Schwabenland und seine Dichter: Vortrag [Reprint 2021 ed.]
 9783112435588, 9783112435571

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Schwabenland und seine Dichter. Vortrag-, gehalten auf der XX. Hauptversammlung des deutseben Vereins für das höhere Mädchenschulwesen in Ulm, 3. Oktober 1907,

von

Dr. E. Mann.

Bonn, A. Marcus lind E. Weber's Verlag. 1908,

Schwabenland und seine Dichter. Vortrag, gehalten auf der XX. Hauptversammlung des deutschen Vereins für das höhere Mädchenschulwesen in Ulm, 3. Oktober 1907, von Dr. E. Mann.

Hochverehrte Anwesende! Sie haben soeben manch herzliches Wort der Begrüßung vernommen. Gestatten Sie, dass ich daran anknüpfe. Gestatten S i e , liebe schwäbische Schwestern und Brüder, dass ich als Vertreter der Familie in Ihrem Namen zu den Gästen spreche, und S i e , liebe Bäschen und Vettern von „dort draußen in der Welt", dass ich Ihnen mit einem schwäbischen „Grüß Gott!" an der Schwelle entgegentrete und die angenehme Wirtin mache. Was tut nun die schwäbische Hausfrau, wenn sie lieben Besuch erwartet und empfängt? — Sie holt das Beste hervor, was das Haus vermag, die Prunkstücke des Haushalts, nicht um sich damit zu brüsten, sondern um die Gäste zu ehren. Ja, sollte auch ein behagliches Selbstgefühl auf ihren Zügen zu lesen sein, wenn sie die Gäste durch Haus und Garten führt, die Einrichtung erklärt, in der guten Stube die Familienbilder zeigt und dabei von der Verwandtschaft erzählt, — die ist ja nirgends so groß wie in Schwaben — was tut's schließlich? — ein verständiger und wohlwollender Gast wird daran keinen Anstoß nehmen, sondern sich mit ihr freuen. Lassen Sie sicli's also auch gefallen, werte Gäste, dass wir Sie ein wenig herumführen in unserem Heim und Ihnen dabei das Beste zeigen, was wir haben: unsere Dichter. Freilich, gerade die besten kennen Sie schon. Sie haben nicht nötig, nach Schwaben zu kommen, um durch uns mit Schiller bekannt gemacht zu werden. Das Wort: „Wer den Dichter will versteh'n, Muss in Dichters Lande geh'n!" ist zunächst gebraucht von einem fernen, fremden Lande. In beschränkterem Umfang kann es doch auch von einer einzelnen Landschaft des eigenen Vaterlandes gelten, wenn sie eigenartige Daseinsbedingungen bietet. Ich glaube, bei unserer engeren Heimat ist das

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Schwabenland und seine Dichter.

der Fall,

und war

folgenden

versuchen,

es früher uns

noch mehr als heute.

diese Eigenart

Wenn wir im

und ihre Wirkungen auf

die Dichtung zu vergegenwärtigen, so werden wir daher unser Augenmerk

hauptsächlich

auf die fest im Boden der Heimat wurzelnden

Dichter der älteren Zeit zu richten haben. — Der Satz, dass innigstes Verständnis des Dichters nur auf dem Boden, dem er entsprosst ist, möglich sei, lässt aber auch eine Umkehrung zu: höchsten Reiz verleiht dem L a n d e

erst

darüber breitet.

Wiederum, glaube

zu für unser L a n d , verklärt ist. ein

Bild

der

farbige Schimmer,

den

die

Dichtkunst

ich, trifft das in hohem Grade

wo fast j e d e s F l e c k c h e n E r d e

von der Poesie

Darum wird es erwünscht sein, wenn wir gelegentlich

schwäbischer

Landschaft

im Widerscheine

der Dichtung

einfügen in die Erörterung des Einflusses von Natur und Geschichte des L a n d e s auf die Dichter.

Sollte Ihnen da oder dort dieser Einfluss

zweifelhaft erscheinen, so halten S i e sich an die andere Seite des Verhältnisses zwischen dem Schwabenland und seinen Dichtern. D a s schwäbische Gebiet im allerweitesten Sinn nimmt die ganze S ü d w e s t e c k e des deutschen Sprachgebiets, südlich vom Fränkischen, westlich vom Bayrischen ein.

Gewöhnlich wird j e d o c h vom eigent-

lichen S c h w a b e n das „Alemannische" in der Schweiz, Baden und dem Elsass noch unterschieden. einem B i c k auf die K a r t e Landschaft

auf.

Zwar

Auch bei dieser Beschränkung fällt bei zunächst

die große Mannigfaltigkeit der

die T i e f e b e n e

des großen Stromtales

fällt

weg, wenn wir Baden und E l s a s s nicht in B e t r a c h t ziehen, aber das Hochgebirge

ragt

im Allgäu

gerade

„schwäbisches M e e r " , das freilich

noch

des Landes ist gar sehr binnenländisch, schwäbische H o c h e b e n e " .

herein.

W i r haben ein

nur ein S e e ist, denn die L a g e und wir haben eine „ober-

D a sind ferner zwei Mittelgebirge, die unter

sich recht verschieden sind: der Schwtirzwald, sanft abfallend gegen das Innere des L a n d e s ,

aber

mit

granitenem Kern

wallendem Gewände aus dunklen Tannenwäldern,

im Herzen und und die

„schwä-

bische A l b " , im Grunde nur ein offenes, durstiges Kalkplateau, aber mit prächtigem Steilrand abbrechend gegen das Unterland. das Gebiet

des

oberen

und mittleren N e c k a r s ,

eingekeilt zwischen die

beiden Mittelgebirge,

spitzem W i n k e l zusammenstossen. tum, das Herz des Schwabenlandes. reichste

Mannigfaltigkeit,

bunter

Dieses,

ist recht eigentlich die

im Süden

unter

Dies ist nun das innerste HeiligAuch hier herrscht im einzelnen Wechsel

von

bewaldeten

Hügel-

ketten und stillen Wiesentälern, steilen Rebenhängen und kornreichen

Schwabenland und seine Dichter.

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Feldern und Gauen („Filder" und „Gäu"), aber im allgemeinen kommt doch diesem ganzen Gebiet ein gemeinsamer Charakter zu: der des Lieblichen, während eigentlich großartige Züge fehlen. Etwas Trautes, der Schwabe wird sagen „Heimeliges", hat diese Landschaft. Nehmen wir noch hinzu, dass hier das Klima milde ist und der Boden fruchtbar, dass er aber doch bei dichter Bevölkerung intensive Arbeit erfordert, so werden wir die wichtigsten natürlichen Bedingungen für die Entwicklung der Eigenart der Bewohner beisammen haben. Zunächst leuchtet ein, dass die Schwierigkeiten, die der Gebirgsbau einem großen Durchgangsverkehr entgegensetzt, der Sonderentwicklung, der Ausbildung eines schwäbischen Partikularismus günstig sein mussten. Die geschilderte Mannigfaltigkeit des Landschaftscharakters aber soll uns als Entschuldigung dienen, wenn es nicht gelingen will, die schwäbische Eigenart auf eine einfache Formel zu bringen. Denn in der T a t ist der Schwarzwälder ein anderer als der Älbler oder Unterländer. Hier erhebt sich zunächst die Frage, ob diese Natur dichterische Fähigkeiten zu wecken und zu nähren geeignet sei. — Ich berufe mich auf ein Wort des Ästhetikers Fr. Vischel - , eines der besten Repräsentanten zugleich und Kenners schwäbischer Art, der im Tagebuch seines „Auch Einer" seinen lieben Landsleuten einen Spiegel vorhält, der ihnen nicht schmeichelt. In seinem Aufsatz Uber „Strauß und die Wlirttemberger" (Krit. Gänge, I) sagt e r : „Wir haben Berge. Das ist wichtiger als man glaubt, auch f ü r die geistige Entwicklung. Beige wirken mächtig auf die Phantasie, die duftigen Konturen am Saume des Horizonts führen die Seele ins Unendliche hinaus und stimmen poetisch." Betrachten Sie irgend eine schwäbische L a n d s c h a f t : überall erblicken Sie lachende Fluren am Fuße bewaldeter Hügel, „Und ein blaues Gebirg endigt im Dufte die Welt." Ich darf S c h i l l e r s S p a z i e r g a n g : „Sei mir gegrüßt, mein Berg!" um so mehr hier anführen, wo von der Befruchtung der dichterischen Phantasie durch das Landschaftsbild die Rede ist, als dieses Gedicht in der T a t seine Entstehung den Anregungen verdankt, die der Dichter beim Besuch der schwäbischen Heimat im Jahre 1794 empfangen. „Berge wirken mächtig auf die Phantasie", so dass sie zu ihnen emporstrebt: „Hätt' ich Schwingen, hätt' ich Flügel, Nach den Hügeln zog' ich hin! . .

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S c h w a b e n l a n d u n d s e i n e Dichter.

Ach, wie schön muss sich's ergehen Dort im ew'gen Sonnenschein; Und die Luft auf jenen Höhen, 0 wie labend muss sie sein!" — Es ist im Grunde dieselbe Erscheinung, nur aus der Sprache Schillers in den gemütlich heiteren Ton des Märchens übersetzt, wenn uns M ö r i k e im „ S t u t t g a r t e r H u t z e l m ä n n c h e n " erzählt: „Mit großen Freuden sah er bald von der Bempflinger Höhe die Alb, als eine wundersame blaue Mauer ausgestreckt. Nicht anders hatte er sich immer die schönen blauen Glasberg-e gedacht, dahinter, wie man ihm als Kind gesagt, der Königin von Saba Schneckengärten liegen." Auf der Rückreise von Ulm tröstet und erhebt den Seppe dieselbe Augenweide wiederum inmitten „aller Übelfahrt und Kümmernis". „Er hielt dafür, in allen deutschen Landen möge wohl Herrlicheres nicht viel zu finden sein als dies Gebirg zur Sommerzeit und diese weit gesegnete Gegend." Es ist, beiläufig, wieder genau derselbe Standpunkt, auf dem M a l e r N ö l t e n und seine Freunde sich erst dem Zauber der Landschaft nnd dann dem der Sage und Dichtung hingeben. Ich kann es mir nicht versagen, wenigstens ein paar Sätze aus jener Schilderung der Aussicht vom „Geigenspiel" anzuführen: „Hier schaute, nicht allzuweit entfernt, der lang gedehnte Rand des hohen Gebirgszugs ernsthaft und groß herüber . . . Besonders lang verweilte Agnes auf den Falten der vorderen Gebirgsseite, worein der schwüle Dunst des Mittags sich so reizend lagerte, die wunderbare Beleuchtung mit Vorrückendem Abend immer verändernd, bald dunkel, bald stahlblau, bald licht, bald schwärzlich anzusehn. Es schienen Nebelgeister in jenen feuchtwarmen Gründen irgend ein goldenes Geheimnis zu hüten." Vermag schon der Anblick der schwäbischen Alb die Phantasie so zu beflügeln, wie lockt erst das Bild, das sich an einem klaren Herbstabend auf ihren Höhen darbietet, hinaus und hinauf, der Anblick „des Alpengebirgs, das mir" —• es ist Friedr. H ö l d e r l i n , der hier redet — „Das mir die göttlichgebaute, Die Burg der Himmlischen heißt."

(„Der Rhein".)

„Wie die freundliche Heimat Winkt es von oben herab, und auf die Gipfel der Alpen Möcht' ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler,

Schwabenland und seine Dichter.

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Dass er, wie einst in die Arme des Zeus den seligen Knaben, Aus der Gefangenschaft in des Äthers Halle mich trage." („An den Äther.") Bei Hölderlin finden wir zwei Züge des schwäbischen Wesens vereinigt, die sich widersprechen, aber doch von jeher dem Beobachter aufgefallen sind: ein Streben in die Ferne, dicht neben treuester Anhänglichkeit an die Heimat, zwei Züge, die wir gerne in Beziehung setzen möchten zur Natur des Landes, in dessen trauliche Enge die Gipfel der Alpen hereinschauen und aus dem die Quellen hinabeilen „zum still erhab'nen Rhein, zu seinen Städten hinunter und lustigen Inseln ! '. In dem Gedicht „Wanderung" preist Hölderlin Suevien, seine Mutter, glückselig: „ . . Alpengebirg der Schweiz auch überschattet, Uraltes, benachbartes, dich; denn nah dem Herde des Hauses Wohnst du, und hörst, wie drinnen Aus silbernen Opferschalen Der Quell rauscht . . . . . . Darum ist Dir angeboren die Treue. Schwer verlässt, W a s nahe dem Ursprung wohnt, den Ort. Und deine Kinder, die Städte Am weithindämmernden See, An Neckars Weiden, am Rheine, Sie alle meinen, es wäre Sonst nirgend besser zu wohnen. — Ich aber will dem Kaukasos zu!" Wohl sehnt er sich nach den „schönen Inseln Ioniens, wo die Meerluft Die heißen Ufer kühlt und den Lorbeerwald Durchsäuselt, wenn die Sonne den Weinstock wärmt". Und doch! . . „Zu euch, ihr Inseln! bringt mich vielleicht, zu euch, Mein Schutzgott einst; doch weicht mir aus treuem Sinn Auch da mein Neckar nicht mit seinen Lieblichen Wiesen und Uferweiden." Lassen Sie mich den Anfang des herrlichen Gedichts noch lesen : „In deinen Tälern Wächte mein Herz mir auf Zum Leben, deine Wellen umspielten mich, Und all der holden Hügel, die dich W a n d e r e r ! kennen, ist keiner fremd mir", („Der Neckar.")

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Schwabenland und seine Dichter.

dann will ich Ihnen für übermorgeD 1 ) noch etwas mitgeben auf die Reise an den Bodensee, nach dem „glückseligen

Lindau":

„Eine der gastlichen Pforten des Landes ist dies, Reizend hinauszugeh'n in die vielversprechende Ferne, Dort, wo die Wunder sind, dort, wo das göttliche W i l d , Hoch in die Eb'ne herab der Rhein die verwegene Bahn bricht, Und aus Felsen hervor ziehet das jauchzende Tal, Dort hinein, durchs helle Gebirg, nach Como zu wandern, Oder hinab wie der Tag wandelt, den offenen See. Aber reizender mir bist du, geweihete Pforte, Heimzugeh'n, wo bekannt blühende W e g e mir sind, Dort zu besuchen das Land und die schönen Tale des Neckars Und die Wälder, das Grün heiliger Bäume, wo gern Sich die Eiche gesellt mit stillen Birken und Buchen Und in Hügeln ein Ort freundlich gefangen mich nimmt." („Heimkunft.") Hölderlin

hat

ihm

den

schönsten Ausdruck

verliehen,

aber

wiederfinden können wir ihn auch bei andern schwäbischen Dichtern, den doppelten Trieb: „hinauszugehen in die vielversprechende Ferne, wo die Wunder sind", und den, T a l in trauliche Haft

sich dem engumgrenzten heimischen

zu ergeben.

So

lässt Rudolf

Helden seiner an autobiographischem Gehalt schwarze Schloss"

sagen:

„Auch jetzt

Kansler

reichen Novelle schwankte ich,

den „Das

wie

in

frühester Jugend, zwischen dem Verlangen nach der weitesten Ferne, um alle Wunder der Natur zu schauen, und dem Vorsatz, mich einsiedlerisch in ein enges Gebirgstal abzuschliessen, oft,

die Natur

könne

ganze Herrlichkeit

auch

hier

offenbaren,

nur in einem solchen Leben zu Der letztere Trieb

hat

ja

dem

denn es war mir

andächtigen Forscher ihre

die Ruhe

der Betrachtung

sei

finden."

sich bei Kausler, der Jahrzehnte lang

in weltabgeschiedenen Dörfern als Pfarrer wirkte und auch literarisch wenig an die Öffentlichkeit gedrungen ist, als der Stärkere erwiesen. Der Gedanke, dass die Natur auch im engen T a l

dem andächtigen

Forscher ihre ganze Herrlichkeit offenbaren könne,

erinnert lebhaft

an zwei Gedichte Uhlands: „Das T a l " :

„ W i e willst du dich mir offenbaren, W i e ungewohnt, geliebtes T a l ? "

und „ R e i s e n " : l)

„Reisen soll ich, Freunde, reisen? . . .

Für den dritten Tag war ein Ausflug dorthin geplant.

Schwabenland und seine Dichter.

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Und doch hab ich tiefer eben In die Heimat mich versenkt, Fühle mich, ihr hingegeben, Freier, reicher, als ihr denkt. Nie erschöpf' ich diese Wege, Nie ergründ' ich dieses Tal Und die altbetretnen Stege Rühren neu mich jedesmal. . . . Wann die Sonne fährt von hinnen, Kennt mein Herz noch keine Ruh', Eilt mit ihr von Bergeszinnen Fabelhaften Inseln zu; Tauchen dann hervor die Sterne, Drängt es mächtig mich hinan, Und in immer tiefre Ferne Zieh' ich helle Götter bahn." Klingt das nicht wie eine Illustration zu den Worten Fr. Vischers: „Die duftigen Konturen am Horizont führen die Seele ins Unendliche hinaus und stimmen poetisch?" Aber wir sehen, das engumgrenzte Tal hat auch seine Ehre. Ausgehend von dem Gedanken, dass die Natur unseres Landes der Phantasietätigkeit im allgemeinen günstig sei, sind wir darauf geführt worden, dass diese Natur, dank ihrer Mannigfaltigkeit, nicht nur „die Seele ins Unendliche hinauszuführen" geeignet ist, sondernganz besonders auch zu einer innigen Versenkung in das Nahe und Nächste einladet. Ist es nun ein Zufall, dass unter den mannigfachen Talenten, die dieses Land hervorgebracht hat, gerade die Dichter besonders zahlreich vertreten sind, und dass, trotz Heine, der den Schwabendichtern die Phantasie absprechen will, ein J. K e r n e r, ein E. M ö r i k e geradezu verblüffen durch den Reichtum ihrer Phantasie? Ist das Verhältnis zur Natur, K. M a y e r s Andacht zum Unbedeutenden, J. G. F i s c h e r s „fast erotisch gemahnender Drang" nach der Natur (um mit seinem Sohne zu reden), ein Zufall, oder walten hier wirklich geheimnisvolle Kräfte? „Ob die Wasser und die Berge, Stern und Sonne, Luft und Boden Tiefer einen Menschen, oder Äußerlich allein berühren, Ob von innen, wie aus Keimen, Seiner Leiblichkeit Gestaltung,

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Schwabenland und seine Dichter. Seines Geistes Art und Wesen Sie erzeugen und gebären?"

So fragt sich der zuletzt genannte Dichter in dem Idyll vom „ G l ü c k l i c h e n K n e c h t " , das sein eigenes Heimatdorf zum landschaftlichen Hintergrund hat. „Wer es wüsste! — Doch es dünkt mich, Du von deiner Heimat Bergen, Wo der Hohenstein und Staufen, Wo der Grüneberg und Rechberg Kreuzend sich die Hände reichen, Bist von ihnen eisenhaltig, Bist von deiner Heimat Sonne Sonnenfreundlich, und von ihren Quellen augenhell geworden." Lassen wir es auch so gelten! Wer kann es wissen? Doch es dünkt mich, die Worte des Dichters bestätigen das Urteil des grossen Kritikers, der selbst ein Dichter war, dass eine der Quellen schwäbischer Dichtung die schwäbische Landschaft sei. — Eine der Quellen, nicht die einzige. Ja, diese eine ist noch nicht erschöpft. F r . F i s c h e r fährt nach j e n e m : „Wir haben Berge", fort: „Wir sind aber kein Gebirgsvolk, d. h. kein durch grosses und zusammenhängendes Gebirge von der Kultur abgeschlossenes und in kindlicher Naivität zurückgehaltenes Volk." Als Gegenbeispiel verweist er dann auf die Schweizer. Zu der Zeit, in der uns Schiller diese schildert, als „ein harmlos Volk von Hirten", da „bewegte eine Welt des Kuhms sich glänzend jenseits ihrer Beige", da hatte Schwaben schon eine ruhmreiche Geschichte und eine erste literarische Blütezeit hinter sich. Erschienen doch die ersten Ausgaben unserer wiederentdeckten mittelalterlichen Dichter unter dem Titel: „ P r o b e n d e r a l t e n s c h w ä b i s c h e n P o e s i e d e s 13. J a h r h u n d e r t s " (1748) und „ S a m m l u n g v o n M i n n e s i n g e r n a u s d e m s c h w ä b i s c h e n Z e i t p u n k t e " (1758). Die Kultur des Mittelalters hat in unserem Lande reiche Überreste zurückgelassen. Betrachten Sic nochmals eine schwäbische Landschaft; treten Sie mit mir auf eine Höhe am Schönbuchrand über Tübingen! — Vor uns ein steiler, bewaldeter Bergrücken, der das Ammertal vom Neckartal trennt. Dort, an seinem rechten Ende, senkt sich die Umrisslinie jählings herab, um sich sofort wieder

Schwabenland und seine Dichter. emporzuschwingen Kegelberg stehet Sage

ist

die

von

in

wie

wellenförmiger

ein Wachtposten

Kapelle,

ihrer

schauet

Gründung

Biegung:

11 ein

freistehender

vorgeschoben, still

mögen S i e

ins

sich

und

Tal von

„droben

hinab".

Gustav

Die

Schwab

erzählen lassen: wie Graf Anselm von Calw sterbend verordnet, den S a r g mit seiner L e i c h e auf einen mit Stieren bespannten Wagen zu legen, „Und wenn sie halten auf einem Berg, Macht dort mir ein Grab zur Stelle, Und baut zu Gottes Ehre auf Eine heilige Kapelle!" Am andern E n d e des Bergzugs mit Mauern Füßen

und

Türmen

die S t a d t



die B u r g

die Burg

aber ruht schwer und massig der Pfalzgrafen

und S t a d t ,

und zu ihren

die Pfalzgraf Götz von

Tübingen so leichten Herzens an Württemberg verkauft hat. Die L i n d e , die dort vor dem inneren Burgtor aufragt, hat der sagenberlilimte

Herzog Ulrich

gepflanzt;

ruht er aus von den Stürmen

im Chor

seines Lebens,

der

neben

Stiftskirche

den Gebeinen

seines grossen Vorfahren Eberhards im B a r t , des „reichsten F ü r s t e n " , die

er

vom

benachbarten

Einsiedel,

wo

der

schicksalskundige

Weißdorn rauscht, hierher überführen ließ. Und wenn wir nochmals nach der Alb hinsehen, so zeigt sich die

einförmige Mauer

z a c k i g e Zinnen

dem

Rundtürme stehen davor, die Achalm,

aufmerksamen B l i c k

krönen sie,

„da

haust

breite T o r e

wie

an

tun

reich

sich

auf,

gegliedert: mächtige

den Toren zu N ü r n b e r g : das ist

manch kühner A a r " ,

und

an ihrem F u ß e

sehen wir sie schimmern: Reutlingen die Stadt, mit ihrem schlanken Münsterturm.

Reichsstädte

im L a n d ;

schwäbische Städtebund —

der

und

Ritterburgen

gibt

wie

es

die

Menge

später der Bauern-

k r i e g — hat dafür gesorgt, dass manches Felsennest nun in Trümmern liegt, aber nur um so mächtiger regt es so die jugendliche Phantasie an.

Fragen S i e nur U h l a n d : „Als Knabe stieg ich in die Hallen Verlassner Burgen oft hinan; Durch alte Städte tät ich wallen Und sah die hohen Münster an. Da war es, dass mit stillem Mahnen Der Geist der Vorwelt bei mir stand, Da ließ er frühe schon mich ahnen, W a s später ich in Büchern fand:

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Schwabenland und seine Dichter.

Dass Jungfrau'n dort von ew'gem Preise, Die heil'gen Lieder einst gewohnt Und in der Edelfrauen Kreise Beim Feste des Gesangs gethront." Namentlich ist es ein Berg — wir sehen ihn von unserem Standpunkt noch ganz links in duftiger Ferne — der seit der Wiederbelebung mittelalterlicher Geschichte und Dichtung einen mächtigen Zauber ausgeübt h a t : „ . . Jener Berg, der hoch und schlank Sich aufschwingt, aller schwäb'schen Berge schönster, Und auf dem königlichen Gipfel kühn Der Hohenstaufen alte Stammburg trägt." (Uhl.) Heute ist die Burg bis auf die letzte Spur verschwunden, und nur das Staufenkirchlein erzählt noch: „Hic transibat Caesar", heute „steht der Fels gar öd und kahl. Doch wie der Mond aus Wolken bricht, Mit ihm der Sterne klares Heer, Umströmt den Fels ein seltsam Licht, Draus bilden sich Gestalten hehr: Die alte Burg mit Turm und Tor Erbauet sich aus Wolken klar, Die alte Linde sprosst empor, Und alles wird, wie's vormals war." (J. Kerner.) Hohenstaufens kahles Haupt musste zu der Zeit, da im Norden der neue Liederfrühling erblühte, die Schwaben mit stummem Vorwurf mahnen an die verschwundene Herrlichkeit und den alten Ruhm des Landes, „Wo e i n s t so h e l l v o m S t a u f e n d i e R i t t e r h a r f e klang." So erklärt es sich, dass die Romantik in Schwaben so eifrige Anhänger fand, dass nicht bloß der ihr geistesverwandte J . Kerner, sondern auch der in mancher Hinsicht durchaus unromantische Uhland ihr sein ganzes Herz zuwandte. Vielleicht ist es von Interesse, auch noch einen „Ausländer" — wenn ich so sagen darf — zu hören, denn gerade dem Fremden fallen oft Eigentümlichkeiten eines Landes stärker auf als dem, der darin aufgewachsen ist. Mit unsern beiden romantischen Freunden studierte und schwärmte damals in Tübingen Varnhagen v. Ense. Aus einem seiner Briefe aus jener Zeit entnehme ich folgende Schilderung des Landschafts und Volkscharakters: E r findet, das Land

Schwnbenland nnd seine Dichter.

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sei „recht die Heimat des Spuk- und Gespensterwesens, der Wunder des Seelenlebens und der Traumwelt . . . Das Land ist gepfropft voll von Sagen, Prophezeiungen, Wundern, Seltsamkeiten dieser Art. Die Physiognomie des Rodens trägt gewiss das ihrige dazu bei, sie spricht im allgemeinen das Gemüt tief an; man fiihlt sich einsam und wie aus der Welt geschieden in diesen beschränkten Talstrecken und auf diesen mäßigen Höhenzügen; überall trifft der Blick auf zerstörte Burgen, einsame Kapellen . . . Tübingen besonders hat in seinem Örtlichen etwas Ahnungsvolles, Seltsames, und es gibt Hügelecken und Talwindungen, wo man am hellen Mittag irgend eine Unheimlichkeit argwöhnen könnte . . . Kerner ist nun in diesen Richtungen der wahre Ausdruck seines Landes und Volkes, nur emporgehoben aus der untersten Region in eine höhere, wo wissenschaftliche Einsicht und dichterische Phantasie zu dem Volkstümlichen sich mischen." Varnhagen wundert sich, dass gegen diese Stimmung die Wirksamkeit des Protestantismus nichts vermocht habe. Das ist in der Tat bemerkenswert. Man hat sogar den Eindruck, dass sie im Gegenteil Nahrung fand in dem religiösen Mystizismus, der im Lande Bengels und Ötingers weithin verbreitet war. Auch beim P f a r r e r v o n C l e v e r s u l z b a c h spielt das Ahnungsvolle, Übersinnliche eine große Rolle, nicht nur in dem Roman Maler Nolten, sondern auch in des Dichters Leben. Hat ihn doch sogar bei der folgenschwersten Entscheidung seines Lebens, der Verlobung mit der katholischen Margarete v. Speth, ein seltsames Erlebnis eines hellseherischen Traumzustandes mitbestimmt. Und in seinem Hause ging ein neckischer Poltergeist um, die arme Seele eines liederlichen Amtsvorgängers Namens Rabausch. Ja, Mörike hat einmal mit dem Vikar den Zimmerboden deshalb aufgebrochen, ohne freilich den Rabausch zu fangen! — Ich kenne selbst Pfarrhäuser, in denen Rabäusche umgingen, und kannte einen Pfarrer, einen geistreichen und witzigen Mann, von dem es hieß, dass er nachts in der Kirche den Gespenstern predige, ähnlich wie es H. Kurz in „Schillers Heimatjahren" erzählt (Kap. 19). Auf die Wirkung des Protestantismus habe ich wieder zurückzukommen, hier interessiert uns vor allem die Wichtigkeit, die auch der fremde Beobachter den beiden Momenten beimisst, die wir im bisherigen besprochen haben: Bodengestaltung und Denkmäler der Vorzeit. Ich habe diese beiden Punkte, dem Thema und Anlass meines Vortrags entsprechend, besonders stark betont. Sie sehen

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Schwabenland und seine Dichter.

aber leicht, dass damit nicht alles zu erklären ist. Denn dieser F a k t o r ist im großen und ganzen konstant durch Jahrhunderte, das Produkt aber, die poetische Produktion, erweist sich als sehr veränderlich. Wir müssen auch den veränderlichen Faktor in Betracht ziehen, die Zeitverhältnisse. „Fehlt das äußre freie Wesen Leicht erkrankt auch das Gedicht" sagt Uhland im poetischen Vorwort der Gedichte. Die eigenartigen politischen Verhältnisse des Landes sind für das Verständnis seiner Dichter nicht minder wichtig als die geographischen. „Schwabenland" haben wir bisher immer gesagt. Aber abgesehen von dem bayrischen Regierungsbezirk ist „Schwaben" längst kein politischer Begriff mehr. Wenn wir eine Karte des ehemaligen „schwäbischen Kreises" betrachten, so bekommen wir einen ähnlichen Eindruck wie von der physikalischen K a r t e : „Was auf der Karte von Europa Deutschland, das war auf der Karte Deutschlands wieder der schwäbische Kreis, der bunteste und zerhackteste Teil des Reiches, ein verwirrendes Gemenge kleiner L a n d s c h a f t e n , geistlicher und weltlicher, dynastischer, städtischer und korporativer Besitzungen . . . Was jetzt Württemberg heißt, hat noch am Anfang des Jahrhunderts wohl 70, und, wollte man die Reichsritterschaft einzeln rechnen, über 200 Herren gehabt." (G. Rümelin.) Auf eine verhängnisvolle Folge dieser Zersplitterung möchte ich hier im Vorbeigehen aufmerksam machen, das Überhandnehmen des Zigeuner- und Räuberunwesens. Von den 4 0 0 0 0 Gaunern und Vaganten, die die amtlichen Listen der Schweiz und Deutschlands in den 8 0 e r Jahren des 18. Jahrhunderts aufweisen, fällt die Mehrzahl auf den schwäbischen Kreis. Im „ S o n n e n w i r t " belehren die Zigeuner den Neuling: „Wir wissen in aller Herren Ländern jedes Plätzchen, wo man sich ruhig niederlassen kann." — „„Ist denn das zum Beispiel hier der F a l l ? " " unterbrach ihn der Gast. „Freilich!" rief der Zigeuner. „Die F r a g e beweist, wie wenig du die Welt noch kennst. Hier sitzen wir auf edelmännischem Boden und sind so sicher, wie das Kind im Mutterleib, während du in deiner Unkenntnis mit ein paar Schritten ins Württembergische taumelst." Es hat auch einen sehr realen Hintergrund, wenn die Räuber und Zigeuner bei S c h i l l e r , M ö r i k e und K u r z eine so große Rolle spielen. Immerhin bildete das Herzogtum Württemberg in diesem Gewirr

Schwabenland und seine Dichter.

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einen festen Kern mit einem verhältnismäßig abgerundeten Gebiet in der Landschaft, die wir zu Anfang schon — vorwegnehmend — als das Herz Schwabens bezeichnet haben. Es vermischen sich uns nämlich immer zwei Anschauungen, die ethnographische und die politische: Württemberg umfasst nicht das ganze Schwaben, und nicht bloß schwäbisches Gebiet, es sind zwei Kreise die sich schneiden, von denen aber allerdings große Stücke sich decken. Und dieses Stück, das württenibergische Schwaben, genauer den Teil Schwabens, der schon seit Jahrhunderten zum Herzogtum Württemberg gehörte, hat man meist im Auge, wenn von schwäbischer Eigenart die Rede i s t : es läuft dabei allemal auf die des Altwürttemberges hinaus Der ursprüngliche Stammescharakter wird sich nur schwer fassen lassen; noch im 16. Jahrhundert, z. B. bei Fischart, gelten die Schwaben für geschwätzig und leichtsinnig, heute wird allgemein ihr in sich gekehrtes, zur Schwermut neigendes Wesen betont, und der Altwürttemberger unterscheidet sich vom Oberschwaben ebensosehr wie vom fränkischen Unterländer. Das spricht dafür, dass in der T a t die 300jährige Geschichte des Herzogtums Württemberg von bestimmendem Einfluss gewesen ist. Von dieser Geschichte wäre nun wiederum eine Skizze zu entwerfen. Ich kann mich jedoch auf zwei Hauptpunkte beschränken und will versuchen, das Bild auch gleich im Spiegel der Literatur zu zeigen. In H a u f f s „ L i c h t e n s t e i n " ist mehrfach die Rede von dem Bauernaufstand des „armen Konrad" und dem „Tübinger Vertrag", durch den Herzog Ulrich i. J . 1514 unter Vermittlung des Kaisers und benachbarter Reichsstände den Frieden mit seinem Volk von dessen Vertretern, der sogenannten „Landschaft", erkaufte. Dieser Vertrag ist die Grundlage der württ. Verfassung geworden. „Vertrag, es ging auch hierzulande von ihm der Rechte Satzung aus." Aus Uhlands Worten: „ . . Wenn sich Männer frei erheben Und treulich schlagen Hand in Hand, Dann tritt, das innere Recht ins Leben, Und der Vertrag gibt ihm Bestand", noch deutlicher aus seiner Denkschrift über den Entwurf einer neuen Verfassung, die seine Witwe in ihrem trefflichen Buche über Uhland veröffentlicht hat, geht hervor, dass Uhland und seine Partei der Ueberzeugung waren, das staatsrechtliche Ideal des contrat social «ei in ihrer alten Verfassung verwirklicht, die Güter, um die in der

K;

Schwabenland und seine Dichter.

französischen Revolution unter unsäglichen Greueln gekämpft worden war, seien ihr Vätererbe. Und der Württeroberger war nicht wenig stolz auf jenes angebliche Wort des englischen Staatsmannes Fox: es gebe nur zwei Verfassungen in Europa, die englische und die württembergische. Wir sind heute geneigt, über diese Einbildung zu lächeln und mehr die Nachteile der alten Verfassung zu sehen. Man braucht nur die Namen J. J. Moser und Schubart zu nennen, um sich zu erinnern, dass in der rauhen Wirklichkeit dem Württemberger doch noch einiges zu einem idealen Zustand fehlte z. B. Habeas corpus: In der guten alten Zeit selbst waren auch nicht alle so fest von dem Wert der Tätigkeit der Landstände überzeugt, wie die Herren von der Landschaft selbst. „Ich will euch was sagen", ruft der Schulmeister von Illingen (Schill. Heimatjahre Kap. 1): „Wenn ihr die Herren vom Hof zum Land hinaus jagen wollt, so bindet j e einen mit einem von der Landschaft zusammen, es geht gleichsam in einem hin, und hat's einer so gut verdient wie der ander." Der Herzog aber ergeht sich (eb. Kap. 6) in heftigen Anklagen gegen die Verfassung, „die, statt das Beste des Landes zu wahren, auf seine Kosten eine parlamentarische Dynastie heranzieht! eine Kaste voll Eigennutzund Vorurteil . . Beschränkung des Fürsten, das ist das einzige Register, aus dem sie ihre stilistischen Bravourarien aborgeln." Eine „parlamentarische Dynastie" war dadurch herangezogen worden, dass die von Herzog Christoph der Landschaft endgültig zugestandenen ständischen Ausschüsse das Recht der Selbstergänzung für sich in Anspruch genommen hatten. „Da muss widersprochen werden um jeden Preis, gemarktet muss um jeden Groschen werden." Allerdings! auf ein ersprießliches Zusammenarbeiten der beiden Gewalten zu positiven Zwecken war das Recht, „Das an der Kasse sitzen bleibt Und kargt mit unserem Schweiß" nicht angelegt. Es war, als ob an den Staatswagen ein Pferd vorn, das andere hinten angespannt wäre. Der Erfolg lässt sich ausrechnen: Stillstand. Durchdrungen von der Vorzüglichkeit seiner Einrichtungen war der Württemberger nur auf ihre Erhaltung bedacht und grundsätzlich misstrauisch gegen j e d e Neuerung. G o e t h e s Urteil trifft den Nagel auf den Kopf: „Der Hauptsinn einer Verfassung wie die württembergische bleibt nur immer: die Mittel zum Zwecke recht fest und gewiss zu halten, und eben deswegen kann der Zweck, der selbst beweglich ist, nicht wohl erreicht werden."

Schwabenland und seine Dichter.

Ii

So ist es nicht zu verwundern, dass bei den großen geistigen Bewegungen des 18. Jahrhunderts Württemberg anfangs abseits und gar sehr im Hintertreffen stand. Aber gerade die Überzeugung von der Vorzüglichkeit der heimischen Zustände, welche die Rückständigkeit verursacht hatte, rnusste, sobald man diese gewahr wurde, als der kräftigste Sporn wirken, es den andern gleich, womöglich znvorzutun. Die literarische Bewegung in Württemberg beginnt in den 50er Jahren mit theoretischen Erörterungen, in denen die Inferiorität der Schwaben bestritten, oder nach dem Grunde für ihr Zurückbleiben geforscht wird. Den Titeln hört man es an, dass das schwäbische Stammesbewnsstsein dem Verfasser die Feder in die Hand gedrückt h a t : da ist ein Aufsatz „ V o n d e m Z u s t a n d e d e r D i c h t k u n s t in S c h w a b e n " von Eb. v. G e m m i n g e n , ein anderer von B a i t l t . H a u g betitelt „ Z u s t a n d d e r s c h ö n e n W i s s e n s c h a f t e n in S c h w a b e n " etc. Dann tauchen Zeitungen und Zeitschriften auf, die den Stamniesnamen führen — der „Schwäbische Merkur" datiert aus jener Zeit. Man konnte nun auch allmählich sich auf schwäbische Namen von gutem Klangin der Literatur berufen: W i e l a n d , S c h u b a r t , dann, aus der Zeit des Göttinger Hains, J. M. M i l l e r , den Dichter des „Siegwart". Aber seltsam! Das sind alles keine Württemberger — Miller ist ein Sohn der Reichsstadt, in der wir tagen. — Erst im Herausgeber des „ W i r t e m b e r g i s c h e n R e p e r t o r i u m s d e r L i t e r a t u r " trat im Herzogtum ein Dichter ersten Ranges auf, der die Augen Deutschlands auf sich lenkte. E r ist freilich der engeren — allzu engen! — Heimat bald verloren gegangen, aber er ist jetzt noch ihr größter Stolz. Auch bei ihm tritt der landsmannschaftliche Ehrgeiz deutlich hervor: „Ihr, ihr dort draußen in der Welt, Die Nasen eingespannt, Auch manchen Mann, auch manchen Held . . Gebar das Schwabenland." Wir hören ihn aber auch aus den Eingangsstrophen zu Uhlands Eberhardsballaden heraus: „Ist denn im Schwabenlande verschollen aller Sang?" U h l a n d hat immer tiefer „in die Heimat sich versenkt", und zwar nicht bloß in die unerschöpflichen Reize seines geliebten Tales, wie wir oben sahen, sondern vor allem auch in die heimische Geschichte, „An u n s r e r V ä t e r Taten Mit L i e b e s i c h e r b a u ' n "

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Schwabenland und scine Dichter.

oder:

„Um u n s r e S c h m a c h s i c h k r ä n k e n , Sich u n s r e r E h r e f r e u ' n " ist sein Wahlspruch. Und mit gutmütig schwäbischem Humor hat er ein Wort, mit dem gute Freunde, getreue Nachbaren und dergl. die unpraktischen Schwaben zu hänseln pflegen, zu einem Ruhmestitel gewendet, das Wort von den Schwabenstreichen. Als dann der Kampf ums alte Recht in Württemberg entbrannte, da hat er seine Muse ganz in den Dienst der Politik gestellt, um das historisch gewordene gegen den Plan von gestern zu verteidigen. „Andre Zeiten, andre Musen! Und in dieser ernsten Zeit Schüttert nichts mir so den Busen, Weckt mich so zum Liederstreit, Als wenn du mit Schwert und Wage Themis thronst in deiner Kraft Und die Völker rufst zur Klage, Könige zur Rechenschaft." Man muss im Auge behalten, wie sehr Uhland damals von diesem einen Gedanken bewegt und erfüllt war, um zu verstehen und zu verzeihen, dass sein politisches Ideal sich auch gelegentlich zur Unzeit in andere Werke als die „vaterländischen Gedichte" eindrängte. Jenes „ d r u m s o l l m a n n i e z e r t r e t e n s e i n a l t e s g u t e s R e c h t " im „ Ü b e r f a l l im W i l d b a d " ist in der Tat ein Anachronismus. Noch auffallender verschlingt sich in der Person Werners im „ H e r z o g E r n s t " die Vergangenheit mit den Bestrebungen der Gegenwart, j a man möchte fast sagen, den Vorahnungen der Zukunft. Seine Worte sind Parlamentsreden eines großdeutschen Volksvertreters aus der Paulskirche, dessen Ideal ein vom Volk gegewähltes und mit einem vollen Tropfen demokratischen Öls gesalbtes Reichsoberhaupt ist. Dieses Sichversenken in die Heimat und ihre Geschichte ist kennzeichnend für eine große Zahl schwäbischer Dichter. Neben Uhland stehen K e r n e r und S c h w a b , die ebenfalls die Stoffe zu ihren Balladen gerne der älteren heimischen Überlieferung entnommen haben. Spätere haben dann gerade die politischen und sozialen Kämpfe und die Kulturzustände der württembergischen Herzogszeit von Ulrich bis Karl Eugen zum Gegenstand gewählt. Als die Romane des „großen Unbekannten" überall Teilnahme für die schottische Geschichte erweckten, da fragte sich ein junger Schwabe, ob denn die Wellen des Tweed in lieblicherem Blau ziehen, als der Neckar und

Schwabenland und seine Dichter.

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die Donau. „Sind vielleicht j e n e Schotten ein interessanterer Menschenschlag, als der, den unser Vaterland t r ä g t ? " Und wenn er dann mit Freunden auf die Alb wanderte, und sie „im Abendscheine, auf den Felsen gelagert, die L a n d s c h a f t überschauten und von der guten alten Zeit und ihren Sagen sprachen, da glaubte er im Wehen der Nachtluft, im Rauschen der Bäume bekannte Stimmen zu vernehmen . . es waren die Geister von L i c h t e n s t e i n " . Auch H a u f f verweilt bei dem ersten unglücklichen Versuch Ulrichs sein Land zurückzuerobern mit einem Interesse, das augenscheinlich genährt ist durch die neueren Verfassungskämpfe. Er will zeigen, dass jener Versuch verunglücken musste, weil Ulrich in unseliger Verblendung, gehetzt von seinem ungetreuen Sibich, das alte gute Recht des Volkes bei der neuen Huldigung zertrat. F u r c h t b a r geht ihm diese Einsicht vor dem Entscheidungskampf a u f ; es ist zu spät, aber er hat sich f ü r die Z u k u n f t die Nutzanwendung daraus gezogen, wie uns das Schlusswort noch mitteilt. Hauffs „Lichtenstein" machte auf den Knaben H. Kurz einen so mächtigen Eindruck, dass er sofort beschloss, einen historischen Roman zu schreiben „ D i e B e l a g e r u n g v o n R e u t l i n g e n " . Wie dieser Plan kläglich scheiterte, erzählt er launig in seinen „ D e n k und Glaubwürdigkeiten". E r hat später doch noch seiner Vaterstadt ein herrliches Denkmal gesetzt, nur hatte er inzwischen die kleine Eifersucht des ehemaligen Reichsstädters auf den siegreichen N a c h b a r verwunden und war ein guter Württemberger geworden. Seine beiden großen Romane, „ S c h i l l e r s H e i m a t j a h r e " und „ D e r S o n n e n w i r t " , die sich zeitlich enger an Hauffs „ J u d S ü ß " als an den „Lichtenstein'' anschließen, geben uns ein unübertreffliches Bild des Kulturzustandes im herzoglichen Württemberg des 18. Jahrhunderts und ihre L e k t ü r e kann allen, die sich dafür interessieren, nicht genug empfohlen werden. In welchem Sinn er das Werk unternahm, sagt ein Brief an G. Schwab vom J a h r e 1838: „Ich schwöre Ihnen, ich habe diesen unglückseligen Roman — es ist „Sch. H . " Warum er den Roman „unglückselig" nennt, gehört in ein anderes, minder erfreuliches Kapitel über „Schwabenland und seine Dichter". Kurz nennt das L a n d einmal „das Narareth von Deutschland. Es erzeugt den Geist, aber ihm ist er der Zimmermannssohn!" — „ich habe diesen unglückseligen Roman bloß angefangen, weil ich glaubte, ein Autor sei verpflichtet, seiner Provinz auch einen Tribut abzutragen " Schon in diesen Roman sind prächtige Schilderungen seiner Vaterstadt eingeflochten. Und wiederum in den

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Sehwabenland und seine Dichter.

kleineren Erzählungen „ E i n e r e i c h s s t ä d t i s c h e G l o c k e n g i e ß e r f a m i l i e " etc., da wird diese eigene kleine Welt in einer wunderbaren Weise wieder lebendig. Man hat in letzter Zeit viel von Heiniatkunst gesprochen — siehe, hier ist längst echteste Heimatkunst! Wohl haben starke Einflüsse von außen her, die nachzuweisen hier nicht der Ort ist, auf diese Dichter gewirkt, aber tnan sieht leicht, dass die Heimatliebe und ein ausgeprägtes Stammesgefühl mitsprechen. Und dieses ruht nicht zum mindesten auf der Erinnerung an eine eigenartige Geschichte und dem Bewusstsein staatlicher Einrichtungen, die lange Zeit einzigartig in Deutschland waren. Inzwischen war Deutschland und Europa kräftig durcheinander gewirbelt worden, und die alte Verfassung war im Strudel untergegangen, das Herzogtum Württemberg hatte sich zum Königreich ausgewachsen. Ein gewisser schwäbisch württembergischer Partikularismus bestand noch fort, aber in die chinesische Mauer, die Wüi ttemberg 100 J a h r e zuvor umgeben hatte, war Bresche gelegt, und seitdem erwies sich dieser Partikularismus auch für die Entwicklung der Literatur als fruchtbar. Darum wollen wir doch nicht so rasch mit einem weisen Lächeln Uber die Männer des alten Rechts zur Tagesordnung übergehen. E s ist gesagt worden, die staatlichen Einrichtungen üben auch auf Denkweise und Charakter des Volks ihren Einfluss aus. Die unsrigen gaben der Liebe zur Heimat Nahrung, hielten die Anhänglichkeit an das „was unsre Väter schufen" wach, aber sie stählten auch den „Männerstolz vor Königsthronen": „Der Deutsche" — sagt Uhland — „ehrt' in allen Zeiten Der Fürsten heiligen Beruf, Doch liebt er, frei einherzuschreiten Und aufrecht, wie ihn Gott erschuf." Die Geschichte der wiirttembergischen Verfassung erklärt j e n e Verbindung demokratischen und konservativen Geistes, die dem Fernstehenden befremdlich erscheinen kann. Vor allem aber nährten diese Einrichtungen bei den edleren Naturen einen unbeugsamen Rechtssinn, dein sich j e d e andere Rücksicht unterordnete. Fassen wir neben den Dichtungen auch die Persönlichkeiten der Dichter näher ins Auge! Gehen wir noch einmal zu den Anfängen der neuen Literatur-Periode in AVürttemberg zurück. Da ist der erste bedeutende Publizist, J . J . M o s e r , der Landschaftskonsulent: er schmachtete auf dem Hohen Twiel, weil er mannhaft die Rechte des Landes gegen den Herzog vertrat; da ist der Mann, der neben E b . v. Gemmingen

Schwabenland und seine Dichter.

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die literarische Bewegung anregte und auch zuerst mit eigenen Versuchen hervortrat, J. Ludw. H u b e r , Regierungsrat in Tübingen, als Dichter ist er längst vergessen, aber er interessiert uns als Charakter: er hat den tatkräftigen Widerstand, den er gegen verfassungswidrige Steuerpläne des Herzogs leistete, mit Festungshaft auf dem Hohen Asperg gebüßt. In eine Reihe mit diesen Männern gehört U h l a n d , der sich weigerte, während der verfassungslosen Zeit ein Staatsamt anzunehmen, so erwünscht es ihm auch sein mochte, und der das endlich erlangte ohne Bedenken dem, was er für seine Bürgerpflicht hielt, zum Opfer brachte. Dürfen wir nach diesen drei Beispielen, die sich durch Namen wie P f i z e r u. a. vermehren ließen, glauben, dieser strenge Rechtssinn sei ein schwäbischer Charakterzug? Uhland selbst ist der Meinung, dass seinem Stamm auch im Kampf um das Recht, die unentbehrliche Grundlage aller andern Kulturgüter, der Vortritt im Reich zufalle: „Kein Herold wird's den Völkern künden Mit Pauken- und Trommetenschall, Und dennoch wird es Wurzel gründen In deutschen Gauen überall: Dass Weisheit nicht das Recht begraben, Noch Wohlfahrt es ersetzen mag, Dass bei dem biedern Volk in Schwaben D a s R e c h t besteht und der V e r t r a g ! "

H e i n e spottet über die „Tugend" der Schwabendichter. Wir wollen das Wort so annehmen, wie Uhland das von den Schwabenstreichen angenommen hat. Tugend heißt Tüchtigkeit und etwas ungemein Tüchtiges spricht aus Uhlands Persönlichkeit und, wenn wir über die jugendlichen Produkte wegsehen, von denen er selbst sagt: „anfangs sind wir fast zu kläglich", auch aus seinem Werk Gestalten wie der — trotz Goethes bekanntem herbem Urteil. jugendliche R o l a n d , der das Außerordentliche leistet wie etwas Selbstverständliches, oder wie der K ö n i g K a r l auf der Meerfahrt, der handelt, während die andern schwatzen (im Unterschied von dem Karl der altfranzösischen Chanson de geste vom „Pèlerinage de Charlemagne", der gerade so töricht prahlt wie seine Paladine 1 )), — solche >) Auf diese alte Erzählung, geht, wie icli sicher glaube, Uhlands Gedicht von „König- Karls Meerfahrt" in letzter Linie zurück. P. Eichholtz in seinen Quellenstudien zu Uhlands Balladen, aus denen die Schulkommentare zu schöpfen pflegen, kennt für diese Ballade keine Quelle. Ich meine, es lässt sich hier einmal wieder die Keimzelle selbst aufzeigen,

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Schwabenland nnd seine Dichter.

Gestalten sind Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. R e c h t bezeichnend für Uhland die Verherrlichung

ist auch das Gedicht „ T e i l s

des „schlichten Heldentums".

an die D r a m e n : den E r n s t ,

Und

Tod",

denken Sie

das Hohe Lied der Freundestreue, und

jenes schlichte Heldentum F r i e d r i c h s

des

Schönen:

„ . . . nun ich's recht betrachte, tat ich nichts A l s das G e r i n g s t e , was ein Mann kann tun; I c h hielt, was ich versprochen.

Größre Taten,

Ruhmwürdige, die ich mir einst geträumt, Vereitelte mein feindliches Das erscheint schengeschick als eine kräftige

mir

auch als

Bezwingendes", und

Geschick."

etwas „ T ü c h t i g e s ,

gesunde Geistesnahrung

seien es nun Knaben oder Mädchen. Uhlands W e r k e womöglich

das

Men-

und vor allem: es erscheint mir für

unsere Jugend,

Darum sollten in den Schulen

im Zusammenhang

gelesen werden,

um

auch die Persönlichkeit wirken zu lassen, und wenn man in unsern württembergischen Schulen bei Gelegenheit der „vaterländischen Ged i c h t e " auch einiges Interesse zu erwecken sucht für den Nährboden, auf dem solche C h a r a k t e r e gediehen, ketzerisch klingt!



so ist's —

auch keine Sünde gegen

ich weiß, dass es den

heiligen Geist

der Poesie und der P ä d a g o g i k . Vom alten guten R e c h t möge uns das W o r t Uhlands: „ D a s R e c h t . . D a s unser heil'ges K i r c h e n g u t A l s Schutzpatron

bewacht,

D a s W i s s e n s c h a f t und Geistesglut Getreulich nährt und f a c h t " , Unter den Dramenfraginenten findet sieh ein Blatt mit einer Bearbeitung der „Karlsreise". Die erste Seite behandelt das Zusammentreffen mit dem Patriarchen von Jerusalem in der H. Grabeskirche, die zweite die Begegnung mit dem Schweinehirten des Kaisers Hug von Konstantinopel. Nun folgt in der alten S a g e die Hauptsache, die „Reckenspässe", Prahlereien, zum Teil höchst bedenklicher Natur, mit denen sich Karl und die Zwölfe nach reichlichem Weingenuss vor dem Einschlafen unterhalten. Hier hat Uhland die Sache liegen lassen; — warum? — wahrscheinlich aus demselben Grund, aus dem der „Fortunat" Fragment geblieben ist: diese frivolen Töne widerstrebten seiner innersten Natur. E r mochte sich wohl sagen: Der Kaiser selbst hätte wenigstens gescheiter sein sollen, und die andern schwatzen lassen!" Und dieser Gedanke hat sich zu der Ballade verdichtet. Ähnlich hat Uhland im „Klein Roland" die prahlenden Worte, die der Knabe in der romanischen Quelle im Munde führt; „Eines Kaisers Stimme ist nicht genug mich zu erschrecken!" hübsch beiseite gelassen.

Schwabenland und seine Dichter.

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hinüberleiten zu dem zweiten geschichtlichen Ereignis, ohne das Volkscharakter und Literatur in Württemberg- nicht geworden wären, was sie sind; das ist die E i n f ü h r u n g der Reformation nach Ulrichs Rückkehr, mit dem was sie — auch auf dem Gebiet des Unterrichtswesens — im Gefolge hatte. Wer sich vor Augen hält, wie sehr die Reformierung eines Landes von — sagen wir historischen Zufälligkeiten abhing, wie genau die heutigen konfessionellen Grenzen mit den kleinen und kleinsten territorialen Grenzen des 16. Jahrhunderts Ubereinstimmen, wird das Kausalverhältnis zwischen Volkscharakter und Annahme der Religion so auffassen und die durch nichts zu beweisende Annahme ablehnen, wonach das schwäbische Wesen von vornherein dem Geist des Protestantismus näher verwandt gewesen sein soll als das der Nachbarn. Der Protestantismus hat j e n e n Ernst und jene Verinnerlichung zuwege gebracht, die seit jener Zeit dem Württemberger nachgerühmt w i r d ; auch jenen metaphysischen Trieb, den H a n g zum Grübeln und Sinnieren, der sich innerhalb der religiösen S p h ä r e in dem weitverbreiteten Konventikel- und Sektenwesen äußert, andererseits in philosophischer Spekulation und wissenschaftlicher Forschung, die sich vom überlieferten Kirchenglauben oft weit entfernen. Wie nahe sich mystischer Tiefsinn und scharfe Kritik berühren können, zeigt das Beispiel von Fr. S t r a u ß , der, bevor er das „ L e b e n J e s u " schrieb, in Beziehungen zum Weinsberger Kernerhaus und zur Seherin von Prevorst gestanden hatte. Sein Freund Vischel- berichtet darü b e r : „Ich traf Strauß, wie er vom ersten Besuche bei Kerner soeben zurück war, in seinem elterlichen Hause; er war wie elektrisiert, eine tiefe Sehnsucht nach dem Mohne der Geisterdämmerung durchdrang ihn . . und alles hieß Heide und T ü r k e , was ihm nicht in seine mondbeglänzten Zaubergärten folgte". Wie tief aber dieser metaphysische Trieb im Volke steckt, d a f ü r sei ein noch lebender Dichter als Beispiel angeführt: Chr. W a g n e r , der Bauer von Warmbronn. Die Reformation gab Württemberg eine eigenartige Stellung in dem vorwiegend katholischen Süden, eine Art Vermittlerrolle zwischen Norden und Süden, welche die spätere Vereinigung vorbereiten half und erleichterte: man darf daran erinnern, dass neben dem Großdeutschen Uhland die Brüder P f i z e r stehen, namentlich Paul, der in dem Gedicht „Meiner Heimat Berge dunkeln", den Blick vom Staufen hinüber lenkt zum Zollern, der in seinen politischen Schriften, von dem berühmten „Briefwechsel zweier Deutschen" (1831) an, mit

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Schwabenland und seine Dichter.

wahrhaftem Seherblick die kommende Lösung der deutschen F r a g e vorgezeichnet hat. Die Reformation gab dem Württemberger auch eine Mittelstellung zwischen süddeutscher, mehr auf Phantasie und Anschauung ruhender Naturanlage und norddeutscher, auf Reflexion und Abstraktion gerichteter Geistesbildung. Ich erinnere hier nochmals an das Staunen des Norddeutschen V a r n h a g e n , dass gegen die Phantasterei der Protestantismus nichts vermocht hat, „der hier in den trefflichsten Anstalten und Geistlichen eine unaufhörliche Quelle tief in das Volk dringender Bildung ist". Das i s t er in der T a t , und von diesen trefflichen Anstalten soll nun noch ein wenig die Rede sein, sonst sind Sie in Rom gewesen und haben den Papst nicht gesehen. Herzog Ulrich hat die geistlichen Stifter säkularisiert und in einem ehemaligen Augustinerkloster in Tübingen ein „Stift" untergebracht, das unter diesem Namen schlechtweg berühmt geworden ist. Sein Sohn Christoph vereinigte alle zu dem großen Kirchengut, das eine gesonderte Verwaltung erhielt und ausschließlich zu kulturellen Zwecken bestimmt wurde, in dem Umfang, wie sie von der Kirche des Mittelalters gepflegt wurden, d. h. Kirchen- und Schulwesen und Armenfürsorge. Mehrere der reformierten Klöster wurden in Unterrichtsanstalten umgewandelt, in denen die künftigen Diener der Kirche auf Kosten des Kirchenguts Unterricht und Erziehung genossen. Diese Klosterschulen, jetzt Seminare genannt, spielen bei uns dieselbe Rolle, wie in Sachsen die Fürstenschulen, die der deutschen Literatur einen Klopstock und Lessing geschenkt haben. Für die Örtlichkeit dieser Schulen gilt in hohem Grade das, was ich über das Schwabenland im allgemeinen zu sagen hatte: bedeutende Denkmäler alter Geschichte und Kultur vereinigen sich mit holder landschaftlicher Schönheit, um dem poetischen Gemüt Nahrung zu geben. Das haben manche Dichter, die aas ihren Mauern hervorgegangen sind, dankbar anerkannt. Fr. V i s c h e l - begrüßt sein „Jugendtal": „ D a bist du ja im Mein nie vergessnes

Morgenstrahl, Jugendtal!

D e r B e r g e K r a n z , die wunderblaue

Quelle,

Städtchen und Kloster, alles ist zur Stelle. N o c h immer steigt, g e z a c k t und Empor seltsames

Burgtrümmer schauen über Auf

wild,

Felsgebild',

stillen F l u s s und zarte

Höhlenschlünde Wiesengründe."

Schwabenland und seine Dichter.

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Wenn ich den Plan für den Ausflug am Samstag- zu machen gehabt hätte, ich würde Sie hinausführen zu der wunderblauen Quelle nach Blaubeuren und von da hinüber über die Alb auf Mörikes Spuren zum „Besuch in Urach" (aber man sieht schon, die Ulmer sind Neuwürttemberger, sie gravitieren nach Oberschwaben hin!): „Da seid ihr alle wieder aufgerichtet, Besonnte Felsen, alte Wolkenstühle! Auf Wäldern schwer, wo kaum der Mittag lichtet Und Schatten mischt mit balsamreicher Schwüle." „ 0 Tal!" ruft M ö r i k e , „du meines Lebens andre Schwelle, Du meiner tiefsten Kräfte stiller Herd!" und ganz ähnlich H. K u r z in dem Gedicht „Maulbronn": „Schönes Tal, du liegst mir ferne, eine stille Sidelei . . . . Aber, Wiege meines Herzens, meines Geistes, Segen dir! Vom Seminar führt der Weg durch die enge Pforte des Konkurses ins Tübinger Stift. Von dem Treiben des Stiftlers außer Dienst, auf der Kneipe, und von dem Geist, der da verzapft wird, bekommen Sie den glänzendsten Eindruck im „ W i r t s h a u s g e g e n ü b e r " desselben Verfassers; über den Studiengang im Stift will ich eine Stelle aus „ S c h i l l e r s H e i m a t j a h r e n " (Kap. 3) im Wortlaut anführen: „Heinrich studierte in den ersteil Jahren die Philosophie, und seine Arbeiten zogen ihm unter den Vorstehern des Instituts den Ruf eines aufgeweckten und in der Weltweisheit bewanderten Kopfes zu; nach Verlauf dieser Periode wurde er Magister und ging vorgeschriebenermaßen zur Gottesgelahrtheit über. Was er hierin geleistet, übergehen unsere Quellen mit bedenklichem Stillschweigen; dafür melden sie uns jedoch desto mehr von gewissen Liebhabereien, die man dort mit dem Kunstausdruck „Allotria" zu bezeichnen pflegte, und die wir auf das kürzeste kennbar machen, wenn wir die Namen Shakespeares, Lessings und des eben damals glanzhell aufsteigenden Gestirnes Goethe nennen. Diese Richtung auf die Ästhetik, die im Tübinger Stift zu allen Zeiten eine geheime Kirche um sich versammelt hat, gehörte zu den verpöntesten und musste vor dem streng dogmatischen Geiste der Anstalt sorgfältig verborgen gehalten werden" »). Wie das fertige Produkt aussah, entnehmen wir ') So zu Heinrich Rollers Zeit! In der Tat waren die Tübinger Zustände in der 2. Hälfte dos 18. Jahrhunderts der literarischen B e w e g u n g nicht günstig. Als in dem Streit um die Inferiorität der Schwaben einige Stiftler sich mit poetischen Versuchen hervorwagten, wurden sie, samt ihrem Eloquenzprofessor, von der hohen Behörde gemaßregelt. Überhaupt

Schwabenland und seine Dichter.

derselben Quelle: „er verließ das Stift, an dessen Pforten er etwas verwundert in eine neue und unbekannte Welt . . . hinaussah". Der Herzog Karl, mit dem Heinrich Roller zusammentrifft, erkennt in ihm auf den ersten Blick den Magister und bemerkt: „Sieht er, an einem fehlt's euch Herren Stiftlern samt und sonders. Ihr seid unpraktische Köpfe, und das k a n n ich euch freilich nicht verargen, denn ihr erfahrt zu wenig von der Welt. Die Erziehung niuss immer neben der Welt, mitten in der Welt stattfinden." (Kap. 6.) Es mag wohl sein, dass die klösterliche Erziehung bei manchem unserer Dichter, der aus Seminar und Stift hervorgegangen ist, mit schuld ist an einer gewissen Unbeholfenheit und ängstlichen Scheu vor der großen Welt: „Lass, o Welt, o lass mich sein" (Mörike). Aber es ist kein Zweifel, dass dieser äußerliche Mangel reichlich aufgewogen wird durch die gediegene Allgemeinbildung in Philosophie, in älterer Zeit namentlich auch in der Literatur des klassischen Altertums, die diese Anstalten ihren Zöglingen vermittelten. Dass auch die Kunst eine Stätte fand, wenn auch nicht im offiziellen Lehrplan, haben wir vorhin gehört. Es kommt eben neben der Studienleitung auch noch der anregende Verkehr und Wetteifer der Promotionen in Betracht, die doch meist eine Auslese der besten Köpfe aus allen Schulen des L a n d e s darstellen'). Darauf möchte ich noch einen Augenblick die Aufmerksamkeit lenken. Kreise von Studierenden, die in der Liebe zur Poesie und P f l e g e der Poesie sich zusammenfanden, spielen auch sonst eine gilt manches, was von den politischen Einrichtungen zu sagen war, auch für die des Kirchen- und Schulwesens: auch hier ist da« Ergebnis Abschließung nach außen, Erstarrung im innern, auch hier bedurfte es eines kräftigen Windstoßes, um den Staub w e g z u f e g e n , den die Jahrhunderte abgelagert hatten, auch über die T ü b i n g e r Universitätseinrichtungen urteilt Goethe ähnlich wie über die Verfassung: „Über der Sorge, wie die ver= schiedenen Einrichtungen im alten Gleise zu erhalten seien, kann nicht zur Betrachtung kommen, was man ehemals dadurch bewirkte, und jetzt auf andere Weise bewirken könnte und sollte." Hier ist es besonders die Stuttgarter „Hohe-Karls-Schule", durch die ein frischer L u f t z u g in die etwas dumpfige Atmosphäre hereinkam. Herzog Karl hat ja dem Stift auch den bedeutendsten Zögling, der schon für dasselbe bestimmt war, für seine Gründung w e g g e k a p e r t : Schiller. Infolge des starken Konkurrenzkampfes bei der Aufnahmeprüfung, dem sogenannten „Landexamen", bei dem freilich auch Dressur den Geist ersetzen kann. Ich führe von literarischen Darstellungen dieses großen Gerichtstages zwei an : die lustige Schilderung von H. K u r z in den „Beiden Tubus" und die düsteren Bilder in H. H e s s e ' s Roman „Unter dem Rad".

Schwabeuland und seine Dichter.

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Rolle — man denke an den Göttinger Hain! — aber nirgends eine so grosse wie bei uns. Und häufig sind es Seminar- oder Stiftsgenossen. So stehen neben H ö l d e r l i n , H a g e n a u und N e u f f e r , neben M ö r i k e , L . B a u e r und W. W a i b l i n g e n Die Generation, die, vor nunmehr 100 Jahren geboren, i. J . 1825 von Blaubeuren aus die Hochschule bezog, ist unter dem Namen der „Geniepromotion" bekannt. Ihr gehörten an: Gustav P f i z e r , F r . V i s c h e l - , der Ästhetiker, F r . S t r a u ß , der kritische Theolog, W. Z i m m e r m a n n u. a. Die „Schlechte Gesellschaft", die im „Wirtshaus gegenüber" mit dichterischer Freiheit geschildert wird, bestand aus den Stiftlcrn H. K u r z , R. K a u s l e r , L . S e e g e r u. a., während der Philosoph E. Z e l l e r ein Seminarfreund von H. Kurz war. Die bekanntesten Gruppen allerdings, die um U h l a n d und G . S c h w a b , standen dem Stift ferner, obgleich Schwab selbst Stiftler war. Diese Kreise nun standen unter sich in mannigfacher Berührung. Ein Beispiel: Wie H. Roller für das „eben damals glanzhell aufsteigende Gestirn Goethe", so begeisterten sich Kurz und seine Freunde für Mörike, der zwar schon einige J a h r e zuvor Tübingen verlassen hatte, mit dem aber bald Bande persönlicher Freundschaft geknüpft wurden. Sie hatten andererseits das Glück, ühlands kurze akademische Tätigkeit in Tübingen zu erleben, und Strauß und Vischer übten als sogenannte „Repetenten" am Stift anregende Lehrtätigkeit aus. Die durchgehende persönliche Beziehung dieser Dichter zueinander ist neben den verwandten Zügen ihres Wesens, die auf dem gemeinsamen Grunde ihres Heimatlandes und Volkstums erwuchsen, ein Grund dafür, dass man sie gerne und mit Vorteil im Zusammenhang betrachtet. Mau spricht sogar von einer „ S c h w ä b i s c h e n D i c h t e r s c h u l e " , als deren Haupt Uhland gilt. Aber dieser Begriff ist geeignet, falsche Vorstellungen zu erwecken. Einmal könnte der Fernstehende glauben, es habe im Mittelalter einmal „Minnesänger aus dem schwäbischen Zeitpunkt" gegeben und dann wieder in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts eine „Schw. D.-Sch.", und damit habe das Schwabenland das Seinige geleistet und ruhe seitdem auf seinen Lorbeeren aus. Auch meine heutigen Ausführungen könnten diesen Anschein erwecken, denn ich habe nur einmal einen lebenden Dichter flüchtig erwähnt. Ich muss daher feierlich Verwahrung einlegen: nicht der Mangel ist daran schuld, sondern der Überfluss. Ich ergreife gerne die Gelegenheit, diejenigen, die darüber Belehrung suchen, auf ein

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Schwabenlaud und seine Dichter.

kleines Buch von Tli. Klaiber zu verweisen: „ D i e S c h w a b e n in d e r L i t e r a t u r d e r G e g e n w a r t " , in dem die bedeutendsten zeitgenössischen schwäbischen Dichter und Dichterinnen von den jüngstverstorbenen Weitbrecht und Paulus an besprochen sind. — Sodann fehlt es dem Begriffe an einer festen Begrenzung; und endlich erweckt auch das Wort „Schule" Bedenken. Zwar G. S c h w a b mag man wohl einen Schüler Uhlands nennen, und er hat es selbst getan. K e r n e r dagegen hat, wenn er auch den Freund Uhland in einem Gedicht einmal mit den W o r t e n : „Du Haupt vom Liederorden" anredet, doch oft und energisch gegen das Wort protestiert. An den Dritten im Bunde, K. Mayer, schreibt er einmal (1838): „Es ist mir überhaupt widrig, dass sie immer von einer „schwäbischen Dichterschule" schwatzen. Wo ist denn eine solche und wo ist der Schulmeister? Eine Dichtersehule wäre mir etwas so Unpoetisches als eine Baumschule." Die Antwort auf die hier aufgeworfenen Fragen gibt er in einem Gedicht — iru Sinn unserer Ausführung zu Anfang dieser Skizze — : Auf lichten Matten, im dunklen Waldrevier, im goldnen Ährenfeld, am blühenden ßebenhügel „da ist schwäbischer Dichter Schule und ihr Meister heißt Natur". Und ein andermal fertigt er den Sänger von Thüle in derbem Ton ab: „Bei uns gibt's keine Schule; Mit eignem Schnabel jeder singt, Was halt ihm aus dem Herzen springt." Kerner durfte sicher sein, damit keinen Anstoß zu erregen bei Uhland, dem bescheidenen, der an denselben K. Mayer schreibt: „So viel mein' ich doch, dass Kerner ungleich mehr Dichter ist, als ich. . .", bei Uhland, der die Poesie für eine „ f r e i e K u n s t " erklärt h a t t e : „Formel hält uns nicht gebunden, Unsre Kunst heißt Poesie!" und der sich freute, wenn im „ d e u t s c h e n D i c h t e r w a l d " jeder Vogel seine Melodie erschallen lässt. Ein Blick auf das Werk der Freunde zeigt auch sofort, dass in der T a t jeder seiner eigenen Natur gefolgt ist, und dass diese Naturen doch recht verschieden waren. Welch ein Unterschied zwischen dem Kerner der Reiseschatten, des „Schattenspieles L u x " , der seiner üppigen, beweglichen Phantasie so die Zügel schießen lässt, dass sie über j e d e Schranke setzt, jede feste Form sprengt, dass der bunte Wechsel von Tönen und Farben, von Prosa und Poesie, von ausgelassenster Lustigkeit und düsterer Schwermut uns schwindlig macht — zwischen ihm und der straffen Künstlernatur Uhlands, der mit sicherer Hand stets die dem Inhalt angemessene Form zu treffen,

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Schwabenland und seine Dichter.

der alles Störende fern zu halten und das Wesentliche wirkungsvoll zusammen zu drängen w e i ß ! Wir sehen: selbst bei engster Umgrenzung liegt die S a c h e doch nicht so glatt, wie H e i n e sie darstellt, der in seinem „ S c h w a b e n spiegel"

von

den „Berühmtheiten,

die

sich . . als

schwäbische

Schule aufgetan haben", sagt, dass sie „in demselben Gedankenkreise umherhüpfen,

sich

mit

denselben

Gefühlen

Pfeifenquäste von derselben F a r b e tragen."

schmücken

und

auch

Je weiter man aber den

K r e i s ausdehnt, um so schwieriger wird es,

einen Hauptnenner an-

zugeben, auf den sich

Größen bringen ließen,

alle unsere geistigen

wenn auch häufig zwischen einzelnen ein gemeinsamer F a k t o r leicht zu erkennen ist. Ich komme daher

zu

dem Ergebnis:

eine

einheitliche,

nach

außen abgeschlossene schwäbische Dichterschule gibt es nicht, auch eine selbständige schwäbische Literatur-Geschichte kann es eigentlich nicht geben — vorzustellen.

am wenigsten beansprucht diese Skizze, eine solche Trotzdem

schien

es mir

eine reizvolle A u f g a b e , den

Beziehungen der Dichter

und D i c h t w e r k e zu heimischer Natur und

Geschichte nachzugehen.

W i r haben die Gefahren des Partikularismus

kennen gelernt, des selbstzufriedenen,

beschränkten,

den wir,

gott-

lob! überwunden haben; aber auch den W e r t eines Stammesbewusstseins,

das

wirkung

zu

mit

höchster L e i s t u n g

im W e t t b e w e r b

den Nachbarn anspornt, und eines

und in WechselHeimatsinnes,

der

dem Wein der Dichtung jenen eigenartigen Geschmack verleiht, der bei uns im Schwabenlande „ B o d e n g e f ä h r t l e i n " genannt und als Zeichen der Echtheit besonders geschätzt wird.

Oarl Georgi, Universitftts-Buchdruckerei, Bonn.