Sicherheit als politisches Problem des römischen Kaisertums

Table of contents :
Vorwort 9
Sicherheit als Element politischer Ordnung 11
Sicherheit und Zeitstimmung 15
Securitas Augusti - Securitas populi Romani 21
Nerva, Trajan und die Senatsaristokratie 27
Galba und Nerva 40
Register 45
Bildernachweis 46

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D E U T S C H E B E IT R Ä G E ZUR A L T E R T U M S W IS S E N S C H A F T Unter Mitwirkung von M atthias G elzer , W alter -H. Schuchhardt und Bruno Snell herausgegeben von G erold W alser

H E FT 3

H AN S U L R IC H IN S T IN S K Y

SICHERHEIT ALS POLITISCHES PROBLEM DES RÖMISCHEN KAISERTUMS

2 TAFELN

M C M LII VERLAG FÜR KUNST UND W ISSEN SCH AFT · BADEN-BADEN

Ma t t h ia s G

elzer

IN D A N K B A R E R V E R E H R U N G

INHALT Vorwort.....................................................................................................

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Sicherheit als Element politischer Ordnung..........................................

Register....................................................................................................

11 15 21 27 40 45

Bildernachweis........................................................................................

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Sicherheit und Zeitstimmung................................................................... Securitas Augusti - Securitas populi Romani .................................... Nerva, Trajan und die Senatsaristokratie........................................... Galba und N erva.....................................................................................

TAFELN Tafel I. Securitas A ugusti auf einer Senatsprägung der Zeit Neros

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T a f e l II. Securitas PuBLiCA-SECURiT(as) PERP(etua). Darstellungen des Securitas auf Münzen Gordians III. (238-244 n. C h r.)..........

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COPYRIGHT I9 5 2 B Y VERLAG FÜR KUNST UND WISSENSCHAFT BADEN-BADEN SATZ, DRUCK UND BINDEARBEITEN I OFFIZIN BRUNO GRIMM IN MAINZ KLISCHEES! GRAPHISCHE KUNSTANSTALT FRITZ HAUSSMANN IN DARMSTADT PRINTED IN GERMANY

VORWORT

Die Gedanken des ersten Entwurfs dieser Studie habe ich schon vor mehreren Jahren in meiner Antrittsvorlesung zur Über­ nahme der Mainzer Professur für Alte Geschichte (2. Februar 1949) vorgetragen. Vorträge auf der Tagung des Deutschen Altphilo­ logenverbandes in München-Gladbach (vgl. Gymnasium 57,1950, 314), als Gast der Altertumswissenschaftlichen Gesellschaft an der Universität Münster und zuletzt vor Geschichtslehrern der höheren Schulen des Landes Rheinland-Pfalz unterwarfen mich dem heilsamen Zwang, meine Ergebnisse mehrfach zu über­ prüfen. Die Gespräche, die sich jeweils den Vorträgen anschlossen, haben manche Anregung für die endgültige Niederschrift ergeben. D aß ich diese mit den notwendigen Belegen und kritischen Er­ örterungen nun hier vorlegen kann, haben die Herausgeber der Deutschen Beiträge zur Altertumswissenschaft und das Entgegen­ kommen des Verlegers und Druckers ermöglicht, dessen vorzüg­ licher Leistung wie der Autor, so auch der Leser danken wird. M a t t h ia s G e l z e r hat auch diesmal meiner Arbeit seine För­ derung zuteil werden lassen. Ihm, der seit fast zwei Jahrzehnten schon mich vielfach mit Belehrung, Kritik, Zuspruch ermutigt und mir unter schwierigen Umständen den Weg zur akademischen Lehrtätigkeit erschlossen hat, seien diese Blätter dankbar ge­ widmet. Mainz, im September 1952 H a n s U l r ic h I n s t in s k y

SICHERHEIT ALS ELEMENT POLITISCHER ORDNUNG

Sicherheit als politisches Problem ist uns als ein Anliegen auch unserer Tage wohlbekannt. Wer einige Jahrzehnte zurück­ blickt, wird bemerken, daß der Ruf nach Sicherheit, der zeit­ weise vorwiegend auf dem Feld der zwischenstaatlichen Be­ ziehungen erklungen ist, seit der Zeit nach dem ersten Welt­ krieg mehr und mehr auch die Räume innerhalb der einzelnen Staaten erfüllt. Sicherheit ist weithin zum Schlagwort der inneren wie der Außenpolitik der Mächte geworden. Dabei ge­ hört es offenbar zu dem rätselhaften Wesen der Macht, daß der Mächtigste nicht selten am lautesten nach Sicherheit ruft. Mit dem Besitz der Macht wächst die Furcht vor ihrem Verlust, und die Furcht vor einer wirklichen oder nur vermeintlichen Be­ drohung ist in der Politik oft eine stärkere Realität, mit der der Staatsmann zu rechnen hat, als die tatsächliche Bedrohung an sich es ist. Die Spannungen, die sich aus diesem Zustand ergeben, lösen sich nur dort, wo Sicherheit gegeben ist. Diese herzustellen als objektive Gegebenheit und als subjektives Gefühl des Ver­ trauens in die Dauer dieser Gegebenheit zugleich, das ist ein Problem aller Daseinsordnung des Menschen und damit eine Aufgabe aller Politik schlechthin. Denn die Verwirklichung der Sicherheit erscheint als Forderung überall da, wo es gilt, Men­ schen und Menschengruppen in ihren Ansprüchen gegeneinander abzugrenzen und in eine Ordnung zu bringen, die die Gewähr für ein friedliches Zusammenleben und ein fruchtbares Zusammen­ wirken sein kann. Mit besonderer Schärfe stellt sich die Frage nach der Sicherheit daher auch in der Vielfalt sozialer Gegensätze und Spannungen, von deren rechter Lösung für den inneren und

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SICHERHEIT ALS ELEMENT POLITISCHER ORDNUNG

äußeren Bestand eines Staates und eines Volkes viel, wenn nicht alles abhängt. Der Drang der Bürger neuzeitlicher Staaten, für die Sicherheit der eigenen materiellen Existenz in einer ungewissen Zukunft Sorge zu tragen, indem man sich in ein System von »Ver­ sicherungen' flüchtet, hat sich dabei weithin als zwecklos erwiesen. Denn auch diese .Versicherungen' schwinden in wirtschaftlichen und politischen Krisen dahin. Der Versuch aber, den Einzelnen durch die alleinige Fürsorge des Staates oder von diesem abhängiger Institutionen gegen Krankheit und äußerste Armut zu sichern, schließt die gefährliche Möglichkeit in sich, daß das Individuum der Despotie des Staates versklavt wird und der Mensch damit in seinem ganzen Wesen bedroht ist. Ohne Besinnung auf dieses menschliche Wesen aber läßt sich auch die Unsicherheit mensch­ lichen Daseins nicht begrenzen, Sicherheit ihm nicht bereiten. In friedlichen Zeiten ist man sich bisweilen nicht bewußt ge­ blieben, daß der Zustand der Sicherheit nichts Ursprüngliches ist. Ursprünglich und mit der Art des Menschen gesetzt ist sein Gegenteil, die Unsicherheit. Von Natur ist ihr alles menschliche Dasein ausgesetzt. Es bedarf nicht erst des Nachdenkens der Philosophen, um dessen innezuwerden. Die naive Erfahrung lehrt es uns täglich. Uns ist der Blick in die Zukunft verwehrt. Wir wissen weder, was sie uns bringt, noch wann in ihr unserem Leben ein Ende gesetzt ist. Wir sind und wir fühlen uns von Ge­ fahren bedroht. Bedroht von Mächten und Fügungen, deren Vor­ handensein uns hindert, gewiß zu sein, daß wir morgen wieder Nahrung, morgen noch ein Dach über uns haben werden. Sie drohen, wie die Erfahrung uns gelehrt hat, uns zu entreißen oder zu zerstören, was als überkommener Besitz oder als Frucht unserer Arbeit unser Eigen geworden ist. Darum sind wir in ständiger Sorge. Das Verlangen aber, der Qual dieser Sorge ledig zu werden, ist der Grund des Strebens nach Sicherheit. Fragt man aber, wer uns eigentlich bedroht, so denken wir nicht mehr so sehr, wie die Menschen eines Urzustandes es vielleicht taten, an die Mächte der Natur - Wasser, Feuer, reißende Tiere - , wir denken an die Menschen um uns, an die Menschen, die, indem sie für ihre Lebensnotdurft sorgen, die unsere beeinträchtigen können.

SICHERHEIT ALS ELEMENT POLITISCHER ORDNUNG

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Der Ursprünglichkeit dieses Zustands entspricht es genau, daß das Wort .sicher', vom lateinischen securus sich herleitend, seiner sprachlichen Bildung nach eine Negation in sich schließt. Auch das haben wir nicht mehr im Gefühl. Denn wir gebrauchen den Ausdruck »Sicherheit' wie die Benennung von etwas, das aus positiver Setzung folgt. Für die Bezeichnung des Gegensatzes kann uns mit negierender Vorsilbe das Wort .Unsicherheit' dienen. Die antiken Sprachen, der Griechen sowohl wie der Römer, bezeichnen als .Sicherheit' dagegen das Fehlen von etwas, das der Mensch als daseinsmächtig erfahren hat. 3Ασφάλεια, das griechische Wort für das, was wir Sicherheit nennen, und die lateinische Entsprechung securitas, sind beide Negationen. Wo der Mensch gegen die Schläge des Unglücks, die σφάλματα, geschützt ist, besteht ά-σφάλεια; wo er frei von Sorge (cura) sein darf, ist se-curitas gegeben. Einen eigenen Begriff für .Un­ sicherheit' bieten daher diese Sprachen nicht, hätten sie doch dafür die Negation der Negation bilden müssen. Dafür sind Gefahr (periculum), Sorge (cura), Furcht (timor), Schrecken (terror) die Benennungen dessen, was konkret aus dem als ursprünglich erfahrehen Zustand der Ungeborgenheit folgt und in dem der securitas aufgehoben wird. Sicherheit in diesem Sinn aber ist verständlicherweise den Men­ schen von jeher als ein Wert erschienen, auf den sich ihr natür­ liches Streben richten muß. Denn - dieser Satz ist nicht weniger richtig als der von der Ungeborgenheit des Menschen - ein ge­ wisses Maß von Sicherheit ist notwendig, damit menschliches Dasein überhaupt möglich wird, ein Dasein, das menschenwürdig ist und diesen Namen verdient. Dieses Maß von Sicherheit zu haben und sich zu erhalten, ist daher ein Recht, das der billig Denkende keinem Menschen und keiner Gruppe von Menschen versagen kann. Damit ist bereits gesagt, wo jedes Sicherheits­ streben anderseits seine Grenze finden muß, dort nämlich, wo die von einem Partner menschlichen Zusammenlebens erstrebte Sicherheit die des anderen zu gefährden droht. Zugleich ist damit weiter gesagt, daß das Bemühen um Sicherheit nur dort einen Erfolg von Dauer haben kann, wo es auch gegenseitig ist. Die geschichtliche Erfahrung lehrt, daß, wer nur den eigenen An-

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SICHERHEIT ALS ELEMENT POLITISCHER ORDNUNG

Spruch auf Sicherheit verfolgt, ohne den des anderen zu achten, auf die Dauer bald den eigenen gefährden muß. Dies sind allgemeine Erwägungen, die fortzuführen in dieser Weise nicht Sache des Historikers ist. Aber auch er muß sie sich gegenwärtig halten, wenn er, wie es seine Aufgabe fordert, zu erkennen sucht, wie sich die Grundzüge menschlichen Daseins und damit sein Sinn in der Fülle und Mannigfaltigkeit des ge­ schichtlichen Lebens abzeichnen. Für den Historiker der Antike (und nicht nur den der Antike) gibt es wenig Bereiche nach Zeit und Raum, wo das Problem der Sicherheit nicht von maßgeb­ lichem Einfluß auf den Ablauf der Geschichte gewesen wäre. Das aufzuzeigen durch alle Jahrhunderte, die wir der Antike zu­ zählen, wäre eine umfassende Aufgabe, die bisher noch nicht angegriffen worden ist. Sie soll auch hier nicht im ganzen er­ örtert werden. Nur eine Phase daraus sei in diesen Betrachtungen ins Auge gefaßt, eine Phase jedoch, die keine beliebige ist. Die Bedeutung, die ihr eignet, folgt daraus, daß sie in ihren besonde­ ren Zügen gerade auch allgemeine und exemplarische enthüllt und nicht nur in ihren Vorgängen, sondern zugleich in den Aus­ sagen ihrer Zeitgenossen darüber von einer sie überdauernden Gültigkeit ist.

SICHERHEIT UND ZEITSTIMMUNG

Nach dem Sieg über seinen Rivalen Antonius zum alleinigen Herrn des Imperium Romanum geworden, hat Augustus dem römischen Staat eine neue Ordnung geschaffen. Gegenüber den Formen absoluter Alleinherrschaft, wie Cäsar sie angestrebt hatte, stellt diese neue Ordnung sich dar als eine den Erforder­ nissen der Zeit angepaßte Rückkehr zu der herkömmlichen Ge­ stalt der römischen Res publica, der aber Augustus als Princeps, wie er selbst, einen den Römern nicht ungewohnten Ehrentitel aufnehmend, sich nannte, in bedachter Zurückhaltung und doch mit der gebotenen Entschiedenheit zur Seite trat. Dieser Prinzi­ pat ist bei allem, was ihn mit alten Traditionen der Vätersitte verbindet, dennoch der Beginn einer neuen Epoche, einer neuen Erscheinung in der Geschichte, eben dessen, was wir als das römische Kaisertum zu bezeichnen gewöhnt sind. Für die von den Heimsuchungen blutiger Kämpfe, von den alle Bereiche des Lebens erschütternden Wirren der Bürger­ kriege zerquälte römische Welt hat Augustus mit einem Schlage, so scheint es, eine Zeit des inneren und weithin auch des äußeren Friedens heraufgeführt. Die Pax Augusta, der durch seine Leistung gesicherte und in seiner Person verbürgte Friede, ist das, was der Princeps als Frucht seines Wirkens und als das Ziel seines Strebens nunmehr verkündet. In diesem Frieden kann sich wieder entfalten, was der Bürgerkrieg gehemmt oder vernichtet hatte. Die Bestellung des Ackers, die Verehrung der Götter in Kulten und Festen, die Gewißheit des Besitzes, heilbringende Gesetze - so zählt es Velleius Paterculus, der seinen Kaiser prei­ sende Offizier und Geschichtsschreiber aus der Zeit des Tiberius,

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SICHERHEIT UND ZEITSTIMMUNG

auf1 - kehrten jetzt wieder. In der Mitte dieser Reihe führt er an, daß damals und damit auch die Sicherheit den Menschen (securitas hominibus) wiedergeschenkt worden sei. Es blieb nur das Bangen, ob diese Segnungen erhalten bleiben und nicht in neuer Drangsal wieder erstickt würden, wenn der, der dies alles verbürgte, einmal die Augen schließen müßte. Als aber Augustus mit der Adoption seines Stiefsohnes Tiberius sich den Nachfolger bestellte, da habe man - so sagt derselbe Autor2 - die Hoffnung gewonnen, daß nunmehr dauernde Sicherheit und ewiger B e­ stand des römischen Reiches gegeben sei: spem conceptam per­ petuae securitatis aeternitatisque Romani imperi. Aus solchen, die Ausdrücke dauernden Bestandes fast emphatisch häufenden Worten ist zu spüren, wie sehr Sicherheit, als objektiver Zustand sowohl wie als subjektives Gefühl, zu den Werten der augustei­ schen Ordnung gehört. Sie gehört, als Besitz und als Wunsch, zum Wesen dieser Zeit. Aber das ist Vorspiel nur, Vorklang späterer Jahrzehnte, in denen die Frage nach der Sicherheit erst wirklich bewußt zu 1. Veil. Paterc. 2, 89, 4 : prisca illa et antiqua rei publicae forma revocata rediit cultus agris, sacris honos, securitas hominibus, certa cuique rerum suarum possessio; leges emendatae utiliter, latae salubriter. 2. Veli. Paterc. 2, 103, 3: laetitiam illius diei concursumque civitatis et vota paene inserentium caelo manus spemque conceptam perpetuae securitatis aeternitatisque Romani imperi vix in illo iusto opere abunde persequi pote­ rimus, nedum hic implere tentemus. - In der Aufzählung der Segnungen des erhofften Zustandes häufen sich die Bezeichnungen von Frieden und Ruhe, wie sie später als Benennungen göttlicher Wesenheiten auf den Münzen nebeneinander erscheinen; Veil. Paterc. 2, 103, 4: tum refulsit certa spes liberorum parentibus, viris matrimoniorum, dominis patrimoni, omnibus hominibus salutis, quietis, pacis, tranquillitatis, adeo ut nec plus sperari potuerit, nec spei responderi felicius. - Hier schon wird deutlich, daß dieser Zustand der Ruhe und Sicherheit aus der Stabilität der inneren Ver­ hältnisse des Staates, nicht aus der Sicherung der Grenzen nach außen folgt. An anderer Stelle (2, 98) umschreibt Velleius das Amt des prae­ fectus urbi L. Calpurnius Piso (Prosop. Imp. Rom.2 ιι Nr. 289), der wäh­ rend der Abwesenheit des Tiberius von Rom für die Erhaltung der Ord­ nung in der Stadt zu sorgen hatte, mit der Bezeichnung securitatis urbanae custos. - Vgl. den Hinweis auf diese Zeugnisse des Velleius bei H artmann, re ii/a , io o i .

TAFEL I

S kuuritas Augusti Senatsprägung der Zeit Neros (05 n. dir.)

TAFEL II

S ecuritas PuBLiCA-SEcuRiT(as) PERP(etua)

Darstellungen der Securitas auf Münzen Gordians III. (238-244 n. Chr.)

SICHERHEIT UND ZEITSTIMMUNG

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einem Problem des römischen Kaisertums erhoben wird. Im Hinblick auf diese dann heraufkommenden Entwicklungen gilt es festzuhalten, daß securitas hier noch kein Begriff ist, in dem ein Prinzip sich ausdrückt, um das man kämpft. Auch gibt es kein Zeugnis in Bild oder Wort, das sie jetzt schon, wie es später geschieht, als göttlich gedachte Gestalt uns vor Augen stellt. Augustus hat sie nicht, etwa auf Münzen, gleichsam als Schlag­ wort propagiert. So bleibt sie hier zunächst noch bezogen auf das Allgemeine, auf die römische Herrschaft im ganzen; sie ist, wie Velleius Paterculus sagte, den Menschen schlechthin wieder­ gegeben. Nicht aber wird sie jetzt schon zum Anliegen der ein­ zelnen Faktoren in diesem Ganzen, des Kaisers auf der einen, der von ihm Beherrschten oder bestimmter Gruppen von ihnen auf der anderen Seite. Dazu ist es erst später gekommen, und in dem Augenblick, da dies sich vollzieht, beginnt recht eigentlich die Frage der Sicherheit zu einem politischen Problem zu wer­ den, das für den Bestand des Kaisertums und den Zusammenhalt des Reiches von entscheidender Bedeutung wird und weiterhin geblieben ist. In einem buchstäblichen Sinn bildhaft sichtbar ist diese Zeit samt ihrem Beginn auch heute noch für uns in dem Bild einer großen Reihe römischer Münzprägungen, das die Securitas ge­ wissermaßen als göttliche Person gewordenes Wesen zeigt. Eine weibliche Gestalt, sitzend auf einem thronartigen Sessel, lehnt sich zurück, wobei sie einen Arm auf die hohe Rückenlehne legt und mit der Hand das Haupt stützt. Das ist ein nicht gerade tiefsinniges, dafür um so leichter faßliches Symbol sorglos ent­ spannter Ruhe, wie auch der andere Typus des Bildes es ist, der daneben erscheint als die gleiche Frauengestalt, diesmal lässig, ein Bein vor das andere geschlagen, stehend auf den Stumpf einer Säule gelehnt. Die Beischrift, die in späteren Zeiten, da das Bild in seiner massenhaften Verbreitung bekannt und unmiß­ verständlich geworden war, des öfteren fehlt, benennt sie aus­ drücklich als Securitas. In dieser Weise tritt die Figur, gewöhn­ lich ein Szepter haltend, in den Kreis der Gestalten, die wie Pax, Pietas, Fortuna und nicht wenige andere als Verkörperungen der Ideale kaiserlichen Waltens durch viele Münzbilder uns ver­

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SICHERHEIT UND ZEITSTIMMUNG

traut sind3. Das Bild der Securitas wie das ihrer in solcher Art verwandten Schwestern als das einer Gottheit anzusprechen, hätten wir ein Recht auch dann, wenn nicht inschriftliche Weih­ ungen an Securitas erhalten4 und anfangs in einem bemerkens­ werten und noch zu erörternden5 Fall direkt bezeugt wäre, daß die Priesterschaft der Arvalbrüder ihr ein Opfer dargebracht hat. Träfe die Mehrzahl derer das Richtige, die eine Antwort ver­ sucht haben auf die Frage, wie diese göttliche Verkörperung der Securitas zu verstehen und nach ihren Voraussetzungen zu deuten sei, so wäre in diesem Symbol durch Jahrhunderte das Gefühl der Sicherheit ausgedrückt und festgehalten worden, wie es für die Zeit des Augustus schon zu erschließen ist6. Es sei - um einen dieser Erklärer zu zitieren7 - »die durch den Frieden und das ungetrübte Glück ruhiger Zeitläufte hervorgerufene Stimmung«, die diese Erscheinung gezeitigt habe. Diese Auffassung hat wohl nicht zuletzt deshalb so ausdauernden Bestand behalten, weil sie so gut zu stimmen scheint zu der auch heute noch verbreiteten Meinung von dem Abendfrieden, in dem die Welt der antiken 3. Abbildungen der Bild-Typen der Securitas finden sich zusammen­ gestellt bei M. B ernhart, Handbuch zur Münzkunde der römischen Kaiserzeit (1926) 11, Tafel 69 Nr. 4-13. Dazu unsere Tafeln 1 und 2. 4. cil vin 7095 (= Dessau 2933). xiv 2899 (= Dessau 3788). - Die Be­ deutung des Begriffs securitas für den Totenglauben und die zahlreichen inschriftlichen Zeugnisse dazu gehören nicht in den Rahmen dieser Unter­ suchung. Vgl. darüber L. F riedländer -G. W issowa, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms® in (1920), 299. 5. Siehe unten S. 24 f. 6. Von älterer Literatur seien hier genannt : H artmann, re ii/a , ioooff. s. V. Securitas. G. W issowa, Religion und Kultus der Römer2 (1912), 335. B ernhart, a.O. 1, 99f.; vgl. 232t. K. R egling, Die antiken Münzen3 (1929), 108 und 125. Neue Möglichkeiten für die'Behandlung von Themen, wie wir hier eines angreifen, hat die Erschließung des numis­ matischen Materials ergeben. Den von H. Mattingly bearbeiteten Kata­ logen des Britischen Museums (Coins of the Roman Empire in the British Museum, im folgenden zitiert als bmc Emp.) und P. L. Stracks Unter­ suchungen zur römischen Reichsprägung des 2. Jahrhunderts (1, 1931, 65; 11, 1933» 61; in, 1937, 37 u· 5**) ist die folgende Untersuchung besonders verpflichtet, auch wenn sie teilweise zu abweichenden Ergebnissen kommt. 7. W issowa, a.O.

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Kultur dahindämmerte, bis die Stürme junger Völker herein­ brachen und das zu Fall brachten, was längst innerlich morsch geworden war und sich in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten als geistig unfruchtbar erwiesen hatte. Doch dieses Bild, das seine Maßstäbe dem auf einem einseitigen B e­ griff der Kultur beruhenden Klassizismus verdankt, ist durch die historische Forschung längst erschüttert und muß als un­ geschichtlich abgetan werden. Nicht nur, daß auch diese Jahr­ hunderte nicht arm an Kriegen sind; die Welt des römischen Reiches entbehrt auch in dieser Zeit keineswegs fruchtbarer und folgenreicher innerer Spannungen; zu schweigen davon, daß auch die Geschichte des Christentums und der jungen Kirche als Vorgang voller Zukunftsträchtigkeit nicht wie ein Strom neben dieser Zeit, sondern als ihr eingeboren und fest verwachsen zu betrachten ist. Ihre angemessene Würdigung muß die ge­ schichtliche Wertung dieser Jahrhunderte zu wesentlichen Teilen mitbestimmen und das herkömmliche Bild verändern. So erweist es sich als unzureichend, ja als unmöglich, hier von einer mehr oder weniger einheitlichen Zeitstimmung zu sprechen und von ihr aus eine Erklärung zu versuchen. Zu diesem Be­ denken tritt für das Problem der Securitas im besonderen noch ein weiteres. Schon für die augusteische Zeit zeigte es sich, daß die preisende Berufung der Sicherheit gerade aus der voraus­ gegangenen Erschütterung durch das Erlebnis der Unsicherheit folgt. Auch die Tatsache, daß späterhin nach gar nicht langer Zeit das Wesen der Sicherheit wieder Gegenstand des Nach­ denkens und, wie wir sehen werden, der politischen Auseinander­ setzung wird, hat ihren Grund allein darin, daß dieses Wesen in kritischer Situation als problematisch erfahren wird. Es steht damit wie mit anderen Begriffen verwandter Art auch : die Men­ schen werden seiner inne und sprechen von Sicherheit dann, wenn sie sich bedroht und ungeborgen fühlen8. Der Schluß auf 8. Auch von der Sorge um die Sicherheit der Provinzialen durch den Schutz der Reichsgrenzen wird erst gesprochen in einer Zeit, da deren Gefährdung weithin sichtbar geworden war. In einer Inschrift des Commo­ dus aus Mauretanien (Dessau 396) heißt es : securitati provincialium suo-

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eine darin wirkende Zeitstimmung hat daher gerade im entgegen­ gesetzten Sinne zu lauten. Denn wo die Sicherheit derartig stark betont wird, ist als Voraussetzung dafür ein erregtes Bewußt­ sein der Gefährdung anzunehmen. Im übrigen aber wird man gut daran tun, die Kategorie der .Stimmung* in diesem Zusammenhang überhaupt nur vorsichtig und mit Vorbehalten zu gebrauchen. Nicht, daß es in den Jahr­ hunderten der römischen Kaiserzeit keine im Gesicht der einzelnen Epochen sich abzeichnenden Zeitstimmungen gegeben hätte. Doch sind sie niemals eindeutig und allgemein und kaum je von längerer Dauer gewesen. Vor allem aber sind sie nur als Symptome zu werten, die der Erklärung bedürfen, nicht als Erscheinungen, von denen aus sich Erklärungen geben lassen. Das gilt auch in besonderem Maße hinsichtlich des Begriffs der Sicherheit. Wo er auf dem Feld der politischen Auseinandersetzungen erscheint, handelt es sich allenfalls sekundär um den Ausdruck eines be­ ruhigten oder öfter eines beunruhigten Zeitgefühls. In erster Hin­ sicht ist er zu begreifen als ein Zeichen dafür, daß das Gefüge der politischen Ordnung gestört ist und man um seine Erneuerung ringt. Auf diesen Kampf und die in ihm sichtbar werdenden Prinzipien hat der Historiker sein Augenmerk zu richten. rum consulens turres novas instituit et veteres refecit opera militum suorum. — Für Securitas gilt ebenso, was C. H. V. Sutherland, Coinage in Roman imperial policy (1951), 7, auch von anderen Darstellungen der Münztypen treffend bemerkt: »To represent Concordia, Libertas or Pax might stress not so much their activity as the need for their activity«.

SECURITAS AUGUSTI - SECURITAS POPULI ROMANI

Der erste Fall einer Münzprägung mit dem Bild der Securitas gehört in die letzten Jahre der Regierung des Kaisers Nero*. Dabei ist die Securitas durch die Beischrift als Securitas Augusti bezeichnet, also als die Securitas des Kaisers selbst. Wenn damit, für unsere Kenntnis zum erstenmal, die Sicherheit der kaiser­ lichen Person so sichtbar betont wird, dann setzt das voraus, daß für den Kaiser eine besondere Gefahr besteht oder bestanden haben muß. Daher hat man, wenn auch zögernd, so doch, wie sich weiter ergeben wird, gewiß mit Recht, diese Prägung in Zusammenhang gebracht mit einem Ereignis, das das Leben Neros und seine kaiserliche Stellung damals bedroht hatte9 10. Es ist die Verschwörung des Caius Calpurnius Piso11, die im Jahre 65 n. Chr. glücklich niedergeschlagen worden ist. Das Willkürregiment Neros, das auf der Hinneigung des Kaisers 9. Mattingly , bmc Emp. 1 (1923) pag. C L x x ix f.; vgl. Hartmann, a.O. 1001. Siehe unsere Tafel 1. 10. Mattingly hatte a.O. noch mit Vorsicht diese Prägung auf die Rettung Neros vor dem Anschlag der Verschwörer bezogen und unter Hinweis auf Tacitus, ann. 15, 18, wo von einer Maßnahme des Kaisers, quo securitatem annonae sustentaret, gesprochen wird, die Frage gestellt, ob die Securitas-Piägung sich etwa darauf beziehe. Im gleichen Band pag. ccx x und Band in pag. clxiv Anm. 1 hat er sich dann jedoch ein­ deutig für die erste Möglichkeit entschieden. Sicher mit Recht: aus den folgenden Erwägungen unserer Untersuchung wird sich ergeben, daß bei einer Beziehung auf die annona die Legende der Münze nicht Securitas Augusti, sondern allenfalls, wenn die Securitas näher erläutert werden soll, Securitas p (opuli) R(omani) lauten müßte. 11. Prosop. Imp. Rom.* 11 Nr. 284. E. G roag, re iii 13770.

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SECURITAS AUGUSTI -

SECURITAS POPULI ROMANI

zu absoluten Formen des hellenistischen Königtums, mehr aber noch in den weniger erfreulichen Zügen seines Wesens - Macht­ gier, Habsucht, Eitelkeit, Abhängigkeit von Frauen und den mächtigen Freigelassenen in seiner Umgebung - beruhte, hatte mit seinen Ungerechtigkeiten, vor allem mit dem Mißbrauch der Majestätsprozesse eine Opposition zusammengeführt, die nicht das Kaisertum beseitigen, aber dieses einem anderen, eben dem Calpurnius Piso, übertragen wollte. Diese Opposition kam aus den Reihen der eigenen Standesgenossen des Kaisers, das heißt aus der Senatsaristokratie, und selbst Verwandte des kaiserlichen Hauses waren an ihr beteiligt. Die Verschwörung erreichte nicht ihr Ziel, jedoch offenbarte sie, daß der Kaiser bedroht war von denen, die er selbst in der Sicherheit ihres B e­ sitzes und ihres Lebens gefährdete. Die Securitas Augusti, wie sie hier in dem Münzbild erscheint, besagt also, daß es um die Sicherheit des Kaisers vor der Mög­ lichkeit solcher Attentate geht. Von daher ist es zu verstehen, daß auch in späterer Zeit und bei anderen Kaisern die Securitas dieser Art im Zusammenhang mit ähnlichen Vorgängen mehrfach berufen wird. So berichtet Sueton12, daß Kaiser Titus, als er gegen einen der Verschwörung nur Verdächtigen rücksichtslos ein­ geschritten sei, für den Augenblick zwar sich Mißgunst zuge­ zogen, für die Zukunft aber sich die Sicherheit gewährleistet habe. Als ein weiteres Zeugnis in dieser Reihe ist schließlich die Securitas Augusti unter den Münzemissionen Kaiser Hadrians zu interpretieren. Sie kann sich nur beziehen darauf, daß der Kaiser der bekannten und viel umstrittenen Verschwörung der vier ehemaligen Generale Trajans entgangen ist, mag diese nun tatsächlich geplant oder auch nur vom Kaiser behauptet worden sein, um diese Männer beseitigen zu können13. 12. Sueton, Titus 6, 2: quibus rebus sicut in posterum securitati satis cavit, ita ad praesens plurimum contraxit invidiae. 13. Mattingly , Joum.Rom.Stud. x v (1925), 2i2ff. und bmc Emp. in (1936), pag. CLXinf., wo er ausdrücklich - und wieder ist zu sagen: mit Recht - an seiner Deutung festhält gegen die Einwendungen von Strack , Reichsprägung h (1933), 61. Strack wollte diese Securitas-A ugusti-Trä.gung Hadrians beziehen auf den großen Schuldenerlaß des Kaisers, weil

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SECURITAS POPULI ROMANI

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Nero hat mit der rechtzeitigen Abwehr des gegen ihn gerichte­ ten Anschlags sein Verhängnis nicht wenden, nur aufschieben können. Er hat, die Warnungen der Verschwörung nicht ach­ tend, die Methoden seines Regiments nur noch verschärft. Als er wenige Jahre später Herrschaft und Leben verlor, erhob sich der Kam pf um sein Erbe. Nacheinander griffen die Exponenten verschiedener Gruppen nach der Macht, aber keiner von ihnen weder Galba, noch Otho, noch Vitellius - vermochte sie zu be­ haupten. Sie stürzten sich gegenseitig, und erst nach einem Jahr gelang es dem siegreichen Feldherm der im Osten stehenden Legionen, Flavius Vespasianus, eine Herrschaft von Dauer zu begründen und auch für seine Söhne zu sichern. Es überrascht nicht, daß gerade in diesen Kämpfen die Frage der Sicherheit der kaiserlichen Stellung in aller Schärfe sich gestellt hat. In der Tat hat denn auch keiner der Genannten darauf verzichtet, das schon von Nero gegebene Stichwort aufzugreifen und dem Bild der Securitas in den Münzprägungen breiten Raum zu geben. Jetzt aber traten neue Momente dabei in Erscheinung, die für die Zukunft von erheblicher Bedeutung werden sollten. Der auf das Vertrauen des Senates sich stützende, aber von der Mehr­ zahl der Legionen und den Prätorianern auf die Dauer nicht anerkannte Kaiser Galba war alt an Jahren. In diesem Alter lag, besonders nach der Erhebung des Vitellius und der Legionen am Rhein, die Unsicherheit seiner Stellung begründet. Ihr zu be­ gegnen suchte er ein Mittel, indem er einen Jüngeren adoptierte und mit dieser Adoption zum Erben und Nachfolger designierte. Daß dieser A kt tatsächlich die Stellung des Kaisers sichern, also seiner securitas dienen sollte, ist uns klar genug bezeugt. es von diesem in einer Dankinschrift des Senates heißt, durch den Nach­ laß der Schulden habe der Kaiser die Bürger und ihre Nachkommen sicher­ gestellt: praestitit hac liberalitate securos (c i l v i 967 = Dessau 309). Aber auch dieser Akt kaiserlicher Freigebigkeit hätte als Securitas p (opuli) R(omani), nicht als Securitas Augusti in der Münzprägung erscheinen müssen; vgl. oben Anm. 10. - Wie der Schuldenerlaß Hadrians sich in die Geschichte des Problems der Sicherheit einfügt, darüber vgl. unten S. 42 f.

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SECURITAS AUGUSTI -

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Tacitus14 läßt in seiner Erzählung der Ereignisse den Kaiser in einer Rede sagen, er sei in zu wenig sichere Verhältnisse ein­ getreten; sobald jedoch die Kunde der vollzogenen Adoption sich verbreitet haben werde, werde er nicht mehr als ein Greis gelten, was allein man ihm zum Vorwurf mache : ne ipse quidem ad securas res accessi, et audita adoptione desinam videri senex, quod nunc mihi unum obicitur. Es läßt sich beweisen, daß dies nicht etwa nur die von Tacitus dem Vorgang gegebene Inter­ pretation, sondern wirklich die Intention Galbas gewesen ist. Die inschriftlich erhaltenen Akten der Priesterschaft der Arvalbrüder bieten dafür einen gleichsam urkundlichen und darum

14. Tacitus, hist. 1,16. - Meine früheren Bemerkungen zu dieser von Tacitus formulierten Rede Galbas (Hermes 75, 1940, 272t.) sind von E. K ornemann, Tacitus (1946), 27 Anm. 1, als »Rückschritt« bezeichnet worden. Gegen K ornemann bin ich jedoch nach wie vor der Meinung, daß der Interpret diese Rede, wie andere auch, nicht nur aus sich heraus deu­ ten und aus dem Zusammenhang lösen darf, in den sie der Historiker Tacitus hineinkomponiert hat. Im übrigen vermag ich den Gegensatz K ornemanns zu meiner Auffassung nicht als so scharf anzusehen, wie er selbst es tut. Schärfer jedoch als damals bin ich - wie sich noch weiterhin ergeben wird - heute der Meinung, daß die Galba-Rede nicht ausschließ­ lich Gedanken des Tacitus selbst und Auffassungen der Zeit Nervas und Trajans wiedergibt, sondern außerdem Elemente enthält, die bereits auf Galba selbst zurückgehen. Die Frage ist insofern bisher nicht genügend klar gestellt worden, als man nicht hinreichend erwogen hat, inwiefern zwischen dem Prinzipat Nervas und dem Galbas direkte Zusammenhänge bestehen; darüber siehe unten S. 40. Ansätze zur entscheidenden Erfas­ sung des Problems bietet schon J. V ogt, Tacitus und die Unparteilichkeit des Historikers (Würzburger Studien zur Altertumswissenschaft 9, 1936), 8ff. In dem bezeichneten Sinne einen Schritt weitergehen möchte ich auch gegenüber der eindringlichen und auch diese Frage fördernden Interpreta­ tion von F. K lingner , Die Geschichte Kaiser Othos bei Tacitus (Berichte über die Verhandl. d. Sächs. Akad. d. Wissensch., Phil.-hist. Kl., 92. Bd., 1940, 1), wo es S. i i heißt : »Genährt mit Gedanken, die seit Nerva in seiner eigenen Zeit galten, deutet (Tacitus) die Annahme Pisos an Sohnes Statt als gescheiterten Versuch Galbas, das Rechte einzuführen, das erst ein Vierteljahrhundert später Nerva glücklich verwirklicht hat, als er sich Trajan zum Sohn und Nachfolger erwählte.« Es handelt sich, wie mir scheint, weder nur um Deutung des Tacitus noch um Gedanken erst aus der Zeit Nervas.

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besonders eindringlichen Beleg. Sie verzeichnen zum io. Januar des Jahres 69, daß die Priesterschaft mit dem Kaiser selbst an der Spitze des Kollegiums aus Anlaß der Adoption der Gottheit Securitas ein Rind geopfert habe15. Galba hat dies alles nichts genützt, er hat vielmehr den Adop­ tierten mit in seinen Untergang gezogen. Aber das verschlägt für das Prinzip unserer Frage nichts. Es kommt dagegen darauf an zu erkennen, daß nach der hier geltenden römischen Auf­ fassung das Vorhandensein des Erben und Nachfolgers ein ent­ scheidendes Moment ist, die Sicherheit des Kaisers mitzube­ gründen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen adoptierten oder um den eigenen Sohn als Nachfolger handelt. Von hier aus wird verständlich, was es besagen soll, wenn Kaiser Vespasian auf Münzen das Bild der Securitas nicht nur mit seinem eigenen, sondern auch mit dem Bild seines Sohnes Titus zusammenfügt16. Wie diese Anschauung forthin geltend ge­ blieben ist, wird besonders am Anfang des 3. Jahrhunderts noch einmal deutlich: zahlreiche Prägungen des Kaisers Septimius Severus vereinen immer wieder das Bild seiner Söhne Caracalla und Geta mit der Darstellung der Securitas17. In der Existenz dieser bereits mit kaiserlichen Würden ausgestatteten Söhne, dies verkünden diese Prägungen, ist die Sicherheit des Kaisers und seines Hauses garantiert. Neben diesem Moment, das die Ereignisse des Jahres 68/69 für das Verständnis des Problems der Sicherheit deutlich machen, erscheint ein zweites, das hier neu sichtbar wird. Es geht jetzt

15. cil vi 2051 i 24Ü .: [Isdejm co(n)s(ulibus) I I I I idus I[an(uarias)] adoptio facta ... etc. ... (26f.) ... im[molatum in Capitolio ob ad]optione[m

Ser. Sulpici Galjbae Cfaesaris Iovi b(ovem) m(arem)] ... etc. ... (3of.) Securi[tati vacc(atn)] -. Trotz des fragmentarischen Erhaltungszustandes ist das Entscheidende völlig sicher. - Ich zitiere nach cil , da die neuste Ausgabe der Acta fratrum Arvalium von P asoli (Bologna 1950) mir bisher nicht zugänglich war. 16. Mattingly , BMcEmp.11 Vespasian Nr. 808. 811: Vs. Vespasian, Rs. Securitas Augusti', Nr. 861: Vs. Titus Caesar, Rs. Securitas Augusti. 17. J. Hasebroek , Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Sep­ timius Severus (1921), 126; vgl. 152ff.

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nicht mehr nur um die Securitas Augusti, die Sicherheit des Kaisers, sondern zugleich und im Zusammenhang damit auch um die Securitas populi Romani, die Sicherheit des römischen Volkes, die ausdrücklich formuliert und hervorgehoben wird. Galba sowohl wie Otho haben Münzen mit der Legende Securitas populi Romani prägen lassen18. Es genügt nicht, diese nur als eine Variante ohne eigenes Gewicht neben den Securitas-AugustiPrägungen anzusehen. Denn wie der Kaiser und das römische Volk, das heißt vor allem dessen oberste Instanz, der Senat, nebeneinander und einander gegenüberstehen, so wird jetzt der Dualismus der Sicherheitsansprüche beider herausgestellt. Damit ist zugleich ausgedrückt, daß der Kaiser nicht nur auf die eigene Sicherheit bedacht sein darf: als Regenten ist ihm auch die Sicherheit der von ihm Regierten zur Aufgabe gestellt, auf die er sein Wirken zu richten und die er seinerseits zu respektieren hat. Das war es ja, was der Tyrann Nero hatte vermissen lassen, wenn er mit Majestätsprozessen und anderen Maßnahmen dieser Art Senatoren bedrohte. 18. Mattingly , bmc Emp. i pag. cxcvi (Galba), ccx x (Otho). - Auch unter Vespasian findet sich diese Prägung, und Mattingly (ii pag. xlviii ) bemerkt dazu : »Securitas p. Romani is the happy result of the Pax p. Romania, nicht zutreffend, wie ich glaube. Dagegen sagt er richtig: »Secu­ ritas Augusti (is) the secure estate of the Emperor himself«, erkennt aber nicht, daß Securitas p. R. als Entsprechung dazu zu verstehen ist.

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Hätte es mit den Vorgängen des Jahres 69, soweit in ihnen die Frage der Sicherheit als eines politischen Problems für den Bestand des Kaisertums zur Rede steht, sein Bewenden, so dürfte man frei­ lich sagen, diese Ereignisse seien so begrenzter Art, daß man sich hüten müsse, zuviel aus ihnen herauszulesen und sie in ihrer Tragweite zu überschätzen. Aber sie haben fortgewirkt und sich, noch bevor eine neue Generation in Erscheinung trat, in einer Weise ausgestaltet, die ihrerseits auf die grundsätzliche Bedeutung der Geschehnisse des Jahres 69 erst das rechte Licht wirft. Auch in den fast drei Jahrzehnten des Kaiserhauses der Flavier ist das Problem der Sicherheit bestehen geblieben und an ihrem Ende hat es sich verschärft zu einer Spannung, deren schließliche Lösung dann das nächste Jahrhundert weitgehend bestimmt hat. Es ist schon die Rede davon gewesen, daß Titus, der Sohn und Nachfolger Vespasians, wie Sueton es bezeugt19, aus Sorge um seine Sicherheit einen befürchteten Angriff gegen die eigene Person erfolgreich schon im Keim erstickt hat. Anderseits hat aber auch Titus sich die securitas der anderen angelegen sein lassen. Wenn Plinius20 davon später sagen kann, der Kaiser 19. Sueton, Titus 6, 2. Vgl. oben S. 22. 20. Plinius, Paneg. 35, 4: Ingenti quidem animo divus Titus securitati nostrae ultionique prospexerat ideoque numinibus aequatus est. — Das schließliche Vertrauen zu Titus drückte sich aus in den ungewöhnlichen Trauerkundgebungen des Senates beim Tode des Kaisers ; Sueton, Titus 11 : senatus prius quam edicto convocaretur ad curiam concurrit, obseratisque adhuc foribus, deinde apertis, tantas mortuo gratias egit laudesque congessit, quantas ne vivo quidem umquam atque praesenti.

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habe für »unsere Sicherheit« Sorge getragen, so beweist dies, daß es sich darum handelte, die senatorische Aristokratie gegen Über­ griffe des Kaisers zu sichern. Domitian hat diese Richtung nicht weiter verfolgt. Er hat die Gewaltherrschaft Neros erneuert und verschärft, hat an die Stelle der Sicherheit Furcht und Schrecken gesetzt und ist darum dann gewaltsam gestürzt worden. Sein Tod ließ Rom, das heißt vor allem die Angehörigen der Nobilität, wieder aufatmen. Es entspricht der Situation, daß die Initiative in diesem Augenblick dem Senat zufällt. Er überträgt die Kaiserwürde einem seiner ältesten und angesehensten Mitglieder, dem greisen Nerva, der seinerseits, um seine Stellung zu sichern, sich bald einen Nachfolger und Mitregenten durch Adoption de­ signierte in der Person Trajans, einem der tatkräftigsten und der Gefolgschaft der Heere sicheren Feldherrn der Zeit. Dieser Thron­ wechsel bedeutet keinen Bruch, aber doch eine neue Phase in der Geschichte des Kaisertums, für die nun kaum ein anderes Symbol und ein anderer Name so bezeichnend wird wie der der Securitas. Zu den Münzen mit ihren Bildern und Legenden, die uns das auch hier wieder reich belegen, treten jetzt in größerem Maß literarische Zeugnisse, die diese Zusammenhänge in einem deut­ licheren und in seinen Einzelzügen aufschlußreichen Bild er­ kennen lassen. Der Panegyricus des jüngeren Plinius auf Kaiser Trajan aus dem Jahre ioo n. Chr., diese Prunkrede, mit der er dem Kaiser dankte für die Würde des Konsulats, bietet eine Fülle von Belegen dafür, wie sehr securitas das entscheidende Anliegen der Politik in den ersten Jahren nach dem Sturz Domitians ist. Unser Mißtrauen gegen die Formen der rhetori­ schen Sprache läßt uns in dieser Rede leicht verkennen, daß hier keineswegs nur servile Schmeichelei, sondern zugleich ein in seinen Elementen höchst genauer Niederschlag der politischen Richtung und Atmosphäre dieser Jahre vorliegt. Nicht weniger aber wird man sich einiger, zum Teil wohlbekannter Formulie­ rungen des Tacitus zu erinnern haben, wie denn überhaupt Taci­ tus derjenige ist, der mit seiner Darstellung von Furcht, Schrekken und Terror früherer Jahre die intensivste Beschreibung der Situation gibt, deren Pole Sicherheit und Unsicherheit der römi­ schen Aristokratie auf der einen Seite und anderseits des Kaisers

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heißen. Für seine Auffassung sind dabei nicht nur, wie man oft zu ausschließlich gemeint hat, weltanschauliche oder psycho­ logische Momente seines Wesens maßgebend; vor allem ist sie auch aus der Erfahrung seiner Zeit und seiner politischen Stel­ lung als der eines der Senatsaristokratie Zugehörigen zu begreifen. Es ist jedoch eine glückliche Fügung der Überlieferung, daß sie uns außer diesen literarischen Zeugnissen auch ein urkund­ liches bewahrt hat, das als Aufgabe und Prinzip des kaiserlichen Wirkens ausdrücklich dieses nennt, die Sicherheit für alle her­ zustellen. Unter den Anlagen zu einem Brief des Plinius an Kaiser Trajan ist ein Edikt Nervas erhalten21, das bisher älteste uns bekannte Beispiel einer kaiserlichen Urkunde, die in einer später allgemein üblich werdenden Weise neben der sachlichen Ent­ scheidung und vor ihr Erläuterungen bietet über die Grund­ sätze, aus denen die sachliche Entscheidung sich ergibt222 . Hier 3 sagt der eben zur Leitung der Geschicke des Reiches berufene Kaiser, er habe seine Ruhe der Sicherheit aller hintangestellt: me securitatem omnium quieti meae praetulisse**. Dies soll heißen, daß er die Last der kaiserlichen Würde noch in seinem Alter auf sich genommen habe, um die allseitige und gegenseitige Be­ ruhigung herbeizuführen, die den Zustand gegenseitiger Furcht und gegenseitiger Bedrohung aufheben solle, wie er unter Domi­ tian bestanden hatte. Quaedam sine dubio, Quirites, ipsa felicitas temporum edicit - es bedarf gar nicht eines besonderen Edikts des Princeps, wo das Glück der Zeiten selbst die Maßnahmen bestimmt - so lautet der erste Satz des Edikts24. Wie zu erwarten,

21. Plinius, epist. io, 58, 7 ff. 22. Über das Eindringen solcher prinzipiellen Darlegungen in die römi­ schen Urkunden vgl. P. Classen , Studien zur Entstehung der germani­ schen Königsurkunden auf römischer Grundlage (Dissert. Göttingen 1950, bisher leider nur in mechanischer Vervielfältigung vorliegend), 36. 23. Plinius, epist. 10, 58, 7. 24. Die der Rede näher als dem Brief oder dem schriftlichen Erlaß stehende Form des Stils, wie sie sich hier in der Anrede Quirites ausdrückt, bleibt weiterhin für derartige Auslassungen eines Kaisers in den Urkunden typisch, wie C lassen , a.O. 35 f., mit aufschlußreichen Zeugnissen ge­ zeigt hat.

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findet sich dann dieser Zusammenhang von felicitas und secu­ ritas auch in Äußerungen der folgenden Zeit. Plinius spricht in einem Brief an Trajan, der in die Zeit bald nach der Thron­ besteigung des Kaisers fällt, von der Zeit, in der er zugleich sicher und glücklich leben könne86. Man würde solche Formulierungen und solche Zeugnisse in ihrem Gewicht nicht ernst genug nehmen, wollte man sie nur als leere, allenfalls unverbindliche Äußerungen eines im Grunde wenig ernstgemeinten, wenn nicht gar von vornherein nur vor­ getäuschten Willens der politischen Partner, des Kaisers auf der einen, der Senatoren auf der anderen Seite nehmen. Welche Er­ leichterung damals durch die römische Aristokratie gegangen ist, wie damals langsam das Vertrauen sich wieder regte, dafür sind die einleitenden Kapitel der Agricola-Biographie und der Histo­ rien des Tacitus ein eindrucksvoller und weithin anerkannter Beweis. Tacitus greift gewiß ein entscheidendes Stichwort jener Tage auf, wenn er sagt, daß jetzt, mit der Herrschaft Trajans, die securitas publica, die allgemeine Sicherheit, nicht mehr nur Hoffnung und Wunsch sei, sondern in der Kraft des Vertrauens auf die Erfüllung dieses Wunsches ihre Begründung finde (wobei auch hier wieder mit der securitas die felicitas temporum be­ rufen wird)2 5 26. Für den Geschichtsschreiber werde die Zeit Nervas und Trajans als Gegenstand der Darstellung eine securior materia sein, ein Thema, das den, der es behandelt, nicht mehr in Ge­ fahr bringe ; denn das Glück der Zeiten - abermals werden securitas und felicitas temporum in ihrer gegenseitigen Bedingtheit ge­ nannt - bestehe darin, daß man denken könne was man wolle und seine Gedanken auch aussprechen dürfe27. Die Ereignisse früherer Jahre - gemeint sind die Jahre der Wirren nach Neros 25. Plinius, epist. 10, 2, 3: malui hoc potius tempore me patrem fieri quo futurus essem et securus et felix. 26. Tacitus, Agricola 3, 1 : ... augeatque cotidie felicitatem temporum Nerva Traianus, nec spem modo ac votum securitas publica, sed ipsius voti fiduciam ac robur adsumpserit... . 27. Tacitus, hist. 1, 1 : quod si vita suppeditet, principatum divi Nervae et imperium Traiani, uberiorem securioremque materiam, senectui seposui, rara temporum felicitate ubi sentire quae velis et quae sentias dicert licet.

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Tod - hätten mit ihren Schlägen gegen das römische Volk be­ wiesen, daß damals die Götter nicht seine Sicherheit, sondern seine Heimsuchung sich hätten angelegen sein lassen28. Fragt man, in welchen konkreten Handlungen und Maßnahmen dieses Bemühen um einen Zustand der Sicherheit sich ausge­ drückt hat, so bestätigt sich, was sich aus den mehr programmati­ schen Äußerungen zum Thema der Sicherheit bereits immer wieder entnehmen ließ: in erster, wenn auch nicht in einziger Linie ist es die Senatsaristokratie, um deren Sicherheit es dabei geht und die sich in diesen Spannungen und Auseinandersetzun­ gen als der wichtigste Partner und zugleich Gegenspieler des jeweiligen Kaisers erweist. Aus den Beispielen, die vor allem Plinius in seinem Panegyricus im Zusammenhang mit dem Pro­ blem der securitas anführt, ergibt sich dabei außerdem, worin in der vorausgehenden Epoche der Gewaltherrschaft, illo tri­ stissimo saeculo29 des Domitian, die Gefährdung der Sicherheit bestanden hat. Das Leben und der Besitz der vornehmen Ge­ schlechter, dies war es, was die Übergriffe des Kaisers bedrohten, darum also besonders garantierten Schutzes bedarf und diesen jetzt wieder gesichert erhalten soll. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist die Freiheit testamentari­ scher Verfügung über das Vermögen. Wer in den Jahren Domi­ tians den Kaiser nicht in seinem Testament bedachte, lief Ge­ fahr, als MajestätsVerbrecher zu gelten. Jetzt, so rühmt Plinius30 die neue Zeit, testamenta nostra secura sunt, sind die Bestimmun­ gen unserer Testamente nicht mehr durch Anfechtung bedroht und können frei getroffen werden. Denn nicht mehr ist nur einer von allen allein - der Kaiser - der Erbe, entweder weil man ihn von vornherein in dem Testament zum Erben bestimmte, oder 28. Tacitus, hist. 1, 3: nec enim umquam atrocioribus populi Romani cladibus magisve iustis indiciis adprobatum est non esse curae deis securi­ tatem nostram, esse ultionem. 29. Plinius, epist. 10, 2, 2. - Die Zeit Nervas und Trajans dagegen als beatissimum saeculum: Tacitus, Agricola 3, 1. 30. Plinius, Paneg. 43, 1 : in eodem genere ponendum est quod testamenta nostra secura sunt, nec unus omnium, nunc quia scriptus, nunc quia non scriptus, heres.

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weil er nicht darin bedacht worden war und darum das hinterlassene Vermögen als das eines Staatsverbrechers für sich beschlag­ nahmen ließ31. Das empfindlichste Instrument, dessen sich die gewalttätigen unter den früheren Kaisern gegen die Nobilität und jede Regung der Opposition in ihren Kreisen hatten bedienen können, waren die Majestätsprozesse. Ihre Verfahrensweise wurde jetzt abge­ baut. Nerva32 wie Trajan33 haben bereitwillig den Eid geleistet, keinen Senator hinrichten lassen zu wollen. Dazu gesellt sich der ausdrückliche Verzicht, in Prozessen Aussagen der Kinder gegen ihre Väter, Aussagen der Sklaven gegen ihre Herren zu erpressen34. Die Gefährdung der Sicherheit, die bis in den innersten Kreis der Familie gegriffen hatte, ist damit behoben, das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern, Herren und Sklaven wieder­ hergestellt. Der Kaiser, so drückt es Plinius aus, macht nicht mehr Sklaven sich lieber zu Freunden, die er über ihre Herren aussagen läßt, als daß er römische Bürger, das heißt diese Herren, als seine eigentlichen Freunde ansieht. Damit sind diese der Be­ 31. Ein weiteres Beispiel solcher »Sicherung« ererbten Besitzes ist die Befreiung kleinerer Erbschaften von Steuerlasten·; Plinius, Paneg. 40, i : carebit onere vicesimae parva et exilis hereditas et, si ita gratus heres volet, tota sepulcro, tota funeri serviet; nemo observator, nemo castigator adsistet. Cuicumque modica pecunia ex hereditate alicuius obvenerit, securus habeat quietusque possideat. 32. Cassius Dio 68, 2, 3: ώμοσε δε καί εν τφ σννεδρίφ μηδένα των βουλευτών φονενσειν, εβεβαίωσέ τε τον ορκον καίπερ έπιβου?.ευ&είς. 33· Cassius Dio 68, 5» 2 : ώς δε αύτοκράτωρ èyενετό, επέστειλε τή βουλή αντοχειρίςι άλλα τε και ώς ούδένα ανδρα àyaftov άποσφάξοι ή άτιμάσοι, και ταϋτα και δρκοις ον τότε μόνον αλλά καί ύστερον επιστώσατο. 34· Plinius, Paneg. 42, ι ff. : locupletabant et fiscum et aerarium non tam Voconiae et Iuliae leges quam maiestatis singulare et unicum crimen eorum qui crimine vacarent. Huius tu metum penitus sustulisti contentus magni­ tudine, qua nulli magis caruerunt quam qui sibi maiestatem vindicabant. (2) Reddita est amicis fides, liberis pietas, obsequium servis: verentur et parent et dominos habent. (3) Non enim iam servi nostri principis amici, sed nos sumus, nec pater patriae alienis se mancipiis cariorem quam civibus suis credit. Omnes accusatore domestico liberasti unoque salutis publicae signo illud, ut sic dixerim, servile bellum sustulisti. In quo non minus servis quam dominis praestitisti; nos enim securos, illos bonos fecisti.

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drohung, die Sklaven aber solcher Schändlichkeiten überhoben: nos enim securos, illos bonos fecisti - uns hast du damit Sicherheit wiedergegeben, jenen aber die Möglichkeit, das Rechte zu tun. So ruft der Redner dem Kaiser zu, und wieder ist dabei, wie an vielen Stellen dieser vor dem Senat gehaltenen Rede, das nos zu beachten, die Betonung des »wir« und »uns«, in der sich ausdrückt, wie stark es vor allem hier um das Gegenüber von Kaiser und Nobilität geht. Höchst gefährlich aber zur Zeit Domitians mußte es für einen Mann des Adels werden, wenn er durch sein Ansehen und seine Leistungen solcher Ehren würdig und gar teilhaftig wurde, die kaiserlichem Range nahekamen. Er mußte dann als Rivale kaiserlichen Ruhmes und möglicher Kandidat einer schwelenden Opposition seiner Standesgenossen, seine Beseitigung also dem Kaiser erwünscht erscheinen. Jetzt aber ist die Sicherheit der Zeiten, die securitas temporum, und die Leutseligkeit des Kaisers, die benignitas principis, wieder so unbeschränkt, daß er selbst ohne Furcht solche Ehren gewähren kann35. Will man verstehen, was damit gemeint ist, so wird man sich als eines Beispiels der schlimmen Zeit Domitians etwa der düsteren Szene erinnern, in der Tacitus so eindrucksvoll die Rückkehr des Agricola nach Rom beschreibt. Als dieser mit Feldhermruhm, vom Kaiser aus Britannien abberufen, Rom sich näherte, da mußte er die Stadt bei Nacht betreten, um den Feierlichkeiten eines ehrenden und öffentlichen Empfangs durch seine Freunde zu entgehen; denn das hätte ihn dem eifersüchtigen Kaiser verdächtig machen müssen. Von diesem selbst wurde er nicht wie ein Mann gleichen Ranges würdig empfangen. Der zeremonielle Kuß der Begrüßung fiel betont flüchtig aus, und der Ankömmling sah sich in die turba servientium verwiesen, in die Schar derer, die hier wie Sklaven dienen mußten36.

35. Plinius, Paneg. 50, 7 : tanta benignitas principis, tanta securitas tem­ porum est, ut ille nos principalibus rebus existimet dignos, nos non timeamus, quod esse digni videmur. 36. Tacitus, Agricola 40, 3. - Der Kontrast zu der Behandlung, die Trajan den Senatoren zukommen ließ, macht erst ganz deutlich, wie Taci-

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Wie anders bietet sich jetzt das Bild! Der Kaiser erwartet nicht mehr Schmeichelei und knechtische Unterwerfung. Mag sein, daß mancher sie ihm um so bereitwilliger gewährt. Aber darauf kommt es nicht an ; entscheidend ist, daß die adulatio nicht mehr erzwungen wird. Vielleicht klingt es unseren Ohren allzu pathe­ tisch, wenn Plinius37 als Vertreter seines Standes behauptet: Te vero securi et alacres, quo vocas, sequimur - in Sicherheit und mit feurigem Eifer folgen wir dir, wohin du uns rufst. Aber es ist nicht zu verkennen und bezeichnet die Lage, daß das Gelöbnis zu bereitwilliger Gefolgschaft hier an eine Voraussetzung ge­ knüpft ist, eben die, daß der Kaiser denen, deren Gefolgschaft er erwartet, die securitas garantiert. Von der Beseitigung des Zwanges und der Furcht her ergibt sich auch der Begriff der Freiheit für diese Zeit ; er ist nicht nur als Gegensatz zur Herr­ schaft eines einzelnen, sondern als Entsprechung und Folge der Sicherheit ein bezeichnendes Merkmal des neuen, das heißt gegenüber der Zeit Domitians neuen Zustands38. tus hier das Unwürdige in der Begrüßung eines Mannes senatorischen Ranges durch Domitian bis in die kleinsten Einzelzüge unterstreicht. Domitian begrüßt Agricola mit dem dem Senator zukommenden Kuß; aber dieser Kuß war nur flüchtig angedeutet (brevi osculo) und ihm folgte keine längere Anrede (nullo sermone). Welche Bedeutung diesem zere­ moniellem Kuß von seiten der Senatoren beigemessen wurde, ergibt sich aus der Bemerkung, mit der Plinius das Verhalten Trajans rühmt, Paneg. 23, 1 ; gratum erat cunctis, quod senatum osculo exciperes, ut dimis­ sus osculo fueras ; vgl. 24, 2 : non tu civium amplexus ad pedes tuos deprimis nec osculum manu reddis: manet imperatori quae prior oris humanitas. Hoher Rang und hohe Ehrenstellungen schließen die Freiheit von Furcht und Gefährdung aus, deren der privatus sich erfreuen kann ; so sagt Tacitus (hist. I, 52) von Vitellius : Vitellio tris patris consulatus, censuram, colle­ gium Caesaris et imponere iam pridem imperatoris dignationem et auferre privati securitatem. Hier sind die imperatoris dignatio, die Anerkennung, jemand sei würdig, Kaiser zu werden, und die privati securitas, die Ungefährdetheit dessen, den man dafür nicht in Betracht zieht, direkt in Gegensatz zu einander gestellt. Auch dies eine Erläuterung zu Plinius, Paneg. 50, 7. 37. Plinius, Paneg. 66, 3. 38. Immer wieder erscheint in den Charakterisierungen der durch Nerva und Trajan herbeigeführten Veränderung die libertas neben der

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So also steht die Aussöhnung zwischen dem Kaiser und der Senatsaristokratie im Zeichen der Lösung des Problems der Sicherheit. Auf den ersten Blick mag es widersinnig erscheinen, daß die Zugeständnisse, die dabei den Wünschen und Forderun­ gen der Aristokratie gemacht worden sind, nicht die kaiserlichen Befugnisse beschränkt und die Stellung des Kaisers im ganzen geschwächt haben; die folgenden Jahrzehnte lassen vielmehr eine Verschärfung der Entwicklung absoluter Formen des Kaiser­ tums erkennen. Aber hier besteht kein innerer Widerspruch, vielmehr zeigt sich gerade darin der Erfolg dieser Politik, die den Ansprüchen der Sicherheit nach allen Seiten gerecht zu werden versucht. Denn auch der Kaiser gewinnt dabei für sich seine Sicherheit, die mit der Zeit eine weitere Steigerung der kaiser­ lichen Macht und ihrer Zeichen von Rang und Würden er­ möglicht39. Darum braucht der Kaiser jetzt nicht mehr zu fürchten, daß ihm Gefahren von denen her drohen, denen er selbst durch sein Verhalten das Gefühl der Sicherheit gibt. Rücksichtnahme auf sie braucht nicht als Schwäche zu erscheinen und darum seine eigene Sicherheit in Frage zu stellen. Auf diese Weise ist es Trajan, nach den Worten des Plinius, gelungen, zwei scheinbar unvereinbare Dinge zu vereinen, die Sicherheit, wie sonst nur securitas; vgl. zu den bisher angeführten Zeugnissen auch Plinius, Paneg. 27, i : magnum quidem est educandi incitamentum tollere liberos in spem alimentorum, in spem congiariorum, maius tamen in spem libertatis, in spem securitatis. - Bei den Spielen kann jetzt wieder jeder frei und ungefährdet, ohne auf den Kaiser Rücksicht nehmen zu müssen, seine Parteinahme für oder gegen einen Gladiator zeigen ; Plinius, Paneg. 33, 3 : iam quam libera spectantium studia, quam securus favor ! Nemini impietas, ut solebat, obtecta, quod odisse gladiatorem, nemo ex spectatore spectaculum factus miseras volup­ tates unco et ignibus expiavit. - Über die Art dieses Begriffes der libertas vgl. E. K ornemann bei G ercke -N orden, Einleitung in die Altertums­ wissenschaft in3, 2. Heft (1933), 72t: V ogt, a. O. (oben Anm. 14) gff. 39. Auf den inneren Zusammenhang zwischen den Zugeständnissen des Kaisers an den Senat und der Steigerung von Macht und Ansehen des Kaisertums hat mit ebenso knappen wie klaren Sätzen treffend hinge­ wiesen M. R ostovtzeff, Geschichte der alten Welt (deutsch von Η. H. Schaeder, 1942) 11, 321 f.

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der sich ihrer gewiß sein kann, der schon lange regiert, und die Rücksichtnahme {pudor), die dem ziemt, der eben am Anfang seines Regimentes steht : iunxisti enim ac miscuisti res diversissi­ mas, securitatem olim imperantis et incipientis pudorem*0. Wenn der Kaiser jetzt etwas gewährt, so braucht er es nicht aus Furcht zu tun und in der Absicht, feindselige Gemüter zu besänftigen ; er tut es im Bewußtsein der Sicherheit, die frei schenken kann. Mit der Spende an das römische Volk, dem congiarium, wollte Trajan, so sagt wiederum Plinius4 41, sich Liebe und nicht, wie 0 früher Domitian mit dem gleichen Mittel, sich Nachsicht ge­ winnen. Darum konnte er sie geben gaudentibus gaudens securusque securis, den sich Freuenden freudig und in Sicherheit denen, die selbst sich sicher fühlen können. Gaudentibus gaudens securusque securis - es lohnt sich, bei dieser ebenso knapp wie kunstvoll chiastisch gefügten Formel ein wenig zu verweilen. Denn hier ist in der Sprache des Römers mit einer für uns nicht nachahmbaren Prägnanz die Gegenseitig­ keit ausgedrückt, die der auf dem Prinzip der securitas beruhen­ den Zuordnung von Kaiser und Regierten eignet. In genauer Ent­ sprechung ist sie das Gegenbild zu dem Zustand gegenseitiger Furcht, der vorher das Verhältnis beider zueinander bestimmt hatte. Eine wegen ihrer eindrucksamen sprachlichen Prägung berühmte Bemerkung, die Tacitus auf Kaiser Otho gemünzt hat, lautet demgemäß : cum timeret Otho, timebatur - Otho, selbst in 40. Plinius, Paneg. 24, i . - Die Formulierung klingt an an den bekann­ ten Satz des Tacitus, Agricola 3, i : Nerva Caesar res olim dissociabilis miscuerit, principatum ac libertatem. Aber die sprachliche Abhängigkeit des Plinius von seinem Vorbild ist nicht nur äußerlich formal, sondern beide sprechen von derselben Sache,_von der Entspannung und gegen­ seitigen Zuordnung vorher für unausgleichbar gehaltener politischer Gegen­ sätze. 41. Plinius, Paneg. 28, 2 f. : nullam congiario culpam, nullam alimentis crudelitatem redemisti, nec tibi bene faciendi fuit causa, ut, quae male feceras, impune fecisses. Amor impendio isto, non venia quaesita est, populusque Romanus obligatus a tribunali tuo, non exoratus recessit. (3) Obtulisti enim congiarium gaudentibus gaudens securusque securis; quodque antea principes ad odium sui leniendum tumentibus plebis animis obiectabant, id tu tam innocens populo dedisti quam populus accepit.

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Furcht, wurde allerseits gefürchtet42. Man darf auch in diesen Worten nicht, wie es meist geschieht, nur die Finesse des Stils bewundern, sondern muß sagen, daß diese aus der zutreffenden Diagnose der gegebenen Situation sich ergibt. In ihr deutet sich, wie in allem, von dem wir hier sprechen, die Erkenntnis an, daß die Herrschaft des Terrors die Furcht der Beherrschten zeitigt, ihrerseits aber die Furcht des Herrschenden vor den Be­ herrschten zur Voraussetzung hat. Statt dessen den Regierten das Bewußtsein der Sicherheit wiedergegeben und dadurch für den Kaiser selbst Sicherheit geschaffen zu haben, das ist die W endung43, die sich aus den politischen Grundsätzen Nervas

42. Tacitus, hist. 1, 81. - Die gleichlautende Formulierung des Plut­ arch, Otho 3 : φοβούμενος γάρ υπέρ των άνδρών αυτός ήν φοβερός εχείνοις wird bekanntlich als einer der Beweise angesehen dafür, daß Tacitus und Plutarch beide der gleichen Quelle folgen ; vgl. Mommsen, Gesammelte Schriften vu, 243. Nur die Benennung des verlorenen Autors, den Mommsen für Cluvius Rufus hielt, gilt heute noch als fraglich ; siehe zuletzt K lingner , a.O. (oben Anm. 14) 3 t. Falls damit im ganzen das literarische Abhängigkeitsverhältnis richtig beurteilt wird, so bleibt zu betonen, daß die »antithetische Reflexion«, die Mommsen bei Tacitus und dem unbe­ kannten Autor konstatiert (a.O. 244), nicht nur psychologisches oder gar nur stilistisches Phänomen ist, sondern zumindest zu einem Teil folgt aus der Antithetik der politischen Situation, wie sie sich seit den letzten Jahren Neros herausgebildet hatte. 43. In einer neue Aspekte eröffnenden Untersuchung hat H. N essel hauf , Hermes 80 (1952), 222ff., neuerdings das Verhältnis des Tacitus zu Domitian einer Prüfung unterzogen. Hinsichtlich der Germanenpolitik des Kaisers und der Deutung des Agricola und der Germania des Tacitus ist er dabei zu Ergebnissen gelangt, die höchste Beachtung verdienen. Seine all­ gemeine Beurteilung Domitians und der Wendung, die der Prinzipat Ner­ vas gebracht oder, nach der Meinung N esselhaufs, nicht gebracht hat, wird man jedoch nicht in allen Punkten ohne Widerspruch hinnehmen können. Wenn N esselhauf, a.O. 242, sagt, die Meinung, daß der Regier rungswechsel von Domitian zu Nerva-Trajan einen Systemwechsel be­ deutet habe, gehöre »zu den antiken Geschichtslegenden, die bis auf den heutigen Tag ihr zähes Leben fristen«, so ist das eine Verallgemeinerung, die in dieser Form die Sache keinesfalls trifft. Gewiß gibt es eine große Zahl von Momenten, in denen sich - wie sollte es anders sein ? - die Kontinuität bezeugt. Aber die Wendung, die sich nach dem Tode Domitians im Ver­ hältnis der entscheidenden Faktoren in der Führung des Reiches, d. h.

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herleitet, die dann von Trajan aufgenommen und von dessen nächsten Nachfolgern bewahrt worden sind. Wenn in den nächsten Jahrzehnten bis in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts hinein, zwischen Kaiser und Senatsaristokratie, ergeben hat, ist doch nicht zu ver­ kennen, und es wäre kein geringes Mißverständnis, wollte man alles, was Tacitus und Plinius, was Inschriften und Münzen darüber aussagen, als »Geschichtslegende« beiseitelassen. Das Verhältnis von Kaiser und Senat, die sich aus ihm ergebenden Konflikte und Verständigungen sind auch nicht nur, wie man gelegentlich anzunehmen geneigt ist, Angelegenheit der Gesellschaft in der Hauptstadt Rom, die für das Ganze des Reichs immer mehr an Bedeutung verliert. Es berührt vielmehr überall auch die Provinzen. Die Rolle Agricolas etwa und das Verhältnis des Kaisers zu ihm, das N esselhauf so treffend ins Licht rückt, ist ein Beispiel, dem sich zahlreiche andere anreihen ließen. Man wird in den Urteilen darüber noch feinere Unterscheidungen erarbeiten müssen. - Hinsichtlich einzelner Münzprägungen schließt sich N esselhauf gelegentlich zu unbedenklich bestimmten Deutungen Stracks an, die noch nicht als endgültig angesehen werden dürfen. Ich glaube nicht, daß die Meinung Stracks, Reichs­ prägung i, 122 (ihm folgend N esselhauf, a.O. 241), der Ausdruck capta in Münzlegenden wie Iudaea capta, Germania capta usw. bringe einen »Rechtsanspruch auf ein in formam provinciae redigere« zum Ausdruck, sich halten läßt. Damit sei nicht behauptet, daß Domitian nicht die ger­ manischen Provinzen konstituiert hat, aber aus den Münzen mit der Legende Germania capta läßt sich das nicht beweisen. Dagegen hat schon Mattingly , bmc Emp. 11 pag. xcn, darauf aufmerksam gemacht, daß der Münztyp der Germania capta-Prägungen Domitians sich vom Typ der Iudaea ca/>/a-Prägungen Vespasians herleitet (die ihrerseits einen Typ mit der Legende Iudaea devicta neben sich haben, woraus ich, anders als Strack, a.O., folgern möchte, daß zwischen capta und devicta kein Unter­ schied der Aussage besteht). Das bedeutet aber, daß in der »Münzpropa­ ganda« (ein Terminus, der häufig gebraucht, aber nicht immer eindeutig geklärt ist) der Germanensieg Domitians in Parallele gestellt ist mit der Ruhmestat seines Vaters und Bruders, neben der Domitian bisher nichts Gleichwertiges auf zuweisen hatte. Vielleicht sollte man auch diese Per­ spektive, die N esselhauf nicht in Erwägung gezogen hat, nicht ganz außerachtlassen. —Eine weibliche Gestalt, sitzend auf germanischen Schil­ den, einen Zweig in der rechten Hand haltend, hat Strack , a.O. 69 mit Tafel i Nr. 12, als Germania pacata gedeutet und als »die erste Darstellung einer provincia, einer terra pacata, auf römischen Münzen« bezeichnet. Dafür hat er den Beifall Mattinglys, bmc Emp. ui pag. lxvi , gefunden, auch N esselhauf, a.O. 242, folgt ihm. Trotz dieser Autoritäten möchte ich jedoch diese sitzende weibliche Gestalt nicht als Personifizierung der

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eine Zeit relativer Ruhe und des inneren Friedens gefolgt ist, so wird man neben anderen Momenten, die dahin gewirkt haben, auch dieses hier nicht zu gering veranschlagen dürfen. Provinz Germanien, sondern als den üblichen Typ der Pax ansprechen, nur daß sie hier nicht auf einem Thron, sondern auf erbeuteten Waffen sitzt. Vor allem spricht dafür das Fehlen einer erklärenden Beischrift. Denn diese Darstellung der Pax war damals bereits verbreitet und allen kenntlich; neue Typen pflegen jedoch, soweit ich sehe, nicht ohne Bei­ schrift eingeführt zu werden. Erst unter Hadrian erscheinen die friedlichen Provinzen auf Münzen, aber niemals ohne Bezeichnung; darunter auch Germania, stehend mit Speer und Schild (bmc Emp. iii Hadrian Nr. 8370.).

GALBA UND NERVA

Für den Historiker bleibt es eine interessante Frage, weshalb wohl nach dem Sturz Domitians diese Grundsätze der securitas sich entfaltet haben nicht als etwas, das hier zum erstenmal er­ scheint, sondern in unverkennbarem Rückgriff auf das, was schon in der so kurzen Spanne der Regierung Galbas sichtbar geworden war. Diese Frage stellt sich mit um so stärkerem Nach­ druck, als auch sonst nicht wenige Fäden sich erkennen lassen, die sich zwischen den Tagen Galbas und denen Nervas knüpfen. Wer etwa die Münzreihen beider vergleicht, wird so zahlreiche und eindeutige Übereinstimmungen finden, daß der Schluß zwingend ist, Nerva habe durchaus bewußt auf die Prinzipien Galbas zurückgegriffen. Nicht die geringste der Übereinstim­ mungen besteht darin, daß Nerva, als er mit der Adoption Trajans sich den Nachfolger designierte, einen Gedanken auf­ nahm, den bereits Galba mit der Adoption des Piso verwirklicht hatte. Gerade Galbas Handlung war schon eine Folge seines Bemühens um die securitas der kaiserlichen Person44. 44. Vgl. oben S. 23ft. - Einen anderen Fall, in dem Trajan deutlich auf Prinzipien Galbas zurückgreift, habe ich in einer Untersuchung seiner Münzprägung Salus generis humani (Hamburger Beiträge zur Numis­ matik, Heft I, 1947, 5ff.) behandelt. - Daß die Pietas Prägu ngen Trajans im Typus des Bildes auf den zuerst in den Prägungen Galbas erscheinen­ den Typus zurückgreifen, hat J. L iegle , Zeitschrift für Numismatik 42 (1932), 59if. und 68 f. dargelegt. Das Bild zeigt eine weibliche Gestalt mit zum Gebet erhobenen Händen vor einem Altar. Dies glaubt L iegle in allen Fällen nur als eine Bezeichnung der pietas in sacris verstehen zu können. Demgegenüber hat Strack immer wieder mit Nachdruck daran -

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Es genügt, so scheint es, nicht, zur Beantwortung dieser Frage allein auf die Analogie der politischen Situation hinzu­ weisen, die nach dem Sturz Domitians ebenso wie nach der Be­ seitigung Neros forderte, die Senatsaristokratie vor dem Terror des Kaisers zu schützen und den Kaiser selbst gegen Anschläge zu sichern. Man wird noch etwas anderes bei der Deutung dieser Zusammenhänge berücksichtigen müssen. Nerva, der im Jahre 30 geboren ist, hatte im Jahre 68 das Mannesalter erreicht, war bereits Prätor gewesen und gehörte schon damals dem Senat an45. Drei Jahre später bekleidete er mit dem Kaiser Vespasian zu­ sammen das Konsulat. Dies alles bedeutet, daß er in jener Zeit schon zur Schicht der Führenden zählte. Im Jahre 96 aber, nunmehr durch das Vertrauen des Senats zum Kaiser erhoben, stellte er neben sich, als Mitkonsul zum drittenmal, einen Mann, der in den Ereignissen des Jahres 68/69 e^ne noch bedeutendere Rolle gespielt hatte. Es ist Verginius Rufus, der seinerzeit den Aufstand 'des Vindex niedergeworfen und, weil er die ihm vom festgehalten, daß ein großer Teil der Prägungen mit diesem Bild sich auf den Ausdruck der pietas erga parentem bzw. filium usw. beziehen muß (Reichsprägung i 75T, 11 51 f. iôçf., in 25. 107fr 145). In dieser Kontro­ verse entscheidet sich Mattingly , bmc Emp. in pag. x cv nicht mit der nötigen Klarheit. C. K och, re 20, 1230 s. v. Pietas, versucht dagegen den Gegensatz zu überbrücken, indem er sagt: »Die Aufspaltung des Begriffes pietas in eine familiäre und eine kultische Hälfte ist offenbar erst ein Pro­ dukt des modernen Empfindens; in der Antike bildete pietas eine Einheit. Sie bezeichnet, wie wir sahen, die Eigenschaft des in seinem Gesamthan­ deln vor den Augen seiner Vorfahren gerechtfertigten Menschen.« Mir scheint jedoch diese Deutung erst recht zu sehr in den Begriffen moderner Theologie gedacht zu sein, und ich glaube, das Dilemma läßt sich einfacher lösen. Es ist nicht ungewöhnlich, daß sich familiäre pietas mit einem Akt der pietas in sacris ausdrückt, z. B. wenn etwa heute Kinder für ihre ver­ storbenen Eltern Totenmessen lesen lassen. Trajan hat seinen vergött­ lichten Vater durch Altäre, Opfer, Bestellung von Priestern geehrt (Plinius, Paneg. 11, 4): die pietas Augusti ist hier pietas erga parentem, läßt sich aber im Münzbild durchaus mit der symbolischen Darstellung eines kultischen Aktes bezeichnen. Stracks Deutung der Anlässe aus »familiärer pietas« wird durch das Münzbild also nicht, wie L iegle an­ nehmen zu müssen glaubte, in Frage gestellt. 45. Prosop. Imp. Rom.2 11 2g2ff. Nr. 1227.

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Senat angetragene Kaiserwürde ausschlug, den vom Senat gestützten Prinzipat des Galba überhaupt erst ermöglicht hatte“ . Man wird in der Identität dieser Personen, zu deren Kreis in den Reihen des Senats vielleicht noch andere gerechnet werden dürfen, einen gewichtigen Grund zu sehen haben dafür, daß nach der Beseitigung Domitians nun das verwirklicht wird, was schon nach dem Sturze Neros verwirklicht werden sollte. Keine Neu­ schöpfung also ist es, die jetzt geschieht, sondern der zweite Versuch, eine politische Konzeption in die Wirklichkeit umzu­ setzen, die bereits vor fast drei Jahrzehnten gefaßt worden war und nun durch die damals schon Mitwirkenden jetzt erst voll­ endet werden kann. Aus vielen Zügen hat sich ergeben, daß das Problem der Sicher­ heit eines ist, das die Stellung des Kaisers und der Senats­ aristokratie zueinander bestimmt. Aber darauf bleibt es nicht beschränkt. Nicht die Sicherheit der Senatoren und ihrer Familien allein, die Sicherheit aller Untertanen wird in Zukunft als das Anliegen des Kaisers bezeichnet, dem zu dienen er sich bemüht. Die großen Aktionen umfassender Fürsorge, von denen wir hören, auch sie stehen unter dem Leitwort der securitas. Nerva hat das großzügige und damals viel gefeierte Unter­ nehmen der Alimentarinstitutionen begründet und auf ganz Italien ausgedehnt, das in der Gewährung von Erziehungs­ beihilfen für die Kinder mittelloser Eltern bestand; Trajan hat es weiter ausgebaut4 47. In den Zeugnissen dafür fällt der Ausdruck 6 securitas nicht direkt, aber die Sicherstellung kommender Gene­ rationen, um die es dabei geht, gehört durchaus in diesen Be­ reich. Ganz ausdrücklich wird das gesagt bei dem großen Er­ laß von 900 Millionen Sesterzen an die kaiserlichen Kassen ge­ schuldeter Gelder, den Hadrian am Beginn seiner Regierung herbeiführte, indem er die Schuldscheine öffentlich auf dem Trajansforum verbrennen ließ. Denn dieser A kt der Liberalität 46. Prosop. Imp. Rom. (1. Aufl.) in 403 ff. Nr. 284. Mommsen, Ge­ sammelte Schriften iv, 345 f. 47. O. H irschfeld, Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian2 (1905), 212 ff.

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hat, wie es in der Dankesdedikation des Senates heißt, nicht nur die derzeitige Generation, sondern auch ihre Nachkommen von Sorgen befreit: non praesentes tantum cives suos sed et posteros eorum praestitit hac liberalitate securosn . Sicherheit nach außen nicht nur durch den Schutz der Reichs­ grenzen, Sicherheit für die eigene Stellung und die Ansprüche der Untertanen zu schaffen, bleibt weiterhin ein Anliegen, das seinen Platz unter den Aufgaben des Kaisers nicht mehr ver­ liert. Das beweisen vor allem die Münzprägungen mit dem Bild der Securitas, die in den nächsten beiden Jahrhunderten nicht mehr aussetzen. Noch das Edikt des Galerius vom Jahre 311, das den durch die Verfolgung bedrängten Christen die erste Duldung zusicherte, zeigt diesen traditionellen Zug, indem es verkündet, daß die Christen wieder ohne Beunruhigung in ihren Sitzen wohnen könnten, securi vivere in sedibus suis possint*9. Im Grundsätzlichen ergeben sich in diesen späteren Zeiten für das Prinzip der securitas keine neuen Züge. Aber immer wieder bestätigt es sich, daß nicht eine glückliche Stimmung, ein Gefühl sicheren Besitzes, sondern die Erfahrung der Gefährdung menschlichen Daseins und menschlicher Ordnung es ist, die die Frage der Sicherheit zum politischen Problem erhebt, zu einem Problem, das, so lehrt die Betrachtung der antiken Zeugnisse schon, nur zu bewältigen ist, wo nicht der einzelne, allein und für sich, aber alle gemeinsam und füreinander sie zu verwirk­ lichen trachten. 48. c i l vi 967 (= Dessau 309). Vgl. Vita Hadr. 7,6; Cassius Dio 69, 8, i. Über die Münzen Strack , Reichsprägung 11, 60f. Dagegen ist die Secu­ ritas A MgMsft'-Prägung nicht, wie Strack , a.O. 61, gegen Mattingly annimmt, hierher zu beziehen; vgl. oben Anm. 13. 49. Lactanz, de mortibus persecutorum 34, 5.

REGISTER Adoption 16, 23fr, 28, 40 adulatio 34 Agricola 33, 38 Alimentationen 42 annona 21 Antonius 15 Arvalbrüder 18, 24Î. Augustus 150. benignitas principis 33 Caesar 15 C. Calpurnius Piso 2if. L. Calpurnius Piso 16 L. Calpurnius Piso Licinianus 231?., 40 Caracalla 25 Cluvius Rufus 37 Commodus 19 Concordia s. Münztypen congiarium 36 Domitian 28, 31, 33L, 36, 37t., 40 Edikt Nervas 29 Eid des Kaisers bei Regierungs­ antritt 32 Erbschaftssteuer 32 felicitas 30 Flavier 27 Fortuna s. Münztypen

Galba 23ft., 26, 4off. Galerius 43 Germania s. Münztypen Germanenpolitik Domitians 38t. Geta 25 Hadrian 22, 39, 42 libertas 34L, 36; s. auch Münz­ typen Majestätsprozesse 22, 32 Münztypen : Concordia 20 Fortuna 17 Germania 38L Germania capta 38 Iudaea capta 38 Iudaea devicta 38 Libertas 20 Pax 17, 20, 38L Pietas 17, 40L Salus generis humani 40 Securitas 17f., 2iff. passim Securitas Augusti 2iff. Securitas p.R . 21, 23, 26 Nero 21, 23, 26, 28, 30 Nerva 24, 28ff. passim osculum 33L Otho 23, 26, 36L

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REGISTER

Pax s. Münztypen Pax Augusta 15 Pietas s. Münztypen Piso s. Calpurnius Plinius, Panegyricus 28ff. privatus 33 pudor 36 Salus generis humani s. Münztypen Schuldenerlaß Hadrians 22, 42f. Senatsaristokratie 28fi. passim Septimius Severus 25 Securitas: Begriff 13 Bild 17 Kult 18, 24f.

Securitas: Politische Bedeutung passim Totenglauben 18 Tacitus 24, 28ff. Testamente 31 Tiberius I5f. Titus 22, 25, 27 Trajan 28ff. passim Velleius Paterculus I5ff. Verginius Rufus 4if. Verschwörungen 2if. Vespasian 23, 25, 26, 4ι Vindex 4ι Vitellius 23, 34

BILDERNACHW EIS Tafel I. Nach einer Aufnahme der Gesellschaft für wissenschaftliches Lichtbild m.b.H., München 38, Maria-Ward-Straße i 4. Original im Berliner Münzkabinett. Tafel II. Nach Aufnahmen von Münzen aus dem Besitz des Verfassers.