Sibirien in Kultur und Wirtschaft [Reprint 2020 ed.] 9783111527963, 9783111159768

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Sibirien in Kultur und Wirtschaft [Reprint 2020 ed.]
 9783111527963, 9783111159768

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkung
I. Sibiriens Natur
II. Sibirisches Kosakentum
III. Der sibirische Bauer
IV. Deutsche Bauern auf Kosakenland
V. Das Leben der Steppe
VI. Bergwerke und Verbrecher
VII. Sibiriens Städte: die Gewerbe, die Verschickten, dar Beamtentum
VIII. Sibirien in der Weltwirtschaft
Schlußbemerkung

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Moderne Wirtschafisgestaltungen Kerausgegeben von

Dr. jur, et phil. Kurt Wtedenfetd ord. Professor an -er Universität Kalle

tieft 3

Sibirien in Kultur und Wirtschaft Von

Kurt Wiedenfetd

1916 A. Marcus & E. Webers Verlag (Dr. jur. Albert Ahn) in Bonn

Sibirien in Kultur und f irtschaft

Kurt Wiedenfeld

1916 A. Marcus & E. Webers Verlag (Dr. jur. Albert Ahn) in Bonn

Nachdruck verboten. Copyright by A. Marcus & E. Webers Verlag, Bonn 1915.

Druck: Ott, Mgrnd'sche vuchdruckeret G.m.h. H.. Seifritg.

Inhaltsverzeichnis. Seite Vorbemerkung.................................................................................................................1 Sibiriens Bedeutung für den Krieg; die Unterlagen der Arbeit.

I. Sibiriens Natur....................................................................................................... 5

Klima; Bodenbeschaffenheit. II. Sibirisches Kosakentum................................................................................* .

9

Der politisch-militärische undsoziale Inhalt.................................................9

Die Wirtschaftsweise: der gemeinsame Landbesitz; Viehzucht und Ackerbau.....................................................................................................12

III. Der sibirische Bauer.............................................................................................. 19 Die ursprünglicheEinwanderung..................................................................... 19 Die neuzeitliche Übersiedlung: die Wanderungsgründe, die staatliche Leitung, die irreguläre Wanderung, die Raumbeengung in Sibirien

20

Die Wirtschaftsweise: die ungeregelte Feldgraswirtschaft, die Butter­ produktion

.................................................................................................... 27

Das soziale Leben......................................................................................... 29

IV. Deutsche Bauern aus Kosakenland...................................................................32 Die deutschen Bauernhöfe: Herkunft, Besitzrechte, Hofausbau, Wirt­ schaftsweise .......................................................................................................... 32

Die deutsche Eigenart: das Verhältnis zur russischen Nachbarschaft,

zur deutschen Heimat................................................................................... 35 Zukunstsaussicksten.........................................................................................36

V. Das Leben der Kirgisensteppe

.•.....................................................................37

Die politische Organisation der Kirgisen.................................................. 37

Die Wirtschaftsweise: Nomadentum, die Bedeutung der Pferdeherde und des Schafbestandes.............................................................................. 39 Der weltwirtschaftliche Einschlag: der Bedarf nach fremden (Gütern,

ein Kirgisen-Jahrmarkt..............................................................................42 VI. Bergwerke und Verbrecher....................................................................................48

Die Gewinnung von Mineralien: Gold, Kupfer, Kohle

....

48

Die sibirischen Zuchthäuser: die Lage im allgemeinen, das städtische Museum in Tschita, die soziale Auffassung, die Arbeitsbedeutung

der Verbrecher.............................................................................................. 51

VI VII. Sibirisches Städteleben: die Gewerbe, die Verschickten, das Beamtentum .

Sette 55

Die Entstehung der Städte........................................................................ 55 Die städtischen Gewerbe: Mühlenindustrie, Brauereien, sonstige Einzel­ heiten und Handwerk..............................................................................58 Die Arbeiterfrage und die Verschickten: freie Arbeiter, die Arbeits­

notwendigkeit der Verschickten...................................................................59

Das staatliche Beamtentum........................................................................ 61

VHI. Sibirien in der Weltwirtschaft........................................................................ 64 Das Durchgangsland des Karawanentees: die Teetransporte, der Export von Gold und vonPehwerk, die Messen..............................64 Das Eingreifen der modernen Transportmittel: die Ablenkung der

Teetransporte, der heutige Begriff Karawanentee; der Schienen­ weg und die Stromdämpfschiffahrt....................................................... 67 Sibiriens Ausfuhr:

die Butter und ihre Produkttonskosten; der

Häute- und Wolle-Export, der mongolische Transit; die Getreide­

ausfuhr; Gold und KiHfer........................................................................71 Sibiriens Einfuhr: Ziegeltee und Zucker; Textil- und Eisenwaren;

landwirtschaftliche Maschinen und Butterfässer................................. 76

Die Handels-Organisation: der Butterexpori; die heuttge Bedeutung der Messen und die Messe von Nishnij-Nowgorod........................... 79

Schlußbemerkung.........................................................................................................85 Sibirien — das Land der russischen Zukunfts-Aufgaben

Kurt Wiedenfeld

Sibirien

Sibirien — das Land der eisigen Kälte, das Gefängnis für schwere Verbrecher und politische Störenfriede: so steht auch heute noch das riesige Gebiet, welches sich Rußland seit dem Ende des 16. Jahrhunderts in immer weiterem Ausgreifen politisch und volklich angegliedert hat, in der Vorstellung des Westeuro­ päers. Und gewiß, der lange Winter hält sogar die südlicheren Teile, erst recht den Norden und Osten des Gesamtbereichs den größten Teil des Jahres über in so niedriger Temperatur, daß monatelang das Quecksilber gefriert und wie Eisen bearbeitet werden kann, daß der Mensch es bei Nordwind nicht wagen darf, das schützende Haus und den wärmenden Ofen auch nur für kürzere Zeit zu verlaßen. Ebenso ist es schon rich­ tig, daß die großen Arbeitshäuser, in welchen Rußland seine Verbrecher unterbringt, größtenteils in Sibirien sich befinden, und daß die politisch Verdächtigen auch heute noch nach Sibirien ab­ geschoben werden, wennschon das System der Verschickung seit der Revolution von 1905 eine beträchtliche Einschränkung er­ fahren hat. Aber in Widerspruch zu den Tatsachen steht es, wenn man diese beiden Momente des sibirischen Lebens für die allein wichtigen oder auch nur ausschlaggebenden Unterlagen hält. Dem kalten Winter steht vielmehr ein heißer Sommer gegen­ über, dessen Dauer auszureichen Pflegt, die Natur zur Hervor­ bringung von Nahrungsmitteln und anderen Lebensnotwendig­ keiten zu befähigen. Und in der Bevölkerung verschwinden jene Elemente der Unfreiheit schon seit langem hinter der Bauern­ schaft, die in Mannigfacher Zusammensetzung gerade das Eine gemeinsam hat, daß sie ihre ursprünglichen Anfänge auf einen besonders starken Freiheitsdrang zurückführen kann und nie die Fesseln der Leibeigenschaft, geschweige des Gefängnisses und der Wiedenfeld, Sibirien.

1

2 Verschickung zu tragen hatte: der Sibirier ist seinem europäischen Stammesgenossen als Persönlichkeit, als Kulturfaktor erheblich überlegen. Eben dieses hat uns Deutschen der Krieg nachhaltig zum Bewußtsein gebracht. Immer wieder haben unsere Truppen es erfahren müssen, daß die sibirischen Regimenter nicht nur in der Verteidigung, sondern gerade auch im Angriff, in der Stoß­ kraft zu erheblicher Wucht sich emporzurecken vermögen. Und Rußland weiß, warum es gerade die selbstbewußten Söhne Sibiriens an gefährdeten Stellen mit Vorliebe einsetzt. Das reine Massenmenschentum, in dem der eigentlich russische Dauer noch so gut wie völlig stecken geblieben ist, zeigt sich den Ansprüchen des modernen Kriegs nicht recht gewachsen. Der Sibirier dagegen, der im Gange der Menschwerdung schon weiter gekommen ist, verlangt ernst genommen zu werden und zeigt damit zugleich für die Zukunft, welch' soldatische Kraft aus dem russischen Bauerntum sich herausholen läßt, sobald nur das freie Eigentum am freien Land den Einzelnen zum Bewußtsein seines eigenen Selbst zu führen anfängt. Sicherlich Grund genug für uns, gerade in unserer großen Gegenwart mit jenen fernen Gebieten und seinen Bewohnern uns vertraut zu machen. Dazu bietet Sibirien auch bessere Gelegenheit als das euro­ päische Rußland, jenen eigentümlichen Bestandteil des russischen Heeres kennen zu lernen, welcher bei uns so vielfach, aber zu unrecht, als das eigentlich Charakteristische russischen Soldatentums empfunden wird: die Kosaken. Dort haben sie noch einen Rest ihrer ursprünglichen Bedeutung behalten: Grenzwacht gegen primitive Feinde zu sein. Dort stehen sie deshalb auch um so schroffer in Gegensatz zum Bauerntum, welches diese mittelalter­ lichen Ritterexistenzen als Schmarotzer betrachtet. Der gegen­ wärtige Krieg zeigt von neuem, daß selbst in Rußland Mittel­ altertum eine Schwächung der Dolkskraft bedeutet. Endlich, und vor allem, ist Sibirien das Land, in welchem das russische Beamtentum — noch immer Träger des russischen Staates — bei allen Mängeln, die ihm auch dort ländlich-sittlich anhaften, doch zu seiner beträchtlichsten Leistungskraft sich empor­ gehoben hat. Die Besiedlung Sibiriens ist die Vorschule für die große Agrarreform gewesen, welche seit 1906 aus dem euro­ päischen Rußland etwas völlig Neues zu machen im Werke war.

3 Auch diese Leistung muß kennen, wer über die Gründe der mili­ tärischen Widerstandsfähigkeit Rußlands ein Urteil sich bildet. Alle Kräfte aber, die da im fernen Nordasien am Wirken sind, finden ihre Spiegelung in den gewaltigen Verschiebungen, welche Sibiriens weltwirtschaftliche Verflechtungen im Laufe weniger Jahrzehnte haben erfahren müssen. Ein Land, das noch am Ende des vergangenen Jahrhunderts vom Weltgetriebe nur erst ganz leise berührt wurde, sieht heute schon mit sehr maß­ geblichen Interessen über seine Grenzen hinaus und hat sich in die Weltorganisation zur Versorgung Westeuropas mit Lebensnot­ wendigkeiten als ein mitentscheidendes, nicht mehr zu ent­ behrendes Glied hineinverwoben. Aus primitiver Naturalwirt­ schaft geht es mit gewaltigen Schritten in moderne Austausch­ und Weltwirtschaft hinein. Eine starke Hebung der wirtschaft­ lichen und mit ihr der intellektuellen Kraft ist die Folge, die auch im Kriege zu erkennen ist. Dort im Osten, wo Rußland eine glatte Fortsetzung seiner europäischen Wesensart und nichts von grundsätzlichen Verschiedenheiten findet, — dort liegen die Zu­ kunftsaufgaben des russischen Volkes und Staates.

Das Material, auf dem sich meine Arbeit aufbaut, ist größtenteils auf einer Studienreise gewonnen worden, die mich vor einigen Jahren durch die Wirtschafts- und siedlungsfähigen Teile des eigentlichen Sibirien an und abseits der Sibirischen Dahn geführt hat. Sie war veranlaßt und getragen von einem deutschen Großkaufmann Moskaus, hatte jedoch für mich ausschließ­ lich wissenschaftliche Zwecke und konnte deshalb nicht früher eine Verarbeitung erfahren, als bis ich auch das literarische Material mir zu eigen gemacht hatte. Dankbar muß ich aber anerkennen, daß ich dem reichen Wissen und dem weiten Blick meines Mos­ kauer Freundes viele Anregungen und Hinweise verdanke, die mir Sibirien erst in die richtige, von Rußland her gegebene Be­ leuchtung gerückt haben. Das war für mich um so wertvoller, als ich in der Selbständigkeit meines Urteils nicht im leisesten beschränkt worden bin; ich muß nur bedauern, daß der Krieg mich verhindert, ihm das fertige Bild zu erneuter Besprechung vorzulegen. Daß ich jetzt mit dem Büchlein an die Öffentlichkeit trete, hat natürlich seinen Grund in den» Wunsche, gerade im Kriege 1*

4 etwas zur Erkenntnis unseres östlichen Feindes beizutragcn: man muß den Gegner kennen, wenn man ihn richtig behandeln und ihn niederwerfen will. Die Notwendigkeit, eine solche Erkennt­ nis über die eigentlichen Fachkreise hinaus zu bringen, hat die Form der Darstellung insofern bestimmt, als ich die Beifügung des sonst üblichen Zitaten-Apparates im allgemeinen unterlassen habe — es sei denn, daß ich ganz bestimmte Einzelangaben oder charakteristische Formulierungen übernehmen konnte. Andererseits habe ich jedoch eben dieses Erkenntnis-Zweckes wegen mich bemüht, in die Darlegungen selbst keine Kriegsstimmung hineingelangen zu lassen, den Ton und das Wesen wissenschaftlicher Arbeit fest­ zuhalten: nüchternes Erkennen muß ja immer die Unterlage poli­ tischen Temperamentes bleiben; ich hoffe um so mehr dies er­ reicht zu haben, als der größte Teil der Darlegungen lange vor dem Stiege auch in der Form schon skizziert war. Die Einreihung des Buches in meine Sammlung „Moderne Wirtschaftsgestal­ tungen" soll diesen Charakter auch nach außen betonen.

L Sibiriens Natur. Das Klima ist streng kontinental und unterscheidet sich sogar von den Verhältnissen Kanadas noch recht erheblich zu seinem Nachteil. Nimmt man etwa den 50. Breitengrad zum Maßstab, so erstreckt er sich auf der östlichen Halbkugel über nicht weniger als 150 Längengrade hinweg, während es in Kanada nur deren 70 sind. In Nordamerika dringt von Norden her die Hudson-Dai tief und in gewaltiger Breite in das Festland hinein, und südlich bieten die Großen Seen eine Wafferfläche von zusammen rund 250 000 Quadratkilometer oder dem halben Um­ fang Deutschlands für den klimatischen Ausgleich dar; Sibiriens Rordküste dagegen ist nur wenig gegliedert, und der Baikalsee, das einzige große Wasserbecken des Landes, umfaßt nur 34 000 Quadratkilometer, wird in seiner Wirkung noch dazu durch die lange Schmalheit beeinträchtigt. Nordasien ist doppelt und dreifach durch riesige Gebirge, die höchsten der Erde, gegen jeden südlichen Einfluß abgeschlossen; Kanada dagegen steht den warmen Winden, die vom Mexikanischen Golf her nach Norden streichen, in voller Breite geöffnet. Der Einfluß der großen Waffermaffen des Weltmeeres ist daher in Sibirien auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Nur sehr selten verdunkeln ein­ mal Wolken den Himmel über Nordasien. Ungehindert kann im Winter und des Nachts die Erdwärme in den eisigen Welten­ raum entfliehen, im Sommer die Sonne ihre heißen Strahlen herabsenden. Schärfer als irgendwo sonst sind in Sibirien die Gegensätze des Klimas. Da ist in der Tat der Winter von eisiger Kälte, und lange genug dauert er, um das ganze Wirtschaftsleben unter seinen Einfluß zu bringen. Aber man darf ihn doch auch nicht über­ schätzen. Die Kälte kommt in den weitaus meisten Tagen den Menschen deshalb nicht scharf zum Bewußtsein, weil die Gleich­ mäßigkeit der Klima-Komponenten es nicht gar häufig zu Luft­ bewegungen, zu Winden oder gar Stürmen kommen läßt. Es

ist eine ruhige, trockene Kälte und deswegen durchaus erträg­ lich. Nur ganz im Norden, etwa jenseits des 60. Breitengrades dringt der Einfluß des Winters so tief in die Erde hinein und ist der Sommer so kurz, daß die unteren Schichten der Erdkruste niemals vollständig aufzutauen vermögen. Weiter südlich hindert der Winter zwar auch die Anlage von Dauerkulturen — Obst kann ebensowenig wie Winterfrucht dem Erdboden anvertraut werden; aber hier taut doch das Erdreich früh genug auf, um regelmäßig eine Ackerbestellung zu ermöglichen, und der Sommer ist bei aller Kürze so heiß, daß das Getreide in normalen Jahren reif zu werden vermag. Nicht mehr als drei Monate rechnet man in jenen Gegenden als Reifungszeit des Getreides. Wochen und Wochen steht aber auch der Wärmemesser um die Mittagszeit ebenso hoch über dem Nullpunkt, wie er im Winter darunter zu finken pflegt. 40" R und selbst mehr kommen in der Breite der Sibirischen Dahn regelmäßig vor. Genau wie die Kälte ist diese Hitze durchaus erträglich. Im Gegensatz zu den Tropen, wo schon eine Temperatuer von 40" C den Menschen in seiner Arbeitsfähigkeit nachhaltig schwächt, und wo die Feuchtigkeit, die den ganzen Körper bedeckt, ein Gefühl höchstens Unbehagens hervorruft, — ist der sibirische Sommer trocken und windstill, und jede Nacht gibt dem Körper zurück, was er am Tage unter der Hitze verloren hat. Unter Mittag 40® R und in der Nacht nur 5—6® ist eine ganz regelmäßige Erscheinung, und sorgfältig bedeckt sich wohl jeder im Laufe der Nacht mit mehreren Decken, dem am Tage der weiße Anzug der Tropen noch zu warm erschienen ist. Und merkwürdig: beinahe nie sieht man auch am Tage in Sibirien einen Europäer, der nicht bei glühendster Hitze seinen Mantel über dem Arme trägt; plötzliche Abkühlungen, die auf mehrere Zehner von Graden sich belaufen, könnten sonst verhängnisvoll werden. Der Eingeborene schützt sich, indem er im Sommer genau wie im Winter seinen Schafpelz trägt. Für die Wirtschaft schlimmer als die Kälte und Hitze ist die Unsicherheit, die klimatisch aus dem Mangel an Niederschlägen und aus den sommerlichen Nachtfrösten über dem Ganzen liegt. Selbst der Winter bringt in der Regel nur sehr wenig Schnee, und was etwa gelegentlich einmal gefallen ist, das wird vom ersten Nordsturm in einige wenige Winkel hineingefegt. Im

7 Sommer aber bleibt der Himmel erst recht wochenlang ohne jede Bewölkung. Die wichtigste Feuchtigkeitsquelle ist daher in jenen Mastern gegeben, die beim Auftauen des Bodens aus der Tiefe hervordringen. — Das ist ein Wachstumsfaktor, der über dem ewig gefrorenen Boden des Nordens dem Ackerbau eine größere Gleichmäßigkeit gewähren könnte, als weiter südlich; aber da schieben sich dann mit großer Häufigkeit die Nachtfröste ein, die auch im Süden so manche Ernte erheblich schädigen. Dis Ende Mai kommen sie ganz regelmäßig vor, und Anfang September sind sie wieder da; auch im Juni und schon Ende August muß der sibirische Bauer auf sie gefaßt sein. — Diesen Schwierigkeiten des Klimas steht als Ausgleichungs­ element ein vorzüglicher Ackerboden gegenüber. Es ist Lös, was die Erdkruste überall da bildet, wo nicht der Sumpfwald das Land bedeckt. Die berühmte Schwarzerde (Tschernosjom), die aus dem Süden des europäischen Rußland, trotz Jahrtausende langer Beanspruchung ungepflegt und ungedüngt, noch heute eine Weizenkammer der Welt macht, reicht — allerdings nach Osten zu immer schmaler werdend — bis an den Ob und selbst bis an den Jeniffej heran. Gewaltige Flächen, die noch nie ein Pflug berührt hat, stehen in ungeminderter Fruchtbarkeit dem Weizen­ bau zur Verfügung. Menschensiedlungen von beträchtlicher Kom­ paktheit sind also, ohne vom Klima her unmöglich gemacht zu werden, in dem Gebiet der Ackerbausteppe von der Dodenbeschaffenheit her begünstigt. Weiter nördlich allerdings — in den westlichen Teilen etwa beim 58. Breitengrad, im Osten aber wesentlich südlicher be­ ginnend — setzt die Taiga, der Sumpfwald, der regelmäßigen Menschensiedlung ein Ziel; da sind einstweilen nur einzelne Lich­ tungen, die zum Teil allerdings von nicht unbeträchtlicher Aus­ dehnung sind, für den Ackerbau geeignet. Und ganz im Norden läßt die Tundra, die Sumpfsteppe, nur noch den Samojeden und Jakuten und andere primitive Eingeborenenstämme, dagegen nicht einmal mehr regelmäßig den Russen sein Dasein fristen. Diese Teile wären wirtschaftlich, zumal der Sumpfwald keine Holznutzung erlaubt, so gut wie wertlos, wenn nicht gerade in ihnen die Stellen der Goldfunde und auch andere Mineralvor­ kommen, wie namentlich von Graphit sich fänden. Das letzthin vielgenannte Bodaibo, im Osten des Lenagebietes gelegen, ist nur

8 einer der zahlreichen Plätze, an denen unter härtesten Klima­ bedingungen nach Gold gegraben und der Flußsand durchwaschen wird. Alles in allem stellt sich Sibirien in dem Bereich, der west­ lich vom Baikalsee und bett nördlich anschließenden Gebirgen liegt, das eigentliche Sibirien also, als ein« Fortsetzung des euro­ päischen Rußland dar: Im Norden greift die Tundra bis zum Weißen Meer und nach Lappland hinüber in einem Keil, deffen breite Seite in Ostasien, deffen Spitze in Europa liegt. Weiter südlich schließt die Waldzone an, die auch im europäischen Ruß­ land noch unter Moskau herunter nach Süden reicht; auch sie ist auf sibirischem Bode« breiter als diesseits des Urals. Und dann kommt das Gebiet der schwarzen Erde, die Ackerbausteppe, welche — fast waldlos — hüben wie drüben den russischen Bauer be­ sonders anzieht und in ihrer riesigen Gleichmäßigkeit dem Blick keinen Ruhepunkt, keine Grenze bietet — sie recht eigentlich die geographische Unterlage deffen, was der Russe an sich selbst als schirokaja natura, als die auf das Weite gerichtete Natur, so gern rühmt; sie ragt umgekehrt keilförmig von der breiten Basis Europas mit der Spitze nach Sibirien hinüber, ist dafür aber in Asien nur erst leise angeritzt und zunächst in der Tat von unerschöpfter Fruchtbarkeit. Den Beschluß nach Süden bilden dann jene Salzsteppen, die vom Altai her bis an die Wolga und selbst bis an das Schwarze Meer heranreichen ; eine Unterlage für Klein­ viehzucht, welche den kirgisisch-turkmenischen Nomaden zum wirt­ schaftlichen Beherscher des Gebietes macht und nur wenig Raum für dauernde Dauernsiedlungeni übrig läßt. Natürlich-geogra­ phisch, nach Klima und Dodenbeschaffenheit trennen in der Tat das Uralgebirge, das bei 600 Meter Meereshöhe von der Bahn überschritten wird, und der Uralfluß, der zu den kleinsten Gewäffern der östliche» Ebene rechnet, keineswegs zwei Erdteile voneinander, ebensowenig wie etwa die deutschen Mittelgebirge eine grundsätzliche Scheidung des Nordens und Südens herbei­ führen. Rußland hat demgemäß die Grenzen seiner europäische» Provinzen über den Ural hinausgeschoben. Jenseits von Ge­ birge und Fluß finden sich alle Vorbedingungen, welche in glei­ cher Weise ein Dorschieben der europäischen Bevölkerung nach Osten erlauben.

II. Sibirisches Kosakentum. Es war in der Nähe von Omsk, beim Kosakendorf Sachlamina. Da ließen wir uns durch einen Kosaken über den Jrtpsch zu einem deutschen Bauer hinüberfahren, und unterwegs fragten wir scherzeshalber unsern Kutscher, wo denn wohl eine bessere Wirtschaft sei, in seinem Dorf oder bei jenem Deutschen. Er nahm die Frage ernst, und mit einem Blick, der unendlich viel mehr sagte als seine Worte, erwiderte er: nun selbstverständlich bei dem Deutschen. Blick und Tonfall deuteten aber nicht etwa auf Ärger, daß wir ihn nach so heikler Sache gefragt hatten; sie verrieten vielmehr eine abgrundtiefe Verachtung für den, der das Wirtschaften offenbar nötig hätte. Wie konnten wir ihm, dem freien Kosaken, zutrauen, daß er sich um seine Wirtschaft mehr kümmerte, als unbedingt zur Lebensfristung not­ wendig. — Echtes Kosakentum. Der Begriff des Kosaken ist längst aus dem Rahmen eines Stammbegriffes herausgetreten und mit einem eigentümlichen militärisch-wirtschaftlichen Inhalt ausgefüllt worden. Die Ko­ sakenheere nämlich, besser übersetzt: die Kosakenregimenter, haben die Aufgabe, das eigentlich russische Land gegen die Übergriffe feindlicher Nachbarn im Frieden wie im Kriege zu schützen. Eine Grenzorganisation also ist es; jedoch insofern erweitert, als auch die Gebiete der russischen Dauernsiedlungen im Inneren des Rei­ ches selbst gegen die Streifbezirke der eingeborenen Nomaden durch Kosakenkordons abgeschieden werden. In Sibirien sitzen sie dem­ gemäß in einem spitzen Winkel nördlich und östlich um die Kir­ gisensteppe herum. Von Orenburg beginnend, geht es über die sogenannte Bittere Linie—so genannt nach dem salzigen Charakter der durchzogenen Steppe — hinauf nach der Gegend von Omsk und dann auf dem rechten Irtyschufer wieder «ach Süden hinunter bis an den Altai, in welchem am Saiffansee die chinesische Grenze

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erreicht wird. Ausläufer sind dann auch weiter nördlich an den Altai herangeschoben worden. Fern im Osten gibt es dann noch besondere Kosakenregimenter: die Transbaikalischen Kosaken, die Amur- und die Uffuri-Kosaken, die zusammen die östliche Grenze gegen China, jetzt mehr noch gegen Japan zu bewahren haben. Eigentliche Kosaken aus dem Dnjestr-Dongebiet, d. h. Kleinruffen, findet man aber weder hier im Osten, noch dort im Westen. Es sind ganz überwiegend Großruffen, zu denen aber auch in nicht geringem Umfang Eingeborene — im Westen Kirgisen, im Osten Burjaten — hinzugefügt worden sind. Die Aufgabe des Grenzschutzes kommt unmittelbar in den militärischen Dienstpflichten zum Ausdruck. Schon als Knabe wird der Kosak leise in die militärische Schulung genommen. Mit dem Pferd verwachsen, wie er von Kindheit an ist, wird er zu einem Reitersmann ausgebildet, der jeder Strapaze anstrengendster Ritte gewachsen ist. Voll erwachsen geworden, dient er 5 Jahre bei der aktiven Truppe, welche ihre Garnison in den Städten der be­ nachbarten Gebietsteile hat. Danach tritt er zur Reserve über, die ihn tatsächlich so ziemlich bis ans Ende seiner körperlichen Leistungsfähigkeit,. bis zum 50. Lebensjahr, festhält. Lange Jahre noch muß er täglich zu einer kleinen Übung, an­ geblich militärischen Charakters, sich bereit halten, und immer muß seine Ausrüstung fertig da liegen, damit er in jedem Augenblick dem Rufe seines Hetmans folgen könne. Die tägliche Übung ist allerdings, soweit ich es habe in Sibirien beobachten können, mehr Spielerei als wirkliche Ausbildung; die Hauptrolle spielen dabei Reiterkunststücke, die schwerlich für den Kriegsfall irgendwelchen Wert haben. Jedoch ist die innere Wir­ kung nicht zu unterschätzen, die von dem ganzen Gehaben auf den einzelnen Mann ausgeübt wird. Der Kosak fühlt sich in allererster Linie als Krieger, als Soldat; vielleicht darf man ihn mit den Gefolgsleuten der mittelalterlichen Ritter vergleichen, die ja auch im Kriegshandwerk ihren Beruf erblickten und deshalb mit Ver­ achtung auf den arbeitenden.Dauer hinuntersahen. Die Scheidung zwischen Kosak und Bauer kommt auch räum­ lich zu sehr scharfem Ausdruck. Der Grenzschutz hat seine be­ sonderen Dörfer, die allmählich aus den alten Grenzstationen er­ wachsen sind und deshalb auch heute noch die Bezeichnung Staniza tragen. Da ist alles Kosak. Kein Dauer findet dort Aufnahme.

11 Und umgekehrt läßt das Bauerndorf keinen Kosaken bei sich zu, wie auch die junge Dauernmannschaft nicht in den Kosaken­ regimentern, sondern in der Linie dient. Sogar das Heiraten zwischen Staniza und Bauerndorf kommt kaum vor: der Kosak würde glauben, eine Mißheirat, zu begehen, wenn er ein Bauern­ mädchen heimführte, und umgekehrt vergelten die Dauern jenen Hochmut den Kosaken, indem sie die kodderige Wirtschaft der Grenzler betonen. Diese gelten auch unter den Ruffen als rohes Pack, mit dem der friedliche Dauer und Bürger nicht gern zu tun hat. Aus dem Jahre 1875 ist mir ein Bericht bekannt ge­ worden, in welchem amtlich darüber geklagt wird, daß die Kosaken der Bitteren Linie in ihrem menschenalter-langen Zusammenleben mit den Kirgisen doch nicht den leisesten Einfluß auf deren Lebens- und Anschauungsweise gewonnen hätten; im Gegen­ teil, sie hätten sich den Söhnen der Steppe in allem, sogar in der Sprache genähert und müßten für alle Zeit als unfähig, russische Kultur zu verbreiten, bezeichnet werden. Wie muß es da aussehen, wenn ein amtlicher Bericht sich so scharf über die „treuesten Dimer des Zaren" äußert. Vollmds dünkt sich der Kosak weit erhaben über die ein­ geborene Bevölkerung. Es ist geradezu spaßhaft zu beobachtm, mit welchem offenbarm Herrengefühl schon kleine Kosakenknirpse die bei ihren Vätem angestellten Kirgisen zu kommandieren pflegen. Großspurig stehen sie dabei, wenn der Kirgise die Post­ pferde anschirtt, dieses und jmes noch verlangend. Einmal wäre es uns sogar fast begegnet, daß der Hochmut des Kosakenjungen, der einen unserer Wagen fuhr, uns erheblicher Gefahr ausgesetzt hätte; er war zu schwach, auf steilem Wege den Wagen in der Gewalt zu behaltm, und wär doch nur durch Zwang zu bewegen, daß er mit unserem Wagm wartete, bis der Kirgise, der dm anderen Wagm fuhr, wieder zurückkam, für diese Strecke auch für uns die Leitung zu übernehmen — es ging dem Jungm deutlich gegen seine Ehre, ein Übergewicht des Kirgism aner­ kennen zu müffm. Das Hochgefühl wird von oben her noch besonders ge­ pflegt. Der breite Streifen, welchm der Kosak an der Militär­ hose trägt, hebt ihn dmtlich aus dem übrigen Heere heraus. Bei jeder Gelegmheit wird er als der besonders zuverlässige An­ hänger des Zaren gefeiert und auch bekanntlich benutzt. Den

12 Ataman des Dorfes, den Führer der Sotnie, wählt die Dorf­ mannschaft für sich. Nicht zuletzt stärkt die reiche Landausstattung jeder Stanize, und in ihr jedes Einzelnen, beim Kosaken das Gefühl, über die Last des täglichen Lebens als Ritter seines Zaren erhoben zu sein. — Die wirtschaftliche Unterlage des Kosakentums ist in der Tat in Sibirien der überreiche Landbesitz, über welchen die ein­ zelnen Heere verfügen. Die Bevorzugung, welche auf diesem Ge­ biete den Kosaken zuteil geworden ist, tritt am deutlichsten und zugleich in seiner ganzen sozialen Schärfe am Jrtysch zutage. Hier ist ein nicht weniger als 10 Kilometer breiter Streifen auf dem rechten Ufer des Flusses, in dessen ganzer Ausdehnung vom Saiffansee bis nach Omsk hin, für die Kosaken reserviert. Alles Land, was von dem gewaltigen Strome mit Feuchtigkeit gesegnet wird, und was, wieder dank dem Strome, die besten Transportmöglichkeiten aufweist, ist damit der freien Bauernbesiedlung ein für allemal entzogen. Daß auf dem linken Ufer von einer gleichen Beschränkung nicht die Rede ist, besagt nichts; denn da geht die Salzsteppe bis unmittelbar an den Fluß heran. Das Gesamt­ land der Kosakenheere ist dann auf die einzelnen Stanizen bei ihrer Begründung nach altrussischer Weise aufgeteilt worden; d. h. dem Dorfe wurde als Gemeineigentum ein Areal von 30 Desjatinen (rund 30 Hektar) für jedes männliche Dorfmitglicd, jede „Seele" überwiesen und der so herauskommende Gesamt­ betrag noch einmal als Reserve hinzugefügt. Was dann noch übrig blieb, ist zur Verfügung der Heeresverwaltung geblieben und wird vor allem dazu benutzt, die höheren Kosakenoffiziere, die außerhalb der Dorfverbände stehen, reichlich mit Land aus­ zustatten; es ist gleichsam ein Pensionsfonds, der ihnen damit überwiesen wird — zugleich ein Zeichen, wie entscheidend naturalwirtschaftlich die ganze Unterlage des Kosakentums dort ist. Dreißig Hektar für jedes männliche Dorfmitglied bedeutet aber einen gewaltigen Besitz. Das kleinste Kind wie der älteste Greis werden dabei berücksichtigt, und so kommen für die stärkeren Familien, welche die ungebrochene Kosakenkraft in die Welt zu setzen Pflegt, leicht Besitztümer heraus, welche 150 Hektar und noch mehr bettagen> und dazu dann noch das Anrecht an die Weide auf dem Reserveland. In der Tat ist dem Kosaken wirtschaftlich das Lager gut bereitet.

13 Dieser Landreichtum in so günstiger Verkehrslage und auf so vorteilhaftem Boden ist gerade am Jrtysch um so auffallender, als unmittelbar hinter dem Kosakenstreifen auf der Ackerbausteppe des Altai-Vorlandes schon jetzt eine merkliche Beengung der Be­ völkerung eingetteten ist. Aber niemand dentt daran, das Kosaken­ reservat anzugreifen, während man längst schon die großen Do­ mänen des kaiserlichen Hauses zur Austeiluug bringt. Und doch wird auch dem Kosakenland gegenüber die in Sibirien allge­ mein geltende Rechtsfiktion auftechterhalten, daß der Staat für alles Land der Eigentümer sei, und daß der Einzelne nur ein Benutzungsrecht besitze, das ihm jederzeit abgenommen werden könne. Hier zeigt sich besonders deutlich, daß auch der absolute Staat ttotz aller Rechtskonstruktionen, die übrigens hier nur zur Rechtfettigung der Grundsteuer zu dienen haben, aus politisch­ sozialen Gründen es nicht wagen darf, seine formalen Rechte entgegen den historisch gewordenen Tatsächlichkeiten geltend zu machen. Die einzelne Kosakengemeinde ist tatsächlich vollwertiger Eigentümer des ganzen ihr zugewiesenen Areals. Innerhalb der Gemeinde herrscht noch heute ungebrochen das Gesamteigentum, der russische Mir; jede Familie hat rechtlich einen Anspruch auf soviel Land, wie dem Verhältnis ihrer männ­ lichen Mitglieder zur Gesamtzahl der Männer in der Gemeinde entspricht, und jeder Betrieb kann rechtlich von Zeit zu Zeit eine Neuverteilung des Gesamtareals fordern. Tatsächlich ist aber in den Kosakengemeinden von der Geltendmachung dieser Rechte nicht im leisesten die Rede. Kein einziger Hof ist in der Lage oder gewillt, soviel wirklich zu bebauen, wie er von Rechts wegen beanspruchen könnte. Nur ein ganz kleiner Bruchteil, selten mehr als 5—6 Hektar wird wirklich in Anspruch ge­ nommen; bei weitem das meiste liegt als ewige Weide brach. Infolgedessen kann aber jeder Einzelne noch immer sich den Platz ganz beliebig aussuchen, an dem er seinen Pflug in die Erde senken will. Ein paar Jahre hintereinander, etwa bis zu 5 und 6 Jahren, an derselben Stelle und dann irgendwo anders in der Gemeindemark. Niemand kommt dem andern dabei ins Gehege, alle haben sie noch überreichliche Be­ wegungsfreiheit. Und keiner braucht an Verteilung oder gar Neu­ verteilung zu denken. Der Betrieb der Kosakenwittschaft ist denkbar extensiv.

14 Weitaus im Vordergrund steht der Besitz an Pferden und Vieh. Die Pferde sind dabei ein Luxusartikel, welchen in möglichst großem Umfange sein eigen zu nennen, jeder Kosak aus sozialen Gründen erstrebt; die kleinen Pferdchen sind gleichsam das Schau­ stück, mit welchem der Einzelne seine soziale Rangstellung nach außen dokumentiert — in der gleichen Weise etwa, wie ein reich gewordener Westeuropäer oder Amerikaner Wert darauf legt, durch den Schmuck seiner Frau seinen Reichtum zur Bewunderung der Mitwelt zu stellen. Mehr nebenbei trägt der Pferdebestand auch zur Ernährung seines Besitzers bei; der sibirische Kosak hat von den Steppenbewohnern das Trinken der gegorenen Stutenmilch, des Kumiß, übernommen. Die Pferde stehen natürlich in strengem Einzelbesitz, da ist von Gemeineigentum gar keine Rede; und sie werden auch getrennt nach den Besitzern auf der Weide gehalten — sonst käme ja das soziale Distanzbedürfnis nicht zu seinem Recht. Ebenfalls im gesonderten Privateigentum steht der Vieh­ stapel, der die wichtigsten Ernährungs- und Bekleidungsquellen in sich birgt; er wird aber nicht mehr auf der Weide für die verschiedenen Eigentümer auseinander gehalten. Zur Ernährung dient in allererster Linie wieder die Milch, sehr viel seltener das Fleisch der Rinder, während die Schafe mit ihren Pelzen haupt­ sächlich für die Bekleidung aufzukommen haben. Das Rindvieh ist dabei für den Kosaken derart wichtig, daß die ihm dienende Weide den Teil der Gemarkung umfaßt, welcher unmittelbar um das Dorf sich herumlegt. Ganz regelmäßig stößt man schon einige Kilometer, ehe man ein Dorf erreicht, auf eine primitive Um­ zäunung, die sich in solchem Abstande auf viele Meilen Länge um das Weideland herumzieht. Vieh will ja täglich ein paar Mal gemolken werden; da muß man es in erreichbarer Nähe haben und auch sicher sein, daß es nicht selbstherrlich den angewiesenen Raum verläßt. Das ist aber auch die einzige Vorsorge, mit der man den Viehbesitz umhegt. Allenfalls sind in der unmittelbaren Nähe des Dorfes auch noch Hürden errichtet; bestehend aus ein paar lose übereinander gelegten und mit Moos oberflächlich ausge­ stopften Ästen, geben sie gegen den Nordwind einen völlig un­

zureichenden Schutz. Im wesentlichen wird das Vieh sich selbst überlassen, und jeder Reisende kann bei jedem Nordwind be-

15 wundern, wie die Tiere sich selber zu schützen wissen: da stehen sie, mit dem tief gesenkten Kopf gegen den Wind gestellt, oft einige Hunderte in schnurgerader Linie eins hinter dem andern, so daß die bestgedrillte Militärlinie nicht besser ausgerichtet sein kann, und immer steht das schwächste Tier an der Spitze, durch die andern auf diesen unangenehmsten und gefährlichsten Platz gedrängt. Gewiß ein Schutz, welcher den feinen Jnstikt und das brutale Machtgefühl der Natur offenbart. Aber doch eine Ab­ wehr gegen die Unbilden der Witterung, die nicht annähernd ausreicht. Nimmt man noch dazu, daß der ganze Viehbestand auch im Winter nur sehr wenig Nahrung von seinem Besitzer empfängt, im wesentlichen-aber darauf angewiesen ist, sich jahr­ aus jahrein das Futter selbst zu suchen, und daß er dazu im Winter doch oft im gefrorenen und eisigen Boden nur wenig Ge­ legenheit hat, so ist nicht erstaunlich, daß man in den Kosaken­ wirtschaften alljährlich mit einem Verlust von etwa einem Drittel oder selbst der Hälfte der Herden rechnet. Vom Ernährungsbedürf­ nis her kann der Kosak sich diese Verschwendung leisten- und das Bedürfnis der sozialen Unterscheidung ist nicht stark genug, den Mann zur Arbeit für das Vieh oder die Pferde zu veranlassen; Ställe zu bauen, kann ja nicht gut den Frauen überlassen werden, die doch sonst die Wartung des Viehes zu besorgen haben. Eine leise Änderung zu größerer Intensität der Diehwirtschaft hat sich in den letzten 15—20 Jahren angebahnt. Auch die Kosaken haben nämlich gemerkt, daß aus der Milch ihrer Kühe sich ein Verkaufsartikel Herstellen läßt, der bis nach Europa hin seinen Absatz findet: der starke Butterexport, den Sibirien mit der Fertigstellung der Sibirischen Bahn bekommen hat, greift auch in die Kosakensiedlungen des Westens hinein. Allerdings ist er dott längst nicht so groß wie in den Bauerndörfern. Aber auch der Kosak weiß doch an seinen Frauen und Mädchen es zu schätzen, wenn sie die schönen hellfarbigen Baumwollstoffe zu tragen vermögen, welche Moskau und Wladimir, auch Lodz so gerne da draußen absetzen. Will er ihnen diesen Schmuck des Daseins aber kaufen können, so muß er etwas zu verkaufen haben, und dafür dient ihm die Butter. Das baumwollene Gewand, welches einen Teil des Dekleidungsbedürfniffes von außen her in dem einzelnen Wittschastskörper zur Befriedigung bringt, bewähtt sich auch hier, wie überall in der Welt, als der große Durchbrecher

16 uralter Naturalwirtschaft; ihm gilt der erste Schritt aus der alten Bindung heraus, und nur dieser ist es bekanntlich, welcher die ent­ scheidende Überwindung des innern Menschen kostet. Mit dem Ackerbau ist dagegen der sibirische Kosak noch immer so gut wie vollständig allein auf die Deckung seines eigenen, geringen Drotbedürfniffes gestellt; da wird noch so gut wir gar nichts verkauft. Infolgedessen ist das Areal, welches man mit Sommerweizen und auch Hafer und Gerste bestellt, nur sehr wenig ausgedehnt. Es liegt weit draußen, mehr an die Grenzen der Gemarkung als an das Dorf herangerückt, und wird in denk­ bar einfachster Weise bestellt. 3m Frühjahr zieht der Kosak mit seiner Tjelega, dem altrussischen Wagen, und dem einschärigen Eisenpflug an die Stelle hinaus, die er zur Aussaat benutzen will. Da bleibt er dann auch die Nacht im Schutze des Wagens, bis die Arbeit vollendet ist. Anstrengungen kostet es nur, wenn ganz frischer Steppenboden aus seiner ewigen Verfilzung heraus­ gelöst und zum ersten Male dem Pfluge unterworfen werden soll; aber dann begnügt man sich auch mit einer leichten Anritzung des fruchtbaren Bodens, welche nur wenige Zentimeter, etwa 4—5, die Steppenkruste auflockert. In späteren Jahren geht es ein wenig tiefer herunter. Aber viel ist es niemals, was da ge­ leistet wird, und ist dann auch die Aussaat vollzogen, so geht es wieder zurück ins Dorf. Die Bestellungsarbeit ist vollendet. Während der Reifungsperiode kümmett sich kein Kosak um sein Feld. Erst Ende August, Anfang September zieht er wieder hin­ aus auf ein paar Tage, die Ernte einzubringen. Jetzt heißt es aber schnell sein. Denn Nachtfröste kommm schon beinahe regel­ mäßig, und gar nicht selten fällt schon der erste Schnee, ehe das Getreide geborgen ist. Deshalb hat auch der Kosak schon gelernt, für die Crntearbeit sich der Maschinen zu bedienen, welche in ganz gewaltigen Mengen, hauptsächlich von Nordamerika her, zum Teil auch aus ursprünglich deutschen Fabriken Südrußlands, nach Sibirien mit Hilfe der Dahn eingeführt werden. Mit ihrer Hilfe wird da das Getteide gemäht — und wieder ist die Arbeit vollendet. Das Dreschen wird dann im Dorf besorgt, wofür nicht ganz selten auch schon Dreschmaschinen, auf Strohheizung ein­ gerichtet, von der Stanizenverwaltung angeschafft werden. Daß der Ertrag bei dieser Art Anbau nicht hoch ist, ver­ steht sich von selbst. Er erreicht vielleicht ein Viertel bis ein

17 Drittel der Ernte, welche man in Deutschland aus gutem Acker­ boden herauszuziehen pflegt. Gegenüber dem europäischen Ruß­ land macht sich aber doch für Sibirien vorteilhaft geltend, daß die Unsicherheit des Sommerklimas, vor allem der Mangel an Feuchtigkeit und die Gefahr der Nachtfröste, durch die Unberührt­ heit des Boden einigermaßen ausgeglichen wird. Die Ertrags­ schwankungen sind daher im allgemeinen nicht so groß, wie auf der Schwarzerde diesseits des Urals. Immerhin rechnet man in Sibirien, daß von etwa vier Ernten nur eine wirklich gut aus­ fällt, zwei erträglich genannt werden können und die vierte eine völlige Mißernte darstellt. Der Sibirier ist deshalb ebenso wie der europäische Russe darauf angewiesen, für seinen eigenen Be­ darf beträchtliche Vorräte in den Jahren reicher Ernten anzu­ sammeln, und namentlich der Kosak — aber auch der sibirische Bauer —, sie können dieses Ansammeln, im Unterschied von ihrem europäischen Bruder, sich auch wirklich leisten, da ein Zwang zu Geldausgaben nur von der geringen Grundsteuer des Staates, nicht aber von Ablösungsgeldern oder sonstigen öffentlichen Lasten auf sie gelegt ist. Es ist geradezu erstaunlich, welche große Mengen Getreide die Kosakendörfer regelmäßig in sich bergen. Alles in allem also führt der Kosak in der Tat eine Art von mittelalterlichem Ritterleben. Die Führung seiner Wirtschaft steht noch scharf ausgeprägt unter dem Ziel, den notwendigen Lebens­ bedarf aus der eigenen Produktion herauszunehmen. Alles, was von außen kommt und nach außen tritt, ist eine nur nebensäch­ liche Begleiterscheinung. Eine Kleinigkeit von militärischer Übung für die Männer, ein wenig Viehmelken für die Frauen und im übrigen ein endloses Schwatzen füllt im Sommer, Schlafen und Plaudern im Winter den Tag aus. Dabei ist das sozial Bedeutsamste vielleicht in der Tat­ sache gegeben, daß in den Kosakendörfern trotz aller Gleichheit des Landanspruches und trotz aller Primitivität der Lebens­ führung doch soziale Unterschiedlichkeiten schon stark hervortreten. Weniger der Ackerbau — er hängt in seiner Ausdehnung vom Umfange der Familie allerdings ab, ist aber dafür auch von ihrem Bedarf maßgeblich bestimmt —, wohl aber die Viehzucht gibt den Untergrund ab, von dem her der Fleißige und Faule, der Sorgfältige und Lässige voneinander sich abheben: die Pflege der Pferde und Rinder kann auch im Rahmen so einfacher VerWiedenfeld, Sibirien.

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hältnifse verschieden gehandhabt werden; etwas mehr Sorgfalt erhält mehr Tiere am Leben, die Herde erweitert sich, und man kann daran denken, solche Gemeindegenoffen oder gar Kirgisen in den Dienst der Viehzucht zu nehmen, welche durch ihre Lässigkeit oder durch Unglücksfall um ihren eigenen Viehbesitz ge­ kommen sind. Der soziale Unterschied ist dann da und findet in der Betonung des Viehbesitzes, des Privateigentums am Vieh, seinen bezeichnenden Ausdruck. Gleichheit des Bodenanspruches genügt offensichtlich nicht, die soziale Gleichheit der Menschen zu erreichen oder festzuhalten.

III. Der sibirische Bauer. Den Kern der Bevölkerung Sibiriens bildet das eigentliche Dauernelement. Es ist ursprünglich in das riesige Land von zwei Quellen her hereingekommen. Einmal nämlich hatte der russische Staat ein Interesse daran, die frisch erworbenen Landesteile wenigstens insoweit mit eigent­ lich russischer Bevölkerung zu erfüllen, daß ein regelmäßiger Ver­ kehr von Moskau her bis an die äußersten Grenzen des Ostens sich durchführen ließ. Wie man deshalb mit der fortschreitenden Eroberung auch die Poststraße, den sogenannten sibirischen Trakt, immer weiter vorschob, so setzte man an ihm auch Bauernsied­ lungen an, welche den staatlichen Transporten die erforderlichen Pferde zu stellen und die durchreisenden Staatsbeamten und Offiziere mit Nahrungsmitteln zu versehen hatten; man wandte also dasselbe System an, das wir aus alter Zeit von allen großen Eroberungsvölkern, nicht zuletzt von den Römern her so gut kennen. Das wurden die Anfänge jener langen Kette von Städten, die sich heute im Zuge der Sibirischen Dahn, richtiger: im Zuge des alten Trakts, aneinanderreihen. Aber es war offenbar auch in Sibirien schwer, diese Siedlungen in ihrem Bestand zu er­ halten. Die Relais-Last wurde als so drückend empfunden, daß nicht selten die Bewohner ganzer Dörfer in dem unwirtlichen und unzugänglichen Sumpfwald, in der Taiga, verschwanden. Auch fehlte es an Frauen, welche den Siedlungen die Dauer gewähr­ leistet hätten; immer wieder mußten zwangsweise vom euro­ päischen Rußland her Bauernmädchen nach Sibirien geschickt wer­ den, hier die Gründung von Familien zu ermöglichen. Mehr als ein leiser Anfang politischer Angliederung ist in diesen Maß­ nahmen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht zu erblicken. Wichtiger waren die konfessionellen Streitigkeiten, von denen bekanntlich auch die russisch-orthodoxe Kirche wiederholt durch2*

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zogen worden ist, und die immer von neuem einen Anlaß gaben, Sibiriens Freiheit in Sibiriens Wäldern aufzusuchen. Die Alt­ gläubigen zumal, aber auch andere Sekten, an denen Rußland so reich ist, haben in nicht unbeträchtlicher Zahl dem Neuland des Ostens Siedler geliefert. Meist ziehen sie sich in die Wald­ gebiete nördlich der Steppe und auch östlich des Jenissej hinein, wo sie gelegentlich den Raum für dorfweise Sitze sich errodeten, überwiegend aber auf Einzelhöfen ihr wirtschaftlich schweres, aber religiös unangefochtenes Dasein fristeten. Wieviel solcher Elemente ihre Widerstandskraft nach Sibirien hinübergepflanzt haben, entzieht sich jeder Schätzung. Noch heute aber kommt es vor, daß die staatliche Siedlungsverwaltung, wenn sie im Walde nach neuen Siedlungsmöglichkeiten sucht, auf einen solchen Einzel­ hof, eine Saimka, stößt oder gar auf ein ganzes Dorf, von dessen Existenz selbst in Sibirien niemand etwas gewußt hat. — Ein großer Zug ist dann in die Besiedlung hineingekommen, als von 1892 ab die Sibirische Bahn ihren Schinenstrang in verhältnismäßig raschem Tempo vom Ural her nach Osten vor­ schob, im Jahre 1895 den Ob, 1898 den Jenissej und 1902 den Baikalsee erreichend. Jetzt wurde das Steppengebiet zwischen Ural und Altai für große Teile der europäisch-russischen Bauern­ schaft das gelobte Land, in welchem Freiheit und reichere Wirt­ schaftsmöglichkeit ihre große Anziehungskraft ausübten. Da zogen erst Zehntausend« und dann im neuen Jahrhundert all­ jährlich Hunderttausende aus der Engigkeit der alten Heimat in die Weite des Neulandes hinüber. Eine wahre Völkerwanderung benutzte die neuen Transportgelegenheiten — eine Völker­ wanderung, deren Umfang alle anderen Bewegungen der Mensch­ heit in den Schatten stellt. Bis zu 700000 und 800000 Köpfen sind allein solche Übersiedler gezählt worden, die in den Regeln der staatlichen Verwaltung den Ural überschritten haben; unge­ rechnet also die ebenfalls zahlreichen Elemente, welche auf eigene Faust sich auf den Weg gemacht haben. Die Ursache liegt natürlich in erster Linie in den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der russischen Heimat. Hier hat bekanntlich bis zum Jahre 1906 fast ungebrochen das System des russischen Mir geherrscht, jenes Gemeindebesitzes also, der das ganze Bauernland zur Verfügung der Gesamtgemeinde hält und jedem einzelnen männlichen Mitgliede Anspruch auf einen

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gleichen Landanteil gibt. Es ist dasselbe, was wir schon bei de» Kosaken Sibiriens in seiner Rechtsform kennen gelernt haben; aber mit dem gewaltigen Unterschied, daß im europäischen Ruß­ land die rechtliche Form mit dem entsprechenden Inhalt tat­ sächlich erfüllt war. Gerade im Schwarzerdegebiet, dem wichtig­ sten Teile des russischen Bauernlandes, ist längst aller Boden verteilt und in Benutzung genommen. Da hatte also niemand mehr die Möglichkeit, sich nach Belieben innerhalb der Bauern­ mark zu betätigen; im Gegenteil, jeder Einzelne mußte immer wieder mit neuer Verteilung und — bei zunehmender Bevölkerung — mit Verkürzung seines Landanteiles sich abfinden. Dazu sah sich der Einzelne von den Verschiedenheiten der Bodenbeschaffen­ heit her gezwungen, entscheidendes Gewicht darauf zu legen, daß ihm an jedem Sonderteil der Gesamtgemarkung, an jedem Gewann, sein Anteil zugewiesen werde, und weit versprengt über das Ganze war daher, was dem Einzelnen als Bodenanteil zu­ stand. Da war es natürlich unmöglich, den bäuerlichen Betrieb in geschloffener Einheitlichkeit zu führen. Jeder war vom andern um so mehr abhängig, als die unendliche Vielheit der einzelnen Streifen es unmöglich machte, jeden mit einem besonderen Wege zu versehen. Da mußte also die ganze Dorfmark nach einheit­ lichem Plan bewirtschaftet werden; die äußersten Streifen mußten zuerst bestellt und zuletzt abgeerntet werden. Fortschritte, die nun einmal in der Welt stets eine Sache der Einzelnen sind, waren nicht zu erzielen, während doch der Staat mit seinen Steuern und mehr noch mit seinen Ablösungsgeldern auf das empfind­ lichste drückte. Die soziale Freiheit, welche dem russischen Dauer im Jahre 1862 aus einem plötzlichen Entschluß des damaligen Zaren Alexander II. zugefallen war, hatte wirtschaftlich nicht die notwendige systematische Ergänzung erfahren. Im Gegenteil, die Zusammenfassung der aus der Leibeigenschaft befreiten Dauern zu Dorfgemeinden gemeinsamen Landesbesitzes und der Zwang, die Entschädigungsgelder, welche der Staat an die früheren Herren für den Wegfall der bäuerlichen Dienste entrichtet hatte, durch eine Art von neuer Steuerleiftung abzulösen, hat den russische^ Bauer wirtschaftlich unter einen Druck gestellt, der schließlich zu übermäßiger Spannung führen mußte. Da war es der Regierung schon in den achtziger Jahren nnd vollends nach der Fertig­ stellung der Sibirischen Bahn ein willkommenes Ventil, den Land-

22 hunger der Bauernbevölkerung in Sibirien einigermaßen be­ friedigen zu sönnen; durfte man doch hoffen, wie es nament­ lich der frühere Finanzminister Witte' wiederholt ausgesprochen hat, auch die gewaltigen Kosten des Bahnbaues einigermaßen hereinzubekommen, wenn die neuen Dorfgemeinden Sibiriens mehr und mehr Frachtbedürfniffe und Personentransporte ent­ wickeln würden. Vollends ist dann in den letzten Jahren dieses Bedürfnis, in der russischen Heimat Luft zu schaffen, durch die große Agrar­ reform der Minister Stolypin und Kriwoschein noch ganz wesent­ lich verstärkt worden. Die Reform läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß die alten Bauerngemeinden ihren gemeinsamen Land­ besitz auflösen und an die einzelnen Mitglieder zur endgültigen Verteilung bringen. Dabei muß man Wert darauf legen, die einzelnen Besitztümer nicht nur abzurunden und jedes mit einem selbständigen Zugang zu versehen, was schon Land kostet; son­ dern die Größe muß auch so bemessen werden, daß nun wirk­ liche Bauernhöfe von selbständiger Lebensfähigkeit zur Entstehung kommen, und auch hierfür ist der Landanspruch um so größer, als ja die erwartete Intensivierung des Betriebes sich nicht von heute auf morgen zu vollziehen vermag. Beides aber zu be­ friedigen, ist in den meisten Dörfern die Bevölkerung zu groß, und nur selten bietet sich die Möglichkeit, von einem benach­ barten Großgut her das bäuerliche Land in genügendem Maße zu vermehren. Mit brutaler Rücksichtslosigkeit wird deshalb überall eine nicht unbeträchtliche Zahl von Gemeinde­ mitgliedern zur Abtretung ihrer zu kleinen Landanteile ge­ zwungen und nun vor die Wahl gestellt, entweder daS städtische Proletariat zu vermehren oder aber nach Sibirien auszuwandern. Mit klarer Erkenntnis geht hier die russische Agrarreform darauf aus, nur die Starken des Dorfes auf dem Lande zu erhalten und noch zu stärken, die schwächeren Elemente aber irgendwie abzustoßen *). Kein Wunder also, wenn gerade in den letzten Jahren der Strom der Sibirien-Wanderung ganz gewaltig angeschwollen ist; setzt doch das Tempo, in welchem *) Dies ist der Grund, warum die Partei der Kadettm (konstitutionellen Demokraten — K. D.) sich so scharf gegen die Agrarreform stets eingesetzt hat. Lieber keinen wirtschaftlichen Fortschritt, als Verstärkung der soüalen Ungleich­ heiten — das ist die Grundstimmung dieser Partei des politischen Fortschritts.

23 die Agrarreform durchgeführt wurde, jeden Beobachter in höchstes Erstaunen. Demgemäß hat der Staat selbst die Leitung der Übersied­ lungsbewegung in die Hand genommen. Ein großer Ver­ waltungskörper, mit dem Zentralsitz in Omsk und besonders stark mit Balten besetzt, wurde in Sibirien selbst errichtet. Im europäischen Rußland wurde Sorge getragen, daß die wande­ rungslustigen Elemente sich einer behördlichen Kontrolle unter­ warfen. Die erheblichen Vergünstigungen, welche der rechtmäßig zur Übersiedlung zugelaffene Bauer genießt, werden den irre­ gulären Wanderern vorenthalten. Diese Vergünstigungen bestehen zunächst einmal in starken Fahrpreisermäßigungen auf den russischen und sibirischen Bahnen. Diese gehen soweit, daß bei großen Entfernungen, wie sie für die Überwanderung die Regel bilden, schließlich nur noch 1 Rubel für 1000 Werst (also rund 2 Mark für 1000 Kilometer) zu ent­ richten sind. Dafür kann der Bauer, wie es ja in Rußland all­ gemein üblich ist, noch beinahe sein ganzes Hab und Gut in Form von Paffagiergut mit sich schleppen. Etwaige Geräte werden ebenfalls sehr niedrig in der Fracht berechnet. Die gleichen Ermäßigungen gelten auch schon für die soge­ nannten Kundschafter; d. h. Personen, welche von den wander­ lustigen Dauern zunächst einmal nach Sibirien hinüber geschickt werden, sich das Land anzusehen und bei der Siedlungsbehörde den neuen Dorfraum zu belegen. Das vereinfacht allen Teilen die Landzuweisung und hat den großen Vorzug, daß der eigent­ liche Strom der Wanderung ohne große Schwankungen direkt an seine Ziele gelenkt werden kann. Ein Hin- und Herreisen in Sibirien selbst ist nur für den Kundschafter erforderlich. Die Verwaltung weiß dann, wo sie auf die Ankunft der Siedler zu rechnen hat. In den Kundschaftern ist für jede Wandergruppe eine Art von selbstgewähltem Führer gegeben1). Wichtiger noch ist, daß in Sibirien selbst der Siedler von der dortigen Verwaltung in Empfang genommen und solange *) Die Einrichtung der Kundschafter ist bei der Beurteilung der ÜberWanderungs-Statistik nicht außer acht zu lassen. Diese stützt sich nämlich aus­ schließlich auf den Berkaus der Eisenbahn-Fahrkarten, und da ein großer Teil der Kundschafter von Sibirien nach der Heimat zurückzukehren pflegt, ihre Auftrag­ geber dort abzuholen, so erscheinen sie vielfach dreimal in der Statistik: zuerst bei

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nicht aus der Obhut entlassen wird, bis er das für ihn reser­ vierte Stück Land erreicht und auch darauf sich einigermaßen eingerichtet hat. Die Regierung stellt zur Besetzung nur solche Landgebiete zur Verfügung, welche ohne allzu große Schwierig­ keiten einen Ackerbaubetrieb ermöglichen, und welche sie durch die Anlage von Wegen, und seien es primitive Knüppeldämme, schon einigermaßen an die Welt angeschloffen hat. Den Ausbau des Dorfes überläßt sie dann den Siedlern selbst, welche auch das Ausroden der Waldreste und die endgültige Fertigstellung der Wege zu besorgen haben. Dabei hilft jedoch noch die Ver­ waltung; sie stellt zu billigen Sätzen und mit langem Kredit die Gegenstände der ersten Einrichtung, das Holz zum Hausbau, das Zugvieh zur Verfügung und ist auch mit beratenden Be­ amten regelmäßig zur Hand, den europäischen Bauer in die be­ sonderen Eigentümlichkeiten der sibirischen Detriebsführung ein# zuweihen. Steuerfreiheit für ein paar Jahre hilft dann auch noch über die ersten schweren Zeiten hinweg, während allerdings die früher gewährte Befreiung der Siedler vom Militärdienst nicht mehr besteht. Trotz aller Mängel, die im einzelnen unverkennbctr sind, ist die Grundorganisation, das Werk eines Witte und Kriwoschein, den Zwecken der Übersiedlung richtig angepaßt. Die Ansetzung der Dauern erfolgt durchweg dorfweise, und zwar noch immer in der Form des gemeinsamen Eigentums. Dabei wird jetzt auf jede Seele, d. h. also: auf jeden männ­ lichen Kopf, ein Areal von 12—15 Desjatinen (rund 12 bis 15 Hektar) gerechnet, aber kein Reserveland zugegeben; früher rechnete man 25 Desjatinen. Der Dauer wird also ganz wesentlich schlechter behandelt als der Kosak, für den 30 Hektar das Normal­ maß abgeben und der ein ebenso großes Rerserveland noch be­ kommen hat. Der Landbesitz der Dorfgemeinden ist daher nicht größer, als daß er bei der Extensität des landwirtschaftlichen Betriebes auf eine oder höchstens zwei Generationen ausreicht. Schon heute gibt es in der Altaisteppe eine große Anzahl von Gemeinden, die bereits über eine gewisse Landbcengung der Ausfahrt als Kundschafter, dann bei der Rückfahrt und endlich noch einmal bei der endgültigen Überwanderung. Die Zahl der statistisch erfaßten Rückwan­ derer ist also zwar von der Überwandernngszahl abznzichen, um die wirkliche Wanderziffer zu erhallen; sie ist aber nicht ein Zeichen fehlgeschlagener Wander­ pläne, sondern größtenteils das Ergebnis dieser Wanderorganisation.

25 klagen. Immerhin ist ein Besitz von 12—15 Desjatinen noch wesentlich mehr, mindestens das Doppelte bis Dreifache von dem> was der europäische Russe im Schwarzerdgebiet sein eigen nennt. Außerdem liegt in Sibirien nur die sehr geringe Grundsteuer auf der Benutzung des Bodens; irgend ein Kaufpreis oder eine Jahresleistung, die einem Kaufpreis entspräche, ist nicht zu ent­ richten, und der Dauer braucht daher seinen Betrieb nur auf die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse, nicht auf die Erzielung barer Überschüsse einzustellen. Anders werden in der Theorie nur diejenigen Elemente be­ handelt, welche ohne behördliche Erlaubnis die russische Heimat verlassen und infolgedessen ohne Paß sich nach Sibirien hinüber­ schmuggeln. Ihnen steht keinerlei Anspruch auf irgendwelches Land oder auf sonst irgendeine Unterstützung von Rechts wegen zu. Sie laufen im Gegenteil Gefahr, unterwegs angehalten und dann wieder zurückgeschickt zu werden. Aber tatsächlich ist auch in Rußland und erst recht in Sibirien die Gewalt der Dinge stärker als die Polizei. In dem riesigen Gebiet gibt es Wege genug, welche sich der behördlichen Kontrolle entziehen, und hat erst der irreguläre Überwanderer den Ural erreicht, so kommt er auch weit nach Sibirien hinein. Wird er dann wirklich in der Steppe etwa abgefaßt, so hilft kein Paragraph der Siedlungsbeftimmungen; die Verwaltung kann diese Scharen unmöglich auf viele Tausende von Kilometern wieder rückwärts dirigieren und muß deshalb sehen, wie sie sonst mit ihnen fertig wird. So war es in den Jahren 1909 und 1910 eines der schwierigsten sibirischen Probleme, dessen Lösung die ganze russische Presse stark be­ schäftigte, als bekannt wurde, daß in der Altaisteppe nicht weniger als etwa 250000 Menschen vorhanden waren, die dort eigent­ lich nichts zu suchen hatten. Ganze Familien waren da jahrelang heimlich hingekommen und hatten sich bei den schon ansässigen Bauern als Arbeitskräfte gegen Gewährung des Unterhaltes ver­ mietet. In dem noch menschenarmen und früher landreichen Ge­ biet, wo so leicht niemand sich als Arbeiter verdingt, waren sie gern ausgenommen und den Augen der Polizei in der einen oder anderen Weise entzogen worden. Nun war aber ihre Zahl doch so angewachsen, daß man nicht einmal ein Auge, geschweige alle beide, mehr zudrücken konnte. Sie kamen auch, eingelebt wie sie waren, mit dem Anspruch auf Land heraus. Und was nun

26 tun? Die Verwaltung sortierte zunächst von den Bauern­ gemeinden, daß sie diesen Zufluß als vollberechtigte Mitglieder aufnähmen. Das wurde aufs bestimmteste abgelehnt und den Arbeiterfamilien das Aufenthaltsrecht in den Dörfern gekündigt. Neues Land für eine so gewaltige Schar war nicht vorhanden, jedenfalls nicht vorbereitet. Und schließlich half sich die Ver­ waltung aus der großen Schwierigkeit heraus, indem sie den größten Teil, etwa 200 000 Köpfe, zwangsweise ins Amurgebiet hinüberwarf; hier sollten sie in der Nähe der neugebauten Amur­ bahn ihre Siedlungsstellen erhalten. Tatsächlich bedeutete das allerdings für bei weitem die meisten die vollständige Vernich­ tung. Da drüben im Osten sind denn doch die Verhältniffe der­ art anders als im Westen und erst recht im europäischen Rußland, daß von irgendeiner Möglichkeit schneller Anpassung nicht ge­ sprochen werden kann. Vorbereitet war gar nichts für diese neuen Elemente. Aber im Siedlungsgebiet Sibiriens war man sie los. Ein Verfahren, das man als recht russisch wohl bezeichnen darf. Wieviel Raum im westlichen Sibirien für die Aufnahme europäischer Russen noch zur Verfügung steht, entzieht sich jeder Schätzung. Diejenigen Bezirke jedoch, welche als Steppenland ohne besondere Vorbereitung aufgeteilt werden können, sind jetzt so gut wie vollständig besetzt; da kann nur noch Unterkommen, wer sich in eine der bestehenden Dorfgemeinden einzukaufen, mindestens 100 Rubel dafür zu bezahlen vermag. Die wichtigste Aufgabe der Verwaltung ist daher jetzt, weiter nördlich im Sumpf­ waldgebiet Stellen aufzufinden, die sich ohne allzu große Mühe zur Aufnahme großer Menschenmengen geeignet machen lassen. Dabei helfen die vielen Ströme und Flüsse, die das ganze Ge­ biet durchziehen; das Suchen wird schon seit einigen Jahren ganz systematisch betrieben. Auch nach Osten greift man immer stärker aus; namentlich in Transbaikalien bieten sich noch weite Flächen, die zwar wegen der strengen Kontinentalität des Klimas und wegen der hohen Lage besonders harte Existenzbedingungen bieten, welche aber doch den Ackerbau und erst recht eine ausgedehnte Viehzucht ermöglichen. Ebenso greift man in die Kirgisensteppe hinein westlich vom Jrtysch und hat sich auch durch eine recht beträchtliche Anzahl von Fehlschlägen nicht abhalten lassen, immer wieder auf wenig geeignetem Boden neue Dörfer zu schaffen; die Kirgisen werden vor die Wahl gestellt, entweder selbst zu

27 seßhaften Bauern zu werden und ihre raumsordernde Nomaden­ wirtschaft aufzugeben oder aber aus den besseren Strichen der Steppe zu weichen und den Russen das Feld zu überlassen. Schwerlich konnte die russische Regierung bei dieser Sach­ lage damit rechnen, auch nur für kurze Zeit immer noch für den gewaltigen Siedlerstrom, der sich alljährlich über den Ural er­ goß, geeigneten Aufnahmeraum zur Verfügung zu haben. DaVentil, durch dessen Öffnung man der europäischen-russischen Dauernbewegung Herr zu werden wünschte, fing schon merklich an sich zu schließen, und sicherlich trägt zu der großen Popularität, deren sich der Krieg in Rußland erfreut, in allererster Linie die Hoffnung bei, jenseits der russischen Grenzen, in Galizien und im östlichen Deutschland, Land zugewiesen zu erhalten. Der Land­ hunger des russischen Dauern ist unersättlich und wird solange nicht befriedigt werden können, ehe nicht der Übergang zu inten­ siverem Betrieb eine bessere Ausnutzung des gegebenen Areals herbeiführt. Die Agrarreform aber, die uns jetzt in der Übergangs­ zeit als ein Element der Stärkung russischer Kriegskraft entgegen­ tritt, birgt als Unterlage solcher späterer Betriebsintensivierung die Aussicht auf friedlichere Nachbarschaft in sich. An europäischem Maßstab gemessen, steht ja in Rußland und vollends in Sibirien noch Raum in Hülle und Fülle zur Verfügung. — Die Betriebsführung steht in Sibirien in einem eigentüm­ lichen Gegensatz zum europäischen Rußland: der Ackerbau wird noch wesentlich extensiver betrieben als diesseits des Urals; in der Viehzucht ist man dagegen erheblich weiter vorgeschritten. Der Boden steht noch überall, die westlichsten Teile des Gouvernements Tobolsk nur ausgenommen, unter der Herrschaft der ungeregelten Feldgraswirtschast. Der Bauer nimmt sich in ähnlicher Weise, wie wir es von den Kosaken gelernt haben, im äußersten Umkreis der Feldmark ein Stück Land, das ihm gut scheint, und bearbeitet es leise mit dem Pflug, ohne sonst irgend etwas für die Aufschließung des Bodens oder feine Adaptierung zu tun; gibt dann der niemals gedüngte Boden nach einer Reihe von Jahren nur noch allzu spärlichen Ertrag, so läßt man ihn liegen und nimmt ein neues Stück in Arbeit. Es versteht sich von selbst, daß bei solchem System der Landanspruch des Ein­ zelnen um so größer sein muß, als die brachliegenden Teile nicht einmal zur Viehweide benutzt werden. Fehlt aber sogar die

28 natürliche Düngung des Weideganges, so dauert die Erholung des einmal ausgesogenen Bodens noch viel länger als sonst wohl. Und rasch ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die Außenmark des Dorflandes in allen ihren Teilen schon einmal benutzt worden ist und nun die für solche Betriebe unerläßliche Reserve fehlt. Dann fängt der sibirische Dauer, der größtenteils noch zu der übersiedelnden Generation selbst gehört und deshalb den Land­ reichtum der Anfangszeit kennen gelernt hat, über Mangel an Land zu klagen an und hat nicht einmal Unrecht in diesem Lamento, da ja die übliche Betriebssührung in der Tat einen gewaltigen Landkomplex erfordert. Da kann der europäische Russe, der doch immerhin im Süden und Osten des Schwarzerdgebietes schon längst zur Dreifelderwirtschaft übergegangen ist, im Westen sogar mit dem Anbau der Zuckerrübe den eigentlichen Frucht­ wechselbetrieb angenommen hat, mit wesentlich geringerem Land­ besitz wohl auskommen. Aber dafür ist in Sibirien, dem welt­ entlegenen, die Zeit noch nicht reif: es fehlt an den Verkaufs­ möglichkeiten, welche die unumgängliche Voraussetzung für jede Mannigfaltigkeit der Produktion bilden. Der Landanspruch wird auf der asiatischen Seite des Ural noch dadurch besonders gesteigert, daß die Viehhaltung dort eine sehr erhebliche Rolle spielt, ohne indes den Ackerbau irgendwie zu befruchten. Die Steppe mit ihrem Graswuchs gibt dafür die besten Voraussetzungen. Sie bringt aber auch zugleich die Betonung des Weideganges mit sich und fordert demgemäß weite Räume, verglichen etwa mit dem System der Stallfütterung, das außerdem den Anbau von Futtergewächsen und damit Arbeit und Kosten voraussetzt. Genau wie bei den Kosaken, ist in den bäuerlichen Dörfern dem Vieh der größte Teil der Gemarkung überlassen. Die Viehweide legt sich um das Dorf herum, während der Ackerbau weit draußen betrieben wird. Viehland und Acker­ land sind völlig voneinander gesondert. Die Viehzucht ist für den Bauer noch viel mehr, als für den Kosaken, die Unterlage seiner Beziehungen zur übrigen Welt. Es ist geradezu erstaunlich, welche große Mengen von Butter da tief in der Steppe erzeugt werden, abseits aller modernen Trans­ portgelegenheiten und doch für den Export nach den Städten des europäischen Rußlands und nach Westeuropa bestimmt. Kopen­ hagen, Hamburg, London, Rotterdam nahmen bis zum Ausbruch

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des Krieges alljährlich große Massen auf; auch Mitteldeutschland und erst recht das rheinisch-westfälische Industriegebiet pflegten das sibirische Erzeugnis, vielfach gemischt mit einheimischer Butter, ganz regelmäßig zu genießen. Ein Transport von vier Wochen und mehr macht die stark gesalzene Butter Sibiriens nicht un­ brauchbar; sie wird im Verbrauchsbereich entsalzen und kann dann sogar noch als Eßbutter dienen — besser als das Konkurrenz­ produkt Australiens, das ja auch einen wochenlangen Weg hinter sich zu bringen hat, ehe es durch den Londoner Markt, den wahl­ los alles verschlingenden, in die große Masse der englischen Be­ völkerung hineingepreßt wird. Dieser Absatzmöglichkeit entsprechend, sind die Einrichtungen der sibirischen Molkereien technisch durchaus auf der Höhe der Gegenwart gehalten. Es waren zuerst Dänen, welche längs der sibirischen Bahn Molkereien einrichteten, die Milch aus der ganzen Nachbarschaft aufkauften und dann für eigene Rechnung zu Butter verarbeiteten und exportierten. Heute sind aber nur noch wenige dieser Privatmolkereien übrig geblieben; bei weitem das meiste wird genossenschaftlich hergestellt, wie ja der russische Bauer über­ haupt der geborene Genossenschafter genannt werden kann. Jedes Dorf — so kann man ohne Übertreibung sagen — hat im ganzen westlichen Sibirien, wo überhaupt bäuerliche Gemeinden be­ stehen, seine genossenschaftliche Molkerei. Wohl begreiflich daher, daß die Sibirier auf ihre Viehhaltung entscheidendes Gewicht legen und nichts davon wissen wollen, ihr riesiges Weideland sich zugunsten des Ackerbaues einschränken zu lassen, um so Raum für neue Siedlungen zu schaffen. Wollte der russische Staat von seinem Formalrecht Gebrauch machen und — gestützt auf das Eigentum, das ihm gesetzlich an allem Grund und Boden zusteht — zwangsweise eine Einengung vornehmen: die russische Bauern­ revolution von 1905, die auf das platte Land Sibiriens gar nicht hinübergeschlagen hat, würde dort eine Wiederholung finden, gegen welche das Urbild ein Kinderspiel genannt werden dürfte. Der Übergang zu intensiverem Betrieb der Viehzucht, zur Ein­ fügung von Stallfütterung und Futteranbau, kann nur durch Verbesserung der Absatzgelegenheiten und das heißt: der Trans­ portmittel herbeigeführt werden. — In scharfem Unterschied gegenüber dem europäischen Ruß­ land hat der Sibirier eine Lebenshaltung zu verteidigen, die

30 schon lohnt, gewaltsam verteidigt zu werden. Für den Dauer des europäischen Rußland war vor der Agrarreform die Prole­ tarisierung bekanntlich schon soweit vorgeschritten, daß eine wirk­ lich entscheidende Verschlechterung kaum noch eintreten konnte; er hatte schon nichts mehr zu verlieren und machte Revolution, um vom Landbesitz der privaten Grundherren einiges für sich zu gewinnen. Der Sibirjak dagegen — diese eigentlich nur dem alteingesessenen Sibirier zukommende, als Ehrentitel empfundene Bezeichnung hat rasch auch die neu zugewanderte Bauernschaft an­ genommen — ist schon ein recht behäbiger Landbesitzer. Der Ver­ kauf von Butter und strichweise auch der Verkauf von etwas Getreide erlaubt es ihm, da ihn öffentliche Lasten nicht nennens­ wert drücken, seinen eigenen Konsum recht hoch zu halten: man rechnet, daß in Sibirien an Tee, dem russischen Nationalgetränk, etwa das Vierfache auf den Kopf der Bevölkerung verzehrt wird von dem, was im europäischen Rußland auf den Kopf entfällt, und könnte man lediglich den Verbrauch des Bauern erfassen, so käme ein noch wesentlich größerer Unterschied heraus. Ähnlich sind die sonstigen Lebensgewohnheiten. Kaum je sieht man in den Steppengebieten eine der Erdhöhlen, die doch in der euro­ päischen Schwarzerde einen so großen Teil der Bauern in sich bergen; das großrussische Blockhaus herrscht überall vor, obwohl die Steppe kaum einen Daum trägt und die Holzstämme also von weit her, vom Altai oder vom Ural herangebracht werden müssen. Nicht selten hat das eiserne Dachblech, das man vom Ural zu beziehen hat, die ursprünglichen Strohdächer verdrängt. Einige Behaglichkeit, wenngleich primitiven Geschmackes, wird im Innern durch die bunten Tücher, durch eiserne Truhen und durch Buntdrucke verbreitet. Die hellroten baumwollenen Hemden der Männer, die bunten Röcke und Hemden der Frauen zeigen zumeist, daß sie doch häufiger als auf der anderen Seite des Urals er­ neuert zu werden pflegen. Alles atmet in der Tat eine gewisse Wohlhabenheit, die es denn auch dem sibirischen Dauer ermög­ licht, heiterer in die Welt zu schauen, als es sein europäischer Derufsgenoffe zu tun vermag. Dazu kommt, daß es in Sibirien niemals Leibeigenschaft oder sonstige persönliche Abhängigkeit gegeben hat. Der Bauer ist immer ein freier Mann, sein eigener Herr gewesen, und rasch haben auch die neuen Siedler sich in diese Stimmungsatmosphäre

31 hineingelebt. Kommt man vom eigentlichen Rußland hinüber nach Sibirien, so kann man glauben, obschon Sprache und äußere Gestalt drüben wie hüben das Großrussentum erkennen lassen, doch in eine andere Welt hineinzugelangen. Der Sibirier macht einen ganz wesentlich mehr kultivierten Eindruck. Er steht fest auf seinem Grund und Boden und denkt nicht daran, sich irgend­ wie unterwürfig zu zeigen. Im Kriege haben ja auch unsere Truppen immer wieder zur Genüge erfahren, welch' stark ge­ hobene Widerstandskraft gerade die sibirischen Regimenter be­ sitzen. Die Wohlgenährtheit des sibirischen Dauern und sein Persönlichkeitsgefühl, das entsprechend seinem Kulturstand immer­ hin schon vorhanden ist, haben sich da als militärisch sehr wichtige Elemente gezeigt. Kein Zweifel: dort im Osten, wo die kleinste Transportverbefferung, der Bau jeder Eisenbahnlinie immer gleich große Gebiete für die Neusiedlung öffnet und zur Intensivierung des landwirtschaftlichen Betriebes, damit wieder zur Ansetzung neuer Menschenmaffen den entscheidenden Anstoß gibt — da ist nicht nur der Raum für die quantitative Entfaltung des Ruffentums gegeben; da liegen auch die Unterlagen schon vor, von denen aus dieses Ruffentum sich qualitativ-kulturell in die Höhe zu recken vermag. Ein Staatsmann, wie Witte, hat immer im Osten die Linie des geringsten Widerstandes für die Entwicklung seines Volkes gesehen.

IV. Deutsche Bauern auf Kosakenland. Als wir, von Moskau kommend, in Omsk nach fast vier­ tägiger Fahrt zum erstenmal den fibirischen Expreßzug verließen, da drängte es uns natürlich, so rasch wie möglich uns etwas Bewegung zu verschaffen und die Großstadt zu besichtigen, die uns da zuerst einen Einblick in sibirisches Leben geben sollte. Geradezu selbstverständlich ging es zum Bazar, jener eigentüm­ lich orientalischen Mischung von täglichem Markt und von Laden­ konzentration, wo sich fast der ganze Güteraustausch der Stadt selbst und des benachbarten platten Landes zu vollziehen pflegt. Wir schlenderten durch die Reihen der Läden hindurch und kamen bald auf den weiten Platz, auf welchem die Bauern der Um­ gebung ihr Getreide zum Verkauf feilboten. Da schlugen Töne plötzlich an unser Ohr, die uns stutzig machten. Es war offen­ bar nicht russisch, was da gesprochen wurde. Und als wir näher hin hörten, da erkannten wir es deutlich: es waren ein paar Bauern, die sich in ausgeprägt sächsischem Dialekt miteinander und mit einem jüdischen Kaufmann unterhielten, der das eigen­ tümliche Jiddisch sprach. Jetzt fiel uns auch auf, daß die Dauern neben einem Wagen standen, der einem deutschen Leiterwagen genau gleich sah und gar nichts von einer russischen Tjelega an sich hatte. Und in der Tat: es waren deutsche Dauern, die da ihren Geschäften nachgingen. Ein schönes erstes Erlebnis auf sibirischem Boden. Im ganzen sollen etwa 20 000—25 000 Menschen deutscher Herkunft im Bezirke von Omsk sich aus dem Lande niedergelassen haben. Es sind Nachkommen jener Dauern, welche im Laufe des 18. Jahrhunderts, namentlich unter der Großen Katharina, aus deren Heimat, Anhalt-Zerbst, und auch aus dem Schwabenland nach dem südlichen und südöstlichen Rußland hinübergezogen worden sind. Ihnen ist der Raum, auf dem sie ursprünglich an­ gesetzt wurden, inzwischen auch eng geworden, obschon sie in

33 wesentlich höherem Maße als der Russe ihren Betrieb inten­ siver gestaltet haben. Und auch sie haben die Eröffnung der Sibirischen Dahn benutzt, sich im gelobten Lande des noch freien Grund und Bodens neue Siedlungsmöglichkeiten zu suchen. Von der Krim her ebenso, wie aus der Gegend von Samara «nd Saratow sind sie über den Ural hinübergegangen und am Jrtysch nördlich wie südlich der Bahnlinie zu vorläufiger Ruhe gekommen. Bei diesen Deutschen ist im Unterschied zu den Russen die Umsiedlung vollständig und ausschließlich auf die eigene Kraft gestellt. Der russische Staat, der von ihnen, als seinen Unter­ tanen, die Erfüllung der militärischen Dienstpflichten genau so fordert, wie von allen anderen Volkselementen, der sie natür­ lich auch zur Steuerzahlung in der gleichen Weise heranzieht, — er lehnt es doch nachhaltig ab, in der Frage der Landverteilung den immer noch als fremd empfundenen Deutschen dem russischen Bauer gleichzustellen. Infolgedessen gibt es für jenen weder eine Fahrpreisermäßigung, noch auch einen Anspruch auf freie Land­ überweisung. Er muß den vollen Fahrpreis zahlen, und das besagt etwas bei den großen Entfernungen, die zwischen der Krim oder der Wolga und dem Jrtyschgebiet zu überwinden sind; und er hat das Land zu kaufen oder zu pachten, auf dem er sich dann drüben niederlaffen will. Wären nicht die deutschen Dörfer auf russischem Boden durch ihre tüchtige Arbeit und ihre Sparsamkeit zu immerhin ansehnlichem Wohlstand gelangt, so wäre es ihnen wohl schwerlich möglich, durch die Aussendung überschüssiger Elemente sich Luft zu verschaffen. So aber pflegen die Kosten der Übersiedlung nicht vom Einzelnen, sondern größten­ teils von seinem Dorf getragen zu werden. Man gibt auch das erforderliche Ackergerät, wie überhaupt die erste Einrichtung gleich mit und übernimmt so all die Aufgaben, welchen beim Russen der Staat sich unterzieht. Zum Landbesitz aber kommt der deutsche Sibirienwanderer dank dem glücklichen Zufall, daß die Kosakenheere ihre Reservate und die Kosakenoffiziere ihren Landanteil in großem Umfang nicht selbst bewirtschaften, sondern durch Verpachtung und selbst Ver­ kauf sich nutzbar machen. Außerdem besteht auch die Möglichkeit, Kirgisenland zu erwerben. Nur dort, wo solche Gelegenheiten ge­ boten werden, kann der deutsche Dauer sich in Sibirien niederSIBUbenfelb, Sibirien.

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34 lassen. Das ist ein Nachteil, insofern die Pacht- und Kaufpreise natürlich regelmäßig hoch gehalten werden und jedenfalls zur staatlichen Grundsteuer als Produktionskosten hinzutreten; ein Vorteil aber, weil sich daraus eine starke räumliche Konzentration der.deutschen Elemente in einem Gebiet ergibt, das durch die Nähe des Jrtysch und der alten Kosakenstädte sich besonders günstiger Absatzgelegenheiten erfreut. Sehen wir uns nun den Betrieb des deutschen Dauern an, so fällt sofort die andere Siedlungsweise auf. Zum größten Teil nämlich haben die Deutschen, entgegen den Gewohnheiten ihrer alten deutschen und auch ihrer spä­ teren russischen Heimat, in Einzelhöfen sich angesetzt. Wie sie das Land erwerben konnten, mußten sie wohl oder übel sich anbauen. Um so mehr konnten sie aber die Wohnweise der alten Heimat festhalten: an der Art, wie Wohnhaus und Ställe zueinander gestellt sind, ineinander übergehen oder sich voneinander trennen, kann man noch heute in Sibirien die deutsche Gegend wiedererkennen, aus welcher der Vorfahr des Sibiriers nach Rußland gekommen ist. Die einzige Gelegenheit, wo wir auf dem Lande Steinhäuser gesehen haben, hat sich auf deutschen Bauernhöfen dargeboten, und vollends ist von entscheidender Be­ deutung, daß ebenso selbstverständlich, wie bei den russischen Siedlern feste Ställe fehlen, sie bei den deutschen vorhanden sind. Ja, man kann beobachten, daß die echte deutsche Liebe zum Vieh auch in der Reihenfolge der Bauten sich äußert: ist erst die notwendigste Unterkunft für Mensch und Vieh hergerichtet, so kommt für jede Verbesserung der Bauten zuerst der Viehstall und zuletzt das Wohnhaus in Betracht. Hier herrscht auch bereits in großem Umfang die Stallfütterung, auf welche demgemäß der Anbau des Feldes systematisch eingerichtet ist. Die ganze Feldbenutzung unterscheidet sich daher grundsätz­ lich von der Art der russischen Dörfer. Zwar kann man natür­ lich an so abgelegener Stelle noch nicht etwa an wirklichen Fruchtwechsel denken. Aber die Dreifelderwirtschaft, die da herrscht, ist doch dem Klima insoweit angepaßt, als man die Winterfrucht, welche zu benutzen die Starrheit des Winter verbietet, durch Futter­ gewächse zu ersetzen strebt, die nun tatsächlich doch für die Aus­ nutzung der Dodenkraft eine Art Fruchtwechsel bedeuten; nur daß man die Drache noch beibehält, die man ja auch für den

35 sommerlichen Weidegang des Viehes nicht entbehren kann. Daraus ergibt sich dann eine natürliche Düngung, die sich alle paar Jahre wiederholt, und der solide Stall sorgt dafür, daß auch Stalldünger auf den Ackerboden gebracht werden kann. Kein Wunder daher, daß die Erträge der deutschen Betriebe im ganzen Bereich als groß und zuverlässig bekannt sind und beneidet wer­ den. Trotz aller Vorrathaltung, die auch bei ihnen geübt werden muß, pflegen gerade die deutschen Höfe verhältnismäßig viel Getreide zum Verkauf zu bringen. — Fühlung mit der russischen Nachbarschaft besteht in Sibirien ebensowenig wie im europäischen Rußland. Obschon alle diese deutschen Bauern ihre langen Militärjahre mit der Waffe ab­ solviert haben, pflegen sie doch die paar russischen Worte, die ihnen dabei geläufig geworden sind, in der deutschen Umgebung ihrer Heimat rasch wieder zu vergessen. Eine große Anzahl kann sich daher auf russisch nicht verständigen, nicht einmal — wie uns einer der jüngeren Bauern auf dem Omsker Markte erklärte — ein Tröpfchen Wasser fordern. Alle sind sie vor allem aber ihrem Protestantismus treu geblieben. Mischehen zwischen Deutschen und Russen sind gerade in der Bauernbevölkerung eine außer­ ordentlich große Seltenheit und in Sibirien wohl überhaupt noch nicht vorgekommen. Trotzdem ist von einer Fühlung mit der altdeutschen Heimat nicht das Leiseste mehr vorhanden. Die meisten von denen, die ich in der Kirgisensteppe oder bei Omsk danach fragen konnte, hatten keine Ahnung, aus welcher Gegend Deutschlands ihre Vor­ fahren eigentlich gekommen waren. Nur ein einziges Mal ver­ mochte ein Schullehrer mir zu sagen, daß Königsberg die Heimat seiner Familie gewesen wäre, und das war ein Mann, bei dem erst der Großvater die Wanderung nach Rußland angetreten hatte. Alle übrigen verrieten zwar durch den Dialekt, aber nicht aus eigenem Wissen die Herkunft des deutschen Dorfes, aus dem sie ursprünglich wohl stammten. Das Einzige auch, was sie an deutschen Verhältnissen interessierte und wonach uns so ziemlich jeder gefragt hat, das waren die Verhältnisse der militärischen Dienstpflicht, vor allem die Dauer des aktiven Dienstes. Sie fühlten sich zwar offensichtlich alle in einem Gegen­ satz zur eigentlich russischen Bevölkerung,, dabei aber doch durchaus als Glied des russischen Staates und als Untertanen ihres Zaren. 3*

36 Wie wird es diesen prächtigen Elementen jetzt wohl er­ gehen? Schon lange vor dem Kriege sah die russische Bauern­ bevölkerung Sibiriens und auch die russische Verwaltung mit einiger Mißgunst auf diese kräftig vorwärtsstrebenden und ihnen deshalb innerlich so fremdartigen Elemente. Der Deutsche hat auch in Rußland nichts von jenem „Sinn aufs Weite" be­ kommen, welchen der Russe bei sich selbst so hoch schätzt. Er ist im großen ganzen der genaue Arbeiter geblieben, welcher Mittel und Zweck miteinander in Einklang zu halten bemüht ist und Schritt vor Schritt seinen wirtschaftlichen Weg nimmt. Er hat auch das Sparen gelernt. Ja man kann sagen, die Notwendig­ keit, für die jüngeren Brüder, die nicht in den Hof des Vaters hineinerben und doch auch von der Regierung kein Land zuge­ wiesen erhalten, zum Landkauf Barmittel zusammen zu bringen, — diese Notwendigkeit ist ein Glück für jene deutsche Bauern­ schaft; gibt sie doch immer von neuem den Anstoß, sparsam zu wirtschaften und an die Zukunft zu denken. Aber freilich dem Russen macht den Deutschen nichts so unsympatisch, wie dieses Bedenken der Zukunft. Ein gutes Stück Sorge fügt sich dabei wohl in die Abneigung und Mißgunst hinein: man sieht die Deutschen vorwärtskommen und weiß nicht, wo sie damit halt machen werden. Schwerlich wird daher jene Verwaltungs­ politik, welche den ganzen Westen des europäischen Rußland von den deutschen Dauernelementen zu reinigen bestrebt ist, jetzt im Kriege ohne Rückwirkung auf die östlichen und so auch auf die sibirischen Bauern bleiben. Wir werden gut tun, im Friedens­ schluß und nachher uns auch dieser Mitglieder der deutschen Volks­ familie zu erinnern. Das gibt für unsere alte und neue Ostmark ein Siedlerelement von nachhaltiger Kraft und erheblicher An­ passung. Nichts kann ja für uns erwünschter sein als Bauern zu finden, für die unser deutscher Osten eine Erleichterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen bedeutet, und die andererseits streng daran fefthalten, daß der väterliche Hof eine untrennbare Einheit bilde und daß aus den Ersparnissen jeder Generation neuer Besitz der jüngeren Brüder sich entwickele. Denkbar feste Verankerung im Grund und Boden bedeutet Festhalten der länd­ lichen Bevölkerung im ländlichen Bereich I

V. Das Leben der Steppe. Auf alt-griechischen Vasen, deren Scherben im Süden Ruß­ lands, im Küstengebiet des Schwarzen Meeres in großer Zahl gefunden werden, da kann man als häufig benutztes Motiv das Reiterleben der Skythen abgezeichnet finden. Genau das Gleiche, was uns diese Bilder aus grauem Altertum übermitteln, zeigt uns noch heute die Kirgisensteppe, die von der Wolga bis zum Altai in westöstlicher Richtung, von der Sibirischen Dahn bis zum Aralsee in nordsüdlicher Richtung sich erstreckt. Die Kleidung entspricht in ihrer Form und sicherlich auch in ihren wesentlichen Bestandteilen durchaus dem, was jene alten Bilder uns zeigen. Ten Pferden werden in derselben Weise die Vorderfüße zusammen­ gebunden, um sie auf der Weide am Fortlaufen zu hindern. Noch heute führt der Steppenbewohner das Kentaurendasein, das ihn mit seinem Pferd zu einer Einheit verbindet. Man kann es als die größte Überraschung einer sibirischen Reise bezeichnen, beim Durchstreifen der Steppe plötzlich in Verhältnisse sich zurück­ versetzt zu sehen, die der Westeuropäer als längst hinter aller Gegenwart liegend zu betrachten pflegt, und die ihm doch von der Schule her zu gutem Teil vertraut vorkommen. Die Kirgisen — Kirgis-Kosaken pflegt sie der Russe zu nennen — haben sich lange genug der russischen Herrschaft er­ wehrt. Erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, in einem Feldzug, der von 1840—1845 über die Steppe dahin­ gegangen ist, hat Rußland endgültig das freiheitliebende, weit­ schweifende Volk zur Ruhe gezwungen. Damals hat man dann gleich die völlige Entwaffnung der unterworfenen Stämme her­ beigeführt. Und heute ist auch nicht der leiseste Rest von Wider­ standskraft und Selbständigkeitsbedürfnis übrig geblieben. Die ftüher so kriegerischen, der großen Türkenfamilie angehörigen Kir­ gisen, die von der Goldenen Horde der Tataren zur Zeit ihrer

38 Ruffenbeherrschung den wichtigsten Bestandteil gebildet hatten, find jetzt unter russischem Szepter derart friedlich geworden, daß selbst der einsam Reisende auf keinerlei Schutz bedacht zu sein braucht. Niemand von uns dachte auch nur von weitem daran, etwa eine Waffe mitzunehmen oder gar sie jemals gebrauchen zu können. Und kindlicher Schreckversuch nur ist für jeden Kenner der dor­ tigen Verhältnisse die russische Nachricht, man wolle die Kirgisen wieder bewaffnen und dann gegen uns ins Feld stellen — für­ wahr ein furchtbarer Gegner nach so völlig durchgeführter und schon mehrere Generationen geltender Entwöhnung von allem, was Waffendienst und Kriegerehre bedeutet. Dabei hat Rußland recht gut verstanden, seine Herrschaft auf die alten Organisationsformen der Nomadenbevölkerung auf­ zustülpen. Jeder Stamm nämlich wird dem Staate gegenüber ausschließlich durch seinen Häuptling, den Bi, repräsentiert. Dieser ist für alles verantwortlich, was im Umkreise seines Einfluffes vor sich geht; an ihn hält sich die Regierung, wenn irgendein Stammesmitglied sich gegen die Gesetze vergangen, namentlich — was bei diesen Viehliebhabern nicht selten vorkommt — einem andern Stamm oder gar einem Russen ein Pferd oder einen Hammel gestohlen hat. Auch privatrechtliche Verträge, wie etwa über die Annahme von Hirtendiensten bei den wenigen Groß­ grundbesitzern des westlichen Sibirien, werden vom Häuptling abgeschlossen, und er ist dann dafür verantwortlich, daß diese Verträge genau erfüllt werden; an ihn, nicht an den einzelnen Hirten hat sich der Russe zu halten, wenn die Arbeit nicht den Ansprüchen entspricht. Dafür ist dann aber auch andererseits dem Häuptling eine große Macht über die Gesamtheit seines Stammes eingeräumt; beraten von einem Kollegium der Ältesten, verfügt er mit absoluter Gewalt über die Kräfte des Stammes und sogar über das private Eigentum der Einzelnen. Kommt also von der russischen Regierung die Aufforderung an den Häuptling heran, für irgendeinen Schaden Ersatz zu leisten oder einer gesetzlichen Sühne sich zu unterziehen, so ist es ihm über­ lassen, ob er nach dem wirklich Schuldigen sich nachhaltig um­ sehen will, oder ob er vorzieht, irgendein anderes Mitglied des Stammes zur Tragung des Schadens zu bestimmen. Der Despotismus der primitiven Rechtsgestaltung soll da noch ziem­ lich rein erhalten sein.

39 Um so merkwürdiger fügen sich in diesen altprimitiven Stammesaufbau moderne Ideen hinein. Die Häuptlingsschaft ist nämlich weder erblich, noch auch nur dem Einzelnen für die Dauer seines Lebens übertragen. Alle drei Jahre findet viel­ mehr eine Wahl statt, mit welcher die Patriarchen der einzelnen Sippen, wie es scheint: aus ihrem Kreise, den Häuptling sich wählen. Da spielt auch bereits das Geld eine Rolle; wie ja überall in der Welt die öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zu den wichtigsten Trägern der beginnenden Geldwirtschast gehören. Es scheint, daß die Häuptlinge ihre Macht recht tüchtig zu per­ sönlicher Bereicherung benutzen können und dann natürlich auch tatsächlich zu benutzen pflegen. Von einem baltischen Bergbau­ beamten, der schon viele Jahre in den Golddistrikten der Steppe tätig gewesen war, ist mir erzählt worden, man rechne im all­ gemeinen, daß ein Häuptlings-Aspirant etwa 2000—3000 Rubel für die Durchsetzung seiner Wahl ausgeben müffe. Wir nennen so etwas in der hoch enwickelten Geldwirtschaft natürlich Be­ stechung. Dem Naturalwirtschaftler jedoch, der gerade eben erst die leisen Anfänge dieser neuen Wirtschaftsform über sich er­ gehen läßt, dem ist es aus seinem einfacheren Gefühl heraus einfach selbstverständlich, daß der Wahlberechtigte diese seine soziale Macht auch in wirtschaftliche Münze genau so umsetzt, wie er sie zur Beherrschung seiner Sippengenossen ohne Skrupel und Zweifel ja ausnutzt. Wir brauchen auch im westlichen Europa nicht gar so weit zurückzugreifen, um auf ein ähnliches Empfinden noch zu stoßen: man denke etwa daran, welche Rolle noch tief in die Neuzeit hinein der Kauf der weltlichen und geistlichen Ämter überall gespielt hat, und wie stark die deutschen Kur­ fürsten bei der Wahl der Könige sich durch Geldversprechungen be­ stimmen ließen; noch das 18. Jahrhundert zeigt uns in England, wie die Regierung geradezu öffentlich die Stimmen der Parla­ mentsmitglieder sich erkaufte. Es geht eben nicht an, in eine völlig andere Wirtschaftsverfaffung die Maßstäbe der voll durch­ gesetzten Geldwirtschaft hineinzutragen. — Wirtschaftlich ist das Leben der Kirgisen noch ganz und gar auf das Nomadendasein gestellt. Jeder «Stamm hat seine festen Weidereviere, auf denen er in ganz regelmäßiger Reihenfolge mit dem Wechsel der Jahreszeiten herumzieht; immer so, daß er im Frühjahr im Süden und in der Ebene beginnt

40 und dann allmählich nach Norden oder ins Gebirge vor­ rückt, je nachdem die einzelnen Stellen abgeweidet und von der höher kommenden Sonne ausgebrannt werden. Wehe dem Stamme, der da die alt-gewordenen Grenzen etwa überschreiten wollte. Der Kampf um den Futterplatz hat bekanntlich gerade in jenen Gegenden des westlichen Mittelasiens die größten Völker­ bewegungen ausgelöst: die europäische Völkerwanderung, die tür­ kische Besetzung von Vorderasien, der Mongolensturm haben vor allem in den Steppengebieten ihren Anstoß bekommen. Heute aber sorgt die russische Regierung, daß die Kirgisen wenigstens untereinander ihre Weidegrenzen respektieren; sie selbst freilich scheut sich nicht, zugunsten ihrer Dauernsiedlung den Raum der schweifenden Nomadenwirtschaft mehr und mehr einzuengen. Der Stolz des Kirgisen, sein wichtigstes Besitztum sind die Pferdeherden, die jede Sippe ihr Eigen nennt. Von ihrem Um­ fang hängt das soziale Ansehen ab, das der Einzelne genießt; sie zu vermehren, ist jedes Mittel recht. Dabei dient der Pferde­ bestand eigentlich, wenn man es so ausdrücken darf, als eine Schmucksache; er vertritt gleichsam die Stelle, welche bei anderen Naturverhältnissen und in anderen Wirtschaftsformen der Besitz an prunkvollem Gerät einnimmt, und ist, so wie dieser, in erster Linie dazu bestimmt, den Unterschied gegenüber dem lieben Nach­ bar nach außen treten zu lassen. Das Distanzierungsbedürfnis, «ine der elementarsten Regungen menschlichen Seelenlebens, hat hier seinen Nomaden-Ausdruck gefunden. Mit seinem Pferd ist der Kirgise derart verwachsen, daß er keinen Schritt zu Fuß tut, den er reiten könnte. Wiederholt habe ich beobachten können, daß etwa ein Häuptling, der mit seiner Begleitung den Jahrmarkt besucht, von Laden zu Laden, obwohl nur wenige Schritte dazwischen liegen, doch sein Pferd benutzt; er selbst und alle seine Begleiter schwingen sich, wenn sie aus dem einen Laden heraus kommen, immer wieder auf die Tiere hinauf, reiten zehn Schritte weiter und steigen wieder ab, und wiederholen dies, so oft sie einen Laden betreten. Schon die kleinsten Kinder werden auf die Pferde gesetzt und wissen dann bald so gut im Bügel zu balanzieren, daß so leicht nichts sie aus ihrem Sitze wirft. Auch die Frauen, die natürlich rittlings zu Pferde sitzen, benutze»: es in ganz der gleichen Weise wie die Männer. In der Steppe lernt man verstehen, wie

41 die Griechen, als die zu Fuß gehenden Bewohner gebirgiger Gebiete, die Sagen von dem Pferdemenschen, dem Kentauren, ent­ wickelt haben. Zur Ernährung wird die Pferdeherde mit der Milch ihrer Stuten herangezogen, welche teils gegoren, als Kumiß, getrunken, teils gekocht und mit Tiegeltee versetzt gegeßen wird. Einen Festtag aber bedeutet es, wenn etwa von einem gefallenen Pferd das Fleisch in den Kochkessel hineinkommt. Freiwillig wird so leicht kein Kirgise ein Pferd des Fleischgenuffes wegen töten und schlachten. Wirtschaftlich bedeutsamer ist in der Steppe das Schaf. Es kommt da auf dem salzigen Boden, der noch dazu von einer großen Zahl stark salzhaltiger Seen bedeckt ist, in ganz gewaltigen Men­ gen vor; Tausende von Tieren gehören jedem Stamm, Hunderte oft schon der einzelnen Sippe. Das Schaf liefert jür jedes Lebens­ bedürfnis das entsprechende Befriedigungmittel. Zur Nahrung dient wenigstens teilweise sein Fleisch, das ungleich häufiger in den Kochkessel hineinkommt, als das des Pferdes. Sein Fell stellt so ziemlich die ganze Bekleidung: so, wie es dem Tiere abgezogen ist, wird es getrocknet und mit den Haaren nach innen als Hose und als Rock Winter und Sommer getragen; die Pelz­ mütze, die noch genau die Form der altskythischen Mütze zeigt, ist ebenfalls aus Schafpelz gemacht, und endlich gibt das Flies auch den Stiefelschaft her, dem die Sohle allerdings aus Pferde­ leder untergelegt zu sein pflegt. Endlich das dritte der großen Elementarbedürfniffe des Menschen, die Behausung, wird auch von der Schafherde geliefert: die Jurte, das sommerliche Zelt des Kirgisen, ist mit großen Filzen gedeckt, welche in ausgezeichneter Beschaffenheit und für den stärksten Sturm undurchdringlich aus den Haaren der Schafe hergestellt werden; für die winterliche Behausung aber, eine tief in die Erde hinuntergetriebene Hütte, liefert der Schafmist wenigstens das Mittel, die Erde der Steppe zu ziegeln und zu binden. Das Schaf ist denn auch, wie überall sonst in den Steppen Asiens, das heilige Opfertier, als das es noch der Koran bekanntlich beibehalten hat, und als das es uns schon in dem Mythus von Isaaks Opfer durch Abraham entgegentritt: einen Teil seiner Existenz-Unterlage hat der Nomade seinem Gotte darzubringen; das sich abzuringen, kostet mehr Überwindung, als das Menschenopfer des Feindes,

42 und steht deshalb dem Opfer des Liebsten, des eigenen'Kindes,

gleich. Rindvieh kommt in der Nomadenwirtschaft des Kirgisen so gut wie gar nicht vor. Weder find in der Salzsteppe die Er­ nährungsmöglichkeiten dafüx vorhanden, noch könnte das Rind das ewige Umherwandern aushalten; und dem langen Winter mit der Vereisung des Bodens steht es vollends hilflos gegen­ über, da ihm die harten Hufe fehlen, mit welchen das Pferd fich durch die Eiskruste den Weg zur Nahrung bahnt. Ackerbau wird natürlich erst recht nicht getrieben; wie sollte denn der Kirgise ernten, wo er doch am Ende des Sommers sich an ganz anderer Stelle seines Weidegebiets sich befindet als am Anfang. Seine Herde und nochmals seine Herde must dem Nomaden die Unterlagen seiner Daseinsfristung gewähren. — Die Herde ist es auch, welche ihren Besitzer mit der Außen­ welt in Verbindung bringt. Gerade in der Steppe nämlich, die dem Blick keinerlei Grenze zieht, sind Verbindungen mit anderen Kulturen leicht herzustellen. Ursprünglich sind sie wohl vom Süden gekommen, wo die gewaltigen Ströme des Oxus und Jaxartes, des Amu- und des Syr-Daja, zusammen mit dem war­ men Klima frühe schon größere Menschenmaffen zusammenge­ ballt und zu Zentren hoher Wirtschafts- und Kulturblüte gemacht haben. Heute sind daneben die Beziehungen zum europäischen Rußland getreten, dessen verschiedene Industriezweige in recht erheblichem Maße für die Steppe zu arbeiten pflegen, und das auch die Lieferung des Ziegeltees längst an sich gebracht hat. Der Tee ist wohl seit Urzeiten dem Steppenbewohner zu einer Art von Nahrungsmittel geworden, jedenfalls mehr als bloßes Genußmittel gewesen. Er kam von China her die ur­ alte Teestraße durch die Mongolei und Tsungarei nach Turkestan und weiter nach Norden zu den Kirgisen, später wohl auch über den sibirischen Trakt, den Rußland unterhält, und wird heute so gut wie ausschließlich von Moskau her in die Steppe hinein­ gebracht. Man trinkt ihn aber nicht etwa, wie wir ihn zu ge­ nießen pflegen, als einen Extrakt, der aus den Teeblättern ge­ zogen wird; sondern man ißt ihn, wie schon angedeutet, mit all seinen Bestandteilen, und nicht zuletzt sind es gerade die Stengelchen, weniger die Blätter, welche man mit der Milch zusammen zu einer Art von Suppe kocht. Meist kommt er in der Form

43 von gepreßten Ziegeln von Hankau her, wo russische Unternehmer gerade für die Bedürfnisse Sibiriens und der Steppe große Tee­ pressen errichtet haben. Brachte man früher wahllos-quallos alle minderwertigen Blätter und die Stengel zusammen mit reich­ lich viel Erde und auch Schmutz in die Teeziegel hinein, so ist seit etwa zehn Jahren — unter Führung einer deutschen Tee­ firma Moskaus — strenge Scheidung nach den Qualitäten auch bei den Ziegeln eingeführt worden; die besseren Sorten bleiben in den russischen und sibirischen Städten für die oberen und Mittelschichten der dortigen Bevölkerung, das schlechteste Zeug geht in die Stepp« hinein. Hier stehen die Teeziegel unter so all­ gemeiner Wertschätzung, daß sie geradezu die Rolle des Geldes mit übernehmen: der einzelne Ziegel pflegt durch Kerbung in verschiedene Teile von gleichmäßigem Gewicht aufgeteilt zu wer­ den, und diese dienen dann zur Vermittlung des Güteraustausches, als Wertmesser und als Zahlungsmittel. Zum Tee gehött aber auch nach Kirgisengeschmack der Zucker als unentbehrliche Zutat; die Japaner sollen das einzige Volk sein, welches Tee ungesüßt regelmäßig trinkt. Und auch der Kirgise genießt ihn regelmäßig mit jener Menge Zucker, die man von Rußland her kennt, und die dem Westeuropäer jedesmal ein gelindes Grauen verursacht. Um so mehr freut sich darüber die russische Zuckerindustrie, welche die ganze Steppe wie überhaupt Sibirien als absolut sicheres, von keinem Konkurrenten bedrohtes Absatzgebiet zur Verfügung hat. Man wird kaum eine Kirgisen­ jütte betteten, ohne darin eine große Blechbüchse Zucker zu finden. Diese Blechbüchse ist wiederum — ebenso wie die Tee­ büchse — ein Produkt der russischen Industrie und trifft bei den Kirgisen zusammen mit jenen verzierten Blech­ truhen, die wir schon bei den Kosaken kennen gelernt haben. Die Truhen sind schon recht ausgeprägt ein Luxusattikel. Der Kirgise hat ja nicht viel, was er darin aufheben könnte; aber er schmückt damit seine Jurte und freut sich der Verzierungen, die — teilweise in Messing ausgefühtt — dem linearen Sinn des Orientalen entsprechen. Ebenso ist natürlich die Nähmaschine, welche die amerikanische Firma Singer von ihrer großen Moskauer Zweigfabrik her in die Jütten hineinbringt, lediglich Schmuckgegenstand; mit ihr weiß der Kirgise und auch die Kirgisin schon gar nichts Nützliches anzufangen — es ist das

44 Surren der Räder, weshalb man die Maschine kauft: das Graurmophon der Steppenbewohner. Endlich, und wichtiger als alles dies eiserne Gerät, sind die baumwollenen Tücher auch hier wiederum zu erwähnen, welche Rußlands Textilindustrie als Nachfolgerin der früher ostdeutschen Tuchgewerbe jetzt in recht beträchtlichen Mengen für jene Gegenden herstellt. Da hat der Kirgise auch schon gelernt, seinen Schaf­ pelz nach außen mit einem baumwollenen Tuch zu überziehen, das ihm in freundlich Hellen Farben und reichlich bunt entgegen­ lacht. Erst recht wünscht er sich für seine Mütze eine solche Ver­ zierung, und auch den Stiefeln schadet die Verschönerung nicht. Sogar zum Halstuch ist man schon vielfach gekommen, um nur mit einem Stück bunten Bauwollzeugs glänzen zu können. Mos­ kau und Wladimir, daneben auch das polnische Lodz finden hier einen guten Teil ihrer Absatzmöglichkeiten; sie werden gedeckt durch die hohen Schutzzölle des Gesamtreiches und fast noch mehr durch die Vorschrift, daß alle für Asien bestimmten Sendungen an der euro­ päischen Grenze neu zu verladen und neu aufzugeben sind: dem direkten Güterdienst mit' Mitteleuropa hat Rußland seine asia­ tischen Eisenbahnen noch nicht geöffnet, obschon es mit ihnen dem Internationalen Übereinkommen über den Frachtverkehr bereits beigetreten ist — eine der kleinen und unscheinbaren Maßnahmen der Transportpolitik, welche so oft die handelspolitischen Mittel wirkungsvoll verstärken. Hat so der nomadisierende Steppenbewohner allerhand Wünsche zu befriedigen, die er aus seiner eigenen Wirtschaft nicht zu decken vermag, so muß er die Gegenstände seines Begehrens jetzt kaufen; sie zu rauben, verbietet der Frieden der Steppe. Und wenn auch eben deshalb, weil es gekauft werden muß, alles dieses für ihn Luxus, nicht eigentlich Lebensbedürfnis ist, so stellt es ihn doch unter dm Zwang des Verkaufens. Eine Natural­ wirtschaft also im absolut abgeschlossenen Sinne gibt es da nicht, wie sie wohl überhaupt auf der Erde nirgends vorkommt. Da muß dann wieder die Herde helfen: gelegentlich muß der Kir­ gise sich den Verkauf eines Teiles seiner Tiere «bringen; lieber natürlich der Hammel, als der Pferde. — Kaufen und Verkaufen aber vollzieht sich nicht etwa, wie es der durchgeführten Verkehrs- und Austauschwirtschaft entspricht, im Leben des Kirgisen tagtäglich. Es ist vielmehr eine seltene

45 Ausnahmeerscheinung, die nur einmal im Jahre vor sich geht. Der Jahrmarkt hat da draußen in der Steppe seine eigentlich wirtschaftliche Bedeutung noch behalten. Da kommen für zwei bis drei Wochen an solchen Stellen, wo Wasser und Weiden in besonders reichlichem Maße von der Natur dargeboten werden, aus weitem Umkreise die verschiedenen Sippen des Kirgisenstammes zueinander und treffen sich mit den Kaufleuten Rußlands und Zentralasiens, welche schon wochen­ lang vorher in langen Karawanen auf den Rücken der Kamele und auf kleinen Wagen die Austauschgüter herangeschafft haben. Mit einer feierlichen Messe wird amtlich der Jahrmarkt alljähr­ lich an dem gleichen Tage eröffnet. In den Holzbuden der Russen und Sarten ist ausgelegt, womit man der Kirgisen Kauflust zu wecken hofft, und feierlich reiten immer von neuem kleine Kir­ gisentrupps zur Besichtigung durch die Reihen dahin. Sie steigen auch wohl ab, die Ware näher zu betrachten. Aber lange dauert es, bis wirklich einmal ein Kauf zustande kommt. Der Steppen­ bewohner, als Naturkind, ist ja von Mißtrauen erfüllt, er könnte übervorteilt werden. Immer wieder stellt sich auch die Unlust in den Weg, von seinen Herden etwas hergeben zu sollen. Erst muß man alles gesehen und von allem die Preise erfahren haben. Man muß sich auch mit den Stammesgenoffen über die Markt­ lage unterhalten können. Geduld ist bekanntlich die wichtigste Eigenschaft für jeden, der im Orient Handel treiben will. Aber endlich, vielleicht nach acht oder zehn Tagen des War­ tens, da entschließt sich wohl ein Kirgisenhäuptling, einen schon lange gehegten Wunsch doch zu befriedigen. Er kauft wirklich ein baumwollenes Tuch oder eine Truhe oder auch den Tee- und Zucker­ bedarf des kommenden Jahres; er muß nun auch an das Verkaufen denken. Jetzt ist der Bann gebrochen. Dem einen folgen rasch die anderen, und binnen kürzester Zeit, innerhalb weniger Tage, pflegt dann die ganze Masse des angebotenen Gutes die neuen Besitzer ge­ funden zu haben. Die letzte Woche des Jahrmarktes sieht in der Regel nur noch kleine Vorräte übrig bleiben, die dann auch noch an den Mann gebracht werden. Nach drei Wochen, von der Er­ öffnungsmesse an gerechnet, zieht alles wieder auseinander; der Kirgise auf seine Weideplätze — der Russe und der Sarte weiter nach Norden, wo er noch andere Jahrmärkte im Spätsommer zu besuchen hat und schließlich die Sibirische Bahn mit ihren grö-

46 Herrn Städten und ihrer Transportmöglichkeit erreicht. Vielfach — aber doch längst nicht mehr so regelmäßig wie früher — geht es namentlich mit den Tierhäuten noch nach Irbit hinauf, wo Ende Januar, Anfang Februar die wichtigste Messe von ganz Sibirien stattfindet, und dann womöglich noch weiter nachNishnijNowgorod, wo im August des folgenden Jahres der gesamte Jahrmarktsaufbau des westlichen Asten seinen Abschluß findet. Einen Begriff von den Handelsumsätzen, die da mitten in der salzigen Steppe ein solcher Kirgisen-Jahrmarkt zu bewältigen hat, mögen einige Angaben gewähren, welche ich dem letzten mir zugänglichen Bericht über den von uns besuchten Jahr­ marktsort Kujandy entnehme. Im Jahre 1909 sind da an Rind­ vieh 21300 Stück, an Schafen und Ziegen 133 100, an Pferden nur 1400 Stück zum Verkauf gestellt worden. Dazu kamen 8400 Rindvieh-Häute, 71600 Schaf- und 36 500 Ziegenfelle, 9000 Pferdehäute und schließlich 600 Kamelhäute; andererseits 41 000 Pud Schafwolle, 6700 Pud Kamel- und 2000 Pud Ziegenwolle, sowie 900 Pud Roßschweife. Die lebenden Tiere bedeuteten einen Wert von rund einer Million Rubel; die toten Produkte der Viehzucht fügten 400000 Rubel hinzu, so daß 1,4 Millionen Rubel oder rund 3 Millionen Mark aus dem Verkauf dieses einen Jahrmarkts in die Kirgisensteppe hinein­ kamen. Bei weitem der größte Teil dieser Einnahme ging für Baumwollwaren wieder hinaus: für rund 1,1 Million Rubel wurde von ihnen umgesetzt; 230 000 Rubel erforderten Tee und Zucker, während der Rest sich je zur Hälfte auf Eisen- und Metallwaren sowie Mehl und andere Eßwaren verteilte. In anderen Jahren ist der Umsatz noch erheblich größer, da im Jahre 1909 eine Viehepidemie den Auftrieb erheblich behinderte. Für das Abrechnungskontor, das die Russische Reichsbank für die drei Jahrmarktswochen regelmäßig nach Kujandy zu legen pflegt, und das namentlich die aus den Vorjahren stammenden Schuld­ scheine einzulösen hat, wird denn auch der Gesamtumsatz des Jahres 1909 auf 8,5 Millionen Rubel beziffert. — Irbit jedoch und erst recht Nishnij-Nowgorod sehen kaum noch eines jener Naturkinder zwischen ihren „Reihen" wandeln, welche den Jahrmärkten der Steppe ihren eigenartigen Reiz ver­ leihen. Wennschon der Russe auch ihren Betrieb mit dem Worte „jarmark" zu bezeichnen pflegt, — nach unseren Begriffen sind

47 es schon Messen geworden, auf denen nicht mehr der ProduzentKonsument durch den berufsmäßigen Händler mit der Außenwelt in Fühlung tritt, wo vielmehr der Händler mit dem Händler seine Geschäfte macht, und wo deshalb die Reibungen weltwirt­ schaftlicher Verflechtung schon unmittelbarer sich äußern. Irbit und Rishnij-Nowgorod zeigen deutlich, daß im Zeit­ alter der Eisenbahnen und stehenden Läden die Messen sich nicht recht mehr halten können: sie nähern sich beide in schnelle« Schritten dem Charakter der Börse, als eines Platzes, an wel­ chem die Händlerschaft sich mehr über die allgemeinen Aussichten und über die Preismöglichkeiten unterrichtet, als dass sie wirk­ lich in großem Umfang Kauf- und Verkauf-Abschlüffe tätigt. Die Jahrmärkte der Steppe dagegen stehen noch in voller Blüte; sie ersetzen noch immer den weltabgelegenen Gebieten den stehenden Laden und sind wohl die bedeutsamste Gelegenheit, die sich dem Westeuropäer bieten kann, das Eindringen austauschwirtschaft­ licher Elemente in die sonst selbstgenügsame Naturalwirtschaft unmittelbar am lebenden Körper nach Ursachen und Wirkungen zu erkennen. Vielleicht nirgends tritt der innermenschliche, seelische, unwirtschaftliche Untergrund allen Wirtschaftens so deutlich zutage wie dort, wo wenigstens der eine Teil der Handelnden noch fast völlig vom Wirken der natürlichen Triebe, noch kaum vom ver­ standesmäßigen Abschätzen der Vorteile bestimmt wird. Auch beim zahlenstolzen Europäer ist ja tatsächlich nur überdeckt, aber nicht verschwunden und deshalb ebenfalls noch letztlich entscheidend, was da draußen so primitiv offen sich gibt.

VI. Bergwerke und Verbrecher. Solange nur die alte Postftraße, die kaum den Namen einer Straße verdient, und außerdem die Ströme in ihrer ungebundenen Natürlichkeit die einzigen Mittel des Transportes in Sibirien waren, solange konnte selbstverständlich nur ein besonders hoch­ wertiges Gut über alle Schwierigkeiten und Kosten hinweg von dem riesigen Landkomplex an die Außenwelt abgegeben werden: im Gold seiner zahlreichen Gebirgsströme wurde es gefunden. Da gab es denkbar primitive Wäschereien, wo immer ein Ge­ wässer durch Stein und Fels sich seinen Weg bahnt — vom südlichen Altai und seinen Steppenausläufern angefangen, über das ganze Gebiet zwischen Ob und Jenissej hinweg, bis zu den Bergen Transbaikaliens und des weiteren Ostens und Nordens. Tas Stromsystem des Jenissej war namentlich wichtig, weil hier der Gebirgscharakter der durchströmten Gebiete im Süden und Osten zusammentraf mit den leichten Beförderungsmöglichkeiten des Westens: Jeniffejsk, am Zusammenfluß von Jenissej und Angara gelegen, war lange Zeit hindurch der wichtigste Treff­ punkt sibirischer Goldsucher und der erste Ruhesitz sibirischer Gold­ millionäre. Heute dagegen sind die wichtigsten Goldbetriebe ganz weit im Osten, im Gebiet der Lena und ihres Nebenflusses Witim, im Gange. Da liegt das vielgenannte Bodaibo, wo schließlich nur noch mit brutalster Gewalt, durch das Niederschießen einer großen Zahl von Arbeitern, die Verwaltung über den Widerstand der Goldarbeiter Herr werden konnte. Englisches, daneben auch etwas amerikanisches Kapital ist hier in formell russische Ge­ sellschaften hineingefloffen und hat dafür gesorgt, daß nicht mehr nur das fließende Wasser der lebenden Ströme auf Gold hin durchfurcht wird, daß man vielmehr vor allem in das Geröll längst versiegter Wasseradern mit Tagebauen, Stollen und selbst Schächten hineindringt. Dort oben, weitab von allen sonstigen menschlichen Siedlungen und nur unter unsäglicher Mühsal zu

49 erreichen, werden Tausende von Arbeitern beschäftigt, die dort festzuhalten allerdings brutalen Zwang erfordert. Es ist nicht viel anderes als Sklaverei, in was sich der einzelne Arbeiter durch die Annahme des Arbeitskontraktes hineinbegibt; zum großen Teil ist es auch eigentliche Zwangsarbeit von Zuchthäuslern. So­ gar die Macht über Leben und Tod nimmt dort tatsächlich die Ver­ waltung für sich in Anspruch. Wer kann denn dagegen angehen, wenn sie damit ihre Rechte auch überschreitet? Das Gebiet des innersten Kongostaates, über dessen Greuel sich England auS politischen Gründen so nachhaltig — bis Belgien für das EntenteSystem gewonnen war — entrüstet hat, lag offener vor den Augen der Europäer als jenes äußerste Ostsibirien, wo dasselbe England seine Dividenden aus gleich schlimmer Menschenbehandlung herauszieht. In Sibirien ist es Irkutsk, dessen Millionäre dort im Nordosten den Ursprung ihres Besitzes finden. Überall sonst zeigt die Goldgewinnung auch jetzt noch die primitiven Züge der Vergangenheit. Der „Boom", der im Jahre 1906 in London für sibirische Goldbergwerke inszeniert worden ist und sich hauptsächlich auf die Mariinsker und Atschinsker Taiga erstreckte (Göbel, Über Sibirien nach Ostasien, S. 82), hat keinerlei Einfluß auf die technische Ausgestaltung der Betriebe ausgeübt. Es ist beim alten Waschen geblieben und beim nied­ rigen, nur gebückt zu passierenden Stollen. Allenfalls geht es auch mit einem kleinen Schacht einige 10 oder auch 20 Meter in das Gebirge hinein. Einfache Leitern oder in den Rand gestemmte Eisen dienen dann zur Ein- und Ausfahrt. Von irgendwelchem Schutz gegen den Einfluß der Witterung, namentlich gegen Regen und Schnee ist kaum irgendwo auch nur ein leiser Anfang zu sehen. Das Ein- und Aussteigen über die schlüpfrig gewordenen Stufen ist daher nicht ohne Gefahr und wird dadurch noch er­ heblich erschwert, aber auch zugleich zu einem fast komisch wirkenden Anblick, daß jeder Bergarbeiter, der da in die Tiefe hinunter­ taucht, in der einen Hand ein ungeschütztes brennendes Stearin­ licht trägt — das einzige Mittel, wie er Unterlage Weg und Arbeitsplatz sich erleuchtet. Aber nur etwa ein Zehntel der ganzen Goldgewinnung entfällt erst auf das bergmännisch verfolgte Ganggold; rund 90 Prozent werden noch immer erwaschen. Wo der Transport des Goldes längere Strecken zurückzulegen hat, ehe er die Straße eines Stromes er«icdknfeld, StMrito. 4

50 reicht, oder wo vom Gebirge her der Gewinnung besondere Schwierigkeiten bereitet werden, da wird rasch der ganze Gold­ betrieb unlohnend: der Geldwert, den man in den staatlichen Abnahmestellen, in Semipalatinsk oder Barnaul etwa, für das abgelieferte Reingold erhält, deckt dann nach Abzug der Trans­ portkosten nicht mehr den Lohnaufwand, so gering dieser auch bei der gesetzlich zwar verbotenen, aber tatsächlich doch bestehenden Naturallöhnung sich stellt. Neben dem Gold spielt das Kupfer eine nicht unbedeutende Rolle. Es wird sowohl in der Kirgisensteppe, als auch am oberen Ienissej, im Bezirk von Minussinsk, bergmännisch gewonnen. Offensichtlich hat man sich dabei auf Vorkommen gestützt, welche schon in uralter Zeit von eingeborenen Stämmen primitiv zur Ausbeutung gebracht worden sind. Überall, wo heute Kupfer ge­ wonnen wird, stößt man auf uralte Gänge, die künstlich in die Berge hineingetrieben sind; groß genug, daß ein Mensch hin­ durch kriechen kann. Der heutige Betrieb ist recht verschieden. Sn der Kirgisensteppe, in welcher die Flachheit des Gelände­ keinerlei Transportschwierigkeiten bereitet, da hat sich russischeGroßkapital, von England her unterstützt, an mehreren Stellen entfaltet, und da ist auch die Technik bei aller Einfachheit doch soweit vorgeschritten, daß man das Metall aus immerhin nennens­ werten Tiefen mit künstlichen Fördermitteln an die Oberfläche heraufbringt. Im Gebirge dagegen kann die Gewinnung wegen der Transporthemmnifse nicht auf größere Mengen eingerichtet werden; da ist man auch gezwungen, zur Ersparung von Trans­ portkosten die Kupfererze sogleich an Ort und Stelle zu ver­ hütten. Hier kommen deshalb nur kleine Betriebe in Betracht, die schon wenige Meter unter der Erdoberfläche das Ende ihrer Arbeitsmöglichkeiten finden; sie können nicht daran denken, an die Stelle der billigen, wenngleich wenig leistungsfähigen mensch­ lichen Arbeitskräfte die zwar sehr viel ergibigeren, aber bei ge­ ringer Förderung doch auch sehr teuren Maschinen zu setzen. Da geht es dann ebenso, wie wir es von den Goldbergwerken der entlegenen Gebirgsstellen kennen gelernt haben, in denkbar primi­ tiver Weise in das Innere der Erde hinein. Und auch da spielt die Stearinkerze noch die Rolle des einzigen Leuchtmittels. Endlich ist noch der Kohle zu gedenken, welche an einigen Stellen Sibiriens gewonnen wird. In erster Linie stehen die

51 Betriebe, welche der Staat selbst unmittelbar an der Sibirischen Bahn, im Bezirk von Andjer und Sudshenka errichtet hat. Etwa 1200 Arbeiter sind da regelmäßig tätig, um 250000 Tonnen zu produzieren. Von den Schächten sind wenigstens zwei als modern eingerichtet zu bezeichnen, und sogar ein großes Elek­ trizitätswerk, von Schuckert eingerichtet, ist vorhanden. Dicht daneben befindet sich auch noch eine Privatkohlenzeche, die je­ doch nur etwa 500 Arbeiter beschäftigt und auch nur die Hälfte von jener Produktionsgröße erreicht. Bei ihr sind die Ein­ richtungen auch"schon auf mechanische Förderung der Kohle ge­ stellt und 100 bis 130 Meter geht es in den Erdboden hinunter. Um so eigentümlicher berührt es, daß man mit der rein natür­ lichen Lüftung untertage noch vollkommen auskommt: alle 100 Faden etwa geht ein kleines Dentilationsloch an die Ober­ fläche hinauf. Die Kohle ist zwar teilweise verkokbar, aber doch so gasarm, daß man mit offenen Lampen den Betrieb zu führen vermag. Für beide Gruppen ist die Eisenbahn beinahe alleiniger Abnehmer. Der Hausbrand ist in ganz Sibirien — auch da, wo des Steppencharakters wegen wenig Holz gegeben ist — ganz ausschließlich auf den Verbrauch von Holz eingerichtet; ebenso bildet dies die Regel bei den wenigen gewerblichen Be­ trieben, die schon in den Städten eingerichtet worden sind. Was sonst in Sibirien an Kohlevorkommen festgestellt ist, — so namentlich das Gebiet von Kuznesk — ist noch vollständige Zukunftsmusik. Der Holzreichtum des Landes ist noch viel zu groß, als daß man abseits der Dahn — da also, wo Trans­ portschwierigkeiten zu überwinden sind, — schon Kohlen aus der Tiefe der Erde herausholen könnte. Die Kosten der Ge­ winnung und des Transportes sind dann zu hoch; der Wett­ bewerb des Holzes schlägt die Kohle aus dem Felde. An anderen Mineralien wird noch im Altai und in Trans­ baikalien Silber, im Jeniffej-Gebiet etwas Graphit gewonnen. Besonderer Erwähnung wert ist aber vor allem die Tatsache, daß auf Eisenerze noch kein einziger Betrieb gestellt ist. — Hier bei den Bergwerken ist der Platz, an welchem die Ver­ brecher eine gewisse wirtschaftliche Leistung regelmäßig voll­ bringen. Im westlichen Sibirien, wo die klimatischen Be­ dingungen günstiger sind und die eingeborene Bevölkerung der 4*

52 Kirgisen festgehalten haben, da stellt allerdings diese mit ihren verarmten Schichten wie für die Großbetriebe der Landwirtschaft, so auch für den Kupfer- und Kohlenbergbau die Lohnarbeiter; und die Goldgewinnung ist Sache freier Goldsucher, die sich allsommerlich in großen Scharen in die Wildnis der Sumpfwälder hineinstürzen und dort den Gefahren des Klimas, vor allem den Mücken trotzen, um vielleicht doch einmal den sagenhaften Goldklumpen zu finden. Aber im Gold- und Silber-Bergbau nördlich der Sibirischen Dahn und überall östlich des Baikalsees sind die Verbrecher unentbehrlich, da freie Arbeiter nicht in ge­ nügender Menge in dieses Maßlose an Unwirklichkeit hinein­ zubringen sind. Im allgemeinen kann man sich wochen- und monatelang in den verschiedensten Teilen Sibiriens bewegen, ohne auch nur auf die leiseste Spur von jenen Zuchthäusern zu stoßen, an welche der Westeuropäer bei einer Erwähnung Sibiriens zuerst zu denken pflegt. Wohlweislich hat die russische Regierung jene ganze Zone vollständig freigehalten, welche in der Nachbarschaft der Eisen­ bahn, früher des sibirischen Trakts, und in dem südlich an­ schließenden Steppengebiet für die freie Ansiedlung und für die Städtebildung den naturgegebenen Raum bezeichnet. Erst nörd­ lich von der Dahn, im Gebiet des Sumpfwaldes, und weit im Osten im eigentlichen Ostsibirien und in Transbaikalien, da kommen die Zuchthäuser vor. Und auch da ist ihre Zahl, ge­ messen an der Riesigkest des Gebietes, doch nur verhältnis­ mäßig gering. Die Goldwäschereien aber und Goldbergwerke, die da am mittleren Jenissej und an der Angara, die im ganzen Lena­ gebiet und am Oberlauf des Amur und seinen Nebenflüssen be­ trieben werden, — die sind recht eigentlich auf die Benutzung der Zuchthäusler angewiesen. Da kommt dann ein tolles Ge­ sindel zusammen. Immer von neuem versucht es, sich dem Arbeitszwange zu entziehen. Vor keiner Gewalttat scheut es zurück, und gar nicht selten gelingt es tatsächlich dem einen oder anderen Sträfling, die Unübersichtlichkeit der Arbeitsstätte zur Flucht zu benutzen. Die undurchdringlichen Wälder nehmen ihn auf. Sein Ziel ist stets, die chinesische Grenze zu erreichen. Hier kann er darauf rechnen, gefällige Aufnahme zu finden, sobald es ihm nur gelungen, vor seiner Flucht die Stiefelschäfte mit

53 Goldsand tüchtig zu füllen; herrscht doch in jenen Gegenden des Ostens noch ungebrochen ein lebhafter Schmuggel in Gold, welcher das russische Goldausfuhrverbot mit nicht unbeträchtlichen Men­ gen durchbricht. Einem solchen Flüchtling in der Einsamkeit der Wälder zu begegnen, mag wohl sein Unbehagliches haben. „Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, . . .* Man wird an der wirtschaftlichen Existenzberechtigung solcher Betriebe zweifeln dürfen, welche nur mit Hilfe derartiger Arbeit sich lebensfähig erhalten. Heute hat Sibirien andere Quellen, aus denen es sein Exportbedürfnis zu befriedigen vermag, und andere Mittel, die Arbeitskraft der Zuchthäusler nutzbar zu machen. Wie man in Sibirien selbst den Erscheinungen der Zucht­ häuser gegenübersteht, zeigt wohl am deutlichsten die merkwürdige Tatsache, daß in Tschita, der Hauptstadt der Provinz Transbai­ kalien, das städtische Museum eine besondere Abteilung enthält, welche Darstellungen aus dem Zuchthausleben bringt. Mit be­ sonderer Vorliebe wird da in Modellform gezeigt, wie ein Aus­ bruch aus dem Zuchthaus sich vollzieht. Da sieht man, wie der Sträfling anfängt, die Eisenstangen zu durchfeilen, welche das Fenster seiner Zelle nach außen sichern sollen; ein größerer Nagel etwa, den er durch Zahnung zur Feile gewandelt hat, ist sein Instrument geworden. Dann läßt er sich an der Außenmauer, welche den Gesamtkomplex einer solchen Anlage umgibt, herunter, während dicht daneben — ich betone noch einmal: das Museum ist städtisch und öffentlich zugänglich — der Wachtposten den Schlaf des Gerechten schläft. Voll gerettet ist damit der Sträf­ ling allerdings nicht. Weitere Modelle zeigen, daß es im Wald noch zu Kämpfen mit etwaigen Verfolgern kommen kann. Aber merkwürdig: Sieger scheint dabei regelmäßig der Flüchtling zu zu bleiben. Ja, die Harmlosigkeit des Museums geht soweit, daß mehrere Modelle allein dem Räuberdasein gewidmet sind, welches ein eben deshalb berühmt gewordener Sträfling vor längerer Zeit während mehrerer Jahre in den Wäldern Ost­ sibiriens geführt hat. Und noch ein anderes Beispiel mag zeigen, wie so ganz anders da draußen die Auffassungen find. In einer der größeren Städte des Ostens hatten wir Abend für Abend mit einem Herren zusammengeseffen und über Sibirien geplaudert, der gerade mir wegen seiner Kenntnis der wirtschaftlichen Verhältnisse und wegen

54 seiner Beherrschung der deutschen Sprache ein besonders wert­ voller Gastfreund war; er stand im Dienst eines staatlichen Ver­ waltungszweiges, und zwar an ziemlich hervorragender Stelle. Erst sehr viel später erfuhren wir dann, daß wir es da mit einem Mann zu tun gehabt hatten, der in seiner Jugend im europäischen Rußland einen Raubmord auf sein Gewissen ge­ laden hatte. Allerdings hatte er als Gymnasiast dies Verbrechen begangen, weil er sich dadurch die Mittel zum technischen Studium verschaffen wollte; und so war er denn wegen seiner Jugend und wegen dieses Motivs nyr zur Verbannung nach Sibirien verurteilt worden. Hier war er dann wirklich zu seinem Ziel gelangt. Er hatte auf der technischen Hochschule in Tomsk studiert und nahm jetzt eine recht angesehene Stellung ein. Kein Mensch kümmerte sich um die doch nicht ganz zweifelsfreie Ver­ gangenheit. Er war offensichtlich ein sehr nützliches Glied der Gesellschaft wieder geworden. Man sieht, das Unfertige der gan­ zen Verhältniffe, das ja allein einen solchen Lebenslauf ermög­ licht, hat auch seine guten Seiten.

Vn. Sibiriens Städte:

die Gewerbe, die Verschickten, dar Beamtentum. Wenn man Sibiriens Bevölkerung im ganzen heute auf etwa 10 bis 12 Millionen Köpfe wohl anzunehmen hat, so werden davon sicherlich anderthalb bis zwei Millionen, vielleicht sogar noch mehr auf die Städte entfallen. Eine recht merkwürdige Erscheinung, die inWiderspruch steht zu der grundlegenden Tatsache, daß wir es mit einem Land von noch recht ausgeprägter Natural­ wirtschaft zu tun haben. Da können es nicht in erster Linie wirtschaftliche Grundlagen sein, auf denen diese Städte sich auf­ bauen. Da müssen wir nach anderen Ursachen suchen. In der Tat sind denn auch alle jene großen Ortschaften, welche ihrer rechtlichen Verfassung und ihrem Bevölkerungsaufbau nach als Städte zu bezeichnen sind, vor allem aus den Be­ dürfnissen der Staatsverwaltung und der militärischen Besetzung entstanden. Da sind zunächst jene großen Bevölkerungs-Ansamm­ lungen zu nennen, welche sich von Tscheljabinsk am Osthange des Urals bis nach Irkutsk am Baikalsee, längs des sibirischen Trakts, heute der Sibirischen Bahn gebildet haben; weiter öst­ lich haben sie in Tschita, der Hauptstadt von Transbaikalien, und in Blagowjeschtschensk, der Hauptstadt der Amurprovinz, und schließlich in Wladiwostok, der Hauptstadt der Küste, ihre Fortsetzung gefunden. Nur in dieser Reihe finden wir schon Gemeinwesen — es sind die Städte Omsk, Tomsk und Irkutsk — welche bereits die Hunderttausend mit ihrer Einwohnerschaft überschritten haben. Nur im Westen folgen sie einander so dicht, daß der Expreßzug der Sibirischen Bahn mehrmals am Tage auf größeren Stationen zu halten, Fahrgäste abzugeben und aufzunehmen hat. Abseits dieser alten Linie sind die Städte wesent­ lich seltener und kleiner. Nur ein Semipalatinsk etwa als Mittelpunkt des gleichnamigen Gouvernements, ein Barnaul als

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Sitz der kaiserlichen Altai-Verwaltung, südlich — ein Tobolsk, als Zentralpunkt des wichtigsten Gouvernements von Westsibirien, nördlich der Dahn machen noch den Eindruck wirklicher Städte. Alle anderen Ortschaften, die sich noch Städte nennen, — ein Ust-Kamenogorsk etwa oder Smejnogorsk oder Diisk oder Jeniffejsk, können tatsächlich nicht anders denn als große Bauern­ dörfer und Kosakenstanizen bezeichnet werden. Besonders lebhaft ist die Stadtentwicklung in den letzten 25 Jahren vor sich gegangen. Da war es erst der Dau der Sibirischen Dahn und dann ihre Verwaltung, welche an einigen Punkten in besonders starkem Maße die Menschen zusammen­ gehäuft haben. Das Zentrum der ganzen Dahnverwaltung liegt in Tomsk, als derjenigen Stadt, die von früher her eine be­ sonders starke Anziehungskraft auf das russische Beamtentum aus­ geübt hat, und die auch in der Tat geographisch einigermaßen in der Mitte des ganzen siedlungsfähigen Gebiets gelegen ist. Man hat ihr diese Stellung auch belassen, obwohl die Sibirische Dahn selbst nicht mit ihrem Hauptzug, sondern nur mit einer Zweiglinie sie erreicht. Ein ganzer Deamtenstab ist da zusammen­ gebracht worden, der zusammen mit der großen Schar von Werk­ stätten- und Bauarbeitern einigen Teilen der Stadt geradezu ihren Charakter gibt. Die Bahnhöfe — Tomsk hat deren zwei — liegen wie überall in Rußland weit außerhalb der Stadt — sonst kämen die alten Fuhrwerkshalter ja zu kurz — und da haben sich dann geradezu neue Städte gebildet, die zwar zu Tomsk gerechnet werden, aber ausschließlich Eisenbahn-Angestellte in Höhe von mehreren tausend Köpfen in sich bergen. Auch Omsk ist in hohem Grade von der Eisenbahn in seinem Devölkerungsaufbau bestimmt. Hier findet sich die wich­ tigste Reparaturwerkstatt und außerdem die Unterdirektion des westlichen Dahnteils; auf 20 000 bis 25 000 Köpfe kann man auch hier die Eisenbahn-Bevölkerung annehmen. Und ähnlich steht eS in Irkutsk, wo der Ostteil seine Direktion hat und sich ebenfalls eine große Werkstatt befindet. Kraßnojarsk und Nowo-Nikolajewsk mögen dann noch er­ wähnt werden, weil sie in geradezu amerikanischem Tempo, dank der Eisenbahn, sich haben entwickeln können. Bei ihnen näm­ lich berührt der Schienenstrang ebenso wie bei Omsk je einen der großen Ströme — den Ob und den Jeniffej —, welche den

57 Wirtschaftlichen Einfluß des Bahnverkehrs nach Norden und vor allem nach Süden weit in die Lande hineintragen. Kraßnojarsk ist dadurch in seiner Bedeutung derart gehoben worden, daß man sogar den Verwaltungssitz der Gouvernementsbehörden von Jeniffejsk dorthin verlegt hat, wie es auch eine große Garnison geworden ist. Nowo-Nikolajewsk aber ist aus dem vollen Nichts eine Stadt geworden, die heute ein halbes Hunderttausend an Einwohnern schon zählt; es hat wirtschaftlich, weil hier der Ob vom Schienenweg gekreuzt wird, in großem Umfang jene Rolle übernommen, die früher Tomsk als Umschlagplatz gehabt hat — der Tom, der aus dem Kohlenbecken von Kuznesk zum Ob sich hinunterschleicht und bei Tomsk schiffbar wird, bietet auch unter­ halb dieser Stadt der Schiffahrt noch soviel Schwierigkeiten, daß man ihn jetzt fast ganz unbenutzt läßt und die Verbindung mit dem Ob lieber direkt bei Nowo-Nikolajewsk herstellt. Auch hier bildet die Eisenbahnstadt ein besonderes Viertel der Gesamtanlage. Wirtschaftlich ist heute bei weitem am wichtigsten Omsk geworden. Hier kreuzt die Bahn — selbstverständlich wiederum einige Kilometer abseits der Stadt — den Jrtysch und damit denjenigen Strom Sibiriens, welcher für den wichtigsten Teil des Siedlungsgebiets den natürlichen Transportweg zur Dahn hin ab­ gibt; im Süden die Altaisteppe, im Norden wichtige Teile des Gou­ vernements Tobolsk finden in Omsk ihren Anschluß an die Dahn. Hier hat infolgedessen auch die staatliche Siedlungs-Verwaltung ihren Sitz aufgeschlagen; das General-Gouvernement des gan­ zen Steppengebiets und die Verwaltung des Gouvernements Akmolinsk haben hier ihren Zentralsitz gefunden. Weiter haben gerade hier auch jene Handelsfirmen sich vor allem niedergelassen, welche für die Bauernschaft des ganzen Siedlungsgebiets die Ein­ fuhr und Ausfuhr vermitteln. Während Tomsk, wo auch die Universität und die technische Hochschule für ganz Sibirien sich befinden, als das geistige Zentrum des gewaltigen Gebiets be­ zeichnet werden darf und schon in seinem Straßenleben deut­ lich den Charakter der Beamtenstadt zeigt, ist Omsk das wirt­ schaftliche Zentrum geworden, wo der Basar, der Markt, den Mittelpunkt des Lebens abgibt und offensichtlich der Großhandel stärkere Bedeutung hat als der stehende Laden, der in Tomsk so bedeutsam hervortritt. —

58 Die Städte, die sich da mehr oder minder groß gebildet haben, sind alle zugleich die Plätze geworden, an denen sich das wenige von Gewerbe konzentriert hat, was überhaupt bereits in Sibirien zur Entstehung gekommen ist. In allererster Linie ist da die Mühlenindustrie zu nennen. Sie stützt sich darauf, daß die Landwirtschaft allenthalben den Getreidebau ausgenommen hat und nun zunächst für die Produ­ zenten selbst einer Verarbeitung des Rohstoffes bedarf. Daneben wird aber auch an einigen Plätzen, wie namentlich in Omsk und Semipalatinsk, für einen Absatz gearbeitet, der zwar nicht eigent­ lich Export genannt werden kann, der aber doch auf ziemlich beträchtliche Entfernungen in das getreidearme Ostsibirien und bis nach Tschita in Transbaikalien gerichtet ist, zeitweise auch über den Ural hinaus ins östliche Rußland übergreift. Weiter zu kommen und etwa europäisches Einfuhrbedürfnis in der Form von Mehllieferungen mit zu befriedigen, ist dagegen nicht mög­ lich, da naturgemäß die Technik der Verarbeitung nicht auf der vollen Höhe europäischer Ansprüche steht. Dabei ist die maschi­ nelle Technik in einigen Mühlen schon recht weit entwickelt; Odessas Mühlenbaufirmen deutschen Ursprungs haben da recht gutes geleistet. Aber es zeigt sich doch, daß die Maschine allein es nicht tut, daß es vielmehr auch auf den bedienenden Arbeiter sehr wesentlich ankommt. Und da hapert es. Denn mag man vielleicht auch den Obermüller aus den weiter vorgeschrittenen Gegenden Rußlands oder gar aus Polen, ganz selten auch ein­ mal aus Österreich oder Deutschland herangeholt haben — alles übrige muß doch der sonst zu hohen Lohnaufwendungen wegen aus dem Land selbst genommen werden. Und der Sibirier ist vielleicht noch weniger, als der europäische Russe, zu sorgfältiger Behandlung der Maschinen zu bringen. Sehr häufig finden wir dann in den sibirischen Städten Brauereien, wie ja das Bier in recht erheblichem Maße in ganz Rußland dem Tee und dem Schnaps den Rang des National­ getränks schon streitig macht. Zumeist sind es natürlich kleinere Unternehmungen, die nur für den lokalen Absatz arbeiten. Sie liegen zum großen Teil in der Hand polnischer Juden und wer­ den fast regelmäßig technisch von einem Österreicher oder Deut­ schen geleitet. Das geht soweit, daß Deutsche, welche Sibirien bereisen wollen, mit fast absoluter Sicherheit darauf rechne«

59 können, in den Brauereien Landsleute zu finden, welche ihrem Mangel an Sprachkenntnis abzuhelfen vermögen. Der Betrieb ist aber wiederum durch das Fehlen geschulter Arbeitskräfte und hier außerdem dadurch erschwert, daß der Hopfen vollständig und von der Gerste ein Teil aus dem Südwesten des europäischen Rußland nach Sibirien eingeführt werden muß. Was sonst noch an gewerblichen Betrieben vorhanden ist, sind Einzelheiten und Kleinigkeiten. So etwa eine Streichhölzer­ fabrik in der Nachbarschaft von Tomsk, eine Drahtstiftfabrik bei Omsk und einige andere mehr. Wie wenig das gewerbliche Leben im großen und ganzen entwickelt ist, zeigt sich vielleicht am deut­ lichsten darin, daß selbst in den größeren Städten niemals mit Sicherheit darauf gerechnet werden kann, für jede beliebige Repa­ ratur den entsprechenden Handwerker finden zu können. Gar nicht selten muß man nur deshalb zur Neuanschaffung irgend­ eines Bedarfsartikels schreiten, den man in weiter entwickelten Gebieten sicherlich nur reparieren lassen würde. — Die entscheidende Schwierigkeit, welche sich allen Gewerbe­ betrieben mit nachhaltiger Kraft entgegenwirft, ist in der Arbeiter­ frage gegeben. Schon vom europäischen Rußland ist ja bekannt, daß aus derselben Quelle ein erhebliches Hindernis für die Ent­ wicklung der Industrie sich ergibt; aber hier stehen doch schließ­ lich schon seit längerer Zeit in recht beträchtlicher Zahl solche Elemente zur Verfügung, welche zwar als Mitglieder ihres Dorfes noch einen Rechtsanspruch auf Land ihr eigen nennen, aber doch aus der Dodenbeengung heraus tatsächlich nicht mehr in der Landwirtschaft eine genügend tragfähige Existenzunterlage zu finden vermögen und nun der Industrie während des größten Teiles des Jahres — abgesehen etwa von den Erntewochen — ihre Arbeitskraft widmen. Da bleibt dann allerdings die Un­ bequemlichkeit, daß jedes gewerbliche Untemehmen für einige Wochen alljährlich seinen Betrieb still stellen oder doch wenigstens beträchtlich ermäßigen, etwa auf die Ausführung von Reparatur­ arbeiten beschränken muß; und selbstverständlich ist auch im euro­ päischen Rußland dieses direkt vom Lande kommende Arbeiter­ material nicht geeignet, besonders empfindliche Maschinen zu be­ dienen und hochwertige Qualitäten zu erzeugen. Aber man hat doch wenigstens für den Aufbau einiger Industriezweige, welche auf Massenproduktion einzurichten sind, die Arbeiter im großen

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und ganzen in genügender Zahl zur Verfügung. In Sibirien ist dagegen im allgemeinen noch Land genug vorhanden, daß die Dauern mit all ihren Familienangehörigen das bißchen Arbeit verrichten können, was in der Landwirtschaft zur Erzielung des Lebensunterhaltes notwendig ist. Da liegt infolgedessen kein Zwang vor, der straffen Arbeitsordnung eines Industriebetriebes sich einzufügen. Warum soll man denn von früh bis spät einer fest geregelten Anstrengung sich unterziehen, solange man es auf dem Dorfe soviel bequemer und zugleich soviel angenehmer haben kann. Es kommen also für das Gewerbe ausschließlich solche Elemente in Betracht, welche aus irgendeinem Grunde ohne Land­ anspruch nach Sibirien hinüber verschlagen worden sind. Wir können ruhig sagen: andere als gescheiterte Existenzen bieten sich als Industriearbeiter nicht an. Hier ist die Stelle, wo wirtschaftlich das System der Ver­ schickung eine gewisse Bedeutung entfaltet. Allbekannt ist es ja, daß der russische Staat alljährlich in recht beträchtlichem Um­ fange sich durch die Verschickung im europäischen Rußland solcher Elemente entledigt, welche ihm politisch irgendwie un­ bequem sind. Kein Zweifel auch, daß in nicht geringem Um­ fang auch persönliche Abneigungen einflußreicher Persönlichkeiten dazu ausreichen, den Mißliebigen in Rußland zu entwurzeln und nach Sibirien hinüber zu bannen. Die verwaltungsmäßige Verschickung hat früher, bis zum Jahre 1906, sogar dem Ge­ meinderat jedes russischen Dorfes zugestanden, der sich auf diese einfache Weise aus der Landbeengung herauszuhelfen suchte. Das System bleibt jedoch im rein Negativen bis zum heu­ tigen Tage stecken. Kein Mensch denkt daran, dem Verschickten, der in der Heimat vielleicht eine sehr angesehene Stellung inne hatte und über reichliche Einnahmen verfügte, nun in Sibirien irgendeine Tätigkeit anzuweisen. Nur die Pflicht, sich in be­ stimmter Gegend aufzuhalten, ist ihm auferlegt. Er mag sehen, wie er sich da hilft. Ein Anspruch auf Land steht ihm schon gar nicht zu. Cs bleibt ihm also nichts übrig, als in den Städten seines Bezirks sich eine neue Unterhaltungsmöglichkeit zu schaffen. Hat er zu Hause vermögende Verwandte zurückgelaffen, so pflegt im allgemeinen in Rußland der Familienzusammenhang stark genug zu sein, daß ihm von diesen her beim Neuaufbau seiner Existenz geholfen wird; man ermöglicht es ihm etwa, in einem

61 kleineren Ort einen kleinen Laden aufzutun, oder gar einen ge­ werblichen Betrieb einzurichten — gar nicht selten stößt man daher unter den Ladenbesitzern der kleineren Orte auf Angehörige des alten baltischen Adels. Die Regel ist aber natürlich, daß solche Hilfen nicht gegeben werden können, und dann heißt eS für den Verschickten, aus eigner Kraft und völlig mittellos von vorn anfangen. Das gibt das Arbeiterelement, das bei den Unternehmern einer besonderen Beliebtheit sich erfreut. Gar nicht selten sind es ja Angehörige der intellektuellen Oberschicht, welche auf diesem Wege vor dem Hungertod sich retten. Sie bringen zwar keine un­ mittelbare Sachkenntnis, wohl aber die Fähigkeit des Ein­ arbeitens mit und sind auch häufig in der Lage, schon kompli­ ziertere Maschinen in ihrer Eigenart erfaffeN und dann gut be­ dienen zu können. Für sie selbst ist es natürlich eine asiatisch anmutende Härte, daß der Staat oder die sonst verschickende Behörde sich um ihr neues Dasein ausschließlich beengend, gar nicht helfend bekümmert. Aber dem Lande sind diese Arbeits­ kräfte immerhin zugute gekommen. Vor dem Eisenbahnbau sind gerade die Verschickten das wichtigste Element der städtischen Entwicklung gewesen. Eine Stadt wie Tschita z. D., die jetzt auf etwa 60 000 Einwohner angenommen werden kann, verdankt ihre Gründung dem Dekabristenaufstand, dessen Teilnehmer be­ kanntlich den obersten Gesellschaftsschichten angehört haben und gerade in diese Gegend, soweit sie nicht ihr Leben durch die Nieder­ schlagung des Aufstandes verloren, seinerzeit verbannt wor­ den sind. — Heute jedoch tritt dieser Teil der Bevölkerung stark in den Hintergrund. Namentlich die Beseitigung des Rechtes der Dauern­ gemeinden, eine Verschickung auszusprechen, hat die Zahl dieser Unglücklichen beträchtlich vermindert. Andererseits hat die wirt­ schaftliche Entwicklung, welche Sibirien mehr und mehr aus der alten Naturalwirtschaft herausholt, dem Handel eine steigende Bedeutung beigelegt und die ihn treibenden Personen in zu­ nehmender Zahl in die Städte gebracht. Es fehlt auch nicht an Rentnern, wenigstens in Tomsk und Irkutsk, welche in städtischem, wennschon etwas rohem Luxus die Ersparnisse früherer Tätigkeit verzehren — der französische Sekt spielt da eine fast unheimliche Rolle; aber daneben werden auch Traberhengste von einer

62 Schönheit gehalten, wie man sie nicht oft sonst zu sehen bekommt. Endlich und vor allem aber ist der Umfang der Be­ völkerungsteile, welche als Heeresangehörige und als Beamte nach Sibirien hinüberkommen, sehr stark angewachsen, und diese Wanderung ist zum weitaus größten Teil fteiwillig, da in Sibirien die Gehälter den einundeinhalb- bis zweifachen Betrag der für das europäische Rußland geltenden Sätze aus­ machen und außerdem in den meisten Stellungen sich noch mehr Gelegenheit zu irregulären Einnahmen bietet, als in der euro­ päischen Heimat. Fällt es schon diesseits des Urals dem Westeuropäer auf, mit welcher Offenheit von den starken Einnahmen mannigfacher Deamtenkategorien gesprochen wird, so scheint Sibirien geradezu ein Dorado für solche „Gebühren" zu sein. So mancher Groß­ grundbesitzer, der heute auf Kosakenland seine 10 000 Hektar und sogar noch mehr besitzt, hat als kleiner Beamter der Siedlungs­ verwaltung angefangen. Auch an der Eisenbahn sind nicht nur beim Bau, sondern auch in der Verwaltung Vermögen erworben worden. Und kein Mensch nimmt daran Anstoß, wenn jemand, dessen kleine Anfänge man noch kennt, später sein Leben im großen Stil führt, wenn etwa — die Sehnsucht dieser Familien Sibiriens — die Frau einen großen Teil des Jahres in Moskau oder Petersburg zu verbringen pflegt. Die Gehälter sind ja in ganz Rußland so lächerlich gering, daß selbst die sibirische Ver­ doppelung zu einem halbwegs luxuriösen, ja auch nur anständigen Leben nicht ausreicht. Männer, welche von Haus aus über ein größeres Vermögen verfügen, melden sich so leicht nicht für sibi­ rische Posten. Also müssen die Mittel aus anderen Quellen fließen. Ländlich — sittlich! Das schließt nicht aus, daß gerade auch in Sibirien eine Arbeit geleistet wird, welche alle Anerkennung verdient. So war der Bau der Sibirischen Dahn, welche in rund 7000 Kilometer den ganzen Norden Asiens durchzieht, trotzallem eine glänzend Leistung; muß man doch bedenken, daß das Land selbst noch aller Hilfs­ mittel entbehrte, die man sonst wohl für den Eisenbahnbau findet, und daß es galt, in schwieriger Gegend rasch den Schienenweg zu legen, weil sonst die politischen Ziele in Ostasien nicht in Angriff genommen werden konnten. So ist auch die Leistung der Siedlungsverwaltung, trotz aller schweren Mängel die ihr

63 anhaften, als ein großes Stück Arbeit zu bezeichnen; einer Völker­ wanderung ohne Knarren der Maschine Herr zu werden, ist in einem Lande unmöglich, in welchem es an jeder Vermessungs­ unterlage, an Wegen, ja eigentlich an allem fehlt. In Sibirien zeigt sich in gleicher Weise wie in Zentralasien, daß Rußlands Zukunftsaufgaben nach Osten weisen. Da vertritt es trotz aller Schwächest eine überlegene Zivilisation und ist doch, wie von Russen selbst oft genug ausgesprochen worden ist, nicht über­ legen genug, auf engere Fühlung mit der dort schon sitzenden Bevölkerung verzichten zu müssen. Kein geringerer als Witte, .den man doch wohl als den bedeutendsten Staatsmann Ruß­ lands für das letzte Menschenalter bezeichnen darf, hat eben des­ halb auch Sibirien mit besonderer Liebe umfaßt und so, wie ihm der Bau der gewaltigen Dahn zu verdanken ist, auch sonst stets die erforderlichen Mittel zur Entfaltung der sibirischen Pro­ duktionskräfte aus dem Staatssäckel zur Verfügung gestellt. Witte hat es bekanntlich Rußland zu verdanken, daß ihm die Nieder­ lagen des japanischen Krieges dennoch im fernsten Osten die Entwicklungsmöglichkeiten nicht verschlossen haben. Dorthin — über Zentralasien und Persien zum Indischen, über Sibirien und das Amurgebiet zum Großen Ozean — weist die Linie des ge­ ringsten Widerstandes. Dort sind noch Aufgaben zu lösen, welche auf alle absehbare Zeit alle Kräfte des Ruffentums in Anspruch nehmen und in Beschäftigung halten. Wo solche Möglichkeiten sich bieten, ist es Wahnsinn, in entgegengesetzter Richtung — auf der Linie des stärksten Wider­ standes — die Entwicklung des Volkes suchen zu wollen.

VIII. Sibirien in der Weltwirtschaft. Es ist noch nicht so gar lange her, da kannte Europa von Sibiriens Weltwirtschaftsbeziehungen eigentlich nur das eine: der beste Tee, den man mit schwerem Gelde aufzuwiegen habe, komme durch Sibirien hindurch als Karawanentee bis nach Deutschland und dem westlichen Europa. Und viel länger, als es den Tatsachen entsprach, hat diese Meinung sich erhalten. Aber früher war dem in der Tat so: der Tee kam die ganze riesige Land­ strecke durch Nordasien und Rußland hindurch zu uns herüber, und der Teetransport war der wichtigste Zweig dessen, was man schon internationale Wirtschaftsbeziehungen Sibiriens nennen konnte. Dieser Tee kam aus den chinesischen Produktionsgegenden, die sich vor allem um den mittleren Jangtse herumgruppieren, aber auch an der südlich an die Aangtse-Mündung anschließenden Küste gelegen sind. Shanghai war der große Zentralplatz, wo die Teesendungen sich sammelten. Von da ging es dann über das Meer nach Tientsin hinauf und nach Peking, wo die lange Landreise begann. Zu­ erst war die Wüste Gobi in der Richtung von Kalgan auf Urga zu durchqueren, bei Kjachta wurde die russische Grenze erreicht. Von hier ging es je nach der Jahreszeit, zu der die Sendungen ankamen, entweder in sehr primitiven Kähnen die Selenga hin­ unter zum Baikalsee oder auch in Schlitten auf dem zugefrorenen Fluß. Am See sand dann wieder eine Umladung statt, die auf dem anderen Ufer sich wiederholte. Und wieder hatte man die Wahl zwischen zwei Transportwegen: im Sommer ging es die Angara hinunter nach Jenissejsk und dann hinüber zu Land nach dem Ob; im Winter zog man den reinen Landweg vor, der von Irkutsk in ziemlich direkter Linie nach Kraßnojarsk zum Jeniffej hinüberstrebte und dann bei Tomsk das Obsystem erreichte. Er­ laubte es die Jahreszeit, so trat in Tomsk oder auch schon weiter östlich an einem der anderen Nebenflüsse des Ob wiederum die Fluß­ schiffahrt in ihr Recht: erst den Tom und Ob abwärts, dann den

65 Jrtysch, den eigentlichen Hauptstrom des Obsystems, bis Tobolsk und danach den Tobol aufwärts erreichte man schließlich Irbit, den großen Mefseplatz am östlichen Abhang des Ural. Eben dorthin führte auch die Fortsetzung des Landwegs, der bei Omsk den Jrtysch kreuzte und dann über Ischim und Tobol hinweg­ führt. Es war im ganzen ein ungemein umständlicher, langwieriger und gefährlicher Weg. Wie oft eine Umladung des von China kommenden Tees vorgenommen werden mußte, ist gar nicht aus­ zurechnen. Seeschiffahrt, Kameltransport, Flußschiffahrt in der verschiedensten Gestalt, Schlitten- und Wagenbenutzung wechselten in bunter Fülle miteinander ab. Ost bedeutete der Wechsel des Transportmittels zugleich die Notwendigkeit, dem Gute eine neue Verpackung zu geben. Aufenthalt über Aufenthalt verzögerte schon aus diesem Grunde den Transport. Dazu kam dann die Unberechenbarkeit der Wege. Sibiriens Ströme sind nur einige Monate während des Jahres benutzbar. In jedem Frühjahr und in jedem Herbst macht das Auftauen und das Neubilden, der Eisdecke für mehrere Wochen jeden Verkehr auf ihnen unmög­ lich; dann ist sogar das Überqueren der Ströme völlig ausge­ schlossen, da die Fähren noch nicht oder nicht mehr das andere Ufer zu erreichen vermögen und die Eisdecke nicht mehr oder noch nicht den Schlitten trägt: noch heute ist eine Stadt wie Irkutsk, das Zentrum aller Militär- und Zivilverwaltung Ost­ sibiriens und Sitz der östlichen Eisenbahndirektion, ganz regel­ mäßig für einige Wochen von seinem Bahnhof völlig abgesperrt, weil dieser auf der anderen Seite der Angara liegt und es eine feste Brücke noch nicht gibt. Die Landwege, auch der sibirische Trakt — richtiger: der Teil des Waldes und der Steppe, welchen die Wagen nun einmal zu benutzen pflegten — halten keinem Regen und erst recht keinem Tauwetter stand; da hieß es also abwarten, bis die Spuren wieder trocken und fahrbar wurden — manchmal nur einige Stunden, öfter schon mehrere Tage und nicht selten auch einige Wochen. Infolgedessen konnte ein Aufent­ halt, der vielleicht ursprünglich — etwa wegen einer notwendigen Umladung — nur wenige Tage oder gar Stunden betragen sollte, sich dank den Elementen leicht in eine Verzögerung von mehreren Wochen und selbst Monaten umsetzen. Rechnete man im all­ gemeinen, daß der Weg von China nach Irbit etwa einundeinhalb Wiedenfeld, Sibirien.

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66 Jahre erforderte, so mußte man doch auch auf eine Dauer von zwei Jahren und mehr immerhin gefaßt sein. Und dann war man doch erst am Osthange des Ural angelangt. Ein weiteres Jahr war noch dazuzuschlagen, wenn das Ziel im mittleren oder westlichen Europa etwa lag: der Tee, welcher in Irbit im Februar diese Messe passiert hatte, kam im August nach Nishnij-Nowgorod und von dort dann endlich in die Hände der europäischen Käufer. Es versteht sich von selbst, daß ein so riesiger und unab­ sehbarer Transport den Tee mit gewaltigen Kosten belaste« mußte. War in China der Einkaufspreis, da es sich dort be­ kanntlich um ein Maffennahrungsmittel handelt, auch recht niedrig, so ergab sich doch für Europa, und zwar auch schon für Rußland, ein ausgeprägter Luxusartikel, den nur wenige sich leisten konnten. Dazu vertrug nur der beste Tee, d. h. das Pro­ dukt der ersten Ernte jeden Jahres, die lange Reisedauer, ohne seinen Geschmack zu verlieren. Karawanentee war in der Tat ein Genußmittel von recht hoch gehobenem Grade. Für Sibirien war dieser Transport wirtschaftlich von er­ heblicher Bedeutung. Er brachte Bargeld in das Gebiet hinein, das sonst noch ganz und gar naturalwirtschaftlich zu leben ge­ wohnt war. Jeder Dauer, der am sibirischen Trakt oder auch nur in seiner Nähe angesetzt worden war, konnte damit rechnen, in ziemlich regelmäßiger Folge Wagen und Pferd für den Tee­ transport stellen zu können und dadurch soviel zu verdienen, daß er nicht nur die staatliche Grundsteuer in Geld entrichten, sondern auch noch über das Selbstproduzierte hinaus seinen Be­ darf durch Einkauf zu decken vermochte. Noch heute, wo auch nicht der kleinste Rest von der alten Transport-Organisation übrig geblieben ist, macht sich längs der Sibirischen Bahn, welche größtenteils dem Zuge des Trakts folgt, in allen Ortschaften die Betonung der Pferdehaltung sehr stark geltend, und allent­ halben ist die Klage groß, daß der Bau der Bahn diese frühere Berdienstgelegenheit ganz genommen habe. Von eigenen Produkten stellte in dieser älteren Zeit Sibirien eigentlich nur das Gold seiner Flüsse und das Pelzwerk seiner Wälder für die weltwirtschaftlichen Beziehungen. Das Gold war dabei allerdings, wie auch heute noch, in seinem Umlauf sehr beschränkt: es war auf das strengste verboten — Todesstrafe stand



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darauf — Gold anders als an die staatlichen Abnahmestellen zu liefern oder gar es über die Grenze zu bringen. Trotzdem war es weltwirtschaftlich wichtig, weil der Erlös, welchen die Gold­ wäschereien ihren Besitzen: und auch ihren Arbeitern erbrachte, diese mit Kaufkraft für fremde Waren ausstattete — ganz abge­ sehen von den sehr großen Mengen Goldes, welche ttotz aller Verbote regelmäßig über die Grenze nach China hinüber­ geschmuggelt wurden. Das Pelzwerk aber war der eigentliche Handelsgegenstand Sibiriens; auf den Messen von Irbit und Nishnij-Nowgorod hat es stets den Hauptteil aller Umsätze auf fich vereinigt. Der Gegenwett, welchen Rußland und Europa für jene Transportleistungen, für das Gold und für das Pelzwerk an Sibirien abgaben, bestand in allen möglichen Fabrikaten, welche für den primitiven Geschmack der sibirischen Bevölkerung bei aller Einfachheit den Charakter von Luxusartikeln trugen. Die beiden Messen diesseits und jenseits des Ural waren auch dafür die Vermittlungsplätze; zu ihnen wurde alles das herangeschleppt, was dann weiter nach Osten gehen sollte. Der Bedarf eines ganzen Jahres kam dort zur Deckung, und niemand konnte daran denken, nur Proben der umzusetzenden Waren vorzulegen: der sibirische Käufer wollte im einzelnen sehen, worauf sich die Kauf­ lust richtete, und er mußte auch gleich selbst von der Messe mit zurücknehmen, was er da etwa gekauft hatte. Den beiden Zentralmessen von Nishnij-Nowgorod und Irbit schloffen sich dann in Sibirien eine große Fülle von Lokalmeffen an. Nirgends konnte in jener Zeit ein Kaufmann schon daran denken, abgesehen viel­ leicht von den ganz großen Beamten- und Heeres-Konzentrationen wie Tomsk und Jttutsk, etwa einen stehenden Laden jahraus jahrein zu unterhalten. Die große Masse der sibirischen Be­ völkerung lebte damals im Kern so ausgeprägt vom Selbst­ produzierten, daß das Kaufen und Verkaufen über die Bedeu­ tung einer Begleiterscheinung nicht hinaus kommen konnte. — Die Entwicklung der modernen Transportmittel hat diesen Aufbau gründlichst geändert. Da war es für Sibirien zunächst schlimm, daß die Er­ öffnung des Suezkanals im Jahre 1869 und die daran an­ schließende Einführung der Dampfer in die Seeschiffahtt des Indischen Ozeans von den siebziger Jahrey an den Tee5*

68 transport -em alten Landwege untreu machte. Man lernte rasch die Verpackung so einzurichten, daß das empfindliche Gewächs des Osten gegen die mannigfachen Gerüche, welche namentlich in der Anfangszeit des Dampferverkehrs von den Maschinen ausgegangen sind, und auch gegen den Einfluß der ozeanischen Feuchtigkeit in genügendem Maße gesichert war. Die Transportkosten konnten so niedrig gestellt, die Berechenbarkeit und Sicherheit der Fracht so hoch gehoben werden, daß der Land­ weg dagegen nicht aufkam : von Shanghai und auch von Hankou ging der Tee im Dampfer direkt nach London, das rasch zum Mittelpunkt des ganzen europäischen Teehandels sich aufschwang und sogar — über Königsberg und selbst Odessa — Rußlands Versorgung übernahm; nur die Steppen des mittleren und west­ lichen Asien blieben ihren uralten Teestraßen treu. Die Fertigstellung der Sibirischen Bahn hat dann wiederum eine Änderung der Transportrichtung wenigstens insoweit herbei­ geführt, als die mittleren und östlichen Teile Sibiriens jetzt ihren Teebedarf mit Hilfe des Schienenweges decken, und als die zunehmende Menge, welche Westsibirien von Westen her bezieht, es den Moskauer Teefirmen erleichtert hat, sich von Londons Vermittlung unabhängig zu machen; von Hankou und Shanghai geht es direkt jetzt nach Odessa. Aber auch heute bezieht Sibirien selbst in seiner ganzen westlichen Hälfte, bis etwa nach Tomsk hin, seinen Tee nicht mehr direkt vom Osten, son­ dern auf dem großen Umweg um das ganze südliche Asien herum über Odessa oder Petersburg und Moskau. Die Bezeichnung Karawanentee hat überall in der Welt ihre technische Bedeutung verloren. Es ist nur ein Qualitätsbezeichnung übrig geblieben: der Tee erster Pslückung wird noch vielfach so genannt, im Unterschied zu den Ergebnissen der zweiten und dritten Jahresernte, die jetzt ebenfalls regelmäßig bis nach Europa zu kommen pflegen. In Rußland ist „Tschai Karawan" eine Firmenbezeichnung geworden. Was hier Sibirien dank den Dampfern durch den Fortfall der Transporte verloren hat, hat es in den neunziger Jahren des ver­ gangenen Jahrhunderts durch den Ausbau des anderen modernen Transportmittels, der Eisenbahn, in reichhaltigstem Maße zurück­ empfangen. Gewiß nämlich war der Gedanke, aus welchem heraus der russische Staat sich zum Dau des gewaltigen Werks entschlossen



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hat, ursprünglich rein politischer Natur: es galt die militärisch-staat­ liche Stellung in Ostasien zu stärken und gleichsam erst einmal in der Heimat zu verankern. Aber ein Witte, als Eisenbahn­ minister, und ein Wyschnegradski, als Finanzminister, waren sich doch von allem Anfang an darüber klar, daß auch wirtschaftliche

Wirkungen tiefgreifender Natur von dem Schienenweg aus­ gehen mußten. Und diese sind denn auch in der Tat nicht aus­ geblieben. Dabei war und ist besonders günstig, daß der Einfluß der anfangs nur eingleisigen Bahn durch die Gunst der Natur ganz gewaltig über ihre unmittelbare Nachbarschaft hinaus erstreckt werden konnte. Planmäßig hat man den Schienenstrang so ge­ legt, daß er die großen Ströme Nordasiens alle an Stellen schneidet, von wo aus sie nach Norden und Süden auf viele Hunderte und selbst, wie der Jrtysch und Jeniffej, auf Tausende von Kilometern schiffbar sind. Da hat sich dann auf diesen Strömen ein lebhafter Dampferverkehr entwickelt, der eine un­ mittelbare Fortsetzung der Eisenbahn genannt werden darf. Er entspricht allerdings ebensowenig, wie der Verkehr auf der Eisen­ bahn selbst, den hochgeschraubten Ansprüchen, die wir in Deutsch­ land an die Pünktlichkeit und Schnelligkeit der modernen Trans­ portmittel zu stellen pflegen; mit stunden- und selbst tagelangen Verspätungen muß man im Personen- und erst recht im Güter­ verkehr des Schienenwegs, wie der Ströme sich noch immer ab­ finden, und fahrplanmäßig, den Wert der Zeit betonend, ist deshalb noch längst nicht das ganze Leben in Sibirien geworden. Aber verglichen mit dem früheren Stand der Transportgelegen­ heiten ist doch ein gewichtiger Fortschritt erzielt. Man ist nicht mehr so restlos von der Natur und ihren Zufälligkeiten ab­ hängig; man kann doch in gewissem Rahmen wenigstens mit Regelmäßigkeit der Transporte rechnen. Das ganze Kultur- und Wirtschaftsleben hat sich wenigstens strichweise darauf einrichten können, einen Teil der selbst gewonnenen Produkte an die Außen­ welt abzugeben und dafür wesentlich mehr als . jemals zuvor von der Außenwelt her zu sich heranzuziehen. Nicht zuletzt die ge­ waltige Einwanderung — wirtschaftlich ausgedrückt: die enorme Steigerung seiner menschlichen Produktivkräfte — hat Sibirien der Dahn und den anschließenden Flußdampfern zu ver­ danken. —

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Der bei weitem wichtigste Artikel, den Sibirien heute an die Außenwelt zu verkaufen hat, ist seine Butter. Dänen waren es, wie schon erwähnt, welche zuerst den Charakter der Steppe als einer großen Milchproduzentin erkannt haben, und welche dann dafür sorgten, daß der allmählich knapp werdende, dem gewaltigen Bedarf Westeuropas, zumal Englands, nicht nach­ kommende Markt Kopenhagens von diesen fernen Gegenden des Ostens eine Auffüllung erfuhr. Ziemlich rasch hat fich diese Butter­ ausfuhr mit der Dahn von Westen nach Osten vorgeschoben, und heute ist so ziemlich jedes Siedlerdorf und jede Kosakenstanize an den Butter-Weltmarkt angeschlossen. Alljährlich werden eine halbe Million Doppelzentner und noch mehr aus Sibirien heraus­ gebracht. Deutschland allein hat noch im Jahre 1913 nicht weniger als 30 000 Tonnen im Werte von rund 63 Millionen Mark von dorther imponiert; wahrscheinlich sogar noch erheblich mehr, da manches Quantum Butter, welches nach der Statistik aus den Niederlanden und selbst aus Dänemark nach Deutschland hinein­ kommt, tatsächlich sibirischen Ursprungs ist. Eine besondere Deutsch-Sibirische Butterkompagnie findet man in allen Städten des Rheingebiets tätig; und die Knappheit an Butter, die uns der Krieg gebracht hat, ist nicht so sehr auf die englische Ab­ schließungspolitik, als vielmehr auf den Fottfall der sibirischen Sendungen zurückzuführen, die nun nicht nur uns, sondern auch England selber fehlen und auch dott nicht durch eine verstärtte Zufuhr australischer Butter etwa ersetzt werden können. Die Unterlage dieser Exportmöglichkeiten ist in einer eigen­ tümlichen Situation der Produktionskostenrechnung gegeben. Der Dauer nämlich, welcher die Milch an die Molkerei seiner Ge­ nossenschaft (seines Artels) liefert, braucht nur einen ganz ge­ ringen Betrag als ursprüngliche Gestehungskosten zu rechnen. Das Land, auf dem sein Vieh weidet, steht ihm gegen eine ganz geringe Grundsteuer, also fast frei zur Verfügung. Der Aufbau feines Hauses und alles dessen, was er sonst an sachlichen Pro­ duktionsmitteln braucht, kosten ihm ebenfalls nur sehr wenig. Seinen Unterhalt aber und den seiner ganzen Familie, wie etwa der angestellten Knechte bestreitet er bis auf einen kleinen Rest aus der eigenen Produktion; die Barlöhne betragen ebenso nur wenige Rubel im Jahr, wie der Bauer für sich und seine Familie nur wenige Rubel für die Anschaffung der Unterhaltsmittel, Klei-

71 der und dergleichen mehr auszugeben pflegt. Infolgedessen liegen auf der Butter beinahe nur die nicht großen Kosten der Molkerei-Verarbeitung und sonst Transpottkosten; fast alles, was auf dem westeuropäischen Martt über diese Beträge hinaus erzielt wird, ist reiner Gewinn. Der Produzent Sibirims wird daher in seiner Expottkraft von Preisrückgängen nicht entscheidend getroffen, solange nur eine Kleinig­ keit mehr als der Transportaufwand durch die Preise gebracht wird. Der überwiegenden Naturalwirtschaft und dem Landbesitz­ system entsprechend, fehlen einstweilen noch die sonst bedeutsamsten Bestandteile der Produttionskostenrechnung: die Darlöhne der Ar­ beiterschaft und die Grundrente, welche in zivilisierten Ländern bekanntlich eine rasch auf der jeweiligen Höhe erstarrende und dabei aus sich nach oben drängende Untergrenze der einzelwirt­ schaftlichen Produktionskosten abgibt. Die Preis-Unabhängigkeit des sibirischen Dauern ist für den Export um so bedeutsamer, als die Technik des Transports in den ersten Stadien so ziemlich alles zu wünschen läßt. Die Haupt­ zeit der Dutterlieferungen ist natürlich der Sommer; nur in ihm findet das Vieh so viel Nahrung, daß es reichlich Milch zn geben vermag. Da sind die Tage überheiß. Und doch wird kein Sibirier auf den Gedanken kommen, zur Beförderung seiner Butter die kalten Nächte zu benutzen — die Nacht ist zum Schlafen, nicht zum Arbeiten vom Herrgott eingerichtet. Ein paar Strohmatten über die Fäßchen gelegt, im übrigen die offene Telega — so geht der Transport tageweit durch die Steppe zur nächsten Dampfer-Anlegestelle, und lange kann man an den Spuren ver­ folgen, wo der Wagen unter sengender und das Fett lösender Sonne dahingezogen ist. Auch die Dampfer, die doch für die Fahr­ gäste schon mit sehr beträchtlichem Komfott ausgestattet sind, be­ handeln die Butter arg stiefmütterlich; man muß schon zufrieden sein, wenn die Fäßchen nicht gerade unmittelbar an die Maschine gestellt werden — oft genug konnten wir auch das beobachten. Leicht werden es dabei acht Tage und mehr, die vom Dorfe aus bis zum Erreichen der Eisenbahn vergehen. Dann erst bietet sich die — allerdings keineswegs regelmäßig ausgenutzte — Gelegen­ heit, die Butter in ein eisgekühltes Lagerhaus zu bringen. End­ gültig unter Eis kommt sie erst im Eisenbahnzuge und damit zu­ gleich in eine Organisation hinein, die dm besonderen Nedürf-

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niffen des B-uttertransports angepaßt worden ist: eigene Butter­ züge gehen in regelmäßiger Folge von Sibirien ab und mit Be­ schleunigung durch Rußland hindurch, so daß schon nach etwa vierzehntägiger Fahrt vom Ob her, nach zwölftägiger Fahrt vom Jrtysch her die Küstenplätze der Ostsee, Petersburg und Windau, erreicht zu werden pflegen — für die Überwindung von rund 4200 und 3600 Kilometer eine recht ansehnliche Leistung. Im ganzen kommen aber leicht vier bis fünf Wochen Transportdauer heraus, ehe der westeuropäische Konsumplatz erreicht wird. Wäre die Butter nicht so stark übersalzen, so würde sie schwerlich ihre Genießbarkeit behalten. Neben der Butter steht das andere Produkt der Viehzucht, das namentlich von der Kirgisensteppe her in die Weltwirtschaft hinein geliefert wird: die Häute der Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde. Da kommen aus der primitiven Jahrmarktsorganisation, wie sie oben geschildert worden ist, alljährlich ganz erhebliche Men­ gen an die Sibirische Dahn heran, an welcher die Stadt Petropawlowsk mit ihren großen Verkaufshöfen und ihrer überwiegend tatarischen Bevölkerung der Sammelpunkt für den ganzen Vieh­ verkehr der Steppe geworden ist. Ein großer städtischer Schlacht­ hof und mehr noch die unzähligen kleinen Privatgehege, in denen geschlachtet wird, machen dem Leben der Hunderttausende von Schafen, Ziegen, Rindern und Pferden alljährlich ein Ende, die da von Süden nach Norden, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt steigend, im Herbst herangetrieben werden. Das Fleisch geht leicht ge­ froren nach Moskau und Petersburg; die Häute werden noch weiter nach Westen, nicht zuletzt gerade auch nach Deutschland teils direkt, teils über die Messe von Nishnij-Nowgorod ver­ handelt. Auch Wolle ist hier zu nennen, deren angeblich russische Provenienz mehr aus Sibirien, als dem eigentlichen Rußland stammt. Dazu haben wir es da mit einem Transitartikel zu tun, der für Sibiriens Transportmittel und dadurch für die ganze weltwirtschaftliche Verflechtung Sibiriens, ja für Rußlands große Politik von nicht geringer Bedeutung ist. Die Mongolei nämlich bietet für die Wollproduktion von Natur her besonders günstige Bedingungen. Die kahlen Steppen des Hochlandes vom inner­ sten Asien in anderer Weise auszunutzen, ist einstweilen kaum möglich. Der eisige Winter und die kalten Sommernächte bringen

73 es dazu, daß das Fließ der Schafe besonders dicht und lang sich anzusetzen pflegt. Die heißen Sommertage lassen eine starke Schweißabsonderung regelmäßig eintreten und machen dadurch den inneren Teil des Fließes besonders geschmeidig und wert­ voll. Mongolische Wolle ist daher ein begehrter Artikel geworden, auch wenn er statistisch nicht in die Erscheinung zu treten pflegt. Und dies kommt gerade, daher, daß das Produkt der Mongolei zum größten Teil durch Rußland und Sibirien hindurchgehen muß. Die großen Ströme des westlichen und mittleren Sibirien — Jrtysch, Ob und Jeniffej — sind die Verkehrsadern, an welche die primitiven Saumpfade des Altai- und des Sajangebirges von Süden her heranführen, und welche einstweilen den billigsten Transportweg nach Westen hin abgeben. Die da verfrachtete Wolle der Mongolei gibt nun aber nebst den Häuten und Ge­ därmen derselben Tiere einen so wichtigsten Frachtartikel für diese Ströme, daß auch die übrigen Waren, die da nach unten oder nach oben befördert werden, in ihren Transportkosten ebenfalls von jenen mongolischen Sendungen maßgeblich mit bestimmt wer­ den. Sibirien müßte sich auf eine wesentliche Erhöhung aller Schiffahrtsfrachten, die Sibirische Bahn und damit der russische Staat müßten sich auf eine erhebliche Minderung ihrer Einnahmen gefaßt machen, wenn etwa die Mongolei in anderer Richtung ihre Transporte zu leiten unternähme. Mit aus diesem Grunde — politische Rücksichten treten hinzu — legt Rußland so großes Gewicht darauf, die Mongolei unter seinen Einfluß zu bekommen: man will verhindern, daß etwa eine Eisenbahn das ganze Gebiet in östlicher Richtung an den Großen Ozean anschließe, weil dann die Produkte der mongolischen Viehzucht unweigerlich diesen öst­ lichen Weg den alten nördlichen Straßen vorziehen müßten; und eben dies gilt es im Interesse der sibirischen Frachtenbildung zu vermeiden. Der andere Zweig der Landwirtschaft, der Ackerbau, kommt für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen nur wenig in Betracht. Bei günstigen Ernten, wie sie alle zehn Jahre ein- oder höchstens zweimal vorkommen, kann allerdings der sibirische Westen mehr produzieren, als er für seine eigene Vorratshaltung und für die Deckung des ostsibirischen Bedarfs braucht; da gehen dann die Überschußmengen in das östliche Rußland hinein, ge­ legentlich wohl auch einmal nach Westeuropa. Aber dieses Er-

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scheinen auf den westeuropäischen Märkten kann nur eintreten, wenn eine günstige Ernte Sibiriens mit einer ungünstigen Welt­ ernte und demgemäß hohen europäischen Getreidepreisen zu­ sammenfällt. Die Regel ist bisher gewesen, daß das sibirische Gewächs über Rußland nicht hinausgekommen ist; entwickelt doch das russische Waldgebiet, das bekanntlich noch über Moskau hinaus nach Süden hinunterreicht, regelmäßig einen nicht unbe­ trächtlichen Zufuhrbedarf. Der Mangel an Wettbewerbsfähigkeit aber beruht Europa gegenüber auf der Höhe der Transportkosten. Gewiß sind sie wesentlich niedriger als die Dutterftachten; aber ihnen steht auch auf der europäischen Seite ein Markt gegen­ über, der bekanntlich von allen Seiten her seine Deckung findet. Getreide ist verglichen mit- Butter eine ausgeprägt transport­ unempfindliche Ware, und längst haben wir uns daran gewöhnt, daß das innerste Nord- und Südamerika den größten Teil von dem liefern, was Westeuropa über seine eigene Produktion hinaus braucht. Diese Gegenden haben es aber wesentlich näher zum Meere, als das so sehr weite Sibirien; sind es doch vom Ob her zur Ostsee nicht weniger als rund 4200 Kilometer, also fast das Dreifache der Entfernung Chikago-Neuyork. Der Unterschied in der See-Entfernung bringt für Sibirien keinen Vorteil mit sich; denn die Ostsee ist bekanntlich nur für kleinere Schiffe fahrbar, die keinen Vergleich mit den riesigen Dampfern des Atlantischen' Ozean aushalten. Da kommen allein zwischen Sibirien und dem westlichen Europa, zwischen Omsk und Hamburg oder London etwa, an Eisenbahn- und Seefrachten immerhin gut 100 Mark zur Erhebung, und darauf schlägt sich dann noch eine recht hohe Vorfracht, die in Sibirien selbst für einige 100 Kilometer Land­ weg und Wasserstraßen zu rechnen ist. Die Gesamtfracht frißt dann in der Tat den ganzen Preis, der in Europa ge­ zahlt wird, und meist sogar noch mehr. Jedenfalls bleibt regelmäßig für den Sibirier zu wenig übrig, als daß er sich den großen Mühen unterziehen sollte, welche für ihn nach seiner Auffassung gerade mit dem Getreidebau verbunden sind; es sei daran erinnert, daß bei jedem Dorf nur die Weide in der Nähe der Wohnungen sich befindet, der Acker aber die ent­ fernteren Außenteile der Feldmark umfaßt. Hiervon wird auch die Zukunft schwerlich etwas Wesent­ liches ändern. Allerdings wird gerade mit dem Bedürfnis nach

75 billigeren Getreidefrachten die Forderung begründet, der russische Staat solle durch die Einrichtung von Stationen drahtloser Tele­ graphie die Befahrung des Kara-Meeres in den Bereich der Be­ rechenbarkeit hineinheben und dadurch das ganze riesige Obsystem dem Getreideexport zugänglich machen; und daß dies technisch möglich ist, wird wohl kaum noch bezweifelt. Aber was be­ deutet denn eine Benutzbarkeit von vielleicht vier bis sechs Wochen im Jahre, zumal nie vorausgesagt werden kann, wann die Schiffahrt des Eismeeres geöffnet sein wird? Darauf die Organisation eines wirklichen Maffenexports aufzubauen, geht denn doch nicht an, und schwerlich werden die immer noch bleibenden Gefährdungen und Unregelmäßigkeiten der Seefahrt es zulasten, die Transportkosten auf diesem gewaltig langen Wege wirklich niedriger zu stellen, als sie jetzt der Dahnweg berechnet. Und schließlich bleibt noch sehr die Frage, ob die in Sibirien bevorzugten Qualitäten in größeren Mengen überhaupt in Europa ihren Absatz finden können. Das Klima, welches ja den Anbau von Winterfrucht verbietet und auch im Sommer noch schwere Härten auf den Ackerbau legt, hat es mit sich gebracht, daß man vorzugsweise harte, glasige Weizensorten baut; die vorgeschritten­ sten Großbetriebe z. B. konzentrieren sich stark auf die Pflege des Kubankaweizens. Damit läßt sich jedoch kein Mehl Herstellen, welches unserem Drotgeschmack entspräche. Makkaroni aber und andere Nudeln, sowie Oblaten werden nicht in solchen Mengen verbraucht, daß da ein besonders starker Begehr sich etwa geltend machte. Es ist doch sehr bezeichnend, daß an der Berliner Pro­ duttenbörse, die sonst sicherlich in ihrem Termingeschäft den Charatter des Weizens als eines Weltmastengutes besonders scharf ausgeprägt hatte und den verschiedensten Qualitäten gegenüber sich nicht gerade empfindsam zeigte, stets doch den Kubankaweizen von der Lieferung ausschloß. Qualitattv wie quantitativ ist da Sibirien vor ein großes Fragezeichen gestellt, wenn es mit seinem Getreidebau auf internationalen Absatz sich einrichten wollte. Bon der Industrie her ist nach wie vor das Gold als eine Ware zu erwähnen, die zwar auch heute, wie früher, nicht an das Ausland abgegeben werden soll, die aber doch ins euro­ päische Rußland, in die Russische Reichsbank, hinüberfließt und so dem Wirtschastskörper Sibiriens von außen her eine Ein­ nahme bedeutet. Dazu kommt mit geringen Mengen das Kupfer

76 der Kirgisensteppe. Sogar das Pelzwerk, das nach wie vor in freier Jagd auf den nördlichen Tundren und in der Taiga ge­ wonnen wird, steht heute in der Ausfuhr bedeutend weit hinter der Butter und den Häuten zurück. Diese haben wir als die wichtigsten Träger der Außenwirtschaft zu betrachten. — Auf der starken Butter- und Häuteausfuhr beruht es in aller­ erster Linie, daß auch in der Einfuhr Sibiriens so sehr viel stärker als früher in die Weltwirtschaft hineinverflochten worden ist. Bis in die entlegensten Dörfer sehen wir russische und aus­ ländische Waren in solcher Fülle und mit solcher Regelmäßigkeit gelangen, daß überall schon ein stehender Laden für ihren Umsatz hat errichtet werden können. Oft vereinigt er allerdings in sich noch die Besorgung dieser Einfuhr und die Vermittlung der Dutterausfuhr. Aber die Regel ist doch bereits, daß beide Quellen des Handels lebhaft genug sprudeln, je für sich ein besonderes Organ zu erfordern. Das wichtigste Einfuhrgut ist jetzt der Tee geworden. Aller­ dings steht dabei gerade in Sibirien der Ziegeltee durchaus im Vordergrund; auch die städtische Bevölkerung konsumiert ihn mehr als den Blättertee. Aber auf die Stärke des Konsums wirft ein scharfes Licht, daß gerade von Sibirien her der Gedanke einer Qualitätenscheidung auch für den Ziegeltee hat aufgegriffen wer­ den können. Wir finden denn auch in allen Städten bereits Filial­ niederlassungen der beiden Moskauer Firmen, welche den TeeImport für ganz Rußland hauptsächlich in der Hand haben, während sonst die Vermittlung der Gegenstände täglichen Be­ darfs in Sibirien noch nicht der Arbeitsteilung anheimgefallen ist. Im ganzen Bereich dürfte es kein noch so entlegenes Dorf geben, wo nicht wenigstens für Tee eine ständige Einkaufsgelegen­ heit den Bauern sich darbietet. Man mag wo immer in einen noch so kleinen Haushalt hinein kommen — der Samowar wird alsbald mit glühenden Holzkohlen gefüllt, und rasch ist ein Glas heißen Tees zur Erfrischung bereitet. Wir haben es wirtschaft­ lich mit einem Nahrungsmittel, nicht mehr mit einem entbehr­ lichen Genußmittel zu tun. Vom Tee her kommt der Zucker zur Rolle eines elementaren Lebensbedürfnisses für die sibirische Bevölkerung. Ausschließlich aus Rußland wird er bezogen; gedeckt nicht nur — wie schon erwähnt — durch hohen Schutzzoll und geringere Entfernung,



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sondern auch noch dadurch, daß Rußland grundsätzlich die direkte Verfrachtung westeuropäischer Güter nach Asten hinüber noch stets verweigert hat: die an der europäisch-russischen Grenze erforder­ liche Umklarierung ist mit einer beträchtlichen Frachterhöhung und Verzögerung gleichbedeutend. Was sonst an eigentlichen Verbrauchswaren in Sibiriens Landen sich befindet, läßt über das ganze Land hin eine starke Gleichmäßigkeit des Geschmacks noch erkennen. Ob man in Omsk oder Irkutsk oder in Tschita oder auch abseits der Bahn in Semipalatinsk oder Barnaul ein Warenhaus betritt — stets sind es die­ selben Gegenstände ziemlich einfacher Art, welche den Kauflustigen entgegenlachen. Baumwollene Tücher stehen auch für die Ruffen stark im Vordergrund, und wesentlich anders sind in den Städten die Farben und Muster auch nicht, wie auf dem Jahrmarkt der Kirgisen. Allenfalls treten in den größeren Städten neben die Erzeugnisse von Moskau und Lodz noch einfache Spitzen, welche das deutsche Voigtland maschinenmäßig aus Baumwolle herstellt und nun in den billigeren Mustern regelmäßig da draußen ab­ setzt. Auch Eisenwaren aller Art und Glaswaren sind da zu finden, und was sonst ein einfach gehaltener Haushalt nun einmal braucht. Dagegen wird man vergeblich nach wirklich feiner Luxusware sich umsehen; die besorgt sich der höhere Beamte und der Offizier ebenso wie der reich gewordene Goldbergwerksbesitzer in Moskau oder gar in Paris, wvbei elegante Kleidungsstücke ganz und gar im Vordergründe stehen — für Güter der innermenschlichen Kultur ist die Zeit noch nicht gekommen. Von besonderer Wichtigkeit in der Einfuhr ist in den letzten Jahren jedoch ein Produktionsmittel geworden, das man in ge­ radezu verblüffend großer Menge regelmäßig aus dem Auslande, besonders aus dem fernen Nordamerika bezieht. Das ist die land­ wirtschaftliche Maschine./ Sie kommt bis in die Gegenden von Irkutsk auf dem westlichen Wege herein; dann wird sie von Nordamerika her zunächst einmal nach London oder Hamburg mit dem großen Ozeandampfer transportiert, von da über die Nordund Ostsee nach Petersburg oder Windau und dann mit der Bahn die ganze riesige Strecke von 4000 bis 6000 Kilometer nach Si­ birien : da kommen allein an Bahnfracht für große und schwere Maschinensätze, wie etwa eine Dampfdreschmaschine, leicht 5000—6000 Rubel heraus, östlich von Irkutsk macht

78 sich der große Ozean als wichtigste Deförderungsstrecke gel­ tend : von San Franzisko, Seattle oder Vancouver her kommen die Maschinen nach Wladiwostok, von wo die Eisen­ bahn sie dann in das Innere hineinbringt. Schon frü­ her ist erwähnt worden, daß es sich dabei nicht so sehr um Hilfsmittel der Bodenbearbeitung, als vielmehr um Ernte­ maschinen handelt. Bezeichnend ist, daß gerade dieser Handel mit sehr langen Kreditfristen sich zurecht finden muß; zwei und drei Jahre Stundung des Kaufpreises bilden durchaus die Regel, und gar nicht selten kommt es vor, daß die Maschine schon ver­ braucht ist, wenn der Rest des Preises bezahlt wird. Dann wird gleich ein neues Instrument gekauft; es ist fast schon ein regel­ mäßiges Abzahlungsgeschäft, was sich da abwickelt. Hinter der Einfuhr dieser Erntemaschinen steht der Bezug von Buttermaschinen nicht weit zurück. Es ist schon oben erwähnt worden, daß die Technik der Butterbereitung im entlegensten Dorf durchaus auf der Höhe moderner Leistungsfähigkeit zu stehen pflegt. Aber die erforderlichen Separatoren und was sonst in einer neuzeitlichen Molkerei alles vorhanden sein muß, kann Sibirien selbst natürlich nicht liefern. Auch Rußlands MaschinenJndustrie kommt hierfür kaum in Betracht. In erster Linie ist es vielmehr Dänemark, dann auch Deutschland, was hier den schon recht starken und regelmäßigen Bedarf zu decken hat. Zu den Produktionsmitteln sind auch jene Duchenbrettchen zu nennen, die von Skandinavien und von Deutschland her in stark steigenden Mengen nach Sibirien importiert werden. Sie werden so zu Bündeln zusammen gepackt, daß immer ein Stoß je ein Fäßchen ergibt und auch die Faßdaube wird gleich hinzu­ gefügt. Ihr Zweck ist, mit Butter gefüllt nach Westeuropa zurück­ zukehren. Und das gerade ist daran so merkwürdig. Sibirien hat doch seine Taiga, die sich über viele Millionen von Quadrat­ kilometern erstreckt, und auch die Gebirge des Südens und Ostens sind reichlich mit Wald bestanden; trotzdem diese Einfuhr von Faßholz für den Export der sibirischen Butter. Der Grund ist doppelter Art. Einmal nämlich ist die Taiga nichts weniger als ein Wald von nutzbarem Holz; im Gegenteil, sie macht wirt­ schaftlich und erst recht ästhetisch betrachtet einen denkbar traurigen Eindruck — nur ganz selten findet sich da einmal ein gesunder Daum, das meiste ist angefault und vom Rost zerfressen und

79 elendes Gestrüpp. Andererseits fehlt es aber hier sowohl wie erst recht im Gebirge an Sägewerken, welche das Holz der Bäume so fein bearbeiten könnten, wie es für den Buttertransport wegen der Frachtersparnis erwünscht ist; ist es doch auch heute noch in ganz Sibirien die ausnahmlos herrschende Regel, daß die Baum­ stämme, welche zum Bau der Häuser verwandt werden, nicht mit der Säge, sondern mit der Axt zugerichtet werden. Es fehlt an den Maschinen für die Holzbearbeitung, weil die Arbeiter nicht vorhanden sind, die über eine ausreichende Schulung verfügen. Hier wie überall ist denn doch deutlich zu merken, daß Sibirien zwar durch seine Eisenbahn mit einem starken Ruck in die Welt­ wirtschaft hineingezogen worden ist, daß aber der allgemeine Kultur- und Wirtschaftsstand noch unverkennbar das Gepräge rückständiger ITaturalwirtschast trägt. — Und eben dies zeigt auch die Organisation des internatio­ nalen Handels. Nur die Butterausfuhr ist schon völlig modern auf­ gebaut. Da finden wir in jedem größerem Dorf einen Einkaufs­ vertreter der großen dänischen und deutschen Jmporthäuser; man kann überall mit ziemlicher Sicherheit darauf rechnen, auf einen deutschen Landsmann oder wenigstens einen deutsch sprechenden Dänen zu stoßen, sobald man an der Ladeninschrift das Wort „maslo" (Fett = Butter) erkennt. Sie kaufen auf, was die Dauern ihnen anbieten, und stehen dabei schon in recht lebhafter Konkurrenz miteinander. In den großen Städten, vor allen in Omsk und Kurgan, befindet sich dann der Hauptvertreter, der einen großen Bezirk zu bearbeiten hat und auch für die Eisen­ bahnverladung sorgt. Von da geht es direkt im eisgekühlten Zuge an die Küste der Ostsee, wo Petersburg und Windau, daneben auch Libau und Reval als Exporthäfen bevorzugt werden. Die Ausfuhr der Häute und der Produkte des Kleinviehs benutzt dagegen ebenso wie der Export der edlen- Felle noch immer überwiegend das Instrument der Messen. Die Gewinnung ist der­ art über das ganze Land verbreitet und verzettelt, daß ein Lokali­ sieren des Ankaufs nicht wohl stattfinden kann. Das Ergebnis der Jagd zumal ist am einzelnen Ort auch nicht groß genug, dauernd einen Aufkäufer zu beschäftigen; eS reicht aus, wenn ein- oder allenfalls zweimal im Jahre jede Gegend besucht wird. Der große Importeur des westlichen Europa kann sich aber nicht

80 darauf einlassen, durch Vertreter diesen Aufkauf zu bewirken. Häute und Felle sind eine so eigentümliche, die Qualität des einzelnen Stückes betonende Ware, daß hinter jeder Preisbewilli­ gung notwendig das eigene Risiko des Käufers stehen muß, und auch der Importeur muß jedes Stück besichtigen, kann nicht nach Proben oder gar nach generellen Qualitätsbeftimmungen sich richten. Da sind denn Irbit und Nishnij-Nowgorod noch immer die bevorzugten Einkaufsplätze. Allerdings beide mit einer merk­ lichen Abbröckelung ihrer Bedeutung; die Eisenbahn ermöglicht es den kleinen Aufkäufern Sibiriens, in zunehmendem Maße direkt nach Moskau zum Weiterverkauf zu kommen und so, da sie den Zeitpunkt der Messe nicht mehr abzuwarten brauchen, ihren Kapitalumschlag erheblich zu beschleunigen. Erst recht sind in der Bewältigung der Einfuhr die Messen stark zurückgedrängt worden. Die Waren des täglichen Kon­ sums können jetzt mit Hilfe der Bahn in ganz regelmäßiger Folge nach Sibirien hinübergebracht werden. Dort werden sie mit den Dampfern der Flüsse über das Innere verteilt, und überall sind, wie erwähnt, bereits die stehenden Läden erschienen. Allerdings kommen Spezialgeschäfte, die sich nur mit dem Verkauf bestimmt begrenzter Warengattungen befassen, nur in den ganz großen Städten reicherer Konsumgestaltung vor, vor allem in Tomsk und Irkutsk. Dort, mehr noch in Omsk, finden wir auch die Ver­ treter der großen Einfuhrfirmen, welche die landwirtschaftlichen Maschinen, die Manufakturwaren, den Tee an die kleineren Händler absetzen. Aber auch hier, wie überall sonst bildet doch die Regel das große oder kleine Warenhaus, welches so ziemlich alles in sich vereinigt, was überhaupt gekauft werden kann: die Gering­ fügigkeit im Umsatz der einzelnen Ware wird durch die Häufung der Warengattungen ausgeglichen. Etwas betont Quantitatives ist denn doch für das heutige Sibirien noch bezeichnend. — Das Übergangsmäßige des sibirischen Wirtschaftslebens kommt vielleicht am deutlichsten greifbar in der Messe von Nishnij-Nowgorod zum Ausdruck. Spielt sie sich auch auf euro­ päischen Boden ab, so ist sie doch wirtschaftlich in Asien verankert: Sibirien, Russisch-Zentralasien nebst den asiatischen Gebieten, die nach Süden und Südosten dahinter sich erstrecken, fanden früher ausschließlich, finden heute noch teilweise hier ihren Anschluß an die Wirtschaft der übrigen Welt.

81 Gleich die Wahl des Platzes ist von den asiatischen Rücksichten bestimmt. Als Messeplatz ist Nishnij von den Moskauer Zaren an die Stelle des tatarischen Kasan ge­ setzt worden. Schon immer hatten sich am Kloster des Hei­ ligen Makarius, wie etwa heutzutage noch bei den wichtigeren Klöstern des inneren Rußland, zu den Hauptfesten aus weiter Umgebung die Dauern und Händler zusammengefunden, um nach Vollziehung der kirchlichen Pflichten auch dem weltlichen Ge­ schäft des Güteraustausches nachzugehen. Nun würden die Rechte des Marktes, der Marktfrieden und die Sicherheit der abge­ schlossenen Käufe und Kreditgeschäfte, noch besonders erweitert, Kasan aber durch Behinderung des Waren- und Personendurch­ zuges mehr und mehr geschwächt. Und bald machte sich geltend, daß wirtschafts-geographisch betrachtet Nishnij ziemlich in der gleichen Mittelstellung zwischen Westen und Osten sich befindet, wie die Hauptstadt der Kasantataren. Die Wolga ist von hier aus noch weit nach oben hin schiffbar und bringt, da sie be­ kanntlich im oberen Teil von West nach Ost im wesentlichen ver­ läuft, auf weite Entfernungen vom Westen bequem die Waren heran und die Gegenwerte zurück. Bei Nishnij stößt außerdem die Oka in die Wolga, selbst als Weg nach dem Südwesten be­ deutsam und durch ihren Nebenfluß Moskwa eine Verbindung mit Moskau. Nach Osten aber führt zunächst die Wolga selber und dann deren wichtigster Zustrom, die Kama, die dicht am Ural, bei Perm, schon schiffbar wird; deren Nebenflüsse, vor allem die Wjatka und die Djelaga, verbreitern den Einflußbereich des Hauptftroms tief nach Norden hinauf und nach dem Süd­ osten hinunter; Perm gegenüber aber, auf der anderen Seite des Ural liegt der sibirische Meffeplatz Irbit, für den das unweit ge­ legene Tjumen der Umschlagplatz für das ganze riesige Obsystem abgibt. Das ist die wichtigste Straße für Nishnij: vom fernen Osten und Süden führen Ob und Jrtysch die Waren an den Ural heran; ftüher die Straße, jetzt die Eisenbahn Tjumen-Perm bringt sie an die Kama, und da geht es bergab zur Wolga, auf ihr bergauf zum Meffeplatz. Der Unterlauf der Wolga selbst ist aber auch noch bedeutsam : er stellt die Verbindung mit dem Kaspischen Meere und dadurch mit Zentralasien her, wo die Eisenbahn un­ mittelbar bis an Persiens Grenze reicht. Wo Wolga, Kama und Oka zusammenstoßen, da ist der Mittlerplatz gegeben; vom poliWiedenseld, Sibirien. 6

82 tischen Einfluß hängt dann ab, wo innerhalb der so bestimmten Gegend der Handel vor allem sich konzentriert. Die Abhängigkeit von den Strömen macht sich auch in dem Zeitpunkt geltend, zu dem die Messe sich abspielt. Einmal näm­ lich ist wichtig, daß die Eisenindustrie des Ural über die Kama und die Djelaga den Umsatzplatz erreicht; dazu müssen ihr vom Beginn der Frühjahrsschmelze einige Monate zur Verfügung stehen — man kann nie wissen, welche Hindernisse sich plötzlich dem Transport entgegenstellen. Und ebenso muß man von der Februarsmesse von Irbit her Zeit genug haben, erst einmal noch auf gefrorenem Boden den Ural zu überwinden und dann die Schiffbarkeit der Kama auszunutzen. Andererseits soll aber die gleiche Schiffahrtsperiode auch noch dazu dienen, die in Nishnij eingehandelten Waren zurück nach Osten zu tragen: die Irbiter Messe des nächsten Jahres wird so von Europa her mit Waren versorgt. Nun gehen die Ströme am Westhang des Ural regel­ mäßig in der ersten Hälfte des Mai mit jenem Hochwasser auf, das allein in solcher Gegend größere Kähne zu tragen vermag; andere Gelegenheiten als die Frühjahrs-Schneeschmelzen bringen so tief im kontinentalen Klima nicht leicht wieder größere Wasser­ massen für längere Zeit, bis im Spätherbst die regelmäßige Regenperiode einsetzt. Mit ihr bleiben dann die Flüsse bis in den Oktober und selbst November hinein offen. Der August, der mittlere Monat dieser Schiffahrtszeiten, ist somit für die Messe der gegebene Zeitpunkt. Allerdings klappt es mit dem Wassertransport keineswegs immer. Der Holzreichtum des Ural nämlich auf der einen, die Holzarmut der Wolgasteppen auf der anderen Seite haben es dahin gebracht, daß man zum Abtransport der vom Osten kommenden Güter fast stets große Holzkähne benutzt, die dann im Wolgabereich wieder zerschlagen und als Dau- oder auch Brennholz benutzt werden. Man nimmt sie recht groß, um an den Kosten zu sparen, und muß nun darauf gefaßt sein, daß ein besonders schnelles Ablaufen des frühjahrlichen Hochwassers oder eine Verzögerung der Abfahtt die ganze Sendung mitten in der Fahtt zum Stocken bringt. Das heißt dann aber nicht nur ein Aufenthalt von einigen Tagen oder selbst Wochen; es bedeutet vielmehr ein Festliegen für ein volles Jahr: das nächste Frühjahrshochwaffer erst macht den Kahn wieder flott. So etwas

83 kommt jedes Jahr vor — meine Moskauer Freunde machten recht erstaunte Gesichter, als ich in ihrer Schilderung dieser Unregelmäßigkeiten etwas Besonderes, Ungewohntes sand — und das zeigt wohl am deutlichsten, welch' gewaltigen Umschwung in die interlokalen Wirtschaftsbeziehungen die Eisenbahn mit ihrer Regelmäßigkeit und Berechenbarkeit hincinbringt. Die Herrschaft der Natur zwingt zu großem Vorrat­ halten und zu erheblichen Preisaufschlägen, wo die moderne Tech­ nik ein dauerndes und gleichmäßiges Ergänzen des jeweiligen Vorrats ermöglicht und aus den Preisen die hohen Risikoprämien und Zeitverlustkosten herausbringt. Die Eisenbahn ist es aber auch, mit deren Wirksamkeit die ganze Organisation des Meffehandels sich nicht recht mehr ver­ trägt. Wozu denn zu so fest bestimmter Zeit den Güteraustausch für ein ganzes Jahr bewirken, wenn ein Transportmittel vor­ handen ist, welches zu jedem beliebigen Augenblick die Waren zu befördern vermag? Der Austausch nimmt auch dank der viel billigeren und übersichtlichen Transportgelegenheit an Menge not­ wendig zu, und man kommt nicht mehr aus mit der einen Umsatz­ gelegenheit, wie sie in der Messe gegeben ist; man kann auch nicht die großen Gütermengen die Umwege machen lassen, welche mit der Berührung des Meffeplatzes in den meisten Fällen ver­ bunden sind. Und endlich läßt die Sicherheit des Bahntrans­ portes in zunehmendem Umfang gerade auch solche Güterarten zum regelmäßigen Versand gelangen, welche gegen jede Umladung und gegen Verzögerungen empfindlich sind — Luxuswaren im technischen, nicht nur wirtschaftlichen Sinn des Wortes. Da ge­ hören Eisenbahn und dauerndes Tauschen, stehender Laden ebenso zueinander, wie sich rein natürliches Transportsystem und Messe­ handel gegenseitig bedingen. Demgemäß geht denn auch die Bedeutung der Messe von Nishnij in schneller Entwicklung zurück; so stark, daß der Be­ sucher es unmittelbar aus dm Raumverhältniffen ablesen kann. Der Meffeplatz nämlich ist so eingeteilt, daß jede Ware streng gesondert liegt: an den Ufern der Wolga und der Oka zunächst die Schwergüter, die man direkt vom Kahn aus auf ihren Lager­ platz zu bringen wünscht, und dann mehr nach innen, aber auch je für sich, die leichteren Waren, wie vor allem der Tee und die rohen Pelzfelle. Da sieht man dann, daß offenbar für sehr viel 6*

84 mehr Massen, als jetzt die Messe berühren, Platz vorgesehen ist. Wo früher ganz regelmäßig über unerträgliche Engigkeit geklagt wurde, ist heute Räum in Hülle und Fülle vorhanden. Aber ohne jede Bedeutung ist denn doch Nishnij auch nicht. Noch immer gehen beträchtliche Mengen asiatischer und europä­ ischer Waren durch die Messe hindurch. Die eine Sibirische Bahn und die weit entlegenen Bahnen Zentralasiens reichen denn doch nicht aus, das ganze Organisationssystem über den Haufen zu werfen. Bezeichnend nur ist, daß gerade die erhebliche Zunahme der internationalen Austauschbeziehungen, welche aus den Eisen­ bahnen hervorgegangen ist, nicht nur den Meffehandel nicht ge­ steigert, sondern geschwächt hat. Nishnij-Nowgorods Verkehr ist jetzt eine Übergangserscheinung geworden, nicht mehr ein Träger

der Zukunftsentwicklung zu nennen. Aus der alten, im wesent­ lichen naturalwirtschaftlich aufgebauten Lebensverfaffung der Ver­ gangenheit ragt die Messe als deren weltwirtschaftlicher Ein­ schlag in die neu sich ausbauende Verkehrswirtschaft hinein, in welcher der allgemeine Güteraustausch nach und nach die alles tragende und bestimmende Erscheinung wird. Daß Nishnij noch bedeutsam ist, aber an Bedeutung zurückgeht, zeigt den Weg, auf dem Sibirien sich befindet.

Es ist also eine gewaltige Umwälzung, welche das riesige Land schon durchgemacht hat dank der Eisenbahn, die erst vor 20 Jahren in ihrem ersten Teil und erst vor 15 Jahren in ihrer ganzen Länge eröffnet worden ist,, und die als einziger Schienenstrang das ganze nördliche Asien durchquert. Mehr als nur ein Anfang der Verkehrswirtschaft, welche mit ihrer Arbeitsteilung schließlich aus jedem Menschen gerade das herauszieht, was seine Leistungs­ fähigkeit besonders ausmacht — ist in Sibirien schon in be­ trächtlicher Breite und Tiefe vorhanden. Alles verspricht bei ruhigem Gange eine reiche Zukunft. Die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte hat unwiderleglich gezeigt, welche großen Produktivkräfte dort noch der Erweckung harren. Namentlich eines ist es, was Rußland als Staat und Volk feinem östlichen Ausläufer noch in hohem Grade schuldet. Es kann nicht dabei bleiben, daß das riesige Gebiet — anderthalb­ mal so groß fast wie ganz Europa und mehr als doppelt so groß wie das europäische Rußland — sich auf absehbare Zeit mit einer einzigen Eisenbahn begnügen muß. Die großen Siedlungsflächen, welche sich zwischen Eisenbahn, Altai und Jrtysch bereits mit dicht sitzender Bevölkerung bedeckt haben, beanspruchen ebenso, von Schienenwegen durchzogen zu werden und den immer leistungs­ fähigen, von Jahreszeiten und Witterung unabhängigen Zugang zur großen Querlinie zu erhalten, wie die Bahnen Zentralasiens aus politischen und auch wirtschaftlichen Gründen nach einer Ver­ bindung mit dem Norden rufen. Die mannigfachen Pläne, die da seit manchem Jahr erörtert worden sind, drängen auf Aus­ führung, und für spätere Zeiten harrt dann die Mitte, das ganze Jeniffej-Gebiet, und der Osten noch der erschließenden Arbeit. Wie es ursprünglich gedacht wär, so muß es in Rußlands und Sibiriens Interesse auch wirklich werden: jener erste Spatenstich, welchen im Jahre 1890 der jetzige Zar, damals Thronfolger, in Wladiwostok an der Sibirischen Bahn getan hat, — er zeigt fach-

86 lich und geographisch an, wo Rußlands Aufgabm liegen; sich selbst hat mit dieser Tat der Zar für die Erfüllung verpfändet. Sibirien hätte in der Tat ein besseres Los verdient, als nur die Ablagerungsstätte für die in Europäisch-Rußland überflüssig ge­ wordenen Elemente zu sein und im übrigen je nach der Richtung der allgemeinen Politik bald stark betont, bald nur als ein-An­ hängsel betrachtet zu werden. Rußland hat schon zu viel Kraft und zuviel wertvolles Menschenmaterial hineingesteckt, als daß nicht die Hebung dieses riesigen Gebiets bereits zum Selbstzweck geworden wäre. Die Gleichförmigkeit der Natur hüben und drüben vom Ural — die lange Linie russischen Menschentums, die sich auf dieser Gleichförmigkeit nach Osten hin erstreckt hat, — die großen Leistungen, welche im Dau der Eisenbahn und in der riesigen Siedlungsarbeit bewirkt sind, — die reiche Fülle von Aufgaben, die dort noch des russischen Staates und seiner Organe, wie auch seiner ganzen Bevölkerung warten — das alles hat Ruß­ lands Antlitz endgültig nach Osten gewandt. Die geheimnisvolle Tatsache der Natur, daß bei den sibirischen ebenso wie bei den russischen Strömen das Westufer höher als der Oftrand zu liegen pflegt, — sie bietet auch dem politischen Blick gerade nach Osten hin den Raum zu ungehemmtem Schauen und Ahnen.

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v. Tirpitz und das deutsche Seekriegsrecht. Dr. Hans Wehberg in Düsseldorf. Preis 80 psg.

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18. Hest:

Frauen und Weltpolitik.

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