Sicherheitsordnung in Europa: Analysen und Perspektiven nach dem Ende der Geschichte [1 ed.] 9783428588800, 9783428188802

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine endete das »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama). Unter dem Eindruck dies

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Sicherheitsordnung in Europa: Analysen und Perspektiven nach dem Ende der Geschichte [1 ed.]
 9783428588800, 9783428188802

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Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 111

Sicherheitsordnung in Europa Analysen und Perspektiven nach dem Ende der Geschichte Herausgegeben von Arnd Uhle Matthias Friehe

Duncker & Humblot · Berlin

ARND UHLE / MATTHIAS FRIEHE (Hrsg.) Sicherheitsordnung in Europa

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 111

Sicherheitsordnung in Europa Analysen und Perspektiven nach dem Ende der Geschichte

Herausgegeben von

Arnd Uhle Matthias Friehe

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-18880-2 (Print) ISBN 978-3-428-58880-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24.  Februar 2022 endete das „Ende der Geschichte“. In diesem bekanntlich bei Francis Fukuyama entlehnten Epochenbegriff verdichtete sich die vom Fall des Eisernen Vorhangs ausgelöste, nahezu grenzenlose Euphorie der unmittelbaren Nachwendezeit. Von der Wiedervereinigung Berlins über die Wiedervereinigung Deutschlands bis hin zur Einigung Europas  – in kürzester Zeit kam es zu grundlegenden, strukturellen politischen Veränderungen, die noch kurz zuvor für undenkbar gehalten worden waren. Francis Fukuyama hatte diese Tragweite der Perestroika-Politik Gorbatschows in der Sowjetunion früher als andere erkannt. Schon 1989, am Vorabend der Friedlichen Revolution, stellte er seine Überlegungen in einem Essay unter den prophetischen  – wenn auch noch mit einem Fragezeichen versehenen  – Titel „The End of History?“1 Mit dem Wissen von heute fällt es leicht, die auf eine dauerhafte Partnerschaft auch mit Russland bezogenen Hoffnungen als von Anfang zum Scheitern verurteilt zu lesen. Selbst eine scheinbare Lichtgestalt wie Michael Gorbatschow muss im Rückblick differenzierter bewertet werden: Einerseits verzichtete er 1989 auf ein Eingreifen in die Proteste in der damaligen DDR und machte den Weg für die deutsche Einheit frei, andererseits befahl er 1991 ein blutiges Eingreifen gegen die litauische Unabhängigkeitserklärung in Vilnius. Noch viel weniger verständlich ist aus heutiger Sicht die Gleichgültigkeit gegenüber dem Zweiten Tschetschenienkrieg (1999–2009). Die Bombardierungen Grosnys hielten den damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse nicht davon ab, den russischen Präsidenten Wladimir Putin in den Deutschen Bundestag einzuladen, wo dieser die Angriffe auf die Zivilbevölkerung als Anti-Terror-Einsätze 1  Francis Fukuyama, The End of History?, The National Interest 16 (1989), S.  3 ff.

6 Vorwort

darstellte  – und Applaus erntete.2 Übrigens verschloss nicht nur die Politik lange die Augen vor der russischen Gewaltpolitik in Osteuropa. Auch in der Wissenschaft finden sich zum Tschetschenienkrieg nur vereinzelt Beiträge.3 Der Georgienkrieg (2008) ließ sich zwar nicht mehr als rein innerrussische Angelegenheit abtun; seine politische Deutung blieb indes ambivalent. Spätestens mit der Krimannexion machte Russland allerdings seine Ambition deutlich, das Ende der Geschichte auch auf der Landkarte zu revidieren. Die russische Lesart schiebt die Verantwortung für die Instabilität der europäischen Sicherheitsordnung freilich dem Westen zu. Als Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Antrittsbesuch in Moskau am 15.  Februar 2022 in letzter Minute einen russischen Angriff abzuwenden versuchte und dazu an Putin appellierte, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg „unsere verdammte Pflicht und Aufgabe als Staats- und Regierungschefs [ist], zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt“, entgegneter dieser kühl: „Aber wir haben doch bereits Krieg in Europa erlebt. Dieser Krieg wurde von der Nato gegen Jugoslawien entfesselt. Das war eine groß angelegte militärische Operation mit Raketen- und Bombenangriffen gegen eine der europäischen Hauptstädte, gegen Belgrad“4  – gemeint sind die NATO-Luftschläge gegen Serbien im Zuge des Kosovokonflikts 1999. Dieser Schlagabtausch steht beispielhaft für ein Muster der russischen Propaganda, die westliche Forderungen, das Völkerrecht zu beachten, mit dem Verweis auf wirkliche oder vermeintliche Völkerrechtsbrüche des Westens zu delegitimieren sucht.5 2  Der Wortlaut der Rede ist abrufbar unter https://www.bundestag.de/ parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 3  Zu diesen wenigen Ausnahmen gehört insbesondere der Beitrag Heiko Sauer/Niklas Wagner, Der Tschetschenien-Konflikt und das Völkerrecht, AVR 45 (2007), S. 53 ff. 4  Eine Mitschrift der Pressekonferenz ist abrufbar unter https://www. bundesregierung.de/breg-de/suche/pressekonferenz-von-bundeskanzlerscholz-und-praesident-putin-zum-besuch-des-bundeskanzlers-in-der-russi schen-foederation-am-15-februar-2022-2005530 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 5  Die völkerrechtliche Zulässigkeit des Kosovo-Einsatzes bleibt umstritten, vgl. zu dieser Diskussion Matthias Herdegen, Völkerrecht, 20. Aufl.

Vorwort7

Zwar sind Putins Vergleiche nicht tragfähig. Weder unterdrücken westliche Staaten im Innern ihre Gegner mittels eines brutalen Polizeiapparats noch haben NATO-Staaten je das Gebiet anderer Staaten annektiert und schon gar nicht missbrauchen sie das Völkerrecht systematisch als bloßes Propagandamittel, ohne überhaupt gewillt zu sein, sich selbst völkerrechtskonform zu halten. Gleichwohl steht die westliche Rechtsgemeinschaft heute vor der Frage, ob das Anliegen, den Menschenrechtsschutz im Völkerrecht zu stärken, etwa durch die Doktrin der responsibility to protect,6 auf Kosten klassischer  – „harter“  – Prinzipien wie Gewaltverbot und Nichteinmischung in innere Angelegenheit gegangen ist und damit zur Destabilisierung der internationalen Sicherheitsordnung beigetragen hat. – Die Themenfindung für die Sektionssitzung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Sektion der Görres-Gesellschaft Anfang 2022 fand vor dem Hintergrund einer medialen Berichterstattung statt, die immer deutlicher auf einen bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine hindeutete. Trotz aller Hoffnung, dass dieser noch abgewendet werden würde, war bald klar, dass der öffentliche Diskurs des Jahres 2022 ganz maßgeblich vom Ukraine-Konflikt geprägt sein würde und sich dabei zahlreiche Fragen an das Völkerrecht ergeben. Die Zusammenstellung der konkreten Vortragsthemen berücksichtigt einerseits die Wucht der Ereignisse seit dem 24.  Fe­ 2021, § 34 Rn. 54; bereits seinerzeit gegen die Zulässigkeit Christian Lange, Zur Frage der Rechtmäßigkeit des NATO-Einsatzes im Kosovo, EuGRZ 1999, S. 313 ff. In seinem Rechtsgutachten zur kosovarischen Unabhängigkeitserklärung ging der IGH nicht näher auf diesen Komplex ein, auch nicht unter dem Aspekt einer „remedial secession“. Der Gerichtshof beschränkte sich auf die Feststellung, dass die Unabhängigkeitserklärung selbst nicht gegen Völkerrecht verstoßen habe, hielt darüber hinausgehende Feststellungen zur Vorgeschichte aber nicht von der vorgelegten Frage umfasst, vgl. ICJ-Rep. 2010, S. 403, Rn. 82. 6  Eingehender Bericht zur Entwicklung bei Charlotte Kreuter-Kirchhof, Völkerrechtliche Schutzverantwortung bei elementaren Menschenrechtsverletzungen, AVR 48 (2010), S. 338 ff.; differenziert zur völkergewohnheitsrechtlichen Akzeptanz Carsten Stahn, Responsibility to Protect: Political Rhetoric or Emerging Legal Norm?, AJIL 101 (2007), S. 99 ff. (118 ff.); abl. zur Rechtfertigung von militärischen Eingriffen ohne Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat Sven Simon, 15 Jahre Responsibility to Protect: Worin liegt die Schutzverantwortung?, AVR 54 (2016), S. 1 ff. (38 f.).

8 Vorwort

bruar 2022, bemüht sich andererseits um einen weiter gespannten Bogen, der sich auch einer kritischen Rückschau auf mögliche Fehler des Westens auf dem Weg in die Eskalation nicht verschließt. Die Beiträge in diesem Sammelband beruhen auf den Vorträgen, welche die Referenten am 23. und 24.  September 2022 auf der Sektionssitzung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Sektion als Teil der Jahresversammlung der Görres-Gesellschaft gehalten haben. Für die Publikation wurden sie im Anschluss an die Tagung überarbeitet und mit Anmerkungen versehen. Der Band  wird eröffnet mit dem Referat von Botschafter Dr. Ernst Reichel, der die Bundesrepublik von 2016 bis 2019 in Kiew diplomatisch vertreten hat. Als sachverständiger Zeuge schildert er die Ereignisse in der Ukraine seit dem Euromaidan. Im Anschluss daran vertieft der Historiker Prof. Dr. Martin Aust aus Bonn in seinem Beitrag die zeitgeschichtliche Perspektive und sucht insbesondere nach Erklärungen für eine längere Fehlwahrnehmung der russischen Politik in der westlichen Öffentlichkeit. Die ehemalige Vizepräsidentin des EGMR, Prof. Dr. Dr. h. c. Angelika Nußberger, beleuchtet in ihrem Beitrag die Entzweiung zwischen Russland und dem Westen in Fragen des Völkerrechts. Dabei geht sie bis zur früheren sowjetischen Völkerrechtsdoktrin zurück. Kritisch beleuchtet sie auch die westliche Staatenpraxis seit 1999, weist dabei aber die Argumentation tu quoque der russischen Propaganda entschieden zurück. Die Völkerrechtlerin Prof. Dr. Noëlle Quénivet aus Bristol befasst sich in ihrem Beitrag mit den verschiedenen stabilisierten De-Facto-Regimen, die auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion entstanden sind. Dabei hinterfragt sie die Voraussetzungen der Staatlichkeit und macht einen differenzierten Vorschlag, unter welchen Umständen stabilisierte De-Facto-Regime als Staaten anerkannt werden sollten. Mit verfahrensrechtlichen Fragen und praktischen Ermittlungsproblemen bei der Ermittlung möglicher Völkerstraftaten befasst sich der Beitrag des Göttinger Völkerstrafrechtlers Prof. Dr. Dr. h. c. Kai Ambos. Dabei wird auch deutlich, dass Sanktionen und Strafmaßnahmen gegen Russland nur von einem Teil  der Staatengemeinschaft mitgetragen werden. Der griechisch-katholische Theologe PD Dr. Andriy Mykhaleyko aus Eichstätt stellt die religiösen Konfliktlinien in der Ukraine dar.

Vorwort9

Der Beitrag erläutert, wie die orthodoxe Prägung auf beiden Seiten – in Russland und in der Ukraine – als Narrativ gebraucht wird, sei es zur Begründung eines vermeintlich gemeinsamen Kulturraums auf der einen Seite bzw. zur Begründung eigener Unabhängigkeit und wechselseitiger Abgrenzung auf der anderen Seite. Als Beitrag im Rahmen des Jungen Forums befasst sich schließlich Philipp Sauter aus Heidelberg mit nuklearen Bedrohungen in der Ukraine. Sein Fokus liegt dabei auf den Gefährdungen für zivile Nuklearanlagen durch Kriegshandlungen. Leider wäre es eine völlig unrealistische Erwartungshaltung, dass sich Wladimir Putin und die aktuelle russische Führung von der Kraft völkerrechtlicher Argumente überzeugen ließen. Trotzdem sind wir von der mittel- und langfristigen Wirkmächtigkeit des Völkerrechts überzeugt. Seine generelle Ordnungsfunktion ist in der Staatengemeinschaft unbestritten und wird in gewisser Weise sogar durch die  – wenn auch substanzlosen  – Rechtfertigungsversuche Russlands belegt. Umso wichtiger ist, dass propagandistischen Verdrehungen immer wieder die Erkenntnisse einer freien Völkerrechtslehre ent­gegengesetzt werden. Wir hoffen, dass die Beiträge in diesem Band dazu einen kleinen Beitrag leisten. Für die tatkräftige organisatorische Unterstützung bei der Durchführung der Tagung danken wir Hannah Wiemer und Greta Herzig, die als Stipendiaten des Cusanuswerks von Seiten des Jungen Forums an der Moderation der Panels beteiligt waren, für die vielfältige Unterstützung bei der redaktionellen Bearbeitung der hier veröffentlichten Abhandlungen Herrn ref. iur. Simon Goralski, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie an der Universität Leipzig. Schließlich gilt unser Dank Dr. Florian Simon, LL.M. für die Aufnahme dieses Bandes in die Reihe der „Wissenschaftlichen Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte“. Leipzig und Wiesbaden, im April 2023 Arnd Uhle und Matthias Friehe

Danksagung Mit der letztjährigen Tagung, deren Beiträge in diesem Band  dokumentiert werden, sind volle zehn Jahre zu Ende gegangen, in ­denen die Rechts- und Staatswissenschaftliche Sektion der GörresGesellschaft von Prof. Dr. Arnd Uhle geleitet wurde. Er hat es vor allem verstanden, das christlich-katholische Profil dieses wissenschaftlichen Forums zu pflegen und zu vertiefen. Die jährlichen Sektionsveranstaltungen unter seiner Leitung reflektieren Themenfelder, in denen die katholische Kirche gesellschaftspolitisch Stellung bezieht – die längst nicht mehr immer dem gesellschaftlichen Mainstream entspricht. Ich denke dabei besonders an den Schutz von Ehe und Familie in ihrem herkömmlichen Verständnis – ein Thema, das gleich mehrere der von Arnd Uhle geleiteten Tagungen in unterschiedlichen Facetten begleitet hat. Ich selbst durfte auf seine Einladung hin 2017 zur regierungsamtlichen Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken sprechen. Auch diese Themensetzung war typisch für die Sektionssitzungen unter Uhles Leitung: Grundsatzfragen für unser demokratisches Gemeinwesen, deren Aktualität er noch „vor der Welle“ erkannte. Dieses Geschick bei der Themenauswahl ist den Verantwortlichen im Bistum Essen genauso wenig entgangen wie sein gewinnender Umgang mit Referenten und Gästen, der die Sektion über die vergangenen Jahre erheblich hat wachsen lassen. So nimmt es nicht Wunder, dass ihn Ruhrbischof Franz Overbeck 2018 mit der Leitung der Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche betraut hat. Die Übernahme dieser neuen Funktion hat Arnd Uhle dazu veranlasst, den Staffelstab in der Görres-Gesellschaft weitergeben. Dabei war es ihm wichtig, die Übergabe wohlgeordnet zu gestalten. So haben Arnd Uhle und ich  – nach einer Corona-bedingten Verzögerung  – die letzten beiden Jahre die Tagung gemeinsam gestaltet, sodass ich in die Leitung der Sektion unter seiner Anleitung hineinwachsen konnte.

12 Danksagung

Im Namen der gesamten Sektion bedanke ich mich bei Arnd Uhle für seine unermüdliche und erfolgreiche Arbeit in zehn Jahren als unser Sektionsleiter. Die in dieser Zeit bei Duncker & Humblot erschienenen Tagungsbänden haben unserer Sektion beachtliche wissenschaftliche Sichtbarkeit verliehen und werden noch viele Jahre in den wissenschaftlichen Diskurs hineinwirken. Wiesbaden, im April 2023

Matthias Friehe

Inhaltsverzeichnis Zwischen Freiheit und Krieg. Der Konflikt um die Ukraine seit den Maidanprotesten 2013/14 Von Botschafter Dr. Ernst Reichel, Athen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Das Ende der Geschichte. Russland und der Westen 1992–2022 in zeitgeschichtlicher Perspektive Von Professor Dr. Martin Aust, Bonn  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Entzweiung im Völkerrecht. Das Ringen um die Deutung des Völkerrechts zwischen Russland und dem Westen 1992–2022 Von Professorin Dr. Dr. h. c. Dr. h. c. Angelika Nußberger, Köln  . . . 51 Territorial Conflicts on the Territory of the Former Soviet Union. Stabilised de facto Regimes between Territorial Integrity, the Right of Self-determination, and the Interests of Third Parties Von Professorin Dr. Noëlle Quénivet, Bristol  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Stumpfes oder schneidiges Schwert der Justitia? Der Beitrag des Völkerstrafrechts zur Durchsetzung völkerrechtlicher Normen Von Professor Dr. Dr. h. c. Kai Ambos, Göttingen  . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Der Ukraine-Krieg als religiöser Konflikt? Die Auseinandersetzung um die Autokephalie der Orthodoxen Kirche in der Ukraine Von Privatdozent Dr. Andriy Mykhaleyko, Eichstätt-Ingolstadt  . . . . . 175 Die nuklearen Gefahren in der Ukraine. Die Antwort des Völkerrechts auf die zerstörerische Wirkung des Atomkerns im Krieg Von Wissenschaftlicher Mitarbeiter Philipp Sauter, Heidelberg  . . . . 201 Autoren und Herausgeber  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Zwischen Freiheit und Krieg Der Konflikt um die Ukraine seit den Maidanprotesten 2013/14 Von Ernst Reichel I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 II. Ausgangspunkt: „Nahes Ausland“ und „Farbrevolutionen“ . . . . . . . . 16 III. Der NATO-Gipfel in Bukarest und der Krieg in Südossetien 2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 IV. Der Euromaidan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 V. Krimannexion und Krieg in der Ostukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 VI. Die Minsker Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 VII. Ukrainische Identitätsstärkung und Primat der Reformpolitik – die Periode 2016–2022 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 VIII. Der umfassende russische Angriff am 24.2.2022 und die „Zeitenwende“ – ein Kommentar in Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

I. Einleitung Mein Beitrag zum Krieg Russlands gegen die Ukraine und dessen Vorgeschichte kommt aus der Perspektive als sachverständiger Zeuge, denn ich war von 2016 bis 2019 Botschafter in der Ukraine. Zuletzt war ich noch einmal für einige Wochen im März 2022, also unmittelbar nach Beginn des umfassenden russischen Kriegs gegen die Ukraine, an der polnisch-ukrainischen Grenze, und habe dort vorübergehend noch einmal die Leitung der evakuierten deutschen Botschaft Kiew übernommen. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass sich der aktuelle Krieg in seiner ganzen Grausamkeit vor diesem Hintergrund für mich plastischer und konkreter darstellt als für die meisten unter Ihnen. Zugleich habe ich insgesamt im Lauf meiner Karriere, direkt oder indirekt, 16 Jahre in Russland und den Nachfolgestaaten der

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Sowjetunion gearbeitet, kenne also nicht nur die ukrainische Perspektive. Einleitend muss ich noch zur Klarstellung betonen, dass dieser Beitrag meine eigenen Ansichten und Bewertungen enthält, die nicht der Bundesregierung zugerechnet werden dürfen. II. Ausgangspunkt: „Nahes Ausland“ und „Farbrevolutionen“ Die seit der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 unabhängige Ukraine befand sich lange im Windschatten der internationalen Politik. Der internationale außenpolitische Diskurs drehte sich zunächst um den „Sieg“ des Westens im Kalten Krieg und das deshalb erwartete „Ende der Geschichte“ in einer sich globalisierenden Welt. Später dann, nach dem 11. September 2001, wurde der internationale Terrorismus als die wichtigste Sicherheitsbedrohung angesehen. In dieser Zeit liegt die Wurzel für den Deutungsstreit zwischen Russland und dem Westen darüber, ob ein Konflikt „um die Ukraine“ vorliegt, bei dem die Ukraine ein bloßes Objekt des Machtkampfs globaler Akteure um „Einflusssphären“ ist  – so die russische Lesart. Oder ob die Ukraine ein vollwertiges politisches Subjekt aus eigenem Recht ist, das sich selbst dagegen zur Wehr setzt, dass Russland seinen Kurs und seine Identität fremd zu bestimmen sucht. In den 1990er Jahren hatte sich in Russland bereits das politische Konzept des „Nahen Auslands“1 verfestigt  – eine Doktrin, wonach die Unabhängigkeit der Nachfolgestaaten der Sowjetunion zwar einerseits anerkannt und respektiert wurde, aber zugleich von Russland der Anspruch erhoben wurde, in fundamentalen Fragen der politischen Orientierung dieser Staaten eine bestimmende Rolle zu spielen. Und zwar unter weitgehendem Ausschluss anderer internationaler Akteure, insbesondere des Westens – und auch dann, wenn die dortige Bevölkerung einen anderen politischen Kurs wünschte. Hierbei 1  Vgl. schon 1995 Olga Alexandrowa, Russland und sein „nahes Ausland“: Integrationsvorstellungen und Ansätze der russischen Integrationspoli­ tik, abrufbar unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-41793 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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kam es Russland entgegen, wenn in den Staaten des „nahen Auslands“ illiberale und autokratische, nur der äußeren Form, aber nicht dem Wesen nach, demokratische Regierungen existierten. Die in der Sowjetunion entstandene massive wirtschaftliche Interdependenz, unter anderem auch in der Energieversorgung, war ein weiterer entscheidender Faktor der informellen Kontrolle durch Russland. Vor diesem Hintergrund fanden in der Ukraine im Herbst 2004 Präsidentschaftswahlen statt. Der pro-westliche Kandidat Wiktor Juschtschenko wurde im Wahlkampf mit hochreinem Dioxin lebensgefährlich vergiftet und entstellt  – wobei ungeklärt bleibt, ob ein ukrainischer Akteur oder Russland den Auftrag gab2. Nach der Stichwahl wurde dann mit hauchdünnem Vorsprung sein zu Russland tendierender Rivale Wiktor Janukowitsch zum Sieger erklärt, wobei die Wahlbeobachter der OSZE und die Mehrheit der Ukrainer von Wahlfälschung ausgingen. Dies löste wochenlange friedliche Massendemonstrationen aus. Die Wiederholung der Stichwahl gewann dann der vergiftete Juschtschenko mit großer Mehrheit. Dieser historische Moment wurde international unter dem Namen „Orangene Revolution“3 bekannt, da orange die Kampagnenfarbe Juschtschenkos war. Sie war der bedeutendste Fall der sogenannten „Farbrevolutionen“, die sich außerdem in Georgien und Kirgistan abspielten. Russland verbreitet bis heute vehement das Narrativ, diese seien vom Westen inszeniert und finanziert worden. Der Begriff „Farbenrevolution“ ist für die Machthaber in Russland zu einem Etikett geworden, das Protestbewegungen aus der Bevölkerung angeheftet wird. Die schlimmste Vorstellung ist dabei natürlich, dass es eine solche Farbenrevolution einmal in Russland selbst geben könnte. Eine bittere Ironie der „Orangenen Revolution“ war in den folgenden Jahren, dass sich die maßgebenden demokratisch gesinnten Politiker so sehr bekämpften und diskreditierten, dass 2010 dann doch – 2  Frankfurter Allgemeine Zeitung, Vergiftung Juschtschenkos  – Spuren von Kiew nach Moskau, v.11.09.2007, abrufbar unter https://www.faz.net/ aktuell/politik/ausland/vergiftung-juschtschenkos-spuren-von-kiew-nachmoskau-1462803.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 3  Vgl. hierzu ausführlich Andreas Kappeler, Kleine Geschichte der Ukrai­ ne, 4. Aufl. 2014, S. 282 ff.

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und zwar ohne Fälschung  – Wiktor Janukowitsch zum Präsidenten gewählt wurde. III. Der NATO-Gipfel in Bukarest und der Krieg in Südossetien 2008 Ich springe jetzt ins Jahr 2008, zum NATO-Gipfel in Bukarest. Er spielt eine wesentliche Rolle im russischen Narrativ, wonach der Westen die Ukraine „in die NATO hineinzwingt“, was Russland nicht zulassen könne. Der Gipfel war unter anderem geprägt von einem scharfen bündnisinternen Streit darüber, ob der Ukraine und Georgien der Eintritt in den sog. Membership Action Plan gewährt werden sollte. Dieser begründet in der politischen Wirklichkeit eine Art Anwartschaft auf einen späteren Beitritt zur NATO. Die USA, damals unter Präsident George W. Bush, war der vehemente Fürsprecher beider Länder, ebenso wie die Staaten Ostmitteleuropas. Deutschland und Frankreich dagegen sprachen sich entschieden gegen den Schritt aus: Russland hatte bereits damals signalisiert, dass ein NATO-Beitritt  – nicht aber ein EU-Beitritt!  – beider Länder eine „rote Linie“ darstelle. Da in der NATO Einstimmigkeit erforderlich ist, wurde im Ergebnis der Membership Action Plan nicht gewährt. Das Kommuniqué des Gipfels enthält einen Formelkompromiss, der den Dissens überdeckt: Einerseits heißt es dort ohne Zeitangabe, dass beide Länder „Mitglieder sein werden“. Andererseits wird aber der Membership Action Plan, ein notwendiger erster Schritt in diese Richtung, gerade nicht gewährt.4 Da die Auseinandersetzung in der NATO um die Streitfrage so scharf und unergiebig gewesen war, wurde das Thema seither nie wieder aufgegriffen. Das russische Narrativ, die Ukraine und Georgien würden „in die NATO gezwungen“, ist deshalb nachweislich falsch. Tatsächlich haben beide Länder auch seit 2008 keine substanziellen Fortschritte in ihrem Streben nach NATO-Mitgliedschaft gemacht. 4  Presseerklärung der Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten auf dem Bukarester Gipfel, v. 3.4.2008, abrufbar unter https://www.nato.int/ cps/en/natolive/officialtexts8443.htm (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Bald darauf, im August 2008, kam es dann, ausgelöst durch Spannungen um das separatistische Gebiet Südossetien in Georgien, zu einer russischen Invasion bis ins georgische Kernland. Sie konnte nach fünf Tagen und nach einer georgischen militärischen Niederlage auf französische Vermittlung beendet werden. Georgien hatte nach allerlei Provokationen einen Versuch unternommen, Südosse­tien zurückzuerobern  – andererseits wirkte die prompte russische Invasion gut vorbereitet. Ob die zeitliche Abfolge von Bukarester NATOGipfel und Südossetien-Krieg auf einen kausalen Zusammenhang hindeutet, ist umstritten. In Georgien und in der Ukraine, aber auch in vielen NATO-Staaten wird rückblickend argumentiert, der abgelehnte Schutz durch die NATO-Beistandsverpflichtung  – bis zum heutigen Tag  – sei eine Ermunterung Russlands zu militärischer Aggression. Andere argumentieren, allein schon der Bukarester Satz, wonach Georgien und die Ukraine NATO-Mitglieder sein würden, sei eine Provokation Russlands gewesen. Auch die Hypothese, dass eine Gewährung des Membership Action Plan schon 2008 eine groß angelegte russische Aggression in der Ukraine ausgelöst hätte, ist möglich. Denn vor dem völkerrechtlich wirksamen Beitritt, der eine parlamentarische Ratifizierung in allen NATO-Mitgliedsstaaten voraussetzt, besteht keine Beistandsverpflichtung der NATO. IV. Der Euromaidan Dies führt mich zum Euromaidan in den Jahren 2013 und 2014. Auslöser der Massenproteste in Kiew war die Entscheidung von Präsident Janukowitsch, das, seit sieben Jahren verhandelte und unterschriftsreife, Assoziierungsabkommen mit der EU in letzter Minute doch nicht zu unterzeichnen. Janukowitsch brach damit ein zentrales Wahlversprechen, nachdem Russland angedroht hatte, die Ukraine vom Handel in der GUS-Zollunion auszuschließen, was nach Darstellung der damaligen ukrainischen Regierung katastrophale wirtschaftliche Folgen gehabt hätte. In der Spitze versammelten sich auf dem Maidan-Platz ca. eine Million Menschen bei Temperaturen deutlich unter null Grad. Ab dem 18. Februar 2014 kam es zu einer gewaltsamen Eskalation, nachdem Scharfschützen die Demonstranten von den umliegenden Dächern unter Feuer genommen hatten.

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Mehr als hundert Demonstranten, die sogenannte Himmlische Hundertschaft, kamen dabei ums Leben. Als die Gewalt Überhand zu nehmen drohte, vermittelten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens am 21.  Februar 2014 unter Beteiligung eines Vertreters Russlands ein Abkommen zur Beendigung der Auseinandersetzungen. Der russische Vertreter lehnte es allerdings ab, ebenfalls zu unterschreiben. Das Abkommen sah nach Ablauf einer Übergangsfrist vorgezogene Präsidentschaftswahlen vor, so dass ein Ende der Regierungszeit von Janukowitsch absehbar war. Deshalb wandten sich Polizei- und Armeekräfte, die ihn bisher verteidigt hatten, von ihm ab. Am folgenden Tag kündigte Janukowitsch das Abkommen auf und floh per Hubschrauber nach Russland, wo er bis heute lebt. Das Parlament, in dem eigentlich die Unterstützer Janukowitschs die Mehrheit hatten, erklärte ihn für abgesetzt. Unter einer Übergangsregierung fanden Neuwahlen statt. Der neu gewählte Präsident Petro Poroschenko unterzeichnete das EU-Assoziierungsabkommen. Dass der russische Vertreter das Abkommen vom 21. Februar 2014 nicht mitunterzeichnete, ist deshalb besonders bemerkenswert, weil Russland gleichwohl bis heute klagt, das Abkommen sei gebrochen worden, und es habe sich beim Machtwechsel deshalb um einen verfassungswidrigen Putsch gehandelt. V. Krimannexion und Krieg in der Ostukraine Nach Putins eigener Darstellung ordnete er bereits am folgenden Tag, also dem 22.  Februar 2014, Vorbereitungen zur „Rückholung der Krim“ an.5 In den nächsten Tagen umstellten von Russland organisierte Demonstranten und Soldaten in Uniformen ohne Hoheitszeichen, die sogenannten „kleinen grünen Männchen“, ukrainische Kasernen auf der Krim. Dort war bereits auf völkervertraglicher Grundlage die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Das russische 5  Tagesspiegel, Krim Wladimir Putin plante Annexion langfristig  – und gibt es zu, v. 09.03.2015, abrufbar unter https://www.tagesspiegel.de/politik/ wladimir-putin-plante-annexion-langfristig-und-gibt-es-zu-8130991.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Militär besetzte strategisch wichtige Gebäude und Einrichtungen. Bewaffnete Uniformierte drangen in das Parlamentsgebäude der Krim ein, wovon es eindrucksvolles Bildmaterial von Überwachungskameras gibt. Die Regierung der Krim wurde für abgesetzt erklärt, und das Parlament sprach sich bereits am 6.  März 2014, also rund vierzehn Tage nach dem Machtwechsel in Kiew, unter vorgehaltener Waffe für den Anschluss der Krim an Russland aus. Bereits am 16. März, abermals nur zehn Tage später, wurde ein sogenanntes Referendum über die Zugehörigkeit der Krim organisiert, wobei internationale Beobachter ausgeschlossen waren. Nach amtlichen russischen Angaben stimmten erstaunliche 96,77 % für einen Beitritt zu Russland, bei einer Wahlbeteiligung von 83,1 %. Russland behauptete, mit all diesen Vorgängen nichts zu tun zu haben; das „Volk der Krim“ übe lediglich sein Selbstbestimmungsrecht aus. In einem späteren Interview war es allerdings Putin selbst, der mit Stolz erklärte, das russische Militär habe selbstverständlich wesentliche Unterstützung geleistet.6 Zwei Tage nach dem Referendum, am 18. März 2014, wurde in einer prunkvollen Zeremonie im Kreml der Beitrittsvertrag unterzeichnet. Die Krimannexion verschaffte Putin in den Meinungsumfragen einen gewaltigen Sprung nach oben. Es liegt nach dieser Schilderung auf der Hand, dass sich auf der Krim nicht spontaner Volkszorn über die Ablösung von Janukowitsch ausdrückte, sondern ein sorgfältig vorbereitetes Drehbuch für die staatsstreichartige Aneignung der Krim umgesetzt wurde. Ein ähn­ liches Drehbuch lief, um einige Tage versetzt, in der Ostukraine ab, insbesondere im von Schwerindustrie geprägten sogenannten Donbass.7 Wie auf der Krim waren hier russischsprachige, mehrheitlich Janukowitsch wählende Menschen zu Hause. Aber einen in irgendeiner Form relevanten Separatismus oder den politischen Wunsch, die Ukraine zu verlassen, hatte es nicht gegeben. Nun aber tauchten plötzlich irreguläre Bewaffnete auf, die handstreichartig Verwaltungsgebäude und andere wichtige Punkte besetzten. Dies war im Donbass, 6 

Ebd. Hierzu und zum Folgenden Sabine Fischer, Der Donbas-Konflikt, SWP-Studie 2019, abrufbar unter https://www.swp-berlin.org/publikation/ donbas-konflikt-schwieriger-friedensprozess (zuletzt abgerufen am 15.05. 2023). 7 

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in Städten wie Donezk, Luhansk, Kramatorsk und Slowjansk erfolgreich, nicht dagegen weiter westlich in Großstädten wie Charkiw, Dnipropetrowsk, Saporischja oder Mariupol. Die Auseinandersetzungen in den verschiedenen Städten dauerten mehrere Wochen an. Wo die Bewaffneten die Macht konsolidieren konnten, hing vornehmlich von der Intensität lokalen Widerstands ab, manchmal auch von Zufällen. In Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk, wo sie erfolgreich die Macht an sich gerissen hatten, riefen die Aufständischen sogenannte Volksrepubliken aus. Die Interimsregierung in Kiew setzte die ukrainischen Streitkräfte ein. Diese waren nach und nach erfolgreich und eroberten beispielsweise Slowjansk zurück, auch mit Unterstützung von privat finanzierten ukrainischen Freiwilligenverbänden. Die Seite der Aufständischen verfügte dabei zunehmend über schwere und komplexe Waffensysteme aus moderner russischer Produktion. Gleichwohl standen die von Russland geführten und unterstützten Aufständischem am Rand einer Niederlage, als im August 2014 reguläre russische Truppen direkt und aktiv in das Kampfgeschehen eingriffen. Sie fügten der ukrainischen Armee in der Schlacht von Ilowajsk eine schwere und verlustreiche Niederlage zu. In diese Phase fiel auch der Abschuss der malaysischen Boeing MH-17 mit 298 Todesopfern am 17.  Juli 2014. Trotz zahlreicher Falschbehauptungen von russischer Seite ist durch ein internationales Untersuchungsteam nachgewiesen, dass der Abschuss durch ein BukLuftabwehrgeschütz aus den Beständen der russischen Streitkräfte erfolgte. Dieses war kurz zuvor aus Russland ins Kampfgebiet gebracht worden und kehrte kurz danach wieder dorthin zurück.8 Der Abschuss wird derzeit von einem niederländischen Gericht strafrechtlich aufgearbeitet.9

8  Deniz Aykanat/Markus C. Schulte vom Drach, Süddeutsche Zeitung, Das sind die Beweise der Ermittler im Fall MH17, v. 28.09.2016, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-das-sind-die-beweiseder-ermittler-im-fall-mh17-1.3183116 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 9  Reuters, Dutch court to announce ruling in MH17 murder trial on Nov. 17, v. 15.08.2022, abrufbar unter https://www.reuters.com/world/ europe/dutch-court-announce-ruling-mh17-murder-trial-nov-17-202208-15/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Auch hier ein Verweis auf die russischen Rechtfertigungsnarrative für die von Russland unterstützte und kontrollierte Machtübernahme Bewaffneter in Teilen des Donbass: Nach russischer Lesart handelte es sich um einen spontanen Volksaufstand der Menschen in der Ost­ ukraine gegen die Ergebnisse das Maidan, die als faschistischer Putsch bezeichnet wurden. Die mehrheitlich russischsprachigen Menschen in der Ostukraine hätten sich gegen fundamentale Verletzungen ihrer Menschenrechte gewehrt, insbesondere gegen die Unterdrückung der russischen Sprache zugunsten des Ukrainischen. Richtig daran ist, dass die Sprachenfrage in der ukrainischen Geschichte über lange Strecken politisch gewesen ist und eng mit der Frage nach der Existenz einer eigenständigen ukrainischen Nation zusammenhängt. Bis zur staatlichen Unabhängigkeit der Ukraine 1991 gab es jedoch lange Phasen, in denen der Gebrauch des Ukrainischen unterdrückt wurde.10 Unmittelbar nach dem Maidan gab es dann in der Tat politische Vorstöße, ein Sprachengesetz von 2012 abzuschaffen, das dem Russischen den Status einer Regionalsprache zuerkannte. Dies löste aber in der gesamten Ukraine, nicht nur im Osten, eine Welle der Kritik aus. Der Plan der Aufhebung des Sprachengesetzes wurde vorläufig aufgegeben.11 Erst 2019 wurde ein neues Sprachengesetz verabschiedet. Das neue Gesetz sah einen Übergang zum Ukrainischen im amtlichen Verkehr und schrittweise in den Medien vor.12 Daraus folgt: Bei Ausbruch der Kämpfe in der Ostukraine im Jahr 2014 gab es allenfalls eine politische Debatte zur Sprachenpolitik, aber das den amtlichen Gebrauch des Russischen schützende Gesetz von 2012 galt fort. Von einer Diskriminierung oder Verdrängung des Russischen konnte keine Rede sein.

Kappeler, Kleine Geschichte (Anm. 3), S. 132 ff., 236 ff. Volodymyr Kulyk, Einheit und Identität  – Sprachenpolitik nach dem Majdan, Osteuropa 2014, S. 227 ff. 12  Ukraine Crisis Media Center, Was ändert sich mit dem neuen Sprachengesetz in der Ukraine?, v. 26.04.2019, abrufbar unter https://uacrisis. org/de/71737-will-new-language-law-change (zuletzt abgerufen am 15.05. 2023). 10  11 

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VI. Die Minsker Vereinbarungen Wie geschildert waren die ukrainischen Truppen durch die Niederlage in Ilowajsk bedrohlich in der Defensive. In dieser Situation gelang es der OSZE, am 12.  September in Minsk eine Vereinbarung über einen sofortigen Waffenstillstand zu vermitteln (Minsk I). Die Einhaltung der Waffenruhe sollte durch die OSZE beobachtet werden. Die besetzten Gebiete sollten aufgrund eines ukrainischen Gesetzes innerhalb der Ukraine einen Sonderstatus im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung erhalten. Die Verbände der Aufständischen und ihre schweren Waffen sollten abgezogen werden.13 Doch bereits am 28.9.2014 flammten die Kämpfe auf dem Gebiet des Flughafens Donezk wieder auf, weil die Aufständischen versuchten, ihn einzunehmen. Am 12.2.2015 fand auf Initiative von Deutschland und Frankreich im sogenannten Normandie-Format ein erneutes Treffen in Minsk auf Ebene der Staats- und Regierungschefs statt, dass in ein detaillierteres, verbindlicheres Maßnahmenpaket zur Umsetzung des Protokolls vom September 2014 mündete (Minsk II). Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterstützte und begrüßte die Vereinbarung.14 Der Waffenstillstand mit einem Einfrieren der Frontlinie sollte am 15.2.2015 beginnen. Gleichwohl kesselten russische Truppen am 17.2. die ukrainischen Truppen beim strategisch wichtigen Knotenpunkt Debalzewe nahezu ein, so dass diese unter hohen Verlusten fluchtartig ihre Stellungen räumen mussten. Erst danach kehrte ein labiler Waffenstillstand ein, mit zahlreichen kleineren Waffenstillstandsverletzungen, aber ohne nennenswerte Truppenbewegungen. Beide Seiten begannen, sich in diesem Zustand einzurichten, während im Laufe der Jahre die diplomatischen Bemühungen um eine tatsächliche Umsetzung der enthaltenen Regelungen allmählich versandeten. Für die Nichtanwendung wichtiger Teile gab es mehrere sachliche Gründe, die in Unklarheiten des Vereinbarten begründet lagen. Diese Unklarheiten stellten aber kein Versagen der Verhandler dar, wie das 13  Deutsche Übersetzung des Protokolls unter Die Welt, Das Minsker OSZE-Protokoll für eine Feuerpause, v. 7.9.2014, abrufbar unter https:// www.welt.de/131986171 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 14  UN-Sicherheitsrat Resolution 2202 (2015), v. 17.02.2015.



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oft laienhaft dargestellt wird, sondern überdeckten unlösbare Streitpunkte, die sonst die Vereinbarung insgesamt unmöglich gemacht hätten. Ein wichtiger Streitpunkt lag bereits im Status der Unterzeichner: Die Vereinbarung wurde durch die sog. Trilaterale Kontaktgruppe geschlossen, die sich aus der OSZE, Ukraine und Russland zusammensetzte. Allerdings bezeichnete sich Russland konsequent, entgegen den Fakten, nicht als Konfliktpartei, sondern als Vermittler. Dies war Folge des wahrheitswidrigen russischen Narrativs, wonach es sich um einen rein innerukrainischen Konflikt handelte. Die andere Konsequenz dieses Narrativs war, dass Russland fortlaufend forderte, die Führer der sog. Volksrepubliken Donezk und Luhansk zu vollwertigen Verhandlungspartnern Kiews zu machen. Ein weiterer Streitpunkt war, dass Russland das Ziel verfolgte, den vereinbarten Sonderstatus des besetzten Donbass verfassungsmäßig so auszugestalten, dass diesem, und somit in Wahrheit Russland, de facto eine Blockademacht auf nationaler ukrainischer Ebene zuwuchs. Die ukrainische Seite dagegen bestand darauf, dass es nur um kommunale Selbstverwaltung gehen könne, ohne konkrete Auswirkungen auf gesamtstaatliche Beschlüsse. Schließlich erwies sich eine Einigung über die Abfolge bestimmter vorgesehener Schritte als unmöglich. Die Ukraine verlangte zum Beispiel, dass Kommunalwahlen im Donbass erst stattfinden sollten, nachdem die fremden Truppen vom ukrainischen Staatsgebiet abgezogen wären und die Ukraine die volle Kontrolle über ihre Staatsgrenze zu Russland zurückerlangt hätte. Denn nur unter solchen Bedingungen könnten die Kommunalwahlen frei und fair stattfinden. Das war zwar plausibel, Russland dagegen konnte aber auf Ziffer 9 des Maßnahmenpakets verweisen, wonach die ukrainische Kontrolle über die Staatsgrenze erst nach den Wahlen allmählich wiederhergestellt werden sollte. Insgesamt ist hierzu meine Schlussfolgerung: Die Minsker Vereinbarungen hatten große Verdienste, denn sie beendeten die massive Kriegführung der Jahre 2014/2015 für mehrere Jahre und schufen einen Raum für Diplomatie. Jedoch wurde schon 2018/2019 sehr deutlich: Russland war nie wirklich an einer Lösung des Konflikts durch eine Anwendung des Minsker Maßnahmenpakets interessiert,

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sondern wollte diesen – wie zahlreiche andere Konflikte im postsowjetischen Raum  – als Instrument zur Druckausübung am Schwelen halten. Auf der ukrainischen Seite wiederum trat zunehmende Ernüchterung über die Minsker Abkommen ein: einerseits, weil eine Lösung nicht vorankam, andererseits, weil die enthaltenen Regelungen als unter massivem militärischem Druck zu Stande gekommen, unfair und nicht implementierbar angesehen wurden. Das ukrainische Bekenntnis zum Vereinbarten wurde immer mehr deklaratorisch, und immer weniger praktisch. Dennoch hätte der Zustand der Teilimplementierung, den die Minsker Vereinbarungen geschaffen hatten, ein dauerhaftes Proviso­ rium bilden können. Als Putin am 22.2.2022 die Minsker Vereinbarungen für hinfällig erklärte und die beiden „Volksrepubliken“ völkerrechtlich anerkannte, war dies ein mutwilliger Akt als Auftakt für die umfassende Invasion zwei Tage später. Es war durch keinerlei vorangegangene Entwicklung in der Ostukraine veranlasst. VII. Ukrainische Identitätsstärkung und Primat der Reformpolitik – die Periode 2016–2022 Die russische Aggression von 2014, und nicht erst jene von 2022, war für die ukrainische Gesellschaft eine Zeitenwende, mit erst nach und nach spürbaren Konsequenzen. Trotz staatlicher Unabhängigkeit hatten zuvor die meisten Ukrainer ein unkompliziertes Näheverhältnis zu Russland. Es war von der gemeinsamen sowjetischen Vergangenheit und zahlreichen engen persönlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen geprägt. Umso stärker der Schock, als man erkennen musste, dass Russland gegen das vermeintliche „Brudervolk“ Krieg führte, unter Vorwänden und Diffamierungen der Ukrainer. Durch das Land ging eine Welle des Patriotismus gegen Russland, viele junge Männer aus allen Landesteilen gingen als Freiwillige an die Front, mit improvisierter Ausrüstung und ohne militärische Ausbildung. Sie hatten wesentlichen Anteil daran, dass die damals desolate ukrainische Gegenwehr nicht zusammenbrach. Wehrhaftigkeit gegen Russland wurde ukrainische Staatsräson. Wohlgemerkt waren unter den ukrainischen Kämpfern viele Russischsprachige und Ukrai­ ner aus den östlichen Landesteilen. Es war ziviler örtlicher Wider-



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stand, der die von Russland in Marsch gesetzten Aufständischen in russischsprachigen Städten wie Charkiw, Dnipropetrowsk oder Saporischja mit ihrem Versuch einer Machtübernahme im Handstreich scheitern ließ. Der ukrainische Mainstream war nun gegen Russland  – und für die Westorientierung der Ukraine. Das Ziel der EUMitgliedschaft wurde sehr populär. Auch das Ziel einer NATO-Mitgliedschaft, ob realistisch oder nicht, fand immer mehr Unterstützer. 2019 wurde das Ziel der NATO-Mitgliedschaft sogar durch das Parlament in der Verfassung verankert. Mit der relativen Beruhigung der Lage im Osten verlagerte sich die politische Aufmerksamkeit zunehmend auf die Problematik innerer Reformen in der Ukraine. Sie waren und sind für einen Staat und eine Gesellschaft, die mit der EU kompatibel sein will, unabdingbar. Während sich Präsident Poroschenko und die politisch-wirtschaft­ liche Elite des Landes deklaratorisch hierzu bekannten, trafen konkrete Reformen auf hinhaltenden, verdeckten Widerstand aus derselben Elite. Das hauptsächliche Entwicklungshindernis war und ist die Korruption im Großmaßstab, die es Oligarchen und jenen, die an Schlüsselstellen des Staats sitzen, ermöglicht, Exekutive, Legislative und Rechtsprechung nach den eigenen Interessen zu manipulieren. Bei diesen Interessen steht an erster Stelle die massive Selbstbereicherung, sowie das Interesse, für illegale Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es liegt auf der Hand, dass Personen oder Gruppen mit solchen Interessen nichts daran liegt, einen effektiven Staat mit integren Institutionen zu schaffen, dessen Recht klar ist und auf alle Anwendung findet. Die Fälle, in denen dieses Ziel in Regierung, Parlament und Gerichten wirksam hintertrieben wurde, sind zahlreich. Auf der anderen Seite stand und steht eine sehr lebendige ukrainische Zivilgesellschaft, welche die Unterstützung vor allem der gebildeten, jungen, städtischen Bevölkerung genießt und erheblichen Druck zu erzeugen versteht. Ich muss hier der Fairness halber allerdings einen wichtigen Dis­ claimer setzen: Diese sehr holzschnittartige Beschreibung verdeckt, dass es natürlich unter den „Oligarchen“ und unter den Angehörigen der politischen Elite in der Ukraine durchaus sehr unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Moralvorstellungen und politischen Zielen gab und gibt. Bei weitem nicht alle beteiligten sich an

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den Versuchen, die Modernisierung des Landes und die Korruptionsbekämpfung zu hintertreiben. Vielmehr gab es einen meist verdeckt geführten, internen Kampf von Reformbefürwortern und Reformgegnern, wobei oft schwer festzustellen war, wer in welches Lager gehörte. Dennoch: Der Überdruss der Bevölkerung mit der politischen Elite war so groß, dass Präsident Poroschenko seinem Herausforderer, dem politisch völlig unerfahrenen Fernsehkomiker Wolodymyr Selensky, 2019 haushoch unterlag. Selensky hatte in einer Fernseh­serie einen Jedermann gespielt, der durch eine Verkettung von Zufällen Präsident wird. Er wurde als Politikneuling mit 73 % der Stimmen tatsächlich zum Präsidenten gewählt. Seine frisch gegründete Partei „Diener des Volkes“, benannt nach der Fernsehserie und besetzt mit hastig rekrutierten politischen Laien, gewann ohne Mühe die absolute Mehrheit im Parlament. Bemerkenswert ist dabei auch, dass Poroschenko im Wahlkampf versucht hatte, Selensky seine außenpolitische Unerfahrenheit vorzuhalten. Nur er, Poroschenko, könne Putin die Stirn bieten, Selensky werde die ukrainischen Interessen nicht energisch genug vertreten. Selensky andererseits, russischsprachiger Jude, sprach allgemein davon, er wolle mit Russland den Dialog führen und sich wenn möglich verständigen. Putin lehnte es nach Selenskys Wahl aber wiederholt ab, diesen zu treffen. Am 24. Februar 2022 kam es dann, wie wir wissen, zur russischen Großoffensive gegen die Ukraine. Ihr war ein über Monate währender Aufmarsch russischer Truppen an den Grenzen der Ukraine vorausgegangen. Während dieses Aufmarschs, der zum Teil als Manöver getarnt war, bestritt die russische Regierung öffentlich und hinter verschlossenen Türen vehement, dass ein Angriff geplant sei. Derartige Warnungen seitens der Regierungen der USA und westlicher Staaten, auch Deutschlands, seien bloß Ausdruck von „antirussischer Hysterie“ und „Russophobie“. Nur wenige Tage später erwies sich die Phobie als allzu berechtigt. VIII. Der umfassende russische Angriff am 24.2.2022 und die „Zeitenwende“ – ein Kommentar in Ansätzen Ausgehend von diesem Abriss der jüngeren ukrainischen Geschichte – bei dem natürlich Russland eine prominente Rolle spielt – möch-



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te ich abschließend zu einem Kommentar zum andauernden Krieg und den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen übergehen. Klar ist nach dem bisher Gesagten: Der umfassende russische Angriff am 24.  Februar 2022 war nicht etwa der Beginn eines Kriegs, sondern der Eintritt des bereits seit 2014 bestehenden Kriegs in eine weitaus dramatischere, existenzielle Phase. Die Ereignisse seit dem 24. Februar sind so frisch, dass ich sie hier nicht nachzeichnen muss – sie sind sicherlich bekannt. Die Reformauseinandersetzung, die ich eben kurz skizziert habe, ist seither praktisch vollständig in den Hintergrund getreten. Ob sich nach einem Ende des Kriegs ein neues Staatsethos durchsetzt, der die Reformwiderstände leichter überwindbar macht, wird man abwarten müssen. Präsident Selensky hat jedenfalls als „Kriegspräsident“ eine neue, weithin überzeugende Rolle eingenommen. Die neue Phase der russischen Kriegführung in der Ukraine hat auch neue russische Erklärungsmuster hervorgebracht. So wurde die schon zuvor unglaubwürdige Vorspiegelung aufgegeben, Russland sei keine Kriegspartei, weil ein innerukrainischer Konflikt vorliege. Dass Russland nun offen angegriffen hat und das nicht mehr in Abrede stellt, führt noch einmal klar vor Augen, dass die vorherigen russischen Beteuerungen des Gegenteils reine Schutzbehauptungen waren. Umso bizarrer ist es vor diesem Hintergrund, dass Russland darauf besteht, es handle sich nicht um einen Krieg, sondern nur um eine „militärische Spezialoperation“, und die Verwendung anderer Begriffe mit mehrjährigen Haftstrafen bedroht. Manche anderen Topoi hergebrachter russischer Propaganda werden weiterverwendet. So zum Beispiel die Behauptung, die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine müsse gegen die Ukraine geschützt und verteidigt werden. Putin verstieg sich sogar dazu, gegenüber Bundeskanzler Scholz von einem ukrainischen „Genozid“ im Donbass zu sprechen.15 Dies ist natürlich abwegig, denn zum Zeitpunkt der Äußerung, aber auch vorher und nachher gab es unter der 15  Ulrich Krökel, Frankfurter Rundschau, Ukraine-Konflikt: Völkermord im Donbass?, v. 03.03.2022, abrufbar unter https://www.fr.de/politik/ ukraine-krise-konflikt-russland-putin-genozid-voelkermord-donbassfaktencheck-91361283.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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Zivilbevölkerung in den „Volksrepubliken“ keine oder praktisch keine Todesopfer – ganz anders als unter der sonstigen ukrainischen Bevölkerung. Weitergeführt wird auch die russische Behauptung, die NATO „umzingele“ Russland. Der Angriff auf die Ukraine sei gleichsam eine verspätete, aber gleichzeitig präventive Abwehr gegen die NATO gewesen, die immer näher an die russischen Grenzen herangerückt sei. Dies ist eine Behauptung, die auch in Deutschland einige Anhänger findet. Ebenso wie die ebenfalls geläufige Behauptung, der „Westen“ habe Russland im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands versprochen, keine ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts aufzunehmen, und diese Zusage gebrochen.16 Ohne in die Diskussion um angebliche einzelne Äußerungen, Gesprächsvermerke und Ähnliches einsteigen zu wollen, lässt sich festhalten: Eine schriftliche Vereinbarung, Staaten östlich von Deutschland nicht in die NATO aufzunehmen, hat es nie gegeben. Dies wird auch von Russland nicht bestritten. Eine mündliche, verbindliche Zusage wäre aber ebenfalls widersinnig gewesen, weil der Warschauer Pakt beim Abschluss des Zwei-Plus-VierVertrags im September 1990 noch bestand – dies hat auch der damalige Präsident Gorbatschow später eingeräumt. Was dagegen schriftlich vorliegt, sind wiederholte Bekräftigungen des Rechts auf freie Bündniswahl durch Russland, und zwar ohne „Ausnahmen“ unter anderem für die Ukraine, so zum Beispiel in der Charta von Paris der OSZE von 1990 und in der NATO-Russland-Grundakte von 1997. Hinzu kommen russische Garantien der Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen, wie z. B. im Budapester Memorandum von 199417 und im russisch-ukrainischen Freundschaftsvertrag von 199718.19 Das 16  Eingehender dazu: Hannes Adomeit, NATO-Osterweiterung: Gab es westliche Garantien? Arbeitspapier Sicherheitspolitik 3/2018, abrufbar unter https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2018/nato-osterweiterunggab-es-westliche-garantien (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 17  Memorandum on security assurances in connection with Ukraine’s accession to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, v. 5.12.1994, 3007 UNTS 167. 18  Treaty on Friendship, Cooperation and Partnership between Ukraine and the Russian Federation, v. 31.05.1997, 3007 UNTS 117.



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Budapester Memorandum ist deshalb von besonderem Interesse, weil mit ihm die Ukraine im Gegenzug für Sicherheitsgarantien die sowjetischen Atomwaffen auf seinem Territorium abgab. Zu den Garantiemächten dieses Abkommens gehörten neben Russland die USA und das Vereinigte Königreich. Allerdings ist es kein vollwertiger völkerrechtlicher Vertrag, sondern eine politische Erklärung, die insoweit bereits bestehende Verpflichtungen bekräftigte.20 Diese russischen Erklärungsfragmente sind disparat und weisen keine Kohärenz auf. Was hat zum Beispiel der Nazismus-Vorwurf gegen die Ukraine mit den russischen Klagen über die NATO zu tun? Inwieweit ist es für die Sprachenrechte der Bewohner des Donbass von Bedeutung, ob bei NATO-Beitritten vor knapp 20 Jahren angeblich westliche Versprechen gebrochen wurden? Bei alledem drängt sich die Frage auf: Was will Russland wirklich? Das verlautbarte Kriegsziel der „Denazifizierung“ und der „Demilitarisierung“ der Ukraine kann man wohl getrost mit den Begriffen „Einsetzung einer Marionettenregierung“ und „Unterwerfung“ übersetzen. Sicherlich gab und gibt es in der Ukraine Rechtsextremismus, wie in ganz Europa. Im Unterschied zu so manchen europäischen Staaten ist jedoch keine rechtsextreme oder rechtspopulistische Partei im ukrainischen Parlament vertreten. Die noch plausibelste Antwort auf die russischen Motive und Ziele gibt nach meiner Überzeugung Putin selbst: Ein halbes Jahr vor der Invasion legte er in einem Artikel, der in russischer, ukrainischer und englischer Sprache erschien, seine Sicht auf die Ukraine dar.21 In ihm negierte er die Existenz einer ukrainischen Nation. Sie sei vielmehr Teil einer historischen „dreieinigen russischen Nation“. Wenn Ukrainer dazu gebracht würden, sich gegen Russland zu stellen, komme dies dem „Einsatz von Massenvernichtungswaffen“ gegen Russen 19  Die Ukraine ließ den Vertrag 2019 auslaufen, da er zuvor durch die Krim-Annexion und in der Ostukraine gebrochen worden war. 20  Wie hier mit eingehender Schilderung der Entstehungsgeschichte des Memorandums David Yost, The Budapest Memorandum and Russia’s intervention in Ukraine, International Affairs 91 (2015), S. 505 ff. (513). 21  Vladimir Putin, On the historical unity of Russians and Ukrainians, abrufbar unter https://en.wikisource.org/wiki/On_the_Historical_Unity_ of_Russians_and_Ukrainians (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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gleich. Dem Westen unterstellt er, die Ukraine gegen Russland zu instrumentalisieren, als ein „Sprungbrett gegen Russland“. Die Frage, ob dies eher eine politisch-akademische Betrachtung oder eine politische Handlungsgrundlage war, beantwortete Putin nach der Invasion, im Juni 2022. Beim Besuch einer Ausstellung über Peter den Großen erklärte er, Peter der Große habe bei seinen Eroberungen schwedischen Territoriums „nichts genommen, er habe (es) zurückgeholt“, auch wenn die Zugehörigkeit des Gebiets zu Schweden allseits ­anerkannt gewesen sei. Er fuhr dann fort: „Es sieht so aus, als seien wir heute an der Reihe, Land zurückzuholen und an Russland anzuschließen.“22 Hier wird sehr deutlich, dass Putin in historischen Kategorien des Imperialismus denkt und handelt. Die Abhaltung von Scheinreferenden hat sich denn auch nicht nur auf den Donbass beschränkt. Vielmehr hat Russland mit den Regionen Cherson und Saporischja die Annexion weiter Teile der Südukraine erklärt, ohne allerdings die vollständige militärische Kontrolle über diese Gebiete innezuhaben. Diese  – möglicherweise noch unvollständige  – Darstellung von russischen Propaganda-Narrativen und verlautbarten Kriegszielen macht deutlich, wie tatsächlich unrichtig, aber auch wie unzusammenhängend und verwirrend die russische Rechtfertigung des Kriegs ist – dies wohl absichtlich. Dabei habe ich nur amtliche Äußerungen verwendet. Noch haarsträubender würde es, wenn ich auch die fast täglichen kriegshetzerischen Äußerungen der Propagandisten im russischen Staatsfernsehen hinzunehmen würde, die zum Beispiel von dem Einsatz russischer Atomwaffen gegen London und der Einnahme Berlins faseln. All diese Narrative und Behauptungen sind aber nicht nur unzusammenhängend und tatsächlich falsch, sondern außerdem evident unschlüssig, um den russischen Angriffskrieg völkerrechtlich zu rechtfertigen. Dieser verstößt eindeutig gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot nach Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta, das den Rang von ius cogens besitzt. 22  Anton Troianovski, Putin the Great? Russia’s President Likens Himself to Famous Czar, in: New York Times Online, v. 9.6.2022, abrufbar unter https://www.nytimes.com/2022/06/09/world/europe/putin-peter-thegreat.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Als Schlussfolgerung bleibt: Wenn Putin seinen Krieg damit erklärt, dass er der Ukraine ihre Eigenschaft als Nation abspricht, dann kämpft umgekehrt die Ukraine in diesem Krieg um ihr Überleben als Nation – von den einzelnen Ukrainern ganz zu schweigen, von denen viele gestorben sind oder um ihr Überleben fürchten müssen, oder Obdach und Lebensunterhalt verloren haben. Ein auf Demonstrationen gelegentlich gezeigter Slogan fasst dies plastisch zusammen: „Wenn Russland zu kämpfen aufhört, gibt es keinen Krieg mehr. Wenn die Ukraine zu kämpfen aufhört, gibt es keine Ukraine mehr.“ Von manchen deutschen Talkshow-Teilnehmern wird seit Beginn des umfassenden russischen Kriegs nach Verhandlungen mit Russland gerufen. Dabei wird ausgeblendet, dass Russland durch den Sprecher des Präsidenten Peskow mitteilen lässt, Thema von Verhandlungen könnten nur die Modalitäten sein, unter denen die Ukraine die russischen Forderungen erfülle. Das bedeutet Kapitulationsverhandlungen. Was gibt es für die Ukraine zu verhandeln, wenn Putins Verhandlungsziel das Ende einer unabhängigen Ukraine ist? Schon aus diesem Grund erschließt sich: Ein russisches Abgehen von seinen Zielen und somit Aussichten auf Verhandlungen gibt es allenfalls, wenn Russland in der Defensive ist und weitere Kämpfe für Russland weitere militärische Niederlagen bedeuten würden. Aber auch dies dürfte nicht genügen: Nicht nur muss Russland objektiv im Begriff sein, zu verlieren, sondern dies muss von der russischen Führung auch verstanden und eingesehen werden. In einem Herrschaftssystem wie dem russischen, in dem es kritische Öffentlichkeit über freie Medien nicht mehr gibt, in dem harter Konformitätszwang herrscht und der Präsident nur von einer kleinen Gruppe von Parteigängern beraten wird, sind dies zwei sehr unterschiedliche Dinge. Und auch dann würde sich für die Ukraine die Frage stellen, ob Verhandlungen mit Russland sinnvoll sind  – mit einem Land, dessen gegenwärtige Führung ihre Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit eingebüßt hat, und einem Land, das in der Ukraine fürchterliche Kriegsverbrechen begangen hat. Würde die Ukraine sich allzu früh auf Verhandlungen einlassen, müsste sie damit rechnen, dass Russland neu aufrüstet und dann erneut einen blutigen Krieg beginnt. Die Frage, wann und in welcher Lage, zu welchen Bedingungen sich die Ukraine in Verhandlungen mit Russland begibt, ist eine Fra-

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ge, die die Ukraine selbst zu entscheiden haben wird. Dennoch ist sie zugleich eine Frage, die die europäische Sicherheit insgesamt betrifft, wie ja die europäische Sicherheit insgesamt durch den russischen Großangriff in Frage gestellt worden ist. Deshalb ist der von Bundeskanzler Scholz für Deutschland geprägte Begriff „Zeitenwende“ auch richtig gewählt. Würde Russland mit einem Sieg vom Schlachtfeld gehen, oder mit einem Ergebnis, das es als Erfolg darstellen kann, dann könnte es sich ermutigt fühlen, zu gegebener Zeit erneut die militärische Aggression zu wählen  – sei es gegen die Ukraine oder anderswo in Europa. Diese Gefahr zu minimieren, geht uns in Deutschland sehr direkt an. Dasselbe gilt aber auch, wenn man an andere Staaten denkt, die anderswo als militärische Aggressoren in Frage kommen. Auch hier wäre ein russischer Erfolg eine Versuchung, vielleicht dasselbe zu versuchen oder damit zu drohen. Folglich liegt es auch in unserem ureigensten Interesse, dass Russland mit seinem brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg keinen Erfolg hat – sondern vielmehr lernt, dass ein solcher Angriffskrieg eine geschlossene und entschlossene Reaktion der internationalen Gemeinschaft auslöst und deshalb scheitert. Diese Erfahrung des Scheiterns muss abschreckend wirken – auf die russische Führung, auf die russische Bevölkerung, aber auch auf andere potenzielle Aggressoren auf dieser Welt. Deshalb ist es gerechtfertigt und notwendig, dass auch wir, gemeinsam mit unseren Partnern, mit langem Atem alles Notwendige und Sinnvolle unternehmen, um der Ukraine in ihrem Kampf zur Seite zu stehen. Dies gilt für Waffenlieferungen ebenso wie für die finanzielle Unterstützung für die Ukraine und für wirksame, schmerzhafte Sanktionen gegen Russland. Hierfür werden auch wir Kosten tragen und Opfer bringen müssen  – denn es geht auch um unsere Sicherheit.

Das Ende der Geschichte Russland und der Westen 1992–2022 in zeitgeschichtlicher Perspektive Von Martin Aust I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Darstellung der Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wechselseitige Fehlwahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Russland und die NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion . . . . . . V. Narrativ der russischen Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Gesellschaftliche und kulturelle Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung Keine andere akademische Publikation steht so emblematisch für die Hoffnungen, die der kollektive Westen an das Ende des Kommunismus in Europa 1989 und die Auflösung der Sowjetunion 1991 geknüpft hatte, wie der Titel vom Ende der Geschichte von Francis Fukuyama.1 Der amerikanische Politologe verstand Geschichte dabei nicht als Abfolge von Ereignissen, sondern im Sinne von erzählter und damit gedeuteter Geschichte. Aus dieser Perspektive sah Fukuyama die Konkurrenz zwischen den Weltentwürfen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Kapitalismus auf der einen Seite und dem Kommunismus auf der anderen Seite an ein Ende gelangt. Die Zukunft der sich globalisierenden Welt  – so Fukuyama  – werde demokratisch und marktwirtschaftlich sein.

1 

Francis Fukuyama, The End of History and the Last Man, 1992.

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Nicht erst Russlands erneuter Angriff auf die Ukraine am 24.  Fe­ bruar 2022 hat gezeigt, dass sich die liberale Zukunftserwartung von 1989/91 nicht erfüllt hat. Wir blicken mindestens auf ein zerklüf­ tetes Jahrzehnt zurück, in dem der Konflikt zwischen Russland und  dem Westen nur eine von vielen Sollbruchstellen der liberalen Zukunftserwartung gewesen ist. Kritische Stimmen haben vom Jahr 2000 an bis heute Wladimir Putins Zeit als Präsident Russlands begleitet. Der Krieg zwischen Russland und Georgien 2008, allerspätestens Russlands Annexion der Krim und unerklärter Krieg im Donbas 2014 hätten alle Alarmglocken schrillen lassen müssen.2 Doch auch jenseits der Drift zwischen Russland, Europa und den USA hat das normative Projekt des Westens Rückschläge verzeichnen müssen. Das Aufkommen des Populismus in vielen europäischen Ländern und in den USA, die damit verbundene Krise der Demokratie, der Austritt Großbritanniens aus der EU und Chinas innere Verhärtung und äußere Machtentfaltung sind hier zu nennen. II. Darstellung der Lage Augenblicklich könnte die Distanz zwischen dem Westen und Russland nicht größer sein. Angesichts von Russlands Angriffskrieg auf die gesamte Ukraine und den inzwischen an vielen Orten der Ukraine dokumentierten genozidalen Kriegsverbrechen Russlands haben EU und NATO zu neuer Geschlossenheit gefunden.3 Finnland und Schweden werden der NATO beitreten. Die EU hat sich trotz aller inneren Differenzen auf mehrere Sanktionspakete gegen Russland geeinigt. Die Kommission und das Parlament der EU befördern den Beitritt der Ukraine zur EU. 2  Der Oppositionspolitiker Boris Nemcov äußerte bereits 2014 die Einschätzung, dass Putin Krieg bringt. Er initiierte eine Sammlung von Belegen für den Einsatz der Armee Russlands in der Ukraine 2014. Nach seiner Ermordung am 27. Februar 2015 haben Nemcovs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Dokumentation „Putin Krieg“ fortgesetzt und hier veröffentlicht: https://www.putin-itogi.ru/putin-voina/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 3  Ukrainische Dokumentation russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine, abrufbar unter https://war.ukraine.ua/russia-war-crimes/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Während sich der Blick gebannt auf die Verteidigung der Ukraine und immer neue Nachrichten russischer Kriegsverbrechen richtet, während politisch um das Maß der Unterstützung der Ukraine in Deutschland und Europa gerungen wird, stellt sich zugleich eine Frage an die jüngere Zeitgeschichte: wie lässt sich die Auseinanderentwicklung Russlands und Europas in den letzten 30 Jahren begreifen? Was waren die entscheidenden Wegmarken? Wer ist für Drift und Konflikt zwischen dem kollektiven Westen und Russland verantwortlich? Wer hat rechtzeitig welche Signale erkannt und gewarnt? Wer hat Warnungen in den Wind geschlagen? Und schließlich: Was lässt sich heute über die Zukunft des Verhältnisses zwischen dem Westen und Russland sagen? Wie gesichert ist die Rede vom kollektiven Westen eigentlich in der unübersichtlichen Welt multipler Konflikte des frühen 21. Jahrhunderts? Lässt sich überhaupt noch von dem Westen im Kollektivsingular sprechen? Oder erscheint der Westen nirgends so homogen wie in den Köpfen seiner Gegner in Russland und in China? III. Wechselseitige Fehlwahrnehmungen Hat sich der Westen im Allgemeinen, hat sich die Bundesrepublik Deutschland im Besonderen, Vorwürfe zu machen, die Errichtung einer Russland einbeziehenden Ordnung verpasst zu haben? Autorinnen wie Gabriele Krone-Schmalz und Russlands Präsident Wladimir Putin höchstpersönlich werden ja nicht müde, dies immer wieder zu insinuieren.4 Solche Argumentationen greifen noch einmal Gorbatschows Bild vom gemeinsamen Haus Europa auf, blicken auf Putins Rede im Deutschen Bundestag im September 2001 zurück, um dann die NATO-Osterweiterung als Bruch eines Versprechens zu geißeln, das der Sowjetunion angeblich 1990 gegeben worden sei. Doch von einem solchen Versprechen kann völkerrechtlich nicht die Rede sein. Die Außenminister der USA und der Bundesrepublik, Baker und Genscher haben darüber in der Tat 1990 in Moskau mit 4  Eine ausführliche Untersuchung und Kritik der Texte und Vorträge von Gabriele Krone-Schmalz zu Russland und der Ukraine seit 2014 hat Franziska Davies vorgelegt, abrufbar unter https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/ desinformation/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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der sowjetischen Diplomatie gesprochen. Dabei ging es vor allem um den Status der prospektiv fünf neuen Bundesländer im Fall einer deutschen Einheit. Auf ihrem Gebiet sollten keine NATO-Truppen stationiert werden. Dies ist 1990 in den Zwei-plus-Vier-Vertrag eingegangen, an den Deutschland sich bis heute hält. Auf Genschers Frage hin, ob man nicht auch über die Länder Ostmitteleuropas und die NATO sprechen solle, ob die Sowjetunion eine Garantie benötige, dass jene nicht der NATO beitreten würden, beschied die sowjetische Seite, darüber müsse man nicht sprechen. Die Frage stelle sich angesichts der Existenz des Militärbündnisses Warschauer Pakt nicht. In diesem Zusammenhang fiel gesprächsweise die Äußerung, die NATO habe nicht die Absicht „one inch“ nach Osten vorzurücken. Doch Gespräche sind keine Quelle des Völkerrechts. Insofern verkennt das Narrativ vom gebrochenen Versprechen der NATO, das Putin unter anderem am 18.  März 2014 bemühte, als er im Kreml verkündete, dass die Krim Teil  Russlands werde, das Völkerrecht und übersieht zudem die historische Genese der NATO-Osterweiterung. Diese geht nicht auf einen Plan der NATO zurück, sondern auf die Wünsche nach Mitgliedschaft zahlreicher Staaten, vor allem von jenen, die sich die Sowjetunion auf den Hitler-Stalin-Pakt folgend im und nach dem Zweiten Weltkrieg einverleibt hatte. Vor allem Polen, Estland, Lettland und Litauen sahen in der NATO-Mitgliedschaft nach ihren schmerzvollen Erfahrungen unter sowjetischer Besatzung das Mittel der Wahl für die Garantie ihrer Sicherheit. Die Art und Weise, wie Russland 2014 mit der Annexion der Krim die Sicherheitsgarantie für die Ukraine aus dem Budapester Memorandum von 1994 mit den Füßen getreten hat, gibt ihnen Recht.5 Wenn wir von Russland und dem Westen sprechen, sollten wir nicht in die Denkfalle imperialer Ordnungspolitik tappen, die auf den Spuren Carl Schmitts großen Mächten Hegemonie für ihre sich selbst zugeschriebenen Großräume einräumt.6 Folge eines solchen Denkfehlers wäre es, Sicherheitspolitik in Europa vorrangig als Ausgleich zwischen den USA und Russland zu betrachten. Dieses imperi5  Martin Aust, Die Schatten des Imperiums. Russland seit 1991, 2019, S.  95 ff., 96. 6  Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, 1942.



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ale Denken nimmt insbesondere die Länder Ostmitteleuropas und die westlichen und südwestlichen Nachbarn Russlands in eine Geiselhaft, die Milan Kundera bereits in der Mitte der 1980er Jahre als entführten Westen beschrieben hat.7 Ihrem Selbstverständnis nach und auch mit Blick auf ihre kulturellen Verflechtungen waren Prag, Warschau, Krakau und Budapest europäische Metropolen. Erst nachdem die Sowjetunion sie nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrem Orbit behielt, wanderten sie auf den mentalen Karten Europas in einen Osten, der Moskaus Kontrolle unterlag. Gerade jetzt, in den Monaten nach Russlands Angriff auf die ganze Ukraine, wird ersichtlich, wie vergebens die baltischen Staaten, Polen und die Ukraine in der jüngsten Vergangenheit vor den schwerwiegenden Konsequenzen einer deutschen Energie- und Außenpolitik warnten, die primär ökonomischen Austausch mit Moskau suchte und dabei der Illusion einer berechenbaren strategischen Partnerschaft erlag. Während deutsch Energie- und Außenpolitik davon ausging, dass der Bezug von Gas und Öl aus Russland eine gegenseitige Abhängigkeit und damit Berechenbarkeit und Stabilität schaffe, müssen wir im Rückblick entsetzt feststellen, dass deutsche Energieimporte Putins Kriegskasse für seinen Krieg gegen die Ukraine gefüllt haben. Und damit nicht genug, beschreibt Putin den Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukrai­ne als ein defensives Vorgehen, dass der kollektive Westen Russland aufgezwungen habe, indem er vermeintlich die Ukraine zu einem Anti-Russland aufgebaut habe.8 Wie konnte es zu diesen wechselseitigen Fehlwahrnehmungen kommen? Welche Ankerpunkte haben sie in einer wissenschaftlich objektivierbaren Welt? Welche Wegmarken, welche Fehlannahmen auf dem Weg zum Scheitern der strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland lassen sich erkennen? Um die westlichen Prämissen zu prüfen, müssen wir zu einem Schlagwort und einer Rede zurückkehren, die häufig genannt werden, 7  Milan Kundera, Die Tragödie Mitteleuropas (erstmals 1984 erschienen), in: Ester/Hecker/Poettgens (Hrsg.): Deutschland, aber wo liegt es? Analysen und historische Dokumente, 1993, S. 214 ff. 8  Rede Putins vor der Föderalen Versammlung Russlands am 21. Februar 2023, abrufbar unter http://kremlin.ru/events/president/news/70565/ videos (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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um auf die Potentiale zwischen der Sowjetunion, nach 1991 Russland und dem Westen zu verweisen. Das ist zunächst Gorbatschows Rede vom gemeinsamen europäischen Haus. Dieses Bild wirkt harmonisch. In ihm geht jedoch verloren, dass es Gorbatschow in seinem Reformprojekt um eine Wiederbelebung des Sozialismus ging. Die Auflösung der Sowjetunion war in seiner Vorstellung vom gemeinsamen Haus Europa nicht vorgesehen. Ein sehr großes Zimmer hätte in diesem gemeinsamen Haus Europa die UdSSR eingenommen.9 Als eine weitere Wegmarke verpasster Chancen gilt gerade im deutschen Rückblick die Rede, die Russlands damals noch junger Präsident Wladimir Putin wenige Tage nach dem 11.  September 2001 im Deutschen Bundestag hielt. Hier  – so heißt es gerne in einigen Rückblicken  – habe Putin sich offen gezeigt für eine gemeinsame europäisch-russische Zukunft. Es lohnt jedoch, die Rede noch einmal aufmerksam zu lesen und gerade auch im stenographischen Bericht des Deutschen Bundestages einen Blick darauf zu werfen, an welchen Stellen Putin Beifall vom Plenum erhielt.10 Auch in dieser Rede fehlt das Bild vom gemeinsamen Haus Europa nicht und rief erwartungsgemäß großen Beifall im Bundestag hervor. Putin hat es sich in seiner Rede jedoch nicht zu eigen gemacht. Er referiert es. Er sagt, davon sei einmal die Rede gewesen. Das reicht, um Beifall hervorzurufen. Warnend fügte er hinzu, dass viele russische Bedenken jedoch immer noch nicht die nötige Berücksichtigung gefunden hätten. Diese Stelle erhielt keinen Beifall, und später wollte sich auch niemand an diese Seite der Rede erinnern. Bis heute bleibt die Rede Putins von 2001 ein Referenzpunkt in den Rede- und Schriftbeiträgen jener, die Putin folgend dem Westen die Schuld am Zerwürfnis mit Russland zuweisen möchten. Diese Schuldzuweisung Putins an den Westen hält jedoch einer näheren zeitgeschichtlichen Betrachtung nicht stand. Gewiss, die Außen- und Rüstungspolitik Ronald Reagans zielte auf eine Schwächung der Sowjetunion. Ob sie als der maßgeblichste Faktor für das 9  Serhii Plokhy, The Last Empire: The Final Days of the Soviet Union, 2015. 10  Rede Putins vor dem Deutschen Bundestag am 25.  September 2001, abrufbar unter https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/ putin/putin-196934 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Ende der Sowjetunion gelten kann, ist in der Geschichtswissenschaft umstritten. Sicherlich überstrapazierte sie die Ressourcen der UdSSR im Wettrüsten mit den USA. Gleichzeitig ist jedoch eine Vielzahl innerer politischer, ökonomischer und sozialer Faktoren für das Ende der Sowjetunion zu nennen.11 Wie dem im Einzelnen sei, fest steht, dass insbesondere 1991 die Bush-Administration auf eine Stärkung Gorbatschows setzte. Die Furcht eines blutigen Zerfalls der riesigen Sowjetunion, wie er in Jugoslawien im Frühsommer 1991 begonnen hatte, wie auch die Sorge um die Proliferation atomarer Waffen im Fall eines Endes der Sowjetunion ließen Präsident Bush und seine Administration buchstäblich bis zum letzten Moment auf Gorbatschow und den Erhalt der Sowjetunion setzen.12 IV. Russland und die NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion Erst nachdem Gorbatschow sich am 25.  Dezember 1991 in einer von CNN live übertragenen Rede aus der Weltgeschichte verabschiedet hatte und anschließend über den Türmen des Moskauer Kreml die Sowjetflagge eingeholt worden war, entfuhr Bush im Weißen Haus der Satz, die USA habe gewonnen. Diese Siegesäußerung mag russische Befindlichkeiten verletzt haben. Wie konnte es passieren, dass die Macht, die maßgeblich den Nationalsozialismus besiegt und Europa von ihm befreit hatte, nun von einem Moment auf den anderen aus der Geschichte fiel? Doch übersetzte sich das amerikanische Siegesbewusstsein nicht in eine Agenda zur Ausweitung der NATO. Den Impuls für die Aufnahme neuer Mitglieder in die NATO gaben die Sicherheitsinteressen Estlands, Lettlands, Litauens, Polens, Ungarns und der Tschechoslowakei, die von 1939 bis 1989 leidvoll hatten erfahren müssen, was die Präsenz sowjetischer Truppen im eigenen Land, was die Zugehörigkeit zu Moskaus Imperium bedeutete.13 In den USA versuchte die Clinton-Administration in intensiven Ge11  Stephen Kotkin, Armageddon Averted. The Soviet Collapse 1970– 2000, 2008. 12  Plokhy, The Last Empire (Anm. 9). 13  Mary Elise Sarotte, Not One Inch: America, Russia, and the Making of Post-Cold War Stalemate, 2021.

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sprächen mit der russischen Seite einen Kompromiss zu finden, der den Interessen aller Seiten gerecht wurde. Die Lösung schien gefunden, indem vor der Aufnahme neuer Mitglieder aus dem östlichen Europa in die NATO 1997 die NATO-Russland-Grundakte verabschiedet wurde. In ihr versicherten die NATO und Russland, gegeneinander keine feindlichen Absichten zu hegen. Für Informationsaustausch und Beobachtungsmissionen wurde der NATO-Russlandrat gegründet  – ein vertrauensbildendes Gremium, das bis zu Russlands Annexion der Krim 2014 regelmäßig tagte. Eine merkliche Erschütterung im Verhältnis zwischen dem Westen und Russland stellte 1999 die Intervention der NATO im ehemaligen Jugoslawien angesichts Miloševićs Politik im Kosovo dar. Die Intervention war völkerrechtswidrig. Ihr fehlte ein Votum des Weltsicherheitsrats. Zugleich stützte sie sich aber auf den Grundsatz der wenige Jahre später in der UN eingeführten responsibility to protect.14 Und sie stellte eine historisch-politische Lehre aus dem Massenverbrechen von Srebrennica dar. Im Sommer 1995 sah eine niederländische ­Einheit der UNO-Friedenstruppen hilflos zu, wie serbische Verbände bosnische Männer massenhaft erschossen und Frauen und Kinder deportierten – ein Massenverbrechen. Miloševićs Kosovo-Politik ließ 1999 befürchten, dass den Kosovaren ein ähnliches Los bevorstand. Dies zu verhindern war das Ziel der Intervention der NATO. So groß der Dissens zwischen NATO und Russland darüber 1999 auch war, Putin schien der Graben 2001 nicht so tief zu sein, als dass er unüberwindbar erschiene. Unmittelbar nach den Angriffen auf die USA am 11. September 2001 stellte er sich demonstrativ auf die Seite des amerikanischen Präsidenten George W. Bush und sah in der Bekämpfung des globalen Terrorismus einen gemeinsamen Nenner. Dass Polen, Tschechien und Ungarn 1999 der NATO beigetreten waren, gehörte zu diesem Zeitpunkt nicht zu den lautstark vorgetragenen Klagen des russischen Präsidenten. Dies änderte sich erst nach einer anderen bedeutungsschweren Weggabelung internationaler Politik. Im Rückblick fällt auf, wie die NATO-kritischen Äußerungen Putins nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch von George W. Bushs Koalition der Willigen in den Irak 2003 begannen, dann an 14 

https://www.globalr2p.org/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Häufigkeit und Ausführlichkeit zunahmen und seit 2007 zum festen Repertoire des russischen Präsidenten gehören.15 V. Narrativ der russischen Außenpolitik Nach dem Geiseldrama von Beslan 2004 führte Putin aus, hinter der Gefangennahme einer Schule in Nordossetien durch islamistische Kämpfer aus dem Kaukasus könne man nur den Versuch äußerer Feinde sehen, Russland im Inneren zu schwächen. Gegen solche äußeren Einflussversuche müsse Russland sich wappnen, so Putin. 2005 bezeichnete er in seiner Rede vor der Föderalen Versammlung Russlands die Auflösung der Sowjetunion als größte geopolitische Kata­ strophe des 20. Jahrhunderts. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 warnte er vor einer in seinen Augen unipolaren, von den USA diktierten Weltordnung. 2008 nutzte Putin, inzwischen Ministerpräsident Russlands, Saakaschwilis militärisches Vorgehen zur Wiederherstellung georgischer Souveränität in Südossetien zu einem Einmarsch in Georgien aus, auf den die Ausrufung der Republiken Abchasien und Süd-Ossetien erfolgte. In den Hauptstädten des Westens wich der Schrecken darüber rasch der Hoffnung, den Präsidenten Medwedjew und Obama möge der Reset in den amerikanischrussischen Beziehungen gelingen. Die Repressionen, mit denen Putin auf Demonstrationen gegen Wahlfälschungen in Russland 2011/12 reagierte, deuteten jedoch nicht auf eine Annäherung Russlands an den Westen hin. Seit dem ukrainischen Euromaidan von 2013/14 beharrt die Regierung Russlands auf ihrer Sicht, die Ukraine sei ein vom Westen geschaffenes Projekt zur Destabilisierung Russlands. Die offiziellen russischen Verlautbarungen zeichnen den Euromaidan in Kiew als einen von den USA initiierten und von angeblich ukrainischen Faschisten getragenen Putsch gegen die Regierung Janukowytsch. Tatsächlich war der Maidan ein über lange Monate mit viel Geduld und zivilgesellschaftlichem Engagement vorgetragener Protest der ukrainischen Gesellschaft gegen die korrupte und zunehmend willkürliche

15 

Aust, Die Schatten des Imperiums (Anm. 5), S. 99.

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und gewalttätige Herrschaft Janukowytschs.16 Als Janukowytsch auf dem EU-Gipfel in Vilnius 2013 dem Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine seine Unterschrift verweigerte, nahm er den Menschen in der Ukraine die europäische Hoffnung auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Gegen diese Kehrtwende richteten sich der Euromaidan, der breite Zustimmung in der Ukraine fand. Junge Menschen aus dem Westen und Osten der Ukraine, die jüdischen Gemeinden der Ukraine, ukrainische Afghanistan-Veteranen – sie alle trugen und unterstützten den Euromaidan. Es gehört zu Putins fundamentalen Fehleinschätzungen, Politik primär als dauerhafte Herrschaft von Präsidenten aufzufassen, ob in Russland, Belarus, der Ukraine, Kasachstan oder Syrien. Demokratie und Menschenrechte haben in dieser Politikauffassung keinen Platz. Wenn zivilgesellschaftliche Gruppen sie einfordern und damit Präsidenten herausfordern, diffamiert die russische Propaganda sie mit der ultimativen Kennzeichnung des Feindes als Faschisten. Mit der Kennzeichnung innerer Gegner als Faschisten korrespondiert eine russische Außenpolitik, die sich nach der Größe sowjetischer Geltung in Europa und der Welt am Ende des Zweiten Weltkriegs sehnt, die wie einst im Kampf gegen den Nationalsozialismus in russischer Außenpolitik eine Kraft des Guten erblicken möchte. Der Sieg über den Nationalsozialismus gehört unstrittig zu den beachtlichen Erbstücken der Sowjetunion, den sich alle fünfzehn Nachfolgestaaten im Prinzip gemeinsam teilen könnten. In Putins Inszenierungen klingt jedoch immer wieder ein besonders starker russischer Anspruch auf dieses Erbe durch. Er ist verbunden mit der Präferenz für eine Europa- und Weltordnung, die einige große Mächte auf Augenhöhe an Konferenztischen untereinander aushandeln wie 1814/15 auf dem Wiener Kongress oder 1945 in Jalta und Potsdam. Das Resultat ist eine Großraumpolitik imperialer Mächte, denen sogenannte kleine Nationen sich zu fügen haben. Dahinter steht das Prinzip einer internationalen Politik als Nullsummenspiel: Was die einen gewinnen, muss zuvor den anderen genommen werden. Die Idee eines wechselseitigen Gewinns durch Internationalisierung ist in dieser Logik nicht vorgesehen. So blendet 16  Marci Shore, The Ukrainian Night. An Intimate History of Revolu­ tion, 2017.



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die Klage über das Versäumnis des Westens, Russland nach 1991 nicht auf Augenhöhe in eine neue Ordnung einbezogen zu haben, Schritte aus, die in diese Richtung gegangen worden waren. Der Beitritt Russlands zum Europarat 1996, die Erweiterung der G7 um Russland zur G8 1998 und die Aufnahme Russlands in die WTO 2010, was für das Exportland einen wichtigen wirtschaftspolitischen Schritt darstellte, sind solche Stationen der Inklusion in die westliche, internationale Ordnung gewesen. Das wirft noch einmal die Frage auf, welche Erwartungen russischerseits an eine neue Ordnung geknüpft waren. Hat es in der Präsidentenadministration in Moskau je eine vertiefte Beschäftigung mit Fragen und Konzepten europäischer Integration gegeben? Oder stand a priori fest, dass Russland allein aufgrund seiner immensen Größe schwer in internationale Regelwerke zu integrieren sei? Die Wissenschaften haben darauf unterschiedliche Antworten gegeben. Der russische Historiker Alexej Miller hielt 2008 fest, eine supraregionale Integration wie sie Frankreich und die Bundesrepublik nach 1945 in Europa praktizierten, sei Russland verschlossen, es gebe dafür keine Partner auf Augenhöhe wie sie Frankreich und die Bundesrepublik nach 1949 einander gewesen sind. Die Unmöglichkeit der Adaption bestehender supraregionaler Integrationsmodelle und die Einsamkeit Russlands verstärkten sich dieser Lesart zufolge wechselseitig.17 Der estnische Völkerrechtler Lauri Mälksoo wiederum hat einen anderen Blick auf die Geschichte. Ihm zufolge lasse die russische Völkerrechtsauffassung seit 1992 erkennen, dass die eigene Souveränität und die Staatszentriertheit durchgängig die russische Völkerrechtsauffassung und Außenpolitik geprägt haben.18 VI. Gesellschaftliche und kulturelle Verbindungen So wichtig Fragen von Außen- und Sicherheitspolitik sich darstellen, griffe es zu kurz, die Betrachtung des Verhältnisses Russlands zum Westen auf sie zu beschränken. Das Bild bliebe ohne einen Blick auf Gesellschaft, Kultur und Konsum unvollständig. Die Herrschaft Pu17  18 

Aleksej Miller, Nasledie imperij i buduščee Rossii, 2008. Lauri Mälksoo, Russian Approaches to International Law, 2015.

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tins war lange Zeit von einem unausgesprochenen Gesellschaftsvertrag zwischen der politisch-ökonomischen Elite und einer neu entstandenen urbanen Mittelschicht geprägt. Er beruhte auf der Aufgabe von politischer Teilhabe und dem Gewinn von Konsummöglichkeiten. Die Mehrzahl der Menschen fand sich damit ab, dass das Regime demokratische Wahlen in durchchoreographierte Polittechnologien umwandelte. Dafür erhielten sie eine gewisse Teilhabe am Aufschwung, den die sprudelnden Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas Russland brachten. So groß die politische und finanzielle Ungleichheit zwischen neuer Elite und neuer Mittelschicht dabei war, in einem Punkt waren sie sich ähnlich: ihre Konsuminteressen wandten sich nach Westen. Während die urbane Mittelschicht sich an Städtereisen in die Metropolen Europas und die USA und Urlaube in der Mittelmeerregion freute, hatte der Konsumhunger der Elite ein größeres Ausmaß. Hier beschränkte man sich nicht auf die Sammlung temporärer Eindrücke, sondern zielte auf größeres. Der Immobilienbesitz der Elite Putins in London und Paris ist legendär. Nicht allein unvorstellbar kostspielige Stadtpalais sind hier zu nennen. Villen, Schlösser, Weinberge: es gibt nichts, was nicht die Begehrlichkeit der neuen Elite geweckt hätte, bis zu Roman Abramowitschs Erwerb des FC Chelsea in London. Während die heimische Propaganda immer schrillere Töne eines Kulturkampfes mit dem vermeintlich degenerierten Westen anschlug, genossen Putins Getreue ihre Zeit auf sündhaft teuren Yachten, mit denen sie im Mittelmeer und den norwegischen Fjorden kreuzten. Ihre Kinder schickte diese Elite zum Studium bevorzugt an die Elite-Universitäten in den USA und Großbritan­ nien. Putins unfassbar kostspieliger Besitz, den er sich und womöglich auch seinen Getreuen im Palast von Gelendschik am Schwarzen Meer errichten ließ, ist eine Ansammlung von materiellen Zitaten euro­ päischer Architektur und europäischen Innendesigns des 18. und 19. Jahrhunderts. Während die Propaganda Russlands sich an der historischen Kontinuität und Größe des Landes berauscht, ist der eigentliche Antriebskern der Elite Russlands ein ungezügelter Materialismus, der sich in einem westlich-globalisierten Hedonismus auslebt – oder vielmehr bis zum 24. Februar auslebte.19 19  Marlène Laruelle, Understanding Russia. The Challenges of Transformation, 2019. Karen Dawisha, Putin’s Cleptocracy. Who owns Russia?,



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Es wäre jedoch verkehrt, hier allein auf die Oberflächlichkeit und die materielle Dimension dieser Westausrichtung Russlands abzuheben. Zu ihr gehören auch engste Verbindungen und Kooperationen, die in den Wissenschaften zwischen Russland, Europa und den USA seit 1991 gewachsen sind. Die Intelligentsia und die Studierenden Russlands sind eine Gruppe, die den Grundsatz, Russland für ein europäisches Land zu halten, nicht allein mantraartig beschworen, sondern ihn gelebt hat, mit einer beeindruckenden Kenntnis von Fremdsprachen und einer selbstverständlichen Zugehörigkeit zur international scientific and academic community. Seit Russlands neuerlichem Angriff auf die Ukraine am 24.  Fe­ bruar haben bis zu einer Million Menschen Russland den Rücken zugekehrt. Russlands Krieg gegen die Ukraine und die innere Repression in Russland, die Aussicht, dass das gesamte Bildungswesen auf überpatriotische Geschichtsfälschungen ausgerichtet wird, hat sie aus dem Land getrieben. Wenn wir über Russland und den Westen sprechen, sollten wir auch diese Gruppe von Menschen nicht vergessen und ihnen nicht nur Zuflucht, sondern Teilhabe anbieten. VII. Fazit Das führt mich zum Schluss zu der Frage, wie Deutschland künftig sein Verhältnis zu Russland begreifen und gestalten sollte. Am Anfang einer Antwort muss das Eingeständnis stehen, dass dreißig Jahre deutscher Russlandpolitik krachend gescheitert sind. Die deutsche Energie- und Außenpolitik des zurückliegenden Vierteljahrhunderts hat eine Wette abgeschlossen und sie verloren. Die Wette lautete, der enorme Bezug von Öl und Gas aus Russland könne eine wechselseitige Abhängigkeit schaffen, die Stabilität, Vertrauen und Frieden sicherstellt. Alle Bundesregierungen von 1998/99 bis 2021 sind diesem Grundsatz gefolgt. Im frühen 21. Jahrhundert mag dieses Kalkül plausibel erschienen sein. Nach Russlands Anne­ 2014. Die spektakulärste Recherche des FBK von Alexey Nawalny ist die 2021 veröffentlichte Dokumentation über Putins Palast, abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=ipAnwilMncI (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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xion der Krim und dem Beginn seines Krieges im Donbas 2014 lag jedoch die Einsicht auf der Hand, dass das Kalkül nicht aufgegangen ist. Anstatt Konsequenzen zu ziehen, hat die Bundesregierung sich noch 2015 in die Illusion geflüchtet, Nordstream 2 als ein privatwirtschaftliches Projekt zu betrachten, obwohl es zahlreiche warnende Stimmen gegeben hat, die auf den geopolitischen Charakter des Projektes hingewiesen haben. Immerhin ist es nun gelungen, den Bezug russischer Energierohstoffe binnen eines halben Jahres erheblich zu reduzieren und diese Abhängigkeit von Russland zu beenden. Es bleibt die Einsicht zurück, dass Deutschland spätestens ab 2014 eine Energie- und Außenpolitik betrieben hat, die taub für die Interessen und warnenden Stimmen aus der Ukraine, den baltischen Staaten und Polen war und stattdessen primär nach Moskau geblickt hat, mit der falschen Annahme, diese Politik stehe in irgendeiner Tradition zur Ostpolitik Willy Brandts. Die Ostpolitik Willy Brandts im Kalten Krieg beruhte auf der realpolitischen Einsicht, angesichts der Hegemonie Moskaus im Warschauer Pakt in ostpolitischen Fragen zuerst mit Moskau und erst im Anschluss auf Grundlage eines Placets aus Moskaus mit Warschau und Prag zu sprechen.20 Dabei hatte es die sozialliberale Regierung der Bundesrepublik bei der Sowjetunion in Person Breschnjews mit einer Führung zu tun, der es am politischen Status quo gelegen war. Nach der Charta von Paris 1990 und erst recht den Beitritten vieler Staaten Ostmitteleuropas in NATO und EU gab es keinen interna­ tionalen Kontext eines russischen Imperiums mehr. Die Gleichrangigkeit der Staaten im Völkerrecht erübrigt seitdem ein bilaterales Vorgehen Deutschlands und Russlands, bei dem Deutschland die ­Interessen der Staaten Ostmitteleuropas nicht in Rechnung stellt. Diese Einsicht wäre in dem Maß umso wichtiger gewesen, als Putin zu erkennen gab, dass es ihm nicht um den politischen Status quo in Europa, sondern um eine Revision der europäischen Ordnung geht. In unterschiedlichen Kontexten und mit verschiedenen Intentionen und Handlungslogiken hat seit dem 18. Jahrhundert preußische und seit 1871 deutsche Ostpolitik primär nach St. Petersburg und 20  Timothy Garton Ash, Im Namen Europas. Deutschland und der geteilte Kontinent, 1993.



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Moskau geschaut. Der Wandel von 1989/91 bot Deutschland eine Chance, aus dieser Traditionslinie auszutreten und an Beziehungen zu arbeiten, die parallel einvernehmliche Verhältnisse mit Polen, weiteren Staaten Ostmitteleuropas, Estland, Lettland, Litauen, Belarus, der Ukraine und Russland schaffen.21 Ansätze dazu hat es in den 1990er Jahren gegeben. Im frühen 21. Jahrhundert ist Putin nicht an ihnen interessiert gewesen, und die Bundesregierungen haben es versäumt, darauf zu reagieren. Nun steht Deutschland vor einem ost­politischen Scherbenhaufen. Die Verantwortung Deutschlands muss angesichts von Russlands Krieg gegen die Ukraine primär der Ukraine und den ostmitteleuropäischen EU- und NATO-Partnern gelten. Ob sich nach Putin in Russland eine neue Regierung bildet, die ein Interesse an einer Rückkehr nach Europa hat und was dies für die deutsche und europäische Politik bedeutet, muss die Zukunft weisen.

21  Klaus Zernack, Polen und Russland. Zwei Wege in der europäischen Geschichte, 1994. Zernack beschreibt in diesem Buch die negative Polenpolitik zunächst Preußens, Deutschlands und des Zarenreiches im Zeitalter der Teilungen Polen-Litauens und sodann ihre Fortführung im 20. Jahrhundert im Revisionismus nach 1918 und im Hitler-Stalin Pakt. In der DDR sah Zernack auch einen Juniorpartner der UdSSSR, die im Stil der negativen Polenpolitik half, den Nachbarn unter Moskauer Kontrolle zu halten. Diese Epoche negativer Polenpolitiken endete 1989. Aus ihr folgt die im Text beschriebene Chance einer neuen Ostpolitik. Dazu wie sie verpasst wurde: Thomas Urban, Verstellter Blick. Die deutsche Ostpolitik, 2022.

Entzweiung im Völkerrecht Das Ringen um die Deutung des Völkerrechts zwischen Russland und dem Westen 1992–2022 Von Angelika Nußberger I. II. III. IV.

V.

Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Epoche der Hoffnung und Gemeinsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Streit über Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Endgültige Entzweiung und Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Innenpolitik und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Außenpolitik und klassische völkerrechtliche Konzepte . . . . . . . 70 a) Pick-and-choose-Verständnis des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . 70 b) Tu-quoque-Verständnis des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Souveränität à la carte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 d) Freies Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 e) Subjektiviertes Selbstverteidigungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

I. Vorgeschichte Man könnte für die Zeit nach 2022  – einer allgemeinen Mode folgend – von einer „Entzweiung 2.0“ im Völkerrecht sprechen. Denn nicht erst seit dem Fall der Mauer und der Neuordnung des europäischen Kontinents gibt es eine grundsätzliche Auseinandersetzung um die Grundlagen des Völkerrechts, sondern bereits in sowjetischer Zeit wurde darüber gestritten, ob es ein einheitliches universelles Völkerrechtssystem für alle geben könne oder ein sozialistisches Völkerrecht von einem „anderen“ Völkerrecht zu trennen sei. So manche Entwicklung der jüngsten Zeit scheint alte Muster wieder aufzugreifen.

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Auch wenn die Debatte nicht mehr unter den Antipoden „sozialistisch“ – „kapitalistisch“ firmiert, werden doch so manche Argumentationsschemata neu belebt. So gilt es im Folgenden den Ausführungen zur Gegenwart einen kleinen Rückblick auf die Entwicklungen im 20. Jahrhundert voranstellen. Die verschiedenen Phasen des Völkerrechts der Sowjetunion ab 1917 sind mit verschiedenen Namen von Völkerrechtswissenschaftlern verbunden, die ihren je eigenen Ansatz für ein „sozialistisches Völkerrecht“ entwickelt haben: Korovin,1 Pašukanis,2 Vyšinskij3 und Tunkin.4 Völkerrechtstheoretiker zu sein, war gefährlich, Pašukanis fiel in Ungnade und wurde hingerichtet. Der einflussreichste Theoretiker der ersten Jahre der Sowjetunion war E. A. Korovin. In seinem Buch „Das internationale Recht der Übergangszeit“ aus dem Jahr 19245 hat er versucht, ein auf dem Marxismus-Leninismus beruhendes sowjetisches Völkerrechtsverständnis zu entwickeln. Die zentrale Frage für ihn war, wie interna­ tionales Recht in einem neuen, auf der Diktatur des Proletariats beruhenden Staat angewandt werden könnte. Aus seiner Sicht konnte das „klassische“ Völkerrecht in der Sowjetunion nur insoweit zur Anwendung kommen, als diese dem ausdrücklich zustimmte. Die Existenz allgemeiner  – tatsächlich universeller  – Regeln stritt Korovin ab. In einer Übergangszeit bis zur Weltrevolution würden verschiedene Völkerrechtssysteme nebeneinander existieren: kontinentaleuropäisches Völkerrecht, angloamerikanisches Völkerrecht und, in den Beziehungen mit der Sowjetunion, das Völkerrecht der Übergangszeit. Aus seiner Sicht könnten Staaten keine Rechtspersönlichkeit haben. Rechtssubjekte seien die jeweils herrschenden Klassen. Mit Stalins Revolution von oben wurde dieser Ansatz explizit verworfen.6 Der nunmehr relevante Text war Pašukanis Abhandlung 1 

Evgenij Aleksandrovič Korovin (1892–1964). Evgenij Bronislavovič Pašukanis (1891–1937). 3  Andrej Januarjevič Vyšinskij (1883–1954). 4  Grigorij Ivanovič Tunkin (1906–1993). 5  Evgenij Korovin, Meždunarodnoe pravo perechodnogo vremeni (The International Law of Transitional Period), 1924. 6  Angelika Nußberger, „Russia“, MPEPIL 1342 (2009), Rn. 113. 2 



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„Essays zum Völkerrecht“.7 Pašukanis interpretierte das „bourgeoise Völkerrecht“ als rechtliche Form des Kampfes kapitalistischer Staaten untereinander um die Vorherrschaft im Rest der Welt. Dem Völkerrecht kam danach kein normativer Charakter zu; es war nur ein Mittel, um bestimmte politische Ziele zu erreichen. Demnach war die Sowjetunion frei, Rechtsverpflichtungen anzunehmen oder abzulehnen, solange sie mit der Diktatur des Proletariats und den Grundprinzipien der sowjetischen Außenpolitik vereinbar waren. In jedem Fall hatte nationales Recht Vorrang vor dem Völkerrecht. Diese Neuausrichtung der Völkerrechtsdoktrin stand im Zusammenhang mit der Vorstellung vom „Sozialismus in einem Land“ und von der „kapitalistischen Einkreisung“. Dagegen war vom Absterben von Staat und Recht nicht mehr die Rede.8 Dieser eher pragmatische Ansatz machte es der Sowjetunion auch möglich, 1934 dem Völkerbund beizutreten. Nach Pašukanis war der dominante Völkerrechtstheoretiker Vy­ šinskij, der mit seinen 12 Thesen zum Völkerrecht eine neue Konzeption unterbreitete.9 Nach seiner Vorstellung war nationales Recht eine Quelle des Völkerrechts und hatte Vorrang. Aber, anders als in der revolutionären Phase, wurde es nicht mehr nur als dem Kampf dienend, sondern auch als Grundlage von Kooperation angesehen. Die normative Kraft des Völkerrechts wurde nicht mehr abgelehnt, sondern, ganz im Gegenteil, dem Völkerrecht wurde eine strenge Rechtsbindung zuerkannt. Der einflussreichste sowjetische Völkerrechtsdenker in der Zeit des Kalten Krieges war Tunkin, der die Idee von einer friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Systeme entwickelte. Ideologische Differenzen 7  Evgenij Pašukanis, Očerki po meždunarodnomu pravu (Essays on International Law), 1935. 8  Nußberger, „Russia“ (Anm. 6), Rn. 114 f. 9  Boris Meissner, Das Wesen des Völkerrechts in Ost und West, in: ders. (Hrsg.), Außenpolitik und Völkerrecht der Sowjetunion, S. 34 ff. (39); vgl. Andrei Januarjewitsch Vyšinskij, Die Hauptaufgaben der Wissenschaft vom sozialistischen Sowjetrecht, in: Sowjetische Beiträge zur Staats- und Rechtstheorie, 1953, S. 87 f., und den Wortlaut der auf seine Veranlassung von der Juristenkonferenz von 1938 entworfenen zwölf Thesen zum Völkerrecht in: Sovetskoe gosudarstvo, 1938, Nr. 5, S. 119; Nußberger, „Russia“ (Anm. 6), Rn. 114.

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wurden nicht mehr als unüberwindliche Hindernisse für umfassende völkerrechtliche Rechtsregeln verstanden. „Friedliche Koexistenz“, aufbauend auf einem Gleichgewicht der atomaren Abschreckung, wurde als eine besondere Form des Klassenkampfes zwischen Sozialismus und Kapitalismus verstanden, der den unabänderlichen Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung unterlag.10 In der Zeit Tunkins akzeptierte man bestimmte universelle Grundprinzipien wie „territoriale Integrität“, „Souveränität“, „Verbot der Intervention in innere Angelegenheiten“ und das gegenseitige Angriffsverbot. Nichtsdestotrotz wurden die Staaten nach ihrer Klassenstruktur kategorisiert, so dass die Gegensätze nicht eingeebnet wurden. Hatte Tunkin mit seinen Theorien grundsätzlich wieder die Existenz eines für alle geltenden Völkerrechts bestätigt, musste dieser Ansatz mit der Niederschlagung der Aufstände in Ungarn und der Tschechoslowakei revidiert werden. Nach der so genannten BrežnevDoktrin11 wurde das militärische Eingreifen in Nachbarstaaten gerechtfertigt, galt es dort die sozialistische Gesellschaftsordnung zu verteidigen. Sozialistische (Bruder-)Staaten hatten bei der Festlegung der gesellschaftlichen Grundmaximen die Vorherrschaft der kommunistischen Partei der Sowjetunion zu akzeptieren. In den 1970er-Jahren war das Ziel der Sowjetunion, ihre wirtschaftliche Isolation zu beseitigen und in Kooperation mit dem Westen einzutreten. Dies führte zur Entspannungspolitik und zur Verabschiedung der Helsinki-Charta sowie zum Abschluss einer Reihe von Verträgen, welche die bilateralen Beziehungen normalisieren sollten. Nach Tunkin konnte man von einer Einheit der internationalen Gemeinschaft sprechen, auch wenn sie in zwei unterschiedliche Lager zerfiel. Vademecum des Völkerrechts war nunmehr Tunkins Buch „Theorie des Völkerrechts“ aus dem Jahr 1970.12

Nußberger, „Russia“ (Anm. 6), Rn. 115 f. Leonid Breschnew, Rede auf dem Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Warschau am 12.  November 1968, Europa-Archiv XXIV (1969), S. D 257 ff. 12  Vgl. die englische Übersetzung Tunkin, Theory of International Law, 1974. 10  11 



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Sieht man die gegenwärtige Entwicklung auf dieser Folie, springen Parallelen ins Auge. Die „kapitalistische Einkreisung“ gleicht der Vorstellung, von der NATO von allen Seiten bedrängt zu werden. Die Brežnev-Doktrin erlebt eine gewisse Renaissance, wenn behauptet wird, an Russland angrenzende Staaten müssten wieder in einen einheitlichen Machtbereich einbezogen werden, diesmal aber als „russkij mir“  – russische Welt  – etikettiert.13 Und schließlich erinnert die Zurückweisung der Bindungskraft bestimmter völkerrechtlicher Verträge mit dem Argument, scheinbar hehre Ziele würden für geopolitische Ziele instrumentalisiert und die vom Westen geschaffenen Regeln seien „Unfug“,14 an die im Laufe der Geschichte wechselnde Akzeptanz normativer Bindungen im Völkerrecht. Dass es nunmehr aber kein „kalter“ Krieg, sondern ein „heißer“ Krieg ist, der ausgefochten und zugleich als „militärische Spezialoperation“ verharmlost wird, lässt die Brüche zwischen den verschiede13  Vgl. die Aussagen Putins in seiner Rede zur Anerkennung der Unabhängigkeit der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk am 21.2.2022, abrufbar unter http://en.kremlin.ru/events/president/news/67828 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023): „I would like to emphasise again that Ukraine is not just a neighbouring country for us. It is an inalienable part of our own history, culture and spiritual space. These are our comrades, those dearest to us  – not only colleagues, friends and people who once served together, but also relatives, people bound by blood, by family ties. Since time immemorial, the people living in the south-west of what has historically been Russian land have called themselves Russians and Orthodox Christians. This was the case before the 17th century, when a portion of this territory rejoined the Russian state, and after.“; explizit wurde der Begriff „Russkij mir“ in die Präambel der neuen „Verfassung“ der „Volksrepublik Donezk“ aufgenommen; aufschlussreich aus sprach- und kulturgeschichtlicher Perspektive Oleksandr Zabirko, Russkij Mir und der Krieg in der Ukraine, Ost-West. Europäische Perspektiven 3 (2015), abrufbar unter https://www.owep.de/artikel/986russkij-mir-und-krieg-in-ukraine (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 14  Vgl. die Aussage Putins in der Rede zur Annexion der ukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk am 30.9.2022, abrufbar unter http:// en.kremlin.ru/events/president/news/69465 (zuletzt abgerufen am 15.05. 2023): „And  all we hear is, the  West is insisting on  a  rules-based order. ­Where did that come from anyway? Who has ever seen these rules? Who agreed or  approved them? Listen, this is just a  lot of  nonsense, utter deceit, double standards, or  even triple standards! They must think we’re stupid. Russia is a great thousand-year-old power, a whole civilisation, and it is not going to live by such makeshift, false rules“.

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nen Völkerrechtskonzeptionen noch tiefer und nachhaltiger erscheinen. Aber die 1990er-Jahre begannen nicht mit einer Entzweiung, sondern erst einmal mit einem hoffnungsvollen Neuanfang, mit einer Epoche der Hoffnung und Gemeinsamkeit. II. Epoche der Hoffnung und Gemeinsamkeit Die Zeit vom Untergang der Sowjetunion im Dezember 1991 bis zum militärischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 stellt sich als eine abgeschlossene Epoche dar.15 Neben vielem anderen ist für sie die Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht – wie schon zu sowjetischer Zeit  – prägend. Sehr deutlich lassen sich drei Phasen unterscheiden  – eine erste Phase, die mit „Orientierungswirkung des Völkerrechts“ überschrieben werden kann, eine zweite Phase, in der eine kritische Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht dominiert, und eine dritte Phase, die durch einen zynischen Umgang mit dem Völkerrecht gekennzeichnet ist. In der Transition Anfang der 1990er-Jahre waren völkerrechtliche Normen in einer Phase großer Unsicherheit, in der Staat und Gesellschaft  – nach über sieben Jahrzehnten sozialistischer Herrschaft  – neu errichtet, wenn nicht „erfunden“ werden mussten, eine Basis, auf der man aufbauen konnte. Insbesondere Menschenrechtsverträge wie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte16 und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte17 stellten eines der wenigen rechtlichen Bindeglieder zwischen der alten und der neuen Zeit dar. Die Sowjetunion hatte die entsprechenden völkerrechtlichen Verträge bereits 1968 ratifiziert, aber nicht in die Wirklichkeit umgesetzt. In der neuen Verfassung konnten sie 15  Vgl. Martin Aust/Andreas Heinemann-Grüder/Angelika Nußberger/Ulrich Schmid, Osteuropa zwischen Mauerfall und Ukrainekrieg. Besichtigung einer Epoche, 2022, S. 15–28. 16  UN General Assembly,  International Covenant on Civil and Political Rights, 16 December 1966, 999 UNTS 171. 17  UN General Assembly,  International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 16 December 1966, 993 UNTS 3.



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als Grundlage genommen werden; viele der Formulierungen etwa im Grundrechteteil orientieren sich daran. Die russische Verfassung aus dem Jahr 1993 zeichnet sich durch eine ganz außergewöhnliche Offenheit für internationale Normen aus, wesentlich mehr als etwa das Grundgesetz.18 So lautet der Wortlaut von Artikel 15 Abs. 4 der Verfassung von 1993: „Die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die völkerrechtlichen Verträge der Russländischen Föderation sind Bestandteil ihres Rechtssystems. Legt ein völkerrechtlicher Vertrag der Russländischen Föderation andere Regeln fest als die gesetzlich vorgesehenen, so werden die Regeln des völkerrechtlichen Vertrages angewandt.“

Damit werden nicht nur die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ und die völkerrechtlichen Verträge in das innerstaatliche russische Recht integriert, sondern den völkerrechtlichen Verträgen wird sogar der Vorrang vor dem nationalen Recht eingeräumt. In Deutschland etwa haben die völkerrechtlichen Verträge nur den Rang von einfachem Gesetzesrecht, damit eine andere hierarchische Stufe;19 allerdings werden dort eventuelle Verwerfungen zwischen nationalen und internationalen Normen über die so genannte „völkerrechtsfreundliche Auslegung“ korrigiert.20 Zudem enthält die russische Verfassung noch eine besonders menschenrechtsfreundliche Bestimmung. So heißt es in Art. 55 Abs. 1, dass die Aufzählung der Grundrechte und -freiheiten in der russischen Verfassung nicht so interpretiert werden dürfe, als würden damit die universell anerkannten Menschenrechte verneint oder in nur geringerem Umfang gewährt. Diese Öffnung bedeutet, dass in den 1990er-Jahren das Pendel im Vergleich zu den Jahren davor genau in die entgegengesetzte Richtung ausschlug. Hatte man sich zuvor vorbehalten, die universellen Normen zu negieren, so betrachtete man sie nunmehr als unumstößliche 18  Vgl. Angelika Nußberger/Yury Safoklov, Art. 15 der Russischen Verfassung, Kommentar, in: Wieser (Hrsg.), Handbuch der russischen Verfassung, 2014, S. 154 ff. (162). 19  Vgl. Art. 59 Abs. 2 GG. 20  Hans D. Jarass, in: Pieroth/Jarass (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 17. Auflage 2022, Art. 25 Rn. 5 f.

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Orientierungspunkte. Erklären lässt sich dies mit Blick auf mehrere Faktoren. Zum einen hatten die Reformen im Lichte von Perestrojka und Glasnost  – Umbau und Transparenz  – tatsächlich bewirkt, dass die Menschen von den Verbrechen der Stalinzeit und von der Machtanmaßung der KPdSU erfuhren und damit die grundlegenden, von der Propaganda hochgehaltenen Prinzipien des Sowjetsystems in Frage gestellt wurden. Damit aber galt es ein Vakuum zu füllen. Ideen und „best practice“ aus dem Ausland – etwa Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit, parlamentarische Demokratie  – wurden in großem Umfang rezipiert. Ganz besonderen Wert aber legte man auf internationales Recht, um, wie es oft hieß (diese Redewendung kann man sich in der Gegenwart kaum mehr vorstellen), wieder an die „zivilisierten Länder“ Anschluss zu finden. Zugleich war Russland in den 1990er-Jahren in einer Position der Schwäche. Außenpolitisch war es im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika kein gleichberechtigter Player mehr. Von daher war der Rückgriff auf das Völkerrecht für Russland ein wichtiges Argument, um seine Rechte zu sichern. Nicht, dass Russland seinen umfassenden Machtanspruch aufgegeben hätte; aber es musste alle Kraftanstrengungen aufwenden, um das Riesenreich zusammenzuhalten. So gab es im Innern schwer zu bewältigende zentrifugale Tendenzen. Nachdem die Sowjetunion zerfallen war, war ungewiss, inwieweit auch weitere Teilgebiete wie Tatarstan und Tschetschenien sich ablösen würden. Bei Tatarstan ließ sich eine Verhandlungslösung finden, Tschetschenien wurde für viele Jahre in ein Schlachtfeld verwandelt; das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker war in diesem Zusammenhang von offizieller russischer Seite nicht zu hören. Zugleich ging es um die zentrale Frage der Staatennachfolge. Hier sah sich Russland als Nachfolgestaat (gosudarstvo prodalžatel‘), wonach Russland nicht automatisch, sondern gezielt die Pflichten und Rechte der Sowjetunion übernahm, so insbesondere den Sitz im UN-Sicherheitsrat; ein pragmatischer Ansatz, den auch die anderen ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion sowie die Drittstaaten akzeptierten.21 21  Igor’ Ivanovič Lukašuk, Russland als Rechtsnachfolger in völkerrecht­ liche Verträge der UdSSR, Osteuropa-Recht 39 (1993), S. 235 ff. (239–242).



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Die Haltung Russlands zum Völkerrecht in dieser Zeit war vor allem durch den Wunsch nach intensiver internationaler Kooperation geprägt. Russland bemühte sich insbesondere aktiv um eine Aufnahme in den Europarat. Eine Expertenkommission beurteilte die Fähigkeit Russlands, die mit der Mitgliedschaft verbundenen Pflichten einzuhalten, negativ.22 Das mitten in der Transition befindliche Riesenreich schien nicht in der Lage zu sein, Menschenrechtsstandards wie das Recht auf ein faires Verfahren oder das Verbot von unmenschlicher Behandlung und Folter einzuhalten. Zum damaligen Zeitpunkt galt noch die Todesstrafe in Russland, der erste Tschetschenienkrieg war gerade verlustreich zu Ende gegangen, das Land stand aufgrund der fallenden Ölpreise vor dem wirtschaftlichen Ruin. Aber man war im Kreml ebenso wie in den europäischen Hauptstädten voll der Hoffnungen, glaubte an einen Neuanfang und war bereit, wann immer nötig, nicht allzu kritisch und nachtragend zu sein. Das Wegschauen gehörte so von Anfang an zu den ungeschriebenen Regeln der Zusammenarbeit.23 III. Streit über Grundsätzliches Diese erste Phase, die im Wesentlichen mit der Jelzin-Zeit zusammenfällt, endete mit der Auseinandersetzung über das Vorgehen „des Westens“ im Kosovo.24 Das NATO-Bombardement ohne UN-Mandat gegen Serbien 1999 und die anschließende Unterstützung der Unab22  Vgl. Angelika Nußberger, Russland und der Europarat. Von der ersten Rede Michail Gorbatschows vor der Parlamentarischen Versammlung bis zu Russlands Vorsitz im Ministerrat, in: Braun/Handke (Hrsg.), Herausforderungen. Michail S. Gorbatschows Leben und Wirken, 2007, S. 91–105; Thomas Giegerich, Struggling for Europe’s Soul: The Council of Europe and the European Convention on Human Rights Counter Russia’s aggression against Ukraine, ZEuS 25 (2022), S. 519 ff. (527). 23  Angelika Nußberger, Russland und der Europarat  – den einen fehlte der Wille, den anderen der Mut, FAZ Einspruch, v. 16.09.2022. 24  Vgl. die Stellungnahme des Russischen Außenministeriums vom 17.2.2008: „Kosovo’s Provisional Institutions of Self-Government declared a unilateral proclamation of independence of the province, thus violating the sovereignty of the Republic of Serbia, the Charter of the United Nations, UNSCR 1244, the principles of the Helsinki Final Act, Kosovo’s Constitutional Framework and the high-level Contact Group accords“, abrufbar un-

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hängigkeit des Kosovo wurden als so gewichtiger Bruch des Völkerrechts wahrgenommen, dass man dem Westen eine Doppelmoral vorwarf.25 Auch wenn es mit dem „War on Terror“ noch einen zeitweisen Schulterschluss zwischen den USA und Russland gab und der zweite Tschetschenienkrieg (1999–2009) aus dem Westen nicht die Kritik erfuhr, die er verdiente, so war doch die Entzweiung zwischen Russland und dem Westen schon vorbereitet. Marksteine in der Entwicklung waren Putins Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 und der Fünf-Tage-Krieg in Georgien 2008. Der Irakkrieg 2003 gab Russland einen weiteren Anlass, dem Westen Doppelmoral bei der Einhaltung der grundlegenden Bestimmungen des Völkerrechts vorzuwerfen. Aber auch die Sicht auf universal geltende Menschenrechtsstandards wurde zunehmend kritischer; die positive Einstellung wich einer Skepsis gegenüber ultra vires agierenden Institutionen.26 Statt Vertrauen dominierte nunmehr Misstrauen den Umgang miteinander; die Zusammenarbeit war nur auf der Oberfläche noch freundschaftlich, subkutan aber eher von Obstruktion geprägt. Als Beispiel mag die Zusammenarbeit Russlands mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dienen. Nachdem die Euro­ päische Menschenrechtskonvention 1998 in Kraft getreten und die ersten Fälle aus Russland an den Gerichtshof herangetragen worden waren, fielen nach 2002 die ersten Urteile. Im Verfahren Kalashnikov v. Russland27 stellte der Gerichtshof fest, dass die Bedingungen in russischen Gefängnissen in Sibirien  – mit mehreren Häftlingen, die sich ein Bett teilen müssen, schlechter Luft und Ungeziefer  – eine nach der Konvention untersagte „unmenschliche Behandlung“ darstelle. Das betraf im Grunde mehr oder weniger alle russischen Haftter https://www.mid.ru/en/pressservice/spokesman/official_statement/1649 512/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 25  Vgl. z. B. die Stellungnahme von Medvedev vom 15.07.2008: „For the EU, Kosovo is almost what Iraq is to the United States… This is the latest example of the undermining of international law“, abrufbar unter https:// www.abc.net.au/news/2008-07-16/russias-medvedev-condemns-westernpaternalism/439974 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 26  Angelika Nußberger, in: The European Court of Human Rights, 2020, S. 178–180. 27  EGMR, Urteil v. 15.07.2002, Nr. 47095/99  – Kalashnikov v. Russische Föderation.



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anstalten und war so ein Paukenschlag. Bei einem zweiten Grundsatz­ urteil, Burdov gegen Russland,28 ging es um die Nicht-Vollstreckung rechtskräftiger Urteile aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Staates, konkret um von Gerichten zugesprochene, aber nie ausgezahlte Invalidenrenten für jene, die in Tschernobyl beim Arbeitseinsatz geschädigt worden waren. Hierin sah der Gerichtshof einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren, da dieses auch die Vollstreckung mit umfasse. Auch dieses Urteil hatte im Grunde, auch wenn es „technisch“ nur zwischen dem Beschwerdeführer Burdov und Russland galt, Auswirkungen für Zehntausende von Menschen in Russland. Dass danach die Flut der Beschwerden anwuchs und die Menschen den Weg nach Straßburg als Hoffnungsschimmer sahen, wenn sie vor den eigenen Gerichten nicht Recht bekamen, versteht sich von selbst. Russland reagierte zunächst positiv und versprach, die aufgezeigten Defizite zu beseitigen. Aber auch wenn Reformen eingeleitet wurden und man, zumindest teilweise, Verbesserungen feststellen konnte, blieben doch die Grundprobleme eines mit der Konvention inkompatiblen Justiz- und Vollzugssystems erhalten. Als immer mehr Beschwerden, auch zu sehr heiklen Themen wie den Menschenrechtsverletzungen im Tschetschenienkrieg, etwa aufgrund von rücksichtslosen Bombardements oder aufgrund des Verschwindens von Menschen, nach Straßburg kamen, begann Russland eine diplomatische Obstruktionspolitik. Der Gerichtshof war dem großen Ansturm an Beschwerden nicht mehr gewachsen und wollte eine Beschleunigung der Verfahren erreichen, indem offensichtlich unbegründete oder unzulässige Fälle nicht mehr von drei Richtern, sondern von Einzelrichtern entschieden werden sollten. Dieser im Protokoll 14 enthal­tenen Reform mussten alle Mitgliedsstaaten zustimmen. Russland blockierte so lange, bis der Stapel der unerledigten Beschwerden im Jahr  2010 zu einem Höchstwert von 160.000 Beschwerden angewachsen war. Erst mit sechs Jahren Verzögerung erklärte sich Russland dann bereit, das entsprechende Protokoll aus dem Jahr 2004 zu ratifizieren.29 28  EGMR, Urteil v. 07.05.2002, Nr. 59498/00 – Burdov v. Russische Föderation. 29  Ausarbeitung des 14. Protokolls und Eröffnung zur Unterzeichnung 13.05.2004, Ratifikation durch Russland 18.02.2010, in Kraft treten des Protokolls am 01.06.2010.

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In diese Epoche, die man mit „Streit über Grundsätzliches“ überschreiben kann, fällt insbesondere die Auseinandersetzung um territoriale Integrität, Selbstbestimmungsrecht der Völker und Unabhängigkeit von territorialen Untereinheiten. Aus russischer Sicht war die westliche Politik dem Kosovo gegenüber  – die Annahme einer humanitären Intervention zur Abwendung eines Genozids, die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht und die Akzeptanz der Loslösung des Kosovo von Serbien  – die völkerrechtliche „Ursünde“, zugleich aber auch das Argumentationsschema, das Russland in allen nachfolgenden Gebietserwerben zu seinen eigenen Gunsten verwendete. So rechtfertigte es insbesondere die Verletzung der territorialen Integrität Georgiens durch die Stationierung russischer Soldaten in Abchasien und Südossetien mit der Notwendigkeit, die Bevölkerung vor einem Genozid zu schützen.30 Anders als beim Kosovo, bei dem die Staatengemeinschaft mit Blick auf die Anerkennung der Unabhängigkeit nach wie vor gespalten ist, ist Russland aber mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens weitgehend gescheitert; nur wenige enge Verbündete wie Syrien, Nicaragua und Venezuela und der Mikrostaat Nauru sind seinem Beispiel gefolgt.31 IV. Endgültige Entzweiung und Spaltung In der dritten Phase, die mit der Annexion der Krim und dem Beginn des Kriegs im Donbass beginnt, dient das Völkerrecht nur mehr einer zynischen Verschleierung machtpolitischer Ambitionen Russlands. Völkerrechtliche Begründungen wie Rechte von Minderheiten, Selbstverteidigungsrecht und Schutz vor Genozid werden noch immer bemüht, sind aber abgekoppelt von der Realität, die zunehmend geleugnet wird. Kulminationspunkt dieses Ansatzes ist die am 24. Februar 2022 vom russischen Präsident Putin gegebene Begründung für 30  Andrew Osborn/Jeanne Whalen, Evidence in Georgia Belies Russia’s Claims of ‘Genocide’, The Wall Street Journal, v. 15 August 2008, abrufbar unter https://web.archive.org/web/20180807190021/https://www.wsj.com /articles/SB121874784363742015 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 31  Andreas Heinemann-Grüder, Postsowjetische De-facto-Regime, Russland-Analysen Nr. 394, 20.11.2020, S. 3–5.



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den Beginn eines Angriffskriegs gegen die Ukraine,32 in dessen Folge Russland zunehmend  – etwa mit dem Ausschluss aus dem Europarat33 und aus dem UN-Menschenrechtsrat34  – international isoliert wird und ein „alternatives Putin’sches Völkerrecht“ entwickelt. Auch wenn kaum jemand die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine vorhergesehen hatte, so hatten sich doch  – zumindest im Rückblick klar erkenntlich  – schon in der 2012 beginnenden neuen  – nunmehr dritten  – Präsidentschaft Putins die Zeichen gehäuft, dass eine grundsätzliche Abkehr vom europäischen Völkerrechtsverständnis eingeleitet würde. Dies lässt sich einerseits an der Innenpolitik, die mit dem Thema Menschenrechte verbunden ist, andererseits an der Änderung der Außenpolitik und der damit einhergehenden Neuinterpretation völkerrechtlicher Grundkonzepte zeigen. 1. Innenpolitik und Menschenrechte Der Alleingang Russlands begann mit einer zunehmenden Repression gegenüber der Zivilgesellschaft. Im Zusammenhang mit der Machtrochade Putin  – Medvedev, auch schon bei den kurz zuvor stattfindenden Parlamentswahlen, gab es große Demonstrationen. Mit Blick auf die so genannten farbigen Revolutionen, die in anderen Staaten wie der Ukraine, Kirgistan und Georgien zu Regimewechseln geführt hatten, wurden die Machthaber im Kreml sichtbar nervös. Es lässt sich beobachten, dass nach 2012 viele repressive Gesetzen erlassen wurden, die darauf abzielten, die Zivilgesellschaft zu schwächen und diejenigen, die sich als potentielle Führungskräfte herauskristallisierten, entweder zur Emigration zu zwingen, oder, wenn dies nicht 32  Rede von Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“, 24.02.2022, Osteuropa 1–3/2022, S. 144–148. 33  Resolution CM/Res (2022) 2 on the cessation of the membership of the Russian Federation to the Council of Europe, Adopted by the Committee of Ministers on 16 March 2022 at the 1428ter meeting of the Ministers’ Deputies. 34  Resolution der Generalversammlung vom 07.04.2022, A/RES/ES11/3, abrufbar unter https://www.un.org/depts/german/gv-notsondert/ares-11-3.pdf (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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gelänge, zu inhaftieren.35 Das wohl wichtigste Element dieser Repressionsgesetzgebung ist das Gesetz über die so genannten „ausländischen Agenten“, nach dem all jene NGOs, die „politische Tätigkeiten“ wahrnehmen und Finanzierung aus dem Ausland erhalten, bei ihrem Auftreten deutliche Warnhinweise über ihre „Agentenstellung“ anbringen müssen.36 Die Stellung als „ausländischer Agent“ ist zudem mit einer Vielzahl bürokratischer Lasten verbunden, die gleichzeitig unbestimmt und schwer zu erfüllen sind, so dass NGOs und ihre Mitglieder seit 2012 permanent mit Geld- und Gefängnisstrafen bedroht werden. Diese Gesetzgebung wurde als schwerwiegender ­ Verstoß gegen die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit von allen relevanten Menschenrechtskontrollorganen vom UN-Menschenrechts­ komitee37 über die Venedigkommission38 bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte39  – von diesem allerdings erst sehr spät  – moniert. Allerdings führte diese Kritik nur dazu, dass die zugrunde liegenden Gesetze permanent reformiert wurden, allerdings 35  Angelika Nußberger, OSCE, Report on Russia’s Legal and Administrative Practice in the Light of its OSCE Human Rights Dimension Commitments, 22 September 2022, ODIH. GAL/58/222/Rev.1, S. 41–43. 36  Law no. 121-FZ of 13 July 2012 „On Entering Amendments to Individual Legislative Acts of the Russian Federation in the Part Regulating the Activities of Non-Commercial Organisations Performing the Functions of a Foreign Agent“. 37  UN Human Rights Committee, Concluding Observations on the seventh periodic report of the Russian Federation, 28 April 2015, UN Doc. CCPR/C/RUS/CO/7, para. 22. 38  Es gab drei Berichte der Venedigkommission, der erste 2014: Venice Commission, Opinion on Federal Law no. 121-FZ on Non-Commercial Organisations („Law on Foreign Agents“), on Federal Laws no. 18-FZ and no. 147–FZ and on Federal Law no. 190-FZ on Making Amendments to the Criminal Code („Law on Treason“), 27 June 2014, CDL-AD(2014)025; der zweite 2016: Venice Commission, Opinion on Federal Law no. 129-FZ (Federal Law on Undesirable Activities of Foreign and International Non-Governmental Organisations), 13 June 2016, CDL-AD(2016)020, und der dritte 2021: Venice Commission, Opinion on the Compatibility with International Human Rights Standards of a Series of Bills Introduced by the Russian State Duma Between 10 and 23 November 2020 to Amend Laws Affecting „Foreign Agents“, 6 July 2021, CDL-AD(2021)027. 39  EGMR, Urteil v. 14.07. 2022, Nr. 9988/13 u. a.  – Ecodefence u. a. v. Russische Föderation.



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nicht in der von den ausländischen Kritikern gewünschten Weise, sondern genau entgegengesetzt mit weiteren Verschärfungen und Restriktionen. Auf der Grundlage des Gesetzes wurde unmittelbar vor und nach Beginn des Angriffskriegs eine Art Treibjagd auf NGOs veranstaltet, die zivilgesellschaftliches Engagement fast vollständig zum Erliegen brachte. Daneben wurden weitere repressive Gesetze verabschiedet, insbesondere drastische Strafgesetze, die jede Form von pazifistischer Äußerung als Verleugnung und Schwächung der Armee brandmarkten und mit drakonischen Gefängnisstrafen bedrohten.40 Auch die Extremismusgesetzgebung41 und die Gesetzgebung zu Staatsverrat42 wurden in dieser Weise instrumentalisiert. Verbunden mit dieser Gesetzgebung war eine normative Zementierung der als „glorreich“ angesehenen russischen und insbesondere auch sowjetischen Vergangenheit. Diese hat in der umfangreichen Verfassungsänderung im Jahr 2020 sogar zu einer Festschreibung eines bestimmten Geschichtsverständnisses auf der Ebene der Verfassung geführt, in deren Art. 67.1 es nunmehr heißt: „Die Russische Föderation ehrt die Erinnerungen an die Verteidiger des Vaterlandes und stellt den Schutz der historischen Wahrheit sicher.“

Mit eben dieser Verfassungsänderung wurden auch die eingangs erwähnten liberalen und besonders völkerrechtsfreundlichen Elemente aus der Verfassung getilgt. Nicht verändert werden konnte Art. 15 der Verfassung, der den grundsätzlichen Vorrang von internationalem Vertragsrecht vor russischem Gesetzesrecht vorsieht, da dieser Artikel im ersten Teil der Verfassung und damit im Grundlagenkapitel steht, das nur in einem besonderen, mit einer Volksabstimmung verbundenen Verfahren abgeändert werden kann. Allerdings wurde in Art. 79 eine Bestimmung eingefügt, nach der Urteile internationaler Gerichte nur anzuerkennen sind, wenn sie nicht der russischen Verfassung widersprechen; hierbei hat aber das russische Verfassungsgericht das letzte Wort.43 Nußberger, OSZE-Bericht 2022 (Anm. 35), S. 46–50. Nußberger, OSZE-Bericht 2022 (Anm. 35), S. 64. 42  Nußberger, OSZE-Bericht 2022 (Anm. 35), S. 69–72. 43  Wortlaut von Art. 79 der Russischen Verfassung: „Die Russländische Föderation kann sich in Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Verträgen 40  41 

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Mit Blick auf die völkerrechtlichen Bindungen Russlands führt diese innenpolitische Entwicklung unleugbar zu einer Entzweiung des Völkerrechts. Dabei gilt es allerdings einen nuancierten Blick auf die verschiedenen völkerrechtlichen Instrumente zu werfen. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die neue Bestimmung des Art. 79 zur Relativierung völkerrechtlicher Bindungen mit Blick auf ihre Vereinbarkeit mit der russischen Verfassung in unmittelbarem Widerspruch zur Wiener Vertragskonvention steht, da nach Art. 27 WVK nationales Recht grundsätzlich unbeachtlich ist, wenn es um die Bindung an völkerrechtliche Verträge geht.44 Dementsprechend fällt auch die Analyse der Verfassungsänderung durch die Venedigkommission eindeutig negativ aus; eine Änderung der Änderung wird dringend angemahnt.45 Beim Verständnis der Menschenrechte wird die Lagerbildung „wir und sie“ revitalisiert. Ursprünglich ging es vor allem um einen Gegensatz zwischen sozialen Rechten und Freiheitsrechten. Dies lässt sich der Russländischen Föderation an zwischenstaatlichen Vereinigungen beteiligen und diesen einen Teil ihrer Befugnisse übertragen, soweit dies keine Beschränkung der Rechte und Freiheiten des Menschen und des Bürgers nach sich zieht und nicht den Grundlagen der Verfassungsordnung der Russländischen Föderation widerspricht. Entscheidungen zwischenstaatlicher Organe, die auf der Grundlage von Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge der Russländischen Föderation in einer der Verfassung der Russischen Födera­ tion widersprechenden Auslegung getroffen werden, kommen in der Russländischen Föderation nicht zur Anwendung.“, Übersetzung aus: Wedde (Hrsg.), Die Reform der russischen Verfassung, Schriftenreihe der DeutschRussischen Juristenvereinigung e. V.; Band 3, S. 205–206. 44  „Eine Vertragspartei kann sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nicht-Erfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.“ 45  „Therefore, and in the light of its previous conclusions, the Venice Commission considers that the proposed addition to Article 79 of the Constitution should be removed, or its wording should be amended to make it similar to the wording of Article 125 § 5 b), which underlines the aim to find a solution to possible contradictions.“, Venice Commission, Opinion on Draft Amendments to the Constitution (As Signed by the President of the Russian Federation on 14 March 2020) Related to the Execution in the Russian Federation of Decisions by the European Court of Human Rights, 18  June 2020, CDL-AD (2020)009, para.  68, abrufbar unter https://www. venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile = CDL-AD(2020) 009-es (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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auch in neuer Zeit beobachten, betrachtet man etwa die Schwerpunktsetzung der von der Verfassung vorgesehenen russischen Menschenrechtsschutzsysteme, des russischen Verfassungsgerichts und des Menschenrechtsrats des Präsidenten; beide behandeln vorrangig soziale Themen und soziale Fälle.46 Darüber hinaus wird aber auch eine ideologische Spaltung, die sehr viel tiefer geht, beschworen. So spricht etwa der einflussreiche russische Denker Sergej Karaganov – auf den Westen bezogen  – von einer „Erosion der grundlegenden mensch­ lichen Werte.“47 In diesem Zusammenhang bezieht er sich auf „Erscheinungen wie LGBtismus, Multisexualität, Ultrafeminismus, die Verleugnung der Geschichte und der eigenen Wurzeln, des Glaubens, die Unterstützung des schwarzen Rassismus einschließlich seiner antichristlichen Elemente und seines Antisemitismus.“ Im gleichen Atemzug nennt er „die Stilisierung der Demokratie zu einer Religion“.48 Genau dies ist der Subtext, auf dessen Grundlage Putins Kriegsrede vom 24.2.2022 zu lesen ist. Er spricht von Menschenrechten, dreht aber das Grundkonzept um und baut eine Frontstellung auf. Zwar klingt eine Passage der Rede so, als würde Putin die Menschenrechte, so wie sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf universeller und re­ gionaler Ebene herauskristallisiert haben, anerkennen: „Die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs sind heilig, ebenso wie die Opfer, die unser Volk auf dem Altar des Sieges über den Nationalsozialismus gebracht hat. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu den hohen Werten der Menschenrechte und Freiheiten, die heute auf den Realitäten der Nachkriegsjahrzehnte beruhen.“49 Diese Lesart widerlegt aber eine andere Passage der Rede. Dort spricht er – gegen den Westen gerichtet  – davon, dass es Versuche gegeben habe, „unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns ihre Pseudowerte aufzuzwingen, die uns und unser Volk von innen heraus zersetzen würden; diese Haltungen werden in ihren Ländern bereits aggressiv durchgesetzt und führen direkt zu Degradierung und Entartung, da sie der menschlichen NaNußberger, OSZE-Bericht 2022 (Anm. 35), S. 26. Sergy Karaganov, Vom Dritten Kalten Krieg, Osteuropa 7 (2021), S.  15 ff. (23). 48  Karaganov, Vom Dritten Kalten Krieg (Anm. 47), S. 23. 49  Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“ (Anm. 32), S. 146. 46  47 

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tur selbst widersprechen.“50 Es ist klar erkennbar, dass Putin sich hier, wie auch Karaganov, auf die menschenrechtliche Absicherung der LGBTQ-Bewegung bezieht und eine Opposition zwischen den „wahren russischen Werten“ und dem vermeintlich fehlgeleiteten Menschenrechtsverständnis des Westens aufbauen will. Diese inhaltlich-rhetorische Opposition zwischen dem russischen Verständnis und dem, was Putin und Karaganov als „westliches Verständnis“ bezeichnen, wird aber auch von der Gegenseite anerkannt, allerdings unter entgegengesetzten Vorzeichen. Dies gilt in erster Linie für das verfasste Europa. Hier wurde der Bruch am 16.  März 2022 mit dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat vollzogen. Russland hat seinerseits eine Kündigung ausgesprochen. Im Kündigungsschreiben warf Außenminister Lawrow dem Europarat „bewusst eskalierte Spannungen“ vor und bezeichnete die 1949 im Nachkriegseuropa gegründete Organisation als „Instrument zur Erreichung geopolitischer Ziele“.51 Für die Folgen des Austritts sei nicht Russland, sondern der Europarat verantwortlich. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkannte noch eine Übergangsfrist von sechs Monaten an, innerhalb derer die Menschenrechtskonvention weitergalt und die Menschen sich mit neuen Beschwerden gegen Russland an Straßburg wenden konnten. Dies galt für die Opfer der Gewalt in der Ukraine ebenso wie für die in Russland der Verfolgung ausgesetzten Kriegsgegner. Am 16.  September 2022 war auch hier das Ende besiegelt.52 Damit ergibt sich beim 50  Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“, (Anm. 32), S. 143. 51  Vgl. TASS, Lavrov’s letter on Russian withdrawal from CoE handed over to secretary general, abrufbar unter https://tass.com/politics/1422531 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 52  Giegerich, Struggling for Europe’s Soul (Anm. 22), S. 550; Press Release issued by the Registrar of the Court, The Russian Federation ceases to be a Party to the European Convention on Human Rights, ECHR 286, 2022 v. 16.09.2022; Resolution of the European Court of Human Rights on the consequences of the cessation of membership of the Russian Federation to the Council of Europe in light of Article 58 of the European Convention on Human Rights, ECHR, v. 22.03.2022, abrufbar unter https://echr.coe. int/Documents/Resolution_ECHR_cessation_membership_Russia_CoE_ ENG.pdf (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Menschenrechtsverständnis eine vollständige Isolation Russlands in Europa. 46 Mitgliedsstaaten des Europarats halten weiter zusammen. Von einer „Ost-West-Spaltung“ lässt sich so nicht sprechen. Zwar greifen einige Staaten die von Russland entwickelten Muster  – sowohl die Repressionsgesetze53 als auch die Rhetorik gegen ein fehlgeleitetes Menschenrechtsverständnis54  – in verschiedenen Kontexten auf, aber alle bleiben im System; allein Russland ist draußen. Auch auf der universellen Ebene wurde Russland in Menschenrechtsfragen mit dem Hinauswurf aus dem Menschenrechtsrat isoliert. Russland war bis zum Jahr 2022 einer der 47 Mitgliedsstaaten gewesen, wurde dann aber mit einer Mehrheit von 93 zu 24 Staaten mit 58 Enthaltungen ausgeschlossen.55 Hier zeigt das Abstimmungs53  Vgl. etwa das israelische „Transparenzgesetz“ aus dem Jahr 2016: Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag, Rahmenbedingungen für ausländische NGOs in ausgewählten Staaten, WD 2  – 3000  – 051/22, S. 20; Noam Cohen, The struggle of human rights NGOs and the „Funding Transparency“ Law in Israel, NMRZ, v. 12.07.2018, abrufbar unter https://www. menschenrechte.org/en/2018/07/12/the-struggle-of-human-rightsngos-and-the-funding-transparency-law-in-israel/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023); ebenfalls das in 2022 verabschiedete Mediengesetz in Aserbaidschan: Venice Commission, Joint Opinion of the Venice Commission and the Directorate General of Human Rights and Rule of Law (DGI) of the Council of Europe on the Law on Media, adopted by the Venice Commission at its 131st Plenary Session, 17–18 June 2022, CDL-AD(2022)009-e, S. 21–22; auch in Belarus wird über eine neue Gesetzgebung bzgl. „ausländischer Agenten“ am Beispiel der russischen Gesetze nachgedacht: Radio Free Europe/Radio Liberty, President Says Lukashenka Has Discussed Adopting ‘Foreign Agents’ Law, 9.6. 2021, abrufbar unter https://www.rferl.org/a/ rferl-president-belarus-foreign-agents/31299398.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023); vgl. auch die Gesetzeslage in Polen: Mary Steffenhagen, Putin’s playbook: Strongmen around the world are using Russian tactics to quell dissent, Poland, coda, 21.07.2021, abrufbar unter https://www.codastory. com/disinformation/russias-foreign-agents-law-reverberates-around-theworld/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 54  Vgl. die Rede von Viktor Orbán zum ungarischen Nationalfeiertag am 15.03.2016, abrufbar unter https://miniszterelnok.hu/speech-by-primeminister-viktor-orban-on-15-march/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 55  Die UN-Generalversammlung stimmt für den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat, UNRIC, Webseite vom 08.04.2022, abrufbar unter https://unric.org/de/080422-russland/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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bild – insbesondere die Staaten, die sich enthalten haben – zwar, dass Russland isoliert ist, aber nicht von allen gleichermaßen als Paria im Menschenrechtsbereich verurteilt wird.56 Dass bei Menschenrechtsfragen nicht nur in einzelnen Fragen Dissens, sondern insgesamt kein Grundkonsens mehr besteht, ist offensichtlich. Was dies für die Menschenrechte in der Zukunft bedeutet, ist noch nicht absehbar. Eine Gefahr ist darin zu sehen, dass ihnen ihre Wirksamkeit aberkannt wird, da es trotz eines gerichtlichen Schutzsystems nicht gelungen ist, Russland „einzuhegen“ und ein Abgleiten in Autoritarismus und Diktatur zu verhindern. Andererseits ließe sich aufgrund der Entwicklungen aber auch eine Stärkung des Menschenrechtsschutzes erwarten, da die innen- und außenpolitischen Konsequenzen deutlich machen, welches Leid damit verbunden ist, wenn Menschenrechte nicht eingehalten werden.57 2. Außenpolitik und klassische völkerrechtliche Konzepte Aber die Entzweiung erfasst nicht nur die Menschenrechte, sondern auch die Grundfesten des klassischen Völkerrechts. Dies lässt sich vor allem an den beiden Kriegsreden Putins vom 21. und 24. Februar 2022 festmachen. a) Pick-and-choose-Verständnis des Völkerrechts Zunächst einmal betrifft diese Entzweiung das, was Putin nicht erwähnt, nämlich all jene Verträge, mit denen Russland die Ukraine in ihren internationalen Grenzen anerkannt hat, so insbesondere das Budapester Memorandum von 1994, mit dem sich Russland, die USA und Großbritannien im Gegenzug zum Atomwaffenverzicht der Ukraine – ebenso wie von Kasachstan und Belarus – verpflichte56  Resolution A/HRC/51/L.13, abrufbar unter https://www.ohchr.org/ en/hr-bodies/hrc/regular-sessions/session51/res-dec-stat (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 57  Philip Leach, A time of reckoning? Russia and the Council of Europe, E.H.R.L.R. 3 (2022), S. 219–227; Giegerich, Struggling for Europe’s Soul (Anm. 22), S. 550 f.



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ten, ihre Souveränität zu achten.58 In seiner zweiten Rede spricht Putin von Verträgen, die „faktisch entwertet“ worden sein, ohne da­ rauf einzugehen, um welche Verträge es sich handeln und was „faktische Entwertung“ bedeuten soll.59 Damit aber praktiziert Putin etwas, was man als „selektives Völkerrecht“ bezeichnen kann; man wählt bei völkerrechtlichen Verträgen diejenigen aus, an die man sich halten will und spricht allen anderen die Bindungswirkung ab. Dies aber entspricht dem Völkerrecht der frühen Sowjetunion, als man sich berechtigt sah, selbst zu entscheiden, welche Verträge des „imperialistischen Zarenreichs“ man noch einhalten wolle. Dies konnten die Staaten dem sowjetischen Russland nicht zubilligen; mit diesem Argument kann auch Putin nicht bestehen. Andernfalls würde das Völkerrecht als regelhaftes Normsystem aufgegeben. Des Weiteren hat Putin in seinen Kriegsreden auf völkerrechtliche Grundkonzepte zurückgegriffen, diese aber in ihrer Bedeutung verdreht und auf zynische Weise als Pseudoargumente verwendet. b) Tu-quoque-Verständnis des Völkerrechts So macht Putin eine Art „Gesamtrechnung“ auf. Die Konfronta­ tion zwischen Russland und dem Westen ist für Putin fundamental 58  Memorandum on security assurances in connection with Ukraine’s accession to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (Budapest Memorandum), 05.12.1994, UNTC, No. 52241, Art. 1: „The Russian Federation (…) reaffirm(s) their commitment to Ukraine, (…), to respect the independence and sovereignty and the existing borders of Ukraine.“ Anderes gilt für den russisch-ukrainischen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft von 1997 (UNTC, No. 52240, Treaty on Friendship, Cooperation and Partnership between Ukraine and the Russian Federation, Kiev, 31.05.1997), da dieser nach 10-jähriger Laufzeit  – nach dem Willen der Ukraine aufgrund der Vertragsverletzungen durch Russland – nicht verlängert wurde und so am 01.04.2019 auslief. 2022 war er – anders als 2014 bei den Ereignissen auf der Krim  – nicht mehr anwendbar; vgl. DW, Kein Freundschaftsvertrag mit Russland ab 2019, v. 06.12.2018, abrufbar unter https://www.dw.com/de/kein-freundschaftsvertrag-mit-russland-ab-2019/ a-46616956 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 59  Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“ (Anm. 32), S. 2: „In der Folge wurden Verträge und Abkommen de facto ungültig.“

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und unentrinnbar. Er argumentiert, auf der Seite Russland stehe Gerechtigkeit und Wahrheit. Dem Westen wirft er vor, ein „Reich der Lügen“ zu sein. Besonders die Hybris des Westens prangert er an. Im Rückblick auf den Untergang der Sowjetunion nennt er die Haltung des Westens als geprägt von Exzeptionalismus, Unfehlbarkeit und Straflosigkeit. In Wirklichkeit sei seine Hinterlassenschaft aber, wann immer er eine Ordnung zu schaffen versucht habe – die historischen Beispiele beziehen sich auf Libyen, Syrien und Irak – „blutige offene Wunden, internationaler Terrorismus und Extremismus“ gewesen.60 Vor allem aber basiert die Argumentation auf Vorwürfen wegen des Vorgehens des Westens im Kosovo. Deshalb ist,  – wie bereits ausgeführt  – die Auseinandersetzung zu dieser Frage als historische Zäsur zu betrachten. Die militärische Intervention im Kosovo wurde von russischer Seite immer als fundamentaler Völkerrechtsverstoß interpretiert, zugleich aber als Grundlage genommen, um die Anwendung von Gewalt zu rechtfertigen, insbesondere im Georgien- und im Ukraine­ krieg.61 Dasselbe gilt für die Verurteilung der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo,62 die von Putin als Blaupause für die Anerkennung der Unabhängigkeit von Südossetien, Abchasien, der Krim und der Donbassregionen Luhansk und Donetzk genommen wurde.63 Eine 60  Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“ (Anm. 32), S. 3. 61  Vgl. dazu Angelika Nußberger, Völkerrecht im Kaukasus – Postsowjetische Konflikte in Russland und Georgien, EuGRZ 2008, S. 457–466; dies., Der „Fünf-Tage-Krieg“ vor Gericht. Russland, Georgien und das Völkerrecht, Osteuropa 58 (2008), S. 19–40; Veronika Bilkova, The Use of Force by the Russian Federation in Crimea, ZaöRV 75 (2015), S. 27 ff. (47 f.); Christian Marxsen, The Crimea Crisis An International Law Perspective, ZaöRV 74 (2014), S. 367 ff. (374). 62  Vgl. die Stellungnahme Russlands im Verfahren vor dem IGH: IGH, Kosovo, Written Statement of the Russian Federation, 17.04.2009, S. 39 f., Conclusion para.  4; vgl. auch die Aussage des ehemaligen russischen Präsidenten Medvedev vom 26.08.2008, abrufbar unter https://www.ft.com/ content/9c7ad792-7395-11dd-8a66-0000779fd18c (zuletzt abgerufen am 15.05.2023): „Meanwhile, ignoring Russia’s warnings western countries rushed to recognise Kosovo’s illegal declaration of independence from Serbia.“ 63  Vgl. die Rede von Putin vom 18.03.2014, abrufbar unter http://en. kremlin.ru/events/president/news/20603 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023):



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derartige Argumentation funktioniert aber im Völkerrecht nicht, denn für Rechtswandel ist Praxis (consuetudo) und Rechtsüberzeugung (opinio iuris) erforderlich. Kritisiert man eine Handlung als mit nichts zu rechtfertigenden Bruch des Völkerrechts, kann man nicht gleichzeitig die Auffassung vertreten, dies sei ein neues Recht, an das man sich halten wolle. Vielmehr muss man dann akzeptieren, dass schon die vorausgehende  – kritisierte  – Handlung Ausdruck einer neuen, von allen geteilten, Rechtsauffassung sei, bei der sich aus bestimmten Voraussetzungen bestimmte Rechtsfolgen ergeben. Bildlich lässt sich die Haltung mit der idiomatischen Redewendung im Englischen beschreiben „You cannot have your cake and eat it.“ Die Kritik an einem Rechtsbruch und die opinio iuris, es handele sich um geltendes Recht, sind miteinander unvereinbar. In Wirklichkeit scheint Putin hier von der Maxime „tu quoque“ geleitet zu sein. Er folgert aus den angeblichen Rechtsbrüchen der anderen das vermeintliche Recht zu eigenen Rechtsbrüchen, fordert eine Gleichbehandlung im Unrecht, dies aber ohne anzuerkennen, selbst unrechtmäßig zu handeln. c) Souveränität à la carte Gleichzeitig entwickelt er ein Konzept, das man als „ungleiche Souveränität“ oder „Souveränität à la carte“ bezeichnen könnte. Einerseits betont er, die Souveränität aller postsowjetischen Staaten zu achten: „Wie ich bereits sagte, hat Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die neuen geopolitischen Realitäten akzeptiert. Wir respektieren alle neu entstandenen Länder der ehemaligen Sowjetunion und werden sie auch weiterhin respektieren. Wir respektieren ihre Souveränität und werden sie auch weiterhin respektieren, …“64 Andererseits folgt dieser Aussage ein entscheidendes „Aber“: Dies gelte nicht für die Ukraine, wobei die Argumentation hierzu vor „Moreover, the Crimean authorities referred to the well-known Kosovo precedent  – a  precedent our western colleagues created with their own hands in  a  very similar situation, when they agreed that the  unilateral separation of  Kosovo from Serbia, exactly what Crimea is doing now, was legitimate and did not require any permission from the country’s central authorities“. 64  Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“ (Anm. 32), S. 6.

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allem auf einem bestimmten, für das eigene Weltbild maßgeschneiderten historischen Narrativ beruht.65 Auch dieses Konzept einer „ungleichen Souveränität“ oder „Souveränität à la carte“ erinnert an das Denken in der Sowjetzeit und insbesondere die Vorstellung Brežnevs vom nahen Ausland, das die Vorherrschaft der kommunistischen Partei der Sowjetunion anzuerkennen habe. d) Freies Selbstbestimmungsrecht Als ein weiteres zentrales Element des Putin’schen Völkerrechts ist sein Verständnis vom Selbstbestimmungsrecht der Völker anzusehen. In seiner zweiten Rede führt Putin aus, niemand habe die Menschen, die auf dem Gebiet der gegenwärtigen Ukraine leben, je gefragt, wie sie ihr Leben aufbauen wollten. Er beschwört eine „Politik der Freiheit“ und der „Wahlfreiheit“ und fordert, dass alle Menschen, die auf dem Territorium der Ukraine lebten, dieses Recht haben sollten. Damit knüpft er an seine Ausführungen zur Geschichte an, denen zufolge es die Ukraine als „Nationalstaat“ nicht gebe und sie lediglich von Lenins Gnaden geschaffen und durch nachfolgende Gebietsgeschenke konstituiert worden sei. Auch wenn er in diesem Zusammenhang nicht explizit vom Selbstbestimmungsrecht spricht, ist darin doch eine Art „nachholendes Selbstbestimmungsrecht“ zu sehen  – was versäumt worden war, soll nunmehr nachgeholt werden. Allerdings ist  – außerhalb des kolonialen Kontexts66  – allgemein anerkannt,67 dass das Selbstbestimmungsrecht nicht zu einer Abspal65  Wörtlich heißt es: „Und wir halten es für wichtig, dass alle Völker, die auf dem Territorium der gegenwärtigen Ukraine leben, all jene, die dieses Recht ausüben wollen – das Recht zu wählen – das Recht haben sollten, dies zu tun“; Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“ (Anm. 32), S. 6. 66  Vgl. die von der UN-Generalversammlung verabschiedete Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, UN/ GA/RES/1514, 14.12.1960. 67  Vgl. International Independent Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia, Report, Vol. II, S. 141; Theodore Christakis, Self-Determination, Territorial Integrity and Fait Accompli in the Case of Crimea, ZaöRV 75



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tung eines Gebiets von einem Gesamtstaat,68 sondern nur zu einem Recht auf adäquate Vertretung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe im Gesamtstaat führt, es sei denn, es wäre tatsächlich ihre Auslöschung zu befürchten („remedial secession“).69 Auf diese Ausnahme aber hat sich Putin in allen Fällen – modelliert nach dem Vorbild der Begründung der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo  – berufen, allerdings ohne je Beweise für das Vorliegen der Voraussetzungen eines existenzauslöschenden Angriffs zu erbringen, die Anerkennung gefunden hätten. Ein vom ihm postuliertes „freies“ Selbstbestimmungsrecht all jener, die auf dem Territorium der Ukraine wohnen, aufgrund von Grenzverschiebungen aber in historischer Zeit zu anderen Staaten gehört haben, gibt es nicht im Völkerrecht; ein entsprechendes „Wahlrecht“ einräumen zu wollen, entbehrt jeder Grundlage. e) Subjektiviertes Selbstverteidigungsrecht Die Geltung des Gewaltverbots streitet Putin nicht ab, beruft sich aber auf das Selbstverteidigungsrecht. Nach der UN-Charta wäre (2015), S. 75 ff. (84); Peter Hilpold, Die Sezession  – zum Versuch der Verrechtlichung eines faktischen Phänomens, ZöR 63 (2008), S. 117 ff. (122). 68  Vgl. die berühmte Passage in UN/GA/RES/2625, 24.10.1970, Abschnitt (e): „Nothing in the foregoing paragraps shall be contrued as authorizing or encouraging any action which would dismember or impair, totally or in part, the territorial integrity or political unity of sovereign and independent States conducting themselves in compliance with the principle of equal rights and self-determination of peoples as described above (…)“. 69  Diesen Punkt und die engen Ausnahmen für die Ausnahmen einer „remedial secession“ hat auch Russland in seiner Stellungnahme beim Gutachten-Verfahren zum Kosovo vor dem IGH akzeptiert. So wird ausdrücklich auf „truly exceptional circumstances“ verwiesen, „such as an outright armed attack by the parent State, threatening the very existence of the people in question“ Written Statement by the Russian Federation, para. 88, abrufbar unter https://www.icj-cij.org/public/files/case-related/141/15628.pdf (zuletzt abgerufen am 15.05.2023); darauf verweist richtigerweise Marko Milanovic, Crimea, Kosovo, Hobgoblins and Hypocrisy. EJIL:Talk! Blog of the Journal of International Law, 20.3.2014, abrufbar unter www.ejiltalk.org/ crimea-kosovo-hobgoblins-and-hypocrisy; zur „remedial secession“ vgl. Anatoly Kapustin, Crimea’s Self-Determination in the Light of Contemporary International Law, ZaöRV 75 (2015), S. 101 ff. (107 f.).

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Voraussetzung dafür ein bewaffneter Angriff. Diesen aber gab es nicht. Das neue Putin’sche Völkerrecht ersetzt ihn durch ein subjektives Bedrohungsgefühl: „Aber Russland kann sich nicht sicher fühlen, kann sich nicht entwickeln und existieren, wenn eine permanente Bedrohung vom Territorium der gegenwärtigen Ukraine ausgeht.“70 V. Zukunft? So unhaltbar auch Putins Ansätze sind, so versucht er doch, im Rahmen des Völkerrechts zu argumentieren. Er verwendet völkerrechtliche Grundbegriffe, Souveränität, Selbstbestimmung, Menschenrechte, spricht aber eine neue Argumentationssprache, die mit den Grundkonzepten des klassischen universellen Völkerrechts in gleicher Weise bricht wie das sowjetische Völkerrecht mit dem klassischen universellen Völkerrecht brach. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Zukunft des Völkerrechts. Wie geht es weiter, wenn ein Staat das System zerstören will? Wäre es ein Verhältnis von 192 Staaten gegen einen Staat, könnte man sagen, all dies sei unbeachtlich. Aber unbeachtlich ist es nicht, aus drei Gründen. Zum einen führt Russland einen Krieg, der noch nicht beendet ist. Zum anderen ist Russland Mitglied des Sicherheitsrats. Und zum dritten erfährt Russland bei vielen seiner Positionen keinen Widerspruch von einem anderen Sicherheitsratsmitglied, nämlich China, und zumindest bei einzelnen Positionen einen allenfalls schwachen Widerstand von anderen großen und wichtigen Staaten wie Indien, der Türkei und Brasilien. Völkerrecht ist kein abstraktes System, sondern beruht auf Rechtsüberzeugung und praktischer Anwendung. Das Putin’sche Völkerrecht, würde es zu Rechtsüberzeugung und praktischer Anwendung führen, wäre zugleich das Ende des Völkerrechts. Damit würde der (Definitions-)Macht des Stärkeren der Vorrang vor dem allgemein geltenden Recht eingeräumt. Es ist die Verantwortung der internationalen Staatengemeinschaft, darauf hinzuwirken, dass dies nicht passiert. 70  Vladimir Putin, „Unser Vorgehen dient der Selbstverteidigung“ (Anm. 32), S. 144–148.

Territorial Conflicts on the Territory of the Former Soviet Union Stabilised de facto Regimes between Territorial Integrity, the Right of Self-determination, and the Interests of Third Parties Von Noëlle Quénivet I.

Introduction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

II. Statehood under International Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Permanent Population . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2. Defined Territory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Government . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 4. Capacity to Enter into Relations with other States . . . . . . . . . . . 91 III. Violations of the Prohibition of the Use of Force and of the Principle of Territorial Integrity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1. Elements of Statehood or Recognition? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Unlawful Use of Force . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Violation of the Principle of Territorial Integrity . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Remedial Secession and the Right of Self-Determination . . . . . . . . 112 1. The Right of Self-Determination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Conditions to Exercise the Right to External Self-Determination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) The Definition of Peoples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Circumstances under which the Right of Self-Determination Can Be Exercised . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Expressing the Right of Self-Determination by Way of Referendum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 V.

Interests of Third Parties and Independence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Link between Statehood, Viability and Independence . . . . . . . . 133

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2. Consequences of Obtaining Third Party Support to Survive  . 136 3. Lack of Independence of de facto States in the Post-Soviet Space . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Abkhazia and South Ossetia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Transnistria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 c) Nagorno-Karabakh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 VI. Conclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

I. Introduction Since the fall of the Soviet Union, nine non-State entities have appeared on its territory, each claiming independence, if not statehood: Abkhazia (Republic of Abkhazia or Apsny), Chechnya (Republic of Ichkheria), Crimea (Republic of Crimea), Donetsk People’s Republic, Gagauzia (Republic of Gagauzia), Luhansk People’s Republic, Nagorno-Karabakh (Republic of Artsakh), Transnistria (the Pridnestrovian Moldavian Republic), and South Ossetia (the Republic of South Ossetia – State of Alania). As Coppieters acknowledges, “[t]he flood of declarations of sovereignty and independence […] posed a challenge to the Soviet authorities, as well as to the international community”.1 Two of these entities have been incorporated back into their parent State (Chechnya and Gagauzia), three (Crimea, Donetsk People’s Republic and Luhansk People’s Republic) have been incorporated unlawfully2 into another State whilst the others are perduring as non-State entities and can be classed as de facto stabilised regimes or States. De facto States have been defined by Pegg as “entities which feature long-term, effective, and popularly-supported organized political 1  Bruno Coppieters, Four Positions on the Recognition of States in and after the Soviet Union, with Special Reference to Abkhazia, Europe-Asia Studies Vol. 70/6 (2018), p. 991 et seqq. (991). 2  For a contrary view regarding Crimea, see Alexei Moiseev, Concerning Certain Positions on the Ukrainian Issue in International Law, Russian Politics and Law Vol. 53/2 (2015), p. 47 et seqq.; and the views of Russian academics presented in Erika Leonaitė/Dainius Žalimas, The Annexation of Crimea and Attempts to Justify it in the Context of International Law, ­Lithuanian Annual Strategic Review Vol. 14 (2015–2016), p. 11 et seqq.

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leadership that provide governmental services to a given population in a defined territorial area” and which “seek international recognition and view themselves as capable of meeting the obligations of sovereign statehood”.3 De facto States cause a significant headache for international law. Indeed, the concept of de facto States indicates that there are (at least) two sovereignty claims over a territory and a population, usually one by a group invoking the right of self-determination and another by a State ascertaining the principle of territorial integrity.4 And, because they are deemed to have contravened one of the fundamental norms of international law, that of the territorial integrity of the State, and have been created without the permission of the State from which they have broken away, they are shunned, “marginalised and treated with disapproval”5 and “exposed to […] the threat of extinction”6 or being ignored.7 Their situation unmistakably puts in relief the definition of statehood and its criteria and the international community’s unwillingness to consider them as States because they do not have the right of self-determination and were created in violation of core principles of international law such as territorial integrity and the prohibition of the use of force. As the topics of statehood and recognition are widely covered in international law literature,8 this chapter does not aim 3  Scott Pegg, International Society and the De Facto State, 1998, p. 4. See also Scott Pegg/Eiki Berg, Lost and Found: The WikiLeaks of De Facto StateGreat Power Relations, International Studies Perspective Vol. 17 (2016), p. 267 et seqq. (268). 4  Alexander Kurtskhalia, The Application Process of International Law in Solution of Territorial Conflict of the Republic of Moldova and Georgia, Moldoscopie Vol. 86/3 (2019), p. 69 et seqq. (75). 5  James Ker-Lindsay, The Stigmatisation of de facto States: Disapproval and “Engagement without Recognition”, Ethnopolitics Vol. 17 (2018), p. 362 et seqq. (362). 6  Janis Grzybowski, The Paradox of State Identification: de facto States, Recognition, and the (Re-)Production of the International, International Theory Vol. 11 (2019), p. 241 et seqq (241); Pegg/Berg, Lost and Found (no. 3) p. 268 et seq. 7  Pegg/Berg, Lost and Found (no. 3) p. 268. 8  See the excellent works of e. g., James Crawford, The Creation of States in International Law, 2006; John Dugard/David Raič, The Role of Recognition in the Law and Practice of Secession, in: Cohen (ed.), Secession, Inter-

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to be another treatise on statehood (or recognition); rather, its goal is to discuss the concept of statehood in relation to the de facto entities in the post-Soviet space. Some academics have, of course, sought to examine statehood and recognition as applied to these entities too. However, their research usually centres on one specific entity,9 overwhelmingly on Abkhazia and South Ossetia, less on Transnistria and rather rarely on Nagorno-Karabakh.10 Further, the majority of such scholarly works are solidly grounded in politics and international relations, rather than in international law. In contrast, this chapter examines all four entities (Abkhazia, South Ossetia, Transnistria, and Nagorno-Karabakh) and espouses an international law approach.11 To shed a better light on the conundrum in which these entities find themselves, a socio-legal methodology seems most appropriate to understand how the law and reality interact and affect each other. Undoubtedly political, economic, social, and cultural factors are at play in any situation concerning statehood, secession and recognition. Combined with a doctrinal research method that uses secondary literature in the field of notably law, politics, anthropology, and sociology this chapter offers not only a discussion of the pertinent law but also a highly contextualised application of the law to the four entities. The chapter demonstrates that contemporary law is so entrenched in defending the principle of territorial integrity that, as these four national Law Perspectives 2006, p. 94; Jure Vidmar, Democratic Statehood in International Law: The Emergence of New States in Post-Cold War Practice, 2013. 9  See the chapters in Harzl/Petrov (eds.), Unrecognized Entities. Perspectives in International, European and Constitutional Law, 2021; Heiko Krüger, The Nagorno-Karabakh Conflict. A Legal Analysis, 2010. A notable exception is Charles Kings, The Benefits of Ethnic War: Understanding Eurasia’s Unrecognized States, World Politics Vol. 53 (2001), p. 524 et seqq., which examines the four de facto States studied in this chapter. 10  Such works are extensively referred to in this chapter. 11  There are very few international law papers looking at the four entities. One of them is a chapter by Bowring (Bill Bowring, International Law and Non-Recognized Entities. Towards a Frozen Future? in: Harzl/Petrov, Unrecognized Entities (no. 9), p. 9) that is rather descriptive, and another is a rather outdated journal article by Quénivet (Noëlle Quénivet, 15 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion: Gibt es noch nicht anerkannte Staaten?, AVR Vol. 44 (2006), p. 481).

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de facto States struggle to survive, they are not only likely to perdure as “problem entities” but, as third parties are (increasingly) interested in supporting them, are in fact most likely to end up being run by and eventually incorporated in a patron State. Indeed, the lack of recognition has pushed them to seek assistance from a patron State to the extent that their claim to statehood is further weakened as they are unable to stand as independent States. This chapter examines the criteria of statehood according to the Montevideo Convention and applies them to these entities with a view to evaluating their statehood. The chapter then turns its attention to identifying the legal factors that prevent these entities from being recognized as States such as the violation of the prohibition of the use of force and the principle of territorial integrity before examining the right of self-determination claim made by these entities. It eventually considers their relationship with “interested third parties” that have become their patron State and concludes that, first, cast away from the international community because they have failed to fulfil the requirements for recognition and, second, existing under the aegis of patron States, they are now even further away from statehood than they ever were. II. Statehood under International Law The most agreed upon definition of a State is enshrined in Article 1 of the Montevideo Convention:12 “The state as a person of international law should possess the following qualifications: a. a permanent population; b. a defined territory; c. government; and d. capacity to enter into relations with the other states”.13 Whilst it is sometimes pointed out that the Convention is only applicable to the American continent, it is claimed that the definition is of customary nature14 as Crawford, Creation of States (no. 8) p. 45. Convention on the Rights and Duties of States (Montevideo Convention), 26 December 1933, 165 LNTS 19. 14  Irene R Lax, A State of Failure: The Sacrosanctity of Sovereignty and the Perpetuation of Conflict in Weak and Failing States, Temple International & Comparative Law Journal Vol. 26 (2012), p. 40 et seq.; Pamela Epstein, Behind Closed Doors: “Autonomous Colonization” in Post United Nations 12  13 

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it has been broadly accepted15 and practiced.16 The “criteria have become a touchstone for the definition of a state”17 and so should form the basis of any assessment of an entity’s claim to statehood as it is accepted that an entity that fulfils the requirements is a State.18 They are “the irreducible elements required for an entity to effectively function as a State”.19 This section, therefore, examines each criterion and applies it to the State-like entities on the territory of the former ­Soviet Union.

Era – the Case for Western Sahara, Annual Survey of International & Comparative Law Vol. 15 (2009), p. 117 et seqq. (119). Such an assumption is however disputed by Vidmar (Jure Vidmar, Territorial Integrity and the Law of Statehood, George Washington International Law Review Vol. 44 (2012), p. 697 et seqq. (745)). 15  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14) p. 698. 16  For example, the EU Declaration on the Guidelines on Recognition of New States in Eastern Europe and the Soviet Union referred to criteria additional to the “normal standards of international practice” (Declaration on the Guidelines on Recognition of New States in Eastern Europe and the Soviet Union, 31 ILM 1485, 1486 (1992), 16 December 1991) that have been interpreted as the Montevideo criteria (See Steven Blockmans, EU Global Peace Diplomacy: Shaping the Law on Statehood, in: Kochenov/ Amtenbrink (eds.), The European Union’s Shaping of the International Legal Order, 2014, p. 130 et seqq. (142); Peter Radan, Secession: A Word in Search of a Meaning, in: Pavković/Radan (eds.), On the Way to Statehood. Secession and Globalisation, 2008, p. 17 et seqq. (19)). For a contrary view, see Errol Mendes, Statehood and Palestine for the Purposes of Article 12(3) of the ICC Statute  – A Contrary Perspective, Submitted to ICC on 30 March 2010, p. 13 et seq. 17  Epstein, Behind Closed Doors, (no. 14) p. 119. 18  Kenn Chinemelu/Chibike Oraeto, Formation of State by Secession and the Import of Recognition in International Law, Law and Social Justice Review Vol. 2/1 (2021), p. 25 et seqq. (34); Radan, Secession (no. 16), p. 19; Crawford, Creation of States (no. 8) p. 45 et seq.; Milena Sterio, A Grotian Moment: Changes in the Legal Theory of Statehood, Denver Journal of International Law and Policy Vol. 39 (2011), p. 209 et seqq. (215); ICC, Situation in Palestine, Summary of Submissions on Whether the Declaration Lodged by the Palestinian National Authority Meets Statutory Requirements, 3 May 2010, paras 34 and 39. 19  Chike B Okosa, Statehood Theory: Current Scholarship on the Various Theories of Statehood in International Law, Nile University Law Journal Vol. 1/1 (2018), p. 107 et seqq. (108, 127).

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1. Permanent Population The criterion of a permanent population is probably one of the least contentious. A population is comprised of all inhabitants of the territory and is not limited to those who have a legal relationship with the State via the bond of nationality.20 Culture, religion, language, ethnicity or any other bond is irrelevant.21 The size of the population does not matter either22 as examples of micro-States such as Andorra, Monaco, etc prove. The adjective “permanent” that suggests a stable community leads to some more debate.23 According to the Western Sahara Advisory Opinion, it includes nomads too.24 Migration flows do not affect the permanent element of the population either even when such flows are forced.25 The issue of population replacement or modification is not one that is examined as part of the criterion.26 All four entities have a permanent population and, as explained, the fact that there have been accusations of ethnic cleansing by the disintegrating State, such claims are irrelevant in relation to the definition of a permanent population under the Montevideo Convention. 20  Crawford, Creation of States (no. 8), p. 52; European Union, Independent International Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia, Vol. II 2009, p. 131. 21  In German- and French-speaking literature, this is however a requirement. See discussion in EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 130 et seq. (fn. 18). 22  Crawford, Creation of States (no. 8), p. 52. 23  For example, Merezhko argues that the Holy See (sic) does not have a population as those present are ‘resident functionaries, with the purpose to support it as a religious organization’. Oleksandr Merezhko, The Mystery of the State and Sovereignty in International Law, Saint Louis University Law Journal Vol. 64 (2019), p. 23 et seqq. (34). 24  ICJ, Western Sahara, Advisory Opinion, ICJ Report 12 1975, para 81. 25  Wladyslaw Czaplinski, La continuité, l’identité et la succession d’Etats – Evaluation de cas récents, Revue Belge de Droit Internatonal Vol. 26 (1993), p. 374 et seqq. (378). 26  Interestingly, the Tagliavani report deems this an important factor to assess whether there is a stable group. EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 131.

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2. Defined Territory The second element of a State is that of a defined territory: “[t]erritory would seem to be an absolute necessity to the modern state”.27 Two reasons can be adduced for the need to have a territory. First, “all forms of state are based on the territorialization of political power”,28 and as explained in the Island of Palmas Case, “[t]erritorial sovereignty […] involves the exclusive right to display the activities of a State”.29 It is on its territory that a State is able to exercise its power. Territory and population thus go hand in hand. Second, a territory ensures that a State is self-sufficient.30 The territory must be some form of naturally formed land.31 Its size is irrelevant32 as the existence of micro-States showcases and it does not need to show contiguity.33 The question arises as to what is meant by the adjective “defined”. It is agreed that it should not be interpreted so as to require a State to have defined borders. First, using the interpretation method specified in Article 33 of the Vienna Convention on the Law of Treaties on the use of all authenticated language versions of a treaty,34 it should be noted that whilst the English version of the Montevideo Convention refers to a “defined” territory, the French uses the adjective “déterminé” (and a similar version is adopted in Spanish and Portuguese) which means a “given territory” rather than a “defined” one. Second, 27  Philip Marshall Brown, The Theory of the Independence and Equality of States, American Journal of International Law Vol. 9 (1915), p. 305 et seqq. (317). 28  Bob Jessop, The Future of the State in an Era of Globalization, IPG Vol. 3 (2003), p. 30 et seqq. (30). 29  Max Huber, Island of Palmas Case, Reports of International Arbitral Awards Vol. 1 (1928), p. 829 et seqq. (839). 30  Marshall Brown, Theory of Independence and Equality (no. 27), p. 318. 31  VG Köln, Fürstentum Sealand, DVBl 1978, in: Hoffmann/Menzel/ Pierlings, Völkerrechtsprechung. Ausgewählte Entscheidungen zum Völkerrecht in Perspektive, 2005, p. 175 et seqq. 32  Crawford, Creation of States (no. 8), p. 46 et seq. 33  Crawford, Creation of States (no. 8), p. 47. 34  Vienna Convention on the Law of Treaties, 23 May 1969, 1155 UNTS 331.

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it is agreed that the State must have control of at least an uncontroversial core territory even if the exact delimitations of the border are debatable.35 As was stated in the Deutsche Continental Gas-Gesellschaft Case, “[i]n order to say that a State exists […] it is enough that this territory has a sufficient consistency, even though its boundaries have not yet been accurately delimited, and that the State actually exercises independent public authority over that territory”.36 Such a position was confirmed by the International Court of Justice (ICJ) in the North Sea Continental Shelf Cases37 and in practice.38 With regard to the four entities, the territory is defined, usually circumscribed by the administrative borders of the previous power/ State.39 What is more, the presence of military forces such as UNOMIG in Abkhazia,40 peacekeeping troops in South Ossetia,41 Russian troops in Transnistria,42 and Russian peacekeeping troops in 2020 in Nagorno-Karabakh43 seem to indicate that not only the ter35  Walter Kälin/Astrid Epiney/Martina Caroni/Jörg Künzli/Benedikt Pirker, Völkerrecht. Eine Einführung, 5th edition 2022, p. 147; EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 130. 36  German-Polish Mixed Arbitral Tribunal, Deutsche Continental Gas-Gesellschaft v Polish State, ILR Vol. 5 (1929), p. 11 et seqq. (14 et seq.). 37  ICJ, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany/Denmark and Federal Republic of Germany/Netherlands), Judgment, ICJ Report 3 1969, p. 32. 38  See examples in Crawford, Creation of States (no. 8), p. 50 and Malcolm Shaw, International Law, 2017, p. 158. 39  For South Ossetia and Abkhazia, see EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 130. 40  UNSC, Resolution 854 (1993), UN Doc S/RES/854 (1993), 6 August 1993. 41  Friedrich W. Kriesel, The CSCE Mission to Georgia/South Ossetia and its Cooperation with the Russian Peacekeeping Forces – Model or Individual Case?, in: Ehrhart/Kreikemeyer/Zagorski (eds.), Crisis Management in the CIS: Wither Russia?, 1995, p. 179. 42  Marius Vahl/Michael Emerson, Moldova and the Transnistrian Conflict, Journal on Ethnopolitics and Minority Issues in Europe Vol. 1 (2004), p. 8. 43  See Freedom House, Freedom in the World 2022 – Nagorno-Karabakh, available at https://freedomhouse.org/country/nagorno-karabakh/freedomworld/2022 (last accessed on 15.05.2023).

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ritory is defined but the borders are delimited too. There has been a debate as to where the borders of South Ossetia lie, notably because the 2008 six-point agreement did not specify the borders and, as a result of the presence of Russian guards installing a barbed-wire fence and border signs, it appears that the line of the border has moved.44 The other problematic case might be that of Nagorno-Karabakh as whilst the de facto State is in control of the territory of the former administrative entity, there were occupied territories from a previous armed conflict between Armenia and Azerbaijan in 1992 (that are undisputedly Azerbaijani territory).45 However, as they have been reconquered by Azerbaijan in the 2020 conflict, the question does not arise anymore. 3. Government The third element of the Montevideo Convention is that of a government. Contrary to the two previous criteria, no adjective is appended to the noun. The form that this political organisation takes is irrelevant: “[n]o rule of international law […] requires the structure of a State to follow any particular pattern, as is evident from the diversity of the forms of State found in the world today”.46 Specifying the type of government would run counter several international law principles. First, as the ICJ explained in the Nicaragua Case, to oblige a State to adhere to a particular doctrine “would make nonsense of the fundamental principle of State sovereignty on which the whole of international law rests, and the freedom of choice of the political, social, economic and cultural system of a State”.47 Second, the principle of non-intervention in internal affairs combined with the princi44  Tracey German, Russia and South-Ossetia: Conferring Statehood or Creeping Annexation?, Southeast European and Black Sea Studies Vol. 16/1 (2016), p. 155 et seqq. (162 et seq.). 45  Pål Kolstø/Helge Blakkisrud, Living with Non-Recognition: State- and Nation-Building in South Caucasian Quasi-States, Europe-Asia Studies Vol. 60/3 (2008), p. 483 et seqq. (490). 46  ICJ, Western Sahara Advisory Opinion (no. 24), para 94. 47  ICJ, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and Against Nicaragua (Nicaragua v United States of America), Merits, Judgment, ICJ Report 14 1986, para 263.

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ple of equality prevents States from imposing on another State a certain type of political organisation.48 Third, the right of self-determination that allows people to choose the type of political organisation that organises and runs them would be violated. It is sometimes contended that whilst this was the position adopted prior to 1990, it changed, at least on the European continent, following the fall of the Soviet Union and Yugoslavia as, to obtain recognition, the new entities had to attest that they constituted themselves on a democratic basis. Such an argument is incorrect because, as observed by Fikfak, the requirement of being a democracy “should be regarded as a recognition requirement and not a statehood criterion”.49 Notwithstanding the lack of an adjective to qualify the government element, practice shows that the government must be central, i. e., that there is one unique source of power. The entity must set up a legal order and a central apparatus that is organised and able to exercise its authority over the territory and the people.50 What matters is that there is a central legal order, usually derived from the constitution.51 The reason is that a single authority should be able to assure the internal stability of the State as well as its ability to meet its obligations on the international level.52 Though the Montevideo Convention does not use the adjective “effective” to qualify the government, the government must exhibit its effective control of the population and the territory53 in the sense 48  Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 151; ICJ, Nicaragua Case (no. 47), para 263. 49  Veronika Fikfak, Democracy and Statehood, Chicago Journal of International Law Vol. 23 (2022), p. 103 et seqq. (108). 50  Dren Doli, The International Element, Statehood and Democratic Nation-Building. Exploring the Role of the EU and International Community in Kosovo’s State-Formation and State-Building, 2019, p. 109; André Jolicoeur, De la reconnaissance en droit international, Cahiers de Droit Européen Vol. 6/2 (1965), p. 85 et seqq. (86). 51  Jolicoeur, Reconnaissance (no. 50), p. 86. 52  Varun Modasia, Creation of Statehood and its Legal Existence under International Law, International Journal of Law Management & Humanities Vol. 4/2 (2021), p. 2190 et seqq. (2197). 53  Doli, International Element (no. 50), p. 105; Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 150.

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that it has the capacity to legislate (or give orders), apply, implement and enforce the law and establish basic institutions.54 It also has the “monopoly of force”.55 Crawford clarifies that at a minimum it includes “some degree of maintenance of law and order and the establishment of basic institutions”.56 It is in this context that the structure of the entity is to be assessed, even if “[t]here is no bright line between effective and ineffective” and it is rather a matter of degree.57 Whilst the effectiveness of the government has been stressed multiple times, in practice, especially in relation to the decolonisation process, some entities were recognised although they had no control over territory and people.58 More recent examples such as Bosnia Herzegovina, East Timor and Kosovo however attest that effectiveness is sometimes not that decisive.59 The point, it seems, is that the right to self-determination counterbalances the absence of an effective government.60 That being the exception rather than the rule, effectiveness is a fundamental requirement for statehood. As Crawford insists, “the requirement that a putative State have an effective government might be regarded as central to its claim for statehood”.61 In a modern world, one may question whether effectiveness should be limited to the application of force and the ability of the government to impose its power on the territory and population. A certain Crawford, Creation of States (no. 8), p. 59. See Grzybowski, Paradox of State (no. 6), p. 255 who explains that Weber identified states with the ‘human community that (successfully) claims the monopoly of legitimate physical violence within a particular territory’. 56  Crawford, Creation of States (no. 8), p. 59. 57  Anne Peters, Statehood after 1989: “Effectivités” between Legality and Virtuality, Proceedings of the European Society of International Law (2010), p. 1 et seqq. (3). 58  Robert Jackson, Quasi-States: Sovereignty, International Relations, and the Third World, 1990, p. 34; Crawford, Creation of States (no. 8), p. 56 et seqq.; Okosa, Statehood Theory (no. 19), p. 125. 59  ICC, Situation in Palestine (no. 18), para 43. For a discussion on the recognition of Croatia and Bosnia-Herzegovina despite a lack of a central government exercising effective control, see Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 728 et seq. 60  ICC, Situation in Palestine (no. 18), paras 43 and 45. 61  Crawford, Creation of States (no. 8), p. 55. 54  55 

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degree of governmental services ought to be provided as statehood cannot be reduced to a couple of attributes as it is meant to work as a comprehensive social order.62 Kurtskhalia posits that “[t]he fullness of the territorial sovereignty of a state is expressed in the fact that each state on its own territory is able to determine the extent and nature of its competences, to regulate social relations in the most varied fields, to impose its authority on the entire social mechanism and to manage resources and national wealth”.63 This means that in determining the effectiveness of a government, the ability to sustain an economy and provide welfare, health and social services for the population64 should also be taken into account. After all, increasingly, security is understood not only as military security but also as human and environmental security. Applying these criteria to the entities studied in this chapter is arduous because of the paucity of information relating to the effectiveness of the entities. Accordingly (and unfortunately), only a cursory application of the current situation is provided. The four de facto States are all (more or less) in effective control over the territory and population. Georgia does not exercise any of its sovereign prerogatives in Abkhazia and South Ossetia; the same holds true about Moldova in Transnistria and Azerbaijan in Nagorno-Karabakh. All four entities have promulgated a constitution establishing the powers of the institutions65 as well as a number of local laws.66 The law is Grzybowski, Paradox of State (no. 6), p. 257. Kurtskhalia, Application Process of International Law (no. 4), p. 70. 64  See Christopher Clapham, Degrees of Statehood, Review of International Studies Vol. 24 (1998), p. 143 et seqq. (156); Thomas Risse, Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit, IP Vol. 1 (2005), p. 6 et seqq. (8). 65  Abkhazia, available at https://abkhazworld.com/aw/reports-and-keytexts/607-constitution-of-the-republic-of-abkhazia-apsny) (last accessed on 15.05.2023); South Ossetia, available at https://rsogov.org/republic/ constitution (last accessed on 15.05.2023); Transnistria, available at https:// mid.gospmr.org/en/bht (last accessed on 15.05.2023); Nagorno-Karabakh, available at http://www.nkr.am/en/constitution-of-Artsakh (last accessed on 15.05.2023). 66  Abkhazia, Constitution, Chapter 3; South Ossetia, Constitution, Chapter IV; Transnistria, Constitution, Section III, Chapter 2; Nagorno-­ Karabakh, Constitution, Chapter 5. 62  63 

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enforced and applied by independent courts,67 with a supreme court as the highest judicial authority68 and sometimes a constitutional court verifying the constitutionality of legislation.69 Many entities have a central bank70 and state taxation system.71 Sometimes they have their own currency72 or have adopted a foreign currency, such as the Russian ruble (either officially73 or informally74) or the Armenian dram.75 Each entity grants nationality76 though many inhabitants chose to adopt the Russian77 or Armenian78 nationality. The defence 67  Abkhazia, Constitution, Chapter 5; South-Ossetia, Constitution, Chapter VI; Transnistria, Constitution, Section III, Chapter 5; Nagorno-­ Karabakh, Constitution, Chapter 6. 68  Abkhazia, Constitution, Art 68; South-Ossetia, Constitution, Art 84; Transnistria, Constitution, Art  89; Nagorno-Karabakh, Constitution, Art 140. 69  South Ossetia, Constitution, Arts 82–83; Transnistria, Constitution, Arts 86–88. 70  Abkhazia referred to in Constitution, Art 47; South Ossetia does not seem to have a central bank; Transnistria, Constitution, Art 89; Nagorno-Karabakh does not seem to have a central bank. 71  Abkhazia, Constitution, Arts 29 and 53; South-Ossetia, Constitution, Art 45; Transnistria, Constitution, Arts 96–99; Nagorno-Karabakh, Constitution, Art 60. 72  In Abkhazia, the apsar exists since 2008; Transnistria, Constitution, Art 96; Nagorno-Karabakh, Artsakh dram. 73  See Tracey German, Le conflit en Ossétie-du-Sud: La Géorgie contre la Russie, Politique Etrangère Vol. 1 (2006), p. 51 et seqq. (52); Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 504. 74  In Abkhazia the local currency is of limited usage as the Russian ruble is widely used. 75  In Nagorno-Karabakh, the Armenian dram is much more widely used than the Artsakh dram. Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 501. 76  Abkhazia, Constitution, Art 49; South Ossetia, Constitution, Art 16; Transnistria, Constitution, Art 3; Nagorno-Karabakh, Constitution, Art 47. 77  For Abkhazia and South Ossetia, see Roman Petrov, The Legal Systems of the Donetsk/Lugansk People’s Republics. International and European Considerations, in: Harzl/Petrov, Unrecognized Entities (no. 9), p. 209 et seqq. (214) and EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 132 et seq. South Ossetian President claimed that 95 % of the inhabitants had opted for the Russian nationality (German, Le conflit en Ossétie-du-Sud (no. 73), p. 52). For Transnistria, see ECtHR, Catan and Others v Moldova and Russia, Applica-

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of the entity is in the hands of the local military forces and the President is the Commander-in-Chief,79 at least on paper since in reality, the presence of Russian and Armenian armed forces ensures the security of the entities. These de facto States have also established legislation and systems in the field of health care, education, cultural, social welfare and environmental protection80 all the more as the constitutions link the delivery of such social goods to human rights guarantees.81 The effectiveness of such legislation is nonetheless limited by a lack of financial resources, a poor economy and thus great reliance on Russia and Armenia to provide the funds to support the local economy. Undoubtedly, such entities have been able to set up a classic State apparatus that is effective, though it remains rather limited in the sense that whilst they are able to perform the Weberian definition of a State and some basic State functions, they struggle at the economic and social level. Moreover, the independence of these entities might be rightly questioned. 4. Capacity to Enter into Relations with other States The fourth criterion, that of the capacity to enter into relations with other States, is probably the most strenuous to describe. Some authors maintain that it should not be an element of statehood because it is a consequence of an entity’s ability to fulfil the three previtions Nos 43370/04, 8252/05 and 18454/06, 19 October 2012, para 42; ECtHR, Mozer v Moldova and Russia, Application No 11138/10, 23 February 2016, para 107. 78  ECtHR, Chiragov and Others v Armenia, Application No 1316/05, 16 June 2015, para 83. 79  Abkhazia, Constitution, Art 53; South Ossetia, Constitution, Art 50; Transnistria, Constitution, Art 71; Nagorno-Karabakh, Constitution, Art 94. 80  Abkhazia, Constitution, Arts 19 and 53; South Ossetia, Constitution, Arts 25, 26 and 28; Transnistria, Constitution, Arts 38, 39, 41, 42, 56, and 62; Nagorno-Karabakh, Constitution, Arts 11, 12, 15 and Chapter 3. 81  Abkhazia, Constitution, Arts 19 and 32; South Ossetia, Constitution, Arts 25, 26, 27 and 28; Transnistria, Constitution, Arts 38, 39, 40, and 41; Nagorno-Karabakh, Constitution, Arts 38 and 57.

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ous requirements,82 the argument being that this capacity is not limited to States and thus not a sign that an entity is a State. Accordingly, “[e]ven if capacity were unique to states, the better view seems to be that, though capacity results from statehood, it is not an element in a state’s creation.”83 Scholars who accept that it is a requirement struggle with its practical application. First, the word “capacity” can be understood as taking measures enabling an entity to act. A hypothetical example is an entity that sets up a Ministry of Foreign Affairs willing to engage with States and other international legal entities. It can be understood as the ability “to effectively govern the concerned territory to the extent that it can undertake and apply international obligations internally.”84 The constitution of Abkhazia specifies that it is a subject of international law85 and that of South Ossetia that the entity can enter into relations with other States.86 Foreign Affairs are often conducted by the President87 though in Transnistria, the main lines of the foreign policy, including the military doctrine, are determined by the legislative power88 and implemented by executive power.89 In practice, it is interesting to note that in November 2000, the ministers of foreign affairs of Transnistria, Abkhazia, South Ossetia and Nagorno-Karabakh met in Tiraspol.90 Should this meeting be considered as a piece of evidence that these four entities have the capacity to enter into relations with other States?91 In September 2005, Russia Modasia, Creation of Statehood (no. 52), p. 2196. Thomas Grant, Defining Statehood: The Montevideo Convention and its Discontents, Columbia Journal of Transnational Law Vol. 37 (1998– 1999), p. 403 et seqq. (435). 84  Doli, International Element (no. 50), p. 108. 85  Abkhazia, Constitution, Art 3. 86  South Ossetia, Constitution, Art 10. 87  Abkhazia, Constitution, Art 53; South Ossetia, Constitution, Art 47. 88  Constitution, Art 62. 89  Constitution, Arts 71 and 73. 90  Dov Lynch, Separatist States and Post-Soviet Conflicts, International Affairs Vol. 78 (2002), p. 831. 91  Other de facto States have relationships too. For example, in 2020, Somaliland and Taiwan signed a bilateral accord to open representative offices in each entity. See Scott Pegg, The Somaliland-Taiwan Partnership: A New 82  83 

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organised a conference with South Ossetia, Abkhazia and Transnistria.92 In 2015, the South Ossetian President was seeking closer ties not only with Abkhazia and Transnistria but also with Luhansk and Donetsk.93 After all, if they can interact with each other why should they not have this capacity in relation to States? Second, the quality of the interaction needs to be investigated. Besides the classic capacity to sign and ratify treaties, it might be tricky to pinpoint how the requirement of capacity is fulfilled. Would the establishment of an embassy satisfy the requirement, the accreditation of a commercial representation benefiting from some privileges,94 or would lower-key events such as meetings between officials suffice? Ker-Lindsay brilliantly highlights the myriad of ways States officially interact with de facto States without still recognising them:95 missions (usually called liaison offices) rather than embassies are established,96 official documents and passports are recognised, there are direct or indirect economic interactions,97 or sporting, cultural and educational interactions.98 Appraising the interaction of the four entities studied in this chapter is rather challenging owing to the paucity of information and the impossibility of scrutinising the interaction of all States towards these entities. The assessment can therefore (again!) only rely on work by other experts and focus on available information. For example, NaFrontier in De Facto State Diplomacy?, De Facto States Research, 14 August 2020, available at https://defactostates.ut.ee/blog/somaliland-taiwan-part nership-new-frontier-de-facto-state-diplomacy (last accessed on 15.05.2023). 92  German, Le conflit en Ossétie-du-Sud (no. 73), p. 60. 93  German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 159. 94  See France Cour de Cassation Chambre civile 1, Dame Clerget c Représentation commerciale de la République démocratique du Viet-Nam et autres, 2 November 1971, JDI 1972, 267. 95  Ker-Lindsay, Stigmatisation of de facto States (no. 5), p. 364. 96  Geoff Berridge, Diplomacy. Theory and Practice, 2015, p. 238. 97  In his article, Kontorovich explains how States have interacted with inter alia the Turkish Republic of Northern Cyprus, Abkhazia, South Os­ setia, Nagorno-Karabakh and Crimea. Eugene Kontorovich, Economic Dealings with Occupied Territories, Columbia Journal of Transnational Law Vol. 53 (2015), p. 584. 98  See also Pegg/Berg, International Society (no. 3), p. 267 et seq.

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gorno-Karabakh has very little foreign trade except towards Armenia.99 The USA provides foreign (humanitarian) aid to Nagorno-­ Karabakh100 and has had from 1998 to 2019 funds earmarked to that effect101 though it does not regard this direct aid as recognition.102 Be that as it may, it never directly engaged with Nagorno-Kara­ bakh.103 Likewise, the US has rarely engaged directly with Abkhazia and when it has, it was usually with mid-level de facto officials, mayors, commerce and trade representatives, etc.104 As Pegg and Berg demonstrate in relation to Abkhazia and South Ossetia, “the commonly held belief that international society ignores de facto states is incorrect”.105 Third, and more fundamentally, scholars observe that without recognition there is no real possibility to enter into relations with other States. “Without recognition, a state’s capability to enter relations with another state is greatly limited due to its isolation from the international community.”106 Even though it is broadly agreed that recognition is declaratory107 and not constitutive,108 without recog99  Kontorovich, Economic Dealings (no. 97), p. 624. Nina Caspersen, Unrecognized States. The Struggle for Sovereignty in the Modern International System, 2012, p. 56. 100  Kontorovich, Economic Dealings (no. 97), p. 624; Jim Nichol, Armenia, Azerbaijan, and Georgia: Political Developments and Implications for U.S. Interests, Congressional Research Service, 2 April 2014, p. 65. 101  Cory Welt/Andrew Bowen, Azerbaijan and Armenia: The NagornoKarabakh Conflict, Congressional Research Service, 7 January 2021, R4665, p. 20. 102  Kontorovich, Economic Dealings (no. 97), p. 584. 103  Pegg/Berg, International Society (no. 3), p. 276 et seq. 104  Ibidem. 105  Ibidem, p. 280. 106  Anthony Murphy/Vlad Stancescu, State Formation and Recognition in International Law, Juridical Tribune Vol. 7/1 (2017), p. 6 et seqq. (7); Doli, International Element (no. 50), p. 108; Alan James, The Practice of Sovereign Statehood in Contemporary International Society, Political Studies Vol. 47 (1999), p. 457 et seqq. (466). 107  See Opinion 1, Annex to Alain Pellet, The Opinions of the Badinter Arbitration Committee. A Second Breath for the Self-Determination of Peoples, European Journal of International Law Vol. 63 (1992), p. 178 et seqq. (182); Montevideo Convention (no. 13), Art 3.

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nition new entities struggle to function as States.109 The reality is that they are not able to work if they are not recognised by a certain number of States.110 They need to be recognised by their peers, i. e., States, as being one of them.111 Such a position lays bare the fact that recognition is evidentiary: “non-recognition by the vast majority of States in the international community suggests that the factual criteria for statehood are not considered to have been fulfilled”.112 In this vein, it is suggested that the fourth “criterion” is a consequence rather than an element of statehood.113 Alternatively, it could be defended that recognition is, in practice, a requirement of statehood114 or that “in the context of secession at least, recognition of the seceded state by other states has at least some part to play in its creation.”115 Ab­ khazia and South Ossetia have been recognised by Russia, Nicaragua, Venezuela, Tuvalu and Nauru,116 and Syria.117 Abkhazia was also recognised by Vanuatu in 2011.118 Neither Nagorno-Karabakh nor Transnistria have been recognised though.119 108  The debate declaratory v constitutive theory is reproduced in a variety of academic papers. See, e. g., Fikfak, Democracy and Statehood (no. 49), p. 108 et seq.; Mehdi Belkahla, La qualité étatique accordée par le juge interne: Une reconnaissance procédurale de l’Etat?, in: Fabri (ed), International Law and Litigation: A Look into Procedure, 2019, p. 233 et seqq. (240 et seqq.). 109  Armen Tamzarian, Nagorno-Karabagh’s Right to Political Independence under International Law: An Application of the Principle of Self-Determination, Southwest University Law Review Vol. 24 1994, p. 183 et seqq. (201). See also Sterio, A Grotian Moment (no. 18), p. 216. 110  Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 154. 111  Jolicoeur, Reconaissance (no. 50), p. 86. 112  The Netherlands District Court The Hague, Democratic Republic of East Timor et  al. v State of the Netherlands (1980), ILR Vol. 87 (1992), p. 74 as cited in Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 154. See also EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 129. 113  See Doli, International Element (no. 50), p. 108. 114  Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 154; Sterio, A Grotian Moment (no. 18), p. 230. 115  Radan, Secession (no. 16), p. 20. 116  Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 154. 117  Countries that Recognized South Ossetia’s and Abkhazia’s Independence, TASS, 29 May 2018. 118  Lauri Mälksoo, Post-Soviet Eurasia, Uti Possidetis and the Clash between Universal and Russian-Led Regional Understandings of International

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These de facto States have thus the capacity to enter into relations with States; yet, the question is whether their level and intensity of engagement is deemed sufficient to consider them as States. In the case of the four entities, whilst they certainly show a willingness to engage with other States, their lack of recognition hampers them from reaching the required level and intensity. As Okosa summarises, “[d]e facto states are entities that satisfy the four criteria of statehood enumerated in the Montevideo Convention.”120 Abkhazia, South Ossetia, Transnistria and Nagorno-Karabakh prove the point, though for some their claims are less well grounded. Yet, they are not viewed as States and this is because, despite all claims to the contrary, a State does not exist in international law as soon as it exists, i. e., as soon as it meets the Montevideo criteria.121 III. Violations of the Prohibition of the Use of Force and of the Principle of Territorial Integrity It is largely agreed that the fulfilment of the Montevideo Convention requirements is not sufficient.122 It should because, under the declarative theory of recognition that prevails under contemporary international law, an entity does not need to be recognised as a State to be one. Recognition only confirms the existence of the State.123 The reality is that “[a] state does not simply exist as a matter of fact: the existence of a state is determined by meeting international legal standards and failure to do so implies denial of statehood in international law.”124 Despite claims to the contrary, recognition plays a sigLaw, New York University Journal of International Law and Politics Vol. 53 (2021), p. 787 et seqq. (816 (fn. 93)). 119  Mälksoo, Post-Soviet Eurasia (no. 118), p. 815 (fn. 86). 120  Okosa, Statehood Theory (no. 19), p. 115. 121  See Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 702 et seqq. 122  See Doli, International Element (no. 50), p. 100. 123  Montevideo Convention (no. 13), Art 6. 124  Roland Portmann, Legal Personality in International Law, 2010, p. 253 (emphasis added).

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nificant role125 and even more so for seceding entities. For them, recognition becomes central; it is what matters in the end: “The defining characteristic of unrecognized states, the factor that determines their position in the international system and predominates in internal debates, is their lack of recognition”.126 Recognition comes at a price fixed by the international community of States that introduced normative, additional, elements to determine whether an entity ought to be recognised as a State.127 1. Elements of Statehood or Recognition? It is in the 1970s that the international community started to deny recognition to entities that were unlawfully created; such entities are “illegitimate no matter how effective”.128 The Tagliavini report made the point that “[i]n current international law, the observation of legal principles which are themselves enshrined in international law (notably the principles of self-determination and the prohibition of the use of force), are accepted as an additional standard for the qualification of an entity as a state”.129 Legal literature is unclear whether such elements relate to recognition, becoming a member of an international organisation for to statehood.130 It is argued that those elements are essential for recognition but not for statehood purposes. First, such requirements exist Okosa, Statehood Theory (no. 19), p. 116. Caspersen, Unrecognized States (no. 99), p. 16. 127  Antoine Buyse/Rick Lawson, State Recognition: Admission (Im)Possible, Leiden Journal of International Law Vol. 20 (2007), p. 785 et seqq. (785). 128  Pegg, International Society (no. 3), p. 5. See Marc Weller, Modesty Can Be a Virtue: Judicial Economy in the ICJ Kosovo Opinion, Leiden Journal of International Law Vol. 24 (2011), p. 127 et seqq. (135). 129  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 128 (emphasis added). 130  See Colin Warbrick, Recognition of States: European Practice, in: ­Evans (ed.), Aspects of Statehood and Institutionalism in Contemporary Europe, 1997, p. 9 et seqq. (17); Jean Charpentier, Les déclarations des douze sur la reconnaissance des nouveaux Etats, Revue Générale de Droit International Public Vol. 96 (1992), p. 343 et seqq. (352); Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 704. 125  126 

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because once an entity is a State it acquires all the rights and, of course, obligations related to this status; it is, therefore, important to ensure that from the outset a new State complies with international law.131 As Hillgruber explains, “[t]he reliability of the new entity as a partner in international relations is the decisive criterion of statehood in the sense of international law”.132 In other words, it is the relationship between the new entity and the “established” States that is at stake. It is a question of recognition133 and not statehood. Second, these requirements relate to values deemed to be shared by this community; the additional criteria are considered to be of jus cogens nature and, so, creating States in violation of such criteria means that they are illegal per se134 or legal nullities135 as the international community asserts that they cannot derive a right from a wrong (ex injuria jus non oritur).136 Again, this to some extent concerns the relationship between the entity and “established” States. Third, Gazzini reminds us that “[t]he question of the existence of the subject must be kept separate from that of the responsibility for and consequences of violations of international law.”137 Otherwise, the purpose of international law, that is to regulate the relationship between independent entities, is jeopardised. Fourth, although one might agree that it is imperative for such values to be taken into account, no agreement can be discerned on what these

131  UN, A More Secure World: Our Share Responsibility, Report of the Secretary-General’s High-Level Penal on Threats, Challenges and Change, 2004, para 29 (emphasis added). 132  Christian Hillgruber, The Admission of New States to the International Community, European Journal of International Law Vol. 9 (1998), p. 449 et seqq. (499). 133  To some extent, it is possible to argue that an element of good faith must be present for a State to recognise another entity as a State. 134  Okosa, Statehood Theory (no. 19), p. 116; Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 704. 135  Weller, Modesty Can Be a Virtue (no. 128), p. 136. 136  See discussion in Okosa, Statehood Theory (no. 19), p. 122; Leonaitė/ Žalimas, Annexation of Crimea (no. 2), p. 27. 137  Tarcisio Gazzini, Criteria for Statehood as Applied by the EU’s Independent Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia, European Journal of International Law Talk!, 8 December 2009.

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values or elements are.138 The ones most commonly referred to in academic literature and found in the practice of States are that an entity cannot become a State if 1) it has been created in violation of the right of self-determination, 2) has violated the territorial integrity of the State from which it claims secession, or 3) it has been created by the use of force.139 Fifth, unlike the Montevideo requirements that need to be fulfilled, these elements in fact prevent an entity from being considered a State: “[t]he underlying idea behind the concept is that an illegally created entity cannot become a State”.140 Again, this deals with recognition and not statehood. Sterio propounds an alternative view: “[t]hese additional criteria are in reality subparts of the fourth pillar of statehood, the capacity to enter into relations”.141 Her criteria are slightly different from the ones usually enunciated by scholars. She refers to “the need for recognition by both regional partners, as well as the most powerful states […]; a demonstrated respect for human/minority rights; and a commitment to participate in international organizations, and to abide by a set world order”.142 Overall, whilst these elements are not imperative for statehood purposes, they are for recognition purposes and thus crucial for entities seceding from their parent State. In relation to Abkhazia, South Ossetia, Transnistria, and Nagorno-Karabakh the principles they have transgressed include the prohibition on the use of force and the principle of territorial integrity. Their right to self-determination is scrutinised in depth in Section 3. 2. Unlawful Use of Force One of the main international law principles is the prohibition of the use of force. This principle, enshrined in Article 2(4) UN CharQuénivet, 15 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion (no. 11), p. 489. See e. g., Grzybowski, Paradox of State (no. 6), p. 254. 140  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 704. 141  Sterio, A Grotian Moment (no. 18), p. 210. 142  Sterio, A Grotian Moment (no. 18), p. 210. 138  139 

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ter, covers not only the actual use of force but also the threat of the use of force aimed at the territorial integrity of the State. Whilst the prohibition of the use of force is often deemed to be of jus cogens nature,143 some scholars such as Green disagree, offering a more nuanced position.144 Moreover, the latest work of the International Law Commission only refers to the prohibition of aggression which is of a higher threshold than the prohibition of the use of force as an example of a peremptory norm.145 An entity created by the unlawful use of force cannot be recognised because it violates the prohibition.146 The first application of this principle in relation to the non-recognition of a de facto State was the adoption of Resolution 541 in 1983 by the United Nations Security Council following the creation of the Turkish Republic of Northern Cyprus.147 States are thus bound to withhold recognition, whether formal or implied, of that entity because of a breach of a jus cogens norm. This is backed by Article 41(2) of the Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts which obliges States not to recognise as lawful a situation created by a breach of a peremptory norm148 and Conclusion 19(2) of the Draft conclusions on identification and legal consequences of peremptory norms of general international law (jus cogens).149 Consequently, the entity is denied the rights, competences and privileges associated with state143  ILC, Draft Articles on the Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts (ARSIWA), Commentary to Art 40 p. 112 fn. 641 and fn. 644. For an excellent examination of the views of the majority of scholars on the subject, see James Green, Questioning the Peremptory Status of the Prohibition of the Use of Force, Michigan Law Review Vol. 32 (2011), p. 215 et seqq. (220 et seqq.). 144  Green, Peremptory Status (no. 143). 145  ILC, Draft Conclusions on Identification and Legal Consequences of Peremptory Norms of General International Law (jus cogens), 2022, Conclusion 23 (Annex). 146  Okosa, Statehood Theory (no. 19), p. 118. See Leonaitė/Žalimas, Annexation of Crimea (no. 2), p. 25. 147  UNSC, Resolution 541 (1983), UN Doc S/RES/541, 18 November 1983. 148  ILC, ARSIWA (no. 143), Art 41(2) and Commentary paras 5 and 6. 149  ILC, Draft Conclusions on Jus Cogens Norms (no. 145).

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hood.150 Whilst it may be suggested that such an enouncement relates to recognition and not to statehood as such, it should be stressed that a wider approach has been taken in recent years. For example, in 2005, the Parliamentary Assembly of the Council of Europe “re­ affirm[ed] that independence and secession of a regional territory from a state may only be achieved through a lawful and peaceful process based on the democratic support of the inhabitants of such territory and not in the wake of an armed conflict leading to ethnic expulsion and the de facto annexation of such territory to another state”,151 thereby dropping any express reference to recognition and seemingly linking it to independence and secession. Whilst the principle undoubtedly makes sense, its strict application within the context of the creation of new States unable to secede from their parent State might be questionable. First, often, they emerge from armed conflicts, having defeated the armed forces of their parent State, unwilling to let the entity become independent. Second, as Peters points out, it is unclear “whose use of force” makes an independence declaration violative of international law.152 Third, it might be contended that the prohibition of the use of force only applies to States and not to non-State actors since it is enshrined in legal instruments that govern relations between States. Fourth, since the UN Security Council Resolution was passed in the context of a de facto State being created by the use of force by a State (Turkey) it could be maintained, that the rule only applies when another State is involved (which would tally up with the previous proposition). Accordingly, it is debatable whether the principle applies more generally. To some extent, the aforementioned 2005 Resolution of the Parlia150  See Stefan Talmon, The Duty Not to ‘Recognize as Lawful’ a Situation Created by the Illegal Use of Force or Other Serious Breaches of a Jus Cogens Obligation: An Obligation without Real Substance?, in: Tomuschat/ Thouvenin (eds.), The Fundamental Rules of the International Legal Order: Jus Cogens and Obligations Erga Omnes, 2006, p. 99 et seqq. (115 et seqq.). 151  Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Resolution 1416 (2005), 25 January 2005 (emphasis added). The resolution, albeit focused on the conflict over the Nagorno-Karabakh, can be used more widely. 152  Anne Peters, Populist International Law? The Suspended Independence and the Normative Value of the Referendum on Catalonia, European Journal of International Law Talk!, 12 October 2017.

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mentary Assembly could confirm this interpretation as it refers to “an armed conflict leading to […] the de facto annexation of such territory to another state” and not to any armed conflict; yet, it also stresses that the independence must be “achieved through a […] peaceful process”, thereby covering all uses of force. In relation to the four de facto States in the post-Soviet space, one declared its independence after an armed conflict (Nagorno-Kara­ bakh) whilst, for the others, the conflict followed the declaration of independence. When scrutinising the timeline, one needs to bear in mind that the Soviet Union was, as a matter of law, dissolved on 31  December 1991 and that the home States involved in this study, i. e., Georgia, Moldova and Azerbaijan, all declared their own independence before the formal collapse of the Soviet Union, thereby further complicating legal matters. On 25 August 1990, i. e., before the collapse of the Soviet Union, the Supreme Council of Abkhazia adopted a “Declaration of State Sovereignty”. Then, a month after Abkhazia declared its independence on 23 July 1992, Georgia sent troops to restore order, an operation that led to an armed conflict and the withdrawal of Georgian troops and most Georgians were forced to flee.153 During that conflict, Russia supported the Abkhaz forces by, e. g., providing them with weapons, attacking targets in Georgian-controlled territory, etc.154 A spanner is however thrown into this timeline by Abkhazia itself as it declares in the 12 October 1999 Act of State Independence of the Republic of Abkhazia that “the subsequent Abkhazo-Georgian war of 1992–1993 resulted in the independence of Abkhazia both de facto and de jure”, thereby claiming that independence was the product of an armed conflict whilst at the same time stating that its people “have reaffirmed their determination to proceed with building a sovereign, democratic State.”155 Transnistria claimed its independence before any use of force. Following a referendum that lasted between December 1989 and No153  Cory Welt, Georgia: Background and U.S. Policy, Congressional Research Service, 10 June 2021, R45307, p. 12. 154  Human Rights Watch, Georgia/Abkhazia: Violations of the Laws of War and Russia’s Role in the Conflict, Vol 7, No 7, March 1995. 155  Act of State Independence of the Republic of Abkhazia, 12 October 1999.

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vember 1990 with 90 % of the voters in favour of independence, the Congress of Deputies in Tiraspol declared independence on 2 September 1990 whilst Moldova was still part of the Soviet Union. The Supreme Council of Transnistria voted to join the Union of Soviet Socialist Republics (USSR) on 2 September 1991, after Moldova declared its independence but eventually, after a referendum carried out on 1 December 1991, declared its independence outside the Soviet Union. Clashes between the police and separatists and eventually paramilitary formations and professional guards ended in an armed conflict in June 1992. The Russian 14th Army that was present in Transnistria directly or indirectly helped secessionists,156 providing military, economic, financial, and political support.157 In November 1989, the South Ossetian Council asked Georgia to upgrade its status to that of an autonomous republic.158 Georgia refused to do so. Then on 20 September 1990, it declared itself an independent Republic, part of the USSR.159 Following clashes between Georgians and South Ossetians and a declaration of emergency Georgian troops were deployed in December 1990.160 South Ossetia declared its formal independence in December 1991. Then the population approved secession from Georgia and integration with Russia by way of a referendum in January 1992 which led to the Supreme Council of the Republic of South Ossetia proclaiming its independence in May 1992.161 This all took place in the midst of hostilities which lasted until the Dagomys peace agreement on 24 June 1992. Nagorno-Karabakh had been embroiled in an (armed) conflict since 1988 under the Soviet Union when it declared its independence 156  Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Report on the Application by Moldova for Membership of the Council of Europe, Rapporteur Lord Finsberg, Doc 7278 Revised, 22 May 1995, paras 30 and 73; Vahl/ Emerson, Moldova and the Transnistrian Conflict (no. 42), p. 7. 157  ECtHR, Ilaşcu and Others v Moldova and Russia, Application No 48787/99, 8 July 2004, para 392; ECtHR, Catan (no. 77), para 105. 158  Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11), p. 17 et seqq. 159  German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 157. 160  German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 157. 161  Kurtskhalia, Application Process of International Law (no. 4), p. 76; Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 488.

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by way of a referendum on 10 December 1991. The conflict escalated when Armenia and Azerbaijan became independent, and the Soviet Union collapsed leading to a full armed conflict that ended in a cease-fire brokered by Russia in May 1994. What must be stressed in this situation is the important role played by Armenia in the conflict as it sent troops onto Azerbaijani territory in January 1992 and by mid-1992 its forces controlled the Nagorno-Karabakh and the Lachin corridor.162 The European Court of Human Rights admitted that it was hardly conceivable that the entity would have been able to fight Azerbaijani armed forces without the support of Armenia.163 Resultantly, as Krüger explains, “Armenia thus has not only violated the prohibition on the use of force and the prohibition on intervention under international law in the past, but continues to do so in an unjustified form”.164 Parallels can thus be drawn with the Turkish Republic of Northern Cyprus. In fact, “[f ]ull independence of Nagorno-Karabakh recognized by the world community is now unthinkable as is unthinkable a recognized independent Cyprus Turkish Republic.”165 To conclude, in South Ossetia and Transnistria, it was the declaration of independence that led to an armed conflict and thus no violation of the prohibition of the use of force can be attached to these de  facto States. In Abkhazia, the timeline seems to indicate the same, but the official position of Abkhazia is somehow more muddled. As for Nagorno-Karabakh, there is no doubt that independence was reached by using force. 3. Violation of the Principle of Territorial Integrity Whereas in the past, entities only had to prove that they fulfilled the objective criteria of statehood, this changed in the second half of the twentieth century which “witnessed the rejection of unilateral 162  Philip G Roeder, Where Nation-States Come From. Institutional Change in the Age of Nationalism, 2007, p. 313. 163  ECtHR, Chiragov (no. 78), para 174. 164  Krüger, The Nagorno-Karabakh Conflict (no. 9), p. 112. 165  Dimitry Furman, The Dynamic of the Karabkah Conflict, in: Ehr­ hart/Kreikemayer/Zagorski, Crisis Management (no. 41), p. 40.

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secession and a widespread refusal to accept the legalisation of de facto statehood.”166 Such a change is linked to the principle of territorial integrity. As Hanna explains, “[c]ontemporary secession claims violate territorial integrity, the central characteristic of international law.”167 This principle, which ensures that a State “is the paramount authority within its own borders”,168 is found in Article 2(4) of the UN Charter (and is thus closely linked to the principle of the prohibition of the use of force169), repeated in the Friendly Relations Declaration which asserts that “the territorial integrity and political independence of the State are inviolable”,170 and reaffirmed in a far-reaching range of cases before the ICJ.171 It is also viewed of customary nature172 though not necessarily deemed to be of jus cogens nature.173 The principle is even more important as a territory “is the essence of their statehood”.174 A fundamental question is whether the principle applies within a State. Article 2(4) UN Charter and the Friendly Relations Declaration confine the application of the principle to relations between Ker-Lindsay, Stigmatisation of de facto States (no. 5), p. 364. Roya M. Hanna, Right to Self-Determination in Re Secession of Quebec, Maryland Journal of International Law Vol. 23 (1999), p. 213 et seqq. (230). 168  Lax, A State of Failure (no. 14), p. 58. 169  ICJ, Nicaragua Case (no. 47), para 212. 170  UNGA, Declaration on the Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations, UN Doc A/RES/2625 (XXV), 24 October 1970. 171  ICJ, Territorial Dispute (Libyan Arab J’amahiriya/Chad), Judgment, ICJ Report 6 1994, para 72; ICJ, The Corfu Channel Case (United Kingdom v Albania), Judgment, ICJ Report 4 1949, para 35; ICJ, Nicaragua Case (no. 47), para 263; ICJ, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v Thailand), Judgment, ICJ Report 6 1962, para 34. 172  Sterio, A Grotian Moment (no. 18), p. 223. 173  ILC, Draft Conclusions on Jus Cogens Norms (no. 45), Conclusion 23 (Annex). 174  Somto David Ojukwu/Osita Dominic Okoli, A Critical Appraisal of the Right to Self-Determination under International Law, Nnamdi Azikiwe University of International Law and Jurisprudence Vol. 12/1 (2021), p. 127 et seqq. (127); Sterio, A Grotian Moment (no. 18), p. 223. 166  167 

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States.175 In the Advisory Opinion on Kosovo, the ICJ stated that “the scope of the principle of territorial integrity is confined to the sphere of relations between States”,176 thus applying the principle “only, horizontally, but not vertically within a State”.177 Accordingly, a non-State entity cannot violate the principle of territorial integrity since the principle only applies between States,178 a position that Vidmar and Corten apprise as incorrect.179 As Vidmar argues, the Friendly Relations Declaration mentions the principle of territorial integrity in the context of the right of self-determination that applies to peoples.180 In other words, the principle of territorial integrity constrains the peoples’ right of self-determination and so, the principle of territorial sovereignty cannot be solely applied between States, a position also adopted in the Tagliavini report.181 Moreover, the principle has been extensively referred to in the context of terrorism (usually deployed by non-State actors),182 indigenous peoples,183 minorities,184 etc. 175  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 707. On Art 2(4) UN Charter and its application between States, see Olivier Corten, Territorial Integrity Narrowly Interpreted: Reasserting the Classical Inter-State Paradigm of International Law, Leiden Journal of international Law Vol. 24 (2011), p. 87 et seqq. (90 et seq.). 176  ICJ, Accordance with International Law of the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo, Advisory Opinion, ICJ Report 141 2010, para 80. 177  Volker Röben, The ICJ Advisory Opinion on the Unilateral Declaration of Independence in Respect of Kosovo: Rules or Principles?, Goettingen Journal of International Law Vol. 2/3 (2010), p. 1065 et seqq. (1068). 178  Georges Abi–Saab, Conclusions, in: Kohen (ed), Secession – International Law Perspectives, 2006, p. 470 et seqq. (474). 179  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 368 et seq. Corten, Territorial Integrity (no. 175), p. 91. 180  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 708. 181  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 137. 182  See e. g., UN Human Rights Council, Enhancement of International Cooperation in the Field of Human Rights, UN Doc A/HRC/RES/47/9, 16 July 2021, para 14. 183  UNGA, United Nations Declaration on the Rights of Indigenous Peoples, UN Doc A/RES/61/295, 13 September 2007, Art 46(1). 184  Framework Convention for the Protection of National Minorities, ETS No 157, 1 February 1995, Art 21; European Charter on Regional or Minority Languages, ETS No 148, 5 November 1992, Art 5.

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The application of the principle to non-State entities seems to lead to accepting an absolute prohibition of unilateral secession.185 There is indeed no principle of or right to secession.186 As Borgen bluntly states, secession “is treated as a fact: a secession either was successful, it was not, or it is still being contested.”187 According to some scholars, secession is permitted, on the condition that the parent State allows it and so the principle of territorial sovereignty is not breached.188 This means that “[s]tatehood [is] secure only when the prior claimant to those territorial units relinquish[es] its claim”189 and if “achieved through a lawful and peaceful process”.190 Acceptance of secession occurs through some formal official act of recognition. Still, “the metropolitan capitals are reluctant to abandon one of their strongest weapons with regard to their separatist regions: that is, withholding formal recognition of their existence. Non-recognition relegates the self-declared states to continued pariah status in international relations.”191 In the case of Abkhazia and South Ossetia, Georgia did not accept the secession of these two entities. Its original silence cannot be deemed as acquiescence as, quickly after Georgia settled its political system, it clearly indicated that the territory of Abkhazia and South Ossetia belonged to Georgia.192 Such territorial sovereignty was ­also  favoured by the UN Security Council with regard to Abkha­ 185  See UN Office of Public Information, Statement of Secretary General Thant, UN Monthly Chronicle 1970, p. 36. 186  Adam Twardowski, The Return of Novorossiya: Why Russia’s Intervention in Ukraine Exposes the Weakness of International Law, Minnesota Journal of International Law Vol. 24 (2015), p. 351 et seqq. (368). 187  Chris Borgen, Can Crimea Secede by Referendum?, Opinio Juris, 6 March 2014. 188  Alexander Orakhelashvili, Statehood, Recognition and the United Nations System: A Unilateral Declaration of Independence of Kosovo, Max Planck Yearbook of United Nations Law Vol. 12 (2008), p. 1 et seqq. (13). 189  Grant, Defining Statehood (no. 83), p. 439 et seq. 190  PACE, Resolution 1416 (2005) (no. 51). 191  Lynch, Separatist States (no. 90), p. 833. 192  See e. g., UNGA, Right of Peoples to Self-Determination, Report of the Secretary-General, UN Doc A/58/180, 24 July 2003, para 4.

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zia193  until the 2008 armed conflict opposing Georgia to Russia in South Ossetia. Nothing similar was however undertaken in relation to South Ossetia though the phrasing of many resolutions regarding Abkhazia invokes the territorial sovereignty of Georgia more generally.194 Moldova did not approve of the secession of Transnistria either.195 Likewise, Azerbaijan, from the outset, rejected the secession of Nagorno-Karabakh as it fought to keep control of it. Such a position has been widely accepted at the international level, with a plethora of UN Security Council resolutions referring to the territorial integrity of all States in the region196 and/or specifically mentioning that of Azerbaijan. That being said, as Vidmar stresses, there is no legal basis in international law that prohibits unilateral secession.197 A better position is that international law is neutral198 towards secession: “an entity is neither prohibited from, nor entitled to, secession when the parent State continues to make a counterclaim to territorial integrity.”199 For as long as a counterclaim to territorial integrity exists and is not disregarded by the international community, the seceding entity is not a 193  See e. g., the first one UNSC, Resolution 876 (1993) of 19 October 1993, para 1 and the last one is UNSC, Resolution 1808 (2008), UN Doc S/RES/1808 (2008) of 15 April 2008, para 1. 194  See the list of resolutions mentioned in the Tagliavani report that refers to the territorial integrity of Georgia. EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 145 (fn. 81). 195  ECtHR, Ilaşcu (no. 157), para 341. 196  UNSC, Resolution 822, 30 April 1993, Preamble; UNSC, Resolution 853, 29 July 1993, Preamble; UNSC, Resolution 874, 14 October 1993, Preamble; UNSC, Resolution 884, 13 November 1993, Preamble. 197  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 708. 198  For a discussion on the concept of neutral legality, see Ka Lok Yip, The Use of Force against Individuals in War under International Law, 2022, p. 75 et seqq. 199  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 709. See also Jean-Baptiste Jeangène Vilmer, Crimée: les contradictions du discours russe, Politique Etrangère Vol. 1 (2015), p. 159 et seqq. (167); Corten, Territorial Integrity (no. 175), p. 88; Weller, Modesty Can Be a Virtue (no. 128), p. 135 et seq.; Gary Wilson, Secession and Intervention in the former Soviet Space: The Crimean Incident and Russian Interference in its “Near Abroad”, Liverpool Law Review Vol. 37 (2016), p.153 et seqq. (159).

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State.200 Fikfak’s interpretation of the Re Secession of Quebec supports this view as she notes that “(1) the success of a unilateral secession depends on international recognition, and (2) the conduct of the parent state towards the independence-seeking entity will be considered very important when states decide on granting recognition.”201 Moreover, a wide range of international legal instruments preclude secession without the consent of the parent State.202 However, the principle of territorial integrity is no guarantee against the application of the right of self-determination, notably because of the safeguard clause included in the Friendly Relations Declaration that alludes to what is called “remedial secession”.203 If secession is permitted, it must comply with the uti possidetis juris rule, which is understood as the principle of respect for the territorial status quo.204 The rule is widely acknowledged, its “periodic restatement […] perpetuat[ing] its salience in the international law governing territory”.205 Its latest iteration is found in Opinion 3 of the Badinter Committee which, based on the Frontier Dispute Case,206 determined that it “is today recognized as a general principle”.207 Notwithstanding, as Mälksoo expounds, the principle is neither codified in a treaty nor “is it obvious that it is a universally binding customary rule.”208 The ICJ stressed that the principle “is logically conVidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 709. Fikfak, Democracy and Statehood (no. 49), p. 111. See also Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 159. 202  See Mikulas Fabry, The Contemporary Practice of State Recognition: Kosovo, South Ossetia, Abkhazia, and their Aftermath, Nationalities Papers Vol. 40/5 (2012), p. 661 et seqq. (664). 203  See Radan, Secession (no. 16), p. 28 and Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 161. For a contrary view, see EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 138. 204  Opinion 3, Annex to Pellet, Opinions (no. 107), p. 184. 205  Joshua Castellino, Territorial Integrity and the “Right” to Self-Determination: An Examination of the Conceptual Tools, Brooklyn Journal of International Law Vol. 33/2 (2008), p. 503 et seqq. (507). 206  ICJ, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v Mali), Judgment, ICJ Report 554 1986, para 20. 207  Opinion 3, Annex to Pellet, Opinions (no. 107), p. 184. 208  Mälksoo, Post-Soviet Eurasia (no. 118), p. 813. 200  201 

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nected with the phenomenon of the obtaining of independence”.209 Originally applied in the context of the decolonisation of Spanish South America and Africa,210 the rule specifies that new entities must keep the borders inherited from the colonisation or from the administrative divisions of the State.211 This means that, “except where otherwise agreed, the former boundaries become frontiers protected by international law”.212 Whilst the national borders become the new international borders, autonomous regions within that State do not have this opportunity. Sadly, this is one of the sources of the current intractable plight faced by the de facto States in the post-Soviet space. They were autonomous republics or regions (oblasts) within Soviet States and were thus prevented from declaring their independence.213 Bowring indicates that Abkhazia, South Ossetia, and Transnistria never seceded from what is now their parent State.214 This is however partially incorrect though it is true that all three entities expressed their desire to become independent prior to the collapse of the Soviet Union. South Ossetia had been an autonomous region as part of Georgia and requested an upgrade of status to that of an autonomous republic in November 1989, before the fall of the Soviet Union. It was not a republic; but it was not part of a republic either and thus an administrative entity within an administrative entity. On 20 September 1990, it self-proclaimed itself as an independent republic, a constituent part of the USSR and thus seceded from Georgia which was a Soviet Republic.215 The plot thickens even more as Georgia dissolved 209 

ICJ, Frontier Dispute Case (no. 206), para 20. Opinion 3, Annex to Pellet, Opinions (no. 107), p. 184; ICJ, Frontier Dispute Case (no. 206), para 20. 211  Malcolm N. Shaw, The Heritage of States: The Principle of Uti Possidetis Juris Today, British Yearbook of International Law, Vol. 67 (1996), p. 75 et seqq. (97). 212  Opinion 3, Annex to Pellet, Opinions (no. 107), p. 184. See also Opinion 2, Annex to Pellet, Opinions (no. 107), p. 183. 213  Coppieters, Four Positions (no. 1), p. 992. 214  Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11), p. 16 et seqq. 215  German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 157. 210 

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the region on 11 December 1990.216 South Ossetia declared its independence on 29 May 1992, after the collapse of the Soviet Union and the creation of Georgia. It thus seceded from Georgia as an independent State though as a non-territory (according to Georgia) which means that it violated the uti possidetis rule that requires administrative borders to be kept. On 25 August 1990, the Supreme Council of Abkhazia adopted a “Declaration of State Sovereignty”, and on 23 July 1992 after the creation of Georgia and the collapse of the Soviet Union reiterated its independence. If one considers the declaration of State sovereignty as a declaration of independence, Abkhazia did not violate the principle of territorial integrity of Georgia but, as explained earlier, given that the 1999 Act of Independence indicates that independence was declared after the conflict with Georgia, the logical conclusion is that Abkhazia was in breach of the principle. It would however not have violated the uti possidetis rule.217 Transnistria declared its independence on 2 September 1990 when Moldova was still part of the Soviet Union and expressed its wish to join the USSR as an independent Republic on 2 September 1991 after Moldova declared its independence. On 1 December 1991, a further referendum enabled Transnistria to declare its independence outside the Soviet Union. Taking into account the 1990 declaration of independence, the conclusion is that Transnistria did not secede from Moldova as an independent State. In relation to Nagorno-Karabakh, it can be contended that it was an original component of the Republic of Azerbaijan and thus seceded from that independent State.218 Azerbaijan declared its independence on 30 August 1991, Nagorno-Karabakh declared its independence four days later,219 Azerbaijan then abolished the legal status of Nagorno-Karabakh as an autonomous region on 26 November Roeder, Where Nation-States Come From (no. 162), p. 51. See EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 146. 218  Krüger, The Nagorno-Karabakh Conflict (no. 9), p. 42 et seqq. 219  Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Armenia’s Application for Membership of the Council of Europe, Rapporteur Volcic, Doc 8747, 23 May 2000, para 49. 216  217 

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1991220 and brought it under its direct rule and then on 10 December 1991 Nagorno-Karabakh declared its independence221 following a referendum. Owing to the complicated situation that developed as the Soviet Union was collapsing, it is difficult to assess in clear terms whether the de facto States violated the principle of territorial sovereignty as it is often unclear when they seceded and resultantly whether they seceded from their so-called parent-State (i. e., Georgia, Moldova, and Azerbaijan) or from the Soviet Union. The international community nevertheless has taken the view that these entities seceded from their parent-State222 and, as Vidmar points out, “[u]ltimately, the hurdle that the independence-seeking entity needs to overcome is the territorial integrity of its parent State”.223 Such impediment can only be removed in the case of remedial secession, as a last resort. It is by invoking the right of self-determination that the peoples of these de facto States might be able to claim that they can secede. IV. Remedial Secession and the Right of Self-Determination The right of self-determination, if denied internally, allows for a lawful violation of the principle of territorial integrity leading to the exercise of the right of self-determination externally and the creation of a new State.224 In other words, albeit sacrosanct, the principle of territorial integrity can be breached by peoples, provided some specific circumstances are present. All three Caucasian de facto States claim in their constitutions that they are based on the right of self-determi-

Roeder, Where Nation-States Come From (no. 162), p. 51. ECtHR, Sargsyan v Azerbaijan, Application No 40167/06, 16 June 2015, para 19. 222  Coppieters, Four Positions (no. 1), p. 996. 223  Vidmar, Territorial Integrity (no. 14), p. 746 224  Fikfak, Democracy and Statehood (no. 49), p. 111; Supreme Court of Canada, Re Secession of Quebec, 2 SCR 217 1998, para 126. 220  221 

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nation,225 whilst the constitution of Transnistria makes no such claim. After offering a critical presentation of the right of self-determination this section examines the circumstances under which peoples can exercise their right to external self-determination and create a State whilst applying the requirements to the four de facto States. 1. The Right of Self-Determination The right of self-determination is undeniably one of the most controversial principles of international law.226 “Controversial to all, inconveniencing to many, and passionately vexing to a few, it has remained central to political changes and scholarly discourse”.227 Its interpretation is manifold and increasingly diverging, especially since the declaration of independence of Kosovo which has led to a flurry of heated debates.228 The right of self-determination is enshrined in a variety of legally and non-legally binding instruments. Articles 1(2) and 55 of the United Nations Charter expressly refer to the principle of self-determination of peoples. It also appears in Article 1 of the International Covenant on Civil and Political Rights229 and the International Covenant on Economic Social and Cultural Rights.230 Moreover, it is found in two important declarations of the United Nations General Assembly, the 1960 Declaration on the Granting of Independence to 225  Abkhazia, Constitution, Art I; South Ossetia, Constitution, Art 1. See also EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 135; Nagorno-Karabakh, Constitution, Preamble. 226  As Castellino avows, ‘despite the volumes written from various disciplinary perspectives, the right to self-determination remains an essentially contested right with several meanings attributable to it.’ Castellino, Territorial Integrity (no. 205), p. 513. 227  Chinedu R Ezetah, Legitimate Governance and Statehood in Africa: Beyond the Failed State and Colonial Self-Determination, in: Quashigah/ Okafor (eds.), Legitimate Governance in Africa, 1999, p. 421 et seqq. (448). 228  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 26. 229  International Covenant on Civil and Political Rights, 999 UNTS 171, 16 December 1966. 230  International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 993 UNTS 3, 16 December 1966.

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Colonial Countries and Peoples231 and the 1970 Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation Among States in Accordance with the Charter of the United Nations.232 More generally, the principle of self-determination is viewed to be of customary nature233 and, according to the latest work of the International Law Commission, is of jus cogens nature.234 The ICJ has recognised it as “one of the essential principles of contemporary international law”.235 At the European level, the Helsinki Final Act236 and the Charter of Paris,237 two instruments referred to in the Declaration on the Guidelines on Recognition of New States in Eastern Europe and the Soviet Union, safeguard the right to self-determination too. None of these instruments though define the right of self-determination. First, it is often essentially linked to the decolonisation process.238 One can point out that the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples refers to “colonised peoples” and not to “peoples”.239 Such an interpretation would however be flawed because the right of self-determination (albeit phrased as autonomy) was originally mentioned in relation to minorities in 231  UNGA, Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, UN Doc A/RES/1514(XV), 14 December 1960. 232  UNGA, Friendly Relations Declaration (no. 170). 233  ICJ, Western Sahara Advisory Opinion (no. 24); ICJ, Frontier Dispute Case (no. 206); ICJ, Case Concerning East Timor (Portugal v Aus­ tralia), Judgment, ICJ Report 90 1995, para 29; ICJ, Legal Consequences of the Separation of the Chagos Archipelago from Mauritius in 1965, Advisory Opinion, ICJ Report 95 2019, para 152. 234  ILC, Draft Conclusions on Jus Cogens Norms (no. 145) Conclusion 23 (Annex). See also Twardowski, The Return of Novorussyia (no. 186), p. 368. 235  ICJ, Case Concerning East Timor (no. 233), para 29. 236  Helsinki Final Act 1975, the Declaration on Principles Guiding Relations between the Participating States. 237  Charter of Paris for a New Europe, Paris 1990. 238  See e. g., Written Statement of the People’s Republic of China to the International Court of Justice on the Issue of Kosovo, 16 April 2009; see ICJ, Chagos Advisory Opinion (no. 233). 239  See Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 160; Ojukwu/ Okoli, A Critical Appraisal (no. 174), p. 129.

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Europe after the First World War, as one of US President Wilson’s 14  points, and more specifically the collapse of the Austrian-Hungarian and Ottoman empires.240 Moreover, as Sterio demonstrates, an array of legal instruments offer a wider approach to the right of self-determination.241 Second, the right of self-determination tends to be associated with secession when the reality is that the right of self-determination can take an internal and external form242 as clearly spelled out in the Declaration on Principles Guiding Relations between the Participating States of the Helsinki Final Act 1975.243 Furthermore, Ezetah observes that “the breadth of the right of self-determination is not coterminous with secession alone, it has provided for imaginative construction of legal relations that will enhance peaceful coexistence between minorities and majority cultures. Its legitimate exercise could range from a democratic framework, degrees of autonomy with an existing state, to outright separation.”244 2. Conditions to Exercise the Right to External Self-Determination The right to self-determination can only be exercised by “peoples” and provided a certain set of circumstances is present. a) The Definition of Peoples The first point to examine is who the right holders are. They are defined and interpreted narrowly so as to temper the potentially de240  President Woodrow Wilson’s 14 Points (1918). In fact, the concept of self-determination ‘developed as a natural corollary of developing nationalism in the eighteenth and nineteenth centuries’. Hurst Hannum, Autonomy, Sovereignty, and Self-Determination: The Accommodation of Conflicting Rights, 1996, p. 27. 241  Milena Sterio, The Right of Self-Determination under International Law, 2013, p. 12 et seq. 242  Ojukwu/Okoli, A Critical Appraisal (no. 174), p. 134; Leonaitė/Žalimas, Annexation of Crimea (no. 2), p. 24; Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 160; Sterio, Right of Self-Determination (no. 241), p. 18 et seqq. 243  Helsinki Final Act 1975 (no. 236), Art VIII. 244  Ezetah, Legitimate Governance (no. 227), p. 453.

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structive and destabilising effect of the principle of self-determination.245 As a result, the right of self-determination is limited to people and does not include minorities.246 This post-WWII interpretation is a product of decolonisation times that has little place in a more contemporary context and thus ought to be revised.247 For example, Moore asserts that there are two conceptions of “peoples”, a stance that can be justified by remembering that “[t]he underlying purpose of the Montevideo Convention was to promote the self-determination for colonial or national ethnic minority populations and assist them join the world community as a nation-state, with all the protections offered by that new status.”248 The first approach views “peoples” as a political entity that wishes to exercise its right of self-determination within a defined territory. The term is closely related to territory: the “peoples” are all inhabitants of a non-self-governing territory or the entire population of a State.249 The second approach considers that a people is based on ethnic, religious and/or linguistic lines,250 an approach that follows the lines of Resolution 2625 which refers to “race, creed, or colour”251 and the UNESCO definition that 245  Margaret Moore, Sub-State Nationalism and International Law, Michi­ gan Journal of International Law Vol. 25 (2004), p. 1319 et seqq. (1323); Ojukwu/Okoli, A Critical Appraisal (no. 174), p. 128; Fabry, Contemporary Practice (no. 202), p. 664; Jan Klabbers, Shrinking Self-Determination: The Chagos Opinion of the International Court of Justice, European Society of International Law Refelections, 27 March 2019; See e. g., declaration by the Minister of State from the UK Foreign and Commonwealth Office in 1983 (HL, Deb, vol 446, cc94WA). 246  Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities, The Right to Self-Determination: Implementation of United Nations Resolutions, Study Prepared by Hector Gros Esppiell, Special Rapporteur, UN Doc E/CN.4/Sub.2/405/Rev.1 (1980), para 56. 247  Quénivet, 15 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion (no. 11), p. 491. 248  ICC, Situation in the State of Palestine in the Case of the Prosecutor v, Corrected Version of: Court’s Territorial Jurisdiction in Palestine Registration no: ICC-01/18-115, ICC-01/18 (Dr Frank Romano), 16 March 2020, 15. 249  Leonaitė/Žalimas, Annexation of Crimea (no. 2), p. 23 and 36. 250  Moore, Sub-State Nationalism (no. 245), p. 1326. 251  UNGA, Friendly Relations Declaration (no. 170).

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mentions seven shared characteristics.252 Further, it is suggested that the group must fulfil objective and subjective criteria, the former being a common ethnic origin, a language, an attachment to a particular territory and the latter being the perception of the group as belonging together and being different from others.253 Interestingly, the Badinter Committee, when asked about the right of self-determination, did not invoke the concept of “peoples” but preferred that of “communities” and specifically recognised that these communities had the right to see their identities recognised.254 Using a broad interpretation of the term “people” outside the decolonisation context, some of the population of the de facto States in the post-Soviet space could be defined as peoples as they wish to exercise their right of self-determination by establishing a functioning entity within a defined territory. In addition, some of them also share ethnic, religious, and language backgrounds whilst being different from the population of the State from which they wish to secede. Abkhazian people are undoubtedly different from Georgians (and Russians), enjoying a different culture and language.255 South Os­ setians are of Iranian origin (and call themselves “Alans” after an Iranian tribe),256 have a kin-State in the neighbouring Republic of North Ossetia that is part of Russia257 and “enjoy a distinctive culture, language, and history of self-rule”.258 The population of Nagorno-Kara252  UNESCO, International Meeting of Experts on Further Study of the Concept of the Rights of Peoples, 27–30 September 1989, UN Doc SHS 89/CONF.602/7, para 22. 253  See Leonaitė/Žalimas, Annexation of Crimea (no. 2), p. 23; Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 162; Sterio, Right of Self-Determination (no. 241), p. 16 et seqq. 254  See also Opinion 2, Annex to Pellet, Opinions (no. 107), p. 184. 255  Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 156; Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 485 et seq. 256  Thomas De Waal, South Ossetia Today, 3 June 2019, available at  https://3dcftas.eu/publications/south-ossetia-today (last accessed on 15.05.2023), p. 2. 257  Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11), p. 12. 258  Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 155; Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 487.

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bakh is almost exclusively Armenian which is that of their kinState.259 In contrast, the population of Transnistria is mainly Russian and Ukrainian but there is no (real or claimed) Transnistrian people260 though there is “a separate history, and a certain Soviet nostalgia.”261 b) Circumstances under which the Right of Self-Determination Can Be Exercised The second point is that even if the peoples have the right to self-determination a certain set of circumstances must be present. In 1998, the Supreme Court of Canada, when examining the right of self-determination in the context of a secession claim made by Quebec, stated that there were only three situations allowing the right of self-determination to lead to secession. Either 1) the peoples are from a former colony “breaking from the ‘imperial’ power”,262 2) the claim does not stem from colonial territories but “where a people is subject to alien subjugation, domination or exploitation”263 or 3) “when a people is blocked from the meaningful exercise of its right to self-determination internally, it is entitled, as a last resort, to exercise it by secession”.264 A fourth situation mentioned in the literature is that 259 

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Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11),

260  Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11), p. 12; PACE, Report on the Application by Moldova (no. 154), para 71. 261  Pål Kolstø, The Sustainability and Future of Unrecognized Quasi-States, Journal of Peace Research Vol. 43/6 (2006), p. 723 et seqq. (731). 262  Supreme Court of Canada, Re Secession of Quebec (no. 224), para 132. 263  Supreme Court of Canada, Re Secession of Quebec (no. 224), para 133. 264  Supreme Court of Canada, Re Secession of Quebec (no. 224), para 134. These three situations were reiterated recently by the Supreme Court of the United Kingdom (UKSC, Reference by the Lord Advocate of Devolution Issue under Paragraph 34 of Schedule 6 to the Scotland Act 1998, Judgement, UKSC 31 2022, 23 November 2022, paras 88 et seq.). See Kushtrim Istrefi, The UK Supreme Court in the Scottish Case: Revitalising the Doctrine of Remedial Secession, European Journal of International Law Talk!, 14 December 2022.

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racial groups that are denied access to government can exercise their right of self-determination.265 Racial groups are automatically viewed as “peoples” having such a right. It is however unclear how “racial groups” are defined and how they are different from “ethnic groups” that do not have the automatic right of self-determination. Accordingly, this fourth proposition is not covered in this chapter. The third circumstance mentioned in the case dealt with by the Supreme Court of Canada is controversial. In fact, it avowed that it was unclear whether the third possibility reflected the then state of international law.266 In the years following the pronouncement of the Supreme Court of Canada, UN documents such as the Millennium Declaration267 or the World Summit Outcome268 only referred to the first two circumstances. Some scholars even brush away this third possibility and, instead, focus on the right of self-determination as entrenched in three areas, “an anti-colonial standard”, “a ban on foreign military occupation” and “as a requirement that all racial groups be given full access to government.”269 The position of the ICJ in the Advisory Opinion on Kosovo is more nuanced as it acknowledges this contested right, indicating that “the practice of States [in instances of declarations of independence outside this context] does not point to the emergence in international law of a new rule prohibiting the making of a declaration of independence in such cases.”270 Likewise, the 2009 Tagliavini report271 and an Opinion of the Venice Commission in 2014272 maintain that the existence of this right remained controversial under international law. Ojukwu/Okoli, A Critical Appraisal (no. 174), p. 136–137. Supreme Court of Canada, Re Secession of Quebec (no. 224), para 135. 267  UNGA, Resolution A/RES/55/2, sec 1, 8 September 2000, para 4. 268  UNGA, Resolution A/RES/60/1, sec 1, 24 October 2005, para 5. 269  Ojukwu/Okoli, A Critical Appraisal (no. 174), p. 135 et seqq. 270  ICJ, Kosovo Advisory Opinion (no. 176), para 79. See Weller, Modesty Can Be a Virtue (no. 128), p. 137. 271  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 141. 272  European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Opinion on “Whether Draft Federal Constitutional Law No 462741-6 on Amending the Federal Constitutional Law of the Russian Federation on the Procedure of Admission to the Russian Federation and Crea265  266 

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It might nevertheless be contended that the third situation is somehow recognised in law. The Friendly Relations Declaration contains a safeguarding clause, overriding the principle of territorial integrity when the right of self-determination is invoked: “Nothing in the foregoing paragraphs shall be construed as authorizing or encouraging any action which would dismember or impair, totally or in part, the territorial integrity or political unity of sovereign and independent States conducting themselves in compliance with the principle of equal rights and self-determination of peoples as described above and thus possessed of a government representing the whole people belonging to the territory without distinction as to race, creed or colour.” Put simply, if the State cannot secure the internal right of self-determination, people have the right to external self-determination through secession is viewed as an ultimum remedium.273 Such a right was also mentioned in the 1921 report on the Aaland Island outside the decolonisation context: “The separation of a minority from the State of which it forms part and its incorporation in another State can only be considered as an altogether exceptional solution, a last resort when the State lacks either the will or the power to enact and apply just and effective guaranteed (religious, linguistic and social freedom).”274 More recently, the ICJ in the Chagos Advisory Opinion tentatively declared that “the right of self-determination, as a fundamental human right, has a broad scope of application”,275 leading some academics such as Klabbers to suggest that the Court might be hinting at “external self-determination (i. e. secession) as ultimum remedium in the face of gross oppression, useful in those circumstances where all else fails, and perhaps conditional on much blood already having been shed”.276 tion of a New Subject within the Russian Federation Is Compatible with International Law”, Opinion No 763/2014, CDL-AD(2014)004, 21 March 2014, para 26. See also EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 141. 273  Allen Buchanan, Justice, Legitimacy, and Self-Determination. Moral Foundations for International Law, 2003, p. 335; Kurtskhalia, Application Process of International Law (no. 4), p. 75. 274  The Question of the Aaland Islands: Report of the Commission of Jurists, League of Nations Official Journal Special Supplement 1920, p. 3 et seqq. (27). 275  ICJ, Chagos Advisory Opinion (no. 233), para 144.

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It might come as a surprise, but the people of Abkhazia have made claims of colonisation.277 To the author’s knowledge, the people of the other three de facto States have however not made such claims. Their claim does not hold much ground because the UN Resolution “Principles which Should Guide Members in Determining whether or not an Obligation Exists to Transmit the Information Called in Article  73e of the Charter of the United Nations”278 specifies that colonies must be physically separated from the colonial power and must be ethnically and culturally different. The “saltwater colonialism” approach means that oppression within the metropolitan territory is not viewed as colonialism and so does not fall within that exception.279 Accordingly, the first way to claim the external right of self-determination is of no avail to Abkhazia or any other de facto States in the post-Soviet space.280 The second situation is to claim alien subjugation. Indeed, “self-determination’s commitment to ending alien, imposed rule seems logically consistent with giving full expression to the population’s will in

Klabbers, Shrinking Self-Determination (no. 245). European Commission for Democracy through Law, Seminar on ‘State-Legal Aspects of on the Settlement of the (Abkhaz) Conflict, Pitsunda, Georgia, 12–13 February 2001, para 3: ‘Their presentation was mainly historical, starting in the eighth century and complaining about Georgian colonisation of their land.’ For those familiar with the history of Russia and the Soviet Union, this might however not come as a surprise. In 1879 the Russian legal scholar Martens drew parallels between England’s and Russia’s activities on the Indian subcontinent and Central Asia respectively. Fyodor Martens, La Russie et l’Angleterre dans l’Asie Centrale, Revue de Droit International et de Législation Comparée (1879), p. 227. See Lauri Mälksoo, The Legacy of F. F. Martens and the Shadow of Colonialism, Chinese Journal of international Law Vol. 21/2 (2022), p. 55 et seqq. 278  UNGA, Principles which Should Guide Members in Determining whether or not an Obligation Exists to Transmit the Information Called in Article 73e of the Charter of the United Nations, UN Doc A/RES/ 1541(XV), 15 December 1960, Principle IV. 279  Buchanan, Justice, Legitimacy and Self-Determination (no. 273), p. 339 et seq. 280  It is also dismissed in the Tagliavani report. EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 136. 276  277 

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organizing the state.”281 The question inevitably centres on defining “alien” and “subjugation, domination or exploitation”. Quite often the phrase “foreign rule” also appears in literature. Alien or foreign seems to indicate that people are subdued by a group different from theirs; nonetheless, there is little discussion in academia on the definition of “alien” or “foreign”. Most of the discussion centres on the use of force against people and its prohibition under international law.282 Could nonetheless the concept of “alien rule” cover not only the military but also the economic and cultural imposition of norms? It might be possible to draw this conclusion because the Friendly Relations Declaration spells out that “[e]very State has an inalienable right to choose its political, economic, social, and cultural systems”.283 “All of the separatist authorities insist on an inherent moral entitlement to self-determination in the face of ‘alien’ and ‘imposed’ rule.”284 Most of these entities were either independent at some time in history or belonged for a short(er) time to (an)other State and then were incorporated into the State from which they are seceding. Abkhazia states in its 1999 Act of independence that “Abkhazian Statehood stretches over 12 centuries of history. For centuries the people of Abkhazia have had to struggle to preserve their independence.”285 Abkhazia had been an independent Soviet Republic recognised on 31 March 1921, but it was quickly forced to conclude a confederative union treaty with Georgia. In 1931, it was incorporated without its express consent into the Soviet Republic of Georgia which granted it autonomous status. South Ossetia, much like Abkhazia, has had a long history of selfrule. However, unlike most Caucasian people, it sided with the Bolsheviks against Georgia in the early 1920s and was thus given autono­ 281  Timothy W Waters, Contemplating Failure and Creating Alternatives in the Balkans: Bosnia’s Peoples, Democracy, and the Shape of Self-Determination, Yale Journal of International Law Vol. 29 (2004), p. 423 et seqq. (435). 282  See e. g., Ojukwu/Okoli, A Critical Appraisal (no. 174), p. 136. 283  UNGA, Friendly Relations Declaration (no. 170). 284  Lynch, Separatist States (no. 90), p. 837. 285  Act of State Independence of the Republic of Abkhazia, 12 October 1999.

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mous status by Moscow in 1922.286 Indeed, following the creation in 1921 of the Georgian Socialist Soviet Republic and its subsequent incorporation in the Soviet Union, the South Ossetian Autonomous region became part of Georgia. The history of Transnistria is not an easy one either. Between 1924 and 1940, the Moldavian Autonomous Soviet Socialist Republic was an autonomous republic of the Ukrainian Soviet Socialist Republic which included Transnistria. After WWII, the “Moldavian Soviet Socialist Republic” with most of Bessarabia and what is now Transnistria was created.287 Accordingly, Transnistria claimed that although it was part of the Moldavian Soviet Republic it had not been part of Romania before the Second World War.288 Nagorno-Karabakh’s history is even more complicated. It was originally part of the Transcaucasian Democratic Federative Republic which dissolved into Armenia, Azerbaijan, and Georgia. Several wars pitted Armenia against Azerbaijan over Nagorno-Karabakh between 1918 and 1920 until, following the defeat of the Ottoman Empire, the British provisionally gave Nagorno-Karabakh to Azerbaijan,289 a decision entrenched by the Bolsheviks in 1921 following which Nagorno-Karabakh became a region in the Azerbaijan Soviet Socialist Republic in 1923.290 As soon as the Soviet Union unveiled its weaknesses in the late 1980s the population of Nagorno-Karabakh demanded to be transferred to the Armenian Soviet Socialist Republic. To some extent, they could claim that they have been under foreign occupation, but the problem ineluctably is the timeframe. As Mälksoo rightly questions in relation to Transnistria, “when borders are drawn in post-imperial spaces, should the baseline be 1991 or, for instance, 1939?”.291 For some of these entities, one would need to go as far back as imperial Russia. Where do we start the clock? That 286  287 

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De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 2. PACE, Report on the Application by Moldova (no. 156), paras 12–

See Mälksoo, Post-Soviet Eurasia (no. 118), p. 817. Krüger, The Nagorno-Karabakh Conflict (no. 9), p. 13. 290  See Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 486. 291  Mälksoo, Post-Soviet Eurasia (no. 118), p. 817. 288  289 

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being said, when allowing colonised peoples to exercise their right of self-determination no date is set either but the situation of such peoples has always been deemed different from other groups.292 Given the legal uncertainty as to the definition of “alien” or “foreign” rule concept, it could be contended that the de facto States have such a claim, albeit against Russia and the Soviet Union but not against their parent State (i. e., Georgia, Moldova and Azerbaijan). The third situation mentioned in the Re Secession of Quebec Case also requires investigation. It exposes the inherent tension between the right of self-determination and territorial sovereignty.293 The solution for groups unhappy within the administrative borders is to grant them a broad right of self-determination in the form of self-governance, and ensure that the rule of law is maintained and that there is a solid “commitment to human rights with a special sensitivity to those of minorities, whether ethnic, religious, social or linguistic”.294 If, nonetheless, internal self-determination is denied, then external self-determination is an option.295 As Heintze maintains, such a stance finds some support among the OSCE States296 and is also mentioned in an opinion of the Venice Commission.297 The conditions under which the option of what is often called remedial secession is available298 are open for discussion. It is agreed that a certain threshold and intensity of violations committed against the people need to have been reached. The Supreme Court of CanaSee Klabbers, Shrinking Self-Determination (no. 245). See Boutros Boutros-Ghali, An Agenda for Peace, Preventive Diplomacy, Peacemaking and Peace-keeping, 1992, para 19. 294  Boutros-Ghali, Agenda for Peace (no. 293), para 18. 295  Charles Okeke, In Search of Consistency in International Law on the Right to Self-Determination, Non-Interference, and Territorial Integrity, Technium Social Sciences Journal Vol. 34 (2022), p. 331 et seqq. (335); Buchanan, Justice, Legitimacy and Self-Determination (no. 273), p. 335. 296  Hans-Joachim Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Demokratisierung, Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik 1999, p. 34 et seqq. (47). 297  Venice Commission, Opinion No 763/2014 (no. 272), para 26. 298  See David L Sloss, Using International Court of Justice Advisory Opinions to Adjudicate Secessionist Claims, Santa Clara Law Review Vol. 42 (2002), p. 357 et seqq. (358). 292  293 

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da specified that the right to external self-determination “arises only in the most extreme cases and, even then, under carefully defined circumstances.”299 Buchanan asserts that “[t]hese injustices must be of such consequence as to void international support for the state’s claim to the territory in question”.300 In this vein, genocide and crimes against humanity would undoubtedly cross the threshold. Yet, not all human rights violations will lend themselves to the option of remedial secession. The group must be able to point at severe cases of human rights abuses and clear acts of oppression committed by the authorities.301 In the words of the Supreme Court of Canada, it must have been denied “meaningful access to government to pursue their political, economic, cultural and social development”.302 The Venice Commission of the Council of Europe stated that “a secession would only be an option of last resort in a situation where a people’s right to internal self-determination has been persistently and massively violated and all other means have failed.”303 Some scholars maintain that “persistent and discriminatory exclusion from governance”304 could also reach the required threshold. All de facto States studied in this chapter claim that they were not given any autonomy on the national level and thus have had to seek external self-determination. The lack of regard towards minorities no doubt contributed to these communities feeling discriminated against, even at the time of the Soviet Union.305 The situation seemed to worsen towards the end of the reign of the Soviet Union. For example, although South Ossetia lacked under the Soviet period a 299  Supreme Court of Canada, Re Secession of Quebec (no. 224), para 126. 300  Buchanan, Justice, Legitimacy and Self-Determination (no. 273), p. 338. See also African Commission on Human and People’s Rights, Katangese Peoples’ Congress v Zaire, Communication No 75/92, 1995, para 6. 301  Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 163. 302  Supreme Court of Canada, Re Secession of Quebec (no. 224), para 154. 303  Venice Commission, Opinion No 763/2014 (no. 272), para 26 (emphasis added). 304  Marc Weller, Escaping the Self-Determination Trap, 2008, p. 59. 305  In relation to Abkhazia, see EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 146 and Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 486.

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strong identity and its population was rather well integrated with Georgia,306 pronouncements made by the Georgian authorities viewing national minorities as “guests” and questioning their loyalty to Georgia pushed them to demand increased autonomy,307 moving from a region to a Republic.308 This request for an “upgrade” in autonomy was the reaction towards a fear of discrimination. Also, Armenians in Nagorno-Karabakh cited violations of their rights when they asked to become part of the Armenian Soviet Socialist Republic309 and eventually, as the Soviet Union collapsed, led to its claims of statehood. For many of these entities, the situation did not improve after the fall of the Soviet Union.310 For example, Moldova and Georgia tried to impose laws that limited the use of the language of minorities and the possibility to be taught in that language.311 This antagonised the local populations who expressed not only their concerns that they would have a “potential inferior position ‘under’ the new ‘nationalist’ majority” but also pro-Russian sentiments.312 Georgia also suppressed the autonomous status of South Ossetia in December 1990, thus removing the South Ossetian people’s right of internal self-determination.313 In relation to Transnistria, it is established that it was the prospect of the reunification of Moldova with Romania that led to the secessionist movement.314 Nagorno-Kara­ bakh also complained about the lack of autonomy within Azerbaijan and discriminatory policies315 but these seem to be less prominently De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 2 et seq. Ibid p. 3. 308  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 144. 309  PACE, Armenia’s Application for Membership (no. 219), para 49. 310  See Kurtskhalia, Application Process of International Law (no. 4), p. 75 in relation to South Ossetia and Abkhazia. 311  See Quénivet, 15 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion (no. 11), p. 494. 312  See Mälksoo, Post-Soviet Eurasia (no. 118), p. 817. 313  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 144. 314  Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Application by Moldova for Membership of the Council of Europe, Opinion 188 (1995), 27 June 1995, para 6; Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11), p. 16. 315  Tamzarian, Nagorno-Karabagh’s Right (no. 109), p. 208. 306  307 

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mentioned in the literature. It is nevertheless doubtful that the threshold of violations of human and especially minority rights reaches the level required to claim remedial secession.316 Some de facto States have incorrectly labelled some of the policies “genocidal”. The Transnistrian authorities referred to “the policy of genocide against a  part, as Moldova considers, of its people.”317 In 2004 Kokoïty, then-President of South Ossetia, requested from the Georgian Parliament the recognition of the genocide of the South Ossetian people between 1989 and 1991.318 These are unsubstantiated claims.319 c) Expressing the Right of Self-Determination by Way of Referendum In addition, the external right of self-determination “must be the expression of the free and genuine will of the people concerned.”320 Though this statement was made by the ICJ in relation to non-­selfgoverning territories and thus in the context of decolonisation, academics and legal instruments have stressed the importance of ensuring that the people express their will. Crawford argues that if the “State forcibly denies self-determination to the territory in question […] the principle of self-determination operates in favour of the statehood of the seceding territory, provided that the seceding government can properly be regarded as representative of the people of the territory”.321 A slightly different position is adopted by the Parliamentary Assembly of the Council of Europe: it does not refer to (forceful) secession Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 163. Declaration of the ‘Supreme Soviet’ and ‘Government’ of the Trans­ nistrian Moldavian Republic (PMR) of 26 January 1995, Appendix 6 of Report on the Application by Moldova (no. 156). 318  Cited in German, Le conflit en Ossétie-du-Sud (no. 73), p. 57. Russian Foreign Minister Lavrov also claimed that Georgia had ‘ordered the deportation of Ossetians to Russia’ in 1991. Address by Sergey Lavrov, Foreign Minister of the Russian Federation, at the 63rd Session of the UN General Assembly, 27 September 2008. 319  In relation to South Ossetia, see e.  g., EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 145 (fn. 80). 320  ICJ, Chagos Advisory Opinion (no. 233), para 157. 321  Crawford, Creation of States (no. 8), p. 387 (emphasis added). 316  317 

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from a State and focuses more on the people than on the government: “independence and secession of a regional territory from a state may only be achieved through a lawful and peaceful process based on the democratic support of the inhabitants of such territory […]”.322 The Badinter Committee established referendums as a test to express the wishes of the population for secession,323 but it is debatable whether holding a referendum is a requirement under customary international law324 all the more as there might be other ways to show that the seceding government represents the people of the territory. Even if the referendum is not legally binding, it still has consequences; it would “weaken the democratic legitimacy” of the parent State and “support […] the democratic credentials of the independence movement”.325 Yet, that does not mean that only a referendum can lead to secession; the aforementioned conditions must be fulfilled since a referendum “is not a sufficient condition under international law”.326 Weller persuasively maintains that there are more than the three situations mentioned in the Re Secession of Quebec Case. In the case of implied constitutional self-determination, a referendum in favour of independence should be followed by negotiations in good faith,327 which reinforces the view that it must be a “lawful and peaceful process”. Two questions need to be raised in relation to referendums. First, the eligibility of the voters. Should they include the whole population of the State or should they be limited to those present on the territory of the authority that claims the right of self-determination? Georgia, for example, defended that the entire demos needed to take part

322 

PACE, Resolution 1416 (2005) (no. 151), (emphasis added). Opinion 4 Badinter Commission reprinted in: International Legal Materials Vol. 31 (1992). 324  Peters, Populist International Law (no. 152). 325  UKSC, Reference by the Lord Advocate of Devolution Issue (no. 264), para 81. 326  Peters, Populist International Law (no. 152). 327  Marc Weller, The UK Supreme Court Reference on a Referendum for Scotland and the Right to Constitutional Self-Determination (Part II), European Journal of International Law Talk!, 13 December 2022. 323 

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in the exercise of the right of self-determination,328 claiming that “[c]ontemporary international law […] repudiate[s] the right of […] peoples to secede unilaterally without taking the will of the whole State into account”.329 In contrast, the Venice Commission points out that in general, in federal and non-federal states, only those registered as the electorate for the territory in question are eligible.330 In Opinion No 4, the Badinter Committee stressed that all ethnic groups of a specific territory ought to be allowed to take part in the vote.331 Still, some might choose not to take part.332 Should this be taken into account? Perhaps not as their lack of participation is in itself the expression of a political opinion. As the Venice Commission indicates, “a decision to abstain from voting is nevertheless a legitimate attitude that citizens may adopt on a fundamental issue such as national independence”.333 Second, which standards should be applied when holding the referendum? At a minimum, the 2007 Code of Good Practice on Referendums334 elaborated by the Venice Commission ought to be complied with. It reiterates the principles of universal, equal, free and se328  United Nations Economic and Social Council, Implementation of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: Initial Reports Submitted by State Parties under Articles 16 and 17 of the Cov­ enant, Addendum Georgia, UN Doc E/1990/5/Add.37, 23 September 1998, para 29. 329  UNGA, Right of Peoples to Self-Determination (no. 192), para 4. 330  European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Opinion on the Compatibility of the Existing Legislation in Montenegro Concerning the Organisation of Referendums with Applicable International Standards, Opinion No 343/2005, CDL-AD (2005)041, 19 December 2005, paras 51–52. 331  Opinion 4 Badinter Commission (no. 323). 332  This situation does not refer to individuals who are prevented from attending a polling station, notably because of the presence of menacing State authorities or individuals at the polling station. 333  Venice Commission, Opinion No 343/2005 (no. 330), para 25. 334  European Commission for Democracy through Law (Venice Commission), Code of Good Practice on Referendums, Study No 371/2006, CDL-AD (2007)008rev-cor, adopted by the Council for Democratic Elections at its 19th meeting (Venice, 16 December 2006) and the Venice Commission at its 70th plenary session (Venice, 16–17 March 2007).

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cret suffrage and lays down conditions for implementing such principles, stressing the importance of respect for human rights as the basis of democratic referendums335 and encouraging the use of national and international observers.336 Referendums related to the external right of self-determination are nevertheless not mentioned in the Guidelines and one might rightly question whether higher standards should not be applicable given the high stakes of such referendums. The latest iterations carried out in Ukraine are testimonies of referendums used to mask territorial expansion.337 However, the Venice Commission in its 2005 Opinion on the independence referendum in Montenegro referred to a wide range of guidelines and codes of good practice relating to electoral matters and referendums on the national level338 and established that certain framework conditions for a free and fair vote had to be guaranteed339 and that there were no recognised standards regarding the level of participation.340 Where it differed from other types of referendum is in relation to the rules on majority, requiring a higher level than a simple majority of those voting.341 The overwhelming majority of these de facto States did not carry out a referendum at first; referendums were conducted to confirm declarations of independence made by the then regional/local authorities. In August 1990, the regional parliament of Abkhazia declared independence followed by local elections which supported the decision,342 then in July 1992 the de facto authorities proclaimed a law that re-established the constitution of the Soviet Union of 1925 that 335  Venice Commission, Code of Good Practice on Referendums (no. 334), Point II (1). 336  Ibid, Point II (3.2). 337  See Leonaitė/Žalimas, Annexation of Crimea (no. 2), p. 44. 338  Venice Commission, Opinion No 343/2005 (no. 330), para 11. 339  Ibid, para 17. 340  Ibid, para 22. 341  Ibid, paras 33 and 36. 342  Hildemar Gürer, Konflikte im Südkaukasus, in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden and Konfliktlösung (ed.), Wie sicher ist Europa? Perspektiven einer zukunftsfähigen Sicherheitspolitik nach der Jahrtausendwende, 2001, p. 212 et seqq. (212).

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saw Abkhazia as an independent republic.343 In November 1994, the Supreme Council of the Republic of Abkhazia adopted a constitution. According to official figures, the Constitution was approved by 97.7 % of the voters in October 1999 and led Abkhazia to issue its formal act of State independence.344 South Ossetia declared its independence on 29 May 1992. A first Constitution was approved in 1993 and a second in April 2001, this time by way of referendum.345 On 12 November 2006, another referendum with results of 99.9 % solidified South Ossetia’s wish to be independent of Georgia.346 Nagorno-Karabakh declared its independence from Azerbaijan through a decision of its parliament on 2  September 1991 that was followed by a referendum on 10 December with 99.9 % in favour of independence.347 The referendum was boycotted by the Azeris348 and thus some doubts can be cast over the results. The new parliament declared its independence again on 6 January 1992. In contrast, it was a referendum between December 1989 and November 1990 that led the Congress of Deputies in Tiraspol (under the Soviet Union) to declare independence on 2  September 1990. Then, as claimed by the Transnistrian authorities, “the Moldavian Republic of Pridnestrovye is an independent state, created as a result of an all-people referendum”349 held on 1 December 1991. A further referendum was held on 17  September 2006 that clearly indicated that the population wished for independence with a subsequent free accession to the Russian Federation.

343  344 

1999.

Ibidem. Act of State Independence of the Republic of Abkhazia, 12 October

345  Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11), p. 17 et seq. 346  Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 503. 347  ECtHR, Chiragov (no. 78), para 17; ECtHR, Sargsyan (no. 221), para 19. 348  Ibidem. 349  Declaration of the ‘Supreme Soviet’ and ‘Government’ of the Transnistrian Moldavian (no. 317).

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Whether the referendums complied with the principles of universal, equal, free and secret suffrage is hard to assess as no information seems available on how these referendums were carried out. There were no international observers and figures of 95–99 % of the population in favour of independence do tend to look suspicious. As Kolstø explains, “many quasi-states have an authoritarian regime in which election results must be treated with great care as indicators of popular attitudes”.350 Overall, none of the peoples in these de facto entities appear to have a clear right to self-determination. Whilst three of them qualify as people (Transnistria does not), they cannot persuasively show that they are either colonised, under foreign or alien occupation or have a right to remedial secession since the threshold of violations against them has not been met. Unless a wider approach towards the conditions for the exercise of the right of self-determination including the right to secession by choice351 is espoused, they cannot claim to be allowed to breach the principle of territorial sovereignty. Clearly, the de facto States in the post-Soviet space suffer from a far-reaching gamut of international violations that prevents them from being recognised as States. Be that as it may: despite claiming that they cannot be recognised, the problem of their factual existence for over 30  years does not disappear. V. Interests of Third Parties and Independence Benneh argues that the additional “criteria which have emerged from developing practices provide[] a basis for conceptualising and reconstructing more viable states”.352 In other words, statehood is increasingly granted to those entities that are deemed to be likely to be viable and viability is determined by these factors. It is, on the other hand, doubtful that the aforementioned additional criteria inevitably 350  Kolstø, Sustainability and Future of Unrecognized Quasi-States (no. 261), p. 731. 351  See Coppieters, Four Positions (no. 1). 352  Emmanuel Yarw Benneh, Statehood, Territory, Recognition and International Law: Their Interrelationships, in: Quashigah/Okafor, Legitimate Governance (no. 227), p. 375 et seqq. (398).

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lead to more viable States as they truly relate to the ability and willingness to comply with international law rather than to stand as independent entities. The de facto States in the post-Soviet space prove the point: although they fulfil the essential requirements of statehood according to the Montevideo Convention, they are not “lawful” entities; yet, they exist and survive and they do so because they have found support in interested third parties, patron States. Their viability is sadly linked to their increasing state of dependence on external support and concomitantly their growing lack of independence. This has, in turn, led to several important legal consequences and in fact further supports the claim that these entities are not States. 1. Link between Statehood, Viability and Independence It is acknowledged that “nascent political communities that receive international recognition during their attempts to secede seem more likely to become independent states than those that do not”.353 Earlier recognition empowers de facto States and supports their (full) independence.354 Unfortunately, this is too late for the four entities in the post-Soviet space. The reality is that they appear to be counterexamples of the theory propounded by many scholars that there is a strong correlation between recognition and survival,355 not only of the State but also its citizens,356 and that once recognised, an entity “is much more likely to survive than if [States] say that they will have nothing to do with it”.357 The two main challenges faced by these entities are security issues as they are at the mercy of being taken back by their parent State or 353  Alex Green, Successful Secession and the Value of International Recognition, in: Raible/Vidmar/McGibbon (eds.), Research Handbook on Secession, 2022, p. 75 et seqq. (76). 354  Mendes argues that ‘recognition contributes to the process of state formation’. Mendes, Statehood and Palestine (no. 16), p. 34. 355  Fikfak, Democracy and Statehood (no. 49), p. 109. 356  Costas Laoutides, Surviving in a Difficult Context: The Question for Development in Unrecognised States, in: Ware (ed.), Development in Difficult Sociopolitical Contexts, 2014, p. 71 et seqq. (73). 357  Vaughan Lowe, International Law, 2007, p. 60.

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annexed by another State and economic problems: “key actors in unrecognised states see the issues of underdevelopment and fragility as secondary to and by-products of the root cause issue of non-recognition”.358 Often, emerging out of an armed conflict, they need to rebuild the economy and have no money to do so. Moreover, as they are not recognised very few foreign firms invest in the local economy.359 More crucially, they are unable to trade with States (and set up trade agreements) and access vital loans and funds on the international level as they cannot become members of the relevant international organisations. One of the reasons360 they have survived is that they have turned towards States that either recognise or support them: an external patron State. As Caspersen states, “[d]ue to their lack of international recognition, unrecognized states are not spoilt for choice when it comes to attracting external support, and patron states therefore fill in an important gap. Based on ethnic links or strategic interests, these states choose to support unrecognized states with diplomatic, economic, and military assistance. Such external support helps compensate for the lack of international recognition and significantly assists the process of state-building”.361 Yet, this support is not without interest: de facto States are often used as a proxy to achieve long-term aims, usually directed at the parent State.362 This problem is compounded by the fact that “this type of very small State might be particularly suited to forms of intervention and/or influence which could well characterize dangerous manifestations of neocolonialism”.363 Laoutides, Surviving in a Difficult Context (no. 356), p. 73. Kolstø, Sustainability and Future of Unrecognized Quasi-States (no. 261), p. 729. 360  Kolstø contends that there are at least five factors ‘that contribute to the viability of unrecognized quasi-states: symbolic nation-building; militarization of the society; the weakness of the parent state; support from an external patron; and lack of involvement on the part of the international community.’ Ibidem. 361  Caspersen, Unrecognized States (no. 99), p. 54 et seq. 362  Laoutides, Surviving in a Difficult Context (no. 356), p. 74. 363  United Nations Sub Commission on Prevention and Protection of Minorities, The Right to Self-Determination: Implementation of United 358  359 

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As Roeder explains, after the fall of the Soviet Union, outside allies such as Russia and Armenia prevented the parent State “from reversing the secessions even after new unified [parent state] leadership had consolidated power”,364 a situation that has been reinforced in the past decade. Abkhazia, South Ossetia, and Transnistria have turned towards Russia though not all of them had originally a penchant for Russia. As Darchiashvili evinces, the separatist claims of Abkhazia and South Ossetia were “not the result of a Russian plot but rather that of a process of ‘awakening’ in these ethnic groups, which was distinct from the Georgian ‘rebirth’”.365 That being said, South Ossetia has always enjoyed good relations with Russia.366 In contrast, Nagorno-Karabakh found in Armenia natural reinforcement. These entities have subsequently (or concurrently) developed a relationship of clientelism and have sometimes been used and/or exploited by the supporting State, taking “geopolitical advantage of minorities within former, non-Russian, Soviet republics”.367 Abkhazia and South Ossetia are “part of a Russia-dominated, post-imperial economic and cultural ecosystem”368 whereas Transnistria “survives by virtue of the military, economic, financial and political support given to it by the Russian Federation”.369

Nations Resolutions, Study Prepared by Hector Gros Espiell, UN Doc E/ CN.4/Sub.2/405/Rev.1, 1980, para 108. 364  Roeder, Where Nation-States Come From (no. 162), p. 309. 365  David Dachiashvilli, Georgian Security Problems and Policies, in: Baev et al, The South Caucasus: A Challenge for the EU, 2003, p. 107 et seqq. (115). See also German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 157. 366  Wilson, Secession and Intervention (no. 199), p. 155. 367  Mälksoo, Post-Soviet Eurasia (no. 118), p. 816; De Waal explains well how Russia has used South Ossetia and Abkhazia to counter moves and pronouncements made by the EU and the USA on Georgia. De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 6. 368  Mälksoo, Post-Soviet Eurasia (no. 118), p. 816. 369  ECtHR, Ilaşcu (no. 157), para 392; Similar phrasing can be found in ECtHR, Mozer (no. 77), para 110.

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2. Consequences of Obtaining Third Party Support to Survive Whilst it seems prima facie an issue linked to international relations and not to international law, the legal consequences of such support are multifaceted. First, support has led to de facto or de jure occupation and in some cases annexation, i. e., situations unlawful under international law. Following the 2008 armed conflict in South Ossetia and Abkhazia, a six-point cease-fire plan was brokered. As Russia deployed more forces in Abkhazia370 and South Ossetia to the extent that it is claimed Russia occupies Abkhazia371 and South Ossetia.372 Transnistria is also considered to be occupied by Russia. For some scholars, the presence of Russian troops in Transnistria since 1991 is a form of occupation.373 Some observers argue that Armenia controls Nagorno-Karabakh since 1994,374 whilst others go as far back as January 1992, a couple of weeks after Nagorno-Karabakh declared its independence.375 The United Nations General Assembly passed a resolution in 2008 referring to Nagorno-Karabakh as occupied territory376 whilst the Parliamentary Assembly of the Council of Europe has impliedly referred to the de facto annexation of Nagorno-Karabakh by Armenia.377 The way the “independence” of Ukrainian regions was recently handled by Russia is undoubtedly an additional cause for concern. Welt, Georgia (no. 153), p. 14. Ioannis E Kotoulas, Russia as a Revisionist State and the 2022 Invasion of Ukraine, in: Collective Scientific Monograph, The Russian-Ukrainian War (2014–2022): Historical, Political, Cultural-Educational, Religious, Economic and Legal Aspects, 2022, p. 551 et seq.; See also Parliamentary Assembly of the Council of Europe, Challenge, on Substantive Grounds, of the Still Unratified Credentials of the Delegation of the Russian Federation, Resolution 2034 (2015), 28 January 2015, para 12.1. 372  Kotoulas, Russia as a Revisionist State (no. 371), p. 552. 373  Ibidem. 374  See report mentioned in ECtHR, Chiragov (no. 78), para 63. 375  Roeder, Where Nation-States Come From (no. 162), p. 313. 376  UNGA, Resolution 62/243. The Situation in the Occupied Territories of Azerbaijan, UN Doc A/RES/6/243, 14 March 2008, para 2. 377  PACE, Resolution 1416 (no. 151), para 2. 370  371 

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For example, as the Republics of Donetsk and Luhansk declared their independence in April 2014, the international community viewed it as a de facto annexation by Russia. The next step was the official recognition by Russia of these entities as independent States on 21 February 2022 and eventually in September 2022 their incorporation into the Russian Federation, i. e., their de jure annexation. The pace at which this took place was fast and one might rightfully question whether this process might not be applied to other de facto States. Indeed, in March 2022 the President of South Ossetia announced that it would “take the relevant legislative steps [for] [t]he republic of South Ossetia [to be] part of its historical homeland  – Russia” and expressly referred to Russia’s invasion of Ukraine as a “window of opportunity”.378 The referendum was however cancelled in May 2022.379 Second, independence is a requirement for statehood. In 1963, Higgins observed that “international law has long demanded that before an entity can be acknowledged as a state, it must possess independence and sovereignty”380 and that “independence is an indispensable element in the notion of statehood under international law”.381 Indeed, “[s]ince independence is an expression of sovereignty, that, according to international law, is the evidence of statehood”.382 The importance of the independence criterion is supported by an alternative to the Montevideo Convention definition. In many States and legal literature, the last two criteria are merged and replaced by the 378  Cited in No Author, Georgia’s South Ossetia Plans to Take Steps to Join Russia, Al Jazeera, 31 March 2022. 379  No Author, Georgia’s South Ossetia Cancels Referendum on Joining Russia, Al Jazeera, 31 May 2022. 380  See also Brigitte Stern, La succession d’Etats, Recueil des cours. Hague Academy of International Law Vol. 262 (1996), p. 9 et seqq. (68); Joe Verhoe­ ven, La reconnaissance internationale: déclin ou renouveau, Annuaire Français de Droit International Vol. 39 (1993), p. 7 et seqq. (37). 381  Rosalyn Higgins, The Development of International Law Through the Political Organs of the United Nations, 1963, p. 25. Grant also argues that ‘[a] putative state experiencing “substantial external control” … may lack the essential attribute of statehood’ (Grant, Defining Statehood (no. 83), p. 437). 382  Doli, International Element (no. 50), p. 109.

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criterion of an independent power and/or government;383 in many European States,384 the three-elements doctrine (Drei-Elemen­tenLehre) coined by Jellinek385 prevails. These three elements of understanding are also found in the Opinion 1 of the Badinter Committee386 and in the Tagliavini report.387 According to this doctrine, the elements of the State are a territory (Staatsgebiet), a population (Staatsvolk) and sovereign power (souveräne Staatsgewalt). For example, in German international law literature, the two last elements are understood as state power (Staatsgewalt) that can be divided into internal and external power.388 Consequently, a State is constituted by “a sedentary population living on a defined territory and organised under a self-imposed, effective and lasting order, not derived from a State”.389 In short: “a territory, a population and an effective and independent government”.390 Consequently, independence is an excellent gauge of an entity’s ability to function as a State. Independence can be divided into internal and external independence, the former referring to the constitutional autonomy of the entity and the latter requiring the State to be under no other authority than international law (Völkerrechtsunmit383  Prior to the Montevideo Convention, international law supported a definition of statehood based on three elements. German-Polish Mixed Arbitral Tribunal, Deutsche Continental Gas-Gesellschaft (no. 36), p. 14 et seqq. 384  Germany: Fürstentum Sealand (no. 31); BVerwG 1 C 25.92, 28 September 1993, para 20; Switzerland: BGer, Wang et consorts c Office des juges d’instruction fédéraux, BGE 130 II, p. 217 et seqq. (221 et seqq). 385  Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 1882; Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 1905. 386  ‘[T]he state is commonly defined as a community which consists of a territory and a population subject to an organized political authority; that such a state is characterized by sovereignty’. See also Opinion 1, Annex to Pellet, Opinions (no. 107), p. 182. 387  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 130 et seqq. 388  Volker Epping, Völkerrechtssubjekte, in: Ipsen (ed.), Völkerrecht, 7th edn 2018, para 137. 389  BVerwG 1 C 25.92, 28 September 1993, para 20. 390  BGer, Wang et consorts (no. 384) p. 221; see also Belkahla, Qualité étatique (no. 108), p. 240.

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telbarkeit) and not under any other authority (and especially no other State authority).391 States, of course, enjoy a broad range of links with other States but one they cannot have is a constitutional relationship with another State.392 The power of the de facto State is not derived from another State;393 the government is the ultimate authority.394 Only those entities that are constitutionally independent are considered States by the international community.395 This stresses the importance of a constitution that spells out the principles and basic rules in light of which the population is to be governed. Independence is, of course not absolute, as the State is still bound by international law.396 In other words, the only dependence that is allowed is that of international laws, be they general or particular.397 It is in this frame that a State is allowed to pass over to another State certain rights (e. g., the right to deploy troops on its territory; the right to take binding decisions on its behalf ) but this must be done in such a way that there is genuine consent and that the ultimate decision-maker is the State. To appraise the level of independence of a de facto State, a broad view is adopted; the focus is not only on the constitutional setting and military support but also on political and economic ties. The reason for this is because, when examining whether a State is in effective control over the territory and inhabitants of another State, the European Court of Human Rights’ “assessment will primarily depend on military involvement, but other indicators, such as economic and political support”.398 This approach is pertinent because it is used by the Court to evaluate whether the State exercises “significant and de-

Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 150. James, Practice of Sovereign Statehood (no. 106), p. 461. 393  Ulrich Schneider, Die Rechte- und Pflichtenstellung des Unionbür­ gers. Der Beginn einer europäischen Staastangehörigkeit?, 2000, p. 22. 394  Okosa, Statehood Theory (no. 19), p. 110. 395  James, Practice of Sovereign Statehood (no. 106), p. 462. 396  Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 150. 397  Jolicoeur, Reconnaissance (no. 50), p. 86. 398  ECtHR, Chiragov (no. 78), para 169. 391  392 

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cisive influence”399 on the territory of another State. That jurisprudence is particularly apposite as the de facto States are on the territory of States parties to the European Convention on Human Rights and violations committed in de facto States have been the subject of seminal cases. A further element to investigate relates to the citizenship/ nationality of the inhabitants. Can inhabitants of the territory be granted the nationality of the de facto States since “[n]ationality is dependent upon statehood, not vice versa”?400 The “capacity of self-government equally affect (sic) the ability of a state to enter into international relations with other states”.401 If a State struggles to maintain independence on the national level, it is highly unlikely to be able to maintain it externally. This vindicates the argument that “the capacity of the State to establish legal relations with other States is an expression of independence”.402 Likewise, if an entity is not able to be in contact with other States, then it cannot be under international law.403 Many micro-States have endowed another State with the exercise of their external powers and especially handed over their defence and are, yet, considered States.404 Based on criteria often mentioned in national jurisprudence on State recognition, some of the elements that need to be assessed are: who is in charge of border controls? Are there custom duties and, if yes, who is collecting them? Is the entity free to determine its foreign policy?

399 

ECtHR, Chiragov (no. 78), para 186. Crawford, Creation of States (no. 8), p. 52. See also France: Cour Nationale du Droit d’Asile, M G, No 15036058, 18 October 2016, para 3. 401  Chinemelu/Oraeto, Formation of State (no. 18), p. 34. 402  Doli, International Element (no. 50), p. 108. 403  Kälin et al, Völkerrecht (no. 35), p. 154. 404  Sterio, A Grotian Moment (no. 18), p. 217. See also Rosalyn Cohen, The Concept of Statehood in United Nations Practice, University of Pennsylvania Law Review Vol. 109 (1961), p. 1127 et seqq. (1140). Examples are the Marshall Islands, the Federated States of Micronesia and Palau and the US (see ICC, Situation in the State of Palestine, Submissions Pursuant to Rule 103 ( John Quigley), ICC-01/18, 3 March 2020, para 48); Monaco and France (see ICC, Situation in the State of Palestine, Submissions Pursuant to Rule 103 ( John Quigley), ICC-01/18, 3 March 2020, para 47); Liechtenstein and Switzerland; Cook Islands and New Zealand. 400 

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3. Lack of Independence of de facto States in the Post-Soviet Space a) Abkhazia and South Ossetia Abkhazia and South Ossetia are rather similar. The constitutions of Abkhazia and South Ossetia refer to the people as “the bearer of sovereignty and the only source of authority”.405 Noteworthy is Article 3(1) of the Constitution of South Ossetia that states that “[t]he Republic of South Ossetia independently determines its state-legal status, resolves issues of political, economic, socio-cultural development”. Their political system is, on paper, independent of Russia in the sense that they have their own institutions of governance, but the problem concerns political parties and elites. The problem is particularly acute in South Ossetia where a number of institutions were already prior to 2008 “staffed by Russian representatives or South Ossetians with Russian citizenship that have worked previously in equivalent positions in Central Russia or in North Ossetia”.406 In elections in South Ossetia the choice is rather limited407 as candidates must be allowed by Russia, and the local authorities and its institutions are dependent on Moscow’s political and economic support.408 Previously, and especially in Abkhazia, whilst the political elite was generally supportive of Russia, it did not necessarily agree with Russian policies and at times clashed with it.409 This changed around 2015–2016 405 

Abkhazia, Constitution, Art 2; South-Ossetia, Constitution, Art 1(2). EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 132. See also De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 4. 407  De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 4. 408  Freedom House, Freedom in the World 2022  – South Ossetia, avail­ able at https://freedomhouse.org/country/south-ossetia/freedom-world/2022 (last accessed on 15.05.2023). 409  Polina I. Kvacheva/Svetlana V. Petrova, Political and Legal Status of Unrecognized States in the Modern World: Historical and Legal Aspects (A Case Study of the Republic of Abkhazia), Perm University Herald. Juridical Sciences Vol. 35/1 (2017), p. 56 et seqq. (59); EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 133; Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 500. 406 

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with a political elite loyal to Russia and “integrated into the Russian vertical power structure and accountable more to Moscow rather than their own population”.410 In Abkhazia, there were occasional demonstrations against pro-Moscow policies viewed as diminishing its independence,411 and the government had even in 2021 to deal with opposition protesters.412 Elections in Abkhazia can be said to be generally relatively free.413 Whilst both entities are able to adopt their own legislation, they have gradually unified their legal system with that of Russia.414 Some authors argue that South Ossetia has as a matter of fact copied Russian law,415 Freedom House specifically mentioning that “South Ossetia uses a modified version of the Russian criminal code”.416 In 2016, it was revealed that Russian government agencies were drafting bills to be adopted by the parliament of South Ossetia.417 Economically, both States are tied to Russia. Russia pays local pensions and contributes to the State budgets of Abkhazia and South Ossetia.418 Whilst South Ossetia completely relies on Russia,419 Abkhazia still draws money from tourism and some foreign economic links.420 Recent data also reveals that Moscow’s contributions to Abkhazia’s budget have declined in the past few years.421 After Russia Kvacheva/Petrova, Political and Legal Status (no. 409), p. 60. See ibid, p. 59. 412  Freedom House, Freedom in the World 2022 – Abkhazia, available at https://freedomhouse.org/country/abkhazia/freedom-world/2022 (last accessed on 15.05.2023). 413  Ibidem. 414  Kvacheva/Petrova, Political and Legal Status (no. 409), p. 63. 415  Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 506. 416  Freedom House, South Ossetia (no. 408). 417  Cited in De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 5. 418  Caspersen, Unrecognized States (no. 99), p. 56. According to Kvacheva and Petrova 90 % of the South Ossetian and 70 % of the Abkhazian budgets are stemming from Russia. Kvacheva/Petrova, Political and Legal Status (no. 409), p. 59. 419  De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 8. 420  German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 161. 421  Freedom House, Abkhazia (no. 412). 410  411 

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had signed a Treaty of Friendship, Cooperation and Mutual Assistance in 2008 with South Ossetia and Abkhazia respectively, it signed with both a Treaty of Alliance and Strategic Partnership, in February 2015 with South Ossetia422 and in November 2014 with Abkhazia.423 These treaties provide extensive assistance from Russia on the economic, social and educational levels. Whilst the constitution of Abkhazia makes no reference to its borders or territorial integrity, the constitution of South Ossetia stresses the important function played by the State in protecting its sovereignty and territorial integrity.424 That being said, in 2006–2008 the key security posts in South Ossetia and Abkhazia were held by current or former Russian officials425 and following the 2008 armed conflict and the signature of the 2008 agreements, Russia significantly increased its military presence on the territory of these two entities,426 thereby indicating their reliance on Russia for their security.427 The 2014/2015 treaties now provide for a “single space of defence and security” in relation to South Ossetia428 and a “common space for defence and security” in relation to Abkhazia.429 The agreement with South Ossetia also envisages the incorporation of the armed forces, security agencies430 and custom authorities431 of South Os­setia 422  Treaty between the Russian Federation and the Republic of South Ossetia on Alliance and Integration, available at http://kremlin.ru/supple ment/4819 (last accessed on 15.05.2023). 423  Treaty between the Russian Federation and the Republic of Abkhazia on Alliance and Strategic Partnership, available at http://kremlin.ru/ supplement/4783 (last accessed on 15.05.2023). 424  South-Ossetia, Constitution, Art 3(3). 425  For South Ossetia, see German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 59. For both entities, see EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 17 et seq. and p. 127 et seqq. 426  ECtHR, Georgia v Russia (II), Application No 38263/08, 21 January 2021, para 43. 427  For South Ossetia, see German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 160. 428  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 2(1). 429  Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 5. 430  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 2(2). 431  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 5(1).

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into those of Russia432 whilst the agreement with Abkhazia is less straightforward, providing for “joint efforts in protecting the state border”433 and a gradual standardisation and harmonisation.434 Ab­ khazia thus retains its own armed forces. The borders of Abkhazia435 and South Ossetia436 are also controlled by or with Russia437 and a policy of borderisation, i. e., the installation of physical infrastructure along the administrative boundary line, has been implemented on the territories of Abkhazia and South Ossetia.438 An armed attack on one of them is considered as an armed attack on the other.439 Based on the 2015 treaty, Abkhazia also signed a programme on the formation of common social and economic space with Abkhazia in November 2020,440 as it faced economic hardship during the pandemic and thus dropped its lukewarm approach towards further integration with Russia.441 Article 3 of the Constitution of Abkhazia claims that it is subject to international law and can enter into relations with other States by way of treaties. It thus recognises no other authority but international law. Article 10 of the Constitution of South Ossetia similarly refers to its right to enter into alliances with other States and in Article 11(2) refers to South Ossetia’s relationship with other States being based on treaties and principles and norms of international law, thereby stressing its independence. With regard to independence in the matter of foreign policy, as mentioned before, their ability to conduct an indeSee German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 159. Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 9(1). 434  See e. g., Treaty with Abkhazia (no. 423), Arts 11 and 12. 435  PACE, Resolution 2034 (no. 371), para 12.2. 436  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 2(2); see German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 160. 437  ECtHR, Georgia v Russia (II) (no. 426), para 171. 438  Tracey German, Russia and the South Caucasus: The China Challenge, Europe-Asia Studies Vol. 74/9 (2022), p. 1596 et seqq. (1606); De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 7. 439  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 2(3); Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 6(1). 440  No Author, Moscow, Sokhumi Sign ‘Common Social-Economic Space’ Program, Tbilisi Decries, Civil Georgia, 25 November 2020. 441  Freedom House, Abkhazia (no. 412). 432  433 

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pendent foreign policy is limited because of the lack of recognition though South Ossetia has shown little interest in developing relations with States other than Russia.442 Whereas Article 11 of the Constitution of South Ossetia spells out the principles upon which South Ossetia’s foreign policy is built it is Abkhazia’s formal act of independence of 1999 that refers to such principles.443 They include the classic principles of equality, non-interference in internal affairs, good neighbourhood, etc. Yet, the 2015 Treaty evidently states that South Ossetia and Russia on the one hand and Abkhazia and Russia on the other are to “pursue a coordinated foreign policy”,444 thereby leaving very little room for an independent foreign policy. An interesting feature of the Constitution of South Ossetia is its reference to its relations with the Republic of North Ossetia which, it declares, is built “on the basis of ethnic, national, historical and territorial unity, socio-economic and cultural integration”.445 It should be remembered that North Ossetia is part of Russia and that the idea of an “integration” mentioned in the constitution no doubt conveys the impression that, in the long run, the aim is its incorporation into Russia. The Treaty signed between Russia and South Ossetia further supports this view. First, in contrast to the one with Abkhazia whose title contains “alliance and strategic partnership”, the one with South Ossetia refers to “alliance and integration”. Second, the treaty with South Ossetia contains 15 straightforward clauses and is valid for 25  years, automatically extended for successive ten-year periods446 whereas the one with Abkhazia is more elaborate with 24 provisions and is concluded for 10 years, automatically renewed for successive five-year periods.447 As South Ossetia announced a referendum to join Russia in 2022 (which was later cancelled), Abkhazia, on the

442  443 

1999.

De Waal, South Ossetia Today (no. 256), p. 5. Act of State Independence of the Republic of Abkhazia, 12 October

444  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 1(1); Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 4(1). 445  South-Ossetia, Constitution, Art 8. 446  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 5. 447  Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 23.

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other hand, declared that it had no plans to join Russia.448 The population of the latter has always been divided on whether it ought to be independent or become a part of Russia.449 Although both States grant nationality to the inhabitants, the overwhelming majority of the population also holds Russian nationality and the 2015 Treaty has simplified the procedure for acquiring Russian citizenship.450 Whilst this means that Russian citizens are entitled to Russian medical insurance,451 health care,452 pensions,453 etc.,454 this passportisation policy455 has also given Russia the opportunity and the legal authority to claim that in intervening in these de  facto States against Georgia it was protecting its own nationals. Russia’s claims have nevertheless been dismissed by scholars as unsound.456 As German concludes, “[w]ithout Russian patronage, South Ossetia is not a viable state and would not survive, unable to function as a state entity”.457 The same observation can be made of Abkhazia though to a lesser extent.458 In 2008, the Tagliavini report referred to “creeping annexation”459 but it was undoubtedly the 2008 armed conflict and the ensuing recognition by Russia that decreased South Ossetia’s and Abkhazia’s claims of independence and thus their claims to statehood. It is quite telling that two Russian scholars state that No Author, Georgia’s South Ossetia Plans (no. 378). Pegg/Berg, Lost and Found (no. 3), p. 272. 450  Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 6; Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 13. 451  Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 16; Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 9. 452  Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 17. 453  Treaty with Abkhazia (no. 423), Art 15; Treaty with South Ossetia (no. 422), Art 8. 454  See discussion in EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 132. 455  See EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 155 et seqq. 456  See James Green, Passportisation, Peacekeepers and Proportionality: The Russian Claim of the Protection of Nationals Abroad in Self-Defence, in: Green/Waters (eds.), Conflict in the Caucasus. Implications for International Legal Order, 2010, p. 54 et seqq. 457  German, Russia and South-Ossetia (no. 44), p. 158. 458  See EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 134. 459  EU, Conflict in Georgia (no. 20), p. 18 et seq. 448  449 

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“many officials in Moscow started to treat the republics as two additional constitutional territories of the Federation”.460 b) Transnistria Transnistria is different from the previous de facto States though it shares common features. Under Article 1 of its Constitution, the people are “the bearer of sovereignty and the only source of power”. The political governance system appears independent as the entity has its own institutions and laws but it is corrupt and there is no meaningful opposition.461 Elections are run periodically and there are no reports of Russian meddling but given that the entire political elite supports Russia’s role as a patron-state,462 no such interference is necessary. Moreover, some of the ministerial posts were held by former KGB officials,463 thus questioning the independence of the political elite. It should also be noted that on 17 September 2006, a second independence referendum was held, supporting the independence with the subsequent free association with Russia. In the long run, it appears that Transnistria wants to be incorporated into Russia. In addition, notwithstanding Article 3 which provides for the nationality of Transnistria, as explained earlier, the majority of the population has also acquired Russian nationality. Transnistria’s economic system is boosted by Russia which supports local companies, offers special gas prices,464 economic aid465 and economic subsidies more generally.466 As a result of the lower price of Kvacheva/Petrova, Political and Legal Status (no. 409), p. 59. Freedom House, Freedom in the World 2022  – Transnistria, available at https://freedomhouse.org/country/transnistria/freedom-world/2022 (last accessed on 15.05.2023). 462  Ibidem. 463  Kolstø, Sustainability and Future of Unrecognized Quasi-States (no. 261), p. 732. 464  Freedom House, Transnistria (no. 461). 465  ECtHR, Catan (no. 77), paras 39 and 41. 466  Parliamentary Assembly of the Council of Europe, The Honouring of Obligations and Commitments by the Russian Federation, Doc 13018, 14 September 2012, para 157. 460 

461 

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gas, local enterprises are more competitive and household energy prices have been kept low.467 Russia has also opened its market to goods from Transnistria, thereby boosting its economy.468 More worryingly, Sheriff Enterprises, the second largest company in Transnistria, is a powerful business conglomerate that dominates not only the Transnistrian economy but has also a stronghold on political matters. The President is assigned the key role of adopting measures relating to the sovereignty, independence and territorial integrity of the entity469 whilst the armed forces are to defend these principles.470 The reality is that the Russian 14th army has been in Transnistria since its inception and that it appears to be with the consent of the State authorities471 even though Russia had, as part of its accession commitments to the Council of Europe, agreed that it would remove the 14th army472 though never did. How much this consent is genuine is difficult to gauge. Criticizing the presence of the so-called “peacekeeping” troops has been penalised in the criminal code.473 As the European Court of Human Rights already stated in Catan “[t]he continued Russian military and armaments presence in the region sent a strong signal, to the ‘MRT’-leaders, the Moldovan Government and international observers, of Russia’s continued military support for the separatists”.474 In examining acts that took place in 1991– 1992, the European Court of Human Rights stated that Transnistria was “under the effective authority, or at the very least under the decisive influence, of the Russian Federation”475 which had provided military, economic, financial and political support.476 Such support Laoutides, Surviving in a Difficult Context (no. 356), p. 74. Ibidem. 469  Transnistria, Constitution, Art 70. 470  Transnistria, Constitution, Arts 11 and 94. 471  A referendum held in 1995 supported the presence of Russian troops in Transnistria. 472  PACE, Resolution 2034 (no. 371), para 12.3. 473  Freedom House, Transnistria (no. 461). 474  ECtHR, Catan (no. 77), para 121. See also Freedom House, Transnistria (no. 461). 475  ECtHR, Ilaşcu (no. 157), para 392. 476  See also ECtHR, Catan (no. 77), para 105. 467  468 

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was still visible between 2004 and 2007,477 between 2008 and 2010478 and is likely to be still in place at the time of writing. It is doubtful that without these armed forces, Transnistria would exist.479 The Constitution of Transnistria spells out that should a treaty conflict with national law, it can only be ratified following a change in national law,480 thereby accepting the primacy of international law. Alike the Constitution of South Ossetia, that of Transnistria refers to its relationship with other States being based on treaties and principles and norms of international law, thereby stressing its independence.481 Article 10 of the Constitution spells out the principles upon which the foreign policy of Transnistria is based but, much like the two Caucasian entities, is, owing to a lack of recognition, unable to exercise it. In its foreign economic relations, Russia not only is its main trading partner but also controls its borders. As noted by the European Court of Human Rights, Russia was able to ban imports from Moldova, thus controlling the “economic” borders of Transnistria.482 Undoubtedly, without Russian support, Transnistria would not be able to survive. Its independence is and has always been highly questionable and so is its statehood. c) Nagorno-Karabakh That of Nagorno-Karabakh, this time in relation to Armenia, is even more questionable. Already in 2010, Krüger was arguing that Nagorno-Karabakh and Armenia were a loose de facto federation.483 Its population tends to favour unification with Armenia rather than independence484 and Armenia never recognised its independence. In 477  ECtHR, Ivanţoc and Others v Moldova and Russia, Application No 23687/05, 15 November 2011, para 118. 478  ECtHR, Mozer (no. 77), paras 107–108. 479  Kolstø, Sustainability and Future of Unrecognized Quasi-States (no. 261), p. 732. 480  Transnistria, Constitution, Art 57. 481  Ibid, Art 10. 482  ECtHR, Catan (no. 77), paras 29 and 30. 483  Krüger, The Nagorno-Karabakh Conflict (no. 9), p. 112 et seq. 484  Pegg/Berg, Lost and Found (no. 3), p. 272.

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point of fact, Article 19 of the Constitution specifically refers to the “Ties with the Republic of Armenia and Armenian Diaspora”, explaining that Nagorno-Karabakh “shall implement a policy aimed at political, economic and military cooperation and ensuring comprehensive ties and security with the Republic of Armenia”. The Preamble of the Constitution refers to “Motherland Armenia”. It could not be more explicit in stating its close relationship with Armenia whilst still stressing its independence and statehood in the same Preamble. From a political perspective, the Constitution states that the power belongs to the people485 and provides for the establishment of institutions to govern the entity. Elections are held at regular intervals and in contrast to previous years, the 2020 Presidential elections were assessed as relatively free and fair.486 However, there is an interchange of prominent politicians (including Ministers) between Armenia and Nagorno-Karabakh,487 and there are claims that they are in truth appointed by Armenia,488 thereby raising the issue of the real political independence of the entity. Armenia in 2000 acknowledged that its authorities “wield[ed] major influence over Nagorno-Karabakh”.489 On the other hand, the tail has sometimes been able to wag the dog as, for example, Nagorno-Karabakh was instrumental in toppling the Armenian president.490 In addition, since the 2018 changes in Armenia that led to its disengagement in Nagorno-Karabakh, the political elite has grown in size with many independent candidates.491 The 2020 defeat against Azerbaijan has also seen a withdrawal of Armenia’s influence in local politics.492 It is claimed that some of the laws adopted in Armenia are applicable in 485 

Nagorno-Karabakh, Constitution, Art 2(2). Freedom House, Nagorno-Karabakh (no. 43). 487  ECtHR, Chiragov (no. 78), paras 78 and 181; Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 501. 488  ECtHR, Chiragov (no. 78), para 68. 489  PACE, Armenia’s Application for Membership (no. 219), para 59. 490  Kolstø, Sustainability and Future of Unrecognized Quasi- States (no. 261), p. 733. 491  Freedom House, Nagorno-Karabakh (no. 43). 492  Ibidem. 486 

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Nagorno-Karabakh.493 The Armenian government transfers large amounts of money to Nagorno-Karabakh to sustain its economy.494 The inhabitants hold Armenian passports495 even though Nagorno-Karabakh has its own citizenship. As the nationality of Nagorno-Karabakh was not recognised and the constitution of the time did not refer to a citizenship, a 1999 Agreement provided that Armenia could deliver Armenian passports for travel purposes only.496 This type of “citizenship” however does not make holders of such passports eligible for benefits reserved to Armenian citizens.497 Overall, “when it comes to economy, culture and defense, Nagorno-Karabakh and Armenia can be seen as a single space”.498 Clearly, Nagorno-Karabakh is not able to maintain itself without Armenia.499 Under Article 5 of the Constitution, international law has primacy over national law. Like for the other entities, the President is the most important power in relation to national security and armed forces.500 However, the Armenian armed forces are constantly present,501 despite claims to the contrary,502 and conscripts sent to Nagorno-Karabakh.503 The 1994 agreement on Military Cooperation between the Governments of the Republic of Armenia and the Republic of Nagorno-Karabakh provides for close military cooperation between Armenia and the de facto State,504 and has formalised Armenia’s military 493  Claimed made by the applicants in ECtHR, Chiragov (no. 78), para 182. 494  ECtHR, Chiragov (no. 78), paras 68, 80–82, 183; Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 496; Kolstø, Sustainability and Future of Unrecognized Quasi-States (no. 261), p. 733. 495  ECtHR, Chiragov (no. 78), para 83. 496  Cited in ibidem. 497  Kolstø/Blakkisrud, Living with Non-Recognition (no. 45), p. 501. 498  Caspersen, Unrecognized States (no. 99), p. 56. 499  Bowring, International Law and Non-Recognized Entities (no. 11), p. 21. 500  Nagorno-Karabakh, Constitution, Art 94. 501  ECtHR, Chiragov (no. 78), paras 62, 65, 68. 502  See PACE, Armenia’s Application for Membership (no. 219), para 60. 503  ECtHR, Zalyan, Sargsyan and Serobyan v Armenia, Applications No 36894/04 and 3521/07, 17 March 2016. 504  Cited in ECtHR, Chiragov (no. 78), para 74.

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involvement.505 Foreign policy is conducted by the President but again is rather limited, owing to the lack of recognition of the entity. The Constitution also mentions the principles of foreign policy506 though it does not specify that its relationship with other States is based on treaty law and other related international law norms. Of the four de facto States, Nagorno-Karabakh is undoubtedly the least independent entity and thus does not fulfil the requirements of statehood. VI. Conclusion The four entities analysed in this chapter possess many trappings of statehood, similar to sovereign recognised States. They have a defined territory, a permanent population, an effective government though it is more basic in its functions than one would expect, especially in a European context, and have shown their capacity to enter into relations with other entities. However, owing to a lack of recognition, they are unable to conduct effective foreign relations with States apart from their patron State. Lack of recognition should not be a problem since, after all, there is some agreement that recognition as a unilateral act, i. e., an act based on political considerations that has legal consequences, is declarative. In other words, an entity is deemed a State from the moment it fulfils the Montevideo Convention requirements and no recognition to this effect is required. Such theory ensures that an entity does not need to seek recognition from major powers and can without official recognition defend its territorial integrity and independence as well as organise itself without undue interference.507 However, for entities that are seceding from their parent State, recognition is essential. In the 1970s, the international community via the United Nations declared that failure to comply with some key principles of international law would inexorably lead to a denial of recognition of the 505 

Ibid, para 175. Nagorno-Karabakh, Constitution, Art 13. 507  Montevideo Convention (no. 13), Art 3. 506 

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emerging State. Some of the de facto States studied in this chapter breached one of these principles but not all. The problem is that as the Soviet Union was collapsing, assessing whether they seceded from the Soviet Union, a Soviet Republic or an independent State – especially when multiple declarations of sovereignty/independence were made – is difficult and so is the lawfulness of their creation. As for their claim to the right of self-determination, the current state of the law is that they do not fulfil the criteria; a broad definition of alien/foreign occupation or of remedial secession (provided it is accepted) would need to be adopted. As much as one might sympathise with their claims and especially decades of discrimination and lack of meaningful self-governance, they cannot claim a right to self-determination. A change in the interpretation of the circumstances under which a people can invoke such a right is unlikely to be adopted any time soon. The latest jurisprudence of the UK Supreme Court on the Scottish people’s claim is nothing but a reiteration of previous case law. Moreover, even if the UK Supreme Court “almost accepted remedial secessions’ validity de plano” and the doctrine of remedial secession is gaining traction,508 the use of the referenda in Ukraine leading to declarations of independence and eventual incorporations into Russia has led the international community to grow worried about deploying such means to detect the peoples’ longing for independence and grant independence more generally. The problem for the international community is, as much as it was hoped that these entities would come back into the fold of their “parents”, they have survived for thirty years. These three decades have not made them stronger in the sense of State- and nation-building, it has led them to seek the support of a patron State or allow a third-party State to offer its support. The consequences are wide-ranging but, from a legal perspective, the most obvious one is that now their claim to statehood is even weaker than it was before; their governments might be effective, but they are not independent. 2008 was a watershed year for South Ossetia and Abkhazia; Transnistria and Na508  See Andrea Maria Pelliconi, Self-Determination as Faux Remedial Secession in Russia’s Annexation Policies: When the Devil Wears Justice, Völkerrechtsblog, 26 January 2023.

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gorno-Karabakh have gradually (the former more slowly than the latter) slipped into the hands of their patron State. At this point, it is even more difficult to recognise them. Too late? Abkhazia, South Ossetia, and Transnistria are more or less de facto constituent parts of Russia, and it is doubtful that their recognition by the international community (if it were to ignore the unlawfulness of their emergence and set aside the complicated history of the dissolution of the Soviet Union) would boost their (real) independence and thus contribute to reinforcing their statehood. Given Russia’s attitude towards its near abroad, the international community might recognise three satellite statelets, all mouthpieces of Russia. As for Nagorno-Karabakh, the situation at the time of writing has sadly reached new lows with a blockade of the Lachin corridor. Maybe, indeed, too late. Whether there is a point for them to continue striving for independence and statehood is very much a question for these entities to answer for themselves. They do not want to go back into the fold of their parent State; they even prefer to fall within the legal, political, economic, social, and cultural realm of another State with which they sometimes originally did not share much affinity. To some extent, their claim to statehood seems to be a reflex grounded in the past with no actual will or teeth in the contemporaneous world. From a legal perspective, their situation is troubling because their territory is formally governed by the law of their parent State which can be held responsible for international law violations occurring on the territory without yet having any means of implementation or enforcement of the law. The only State that would have such power is the patron State which often denies any involvement or influence on the entity. The result is the creation of a lawless area that does not even aspire any more to comply with international law and be recognised as a State by the international community.

Stumpfes oder schneidiges Schwert der Justitia? Der Beitrag des Völkerstrafrechts zur Durchsetzung völkerrechtlicher Normen* Von Kai Ambos I. Zuständigkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 II. Von einer „preliminary examination“ zu einer förmlichen „investigation“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. Immunität von Putin als Staatsoberhaupt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

Bisher einmalig haben 43 Staaten die Ukraine-Situation kollektiv an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) überwiesen und damit die Anklagebehörde gestärkt. Doch was kann mit den Ermittlungen tatsächlich erreicht werden? Kann der russische Präsident ­Putin irgendwann strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden? Darauf geht der Beitrag am Ende ein, nach einer Darstellung der prozessualen Vorfragen, nämlich Zuständigkeit des IStGH, Ausübung der Gerichtsbarkeit, Vorverfahren. I. Zuständigkeit des IStGH Nach seinem (Römischen) Statut ist der IStGH grundsätzlich für Statutsverbrechen (Art. 5–8bis)1 auf dem Staatsgebiet von Vertragsstaaten zuständig (Art. 12 Abs. 2 lit. a) oder für solche von Staatsan* Aktualisierte und erheblich erweiterte Fassung eines ursprünglich in DRiZ, 2022, S. 170 ff. veröffentlichten Beitrags. Ich danke Akad. Rat Dr. Alexander Heinze, LLM, für wertvolle Hinweise und stud.iur. Marlene Nebel für Unterstützung bei der Erstellung der Druckfassung. – Alle hyperlinks wurden am 17.06.2023 abgerufen. 1  Vorschriften ohne Nennung sind solche des IStGH-Statuts.

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gehörigen von Vertragsstaaten (Art. 12 Abs.  2 lit. b).2 Dieses  – auf Territorialität und aktive Personalität beschränkte  – Zuständigkeitsregime wird in zweifacher Hinsicht erweitert: Zum einen kann ein Nicht-Vertragsstaat sich der Gerichtsbarkeit des IStGH freiwillig unterwerfen (Art. 12 Abs. 3), zum anderen kann der UN-Sicherheitsrat Situationen an den Gerichtshof überweisen und damit seine Zuständigkeit begründen (Art. 13 lit. b). Die Ukraine hat von der ersten Erweiterungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und die Zuständigkeit des IStGH durch zwei Unterwerfungserklärungen akzeptiert: In der ersten Erklärung vom 9.4.20143 erkennt die ukrainische Regierung die IStGH-Zuständigkeit für auf ukrainischem Hoheitsgebiet begangene Verbrechen für den Zeitraum vom 21.  November 2013 bis 22.  Februar 2014 an; mit der zweiten Erklärung vom 8.  September 20154 erweitert sie diesen Zeitraum  – ab 20. Februar 2014 – unbegrenzt in die Zukunft. Damit ist der Gerichtshof grundsätzlich für alle Statutsverbrechen zuständig, die seit dem 21. November 2013 auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine begangen worden sind. Dies gilt freilich, wie sich gleich noch zeigen wird, nicht für das Aggressionsverbrechen. Ist der IStGH zuständig, muss seine Gerichtsbarkeit ausgelöst (getriggert) werden. Dies kann in dreifacher Weise geschehen: durch Überweisung einer Situation durch Vertragsstaaten (Art. 13 lit. a), durch den Sicherheitsrat (Art. 13 lit. b) oder durch ein Tätigwerden des Anklägers von Amts wegen (Art. 13 lit. c). Im vorliegenden Fall scheidet die Möglichkeit einer Überweisung durch den UN-Sicherheitsrat offensichtlich aus, weil Russland als ständiges Sicherheitsratsmitglied eine solche Resolution durch sein Veto verhindern würde – ebenso wie es schon Kapitel-VII-Resolutionen zur Verurteilung des Einmarschs in die Ukraine5 und der sog. Annexionen in der Ost­ 2  Näher zum Zuständigkeitsregime Kai Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, § 8 Rn. 4 ff.; ders., Treatise on International Criminal Law. Volume III: International Criminal Procedure, 2016, S. 242 ff. 3  Vgl. https://www.icc-cpi.int/itemsDocuments/997/declarationRecogni tionJuristiction09-04-2014.pdf. 4  Vgl. https://www.icc-cpi.int/iccdocs/other/Ukraine_Art_12-3_declara tion_08092015.pdf#search=ukraine. 5  Der Resolutionsentwurf vom 25.2.2022 wurde von 11 Staaten unterstützt (Albanien, Brasilien, Frankreich, Gabon, Ghana, Irland, Kenia, Mexi-



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ukraine6 blockiert hat. Auch eine Selbstüberweisung der Ukraine i. S. v. Art. 13 lit. a – in den Anfangsjahren des Gerichtshofs von einigen afrikanischen Staaten praktiziert7  – scheidet aus, weil sie eben gerade kein Vertragsstaat ist. Zunächst hat die Anklagebehörde deshalb von Amts wegen gemäß Art. 15 Vorermittlungen (sog. preliminary examination) eingeleitet (dazu sogleich näher). Bei Annahme einer „hinreichenden Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen“ (Art. 15 Abs. 3) muss die Anklagebehörde insoweit eine dreiköpfige Vorverfahrenskammer (PreTrial Chamber) um Genehmigung der Aufnahme förmlicher Ermittlungen ersuchen. Allerdings ist die Trennlinie zwischen Vorermittlungen und förmlichen Ermittlungen denkbar unscharf, sodass der Ankläger faktisch um die Fortführung seiner Ermittlungen ersucht, die sich danach nur eben konkretisieren und weiter verdichten. Wie dem auch sei, diese frühe gerichtliche Kontrolle der anklägerischen Tätigkeit im Rahmen der „preliminary examination“ war der Preis, den die gerichtshoffreundlichen Staaten für einen unabhängigen, auch von Amts wegen tätig werdenden Ankläger bezahlen mussten.8 Dieser Preis ist durchaus angemessen, da der Ankläger bei seinen Vorermittlungen eine große Bandbreite an taktischen Entscheidungen und ko, Norwegen, USA, Vereinigtes Königreich), drei enthielten sich (China, Indien, Vereinigte Arabische Emirate) und Russland stimmte dagegen, vgl. https://www.un.org/press/en/2022/sc14808.doc.htm. Aufgrund der SRBlockade hat die UN-Generalversammlung (GV) dann am 2.3.2022 eine Uniting for Peace Resolution mit i.W. gleichem Inhalt mit einer Mehrheit von 141 Staaten (bei 35 Enthaltungen und 5 Gegenstimmen) verabschiedet, vgl. Res. A/ES-11/1 sowie https://new-york-un.diplo.de/un-en/news-cor ner/-/2515114. 6  Der Resolutionsentwurf vom 30.9.2022 wurde von 10 Staaten unterstützt (Frankreich, Vereinigtes Königreich, USA, Albanien, Ghana, Irland, Kenia, Mexiko, Norwegen und die Vereinigten Arabischen Emirate), vier enthielten sich (Brasilien, China, Gabon und Indien) und Russland stimmte dagegen, vgl. https://news.un.org/en/story/2022/09/1129102. Die GV hat daraufhin am 12.10.2022 die Annexionen mit überwältigender Mehrheit von 143 Staaten (bei 35 Enthaltungen und fünf Gegenstimmen) verurteilt, vgl. Res. A/ES-11/L.5 https://news.un.org/en/story/2022/10/1129492. 7  Ambos, Internationales Strafrecht, (Anm. 2), § 8 Rn. 7; ders., Treatise ICL III, (Anm. 703), S. 257 ff. 8  Vgl. Ambos, Treatise ICL III, (Anm. 2), S. 265.

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Manövern zur Hand hat, die weder im Statut noch in den Verfahrensregelungen aufgeführt sind.9 Zu einigen dieser Entscheidungen sogleich. Angesichts der großen politischen Sprengkraft allein solcher Vorermittlungen hat der Ankläger hier mehr strategischen Spielraum als zum Beispiel eine deutsche Staatsanwältin. Die gerichtliche Genehmigung wird keineswegs automatisch erlassen, wie ablehnende Entscheidungen zeigen.10 Eine solch frühe gerichtliche Überprüfung – mit entsprechenden Risiken für die Anklagebehörde – erfolgt allerdings nicht bei Staaten- und Sicherheitsratsüberweisungen, weshalb die schon eingangs erwähnte kollektive Staatenüberweisung der Ukraine-Situation der Anklagebehörde eine stärkere Position verschafft hat. Sobald die Anklagebehörde jedoch eine Entscheidung über die Aufnahme förmlicher Ermittlungen getroffen hat (Art. 53 Abs. 1), beginnt auch bei Staaten- und Sicherheitsratsüberweisungen die gerichtliche Kontrolle durch die Vorverfahrenskammer (Art. 57) – insbesondere dann, wenn sich die Anklagebehörde gegen die Aufnahme solcher Ermittlungen entscheiden sollte (Art. 53 Abs. 1 letzter S., Abs. 2 lit.), Abs. 3). Dass eine Staatenüberweisung die Position der Anklagebehörde stärkt, hat ihr Leiter, der britische Barrister Karim A. A. Khan (um9  Carsten Stahn/Morten Bergsmo/Chan Ho Shing Icarus, On the Magic, Mystery and Mayhem of Preliminary Examinations, in: Bergsmo/Morten/ Stahn/Carsten (Hrsg.), Quality Control in Preliminary Examination, Bd. 1, 2018, S. 10. 10  So zB in der Afghanistan-Situation, wo die Vorverfahrenskammer in einer umstrittenen Entscheidung vom 12.4.2019 die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wegen u. a. von den Taliban, afghanischen und US-ameri­ kanischen Streitkräften begangener Verbrechen in Afghanistan nicht ge­ nehmigt hat und dies mit einer weiten Auslegung des ohnehin unbestimmten  Konzepts der „Interessen der Gerechtigkeit“ („interests of justice“) begründete  – sie ging nämlich davon aus, dass die USA ohnehin nicht kooperieren würde (ICC, Pre-Trial Chamber, Decision Pursuant to Article  15 of the Rome Statute on the Authorisation of an Investigation into the Situation in the Islamic Republic of Afghanistan, Situation in the Islamic Republic of Afghanistan [ICC-02/17-33], 12.4.2019, para 89 ff.). Die Rechtsmittelkammer hob diese Entscheidung allerdings auf und genehmigte die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens (ICC, Appeals Chamber, Judgment on the appeal against the decision on the authorisation of an investigation into the situation in the Islamic Republic of Afghanistan, Situation in the Islamic Republic of Afghanistan [ICC-02/17-138], 5.3.2020).



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gangssprachlich auch als „Chefankläger“ bezeichnet), nicht nur mehrfach selbst anerkannt,11 sondern Khan hat eine solche Staatenüberweisung in seiner Erklärung vom 28.2.2022 selbst angeregt.12 Daraufhin wurde schon am nächsten Tag  – am 1.3.2022  – zunächst Litauen tätig, sodann fand am 2.3.2022 eine vom Vereinigten Königreich koordinierte kollektive Überweisung von weiteren 38 Staaten,13 am 11.3., 21.3. und 11.4.2022 von vier weiteren Staaten statt,14 so dass insgesamt 43 Staaten die Ukraine-Situation überwiesen haben. Dies hatte es zuvor noch nicht gegeben. In der einzigen Situation einer kollektiven Staatenüberweisung (Venezuela betreffend) betrug die Anzahl der die Überweisung tragenden Staaten lediglich sechs.15

11  S. etwa Statement Khan 28 February 2022 (Zitat folgende Fn.) und 11 March 2022 („My Office has responded immediately to this unprecedented collective call for action by States Parties.“). 12  S. Statement Khan 28 February 2022, abrufbar unter https://www.icccpi.int/Pages/item.aspx?name=20220228-prosecutor-statement-ukraine: „An alternative route set out in the Statute that could further expedite matters would be for an ICC State Party to refer the situation to my Office, which would allow us to actively and immediately proceed with the Office’s independent and objective investigations.“ (Herv. K.A.). 13  Statement Khan 2 March 2022, abrufbar unter https://www.icc-cpi. int/Pages/item.aspx?name=2022-prosecutor-statement-referrals-ukraine (Republic of Albania, Commonwealth of Australia, Republic of Austria, Kingdom of Belgium, Republic of Bulgaria, Canada, Republic of Colombia, Republic of Costa Rica, Republic of Croatia, Republic of Cyprus, Czech Republic, Kingdom of Denmark, Republic of Estonia, Republic of Finland, Republic of France, Georgia, Federal Republic of Germany, Hellenic Republic, Hungary, Republic of Iceland, Republic of Ireland, Republic of Italy, Republic of Latvia, Principality of Liechtenstein, Grand Duchy of Luxembourg, Republic of Malta, New Zealand, Kingdom of Norway, Kingdom of the Netherlands, Republic of Poland, Republic of Portugal, Romania, Slovak Republic, Republic of Slovenia, Kingdom of Spain, Kingdom of Sweden, Swiss Confederation, United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland). 14  S. https://www.icc-cpi.int/ukraineStatement ( Japan und Nordmazedonien, Montenegro und Chile). 15  Und zwar Argentinien, Chile, Paraguay, Peru, Kanada und Kolumbien, s. Statement Fatou Bensouda 27 September 2018, abrufbar unter https:// www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=180927-otp-stat-venezuela.

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II. Von einer „preliminary examination“ zu einer förmlichen „investigation“ Das Vorverfahren vor dem IStGH kann grob in zwei Verfahrensabschnitte  – die schon genannten Vorermittlungen („preliminary examination“) und die förmlichen Ermittlungen („investigation“)  – unterteilt werden.16 Schon die Vorgängerin Khans, die Gambierin Fatou Bensouda, hatte im Rahmen ihrer proprio-motu-Befugnisse (Art. 15) Vorermittlungen wegen möglicher Verbrechen auf ukrainischem Hoheitsgebiet seit 25.4.2014 eingeleitet.17 Vor der Amtsübergabe an Khan hat Bensouda am 11.12.2020 den (erfolgreichen) Abschluss dieser Vorermittlungen bekanntgegeben und erklärt, dass die Voraussetzungen zur Eröffnung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens („investigation“ i. S. v. Art. 53 Abs. 1)18 gegeben seien. Bensouda ging insoweit von einer „hinreichenden Grundlage“ zur Annahme der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus, wobei sich der Tatverdacht auf Ereignisse seit 26.2.2014 im Zusammenhang mit der Annexion der Krim und seit 30.4.2014 im Zusammenhang mit der Situation in der Ost-Ukraine (insoweit nur Kriegsverbrechen) bezog.19 Daran anknüpfend hat nun Khan in der schon erwähnten Erklärung vom 28.2.2022 zunächst angekündigt, die Vorverfahrenskammer um Genehmigung (weiterer) Ermittlungen zu ersuchen, was aber nach den genannten Staatenüberweisungen nicht mehr notwendig war. Sodann hat er am 2.3.2022 die Eröffnung eines förmlichen Er-

16  Näher Ambos, Internationales Strafrecht, (Anm. 2), § 8 Rn. 20 ff.; ders., Treatise ICL III, (Anm. 2), S. 335 ff. 17  Vgl. dazu International Criminal Court-The Office of the Prosecutor, Report on Preliminary Examination Activities 2020, 14 Dezember 2020, para. 267. 18  Nach Art. 53(1) bedarf es zur Einleitung solcher (förmlichen) Ermittlungen einer „hinreichende[n] Grundlage“ („reasonable basis“), wobei die Anklagebehörde u. a. auch „Interesse[n] der Gerechtigkeit“ („interests of justice“) zu berücksichtigen hat; näher Ambos, Internationales Strafrecht, (Anm. 2), § 8 Rn. 23 f.; ders., Treatise ICL III, (Anm. 2), S. 343 ff. 19  Vgl. näher Report on Preliminary Examination, (Anm. 17), para. 278– 281.



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mittlungsverfahrens i. S. v. Art. 53 Abs. 1 angekündigt,20 wobei sich seine Ermittlungen auf mögliche Verbrechen beziehen, die seit dem 21.11.2013 in der Ukraine begangen worden sind.21 Konkret geht es dabei um die schon erwähnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und vor allem Kriegsverbrechen, nicht aber um Genozid (aus tatsächlichen Gründen),22 und auch nicht um das Verbrechen der Aggres­ sion (aus prozessualen Gründen),23 weil der IStGH insoweit seine 20  Diese Entscheidung wurde der Vorverfahrenskammer förmlich am 7.  März mitgeteilt, abrufbar unter https://www.icc-cpi.int/Pages/record. aspx?docNo=ICC-01/22-2. 21  Vgl. allgemein zu den völkerrechtlichen Kernverbrechen Ambos, Internationales Strafrecht, (Anm. 2), § 7 Rn. 117 ff.; ders., Treatise on International Criminal Law. Volume II: The Crimes and Sentencing, 2. Aufl. 2022. 22  Für die Annahme eines Genozid aber New Lines Institute/Raoul Wallenberg Centre for Human Rights, An Independent Legal Analysis of the Russian Federation’s Breaches of the Genocide Convention in Ukraine and the Duty to Prevent, May 2022, abrufbar unter https://newlinesinstitute. org/an-independent-legal-analysis-of-the-russian-federations-breaches-ofthe-genocide-convention-in-ukraine-and-the-duty-to-prevent/ (Ukrainer als geschützte nationale Gruppe und Ableitung der Zerstörungsabsicht aus „pattern of atrocities“ und entsprechenden Äußerungen der russischen Führung, allerdings Fokus auf Staatenverantwortlichkeit); i. E. ebenso Christian Tomuschat, Russlands Überfall auf die Ukraine. Der Krieg und die Grundfragen des Rechts, Osteuropa 72 (2022), S. 33 ff. (44 ff.) („… alle äußeren Anzeichen deuten darauf hin …“ [46]) und noch apodiktischer O. Luchterhandt, Völkermord in Mariupol. Russlands Kriegsführung in der Ukraine, Osteuropa 72 (2022), S. 65 ff.; zu genozidalen Äußerungen s. auch Clara Apt, Russia’s Eliminationist Rhetoric against Ukraine: A Collection, Just Security 08.05.2023, abrufbar unter https://www.justsecurity.org/81789/russiaseliminationist-rhetoric-against-ukraine-a-collection/; Zu Recht zurückhaltend Edward Schramm, Der Ukrainekrieg und das Völkerstrafrecht, Deutsch-­ Georgische Strafrechtszeitschrift (DGStZ) 2022, S. 71 ff. (75 f.). 23  Tatbestandlich wird man, jedenfalls seit der Invasion vom 24.2.2022, von einem Angriffskrieg i. S. v. Art. 8bis IStGH-Statut ausgehen können, zutreffend etwa Christian Schaller, Völkerrechtliche Verbrechen im Krieg gegen die Ukraine, SWP-Studie April 2022, S. 5. Zur Behandlung der russischen Aggression als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit s. Pinzauti/Pizzuti, Prosecuting Aggression against Ukraine as an „Other Inhumane Act“ before the ICC Part I: Prospects, Opinio Juris v. 17.6.2022, abrufbar unter http:// opiniojuris.org/2022/06/17/prosecuting-aggression-against-ukraine-as-another-inhumane-act-before-the-icc-part-i-prospects/, sowie dies., Prosecuting Aggression against Ukraine as an „Other Inhumane Act“ before the ICC Part II: Problems, Opinio Juris v. 17.6.2022, abrufbar unter http://

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Gerichtsbarkeit nur ausüben kann, wenn entweder der UN-Sicherheitsrat eine entsprechende Situation überweist (Art. 15ter) oder sowohl Aggressor- also auch Opferstaat Vertragsstaaten sind (Art. 15bis Abs. 4, 5).24 Vor allem wegen dieser konkreten Strafverfolgungslücke bezüglich des Aggressionsverbrechen wird von einigen Politikern und Völkerstrafrechtswissenschaftlern die Einrichtung eines Ukraine-Sondertribunals zur Verfolgung und Aburteilung des russischen Angriffskriegs gefordert.25 Sollte ein solches Tribunal tatsächlich errichtet werden (was zahlreiche Fragen und Probleme aufwerfen würde26) und dessen Zuständigkeit sich  – neben der Aggression  – auch auf die weiteren Statutsverbrechen erstrecken, könnte die Ukraine den Ankläger bitten, seine Ermittlungen auszusetzen (Art. 18 Abs. 2), so dass keine parallelen internationalen Ermittlungen stattfinden. Dies setzt allerdings voraus, dass es sich um eigene Ermittlungen der ­Ukraine (als „state which […] would normally exercise jurisdiction“, Art. 18 opiniojuris.org/2022/06/17/prosecuting-aggression-against-ukraine-as-another-inhumane-act-before-the-icc-part-ii-problems/. 24  Vgl. näher zum (komplizierten) Jurisdiktionsregime des Aggressionsverbrechen Zimmermann/Freiburg-Braun in: Ambos (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court. Article-by-Article Commentary, 4. Aufl. 2022, Art. 15bis (S. 899 ff.) und Art. 15ter (S.  927 ff.). 25  S. Hartig, DRiZ 2022, S. 368ff.; Günther Krings, ZRP 2022, S. 129 ff.; s. auch die Serie von Artikeln auf Just Security seit 20.9.2022, abrufbar unter https://www.justsecurity.org/tag/u-n-general-assembly-and-internationalcriminal-tribunal-for-russian-aggression-against-ukraine/. Zur Forderung der baltischen EU-Mitgliedsstaaten s. https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung /detail/baltenstaaten-fordern-sondertribunal-wegen-russlands-angriffskrieg und des tschechischen Außenministers Lipavsky im Rahmen der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft s. https://www.euractiv.de/section/eu-aussen politik/news/tschechien-fordert-kriegsverbrechertribunal-wegen-massen graebern-in-der-ukraine/. Zur Schaffung eines solchen Tribunals durch den Europarat s. Owiso, An Aggression Chamber for Ukraine Supported by the Council of Europe, Opinio ­ Juris v. 30.3.2022, abrufbar unter https:// opiniojuris.org/2022/03/30/an-aggression -chamber-for-ukraine-supportedby-the-council-of-europe/. Differenzierend und tendenziell zu Recht krit. Schaller, Verbrechen (Anm. 23), S. 18 ff. 26  Krit. deshalb Ambos, Verfassungsblog 6.1.2023, abrufbar unter https:// verfassungsblog.de/a-ukraine-special-tribunal-with-legitimacy-problems/ sowie ders., DRiZ 2023, S. 144.



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Abs. 1) handelt, das Sondertribunal also irgendwie in das ukrainische Rechtssystem eingegliedert sein würde. Demgegenüber findet Art. 18 nicht auf ein vollkommen unabhängiges Tribunal Anwendung, es stellt insoweit keine komplementaritätsrechtlich relevante Jurisdiktion („State“) dar. Jedenfalls müsste ein solches Sondertribunal, wie auch immer es rechtlich konstruiert wäre, umfassend und vor allem auch unparteilich (also eventuell auch bezüglich möglicher ukrainischer Verbrechen) ermitteln. Dies wird der IStGH-Chef­ ankläger sehr genau prüfen müssen  – gegebenenfalls in Abstimmung mit den UN und anderen Organisationen. Sollte er daran ernstliche Zweifel haben, kann er Ankläger bei der Vorverfahrens­kammer eine Genehmigung zur Wiederaufnahme der Ermittlungen beantragen.27 Natürlich hat sich mit der russischen Invasion vom 24.  Februar 2022 – der ultimativen Eskalation der seit Ende 2013 stattfindenden russischen Verletzungen des Gewaltverbots  – der Fokus der Ermittlungen auf die in diesem Zusammenhang möglicherweise begangene  Taten, also insbesondere Kriegsverbrechen,28 verschoben. Am 17.  März 2023 gab der IStGH in diesem Zusammenhang Haftbe­ fehle gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die russische Kommissarin für Kinderrechte, Maria Lvova-Belova bekannt. Beiden werden Kriegsverbrechen durch die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland vorgeworfen.29 Derzeit ist aber noch nicht absehbar, zu welchen weiteren konkreten Ergebnissen die Ermittlungen führen werden und welche Kernverbrechen gegebenen-

27  Vgl. insoweit die Afghanistan-Situation, wo die Vorverfahrenskammer II – nach einem entsprechenden Antrag der Anklagebehörde nach vorherigem Ersuchen um Aussetzung der Ermittlungen durch Afghanistan – die Ermittlungen erneut genehmigt hat, s. Situation in the Islamic Republic of Afghanistan, Decision pursuant to article 18(2) of the Statute authorising the Prosecution to resume investigation, ICC-02/17-196, 31.10.2022. Zu einem entsprechenden Antrag des Anklägers vom 01.11.2022 in der Si­ tuation Venezuela I s. https://www.icc-cpi.int/news/statement-prosecutorinternational-criminal-court-karim-khan-kc-following-application-order. 28  Für mögliche Fälle s. Schramm, (Anm. 22), S. 77 f. 29  IStGH, Pressemitteilung vom 17.3.2023, abrufbar unter https://www. icc-cpi.int/news/situation-ukraine-icc-judges-issue-arrest-warrants-againstvladimir-vladimirovich-putin-and.

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falls verwirklicht sein könnten.30 Khan selbst hat betont, dass es vorrangig um die Beweissammlung vor Ort („evidence-collection activities“) gehe31 und zwar in einem ganz umfassenden Sinne („full range of documentary, digital, forensic and testimonial evidence“)32 und in Zusammenarbeit mit allen Konfliktbeteiligten („all relevant stakeholders and parties to the conflict“),33 einschließlich Russlands.34 Eine besondere Herausforderung ist dabei die (fehlende) Koordination der zahlreichen, an unterschiedlichen Tatorten aktiven Akteure. Da ist zum Beispiel die „Unabhängige Internationale Untersuchungskommission zur Ukraine“, die im März 2022 durch eine Resolution des UN-Menschenrechtsrats eingerichtet worden ist.35 Die Kommission besteht aus drei Mitgliedern36 und wird unterstützt durch ein zwanzigköpfiges Ermittlerteam mit Sitz in Wien.37 Sie soll die sog. „UN Human Rights Monitoring Mission in Ukraine“ (HRMMU) unterstützen und ergänzen. Während die HRMMU lediglich allgemein den Schutz der Menschenrechte in der Ukraine überwachen soll,38 ist das Mandat der Untersuchungskommission Vgl. überblicksartig Schramm, (Anm. 22), S. 75 ff. Statement Khan 11 March 2022, (Anm. 12). 32  Statement Khan 16 March 2022, abrufbar unter https://www.icc-cpi. int/Pages/item.aspx?name=20220316-prosecutor-statement-visit-ukrainepoland. 33  Statement Khan 11 March 2022, (Anm. 12). 34  Statement Khan 16 March 2022, (Anm. 31) („… I have also transmitted a formal request to the Russian Federation to meet their competent authorities and discuss the current situation as it concerns my Office’s mandate. It is in my view essential that the Russian Federation actively engages in this investigation and I stand ready to meet with them“). 35  Dazu Stephan Löwenstein, Moskau verweigert Kooperation mit UNEr­mittlern, FAZ v. 16.09.2022, abrufbar unter https://zeitung.faz.net/faz/ politik/2022-09-16/3842f357e02ccc5d37bffc910e3c4637/?GEPC=s9. 36  Dem Norweger (und Vorsitzenden) Erik Møse, Jasminka Džumhur (Bosnia and Herzegovina) sowie Pablo de Greiff (Kolumbien). 37  Löwenstein, (Anm. 34). 38  S. https://www.ohchr.org/en/hr-bodies/hrc/iicihr-ukraine/index. In einem ersten Bericht benannte die HRMMU bereits eine Vielzahl mutmaßlicher Kriegsverbrechen durch russische Soldaten und Behörden, s. https:// www.ohchr.org/en/press-briefing-notes/2022/09/press-briefing-situationukraine-matilda-bogner. 30  31 



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spezifisch auf die Dokumentation völkerrechtlicher Verbrechen gerichtet.39 Es sind aber vor allem nicht-staatliche, private Akteure, die einen Großteil der Verbrechensdokumentation mit übernehmen. Selten war ein Krieg umfassender über die sozialen Medien dokumentiert,40 und zwar nicht nur durch kollektive Akteure wie die Recherchenetzwerke „Bellingcat“ und „The Insider“,41 sondern auch durch Einzelpersonen.42 Die Sicherung der Qualität und letztlich Verwertbarkeit der so gesammelten Informationen ist ein – den Rahmen dieses Beitrags sprengendes  – separates Thema;43 jedenfalls scheint es die Anklagebehörde prioritär zu behandeln, immerhin hat es im Eiltempo Richtlinien für eine solche Dokumentation erlas-

39  Zu den Problemen einer solchen Dokumentation mit Blick auf das humanitäre Völkerrecht Charles Garraway, Fact-Finding in Ukraine: Can Anything be Learned from Yemen?, Lieber Institute West Point v. 14.03.2022, abrufbar unter https://lieber.westpoint.edu/fact-finding-ukraine-anythinglearned-yemen/. 40  Chris Stephen, Witnessing atrocities in real time in Ukraine is changing everything, The Guardian v. 10.4.2022, abrufbar unter https://www. theguardian.com/law/2022/apr/10/witnessing-atrocities-in-real-time-inukraine-is-changing-everything. 41  Für ein Fallbeispiel s. Friedrich Schmidt, Hinweise auf Folterer, FAZ v. 09.08.2022, abrufbar unter https://zeitung.faz.net/faz/politik/2022-08-09/ e94c3747c63b0131eb7afd061780e921/?GEPC=s9. 42  So führte die taz ein Interview mit einem deutschen Feuerwehrmann, der in der Ukraine aushalf und gleichzeitig mutmaßlich russische Kriegsverbrechen dokumentierte, taz v. 09.08.2022, S. 2. 43  S. Emma Irving/Robert Heinsch/Sabrina Rewald, Using the Leiden Guidelines to Address Key Issues in Digitally Derived Evidence, Opinio Juris v. 23.08.2022, abrufbar unter http://opiniojuris.org/2022/08/23/using-theleiden-guidelines-to-address-key-issues-in-digitally-derived-evidence/; Jenni­ fer Easterday/Jaqueline Geis/Alexa Koenig, Considerations for those collecting, investigating, and analysing open source information in Ukraine and elsewhere, Justpeace Labs, abrufbar unter https://justpeacelabs.org/sevenessential-questions-for-ethical-war-crimes-documentation/. Zu sog. Open Source Evidence bei der Dokumentation von Völkerrechtsverbrechen Ale­ xander Heinze, „Private International Criminal Investigations and Integrity“, in Bergsmo/Dittrich (Hrsg.), Integrity in International Justice, 2020, S. 627 f. mwN. Zur Verwertbarkeit näher Alexander Heinze, Evidence Illegally Obtained by Private Investigators and its Use Before International Criminal Tribunals, New Criminal Law Review 2021, S. 212 ff.

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sen.44 Um diese fragmentierte Informationssammlung zu bündeln, kooperiert der Ankläger des IStGH bereits mit Eurojust, nationalen Strafverfolgungsbehörden  – auch aus Deutschland45  – und Nicht­ regierungsorganisationen.46 Prozessual dient die angesprochene Beweisbeschaffung der Konkretisierung und Individualisierung möglicher Tatvorwürfe, die letztlich zu der Beantragung von weiteren Haftbefehlen gegen Haupt­ verantwort­liche und der Formulierung von Anklagepunkten  – bei Erfüllung der erhöhten Verdachtsgrade47  – führen müssten. Ob es wirklich dazu kommen wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab, die nur teilweise von der Anklagebehörde kontrolliert werden. Zwar sind die recht­lichen Rahmenbedingungen – nicht nur wegen der kollektiven Staatenüberweisung, sondern auch wegen nationaler (dezentraler) strafrechtlicher Ermittlungen48 und sonstiger (erfolgreicher) rechtlicher Schritte gegen Russland49 – durchaus positiv, doch hängt 44  Vgl. https://www.icc-cpi.int/news/icc-prosecutor-and-eurojust-launchpractical-guidelines-documenting-and-preserving-information. 45  Zu den Ermittlungen des BKA s. AFP, Germany Probing Several Hundred Possible Ukraine War Crimes, JusticeInfo.net v. 10.06.2022, abrufbar unter https://www.justiceinfo.net/en/102270-germany-probing-severalhundred-possible-ukraine-war-crimes.html. 46  Melanie O’Brien, Options for a Peace Settlement for Ukraine: Option Paper XVI – War Crimes, Crimes against Humanity and Genocide, Opinio Juris v. 30.10.2022, abrufbar unter https://opiniojuris.org/2022/10/30/ options-for-a-peace-settlement-for-ukraine-option-paper-xvi-war-crimescrimes-against-humanity-and-genocide/. 47  Bei Beantragung eines Haftbefehls muss die Anklagebehörde einen „begründete[n] Verdacht“ der Tatbegehung („reasonable grounds to believe“, Art. 58(1)), bei der Formulierung von Anklagepunkte einen dringenden Tatverdacht („substantial grounds to believe“, Art. 61(5)) haben. 48  Man denke etwa an die GBA-Strukturermittlungen, vgl. https://rsw. beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/ermittlungen-zu-moeglichen-kriegs verbrechen-in-der-ukraine oder die Unterstützung der ukrainischen Ermittlungen durch die von der EU, den USA und dem Vereinigten Königreich gegründeten „Atrocity Crimes Advisory Group (ACA) for Ukraine“, vgl. https://www.eeas.europa.eu/eeas/questions-and-answers-atrocity-crimesadvisory-group-aca-ukraine_en. 49  Zum einen die schon o. g. (Anm. 5 f.) Resolutionen der UN-Generalversammlung vom 02.03. und 12.10.2022, sowie die Anordnung vorläufiger Maßnahmen durch den IGH am 16.03.2022, abrufbar unter https://www.



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die Anklagebehörde letztlich auch in diesem Verfahren  – und dies vielleicht noch mehr als sonst50  – von der tatsächlichen Unterstützung gutwilliger Staaten ab, an die sich Khan denn auch mehrfach mit der Bitte um (zusätzliche) finanzielle Zuwendungen und der Zurverfügungstellung nationaler Experten gewandt hat.51 Sowohl die EU als auch das Vereinigte Königreich haben bereits finanzielle Zusagen gemacht.52 Schon vor Erlass der oben genannten Haftbefehle gegen Putin und Lvova-Belova hat die Vorverfahrenskammer I Haftbefehle gegen drei russische Staatsbürger in der Georgien-Situation erlassen.53 Allerdings stellt sich in rechtlicher Hinsicht mit Blick auf eine mögliche Strafverfolgung Präsident Putins die schwierige Frage nach dessen Immunität als Staatsoberhaupt. Darauf soll deshalb abschließend noch eingegangen werden.

icj-cij.org/public/files/case-related/182/182-20220316-ORD-01-00-EN.pdf. Auch der Ausschluss Russlands aus dem Europarat in diesem Zusammenhang zu nennen (Beschluss Ministerrat vom 16.03.2022, CM/Res(2022)2, abrufbar unter https://search.coe.int/cm/Pages/result_details.aspx?ObjectId =0900001680a5da51), wobei allerdings damit auch die Gerichtsbarkeit des EGMR entfällt (Art. 58(3) EMRK). 50  Statement Khan 16 March 2022, (Anm. 31) („The scale of this investigation and the challenging environment in which it will be conducted give rise to unavoidable demands on my Office …“). 51  S. zuletzt Statement Khan 16 March 2022, (Anm. 31) („I would reiterate my call to those States to provide assistance to my Office including through voluntary financial contributions and the provision of national experts on a secondment basis. This will be essential in addressing the urgent resource needs of my Office and in allowing us to effectively address all situations presently under investigation or in trial“). 52  Vgl. https://www.gov.uk/government/news/international-coalition-tosupport-icc-russian-war-crimes-investigation, und https://www.dw.com/en/ eu-to-help-icc-investigate-war-crimes-in-ukraine-as-it-happened/a-61427944. Dazu auch Yvonne Dutton/Melanie Sterio, The War in Ukraine and the Legitimacy of the International Criminal Court, Just Security, 30.08.2022, abrufbar unter https://www.justsecurity.org/82889/the-war-in-ukraine-and-thelegitimacy-of-the-international-criminal-court/. 53  Situation in Georgia, Public redacted version of ‚Arrest warrant for David Georgiyevich Sanakoev‘, ICC-01/15-42-Red, 30.6.2022; Public redacted version of ‚Arrest warrant for Gamlet Guchmazov‘, ICC-01/15-41-Red, 30.6.2022; Public redacted version of ‚Corrected version of the „Arrest warrant for Mikhail Mayramovich Mindzaev“‘, ICC-01/15-40-Red, 30.6.2022.

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III. Immunität von Putin als Staatsoberhaupt Immunitätsrechtlich ist zunächst zwischen der hier relevanten persönlichen Immunität (ratione personae), auf die sich nur höchste staatliche Repräsentanten (sog. Trias von Staatsoberhaupt, Regierungschef und Außenminister) berufen können, und der funktionellen Immunität (ratione materiae) für (hoheitliche) Diensthandlungen (acta iure imperii) zu unterscheiden.54 Während diese bei schweren völkerrechtlichen Verbrechen auch im zwischenstaatlichen (horizontalen) Verhältnis eingeschränkt wird,55 gilt jene zur Sicherstellung des zwischenstaatlichen Verkehrs auf höchster exekutiver Ebene56 grundsätzlich unbeschränkt, erfährt aber im vertikalen Verhältnis (Staat zu internationalem Strafgericht) eine Einschränkung. Damit wäre Präsident Putin als Staatsoberhaupt einerseits vor nationaler Strafverfolgung – also im zwischenstaatlichen (horizontalen) Verhältnis – durch den Grundsatz der Staatenimmunität geschützt (weshalb nationale Ermittlungen insoweit zunächst gehindert sind57), jedenfalls solange er im Amt ist;58 danach gilt allenfalls noch eine funktionelle Immuni54  Ambos in: Erb/Schäfer (Hrsg.), Münchener Kommentar Strafgesetzbuch, 4. Aufl. 2020, Vor § 3 Rn. 105 f.; näher, insbesondere auch zur (prozessualen) Rechtsnatur Ambos, Treatise on International Criminal Law. Volume I: Foundations and General Part, 2. Aufl. 2021, S. 528 ff. (532 f.). 55  Jüngst BGH NJW 2021, 1326 (zur Einschränkung der funktionellen Immunität bei Kriegsverbrechen eines niederrangigen Hoheitsträgers) mit Anm. Kreß = JZ 2021, 724 mit Anm. Werle = StV 2021, 549 mit Anm. Ambos; s. auch Frank/Barthe, ZStW 133 (2021), 235; Jeßberger/Epik, JR 2022, 10. 56  Zum Zweck der Staatenimmunität näher Ambos, Internationales Strafrecht, § 7 Rn. 101. 57  Deshalb kann der GBA eben allenfalls Strukturermittlungen mit Blick auf Putin durchführen, s. schon o. Anm. 47 in fine. 58  Die absolute persönliche Immunität höchster Amtsträger (Troika) endet mit deren Amtszeit, vgl. International Court of Justice (ICJ), Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2002, Democratic Republic of the Congog v. Belgium, Judgment of 14 February 2002, abrufbar unter https:// www.icj-cij.org/public/files/case-related/121/121-20020214-JUD-01-00EN.pdf, para. 61 („… after a person ceases to hold the office of Minister for Foreign Affairs, he or she will no longer enjoy all of the immunities accorded by international law in other States. … a court of one State may try a former Minister for Foreign Affairs of another State in respect of acts committed



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tät, die aber vor einer Strafverfolgung völkerrechtlicher Kernverbrechen nicht schützt, weil sie insoweit einzuschränken ist.59 Vor dem IStGH – im vertikalen Verhältnis – könnte sich Putin nicht auf Immunität berufen, wenn man davon ausgeht, dass der einschlägige Art. 27  – Ausschluss funktioneller Immunität mit Blick auf strafrechtliche Verantwortlichkeit (Abs. 1) und persönlicher Immunität als Hindernis der Gerichtsbarkeit des IStGH (Abs. 2)60  – lediglich das geltende Völkergewohnheitsrecht deklariert. Dies ist zwar bezüglich Absatz  2 umstritten,61 findet aber nicht nur eine Grundlage in völkerstrafrechtlicher Rechtsprechung,62 sondern auch in der wegprior or subsequent to his or her period of office, as well as in respect of acts committed during that period of office in a private capacity“); International Law Commission (ILC), Draft Articles on Immunity of State officials from foreign criminal jurisdiction, abrufbar unter https://legal.un.org/ilc/ reports/2013/english/chp5.pdf, Article 4, provisionally adopted in 2013 („1. Heads of State, Heads of Government and Ministers for Foreign Affairs enjoy immunity ratione personae only during their term of office.“); s. auch Herdegen, in: Dürig et al. (Hrsg.), Grundgesetz, 94. Lfg. Januar 2021, Art. 25 Rn. 62; Otto Triffterer/Christoph Burchard, in: Ambos (Hrsg.), Rome Statute of the International Criminal Court, 4. Aufl. 2022, Art. 27 Rn. 3. 59  Das ist nicht unumstritten, s. aber in diesem Sinne BGH, (Anm. 54), sowie Schaller, (Anm. 23), S. 10.  – Nicht überzeugend ist es jedenfalls, die Anordnung oder Begehung völkerrechtlicher Kernverbrechen nicht als dienstliche Handlungen anzusehen; dazu schon Ambos, Der Fall Pinochet und das anwendbare Recht, JZ 1999, S. 16 ff. (20 ff.) („… kann kaum bestritten werden … daß auch und gerade internationale Verbrechen im Amt oder unter Ausnutzung der Amtsstellung begangen werden und damit staatlichhoheitlichen Charakter haben … Wer dies leugnet, verschließt die ­Augen vor der Realität des Staatsterrorismus …“ [23]); ebenso Schaller, (Anm. 23), S. 10. Gegen die Annahme privater Handlungen spricht auch die UN-Antifolterkonvention vom 10.12.1984, denn danach wird Folter gerade „at the instigation of or with the consent or acquiescence of a public official or other person acting in an official capacity“ begangen (Art. 1 Abs. 1).  60  Vgl. einerseits Art. 27 Abs. 1 („… official capacity as a Head of State or Government… shall in no case exempt a person from criminal responsibility …“) und andererseits Art. 27 Abs. 2 („shall not bar the Court from exercising its jurisdiction …“). Zum Verhältnis der beiden Absätze Triffterer/Burchard, (Anm. 57), Art. 27 Rn. 4. 61  Vgl. eingehend Triffterer/Burchard, (Anm. 57), Art. 27 Rn. 16, 24 f. m. w. N. 62  ICC, Appeals Chamber, Judgment in the Jordan Referral re Al-Bashir Appeal, Prosecutor v. Al Bashir (ICC-02/05-01/09-397), 6.5.2019, paras. 1,

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weisenden Yerodia-Entscheidung des IGH, wo dieser zwischen nationalen und internationalen (Straf-)Gerichten unterschieden und bei diesen („certain international criminal courts“) einen generellen Immunitätsausschluss anerkannt hat.63 Schwierig ist auch die Frage zu beantworten, ob Staaten einen Haftbefehl des IStGH vollstrecken müssten. Zunächst einmal besteht eine solche Verpflichtung grundsätzlich nur für Vertragsstaaten (Art. 86 ff.). Ausnahmsweise kann sie sich auf Nicht-Vertragsstaaten erstrecken, wenn diese sich (wie die Ukraine) der Zuständigkeit des IStGH unterworfen haben und damit ebenfalls zur Kooperation verpflichtet sind (Art. 12 Abs. 3 S. 2) oder der Sicherheitsrat eine Situation in einem Nicht-Vertragsstaat an den IStGH überwiesen hat (Art. 13b) und diesen sowie sonstige (Nicht-Vertrags-)Staaten in der entsprechenden Resolution zur Kooperation verpflichtet hat.64 Ansonsten können Nicht-Vertragsstaaten nur auf (sonstiger) völkervertraglicher Grundlage zur Kooperation verpflichtet sein, insbesondere 103–117 (113) („there is neither State practice nor opinio juris that would support the existence of Head of State immunity under customary interna­ tional law vis-à-vis an international court“.); im gleichen Sinne vorher schon Special Court for Sierra Leone, Prosecutor against Charles Ghankay Taylor, Decision on immunity from jurisdiction, 31.5.2004, SCSL-2003-01-I, para. 37 ff. Vgl dazu eingehend Claus Kreß, in: Ambos (Hrsg.), Rome Statute of the ICC: Commentary, 4. Aufl. 2022, Art. 98 Rn. 114–130: s. auch Reisinger/Coracini/Trahan, Just Security v. 8.11.2022, abrufbar unter https:// www.justsecurity.org/84017/the-case-for-creating-a-special-tribunal-toprosecute-the-crime-of-aggression-committed-against-ukraine-part-vi-onthe-non-applicability-of-personal-immunities/. 63  ICJ, (Anm. 57), para.  61: „… an incumbent or former Minister for Foreign Affairs may be subject to criminal proceedings before certain international criminal courts, where they have jurisdiction. Examples include the International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, and the Interna­ tional Criminal Tribunal for Rwanda …, and the future International Criminal Court created by the 1998 Rome Convention …“ (Herv. K. A.). 64  In den bisher einzigen Überweisungen (Darfur/Sudan und Lybien) hat der UN-Sicherheitsrat allerdings insoweit an der Unterscheidung zwischen Vertragsstaaten und Nicht-Vertragsstaaten festgehalten und bei diesen lediglich zur Kooperation aufgerufen, vgl. Resolution S/RES/1593 (2005), para. 2 und S/RES/1970 (2011), para. 5 (“recognizing that States not party to the Rome Statute have no obligation … urges all States … to cooperate fully“, statt „shall cooperate“ bzgl. Sudan und Lybien).



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aufgrund Art. VI Genozidkonvention (GenK), wonach deren Vertragsstaaten verpflichtet sind, die wegen eines Genozid Verdächtigen einem zuständigen internationalen Straftribunal zuzuführen; dies setzt allerdings voraus, dass die Vertragsstaaten die Gerichtsbarkeit eines solchen internationalen Straftribunals (wie des IStGH) anerkannt haben.65 Immerhin kann die GenK eine entsprechende Sicherheitsratsresolution mit Blick auf eine Kooperationspflicht solcher Staaten ergänzen, die zwar keine IStGH-Vertragsstaaten, aber Vertragsstaaten der GenK und aufgrund dieser zur Kooperation (zur Vermeidung von Genozid) verpflichtet sind.66 Mit Blick auf den IStGH ist die entscheidende Frage, wie das Spannungsverhältnis zwischen Staatenimmunität und Kooperationspflicht (Art. 98 Abs. 1)67 aufgelöst werden kann. Die IStGH-Rechtsmittelkammer geht insoweit, wie schon oben erwähnt,68 davon aus, dass sich dem Völkergewohnheitsrecht keine Staatenimmunität vor einem internationalen Gericht entnehmen lässt. Dies gelte nicht nur im vertikalen Staat-IStGH-Verhältnis (gemäß Art. 27), sondern auch im horizontalen (zwischenstaatlichen) Verhältnis, weil im Fall eines IStGH-Haftbefehls ein Staat diesen nur im Auftrag des IStGH vollstrecke,69 also nicht  – wie im rein zwischenstaatlichen (horizon­ 65  Vgl. International Court of Justice, Application of the Genocide Convention (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Judgment, ICJ Reports (2007) 43, paras. 439–450. 66  Göran Sluiter, Journal of International Criminal Justice, 2010, S. 365 ff. (371 f.); Dapo Akande, in: Steinberg (Hrsg.) Contemporary Issues Facing the ICC, 2016, S. 77 ff. (81); a. A. Paola Gaeta, in: Steinberg, S. 84 ff. (90 f.). 67  Art. 98(1) ist eine an den IStGH gerichtete Verfahrensvorschrift („The Court may not proceed …“), um das Prozedere bei einer Kooperationspflicht entgegenstehenden Immunitätsregeln festzulegen, es handelt sich also um eine Art „conflict-avoidance rule“; s. auch Jordan Al-Bashir Appeal Judgment, (Anm. 61), para. 5, 130 f. 68  (Anm. 61). 69  Jordan Al-Bashir Appeal Judgment, (Anm. 61), para. 2, 114 („The absence of a rule of customary international law recognising Head of State immunity vis-à-vis international courts is relevant not only to the question of whether an international court may issue a warrant for the arrest of a Head of State and conduct proceedings against him or her, but also for the horizontal relationship between States when a State is requested by an international court to arrest and surrender the Head of State of another State.“);

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talen) Verhältnis  – autonom handelt. Dies ist allerdings auf Kritik gestoßen, vor allem weil eine solche Auslegung des Völkergewohnheitsrechts nur schwer mit ihrem konstitutiven Element der Staatenpraxis  – die tendenziell für ein Festhalten an der Staatenimmunität spricht – in Einklang zu bringen ist.70 Eine solche weite Auslegung ist auch nicht nötig, wenn, wie im Fall Sudan/Al-Bashir, die Immunität schon durch eine Sicherheitsratsresolution ausgeschlossen wurde.71 Joint Concurring Opinion of Judges Eboe-Osuji, Morrison, Hofmański and Bossa, paras. 441–445; vorher schon Pre-Trial Chamber I, Malawi Decision, Al Bashir (ICC-02/05-01/09-139), 12.12.2011, para.  46 („when cooperating with this Court and therefore acting on its behalf, States Parties are instruments for the enforcement of the jus puniendi of the international community whose exercise has been entrusted to this Court […]“). Dazu Kreß, (Anm. 61), Art. 98 Rn. 131–134. 70  Florian Held, Cambridge International Law Journal 2021, S. 54 ff. (66 ff.); Robert Cryer/Darryl Robinson/Sergey Vasiliev, An Introduction to International Criminal Law and Procedure, 4. Aufl. 2019, S. 530; Kevin Heller, Opinio Juris v. 17.5.2019, abrufbar unter opiniojuris.org/2019/05/ 09/a-thought-experiment-about-complementarity-and-the-jordan-appealdecision/; Ben Batros, Just Security v. 07.05.2019, abrufbar unter https:// www.justsecurity.org/63962/a-confusing-icc-appeals-judgment-on-headof-state-immunity/; Asad Kiyani, Just Security v. 08.05.2019, abrufbar unter https://www.justsecurity.org/63973/elisions-and-omissions-questioningthe-iccs-latest-bashir-immunity-ruling/; Dapo Akande, EJIL: Talk! v. 6.5.2019, abrufbar unter https://www.ejiltalk.org/icc-appeals-chamberholds-that-heads-of-state-have-no-immunity-under-customary-internationallaw-before-international-tribunals/; Reinhard Zimmermann, JZ 2022, S.261 ff. (265 f.); krit. in prozessualer Hinsicht Alexan­dre Galand, EJIL:Talk! v. 06.06.2019, abrufbar unter https://www.ejiltalk.org/a-hidden-reading-ofthe-icc-appeals-chambers-judgment-in-the-jordan-referral-re-al-bashir/ (der das Urteil dahingehend versteht, dass die Drittwirkung von Art. 27 stets eine Sicherheitsratsresolu­tion voraussetzt). Zust. hingegen Claus Kreß, TOAEP Occasional Paper Series No. 8 (2019), abrufbar unter https://www.toaep. org/ops-pdf/8-kress; Leila Sadat, Just Security v. 18.07.2019, abrufbar unter https://www.justsecurity.org/64896/why-the-iccs-judgment-in-the-al-bashircase-wasnt-so-surprising/. 71  Jordan Al-Bashir Appeal Judgment, (Anm. 61), para.  7, 133 ff. (unter Bezugnahme auf Resolution S/RES/1593 (2005), (Anm. 63), feststellend, dass sich aus der vollen Kooperationspflicht des Sudan ergebe, dass dieser sich nicht auf Staatenimmunität berufen könne, wenn ein anderer Staat AlBashir festnehme). Insoweit liesse sich argumentieren, dass die Rechtsmittelkammer ihren Prüfungsumfang – i. S. d. ne ultra petita Grundsatzes – überschritten hat, weil die Frage der völkergewohnheitsrechtlichen Anerkennung



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Wie dem auch sei, folgt man der Ansicht der Rechtsmittelkammer, kann sich Putin gegenüber dem vom IStGH erlassenen Haftbefehl nicht auf seine Immunität als Staatsoberhaupt berufen, denn dieser müsste von den 123 IStGH-Vertragsstaaten vollstreckt werden und Nicht-Vertragsstaaten wäre zu seiner Vollstreckung jedenfalls berechtigt.

der Immunität nicht Gegenstand der Parteianträge und eben auch nicht entscheidungserheblich war. Allgemein zur Aufhebung der Immunität durch eine Sicherheitsratsüberweisung oder Vertragsrecht s. Triffterer/Burchard, (Anm. 57), Art. 27 Rn. 26 ff.

Der Ukraine-Krieg als religiöser Konflikt? Die Auseinandersetzung um die Autokephalie der Orthodoxen Kirche in der Ukraine Von Andriy Mykhaleyko I. Religion im russischen historischen und politischen Narrativ . . . . . II. Religiöse Vielfalt in der Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die neue autokephale Orthodoxe Kirche der Ukraine . . . . . . . . 2. Die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine als Teil der politischen Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ukrainische Orthodoxie und der Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Seit dem 24.  Februar 2022 tobt der Krieg in der Ukraine. Keiner kann momentan seriös einschätzen, wie lange er noch dauern, wann und wie er enden wird. Dass dieser Krieg schon jetzt Politik und Wirtschaft erheblich beeinflusst, liegt auf der Hand. Wenn man versucht, die Frage zu beantworten, warum die Ukraine zum Schauplatz eines neuen Ost-West-Konfliktes geworden ist, stößt man auf sehr unterschiedliche Erklärungen und Interpretationen. Die Ursachen für diesen Krieg sind komplex und vielschichtig. Sie umfassen nicht nur gegenwärtige Entwicklungen, sondern auch Geschichte, Erinnerungskulturen, militärische, politische und geopolitische Interessen. Wenn man den Krieg differenzierter einordnen und der Komplexität der aktuellen Situation in Europa gerecht werden will, muss man auch bereit sein, sich mit Fragestellungen auseinanderzusetzen, die auf den ersten Blick irrelevant oder sogar irrational erscheinen würden. Zu diesen zählt die Frage nach der Bedeutung der Religion in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die nachfolgenden Ausführungen sind ein Versuch, an einigen Beispielen die Relevanz der religiösen Thematik auf-

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zuzeigen. Sie fragen danach: Was hat der Krieg mit der Religion bzw. mit den christlichen Kirchen zu tun? Welche Rolle spielen sie dabei? Welchen Einfluss hatte/hat die Verleihung der Autokephalie an die Orthodoxe Kirche in der Ukraine durch das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel im Jahre 2019 auf religiöse Verhältnisse in der Ukraine und auf ukrainisch-russische Beziehungen? Nicht zuletzt: Handelt es sich beim Ukraine-Krieg auch um einen religiösen Konflikt? Spricht man über die christlichen Kirchen in der Ukraine oder versucht man ihr historisches Selbstverständnis, Autokephaliebestrebungen und aktuelle Positionen näher zu bestimmen, kann dies nur in einer Relation zu kirchlichen Verhältnissen in Russland erfolgen. Daraus ergibt sich die Struktur dieses Beitrages. In einem ersten Schritt wird die Stellung der Religion im russischen historischen und politischen Narrativ behandelt. Im zweiten und im dritten geht es um die historisch bedingte Vielfalt der kirchlichen Landschaft in der Ukraine und um die Bedeutung der neu entstandenen orthodoxen Kirche der Ukraine für das ukrainische religiöse und politische Narrativ. Im vierten Schritt werden gegenwärtige Positionen der Kirchen zum Krieg und seine Auswirkung auf religiöse Entwicklungen analysiert. I. Religion im russischen historischen und politischen Narrativ Am 21. September 2022 erinnerte der Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, in seiner Predigt an die siegreiche Schlacht der russischen Fürstentümer gegen die Goldene Horde im September 1380. Das Moskauer Reich stand etwa 200 Jahre unter mongolischer Herrschaft. Obwohl es sich erst Ende des 15. Jahrhunderts von der mongolischen Abhängigkeit befreien konnte, ging der Sieg des Moskauer Heeres unter der Führung des Großfürsten Dimitrij Donskoj (1350–1389) in die Geschichte ein und prägte sich in die russische Erinnerungskultur ein als wichtiger Meilenstein auf dem Weg der totalen Befreiung von der Mongolenherrschaft. Zu diesem für die Russen historischen Sieg gehört noch ein wichtiges Detail, nämlich die Überzeugung, dass der militärische Erfolg nur deshalb möglich gewesen sei, weil Großfürst Donskoj sich vor der entscheidenden Schlacht von einem russisch-orthodoxen Mönch namens



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Sergij von Radonezh (1314–1392) segnen ließ. Mit anderen Worten war der Sieg einem Zusammenspiel von kirchlicher und weltlicher Macht zu verdanken. Das Wirken dieses in der orthodoxen Kirche Russlands hochverehrten Heiligen markierte außerdem den Beginn der Konsolidierung des aufsteigenden russischen Staates. 642 Jahre später betonte Patriarch Kirill in seiner Ansprache: „Der unbesiegbare Feind [die Mongolen] wurde gestoppt, und ging nach hundert Jahren weg, weil er erkannt hatte, dass dieses Volk und dieses Reich unbesiegbar sind.“1 Dass der Patriarch ausgerechnet am 21. September 2022 mit solchen Worten an dieses historische Ereignis erinnerte, war alles andere als Zufall. Denn am selben Tag erklärte russischer Präsident Wladimir Putin die Teilmobilisierung mit dem Ziel, 300.000 Soldaten für den Krieg in der Ukraine bereitzustellen. Mit der Berufung auf die siegreiche Schlacht von 1380 schlug der Patriarch seinerseits eine Brücke zur Gegenwart, um der Bevölkerung die Ernsthaftigkeit der Lage vor Augen zu führen und für die Wichtigkeit der Teilmobilmachung zu sensibilisieren. Zugleich machte er damit erneut klar, auf welcher Seite er in diesem Krieg steht. Putins erklärtes Ziel im Krieg gegen die Ukraine ist es, die Bedeutung des russischen Staates, die russische Dominanz in Osteuropa bzw. in Europa allgemein und darüber hinaus in der globalen Politik wiederherzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, scheint ihm beinahe jedes Mittel recht zu sein, um die russischen Bürgerinnen und Bürger für sein Vorgehen in der Ukraine zu gewinnen und sie von der Richtigkeit der „militärischen Spezialoperation“ zu überzeugen. Daher wird dieser Krieg nicht nur auf dem Schlachtfeld geführt. Es ist ein Informations- und Propagandakrieg, bei dem nicht nur militärische Erfolge, sondern mindestens ebenso sehr das Beherrschen des Informationsraumes zählen. Für die Propaganda wird eine überzeugende Ideologie benötigt, die den Krieg rechtfertigt, denn im Krieg ist es oft so, dass der Weg der Panzer von einer Ideologie geebnet wird. Diese Ideologie ist ein Produkt von vielen Institutionen, die den Angriffskrieg 1  Regula Zwahlen, Russland: Patriarch erinnert an den Sieg über die Goldene Horde am Tag der Teilmobilmachung, abrufbar unter https://www. noek.info/nachrichten/osteuropa/russland/2592-russland-patriarch-erinnert -an-den-sieg-ueber-die-goldene-horde-am-tag-der-teilmobilmachung (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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langwierig und genau vorbereiten. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine lässt sich in dieses Muster gut einfügen. Putin sehnt sich nach vergangener Größe Russlands und mobilisiert deshalb die Vergangenheit im Kampf um die Gegenwart und die Zukunft. Dafür braucht er ein ideologisches Konstrukt, das seine Kriegsziele wie ein Gerüst stützen soll. Putin benutzt beides, Geschichte und Religion, als Waffe. Seine Begründung und die Rechtfertigung des Krieges liegen in einer bestimmten Version russischer Geschichte, die in einer engen Relation zur ukrainischen steht. Das hat unter anderem damit zu tun, dass der Werdegang der Ukraine als unabhängiger Staat sehr kompliziert ist. Bedenkt man, dass das Land erst 1991 seine politische Unabhängigkeit erlangt hat und ihm eine historische Kontinuität der Staatlichkeit fehlt, muss man sich zwei Faktoren vor Augen halten. Erstens: Einzelne Regionen der heutigen Ukraine waren in verschiedene Herrschafts- und Kulturräume aufgeteilt, gehörten im Laufe der Geschichte zu unterschiedlichen politischen Staatsformen (wie etwa Litauen, Polen, dem Russischen Imperium, Österreich-Ungarn, der Sowjetunion u. a.), machten unterschiedliche historische Erfahrungen und wurden dementsprechend anders geprägt. Zweitens: Die jahrhundertelange Zugehörigkeit zu anderen Staaten ist die Ursache dafür, dass sich die Beziehungen der Ukraine zu ihren Nachbarstaaten kompliziert gestalten. Historische Reminiszenzen, geopolitische Interessen und die damit verbundenen verborgenen und offensichtlichen Territorialansprüche destabilisieren den politischen Frieden in der Region. Der komplizierte Weg der Ukraine zur politischen Unabhängigkeit ist die Ursache dafür, dass sich in Russland und in der Ukraine zwei unterschiedliche und sich gegenseitig ausschließende Narrative herausgebildet haben. Laut Putin und der russischen Propaganda soll die Ukraine ein künstliches Gebilde sein. Es gebe keine selbständige ukrainische Identität. Vielmehr seien Russen, Ukrainer und Belorussen ein Volk mit gleicher Mentalität, Kultur und Geschichte, und gehörten gemeinsam zu „Großrussland“. Jegliche Selbstbehauptungsversuche der Ukraine werden deshalb von russischer Seite als Nationalismus oder Rechtsextremismus bezeichnet.2 2  Vgl. Karl Schlögel, Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen, 2017, S. 55.



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In Russland erkannte man schon früher, dass für die Unterstützung eines Narrativs, das die ukrainische Identität und Selbständigkeit in Abrede stellt, der orthodoxen Religion eine besondere Rolle zukommt. Bekanntlich gilt Osteuropa als Raum, der religiös von der Orthodoxie geprägt war und ist.3 Aufgrund historischer Entwicklungen bekennt sich sowohl in Russland als auch in Belarus und der Ukraine ein wesentlicher Teil  der Bevölkerung (annähernd siebzig Prozent) zum orthodoxen Glauben. Diese hohe Zahl bedeutet nicht etwa, dass zwei Drittel der Menschen sich automatisch mit einer orthodoxen Amtskirche identifizieren. Für die Mehrheit bedeutet das Bekenntnis zur Orthodoxie vor allem deren Anerkennung als eine wichtige historisch-kulturelle Grundlage der Identität der osteuropäischen Völker. Bis heute hat die Orthodoxie einen hohen Wert für die Definition der russischen Identität. Beide bilden eine Symbiose und werden von prorussischen Kräften für ein bedeutendes Integrationsinstrument um das politische Zentrum in Moskau gehalten. Darum bleibt die Orthodoxe Kirche im gesellschaftlichen und politischen Leben weiterhin ein wichtiger Faktor. Sie genießt im russischen Staat eine privilegierte Stellung. Im Gegenzug verlangt der Staat allerdings, dass die Orthodoxe Kirche eine integrative Funktion ausübt, den russischen Einfluss auf den postsowjetischen Raum sichert und ideologische Argumente für die Legitimation der russischen Außenpolitik in Osteuropa liefert. Analysiert man die Ansprachen des russischen Präsidenten zur Ukraine in den letzten Jahren (besonders seit 2013), kann man ohne Mühe feststellen, dass seine Sichtweise auf den ukrainischen Staat und den gesamten osteuropäischen Raum vom orthodoxen Glauben geprägt ist. Dabei geht es nicht um einen abstrakten Raum, sondern um eine sehr konkrete Form dieses Raumes, die durch die orthodoxe Religion repräsentiert wird. Dieser Raum geht auf die Taufe des Kiewer Rus Ende des 10. bzw. Anfang des 11. Jahrhunderts zurück. In dem mittelalterlichen Territorium, das auf dem Gebiet der heutigen 3  Allgemein dazu s. Sveto Riboloff, Church and State in the Orthodox World Today and the Challenges of the Global Age, in: Grosshans/Kalaitzidis (Hrsg.), Politics, Society and Culture in Orthodox Theology in a Global Age, 2022, S. 214 ff.

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Ukraine, Belarus und Russland lag, wurde damit der von Konstantinopel übernommene orthodoxe Glaube als Staatsreligion eingeführt. Es kommt nicht von ungefähr, dass Putin sich wiederholt auf seinen Namenspatron, den Großfürsten Wladimir von Kiew, beruft, der das Christentum annahm und es unter den Ostslawen verbreitete. Aus diesem Ursprung und aus der Taufe der Kiewer Rus leitet Putin die Verbundenheit von Russen, Ukrainern und Belorussen ab. Ein Paradebeispiel dafür ist ein Interview Putins vom 4.  September 2013, das er nach den Feierlichkeiten anlässlich des 1025jährigen Jubiläums der Taufe der Kiewer Rus (988) gab. An ihnen nahmen Putin sowie der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kirill, teil. Wie sich später herausstellen sollte, war dies das letzte Mal, dass beide ukrainischen Boden betraten. In Bezug auf die damals noch laufende Vorbereitung auf die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine, das bekanntlich aufs Eis gelegt wurde, betonte Putin im Interview: „Sie wissen, was auch passieren mag und welchen Weg die Ukraine auch gehen sollte, werden wir uns trotzdem irgendwann und irgendwo wieder treffen. Warum? Weil wir das eine Volk sind […] Denn wir haben einen gemeinsamen Dnepr, das Kiewer Taufbecken (russ. купель), wir haben zweifellos gemeinsame historische Wurzeln, gemeinsame Schicksale, eine gemeinsame Religion, einen gemeinsamen Glauben, eine sehr ähnliche Kultur und verwandte Sprachen, Traditionen und Mentalitäten […]“.4 Kaum einer erahnte damals, dass Putin neun Jahre später dieses „Wiedertreffen“ mit den militärischen Mitteln zu erzwingen versuchen würde. Gleiche Argumentationslinien lassen sich in der Rede des russischen Präsidenten ein halbes Jahr später, am 18. März 2014, zur Eingliederung der Krim in die Russische Föderation erkennen. Bei der Rechtfertigung dieses Schrittes bediente er sich religiöser Parolen und maß der orthodoxen Religion nicht nur eine identitätsstiftende Rolle bei, sondern hob deren vereinigende Funktion für drei „Brüdervölker“ hervor.5 4  http://www.kremlin.ru/transcripts/19143 (zuletzt abgerufen am 15.05. 2023). 5  „Buchstäblich alles auf der Krim ist durchdrungen von unserer gemeinsamen Geschichte, unserem gemeinsamen Stolz. Hier liegt das antike Cher-



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Der häufige Gebrauch religiöser Themen und die Berufung auf verschiedene historische Begebenheiten bleiben auch seit dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine im Februar 2022 ein wesentlicher Kern der russischen Propaganda. Putin rechnet damit, dass die religiöse Begründung seiner Vorgehensweise in der Ukraine das Potenzial hat, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Zustimmung für den Krieg zu generieren. Die russische Öffentlichkeit wurde bereits im Sommer 2021 auf den Krieg propagandistisch vorbereitet. Am 12.  Juli 2021 wurde auf der offiziellen russischen Regierungs-Website ein Essay mit dem Titel „Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern“6 in drei Sprachen (russisch, ukrainisch und englisch) veröffentlicht. An der Stelle, wo der Autor angegeben ist, stand für viele überraschend der Name: Wladimir Putin. Dies verlieh dem Text besonderes Gewicht. Der Text versucht, das russische Narrativ über eine vermeintliche Untrennbarkeit zweier Völker mit „wissenschaftlichen“ Argumenten nachzuweisen.7   Wie schon in früheren Ausführungen Putins stand auch hier die vermeintliche einigende Funktion der Orthodoxie als Begrünsones, wo der heilige Fürst Vladimir getauft wurde. Die geistige Großtat, die Annahme des orthodoxen Glaubens, hat das gemeinsame kulturelle, moralische und zivilisatorische Fundament gelegt, das die Völker Russlands, der Ukraine und Weißrusslands verbindet […] Kiew ist die Mutter der russischen Städte. Die alte Rus ist unser gemeinsamer Ursprung – wir gehören nun einmal zusammen“, Rede des russischen Präsidenten Vladimir Putin am 18.  März 2014 im Kreml vor den Abgeordneten der Staatsduma, den Mitgliedern des Föderationsrats, den Leitern der Regionalverwaltungen und Vertretern der Zivilgesellschaft, in: Zerreißprobe Ukraine: Konflikt, Krise, Krieg, Osteuropa 64/5–6 (2014), S. 87 ff. (96). Auch in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation am 4. Dezember 2014 finden sich religiöse Bezüge. Darin rechtfertigte er die Annektierung der Halbinsel. Er betonte, dass die Krim für Russland „große zivilisatorische und sakrale Bedeutung [habe] – jetzt und für immer“; sie sei den Russen „so heilig wie der Tempelberg denjenigen, die sich zum Judentum oder zum Islam bekennen“, abruf­ bar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/putin-krim-soheilig-wie-der-tempelberg-13301910.html (zuletzt abgerufen am 15.05. 2023). 6  Deutsche Übersetzung in Osteuropa 71/7 (2021), S. 51 ff. 7  Ein kritischer Kommentar dazu s. Andreas Kappeler, Revisionismus und Drohungen. Vladimir Putins Text zur Einheit von Russen und Ukrainern, Osteuropa 71/7 (2021), S. 67 ff.

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dung für die russische Sichtweise, wonach es eine russisch-ukrainische Einheit gebe. Bei kritischer Würdigung zeigt sich die typisch ideologische Darstellungsweise. Hierzu gehört, dass die Argumentation wie eine gerade Linie aufgebaut wird. Putin bzw. der wirkliche Verfasser dieses Textes zeichnet diesem Muster entsprechend einen Bogen von den Anfängen des Christentums im ostslawischen Raum bis in die Gegenwart. Dabei erweist sich die Komplexität der historischen Entwicklungen für das Narrativ als störend. Alles, was für eine komplizierte und von mehreren Verflechtungen geprägte historische und konfessionelle Entwicklung auf dem Gebiet der heutigen Ukraine spricht, etwa die Zeit von Reformation und Gegenreformation, wird in Putins Essay als „Angriff “ auf die vom orthodoxen Glauben getragene „spirituelle Einheit“ von Russen und Ukrainern interpretiert und verurteilt.8 Die gleichen Argumente finden sich auch in der Fernsehansprache des russischen Präsidenten am 21.  Februar 2022, drei Tage vor dem Angriff auf die Ukraine. Unter Berufung auf die „gemeinsame“ Geschichte und das Bekenntnis zur Orthodoxie kommunizierte er seine damals bereits beschlossenen Pläne, die Ukraine anzugreifen.9 8  „Auch unsere spirituelle Einheit wurde angegriffen. Wie in den Tagen des Großherzogtums Litauen wurde eine neue Kirche eingeführt. Die weltlichen Behörden, die aus ihren politischen Zielen keinen Hehl machen, haben sich unverhohlen in das kirchliche Leben eingemischt und die Dinge gespalten, Kirchen beschlagnahmt, Priester und Mönche geschlagen. Selbst weitgehende Autonomie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche bei gleichzeitiger Wahrung der spirituellen Einheit mit dem Moskauer Patriarchat missfällt ihnen sehr. Sie müssen dieses prominente und jahrhundertealte Symbol unserer Verwandtschaft um jeden Preis zerstören“, abrufbar unter https://gramsit.com/cms/blog/putins-manifest-ueber-die-historische-einheit-von-russenund-ukrainern (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 9  „Ich betone nochmals: Die Ukraine ist für uns nicht einfach ein Nachbarland. Sie ist integraler Bestandteil unserer eigenen Geschichte, unserer Kultur, unseres geistigen Raums. Es geht um unsere Leute, um Menschen, die uns nahestehen, unter ihnen sind nicht nur Kollegen, Freunde, Menschen, mit denen wir gemeinsam gedient haben, sondern auch Verwandte, wir sind mit ihnen über Bluts- und Familienbande verwoben. Seit jeher nannten sich die Bewohner der südöstlichen, historischen altrussischen Lande Russen und Orthodoxe.“ Vladimir Putin, Rede an die Nation, 21.2.2022, abrufbar unter https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/putin-rede-21.2.2022/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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Das Narrativ einer angeblichen geistigen Einheit von Russen und Ukrainern steht nicht nur auf der Agenda des Putin-Regimes. Als größte religiöse Gruppe in Russland und als ein wichtiger Bestandteil der russischen Identitätsgeschichte teilt die Russisch-Orthodoxe Kirche diese Sichtweise. In diesem Punkt überschneiden sich kirchliche und staatliche Interessen sehr deutlich. Denn der Anspruch Russlands auf die politische Dominanz in der osteuropäischen Region, wird durch den Anspruch des Moskauer Patriarchates auf eine religiöse Dominanz unterstützt. Die Idee der „Russischen Welt“ (russ. Русский мир), in der religiöse und säkulare Interessen ineinandergreifen, gilt inzwischen als klassisches Beispiel dafür. Die „Russische Welt“ als Konzept, Doktrin und schließlich Ideologie, die 2007 durch die Errichtung der gleichnamigen Stiftung institutionalisiert worden war, stellt einen Versuch dar, russische „zivilisatorische“ Grenzen zu definieren. Aus einer ursprünglich angedachten Idee zur Förderung der russischen Sprache und Kultur ist eine ideologische Institution geworden mit der Aufgabe, gegenwärtige politische Ansprüche Russlands, die sich nicht auf seine Staatsgrenzen begrenzen, mit ideologischen Argumenten zu füllen. Genauso wie Präsident Putin hält auch Patriarch Kirill die „Russische Welt“10 für eine zivilisatorische Größe oder einen zivilisatorischen Raum, dessen Geburtsstunde die Taufe der Kiewer Rus (988) sei. Ein halbes Jahr nach der Annektierung der Krim erklärte Kirill in einem Statement vom 8. September 2014, wie er die „Russische Welt“ versteht: „Wenn wir über die Zivilisation sprechen, gehört Russland einer Zivilisation an, die breiter als die Russische Föderation ist. Diese Zivilisation bezeichnen wir als die Russische Welt. Die Russische Welt ist nicht die Welt der Russischen Föderation und nicht die Welt des Russischen Imperiums. Die Russische Welt stammt aus dem Kiewer Taufbecken (russ. киевской купели крещения). Die Russische Welt ist diese besondere Zivilisa­ tion, der jene Menschen angehören, die sich heute unterschiedlich nennen  – Russen, Ukrainer und Weißrussen. Dieser Welt können aber auch Menschen angehören, die zur slawischen Welt überhaupt 10  Zur ROK und dem Konzept der Russischen Welt s. Kathy Rousselet, The Russian Orthodox Church and the Russkii Mir, in: Bremer/Brüning/ Kizenko (Hrsg.), Orthodoxy in Two Manifestations? The Conflict in Ukraine as Expression of a Fault Line in World Orthodoxy, 2022, S. 121 ff.

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nicht gehören, die aber die kulturelle und geistige Komponente dieser Welt als ihre eigene annehmen“11. Die Ukraine ist also nach dem russisch-orthodoxen Verständnis aus diesem Bündnis nicht wegzudenken. Durch die historische Bedeutung der Stadt Kiew als „Wiege“ des ostslawischen Christentums und als ein Land mit der im postsowjetischen zweitgrößten Bevölkerung nach Russland nimmt die Ukraine in diesem ideologischen Projekt eine zentrale Stellung ein. Ein anderer wichtiger und zugleich umstrittener Begriff mit politischer Brisanz ist das kanonische Territorium.12 Mit ihm markiert die Russisch-Orthodoxe Kirche jene Territorien (vor allem die meisten Staaten der ehemaligen Sowjetunion), die dem Statut der ROK von 2013 nach zu ihrem kanonischen Jurisdiktionsbereich zählen.13 Damit begründet das Moskauer Patriarchat seinen exklusiven Jurisdik­ tionsanspruch über die Ukraine und sein vermeintliches Recht, über die Angelegenheiten der ukrainischen Orthodoxie entscheiden zu dürfen. Die Übereinstimmung zwischen Kirche und Staat in der Interpretation der Doktrin der „Russischen Welt“ sowie das kirchenrechtliche Prinzip des kanonischen Territoriums spielen Präsident Putin in die Hände. Denn die darin enthaltenen ideologischen Grundsätze entsprechen den politischen Zielsetzungen des russischen Regimes und werden in die gesamte außenpolitische Doktrin des russischen Staates geschickt einbezogen und instrumentalisiert. Sie 11  S. http://www.patriarchia.ru/db/text/3730705.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 12  Zu Begriff und Konzept des kanonischen Territoriums s. Hans-Dieter Döpmann, Kirchliche Identität und kanonisches Territorium, in: Bremer (Hrsg.), Religion und Nation. Die Situation der Kirchen in der Ukraine, 2003, S.  53 ff.; Johannes Oeldemann, Das Konzept des kanonischen Territo­ riums in der Russischen Orthodoxen Kirche, Der Christliche Osten 2 (2003), S.  92 ff. 13  „Die Jurisdiktion der Russischen Orthodoxen Kirche erstreckt sich auf die Personen orthodoxen Glaubens, welche auf dem kanonischen Territorium der Russischen Orthodoxen Kirche leben: in der Russischen Föderation, in der Ukraine, in der Republik Weißrussland, in der Republik Moldau, in der Republik Aserbeidschan, in der Republik Kasachstan, in Turkmenistan, in der Republik Usbekistan, in der Republik Estland, in Japan, sowie aus freiem Entschluss ihr angehörenden orthodoxen Mitglieder, die in anderen Staaten leben“, Anargyros Anapliotis, Die Statuten der Russischen Orthodoxen Kirche, 2015, S. 79.



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legitimieren zugleich den Monopolanspruch Russlands auf den ost­ europäischen Raum bzw. auf die Ukraine und darüber hinaus die russischen „Kriegsziele“, diesen imaginären orthodoxen zivilisatorischen Raum vor äußeren Einwirkungen und vor einer Entwicklung der Ukraine zu einem „Anti-Russland“14 „schützen“ zu müssen. II. Religiöse Vielfalt in der Ukraine Das russische historische und politische Narrativ, zu dessen unverzichtbarem Bestandteil die orthodoxe Religion gehört, speist sich nicht nur aus einem innerrussischen Interpretationsparadigma, sondern aus einer auch im Westen weitverbreiteten russlandfixierten Sichtweise der Geschichte, Kultur und gegenwärtigen politischen Gestaltung Osteuropas. Russische Deutungshoheit über die Entwicklung des osteuropäischen Raumes war eine wesentliche Ursache dafür, dass die Ukraine auf der mentalen Karte Europas nicht präsent war. Diese Tendenz lässt sich dadurch erklären, dass man versucht ist, politische, wirtschaftliche Entwicklungen, geografische und kulturelle Gegebenheiten in bestimmten Paradigmen zu denken, um diese besser einnorden und verstehen zu können. Vereinfachte Landkarten und Denkmodelle lassen zwar bestimmte Muster und Entwicklungslinien erkennen und helfen, diese zu interpretieren. Sie sind aber nicht imstande, historischer und aktueller Komplexität allumfänglich gerecht zu werden. Die Ukraine, die, eine historisch gesehen komplizierte Konstruktion darstellt, ist dafür ein Beispielsfall par excellence. Dem russischen Narrativ, das mit Hilfe der Religion die politische und kulturelle Einheit der Ukrainer und Russen beschwört und sie zu einem Volk proklamiert, steht eine komplexe Wirklichkeit in der Ukraine gegenüber. Im Gegensatz zur russischen Interpretation der russisch-ukrainischen Geschichte ist der ukrainische Staat schon aufgrund seiner Entwicklung und territorialen Zusammensetzung politisch, kulturell und auch religiös sehr vielschichtig. Nimmt man das 11. Jahrhundert als Beginn der Verbreitung des orthodoxen Glaubens bei den Ostslawen und als Zeitpunkt der Kirchenspaltung zwischen 14  So Putin in seinem historischen Essay, abrufbar unter https://grams-it. com/cms/blog/putins-manifest-ueber-die-historische-einheit-von-russenund-ukrainern (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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Rom und Konstantinopel an, so galt das Territorium der heutigen Ukraine als eine Region, in der die Trennlinie zwischen dem christ­ lichen Osten und Westen verlief. Die darauffolgenden Entwicklungen, vor allem die Fluidität der Grenzen, Durchlässigkeit der Kulturen und eine historisch geprägte multiethnische Gesellschaft, schufen Voraussetzungen für eine große Vielfalt der Kirchen, Konfessionen und Religionen. Die Unterschiede in der religiösen und politischen Kultur zum russischen Nachbarn waren oft sehr deutlich. Während im Moskauer und später im Russischen Reich das byzantinische Model des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat dominierte, bei dem die Kirche dem Staat untergeordnet war, wurde das ukrainische Territorium zur Kontaktzone und zu einem Grenzraum zwischen dem östlichen und dem westlichen Christentum. Die Ausdehnung des lateinischen Christentums nach Osten im 15. und 16. Jahrhundert führte hier beispielsweise dazu, dass an der Grenze zwischen Katholizismus und Orthodoxie die mit Rom unierten Ostkirchen entstanden, die einerseits ihren orthodoxen Ritus beibehielten, andererseits die Jurisdiktion des Papstes von Rom und die Dogmen der Katholischen Kirche anerkannten.15 Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 befand sich die Ukraine erneut an der Schnittstelle von verschiedenen kulturellen und politischen Trends. In den 1990er-Jahren diskutierte man ernsthaft darüber, ob diese kulturelle und konfessionelle Polarität zu einem Problem für den Frieden in Osteuropa werden könnte. Die Prognosen fielen damals unterschiedlich aus. Samuel P. Huntington, Autor eines viel diskutierten Buches „The Clash of Civilizations,“ prognostizierte eine mögliche Spaltung der Ukraine in einen östlichen und einen westlichen Teil. Die Trennlinie würde ihm zufolge durch die konfessionelle Grenze zwischen dem katholisch geprägten Westen und dem orthodox geprägten Osten verlaufen. Folglich würde der Konflikt sich laut diesem kulturell (religiös) bestimmten Ansatz innerhalb der Ukraine abspielen und möglicherweise eine Teilung des Landes verursachen.16 Politikwissenschaftler John Mearsheimer verVgl. Andriy Mykhaleyko, Die katholischen Ostkirchen, 2012. Vgl. Samuel P. Huntington, Der Kampf der Kulturen. The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, 5. Aufl. 1997, S.  44 f. 15  16 



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trat dagegen ein etatistisches Paradigma. Ausgehend von der aktuellen Situation sagte er mit Recht keinen innerukrainischen Konflikt, sondern einen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine voraus. Diese Prognose begründete er mit der Existenz einer langen gemeinsamen Grenze, die früher oder später zum Streit um Sicherheitsfragen führen werde.17 Von der historisch gegebenen Heterogenität und Diversität der kulturellen und politischen Traditionen blieb die religiöse Landschaft nicht unberührt, sondern stellt ein Spiegelbild der pluralen ukrainischen Gesellschaft dar. Auf den ersten Blick scheint die Kirchenlandschaft in der Ukraine der in Russland sehr zu ähneln. Weil das ukrainische Territorium das byzantinische Christentum aus dem Patriarchat von Konstantinopel übernommen hatte, etablierte sich hier, wie in Russland, der orthodoxe Glaube. Nach den soziologischen Umfragen des Razumkov-Zentrums vom Oktober 201918 bekennen sich fast 65 Prozent der Befragten in der Ukraine zum orthodoxen Glauben. Während in Russland die Orthodoxie de facto nur durch eine Kirche, die Russisch-Orthodoxe, vertreten ist, bildet die Orthodoxie in der Ukraine keine Einheit. Dass sie kein Monolith darstellt, ist den oben erwähnten unterschiedlichen historischen und kulturellen Prägungen der Ukraine zu verdanken. Bis Ende 2018 war die Orthodoxie hauptsächlich durch drei Kirchen vertreten: die Ukrainische Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat, UOK MP), die Ukrainische Orthodoxe Kirche Kiewer Patriarchat (UOK KP) und die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche (UAOK).19 Alle drei verbindet ein und derselbe orthodoxe Glaube sowie die gleiche gottesdienstliche und geistliche Tradition. Der eigentliche wesentliche Unterschied 17  Vgl. John J. Mearsheimer, The Case for a Ukrainian Nuclear Deterrent, Foreign Affairs 72 (1993), S. 50 ff. (54). 18  Vgl. http://razumkov.org.ua/uploads/article/2019_Religiya.pdf (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 19  Hierzu muss aber angemerkt werden, dass sich aus dem Bevölkerungsanteil von 65 Prozent, der sich zum orthodoxen Christentum bekennt, nicht jeder mit einer der drei orthodoxen Amtskirchen identifiziert. In den letzten Jahren wächst kontinuierlich die Zahl jener, die sich ohne konfessionelle Zuordnung als „einfach orthodox“ bezeichnen; gegenwärtig liegt ihre Zahl bei 33,4 %. Dazu s. Alfons Brüning, „Einfach orthodox?“  – Ukraine: die Gläubigen und die Gesellschaft, Osteuropa 68/8–9 (2018), S. 119 ff.

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Andriy Mykhaleyko Religionszugehörigkeit in der Ukraine ( %)

Glaubensgemeinschaft

2000

2005

2010

2014

2019

Orthodox

66,0

60,8

68,1

70,2

64,9

Römisch-katholisch

0,5

1,6

0,4

1,0

1,6

Griechisch-katholisch

7,6

7,6

7,6

7,8

9,5

Protestantisch

2,0

1,3

1,9

1,0

1,8

Judaismus

0,3

0,2

0,1

0,1

0,1

Islam

0,7

0,4

0,9

0,2

0,1

Buddhismus

0,1

0,0

0,1

0,2

0,0

Hinduismus

0,0

0,0

0,0

0,0

0,0

Heidentum

0,1

0,0

0,0

0,0

0,0

Einfach Christen

6,9

15,8

7,2

6,3

8,0

Andere

0,5

0,2

0,2

0,0

0,3

Gehöre zu keiner Religionsgemeinschaft

15,3

11,8

13,2

12,5

12,8



0,2

0,3

0,7

1,0

Nicht geantwortet

zwischen ihnen lag in ihrem rechtlichen Status. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war die UOK MP bis Ende 2018 die einzige von der Weltorthodoxie als kanonisch anerkannte orthodoxe Kirche in der Ukraine. Ihren Statuten nach durfte sie sich weitgehend selbständig verwalten, stand aber als Teil  des Moskauer Patriarchates in der eucharistischen Kirchengemeinschaft mit den anderen orthodoxen Kirchen. Sowohl der UOK KP, die sich 1992 von der UOK MP loslöste und für autokephal erklärte, als auch der UAOK, die ihre Autokephalie bereits 1917 proklamierte, wurde seitens der anderen orthodoxen Kirchen die rechtliche Anerkennung verwehrt. Deshalb galten sie als nicht kanonisch und standen mit keiner anderen orthodoxen autokephalen Kirche in Kirchengemeinschaft. Neben den Orthodoxen bilden die Katholiken die zweitgrößte Gruppe, die, ebenfalls wie die Orthodoxie bis 2018, durch drei Kirchen repräsentiert wird: die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK), die Griechisch-Katholische Eparchie Mukachevo



Der Ukraine-Krieg als religiöser Konflikt?

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Ukrainische Orthodoxie bis Dezember 2018 



Ukrainische Orthodoxe Kirche  (Moskauer Patriarchat)

Ukrainische Orthodoxe Kirche (Kiewer Patriarchat) 

Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche 

sowie die Römisch-Katholische Kirche. Die zwei erstgenannten sind aus den Kirchenunionen von Brest (1595/96) und Uzhhorod (1646) hervorgegangen. Sie behalten ihre byzantinische Tradition, erkennen aber alle Dogmen der Katholischen Kirche und den Papst als Kirchenoberhaupt an. Der Protestantismus zeichnet sich in der Ukraine durch eine beachtliche Anzahl der Gemeinden aus. Von insgesamt 35.162 im Jahre 2019 staatlich registrierten religiösen Gemeinden, machen die evangelischen 10.031 aus,20 sind aber relativ klein. Ihr Anteil liegt mit knapp zwei Prozent deutlich unter dem von Orthodoxen und Katholiken. 1. Die neue autokephale Orthodoxe Kirche der Ukraine Neben den Konflikten zwischen Katholiken und Orthodoxen in den 1990er Jahren, die überwiegend Eigentumsfragen betrafen, stellte vor allem die gespaltene Orthodoxie ein ungelöstes Problem dar. Trotz aller Versuche vermochte sie aus eigener Kraft nicht, jurisdiktionelle Streitfragen zu klären und sich zu verständigen. Alle Einigungsmodelle wurden immer von einer der betroffenen Kirchen rigoros abgelehnt. Die UOK MP sah den einzigen rechtlich konformen Weg zur Überwindung der Spaltung in einem Anschluss der nicht anerkannten Kirchen an die von der Weltorthodoxie als kanonisch geltende Kirche. Für die UOK KP und die UAOK war dieses Modell nicht akzeptabel, denn es hätte bedeutet, dass sie ein Teil  des Mos20  Vgl. Релігійні організації в Україні (станом на 1 січня 2019 р.), abrufbar unter https://risu.ua/religiyni-organizaciji-v-ukrajini-stanom-na-1sichnya-2019-r_n97463 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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kauer Patriarchates geworden wären. Eine erneute Anerkennung des Patriarchen von Moskau, von dem man sich Anfang der 1990er-Jahre loslöste, hätte der Identität dieser Kirchen, die sich als von Moskau völlig unabhängigen Kirchen definierten, widersprochen. Mehrmalige Versuche der nicht kanonischen Kirchen, beim Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel die Anerkennung der Autokephalie zu erlangen, liefen ins Leere. Das Patriarchat von Konstantinopel teilte zunächst das von der ROK und der UOK MP vertretene Modell einer Rückkehr in die kanonisch anerkannte Kirche als einzig denkbaren Weg für die Beilegung des Schismas und lehnte alle Bittgesuche aus der Ukraine ab. 2018 kam es überraschend zu einer Änderung in der Haltung des Patriarchates von Konstantinopel zur Lösung der Spaltung in der ukrai­nischen Orthodoxie. Patriarch Bartholomäus von Konstantinopel beschloss, den nicht kanonischen Teil  der Orthodoxie in der ­Ukraine am 6.  Januar 2019 den Status der Autokephalie zu verleihen.21 Seine Entscheidung begründete er durch die historische Verbundenheit der alten Kiewer orthodoxen Metropolie mit dem Patriarchat von Konstantinopel. Fast 700 Jahre (vom 10. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts) stand ein Teil der Kiewer Metropolie in Polen und Litauen in jurisdiktioneller Abhängigkeit von der Kirche von Konstantinopel. Deshalb wird diese bis heute als Mutterkirche der orthodoxen Kirchen im ostslawischen Raum bezeichnet. Erst 1686 kam es zur Eingliederung des bis dato nicht zu Moskau gehörenden Teils der Kiewer orthodoxen Metropolie in die Russisch-Orthodoxe Kirche. Die Rechtmäßigkeit dieser Eingliederung wird kontrovers diskutiert und von den betroffenen Kirchen sehr unterschiedlich bewertet.22 21  Dazu s. Andriy Mykhaleyko, The New Independent Orthodox Church in Ukraine, Südosteuropa. Journal of Politics and Society 69 (2019), S.  476 ff.; Michael Kemper, Streit um die Orthodoxie in der Ukraine: Die Risiken der kirchenpolitischen Eskalation, Osteuropa 68/8–9 (2018), S.  143 ff.; Martin-Paul Buchholz, Autokephaliebestrebung als Spiegelbild des Kampfs um die Unabhängigkeit von Russland, Ukraine-Analysen 207 (26.10.2018), abrufbar unter https://www.laender-analysen.de/ukraineanalysen/207/die-autokephaliebestrebung-als-spiegelbild-des-kampfs-umdie-unabhaengigkeit-von-russland/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 22  Dazu s. Vera Tchentsova, The Patriarchal and Synodal Act of 1686 in Historiographical Perspective, in: Bremer/Brüning/Kizenko (Hrsg.), Ortho-



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Ungeachtet dessen berief sich das Patriarchat von Konstantinopel in seiner Entscheidung von 2019 auf das alte „historische Recht“, einer orthodoxen Kirche einen neuen Status zu gewähren. Man kann nur darüber spekulieren, was Patriarch Bartholomäus zu diesem Schritt bewogen hatte: Sorge der „Mutterkirche“ für die ukrainische Orthodoxie, Verärgerung wegen des Boykotts des panorthodoxen Konzils auf Kreta 2016 durch das Patriarchat von Moskau, die seit 2014 veränderte politische Situation in der Ukraine oder schlicht der Versuch des Patriarchates von Konstantinopel, seine eigene Position in der Weltorthodoxie zu stärken? Was immer die Gründe dafür gewesen sein mögen, wurde das Ziel nur zum Teil erreicht. Es wurde zwar der rechtliche Status eines Teiles der Orthodoxie in der Ukraine aus der Sicht Konstantinopels geklärt. Dies brachte aber keine Einigung der ukrainischen Orthodoxie. Vielmehr stehen sich nun zwei Kirchen  – die UOK MP (etwa 12.000 Gemeinden) und die neue OKU (etwa 7.000 Gemeinden) – unversöhnlich gegenüber und verweigern einander die Anerkennung. Noch gravierender wirkt sich die Entscheidung Konstantinopels auf die Weltorthodoxie aus. Vor der Fusion der UOK KP und der UAOK auf einem Vereinigungskonzil im Dezember 2018 und der am 6. Januar 2019 stattgefundenen Übergabe des Tomos an den neugewählten Metropoliten der OKU hatte das Patriarchat von Moskau die Kirchengemeinschaft mit Konstantinopel einseitig aufgehoben. Es warf Konstantinopel einen Eingriff in das kanonische Territorium der russischen Orthodoxie vor. Der Streit zwischen Moskau und Konstantinopel löste so eine tiefgreifende Krise in der Orthodoxie und der Ökumene aus, die bis heute andauert. An der Entscheidung Konstantinopels scheiden sich die Geister. Einige orthodoxe Kirchen haben sich der Haltung Konstantinopels angeschlossen, andere unterstützen die ablehnende Haltung des Patriarchates von Moskau, etliche warten ab, wie sich die Lage weiterentwickeln würde.

doxy in Two Manifestations? The Conflict in Ukraine as Expression of a Fault Line in World Orthodoxy, 2022, S. 45 ff.

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2. Die neue Orthodoxe Kirche der Ukraine als Teil  der politischen Strategie Gründung bzw. Anerkennung einer neuen orthodoxen Kirche war in der Geschichte des östlichen Christentums nur selten eine rein kirchenrechtliche Angelegenheit. Politische und nationale Interessen spielten bei solchen Prozessen stets eine wesentliche Rolle. Die Bildung der OKU lässt sich in diese „orthodoxe“ Tradition der Verflechtung von Religion, Nation und Politik gut einfügen. Während man im russischen historischen und politischen Narrativ die russischen Orthodoxie in ihrer Funktion als integrierende Kraft der Einheit zwischen Russen und Ukrainern beschwört, versucht man auf der ukrainischen Seite durch die Errichtung der neuen autokephalen Kirche das Gegenteil zu erreichen. Seit dem Ausbruch des Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine 2014, der sich 2022 in einen offenen Krieg eskalierte, werden in der ukrainischen Politik und Gesellschaft diverse Mittel eingesetzt, um sich vom russischen Einfluss und der russischen Dominanz zu bereifen. Die Lösung der religiösen Frage ist offensichtlich ein Teil  dieser Strategie. Die Gründung der neuen orthodoxen Kirche in der Ukraine wäre ohne ein überdurchschnittliches Engagement des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko (Amtszeit 2014–2019) nicht möglich gewesen. Vor allem in den letzten zwei Jahren seiner Präsidentschaft stand diese Frage auf der politischen Agenda ganz oben. Es lassen sich bei Poroshenkos persönlicher Involvierung in die Gründung der OKU mindestens zwei Motivationen klar erkennen. In der Person Wolodymyr Selenskyjs bekam er für viele unerwartet einen starken Konkurrenten für die 2019 bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Poroschenko glaubt, die religiöse Frage als Trumpf im Wahlkampf einsetzen zu können. Er hoffte, dadurch im Vorfeld der Wahlen die Gunst der Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Dieser Plan ging bekanntlich nicht auf. Zugleich war die Autokephalie der ukrainischen Orthodoxie eine Komponente der Strategie zur Stärkung der Integrität und zur He­ rausbildung einer gemeinsamen nationalen Identität sowie Festigung der nationalen Einheit und nicht zuletzt als Mittel zur weiteren politischen Verselbständigung der Ukraine von Russland. Ein Hindernis



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auf dem Weg dahin und für Erreichung der angestrebten Ziele bereitete die Abhängigkeit eines Teils der ukrainischen Orthodoxie (nämlich der UOK MP) vom Moskauer Patriarchat. Diese interpretierte Poroshenko als einen der letzten politischen Einflussmechanismen Russlands auf die Ukraine, den es abzubrechen gelte.23 In seiner hoch emotionalen Rede nach dem Vereinigungskonzil am 15.  Dezember 2018 in Kiew, an dem er persönlich teilnahm, dankte Poroschenko der „Mutterkirche“ von Konstantinopel für die Heilung der Wunden, die der ukrainischen Orthodoxie wegen der einige Jahrhunderte andauernden „Moskauer Herrschaft“ zugefügt worden waren und würdigte die politische Bedeutung der Gewährung der Autokephalie. Die neue orthodoxe Kirche charakterisierte er als eine „Kirche ohne Putin“, ohne Patriarch Kirill, und als eine Kirche ohne Gebete für die russische Regierung und die russische Armee: „Wie kein anderer wissen wir:“ – so Poroschenko – „da, wo heute das russische Weihrauchfass schwenkt, wird morgen mit den russischen Mehrfachraketen­ werfern (russ. ґрад) geschossen. Zuerst bereiste Patriarch Kirill die ­Ukraine mit der Propaganda der ,Russischen Welt‘ und des gemeinsamen Taufbeckens, nun rollen dort die russischen Panzer! Es ist offensichtlich, dass die Frage der Autokephalie weit über den Rahmen des kirchlichen Kontextes hinausgeht. Das ist eine Frage unserer nationalen Sicherheit. Das ist die Frage unserer Staatlichkeit. Das ist die Frage der Weltpolitik […] Kein Patriot bezweifelt, wie wichtig es ist, im unabhängigen ukrainischen Staat eine unabhängige orthodoxe Kirche zu haben. Eine solche Kirche ist Garant unserer Souveränität […] Die Autokephalie ist ein Teil unserer staatlichen proeuropäischen und proukrainischen Strategie, die wir seit fast fünf Jahren konsequent umsetzen. All das ist die Grundlage unseres eigenen Entwick-

23  „Wenn das Leitungszentrum einer Kirche sich in einem fremden Land befindet und wenn dieses Land dazu ein Aggressor ist, was für einen Staatsbürger wird sie dann erziehen? Gewiss keinen Bürger der Ukraine. Der Kreml versteckt überhaupt nicht, dass er die ROK als ein der Hauptinstrumente des Einflusses auf die Ukraine betrachtet.“ Petro Poroshenko, Ansprache nach dem Vereinigungskonzil am 15.  Dezember 2018, abrufbar unter https://www.ukrinform.ua/rubric-society/2601728-porosenko-privitavgromadan-ukraini-zi-stvorennam-pomisnoi-cerkvi.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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lungsweges, der Entwicklung unseres Staates Ukraine und der Entwicklung unserer ukrainischen Nation“.24 Die Gründung der neuen orthodoxen Kirche in der Ukraine stieß nicht nur seitens der ROK, sondern auch in der russischen Politik auf scharfe Kritik. Putin schrieb die Schuld an der Krise sowohl dem Patriarchat von Konstantinopel als auch der politischen Einflussnahme und Einmischung der USA zu. Bei den Feierlichkeiten am 31. Januar 2019 anlässlich des Inthronisationsjubiläums des Patriarchen Kirill von Moskau betonte er zwar das Prinzip der Nicht-Einmischung des Staates in kirchliche Angelegenheiten, räumte aber in Bezug auf die Ukraine ein, dass der russische Staat sich das Recht vorbehalte, zu reagieren, wenn die Menschenrechte, darunter auch das Recht auf Bekenntnisfreiheit, verletzt würden.25 Solche Behauptungen des russischen Präsidenten zeigten erneut die Relevanz der religiösen Thematik und ihre strategische Bedeutung für die russische Ukraine-Politik. 3. Ukrainische Orthodoxie und der Krieg Noch Wochen vor Ausbruch des Krieges am 24. Februar 2022 äußerte sich die neue OKU in mehreren Erklärungen zur bedrohlichen Lage in der Ukraine und zu militärischen Machtspielen entlang der ukrainischen Grenze russlandkritisch. Die UOK MP hielt sich eher zurück. Manche ihrer Vertreter, die sich eine russische Invasion nicht vorstellen konnten, sprachen sogar davon, dass der Krieg nur im Fernsehen und im Internet geführt werde und keine echte Gefahr bestehe. Aber bereits in den ersten Stunden nach Kriegsbeginn verurteilte Metropolit Onufrij (Berezowskij), der Vorsteher dieser mit Moskau verbundenen Kirche, den russischen Angriff auf Schärfste. In seinem Appell verwarf er den „Bruderkrieg“ zwischen dem ukrainischen und dem russischen Volk, der mit keinen Argumenten zu rechtfertigen 24  https://www.ukrinform.ua/rubric-society/2601728-porosenko-pri vitav-gromadan-ukraini-zi-stvorennam-pomisnoi-cerkvi.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 25  Vgl. Путин сравнил инициаторов нового церковного проекта на Украине с безбожниками XX века, abrufbar unter https://tass.ru/politika/ 6064331 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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sei. Zugleich sprach er sich für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine und für die Unterstützung der ukrainischen Armee aus. Am Montag, dem 28.  Februar, folgte eine Erklärung der Bischofsversammlung dieser Kirche mit einem weiteren dringenden Appell an den Moskauer Patriarchen Kirill. Die Erklärung kann als Forderung nach einer Positionierung gegen diesen Krieg verstanden werden kann, damit das „brudermörderische Blutvergießen“ in der Ukraine aufhöre.26 Trotz dieser klaren Verurteilung der russischen Invasion steht die UOK MP seit Kriegsbeginn vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte, die sowohl ihre ekklesiale Identität als auch ihren kanonischen Status betreffen. Wegen ihrer Verbundenheit mit der russischen Orthodoxie geriet sie schon seit 2014 verstärkt in die Kritik. Ihr wird vorgeworfen, in der Ukraine russische kirchliche und politische Interessen zu vertreten.27 Diese Kritik speist sich unter anderem daraus, dass der russische Staat selbst in seiner Ukraine-Politik diese Kirche zu einem wichtigen Bezugspunkt macht, wenn es darum geht, die russischen Interessen in der Ukraine zu „schützen“. Jegliche Kritik an dieser Kirche seitens der ukrainischen Politik oder Gesellschaft wird für die russische Seite zu einem willkommenen Stoff, der geschickt in die russische Propaganda integriert wird. Zuletzt fügte Putin dieses Thema in die Reihe seiner Argumente ein, mit denen er den Überfall auf die Ukraine zu rechtfertigen versuchte. In seiner Rede an die Nation am 21.  Februar 2022, nur zwei Tage vor dem Angriff, sprach er von einer angeblichen Kirchenverfolgung in der Ukraine: „Auch die Abrechnung mit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats geht weiter. Das ist keine emotionale Bewertung, davon zeugen konkrete Beschlüsse und Dokumente. Die ukrainischen Machthaber haben die Tragödie der Kirchenspaltung in zynischer Weise zu einem Instrument staatlicher Politik gemacht.“ Er verwies auf einige Gesetze, die seiner Meinung nach die Rechte der Gläubigen verletzen würden und sich mit Absicht „gegen 26  Natalija Zenger/Regula Zwahlen/Stefan Kube, Der Krieg in der ­ kraine und die Rolle der Kirchen, Religion und Gesellschaft in Ost und U West 50/3 (2022), S. 16 ff. 27  Vgl. Sergii Bortnyk, Die gegenwärtige Situation der ukrainischen Orthodoxie, Religion und Gesellschaft in Ost und West 46/3 (2018), S. 17 ff.

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den Klerus und die Millionen von Gläubigen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchat richten.“28 Wegen solcher Äußerungen vom höchsten Repräsentanten der russischen Politik steht die UOK MP in der Ukraine unter ständigem Rechtfertigungsdruck. Ein zentraler Kritikpunkt ist ihr recht­ licher Status. Laut ihrer Satzung ist sie zwar selbständig und unabhängig in ihrer Verwaltung und ihren Strukturen, gilt aber zugleich als ein Teil der ROK. Dieser Status, ist in Anbetracht des Krieges für einen großen Teil  der ukrainischen Gesellschaft inakzeptabel geworden. Die klare Zurückweisung und Verurteilung der russischen Aggression durch Metropolit Onufrij und seine grundsätzliche Ablehnung des Konzeptes der „Russischen Welt“ als einer politischen Konstruktion, die er schon 2015 geäußert hatte,29 reichen vielen offensichtlich nicht aus. Die Positionen des Patriarchen Kirill von Moskau tragen keineswegs dazu bei, diese Vorbehalte gegen „seine“ Kirche zu entkräften. Anstatt den Krieg als ein unzulässiges Mittel zu verurteilen und ein Wort für „seine“ Gläubigen in der Ukraine einzulegen, wiederholt er das propagandistische Narrativ des russischen Staates und stuft ihn als einen „metaphysischen Krieg gegen das Böse“ ein.30 Dadurch verengt er die Handlungsräume fast eines Drittels der ROK, das sich in der Ukraine befindet, erheblich. Der UOK MP werden durch solche Positionen des Moskauer Patriarchen jegliche Argumente aus der Hand geschlagen, mit denen die Einheit mit der russischen Orthodoxie zu rechtfertigen wäre. Denn widersprüchlicher kann es nicht zugehen: Der Patriarch von Moskau steht auf der Seite des Aggressors Putin und segnet die russische Armee in ihrem Kampf gegen Menschen, die in großer Zahl seiner Kirche in der Ukraine angehören. Zugleich segnet der ukrainische Teil  seines Episko28  https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/putin-rede-21.2.2022/ (zuletzt ab­ gerufen am 15.05.2023). 29  Vgl. Митрополит Онуфрий: Я не продвигаю „Русский мир“ и другие политические концепции, abrufbar unter https://www.religion.in. ua/news/vazhlivo/29814-mitropolit-onufrij-ya-ne-prodvigayu-russkij-mir-idrugie-politicheskie-koncepcii.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 30  Слово Святейшего Патриарха Кирилла в Неделю 4-ю Великого поста после Литургии в главном храме Вооруженных сил РФ, 03.04.2022, abrufbar unter http://www.patriarchia.ru/db/text/5914188.html (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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pates die ukrainische Armee und solidarisiert sich mit den Menschen in der Ukraine in der Abwehr der russischen Aggression. Die UOK MP ist einer ungeheuren Spannung ausgesetzt. Es ist nicht nur der gesellschaftliche Druck, sondern auch die kritischen Stimmen aus den Reihen dieser Kirche selbst, die sie dazu auffordern, den Status quo zu überdenken. Bereits in den ersten Wochen nach dem Ausbruch des Krieges fing man an, nach neuen Modalitäten zu suchen. Ein Zeichen der Distanzierung vom Moskauer Patriarchat war die Entscheidung eines Teils der orthodoxen Eparchien, den Namen des Patriarchen Kirill im Gottesdienst nicht mehr zu kommemorieren. Mit einem Kirchenbruch kann diese Entscheidung nicht gleichgesetzt werden. Denn in der orthodoxen Tradition ist es möglich, dass der Klerus einer Eparchie nur ihren Ortsbischof kommemoriert. Ein Teil  des Klerus forderte den Abbruch der Kirchengemeinschaft mit Moskau und unterbreitete den Vorschlag, Patriarch Kirill vor ein orthodoxes Kirchengericht, bestehend aus den Vertretern der alten orthodoxen Patriarchate von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien, Jerusalem und Zypern, zu stellen.31 Auf einer Versammlung am 27. Mai 2022 erklärte dann die UOK MP ihre volle Unabhängigkeit von Moskau.32 Diese Entscheidung, die die Spannung entschärfen sollte, löste viele Spekulationen aus, denn im Dokument der Kirchenversammlung wurde der in der Orthodoxie für die Bezeichnung einer unabhängigen Kirche übliche Begriff „Autokephalie“ nicht verwendet. Vom Moskauer Patriarchat wurden die Beschlüsse der UOK nicht als eine Ablösung von Moskau wahrgenommen, sondern als bloße Bestätigung jenes Status interpretiert, den die Kirche schon seit 1990 besitzt. Was die Entscheidungen vom 27.  Mai 2022 tatsächlich bedeuten, und welche Wirkung und welche Konsequenzen sie haben werden, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen.

31  Vgl. Andriy Mykhaleyko, In Bewegung. Die Kirchenlandschaft und der Krieg in der Ukraine, Religion und Gesellschaft in Ost und West 50/8–9 (2022), S.  34 ff. 32  Vgl. Andriy Fert, Neue Handlungsspielräume in der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, Religion und Gesellschaft in Ost und West 50/7 (2022), S.  21 ff.

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III. Schlussbemerkungen Insgesamt lässt sich der Krieg Russlands gegen die Ukraine zwar nicht als klassischer religiöser Konflikt qualifizieren. Im breiteren Kontext dieses Krieges spielt die religiöse Thematik allerdings insbesondere für Propagandazwecke eine wichtige Rolle. Zur Komplexität des Konflikts gehören seine historischen Hintergründe und Rechtfertigungsversuche, die sich vor dem Hintergrund orthodoxer Prägung und innerorthodoxer Auseinandersetzungen vollziehen. Die Bedeutung der Orthodoxie für die nationale, politische und kulturelle Entwicklung des ostslawischen Raumes ist die Ursache dafür, dass die politischen Führer die religiöse Frage für ein wichtiges Instrument ihrer Politik halten. Das betrifft sowohl das russische als auch das ukrainische Narrativ und die damit verbundenen Versuche Russlands, Einfluss auf die Ukraine zu nehmen, bzw. die Bemühungen der ukrai­ nischen Seite, diese abzuwehren. Für Putins Propaganda ist die orthodoxe Tradition als Rechtfertigungsnarrativ für die Umsetzung der gegenwärtigen russischen Ukraine-Politik unverzichtbar. Für sie stellen der orthodoxe Glaube und seine Ursprünge in Kiew ein einigendes Band  dar, das beide Völker zu einem machen soll. Wegen ihres Anspruchs auf den ostslawischen Raum als ihr kanonisches Territorium eignet sich die Russisch-Orthodoxe Kirche wie keine andere Institution in Russland, diese staatliche Politik kulturpolitisch zu untermauern. Übereinstimmend mit der staatlichen Propaganda sieht Patriarch Kirill die Ukraine als einen unverzichtbaren Teil  des „orthodoxen Zivilisationsraumes,“ dessen Einheit bewahrt werden müsse. Die Bildung der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine durch die Verleihung des Tomos im Januar 2019 stand am Ende der lang andauernden Bestrebungen, eine unabhängige Kirche in der Ukraine zu errichten und war ekklesiologisch gesehen ein misslungener Versuch, das Schisma und die Spaltung der ukrainischen Orthodoxie zu überwinden. Die Entstehung der OKU fügt sich jedoch in das ukrainische nationale Narrativ ein. Das, was auf den ersten Blick als ein Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau um die Vorherrschaft in der Orthodoxie angesehen werden kann, birgt erheblichen politischen Sprengstoff. Trotz der Entschlossenheit des Patriarchen von Konstan-



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tinopel wäre die Etablierung einer neuen unabhängigen Kirche in der Ukraine ohne Mitwirkung der ukrainischen Politik nicht möglich gewesen. Denn der ukrainischen Regierung, die 2018 die Forderung nach Autokephalie ins Zentrum ihrer politischen Agenda stellte und den Prozess der Verleihung der Autokephalie massiv förderte und unterstützte, ging es nicht so sehr um die Klärung des kanonischen Status eines Teiles der ukrainischen Orthodoxie. Für sie war die autokephale OKU ein weiterer Schritt auf dem Weg der Befreiung der Ukraine von russischen Einflüssen. Die Frage, ob die Proklamation der neuen orthodoxen Kirche den Entschluss des russischen Regimes beschleunigte, den Krieg gegen die Ukraine zu entfesseln, lässt sich nach dem heutigen Kenntnisstand der Quellen nicht beantworten. Sie fordert jedoch das russische historische, religiöse und politische Narrativ heraus. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche, über die Russland die Ukraine explizit oder implizit zu beeinflussen versucht, wehrt sich durch ihre Abgrenzung vom Patriarchat von Moskau dagegen, ein Teil des russischen Narrativ zu sein. Ob dies in Zukunft so bleiben wird, werden politische Entwicklungen in Osteuropa zeigen. Eines ist dagegen schon heute offensichtlich: Für die russische Orthodoxie wäre ein vollständiger Verlust der Ukrainischen Orthodoxen Kirche ein Desaster, denn fast ein Drittel aller Gemeinden des Moskauer Patriarchats weltweit befinden sich in der Ukraine. Für den russischen Staat würde dies einen weiteren Verlust an kulturellem und politischem Einfluss in der Ukraine bedeuten.

Die nuklearen Gefahren in der Ukraine Die Antwort des Völkerrechts auf die zerstörerische Wirkung des Atomkerns im Krieg Von Philipp Sauter I.

Interne nukleare Bedrohung: Atomkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tschernobyl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Saporischschja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Süd-Ukraine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Atomrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sicherheit und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Saporischschja . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tschernobyl  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Safeguards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtmäßigkeit eines Angriffs auf ein AKW . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtmäßigkeit der Umwandlung eines AKW in ein militärisches Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Externe nukleare Bedrohung: Nuklearwaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ius ad bellum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ius in bello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Am 24.  Februar 2022 wurde die seit Jahrzehnten bestehende Sicherheitsordnung in Europa in ihren Grundfesten erschüttert: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wurde ein souveräner Staat in

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Europa überfallen und zum ersten Mal in der Weltgeschichte wurde ein Atomkraftwerk militärisch besetzt. Zudem wird der russische Präsident Putin nicht müde, die Weltgemeinschaft daran zu erinnern, dass er über ein Atomwaffenarsenal verfügt. Die russische Aggression führt somit zu zwei nuklearen Gefahren, die nicht nur die Ukraine, sondern die gesamte Weltgemeinschaft bedrohen. Zum einen besteht eine interne Bedrohung (I.) dadurch, dass kriegerische Auseinandersetzungen in der unmittelbaren Nähe von Atomkraftwerken geführt werden, womit die Gefahr eines nuklearen Unfalls verbunden ist. Zum anderen liegt darin eine externe Bedrohung, da Russland das größte Nuklearwaffenarsenal der Welt besitzt1 und der Einsatz einer Atomwaffe zu einem Tabubruch führen würde, dessen Konsequenzen bis hin zu einem Dritten Weltkrieg reichen könnten (II.). Diese von Russland heraufbeschworenen nuklearen Gefahren verstoßen gegen fundamentale völkerrechtliche Prinzipien. I. Interne nukleare Bedrohung: Atomkraftwerke Zum ersten Mal in der Geschichte ist ein Land mit nuklearer Infrastruktur das Schlachtfeld eines Krieges. Diese beispiellose Situation (1.) soll im Hinblick auf das internationale Atomrecht (2.) sowie das humanitäre Völkerrecht (3.) näher untersucht werden. 1. Bisherige Ereignisse2 Kernenergie ist für die Ukraine die mit Abstand wichtigste Energiequelle. Vor dem Krieg deckte sie 50 % des ukrainischen Stromverbrauchs.3 Im letzten Jahrhundert wurden dort fünf Kernkraftwerke gebaut: Tschernobyl, Riwne, Chmelnyzkyi, Süd-Ukraine und Saporischschja. Aufgrund ihrer geografischen Lage sind aktuell drei Kraftwerke besonders von den kriegerischen Auseinandersetzungen betrof1  Hans M. Kristensen/Matt Korda, World Nuclear Forces, in: Stockholm International Peace Research Institute (Hrsg.), SIPRI Yearbook 2022, 2022, S.  341 ff. (342). 2  Hier werden Ereignisse bis einschließlich 30.9.2022 verarbeitet. 3  International Energy Agency, Ukraine Energy Profile, 2020, S. 7.



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fen und sollen im Fokus dieses Beitrags stehen: Das AKW Tschernobyl mit der Ruine des im April 1986 verunglückten Reaktorblocks 4, das mit insgesamt sechs Reaktoren europaweit größte AKW in Sapo­ rischschja4 sowie das AKW Süd-Ukraine. a) Tschernobyl Bereits am ersten Tag der Invasion wurde die Sorge einer nuklearen Dimension geweckt, als am 24.  Februar 2022 die russischen Streitkräfte das Gebiet um Tschernobyl besetzten.5 Während der Besetzung befand sich militärisches Personal im AKW und innerhalb der Sperrzone wurden Schützengräben angelegt.6 Die russischen Streitkräfte plünderten das AKW und zerstörten und stahlen Strahlenüberwachungsgeräte.7 Mit dem Ende der Besatzung am 31. März 2022 endete einstweilen die Bedrohung aus Tschernobyl.8 b) Saporischschja Das AKW Saporischschja wurde am 2. März 2022 von russischen Truppen besetzt.9 Seit Beginn der Okkupation sind die Reaktorblöcke eins bis vier abgeschaltet. Die imminente nukleare Gefahr zeigte sich zwei Tage später, in der Nacht vom 4. auf den 5. März 2022, als auf dem Kraftwerksgelände eine Rakete einschlug.10 Sie traf ein Schulungsgebäude, das sich nur wenige hundert Meter von den Reaktoren entfernt befindet. Auch wenn die militärische Situation in den 4  https://www.euronews.com/2022/08/08/us-ukraine-crisis-zaporizhz hia-factbox (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 5  Faustine Vincent, Chernobyl: The story of 35 days of Russian occupa­ tion, Le Monde, v. 16. Juni 2022. 6  International Atomic Energy Agency, Summary Report by the Director General, 24 February – 28 April 2022, S. 11. 7  Ibid. 8  Vincent, Chernobyl (Anm. 5). 9  IAEA, 1st Summary Report (Anm. 6); International Atomic Energy Agency, 2nd Summary Report by the Director General, 28 April – 5 September 2022, 2022. 10  Ibid.

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kommenden Wochen ruhiger blieb, begann Russland wohl im Juli 2022 damit, militärisches Gerät in Kraftwerksgebäuden und auf dem Gelände zu lagern.11 Im August geriet das Kraftwerk erneut in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit, als Kampfaktivitäten um das Kraftwerk von neuem aufflammten. In den Tagen zwischen dem 5.  und 8.  August 2022 wurden infolge Raketenbeschusses mehrere der vier externen Versorgungsleitungen beschädigt.12 Kurz darauf, am 11.  August 2022, wurde das Kraftwerk selbst beschossen und dabei ein Lager mit radioaktiven Materialien getroffen.13 Zwei Wochen später, am 25. August 2022, wurde auch die letzte verbleibende externe Stromleitung beschädigt, so dass das AKW für einige Stunden allein durch Dieselgeneratoren mit Strom versorgt wurde.14 Knapp eine Woche später, am 1. September 2022, wurde das Kraftwerk Ziel von Mörserbeschuss, was zur Abschaltung von Reaktorblock 5 führte.15 Am gleichen Tag konnte eine von ihrem Generaldirektor Rafael M. Grossi geleitete Mission der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA das Kraftwerk inspizieren. Die IAEA verbleibt dort seither mit einer ständigen Präsenz.16 Dessen ungeachtet dauern Kampfhandlungen um das Kraftwerk an, was am 5. September 2022 zu einer Notabschaltung des Reaktorblocks 6 führte, der sich seit dem 11. September 2022 im cold shutdown befindet.17 c) Süd-Ukraine Am 19.  September 2022 wurde auch das AKW Süd-Ukraine Ziel eines Angriffs. An diesem Tag schlug eine Rakete in etwa 300 m Ent11  Paul P. Murphy/Tim Lister/Rob Picheta, Russian vehicles seen inside turbine hall at Ukraine nuclear plant, CNN, v. 19. August 2022. 12  IAEA, 2nd Summary Report (Anm. 9), S. 10. 13  IAEA, 2nd Summary Report (Anm. 9), S. 9. 14  IAEA, 2nd Summary Report (Anm. 9), S. 17. 15  International Atomic Energy Agency, Update 97 – IAEA Director General Statement on Situation in Ukraine, v. 3. September 2022. 16  International Atomic Energy Agency, Update 98 – IAEA Director General Statement on Situation in Ukraine, v. 5. September 2022. 17  International Atomic Energy Agency, Update 100  – IAEA Director General Statement on Situation in Ukraine, v. 11. September 2022.



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fernung ein. Hierbei wurden Stromleitungen beschädigt, die das AKW mit externem Strom versorgen.18 2. Atomrecht Das Atomrecht ist ein weniger bekannter Teil  des Völkerrechts. Üblicherweise unterteilt man es in vier Säulen: Sicherheit, Sicherung, Safeguards und zivilrechtliche Haftung für nukleare Unfälle.19 Die russische Aggression fordert das Atomrecht in fast all seinen Säulen heraus. a) Sicherheit und Sicherung Sicherheit und Sicherung sind zwar zwei unterschiedliche Säulen des Atomrechts, sollen hier aber aufgrund ihrer engen Wechselbeziehung gemeinsam analysiert werden. Die atomare Sicherheit umfasst alle rechtlichen Verpflichtungen zur Verringerung der Risiken für die Bevölkerung und für die Umwelt durch nukleare Gefahren.20 Die nukleare Sicherheit zielt also darauf ab, alles außerhalb eines Kraftwerks vor diesem zu schützen. Auf der anderen Seite schützt die Säule der nuklearen Sicherung das Kernmaterial selbst vor äußeren Einflüssen.21 Dies zielt insbesondere auf sichere Lagerung, sicheren Transport und Schutz vor Diebstahl ab. Somit schützt man letztlich das Kraftwerk selbst vor allem, was sich außerhalb desselben befindet. Dieser Schutz soll somit die Öffentlichkeit und die Umwelt vor nuklearen Gefahren bewahren. Sicherheit und Sicherung sind also zwei Seiten der gleichen Medaille.

18  International Atomic Energy Agency, Update 104  – IAEA Director General Statement on Situation in Ukraine, v. 19. September 2022. 19  Siehe nur Rafael M. Grossi, Nuclear Law: The Global Debate, in: International Atomic Energy Agency (Hrsg.): Nuclear Law, 2022, S. 1 ff. (2). 20  Carlton Stoiber/Alec Baer/Norbert Pelzer/Wolfram Tonhauser, Handbook on Nuclear Law, 2003, S. 5 f.; International Atomic Energy Agency, IAEA Safety Glossary, 2018, S. 205. 21  Stoiber et  al., Handbook on Nuclear Law (Anm. 69), S. 6 f.; International Atomic Energy Agency, IAEA Security Glossary, 2015, S. 18.

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Aus der Perspektive des Vertragsrechts wird die nukleare Sicherheit hauptsächlich durch das Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994 geregelt.22 Darüber hinaus spielen auch die so genannten Post-Tschernobyl-Konventionen von 1986 eine Rolle, nämlich das Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen23 und das Übereinkommen über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Ereignissen24. Die nukleare Sicherung wird hauptsächlich durch das Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial von 1979 geregelt.25 Darüber hinaus hat die IAEA in Erfüllung des in Artikel III.A.2 ihres Statuts festgelegten Mandats verschiedene Richtlinien, Verhaltenskodizes und Sicherheitsstandards veröffentlicht. Aus diesen Quellen hat die IAEA sieben unverzichtbare Säulen der nuklearen Sicherheit und Sicherung in kriegerischen Auseinandersetzungen entwickelt.26 22  Convention on Nuclear Safety of 17 June 1994, INFCIRC/449. Eine deutsche Übersetzung findet sich in BGBl. 1997 II S. 130. 23  Convention on Early Notification of a Nuclear Accident of 26 September 1986, INFCIRC/335 = BGBl. 1989 II S. 434. 24  Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency of 26 September 1986, INFCIRC/336 = BGBl. 1989 II S. 435. 25  Convention on the Physical Protection of Nuclear Material of 26 October 1979, INFCIRC/274/Rev.1 = BGBl. 1990 II S. 326. 26  Diese hat die IAEA zusammengetragen aus: SF-1: Fundamental Safety Principles; NSS-20: Objective and Essential Elements of a State’s Nuclear Security Regime; NSS 35-G: Security during the Lifetime of a Nuclear Facility; NSS 27-G: Physical Protection of Nuclear Material and Nuclear Facilities (Implementation of INFCIRC/225/Revision 5); GSR Part 1 (Rev. 1): Governmental, Legal and Regulatory Framework for Safety; GSR Part 2: Leadership and Management for Safety; GSR Part 3: Radiation Protection and Safety of Radiation Sources: International Basic Safety Standards; GSR Part 4 (Rev. 1): Safety Assessment for Facilities and Activities; GSR Part 5: Predisposal Management of Radioactive Waste; GSR Part 7: Preparedness and Response for a Nuclear or Radiological Emergency; SSR-2/1 (Rev. 1): Safety of Nuclear Power Plants: Design; SSR-2/2 (Rev. 1): Safety of Nuclear Power Plants: Commissioning and Operation; NSS-13: Nuclear Security Recommendations on Physical Protection of Nuclear Material and Nuclear Facilities (INFCIRC/225/Revision 5); SSG-53: Design of the Reactor Containment and Associated Systems for Nuclear Power Plants; SSG-63: Design



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Erstens muss  – recht trivial  – die physische Unversehrtheit einer kerntechnischen Anlage gewährleistet sein. Ein Atomkraftwerk, das beschädigt ist, kann nicht sicher sein. Zweitens müssen alle Sicherheits- und Sicherungssysteme voll funktionsfähig sein, denn schließlich existieren diese genau zu diesem Schutz. Drittens muss das Betriebspersonal frei von übermäßigem Druck sein. Während die ersten beiden Aspekte recht offensichtlich sind, bedarf der zuletzt genannte Aspekt einer historischen Erläuterung. Mitursächlich für die Nuklearkatastrophe in Tschernobyl 1986 war der Druck des sowjetischen Regimes auf das Betriebspersonal.27 Viertens muss die Energieversorgung außerhalb des Standorts gesichert werden. Der Betrieb eines AKW erfordert enorme Mengen an Energie, um die Sicherheitssysteme zu betreiben und die Reaktoren zu kühlen. Während des Betriebs wird dieser Energiebedarf durch die Elektrizitätsproduktion der Anlage selbst gedeckt. Sobald ein Kraftwerk jedoch abgeschaltet ist, sind diese Systeme auf eine externe Energieversorgung angewiesen. Fünftens: Die logistischen Versorgungsketten müssen ununterbrochen sein. Ein AKW ist eine technische Anlage und muss daher als solche gewartet werden. AKW verfügen zwar über einen gewissen Vorrat an Ersatzteilen, aber dieser Vorrat ist begrenzt. Sechstens müssen sowohl die externen als auch die internen Strahlungsüberwachungssysteme effektiv funktionieren. Ein Anstieg der Strahlung ist oft das erste Anzeichen einer Störung, daher sind diese Instrumente von entscheidender Bedeutung. Siebtens muss die Kommunikation mit der Aufsichtsbehörde sichergestellt werden. Während vor Ort zwar viel Know-how vorhanden ist, erfordert ein sicherer Betrieb die Unterof Fuel Handling and Storage Systems for Nuclear Power Plants; NS-G-2.14: Conduct of Operations at Nuclear Power Plants; SSG-15 (Rev. 1): Storage of Spent Nuclear Fuel; WS-G-6.1: Storage of Radioactive Waste; RS-G-1.8: Environmental and Source Monitoring for Purposes of Radiation Protection. 27  Der Unfall geschah während der Durchführung von Sicherheitstests. Da der zum Unglück führende Test, der bereits vor der Inbetriebnahme hätte durchgeführt werden sollen, mehrfach verschoben wurde, drängte die sowjetische Führung auf eine schnelle Durchführung des Tests. Zu der Rolle von Druck als Unglücksursache siehe William C. Potter, Soviet Decision-Making for Chernobyl: An Analysis of System Performance and Policy Change, 1990, S. 5.

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stützung durch das Personal und zusätzlich das Know-how, das sich zentral in der Aufsichtsbehörde sammelt. Da es sich bei dem Raketeneinschlag im AKW Süd-Ukraine um einen bisher einmaligen Vorgang dort handelt, wird im Folgenden nur die Situation in Saporischschja und Tschernobyl analysiert. aa) Saporischschja28 In Saporischschja wurde schon die physische Integrität als erste Säule der nuklearen Sicherheit klar verletzt. Mehrere Gebäude, technische Geräte und Infrastruktur auf dem Kraftwerksgelände wurden zerstört. Zudem wurde auch die werkseigene Feuerwehr beschädigt. Ebenfalls verletzt wurden die Anforderungen der zweiten Säule, nämlich die Funktionsfähigkeit aller Sicherheits- und Sicherungssysteme. Sicherheitssysteme wurden derart beschädigt, dass sie einen Fehlalarm auslösten. Weiterhin wurde die Stickstoff-Sauerstoff Station, die relevant für die Sicherheitssysteme ist, beschädigt. Darüber hinaus werden auch die Anforderungen der dritten Säule – kein unnötiger Druck auf Betriebspersonal – unter der russischen Besetzung beeinträchtigt. Russische Militärangehörige sowie Personal des russischen Atomenergiekonzerns Rosatom sind permanent anwesend. Außerdem fanden und finden Schichtwechsel nicht wie vorgesehen statt. Dies führt unter anderem dazu, dass 40 % des Personals, das für die Sicherung des nuklearen Materials zuständig ist, nicht korrekt besetzt ist. Zuletzt wurde sogar ein Mitarbeiter im Rahmen eines Beschusses verletzt. Durch die regelmäßige Zerstörung von Stromleitungen ist darüber hinaus auch die vierte Säule nuklearer Sicherheit – die externe Stromversorgung – stark beeinträchtigt. Das Kraftwerk besitzt vier externe Versorgungsleitungen zu je 750 kV und eine Reserveleitung. Zeitweise waren alle Leitungen zerstört, so dass das Kraftwerk allein auf Dieselnotstromaggregate angewiesen war. Da diese bei einem Komplettausfall der externen Stromversorgung den Strombedarf für ledig28  Die hier angegebenen Vorkommnisse beruhen auf IAEA, 2nd Summary Report (Anm. 9).



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lich etwa zehn Tage decken, stellt dies ein eklatantes Sicherheitsrisiko dar. In diesem Zusammenhang stehen auch Beeinträchtigung der fünften Säule nuklearer Sicherheit in Saporischschja, nämlich ununterbrochener Lieferketten. Aufgrund der Situation können die Dieselvorräte nicht wie vorgesehen aufgefüllt werden. Überdies wurden mehrfach die Lieferwege für Ersatzteile unterbrochen. Die Lieferung von Ersatzteilen ist nur von Fall zu Fall über persönliche Arrangements möglich. Zu Recht moniert die IAEA die Unvorhersehbarkeit entsprechender Lieferungen. Allerdings muss festgehalten werden, dass bisher kein Sicherheitssystem aufgrund fehlender Ersatzteile ausgefallen ist. Weitere Probleme sind in Bezug auf Strahlenmesssysteme, also die sechste Säule nuklearer Sicherheit, aufgetreten. Während des Beschusses am 25. und 26. August wurden diese Systeme derart beschädigt, dass diese einen Tag lang vollständig funktionsunfähig waren. Trotz Reparaturarbeiten bestehen große Schwierigkeiten, die vollständige Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Weiterhin ist das Notfallzentrum nicht für ukrainisches Personal betretbar. Zuletzt ist auch die siebte Säule  – Kommunikation mit Regulierungsbehörden – betroffen. Kommunikationslinien wurden teilweise zerstört, provisorisch kann über Mobiltelefone und E-Mail kommuniziert werden. Diese sind allerdings nicht notwendigerweise zuverlässig und sicher. Weiterhin kann die ukrainische Regulierungsbehörde keine Inspektionen des Kraftwerks durchführen. Folglich kann festgehalten werden, dass sämtliche Säulen der nuklearen Sicherheit und Sicherung im AKW Saporischschja aufgrund der russischen Okkupation verletzt sind.

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bb) Tschernobyl29 Auch wenn die Besatzungszeit in und um Tschernobyl herum nur fünf Wochen andauerte, wurden auch in dieser Zeit alle Säulen der nuklearen Sicherheit und Sicherung verletzt. In diesem Zeitraum wurden einige Strukturen und Einrichtungen auf dem Gelände der Atomruine beschädigt, so dass die erste Säule verletzt ist. Weiterhin wurde einiges an Geräten von Seiten russischer Soldaten gestohlen, insbesondere aus dem Zentralanalyselabor, was die zweite Säule beeinträchtigt. In Bezug auf die dritte Säule nuklearer Sicherheit lag eine gravierende Verletzung darin, dass es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern während der Okkupation nicht gestattet war, sich abzuwechseln oder nach Hause zu gehen. Die vierte Säule wurde ebenfalls verletzt, da zwischen dem 9. und dem 14. März die externe Stromversorgung vollständig unterbrochen wurde, so dass Dieselgeneratoren aushelfen mussten. Allerdings bedarf die Kühlung aufgrund des Alters des nuklearen Materials geringeren Energieaufwands als bei frischem Brennstoff, da bei ersterem ein Großteil der hochenergetischen Zerfallsprozesse bereits abgeschlossen ist. Während der Besatzung waren die Lieferketten unterbrochen, was eine Verletzung der fünften Säule darstellt. Weiterhin war während der Besatzung die Datenübertragung der Strahlungsüberwachungssysteme gestört und es wurden Messinstrumente für Messungen vor Ort gestohlen. Dies stellt eine Verletzung der sechsten Säule dar. Zuletzt war auch keine Kommunikation mit der ukrainischen Regulierungsbehörde möglich, so dass auch die siebte und letzte Säule verletzt wurde. b) Safeguards Das System der Safeguards soll die Anwendung von Artikel II des Nichtverbreitungsvertrags NPT von 1970 gewährleisten.30 Diese Be29  Die hier angegebenen Vorkommnisse beruhen auf IAEA, 2nd Summary Report (Anm. 9) und IAEA, 1st Summary Report (Anm. 6). 30  Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons of 12 June 1968, INFCIRC/140 = BGBl. 1974 II S. 785.



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stimmung unterteilt gemeinsam mit Art. I NPT die Welt in zwei Kategorien: Kernwaffenstaaten und Nichtkernwaffenstaaten. Während sich 186 Staaten verpflichteten, niemals Atomwaffen zu erwerben, zu besitzen oder zu kontrollieren, genießen nach dem Vertrag die USA, Russland, Frankreich, China und das Vereinigte Königreich exklusiv dieses Recht. Um sicherzustellen, dass die Nichtkernwaffenstaaten atomwaffenfrei bleiben, werden mit jedem Vereinbarungen mit der IAEA geschlossen, so genannte ergänzende Sicherungsabkommen (Complementary Safeguards Agreements – CSA)31. Ein solches Abkommen besteht auch mit der Ukraine, welche Nichtkernwaffenstaat ist.32 Die zu Sowjetzeiten in der Ukraine stationierten Atomwaffen zerstörte die unabhängig gewordene Ukraine und gab die verbliebenen Waffen 1994 an Russland ab.33 Aufgrund des NPT und des CSA zwischen der IAEA und der Ukraine besitzt die IAEA das Recht, regelmäßige Kontrollen innerhalb der nuklearen Anlagen des Landes durchzuführen.34 Weiterhin sind Kameras und Sensoren über diese Anlagen verteilt und senden permanent Daten an den Hauptsitz der IAEA in Wien. Während der mehrwöchigen russischen Besetzung Anfang 2022 waren die Datentransfers zwar zwischenzeitlich aus Tschernobyl unterbrochen, konnten im Nachhinein aber überprüft werden.35 Aus Saporischschja wurden und werden ohne Unterbrechung Daten nach Wien übermittelt.36 Kontrollen durch die IAEA waren während der Besatzung Tschernobyls sowie bis zur Zugänglichmachung Saporischschjas am 1.  September 2022 allerdings nicht möglich.

31 

INFCIRC/153 (Corrected). Die Ukraine trat am 5.  Dezember 1994 dem NPT als Nichtkernwaffenstaat bei: Vedomosti Verkhovna Rada of Ukraine (VVR), 1994, N 47, Article 421. 33  Im Zuge des Budapester Memorandums stimmte die Ukraine im Dezember 1994 zu, seine Atomwaffen abzugeben. Zu den Geschehnissen siehe David S. Yost, The Budapest Memorandum and Russia’s Intervention in Ukraine, International Affairs Volume 93, 2015, S. 505 ff. 34  Dies ist primär geregelt in Para. 4–6 CSA. 35  IAEA, 1st Summary Report (Anm. 6). 36  IAEA, 2nd Summary Report (Anm. 9). 32 

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Aus der Sicht des Nichtverbreitungsvertrags liegt hierin jedoch ein weniger großes Problem. Russland übt bzw. übte die effektive Kon­ trolle über die Kraftwerke aus. Dementsprechend bestünde die Gefahr, dass nukleares Material für russische Atomwaffen verwendet werden könnte. Russland zählt aber zu den Nuklearwaffenstaaten nach Art. I NPT und hat somit das Recht, sämtliches Material aus AKW für ihre Atomwaffen zu verwenden. Dementsprechend steht das russische Verhalten nicht im Widerspruch zur Safeguards-Säule des Atomrechts. c) Zivilrechtliche Haftung Die vierte Säule des Atomrechts befasst sich mit den spezifischen Folgen nuklearer Zwischenfälle. Die potenziell enormen grenzüberschreitenden Folgen  – man denke nur an die bis heute bestehende radioaktive Belastung von Pilzen in bestimmten Gebieten Deutschlands als Folge der Tschernobyl-Katastrophe von 198637  – und die Höhe der entstehenden Schäden  – Schätzungen zufolge verursachte der Vorfall von Fukushima im Jahr 2011 Schäden in Höhe von 200  Milliarden US-Dollar38  – erfordern ein spezifisches zivilrechtliches Haftungssystem. Für diesen Fall gibt es zwei Verträge: das Wiener Übereinkommen über die Haftung für nukleare Schäden von 196039, das unter der Schirmherrschaft der IAEA verabschiedet wurde, und das Pariser Atomhaftungsübereinkommen von 196340, 37  https://www.reuters.com/business/environment/three-decades-ger man-mushrooms-still-show-imprint-chernobyl-2021-10-08/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 38  Committee on Lessons Learned from the Fukushima Nuclear Accident for Improving Safety and Security of U.S. Nuclear Plants/Nuclear and Radiation Studies Board – Division on Earth and Life Studies/National Research Council, Lessons Learned from the Fukushima Nuclear Accident for Improving Safety of U.S. Nuclear Plants, National Academies Press (US), 2014, Appendix L, Factoring the Costs of Severe Nuclear Accidents into Backfit Decisions, abrufbar unter https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK253929/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 39  Vienna Convention on Civil Liability for Nuclear Damage of 21 May 1963, INFCIRC/500 = BGBl. 2001 II S. 202. 40  Paris Convention on Third Party Liability in the Field of Nuclear Damages of 29 July 1960; BGBl. 2022 II S. 18.



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das unter der Schirmherrschaft der OECD verabschiedet wurde. Auch wenn es sich um zwei unterschiedliche – und ohne die Anwendung des so genannten Gemeinsamen Protokolls41 unvereinbare  – Systeme handelt, haben sie bestimmte Grundsätze gemeinsam. Erstens ist ausschließlich der Betreiber verantwortlich.42 Das bedeutet, dass weder die Lieferanten noch die Aufsichtsbehörde im Falle eines nuklearen Unfalls zur Rechenschaft gezogen werden können, sondern dass allein der Betreiber Schuldner für nukleare Schäden ist. Diese Haftung gilt verschuldensunabhängig.43 Zweitens müssen bestimmte Entschädigungssummen garantiert werden, entweder durch staatliche Fonds oder durch Versicherungen.44 Drittens ist ausschließlich das Gericht am Ort des Unfalls zuständig.45 Mit dieser Bestimmung soll ein forum shopping verhindert und somit eine kohärente Rechtsprechung gewährleistet werden. Die Ukraine ist Vertragspartei des Wiener Übereinkommens,46 so dass an sich im Falle eines nuklearen Unfalls all die zuvor genannten Regeln Anwendung finden würden, sollte es zu einem Atomunfall kommen. Allerdings muss hierbei eine zentrale Norm dieses Übereinkommens beachtet werden: Nach Art. IV Abs. 3 lit. a ist das Abkommen nicht anwendbar, wenn ein Schaden im Rahmen eines bewaffneten Konflikts verursacht wird. Sollte also eine Rakete eine Nuklear­ katastrophe verursacht, so müssten Opfer auf das gewöhnliche Haftungsregime zurückgreifen. Dies würde bedeuten, dass sich das anwendbare Recht und der Gerichtsstand nach dem jeweils einschlä41  Joint Protocol Relating to the Application of the Vienna Convention and the Paris Convention of 21 September 1988, INFCIRC/402 = BGBl. 2001 II S. 202. 42  Art. II Nr. 5 Wiener Atomhaftungsabkommen und Art. 6 Pariser Atomhaftungsabkommen. 43  Art. IV lit. a Wiener Atomhaftungsabkommen und Art. 4 Pariser Atomhaftungsabkommen. 44  Art. VII Wiener Atomhaftungsabkommen und Art. 10 Pariser Atomhaftungsabkommen. 45  Art. XI Wiener Atomhaftungsabkommen und Art. 13 Pariser Atomhaftungsabkommen. 46  Die Ukraine wurde am 20. September 1996 Vertragspartei, https://ola. iaea.org/Applications/FactSheets/Country/Detail?code=UA (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).

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gigen Internationalem Privatrecht richten würden sowie keine Haftungsgarantien in Form von Mindestsummen oder Versicherungen greifen würden. Die Rechtsdurchsetzung der Opfer wäre in einem solchen Fall also deutlich erschwert. d) Zwischenergebnis Die russische Aggression gefährdet drei der vier Säulen des Atomrechts: Sowohl die nukleare Sicherheit als auch die nukleare Sicherung sind zutiefst beeinträchtigt durch die russische Besatzung sowie durch den Beschuss nuklearer Anlagen. Ebenfalls wird die Säule der zivilrechtlichen Haftung unterminiert mit der Folge, dass Opfer im Falle eines nuklearen Unfalls in ihrer Rechtsdurchsetzung erheblich beeinträchtigt würden. 3. Humanitäres Völkerrecht Das Humanitäre Völkerrecht (HVR) oder das ius in bello ist das Recht, welches die Beteiligten innerhalb einer kriegerischen Auseinandersetzung bei ihrer Kriegsführung einzuhalten haben. Dieses Rechtsgebiet wird hauptsächlich durch die vier Genfer Konventionen von 1949 und die beiden Zusatzprotokolle von 1977 geregelt. Im Hinblick auf die russische Aggression sind zwei Aspekte von Bedeutung: Erstens waren verschiedene AKW Gegenstand von Beschuss und anderen militärischen Operationen (a). Zweitens hat Russland durch die Stationierung von Militärpersonal und Militärfahrzeugen auf dem Gelände des AKW Saporischschja die Anlage zu einem militärischen Ziel gemacht (b). Beide Aspekte werfen die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser Handlungen im Hinblick auf das humanitäre Völkerrecht auf.



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a) Rechtmäßigkeit eines Angriffs auf ein AKW Die zentrale Norm des HVRs findet sich im Ersten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen von 1977 (ZP I)47: Artikel 56 regelt den Status von verschiedenen Objekten, die gefährliche Kräfte freisetzen können, darunter Atomkraftwerke. Im HVR gilt die Grundregel, dass militärische Ziele angegriffen werden dürfen, zivile Infrastruktur hingegen grundsätzlich nicht.48 Ein Objekt wird dann zum militärischen Ziel, wenn es einerseits zu militärischen Handlungen effektiv beiträgt und andererseits die Inbesitznahme, Zerstörung oder Neutralisierung einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt.49 Art. 56 Abs. 1 ZP I weicht von dieser Grundregelung ab und stellt Atomkraftwerke unter einen besonderen Schutz. Demnach dürfen Atomkraftwerke selbst dann nicht angegriffen werden, wenn sie ein militärisches Ziel darstellen – somit also die soeben genannte Definition erfüllen – unter der Voraussetzung, dass ein solcher Angriff gefährliche Kräfte freisetzen würde und schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung zu befürchten wären. Dementsprechend weicht Art. 56 Abs. 1 ZP I von der allgemeinen Differenzierung ab. Allerdings gilt dieser besondere Schutz nicht grenzenlos. Sofern der Strom, den ein AKW produziert, zur regelmäßigen, bedeutenden und unmittelbaren Unterstützung von Kampfhandlungen benutzt wird und ein Angriff auf das AKW das einzig praktisch mögliche Mittel zur Beendigung dieser Unterstützung darstellt, endet dieser Schutz.50 Dementsprechend sind dem besonderen Schutz Grenzen gesetzt. Die Truppen selbst sind während ihrer Operationen normalerweise nicht an das Stromnetz angeschlossen sind, sondern betreiben ihre

47  Protocole additionnel aux Conventions de Genève du 12 août 1949 relatif à la protection des victimes des conflits armés internationaux (Protocole I), 8 juin 1977 = BGBl. 1991 II, S. 968. 48  Art. 52 ZP I. 49  Art. 52 Abs. 2 ZP I. 50  Art. 56 Abs. 2 lit. b ZP I.

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Geräte primär mit fossilen Brennstoffen.51 Lediglich in Kommandozentralen, Kasernen und Waffenlagern wird Strom aus dem Stromnetz benötigt und verwendet. Somit ist die Relevanz eines Kraftwerks für die Kriegsführung bereits begrenzt. Wird aber Strom in welcher Weise auch immer doch für die Kriegsführung verwendet, beispielsweise für Kommunikation und Koordination, kann nicht mehr festgestellt werden, woher der Strom ursprünglich stammte.52 Insbesondere in der Ukraine wurde bisher ungefähr die Hälfte des Stromes in AKW produziert. Somit kann also jedes AKW, das Strom in das Netz einspeist, jedenfalls zu einem gewissen Teil Kampfhandlungen unterstützen. Wenn man dies dazu genügen lassen würde, ein AKW als militärisches Ziel anzusehen, wäre aber sehr fraglich, ob diese Unterstützung auch den Anforderungen des Art. 56 Abs. 2 ZP I genügen würden. Die Regelmäßigkeit wird man wohl noch bejahen können. Deutlich schwieriger ist die Feststellung, ob diese Unterstützung auch bedeutend ist. Wo liegt die Schwelle? Im Zweifel wird jede Konfliktpartei dies anders auslegen.53 Insbesondere problematisch ist die Frage, ob diese Unterstützung mittelbar oder unmittelbar ist. Selbst wenn man die Unterstützung des Stromes aus dem AKW Saporischschja ausreichen lassen würde, so ist aber die zweite Voraussetzung, die kumulativ vorliegen muss, mehr als fraglich: Ist der direkte Beschuss des AKW das einzig praktisch mögliche Mittel, um die Unterstützung zu beenden? Das AKW dient nur dann den ukrainischen Kampfhandlungen, wenn dessen Strom verwendet wird. Auf dem Kraftwerksgelände selbst dient dieser Strom aber keinen Kampfhandlungen, hierfür müsste dieser erst über Leitungen transportiert werden. Das bedeutet also, dass die Zerstörung der Leitungen, die das AKW mit dem ukrainischen Stromnetz verbinden, ein ebenso praktisches Mittel darstellt, eine solche Unterstützung zu unterbinden.54 Dem kann zwar entgegengehalten werden, dass Stromleitungen zügig 51  International Committee of the Red Cross, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, 1987, S. 672. 52  Ibid. 53  Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes hat hierbei ebenfalls seine Zweifel, siehe ibid. 54  So auch ibid.



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repariert werden können, allerdings wird dieses Argument umso mehr relativiert, je größer der Schaden an den Stromleitungen ist. Zusammenfassend kann also konstatiert werden, dass AKW zwar einen besonderen Schutz im HVR genießen, dieser allerdings nicht grenzenlos ist. Jedenfalls genügen aber die Ausnahmen, die einen Angriff legitimieren könnten, nicht, die bisher geschehenen russischen Angriffe auf AKW zu rechtfertigen. b) Rechtmäßigkeit der Umwandlung eines AKW in ein militärisches Ziel Mit der Stationierung von militärischen Fahrzeugen hat Russland seinerseits das AKW Saporischschja zu einem militärischen Ziel – aus ukrainischer Perspektive – gemacht. Dadurch stellt sich die Frage, ob das HVR eine solche militärische Inanspruchnahme verbietet. Für diese Frage ist ebenfalls Art. 56 ZP I einschlägig. Nach dessen Absatz 5 müssen sich die Vertragsparteien bemühen, keine militärischen Gegenstände im Umfeld eines AKW zu lagern. Dies gilt somit erst recht dafür, diese auf dem Gelände selbst zu lagern. Problematisch ist allerdings, was unter „bemühen“ zu verstehen ist.55 Jedenfalls widerspricht es der Verpflichtung aus Art. 56 Abs. 5 ZP I, wenn eine Kriegspartei absichtliche militärische Fahrzeuge auf dem Kraftwerksgelände lagert, um Angriffe darauf unter Ausnutzung der Sorge vor einer Nuklearkatastrophe zu unterbinden. Eine ähnliche Bewertung ergibt sich ebenfalls durch die Anwendung der allgemeinen Norm des Art. 58 lit. c ZP I, welche beide Konfliktparteien dazu verpflichtet, derartige Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, dass die Zivilbevölkerung von den Wirkungen von Angriffen geschützt werden.56 Folglich ver55  Auch die Kommentierungen durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes können dies nicht genauer spezifizieren, siehe International Committee of the Red Cross, Commentary on the Additional Protocols (Anm. 51), S. 673 ff. 56  Anne Dienelt erwägt sogar, Art. 58 ZP I so zu verstehen, dass die Ukrai­ne dazu verpflichten sei, Atomkraftwerke abzuschalten, um die Gefahr einer nuklearen Katastrophe zu verhindern, Anne Dienelt, How Are Nuclear Power Plants Protected by Law During War?, Völkerrechtsblog, 7.  März 2022, abrufbar unter https://voelkerrechtsblog.org/de/how-are-nuclear-

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stößt die Lagerung militärischer Fahrzeuge im AKW Saporischschja gegen das HVR. II. Externe nukleare Bedrohung: Nuklearwaffen Spätestens seit den Reden Putins zur Teilmobilmachung seiner Truppen57 oder zu den Feierlichkeiten der Annexion58 weiterer ukrainischer Gebiete ist die Gefahr der Verwendung von Atomwaffen im aktuellen Konflikt akut und präsent. Im Folgenden wird nachgezeichnet, ob die bereits erfolgte Androhung sowie eine potenzielle Verwendung von Atomwaffen seitens Russlands mit dem ius ad bellum (1.) sowie dem ius in bello (2.) vereinbar sind. 1. Ius ad bellum Das ius ad bellum, oder auch ius contra bellum, bezeichnet das Recht, das betreffend den Eintritt in einen Krieg gilt. Zentral hierbei ist das völkerrechtliche Gewaltverbot, das in Art. 2 Nr. 4 UNCh kodifiziert ist. Danach ist jegliche Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit verboten. Die UN-Charta selbst kennt nur zwei Situationen, in denen eine Gewaltausübung dennoch möglich ist: Ein Staat müsste entweder im Rahmen seines legitimen Rechts auf Selbstverteidigung, sei es individuell oder kollektiv als Unterstützung eines betroffenen Staates, handeln (Art. 51 UNCh), oder der Einsatz von Gewalt müsste durch den UN-Sicherheitsrat autorisiert worden sein (Art. 42 UNCh). Während eine Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat aufgrund der Vetorechte der USA, Großbritanniens und Frankreichs ausgeschlossen ist, bedient sich Russland einer Rhetorik, welche auf power-plants-protected-by-law-during-war/ (zuletzt abgerufen am 15.05. 2023). 57  Eine offizielle Übersetzung der Rede ins Englische findet sich unter https://www.washingtonpost.com/world/2022/09/21/putin-speech-russiaukraine-war-mobilization/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). 58  Eine offizielle Übersetzung der Rede ins Englische findet sich unter http://en.kremlin.ru/events/president/news/69465 (zuletzt abgerufen am 15.05.2023).



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eine angebliche Ausübung von Selbstverteidigungsrechten abzielt. Insbesondere die völkerrechtswidrige59 Annexion der Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja bereitet ein Narrativ vor, welches ukrainische Gewaltanwendung in diesen (selbstverständlich nach wie vor ukrainischen) Gebieten als ein Angriff auf die territo­ riale Integrität Russlands darstellen soll. Auch wenn es sich hierbei zweifelsohne um Gewaltanwendung auf ukrainischem Gebiet handeln würde, die nach Art. 51 UNCh selbst auf russischen Gebieten gerechtfertigt sein kann, soll hier dargestellt werden, dass selbst im Falle einer Selbstverteidigungssituation die Drohung mit sowie die Verwendung von Atomwaffen regelmäßig völkerrechtswidrig ist. Beachtet werden muss beim Gewaltverbot zunächst, dass dieses Verbot selbst blind gegenüber der verwendeten Waffe ist.60 Die Verwendung von Stock und Stein als Waffen kann in der gleichen Weise einen Verstoß gegen Art. 2 Nr. 4 UNCh darstellen wie die Verwendung einer Atomwaffe. Relevant wird die verwendete Waffe dann, wenn im Rahmen der legitimen Selbstverteidigung nach Art. 51 UNCh agiert wird. In diesem Kontext gibt es zwei Restriktionen, die an die Gewaltanwendung gesetzt werden: Zum einen darf es kein milderes Mittel geben (Erforderlichkeit, necessity) und zum anderen müssen Umfang und Ausmaß der Gewaltanwendung verhältnismäßig (proportionality) sein.61 In Bezug auf Atomwaffen sind beide Aspekte in der Regel fraglich: Einerseits kann regelmäßig bezweifelt werden, ob der Einsatz einer konventionellen Waffe nicht ein milderes Mittel darstellt.62 Anderer59 

Zuletzt bestätigt durch die UN-Generalversammlung, A/ES-11/L.4. Siehe nur Nobuo Hayashi, Using Force by Means of Nuclear Weapons and Requirements of Necessity and Proportionality ad bellum, in: Nystuen/ Casey-Maslen/Bersagel (Hrsg.): Nuclear Weapons Under International Law, 2014, S. 15  ff. (16, 28  f.); Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 2019, Rn.  1039 ff. 61  Internationaler Gerichtshof, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Advisory Opinion, I.C.J. Reports 1996, S. 226, Rn. 41; von Ar­ nauld, Völkerrecht (Anm. 60), Rn. 1096. 62  Nagendra Singh, The Right of Self-Defence in Relation to the Use of Nuclear Weapons, Indian Yearbook of International Affairs Vol. 5, 1956, S. 3 ff. (32). Kritisch diesbezüglich Hayashi, Using Force by Means of Nu­ clear Weapons (Anm. 60), S. 25. 60 

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seits sind die Auswirkungen von Atomwaffen ebenfalls kaum absehbar.63 Als sich der Internationale Gerichtshof (IGH) 1996 mit dieser Frage auseinandersetzte, wurde die Situation des Einsatzes einer so genannten taktischen Atomwaffe, also einer Atomwaffe, die eine Zerstörungskraft in der Größenordnung schwerer konventioneller Waffen besitzt, aber dennoch Strahlung freisetzt, erörtert. In Betracht gezogen wurde beispielsweise ein solcher Einsatz gegen ein Kriegsschiff auf dem offenen Meer oder gegen Soldaten isoliert auf einem einsamen Schlachtfeld.64 Unabhängig von der Frage, ob eine Differenzierung zwischen taktischen und strategischen Atomwaffen überhaupt möglich ist,65 stellte der IGH fest, dass ein Einsatz von Atomwaffen wenn überhaupt nur dann gerechtfertigt sein könnte, wenn die Existenz eines Staates auf dem Spiel stünde.66 Eine solche existentielle Bedrohung der Russischen Föderation scheint aber in praktisch jedem denkbaren Szenario ausgeschlossen. 63  Man denke insbesondere an den radioaktiven Niederschlag. Siehe hierzu Stuart Casey-Maslen, The Use of Nuclear Weapons Under Rules Govern­ ing the Conduct of Hostilities, in: Nystuen/Casey-Maslen/Bersagel (Hrsg.): Nuclear Weapons Under International Law, 2014, S. 91 ff. (insbesondere S.  106 f.). 64  IGH, Kernwaffengutachten (Anm. 61), Rn. 91. 65  So zum Beispiel der ehemalige US Verteidigungsminister Jim Mattis im Jahr 2018, abrufbar unter https://www.defensenews.com/space/2018/ 02/06/mattis-no-such-thing-as-a-tactical-nuclear-weapon-but-new-cruisemissile-needed/ (zuletzt abgerufen am 15.05.2023). Auch der IGH erkannte, dass diese Thematik schwierig ist: IGH, Kernwaffengutachten (Anm. 61), Rn. 43. 66  IGH, Kernwaffengutachten (Anm. 61), Rn. 105. Diese Auffassung war allerdings innerhalb des Gerichtshofs umstritten. Sieben Richter stimmten diesem zu, sieben waren dagegen, wobei die Stimme des Präsidenten den Ausschlag gab. Zur Rolle der Stimmengleichheit in diesem Verfahren siehe Timothy L. H. McCormack, A non liquet on Nuclear Weapons. The ICJ Avoids the Application of General Principles of International Law, International Review of the Red Cross (1961–1997), S. 76 ff. Zur Kritik aus der Wissenschaft, siehe Michael J. Matheson, The Opinions of the International Court of Justice on the Threat or Use of Nuclear Weapons, American Journal of International Law Vol. 91 (1997), S. 417 ff. (insb. S. 427 ff.); Chris­ topher Hubbard, A Critique of the Advisory Opinion of the International Court of Justice on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, 8 July 1996: The Nuclear Weapons Case, 1997.



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Festgestellt werden kann also, dass nicht nur ein hypothetischer Einsatz von Atomwaffen durch Russland, sondern auch die bereits erfolgte Androhung in jeglicher Hinsicht gegen das ius ad bellum verstoßen. 2. Ius in bello Größte Zweifel bestehen ebenfalls hinsichtlich der Vereinbarkeit des Einsatzes von Atomwaffen mit dem Humanitären Völkerrecht, dem ius in bello. Wichtig ist, dass das HVR blind gegenüber der Frage ist, ob die Kriegshandlung selbst mit dem Gewaltverbot vereinbar ist oder nicht. Da dieses Recht der Kriegsführung ein gewisses Maß an Humanität verleihen soll, kann es bei der konkreten Kriegshandlung nicht auf deren Legitimität in Bezug auf das ius ad bellum ankommen.67 Auch wenn das HVR keine expliziten Regelungen für Atomwaffen kennt und diese bei der Erarbeitung der Zusatzprotokolle zwischen 1974 und 1977 auch nicht in der Aufmerksamkeit der Vertragsparteien stand, sind die allgemeinen Regeln anwendbar.68 Der wichtigste Grundsatz des HVR ist das so genannte Unterscheidungsgebot, das sich in Art. 48 ZP I wiederfindet. Demnach ist bei der Kriegsführung streng zu trennen zwischen Kombattanten und Zivilisten sowie zwischen militärischen Zielen und zivilen Zielen. Bei dem Einsatz strategischer Atomwaffen, die mehrere Hektar an Fläche zerstören würden, ist die Konformität mit dem Unterscheidungsgebot kaum vorstellbar.69 Höchstens der Einsatz taktischer Atomwaffen  – sofern man 67  Man vergleiche allein die so genannte Marten’sche Klausel: „In Fällen, die von den geschriebenen Regeln des internationalen Rechts nicht erfasst sind, verbleiben Zivilpersonen und Kombattanten unter Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich aus den feststehenden Gebräuchen, aus den Grundsätzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens ergeben“. 68  IGH, Kernwaffengutachten (Anm. 61), Rn. 87. 69  Casey-Maslen, The Use of Nuclear Weapons Under Rules Governing the Conduct of Hostilities (Anm. 63), S. 95 ff.; Christopher Vail, The Legality of Nuclear Weapons for Use and Deterrence, Georgetown Journal of International Law Vol. 48 (2017), S. 839 ff. (848 ff.).

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sich auf diese Unterscheidung einlassen will – könnte unter gewissen Voraussetzungen diesem Gebot gerecht werden. Zudem muss nach Art. 57 ZP I bereits bei Kriegshandlungen darauf geachtet werden, dass sich die Schäden nicht auf nicht-militärische Ziele auswirken (Vorbeugungsgrundsatz). So ist bereits bei der Wahl der Waffe darauf zu achten, dass zivile Verluste und Schäden auf ein Mindestmaß reduziert werden.70 Der Einsatz einer Atomwaffe (unter eventuell strenger Ausnahme taktischer Atomwaffen) führt regelmäßig zwangsläufig zu hohen Kollateralschäden, so dass auch dieser Grundsatz praktisch immer verletzt wäre, sofern eine Atomwaffe eingesetzt werden würde.71 Weiterhin verboten ist es, unnötiges Leiden zu verursachen, Art. 35 ZP I. Der Einsatz einer Waffe, die Strahlung freisetzt, und somit besondere Verletzungen einschließlich einer quälenden Strahlenkrankheit hervorrufen kann, wird wohl kaum mit dieser Norm vereinbar sein.72 Folglich ist ein Atomwaffeneinsatz, der mit dem ius in bello vereinbar ist, kaum denkbar. III. Schlussfolgerung Die noch nie dagewesene Situation eines Überfalls eines Nuklearwaffenstaates auf einen Staat mit nuklearer Infrastruktur stellt das Völkerrecht vor spezielle Herausforderungen. Das Atomrecht wird in seinen beiden zentralen Säulen der Sicherheit und Sicherung durch die russische Aggression eklatant verletzt, während die weitere Säule der zivilrechtlichen Haftung durch militärische Angriffe unterminiert wird. Weiterhin zeigt sich, dass die Involvierung von Atomkraftwerken zu Verletzungen des Humanitären Völkerrechts führt und 70 

Art. 57 Abs. 2 lit. a ii) ZP I. Casey-Maslen, The Use of Nuclear Weapons Under Rules Governing the Conduct of Hostilities (Anm. 63), S. 103 ff. Anders sieht dies Matheson, The Opinions of the ICJ on Nuclear Weapons (Anm. 66), S. 428. 72  Siehe hierzu auch Simon O‘Connor, Nuclear Weapons and the Unnecessary Suffering Rule, in: Nystuen/Casey-Maslen/Bersagel (Hrsg.): Nuclear Weapons Under International Law, 2014, S. 128 ff. Anders sah es im IGH Verfahren die britische Richterin Rosalyn Higgins, Dissenting Opinion of Judge Higgins, 1996, para. 18. 71 



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Schwachstellen in diesem Regime offenbart. Zuletzt ist nachgezeichnet worden, dass in dem aktuellen Krieg sowohl die Drohung mit als auch der Einsatz von Atomwaffen sowohl gegen das Gewaltverbot als auch gegen zentrale Vorschriften des Humanitären Völkerrechts verstoßen, beziehungsweise verstoßen würden.

Autoren und Herausgeber Kai Ambos, Prof. Dr. iur. Dr. h. c., Studium der Rechts- und Politikwissenschaften an den Universitäten Freiburg, Oxford und München. Promotion sowie Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Straf- und Strafprozessrecht, Rechts­ vergleichung, internationales Strafrecht und Völkerrecht an der GeorgAugust-Universität Göttingen. Auswärtiges Mitglied der Juristischen Fakultät der Universität Lissabon. Richter am Kosovo-Sondertribunal und Berater des kolumbianischen Sondergerichts für den Frieden. Martin Aust, Prof. Dr. phil., Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Osteuropäischen Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Bonn, Promotion an der Freien Universität Berlin und Habilitation an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Leiter der Abteilung Osteuropäische Geschichte und Professor für Geschichte und Kultur Osteuropas an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Matthias Friehe, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft und der Philosophie an den Universitäten Marburg und Poitiers mit weiteren Stationen in Kaliningrad, Eriwan und Tel Aviv. Promotion an der Phi­ lipps-Universität Marburg. Inhaber der Qualifikationsprofessur für Staats- und Verwaltungsrecht an der EBS Law School Wiesbaden. Seit 2020 Co-Leiter, seit 2022 Leiter der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft der Görres-Gesellschaft. Andriy Mykhaleyko, PD Dr. phil., Studium der Katholischen Theologie an der Ukrainischen Katholischen Universität Lviv und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Promotion und Habilitation an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Dort seit 2019 Tätigkeit als Privatdozent. Angelika Nußberger, Prof. Dr. iur. Dr. h.c. Dr. h.c., M.A., Studium der Slawistik und Rechtswissenschaft an der Universität München. Promotion an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2010 bis 2020 Richterin am EGMR, von 2017 bis 2020 dessen Vizepräsidentin. Inhaberin des Lehrstuhls für Verfassungsrecht, Völkerrecht und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln sowie Direktorin der Akademie für Menschrechtsschutz. Vizepräsidentin der Venedig-Kommission des Europarats.

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Autoren und Herausgeber

Internationale Richterin am Verfassungsgerichtshof von Bos­ nien und Herzegowina. Noëlle Quénivet, Prof. Dr. iur., LL.M., Absolventin des Studiengangs „German Studies“ an der Universität Straßburg sowie des Studiengangs „Internationale Beziehungen“ am Institut d’Etudes politiques de Strasbourg und des Studiengangs „Russian Language“ an der University of Essex. Master of Law an der University of Nottingham. Promotion im internationalen Recht an der University of Essex. Seit April 2021 Professorin für Internationales Recht an der University of the West of England Bristol. Ernst Reichel, Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft und Promotion an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zwischen 2003 und 2007 stellvertretender Kabinettschef des NATO-Generalsekretärs. Von 2007 bis 2011 Referatsleiter für Russland, Ukraine, Belarus, Moldawien und die Östliche Partnerschaft im Auswärtigen Amt. Zwischen Juli 2011 und Juli 2013 Botschafter im Kosovo, im Anschluss Beauftragter für Südosteuropa, die Türkei und die EFTA-Staaten im Auswärtigen Amt in Berlin. Von 2016 bis Juli 2019 Deutscher Botschafter in Kiew. Seit August 2019 Deutscher Botschafter in Athen. Philipp Sauter, Dipl.-Jur, Maître en droit, M.Sc., Studium des internationalen und europäischen Rechts sowie Maître en droit an der Université d’Aix-Marseille. Studium der Rechtswissenschaft und Physik sowie erstes juristisches Staatsexamen und Master of Science an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Arnd Uhle, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaft an der Universität Bonn, Promotion und Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere für Staatsrecht, Allgemeine Staatslehre und Verfassungstheorie an der Universität Leipzig sowie Richter des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen. Seit 2012 Leiter der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft der Görres-Gesellschaft.