Selbstbindung durch sprachliches Handeln [1 ed.] 9783428538126, 9783428138128

»Aussagen, die jemand gegen sich gelten lassen muss«, sind Festlegungen. Festlegungen und ihre Rolle in der sprachlichen

145 39 1MB

German Pages 172 Year 2012

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Selbstbindung durch sprachliches Handeln [1 ed.]
 9783428538126, 9783428138128

Citation preview

Schriften zur Rechtstheorie Heft 259

Selbstbindung durch sprachliches Handeln Von Jan Lüsing

Duncker & Humblot · Berlin

JAN LÜSING

Selbstbindung durch sprachliches Handeln

Schriften zur Rechtstheorie Heft 259

Selbstbindung durch sprachliches Handeln Von Jan Lüsing

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich II Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaft der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 2011 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-13812-8 (Print) ISBN 978-3-428-53812-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-83812-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Die ideale Figur ist der Kreis, doch die Bahn der Planeten ist nicht die des Kreises.

Vorwort Das vorliegende Werk wurde im März des Jahres 2011 vom Fachbereich II Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt Prof. Dr. Rainer Wimmer für dessen uneingeschränkte Unterstützung. Prof. Dr. Peter Kühn danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. J. L.

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

I. Der logische Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

1. Aspekte des logischen Schließens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Problem des logischen Zwangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Form des Syllogismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die aristotelische Syllogistik als Begriffslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstände von Festlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Festlegungen auf begriffliche Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Festlegungen auf Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Festlegungen auf naturgesetzliche Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der logische Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der logische Implikationszusammenhang zwischen Prämissen und Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Bestandseigenschaft von Aussagen im Verlauf sprachlicher Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 19 21 24 24 31 40 48

II. Festlegungsspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

1. Das Konzept der dialogischen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dialogische Definition der logischen Partikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aspekte einer dialogischen Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Konzept der formalen Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dialektische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Konsistenzbedingung des Festlegungsspeichers . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufnahme der Konzepte in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59 59 62 65 68 69 71 82 85

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

48 53 55

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Behaupten und Bestreiten von Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 c) Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 d) Beweisverlagerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 e) Das Dialogmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

10

Inhaltsverzeichnis 2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arten von Festlegungen und Indexvermerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Indem-Zusammenhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kommunikationsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 106 110

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Die interaktionskonstituierenden Prinzipien der Festlegung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Selbstbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstbindung versus Fremdbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wer ist der Meister der Wörter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Selbstbindung und sprachliche Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Praxis privatrechtlicher Erklärungen: Ein Beispiel für explizite Korrekturregeln bei divergenten Buchführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtliches Handeln – das Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfechtung als Korrekturmechanismus bei Willensmängeln . . . . . . . . . . . c) Selbstbindung und Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 126 126 131 137 153 153 155 158

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Namen- und Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Einleitung „Aussagen, die jemand gegen sich gelten lassen muss“, sind Festlegungen. Festlegungen, so die Grundannahme der Arbeit, sind der Kern sprachlicher Interaktion. Festlegungen und ihre Rolle in der sprachlichen Interaktion sind der Gegenstand der wissenschaftlichen Betrachtung. Dafür werden zwei prominente Orte betrachtet – die Logik und das Recht. Das erste Kapitel (I.) zeigt auf, welche Inhalte Festlegungen haben, und was die Grundbedingungen für die Möglichkeit von Festlegungen in einer sprachlichen Interaktion sind. Dies geschieht, indem dem logischen Zwang nachgegangen wird, d. h. dem deduktiven logischen Schluss, wonach derjenige, der die Prämissen als wahr akzeptiert, auch die Konklusion als wahr akzeptieren muss. Als Inhalte von Festlegungen werden zum einen Tatsachen identifiziert, zum anderen aber auch die Anerkennung einer bestimmten Verwendungsweise von sprachlichen Ausdrücken. Eine Grundbedingung für die Möglichkeit von Festlegungen ist die Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch, der seinerseits als weitere Grundbedingung die Bestandseigenschaft von Aussagen voraussetzt. Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch besagt, dass es unmöglich ist, dass eine Aussage zugleich mit der gegenteiligen Aussage wahr ist. Die Bestandseigenschaft von Aussagen besagt, dass eine Aussage in der Zeit Bestand hat. Erst die Bestandseigenschaft schafft die Möglichkeit, sich mit früheren Aussagen in Widerspruch zu setzten. Die Geltung der Grundbedingungen bewirkt, dass ein Sprecher, der mit der Äußerung eines Satzes eine Aussage macht, diese Aussage über den Augenblick hinaus gegen sich gelten lassen muss – die Aussage wird zu einer Festlegung. Denkt man sich die Festlegungen im Verlauf einer sprachlichen Interaktion aufsummiert, gelangt man zu der Idee des Festlegungsspeichers, in dem die Aussagen als Festlegungen notiert werden. Die Idee des Festlegungsspeichers ist dann das Thema des zweiten Kapitels (II.). Festlegungsspeicher bilden die Kernelemente von Dialogmodellen. Daher werden in diesem Kapitel die zwei Dialogmodell-Konzepte näher betrachtet, in denen die Idee des Festlegungsspeichers ihren Ursprung hat. In der Logik bedient man sich Dialogmodellen, um die Grenzen der klassischen Logik zu überwinden. So geht es bei dem Konzept der Dialogischen Logik von Paul Lorenzen und Kuno Lorenz darum, die logischen Junktoren wie etwa UND, ODER, WENN-DANN pragmatisch zu definieren, indem festgelegt wird,

12

Einleitung

wie eine Aussage, die den zu definierenden Junktor enthält, angegriffen und verteidigt wird. Bei dem Konzept der formalen Dialektik von Charles Lewis Hamblin geht es darum, Trugschlüsse, wie sie beim Argumentieren auftreten, fassbar zu machen, insbesondere, wenn diese die Regeln der Logik selbst nicht verletzen. Zu diesem Zweck werden Regelsysteme für modellhafte sprachliche Interaktionen – sogenannte dialektische Systeme erdacht und durch systematisches Variieren der Regeln Trugschlüsse in einem System ermöglicht oder unterbunden. Ein Trugschluss kann so auf den Aspekt der argumentativen Interaktion zurückgeführt werden, der von der variierten Regel moduliert wird. Der Festlegungsspeicher ist in diesen Konzepten ein Verlaufsprotokoll von den Aktionen der Akteure, aus dem die mit der Aktion eingegangenen Festlegungen abgelesen werden können. In einem Dialogmodell bildet der Festlegungsspeicher deshalb das Kernelement, weil die Aktionen der Akteure primär über ihre Veränderungsleistung in Bezug auf den Festlegungsspeicher definiert werden, d. h. dadurch, dass für eine Aktion festgelegt wird, ob sie den Eintrag oder die Tilgung einer Festlegung im Festlegungsspeicher bewirkt. Im dritten Kapitel (III.) wird sodann erprobt, ob das Format des Dialogmodells, also die Beschreibung einer sprachlichen Interaktion unter der Perspektive der Veränderung von Festlegungen, geeignet ist, die sprachliche Interaktion des Zivilprozesses zu formulieren. Dabei geht es nicht darum, aus der beobachteten Regelmäßigkeiten der sprachlichen Praxis des Zivilprozesses heraus Regeln aufzustellen, die mit der sprachlichen Praxis in der Weise in Einklang stehen, dass es den Anschein hat, als ob die Akteure diesen Regeln folgten. Es geht nicht darum, das Inventar sprachlicher Handlungen aufzufinden und ihre Bedingungen in Regeln zu fassen – wie etwa bei der Formulierung einer Grammatik, versucht wird, Regeln aufzustellen, die genau die Menge von Sätzen zulassen, die ein kompetenter Sprecher als wohlgeformt erachten würde. Denn das deutsche Zivilprozessrecht gibt die Regeln der sprachlichen Interaktion – die Grammatik des Zivilprozesses – kraft Gesetzes bereits vor. In Form von Prozesshandlungen normiert die Zivilprozessordnung bereits explizit und abschließend das Inventar sprachlicher Handlungen des Zivilprozesses. Vielmehr geht es darum, diese gesetzliche Normierung in die Form eines Dialogmodells abzubilden – also die Prozesshandlungen der Parteien in Bezug auf einen Festlegungsspeicher zu definieren, wie sonst in einem Dialogmodell die Aktionen definiert werden, die den Akteuren offen stehen. Dabei beschränkt sich die Arbeit auf den Kern des Zivilprozesses „den Streit über Tatsachen“ und formuliert hierfür ein Grundmodell. Es geht damit nur um Prozesshandlungen, die sich auf den Vortrag von Tatsachen beziehen, wie etwa das Behaupten und Bestreiten von Tatsachen sowie das Beweisantreten. Andere, den Prozess unmittel-

Einleitung

13

bar gestaltende, Prozesshandlungen (sogenannte Bewirkungshandlungen) wie die Klageänderung, die Klagerücknahme, die Erledigungserklärung, der Parteiwechsel und Ähnliches können dann bei späterer Gelegenheit als Erweiterungen des Grundmodells ergänzt werden. Die Abbildung der gesetzlichen Normierung des Zivilprozessrechts in die Form eines Dialogmodells bedingt Änderungen im Regelinventar von Dialogmodellen, die für die linguistische Methode einen Schritt der Erweiterung der Reichweite bei der Betrachtung tatsächlicher sprachlicher Interaktion am Dialogmodell bedeuten. Als Werkzeug für die Rechtstheorie bedeutet die Abbildung verfahrensrechtlicher sprachlicher Interaktionen in die Form eines Dialogmodells, dass nicht nur das Handlungsinventar der Akteure sondern insbesondere die Konsequenzen der jeweiligen Aktion (Behaupten, Zugestehen, Gestehen usw.) in Bezug auf das Verbauen anderer Aktion explizit offen gelegt werden. Asymmetrien im Möglichkeitsraum der Akteure und deren Auswirkung auf Handlungsstrategien und Gewinnchancen werden spieltheoretischen Betrachtungen zugänglich gemacht. Abschließend im vierten Kapitel (IV.) geht es darum, mit Hilfe der Idee des Festlegungsspeichers die Funktionsweise sprachlicher Interaktion zu erklären. Dabei wird untersucht, ob sprachliche Alltags-Interaktion als eine Interaktion von Akteuren verstanden werden kann, die Buch über Festlegungsspeicher führen. Das Problem ist hier, dass es in der sprachlichen Interaktion des Alltags keinen Schiedsrichter gibt, der die Buchführung eines für alle Beteiligten verbindlichen Festlegungsspeichers übernimmt. Die Funktionsweise sprachlicher Interaktion kann befriedigend nur erklärt werden, wenn man davon ausgeht, dass jeder Akteur jeweils für sich selbst über die Festlegungen aller Akteure, sich eingeschlossen, Buch führt. Damit aber steht man vor dem Problem divergierender Festlegungsspeicher im Falle von verdeckten Missverständnissen. In diesem Zusammenhang zeigt die Rechtsgeschäftslehre des Privatrechts eine Lösung des Problems auf. Danach hat aufgrund der Möglichkeit der Anfechtung die Buchführung desjenigen Vorrang, dessen Festlegung in Frage steht – und zwar Vorrang in dem Sinne, dass der andere seine Buchführung zu korrigieren hat, wenn dies eingefordert wird. Mit der Möglichkeit zur Anfechtung von ungewollten Rechtsgeschäften verschafft der Gesetzgeber der Buchführung des Erklärenden in Bezug auf seine Rechte und Pflichten Vorrang vor der Buchführung des Adressaten. Damit hat der Gesetzgeber die Praxis rechtsgeschäftlichen Handelns als Praxis der Selbstbindung ausgestaltet. Es handelt sich nicht um eine Praxis der Fremdbindung, weil der Erklärende die ihn treffenden rechtlichen Wirkungen nicht unabhängig davon gegen sich gelten lassen muss, ob er sie tatsächlich gewollt hat. Vielmehr verhindert die Möglichkeit der Anfechtung, dass der Erklärende gegen seinen Willen an den Inhalt einer Erklärung gebunden bleibt, die er so nicht gewollt hat.

14

Einleitung

Für eine solche sprachliche Interaktion, in der die Festlegungsbuchführung des Sprechers Vorrang genießt, gilt das Prinzip der Selbstbindung, wonach die Aussage, an die der Adressat den Sprecher binden will, eine vom Sprecher beabsichtigte Aussage sein muss. Eine bestandskräftige Bindung an Aussagen findet also nur in Bezug auf Aussagen statt, die der Sprecher mit der jeweiligen sprachlichen Äußerung auch gemeint hat. Sodann besitzen die Sprecher in einer solchen sprachlichen Interaktion semantische Autorität bei der Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks. Der Gehalt einer Äußerung wird also durch den Sprecher und nicht von den Mitgliedern der Sprechergemeinschaft bestimmt. Der geglückte Sprechakt ist vielmehr asymmetrisch zu Gunsten des Sprechers, der mit dem, was er meint, das Referenzobjekt für das Gelingen des Sprechaktes vorgibt. Dieses Prä des Sprechers zeigt sich in der sprachlichen Praxis des Alltags in Korrektursequenzen, wie etwa: „Das habe ich damit nicht gemeint. Gemeint habe ich das und das.“ Umgekehrt wird der Begriff der geglückten sprachlichen Handlung wiederum als rechtstheoretisches Werkzeug in der Rechtsdogmatik produktiv. Denn die rechtsgeschäftliche Praxis ist nicht nur ein Beleg dafür, dass selbst dort, wo ein besonderes Interesse an der Verlässlichkeit von Äußerungen besteht (Verkehrsschutzinteresse) das Prinzip der Selbstbindung durchgehalten wird, sondern mit Hilfe eines präzise gefassten Begriffs der geglückten sprachlichen Handlung lassen sich die Fallgruppen von missglückter Verständigung klarer von einander abgrenzen und, soweit das Gesetz eine Haftung vorsieht, der jeweilige Haftungsgrund explizit benennen.

I. Der logische Zwang 1. Aspekte des logischen Schließens a) Das Problem des logischen Zwangs Festlegungen sind Aussagen (propositionale Gehalte), die jemand gegen sich gelten lassen muss, an die ein Sprecher gebunden ist. Ein prominenter Ort, an dem sich zunächst die Wirkung von Festlegungen zeigt, ist die Logik. In der Logik geht es um die Prinzipien des gültigen Schließens, d. h. des Ableitens einer Aussage (Konklusion) aus Festlegungen, also aus anderen Aussagen, an die jemand bereits gebunden ist (Prämissen).1 Bei einem logischen Schlussmuster stehen die Prämissen mit der Konklusion in einer Beziehung, wonach, wenn das, was die Prämissen aussagen, wahr ist, auch das, was die Konklusion aussagt, zwingend wahr sein muss. Man spricht davon, dass die Konklusion von den Prämissen logisch impliziert wird. Ein Beispiel für ein Satzschema eines logischen Schlusses lautet: WENN A UND B, DANN C, wobei die Buchstaben A, B, und C für Sätze stehen, deren Aussage wahr oder falsch sein können.2 Tatsächlich kommt es in der Logik nicht darauf an, ob die Prämissen oder die Konklusion im materialen Sinne wahr sind, d. h. ihre Aussagen über die Welt zutreffen.3 Die symbolische Logik betrachtet nur die logisch-semantische Struktur der Sätze und ihre logische Verknüpfungen.4 Eine logische Schlussfigur ist danach ein komplexer Wenn-Dann-Satz, der eine Tautologie bildet, d. h. stets wahr ist, was auch immer die Wahrheitswerte von Prämissen und Konklusion sein mögen. Der Zwang eines logisch gültigen Schlusses entfaltet sich daher erst, wenn die Wahrheitswerte der Prämissen feststehen. Dann gibt die zugrunde liegende Schlussfigur den Wahrheitswert der Konklusion mit logischer Notwendigkeit vor. Wenn es wahr ist, dass A (z. B. Alle Menschen sind Zweifüßler.), und es wahr ist, dass B (z. B. Sokrates ist ein Mensch.), folgt daraus, dass C (Sokrates ist ein Zweifüßler.) mit logischer Notwendigkeit wahr ist.5 Unter der Voraussetzung, dass A und B wahr sind, ist es unmöglich, undenkbar, dass C falsch ist. Dies gilt unabhängig von jeder empirischen Erfahrung, gilt, wie immer die Welt

1 2 3 4 5

Kneal (1962), S. 1; Tugendhat/Wolf (1997), S. 10; Thiel (1995), S. 626 f. Vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 32. Salmon (1973), S. 12; Tugendhat/Wolf (1997), S. 32. Vgl. Carnap (1960), S. 88. Vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 32.

16

I. Der logische Zwang

beschaffen sein mag, gilt also mit logischer und nicht lediglich naturgesetzlicher Notwendigkeit.6 Eine Prämisse enthält nicht nur eine Zusammenstellung eines Sachverhalts, sondern ist ein Urteil, das dem im Satz dargestellten Sachverhalt einen Wahrheitswert zuordnet.7 In der sprachlichen Praxis treten Prämissen daher überall dort auf, wo nicht nur ein Sachverhalt in den Raum gestellt wird, sondern zugleich auch ausgedrückt wird, ob man diesen Sachverhalt für wahr oder falsch hält. Die zentrale sprachliche Handlung, mit der man die Wahrheit eines Sachverhalts öffentlich anerkennt, ist die Behauptung. Die Behauptung ist die Kundgabe eines Urteils.8 Ein Sprecher, der gegenüber einem Adressaten eine Behauptung aufstellt, expliziert seine Anerkennung der Wahrheit – er legt sich darauf fest, dass er den Sachverhalt für wahr hält.9 Zwar werden auch mit anderen sprachlichen Elementarhandlungen wie etwa Fragen und Aufforderungen Prämissen gesetzt, jedoch lediglich implizit, insoweit Sachverhalte als Kontext der sprachlichen Handlung für wahr vorausgesetzt werden müssen. Die Untersuchungen der Logik beschränken sich jedoch traditionell auf den Ausschnitt sprachlicher Praxis, wo Sprecher gegenüber Adressaten Behauptungen aufstellen.10 Liegt der Zwang eines logisch gültigen Schlusses darin, bei feststehenden Wahrheitswerten der Prämissen den Wahrheitswert der Konklusion mit logischer Notwendigkeit vorzugeben, so wird dieser Zwang in der sprachlichen Praxis wirksam, indem im weiteren Verlauf der sprachlichen Interaktion die eingegangenen Festlegungen den Sprecher dann als Prämissen mit logischer Notwendigkeit dazu zwingen, auch den Sachverhalt der Konklusion als wahr anzuerkennen. Es ist daher von besonderem Interesse, zu verstehen, worin sich diese logische Notwendigkeit begründet.

6

Tugendhat/Wolf (1997), S. 33 u. 249. Dies macht Gottlob Frege in seiner logischen Notation etwa durch den senkrechten Urteilsstrich kenntlich: „Wenn man den kleinen senkrechten Strich am linken Ende des waagerechten fortlässt, so soll dies das Urteil in eine bloße Vorstellungsverbindung verwandeln, von welcher der Schreibende nicht ausdrückt, ob er ihr Wahrheit zuerkenne oder nicht.“ [Frege (1879), S. 2; ders. (1891), S. 32] 8 Diese Formulierung führt Gottlob Frege in seiner Schrift Der Gedanke ein. Er bemerkt dort, dass es möglich ist, einen Gedanken auszudrücken, ohne ihn als wahr hinzustellen: „In einem Behauptungssatz ist also zweierlei zu unterscheiden: der Inhalt, den er mit der entsprechenden Satzfrage gemeint hat, und die Behauptung. Jener ist der Gedanke oder enthält wenigstens den Gedanken. Es ist also möglich, einen Gedanken auszudrücken, ohne ihn als wahr hinzustellen. In einem Behauptungssatz ist beides so verbunden, dass man die Zerlegbarkeit leicht übersieht. Wir unterscheiden demnach 1. das Fassen des Gedankens – das Denken, 2. die Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens – das Urteilen, 3. die Kundgebung dieses Urteils – das Behaupten.“ [Frege (1918), S. 35] 9 „In Form des Behauptungssatzes sprechen wir die Anerkennung der Wahrheit aus. Wir brauchen dazu das Wort ,wahr‘ nicht.“ [Frege (1918), S. 35] 10 Austin (1962), S. 25. 7

1. Aspekte des logischen Schließens

17

Charles Lutwidge Dodgson, alias Lewis Carroll, hat das Grundproblem einer solchen Notwendigkeit in der Kurzgeschichte „What the Tortois said to Achilles“ veranschaulicht. Caroll ersinnt einen Dialog zwischen Achilles und einer Schildkröte, den Figuren, die der Vorsokratiker Zenon (um 460) in seinem zweiten Beweis gegen die Bewegung benutzt. In diesem Beweis wird Bewegung als Täuschung dadurch scheinbar denklogisch entlarvt, dass Achilles einen Wettlauf gegen eine Schildkröte verlieren müsste, die mit etwas Vorsprung startet, weil diese in der Zeit, in der Achilles den Vorsprung zurücklegt, selbst wieder einen Vorsprung erlangt – und so immer zu ad infinitum.11 Carolls Dialog beginnt, nachdem Achilles die Schildkröte aller Logik zum Trotz überholt und auf ihrem Rücken Platz genommen hat. Die Schildkröte will Achilles nun wirklich einen Wettlauf schildern, der nicht zu Ende zu bringen ist. „,So you’ve got to the end of our race-course?‘ said the Tortoise. ,Even though it does consist of an infinite series of distances? I thought some wise-acre or other had proved that the thing couldn’t be done?‘ ,It can be done‘ said Achilles. ,It has been done! Solvitur ambulando. You see the distances were constantly diminishing: and so –‘ ,But if they had been constantly increasing’ the Tortois interrupted. How then?‘ [. . .] ,[. . .] Well now, would you like to hear of a race course, that most people fancy they can get to the end of in two or three steps, while it really consists of an infinite number of distances, each one longer than the previous one?‘“ 12

Die Schildkröte bildet einen logisch gültigen Schluss nach der Form WENN A B, DANN C. Nun ist die Aufgabe jemanden, der zwar die Prämissen A und B als wahr anerkennt, nicht jedoch die aus den wahren Prämissen logisch folgende Konklusion, mit den Mitteln der Logik dazu zu zwingen, diesen Schluss zu akzeptieren. UND

„,(A) Things that are equal to the same are equal to each other. (B) The two sides of this Triangle are things that are equal to the same. (Z) The two sides of this Triangle are equal to each other.‘ Readers of Euclid will grant, I suppose, that Z follows logically from A and B, so that any one who accepts A and B as true, must accept Z as true?‘ [. . .] ,[. . .] And might there not also be some reader who would say „I accept A and B as true, but I don’t accept the Hypothetical“?‘ ,Certainly there might. [. . .]‘ ,And neither of these readers‘, the Tortoise continued, ,is as yet under any logical necessity to accept Z as true?‘ 11 12

Hirschberger (1991), S. 36. Carroll (1895), S. 1049.

18

I. Der logische Zwang ,Quite so,‘ Achilles assented. ,Well, now. I want you to consider me as a reader of the second kind, and to force me, logically, to accept Z as true.‘“ 13

Um dies zu erreichen, wird nun in einem ersten Schritt eine Prämisse (C) ergänzt, die den logischen Schluss WENN (A) UND (B), DANN (Z) selbst zum Gegenstand hat, so dass mit Anerkennung dieser zusätzlichen Prämisse der Schluss selbst nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Der erweiterte Schluss lautet dann: WENN (A) UND (B) UND (C), DANN (Z). Nun ist dies aber wiederum eine logische Wenn-Dann-Implikation, die zu akzeptieren man sich weigern kann. Der Schluss ist daher erneut um die Prämisse (D) zu ergänzen, die genau diese logische Wenn-Dann-Implikation formuliert. Der so ergänzte Schluss lautet dann: WENN (A) UND (B) UND (C) UND (D), DANN (Z). Freilich ist dies nichts anderes als eine weitere logische Wenn-Dann-Implikation, die erneut in Frage gestellt werden kann – und so immer zu ad infinitum. „,(A) Things that are equal to the same are equal to each other. (B) The two sides of this Triangle are things that are equal to the same. (C) If A and B are true, Z must be true. (Z) The two sides of this Triangle are equal to each other.‘ [. . .] ,If you accept A and B and C, you must accept Z.‘ ,And why must I?‘ ,Because it follows logically from them. If A and B and C are true, Z must be true. You don’t dispute that, I imagine?‘ ,If A and B and C are true, Z must be true.‘ the Tortoise thoughtfully repeated. ,That’s another Hypothetical, isn’t it? And, if I failed to see its truth, I might accept A and B and C, and still not accept Z, mightn’ I ?‘ ,You might, [. . .] So I must ask you to grant one more Hypothetical.‘ ,Very good. I’m quite willing to grant it [. . .]. We will call it (D) If A and B and C are true, Z must be true.‘ [. . .] ,[. . .] We will call it (E) If A and B and C and D are true, Z must be true.‘“ 14

Lewis Carroll beendet die Kurzgeschichte, ohne dass der Dialog zwischen Achilles und der Schildkröte endet. Er zeigt damit auf, dass die logische Notwendigkeit, die einem logisch gültigen Schluss zukommt, offenbar nicht allein aus dem System der Logik selbst erwachsen kann, sondern zusätzlich einer externen Norm bedarf. Um zu erkennen, welche Voraussetzung auch ein logisches System braucht, soll nun ein wenig Geduld darauf verwendet werden, den Mechanismus des logischen Schlusses nach dem anfänglichen Verständnis der aristotelischen 13 14

Carroll (1895), S. 1049 f. Carroll (1895), S. 1050 f.

1. Aspekte des logischen Schließens

19

Syllogistik und nach heutigem Verständnis der symbolischen Logik zu beschreiben. Zugleich wird damit für die sprachliche Praxis aufgezeigt, aufgrund welcher Arten von Regeln, sprachliche Festlegungen eingegangen und im Verlauf einer sprachlichen Interaktion (beschränkend) wirksam werden. b) Die Form des Syllogismus Als erste Lehre vom logisch gültigen Schluss gilt die aristotelische Lehre vom Syllogismus. Aristoteles definiert den logischen Schluss als eine Rede, bei der eine bestimmte Aussage mit Notwendigkeit folgt, weil zuvor andere Aussagen als gegeben gesetzt wurden.15 „Ein Schluss ist eine Rede, in der, wenn etwas gesetzt wird, etwas von dem Gesetzten Verschiedenes notwendig dadurch folgt, dass dieses ist. Mit dem Ausdruck: dadurch, dass dieses ist, meine ich, dass die Folge seinetwegen eintritt, und damit, dass sie seinetwegen eintritt, dass es sonst keines, von außen zu nehmenden Begriffes bedarf, damit sich ihre Notwendigkeit ergibt.“ 16

Aristoteles entwickelt die Lehre vom Syllogismus in seiner Schrift Analytica Priora. Dort behandelt er allgemein das Schlussverfahren anhand von Schlüssen mit ausschließlich kategorischen Sätzen. In den Schriften Analytica Posteriora und Topik werden dann darüber hinaus als besondere Schlüsse Syllogismen betrachtet, deren Prämissen notwendig wahr sind (apodiktische Syllogismen) oder deren Prämissen nur möglicherweise wahr sind (dialektische Syllogismen). In der Schrift De Sophisticis Elenchis – Sophistische Widerlegungen – schließlich widmet sich Aristoteles der Aufdeckung von Trugschlüssen.17 Später hat man diese thematisch auf den gültigen Schluss gerichteten Schriften dann mit den Kategorien und der Lehre vom Satz (De Interpretatione) in einen Zusammenhang gestellt. In den Kategorien entwickelt Aristoteles eine Systematik von Ober- und Unterbegriffen. In der Lehre vom Satz untersucht Aristoteles die Eigenschaften von Aussagesätzen. Diese Themen hängen insoweit miteinander zusammen, als sich der Schluss aus Aussagen und die Aussagen aus Begriffen zusammensetzen.18 Im Mittelalter seit ca. 1500 ist es dann üblich geworden, diese sechs Schriften unter dem Titel Organon zusammenzufassen, wobei die Analytica Priora den dritten Teil nach den Kategorien und der Lehre vom Satz bildet.19 Aristoteles behandelt die Gültigkeit von Schlüssen nur in Bezug auf eine ganz bestimmte Kombination von ganz bestimmten Sätzen: Jeder kategorische Syllogismus besteht aus drei kategorischen Sätzen, nämlich zwei Prämissen und einer 15 16 17 18 19

Vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 66. Aristoteles (Org. III), 24b. Rolfes (1925) S. 37 f.; Tugendhat/Wolf (1997), S. 11. Rolfes (1925) S. 37; vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 12. Wolters (1995), S. 1093.

20

I. Der logische Zwang

Konklusion, wobei die kategorischen Sätze ihrerseits aus jeweils einem Ausdruck in Subjektsposition und Prädikatsposition bestehen.20 Obgleich damit jeder Satz zwei Ausdrücke enthält, kommen im Syllogismus insgesamt nur drei verschiedene Ausdrücke vor. Dies liegt daran, dass einer dieser Ausdrücke, der so genannte Mittelausdruck, in beiden Prämissen vorkommt, und dass jeder der beiden anderen Ausdrücke jeweils in der Konklusion und in einer der beiden Prämissen auftritt.21 Damit gibt es technisch gesehen vier Grundfiguren von Syllogismen. Die Figuren unterscheiden sich danach, in welcher Position Subjektsausdruck und Prädikatsausdruck der Konklusion zuvor in den Prämissen auftreten, bzw. in welchen Positionen der Prämissen der Mittelbegriff steht: I.

M S S

P M P

II. P S S

M M P

III. M M S

P S P

(IV.)22 P M S

M S P

Ein kategorischer Satz im Verständnis von Aristoteles sagt etwas von etwas als seinem Subjekt aus. Dies ist so zu verstehen, dass das, wofür der Prädikatsausdruck steht, von dem, wofür der Subjektsausdruck steht, ausgesagt wird.23 Dabei kann die Aussage affirmativ oder negierend sein und allgemein oder partikulär. „Ein Satz ist eine Rede, die etwas von etwas bejaht oder verneint. Sie ist entweder allgemein oder partikulär oder unbestimmt. Allgemein nenne ich sie, wenn etwas jedem oder keinem zukommt, partikulär, wenn es irgendeinem oder irgendeinem nicht oder nicht jedem zukommt, unbestimmt, wenn die Rede etwas zukommen oder nicht zukommen lässt ohne den Zusatz allgemein oder partikulär [. . .].“ 24

Entsprechend der Arten von Aussagen – alle sind (a), keines ist (e), einige sind (i) und einige sind nicht (o) – gibt es vier Typen von kategorischen Sätzen.25 Rein kombinatorisch können daraus für jede Figur 64 (= 43) verschiedene syllogistische Schlussschemata gebildet werden, so dass sich für die vier Grundfiguren insgesamt 256 Schlussformen unterscheiden lassen. Von diesen Schlussformen 20 Aristoteles (Org. III), S. 24b; Tugendhat/Wolf (1997), S. 74; Salmon (1973), S. 104. 21 Salmon (1973), S. 104. 22 Die vierte Figur kommt bei Aristoteles selbst noch nicht vor. 23 Tugendhat/Wolf (1997), S. 80. 24 Aristoteles (Org. III), S. 24a. 25 Ein allgemein affirmativer kategorischer Satz, wie etwa „Alle Zweifüßler sind Sinnenwesen.“ ist in logisch-semantischer Hinsicht freilich ein hypothetischer Satz. Denn er gilt als gleichbedeutend mit dem Satz „Wenn etwas ein Zweifüßler ist, dann ist es auch ein Sinnenwesen.“ [Frege (1879), S. 23]. Konditionalsätze dieser Art sind generelle Implikationen der Form 8x: (F(x)  G(x). Sie besagen, dass die materiale Implikation der Form F(a)  G(a) generell für jedes etwas gilt, was immer es ist [Salmon (1973), S. 99, Carnap (1960), Kap. 9c, S. 36]. Von Implikationen dieser Art ist die logische Implikation zu unterscheiden, die Konditionalsätze beschreibt, die einen logisch gültigen Schluss ausdrücken [Carnap (1960), Kap. 3b S. 9; Quine (1964), § 3 S. 39 f., § 7 S. 62 f.].

1. Aspekte des logischen Schließens

21

werden im allgemeinen jedoch nur 19 als gültige Schlussformen (Modi) angesehen,26 die seit Johannes Hispanus (13. Jh.) mit Merkwörtern verbunden werden, wie etwa dem Modus Barbara oder dem Modus Celarent als Modi der ersten Figur. Dabei geben die drei Vokale der Merkwörter den jeweiligen Satztyp an, während die Konsonanten der Merkwörter der Figuren II.–IV. für bestimmte Transformatoren stehen, die jeden gültigen Modus dieser Figuren auf einen Modus der ersten Figur zu reduzieren gestatten.27 Beispiele für gültige Syllogismen sind:28 I. Figur: Modus Barbara

Ma P S a M S a P

Alle Zweifüßler sind Sinnenwesen. Alle Menschen sind Zweifüßler. also: Alle Menschen sind Sinnenwesen.29

Modus Celarent

Me P S a M S e P

Kein Mensch ist ein Vierfüßler. Alle Griechen sind Menschen. also: Kein Grieche ist Vierfüßler.

P e M S a M S e P

Kein Ochse ist ein Zweifüßler. Alle Menschen sind Zweifüßler. also: Kein Mensch ist ein Ochse.

Mi P Ma S S i P

Einige Säugetiere sind Zweifüßler. Alle Säugetiere sind Sterbliche. also: Einige Sterbliche sind Zweifüßler.

P i M Ma S S i P

Einige Menschen sind Philosophen. Alle Philosophen sind Sinnenwesen. also: Einige Sinnenwesen sind Menschen.

II. Figur: Modus Cesare

III. Figur: Modus Disamis

IV. Figur: Modus Dimatis

c) Die aristotelische Syllogistik als Begriffslogik Die angegebene Sprechweise der Beispiele entspricht nun nicht der aristotelischen Formulierung, wonach etwas von etwas als seinem Subjekt ausgesagt wird. Nach aristotelischer Diktion der Passiv-Sprechweise des Ausgesagt-werdens wäre das Beispiel des Modus Barbara wie folgt zu formulieren: 26 Zu den 19 gültigen Syllogismen rechnet die traditionelle Syllogistik noch fünf so genannte schwache Syllogismen hinzu, für deren Gültigkeit bei extensionaler Interpretation der Ausdrücke als Klassen vorausgesetzt werden muss, dass der Subjektsausdruck keine leere Klasse ist [Wolters (1996), S. 157]. 27 Wolters (1996), S. 157. 28 Vgl. Carnap (1960), S. 60. 29 In symbolischer Schreibweise: [8x: (F(x)  G(x)) ^ 8x: (G(x)  H(x))]  8x: F(x)  H(x).

22

I. Der logische Zwang Ma P S a M S a P

Sinnenwesen wird allgemein von Zweifüßler ausgesagt. Zweifüßler wird allgemein von Mensch ausgesagt. also: wird Sinnenwesen allgemein von Menschen ausgesagt.

Tatsächlich hat sich in den eineinhalbtausend Jahren zwischen dem Ursprung der Syllogistik bei Aristoteles und der Syllogistik in der Form des Mittelalters ein grundlegender Wandel von einer Begriffslogik zu einer Urteilslogik vollzogen.30 Die Syllogistik von Aristoteles ist im Zusammenhang des Begriffssystems aus seiner Kategorienschrift zu sehen. Aristoteles entwickelt dort eine Begriffspyramide, deren Fundament die konkreten Einzeldinge, die so genannten ersten Substanzen bilden und an deren Spitze die Kategorien als die allgemeinsten Begriffe stehen. Die Begriffe werden intensional verstanden,31 sie beschreiben eine Eigenschaft. Von den ersten Substanzen zu den Kategorien gelangt Aristoteles durch Abstraktion, indem er von Differenzen zwischen den Unterbegriffen absieht und so abstraktere Oberbegriffe schafft. In der nach oben hin abstrakter werdenden Begriffspyramide findet sich daher nichts, was nicht schon auf der Ebene der konkreten Einzeldinge vorhanden ist. „Substanz im eigentlichsten, ursprünglichsten und vorzüglichsten Sinne ist die, die weder von einem Subjekt ausgesagt wird, noch in einem Subjekt ist, wie z. B. ein bestimmter Mensch oder ein bestimmtes Pferd. Zweite Substanz heißen Arten, zu denen die Substanzen im ersten Sinne gehören, sie und ihre Gattungen. So gehört z. B. ein bestimmter Mensch zu der Art Mensch, und die Gattung der Art ist das Sinnenwesen.“ 32

Die Aussagerichtung innerhalb der Begriffspyramide verläuft also von unten nach oben. Die übergeordneten Begriffe werden von den untergeordneten ausgesagt. Für die Begriffspyramide ergibt sich so eine logisch-semantische Struktur zwischen den Begriffen, die transitive Beziehungen erzeugt. „Überdies heißen die ersten Substanzen deshalb in vorzüglichem Sinne Substanzen, weil sie Subjekt von allem anderen sind und alles andere von ihnen ausgesagt wird. Wie sich aber nun die ersten Substanzen zu allem anderen verhalten, so verhält sich auch die Art zu der Gattung. Denn die Art ist Subjekt der Gattung: die Gattungen werden von den Arten ausgesagt, aber die Arten nicht umgekehrt von den Gattungen.“ 33 „Wenn etwas von etwas als seinem Subjekt ausgesagt wird, so muß alles, was von dem Ausgesagten gilt, auch von dem Subjekt gelten. So wird z. B. Mensch von einem bestimmten Menschen und Sinnenwesen von Menschen ausgesagt. Mithin muss auch von einem bestimmten Menschen Sinnenwesen ausgesagt werden; denn der bestimmte Mensch ist ein Mensch und auch ein Sinnenwesen.“ 34 30 31 32 33 34

Rath (1985), S. 11; Lohmann (1972), S. 181. Vgl. Rath (1985), S. 8. Aristoteles (Org. I.), S. 2a. Aristoteles (Org. I.), S. 2b. Aristoteles (Org. I.), S. 1b.

1. Aspekte des logischen Schließens

23

Die Lehre vom Syllogismus dient Aristoteles dazu, das Verhältnis zweier Begriffe durch den Aufweis eines die beiden Begriffe verbindenden Mittelbegriffs zu klären.35 Sie basiert auf den Strukturbeziehungen der Begriffe der Pyramide.36 Die Syllogistik bewegt sich innerhalb der Begriffspyramide. Sinneswesen P = sagt aus M

S Vogel

Mensch

Hund

Pferd

Kamel

Karl Otto Petra

Inge Jill

Tatsächlich ist für die aristotelische Syllogistik die Regel aufzustellen, dass in den Sätzen eines Syllogismus das Allgemeine immer nur von dem weniger Allgemeinen ausgesagt werden darf. Zwar macht Aristoteles die Abstraktionsregel nicht selber explizit, doch wird an keiner Stelle gegen sie verstoßen. Zudem fehlt in der aristotelischen Grundfassung der Syllogistik die IV. Figur. Auch dies spricht dafür, dass in der aristotelischen Syllogistik in den Sätzen eines Syllogismus das Allgemeine immer nur von dem weniger Allgemeinen ausgesagt werden darf. Denn unter Voraussetzung der Abstraktionsregel können nur die ersten drei von den später bekannten vier Figuren gebildet werden.37 Während bei den ersten drei Figuren jeweils nur zwei der drei Ausdrücke S, P und M, in den Sätzen eines Syllogismus in Subjektsposition auftreten, müssen zur Bildung der IV. Figur alle Ausdrücke jeweils einmal in Subjektsposition auftreten. Das aber heißt, dass in einem kategorischen Satz der allgemeinste Begriff, sei es S, P oder M in Subjektsposition auftreten muss. In diesem Satz würde dann etwas weniger Allgemeines von etwas Allgemeinerem ausgesagt werden. Die IV. Figur ist dann erst mit dem Wandel der aristotelischen Begriffslogik zu einer Urteilslogik in der Spätantike aufgetreten.38 Die nacharistotelische Betrach35 36 37 38

Vgl. Lohmann (1972), S. 178. Vgl. Lohmann (1972), S. 178, 180, 181. Rath (1985), S. 10. Rath (1985), S. 11; vgl. Lohmann (1972), S. 181.

24

I. Der logische Zwang

tung der Syllogistik interessierte sich nicht für den unterschiedlichen Allgemeinheitsgrad der Begriffe. Entscheidend ist ihre Funktion als Subjekt oder Prädikat als das, worüber etwas ausgesagt wird und das, was ausgesagt wird.39 Anstatt von den Einzeldingen auszugehen, ihre Eigenschaften in logisch-semantische Begriffsbeziehungen zu fassen und damit die Begriffe selbst einer Ordnungshierarchie zu unterwerfen, rücken die Dinge selbst in den Vordergrund. Es geht nicht um die Abstraktion sondern um die Synthesis im Urteil, um Aussagen über die Dinge, die unter einen Begriff (in eine Klasse) fallen40 – um Sachverhalte, die in Satzverhältnissen ausgedrückt werden.41 Die Schemabuchstaben vertreten nun keine Begriffe mehr, sondern Gegenstandsklassen. Die Begriffspyramide ist zu einer Pyramide von Klassen geworden, und die Richtung hat sich umgekehrt: aus der Zugehörigkeit zu einer übergeordneten Klasse folgt etwas für das Untergeordnete. Diese neue Sichtweise ermöglicht die Aufgabe der Abstraktionsregel, und die Aufgabe der Abstraktionsregel ihrerseits ermöglicht die IV. Figur. Diese tritt dann zum ersten Mal bei dem Peripatetiker Galenos (129–199) auf. Im 8. Jh. wird dann die Bezeichnung Galenische Figur von Denha, einem syrisch-nestorianischen Priester, eingeführt.42 2. Gegenstände von Festlegungen a) Festlegungen auf begriffliche Zusammenhänge Sprachliche Ausdrücke werden in der Praxis von dem Sprecher in bestimmter, gleichbleibender Weise und nicht in beliebiger willkürlicher Weise verwendet.43 Während in den Wissenschaftssprachen die Einheitlichkeit der Verwendungsweise häufig durch ausdrückliche Definitionen gesichert wird, bleiben in den natürlichen Sprachen die Verwendungsregeln des gewöhnlichen Sprachgebrauchs implizit. Die Existenz solcher impliziten Normen zeigt sich im Fall ihrer Verletzung, wenn es bei der Verständigung zu Schwierigkeiten kommt. Anders als die Sprachwissenschaft betrachtet die Logik nicht sprachliche Ausdrücke und deren Verwendungsregeln, sondern Begriffe, die von etwas ausgesagt werden, bzw. unter die etwas fällt. Begriffe haben einen Inhalt und einen Umfang. Der Inhalt eines Begriffs ist die Gesamtheit der Merkmale, die die Gegenstände, die unter ihn fallen, als Eigenschaften besitzen. Der Umfang eines Begriffs ist die Menge aller Gegenstände, deren Eigenschaften sämtliche Merkmale

39 40 41 42 43

Rath (1985), S. 12. Vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 80. Lohmann (1972), S. 180. Baumstark (1922), S. 220. Carnap (1926), S. 3.

2. Gegenstände von Festlegungen

25

des Begriffs erfüllen.44 Allerdings werden Begriffe von sprachlichen Ausdrücken bezeichnet45 und die Bildung eines Begriffs besteht gerade in der Aufstellung der Regeln der Verwendung seines Zeichens.46 Daher ist, wenn von Begriffen sinnvoll die Rede ist, eigentlich immer nur die Rede von dem sprachlichen Ausdruck, der den Begriff bezeichnet und dessen Verwendungsregeln.47 Ein Sprecher, der den Satz „Alle Menschen sind Zweifüßler“ äußert, setzt die sprachlichen Ausdrücke Mensch und Zweifüßler in ein bestimmtes Verhältnis. Er zeichnet gewissermaßen einen Ausschnitt der Begriffspyramide. Mensch ist der „merkmalsreichere“ Begriff als Zweifüßler. Dieses Verhältnis gilt auch für die Wahrheitsbedingungen der beiden Ausdrücke. Alles was wahr über Zweifüßler ausgesagt werden kann, trifft auch für Menschen zu. Die Wahrheitsbedingungen machen aber wiederum einen wesentlichen Teil der Verwendungsbedingungen eines sprachlichen Ausdrucks aus.48 Dass alle Menschen Zweifüßler sind, bzw. dass Zweifüßler von Mensch ausgesagt wird oder dass Mensch in die Klasse der Zweifüßler fällt, heißt daher nichts anderes, als dass die Wahrheitsbedingungen des Ausdrucks in der Prädikatsposition eine Teilmenge der Verwendungsbedingungen des Ausdrucks in der Subjektsposition sind. Die Äußerung des allgemein prädizierenden Satzes spezifiziert die Verwendungsregeln des Ausdrucks, der etwas aussagt (Subjektsausdruck), durch Bezug auf den Ausdruck, der ausgesagt wird (Prädikatsausdruck).49 Da die Verwendungsregeln die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks im Sinne des Spektrums seiner Verwendungsweise bestimmen, gibt der Sprecher mit der Äußerung des Satzes eine Bestimmung der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks in Bezug auf einen anderen sprachlichen Ausdruck – der Sprecher äußert ein Bedeutungspostulat. Die Formulierung eines Bedeutungspostulats heißt nicht, dass der Sprecher mit der Äußerung eines allgemein prädizierenden Satzes „Alle x sind y“ das Bedeutungspostulat erstmals errichtet, wodurch das Verhältnis der sprachlichen Ausdrücke in der ausgedrückten Weise konstituiert wird. In der alltäglichen Sprachpraxis dürfte dies in den seltensten Fällen vorkommen. Vielmehr wird das Bedeutungspostulat bereits als implizite Norm der sprachlichen Praxis vorhanden sein. Mit der Formulierung eines Bedeutungspostulats durch die Äußerung eines allgemein prädizierenden Satzes kann auch nur die bloße in Anspruchnahme des Bedeutungspostulats einhergehen. Es kommt nicht darauf an, was für eine sprachliche Handlung der Sprecher mit der Äußerung vollzieht. Entscheidend ist aber, dass mit der Verwendung eines allgemein prädizierenden Satzes, das Bedeu44 45 46 47 48 49

Schlick (1925), S. 36 f. Schlick (1925), S. 37. Carnap (1926), S. 4. Carnap (1926), S. 4. Keller (1995), S. 73. Vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 80.

26

I. Der logische Zwang

tungspostulat, d. h. die Bedeutungsbestimmung des sprachlichen Ausdrucks, der etwas aussagt, aktualisiert wird. Mit der Äußerung eines allgemein prädizierenden Satzes erkennt der Sprecher daher das darin liegende Bedeutungspostulat an. Der Sprecher legt sich auf die mit der Äußerung des Satzes aktualisierte Bedeutungsbestimmung fest. Auf Bedeutungspostulate soll in einem Exkurs kurz näher eingegangen werden. Der Terminus Bedeutungspostulat geht auf Carnap zurück, der Bedeutungspostulate als Festsetzungen von Bedeutungsbeziehungen sprachlicher Ausdrücke in konstruierten Wissenschaftssprachen einführt. Solche technischen Festsetzungen bewirken, dass es in einer Sprache Sätze gibt, deren Aussage immer wahr ist, obgleich die Aussage nicht schon aufgrund der logischen Form des Satzes wahr ist.50 Sie werden aus Bedeutungspostulaten auf rein logischem Wege abgeleitet.51 Während die Aussage des Satzes (1) „Es regnet oder es regnet nicht“ schon aufgrund der logischen Form des Satzes wahr ist, d. h. der Struktur, die die logischen Junktoren-Ausdrücke oder und nicht bilden,52 gilt dies für die Aussage eines Satz wie etwa (2) „Alle Junggesellen sind unverheiratet“ nicht. Ein solcher Satz hat nämlich lediglich die gleiche logische Form wie etwa der Satz „Alle Ameisen sind begabte Schriftsteller“ 53 Dennoch gilt auch für Sätze wie Satz (2), dass ihre Aussagen wahr sind, unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist, allein aufgrund der Verwendungsregeln der in den Sätzen vorkommenden Ausdrücke.54 Um die Wahrheit solcher Sätze festzustellen, muss man jedoch nicht nur die Verwendungsregeln der logischen Partikel kennen, sondern es kommt auch auf die anderen – deskriptiven – sprachlichen Ausdrücke an.55 Aussagen dieser Art hat Immanuel Kant als analytische Urteile bezeichnet. In der Einleitung zur Kritik der reinen Vernunft stellt er diese den synthetischen Urteilen gegenüber. Analytische Urteile explizieren lediglich die Merkmale des sprachlichen Ausdrucks, von dem etwas ausgesagt wird, d. h. es werden nur solche Eigenschaften einem Gegenstand zugesprochen, die für den Gegenstand als solchem konstitutiv sind. Synthetische Urteile sprechen dagegen einem Gegenstand Eigenschaften zu, die ihm nicht konstitutiv anhaften:

50

Quine (1961), S. 23; Carnap (1956), S. 222. Schlick (1925), S. 94. 52 Quine (1961), S. 22; Carnap (1956), S. 222. 53 In symbolischer Schreibeweise: 8x: Am(x)  Schr(x). – Es handelt sich bei der Verknüpfung von Bedingung und Folge nicht um eine logische Implikation, sondern nur um eine generelle Implikation. Vgl. Carnap (1960), § 3b S. 8 f.; Quine (1964), § 3 S. 40. 54 Quine (1961), S. 21; Carnap (1956), S. 222. 55 Carnap (1956), S. 222. 51

2. Gegenstände von Festlegungen

27

„In allen Urteilen, worin das Verhältnis eines Subjekts zum Prädikat gedacht wird [. . .] ist dieses Verhältnis auf zweierlei Art möglich. Entweder das Prädikat B gehört zum Subjekt A als etwas, was in diesem Begriffe A (versteckter Weise) enthalten ist; oder B liegt ganz außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung steht. Im ersten Fall nenne ich das Urteil analytisch, in dem andern synthetisch. [. . .] Die erstere könnte man auch Erläuterungs-, die andere Erweiterungsurteile heißen, weil jene durch das Prädikat nichts zum Begriff des Subjekts hinzutun, sondern diesen nur durch Zergliederung in seine Teilbegriffe zerfallen, die in selbigem schon (obgleich verworren) gesagt waren: da hingegen die letztere zu dem Begriffe des Subjekts ein Prädikat hinzutun, welches in jenem gar nicht gedacht war und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen werden.“ 56

In der symbolischen Logik hat man dann auch Aussagen, die aufgrund der logischen Form ihres Satzes wahr sind, als analytisch bezeichnet. Mit der Idee, Sätze als Wahrheitsfunktionen zu betrachten, bestehend aus einer Funktion, die Argumentsstellen vergibt und eben Argumenten, die diese Stellen einnehmen,57 hatte Gottlob Frege die seit Aristoteles übliche Zerlegung eines Satzes in Subjektsposition und Prädikatsposition als den gesamten Rest-Ausdruck überwunden, und einen Weg gezeigt, komplexe logische Strukturen beliebiger Sätze zu explizieren. Es ist daher üblich geworden, die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen auf ihre Eigenschaft als Wahrheitsfunktion zu beziehen. Kants Unterscheidung geht daher in der modernen Unterscheidung auf, wonach analytische Aussagen solche sind, deren Wahrheitswert in der Bedeutung ihrer Ausdrücke gründet, während synthetische Aussagen solche sind, deren Wahrheitswert davon abhängt, was in der Welt der Fall ist.58 Die Einteilung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen ist in der Philosophie seinerzeit von Williard van Orman Quine in Frage gestellt worden.59 Quines Interesse gilt der Art und Weise, wie empirische Theorien an der Wirklichkeit überprüft werden können. In diesem Zusammenhang weist Quine darauf hin, dass das Scheitern einer konkreten empirisch überprüfbaren Aussage der Form „Sobald dies, dann auch das“ (kategorische Beobachtungssätze)60 an der Wirklichkeit nicht die einzelne Hypothese widerlegt, aus der die konkrete Aussage abgeleitet wurde, sondern auf irgendeine Unstimmigkeit im gesamten Sprachsystem hinweist, in der die Hypothese formuliert wurde.61 Quine zu Folge hat ein einzelner Satz für sich genommen keinen empirischen Gehalt, sondern erhält einen solchen nur als Teil eines Gesamtsystems von Sätzen, wozu auch Sätze der Mathematik zu zählen sind.62 Nach Quine ist es ein Irrtum, zu glau56 57 58 59 60 61 62

Kant (KrV), S. 33. Frege (1891), S. 28 f.; ders. (1879), § 3. Carnap (1956), S. 222; Tugendhat/Wolf (1997), S. 40. Quine (1961), S. 22 ff. Quine (1992), S. 13. Quine (1992), S. 18. Quine (1992), S. 22.

28

I. Der logische Zwang

ben, eine einzelne Aussage über die Welt sei zerlegbar in einen sprachlichen Anteil einerseits, der die Verwendungsweise der sprachlichen Ausdrücke vorgibt, und einen empirischen Gehalt andererseits, der dann den Vorgaben entsprechend die eigentliche Aussage über die Welt enthält, so dass es auch Aussagen geben müsse, die nur die Verwendungsweise bestimmen und keinerlei empirischen Gehalt haben. Dass überhaupt eine solche Einteilung getroffen werden kann, sei ein unempirisches Dogma des Empirismus.63 Innerhalb einer Sprache gibt es für Quine daher keine besondere Klasse analytischer Aussagen, die wahr sind, unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist. Die Intuition, die zur Annahme analytischer Aussagen verführt, sei allein der Umstand, dass man dann, wenn sich eine aus einer Theorie abgeleitete empirische Aussage als falsch erweist, gewisse Aussagen, die eine Schlüsselstellung für zahlreiche Ableitungen empirisch erprobter Aussagen darstellen, nicht antastet, sondern die Theorie und damit eben auch die Verwendungsweise sprachlicher Ausdrücke, an weniger zentraler Stelle abändert.64 „My present suggestion is that it is nonsense, and the root of much nonsense, to speak of a linguistic component and a factual component in the truth of any individual statement. Taken collectively, science has its double dependent upon language and experience; but this duality is not significantly traceable into the statements of science taken one by one.“ 65

Aus diesem Grund betont Quine auch die Verschiedenheit zwischen Aussagen, die schon aufgrund der logischen Form ihres Satzes wahr sind, und den analytischen Aussagen, die unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist, wahr sind, ohne schon aufgrund der logischen Form ihres Satzes wahr zu sein. So stellt Quine dem Satz (3) „No unmarried man is married“ 66 als einen Satz, der aufgrund seiner logischen Form wahr ist, den Satz (4) „No bachelor is married“ gegenüber.67 Dass Satz (4) tatsächlich unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist, wahr ist, wird deutlich, wenn man Satz (4) in den aufgrund seiner logischen Form wahren Satz (3) überführt, indem man den sprachlichen Ausdruck bachelor durch das Synonym unmarried man ersetzt.68 Eine solche Ersetzungsprobe weist eine Klasse von analytischen Sätzen jedoch nur dann aus, wenn die Synonymität zweier sprachlicher Ausdrücke unabhängig von dem besteht, was in der Welt der Fall ist, womit das Problem nur ein neues Gewand erhält.69

63 64 65 66 67 68 69

Quine (1961), S. 37, Quine (1976), S. 127 f. Quine (1976), S. 127; ders. (1992), S. 19 f. Quine (1961), S. 42. In symbolischer Schreibeweise: 8x: :(:M(x)  M(x)). In symbolischer Schreibeweise: 8x: :(B(x)  M(x)). Quine (1961), S. 22 f.; vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 36, 42. Quine (1961), S. 32; ders. (1976), S. 125.

2. Gegenstände von Festlegungen

29

In dem Aufsatz „Meaning Postulates“ 70 setzt Carnap der Position von Quine die Idee der Bedeutungspostulate entgegen.71 Mit Blick auf die Konstruktion von Wissenschaftssprachen führt er Bedeutungspostulate schlicht und ergreifend als Festsetzung der logischen Beziehung zwischen sprachlichen Ausdrücken ein. Dabei greift Carnap das Beispiel von Quine auf, für das er das Bedeutungspostulat (P1) „Alle Junggesellen sind nicht verheiratet“ – in symbolischer Schreibweise „8x: B(x)  :M(x)“ – festsetzt. „Suppose that the author of a system wishes the predicates ,B‘ and ,M‘ to designate the properties Bachelor and Married, respectively. How does he know that these properties are incompatible and that therefore he has to lay down postulate P1? This is not a matter of knowledge but of decision.“ 72

Vor dem Hintergrund der Geltung dieses Bedeutungspostulats ist der Satz (6) „Wenn Jack ein Junggeselle ist, dann ist er nicht verheiratet“ 73 – in symbolischer Schreibweise „B(a)  :M(a)“ – ein analytischer Satz. Denn obgleich Satz (6) wieder nur die logische Form des Ameisen-Beispielsatzes hat und daher nicht schon aufgrund seiner logischen Form wahr ist, kann Satz (6) durch Ableitung aus einem Satz gewonnen werden, der schon aufgrund seiner logischen Form wahr ist, nämlich der Tautologie (7) „Wenn jemand Junggeselle ist, dann ist er Junggeselle“ 74. Analytische Sätze erweisen sich als implizite Tautologien.75 Da aus dem Satz „Wenn Jack ein Junggeselle ist, dann ist er nicht verheiratet“ zusammen mit der weiteren Prämisse „Jack ist ein Junggeselle“ der logische Schluss auf die Konklusion „Jack ist nicht verheiratet“ möglich ist,76 zeigt sich hier deutlich, dass Bedeutungspostulate das logische Schließen ermöglichen, indem sie die Wahrheit einer Prämisse verbürgen oder selbst als Prämisse in den Schluss eingehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der Festsetzung von Verhältnissen sprachlicher Ausdrücke, um eine technische Festsetzung oder um implizite Normen der Sprachpraxis handelt. Entscheidend ist allein, dass das Bedeutungspostulat die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks in Bezug 70

Carnap (1956), S. 222 ff. Quine ist auf breiter Front widersprochen worden. Siehe: Quine (1961), S. 128 Fn. 7; Tugendhat/Wolf (1997), S. 44. 72 Carnap (1956), S. 224 f. 73 Hier in dt. Übersetzung wiedergegeben. 74 In symbolischer Schreibeweise: 8x: B(x)  B(x). 75 Tugendhat/Wolf (1997), S. 44. Aus „8x: B(x)  B(x)“ wird mittels der Schlussregel der Instanziierung „B(a)  B(a)“, indem man die gebundene Individuenvariable „x“ durch die Individuen Konstante „a“ ersetzt. Dies ist zulässig. Denn was für alle Individuen gilt, muss auch für das einzelne Individuum gelten: 8x: F(x)  F(a) [Carnap (1960), § 10a S. 38]. Aus „B(a)  B(a)“ darf dann aufgrund der Geltung des Bedeutungspostulat (P1) „8x: B(x)  :M(x)“ in der Tautologie die Konsequenz durch die Konsequenz des Bedeutungspostulat in entsprechender Instanziierung ersetzt werden: „B(a)  :M(a)“. 76 Allgemein in symbolischer Schreibeweise: [8x: F(x)  G(x)] ^ F(x)  G(x) [Carnap (1960), § 6c S. 23: L6-13, § 8a S. 27: L8-2 E d(3), § 15a S. 59: L15-1 L d(3)]. 71

30

I. Der logische Zwang

auf einen anderen sprachlichen Ausdruck bestimmt, indem es die Verwendungsregeln des Ausdrucks, über den etwas ausgesagt wird, durch Bezug auf den Ausdruck, der etwas aussagt, spezifiziert. Zurück zum logischen Schluss aus dem obigen Beispiel. Äußert der Sprecher im weiteren Verlauf einer sprachlichen Interaktion auch den Satz der zweiten Prämisse des aristotelischen Syllogismus „Alle Zweifüßler sind Sinnenwesen“, so bestimmt er erneut das Verhältnis zweier sprachlicher Ausdrücke. Da der eine Ausdruck des Satzes in dem vom Sprecher bereits gezeichneten Ausschnitt der Begriffspyramide vorhanden ist, wird dieser Ausschnitt mit der Äußerung um einen Zweig erweitert. Erneut erkennt der Sprecher durch die Verwendung des Satzes eine Bedeutungsbestimmung an. Die Verwendungsregeln des sprachlichen Ausdrucks Zweifüßler, der etwas aussagt, werden durch Bezug auf den sprachlichen Ausdruck Sinnenwesen, der ausgesagt wird, in der Weise spezifiziert, dass diese die Merkmale des sprachlichen Ausdrucks Sinnenwesen als Teilmenge enthalten. Auch auf diese Bedeutungsbestimmung legt sich der Sprecher mit der Äußerung des Satzes der zweiten Prämisse fest. Die Bedeutungsbestimmungen zusammengenommen bewirken nun auch eine Bestimmung des Verhältnisses der sprachlichen Ausdrücke Mensch und Sinnenwesen. Die Verwendungsregeln des sprachlichen Ausdrucks Sinnenwesen bilden nämlich eine Teilmenge der Verwendungsregeln des sprachlichen Ausdrucks Mensch. Denn Zweifüßler enthält als Teilmenge seiner Verwendungsregeln die Verwendungsregeln von Sinnenwesen, bildet aber mit seinen Verwendungsregeln seinerseits eine Teilmenge der Verwendungsregeln von Mensch. Die Verwendungsregeln von Sinnenwesen bilden eine Teilmenge der Teilmenge der Verwendungsregeln von Mensch. Alles was wahr über Sinnenwesen ausgesagt werden kann, trifft auch auf Mensch zu. Der Sprecher hat daher keine Freiheit mehr, das Verhältnis der sprachlichen Ausdrücke Mensch und Sinnenwesen nach seinem Belieben zu bestimmen. Es gilt bereits „Alle Menschen sind Sinnenwesen“ – die Konklusion des logischen Schlusses. Ein Sprecher kann kein anderes Verhältnis bestimmen, ohne sich in Widerspruch zu den früheren Aussagen der Prämissen zu begeben. Vor dem Hintergrund der mit Äußerung der Prämissen aktualisierten und als Festlegungen eingegangenen Bedeutungspostulate ist die Konklusion ein analytisch wahrer Satz. Die Wahrheit der Konklusion steht fest, unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist, allein aufgrund der Verwendungsregeln der in den Sätzen vorkommenden Ausdrücke. Der Satz der Konklusion „Alle Menschen sind Sinnenwesen“ kann aufgrund der Bedeutungspostulate in den Satz „Alle Menschen sind Menschen“ umgeformt werden. Dabei ist herauszustellen, dass die in den Bedeutungspostulaten enthaltenen Festlegungen keine Festlegungen darüber beinhalten, ob etwas in der Welt der Fall ist oder nicht. Die Festlegungen der Bedeutungspostulate beinhalten ausschließlich das Verhältnis der sprachlichen Ausdrücke zueinander. Wie die sprachlichen Ausdrücke in Bezug auf die Welt zu verwenden sind, darüber hat

2. Gegenstände von Festlegungen

31

der Sprecher selbst mit den Prämissen keine Bestimmung getroffen. Die in dem Schluss auftretenden sprachlichen Ausdrücke bezeichnen in aristotelischer Sprechweise allesamt Begriffe der zweiten Substanzen, also Arten und Gattungen von Einzeldingen. Der vom Sprecher gezeichnete Ausschnitt der Begriffspyramide als solcher nimmt keine ersten Substanzen, also konkreten Objekte der Lebenswelt, mit in den Blick. Eine Brücke zwischen Begriffen und Anschauung, zwischen Sprache und wahrnehmbarer Lebenswelt77 hat der Sprecher nicht geschaffen.78 Für den logischen Schluss ist dies auch nicht Voraussetzung. b) Festlegungen auf Tatsachen Seit Wilhelm v. Ockham (1285–1349) werden Syllogismen auch mit Sätzen gebildet, die Eigennamen als Subjektsausdruck enthalten. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Syllogismus mit den Prämissen (1) „Alle Menschen sind Sinnenwesen“ 79 und (2) „Sokrates ist ein Mensch“ 80, aus denen logisch die Konklusion (3) „Sokrates ist ein Sinnenwesen“ 81 abgeleitet wird.82 Der Ausschnitt, den der Sprecher mit der Äußerung der Sätze der beiden Prämissen zeichnet, nimmt nun auch die Ebene der ersten Substanzen mit in den Blick. Anders als mit allgemein prädizierenden Sätzen setzt der Sprecher mit dem Satz der Prämisse (2) nicht das Verhältnis zweier sprachlicher Ausdrücke fest oder erkennt eine solche Festsetzung an. Es wird nicht eine Bedeutungsbestimmung dauerhaft in dem Netzwerk der Begriffspyramide verankert. Die Äußerung des Satzes der Prämisse (2) stellt vielmehr die Behauptung einer Tatsache dar, mit der der Sprecher sich darauf festlegt, dass in der Wirklichkeit etwas bestimmtes der Fall ist. Die Verwendungsregeln des sprachlichen Ausdrucks Sokrates, über den etwas ausgesagt wird, werden nicht durch Bezug auf den sprachlichen Ausdruck Mensch, der etwas aussagt, in der Weise spezifiziert, dass sie Verwendungsregeln des sprachlichen Ausdrucks Sinnenwesen als Teilmenge enthalten. Sokrates ist ein Eigenname, mit dem ein bestimmtes Individuum benannt wurde. Die Verwendungsregel für Eigennamen ist allein die Regel, dass es sich um denjenigen handeln muss, der mit dem Namen benannt wurde.83 So verwendet man den Ausdruck Sokrates in dem Satz „Hallo Sokrates!“ korrekt, wenn es sich bei der Per77 Lebenswelt ist der Teilausschnitt der Wirklichkeit, der phänomenal erlebbar ist. Ein System sprachlicher Ausdrücke wird mit der Wirklichkeit verknüpft, indem die undefinierten sprachlichen Grundausdrücke des Systems auf Gegenstände aus der phänomenalen Lebenswelt bezogen werden. 78 Vgl. Schlick (1925), S. 56. 79 In symbolischer Schreibweise: 8x: (ME(x)  SI(x). 80 In symbolischer Schreibweise: ME(a). 81 In symbolischer Schreibweise: SI(a). 82 Der Syllogismus als Ganzes: [8x: (ME(x)  SI(x)) ^ ME(a)]  SI(a). 83 Vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 161 ff.

32

I. Der logische Zwang

son, die man durch Äußern des Satzes grüßt, eben um Sokrates handelt. Der Satz „Dies ist Sokrates“ drückt das einfache Wiedererkennen aus. Etwas wird bei seinem Eigennamen genannt, wenn man es wiedererkannt hat.84 Mit dem Satz „Sokrates ist ein Mensch“ wird dann die Tatsache ausgesagt, dass das mit Sokrates Benannte und als solches Wiedererkennbare alle Eigenschaften aufweist, die der sprachliche Ausdruck Mensch als Verwendungsbedingung voraussetzt – oder in der Sprechweise von Begriffen: der mit Sokrates benannte Gegenstand erfüllt alle Merkmale des Begriffs Mensch – Sokrates fällt in die Klasse der Menschen. Damit aber die Verwendungsbedingungen des Ausdrucks Mensch sich auf lebensweltliche Sachverhalte bzw. die Merkmale des Begriffs auf Eigenschaften von lebensweltlichen Gegenständen beziehen, reicht es nicht mehr, den Ausdruck in einem System sprachlicher Ausdrücke allein im Verhältnis zu anderen Ausdrücken zu verorten. Vielmehr muss das System sprachlicher Ausdrücke selbst an die Wirklichkeit angeschlossen werden. Schon vor Quine in den zwanziger Jahren des 20. Jh. ist das Verhältnis zwischen empirischer Theorie und Welt, die Verknüpfung eines logisch geordneten Systems sprachlicher Ausdrücke mit der Wirklichkeit von den Mitgliedern des so genannten Wiener Kreises85 intensiv behandelt worden. Hierauf soll in einem Exkurs kurz näher eingegangen werden. Die gemeinsame wissenschaftstheoretische Position,86 der überwiegend in den Gebieten Physik oder Mathematik tätigen Wissenschaftler, wird als Logischer Empirismus bezeichnet und ist durch die dem Empirismus typische anti-metaphysische Grundhaltung87 gekennzeichnet. 84

Vgl. Schlick (1925), S. 22, 88 f. Da der Wiener Kreis eine Diskussionsrunde war, zu der man eingeladen wurde, ohne dass es eine offizielle Mitgliedschaft gegeben hätte, gibt es kein formales Kriterium der Zugehörigkeit. Ohne Zweifel Mitglieder waren aber insbesondere: M. Schlick, H. Hahn, Ph. Frank, O. Neurath, R. Carnap, H. Feigel, F. Waismann, K. Gödel. Eine detaillierte Aufzählung findet sich bei: Haller (1993), S. 73 f. 86 Zur Entstehungsgeschichte dieser manifestartigen Schrift und ihrer Repräsentanz einer einheitlichen Meinung siehe: Haller (1993), S. 70. Eine Übersicht über die wissenschafts- u. philosophiegeschichtlichen Linien, die sich im Wiener Kreis vereinigen, findet sich in der manifestartigen Schrift des Wiener Kreises. Dort werden die Autoren der im Wiener Kreis hauptsächlich erörterten Werke aufgeführt; eingeteilt in: 1. Positivismus und Empirismus, 2. Grundlagen, Ziele und Methoden der empirischen Wissenschaften, 3. Logistik und ihre Anwendung auf die Wirklichkeit, 4. Axiomatik und 5. Eudämonismus und positivistische Soziologie [Verein Ernst Mach (1929/1981), S. 303]. 87 Die anti-metaphysische Grundhaltung findet sich zum Beispiel in besonderer Radikalität formuliert bei David Hume (1711–1776) in seiner 1748 erschienenen Schrift „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“. Dort wird ein Skeptizismus entwickelt, der die Beschränkung der menschlichen Erkenntnisbemühungen auf Gegenstände fordert, die entweder rein formale Ableitungen betreffen oder sich auf Erfahrung begründen lassen: „Wenn wir, von diesen Prinzipien überzeugt, unsere Bibliotheken durchgehen, welche Verwüstung müssten wir dann anrichten! Nehmen wir irgendein Buch zur Hand, z. B. über Theologie oder Schulmetaphysik, so lasst uns fragen: Enthält es eine abstrakte Erörterung über Größe und Zahl? Nein. Enthält es eine auf Erfahrung 85

2. Gegenstände von Festlegungen

33

Dabei stützt man sich insbesondere auf die Position Ludwig Wittgensteins, wie er sie in seiner Schrift „Tractatus logico-philosophicus“ formuliert. Im Tractatus unterscheidet Wittgenstein zwischen sinnlosen und sinnvollen Sätzen. Sinnlose Sätze sind rein logische Sätze (Tautologien und Kontradiktionen), die keinerlei empirische Aussagen treffen. Sinnvolle Sätze dagegen sind Sätze, die einen empirischen Gehalt haben.88 Damit ein empirischer Satz aber einen Sinn hat und etwas sagt, muss Wittgenstein zufolge bestimmt sein, unter welchen Umständen der Satz wahr und unter welchen er falsch ist.89 Damit stellt Wittgenstein ein Sinnkriterium auf: „[. . .] um sagen zu können: ,p‘ ist wahr (oder falsch), muß ich bestimmt haben, unter welchen Umständen ich ,p‘ wahr nenne, und damit bestimme ich den Sinn des Satzes. [. . .].“ 90

Ist ein Satz schließlich weder ein logisch sinnloser noch ein empirisch sinnvoller Satz, so ist er in wittgensteinscher Terminologie „unsinnig“. Aufgrund dieser Einteilung von Sätzen bleiben einzig im Bereich der Wissenschaften die Sätze der Formal- sowie der Realwissenschaften als nicht unsinnig übrig. „Die meisten Sätze und Fragen, welche über philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig. Wir können daher Fragen dieser Art überhaupt nicht beantworten, sondern nur ihre Unsinnigkeit feststellen [. . .].“ 91

Auch Carnap übernimmt von Wittgenstein die Idee vom Sinnkriterium. Damit eine Aussage (wissenschaftlich) sinnvoll ist, muss Carnap zufolge angebbar sein, in welchen denkbaren Fällen von Erfahrung sie wahr und in welchen Fällen sie falsch heißen sollen.92 Carnap fasst diese Bedingungen unter dem Begriff der Sachhaltigkeit zusammen. „Alles jedoch, was jenseits des Sachhaltigen liegt, muss unbedingt als sinnlos angesehen werden; eine (scheinbare) Aussage, die grundsätzlich nicht durch ein Erlebnis fundiert werden könnte und daher nicht sachhaltig wäre, würde gar keinen auch nur beruhende Erörterung über Tatsachen und Existenz? Nein. So übergebe man es den Flammen, denn es kann nichts als Sophisterei und Blendwerk enthalten.“ [Hume (1748), XII. Abschnitt, 3. Teil.] 88 Wittgenstein (Trl), 6.1–6.113, 4.461–4.463, 6.2–6.22. 89 Wittgenstein (Trl), 4.022, 4.024, 4.063, 4.2, 4.431. Später formuliert Wittgenstein das Sinnkriterium als: die Methode der Verifikation [Wittgenstein (Gesp), S. 47; Waismann (1996), S. 227]. Nach dieser Fassung sind auch logische Sätze sinnvoll, da man für sie eine Methode der Verifikation angeben kann. Unsinnige empirische Sätze bleiben aber unsinnig, da die Methode der Verifikation für empirische Sätze nur darin liegen kann, die Wahrheistbedingungen zu prüfen. Man muß also nach wie vor die Umstände kennen, unter denen der Satz als wahr gilt. Zum ersten Mal veröffentlicht wurde diese Formulierung des Sinnkriteriums von Waismann in seinem Aufsatz „Logische Analyse des Wahrscheinlichkeitsbegriffs“ [Waismann (1930), S. 229]. 90 Wittgenstein (Trl), 4.063. 91 Wittgenstein (Trl), 4.003. 92 Carnap (1928b), S. 47 f. u. 50–52. Vgl. auch: Schlick (1932), S. 6–9 u. 16.

34

I. Der logische Zwang denkbaren Sachverhalt zum Ausdruck bringen, also gar keine Aussage sein, sondern ein bloßes Konglomerat sinnloser Striche und Geräusche.“ 93

Vor diesem Hintergrund unternimmt Carnap in seiner Schrift „Der logische Aufbau der Welt“ den Versuch, aufzuzeigen, wie es möglich ist, alle sinnvollen Aussagen der Realwissenschaften mit den Mitteln der Logik auf eine kleine Basis von Grundaussagen zurückzuführen und parallel dazu ebenso alle in den Aussagen auftretenden Begriffe auf einige wenige Grundbegriffe (Basis des Systems) zurückzuführen, aus denen diese definiert werden.94 Dabei knüpfte er insbesondere an die Vorstellung von Moritz Schlick an, dass wissenschaftliche Erkenntnis in einem System sprachlicher Ausdrücke – in einem Netz von Begriffen – stattfindet, indem ein sprachlicher Ausdruck mit einem anderen in das Verhältnis der Implikation oder Identität gesetzt wird, nämlich der sprachliche Ausdruck, der das Erkannte bezeichnet mit dem sprachlichen Ausdruck, der das bezeichnet, als was etwas erkannt wurde.95 Man erkennt A als B. Man erkennt, dass A B ist96. Erkenntnis bedeutet „das Wiederfinden ein und desselben Gegenstandes als Glied verschiedener Beziehungen“.97 So drückt der Satz „Licht besteht aus elektrischen Wellen“ 98 die Erkenntnis aus, dass Licht nichts anderes ist als eine elektrische Welle.99 Dieselbe Erscheinung darf sowohl mit dem Ausdruck Licht als auch mit dem Ausdruck elektrische Welle bezeichnet werden.100 Eine Erkenntnis wird allerdings nur dort ausgesagt, wo die sprachlichen Ausdrücke in jeweils getrennten Aussagekomplexen eingebunden sind und nicht nur kraft Definition dasselbe Phänomen bezeichnen. Sätze wie „Licht ist Ursache für die wahrnehmbare Erhellung von Dingen“ 101, „Wärme ist die Ursache für die Temperaturempfindung“ 102 oder „Elektrizität ist die Ursache für die anziehende Wirkung des Bernsteins“ 103 stellen solange bloße Definitionen dar, d. h. die Einführung eines neuen sprachlichen Ausdrucks, wie die Ausdrücke Licht, Wärme und Elektrizität nicht in weitere Aussagekomplexe eingebunden

93

Carnap (1928b), S. 52 f. Vgl. Carnap (1928a), S. 2; ders. (1927), S. 357. 95 Schlick (1925), S. 66, S. 69, S. 77. 96 Schlick (1925), S. 66. 97 Schlick (1925), S. 74. 98 Der Satz setzt die sprachlichen Ausdrücke Licht und elektromagnetische Welle in das Verhältnis der Implikation. In symbolischer Schreibweise: 8x: L(x)  W(x). Dagegen wird mit dem Satz „Gelbes Licht von der Farbe der D-Linien des Spektrums ist ein elektrischer Schwingungsvorgang von ungefähr 509 Billionen Perioden pro Sekunde“ eine Identität ausgesagt. In symbolischer Schreibweise: 8x: GL(x) = W509(x). 99 Schlick (1925), S. 74 u. 77. 100 Schlick (1925), S. 66. 101 Schlick (1925), S. 74. In symbolischer Schreibweise: 8x: L(x)  HELL(x): 102 Schlick (1925), S. 76. In symbolischer Schreibweise: 8x: W(x)  TMP(x): 103 Schlick (1925), S. 65 u. 67. In symbolischer Schreibweise: 8x: E(x)  ANZ(x): 94

2. Gegenstände von Festlegungen

35

sind. Anstatt eine Erklärung für das Phänomen zu geben, wird mit solchen Sätzen dann lediglich dasselbe auf zwei verschiedene Weisen bezeichnet.104 Der neu eingeführte sprachliche Ausdruck dient dann allerdings als Knotenpunkt im Netz der Begriffe, in dem alle Aussagen zusammenlaufen, die später entdeckte Eigenschaften des Phänomens beschreiben.105 So hat man festgestellt, dass sich das Phänomen der Erhellung wie eine mechanische Welle ausbreitet, so dass der sprachliche Ausdruck Licht in den Aussagenkomplex der mechanischen Bewegung eingebunden wurde.106 „So bildet denn jeder Begriff gleichsam einen Punkt, in welchem eine Reihe von Urteilen zusammenstoßen (nämlich alle die, in denen er vorkommt); er ist wie ein Gelenk, das sie alle zusammenhält. Die Systeme unserer Wissenschaften bilden ein Netz, in welchem die Begriffe die Knoten und die Urteile die sie verbindenden Fäden darstellen.“ 107

Als man dann nach der Beschreibung der elektromagnetischen Welle durch Heinrich Hertz Licht als elektromagnetische Welle erkannte, handelte es sich um eine echte Erkenntnis, weil eben beide Ausdrücke in jeweils getrennten Aussagekomplexen eingebunden waren. „Jedes Urteil dient zur Bezeichnung eines Tatbestandes. Ordnet es diesem Tatbestande ein neues Zeichen zu (d. h. tritt in ihm ein Begriff auf, der erst zum Behuf der Bezeichnung dieser Tatsache erfunden wurde), so stellt es eine Definition dar. Verwendet es aber lauter bei anderen Gelegenheiten schon gebrauchte Begriffe, so ist es eben dadurch eine Erkenntnis.“ 108

Eine neu gewonnene Erkenntnis eröffnet nun immer auch die Möglichkeit, einen sprachlichen Ausdruck über das entdeckte Implikationsverhältnis bzw. Identitätsverhältnis neu zu definieren. Dies entspricht sogar geradezu dem Ziel der Realwissenschaften, möglichst allgemeine Theorien zu formulieren.109 Tatsächlich kann ein und derselbe Satz innerhalb des Systems sprachlicher Ausdrücke je nach dem Stand der Forschung eine Definition oder Erkenntnis aussagen. Der Status der Verknüpfung zweier sprachlicher Ausdrücke kann geändert werden, das System sprachlicher Ausdrücke ist auch insoweit dynamisch.110 Damit ist aber nicht etwa die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Urteilen im kantischen Sinne111 aufgehoben. Relativ zu einer Aufstellung von Definitionen ist entscheidbar, ob eine neue Aussage aus den Definitionen abgeleitet und daher analytisch ist, oder eben nicht abgleitet und somit erkenntniserwei104 105 106 107 108 109 110 111

Schlick (1925), S. 67. Schlick (1925), S. 64, 65. Vgl. Schlick (1925), S. 24 f. Schlick (1925), S. 64. Schlick (1925), S. 78. Schlick (1925), S. 68. Schlick (1925), S. 65, 68 u.78. Kant (KrV), S. 33; dazu oben a).

36

I. Der logische Zwang

ternd und synthetisch ist.112 Definitionen selbst sind nichts anderes als Bedeutungspostulate.113 Ein System sprachlicher Ausdrücke mit Ableitungsbeziehungen heißt nun bei Carnap Konstitutionssystem. Die Begriffspyramide wird hier gewissermaßen von der Spitze her aufgebaut und daher als Stammbaum beschrieben. Das Konstitutionssystem ist für sich genommen zunächst nur ein System sprachlicher Ausdrücke, in dem die sprachlichen Ausdrücke höherer Stufe aus denen niederer Stufe konstituiert werden, ohne dass eine Brücke zur wahrnehmbaren Lebenswelt besteht. „Das Konstitutionssystem stellt sich nicht nur, wie andere Begriffsysteme, die Aufgabe, die Begriffe in verschiedene Arten einzuteilen und die Unterschiede und gegenseitigen Beziehungen dieser Arten zu untersuchen. Sondern die Begriffe sollen aus gewissen Grundbegriffen stufenweise abgeleitet, „konstituiert“ werden, so dass sich ein Stammbaum der Begriffe ergibt, in dem jeder Begriff seinen bestimmten Platz findet. [. . .] Ein Gegenstand (oder Begriff) heißt auf einen oder mehrere andere Gegenstände „zurückführbar“, wenn alle Aussagen über ihn sich umformen lassen in Aussagen über diese anderen Gegenstände.“ 114

Der sprachliche Ausdruck Mensch würde etwa als Ausdruck höherer Stufe durch Ausdrücke mittlerer Stufe wie Zweifüßler, Federloses und Sprachbegabtes konstituiert, die ihrerseits wieder durch Ausdrücke wie Sinnenwesen konstituiert würden, bis man bei den Grundbegriffen angelangt ist. Mensch würde einen Knotenpunkt bilden, in dem die Verwendungsbedingungen der ihn konstituierenden Ausdrücke zusammen liefen, wie Fäden, die zu einem Netz verknüpft werden. Da wissenschaftliche Aussagen nur sinnvoll sind, wenn sie sich an der Erfahrung als falsch erweisen können, ist der Anschluss eines solchen Konstitutionssystems an die wahrnehmbare Lebenswelt von zentraler Bedeutung. Jeder in dem System sprachlicher Ausdrücke vorkommende Ausdruck muss daher letztlich eine Verwendungsbedingung besitzen, die an ein lebensweltlich, wahrnehmbares Ereignis anknüpft.115 Das klassische Vorgehen hierbei ist, die Verwendungsbedingung eines die Rolle eines Grundbegriffs einnehmenden sprachlichen Ausdrucks durch das Aufzeigen einzelner lebensweltlicher Ereignisse zu bestimmen, die Beispiele des Vorliegens der Verwendungsbedingung sein sollen.116 So wie sich etwa die Höhe des Tones „a“ durch das Erklingen-lassen einer Stimmgabel in der Anschauung aufzeigen lässt.117 112 113 114 115 116 117

Schlick (1925), S. 97. Dazu oben a). Carnap (1928a), S. 1. Carnap (1928a), S. 16. Carnap (1928a), S. 16; Schlick (1925), 45 ff. u. 54. Schlick (1925), S. 47.

2. Gegenstände von Festlegungen

37

„Die Definition eines Begriffes besteht in der Angabe seiner Merkmale; diese aber müssen zu ihrer genauen Bestimmung wiederum definiert, d. h. in weitere Merkmale aufgelöst werden, und so fort. [. . .] In der Tat kommt man aber sehr bald auf Merkmale, die sich schlechterdings nicht mehr definieren lassen; die Bedeutung der diese letzten Merkmale bezeichnenden Worte kann nur demonstriert werden durch die Anschauung, durch unmittelbares Erleben.“ 118

Jedoch ergibt sich daraus eine dem Streben der Wissenschaft nach absolut exakten Begriffen widerstreitende Unschärfe. Denn für das gegenwärtige lebensweltliche Ereignis muss entschieden werden, inwieweit es dem vorangegangenen, als Beispiel des Vorliegens der Verwendungsbedingung gegebenen Ereignisses gleicht. Wahrnehmungs- und Erinnerungsvorstellung müssen verglichen werden. Aber selbst die Zeigerstellung einer Messapparatur lässt sich niemals mit absoluter Genauigkeit angeben, ohne dass jeder Ablesung ein mehr oder minder großer Fehler innewohnt.119 Dieser Methode den Inhalt des Begriffs in der Anschauung deiktisch, durch hinweisende Gebärde aufzuzeigen, steht die so genannte implizite Definition gegenüber. Schlick übernimmt die Idee der impliziten Definition von dem Mathematiker David Hilbert (1862–1943) und führt sie als allgemeine Methode für die Naturwissenschaft ein. In seiner Schrift „Grundlagen der Geometrie“ 120 formulierte Hilbert ein Axiomensystem (AS) der euklidischen Geometrie. Dabei löst er das Problem, die letzten Grundbegriffe so einzuführen, dass die Gültigkeit der mit ihnen formulierten Axiomen mit wissenschaftlicher Strenge verbürgt ist, indem er die Grundbegriffe nicht in der Anschauung aufzeigt, sondern indem er festsetzt, dass die Grundbegriffe eben genau auf das zutreffen sollen, was den in den Axiomen formulierten Aussagen genügt.121 „Die Aufgabe war: die im gewöhnlichen Sinne undefinierbaren Grundbegriffe auf solche Weise einzuführen, dass die Gültigkeit der von ihnen handelnden Axiome streng verbürgt wird. Und sie wird nach Hilbert einfach so gelöst, dass man festsetzt: die Grundbegriffe sollen eben dadurch definiert sein, dass sie den Axiomen genügen.“ 122 „Die implizite Definition dagegen steht nirgends in Gemeinschaft oder Verbindung mit der Wirklichkeit, sie lehnt sie absichtlich und prinzipiell ab, sie verharrt im Reich der Begriffe. [. . .] Allerdings bedurfte es dazu einer radikalen Trennung des Begriffs von der Anschauung, des Denkens von der Wirklichkeit. Wir beziehen beide Sphären wohl aufeinander, aber sie scheinen gar nicht miteinander verbunden, die Brücken zwischen ihnen sind abgebrochen.“123

118 119 120 121 122 123

Schlick (1925), S. 45 f. Schlick (1915), S. 44. Hilbert (1930), 1. Kap., S. 2 ff. Schlick (1925), S. 50, 55. Schlick (1925), S. 50. Schlick (1925), S. 55 f.

38

I. Der logische Zwang

Hierin liegt eine Umkehrung, die sich auf Theorien anderer Gebiete übertragen lässt. Die Axiome einer Theorie als die Menge von Grundaussagen, aus denen alle anderen Aussagen deduktiv ableitbar sind, werden nicht als Aussagen über aus der Anschauung bekannte Gegenstände betrachtet, auf die sich die letzten Grundbegriffe beziehen. Vielmehr akzeptiert man, dass die in den Axiomen auftretenden letzten Grundbegriffe noch nicht zuvor bestimmt sind, sondern überhaupt erst durch die Axiome in der Weise bestimmt werden, dass sie sich auf dasjenige beziehen sollen, welches sich eben so verhält, wie die Axiome sagen, dass es sich verhält.124 „Im Gegensatz zu der früher erörterten Begriffsbestimmung durch explizite Definition werden hier die neuen Begriffe nicht an alte angeschlossen, sondern nur nach der formalen Beschaffenheit, die sie in sich haben, festgelegt; daher die Bezeichnung ,implizite Definition‘ für die Begriffsbestimmung durch ein AS. Das Wort ,die Zahlenklasse‘ oder genauer ,die Zahlenfolge‘ [. . .] bedeutet dann also nichts anderes als ,das, was sich so verhält, wie das Peanosche AS es angibt‘.“ 125

Carnap greift die Idee der impliziten Definition auf, Aussagen nicht als Aussagen über etwas zu betrachten, sondern als Feststellung einer Beziehung zwischen zwei sprachlichen Ausdrücken, indem er für die Anbindung eines Konstitutionssystems die Methode der strukturellen Kennzeichnung einführt. Bei der Anbindung eines Konstitutionssystems ist die Aufgabe, die durch die axiomatischen Aussagen verknüpften Grundbegriffe, so mit den lebensweltlichen Gegenständen zu korrelieren, dass die axiomatischen Aussagen die tatsächlichen Beziehungen der lebensweltlichen Gegenstände zutreffend beschreiben. Das Netz durch Aussagen verknüpfter sprachlicher Ausdrücke muss mit dem Netz durch empirische Tatsachen verknüpfter lebensweltlicher Gegenstände zur Deckung gebracht werden.126 Wird ein sprachlicher Ausdruck dadurch implizit definiert, dass mit den Axiomen seine Beziehung zu anderen sprachlichen Ausdrücken festgelegt wird, so ist dem sprachlichen Ausdruck ein lebensweltlicher Gegenstand dadurch zuzuordnen, dass man in dem Beziehungsgeflecht der Lebenswelt den Knoten als lebensweltlichen Gegenstand mit dem sprachlichen Ausdruck benennt, der mit anderen lebensweltlichen Gegenständen so verknüpft ist, wie der sprachliche Ausdruck durch die Axiome mit anderen sprachlichen Ausdrücken.127 Die strukturelle Kennzeichnung löst diese Aufgabe dadurch, dass beginnend mit einer hypothetischen Zuordnung eines sprachlichen Ausdrucks zu einem lebensweltlichem Gegenstand schrittweise die Aussagen über den lebensweltlichen Gegenstand mit dessen Beziehungen zu anderen lebensweltlichen Gegenständen probeweise korreliert werden, und deren Beziehungen dann wiede124

Carnap (1927), S. 360 f.; ders. (1928a), S. 19. Carnap (1927), S. 361; eine Formulierung Peanos Axiomensystems der natürlichen Zahlen in symbolischer Schreibweise findet sich bei Carnap (1960), § 44, S. 184 f. 126 Vgl. Schlick (1925), S. 90. 127 Vgl. Schlick (1925), S. 91 f. 125

2. Gegenstände von Festlegungen

39

rum zu weiteren lebensweltlichen Gegenständen, bis eine passende Zuordnung gefunden ist, die dem sprachlichen Ausdruck einen lebensweltlichen Gegenstand eindeutig zuordnet. Diese Art, ein Netz sprachlicher Ausdrücke mit der Wirklichkeit zu verknüpfen, veranschaulicht Carnap am Beispiel der Zuordnung eines Knotenpunktes in einer schematischen Karte eines Eisenbahnschienennetzes zu der tatsächlichen Haltestelle in der Lebenswelt.128 Solche Karten sind nicht maßstabsgerecht, sondern geben einzig und allein die Struktur des Streckennetzes aus Haltestellen und Gleisstrecken wieder. Für die Zuordnung muss daher die Zahl der Verbindungen, die in einer Haltestelle zusammenlaufen, mit der Zahl der Linien, die in einem Knotenpunkt zusammenlaufen, in Übereinstimmung gebracht werden. Findet man eine Haltestelle mit einer den Linien im Knotenpunkt entsprechenden Anzahl von Gleisstrecken, so hat man Schritt für Schritt die Anzahl der Linien der Nachbarknotenpunkte mit der Anzahl der Gleisstrecken der Nachbarhaltestellen zu vergleichen und so weitergehend dann erneut für deren Nachbarelemente.129 Die Anbindung eines Konstitutionssystems wird dadurch erleichtert, dass die sprachlichen Ausdrücke in Beziehungen stehen, denen formale Eigenschaften zukommen. Eine Beziehung kann symmetrisch (gilt auch bei vertauschten Argumenten, also in umgekehrter Richtung), reflexiv (gilt auch bei Identität der Argumente, also von sich selbst) oder transitiv (gilt auch über das Argument hinweg, also für das übernächste Glied) sein oder auch nicht.130 Der sprachliche Ausdruck Vorfahre etwa bezeichnet eine asymmetrische (der Nachkomme ist nicht Vorfahre des anderen), irreflexive (niemand ist sein eigener Vorfahre) aber transitive (der Vorfahre des Vorfahren ist auch der Vorfahre des Nachkommen seines Nachkommens) Beziehung. Damit wird deutlich, dass ein Konstitutionssystem neben den letzten Grundbegriffen, die auf lebensweltliche Gegenstände zutreffen, bereits formal definierte Grundrelationen mitbringt.131 Ein anschaulicher Ausschnitt aus einem Konstitutionssystem sind die sprachlichen Ausdrücke der biologischen Verwandtschaftsausdrücke. Mit nur drei Axiomen wird eine Struktur zwischen sprachlichen Ausdrücken festgelegt, die der Struktur lebensweltlicher Abstammungsverhältnisse entspricht, so dass sich Ausdrücke wie Vater, Mutter, Vorfahre, Kind, Sohn, Tochter, Geschwister, Bruder, Schwester, usw. auf die entsprechenden lebensweltlichen Personen eines Stammbaumes zuordnen lassen. Konkret würden diese Axiome lauten: (1) Jeder hat höchstens einen Vater. (2) Jeder hat höchstens eine Mutter. (3) Niemand ist sein eigener Vorfahre.132 128

Carnap (1928a), S. 17. Eindeutig gelingt die Abbildung freilich nur dann, wenn das Netzwerk hinreichend asymmetrisch ist. 130 Carnap (1928a), S. 13. 131 Carnap (1928a), S. 19 ff. 132 In symbolischer Schreibweise: (1) VA(x,z) ^ VA(y,z)  (x = y), (2) MU(x,z) ^ MU(y,z)  (x = y), (3) :VF(x,x). Siehe im einzelnen Carnap (1960), § 54 S. 222. 129

40

I. Der logische Zwang

Zurück zum logischen Schluss aus dem obigen Beispiel. Ein Sprecher, der den Satz der zweiten Prämisse „Sokrates ist ein Mensch“ äußert, legt sich nun auf die Tatsache fest, dass das mit Sokrates Benannte alle Eigenschaften aufweist, die der sprachliche Ausdruck Mensch als Verwendungsbedingungen vorgibt. Zugleich aber legt er sich auch darauf fest, dass der sprachliche Ausdruck Mensch nur solche Merkmale als Verwendungsbedingungen zusammenfasst, die das mit Sokrates Benannte realisiert. Letzteres aber bedeutet nichts anderes als ein Brückenschlag zur wahrnehmbaren Lebenswelt, womit eine bestimmte Anbindung des gesamten Systems sprachlicher Ausdrücke mit der Wirklichkeit anerkannt wird. Mit der Äußerung des Satzes der ersten Prämisse „Alle Menschen sind Sinnenwesen“ erkennt der Sprecher zudem ein Bedeutungspostulat an, welches das Verhältnis der Ausdrücke Mensch und Sinnenwesen in dem System sprachlicher Ausdrücke festlegt. Die beiden Äußerungen zusammengenommen bewirken dann, dass das mit Sokrates Benannte auch alle Eigenschaften aufweist, die der sprachliche Ausdruck Sinnenwesen als Verwendungsbedingungen vorgibt. Denn aufgrund des Bedeutungspostulats werden die Verwendungsregeln des sprachlichen Ausdrucks Mensch, der etwas aussagt, durch Bezug auf den sprachlichen Ausdruck Sinnenwesen, der ausgesagt wird, in der Weise spezifiziert, dass sie Verwendungsregeln des sprachlichen Ausdrucks Sinnenwesen als Teilmenge enthalten. Sind die Verwendungsbedingungen des Ausdrucks Mensch erfüllt, sind zugleich auch immer die Verwendungsbedingungen des Ausdrucks Sinnenwesen erfüllt. Nach der Äußerung der beiden Prämissen hat der Sprecher daher keine Freiheit mehr bei der Frage, ob Sokrates ein Sinnenwesen ist. Er hat sich bereits auf die Tatsache der Konklusion, dass Sokrates ein Sinnenwesen ist, festgelegt. Allerdings steht die Wahrheit der Konklusion nicht fest, unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist, allein aufgrund der Verwendungsregeln der in den Sätzen vorkommenden Ausdrücke. Der Satz der zweiten Prämisse formuliert einen lebensweltlichen Sachverhalt, so dass die Wahrheit der Konklusion davon abhängig ist, dass der Sachverhalt der zweiten Prämisse tatsächlich in der Welt der Fall ist. Lediglich das Bedeutungspostulat der ersten Prämisse ist als Bestimmung der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks in Bezug auf einen anderen sprachlichen Ausdruck, unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist. c) Festlegungen auf naturgesetzliche Zusammenhänge Ein logischer Schluss ist aber auch möglich allein mit Prämissen, die Aussagen sind, über das, was in der Welt der Fall ist. Ein Beispiel hierfür ist etwa der logische Schluss mit den Prämissen (1) „Bei Vollmond erreichen die Gezeiten ihr Maximum“,133 (2) „Heute ist Vollmond“ 134 und der Konklusion (3) „Die Gezeiten erreichen heute ihr Maximum“.135

2. Gegenstände von Festlegungen

41

Es handelt sich um logische Schlüsse der so genannten Aussagenlogik, deren Aufbau nicht den Grundfiguren der Syllogistik entsprechen. Während es beim kategorischen Syllogismus entscheidend auf die interne Struktur der Sätze in der Weise ankommt, dass die beiden Prämissen durch ein und denselben Ausdruck – den so genannten Mittelausdruck – verknüpft werden, während die beiden anderen Ausdrücke der Prämissen sich in der Subjekts- und Prädikatsposition der Konklusion wiederholen, kommt es bei einem logischen Schluss der Aussagenlogik nur auf die logischen Verknüpfungen der für sich isoliert stehenden Aussagen an. Die ersten Beiträge zu einer Aussagenlogik finden sich in der nur fragmentarisch überlieferten Logik der Stoa. Die wohl vorrangig von Chrysippos von Soli (278/76 v. Chr. – 208/4 v. Chr.) entwickelte Aussagenlogik vertritt eine wahrheitsfunktionale Definition der logischen Terme. Für das logische Schließen werden Schemata von Schlussregeln formuliert. Als elementare Syllogismen bezeichnet Chrysippos die folgenden fünf Schemata:136 I. X ) Y X Y Modus ponens

II. X ) Y ^Y ^X Modus tollens

III. ^(X  Y) X ^Y kein Namen

IV. X >-< Y V. X ^Y Modus tollendo ponens

X >-< Y ^Y X Modus ponendo tollens

„)“ = WENN, DANN ; „^“ = NICHT; „“ = UND ; „>-

p

q

W

W

W F

F W

F

F

Mit der Äußerung des Satzes der zweiten Prämisse geht der Sprecher so dann die Festlegung ein, dass heute Vollmond ist, und verkürzt so seinen Spielraum um alle Sachverhaltskonstellationen, bei denen es nicht der Fall ist, dass Vollmond ist. Damit aber bleibt als Sachverhaltskonstellation, in der die Aussage des Antezedens wahr ist, allein die erste Konstellation übrig. Hierbei handelt es sich aber um eine Sachverhaltskonstellation bei der auch der Sachverhalt der Konsequenz wahr ist. 164

Carnap (1960), S. 8; Tugendhat/Wolf (1997), S. 117 f.; Quine (1964), S. 42.

48

I. Der logische Zwang Spielraum: p

p

q

1.

W

W

W

2. 3.

W F

ˆ>

W F

F W

4.

F

ˆ>

F

F

Die beiden Äußerungen zusammengenommen bewirken daher, dass der Sprecher hinsichtlich der Sachverhalte in der Konsequenz keine Freiheit mehr hat, etwas anderes zu behaupten, als dass die Gezeiten heute ihr Maximum erreichen. 3. Der logische Zwang a) Der logische Implikationszusammenhang zwischen Prämissen und Konklusion In der Kurzgeschichte Carrolls von dem „logischen“ Wettlauf zwischen Archilles und der Schildkröte nimmt die Schildkröte die Position ein, dass sie zwar die Prämissen als wahr anerkennt, nicht jedoch den logischen Schluss selbst, das heißt, den Umstand, dass aus den wahren Prämissen die Wahrheit der Konklusion logisch folgt.165 Für genau diesen Schritt aber, von den wahren Prämissen zur wahren Konklusion, erwartet man, dass der Zwang der Logik wirksam wird. Auf der Suche nach dem logischen Zwang ist daher das Verhältnis der Prämissen zur Konklusion zu betrachten. Der logisch gültige Schluss, den die Schildkröte in der Kurzgeschichte vorgibt, ist mit dem Satzschema WENN A UND B, DANN C gebildet. Das Verhältnis der Prämissen zur Konklusion ist bei der Darstellung der logik-resistenten Position der Schildkröte ohne nähere Erläuterung als logische Wenn-Dann-Implikation bezeichnet worden.166 Für die Klärung des Verhältnisses der Prämissen zur Konklusion ist dies nun nachzuholen. Tatsächlich handelt es sich bei einem logischen Schluss um nichts anderes als um die Verknüpfung zweier Sätze zu einem Konditionalsatz, wobei die Gesamtheit der mit dem UND-Junktor zu einer komplexen Aussage verknüpften Prämisse im Antezedens steht, während die Konklusion die Position der Konsequenz einnimmt. Im Unterschied zur materialen Implikation formuliert der Konditionalsatz des logischen Schlusses jedoch weder einen naturgesetzlichen Zusammenhang zweier lebensweltlicher Sachverhalte noch eine Bedeutungsbestimmung ei-

165 166

Dazu oben 1. a). Dazu oben 1. a).

3. Der logische Zwang

49

nes sprachlichen Ausdrucks in Bezug auf einen anderen sprachlichen Ausdruck im Sinne eines Bedeutungspostulats. Der Konditionalsatz sagt vielmehr den logischen Zusammenhang zwischen Prämissen und Konklusion aus, dass bei keiner Konstellation die Situation auftritt, dass die Gesamtheit der Prämissen wahr ist aber die Konklusion falsch. Im Unterschied zur materialen Implikation schließt die logische Implikation daher keine Konstellation aus in dem Sinne, dass etwas nicht der Fall sein kann, oder per Definition nicht zugelassen wird. Der Zusammenhang der logischen Implikation ist vielmehr der, dass egal welche Konstellation man betrachtet, die Situation einer falschen Konklusion bei wahrer Gesamtheit der Prämissen nicht auftritt. Der Spielraum des Ausdrucks im Antezedens ist im Spielraum des Ausdrucks in der Konklusion enthalten,167 d. h. die Menge der Konstellationen, für die die Gesamtheit der Prämissen wahr ist, eine Teilmenge der Konstellationen ist, für die die Konklusion wahr ist. Damit beschreibt die logische Implikation einen logisch gültigen Schluss von der Gesamtheit der Prämissen auf die Konklusion. Anhand einer Wahrheitstafel lässt sich die Gültigkeit eines logischen Schlusses beweisen, indem man zeigt, dass es sich bei der materialen Implikation aus der Konjunktion der Prämissen und der Konklusion um eine Tautologie handelt. Dies ist, im Gegensatz zur materialen Implikation, der Zusammenhang der logischen Implikation. In dem Satzschema „WENN A UND B, DANN C“ stehen A und B für die Sätze der beiden Prämissen und C für den Satz der Konklusion. Alle in der vorangegangenen Betrachtung gebildeten Beispielsschlüsse sind der Übersicht halber so gewählt worden, dass sie diesem Satzschema entsprechen. Die Positionen A, B und C des Satzschemas sind dann, außer im Fall des ersten Beispielsschlusses wie folgt realisiert worden: Die Stelle A des Satzschemas, also die erste Prämisse, ist durch Konditionalsätze der materialen Implikation realisiert worden, die ein Bedeutungspostulat oder einen naturgesetzlichen Bedingungszusammenhang formulierten. In der Darstellung mit Wahrheitstafeln wird die Aussage des Antezedens durch die Variable „p“ und die Aussage der Konsequenz durch die Variable „q“ vertreten. Für B des Satzschemas, also die zweite Prämisse, standen Sätze, mit deren Äußerung die Aussage des Antezedens aus der (konkretisierten) materialen Implikation der ersten Prämisse behauptet wird – also einfach „p“. Für die Gesamtheit der UND-verknüpften Prämissen ergibt sich dann ein Spielraum, in dem nur die erste Konstellation enthalten ist, d. h. die aus der Verknüpfung der Prämissen gebildete komplexe Aussage ist nur bei der Konstellation wahr, in der die Aussagen des Antezedens und der Konsequenz zutreffen.

167

Carnap (1960), § 6a S. 20.

50

I. Der logische Zwang p

q

(p



q)

^

p

1. 2.

W W

W F

W W

W F

W F

W F

W W

3. 4.

F F

W F

F F

W W

W F

F F

F F

An der Stelle C des Satzschemas, also als Konklusion, schließlich standen dann Sätze, mit deren Äußerung die Aussage der Konsequenz aus der (konkretisierten) materialen Implikation der ersten Prämisse behauptet wird – also „q“. Damit besteht der Spielraum der Konklusion aus der ersten und dritten Konstellation. q 1. 2.

W F

3. 4.

W F

Infolgedessen ist der Spielraum der Gesamtheit der Prämissen in dem Spielraum der Konklusion enthalten und zwar unabhängig von dem, was in der Welt der Fall ist. Denn der Spielraum ergibt sich ja aus der Betrachtung aller möglicher Fälle. Immer wenn die Aussage des komplexen Satzes „(p  q) ^ p“ wahr ist, ist auch die Aussage des Satz „q“ wahr. Die Konklusion wird damit von der Gesamtheit der Prämissen logisch impliziert. Es handelt sich um einen logischen Schluss, dessen Gültigkeit sich anhand der Wahrheitstafel zeigt, wenn man den logischen Schluss nach dem Satzschema WENN A UND B, DANN C als komplexer Satz mit der logischen Form „((p  q) ^ p)  q“ in einer Wahrheitstafel betrachtet. Die materiale Implikation aus der Konjunktion der Prämissen und der Konklusion weist für alle Konstellationen den Wert wahr aus, womit es sich bei dem um eine Tautologie handelt. p

q

((p



q)

^

p)



q

1.

W

W

W

W

W

W

W

W

W

2. 3.

W F

F W

W F

F W

F W

F F

W F

W W

F W

4.

F

F

F

W

F

F

F

W

F

Im Fall des ersten Beispielschlusses werden A, B und C des Satzschemas, also die beiden Prämissen und die Konklusion, jeweils durch ein Bedeutungspostulat

3. Der logische Zwang

51

realisiert.168 Der logische Schluss nach dem Satzschema WENN A UND B, DANN C entspricht dann einem komplexer Satz mit der logischen Form: „((p  q) ^ (q  r))  (p  r)“. Auch hier zeigt sich die Gültigkeit des Schlusses und der Zusammenhang der logischen Implikation zwischen der Gesamtheit der Prämissen und der Konklusion in der Eigenschaft als komplexer Satz eine Tautologie darzustellen. Dies lässt sich wiederum aus einer Wahrheitstafel ersehen. p

q

r

((p 

q)

^

(q



r))



(p



r)

1. 2.

W W

W F

W W

W W W F

W F

W F

W F

W W

W W

W W

W W

W W

W W

3. 4.

F F

W F

W W

F F

W W

W F

W W

W F

W W

W W

W W

F F

W W

W W

5. 6.

W W

W F

F F

W W W F

W F

F F

W F

F W

F F

W W

W W

F F

F F

7. 8.

F F

W F

F F

F F

W F

F W

W F

F W

F F

W W

F F

W W

F F

W W

Es stellt sich nun aber die Frage, ob dieser konditionale Zusammenhang der logischen Implikation zwischen der Gesamtheit der Prämissen und der Konklusion dem in einem Konditionalsatz formulierten naturgesetzlichen Zusammenhang zweier lebensweltlicher Sachverhalte bzw. dem in einem Bedeutungspostulat festgesetzten Zusammenhang der Bedeutungsbestimmung eines sprachlichen Ausdrucks in Bezug auf einen anderen in der Weise entspricht, dass der Zusammenhang der logischen Implikation Gegenstand einer eigenen weiteren Festlegung ist, deren es bedarf, um einen logischen Schluss vollständig zu machen. Um einem Sprecher seine Festlegung auf die Konklusion entgegenzuhalten, wäre dann erforderlich, dass der Sprecher im vorangegangenen Verlauf der sprachlichen Interaktion nicht nur die Prämissen behauptet haben müsste, sondern darüber hinaus eben auch noch den Zusammenhang der logischen Implikation zwischen der Gesamtheit der Prämissen und der Konklusion. Umgekehrt könnte ein Adressat den Prämissen zustimmen und sich doch mit dem Hinweis, dass er nicht den logischen Implikationszusammenhang zugestimmt habe, weigern, die Konklusion zu akzeptieren. Genau diese Position ist es nun, die die Schildkröte in Carrolls Kurzgeschichte einnimmt. Und wie Carroll zeigt, endet der Versuch, jemanden zur Akzeptanz des logischen Schlusses zu zwingen, in einem regressus ad infinitum, da die Akzeptanz des Zusammenhangs der logischen Implikation zwischen der Gesamtheit der Prämissen und der Konklusion nur bewirkt, dass ein neuer logischer Implikationszusammenhang entsteht, der erneut in Frage ge168

Dazu oben 2. a).

52

I. Der logische Zwang

stellt werden kann169 – der logische Implikationszusammenhang nämlich zwischen der um den akzeptierten Implikationszusammenhang erweiterten Gesamtheit der Prämissen und der Konklusion. Tatsächlich ist ein solches Verständnis des konditionalen Zusammenhangs der logischen Implikation zwischen der Gesamtheit der Prämissen und der Konklusion auch verfehlt. Der logische Implikationszusammenhang ist nicht eine weitere Bedingung des logischen Schlusses, sondern die Folge aus Festlegungen, die bereits mit Anerkennung der Prämissen, sei es durch Behaupten als Sprecher oder Zustimmen als Adressat, eingegangen wurden. Mit der Anerkennung der Prämissen verkürzt sich der Spielraum, so dass die Konstellationen bereits ausgeschlossen sind, die der Fall sein müssten, wenn die Konklusion falsch wäre. Es sind nur noch solche Konstellationen übrig, in denen die Konklusion wahr ist. Bei logischen Schlüssen, die ausschließlich aus Prämissen mit materialen Implikationen bestehen, wie etwa der erste Beispielschluss, und damit komplexen Sätzen mit der logischen Form „((p  q) ^ (q  r))  (p  r)“ entsprechen, verkürzt sich der Spielraum auf Konstellationen, für die zwischen „p“ und „r“ die materiale Implikation gilt, d. h. es ist keine Konstellation mehr im Spielraum, bei der „p“ wahr ist, ohne dass zugleich auch „r“ wahr ist. Bei den Beispielschlüssen, die Sätzen mit der logischen Form „((p  q) ^ p)  q“ entsprechen, verkürzt sich der Spielraum auf Konstellationen, in denen „q“ wahr ist. Auch der logische Schluss aus Carrolls Kurzgeschichte, aufgrund dessen Achilles die Schildkröte zwingen soll, die Konklusion Z anzuerkennen, ist ein Schluss nach dem Satzschema WENN A UND B, DANN Z, dem der komplexe Satz mit der logischen Form „(p  q) ^ p  q“ entspricht. Der Trick der Schildkröte und der Fehler von Achilles ist nun genau der, dass der logische Implikationszusammenhang zwischen der Gesamtheit der Prämissen und der Konklusion als eigene weitere Festlegung behandelt wird, deren es bedarf, um einen logischen Schluss vollständig zu machen. „,And might there not also be some reader who would say „I accept A and B as true, but I don’t accept the Hypothetical“?‘ ,Certainly there might. [. . .]‘ ,And neither of these readers‘, the Tortoise continued, ,is as yet under any logical necessity to accept Z as true?‘ ,Quite so,‘ Achilles assented.“ 170

Tatsächlich steht die Schildkröte nämlich nach Zustimmung zu den Prämissen A und B bzw. zu der Konjunktion „(p  q) ^ p“ als Gesamtheit der Prämissen unter dem logischen Zwang die Aussage Z bzw. „q“ als wahr anerkennen zu müssen. Denn mit Zustimmung zu den Prämissen, wirken diese zusammen, so dass 169 170

Dazu oben 1. a). Carroll (1895), S. 1050.

3. Der logische Zwang

53

sie alle Konstellationen, in denen die Aussage Z bzw. „q“ nicht der Fall ist, ausgeschlossen hat. Die in ihrem Spielraum verbliebene Konstellation ist allein eine solche, bei der die Aussage Z bzw. „q“ wahr ist. Indem die Schildkröte aber alle Konstellationen, in der die Aussage Z bzw. „q“ falsch ist, durch Zustimmung zu den Prämissen A und B aus dem Spielraum als der Menge aller noch möglichen Konstellationen herausgestrichen hat, hat sie nichts anderes getan, als die die Negation der Aussage Z bzw. „q“ zu negieren. Sie hat sich darauf festgelegt, dass es nicht der Fall ist, dass die Aussage Z bzw. „q“ falsch ist. Sie hat sich darauf festgelegt, die Aussage Z bzw. „q“ nicht (mehr) zu bestreiten. Tatsächlich wirkt hier der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, dessen Geltung den logischen Schluss von der Negation der Negation einer Aussage auf die Bejahung der Aussage ermöglicht.171 In die Sprechweise von Festlegungen übersetzen heißt dies, dass jemand sich auch auf das festlegt, was er nicht (mehr) bestreiten kann. Dies ist die logische Notwendigkeit, die die Schildkröte zwingt, anzuerkennen, dass Z bzw. „q“ der Fall ist. Die Schildkröte verletzt den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Archilles wäre daher zu raten gewesen, die Schildkröte auf die Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten festzulegen, anstatt Schritt für Schritt den logischen Implikationszusammenhang des früheren Schlusses als Prämisse für den späteren Schluss zu notieren. Mit dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist ein wesentliches Moment des logischen Zwangs offengelegt. Die Verkürzung des Spielraums bedeutet eine Beschränkung des Möglichkeitsraums, bestimmte Aussagen oder Beziehungen zwischen Aussagen zu behaupten. Die Welt – das was der Fall ist – hat sich auf die in dem Spielraum verbliebenen Konstellationen verengt. Allerdings bewirkt die Verkürzung des Spielraums die Beschränkung weiterer Aussagen nur, soweit ein Sprecher bereit ist, Widersprüche zu vermeiden.172 Die Verkürzung des Spielraums beruht darauf, dass der Sprecher sich auf das festgelegt, was er nicht bestreiten kann, ohne sich in einen Selbstwiderspruch zu begeben. Es stellt sich daher die Frage, nach der Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch. b) Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch In der Logik lautet der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, dass es unmöglich ist, dass eine Aussage und gleichzeitig ihre Verneinung wahr sind.173 Der Satz vom Widerspruch hat die logische Form :(p ^ :p).174 Für Aristoteles In symbolischer Schreibweise: ::p  p: Strawson (1952), S. 2: „A deductive argument is a sort of threat, which takes the form: if you accept these premises as true, then you must accept this conclusion as true as well, on pain of self-contradiction.“ 173 Tugendhat/Wolf (1997), S. 50. 174 Carnap (1960), § 8a, S. 26. 171 172

54

I. Der logische Zwang

handelt es sich beim Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch um das sicherste Prinzip der Wissenschaft überhaupt, bei welchem Täuschung unmöglich ist. Aristoteles formuliert: „Dass nämlich dasselbe demselben in derselben Beziehung [. . .] unmöglich zugleich zukommt und nicht zukommen kann, das ist das sicherste unter allen Prinzipien.“ 175

Aristoteles sieht hierin die Grundannahme, die jedem Beweis zugrunde liegt und daher selbst weder zu beweisen ist noch bewiesen werden muss. Dennoch gibt Aristoteles eine Plausibilitätsüberlegung, indem er zeigt, dass sich der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht bestreiten lässt.176 Dabei ist der Gedanke der, dass der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht bestritten werden kann, ohne dass die Möglichkeit etwas zu sagen, insgesamt bestritten wird, was auch die Möglichkeit nehmen würde, den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch zu bestreiten. Das Bestreiten des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch kann nur in einem Medium vollzogen werden, in dem der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch gilt. Aristoteles nimmt an, dass, etwas zugleich mit seinem Gegenteil auszusagen, und, etwas Bestimmtes auszusagen, sich gegenseitig ausschließt.177 Nichts Bestimmtes auszusagen, ist aber dasselbe wie, überhaupt nichts auszusagen.178 Jemand, der den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch bestreitet und also vertritt, dass etwas zugleich mit seinem Gegenteil ausgesagt werden kann, der müsste dazu kommen, dass er überhaupt nichts aussagen kann und widerlegt sich in dem Augenblick selbst, in dem er zugibt, überhaupt etwas zu sagen.179 Dafür, dass nichts Bestimmtes auszusagen, dasselbe ist wie, überhaupt nichts auszusagen, gibt Peter Strawson eine anschauliche Erklärung.180 Sprachliche Ausdrücke, die dazu dienen, Gegenständen Eigenschaften zuzuschreiben, sind vergleichbar mit Grenzlinien in einer Ebene. Mit einem prädizierenden Satz wird dann ausgesagt, dass sich der Gegenstand in der Ebene auf der einen Seite der Grenzlinie und nicht auf der anderen befindet. Nur ein sprachlicher Ausdruck, der eine Eigenschaft bezeichnet, die ausnahmslos allen Gegenständen zukommt, 175

Aristoteles (Meta. IV), S. 1005b. Ausführliche Darstellung bei: Tugendhat/Wolf (1997), S. 55 ff. 177 Aristoteles (Meta. IV), S. 1006a: „Zuerst nun also ist eben dies selbst wahr, dass das Wort ,sein‘ und das Wort ,nicht-sein‘ etwas Bestimmtes bezeichnet, so dass unmöglich sich alles zugleich so und auch nicht so verhalten kann.“ 178 Aristoteles (Meta. IV), S. 1006b: „Könnte dies aber nicht geschehen, sondern behauptete vielmehr jemand, das Wort bezeichne unendlich vieles, so wäre offenbar gar keine Rede möglich, denn nicht ein Bestimmtes bezeichnen ist dasselbe wie nichts bezeichnen.“ 179 Aristoteles (Meta. IV), S. 1006a: „Doch eine widerlegender Beweis für die Unmöglichkeit der Behauptung lässt sich führen, sobald der dagegen Streitende nur überhaupt redet. [. . .] Die Grundlage zum Beweise aber gibt nicht der Beweisende, sondern der, welcher Rede steht; denn er steht Rede, obgleich er doch die Rede aufhebt.“ 180 Tugendhat/Wolf (1997), S. 58. 176

3. Der logische Zwang

55

würde keine Grenze ziehen. Solche Ausdrücke wären aber zugleich völlig unbrauchbar, um einen Gegenstand zu beschreiben.181 Mit ihnen ließe sich also nichts aussagen. Auch dafür, dass etwas Bestimmtes auszusagen, ausschließt, dass etwas zugleich auch mit seinem Gegenteil ausgesagt wird, ist das Bild von der Grenzziehung anschaulich. Denn wenn die Aussage eines prädizierenden Satzes darin besteht, einen Gegenstand auf einer Seite anstatt auf der anderen Seite der Grenzlinie zu verorten, dann geht die Aussage des prädizierenden Satzes verloren, sobald zugleich das Gegenteil ausgesagt wird, d. h. der Gegenstand auch auf der anderen Seite verortet wird.182 Ein Widerspruch zwischen zwei Aussagen bewirkt daher, dass sich beide Aussagen gegenseitig aufheben. Jede Aussage bewirkt jeweils, dass die andere durchgestrichen wird – die Aussagen kürzen sich gegenseitig raus.183 Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch formuliert daher eine Grundbedingung für die Möglichkeit einer Aussage überhaupt.184 Damit lässt sich der logische Zwang weiter beschreiben. Es handelt sich um die Verkürzung des Spielraums, der aufgrund der Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch die Möglichkeiten für weitere Aussagen einengt. Der logische Zwang erwächst aus dem Umstand, dass jeder, der überhaupt etwas sagen will, keine Widersprüche eingehen darf, und daher die Verkürzung des Spielraums aus den Prämissen bei der Frage nach der Geltung der Konklusion beachten muss. c) Die Bestandseigenschaft von Aussagen im Verlauf sprachlicher Interaktion Die Offenlegung des Mechanismus des logischen Zwangs hat schließlich auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Ort des logischen Zwangs, wie in Carrolls Kurzgeschichte, stets eine sprachliche Interaktion ist, in der der eine den anderen eben mit Hilfe des logischen Zwangs zwingen will, einer bestimmten Aussage zuzustimmen. In der Logik wird bei der Betrachtung des gültigen Schließens jedoch von den Dimensionen der sprachlichen Interaktion abstrahiert. Die Logik kennt keine Sprechakteure und auch keine zeitliche Dimension des Verlaufs einer sprachlichen Interaktion. Nimmt man dagegen auch die sprachliche Interaktion mit in den Blick, in deren zeitlichem Verlauf die Sprechakteure sukzessive Aussagen machen, ist auch dieser zeitliche Aspekt bei der Beschrei181 182 183 184

Strawson (1952), S. 5 f. Vgl. Tugendhat/Wolf (1997), S. 59. Strawson (1952), S. 3; Tugendhat/Wolf (1997), S. 59 u. 250. Strawson (1952), S. 3; Tugendhat/Wolf (1997), S. 64.

56

I. Der logische Zwang

bung des Mechanismus des logischen Zwangs zu berücksichtigen. Dies wird deutlich, wenn man den Umstand betrachtet, dass es im Verlauf einer sprachlichen Interaktion zu Widersprüchen kommen kann. Das, was in Widerspruch zueinander tritt, sind Aussagen.185 Jemand mag etwa einem anderen widersprechen, indem er eine Gegenbehauptung aufstellt, also eine Aussage macht, die in Widerspruch zu der vorangegangenen Aussage des anderen steht. Neben dieser Form des Widerspruchs, bei der zwei Sprecher darin divergieren, was in der Welt der Fall ist, ist aber auch denkbar, dass sich jemand selbst widerspricht. Dies ist dann der Fall, wenn ein Sprecher im Verlauf einer sprachlichen Interaktion eine Aussage macht, die in Widerspruch mit einer eigenen vorangegangenen Aussage steht. Die im Verlauf der sprachlichen Interaktion sukzessiv gemachten Aussagen können nicht alle zugleich wahr sein.186 Da sich ein Widerspruch nur bei gleichzeitiger Geltung der kontradiktorischen Aussagen ergibt,187 verweist die Möglichkeit des Selbstwiderspruchs auf eine Eigenschaft von Aussagen, die bewirkt, dass zeitlich versetzt gemachte Aussagen, dennoch gleichzeitig zusammentreffen können. In der Logik begegnet man der zeitlichen Versetzung nicht, weil schlicht von der zeitlichen Dimension des Verlaufs einer sprachlichen Interaktion abstrahiert wird. Die Aussagen sind frei verfügbar und werden mit logischen Junktoren zu einzelnen komplexen Aussagen verknüpft, deren logische Eigenschaft dann ermittelt wird, indem die logische Struktur des komplexen Satzes expliziert wird. Erst wenn die Dimensionen der sprachlichen Interaktion berücksichtigt werden, zeigt sich, dass Aussagen in der Zeit Bestand haben – dem Sprecher gewissermaßen anhaften, so dass er sich mit vorangegangenen Aussagen in Selbstwiderspruch setzen kann. Zeitlicher Fortbestand ist der Aspekt, um den die Aussage reicher wird, wenn der Verlauf einer sprachlichen Interaktion mit in den Blick genommen wird. Denn wenn die Funktion einer Aussage ist, einen Gegenstand auf einer Seite der Grenzlinie zu verorten,188 dann ist, eine Aussage zu machen, die in dem Moment erlischt, in dem man sie macht, ebenso witzlos, wie sich einander widersprechende Aussagen zu machen. Die Aussage müsste im selben Augenblick niedergeschrieben und wieder ausradiert werden. Die Eigenschaft der Aussagen, in der Zeit Bestand zu haben, heißt Bestandseigenschaft und sie ist sichtbar als die Bedingung der Möglichkeit eines Selbstwiderspruchs. Mit der Bestandseigenschaft lässt sich nun das Moment der Verkürzung des Spielraums beim Mechanismus des logischen Zwangs unter Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufsaspekts präzisieren. Aufgrund der Bestandseigenschaft 185 186 187 188

Strawson (1952), S. 3. Strawson (1952), S. 1. Vgl. Strawson (1952), S. 4. Dazu oben b).

3. Der logische Zwang

57

von Aussagen erweist sich der verkürzte Spielraum eines Sprechers als das Resultat der im Verlauf einer sprachlichen Interaktion sukzessiv gemachten Aussagen. Nimmt man die sprachliche Interaktion mit in den Blick, so ist es, als ob die Aussagen eines Sprechers im Verlauf einer sprachlichen Interaktion in einem Speicher notiert werden. Ein Sprecher kann die Sätze der Prämissen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Zusammenhängen äußern, und dennoch verkürzt sich der Spielraum des Sprechers sukzessive auf die Konstellationen, in denen die Konklusion wahr ist. Die Bestandseigenschaft ersetzt aber nicht den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Erst durch ihn wird die Wirkung einer Aussage, den Spielraum zu verkürzen, effektiv. Denn wenn die Aussage eines prädizierenden Satzes darin besteht, einen Gegenstand auf einer Seite anstatt auf der anderen Seite der vom prädizierenden Ausdruck gezogenen Grenzlinie zu verorten, dann würde die Aussage des prädizierenden Satzes neutralisiert, sobald man den Gegenstand mit einer gegenteiligen Aussage auch auf der anderen Seite verortet. Wäre eine solche Methode der Neutralisierung zulässig, hätten Aussagen trotz ihrer zeitlichen Fortdauer wiederum keinen beschränkenden Effekt. Mit dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch wird die Aussage daher zur Festlegung. Im Verlauf einer sprachlichen Interaktion treten Aussagen als Festlegungen eines Sprechers auf. Eine Festlegung ist schlicht eine Aussage, die der Sprecher über den Augenblick hinaus gegen sich gelten lassen muss. Eine Aussage ist das, was von der Festlegung bleibt, wenn man von den Dimensionen des Verlaufs einer sprachlichen Interaktion abstrahiert. Mit der Äußerung eines Satzes lässt sich keine Aussage machen, ohne dass man sich zugleich auf die Aussage festlegt. Denkt man sich die Aussagen eines Sprechers aufsummiert, so gelangt man zum Bild des Festlegungsspeichers, in dem die Aussagen als Festlegungen notiert werden. Achilles hätte die Schildkröte sodann auch belehren können, dass ein Leser, der die Prämissen akzeptiert, nicht aber die Konklusion, eine selbst-widersprüchliche Position einnimmt und sich daher auf gar nichts festlegt. „The point is that the standard purpose of speech, the intention to communicate something, is frustrated by self-contradiction. Contradicting oneself is like writing something down and the erasing it, or putting a line through it.“ 189

Um den zeitlichen Verlaufsaspekt zu berücksichtigen, muss der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch in Bezug auf den Festlegungsspeicher formuliert werden. Solange eine Festlegung nicht aus dem Festlegungsspeicher getilgt wurde, der Sprecher also an ihr festhält, ist es ihm verboten, neue Festlegungen einzugehen, die in Widerspruch zu dieser Festlegung bzw. mit den im Spielraum verbliebenen Konstellationen stehen.

189

Strawson (1952), S. 3.

58

I. Der logische Zwang

Die Bestandseigenschaft zusammen mit dem Satz vom ausgeschlossenen (Selbst-)Widerspruch bewirken, dass im logischen Raum der Sprache Aussagen zu unverrückbaren Hindernissen werden, wie Felsen, die eine offene Landschaft zu einem Labyrinth aus schmalem Pfad verengen. Die Bestandseigenschaft erklärt, wie es zum Aufeinandertreffen zweier Aussagen kommt, der Satz vom ausgeschlossenen (Selbst-)Widerspruch, was geschieht, wenn zwei Aussagen einander Widersprechendes formulieren. Zusammen beschreiben sie den Mechanismus des logischen Zwangs und zugleich die Grundbedingungen für die Möglichkeit von Festlegungen.

II. Festlegungsspeicher Wird in der Logik üblicherweise von den Dimensionen der sprachlichen Interaktion abstrahiert, so gibt es doch auch einzelne Forschungsansätze, deren jeweils spezielles Untersuchungsinteresse Veranlassung war, die sprachliche Interaktion modellhaft nachzubilden, indem man Sprechakteure und den zeitlichen Verlauf ihrer Äußerungen mitberücksichtigt. Zentral bei diesen Ansätzen ist dabei stets, dass die im Verlauf der sprachlichen Interaktion eingegangenen Festlegungen protokolliert werden. 1. Das Konzept der dialogischen Logik Die „dialogische Logik“ von Paul Lorenzen und Kuno Lorenz ist ein Konzept mit dem Ziel, das formale System der symbolischen Logik dialogisch zu begründen.1 Es geht darum, die Termini der Logik wie „Aussage“, „wahr“ usw. über sogenannte Dialogspiele zu definieren. Damit wird eine pragmatische Basis zur Definition von Logikkalkülen, d. h. zur Festsetzung einer logischen Syntax, bestehend aus bestimmten Grundzeichen, Syntax- und Ableitungsregeln,2 gewählt, die in der Angabe eines Möglichkeitsraums zum Handeln durch Spielregeln besteht. a) Grundgedanke Motivation für ein solches Vorgehen ist der Aufbau eines Logikkalküls, das nicht auf wertdefinite Aussagen beschränkt ist,3 d. h. auf Aussagen, die – in mindestens prinzipiell entscheidbarer Weise – wahr oder falsch sind, denen also einer von zwei Werten zukommt und kein dritter.4 Damit soll dem Problem entgegen getreten werden, dass bei strenger Betrachtung quantifizierte Aussagen in Bezug auf einen unendlichen Gegenstandsbereich nicht wertdefinit sind.5 Eine All-Aussage, die in der Logik als zusammenfassende Abkürzung für die UND-Verknüpfung aller durch Instanziierung gewonnenen Einzelaussagen ver1 2 3 4 5

Lorenzen/Lorenz (1978), S. VII. Carnap (1968), S. 2 u. 4. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 209; Lorenz (1968), S. 97 f. Lorenz (1968), S. 97; Kamlah/Lorenzen (1973), S. 207. Lorenz (1968), S. 98; Kamlah/Lorenzen (1973), S. 207.

60

II. Festlegungsspeicher

standen wird,6 ist wertdefinit, wenn alle Einzelaussagen wertdefinit sind. Bezieht sich die All-Aussage aber auf einen unendlichen Gegenstandsbereich, so ist die Behauptung, dass die All-Aussage wertdefinit ist, solange nicht gerechtfertigt, bis die Wahrheit oder Falschheit der All-Aussage selbst mindestens prinzipiell entscheidbar ist. Ein Beispiel für eine All-Aussage, bei der die Behauptung ihrer Wertdefinitheit bislang nicht gerechtfertigen werden kann, ist etwa der Satz: „Alle Zahlen sind gerade oder unvollkommen“ 7 Eine Zahl ist vollkommen, wenn die Summe ihrer echten Teiler wieder die Zahl selbst ergibt. Beispielsweise ist 6 vollkommen, da sie durch 1, 2, und 3 teilbar ist und 1+2+3 = 6 ist. Das Problem ist hier, dass zwar bisher alle bekannten vollkommenen Zahlen gerade Zahlen sind, man aber wegen der unendlichen Menge der natürlichen Zahlen nicht alle vollkommenen Zahlen kennt. Da auch kein mathematischer (induktiver) Beweis bekannt ist, weiß man nicht, ob die All-Aussage wahr oder falsch ist. Dasselbe Problem gibt es freilich für Aussagen über einige Gegenstände eines unendlichen Gegenstandsbereichs. So ist die Aussage „Einige Zahlen sind ungerade und vollkommen“ genauso wenig entscheidbar falsch wie die All-Aussage wahr ist.8 Da quantifizierten Aussagen über einen unendlichen Gegenstandsbereich damit keiner der beiden Werte zugewiesen werden kann, können sie in einem Logikkalkül nicht behandelt werden, das die Wertdefinitheit zu seiner Voraussetzung hat. Sie sind in einem solchen Logikkalkül nicht definiert.9 Wertdefinitheit wird aber schon bei der Definition der logischen Junktoren wie Konjunktion „UND“, Adjunktion „ODER“, die materiale Implikation „WENN-DANN“ usw. vorausgesetzt. Um ein Logikkalkül zu konstruieren, das auch die nicht wertdefiniten quantifizierten Aussagen handhaben kann, ist es daher notwendig, die Junktoren anders als mit Wahrheitstafeln zu definieren. Die Grundidee der dialogischen Logik ist nun als Grundlage für die Definition der logischen Junktoren ein Dialogspiel zu verwenden, d. h. eine modellhafte sprachliche Interaktion, deren Durchführung durch Regeln genau festgelegt ist.10 Leitbild hierbei ist die Eristik der Antike als die Dialogtechnik des Beweisens und Widerlegens.11 Dabei geht es nicht um den pejorativen Aspekt der Eristik des Vordergründigen, sich auch Scheinschlüssen bedienenden Rechtbehaltens, den Aristoteles in den Sophistischen Widerlegungen der Eristik in Abgrenzung 6 Carnap (1960), Kap. 9a, S. 34; Kamlah/Lorenzen (1973), S. 163; Lorenzen (1980), S. 50. 7 Kamlah/Lorenzen (1973), S. 208. – In symbolischer Schreibweise: 8x: GRD(x) _ :VOL(x). Die Aussage ist logisch äquivalent mit der Aussage: „Für alle Zahlen gilt, dass wenn sie vollkommen sind, dann sind sie gerade“, in symbolischer Schreibweise 8x: VOL(x)  GRD(x). 8 Kamlah/Lorenzen (1973), S. 208. – In symbolischer Schreibweise: 9x: :GRD(x) ^ VOL(x). 9 Lorenz (1968), S. 98. 10 Lorenz (1968), S. 98. 11 Gatzemeier (1995), S. 574.

1. Das Konzept der dialogischen Logik

61

zur Dialektik zuschreibt.12 Leitbild ist die Eristik vielmehr hinsichtlich des engen Dialograhmens der gewerblichen Redespiele der Eristiker im Athen des 5. Jahrhunderts. Der Eristiker nahm die Rolle des Opponenten ein, während einem Passanten die Rolle des Proponenten zukam. Der Passant hatte zunächst die von ihm zu verteidigende These zu wählen, indem er sich zwischen einer Aussage und ihrer Verneinung zu entscheiden hatte. Der Eristiker stellte dann weitere Entscheidungsfragen dieser Art. Um zu gewinnen, hatte der Eristiker den Passanten so zu Festlegungen zu veranlassen, aus denen dann als Prämissen zusammengenommen die Verneinung dessen als Konsequenz logisch folgte, für das sich der Passant entschieden hatte.13 In Anlehnung an das eristische Leitbild wird an die Stelle der Wertdefinitheit als Voraussetzung dafür, dass eine Aussage in dem Logikkalkül behandelt werden kann, daher die Voraussetzung der Dialogdefinitheit gesetzt. Eine Aussage ist dialogdefinit, wenn sie in einem Dialogspiel angegriffen und verteidigt werden kann.14 Angreifen und Verteidigen stellt ein Handeln dar, dessen Regelkonformität in dem modellhaften Dialogspiel auf einfache Weise entscheidbar ist. Vor dem Hintergrund einer entsprechenden Gewinnregel lässt sich festlegen, wann jemand gewonnen hat. Wichtig ist nun, dass die zu verteidigende These nicht dann als wahr gelten soll, wenn der Proponent das Dialogspiel gewonnen hat. Genauso wenig soll sie als falsch gelten, wenn der Proponent das Dialogspiel verloren hat. Die zu verteidigende These soll vielmehr genau dann als wahr gelten, wenn für den Proponent eine Gewinnstrategie angegeben werden kann.15 Eine Strategie allgemein ist eine Regel, die in Abhängigkeit von den Zügen des Gegenspielers bestimmt, welchen Zug ein Spieler an einem Entscheidungspunkt wählen soll.16 Eine Gewinnstrategie ist nun eine Strategie, deren Befolgung immer zum Sieg führt, egal, welche Züge der Gegenspieler macht.17 Die These ist also wahr, wenn es allein in den Händen des Proponenten liegt, ob sich ein Dialogverlauf ergibt, der zum Sieg führt. Ein Dialogspiel wird durch folgende Rahmenregeln konstituiert. Anfangsregel: Der Proponent beginnt das Spiel mit dem Setzen einer These. Danach ziehen die Spieler abwechselnd. Allgemeine Spielregel: Der Proponent darf nur eine der vom Opponent gesetzten Aussagen angreifen oder sich gegen den letzten An12 13 14 15 16 17

Kamlah/Lorenzen (1973), S. 160, Aristoteles (Org. VI), Kap. 11 S. 25. Lorenzen (1989), S. 43. Lorenz (1968), S. 99 u. 100. Lorenz (1968), S. 100; Kamlah/Lorenzen (1973), S. 212 f. Fritz (1977), S. 49; Heringer (1974), Kap. 4.2 S. 188. Heringer (1974), Kap. 4.2 S. 188.

62

II. Festlegungsspeicher

griffszug des Opponenten verteidigen.18 Der Opponent darf nur die im vorhergehenden Zug des Proponenten gesetzte Aussage angreifen oder sich gegen den letzten Angriffszug des Proponenten verteidigen.19 Gewinnregel: Der Proponent hat gewonnen, wenn der Opponent nicht mehr ziehen kann.20 Damit gibt es in einem Dialogspiel zwei mögliche Züge, nämlich das Angreifen einer Aussage und das Verteidigen einer Aussage. Eine einfache Elementaraussage (Primaussage)21 wird angegriffen, indem sie schlicht bestritten wird. Sie wird verteidigt, indem das Recht, die Elementaraussage zu behaupten, nachgewiesen wird. Den, der eine Aussage behauptet, trifft also eine Beweislast. Dass die Dialogparteien wissen, wie über das Recht, eine Elementaraussage zu behaupten, entschieden werden kann, d. h. wie Beweis zu erbringen ist, ist eine Dialogvoraussetzung: die Elementaraussagen müssen „dialog-definit“ sein.22 Ist der Angriff gegen komplexe, mit Junktoren zusammengesetzte Aussagen gerichtet, so bestimmen spezifische Junktoren-Regeln Art und Weise von Angriff und Verteidigung. Da diese Regeln den Spielverlauf beeinflussen und damit die Möglichkeiten zu gewinnen oder zu verlieren, stellen sie Definitionen der Junktoren dar. b) Dialogische Definition der logischen Partikel In der dialogischen Logik werden die Junktoren daher im Rahmen eines modellhaften zwei Parteien-Streitgesprächs definiert, indem jeweils festgelegt wird, wie eine den zu definierenden Junktor enthaltende Aussage angegriffen und verteidigt werden kann. Die Angriffs- und Verteidigungsregeln für die materiale Implikation geben etwa vor, dass eine Implikationsaussage angegriffen werden kann, indem sie als Ganzes bestritten und das Antezedens behauptet wird. Die Implikationsaussage wird verteidigt, indem die Konsequenz behauptet wird.23 Vor dem Hintergrund der allgemeinen Spielregel für den Proponenten können sich dann verschiedene Spielverläufe ergeben. Er hat nämlich die Wahl zwischen dem Behaupten der Konsequenz und einem Gegenangriff durch Bestreiten des Antezedens.24 Im letzteren Fall muss der Proponent sich nur verteidigen, wenn der Opponent das Antezedens zuvor erfolgreich bewiesen hat. Dies kann man sich veranschaulichen, wenn man sich die möglichen Dialogverläufe eines Dialogspiels zu einer Implikationsaussage vor Augen führt. Wie in der dialogischen Logik üblich wird ein Spielverlauf in einer Tabelle notiert, wobei die einzelnen Runden durchnumme18 19 20 21 22 23 24

Kamlah/Lorenzen (1967), S. 169; dies. (1973), S. 213; vgl. Lorenz (1968), S. 103. Kamlah/Lorenzen (1967), S. 172; dies. (1973), S. 214; vgl. Lorenz (1968), S. 103. Kamlah/Lorenzen (1967), S. 172; vgl. dies. (1973), S. 213; Lorenz (1968), S. 103. Zur Terminiologie: Kamlah/Lorenzen (1973), S. 209. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 211. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 159 f. u. 210, Lorenz (1968), S. 111. Vgl. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 214.

1. Das Konzept der dialogischen Logik

63

riert und in Zeilen eingetragen werden. Tabelle A) zeigt den ersten Spielverlauf, bei der der Proponent die Konsequenz ohne einen vorherigen Gegenangriff verteidigt. Tabelle B) zeigt den zweiten Spielverlauf, bei dem der Proponent in der 2. Runde zunächst das Antezedens bestreitet. A)

Opponent Proponent

B)

Opponent Proponent

1. 2.

?, p

pq q

1. 2.

?, p

pq ?

3.

?

[q]

3. 4.

[p] ?

q [q]

„?“ = Bestreiten; [. . .] = Beweisen

Ob jemand das Dialogspiel gewinnt oder verliert, hängt natürlich auch davon ab, ob er die von ihm zu verteidigenden Behauptungen beweisen kann. Wie bei den Wahrheitstafeln gibt es daher wieder verschiedene Konstellationen, je nachdem, welche der in der komplexen Aussage auftretenden Teilaussagen beweisbar sind und welche nicht. Tatsächlich werden die Angriffs- und Verteidigungsregeln so festgesetzt, dass sie den Definitionen der Junktoren durch Wahrheitstafeln im Ergebnis entsprechen. p

q

1. 2.

+ +

+ –

3. 4.

– –

+ –

p

q

p



q

Pro Pro Opp Opp

W W

W F

W W

W F

W F

Pro Pro Opp Pro

F F

W F

F F

W W

W F

A)

B)

Vgl.:

„+“ = beweisbar; „–“ = nicht beweisbar

Die allgemeine Spielregel zusammen mit der Angriffs- und Verteidigungsregel der materialen Implikation räumt nur dem Proponent die Möglichkeit ein, den Dialogverlauf zwischen Verlauf A) und Verlauf B) zu variieren. Es reicht daher, wenn sich die These nach einer Dialogverlaufsvariante als wahr erweist, d. h. der Proponent gewinnt. Denn da der Opponent keinen Einfluss nehmen kann, handelt es sich bei dem zum Sieg führenden Verlauf eben um eine Gewinnstrategie. Für die vier Konstellationen, die sich aus den beiden Teilaussagen p und q ergeben, besitzt der Proponent in der ersten und dritten Konstellation in beiden Dialogverläufen eine Gewinnstrategie, da er q beweisen kann. In der vierten Konstellation gewinnt er nur im Verlauf B), wo er den Opponent durch den Gegenangriff zunächst hinsichtlich p in die Beweispflicht nimmt. Der Proponent gewinnt, weil der Opponent mit dem Beweis für p scheitert, bevor der Proponent überhaupt für

64

II. Festlegungsspeicher

q Beweis antreten muss. In der zweiten Konstellation rettet ihn dieses Vorgehen freilich auch nicht, da der Opponent p beweisen kann. Die Regel für den Angriff und die Verteidigung des ODER-Junktors (Adjunktion) besagt, dass die Aussage angegriffen werden kann, indem sie als Ganzes bestritten wird. Sie wird verteidigt, indem der Verteidiger eine der verknüpften Teilaussagen behauptet.25 In der nächsten Runde kann dann diese Teilaussage bestritten werden. Handelt es sich bei der Teilaussage bereits um eine Elementaraussage, hat der Verteidiger hierfür Beweis anzutreten. Gelingt ihm dies, so gewinnt er diesen Dialogverlauf. Da der Verteidiger selbst wählt, welche Teilaussage er verteidigt, ist damit zugleich eine Gewinnstrategie gegeben und die Gesamtaussage ist wahr. Die Regel für den Angriff und die Verteidigung des UND-Junktors (Konjunktion) ist in der Weise festgesetzt, dass die Aussage angegriffen werden kann, indem nach Wahl des Angreifers einer der beiden Teilausdrücke bestritten wird. Sie wird verteidigt, indem der bestrittene Teilausdruck behauptet wird.26 Handelt es sich bei der Teilaussage bereits um eine Elementaraussage, hat der Verteidiger hierfür Beweis anzutreten. Gelingt ihm dies, so gewinnt er zwar diesen Dialogverlauf, anders als bei der Adjunktion ist die konjunktive Gesamtaussage damit aber noch nicht wahr. Da der Angreifer durch seine Wahl vorgibt, welcher Teilausdruck zu verteidigen ist, verfügt der Verteidiger nur über eine Gewinnstrategie, wenn er in beiden möglichen Dialogverläufen gewinnt. Bei der Konjunktion müssen daher tatsächlich beide möglichen Dialogverläufe betrachtet werden, um festzustellen, ob der Verteidiger eine Gewinnstrategie besitzt und die Gesamtaussage wahr ist. Die Regel für die Negation bestimmt, dass eine negierte Aussage angegriffen wird, indem die Aussage positiv (ohne Negation) behauptet wird. Für die Verteidigung gibt es keine besonderen Vorgaben.27 Der Verteidiger kann aber die positive Aussage bestreiten, so dass der Angreifer nun in die Rolle des Verteidigers für die positive Aussage rutscht. Handelt es sich um eine Elementaraussage, so muss also der Angreifer Beweis erbringen. Die Regel bewirkt somit eine Beweislastumkehr. Die Beweislast besteht immer in Bezug auf die positive Aussage. Gelingt ihm das nicht, so gewinnt der Verteidiger das Dialogspiel. Varianten des Dialogverlaufs gibt es nicht. Ist die Aussage nicht beweisbar, liegt bereits eine Gewinnstrategie für die negierte Aussage vor. Quantifizierte Aussagen schließlich werden angegriffen, indem sie bestritten werden. Handelt es sich um eine All-Aussage, so gibt der Angreifer eine Konkretisierung der All-Aussage auf einen bestimmten Gegenstand aus dem Gegenstandsbereich der All-Aussage vor. Die Verteidigung beschränkt sich dann auf 25 26 27

Kamlah/Lorenzen (1973), S. 159 u. 210, Lorenz (1968), S. 111. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 159 u. 210, Lorenz (1968), S. 111. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 160 u. 210, Lorenz (1968), S. 111.

1. Das Konzept der dialogischen Logik

65

die konkretisierte Aussage. Diese Aussage wird verteidigt, indem sie behauptet wird. Gleiches gilt bei Aussagen über einige Gegenstände, mit der Abweichung, dass die Konkretisierung dem Verteidiger obliegt.28 c) Aspekte einer dialogischen Logik Mit den Rahmenregeln (Anfangsregel, allgemeine Spielregel, Gewinnregel) und den Angriffs- u. Verteidigungsregeln ist das Dialogspiel vollständig beschrieben.29 Damit wird auch deutlich, wie die Kontrahenten des Dialogspiels Festlegungen eingehen. Abgesehen von dem Setzen von Aussagen als Startsituation des Dialogspiels geschieht dies durch Angreifen und Verteidigen von Aussagen, wenn die Aussage nach den Angriffs- und Verteidigungsregeln angegriffen bzw. verteidigt wird. Mit dem Behaupten einer Aussage legt man sich auf diese fest und mit dem Bestreiten einer Aussage auf ihre Negation. So geht man Festlegungen ein, wenn man die Negation und die materiale Implikation angreift. Ebenso geht man Festlegungen ein, wenn man die materiale Implikation oder eine quantifizierte Aussage verteidigt. Im Verlauf eines Dialogspiels gehen die Kontrahenten folglich sukzessive Festlegungen ein, die im Verlaufsprotokoll gespeichert sind und ihren Spielraum für die zukünftigen Züge sukzessive einengen. Dies kann am Beispiel eines Dialogspiels zu einem logischen Schluss veranschaulicht werden. Den logischen Schluss nach der Figur des Modus Barbara war oben etwa mit folgenden Prämissen gebildet worden:30 „Alle Menschen sind Zweifüßler“ – in symbolischer Schreibweise „8x: S(x)  M(x)“, und „Alle Zweifüßler sind Sinnenwesen“ – in symbolischer Schreibweise „8x: M(x)  P(x)“. Hieraus folgt dann die Konklusion: „Alle Menschen sind Sinnenwesen“ – in symbolischer Schreibweise „8x: S(x)  P(x)“. Ob die Konklusion logisch aus der Gesamtheit der Prämissen folgt, es sich also um einen logisch gültigen Schluss handelt, wird in der dialogischen Logik mit einem Dialogspiel geprüft, bei dem die Konklusion als These des Proponents Gegenstand des Dialogspiels ist. Die Prämissen werden dem Opponent vorgegeben, so dass ihn für sie eine Verteidigungspflicht trifft. Tabelle C) zeigt den Spielverlauf, der eine Gewinnstrategie des Proponenten nachweist. Nach der 7. Runde gibt der Opponent auf. Denn um die zweite angegriffene Prämisse zu verteidigen, müsste er P(a) behaupten. P(a) hat er aber selbst in der 4. Runde bestritten. Alternativ könnte er auch den Proponenten angreifen, indem er M(a) bestreitet. Er hat jedoch in der 6. Runde M(a) selbst behauptet, um nämlich die erste Prämisse zu verteidigen.31 Der Proponent hat daher 28 29 30 31

Kamlah/Lorenzen (1973), S. 223, Lorenz (1968), S. 118. Kamlah/Lorenzen (1967), S. 172. Dazu oben I. 1. b). Vgl. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 223.

66

II. Festlegungsspeicher

im Ergebnis keine Elementaraussage zu beweisen, um seine These zu verteidigen, weil der Opponent die Elementaraussagen im Dialogverlauf selbst behauptet. Aussagen, die in dieser Weise verteidigt werden können, heißen logische Wahrheiten.32 C)

Opponent

0.

[1] 8x: S(x)  M(x). [2] 8x: M(x)  P(x).

1.

Proponent

8x: S(x)  P(x)

2.

?, (a)

3.

?, S(a)

S(a)  P(a)

Angriff des Opp. auf Konklusion

P(a) 4. 5. 6. 7. 8.

? S(a)  M(a) M(a) M(a)  P(a)

?, (a)[1]

Angriff des Pro. auf erste Prämisse

?, S(a) ?, (a)[2]

Angriff des Pro. auf zweite Prämisse

M(a)



„?“ = Bestreiten; [. . .] = Beweisen; x = Variable; a = Konstante

Die allgemeine Spielregel ist so gewählt, dass sie dem Proponenten eine größere Freiheit in der Wahl des Zeitpunkts eines Angriffs eröffnet als dem Opponenten. Während der Opponent nur die im vorhergehenden Zug des Proponenten gesetzte Aussage angreifen darf, unterliegt der Porponent nicht dieser Beschränkung. Er darf Aussagen des Opponenten angreifen, wann er es für günstig hält, unabhängig davon, in welcher Runde sie der Opponent eingegangen ist. Dies ermöglicht dem Proponenten beispielsweise eine mehrstufige Verteidigung der materialen Implikation. Er kann zunächst das vom Opponenten im Angriff behauptete Antezedens bestreiten. Nur wenn dem Opponenten der Beweis gelingt, muss der Proponent in einem zweiten Verteidigungsschritt die Konsequenz behaupten, für die er die Beweislast trägt. Ohne die Liberalisierung der Angriffsmöglichkeit für den Proponenten dagegen, müsste er entweder das Antezedens bestreiten oder die Konsequenz behaupten.33 Für eine effektive Verteidigung müsste er dann wis32 33

Kamlah/Lorenzen (1973), S. 220. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 214.

1. Das Konzept der dialogischen Logik

67

sen, welche Elementaraussagen beweisbar sind und welche nicht. Anders verhält es sich beim Opponenten. Die Restriktionen beim Angriff dort verhindern, dass dieser den Dialog beliebig in die Länge zieht, indem er irgendwann einmal gesetzte Aussagen des Proponenten wiederholt angreift.34 Die Restriktion hat die Funktion einer Wiederholungsschranke. Die Restriktion der Kontrahenten bei der Verteidigung, wonach die Verteidigung in umgekehrter Reihenfolge zu den Angriffen erfolgen muss, d. h. der letzte Angriff zuerst, verhindert – wiederum im Zusammenhang mit der materialen Implikation –, dass Beweislasten übersprungen werden können.35 Die Betrachtung der Auswirkungen solcher Variationen der allgemeinen Spielregel auf die Spielverläufe und insbesondere auf etwaige Gewinnstrategien ist die eigentliche Aufgabe, die bei der Begründung einer dialogischen Logik zu leisten ist. Da eine Aussage im dialogischen Sinne wahr ist, wenn der Proponent für sie eine Gewinnstrategie besitzt,36 ist bei dem Festsetzen der Spielregeln stets zu berücksichtigen, ob dies die Menge der Aussagen verändert, die als Thesen mit einer Gewinnstrategie verteidigbar und also wahr sind. In Bezug auf den Möglichkeitsraum des Opponenten bei Angriff und Verteidigung kann gezeigt werden, dass die Restriktion nicht dazu führt, dass mehr Thesen verteidigbar werden.37 In Bezug auf den Möglichkeitsraum des Proponenten bei Angriff und Verteidigung dagegen ist die Liberalisierung der Angriffsmöglichkeit notwendig, um die Menge der logischen Wahrheiten nicht zu verkürzen. Die Beschränkung der Angriffsmöglichkeit des Proponenten auf die letzte Aussage des Opponenten hat zur Folge, dass der Proponent für die Aussage, dass etwas der Fall ist oder nicht der Fall ist,38 nur bei Kenntnis dessen, was der Fall ist, eine Gewinnstrategie besitzt.39 Insoweit resultieren aus unterschiedlichen Spielregeln auch unterschiedliche Wahrheitsbegriffe.40 Ist der Gegenstandsbereich, auf den sich eine quantifizierende Aussage (Alle . . ., Einige . . .) bezieht, unendlich, so ist die All-Aussage zwar definitiv widerlegbar, jedoch nicht definitiv begründbar. Bei der Aussage über einige Gegenstände des Bereichs verhält es sich umgekehrt. Sie ist definitiv begründbar, aber nicht definitiv widerlegbar.41 Denn um eine Gewinnstrategie des Proponenten 34

Kamlah/Lorenzen (1967), S. 170. Dies ist etwa der Fall bei geschachtelten Implikationen wie z. B. ((p  q)  r)  s. dazu im Detail: Kamlah/Lorenzen (1967), S. 170. 36 Dazu oben a). 37 Kamlah/Lorenzen (1967), S. 171. 38 In symbolischer Schreibweise: p _ :p. 39 Kamlah/Lorenzen (1973), S. 219. – Die Liberalisierung räumt dem Proponenten die Möglichkeit ein, nach einem gescheiterten Verteidigungsversuch einen neuen Verteidigungsversuch mit der Wahl einer anderen Teilaussage zu starten. 40 Kamlah/Lorenzen (1973), S. 217, vgl. Lorenz (1968), S. 142. 41 Kamlah/Lorenzen (1973), S. 164. 35

68

II. Festlegungsspeicher

nachzuweisen, müsste ja ein Dialogverlauf für jede Konkretisierung durchgespielt werden. Für die Begründung der All-Aussage gilt dies, weil die Konkretisierung auf einen bestimmten Gegenstand in den Händen des Opponenten liegt. Dies ist im Dialogverlauf D) veranschaulicht, in dem der Proponent die Aussage „Alle Schwäne sind weiß“ – in symbolischer Schreibweise 8x: W(x) – verteidigt. Für die Widerlegung der Aussage über einige Gegenstände des Bereichs gilt dies, weil der Proponent die Verneinung der Aussage verteidigt, indem er die positive Aussage angreift, so dass die Konkretisierung aufgrund der von der All-Aussage differierenden Dialogregel wieder in die Hände des Opponenten fällt.42 Dies ist im Dialogverlauf E) veranschaulicht, in dem der Proponent die Aussage „Kein Schwan ist schwarz“ – in symbolischer Schreibweise :9: SCH(x) – verteidigt. D)

Opponent

1. 2. 3.

?, W(a) ?

Proponent

E)

Opponent

8x: W(x)

1.

W(a) [W(a)]

2. 3.

9: SCH(x) SCH(a)

4.

[SCH(a)]

Proponent :9: SCH(x) ? ?

„?“ = Bestreiten; [. . .] = Beweisen; x = Variable; a = Konstante

Dennoch können diese Aussagen Gegenstand eines Dialogspiels sein, weil sie angegriffen und verteidigt werden können und jeder Dialogverlauf für sich zu einem Ende kommt.43 Die quantifizierten Aussagen sind somit dialogdefinit44 und daher überhaupt als Aussagen im Sinne der dialogischen Logik zu qualifizieren.45 Das Kriterium der Dialogdefinitheit als Kriterium einer Aussage überhaupt, reicht aber über das System der dialogischen Logik hinaus, da damit nichts anderes als die Bestandseigenschaft der Aussage formuliert wird. Denn eine Aussage kann Gegenstand eines Dialoges nur sein, soweit sie angreifbar ist und dies ist sie nur, wenn der Sprecher für sie eine Verteidigungsbereitschaft hat. Eine Verteidigungsbereitschaft kann ein Sprecher aber nur haben, wenn seine Aussage in der Zeit Bestand hat, ihm gewissermaßen anhaftet. 2. Das Konzept der formalen Dialektik Das Konzept der „dialogischen Logik“ greift auf die Dimensionen der sprachlichen Interaktion – Sprechakteure und zeitlicher Verlauf ihrer Äußerungen – zurück, um die symbolische Logik pragmatisch über modellhafte Dialogspiele zu 42 43 44 45

Vgl. Kamlah/Lorenzen (1973), S. 224. Dazu oben a). Kamlah/Lorenzen (1973), S. 164. Lorenz (1968), S. 99, 103.

2. Das Konzept der formalen Dialektik

69

konstituieren.46 Die Dialogtechnik der Antike ist aber nur Leitbild für die Methode. Der Gegenstandsbereich bleibt aber begrenzt auf das Interesse der symbolischen Logik, nämlich die Begründung von Logikkalkülen im Sinne einer logischen Syntax. Das Konzept der „formalen Dialektik“ von Charles Lewis Hamblin dagegen besinnt sich in Bezug auf den Gegenstandsbereich auf die Dialogtechnik der Antike. Ihr Gegenstandsbereich war das logische Schließen und zwar das gültige wie das ungültige. So geht es Aristoteles in den Sophistischen Widerlegungen eigens darum, fehlerhafte Widerlegungen als Trugschlüsse aufzudecken. Das Konzept der formalen Dialektik nimmt diesen Aspekt des logischen Schließens wieder auf. Es ist ein Ansatz, um den systematischen Aspekt des jeweiligen Trugschlusses zu erfassen.47 a) Grundgedanke Ausgangspunkt des Konzepts der formalen Dialektik ist die Einsicht, dass nicht alle Trugschlüsse auf der Verletzung von Regeln der symbolischen Logik beruhen. Wer aus der Aussage des Satzes „Wenn Vollmond ist, dann erreichen die Gezeiten ihr Maximum“,48 auf die Aussage des Satzes schließt, dass wenn die Gezeiten ihr Maximum erreichen, Vollmond ist,49der führt eine im Logikkalkül unzulässige Ableitung aus der materialen Implikation durch. Das Antezedens und die Konsequenz können nicht einfach vertauscht werden. Das Antezedens ist hinreichende Bedingung für die Konsequenz, die Konsequenz aber ist nur notwendige Bedingung für das Antezedens.50 Es handelt sich um den so genannten Trugschluss der Konsequenz.51 Ebenso ist es nicht erlaubt, aus Alle-Einige-Aussagen Einige-Alle-Aussagen abzuleiten. Wer aus der Aussage des Satzes „Jeder liebt jemanden“ 52 auf die Aussage des Satzes „Jemand wird von jedem geliebt“ 53 schließt, der vertauscht Quantoren entgegen der Umstellungsregeln des Logikkalküls. Er begeht den Trugschluss der Umstellung gemischter Quantoren.54 Logische Trugschlüsse lassen sich einfach dadurch als Trugschlüsse identi46

Lorenzen/Lorenz (1978), S. VII. Hamblin (1970), S. 254. 48 In symbolischer Schreibweise: 8x: Voll(x)  MaxG(x). 49 In symbolischer Schreibweise: 8x: MaxG(x)  Voll(x). 50 Dazu oben I. 2. c). 51 Vgl. Hamblin (1970), S. 35, 254; Aristoteles (Org. VI), S. 167b. 52 In symbolischer Schreibweise: 8x 9y: L(x,y). Ebenso der Satz: „Jeder Mann liebt eine Frau“ – in symbolischer Schreibweise 8x: M(x)  9y: F(y) ^ L(x,y). 53 In symbolischer Schreibweise: 8y 9x: L(x,y). Ebenso der Satz: „Eine Frau wird von jedem Mann geliebt“ – in symbolischer Schreibweise 9y: F(y) ^ 8x: M(x)  L(x,y). 54 Vgl. Hamblin (1970), S. 254; Fritz (1994a), S. 146. 47

70

II. Festlegungsspeicher

fizieren, dass sie nicht den Ableitungsregeln des Logikkalküls entsprechen. Es gibt keinen Weg von dem einen Satz zu dem anderen Satz. Es gibt aber auch Trugschlüsse, bei denen es völlig in Einklang mit den Regeln des Logikkalküls für jeden Schritt eine Ableitungsregel gibt. Aus dem Satz „Sokrates ist ein Mensch und Sokrates ist ein Sinnenwesen“ etwa kann man logisch gültig auf die Konklusion „Sokrates ist ein Sinnenwesen“ schließen. Wer allerdings mit diesem logischen Schluss dafür argumentiert, dass Sokrates ein Sinnenwesen ist, der begeht den Trugschluss der petitio principii55 Die Wahrheit der Konklusion, die mit logischem Zwang aufgezeigt werden soll, wird bereits mit den Prämissen vorausgesetzt. Nun ist das bei einem deduktiven Schluss im gewissen Sinne immer der Fall.56 Denn für den logischen Schluss verengt der Aussagenkomplex der Prämissen den Spielraum eben so, dass nur noch Konstellationen enthalten sind, bei denen die Konklusion wahr ist. Der Mangel bei der petitio principii beruht dann auch nicht darauf, dass der Aussagegehalt der Konklusion mit dem Aussagegehalt der Prämissen bereits als wahr vorausgesetzt wird, sondern darauf, dass der Übergang von den Prämissen zur Konklusion zu trivial ist, um als argumentative Stützung der Konklusion akzeptiert zu werden.57 Damit der logische Schluss als Argument für die Konklusion funktioniert, müssen die Prämissen als Voraussetzung leichter zu akzeptieren sein als die Konklusion.58 Der Bereich der Trugschlüsse reicht damit über den Bereich des logisch gültigen Schließens hinaus. Andererseits ist aber nicht schon jeder einfache Irrtum, und sei er als Irrglaube allgemein verbreitet, ein Trugschluss. Der Mangel des Trugsschlusses muss Hamblin zu Folge daher systematisch sein und seine Quelle muss über verschiedene Einzelfälle hinweg identifizierbar sein.59 Ein Trugschluss ist ein Argument, das gültig scheint, aber nicht gültig ist.60 Die Grundidee der formalen Dialektik, um diejenigen Trugschlüsse fassbar zu machen, die zwar den Ableitungsregeln des Logikkalküls entsprechen, aber dennoch als mangelhaftes Argument gelten, ist es nun, die Eigenschaften der sprachlichen Interaktion, in deren Kontext die Argumente vorgebracht werden, mit in den Blick zu nehmen, um so Kriterien der für die Gültigkeit eines Arguments jenseits der Grenzen der formalen Logik zu erhalten.61 Zu diesem Zweck wer-

55 Vgl. Hamblin (1970), S. 32, 254; Aristoteles (Org. VI), S. 167a; Fritz (1994a), S. 146. 56 Hamblin (1970), S. 226, mit Hinweis auf J. S. Mill: System of Logic, Book II, Chap. 3, § 2. 57 Fritz (1994a), S. 146. 58 Hamblin (1970), S. 240; weiterführend: Woods/Walton (1985), S. 253 ff. 59 Hamblin (1970), S. 254. 60 Hamblin (1970), S. 224 u. 253. 61 Hamblin (1970), S. 254.

2. Das Konzept der formalen Dialektik

71

den, ähnlich der Dialogspiele im Konzept der dialogischen Logik, so genannte dialektische Systeme festgelegt. Ein dialektisches System ist ein Regelsystem für modellhafte sprachliche Interaktionen.62 Dabei geht es nicht darum, Dialogverläufe deskriptiv möglichst realistisch zu beschreiben, sondern darum, an vereinfachten und nach präzisen Regeln geführten Dialogen Zusammenhänge zu erkennen.63 Im Rahmen systematischen Variierens der Regeln können Veränderungen der Eigenschaften eines Dialogs und das Ermöglichen oder Unterbinden von Trugschlüssen auf den Aspekt einer sprachlichen Interaktion zurückgeführt werden, den die modifizierte Regel steuert. b) Dialektische Systeme Das Spektrum möglicher dialektischer Systeme ist weit. Ein einfaches dialektisches System ähnlich dem gewerblichen Redespiel der Eristiker skizziert Hamblin grob als so genanntes Verpflichtungsspiel.64 Der Dialogverlauf besteht ebenfalls darin, dass der Opponent Aussagen vorgibt und der Proponent sich entscheiden muss, ob er sich auf diese Aussage oder ihre Verneinung festlegen will. Zentrales Sequenzmuster ist damit das Muster Vorschlag – Auswahl.65 Anders als im Redespiel der Eristik, wird aber eine sehr einfache Sprache, bestehend aus einer abgeschlossenen Menge von Elementaraussagen, den wahrheitsfunktionalen Operatoren und jeweils eine Beendigungsphrase für die Kontrahenden vorgegeben. Dabei lautet die Beendigungsphrase des Opponenten „Sieg und Ende“, und die des Proponenten „Aufgabe und Ende“. Der Opponent eröffnet das Spiel. Dazu gibt er zunächst einen Tatsachenbericht vor, indem er Wahrheitswerte für die einzelnen Elementaraussagen festsetzt. Sodann gibt er dem Proponenten eine in Bezug zum Tatsachenbericht kontrafaktische Grundaussage vor und stellt schließlich die erste Entscheidungsfrage. Für den Proponenten gibt es im dialektischen System einen Festlegungsspeicher. Dieser enthält die Grundaussage sowie die sukzessiven Festlegungen. Das Spiel endet, wenn der Proponent eine unzulässige Festlegung eingeht, oder eine vorgegebene Anzahl von Runden überstanden hat, ohne eine unzulässige Festlegung einzugehen. Um nicht unzulässig zu sein, muss die Festlegung entweder (1) von der Gesamtheit der im Festlegungsspeicher enthaltenen Aussagen impliziert werden oder aber (2) mit ihr konsistent sein und von der Gesamtheit der Tatsachenaussagen impliziert werden.66 Eine Aussage ist daher aufgrund der auf den Festlegungsspeicher Bezug nehmenden Regel zulässig, wenn sie als Festlegung bereits 62 63 64 65 66

Hamblin (1970), S. 255. Hamblin (1970), S. 256. Hamblin (1970), S. 260 ff. Dazu unten VI. 2. c). Hamblin (1970), S. 261.

72

II. Festlegungsspeicher

implizit in den Aussagen des Speichers enthalten ist, so dass sie aus ihnen eben deduziert werden kann. Der eigene Spielraum wird durch diese Aussage nicht weiter verengt. Eigentlich handelt es sich daher auch nur um die Explikation einer Festlegung als eine neue Festlegung. Aufgrund der auf den Tatsachenbericht Bezug nehmenden Regel ist eine Aussage zulässig, wenn sie aus der Gesamtheit der Tatsachen logisch folgt. Da jede Aussage sich selbst impliziert, sind etwa wahre Elementaraussagen stets zulässig.67 Auch die materiale Implikation von Elementaraussagen beispielsweise wird durch deren Konjunktion logisch impliziert.68 Da diese Festlegungen gerade nicht aus den bisherigen Festlegungen deduzierbar sind, ist für die Zulässigkeit der Aussage als weitere Bedingung ihre Widerspruchsfreiheit mit dem Festlegungsspeicher zu fordern. Zusammenfassend gilt daher für den Proponenten, dass er, um eine zulässige Aussage zu machen, immer eine von der Gesamtheit der Tatsachenaussagen implizierte Aussage machen muss, es sei denn, dass die Aussage aus dem Festlegungsspeicher deduziert werden kann. Die Schaffung der letzteren Möglichkeit bewirkt, dass der Proponent niemals dazu gezwungen werden kann, sich in einen Selbstwiderspruch zu setzen. Ein solcher ergäbe sich nämlich notwendig, wenn man einerseits nur Aussagen in den Festlegungsspeicher aufnehmen darf, die aus der Gesamtheit der Tatsachenaussagen logisch impliziert werden, andererseits aber bereits auf die kontrafaktische Grundaussage im Speicher festgelegt ist. Dialektische Systeme mit dieser Eigenschaft nennt Hamblin semantisch konsistent.69 Dies lässt sich an einem kurzen Beispiel in Tabelle A) veranschaulichen. Der Tatsachenbericht enthält nur drei Aussagen, nämlich „p“, „:q“ sowie „r“. Die kontrafaktische Grundaussage des Proponenten ist die Konjunktion der materialen Implikation „p  q“ mit „:r“. In der ersten Runde schlägt der Opponent dem Proponenten die Aussage „p“ zur Entscheidung vor. Die Aussage „p“ wird von der Gesamtheit der Tatsachenaussagen impliziert70 und steht nicht im Widerspruch zur materialen Implikation71. Sie ist daher nach Regel (2) zulässig. Dagegen ist die Negation „:p“ weder nach Regel (2) noch nach Regel (1) zulässig. In der zweiten Runde schlägt der Opponent die negierte Aussage „:q“ vor. Sie entspricht den Tatsachen und erfüllt daher Regel (2) insoweit, dass sie von der Gesamtheit der Tatsachenaussagen impliziert wird.72 Mit der Festlegung auf „:q“ würde der Proponent sich aber mit der Gesamtheit der Festlegungen aus dem Festlegungsspeicher in Selbstwiderspruch setzen. Denn aus der Konjunktion „Wenn p, dann q“ mit „Es ist der Fall, dass p“, folgt logisch „Es ist der Fall, dass In symbolischer Schreibweise: p  p. In symbolischer Schreibweise: (p ^ q)  (p  q). 69 Hamblin (1970), S. 261. 70 In symbolischer Schreibweise: (p ^ :q)  p. 71 Die materiale Implikation formuliert einen Bedingungszusammenhang und sagt gerade nichts darüber aus, ob das Antezedens oder die Konsequenz wahr ist. 72 In symbolischer Schreibweise: (p ^ :q)  :q. 67 68

2. Das Konzept der formalen Dialektik

73

q“.73 Hier rettet den Proponenten dann aber die Regel (1), die es ihm erlaubt, sich kontrafaktisch auf „q“ festzulegen. Gleiches gilt für die dritte Runde. Da der Festlegungsspeicher „p“ und „:r“ enthält, würde die Aufnahme der materialen Implikation „(p  r)“ zu einem Selbstwiderspruch zwischen „:r“ und „r“ führen. Denn aus der materialen Implikation „(p  r)“ zusammen mit „p“ folgt „r“ logisch.74 Dagegen wird aber die Verneinung der materialen Implikation „:(p  r)“ aus der Gesamtheit der bisherigen Festlegungen logisch impliziert.75 A)

Opponent

Proponent p  q ^:r

0. 1.

?(p)

p

2.

?(:q)

q

3.

?(p  r)

:(p  r)

„?(x)“ = Vorschlage; „–“ Aufgeben

Das dialektische System des Verpflichtungsspiels kann nun modifiziert werden. Beispielsweise kann das Sequenzmuster von Vorschlag und Auswahl dahin abgeändert werden, dass der Opponent nicht jeweils eine, sondern ein Set von Aussagen vorschlägt. Der Proponent kann dann wählen, ob er sich auf die UNDverknüpften Aussagen des Set als eine komplexe Aussage festlegt, oder auf die Verneinung dieser komplexen Aussage.76 Der Proponent muss also über mehrere Aussagen einheitlich entscheiden. Dies entspricht einer alltagssprachlichen sprachlichen Interaktion, in der ein Teilnehmer aufgefordert wird, eine Frage nur mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, die mehrere Aussagen zur Entscheidung stellt. Klassisches Beispiel ist hier die Frage: „Haben Sie aufgehört ihre Frau zu schlagen?“ 77 Die in der Frage zur Entscheidung gestellte Aussage, dass jemand aufgehört hat, seine Frau zu schlagen, präsupponiert die Aussage, dass jemand seine Frau in der zurückliegenden Zeit geschlagen hat. Sie enthält damit zwei Aussagen. Erstens die Präsupposition, dass jemand in der zurückliegenden Zeit seine Frau geschlagen hat, und zweitens die negierte Aussage, dass jemand gegenwärtig seine Frau schlägt.78 Um auszusagen, dass er seine Frau gegenwärtig nicht schlägt, müsste der Adressat die Frage mit „Ja“ beantworten und so die In symbolischer Schreibweise: ((p  q) ^ p)  q. In symbolischer Schreibweise: ((p  r) ^ p)  r. 75 In symbolischer Schreibweise: ((((p  q) ^ :r) ^ p) ^ q)  :(p  r). 76 Opponent: {p, q, r, . . .}; Proponent: „(p ^ q ^ r ^ . . . )“ oder aber „:(p ^ q ^ r ^ . . . )“. 77 Hamblin (1970), S. 38; Woods/Walton (1989), S. 234. 78 In symbolischer Schreibweise: p ^ :q. Für „p“ als „Der Sprecher hat in der zurückliegenden Zeit seine Frau geschlagen“. Für „q“ als „Der Sprecher schlägt gegenwärtig seine Frau“. 73 74

74

II. Festlegungsspeicher

Primäraussage bestätigen.79 Dann aber bestätigt er ebenfalls die Präsupposition. Der Präsupposition entkommt der Adressat aber auch nicht durch Verneinung der Frage.80 Denn verneint wird damit nur die Primäraussage, während die Präsupposition weiterhin gilt. Die Präsupposition liegt außerhalb des Focus der Frage. Antwortet der Adressat mit „Nein“, so legt er sich darauf fest, dass er seine Frau in der zurückliegenden Zeit geschlagen hat und dies auch gegenwärtig tut.81 Fragen dieser Art werden als Trugschluss der Vermengung mehrerer Fragen (plurium interrogationum) bezeichnet.82 Im Modell des dialektischen Systems schafft die modifizierte Ausgestaltung des Sequenzmusters von Vorschlag und Auswahl die Möglichkeit des Trugschlusses der Vermengung mehrerer Fragen. Der Mechanismus des Trugschlusses wird in den jeweiligen Regeln des dialektischen Systems identifiziert und expliziert. Weiter geht damit einher, dass einem solchen System auch nicht mehr die Eigenschaft semantischer Konsistenz zukommt. Denn der Proponent kann gezwungen werden, sich in einen Selbstwiderspruch zu setzen, indem der Opponent widersprechende Aussagen in das Set aufnimmt.83 Weitere Modifikationen sind denkbar. So kann etwa dem Proponenten als Reaktion auf den Vorschlag des Opponenten die Möglichkeit des Bestreitens mit Nichtwissen eingeräumt werden. Der Proponent legt sich damit weder auf die vorgeschlagene Aussage noch auf deren Verneinung fest.84 Hamblin sieht dialektische Systeme auch nicht nur auf deduktive Argumentationsspiele beschränkt. Auch induktive Verfahren können in einem dialektischen System eingeführt werden. Wird etwa ein Vorrat an empirischen Fakten für das dialektische System vorgegeben, so ermöglicht dies den Teilnehmern, durch Generalisierung empirische Hypothesen zu formulieren und zum Streitgegenstand zu machen. Hypothesen können dann etwa verteidigt werden, indem man ein Beispiel gibt, oder widerlegt, indem man ein Gegenbeispiel anführt.85 Die Konstitution eines dialektischen Systems erfolgt bei Hamblin durch vier Arten von Regeln: die Regeln der Äußerungsformen, die Regeln der Buchführung für den Festlegungsspeicher, die syntaktischen Regeln des dialektischen Systems sowie ergänzende Ermessensregeln.86 Die Regeln der Äußerungsform (locutions) legen die Form einer Aktion fest, durch die ein Teilnehmer die bestimmte Aktion vollzieht. Die Buchführungsregeln (Commitment-store operations) legen für jede Art von Aktion fest, welche Festlegungen damit in den FestFestlegung also auf: p ^ :q. Woods/Walton (1989), S. 235. 81 Festlegung also auf: p ^ q. 82 Hamblin (1970), S. 38, 262; Aristoteles (Org. VI), S. 167b a. E.; vgl. Woods/Walton (1989), S. 244 ff. 83 Opponent: {p, :p}; Proponent: „(p ^ :p)“ oder aber „:(p ^ :p)“. 84 Vgl. Hamblin (1970), S. 278 f.; ders. (1971), S. 136. 85 Vgl. Hamblin (1970), S. 280 f. 86 Hamblin (1970), S. 265 f. u. 275. 79 80

2. Das Konzept der formalen Dialektik

75

legungsspeicher eingetragen bzw. gelöscht werden. Die syntaktischen Regeln (syntactical rules) bestimmen neben dem Grundmuster des sprachlichen Interagierens für die jeweilige Aktion, welche andere Aktion im Anschluss an sie zulässig ist. Bestimmt werden also gewissermaßen die möglichen Sequenzmuster. Die Ermessensregeln (discretionary rules) schließlich formulieren weitere Bedingungen für die jeweiligen Aktionen in Bezug auf den Inhalt des Festlegungsspeichers zum Zeitpunkt der Vornahme der Aktion. Es handelt sich damit um Bedingungen des Verlaufskontexts. Die Bedeutung einer Aktion wird infolgedessen bestimmt durch die möglichen Anschlusszüge sowie durch ihre Veränderungswirkung und ihre Voraussetzungen im Festlegungsspeicher. Neben den bloß grob skizzierten dialektischen Systemen gibt Hamblin auch ein detailliertes Grundmodell eines dialektischen Systems an.87 Die Buchführungsregeln dieses dialektischen Systems sind weitestgehend mit folgenden Regeln wiedergegeben: 88 (F1) Die Behauptung – „!: . . .“ – der Aussagen „A, B, C, . . .“ bewirkt jeweils den Eintrag der Aussagen „A“, „B“, „C“, . . ., in den Festlegungsspeicher des Sprechers, es sei denn, dass der Festlegungsspeicher bereits die Aussagen „A“, „B“, „C“, . . ., enthält. Die Aussagen werden auch jeweils, soweit nicht schon vorhanden, in den Festlegungsspeicher des Adressaten eingetragen, es sei denn, dass dieser in seinem Anschlusszug die Verneinung der Aussage behauptet – z. B. „!: :B“, oder sich von der jeweiligen Aussage lossagt – „L!: . . .“, oder mit einer Warum-Frage eine Begründung für die Aussage verlangt – abgekürzt: „W?: . . .“– . (F2) Die Lossagung von Festlegungen – „L!: A, B, C, . . .“ – löscht die jeweiligen Aussagen aus dem Festlegungsspeicher des Sprechers. (F3) Eine Auswahl-Frage – „?: A, B, C, . . .“ – bewirkt den Eintrag der adjunktiven Gesamtaussagen „A_B_C_. . .“ in den Festlegungsspeicher des Sprechers, es sei denn, dass der Festlegungsspeicher bereits diese Aussage enthält. Die adjunkive Gesamtaussage wird auch in den Festlegungsspeicher des Adressaten eingetragen, es sei denn, dass dieser in seinem Anschlusszug die Verneinung der adjunkiven Gesamtaussage behauptet – „!: :(A_B_C_. . .)“, oder sich von der adjunkiven Gesamtaussage lossagt – „L!: :(A_B_C_. . .)“. (F4) Eine Warum-Frage – „W?: A“ – bewirkt den Eintrag der Aussage „A“ in den Festlegungsspeicher des Adressaten, es sei denn, dass der Festlegungsspeicher bereits die Aussagen „A“ enthält oder der Adressat die Verneinung der Aussage behauptet – „!: :A“, oder sich von der Aussage lossagt – „L!: A“.

87 Hamblin (1970), S. 265 ff.; dialektische Systeme beschränkt auf den kommunikativen Zweck des reinen Informationsaustausches formuliert Hamblin in seinem Aufsatz „Mathematical moduls of dialogue“, in dem er einen symbolischen Formalismus aufsetzt, um Dialoge zu analysieren. [Hamblin, (1971), S. 137 ff.] 88 Hamblin (1970), S. 266.

76

II. Festlegungsspeicher

Vor dem Hintergrund des Grundmodells diskutiert Hamblin dann Varianten von Ermessensregeln. So diskutiert Hamblin eine Regel, die die Möglichkeit der Auswahl-Frage einschränkt. Aufgrund der Buchführungsregeln F3, können die zur Auswahl gegebenen Aussagen als adjunkive Gesamtaussage in den Festlegungsspeicher des Adressaten eingebucht werden, soweit der Adressat nicht das Gegenteil behauptet oder sich von der Aussage lossagt. Dies ermöglicht den Trugschluss der Vermengung mehrerer Fragen (plurium interrogationum).89 Der Sprecher kann nämlich einfach die Ja-Nein-Frage als Auswahlfrage stellen, indem er die beiden Antwortalternativen (p ^ :q)90 und (p ^ :q) zur Auswahl stellt. Aufgrund der Verknüpfung der Primäraussage mit der Präsupposition ist die Wahl einer der beiden Antworten ebenso wenig akzeptabel, wie die Beantwortung der Ja-Nein-Frage mit „Ja“ oder „Nein“.91 Um die Seite des Adressaten im Dialog gegenüber dem Sprecher zu stärken, kann daher etwa als Regel in das dialektische System aufgenommen werden, dass nur solche Aussagen zur Auswahl gestellt werden dürfen, die der Festlegungsspeicher des Adressaten bereits beinhaltet.92 Der Adressat hat sich dann vorher selbst bereits auf die Präsupposition festgelegt. (E1) Eine Auswahl-Frage – „?: A, B, . . .“ – ist nur zulässig, wenn die adjunkive Gesamtaussage „A_B, . . .“ bereits im Festlegungsspeicher des Adressaten vorhanden ist.

Mit Ermessensregeln lässt sich nicht nur die Anfälligkeit für Trugschlüsse variieren, sondern auch der allgemeine Charakter eines dialektischen Systems. Ein einfacher Informations-Dialog wird beispielsweise den Möglichkeitsraum der Teilnehmer mehr beschränken als ein Überzeugungs-Dialog. Durch Formulierung weiterer Bedingungen des Verlaufskontexts für einzelne Aktionen durch Bezug auf den Festlegungsspeicher beschränkt man die sprachlichen Handlungen, die durch Ausführung der Aktion vollzogen werden können. Im Rahmen eines auf Austausch von Information gerichteten Dialogs ist es zum Beispiel fruchtlos, eine Aussage zu behaupten, auf die sich der Adressat bereits festgelegt hat.93 Um dies zu unterbinden, kann man für die Aktion Behaupten die zusätzliche Bedingung festlegen, dass die Aussage nicht schon im Festlegungsspeicher des Adressaten enthalten sein darf. Das dialektische System bekommt damit mehr den Charakter eines Informations-Dialoges, weil die Aktion Behaupten in KontextKonstellationen ausgeschlossen ist, in denen der Adressat sich bereits auf die Aussage festgelegt hat.

89

Dazu oben in diesem Abschnitt. Für „p“ als „Der Sprecher hat in der zurückliegenden Zeit seine Frau geschlagen“. Für „q“ als „Der Sprecher schlägt gegenwärtig seine Frau“. 91 Hamblin (1970), S. 263; dazu oben. 92 Hamblin (1970), S. 269; Walton (2007), S. 80. 93 Hamblin (1970), S. 269; ders. (1971), S. 137. 90

2. Das Konzept der formalen Dialektik

77

(E2) Eine Behauptung – „!: A, B, . . .“ – ist unzulässig, wenn die Aussage bereits im Festlegungsspeicher des Adressaten vorhanden ist.94

Eine solche Regel sichert die informative Relevanz von Behauptungen für den Adressaten. Allerdings kann es durchaus zweckdienlich sein, jemandem gegenüber etwas zu behaupten, worauf dieser sich selbst bereits festgelegt hat. In Konstellationen nämlich, in denen zwar der Adressat aber nicht auch der Sprecher sich auf die Aussage festgelegt hat, kann ein Sprecher die Aktion Behaupten verwenden, um eine Aussage zuzugeben oder zu gestehen.95 Die sprachlichen Handlungen wie Zugeben oder Gestehen gewinnt man zurück mit einer Regel, die die Aktion Behaupten nur dann für unzulässig erklärt, wenn die Aussage im Festlegungsspeicher des Adressaten und des Sprechers enthalten ist. Das dialektische System hat nun mehr den Charakter eines Überzeugungs-Dialogs, weil man eine Aussage zugeben kann, indem man eine Aussage behauptet. (E2’) Eine Behauptung – „!: A, B, . . .“ – ist unzulässig, wenn die Aussage bereits im Festlegungsspeicher des Adressaten und des Sprechers vorhanden ist.96

So wie es im Rahmen eines Informations-Dialogs fruchtlos ist, eine Aussage zu behaupten, auf die man sich bereits festgelegt hat, so ist es auch fruchtlos, jemandem eine Frage mit Aussagen zur Auswahl zu stellen, wenn man sich bereits auf eine Aussage festgelegt hat.97 Geht es dem Sprecher um die Information, welche der zur Wahl gestellten Aussagen zutreffen, so ist die veranlasste Antwort für ihn ohne Informationswert. Die Praxis fruchtloser Fragen wird unterbunden durch eine Ermessensregel, die die Aktion der Auswahlregel für unzulässig erklärt, wenn eine der zur Auswahl gestellten Aussagen schon im Festlegungsspeicher des Sprechers enthalten ist. (E3) Eine Auswahlfrage – „?: A, B, . . .“ – ist unzulässig, wenn eine der Aussagen A, B, . . . bereits im Festlegungsspeicher des Sprechers vorhanden ist.98

Im Rahmen eines Überzeugungs-Dialogs aber können Auswahlfragen dazu dienen, gerade in dieser Konstellation, dass der Sprecher, nicht aber der Adressat, Festlegungen in Bezug auf die zur Auswahl gegebenen Aussagen besitzt, den Kontrahenten zu Festlegungen zu veranlassen.99 Gibt es allerdings bereits eine Festlegung des Adressaten auf eine zur Auswahl gestellten Aussage, so ist es für den Adressaten geschickt, auf die Frage mit genau dieser Aussage zu antworten. In Konstellationen, in denen beide Teilnehmer bereits irgendeine Festlegung in

94

Vgl. Hamblin (1970), S. 269. Hamblin (1970), S. 270; ders. (1971), S. 137; Walton (2007), S. 84 f.; Fritz (1994a), S. 147. 96 Vgl. Hamblin (1970), S. 270. 97 Hamblin (1970), S. 269; ders. (1971), S. 137. 98 Vgl. Hamblin (1970), S. 269. 99 Hamblin (1970), S. 270; ders. (1971), S. 137. 95

78

II. Festlegungsspeicher

Bezug auf die zur Auswahl gestellten Aussagen besitzen, überwiegt daher die Gefahr von fruchtlosem Auf-der-Stelle-treten durch Wiederholen derselben Frage-Antwort-Sequenz den Nutzen der Aktion. Für Überzeugungs-Dialoge ist daher eine Ermessensregel angemessen, die die Auswahlfrage nur bei beiderseitig bereits bestehenden Festlegungen ausschließt. (E3’) Eine Auswahlfrage – „?: A, B, . . .“ – ist unzulässig, wenn jeweils irgendeine der Aussagen A, B, . . . bereits im Festlegungsspeicher des Adressaten und des Sprechers vorhanden ist.100

Mit der Aktion der Warum-Frage – „W?: A“ – schließlich ist der Aspekt der Beweislast verknüpft. Als Grundregel der Beweislastverteilung in einer argumentativen sprachlichen Interaktion dürfte die Regelung anzusehen sein, wonach derjenige, der eine Aussage behauptet, diese auch zu beweisen hat.101 Die WarumFrage ist dann als Aufforderung gegenüber dem Beweispflichtigen zu verstehen, die vormals behauptete Aussage zu begründen. Infolgedessen bedarf es einer Ermessensregel, die die Zulässigkeit der Warum-Frage von der Bedingung abhängig macht, dass der Adressat die zu begründende Aussage im bisherigen Dialogverlauf behauptet hat.102 Vor dem Hintergrund dieser Bedingung ist die Buchführungsregel (F4) der Warum-Frage im Grundmodell dann obsolet. Um eine solche Regel formulieren zu können, ist zunächst der Festlegungsspeicher zu modifizieren. Denn nach den Buchführungsregeln des Grundmodells werden dem Adressaten auch bei Aktion des Sprechers Aussagen in den Festlegungsspeicher eingetragen, sofern er nicht das Gegenteil behauptet oder sich zumindest von der Aussage lossagt. Infolgedessen reicht es nicht aus, dass die in Frage stehende Aussage überhaupt im Festlegungsspeicher des Adressaten enthalten ist. Sie muss vielmehr als behauptete Aussage vorhanden sein. Im Festlegungsspeicher ist daher zwischen verschiedenen Arten von Festlegungen zu unterscheiden, nämlich Festlegungen im engeren Sinne und bloßen Zugeständnissen.103 Zugeständnisse sind durch fremde Aktionen zugezogene Festlegungen, während Festlegungen im engeren Sinne durch eigene Aktionen eingegangen werden. Zugeständnisse müssen nicht verteidigt werden, so dass für sie auch keine Beweislast besteht. Dient die Warum-Frage als Aufforderung, vormals behauptete Aussagen zu begründen, so ist die Zulässigkeit aber auch von Bedingungen abhängig, dass der Sprecher sich auf die behauptete Aussage selbst noch nicht festgelegt hat. Denn eine Aussage bedarf nur demjenigen gegenüber einer Begründung, der sie selbst

100 101 102 103

Vgl. Hamblin (1970), S. 270. Hamblin (1970), S. 274 m.w. Nachw. Vgl. Hamblin (1970), S. 271, 274; Walton (2007), S. 81. Hamblin (1970), S. 274; vgl. Walton/Krabbe (1995), S. 186.

2. Das Konzept der formalen Dialektik

79

noch nicht behauptet hat.104 Für die Aktion der Warum-Frage in einem dialektischen System mit Beweislast ist daher eine Ermessensregel wie (E4) naheliegend. Durch sie wird zugleich das Aushebeln der Beweislastverteilung unterbunden. Denn es ist nicht mehr möglich, den anderen durch eine eigene Behauptung auf eine Aussage festzulegen, und dann für diese eine Begründung von ihm zu fordern.105 (E4) Eine Warum-Frage – „W?: A“ – ist nur zulässig, wenn die Aussage A bereits im Festlegungsspeicher des Adressaten als Festlegung im engeren Sinne, nicht aber im Festlegungsspeicher des Sprechers vorhanden ist.106

Hinsichtlich des Beweisantritts besteht schließlich die Gefahr der petitio principii, also trivialer zirkulärer Begründungen.107 Im Zusammenspiel mit der Regel (E4) kann dies etwa dadurch unterbunden werden, dass man als Begründungen nur Aussagen zulässt, auf die sich beide Teilnehmer bereits festgelegt haben. (E5) Eine Begründung – „!: A, AB – auf die Warum-Frage – „W?: B“ – ist nur zulässig, wenn die Aussage A bereits im Festlegungsspeicher des Adressaten und des Sprechers vorhanden ist.108

Während die Buchführungsregeln den Festlegungsspeicher selbst zum Gegenstand haben und ihn konstituieren, machen die Ermessensregeln von dem Festlegungsspeicher Gebrauch, um den Möglichkeitsraum der Dialogbeteiligten und so den Charakter des dialektischen Systems zu bestimmen. Der Festlegungsspeicher wird damit zu dem zentralen Element eines dialektischen Systems, das es ermöglicht, Regeln für sprachliches Handeln nicht nur in Bezug auf den unmittelbar vorangegangenen Zug zu formulieren, sondern in Bezug auf den gesamten vorangegangenen Dialogverlauf. Die Dynamik der Buchführung des Festlegungsspeichers wird anschaulich, wenn man probeweise für einige Interaktionssequenzen einen Festlegungsspeicher führt. Hamblin selbst hat einige Interaktionssequenzen für sein detailliertes Grundmodell gegeben.109 In einem kurzen Exkurs sollen nun einige Auszüge aus diesen Interaktionssequenzen in einem tabellarischen Festlegungsspeicher dargestellt werden. Hierzu sind zunächst die weiteren Regeln, die Regeln der Äußerungsform und die syntaktischen Regeln, nachzuliefern.

104 105 106 107 108 109

Vgl. Walton (2007), S. 81. Vgl. Hamblin (1970), S. 274. Vgl. Hamblin (1970), S. 271, 274. Dazu oben a). Vgl. Hamblin (1970), S. 271. Hamblin (1970), S. 267 f.

80

II. Festlegungsspeicher Regeln für Äußerungsformen:110 (A1) Aktion Behaupten „!: A“ oder , „!: A, B“; mit einer oder zwei Aussagen. (A2) Aktion Lossagen „L!: A, B, C, . . .“ mit einer oder mehreren Aussagen. (A3) Aktion Auswahlfrage „?: A, B, . . .“, mit einer oder mehreren Aussagen. (A4) Aktion Warum-Frage „W?: A“, wobei es sich bei „A“ nicht um ein Axiom handeln darf. (A5) Aktion Klärungsaufforderung (eines Widerspruchs). „K!: A“. Syntaktische Regeln:111 (S1) Jeder Teilnehmer macht nur eine Äußerung pro Zug, es sei denn, dass das Lossagen – „L! A“ – mit einer Warum-Frage – „W?: A“ – oder einer Klärungsaufforderung – „K!: A“ – kombiniert wird. (S2) Auf einer Auswahlfrage – „?: A, B, . . .“ – kann reagiert werden mit • der Äußerung „!: :(A_B_C . . .)“ oder • der Äußerung „L! (A_B_C . . .)“ oder • der Äußerung „!: A“ oder „!: B“ oder „!: C“ usw. • der Äußerung „L!: A, B, C, . . .“. (S3) Auf eine Warum-Frage – „W?: B“ – kann reagiert werden mit • der Äußerung „!: :B“ oder • der Äußerung „L! B“ oder • der Äußerung „!: A, AB“. (S4) Auf eine Klärungsaufforderung – „K!: A“ – kann reagiert werden mit • der Äußerung „L!: A“ oder • der Äußerung „L! :A“

Tabelle B zeigt die Abfolge von Interaktionssequenzen im Rahmen des dialektischen Grundsystems zwischen den Akteuren Weiß und Schwarz. Anders als bei der Darstellung der Dialogspiele der dialogischen Logik, sind die Äußerungen, mit denen eine Aktion vollzogen wird, und ihrer jeweiligen Veränderungsleistung im Festlegungsspeicher hier in getrennten Spalten notiert. Angesichts der Dynamik des Eintragens und Streichens von Aussagen dient dies der größeren Übersichtlichkeit.

110 111

Hamblin (1970), S. 265. Hamblin (1970), S. 266.

2. Das Konzept der formalen Dialektik Weiß

B) Äußerungen 1.

2.

4.

Schwarz Speicher

Speicher

!

p_:p p

p_:p p

?: q, :q

!

!: q

!

q_:q :q q, :q"

q_:q :q q q"

W?: p  :q

!

p  :q p  :q"

p  :q

!: p, p  :q

p  :q"

L!: p  :q

!: p, p  q

!

pq

!: :p, :p(pq) ! L!: p

!

:p, :p  (p  q)

pq p  q" :p, :p  (p  q) :p"

p" (p^r)_(:p^r)

5.

Äußerungen

?: p, :p

W?: :q 3.

81

L!: (p^r)_(:p^r)

!

(p^r)_(:p^r)

!: p !: :q L!: q

W?: q W?: p  q L!: :p K!: :p

?: p^r, :p^r

(p^r)_(:p^r)"

„"“ = mit Rückwirkung für den ganzen Speicher

1. Interaktionssequenz: WEISS beginnt mit der Auswahlfrage „?: p, :p“. Die Adjunktion der zur Auswahl gestellten Aussagen wird beiden Akteuren als Festlegung eingebucht. SCHWARZ reagiert mit der Behauptung „!: p“. Auch die Aussage „p“ wird beiden Akteuren eingebucht, da WEISS seine Festlegung auf „p“ nicht durch einen entsprechenden Anschlusszug verhindert. 2. Interaktionssequenz: Stattdessen stellt WEISS die weitere Auswahlfrage „?: q, :q“. SCHWARZ wählt mit der Behauptung „!: :q,, die Aussage „:q“ aus. WEISS ist jedoch anderer Ansicht und behauptet das Gegenteil „!: q“. Damit wird die Festlegung auf „:q“ aufgrund der Behauptung von SCHWARZ eliminiert und WEISS auf „q“ festgelegt. Um die Wirkung der Gegenbehauptung von WEISS zu eliminieren, muss SCHWARZ nun seinerseits „q“ noch einmal bestreiten, indem er sich von der Aussage lossagt „L!: q“. 3. Interaktionssequenz: WEISS fordert nun SCHWARZ mit einer Warum-Frage auf, die Aussage „:q“ zu begründen. SCHWARZ begründet „:q“ mit „p“ und der materialen Implikation „p  :q“, indem er die Aussagen behauptet. Da die Akteure sich bereits auf „p“ festgelegt haben, ergibt sich nur eine neue Festlegung auf den Implikationszusammenhang. Dieser wird aber nur in den Speicher von SCHWARZ eingetragen, da WEISS den Implikationszusammenhang im Anschlusszug bestreitet, indem er hierfür eine Begründung verlangt „W?: p  :q“. SCHWARZ kann jedoch keine Begründung liefern und

82

II. Festlegungsspeicher

zieht die Behauptung des Implikationszusammenhangs zurück, indem er sich lossagt „L!: p  :q“. 4. Interaktionssequenz: Nun dreht SCHWARZ den Spieß um und verlangt seinerseits von WEISS eine Begründung für dessen Position „q“. Die Interaktion läuft nun spiegelbildlich ab, wobei WEISS neben „p“ die materiale Implikation „p  q“ als Begründung anführt. Bei der weiteren Begründung dieses Implikationszusammenhangs verstrickt sich WEISS dann jedoch mit der Aussage „:p“ in einen Widerspruch zu der bestehenden Festlegung auf „p“. Dies bemerkt SCHWARZ, der dem Widerspruch selbst entgangen ist, indem er sich von ihr losgesagt hat „L!: :p“. Der komplexen Aussage „:p  (p  q)“ kann SCHWARZ nicht sinnvoll entgegentreten, da es sich um eine Tautologie handelt. SCHWARZ fordert sodann WEISS zur Klärung des Widerspruchs auf „K!: :p“, und WEISS sagt sich von der Festlegung auf „p“ los, so dass die Begründung von „q“ durch den Implikationszusammenhang „p  q“ gescheitert ist. 5. Interaktionssequenz: Indem SCHWARZ die beiden Aussagen „r^p“ und „r^:p“ WEISS zur Auswahl stellt „?: p^r, :p^r“, versucht er, WEISS in den Hinterhalt des Trugschlusses der Vermengung mehrerer Fragen (plurium interrogationum) zu locken.112 WEISS ist aber aufmerksam und sagt sich von der Adjunktion der beiden Aussagen los „L!: (p^r)_(:p^r)“. So entkommt WEISS der ungewollten Präsupposition „r“.

c) Die Konsistenzbedingung des Festlegungsspeichers Die Bestandseigenschaft von Aussagen zusammen mit dem Satz vom ausgeschlossenen (Selbst-)Widerspruch beschreiben die Grundbedingungen für die Möglichkeit einer Festlegung.113 Mit dem Festlegungsspeicher als zentralem Element muss ein dialektisches System diese Bedingungen durch entsprechende Regeln sicherstellen. Während aber in Hamblin’s dialektischem Grundmodell etwa die Bestandseigenschaft gradlinig durch die Buchführungsregeln umgesetzt wird, die die zeitliche Fortdauer der Aussagen durch Eintragung in den Speicher sicherstellen, wird der Satz vom ausgeschlossenen (Selbst-)Widerspruch in keiner Regel explizit formuliert. Für die Umsetzung im dialektischen System wäre etwa eine syntaktische Regel zu erwarten, die Behauptungen für unzulässig erklärten, deren Aussage eine Kontradiktion darstellt.114 Naheliegend wäre also ein Regel wie: (S5) Behauptungen, die eine Kontradiktion enthalten – „!: A ^ :A“ – sind unzulässig.115

Um darüber hinaus Inkonsistenzen im Festlegungsspeicher zu unterbinden, wäre weiter eine Ermessensregel zu erwarten, die mit Bezug auf den Verlaufskontext des Festlegungsspeichers, also auf die im bisherigen Verlauf eingegange-

112 113 114 115

Dazu oben in diesem Abschnitt. Dazu oben I. 3. c). Hamblin (1970), S. 260. Vgl. Regel S4 in Hamblin’s Grundmodell: Hamblin (1970), S. 266.

2. Das Konzept der formalen Dialektik

83

nen Festlegungen, Aktionen ausschließt, durch die sich der Sprecher Festlegungen zuzieht, die im Widerspruch zu den im Speicher enthaltenen Festlegungen stehen. Eine solche Regel würde dann etwa lauten: (E6) Eine Aktion beliebiger Art ist unzulässig, wenn der Sprecher sich durch sie Festlegungen zuzieht, die im Widerspruch zu Aussagen stehen, die im Festlegungsspeicher des Sprechers bereits vorhanden sind.

Damit werden entsprechende Behauptungen dem Sprecher untersagt. In einem dialektischen System, das nicht zwischen Festlegungen im engeren Sinne und bloßen Zugeständnissen unterscheidet, zwingt die Regel einen Akteur darüber hinaus, sich gegebenenfalls durch einen entsprechenden Anschlusszug von Festlegungen zu befreien, die anderenfalls auf Grund der vorangegangenen Aktion des Kontrahenten in seinen Festlegungsspeicher eingebucht würden. Tatsächlich aber hat Hamblin keine Regel dieser Art im dialektischen Grundmodell vorgesehen. Kontradiktionen sind zulässig, ebenso ist es möglich, dass sich im Verlauf einer Interaktion Inkonsistenzen im Festlegungsspeicher der Akteure ergeben. Die inferenziellen Bezüge zwischen den Aussagen sind nämlich häufig so kompliziert, dass Widersprüche gar nicht ohne weiteres erkennbar sind. Dies gilt insbesondere, wenn Positionen aufgegeben werden und man sich von einzelnen Festlegungen lossagt.116 Die Torsionskräfte im logischen Gefüge werden dadurch aufgefangen, dass man es den Teilnehmern selbst an die Hand gibt, Widersprüche nur dann zu klären, wenn sie für die Teilnehmer von Relevanz sind. „At first sight we would suppose it to be a requirement of the statements in a commitment-store that they be consistent; but, on reflection, we may come to think that, although there does exist an ideal concept of a ,rational man‘ which implies perpetual consistency, the supposition is by no means necessary to the operation of a satisfactory dialectical system. In fact, even where our ideals of rationality are concerned, we frequently settle for much less than this: a man is ,rational‘, in a satisfactory sense, if he is capable of appreciating and remedying inconsistencies when they are pointed out.“ 117

Die Möglichkeit der Teilnehmer, auftretende Widersprüche zu thematisieren, wird im dialektischen Grundmodell mit dem Sequenzmuster zur Eliminierung von Widersprüchen im Festlegungsspeicher umgesetzt. Widersprüche können damit jederzeit selbst zum Gegenstand der Interaktion gemacht werden, wenn ein Akteur die Klärung für erforderlich hält. Ein Akteur kann den anderen Akteur auffordern, einen Widerspruch in dessen Festlegungsspeicher zu eliminieren, indem er sich entweder von der Aussage oder deren Negation lossagt.118 Mit dem Verzicht auf die Forderung von Konsistenz im Festlegungsspeicher gleicht Ham116 117 118

Hamblin (1970), S. 264. Hamblin (1970), S. 264. Dazu oben Regel (A5) und Regel (S4).

84

II. Festlegungsspeicher

blin sein dialektisches Grundmodell zugleich in einem grundlegenden Aspekt sprachlicher Alltagsinteraktionen an. Dass eine sprachliche Interaktion mit Widersprüchen im Festlegungsspeicher möglich ist, bedeutet nun nicht, dass der Satz vom ausgeschlossenen Selbst-Widerspruch doch keine Grundbedingung für die Möglichkeit einer Festlegung ist. Eine Kontradiktion bewirkt keine Festlegung. Und eine Aussage, die in Widerspruch zu einer bereits im Festlegungsspeicher enthaltenden Aussage steht, bewirkt die gegenseitige Neutralisierung beider Aussagen.119 Allerdings handelt es sich nicht um reine Leerzüge. Die Aktionen selbst werden ja gerade nicht ausgeschlossen. Auch sie verändern den Verlaufskontext, da die mit der Aktion gemachten Aussagen entsprechend der Buchführungsregeln in den Festlegungsspeicher eingetragen werden. Soweit die Aussagen aber in Widerspruch stehen, handelt es sich nicht um Festlegungen. Als Festlegungen sind diese Aussagen schwebend unwirksam. Sie sind unwirksam, weil, mit dem Bild der Grenzziehung gesprochen, die Aussage eines prädizierenden Satzes, die einen Gegenstand auf einer Seite anstatt auf der anderen Seite der vom Prädikat geschaffenen Grenzlinie verortet, getilgt wird, sobald zugleich das Gegenteil ausgesagt wird, d. h. der Gegenstand auch auf der anderen Seite verortet wird.120 Und sie sind schwebend, weil eine Aussage zur Festlegung erwachsen kann, indem die ihr widersprechende Aussage getilgt wird.121 Bleibt damit der Satz vom ausgeschlossenen Selbst-Widerspruch als Grundbedingung für die Möglichkeit einer Festlegung unberührt, so bedeutet die Möglichkeit einer sprachlichen Interaktion trotz Widersprüchen im Festlegungsspeicher zu allererst eben, dass Konsistenz des Festlegungsspeichers keine Grundbedingung für die Möglichkeit einer sprachlichen Interaktion darstellt. Kontradiktionen und Verlaufs-Widersprüche werden gerade selbst zum Gegenstand der sprachlichen Interaktion, und zwar in dem Moment, in dem die Interaktion in einer Klärungssequenz besteht. Die Grundbedingung für die Möglichkeit einer sprachlichen Interaktion in Bezug auf die Konsistenz des Festlegungsspeichers ist daher wesentlich schwächer. Als Bedingung völlig ausreichend ist die Forderung der Eigenschaft einer sprachlichen Interaktion, Klärungssequenzen zu enthalten, die es den Akteuren ermöglichen, Widersprüche aufzuklären und so schwebend unwirksame Festlegungen zu verwerfen oder zu realisieren. Die Grundbedingung für die Möglichkeit einer sprachlichen Interaktion ist daher das

119

Strawson (1952), S. 3; Tugendhat/Wolf (1997), S. 59 u. 250. Dazu oben I. 3. b). Strawson (1952), S. 5 f.; Tugendhat/Wolf (1997), S. 59 u. 250. Dazu oben I. 3. b). 121 Den Status schwebender Unwirksamkeit verwendet das deutsche Zivilrecht in Bezug auf rechtlich bindende Willenserklärungen von in ihrer Rechtsgeschäftsfähigkeit beschränkten Minderjährigen. Danach entfalten Willenserklärungen von Minderjährigen im Alter zwischen 7 und 18 Jahren nur rechtliche Bindungswirkung, wenn die Eltern ihre Einwilligung für die Erklärung geben. 120

3. Aufnahme der Konzepte in der Literatur

85

Prinzip der Konsistenz auf Zuruf als ein akteurseitig gemanagtes Widerspruchsverbot. 3. Aufnahme der Konzepte in der Literatur In der Literatur ist das Konzept der dialogischen Logik zusammen mit Hamblin’s Konzept der formalen Dialektik aufgegriffen und zur Grundlage einer allgemeinen Argumentationstheorie gemacht worden. In ihrem Buch „From Axiom to Dialog“ greifen die Autoren Else M. Barth und Eric C. W. Krabbe Hamblin’s Idee der dialektische Systeme122 als Regelsystem für sprachliche Interaktionen auf, um einen Grundstock von Diskursregeln zu formulieren, die den Rahmen für eine allgemeine Theorie argumentativer Konfliktlösung bilden.123 Bei der Formulierung dieser Regeln knüpften die Autoren dann aber an die Dialogspiele des Konzepts der dialogischen Logik an und übernehmen die Definition der logischen Junktoren durch die Festlegung der Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten.124 Während es Barth und Krabbe darum ging, ein Lehrbuch der Logik zu schreiben, das verschiedene Ansätze der formalen Logik nebeneinander behandelt, sind die beiden Konzepte auch mit dem ursprünglichen Interesse Hamblin’s aufgegriffen worden, Trugschlüsse jenseits des logisch ungültigen Schließens fassbar zu machen. Dem Buch „Commitment in Dialogue“, das Eric C. W. Krabbe zusammen mit Douglas N. Walton verfasst hat, liegt die Einsicht zugrunde, dass die Frage, ob eine Sequenz einer sprachlichen Interaktion als Trugschluss zu gelten hat, von dem Charakter der sprachlichen Interaktion abhängig ist. In ihren Worten: die Beurteilung eines Arguments ist abhängig von dem Dialogtyp, in dem es verwendet wird.125 Da ein und dasselbe Argument im Kontext eines Dialogtyps zulässig sein kann, dagegen aber im Kontext eines anderen unzulässig,126 liegt die eigentliche Regelverletzung in dem unerlaubten Wechseln von einem Dialogtyp zum anderen.127 Zugleich erklärt sich damit auch die typische Eigenschaft der Trugschlüsse als Argument gültig zu scheinen, aber nicht gültig zu sein.128 Die Autoren unterscheiden beispielsweise zwischen den Typen Überzeugungsdialog (persuasion dialogue), Verhandlung (negotiation), Beratung (deliberation), Untersuchung (inquiry), Befragung (information-seeking dialogue) und Streitigkeit (quarrel) sowie Mischformen aus diesen Grundtypen.129 Der Dialogtyp 122 123 124 125 126 127 128 129

Hamblin (1970), S. 255, dazu oben 2. a). Barth/Krabbe (1982), S. 19, 55. Barth/Krabbe (1982), Kap. III 54 ff.; dazu oben 1. a). Walton/Krabbe (1995), S. 2. Walton/Krabbe (1995), S. 2, 114. Walton/Krabbe (1995), S. 7, 108 ff. Walton/Krabbe (1995), S. 114; vgl. Hamblin (1970), S. 224 u. 253. Walton/Krabbe (1995), S. 66.

86

II. Festlegungsspeicher

Überzeugungsdialog ist etwa durch die Ausgangssituation einer Meinungsverschiedenheit in einer Sache gekennzeichnet sowie einerseits durch das gemeinsame Ziel, die Meinungsverschiedenheit zu lösen, und andererseits durch die Partikularziele der Beteiligten, ihre Auffassung als Lösung durchzusetzen. Erfolgsbedingung eines solchen Dialogs ist, dass eine Partei ihre Position aufgibt. Der Dialogtyp Verhandlung wiederum hat die Ausgangssituation, dass die Beteiligten durch Kooperation jeweils Vorteile erlangen können. Gemeinsames Ziel ist daher die Vereinbarung der Kooperation, wobei jeder versucht, den eigenen Nutzen zu maximieren. Erfolgsbedingung ist schließlich ein beiderseitiges Nachgeben. Eine Streitigkeit dagegen hat einen Konflikt als Ausgangssituation, ohne dass ein gemeinsames Ziel verfolgt wird. Es geht ausschließlich darum zu gewinnen, sei es, dass man seinen Willen durchsetzt, oder dass man von dritter Seite Recht bekommt.130 Vor dem Hintergrund einer solchen Dialogtypologie lässt sich dann ein Trugschluss wie etwa die Begründung mit Drohung (argumentum ad baculum) oder auch die Begründung mit Mitleid (argumentum ad misericordiam) als unerlaubter Wechsel von einem Überzeugungs- zu einem Verhandlungsdialog beschreiben.131 Der Trugschluss der Widerlegung mit persönlichen Eigenschaften (argumentum ad hominem) ist in der Regel ein unerlaubter Wechsel zu einer Streitigkeit.132 Die Erklärung eines Trugschlusses mit einem unerlaubten Wechsel zwischen Dialogtypen stößt allerdings dort an ihre Grenzen, wo es keinen Dialogtyp gibt, indem der Trugschluss zulässig ist. So bei dem wichtigen Trugschluss der Vermengung mehrerer Fragen (plurium interrogationum). Eine präsupponierende Frage, durch die dieser Trugschluss realisiert wird, kann allenfalls dann zugelassen werden, wenn der Adressat sich bereits auf die Präsupposition der Frage festgelegt hat.133 Damit aber hängt die Zulässigkeit vom Verlaufskontext ab und nicht von dem Dialogtyp.134 In technischer Hinsicht formulieren die Autoren darüber hinaus zwei normative Dialogmodelle zur Beschreibung und als Maßstab zur Bewertung argumentativer Interaktionssequenzen.135 Während sich das eine Dialogmodell an dem Konzept der dialogischen Logik orientiert,136 folgt das andere Dialogmodell dem Vorbild Hamblin’s dialektischem Grundsystems.137 Beide Modelle sind als System von Regeln für Überzeugungsdialoge gedacht, unterscheiden sich jedoch in 130

Vgl. Walton/Krabbe (1995), S. 66 ff. Walton/Krabbe (1995), S. 110. 132 Walton/Krabbe (1995), S. 111. 133 Dazu oben 2. b). 134 Vgl. Walton/Krabbe (1995), S. 113. 135 Walton/Krabbe (1995), S. 123, 177. 136 Die Autoren sprechen vom „Rigorous Persuasion Dialgoud (RPD)“. Im Detail dazu: Walton/Krabbe (1995), S. 154 ff. 137 Die Autoren sprechen vom „Permissive Persuasion Dialogue (PPD)“. Im Detail dazu: Walton/Krabbe (1995), S. 149 ff. 131

3. Aufnahme der Konzepte in der Literatur

87

den Aktionen und der Möglichkeit Festlegungen zu tilgen.138 Dabei ergänzen sich beide Modelle insoweit, als dass das restriktivere, an der dialogischen Logik ausgerichtete Modell dazu dient, Interaktionssequenzen logisch zu rekonstruieren, in denen die Teilnehmer präzise in Bezug auf ihre Festlegungen argumentieren, während das weniger restriktive, an der formalen Dialektik ausgerichtete Modell sich dazu eignet, Interaktionssequenzen zu beschreiben, in denen die Aktionen nicht explizit auf bestimmte Festlegungen des Kontrahenten zielen.139 Dabei erweitern die Autoren im letzen Fall den Festlegungsspeicher neben Zugeständnissen und Festlegungen im engeren Sinne um die Kategorie Hintergrundsannahmen (dark-side commitments).140 Im Gegensatz zu Festlegungen im engeren Sinne müssen sie zunächst nicht verteidigt oder bewiesen werden, sind aber anders als die Zugeständnisse Teil der Position eines Akteurs. In Bezug auf sie besteht eine Pflicht, sich zu ihnen zu bekennen oder sich von ihnen loszusagen, wenn man dazu aufgefordert wird.141

138

Walton/Krabbe (1995), S. 126, 149, 158. Walton/Krabbe (1995), S. 125, 177. 140 Walton/Krabbe (1995), S. 11, 125, 181. 141 Walton/Krabbe (1995), S. 186. Vgl. auch Structural Rules 3. c) und 4. a) des Permissive Persuasion Dialogue (PPD). Danach bleibt eine Hintergrundsannahme stets als Zugeständnis im Festlegungsspeicher des Akteurs erhalten [Walton/Krabbe (1995), S. 151]. 139

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen 1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell a) Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess Ein prominenter Ort für sprachlich geführte Auseinandersetzungen sind Gerichte. In einem Zivilprozess streiten etwa der Kläger und der Beklagte über das Bestehen oder Nicht-Bestehen von Ansprüchen. Beispielsweise über das Bestehen eines Anspruchs des Klägers gegen den Beklagten aus Kaufvertrag auf Zahlung des Kaufpreises. Tatsächlich ist das Zivilrecht als ein System von Ansprüchen aufgebaut. Ein Anspruch besteht, wenn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen, die im Tatbestand der Anspruchsnorm genannt werden, (z. B. Vertragsschluss, schuldhafte rechtswidrige Rechtsgutsverletzung) erfüllt sind und der Anspruch nicht aufgrund allgemeiner Normen (z. B. Minderjährigkeit, Sittenwidrigkeit, Nichtbeachtung von Formvorschriften)1 in der Entstehung gehindert war. Weiter darf der Anspruch nicht bereits untergegangen (z. B. Erfüllung, Unmöglichkeit)2 oder in seiner Durchsetzbarkeit gehemmt (z. B. Verjährung, Zurückbehaltungsrecht)3 sein.4 Im Zivilprozess gilt anders als etwa im Strafprozess oder Verwaltungsprozess der Beibringungsgrundsatz, wonach es den Parteien obliegt, die lebensweltlichen Tatsachen5 vorzutragen, anhand derer das Gericht dann durch Subsumption der Tatsachen unter die gesetzlichen Normen über das Bestehen des Anspruchs entscheidet – da mihi factum dabo tibi ius.6 Die Konsequenz hieraus ist, dass Tatsachen, die nicht vorgetragen wurden, grundsätzlich als nicht gegeben behandelt werden, selbst wenn das Gericht hiervon Kenntnis hat (negativ Fiktion).7 Umgekehrt werden übereinstimmend vorgetragene Tatsachen als wahr angenommen, 1

§ 105 BGB, § 138 BGB, § 125 BGB. § 362 BGB, § 275 BGB. 3 § 219 BGB, 273 BGB. 4 Brox/Walker (2009), § 38 Rz. 856 ff. 5 Der sprachliche Ausdruck Tatsache bedeutet im Folgenden so viel wie Aussage, Sachverhalt. Anders als in der analytischen Philosophie, wo Tatsache einen wahren Sachverhalt meint [vgl. Wittgenstein (Trl), 2.], gibt es im juristischen Sprachgebrauch wahre und falsche Tatsachen. 6 Oberheim (2009), § 1 Rz. 30. 7 Oberheim (2009), § 1 Rz. 30, § 5 Rz. 26. 2

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

89

selbst wenn das Gericht weiß, dass sie kontrafaktisch sind (formeller Wahrheitsbegriff).8 Rechtsauffassungen dagegen können zwar von den Parteien vorgetragen werden, sind aber für das Gericht unbeachtlich – iura novit curia.9 Um eine Rechtsauffassung handelt es sich etwa bei der Ansicht, dass eine bestimmte lebensweltliche Tatsache eine Tatbestandsvoraussetzung erfüllt, oder bei der Ansicht, dass die Pflicht zum Schadensersatz wegen unterlassenem Warnhinweis im Beipackzettel als vertragsrechtliche Pflicht und nicht als deliktsrechtliche Pflicht zu behandeln ist.10 Infolgedessen wird der Streit über das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines Anspruchs sehr häufig im Kern als ein Streit über das Bestehen oder Nicht-Bestehen von Tatsachen geführt. Um zu gewinnen, muss eine Partei daher die für sie günstigen Tatsachen darlegen und gegebenenfalls bestrittene Tatsachen beweisen sowie die ungünstigen Tatsachen bestreiten und soweit sie bewiesen wurden, die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit der Tatsachen durch einen Gegenbeweis erschüttern.11 Hinsichtlich der verschiedenen Aspekte, die für das Bestehen eines Anspruchs zu prüfen sind, hat der Kläger daher die Tatsachen in Bezug auf die anspruchsbegründenden Voraussetzungen der Anspruchsnorm ins Felde zu führen, während der Beklagte Tatsachen in Bezug auf die Normen zu verfechten hat, die den Anspruch in der Entstehung hindern oder ihn vernichten (so genannte Einwendungen) oder ihn in seiner Durchsetzung hemmen (so genannte Einreden).12 Die so vorgetragenen Tatsachen bilden den Prozessstoff, den dann das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legt. Dabei gilt der Beibringungsgrundsatz, wonach übereinstimmend vorgetragenen Tatsachen unabhängig von ihrer Wahrheit als gegeben behandelt werden und umgekehrt nicht vorgetragene Tatsachen als nicht gegeben behandelt werden (Negativfiktion).13 Aus dem von den Parteien vorgetragenen Prozessstoff kann das Gericht zunächst nur die unstreitigen Tatsachen übernehmen. Hinsichtlich der strittigen Tatsachen muss das Gericht zunächst ein Beweisverfahren durchführen (Beweisstation). Dies jedoch nur, soweit 8

Oberheim (2009), § 1 Rz. 30. Oberheim (2009), § 1 Rz. 30 f. – Jüngere Reformen der Zivilprozessordnung haben als Ausnahme von dem Beibringungsgrundsatz die Mitverantwortung des Gerichts für eine material gerechte Entscheidung und hierzu erforderlicher Tatsachen und Beweise verstärkt. So hat das Gericht gewisse Aufklärungs- und Hinweispflichten und kann eigene Sachaufklärung betreiben [Oberheim (2009), § 1 Rz. 31]. 10 Im letzten Fall handelt es sich um Bedeutungspostulate. 11 Die Darlegungslast und die Beweislast regeln dieselbe Frage, nämlich zu wessen Lasten sich das Nichtvorliegen einer Tatsache auswirkt. Dabei betrifft die Darlegungslast den Fall, dass die Tatsache überhaupt nicht vorgetragen wurde, während die Beweislast den Fall betrifft, dass eine bestrittene Tatsache nicht bewiesen werden konnte [Oberheim (2009), § 5 Rz. 30, § 7 Rz. 53]. 12 Oberheim (2009), § 5 Rz. 32, § 7 Rz. 53. 13 Oberheim (2009), § 1 Rz. 30, § 5 Rz. 26. 9

90

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

die beweisbelastete Partei den Beweis für die strittige Tatsache angetreten hat, d. h. ein Beweismittel benannt hat.14 Eine bestrittene Tatsache ist bewiesen, wenn nach der Würdigung des angebotenen Beweismittels das Gericht von der Wahrheit der Tatsache voll überzeugt ist, d. h. die Tatsache mindestens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für wahr hält.15 Wird das Beweismaß der vollen Überzeugung nicht erreicht, so bleibt die Tatsache unklar (non liquet) und wird wie eine nicht vorgetragene Tatsache als nicht gegeben behandelt. Dies gilt a fortiori, wenn sich die Tatsache als sicher unwahr erwiesen hat, d. h. widerlegt wurde.16 Die Beweiserhebung und insbesondere die Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) ist selbst also nicht mehr Gegenstand des Streits der Parteien über die Tatsachen, sondern Sache des Gerichts. Im Beweisverfahren beschränkt sich die Rolle der Parteien auf den Beweisantritt. Nach Durchführung des Beweisverfahrens stehen dann alle Tatsachen fest von denen das Gericht ausgehen darf. Denn mit der Auswertung des Prozessstoffes werden die verschiedenen Zustände, die einer Tatsache am Ende der Beweisstation zukommen kann – nämlich: unbestritten, bewiesen, widerlegt, unbewiesen (non liquet) – in die Zweiwertigkeit von „Wahr“ und „Falsch“ bzw. „Gegeben“ und „Nicht-Gegeben“ überführt. Das Gericht subsumiert dann die Tatsachen unter die jeweiligen im Zusammenhang mit dem geltend gemachten Anspruch zu prüfenden Normen und kommt so zu seiner Entscheidung darüber, ob die Klage begründet oder unbegründet ist. Ein Vorbringen der Partei, das der Tatsachenbeschaffung zur Durchsetzung oder Abwehr eines Anspruchs dient, wird im Zivilprozess als Angriffs- und Verteidigungsmittel bezeichnet.17 Das Gesetz selbst zählt beispielhaft folgende sprachlichen Handlungen als Angriffs- und Verteidigungsmittel auf: Behaupten, Bestreiten, Einwendungen oder Einreden machen, Beweismittel18 benennen und Beweiseinrede machen.19 Als Prozesshandlungen, die sich auf Tatsachen beziehen, sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel von anderen Prozesshandlungen abzugrenzen, wie Anträge (Klageantrag, Klageabweisungsantrag, Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils, usw.) und Prozesserklärungen (Anerkenntnis, Klagerücknahme, Erledigungserklärung, Klageänderung, Einwilligung zu gegnerischen Prozesserklärungen, usw.), die den Prozess gestalten.20 Wird mit den Angriffs- und Verteidigungsmitteln über Tatsachen gestritten, so ermöglichen die anderen Prozesshandlungen taktische Manöver, um auf die veränderlichen Ge14

Oberheim (2009), § 7 Rz. 3 f. Oberheim (2009), § 7 Rz. 44. 16 Oberheim (2009), § 7 Rz. 52. 17 Oberheim (2009), § 1 Rz. 14 u. § 5 Rz. 6. 18 Die zulässigen Beweismittel im Zivilprozess sind: Zeuge (§§ 373 ff. ZPO), Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO), Sachverständiger (§§ 402 ff. ZPO), Augenschein (§§ 371 ff. ZPO), Urkunde (§§ 415 ff. ZPO). 19 § 282 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO). 20 Oberheim (2009), § 1 Rz. 15 u. 16. 15

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

91

winnchancen im Streit über die Tatsachen zu reagieren. Der Streit über Tatsachen als Kernelement eines zivilgerichtlichen Rechtsstreits stellt ein stark beschränktes Sprachspiel der Alltagssprache dar. Aufgrund der Vorgabe der Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Zivilprozessordnung (ZPO), wodurch eine strenge Fokussierung auf das Zusammentragen entscheidungsrelevanter Tatsachen erreicht wird, bietet es sich an, die Regeln des zivilprozessualen Streits über Tatsachen versuchsweise in Form eines Dialogmodells zu formulieren. Methodisch ist dies ein Schritt der Erweiterung der Reichweite formeller Dialogmodelle zur Beschreibung tatsächlicher sprachlicher Interaktion.21 Das Regelinventar eines Dialogmodells wird mit der höheren Komplexität tatsächlicher sprachlicher Interaktion konfrontiert, ohne aber gleich einem empirischen Dialogverlauf gerecht werden zu müssen. Bei der Formulierung des Dialogmodells wird nach dem Vorbild Hamblin’s zwischen fünf Arten von Regeln unterschieden. Davon abweichend werden jedoch an Stelle von Regeln für Äußerungsformen, Regeln für zulässige sprachliche Handlungen formuliert. Die Sequenzmuster sprachlicher Handlungen werden aber weiterhin als syntaktische Regeln des dialektischen Systems behandelt. Neben den Regeln der Buchführung für den Festlegungsspeicher, stehen auch ergänzende Ermessensregeln zur Verfügung, die zusätzliche Restriktionen aufnehmen können. Die Gewinnregeln regeln die Auswertung der von den Parteien beschafften Tatsachenmenge durch das Gericht.22 Der Übersichtlichkeit halber wird die Variante des Zivilprozesses als schriftliches Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu Grunde gelegt (§ 128 Abs. 2 ZPO). Im Zivilprozess ist das Inventar der Prozesshandlungen für Kläger und Beklagter unterschiedlich, so dass der Zivilprozess eine asymmetrische sprachliche Interaktion darstellt. In Bezug auf das Beibringen der Tatsachen jedoch stehen den Parteien dieselben Angriffs- und Verteidigungsmittel zur Verfügung, so dass im Dialogmodell des Streits über Tatsachen die Rollen von Kläger und Beklagten symmetrisch auszugestalten sind. Die Rolle des Richters im Dialogmodell ist dann die Rolle eines Schiedsrichters, der den Festlegungsspeicher der Parteien führt. Da der Kläger alle Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, die das Bestehen des Anspruchs begründen, und der Beklagte alle Tatsachen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat, die dem Bestehen des Anspruchs 21

Hamblin (1970), S. 256; Walton/Krabbe (1995), S. 5; Fritz (1996a), S. 132. Hamblin (1970), S. 265 f. u. 275. Für das dialektische Grundmodell hat Hamblin keine Gewinnregel formuliert. Gewinnregeln finden sich aber für andere dialektische Systeme [vgl. Hamblin (1970), 261, 278]. Auch D. N. Walton und E. C. W. Krabbe übernehmen Hamblin’s Arten von Regeln. Allerdings fassen sie die syntaktischen Regeln und die ergänzenden Ermessensregeln zu so genannten Strukturregeln zusammen (structural rules) [Walton/Krabbe (1995), S. 149 ff. u. 158 ff.]. 22

92

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

entgegenstehen, gewinnt der Kläger, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen im Festlegungsspeicher des Beklagten einbuchen kann, und wenn keine dem Anspruch entgegenstehende Tatsache im Festlegungsspeicher des Klägers eingebucht wird. Im Dialogmodell ist dies in Form von Gewinnregeln zu formulieren. Dabei ist zunächst der Festlegungsspeicher von Kläger und Beklagtem an das Ergebnis des Beweisverfahrens anzupassen: (G1) Eine vorgetragene aber bestrittene Tatsache gilt als unbestritten, wenn sie bewiesen wurde. (G2) Der Kläger hat gewonnen, wenn alle anspruchsbegründenden Tatsachen im Festlegungsspeicher des Beklagten eingebucht sind, und keine dem Anspruch entgegenstehende Tatsache im Festlegungsspeicher des Klägers eingebucht ist. Der Beklagte hat gewonnen, wenn der Kläger nicht gewonnen hat.

b) Behaupten und Bestreiten von Tatsachen Die zentrale Norm in der Zivilprozessordnung (ZPO) für den Tatsachenvortrag der Parteien ist § 138 ZPO. Er lautet: „(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. (2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. (3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. (4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.“ 23

Wie in der Zivilprozessordnung üblich, regelt § 138 ZPO nur Besonderheiten und setzt bereits voraus, dass mit dem Vortrag der Parteien Tatsachen behauptet werden. Im Dialogmodell muss der Handlungsraum der Parteien jedoch explizit durch eine Handlungsregel aufgespannt werden. Die Regel (H1) führt daher die Aktion Behaupten in das Dialogmodell ein. Weiter erlaubt die Syntaxregel (S1) sodann die Aktion frei von einer Einbindung in ein bestimmtes Sequenzmuster. Für den Eintrag der Tatsache in den Festlegungsspeicher des Sprechers bedarf es schließlich der Buchführungsregel (F1): (H1) Ein Sprecher kann eine Tatsache behaupten. (S1) Das Behaupten einer Tatsache ist isoliert zulässig. (F1) Die Behauptung einer Tatsache bewirkt den Eintrag der Tatsache in den Festlegungsspeicher des Sprechers als Festlegung.

§ 138 Abs. 1 ZPO formuliert insbesondere die Pflicht der Parteien zur subjektiven Wahrhaftigkeit. Eine Partei darf nicht zu ihren Gunsten wider besseren Wis23

§ 138 ZPO.

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

93

sens vortragen.24 In das Dialogmodell lässt sich dies mit der Ermessensregel (E1) umsetzen, wonach eine Aktion unzulässig ist, wenn man sich damit auf eine Aussage festlegt, die der Sprecher sicher für falsch hält. Unzulässig ist dann das Behaupten falscher ebenso wie das Bestreiten wahrer Tatsachen. (E1) Eine Aktion ist unzulässig, wenn durch sie Tatsachen in den Festlegungsspeicher des Sprechers eingetragen werden, die der Sprecher sicher für falsch hält.

Die Regel bewirkt, dass der Festlegungsspeicher eines Sprechers nur Aussagen enthält, die nach Ansicht des Sprechers möglicherweise wahr sein können. Den Festlegungen kommt damit ein subjektiv epistemischer Status zu. Es ist daher auch grundsätzlich zulässig, dass eine Partei im Verlauf des Verfahrens ihr Ansicht ändert,25 so dass im Dialogmodell die Möglichkeit zu schaffen ist, Festlegungen wieder zu tilgen. Aufzunehmen ist daher die Regel (H2), die Syntaxregel (S2) und die Buchführungsregel (F2): (H2) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus seinem Festlegungsspeicher widerrufen. (S2) Ein Widerruf ist isoliert zulässig. (F2) Der Widerruf einer Tatsache bewirkt das Löschen der Festlegung aus dem Festlegungsspeicher des Sprechers.

Das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz) bedeutet insbesondere, dass jede Partei die Möglichkeit haben muss, zu den neu vorgetragenen Tatsachen der anderen Seite Stellung zu nehmen. Damit ergibt sich eine Interaktion abwechselnden Einreichens von Schriftsätzen, beginnend mit der die anspruchsbegründenden Tatsachen enthaltenden Klageschrift. In der Klageerwiderung nimmt der Beklagte dann zu den vorgetragenen Tatsachen des Klägers Stellung und trägt selber neue Tatsachen vor (Einwendungen, Einreden). In der Stellungsnahme können die vorgetragenen Tatsachen zugestanden oder bestritten werden. Werden sie bestritten, muss der Gegner sie beweisen. Auf die Klageerwiderung wiederum erklärt sich der Kläger in der Replik, wobei er erneut neue Tatsachen vorbringen kann, um seinen bisherigen Sachvortrag zu stützen. Woraufhin nun wieder der Beklagte mit der Duplik mit Stellungnahme und Nachreichen von Tatsachen am Zuge ist. Und so fort, bis sich eine Partei auf die Stellungnahme zu den vom Gegner vorgetragenen Tatsachen beschränkt, und keine neuen Tatsachen mehr vorbringt.26 In der Praxis wird das Gericht den Parteien eine Frist setzen, im Rahmen derer dieses Wechselspiel stattfinden muss, sowie dann noch der Partei eine Nachfrist zum Einreichen eines nur Stellung nehmenden Schriftsatzes gewähren, die nicht mehr innerhalb der Frist auf den letzten Schriftsatz der gegnerischen Partei reagieren konnte.27 § 138 Abs. 2 ZPO 24 25 26 27

Thomas/Putzo, ZPO, § 138 Rz. 3. Thomas/Putzo, ZPO, § 138 Rz. 6. Oberheim (2009), § 5 Rz. 24. Vgl. Thomas/Putzo, ZPO, § 128 Rz. 33, § 283 Rz. 4.

94

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

formuliert die Idee des Wechselspiels als Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung des Prozessstoffes.28 § 138 Abs. 3 ZPO regelt den Fall, der Missachtung von § 138 Abs. 2 ZPO: Zum Nachteil der sich nicht erklärenden Partei wird das Zugestehen der übergangenen Tatsache fingiert, so dass die Tatsachen als unstreitig behandelt werden und eine Beweisaufnahme nicht erforderlich ist. Nicht erforderlich ist jedoch, dass eine Tatsache unmittelbar im nachfolgenden Schriftsatz bestritten werden muss.29 Das Wechselspiel wird im Dialogmodell durch die syntaktischen Regeln (S0), (S1’) und (S3) umgesetzt: (S0) Die Teilnehmer reichen abwechselnd Schriftsätze ein, die beliebig viele sprachliche Handlungen enthalten können. (S1’) Das Behaupten einer Tatsache ist isoliert zulässig. Auf die Behauptung einer Tatsache kann reagiert werden mit • Bestreiten einer Tatsache. • Zugestehen einer Tatsache. (S3) Auf das Bestreiten einer Tatsache kann reagiert werden mit • Antreten des Beweises.

Eine Besonderheit ergibt sich nur aus der Fiktion des Zugeständnisses einer Tatsache aus § 138 Abs. 3 ZPO. Aufgrund der Fiktion ist die Aktion Zugestehen als Anschlusszug auf eine Behauptung nicht zwingend notwendig. Sie entspricht aber der Idee des § 138 Abs. 2 ZPO und ermöglicht einen expliziteren Interaktionsverlauf. Daher soll mit der Regel (H4) das Dialogmodell um die Aktion Zugestehen erweitert werden. Die Fiktion des Zugestehens einer Tatsache selbst ist allerdings in der Buchführungsregel (F1’) zur Aktion Behaupten umzusetzen, indem die Behauptungen des Sprechers immer auch auf dem Festlegungsspeicher des Adressaten eingebucht werden, wenn dieser nichts dagegen unternimmt. Einer Buchführungsregel für die Aktion Zugestehen bedarf es darüber hinaus dann nicht: (H4) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten zugestehen. (F1’) Die Behauptung einer Tatsache bewirkt den Eintrag der Tatsache in den Festlegungsspeicher des Sprechers als Festlegung. Sie bewirkt auch den Eintrag der Tatsache als Festlegung in den Festlegungsspeicher des Adressaten, es sei denn, • dass dessen Festlegungsspeicher bereits eine Tatsache enthält, die in Widerspruch zu der neuen Tatsache steht, oder • dass der Adressat die Tatsache (rückwirkend) bestreitet.

Während Tatsachen wahr oder falsch sind, gibt es auf epistemischer Ebene, auf der jemand eine Tatsache für wahr oder falsch hält, auch noch die Möglichkeit, dass jemand eine Tatsache mangels Anhaltspunkten weder für wahr noch für 28 29

Thomas/Putzo, ZPO, § 138 Rz. 12. Oberheim (2009), § 5 Rz. 19 f.

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

95

falsch hält. In diesen Fällen will er sich in Bezug auf die Tatsache in keine Richtung festlegen. Dies kann allerdings nicht bedeuten, dass er solche Tatsachen im Prozess einfach gegen sich gelten lassen muss. Vielmehr muss er auch in diesen Fällen den Gegner zum Beweis zwingen können, indem er die Tatsache bestreitet. Der Zivilprozess kennt daher die Möglichkeit, eine Aussage mit Nichtwissen zu bestreiten. Gemäß § 138 Abs. 4 ZPO ist dies allerdings nicht möglich für Tatsachen, die eigene Handlungen oder Wahrnehmungen betreffen. Damit expliziert § 138 Abs. 4 ZPO die Konsequenzen der Wahrhaftigkeitspflicht in Bezug auf das Bestreiten mit Nichtwissen.30 Naheliegend ist es nun, das Bestreiten mit Nichtwissen in das Dialogmodell umzusetzen, indem man eine neue eigenständige Aktion Bezweifeln einführt. Dazu müsste die Aktion dann als Anschlusszug in (S3) aufgenommen werden sowie als eine Festlegung blockierende Ausnahme in (F1). Eine andere Möglichkeit dagegen ist, den Indem-Zusammenhang31 des sprachlichen Handlungsmusters Bestreiten ins Dialogmodell zu übernehmen. Jemand kann eine gegnerische Tatsache bestreiten, indem er entweder ihre Negation behauptet (schlichtes Bestreiten), oder indem er eine Tatsache behauptet, die in Widerspruch zu der gegnerischen Tatsache steht (qualifiziertes Bestreiten), oder indem er die gegnerische Tatsache bezweifelt (Bestreiten mit Nichtwissen). Mit der Formulierung eines Indem-Zusammenhangs für ein Handlungsmuster können so die unterschiedlichen untergeordneten Handlungsmuster explizit gemacht werden, durch deren Vollzug das übergeordnete Handlungsmuster realisiert wird.32 Auch im Dialogmodell können Indem-Zusammenhänge formuliert werden. Dies hat den Vorteil, dass die einzelnen Regeln allgemeingültig formuliert werden können und übersichtlich bleiben, weil die Differenzierung ausgelagert wird.33 Das Dialogmodell enthält damit Regeln für Handlungsmuster. Mit der Regel (H3) werden die Indem-Zusammenhänge für die Aktion Bestreiten ins Dialogmodell eingeführt: (H3) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten bestreiten, indem der Sprecher • die Negation der Tatsache behauptet (schlichtes Bestreiten), oder • eine Tatsache in Widerspruch zu der angegriffenen Tatsache behauptet (qualifiziertes Bestreiten), oder • die angegriffene Tatsache bezweifelt (Bestreiten mit Nichtwissen).

Eine Aktion, die vollzogen wird, indem eine andere Aktion vollzogen wird, unterliegt auch den Regeln der Aktion, durch die sie vollzogen wird. Damit macht die Regel (H3) eine Buchführungsregel überflüssig, wonach das Bestreiten 30

Oberheim (2009), § 5 Rz. 12. Dazu unten 2. b). 32 Heringer (1974), S. 47 f. 33 Die Erweiterung eines Dialogmodells durch weitere Aktion erhöht immer die Komplexität des Spiels. Es geht aber darum, insbesondere die Ausnahmebedingungen einzelner Regeln nicht zu umfangreich werden zu lassen. 31

96

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

einer Tatsache gegebenenfalls den Eintrag ihrer Negation in den Festlegungsspeicher des Sprechers bewirkt. Denn welche Festlegungen man durch die Aktion Bestreiten einer Tatsache eingeht, ergibt sich in den Fällen des schlichten und des qualifizierten Bestreitens schon aus der Buchführungsregel für die Aktion Behaupten. Für die Aktion Bezweifeln hingegen gibt es und bedarf es keiner Buchführungsregel. Ihre Veränderungsleistung in Bezug auf den Festlegungsspeicher ergibt sich schon aus den allgemeinen Regeln der Aktion Bestreiten. So wird dem epistemischen Status des Weder-für-wahr-noch-für-falsch-haltens dadurch Rechnung getragen, dass ein Bestreiten nach Regel (F1’) eine Eintragung der Tatsache in den Festlegungsspeicher gegebenenfalls auch rückwirkend verhindert. Eine bezweifelte Tatsache wird daher ebenso wenig Element des Festlegungsspeichers als Menge aller Tatsachen, deren Wahrsein der jeweilige Sprecher zumindest für möglich hält, wie eine schlicht oder qualifiziert bestrittene Tatsache. Auch die Beweisbedürftigkeit der bezweifelten Tatsache ist damit für das Gericht nach dem allgemeinen Prinzip erkennbar. Beweisbedürftig sind alle strittigen Tatsachen und strittig sind Tatsachen, wenn sie nicht jeweils im Festlegungsspeicher beider Parteien vorkommen. c) Geständnis Die Zivilprozessordnung kennt nun auch mit § 288 ZPO die Möglichkeit des Geständnisses. Eine Partei kann eine gegnerische Tatsache nicht nur zugestehen, sondern auch gestehen. In Bezug auf die Beweisbedürftigkeit hat ein Geständnis zunächst keine andere Wirkung als das Zugestehen.34 Als unbestrittene Tatsache ist die gestandene Tatsache nicht beweisbedürftig und vom Gericht ungeprüft als wahr zu berücksichtigen. Der Unterschied liegt vielmehr in dem Grad der Bindung an die Tatsache. Während eine zugestandene Tatsache jederzeit widerrufen werden kann, formuliert die Zivilprozessordnung in § 290 ZPO für den Widerruf eines Geständnissen die besondere Voraussetzung, dass die Falschheit der gestanden Tatsache bewiesen wird, sowie der Umstand, dass man sich über die gestandene Tatsache im Irrtum befand. Infolgedessen ist das bewusste wahrheitswidrige Geständnis unwiderruflich, während ein irrtümliches Geständnis zwar widerruflich ist, aber doch die Umkehr der Beweislast zur Folge hat.35 „Der Widerruf hat auf die Wirksamkeit des gerichtlichen Geständnisses nur dann Einfluss, wenn die widerrufende Partei beweist, dass das Geständnis der Wahrheit nicht entspreche und durch einen Irrtum veranlasst sei. In diesem Fall verliert das Geständnis seine Wirksamkeit.“ 36 34 35 36

Thomas/Putzo, ZPO, § 288 Rz. 5. Oberheim (2009), § 5 Rz. 8. § 290 ZPO.

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

97

Um eine Aktion Geständnis in das Dialogmodell einzuführen, bedarf es damit zunächst der Regel (H5). Da das Geständnis nur als Reaktion auf die Behauptung einer Tatsache zulässig ist, muss es in ein Sequenzmuster eingebunden werden. Dies geschieht durch Ergänzung der syntaktischen Regel (S1): (H5) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten gestehen. (S1”) Das Behaupten einer Tatsache ist isoliert zulässig. Auf die Behauptung einer Tatsache kann reagiert werden mit • Bestreiten einer Tatsache, oder • Zugestehen einer Tatsache, oder • Gestehen einer Tatsache.

Da das Geständnis nur auf besondere Weise widerrufen werden kann, müssen gestandene Tatsachen im Festlegungsspeicher von lediglich zugestandenen Tatsachen unterscheidbar bleiben. Dies gelingt nur durch Unterscheidung verschiedener Kategorien. So wie Hamblin zwischen Festlegungen und Zugeständnissen unterscheidet37 und Walton und Krabbe zusätzlich unterschwellige Festlegungen einführen,38 so ist hier im Dialogmodell zwischen Festlegungen und Geständnissen zu unterscheiden. Dies wird durch die Buchführungsregel (F5) umgesetzt: (F5) Das Gestehen einer Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten bewirkt den Eintrag der Tatsache in den Festlegungsspeicher des Sprechers als Geständnis.

Der Widerruf eines Geständnisses selbst stellt ein komplexes sprachliches Handlungsmuster dar, das sich zusammensetzt aus den Handlungsmustern der Behauptung, dass die gestandene Tatsache falsch ist, und dem Beweisantritt für die negierte Tatsache, sowie der Behauptung der inneren Tatsache, dass man sich über die gestandene Tatsache im Irrtum befand, und dem Beweisantritt für den Irrtum als innere Tatsache. Der Umstand, dass ein sprachliches Handlungsmuster durch mehrere andere sprachlichen Handlungsmuster zusammengenommen realisiert wird, erfordert wieder die Formulierung eines Indem-Zusammenhangs zwischen dem komplexen Handlungsmuster und der Gesamtheit der Teilhandlungsmuster.39 Im Dialogmodell wird die Aktion des Widerrufs eines Geständnisses daher durch die Regel (H6) eingeführt: (H6) Ein Sprecher kann ein Geständnis widerrufen, indem der Sprecher – die Negation der gestandenen Tatsache behauptet, und – für die negierte Tatsache Beweis antritt, und – den Irrtum über die gestandene Tatsache behauptet, und – für den Irrtum Beweis antritt.

37 38 39

Dazu oben II. 2. b); Hamblin (1970), S. 274. Dazu oben a); Walton/Krabbe (1995), S. 11, 125 u. 186. Heringer (1974), S. 51.

98

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

Der Widerruf eines Geständnisses bewirkt die Wirkungslosigkeit des Geständnisses. Zugleich legt sich der Widerrufende aber auf die Negation der gestandenen Tatsache fest, wobei er hierfür die Beweislast trägt. Damit wird von der allgemeinen Beweislastverteilungsvorschrift abgewichen. Im Dialogmodell muss daher die Beweislast für die Tatsache im Festlegungsspeicher kenntlich gemacht werden. Da der Grad der Bindung an die Tatsachen hier kein anderer ist als bei den üblichen Festlegungen,40 reicht ein Indexvermerk aus, ohne dass für den Festlegungsspeicher etwa noch eine weitere Art von Eintragung eingeführt werden müsste. Ein Beweislastvermerk ist andererseits aber auch notwendig, da ja von der allgemeinen Beweisregel abgewichen wird, wonach jede strittige Tatsache – im Dialogmodell also jede Tatsache auf die sich nur eine Partei festgelegt hat – von der Partei zu beweisen ist, für die die Tatsache günstig ist.41 Gelingt der Beweis nicht, so bleibt es beim Geständnis. Das Gericht geht dann vom Vorliegen der gestandenen Tatsache aus, auch wenn ursprünglich die andere Partei diese als sie begünstigende Tatsache dargelegt hat. Die Eintragung der mit dem Widerruf des Geständnisses einhergehenden Tatsachen ergibt sich schon aus der Buchführungsregel (F1’) der Aktion Behaupten. Es bedarf aber einer weiteren Buchführungsregel um das Geständnis unter dem Vorbehalt der Erfüllung der Widerrufsbedingungen zu löschen, und um die Beweislast bei der Festlegung auf die Negation der gestandenen Tatsache zu vermerken: (F6) Der Widerruf eines Geständnisses bewirkt die Löschung des Geständnisses aus dem Festlegungsspeicher des Sprechers unter Vorbehalt der Erfüllung der Widerrufsbedingungen. Die Festlegung auf die Negation der gestandenen Tatsache erhält einen Beweislastvermerk.

d) Beweisverlagerung Ist eine Tatsache strittig und hat die beweisbelastete Partei Beweis angetreten, so entscheidet das Gericht nicht nur im Rahmen der Beweiswürdigung darüber, ob der Beweis gelungen ist, sondern bereits vorher darüber, ob überhaupt Beweis erhoben wird.42 Die Beweiserhebung beginnt daher mit einer Beweisanordnung durch das Gericht, gefolgt von der Beweisaufnahme.43 Sie schließt mit der Beweisverhandlung, in der die Parteien insbesondere Tatsachen zur Beweiswürdigung vortragen können.44 40 Ein Widerruf des Widerrufs bewirkt ein Wiederaufleben des Geständnisses, so dass die Tatsache als unstrittige Tatsache ohne Prüfung vom Gericht als wahr zu berücksichtigen ist. 41 Oberheim (2009), § 7 Rz. 54. 42 Oberheim (2009), § 7 Rz. 17. 43 Oberheim (2009), § 7 Rz. 1. 44 Oberheim (2009), § 7 Rz. 43.

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

99

Eine wichtige Beweisvoraussetzung, die das Gericht klärt, ist die Frage, ob die Tatsache überhaupt erheblich für die Entscheidung ist. Denn grundsätzlich wird nur über erhebliche Tatsachen Beweis erhoben, d. h. über Tatsachen, deren Vorliegen Voraussetzung für die Rechtsfolge einer für die Anspruchsprüfung heranzuziehenden Norm ist.45 Eine gewisse Abweichung von diesem Grundsatz stellt die Beweiserleichterung durch Beweisverlagerung dar. Die Beweisverlagerung ermöglicht es der beweisbelasteten Partei, die erhebliche Tatsache mit Hilfe eines Rückschlusses aus anderen leichter beweisbaren Tatsachen zu beweisen. Ergebnis des Schlusses ist allerdings lediglich die Vermutung des Vorliegens der erheblichen Tatsache und nicht das definitive Vorliegen der erheblichen Tatsache selbst. Die Vermutung der erheblichen Tatsache ist Konklusion eines logischen Schlusses, mit einer Vermutungsregel und Anknüpfungstatsachen aus dem Tatbestand der Vermutungsregel als Prämissen. Die Vermutungsregel ist ein lebensweltlicher Erfahrungssatz in Form einer materialen Implikation46. Hiernach bildet das Vorliegen bestimmter Anknüpfungstatsachen die hinreichende Bedingung für die Vermutung des Vorliegens der erheblichen Tatsache.47 In einigen Fällen formuliert das Gesetzt selbst Vermutungsregeln. Solch eine gesetzliche Vermutung enthält beispielsweise § 938 BGB. Danach wird vermutet, dass derjenige, der zu zwei Zeitpunkten eine Sache als ihm gehörend besessen hat, auch in dem dazwischen liegenden Zeitraum die Sache als ihm gehörend besessen hat.48 Da es sich um eine gesetzliche Vermutungsregelung handelt, kann die beweisbelastete Partei den Beweis einer Tatsache, für die eine gesetzliche Vermutung besteht, schon dadurch verlagern, dass sie die Anknüpfungstatsachen behauptet, und gegebenenfalls beweist, wenn diese von der anderen Partei bestritten werden. Denn die Vermutungsregel selbst steht den Parteien nicht zur Disposition.49 Allerdings kann die andere Partei die Vermutung der erheblichen Tatsache widerlegen. Die Rechtsfolge der gesetzlichen Vermutungsregel ist eben nur die Vermutung der erheblichen Tatsache und nicht ihre Fiktion. Zur Widerlegung der Vermutung reicht es allerdings nicht aus, die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit der erheblichen Tatsachen lediglich zu erschüttern (Gegenbeweis), sondern erforderlich ist, dass das Nichtvorliegen der erheblichen Tatsache bewiesen wird (Beweis des Gegenteils).50 In das Dialogmodell umzusetzen ist daher zunächst der Indem-Zusammenhang, dass das sprachliche Handlungsmuster Beweisverlagern im Fall der gesetzlichen Vermutungsregel vollzogen wird, indem die Anknüpfungstatsachen behauptet werden. Dies geschieht mit der Regel (H7). 45

Oberheim (2009), § 7 Rz. 1, § 27a Rz. 7. Dazu oben I. 2. c). 47 Oberheim (2009), § 27a Rz. 7. 48 Oberheim (2009), § 27a Rz. 8. Weitere Beispiele sind § 1117 Abs. 2 BGB, § 1377 Abs. 1 u. Abs. 3 BGB; § 2009 BGB; § 437 ZPO. 49 Oberheim (2009), § 27a Rz. 9. 50 § 292 ZPO; Oberheim (2009), § 27a Rz. 10. 46

100

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

Die Möglichkeiten der Reaktion auf eine Beweisverlagerung in diesen Fällen – Bestreiten der Anknüpfungstatsache und/oder Widerlegung der Vermutung durch Beweis des Gegenteils – ist dann in einer syntaktischen Regel zu formulieren. Dies führt zur Regel (S7): (H7) Ein Sprecher kann den Beweis einer Tatsache, für die eine gesetzliche Vermutung besteht, verlagern, indem er – die Anknüpfungstatsachen behauptet. (S7) Auf die Verlagerung des Beweises einer Tatsache, für die eine gesetzliche Vermutung besteht, kann reagiert werden mit • Bestreiten der Anknüpfungstatsache, und/oder • Beweise antreten für die Negation der erheblichen Tatsache.

Gibt es keine gesetzliche Vermutungsregel, so kann eine beweisbelastete Partei dennoch eine Beweisverlagerung erreichen, indem sie zusätzlich selbst eine Vermutungsregel behauptet. Die Vermutungsregel muss dabei einen nach der allgemeinen Lebenserfahrung regelmäßig auftretenden Zusammenhang formulieren, wonach die erhebliche Tatsache typisches Ergebnis eines typischen Ausgangssachverhaltes ist.51 Es handelt sich dann um einen so genannten Anscheinsbeweis. Fährt ein Autofahrer beispielsweise auf den Vordermann auf, so wird vermutet, dass ihn ein Verschulden trifft.52 Fehlt es an der Typizität der verknüpften Ereignisse oder der Regelmäßigkeit des Zusammenhangs, kommt allerdings immer noch ein Indizienbeweis in Betracht. Auch beim Indizienbeweis handelt es sich um eine Beweisverlagerung.53 Denn das Vorliegen einer erheblichen Tatsache wird vermutet, weil andere Tatsachen feststehen. Die Vermutungsregel formuliert dann jedoch keinen regelmäßig auftretenden Zusammenhang lebensweltlichen Geschehens, sondern einen einmaligen Begründungszusammenhang. Hinreichende Bedingung der Vermutungsregel ist eine Vielzahl von Tatsachen, die zusammen genommen die Vermutung rechtfertigen, dass die erhebliche Tatsache vorliegt. Unterscheiden sich so Anscheinsbeweis und Indizienbeweis in der Aussage der Vermutungsregel, so gilt doch in beiden Fällen, dass eine beweisbelastete Partei den Beweis einer Tatsache verlagern kann, indem sie eine Vermutungsregel und die Anknüpfungstatsachen aus dem Tatbestand der Vermutungsregel behauptet, und gegebenenfalls beweist, wenn die andere Partei hiervon etwas bestreitet. Ebenfalls reicht es in beiden Fällen, anders als bei der gesetzlichen Vermutung, zur Widerlegung der Vermutung aus, die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit der erheblichen Tatsachen zu erschüttern (Gegenbeweis). Das Nichtvorliegen der erheblichen Tatsache muss nicht bewiesen werden (Beweis des Gegenteils).54 Mit der Regel (H8), wird der Indem-Zusammenhang des Handlungsmusters der Beweisverlagerung für Tatsachen in das Dialogmodell ein51 52 53 54

Oberheim (2009), § Oberheim (2009), § Oberheim (2009), § Oberheim (2009), §

27a Rz. 27a Rz. 27a Rz. 27a Rz.

21. 23. 12 u. 22. 27 f.

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

101

geführt, für die keine gesetzliche Vermutung besteht. Die Syntaxregel (S8) formuliert die Reaktionsmöglichkeiten auf die Beweisverlagerung in diesen Fällen: (H8) Ein Sprecher kann den Beweis einer Tatsache, für die keine gesetzliche Vermutung besteht, verlagern, indem der Sprecher – die Geltung einer Vermutungsregel behauptet, und – die Anknüpfungstatsache behauptet. (S8) Auf Verlagerung des Beweises einer Tatsache, für die keine gesetzliche Vermutung besteht, kann reagiert werden mit • Bestreiten der Vermutungsregel, und/oder • Bestreiten der Anknüpfungstatsache, und/oder • Beweis antreten für einen von der Vermutungsregel abweichenden Geschehensverlauf.

Die Aktion Beweisverlagerung selbst stellt eine Möglichkeit dar, auf das Bestreiten einer Tatsache zu reagieren. Daher ist die bisherige Syntaxregel (S4) um die Aktion Beweisverlagerung als Reaktion zu erweitern. (S3’) Auf das Bestreiten einer Tatsache kann reagiert werden mit • Verlagern des Beweises, oder • Antreten des Beweises.

Der Ablauf der Beweisaufnahme selbst schließlich richtet sich nach den spezifischen Regeln für das jeweilige Beweismittel, so dass die Beweisaufnahme je Beweismittel ein eigenes, in sich abgeschlossenes Sprachspiel bildet. Das Dialogmodell wird hier jedoch auf dem eigentlichen Streit der Parteien über Tatsachen beschränkt. Da sich aber auch schon der Beweisantritt nach dem Beweismittel differenziert, steht das Handlungsmuster Beweis-antreten zu einer Reihe von untergeordneten Handlungsmustern in einem Indem-Zusammenhang. So kann jemand Beweis für eine Tatsache antreten, indem er den Zeugen benennt, der über die Tatsache vernommen werden soll,55 oder indem er die zu begutachtenden Punkte bezeichnet,56 oder indem er beantragt, den Gegner über die Tatsache zu vernehmen,57 oder indem er eine Urkunde vorlegt,58 oder indem er einen Gegenstand des Augenscheins bezeichnet.59 Mit der Regel (H9) werden die Indem-Zusammenhänge für die Aktion Beweis-antreten ins Dialogmodell eingeführt. (H9) Ein Sprecher kann Beweis antreten, indem der Sprecher • den Zeugen benennt, der über die Tatsache vernommen werden soll, oder • die zu begutachtenden Punkte bezeichnet, oder • beantragt, den Gegner über die Tatsache zu vernehmen, oder • eine Urkunde vorlegt, oder • einen Gegenstand des Augenscheins bezeichnet. 55 56 57 58 59

Zeugenbeweis: § 373 ZPO. Beweis durch Sachverständigen: § 403 ZPO. Beweis durch Parteivernehmung: § 445 ZPO. Beweis durch Urkunde: § 420 ZPO. Beweis durch Augenschein: § 371 ZPO.

102

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

e) Das Dialogmodell Die oben erörterten Regeln formulieren die Normen der sprachlichen Interaktion des Streits der Parteien über Tatsachen im Zivilprozess in der idealtypischen Form eines Dialogmodells. Das Dialogmodell bedarf allerdings noch einer letzten Ergänzung hinsichtlich der Regeln über Handlungsmuster. Denn eine sprachliche Handlung wird durch eine sprachliche Äußerung vollzogen.60 Bisher ist jedoch noch nicht festgelegt worden, durch welche Äußerungsform eine bestimmte Aktion realisiert werden kann. Die Regeln über die Handlungsmuster führen zwar die sprachliche Handlung der jeweiligen Art in das Dialogmodell ein, und explizieren gegebenenfalls deren Indem-Zusammenhang zu untergeordneten Handlungsmustern oder Teilhandlungsmustern, jedoch fehlt ohne die Äußerungsform das letzte Glied der Indem-Kette.61 Tatsächlich macht das Prozessrecht auch Vorgaben hinsichtlich der Äußerungsform. So legt § 184 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) fest, dass die Gerichtssprache Deutsch ist. Folglich ist festzulegen, dass Aktionen durch Äußerungen in deutscher Sprache realisiert werden. Freilich besteht zwischen Inhalt und Form sprachlicher Äußerungen keine 1:1 Zuordnung. Äußerungen können mehrdeutig sein. Ein und dieselbe sprachliche Handlung kann durch verschiedene Äußerungen vollzogen werden und umgekehrt ein und dieselbe Äußerung dazu verwendet werden, unterschiedliche sprachliche Handlungen zu vollziehen.62 Die Beschreibung des komplexen Zusammenhangs zwischen den grammatischen Aspekten von Äußerungsformen (syntaktische Struktur, lexikalische Einheiten, Prosodie) und deren kommunikative Verwendungsmöglichkeit in der sprachlichen Interaktion stellt das Bemühen der Formulierung einer funktionalen Grammatik dar. Im Rahmen des Dialogmodells können daher die Regeln der Beschaffenheit von Äußerungsformen in Bezug auf ihre Verwendungsmöglichkeit für sprachliche Handlungen nicht expliziert werden. Die Regeln können nur allgemein einbezogen werden, indem auf die Figur des kompetenten Sprechers der Sprache abgestellt wird. Demnach werden Handlungsmuster durch eine Äußerung in deutscher Sprache realisiert, die ein kompetenter Sprecher des Deutschen als Vollzug eben der sprachlichen Handlung verstehen würde, die das jeweilige Handlungsmuster beschreibt. Da im Kontext des Zivilprozesses das jeweilige Interesse der streitenden Parteien offen zu Tage liegt, ist die Äußerung einer Partei allerdings auch im Lichte des Parteiinteresses auszulegen. Dass über die grammatischen Aspekte der Äußerungsform hinaus gegangen und beim Verstehen der Äußerung auf Kontextmerkmale abgestellt wird, soll deutlich gemacht werden, indem nicht nur ein kompe-

60

Dazu unten IV. 2. c). Dazu unten 2. b). 62 Fritz (1994b), S. 185 f.; Fritz/Muckenhaupt (1984), S. 31 f.; Heringer (1974), S. 113 f.; Zifonun/Hoffmann/Strecker u. a. (GdS), D1 1. 61

1. Der Streit über Tatsachen im Zivilprozess als Dialogmodell

103

tenter, sondern ein verständiger Sprecher als Maßstab ins Dialogmodell eingeführt wird. Eine Äußerung wie „. . . soll nicht bestritten werden . . .“ ist danach im Zweifel als einfaches Zugestehen und nicht schon als ein Geständnis mit seiner strengen Bindungswirkung zu verstehen.63 Als Regel für die Äußerungsformen ist dann die Regel (H0) in das Dialogmodell aufzunehmen. Im Zusammenhang dargestellt formulieren die folgenden Regeln das Dialogmodell des Streits der Parteien über Tatsachen im Zivilprozess: Handlungsmuster: (H0) Handlungsmuster werden durch eine (schriftliche) Äußerung in deutscher Sprache realisiert, die ein verständiger Sprecher als Vollzug eben der sprachlichen Handlung verstehen würde, die das jeweilige Handlungsmuster beschreibt. (H1) Ein Sprecher kann eine Tatsache behaupten. (H2) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus seinem Festlegungsspeicher widerrufen. (H3) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten bestreiten, indem der Sprecher • die Negation der zu bestreitenden Tatsache behauptet (schlichtes Bestreiten), oder • eine Tatsache in Widerspruch zu der angegriffenen Tatsache behauptet (qualifiziertes Bestreiten), oder • die angegriffene Tatsache bezweifelt (Bestreiten mit Nichtwissen). (H4) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten zugestehen. (H5) Ein Sprecher kann eine Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten gestehen. (H6) Ein Sprecher kann ein Geständnis widerrufen, indem der Sprecher – die Negation der gestandenen Tatsache behauptet, und – für die negierte Tatsache Beweis antritt, und – den Irrtum über die gestandene Tatsache behauptet, und – für den Irrtum Beweis antritt. (H7) Ein Sprecher kann den Beweis einer Tatsache, für die eine gesetzliche Vermutung besteht, verlagern, indem er – die Anknüpfungstatsachen behauptet. (H8) Ein Sprecher kann den Beweis einer Tatsache, für die keine gesetzliche Vermutung besteht, verlagern, indem der Sprecher – die Geltung einer Vermutungsregel behauptet, und – die Anknüpfungstatsache behauptet. (H9) Ein Sprecher kann Beweis antreten, indem der Sprecher • den Zeugen benennt, der über die Tatsache vernommen werden soll, oder • die zu begutachtenden Punkte bezeichnet, oder

63

Oberheim (2009), § 5 Rz. 20.

104

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen • beantragt, den Gegner über die Tatsache zu vernehmen, oder • eine Urkunde vorlegt, oder • einen Gegenstand des Augenscheins bezeichnet.

Syntaktische Regeln: (S0) Die Teilnehmer reichen abwechselnd Schriftsätze ein, die beliebig viele sprachliche Handlungen enthalten können. (S1”) Das Behaupten einer Tatsache ist isoliert zulässig. Auf die Behauptung einer Tatsache kann reagiert werden mit • Bestreiten einer Tatsache, oder • Zugestehen einer Tatsache, oder • Gestehen einer Tatsache. (S2) Ein Widerruf ist isoliert zulässig. (S3’) Auf das Bestreiten einer Tatsache kann reagiert werden mit • Verlagern des Beweises, oder • Antreten des Beweises. (S7) Auf die Verlagerung des Beweises einer Tatsache, für die eine gesetzliche Vermutung besteht, kann reagiert werden mit • Bestreiten der Anknüpfungstatsache, und/oder • Beweis antreten für die Negation der erheblichen Tatsache. (S8) Auf Verlagerung des Beweises einer Tatsache, für die keine gesetzliche Vermutung besteht, kann reagiert werden mit • Bestreiten der Vermutungsregel, und/oder • Bestreiten der Anknüpfungstatsache, und/oder • Beweis antreten für einen von der Vermutungsregel abweichenden Geschehensverlauf. Buchführungsregeln: (F1’) Die Behauptung einer Tatsache bewirkt den Eintrag der Tatsache in den Festlegungsspeicher des Sprechers als Festlegung. Sie bewirkt auch den Eintrag der Tatsache als Festlegung in den Festlegungsspeicher des Adressaten, es sei denn, • dass dessen Festlegungsspeicher bereits eine Tatsache enthält, die in Widerspruch zu der neuen Tatsache steht, oder • dass der Adressat die Tatsache (rückwirkend) bestreitet. (F2) Der Widerruf einer Tatsache bewirkt das Löschen der Festlegung aus dem Festlegungsspeicher des Sprechers. (F5) Das Gestehen einer Tatsache aus dem Festlegungsspeicher des Adressaten bewirkt den Eintrag der Tatsache in den Festlegungsspeicher des Sprechers als Geständnis. (F6) Der Widerruf eines Geständnisses bewirkt die Löschung des Geständnisses aus dem Festlegungsspeicher des Sprechers unter Vorbehalt der Erfüllung der Widerrufsbedingungen. Die Festlegung auf die Negation der gestandenen Tatsache erhält einen Beweislastvermerk.

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

105

Ermessensregeln: (E1) Eine Aktion ist unzulässig, wenn durch sie Tatsachen in den Festlegungsspeicher des Sprechers eingetragen werden, die der Sprecher sicher für falsch hält. Gewinnregeln: (G1) Eine vorgetragene aber bestrittene Tatsache gilt als unbestritten, wenn sie bewiesen wurde. (G2) Der Kläger hat gewonnen, wenn alle anspruchsbegründenden Tatsachen im Festlegungsspeicher des Beklagten eingebucht sind, und keine dem Anspruch entgegenstehende Tatsache im Festlegungsspeicher des Klägers eingebucht ist. Der Beklagte hat gewonnen, wenn der Kläger nicht gewonnen hat.

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion Die Konstruktion des Dialogmodells des Streits der Parteien über Tatsachen im Zivilprozess lässt drei Aspekte sprachlicher Interaktion deutlich werden, die noch einmal Beachtung verdienen. Die Implementierung dieser Aspekte in formelle Dialogmodelle erweitert nicht nur die Reichweite der Modelle in Bezug auf die der idealtypischen Beschreibung alltagssprachlicher Interaktionen, sondern bedeutet zugleich eine Explikation der Wirksamkeit der Aspekte in den alltagssprachlichen Interaktionsverläufen. a) Arten von Festlegungen und Indexvermerke Ein wichtiger Aspekt sprachlicher Interaktion in diesem Sinne ist die Unterscheidung verschiedener Arten von Festlegungen, je nach Grad ihrer Bindungswirkung. So hat schon Hamblin zwischen Festlegungen und Zugeständnissen unterschieden und eine Begründungspflicht nur in Bezug auf Festlegungen gesehen.64 Walton und Krabbe führen darüber hinaus Hintergrundsannahmen ein, die im Verlauf eines Dialogs explizit gemacht werden können. In ihrem Dialogmodell des Permissive Persuasion Dialogue (PPD) bleiben solche Hintergrundsannahmen dann als Zugeständnis im Festlegungsspeicher des Akteurs stets erhalten.65 Mit dem Geständnis enthält der Zivilprozess Festlegungen, die nur in engen Grenzen widerrufen werden können. Im Dialogmodell wird dem durch eine eigene Art von Festlegung Rechnung getragen.66 Der Widerruf eines Geständnisses führt allerdings zu der einfachen Festlegung auf die Negation der gestandenen Tatsache für die die widerrufende Partei dann die Beweislast trägt. Eine solche Festlegung besitzt ein besonderes Merkmal unabhängig vom Grad ihrer Bindungswirkung, das aus der Art ihrer Eingehung resultiert. In diesem Fall 64 65 66

Hamblin (1970), S. 274; dazu oben II. 2. b). Walton/Krabbe (1995), S. 149 ff.: Structural Rules 3. c) und 4. a); dazu oben a). Dazu oben c).

106

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

nämlich als Eingehung aufgrund einer Behauptung im Rahmen eines Widerrufs. In tatsächlichen sprachlichen Interaktionen können Festlegungen infolgedessen neben dem Grad der Bindungswirkung weitere Attribute zukommen, die für den weiteren Verlauf des Dialoges relevant sind. Im Dialogmodell lassen sich solche Attribute mit dem einfachen Konstruktionselement eines Indexvermerks umsetzen. So etwa im Fall des Widerrufs eines Geständnisses durch einen Beweislastvermerk.67 b) Indem-Zusammenhänge Ein weiterer Aspekt der sprachlichen Interaktion, der in das Dialogmodell des Streits über Tatsachen im Zivilprozess implementiert wurde, stellt der Indem-Zusammenhang zwischen sprachlichen Handlungen dar. Allgemein lassen sich Muster sprachlicher Handlungen dadurch beschreiben, dass man angibt, mit welchen Anschlusshandlungen bzw. umgekehrt auf welche Vorgängerhandlungen der Adressat auf die sprachliche Handlung des Musters reagieren kann.68 In dieser Weise wird beispielsweise im Dialogmodell des Zivilprozesses die Aktion Behaupten durch die syntaktische Regel (S1”) beschrieben, wonach auf die Aktion Behaupten mit den Aktionen Bestreiten, Zugestehen oder Gestehen als Anschlusshandlungen reagiert werden kann. Weiter lassen sich Muster sprachlicher Handlungen auch dadurch beschreiben, dass man die Veränderung angibt, die eine sprachliche Handlung nach diesem Muster in Bezug auf die Festlegungen des Sprechers bewirkt.69 Genau dies leisten im Dialogmodell die Buchführungsregeln – für die Aktion Behaupten also beispielsweise die Regel (F1’). Da die Festlegungen das sind, was eine sprachliche Handlung in die sprachliche Interaktion einbringt, und woran dann im weiteren Interaktionsverlauf angeknüpft werden kann, stehen die beiden Beschreibungsweisen eines Musters in engem Zusammenhang. Tatsächlich weist die Möglichkeit eines Anschlusszuges in der sprachlichen Praxis oft auch auf bestimmte Festlegungen hin, die der Sprecher der vorangegangenen sprachlichen Handlung eingegangen ist. In methodischer Hinsicht kann dieser Zusammenhang daher genutzt werden, um die Menge der Festlegungen einer sprachlichen Handlung aus dem Spektrum der möglichen Anschlusshandlungen zu rekonstruieren.70 Eine weitere Möglichkeit Handlungsmuster zu beschreiben, besteht nun darin, weitere Zusammenhänge zwischen den einzelnen sprachlichen Handlungen anzugeben. Dies geschieht durch die Angabe von Indem-Zusammenhänge,71 die den Aspekt des gleichzeiti67 68 69 70 71

Dazu oben c). Dazu unten IV. 2. c). Fritz (1982), S. 229; Fritz/Muckenhaupt (1984), S. 47. Fritz (1994), S. 182; Fritz/Muckenhaupt (1984), S. 46; vgl. Bucher (1994), S. 242. Heringer (1974), S. 40; Gloning (1994), S. 117.

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

107

gen Vollzugs mehrerer sprachlicher Handlungen durch eine konkrete sprachliche Äußerung explizieren. Eine sprachliche Handlung wird durch eine sprachliche Äußerung vollzogen.72 Dabei stellt eine sprachliche Handlung die Realisierung eines Handlungsmusters dar – die Handlung erfolgt nach einem Handlungsmuster. Es ist daher zu unterscheiden zwischen der konkreten Vornahme einer sprachlichen Handlung als lebensweltliches, zeitlich einmaliges Ereignis und dem Handlungsmuster, das mit dem Ereignis realisiert wird. In der formalen Handlungstheorie der Praktischen Semantik wird diese Beziehung zwischen Ausführung einer Handlung und Handlungsmuster auch a-Relation genannt.73 Da ein und dieselbe sprachliche Handlung durch verschiedene Äußerungen vollzogen werden kann und umgekehrt ein und dieselbe Äußerung dazu verwendet werden kann, unterschiedliche sprachliche Handlungen zu vollziehen,74 gehört zur Beschreibung einer sprachlichen Handlung auch die Angabe der Äußerung. Dies geschieht dadurch, dass man dem Handlungsmuster in Zusammenhang mit einer Äußerungsform als Muster der Äußerung stellt. Denn eine konkrete sprachliche Äußerung gilt als Vollzug einer sprachlichen Handlung, weil mit dem konkreten lebensweltlichen Ereignis zugleich eine bestimmte Äußerungsform und ein bestimmtes Handlungsmuster realisiert werden. Die konkrete sprachliche Äußerung steht zur Äußerungsform und den Handlungsmustern jeweils in der a-Relation. Eine Handlung nach einem bestimmten Handlungsmuster macht man, indem man eine Äußerung nach einer bestimmten Äußerungsform macht. Daher besteht zwischen dem Handlungsmuster und der Äußerungsform das besondere Verhältnis des Indem-Zusammenhangs.75 Nun kommt es auch häufig vor, dass ein und dieselbe konkrete sprachliche Äußerung gleichzeitig als Realisierung mehrerer verschiedener sprachlicher Handlungsmuster gelten kann. Ein einfaches Beispiel aus der sprachlichen Interaktion des Zivilprozesses ist etwa das Bestreiten einer Tatsache durch das Behaupten der Negation der zu bestreitenden Tatsache. In solchen Fällen bestehen a-Relationen zwischen dem Äußerungsereignis zu allen Mustern. Die a-Relation muss in Bezug auf Handlungsmuster als n:m Zuordnung gedacht werden. Die Handlungsmuster, die gleichzeitig durch ein und dieselbe konkrete sprachliche 72

Dazu unten IV. 2. c). In der symbolischen Schreibweise der formalen Handlungstheorie wird dies durch „x1 a HA“ ausgedrückt, wobei „x1“ als Variable für Handlungen und „HA“ als Variablen für Handlungsmuster verwendet wird [Heringer (1974), S. 40 ff.]. 74 Fritz (1994b), S. 185 f.; Fritz/Muckenhaupt (1984), S. 31 f.; Heringer (1974), S. 113 f.; Zifonun/Hoffmann/Strecker u. a. (GdS), D1 1. 75 In der symbolischen Schreibweise der formalen Handlungstheorie wird dies durch die Pfeilrelation ausgedrückt: „x1 a (HA ! ÄUS)“ [Heringer (1974), S. 44 u. 111]. Um zu beschreiben, dass jemand „p“ behaupten kann, indem er den Satz „S“ äußert, werden noch Spezifikatoren für die Muster eingeführt, die in Parenthese gesetzt werden: „x1 a (BEH(p) ! ÄUS(S))“ [Heringer (1974), S. 53 f. u. 112]. 73

108

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

Äußerung realisiert werden, stehen untereinander ebenfalls in dem besonderen Verhältnis des Indem-Zusammenhangs.76 Der Indem-Zusammenhang ist transitiv und reflexiv.77 Insbesondere aber ist der Indem-Zusammenhang antisymmetrisch. Man kann beispielsweise eine Tatsache bestreiten, indem man eine andere Tatsache behauptet,78 aber nicht umgekehrt eine Tatsache behaupten, indem man eine andere Tatsache bestreitet. Die verschiedenen Muster beschreiben zwar dasselbe Ereignis einer sprachlichen Äußerung, jedoch auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau als unterschiedliche Handlung. Jedes Handlungsmuster reichert die Gesamtbeschreibung um ein Detail an, wobei das untergeordnete Handlungsmuster das übergeordnete konkretisiert. Denn das Übergeordnete Handlungsmuster wird realisiert, indem das untergeordnete Handlungsmuster realisiert wird.79 Folglich handelt es sich daher um keine alternativen, synonymen Beschreibungen, in der Weise, dass immer wenn die eine zutrifft, auch die andere gewählt werden könnte und umgekehrt.80 Die Handlungsmuster Bestreiten einer Tatsache und das Behaupten einer Tatsache beispielsweise sind jeweils für sich in weitere Indem-Zusammenhänge verstrickt.81 Trotz eines Indem-Zusammenhangs bleiben beide Muster eigenständige sprachliche Handlungsmuster, die unterschiedliche Veränderungen im Festlegungsspeicher bewirken und daher auch unterschiedliche Anschlusshandlungen eröffnen. Der Umstand, dass eine Äußerung als gleichzeitige Realisierung mehrerer sprachlicher Handlungsmuster gelten kann, die untereinander in einem IndemZusammenhang stehen, darf nun nicht verwechselt werden mit dem Umstand der Mehrdeutigkeit einer Äußerung.82 Die Mehrdeutigkeit einer Äußerung besteht darin, dass unklar ist, welche von mehreren Gruppen durch Indem-Zusammenhänge verknüpfte Handlungsmuster realisiert sein soll. Die Beschreibung des Indem-Zusammenhangs zwischen Handlungsmustern wird zunächst dort produktiv, wo die untergeordneten Handlungsmuster einander ausschließende Möglichkeiten darstellen, das übergeordnete Handlungsmuster zu realisieren.83 In diesem Sinne konkretisieren sie das übergeordnete Handlungs76

Heringer (1974), S. 42, 44. Heringer (1974), S. 45. 78 In der symbolischen Schreibweise der formalen Handlungstheorie: x a {BEST(p) ! BEH(q) ! ÄUS(S)} [Heringer (1974), S. 41 u. 44]. 79 In der formalen Handlungstheorie von Heringer spricht man technisch auch davon, dass das übergeordnete Muster das untergeordnete Muster erzeugt. Der Indem-Zusammenhang wird als eine Erzeugungsrelation bezeichnet [Heringer (1974), S. 44 f.]. 80 Heringer (1974), S. 41 f. 81 Heringer spricht davon, dass nach beiden Seiten ein Überschuss besteht [Heringer (1974), S. 45]. 82 Dazu oben 1. e). 83 In der formalen Handlungstheorie von Heringer spricht man technisch auch von der Zerlegung eines übergeordneten Handlungsmusters in die Glieder einer Familie [Heringer (1976), S. 47 u. 52]. 77

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

109

muster. Im Zivilprozess trifft dies auf die Handlungsmuster Bestreiten und Beweis-antreten zu. Die Ausdifferenzierung des Handlungsmusters Bestreiten in schlichtes Bestreiten, qualifiziertes Bestreiten und Bestreiten mit Nichtwissen, beruht auf Unterschieden der untergeordneten Handlungsmuster.84 Gleiches gilt für das Handlungsmuster Beweis antreten in Bezug auf die fünf Beweisarten.85 Der Unterschied muss allerdings nicht auf illokutiver Ebene liegen, sondern kann auch auf der Ebene des propositionalen Gehalts liegen. So unterscheidet sich schlichtes Bestreiten von qualifiziertem Bestreiten, nur in der Tatsache, die behauptet wird. Konkretisiert das untergeordnete Handlungsmuster das übergeordnete Handlungsmuster nur hinsichtlich des propositionalen Gehalts, so ist die Verwandtschaft der Muster so eng, dass auch von Untermustern gesprochen wird.86 Die Übernahme des Indem-Zusammenhangs ins Dialogmodell erlaubt die Formulierung von Regeln wie (H3) und (H9). Sie fassen die unterschiedlichen Möglichkeiten der Realisierung des übergeordneten Handlungsmusters zu der Familie des übergeordneten Handlungsmusters zusammen.87 Die Zusammenfassung wiederum ermöglicht es dann, Regeln allgemein in Bezug auf die ganze Familie der Handlungsmuster zu formulieren. Es bedarf dann für die ganze Familie nur einer einzigen Regel wie beispielsweise im Fall der syntaktischen Regel (S3’), die die zulässigen Reaktionen auf die Aktion Bestreiten angibt. Innerhalb einer Regel wird die Komplexität dort reduziert, wo ansonsten die unterschiedlichen Möglichkeiten der Realisierung jeweils einzeln aufzuführen wären. Im Dialogmodell ist dies der Fall für die Buchführungsregel (F1’) sowie alle syntaktischen Regeln mit Ausnahme von Regel (S0). Die Beschreibung des Indem-Zusammenhangs zwischen Handlungsmustern wird nicht nur dort produktiv, wo die untergeordneten Handlungsmuster das übergeordnete Handlungsmuster nicht zu einander ausschließenden Möglichkeiten der Realisierung des übergeordneten Handlungsmusters konkretisieren, sondern insbesondere auch dort, wo die untergeordneten Handlungsmuster als Teile zusammengenommen das übergeordnete Handlungsmuster bilden. Das übergeordnete Handlungsmuster fasst die untergeordneten nicht als Familie zusammen, sondern verknüpft sie zu einem zusammengesetzten Handlungsmuster.88 Im Zivilprozess trifft dies auf die Handlungsmuster Geständnis widerrufen und Beweisverlagern durch Anscheins- bzw. Indizienbeweis zu. Das Handlungsmuster 84

Dazu oben 1. b). Die Zerlegung des Handlungsmusters Bestreiten in der symbolischen Schreibweise der formalen Handlungstheorie mit „p“ für die zu bestreitende Tatsache und „q“ für eine mit „p“ in Widerspruch stehende Tatsache: x1 a {BEST(p) ! BEH(:p)} für schlichtes Bestreiten, x2 a {BEST(p) ! BEH(q)} für qualifiziertes Bestreiten, x3 a {BEST(p) ! BEZ(p)} für Bestreiten mit Nichtwissen. 85 Dazu oben 1. d). 86 Heringer (1974), S. 53. 87 Vgl. Heringer (1974), S. 47. 88 Heringer (1974), S. 51.

110

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

Geständnis widerrufen beispielsweise verknüpft als Teilhandlungsmuster die Muster (1) Behaupten des Gegenteils der gestandenen Tatsache, (2) Behaupten des Irrtums über die gestandene Tatsache als eine innere Tatsache sowie (3) und (4) jeweils Antreten des Beweises für die Behauptung.89 Im Fall des Handlungsmusters Beweisverlagern durch Anscheins- bzw. Indizienbeweis sind es die Teilhandlungsmuster (1) Behaupten der Vermutungsregel und Behaupten des Ausgangssachverhalts.90 Im Dialogmodell formuliert die Regel (H6) das Handlungsmuster Geständnis widerrufen und die Regel (H8) das Handlungsmuster Beweisverlagern durch Anscheins- bzw. Indizienbeweis als Verknüpfungen der entsprechenden Teilhandlungsmuster mit Hilfe des Indem-Zusammenhangs. Durch die Übernahme der Indem-Zusammenhänge ist es im Dialogmodell bei der Festlegung zusammengesetzter Aktionen möglich, sich auf die Formulierung von Regeln zu beschränken, die die spezifische Veränderungsleistung der Aktion erfassen, die über die Summe der Einzel-Aktionen hinausgeht. So ergeben sich die Reaktionsmöglichkeiten auf die beiden Aktionen aus der Syntaxregel (S1”) für die Aktion Behaupten, weil die Aktion Behaupten Teilhandlung der zusammengesetzten Aktion ist. Dasselbe gilt für die Buchführung des Festlegungsspeichers, die sich nach Regel (F1’) richtet. Für die Aktion Geständnis-widerrufen kann sich die Buchführungsregel (F6) auf die Besonderheiten des Widerrufs beschränken. c) Kommunikationsprinzipien Ein dritter Aspekt sprachlicher Interaktion, der in das Dialogmodell des zivilprozessrechtlichen Streits über Tatsachen übernommen wird, ist die Formulierung von Kommunikationsprinzipien. Im Dialogmodell wird das Kommunikationsprinzip der Wahrhaftigkeit durch die Ermessensregel (E1) eingeführt.91 Im Zivilprozess ist seine Geltung mit § 138 Abs. 1 ZPO den Parteien explizit auferlegt. Inhalt der Norm ist das Verbot wider besseres Wissen Tatsachen zu behaupten oder zu bestreiten oder kurz: Das Verbot der Lüge. Veranlasst der Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsprinzip beim Richter einen Tatsachenirrtum, aufgrund dessen ein materiallrechtlich falsches Urteil ergeht und die obsiegende Partei zu Lasten der unterliegenden Partei rechtswidrig bereichert wird, so stellt der pflichtwidrige Parteivortrag sogar eine nach § 263 StGB (Betrug) strafbare Handlung dar.92 89

Dazu oben 1. c). Zusammengesetztes Handlungsmuster Geständnis widerrufen in symbolischer Schreibweise der formalen Handlungstheorie mit „p“ für die gestandene Tatsache und „q“ für den Irrtum: x a {WID ! BEH(:p) ^ BEH(q) ^ BEW(:p) ^ BEW(q)}. 90 Dazu oben 1. d). Zusammengesetztes Handlungsmuster Beweisverlagern durch Anscheins- bzw. Indizienbeweis in symbolischer Schreibweise der formalen Handlungstheorie mit „p“ für die Anknüpfungstatsache und „q“ für die erhebliche Tatsache: x a {BVER ! BEH(p  q) ^ BEH(p)}. 91 Dazu oben 1. b).

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

111

Besseres Wissen bedeutet allerdings nur positive Kenntnis von der Wahrheit bzw. Unwahrheit der Tatsache. Eine Partei darf daher eine Tatsache solange behaupten, wie sie diese zumindest für möglich hält. Und umgekehrt eine Tatsache solange bestreiten, wie sie Zweifel hat.93 Dabei reicht als Zweifel in den von § 138 Abs. 4 ZPO genannten Fällen auch das Nichtwissen aus.94 Nicht erforderlich ist damit, jeweils gute Gründe für die eigene Überzeugung zu haben. Kommunikationsprinzipien allgemein sind Bewertungsprinzipien für sprachliche Handlungen. Sie dienen dem Adressaten als Maßstab für die Qualität der sprachlichen Handlung des Sprechers und damit dem Sprecher als Orientierung für die Akzeptanz seiner sprachlichen Interaktionsmanöver.95 Das Inventar der Kommunikationsprinzipien einer sprachlichen Interaktion bildet ein Aspekt bei der Beschreibung von Kommunikationstypen. Die vollständige Formulierung eines Kommunikationsprinzips enthält die Angabe des Bewertungsgegenstandes (G), des Bewertungsaspekts (A) und der Bewertungskriterien (K). Eine Beschreibung lässt sich in folgender Form geben: Wenn jemand bei {G} {K} nicht erfüllt, dann ist {G} hinsichtlich {A} negativ zu bewerten. Ein Beispiel für die Formulierung eines Kommunikationsprinzips der Verständlichkeit ist etwa: „Wenn jemand seinen Redebeitrag (G) nicht eingängig, klar und deutlich (K) formuliert, dann ist der Redebeitrag (G) hinsichtlich seiner Verständlichkeit (A) negativ zu bewerten.“ 96 Wird ein Kommunikationsprinzip von einem Teilnehmer nicht beachtet, kann ihm dies zum Vorwurf gemacht werden. Der Zusammenhang zwischen Kommunikationsprinzip und Vorwurfshandlung ist dabei folgender: Ein Vorwurf stellt eine komplexe sprachliche Handlung dar, die sich insbesondere aus der Geltungsbehauptung einer Norm und der Behauptung der Verletzung dieser Norm zusammensetzt.97 Handelt es sich bei der Norm um ein Kommunikationsprinzip, so reicht es häufig für einen Vorwurf aus, festzustellen, dass die positiven Bewertungskriterien nicht erfüllt bzw. die negativen erfüllt sind. Die Norm, das Kommunikationsprinzip selbst, wird dann stillschweigend vorausgesetzt. Die sprachliche Handlung lässt sich dann folgendermaßen beschreiben: Jemand kann einem anderen Teilnehmer vorwerfen, das {KP} zu missachten, indem er dessen Redebeitrag {G} hinsichtlich seiner Verständlichkeit {A} negativ bewertet, indem er feststellt, dass der Redebeitrag unklar ist {K}, indem er äußert: „Der Redebeitrag ist unklar.“ 98 92 93 94 95 96 97 98

Fischer (StGB), § 263 Rz. 43. Thomas/Putzo, ZPO, § 138 Rz. 3. Thomas/Putzo, ZPO, § 138 Rz. 5. Fritz (1994b), S. 196. Gloning/Lüsing (2002), S. 123. Muckenhaupt (1979), S. 19 ff.; Fritz/Muckenhaupt (1984), S. 45 f. Gloning/Lüsing (2002), S. 123.

112

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

Anhand solcher Vorwurfssequenzen lassen sich Kommunikationsprinzipien als Normen spezifischer sprachlicher Interaktionsformen empirisch feststellen. In der Vorwerfbarkeit der Verletzung von Kommunikationsprinzipien zeigt sich der normative Status der Prinzipien. Dabei ergibt sich die Normativität eines Kommunikationsprinzips daraus, dass dessen Beachtung von dem anderen Teilnehmer erwartet wird. Die Erwartung in Bezug auf die Strenge der Bewertungskriterien {K} variiert jedoch für ein Kommunikationsprinzip häufig von Kontext zu Kontext. Auch gelten Kommunikationsprinzipien immer nur relativ zu einer bestimmten kommunikativen Aufgabe.99 Die Normativität eines Kommunikationsprinzips ist daher ein Gebrauchsaspekt des Bewertungsprinzips. Die strikte Geltung eines Kommunikationsprinzips voraussetzend, wird es häufig allerdings auch in Form eines kategorischen Imperativs formuliert. Dabei fallen die Bewertungsaspekte dann weg. So verkürzt sich das obige Beispiel etwa auf die Formulierung: „Formuliere deinen Redebeitrag eingängig, klar und deutlich.“ 100 Nicht immer kommt ein Bewertungsprinzip jedoch in einer sprachlichen Interaktion mit normativem Status als Kommunikationsprinzip zum Tragen. Fehlt einem Bewertungsprinzip in einer sprachlichen Interaktion der normative Status, so kann ein Beteiligter es dennoch im Sinne einer strategischen Maxime befolgen.101 Als strategische Maxime formuliert das Bewertungsprinzip einen Qualitätsmaßstab, dessen Beachtung für das angestrebte kommunikative Ziel günstig ist. Jemand mag also etwa den Mechanismus, dass ein Redebeitrag {G} hinsichtlich seiner Verständlichkeit {A} negativ bewertet wird, wenn er nicht eingängig, klar und deutlich {K} formuliert ist, beachten und sich um Eingängigkeit, Klarheit und Deutlichkeit bemühen, weil er glaubt, dass er so seine Freunde am Stammtisch von seiner Position wird leichter überzeugen können. Eine spezielle Funktion von Kommunikationsprinzipien innerhalb der sprachlichen Interaktion hat Paul Grice mit seiner Theorie von den konversationellen Implikaturen aufgedeckt.102 Die Theorie der konversationellen Implikaturen erklärt, wie es möglich ist, dass ein Adressat das vom Sprecher mit dem geäußerten Satz Gemeinte verstehen kann, auch wenn das Gemeinte außerhalb des Spektrums dessen liegt, was ein Sprecher isoliert von der Geltung von Kommunikationsprinzipien der sprachlichen Praxis mit dem geäußerten Satz dem Adressaten zu verstehen geben kann.103 Hinsichtlich des semantischen Gehalts geäußerten 99

Fritz (1994b), S. 197; Gloning/Lüsing (2002), S. 123. Gloning/Lüsing (2002), S. 123; vgl. Fritz (1977), S. 55 f. 101 Fritz (1977), S. 56 f.; Fritz (1994b), S. 196. 102 Fritz (1994b), S. 196. 103 Mit seiner Theorie verknüpft Grice in gewisser Weise die wahrheitsfunktionale Bedeutungstheorie mit der Gebrauchstheorie der Bedeutung, indem von einem wahrheitsfunktionalen Bedeutungskern ausgegangen und ein verwendungsspezifischer Be100

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

113

Satzes unterscheidet Grice zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten in besonderer Weise.104 Das Gesagte ist derjenige semantische Gehalt des Satzes, der sich aus der konventionellen Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke ergibt.105 Darüber hinaus umfasst das Gesagte aber auch die inferenziellen Aussagen, die logisch aus der auf der konventionellen Bedeutung des geäußerten Satzes folgen.106 Eine inferenzielle Aussagen folgt logisch aus der konventionellen Aussage, wenn ihre Verneinung im logischen Widerspruch zur konventionellen Aussage steht. Im Gegensatz dazu kann das Gemeinte von dem Gesagten abweichen.107 Das Gemeinte ist dann der semantische Gehalt eines geäußerten Satzes jenseits des Gesagten. Er liegt auf einer anderen Ebene. Der Adressat erschließt sich das Gemeinte über die Sprosse des Gesagten, wobei das Gemeinte ergänzend neben das Gesagte treten oder dieses verdrängen kann.108 Solche Schlüsse auf das Gemeinte nennt Grice Implikaturen (implicature). Mit ihnen wird die Kluft zwischen dem mit dem geäußerten Satz im wörtlichen Sinne Gesagten und dem weitergehenden Gemeinten überbrückt.109 Der Schluss ist entweder fest mit einem sprachlichen Ausdruck verbunden, oder er ergibt sich aufgrund der Kommunikationsprinzipien. Im ersten Fall handelt es sich um konventionelle Implikaturen, im zweiten Fall um konversationelle Implikaturen.110 Den erschlossenen deutungsmehrwert anerkannt wird [vgl. Grice (1975), S. 24]. Die Angabe der Wahrheitsbedingungen eines sprachlichen Ausdrucks beschreibt seinen gegenüber der Verwendungssituation invarianten Bedeutungsbeitrag [Grice (1975), S. 22 f.]. Die wahrheitsfunktionale Bedeutungsbeschreibung des sprachlichen Ausdrucks „und“ in Form der Wahrheitstafeln erfasst aber beispielsweise schon nicht mehr den Aspekt zeitlicher Sequenz von „und“ bei der Verwendung als „und dann“ wie etwa in dem Satz: „Er zog die Bettdecke über den Kopf und schlief ein.“ [Vgl. Levinson (1983), S. 98 f.]. Solche Sätze verhalten sich wahrheitsfunktional wie „und“ verknüpfte Sätze, so dass die wahrheitsfunktionale Beschreibung nicht falsch, sondern unvollständig ist. 104 Grice (1975), S. 24. 105 Grice (1975), S. 25. 106 Vgl. Grice (1975), S. 25 f. 107 Grice (1975), S. 24. 108 Verdrängt wird das Gesagte vom Gemeinten etwa in Fällen ironischer Sprechweise. Aus diesem Grund ist es zumindest missverständlich von einer Gesamtbedeutung einer sprachlichen Äußerung zu sprechen, die sich aus dem Gesagten und dem Gemeinten zusammensetzt [so aber: Levinson (2000), S. 13 f.; Harras (2004), S. 238 u. 240]. Tatsächlich spricht Harras im Zusammenhang mit der ironischen Sprechweise dann doch auch von der „Ebene des wörtlich Gesagten“ und der „Ebene des Gemeinten“ [Harras (2004), S. 251]. 109 Grice (1975), S. 24 f.; Levinson (1983), S. 97 f., 103. 110 Grice (1975), S. 25 f. Anders als konversationelle Implikaturen sind konventionelle Implikaturen nicht tilgbar, d. h. ihre Verneinung kann nicht ohne Selbstwiderspruch zugleich mit der sie implizierenden Aussage behauptet werden. Sie sind aber ablösbar, d. h. es gibt eine Paraphrase, die das Gleiche sagt, ohne die Implikatur auszulösen. Häufig werden Präsuppositionen konventionell impliziert. So etwa die Präsupposition, dass der Rosenstock zuvor geblüht hat, durch die Aussage, dass der Rosenstock verblüht ist [Bußmann (2002), Lemma: „Implikatur“, S. 295].

114

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

semantischen Gehalt nennt Grice „Implicatum“.111 Das Implicatum ist Teil dessen, worauf sich der Sprecher mit dem geäußerten Satz festlegt. Die eigentlich interessanten Schlüsse sind die gegenüber der Verwendungssituation varianten konversationellen Implikaturen. Für konversationelle Implikaturen gibt Grice ein allgemeines Verfahren ihrer Herleitung im Verstehensprozess, auf Grundlage der Beachtung oder offenen Verletzung von Kommunikationsprinzipien. Grice betrachtet insbesondere Fälle von augenscheinlich inkohärenter Interaktionssequenzen oder von ironischen Sprechweisen. Beispielsweise also eine Äußerungssequenz wie (A): „Weißt du wie viel Uhr es ist?“, (B): „Die Post war schon da.“ 112 oder (A): „Was willst du denn hier!“, (B): „Ja, ich freue mich auch, dich wiederzusehen.“ 113 In diesen Fällen erschließt sich der Adressat das Implicatum, indem er nach einer kontextgerechten Aussage jenseits des mit dem geäußerten Satz wörtlich Gesagten sucht. Dass sich der Adressat aber überhaupt veranlasst sieht, nach einer Aussage jenseits des wörtliche Gesagten zu suchen, beruht aber darauf, dass er die wörtliche Aussage des geäußerten Satzes als unpassend bewertet, wobei ihm Kommunikationsprinzipien als Maßstab dienen, deren grundsätzliche Beachtung er dem Sprecher unterstellt.114 Grice selbst spricht allerdings nicht von Kommunikationsprinzipien sondern von Konversationsmaximen, die er als Konkretisierung eines allgemeinen Kooperationsprinzips betrachtet. Die Konversationsmaximen betreffen den Informationsgehalt, die Wahrhaftigkeit, die Relevanz und die Verständlichkeit von Äußerungen. Das Kooperationsprinzip formuliert Grice folgendermaßen: „Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged.“ 115

In der Sache handelt es sich aber auch hier um Kommunikationsprinzipien, also Bewertungsprinzipien mit normativem Status. Indem Grice den Konversationsmaximen ein allgemeines Kooperationsprinzip überordnet, führt er nur einen weiteren, übergeordneten Bewertungsaspekt {A} ein, nämlich den der Kooperation. Die von Grice als Konversationsmaximen für Informationsgehalt, Relevanz, Verständlichkeit oder Wahrhaftigkeit angegebenen Bewertungskriterien sind zugleich Kriterien, deren Beachtung die Kooperation der sprachlichen Interaktion fördert und sichert.116 Insoweit Kommunikationsprinzipien Bewertungskriterien 111

Grice (1975), S. 24. Beispiel in Anlehnung an: Levinson (1983), S. 97 f. Grice selbst gibt folgendes Beispiel: (A): „I am out of petrol.“, (B): There is a garage round the corner.“ [Grice (1975), S. 32]. 113 Grice selbst gibt folgendes Beispiel: (A): „X is a fine friend.“ [Grice (1975), S. 34]. 114 Grice (1975), S. 30 f.; vgl. auch Keller (1995), S. 205; Fritz (1994b), S. 196. 115 Grice (1975), S. 26. 116 Grice (1975), S. 26; Heringer u. a. (1977), S. 173 f. 112

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

115

formulieren, deren Beachtung zugleich die Kooperation fördert und sichert, mag man auch von einem Kooperationsprinzip sprechen. Eine positive Bewertung einer Äußerung unter einem der Bewertungsaspekte Informationsgehalt, Relevanz, Verständlichkeit oder Wahrhaftigkeit bedeutet damit zugleich auch immer eine positive Bewertung unter dem Bewertungsaspekt der Kooperation. Tatsächlich basiert sprachliche Interaktion immer auch auf Elementen kooperativen Zusammenwirkens. Bei Verhandlungs- und anderen Planungsinteraktionen geht es beispielsweise nicht nur um das gemeinsame Ziel, eine Kooperation zu vereinbaren, durch die alle Beteiligten jeweils Vorteile erlangen können.117 Ein kooperatives Zusammenwirken findet vielmehr bereits zum Erreichen der Vereinbarung selbst statt. Planungsgespräche enthalten nämlich zunächst einen kooperativen heuristischen Prozess, bei dem sich die Interaktion darauf richtet, herauszufinden, welche Möglichkeiten des Handelns es gibt. Erst auf dieser Grundlage kann ein kompetitiver Einigungsprozess stattfinden, bei dem jeder versucht, die für ihn günstigste Lösung durchzusetzen.118 Aber selbst bei der Kommunikationsform Streitigkeit, bei der kein gemeinsames Ziel verfolgt wird, sondern es ausschließlich darum geht zu gewinnen,119 kooperiert man zumindest in soweit, als dass man streitet, d. h. eigene Beiträge einbringt und gegnerische zur Kenntnis nimmt. Kommunikationsprinzipien sind insoweit zugleich Kooperationsprinzipien.120 In Bezug auf die Wahrhaftigkeit führt Grice konkret zwei Kommunikationsprinzipien an: „(1) Do not say what you believe to be false. (2) Do not say that for which you lack adequate evidence.“ 121

Im Rahmen einer sprachlichen Interaktion, in der diese Prinzipien gelten, legt sich ein Sprecher, der die Prinzipien beachtet, mit Behauptung einer Aussage darauf fest, dass er die Aussage zumindest für möglich hält und dass er gute Gründe hat, die Aussage für möglich zu halten.122 Prinzip (1) entspricht dem Wahrhaftigkeitsprinzip, wie es das Gesetz den Parteien im Zivilprozess mit § 138 Abs.1 ZPO auferlegt. Es bewirkt, dass die Festlegung auf die behauptete Aussage den subjektiven epistemischen Status der eigenen Überzeugung besitzt – der Sprecher die Aussage also für wahr hält. Dabei wird der epistemische Status der Festlegung aufgrund der Geltung des Prinzips (1) impliziert.123 Er ist nicht Bestandteil des wörtlich Gesagten des geäußerten Satzes, mit der der Sprecher die

117 118 119 120 121 122 123

Walton/Krabbe (1995), S. 66 u. 72. Fritz (1977), S. 56; Fritz (1982), S. 66 u. 70. Vgl. Walton/Krabbe (1995), S. 66 u. 78. Vgl. Heringer u. a. (1977), S. 170 f.; Fritz (1994b), S. 195. Grice (1975), S. 27. Vgl. Levinson (1983), S. 105. Vgl. Levinson (1983), S. 105.

116

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

Aussage behauptet, sondern wird von dem Adressaten auf Grundlage des Prinzips (1) im Wege einer Implikatur erschlossen. Neben der Implikatur aufgrund der Prinzipbeachtung124 gibt es aber auch Implikaturen aufgrund offener Prinzipverletzung.125 In diesen Fällen sieht sich der Adressat veranlasst, nach einer Aussage jenseits des wörtlich Gesagten des geäußerten Satzes zu suchen, nicht weil er davon ausgeht, dass der Sprecher das Prinzip nicht verletzen wollte und also etwas gemeint haben muss, was in Einklang mit dem Prinzip steht, sondern, weil er davon ausgeht, dass der Sprecher das Prinzip erkennbar verletzen wollte und daher etwas jenseits der wörtlichen Bedeutung des geäußerten Satzes gemeint haben muss, was in Einklang mit dem Prinzip steht. Ein eingängiges Beispiel für die offene Verletzung des Prinzips (1) ist die ironische Sprechweise126 wie im obigen Beispiel. Das Kommunikationsprinzip (2) geht über das Prinzip (1) noch hinaus. Im Kontext der sprachlichen Interaktion des Zivilprozesses gilt es jedoch nicht. Für das Behaupten und Bestreiten von Tatsachen ist es nicht erforderlich, dass die Partei die Wahrheit oder Falschheit der Tatsache mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit kennt.127 Das Prinzip (2) dürfte beispielsweise in Planungs- und Beratungskommunikationen Geltung haben, wo es die Kooperation fördert, weil es dem Einbringen untauglicher Vorschläge entgegensteht. Die weitestgehende Form von Wahrhaftigkeit dürfte ein allgemeines Aufrichtigkeitsprinzip formulieren. Ein solches Prinzip gilt etwa in alltagssprachlichen Frage-Antwort-Interaktionen. Es veranlasst dort den Befragten zu Implikaturen auf Festlegungen des Fragenden. So legt sich jemand, der eine Frage stellt darauf fest, (i) dass er die Antwort nicht kennt, (ii) dass er die Antwort wissen möchte und (iii) dass er es für möglich hält, dass B die Antwort kennt.128 Werden Kommunikationsprinzipien verletzt, deren Bewertungskriterien zugleich Kriterien sind, deren Beachtung die Kooperation der sprachlichen Interaktion fördert und sichert, so bedeutet die Verletzung eben auch eine Beeinträchtigung des kooperativen Zusammenwirkens im Rahmen der sprachlichen Interaktion. Insoweit explizieren Kommunikationsprinzipien nicht nur Regeln, die von den Akteuren im Rahmen spezifischer sprachlicher Interaktionsmuster idealerweise erwartet werden, sondern beschreiben auch notwendige Bedingungen für die Aufrechterhaltung der sprachlichen Interaktion überhaupt. Je nachdem wie konsequent bestimmte Kommunikationsprinzipien missachtet werden, führt dies zu Verstehensproblemen bis hin zum Zusammenbruch der sprachlichen Interak124

Grice (1975), S. 32 Group A; Levinson (1983), S. 104 ff. Grice (1975), S. 33 Group C; Levinson (1983), S. 109 ff. 126 Weitere Beispiele bei: Grice (1975), S. 34; Levinson (1983), S. 109 ff.; vgl. auch Grice (1978), S. 53 f. 127 Thomas/Putzo (ZPO), § 138 Rz. 3. 128 Vgl. Levinson (1983), S. 105; Bucher (1994), S. 243. 125

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

117

tion.129 Sprachliche Interaktion ist jedoch nicht ausschließlich Kooperation. Die Kooperation kann punktuell ausgesetzt werden, ohne dass die sprachliche Interaktion zusammenbricht. Kommunikationsprinzipien sind daher selbst dann nicht für die Möglichkeit sprachlicher Interaktion konstitutiv, wenn ihre Bewertungskriterien zugleich Kriterien sind, deren Beachtung die Kooperation der sprachlichen Interaktion fördert und sichert.130 Wird ein Kommunikationsprinzip verletzt, so genügt die Äußerung in Bezug auf den Bewertungsaspekt nicht den Bewertungskriterien. Die mit der Äußerung vollzogene sprachliche Handlung wurde schlecht ausgeführt und belastet die sprachliche Interaktion, anstatt sie zu fördern. Wird dagegen eine Regel nicht befolgt, die für eine bestimmte Handlung konstitutiv ist, so schlägt die Handlung schlicht fehl. Die Handlung wird durch das gezeigte Verhalten nicht vollzogen.131 Tatsächlich handelt es sich auch bei dem Kommunikationsprinzip der Wahrhaftigkeit keineswegs um ein konstitutives Prinzip sprachlicher Interaktion. Der Umstand, dass die Zivilprozessordnung das Wahrhaftigkeitsprinzip mit § 138 Abs. 1 ZPO gesetzlich explizit festschreibt, zeigt bereits, dass der zivilprozessrechtliche Streit der Parteien über Tatsachen auch ohne Beachtung des Wahrhaftigkeitsprinzips geführt werden könnte. Ohne das Wahrhaftigkeitsprinzip käme es allerdings allein darauf an, wer welche für sich günstigen Tatsachen beweisen könnte. In Bezug auf die materiale Wahrheit ist dies sogar unproblematisch, solange für die behauptete Tatsache ein Beweismittel zur Verfügung steht. Fehlt es jedoch an dem Beweismittel, kann die gegnerische Partei schon durch einfaches Bestreiten der Tatsache das Urteil zu ihren Gunsten wenden. Aus Gerechtigkeitserwägungen kann dies jedoch nicht zulässig sein, wenn die gegnerische Partei die Wahrheit der Tatsache kennt. Im zivilprozessrechtlichen Streit über Tatsachen kommt dem Wahrhaftigkeitsprinzip trotz der Beweisebene damit dort praktische Relevanz zu, wo es um das Bestreiten von Tatsachen geht, die für den Gegner günstig sind. Der zivilprozessrechtliche Streit über Tatsachen ohne das Wahrhaftigkeitsprinzip wäre aber ebenso eine stabile sprachliche Interaktionsform. Ein Beispiel sprachlicher Interaktion in dem von Rechts wegen das Wahrhaftigkeitsprinzip nicht gilt, ist die Aussage des Angeklagten im Strafprozess. Nach dem Nemo-tenetur-Prinzip (nemo tenetur se ipsum prodere) ist niemand verpflichtet, gegen sich selbst Zeugnis abzulegen.132 Aber auch wenn der Angeklagte sich zur Sache einlässt, ist er nicht auf Wahrhaftigkeit seiner Angaben verpflichtet. Der angeklagte Täter darf die Tatbegehung leugnen und muss auch nicht Falschaus-

129 130 131 132

Heringer u. a. (1977), S. 173. So aber zumindest missverständlich bei: Heringer u. a. (1977), S. 170. Fritz (1977), S. 51. Meyer-Goßner (StPO), Einl. Rz. 29a.

118

III. Aspekte sprachlicher Interaktion in Dialogmodellen

sagen von Zeugen berichtigen.133 In der Situation des Vorstellungsgesprächs besteht eine gesetzliche Pflicht zur Wahrhaftigkeit nur, soweit der Arbeitgeber Fragen stellt, an deren Beantwortung er ein berechtigtes, schutzwürdiges Interesse hat. Dies ist beispielsweise nicht der Fall bei Fragen, nach Gewerkschaftszugehörigkeit, Behinderungen oder Schwangerschaft.134 In der Frage-Antwort-Interaktion des Vorstellungsgesprächs ist die rechtliche Geltung des Wahrhaftigkeitsprinzips daher immer vom Kontext der konkreten Frage abhängig. Schließlich kann das Wahrhaftigkeitsprinzip auch in sprachlichen Alltagsinteraktionen nicht durchgängig Geltung beanspruchen. In einem heftigen mit Beschimpfungen und Beleidigungen geführten Streit etwa kann Wahrhaftigkeit nicht erwartet werden. In zahlreichen Verhandlungssituationen sind die Beteiligten sich darüber im Klaren, dass auch mit Bluffs gearbeitet wird. Dass das Prinzip der Wahrhaftigkeit für die Möglichkeit sprachlicher Interaktion nicht konstitutiv ist, wird auch deutlich mit der Einsicht, dass sich auch der Lügner auf die Aussage seiner Äußerung festlegt. Denn ein Lügner verstößt heimlich gegen das Wahrhaftigkeitsprinzip. Er will den Adressaten gerade darüber täuschen, dass er die Aussage der Äußerung für wahr hält. Der geheime Vorbehalt, dass er sie für falsch hält, muss unerkannt bleiben, soll die Lüge funktionieren. Aus Sicht des Adressaten, wird das Wahrhaftigkeitsprinzip beachtet und impliziert den epistemischen Status der Festlegung. Die Dialogspiele des Konzepts der dialogischen Logik von Lorenzen und Lorenz ebenso wie die dialektischen Systeme der formalen Dialektik von Hamblin regeln die Mechanik des Eingehens von Festlegungen ohne das Wahrhaftigkeitsprinzip in irgendeiner Form aufzunehmen. Im Gegenteil geht es in den Dialogspielen der dialektischen Logik gerade darum, Sätze als dialogisch wahr auszuzeichnen, indem man für die Aussage des Satzes eine Gewinnstrategie in einem Dialogspiel findet. Beim Auffinden von Gewinnstrategien werden gerade alle möglichen Spielverläufe betrachtet. Dabei muss die Gewinnstrategie unabhängig vom akteurbezogenen epistemischen Status einer Aussage funktionieren. Der Proponent kann dann die Aussage verteidigen, egal welche Züge der Opponent macht.135 Auch in der Festlegungsmechanik dialektischer Systeme kommt es auf die Wahrhaftigkeit der Akteure nicht an. Dialektische Systeme enthalten nur Regeln, die die Konsistenz innerhalb des Festlegungsspeichers sicherstellen.136 Dies geschieht etwa dadurch, dass das System eine Regel enthält, die die Bedingungen für die Korrektheit einer Äußerung festsetzt. Ein Beispiel hierfür ist das dem gewerblichen Redespiel der Eristiker nachempfundene Verpflichtungsspiel bei

133 134 135 136

Fischer (StGB), § 153 Rz. 15. Paland (BGB), § 611 Rz. 6. Lorenz (1968), S. 100; Kamlah/Lorenzen (1973), S. 212 f.; dazu oben II. 1. b). Hamblin (1970), S. 257; Walton/Krabbe (1995), S. 6; dazu oben II. 2. c).

2. Drei Aspekte sprachlicher Interaktion

119

Hamblin.137 Oder aber die Beachtung der logischen Konsistenz wird den Akteuren selbst an die Hand gegeben, indem jeder jeweils den anderen dazu zwingen kann, sich für eine Aussage zu entscheiden und so den aufgetretenen Widerspruch aufzulösen. Ein Akteur entscheidet dann selbst, ob er einen Widerspruch im Festlegungsspeicher des anderen zum Gegenstand der Interaktion macht.138 Gleiches gilt für die Dialogmodelle von Walton und Krabbe, die beide Konzepte fortführen.139 Festzuhalten ist daher, dass die Verletzung des Wahrhaftigkeitsprinzips wie auch allgemein anderer Kommunikationsprinzipien nur die Ebene der Kooperation betrifft und nicht auf die Grundmechanik des Eingehens von Festlegungen durchschlägt. Aus diesem Grund bleibt die soziale Interaktion auch bei Verletzung von Kommunikationsprinzipien stabil, bis die Kooperation vollständig aufgekündigt wird.

137

Hamblin (1970), S. 261; dazu oben II. 2. b), a. A. Hamblin (1970), S. 264; dazu oben II. 2. c). 139 Dazu oben II. 3.; vgl. „Permissive Persuasion Dialogue (PPD)“ Structual Rules 3 a) u. 6) [Walton/Krabbe (1995), S. 150 f.]. 138

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung 1. Die interaktionskonstituierenden Prinzipien der Festlegung Im Gegensatz zu den Kommunikationsprinzipien, die nur die Ebene der Kooperation betreffen, stehen die interaktionskonstitutiven Prinzipien. Es handelt sich dabei um Prinzipien des logischen Zwangs, die die Grundbedingungen für die Möglichkeit einer Festlegung als Normen der sprachlichen Interaktion formulieren, nämlich die Bestandseigenschaft von Aussagen und den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch.1 Diese Grundbedingungen sind für die sprachliche Interaktion konstitutiv, weil das Eingehen von Festlegungen die Grundlage aller Veränderungen überhaupt bildet, die mit sprachlichen Äußerungen bewirkt werden. Das Bewirken von Veränderungen aber lässt das Verhalten der Beteiligten überhaupt erst zu einer Interaktion werden, indem es das Verhaltensgeschehen voranschreiten lässt. Die sprachliche Interaktion erhält ihre Dynamik – das Moment des Voranschreitens – daraus, dass mit der sprachlichen Äußerung eine Veränderung bewirkt wird. Diese Veränderung ist jedoch keine äußerliche Veränderung in der realen Lebenswelt, sondern betrifft die soziale Beziehung der Akteure. Die auf Ludwig Wittgenstein zurückgehende Sprechweise von sprachlicher Interaktion als Sprachspiel2 macht deutlich, dass soziale Interaktion über weite Teile nur vermittelt über physisches Verhalten auf einer rein gedanklichen Ebene stattfindet. Bei Brettspielen beispielsweise besteht der eigentliche Spielzug nicht in dem Versetzen einer Figur auf dem Spielbrett, sondern darin, dass die Konstellation der Figuren zueinander verändert wird. Der Zug als ein Muster, das durch ein lebensweltliches, zeitlich einmaliges Ereignis realisiert wird, zählt schon zur gedanklichen Ebene des Spiels. Man könnte das Spiel auch ohne Spielbrett und Figuren rein gedanklich spielen, indem man die Konstellation der Figuren in ei1

Dazu oben I. 3. c). Wittgenstein selbst will mit der Sprechweise den Handlungsaspekt sprachlicher Äußerungen betonen – den Umstand also, dass sprachliche Ausdrücke einen praktischen Gebrauch haben und verwendet werden um etwas zu tun: „Wie viele Arten der Sätze gibt es aber? Etwa Behauptung, Frage und Befehl? – Es gibt unzählige verschiedenen Arten der Verwendung alles dessen, was wir ,Zeichen‘, ,Worte‘, ,Sätze‘, nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andere veralten und werden vergessen. [. . .] Das Wort ,Sprachspiel‘ soll hier hervorheben, dass das Sprechen der Sprache ein Teil einer Tätigkeit oder einer Lebensform ist. [. . .].“ [Wittgenstein (PU), § 23] 2

1. Die interaktionskonstituierenden Prinzipien der Festlegung

121

nem Spielstand festhält. Bei den dynamischen Ballspielen beispielsweise wird ein Spielstand geführt, der die Veränderungen aus dem Spielgeschehen erfasst, wie die Torpunkte, Verwarnungen, Spielerwechsel usw. Gelangt der Ball hinter die Torlinie, so wird ein Tor anerkannt und der Spielstand verändert sich. Die Mannschaft, die mehr Tore erzielt hat, gewinnt das Spiel dann, weil sie im Spielstand mehr Torpunkte hat. Sogar im Kampfsport wird ein Spielsstand geführt, und ein Sieg nach Punkten ist möglich. Der Spielstand dokumentiert damit den Verlauf des über physisches Verhalten vermittelten Spielgeschehens, welches seinerseits nur darauf ausgerichtet ist, den Spielstand zu verändern. Ebenso verhält es sich bei der sprachlichen Interaktion. Sprachliche Handlungen, die durch sprachliche Äußerungen als lebensweltliche, zeitlich einmalige Ereignisse realisiert werden,3 sind darauf ausgerichtet, die soziale Beziehung der Akteure zu verändern, wobei die Akteure den Verlauf der Interaktion im Gedächtnis behalten. Sie führen quasi einen Spielstand, der die Veränderungen dokumentiert, die die sprachlichen Äußerungen in Bezug auf die soziale Beziehung bewirken. In Bezug auf die Festlegungen ist der Spielstand aus dem Festlegungsspeicher abzulesen. Er erfasst die Veränderungen, die eine sprachliche Äußerung in Bezug auf die Festlegungen des Sprechers bewirkt. Außerhalb der formalen Dialogmodelle in der sprachlichen Alltagsinteraktion erschöpft sich die Veränderungsleistung einer sprachlichen Äußerung freilich nicht in der Modifikation von Festlegungen. Nicht nur, dass hinsichtlich der Festlegungen immer der epistemische Status des Für-wahr-haltens impliziert wird,4 vielmehr sind neben den Überzeugungen und Annahmen alle möglichen propositionalen Einstellungen im Spiel. So mögen Wünsche geweckt und Hoffnungen zunichte gemacht werden. Insbesondere werden durch sprachliche Äußerungen auch die Wissensbestände der Akteure über das Wissen des anderen verändert.5 Stellt jemand eine Frage, so weiß der Adressat damit, (i) dass der Fragende die Antwort nicht kennt, (ii) dass der Fragende die Antwort wissen möchte und (iii) dass der Fragende es für möglich hält, dass der Adressat die Antwort kennt.6 Da jeder Akteur den Verlauf der sprachlichen Interaktion im Gedächtnis behält und so den Spielstand führt, sind die Festlegungsspeicher der beteiligten Akteure jeweils Teil der veränderlichen Wissensbestände eines Akteurs. Legt sich ein Sprecher durch die Äußerung eines Satzes darauf fest, dass „p“, so erweitert sich der Wissensbestand des Adressaten um das Wissen, dass der Sprecher für wahr hält, dass „p“. Das Konzept des Festlegungsspeichers kann folglich in einem umfassenden Konzept der Wissensbuchführung aufgehen. Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass die Grundmecha3

Dazu oben III. 2. b). Dazu oben III. 2. c). 5 Zur Rolle des gemeinsamen Wissens detailliert: Heringer u. a. (1977), S. 97 ff.; Fritz (1994b), S. 190. 6 Fritz (1994b), S. 188 f.; dazu oben III. 2. c). 4

122

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

nik des Eingehens von Festlegungen durch einen anderen grundlegenderen Mechanismus ersetzt wird. Denn die Festlegungen sind gerade der Gegenstand des Wissens, seien sie mit der sprachlichen Äußerung im wörtlichen Sinne ausgesagt oder impliziert. Infolgedessen bildet das Eingehen von Festlegungen die Grundlage aller Veränderungen überhaupt, die mit sprachlichen Äußerungen bewirkt werden. Die Bestandseigenschaft von Aussagen ist ihre Eigenschaft, in der Zeit Bestand zu haben und dem Sprecher gewissermaßen anzuhaften.7 Aufgrund des zeitlichen Fortbestands ist es möglich, dass sich ein Sprecher mit seinen vorangegangenen Aussagen in Selbstwiderspruch setzt. Die Bestandseigenschaft ist notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer Festlegung.8 Denn die Leistung einer Aussage eines prädizierenden Satzes, kann man sich vorstellen als das Verorten eines Gegenstands auf einer Seite der vom prädizierenden Ausdruck gezogenen Grenzlinie. Würde die Verortung bereits in dem Moment wieder verschwinden, in dem man die Aussage macht, würde die Aussage nichts leisten und eine Äußerung wäre ohne Witz. Setzt sich ein Sprecher im Rahmen einer sprachlichen Interaktion etwa in Selbstwiderspruch und verteidigt sich, indem er anführt, dass die ursprüngliche Aussage in einer früheren Äußerung gemacht wurde, und daher nicht mehr gegenwärtig sei, so ist er darüber zu belehren, dass die Aussage der früheren Äußerung sehr wohl noch gegenwärtig ist, es sei denn, bei der früheren Äußerung habe es sich nur um Geräusche gehandelt, die als Äußerung missverstanden wurden. Als notwendige Bedingung für die Möglichkeit von Festlegungen stellt sie ein konstitutives Prinzip sprachlicher Interaktion dar. Wer einen Satz äußert, ohne den zeitlichen Fortbestand von Aussagen anzuerkennen, der macht mit der Äußerung des Satzes keine Aussage, sondern glaubt nur oder gibt nur vor, eine Aussage zu machen. Tatsächlich aber macht er etwas anderes – nämlich lediglich Geräusche. Der Satz vom ausgeschlossenen Selbst-Widerspruch in der Logik lautet, dass es unmöglich ist, dass eine Aussage und gleichzeitig ihre Verneinung wahr sind.9 Der Satz vom ausgeschlossenen Selbst-Widerspruch ist notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer Festlegung.10 Besteht die Leistung einer Aussage eines prädizierenden Satzes darin, einen Gegenstand auf einer Seite anstatt auf der anderen Seite der vom prädizierenden Ausdruck gezogenen Grenzlinie zu verorten, 7

Dazu oben I. 3. c). Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass Festlegungen einen pragmatischen Haltbarkeitsaspekt besitzen, der als Index im Festlegungsspeicher zu notieren wäre. So etwa die Äußerung: „Die Sonne scheint.“ Von diesem Aspekt wird hier aber abstrahiert, da er den Grundmechanismus nicht in Frage stellt, sondern ihn voraussetzt. 8 Dazu oben I. 3. c). 9 Tugendhat/Wolf (1997), S. 50, dazu oben I. 3. b). 10 Dazu oben I. 3. c).

1. Die interaktionskonstituierenden Prinzipien der Festlegung

123

dann würde die Aussage des prädizierenden Satzes neutralisiert, sobald man den Gegenstand mit einer gegenteiligen Aussage auch auf der anderen Seite verortet. Als Prinzip der sprachlichen Interaktion mit Bezug auf den Festlegungsspeicher lässt sich der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch als Verbot formulieren, welches dem Sprecher das Eingehen neuer Festlegungen verbietet, die in Widerspruch zu Festlegungen stehen, die sich bereits im Festlegungsspeicher des Sprechers befinden.11 Als notwendige Bedingung für die Möglichkeit von Festlegungen stellt der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch ein konstitutives Prinzip sprachlicher Interaktion dar. Es fragt sich jedoch, ob wirklich jedes Auftreten eines Selbst-Widerspruchs im Verlauf einer sprachlichen Interaktion schon die Weigerung bedeutet, das Prinzip anzuerkennen? Tatsächlich wird selbst in formalen Dialogmodellen darauf verzichtet, Selbstwidersprüche im Festlegungsspeicher als grundsätzlich unzulässig zu erachten. So lässt Hamblin etwa in seinem dialektischen Grundsystem Kontradiktionen zu, ebenso wie es möglich ist, sich im Verlauf einer Interaktion Inkonsistenzen im Festlegungsspeicher einzuhandeln.12 Selbst in vitro sind inferenzielle Bezüge zwischen den Aussagen häufig bereits so kompliziert, dass Widersprüche gar nicht ohne weiteres erkennbar sind. Dies gilt insbesondere, wenn Akteure Positionen aufgegeben und sich von einzelnen Festlegungen lossagen. Hamblin’s Lösung besteht darin, die Torsionskräfte im logischen Gefüge dadurch aufzufangen, dass man es den Teilnehmern selbst an die Hand gibt, Widersprüche nur dann zu klären, wenn sie aus Sicht der Teilnehmer für die Fortführung der sprachlichen Interaktion relevant werden. Damit gleicht Hamblin sein dialektisches Grundmodell der Praxis sprachlicher Alltagsinteraktion an. Denn in der sprachlichen Alltagsinteraktion sind Selbst-Widersprüche genauso häufig wie sie unproblematisch sind, solange nur die Bereitschaft besteht, sich in Bezug auf den Widerspruch zu erklären. Der Umgang mit Fehlern, das Operieren mit formaler Ungenauigkeit ist Teil der alltagssprachlichen Kompetenz. So verweist David Lewis in seinem Aufsatz „Scorekeeping in a Language Game“ etwa auf einen allgemeinen Mechanismus der Anpassung (rules of accommodation), der bewirkt, dass die Akteure die Parameter der sprachlichen Interaktion immer in der Weise neu anpassen, dass die Äußerungen der Akteure als korrektes sprachliches Handeln gelten können.13 Bestes Beispiel hierfür sind Präsuppositionen.14 Die Bedingungen, die wahr sein müssen, damit der Aussage ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann, werden als gegeben angenommen im Moment der Äußerung, die sie erforderlich machen.15 Weitere Parameter sind Lewis zufolge etwa das Verschieben

11 12 13 14 15

Dazu oben I. 3. c). Dazu oben II. 2. c). Lewis (1979), S. 240. Dazu weiterführend: Bußmann (2002), Lemma: „Präsupposition“, S. 531. Lewis (1979), S. 234.

124

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

des thematischen Focus auf den Gegenstand, auf den sich eine Aussage beziehen soll,16 der Grad der Genauigkeit bei der Zuschreibung von Eigenschaften wie „Dick-sein, Groß-sein, Flach-sein“ usw.,17 oder die Menge der in Betracht gezogenen Möglichkeiten.18 Tatsächlich werden bei sprachlichen Alltagsinteraktionen Selbst-Widersprüche des Sprechers vielfach schlicht adressatenseitig bereinigt, indem der Adressat annimmt, dass der Sprecher seine Meinung geändert hat und die frühere Festlegung getilgt wissen will. Aber selbst in Kommunikationsformen, in denen ein solcher Mechanismus adressatenseitiger Bereinigung nicht wirksam ist, zu denken ist beispielsweise an Rechtfertigungsdialoge, wird eine in Widerspruch zu früheren Festlegungen stehende Aussage nicht einfach als NichtAussage behandelt, sondern als schwebend unwirksame Aussage vermerkt.19 Mit der Möglichkeit, den Sprecher dazu zu zwingen, sich für eine der in Widerspruch stehenden Festlegungen zu entscheiden und so den aufgetretenen Widerspruch aufzulösen, liegt es in den Händen des Adressaten, ob er den Widerspruch im Festlegungsspeicher des anderen zum Gegenstand der Interaktion machen will. Erst wenn der Sprecher im Rahmen dieser Konfrontationssequenz sich weigert, den Widerspruch aufzulösen, gibt er zu erkennen, dass er das Prinzip vom ausgeschlossenen Selbst-Widerspruch nicht anerkennt. Wer einen Satz äußert, ohne bereit zu sein, die Widersprüche aufzulösen, in die er sich durch die mit der Äußerung gemachten Aussage verstrickt, der macht mit der Äußerung des Satzes keine Aussage, sondern glaubt nur oder gibt nur vor, eine Aussage zu machen. Tatsächlich aber macht er nur Geräusche. Die konstitutive Kraft einer Norm, der Umstand also, dass wer die Norm nicht befolgt, nicht nur etwas schlecht ausführt, sondern etwas anderes tut als das, was er zu tun beabsichtigt oder vorgibt,20 wirkt sich auch auf den normativen Zwang aus, mit dem die Norm Geltung beansprucht. Den Grundmechanismus der Normativität beschreibt Immanuel Kant in seiner Ethik als hypothetischen Imperativ. Beim hypothetischen Imperativ ergibt sich der Zwang zur Handlung, aufgrund des Wollens des gewählten Zwecks. Es handelt sich daher um einen Mechanismus des Selbstzwangs. Imperative beruhen Kant zufolge auf dem Vermögen der praktischen Vernunft. Sie sind Antworten auf die Frage, was man tun soll, und gebieten eine Handlung, weil sie gut ist.21 Dabei geht ein hypothetischer Imperativ von einem vorgegebenen Zweck aus und verknüpft diesen mit einem für das Erreichen des Zwecks tauglichen Mittel, d. h.

16 17 18 19 20 21

Lewis (1979), S. 242. Lewis (1979), S. 245. Lewis (1979), S. 246. Dazu oben II. 2. c). Vgl. Fritz (1977), S. 51 f. Kant, GMS, 414, 18.

1. Die interaktionskonstituierenden Prinzipien der Festlegung

125

mit einer bestimmten Handlung:22 Wer hart gekochte Eier (z. B. zum Frühstück) essen will, der muss die Eier vorher mindestens sieben Minuten kochen. Beim hypothetischen Imperativ wird die Handlung um des Zweckes Willen vorgenommen. Diese Zwecke ergeben sich aus den individuellen Neigungen und Abneigungen, die der Mensch als Glied der Sinnenwelt besitzt. Der gesetzte Zweck als Triebfeder bestimmt den Handlungsentschluss.23 Ob die Handlung gut ist, ist die Frage nach ihrer Tauglichkeit in Bezug auf den gewählten Zweck. Maßstab zur Beurteilung der Handlung ist daher der Zweck.24 Schließlich gilt, dass man, wenn man den Zweck will, so auch die Handlung als das zur Erreichung des Zweckes taugliche Mittel wollen muss. Damit wird aber das eigene Wollen (in Bezug auf den Zweck) zur normativen Quelle des Sollens (in Bezug auf die Handlung als Mittel). Denn sobald der Wille auf den Zweck festgelegt ist, richtet sich das Mittel nach vorgegebenen Randbedingungen, die bestimmen, welches Mittel zur Erreichung welchen Zwecks geeignet ist und welches nicht. Das Mittel ist also in Anbetracht des Zweckes nicht mehr frei wünschbar. Ein hypothetischer Imperativ übersetzt die Naturgesetze in die Sprache der praktischen Vernunft.25 Die Handlung als Mittel zum Zweck ist normativ durch den auf den Zweck gerichteten Willen geboten.26 Damit ergibt sich der normative Zwang der konstitutiven Normen der sprachlichen Interaktion direkt aus dem auf den Zweck der Teilnahme an der sprachlichen Interaktion gerichteten Willen. Der eigene Wille zur Teilnahme allein reicht aus, um den Selbstzwang zur strikten Beachtung der konstitutiven Normen aufzubauen. Denn der Zweck der Teilnahme ist anders nicht zu erreichen. Eine Teilnahme ohne Befolgung der Normen wäre nicht nur keine besonders erfolgreiche Teilnahme, sondern es wäre überhaupt keine Teilnahme. Anders verhält es sich dagegen bei den bloß regulativen Kommunikationsprinzipien. Der eigene Wille zur Teilnahme lässt Raum für die Nicht-Befolgung von Kommunikationsprinzipien. Man mag dann wenig kooperativ, wenig überzeugend, wenig höflich an der sprachlichen Interaktion teilnehmen, aber man nimmt teil. Die im Kommunikationsprinzip formulierte Zweck-Mittelrelation, wonach zum Zwecke der Teilnahme an der sprachlichen Interaktion Äußerungen bestimmte Qualitätskriterien erfüllen müssen, muss als Art und Weise der Teilnahme anerkannt werden. Erst dann werden die Qualitätskriterien als Mittel zum Zweck der Teilnahme vom normativen Zwang des eigenen Willens zur Teilnahme miterfasst. Die Anerkennung geschieht durch Eintritt in die sprachliche Interaktion. Die anderen Teilneh-

22 23 24 25 26

Kant, GMS, 414, 13. Kant, GMS, 400, 3. Kant, GMS, 414, 32. Vgl. Sellars, Language, S. 94. Kant, GMS, 417, 8.

126

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

mer werden so berechtigt, einander als den Kommunikationsprinzipien unterworfen zu behandeln. 2. Selbstbindung a) Selbstbindung versus Fremdbindung Als Grundlage aller Veränderungsleistungen sprachlicher Äußerungen müssen Festlegungen Gegenstand gemeinsamen Wissens sein. Das Verhaltensgeschehen würde sonst divergent voranschreiten und die sprachliche Interaktion schlüge mangels wechselseitigen Bezugs des Verhaltens fehl. Gemeinsames Wissen bedeutet, dass die Beteiligten in Bezug auf einen Sachverhalt

nicht nur den Sachverhalt kennen, sondern auch Wissen, dass der andere den Sachverhalt kennt. Gemeinsames Wissen besitzt eine rekursive Struktur.27 Dies liegt darin begründet, dass das Wissen des einen über das Wissen des anderen selbst wieder Gegenstand des Wissens des anderen sein kann. So weiß etwa A, dass B weiß, dass

, wobei genau dieses Wissen des A Gegenstand des Wissens von B sein kann – was wiederum A wissen kann, und so immer fort ad infinitum. Beispielsweise beobachtet B, wie A etwas Verbotenes macht: B weiß nun, dass

. Hat A aber bemerkt, dass er von B beobachtet wurde, so weiß A, dass B weiß, dass

. Hat B seinerseits bemerkt, dass er gesehen wurde, so weiß B, dass A weiß, dass B weiß, dass

. Ergreift B nun etwa die Flucht aus Furcht vor A, so weiß A, dass B weiß, dass A weiß, dass B weiß, dass

. Tatsächlich kann dem Wissensbestand über das Wissen des anderen damit auf den ersten drei Iterationsstufen Entscheidungsrelevanz zukommen.28 Das Wissen des A darüber, ob B weiß, dass

, wird relevant als Antwort auf die Frage, ob B ihn als Zeugen belasten kann. Das Wissen des B darüber, ob A weiß, dass B weiß, dass

, wird relevant bei der Frage, ob B einer Verfolgung durch A ausgesetzt ist. Das Wissen des A darüber, ob B weiß, dass A weiß, dass B weiß, dass

, wird relevant darüber, ob A mit Vorkehrungen des B gegen die Verfolgung rechnen muss. Auf weiteren Iterationsstufen verliert sich diese Relevanz dann allerdings. Entscheidender aber noch dafür, dass der infinite Regress allenfalls ein Beschreibungsproblem des gemeinsamen Wissens darstellt,29 ist der Umstand, dass die sprachliche Explikation eines Sachverhalts durch einen Sprecher immer gemeinsames Wissen über den Sachverhalt herstellt. Gemeinsames Wissen ergibt sich somit im Normalfall automatisch mit der Äußerung eines entsprechenden Satzes: Da der Sprecher dem Adressaten den Sachverhalt selbst mitteilt, weiß der Spre27 28 29

Heringer u. a. (1977), S. 100; Fritz (1994b), S. 190. Vgl. Heringer u. a. (1977), S. 101; Fritz (1994b), S. 190. Heringer u. a. (1977), S. 100.

2. Selbstbindung

127

cher, dass der Adressat den Sachverhalt kennt. Umgekehrt weiß der Adressat, dass der Sprecher den Sachverhalt kennt, weil der Sprecher ihm den Sachverhalt mitgeteilt hat. Die rekursive Struktur des gemeinsamen Wissens ist in praktischer Hinsicht für das Wissen über die Festlegungen selbst unproblematisch. Problematisch ist allerdings die subjektive Perspektive bei der Buchführung der Festlegungen. Denn anders als bei Sport-Turnieren, gibt es für die sprachliche Interaktion weder einen Schiedsrichter, der das Spiel leitet, noch eine öffentliche Spielstandsbuchführung wie etwa in Form von Stadienanzeigetafeln. Vielmehr führt jeder Akteur das komplette Set der Festlegungskonten der Teilnehmer jeweils für sich selbst. Dabei kann es im Verlauf der sprachlichen Interaktion vorkommen, dass der Adressat dem Sprecher eine Festlegung zuschreibt, die er nicht eingehen wollte. Dies zeigt sich beispielsweise in Äußerungen wie „Das ist nicht das, was ich gemeint habe. Gemeint habe ich, dass . . .“. Solche Äußerungen dienen dem Sprecher dazu, den Adressaten aufzufordern, einen Eintrag im Festlegungsspeicher des Sprechers in der Buchführung des Adressaten zu korrigieren. Diese Problematik des Kommunizierens formulierte in früher Zeit Till Eulenspiegel in treffender Weise folgendermaßen: „,Was ihr denkt, das weiß ich nicht‘, antwortete der Schalk, ,wie kann einer des anderen Gedanken erraten! Aber was ihr mir gesagt habt, das weiß ich.‘“ 30

Während die mit der Äußerung gemachte Aussage sich aus der in der sprachlichen Praxis normierten Bedeutung der verwendeten sprachlichen Ausdrücke ergibt und somit intersubjektiv feststeht, liegt die mit der Äußerung eigentlich gemeinte Aussage auf der privaten, gedanklichen Ebene als das, was der Sprecher dem Adressaten mit der Äußerung zu verstehen geben intendierte. Dabei handelt es sich nicht um die Unterscheidung bei dem semantischen Gehalt eines geäußerten Satzes zwischen dem wörtlich Gesagten und dem Gemeinten im Sinne des weitergehenden Implicatums im Zusammenhang mit der Theorie der Implikaturen von Grice.31 Die gemachte Aussage ist der kommunikative Gehalt einer Äußerung, den ein idealisierter, kompetenter Sprecher der Sprache in der konkreten Situation des Adressaten aus der Äußerung interpretieren würde. Hierzu zählt aber eben auch der implikatierte semantische Gehalt des geäußerten Satzes, den ein Adressat in eingeübter Weise erschließt, wenn eine Äußerung, beschränkt auf den semantischen Gehalt des wörtlich Gesagten, eine Verletzung der Kommunikationsprinzipien darstellen würde, die für die konkrete sprachliche Interaktion zwischen Sprecher und Adressat jeweils gelten.32 Die gemachte Aussage enthält damit den semantischen Gehalt des geäußerten Satzes insgesamt, also sowohl den

30 31 32

Till Eulenspiegel (1519/1948) S. 82. Dazu schon oben III. 2. c). Grice (1975), S. 30 f.; vgl. auch Keller (1995), S. 205; Fritz (1994b), S. 196.

128

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

semantischen Gehalt der konventionell-inferenziellen Ebene der sprachlichen Ausdrücke (das Gesagte im Grice’schen Sinne) als auch den semantischen Gehalt auf der Ebene der Implikaturen (das Gemeinte im Grice’schen Sinne). Dem gegenüber steht die vom Sprecher eigentlich gemeinte Aussage als subjektiver, intendierter kommunikativer Gehalt einer Äußerung. Da die gemachte Aussage das Verständnis der Äußerung aus der Perspektive eines idealisierten, kompetenten Adressaten ist, muss hiervon eben auch die konkrete, subjektive Interpretation der Äußerung durch den tatsächlichen Adressaten unterschieden werden. Die gemachte Aussage ist nach allen Seiten von dem kommunikativen Gehalt zu unterscheiden, der der Äußerung auf subjektiver Ebene von dem jeweiligen Akteur beigelegt wird. Bei der Betrachtung einer sprachlichen Äußerung ist damit grundsätzlich je nach Perspektive zwischen drei Aussagen zu unterscheiden – der mit der Äußerung gemachten Aussage, der mit der Äußerung gemeinten Aussage auf Seite des Sprechers und der aus der Äußerung interpretierten Aussage auf Seite des Adressaten.33 Entsprechend der beiden Perspektiven der Akteure ist daher zwischen dem Eingehen von Festlegungen und dem Zuziehen von Festlegungen zu unterscheiden. Aus der Perspektive des Sprechers geht der Sprecher Festlegungen ein, indem der Sprecher sich auf die eigentlich gemeinte Aussage festlegt. Aus der Perspektive des Adressaten zieht sich der Sprecher Festlegungen zu, indem der Sprecher sich auf die aus der Äußerung interpretierte Aussage festlegt. In der Matrix dieser drei Perspektiven ergibt sich die Situation, dass der Adressat dem Sprecher eine Festlegung zuschreibt, die er nicht eingehen wollte, entweder wenn die von dem Sprecher mit der Äußerung gemeinte Aussage oder wenn die von dem Adressaten aus der Äußerung interpretierte Aussage jeweils von der mit der Äußerung gemachten Aussage abweicht. Für den Fall, dass sowohl die gemeinte Aussage als auch die interpretierte Aussage von der gemachten Aussage abweicht, ist weiter zu unterscheiden, ob denn auch die gemeinte Aussage und die interpretierte Aussage auseinanderfallen. Es handelt sich dann um eine Überlagerung der beiden Konstellationen. Tatsächlich kommt es aber auch vor, dass jenseits der gemachten Aussage eine gelungene Verständigung zustande kommt, etwa wenn beide Akteure demselben Irrtum über die in der Praxis normierte Verwendungsweise eines sprachlichen Ausdrucks unterliegen. Ein schönes Beispiel hierfür stellt der so genannte Håkjerringkjøtt-Fall34 dar, ein berühmter Lehrbuchfall in der zivilrechtlichen Rechtsgeschäftslehre. In diesem Fall einigten sich Verkäufer und Käufer durch Angebots- und Annahmeerklärung vom 8. November 1916 auf die Lieferung von 214 Fässern Håkjerringkjøtt aus Norwegen, wobei beide Seiten irrtümlich davon ausgingen, dass Håkjerringkjøtt der norwe-

33 34

Vgl. Harras (2004), S. 192. Urteil des Reichsgerichts vom 8.6.1920 – Az.: II 549/19 (RGZ 99, 147).

2. Selbstbindung

129

gische Ausdruck für Walfleisch sei. Tatsächlich bezeichnet der Ausdruck aber Haifischfleisch, welches wegen des Ersten Weltkrieges Einfuhrbeschränkungen unterlag. Dies führte dazu, dass die Ware bei Eintreffen im Hamburger Hafen beschlagnahmt wurde. Da Verkäufer und Käufer die Erklärung des jeweils anderen aber im Sinne des jeweils Erklärenden richtig verstanden hatten, war ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen.35 Infolgedessen schuldete der Verkäufer dem Käufer Schadensersatz wegen Nichterfüllung und zwar, nicht weil wegen der Beschlagnahme kein Haifischfleisch geliefert wurde, sondern weil der Verkäufer die Lieferung von Walfleisch schuldig geblieben war. Konstellationen missglückter Kommunikation sind also nur Konstellationen, bei denen die von dem Sprecher mit der Äußerung gemeinte Aussage und die von dem Adressaten aus der Äußerung interpretierte Aussage divergieren, so dass auch die eingegangenen und zugezogenen Festlegungen und folglich die Buchführung der Festlegungen des Sprechers beim Sprecher und beim Adressaten voneinander divergieren. Liegt eine Divergenz vor, so stellt sich die Frage, ob die gemeinte Aussage oder die interpretierte Aussage gilt, ob der Festlegungsbuchführung des Sprechers oder der des Adressaten Vorrang zukommt. Es handelt sich um eine Frage von Normen der sprachlichen Praxis. Die interaktionskonstituierenden Prinzipien sagen hierüber nichts aus. Sie setzten vielmehr bereits eine gültige Zuordnung der Aussage zum Sprecher voraus, der sie dann Bestand und effektive Wirkung verschaffen. Die hier zu diskutierende Frage nach den Bedingungen der Zuordnung einer Aussage zu einem Sprecher ist den interaktionskonstituierenden Prinzipien daher vorgelagert. Als heuristisches Vorgehen zur Klärung der sprachlichen Praxis der Festlegungsbuchführung lassen sich Konstellationen missglückter Kommunikation betrachten, bei denen die Ausführung der sprachlichen Äußerung selbst unbestritten ist, und auch die Bedeutung der darin verwendeten sprachlichen Ausdrücke nicht in Frage steht, sondern Einigkeit darüber besteht, dass sich ein Akteur über die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks – wie etwa „Håkjerringkjøtt“ geirrt hat. Liegt der Irrtum auf Seiten des Adressaten, so dass die vom Sprecher gemeinte Aussage der gemachten Aussage entspricht, während die interpretierte Aussage davon abweicht, so ist die sprachliche Praxis eindeutig. Der Adressat kann den Sprecher nicht an den aufgrund der fehlerhaften Interpretation zugezogenen Festlegungen festhalten, sondern muss seine Buchführung korrigieren. Missversteht etwa, um beim obigen Beispiel zu bleiben, der Adressat das Angebot des Verkäufers über die Lieferung von „Håkjerringkjøtt“ als Angebot über Walfleisch anstatt als Angebot über Haifischfleisch, so kann sich der Adressat – unabhängig von der Rechtsordnung – nach den Regeln der sprachlichen Praxis nicht darauf

35 Der juristische Lehrsatz hierfür lautet: „falsa demonstratio non nocet“; statt vieler: Brox/Walker (2009), § 6 Rz. 133; Boemke/Ulrici (2009), § 8 Rz. 38.

130

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

berufen, der Sprecher habe ein Angebot über Walfleisch abgegeben. Im umgekehrten Fall scheint die sprachliche Praxis jedoch weniger eindeutig. Liegt der Irrtum auf Seiten des Sprechers, so dass die vom Sprecher gemeinte Aussage von der gemachten Aussage abweicht, während die interpretierte Aussage der gemachten Aussage entspricht, so scheint der Adressat berechtigt zu sein, dem Sprecher an seinen Festlegungen festzuhalten. Denn schließlich liegt der Fehler bei der Verwendung des sprachlichen Ausdrucks „Håkjerringkjøtt“ nicht bei dem Adressaten sondern beim Sprecher. Der Adressat musste ja gerade, den Normen der sprachlichen Praxis folgend, den Sprecher die entsprechenden Festlegungen zuschreiben. Andererseits kennt die sprachliche Praxis eben auch die Möglichkeit des Sprechers, den Adressaten aufzufordern, einen Eintrag im Festlegungsspeicher des Sprechers in der Buchführung des Adressaten zu korrigieren, indem er behauptet, dass er etwas anderes gemeint hat. Die sprachliche Praxis besitzt eine Korrektursequenz für missglückte Kommunikationsakte. Die Frage, ob die gemeinte Aussage oder die interpretierte Aussage gilt, ob der Festlegungsbuchführung des Sprechers oder der des Adressaten Vorrang zukommt, ist nun zugleich auch die Frage, ob es sich bei den Festlegungen eines Sprechers um einen Mechanismus der Selbstbindung oder aber um einen Mechanismus der Fremdbindung handelt. Denn von einer Selbstbindung kann nur dann die Rede sein, wenn diejenigen Festlegungen, die ein Sprecher letztlich gegen sich gelten lassen muss, Aussagen sind, die der Sprecher auch tatsächlich machen wollte. Die Bedingung der Selbstbindung lautet, dass die Aussage, an die der Adressat den Sprecher binden will, eine vom Sprecher gewollte Aussage sein muss. Damit findet Selbstbindung nur in Bezug auf die mit einer Äußerung gemeinte Aussage statt. Im Gegensatz dazu liegt eine Fremdbindung vor, wenn ein Sprecher die Festlegungen seiner Äußerung gegen sich gelten lassen muss, unabhängig davon, ob sie seiner gemeinten Aussage entsprechen. Fremdbindung heißt, Bindung stets an die interpretierte Aussage. Gegen eine Fremdbindung und für eine Selbstbindung spricht zunächst die Praxis, dass es der irrige Adressat ist, der seine Buchführung korrigieren muss, wenn also die interpretierte Aussage von der gemachten und gemeinten Aussage abweicht. Um Selbstbindung handelt es sich aber nur dann, wenn auch für den Fall, dass der Sprecher sich irrt, wenn also die gemeinte Aussage von der gemachten und interpretierten Aussage abweicht, es der Adressat ist, der seine Buchführung korrigieren muss. In einer sprachlichen Praxis, in der das Prinzip der Selbstbindung gilt, tritt in dieser Konstellation keine Bindung des Sprechers an die adressatenseitig interpretierte Aussage ein. Anderenfalls würde es sich doch um eine Fremdbindung handeln, die lediglich insoweit objektiviert ist, dass bei Divergenz der vom Sprecher mit der Äußerung gemeinten Aussage und der vom Adressaten aus der Äußerung interpretierten Aussage der Adressat nur dann Vorrang für seine Festlegungsbuchführung beanspruchen kann, wenn seine Eintragung der gemachten Aussage entspricht.

2. Selbstbindung

131

b) Wer ist der Meister der Wörter? Ein Vorrang der Festlegungsbuchführung des Sprechers – also ein Mechanismus der Selbstbindung mit dem Prinzip der Bindung an eine Aussage, nur insoweit diese tatsächlich gewollt war – scheint in Bezug auf die klassische Frage der Sprachphilosophie, ob sprachlichen Ausdrücken ihre Bedeutung unabhängig vom jeweiligen Sprecher zu kommt, oder ob ihre Bedeutung der Disposition des Sprechers unterliegt, die letztere Position vorauszusetzen. In literarischer Form finden sich solch gegensätzliche Positionen etwa in einer Dialogsequenz zwischen Alice und Humpty Dumpty aus „Alice hinter den Spiegeln“ 36 – der Fortsetzungsgeschichte zu „Alice im Wunderland“ von Charles Lutwidge Dodgson, alias Lewis Carroll. „[. . .] ,they gave it me – for an un-birthday present.‘ ,I beg your pardon?‘ Alice said with a puzzled air. ,I’m not offended‘, said Humpty Dumpty. ,I mean, what is an un-birthday present?‘ ,A present given when it isn’t your birthday, of course.‘ ,Alice considered a little. ’I like birthday presents best‘, she said at last. ,You don’t know what you’re talking about!‘ cried Humpty Dumpty. ,How many days are there in a year?‘ ,Three hundred and sixty-five‘, said Alice. ,And how many birthdays have you?‘ ,One.‘ ,And if you take one from three hundred and sixty-five, what remains?‘ ,Three hundred and sixty-four, of course.‘ [. . .] ,[. . .] and that shows that there are three hundred and sixty-four days when you might get un-birthday presents –‘ ,Certainly‘, said Alice. ,And only one for birthday presents, you know. There’s glory for you!‘ ,I don’t know what you mean by »glory«‘, Alice said. Humpty Dumpty smiled contemptuously. ,Of course you don’t – till I tell you. I meant »there is a nice knock-down argument for you!«‘ ,But »glory« doesn’t mean »a nice knock-down argument«‘, Alice objected. ,When I use a word‘, Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, ,it means just what I choose it to mean – neither more nor less.‘ ,The question is‘, said Alice, ,whether you can make words mean so many different things.‘ ,The question is‘, said Humpty Dumpty, ,which is to be master – that’s all.‘“

Während Alice an in der zitierten Passage die Auffassung vertritt, dass sprachliche Ausdrücke ihre Bedeutung unabhängig vom jeweiligen Sprecher tragen, spricht Humpty Dumpty dem Sprecher die Autorität zu, mit einem sprachlichen 36 Englischer Originaltitel der 1872 erschienenen Geschichte lautet „Through the Looking-Glass and What Alice Found There“.

132

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

Ausdruck zu meinen, was er will.37 Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Position von Humpty Dumpty selbst ad absurdum führt, insofern er auch noch davon ausgeht, dass ein Adressat nicht wissen kann, was ein Sprecher mit der Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks meint, bis der Sprecher ihm die Verwendung des Ausdrucks erläutert. Da bei der Erläuterung des sprachlichen Ausdrucks weitere sprachliche Ausdrücke verwendet werden, die ihrerseits dann wieder erläutert werden müssten, ergäbe sich ein regressus ad infinitum des Erläuterns. Unterlegt man der Argumentation von Humpty Dumpty eine Lesart, wonach bereits von einer sprachlichen Praxis auszugehen ist, in der sich für einen sprachlichen Ausdruck ein Spektrum von Verwendungsweisen etabliert hat, so ergibt sich eine Position, wonach es einem Sprecher möglich sein soll, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks schon dadurch zu ändern, dass er den sprachlichen Ausdruck in einer neuen Weise verwendet. In der sprachlichen Praxis wäre dann hinsichtlich der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke ein Mechanismus der Anpassung (rule of accommodation) wirksam, wie es David Lewis für andere Parameter der sprachlichen Interaktion beschrieben hat.38 So wie etwa im Fall der Präsuppositionen die Bedingungen, die wahr sein müssen, damit einer Aussage ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann, im Moment der sie erfordernden Äußerung als gegeben angenommen werden, so ändert sich die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks im Moment seiner neuen Verwendungsweise. Da sich die Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks immer so anpasst, dass die Äußerungen des Sprechers die gemeinte Aussage ausdrückt, würde die Konstellation eliminiert, dass die gemachten Aussage von der vom Sprecher mit der Äußerung gemeinte Aussage abweicht. Ein Sprecher könnte sich nicht über die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks irren – mit dem Moment der Äußerung würde „Håkjerringkjøtt“ auch Walfleisch bezeichnen. Nun ist dem aber nicht so: ein Sprecher kann über die richtige Verwendungsweise eines sprachlichen Ausdrucks im Irrtum sein und daran scheitern, mit der gemachten Äußerung seine gemeinte Aussage auszudrücken. Die in der sprachlichen Praxis impliziten Normen der Verwendungsweise sprachlicher Ausdrücke obliegen nicht der Disposition des einzelnen Sprechers. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks im Sinne eines in der sprachlichen Praxis normativ verankerten Spektrums von Verwendungsweisen39 ist das Ergebnis der sozialen In37

Vgl. Dummett (1986), S. 470. Dazu oben 1. 39 Das Spektrum der Verwendungsweise eines sprachlichen Ausdrucks darf nicht dahin missverstanden werden, dass es alles umfasst, was ein Sprecher mit der Verwendung des sprachlichen Ausdrucks dem Adressaten zu verstehen geben kann. Das Spektrum der Verwendungsweise erfasst nur die konventionelle Bedeutung. Der konversationell implikatierte semantische Gehalt zählt nicht dazu [so auch: Harras (2004), S. 241]. Ein sprachlicher Ausdruck wird damit bei konversationellen Implikaturen, also der ironischen Rede, der metaphorischen Rede, usw., aber auch nicht etwa in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Der implikatierte semantische Gehalt einer Äußerung wird 38

2. Selbstbindung

133

teraktion des Kommunizierens zwischen Mitgliedern einer Gruppe. Die Bedeutungen sprachlicher Ausdrücke lassen sich als Konventionen in einem System übereinstimmender gegenseitiger Erwartungen beschreiben.40 Eine Erklärung der Entstehung von Bedeutungskonventionen kann daher beispielsweise an den allgemeinen Ansatz zur Erklärung der Entstehung von Konventionen von David Lewis angeknüpft werden. Konventionen sind danach, vereinfacht gesagt, Verhaltensregularitäten innerhalb einer Gruppe, die deshalb als Normen befolgt werden, weil jeder von jedem erwartet, dass sie befolgt werden.41 Die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft gehen stillschweigend von der Hypothese aus, dass ihre Verwendungsweisen sprachlicher Ausdrücke im wesentlichen Maße übereinstimmen.42 Dass ein Sprecher für sich allein nicht über die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks disponieren kann, steht dem Mechanismus der Selbstbindung als Bindung nur an tatsächlich gewollte Aussagen allerdings auch nicht entgegen. Auf eine solche Kompetenz des Sprechers ist der Mechanismus der Selbstbindung nicht angewiesen. Selbstbindung heißt gerade, dass eine Bindung nur dann eintritt, wenn die vom Sprecher mit der Äußerung gemeinte Aussage mit der vom Adressaten aus der Äußerung interpretierten Aussage übereinstimmt. Der Umstand, dass jemand eine bestimmte Aussage aus der Perspektive eines idealisierten, kompetenten Adressaten gemacht hat, ist nach dem Mechanismus der Selbstbindung ebenso wenig eine Quelle für einen Zwang zur Festlegung auf ungewollte Aussagen wie der Umstand, dass ein konkreter Adressat aus der Äußerung eine bestimmte Aussage interpretiert hat. vielmehr auf Grundlage der konventionellen Bedeutung der Ausdrücke des Satzes als Implicatum erschlossen [dazu oben II. 2. c)]. 40 Keller (1995), S. 154. 41 Die genaue Definition einer Konvention von David Lewis ist nachstehend wiedergegeben. Dabei stellt (5) die Arbitraritätsbedingung dar, die die Existenz einer gleichwertigen Handlungsoption zur Erreichung des Handlungszwecks fordert. Denn eine Konvention erklärt, warum eine von mehreren möglichen Handlungsweisen bevorzugt wird, obwohl es dafür eigentlich keine Gründe gibt. Lewis (1969), S. 78: „Our final definition is therefore: A regularity R in the behavior of members of population P when they are agents in a recurrent situation S is a convention if and only if it is true that, and it is common knowledge in P that, in almost any instance of S among members of P, (1) almost everyone conforms to R; (2) almost everyone expects almost everyone else to conform to R; (3) almost everyone has approximately the same preferences regarding all possible combinations of actions; (4) almost everyone prefers that any one more conform to R on condition that almost everyone conform to R; (5) almost everyone would prefer that any one more conform to R’, on condition that almost everyone conform to R’, where R’ is some possible regularity in the behavior of members of P in S, such that almost no one in almost any instance of S among members of P could conform both to R’ and to R.“ 42 Keller (1995), S. 136.

134

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

In der jüngeren sprachphilosophischen Debatte findet sich die im Ansatz fruchtbare Unterscheidung zwischen semantischer Autorität und semantischer Autonomie. Danach ist semantische Autorität „die Frage, welche Instanz es ist, hinsichtlich derer die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung oder der Gehalt eines mentalen Zustands primär bestimmt wird oder ist.“ 43 Die Alternative hier besteht zwischen der Auffassung des Individualismus, wonach der einzelne Sprecher eine entsprechende Autorität besitzt, und der Auffassung des Kollektivismus, wonach die Autorität bei den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft gemeinsam liegt. Semantische Autonomie ist dagegen „die Frage, welche die kleinste soziale Einheit ist, die man im Blick haben muss, wenn man einem Individuum die Fähigkeit zuschreibt, denkend oder sprechend mit Begriffen zu hantieren.“ 44 In Bezug auf die Frage der semantischen Autonomie besteht eine Alternative zwischen dem sozialen Atomismus, wonach bereits ein einzelnes Individuum als solches die Fähigkeit haben kann, und dem sozialen Holismus, wonach Individuen diese Fähigkeit erst in Interaktion mit anderen Individuen entwickeln können.45 Bezogen auf die Frage nach der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke soll hier unter semantischer Autonomie die Frage nach der kleinsten sozialen Einheit verstanden werden, derer es bedarf, damit sprachliche Ausdrücke Bedeutung tragen können. Es geht um die Bedingung der Möglichkeit der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke. In dieser Systematik ist Humpty Dumpty’s Position in der zuletzt unterlegten Lesart als Antwort auf die Frage nach der semantischen Autorität als Individualismus einzuordnen. Dabei wurde die Position zu Gunsten eines Kollektivismus zurückgewiesen, weil sie sich unverträglich zeigte mit der Position, wonach es sich bei der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke um Konventionen innerhalb der Sprachgemeinschaft handelt, die sich in einem System übereinstimmender gegenseitiger Erwartungen herausbilden. Der Argumentation von Humpty Dumpty lässt sich aber nochmals eine abgeschwächte Lesart unterlegen, wonach es einem Sprecher möglich ist, einen sprachlichen Ausdruck in Abweichung von der konventionellen Bedeutung zu verwenden und etwas anderes damit zu meinen, als das, was nach der konventionellen Bedeutung erwartet wird. Die Position ist damit nicht die, dass der Sprecher über die Autorität verfügt, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks festzulegen, sondern die, dass der Sprecher die Autorität besitzt, einen sprachlichen Ausdruck vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichend zu verwenden. Tatsächlich spricht Humpty Dumpty ja auch nicht von der Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks „glory“, sondern davon, was er bei der Verwendung in seiner Äußerung damit gemeint hat – „,I don’t know what you mean by »glory«‘, Alice said. [. . .] I meant »there is a nice knock-down argu43 44 45

Liptow (2002), 134. Liptow (2002), 135. Liptow (2002), 135.

2. Selbstbindung

135

ment for you!«‘“ Zumindest bei der Frage der semantischen Autorität ist es wichtig zu unterscheiden, ob es darum geht, die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke im Sinne von in der sprachlichen Praxis impliziten Konventionen der Verwendungsweise sprachlicher Ausdrücke neu festzusetzen, oder darum, bei der Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks, dessen kommunikativen Gehalt in der Aussage der Äußerung zu bestimmen. Beide Fragen liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Während die erste Frage die Ebene der Sprache als System betrifft, liegt die zweite Frage auf der Ebene der Verwendung sprachlicher Mittel. „Bedeutung“ ist eine Einheit der Langue, während „kommunikativer Gehalt“ eine Einheit der Parole ist. Ein Sprecher verwendet sprachliche Ausdrücke in Äußerungen in der Absicht, den Adressaten zu veranlassen, die mit der Äußerung gemeinte Aussage zu erschließen. Kommunizieren ist nicht einfach der Prozess des Versendens von Gedanken bzw. des Versendens von Bauplänen von Gedanken, die vom Sprecher codiert, verschickt und vom Adressaten decodiert werden, wie es etwa eine repräsentationistische Bedeutungstheorie nahelegen könnte, die die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks in dem Gegenstand sieht, den der Ausdruck bezeichnet. Dadurch, dass man angibt, welcher lebensweltliche Gegenstand oder welche Menge von Gegenständen durch einen sprachlichen Ausdruck im Satz repräsentiert wird, bleibt die weitergehende Frage unbeantwortet, wie es ein Ausdruck schafft in der Sprache, im Denken für den bezeichneten Gegenstand zu stehen, auf ihn zu zeigen, sich auf ihn zu beziehen.46 Kommunizieren ist vielmehr ein inferenzieller Prozess.47 Kommunikative Interaktion zu erklären, heißt zu erklären, wie der Adressat so beeinflusst werden kann, dass er erkennt, was ihm der Sprecher zu verstehen geben will. Das Problem des Kommunizierens ist ein Problem der Beeinflussung.48 Was einem sprachlichen Ausdruck in einer Äußerung kommunikative Leistungsfähigkeit verleiht, ist die Regel seines Gebrauchs, d. h. die in der sprachlichen Praxis implizite Konvention seiner Verwendungsweise oder kurz: seine Bedeutung.49 Sprachliche Ausdrücke sind Kommunikationsmittel kraft ihrer Bedeutung. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zu kennen, heißt zu wissen, zur Erkenntnis welches kommunikativen Gehalts er unter welchen Bedingungen verwendet werden kann. Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks ist damit aber nicht der kommunikative Gehalt in einer Äußerung selbst. Der kommunikative Gehalt einer Äußerung, aus welcher Perspektive auch immer, ist das Ergebnis einer Interpretation des sprachlichen Ausdrucks auf Grundlage seiner Bedeutung.50 Dabei ist Bedeutung eines Zei46

Keller (1995), S. 71. Keller (1995), S. 12. 48 Keller (1995), S. 72. 49 Vgl. Keller (1995), S. 128; Wittgenstein (BB), S. 20: „Wenn wir jedoch irgend etwas, das das Leben des Zeichens ausmacht, benennen sollten, so würden wir sagen müssen, dass es sein Gebrauch ist.“ Ders. (PU), § 43: „[. . .] Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. [. . .].“ 50 Vgl. Keller (1995), S. 129. 47

136

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

chens das, was die Interpretation des Zeichens ermöglicht und die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks ist die Konvention seiner Verwendungsweise.51 Die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks darf daher nicht mit dessen kommunikativen Gehalt in einer Äußerung gleichgesetzt werden. Es ist unsinnig, von der Bedeutung einer Äußerung zu sprechen. Bedeutung kommt nur Sätzen und Wörtern, d. h. sprachlichen Ausdrücken zu. Äußerungen selbst haben nur einen kommunikativen Gehalt. Der Graben zwischen gemeinter Aussage und interpretierter Aussage einer Äußerung wird überbrückt durch die Interpretation der sprachlichen Ausdrücke der Äußerung durch den Adressaten. Mit der gemeinten Aussage ist es aber der Sprecher, der vorgibt, was der Adressat sich erschließen muss,52 so wie es auch der Sprecher ist, der mit der Äußerung das Mittel wählt, das er von seiner Seite dem Adressaten an die Hand gibt. Diese Rolle im Kommunikationsprozess gewährt dem Sprecher aber auch die Freiheit, einen sprachlichen Ausdruck in Abweichung von der konventionellen Bedeutung zu verwenden und etwas anderes damit zu meinen, als was nach der konventionellen Bedeutung erwartet wird. Die Freiheit des Sprechers ist die Freiheit, sich schlicht über die Bedeutung zu irren, einfach nur eine schlechte Wahl des Mittels zu treffen oder bewusst von der konventionellen Verwendungsweise abzuweichen, wie es Humpty Dumpty tut. Es ist möglich, in der konkreten Kommunikationsinteraktion von den Konventionen des Sprachsystems abzuweichen, ohne dass sich auf der Ebene des Sprachsystems erst eine modifizierte Konvention herausbilden muss. Die abweichende Verwendungsweise mag Nachahmer finden und so einen Impuls für einen Wandel der Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks in der Sprachgemeinschaft geben oder einmalig auf die konkrete Interaktionssituation beschränkt bleiben. Infolgedessen ist ein Individualismus als Position in der Frage nach der semantischen Autorität in dem Sinne zu bejahen, wie er in der schwachen Lesart der Argumentation von Humpty Dumpty vorliegt, wonach einem Sprecher die Autorität zukommt, einen sprachlichen Ausdruck in Abweichung von der konventionellen Bedeutung zu verwenden und etwas anderes damit zu meinen, als was nach der konventionellen Bedeutung erwartet wird. Tatsächlich setzt ein Mechanismus der Selbstbindung als Bindung nur an gewollte Aussagen einen Individualismus in diesem Sinne voraus. Denn anders als auf der Ebene des Sprachsystems, wo die Position des Individualismus einen Mechanismus der Anpassung (rule of accommodation) bedeutet, womit die Konstellation eliminiert würde, dass die gemachte Aussage von der vom Sprecher mit der Äußerung gemeinten Aussage abweicht, verhält es sich auf der Ebene der Verwendung sprachlicher 51 Keller (1995), S. 128. – Bei einem Symptom ist es beispielsweise die Kausalbeziehung, in der das Symptom als Wirkung zu seiner Ursache steht [vgl. Keller (1995), S. 120]. 52 Vgl. Keller (1995), S. 130.

2. Selbstbindung

137

Ausdrücke genau umgekehrt. Hier ermöglicht die Position des Individualismus überhaupt erst die Konstellation des Auseinanderfallens von gemeinter und gemachter Aussage, indem er dem Sprecher zugesteht, mit der gemeinten Aussage von der gemachten Aussage abzuweichen, also etwas anderes zu meinen als zu sagen. Nur so kann ein Sprecher mit „Håkjerringkjøtt“ Walfleisch meinen, obgleich er Haifischfleisch sagt, weil „Håkjerringkjøtt“ Haifischfleisch bedeutet. Würde dem Sprecher auch auf der Ebene der Verwendung sprachlicher Ausdrücke die semantische Autorität abgesprochen und ein Kollektivismus bejaht, könnte die vom Sprecher mit der Äußerung gemeinte Aussage niemals von der gemachten Aussage abweichen. Für Selbstbindung gäbe es in Abgrenzung zur objektivierten Fremdbindung keinen Raum. c) Selbstbindung und sprachliche Handlung Die Bedingung dafür, dass es sich bei den Festlegungen, die ein Sprecher aufgrund seiner Äußerung gegen sich gelten lassen muss, um einen Mechanismus der Selbstbindung handelt, war die, dass der Sprecher die Aussage auch tatsächlich gewollt hat.53 Die Festlegungsbuchführung des Adressaten ist also nur dann bestandskräftig, wenn die eingetragene, aus der Äußerung des Sprechers interpretierte Aussage der vom Sprecher mit der Äußerung gemeinten Aussage entspricht. Ein Sprecher, der eine Äußerung tätigt, vollzieht nun damit zugleich immer auch eine sprachliche Handlung. Es stellt sich daher die Frage, ob eine geglückte sprachliche Handlung immer auch zu bestandskräftigen Festlegungen führt, ob also die Bedingungen für eine geglückte sprachliche Handlung auch die Erfüllung der Bedingung der Selbstbindung sicher stellen. Der Sprechakttheorie von John Austin54 zufolge stellt eine sprachliche Äußerung als sprachliche Handlung den simultanen Vollzug eines lokutionären Aktes (Lokution) und eines illokutionären Aktes (Illokution) dar.55 Die Lokution setzt sich ihrerseits immer zusammen aus einem phonetischen und einem phatischen Akt sowie im Allgemeinen noch einem rhetischen Akt, wobei die Äußerung als phonetischer Akt einfach die Äußerung gewisser Geräusche, als phatischer Akt die Äußerung bestimmter sprachlicher Ausdrücke und als rhetischer Akt die Äußerung einer bestimmten Aussage ist, d. h. propositionalen Gehalts mit Referenz und Prädikation.56 Der illokutionäre Akt umfasst die kommunikative Funktion57 53

Dazu oben a). Austins Theorie liegt als posthume Veröffentlichung der Vorlesungsnotizen seiner 1955 an der Universität Havard gehaltenen William James Lectures vor. 55 Austin (1955), VIII., S. 98, (dt. 1994) S. 116. 56 Austin (1955), VII., S. 92 f., (dt. 1994) S. 110 f., VIII., S. 95, (dt. 1994) S. 112 f. 57 Austin selbst spricht von „illocutinary force“ [Austin (1955), VIII., S. 100]. In deutscher Sprechweise wird daher auch von „illokutionärer Rolle“ oder „illokutuionärer Kraft“ gesprochen. 54

138

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

eines sprachlichen Handlungsmuters, die die identitätsstiftende Charakteristik des Handlungsmusters ausmacht.58 Beispiele bei Austin für kommunikative Funktion sind insbesondere ,DAS JA-WORT GEBEN‘, ,TAUFEN‘, ,VERERBEN‘, ,WETTEN‘ an,59 aber auch ,WARNEN‘, ,ANSICHT VERTRETEN‘, ,AUFFORDERN‘, ,BEFEHLEN‘, ,BITTEN‘, ,VERSPRECHEN‘, ,VORSCHLAGEN‘, ,FRAGEN‘ als illokutionäre Akte.60 Schließlich kann mit einer Äußerung als Vollzug einer sprachlichen Handlung neben dem lokutionären und dem illokutionären Akt auch der simultane Vollzug eines perlokutionären Aktes (Perlokution) einhergehen.61 Der perlokutionären Akt bezieht sich nach Austin auf vom Sprecher beabsichtigte oder unbeabsichtigte Wirkungen einer sprachlichen Handlung bei dem Adressaten, die in der sprachlichen Praxis nicht konventionalisierter Teil der sprachlichen Handlung sind.62 Als perlokutionäre Akte nennt Austin beispielsweise ,ÜBERREDEN‘, ,ÜBERZEUGEN‘, ,ER63 SCHRECKEN‘, ,AUFREGEN‘, ,ÜBERRASCHEN‘. Die bei dem Vollzug einer sprachlichen Handlung mit der Illokution gegebene kommunikative Funktion der sprachlichen Handlung zeigt sich zunächst als Wirkung im Rahmen der sprachlichen Interaktion: Ist die sprachliche Handlung eingebettet in ein sozial institutionalisiertes Verfahren, bewirkt sie im Rahmen der jeweiligen sozialen Institution einen bestimmten Status oder die Begründung von Rechten und Pflichten.64 Dies gilt für Austins zu Beginn seiner Vorlesung gegebenen Beispiele von ,HEIRATEN‘, ,TAUFEN‘, ,VERERBEN‘, ,WETTEN‘ 65 sowie für alle rechtsgeschäftlichen Erklärungen. Solche gestaltenden Wirkungen kommen den sprachlichen Handlungen kraft der sozialen Konventionen oder gesetzlichen Normen der Institution zu. In anderen Fällen beschränkt sich die Wirkung darauf, den Adressaten zu einer Reaktion zu initiieren. So wird auf einen Gruß hin erwartet, den Gruß zu erwidern. Ein Lob fordert einen Dank. Eine Frage verlangt nach einer Antwort. Eine Reaktion zu initiieren, ist in Bezug auf die jeweilige sprachliche Handlung in der sprachlichen Praxis konventionalisiert.66 Allen sprachlichen Handlungen schließlich kommt die Wirkung zu, bestimmte Anschlusszüge als mögliche Reaktionen des Adressaten zu eröffnen oder zu versperren, so wie in einem Spiel ein Spielzug Anschlussmöglichkeiten der Mitspieler eröffnet oder versperrt.67 Bei einer Frage hat man beispielsweise die Möglichkeiten des Ant-

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

Austin (1955), VIII., S. 99 f., (dt. 1994) S. 117. Austin (1955), I., S. 5 f., (dt. 1994) S. 28 f. Austin (1955), VIII., S. 103 f., (dt. 1994) S. 120 f., IX., S. 117, (dt. 1994) S. 133. Austin (1955), VIII., S. 101, (dt. 1994) S. 118 f. Austin (1955), VIII., S. 103 f., (dt. 1994) S. 121. Austin (1955), IX., S. 118, (dt. 1994) S. 134 f., IX., S. 117, (dt. 1994) S. 133. Vgl. Austin (1955) IX., S. 117, (dt. 1994) S. 133. Austin (1955), I., S. 5 f., (dt. 1994) S. 28 f. Austin (1955) IX., S. 117, (dt. 1994) S. 133; Harras (2004), S. 134. Fritz (1994b), S. 187; ders. (1982), S. 229 f.

2. Selbstbindung

139

wortens oder des Gegenfragens.68 Ein Befehl eröffnet neben der Befolgung insbesondere auch die Möglichkeiten eine Begründung zu verlangen, Bedenken einzuwenden und natürlich die Möglichkeit den Befehl zu verweigern.69 Als Reaktion auf einen Vorwurf schließlich hat der Adressat etwa die Möglichkeit des Abstreitens, die Möglichkeit des Sich-rechtfertigens, die Möglichkeit des Sichverteidigens sowie die Möglichkeit des Sich-entschuldigens.70 Je nachdem, welchen Anschlusszug der Adressat wählt, ist die Vorwurfskommunikation zu Ende oder es schließt sich eine Diskussion über Rechtfertigungsgründe an, oder über die Geltung der verletzten Norm oder aber eine Beweiskommunikation darüber, ob der Adressat das vorgeworfene Verhalten tatsächlich gezeigt hat.71 Auch diese Verknüpfungen zwischen bestimmten sprachlichen Handlungen als AusgangsAnschluss- und Endzug in einer sprachlichen Interaktion sind in der sprachlichen Praxis konventionalisiert. Sie lassen sich als Sequenzmuster beschreiben.72 Bei den formellen Dialogmodellen hat sich die Vorgabe von Sequenzmustern als effektives Werkzeug zur Konstruktion der jeweiligen Modelle erwiesen. Im Dialogmodell des Zivilprozesses formuliert etwa die Regel (S1”) für die Aktion Behaupten ein Sequenzmuster, wonach auf die Aktion Behaupten mit den Aktionen Bestreiten, Zugestehen oder Gestehen als Anschlusshandlungen reagiert werden kann.73 Diese Technik entspricht der formalen Dialektik von Hamblin, in der Sequenzmuster durch sogenannte syntaktische Regeln festgelegt werden. So etwa die Regel (S3) des Grundmodells für das Sequenzmuster der Warum-Frage.74 In dem Konzept der dialogischen Logik von Lorenzen und Lorenz schließlich werden Sequenzmuster durch die Angriffs- und Verteidigungsregeln vorgegeben, die spezifisch als Definition des jeweiligen logischen Junktors formuliert werden.75 Die bei dem Vollzug einer sprachlichen Handlung mit der Illokution gegebene kommunikative Funktion der sprachlichen Handlung zeigt sich insbesondere aber auch in ihrer Wirkung, Festlegungen des Sprechers zu erzeugen. Dies betrifft zunächst die Aussage (propositionalen Gehalt) der sprachlichen Äußerung. Zwar geht nicht mit jeder sprachlichen Handlung eine Aussage einher, wie schon Austins Eingangsbeispiele vom ,HEIRATEN‘, ,TAUFEN‘ und ,VERERBEN‘76 und andere 68

Vgl. zur Frage-Antwort-Kommunikation: Bucher (1994), S. 243. Vgl. zur Befehl-Weigerung-Kommunikation: Fritz/Muckenhaupt (1984), Kap. 7, S. 68. 70 Vgl. zur Vorwurfskommunikation: Fritz (1975), S. 90 f.; Muckenhaupt (1978), S. 14 ff.; Fritz/Muckenhaupt (1984), Kap. 4, S. 43 ff. 71 Muckenhaupt (1978), S. 17. 72 Fritz (1982), Kap. 2.3; Fritz (1994b), S. 179, 182 f. 73 Dazu oben III. 1. e). 74 Dazu oben II. 2. b). 75 Dazu oben II. 1. b). 76 „Examples: (E. a) ,I do (sc. take this woman to be my lawful wedded wife)‘ – as uttered in the course of the marriage ceremony. (E. b) ,I name this ship the Queen Elizabeth‘ – as uttered when smashing the bottle against the stem. (E. c) ,I give and be69

140

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

Beispiele wie Grüßen und Beleidigen zeigen, doch soweit eine sprachliche Äußerung eine Aussage enthält, tritt diese immer im Gewand einer kommunikativen Funktion auf: „Once we realize that what we have to study is not the sentence but the issuing of an utterance in a speech situation, there can hardly be any longer a possibility of not seeing that stating is performing an act.“ 77

Nicht jede sprachliche Handlung enthält eine Aussage, aber jede Aussage ist eingebettet in eine sprachliche Handlung, deren kommunikative Funktion bestimmt, ob und mit welchem Grad der Bindung sich ein Sprecher auf die Aussage der sprachlichen Äußerung festlegt. So legt man sich mit einer Behauptung darauf fest, dass man den propositionalen Gehalt der Äußerung für wahr hält, während man sich etwa mit einer Ja-Nein-Frage auf den propositionalen Gehalt der Äußerung nur insoweit festlegt, als dass man ihn für möglich hält.78 Während in der Logik die Aussagen als freie Elemente behandelt werden, zeigt sich die Akzessorietät einer Aussage zu einer kommunikativen Funktion, sobald die Dimensionen der sprachlichen Interaktion – Sprechakteur und zeitlicher Verlauf – mit in den Blick genommen werden. Erst im Gewand einer kommunikativen Funktion, die Art und Weise der Bindung des Sprechers an die Aussage bestimmt, kann die Aussage dem Sprecher anhaften, in der Zeit Bestand haben79 und zu einer Festlegung werden. Unabhängig von dem propositionalen Gehalt der Äußerung gehen mit bestimmten kommunikativen Funktionen immer auch bestimmte Festlegungen einher. So implikatiert etwa das Stellen einer Frage die Festlegungen, (i) dass er die Antwort nicht kennt, (ii) dass er die Antwort wissen möchte und (iii) dass er es für möglich hält, dass B die Antwort kennt.80 Ein weiteres, in der Literatur gut erarbeitetes Beispiel, ist die Vorwurfskommunikation. Jemand, der dem Adressaten (A) vorwirft, ge-x-t zu haben, legt sich insbesondere darauf fest, (i) dass A ge-x-t hat, (ii) dass A nicht hätte x-en müssen und (iii) dass A hätte nicht x-en dürfen.81 Am Beispiel des Vorwurfs lässt sich zeigen, wie die Verknüpfung der sprachlichen Handlungen untereinander als Ausgangs- und Anschlusshandlung

queath my watch to my brother‘ – as occurring in a will. [. . .] In these examples it seems clear that to utter the sentence [. . .] is not to describe my doing of what I should be said in so uttering to be doing or to state that I am doing it: it is to do it.“ [Austin (1955), I., S. 5 f., (dt. 1994), S. 28 f.] 77 Austin (1955), XI., S. 139; vgl. ders. (dt. 1994) S. 158. 78 Schon Gottlob Frege hatte angemerkt, dass es möglich ist, einen Gedanken auszudrücken, ohne ihn als wahr hinzustellen [vgl. Frege (1918), S. 35; ders. (1879), S. 2; ders. (1891), S. 32]. Dazu oben I. Fn. 8. 79 Zur Bestandseigenschaft von Aussagen schon oben I. 3. c). 80 Dazu oben III. 2. c). 81 Fritz (1975), S. 84; Muckenhaupt (1978), S. 19 f.; Fritz/Muckenhaupt (1984), Kap. 4, S. 45 f.

2. Selbstbindung

141

auf Festlegungen beruhen kann.82 Die Festlegungen ermöglichen die Anschlusszüge überhaupt erst, weil diese darauf gerichtet sind, die jeweilige Festlegung zu bestreiten oder anzuerkennen. So bestreitet die Sprecher-Festlegung (i), wer abstreitet, ge-x-t zu haben. An die Sprecher-Festlegung (iii) knüpft an, wer die Geltung der Verbotsnorm bestreitet. Wer einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund anführt, bestreitet die Sprecher-Festlegung (ii), gesteht aber die Sprecher-Festlegungen (i) und (iii) zu. Mit einer Entschuldigung als Reaktion schließlich übernimmt der Adressat die Sprecher-Festlegung (i) als Geständnis und die Sprecher-Festlegungen (ii) und (iii) als Zugeständnisse. Vor dem Hintergrund dieser Anatomie der Festlegungen innerhalb des Vorwurf-Sequenzmusters wird auch deutlich, wieso nur bestimmte Anschlusshandlungen in bestimmter Reihenfolge miteinander verträglich sind. Wer sich rechtfertigt oder entschuldigt, wird die Tat nicht mehr abstreiten können.83 Auch bei den formellen Dialogmodellen schlägt die Unterscheidung verschiedener Arten von Festlegungen je nach Grad der Bindungswirkung auf den Möglichkeitsraum der Anschlusszüge durch. Im Dialogmodell des Zivilprozesses wird mit den Buchführungsregeln (F1) und (F5) die Unterscheidung zwischen Festlegung und Geständnis als Arten von Bindungen eingeführt. In Bezug auf einen späteren Widerruf eröffnen dann Handlungsmuster, mit denen man Festlegungen eingeht (z. B. BEHAUPTEN (H1) ), die Möglichkeit des einfachen Widerrufs nach dem Handlungsmuster (H2), während ein ,GESTÄNDNIS‘ (H5) genau diese Art des Widerrufs versperrt und einen qualifizierten Widerruf nach dem Handlungsmuster (H6) erfordert.84 Hamblin ergänzt sein dialektisches Grundsystem, um die Unterscheidung zwischen Festlegungen im engeren Sinne und bloßen Zugeständnissen, um die Möglichkeit der WarumFrage zu beschränken. Die Warum-Frage in Bezug auf eine Festlegung des anderen ist nach Regel (E4) nur dann zulässig, wenn man nicht zuvor selbst schon durch eine Behauptung dieselbe Festlegung erlangt hat.85 Eine klare Unterscheidung zwischen illokutionärem und perlokutionärem Akt hat Austin Schwierigkeiten bereitet und wird auch heute noch in der Literatur nicht einheitlich vorgenommen. In der praktischen Semantik etwa geht Heringer davon aus, dass es sich immer dann um ein illokutionäres Muster handelt, wenn das Handlungsmuster durch einen propositionalen Gehalt spezifiziert werden kann. Anderenfalls soll es sich um ein perlokutionäres Handlungsmuster handeln.86 Vielfach wird auch angenommen, dass der illokutionäre Akt die Sprecherintention der sprachlichen Äußerung beschreibt, während der perlokutionäre 82 Vgl. Muckenhaupt (1978), S. 21 ff.; Fritz/Muckenhaupt (1984), Kap. 4, S. 46; Fritz (1994b), S. 182 f. 83 Vgl. Fritz (1975), S. 98 f.; Muckenhaupt (1978), S. 26 ff.; Fritz/Muckenhaupt (1984), Kap. 4, S. 46. 84 Dazu oben III. 1. e). 85 Dazu oben II. 2. b). 86 Heringer (1974), S. 147.

142

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

Akt die kausalen Wirkungen erfasst.87 Tatsächlich wird die Unterscheidung zwischen illokutionärem und perlokutionärem Akt durch die Beschreibung der Zusammenhänge aufgehoben, die die Möglichkeit explizieren, mehrere sprachliche Handlungen durch eine konkrete sprachliche Äußerung gleichzeitig zu vollziehen. Beschrieben werden diese Zusammenhänge durch die Angabe von IndemZusammenhängen zwischen den sprachlichen Handlungsmustern.88 Ein IndemZusammenhang beschreibt entweder einen Familienzusammenhang zwischen dem übergeordneten Handlungsmuster und den untergeordneten Handlungsmustern als Glieder der Familie oder die Zusammensetzung eines übergeordneten Handlungsmusters aus untergeordneten Handlungsmustern. Im Dialogmodell des Zivilprozesses stehen beispielsweise die übergeordneten Handlungsmuster ,BESTREITEN‘ (H3) und ,BEWEIS ANTRETEN‘ (H9) jeweils in Familienzusammenhängen, während etwa ,GESTÄNDNIS WIDERRUFEN‘ (H6) und ,BEWEISVERLAGERN DURCH ANSCHEINS- BZW. INDIZIENBEWEIS‘ (H8) Beispiele für zusammengesetzte Handlungsmuster sind.89 Perlokutionäre Akte können als übergeordnete Handlungsmuster in Indem-Zusammenhängen eingebunden werden. Erachtet man ,ÜBERREDEN‘ und ,SCHMEICHELN‘ als perlokutionäre Akte,90 so ist ein Beispiel: Jemanden überreden, die Bordverpflegung zu übernehmen, indem man ihm schmeichelt, der beste Koch an Bord zu sein, indem man behauptet, er sei der beste Koch an Bord, indem man äußert: „Du bist der beste Koch von uns allen.“ 91 Zwar treten Handlungsmuster perlokutionärer Akte niemals als untergeordnete Handlungsmuster von illokutionären Handlungsmustern auf,92 jedoch gilt dies auch für das Verhältnis illokutionärer Handlungsmuster untereinander,93 so dass auch darin kein hinreichendes Unterscheidungskriterium liegt. In den formellen Dialogmodellen bedarf es keiner Unterscheidung zwischen verschiedenen Arten von Wirkungen einer Aktion. Die Wirkungen einer Aktion werden für den Sprecher und den Adressaten durch die Buchführungsregeln und syntaktischen Regeln festgesetzt und konstituieren so die Aktion. In Bezug auf die Alltagssprache gibt es dagegen die Intuition, dass Verben wie beispielsweise „überreden“, „angeben“, „schmeicheln“, „erschrecken“ usw. sprachliche Handlungen anders benennen als Verben wie beispielsweise „taufen“, „schwören“, „versprechen“ „befehlen“, behaupten“, „fragen“, und auch „begründen“, „dro87

Harras (2004), S. 132: mit weiteren Nachweisen. Dazu oben III. 2. b). 89 Dazu oben III. 2. b) u. III. 1. e). 90 Austin (1955), VIII., S. 103 f., (dt. 1994), S. 121, IX., S. 109 u. 118, (dt. 1994) S. 126 u. 134. 91 In der symbolischen Schreibweise der formalen Handlungstheorie: x a {ÜBR(p) ! SCHM(q) ! BEH(q) ! ÄUS(S)}. 92 Heringer (1974), S. 147; vgl. Harras (2004), S. 199. 93 Zum Beispiel kann jemand einem anderen vorwerfen, ge-x-t zu haben, indem er behauptet, dass der andere ge-x-t hat, aber nicht umgekehrt. Also: VOR(p) ! BEH(p); aber nicht: *BEH(p) ! VOR(p). 88

2. Selbstbindung

143

hen“ usw. dies tun. Kern der Abgrenzung bei Austin ist die Idee, dass Wirkungen, auf die sich der perlokutionäre Akt bezieht, im Gegensatz zu den die kommunikative Funktion ausmachenden Wirkungen des illokutionären Aktes nicht Bestandteil der Konvention eines sprachlichen Handlungsmusters sind: „Illocutionary acts are conventional acts; perlocutionary acts are not conventional.“ 94 Dabei vermutet Austin einen Zusammenhang zwischen den Wirkungen des illokutionären Aktes als konventionelle Bedingungen des sprachlichen Handlungsmusters und der Möglichkeit der Realisierung des Handlungsmusters in Form einer explizit performativen Äußerung, also einer Äußerung, bei der das die sprachliche Handlung bezeichnende Verb selbst verwendet wird.95 Die stärkste Unterscheidung96 formuliert Austin dann allerdings damit, dass er das Erfassen der die kommunikative Funktion ausmachenden Wirkungen des illokutionären Aktes seitens des Adressaten zur Bedingung des Glückens einer sprachlichen Handlung macht: „Further, we may entirely clear up whether someone was arguing or not without touching on the question whether he was convincing anyone or not.“ 97 „Unless a certain effect is achieved, the illocutionary act will not have been happily, successfully performed. [. . .] Generally the effect amounts to bringing about the understanding of the meaning and of the force of the locution. So the performance of an illocutionary involves the securing of uptake.“ 98

Damit umfasst der illokutionäre Akt die die kommunikative Funktion ausmachenden Wirkungen, die ein Adressat erfassen muss, damit die sprachliche Handlung nach dem durch den illokutionären Akt beschriebenen Handlungsmuster glückt, während der perlokutionäre Akt Wirkungen beschreibt, die unabhängig davon, ob der Adressat sie erfasst, lediglich eintreten müssen, damit die sprachliche Handlung nach dem durch den perlokutionären Akt beschriebenen Handlungsmuster vollzogen wird. Perlokutionäre Verben benennen ein Handlungs94

Austin (1955), X., S. 121; vgl. ders. (dt. 1994), S. 137. „Speaking of the ,use of »language« for arguing or warning‘ looks just like speaking of ,the use of »language« for persuading, rousing, alarming‘: yet the former may, for rough contrast, be said to be conventional, in the sense that at least it could be made explicit by the performative formula; but the latter could not. Thus we can say ,I argue that‘ or ,I warn you that‘ but we cannot say ,I convince you that‘ or ,I alarm you that‘.“ [Austin (1955), VIII., S. 103 f.; vgl. ders. (dt. 1994), S. 121.] 96 Austin führt eine Unterscheidung anhand der Formeln „Indem ich x gesagt habe, habe ich y getan“ (engl.: „In saying x I was doing y.“) für illokutionäre Akte und „Dadurch, dass ich x gesagt habe, habe ich y getan“ (engl.: „By saying x, I was doing y.“) für perlokutionäre Akte ein [Austin (1955) VIII., S. 107, (dt. 1994) S. 124], gibt diese dann an späterer Stelle aber wieder auf: „,In saying I would shoot him I was threatening him‘. ,By Saying I would shoot him I alarmed him‘. Will these linguistic formulas provide us with a test for distinguishing illocutionary from perlocutionary acts? They will not.“ [Austin (1955) X., S. 122 f.; vgl. ders., (dt. 1994) S. 138.] 97 Austin (1955), VIII., S. 104; vgl. ders. (dt. 1994), S. 121. 98 Austin (1955), XI., S. 116 f.; vgl. ders. (dt. 1994), S. 133. 95

144

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

muster folglich entsprechend einer Wirkung, die nicht vom Adressaten erfasst werden muss, damit überhaupt eine sprachliche Handlung vollzogen wird. So erklärt sich auch, warum perlokutionäre Handlungsmuster in Indem-Zusammenhängen immer nur als übergeordnete Handlungsmuster zu untergeordneten illokutionären Handlungsmustern auftreten können. Die Beschreibung der mit einer sprachlichen Äußerung vollzogenen sprachlichen Handlung allein mit der perlokutionären Wirkung wird als unvollständig empfunden. Dass ein Adressat die die kommunikative Funktion ausmachenden Wirkungen des illokutionären Aktes erfassen muss, damit die sprachliche Handlung nach dem durch den illokutionären Akt beschriebenen Handlungsmuster glückt, heißt nichts anderes, als dass diese die kommunikative Funktion ausmachenden Wirkungen konstitutive Bedingungen für den Vollzug einer sprachlichen Handlung nach dem eben durch diese Wirkungen identifizierten Handlungsmuster ist. In Bezug auf die Frage, ob eine geglückte sprachliche Handlung immer auch die Erfüllung der Bedingung der Selbstbindung sicher stellt, ergibt sich damit eine erste Antwort: Da, soweit eine sprachliche Äußerung eine Aussage enthält, diese Aussage immer im Gewand einer kommunikativen Funktion auftritt, ist die Aussage als Bezugsobjekt der die kommunikative Funktion ausmachenden Wirkungen des illokutionären Aktes konstitutiver Teil dessen, was der Adressat erfassen muss, damit die spezifische sprachliche Handlung glückt. Im Anschluss an Austins Idee des illokutionären Aktes als konventionalisiertem Bestandteil sprachlicher Handlungsmuster hat es John Searle unternommen, ein System konstitutiver Bedingungen für den Vollzug sprachlicher Handlungen zu beschreiben. In seinem Grundmodell99 übernimmt Searle von Austin die Aufteilung des durch eine sprachliche Äußerung getätigten Vollzugs einer sprachlichen Handlung in den simultanen Vollzug verschiedener Akte mit dem einzigen Unterschied, dass er den rhetischen Akt aus dem lokutionären Akt herauslöst und eigenständig als propositionalen Akt behandelt.100 Searle gibt sowohl Bedingungen für den Vollzug des propositionalen Aktes an, wobei er hier nochmals zwischen Referenz und Prädikation als eigene Akte trennt, als auch Bedingungen für den Vollzug des illokutionären Aktes. Damit trägt er dem Umstand Rechnung, dass eine Aussage immer im Gewand einer kommunikativen Funktion auftritt, und kann die Einbettung der Aussage in eine sprachliche Handlung als Bedingung für eine Aussage formulieren.101 Die Bedingungen für den Vollzug einer sprachlichen Handlung gibt Searle auch in Form von Verwendungsregeln für 99 In einer späteren Arbeit verfeinert Searle sein Grundmodell ohne es zu revidieren. Vgl. Searle/Vanderveken (1985), S. 13 ff. Für die zu klärende Frage des Verhältnisses der Bedingung der Selbstbindung zu den Bedingungen für das Glücken eines Sprechaktes, kann man sich daher auf das Grundmodell beschränken. 100 Searle (1969), S. 38 ff. 101 Vgl. jeweils die 3. Bedingung, die Searle für die Akte Referenz und Prädikation angibt [Searle (1969), S. 147 u. 193].

2. Selbstbindung

145

sprachliche Ausdrücke an. Die Regeln des illokutionären Aktes betreffen dann sprachliche Ausdrücke, die als illokutionäre Indikatoren das jeweilige Handlungsmuster identifizieren – insbesondere also die das jeweilige sprachliche Handlungsmuster benennenden performativen Verben. Weiter betreffen die Regeln der Referenz bzw. Prädikation dann sprachliche Ausdrücke, die in referenzierender bzw. prädizierender Position einer sprachlichen Äußerung auftreten. Im Rahmen der beispielhaften Analyse des sprachlichen Handlungsmusters ,VERSPRECHEN‘ entwickelt Searle eine allgemeingültige Unterscheidung verschiedener Aspekte, hinsichtlich derer Bedingungen des illokutionären Aktes anzugeben sind, um die notwendige und hinreichende Bedingung für den erfolgreichen Vollzug des illokutionären Aktes zu formulieren.102 Neben einer Reihe von allgemeinen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit mit einer sprachlichen Äußerung überhaupt ein illokutionärer Akt vollzogen wird, gibt Searle vier Typen von Bedingungen an, die spezifisch für den jeweiligen illokutionären Akt sind und dessen Identität charakterisieren. Searle unterscheidet zwischen so genannten Einleitungsbedingungen (preparatory conditions),103 der Aufrichtigkeitsbedingungen (sincerity conditions),104 der wesentlichen Bedingungen (essential conditions)105 und der Bedingungen des propositionalen Gehalts (propositional content conditions).106 Während die Einleitungsbedingungen und die Aufrichtigkeitsbedingung Randbedingungen betreffen, umschreibt die wesentliche Bedingung die identitätsstiftende kommunikative Funktion des jeweiligen sprachlichen Handlungsmusters. Die Bedingung des propositionalen Gehalts beschreibt die Kompatibilität von Aussage und kommunikativer Funktion. In Bezug auf die Aussage einer sprachlichen Äußerung eines Sprechers, sind damit die Bedingung des propositionalen Gehalts und die wesentliche Bedingung von Relevanz, da sie den illokutionären Akt als Gewand für eine Aussage betreffen. Als Verwendungs-

102

Searle (1969), S. 84 u. 99. In der beispielhaften Analyse des Musters ,Versprechen‘ handelt es sich um die 4. und 5. Bedingung: „4. H sähe lieber S’ Ausführung von A als die Unterlassung von A, und S glaubt, H sähe lieber seine Ausführung von A als die Unterlassung von A.“ [Searle (1969), S. 89] „5. Es ist sowohl für S als auch für H nicht offensichtlich, dass S bei normalem Verlauf der Ereignisse A ausführen wird.“ [Searle (1969), S. 91] 104 In der beispielhaften Analyse des Musters ,Versprechen‘ handelt es sich um die 6. Bedingung: „6. S beabsichtigt, A zu tun.“ [Searle (1969), S. 92] 105 In der beispielhaften Analyse des Musters ,Versprechen‘ handelt es sich um die 7. Bedingung: „7. Es liegt in der Absicht von S, sich mit der Äußerung von T zur Ausführung von A zu verpflichten.“ [Searle (1969), S. 93] 106 In der beispielhaften Analyse des Musters ,Versprechen‘ handelt es sich um die 2. und 3. Bedingung: „2. In der Äußerung von T drückt S die Proposition aus, dass p.“ [Searle (1969), S. 88] „3. Indem S ausdrückt, dass p, sagt S einen zukünftigen Akt A von S aus.“ [Searle (1969), S. 89] 103

146

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

regeln für illokutionäre Indikatoren gibt Searle beispielsweise für das sprachliche Handlungsmuster ,Behaupten‘ folgende Regel des propositionalen Gehalts (i) und als wesentliche Regel (ii) an:107 (i) „Jede Proposition p.“ (ii) „Gilt als eine Versicherung des Inhalts, dass p eine wirkliche Sachlage darstellt.“

Für das sprachliche Handlungsmuster ,Auffordern‘ lauten die Regeln:108 (i) „Zukünftige Handlung A von H.“ (ii) „Gilt als ein Versuch, H dazu zu bringen, A zu tun.“

Als eine generelle Bedingung für den Vollzug einer sprachlichen Handlung, übergreifend sowohl als Bedingung des illokutionären Aktes als auch der Referenz und der Prädikation als Akte des propositionalen Aktes, formuliert Searle auch eine Bedingung für das Vorliegen eines kommunikativen Aktes überhaupt. Dabei übernimmt Searle mit einer eigenen Ergänzung die von Grice geleistete Explikation der Intentionen des Sprechers, die eine sprachliche Äußerung zu einem kommunikativen Akt machen. Mit der Bedingung für einen kommunikativen Akt trägt Searle dem Umstand Rechnung, dass Kommunizieren ein inferenzieller Prozess ist, bei dem es darum geht, den Adressaten so zu beeinflussen, dass dieser erkennt, was ihm der Sprecher zu verstehen geben will.109 Der Sprecher muss mit der sprachlichen Äußerung tatsächlich etwas gemeint haben, und als solche muss sie vom Adressaten dann auch erkannt werden. Die sprachliche Äußerung darf dem Adressaten nicht lediglich als Symptom dienen, d. h. als Wirkung einer Ursache den Schluss auf diese Ursache ermöglichen, so wie man etwa von roten Flecken am Körper auf eine Masernerkrankung schließen kann.110 Ebenso wenig darf sie lediglich als Indiz dienen, wonach von einem Sachverhalt aufgrund des regelmäßigen Verlaufs der Dinge auf einen anderen Sachverhalt geschlossen werden kann, so wie aus der Verabschiedung eines bestimmten Haushaltsplans auf ein hartes Jahr (für bestimmte Gruppen) geschlossen werden kann.111 Der Fokus des Adressaten muss sich auf etwas richten, was er dem Sprecher als Urheber zurechnen will. Der Adressat muss die sprachliche Äußerung als die Verwendung von Symbolen erkennen, d. h. als Verwendung von arbiträren Zeichen, die allein deshalb Zeichen sind, weil sie ein Sprecher mit der Intention verwendet, einem Adressaten etwas zu verstehen zu geben.112

107 108 109 110 111 112

Searle (1969), S. 100. Searle (1969), S. 100. Searle (1969), S. 69; dazu oben b). Keller (1995), S. 120; Grice (1957), S. 213, (dt. 1979a), S. 2. Keller (1995), S. 122; Grice (1957), S. 213, (dt. 1979a), S. 2. Vgl. Keller (1995), S. 128.

2. Selbstbindung

147

Die Bedingung für einen kommunikativen Akt mit dem jemand etwas meint, hat Paul Grice in seinem Aufsatz „Meaning“ aus dem Jahre 1957 formuliert. Ausgehend von dem Gebrauch des sprachlichen Ausdrucks „to mean“ in Zusammenhang mit Symptomen bzw. Indizien einerseits und im Zusammenhang mit Symbolen andererseits unterscheidet er zwischen zwei Arten von Bedeutung, nämlich der so genannten natürlichen Bedeutung (natural sense) und der nichtnatürlichen Bedeutung (nonnatural sense),113 wobei die nicht-natürliche Bedeutung einer Äußerung Grice zufolge immer darin liegt, was jemand mit der Äußerung meint: „A first shot would be to suggest that ,x meantNN something‘ would be true if x was intended by its utterer to induce a belief in some ,audience‘ and that to say what the belief was would be to say what x meantNN.“ 114

Als Bedingung dafür, dass jemand mit einer Äußerung etwas meint, gibt Grice drei aufeinander bezogene Intentionen des Sprechers an: Erstens die Absicht (1), bei dem Adressaten eine bestimmte Wirkung z. B. eine Überzeugung hervorzurufen.115 Zweitens die Absicht (2), dass der Adressat die Absicht (1) des Sprechers, eine bestimmte Wirkung hervorzurufen, erkennt.116 Und drittens die Absicht (3), dass die Wirkung gerade dadurch hervorgebracht wird, dass die Absicht (2) erfüllt wird, also die Absicht (1) erkannt wird.117 Während Absicht (1) das eigentliche kommunikative Ziel bestimmt, grenzt Absicht (2) und (3) Symptom basierte Wirkungen aus, bei der die Rolle des Sprechers, einen kommunikativen Gehalt übermitteln zu wollen, irrelevant ist.118 Diese aufeinander bezogenen Absichten fasst Grice dann zu einer Bedingung zusammen bzw. expliziert sie in späteren Aufsätzen als notwendige und hinreichende Bedingung dafür, dass ein Sprecher mit einer Äußerung etwas meint: „,A meantNN something by x‘ is (roughly) equivalent to ,A intended the utterance of x to produce some effect in an audience by means of recognition of this intention.“ 119 „,U meant something by uttering x‘ is true iff, for some audience A, U uttered x intending: (1) A to produce a particular response r (2) A to think (recognize) that U intends (1) (3) A to fulfil (1) on the basis of his fulfilment of (2).“ 120 113

Grice (1957), S. 214, (dt. 1979a), S. 3 f. Grice (1957), S. 217; vgl. ders. (dt. 1957), S. 7; dazu auch: Grice (1957), S. 215 u. 220, (dt. 1979a), S. 4 u. 11. 115 Grice (1957), S. 217, (dt. 1979a), S. 7. 116 Grice (1957), S. 217, (dt. 1979a), S. 7. 117 Grice (1957), S. 219, (dt. 1979a), S. 9. 118 Grice (1957), S. 218, (dt. 1979a), S. 8. 119 Grice (1957), S. 220; vgl. ders. (dt. 1979a), S. 11. 120 Grice (1969), S. 92, (dt. 1979b), S. 20. 114

148

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

Als allgemeines Modell der Grundbedingungen eines kommunikativen Aktes gilt das Modell für den Vollzug jeder Art von sprachlicher Handlung. Je nach sprachlichem Handlungsmuster variiert dann aber die hervorzubringende Wirkung, auf die sich die Absicht (1) des Sprechers richtet. So liegt für das Handlungsmuster ,BEHAUPTEN‘ die vom Sprecher hervorzurufen beabsichtigte Wirkung darin, dass der Adressat glaubt, dass der Sprecher einen bestimmten Sachverhalt für gegeben hält.121 Für das Handlungsmuster ,AUFFORDERN‘ kann die beabsichtigte Wirkung darin liegen, dass der Adressat beabsichtigt, das zu tun, wozu er aufgefordert wurde.122 In der Literatur ist das Grice’sche Grundmodell verschiedentlich in Bezug auf die Sprecherintentionen als unvollständig kritisiert worden.123 Dessen ungeachtet ist das Grundmodell als Formulierung von notwendigen Bedingungen für einen kommunikativen Akt immer noch maßgeblich.124 Grice zufolge erfasst das Modell allein die Sprecherintentionen in Bezug auf das, was Grice im Zusammenhang mit seiner Theorie der Implikaturen als „Gesagtes“ bezeichnet.125 Die implikatierten semantischen Gehalte sind noch nicht berücksichtigt. Im Fall einer konversationellen Implikatur kämen daher weitere Intentionen dazu, wie etwa die Intention, dass der Adressat erkennt, dass der Sprecher will, dass der Adressat die Verletzung des Kommunikationsprinzips erkennt.126 Entsprechend der Unterscheidung von Searle bei dem Vollzug einer sprachlichen Handlung in den Vollzug eines illokutionären Aktes sowie den Vollzug einer Referenz und Prädikation als Akte des propositionalen Aktes, spezifiziert Searle den Gegenstand der Absicht (1), also die durch die sprachliche Äußerung beim Adressaten hervorzurufen beabsichtigte Wirkung. So ist für den illokutionären Akt als beabsichtigte Wirkung die von der wesentlichen Bedingung umschriebene identitätsstiftende kommunikative Funktion des jeweiligen sprachlichen Handlungsmusters anzugeben.127 Hinsichtlich der Referenz liegt die mit den Ausdrücken der sprachlichen Äußerung in referierender Position beabsichtigte Wirkung darin, dass die entsprechenden Gegenstände der Aussage identifiziert werden.128 In Bezug auf die Prädikation schließlich ist die mit den Ausdrücken der sprachlichen Äußerung in prädizierender Position beabsichtigte Wir121

Grice (1968), S. 123, (dt. 1979c), S. 92. Grice (1968), S. 123, (dt. 1979c), S. 92. 123 Eine Erwiderung von Grice auf die Kritik von J. O. Urmson, D. W. Stampe, P. F. Strawson, F. Schiffer findet sich in: Grice (1969), S. 93 ff., (dt. 1979b), S. 22 ff. Dazu auch: Harras (2004), S. 167 ff. 124 Vgl. Harras (2004), S. 155, 165 u. 177. 125 Grice (1969), S. 86; zur Terminologie oben a) und III. 2. c). 126 Vgl. Grice (1975), S. 30 f.; vgl. oben III. 2. c). 127 Vgl. die 8. Bedingung in der beispielhaften Analyse des Musters ,Versprechen‘: „S beabsichtigt (I-1), bei H die Erkenntnis (K) zu bewirken, dass die Äußerung von T als S’ Übernahme der Verpflichtung zur Ausführung von A anzusehen ist. [. . .].“ [Searle (1969), S. 93] 122

2. Selbstbindung

149

kung darin zu sehen, dass die entsprechenden Eigenschaften oder Relationen über die identifizierten Gegenstände ausgesagt werden.129 Damit wird deutlich, dass der Gegenstand der Absicht (1), d. h. die Wirkung, die der Sprecher hervorzurufen beabsichtigt, nichts anderes ist als die gemeinte Aussage im Gewand der kommunikativen Funktion. Darüber hinaus ergänzt Searle die Grice’sche Bedingung für einen kommunikativen Akt um eine weitere Absicht (4) des Sprechers, die die Art und Weise des Erkennens der Absicht (1), die bestimmte Wirkung beim Adressaten hervorzurufen, betrifft. Nach Searle muss der Sprecher die Absicht (4) haben, dass dieses Erkennen der Absicht (1) auf den Konventionen der Verwendungsweise der sprachlichen Ausdrücke einer Sprache beruht. Der Umstand, dass die sprachliche Äußerung und die hervorzurufen beabsichtigte Wirkung als das, was der Sprecher mit der Äußerung meint, kraft der konventionellen Bedeutung der verwendeten sprachlichen Ausdrücke miteinander verknüpft sind, soll nach der Absicht (4) des Sprechers, der Grund für das Erkennen der Absicht (1) sein und so jene Wirkung hervorrufen. „Ein Sprecher, der mittels der aufrichtigen Äußerung eines Satzes einen illokutionären Akt vollzieht, hat die Absicht, beim Zuhörer eine bestimmte Wirkung dadurch zu erzeugen, dass er ihn dazu bringt zu erkennen, dass er jene Wirkung hervorzurufen beabsichtigt; und wenn er die Wörter aufrichtig verwendet, intendiert er darüber hinaus, dass das Erkennen seiner Absicht aufgrund der Tatsache geschieht, dass die Regeln für den Gebrauch der von ihm geäußerten Ausdrücke den Ausdruck mit der Hervorbringung jener Wirkung verknüpfen.“ 130

Da der Gegenstand der Absicht (1), d. h. die Wirkung, die der Sprecher hervorzurufen beabsichtigt, nichts anderes ist als die gemeinte Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion, bedeutet die Ergänzung der Bedingung des kommunikativen Aktes, dass Searle für den Vollzug einer sprachlichen Handlung fordert, dass die mit der sprachlichen Äußerung aus der subjektiven Perspektive des Sprechers gemeinte Aussage der gemachten Aussage entspricht, die sich intersubjektiv aus der in der sprachlichen Praxis normierten Bedeutung der verwendeten sprachlichen Ausdrücke ergibt. Die Grice’sche Bedingung dafür, dass jemand etwas mit einer sprachlichen Äußerung meint, formuliert Searle um in eine Bedingung dafür, dass jemand mit einer sprachlichen Äußerung das meint, was er mit ihr sagt.

128 Vgl. die 5. Bedingung der Referenz: „Es liegt in S’ Absicht, dass die Äußerung von R X für H identifiziert oder herausgreift.“ [Searle (1969), S. 147] 129 Vgl. die 6. Bedingung der Prädikation: „S beabsichtigt, mittels der Äußerung von T die Frage des Zutreffens oder Nichtzutreffens von P auf X zur Sprache zu bringen ( in einer bestimmten illokutionären Form, die durch den in dem Satz enthaltenen Indikator der illokutionären Rolle angezeigt wird).“ [Searle (1969), S. 194] 130 Searle (1969), S. 72 (Hervorhebung durch den Autor).

150

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

„S äußert den Satz T und meint ihn (d. h. meint aufrichtig, was er sagt) = S äußert T und (a) Es ist S’ Intention (I-1), mit der Äußerung U von T bei H die Erkenntnis [. . .] zu bewirken, dass bestimmte Sachlagen bestehen, die durch bestimmte für R geltende Regeln spezifiziert sind. (Diesen Effekt nennen wir den illokutionären Effekt IE.) (b) Es ist S’ Intention, dass U IE mittels des Erkennens von I-1 bewirkt. (c) Es ist S’ Intention, dass I-1 vermöge (mittels) Hs Kenntnis der (die Elemente von) T bestimmenden Regeln erkannt wird.“ 131

Tatsächlich geht allerdings auch Grice davon aus, dass der Sprecher die sprachlichen Ausdrücke entsprechend ihrer Bedeutung, d. h. ihrer konventionalisierten Verwendungsweise, gebraucht und mit einer sprachlichen Äußerung das zu übermitteln beabsichtigt, was mit der sprachlichen Äußerung normalerweise übermittelt wird.132 Es stellt sich jedoch die Frage, ob es für den Vollzug einer sprachlichen Handlung als kommunikativen Akt wirklich darauf ankommt, dass die sprachlichen Ausdrücke des geäußerten Satzes entsprechend ihrer in der sprachlichen Praxis konventionalisierten Verwendungsweise gebraucht werden. In Bezug auf die Frage, ob eine geglückte sprachliche Handlung immer auch die Erfüllung der Bedingung der Selbstbindung sicher stellt, kommt der Bedingung für einen kommunikativen Akt eine Schlüsselstellung zu. Denn mit ihr als Bedingung für den Vollzug einer sprachlichen Handlung lässt sich die Bedingung der Selbstbindung in Bezug auf sprachliches Handeln formulieren. Der Adressat versteht, was der Sprecher ihm zu verstehen geben will, wenn der Adressat die Absicht des Sprechers erkennt, dass der Sprecher ihm das und das zu verstehen geben will.133 Beispielsweise interpretiert der Adressat eine vom Sprecher als ,BEHAUPTUNG, dass p‘ gemeinte sprachliche Äußerung, richtig als Behauptung des Sprechers, dass ,p‘, wenn der Adressat erkennt, dass der Sprecher beabsichtigt, dass er, der Adressat, glauben soll, dass der Sprecher den Sachverhalt, dass ,p‘ für gegeben hält. Der Adressat interpretiert etwa eine vom Sprecher als ,AUFFORDERUNG zu x-en‘ gemeinte sprachliche Äußerung, richtig als

131 Searle (1969), S. 74. Die Intention (b) ist so formuliert, dass sie die beiden Intentionen (2) u. (3) der Grice’schen Bedingung zusammenfasst. Für die Referenz lautet die Intention (c): „[. . .] und es liegt in S’ Absicht, dass dies Erkennen auf Grund dessen erreicht wird, dass H die für R geltenden Regeln kennt und C erfasst.“ Für die Prädikation lautet die Intention (c): „[. . .] und es liegt in seiner Absicht, dass diese Erkenntnis auf Grund von Hs Kenntnis der Bedeutung von P erreicht wird.“ [Searle (1969), S. 194] 132 Grice (1957), S. 222, (dt.1979a), S. 14; vgl. Harras (2004), S. 165. 133 Vgl. John Searle: „Indem ich spreche, versuche ich, meinem Zuhörer bestimmte Dinge dadurch zu übermitteln, dass ich ihn dazu bringe zu erkennen, dass ich ihm jene Dinge zu übermitteln beabsichtige. Ich erreiche die beabsichtigte Wirkung auf den Zuhörer dadurch, dass ich ihn dazu bringe zu erkennen, dass ich jene Wirkung zu erreichen beabsichtige, und sobald der Zuhörer erkannt hat, was ich zu erreichen beabsichtige, habe ich im allgemeinen erreicht, was ich wollte. Er hat verstanden, was ich sagen will, sobald er erkannt hat, dass die Absicht meiner Äußerung die war, das und das zu sagen.“ [Searle (1969), S. 69; vgl. Searle (1969), S. 74]

2. Selbstbindung

151

Aufforderung des Sprechers zu x-en, wenn der Adressat erkennt, dass der Sprecher beabsichtigt, dass er, der Adressat, beabsichtigen soll, zu x-en. Zum Verstehen muss der Adressat die Absicht (1) erkennen.134 Nun ist der Gegenstand der Absicht (1), d. h. die Wirkung, die der Sprecher hervorzurufen beabsichtigt, gerade die gemeinte Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion.135 In Bezug auf eine sprachliche Handlung erfordert die Bedingung der Selbstbindung damit, dass die gemeinte Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion erfasst wird: Die vom Adressaten aus der Äußerung des Sprechers interpretierte Aussage im Gewand der interpretierten kommunikativen Funktion entspricht der vom Sprecher mit der Äußerung gemeinten Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion, so dass der Sprecher die Aussage auch tatsächlich gewollt hat, wenn die Sprecherabsichten (2) und (3) in Erfüllung gehen, d. h. der Adressat die Absicht (1) des Sprechers, bei ihm eine bestimmte Wirkung hervorzurufen, erkannt wird. Erfasst der Adressat die gemeinte Aussage der sprachlichen Äußerung im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion, so heißt das, dass die sprachliche Handlung glückt.136 Die Bedingung der Selbstbindung erfordert nicht, dass auch die Absicht (1) des Sprechers in Erfüllung geht, d. h. die hervorzurufen beabsichtigte Wirkung bei Adressaten tatsächlich eintritt. In diesem Sinne muss die sprachliche Handlung nicht erfolgreich sein. Andererseits reicht es nicht schon aus, dass der Sprecher die Searle’schen Bedingungen für den Vollzug einer sprachlichen Handlung beachtet. Der korrekte Vollzug einer sprachlichen Handlung als allein Sprecher bezogene Verantwortlichkeit garantiert nicht das Glücken der sprachlichen Handlung im Sinne des Erkennens dessen, was der Sprecher will. Das Glücken einer sprachlichen Handlung hängt vielmehr von einer Adressaten bezogenen Bedingung ab:137 Die sprachliche Handlung glückt dadurch, dass der Adressat die auf das Hervorrufen der gemeinten Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion gerichtete Absicht des Sprechers erkennt. Damit trägt die Searle’sche Ergänzung der Bedingung für einen kommunikativen Akt um die Absicht (4), dass dieses Erkennen der Absicht (1) auf den Konventionen der Verwendungsweise der sprachlichen Ausdrücke einer Sprache beruhe, nichts zur Umsetzung der Bedingung der Selbstbindung bei. Im Gegenteil, sie würde zu dem merkwürdigen Ergebnis führen, dass in dem Fall des Geschäfts über die Lieferung von 214 Fässern Håkjerringkjøtt aus Norwegen, bei dem beide Seiten irrtümlich davon ausgingen, dass Håkjerringkjøtt der norwegische Ausdruck für Walfleisch sei, jeweils mit den Angebots- bzw. Annahmeerklärun134 135 136 137

Vgl. Harras (2004), S. 204. Vgl. Harras (2004), S. 156. Vgl. Harras (2004), S. 204 f. So auch: Harras (2004), S. 204.

152

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

gen von Verkäufer bzw. Käufer keine sprachlichen Handlungen vollzogen worden wären.138 Denn offensichtlich war ihre Absicht keineswegs darauf gerichtet, dass das Erkennen der Absicht (1) auf Grundlage der Konventionen der Verwendungsweise des sprachlichen Ausdrucks „Håkjerringkjøtt“ geschieht, sondern darauf, dass das Erkennen der Absicht (1) auf ihrer Verwendungsweise des sprachlichen Ausdrucks „Håkjerringkjøtt“ beruht. Infolgedessen ist die Grice’sche Bedingung des kommunikativen Aktes als generelle Bedingung für den Vollzug einer sprachlichen Handlung ausreichend. Da nach der hier vertretenen Ansicht kategorial zwischen dem kommunikativen Gehalt von Äußerungen und der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke, d. h. Sätze und Wörter, unterschieden wird, folgt aus der Grice’schen Bedingung auch nicht eine semantische Autorität des Sprechers über die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke.139 Der Umstand, dass das Glücken einer sprachlichen Handlung als kommunikativer Akt an die Bedingung geknüpft ist, eine auf eine bestimmte Wirkung gerichtete Intention des Sprechers zu erkennen, mag zunächst irritieren. Schließlich handelt es sich bei Intentionen doch um private Gegenstände auf gedanklicher Ebene. Geht es aber material um das Gelingen der Kommunikation – um die Frage also, ob es dem Sprecher gelingt, dem Adressaten das zu verstehen zu geben, was er ihm zu verstehen geben will – kommt schlicht allein der Gegenstand der Absicht (1) des Sprechers, nämlich die gemeinte Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion, als Vergleichsobjekt in Betracht.140 Dabei ist sie in der Bedingung der Selbstbindung nicht nur Vergleichsobjekt, sondern Referenzobjekt, da sie vom Sprecher vorgegeben wird. Der kommunikative Akt ist asymmetrisch zu Gunsten des Sprechers und dieses Prä des Sprechers zeigt sich in dem Bestehen der Korrektursequenz für missglückte Kommunikationsakte: „Das ist nicht das, was ich gemeint habe. Gemeint habe ich . . .“ Eine sprachliche Praxis, die die Korrektur zulässt, ist eine sprachliche Praxis der

138

Dazu oben a). Dazu oben b). Grice selbst geht allerdings davon aus, dass die Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke auf die Sprechintentionen zurückzuführen sind [Grice (1969), S. 91, (dt. 1979b), S. 19]. Bei der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke handelt es sich aber um Konventionen innerhalb der Sprachgemeinschaft, die sich in einem System übereinstimmender gegenseitiger Erwartungen herausbilden. Die bloße Gewohnheit (policy, habit) des einzelnen Sprechers reicht nicht aus, um Bedeutung zu erzeugen [Vgl. Grice (1968), S. 125, (dt. S. 1979c), S. 95]. Es bedarf auch des Adressaten, der auf die Gewohnheit vertraut und eine entsprechende Erwartungshaltung entwickelt, die dann der Sprecher zum Anlass nimmt, seiner Gewohnheit zu folgen. 140 Vgl. Ludwig Wittgenstein: „Wenn man das Element der Intention aus der Sprache entfernt, so bricht damit ihre ganz Funktion zusammen.“ [Wittgenstein (PB), S. 29] Vgl. Donald Davidson: „Meaning, in the special sense in which we are interested when we talk of what an utterance literally means, gets its life from those situations in which someone intends (or assumes or expects) that his words will be understood in a certain way, and they are.“ [Davidson (1994), S. 11] 139

3. Die Praxis privatrechtlicher Erklärungen

153

Selbstbindung. Die Akteure einer sprachlichen Praxis kommunizieren auch nicht, indem sie ihre Intentionen wie Gegenstände in Zeichen codiert hin und her transportieren, sondern indem sie die Intention des anderen erschließen, wobei sie nicht bei der Bedeutung des geäußerten sprachlichen Ausdrucks stehen bleiben, sondern auf Grundlage des Kontextwissens im weitesten Sinne den kommunikativen Gehalt der Äußerung zu erfassen streben. 3. Die Praxis privatrechtlicher Erklärungen: Ein Beispiel für explizite Korrekturregeln bei divergenten Buchführungen Besonderes Gewicht erlangt die Festlegungsbuchführung bei privatrechtlichen Erklärungen. Die gesetzliche Gestaltung der Praxis privatrechtlicher Interaktion bietet sich daher als ein prominenter Ort zur Betrachtung der Möglichkeit der Korrektur divergenter Buchführungen an. a) Rechtliches Handeln – das Rechtsgeschäft Der Privatrechtsordnung kommt neben der Regelung des Schutzes von Rechtsgütern und Vermögenswerten des einzelnen als zweite grundlegende Regelungsaufgabe die Regelung des Austausches vermögenswerter Leistungen unterschiedlichster Art (Kauf, Miete, Arbeit, Darlehen usw.) zu.141 Geht es darum, dass zwei Parteien Ware und Preis – Leistung und Gegenleistung – aushandeln und vereinbaren, so regelt das Vertragsrecht die Begründung und weitere Gestaltung des Vertrags als eine besondere Beziehung von Rechten und Pflichten zwischen den Parteien. Die Grundeinheit des Handelns mit rechtlicher Bindungskraft ist dabei das Rechtsgeschäft.142 Ein Rechtsgeschäft ist ein Akt, der auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Konstitutives Element eines jeden Rechtsgeschäfts ist die Willenserklärung als der Akt der Kundgabe des auf den Eintritt der Rechtsfolge gerichteten inneren Willens einer Person.143 Der historische Gesetzgeber des im Jahre 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gibt in der begleitenden Gesetzeskommentierung folgende immer noch gültige Definition: „Rechtsgeschäft im Sinne des Entwurfes ist eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäfts wird darin gefunden, dass ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich

141

Vgl. Lüsing (2010), S. 118 ff. Dazu weiterführend: Lüsing (2010), S. 131 ff. 143 Köhler (2009), § 5 Rz. 5; Brox (2009), § 4 Rz. 96 u. 83; Medicus, BGB AT, § 17 Rz. 175; Larenz/Wolf, BGB AT, § 24 Rz. 1. 142

154

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

betätigt, und dass der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht.“ 144

Die Konstruktion ist damit die, dass rechtsgeschäftliches Handeln ein Handeln darstellt, bei dem sich der menschliche Wille auf den Eintritt eines rechtlichen Erfolges richtet und dieser Erfolg deswegen eintritt, weil die Rechtsordnung den Willen als Grund für den Eintritt des rechtlichen Erfolges anerkennt.145 Die Charakteristik des Rechtsgeschäfts liegt darin, dass der Wille, soweit ihn die Rechtsordnung anerkennt, die Rechtsfolge selbst hervorbringt und zwar zum einen, indem er den Inhalt der Rechtsfolge bestimmt, und zum anderen, indem dieser Inhalt eben als Rechtsfolge – rechtlich bindend – gewollt wird.146 In dem ersten Aspekt der inhaltlichen Bestimmung des Gesollten liegt das Moment der Selbstgestaltung.147 In dem zweiten Aspekt, dass der selbst gestaltete Inhalt als rechtlich bindend gewollt wird (Verpflichtungswille), liegt das Moment der Selbstinstitutionalisierung.148 Das von den Parteien Gewollte wird zum Gesollten, weil das Gewollte als Gesolltes gewollt wird.149 Im Gegensatz dazu steht der Realakt als lediglich rechtlich relevantes Verhalten, das als bloßes Faktum eines Tuns oder Unterlassens im Rahmen einer Tatbestandsvoraussetzung rechtliche Bedeutung erlangt.150 Anders als beim rechtsgeschäftlichen Handeln gibt die Rechtsordnung beim lediglich rechtlich relevanten Verhalten den Inhalt der Rechtsfolge selbst vor.151 Das wichtigste Beispiel für ein Rechtsgeschäft ist der Vertrag. Ein Vertrag zwischen zwei Parteien kommt zustande durch die Abgabe zweier inhaltlich übereinstimmender, mit Bezug aufeinander abgegebener Willenserklärungen, dem Angebot und der Annahme.152 Es gibt aber auch einseitige Rechtsgeschäfte, die nur aus einer einzigen Willenserklärung einer Partei bestehen, wie etwa die Kündigung eines Vertrages über wiederkehrende Leistungen (Miete, Arbeit, Darlehen). Die Willenserklärung bildet eine eigene Kategorie sprachlichen Handelns, die durch den Verpflichtungswillen konstituiert wird. Die Willenserklärung lässt sich auf die Formel bringen: geglückte sprachliche Handlung mit Verpflichtungswillen. Der Inhalt der Willenserklärung umfasst den Aspekt der Aussage im Gewand der kommunikativen Funktion sowie den Aspekt des Vorliegens oder 144

Motive BGB, Bd. I, § 64, S. 126. Schapp (1996), § 8 Rz. 299 ff.; Brox (2009), § 4 Rz. 98. 146 Lüsing (2010), S. 131 f. 147 In symbolischer Schreibweise: WOLLEN

! SOLLEN

. 148 In symbolischer Schreibweise: WOLLEN (WOLLEN

! SOLLEN

). 149 Lüsing (2010), S. 130 ff. 150 Köhler (2009), § 5 Rz. 7; Flume (1992), § 10 1. (S. 114). 151 Flume (1992), § 10 1. (S. 115). In symbolischer Schreibweise: SEIN

! SOLLEN . 152 Brox (2009),§ 4 Rz. 77 ff., § 8 Rz. 165 ff.; Köhler (2009), § 5 Rz. 5. 145

3. Die Praxis privatrechtlicher Erklärungen

155

Nichtvorliegens des Verpflichtungswillens. Der Verpflichtungswille bezieht sich auf die mit der sprachlichen Handlung einhergehenden Festlegungen und betrifft den Grad ihrer Bindungswirkung. Der Adressat versteht eine sprachliche Äußerung als Willenserklärung, wenn er neben der gemeinten Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion auch die Absicht des Sprechers erkennt, sich rechtlich zu binden. Der Verpflichtungswille ist daher weniger als eigenständige Sprecherintention zu denken, sondern als Teil des Gegenstandes der Absicht (1), d. h. als zusätzliches Element der beim Adressaten hervorzurufen beabsichtigten Wirkung. Für das Recht ist der Verpflichtungswille der Grund, dass die mit der sprachlichen Handlung einhergehenden Festlegungen auf die Ebene des Rechts übernommen werden, d. h. zu rechtlichen Bindungen werden. Auf diese Weise werden Festlegungen sprachlicher Handlungen rechtlich institutionalisiert und zu Rechtsfolgen.153 Welche mit einer sprachlichen Handlung einhergehenden Festlegungen sich durch einen Verpflichtungswillen rechtlich institutionalisieren lassen, gibt die Rechtsordnung vor, indem sie mit Tatbeständen gesetzlich geregelter Rechtsgeschäfte schafft. Dabei wird in dem jeweiligen Tatbestand nicht eine bestimmte sprachliche Handlung gefordert, sondern in der Regel nur verlangt, dass es einer Willenserklärung bedarf, um die jeweilige Rechtsfolge auszulösen. Welche sprachlichen Handlungen als Bestandteil der jeweiligen Willenserklärungen in Betracht kommen, fällt letztlich dem Subsumptionsurteil des Rechtsanwenders zur Entscheidung zu.154 Beispielsweise kann jemand das Rechtsgeschäft ,Angebot

‘ vollziehen, indem er eine Willenserklärung mit der sprachlichen Handlung nach dem Muster ,ANGEBOT MACHEN

‘ abgibt. Für die Realisierung des Handlungsmusters ,ANGEBOT MACHEN‘ stehen dann seinerseits alle Handlungsmuster zur Verfügung, die aufgrund eines Indem-Zusammenhangs diesem Handlungsmuster als Glieder einer Familie untergeordnet sind.155 Tatsächlich finden sich vereinzelt auch Regelungen in der Rechtsordnung, die die Verknüpfung von sprachlichen Handlungsmustern zu Strukturen des IndemZusammenhangs betreffen. So gilt etwa gemäß § 150 Abs. 2 BGB eine ,ANNAHME‘ unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen als ,ABLEHNUNG‘, verbunden mit einem neuen ,ANGEBOT‘. Jemand kann daher das Handlungsmuster ,ANGEBOT MACHEN‘ vollziehen, indem er das Handlungsmuster ,GEGENVORSCHLAG UNTERBREITEN‘ vollzieht.156 b) Anfechtung als Korrekturmechanismus bei Willensmängeln Mit der gesetzlichen Regelung der Rechtsgeschäfte spannt die Rechtsordnung den Akteuren den Möglichkeitsraum zum Austausch vermögenswerter Leistun153 154 155 156

Lüsing (2010), S. 368 f. Lüsing (2010), S. 369. Dazu oben III. 2. b). Lüsing (2010), S. 369.

156

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

gen auf.157 Ob ein konkretes Rechtsgeschäft im Ergebnis wirksam ist, hängt allerdings von einer Reihe weiterer Bedingungen ab. So kann ein Rechtsgeschäft sich als inhaltlich sittenwidrig erweisen, was gemäß § 138 Abs. 1 BGB zwangsläufig dessen Nichtigkeit zur Folge hat. Gleiches gilt, wenn die erklärende Person auf Grund ihres Alters oder Geisteszustands nicht geschäftsfähig ist (§§ 104, 105 BGB). Aber auch die Nichtbeachtung einer gesetzlichen Formvorschrift für das Rechtsgeschäft bewirkt dessen Nichtigkeit (§ 125 BGB). In all diesen Fällen erkennt die Rechtsordnung eben nicht den Willen als Grund für den Eintritt der Rechtsfolge an. Im Gegensatz dazu behandelt die Rechtsordnung ein Sammelsurium von Konstellationen so genannter Willensmängel in der Weise, dass sie das Rechtsgeschäft zunächst als wirksam behandelt, und es dem Erklärenden überlässt, ob er das Rechtsgeschäft zu Fall bringen und sich von der rechtlichen Bindung befreien will. Rechtstechnisch wird dies dadurch erreicht, dass dem Erklärenden bei diesen Konstellationen innerhalb einer bestimmten Frist die Option zur Anfechtung des Rechtsgeschäfts eröffnet wird. Die Anfechtung, selbst ein einseitiges Rechtsgeschäft, muss vom Anfechtungsberechtigten gegenüber dem Anfechtungsgegner erklärt werden und hat zur Folge, dass das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§§ 142, 143 BGB).158 Die Rechtsordnung gewährt dem Erklärenden die Möglichkeit der Anfechtung etwa dann, wenn der Erklärende zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist (§ 123 BGB).159 Ebenso hat der Erklärende die Möglichkeit zur Anfechtung, wenn er bei Abgabe der Willenserklärung über wertbildende Eigenschaften des Vertragsgegenstandes im Irrtum ist (§ 119 Abs. 2 BGB).160 In all diesen Konstellationen liegt kein Defekt beim Akt der Willenserklärung selbst vor, da sowohl eine geglückte sprachliche Handlung als auch der Verpflichtungswille gegeben sind. Bezogen auf die Systematik möglicher Unglücksfälle bei sprachlichen Handlungen, mit der Austin zunächst an die Idee des Handelns durch sprachliche Äußerungen herangetreten ist, werden hier Bedingungen verletzt, die der so genannten G-Kategorie zuzuordnen wären.161 Als G-Bedingungen formuliert Austin Aufrichtigkeitsbedingungen und hat dabei Missbrauchsfälle wie etwa Unredlichkeit bei Vollzug einer sprachlichen Handlung vor Augen. Den Missbrauchsfällen stellt er dann die Fälle von Irrtümern über Begleitumstände gleich.162 Da Austin zufolge 157

Vgl. Lüsing (2010), S. 120. Dazu weiterführend: Köhler (2009), § 15 Rz. 21 ff. 159 Dazu weiterführend: Köhler (2009), § 7 Rz. 37 ff.; Brox (2009),§ 19 Rz. 450 ff. 160 Dazu weiterführend: Köhler (2009), § 7 Rz. 18 ff.; Brox (2009),§ 19 Rz. 418 ff. 161 Austin (1955), II., S. 18 (dt. 1994) S. 40. 162 „If some at least of our thoughts are incorrect (as opposed to insincere), this may result in an infelicity of course of a different kind: (a) I may give something which is not in fact (though I think it is) mine to give. [. . .] It should be noted that mistake will not in 158

3. Die Praxis privatrechtlicher Erklärungen

157

die Verletzung seiner G-Bedingungen nicht zur Nichtigkeit des Aktes führt,163 stützt Austin’s Analyse der Unglücksfälle die Überzeugung, dass die sprachliche Handlung in diesen Fällen keinen Defekt enthält, der die Willenserklärung infizieren könnte. Weiter gewährt die Rechtsordnung dem Erklärenden die Möglichkeit der Anfechtung etwa auch dann, wenn dieser bei Abgabe der Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte (§ 119 Abs. 1 BGB), so dass es zu einem Missverständnis kommt. Bei der ersten Konstellation, dem so genannten Inhaltsirrtum, irrt sich der Erklärende über die Konventionen der Verwendungsweise eines sprachlichen Ausdrucks. Die zweite Konstellation, der so genannte Erklärungsirrtum, erfasst Fälle des Vertuns bei der Ausführung der Erklärungshandlung wie etwa des Sich-versprechens oder des Sichverschreibens.164 In beiden Konstellationen hat der Akt der Willenserklärung einen Defekt. Der Defekt liegt in einer missglückten sprachlichen Handlung. Der Erklärungsempfänger erkennt nicht die gemeinte Aussage im Gewand der gemeinten kommunikativen Funktion als Gegenstand der Absicht (1) des Erklärenden.165 In seiner Systematik der Unglücksfälle erfasst Austin solche Fälle als Fehlausführungen (Misexecutions).166 Es handelt sich um eine Verletzung der Bedingung B.1, wonach alle Beteiligten ihren Beitrag korrekt durchführen müssen.167 Auch nach Austin führt die Verletzung dieser Bedingungen, anders als bei Verletzung einer G-Bedingung dazu, dass die sprachliche Handlung überhaupt nicht zustande kommt.168 Betrifft der Inhaltsirrtum nicht nur die Aussage sondern auch die kommunikative Funktion, so kann es vorkommen, dass es dem Erklärenden zugleich auch an dem Verpflichtungswillen fehlt. Klassisches Schulbeispiel der Rechtsdogmatik für das Fehlen des Verpflichtungswillens ist der (fiktive) Trierer Weinversteigerungsfall:169 Ein ortsfremder Besucher will auf einer Weinversteigerung seinen Freund grüßen und winkt ihm daher zu. Der Auktionator registriert dies und versteht die Geste des Winkens als Abgabe eines Gebots, so dass er dem ahnungslosen Besucher das zu versteigernde Fass zuschlägt. Die intendierte sprachliche Handlung nach dem Handlungsmuster ,GRÜßEN‘ missglückte, weil sie im Kontext der Auktion als sprachliche Handlung nach dem Muster ,GEBOT ABGEBEN‘ verstanden wurde. Auch in diesen Fällen eines doppelten Defekts der Willenserklärung, bei denen das Missverständnis die sprachliche general make an act void, though it may make it excusable.“ [Austin (1955), IV., S. 42; vgl. ders. (dt. 1994) S. 60] 163 Austin (1955), II., S. 16, (dt. 1994) S. 38, IV., 39, (dt. 1994) S. 58. 164 Dazu weiterführend: Köhler (2009), § 7 Rz. 15 ff.; Brox (2009), § 19 Rz. 413 ff. 165 Dazu oben 2. c). 166 Austin (1955), II., S. 18, (dt. 1994) S. 40. 167 Austin (1955), II., S. 15, (dt. 1994) S. 37. 168 Austin (1955), II., S. 16, (dt. 1994) S. 38. 169 Dazu weiterführend: Köhler (2009), § 7 Rz. 5; Brox (2009), § 19 Rz. 85.

158

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

Handlung und das Vorliegen des Verpflichtungswillens betrifft, muss die missverstandene Willenserklärung nach herrschender Meinung angefochten werden und ist nicht schon aufgrund seiner Defekte nichtig.170 In Konstellationen, in denen der Erklärende sich insgeheim vorbehält, den Eintritt der Rechtsfolge nicht zu wollen (§ 116 BGB)171 gewährt die Rechtsordnung dagegen keine Möglichkeit zur Anfechtung, obgleich auch in diesen Fällen die Willenserklärung ebenfalls einen Defekt hat. Der Defekt des Rechtsgeschäfts liegt hier allerdings nur im Fehlen des Verpflichtungswillens, während eine geglückte sprachliche Handlung gegeben ist. Denn der Erklärende will ja gerade so verstanden werden, als ob er ein Rechtsgeschäft vollzieht. Es geht um einen Vorbehalt, der geheim bleiben muss, so dass die Aussage und kommunikative Funktion der sprachlichen Handlung unberührt bleibt. Der Akt solcher Täuschung setzt das Glücken einer sprachlichen Handlung voraus. Die Sprechintentionen der Bedingung des kommunikativen Aktes werden durch die Täuschungsabsicht nicht berührt. Die Absicht (1) des Sprechers, die Wirkung der Willenserklärung beim Erklärungsempfänger hervorzurufen, die Absicht (2), dass die Absicht (1) erkannt wird, und die Absicht (3), dass dieses Erkennen die Wirkung hervorruft, bleiben unveränderte Absichten des Erklärenden. In der Systematik der Unglücksfälle von Austin verletzt derjenige, der bei Vollzug einer sprachlichen Handlung nur vorgibt, bestimmte Überzeugungen, Gefühle oder Absichten zu haben, die so genannte G.1 Bedingung. Damit hat schon Austin diese Unglücksfälle als Verletzung einer Kategorie von Bedingungen behandelt, deren Verletzung dem erfolgreichen Vollzug der sprachlichen Handlung nicht entgegensteht.172 Auch Searle schafft mit den Aufrichtigkeitsbedingungen eine Klasse von Bedingungen, jenseits der Bedingungen, die die Aussage im Gewand der kommunikativen Funktion betreffen.173 c) Selbstbindung und Anfechtung Der Mechanismus der Anfechtung von Rechtsgeschäften dient dem Ausgleich zwischen dem Interesse privatautonomer Selbstbestimmung des Erklärenden und dem Interesse des Erklärungsempfängers auf Schutz in seinem Vertrauen auf die Geltung der Willenserklärung.

170 Köhler (2009), § 7 Rz. 5; Brox (2009), § 19 Rz. 137; Palandt (BGB), § 119 Rz. 22. 171 Dazu weiterführend: Köhler (2009), § 7 Rz. 7 f.; Brox (2009), § 19 Rz. 393 ff. 172 Austin (1955), II., S. 16, (dt. 1994) S. 38, IV., 39, (dt. 1994) S. 58 f. 173 Vgl. die Regel 4. in der beispielhaften Analyse des Musters ,Versprechen‘ bei Searle [Searle (1969), S. 97. Bei der Formulierung der Bedingungen für das Muster ,Versprechen‘ vermischt Searle ungeschickt die Aufrichtigkeitsbedingung und die wesentlichen Bedingung [vgl. Searle (1969), S. 93].

3. Die Praxis privatrechtlicher Erklärungen

159

Diese Interessen stehen miteinander in Konflikt, wenn der Erklärende mit seiner sprachlichen Äußerung eine andere bzw. überhaupt gar keine Rechtsfolge auszulösen beabsichtigte als die, die der Erklärungsempfänger aufgrund der sprachlichen Äußerung als vom Erklärenden beabsichtigt erschlossen hat. Damit handelt es sich genau um die beiden Konstellationen, in denen es auch sonst zu einer divergierenden Festlegungsbuchführung kommt. Zum einen ist dies der Fall, wenn der Erklärungsempfänger die Willenserklärung falsch interpretiert, so dass der interpretierte Inhalt der Willenserklärung von dem erklärten und gemeinten Inhalt abweicht. Zum anderen ist dies aber insbesondere auch dann der Fall, wenn der vom Erklärenden gemeinte Inhalt der Willenserklärung von dem erklärten und interpretierten Inhalt abweicht.174 Liegt eine Divergenz vor, so stellt sich die Frage, ob die gewollte oder die interpretierte Rechtswirkung gelten soll, ob in Bezug auf die Rechte und Pflichten der Parteien der Buchführung des Erklärenden oder des Erklärungsempfängers Vorrang zukommt. Bei der Abfassung des BGB im 19. Jahrhundert markierten bei der Frage nach dem Geltungsgrund der durch die Willenserklärung ausgelösten Rechtsfolge die Willenstheorie und die Erklärungstheorie die zwei äußeren Pole des Meinungsspektrums.175 Der Willenstheorie zufolge sollte der tatsächliche subjektive Wille entscheidend sein, während es nach der Erklärungstheorie allein auf den mit der Willensäußerung erklärten Inhalt ankommen sollte.176 Soweit der Erklärungsempfänger die sprachliche Äußerung falsch interpretiert, so dass der interpretierte Inhalt der Willenserklärung von dem gemeinten und erklärten Inhalt abweicht, war demnach unstrittig, dass die Willenserklärung zu Lasten des Erklärungsempfängers wirksam ist. In der Konstellation dagegen, dass der vom Erklärenden gemeinte Inhalt der Willenserklärung von dem erklärten und interpretierten Inhalt abweicht, sollte der Willenstheorie zufolge die Willenserklärung überhaupt gar keine Rechtswirkung entfalten, während nach der Erklärungstheorie, der erklärte Inhalt auch ohne subjektiven Willen als Bezugspunkt die entsprechende Rechtsfolge auslösen sollte. Die Willenstheorie würde damit die Praxis privatrechtlicher Erklärungen als eine Praxis der Selbstbindung ausgestalten. Zwar löst in der Konstellation, dass der gemeinte Inhalt der Willenserklärung von dem erklärten und interpretierten Inhalt abweicht, die sprachliche Äußerung des Erklärenden keine dem gemeinten Inhalt entsprechende Rechtsfolge aus, jedoch wird der Erklärende andererseits, auch nicht an eine dem erklärten Inhalt entsprechende Rechtsfolge gebunden, obgleich die Abweichung von den Konventionen der sprachlichen Praxis auf seiner Seite liegt. Nach der Willenstheorie

174

Vgl. dazu oben 2. a). Dazu weiterführend: Lüsing (2010), S. 134 f. 176 Köhler (2009), § 7 Rz. 1; Brox (2009), § 16 Rz. 379 f.; Larenz/Wolf (2004), § 24 Rz. 26; Schapp (1996), § 8 Rz. 304; Palandt (BGB), Einf. § 116 Rz. 2; Schmoeckel/ Rückert/Zimmermann (2003), Vor §§ 116 ff. Rz. 5. 175

160

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

würde das Recht im Fall des Konflikts der Buchführung des Erklärungsempfängers keinen Vorrang einräumen. Die Erklärungstheorie dagegen würde zu einer Praxis privatrechtlicher Erklärungen mit objektivierter Fremdbindung führen, bei der die Fremdbindung dadurch objektiviert wird, dass sie sich nur insoweit auf den interpretierten Inhalt der Willenserklärung bezieht wie er dem erklärten Inhalt entspricht.177 Insoweit würde nach der Erklärungstheorie das Recht im Fall des Konflikts der Buchführung des Erklärungsempfängers einen Vorrang einräumen. Der historische Gesetzgeber ist keiner dieser Theorien in Reinform gefolgt. In der Konstellation, dass der gemeinte Inhalt der Willenserklärung von dem erklärten und interpretierten Inhalt abweicht, behandelt die Rechtsordnung die Willenserklärung weder einfach als nichtig noch einfach als wirksam, sondern lässt die Willenserklärung in Form des erklärten Inhalts aber mit der Möglichkeit der Anfechtung wirksam werden.178 Damit ermöglicht die Rechtsordnung letztlich zwar das Ergebnis der Willenstheorie, jedoch ist dieses Ergebnis kein Automatismus. Zum Schutz des auf die Geltung der Willenserklärung vertrauenden Erklärungsempfängers lässt sich die Befreiung von der dem erklärten Inhalt entsprechenden Rechtsfolge nur durch das aktive Tun des Erklärenden erreichen und auch nur insoweit, wie die Rechtsordnung dem Erklärenden hierfür die Möglichkeit explizit einräumt. Die Rechtsordnung erfasst die Konstellation, dass der gemeinte Inhalt der Willenserklärung von dem erklärten und interpretierten Inhalt abweicht als Inhaltsu. Erklärungsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB.179 Dabei kommt ein Vorrang der Buchführung des Erklärungsempfängers, dem der Erklärende mit dem Mechanismus der Anfechtung entgegentreten müsste, überhaupt nur in Betracht, wenn der Erklärungsempfänger auch bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt nicht hätte erkennen können, was der Erklärende mit der sprachlichen Äußerung tatsächlich gemeint hat. Denn gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung „der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.“ Anderenfalls gilt ohnehin der gemeinte Inhalt der Willenserklärung, d. h. im Fall des Konflikts lässt das Recht der Buchführung des Erklärenden Vorrang zukommen. Nur soweit es auch im Lichte des Kontexts dem Erklärungsempfänger nicht möglich war, den mit der sprachlichen Äußerung des Erklärenden gemeinten Inhalt der Willenserklärung zu erschließen, verdient sein Vertrauen auf den erklärten Inhalt der Willenserklärung Schutz.180 Das Vertrauen wird dann dadurch geschützt, dass der Erklärende dem Erklärungsempfänger gemäß § 122 BGB den Schaden zu ersetzen hat, den dieser da177 178 179 180

Vgl. dazu oben 2. a) a. E. Brox (2009), § 16 Rz. 381 ff. Dazu oben b). Brox (2009), § 6 Rz. 130 ff.

3. Die Praxis privatrechtlicher Erklärungen

161

durch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hat.181 Auf ein Verschulden des Erklärenden kommt es dabei nicht an. Es handelt sich sozusagen um eine Haftung für missglückte sprachliche Handlungen.182 Zudem hat der Erklärende das Rechtsgeschäft unverzüglich, nachdem er das Missverständnis erkannt hat, anzufechten (§ 121 BGB). Schließlich ist eine Anfechtung durch den Erklärenden nur im Falle des Inhalts- u. Erklärungsirrtums, nicht aber etwa bei bewusstem Fehlgebrauch sprachlicher Ausdrücke möglich.183 Die Fälle des Eigenschaftsirrtums im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB sowie die Fälle der arglistigen Täuschung und widerrechtlichen Drohung im Sinne des § 123 BGB184 stellen keine Konstellationen dar, bei denen der gemeinte Inhalt der Willenserklärung von dem erklärten und interpretierten Inhalt abweicht. Die Rechtsordnung trägt mit der Möglichkeit zur Anfechtung hier nur dem Umstand Rechnung, dass ein Aspekt in das Motiv zur Abgabe der Willenserklärung eingeflossen ist, der der privatautonomen Selbstbestimmung des einzelnen Akteurs zuwider läuft. Bei dem geheimen Vorbehalt im Sinne des § 116 BGB ist dagegen eine solche Konstellation gegeben. In diesem Fall weicht der gemeinte Inhalt von dem erklärten Inhalt der Willenserklärung unter dem Aspekt des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens des Verpflichtungswillens ab. Da das Interesse des Erklärungsempfängers auf Schutz in sein Vertrauen auf die Geltung der Willenserklärung das Interesse der privatautonomen Selbstbestimmung des Erklärenden in diesen Fällen vollumfänglich überwiegt, verwehrt die Rechtsordnung in diesen Fällen dem Erklärenden die Möglichkeit der Anfechtung. Dennoch handelt es sich auch in diesen Fällen um eine Selbstbindung und nicht etwa um eine Fremdbindung an den erklärten Inhalt der Willenserklärung. Der Anknüpfungspunkt der Rechtsordnung für die Begründung einer Rechtsfolge ist in diesen Fällen nicht in der mangels fehlendem Verpflichtungswillen missglückten Willenserklärung zu sehen, sondern in der mit der sprachlichen Äußerung ebenfalls vollzogenen geglückten sprachlichen Handlung. Die mit der sprachlichen Handlung eingegangenen Festlegungen werden nicht kraft des Verpflichtungswillens rechtlich institutionalisiert, sondern kraft normativer Setzung, indem die Rechtsordnung die Konventionen der sprachlichen Praxis – hier das Kommunikationsprinzip der Wahrhaftig181 Der Erklärungsempfänger kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er von dem Geschäft nichts gehört hätte. Dazu weiterführend: Köhler (2009), § 7 Rz. 36; Brox (2009), § 18 Rz. 446. 182 Lüsing (2010), S. 372. 183 Besonderes Verständnis haben die Verfasser des BGBs für den Scherzbold gezeigt: Gemäß § 118 BGB ist eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, als solche schon nichtig. Obgleich es sich wie bei den Fällen des Inhalts- u. Erklärungsirrtums im Sinne des § 119 Abs. 1 BGB um Fälle missglückter sprachlicher Handlungen handelt, bedarf es hier nicht mehr der Anfechtung. 184 Dazu oben b).

162

IV. Sprachliches Handeln als Selbstbindung

keit185 – für das Sprachspiel des Austausches vermögenswerter Leistungen als rechtliche Normen übernimmt.186 Fälle des geheimen Vorbehalts sind Fälle der Selbstbindung kraft sozialtypischer Sprechhandlungen.187 Damit hat der Gesetzgeber die Praxis privatrechtlicher Erklärungen als Praxis der Selbstbindung ausgestaltet. Es handelt sich nicht um eine Praxis der Fremdbindung, weil der Erklärende die Rechtsfolgen seiner mit der sprachlichen Äußerung abgegebenen Willenserklärung nicht unabhängig davon gegen sich gelten lassen muss, ob er sie auslösen wollte oder nicht. Vielmehr verhindert die Möglichkeit der Anfechtung, dass der Erklärende gegen seinen Willen an den Inhalt einer Willenserklärung gebunden wird, den er nicht gewollt hat. Mit dieser Ausgestaltung der Praxis privatrechtlicher Erklärungen hat der Gesetzgeber eine Praxis sprachlicher Interaktion mit expliziten Regeln geschaffen für die Korrektur divergenter Buchführungen über die Rechte und Pflichten der Parteien zu Gunsten des Erklärenden. In ihr veranschaulicht sich auch der Mechanismus der Korrektur divergenter Festlegungsbuchführungen der alltagssprachlichen sozialen Interaktion zu Gunsten des Sprechers. Der Adressat kann den Sprecher zwar auf die interpretierte Aussage im Gewand der interpretierten kommunikativen Funktion festlegen, jedoch kann sich der Sprecher von den zugezogenen Festlegungen durch „Anfechtung“ befreien, indem er etwa äußert: „Das ist nicht das, was ich gemeint habe. Gemeint habe ich, dass . . .“ Abhängig von der spezifischen sprachlichen Interaktionsform (Sprachspiel) wird auch in der alltagssprachlichen sozialen Interaktion der Schutz des Adressaten in seinem Vertrauen auf den Bestand der mit den sprachlichen Handlungen einhergehenden Festlegungen des Sprechers eine Rolle spielen. Schutz gewährt dann etwa das Kommunikationsprinzip der verständlichen Ausdrucksweise188, dessen Verletzung den Adressaten berechtigt, dem Sprecher vorzuwerfen, sich unverständlich, unklar oder undeutlich ausgedrückt zu haben.

185 186 187 188

Dazu oben III. 2. c). Lüsing (2010), S. 384 f. Dazu weiterführend: Lüsing (2010), S. 371 ff. Vgl. Gloning/Lüsing (2002), S. 123.

Literaturverzeichnis Aristoteles (1968): Sophistische Widerlegungen (Organon VI). dt. Ausgabe: Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, 2. Aufl., Hamburg: Meiner, 1968 (zit.: Org. VI). – (1974): Kategorien (Organon I). dt. Ausgabe: Aristoteles, Kategorien, Lehre vom Satz, Hamburg: Meiner, 1974 (zit.: Org. I). – (1978): Metaphysik. gr./dt. Ausgabe: Seidl, H. (Hrsg.): Aristoteles’ Metaphysik. 1. Hlbd., Hamburg: Meiner, 1978 (zit.: Meta. IV). – (1992): Erste Analytik (Organon III). Dt. Ausgabe: Aristoteles, Lehre vom Schluß oder Erste Analytik, Hamburg: Meiner, 1992 (zit.: Org. III). Austin, J. L. (1955): How to do things with Words. Urmson, J. O./Sbisà, M. (Hrsg.), 2. Aufl., Cambridge, Massachusetts: Harvard Univ. Press, 1975. – (dt. 1994): Dt. Übersetzung: Zur Theorie der Sprechakte. Savigny, E. v. (Bearb.), 2. Aufl., Stuttgart: Reclam, 1994. Barth, E. M./Krabbe, E. C. W. (1982): From Axiom to Dialog. Berlin u. a.: de Gruyter, 1982. Baumstark, A. (1922): Geschichte der syrischen Literatur. Bonn: A. Marcus & E. Weber, 1922. Nachdruck: de Gruyter, 1968. Boemke, B./Ulrici, B. (2009): BGB Allgemeiner Teil. Heidelberg u. a.: Springer, 2009. Brox, H./Walker, Wolf-D. (2009): Allgemeiner Teil des BGB. 33. Aufl., Köln: Kluwer, 2009. Bucher, H.-J. (1994): Frage-Antwort-Dialoge. In: Fritz/Hundsnurscher (Hrsg.), Handbuch der Dialoganalyse, Tübingen: Niemeyer, 1994, S. 239–258. Bußmann, H. (2002): Lexikon der Sprachwissenschaft. 3. Aufl., Stuttgart: Kröner, 2002. Carnap, R. (1926): Physikalische Begriffsbildung. Karlsruhe, Braun: 1926. Nachdruck: Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft, 1966. – (1927): Eigentliche und uneigentliche Begriffe. In: Symposion, Bd. 1 (1927) Nr. 4, S. 355–374. – (1928a): Der logische Aufbau der Welt. 1. Aufl. (1928). Nachdruck: Hamburg: Meiner, 1998. – (1928b): Scheinprobleme in der Philosophie, Das Fremdpsychische und der Realismusstreit. Berlin 1928, Nachdruck: Scheinprobleme in der Philosophie. Frankfurt: Suhrkamp, 1966. – (1956): Meaning Postulates. In: Meaning and Necessity. 2. Aufl., Chicago: University of Chicago Press, 1956, S. 222–229.

164

Literaturverzeichnis

– (1960): Symbolische Logik. 2. Aufl., Wien: Springer, 1960. – (1968): Logische Syntax der Sprache. 2. Aufl., Wien/New York: Springer, 1968. Carroll, L. (1872): Alice’s Adventures in Wonderland and Trough the Looling-Glass. Green, Roger L. (Hrsg.), Oxford u. a.: Oxford University Press. – (1895): What the Tortois said to Achilles. In: Mind 4, No. 14 (1895), S. 278–280. Nachdruck: Green, R. L. (Hrsg.), The Works of Lewis Carroll, Feltham u. a.: Spring Books, 1968, S. 1049–1051. Davidson, D. (1994): The Social Aspect of Language. In: The Philosophy of Michael Dummett. McGuinness, B./Oliveri, G. (Hrsg.), Dordrecht: Kluwer, 1994, S. 1–16. Dummett, M. (1986): A Nice Derangement of Epitaphs: Some Comments on Davidson and Hacking. In: Truth and Interpretation. Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson. LePore, E. (Hrsg.), Oxford u. a.: Blackwell, 1986, S. 459–476. Fischer, Th. (2011): Strafgesetzbuch und Nebengesetze. 58. Aufl., München: Beck, 2011 (zit.: StGB). Flume, W. (1992): Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts. 2. Bd.: Das Rechtsgeschäft, 4. unver. Aufl., Berlin u. a.: Springer, 1992. Frege, G. (1879): Begriffsschrift. Nachdruck: Angelelli, I. (Hrsg.), Gottlob Frege Begriffsschrift und andere Aufsätze. Hildesheim u. a.: Olms Verlag, 1998. – (1882): Über den Zweck der Begriffsschrift. In: Suppl. zur „Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft“, 16 (Neue Folge 9), 1882/1883. Nachdruck: Angelelli, I. (Hrsg.): Gottlob Frege Begriffsschrift und andere Aufsätze. 2. Aufl., Hildesheim u. a.: Olms, 1998, S. 97–106. – (1891): Funktion und Begriff. In: Patzig, G. (Hrsg.): Gottlob Frege, Funktion, Begriff, Bedeutung. 7. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck-Ruprecht, 1994, S. 18–39. – (1918): Der Gedanke. Eine logische Untersuchung. In: Beitr. zur Philos. des deutschen Idealismus 1. Jg. Nr. 2 (1918), S. 58–77. Nachdruck: Patzig, G. (Hrsg.): Logische Untersuchungen, 4. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993, S. 30– 91. Fritz, G. (1975): Sprechaktsequenzen. Überlegungen zur Vorwurf/Rechtfertigungs-Interaktion. In: Der Deutschunterricht. Bd. 27 (1975), Heft 2, S. 81–103. – (1977): Strategische Maxime für sprachliche Interaktion. In: Baumgärtner, K. (Hrsg.), Sprachliches Handeln, Heidelberg: Quelle & Meyer, S. 1977, S. 47–68. –

(1982): Kohärenz. Tübingen: Narr, 1982.

– (1994a): Formale Dialogspieltheorien. In: Fritz, G./Hundsnurscher, F. (Hrsg.), Handbuch der Dialoganalyse, Tübingen: Niemeyer, 1994, S. 177–202. – (1994b): Grundlagen der Dialogorganisation. In: Fritz, G./Hundsnurscher, F. (Hrsg.), Handbuch der Dialoganalyse, Tübingen: Niemeyer, 1994, S. 177–202. Fritz, G./Muckenhaupt, M. (1984): Kommunikation und Grammatik. 2. Aufl., Tübingen: Narr, 1984. Gatzemeier, M. (1995): Eristik. In: Mittelstraß, J. (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart: Metzler, 1995, S. 574.

Literaturverzeichnis

165

Gloning, Th. (1994): Praktische Semantik und Linguistische Kommunikationsanalyse. In: Fritz/Hundsnurscher (Hrsg.), Handbuch der Dialoganalyse, Tübingen: Niemeyer, 1994, S. 113–129. Gloning, Th./Lüsing, J. (2002): Die Kontroverse zwischen J. A. Gehema und M. F. Geuder (1688/1689). In: Dascal, M. et al. (Hrsg.), Controversies in the République des Lettres, Technical Report 3, Scientific Controversies and Theories of Controversy. Gießen 2002, 87–142. Grice, P. (1957): Meaning. In: The Philosophical Review, Bd. 66 (1957), S. 377–388. Nachdruck in: ders., Studies in the Way of Words, Cambridge (Massachusetts) u. a.: Harvard Univ. Press, 1989, S. 213–223. – (dt. 1979a): Dt. Übersetzung: Intendieren, Meinen, Bedeuten. In: Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Meggle, G. (Hrsg.), Frankfurt: Suhrkamp, 1979, S. 2–15. – (1968): Utterer’s Meaning, Sentence-Meaning and Word-Meaning. In Foundations of Language, Bd. 4 (1968), 1.18. Bearb. Nachdruck in: ders., Studies in the Way of Words, Cambridge (Massachusetts) u. a.: Harvard Univ. Press, 1989, S. 117–137. – (dt. 1979c): Dt. Übersetzung: Sprecher-Bedeutung, Satz-Bedeutung und Wort-Bedeutung. In: Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Meggle, G. (Hrsg.), Frankfurt: Suhrkamp, 1979, S. 85–111. – (1969): Utterers Meaning and Intentions. In: The Philosophical Review. Bd. 78 (1969), S. 147–177. Bearb. Nachdruck in: ders., Studies in the Way of Words, Cambridge (Massachusetts) u. a.: Harvard Univ. Press, 1989, S. 86–116. – (dt. 1979b): Dt. Übersetzung: Sprecherbedeutung und Intentionen. In: Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Meggle, G. (Hrsg.), Frankfurt: Suhrkamp, 1979, S. 16– 51. – (1975): Logic and Conversation. In: ders., Studies in the Way of Words, Massachusetts u. a.: Harvard Univ. Press, 1989, S. 22–40. – (1978): Further Notes on Logic and Conversation. In: ders., Studies in the Way of Words, Massachusetts u. a.: Harvard Univ. Press, 1989, S. 41–57. Hamblin, Ch. L. (1970): Fallacies. London: Methuen, 1970. Nachdruck: Newport News, Virgina: Vale Press, 1998. – (1971): Mathematical moduls of dialogue. In: Theoria 37, S. 130–155. Harras, G. (2004): Handlungssprache und Sprechhandlung. Eine Einführung in die theoretischen Grundlagen. 2. Aufl., Berlin u. a.: de Gruyter, 2004. Heringer, H. J. (1974): Praktische Semantik. 1. Aufl., Stuttgart: Klett, 1974. Heringer, H.-J./Öhlschläger, G./Strecker, B./Wimmer, R. (1977): Einführung in die Praktische Semantik. Heidelberg: Quelle & Meyer, 1977. Hilbert, D. (1930): Grundlagen der Geometrie. 7. Aufl., Stuttgart: B. G. Teubner, 1930. Hirschberger, Johannes (1991): Geschichte der Philosophie. Bd. 1: Altertum und Mittelalter, 14. Aufl., Freiburg u. a.: Herder, 1991. Hülser, K. H. (1995): Stoische Logik. In: Mittelstraß, J. (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 2, Stuttgart: Metzler, 1996, S. 687–689.

166

Literaturverzeichnis

Kamlah, W./Lorenzen, P. (1967): Logische Propädeutik. Auszug Kapitel VII, 2, 1. Aufl., Mannheim u. a.: B.I.-Wissenschaftsverlag, 1967, Lorenzen, P./Lorenz, K.: Dialogische Logik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S. 163–178. – (1973): Logische Propädeutik. 2. Aufl., Mannheim u. a.: B.I.-Wissenschaftsverlag, 1973. Kant, I. (1968a): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie Textausgabe, Bd. IV, Berlin: de Gruyter, 1968, S. 385–436 (zit.: GMS). – (1968b): Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. (1787). In: Kants gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. III, Berlin, 1904. Nachdruck: Kants Werke. Berlin: de Gruyter, 1968 (zit.: KrV). Keller, R. (1995): Zeichentheorie. Tübingen u. a.: Francke, 1995. Kneal, W./Kneal, M. (1962): The Development of Logic. Paperback, Oxford: Clarendon Press, 1984. Köhler, H. (2009): BGB Allgemeiner Teil. 33. Aufl., München: Beck, 2009. Larenz, K./Wolf, M. (2004): Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts. 9. Aufl., München: Beck, 2004. Levinson, S. C. (1983): Pragmatics. Cambridge: Cambridge University Press, 1983. Lewis, D. K. (1969): Convention. Cambridge: Harvard University Press, 1969. – (1979): Scorekeeping in a Language Game. In: Journal of Philosophical Logic, Bd. 8 (1979), S. 339–359, Nachdruck: Lewis, D., Philosophical Papers, Bd. I, New York u. a.: Oxford University Press, 1983, S. 233–249. Liptow, J. (2002): Interpretation, Interaktion und die soziale Struktur sprachlicher Praxis. In: Holismus in der Philosophie. Bertram, G. W./Liptow, J. (Hrsg.), Weilerswist: Velbrück, 2002, S. 129–146. Lohmann, J. (1972): Vom ursprünglichen Sinn der aristotelischen Syllogistik. In: Hager, Fritz-P. (Hrsg.), Logik und Erkenntnistheorie des Aristoteles, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1972, S. 175–210. Lorenz, K. (1968): Dialogspiele als semantische Grundlage von Logikkalkülen. In: Archiv für Mathematische Logik und Grundlagenforschung. Bd. 11 (1968), S. 32–55 u. 73–100, Nachdruck: Lorenzen, P./Lorenz, K.: Dialogische Logik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978, S. 96–162. Lorenzen, P. (1980): Die dialogische Begründung von Logikkalkülen. In: Gethmann, C. F. (Hrsg.), Theorie des wissenschaftlichen Argumentierens. Frankfurt: Suhrkamp, 1980, S. 43–72. Lorenzen, P./Lorenz, K. (1978): Dialogische Logik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1978. Lüsing, J. (2010): Die Pflichten aus culpa in contrahendo und positiver Vertragsverletzung. Baden-Baden: Nomos, 2010. Medicus, D. (2006): Allgemeiner Teil des BGB. 9. Aufl., Heidelberg: Müller, 2006. Meyer-Goßner, Lutz (2011): Strafprozessordnung. 54. Aufl., München: Beck, 2011 (zit.: StPO).

Literaturverzeichnis

167

Motive BGB (1888): Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich. Bd. I: Allgemeiner Teil, Berlin u. a.: Guttentag, 1888. Muckenhaupt, M. (1978): Lernziel sprachliches Handeln. München: Ehrenwirth, 1978. Oberheim, R. (2009): Zivilprozessrecht für Referendare. 8. Aufl., Köln: Kluwer, 2009. Palandt (BGB): Bürgerliches Gesetzbuch. 70. Aufl., München: Beck, 2011. Quine, W. V. O. (1961): Two Dogmas of Empiricism. In: From a Logical Point of View. 2. Aufl., New York: Harper & Row, 1961, S. 20–46. – (1964): Methods of Logic, in dt. Übersetzung: Grundzüge der Logik. Frankfurt: Suhrkamp, 1974. – (1976): Word and Object. 10. Aufl., 1976, in dt. Übersetzung: Wort und Gegenstand. Stuttgart: Reclam, 1993. – (1992): Pursuit of Truth. 1992, in dt. Übersetzung: Unterwegs zur Wahrheit. Paderborn u. a.: Schöningh, 1995. Rath, I. W. (1995): Wie die Logik auf Vor-Urteilen beruht. In: Conceptus. Zeitschrift für Philosophie. Bd. XXVIII (1995), Nr. 72, S. 1–19. Rolfes, E. (1974): Vorrede des Übersetzers zu den Kategorien des Aristoteles. In: Aristoteles (Org. I), dt. Ausgabe: Kategorien, Lehre vom Satz (Organon I/II), Hamburg: Meiner, 1974, S. 37–42. Salmon, W. C. (1973): Logic, 2. Aufl., 1973, in dt. Übersetzung: Logik, Stuttgart: Reclam, 1993. Schapp, J. (1986): Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre. Tübingen: Mohr, 1986. – (1996): Grundlagen des bürgerlichen Rechts. 2. Aufl., München: Vahlen, 1996. Schlick, M. (1925): Allgemeine Erkenntnislehre. 2. Aufl., Berlin: Springer, 1925. Nachdruck: Frankfurt: Suhrkamp, 1979. – (1932): Positivismus und Realismus. In: Erkenntnis. Bd. 3 (1932/33); S. 1–31. Schmoeckel/Rückert/Zimmermann (2003): Historischer Kommentar zum BGB, Schmoeckel, M./Rückert, J./Zimmermann, R. (Hrsg.), Bd. 1: Allgemeiner Teil, Tübingen: Mohr Siebeck, 2003. Searle, J. R. (dt. 1969): Sprechakte. Übersetzung von: Speech Acts. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 1969; 7. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1997. Searle, J. R./Vanderveken, D. (1985): Foundations of Illocutionary Logic, Cambridge, Cambridge Univ. Press, 1985. Sellars, W. (1974): Language as Thought and as Communication. In: Ders. (Hrsg.), Essays in Philosophy and Its History, Dordrecht: Reidel 1974, S. 93–117. Strawson, P. F. (1952): Introduction to Logical Theory. Northampton: Dickens, 1952. Thiel, Ch. (1995): Logik. In: Mittelstraß, J. (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 2, Stuttgart: Metzler, 1995, S. 626–631. Thomas/Putzo (ZPO): Zivilprozessordnung. 32. Aufl., München: Beck, 2011.

168

Literaturverzeichnis

Till Eulenspiegel (1519/1948): Ein kurzweiliges Lesen vom Till Eulenspiegel und was er für seltsame Possen getrieben hat. Der Urfassung aus dem Jahre 1519 nacherzählt von Robert Münchgesang. Reutlingen: Enßlin & Laiblin, 1948. Tugendhat, E./Wolf, U. (1997): Logisch-semantische Propädeutik. Stuttgart: Reclam, 1997. Waismann, F. (1993): Anhang A u. B. In: Werkausgabe Ludwig Wittgenstein. Bd. 3: Wittgenstein und der Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von F. Waismann; Hg.: MC Guinness, B.; 5. Aufl.; Frankfurt: Suhrkamp, 1996. Walton, D. N. (2007): Dialog Theory for Critical Argumentation. Amsterdam u. a.: Benjamins, 2007. Walton, D. N./Krabbe, E. C. W. (1995): Commitment in Dialogue. New York: NY Univ. Press, 1995. Wittgenstein, L. (1984): The Blue Book. Dt. Übersetzung: Das Blaue Buch. Werkausgabe. Bd. 5, Rhees, R. (Hrsg.), 1. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1984 (zit.: BB). – (1989): Philosophische Bemerkungen. In: Werkausgabe. Bd. 2, Rhees, R. (Hrsg.), 1. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1989 (zit.: PB). – (1993a): Philosophische Untersuchungen. In: Werkausgabe. Bd. 1, 9. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1993 (zit.: PU). – (1993b): Tractatus logico-philosophicus. Nachdruck: Werkausgabe. Bd. 1, 9. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1993 (zit.: Trl). – (1996): Gespräche, aufgezeichnet von F. Waismann. In: Werkausgabe. Bd. 3, MC Guinness, B. (Hrsg.), 5. Aufl., Frankfurt: Suhrkamp, 1996 (zit.: Gesp). Wolters, G. (1995): Organon. In: Mittelstraß, J. (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Bd. 2, Stuttgart: Metzler, 1996, S. 1093–1094. – (1996a): Syllogistik. In: Mittelstraß, J. (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, Stuttgart: Metzler, 1996, S. 156–158. – (1996b): Hypothetischer Syllogismus. In: Mittelstraß, J. (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, Stuttgart: Metzler, 1996, S. 154–155. Woods, J./Walton, D. (1989): Fallacies, Selected Papers 1972–1982. Dordrecht u. a.: Foris, 1989. Zifonun, G./Hoffmann, L./Strecker, B. u. a. (1997): Grammatik der deutschen Sprache. Bd. 1, Berlin u. a.: de Gruyter, 1997 (zit.: GdS).

Namen- und Sachverzeichnis a-Relation 107 Anfechtung 156 Arglistige Täuschung 156, 161 Aristoteles 19–23, 53, 54, 60, 69 Aussage 15 – Bestandseigenschaft 55–58, 122 – gemachte 127 – gemeinte 128 – interpretierte 128 Austin, J. L. 137, 138, 140, 143, 144, 156–158 Bedeutung 25, 132, 133, 135 – vs. kommunikativer Gehalt 135, 136 Bedeutungspostulat 25–30, 45 Begriff 24 Behauptung 16 Carnap, R. 26, 29, 30, 33, 34, 36–39 Carroll, L. 17, 18, 52, 131 Davidson, D. 152 Definition 34, 45 – implizite 37, 38 Dialektisches System 71 Dialogische Logik 59, 62–68 Eigenschaftsirrtum 156, 161 Eristik 60, 71 Erkenntnis 34, 45 Erklärungsirrtum 157, 160 Erklärungstheorie 160 Festlegungen 15, 57 – Arten 78, 87, 105 – auf begriffliche Zusammenhänge 24–30

– auf naturgesetzliche Zusammenhänge 40–48 – auf Tatsachen 31–40 – durch Illokution 139–141 Festlegungsspeicher 57, 59, 65, 71, 121 – Buchführung 74, 127 – Konsistenz 82–84, 123, 124 Formale Dialektik 69–84 Frege, G. 16, 27, 42–44, 140 Fritz, G. 106, 111, 112, 115, 117, 121, 126, 138–141 Geheimer Vorbehalt 158, 161 Gemeinte 113, 127 Gesagte 113, 127 Gewinnstrategie 61 Grice, P. 112, 114–116, 127, 147, 148, 150, 152 Håkjerringkjøtt-Fall 128, 137, 151 Hamblin, Ch. L. 69–84, 97, 105, 118, 119, 123, 139, 141 Handlungsmuster 106 – untergeordnetes 108 – zusammengesetztes 109 Harras, G. 113, 132, 151 Heringer, H. J. 106–109, 126, 127, 141 Hilbert, D. 37 Illokution 137 – vs. Perlokution 141–144 Imperativ, hypothetischer 124 Implikation – logische 48–53 – materiale 42–47, 49, 62

170

Namen- und Sachverzeichnis

Implikatur 113 – aufgrund offener Prinzipverletzung 116 – konventionelle 113 – konversationelle 114 Indem-Zusammenhang 107–110 Individualismus 134, 136, 137 Inhaltsirrtum 157, 160 Kant, I. 26, 27, 124, 125 Keller, R. 25, 135, 136, 146 Kennzeichnung, strukturelle 38, 39 Kollektivismus 134 Kommunikationsprinzip 110–112 Kommunikativer Akt 146–150 Kommunikativer Gehalt 135 – vs. Bedeutung 135, 136 Kommunizieren 135 Konklusion 15 Konstitutionssystem 36 Konvention 133 Kooperationsprinzip 114, 115 Krabbe, E. C. W. 85–87, 97, 105, 119 Lewis, D. K. 123, 124, 133 Logischer Schluss 15, 48 Lokution 137 Lorenz, K 59, 61–68, 118, 139 Lorenzen, P. 59, 61–68, 118, 139 Modus Barbara 21–24 Modus ponens 41 Perlokution 138 – vs. Illokution 141–144 petitio principii 70 plurium interrogationum 74, 76 Prädikation 137, 145 Prämisse 16 Präsupposition 73, 123 Quine, W. V. O. 27, 28

Rechtsgeschäft 153–155 Referenz 137, 145 rule of accommodation 123, 136 Satz vom ausgeschlossenen Dritten 43, 53 Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch 53–55, 122 Schlick, M. 34, 35, 37 Searle, J. R. 144–146, 148–151, 158 Selbstbindung 130, 137, 150, 153, 159, 162 Sellars, W. 125 Semantische Autonomie 134 Semantische Autorität 134, 135 Sequenzmuster 75 Sozialer Atomismus 134 Sozialer Holismus 134 Spielraum 43, 47, 57 Spielstand 121 Sprachliche Äußerung 107 Sprachliche Handlung 106, 107 – Bedingung G 156 – Bedingung G.1 158 – Bedingung B.1 157 – geglückte 137, 151 Sprachspiel 120 Sprechakttheorie 137–139, 144–146 Strawson, P. F. 53–55, 57 Syllogismus 19–21 Teilnahme 125 Trugschluss 69, 70, 86 Verpflichtungswille 154 Vertrag 154 Wahrhaftigkeit 92, 115–119 Walton, D. N. 85–87, 97, 105, 119 Wiener Kreis 32 Willenserklärung 153 Willenstheorie 159

Namen- und Sachverzeichnis Wissen 121 – gemeinsames 126 Wittgenstein, L. 33, 43, 120, 135, 152 Zivilprozess 88–91 – Anscheinsbeweis 100 – Behaupten 92

– – – – – – –

Bestreiten 95 Beweis-antreten 101 Dialogmodell 91, 102–105 Geständnis 96–98 Gewinnregeln 91, 92 Indizienbeweis 100 Zugestehen 94

171