Schöpfung aus dem Nichts: Die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo [Reprint 2011 ed.] 3110072041, 9783110072044

Die seit 1925 erscheinenden Arbeiten zur Kirchengeschichte bilden eine der traditionsreichsten historischen Buchreihen i

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English Pages 207 [208] Year 1978

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Schöpfung aus dem Nichts: Die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo [Reprint 2011 ed.]
 3110072041, 9783110072044

Table of contents :
Vorwort
1. Kapitel: Das Problem der Weltschöpfung im hellenistischen Judentum und im Urchristentum bis zur gnostischen Krise des zweiten Jahrhunderts
2. Kapitel: Die Frage nach dem Ursprung der Welt in der christlichen Gnosis
3. Kapitel: Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern
4. Kapitel: Christliche und platonische Kosmologie
5. Kapitel: Die kirchliche Lehre von der creatio ex nihilo
Rückblick
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G E R H A R D MAY S C H Ö P F U N G AUS DEM N I C H T S

ARBEITEN ZUR KIRCHENGESCHICHTE Begründet von Karl Holl f und Hans Lietzmann f Herausgegeben von Kurt Aland, Carl Andresen und Gerhard Müller 48

S C H Ö P F U N G AUS DEM NICHTS DIE E N T S T E H U N G DER L E H R E V O N DER CREATIO EX N I H I L O

VON G E R H A R D MAY

W DE _G WALTER D E GRUYTER · B E R L I N · NEW YORK 1978

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Evangelische Theologie der Universität München gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen Bibliothek

May, Gerhard Schöpfung aus dem Nichts : d. Entstehung d. Lehre von d. creatio ex nihilo. — 1. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1978. (Arbeiten zur Kirchengeschichte ; 48) ISBN 3-11-007204-1

Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. © 1978 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Printed in Germany Satz und Druck: Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Buchbinder: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

H A N S F R E I H E R R N VON C A M P E N H A U S E N H E N R Y CHADWICK in Dankbarkeit und Verehrung

VORWORT Die Lehre von der creatio ex nihilo sagt in zugespitzter Form die absolute Voraussetzungslosigkeit der Schöpfung aus und bezeichnet Gottes Allmacht als ihren einzigen Grund. Zusammen mit dem ihr korrespondierenden Gedanken der unbedingten Freiheit und Kontingenz von Gottes schöpferischem Handeln besitzt sie konstitutive Bedeutung für das christliche Verständnis von Schöpfung. Wann ist die Lehre von der creatio ex nihilo entstanden? Gewiß entspricht sie sachlich der Intention der alttestamentlichen Aussagen über die Schöpfung, aber als Theorie ist sie im Alten Testament noch nicht vorhanden. Nach einer verbreiteten Auffassung ist ihre Formulierung die Leistung der hellenistisch-jüdischen Theologie, wofür als ältester, klassischer Beleg 2. Makk. 7,28 angeführt wird. Dies würde bedeuten, daß das Urchristentum die Lehre von der creatio ex nihilo bereits in der jüdischen Tradition vorgefunden hätte. Man dürfte sie für das Neue Testament voraussetzen, und wenn im zweiten Jahrhundert die platonisierende Lehre von der Ewigkeit der Materie und ihrer bloßen Gestaltung zum Kosmos bei christlichen Theologen auftaucht, so würde es sich um eine mehr oder weniger bewußte Uminterpretation der authentischen christlichen Schöpfungslehre handeln. Die Frage nach der Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo wäre vom Historiker der frühchristlichen Theologie überhaupt nicht zu stellen. Die eben skizzierte Sicht der Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo ist jedoch heute nicht mehr aufrecht zu halten. Schon von der älteren Forschung wurde verschiedentlich bezweifelt, daß die hellenistisch-jüdische Theologie tatsächlich die creatio ex nihilo im strengen Sinn gelehrt hätte, und durch neuere Arbeiten, vor allem durch die Beiträge von H . - F . Weiß und G . Schmuttermayr, ist, wie mir scheint, endgültig nachgewiesen, daß dies nicht der Fall war 1 . Zwar können hellenistische Juden von einem Schaffen Gottes „aus dem Nichts" reden, aber die Formel ist, wie sich zeigen läßt, nicht ontologisch gemeint und schließt die Annahme einer ewigen Weltmaterie keineswegs aus. Der Satz von der Schöpfung „aus dem Nichts" besitzt also nicht von Anfang an die Bedeutung, die wir ganz selbstverständlich mit ihm verbinden. Befragt man die frühchristlichen Quellen, so ergibt sich, daß die These von der creatio ex nihilo im vollen und eigentlichen Sinn, als

1

H.-F. Weiß, Untersuchungen zur Kosmologie des hellenistischen und palästinischen Judentums (1966); G. Schmuttermayr, „Schöpfung aus dem Nichts" in 2. Makk. 7,28?, BZ N. F. 17 (1973) 2 0 3 - 2 2 8 .

VIII

Vorwort

ontologische Aussage, erst dort vorliegt, wo sie gegenüber der Vorstellung einer Weltbildung aus der ungewordenen Materie die Allmacht, Freiheit und Einzigkeit Gottes zum Ausdruck bringen soll. Der Begriff der creatio ex nihilo setzt eine gedankliche Alternative voraus, und in der geistigen Situation des frühen Christentums heißt das: er wird als Antithese zum griechischen Weltbildungsmodell formuliert. Der Gegensatz zur philosophischen Kosmologie muß freilich dialektisch gesehen werden: die creatio-ex-nihilo-Lehre durchbricht zwar Prinzipien der philosophischen Metaphysik, sie kann jedoch erst in deren Problemhorizont und mit deren Begriffen artikuliert werden. Damit sind Ansatz und Richtung unserer Untersuchung festgelegt: die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo muß als ein Teil der Auseinandersetzung des antiken Christentums mit der Philosophie verstanden und dargestellt werden. Da der Satz von der Schöpfung „aus dem Nichts", für sich genommen, mehrdeutig ist, muß man nach dem Schöpfungsverständnis fragen, in dessen Rahmen er jeweils steht. Erst aus dem geistigen Gesamthorizont eines Autors oder einer Quelle läßt sich erkennen, ob in eindeutiger Form die Lehre von der creatio ex nihilo vorliegt. Es ist ebenso möglich, daß in einem Text formal von einer Schöpfung „aus dem Nichts" die Rede ist, ohne daß die creatio ex nihilo im strengen Sinn gedacht wird, wie auch, daß der Gedanke der creatio ex nihilo der Sache nach eindeutig ausgesagt wird, jedoch ohne Verwendung der entsprechenden Formel. Natürlich muß man sich ständig auch vor Augen halten, daß von den alttestamentlichen Formulierungen der Schöpfungsvorstellung eine Linie bis zur entwickelten Lehre von der creatio ex nihilo führt. Insofern enthalten auch die älteren, unreflektierten Schöpfungsaussagen der alttestamentlich-jüdischen und der christlichen Tradition ein „Mehr" über das explizit Ausgesprochene hinaus, und vor allem die Formel der Schöpfung „aus dem Nichts" entwickelt auch bei einer ganz unpräzisen Verwendung eine Dynamik, die auf die creatio ex nihilo im strengen und eigentlichen Sinn hindrängt. Dennoch muß die historische Interpretation der Quellen zwischen dem, was in ihnen angelegt ist, und dem, was sie unmittelbar sagen und wollen, unterscheiden. Nur wenn man versucht, sich in den Problemhorizont der Quellen zurückzuversetzen, wenn man auf das von ihnen jeweils erreichte Reflexionsniveau, auf die Verschiebung alter und das Auftauchen neuer Problemstellungen achtet, kann man den geschichtlichen Prozeß, in dem die creatio-ex-nihilo-Lehre entstanden ist, erfassen und nachvollziehen. Die geistigen Voraussetzungen für die Formulierung der Lehre von der creatio ex nihilo waren von der christlichen Theologie im zweiten Jahrhundert erreicht. Es ist eine Frage für sich, die uns noch beschäftigen wird, warum nicht schon früher Philo von Alexandrien, der über die erforderliche philosophische Bildung verfügte, den biblischen Schöpfungsgedanken als creatio ex nihilo gedeutet hat. Die christlichen Gnostiker bringen das Fragen nach dem Ursprung des Kosmos in Gang. In

Vorwort

IX

ihren Darstellungen der Kosmogonie können sie sowohl auf das platonische Weltbildungsmodell zurückgreifen als auch vereinzelt den Gedanken einer creatio ex nihilo entwickeln. Zur gleichen Zeit beginnt die, rückblickend geurteilt, „rechtgläubige" Theologie sich mit zunehmender Intensität mit der philosophischen Tradition auseinanderzusetzen. Dabei können gerade die auf diesem Felde führenden Theologen die Schöpfung zunächst platonisierend als Weltbildung verstehen. Erst in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts entwickelt die kirchliche Theologie im Gegenüber zur philosophischen Kosmologie und zur platonisierenden Gnosis die Lehre von der creatio ex nihilo im strengen Sinn, die in der katholischen Kirche jetzt sehr rasch eine nahezu fraglose Gültigkeit erringt. Natürlich ist die These, daß die Lehre von der creatio ex nihilo ein Ergebnis der theologischen Debatten des zweiten Jahrhunderts sei, nicht neu 2 . Aber soweit ich sehe, ist die Geschichte ihrer Entstehung noch nie in allen ihren Stadien und vor allem nicht unter Einbeziehung der gnostischen Theologie dargestellt worden. Eine solche Rekonstruktion des Werdens der Lehre von der creatio ex nihilo ist der Gegenstand dieses Buches. Es geht mir darin nicht nur um die Lösung eines Spezialproblems der Theologiegeschichte. Ich wollte zugleich auch einen Beitrag zur Beantwortung der umfassenderen Frage leisten, wie überhaupt in der entscheidenden Frühzeit christliche Lehre entstanden ist. Die Problemstellung bestimmt den Aufbau der Untersuchung und die Auswahl des Stoffes: Im ersten Kapitel ist nicht beabsichtigt, einen auch nur entfernt vollständigen Überblick über das Schöpfungsverständnis des hellenistischen Judentums und des Urchristentums zu geben. Es soll lediglich gezeigt werden, daß bis zur Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert und zum Teil darüber hinaus auf das Wesen des Schöpfungsvorgangs noch nicht reflektiert wird und die Probleme, die im zweiten Jahrhundert die Diskussion beherrschen werden, noch nicht aufgebrochen sind. Erst auf diesem Hintergrund treten die neuen Fragestellungen des zweiten Jahrhunderts mit voller Klarheit hervor. In der Darstellung der wichtigsten gnostischen Entwürfe habe ich etwas weiter ausgeholt (2. und 3. Kapitel). Es lag mir nicht nur daran, zu zeigen, wie hier auf einmal die Frage nach dem Ursprung des Kosmos eine bedrängende Aktualität gewinnt und welche Antworten sie findet, es sollte wenigstens andeutungsweise auch der Zusammenhang zwischen der Kosmologie der Gnostiker im engeren Sinn und ihrem allgemeinen Weltverständnis sichtbar gemacht werden. In der Schilderung der Entwicklung von Justin bis Irenaus (4. und 5. Kapitel) habe ich mich wieder stärker auf die eigentliche Schöpfungsproblematik beschränkt, da ich sonst eine Theologiegeschichte des zweiten Jahrhunderts hätte schreiben müssen. Ich bin mit Absicht nicht über Irenäus hinaus2

Ich nenne hier nur H. Schwabl, Weiß S. 146 ff.

Art. Weltschöpfung, PW Suppl. I X (1962) Sp. 1573ff.;

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Vorwort

gegangen. Bei ihm hat die Lehre von der creatio ex nihilo feste Gestalt gewonnen, und ein gewisser Abschluß ist erreicht. Das Denken Tertullians und Hippolyts bietet für unsere Thematik keine entscheidenden neuen Aspekte, während eine angemessene Behandlung der Schöpfungslehre der Alexandriner Klemens und Origenes den Rahmen der Arbeit gesprengt hätte. Zur Terminologie sei folgendes angemerkt: als deutsche Äquivalente für „creatio ex nihilo" verwende ich gleichbedeutend die Ausdrücke „Schöpfung aus dem Nichts" und „Schöpfung aus nichts". Als „Weltbildungsmodell" oder „Weltbildungsschema" bezeichne ich die Lehre von der Gestaltung des Kosmos aus der ungewordenen Materie, wie sie klassisch im Mythos des platonischen Timaios dargestellt ist. Bei den Abkürzungen habe ich mich nicht an ein einheitliches System gehalten: für bekanntere Periodica und Nachschlagewerke benutze ich die gängigen Abkürzungen; sie lassen sich mit Hilfe des Abkürzungsverzeichnisses von R G G 3 oder von S. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (1974) auflösen. Die Titel weniger bekannter Zeitschriften und Reihen habe ich so gekürzt, daß sie ohne Schlüssel verständlich sind. Die Anregung, mich mit der altchristlichen Schöpfungslehre zu beschäftigen, gab mir H . Chadwick, als ich 1965 in Oxford sein Schüler war. In den Jahren 1966 bis 1969, während meiner Assistentenzeit bei H. Frh. v. Campenhausen in Heidelberg, nahm die vorliegende Arbeit erste Gestalt an. Beiden Lehrern habe ich Entscheidendes zu verdanken. Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichte mir den Abschluß der Arbeit, die im Herbst 1971 unter dem Titel „Die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo. Eine Untersuchung zur Theologiegeschichte des zweiten Jahrhunderts" von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München als Habilitationsschrift angenommen wurde. Gutachter waren G. Kretschmar, J . Bauer, P. Stockmeier (alle München) und W.C. van Unnik t (Utrecht). Ihnen allen danke ich für ihre Hinweise und Anfragen. Die Arbeit blieb dann längere Zeit liegen, ehe ich daranging, sie für den Druck zu revidieren. Ich habe die Literatur berücksichtigt, soweit sie mir bis zum Frühjahr 1977 zugänglich war. Nicht immer ist es mir möglich gewesen, die Zitate auf die neuesten Auflagen umzustellen. Leider konnte ich den 1976 erschienenen ersten Band des Genesiskommentars des Didymos von Alexandrien aus dem Fund von Tura nicht mehr verwenden 3 . Der Aufsatzband von H. Dörrie, Platonica Minora (1976) war mir ebenfalls nicht rechtzeitig greifbar, um noch nach ihm zu zitieren, und auch auf das Buch von Th. Kobusch, Studien zur Philosophie des Hierokles von Alexandrien. Untersuchungen zum christlichen Neuplatonismus (1976) kann ich nur noch an dieser Stelle verweisen.

3

Didyme l'Aveugle, Sur la Genese I, edd. P. N a u t i n - L . Doutreleau (Sources ehret. 233, Paris 1976).

XI

Vorwort

Es bleibt mir übrig, allen jenen Kollegen und Freunden zu danken, die entweder die erste Fassung dieser Arbeit gelesen haben oder sich meine Thesen mündlich vortragen ließen. Ich denke hier auch an die Hörer der Vorlesung, die ich im Wintersemester 1975/76 über „Die Entstehung der christlichen Schöpfungslehre" hielt. Ferner danke ich den Herausgebern der „Arbeiten zur Kirchengeschichte" für die Aufnahme meines Buches in diese Reihe. Vor allem C. Andresen hat mir durch sein aufmunterndes Drängen geholfen, die Überarbeitung endlich abzuschließen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft bin ich für doppelte Unterstützung Dank schuldig: sie gewährte mir ein zweijähriges Habilitandenstipendium und ermöglichte jetzt durch eine Druckbeihilfe das Erscheinen des Buches. Schließlich danke ich Fräulein Lilly Kuhnert für die Anfertigung des Druckmanuskriptes und dem Verlag für die sorgsame Betreuung der Drucklegung und die gute Zusammenarbeit. München, im März 1978

Gerhard May

INHALT Vorwort

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1. Kapitel: Das Problem der Weltschöpfung im hellenistischen Judentum und im Urchristentum bis zur gnostischen Krise des zweiten Jahrhunderts . .

1

Die Ausgangslage S. 1 — Die Weltschöpfung im hellenistischen Judentum S. 6 — Philo S. 9 — Ansätze zur Lehre von der creatio ex nihilo im Judentum S. 22 — Grenzen der jüdischen Schöpfungsaussagen S. 23 — Die Weltschöpfung im Urchristentum S. 26 — Anfänge der antihäretischen Polemik S. 31 — Der Stand der Frage in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts S. 36 2 . Kapitel: Die Frage nach dem Ursprung der Welt in der christlichen Gnosis

40

Die gnostische Problemstellung S. 40 — Markion S. 54 3. Kapitel: Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

63

Basilides S. 63 — Valentin S. 86 — Der Mythos der valentinianischen Schule S. 92 4. Kapitel: Christliche und platonische Kosmologie

120

Das Christentum als wahre Philosophie S. 120 — Aristides S. 120 — Justin S. 122 — Die Schrift „Uber die Auferstehung" S. 135 — Athenagoras S. 139 — Hermogenes S. 142 5. Kapitel: Die kirchliche Lehre von der creatio ex nihilo

151

Die doppelte Front gegen Gnosis und Philosophie S. 151 — Tatian S. 151 — Römische Schuldebatten S. 157 — Theophilus von Antiochien S. 159 — Irenaus S. 167 Rückblick

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Benutzte Textausgaben

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Register 1. Bibelstellen S. 189 - 2. Antike Autoren und Quellen S. 190 Autoren S. 192 - 4. Begriffe und Sachen S. 196

. 189 3. Neuere

1. KAPITEL DAS PROBLEM DER WELTSCHÖPFUNG IM HELLENISTISCHEN J U D E N T U M U N D IM U R C H R I S T E N T U M BIS Z U R G N O S T I S C H E N KRISE DES Z W E I T E N J A H R H U N D E R T S

Der Schöpfungsglaube gehört zum jüdischen Erbe des Christentums. Der Satz, daß Gott die Welt und alles, was in ihr ist, erschaffen hat, war für das urchristliche Denken eine Voraussetzung, die axiomatische Gültigkeit besaß und bis zum Ende des ersten Jahrhunderts nicht in Frage gestellt wurde. Erst seit der Jahrhundertwende begann in den Kreisen der Gnostiker die Schöpfung zum theologischen Problem zu werden. Die ersten Versuche, den Glauben an den einen Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, in philosophischen Begriffen zu formulieren, wurden wohl im Rahmen der hellenistisch-christlichen Missionspredigt unternommen 1 . Man war sich freilich der Schwierigkeiten, die in den alttestamentlichen Vorstellungen über Gott und die Schöpfung für griechisches Denken enthalten waren, keineswegs gleich bewußt. Die Aneignung der philosophischen Tradition und ihrer Problemstellungen durch die christliche Theologie vollzog sich zunächst nur langsam. Erst um die Mitte des zweiten Jahrhunderts wurde die Auseinandersetzung mit der Philosophie als zentrale Aufgabe des christlichen Denkens erkannt und als solche in Angriff genommen. Man begann nun mit dem programmatisch erhobenen Anspruch, den einen universalen Gott zu kennen und zu lehren, von dem die klassischen Philosophen der Vergangenheit nur ungefähr gewußt hätten, geistig ernst zu machen. Dies geschah nicht nur aus äußerlichen apologetischen Erfordernissen. Philosophisch gebildete Christen wollten die Botschaft, zu der sie sich bekannten, verstehen und gedanklich durchdringen. Für sie war das Christentum die wahre Philosophie. Die Vermittlung der Vorstellung von dem frei und voraussetzungslos schaffenden Gott in den Begriffen der griechischen Metaphysik wird nun zu einem zentralen Thema der christlichen Theologie. Dieser Fragenkomplex bildet neben der gnostischen Problematik den zweiten Brennpunkt der Aus1

Zur urchristlichen Missionspredigt und ihren Themen vgl. A. v. Hamack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten I (1924 4 ) 114· ff.; G. Bornkamm, Glaube und Vernunft bei Paulus, in: Studien zu Antike und Urchristentum (Ges. Aufs. II, 1970 3 , S. 1 1 9 - 1 3 7 ) 1 2 2 - 1 2 4 ; u. S. 2 9 f .

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Das Problem der Weltschöpfung im heilenist. Judentum u. im Urchristentum

einandersetzung über den Schöpfungsgedanken, die im zweiten Jahrhundert stattfindet 2 . I m Horizont dieser Fragestellungen wird die Lehre von der creatio ex nihilo entwickelt. In der Philosophie des ersten und zweiten Jahrhunderts nahm die Stoa die beherrschende Stellung ein und bestimmte weit über das schulmäßige Philosophieren hinaus das allgemeine Bildungsklima. Neben ihr gewann aber der Platonismus zunehmend an Bedeutung. E r hatte seit dem ersten vorchristlichen Jahrhundert eine tiefgehende Erneuerung erfahren, und als die Stoa in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts überraschend schnell als selbständige Schule erlosch, wurde der Piatonismus als die einzige noch wirklich lebendige und produktive philosophische Richtung zur Philosophie der Spätantike schlechthin 3 . Als geistiges Gegenüber für das frühe Christentum spielten nur die Stoa und der Piatonismus eine entscheidende Rolle. Die epikureische Lehre lehnten die Christen mit den gleichen Argumenten wie ihre philosophischen Kritiker als gottlos ab 4 , und das peripatetische Philosophieren war zu sehr auf die gelehrten Fachkreise beschränkt, um auf die Christen der ersten Jahrhunderte, mit Ausnahme einzelner kleiner Zirkel, eine größere Wirkung auszuüben. Die Lehre von der Ewigkeit der Welt und die Aristoteles zugeschriebene Anschauung, daß die Wirkung der Vorsehung nur bis zur Mondsphäre, nicht bis in die sublunare Welt herabreiche, wurden von der christlichen Theologie heftig bekämpft, und auch die weltbejahende peripatetische Ethik besaß für das Christentum der Verfolgungszeit

2

3 4

Neben der theologisch-metaphysischen Problematik des Schöpfungsgedankens bildet das zweite zentrale Thema der Auseinandersetzung des christlichen Denkens mit der griechischen Kosmologie der Ausgleich zwischen biblischem und griechischem Weltbild, der vor allem die gelehrte Genesisexegese beschäftigt; vgl. zur ersten Orientierung F. E. Robbins, The Hexaemeral Literature (Chicago 1912). Die Darstellung der Kosmologie der Kirchenväter durch P. Duhem, Le systeme du monde. Histoire des doctrines cosmologiques de Piaton ä Copernic II (Paris 1914) 393 —501 reicht nicht aus; vgl. auch die Hinweise von Ilona Opelt, Art. Erde, RAC V (1962, Sp. 1113-1179) 1167ff., die aber die Wissenschaftsfeindlichkeit der altkirchlichen Theologie überbetont. Zu dem Versuch des Kosmas Indikopleustes, eine konsequent biblische Kosmologie zu entwickeln, vgl. Wanda Wolska, La Topographie chretienne de Cosmas Indicopleustes. Theologie et science au VI® siecle (Paris 1962). Eine Gesamtskizze der Geschichte der altkirchlichen Schöpfungstheologie gibt L. Scheffczyk, Schöpfung und Vorsehung (Handbuch der Dogmengesch., hrsg. v. M.Schmaus u. A. Grillmeier IIa, 1963) Iff., eine Übersicht über die Probleme A. Hamman, L'enseignement sur la creation dans l'Antiquite chretienne, Rev. Sc. Rel. 42 (1968) 1 - 2 3 , 97-122. Auf die ersten drei Jahrhunderte beschränken sich das im ganzen nicht überholte Werk von E. W. Möller, Geschichte der Kosmologie in der griechischen Kirche bis auf Origenes (1860) und R.A.Norris, God and World in Early Christian Theology (London 1966). Vgl. M. Pohlenz, Die Stoa I (19704) 277ff. Vgl. W. Schmid, Art. Epikur, RAC V (1962, Sp. 681-819) 774ff.

Das Problem der Weltschöpfung im heilenist. Judentum u. im Urchristentum

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keine Anziehungskraft 5 . Die Stoa wirkte auf das Christentum vor allem mit ihrer Ethik, aber auch der teleologische Gottesbeweis und die anthropozentrische Vorsehungslehre wurden von der christlichen Schöpfungstheologie rasch aufgenommen und entfalteten in ihr eine Wirkung, die bis in die Aufklärung reicht 6 . Ebenso gingen die emphatischen Aussagen der Stoa über Gott als den Schöpfer und Lenker der Welt in die christliche theologische Sprache ein, wobei die stoischen Sätze ganz selbstverständlich theistisch umgedeutet wurden 7 . Gleichzeitig übten die Christen aber auch scharfe Kritik am stoischen Pantheismus und Materialismus und an der Lehre von der periodischen Welterneuerung 8 . Für die Ausbildung der christlichen Schöpfungslehre war aber am wichtigsten die Auseinandersetzung mit dem Piatonismus. Der mittlere Piatonismus, dessen Epoche von der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts nach Christus reicht, hatte eine Hinwendung zu theologischen Fragestellungen vollzogen, die ihm von vornherein eine Affinität zum christlichen Denken gab 9 . Das zentrale metaphysische Thema ist nicht mehr wie für den historischen Piaton die Ideenlehre, sondern Gott 1 0 . Der Demiurg des Timaios, des für den Mittelplatonismus grundlegenden platonischen Dialogs, wird 5 6

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10

Vgl. ]. H. Waszink-W. Heffening, Art. Aristoteles, RAC I (1950) 657-667. Dazu Pohlenz, Die Stoa I S. 400ff.; M. Spanneut, Le Sto'icisme des Peres de l'figlise de Clement de Rome ä Clement d'Alexandrie (Paris 1957, 2. Aufl. o. J.). Origenes hat mit großem Geschick die stoische Vorsehungslehre gegen die platonische Theorie des Kelsos ausgespielt: H. Chadwick, Origen, Celsus, and the Stoa, JThS 48 (1947) 34-49. Vgl. H. Hommel, Schöpfer und Erhalter. Studien zum Problem Christentum und Antike (1956). Ilona Opelt, Jb. Ant. u. Chr. 4 (1961) 163f. wirft Hommel vor, daß er den immanenten stoischen Kosmosgott theistisch mißverstehe; aber die entsprechende Umdeutung stoischer theologischer Sätze war hellenistisch-jüdischem und chrisdichem Denken mühelos möglich: vgl. Pohlenz, Paulus und die Stoa, ZNW 42 (1949, S. 69—104) 89f. Zur Verbindung der Motive Schöpfung — Erhaltung — Heil in der hellenistisch-jüdischen und der frühchrisdichen Literatur vgl. W. Nauck, Die Tradition und Komposition der Areopagrede, ZThK 53 (1956, S. 11-52) 24 ff. Belege bei Pohlenz, Die Stoa I S. 409; II (19724) 198; Spanneut S. 88-94. Einen guten Überblick über den mittleren Piatonismus gibt immer noch K. Praechter, Die Philosophie des Altertums (F. Überwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie I, 192612) 524—556; vgl. ferner C. Andresen, Logos und Nomos. Die Polemik des Kelsos wider das Christentum (1955) 239ff.; Ph. Merlan, in: Α. H· Armstrong, The Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy (Cambridge 1967) 53—83 und die Untersuchungen von H. Dörrte, besonders: Die Frage nach dem Transzendenten im Mittelplatonismus, in: Entretiens sur l'antiquite classique V: Les sources de Plotin (Vandceuvres-Geneve 1960) 191—223. Teilweise andere Wege der Deutung geht H.J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik (Amsterdam 19671) 92 ff. Vgl. Dörrte, Die Frage nach dem Transzendenten S. 202 f. Für Plutarch, de Ε ap. Delph. 19. 20 (392Eff.) ist das δντως δν Gott - für Piaton waren es die Ideen: Phaidr. 247E; polit. X 597D; Tim. 27D—28A; vgl. W. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatonismus (19642) 12-17.

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Das Problem der Weltschöpfung im heilenist. Judentum u. im Urchristentum

mit dem höchsten Gott gleichgesetzt, der als Nus und Inbegriff der Ideen gedacht wird 1 1 . Und die Kosmologie des Timaios wird in der charakteristischen »Dreiprinzipienlehre« systematisiert: die drei zunächst ontologisch gleichrangig gedachten Prinzipien Gott, Ideen und Materie konstituieren die Welt 1 2 . Die Ewigkeit der Materie, des Stoffes der Weltbildung, wird allgemein angenommen, umstritten ist hingegen die Frage, ob der geordnete Kosmos einen zeitlichen Anfang hat. Cicero und Philo von Alexandrien bezeugen, daß man in ihrer Zeit den Timaios wörtlich verstand und annahm, die Welt sei zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen worden. Plutarch vertrat ebenfalls diese Auffassung, und noch im zweiten Jahrhundert, als sich die Weltewigkeitslehre bei den Piatonikern so gut wie allgemein durchgesetzt hatte, trat Attikos für die zeitliche Erschaffung der Welt ein 13 . Diese aus dem Timaios gewonnenen Anschauungen stellten für die christliche Theologie des zweiten und dritten Jahrhunderts die Kosmologie Piatons dar, und zum Teil im ausdrücklichen Gegensatz zu ihnen wurde die Lehre von der creatio ex nihilo entwickelt. Das mittelplatonische Denken sucht aber nach einem einzigen universalen Seinsgrund und drängt deshalb auf eine Uberwindung des Dreiprinzipienschemas hin. A u f der einen Seite wurden die Ideen als Gedanken Gottes verstanden und in den göttlichen Nus verlegt 14 , andererseits gab es verschiedene Versuche, die höchste Gottheit noch über dem Nus-Gott anzusetzen 15 . Numenios unterschied klar zwischen dem ersten, höchsten Gott und dem Demiurgen, dem eigentlichen Weltschöpfer 1 6 . Die Überhöhung des Nus wird endgültig durch die plotinische Lehre vom Einen geleistet. Sie schließt die Nebeneinanderordnung einer Mehrheit von Prinzipien aus. Das Eine ist der Urgrund alles Seins, und deshalb erklärt Plotin nicht nur die Hypostasen Nus und Seele für geworden, sondern auch die Materie. Als letzte Emanation des Einen bildet sie den Ubergang ins Nichtsein und kann 11

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Die Theologie des mittleren Piatonismus ist konzentriert zusammengefaßt bei Albinos, did. 10. Vgl. Dörrte, Die Frage nach dem Transzendenten S. 205 ff. Vgl. Dome, Le renouveau du platonisme ä l'epoque de Ciceron, Rev. de Theol. et de Phil. 24 (1974, S. 13-29) 20f.; Μ. Βaltes, Die Weltentstehung des platonischen Timaios nach den antiken Interpreten I (Leiden 1976) 28ff. Vgl. Α. H. Armstrong, The Background of the Doctrine »That the Intelligibles are not Outside the Intellect«, in: Les sources de Plotin S. 391—425. So bei Albinos, did. 10 (S. 164,6ff. Hermann); dazu Dörrte, Zum Ursprung der neuplatonischen Hypostasenlehre, Hermes 82 (1954, S. 331—342) 339f.; anders Krämer, Ursprung S. 38lf. Zur gleichen Problematik bei Kelsos vgl. Dörrie, Die platonische Theologie des Kelsos in ihrer Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie, NAG 1967/2, S. 4 3 - 5 5 . Vgl. Theiler, Art. Demiurgos, RAC III (1957, Sp. 694 - 711) 701f.; M. Bültes, Numenios von Apamea und der platonische Timaios, Vig. Chr. 29 (1975, S. 241—270) 257ff.

Das Problem der Weltschöpfung im hellenist. Judentum u. im Urchristentum

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nur noch als reine Privation gedacht werden 1 7 . Mit der Zurückführung der Materie auf das Eine und der Preisgabe ihres Prinzipiencharakters durchbricht Plotin ein philosophisches Dogma und gelangt an diesem Punkt zur Ubereinstimmung mit dem christlichen Denken 18 . Vor allem Porphyrios hat dann die Auffassung, daß die Materie dem Demiurgen notwendigerweise vorgegeben sein müsse, mit Argumenten zurückgewiesen, die christlichen Gedankengängen sehr nahe kamen 1 9 . Trotzdem unterscheidet sich die neuplatonische Kosmologie in zweifacher Hinsicht grundlegend von der christlichen Lehre: Die Materie entsteht nicht durch einen zeitlichen Schöpfungsakt, sondern sie besteht ebenso wie der ganze Kosmos ewig; ihr Gewordensein bedeutet also nur eine ontologische Relation, ein ewiges Verursachtsein 20 . Vor allem aber ist der für das Christentum entscheidende Gedanke der Freiheit und Kontingenz des göttlichen Schaffens für den Neuplatonismus unvollziehbar. Das Seiende geht notwendig aus dem Einen hervor 2 1 . Erst seit dem fünften Jahrhundert kommt es speziell in Alexandrien zu einer Annäherung von Neuplatonismus und Christentum, die zu Versuchen führt, philosophische Metaphysik und christliche Schöpfungslehre miteinander zu verbinden 22 . 17 18

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Vgl. Enn. IV 8,6; I 8,7ff.; IV 3,9,12ff.; II 4,13ff. Diese Konvergenz betont nachdrücklich Krämer, Ursprung S. 336 Anm. 531. Das Spezifikum der chrisdichen Schöpfungslehre, wodurch diese sich von der neuplatonischen Metaphysik unterscheidet, sieht er richtig im einmaligen zeitlichen Schöpfungsakt, der, »ebenso wie Wille und Wahlfreiheit Gottes unter unendlichen Möglichkeiten (Augustin), die Konsequenz des persönlich gefaßten Gottes« ist. Belege bei Tbeiler, Porphyrios und Augustin, in: Forschungen zum Neuplatonismus (1966, S. 160-251) 176-180; R. Beutlet, Art. Porphyrios, PW 22/1 (1953, Sp. 275-313) 303f.; s. u. S. 125f. Vgl. W. Beierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik (1965) 136-143; M. Wacht, Aeneas von Gaza als Apologet (1969) 64f. 71—73. Dazu Beierwaltes S. 143ff.; ähnlich Wacht S. 75ff. gegen K. Kremer, Das Warum der Schöpfung: »quia bonus« vel/et »quia voluit«? Ein Beitrag zum Verständnis von Neuplatonismus und Christentum an Hand des Prinzips »bonum est diffusivum sui«, in: Parusia. Studien zur Philosophie Piatons und zur Problemgeschichte des Piatonismus (Festg. J. Hirschberger 1965) 241—264; vgl. aber auch die Bemerkungen von A . H . Armstrong, in: JThS N. S. 10 (1959) 176. Hierokles von Alexandrien im fünften Jahrhundert, der annimmt, daß Gott ewig schafft (bei Photios, bibl. 251 [461 Äff.]), zugleich aber die Schöpfung aus nichts vertritt (bibl. 214 [172A]; 251 [460B-461B]), ist wahrscheinlich vom Christentum beeinflußt: Praechter, Christlich-neuplatonische Beziehungen, Byz. Ztschr. 21 (1912) 1—27; vgl. jetzt Baltes, Weltentstehung I S. 187—190. Den umfassendsten Versuch einer philosophischen Begründung der christlichen Schöpfungslehre lieferte in der Zeit Justinians in Auseinandersetzung mit Proklos und Simplikios der christliche Neuplatoniker Johannes Philoponos; vgl. H.-D. Saffrey, Le chretien Jean Philopon et la survivance de l'ecole d'Alexandrie au VI« siecle, REG 67 (1954) 396 - 4 1 0 ; W. Wieland, Die Ewigkeit der Welt (Der Streit zwischen Joannes Philoponus und Simplicius), in: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken (Festschr. H.-G. Gadamer, 1960) 291—316.

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Das Problem der Weltschöpfung im hellenist. Judentum u. im Urchristentum I

Die Theologie des hellenistischen Judentums hat sich in breitem Umfang philosophische Begriffe und Lehren angeeignet, zu einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der philosophischen Ontologie und Kosmologie ist sie jedoch nicht vorgedrungen. Unter apologetischen Gesichtspunkten wird zwar die Einzigkeit Gottes, sein Schöpfertum und die Wirksamkeit seiner Vorsehung betont 23 , aber die Lehre von der Weltbildung aus einer ewigen Materie kann unbefangen aufgenommen werden. Und wo Aussagen über die Souveränität und Allmacht des Schöpfers die Formulierung der Lehre von der creatio ex nihilo zwingend zu fordern scheinen oder sich ihr auch tatsächlich nähern, wird doch diese theoretische Konsequenz nicht gezogen. So redet die Sapientia Salomonis von der allmächtigen Hand Gottes, die den Kosmos aus der gestaltlosen Materie schuf, offenbar ohne in diesem Satz eine Einschränkung der Allmacht Gottes zu sehen24. Daneben finden sich jedoch auch einige Texte, die eine Schöpfung aus nichts zu behaupten scheinen. Die bekannteste, immer wieder als frühestes Zeugnis für die begriffliche Formulierung der Lehre von der creatio ex nihilo angeführte Stelle ist 2. Makk. 7,28 2 5 . Zur Vorsicht bei der Auswertung mahnt allerdings schon der Zusammenhang, in dem hier von der Schöpfung »aus nichts« die Rede ist. Es handelt sich keineswegs um eine theoretische Erörterung über das Wesen des Schöpfungsvorganges, sondern um einen paränetischen Hinweis auf die Schöpfermacht Gottes: die Mutter der sieben makkabäischen Märtyrer ruft ihren jüngsten Sohn zur Standhaftigkeit auf, indem sie ihm vor Augen hält, daß Gott, der durch die Erschaffung der Welt und der Menschen »aus Nichtseiendem« seine Macht bezeugt hat, »in der Zeit der Erbarmung« die Gerechten aus dem Tode auferwecken wird 26 . Eine Stellungnahme zum Problem der Materie ist in diesem Vgl. ep. Arist. 132ff.; Philo, opif. 170-172. Sap. 11,17: ή παντοδύναμος σου χείρ και κτίσασα τον κόσμον έξ άμόρφου ΰλης. Daß die Septuaginta mit der Übersetzung von Gen. 1,2 a ή δέ γη ήν άόρατος και άκατασκεΰαστος an die Materie denkt, ist öfters vermutet worden; vgl. J. Bernays, Uber die unter Philon's Werken stehende Schrift über die Unzerstörbarkeit des Weltalls, AAB 1882/83 (1883) 32; J. B. Schaller, Gen. 1.2 im antiken Judentum (Untersuchungen über Verwendung und Deutung der Schöpfungsaussagen von Gen. 1.2 im antiken Judentum) (Diss. Göttingen 1961) 8 - 1 1 und schon Clem. Al. ström. V 90,1. 2 S ' Αξιώ σε, τέκνον, άναβλέψαντα εις τον ούρανον και την γην και τά έν αύτοΐς πάντα ίδόντα γνώναι δτι ούκ έξ όντων έποίησεν αύτά ό θεός, και τό των άνθρώπων γένος οϋτω γίνεται. Dazu vgl. jetzt G. Schmuttermayr, »Schöpfung aus dem Nichts« in 2. Makk. 7,28?, BZ N. F. 17 (1973) 203-228. 26 Schmuttermayr S. 206 redet vom »Gebetsstil« des Textes und betont ebenfalls seinen paränetischen Charakter. Phantastisch ist die von Arn. Ehrhardt, Creatio ex nihilo, in: The Framework of the New Testament Stories (Ges. Aufs., Manchester 1964, S. 200—233) 214f. aufgestellte These, die Rede knüpfe an eleatische Gedankengänge

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Rahmen von vornherein nicht zu erwarten. Der Text enthält nicht mehr als die Vorstellung, daß die Welt durch die souveräne Schöpfungstat Gottes entstanden ist, daß sie zuvor nicht war 2 7 . Damit soll die Allmacht Gottes ausgesagt werden, die die zukünftige Auferweckung der Toten verbürgt; eine kritische Distanzierung der Lehre von der Weltbildung aus der ewigen Materie liegt aber schlechterdings außerhalb des Horizontes dieses Textes 28 . Auch die vorhergehende erste Rede der jüdischen Mutter, die eine Parallele zu unserer Stelle bildet, will nicht wissenschaftlich über die Entstehung des Menschen und der übrigen Schöpfung Auskunft geben, sondern es geht ausschließlich darum, mit dem Hinweis auf die Schöpfermacht Gottes die Auferstehungshoffnung zu begründen 29 . Man könnte natürlich vermuten, daß der Satz von der Weltschöpfung »aus Nichtseiendem« das formelhafte Konzentrat einer ausgeführten Theorie der Weltschöpfung sei, die als feste Tradition vorauszusetzen wäre. Aber für eine solche Deutung fehlen alle Anhaltspunkte : Eine entsprechende ältere Schöpfungstheorie läßt sich im Judentum direkt nicht nachweisen, und es wird sich zeigen, daß die hellenistisch-jüdische Theologie auch sonst nirgends in einem prinzipiellen, antigriechischen Sinn von Schöpfung »aus nichts« redet, so daß Rückschlüsse von der formelhaften Wendung auf eine ihr zugrundeliegende theologische Tradition sich verbieten. Daß die Formulierung des Zweiten Makkabäerbuches keineswegs notwendig den Gedanken der absoluten Voraussetzungslosigkeit der Schöpfung enthalten muß, ergibt sich auch aus einer aufschlußreichen Parallele bei Xenophon. Dieser sagt an einer Stelle der »Memorabilien«, daß die Eltern ihre Kinder »aus dem Nichtseienden hervorbringen«. Natürlich soll das nicht heißen, daß die Kinder aus dem Nichts entstehen, und niemand wird auf den Gedanken kommen, den Satz

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über das Nichtseiende an und sei eine Kritik an der hellenistischen Herrscherideologie, die den irdischen Herrscher als das Abbild des die ewige Ordnung des Kosmos wahrenden göttlichen Monarchen Zeus betrachtete. Die Wortstellung ούκ έξ όντων ist nach F. Blaß-A. Debrunner-F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch (1976 14 ) §433,3 (S. 361) gut klassisch und entspricht einem έξ ούκ δνιων. Die Fügung ούκ έξ όντων erscheint auch bei Ps. Aristot. De Melisso Xenophane Gorgia 1,15 (ed. Diels, AAB 1900, S. 18,16); Hippol. ref. VIII 17,1; X 28; vgl. auch Plotin, Enn. III 6,6,25 mit Theilers Textherstellung. Schmuttermayr S. 218ff. nimmt dagegen einen Bedeutungsunterschied an und übersetzt ούκ έξ όντων in 2. Makk. 7,28 mit »nicht aus seienden bzw. vorfindlichen Einzeldingen« (S. 224). Für das grundsätzliche Verständnis des Textes ist die Frage, ob die Wortstellung eine besondere Bedeutungsnuance zum Ausdruck bringt, nicht wesentlich. Vgl. Schmuttermayr·, ähnlich H.-F. Weiß, Untersuchungen zur Kosmologie des hellenistischen und palästinischen Judentums (1966) 73f. 7,23: ό τού κόσμου κτίστης 6 πλάσας άνθρωπου γένεσιν και πάντων έξευρών γένεσιν και το πνεύμα καί την ζωήν ύ μ ΐ ν πάλιν άποδίδωσιν μετ' έλέους, ώς ν ύ ν ύπεροράτε έαυτοΰς διά τους αύτού νόμους. Vgl. Schmuttermayr S. 205.

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Das Problem der Weltschöpfung im heilenist. Judentum u. im Urchristentum

im Sinne einer creatio ex nihilo zu verstehen 30 . Für das philosophische Denken der Griechen gilt seit Parmenides das Axiom »ex nihilo nihil fit«. Bei Xenophon liegt dagegen offenbar eine alltagssprachliche, unphilosophische Wendung vor, die besagen soll, daß etwas Neues, etwas, was bisher nicht war, ins Dasein tritt, wobei die Frage, ob dieses Neue durch die Veränderung eines Vorhandenen entsteht oder ob es sich um etwas absolut Neues handelt, gänzlich außer Betracht bleibt. Im Sinne dieses Sprachgebrauchs sind, wie sich noch weiter bestätigen wird, auch die Aussagen der hellenistisch-jüdischen Theologie über das Schaffen Gottes »aus dem Nichtseienden« zu verstehen. Wir müssen als methodischen Grundsatz festhalten, daß die Untersuchung sich nicht auf den Nachweis der Formel »Schaffen aus dem Nichtseienden« als solcher beschränken darf; diese braucht keinen prinzipiellen ontologischen Sinn zu haben. Nur dort, wo die Formel aus dem gedanklichen Zusammenhang als bewußte Antithese zum Weltbildungsgedanken zu erkennen ist, darf sie als Zeugnis für die Lehre von der voraussetzungslosen Schöpfung aus nichts in Anspruch genommen werden. Ein weiterer Text, der in der Diskussion über die Frage, ob das hellenistische Judentum eine Lehre von der creatio ex nihilo entwickelt hat, eine Rolle spielt, ist der Aristeasbrief. Wenn hier einmal erklärt wird, daß die Menschen, die wegen ihrer Erfindungen zu Göttern erhoben wurden, lediglich in der Schöpfung vorgefundene Dinge zusammengesetzt hätten, ohne sie selbst hergestellt zu haben, so scheint sich die Konsequenz zu ergeben, daß der wahre Gott alles Seiende schafft. Aber der Gedanke wird nicht ausgeführt, und die Frage nach dem Ursprung der Materie wird überhaupt nicht gestellt. Man kann die Idee der creatio ex nihilo an dieser Stelle nur finden, wenn man sie bereits voraussetzt 31 . 30

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Mem. II 2,3: τίνας ούν, 6φη, ύπό τίνων εϋροιμεν ά ν μείζω εύηργετημενσυς ή παϊδας ΰ π ο γονέων; ους οί γονείς έκ μέν οϋκ δντων έποίησαν είναι. (Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich einem Vortrag von Paul Henry-, auch Schmuttermayr S. 207, Anm. 19 zieht sie heran). Ganz ähnliche Formulierungen finden sich bei Philo: decal. I l l ; spec, leg. II 2. 225. 229; virt. 130. Vgl. auch Piaton, sympos. 205B: »Denn wenn irgendetwas aus dem Nichtsein zum Sein gelangt (έκ τοΰ μή όντος εις τί> δν ίόντι), ist jedesmal ein Herstellen (ποίησις) die Ursache«. Epist. Arist. 136: τών γαρ έν τη κτίσει λαβόντες τ ι ν α συνέθηκαν και προσυπέδειξαν εύχρηστα, τήν κατασκευήν αυτών οϋ ποιήσαντες αυτοί. Vgl. 139. Dazu Η. Α. Wolfson, Philo. Foundations of Religious Philosophy in Judaism, Christianity and Islam I (Cambridge/Mass. 1968 4 ) 303. Zu Unrecht findet Weiß S. 72f. bei Aristeas eine Polemik gegen den platonischen Demiurgen. Pohlenz, Die Stoa I S. 368; II S. 180 findet die Schöpfung aus dem Nichts bei Aristobul ausgesprochen (Eus. praep. ev. VIII 10,lOf.; XIII 12,11), und W. Foerster, A n . κτίζω, ThW III (1938) 1016 führt noch orac. Sib. III 20ff. als Beleg für ihr Vorkommen im hellenistischen Judentum an. Aber an keiner dieser Stellen ist eindeutig von einer creatio ex nihilo die Rede; vgl. auch Schmuttermayr S. 211—217. Auch Josephus hat das Materieproblem nicht durchdacht: A. Schlatter, Die

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Am umfassendsten hat Philo die philosophische Kosmologie rezipiert. Seine Aussagen über Wesen, Aufbau und Entstehung des Kosmos zeigen eine für die philosophische Situation seiner Epoche charakteristische Verbindung von platonischen und stoischen Vorstellungen. Auch Philo hat nicht die creatio ex nihilo im Sinne der späteren christlichen Lehre vertreten und scheint zwischen dem philosophischen Weltbildungsmodell und der biblischen Schöpfungsvorstellung keinen Widerspruch empfunden zu haben. Er sah an dieser Stelle überhaupt kein Problem. Deshalb wirken seine Aussagen über die Weltschöpfung so merkwürdig unscharf, wenn man an sie die Frage richtet, ob sie auf eine creatio ex nihilo zielen oder nicht. Die Schöpfungslehre Philos ist gerade unter dem Gesichtspunkt der creatio ex nihilo so oft behandelt worden 3 2 , daß wir hier auf eine ausführliche Darstellung verzichten und uns damit begnügen können, auf einige umstrittene

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Theologie des Judentums nach dem Bericht des Josefus (1932) 12f.; vgl. antiqu. I 27f.; III 183 f. Ich verweise auf J. Drummond, Philo Judaeus; or the Jewish-Alexandrian Philosophy in its Development and Completion I (London-Edinburgh 1888) 299—307; Cl. Baumker, Das Problem der Materie in der griechischen Philosophie (1890) 380-388; Ed. Zeller, Die Philosophie der Griechen III/2 (19235) 436—438; E. Brihier, Les idees philosophiques et religieuses de Philon d'Alexandrie (Paris 19503) 80—82 und jetzt vor allem auf Weiß S. 18—72. Sie alle verneinen für Philo die Lehre von der creatio ex nihilo. Dagegen versucht Wolfson I S. 300—310 nachzuweisen, daß Philo die Erschaffung der Materie durch Gott angenommen habe. Sein Vorgehen ist allerdings methodisch höchst fragwürdig: er setzt das »Leere«, dessen Idee Gott nach opif. 29 am ersten Schöpfungstag schafft ( = άβυσσος, Gen. 1,2), mit der »primären« Materie von Tim. 48E—52E, der χώρα, gleich. Aus dieser Materie habe Gott anschließend die Elemente geschaffen. Nach seinen sonstigen Aussagen über die Materie hat aber Philo ebensowenig wie der Mittelpiatonismus die Materie als den leeren Raum verstanden; vgl. Baumker S. 383 und zur Problematik der platonischen Chora Η. Happ, Hyle. Studien zum aristotelischen Materie-Begriff (1971) 98ff. In conf, ling. 136 heißt es zwar, Gott habe zusammen mit den Körpern auch den Raum erzeugt, den sie einnehmen, aber hier geht es nicht um das Problem der Materie, sondern in einer Auslegung von Gen. 11,5 soll die anthropomorphe Vorstellung, daß Gott körperlich sei und sich im Raum bewege, zurückgewiesen werden. (Ähnlich schon im Anschluß an Ex. 19,17-20 Aristobul bei Clem. Al. ström. VI 33,1 = Eus. praep. ev. VIII 10,15. Auch in leg. all. I 44 ist mit dem Leeren nicht die Materie gemeint; vgl. Baumker S. 382, Anm. 1). Überdies fehlt in opif. 26—29 jeder deudiche Bezug auf den von Wolfson herangezogenen Abschnitt des Timaios. Philo erklärt hier Gen. 1,1—3 und liest die Erschaffung gerade der sieben Ideen von Himmel, Erde, Luft ( = σκότος), Leerem, Wasser, Pneuma und Licht einfach aus dem Bibeltext heraus. Gegen Wolfsons Interpretation wendet sich mit Recht W. Pannenberg, Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie, in: Grundfragen systematischer Theologie (Ges. Aufs., 1967, S. 296—346) 316, Anm. 70. Zu dieser Kritik ist noch zu ergänzen, daß in leg. all. III 7, wo auch Pannenberg potentiell die Vorstellung der creatio ex nihilo ausgesprochen findet, lediglich der stoische Gedanke vorliegt, daß es nur eine einzige aktive Ursache des Seienden gebe; die passive Materie ist dabei als Korrelat notwendig mitgedacht (s. u. Anm. 60).

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Texte einzugehen und die theologischen und philosophischen Motive, die in seinen Aussagen über die Weltschöpfung bestimmend sind, hervorzuheben. D a ß Philo neben Gott eine präexistente Materie voraussetzt, ergibt sich gleich aus den Anfangspartien der Schrift »De opificio mundi«. Philo geht von dem stoischen Satz aus, daß es ein aktives und ein passives Prinzip des Seienden geben müsse. Jenes ist der vollkommene Nus — Gott —, dieses zweifellos die formlose Materie, obwohl der Begriff nicht fällt: das passive Prinzip ist von sich aus unbeseelt und unbewegt, es wird aber vom Nus bewegt, gestaltet und beseelt und in den sichtbaren Kosmos verwandelt 33 . Der Gedanke, daß die Annahme eines leidenden Prinzips die Allmacht Gottes einschränken könnte und deshalb auch die Materie als geschaffen zu denken sei, taucht überhaupt nicht auf. Und die Frage, warum das All geschaffen wurde, beantwortet Philo mit einer Anspielung auf den berühmten platonischen Satz Tim. 29 Ε : es war die neidlose Güte Gottes, die ihn veranlaßte, den Stoff, der von sich aus keine Schönheit und Ordnung besaß, zu ordnen und zu gestalten 34 . Es ist kaum vorstellbar, daß Philo die so negativ gekennzeichnete Materie auf Gott zurückgeführt haben sollte. Die Pointe seiner Aussage besteht gerade in der These, daß sich Gottes Schöpfergüte in der Formung des Stoffes äußert, während die Frage nach dem Ursprung der Materie und ihres ursprünglichen ungeordneten Zustandes nicht reflektiert wird 35 . In den zusammenfassenden Bemerkungen am Schluß seiner Schrift sagt Philo, wieder im Anschluß an den Timaios, Gott habe die gesamte Materie für sein Schöpfungswerk verwendet, womit er die Existenz nur einer einzigen Welt beweisen will, doch die Herkunft des Urstoffs selbst wird auch jetzt nicht behandelt, er wird offensichtlich vorausgesetzt 36 . Daß Philo in »De opificio mundi« die Frage nach der Herkunft der Materie nicht beschäftigt, wird auch an seiner Auslegung von Gen. 1,2 sichtbar: E r deutet diesen Vers nicht auf die ungeformte Materie, wie es sonst hellenisierte Juden und die ihnen folgenden Christen mit Vorliebe taten, sondern 33 34

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Opif. 8f. Opif. 21 f.: ει γάρ τις έθελήσειέ την αΐτίαν ής ένεκα τόδε το πάν έδημιουρεϊτο διερευνάσθαι, δοκεΐ μοι μή διαμαρτεΐν σκοποϋ φάμενος, δπερ και των άρχαίων είπε τις, άγαθόν είναι τόν πατέρα και ποιητήν ,οΰ χάριν τής άριστης αύτοϋ φύσεως ούκ έφθσνησεν ούσίφ μηδέν έξ αυτής έχοΰσ|) καλόν, δυναμένη δέ πάντα γίνεσθαι. ήν μεν γάρ έξ αύτης άτακτος άποιος άψυχος (άνόμοιος), έτεροιότητος άναρμοστίας άσυμφωνίας μεστή· τροπήν δέ καΐ μεταβολήν έδέχετο την εις τάναντία και τά βέλτιστα, τάξιν ποιότητα έμψυχίαν δμοιότητα ταυτότητα, το εΰάρμοστον, τό σύμφωνον, πάν δσον τής κρείττονος ίδέας. — »Usia« ist der stoische Terminus für die Materie, den Philo ebenso verwendet wie Plutarch; vgl. Baumker S. 383. Wie selbstverständlich Philo der Weltbildungsgedanke ist, zeigt eine weitere Aussage: der Himmel sei als bestes der geschaffenen Dinge aus dem reinsten Teil der Materie entstanden (opif. 27). Opif. 171; vgl. Plat. Tim. 32C; Arist. de caelo I 9 (278a27); Albin. did. 12 (S. 167,11 f.); Tim. Locr. de univ. nat. 8.

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er findet in Gen. 1,1—5 die Erschaffung der Ideenwelt beschrieben37. Der Ursprung der Materie wird überhaupt nicht behandelt. Philo kennt aber auch die Interpretation von Gen. 1,2, die die Stelle auf die ungeformte präexistente Materie bezieht, und kann die Lehre des Moses zu der Piatons im Timaios in Parallele setzen 38 . In*dem Werk »Quis rerum divinarum heres sit« schildert Philo die Weltschöpfung als eine Folge von »Diäresen«. Er läßt den Schöpfungsvorgang damit beginnen, daß Gott die Materie in das Schwere und das Leichte teilt, und durch weitere Teilungen kommt es zur Entstehung des Kosmos und der verschiedenen Klassen der Lebewesen 39 . Auf die Frage der Entstehung der Materie geht Philo auch hier nicht ein. Ebenso beschreibt Philo an verschiedenen anderen Stellen den Schöpfungsvorgang wie selbstverständlich als Gestaltung einer gegebenen Materie40. Und die Vermutung, Philo habe bei allen derartigen Aussagen stillschweigend vorausgesetzt, Gott habe auch die Materie zuvor erschaffen, erweist sich als unhaltbar, wenn er erklärt, Gott habe die gestaltlose Materie nicht selbst geformt, da es nicht denkbar sei, daß er die unendliche, verwirrte Materie berühre, sondern er habe sich dazu seiner unkörperlichen Kräfte — der Ideen — bedient41. Eine ähnlich negative Auffassung von der Materie spricht aus einer Auslegung von Gen. 1,31: Philo betont, Gott habe nicht die unbelebte, vergängliche Materie gelobt, sondern nur die Werke seiner Schöpfung 42 . Und gelegentlich kann Philo die Materie sogar ausdrücklich als schlecht und als eine der Ursachen des Bösen bezeichnen 43 . Solche Aussagen lassen es als undenkbar erscheinen, daß Philo mit 37 38 39

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Opif. 26—37. Über die jüdischen Auslegungen von Gen. 1 vgl. Chalcidius, in Tim. 278. Prov. I 22; eine andere, stoisierende Auslegung von Gen. 1,2 liegt in gig. 22 vor. Heres 133 — 140; vgl. 146ff. Dazu Ursula Früchtel, Die kosmologischen Vorstellungen bei Philo von Alexandrien (Leiden 1968) 4 1 - 5 2 . Spec. leg. III 180; IV 187; plant. 3.5; fuga 8 - 1 2 ; somn. I 241; leg. all. II 19; quaest. Gen. I 64. Spec. leg. I 329: ού γαρ ήν θέμις άπειρου και πεφυρμένης ύλης ψαύειν τον εύ δαίμονα και μακάριον. Vgl. spec. leg. I 47f. Dahinter steht Tim. 30Β. Heres 160: έπβνεσε δε ό θεός ού την δημιουργηθείσαν ΰλην, την άψυχον και πλημμελή και διαλυτήν, έτι δέ φθαρτην έξ έαυτής άνώμαλόν τε και άνισον, άλλα τά έαυτοΰ τεχνικά εργα. Die δημιουργηθεΐσα ϋλη ist natürlich die »gestaltete«, nicht die »geschaffene« Materie; vgl. Marguerite Harl in ihrer Ausgabe von »Quis rerum divinarum heres sit« (Paris 1966) 63 —65. Wenn Philo die Materie vergänglich nennt (vgl. leg. all. I 88; ebr. 132; somn. II 253; post. 115. 165; congr. 112), so unterscheidet er offenbar nicht zwischen der Materie als Urstoff und dem Körperlichen überhaupt: Drummond I S. 3 0 l f . ; Baumker S. 384 Anm. 5. Das Werden und Vergehen des Sichtbaren und Körperlichen ist ein platonischer Grundgedanke: Tim. 27D—28C; Plut. def. or. 29 (426B); de Ε ap. Delph. 21 (393F). Nach stoischer Lehre löst sich das All einschließlich der Elemente periodisch im Weltfeuer auf und gilt insofern als vergänglich; vgl. Philo, aet. 8f.; prov. I 1 6 - 1 9 ; SVF II 596ff.; 1049ff. Spec. leg. IV 187 (χείρων ούσία); prov. II 82; fuga 198.

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der Erschaffung der Materie durch Gott gerechnet haben könnte. Philo hat die griechische Lehre von der präexistenten Materie übernommen, ohne sie selbständig zu durchdenken, und er hat vor allem nicht die Frage reflektiert, wie sich die Allmacht des biblischen Gottes mit der Anschauung von einer bloßen Weltbildung vereinbaren läßt. Dies beweist, wie tief Philo in den Traditionen griechischen Denkens verwurzelt war 4 4 . In der Schrift »De somniis« scheint Philo einmal die Vorstellung vom Schöpfer im biblischen Sinn der des Weltbildners gegenüberzustellen: Im Anschluß an Gen. 1,4 erklärt er, Gott habe das All nicht nur sichtbar gemacht, so wie die aufgehende Sonne die Dinge sichtbar werden läßt, sondern er habe geschaffen, was zuvor nicht war; er sei nicht nur Demiurg, sondern auch κτίστης 4 5 . Auf die Frage, ob auch die Materie zum Geschaffenen gehöre, geht Philo jedoch nicht ein, und allein an diesem Punkt wäre die platonische Ontologie theoretisch zu überwinden gewesen. Philo will wohl sagen, daß Gott nicht nur der ausführende Baumeister der Schöpfung war, sondern ihr Gründer und Planer, also wirklich ihr »Schöpfer« 4 6 . Dies bedeutet freilich nicht, daß Gott die Welt im strengen Sinne »aus nichts« geschaffen haben müßte. Philos sonstige Aussagen zeigen, daß er in der Annahme einer ungewordenen Materie keine Einschränkung von Gottes schöpferischer Allmacht sah. Vielleicht darf man die Formulierung in »De somniis« weitergehend so interpretieren, daß Gott nicht nur als der Demiurg zu denken sei, der — entsprechend dem mittelplatonischen Dreiprinzipienschema — nach dem vorgegebenen Paradigma der Ideen den Kosmos schafft, sondern auch als der »Schöpfer« der Ideen. Philo hätte dann auch hier das in »De opificio mundi« 16—24 breit ausgeführte Bild vom kosmischen Stadtgründer vor Augen, der zunächst in seinem Denken die Idee des Kosmos schafft und dann nach diesem Plan die Schöpfung ausführt 47 . Es dürfte sich also nur um eine Abwandlung der mittelplatonischen Anschauung handeln, daß die Ideen die Gedanken Gottes sind, während das Problem der Materie überhaupt keine Rolle spielt. Es gibt allerdings einige Texte, in denen Philo die Erschaffung der Materie zu behaupten oder doch deutlich vorauszusetzen scheint. Diese Texte sind jedoch mit einer Ausnahme nur in armenischer Ubersetzung erhalten, so daß ihre Auswer44

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Auch die wiederholte Betonung des Grundsatzes »nihil de nihilo« (aet. 5; prov. II 109; spec. leg. I 266) zeigt, wie Philo von den Voraussetzungen der griechischen Ontologie aus denkt. Somn. I 76. E. Frank, Philosophische Erkenntnis und religiöse Wahrheit (1950) 146 meint, diese Stelle sei die einzige, »in welcher Philo ein klares Verständnis des Unterschiedes zwischen dem jüdischen und platonischen Begriff der Schöpfung zeigt«; vgl. auch R. Walzer, Galen on Jews and Christians (London 1949) 30. Für die Verwendung des Begriffs κτίστης als Bezeichnung des Schöpfers im hellenistischen Judentum war die Wortbedeutung »Stadtgründer« bestimmend: Foerster S. 1024—1027. Vgl. Drummond I S. 304; Weiß S. 55-58. Zu opif. 16ff. vgl. Früchtel S. 7ff.

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tung auf besondere Schwierigkeiten stößt 48 . In dem Fragment »De deo« bemerkt Philo zu dem biblischen Satz »Der Herr, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer« (Dt. 4,24), Gott »verzehre« die Stoffe nicht, indem er sie vernichte, er führe sie vielmehr aus dem Nichts ins Dasein 49 . Aber dem Zusammenhang nach ist hier nicht an die Erschaffung des Urstoffs gedacht, sondern an dessen Gestaltung zu den vier Elementen 50 . Gleich am Anfang von De Providentia I setzt Philo sich mit der Anschauung auseinander, daß Gott die Welt ewig schaffe, weil er niemals ohne Tätigkeit sei (16—8). Nach der Ubersetzung von Aucher scheint Philo sich in diesem Zusammenhang kritisch gegen die Annahme zu wenden, daß die Materie ungeschaffen sei und als Prinzip ewig mit Gott koexistiere. Dies steht jedoch so offenbar gar nicht im armenischen Text 5 1 . Philo behauptet lediglich die zeitliche

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Nur für prov. II 50 liegt bei Eus. praep. ev. VII 21,1—4 der griechische Text vor. De deo 7f.: Quando dicimus zoographum consumpsisse (sive impendisse) tincturas omnes in picturam perficiendam, aut a statuario consumptum fuisse aeneum in statuam, aut a fabro ligna et saxa in domum vel generatim ab artifice materiam in opus artificiosum, num corrumpere eum dicimus? Minime. Quoniam manet color in tabula et aes in statua et saxa lignaque in aedificiis atque ceterae materiae in singulis rebus peractis; manent autem in meliore quadam habitudine, receptis in se figura, ordine et qualitate. Simili modo et deus secundum Mosen omnesque secundum ilium physiologos factos consumet materias non ad nihilum vertens, sed ex adverso de nihilo in exsistentiam ducens conservandam, estque in cunctis salutis causa. Earn quae crassior ac densior et gravior inter materias est, consumpsit in terrae substantiam; subtiliorem autem et leviorem in ignis generationem; in aquae subtiliorem, terrae crassiorem, ignis et aquae magis aeream — nihil enim extra haec manet —: atque quattuor illas, omnium principia, materias in cunctis consumpsit, ut dixi, non volens corruptionem sed salutem. M. Harl, Cosmologie grecque et representations juives dans l'oeuvre de Philon d'Alexandrie, in: Philon d'Alexandrie (Colloques nationaux du centre national de la rech, scientifique, Paris 1967, S. 189—205) 195 Anm. 2 weist zu De deo 7 darauf hin, daß Philo auch sonst die Gestaltung der Materie als ein Ins-Sein-Rufen des Nichtseienden beschreiben kann (vgl. besonders spec. leg. IV 187). In De deo 6 heißt es, offenbar auf die Engel bezogen: natura, qua creatur formaturque materia. Trotz des »creatur« — dessen griechisches Äquivalent aber ungewiß ist — kann es sich dem Zusammenhang nach auch hier nur um die Formung der Materie handeln. I 7 (Aucher): Superest itaque ut dicant materiam ornatu ac forma et figura carentem qualitate ac forma ab eo donatam fuisse et quae non erant in ea figuras deinde sumpsisse: non enim unquam Deus illam creare iuxta eos coepit. Quodsi sapiens illa creatio per Deum facta speciosam mundi formam condidit ex ipsa materia atque inde materia pulchram valde speciem sortita est, num hoc unumne aiunt Deum fecisse cum mundum creare coepit et quae antea sine ordine ac lege atque errabunde moveri solita erat materia tunc speciosum ordinem cum ornamento adepta est? num materia ipsa fuit Deo principii loco (cum mundum conderet)? at creator iugiter istam intelligendo adornavit. Anders übersetzt Chr. Hannick bei Bakes, Weltentstehung I S. 89: »Es steht im Gegenteil, denn nichts bleibt (?): Sie sagten, die schmucklose, formlose und gestalt-

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Erschaffung der Welt und rechnet anscheinend auch hier mit der Ewigkeit der Materie 52 . Im zweiten Buch des Werkes führt Philo den Nachweis, daß das Ungewordensein der Materie die zeitliche Entstehung des Kosmos nicht ausschließt: Gott kann ihn aus ewiger Materie geschaffen haben, wie ein Künstler sein Werk aus einem Stoff herstellt, den er ebenfalls nicht selbst erzeugt 53 . Man könnte aus den Darlegungen Philos entnehmen, daß nach seiner eigenen Uberzeugung auch die Materie von Gott erschaffen sei — so hat Euseb den Text verstanden, der einen Abschnitt daraus als Beleg für die Lehre vom Geschaffensein der Materie in seine »Praeparatio evangelica« aufgenommen hat —, aber diese Interpretation läßt sich kaum halten 54 . Philos Überlegungen zielen in eine andere Richtung: er will sagen, daß Gott unter Verwendung der gesamten vorhandenen Materie eine in jeder Hinsicht vollkommene Welt geschaffen habe, darin jedem menschlichen Künstler überlegen, dem bei der Bemessung des Materials für seine

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lose Materie erhielt von ihm (Gott) die Ausformung, und die Form, die nicht in ihr war, nahm sie an; denn (Gott) fing ihrer Meinung nach nicht an zu schaffen. Wenn aber die vernünftige Schöpfung von ihm stammt und sie die schöne Form der Welt gemacht hat und die Materie ihre sehr schöne Form empfangen hat, wie begann dann Gott die Welt zu schaffen, wenn die Materie ohne rechte Abfolge in ordnungsloser und regelloser Bewegung war, die Welt aber jetzt die Schönheit mit Schmuck empfing und der Beginn Materie wurde (?)?«. Eine Polemik gegen die Lehre von .der Präexistenz der Materie finden hier P. Wendland, Philos Schrift über die Vorsehung (1892) 4 - 7 ; Weiß S. 69f. Anders W. Bousset, Jüdisch-christlicher Schulbetrieb in Alexandria und Rom (1915) 143-146; Pohlenz, Philon von Alexandreia, NAG 1942/45 (S. 409-487) 417f. H. Chadwick, St. Paul und Philo of Alexandria, Bull. John Ryl. Libr. 48 (1965/66, S. 286-307) 292 Anm. 6 vermutet für I 7 christliche Überarbeitung. Die von Philo referierte Lehre von der ewigen Weltschöpfung wurde vermutlich von aristotelisch beeinflußten Platonikern vertreten: Baltes I S. 90-93. I 9—23; vgl. besonders I 22: Haec Plato a Deo facta fuisse novit; et materiam per se ornatu carentem in mundo cum omatu ipso prodiisse; hae enim erant primae causae, unde et mundus fuit. Quoniam et Iudaeorum legislator Moyses aquam, tenebras et chaos dixit ante mundum fuisse. Dazu Bousset, Schulbetrieb S. 143 — 146; Baltes, Weltentstehung I S. 35-37. Prov. II 45-51 (50f. = Eus. praep. ev. VII 21, 1 - 4 ) ; vgl. Wendland S. 62f. Prov. II 50 = Eus. praep. ev. VII 21,1: περί δέ τοϋ ποσού της ουσίας, εί δή γέγονεν δντως, έκεϊνο λεκτέον έστοχάσατο προς την τοϋ κόσμου γένεσιν ό θεός αϋταρκεστάτης υλης, ώς μήτ' ένδέοι μήδ' ύπερβάλλοι. Και γάρ άτοπον ήν τοϋς μεν κατά μέρος τεχνίτας, όπότε τι δημιουργοΐεν καί μάλιστα των πολυτελών, το έν ϋλαις αίταρκες σταθμήσασθαι, τον δ' άριθμούς καί μέτρα και τάς έν τούτοις Ισότητας άνευρηκάτα μή φροντίσαι τοϋ ίκανοΰ. Die Worte εί δή γέγονεν δντως nehmen vielleicht den Satz von II 48: »Age, interim ponamus inter nos universum ingenitum et sempiternum« auf und wären dann auf den Kosmos zu beziehen: Brehier S. 81 Anm. 2; Mireille HadasLebel in ihrer Ausgabe von De Providentia (Paris 1973) S. 279 Anm. 1. Sollte jedoch die Materie gemeint sein, so handelt es sich um eine hypothetische Annahme, die keineswegs Philos eigener Auffassung entsprechen muß.

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Arbeit ein Irrtum unterlaufen kann 55 . Es läßt sich also aus De Providentia II höchstens entnehmen, daß Philo den Gedanken, daß die Materie geschaffen sein könnte, gestreift hat, und schon dies wäre überraschend genug. Denn im ersten Buch kann Philo andererseits behaupten, daß Moses und Piaton übereinstimmend eine präexistente Materie angenommen hätten 56 . Jedenfalls vertritt er nirgends die Auffassung, daß die Materie geworden sei, entschieden als seine eigene Überzeugung. Und vor allem fehlt der für die Begründung der Lehre von der creatio ex nihilo entscheidende Gedanke, daß der biblische Gottesbegriff die Annahme fordere, auch die Materie sei geschaffen. Philos Kosmologie ist von der Philosophie seiner Zeit abhängig57. Aber es ist nun wesentlich, auch zu sehen, daß Philo sich bemüht, im Rahmen seiner platonischen Ontologie die Allmacht und Souveränität des biblischen Gottes zur Geltung zu bringen. Dieses theologische Interesse leitet ihn bei der Verarbeitung platonischer Gedanken und bestimmt seine Stellungnahme zu umstrittenen Fragen, so daß seine Aussagen über die Schöpfung von hier aus ihre innere Einheit und Geschlossenheit gewinnen. Auch wenn Philo die Präexistenz der Materie voraussetzt, so betrachtet er sie doch keineswegs als ontologisch gleichwertiges Prinzip neben Gott. Von einem eigentlichen Dualismus kann bei ihm nicht die Rede sein. Philo kann, wie wir gesehen haben, die Materie mit dem Bösen in Verbindung bringen 58 . Aber er betont doch stärker ihre völlige Passivität, ihre Qualität- und Formlosigkeit59. Gott allein ist αίτιον: mit dieser Aussage kann sich Philo an den stoischen Sprachgebrauch anschließen, nach dem allein das aktive Prinzip als »causa« gilt60. Es zeigt sich also, daß die Vorstellung von der Schöpfung als Gestaltung der ungewordenen Materie für Philo nicht mehr ist als ein konventionelles Denkmodell, das den Schöpfungsvorgang erklärbar macht, aus dem er jedoch keine theologischen Konsequenzen zieht. Philo ist vertraut mit der Diskussion über die Frage, ob der Weltschöpfungsmythos des Timaios wörtlich zu verstehen sei, Piaton also lehre, daß Gott zu einem bestimmten Zeitpunkt die Welt geschaffen habe, oder ob es sich nur um die bildliche Veranschaulichung eines zeitlosen Kausalverhältnisses handle61. Philo 55

Dieselbe Anschauung entwickelt Philo in opif. 171; det. pot. 154; plant. 6; de deo 8; Quelle ist Tim. 32C: s. o. Anm. 36.

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I 22.

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Die Beziehungen zum mittleren Piatonismus hat besonders U. Früchtel herausgearbeitet. S. o. Anm. 43. Vgl. die Belege bei Baumker S. 381 Anm. 5. Leg. all. III 7; cherub. 127; fuga 8.11 ff.; vgl. J. Pepin, Theologie cosmique et theologie chretienne (Ambroise, Exam. I 1,1—4) (Paris 1964) 358 f. Aet. 14; heres 246. Zur Auseinandersetzung über die Interpretation des Timaios vgl. Baltes, Weltentstehung I.

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tritt, wie nicht anders zu erwarten, für das wörtliche Verständnis des Timaios und damit für die zeitliche Weltschöpfung ein. Er erklärt, Piaton habe in Ubereinstimmung mit Moses gelehrt, daß die Welt geworden sei, aber durch den Willen Gottes vor dem Vergehen bewahrt werde 62 . Diese Auffassung stimmt mit der Position von Plutarch, Attikos und anderen Piatonikern überein, die ebenfalls die Ordnung der ungewordenen Materie zum Kosmos als einmaligen realen Akt verstanden und nach Tim. 41 AB im Willen Gottes die Garantie für die Unvergänglichkeit der Welt erblickten 63 . Auch die These, daß die Welt geworden sein müsse, weil sonst eine Fürsorge Gottes für sie undenkbar wäre, findet sich bei Attikos wieder und ist wahrscheinlich auch von Plutarch vertreten worden 64 . Philo erscheint also beinahe wie ein Vorläufer des »religiösen Piatonismus« des Plutarch und des Attikos. Mehrfach redet Philo davon, daß Gott »aus dem Nichtseienden« oder daß er »das Nichtseiende« schafft 65 . Für das Verständnis dieser Wendungen gilt grundsätzlich dasselbe, was schon zu 2. Makk. 7,28 gesagt wurde: sie sollen zum Ausdruck bringen, daß die Welt nicht ewig besteht, sondern durch einen einmaligen zeitlichen Akt erschaffen wurde. Im spezifischen Sinn der creatio ex nihilo könnten solche Aussagen nur gedeutet werden, wenn sich aus dem Zusammenhang, in dem sie stehen, zwingend ergäbe, daß Philo auch ein Geschaffensein der Materie aus nichts annimmt. Das aber ist nirgends der Fall, und die Texte, in denen Philo offenkundig das ewige Bestehen der Materie voraussetzt, erweisen vollends die Unmöglichkeit dieser Deutung 66 . Daß der Satz von der Schöpfung des Nichtseienden von Haus aus durchaus nicht die Bedeutung der creatio ex nihilo besitzt, wird daran sichtbar, daß auch Attikos in seiner Verteidigung der zeitlichen Weltschöpfung zu Formulierungen gelangt, die sich fast wörtlich mit denen Philos decken: er erklärt, daß Gott den Kosmos geschaffen habe, der zuvor nicht war,

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Opif. 12; decal. 58; aet. 1 3 - 1 6 ; prov. I 2 0 - 2 2 ; vgl. Bemays S. 2 4 - 2 8 ; Bültes, Weltentstehung I S. 32—38. Plut. de an. procr. 4 - 1 0 ( 1 0 1 3 E - 1 0 1 7 C ) ; Attikos bei Eus. praep. ev. XV 6 ; vgl. Procl. in Tim. 116B (I 381,26ff. Diehl); 8 4 F - 8 5 A (I 276,31 ff.). Opif. 9—11; praem. 42; vgl. Attikos bei Eus. praep. ev. XV 6,2. Kalvinos Tauros will die Welt nur »geworden« nennen, um die Vorsehung nicht zu gefährden; strikt philosophisch gesprochen, ist der Kosmos ungeworden: Joh. Philop. de aet. mundi VI 21 (S. 186f. Rabe); vgl. Andresen, Logos und N o m o s S. 281 f.; Bültes, Weltentstehung I S. 5 0 - 5 3 . Έ κ τοϋ μή δντος: Mos. II 267; de deo 7 (de nihilo); vgl. deus imm. 119; έκ μή δντων: leg. all. III 10; τα μή δντα: opif. 81; Mos. II 100; spec. leg. IV 187; mut. 46; heres 36; migr. Abr. 183. Mos. II 267 setzt Philo die Erschaffung des Kosmos »aus dem Nichtseienden« und die Umwandlung der Elemente im Mannawunder (Ex. 16) in Parallele; vgl. auch Weiß S. 60ff.

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und wenn ein irdischer Handwerker im Stande sei, etwas Nichtseiendes ins Sein zu führen, so müsse dies noch viel mehr von Gott gelten 67 . Man hat sogar die umgekehrte Möglichkeit erwogen, daß Philo unter dem »Nichtseienden« die präexistente Materie versteht 68 . Schon Aristoteles behauptet, daß Piaton die Materie als »Nichtseiendes« bezeichnet habe, und eine durch Simplicius erhaltene Äußerung des Platon-Schülers Hermodor bestätigt diese Angabe 69 . Vor allem hat dann Plotin die Materie als μή öv aufgefaßt 70 . Es scheint mir jedoch so gut wie ausgeschlossen zu sein, daß Philo in diesem platonischen Sinn vom »Nichtseienden« redet. Wenn er erklärt, daß Gott »das Nichtseiende« schafft, so verwendet er stets den Plural τά μή όντα und meint offensichtlich die Einzeldinge: durch den Schöpfungsakt treten sie aus dem Nichtsein ins Dasein. An den Stellen, w o es heißt, daß Gott »aus dem Nichtseienden« schafft, wechseln die Ausdrücke έκ μή οντος und έκ μή όντων, ohne daß ein Bedeutungsunterschied zu erkennen wäre. Dieses Schwanken zwischen Singular und Plural spricht entschieden dagegen, daß Philo hier an die ungeformte Materie denkt, denn als das Unbestimmte und Größelose, das potentiell alles ist, kann die Materie nur μή öv genannt werden 71 . Auch die Tatsache, daß Philo den Begriff »Nichtseiendes« durchgehend mit der Negation μή bildet, ist kein sicheres Indiz dafür, daß er die Materie als das nur relativ Nichtseiende im Auge hat 72 . In philosophischen Texten steht μή öv häufig auch als Terminus für das absolut Nichtseiende 73 . Überdies 67

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Bei Eus. praep. ev. XV 6,7: ούκ δντα πρότερον έποίησε τον κόσμον (sc. ό τοϋ κόσμου ποιητής). Vgl. XV 6,12. Ganz ähnlich Philo, somn. I 76: ά πρότερον ούκ ήν έποίησεν. Philo und Attikos sind wohl beide von Plat. Soph. 256 BC abhängig; vgl. auch Plut. de Ε ap. Delph. 21 (393 EF). Zum Zeitproblem bei Attikos vgl. Ε. P. Meijering, Η Ν ΠΟΤΕ OTE ΟΥΚ ΗΝ Ο ΥΙΟΣ. A Discussion on Time and Eternity, in: God Being History. Studies in Patristic Philosophy (Amsterdam 1975) 81 — 88. In diesem Sinn äußert sich Chadwick, Early Christian Thought and the Classical Tradition (Oxford 1966) 46f.; ähnlich schon Zeller III/2 S. 435f. Arist. phys. I 9 (192a 6 - 8 ) ; dazu vgl. Baumker S.201ff.; Happ S. 294. Hermodor bei Simpl. in phys. I 9 (248,13f. Diels = 256,35f.); vgl. Happ S. 137-140. Auch Klemens von Alexandrien kennt diesen platonischen Gedanken: ström. V 89,6; vgl. S. Lilla, Clement of Alexandria. Α Study in Christian Platonism and Gnosticism (Oxford 1971) 195f. Vgl. Enn. II 5,4f.; III 6,7; I 8,3; dazu Baumker S. 405ff. Vgl. die Überlegungen Plotins, Enn. II 4,8ff.; III 6,16-18. Baumker S. 382 Anm. 1 weist noch darauf hin, daß bei Philo auch der Gebrauch des Terminus »Usia« für die Materie es kaum denkbar erscheinen läßt, daß er sie als das »Nichtseiende« betrachtet. Anders Chadwick (o. Anm. 68). Als Belege seien genannt Plut. quaest. conv. VIII 9,2 (731D); Plat, quaest. 4 (1003A); de an. procr. 5 (1014B); adv. Col. 8 (1111 A); 12 (1113C); Mark Aurel V 13,1; Porphyrios bei Procl. in Tim. 86BC (I 281,5ff. Diehl); 92A (I 300,10); Sallustios, De diis et mundo 17 gebraucht die Wendungen έκ μή όνχος und έκ μή όντων gleichbedeutend im Sinne von »aus dem (absoluten) Nichts«. Vgl. auch Arist. phys. I 8f. und Ps. Arist. De Mel. Xen. Gorg. 1 (S. 15ff. Diels). Wie fließend der Sprachgebrauch war, zeigt sich

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dringt im kaiserzeitlichen Griechisch das gegenüber ού als gewählter geltende μή ganz allgemein vor und wird gerade beim Partizip bevorzugt 74 . Es läßt sich also überhaupt nur aus dem gedanklichen Zusammenhang entscheiden, ob έκ μή οντος »aus der Materie« oder »aus nichts« bedeutet. Philos Aussagen legen aber nirgends das platonisierende Verständnis nahe 75 . Wenn Philo von einem Schaffen Gottes »aus dem Nichtseienden« redet, ist dies also weder auf die creatio ex nihilo noch auf die Formung der »nichtseienden« Materie zu deuten. Diese gedankliche Alternative stellt sich für ihn überhaupt nicht. Er will lediglich sagen, daß die Welt, die bis dahin nicht existierte, durch Gottes Schöpfungsakt ins Sein trat, was auch Platoniker lehren konnten, und scheint die Ewigkeit der Materie selbstverständlich vorauszusetzen. Philo hat auch die Ideenlehre aufgenommen und sie mit seiner Logoslehre verbunden. Die vom Mittelpiatonismus entwickelte Theorie, daß die Ideen die Gedanken Gottes seien, bildete die Voraussetzung für diese Synthese und kam zugleich dem Interesse Philos entgegen, die »Monarchie« Gottes so entschieden, wie dies mit platonischen Denkmitteln nur möglich war, zur Geltung zu bringen 7 6 . Die Ideen, die im Logos ihren Ort haben, sind Gott völlig untergeordnet und haben ihren Prinzipiencharakter verloren. Auch der Logos selbst besitzt Gott gegenüber keine Selbständigkeit. Philo versteht ihn als Inbegriff der Ideen und als das Werkzeug, durch das Gott schafft 77 . H. Dörrie hat gezeigt, daß Philo die von W. Theiler nachgewiesene platonische Präpositionenreihe ΰφ' οΰ, έξ ου, προς δ, die das Nebeneinander der drei Prinzipien Gott, Materie, Ideen ausdrückt, so modifiziert hat, daß die absolute Kausalität Gott zugeschrieben wird und der Logos lediglich als Organon der Schöpfung, nicht als ihr zweites Prinzip verstanden werden kann 7 8 . Von Gott gilt das ΰφ' ου, δι οΰ bezeichnet das Organon,

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darin, daß andererseits Hermodor (o. Anm. 69) die Materie als ουκ öv bezeichnet; ähnlich Porphyrios bei Procl. in Tim. 71D (I 233,4 Diehl); vgl. P. Hadot, Porphyre et Victorinus I (Paris 1968) 148. Auch Beierwaltes S. 137 Anm. 37 betont, daß aus der Verwendung der Negationen μή oder ού nicht zu erschließen sei, ob das absolute oder ein nur relatives Nichtsein gemeint sei. Philo selbst redet vom μή öv als absolutem Nichts spec. leg. I 266; aet. 5f.; prov. II 109 (Eus. praep. ev. VIII 14,66). E. Schwyzer, Griechische Grammatik II (1966 3 ) 594f.; Blaß-Dehrunner-Rehkopf §430 (S. 358f.). Zum Wechsel von μή und ού vgl. auch R. Knopf, Die Apostolischen Väter I ( H N T , Erg. Bd. 1920) 155f. (zu 2. Clem. 1,8). Weiß S. 65ff. hält für Mos. II 267 und deus imm. 119 (wo aber gar nicht von der Weltschöpfung die Rede ist) die Deutung auf die Materie für wahrscheinlich, vermag dies jedoch nicht durchschlagend zu begründen. Vgl. Chadwick, in: Armstrong, The Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy S. 142; Pohlenz, Philon S. 437f. Zum Logos als Organon vgl. Weiß S. 267—272. Dörrie, Präpositionen und Metaphysik. Wechselwirkung zweier Prinzipienreihen, Mus. Helv. 26 (1969, S. 2 1 7 - 2 2 8 ) 2 2 3 - 2 2 5 . Dörrie betont den Unterschied der philonischen

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εξ ού die Elemente und δι' ö den Grund der Schöpfung, als den Philo die Güte des Schöpfers angibt 79 . Gott allein ist der aktive Urheber der Schöpfung. Im Anschluß an die bekannte Wendung aus dem »Timaios« lehrt Philo, daß Gott aus neidloser Güte schafft 80 . Gott ruht nie, das Schaffen ist ihm so wesenhaft eigen wie dem Feuer das Brennen und dem Schnee das Kaltsein 81 , und er läßt niemals ab, das Schönste zu vollbringen, denn Gott wandelt sich nicht 8 2 . Man kann aber von dem unwandelbaren Gott, der keine Ermüdung und Schwäche kennt, ebensogut sagen, daß er sich in beständiger Ruhe befinde 83 . Ferner hat Gottes schöpferisches Handeln keine zeitliche Erstreckung; die Unterscheidung der Schöpfungstage in der biblischen Schöpfungsgeschichte bezeichnet eine Ordnung, nicht eine zeitliche Folge. Die Weltschöpfung ist auf einmal erfolgt und in zeitlichen Kategorien nicht faßbar 84 . Solche Aussagen können freilich das Problem nicht verdecken, das sich aus der Annahme eines Weltanfangs für den Gottesbegriff ergibt: Der zeitliche Schöpfungsakt impliziert, daß Gott nicht ewig Schöpfer ist; es kommt also durch die Schöpfung zu einer Veränderung in Gott 8 5 . Philo sucht dieser Schwierigkeit Herr zu werden, indem er erklärt, Gott sei stets

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Weltschöpfungslehre von derjenigen des Plutarch und Attikos: für Attikos sind die Ideen immer noch παραίτια (Eus. praep. ev. XV 13,5), für Philo dagegen ist der Logos kein außergöttliches Prinzip. Den Organon-Begriff hat Philo nach Theiler, Philo von Alexandrien und der kaiserzeitliche Piatonismus, in: Parusia. Studien zur Philosophie Piatons und zur Problemgeschichte des Piatonismus (Festg. J. Hirschberger 1965, S. 199—218) 215 f. aus einer auf Areios Didymos zurückgehenden antiplatonischen Polemik übernommen; anders noch ders., Die Vorbereitung des Neuplatonismus S. 18 ff. Cherub. 127; vgl. den Zusammenhang 124—128, wo Philo ausgehend von Gen. 4,1 und 40,8 ablehnt, auf Gott den Begriff διά anzuwenden, wodurch er zum Organon degradiert würde; man darf von ihm nur das ύπό aussagen; dieselbe Prinzipienreihe prov. I 23; quaest. Gen. I 58. Eine andere Unterscheidung nimmt Philo leg. all. I 41 vor: was entsteht, entsteht teils ύπό und διά θεαϋ, teils nur ύπό θεού. Ύπό θεού und διά θεού gilt etwa vom menschlichen Nus, der unvernünftige Seelenteil ist dagegen nur ύπό θεού entstanden, unmittelbar empfängt er das Leben vom Nus. Dörrie, Präpositionen S. 224 meint, »nicht δι' αύτού« bedeute »nicht durch das Gesetz und nicht dem Gesetz entsprechend«, aber diese Interpretation trifft sicher nicht zu. Philo formuliert hier mit Hilfe des Präpositionenschemas seine Lehre, daß Gott direkt nur den Nus des Menschen, seine übrigen Teile dagegen durch untergeordnete Kräfte geschaffen hat: vgl. fuga 68—72; opif. 74f.; mut. nom. 29—31. Opif. 21; cherub. 127; vgl. Tim. 29E. Leg. all. I 5.6. Cherub. 87; plant. 89.91. Cherub. 90 (vgl. Ex. 20,11); auch aus Gen. 2,3 ist nicht zu schließen, daß Gott wirklich ruht, denn auch nach dem Abschluß der Erschaffung des Kosmos und des Menschen bleibt er weiter schöpferisch tätig: leg. all. I 5.18; vgl. prov. I 6.7; vgl. schon Aristobul bei Eus. praep. ev. XIII 12,llf. Opif. 13.18; leg. all. I. 2.3.20. Zu diesem Problem im Piatonismus vgl. Dörrie, in: Gnomon 29 (1957) 192; Wacht S. 64f.

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sich selbst genug, die Weltschöpfung bedeute keine Veränderung seines Wesens und sei für ihn nicht notwendig 86 . Philo kennt auch schon die Lösung, daß Gott ewig die geistigen Wesen schafft, während der sichtbare Kosmos einen bestimmten Anfang hat 8 7 . Diese Antworten reichen philosophisch nicht aus, sie zeigen aber, daß Philo die Schöpfung als kontingent und nicht als notwendigen Ausdruck von Gottes Güte versteht. Ähnlich wie später der Platoniker Attikos ringt Philo mit dem Problem von Schöpfung und Zeit, freilich ohne daß es ihm gelungen wäre, dafür eine klare Lösung zu finden 88 . Erst die großartigen Reflexionen Augustins bringen in dieser Frage einen entscheidenden Fortschritt. Auch wenn Philo die Allmacht Gottes betont, der frei ist, Gutes und Schlechtes zu vollbringen, aber nur das Gute tut 89 , durchdringen sich in seinem Denken biblische und philosophische Vorstellungen. Denn auch nach stoischer Uberzeugung ist Gott allmächtig und sind seinem Willen von außen keine Grenzen gesetzt 90 . Aber gerade in Philos Aussagen über die Weltschöpfung spielt der Satz, daß Gott nichts unmöglich sei, keine Rolle 91 . Und nur in Überlegungen über das richtende Handeln Gottes kann Philo die Überzeugung äußern, daß Gott in strafender Gerechtigkeit seine Schöpfung auch zerstören könne 92 .

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Mut. nom. 46; vgl. plant. 89-91. Prov. I 21; dazu Baltes, Weltentstehung I S. 36 f. Zur Frage der ewigen Schöpfung in der altkirchlichen Theologie vgl. Wacht S. 85ff. In opif. 26; leg. all. I 2; II 3 vertritt Philo die Auffassung, daß die Zeit mit dem Kosmos entstanden sei. Decal. 58 heißt es dagegen vom Kosmos, ήν ποτε χρόνος, δτε ούκ ήν. Zu Attikos vgl. Meijermg (ο. Anm. 67); Baltes, Weltentstehung I S. 44 —47. Opif. 46; Quaest. Gen. III 56; spec. leg. I 282; IV 127; Abr. 112.268; plant. 89; virt. 26; Mos. I 173 f. Walzer S. 28—30 verweistauf Cicero, de nat. deor. III 92: Vos enim ipsi (sc. Stoici) dicere soletis nihil esse quod deus efficere non possit, et quidem sine labore ullo; ut enim hominum membra nulla contentione mente ipsa ac voluntate moveantur, sic numine deorum omnia fingi, moveri, mutarique posse. Neque id dicitis superstitiose atque aniliter sed physica constantique ratione; materiam enim rerum, ex qua et in qua omnia sint, totam esse flexibilem et commutabilem, ut nihil sit quod non ex ea quamvis subito fingi convertique possit, eius autem universae fictricem et moderatricem divinam esse providentiam; haec igitur quocumque se moveat efficere posse quiequid velit; de divin. II 86: Nihil est, inquiunt, quod deus efficere non possit; vgl. Pohlenz, Die Stoa I S.95; II S. 54; R. M. Grant, Miracle and Natural Law in Graeco-Roman and Early Christian Thought (Amsterdam 1952) 128f. Vgl. Walzer S. 30; man könnte höchstens auf einen Satz wie heres 301 hinweisen: Gott lenkt Himmel und Erde in freier, selbstherrlicher Königsherrschaft; aber auch diese Vorstellung ist konventionell: vgl. E. Peterson, DeV Monotheismus als politisches Problem, in: Theologische Traktate (1951, S. 45-147) 54ff. Quaest. Gen. II 13; prov. I 23.34-36 (vgl. Wendland S. I i i . , der I 34 für eine christliche Interpolation hält); Abr. 121ff.; spec. leg. I 307; quaest. Ex. II 62.65.66.68; mut. nom. 19ff.; Mos. II 99; vgl. Pohlenz, Philon S. 422f.

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Philos philosophisches Bildungsniveau ist im christlichen Bereich erst von Klemens von Alexandrien erreicht worden, dem ersten christlichen Theologen, von dem wir auch mit Sicherheit wissen, daß er Philo gelesen hat. Aber gerade für die christliche Auseinandersetzung mit der philosophischen Kosmologie konnte das Denken Philos keine wegweisende Bedeutung haben. Philo ist in der Aufnahme der philosophischen Tradition viel weiter gegangen, als die christliche Theologie, auch als Klemens zu gehen gewillt war. Das Verhältnis zwischen jüdischem und philosophischem Denken ist bei Philo nicht auf eine einfache Formel zu bringen. Philo will seinen jüdischen Glauben auf keinen Fall preisgeben, er ist aber auch davon überzeugt, daß der Pentateuch als philosophisches Buch zu lesen und zu interpretieren sei. Weder läßt sich sein Denken einseitig als bloß apologetisch bestimmen, obwohl die Apologetik in seinen Schriften einen breiten Raum einnimmt, noch kann man sagen, seine Theologie sei völlig hellenisiert und habe das jüdische Erbe preisgegeben. Aber auch von einer bewußten Synthese von biblischem und philosophischem Denken bei ihm zu reden wäre unhistorisch, denn Philo hat seine geistigen Voraussetzungen nicht in kritischer Distanz reflektiert. Jüdische und griechische Elemente lassen sich bei Philo nicht voneinander ablösen. H. Chadwick hat dies grundsätzlich ausgesprochen: »Philosophy, especially Platonism, genuinely mattered to him and he could not have expressed his faith adequately without it« 9 3 . Die hellenistisch-jüdische Theologie hat die Allmacht und das Schöpfertum Gottes nachdrücklich betont, sie ist jedoch nicht zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der platonischen und stoischen Prinzipienlehre gelangt. So konnte sie auch eine Lehre von der creatio ex nihilo nicht entwickeln. Die Aussagen über die Schöpfung des Nichtseienden oder aus dem Nichtseienden, die eine Interpretation in diesem Sinne nahezulegen scheinen, sind nicht als Antithese zur Annahme einer ewigen Materie und zum Prinzip »ex nihilo nihil fit« zu verstehen, sondern es handelt sich hier um unreflektierte, alltagssprachliche Wendungen, die zum Ausdruck bringen sollen, daß durch den Schöpfungsakt bisher nicht Existierendes entstanden ist. Sobald man freilich erkannte, daß das Schaffen des biblischen Gottes mehr ist als die Gestaltung der Materie, daß er in souveräner Freiheit ohne jede äußere Voraussetzung die Welt hervorbringt, bot sich der Ausdruck »Schöpfung aus dem Nichts« als eine Formel an, die prägnant die Eigenart des biblischen Schöpfungsbegriffs bezeichnete. Die Formel war früher da als der Gedanke.

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St. Paul and Philo of Alexandria S. 306. Ganz anders urteilte noch K. Reinhardt, Poseidonios über Ursprung und Entartung (1928) 14: »Mit dem griechischen Dionysos hat Philons Ekstase ebenso wenig gemein, wie seine Ideen mit den Ideen Piatons. Die Formeln sind griechisch, der Sinn östlich«.

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Eine beginnende Präzisierung des Begriffs der Schöpfung wird in einem der wohl ursprünglich jüdischen Gebete sichtbar, die im siebenten Buch der Apostolischen Konstitutionen erhalten sind 94 . Hier heißt es im Rahmen einer Paraphrase der Schöpfungsgeschichte, Gott habe die Seele des Menschen aus dem Nichts geschaffen, seinen Leib dagegen aus den »vier Körpern«, d. h. den vier Elementen 9 5 . Es handelt sich um eine Wiedergabe von Gen. 2 , 7 : Die Einhauchung des Lebensatems wird als die Erschaffung der Seele »aus dem Nichts« verstanden, und durch die Abhebung von der Herstellung des Leibes aus den Elementen erhält dieser Schöpfungsakt den eindeutigen Sinn einer creatio ex nihilo 96 . Auf die Erschaffung der Welt wird der so zugespitzte Schöpfungsbegriff allerdings gerade nicht angewendet. Solche Ansätze zu einer Klärung des Gedankens der Schöpfung scheinen von der Theologie des hellenistischen Judentums nicht konsequent weitergedacht worden zu sein. Erst bei christlichen Theologen des zweiten Jahrhunderts erhält die traditionelle Aussage, daß Gott aus dem Nichts schafft, einen prinzipiellen ontologischen Sinn: die Wendung »aus dem Nichts« gilt nun absolut, sie soll die Vorstellung ausschließen, daß der Schöpfer lediglich der präexistenten Materie die Formen aufgeprägt hat. Auch das palästinische Judentum hat keine feste Lehre von der creatio ex nihilo ausgebildet 97 . Wir brauchen hier nur auf das rabbinische Schöpfungsverständnis 94

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Vgl. W. Bousset, Eine jüdische Gebetssammlung im siebenten Buch der apostolischen Konstitutionen, N G G 1915, S. 4 3 5 - 4 8 9 . Const. Apost. VII 34,6: έκ μεν των τεσσάρων σωμάτων διαπλάσας αύτψ το σώμα, κατασκευάσας δ' αύτψ τήν ψυχήν έκ τοϋ μή όντος. Ebenso VIII 12,17; vgl. auch V 7,19: μή όντα τόν άνθρωπσν έκ διαφόρων έποίησεν, δούς αΰτφ την ψυχήν έκ τοϋ μή δντος. Die Aussage, daß die Welt aus dem Nichts geschaffen sei, findet sich in Const. Apost. VII 34 nicht (vgl. 34,1). In dem eucharistischen Präfationsgebet VIII 12,6ff., in das ein langes Stück aus der Vorlage von VII 34 interpoliert wurde (vgl. Bousset S. 451 ff. 471ff.), erscheint sie in einem Abschnitt, der nicht von der jüdischen Quelle abhängig ist (VIII 12,7; vgl. Bousset S. 472). Die Formulierung, daß die Seelen »aus nichts« gemacht wurden, scheint sich sonst in der hellenistisch-jüdischen Literatur nicht zu finden. Die traditionelle griechische Vorstellung, daß der Mensch aus den vier Elementen besteht, begegnet bei Philo (opif. 146; aet. mundi 29) und ist auch dem rabbinischen Judentum vertraut: R. Meyer, Hellenistisches in der rabbinischen Anthropologie (1937) 122ff. Zur Auslegung von Gen. 2,7 vgl. Sap. 15,11; Philo, opif. 1 3 4 - 1 4 7 ; leg. all. I 3 1 - 4 2 ; det. pot. 80ff.; heres 5 5 - 5 7 ; spec. leg. IV 123. Eine genaue Parallele zu Const. Apost. VII 34,6 (VIII 12,17) findet sich bei Theodoret, graec. äff. cur. IV 69. Vgl. die ausführliche Darstellung von Weiß S. 7 5 - 1 3 8 . In zwei Gebeten der syrischen Baruchapokalypse heißt es: »Der du von Anbeginn der Welt hervorgerufen hast, was bis dahin noch nicht war« (21,4), und: »Durch ein Wort rufst du ins Leben, was nicht da ist« (48,8). Das entspricht Philos Aussagen über die Schöpfung des »NichtSeienden«; vgl. o. S. 16—18 und Weiß S. 125f. Zu ähnlichen Wendungen in der samaritanischen Literatur vgl. Weiß S. 132. Die von R. Bultmann, Das Urchristentum im Rahmen der antiken

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einzugehen. Dem rabbinischen Judentum lagen die Probleme der philosophischen Prinzipienlehre an sich fern und seine Schöpfungsspekulationen galten anderen Themen. In der unmittelbaren Abwehr platonisierender Deutungen der Weltschöpfung konnten die rabbinischen Theologen jedoch durchaus den Gedanken der creatio ex nihilo formulieren. Das wichtigste Zeugnis für die ausdrückliche Verwerfung der Anschauung, daß Gott die Welt aus einem ungewordenen Stoff geschaffen habe, ist ein im Midrasch Genesis rabba wiedergegebenes Streitgespräch zwischen Rabban Gamaliel II. (90/110) und einem Philosophen. Der Philosoph erklärt, Gott sei zwar ein großer Künstler gewesen, er habe aber auch gute »Farben« vorgefunden, die ihm bei der Schöpfung als Material dienten. Die Urstoffe werden im Anschluß an Gen. 1,2 als Tohuwabohu, Finsternis, Wasser, Geist und »Tiefe« bestimmt. Gamaliel widerlegt diese Auffassung mit dem Hinweis, daß alle von dem Philosophen genannten angeblichen Urstoffe in der Bibel ausdrücklich als von Gott geschaffen bezeichnet würden 98 . Gamaliel lehnt also die Deutung von Gen. 1,2 auf die ungewordene Materie ab und behauptet damit der Sache nach die creatio ex nihilo". Aber solche Aussagen bleiben vereinzelt, sie entspringen lediglich den Erfordernissen aktueller Diskussionen, und eine feste, eindeutig formulierte Lehre von der creatio ex nihilo ist im antiken Judentum nicht ausgebildet worden. Uns scheint vom jüdischen Schöpfungsglauben ein fast selbstverständlicher Schritt zur Formulierung des Gedankens der creatio ex nihilo zu führen. Und das Streitgespräch des Gamaliel zeigt, daß zur Verteidigung der uneingeschränkten Schöpfermacht Gottes diese gedankliche Konsequenz auch wirklich gezogen werden konnte. So drängt sich die Frage auf, warum die jüdische Theologie der Antike ihre Schöpfungsvorstellung nicht in die eindeutige begriffliche Gestalt der Lehre von der creatio ex nihilo gebracht hat, während dies auf der christlichen Seite bereits nach einer verhältnismäßig kurzen Periode der Auseinandersetzung mit der philosophischen Ontologie geschah. H.-F. Weiß meint, das geschichtlich orientierte jüdische Denken habe kein Interesse daran gehabt, im Sinne der kosmologischen Fragestellungen des griechischen Philosophierens eine Weltent-

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Religionen (1963 3 ) 13 als Beleg für die allmähliche Herausbildung der Vorstellung von der Schöpfung aus dem Nichts im Judentum neben 2. Makk. 7,28 angeführte Stelle Jubil. 12,4 redet lediglich von der Schöpfung durch das Wort; vgl. Ehrhardt S. 216. Gen. r. I 9 (I 8 , 1 - 6 Theodor-Albeck). Die Bibelstellen, auf die Gamaliel sich beruft, sind Jes. 45,7; Ps. 148,4f.; Arnos 4,13; Prov. 8,24. Vgl. G. F. Moore, Judaism in the First Centuries of the Christian Era I (Cambridge/Mass. 196610) 381 f.; Η. L. StrackP. Billerheck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I (1969 s ) 48; Schaller S. 130f.; Weiß S. 89-92. 176f. Nach Schaller könnte es sich bei dem philosophischen Gesprächspartner um einen hellenistischen Juden handeln. Eine ähnliche Auslegung von Gen. 1,2 findet sich bei Philo, prov. I 22; vgl. auch Gen. r. X 3 (S. 75,6ff.); dazu Weiß S. 97.

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stehungstheorie zu entwickeln; man habe sich damit begnügt, im Einzelfall gegen direkte Angriffe das absolute Schöpfertum Gottes zu behaupten. Bei Philo kommt nach Weiß noch das apologetische Interesse hinzu, das ihn veranlaßte, alle Widersprüche zwischen jüdischem und griechischem Weltverständnis, soweit er sich ihrer selbst bewußt war, nach Möglichkeit zu harmonisieren. Die unspekulative jüdische Auffassung von der Schöpfung findet Weiß auch noch im Urchristentum, erst der Zusammenstoß mit dem radikalen Dualismus der Gnosis bringt eine Wendung: jetzt wird die christliche Theologie gezwungen, zur Sicherung der göttlichen Allmacht den Satz von der creatio ex nihilo zu formulieren. Dabei handelt es sich nach Weiß nicht um eine kosmologische Theorie, sondern um eine theologische Aussage, die sich freilich notgedrungen kosmologischer Kategorien bedienen muß 1 0 0 . Der Hinweis auf das unspekulative jüdische Denken erscheint mir jedoch problematisch. Die geschichtliche Wirkung des jüdischen und christlichen Denkens beruht ja zu einem ganz wesentlichen Teil darauf, daß es philosophisch zu werden vermochte. Die Lehre von der creatio ex nihilo stellt nicht nur einen Abgrenzungsversuch gegen die philosophische Weltbildungslehre dar, sondern sie ist auch eine Interpretation des biblischen Schöpfungsgedankens mit philosophischen Begriffen. Es ist natürlich richtig, daß die von Weiß hervorgehobene Auseinandersetzung mit dem gnostischen Dualismus für die Entstehung der Lehre von der creatio ex nihilo wichtig war. Aber wir werden in den folgenden Kapiteln dieser Untersuchung noch sehen, daß die Lehre von der creatio ex nihilo keineswegs nur aus dem Gegensatz zu den Schöpfungsvorstellungen der Gnosis, sondern ebenso auch in der direkten Auseinandersetzung mit dem philosophischen Weltbildungsmodell entwickelt wurde. Unter den Kritikern der philosophischen Lehre finden sich auch gnostische Theologen, von denen Basilides sogar ausdrücklich die creatio ex nihilo behauptet. Die Frage, warum das antike Judentum nicht zu einer klar formulierten und konsequent vertretenen Lehre von der creatio ex nihilo gelangt ist, ist also durch die Hinweise von Weiß nicht ausreichend beantwortet. Man wird differenzieren müssen: Philo ist gewiß in hohem Maße Apologet, aber die philosophischen Begriffe sind für sein Denken nicht bloß ein beliebiges Sprachgewand. Er ist so stark von der platonischen Ontologie abhängig, daß er eine Weltschöpfung ohne die Voraussetzung einer präexistenten Materie gar nicht zu denken vermag. Er hat die biblische Schöpfungsvorstellung nicht in ihrer Eigenart erfaßt, deshalb kann er auch nicht den Versuch unternehmen, sie philosophisch zu vermitteln und die platonische Prinzipienlehre grundsätzlich zu überwinden. Dem rabbinischen Judentum lagen die Fragestellungen der griechischen Ontologie relativ fern. Aber der Hauptgrund dafür, daß es auch hier nicht zur Entstehung einer eigentlichen Lehre von der creatio ex 100

Weiß S. 167-180.

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nihilo kam, ist wohl darin zu sehen, daß sie durch den Text der Bibel nicht zwingend gefordert wurde. Die Erwähnung des Chaos in Gen. 1,2 konnte auch dafür sprechen, daß eine ewige Materie existierte, die Gott bei der Schöpfung lediglich geordnet hatte. Das jüdische Denken ist in seinem ganzen Wesen undogmatisch; es fand sich in der Frage der Weltschöpfung durch die Aussagen der Bibel nicht festgelegt und besaß damit einen weiten Spielraum für höchst verschiedenartige Schöpfungsspekulationen. Erst die jüdische Philosophie des Mittelalters entwickelte in der Auseinandersetzung mit dem arabischen Neuplatonismus und Aristotelismus eine differenzierte Lehre von der creatio ex nihilo. Diese gewann aber auch jetzt nicht alleinige Geltung, sondern die biblischen Aussagen über die Schöpfung blieben weiterhin in unterschiedlicher Weise interpretierbar 101 . Das christliche Denken befindet sich von vornherein in einer anderen Lage als das jüdische. Nicht mehr das Alte Testament als solches, sondern Jesus Christus wird als die erschöpfende Offenbarung Gottes verstanden. Die alttestamentlichen Schriften werden auf Christus bezogen, auf ihn hin ausgelegt, und dadurch kann die christliche Theologie nicht im gleichen Maße »biblizistisch« bleiben wie die jüdische. Aus der Interpretation des Christusbekenntnisses entsteht das altkirchliche Dogma. So bildet bereits der Osterglaube den Ausgangspunkt der christlichen Dogmenbildung 102 . Der Schöpfungsglaube steht in der Dogmengeschichte der Antike nicht im Zentrum; er gehörte zu jenen Themen, die auch noch in späteren Jahrhunderten, als für die Trinitätslehre und die Christologie die endgültigen dogmatischen Formeln bereits gefunden waren, mit einer gewissen spekulativen Freiheit behandelt werden konnten. Aber das Schöpfungsproblem war für die christliche Bekenntnis- und Dogmenbildung keineswegs belanglos. Der Christusglaube setzte den Gottes- und Schöpfungsglauben des Alten Testaments ebenso wie dessen geschichtlichen Aufriß notwendig voraus. Dies zeigte sich in voller Deutlichkeit im Kampf mit der Gnosis. Der Christusglaube entzog sich aber auch einer so weitgehenden Umsetzung in griechisch-philosophische Vorstellungen, wie Philo sie für das Alte Testament vorgenommen hatte. Wenn in Christus die ganze Wahrheit Gottes offenbar geworden war, dann konnte man nicht mehr einfach von den scheinbaren oder tatsächlichen Konvergenzen zwischen dem, was Moses und was die großen griechischen Denker über Gott, Mensch und Welt lehrten, ausgehen, sondern dann mußte auch die philosophische Wahrheitsfrage vom Christusbekenntnis aus neu gestellt werden. Das Christentum hat sich deshalb — in einer ähnlichen missionarischen Situation wie das hellenistische

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H. Simon, Weltschöpfung und Weltewigkeit in der jüdischen Tradition, Kairos N. F. 14 (1972) 2 2 - 3 5 ; vgl. auch Weiß S. 75ff. 102 Vgl Q Kretschmar, Wahrheit als Dogma - die alte Kirche, in: H.-R. Müller-Schwefe, Was ist Wahrheit? (1965) 9 4 - 1 2 0 .

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Judentum — von Anfang an weitaus kritischer mit der Philosophie auseinandergesetzt als dieses. In der Verteidigung des biblischen Schöpfungsglaubens gegen seine Relativierung durch die Gnosis und in der gleichzeitigen kritischen Auseinandersetzung mit der griechischen Idee der Weltbildung — wobei die philosophische Kosmologie vielfach als die Quelle der gnostischen Lehren angesehen wurde — gewann gegen Ende des zweiten Jahrhunderts in der Kirche die Einsicht Raum, daß die Einheit und das absolute Schöpfertum Gottes nur dann gesichert waren, wenn man sein Schaffen als creatio ex nihilo verstand.

II Das Urchristentum bekennt Gott im Sinne des Alten Testaments als den freien und allmächtigen Schöpfer. Der Schöpfungsglaube ist im Neuen Testament nirgends erweicht oder erschüttert. Was die neutestamentlichen Aussagen über die Schöpfung intendieren, ist durchaus legitim mit dem Begriff der creatio ex nihilo zu umschreiben103. Es muß aber zugleich gesehen werden, daß das Wie der Weltschöpfung für das Urchristentum noch kein Problem darstellt; deshalb wird im Neuen Testament nirgends die Lehre von der creatio ex nihilo explizit als kosmologische Theorie entwickelt104. Die Auseinandersetzung mit der griechischen Lehre von der Weltbildung, die die christliche Theologie erst zum Durchdenken ihres eigenen Schöpfungsverständnisses und zu seiner begrifflichen Formulierung im Satz von der Schöpfung aus nichts genötigt hat, liegt noch außerhalb des Horizontes des urchristlichen Redens von der Schöpfung. Eine gedankliche Alter103 vgl. Foerster S. 1028. 104 Der Unterschied zwischen dem Sinn der neutestamentlichen Aussagen, wie er sich dem gegenwärtigen theologischen Bewußtsein erschließt, und den Problemen, die den Verfassern unmittelbar vor Augen standen, wird häufig nicht beachtet. So entnimmt D. E. Whiteley, The Theology of St. Paul (Oxford 1970) 18 aus Kol. 1,16, daß Paulus mit dem Satz, alles sei von Gott in Christus geschaffen worden, die Vorstellung einer präexistenten Materie ausschließen wolle. Bultmann, Das Evangelium des Johannes (1968 15 ) 20 bemerkt zu Joh. 1,3: »Mit Nachdruck wird also gesagt, daß alles, ohne Ausnahme, durch den Logos geschaffen ward; über das Wie und Wann aber fehlt jede Reflexion. Das έγένετο ist reiner Ausdruck des Schöpfungsgedankens und schließt den Emanationsgedanken ebenso aus wie die Vorstellung einer ursprünglichen Dualität von Licht und Finsternis und von der Entstehung der Welt aus einem tragischen Zusammenstoß dieser beiden Mächte. Ausgeschlossen ist auch die griechische Anschauung, die die Welt aus der Korrelation von Form und Stoff begreifen will; die Schöpfung ist nicht die Ordnung einer chaotischen Materie, sondern die καταβολή κόσμου (17,24), creatio ex nihilo«. Beide Interpretationen haben zwar grundsätzlich recht, aber sie denken die Aussagen der Texte unter dem Gesichtspunkt von Fragestellungen weiter, die in dieser Form für Paulus und Johannes wohl noch nicht existierten.

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native zu dem Bekenntnis, daß Gott Himmel und Erde geschaffen hat, hat es für das christliche Denken bis zum Anfang des zweiten Jahrhunderts überhaupt nicht gegeben 105 . Erst durch die Gnosis wird der Schöpfungsglaube zum theologischen Problem, und aus der Begegnung mit der philosophischen Metaphysik sollte sich die Notwendigkeit ergeben, die Freiheit und Voraussetzungslosigkeit von Gottes Schaffen begrifflich zu formulieren. Als neutestamentliche Zeugnisse für die Vorstellung von der creatio ex nihilo hat man immer wieder die Stellen Rom. 4,17 — Paulus sagt dort, daß Gott »das Nichtseiende ins Dasein ruft« —, und Hebr. 11,3, wo es heißt, daß das Sichtbare aus unsichtbaren Dingen entstanden sei, angeführt. Doch diese Formulierungen schließen an die uns schon bekannten Aussagen des hellenistischen Judentums über die Schöpfung des Nichtseienden oder aus dem Nichtseienden an und wollen ebensowenig wie diese in einem prinzipiellen Gegensatz zur Weltbildungslehre die Schöpfung aus nichts im strengen Sinn zum Ausdruck bringen 106 . Auch wenn im zweiten Jahrhundert Hermas in formelhaft klingenden Wendungen sagt, Gott habe das Seiende aus dem Nichts geschaffen, steht er noch in der Tradition dieser jüdischen Redeweise 107 . Erst als eine fortgeschrittene Reflexion das göttliche Schaffen als »creatio ex nihilo« bestimmt hatte, verstand man auch die Aussagen des Hermas in diesem Sinn und nahm sie als willkommene Zeugnisse für die Lehre von der Schöpfung aus nichts in Anspruch 108 . Es ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht möglich, aber auch nicht erforderlich, eine umfassende Darstellung des urchristlichen Schöpfungsverständnisses zu 105

Insofern unterscheidet sich das neutestamentliche Schöpfungsverständnis nicht von dem des Alten Testaments, für das Cl. Westermann, Genesis 1 — 11 (1974) 59 betont, daß »das Erschaffensein von Welt und Menschheit eine Voraussetzung oder ein immer schon Vorgegebenes war, eine Voraussetzung, die noch durchaus jenseits der Möglichkeit einer Alternative von Glauben oder Nicht-Glauben stand. Ein Daseinsverständnis oder Weltverständnis, das nicht auf dem Geschaffensein von Welt und Mensch beruhte, war hier noch nicht vollziehbar«. Vgl. auch W. Eltester, Schöpfungsoffenbarung und natürliche Theologie im frühen Christentum, NTS 3 (1956/57) 93-114. 106 Vgl. die Kommentare und Weiß S. 139ff„ zu Rom. 4,17 außerdem K.L.Schmidt, Art. καλέω, ThW III (1938) 491; H. Schwantes, Schöpfung der Endzeit (1963) 15-17; zu Hebr. 11,3 K. Haacker, Creatio ex auditu, ZNW 60 (1969) 279-281 und Scbmuttermayr S. 223f. Zu 1. Kor. 1,28 s. u. Anm. 114. 107 1,6 (vis. I 1,6): κτίσας έκ τοΰ μή όντος τά δντα. 26,1 (mand. I 1): ποιήσας έκ τοΰ μή όντος εις το είναι τά πάντα. Vgl. Μ. Dibelius, Der Hirt des Hermas, in: Die Apostolischen Väter IV (HNT Erg. Bd. IV, 1923) 433 f. 497f. Von der Erschaffung des Menschen aus dem Nichts redet 2. Clem. 1,8; dazu Weiß S. 143. loe £)j e e r s t e derartige Anführung von mand. I 1 (26,1) findet sich bei Irenaus, haer. IV 20,2. Die späteren Zitierungen sind in der Ausgabe von O. v. Gebhardt und Hamack zusammengestellt: O. v. Gebhardt-Α. Harnack-Th. Zahn, Patrum Apostolicorum Opera III (1877) 70; vgl. auch Chadwick, The New Edition of Hermas, JThS N. S. 8 (1957) 274-280.

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geben. Ich beschränke mich auf wenige Hinweise, die vor allem den Zweck haben, die Unterschiede zwischen den Aussagen der urchristlichen Autoren und den neuen Problemstellungen des zweiten Jahrhunderts deutlich zu machen 109 . Für das Urchristentum ist Gottes Schaffen ein geschichtliches Handeln. Weder wird das Verhältnis von Gottes Schöpfertätigkeit zur Ordnung der »Natur« und des Kosmos reflektiert, noch wird die Schöpfung von Gottes Heilshandeln isoliert. Sie ist die Voraussetzung und zugleich der Beginn der Heilsgeschichte. Für diese Betrachtungsweise ist es selbstverständlich, daß der Mensch als Ziel und Mittelpunkt der Schöpfung aufgefaßt und die Kosmologie als solche niemals zum selbständigen Thema gemacht wird. Die Dimensionen von Natur und Geschichte fallen noch nicht auseinander. Vor allem bei Paulus ist zu sehen, wie das Heilsgeschehen als ein schöpferisches Handeln Gottes verstanden wird. Der Glaube Abrahams, der ihm »zur Gerechtigkeit angerechnet wurde«, richtete sich auf den Gott, »der die Toten lebendig macht und das Nichtseiende ins Dasein ruft« 1 1 0 . Gottes Schöpfermacht trägt seine Verheißungen 1 1 1 . Die urchristliche Apokalyptik erwartet einen neuen Himmel und eine neue Erde am Ende der Zeiten 112 . Für Paulus ist die neue Schöpfung bereits Gegenwart. Die Verkündigung des Evangeliums, das die Herzen der Glaubenden erleuchtet, entspricht in ihrer Wirkung der Erschaffung des Lichtes am ersten Schöpfungstag 113 , und die Christen, die durch den Geist eine neue Existenz führen, sind selbst »neue Schöpfung« 1 1 4 . Der Glaube an Christus hat unmittelbare Konsequenzen für das Verständnis der Schöpfung. Aus der Erhöhung Christi ergibt sich seine Präexistenz und seine entscheidende Beteiligung an der Schöpfung. Nicht die Frage nach dem Prinzip des Kosmos bildet den Ausgangspunkt für die Präexistenzaussagen, sondern diese sind »der christologischen Reflexion entsprungen, die nach dem Urgrund des Christusgeschehens, der stärkstens mit dem im Tode endenden Erdenleben konstrastierenden Erhöhung zum gottgleichen messianischen Kyrios fragen 109

110 111 112 11S 114

Aus der Literatur seien genannt: Foerster (o. Anm. 31); G. Lindeskog, Studien zum neutestamentlichen Schöpfungsgedanken I (Uppsala-Wiesbaden 1952); O. Cullmann, Die Schöpfung im Neuen Testament, in: Ex auditu Verbi (Festschr. G. C. Berkouwer, Kampen 1965) 5 6 - 72; K. H.Schelkle, Theologie des Neuen Testaments I (1968) 13ff.; A. Vögtle, Das Neue Testament und die Zukunft des Kosmos (1970). Rom. 4,17. Rom. 4,17ff. Ich verzichte hier auf eine Auseinandersetzung mit der neueren Diskussion über das Verhältnis von Rechtfertigung und Schöpfung bei Paulus. Apk. 21,iff.; 2. Petr. 3,12f. 2. Kor. 4,6. Gal. 6,15; 2. Kor. 5,17; vgl. Kol. 3,10; Eph. 2,10.15; 4,24. Ob Paulus in der Aussage über die Erwählung des »Nichtseienden« in 1. Kor. 1,28 die kosmologische Terminologie aufnimmt und damit auf den Gedanken der Neuschöpfung anspielt, ist fraglich; vgl. H. Comelmann, Der erste Brief an die Korinther (1969) 67 Anm. 23.

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ließ« 115 . Der Gedanke, daß Christus der präexistente Schöpfungsmittler ist, hat die jüdische Weisheits- und Logosspekulation zur Voraussetzung 116 . Aber der urchristlichen Vorstellung vom Schöpfungsmittler fehlen die insbesondere für den philonischen Logosbegriff kennzeichnenden philosophischen Züge. Weder ist der präexistente Christus der Träger der Ideen, noch wird er als untergeordnete Hypostase gedacht, deren Funktion es ist, den Abstand zwischen dem transzendenten Gott und der Welt zu überbrücken 117 . Das Ziel der neutestamentlichen Aussagen über die Schöpfungsmittlerschaft Christi ist vielmehr, zu zeigen, daß die gesamte Schöpfung von Christus abhängig und ihm untergeordnet ist, der selbst ganz auf der Seite Gottes steht. Erst in den späteren Auseinandersetzungen mit der philosophischen Ontologie erwies sich vor allem der johanneische Logosbegriff als ein wichtiger Anknüpfungspunkt für eine platonisierende Interpretation der neutestamentlichen Christusbotschaft 118 . Die Verkündigung des einen Gottes, der die Welt geschaffen hat und sie in seiner Güte und Weisheit erhält, besaß ihren festen Platz in der an die Heiden gerichteten Missionspredigt des Urchristentums 119 . Gegenüber dem Polytheismus der hellenistischen Welt war die monotheistische Predigt von Gott dem Schöpfer eine notwendige Vorbereitung der Christusbotschaft. Man paßte sich in Sprache und Vorstellungsweise den hellenistischen Hörern an, wofür die Missionspredigt und Apologetik der hellenistischen Synagoge das Vorbild abgab 120 . Aber die 115

Vögtle S. 22. lie v g l . Hegermann, Die Vorstellung vom Schöpfungsmittler im hellenistischen Judentum und Urchristentum (1961); Weiß S. 305ff.; G. Schneider, Präexistenz Christi. Der Ursprung einer neutestamentlichen Vorstellung und das Problem ihrer Auslegung, in: Neues Testament und Kirche (Festschr. R. Schnackenburg, 1974) 399—412. 117 W.L.Knox, St. Paul and the Church of the Gentiles (Cambridge 19612) 159 interpretiert Kol. 1,15—20 zu platonisch, wenn er den präexistenten Christus unter Hinweis auf Tim. 30 C und Philo, opif. 17 »the divine pattern of the world, in which all things were potentially present before they were created in a material form« nennt; vgl. die vorsichtige Analyse von E. Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon (1968) 77ff. u s Vgl. den Plotin-Schüler Amelios über den Prolog des Johannesevangeliums bei Eus. praep. ev. XI 19,1, die Äußerung eines unbekannten Platonikers bei Aug. civ. dei X 29 und die Bemerkungen Augustins, conf. VII 9,13 f.; dazu Dörrie, Une exegese neoplatonicienne du Prologue de l'Evangile de saint Jean, in: Epektasis (Festschr. J. Danielou, Paris 1972) 75 - 8 7 . 119 Act. 14,15ff.; 17,24ff. In den summarischen Wiedergaben des Inhalts der Missionspredigt, die l.Thess. 1,9 und Hebr. 6,1 bieten, wird nur der Glaube an den wahren Gott erwähnt und die Schöpfung nicht besonders hervorgehoben. Zur Form der Missionspredigt vgl. U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte (19743) 72-91. 120 Hierzu ist vor allem auf die reiche Literatur zur Areopagrede zu verweisen, aus der ich hervorhebe: M. Dibelius, Paulus auf dem Areopag, in: Aufsätze zur Apostelgeschichte

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Grenzen des Eingehens auf die Hörer sind deutlich sichtbar: Gott wird als der Schöpfer zwar verkündigt, aber es wird noch nicht versucht, den Schöpfungsglauben im Stil der Apologeten des zweiten Jahrhunderts auch mit philosophischen Argumenten zu begründen 121 . Die Träger der urchristlichen Mission waren sich der Schwierigkeiten, die ihre Verkündigung den Heiden bot, natürlich bewußt, aber sie suchten noch nicht für sich selbst nach einer philosophischen Rechtfertigung ihres Glaubens. Die biblische Vorstellung von dem allmächtigen Gott, der die Welt geschaffen hat und in der Geschichte weiter als Schöpfer handelt, besaß für das Urchristentum eine überwältigende Evidenz und wurde nicht als metaphysisches Problem empfunden. Diese neue Fragestellung taucht erst bei den tief im philosophischen Denken verwurzelten Theologen des zweiten Jahrhunderts auf, die die christliche Wahrheit bewußt als die Wahrheit der Philosophie verstehen wollten. Wendet man sich der christlichen Literatur des ausgehenden ersten und der ersten Jahrzehnte des zweiten Jahrhunderts zu, so ist keine ins Gewicht fallende Weiterentwicklung der Schöpfungslehre festzustellen, obwohl wir uns schon der Zeit des großen Kampfes gegen die Gnosis nähern. Der Erste Klemensbrief kann als Begründung für die an die Gemeinde von Korinth gerichtete Aufforderung zu Frieden und Eintracht neben einer Fülle von anderen Argumenten die Ordnung und Harmonie des Kosmos anführen, die in einer halb biblischen, halb stoischen Sprache breit geschildert wird 1 2 2 . Und die Aufforderung zu guten Werken wird unterstrichen durch den Hinweis auf Gott, der sich mit den guten Werken der Schöpfung schmückte und über sie frohlockte. Dies wird näher ausgeführt in einer stoisierenden Paraphrase der biblischen Schöpfungsgeschichte, die sicher von hellenistisch-jüdischen Traditionen abhängig ist 1 2 3 . Zweifellos bedeuten solche schöpfungstheologischen Begründungen der Paränese, neben denen der Bezug auf Christus ganz in den Hintergrund tritt und in seinem für alle christlichen Ordnungen und Gebote fundamentalen Sinn nicht mehr wirklich begriffen ist, eine deutliche theologische Akzentverschiebung gegenüber den älteren christlichen Anschauungen 1 2 4 . Aber von einer vertieften Erfassung der philosophischen (1968 s ) 2 9 - 70; Pohlenz, Paulus und die Stoa; Nauck (o. A a m . 7 ) ; B.Gärtner, The Areopagus Speech and Natural Revelation (Uppsala 1955); Η. Conzelmann, Die Rede des Paulus auf dem Areopag, in: Theologie als Schriftauslegung (Ges. Aufs. 1974) 91-105. 1 2 1 Vgl. Conzelmann, Die Apostelgeschichte (1972 2 ) 104. 1 2 2 1. Clem. 19,2—20,12. Zur Frage des stoischen Einflusses vgl. Knopf S. 76ff.; H. Fuchs, Augustin und der antike Friedensgedanke (1965 2 ) 98—105 und — äußerst zurückhaltend - W. C. van Unnik, Is 1 Clement 20 Purely Stoic?, Vig. Chr. 4 (1950) 181-189. 1 2 3 1. Clem. 3 3 ; vgl. Nauck S. 1 8 - 2 0 . 124 Vgl. dazu die Hamburger Dissertation von H.-U. Minke, Die Schöpfung in der frühchristlichen Verkündigung nach dem Ersten Clemensbrief und der Areopagrede (1966).

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Problematik des Schöpfungsgedankens ist auch in den Ausführungen des Klemens trotz ihrer hellenistischen Sprache nichts zu bemerken. Für Irenaus war das Schreiben eine willkommene Hilfe in seinem theologischen Bemühen, den Gott des Alten Testaments gegen die Gnosis als den einen, allmächtigen Schöpfer zu erweisen. E r führt im Rahmen seines Traditionsbeweises den Brief als ein Dokument an, das älter ist als die Lehren der Häretiker und das die einhellige Überlieferung der Kirche bezeugt, daß der Gott des Alten Testaments der Vater Jesu Christi ist 1 2 5 . Auf Irenaus gestützt hat W. Bauer versucht, den Ersten Klemensbrief als eine Kampfschrift gegen ein gnostisch gefärbtes Christentum zu verstehen, deren Schöpfungsaussagen eine aktuelle Spitze besaßen 1 2 6 . Aber die Äußerungen des Irenaus berechtigen kaum dazu, für den Brief eine solche antignostische Tendenz zu erschließen. Es handelt sich um eine aktualisierende Ausdeutung, wie Irenaus sie in ähnlicher Weise auch für das Johannesevangelium bietet, das er als eine Kampfschrift gegen den Gnostiker Kerinth und die Nikolaiten ansieht 1 2 7 . Es ist natürlich nicht völlig auszuschließen, daß in den korinthischen Streitigkeiten, in die der Erste Klemensbrief eingreifen will, auch theologische Gegensätze eine Rolle gespielt haben 1 2 8 . Aber sollte dies der Fall gewesen sein, so muß vor allem ins Auge springen, wie Klemens darauf verzichtet, auf die eigentlichen Streitfragen einzugehen, und sich darauf beschränkt, die formale kirchliche Ordnung zu verteidigen. Noch überraschender wirkt es, daß bis weit in das zweite Jahrhundert hinein auch solche Schriften, die bereits unmittelbar gegen die anschwellende gnostische Bewegung polemisieren, nicht ausführlich auf die Frage der Schöpfung eingehen. Die einzige Ausnahme bildet der Kolosserbrief, dessen Abfassung durch Paulus mir kaum zweifelhaft erscheint. Hier werden Stichworte aus der kosmologischen Spekulation der gnostisierenden Gegner aufgenommen, und Paulus stellt der von den häretischen Lehrern propagierten Verehrung kosmischer Mächte, sie überbietend, die kosmische Bedeutung des Schöpfungsmittlers Christus entgegen 1 2 9 . Aber die Weltschöpfung durch den einen Gott wurde von den kolossischen Häretikern nicht in Frage gestellt, und auch die Engelmächte und Gewalten, die sie verehrten, scheinen nicht als schlechthin feindselige Kräfte vorgestellt worden 125 126

Haer. III 3,3. Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum (1964 2 , hrsg. von G. Strecker)

106-108. Haer. III 11,1. 128 Vgl. aber die gegenüber einer solchen Erklärung des Streites von H. v. Campenhausen, Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten (1963 2 ) 94 geäußerten Bedenken. 1 2 9 Diesen Gesichtspunkt, daß Paulus auf die Gedanken seiner Gegner eingeht, um sie auf ihrem eigenen Feld zu schlagen, betont besonders Chadwick, »All Things to All Men« (I. Cor. 9,22), NTS 1 (1954/55, S. 261-275) 270ff. 127

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zu sein 1 3 0 . So brauchte Paulus lediglich zu zeigen, daß der Kosmos allein durch Christus seinen Bestand hat und daß dieser sich durch seine Heilstat als der universale Versöhner und Herr erwiesen hat, dem alle Mächte und Gewalten unterworfen sind 1 3 1 . Anders liegen die Dinge in den Pastoralbriefen. Versucht man ihren geschichtlichen Ort und die Veranlassung ihrer Entstehung zu bestimmen, so spricht vieles dafür, sie als einen Versuch zu begreifen, mitten in der offenen gnostischen Krise des zweiten Jahrhunderts Paulus im rechtgläubigen Sinn zu interpretieren und ihn damit für die Kirche zu retten 132 . Angesichts des trümmerhaften Zustands der Uberlieferung gerade aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts muß eine solche historische Einordnung der Briefe natürlich Hypothese bleiben, und es wäre auch möglich, sie um einige Jahrzehnte früher anzusetzen 133 . Aber je höher man mit den Pastoralbriefen zeitlich hinaufgeht, desto unbegreiflicher wird es, wieso Markion sie dann in seinem Kanon übergangen hat 1 3 4 . Glücklicherweise brauchen wir hier nicht das Datierungsproblem zu lösen, sondern es kommt uns darauf an, in welcher Art und Weise die Pastoralbriefe die Auseinandersetzung mit der Häresie führen 1 3 5 . Charakteristisch ist die mangelnde Konkretheit der Angaben über die bekämpften Gegner. Dies ist sicher bewußter Stil der Polemik 136 . Die Lehre der Gegner wird von vornherein als falsch und dämonisch zurückgewiesen 137 . Diese haben nur fruchtlose Wortgefechte und Spekulationen zu bieten, denen man aus dem Weg gehen soll 1 3 8 . Ebenso pauschal wird der Häresie die rechte, »gesunde« Lehre entgegengestellt 139 . Die inhaltliche Auseinandersetzung wird also bewußt vermieden. Etwas näher wird nur auf die asketischen 130 v g l . Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon S. 187. Im Hinblick auf das Fehlen eines eigentlichen kosmologischen Dualismus will Hegermann S. 161 ff. die Irrlehrer nicht als Gnostiker, sondern als Vertreter jüdisch-hellenistischer häretischer Anschauungen charakterisieren. 131 132

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l , 1 6 f . ; 2 , 8 - 2 3 ; 3 , 1 - 4 ; vgl. Lohse S. 191. Bauer, Rechtgläubigkeit S. 225—230; Campenkausen, Polykarp von Smyrna und die Pastoralbriefe, in: Aus der Frühzeit des Christentums. Studien zur Kirchengeschichte des ersten und zweiten Jahrhunderts (1963) 197—252; ders., Die Entstehung der christlichen Bibel (1968) 212 f. Die Spätdatierung ist vielfach abgelehnt worden; vgl. die besonnene Erörterung der Verfasser- und Datierungsfrage in dem Kommentar von N. Brox, Die Pastoralbriefe (1969) 9ff., der selbst die Abfassung um 100 für wahrscheinlich hält (S. 58). Bauer, Rechtgläubigkeit S. 2 2 5 - 2 2 7 ; Campenhausen, Polykarp S. 2 0 4 - 2 0 6 ; vgl. Brox S 28 Dazu Brox S. 3 9 - 4 2 . So M. Dihelius-H. Conzelmann, Die Pastoralbriefe (1966 4 ) 2. l . T i m . 1 , 4 - 6 ; 4,1; 2. Tim. 2,16; 3,9; Tit. 3,9; vgl. l.Tim. l,19f. 1. Tim. 6,4.20f.; 2. Tim. 2 , 1 4 . 2 3 - 2 5 ; Tit. 3,9. 1. Tim. 1,10; 4,6f. 16; 6,3f.; 2. Tim. 4 , 3 - 5 ; Tit. 2,1.

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Forderungen und Verbote der Irrlehrer eingegangen 140 , wir hören, daß sie die Auferstehung als schon geschehen betrachten 141 , und sie werden als Gesetzeslehrer bezeichnet und mit dem Judentum in Verbindung gebracht 142 . Aber aus diesen kargen Angaben darf nicht unbedingt geschlossen werden, daß noch keine höher entwickelte Gnosis bekämpft würde, gerade wenn sich die pauschale Abweisung der Irrlehre ebenso als Stilmittel erweist wie die moralische Verunglimpfung ihrer Vertreter 143 . Mit den mehrfach erwähnten Mythen und Genealogien, die im Denken der Irrlehrer eine Rolle spielen, können schon Äonenspekulationen gemeint sein 144 , und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Warnung vor den »Antithesen der falschen Gnosis« im Ersten Timotheusbrief auf das markionitische Stichwort zielt 145 . Gewiß richtet sich die Polemik der Briefe nicht ausschließlich gegen Markion, dazu sind die Vorwürfe nicht eindeutig genug; es sollen wohl generell alle möglichen Spielformen der gnostischen Häresie getroffen werden 146 . Der gegenüber den Irrlehrern erhobene Vorwurf des Judaisierens könnte dagegen ein polemischer Topos sein 147 . Für uns ist jedenfalls entscheidend, daß der Verfasser der Pastoralbriefe auf die Kosmologie der Gegner nicht näher eingeht und das Problem der Weltschöpfung nirgends erörtert. Nur die Forderung der Nahrungsaskese wird mit einem ausdrücklichen Rekurs auf die Schöpfung zurückgewiesen: Gott hat die Speisen dazu erschaffen, daß sie mit Danksagung genossen werden; denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut 148 . 1 4 1 2. Tim. 2,18; vgl. Brox S. 36f. 1. Tim. 4,3.8; Tit. l,14f. 1. Tim. l , 6 f . ; Tit. 1,10.14. 1 4 3 Auf die moralischen Mängel der Irrlehrer wird hingewiesen 1. Tim. 6,3—5; 2. Tim. 3,Iff.; Tit. ,1,10—16. Brox S. 31—38 kommt zu dem Ergebnis, die von den Pastoralbriefen bekämpfte Häresie sei eine frühe judenchristliche Gnosis, die ohne weiteres noch im ersten Jahrhundert denkbar sei. Er muß jedoch zur Interpretation der antihäretischen Aussagen durchweg Nachrichten über die Gnosis des zweiten Jahrhunderts heranziehen. 1 4 4 1. Tim. 1,4; 4,6f.; 2. Tim. 4 , 3 - 5 ; Tit. 1,14; 3,9; vgl. Brox S. 35f. Dibelius-Conzelmann S. 14f. denken dagegen noch nicht an eine ausgebildete kosmologische Spekulation. 1 4 5 1. Tim. 6,20; vgl. Campenhausen, Polykarp S. 205f.; anders Dibelius-Conzelmann S. 70; Brox S.32. 221 f. 146 Campenhausen, Polykarp S. 205 Anm. 24: »Die Pastoralbriefe sind in ihrer andeutenden Unbestimmtheit schon eine Art έλεγχος aller denkbaren Häresien«. 147 Vgl. Bauer, Rechtgläubigkeit S. 92 f. Auch die von Ignatios im Magnesier- und Philadelphierbrief bekämpften Gegner scheinen nur aus polemischen Gründen als »Judaisten« etikettiert zu werden: E. Molland, The Heretics Combatted by Ignatius of Antioch, JEH 5 (1954) 1—6. Dagegen meint L. Goppelt, Die apostolische und nachapostolische Zeit (1966 2 ) 70, daß gerade das judaistische Gepräge der von den Pastoralbriefen abgelehnten Irrlehre diese »in den Ausgang der paulinischen Zeit« weise. Auch für Brox S. 33 ff. gehören die jüdischen oder judenchristlichen Züge zum Erscheinungsbild der bekämpften Häresie. 1 4 8 1. Tim. 4,3 f. 140

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Der mit den Pastoralbriefen in verschiedener Hinsicht verwandte Philipperbrief des Polykarp von Smyrna setzt den Tod des Ignatios von Antiochien voraus, ist also frühestens in den zwanziger Jahren des zweiten Jahrhunderts abgefaßt worden, doch könnte der Hauptteil des Briefes auch um Jahrzehnte später entstanden sein 1 4 9 . In dem paränetischen Schreiben warnt Polykarp vor häretischen Anschauungen, und zwar scheint es sich um die Lehre Markions zu handeln 1 5 0 . Polykarp wendet sich gegen eine radikal doketische Christologie, durch die das »Zeugnis des Kreuzes« zunichte gemacht wird, gegen das Verdrehen der Herrenworte und die Leugnung von Auferstehung und Gericht. Dies alles paßt vorzüglich auf Markion. Auffallenderweise bleibt jedoch der Dualismus von Erlöser- und Schöpfergott unerwähnt; und gerade die Lästerung des Schöpfers gilt allen späteren Gegnern Markions als seine größte Ketzerei 151 . P. N. Harrison hat deshalb vermutet, Polykarp bekämpfe ein Frühstadium der Theologie Markions, der zunächst noch an der Einheit Gottes festgehalten und erst in Rom unter dem Einfluß des Gnostikers Kerdon seine Zweigötterlehre entwickelt habe 1S2 . Doch für eine derartige Rekonstruktion der geistigen Entwicklung Markions fehlt uns schlechterdings jeder Anhaltspunkt. Wenn Polykarp in seinem Brief gegen die markionitische Lehre polemisiert, so muß man davon ausgehen, daß er sie in ihrer reifen Gestalt kennt. Man kann nur annehmen, daß es ihm auf eine systematische Widerlegung nicht ankommt: er sieht durch die Häresie den Christusglauben in seinem Zentrum bedroht, und dieser Bedrohung tritt er mit seinen bekenntnisartigen Sätzen entgegen. Polykarp soll Markion, der — wohl noch in Kleinasien — von ihm anerkannt werden wollte, als »Erstgeborenen des Satans« abgewiesen haben 1 5 3 und hat, als er sich später unter Aniket in Rom aufhielt, angeblich zahl149

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Vgl. Hamack, Geschichte der altchristlichen Literatur II 1 (19582) 381-388. Die Teilungshypothese von P. N. Harrison, Polycarp's Two Epistles to the Philippians (Cambridge 1936), nach der Kap. 13 und 14 ein noch zu Lebzeiten des Ignatios geschriebenes Billett darstellen, während der Kap. 1 — 12 umfassende ausführliche Brief wesendich später entstanden ist, vermag das Datierungsproblem nicht resdos zu lösen. 6,3—7,2; vgl. Harrison S. 172—206; Campenhausen, Polykarp S. 238; mit einer Häufung von nicht durchweg überzeugenden Argumenten P. Meinhold, Art. Polykarpos von Smyrna, PW 21/2 (1952) 1685—87. Gegen die antimarkionitische Deutung wendet sich zuletzt wieder K. Beyschlag, Simon Magus und die chrisdiche Gnosis (1974) 194, der annimmt, Polykarp polemisiere gegen »die auch in den Johannes- und Ignatiusschriften bekämpften radikalen Doketisten«. So schon Justin, apol. I 26,5; apokr. Brief der Korinther an Paulus 11 — 15.

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Harrison S. 183 ff.

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Iren. haer. III 3,4 = Eus. Η. Ε. IV 14,7; Polykarp gebraucht den Ausdruck auch in seinem Brief: 7,1. Vgl. aus späterer Zeit Ephraem, hymn. c. haer. 22,17: »Markion ist der erste Dorn, — der Erstgeborene des Gestrüpps der Sünde — das Unkraut, das zuerst sproßte«, und Ps. Ign. Trail. 9,1, wo Simon Magus als »Erstgeborener des Satans« bezeichnet wird.

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reiche Markioniten für die katholische Kirche zurückgewonnen 154 . Der Hauptbrief könnte aus der Zeit dieser Konflikte stammen, doch ist dies nicht sicher zu beweisen 155 . Auf jeden Fall aber zeigt Polykarps Schweigen über das Schöpfungsproblem, daß dieses in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts noch kein zentrales Thema der Auseinandersetzung mit der Irrlehre darstellte. Auch die etwa aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts stammende »Epistula apostolorum« wendet sich gegen gnostische Lehrer — als prototypische Vertreter der Häresie werden Simon und Kerinth genannt 156 —, macht aber keine genaueren Angaben über die bekämpften Anschauungen und tritt auch in keine ernstliche theologische Auseinandersetzung mit ihnen ein 1 5 7 . Gleichwohl ist die antignostische Akzentsetzung in dieser Schrift deutlich: die eingehende Beschreibung der Schöpfungstaten Gottes, die gleich am Anfang steht 1 5 8 , und der Gebrauch der Gottesprädikationen »Herrscher der ganzen Welt« 1 5 9 und »Vater des Alls« 1 6 0 dürften sich gezielt gegen die gnostische Abwertung des Schöpfergottes richten 1 6 1 . Eine aktuelle Absicht wird wohl sicher auch mit der »Apologie des Paulus« verfolgt, die die Schrift bietet 1 6 2 . Der apokryphe Apostelbrief zeigt, wie der 154 155

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Iren. haer. III 3,4 = Eus. Η. Ε. IV 14,5. Hamack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott (19242) 5* Anm. 4 hat gerade deshalb, weil die Zweigötterlehre und die Ablehnung des Alten Testaments unerwähnt bleiben, bestritten, daß Phil. 6f. auf Markion ziele; aber die unscharfe Art der Polemik ist für die Zeit charakteristisch. 1(12); 7(18); vgl. Beyschlag S. 73. 7(18) heißt es in der koptischen Fassung von den Irrlehrern: »Denn sie verkehren die (Worte) und die Tat d.h. Jesum Christum« (vgl. Pol. Phil. 7,1); dem entspricht in der äthiopischen Überlieferung: « . . . die in Wirklichkeit diejenigen abwendig machen, die glauben an das wahre Wort und an die Tat d. h. Jesum Christum«. 29(40) findet sich eine Christus in den Mund gelegte Strafdrohung gegen diejenigen, »die gegen mein Gebot gesündigt haben, anderes lehren, abziehen und hinzufügen und für ihre eigene Ehre wirken, indem sie abwendig machen diejenigen, welche recht an mich glauben« (äth.; kopt. ähnlich); vgl. noch 50(61); 37(48). 3(14) mit Anklängen an Gen. 1. 3(14); 5(16). 13(24). M. Homschuh, Studien zur Epistula Apostolorum (1965) 94f. meint, daß der Verfasser nur deshalb »an den Anfang des Ganzen das hymnische Bekenntnis zum Schöpfergott, das in ein Bekenntnis zum Erlösergott übergeht«, stellt, weil die gnostischen Gegner Schöpfer und Erlöser trennen. 31(42)f.; dazu Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 211. Daß die Gegner Basilidianer sind, wie Homschuh S. 86 f. 94 vermutet, scheint mir allerdings recht unwahrscheinlich zu sein. Diese an sich schon problematische Identifizierung wäre nur unter der Voraussetzung möglich, daß die Epistula apostolorum in Ägypten entstanden ist, wofür Homschuh S. 99ff. plädiert. Ägyptischen Ursprung vermutete auch H. Lietzmann, Geschichte der alten Kirche II (1936) 87, während der Entdecker des Dokuments, C. Schmidt, an Kleinasien als Ursprungsland dachte: Gespräche Jesu

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Gegensatz zu der angewachsenen gnostischen Bewegung nunmehr zur Verteidigung aller wesentlichen Inhalte der kirchlichen Uberlieferung zwingt. Die Ausführungen über die Weltschöpfung, die wir sonst noch von Autoren, die keine ausgesprochenen Gnostiker sind, aus vorjustinischer Zeit besitzen, lassen ebenfalls nur deutlich werden, daß die Frage nach dem Ursprung des Kosmos noch nicht zum Problem geworden ist. Einige Beispiele mögen dies veranschaulichen. Nach einer Mitteilung des Anastasios Sinaites in seinem HexaemeronKommentar soll Papias — wie übrigens auch die Alexandriner Pantainos, Klemens und Ammonios — das gesamte Sechstagewerk auf Christus und die Kirche gedeutet haben 1 6 3 . Offenbar war er von einer verbreiteten theologischen Tradition abhängig, in der Christus und die mit der Weisheit gleichgesetzte präexistente Kirche einander zugeordnet wurden 1 6 4 . Aber wie Papias seine Auslegung im einzelnen durchgeführt hat und wie er dem buchstäblichen Sinn der Schöpfungsgeschichte Rechnung trug, wissen wir nicht 1 6 5 . Man wird aus der Notiz des Anastasios kaum schließen dürfen, daß Papias einen ganzen Kommentar zur Schöpfungsgeschichte geschrieben hat 1 6 6 ; vielleicht handelte es sich überhaupt nur um eine gelegentliche Äußerung 1 6 7 . Die aus Syrien stammenden Oden Salomos, deren Theologie mehr archaisch als spezifisch gnostisch ist 1 6 8 , gehen ebenfalls über den Rahmen der uns schon bekannten Schöpfungsaussagen nicht hinaus, was bei diesen stark judenchristlich geprägten Texten ja am wenigsten überraschen kann. Ode 16 preist den Schöpfer

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mit seinen Jüngern nach der Auferstehung (1919) 364ff. Für die Herkunft aus Syrien setzt sich mit guten Gründen G. Kretschmar, Studien zur frühchrisdichen Trinitätstheologie (1956) 50f. ein; vgl. auch die Beobachtungen von R. Staats, Die törichten Jungfrauen von Mt. 25 in gnostischer und antignostischer Literatur, in: W. Eltester, Christentum und Gnosis (1969, S. 98-115) 104f. Contempl. anag. in Hexaem. I (PG 89.860C) = fr. 6 Funk-Bihlm.; es ist wohl der Eus. Η. Ε. VI 19,10; ep. ad Carp, erwähnte Ammonios gemeint. Kretschmar, Studien S. 54-56. Papias hatte vielleicht schon einen Zusammenstoß mit Markion: fr. 13 Funk-Bihlm.; vgl. Harnack, Marcion S. 11*-14*. So richtig F. E. Robbins, The Hexaemeral Literature. Α Study of the Greek and Latin Commentaries on Genesis (Chicago 1912) 36; E. Testa, La creazione del mondo nel pensiero dei SS. Padri, Studii Biblici Franciscani liber annuus 16 (1965/66, S. 5—68) 5f. redet wieder von Kommentaren des Papias und Pantainos. P. Nautin, Pantene, in: Tome commemoratif du millenaire de la Bibliotheque Patriarcale d'Alexandrie (Alexandrien 1953, S. 145—152) 149 vermutet, Anastasios habe seine Angabe über die Genesis-Auslegung des Pantainos aus den Hypotyposen des Klemens von Alexandrien entnommen; fand sich dort auch ein Hinweis auf Papias? So Chadwick, Some Reflections on the Character and Theology of the Odes of Solomon, in: Kyriakon I (Festschr. Joh. Quasten, 1970) 266-70; A. Adam, Lehrbuch der Dogmengeschichte I (19702) 142—146 will die Oden hingegen einer judenchristlichen Frühgnosis zuweisen.

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in alttestamentlichen Wendungen, und von einer gnostischen Infragestellung oder Abwertung der Schöpfung ist keine Andeutung zu finden 169 . Es gilt uneingeschränkt,

daß Gott alles gemacht hat 1 7 0 . Einzelne Gedanken erinnern an

popularphilosophische Vorstellungen: Nicht Gott bedarf der Menschen, sondern die Menschen bedürfen seiner 171 , in Gott ist keine Mißgunst 172 , die obere Welt ist das Urbild der unteren 1 7 3 . Doch in ihrer ganzen Wesensart sind die Oden unphilosophisch. Ihr Denken und ihre Sprache ist dichterisch-anschaulich, nicht spekulativ. Im Kerygma Petri, einer Schrift, die für uns den Ubergang von der frühchristlichen Missionspredigt zur eigentlich apologetischen Literatur repräsentiert, heißt es von Gott, daß er »den Anfang von allem gemacht hat und die Gewalt über das Ende hat«. Gott wird mit den negativen Prädikaten der philosophischen Theologie beschrieben, er ist bedürfnislos, aber alles bedarf seiner und ist um seinetwillen da, und er hat das All durch das Wort seiner Macht geschaffen 174 . Das ist die popularphilosophische 169 170 171

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Sprache der hellenistischen Synagoge 175 .

Aber

16,10ff.; vgl. Epist. apost. 3. 4,15; vgl. 4,7f£.; 7,8f. l l f . 4,9; vgl. Dibelius, Paulus auf dem Areopag S. 42ff.; Conzelmann, Die Apostelgeschichte S. 98 f. zu Act. 17,25. 3,6 ; 7,3; 11,6; 17,12; 20,7; 23,4; vgl. Plat. Tim. 29E. Für die christliche Literatur bedeutet die »Neidlosigkeit Gottes« die unbedingte Gewißheit seiner Heilszusage, wie van Unnik in einer von den Aussagen des Oden Salomos ausgehenden Untersuchung gezeigt hat: De άφθονία van God in de oudchristelijke literatuur, Mededelingen Nederl. Akad. Wetensch. N. R. 36/2 (Amsterdam 1973). 34,4f. Aber gerade diese Vorstellung ist auch jüdisch; vgl. Adam I S. 143. Hamack, Ein jüdisch-christliches Psalmbuch aus dem ersten Jahrhundert (1910) 66 verweist auf Acta Phil. 140 (34), van Unnik, A Note on Ode of Solomon 34,4, JThS 37 (1936) 172 — 75 auf die gleichlautende Stelle Act. Petr. cum Sim. 38 (Mart. Petri 9), vielleicht ein Agraphon, als mögliches Vorbild; das würde auf eine ganz unplatonische Vorstellung weisen. Clem. Al. ström. VI 39,2f. ( = fr. 2a Dobschütz). In ström. VI 58,1 bemerkt Klemens, daß »Petrus« mit άρχή im Anschluß an Gen., 1,1 Christus meine, aber dies ist sicher eine Interpretation des Klemens, die dem Wonsinn nicht entspricht: vgl. v. Dobschütz, Das Kerygma Petri (1893) 19; Nautin, Les Citations de la »Predication de Pierre« dans Clement d'Alexandrie, Strom. VI 5,39-41, JThS N. S. 25 (1974, S. 98-105) 101 f. Zu der Deutung des »Im Anfang« von Gen. 1,1 auf Christus vgl. Hamack, Die Altercatio Simonis Iudaei et Theophili Christiani (1883) 130—34. Unwahrscheinlich ist die Vermutung von C. F. Bumey, Christ as the ΑΡΧΗ of Creation, JThS 27 (1926) 160—177, daß schon in Kol. 1,16—18 eine Auslegung des hebräischen b're'sit vorliege; dagegen Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon S. 85 Anm. 1. Vgl. Dibelius, Der Hirt des Hermas S. 498; Maria Grazia Mara, Ii Kerygma Petrou, in: Studi in onore di Alberto Pincherle = Studi e material! di storia delle religioni 38 (1967, S. 3 1 4 - 3 4 ) 333f.; R. M. Grant, The Early Christian Doctrine of God (Charlottesville 1966) 15 f.

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soweit die erhaltenen Fragmente erkennen lassen, wird auch im Petruskerygma die Schöpfung noch nicht als philosophisches Problem empfunden. Die Aussagen nichtgnostischer Theologen über die Weltschöpfung bieten bis in die ersten Jahrzehnte des zweiten Jahrhunderts hinein ein gleichförmiges Bild. Die Frage nach der Möglichkeit der Entstehung des Kosmos und nach dem Wie des Schöpfungsvorganges wird nicht gestellt, zunächst auch noch nicht unter dem D r u c k der Auseinandersetzung mit der anwachsenden gnostischen Bewegung. Dieses Ergebnis braucht nicht zu überraschen. In einer Zeit, in der es noch keine normierte Orthodoxie gab, waren in den Kreisen christlicher Lehrer zweifellos weitgreifende kosmologische Spekulationen möglich, die man nicht als unchristlich und häretisch empfinden mußte 1 7 6 . In den Gemeinden dagegen wurden die Spekulationen esoterischer Zirkel über Welt und Schöpfung wahrscheinlich kaum zur Kenntnis genommen. Und selbst dort, wo man auf abweichende Anschauungen aufmerksam wurde, fehlten zunächst die sachlichen Kriterien und Maßstäbe, um sie eindeutig und schlagend zu widerlegen. Von daher erklärt sich der diffuse, unpräzise Charakter der älteren antihäretischen Polemik. Die fremden Lehren werden als ein Ausdruck moralischer Entartung zurückgewiesen, man wertet sie als eschatologisches Phänomen und begnügt sich ihnen gegenüber mit dem Verweis auf die feststehende, allgemein bekannte und anerkannte Uberlieferung. D e r erste große theologische Gegensatz, in dem man die Einheit der Kirche auf dem Spiel stehen sah, brach am zentralen Punkt des christlichen Glaubens auf, am Christusbekenntnis. Zeugnisse für dieses Stadium der Entwicklung sind der Erste und Zweite Johannesbrief und die Ignatianen, die scharf gegen einen wohl schon gnostischen Doketismus polemisieren und dem urchristlichen Bekenntnis zu Jesus als dem Christus und Gottessohn eine neue antihäretische Wendung und Prägung geben 1 7 7 . Hier, bei der Christologie, setzt die Scheidung zwischen Rechtgläubigkeit und Häresie ein, die im weiteren Verlauf des zweiten Jahrhunderts auch auf die übrigen umstrittenen Stücke der christlichen Überlieferung ausgedehnt wird. Die antignostische »regula fidei« ist das Ergebnis dieses Abgrenzungsprozesses. Die Fixierung und Sicherung der Tradition und die Trennung von der Gnosis und anderen Häresien wurde eine unabweisbare Notwendigkeit, je weiter sich die Kirche im Fortgang der Geschichte zeitlich von ihren Ursprüngen entfernte und je stärker die in ihr vertretenen Meinungen auseinanderklafften 178 . Die AuseinanderUber das chrisdiche Lehrertum vgl. Campenhausen, Kirchliches Amt S. 210ff. Vgl. Campenhausen, Das Bekenntnis im Urchristentum, ZNW 63 (1972, S. 210-253) 234ff.; Beyschlag S. 4. 178 Vgl. H.-D. Altendorf, Zum Stichwort: Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, ZKG 80 (1969) 61—74. Unter einem anderen Gesichtspunkt behandelt die Entstehung des Gegensatzes von Rechtgläubigkeit und Häresie M. Elze, Häresie und Einheit der Kirche im 2. Jahrhundert, ZThK 71 (1974) 389-409. 176 177

Das Problem der Weltschöpfung im hellenist. Judentum u. im Urchristentum

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Setzung mit der gnostischen Kosmologie kam wohl dort in Gang, wo die Bemühung um die philosophischen Probleme der Weltschöpfung sich mit dem Bekenntnis zur Gemeindetradition verband: in den Kreisen jener chrisdichen Lehrer und »Philosophen«, die sich wie Justin der kirchlichen Rechtgläubigkeit verpflichtet wußten. Es ist kaum ein Zufall, daß die beiden ältesten antihäretischen Kampfschriften, die uns bezeugt sind, von Justin verfaßt wurden.

2. KAPITEL DIE F R A G E N A C H DEM U R S P R U N G DER WELT IN DER C H R I S T L I C H E N GNOSIS Bis ins vierte Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts wurde die Frage der Weltschöpfung von den kirchlichen Theologen nicht ernsthaft als Problem erörtert. Dem modernen Betrachter erscheint es fast unbegreiflich, daß zu einer Zeit, in der die gnostische Bewegung ihren Höhepunkt erreichte, die Problematik der Schöpfung im kirchlich-christlichen Lager noch nicht zu einem zentralen Thema geworden war. Aber es handelt sich um einen Vorgang, der häufig beim Aufbrechen neuer Fragestellungen und geistiger Bewegungen in der Geschichte zu beobachten ist: Das Neue wird als solches gar nicht erkannt und begriffen, seine geistige Tragweite ist zunächst noch nicht zu ermessen, und es fehlen die Begriffe und geistigen Mittel, um ihm gerecht zu werden. Der Prozeß der Aufnahme der neuen Fragestellung und der Auseinandersetzung mit ihr kommt langsamer und stockender in Gang und verläuft weniger konsequent, als man dies rückblickend in der Uberschau über eine lange geistige Entwicklung für möglich halten möchte.

I In der Gnosis wird die Frage nach der Weltentstehung, nach dem Warum und Wie der Schöpfung, auf einmal als bedrängendes Problem empfunden und gewinnt höchste theologische Bedeutung. Das Motiv für diese neue Fragestellung ist nicht ein plötzlich erwachtes philosophisches Interesse am Kosmos — obwohl auch dieses nebenher eine Rolle spielen kann —, sondern die spezifisch gnostische Ablehnung oder zumindest sehr negative Beurteilung der Welt. Es muß erklärt werden, wie und woher der Kosmos, der als feindlich, mangelhaft und widergöttlich erfahren wird, entstanden ist. In diesem Sinne stellt sich die Frage nach der Schöpfung dem Gnostiker als das Problem der Theodizee1. Die Welt wird so negativ gesehen, daß man ihre Entstehung nicht mehr auf einen Schöpfungsakt des wahren, höchsten Gottes zurückführen kann. Der gnostische Mythos lehrt sie als 1

Vgl. Ptolemäus, ad Floram 7,8-10.

Die Frage nach dem Ursprung der Welt in der christlichen Gnosis

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das W e r k himmlischer Wesen von minderem Rang und beschränkter Macht verstehen, die den wahren Gott nicht kannten oder sich gegen ihn auflehnten. In einzelnen gnostischen Entwürfen wird ein ungewordenes materielles Prinzip, gelegentlich ist es das Chaos oder die Finsternis, vorausgesetzt, das in unterschiedlicher Weise an der Weltentstehung beteiligt ist. Aber die meisten gnostischen Theologen sind von dem Bestreben geleitet, einen Dualismus der Prinzipien zu vermeiden. Sie verstehen die Materie und den Kosmos als etwas Gewordenes, Sekundäres, das gegenüber der himmlischen Lichtwelt keine volle Realität besitzt. Die Entstehung

des Kosmos wird als eine durch die Selbstüberhebung

der

demiurgischen Mächte hervorgerufene Störung der ursprünglichen Seinsordnung aufgefaßt, und der Heilsprozeß erreicht erst mit der Vernichtung der materiellen Welt sein Ziel. Die geistig bedeutendsten, philosophisch gebildeten Gnostiker verwerfen deshalb mit innerer Konsequenz nicht nur die Lehre von der Ewigkeit der Welt, sondern bekämpfen auch entschieden die Annahme einer ewigen Materie. N u r Markion, der keine Verbindung zwischen dem höchsten Gott und dem Demiurgen gelten läßt, behauptet für den kosmischen Bereich die Präexistenz der Materie 2 . Wiederholt bezeichnen kirchliche Polemiker die Frage nach dem U r 2

Plotin muß gegen die Gnostiker die Ewigkeit der Welt verteidigen: Enn. II 9,3f.; vgl. V 8,12,20ff. Für die Valentinianer ist die Materie in einem mehrstufigen Prozeß entstanden; sie wird vernichtet, sobald die Pneumatiker in das Pleroma eingegangen sind: s. u. S. 103ff. Für die Schrift »Das Wesen der Archonten« aus dem Fund von Nag Hammadi ist die Materie entstanden, doch wird von ihr das anscheinend ungewordene Chaos unterschieden (142,29—34). Dagegen will die verwandte »Schrift ohne Titel« (»Vom Ursprung der Welt«) gegen die Annahme eines ursprünglichen Chaos beweisen, daß auch dieses geworden ist: 145,24ff.; vgl. A. Böhlig, Urzeit und Endzeit in der titellosen Schrift des Codex II von Nag Hammadi, Mysterion und Wahrheit (Ges. Aufs., 1968, S. 135—148) 136ff. Im barbelognostischen »Apokryphon des Johannes« scheint die Existenz des »Chaos der Unterwelt« einfach vorausgesetzt zu sein: BG 41,15; vgl. N H C III 17,19; II 1 1 , 3 - 6 . Nach der Lehre der Ophiten, über die Irenaus berichtet, befinden sich von Urzeiten an unter dem Heiligen Geist die vier Elemente Wasser, Finsternis, Abgrund (άβυσσος) und Chaos (haer. I 30,1). Hier wird also Gen. 1,2 auf eine ewige chaotische Materie gedeutet. Auch die »Doketen« scheinen ein unentstandenes Chaos anzunehmen: Hippol. ref. VIII 9,3f. Komplizierter liegen die Dinge in den uns durch Hippolyt bekannten Dreiprinzipien-Systemen: Das Baruchbuch des Gnostikers Justin (ref. V 26 f.) redet von drei ungeschaffenen Prinzipien des Alls, zwei männlichen Wesen, dem »Guten« und Elohim, dem Vater des Geschaffenen, und einem weiblichen, Edem, das von Gestalt halb Jungfrau, halb Schlange ist. Edem repräsentiert die Erde, und zwar stellt ihr menschlicher Teil die »seelische« Substanz, ihr tierischer Teil die Materie dar (26,7—9.14). Die Vorstellung von der Ewigkeit der Materie hat aber eine Abweichung vom gewöhnlichen gnostischen Schema zur Folge: Die Entstehung von Materie und Welt kann nicht als Ergebnis eines urzeitlichen Falls gedacht werden, sondern das Böse entsteht erst nach der Schöpfung mit dem Aufstieg Elohims in den Himmel (26,14ff.). Der Kosmos wird also ungewöhnlich positiv beurteilt; vgl. M. Simonetti, Note sul Libro di Baruch dello gnostico Giustino, Vet. Christ. 6 (1969, S. 71—89)

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Die Frage nach dem Ursprung der Welt in der christlichen Gnosis

sprung des Bösen als den Ausgangspunkt der häretischen Verirrungen. Damit haben sie ein Grundproblem der gnostischen Lehre richtig erkannt; nur muß hinzugefügt werden, daß die Frage nach dem Bösen für den Gnostiker letztlich mit der Frage nach dem Ursprung des Kosmos zusammenfällt3. Gleichwohl werden wir uns davor hüten müssen, im Denken der verschiedenen mehr oder minder synkretistischen Schulen und Zirkel das, was uns als das eigentümlich »Gnostische« erscheint, den weltfeindlichen Dualismus und die Abwertung des Schöpfergottes, zu überschätzen und zu isolieren4. Die Unterscheidung zwischen dem wahren Gott und dem Demiurgen wurde weder von Anfang an noch überall mit gleicher Radikalität vertreten und wurde wohl nur selten polemisch gegen die gemeinchristliche Uberlieferung ins Feld geführt, sondern eher als esoterisches Wissen behandelt. Die große Ausnahme ist Markion, der seinen frontalen Angriff gegen den Gott des Alten Testaments richtete; durch ihn wurden auch alle subtileren Versuche diskreditiert, durch untergeordnete göttliche Mächte zwischen dem höchsten Gott und der Welt zu vermitteln. Aber in der unübersichtlichen theologischen Situation der dreißiger und vierziger Jahre des zweiten Jahrhunderts schien gewiß das Gemeinsame und geistig Verbindende zwischen den »gnostischen« und »kirchlichen« Lehrern zu überwiegen. Gerade die großen und einflußreichen gnostischen Theologen wie Basilides und Valentin 82 ff. Bei den Peraten wird die Hyle, das dritte Prinzip (ref. V 17,1), ausdrücklich als »das Entstandene« bezeichnet (12,3). Beim dritten Prinzip der Naassener, dem »ausgegossenen Chaos« (V 7,9; 10,2), ist es_ wieder nicht klar, ob es als geworden oder als ungeworden zu denken ist. Sicher ungeworden ist hingegen das dritte Prinzip der Sethianer, die Finsternis (V 19,2), die als ein »furchtbares Wasser« vorgestellt wird (19,5f.; 20,9f.); vgl. die mit der Quelle Hippolyts weitgehend übereinstimmende »Paraphrase des Seem« 1,26—28.36ff. und die Lehre der Nikolaiten, Ps. Tert. adv. omn. haer. 1,6; Epiphan. panar. X X V 5,1. A. Orbe, Estudios Valentinianos I: Hacia la primera teologia de la procesion del verbo (Rom 1958) 203-285 versucht nachzuweisen, daß die gesamte Gnosis, einschließlich der Dreiprinzipien-Systeme, den göttlichen Urgrund als das einzige ursprüngliche Prinzip betrachtet. Diese These läßt sich mit solcher Ausschließlichkeit nicht aufrecht halten. Aber auf jeden Fall ist die Vorstellung, daß das Materielle nicht ursprünglich, sondern im Laufe des kosmogonischen Prozesses entstanden ist, stärker verbreitet und kann vielleicht für die höher entwickelte Gnosis als charakteristisch gelten (vgl. H.Jonas, Gnosis und spätantiker Geist I [19643] 328ff. über den »syrischägyptischen Typus«), Für unsere Fragestellung ist entscheidend, daß die führenden christlichen Gnostiker, insbesondere die Valentinianer, die Materie für geworden halten. Zur Lehre Markions, die sich nur bedingt in den Rahmen der gnostischen Anschauungen fügt, vgl. unten S. 57ff. 3

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Tertullian, praescr. 7,5; adv. Marc. I 2,2; Epiphanius, panar. XXIV 6,1; Eus. Η. Ε. V 27; eine Bestätigung liefert Ptol. ad Flor. 7,8 f. Wir beschäftigen uns hier ausschließlich mit der christlich-gnostischen Theologie, also dem »Gnostizismus«, und gehen auf die umstrittene Frage der vor- und außerchrisdichen Ursprünge der Gnosis nicht ein.

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Die Frage nach dem Ursprung der Welt in der christlichen Gnosis

wollten bewußt und entschieden Christen sein. Ihre Lehre trat als eine christozentrische, sich auf Paulus und Johannes berufende Theologie in Erscheinung, in der die Äonenspekulation nur als Hilfskonstruktion zur Lösung »philosophischer« Fragen wie der Theodizee und der Entstehung des Kosmos erscheinen m o c h t e 5 . Schon in ihrer äußeren Stellung waren gnostische Lehrer von Männern wie Justin, Tatian oder Rhodon nicht zu unterscheiden: sie alle wirkten als unabhängige »Philosophen« ohne amtliche kirchliche Bindung, die einen Schülerkreis um sich sammelten und in der Schule die ihnen gemäße Organisationsform fanden. In der theologischen Terminologie von »Gnostikern« und »Apologeten«

zeigen sich

Ubereinstimmungen, die sich nur aus einer gemeinsamen Lehrtradition erklären lassen 6 . Gerade aus R o m besitzen wir verschiedene Nachrichten, die zeigen, wie wenig klar dort die Fronten noch um die Jahrhundertmitte verliefen. So scheint der syrische Gnostiker Kerdon wegen seiner Lehren wiederholt bei der Gemeinde Anstoß erregt zu haben, jedoch ohne daß es zunächst zu einem dauernden Bruch kam 7 .

Die

Behauptung Tertullians,

Valentin habe

einmal Aussicht

auf

das

Bischofsamt gehabt, doch sei ihm ein Confessor vorgezogen worden, worauf er sich von der Kirche losgesagt habe, ist problematisch und mag ein typischer V o r wurf der Ketzerpolemik sein 8 . Aber wenn der von Justin erwähnte christliche

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Das eindrucksvollste Beispiel für die Auseinandersetzung mit allgemein christlichen Problemen in der Gnosis bietet der Brief des Valentinianers Ptolemäus an Flora: er behandelt das richtige chrisdiche Verständnis des alttestamentlichen »Gesetzes« und findet in den Worten Jesu den Maßstab zu seiner Beurteilung; das »System« tritt dabei ganz in den Hintergrund; vgl. H. v. Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel (1968) 98 — 104. Auch auf den valentinianischen Brief an Rheginos »Uber die Auferstehung« ist hier zu verweisen. W. C. van Unnik, Die Gotteslehre bei Aristides und in gnostischen Schriften, ThZ 17 (1961) 166—174; ders., The recently discovered »Gospel of Truth« and the New Testament, in: F . L . C r o s s , The Jung Codex (London 1955, S. 8 1 - 1 2 9 ) 10lf.; vgl. auch R. Μ. Grant, Gnosticism and Early Christianity (New York-London 1966 2 ) 128. Iren. haer. I l l 4,3 ( = Eus. Η . Ε. IV 11,1). Ähnliches berichtet Tertullian von Markion und Valentin (praescr. 30,2). Sollte es sich womöglich nur um eine typische Angabe kirchlicher Ketzerporträts handeln? Tert. adv. Val. 4,1: Speraverat episcopatum Valentinus, quia et ingenio poterat et eloquio, sed alium ex martyrii praerogativa loci potitum indignatus de ecclesia authenticae regulae abrupit, ut solent animi pro prioratu exciti praesumptione ultionis accendi. Der Vorwurf, die späteren Ketzerhäupter hätten nach dem Bischofsamt gestrebt und sich von der Kirche getrennt, als sie es nicht erlangten, ist »von Anfang an ein beliebtes Motiv der kirchlichen Ketzerschablone gewesen«: K. Beyschlag, Kallist und Hippolyt, ThZ 20 (1964, S. 103—124) 107. Aber der erste Teil von Tertullians Mitteilung, daß ein Confessor Valentin vorgezogen worden sei, klingt so glaubhaft, daß er historisch sein könnte. Nur darf man für die römische Gemeinde in der Zeit Valentins noch nicht an ein monarchisches Bischofsamt denken, wie Tertullian es selbstverständlich voraussetzt. Der von Tertullian erwähnte Confessor müßte nach Iren. haer. III 3,3 Telesphorus gewesen sein:

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Die Frage nach dem Ursprung der Welt in der christlichen Gnosis

Lehrer Ptolemäus nach einer glänzenden Vermutung Harnacks mit dem Valentinianer gleichen Namens identisch ist, so starb dieser als Märtyrer der römischen Gemeinde 9 . Erst der Ausschluß Markions aus der Gemeinde im Jahre 144 und seine daraufhin erfolgte Kirchengründung scheint in Rom die Bemühungen zu einer Abgrenzung von häretischen Richtungen in Gang gebracht zu haben; jetzt setzt bald die Auseinandersetzung Justins mit den Häresien ein. Aber noch die Theologie Tatians enthält manche gnostisch wirkenden Züge, und auf der anderen Seite lebten zumindest die Valentinianer noch bis tief in die zweite Hälfte des Jahrhunderts hinein in enger Gemeinschaft mit der Großkirche, der sie sich zugehörig fühlten: auch die Pneumatiker sind an die »psychische« Kirche gebunden 10 . Das Interesse der Gnostiker richtet sich nicht auf die Kosmologie als solche, sondern im Vordergrund steht die Frage nach Gott und der Erlösung und erst in diesem Zusammenhang gewinnt die Erklärung des Weltursprungs ihre theologische Bedeutung 1 1 . In den bildungsmäßig höherstehenden Schulen mag auch ein gewisses Streben zur philosophischen Welterklärung im Spiel gewesen sein,

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A. v. Hamack, Geschichte der altchristlichen Literatur II 1 (19582) 178 f. und ergänzend dazu E. Caspar, Die älteste römische Bischofsliste (1926, SKG 2/4) 225. Ob Valentin sich bei der Wahl des Telesphorus wirklich von der Kirche gelöst hat, kann hingegen bezweifelt werden. Justin, apol. II 2,9—15; vgl. Hamack, Analecta zur ältesten Geschichte des Christentums in Rom (Texte u. Unters. 13/2, 1905) 3—5. Die These wurde — anscheinend ohne Kenntnis von Harnacks Arbeit — wiederholt von H. Langerbeck, Zur Auseinandersetzung von Theologie und Gemeindeglauben in der römischen Gemeinde in den Jahren 135—165, in: Aufsätze zur Gnosis (1967, S. 167—179) 174. Langerbeck versucht in diesem Aufsatz zu zeigen, daß in der Jahrhundertmitte in Rom die entscheidenden Gegensätze nicht Rechtgläubigkeit und Ketzerei, sondern philosophische Theologie und naiver Gemeindeglaube gelautet hätten. Valentin, Ptolemäus, Justin und Tatian wären also im gleichen Lager gestanden, sie hätten aber ihrerseits Markion abgelehnt, weil sie nicht bereit waren, mit ihm das Alte Testament preiszugeben. Sicher ist diese Auffassung überspitzt — ich kann Tatian dem Valentinianismus nicht so nahe rücken, wie Langerbeck es versucht, und vor allem stand Justin dem Gemeindechristentum erheblich näher — aber die weiten Möglichkeiten, die die theologische Spekulation in dieser Zeit noch besaß, werden in Langerbecks Skizze eindrucksvoll sichtbar. Vgl. Iren. haer. I praef.; III 15,2; Tert. adv. Val. 1; zur Auffassung der Valentinianer von der Kirche vgl. K. Müller, Beiträge zum Verständnis der valentinianischen Gnosis III, N G G 1920, S. 202f.; vanUnnik, Die Gedanken der Gnostiker über die Kirche, in: J . Giblet, Vom Christus zur Kirche (1966) 223-238. Dies hat Ed. Schwanz, Aporien im vierten Evangelium II, NGG 1908 (S. 115-148) 127 Anm. 1 klar formuliert: »Der Inhalt der γνώσις ist nicht die Metaphysik an und für sich, sondern die mystisch fundierte Erlösung«; van Unnik, Die jüdische Komponente in der Entstehung der Gnosis, Vig. Chr. 15 (1961, S. 65—82) 71 betont gegen modernisierende Interpretationen, daß der Mittelpunkt des gnostischen Denkens die Frage nach Gott ist.

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aber man wird solche Ansätze nicht überschätzen dürfen 12 . Die Erkenntnis der Entstehung und des Wesens des Kosmos dient dem Gnostiker nur zu dessen Uberwindung. Wenn er den wahren Gott und seine himmlische Welt erkannt hat, wird er der Nichtigkeit und Widergöttlichkeit des irdischen Kosmos inne und kann sich nur von diesem abwenden, ja er ist ihm im Vollzug dieser Erkenntnis schon entnommen. So fragt im »Apokryphon des Johannes« der Jünger nach dem Erlöser, nach dem Vater, der ihn sandte, und nach dem Wesen des zukünftigen Äons 1 3 ; und als Christus dem Johannes erscheint, kündigt er diesem an: »[Nun bin ich gekommen], um dir zu offenbaren, [was] ist, was [geschah] und was geschehen [soll], damit [du erkennst] das Unsichtbare sowie [das] Sichtbare, und um [dich zu belehren] über den vollkommenen [Menschen]« 14 . Also Belehrung über Gott, die unsichtbare und sichtbare Welt und das Heilsdrama ist der Inhalt der Gnosis. Das gleiche dominierende Interesse am menschlichen Heil kommt in der Schrift »Vom Wesen der Archonten« zum Ausdruck, deren Verfasser seine Belehrung über die »Mächte« mit einem Zitat aus dem Epheserbrief einleitet: »Der große Apostel sagte zu uns über die Mächte der Finsternis: ,Unser Kampf ergeht nicht gegen Fleisch und [Blut], sondern gegen die Mächte des Kos[mos] und die Geister der Bosheit'« l s . Nachdem die Darlegungen über die Archonten, die Materie, aus der sie entstanden sind, ihren Vater und den Kosmos abgeschlossen sind 1 6 , fragt die Offenbarungsempfängerin Norea: »Herr, gehöre etwa auch ich zu ihrer Hyle?«, um darauf zu erfahren, daß sie zum göttlichen Urvater gehört und ihre und ihrer Kinder Seelen aus dem unvergänglichen Licht stammen 17 . Basilides nennt als Inhalt des »Evangeliums« die zuerst dem Archonten der »Achtheit« zuteil werdende Erkenntnis des »nichtseienden« Gottes, der bei diesem befindlichen »Sohnschaft«, des heiligen Geistes, des Wesens der Schöpfung und des Zieles des kosmischen Prozesses 18 . Die Valentinianer können den Inhalt der Gnosis als die Gotteserkenntnis bestimmen 19 , aber damit ist untrennbar die Er12

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Iren. haer. II 32,2 betont, freilich in einer ganz bestimmten polemischen Absicht, das mangelnde Interesse der Gnostiker an profanen Wissenschaften und Tätigkeiten. BG 2 0 , 8 - 1 4 . B G 2 2 , 2 - 9 Till; übereinstimmend die Fassungen von N H C II 1 , 2 , 1 6 - 2 0 und IV 1 , 3 , 9 - 1 6 ; ähnlich die »Sophia Jesu Christi« 7 8 , 2 - 1 0 ; 8 0 , 1 - 3 . 1 3 4 , 2 1 - 2 5 Nagel (Eph. 6,12). 144,15—17; vgl. 141,33 — 142,2; in diesem zweiten Teil des Buches ist eine Offenbarung des Engels Eleleth an Norea verarbeitet: H.-M. Schenke, Das Wesen der Archonten, in: J. Leipoldt-H. M. Schenke, Koptisch-gnostische Schriften aus den Papyrus-Codices von Nag-Hamadi (1960) 69. 144,18f.; 114,19ff. — Die »Apokalypse des Adam« aus CodexV von Nag Hammadi, die sich weitgehend an die ersten Kapitel der Genesis anschließt, behandelt ausschließlich die Erlösung der Gnostiker vom Joch des Weltgottes und bietet keine Kosmogonie. Hippol. ref. VII 26,2; 27,7. Evang. ver. 1 8 , 4 - 1 1 ; 3 0 , 2 3 - 3 4 .

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kenntnis des Pleroma und der gesamten Kosmogonie verbunden 20 . Den Grundgedanken, daß durch die Gnosis die aus »Unwissenheit« entstandene Welt überwunden und vernichtet wird, brachten die Valentinianer in prägnanten, formelhaften Sätzen zum Ausdruck: »Da durch Unwissenheit .Mangel' und .Leidenschaft' entstanden sind, wird durch Wissen alles aus der Unwissenheit Entstandene aufgelöst werden« 2 1 . Und die berühmte Wesensbestimmung der Gnosis in den »Excerpta ex Theodora« läßt deutlich werden, wie die ganze Aufgabe des valentinianischen Mythos darin besteht, das Schicksal des einzelnen Gnostikers zu erklären und ihm den Weg zur Erlösung zu weisen: »Nicht nur das Taufbad ist es, das befreit, sondern auch die Erkenntnis, wer wir waren, was wir geworden sind, w o wir waren, wohin wir geworfen wurden, wohin wir eilen, woraus wir erlöst werden, was Geburt ist, was Wiedergeburt« 22 . Die Gnosis hat wesentliche Züge mit der allgemeinen Religiosität der Kaiserzeit, aber auch mit dem zeitgenössischen Piatonismus gemeinsam. Die Heils- und Erlösungssehnsucht und die Betonung der Transzendenz Gottes sind da und dort von grundlegender Bedeutung 23 . Trotzdem besteht ein entscheidender Unterschied zwischen Gnosis und Philosophie, der von den Gnostikern selbst als 20

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Evang. ver. 18,3lff.; Iren. haer. I 6,1: οι πνευματικοί άνθρωποι οί την τελείαν γνώσιν εχοντες περί θεοϋ και (τά) της Άχαμώθ μεμυημένοι μυστήρια. Iren. haer. I 21,4: ύπ' άγνοιας γαρ υστερήματος και πάθους γεγονότων, δια γνώσεως καταλΰεσθαι πάσαν τήν έκ της άγνοιας συστασιν. Ubereinstimmend Evang. ver. 18,7—11; 24,28—32; dazu Jonas, Gnosis und spätantiker Geist I S. 410f. Exc. ex Theod. 78,2. Zu dieser und ähnlichen Formeln vgl. Ed. Norden, Agnostos Theos (1913) 102ff.; A. D. Nock-A.J. Festugiere, Corpus Hermeticum I (Paris 19723) 90 Anm. 24 (zu Corp. Herrn. VIII 5); P. Courcelle, Connais-toi toi-meme de Socrate ä Saint Bernard I (Paris 1974) 69ff. Vgl. H. Dörrie, Die platonische Theologie des Kelsos in ihrer Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie, NAG 1967, 23—25; ders., Von Piaton zum Piatonismus. Ein Bruch in der Überlieferung und seine Uberwindung (1976) 37-39. A. Toorhoudt, Een onbekend gnostisch system in Plutarchus' de Iside et Osiride (Löwen 1942) will aus De Is. et Os. 54 (373 A—C) ein von Plutarch benütztes gnostisches System herausschälen, das Verwandtschaft mit dem valentinianischen System bei Hippol. ref. VI 30,6—31,6 zeigen soll (S. 48—55). Dieser Nachweis ist nicht gelungen, die Untersuchung zeigt aber, wie nahe Plutarch »gnostischen« Aussagen kommen kann: vgl. H. Schwabl, Art. Weltschöpfung, PW Suppl. IX (1962) Sp. 1550. Vor allem im Denken des Numenios von Apamea hat man immer wieder die gnostischen Züge betont: vgl. bes. H.-Ch. Puech, Numenius d'Apamee et les theologies orientales au second siecle, Annuaire de l'institut de Philologie et d'histoire Orientales 2 (1934 = Melanges Bidez) 745—778; vgl. auch E.R.Dodds, Numenios and Ammonios, in: Entretiens sur l'Antiquite classique V: Les sources de Plotin (Vandceuvres-Geneve 1960) 3—61; R. Beutler, Art. Numenios, PW Suppl. VII (1940) 664-678 hat hingegen gezeigt, daß das Denken des Numenios auch allein aus mittelplatonischen Voraussetzungen verstanden werden kann.

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solcher erkannt und betont wird: auch in dem so stark theologisch gewordenen mittleren Piatonismus bleibt der einzige Weg zur Gotteserkenntnis der des rationalen Denkens 2 4 , während sich die Gnosis im Besitz ihrer Offenbarungen und pneumatischen Erkenntnisse der Philosophie genauso überlegen weiß wie dem Gemeindechristentum. Einige Beispiele sollen diese Haltung veranschaulichen: die »Sophia Jesu Christi« legt dem Auferstandenen eine Polemik gegen die Versuche der Philosophen in den Mund, von der Welt auf Gott zurückzuschließen 25 ; Christus allein kennt und bringt die Wahrheit. Komplizierter stellt sich das Verhältnis zur Philosophie bei Isidor, dem Sohn und Schüler des Basilides, dar. E r behauptet nach dem Vorbild der jüdischen Apologetik die Abhängigkeit der Philosophen von den Propheten, anerkennt also grundsätzlich, daß auch die Philosophie Wahrheit lehrt, und will mit seiner These vermutlich die Benützung heidnischer Autoren gegen christliche Bedenken rechtfertigen 26 . Valentin sagt in einer Predigt, aus der Klemens von Alexandrien zitiert, daß »vieles, was in den profanen Büchern geschrieben steht, sich auch in der Gemeinde Gottes geschrieben findet«, und nennt als Grund für diese Übereinstimmung das »ins Herz geschriebene Gesetz«. E r scheint also eine allgemeine Wahrheitserkenntnis anzunehmen 2 7 . Aber diese Auffassung bleibt eine Ausnahme. Bereits in der späteren valentinianischen Schule fällt das Urteil über die Philosophie wieder erheblich 24 25 26

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Dötrie, Die platonische Theologie des Kelsos S. 25 f. 80,4-81,17; vgl. die »Schrift ohne Titel« 173,28-32. Clem. Al. ström. VI 53,2—5; vgl. Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 165 f. Clem. Al. ström. VI 52,3 f. Schon Klemens ist allerdings im Zweifel, ob mit den δημόσιαι βίβλοι die jüdischen heiligen Schriften oder die Bücher der Philosophen gemeint sind (ström. VI 53,1). Der Gegensatz, in den die »öffentlichen Bücher« zu dem »in der Gemeinde Gottes Geschriebenen« gestellt werden, spricht aber dafür, daß Valentin die Werke der Philosophen im Auge hat; vgl. Th. Zahn, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons II (1890/92) 953-956. A. Hilgenfeld, Ketzergeschichte des Urchristentums (1884) 301 und W. Foerster, Von Valentin zu Herakleon (1928) 96 denken hingegen an das Alte Testament. Der Valentin sicher nahestehende, vielleicht sogar von ihm selbst verfaßte Brief an Rheginos übt Kritik an jenen, »die viel lernen wollen« und die, wenn sie die Lösung von Problemen, auf die sie gestoßen sind, finden, »große Dinge von sich denken«; doch die Wahrheit kommt von Christus (43,25ff.). Später aber heißt es: »Und es gibt einen, der glaubt, unter den Philosophen, die an diesen Orten sind. Aber er wird auferstehen, und der Philosoph, der an diesen Orten ist, möge nicht glauben, (daß er?) ein Selbstzurückkehrer (sei?) und wegen unseres Glaubens« (46,8—13, Übersetzung von W. Täl-, vgl. H.-M. Schenke, OLZ 60 [1975] 476; M. L. Peel, Gnosis und Auferstehung. Der Brief an Rheginus von Nag Hammadi [1974] 85f.). Wer ist der Philosoph, der an die Auferstehung glaubt? Die Herausgeber der editio princeps ziehen verschiedene philosophische Richtungen in Erwägung, vemögen jedoch keine eindeutige Antwort zu geben: M. Malinine, H.-Ch. Puech, G.Quispel, W.Till, adiuv. R. McL. Wilson, ]. Zandee, De Resurrectione (Epistula ad Rheginum) (1963) XVIII f.

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negativer aus. Man hat wohl mit Recht in der einen Fassung des valentinianischen Mythos, nach der die Sophia durch ihr maßloses Verlangen nach Erkenntnis zu Fall kommt, eine Allegorie auf das philosophische Erkenntnis streben gesehen, das verurteilt wird 2 8 . Auch die erst seit kurzem vollständig edierte vierte Schrift des Codex Jung äußert sich sehr negativ über die Philosophie 29 . Und noch die Gnostiker, mit denen sich Plotin und seine Schüler auseinanderzusetzen haben, berufen sich auf ihre Offenbarungsschriften und behaupten, »Piaton sei nicht bis in die Tiefe der geistigen Wesenheit vorgedrungen« 30 . Die grundsätzliche Betonung des Unterschieds schließt natürlich nicht aus, daß die Gnostiker philosophisches Gedankengut aufnehmen und verarbeiten. Wie die wenigen erhaltenen Bruchstücke ihrer Schriften erkennen lassen, waren Basilides, Isidor und Valentin Männer von beträchtlicher Bildung, die mit philosophischen Problemen vertraut waren 31 . Und gerade deshalb wollten sie erklären, wieso auch die Philosophie Wahrheit lehren könne. Ohne ein gewisses geistiges Niveau hätten Gnostiker wohl auch keinen Zugang zum Schülerkreis Plotins finden können 32 . Aber aufs Ganze gesehen suchen die Gnostiker die schulmäßige Auseinandersetzung mit der Philosophie nicht. Sie erheben nicht wie die Apologeten den Anspruch, die wahre Philosophie zu lehren. Man bedient sich philosophischer Begriffe und Vorstellungen, aber gestaltet sie frei um und paßt sie den Bedürfnissen des eigenen Denkens an. Das philosophische Lehrgut wird von den Gnostikern allegorisiert, nicht anders und mit der gleichen doktrinären Willkür wie die biblischen Texte 3 3 . Der unphilosophische Charakter des gnostischen Denkens tritt mit besonderer Deutlichkeit in der Auslegung der Genesis hervor. Mit besonderer Vorliebe 28

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Iren. haer. I 2 , 2 ; vgl. Exc. ex Theod. 31,3; dazu F. C. Burkitt, Church and Gnosis (Cambridge 1932) 44ff.; J. Zandee, Gnostic Ideas on the Fall and Salvation, Numen 11 (1964, S. 13 - 74) 24f.; auch G. Qmspel, Philo und die altchristliche Häresie, ThZ5 (1949) 4 2 9 - 3 6 . Tract. Tripart. p. 108,36ff. Zu dieser Stelle vgl. A. D. Nock, A Coptic Library of Gnostic Writings, JThS N . S. 9 (1958, S. 3 1 4 - 3 2 4 ) 318f. Porph. Vita Plot. 16 (Übers. R. Harder). Dies hat in bestechenden Interpretationen einzelner Fragmente Η. Langerbeck, Die Anthropologie der alexandrinischen Gnosis, in: Aufsätze zur Gnosis S. 3 8 - 8 2 gezeigt. Das Verhältnis des Valentinianismus zum mittleren Piatonismus behandelt P. Kübel, Schuld und Schicksal bei Origenes, Gnostikern und Piatonikern (1973). Vgl. jetzt Chr. Elsas, Neuplatonische und gnostische Weltablehnung bei Plotin (1975). Noch Jamblichos führt in einer Zusammenstellung verschiedener philosophischer Auffassungen von den Tätigkeiten der Seele auch die Ansicht der Gnostiker an: Joh. Stob, eel. phys. I 49 (I 365,9 Wachsmuth). Plotin hält den Gnostikern entgegen, daß die von ihnen eingeführten zahlreichen geistigen Wesenheiten nicht der wahren Stufung des Seins in nur drei Hypostasen entsprechen: Enn. II 9,6; vgl. II 9,1.

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entfalten die Gnostiker ihre Kosmologie und Anthropologie im Anschluß an die biblische Schöpfungs- und Urgeschichte 34 . Diese starke Benützung der Genesis ist nicht auf die Gnosis beschränkt: das erste Buch Mose gehört auch im kirchlichen Christentum zu den am meisten gebrauchten Büchern des Alten Testaments 35 . Und das gnostische Interesse an der Kosmogonie legte es natürlich nahe, beim biblischen Schöpfungsbericht einzusetzen. Die heiligen Schriften der Juden und vor allem gerade die Schöpfungsgeschichte riefen seit ihrem Bekanntwerden in der griechischen Welt allgemein hohe Bewunderung hervor 3 6 . Aber während von den heidnischen Lesern als hervorstechendes Merkmal der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte ihr »philosophischer« Gehalt empfunden wurde 37 , wird sie von den Gnostikern im Gegen34

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Die früher vielfach vertretene Ansicht, die Gnosis habe das Alte Testament verworfen, ist nicht zu halten, sie trifft nur auf Markion und seine Schule zu; die Gnostiker haben das Alte Testament lediglich sehr frei und kritisch benützt: Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 9Iff.; vgl. auch G. Widengren, Die Hymnen der Pistis Sophia und die gnostische Schriftauslegung, in: Liber Amicorum (Festschr. C. J. Bleeker, Leiden 1969) 269—281; M.Krause, Aussagen über das Alte Testament in z . T . bisher unveröffentlichten gnostischen Texten aus Nag Hammadi, in: Ex Orbe Religionum. Studia G. Widengren I (Leiden 1972) 449-456. Vgl. G. Kretschmar, Studien zur frühchristlichen Trinitätstheologie (1956) 31; Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 94 Anm. 90. Dazu grundsätzlich Harnack, Der Brief des Ptolemäus an die Flora, SAB 1902 (S. 507—545) 507—510. Seit dem Werk »Aegyptiaca« des Hekataios von Abdera (um 300 vor Chr.), das auch den Juden einen Abschnitt widmete, galten diese in der griechischen Welt als ein Volk von Philosophen, das sich zu einer philosophischen Religion bekannte: vgl. W. Jaeger, Greeks and Jews, in: Scripta Minora II (Rom 1960) 169—183. Die Zeugnisse sind zusammengestellt bei Μ. Hengel, Judentum und Hellenismus (19732) 464-473. Schon eine neupythagoreische Schrift des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts — Ocellus Lucanus, de univ. nat. 46 — scheint auf Gen. 1,28 anzuspielen: R. Harder, Ocellus Lucanus (1926) 128—132. Die Schrift »Vom Erhabenen« 9,9 zitiert voll Anerkennung Gen. 1,3. (Das Zitat ist nicht interpoliert, wie Ed. Norden, Das Genesiszitat in der Schrift vom Erhabenen [1955] gezeigt hat. Doch ist Nordens These, der Verfasser verdanke seine Kenntnis der Genesis dem persönlichen Kontakt mit Philo, kaum zu halten; er wird die Bibelstelle einer jüdischen apologetischen Schrift entnommen haben: so W. Bühler, Beiträge zur Erklärung der Schrift vom Erhabenen [1964] 34). Galen zollt der mosaischen Schöpfungsgeschichte wegen ihrer philosophischen Denkweise Lob, vermißt aber die Erwähnung des Materialprinzips beim Schöpfungsvorgang: De usu part. XI 14 (II 158 Helmreich); vgl. R. Walzer, Galen on Jews and Christians (London 1949) 23—27. Numenios von Apamea bezieht Gen. 1,2 auf den Seelenabstieg: fr. 30 des Places = Porphyrios, de antro nymph. 10; vgl. J. G. Gager, Moses in Greco-Roman Paganism (Nashville-New York 1972) 65f.; P.Nautin, Genese 1,1-2 de Justin a Origene, in: In Principio. Interpretations des premiers versets de la Genese (Paris 1973, S. 61—94) 94. Hingegen übt Kelsos natürlich auch an der Schöpfungsgeschichte scharfe Kritik: Orig. Cels. V 59; VI 49-51. 60f.; vgl. IV 36.

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satz dazu mythisiert 38 . In ungezügelter Allegorese entnehmen sie dem biblischen Wortlaut die Einzelheiten ihrer Lehre, ja die gnostischen Mythen scheinen zum Teil überhaupt erst aus den alttestamentlichen Texten herausgesponnen worden zu sein 3 9 . Vielfach konzentriert sich das Interesse der gnostischen Genesisauslegung nur auf einzelne Verse, die wieder und wieder ausgedeutet werden und als Schlüsselsätze für die esoterische Spekulation gegolten haben müssen. Vor allem ist hier Gen. 1,2 zu nennen 40 , daneben spielen die für die Anthropologie grundlegenden Stellen Gen. 1,26f. und 2,7 eine besondere Rolle 41 . Es existieren aber auch mehr oder weniger zusammenhängende Auslegungen und Paraphrasen der ersten Kapitel der Genesis in ihrer Gesamtheit 42 . Die mythologische Phantastik und Willkür dieser Exegesen bot nichts, was die christliche Genesisauslegung hätte fördern und weiterführen können. Es ist bezeichnend, daß wir nur bei den Valentinianern eine Interpretation von Gen. 1,1—4 finden, die eine Verwandtschaft mit der von philosophischen Vorstellungen geprägten Genesisexegese des hellenistischen Judentums und den an diese anknüpfenden »philosophischen« Auslegungen chrisdicher Autoren zeigt 43 . Die erste uns aus dem Bereich der kirchlichen Theologie erhaltene fortlaufende Auslegung der 38

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Zur Benützung jüdischer Traditionen in der gnostischen Genesisauslegung vgl. O. Betz, Was am Anfang geschah (Das jüdische Erbe in den neugefundenen koptisch-gnostischen Schriften), in: Abraham unser Vater (Festschrift O.Michel, 1963) 24—34; A. Böhlig, Der jüdische Hintergrund in gnostischen Texten von Nag Hammadi, Mysterion und Wahrheit S. 80—101; van Unnik, Die jüdische Komponente S. 75 ff. So H.-M. Schenke, Der Gott »Mensch« in der Gnosis (1962) 72-93. Die Belege sind gesammelt bei Schenke, Der Gott »Mensch« S. 79—89 und bei Orbe, Spiritus Dei ferebatur super aquas. Exegesis gnostica de Gen. 1,2b, Gregorianum 44 (1963) 691 — 730. Man kann noch die Auslegung von Gen. 1,2 bei den syrischen Quqiten vergleichen, die Theodor bar Konai im elften Buch seiner Scholien mitteilt: H. Pognon, Inscriptions Mandates des coupes de Khouabir II (Paris 1899) 144. 209f. — dazu H. J. W. Drijvers, Quq and the Quqites. An unknown sect in Edessa in the second century A . D . , Numen 14 (1967) 104—129 —, ferner die angebliche markionitische Auslegung bei Ephraem, hymn. c. haer. 50,8 (u. Anm. 89). Zum Einfluß von Gen. 1,2 auf die Kosmogonie der Mandäer vgl. K. Rudolph, Theogonie, Kosmogonie und Anthropogonie in den mandäischen Schriften (1965) 166 f. Die gnostische Exegese von Gen. l,26f. behandelt J.Jervell, Imago Dei. Gen. l,26f. im Spätjudentum, in der Gnosis und in den paulinischen Briefen (1960) 122ff., die Auslegung von Gen. 2,7 W.-D. Hauschild, Gottes Geist und der Mensch. Studien zur frühchristlichen Pneumatologie (1972) 263 ff. So in der »Schrift ohne Titel« 148,29—169,35; zur Genesisauslegung im Apokryphon des Johannes vgl. S. Giversen, The Apocryphon of John and Genesis, Stud. Theol. 17 (1963) 60—76; van Unnik, Die jüdische Komponente S. 78. Erst bei der Erschaffung des Menschen setzen ein die Schrift »Das Wesen der Archonten« 135,24ff. und die »Apokalypse des Adam«; dazu Böhlig, Der jüdische Hintergrund S.90ff. Vgl. auch das Baruchbuch des Justin, Hippol. ref. V 26,1—24. Exc. ex Theod. 47,2-48,1; s. u. S. 106ff.

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Schöpfungsgeschichte stammt von Theophilus von Antiochien. Sie hebt sehr betont den buchstäblichen Sinn der biblischen Texte hervor, wohl um allen gnostisierenden Deutungen einen Riegel vorzuschieben 44 . Eine geradlinige religionsgeschichtliche Ableitung der Gnosis und ihrer Weltauffassung scheint nicht möglich zu sein. Die geistige Konstellation, die dazu führte, daß die Einheit zwischen Gott und Welt erschüttert wurde und schließlich ganz auseinanderbrach, ist historisch nicht exakt zu fassen. Es bricht etwas Neues auf, das sich kaum nur als das Ergebnis einer geistig-religiösen Entwicklung von den Voraussetzungen des hellenistischen Synkretismus aus erklären läßt. Um des methodischen Ansatzes willen verdient der Versuch von R. M. Grant besondere Beachtung, der im Gegensatz zu allen bloß ideengeschichtlichen Ableitungen des gnostischen Denkens seinen Ursprung auf die Erfahrung einer geschichtlichen Katastrophe zurückführt, die zugleich auch den Zusammenbruch religiöser Vorstellungen und Erwartungen bedeutete: er vermutet den entscheidenden Anstoß für die Entstehung des kosmosfeindlichen gnostischen Dualismus in der furchtbaren Enttäuschung jüdischer apokalyptischer Hoffnungen durch das Erlebnis der zweimaligen Zerstörung Jerusalems, die zur Verzweiflung an Gottes Weltregierung führen mußte 45 . Grants These besitzt den Vorzug, daß sie eine historische Erklärung für den Ursprung des gebrochenen gnostischen Verhältnisses zur Welt und ihrem Schöpfer gibt, das eine rein motivgeschichtlich arbeitende Forschung aus ihrem Vergleichsmaterial nur teilweise abzuleiten vermag. Leider ist die Theorie Grants jedoch aus den Quellen nicht genügend zu belegen, und sie reicht auch allein nicht aus, um das komplexe Problem der Entstehung der Gnosis ganz zu lösen 4 6 . Eine historische Betrachtung der Gnosis wird wohl davon auszugehen haben, daß in ihrer Frühgeschichte verschiedene, auch örtlich wechselnde Motive im Spiel gewesen sind. Sicher wurde nicht von allem Anfang an ein extremer Dualismus vertreten. Wir haben bereits gesehen, daß für das Urchristentum die gnostische Lehre zuerst als christologischer Doketismus ins Blickfeld getreten ist 4 7 . Die radikal kosmosfeindlich und antinomistisch denkenden gnostischen Gruppen sind wohl überhaupt nicht zahlreich gewesen und waren möglicherweise schon von Markion abhängig 48 . Gerade auch in den großen Systemen der reifen 44

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Autol. II 10—19; vgl. Grant, Theophilus of Antioch to Autolycus, in: After the N e w Testament (Ges. Aufs., Philadelphia 1967, S. 126-157) 1 3 3 - 1 4 2 . Grant, Gnosticism S. 27ff. Zum Methodenproblem vgl. Jonas I 1—91; R. Haardt, Zur Methodologie der Gnosisforschung, in: K.-W. Tröger, Gnosis und Neues Testament (1973) 1 8 3 - 2 0 2 . Vgl. die Auseinandersetzung mit Grant bei G.Jossa, La teologia della storia nel pensiero cristiano del secondo secolo (Neapel 1965) 52 ff. S. o. S. 38. Hier sind besonders die Ophiten zu nennen, von denen Origenes berichtet (Cels. VI 27.28), ferner die Kainiten: Iren. haer. I 31,1; vgl. H.-Ch. Puech bei E. Hennecke-

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Gnosis mit ihren Lehren von verschiedenen göttlichen Kräften und Instanzen wird der Dualismus abgemildert. Basilides vertritt sogar die Auffassung, daß der höchste Gott selbst den Kosmos geschaffen habe, und auch die Valentinianer betonen weit stärker als das antagonistische Gegenüber von Gott und Welt die Stufung des Seienden vom göttlichen Urgrund bis hinab zur Materie. Einem frühen Stadium der Gnosis scheint die Lehre von der Erschaffung der Welt durch Engelmächte anzugehören 49 . Erst später wird der Gott des Alten Testaments vom höchsten Gott unterschieden und als der eigentliche Weltschöpfer angesehen, während die demiurgische Funktion der Engel zurücktritt 50 . Sicher hat die Gnosis ihre Engellehre vor allem aus ursprünglich jüdischen Vorstellungen entwickelt, aber gerade die spezifisch »gnostische« Anschauung, daß die Engel selbständig und in einem Akt der Auflehnung gegen Gott die Welt schaffen, ist aus dem Judentum nicht abzuleiten 51 . Die Degradierung Jahwes zum inferioren

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W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen 3 I (1959) 228f. Die Abhängigkeit der radikalen Antinomisten von Markion vermutet Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 92 f. Zur Häresie von Kolossae gehörte Engelverehrung (Kol. 2,18). Diese Engel waren jedoch nicht als beteiligt an der Weltschöpfung vorgestellt. Die Weltschöpfung durch Engel haben nach Irenaus die Simonianer (haer. I 23,2), Menander (I 23,5), Saturnin (I 24,1) und die Karpokratianer (I 25,1) gelehrt. Die zeitliche Aufeinanderfolge der Schulen und die schematische Darstellung ihrer Lehren bei Irenaus, der einer älteren antihäretischen Schrift zu folgen scheint, stellen allerdings manche Probleme. So gehören die Simonianer sicher nicht an den Anfang der gnostischen Bewegung, und bei ihnen kann auch das Fehlen eines Einzeldemiurgen nicht als ein besonders archaischer Zug geweitet werden: Beyschlag, Simon Magus und die christliche Gnosis (1974) 145. Weitere Belege für die Vorstellung von den weltschaffenden Engeln bietet J. Michl, Art. Engel III, RAC V (1962, Sp. 97-109) 104f. Für Saturnin ist der Gott der Juden einer der Engel, doch wird seine Beteiligung an der Schöpfung nicht besonders hervorgehoben (Iren. haer. I 24,2). Dagegen erschafft in dem etwa gleichzeitigen »Apokryphon des Johannes« bereits Jaldabaoth, der dem alttestamentlichen Gott entspricht, die Engel: BG 39,9ff. Ähnlich lehren die Ophiten: Iren. haer. I 30,4f.; Ps. Tert. adv. omn. haer. 2,3; Epiphan. panar. XXXVII 3,6-4,1. Als Engel erscheint der Demiurg noch bei dem Valentinianer Ptolemäus: Iren. haer. I 5,2; vgl. Michl Sp. 100; Jonas I S. 227ff. Vgl. Grant, Les etres intermediaires dans le judai'sme tardif, in: U. Bianchi, Le origini dello Gnosticismo (Leiden 1966) 141 — 154; J. Danielou, Le mauvais gouvernement du Monde d'apres le gnosticisme, ebd. S. 448—456 (dazu Beyschlag, Simon Magus S. 204f.). Quispel, The Origins of the Gnostic Demiurge, in: Kyriakon I (Festschr. J.Quasten, 1970) 271—276 möchte die Vorstellung vom Engel-Demiurgen aus dem häretischen Judentum ableiten, kann sich aber nur auf ein vereinzeltes Zeugnis aus dem 10. Jahrhundert berufen. Ein Ansatzpunkt für die Lehre von den demiurgischen Engeln ist vielleicht bei Philo zu finden, der, um das Böse erklären zu können, an der Erschaffung des Menschen die »Kräfte« beteiligt sein läßt: opif. 75; conf. ling. 179; fuga 68ff.; Abr. 143 (vgl. Justin, dial. 62,3). Philo hat sicher die Untergötter des Timaios vor Augen (41Cff.): P. Boyanci, Dieu Cosmique et Dualisme. Les archontes et Piaton, in: Bianchi,

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Weltgott könnte im Zusammenhang der Auseinandersetzung des frühen Christentums mit dem Judentum erfolgt sein, aber der Gegensatz zur Synagoge war gewiß nicht das einzige Motiv dafür, und wieder erlauben die Quellen keine sicheren Schlüsse 5 2 . Auf jeden Fall handelt es sich um eine Entwicklung, die erst zu Beginn des zweiten Jahrhunderts stattgefunden hat. D i e grobe Mythologie und der Synkretismus der frühen Gnosis müssen viel zu fremdartig gewirkt haben, um wirklich als christlich anerkannt zu werden und einen nachhaltigen Einfluß auf den Gemeindeglauben auszuüben. Einen theologischen Fortschritt hat die phantastische Kosmologie der frühen Gnostiker jedenfalls nicht gebracht. Hätten ihre Spekulationen sich in stärkerem Maße durchgesetzt, so hätte dies nur dazu geführt, daß das Christentum in eine wirre Mythologie zerflossen wäre. Soweit die Lehren der gnostischen Konventikel in kirchlichen Kreisen bekannt wurden, konnten sie nur scharfe Ablehnung hervorrufen und förderten höchstens einen gewissen theologischen Konservativismus. Wirkliche geschichtliche Bedeutung haben nur die beiden großen Gnostiker Valentin und Basilides mit ihren Schulen und — ganz für sich am Rand der gnostischen Bewegung stehend — Markion gewonnen. Hält man sich vor Augen, daß Basilides und der Apologet Aristides ungefähr Zeitgenossen gewesen sein müssen, so wird unmittelbar deutlich, welch erstaunliches bildungsmäßiges und denkerisches Niveau von den führenden gnostischen Lehrern erreicht wurde. Aber obwohl die Gnosis eine Reihe von Problemstellungen der kirchlichen Theologie vorwegnahm, hat sie diese doch nur in einem sehr begrenzten Maße unmittelbar beeinflußt, und gerade die gnostische Kosmologie konnte nur heftigen Widerstand hervorrufen. Die Unterscheidung einer Vielzahl von göttlichen Wesen, die Lehre vom vorzeitlichen Fall einer himmlischen Gestalt, der der Weltschöpfung voraus-

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Le origini S. 340-356; vgl. auch W. Theiler, Art. Demiurgos, RAC III (1957, Sp. 6 9 4 - 711) 708. Nock, A Coptic Library S. 322 hat vermutet, die Ablehnung des jüdischen Gesetzes wäre von der Gnosis auf die Schöpfung des alttestamendichen Gottes und auf diesen selbst ausgedehnt worden; Simone Petrement, Le mythe des sept archontes createurs peut-il s'expliquer ä partir du Christianisme?, in: Bianchi, Le origini (S. 460—466) 476f. stimmt dem zu. In ähnlicher Weise wollte L. Goppelt, Christentum und Judentum im ersten und zweiten Jahrhundert (1954) 193 die negative Haltung Saturnins gegenüber dem Alten Testament und seinem Gott (vgl. Iren. haer. I 24,2) aus der Kampfstellung des syrischen Christentums gegen das Judentum erklären. Andererseits besaß gerade das antiochenische Christentum auch wieder sehr enge Verbindungen zum Judentum. Grant, Jewish Christianity at Antioch in the Second Century, in: Judeo-christianisme (Festschr. J . Danielou, Paris 1972) 97—108 sieht deshalb die antiochenische Gnosis, besonders Saturnin, in einer doppelten Opposition zum Judentum und zum »Judenchristentum«. Zu dem gespannten Verhältnis zwischen Christen und Juden in den Jahren von 70 bis 135 vgl. W. H. C. Frend, Martyrdom and Persecution in the Early Church (Oxford 1965) 184 ff.

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geht und diese erst herbeiführt, die ganze bildhaft-mythologische Form, in der die Gnostiker ihre Anschauungen über die Entstehung des Kosmos vortrugen, das alles wurde mit Recht als unchristlich empfunden und abgelehnt. Aber die Notwendigkeit, sich mit den theologischen Entwürfen der Gnostiker auseinanderzusetzen, zwang nun auch ihre kirchlichen Gegner, sich auf die gnostischen Fragestellungen einzulassen und das eigene Schöpfungsverständnis zu durchdenken und zu begründen. Die schärfsten Reaktionen von kirchlicher Seite rief die Theologie Markions hervor. Die von ihm mit äußerster Konsequenz und in aggressiver Form durchgeführte Unterscheidung zwischen dem alttestamentlichen Schöpfergott und dem »fremden« Erlösergott enthüllte die Gefährlichkeit des dualistischen gnostischen Ansatzes, und dieser wurde jetzt mit Entschiedenheit in allen seinen Ausprägungen bekämpft. Daneben führte die Abwehr von Markions asketischer Weltfeindlichkeit zu einer neuen Betonung der Gegebenheiten der Schöpfung und zu einer Bejahung der Welt, die in ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung des christlichen Weltverständnisses nicht unterschätzt werden darf. Die antihäretische Kampfliteratur des zweiten und dritten Jahrhunderts zeigt, daß die Markioniten und die Valentinianer alle übrigen gnostischen Richtungen an Einfluß und geistiger Bedeutung und damit an Gefährlichkeit übertrafen. Schon die Schule des Basilides tritt neben ihnen deutlich zurück. Markion rief mit seiner Lehre eine Unzahl von Streitschriften hervor 53 . Das große Werk des Irenäus gegen die Häresien ist hauptsächlich von der Auseinandersetzung mit den Valentinianern bestimmt, bekämpft daneben aber noch fortlaufend andere häretische Richtungen, in erster Linie die Markioniten. Und noch Origenes sieht die gefährlichsten Ketzer in der Trias Markion, Valentin, Basilides 54 .

II Nach dem wohl zuverlässigen Zeugnis des Klemens von Alexandrien haben Basilides, Valentin und Markion ungefähr zur gleichen Zeit in den späteren Regierungsjahren Hadrians und unter Antonius Pius, also etwa von 130 bis 160, gelehrt, doch soll Markion erheblich älter gewesen sein als die beiden anderen Schulhäupter 55 . Sicher hatten aber auch Basilides und Valentin schon längere Zeit als christliche Philosophen und Lehrer gewirkt, als Markion von der römischen Gemeinde ausgeschlossen wurde und seine eigene Kirche gründete. Der Valentin53 54

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Nachweise gibt Harnack, Marcion. Das Evangelium vom fremden Gott (19242) 314* ff. Vgl. z . B . princ. II 9,5; hom. lerem. X 5; XVII 2; comm. Matth. XII 12.13; hom. Luc. frg. 166,1. Strom. VII 106,4.

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schüler Ptolemäus hat scharf gegen Markion Stellung genommen, und man wird damit rechnen müssen, daß sich auch Valentin mit ihm in Rom auseinandergesetzt hat. Die valentinianische Theologie ist also schon von der Reaktion gegen Markion bestimmt. Der in Alexandrien lehrende Basilides steht außerhalb dieser Debatten. Er scheint von der älteren syrischen Gnosis ausgegangen zu sein s6 , hat aber eine höchst eigenständige Lehre entwickelt. Er dürfte zeitlich etwas früher als Valentin anzusetzen sein 57 . Wir wenden uns zunächst Markion zu und werden die Schöpfungslehre des Basilides und der Valentinianer anschließend in einem neuen Kapitel behandeln 58 . Im Mittelpunkt der Theologie Markions steht die Botschaft vom Heil, das in Christus für die in der Welt und unter dem Gesetz verlorenen Menschen erschienen ist. Markion geht von Paulus aus, aber er versteht den Apostel einseitig antinomistisch und weltfeindlich. Nicht nur Glaube und Gesetz bilden für ihn einen unvereinbaren Gegensatz. Auch der Gott, der sich in Jesus Christus aus reiner Gnade der Menschen erbarmt hat, ist ein anderer als der alttestamentliche Gott der Schöpfung und des Gesetzes, und die Erlösung kann nur in der Befreiung von der Welt und der Herrschaft ihres Schöpfers bestehen. Die Zweigötterlehre verbindet Markion mit der Gnosis, aber er faßt den Gegensatz zwischen dem Erlösergott und dem Weltschöpfer radikaler als je ein Gnostiker vor ihm: Markion bestreitet jede Verbindung zwischen dem »fremden«, guten Gott und dem Demiurgen 59 . Der Schöpfergott und seine Welt werden nicht über einen kosmogonischen Mythos vom höchsten Gott abgeleitet, sondern beide Götter existieren von Ewigkeit her nebeneinander. Die Güte des fremden Gottes manifestiert sich gerade darin, daß er sich der Menschen annimmt, die er nicht 56

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Iren. haer. I 24,1. Epiphanius, panar. XXIII 1,2; XXIV 1,4 sagt ausdrücklich, daß Basilides aus Antiochien stammte, doch ist dies nur eine Verdeutlichung der Angabe des Irenaus, Basilides und Saturnin seien beide von der Schule des Menander in Syrien abhängig. Die Nachricht des Irenaus ist allerdings historisch zweifelhaft, da es sich um eine Konstruktion seiner Quelle handeln könnte, die jede häretische Richtung von einer älteren ableiten will; vgl. Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur II 1 S. 290 Anm. 2. Vgl. Harnack, Geschichte der altchristlichen Literatur II 1 S. 290 f f . ; H. Lietzmann, Geschichte der alten Kirche II (1936) 283. Hamacks klassisches Werk bildet nach wie vor die Grundlage unseres Bildes von Markion. Es wird im folgenden ohne Titelangabe zitiert. Daneben sind jetzt vor allem Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 173 ff. und Barbara Aland, Marcion. Versuch einer neuen Interpretation, ZThK 70 (1973) 420—447 zu vergleichen. Weitere Literatur verzeichnet Rudolph, Gnosis und Gnostizismus, ein Forschungsbericht [VI], ThR 37 (1972, S. 289-360) 358-360. Die Bezeichnung δημιουργός für einen untergeordneten Gott erscheint zuerst im zweiten Jahrhundert bei Numenios (bei Eus. praep. ev. XI 18,6-10.14; 22,3.9.10) und in der Gnosis. Uber ältere Vorstufen dieses Wortgebrauchs vgl. C. H. Dodd, The Bible and the Greeks (London 1934) 137 Anm. 2; Theiler, Art. Demiurgos Sp. 694 ff.

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geschaffen hat und die ihm nicht gehören. Diese unvermittelte Zweigötterlehre war für biblisches und griechisches Denken gleich unerträglich. Einen Gott, der in keiner Beziehung zur Welt steht, konnte man weder da noch dort denken. Markions Lehre mußte primitiv und unphilosophisch erscheinen. An diesem Punkt hat denn auch die spätere markionitische Theologie den Meister zu korrigieren versucht. Sein Schüler Apelles, der sich eine Zeitlang in Alexandrien aufgehalten hatte und wohl auch von den dort herrschenden philosophischen und religiösen Strömungen beeinflußt worden war, lehrte in bewußtem Gegensatz zu Markion nur eine einzige άρχή 60 . Den Demiurgen bestimmte Apelles als ein vom höchsten Gott geschaffenes Engelwesen, das den Kosmos nach dem Vorbild der oberen Welt schafft, und daneben unterschied er noch den »feurigen« Gott Israels, der mit Moses aus dem brennenden Dornbusch geredet hat, und den Teufel als weitere Engel 61 . Damit lenkte Apelles wieder in allgemein gnostische Bahnen ein. Die Frage nach Wesen und Zahl der Prinzipien blieb aber ein Problem, über das die markionitischen Lehrer keine Einigkeit erzielten. Wir erfahren, daß in den markionitischen Schulen darüber diskutiert wurde, ob zwei, drei oder vier ursprüngliche Prinzipien anzunehmen seien62. Tertullian hat demgegenüber im ersten Buch seiner großen Streitschrift alle seine rhetorischen und dialektischen Künste aufgeboten, um Markions Zweigötterlehre als absurd zu erweisen63. Markions absolute Weltverneinung bestimmt und lenkt sein gesamtes theologisches Denken. Sie bedingt seinen Dualismus, und die weiteren Konsequenzen sind eine streng doketische Christologie, die Verwerfung der leiblichen Auferstehung und bis zum äußersten gesteigerte asketische Forderungen, die ausdrücklich mit der Ablehnung des Weltschöpfers motiviert werden 64 . Das Problem, wie aus einem vollkommenen göttlichen Prinzip die Welt mit ihren Mängeln entstehen konnte, das die Gnosis beschäftigt, stellt sich für Markion nicht mehr. Durch den radikalen Schnitt zwischen Erlösergott und

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Eus. Η. Ε. V. 13,2.3. Nach Ps. Anthimus, de sancta ecclesia 17 (hrsg. von G. Mercati, Note di letteratura biblica e cristiana antica, Studi e Testi 5 [1901] 87—98) - es handelt sich wohl um eine Schrift Markells von Ankyra: M. Richard, Un opuscule meconnu de Marcel d'Ancyre, Mel. Sc. Rel. 6 (1949) 5 - 2 8 - hat Apelles gelehrt: ψεύδεται Μαρκίων λέγων είναι άρχάς δύο" έγώ δέ φημι μίαν, ήτις έποίησε δευτέραν άρχήν. Ähnlich Epiphan. panar. XXXXIV 1,4. Vgl. Hamack S. 177ff.; 404* ff. Tert. praescr. 34,4; earn. Chr. 8,2f.; Hippol. ref. VII 38,1. Rhodon bei Eus. Η. Ε. V 13,3f. (zwei und drei Prinzipien); Dionys von Rom bei Athanas. de decr. Nie. Syn. 26,3; Hippol. ref. VII 31,2; Adamant, dial. I 3f. (drei Prinzipien); Hippol. ref. X 19,1 (vier Prinzipien). Hierzu jetzt Ε. P. Meijering, Bemerkungen zu Tertullians Polemik gegen Marcion (Adversus Marcionem 1,1-25), Vig. Chr. 30 (1976) 81-108. Clem. Al. ström. III 12,2; 25,1.

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Kosmos macht er den kosmogonischen Mythos überflüssig65. Die Welt ist nur der sichtbare Beweis für die Schwäche ihres Schöpfers66. Markion hat mit solchen Behauptungen den Vorsehungsbeweis der Stoa, die in allen Bereichen des Seienden die göttliche Fürsorge am Werk sieht, einfach umgedreht und ins Negative gewendet 67 . Markion lehrt, daß der Demiurg die Welt aus der ungewordenen, schlechten Materie geformt habe 68 . Diese Annahme soll erklären, warum die Welt schlecht und mangelhaft ist, da ja Markion den Weltschöpfer als gerecht, nicht eigentlich als böse betrachtet. Aber die Materie ist auch nicht das böse, widergöttliche Prinzip schlechthin, denn neben ihr rechnet Markion noch mit dem Teufel als dem Urheber des Bösen 69 . Harnack hat vermutet, Markion könnte die Lehre von der ewigen Materie von dem Gnostiker Kerdon übernommen haben, dessen Schüler ihn Irenaus und eine Reihe späterer Polemiker sein lassen70, aber dies ist unwahrscheinlich. Schon das Schülerverhältnis Markions zu Kerdon steht keineswegs fest; die Nachricht hierüber könnte der bekannten Tendenz entstammen, jede Häresie von einer älteren abzuleiten. Vor allem aber ist die Annahme einer ungewordenen Materie kein für die frühe syrische Gnosis, aus der Kerdon geistig herstammt, charakteristischer Gedanke. Es ist viel wahrscheinlicher, daß Markions Anschauungen über die Materie von der Lehre des zeitgenössischen Piatonismus abhängig sind 71 . Markion war ein gebildeter Mann, so daß wir ohne weiteres seine 65

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Diesen Sachverhalt hat U. Bianchi, Marcion: Theologien biblique ou docteur gnostique?, Vig. Chr. 21 (1967, S. 141-149) 148 treffend formuliert: »Cette peculiarite (das Fehlen des gnostischen Mythos) n'est, a son tour, que la consequence de la radicalisation marcionienne du principe anti-cosmique, qui tranche toute connexion ontologique de ce monde avec la Divinite, meme au plan du probleme cosmogonique, qui cesse meme d'exister«. Harnack S. 273*. Vgl. Jonas I S. 173—175. Wenn Μ. Spanneut, Le sto'icisme des peres de l'£glise (Paris 1957, 2. Aufl. ο. J.) 46 die Gnosis als einen »Antistoizismus« bezeichnet, so trifft dieses Urteil in erster Linie auf Markion zu. Tert. adv. Marc. I 15,4: Mundum ex aliqua materia subiacente molitus est innata et infecta et contemporali deo; V 19,7: Collocans et cum deo Creatore materiam de porticu Stoicorum; Clem. Al. ström. III 12,1: οί μεν άπό Μαρκίωνος φϋσιν κακήν εκ τε ϋλης κακής και έκ δικαίου γενομένην δημιουργοί (sc. ύπολαμβάνουσιν). Vgl. III 19,4; spätere Zeugnisse bei Harnack S. 276*. Harnack S.97. Iren. haer. I 27,1; III 4,3; vgl. Harnack S. 98. 31*-39*. Für den mittleren Piatonismus repräsentativ ist die Aussage des Kelsos bei Origenes, Cels. IV 65: τίς ή των κακών γένεσις, οΰ φφδιον μέν γνώναι τώ μή φιλοσοφησαντι, έξαρκεΐ δ' εις πλήθος είρησθαι ώς έκ θεού μεν ούκ εστί κακά, ϋλη δέ πρόσκειται καί τοις θνητοΐς έμπολιτεΰεται. Numenios kann die Materie als »völlig schlecht« (plane noxia) bezeichnen: Chalcidius, in Tim. 296. Klemens von Alexandrien behauptet die Abhängigkeit Markions von Piaton, den er freilich gänzlich mißverstanden habe: ström. III

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Vertrautheit mit platonischen Vorstellungen voraussetzen dürfen. Auch seine Kritik an den Affekten des anthropomorphen alttestamentlichen Gottes verrät deutlich ihre philosophische Herkunft 72 . Der platonische Gedanke, daß das Böse seinen Grund in der Materie hat, erfährt jedoch bei Markion — ähnlich wie der stoische Vorsehungsbeweis — eine grundlegende Umwertung. Bei den Piatonikern soll die Zurückführung des Bösen auf die Materie das Problem der Theodizee lösen; auf diese Weise wird erklärt,

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12—21. Dagegen erkärt Tertullian, Markions Materiebegriff sei stoisch: adv. Marc. V 19,7 (o. Anm. 68); vgl. auch praescr. 7,4. Aber dies besagt gar nichts, denn im gleichen Zusammenhang wirft Tertullian Markion auch noch einen epikureischen Gottesbegriff vor. Die Stoa faßte die Materie als qualitätslos auf, so daß das Böse nicht auf sie zurückgeführt werden konnte: vgl. Plutarch, de an. procr. 6 (1015B); comm. not. 34 (1076CD); dazu Cl. Baumker, Das Problem der Materie in der griechischen Philosophie (1890) 364f. E. U. Schule, Der Ursprung des Bösen bei Marcion, ZRGG 16 (1964, S. 23-42) 41 behauptet im Anschluß an Harnack, Markions Lehre von der Materie sei von der Gnosis abhängig, und B. Aland S. 429 vergleicht wie schon seinerzeit E. W. Möller, Geschichte der Kosmologie in der griechischen Kirche bis auf Origenes (1860) 385ff. das markionitische Schema Guter Gott — Demiurg — Materie mit den gnostischen DreiprinzipienSystemen. Aber das Schema als solches ist platonisch, und die für die Kosmologie der Gnostiker erst charakteristischen mythologischen Vorstellungen haben, wie das einhellige Schweigen der älteren Überlieferung beweist, in Markions Aussagen über die Schöpfung gänzlich gefehlt. Seine Gegner hätten es sich gewiß nicht entgehen lassen, auf solche Züge seiner Lehre hinzuweisen. Markion verstand also die Erschaffung des Kosmos im Sinne der herrschenden philosophischen Auffassung als Weltbildung, ohne daß er diese Lehre in gnostischer Manier mythologisiert hätte. Die von dem Armenier Eznik von Kolb im fünften Jahrhundert Markion zugeschriebene Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte, in der die Materie personifiziert als weibliche Gestalt erscheint (Wider die Irrlehren IV 1), geht sicher nicht auf Markion selbst zurück. Aber der Text zeigt, welche Rolle die Materie in einer späten, offenbar verwilderten markionitischen Theologie spielen konnte; vgl. Hamack S. 169f. 372* ff.; C. S. C.Williams, Eznik's Resume of Marcionite Doctrine, JThS45 (1944) 65—73. Eine von Hippolyt, ref. X 19,1 genannte markionitische Gruppe setzt die Materie als viertes Prinzip an. Vgl. Pohlenz, Vom Zorne Gottes (1909) 2 0 - 2 2 ; ders., Die Stoa I (19704) 410f.; II (1972 4 ) 198f. Harnack S. 24 Anm. 1. 18* Anm. 1 betont, daß seine Textkritik Markion als einen gebildeten Mann erweise, bestreitet jedoch gleichzeitig philosophische Einflüsse in seinem Denken (vgl. S. 160). Die von Harnack ins Feld geführte grundsätzliche Ablehnung der Philosophie, die aus Markions Lesung von Kol. 2,8 spricht (διά της φιλοσοφίας ώς κενής άπάτης: Tert. adv. Marc. V 19,7; vgl. Harnack S. 51. 93), wird jedoch von den meisten Christen seiner Zeit geteilt und schließt die Abhängigkeit von philosophischen Lehren keineswegs aus. ]. G. Gager, Marcion and Philosophy, Vig. Chr. 26 (1972) 53 —59 weist auf Ubereinstimmungen zwischen Markions Kritik am Demiurgen und der epikureischen Götterkritik hin (zu deren Fortleben in der christlichen Apologetik vgl. W. Schmid, Art. Epikur, RAC V [1962, Sp. 681-819] 807ff.). Auch J. Holtmann, Der geschichtliche Hintergrund der Lehre Markions vom »Fremden Gott«, in: Wegzeichen (Festschr. H.Biedermann, 1971, S. 15—42) 32ff. hebt im Gegensatz zu Harnack bei Markion die philosophischen Problemstellungen und Argumente hervor.

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warum es im Kosmos Unvollkommenheit und Übel gibt, ohne daß jedoch dualistische Konsequenzen gezogen würden: das Vorhandensein des Bösen gehört notwendig zum irdischen Bereich 7 3 . Dagegen beweist für Markion die Weltschöpfung aus der schlechten Materie gerade die Unvollkommenheit und Niedrigkeit des Demiurgen. Ein Gott, der sich dieser Materie bedient, kann nicht der wahre Gott sein 7 4 . Vielleicht hat Markion darüber hinaus auch bemerkt, daß die Vorstellung einer ungewordenen Materie den Gedanken der Allmacht des Schöpfers ausschließt, und diese Einsicht ebenfalls für die Kritik am Demiurgen fruchtbar gemacht. Harnack meint, Markion habe in seinen »Antithesen« betont, daß der Demiurg nicht imstande sei, ohne die Materie zu schaffen, während der wahre G o t t — soweit er schöpferisch tätig ist — allein durch sein Wort wirkt. Allerdings kann Harnack sich nur auf die folgende Antithese berufen: Elisa, der Prophet des Weltschöpfers, benötigte zur Heilung des aussätzigen Naeman die »Materie« Wasser (2. Kön. 5,14), Christus hingegen heilte einen Aussätzigen durch sein bloßes Wort (Lk. 5,12—14) 7 S . Es fragt sich natürlich, ob man von dieser Aussage über Krankenheilungen ohne weiteres auf Markions Schöpfungsverständnis zurückschließen darf. Markion war der Ansicht, daß der wahre Gott die unsichtbare himmlische Welt über dem Himmel des Demiurgen geschaffen habe. Es wäre denkbar, daß er zur Hervorhebung der Ungleichheit der beiden Götter erklärte, der wahre Gott sei für die Erschaffung seines Himmels nicht auf ein materielles Substrat angewiesen gewesen wie der schwache Demiurg. Das aber würde der Sache nach bedeuten, daß der wahre Gott die obere Welt »aus nichts« geschaffen hätte, und wir müßten in Markion einen der ältesten Vertreter des Gedankens der creatio ex nihilo sehen, auch wenn er die entsprechende Formel nicht gebraucht haben sollte. Leider ist aus den Quellen nicht mit hinreichender Sicherheit zu belegen, daß Markion tatsächlich so gelehrt hat 7 6 . Die Uberlieferung hat uns auch keine Nachricht darüber erhalten, ob und wie Markion die Präexistenz der Materie biblisch begründet hat. Man könnte vermuten, daß er wie viele Ausleger 73

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Vgl. F. P. Hager, Die Materie und das Böse im antiken Piatonismus, Mus. Helv. 19 (1962) 73 — 103. Gegen das Reden von einem platonischen Dualismus wendet sich Dörrie, Gnomon 29 (1957) 188f. Vgl. Harnack S. 273"'; ders., Neue Studien zu Marcion (1923) 19 Anm. 1. Harnack S. 98 Anm. 2. 276*. 282*; vgl. Tert. adv. Marc. IV 9,7: Nam et hoc opponit Marcion: Heliseum quidem materia eguisse, aquam adhibuisse, et eam septies, Christum vero verbo solo et hoc semel functo curationem statim repraesentasse; vgl. auch IV 35,4. Von der Erschaffung der Himmel des fremden Gottes aus nichts redet ausdrücklich nur Ephraem, Ad Hypatium III: C.W.Mitchell, S. Ephraim's Prose Refutations of Mani, Marcion and Bardaisan I (London 1912) LI (45). Aus Tertullian, Marc. I 15,4—6 ist nichts zu entnehmen, und bei Adamantius, dial. II 19 erklärt dagegen der Markionit Markos: έκεΐνοι οι τοϋ άγαθοϋ ουρανοί άχειροποίητοι και άγένητοι. Kürzer die Übersetzung Rufins: illi coeli, qui sunt boni dei, non sunt manufacti.

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Gen. 1,2 auf die Materie bezogen hat, aber sichere Anhaltspunkte dafür fehlen 77 . Auch von weiteren Differenzierungen in Markions Kosmologie erfahren wir nichts, und sie sind bei ihm, für den die Schöpfungslehre kein selbständiges theologisches Interesse besaß, auch kaum zu erwarten. Markion kann, wie wir bereits festgestellt haben, auch den unbekannten Gott nicht ohne eine Schöpfung denken: er hat das Unsichtbare geschaffen 78 . Diese Aussage entspricht dem Unbekanntsein des Erlösergottes. Der Himmel des guten Gottes, aus dem Christus herabgestiegen ist, ist jener dritte Himmel, in den Paulus entrückt wurde 79 . Durch die Lehre von der unsichtbaren Welt, die dem irdischen Kosmos übergeordnet ist, nähert sich Markion dem gnostischen Schema von Pleroma und Kosmos 8 0 . Aber über die Entstehung, die Beschaffenheit und den Aufbau der oberen Welt hat Markion im Gegensatz zur übrigen Gnosis anscheinend kaum spekuliert. Es fehlt sowohl auf der Ebene des Weltgottes wie auf der des Erlösergottes die grundlegende Differenz zwischen Schöpfer und Geschaffenem und damit die Spannung, durch die sich erst das theologische Problem der Schöpfung stellt. Markion denkt die himmlische Welt des wahren Gottes als die Negation des empirischen Kosmos. Alle sinnlichen Ausschmückungen muß ihm sein Welthaß verboten haben. Die Gefährlichkeit von Markions Lehre lag für die Kirche nicht so sehr in der extremen Abwertung der Welt und des Fleisches, als vor allem darin — hier kam sein Einsatz bei Paulus zur Geltung —, daß er seinen Angriff zentral gegen das Gesetz und den Gott, der es gegeben hatte, richtete81. Er zielte mit seiner Polemik konkret auf das Alte Testament. Und da Markion die Allegorese und jede »geistliche« Deutung ablehnte, übte er an den ungemilderten Anthropomorphismen der alten Bibel unbarmherzige Kritik 82 . Diese Schrift hatte mit Jesus Christus 77

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Basilius, hexaem. II 4 (PG 29,38B—D) behauptet, daß Markioniten, Valentinianer und Manichäer die »Finsternis« in Gen. 1,2 auf das »anfanglose Böse« deuten, doch können wir dies für Markion sonst nicht nachweisen. Tert. I 15,1: C u m dixeris esse et illi conditionem suam et suum mundum et suum caelum; I 16,1: N o n comparente igitur mundo alio sicut nec deo eius, consequens est, ut duas species rerum, visibilia et invisibilia, duobus auctoribus deis dividant et ita suo deo invisibilia defendant; vgl. Justin, apol. I 26,5; Clem. Al. ström. V 4,4; Orig. hom. lerem. X V I 9 ; Hieron. comm. Eph. 3,8f. (PL 26, 514B); Adamantius, dial. II 19; dazu Harnack S. 267*. B. Aland S. 425 weist außerdem noch auf Ephraem, ad Hypatium III hin: C . W. Mitchell, S. Ephraim's Prose Refutations I S. L I f f . (44ff.). Tert. adv. Marc. I 15,1; IV 7,1. Bianchi S. 143f. Tert. adv. Marc. I 19,4: Separatio legis et evangelii proprium et principale opus est Marcionis; vgl. IV 1,1; zur Gesetzeskritik Markions vgl. V. Hasler, Gesetz und Evangelium in der alten Kirche bis Origenes (1953) 44—47. Markions Vorwürfe sind im einzelnen nicht neu; er greift dieselben Texte an, die schon Philo verteidigt: Grant, Notes on Gnosis, Vig. Chr. 11 (1957, S. 145-151) 145f.

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nichts zu tun. Mit der Verwerfung des Alten Testaments als des Christusbuches hat Markion die Kirche am schwersten getroffen 8 3 . Dies spiegelt sich in der rasch entstehenden antimarkionitischen Kampfliteratur, die in erster Linie das Alte Testament als vom Vater Jesu Christi inspiriertes Buch zu verteidigen sucht, die Berechtigung seiner christologischen Deutung nachweist und die Einheit von Gottes Handeln im alten Bund und in Jesus aufzeigt 84 . Die Auseinandersetzung mit Markion wird also nicht als Kampf um die richtige christliche Metaphysik geführt, sondern es geht darum, das Alte Testament als heilige Schrift zu behaupten. Stoisierende Auslegungen der Schöpfungsgeschichte, die von hellenistischjüdischen Traditionen bestimmt waren, hatten bisher ihren O r t in der Liturgie und der missionarischen Verkündigung, wahrscheinlich auch in der beginnenden Apologetik gehabt 8 5 . Jetzt gewinnt die Genesisexegese in der Auseinandersetzung mit Markion neue Aktualität. Euseb erwähnt Schriften über das »Sechstagewerk« 86 von Rhodon, Candidus und Apion 8 7 . Diese in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts entstandenen Werke müssen weitgehend gegen Markion gerichtet gewesen sein 8 8 . D e r biblische Schöpfungsbericht hatte Markion kaum Möglichkeiten zu Angriffen auf den Weltschöpfer bieten können 8 9 . Wir wissen nur, daß er zur Erschaffung des Menschen bemerkte, die menschliche Sünde müsse auf den Schöpfer zurückfallen, da ja die Seele sein Hauch sei 9 0 . Den Ausgangspunkt für Markions Kritik am Weltschöpfer scheint die Erzählung vom Sündenfall gebildet zu haben, denn hier wurde offenbar, daß es dem biblischen

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Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 176-178. 194ff. Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel S. 193ff. Vgl. 1. Clem. 33,3—6; Epist. apost. 3 (14); Athenagoras, suppl. 13,2; dazu R.Knopf, Die Apostolischen Väter I (HNT, Erg. Band 1920) 99-101. Die ganz stark von jüdischen Traditionen abhängige Genesisexegese des Theophilus von Antiochien (Autol. II 9—33) ist sowohl apologetisch als auch antignostisch-antimarkionitisch orientiert; vgl. Grant, Theophilus of Antioch to Autolycus 133 ff. Der Ausdruck έξαήμερσν scheint als Bezeichnung für das Sechstagewerk der Schöpfung erstmals bei Philo, leg. all. II 12; decal. 100 belegt zu sein; vgl. F. E. Robhins, The Hexaemeral Literature. Α Study of the Greek and Latin Commentaries on Genesis (Chicago 1912) 1 Anm. 2. Eus. H . E . V 13,8; V 27. So auch W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum (19642, hrsg. von G. Strecker) 150-152. Nur zu Gen. 1,2 sind uns zwei markionitische Deutungen überliefert: Basilius, hexaem. II 4(PG 2 9 , 3 8 B - D ; s. o. Anm. 77); Ephraem. hymn. c. haer. 50,8: »Und vom Geist (Wind), der über den Wassern naturhaft brütete, — haben sie ein Brüten angenommen, ein anderes, unschönes« (Ubersetzung von E. Beck). Vielleicht handelt es sich um eine Auslegung syrischer Markioniten. Tert. adv. Marc. II 9,1.

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Gott an Güte, am Vorauswissen der Zukunft und an der Kraft, das Böse zu überwinden, mangelte 9 1 . Dagegen bot die Auslegung der Schöpfungsgeschichte den Gegnern Markions gerade die Möglichkeit, die Güte und Macht des Schöpfers und die vollkommene und weise Einrichtung des Kosmos nachzuweisen 92 . Markions Lehre von der Weltschöpfung aus der ewigen Materie ist uns erstmals durch Klemens von Alexandrien und durch Tertullian bezeugt. Aber wir werden annehmen dürfen, daß man sich schon früher mit ihr auseinandergesetzt hat. Jedenfalls gehörte die Frage, welche Prinzipien das Seiende konstituieren, zu den Themen, mit denen sich die christlichen Lehrer des zweiten Jahrhunderts intensiv beschäftigten 9 3 . Markions Lehre, daß die Materie und die aus ihr geschaffene Welt schlecht und hassenswert seien, mußte in eindrücklicher Weise deutlich machen, welche gefährlichen dualistischen Konsequenzen sich aus der philosophischen Lehre von der Präexistenz der Materie entwickeln ließen. Während Justin der Märtyrer noch annahm, die Welt sei aus der ungewordenen Materie entstanden, hat sein Schüler Tatian bereits dezidiert die Auffassung vertreten, die Materie sei von Gott geschaffen und könne nicht als Prinzip gelten 94 . Vielleicht haben wir in diesem Abrücken von Justins platonisierendem Schöpfungsverständnis ein Ergebnis der Auseinandersetzung mit der markionitischen Prinzipienlehre zu sehen. 91

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Ten. adv. Marc. II 5,1; vgl. IV 41,1; Theophil, ad Autol. II 26; Iren. haer. III 23,6; Ps. Clem. hom. III 39,1; weitere Belege bietet Hamack S.271*f. Zur Auslegung der Paradiesesgeschichte durch Apelles vgl. Hamack S. 413*—416*. Vgl. Tert. adv. Marc. II 4,2; 11,1; 12,2; V 11,12. Siehe unten S. 157ff. Siehe unten S. 152ff.

3. K A P I T E L D I E W E L T S C H Ö P F U N G BEI BASILIDES U N D D E N VALENTINIANERN

I

Die historische Einordnung und Beurteilung der Theologie des Basilides hängt von der Lösung des Quellenproblems ab: neben dem Referat, das Irenaus über die Lehre des Basilides gibt, steht die völlig andersartige Darstellung Hippolyts, dazu kommen noch einige Zitate aus Schriften des Basilides und seines Sohnes Isidor bei Klemens von Alexandrien und Origenes1. Schon bald nach der ersten Veröffentlichung der Bücher IV—X von Hippolyts großem Werk gegen die Häresien im Jahre 1851 setzte eine lebhafte Debatte über die Frage ein, ob der Bericht des Irenaus oder der Hippolyts die ursprüngliche Lehre des Basilides biete2. Diese Debatte ist bis heute nicht ganz zum Stillstand gekommen, aber in der neueren Forschung hat sich doch weitgehend die Auffassung durchgesetzt, daß dem Referat Hippolyts der Vorzug zu geben sei3, was bereits F. Chr. Baur und G. Uhlhorn in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts angenommen haben4. Für diese Ansicht spricht zunächst eine grundsätzliche Erwägung: Hippolyt gibt einen höchst originellen, in sich geschlossenen Lehrentwurf wieder, während das Referat des Irenäus in vielen Zügen mit seinen unmittelbar vorhergehenden Berichten über die Simonianer und Saturnin übereinstimmt und eine Art 1

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Iren. haer. I 24,3 — 7; Hippol. ref. VII 20—27; X 14. Sämtliche weiteren Zeugnisse verzeichnet A. v. Hamack, Geschichte der altchristlichen Literaturl (1958 2 ) 157—161. Einen Uberblick über die ältere Literatur zu dieser Frage gibt A. Hilgenfeld, Die Ketzergeschichte des Urchristentums (1884) 204—30, der selbst bei Irenäus das ursprüngliche System des Basilides findet. Vgl. / . H. Waszink, Art. Basilides, RAC I (1950) 1220f.; G. Kretschmar, Art. Basilides, R G G 3 I (1957) 909f.; W. Foerster, Das System des Basilides, NTS 9 (1962/63) 2 3 3 - 5 5 ; G. Quispel, Gnostic Man: The Doctrine of Basilides, in: Gnostic Studies I (Ges. Aufs., Istanbul 1974) 1 0 3 - 1 3 3 . Vgl. F. Chr. Baur, Das Christentum und die christliche Kirche der drei ersten Jahrhunderte (1853) 187 ff.; ders., Das System des Gnostikers Basilides und die neuesten Auffassungen desselben, Theol. Jahrb. 15 (1854) 1 2 1 - 1 6 2 ; G. Uhlhorn, Das Basiiidianische System mit besonderer Rücksicht auf die Angaben des Hippolytus (1855).

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gnostisches Normalsystem bietet. Es ist wahrscheinlicher, daß das geistig bedeutendere System auf den großen Lehrer selbst zurückgeht als auf Basilidianer der zweiten oder dritten Generation 5 . Der entscheidende Beweis für die Ursprünglichkeit und Echtheit des von Hippolyt referierten Systems sind aber die Ubereinstimmungen zwischen diesem und den durch Klemens von Alexandrien erhaltenen Fragmenten, die sich bis in die Terminologie hinein nachweisen lassen6. Hippolyt benützt eine schriftliche Quelle, die er teilweise wörtlich, teilweise in geraffter Form wiedergibt; gelegentlich schiebt er zusätzliche Nachrichten ein, die nicht aus der Vorlage stammen, und macht polemische Zwischenbemerkungen7. Auffallend ist eine Reihe von Berührungen mit den Referaten über die Lehren anderer gnostischer Schulen. G. Salmon, der in einem 1885 erschienenen Aufsatz auf diese sachlichen und sprachlichen Ubereinstimmungen zwischen den Referaten Hippolyts hinwies, folgerte aus seinen Beobachtungen, daß die gnostischen Quellen des römischen Theologen weithin Fälschungen, vielleicht von der Hand eines Valentinianers, gewesen seien 8 . H . Staehelin kam in einer ausführlichen 5

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So schon Baur, Das System des Gnostikers Basilides S. 150f. H.-M. Schenke, Hauptprobleme der Gnosis, Kairos 7 (1965, S. 114—123) 119f. will das von Hippolyt referierte System wegen seines philosophischen Charakters für sekundär oder sogar pseudobasilidianisch erklären. Aber die Gnosis muß sich nicht notwendig vom Mythos zu einer mehr philosophischen Denkweise entwickelt haben. Auch mit dem »Herabsinken einer anspruchsvollen Religionsphilosophie« (Η. Langerbeck, Das Problem der Gnosis als Aufgabe der klassischen Philologie, in: Aufsätze zur Gnosis [1967, S. 17—37] 30) ist zu rechnen. Die wichtigste Entsprechung besteht zwischen Hippol. ref. VII 26,1 f. und der von Klemens in ström. II 35,5-36,1 wiedergegebenen basilidianischen Auslegung von Prov. 1,7, in der entscheidende Begriffe des hippolyteischen Berichtes erscheinen. Einen sorgfältigen Vergleich aller in Frage kommenden Texte nehmen Baur, Das System des Gnostikers Basilides S. 153 —157 und besonders Foerster, System S. 243ff. vor. Daß Basilides sich auf apokryphe Matthias-Traditionen berufen habe (Hippol. ref. VII 20,1.5), wird ebenfalls von Klemens bestätigt: ström. VII 108,1. Es ist zu fragen, ob Hippolyt seine Vorlagen im wesentlichen unverändert wiedergibt oder ob er sie stark verkürzt und umgestaltet. ]. Frickel, Die »Apophasis Megale« in Hippolyts Refutatio (VI 9—18): Eine Paraphrase zur Apophasis Simons (Rom 1968) 30 ff. versucht nachzuweisen, daß Hippolyt seine Quellen nahezu wörtlich abgeschrieben hat. Aber die von Irenäus abhängigen Abschnitte der Refutatio, die wir mit der Vorlage vergleichen können (VI 19f.; 3 8 - 5 5 ; VII 28.32-37), zeigen, daß Hippolyt sein Material zwar vielfach wörtlich übernimmt, es aber auch umstellen, ergänzen und neu akzentuieren kann; vgl. K. Beyschlag, Simon Magus und die christliche Gnosis (1974) 19ff. zu ref. VI 19f., einem Text, in dem Hippolyt seine Vorlage freilich stärker als in den meisten anderen Fällen verändert hat. The Cross-References in the »Philosophumena«, Hermathena 11 (1885) 389—402. Salmon weist auf folgende Parallelen zum Referat über Basilides hin (S. 40lf.): in ref. VII 22,8 findet sich eine ähnliche Formulierung wie in V 9,4; der »Große Archon« (VII 23,3 u. ö.) erscheint auch in VIII 9,6, das Bild vom Naphtha (VII 25,6f.) auch in V 17,9 (Lehre

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Untersuchung, die von Salmons Hinweisen ausging, ebenfalls zu dem Ergebnis, daß jene von Hippolyt verarbeiteten Darstellungen gnostischer Lehrentwürfe, die nicht durch Parallelüberlieferungen gesichert sind, wahrscheinlich das Werk eines Fälschers seien 9 . Aber diese Fälschungshypothese ist gänzlich unhaltbar. Trotz der vorhandenen Übereinstimmungen sind die von Hippolyt referierten Systeme viel zu originell und untereinander viel zu verschieden, um Erzeugnisse eines Fälschers zu sein, und es lassen sich auch keine überzeugenden Motive für eine solche Fälschung angeben. Überdies hat sich in neuester Zeit die Quellenlage geändert: wir besitzen jetzt in der »Paraphrase des Seem« aus dem Fund von Nag Hammadi eine Schrift, die inhaltlich eng mit Hippolyts Referat über die Lehre der Sethianer verwandt ist und dessen Glaubwürdigkeit voll bestätigt 10 . Es ist also nicht daran zu zweifeln, daß Hippolyt gute Quellen benützt hat. Wie aber sind dann die Übereinstimmungen zwischen seinen Referaten zu erklären ? Man könnte vermuten, daß Hippolyt selbst sich bei der Wiedergabe seiner Vorlagen verschiedener stereotyper Formulierungen und Schemata bedient habe, doch weitaus wahrscheinlicher ist es, daß ihm eine Sammlung gnostischer Quellen vorlag, die bereits eine einheitliche Redaktion erfahren hatte. Die mehrfach auftauchenden Begriffs- und Vorstellungsklischees würden dann auf das Konto dieser Bearbeitung gehen 1 1 . Bedenken erwecken in dem Referat über Basilides auch die neutestamentlichen Zitate, darunter zwei Anführungen aus dem Johannesevangelium. Es würde sich bei diesen, wenn sie auf Basilides selbst zurückgehen, um die frühesten formellen Zitierungen des vierten Evangeliums handeln, die wir kennen 1 2 . Erst bei den

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der Peraten; hier scheint das Bild fester im Text verankert zu sein); in VII 26,7 ist οιονεί έκτρώματι wohl auch Interpretament (valentinianischer Ausdruck: VI 31,2 u. ö.). H. Staehelin, Die gnostischen Quellen Hippolyts in seiner Hauptschrift gegen die Häretiker (1890); vgl. den forschungsgeschichtlichen Uberblick bei Frickel S. 11—25. Einen Textvergleich mit ref. V 19,1—22,1 führt C. Colpe, Heidnische, jüdische und christliche Uberlieferung in den Schriften aus Nag Hammadi II, JAC 16 (1973, S. 106-126) 109—114 durch. Er gelangt zu dem Ergebnis, daß die Paraphrase des Seem selbst »oder ein sehr ähnlicher Text die Vorlage des Kirchenvaters oder seines Mittelsmannes gewesen ist« (S. 114). Beyschlag, ThLZ 95 (1970) 670 hält es für möglich, daß der Redaktor des »gnostischen Quellenpakets« bereits ein kirchlicher Christ gewesen sein könnte. 22,4 (Joh. 1,9); 27,5 (Joh. 2,4). Th. Zahn, Geschichte des Neutestamentlichen Kanons I (1888) 767 hat vermutet, die drei zusammenhängenden Fragmente bei Clem. Al. ström. IV 81—83 stammten aus einer Auslegung von Joh. 9,1—3; dagegen H. Wmdisch, Das Evangelium des Basilides, ZNW 7 (1906, S. 236—246) 237f. L. Cerfaux, Remarques sur le texte des Evangiles ä Alexandrie au II e siecle, in: Recueil L. Cerfaux I (Gembloux 1954, S. 487—498) 489f. meint, daß in Strom. III 1,1 ein — allerdings sehr schwacher — Anklang an Joh. 9,1 vorliegt. Ihm folgt F.-M. Braun, Jean le theologien et son evangile dans l'eglise ancienne (Paris 1959) 106. Beweisen läßt sich dies nicht.

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Valentinianern wird es in breitem Umfang benützt und ausgelegt. Zeitlich ist es natürlich durchaus möglich, daß Basilides das Johannesevangelium gekannt hat 13 . U n d gerade er, der selbst ein Evangelium verfaßt hat 14 , war sicher an den vorhandenen Evangelien stark interessiert. Es ist daher denkbar, daß Basilides das Johannesevangelium für sein eigenes Evangelium ausgewertet hat. Jedoch zitiert hat er sicher nur das letztere. Erst seine Schüler werden sich dann in aller Form auch auf andere Evangelien berufen haben 15 . Wir können also die Evangelienzitate im Referat Hippolyts kaum auf Basilides selbst zurückführen. Sie dürften wohl erst aus der basilidianischen Schultradition stammen 16 . Es ist damit deutlich, daß 13

Auf Grund von Pap. Ryl. Gk. 457 und Pap. Egerton 2 darf man annehmen, daß das Johannesevangelium vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts in Ägypten bekannt war. Allerdings belehrt mich G. D. Kilpatrick (mündlich), daß auch Papyri nach Ägypten importiert wurden, der Beweis also nicht absolut sicher ist. Sämtliche mehr oder minder sicheren Zeugnisse für die Kenntnis des Johannesevangeliums im Ägypten des zweiten Jahrhunderts sind bei Braun S. 69—133 zusammengestellt. W. v. Loewenich, Das Johannes-Verständnis im zweiten Jahrhundert (1932) 64 will die beiden Johannes-Zitate nicht für Basilides selbst in Anspruch nehmen, »da Hippolyt bei seiner Darstellung nicht zuverlässig zwischen Basilides und seinen Schülern unterscheidet«. Dagegen möchte J. N. Sanders, The Fourth Gospel in the Early Church (Cambridge 1943) 55 die beiden Stellen mit Vorbehalt sogar als Beweis für den alexandrinischen Ursprung des Evangeliums ansehen. Allerdings hält er das Zitat von Joh. 1,9 (22,4) für unter Umständen später hinzugefügt (S. 52) — und tatsächlich erscheint die Stelle auch bei den Naassenern, Hippol. ref. V 9,20. M. F. Wiles, The Spiritual Gospel. The Interpretation of the Fourth Gospel in the Early Church (Cambridge 1960) 74 Anm. 5. 107 hält die Benützung des vierten Evangeliums durch Basilides gleichfalls für möglich. 14 Über Gestalt und Inhalt des von Basilides geschaffenen Evangeliums läßt sich leider-nichts Sicheres ermitteln; vgl. H.-Ch. Puech, in: E. Hennecke-W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen 3 I (1959) 257f.; H. v. Campenhausen, Die Entstehung der christlichen Bibel (1968) 164f. 15 Die Zitationsformel, mit der Joh. 1,9 eingeführt wird: τό λεγόμενον έν τοις εύαγγελίοις (22,4), stammt vielleicht überhaupt erst von Hippolyt; vgl. Zahn I S. 162. Campenhausen, Entstehung der christlichen Bibel S. 165 entnimmt aus der Formulierung bei Hippolyt, daß die späteren Basilidianer neben dem Basilides-Evangelium auch andere Evangelien benutzten. Basilides selbst hätte sicher nur auf »das Evangelium« (sein eigenes) hingewiesen (vgl. Agrippa Kastor bei Eus. Η. Ε. IV 7,7). Auch andere Zitationsformeln im Referat Hippolyts »zeigen ein bedenklich modernes Gepräge« (Zahn I S. 765) und dürften von diesem selbst oder von dem Redaktor seiner Vorlage stammen: so wird 1. Kor. 2,13 als »Schrift« angeführt (26,3; vgl. 25,1; 26,7). Die Valentinianer führen Johannes-Zitate gerne mit der Formel »der Apostel sagt« ein (Ptol. ad Flor. 3,6; Exc. ex Theod. 7,3; 41,3). Joh. 2,4 wird bei Hippolyt unverdächtig als Herrenwort zitiert (27,5: ό σωτηρ λέγων). An weiteren Evangelienzitaten finden sich Lk. 1,35 (26,9) und Mt. 2,1 f. (27,5); beide Stellen spielen auch bei den Valentinianern eine Rolle (Lk. 1,35: exc. ex Theod. 23,3; 60; Hippol. ref. VI 35,3; Mt. 2,2: exc. ex Theod. 74,2; 75,2). 16 Die Verbindung der Lehre von der »Erleuchtung« Jesu mit den Aussagen von Lk. 1,35 in ref. VII 26,9 widerspricht der ursprünglichen basilidianischen Christologie und stellt sicher eine sekundäre Weiterbildung dar: s.u. Anm. 107. Durch die Übernahme der

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Hippolyt keine Originalschrift des Basilides exzerpiert hat, sondern einen Abriß der Lehre späterer Basilidianer benützte, der in der ihm vorliegenden Sammlung gnostischer Quellen enthalten war 1 7 . Trotzdem steht durch die Übereinstimmungen mit den Basilides-Zitaten und den sonstigen Angaben über die Lehre des Basilides bei Klemens von Alexandrien fest, daß die wesentlichen Grundgedanken von Hippolyts Referat auf den Schulgründer selbst zurückgehen. Irenäus dagegen, der ebenfalls eine ältere Quelle benützt, gibt anscheinend die Lehre von Basilidianern wieder, die die entscheidenden Gedanken des Schulgründers aufgegeben und in weitestem Ausmaß allgemein gnostische Vorstellungen aufgenommen haben 18 . Besonders auffallend ist, daß es sich bei Irenäus um ein reines Emanationssystem handelt, während nach Hippolyt gerade die Ablehnung des Emanationsgedankens für das Denken des Basilides charakteristisch war 1 9 . Der Unterschied zu der Lehre des Basilides, wie wir sie durch Klemens und Hippolyt kennen, ist so groß, daß man das von Irenäus referierte System nicht einmal Basilides-Schülern zuweisen möchte, die doch immerhin Zeitgenossen Isidors, des Sohnes des Basilides, gewesen sein müßten, der, wie es scheint, unverändert die Lehre seines Vaters vertrat 2 0 . Wie es bei einem Zweig der basilidianischen Schule so rasch zur völligen Preisgabe des ursprünglichen Ansatzes des Meisters kommen konnte, ist eines der vielen Rätsel der Geschichte des Gnostizismus, die wir nicht befriedigend lösen können 21 .

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großkirchlichen Evangelien waren die Basilidianer genötigt, auch die Geburtsgeschichten in ihrer Christologie zu berücksichtigen; vgl. die Deutung von Mt. 2,lf. in ref. VII 27,5. Hippolyt gibt an, er wolle die Lehre des Basilides, Isidors und ihrer Schule darstellen: ref. VII 20,1. In seinem Referat redet er bald von Basilides in der Einzahl, bald von Basilidianern in der Mehrzahl, sichtlich ohne dabei einen Unterschied machen zu wollen: 21,5; 22,3.6.7; 25,1; 27,7; vgl. P. Hendrix, De Alexandrijnsche Haeresiarch Basilides (Amsterdam 1926) 27 f. Auch Klemens von Alexandrien unterscheidet in seinen Mitteilungen nicht zwischen der Lehre des Basilides und der seiner Schüler (vgl. ström. II 36,1; 112,1); er hält lediglich den Basilidianern vor, dals ihre Lebensführung nicht den Lehren der Schulgründer entspreche (ström. III 3,3). Klemens scheint also von Veränderungen der basilidianischen Lehre in der Schulüberlieferung nichts gewußt zu haben (vgl. Foerster, System S. 243). So schon Uhlhorn S. 54ff.; vgl. Foerster, System S. 255. Ref. VII 22,2. Uhlhorn S. 63 erwägt valentinianischen Einfluß auf die Basilidianer des Irenäus; vgl. besonders die Äonenreihe haer. I 24,3. Die einzige auffallende Übereinstimmung zwischen Irenäus und Hippolyt besteht darin, daß beide auf die Abraxas-Spekulation der Basilidianer hinweisen: Iren. haer. I 24,7; Hippol. ref. VII 26,6. Bei Hippolyt handelt es sich jedoch um einen deutlich erkennbaren Einschub aus anderer Quelle, vielleicht nach Irenäus. Die 365 Himmel, die das Wort Abraxas durch seinen Zahlenwert symbolisiert, sind im Weltaufbau des von Hippolyt wiedergegebenen Systems überhaupt nicht unterzubringen. Zur Sache vgl. A. Dieterich, Abraxas (1891); Hendrix S. 6 1 - 6 3 . Man hat auf verschiedene Weise versucht, beide Systeme auf Basilides zurückzuführen: Hendrix S. 80f. vermutet, Irenäus habe die allgemein gnostischen Züge an der Lehre des

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Wir müssen uns zunächst den Gesamtaufriß des Systems, das sich von allen übrigen gnostischen Entwürfen deutlich abhebt, knapp vor Augen führen, um den Ort, den die Schöpfung in ihm einnimmt, bestimmen zu können 22 . Am Anfang ist das reine, unaussagbare Nichts. Es könnte sein, daß Basilides dieses ursprüngliche Nichts schon mit Gott gleichgesetzt hat 23 . Hippolyt bringt das aber nicht klar zum Ausdruck; er führt den »nichtseienden« Gott ein, ohne einen gedanklichen Übergang herzustellen 24 . Die Bezeichnung Gottes als »nichtseiend« kann nur als die Aussage einer bis zum Äußersten gesteigerten theologia negativa verstanden werden, wie sie für das gnostische Denken charakteristisch ist. Man wird vermuten

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Basilides hervorgehoben; eine derartige Tendenz ist bei Irenaus tatsächlich festzustellen: er will Basilides als Schüler Menanders und Genossen Saturnins schildern (haer. I 24,1). Andererseits betont er als Eigenart des basilidianischen Denkens die ungeheure Ausweitung der Spekulation (haer. I 24,3: ut altius aliquid et verisimilius invenisse videatur, in immensum extendit sententiam doctrinae suae); aber zur Erklärung der grundlegend verschiedenen Systemstruktur reicht dieser Hinweis auf die Motive, die Irenäus bei seiner Darstellung geleitet haben, nicht aus. Die Ketzerdarstellungen von haer. I 23—28 sind durchweg nach einem einheitlichen Schema gearbeitet und zeigen überraschende Gemeinsamkeiten. Nur eine redaktionsgeschichtliche Untersuchung dieses ganzen Abschnitts könnte die Tendenz und vielleicht auch den Ursprung des Referats über die Basilidianer klären; vgl. Beyschlag, Simon Magus S. 16 Anm. 19. R. McL. Wilson, The Gnostic Problem (London 1958) 126 f. will das irenäische System als die ursprüngliche, aus Antiochien mitgebrachte Lehre des Basilides bestimmen, während Hippolyt ein späteres, in Ägypten geschaffenes System vorführe. Dagegen ist einzuwenden, daß das von Irenäus beschriebene Emanationssystem viel eher nach Ägypten weist als das System bei Hippolyt. A. Orbe, Estudios Valentinianos I: Hacia la primera teologia de la procesion del Verbo (Rom 1958) 706 f. sucht in methodisch anfechtbarer Weise zu zeigen, daß sich der Emanationsgedanke auch mit der von Hippolyt gebotenen basilidianischen Lehre vereinbaren lasse. R. M. Grant, Gnostic Origins and the Basilidians of Irenaeus, Vig. Chr. 13 (1959) 121 — 125 findet die ursprüngliche Lehre des Basilides bei Hippolyt und erklärt die Entstehung des von Irenäus gebotenen Systems im Sinne seiner bekannten Theorie über die Entstehung der Gnosis aus den zerbrochenen Hoffnungen der jüdischen Apokalyptik (s. o. S. 51). Vgl. auch K. Rudolph, Gnosis und Gnostizismus, ein Forschungsbericht [VII], ThR 38 (1974, S. 1-25) 2 ff. Ausführliche Darstellungen bei Uhlhorn S. 5ff.; £. W. Möller, Geschichte der Kosmologie in der griechischen Kirche bis auf Origenes (1860) 344ff.; Hendrix S. 67ff.; Waszink, RAC I Sp. 1220-1222; Quispel, Gnostic Man S. 109ff.; Foerster, System S. 236-242; H.J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik (19672) 234—238. So Η. A. Wolfson, Negative Attributes in the Church Fathers and the Gnostic Basilides, Harv. Theol. Rev. 50 (1957, S. 145-156) 153ff. = Studies in the History of Philosophy and Religion I (Ges. Aufs., Cambridge/Mass. 1973, S. 131-142) 139ff.; vgl .J. Whittaker, Basilides on the Ineffability of God, Harv. Theol. Rev. 62 (1969) 367-371 (im übrigen mit Recht kritisch gegen Wolfson); Grant, Gnosticism and Early Christianity S. 144f. 21,1: έπεί (οΰν) οΰδέν (ήν) . . . (ό) ουκ ών θεός . . . κόσμον ήθέλησε ποιήσαι. Waszink, RAC I Sp. 1221 unterscheidet zwischen dem Nichts und dem nichtseienden Gott.

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dürfen, daß es sich dabei um eine bewußte Anknüpfung an die bekannte Aussage Piatons im Sonnengleichnis der Politeia handelt, daß die Idee des Guten »über das Sein an Würde und Kraft hinausragt«25. Dieser Text spielt jedenfalls in den Spekulationen des kaiserzeitlichen Piatonismus über das Verhältnis Gottes zum Sein eine fundamentale Rolle 26 . Der »nichtseiende« Gott schafft den kosmischen Samen, der in sich keimhaft die ganze Welt, die »Samenmischung« (πανσπερμία) des Kosmos enthält. Der Weltsame enthält drei »Sohnschaften«, die dem nichtseienden Gott wesensgleich sind, aber einen unterschiedlichen Grad der Reinheit besitzen. Die erste, »feinteilige« (λεπτομερής) Sohnschaft steigt sogleich im Augenblick der Erschaffung des Weltsamens zum nichtseienden Gott empor; die zweite Sohnschaft — sie wird als »grobteilig« (παχυμερης) bezeichnet — ist zu schwer, um allein aufzusteigen; sie wird vom heiligen Geist wie auf Flügeln emporgetragen, der jedoch selbst zurückbleiben muß und nicht in den Bereich Gottes gelangen kann, weil er nicht mit diesem wesensgleich ist27. Das Pneuma behält aber einen Duft der zweiten Sohnschaft, der bis in den irdischen Bereich herabdringt28, und wird zu einem »Firmament« (στερέωμα), das den kosmischen vom überkosmischen Bereich trennt 29 . Die Entstehung des Kosmos verläuft so, daß zuerst aus 25 26

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VI 509 Β. Vgl. ]• Whittacker, Έ π έ κ ε ι ν α νοϋ και ουσίας, Vig. Chr. 23 (1969) 9 1 - 1 0 4 ; zu Basilides S. 103. Allerdings hat erst Plotin eindeutig den Gedanken formuliert, daß das höchste götdiche Wesen, das Eine, insofern es überseiend ist, nichtseiend ist (vgl. Enn. V 5,6,5ff.; VI 9,3,37—39). Der Systematiker Porphyrios hat dann die Stufen des Seins und des Nichtseins in ein Ordnungsschema gebracht und stellt an die Spitze Gott als das »Nichtseiende über dem Seienden« (μή öv ύπέρ το δν): P. Hadot, Porphyre et Victorinus I (Paris 1968) 147—211. Die negative Theologie der Gnostiker ist also der philosophischen Enwicklung voraus: vgl. H. Dörrte, Die platonische Theologie des Kelsos in ihrer Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie, N A G 1967/2, S. 47. G. C. Stead, JThS N . S. 21 (1970) 485 weist zum Verständnis des Prädikats »nichtseiend« auf eine Stelle im »Apokryphen Jakobusbrief« des Codex Jung hin: »Ferner tadle ich euch, ο (ihr), die (ihr) existiert. Macht euch gleich denen, die nicht existieren, damit ihr entsteht mit denen, die nicht existieren« (13,13 — 17). Ist »Nichtsein« im Sinne der gnostischen Umwertung aller Werte die Vollkommenheit? 22,10. Diese Vorstellung von den Flügeln des Geistes ist, wie schon Hippolyt bemerkt, sicher vom platonischen Phaidros (246A) abhängig: vgl. Orbe, Variaciones gnosticas sobre las alas del Alma, Gregorianum 35 (1954) 18—55 und zur Geschichte des Bildes vom Seelenflug überhaupt P. Courcelle, Connais-toi toi-meme de Socrate ä Saint Bernard III (Paris 1975) 562 ff. 22,14f. Zu dieser Vorstellung vgl. Iren. haer. I 4,1 und E. Lohmeyer, Vom göttlichen Wohlgeruch, SAH 1919/9, S. 39. 22,13 ; 23,1—3. Zu dem Gedanken, daß der Geist ontologisch tiefer steht als die Sohnschaften und, dem valentinianischen Horos vergleichbar, die Grenze zwischen dem überkosmischen und dem kosmischen Bereich bildet, vgl. die ähnliche Vorstellung der Sethianer bei Hippol. ref. V 19,4 und die Bemerkungen von A. Dihle, ThW IX (1973) 659.

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d e m U r s a m e n der »große A r c h o n « hervorgeht. E r steigt bis z u m Firmament auf, ahnt jedoch nicht, daß es jenseits noch einen höheren Bereich gibt. E r schafft einen Sohn, der größer und weiser ist als er selbst, und gemeinsam schaffen beide den B e r e i c h der »Achtheit« (die Fixsternsphäre). Danach erhebt sich aus der Samenmischung ein zweiter A r c h o n , niedriger als der erste, dessen Bereich die »Siebenheit« (die Planetensphären) ist. E r schafft sich ebenfalls einen Sohn, der ihm überlegen ist. Die sublunare Welt besteht aus dem Rest der ungeformten Samenmischung. Sie ist keinem Archonten unterworfen, sondern in ihr vollzieht sich alles Geschehen »naturgemäß«, nach dem ursprünglichen Plan des höchsten Gottes30. Z u r Befreiung der dritten Sohnschaft, der »Kinder Gottes, auf deren Offenbarung die Schöpfung h a r r t « 3 1 , also der erwählten Gnostiker, k o m m t das Evangelium in die W e l t . D u r c h Vermittlung des heiligen Geistes erreicht es zuerst den Sohn des großen A r c h o n und durch diesen den A r c h o n selbst, der jetzt erst von der E x i s t e n z des wahren Gottes und der Sohnschaften erfährt. E r erschrickt, erkennt seine Unwissenheit und bekennt die Sünde, die er mit dem hochmütigen Glauben, der höchste G o t t zu sein, begangen h a t 3 2 . N a c h dem großen A r c h o n

30

31 32

23 f. Bei der Abgrenzung der drei kosmischen Bereiche ergibt sich ein Interpretationsproblem : die Unterscheidung von Ogdoas und Hebdomas weist auf die Sphären der Fixsterne und der Planeten, aber Hippolyt behauptet, daß der Herrschaftsbereich des großen Archon auch die gesamte Planetenwelt bis zum Mond einschließe (23,7; 24,3). Möller, Kosmologie S. 356 setzt deshalb die Ogdoas mit der Ätherregion und die Hebdomas mit der Mondsphäre gleich. Dies wäre jedoch ein ganz ungewöhnliches Einteilungsschema. Wahrscheinlich hat Hippolyt eine Konfusion angerichtet: Da er nachweisen will, daß Basilides von Aristoteles abhängig ist (ref. VII 14), konstruiert er offensichdich eine Verbindung zwischen den Aussagen seiner Quelle über den großen Archonten und der in der Kaiserzeit als aristotelisch geltenden Lehre, daß die Wirkung der Vorsehung nur bis zur Mondsphäre reiche (vgl. ref. I 20,6; VII 19,2 und A.J. Festugiere, L'ideal religieux des Grecs et l'fivangile [Paris 1932] 224ff.). So gelangt er zu der Behauptung, daß »der gesamte Ätherbereich, der sich bis zum Mond erstreckt«, von »der Entelechie des großen Archon in Fürsorge verwaltet« wird (προνοούμενα και διοικούμενα): ref. VII 24,3. (Mit der Darstellung der angeblichen aristotelischen Lehre in ref. VII 19,2 besteht deutliche Übereinstimmung). In Wirklichkeit hat Basilides gelehrt, daß alles, auch das irdische Geschehen, von der Vorsehung des höchsten Gottes gelenkt wird (Clem. Al. ström. IV 82,2; Hippol. ref. VII 24,5; nach Clem. Al. ström. IV 88,3 wirkt die Pronoia des höchsten Gottes anscheinend auch durch den großen Archon). Vielleicht ist eine zweite Ursache für Hippolyts Fehlinterpretation darin zu sehen, daß in seiner Vorlage von einem Wirken der Archonten auch in den unter ihnen liegenden Seinsbereichen die Rede war: vgl. ref. VII 25,2—4. In vergleichbarer Weise greift bei den Valentinianern die Sophia über ihren eigendichen Bereich, die Ogdoas, in die Hebdomas, den Bereich des Demiurgen, aus (vgl. Hippol. ref. VI 33). 25,1.5 (Kombination aus Rom. 8,19 und 22). 2 6 , 1 - 4 ; Clem. Al. ström. II 3 5 , 5 - 3 6 , 1 .

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empfängt die gesamte Ogdoas das Evangelium. Der Sohn des Archon der »Achtheit« gibt das Licht des Evangeliums an den Sohn des Archon der »Siebenheit« weiter, von diesem empfängt es der Archon selbst, und danach wird ebenfalls sein ganzer Herrschaftsbereich erleuchtet. Von hier kommt das Licht auf Jesus herab; er vermittelt es der dritten Sohnschaft, die nun ebenfalls zum nichtseienden Gott aufzusteigen vermag. Die universale Erlösung besteht darin, daß alle Vermischung im Kosmos beseitigt wird und alles Seiende in den Bereich gelangt, dem es seiner Natur nach zugehört. Jesus ist der Erstling der kosmischen »Scheidung« (φυλοκρίνησις), die durch sein Leiden eingeleitet wird 33 . Nachdem dieser Prozeß abgeschlossen ist, bringt Gott die »große Unwissenheit« über den Kosmos, damit alles in dem »naturgemäßen« Zustand bleibt. Kein Wesen weiß mehr von einem höheren Seinsbereich als seinem eigenen34. Die Kosmologie des Basilides unterscheidet sich grundlegend von der Lehre der übrigen Gnostiker. Nach der vorherrschenden Anschauung entfaltet sich zunächst nur die himmlische Welt, und erst durch die Auflehnung und den Sturz eines der himmlischen Wesen entsteht der Kosmos. Basilides hingegen läßt durch den einen Schöpfungsakt des höchsten Gottes bereits die gesamte Wirklichkeit, von den Sohnschaften und den Archonten bis zur irdischen Welt, potentiell ins Dasein treten; sie entfaltet sich nur noch in Raum und Zeit 35 . Es ereignet sich keine präkosmische Katastrophe, sondern der gesamte kosmische Prozeß entwickelt sich nach dem ursprünglichen Plan Gottes 36 . Die Schöpfung erfolgt aus dem reinen, bestimmungslosen Nichts. Die Hippolyt vorliegende Quelle scheint in einer langen, antithetisch gehaltenen Aufzählung ausgeführt zu haben, daß es im Augenblick der Schöpfung keine Materie, keine Substanz, nichts Substanzloses, nichts Einfaches, nichts Zusammengesetztes, schlechterdings kein bestimmtes Wirkliches gegeben habe 37 . Die Welt ist voraussetzungslos aus dem Nichts geworden. Die Weltschöpfung erfolgt durch den Willen und das Wort Gottes. Eine Reihe von negativen Bestimmungen soll freilich von der Vorstellung eines göttlichen Willensentschlusses alle anthropomorphen Züge fernhalten 38 . Auch die Aussage »Gott wollte« wird für nur uneigentlich gültig erklärt, da Gott weder Willens33 34

35 36 37 38

27,8-12. 27,Iff.

22,1. 22,6; 23,6; 24,5; vgl. 27,4. 21,1. 21,1 f. Die Aussage, daß Gott άνοήτως und άνακΛήτως den Kosmos schaffen wollte, deutet Qutspel, N o t e sur »Basilide«, Vig. Chr. 2 (1958) 115f. so, daß Gott unbewußt schafft und daß vor der Schöpfung die Dinge unbewußt in ihm präexistierten. Der Text will jedoch in Wirklichkeit wohl zum Ausdruck bringen, daß nur uneigentlich und mangels eines besseren Ausdrucks von einem göttlichen Willensakt geredet werden kann.

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noch Verstandesregungen noch Affekte kennt 3 9 . Trotzdem ist der Satz, daß Gott durch seinen Willen die Welt geschaffen hat, die angemessenste Umschreibung für einen im Grunde unaussagbaren Vorgang 4 0 . D e r vom »nichtseienden« Gott geschaffene Kosmos wird selbst als »nichtseiend« gekennzeichnet 4 1 . Auf den ersten Blick möchte man diese Qualifizierung für eine karikierende Behauptung Hippolyts oder seiner Vorlage halten. Aber der Aussage ist durchaus ein Sinn abzugewinnen: durch den Schöpfungsakt des »nichtseienden« Gottes entsteht lediglich der Weltsame, der sich zur überkosmischen und kosmischen Wirklichkeit erst schrittweise entfaltet. Unter dem Gesichtspunkt, daß alles Seiende nur potentiell, als »Samenmischung«, in dem Weltsamen gegenwärtig ist, kann man diesen als »nichtseiend« bezeichnen. Der Begriff »nichtseiend« würde in diesem Fall nicht die Seinstranszendenz meinen wie beim höchsten Gott, sondern die Potentialität des noch nicht aktuell Verwirklichten 4 2 . Die bildhafte Weltsamenlehre ist durchaus nicht naiv. Philosophische Anklänge sind deutlich. Das Bild vom Samen wird vor allem in der Stoa verwendet 43 . Der Weltlogos enthält in sich die »Spermatikoi Logoi« und kann als das Weltfeuer selbst Same des Kosmos genannt werden 4 4 . Auch zur Erläuterung ihrer Heimarmenelehre ziehen die Stoiker das Bild vom Samen heran: die Heimarmene, die unter einem anderen Aspekt als die Pronoia erscheint, ist die Summe der in der Welt wirkenden, von Gott ausgehenden Ursachen. In den Ursachen aber sind für G o t t die in der Zeit noch nicht verwirklichten Dinge schon gegenwärtig. Eben dieser Gedanke kann nun durch den Vergleich mit dem Samen, in dem alles, was aus ihm entstehen wird, schon angelegt ist, veranschaulicht werden 4 5 . Ähnliche 39

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43

44 45

21,1 f.: άνσητως, άναισθητως, άβούλως, άπροαιρέτως, άπαθώς, άνεπιθυμήτως κόσμον ήθέλησε ποιήσαι. tö δέ ήθέλησε λέγω, φησί, σημασίας χάριν, άθελήτως και άνσήτως και άναισθητως. In dem Fragment bei Clem. Al. ström. IV 86,1 redet Basilides vom »sogenannten Willen Gottes«. VII 21,4 (u. Anm. 55); X 14,1. Zur Präexistenz der Wirklichkeit im Weltsamen vgl. VII 2 1 , 2 - 5 ; 22,1.6; X 14,2. Der Terminus »Samenmischung« (Panspermia) erscheint VII 21,·4f.; 22,16; 23,3.4.6; 24,3.5; 25,1; 27,11; X 14,5. Zum Begriff des Samens in der epikureischen Physik vgl. C. Bailey, The Greek Atomists and Epicurus (Oxford 1928) 343 f. Vgl. M. Pohlenz, Die Stoa I (19704) 78f.; II (19724) 45. Vgl. Cicero, de divin. I 128 (auf Poseidonios fußend): Ut in seminibus vis inest earum rerum quae ex iis progignuntur, sie in causis conditae sunt res futurae; Seneca, nat. quaest. III 29,3: Ut in semine omnis futuri hominis ratio comprehensa est et legem barbae canorumque nondum natus infans habet — totius enim corporis et sequentis actus in parvo occultoque liniamenta sunt — sie origo mundi non minus solem et lunam et vices siderum et animalium ortus quam quibus mutarentur terrena continuit; dazu W. Theiler,

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Vorstellungen begegnen uns bei Basilides: im Weltsamen existiert potentiell bereits alles, was sich in der Zeit verwirklichen wird 46 , und der ganze Prozeß der Weltentfaltung läuft nach dem vom überseienden Gott festgelegten Plan ab 4 7 . In der Weltsamenlehre des Basilides könnten also stoische Motive wirksam sein 48 . Der Terminus »Panspermia« hat wohl schon in der Vorsokratik eine Rolle gespielt 49 und wird von Piaton im Timaios für die Mischung der Elemente gebraucht, aus der der Demiurg das Mark des menschlichen Körpers herstellt 50 . Basilides könnte auch diesen Begriff aus der philosophischen Tradition haben. Nach dem Aufstieg der ersten beiden Sohnschaften und der Erschaffung von Ogdoas und Hebdomas bildet dann der Rest der Panspermia die irdische Welt, die »Gestaltlosigkeit«, in der die dritte Sohnschaft ihre Gestaltung und Reinigung erfährt 51 . Der Vorgang der Erschaffung des Weltsamens wird mit dem Verbum καταβάλλειν und dem entsprechenden Substantiv καταβολή bezeichnet, den gebräuchlichen Termini für das Ausstreuen oder Einsenken des Samens. Sicher liegt aber zugleich auch eine Anknüpfung an den von der christlichen Sprache gern zur Bezeichnung der Weltschöpfung verwendeten Ausdruck καταβολή κόσμου vor. Die »Aussaat« des Weltsamens besteht in seiner Erschaffung 52 . Überdies war καταβολή ein prägnanter Gegenbegriff zu προβολή, dem valentinianischen Terminus für die Emanation, die von Basilides verworfen wurde. Schwer deutbar bleibt hingegen die Lehre von den drei Sohnschaften. Die dritte Sohnschaft ist mit den erwählten Gnostikern identisch. Die Funktion der beiden anderen Sohnschaften besteht darin, daß sie nach ihrem Aufstieg zum nichtseienden Gott, der sofort nach der Erschaffung des Weltsamens stattfindet, die überhimmlische Welt konstituieren und später das Licht des Evangeliums, die

Tacitus und die antike Schicksalslehre, in: Forschungen zum Neuplatonismus (1966, S. 4 6 - 1 0 3 ) 55ff. 4 4 S. o. Anm. 42. 4 7 Das Stichwort »Pronoia« erscheint in zwei Fragmenten bei Clem. Al. ström. IV 88,3; 82,2; s. u. S. 8 2 - 8 4 . 4 8 So schon Uhlhorn S. 1 2 - 1 6 ; Möller S. 347f. 4 9 Vgl. Aristoteles, de gen. et corr. I 1 (314a 29f.) über Anaxagoras und de caelo III 4 (303a 16); de an. I 2 (404a 4); phys. III 4 (203a 2lf.) über Leukipp und Demokrit. 5 0 7 3 C ; vgl. Α. E. Taylor, A Commentary on Plato's Timaeus (Oxford 1928) 522; Festugiere, L'ideal religieux S. 247 Anm. 3. 5 1 22,15f.; 24,5; 25,6; 26,7.10; 27,9f.l0.12. " Mt. 13,35; 25,34; Lk. 11,50; Joh. 17,24; Eph. 1,4; Hebr.4,3; 9,26; vgl. 11,11; I. Petr. 1,20; Apk. 13,8; vgl. Origenes, princ. Ill 5,4: scripturae sanctae conditionem mundi novo quodam et proprio nomine nuncuparunt, dicentes καταβολήν mundi. zu den Wortbedeutungen vgl. F. Hauch, ThW III (1938) 623; W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments (1958 5 ) 808 f.

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Gnosis, in die Welt senden 53 . Die ersten beiden Sohnschaften könnte man mit der Christologie in Verbindung bringen, und vielleicht sind in diesem ganzen Stück basilidianischer Spekulation auch uminterpretierte philosophische Anschauungen verarbeitet 54 . Gott schafft den Kosmos auf Grund seines Willensentschlusses allein durch sein machtvolles Wort aus dem Nichts 55 . Der Weltsame entsteht also weder auf dem Wege der Emanation noch durch die Gestaltung einer präexistenten Materie. Hippolyts Quelle vollzog diese doppelte Abgrenzung in zwei Bildern: Gott bringt weder Emanationen hervor wie eine Spinne ihre Fäden, noch bedarf er eines Stoffes »wie ein sterblicher Mensch, der Erz, Holz oder sonst einen Teil der Materie nimmt, wenn er etwas verfertigt« 56 . Die Zurückweisung der Emanationsvorstellung richtet sich zweifellos gegen andere Gnostiker, wahrscheinlich gegen die Valentinianer. Die mit dem Emanationsgedanken verbundene stoffliche Vorstellung einer Teilung und Verminderung des göttlichen Wesens war den Basiiidianern, die jede Seinsaussage über Gott für unzulänglich erklärten, offenbar unerträglich 57 . 53 54

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2 2 , 7 - 1 6 ; 25,6-26,1. M. Simonetti, Testi gnostici cristiani (Bari 1970) 105 Anm. 40 sieht in den drei Sohnschaften den Nus (den Sohn des höchsten Gottes), den pneumatischen Christus und die Pneumatiker. Quispel, Gnostic Man S. 112—115 vermutet eine Entsprechung zu der Unterscheidung von göttlichem Nus, Weltnus und menschlichem Nus im hermetischen Asclepius 32; die gleiche Konzeption findet er in den Chaldäischen Orakeln (fr. 7.8.53 des Places) und bei Amobius II 25; zustimmend Krämer S. 236; vgl. auch Chr. Elsas, Neuplatonische und gnostische Weltablehnung in der Schule Plotins (1975) 138 ff. W. Scbmid, Art. Epikur, RAC V (1962) 800 vermutet im Anschluß an H. Leisegang, Die Gnosis (1955 4 ) 230, daß die aus der Vorsokratik stammenden Termini λεπτομερής und παχυμερης, mit denen Basilides die erste und die zweite Sohnschaft bezeichnet (22,7.12; 25,1; 26,10; 22,9f.), ihm durch die Physik Epikurs vermittelt wurden. Ein offenkundiger Widerspruch besteht zwischen den Aussagen über die Erschaffung der Sohnschaften (vgl. 22,7) und der Behauptung ihrer Homousie mit dem höchsten Gott (22,7.12). Orbe, Hacia la primera teologia S. 699 - 709 nimmt deshalb an, die Sohnschaften seien durch Emanation aus dem höchsten Gott hervorgegangen, und versteht die »Katabole« als ihre Versetzung in den irdisch-materiellen Bereich. 21,4: οϋτως ό οΰκ ών θεός έποίησε κόσμσν οΐικ δντα έξ ούκ δντων, καταβαλόμενος και ύποστήσας σπέρμα τι Ιν Εχον πάσαν έν έαυτφ την τοϋ κόσμου πανσπερμίαν. Vgl. 22,4.7.12; Χ 14,1. Schöpfung durch das Wort: 22,3. 22,2: έπεΐ bk ήν άπορον ειπείν προβολήν τινα τοϋ μή δντος θεοΰ γεγσνέναι τό οΐικ δν — φεύγει γάρ πάν» και δέδοικε τάς κατά προβολήν τών γεγονότων ούσίας δ Βασιλείδης —, ποίας γάρ προβολής χρεία ή ποίας ΰλης ύπόθεσις, ϊνα κόσμον θεδς έργάσηται, καθάπερ ό άράχνης τά μηρύμαχα ή θνητός άνθρωπος χαλκόν ή ξύλον ή τι τών της ΰλης μερών έργαζόμενος λαμβάνει; Vgl. Baur, Das System des Gnostikers Basilides S. 141 Anm. 1; Möller, Kosmologie S. 346. Zum Emanationsbegriff und seiner Problematik vgl. Dörrte, Emanation - ein unphilosophisches Wort im spätantiken Denken, in: Parusia. Studien zur Philosophie Piatons und zur Problemgeschichte des Piatonismus (Festschr. J. Hirschberger, 1965) 119—141. Simo-

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Die Lehre von der Weltbildung aus der präexistenten Materie lehnt Basilides ab, weil sie anthropomorph ist und die Allmacht Gottes einschränkt. Gott ist nicht an die Voraussetzungen gebunden, die für einen irdischen Künstler oder Handwerker gelten. Diese Kritik des Basilides an der Vorstellung, daß Gott wie ein Künstler einen vorhandenen Werkstoff bearbeitet, stellt die früheste uns deutlich faßbare explizite Auseinandersetzung mit dem philosophischen Weltbildungsmodell in der Geschichte der christlichen Theologie dar 58 . Der erste kirchliche Theologe, der erklärt, das Schaffen Gottes müsse anders gedacht werden als das eines menschlichen Künstlers, ist Theophilus von Antiochien, der bereits der auf Basilides folgenden Generation angehört. Von nun an hat die These, daß die göttliche Schöpfungstätigkeit dem künstlerischen Schaffen überlegen sein müsse, ihren festen Platz in der Auseinandersetzung mit der Weltbildungslehre59. Noch Johannes Philoponus bedient sich gegen Proklos dieses Arguments, freilich in einer differenzierteren Form: er unterscheidet zwischen dem »Schaffen« der Kunst und dem der Natur und stellt beidem das Schaffen Gottes gegenüber. Während die Techne nur die Elemente neu zusammenzusetzen vermag, bringt die Physis außerdem die είδη der Lebewesen aus dem Nichts hervor. Die Überlegenheit des göttlichen Schaffens über das von Techne und Physis muß dann darin bestehen, daß Gott auch die Materie aus dem Nichts schafft 60 . Man möchte die Ablehnung des Weltbildungsmodells als eine notwendige Konsequenz aus der biblischen Schöpfungsvorstellung begreifen, die in dem Augenblick, in dem die Christen begannen, sich mit der philosophischen Ontotogie auseinanderzusetzen, sich nahezu von selbst ergeben mußte. Und tatsächlich muß die Unvereinbarkeit des biblischen Schöpfungsbegriffs mit dem Weltbildungsgedanken sehr bald in weiten christlichen Kreisen empfunden worden sein, denn sonst hätte sich die Lehre von der creatio ex nihilo in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts nicht so rasch durchsetzen können. Wir haben jedoch bereits gesehen, daß Philo und das hellenistische Judentum in der Konfrontation mit der philosophischen Tradition nicht zu dieser Folgerung gelangt sind, und auch die Aussagen von Justin, Athenagoras, Hermogenes und noch von Klemens von Alexandrien über die Weltschöpfung zeigen, daß platonisch ge-

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netti, Testi S. 104 Anm. 37 verweist auf die Kritik des Origenes an der Emanationsvorstellung: princ. I 2,6; IV 4,1. Die mittelplatonische Dreiprinzipienlehre setzt gerade den Vergleich Gottes mit einem Künstler voraus: vgl. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplatonismus (19642) 17ff. Theophil. Autol. II 4; vgl. Iren. haer. II 10,4; Origenes, comm. Gen. fr. bei Eus. praep. ev. VII 20; Dionys. Alex. adv. Sab. fr., ebd. VII 19,6; Ps. Justin, cohort, ad Graec. 22; Athanas. de incarn. 2; or. c. Ar. II 22; Basil, hexaem. II 2; Theodoret, Graec. äff. cur. IV 36.50—52.68; Chalcid. in Tim. 278; Augustin, Gen. c. Manich. I 6,10; conf. XI 5,7; Joh. Damasc. exp. fid. 8,69-76 (I 8). De aet. mundi IX 9; vgl. Simplicius, in phys. VIII 1 (S. 1142,iff. Diels).

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schulte Christen die Annahme einer ungewordenen Materie durchaus mit dem biblischen Monotheismus und der Allmacht Gottes für vereinbar halten konnten, ja daß sie gar nicht im Stande waren, die Weltschöpfung ohne diese Voraussetzung zu denken 61 . Warum lehnt also gerade Basilides, der älteste mit dem Piatonismus wirklich vertraute christliche Denker, den wir kennen, die Weltbildungslehre grundsätzlich ab? Die entscheidende Voraussetzung ist zunächst, daß Basilides seinen höchsten Gott im gemeinchristlichen Sinn als den allmächtigen Schöpfer versteht 62 . Aber zu dieser Grundanschauung mußte ein weiteres Motiv hinzutreten, das die Ablehnung des platonischen Modells erst voll verständlich macht: Die Vorstellung von der absoluten Transzendenz und Weltüberlegenheit Gottes verbietet es, sich sein Schaffen nach innerweltlichen Analogien vorzustellen. Zwischen der Lehre vom »Nichtsein« Gottes und dem Gedanken der Schöpfung aus nichts besteht zweifellos ein Korrespondenzverhältnis. Der gnostische höchste Gott produziert in einer schlechthin wunderbaren Weise, wie es seiner grenzenlosen Macht entspricht. Sein »Schaffen« ist über alle irdischen Schöpfungsvorgänge in unvergleichbarer Weise erhaben und eben deshalb nur negativ zu umschreiben. Eine entsprechende, höchst aufschlußreiche Darlegung über das Wirken des höchsten Gottes lesen wir in dem valentinianischen »Tractatus Tripartitus« des Codex Jung: »Denn es gibt keinen anderen, der existierte mit Ihm, seit Anbeginn, oder einen Ort, in welchem Er existiert oder von dem Er hervorkomme oder zu dem Er sich (zurück)wenden würde, oder eine Urgestalt, (die) er als Vorbild brauchte, indem er wirkt (wörtlich: arbeitet), oder ein Leiden, das Ihm währe, an dem anhaftend (wörtlich: folgend), was Er macht, oder eine Materie, die bei Ihm gelagert (wörtlich: niedergelegt) wäre (und) die aus sich (selbst) die (Dinge) bilden würde, die Er bildet, oder ein Wesen, das in Ihm wäre, woraus er die (Dinge) zeugen würde, die Er zeugt, oder mit ihm, (irgend)ein Mitarbeiter, der mit Ihm arbeiten würde, an den (Dingen), an denen Er arbeitet, — so daß er sagen würde: ,Es ist Ungelehrtheit'« 63 . Die Aussage, daß es weder ein Urbild, nach dem Gott schafft, noch eine präexistente Materie gibt, richtet sich vermutlich direkt gegen das mittelplatonische Dreiprinzipienschema 64 und deckt sich mit dem Satz des Basilides, daß Gott nicht wie ein menschlicher Handwerker vorzustellen sei. Der

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S. u. S. 122ff. Auch in den beiden Fragmenten Clem. Al. ström. II 36,1 und IV 88,3 scheint mit dem »über alles Waltenden« und dem »Gott des Alls« der höchste Gott gemeint zu sein. 5 3 , 2 3 - 3 9 ; vgl. zum Text die Anmerkung der Herausgeber zu p. 5 3 , 2 1 - 2 3 : I S. 288. Etwas anders und klarer die französische Ubersetzung von p. 53,27—33: »ou un archetype dont il se serve en guise de modele quand il se met ä l'ceuvre, ou une fatigue qui l'affecterait et l'accompagnerait en son ouvrage, ou une matiere adjacente ä lui de laquelle il creerait ce qu'il cree«. Dies nehmen die Herausgeber des Tractatus Tripartitus an: I S. 315 (Anm. zu p. 53,31).

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höchste Gott ist das einzige Prinzip des Alls 6 5 . Dies bedeutet freilich nicht, daß im Tractatus Tripartitus der höchste Gott die Welt aus nichts schafft oder daß ihm überhaupt ein Schaffen im eigentlichen Sinn zugeschrieben würde. Der valentinianische Urvater bringt lediglich das Pleroma hervor, und dies geschieht ausschließlich auf dem Wege der Emanation 66 . Schöpfungsvorgänge gibt es erst außerhalb des Pieromas 67 , und diese werden von den Valentinianern nach dem Weltbildungsschema vorgestellt: die materialisierten Affekte der Sophia dienen dieser selbst und dem Demiurgen als Stoff für ihr Schaffen 68 . Eine ähnliche Unterscheidung ist uns bei Markion begegnet, der den Demiurgen als Weltbildner denkt, während er den fremden Gott die himmlische Welt auf eine unaussagbare Weise hervorbringen läßt. Basilides dagegen betrachtet im Gegensatz zur übrigen Gnosis gerade den höchsten, über das Sein und alle Vielheit erhabenen Gott auch als den Weltschöpfer und weist den Archonten lediglich die Funktion von Unterdemiurgen zu 6 9 . Von diesem Ansatz aus muß er zu der Folgerung gelangen, daß Gott den Kosmos nur aus dem Nichts geschaffen haben kann 70 . 65

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So Ptolemäus, ad Flor. 7,8; vgl. 7,6. Weiteres Material zum gnostischen Gottesbegriff und seinen Quellen findet sich bei W. R. Schoedel, »Topological« Theology and some Monistic Tendencies in Gnosticism, in: Essays on the Nag Hammadi Texts in Honour of A. Böhlig (Leiden 1972) 88-108. Vgl. Tract. Tripart. 56,iff. Im Tractatus Tripartitus schafft der Demiurg durch das Wort: 101,6f.; 102,10f. S. u. S. 104ff. Aus Hippolyts Bericht geht nicht deutlich hervor, wie das Schaffen der Archonten vorzustellen ist: alles ist potentiell bereits mit der Erschaffung des Weltsamens entstanden, und gerade für den irdischen Bereich soll diese erste Schöpfung genügen (24,5); vgl. Foerster, System S. 237f. und oben S. 69ff. Daß Basilides wirklich eine creatio ex nihilo lehrt, betonen Quispel, Gnostic Man S. 122 und Kretschmar, Art. Basilides Sp. 909. Dagegen lehnen Uhlhorn S. 10 und Möller S. 347f. es ab, von einer creatio ex nihilo bei Basilides zu reden, weil der Satz, Gott habe den Kosmos durch seinen Willen geschaffen (21,lf.), nur uneigentlich gelte und die Schöpfung im Grunde als Naturprozeß gedacht sei. Aber Basilides wird durch seinen negativen Gottesbegriff gezwungen, alle bestimmten Aussagen über Gott wieder einzuschränken. Bei Basilides liegen die wesentlichen Elemente der Lehre von der creatio ex nihilo vor: die Ablehnung des Emanations- und des Weltbildungsmodells und positiv der Gedanke der Schöpfung »aus dem Nichts« durch den Willen und das Wort Gottes. Die Schöpfung durch das Wort spielt auch in der Vulgärgnosis eine gewisse Rolle, steht aber dort nicht im Zusammenhang einer durchdachten Schöpfungstheorie und soll wohl vor allem das Wunderbare des Vorgangs betonen: vgl. »Schrift ohne Titel« 148,14-19 (wohl eine Anspielung auf Joh. 1,1; vgl. Böhlig z. St.); 148,33f.; 150,14; Apocr. Joh., BG 31,17; 43,8; Sophia Jesu Christi 115,11 — 14. G.Scholem, Schöpfung aus Nichts und Selbstverschränkung Gottes, Eranos-Jb. 25/1956 (1957, S. 87-119) lOOf. will bei Basilides das erste Auftreten der mystischen Vorstellung finden, daß Gott das Nichts sei und aus sich selbst die Schöpfung hervorbringe. Er betont jedoch, daß die Idee des Basilides »in keiner Weise systematisch und prinzipiell durchdacht« sei (S. 101).

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Es ist kaum daran zu zweifeln, daß Basilides an die traditionellen jüdischchristlichen Aussagen über Gottes Schaffen »aus dem Nichtseienden« angeknüpft hat 7 1 . Wir haben jedoch gesehen, daß diese Formeln von Haus aus keineswegs die Vorstellung von der Präexistenz der Materie ausschlossen. Basilides ist der erste uns bekannte christliche Theologe, der von einer Schöpfung aus nichts im eigentlichen Sinne redet. So stellt sich die Frage, ob Basilides die Idee der creatio ex nihilo selbständig entwickelt hat, oder ob sie ihm womöglich bereits von irgendeiner Seite vorgegeben war. Für die Annahme, daß Basilides die Lehre von der creatio ex nihilo bereits aus einer bestimmten Tradition kannte, könnte die folgende Überlegung sprechen: wir besitzen die — freilich nicht über jeden Zweifel erhabene — Nachricht des Irenaus, daß Basilides ursprünglich aus Syrien kam 7 2 . Der erste Theologe, der nach Basilides den Weltbildungsgedanken abgelehnt und ausdrücklich die creatio ex nihilo behauptet hat, ist aber Theophilus von Antiochien gewesen. Sein verlorenes Werk gegen Hermogenes, in dem er die Lehre von der creatio ex nihilo ausführlich begründete, und seine Bücher an Autolykos sind zwar erst in den siebziger Jahren entstanden, aber aus seinen erhaltenen Aussagen kann man den Eindruck gewinnen, daß für ihn die creatio ex nihilo bereits als traditionelle christliche Anschauung galt 73 . Nimmt man noch hinzu, daß das in Const. Apost. VII 34 f. verarbeitete jüdische Gebet, das sicher aus Syrien stammt, zumindest Ansätze zum Gedanken der creatio ex nihilo zeigt 7 4 , so erscheint der Rückschluß immerhin möglich, daß schon vor Basilides, d. h. zu Beginn des zweiten Jahrhunderts, in Antiochien der Begriff der creatio ex nihilo vertreten worden sein könnte. Es ist jedoch keineswegs notwendig, eine solche hypothetische Lehrtradition zu rekonstruieren, um den Schöpfungsbegriff des Basilides aus ihr abzuleiten zu können. Die Verbindung der biblischen Schöpfungsüberlieferung mit spezifisch gnostischen Vorstellungen über die Inkommensurabilität des göttlichen Handelns dürfte hinlänglich erklären, wie Basilides dazu kam, die These der creatio ex nihilo aufzustellen. Man kann durchaus mit älteren Stufen der Lehre von der creatio ex nihilo rechnen, darf sie aber keinesfalls auf einen einzigen Ursprung zurückführen wollen. Der Gedanke der creatio ex nihilo ergab sich mit innerer Notwendigkeit, sobald man sich des impliziten Dualismus der Weltbildungslehre bewußt wurde

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Basilides scheint in raffinierter Weise das Thema des Nichtseins abgewandelt zu haben: Gott ist nichtseiend als der Uberseiende, der im Weltsamen präexistierende Kosmos ist nichtseiend, weil er sich noch in Raum und Zeit verwirklichen muß (vgl. Hipp. ref. VII 22,1.6; X 14,2), und der Weltsame wird aus dem Nichtseienden im absoluten Sinn, dem Nichts, geschaffen. So auch Grant, Gnosticism and Early Christianity S. 143 f. S. o. S. 55. S. u. S. 159f. S. o. S. 22 Anm. 56.

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und erkannte, daß sie dem Glauben an Gottes Allmacht widersprach. Deshalb ist es auch überflüssig, um jeden Preis nach unmittelbaren Vorbildern und Quellen für die creatio-ex-nihilo-Lehre des Basilides zu jagen. Wir werden noch sehen, daß auch Tatian offenbar unabhängig von vorgegebenen Traditionen um des monotheistischen Prinzips willen die Ewigkeit der Materie bestritten hat, freilich ohne noch von einer Schöpfung »aus nichts« zu reden 7 5 . Für Basilides dürfte ähnliches gelten. Man kann lediglich voraussetzen, daß ihm die älteren Formeln, die von einer Schöpfung aus nichts sprachen, vertraut waren. Nach dem Referat Hippolyts fanden die Basilidianer die Erschaffung des Weltsamens in Gen. 1,3 dargestellt: Das Licht entstand aus dem Nichts, denn es steht nicht geschrieben, woher es entstand, sondern lediglich, daß es aus der Stimme dessen, der sprach, entstand. »Weder der Sprechende existierte, noch war, was entstand. Der Weltsame entstand aus dem Nichts, er war das Wort ,Es werde L i c h t ' « 7 6 . Der Gedankengang ist in der Wiedergabe durch Hippolyt oder schon seine Quelle sicher verkürzt und vielleicht bewußt karikiert worden. Dennoch ist zu erkennen, daß die Basilidianer in einer strengen Wortexegese des Genesisverses nachzuweisen versuchten, daß der Weltsame nur aus dem Nichts geschaffen sein könne. Wird der Weltsame zunächst mit dem Licht gleichgesetzt, so scheint er unmittelbar danach als das Schöpfungswort verstanden zu werden, und wenn anschließend noch J o h . 1,9 herangezogen wird, treffen beide Deutungen zusammen 7 7 . Es ist kaum zu entscheiden, ob der Weltsame zunächst ausschließlich mit dem Licht von Gen. 1,3 identifiziert wurde und erst nachträglich, unter dem Einfluß der Gleichsetzung von Licht und Logos im Johannesevangelium, die Deutung auf das Schöpfungswort hinzugefügt wurde, oder ob die uns vorliegende Interpretation des Genesisverses den Bezug auf das Johannesevangelium bereits voraussetzt 7 8 . Basilides selbst hat das vierte Evangelium vielleicht benutzt, es aber sicher nicht förmlich zitiert 7 9 , und wir können deshalb die ganze exegetische Aus-

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S. u. S. 152 ff. 22,3t.: άλλά »είπε«, φησί, »και έγένετο«, και τοϋτό έστιν, ώς λέγουσιν ot άνδρες οΰτοι, το λεχθέν ΐιπο Μωσέως· »γενηθήτω φως, και έγένετο φως«, πόθεν, φησίν, γέγονε τό φως; έξ ούδενός' ού γαρ γέγραπται, φησίν, πόθεν, άλλ' αίιτο μόνον έκ της φωνής τοϋ λέγοντος· ό δέ λέγων, φησίν, ούκ ήν, ουδέ το γενόμενον ήν. γέγονέ, φησιν, έξ ούκ δντων τό σπέρμα τοϋ κόσμου, ό λόγος ό λεχθείς »γενηθητω φως«. 22,4f.: και τοϋτο, φησίν, έστι τό λεγόμενσν έν τοις εϋαγγελίοις »ήν τό φως τό άληθινσν, δ φωτίζει πάντα άνθρωπον έρχόμενον είς τόν κόσμον«. λαμβάνει τάς άρχάς άπό τοϋ σπέρματος έκείνου καϊ φωτίζεται. Orbe, Α propösito de Gen. 1,3 (fiat lux) en la exegesis de Taciano, Gregorianum 42 (1961, S. 401—443) 430—435 versucht zu zeigen, daß nicht nur die Basilidianer, sondern auch Tertullian und Origenes eine feste exegetische Tradition kannten, in der Gen. 1,3 und Joh. 1,9 verbunden waren. S. o. S. 65f.

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führung nur für spätere Basilidianer in Anspruch nehmen. Ist der Weltsame mit dem göttlichen Logos identisch, so müßte man ihn wohl — im Widerspruch zu den Aussagen über seine Erschaffung — als eine Emanation des höchsten Gottes ansehen 8 0 . Diese Vorstellung würde erklären, warum die ursprünglich im Weltsamen befindlichen drei Sohnschaften als wesensgleich mit dem höchsten Gott gedacht werden können, dagegen läßt sie sich kaum mit der Anschauung vereinbaren, daß der Weltsame keimhaft den gesamten Kosmos, nicht nur die Sohnschaften, in sich enthält, und, nachdem die Archonten ihre Schöpfung vollendet haben, die irdisch-materielle Welt repräsentiert. Wir stoßen hier wieder auf eine Unausgeglichenheit im Bericht Hippolyts, die sich nicht harmonisieren läßt. Aus den bei Klemens von Alexandrien erhaltenen Fragmenten wissen wir, daß Basilides sich intensiv mit dem Problem der menschlichen Sünde und Schuld auseinandergesetzt hat 8 1 . Der von Hippolyt wiedergegebene Mythos gibt dagegen überraschenderweise keine Erklärung für den Ursprung des Bösen. Das Ziel des Heilsprozesses ist die Scheidung des Vermischten 82 ; aber über die Entstehung der im Kosmos herrschenden Vermischung erhalten wir keine Auskunft — sie scheint bereits in der Panspermia gegeben zu sein. Ebenso wird einfach konstatiert, daß die dritte Sohnschaft der Reinigung bedarf, ohne daß die Ursache dafür genannt würde 8 3 . In Wirklichkeit scheint Basilides jedoch die »ursprüngliche Verwirrung und Vermischung« als eine gottwidrige Verkehrung und als den Grund des Bösen verstanden zu haben 8 4 . Als ihr Urheber galt ihm offenbar der große Archon 8 5 . Zu 80 81 82 83 84

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So Orbe, Α propösito de Gen. 1,3 S. 434f. Strom. IV 8 1 , 1 - 8 3 , 1 ; III 1 , 1 - 3 , 2 ; II 113,3-114,1 (Isidor). 27,8-12. 22,7.16; 26,10; X 14,2.5. Die Leidenschaften sind eine Art Geister, die κατά τινα τάραχαν και σύγχυσιν άρχικήν als Anhängsel an der vernünftigen Seele haften: Clem. Al. ström. II 112,1; vgl. E. Mühlenberg, Wirklichkeitserfahrung und Theologie bei dem Gnostiker Basilides, KuD 18 (1972, S. 161 — 175) 173. Zur Lehre von den Anhängseln der Seele (auch bei Isidor, Clem. Al. Strom. II 113,3-114,1) vgl. Ed. des Places, in: Numenius, Fragments (Paris 1973) 122 Anm. 3 zu fr. 43. Das angebliche Basilides-Fragment bei Hegemonius, Acta Archel. 67,7—11, in dem Licht und Finsternis als Prinzipien einander gegenüberstehen, ist sicher unecht; es scheint bereits den manichäischen Mythos vorauszusetzen. Eine entfernte Verwandtschaft mit der Lehre des Basilides besitzt die in den Pseudoklementinen vertretene Anschauung, daß die vier Elemente von Gott qualitätslos hervorgebracht wurden und erst durch ihre Mischung der böse Wille und der Teufel entstanden sind: hom. X I X 12; X X 3,8f.; X X 8. H.]. Schoeps, Die Dämonologie der Pseudoklementinen, in: Aus frühchristlicher Zeit (1950, S. 38—81) 40ff. und: Der Ursprung des Bösen und das Problem der Theodizee im pseudoklementinischen Roman, in: Judeo-Christianisme (Festschr. J. Danielou, Paris 1972) 129—141 möchte diese Theorie aus jüdischer Tradition ableiten. So Mühlenberg, Wirklichkeitserfahrung S. 172ff., der aus Clem. Al. ström. IV 165,3f. erschließt, daß Basilides den Archon als Gegengott betrachtet; vgl. auch ström. V 74,3.

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einer solchen Auffassung würden auch zwei Angaben im Bericht Hippolyts passen: Der große Archon hält sich selbst für den höchsten Gott — es handelt sich um das bekannte gnostische Motiv der Uberhebung des Demiurgen —86, und von seinem Weltregiment heißt es in Abwandlung eines Pauluswortes: »Bis Moses herrschte von Adam an die Sünde« 8 7 . Trotzdem bewertet Basilides die Welt und das Geschehen in ihr verhältnismäßig positiv: die Archonten sind tatsächlich mächtig und weise 8 8 , und ihr Schaffen ist kein Akt der Auflehnung oder Selbstüberschätzung, sondern verwirklicht den Plan des transzendenten Gottes 8 9 . Das Evangelium, das nichts anderes ist als die Gnosis, kommt zuerst zu den Söhnen der Archonten, dann zu diesen selbst und wird von ihnen bereitwillig angenommen 9 0 . Auch das Verweilen der dritten Sohnschaft auf Erden hat einen positiven Sinn: die Erwählten sind in der Welt um Gutes zu tun und Gutes zu empfangen 9 1 . Ihr Wohltun wird genauer als ein »Ordnen, Gestalten, Bessern und Vollenden« jener Seelen bestimmt, die in der irdischen Welt zurückbleiben müssen, wenn die Gnostiker zu Gott aufsteigen 92 , und diese selbst werden im irdischen Leben »geformt« 9 3 . Mit dem Aufstieg der dritten Sohnschaft erreicht schließlich die »Apokatastasis« ihr Ziel 9 4 . Der Kosmos wird nicht aufgelöst und vernichtet, sondern er »findet Erbarmen«. Gott breitet die »große Unwissenheit« über den Kosmos, die alles »naturwidrige« Begehren, das Streben nach höheren Bereichen, auslöscht. Alles bleibt nun an dem ihm wesensgemäßen Ort und ist dadurch unvergänglich 95 . Hier kommt das in entscheidenden Punkten ungnostische Weltverständnis des Basilides zur Geltung: der Kosmos ist von Gott geschaffen, und das Böse ist dem Materiellen nicht wesenhaft immanent, sondern besteht nur in einer naturwidrigen Vermischung des Seienden, einer Verwirrung und Verkehrung der ursprünglichen Ordnung. Zu seiner Überwindung und Ausrottung ist nur die Beseitigung der Vermischung, nicht die Vernichtung der materiellen Welt als solcher notwendig. 86 87

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Ref. VII 2 3 , 4 f . ; 25,3. 25,2 (vgl. R o m . 5,13f.). Der Archon der Ogdoas, der offenbar als der Gott der Heiden vorgestellt ist, regiert von Adam bis Moses, während der Archon der Hebdomas, der G o t t der Juden, von Moses bis Christus herrscht (25,3f.); vgl. Herakleon fr. 20, Orig. comm. J o h . X I I I 1 6 , 9 5 - 9 7 . 23,4.7; 24,3f. 23,5f.

26,1-6.

25,1; 26,10; 2 7 , l l f . ; X 14,9; vgl. Clem. Al. ström. IV 82,1 und Foerster, System S. 242. 25,2; X 14,10.

26,10.

Apokatastasis: 25,1; 26,2; 27,4.5.10.11; Clem. Al. ström. II 36,1; dazu A. Mehat, Α Π Ο Κ Α Τ Α Σ Τ Α Σ Ι Σ chez Basilide, in: Melanges d'histoire des religions (Festschr. H . - C h . Puech, Paris 1974) 3 6 5 - 3 7 3 . 27,1-4.

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Das Schöpfungs- und Weltverständnis des Basilides unterscheidet sich sehr wesentlich von der christlichen Auffassung. Die Welt tritt wohl durch einen einmaligen Schöpfungsakt Gottes ins Sein, aber die Entfaltung des Seienden in der Zeit erfolgt nach einem mit der Erschaffung des Weltsamens festgelegten Plan, in den Gott nicht mehr eingreift 96 . Auch Christus ist im »Samenhaufen« vorgebildet und tritt zu der ihm bestimmten Stunde in die Wirklichkeit 97 , und das Evangelium besteht lediglich in der Belehrung über die Einrichtung und Bestimmung des Alls 9 8 . Die Welt verwirklicht sich also in einem determinierten Prozeß, der auf die kosmische »Naturenscheidung« und den Aufstieg der dritten Sohnschaft zustrebt. Auch der Ungehorsam der Archonten scheint ein notwendiges Stadium dieses Ablaufs zu bilden. Aus der Darstellung Hippolyts gewinnt man den Eindruck, daß ein geschichtlich handelnder Gott dem Basilides unvorstellbar war. Sein höchster Gott gleicht letztlich mehr der Heimarmene der Stoiker als dem Gott der Bibel 9 9 . Seine Lehre von der Pronoia, die alles Geschehen in der Welt bestimmt, hat Basilides auch angesichts der Leiden der Verfolgung und des Martyriums durchgehalten 1 0 0 . Alles will Basilides eher zugeben, als daß die Vorsehung ungerecht zu nennen sei 1 0 1 . Seine Erörterung dieses Themas bietet uns die seltene Gelegenheit, zu sehen, wie gnostisches Denken von der Erfahrung der Wirklichkeit ausgeht. Allerdings ist die Antwort, die Basilides auf die Frage nach dem Grund des Leidens gibt, gerade nicht »gnostisch«: er trennt die Welt, in der die Christen verfolgt werden, nicht vom wahren Gott, er lehnt es auch ab, das Leiden der Märtyrer auf die Anschläge einer bösen Macht zurückzuführen 102 , und will unbedingt an der Güte Gottes festhalten. Basilides hat das Martyrium bejaht und ernstgenommen und sicher nicht die Verleugnung in der Verfolgung für zulässig erklärt, wie der kirchliche Polemiker Agrippa Kastor es ihm vorwirft 1 0 3 . Basilides 96 97 98 99

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22,1.6; 24,5; 27,4f. 27,5. 26,1 f.; 27,7. Quispel, Gnostic Man S. 118 ff. will bei Basilides eine heilsgeschichtliche Konzeption und sogar eine Geschichtsphilosophie finden. Doch in Wirklichkeit denkt Basilides völlig ungeschichtlich: er transformiert die Heilsgeschichte in einen kosmischen Prozeß, der wie ein Naturvorgang abläuft. Klemens von Alexandrien setzt sich ausführlich mit der Anschauung des Basilides über das Martyrium auseinander: ström. IV 81—88. Basilides hatte dieses Problem im 23. Buch seiner »Bibelerklärungen« behandelt (81,1). Clem. Al. ström. IV 82,2; vgl. Piaton, polit. II 380B. Auf die platonische Argumentationsweise des Basilides haben W. H. C. Frend, Martyrdom and Persecution in the Early Church (Oxford 1965) 246 und besonders Mühlenberg, Wirklichkeitserfahrung S. 165 ff. hingewiesen. Strom. IV 81,3. Bei Eus. Η. Ε. IV 7,7.

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d e u t e t d a s L e i d e n d e s M ä r t y r e r s als S t r a f e f ü r d i e S ü n d e ; d i e S t r a f e gilt e n t w e d e r einer v e r b o r g e n g e b l i e b e n e n S ü n d e o d e r , w e n n j e m a n d äußerlich nicht g e s ü n d i g t hat, der geheimen Anlage z u m Sündigen104.

U n d zwar versteht Basilides

das

M a r t y r i u m p l a t o n i s i e r e n d als eine » W o h l t a t « , als eine e h r e n v o l l e G e l e g e n h e i t z u r Sühne,

die besonders

den

»auserwählten

Seelen«

zuteil w i r d ,

denen

dadurch

a n d e r e A r t e n d e r B e s t r a f u n g e r s p a r t b l e i b e n 1 0 5 . E r treibt d i e K o n s e q u e n z seiner D e u t u n g d e s L e i d e n s als S ü h n e f ü r d i e S ü n d e s o weit, d a ß er s e l b s t J e s u s v o n d e r S ü n d e n i c h t a u s n i m m t , d a er ja gelitten h a t 1 0 6 . B a s i l i d e s k o n n t e d i e s v e r h ä l t n i s m ä ß i g leicht w o h l d e s h a l b b e h a u p t e n , weil i h m J e s u s als b l o ß e r M e n s c h galt, auf den erst bei der T a u f e das himmlische Licht h e r a b k a m 1 0 7 .

104

105

106 107

Die Behauptung des Klemens von Alexandrien, Basilides lehre, daß die Seelen für Sünden bestraft würden, die sie in einem früheren Leben begangen hätten (ström. IV 83,2; 85,3; 88,1; vgl. exc. ex Theod. 28: die Basilidianer beziehen Dt. 5,9 auf die Reinkarnationen), scheint eine ungerechtfertigte Unterstellung zu sein; Origenes, der comm. Matth, ser. 38 (S. 73,12f. Klosterm.); comm. Rom. V 1 (VI 336f. L o m m . ) ebenfalls erklärt, Basilides lehre die Reinkarnation, dürfte dies von Klemens haben: vgl. P. Nautin, Les fragments de Basilide sur la souffrance et leur interpretation par Clement et Origene, in: Melanges d'histoire des religions (Festschr. H . - C h . Puech, Paris 1974) 393-403. Strom. IV 81,1—83,2; vgl. Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche (1964 2 ) 9 4 ; Frend, Martyrdom S. 245—247; Langerbeck, Die Anthropologie der alexandrinischen Gnosis, in: Aufsätze zur Gnosis (S. 38—82) 4 6 f . ; Mühlenberg, Wirklichkeitserfahrung S. 164 ff. Strom. IV 83,1; vgl. 85,1. Der basilidianische Jesus (Christus heißt in der Quelle Hippolyts nur der Sohn des großen A r c h o n : 26,2) setzt sich aus vier Elementen zusammen, die der irdischen Welt, der Hebdomas, der O g d o a s und dem Grenzpneuma angehören (27,10). Von einem der dritten Sohnschaft, die im Aufstieg Jesus »nachfolgt« (26,10), wesensgleichen Element wird nichts erwähnt. Der somatische Teil Jesu leidet und stirbt und wird der irdischen Welt, der Amorphia, zurückgegeben. Die Auferstehung besteht darin, daß seine übrigen Elemente in die ihnen entsprechenden Seinsbereiche aufsteigen (27,10). Jesus ist der »Erstling der Scheidung« (της φυλοκρινήσεως άπαρχή: 27,12). Die dritte Sohnschaft wird durch ihn gereinigt, sie erfährt ebenfalls eine »Scheidung« und steigt zu den beiden anderen Sohnschaften auf (27,11 f.; X 14,9). Die Erlösung der dritten Sohnschaft nimmt ihren Anfang mit der Herabkunft des »Evangeliums«, des »Lichtes«, aus der »seligen« Sohnschaft (25,5 ff. Die Gleichsetzung von Evangelium und Licht ergibt sich aus 26,5). Vermittelt wird das Evangelium durch das Grenzpneuma (25,5—7). Nach einem der bei Klemens erhaltenen Fragmente ist das Evangelium die »Rede des dienenden Geistes« (ström. II 36,1; vgl. II 3 8 , l f . ; dem entspricht genau Hippol. ref. VII 26,3). D a s Evangelium kommt durch Ogdoas und Hebdomas zu Jesus herab und erleuchtet ihn (26,8). A u s dieser Darstellung gewinnt man den Eindruck, daß die Erleuchtung Jesu durch den Geist bei der Taufe stattfindet. Aber gleich anschließend wird die Erleuchtung mit L k . 1,35 in Verbindung gebracht: Das Licht wird mit dem Geist gleichgesetzt, der über Maria kommen wird, und die »Kraft des Höchsten«, die Maria »überschatten« wird, soll die Kraft der »Scheidung« sein (26,9). Offensichtlich hat die Vor-

84

Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

In der Deutung, die Basilides dem Martyrium gibt, kommt der grundlegende Unterschied seines Verständnisses der Wirklichkeit der Welt und der menschlichen Existenz von dem des Urchristentums zum Ausdruck. Das Martyrium ist nicht mehr die einzigartige Situation, in der der Christ seinen Herrn zu bezeugen und seinen Glauben zu bewähren hat, sondern es ist eine wohltätige Möglichkeit zur Sühnung und Reinigung, die von der Vorsehung dargeboten wird. Die Deutung des Märtyrerleidens als Wohltat nimmt ihm seinen bedrängenden Ernst, und mit Recht

betont

Moment

Klemens in der Auseinandersetzung mit Basilides gerade das

der persönlichen Entscheidung und Bewährung, auf das es in der

Bekenntnissituation ankommt 1 0 8 . Wenden wir uns noch einmal dem Problem der creatio ex nihilo zu. U m die Mitte des zweiten Jahrhunderts bietet sich ein überraschendes Bild: Der Gnostiker Basilides vertritt eine durchreflektierte Lehre von der Erschaffung des Kosmos aus dem

Nichts,

während

die

gleichzeitigen

kirchlich-christlichen

Lehrer

dem

Problem der Weltschöpfung entweder noch keine größere Aufmerksamkeit widmen oder — wenn sie über eine gewisse Bildung verfügen — ohne Bedenken von der Weltbildung aus der ewigen Materie reden können; wir werden dies am Beispiel Justins sehen. Eine Generation später hat sich die Situation dagegen grundlegend geändert. Jetzt behaupten die kirchlichen Theologen die creatio ex nihilo und werfen den Gnostikern vor, sie verfälschten die christliche Auffassung von

108

läge Hippolyts zwei verschiedene Traditionen über die Erleuchtung Jesu miteinander kombiniert. Es ist anzunehmen, daß Basilides selbst die altertümlichere Vorstellung von der Erleuchtung Jesu bei der Taufe vertreten hat, und dies wird bestätigt durch die Angaben des Klemens, daß die Basilidianer den Tauftag Jesu feierten (ström. I 146) und daß sie in der Perikope von der Taufe Jesu die Taube als den »Diener« bezeichneten (exc. ex Theod. 16; der »Diener« ist der Geist, der die Erleuchtung bringt: ström. II 38,lf.; vgl. II 36,1). Die Auffassung, daß die Erleuchtung bereits bei der Empfängnis erfolgt sei, geht sicher erst auf spätere Basilidianer zurück, die nach der Übernahme der großkirchlichen Evangelien versuchten, die Lehre von der Jungfrauengeburt mit den christologischen Traditionen der eigenen Schule zu verbinden; vgl. Campenhausen, Die Jungfrauengeburt in der alten Kirche, SAH 1962, S. 16-18. H. Usener, Das Weihnachtsfest. Religionsgeschichtliche Untersuchungen I (19693) 140f. bemerkte den Widerspruch im Referat Hippolyts, versuchte aber trotzdem die beiden unterschiedlichen Auffassungen von der Erleuchtung Jesu zu harmonisieren. Dagegen wandte schon K. Holl, Der Ursprung des Epiphanienfestes, in: Ges. Aufsätze zur Kirchengeschichte II (1928, S. 123—154) 143f. ein, daß die Basilidianer ausschließlich die Taufe Jesu und nicht etwa zugleich auch seine Geburt feierten; die Geburt Jesu scheint für sie also ursprünglich keine Rolle gespielt zu haben. Simonetti, Note di cristologia gnostica, Riv. di storia e lett. rel. 5 (1969, S. 529-553) 532f. meint dagegen, die Basilidianer hätten ausschließlich die Erleuchtung Jesu bei der Empfängnis gelehrt. Diese Interpretation wird jedoch durch die Angaben des Klemens, die Simonetti nicht heranzieht, eindeutig widerlegt. Strom. IV 85 f.

Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

85

der Weltschöpfung durch ihre Anleihen bei der Kosmologie der Philosophen. Ist es mehr als ein seltsamer Zufall der Überlieferung, daß die Lehre von der creatio ex nihilo uns in eindeutiger Gestalt zuerst bei einem gnostischen Theologen begegnet? Selbst wenn Basilides von einer älteren Tradition abhängig ist und der Eindruck, er sei der früheste Vertreter der Lehre von der creatio ex nihilo im vollen Sinn, täuscht, ist es doch auffällig, daß wir vor Tatian keine vergleichbaren Aussagen bei nichtgnostischen Theologen finden. Wir haben die creatio-ex-nihiloLehre des Basilides aus drei Komponenten abgeleitet: aus der traditionellen Vorstellung, daß Gott »aus nichts« schafft, aus der Auffassung, daß der höchste Gott der eigentliche Weltschöpfer ist, mit der Basilides von den gewöhnlichen gnostischen Anschauungen entschieden abweicht, und aus dem radikal negativen Gottesbegriff, der es ausschließt, von Gott ein Schaffen nach Analogie innerweltlicher Modelle auszusagen. Die Lehre von der creatio ex nihilo ergibt sich bei Basilides also aus einer singulären Verknüpfung gemeinchristlicher und gnostischer Motive. Oder man könnte auch sagen: der biblische Schöpfungs- und Allmachtsgedanke wird bei Basilides gnostisch übersteigert; so wie das Wesen des gnostischen Gottes alle Begriffe sprengt, kann auch sein Schaffen nur in einer für griechisches Denken paradoxen Weise als Schaffen aus nichts beschrieben werden. Zwei oder drei Jahrzehnte später begründen die kirchlichen Theologen die Lehre von der creatio ex nihilo im einzelnen mit ähnlichen Argumenten wie Basilides: die Annahme weiterer ungewordener Prinzipien neben Gott würde seine Gottheit aufheben, und sein Schaffen kann nicht nur wie beim menschlichen Handwerker oder Künstler in der Gestaltung eines vorgegebenen Stoffes bestehen. Nur der jeweils vorausgesetzte Gottesbegriff ist verschieden. Die Lehre von der creatio ex nihilo ist also nicht als solche gnostisch, aber es ist für die theologische Entwicklung im zweiten Jahrhundert gleichwohl charakteristisch, daß sie zuerst von einem Gnostiker entwickelt wird: zumindest in der ersten Jahrhunderthälfte sind die gnostischen Lehrer bildungsmäßig führend; philosophische Lehren und Fragestellungen spielen für sie früher und in erheblich größerem Umfang eine Rolle als für die konservativen Vertreter der Gemeindeüberlieferung. So braucht es nicht zu überraschen, daß gerade Basilides sich als erster explizit mit dem griechischen Weltbildungsmodell auseinandersetzt und die These der creatio ex nihilo formuliert, zumal sich in dieser Frage sowohl von biblischen als auch von gnostischen Voraussetzungen aus die gleichen Konsequenzen ergaben. Soweit sich das erkennen läßt, ist die eigenwillige Schöpfungslehre des Basilides ohne geschichtliche Wirkung geblieben. Wie die Darstellung des Irenäus zeigt, hat ein Teil der späteren Basilidianer die charakteristischen Vorstellungen des Schulgründers fast völlig preisgegeben, und im kirchlichen Lager stieß die ganze Theologie des Basilides vermutlich bald auf Mißtrauen und Ablehnung. Schon verhältnismäßig früh hat ein kirchlicher Polemiker, Agrippa Kastor, gegen Basilides

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Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

geschrieben109. Einzig Klemens von Alexandrien geht auf die Schriften des Basilides und Isidors näher ein und setzt sich in gleichsam akademischem Stil mit ihnen auseinander, aber ihm geht es hauptsächlich um ethische Fragen. Besäßen wir nicht das Referat Hippolyts, so wären uns die Schöpfungsspekulationen des Basilides unbekannt.

II Man kann die Theologie des Basilides als einen Versuch begreifen, gemeinchristliche und gnostische Vorstellungen in einer Synthese zu vereinigen. Bei Valentin und seinen Schülern kommen dagegen stärker die uns als charakteristisch gnostisch erscheinenden Motive zur Geltung. Die wenigen Bruchstücke, die uns von den Schriften Valentins erhalten sind110, zeigen hohe literarische Qualität und lassen das ungewöhnliche Bildungsniveau ihres Verfassers ahnen111. Aber es ist unmöglich, aus diesem spärlichen Material ein Gesamtbild von Valentins Lehre zu gewinnen. Irenäus stellt in knapper Form das angebliche System Valentins dar und weist dabei auf die Unterschiede zur Lehre des Ptolemäus hin, doch stimmt dieser Abriß nicht in allen Punkten mit dem, was wir sonst von Valentins Lehre wissen, überein 112 . Tertullian berichtet, daß die Schule Valentins sich weit von der Lehre des Gründers entfernt habe 113 . Der einzige Schüler, der nach Tertullian dem Meister treu geblieben ist, Axionikos in Antiochien, ist für uns ein bloßer Name 114 . Will man die ursprüngliche Theologie Valentins rekonstruieren, so hat man von der doppelten Voraussetzung auszugehen, daß Valentin anders, vermut109

110 111 112

113 114

Eus. Η. Ε. IV 7,5—8. Ob Agrippa Kastor wirklich schon unter Hadrian geschrieben hat, wie Euseb behauptet, läßt sich nicht nachprüfen: vgl. Hamack, Literaturgeschichte II 1 S. 290 f. Das Material ist zusammengestellt bei Hamack, Literaturgeschichte I S. 174—184. Vgl. Ed. Norden, Die antike Kunstprosa II (19092) 545-547. Iren. haer. I 11,1. Das System von 30 Äonen, das sich in der gleichen Form bei Ptolemäus findet, und die Annahme eines zweiten Horos, der den göttlichen Urgrund von den aus ihm entstandenen Äonen trennt, sind kaum mit der Angabe Tertullians zu vereinbaren, Valentin habe die Äonen als geistige Akte im Inneren der Gottheit verstanden und erst Ptolemäus habe sie zu »persönlichen Substanzen« verselbständigt (adv. Val. 4,2; u. Anm. 152). Dagegen dürfte die Annahme nur einer Sophia (ebenso exc. ex Theod. 23,2) ursprünglicher sein als ihre Verdoppelung bei Ptolemäus. Die Vorstellung, daß Christus von der Sophia geboren wird, sie aber verläßt und ins Pleroma aufsteigt, findet sich auch in exc. ex Theod. 32,2—33,1.3; vgl. G. C. Stead, The Valentinian Myth of Sophia, JThS N. S. 20 (1969, S. 75-104) 84f. Adv. Val. 4. Er wird noch von Hippolyt erwähnt, der ihn als Vertreter der orientalischen Schule des Valentinianismus bezeichnet: ref. VI 35,7.

Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

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lieh einfacher, gelehrt hat als seine Schüler, daß aber gleichwohl die wesentlichen Denkmotive der zweiten Generation bei ihm angelegt waren, da ein völliges Preisgeben der Ansätze des Schulhauptes innerhalb so kurzer Zeit nicht zu erklären wäre. Valentin hat vielleicht noch kein geschlossenes System entworfen, sondern mit verschiedenen Formen des Mythos experimentiert, ohne sie zu einem Ganzen zusammenzufassen 115 . Man kann also nur versuchen, die echten Fragmente aus sich selbst zu interpretieren und dann Verbindungslinien zur Lehre der großen Valentinschüler zu ziehen 1 1 6 . Das Quellenproblem ist dadurch verändert worden, daß man zwei Schriften des Codex Jung, das sogenannte »Evangelium der Wahrheit« und den Brief an Rheginos »Über die Auferstehung«, Valentin zugeschrieben hat. Während die Verfasserschaft Valentins für das »Evangelium der Wahrheit« wenig wahrscheinlich erscheint 1 1 7 , ist sie im Falle des Rheginos-Briefes durchaus vertretbar 1 1 8 . Es handelt sich bei diesem nicht um eine Offenbarungsschrift, sondern um den echten Brief eines Lehrers, der hohe Autorität besitzt, an seinen Schüler, und wir wissen,

lls

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117

118

Dies ist die These des oben (Anm. 112) genannten Aufsatzes von Stead. Durch diese Untersuchung ist der Versuch von Qttispel, The Original Doctrine of Valentinus, Vig. Chr. 1 (1947) 43—73, aus den Übereinstimmungen zwischen den Systemen des Ptolemäus und Theodots die ursprüngliche Lehre Valentins zu rekonstruieren, überholt. So verfahren etwa W. Foerster, Von Valentin zu Herakleon (1928) 9 1 - 9 7 ; A.J. Festugiere, Notes sur les Extraits de Theodote de Clement d'Alexandrie et sur les Fragments de Valentin, Vig. Chr. 3 (1949, S. 193-207) 203ff. Dagegen interpretiert F.-M.-M. Sagnard, La gnose valentinienne et le temoignage de Saint Irenee (Paris 1947) 559—561 die Fragmente Valentins von vornherein nach den Anschauungen seiner Schüler. Die Verfasserschaft Valentins und die Identität der Schrift mit dem Iren. haer. III 11,9 erwähnten »veritatis evangelium« wurde zuerst vertreten von W. C. van Unnik, The recendy discovered »Gospel of Truth* and the New Testament, in: F.L.Cross, The Jung Codex (London 1955, S. 81-129) 90-104. Die Hypothese, daß es sich um ein Frühwerk handle, in dem Valentin noch nicht den Demiurgen vom höchsten Gott unterschieden habe, ist jedoch durch nichts beweisbar; wir kennen die geistige Entwicklung Valentins nicht. Auch Grant, Gnosticism and Early Christianity S. 128ff. betrachtet das Evangelium veritatis als Frühschrift Valentins. Valentin als Verfasser nehmen an die Herausgeber M. Malinine, H.-Ch. Puech, G. Quispel, W. Till, R. McL. Wilson, J. Zandee, De Resurrectione (Epistula ad Rheginum) (1963) XXIV—XXXIII und van Unnik, The newly discovered Gnostic »Epistle to Rheginos« on the Resurrection I, JEH 15 (1964, S. 141-152) 144. M. L.Peel, Gnosis und Auferstehung. Der Brief an Rheginus von Nag Hammadi (1974) 164ff. bestreitet die Verfasserschaft Valentins. Er weist auf inhaltliche Widersprüche zwischen dem Brief und einerseits dem Evangelium veritatis, andererseits dem System Valentins, wie Quispel es rekonstruiert hat, hin. Aber dieses Beweisverfahren trägt nicht, denn die Abfassung des »Evangeliums der Wahrheit« durch Valentin ist unwahrscheinlich (s. o. Anm. 117), und auch Quispels Rekonstruktionsversuch hat sich als unzulänglich erwiesen (s. o. Anm. 115).

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Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

daß Valentin solche Briefe geschrieben hat 1 1 9 . Der Brief stammt jedenfalls von einem angesehenen valentinianischen Lehrer, dessen Theologie älter zu sein scheint als die von Herakleon und Ptolemäus — warum soll der Verfasser nicht Valentin selbst sein 1 2 0 ? W i r besitzen keine Äußerungen Valentins über den Vorgang der Weltschöpfung. Vom Demiurgen und seinem Verhältnis zum höchsten Gott handeln einige Sätze aus einer Predigt, die Klemens von Alexandrien zitiert und aus dem Zusammenhang des Textes erläutert: »Von diesem Gott (sc. dem Demiurgen) spricht er im folgenden andeutungsweise, wenn er wörtlich so schreibt: ,In dem gleichen Maß, w i e das Bild hinter dem lebendigen Antlitz zurücksteht, ist auch der Kosmos geringer als der lebendige Äon. Was ist nun die Ursache des Bildes ? Die Majestät des Antlitzes, das dem Maler das Vorbild lieferte, damit das Abbild durch seinen Namen geehrt werde; denn nicht der Wirklichkeit entsprechend wurde die Gestalt erfunden, sondern der Name ergänzte das, was an dem Gebilde mangelhaft war. Es trägt aber auch das unsichtbare Wesen Gottes zur Beglaubigung des Geformten bei' 1 2 1 . Denn er (sc. Valentin) bezeichnete den Demiurgen, insofern er Gott und Vater heißt, als das Abbild des wahren Gottes und als seinen Propheten, als Maler aber die Sophia, die das Abbild geformt hat zur Verherrlichung des Unsichtbaren; denn alle Wesen, die aus einer Syzygie hervorgehen, sind Pleromata, die aber von einem einzelnen stammen, nur Abbilder« 1 2 2 . Die Sophia hat also den Demiurgen als Abbild des höchsten Gottes hervorgebracht, um diesen dadurch zu verherrlichen. Das Abbild steht freilich weit hinter dem Urbild zurück, aber der Gottesname gleicht aus, was dem Abbild mangelt: als Gott und Vater des Kosmos und der Menschen repräsentiert der Demiurg auf der untersten Seinsstufe den wahren, höchsten Gott 1 2 3 . Uberraschend ist, wie positiv Valentin den Schöpfer und seine 119

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121 122

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Dies betont van Unnik, The newly discovered Gnostic »Epistle to Rheginos« I S. 1 4 5 - 1 4 7 ; vgl. Clem. Al. ström. II 36,2; 114,3; III 59,3. So auch G. Kretschmar, Auferstehung des Fleisches. Zur Frühgeschichte einer theologischen Lehrformel, in: Leben angesichts des Todes (Thielicke-Festschrift, 1968, S. 101 — 137) 118 £.; P. Kübel, Schuld und Schicksal bei Origenes, Gnostikern und Platonikern (1973) 69 - 71. Vgl. Rom. 1,20. Strom. IV 89,6—90,2. (Ich folge teilweise der Ubersetzung von O. Stählin, Des Clemens von Alexandreia ausgewählte Schriften IV [1937] 62). Der letzte Satz steht auch in exc. ex Theod. 32,1. Da Klemens die Predigt Valentins offenbar vor sich hatte, ist davon auszugehen, daß er die wörtlich angeführte Stelle zutreffend interpretiert. Nach Hilgenfeld, Ketzergeschichte S. 300 hat Klemens die Äußerung Valentins hingegen mißverstanden und nach E. Premeben, Art. Valentinus, RE3 20 (1908) 399 f. benützte er eine spätere valentinianische Schrift, in der die Homilie nur zitiert war. Weder das eine noch das andere ist wahrscheinlich. Daß der Demiurg »als Bild des Vaters selbst Vater wird«, steht auch in exc. ex Theod. 47,2f.; vgl. 33,3; anders exc. 7,5; Iren. haer. I 5,1; II 7,2. (Zur Namensaufschrift auf

Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

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Welt sieht 1 2 4 . Die Aussage, daß das von der Sophia zur Verherrlichung Gottes hervorgebrachte Gebilde seinem Vorbild nicht wirklich gleicht, setzt zwar den Mythos von der Eigenmächtigkeit und dem Fall der Sophia voraus. Aber der Gedanke des Falls tritt in dem Fragment ganz hinter der Vorstellung zurück, daß der Demiurg den höchsten Gott abbildet und der Kosmos für die himmlische Wirklichkeit transparent ist 1 2 5 . In vergleichbarer Weise redet das durch Hippolyt überlieferte Fragment eines von Valentin gedichteten Psalms von der Stufung des Seienden, die von der Materie aufwärts bis zum Pleroma und zum höchsten Gott reicht. Jede Stufe hängt von der höheren ab, ein Bruch, der zwischen Peroma und Kosmos bestünde, wird nicht angedeutet 126 . Aber auch negative Äußerungen über Welt und Schöpfung fehlen bei Valentin nicht. In derselben Predigt, in der er vom Bildcharakter des Demiurgen und des Kosmos redete, hat er nach Angabe des Klemens auch davon gesprochen, daß die von Anfang unsterblichen erwählten Pneumatiker den Tod vernichten. Wenn sie die Welt auflösen und dabei selbst nicht aufgelöst werden, werden sie zu Herren

Götterbildern vgl. Justin, dial. 35,6). Ob hinter der Aussage Valentins auch die Spekulationen über den »Namen« von exc. 22,6; 26,1; 31,3 stehen, wie Sagnard, La gnose valentinienne S. 561 vermutet, ist fraglich. Festugiere, Les Extraits S. 205 will den »Namen Gottes« im alttestamentlichen Sinn als seine »Herrlichkeit« verstehen, doch gibt es für diese Deutung keinen Anhaltspunkt. 1 2 4 Schwierig ist der Satz: »Es trägt aber auch das unsichtbare Wesen Gottes zur Beglaubigung des Geformten (εις πίστιν τοϋ πεπλασμένου) bei« (90,1). Vielleicht hat er auch den Sinn, daß das »unsichtbare Wesen Gottes« am Glauben an das im Bild dargestellte Urbild, d. h. den wahren Gott selbst, mitwirkt (vgl. Festugiere, Les Extraits S. 205). Noch anders übersetzt Simonetti, Testi gnostici S. 129: »Cosi l'invisibilitä di Dio coopera alla fede di cio che e stato creato«. Nach beiden Deutungen wäre hier jedenfalls vom Ursprung der Pistis die Rede. 125 Vgl. Stead, Myth S. 92f. 95. Der singularische Gebrauch von Aion im Sinne von Pleroma (89,6) findet sich auch bei Herakleon, fr. 1 = Orig. comm. Joh. II 14,100; 18 = XIII 11,70; 22 = XIII 19,114; ev. Phil. 11 (S. 102,1); tract, tripart. 74,Iff. Zu diesem Sprachgebrauch paßt aber auch die Angabe Tertullians, daß Valentin die Äonen noch nicht von Gott getrennt habe (adv. Val. 4,2; u. Anm. 152); vgl. K. Müller, Beiträge zum Verständnis der valentinianischen Gnosis I, NAG 1920 (S. 179—184) 182f. Festugiere, Les Extraits S. 205 vermutet, daß Aion hier ein göttliches Zwischenwesen bezeichne, und verweist auf corp. herm. XI 15: »So ist der Aion Bild Gottes, der Kosmos Bild des Aion«. Vgl. die Analyse des Traktats und die Untersuchung des AionBegriffs bei Festugiere, La Revelation d'Hermes Trismegiste IV (Paris 1954) 152—199. Danach ist Aion in den Hermetica »le Dieu cosmique personnifie, et tout ensemble le monde άπέραντος et le temps infini« (S. 199). Aber das ist nicht die Vorstellung der Valentinianer. Einen guten Uberblick über die Bedeutungen von Aion gibt W. Scott, Hermetica III (Oxford 1926) 188 f. 1 2 6 Ref. VI 3 7 , 6 - 8 .

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Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

über die Schöpfung und über alles Vergehen 127 . Schöpfung, Tod und Vergehen werden also eng zusammengerückt. Die Entstehung des Todes soll aber das Werk des Weltschöpfers sein, von dem es deshalb im Alten Testament heißt: »Niemand kann das Angesicht Gottes sehen und leben« 128 . Wir können diese Bruchstücke nicht zu einem Gesamtbild der Lehre Valentins zusammenfügen. Sein Denken muß jedenfalls von einem tiefen Zwiespalt bestimmt gewesen sein: einerseits ist die Welt bildhafter Hinweis auf die Realität des Pleroma, andererseits ist sie beherrscht vom Tod und muß von den Pneumatikern — vielleicht durch strenge Askese — besiegt und vernichtet werden. Es könnte sein, daß Valentin noch nicht im Stande war, diese beiden Aspekte in einem einheitlichen theologischen Entwurf zusammenzufassen 1 2 9 . Die angedeutete Ambivalenz beherrscht jedenfalls auch die jüngeren valentinianischen Systeme, und je nach der Akzentuierung der einen oder andern Seite kann die Weltverneinung überwiegen, ist aber auch eine erstaunlich positive Bewertung der menschlichen und kosmischen Wirklichkeit möglich. Die asketischen Neigungen Valentins spiegeln sich auch in seinen christologischen Vorstellungen. In einem weiteren durch Klemens von Alexandrien erhaltenen Fragment heißt es, daß die Gottheit Jesu sich in seiner vollkommenen Enthaltsamkeit manifestierte: Obwohl er alles ertrug, war er enthaltsam. Er aß und trank und gab die Speisen nicht wieder von sich. Die Kraft seiner Enthaltsamkeit war so groß, daß auch die Speisen, die er aufnahm, nicht zugrunde gingen, weil er selbst dem Zugrundegehen nicht unterlag 130 . Klemens führt diese Aussagen ohne Kritik an; sie sind seinen eigenen Anschauungen verwandt 131 . 127

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Strom. IV 89,2f.; zu dieser Stelle vgl. Beyschlag, Christentum und Veränderung in der Alten Kirche, KuD 18 (1972, S. 26-55) 40f.; den., Simon Magus S. 206-208. Strom. IV 89,4f. (Ex. 33,20). Nach Steads Hypothese versuchte Valentin zwei verschiedene Weisheitstraditionen zu verbinden, ohne sie völlig ausgleichen zu können (Myth S. 93ff.). Clem. Al. ström. III 59,3. Vgl. Paid. I 4 , I f . ; ström. VI 71,2. Das Essen des Logos und der Engel (Gen. 18,8) ist auch für Justin ein Problem: dial. 57,2. Ob wir für Valentin selbst schon die Christologie der späteren Valentinianer vorauszusetzen haben, die einen aus vier verschiedenen Substanzen zusammengesetzten Christus annehmen und seine menschliche Natur als psychische Substanz deuten, die bloß hylisch erscheint, ist fraglich. Der RheginosBrief vertritt eine Art Zwei-Naturen-Christologie: »Der Sohn Gottes aber, Rheginos, war Menschensohn und er umfaßte sie beide, da er das menschliche und das göttliche Wesen hatte« (44,21—26). Diese Aussagen könnten durchaus von Valentin selbst stammen; vgl. Kretschmar, Chrisdiches Passa im 2. Jahrhundert und die Ausbildung der christlichen Theologie, in: Judeo-Christianisme (Festschr. J. Danielou, Paris 1972, S. 287—323) 312 ff. Dagegen scheint mir das von Eulogios von Alexandrien bei Photios, bibl. 230 (273B) angeführte angebliche Valentin-Fragment, das gegen die Zwei-NaturenLehre der »Galiläer« »eine Natur des Unsichtbaren und Sichtbaren« vertritt, trotz Useners Rettungsversuch (Weihnachtsfest S. 145) unecht zu sein.

Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

91

Die eigentümliche Ambivalenz von Bejahung der irdischen Wirklichkeit und Weltverneinung, die die erhaltenen Valentin-Fragmente kennzeichnet, zeigt sich auch im Rheginos-Brief. In einer für die Mitte des zweiten Jahrhunderts überraschenden Nähe zu paulinischen Gedankengängen und unter ausdrücklicher Berufung auf den »Apostel« 1 3 2 behandelt der Verfasser das Problem der Auferstehung. E r bejaht und verteidigt die Auferstehung des Fleisches 133 und denkt gerade nicht in der Antithese von unsterblicher Seele und sterblichem Leib 1 3 4 . Die Auferstehung wird in der gläubigen Bindung an Christus wirklich; die Christusgemeinschaft der Glaubenden ist selbst schon die Auferstehung 135 . Aber die Auferstehung erschöpft sich nicht im Vollzug des Glaubens, sondern der ganze Mensch, nicht nur ein pneumatischer Wesenskern, wird in die nach dem Tode erwartete Vollendung einbezogen sein 136 . In diesen Gedankengängen scheint also die leibliche Wirklichkeit des Menschen durchaus positiv bewertet zu sein. Dieser Auffassung entspricht es, daß auch von Jesus ohne Einschränkung gesagt wird, er sei »im Fleisch« gewesen 137 . Aber nun ist andererseits das Fleisch, das die Glaubenden in der Auferstehung anlegen, gerade nicht mit der empirischen Leiblichkeit des Menschen identisch, denn es wird von jenem Leib, der dem Vergehen unterworfen ist, abgehoben 138 . Und es kann weiter heißen, daß die pneumatische Auferstehung die seelische und sarkische Auferstehung verschlingt 139 . Durch 132

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45,24f. Zu den paulinischen Parallelen vgl. besonders R. Haardt, »Die Abhandlung über die Auferstehung« des Codex Jung aus der Bibliothek gnostischer koptischer Schriften von Nag Hammadi II, Kairos N. F. 12 (1971) 237-269. 4 7 , 1 - 8 ; 4 4 , 6 - 1 0 ; 46,14-16. Van Unnik, The newly discovered Gnostic »Epistle to Rheginos« I S. 151: »The soul is not imprisoned in the body, as was held by many non-Christian thinkers. The fetters which are spoken of are the fact that one lives in the world«. 45,23-39; vgl. 44,30-33; dazu Kretschmar, Auferstehung des Fleisches S. 124f. 48,3 — 12; vgl. Kretschmar, Auferstehung S. 126—28. Neben der Betonung des Glaubens und seiner entscheidenden Bedeutung steht aber auch der typisch gnostische Gedanke einer Prädestination zur Erkenntnis: 46,25—29; vgl. van Unnik I S. 150; Haardt II S. 249-251. 44,15; vgl. van Unnik I S. 148 f. Simonetti, Note di cristplogia gnostica S. 547 Anm. 58 will freilich auch hier das »Fleisch« im späteren valentinianischen Sinn als Scheinsubstanz verstehen; ähnlich Haardt II S. 251 f., der auf Tertullian, cam. Chr. 15,1 verweist: licuit et Valentino ex privilegio haeretico carnem Christi spiritalem comminisci. 47,38 - 4 8 , 3 ; vgl. 47,17-24; Haardt II S. 262f. meint, der Verfasser verstehe unter dem Fleisch, das aufersteht, das präexistente Pneuma des Gnostikers. 45,39—46,2. J. Zandee, De opstanding in de brief aan Rheginos en in het Evangelie van Philippus, Nederl. Theol. Tijdschr. 16 (1961/62, S. 361-77) 37lf. denkt an eine Verwandlung des somatischen Leibes in Pneuma. Haardt II S. 266—268 entnimmt aus der Stelle, daß hier »eine Ausprägung von Gnosis vorliegt, die dem psychischen Element nicht das Heil einräumt« (S. 268), und vermutet mit den Herausgebern der editio princeps (p. XXIIIf.), daß der Brief Beziehungen zur östlichen Schule des Valenti-

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solche Aussagen verliert der Satz von der Auferstehung des Fleisches wieder alle Konkretheit, und als sein einziger Inhalt scheint der Gedanke übrig zu bleiben, daß der Glaubende, der Christus angezogen hat, nach dem T o d ins Pleroma aufsteigen wird 1 4 0 . Das »Fleisch« wird also einseitig in seiner Relation zu Christus gesehen und nicht in seiner Bezogenheit auf die Wirklichkeit der Welt. Dazu kommt noch, daß die Auferstehung in einen scharfen Gegensatz zum Kosmos tritt. Nicht die Auferstehung ist eine Illusion, vielmehr ist der Kosmos eine Täuschung. Dem Glaubenden, der die Auferstehung empfängt, enthüllt sich die Vergänglichkeit der Welt 1 4 1 . So erweist sich das Denken des Verfassers als entschieden geschichtsfremd und letztlich weltfeindlich; sein Interesse am »Fleisch« ist eingeengt auf die Glaubenden, die wohl mit den Pneumatikern identisch sind. Aber das Besondere an dem Brief ist gerade, daß der Verfasser, der von seinen gnostischen Denkansätzen zu einem radikalen Spiritualismus gedrängt wird, an dem christlichen Gedanken der Auferstehung des Fleisches unbedingt festhalten will und deshalb auch die irdische Leiblichkeit des Menschen nicht restlos abwertet 1 4 2 . Valentins eigene Anschauungen über die Entstehung und den Aufbau der himmlischen Äonenwelt und über den Ursprung des Kosmos bleiben für uns weitgehend im Dunkeln. Wir müssen uns für diese Fragen an die Systeme seiner unmittelbaren Schüler halten, die uns verhältnismäßig gut bekannt sind. Als Grundlage der Darstellung wird uns im folgenden in erster Linie das am besten bezeugte System des Ptolemäus (von der Forschung als System Α bezeichnet) dienen, mit dem das von den Fragmenten Herakleons vorausgesetzte System nahezu identisch ist 1 4 3 . Daneben steht das von Hippolyt wiedergegebene System, nianismus haben könnte. Dagegen versteht nach Kretschmar der Rheginos-Brief ebenso wie das Philippus-Evangelium das Fleisch nicht als die »individuelle Leiblichkeit«, sondern umfassender als »eine Dimension des Wirklichen«, was »eine eigentümliche Weiterbildung des paulinischen, vielleicht auch des alttestamentlichen Sprachgebrauches« wäre (Auferstehung S. 125, vgl. S. 122f.). Die Sarx ist das Substrat der gefallenen Welt, das in der Apokatastasis (44,31) im doppelten Sinn des Wortes »aufgehoben« wird. Dazu gehört auch, daß die Auferstandenen jederzeit »ihr .Fleisch' zur Verfügung haben« (S. 126f.). Ähnlich Kübel S. 69—71. Diese bestechende Interpretation müßte an sämtlichen valentinianischen Quellen systematisch überprüft werden; vgl. auch Α. H. C. van Eijk, The Gospel of Philip and Clement of Alexandria, Vig. Chr. 25 (1971) 9 4 - 1 2 0 . 140

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Van Unnik II S. 165 vermutet, der Verfasser habe im Grund die Auffassung vertreten, daß die Seelen nach dem Tod in den Himmel aufsteigen (unter Hinweis auf Justin, dial. 80,4; Iren. haer. V 31,2). 4 8 , 1 0 - 4 9 , 6 ; vgl. 4 5 , 1 4 - 1 7 ; 46,35-38. Das unvermittelte Nebeneinander spezifisch gnostischer und christlicher Motive betont van Unnik II S. 165: »It is the great question, to which I see no answer, at present, why this Valentinian with this idea of the deity was so deeply attached to Christianity«. Iren. haer. I 1 — 8; exc. ex Theod. 43—65; zu Herakleon vgl. Foerster, Von Valentin zu Herakleon S. 67 ff.

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das im fundamentalen Aufriß mit dem des Ptolemäus übereinstimmt, aber in einer Reihe von Einzelzügen von ihm abweicht (System B) 1 4 4 . Der Tractatus Tripartitus aus dem Fund von Nag Hammadi schließlich setzt ein System voraus, in dem Elemente von Α und Β verbunden waren 1 4 S . Die Aufgabe des kosmogonischen Mythos wird von Ptolemäus präzise gekennzeichnet, wenn er am Ende seines Briefes an Flora der Adressatin für einen späteren Zeitpunkt Belehrung über die Frage in Aussicht stellt, wie aus dem einfachen, ungewordenen, unvergänglichen und guten Prinzip die »Natur des Verderbens« — das Materielle — und die »Natur der Mitte« — der Demiurg und alle psychischen Substanzen — entstehen konnten, obwohl das Gute doch seinem Wesen nach nur ihm selbst Gleichartiges hervorbringen kann 1 4 6 . Die Problemstellung ist nicht die des philosophischen Fragens nach dem alles Seiende fundierenden Prinzip. Den Valentinianern ist der Sinn der irdischen Welt als solcher fragwürdig geworden. Sie werden von der Frage bedrängt, wie aus dem als Prinzip des Seienden gedachten höchsten Gott überhaupt weniger vollkommene Wesen entstehen konnten. Es geht also darum, die Antwort auf die religiös motivierte Frage nach dem Ursprung des Mangelhaften, des Vergänglichen und Bösen zu finden. Der Mythos stellt dar, wie Gott sich zunächst in Emanationen zur Welt hin vermittelt, aber die Entstehung des Kosmos außerhalb des Pleroma kann nur durch einen Bruch, durch den Fall der Sophia, die als letzte Emanation entstanden, also Gott am fernsten ist, erklärt werden. Das von Irenaus wiedergegebene System Α gibt keine Begründung für den Beginn des Emanationsprozesses; es heißt lediglich, daß der göttliche Urgrund das All entstehen lassen wollte 1 4 7 . Es wird aber zu erklären versucht, wieso Gott die Äonen zunächst unvollkommen sein ließ — von der zweiten Emanationsstufe abwärts fehlt ihnen die Erkenntnis des Vaters: Die erste Emanation, der Nus, will seine Gnosis sogleich an die übrigen Äonen weitergeben, wird aber von seiner Mutter Sige daran gehindert, weil die Äonen erst zu selbständigem Verlangen nach der Gnosis geführt werden sollen 148 . Die Vorenthaltung der Erkenntnis hat also

Ref. VI 29—36. Aber auch Irenaus erwähnt gelegentlich Anschauungen von B, während umgekehrt Hippolyt auch einige Male Α heranzieht. Vgl. Stead, Myth S. 77. 145 Vgl. Puech-Quispel, Le quatrieme ecrit gnostique du Codex Jung, Vig. Chr. 9 (1955) 65—102 und die Anmerkung der Herausgeber zu p. 75,17, I S. 337f. In den Excerpta ex Theodoto stimmt der in sich geschlossene Abschnitt 29—43,1 weitgehend mit dem von Irenaus Valentin selbst zugeschriebenen System (haer. I 11,1) überein (vgl. aber auch exc. 23,2); vgl. Sagnards Analyse in seiner Ausgabe der Excerpta: Clement d'Alexandrie, Extraits de Theodote (Sources chretiennes 23, Paris 19702) 28—49. 1 4 6 Ad Flor. 7,8 f. 1 4 7 Iren. I 1,1. 1 4 8 Iren. 12,1.

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einen erzieherischen Sinn 1 4 9 . Eine Stelle der Excerpta ex Theodoto gibt als Motiv des Vaters für die Hervorbringung der Äonen den Wunsch an, von ihnen erkannt zu werden 1 5 0 , und das System Β gibt die Begründung, daß der Vater das Schönste und Vollkommenste, das er in sich trug, hervorzubringen beschloß, da er ganz Liebe ist, die Liebe aber nicht ohne das Geliebte sein kann 1 5 1 . Der Beschluß des Urvaters, das Pleroma entstehen zu lassen, ist also der Ausdruck seiner göttlichen Güte. Tertullian berichtet, Valentin selbst habe die Äonen als »Gedanken, Strebungen und Erregungen im Inneren des göttlichen Wesens« verstanden und erst Ptolemäus, der große Systematiker der valentinianischen Schule, habe aus ihnen selbständige »persönliche« Wesenheiten gemacht 152 . Aber die Äonenlehre war den Valentinianern wohl schon in ziemlich fester Gestalt durch ältere Formen des gnostischen Mythos, die sie benutzten, vorgegeben 153 . Vielleicht haben sie die Äonen nach Analogie der platonischen Ideen verstanden und dem auch in ihrer Benennung und Anordnung Rechnung getragen 154 . Doch ernsthafte philosophische Bedeutung kann die Lehre von den Äonen, über deren Namen und paarweise Aufeinanderfolge im einzelnen verschiedene Auffassungen bestanden, wohl kaum beanspruchen. Solche pseudogelehrten Spekulationen gehören zum Apparat der gnostischen Systematik. Entscheidend für die weitere Entfaltung des Seienden ist allein der Fall der Sophia 1 5 5 . Hier springt nun neben der abweichenden Darstellung der Übertretung der Sophia in den Systemen Α und Β — in Α versucht die Sophia das Wesen des Urvaters zu erkennen, in Β will sie wie der Vater ohne Syzygos etwas hervorbringen — ein weiterer Unterschied ins Auge: in Β geht der Fall allein von der Sophia und ihrem Verlangen, den Vater nachzuahmen, aus; dagegen läßt Das Evangelium veritatis (18,38—40) und der Tractatus Tripartitus (62,20) betonen in diesem Zusammenhang, daß der Urvater den Äonen die Erkenntnis nicht aus Neid vorenthalten hat (vgl. Tim. 2 9 E ) ; dazu van Unrtik, De άφθσνία van God in de oudchristelijke literatuur, Mededel. Nederl. Akad. Wetensch., N. R. 36/2 (Amsterdam 1973) 17 ff. 1 5 0 Exc. 7,1. 1 5 1 Hippol. ref. VI 29,5. 1 5 2 Val. 4 , 2 : eam (sc. viam) postmodum Ptolomaeus intravit, nominibus et numeris Aeonum distinctis in personales substantias, sed extra deum determinatas, quas Valentinus in ipsa summa divinitatis ut sensus et affectus (et) motus incluserat. 1 5 3 Diese Abhängigkeit betont schon Irenaus I 11,1, wohl nach einer älteren Quelle; vgl. N. Brox, Γνωστικοί als häresiologischer Terminus, ZNW 57 (1966, S. 105-114) l l l f . Eine solche Vorstufe des valentinianischen Mythos stellt für uns vor allem das System des Apokryphons des Johannes dar. 154 v g i Krämer, Ursprung der Geistmetaphysik S. 242 ff. l s s System A : Iren. I 2,2 (die Sophia fällt durch ihr hybrides Erkenntnisstreben); B: Iren. I 2 , 3 ; Hippol. VI 30,6—31,2 (die Sophia will in Nachahmung des Vaters ohne Partner ein neues Wesen hervorbringen). 149

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das System Α die Leidenschaft der Sophia, die sie dazu treibt, den Vater erkennen zu wollen, schon auf der ersten Emanationsstufe Nus — »Wahrheit« ihren Anfang nehmen 1S6 . Ptolemäus verfolgt also gerade nicht die Tendenz, den Ursprung des Falls möglichst weit vom höchsten Gott abzurücken, sondern er verlegt ihn in das Pleroma hinein 157 . Es muß Ptolemäus als esoterische Erkenntnis gegolten haben, daß der Fall, durch den das Böse seinen Ursprung nimmt, in der unmittelbaren Nähe Gottes seinen Ausgangspunkt hat. Der Gedanke ist aber auch konsequent aus den Voraussetzungen des valentinianischen Denkens entwickelt: der Prozeß, der zur Entstehung der Welt und der Materie führt, beginnt mit der Entstehung des ersten unvollkommenen, von Gott unterschiedenen Wesens. Irenaus hat mit seiner Feststellung, daß für die Valentinianer nur durch die Unwissenheit und »Verminderung« der Äonen die Welt entstanden sei, durchaus den Sinn des ptolemäischen Mythos getroffen 158 . Wir brauchen hier nicht den gesamten, oft dargestellten valentinianischen Mythos erneut vorzuführen, sondern können uns darauf beschränken, den Blick auf die Struktur der Prozesse zu richten, in denen sich die Seinsstufen entfalten, und uns so die innere Mechanik des Mythos zu vergegenwärtigen. Das Pleroma geht auf dem Weg der Emanation aus dem Urgrund hervor. Der feste Terminus, mit dem die Valentinianer sowohl den Emanationsvorgang als auch die emanierten Wesen bezeichnen, ist προβολή 159 . Es entspricht der Eigenart der Emanations156 157

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Iren. I 2,2; vgl. II 17,7. Zu dem Motiv, daß die Sophia, von der der Fall ausgeht, vom Vater entfernt wird, vgl. H.-M. Schenke, Nag-Hamadi-Studien III. Die Spitze des dem Apokryphon Johannis und der Sophia Jesu Christi zugrundeliegenden gnostischen Systems, ZRGG 14 (1962) 352-61. Haer. II 19,9. Vgl. Clem. Al. ström. III 1,1; V 126,2; Tertullian, Prax. 8,1. Der Grund für diese Wortwahl ist unklar. Vielleicht hat das Bild vom Treiben und Fruchtbringen der Pflanze eine Rolle gespielt. (Zu den Bedeutungen »hervortreiben, hervorbringen« von προβάλλειν und »Hervortreiben, Treiben, Trieb« von προβολή vgl. F. Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache 5 II 1 [1852] 1093. 1096). Jedenfalls sind Vorstellungen aus diesem Umkreis bei den Valentinianern verhältnismäßig häufig: der Urvater und die obersten Äonen werden als »Wurzel des Alls« bezeichnet (Iren. I 1,1; 2,1; Hippol. VI 30,7; tract, tripart. 51,3f. 18; 66,18; 74,11; vgl. Sagnard, La gnose valentinienne S. 436f.), und die Emanation wird gern mit dem Hervorbringen von Früchten verglichen (vgl. Valentin, fr. 8 bei Hippol. ref. VI 37,7; Iren. I 2,4.6; 4,5; 8,5f.; 11,lf.; 14,5; Hippol. VI 32,1 f.; vgl. 55,1; tract, tripart. 51,17-19; 74,10-13; dazu Sagnard, La gnose S. 432-436; vgl. auch tract, tripart. 62,9—11, unten S. 97). Spätere Autoren verstehen die προβολή ausdrücklich vom pflanzlichen Sprossen und Fruchtbringen aus: vgl. Basilios, ep. 52,3; Sokrates, Η . Ε. I 8,32. J. Ratzinger, Art. Emanation, RAC IV (1959, Sp. 1218-1228) 1220 vermutet dagegen, daß bei der Wortwahl das Bild vom Licht ausschlaggebend gewesen sei. Zu Sinn und Geschichte der Emanationsvorstellung vgl. neben Ratzingers Artikel Dörrie, Art. Emanation, R G G 3 II (1958) 449 f.; ders., Emanation. Ein unphilo-

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Vorstellung, daß zwar jede προβολή das Wesen des aussendenden Vaters enthält, aber in einer mit der wachsenden Entfernung von Gott zunehmenden Verminder u n g 1 6 0 . Die sich von Stufe zu Stufe steigernde Unvollkommenheit und Gottferne der Äonenpaare erklärt, wie schließlich der letzte Äon fallen konnte. Gegen diesen Gedanken der Trennung und Entfernung der Emanationen von Gott, obwohl sie aus seinem Wesen stammen, woraus sich als Konsequenz die Vorstellung einer Teilung des göttlichen Wesens ergeben mußte, richten die kirchlichen Polemiker vor allem ihre Kritik 1 6 1 . Für die Valentinianer selbst waren die emanatistischen Bilder wohl nur Symbole und andeutende Umschreibungen für den unbegreiflichen und eben deshalb nur im Mythos aussagbaren Vorgang, daß aus Gott Wesen hervorgehen, die ihm verwandt und ihm trotzdem gleichzeitig so fern sind, daß sie nicht mehr im Stande sind, ihn zu erkennen 1 6 2 . Was von den Äonen

sophisches Wort im spätantiken Denken, in: Parusia. Studien zur Philosophie Piatons und zur Problemgeschichte des Piatonismus (Festgabe J . Hirschberger, 1965) 119—141. 1 6 0 Vgl. Dörrie, Emanation S. 131. Dieses Moment der Wesensminderung in der Emanation ist wohl auch der Grund dafür, daß die Valentinianer den von ihnen sonst gerne verwendeten Begriff όμοουσιος nicht auf das Verhältnis der Äonen zum Urvater anzuwenden scheinen: Die pneumatische Substanz, die von der Sophia-Achamoth geboren wird, ist dieser wesensgleich (Iren. haer. I 5,1.6; Tert. Val. 18,1); der (pneumatische) Leib Jesu ist der Kirche (d. h. den Pneumatikern) wesensgleich (exc. ex Theod. 42,3; vgl. Sagnard, La gnose valentinienne S. 523.532); ebenso wird durch den von Christus angenommenen pneumatischen und psychischen Leib nach Rom. 11,16 jeweils gerettet, was ihm wesensgleich ist (exc. 58,1 f.; vgl. Müller, Beiträge III S. 200f.). Der »psychische Mensch«, den der Demiurg dem »hylischen Menschen« bei seiner Erschaffung eingehaucht hat (exc. 50,2; vgl. Gen. 2,7) — bei beiden handelt es sich um Seelen, die erst später mit dem irdischen Leib bekleidet werden (vgl. exc. 55,1; Iren. I 5,5) - , ist dem Demiurgen wesensgleich, der »hylische Mensch« den Tierseelen (exc. 50,1) und dem Teufel (exc. 53,1). Der Mensch, der das Böse tut, wird in seinem Wesen dem Teufel wesensgleich (Herakleon, fr. 4 4 - 4 6 = Orig. comm. Joh. X X 20,168-170; 23,198-201; 24,211—219. In diesem Fall wird die Homousie nicht durch ein naturhaftes Verhältnis, sondern durch das menschliche Handeln konstituiert: vgl. Langerbeck, Die Anthropologie der alexandrinischen Gnosis S. 67—70). Auch Ptol. ad Flor. 7,8 schließt eine Homousie der Äonen mit dem Urgrund im vollen Sinn aus. An allen diesen Stellen bezeichnet όμοούσιος die Wesensgleichheit auf der Ebene derselben Stufe des Seienden, das Wort drückt also eine sozusagen horizontale Relation aus. Zum Zusammenhang zwischen Emanation und Homousie vgl. Ratzinger Sp. 1225. 161 v g l . Origenes, princ. I 2,6: observandum namque est, ne quis incurrat in illas absurdas fabulas eorum, qui prolationes quasdam sibi ipsi depingunt, ut divinam naturam in partes vocent et deum patrem quantum in se est dividant, cum hoc de incorporea natura vel leviter suspicari non solum extremae impietatis sit, verum etiam ultimae insipientiae, nec omnino vel ad intellegentiam consequens, ut incorporeae naturae substantialis divisio possit intellegi; ferner princ. IV 4,1; Hieron. apol. adv. libros Rufini II 19 (über die Disputation des Origenes mit dem Valentinianer Candidus); Ten. Prax. 8; dazu Ratzinger Sp. 1221 ff.

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erzählt wird, ist im Grunde schon das Schicksal der Pneumatiker in der Welt 1 6 3 . Irenäus berichtet, er habe in persönlichen Gesprächen Valentinianer über das Wesen des Emanationsvorganges befragt, diese hätten ihm jedoch keine nähere Erklärung und Begründung dafür zu geben vermocht 1 6 4 . Die valentinianische Emanationsvorstellung schillert nach verschiedenen Seiten. Im »Tractatus Tripartitus« heißt es, daß der Urvater die Äonen hervorbringt »wie ein kleines Kindlein, wie einen Tropfen einer Quelle, wie eine Blüte eines [Weinstocjkes, wie eine [Blume, wie] einen durchbrechenden(en) (Sproß)« 1 6 5 . Der Syzygie-Gedanke lebt von der Analogie zu Zeugung und Geburt, so daß das Hervorgehen der Emanationen naturhaft als ein Geburtsvorgang geschildert werden kann 1 6 6 . Neben dieser bildhaften Vorstellungsweise wird aber auch ein Streben zur Abstraktion sichtbar. In einem System, von dem Irenäus berichtet,

Dörrte geht in seiner Untersuchung der Emanationsvorstellung von dem Begriff άπόρροια aus, dessen Verwendung das Bild von einer Quelle und ihrem Abfließen voraussetzt. Bei den Valentinianern spielt dieser Terminus aber nur eine untergeordnete Rolle. Einzig Markos scheint ihn auf die Emanation des Pleroma angewendet zu haben (Iren. I 14,5). Sonst wird noch in den Excerpta ex Theodoto der pneumatische Samen eine άπόρροια άγγελικοϋ genannt (2,If.), und bei Ptolemäus heißt es von der Seele, die der Demiurg dem hylischen Menschen einhaucht, sie stamme aus einem »pneumatischen Abfluß« (Iren. I 5,5; in exc. 50,3, wo dieselbe Quelle wiedergegeben ist, fehlt dieser Ausdruck); vgl. noch den Brief Alexanders von Alexandrien an Alexander von Thessalonich bei Theodoret, Η. Ε. I 4,46. Das von Dörrie hervorgehobene Problem, daß die Emanation ein allmähliches Abnehmen der Substanz Gottes bedeuten könnte, wurde von den Valentinianern auf Grund ihrer andersartigen Terminologie wahrscheinlich kaum empfunden (anders Dörrie, Emanation S. 131f.). 163 Müller, Beiträge IV S. 200 betont, daß das Geschehen im Pleroma nur »ein Widerschein dessen, was sich am Gnostiker vollzieht, eine Projektion aus der Welt des Menschen in die der Äonen« ist. 1 6 4 Haer. II 17,9: hoc autem solum dicunt, quoniam emissi sunt unusquisque illorum et ilium tantum cognovisse qui se emisit, ignorans autem eum qui ante illum est. Iam non autem cum ostensione progrediuntur, quemadmodum emissi sunt, aut quomodo capit tale quid in spiritualibus fieri. Zu mündlichen Diskussionen als Quelle für die Kenntnisse des Irenäus über die Lehre der Valentinianer vgl. Sagnard, La gnose valentinienne S. 96—99. Irenäus versucht das Verhältnis der Emanationen zu Gott durch verschiedene Vergleiche zu beschreiben: Sonne-Strahl; Mensch-Mensch; Tier-Tier; Baum-Zweig (II 17,2); Stem-Stern (17,5); Hand-Finger (17,6). Sagnard S. 97 vermutet, Irenäus habe diese Bilder der Logosspekulation entlehnt; aber die Valentinianer können sie selbst gebraucht haben: im Tractatus Tripartitus heißt es vom Urvater, daß er »in der Art einer Wurzel, mit einem Baum, (und) mit Ästen, (und) mit Früchten« ist (51,17—19; ähnlich 74,10-13); das Bild von Sonne und Strahl erscheint im Rheginos-Brief, allerdings bezogen auf das Verhältnis des Erlösers zu den Pneumatikern (45,28-39). 1 6 5 62,7-11; vgl. 74,6ff. 1 6 6 Iren. I 1,1. Hippolyt berichtet von dem Schulstreit über die Frage, ob der Urvater die Äonen mit oder ohne Partnerin aus sich hervorgebracht hat: ref. VI 29,3.

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kann es heißen, daß die göttliche Zweiheit ein weiteres Paar von Wesen »hervorbrachte ohne hervorzubringen« 1 6 7 . Das erstaunlichste Beispiel für den Gebrauch massiver mythologischer Vorstellungen, die aber ständig in psychologische und geistige Vorgänge umgedeutet werden, bietet der Brief des »unvergänglichen Nus«, wohl das Dokument eines späten, verwilderten Valentinianismus, der wieder in verstärktem Maß vulgärgnostische Vorstellungen aufgenommen hat. Hier wird die Entstehung der Emanationen aus einer Folge von geschlechtlichen Vereinigungen der Äonen geschildert, aber die Vereinigung wird als der »Wille« bezeichnet und sie ist »unvergänglich« und zeitlos 1 6 8 . Die Begriffe προβολή und προβάλλειν können außer der Hervorbringung der Äonen auch Emanationsvorgänge außerhalb des Pieromas bezeichnen. Sowohl der pneumatische Same als auch der aus den Substanzen des Psychischen und Hylischen zusammengesetzte Kosmos werden als Emanationen der Sophia bezeichnet 1 6 9 . In beiden Fällen ist die emanative Entstehung deutlich: der pneumatische Same wird von der Sophia geboren, und das Psychische und Hylische geht durch Umwandlung aus den Affekten der Sophia hervor. Merkwürdig ist es jedoch, daß in dem ptolemäischen Quellenstrang der »Excerpta ex Theodoto« auch der Demiurg als Emanation der Sophia erscheinen kann, den diese nach der Darstellung des Irenäus aus dem psychischen Stoff formt 1 7 0 , und daß es hier sogar heißt, der Demiurg »emaniere« den psychischen Christus, die Engel und Erzengel, obwohl ausdrücklich gesagt wird, daß er sie aus dem psychischen Stoff schafft 1 7 1 . Vermutlich hat Klemens von Alexandrien seine Vorlage ungenau wiedergegeben, denn sonst haben die Valentinianer zwischen Emanation und Schöpfung terminologisch und sachlich exakt unterschieden 172 . Die kirchliche Theologie hat die gnostische Emanationslehre entschieden abgelehnt 1 7 3 , doch hat man trotzdem in der Christologie den Terminus προβολή verwendet 1 7 4 , wie ja überhaupt das Verhältnis des Sohnes zum Vater durch ver167 168

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Iren. I 11,3 (Markos?): προηκαντο μή προέμεναι. Epiphan. panar. XXXI 5,6.7; 6,5.7; vgl. O. Dibelius, Studien zur Geschichte der Valentinianer II: Der valentinianische Lehrbrief ZNW 9 (1903, S. 329-40) 338-40; die Herkunft aus einem späten Stadium des Valentinianismus betont auch A.J. Visser, Der Lehrbrief der Valentinianer, Vig. Chr. 12 (1958, S. 27-36) 35f. Dagegen meinte Holl in seiner Epiphanius-Ausgabe (I S. 390), daß der Brief »eine der ältesten Urkunden des Valentinianismus« sei. Exc. 53,3.5; 67,1.4; in dem vom System des Ptolemäus deudich abweichenden Abschnitt exc. 29—42 emaniert die Sophia den Christus, die »linken« und »rechten Kräfte« und den pneumatischen Samen: 34,1; 39—41; vgl. Iren. I 11,1. Exc. 47,2; anders Iren. I 5,1; vgl. auch exc. 33,3f. Exc. 47,3; vgl. Iren. I 5,1. Vgl. exc. 41,lf. und Ratzinger Sp. 1221. Vgl. Ratzinger Sp. 1221ff.

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schiedene emanatistische Bilder umschrieben wurde. Das Wort άπόρροια war in Sap. 7,25 gegeben, und konnte deshalb ebenfalls in der kirchlichen Christologie eine Rolle spielen 175 . Aber der entscheidende Unterschied bestand darin, daß die kirchliche Theologie mit Vergleichen dieser Art die wesenhafte Verbindung Christi mit dem Vater umschreiben wollte, während die Gnosis unter dem Bild der Emanation das Absinken des göttlichen Wesens und seinen schließlichen Fall schilderte, als dessen Folge der Kosmos entstand. Eine besondere Rolle spielt bei der Entfaltung des Pieromas die erste Emanation des Urvaters, der Nus: er heißt ebenfalls »Vater« und ist das »Prinzip des Alls«, in dem keimhaft bereits sämtliche weiteren Äonen vorhanden sind 176 . Die hervorgehobene Stellung des Nus kommt ferner darin zur Geltung, daß der Urvater durch ihn sowohl den Horos als auch Christus und den Heiligen Geist hervorbringt 1 7 7 . Durch den Christus erfahren die Äonen, daß Ursache für ihren ewigen Bestand die Unfaßbarkeit des Vaters, Ursache ihrer Entstehung und Gestaltung aber seine »Erkennbarkeit«, der Sohn-Nus, ist 178 . Diese Aussagen über den Nus und seine Funktion im System der Äonen sind offensichtlich von den Anschauungen des mittleren Piatonismus beeinflußt 179 . Allerdings bleibt die eigent-

Tertullian grenzt seine Verwendung des Begriffs genau von der valentinianischen ab: Prax. 8; vgl. Ratzinger Sp. 1223 — 1225; einen stoffreichen Uberblick über den Gebrauch des Terminus προβολή in der christlichen Literatur des zweiten bis vierten Jahrhunderts gibt Orbe, Estudios Valentinianos I: Hacia la primera teologia de la procesion del Verbo (Rom 1958) 519-754. 175 Vgl. Grant, The Book of Wisdom at Alexandria, in: After the New Testament (Ges. Aufs., Philadelphia 1967, S. 70—82) 72ff.; Marguerite Harl, A propos d'un passage du Contre Eunome de Gregoire de Nysse: Aporroia et les titres du Christ en theologie trinitaire, Rech. Sc. Rel. 55 (1967) 217-26. 176 Iren. I 1,1; 8,5; ähnlich Hippol. VI 29,6. Im System Α wird auch noch der vom Nus hervorgebrachte Logos als »Prinzip« und »Vater des Alls« bezeichnet; er enthält in sich die Substanz der übrigen Äonen, die später von ihm geformt wird (Iren. I 1,1; 8,5); vgl. Sagnard, La gnose valentinienne S. 311—315. Der Logos ist wahrscheinlich überhaupt »als Abwandlung des Nus aufzufassen«: Krämer S. 251 Anm. 210. 177 Iren. I 2,4f. In diesem Abschnitt ist zum Teil die Fassung Β des Mythos benutzt: Stead, Myth S. 78 f. Nach Hippol. VI 31,2 bringt das Äonenpaar Nus und »Wahrheit« Christus und den Heiligen Geist auf Befehl des Urvaters hervor. 178 Iren. I 2,5; die Erkennbarkeit des unerkennbaren Vaters durch den »Eingeborenen« wird auch in exc. 7,1 behauptet. 179 Es ist schwer zu entscheiden, ob die Valentinianer die platonische Vorstellung, daß Gott durch die Weltseele den Kosmos ordnet (vgl. Albinos, did. 10, S. 164,19ff.; zu Numenios vgl. Krämer S. 72ff.; M. Baltes, Numenios von Apamea und der platonische Timaios, Vig. Chr. 29 [1975, S. 241-270] 263-267), in das Pleroma übertragen, oder ob sie ein neupythagoreisch-platonisches Schema kennen, in dem ein höchstes Eines über dem Nus steht. Letzteres vermutet Krämer S. 25lff.; er verweist auf das bei Simplikios vorliegende Referat des Porphyrios über die Lehre des Moderatos von Gades, in dem sich

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Die Weltschöpfung bei Basilides und den Valentinianern

liehe philosophische Problematik des Nus-Begriffs für die valentinianische Spekulation ohne Bedeutung. Der Gedanke, daß der Nus der unmittelbare Urheber und Träger der weiteren Entfaltung des Pieromas ist, dient lediglich dazu, die Transzendenz des Urgrundes zum Ausdruck zu bringen. Neben der Emanationsvorstellung ist für das valentinianische System der Gedanke der »Formung« konstitutiv. Auch dieser Begriff gewinnt von verschiedenen Vorstellungsbereichen her seinen Sinn. Ptolemäus unterscheidet zwischen einer »Formung nach dem Sein« und einer »Formung nach der Erkenntnis« 1 8 0 . F ü r die »Formung nach dem Sein« ist die kosmologische Vorstellung von der Gestaltung der ungeformten Materie maßgebend. Nach der Darstellung des Irenaus scheint im ptolemäischen System bei den Äonen die Enstehung ihrer Substanz und deren Formung zusammenzufallen 181 . Aber in seiner Auslegung des Johannes-Prologs sagt Ptolemäus, daß die Substanz der nach dem Logos entstandenen Äonen zunächst im Logos war und erst später von diesem geformt wurde. Die Emanation der göttlichen Substanz durch den Nus und ihre seinsmäßige Formung durch den Logos sind also zwei aufeinanderfolgende Vorgänge 1 8 2 . Ganz eindeutig nach Analogie der Formung der kosmischen Materie wird die Entstehung der Sophia-Achamoth geschildert: der Horos trennt von der ersten Sophia, die vergeblich versucht hat, den göttlichen Vater zu erkennen, ihre Enthymesis und ihre Leidenschaft ab und entfernt beide aus dem Pleroma. Das Abgetrennte ist zwar eine pneumatische Substanz, aber form- und gestaltlos 183 . Ptolemäus beschreibt also den Stoff, aus dem die zweite Sophia geformt wird, mit den festen Prädikaten, die im Piatonismus die Materie erhält 1 8 4 . Die gestaltlose die Abfolge Eines — Ideen - Weltseele — Hyle findet (Simpl. in phys. I 7; 230,36-231,5). Ein entsprechendes Schema bestimmt nach Krämers Meinung auch den Aufbau des valentinianischen Systems (Bythos — Äonen — Demiurg — Hyle); zustimmend Kübel S. 79 f. Allerdings dürfte Porphyrios die Lehre des Moderatos in seiner Wiedergabe ganz neuplatonisch umstilisiert haben: P. Hadot, Porphyre et Victorinus I (Paris 1968) 165—167. Aber auch Albinos zieht die Möglichkeit in Betracht, daß Gott den Nus übersteigt (did. 10, S. 164,18f.); vgl. ferner Clem. Al. ström. VII 2,2f.; V 38,7; anders IV 162,5. 180 Μόρφωσις κατ' ούσίαν (Iren. I 4,1; 7,2) und κατά γνώσιν (Iren. I 4,1; exc. ex Theod. 45,1; 59,1); Herakleon, fr. 2 = Orig. comm. Joh. II 21,137 redet von einer ersten Formung κατά την γένεσιν. 1 8 1 Immerhin heißt es in haer. I 1,1, daß der Logos »Prinzip« und »Formung« des ganzen Pieromas sei; ähnlich I 2,5: der Nus ist Ursache für die Entstehung und Formung der Äonen. Entstehung und Formung werden also wenigstens verbal unterschieden. 1 8 2 Iren. I 8,5. Ungenau Foerster, Die Grundzüge der ptolemäischen Gnosis, NTS 6 (1959/60, S. 16—31) 18: »Gestaltung dem Sein nach ist das einfache Geschaffenwerden des Göttlichen«. 1 8 3 Iren. I 2,4: είναι μεν πνευματικην ούσίαν,