Hamburg, Bremen, Nordniedersachsen und in Teilen Westniedersachsens gesprochen wird, jedoch eher nicht in MecklenburgVorpommern. Aber warum soll man nicht auch mal über den Tellerrand und den Sprachschatz des eigenen Landes hinausschauen, findet die Wortschatzredaktion. urst Das Wörtchen „urst“ ist ein mitunter auch heute noch zu hörender, aber vor allem Ende der 1980er-Jahre und Anfang der 1990er-Jahre des vorigen Jahrhunderts gebräuchlicher Begriff der Jugendsprache. Er bedeutete so viel wie „besonders“, „sehr“, „toll“ und entspricht in etwa dem heutigen „geil“ oder „saugeil“: „Das ist ja urst.“ – „Der ist ja ein urster Kunde.“ Oder: „Du hast einen ursten Sonnenbrand.“ Der Ursprung dieses Wörtchens liegt möglicherweise in dem Adverb „äußerst“. Aus dem Berlin-Brandenburger Raum war „urst“ auch in das heutige Mecklenburg-Vorpommern herübergeschwappt. Eine andere Erklärung vermutet eine französische Herkunft. Danach soll es sich von ours für Bär ableiten. „Bärenstark“ sei so zu „urst“ geworden. UTP war zu DDR-Zeiten die Abkürzung für den „Unterrichtstag in der Produktion“, bei dem Schülerinnen und Schüler ab Klasse sieben die Welt der Arbeit in Industrie und Landwirtschaft kennenlernten. UTP ergänzte

die theoretischen Fächer ESP (Einführung in die sozialistische Produktion) und TZ (Technisches Zeichnen) um eine praktische Komponente. Den Unterrichtstag in der Produktion gab es zwischen 1958 und 1970, danach wurde er durch das Fach PA (Produktive Arbeit) abgelöst.

V

VEB Die Abkürzung stand zu DDR-Zeiten für „Volkseigener Betrieb“ und bedeutete im damaligen politischen und wirtschaftlichen Selbstverständnis, dass die Betriebe und → Kombinate dem Volk gehörten. Der VEB war die überwiegende Rechtsform für Industrie und Dienstleistungsbetriebe in der DDR. Nebenbei bemerkt spielten VEB und Kombinate häufig als „Trägerbetriebe“ eine wichtige Rolle in der Förderung von Sport und Kultur. Das Pendant zum VEB in der Landwirtschaft war das im Vergleich zu der Vielzahl von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) allerdings eher seltene Volkseigene Gut (VEG) – also Landwirtschaftsbetriebe in staatlichem Eigentum nach dem Vorbild des sowjetischen Sowchos (russisch für Sowjetskoje Chasjeistwo = Sowjetwirtschaft). verdammig! Auch auf Plattdeutsch kann man gut schimpfen, wie der Ausdruck „verdammig!“ für „verflucht!“ beweist. Dazu verfügt das Niederdeutsche über eine lange Liste von Verben, mit denen sich das Schimpfen selbst bezeichnen lässt: „afkuranzen“, „anbölken“, „anblaffen“, „anblarren“, „anblubbern“, „anfohren“, „anranzen“, „anschnuwen“, „dålmåken“, „grummeln“, „keifen“, „kläffen“, „knurren“, „utputzen“, „zabbern“, „zackerieren“, „zackerellen“, „zapperellen“, „zaustern“, „zawwern“ – jetzt reicht es aber! verklaukfideln Dieses schöne plattdeutsche Verb verdankt die Wortschatzredaktion wieder einmal Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin. Verklaukfideln bedeutet „jemandem etwas erklären“. Vitamin B Vitamin B, also Beziehungen, brauchte man auch schon zu DDRZeiten, um voran- oder an etwas heranzukommen, was sonst nicht zu haben war. Das reichte von Essen und Trinken der etwas gehobeneren Sorte über Bücher, Theaterkarten und Auto-Ersatzteile bis zu Baumaterialien und Wohnungen. Und wie hieß (und heißt) es doch so schön: Beziehungen schaden nur dem, der

keine hat. Wahrscheinlich hat sich da seit dem Zeitenwechsel nicht viel verändert. Im Übrigen ist das namengebende Vitamin B im menschlichen Körper für das Spalten der Nahrung und das Bereitstellen von Energie verantwortlich. Besonders wichtig ist Vitamin B12 – der König unter den Vitaminen. Volksbuchhandlung Die Volksbuchhandlung war zu DDR-Zeiten eine volkseigene, also staatliche Buchhandlung. Die ersten Volksbuchhandlungen waren bereits im November 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gegründet worden. Zuletzt gab es im gesamten „Leseland DDR“ rund 700 derartige Buchhandlungen, in denen etwa vier Fünftel des Literaturumsatzes realisiert wurden. Allerdings bekam man auch dort einige besonders begehrte Titel nur, wenn man einen Buchhändler oder eine Buchhändlerin kannte – gleichsam literarische → Bückware. Und manche Bücher gab es hierzulande überhaupt nicht. Manchmal hieß es dann lapidar: „Zur Zeit nicht lieferbar.“ Vörjohr Der Frühling ist auf Plattdeutsch das „Vörjohr“. So steht es jedenfalls im Neuen hochdeutsch-plattdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter. Man kann es aber auch anders sagen, wie die folgenden Verse aus dem Gedicht Frühjohrsglück der bekannten und mehrfach ausgezeichneten niederdeutschen Dichterin Ursula Kurz aus Wittenburg (kurz: „UKW“) beweisen: Wannern irgendwo, drömen, einfach so, lachend dörch de Wischen lopen Hand in Hand verleift tauhopen in denn’ Sünnenschien. Einfach glücklich sin.

W

Wartburg Die → MZ und den → Trabant hatten wir schon. Aber wenn schon von DDR-Motorrad-und Automobilmarken die Rede ist, dann darf auf keinen Fall der „Wartburg“ fehlen. Er steht oder, besser gesagt, fährt für die Geschichte der DDR wie für die Wiedervereinigung, obwohl schon 1898 die ersten, noch kutschenähnlichen Automobile unter diesem Namen gebaut wurden. Hergeleitet wurde er natürlich von der Wartburg am Produktionsstandort in Eisenach. Die neuere Historie jenes ostdeutschen Mittelklassewagens begann dann mit dem Modell 311, das im Herbst 1955 vom Band lief. Der letzte Wartburg, seines Zeichens ein roter 1. 3. – und einer von insgesamt mehr als anderthalb Millionen produzierten Fahrzeugen –, rollte am 10. April 1991 aus der Endmontage. Offizieller Grund für das Ende der Produktion war „mangelnde Nachfrage“ – jetzt bestimmten Westautos auch im Osten das Straßenbild. Während der knapp vier Jahrzehnte Wartburg-Geschichte wurden alle Fahrzeuge dieses Namens in bis zu elf unterschiedlichen Varianten produziert. So gab es den 311er nicht nur als normale Standardlimousine, sondern auch als Camping, Kombi, Transporter, Cabrio und Coupé. Bei dem späteren 353er-Erfolgsmodell mit dem typischen Wartburg-„Gesicht“ mit viereckigen Scheinwerfern erinnert man sich nicht zuletzt an den beliebten Kombi „Wartburg Tourist“. Und wie auch bei anderen DDR-Produkten versteckten sich technische Neuerungen zumeist unter der Oberfläche der Autos. Mutige Designideen, die sehr viel schicker und moderner ausgesehen hätten, wurden aufgrund politischer Entscheidungen auf allerhöchster Ebene leider niemals gebaut. Einer der wenigen spannenden Prototypen des Wartburg 355 ist heute im Verkehrsmuseum Dresden zu bewundern. Erst 1987 wurden in die damals modernste Version 1.3 Viertaktmotoren von VW eingebaut. Der Wartburg wurde übrigens auch exportiert – in mehr als 50 Länder, vor allem nach Polen und Ungarn, bis Anfang der 1970er-Jahre aber auch in das „Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ (NSW). Im Jahr 1960 wurden sogar einmal insgesamt mehr als 1200 Stück des Typs 311 in die USA geliefert. Die Inlandswartezeit nach der Bestellung eines Wartburgs soll zu DDR-Zeiten bis zu zwölf Jahre betragen haben. Und so nutzten viele Leute die gesetzlich gegebene

Möglichkeit, sich gleich mit 18 Jahren bei der zuständigen Filiale des → VEB IFA-Vertriebs einen Wagen zu bestellen (im IFA = Industrieverband Fahrzeugbau hatten sich Unternehmen des DDR-Fahrzeugbaus zusammengeschlossen) – aber nur jeweils einen pro Person. Gewissermaßen historisches Pech hatte zumindest jener DDR-Bürger aus Schwerin, der sich noch am 8. November 1989 für ziemlich viel Geld einen allerdings nigelnagelneuen Wagen zulegte. Aber vielleicht fährt er damit inzwischen zu den „Internationalen Wartburgfahrertreffen“, die unter dem Namen „Heimweh“ seit 2000 jedes Jahr im Sommer stattfinden. Und wo? Natürlich in der Wartburgstadt Eisenach in Thüringen. Wo auch sonst? Ob Johann Sebastian Bach, der gebürtige Eisenacher, auch Wartburg gefahren wäre? Von der Kaufpreis-Verdienst-Relation her gesehen wäre es zumindest möglich gewesen. Wat man in Mäkelborg äten deit Aus der Küche unseres eifrigen plattdeutschen Mitstreiters Dr. Behrend Böckmann aus Kirch Rosin haben wir uns die folgenden Gerichte ausgeliehen. Guten Appetit! • Arften un Wœddeln: Erbsen und Wurzeln • Bäwerspies: Götterspeise, Gelee • Blaut un Grütt: Blut- und Grützwurst • Bråtappel: Bratapfel • Bulljong: Fleischbrühe • Fleederbeersupp: Holunderbeerensuppe • Gastengrütt un Melk: Gerstengrütze mit Milch • Gnickbråden: Kammbraten • Himmel un Ierd: Himmel und Erde • Karbonade: Kotelett

• Klackerklütensupp: Milchsuppe mit Mehlklößchen • Klümp, Klüten: Klöße • Kœm, Kuurn: Kümmelschnaps • mankkåkt Äten: Eintopf (wörtlich: „zusammengekochtes Essen“) • Melkpöll: Fetthaut auf gekochter Milch • Pannkauken: Pfannkuchen • Päpernœt: Pfeffernüsse • Pelltüffeln mit Stipp un solten Hiering: Pellkartoffeln mit Specksoße und Salzhering • Plåtenkauken: Blechkuchen • Plummen un Tüffeln: Kartoffelsuppe mit Pflaumen • Plürr, Plürk: dünner Kaffee • Pottkauken: Napfkuchen • Ribbenbråden mit Plummen: Rippenbraten mit Pflaumen • Ries un Backplummen, Backåft: Reis mit Backpflaumen • Rieskees: Süßspeise, Pudding • Rode Grütt: Rote Grütze • Rullfleisch, Prikkenfleisch: Roulade • Schnuten un Poten: Schnauze und Pfoten (wurden sauer eingelegt oder gepökelt in Eintöpfen gekocht) • Schwartsur: Schwarzsauer • sur Melk orrer Dickmelk: dicke Milch als Nachspeise

• Surfleisch un Bråttüffeln: Sauerfleisch und Bratkartoffeln • Suppäten: Eintopf • Supptüffel: Kartoffelsuppe • Wickelpoten: Wickelpfoten (Gänsefüße mit Därmen umwickelt und gebraten) • Wittsur: Weißsauer (Gänseklein, aber auch Bauchfleisch süß-sauer eingekocht) • Wrukenäten: Steckrübengericht Wat mit 'nanner hebben Auch schön: eine Liebelei haben. Wat mutt, dat mutt Was sein muss, das muss sein – lebenskluge Maxime. Weihnachten Dr. Behrend Böckmann erinnert sich, wie Weihnachten in Mecklenburg früher war: Öltlings keem Hilligåbend orrer Oltjohrsåbend dei Ruuchklås. Hei is ierst nå un nå so üm Nägenteinhunnert rüm von’n Wihnachtsmann aflöst worden. Un säker is woll ok, dat dat Tieden gäben hett, wo’s beid näbeneinanner dörch’t Dörp un nåeinanner von Hus tau Hus treckt sünd. 1925 hemm’ Lüd noch Wossidlo vertellt, dat’s noch bilääft hemm’, dat dei Ruuchklåsen ’n Kriegskass bi sik drögen un dat dei Buern dor lütt bäten Geld rinstäken mössten. Annerswo harrn’s Korf bi sik un leeten sik dor wat tau’n Äten rinpacken. Ruuchklåsgänger wiern miestendeils dei Knechten, dei Mäten wiern blot af un an mål dorbi. Un sei hemm’ nich blot Geld un Ätenworen schnurrt, sei hemm’ ok düchtig Schacht mit ehr Rut’ utdeilt. So secht ’n Jung, dat hei in’n Sommer Bang vör’t Gewidder un in’n Winter vör’n Ruuchklås harr. Un dat gifft ok dorœwer Berichten, dat sik dei Kinner denn’ Rügg un denn’ Noors utpolstert hemm’, dormit’s dei Schläch nich so dull marken. Taurüch geiht dit Brukdaun up heidnisch’ Tieden. All 1544 wür dit Ümherdriewen in Wismer för unanstännig hollen un verbåden, un 1682 güng dat Herzog Gustav Adolph so gägen’n Strich, dat hei Order geef, dat tau ünnerlåten. Blot hulpen hett dat allens nich. Bet dei Wihnachsmann upkeem, wier dei Ruuchklås sien Vörgänger. Hei wier dei Dämon ünnen up Ierden in Gägensatz tau dei Fru Waur orrer Waud, dei båben œwer dei Ierd inne Twölften – inne Nächt twischen Wihnachten un denn Dach vonne Hilligen drei Königs –

ümgüng, üm fule Lüd tau stråpen. Von Fru Waud is bläben, dat hüt noch männigein inne twölf Nächt nå Hilligåbend sien Wäsch nich taun Drögen nå buten up’e Lien bringt. (Früher kam der Ruklaas an Heiligabend oder zum Altjahrsabend. Er wurde erst etwa so um 1900 vom Weihnachtsmann abgelöst. Und sicher ist es auch, dass es Zeiten gegeben hat, wo beide gleichzeitig gekommen sind und durch die Dörfer zogen. Noch 1925 haben Leute Richard Wossidlo erzählt, dass sie die RuklaasGänger erlebt haben und dass diese eine Kriegskasse bei sich trugen, in welche die Bauern Kleingeld stecken mussten. Andernorts hatten sie einen Korb bei sich und sammelten darin Esswaren ein. Die Ruklaas-Gänger waren meistens die Knechte, die Mägde waren seltener dabei. Typisch war, dass sie nicht nur Geld und Esswaren geschnorrt, sondern auch tüchtig Schläge ausgeteilt haben. So erzählte ein Junge, dass er im Sommer Angst vor einem Gewitter und zu Weihnachten Angst vor dem Ruklaas hatte. Es wurde sogar berichtet, dass sich die Kinder zum Schutz vor den Schlägen den Rücken und den Hosenboden ausgepolstert haben. Dieser Brauch geht auf heidnische Zeiten zurück. Schon 1544 wurde dieses Treiben in Wismar für unanständig gehalten, und 1682 ging es Herzog Gustav Adolph so gegen den Strich, dass er ein Gesetz zur Unterlassung herausgab. Aber das hat alles nicht geholfen. Bis der Weihnachtsmann kam, war der Ruklaas sein Vorgänger. Er war der Dämon auf Erden im Gegensatz zu Frau Waud, die oben im Himmel über das Geschehen auf der Erde in den zwölf Nächten von Weihnachten bis zum Dreikönigstag wachte und die faulen Leute bestrafte. Von Frau Waud ist noch geblieben, dass man in den zwölf Nächten nach Heiligabend keine große Wäsche abhalten und keine Wäsche im Freien trocknen soll.) Wende Wahrscheinlich war das Wort „Wende“ zum allerersten Mal in einer Rede von Egon Krenz am 19. Oktober 1989 zu hören, des damals zum neuen Staatsratsvorsitzenden gewählten SED-Politikers. Daher ist dieses Wende-Wort von der Wende manchen Bürgerrechtlern und anderen Wende-Akteuren noch heute suspekt. Im Allgemeinen aber bezeichnet der Begriff „Wende“ den Prozess des gesellschaftspolitischen Wandels, der in der Deutschen Demokratischen Republik zum Ende der SED-Herrschaft führte, den Übergang zur parlamentarischen Demokratie begleitete und die deutsche Wiedervereinigung

möglich gemacht hat – so wissenschaftlich-nüchtern steht es jedenfalls heute in den Lexika. Zeitlich eingrenzen lässt sich die Wende mit den letzten DDRKommunalwahlen am 7. Mai 1989 und der einzigen freien Wahl zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990. Wendehals Den Wendehals gibt es wirklich. Sein wissenschaftlicher Name lautet Jynx torquilla. Und wie der NABU (Naturschutzbund Deutschland) auf einer seiner Aktionsseiten im Internet informiert, gehört der Wendehals zur Familie der Spechte, von der in Deutschland insgesamt neun Arten heimisch sind. Der schlanke Spechtvogel (16,5 Zentimeter groß, 35 Gramm schwer) ist durch sein rindenfarbiges, graubraun geschecktes Gefieder bestens getarnt. Ein dunkler Längsstreifen zieht sich vom Nacken bis zum Bürzel. Sein kurzer Schnabel unterscheidet ihn deutlich von den echten Spechten und ähnelt eher dem eines Singvogels. Der Wendehals kann seinen Kopf um mehr als 180 Grad drehen – daher sein Name. Interessant ist außerdem, dass Wendehälse während der Balz-, Brut- und Fütterungszeit sehr auffällig sein können. Außerhalb dieser Periode bemerkt man ihre Anwesenheit kaum. Ganz ähnlich verhält es sich mit den menschlichen Wendehälsen, die schon während der → Wende und erst recht danach eine deutlich andere Haltung und Meinung vertraten als vorher. Aussehen und Stimme wechselten, und ihr gesamtes Verhalten war – mit zwei Worten zusammengefasst – sehr wendig. Der Begriff des politischen Wendehalses in der DDR wurde vor allem von der Schriftstellerin Christa Wolf (unter anderem Der geteilte Himmel) in die öffentliche Diskussion gebracht, als sie am 4. November 1989 und damit nur fünf Tage vor dem → Mauerfall vor über 500 000 Demonstranten auf dem Berliner Alexanderplatz sprach. Menschliche Wendehälse sind Meister der politischen Evolution und können sich fast jeder veränderten Situation ausgezeichnet anpassen. Daher sind Wendehälse allerdings auch nicht sonderlich beliebt – eine Tatsache, die von ihnen selbst zumeist mit Unverständnis und Empörung quittiert wird. Witzigerweise war der damals in seinem Bestand gefährdete Wendehals vom NABU zum Vogel des Jahres 1988 gewählt worden. Nur ein Jahr später wurde das Tier zum „geflügelten“ politischen Begriff.

Wiemen Ein „Wiemen“ (oder auch „Wiem“) ist laut Dr. Behrend Böckmann: 1. ein Stangengerüst, auf dem die Hühner zum Schlafen sitzen („Häuhnerwiemen“) 2. ein Stangengerüst zum Räuchern von Wurst, Speck und Schinken im offenen Schornstein, im Rauchfang der Herdglocke und in der Räucherkammer auf dem Boden, wo mit Spänen und Wacholder geräuchert wurde („Rökerwiemen“) 3. ein Stangengerüst zum Trocknen von Tabak in der Scheune oder in einem Schuppen („Tabakwiemen“). Im Übrigen hat die Wortschatzredaktion im Plattdeutsch-hochdeutschen Wörterbuch von Renate Herrmann-Winter zu 1. auch noch die übertragene Bedeutung auf das Zubettgehen der Menschen gefunden: „Nu will’n w’ man tau Wiem gahn.“ Na dann: „Gaude Nacht!“ Wiesenpieper Wissen Sie, was ein „Wiesenpieper“ ist? Nein, damit ist kein Frühlingsvogel gemeint, vielmehr lautete so zu DDR-Zeiten die Bezeichnung für Pfefferminzlikör. Nebenbei bemerkt gibt es allerdings tatsächlich auch richtige Wiesenpieper (Anthus pratensis). Das sind auch in unserer Region vorkommende Zugvögel aus der Familie der Stelzen und Pieper – etwa so groß wie Grünfinken. Wir sind das Volk! So lautete der stolze Ausruf der sich selbst und im eigenen Interesse organisierenden Massen auf den Plakaten der ersten → Montagsdemo in der später vom Schriftsteller Christoph Hein so bezeichneten „Heldenstadt“ Leipzig. Auch wenn sich der Spruch schneller als gedacht in die gesamtdeutsch gedachte Aussage „Wir sind ein Volk!“ wandelte, so passt dazu doch das schöne Gedicht Die Lösung von Bertolt Brecht, das dieser ursprünglich als Kommentar zum 17. Juni 1953 geschrieben hatte, das in der DDR allerdings erst 1969 zum ersten Mal in einem Buch veröffentlicht wurde: Nach dem Aufstand des 17. Juni Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands

In der Stalinallee Flugblätter verteilen Auf denen zu lesen war, daß das Volk Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe Und es nur durch verdoppelte Arbeit Zurückerobern könne. Wäre es da Nicht doch einfacher, die Regierung Löste das Volk auf und Wählte ein anderes?

Das ist doch → dialektisch gedacht, oder?

Z

Zentralorgan „Keiner fragt, wir antworten trotzdem“ – so hieß es zu DDRZeiten über den Journalismus. Der Schriftsteller Erik Neutsch (1931 – 2013), Autor des auch verfilmten Bestsellers Spur der Steine, klagte, es gäbe in seinem Land gar keine Zeitungen, sondern nur Organe. Das zentralste aller Presseorgane war damals das „Zentralorgan“, das Neue Deutschland. Und tatsächlich war das nach wie vor erscheinende „ND“ von 1946 bis 1989 das Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) – daher die Kurzform „Zentralorgan“. Zu DDR-Zeiten hatte das Neue Deutschland die zweithöchste Auflage der Republik nach dem → FDJZentralorgan Junge Welt. Zweiraumwohnung In der DDR war die Zweiraumwohnung das, was man im Westen eine Zweizimmerwohnung nennt. Bis in die Gegenwart ist die Zweiraumwohnung in den neuen Bundesländern noch immer am häufigsten anzutreffen, allerdings dicht gefolgt von der Dreiraumwohnung. In den alten Bundesländern dominiert die Dreizimmerwohnung. Aber die Zweiraumwohnung gibt es auch noch auf andere Weise – und zwar in der ungewöhnlichen Schreibweise „2raumwohnung“. Das ist der Name eines deutschen Elektropopduos, das die Sängerin Inga Humpe und deren Lebensgefährte Tommi Eckart um die Jahrtausendwende in Berlin gründeten. Beide Künstler hatten sich im Ostteil der Stadt kennengelernt, ob allerdings tatsächlich in einer Zweiraumwohnung, ist nicht bekannt. Bislang erfolgreichste Produktion von „2raumwohnung“ war im Jahr 2007 ihr Album 36 Grad. Das jüngste Album des Duos erschien am 6. September 2013 unter dem Titel Achtung Fertig – und passt damit wunderbar zum Abschluss dieser Aufzählung von Begriffen und Redewendungen aus DDR-, Wende- und anderen Zeiten in Mecklenburg-Vorpommern.

Platt ist wunderbar – Zur Lage des Niederdeutschen in MecklenburgVorpommern

Plädoyer für eine lebendige Regionalsprache, zusammengestellt nach Beiträgen und Büchern von Renate Herrmann-Winter, Greifswald, sowie aus anderen Quellen geschöpft.

Missingsch. Von Kurt Tucholsky (1931)

Missingsch ist das, was herauskommt, wenn ein Plattdeutscher hochdeutsch sprechen will. Er krabbelt auf der glatt gebohnerten Treppe der deutschen Grammatik empor und rutscht alle Nase lang wieder in sein geliebtes Platt zurück. Lydia stammte aus Rostock, und sie beherrschte dieses Idiom in der Vollendung. Es ist kein bäurisches Platt – es ist viel feiner. Das Hochdeutsch darin nimmt sich aus wie Hohn und Karikatur; es ist, wie wenn ein Bauer in Frack und Zylinder aufs Feld ginge und so ackerte. Der Zylinder ischa en finen statschen Haut, över wen dor nich mit grot worn is, denn rütscht hei ümmer werrer aff, dat deit he … Und dann ist da im Platt der ganze Humor dieser Norddeutschen; ihr gutmütiger Spott, wenn es einer gar zu toll treibt, ihr fest zupackender Spaß, wenn sie falschen Glanz wittern, und sie wittern ihn, unfehlbar … diese Sprache konnte Lydia bei Gelegenheit sprechen. … Manchen Leuten erscheint die plattdeutsche Sprache grob, und sie mögen sie nicht. Ich habe diese Sprache immer geliebt; mein Vater sprach sie wie hochdeutsch, sie, die ‚vollkommnere der beiden Schwestern‘, wie Klaus Groth sie genannt hat. Es ist die Sprache des Meeres. Das Plattdeutsche kann alles sein: zart und grob, humorvoll und herzlich, klar und nüchtern und vor allem, wenn man will, herrlich besoffen. Die Prinzessin bog sich diese Sprache ins Hochdeutsche um, wie es ihr paßte – denn vom Missingschen gibt es hundert und aber hundert Abarten, von Friesland über Hamburg bis nach Pommern; da hat jeder kleine Ort seine Eigenheiten. Philologisch ist dem sehr schwer beizukommen; aber mit dem Herzen ist ihm beizukommen. Das also sprach die

Prinzessin – ah, nicht alle Tage! Das wäre ja unerträglich gewesen. Manchmal, zur Erholung, wenn ihr grade so zu Mut war, sprach sie missingsch; sie sagte darin die Dinge, die ihr besonders am Herzen lagen, und daneben hatte sie im Lauf der Zeit schon viel von Berlin angenommen. Wenn sie ganz schnell „Allmächtiger Braten!“ sagte, dann wußte man gut Bescheid. Aber mitunter sprach sie doch ihr Platt, oder eben jenes halbe Platt: missingsch. (Aus: Schloß Gripsholm – Eine Sommergeschichte, 1931)

Das Platt war in Norddeutschland zuerst da

Wenn es eine bedeutende Expertin für das Plattdeutsche gibt – zumal für das Plattdeutsche in Mecklenburg-Vorpommern –, dann ist es Frau Professor Dr. Renate Herrmann-Winter in Greifswald. Ihr ist deshalb auch das letzte Kapitel dieses Buches (S. 201 – 205) gewidmet. Sie wurde zwar schon emeritiert, lehrt aber weiterhin an ihrer Universität. Frau Herrmann-Winter ist auch die Herausgeberin von drei ebenso wichtigen wie schönen Büchern für Könner und Kenner, für Freunde, Sympathisanten und für Studierende der plattdeutschen Sprache, die mit ihrem besonderen Gelb – irgendwo zwischen Post und Post-Moderne – sowohl in öffentlichen Bibliotheken als auch im heimischen Bücherregal oder auf dem heimischen Schreibtisch unübersehbar herausstechen. Wenn man eine Frage zum Plattdeutschen und zu den vielfältigen Beziehungen zwischen Hoch- und Plattdeutsch sowie zu den Übersetzungen zwischen beiden Sprachen hat, dann wendet man sich eben am besten an Professorin HerrmannWinter. Apropos Sprache: Ist das Niederdeutsche überhaupt eine Sprache? Dazu zunächst ein Blick zurück in die Geschichte und in die Vergangenheit des Niederdeutschen: Niederdeutsch ist – das wissen viele Leute nicht – im norddeutschen Raum sehr viel älter als Hochdeutsch. Das Platt war zuerst da. Erst seit dem 16. Jahrhundert ist es vom Süden her langsam verdrängt worden, war aber bis zu diesem Zeitpunkt die alleinige Sprache in dieser Region. Erst danach und in der Folge dieser Verdrängung wurde es als minderwertig und

niedrig bewertet – eben als „platt“. Hochdeutsch war die Sprache der Bildung und der hohen Politik. Wer etwas auf sich hielt, konnte zwar Plattdeutsch, bevorzugte aber das Hochdeutsche und sprach Platt nur noch in der Familie und Nachbarschaft. Platt war und blieb gewissermaßen die Sprache der kleinen Leute. Allerdings gab es Ende des 17. Jahrhunderts und vor allem im 18. Jahrhundert eine Reihe von Veröffentlichungen, die sich genau gegen diese Missbilligung des Plattdeutschen richteten, darunter zum Beispiel die natürlich auf Latein verfasste, berühmte Dissertation De linguae Saxoniae inferioris neglectu atque contemtu iniusto des damals 22-jährigen Studenten Bernhard Raupach (1682 – 1745) aus dem Jahr 1704. Raupach beklagte sich darin über die „unbillige Verachtung der plattdeutschen Sprache“. Seine Arbeit löste eine heftige öffentliche Diskussion über Vorzüge und Mängel des Niederdeutschen aus und hat noch Jahrzehnte die Debatte pro und contra Platt in Mecklenburg und Pommern begleitet. Überhaupt kannte diese Zeit, als Raupach seine Muttersprache gegen deren Diskriminierung verteidigen wollte, sehr engagierte Verfechter des Plattdeutschen. Im 18. Jahrhundert wurden im gesamten norddeutschen Sprachraum Wörterbücher geschrieben. Es gab ein hamburgisches, ein bremisches sowie ein ganz berühmtes pommersches Wörterbuch, welches 1781 unter dem Titel PlattDeutsches Wörter-Buch nach der alten und neuen Pommerschen und Rügischen Mundart von dem Greifswalder Gelehrten Johann Carl Dähnert verfasst und in Stralsund gedruckt wurde. Der Professor und Bibliothekar fühlte sich als „Dolmetscher für Plattdeutsch“ und leitete damit zugleich die akademische Beschäftigung mit dem Neuniederdeutschen an der Universität Greifswald ein. Noch im 19. Jahrhundert ist es für die Orientalisten Ludwig Kosegarten und Albrecht Hoefer Anlass für neue große Wörterbuch-Projekte. Überhaupt erfuhren im 18. Jahrhundert sämtliche deutsche Dialekte eine große Aufmerksamkeit. Die Blütezeit für das Platt aber ist selbstverständlich mit den großen niederdeutschen Dichtern Fritz Reuter, Klaus Groth und John Brinckman verbunden. Diese Schriftsteller verleihen dem Niederdeutschen übernationale Geltung. Das unterscheidet das Niederdeutsche von den anderen deutschen Dialekten. Deshalb wird das Niederdeutsche völlig zu Recht auch mit dem Begriff „Sprache“ verbunden. Es gibt keinen anderen deutschen Dialekt, der eine so große Literatur hervorgebracht hat. Das Niederdeutsche war und ist wieder zu einer anspruchsvollen Kultursprache geworden.

Das Mecklenburger Platt ist beliebt – und eine Nahsprache

Man kann ohne Zweifel sagen, dass das Mecklenburger Platt gefällt. Auf der Beliebtheitsskala der Dialekte schneidet das Plattdeutsche am besten ab. Es wird akzeptiert und zum Beispiel auch von und in Sachsen gern gehört. Und bereits im 18. Jahrhundert hatte man darauf hingewiesen, dass der Klang des Plattdeutschen ein sehr angenehmer sei. Es kommt vielleicht noch hinzu, dass das Plattdeutsche relativ langsam gesprochen wird und dadurch viel besser verständlich ist. Allerdings hat das Niederdeutsche auch einige Besonderheiten, die es für Nichtplattsnacker unter Umständen ein bisschen schwer machen, zumindest anfangs. Platt ist eine Sprache mit einem ganz eigenen Lautstand, durch den es sich von anderen abhebt. Und Platt ist eine sogenannte Nahsprache, die zwischenmenschliche Töne sehr viel besser ausdrücken kann als das Hochdeutsche. Es lebt mehr im Familiären, im Freundeskreis, in der kleinen Runde. Man kommt sehr viel schneller in Kontakt, wenn man Plattdeutsch miteinander spricht. Aber generell ist natürlich zu sagen: Jeder liebt die Sprache seiner Heimat, und für jeden ist die Sprache, die er in seiner Jugend gelernt hat, ob das nun Sächsisch oder Thüringisch, Schleswig-holsteinisch oder Mecklenburgisch ist, die Heimatsprache. Das Verhältnis ist immer am engsten zu der Sprache, in die man hineingeboren wurde, mit der man aufgewachsen ist. Und insofern ist die Heimatsprache der Norddeutschen eben das Plattdeutsche. Von der Wissenschaft wird Mecklenburg-Vorpommern als ein relativ einheitlicher Sprachraum betrachtet, was allerdings nicht ausschließt, dass es Grenzen und Unterschiede innerhalb dieses Gebietes gibt. Sie bestehen in der Lexik, also dem Wortschatz, wie auch in der Lautung, also der Aussprache. Diese Unterschiede sind aber längst nicht so gravierend wie in anderen Gegenden, zum Beispiel waren die Unterschiede zwischen Vorpommern und Hinterpommern sehr viel größer als die zwischen Vorpommern und Mecklenburg. Platt in der ehemaligen DDR umfasste im Übrigen vier große niederdeutsche Sprachräume: Mecklenburg und Vorpommern sowie

Brandenburg, die Uckermark und die Altmark. Fazit: Platt ist eine noch immer lebendige Sprache in MecklenburgVorpommern, eine gern gehörte und mitunter auch gern gesprochene Regionalsprache des deutschen Nordens, und Platt ist – einfach wunderbar.

Jede Provinz liebt ihren Dialekt: Denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft. (Johann Wolfgang von Goethe)

Wo wird eigentlich heute Platt gesprochen?

Nach einer aktuellen Veröffentlichung des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen auf dessen Internetseite wird Plattdeutsch in erster Linie natürlich in Norddeutschland gesprochen – daneben aber auch in Sprachinseln in Polen, der Slowakei, in Dänemark, mehreren Staaten der einstigen Sowjetunion, in Nordund Südamerika, Australien und Südafrika. Nach 1945 sind durch die Kriegsfolgen die niederpreußischen und hinterpommerschen Mundarten praktisch verschwunden. Außerdem sind im Zusammenhang mit der zunehmenden Mobilität der Bevölkerung und dem Einfluss der Massenmedien die Eigenarten lokaler und regionaler Varianten des Plattdeutschen überhaupt zurückgegangen. Die mundartliche Gliederung des heutigen Niederdeutschen beruht auf sogenannten Schibboleths. Das sind auffällige Erscheinungen in der jeweiligen Lautung beziehungsweise in der Formenlehre. Zum Westniederdeutschen gehören die kleine Dialektlandschaft des Niederfränkischen und das Westfälische, das benachbarte Ostfälische mit seinen „mik“/ „dik“-Formen sowie das Nordniedersächsische, das nördlich des West- und Ostfälischen

angesiedelt ist. Es weist in seiner Binnengliederung zumindest sechs regionale Varianten auf: das Holsteinische, das Dithmarscher Platt, das Schleswigsche, das Nordhannoversche, das Oldenburgische und das Ostfriesische. Mecklenburg-Vorpommern gehört zum Ostniederdeutschen. Das Ostniederdeutsche umfasst drei größere Areale, nämlich das MecklenburgVorpommersche (mit der Verniedlichungsendung „-ing“, zum Beispiel in „Mudding“), das Mittelpommersche und das Märkisch-Brandenburgische. Heute ist das Plattdeutsche, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, eine in acht Bundesländern gebräuchliche Sprache, und zwar in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hamburg und Bremen sowie in der Landschaft Westfalen und im nördlichen Sachsen-Anhalt (Westniederdeutsch), in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg (Ostniederdeutsch). Eine erste plattdeutsche Adresse im Internet gibt es in Bremen seit Februar 1996. Das Institut für niederdeutsche Sprache (INS) meldet sich mit einem zweisprachigen Informationsangebot im Netz und ist damit für die Millionen Nutzer des World Wide Web zugänglich. „Nu köönt Se ook mal dat Institut besöken“, lautet die entsprechende Einladung an Neugierige und Interessierte: http://www.ins-bremen.de/

(Abdruck dieses Textes mit freundlicher Genehmigung des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen)

Wie schreibt man eigentlich å und œ?

Mitunter braucht man im Plattdeutschen ein langes, fast wie ein „o“ ausgesprochenes „a“. Das wird dann entweder verdoppelt geschrieben oder mithilfe eines aus Skandinavien stammenden Zeichens über dem lang auszusprechenden Buchstaben signalisiert – also „å“ oder „Å“. Aber wie schreibt man das auf dem Computer, wenn man keine skandinavische Tastatur hat? Eine mögliche, aber recht umständliche Lösung ist es, sich ein Wort mit einem solchen „å“ zu kopieren und in den eigenen Text einzufügen. Einfacher

geht es, die Alt-Taste gedrückt zu halten und dann auf dem rechten Ziffernblock – nicht die Zahlen über den Buchstaben – die Ziffern 0229 einzugeben. Nach dem Loslassen steht an der vorgesehenen Stelle unweigerlich ein kleines „å“. Für ein großes „Å“ lautet die entsprechende Kombination Alt-Taste und 0197. Es ist also ganz einfach. Probieren Sie es doch mal aus! Zum Beispiel mit den Wörtern „dei Dach“ (der Tag), „die Dåch“ (die Tage). Oder auch „måken“ (machen) und „Såken“ (Sachen). Ähnlich steht die Sache mit der lang und offen ausgesprochenen Kombination von „o“ und „e“, etwa in „Mœhl“ (Mühle) oder „œwer“ (über), zum Beispiel in dem schönen Wiegenlied Œwer de stillen Straaten, auch wenn es der Schweriner Schauspieler und Liedersinger Kurt Nolze auf seiner gleichnamigen LP so geschrieben hat: „Över de stillen Straaten“. Der Text stammt von keinem Geringeren als Theodor Storm (1817 – 1888), der dieses einfühlsame Gedicht unter dem Titel Gode Nacht 1850 geschrieben hat. Die Musik dazu lieferte der aus Norddeutschland stammende Komponist Ernst Licht (1892 – 1965), Mitglied der Worpsweder Künstlerkolonie und Autor vieler gern gesungener plattdeutscher Vertonungen, darunter auch das ebenfalls berühmte Min Jehann von Klaus Groth (1819 – 1899). Und wie tippt man nun das „œ“, wenn man keine französische Tastatur hat? Dafür gibt es ebenfalls eine praktische Tastenkombination: Alt-Taste gedrückt halten und auf dem rechten Ziffernblock die Ziffern 0156 eingeben. Nach dem Loslassen steht an der vorgesehenen Stelle ein kleines „œ“, die entsprechende Kombination für ein großes „Œ“ lautet Alt-Taste und 0140. Nun können Sie losschreiben, zum Beispiel das Wort „knœstern“ für „drücken“, „kneten“, „massieren“ oder „Œsel“ für den verkohlten Docht des Lichtes oder einer Öllampe. Und dann kann man bei dem Storm’schen Wiegenlied die „Straaten“ natürlich nach Prof. Dr. Renate Herrmann-Winter auch so schreiben: „Stråten“. Na, können Sie sich noch an die entsprechende Tastenkombination erinnern? Übrigens: Auf einem Mac geht beides noch viel einfacher: „å“ = alt + a, „Å“ = alt + shift + a, „œ“ = alt + ö, „Œ“ = alt + shift + ö. Alles klar?

Niederdeutsch an Schulen

Neue Hoffnung für Platt in Mecklenburg-Vorpommern. Am 1. Februar 2013 hat in dem nordostdeutschen Bundesland eine neue Landesbeauftragte für Niederdeutsch an den Schulen ihr Amt angetreten: die Lehrerin Jane Sonnenberg von der Grundschule Abtshagen im Landkreis Vorpommern-Rügen. Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Mathias Brodkorb erklärte anlässlich ihrer Berufung: „Mit Jane Sonnenberg haben wir eine Lehrerin gefunden, die über eine fundierte Ausbildung im Fach Niederdeutsch verfügt und sich seit Langem für die Vermittlung der niederdeutschen Sprache einsetzt. Ich bin überzeugt, dass Frau Sonnenberg bei vielen Lehrern und Schülern Lust an der plattdeutschen Sprache wecken kann.“ Nach Auskunft des Bildungsministeriums Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin hat die 43 Jahre alte gebürtige Rostockerin an ihrer Schule bereits seit 2009/2010 jährlich einen Plattdeutsch-Wettbewerb organisiert. Die neue Beauftragte werde sich 13 Stunden wöchentlich der Förderung und Pflege der niederdeutschen Sprache an den Schulen widmen. Sie soll außerdem die Organisation des Plattdeutsch-Landeswettbewerbs für Kinder und Jugendliche übernehmen. Dafür stellt das Bildungsministerium zusätzlich drei Lehrerwochenstunden zur Verfügung. Zu den weiteren Aufgaben der Niederdeutsch-Landesbeauftragten gehören unter anderem die Organisation von Fortbildungen, die fachliche Beratung von Lehrern, das Erarbeiten von entsprechenden Unterrichtsmaterialien sowie die Betreuung und Koordination des Projekts „Niederdeutsch in der frühkindlichen Bildung“. Niederdeutsch ist hierzulande übrigens kein eigenes Fach, sondern wird integriert in Fächern wie Deutsch, Musik oder Geschichte behandelt. Viele Lehrer aber setzen das Konzept bisher leider nicht um, und es wird auch nicht überprüft, erklärte die Niederdeutsch-Dozentin Birte Arendt von der Uni Greifswald dem NDR Ende 2012. Eigentlich müsste Niederdeutsch in der Schule völlig neu organisiert werden, so Arendt. An ihrem Institut sei gerade der fächerübergreifende Plattdeutsch-Unterricht an allgemeinbildenden Schulen im Land untersucht worden. In diesem Sinne gebe es genügend Arbeit für die neue Plattdeutsch-Beauftragte, also für Jane Sonneberg. Aber auch neue Hoffnung für das Niederdeutsche. Vielleicht gelingt sogar eine Renaissance des Platt?

Eine Plattdeutsch-Expertin par excellence

Prof. Dr. Renate Herrmann-Winter wurde am 11. Januar 1933 in Greifswald geboren. Sie studierte von 1952 bis 1956 Germanistik und Anglistik an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität ihrer Heimatstadt und arbeitete danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache an der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Ihre Dissertation zum Thema Die Milch und ihre Verarbeitung im niederdeutschen Wortschatz der ehemaligen Provinz Pommern schrieb sie 1963 in Rostock. Im Jahr 1992 besetzte Herrmann-Winter den nach der Wende neu geschaffenen Lehrstuhl für Niederdeutsche Sprache und Literatur an der Universität Greifswald und führte dort unter anderem den neuen Studiengang niederdeutsche Philologie ein. Die Ausbildung ist so strukturiert, dass sie vom Erlernen des mecklenburg-vorpommerschen Plattdeutschs zu studentischen Arbeiten über landesspezifische linguistische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen führt. Nach Antritt ihrer Professur richtete Hermann-Winter außerdem die Arbeitsstelle zum Pommerschen Wörterbuch wieder ein, das 1969 aus politischen Gründen gestoppt worden war und das sie seitdem in Eigenregie fortgeführt hatte. Der erste Teil des Großwörterbuchs konnte 1997 erscheinen. Im selben Jahr untersuchte die Wissenschaftlerin in ihrer Schrift Heimatsprache zwischen Ausgrenzung und ideologischer Einbindung das Verhältnis zur niederdeutschen Sprache zu DDR-Zeiten. Weitere wissenschaftliche Interessen von Herrmann-Winter galten und gelten der Herausgabe eines hochdeutschplattdeutschen Wörterbuchs (1999) sowie Untersuchungen zur Sprachsituation Mecklenburg-Vorpommerns. Prof. Dr. Herrmann-Winter wurde zwar 1998 emeritiert, gibt aber seit 2003 wieder Lehrveranstaltungen an der Greifswalder Universität, nachdem die Professur für Niederdeutsch aus finanziellen Gründen nicht mehr hatte wiederbesetzt werden können.

Sie lebt und arbeitet nach wie vor in der Hansestadt Greifswald, wo sie am Universitätsinstitut für Deutsche Philologie den Forschungsschwerpunkt Pommersches Wörterbuch leitet. Zwischen 1990 und 1996 verantwortete Frau Prof. Dr. Herrmann-Winter außerdem ein im Mecklenburg-Magazin der SVZ in zahlreichen Folgen erschienenes Niederdeutsches Wörterbuch auch für Nichplattsnacker, dessen besonderer Ansatz darin bestand, nicht wie sonst bei Dialektwörterbüchern vom Dialektwort auszugehen und diesem Stichwort dann die hochdeutsche Erklärung folgen zu lassen: „Ich möchte jetzt in umgekehrter Weise verfahren: vom Hochdeutschen zum Plattdeutschen kommen. Diese Methode scheint mir gerade für die Jugend sehr wichtig, die ja nicht mehr mit Plattdeutsch aufwächst. Außerdem ist ein solches Wörterbuch für Schriftsteller, Lehrer und andere hilfreich, um plattdeutsche Entsprechungen für Hochdeutsches zu finden. Vielleicht könnte es auch ein Reise-Plattdeutsch-Wörterbuch werden …“ (Sommer 1990). Die Arbeiten für dieses Zeitungs-Lexikon, welches die Autorin nach eigener Aussage sechs Jahre lang in Trab gehalten habe, da alle 14 Tage eine neue Alphabetstrecke erarbeitet werden musste, mündete später in ein Wörterbuch, „in dem der Grundwortschatz des gegenwärtigen Deutsch in gegenwärtiges Niederdeutsch übersetzt wird“. Dabei handelt es sich um das 1999 in erster Auflage erschienene Neue hochdeutsch-plattdeutsche Wörterbuch, ebenfalls mit dem bereits erwähnten charakteristischen gelben Einband. Es ist eine Publikation, die in Mecklenburg-Vorpommern ihresgleichen sucht, die helfen wird, die niederdeutsche Sprache zu erlernen, besser zu beherrschen und damit lebendig zu erhalten.

Auszeichnungen: • 2003 Kulturpreis des Landes Mecklenburg-Vorpommern für ihr kulturelles Werk zum Niederdeutschen • 2006 Fritz-Reuter-Preis der Carl-Toepfer-Stiftung, Hamburg

Veröffentlichungen (Auswahl): • Studien zur gesprochenen Sprache im Norden der DDR. Soziolinguistische Untersuchungen im Kreis Greifswald. Akademie-Verlag. Berlin 1979. • Kleines plattdeutsches Wörterbuch für den Mecklenburgisch-Vorpommerschen Sprachraum. Hinstorff-Verlag. Rostock 1985. 5. Auflage 2003. • Spass möt sin: wat de Lüd säden. 333 mecklenburgische Sagwörter. Ostseezeitung. Rostock 1987. • Frau Apotheker kaufte ihren Hut hochdeutsch. Prominente über Platt. Hinstorff-Verlag. Rostock 1989. • Notwehr ist erlaubt. Niederdeutsch im Urteil von Verehrern und Verächtern. Texte aus Mecklenburg und Pommern vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Konrad Reich Verlag. Rostock 1995. • Heimatsprache zwischen Ausgrenzung und ideologischer Einbindung. Niederdeutsch in der DDR. Europäischer Verlag der Wissenschaften. Frankfurt am Main/Berlin 1998. • Sprachbilder im Plattdeutschen. Redewendungen und Sprichwörter. HinstorffVerlag. Rostock 2002. • Plattdeutsch-hochdeutsches Wörterbuch. Hinstorff-Verlag. Rostock 1985. 6. Auflage 2013. • Neues hochdeutsch-plattdeutsches Wörterbuch für den mecklenburgischvorpommerschen Sprachraum. Hinstorff-Verlag. Rostock 1999. 2. Auflage 2003. • Hör- und Lernbuch für das Plattdeutsche. Hinstorff-Verlag. Rostock 2006. • Sprachatlas für Rügen und die vorpommersche Küste. Hinstorff-Verlag. Rostock 2013.

Der Autor

Jürgen Seidel, geb. 1958, Studium der Journalistik, seit Anfang der 1980er Jahre im hohen Norden der vormaligen DDR tätig, als Journalist und Kommunikationstrainer, Rhetorik-Lehrer und Glücksforscher.

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

ISBN 978-3-8319-1014-4 ISBN der Printausgabe 978-3-8319-0521-8

© Ellert & Richter Verlag GmbH, Hamburg 2014 Dieses E-Book entspricht der Printausgabe von 2013 (ohne Bilder und Bildlegenden)

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Redaktion Verlag: Annette Krüger, Hamburg Redaktion Schweriner Volkszeitung: Dirk Buchardt, Jürgen Seidel, Michael

Seidel Gestaltung: BrücknerAping Büro für Gestaltung GbR, Bremen E-Book-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck www.ellert-richter.de

Inhalt

Cover

Titel

Michael Seidel Vorwort

Jürgen Seidel So sprach und spricht man in Mecklenburg-Vorpommern

So spricht Mecklenburg-Vorpommern A–Z

Platt ist wunderbar – Zur Lage des Niederdeutschen in MecklenburgVorpommern

Der Autor

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