Schönes Spielzeug aus alten Nürnberger Musterbüchern

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Schönes Spielzeug aus alten Nürnberger Musterbüchern

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aus alten Nürnberger Musterbüchern

aus alten Nürnberger Musterbüchern vorgestellt und erläutert von Christa Pieske

IDIOIM MÜNCHEN

© 1979 Idion Verlag, München Gestaltung, Satz und Produktionsleitung: Grafische Verfahrenstechnik Layer, Ostfildern bei Stuttgart Druck: Druckerei Ernst Klett, Stuttgart Bindearbeiten: C. Fikentscher KG, Darmstadt

Inhalt

Verzeichnis der Farbtafeln

7 Einleitung 9 Spielzeug-Musterbücher 17 Spielzeug auf den Weltausstellungen 23 »Nach der Christbescherung« 24 Spielzeughersteller 29 Literatur zu Spielzeug und Spielzeugherstellung

1 Puppenstube 2 Wohn- und Schlafzimmer für Puppen 3 Dockenzimmer mit Küche 4 Puppenzimmer mit Küche aus Blech 5 Kochherde und Brunnen aus Blech 6 Bewegliches Blechspielzeug 7 Puppenmöbel 8 Puppenmöbel 9 Schlafzimmer-Puppenmöbel 10 Säuglingspflege 11 Wickelkinder 12 Puppen-Betten und -Fahrzeuge 13 Zinn-Waren 14 Zinn-Waren 15 Metall-Druck-Waren 16 Puppen-Garnituren 17 Vollständige Altareinrichtung 18 Tee-, Kaffee- und Tafelservice

19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37

Puppengeschirr Puppengeschirre aus Zinn Küchengeräte aus Holz Waschhaus und Trockenplatz Stall und Wagenremise Chevaux ä louer Kutschwagen Kutschwagen Kinderpeitschen Kutschwagen Kutschwagen Dreh-Fahrzeuge Frachtwagen Rollfuhrwerk aus Holz Bäckerladen Bäckerladen Kaufmannsladen Kaufmannsladen Lebküchner- und Wachszieher-Laden

38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53

Spezerei-Laden und Lagerhaus Glaswaren-Handlung Korbwaren-Laden Spielzeugbude für den Markt Spielzeugbude mit Nürnberger Tand Polichinelltheater und Hampelmänner Kasperlebühne Handpuppen und Schwenkpuppen Scheiben und Polichineller Papiertheater Chinesisches Feuerwerk und Papiertheater Optische Waren Laterna magica Erdgloben Gymnastische Spiele Taschenspiel-Apparat Brettspiele

54 Bemalte Pochbretter 55 Posthornund Makaroni-Spiel 56 Kinder-Spielkarten 57 Tisch-Kugelspiele 58 Tisch-Kugelspiele 59 Fortuna-Spiel Luftkegelspiel 60 Soldaten aus Holz 61 Messingund Holzkanonen 62 Französische Kanonen 63 Eisenbahn und Militärspielzeug 64 Spielzeug-Waffen 65 Kindersäbel 66 Badepuppen und magnetisches Spielzeug 67 Magnetische Waren in Kästchen 68 Magnetische Schiffe in Holzkisten

69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80

Magnetische Gegenstände Papiermache-Waren Bewegende und klingende Figuren Klein-Spielzeuge Klein-Spielzeuge Klein-Spielzeuge Aufklapp-Puppen Harlekin aus Leder Gaukler aus Pappmache Puppenkinder Ankleidepuppen unter Glas Chinesische Treppenläufer Leder- und Gummibälle

Einleitung

Nicht von ungefähr ist das Sammeln alten Spielzeuges eine ernsthafte Beschäftigung von vielen und durchaus ernsthaften Leuten geworden. Die Beweggründe sind so zahlreich wie die Sammler: Erfüllen von Kindheitsträumen, Schaffen und Regieren einer eigenen Miniaturwelt, Versenken in die Gedanken vergangener Jahrhunderte und so manches mehr an Tiefgründigem oder Vordergründigem! Die Fülle des Materials zwingt zum Spezialisieren; einer (oder besser eine) sammelt nur Souvenir-Puppen, dieser nur Blechspielzeug oder jene nur die so winzigen, aber teuren Puppengeschirre. Dazu kommen die noch möglichen örtlichen und zeitlichen Eingrenzungen, - Eingrenzungen, die in Wirklichkeit erst ein tieferes Eindringen in die kleine Welt gestatten. Diese Sammler, wenn sie erst

sich und ihr ureigenstes Gebiet erkannt haben, sind zu beneiden. Sie haben die Stürme der Wahl- und Qual-Zeit hinter sich, sie vermeiden alle Gemeinplätze und loten mit Spürsinn nur dort aus, wo sie auch mit Sicherheit fündig werden! Das alte, beschabte und leicht defekte Spielzeug ist in seinem Charme unbezwinglich. Es ist durch so viele kleine Hände gegangen, Geist und Herz der Zeiten und Generationen haben sich ihm mitgeteilt. Wer könnte es ungerührt betrachten? Jedes Stück, auch das aus der sog. Massenfabrikation, ist durch sein Schicksal zu einem Original geworden. Und diese Originale gehen nun im Schrank des Sammlers eine innige Verbindung ein, eine Verbindung, die sie nach Zeit- und Ortsumständen niemals hätten haben können. Der Sammler um-

gibt sich mit den mehr oder minder zufällig erworbenen Einzelheiten, seine Selektion erst formt die Sammlung. Wie aber muß das Herz des Liebhabers schlagen, wenn er mit einem Mal, gleichsam wie durch die Linse des Guckkastens, plötzlich einer kompletten Spielzeugwelt im Musterbuch gegenübersteht! Ein Spielzeug-Musterbuch ist eine vielschichtige und auch zugleich abgerundete Dokumentation von Dingen, die vielleicht nur für eine, höchstens zwei Generationen bestimmt waren. Da gibt es beim Hineinschauen geradezu Offenbarungen, das Einzelstück bekommt Geschwister, ist aus seiner Isolation erlöst. Es werden Zusammenhänge deutlich, ja, vielleicht erkennt man sogar den vertrackten Mechanismus, an dem man in Gedanken soviel herumgebastelt hat! 8

Ein Füllhorn überschüttet den Betrachter: Unmengen von Arche-Noah-Tierchen, Kutschen, Pferdchen, Baukästen, Puppen, Hampelmännern und Brummkreiseln, und fast alles in Originalgröße sehr brav und perspektivisch gezeichnet und so bunt, wie es geliebtes Spielzeug eh und je sein mußte. Ein solches Musterbuch in zwei Bänden bildet die Grundlage für das vorliegende Buch. Besitzer, Verleger und Bearbeiterin konnten sich nicht der Faszination entziehen, die seine Seiten ausstrahlen und meinten, dieser Schatz müßte noch mehr Menschen erfreuen. Zumal ja die Anzahl von Spielzeug-Musterbüchern nicht gerade hoch ist, sieht man von den erzgebirgischen Musterbüchern ab, die sich im Volkskunstmuseum in Dresden befinden. Für dieses Nürnberger Muster-

buch, dessen erster Band die Spuren eines intensiven Gebrauchs erkennen läßt, muß sogar angenommen werden, daß etwa vergleichbare, umfangreiche Bände nicht mehr existieren. Wohl trifft man gelegentlich in graphischen Sammlungen auf einzelne Blätter, auch haben rabiate große und kleine Zerstörer mit Schere und Klebstoff Musterbücher für ihre Scrap-Alben ausgeschlachtet. Umso dankbarer muß man für diesen Glücksfall sein, daß ein Musterbuch mit zwei Bänden die Zeitläufe einigermaßen überstanden hat und nun zu einem geradezu erregenden Zeitdokument geworden ist.

Spielzeug-Musterbücher

Was hat es mit diesen Spielzeug-Musterbüchern auf sich? Sie waren keineswegs dazu bestimmt, schwärmerische Erwachsene ins Traum- und Kinderland zu versetzen. Über die Musterbücher beugte sich der kalkulierende Kaufmann, der für die Messe- oder Weihnachtszeit seinen Warenvorrat ergänzen wollte, und zwar mit Dingen, die gängig und gefragt waren. Die Waren mußten verkäuflich sein, nicht umsonst findet man gelegentlich die handschriftliche Notiz »nicht mehr gangbar«! Er begutachtete sehr kritisch das Material, verglich Preis und Aussehen und dachte an die Wünsche seiner Kunden, der Erwachsenen, wohlgemerkt. Musterbücher konnten erst dann einen Sinn haben, als die vertriebswirtschaftlichen Vorraussetzungen gegeben waren. Mit dem sich erweiternden

Eisenbahnnetz und den sichereren Transportmitteln war ja ein risikoloses Schicken der Ware gewährleistet, wenngleich noch sehr lange über die nachlässige Verpackung und die dadurch verursachte Demolierung von so manchem Spielzeug geklagt wurde. Die Grossisten verschickten die Musterbücher oder auch einzeln verlangte Blätter daraus für bestimmte Warengruppen. Die Bücher lagen auf den Messen aus und ergänzten die dort gezeigten Musterlager. Damit waren aber die eigentlichen Musterkoffer noch nicht ganz abgelöst. Diese sehr großen und schweren Koffer wurden von den Handelsreisenden mitgeführt und gestatteten ein Vorführen originaler Spielzeuge oder verkleinerter Muster. Ein glücklicher Zufall hat im Erzgebirge vor zehn Jahren beim Abbruch eines

Verlegerhauses einen solchen Warenmusterkoffer zutage gefördert, der einen Querschnitt durch die Schnitzarbeiten um 1890 darstellte. Für Nürnberg beginnt die Zeit der Spielwarenkataloge mit Georg Bestelmeier. Dieser Galanterie-, Spiel- und Kurzwarenhändler gab ab 1793 bebilderte Kataloge heraus und schrieb in seiner Einleitung mit dem richtigen Gespür für Verkauf spsychologie: »... Der Auswärtige erhält dadurch eine allgemeine Übersicht aller hier verfertigten und ohnehin schon im Ausland rühmlich bekannten Kunst- und Spielsachen und kann jeder, da die meisten Artikel durch genaue Kupfer abgebildet, seinem eigenen Geschmack folgen, ohne bei der Bestellung der Wahl des Verkäufers folgen zu müssen.« Der inzwischen hochberühmte 10

»Bestelmeier«, auch als Reprint jetzt allgemein zugänglich, wurde in einer Reisebeschreibung von 1852 mit geradezu schwärmerischen Worten bedacht: »In Nürnberg schenkte mir ein Kaufmann ein recht merkwürdiges Dokument, nämlich einen Katalog von allen den Gattungen von Kinder-Spielzeugen, mit welchen sein Haus handelte. Dieser Katalog war das komplizierteste WarenVerzeichnis, das ich in meinem ganzen Leben gesehen gäbe. Es umfaßte beinah so viele Waren-Nummern als das chinesische Alphabet Buchstaben, nämlich über 12 000. Da ein Spielsachen-Lager ein wahrer Mikrokosmos sein muß, in welchem jedes existierende Ding und Wesen im Kleinen seinen Platz findet: so ist es zwar klar, daß der Spielsachenhändler von allen Kaufleuten der Welt

den umfassendsten Warenkreis hat; doch war ich darüber erstaunt, aus dem besagten Katalog zu sehen, wie gut und bequem man in neuerer Zeit diesen Handelszweig organisiert hat. Jede Gattung Tiere, wilde Tiere, Haustiere, Pferde, Rinder, Schafe hatten darin ihre eigene Nummer. Ebenso jede Gattung Menschen, jedes Volk, jede Armee..., die bairische, die österreichische, die preußische Armee. - Alle die tausend und tausend Dinge waren auch ein jedes wieder zu besonderen Preisen, in gemeinerem oder kostbarerem Stoffe, in mehr oder weniger großen Formaten zu haben. Bei jeder Nummer war eine kurze Beschreibung der Ware, und alles so eingerichtet, daß der auswärtige Spielwaren-Krämer dem Engros-Händler in Nürnberg nur die Nummer des Kataloges zu nennen

braucht, um gerade das Geschöpf zu erhalten, für das sich die Jugend seines Landstädtchens am meisten interessiert.« Bestelmeier führte nicht nur die mit zierlichen kleinen Kupfern versehenen »Magazine«, sondern auch noch »Verzeichnisse«, die nur die Gegenstände mit ihren Preisen auflisteten. Da heißt es z. B. 1798 beim Knabenspielzeug: »Ein Lager von vielen Zelten, mit Soldaten, Kanonen und Bäumen, 2 Gulden 12 Kreuzer.Ein Marquetender Zelt mit bewegender Figur 34 Kreuzer, eine Kanone, woraus man Erbsen schießen kann, 12 Kreuzer.Ein Kinderposthorn von Messing l Gulden 12 Kreuzer.-Ein Ritterturnier, ganz in den Kostümen der Vorzeit mit Thron, Schranken, Rittern usw. 3 Gulden.-

Alabasterne Figuren in Schachteln l Gulden 12 Kreuzer.« So eindeutig wie die Urheberschaft von Bestelmeier für seine zahlreichen Kataloge ist die Situation für das hier benutzte Musterbuch leider nicht. Kein Spielzeug-Verleger oder Kommissär tritt auf einem Titelblatt in Erscheinung; kein Wunder, denn mit diesen Bänden wurde gearbeitet, die viel beblätterten ersten Seiten sind verloren. Auch ist manches herausgeschnitten und wieder zusammengeklebt worden. Viele handschriftliche Mengen- und Größenbezeichnungen, vor allem aber die Typenbezeichnungen sind heute kaum deutbar. Eines aber ist mit Sicherheit zu sagen: Der Löwenanteil der handkolorierten, in Kreidelithographie verfertigten Blätter wur-

de von Friedrich Scharrer in Nürnberg hergestellt. Wer war dieser Mann? 1837 jedenfalls Kaffeewirt und Besitzer einer Papierund Schreibwarenhandlung, dann nach dem Einwohnerregister Weinwirt, Lithograph und Steindrucker. Im Adreßbuch von 1846 erscheint er als Lithograph. Inzwischen muß er sich mit einer eigenen Lithographischen Anstalt etabliert haben. Nach seiner Geschäftskarte, die in Ton und Aufmachung dem um 1850 Üblichen entspricht, empfahl er sich mit allen in das merkantile Fach schlagenden Arbeiten. Seine Anstalt kann keineswegs unbedeutend gewesen sein, erhielt er doch 1854 auf der Allgemeinen deutschen Industrie-Ausstellung in München eine Auszeichnung und stand damit in der Rangliste der wichtigsten deutschen 11

Lithographischen Anstalten. Den Nummern nach hat Scharrer 275 Blätter für das Musterbuch lithographiert. Sie sind allerdings nicht lückenlos gebunden. Beide Bände umfassen auch nur 196 Abbildungsseiten, große Nummernpartien fehlen. Es ist zu vermuten, daß der Auftrag eines Spielzeugverlegers an Scharrer nicht von diesem allein bewältigt werden konnte, so daß er noch die Lithographische Anstalt von August Kolb, - um 1857 nachgewiesen - herangezogen hat. Kolb annoncierte in den Fachblättern und suchte in den 50er und 60er Jahren ständig Zeichen- und Kreidelitographen, ebenso wie Farbendrucker. Doch für wen waren die Lithographen tätig, welches der um 1850 und etwas später florierenden Spielzeug-Vertriebsunternehmen konnte dahinterstecken? Es ist nicht 12

ausgeschlossen, daß hier der kleine zeichnerische Hinweis auf Bl. 34 »Rau 186« des Rätsels Lösung bringt: Christoph Friedrich Rau stand der Firma Roth & Rau vor, führte eine »Manufactur und feine Kinderspielwaren en gros« um 1857. Leider gibt es dann zur gleichen Zeit noch den Spielwarenfabrikanten Wilhelm Friedrich Rau, der eine »Manufactur und feine Spielwaren en detail« betrieb. Welcher von Beiden war es? Oder waren mit diesem Musterbuch beide Raus, »en gros und en detail«, verbunden?

Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Auftauchen eines einzelnen lithographischen Blattes zu genaueren Aufschlüssen führen kann. Das Musterbuch von Friedrich Scharrer, - man kann wohl so sagen, denn es ist seine Arbeitsleistung gewesen - unterscheidet sich grundlegend von dem kleinformatigen Bestelmeiers. Schon die beachtliche Größe, Folio-Querformat, bewirkt Detailfreudigkeit und Genauigkeit. Die Lithographie, als neue Reproduktionstechnik ab 1830 in fast allen Städten Deutschlands eingeführt, wurde vor allem zu den sog. merkantilen Arbeiten, also den Formularen usw. im kaufmännischen Bereich, benutzt. Die künstlerischen Möglichkeiten, und das ist oft bedauert worden, wurden dagegen weniger gesehen und wahrgenommen. Eini-

ges Anschaffungskapital war für eine Lithographische Anstalt erforderlich, brauchte man doch die Solnhofener Steine, Chemikalien, Tinten und spezielle Papiere, abgesehen von der Presse und geschickten Zeichnern und Schriftlithographen. Um 1855 waren in Nürnberg 15 Steindruckereien vorhanden, daneben waren noch 54 Kupferstecher im Landkartenfach und in der Buchillustration tätig. Friedrich Scharrer ließ - oder zeichnete er auch selbst? - in der Kreidemanier arbeiten. Im Gegensatz zur schärferen Federlithographie erlaubte sie den weicheren Strich und mitunter eine gewisse malerische Wirkung. Die Kolorierung erfolgte von Hand mit aller Sorgfalt, die dem Gegenstand angemessen war. Hier 13

gab es keine schematische Schablonenkolorierung wie bei den billigen Bilderbogen oder Wandbilddrucken, wo in großen Sälen Mädchen und Frauen ausgeschnittene Pappschablonen auflegten, mit flottem Bürstenstrich darüberfuhren und schon das nächste Blatt heranzogen. Die subtile Kolorierung macht den besonderen Reiz dieses Musterbuches aus; mit welcher Akribie sind nicht z. B. die zierlichen Details in dem Wachszieherund Lebküchner-Laden ausgefüllt (B1.37)! Da ist nichts vertuscht und verschmiert, sondern durch die Farbe nur noch bereichert worden. Sicher hatte Scharrer auch für die graphische Durchgestaltung zu sorgen; er mußte die zusammengehörenden Gegenstände in eine gefällige Relation bringen und auch nicht zuviel Platz verschenken, denn der 14

Stein und damit auch das Papier mußten ausgenützt werden. Daß das bei schwierigen Formen oder besonderen Umrissen nicht so ganz glückte, beschert uns heute jedenfalls eine Fülle von Dingen, die wir in dieser Zusammenstellung nicht erwartet hätten! Es war das offensichtliche Bestreben, alle Spielsachen, Spiele und Kurzwaren im günstigsten Licht zu präsentieren. Sie mußten absolut deutlich, erkennbar auch in ihrer Funktion und dazu reizvoll sein. Die sachliche Information stand über allem, der Käufer wollte und sollte alle Details genau wissen. In dem Musterbuch sind nicht nur Spielwaren enthalten; diese waren ja nur ein Teil des Galanterie- und Kurzwarenhandels, wenn sie sich auch später mehr und mehr verselbständigten. So gehören

durchaus die köstlichen Seiten mit den »Salatbestecken in Buchs, in deutschem und Büffelhorn« dazu, wie auch die zierlichen Elfenbeinwaren (Brieföffner, Zigarrenspitzen mit Jagdmotiven) oder die »Haar- und Hutbürsten«. Eine Liste der »Collectiv-Ausstellung der KurzwarenIndustrie von Nürnberg und Fürth« von 1873 umfaßt 131 Firmen, beginnt mit »Schildplattschmuck« und endet mit »Kinder-Feuerspritzen und Kochherden«. Das Musterbuch bringt in seinen Bänden, die zeitlich höchstens zehn Jahre auseinanderliegen dürften, Spielzeug aus allen gängigen Materialien. Dabei wird deutlich, daß das traditionelle Holzspielzeug nicht in dem reichem Maße vertreten ist, wie es erwartet werden könnte. Zwar gibt es noch die Docken, schlicht

gedrechselt und fröhlich bunt bemalt, und auch Pferdefuhrwerke, die ihre Herkunft aus den Holzspielzeug-Zentren Thüringen, Erzgebirge und Oberammergau nicht verleugnen. Auch das Spielzeug aus Pappmache, dem ja wegen seiner Modellierfähigkeit kaum irgendwelche technischen Grenzen gesetzt werden konnten, ist verhältnismäßig spärlich vertreten. Eine Spezialität des Hauses (Versandhaus Rau in Nürnberg?) können die vielseitigen und vor allem mit reichhaltigstem Inventar versehenen Kaufmannsläden gewesen sein. Solche Darstellungen auch der nebensächlichsten Einzelheiten sind sehr selten, sie bestechen nicht nur durch die Zeichnung, sondern auch durch die intensive Farbigkeit! Einen sehr großen Raum nehmen naturgemäß die Blechspielzeuge ein, mit

denen Nürnberg, im Verein mit Fürth, den Weltmarkt belieferte. Die Zeit dieser Musterbücher ist erst der Anfang einer expandierenden Blechspielzeugherstellung; wenig später erscheinen dann Kataloge, die ausschließlich blechernes Spielzeug, von der Modell-Eisenbahn bis zum Uhrwerk-Räder-Tier, vorführen. In den Musterbüchern von Friedrich Scharrer ist noch der weite Umkreis aller Materialien und aller Formen vereint. Bald darauf hat sich die Detaillierung bei Puppen, Puppengeschirren und Puppenwagen, bei Tisch- und Gesellschaftspielen, bei Papiertheatern und Kulissenbögen oder für Zinnsoldaten und Zinn-Gerätschaften durchgesetzt.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts nahmen die Schriften zu, die sich von pädagogischer Sicht aus mit dem Spielzeug und den Spielen befaßten. Es wurde nicht nur versucht, eine Systematik in das weite und unübersehbare Feld der Spielsachen oder der Sachen zum Spielen zu bringen, wie es Paul Hildebrandt 1904 so vorbildlich erreichte. Man machte sich auch viele Gedanken um das richtige, vernünftige und fördernde Spielzeug. Nicht von ungefähr führten bald Spielzeugverlage an, daß sie nach den Modellen für die Fröbelschen Kindergärten arbeiteten. Das wurde u.a. für die Berliner Fabrik A. Sala (gegr. 1845) geradezu zu einem Gütezeichen. In Magazinen und Zeitschriften gab es genügende und vielseitige Erörterungen zum Thema des kindgerechten und kindgemäßen Spielzeuges, 15

wie z. B. im »Kindergarten«, dem Organ des deutschen Fröbel-Verbandes ab 1859. In der Praxis allerdings ist seltener auf pädagogische Ratschläge Rücksicht genommen worden. Auch Spielzeug mußte eine »gängige Ware« sein... Das ging so weit, daß zur Zeit der Französischen Revolution kleine Spielzeug-Guillotinen gebaut wurden, die den dazu mitgelieferten Strohpuppen die Köpfe abschlugen. Es ist kaum zu glauben, daß Goethe so ein Instrument für sein Söhnchen August, geboren 1789, bei seiner Mutter in Frankfurt/M. bestellte. Frau Aja aber schrieb ihm einen geharnischten Brief: »Lieber Sohn, alles, was ich Dir zu Gefallen tun kann, geschieht gern und macht mir selbst Freude, - aber eine solche infame Mordmaschine zu kaufen 16

das thue ich um keinen preiß. Wäre ich Obrigkeit, die Verfertiger hätten ans Halßeisen gemußt - und die Maschine hätte ich durch den Schinder öffentlich verbrennen lassen.- Was! Die Jugend mit so etwas Abscheuliches spielen zu lassen - ihnen Mord und Blutvergießen als einen Zeitvertreib in die Hände geben nein, da wird nichts draus.« Aus wesentlich späterer Zeit ein Beispiel für das Versorgen mit Spielsachen, wie es der berühmte Arzt Karl Ludwig Schleich (1859-1922) in seinen Memoiren, der »Besonnten Vergangenheit«, schildert: »Mein Vater muß in der Beschaffung von sinnreichem Spielmaterial ein mächtiges Erziehungsmittel erblickt haben. Er hat mich mit allen Erzeugnissen dieser Industrie für Entwicklung der Knaben-

phantasie geradezu überschüttet. Zauberkästen, mehrere große Kindertheater nebst unzähligen, selbst ausschneidbaren Kulissenbögen und Figuren aller großen Begebenheiten, singende Kreisel, Dampfschiffe, Elektrisierapparate und ganze Armeen von Zinnsoldaten waren unser. Und mein Vater, der sich selbst wohl etwas vom Spieltrieb eines Kindes glücklich bewahrt hatte, hockte mit uns am Boden, wobei seine langen Haare ihm oft in Strähnen über das Gesicht fielen, bastelte und machte mit ätzenden Säuren von Mutter streng verbotene Flecke in Dielen und Decken.«

Spielzeug auf den Weltausstellungen

Die großen Weltausstellungen, die vorbereitet waren durch zahllose nationale und regionale Gewerbe- und IndustrieAusstellungen, begannen eigentlich erst mit der Londoner von 1851, wo sich »Kunst und Gewerbefleiß aller Völker dieser Erde« dokumentierten. Das Spielzeug schlüpfte zunächst bei den Kurzwaren unter, sehr bald aber hatte der Export von Spielwaren eine solche Bedeutung erlangt, daß gerade auf internationaler Ebene ein nachdrückliches Zurschaustellen notwendig war. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Stellungnahme eines Beobachters um 1885, der in der Zeitschrift »Gesundheit« folgende Zeilen schrieb: »Wer die Weltausstellungen vom Jahre 1850 bis über die Mitte des 7. Jahrzehntes besucht hat, der wird gefunden ha-

ben, daß bei den deutschen Ausstellern regelmäßig eine Sammlung verschiedensten Kinder-Spielzeuges den Anfang der Schaustellung bildete. Man glaubte sich auf einen deutschen Jahrmarkt und noch mehr auf einen deutschen Weihnachtsmarkt versetzt, und die deutschen Besucher dieser Ausstellungen wendeten gewöhnlich mit Unwillen ihren Blick von dem bunten Kram ab. Sie empfanden eine Anwandlung von Scham, daß das Volk, welches vorzugsweise das »philosophische« genannt wurde, - daß jenes nämliche Volk, welchem die übrigen willig die Oberhoheit in der Musik, in der Heilkunde und in einem großen Teil der Naturwissenschaften zugestanden, - daß jenes Volk der Denker sich als Fabrikant von Spielwaren dem Fremden gegenüber darstellte. Unsere deutschen Landsleute

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begingen den Fehler der Subjektivität, nur von sich aus das Urteil zu fällen, nicht vom Standpunkte derjenigen, für welche die Ausstellungen gemacht waren, vom Standpunkt der Welt... Wenn man in jenen Ausstellungen den Rundgang der Engländer, Franzosen und Italiener beachtete, so sah man diese vor dem gewöhnlichen und uns geringfügig dünkenden deutschen Spielzeuge fast ebenso lange verweilen, als vor den kostbaren Diamanten und Kronjuwelen, welche zum Ausputz der Ausstellung dienten. Kinderspiele und Krondiamanten zogen die Frauenwelt besonders an, und in ihrem Gefolge erschienen bewundernd und anstaunend auch die Männer. Sie hatten Recht, sich von diesen Gegenständen anlocken zu lassen; denn das Spielwerk der Kinder ist ein Spiegelbild 18

für den jeweiligen Zustand der menschlichen Gesellschaft. Wie freuen wir uns, in den Ausgrabungen der Pfahlbauten, namentlich in den Sammlungen der Schweiz, aus Ton und Bronze die einfachen Kinderklappern, mit denen man den Säugling schon damals erheiterte, wiederzufinden, die kleinen Tiere aus Ton oder Bronze, welche meistens mit einer Pfeife versehen den älteren Kindern als Zeitvertreib dienten, und endlich kleines Handwerkszeug, an dem der Knabe und das Mädchen im Spiel lernten, was sie künftig als Erwachsene zum Vorteil ihrer Familie ausführen würden. Das eigentliche Spiel war also damals allem Anscheine auch nur für das kleine Kind berechnet, und beim größeren vermischten sich schon Spiel und Ernst.

Diese nämliche Wahrnehmung konnte man in Bezug auf die deutsche Nation machen, als bei späteren Weltausstellungen die anderen Völker im Anhäufen ihrer Spielwerksfabrikate mit den Deutschen wetteiferten. Da brachte Italien ewig seine Polichinells, und Frankreich ahmte sie nach und verzierte sie mit bunter Seide und goldenen Füttern. Da kamen die in Deutschland zu jener Zeit noch fast ganz unbekannten Figuren zu Tage, welche auf einem Rädergestell angebracht, während des Fahrens allerlei mehr oder minder lustige Kapriolen und Verrenkungen ausführten. Da zeigte sich bei französischen Arbeitern der Humor, wenn ein in Bauernkleider Gehüllter ein Schwein vor sich hertrieb, da kamen die mit Quecksilber gefüllten Akrobaten, die auf einer schrägen Ebene Purzelbäu-

me ausführten, - da kam das bäuerliche Ehepaar, das sich um eine Flasche zu zanken schien. Der Humor jener Darstellungen war ein sehr niedriger und haftete, wie bei manchen holländischen Gemälden, am Trinken und Prügeln. Wie anders erschienen daneben die Deutschen! Ihr Spielwerk war vorzugsweise auf das Praktische und dem Leben der Erwachsenen Entlehnte gerichtet. Die Frachtwagen zum Abladen und Einpacken, mit der anzuknöpfenden Leinwand-Plane und der Wachstuchdecke für Regen versehen (jetzt sind sie durch den Eisenbahnzug ersetzt), - die Puppe zum An- und Auskleiden, - die kleine Kochmaschine, zuerst mit einem Räucherkerzchen als Feuerungsmaterial, dann mit der Spiritusflamme versehen, - die Wasserpumpe, welche die Flüssigkeit aus

einem Glase aussaugt und zur Freude der Kinder auf den Tisch und die Kleider ergießt, - die Puppenstube mit und ohne Gesellschaftszimmer, - der Kaufmannsladen und vor allem der Baukasten, - sie gingen sämtlich aus den Händen deutscher Arbeiter hervor. Es waren verständige Spielwerke, welche die Kinder zur Beschäftigung und Selbsttätigkeit anleiteten, während das französische, oft viel elegantere Spielwerk nur der Schaulust diente. Schon vor 50 Jahren waren in den reichen französischen Familien jene Federwerke heimisch und beliebt, welche mit einem Uhrschlüssel aufgezogen, eine Zeit lang den Figuren selbsttätige Bewegungen verschafften, indem sie einer bunt angeputzten Phantasiegestalt auf einer Draisine das Umherfahren im Zimmer gestatteten, - welche Mäuse und

Ratten auf einem Tische hin und herschießen ließen, - welche endlich bis zum Automaten aufsteigend einem künstlichen Vogel Flügelschlag und schrille Stimme verliehen oder einer mit Schwimmhose bekleideten männlichen Figur das Umherschwimmen im Wasserbecken gestatteten. - Neben Deutschland zeigte sich England als Freund praktischer Tätigkeiten, wenn auch nur auf einem bestimmten und beschränkten Gebiete. Kleine Ruderboote oder kleine Angelapparate und endlich ein kleines Dampfboot, das in einer Wasserwanne seine Fahrten machte, wurden aus England in die Kinderstube geliefert. Nur auf einem Gebiet begegnen sich alle Nationen: Soldaten hatten sie alle ausgestellt. Indessen war auch hierin ein großer Unterschied. Die deutschen und eng19

lischen waren ursprünglich von Holz und hatten eine Höhe von etwa 15 cm und darüber, dann goß man sie in Nürnberg von Blei, aber immer noch in der stattlichen Höhe von 10 cm; jetzt sind sie zusammengeschrumpft und bilden kleine Figürchen von 2, ja oft sogar nur noch von l cm Länge, wobei sie durch die Anzahl die einstige Größe ersetzen. In Deutschland fertigt man sie immer noch aus Blei, in Frankreich scheint dieses Material den Herstellern zu kostbar zu sein, und man arbeitet dort die Kriegsmächte des Weihnachtsbaumes aus Blech, wozu man sich namentlich der Büchsen von Konserven bedient, deren Sardinen, Fleisch, Gemüse usw. auf der Tafel der Erwachsenen verbraucht worden sind. Diese kleinen Figürchen haben sich die ganze Welt erobert. Man findet 20

sie jetzt bei allen Nationen, und doch sind sie ein wahres Gift der Kinderstube zu nennen.« - Hierzu die weiteren Ausführungen aus der Zeitschrift »Gesundheit« bei Nr. 64.

Die Londoner Ausstellung von 1862 brachte von den deutschen Fabrikaten vor allem »Jugenspiele zur Belehrung«, die »nach neuen Ideen in vorzüglicher Weise ausgeführt worden waren.« Unter den 40 Ausstellern waren auch die Nürnberger I. Müller und L. Neußner, die für ihre Schablonen-Malspiele und die Laterna Magica Prämien erhielten. Wenige Jahre später wetteiferte Paris mit London. Auf der dortigen Weltausstellung von 1867 waren nicht nur die Deutschen mit Spielzeug vertreten. Frankreich hatte die elegantesten Puppen und die meisten Soldaten (die Kriege in Algerien und auf der Krim mit ihrer Uniformfülle waren ja noch lebhaft im Gedächtnis!). Deutschland zeigte dagegen mehr Beschäftigungsspiele, mit denen die Kenntnisse im Rechnen, in Ge-

schichte und Geographie erweitert werden konnten. Auf der Weltausstellung in Wien 1873 war das Spielzeug entsprechend seiner Bedeutung, die ihm schon seit langem von pädagogischer Seite aus zugemessen war, zweigeteilt: Einmal erschien es im »Pavillon des kleinen Kindes« in der Gruppe »Erziehungs- Unterrichts- und Bildungswesen« zum anderen in der Gruppe »Kurzwaren-Industrie«. Hier hatten sich die Kollektiv-Ausstellungen von Sonneberger Spielwaren und die der Nürnberg-Fürther konzentriert. In den begleitenden Kommentaren wurde festgestellt, daß die Nürnberger Waren vor allem nach Amerika, Java und Australien gingen und zwar in der Hauptsache die besseren und teureren Qualitäten. Übrigens bemerkte der Beobachter mit

Genugtuung, daß bei den fernöstlichen Ausstellern jedes Kriegs- und Soldatenspielzeug fehlte, während es auf dem europäischen Markt immer unter dem Nürnberger Tand oder genauso in der Zeh n kreuzer- Schachtel des böhmischen Erzgebirges zu finden war. Der Beobachter war der Professor der Staatswissenschaften an der Universität Prag, Prof. Dr. Carl Richter, der dazu sagte: »Wir haben immer bedauert, daß man damit dem Culturberuf unserer Zeit und dem von der Philosophie gelehrten ewigen Frieden eine so schlechte Aussicht für die Zukunft gibt.«

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»Nach der Christbescherung«

Dieses Gemälde des heute fast unbekannten Genremalers August Müller (1836-1885) war in seiner Zeit so beliebt, daß es der bedeutende Devotionalienverlag Benziger in der Schweiz als »Farbendruckbild größeren Formates« in hoher Auflage herausbrachte. Die anheimelnde Familienszene zeigt einmal nicht die feierliche Bescherung unter dem Christbaum, die in vorgeprägter Glückseligkeit nicht viel Variationen zuläßt. Müller hat die Situation nach der Bescherung sehr treffend eingefangen: Umrahmt von Mutter und Geschwistern, d.h. vor allem von den artigeren Schwestern, sträubt sich der kleine Junge ohne viel Erfolg gegen das Zubettgehen. Die Großmutter zieht ihm die Stiefelchen aus, er umklammert sein Spielzeug, ist aber schon viel zu müde, um überhaupt

noch alle die Herrlichkeiten wahrzunehmen, die ihn umgeben. Mit lächelndem Verständnis wird seinen kleinen Unarten begegnet, auch die große Schwester hebt nur scheinbar drohend die NikolausHandpuppe mit der Rute. Was hat es nicht alles an wunderbaren Geschenken gegeben! Sicher wird die Kasperlebühne das Ihre zur Aufregung beigetragen haben. Und dann das große Schaukelpferd, Baukasten, Trommel und Schießgewehr, die ersehnten Knabenspielzeuge dieser Zeit. Ein wohlausgestattetes bürgerliches Heim zwischen 1860 und 1870, eine liebevolle Familienumgebung, die sich auch im verschwenderischen Schenken äußert - das war Traum und Vorbild zugleich. Man konnte den Öldruck »Nach der Christbescherung« in mancherlei Aus-

stattung haben: Unaufgezogen kostete er schon drei Franken, im Blendrahmen etwas mehr und im »Goldbarockrahmen« sogar über acht Franken! Diese Ankündigung stand 1882 im GesamtverlagsKatalog des Deutschen Buchhandels zwischen den Bildern vom Geheiligten Herzen und dem Porträt des Papstes Pius IX., der 1878 starb.

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Spielzeughersteller

Wenn von Spielzeug und Spielen die Rede ist, darf nicht an den Fragen der Herstellung und des Vertriebes vorbeigegangen werden, war doch schließlich dieses Musterbuch ein Glied in der Kette zwischen Produzent, Verteiler und Konsument. Über die Spielzeugherstellung hat der Altmeister der Spielzeugforschung, Karl Gröber, schon 1929 ausführlich geschrieben. Neuere Untersuchungen haben sich vor allem mit den sozialen Verhältnissen in den Herstellungszentren befaßt. Nur soviel in aller Knappheit über die Spielzeugherstellung und den Spielwarenhandel in Nürnberg: Seit dem 15. Jahrhundert kann Nürnberg als die Spielzeugstadt überhaupt angesehen werden. Frühe Berichte von Spielzeugen für Prinzen und Prinzessinnen wetteifern in der Ausführlichkeit der Beschreibun24

gen. Im 17. Jahrhundert ist der Markt bereits breit und voll erobert, die Handwerker wie Schreiner, Flaschner, Hafner, Zinn- und Messinggießer arbeiteten auch Miniatur-Gegenstände und Spielzeuge. Ein Drechsler-Vers von 1589 lautete: »Auch drehen wir das ganze Jahr, In dem Handwerk viel Krämerwar, als Ludel, Becher und Schlötterlein, Kindesständer, Hausrat groß und klein, denn die Krämer, auch die Kaufleut! die kaufen uns ab viel Arbeit und führen's in die fremde Land, wie die selbigen sein bekannt.« Eine Verstärkung in der Holzspielwarenherstellung erhielt Nürnberg durch die Salzburger Emigranten, die 1732 wegen ihres Glaubens aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Sie bekamen die Er-

laubnis, »Schnitzwerk als kleine Dokkenküchen, Sesselein, Wägelein, Pferdställer und Einsiedeleien von Baumrinde zu machen«. Aufs »Guldenwerk« hatten sie zu liefern: 20 Soldaten, 14-30 Tierlein, 8 Schäfereien, 14 Kistchen mit Pferden, 5 Schiffe, 24 Flinten, 20 Pistolen, 32 Degen. Dabei wurde ihnen der Gulden nur zu 48 Kreuzern, nicht zu 60, der üblichen Währung entsprechend, angerechnet. Ihre wirtschaftliche Lage war außerordentlich schwierig, die gesamte Familie war gezwungen, mitzuarbeiten. Die Weltstellung Nürnbergs war schon sehr früh gefestigt. Dazu trug als Erstes die gewohnte Qualität bei sowie der Einfallsreichtum, immer neue Modelle zu ersinnen. Gleich wichtig aber war die sprichwörtliche Preisgünstigkeit, durch die Nürnberg alle Konkurrenten aus dem

Felde schlug. Hierzu äußerte sich Johann Ferdinand Roth in seiner »Geschichte des Nürnberger Handels« um 1800 sehr deutlich:

»Die Wohlfeilheit aber wurde dadurch bewirkt, daß die Handwerker sich an einem mäßigen Arbeitslohn begnügen ließen, daß sie nur frugale Lebensart gewohnt waren, daß sie die Waren in Menge, welche sie durch anhaltenden und unzuermüdenden Fleiß bewerkstelligten, dem Handelsmann in seine Gewölbe und Magazine ablieferten und also, wenngleich der Arbeitslohn an und für sich gering oder sehr mäßig, sie dennoch, eben wegen der Menge, für sich und die Ihrigen ein hinreichendes Auskommen erwarben.«

Was hier noch als fast erträglich hingestellt wurde, nahm im Laufe des 19. Jahrhunderts immer härtere Formen an. Karl Rosenhaupt untersuchte 1907 die Nürnberg-Fürther Metallspielwaren-Industrie und kritisierte das Drücksystem der Händler und Aufkäufer, die die abhängigen Handwerker zu zuliefernden Arbeitern mit einem Hungerlohn machten. Ganz besonders schlecht war die Lage der Zinnmalerinnen, deren Stundenlohn 7 Pf. bei mindestens zwölfstündiger Arbeitszeit betrug. Immer wieder wird in diesen Berichten auf die Kinderarbeit hingewiesen, die erlaubt, später geduldet und dann trotz des Verbotes immer noch praktiziert wurde.

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Dieses alles gehörte zu den Auswirkungen eines volkswirtschaftlichen Systems, das sich schon im Laufe des 17. Jahrhunderts entwickelte. Der einzelne Hersteller einer Ware war selbst nicht in der Lage, auch noch den Vertrieb und Verkauf zu bewerkstelligen. Er war auf ein Verkaufsnetz angewiesen, das seine Produkte an den Konsumenten lieferte. Diese Vertriebsform des »Verlegens«, also des Aufkäufern, Lagerns und Umsetzens in der weiteren und ferneren Umgebung bestand im 18. sowie im 19. Jahrhundert weiter. In einigen volkswirtschaftlichen Dissertationen, die diese Situation gerade in Nürnberg untersuchten, wird übereinstimmend festgestellt, daß es bei diesem System nur einen Verlierer gab: Das war die werkelnde Familie am Rande des Existenzminimums.

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Selbstverständlich war die geographische Lage Nürnbergs als alter Handelsstadt im Schnittpunkt der Ost-West- und Nord-Süd-Verbindungen der ideale Umschlagplatz. Hier liefen die Fäden zusammen: Holzspielzeuge vom Grödner Tal gelangten ebenso nach Nürnberg wie die von Thüringen, aus dem Erzgebirge oder Riesengebirge. Was zunächst nur eine Beifracht für die großen Kaufmannsfuhren war, bekam mehr und mehr Eigengewicht und Bedeutung. Und als dann die Eisenbahn die zeitraubenden Überlandwege verkürzte, war Nürnberger Spielzeug, ob dort hergestellt oder nur umgeschlagen, zu einem festen Begriff geworden. Nürnberg hatte besonders auf dem Sektor der Metallspielwaren einen großen Vorsprung durch seine Tradition in der

Herstellung mechanischer Gegenstände. Ganz allmählich verschoben sich die Zahlenverhältnisse zwischen Holzspielzeug- und Blechspielzeugmachern. 1826 waren in Nürnberg rund 30 bis 40 Spielzeughersteller tätig. An den Adreßbüchern wird deutlich, wie sich die Berufe spezialisierten. 1851 gab es 17 Fabrikanten von artistischem und mechanischem Spielzeug, 17 Peitschenmacher und 159 Holz- und Pappspielwarenfabrikanten. Für 1861 liegt eine größer Übersicht vor: Danach hatte Nürnberg 241 Spielwaren herstellende Betriebe, hierunter fielen auch die 76 Flaschnermeister, die in großen Mengen Trompeten, Kochherde und magnetische Spielwaren fertigten. Zu dieser Zeit waren 2384 Personen in Nürnberg und Fürth mit dem Spielzeugmachen beschäftigt, das war die doppelte

Anzahl wie 1847. Auch gab es. jetzt bereits 15 Fabriken. Um 1873 wurden in 80 Klempner (Flaschner)-Werkstätten sehr viele Eisenbahnzüge und Lokomotiven hergestellt. Die Zinngießerei wurde zwar durch das Aufkommen der Tonwaren-Industrie zurückgedrängt, aber trotzdem arbeiteten in Nürnberg noch 20 Zinngießer in solchen Mengen Soldaten, Puppenmöbel und Kleingeräte, daß manche Werkstätten bis zu 150 kg Metall im Jahr verbrauchten. Zwanzig Jahre später, 1895, gab es allein für Metallspielwaren 56 Betriebe mit 1062 Beschäftigten, das war damals die Hälfte aller Spielzeughersteller am Ort. Die nunmehr sprunghafte Entwicklung ist an den Zahlen von 1901 ablesbar, als für optisch-mechanische und magnetische Spielwaren 71 Betriebe bestanden.

Allen diesen aus statistischem Material gewonnenen Zahlen ist mit gewisser Vorsicht zu begegnen, denn die Erfassung auch nach der bayerischen Gewerbezählung war sehr unvollkommen. Was die Größe der einzelnen Betriebe, fast müßte man Familienbetriebe sagen, anbelangt, so hatten um 1850 die weitaus meisten, nämlich 34, nur fünf Mitarbeitende, 10 arbeiteten mit 6-10 Personen, 9 mit 11-20 und nur 8 mit 21-50 Personen. Um 1900 vollzog sich der jährliche Herstellungsablauf nach folgendem Rhythmus: Der Fabrikant unterbreitete die neuen Muster und Varianten im Dezember dem Kaufmann oder Kommissär. Dieser nahm von allen Fabriken Musterstücke und stellte sie zu einer eigenen Musterschau zusammen. Die Kollektion

gab er Reisenden mit, sie wurde auf der Leipziger Ostermesse gezeigt und den Agenten ins Ausland geschickt. Nach Einlauf der Bestellungen wurden dann die Aufträge vergeben, die so zeitig erledigt sein mußten, daß das Weihnachtsgeschäft, - die langen Transportwege einkalkuliert - ein Erfolg werden konnte. Daß diese Wege auch manchmal nicht zum Ziel führten, wird aus einer Annonce in den »Lübeckischen Anzeigen« vom 8.12.1852 klar: »Wegen verfehlter Schiffsgelegenheit habe ich ein Lager von Spiel- und Galanteriewaren: Laterna magica, magnetische Sachen, Gerätschaftskasten für Knaben, Säbel, Schach und Unterhaltungsspiele«. - Vielleicht waren diese Sachen für England bestimmt gewesen und blieben nun im Lübecker Umland! Übrigens geben diese 27

Annoncen einen guten Einblick in die Konkurrenzsituation der verschiedenen Städte: Angeboten wurden Wiener, Berliner, Nürnberger und Pariser Gegenstände. Paris war für besonders schöne Puppen bekannt, für komplizierte und Erstaunen erregende automatische Figuren. Die eleganten Kautschukmöbel für die Puppenstube wurden von den 70er Jahren an große Mode. - Berlin war keinesfalls nur das Zentrum für den Wandbilddruck und die Luxuspapierherstellung, sondern hatte schon mit den Firmen G. Söhlke, gegr. 1819, und Karl Zimmer, gegr. 1845, weite Bereiche des Spielzeugs abgedeckt, vor allem mit gut ausgestattete Puppen, Schaukelpferden oder Gesellschaftsspielen. Auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung von 1896 waren 13 Betriebe vertreten, die mit erheb28

lichen Kapazitäten aufwarten konnten. Wien führte in der Herstellung von »Mandelbogen« und »Gesellschaftsspielen«. Die immer neuen Bilder- und Theaterbogen von Trentsensky, die unendlichen Variationen von Gesellschaftsspielen des Verlages von J. B ermann und die der Schulbücher- und Lehrmittelfirma A. Pichler gingen in alle Welt. Nürnberg aber blieb im Bewußtsein der Welt die Spielzeugstadt schlechthin! Wie äußerte sich Sebastian Münster in seiner »Cosmographia«, die in Basel 1544 ersschien? »Diese mächtige und reiche Stadt liegt ganz und gar auf einem schlechten und sandigen Boden, aber hat desto sinnreichere Werkmeister und Kaufherren. Dann so die mit dem Erdreich nichts mögen anfangen, so schlagen

sie ihre spitzige Vernunft dester fleißiger auf subtile Werke und Künste.« Diese »spitzige Vernunft«, die Erfindungsgabe und Handgeschicklichkeit bedeutet, und ebenso kaufmännischen Weitblick, war eine Voraussetzung für eine weltweit erfolgreiche Spezialisierung. Wenn aber der Blick über die Seiten des Musterbuches geht, dann sind alle Überlegungen um Herstellung und Preis einer Ware vergessen: Es liegt nur noch Spielzeug vor uns, herrliches, buntes Allerlei, so verführerisch zum Greifen nah... Spielzeug für die Kindergeneration von 1850 und 60, manches nicht mehr erkennbar, vieles aber so gültig wie eh und je und verlockend genug dazu, es wieder aufleben zu lassen.

Benutzte und weiterführende Literatur zu Spielzeug und Spielzeugherstellung

Manfred Bachmann und Claus Hansmann: Das große Puppenbuch. Leipzig 1971 Lydia Bayer: Das europäische Puppenhaus von 1550-1800. Würzburg 1962. Georg Estelmann: Die Nürnberger Spielwarenherstellung. Diss. Frankfurt/M. 1924. Antonia Fräser: Spielzeug. Übersetzt u. bearb. v. Juliane Metzger. Oldenburg 1965.

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Karl Ewald Fritzsch und Manfred Bachmann: Deutsches Spielzeug. Leipzig 1965. Karl Ewald Fritzsch: Erzgebirgische Spielzeugmusterbücher. Deutsches Jahrbuch f. Volkskunde Bd. II, Berlin 1956. Karl Gröber: Kinderspielzeug aus alter Zeit. 2. von Juliane Metzger völlig überarb. Aufig., Hamburg 1956.

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Jan Daniels Georgens: Allgemeines FamilienSpielbuch. Leipzig 1882. Theodor Hampe: Der Zinnsoldat. Berlin 1924. Max Hasse: Spielzeug und Spiele. Lübecker Museumshefte H. 12, Lübeck o.J. (1974). Paul Hildebrandt: Das Spielzeug im Leben des Kindes. Berlin 1904, Reprint Düsseldorf 1977. Mary Hillier: Automata and Mechanical Toys. London 1976.

Georg Himmelheber: Spiele. Gesellschaftsspiele aus einem Jahrtausend. München 1972. Hubert Kaut: Alt-Wiener Spielzeugschachtel. Wien 1961. Constance Eileen King: Das große Buch vom Spielzeug. Zollikon 1978. Gottfried Korff: Puppenstuben als Spiegel bürgerlicher Wohnkultur. Wohnen im Wandel. Wuppertal 1979.

Volker Kutschera: Spielzeug. Salzburg 1975. Sigrid Metken: Geschnittenes Papier. München 1978. Christa Pieske: Das freudige Ereignis und der jungen Kindlein Aufzucht. 2. Aufl. München 1968. Walter Röhler: Große Liebe zu kleinen Theatern. Hamburg 1963.

Karl Rosenhaupt: Die Nürnberg-Fürther Metallspielwarenindustrie in geschichtl. u. sozialpolitischer Bedeutung. Münchner Volkswirtschaft!. Studien, 82. Stück, Stuttgart u. Berlin 1907. Joh. Ferdinand Roth: Geschichte des Nürnbergischen Handels. 4 Bde. Leipzig 1800-1802. Fritz Rumpf und Oswald A. Erich: Spielzeug der Völker. Berlin 1922. Otto Senst: Die Metallwarenindustrie und der Spielwarenhandel von Nürnberg und Fürth. Diss. Erlangen 1901.

Wilhelm Stoll: Wandlungen in Art und Charakter der von der deutschen Spielwarenindustrie hergestellten Erzeugnisse vom wirtschaftsgeschichtlichen Standpunkt aus. Diss. Frankfurt/M. 1922. Ingeborg Weber-Kellermann: Die Familie. Frankfurt/M. 1976. Dies.: Das Weihnachtsfest. Luzern u. Frankfurt/M. 1978. Georg Wenzel: Die Geschichte der Nürnberger Spielzeugindustrie. Diss. Erlangen 1967. Leonie v. Wilckens: Das Puppenhaus. München

1966. 31

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Puppenstube

Dieses Puppenzimmer ist wirklich kein problemgeladenes kostbares Spielzeug, das nur sonntags unter Aufsicht bestaunt und kaum angerührt werden durfte. Hier quillt noch nichts über von Nippes und standesgemäßer Dekoration, wie zwei Jahrzehnte später. In solchem spätbiedermeierlichen Wohnzimmer mit seiner gemütlichen Atmosphäre läßt es sich herrlich spielen. Auf dem breiten Sofa und den sechs Stühlen haben viele kleine Püppchen Platz, die Schiebladen des Sekretärs und auch die der Kommode lassen sich öffnen. Solche »spielbaren« Puppenstuben ohne hinderlichen Glasverschluß gab es erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Sie waren aus dem fürstlichen oder großbürgerlichen Puppenhaus mit seiner kompletten Einrichtung vom Keller bis zum 32

Boden herausgelöst und verselbständigt. Freilich sind noch nach wie vor Puppenhäuser hergestellt worden, nun aber nicht mehr als reine Demonstrationsstücke, sondern offen und zum Spielen einladend. Maße: Das Zimmer war in sechs Größen von 36,4 cm bis zu 67,6 cm zu haben.

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Wohn- und Schlafzimmer für Puppen

Das Absondern des Intimbereiches »Schlafen« aus dem gesamten Wohnkomplex erfolgte erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts. In den Städten wurde es nach 1800 mehr und mehr selbstverständlich, einen eigenen Raum zum Schlafen zu haben. Natürlich folgte die Welt im Kleinen, die der Puppenhäuser und Puppenstuben, »diesem neuen Trend der bürgerlichen Wohnkultur, die nach außen abgeschottete Privat- und Intimsphäre bedürfnisgerecht und zivilisiert auszustaffieren. Mit den Puppenschlafzimmern konnten diese neuen Komfortbedürfnisse erlernbar gemacht und als fraglos akzeptierte Kulturstandarts vermittelt werden«. (Korff). Dieses mit äußerster Sparsamkeit möblierte Wohnzimmer hat eine Eckbank, Stühle, Tisch und Kommode und den üb34

lichen Trumeau-Spiegel zwischen den Fenstern. Im Schlafzimmer gibt es nur den raumsparenden Halbtisch und zwei Stühle, die mit ihrem Polsterbezug und Fransen auch bei Bedarf ins Wohnzimmer genommen werden können. Auf der Weltausstellung in Wien 1873 zeigte der Fabrikant J. H. Schmidt aus Fürth Läden und Puppenzimmer. Maße fehlen.

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3 Dockenzimmer mit Küche

Diese Puppenstube ist im Musterbuch als »gewöhnliche, gangbarste Sorte« eingestuft, sie ist genau wie die eben beschriebene eingerichtet, nur ist statt des angrenzenden Schlafzimmers die Küche angefügt. Eigentlich ist die Einrichtung der recht winzigen Küche für diese Zeit um 1855 schon etwas antiquiert: Man hat noch den alten gemauerten Herd mit dem großen Rauchfang an der Wand, der ab 1820 mehr und mehr von den gußeisernen Sparherden, den sog. Kochmaschinen, abgelöst wurde. Auf dem Bord haben die fröhlich bemalten Milchtöpfe ihren Platz, darunter die zinnernen Teller. Das Salzfaß neben dem Kamin und die Reibe sind recht groß geraten, aber mit Absicht, denn mit solchem Zubehör wurde gespielt.

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Geliefert in drei verschiedenen Größen, Maße fehlen. Wie beschreibt Charles Dickens (18121870) in seinem berühmten Werk »A Christmas Carol in Prosa« 1843 diese Spiegelung der großen in der kleinen Welt? »Caleb und seine Tochter saßen zusammen bei der Arbeit in ihrer gewöhnlichen Arbeitsstube, die ihnen zugleich als Wohnstube diente, und es sah seltsam darin aus. Man sah Häuser darin, fertig und halbfertig für Puppen aller Lebenslagen, Vorstadtwohnungen für Puppen von mäßigen Mitteln, Küchen und einzelne Zimmer für Puppen aus der niederen Klasse, prachtvollste Stadtpaläste für Puppen des höchsten Ranges. Einige von diesen Häusern waren bereits für die Bequemlichkeit von Puppen mit beschränk-

tem Einkommen möbliert, andere konnten jeden Augenblick in kostspieligstem Maßstabe aus ganzen Gesimsen voller Sessel, Tische, Sofas, Bettstellen und anderer Möbel ausgestattet werden. Der Arme, der Mittelstand und die große Masse, für deren Bequemlichkeit die Behausungen berechnet waren, lagen da und dort in Körben, starren Blicks nach der Decke hinaufsehend.«

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Puppenzimmer mit Küche aus Blech

Wie anders wirkt eine Einrichtung aus Blech! Die Verwendung dieses Materials bedeutete in der Spielzeugherstellung geradezu eine Revolution. Heute sind frühe Blechspielzeuge, denen man lange jeden erzieherischen Wert abgesprochen hatte, begehrte Sammel-Objekte. Diese Zimmer-Küche-Kombination ist so kümmerlich ausgestattet, daß sie nach Ergänzungen rufen mußte, - Ergänzungen, die der Handel in reichem Maße anbot. Bei der Stube ist als »Prachtstück« der große Zimmerofen anzusehen, in der Küche der Herd mit Rauchfang. Maße fehlen, die Einrichtung wurde in sechs verschiedenen Größen geliefert. Blechspielzeuge sind immer wesentlich kleiner als die aus anderen Materialien. Die Höhe der Stube dürfte kaum 15 cm überschritten haben.

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5 Kochherde und Brunnen aus Blech

Es gehört zu der Entwicklung vom großen, allen Räume umfassenden Puppenhaus bis zum Einzelmöbel dazu, daß sich einige wenige besondere Räume verselbständigen. Neben der Wohnstube ist das vor allem die Küche, die dann in größeren Dimensionen mit ihrem vielfältigen Geschirr und Gerät ein ideales Spielfeld darstellt. Hier tummelten sich auch, und da gibt es mancherlei Zeugnisse aus den Jugenderinnerungen männlicher Zeitgenossen, die Knaben, wenn es um das Fabrizieren von leckeren Sachen ging! Der nächste Schritt war dann die Herauslösung des Küchenherdes. Gab es Puppenküchen schon im 18. Jahrhundert, so folgten die Einzelherde erst

Jahrzehnte später, als sich diese »Kochmaschinen«, - der Ausdruck »Maschine« für Herd hielt sich noch bis in die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts - auch im Gebrauch durchgesetzt hatten. Die »Blechküche mit Einrichtung« ist winzig, aber doch vollständig für geschickte kleine Hände. Das »laufende oder Kunstwasser«, so der zeitgenössische Ausdruck für das in der Küche abzapfbare Wasser, war eine Hauptattraktion mancher Puppenküchen. - Hier nun die danebenzustellende Pumpe mit dem Becken; sie wurde mit Wasser gefüllt, und durch Pumpen ergoß es sich wieder in sein Bassin, ein endloses, plätschernd feuchtes Spiel. Nicht nur gewöhnliche Hausbrunnen, sondern auch Leuchtturmbrunnen, Wasserwerke, gotische Brunnen und Chine-

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sische Vogelhausbrunnen waren zu haben. Mit diesen Spielzeugen waren C. Henglein und Ph. Wüstendörfer, beide aus Fürth auf der Weltausstellung in Wien 1873 vertreten. Keine Maßangaben.

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6 Bewegliches Blechspielzeug

Als dieses Musterbuch lithographiert wurde, hatte sich das Blechspielzeug schon seinen Markt erobert. Die Nürnberger Flaschner und Klempner hatten die Erlaubnis bekommen, »allerhand Docken und Kindleinswar von weißem Blech und angestrichen anzufertigen«. Da in Nürnberg das Metallgewerbe hochentwickelt war, nimmt es nicht wunder, daß bereits 1851 auf der großen Londoner Weltausstellung Nürnberger Blechspielzeug prämiert wurde. Die hübsch lackierten Brunnen, Puppenschaukeln und Windmühlen sind zum Bewegen eingerichtet. Mit einfachster Mechanik läßt sich manches erreichen. Die Verbindungen der Blechstücke sind durch Verzapfen und Löten sowie durch Umbörteln hergestellt.

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Bewegliches Blechspielzeug war auf den inernationalen Messen immer ein Anziehungspunkt. In Wien stellten 1873 aus: G. L. Eichner & Sohn, Nürnberg, gegr. 1834. Mathias Heß, Nürnberg, gegr. 1826. L. Hoefer, Fürth. A. Reißmann, Fürth: Selbstlaufende Figuren. J. A. Ißmayer, Nürnberg: Plastische Blechspielware. J. Ph. Strobel, Nürnberg. Karl Bub, Nürnberg, gegr. 1851, bestand noch bis 1960.

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Puppenmöbel

Solche bunt bemalten Speiseschränke und Anrichten waren sicher ein hochwillkommenes Spielzeug. Die mit appetitlichen Sachen gefüllten Teller und Schüsseln konnte man herausnehmen, umarrangieren oder durch andere ersetzen. In Sonneberg verfertigte man diese kleinen Dinge schachtelweise. Die Möbelherstellung war Aufgabe der Schreiner, die sie aber zur Bemalung weiterzugeben hatten. Auch bei der Spielwarenherstellung wurde streng auf die Differenzierung geachtet. Größe des Schrankes mit Anrichte: 32 cm hoch und 24 cm breit.

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8 Puppenmöbel

Nicht nur die kompletten Puppenstuben spiegeln Möbelstile und Einrichtungsvorschriften der Zeit, auch die einzeln angebotenen Möbel sind dem Diktat der Mode unterworfen. Hier ist es interessant, was noch an Möbeltypen vergangener Stilrichtungen mitläuft und was bereits modisch ist. Die sehr braven und soliden Sekretäre, die standfesten Tische und das sicher gut gepolsterte und dauerhaft bezogene Sofa können BiedermeierFans zum Schwärmen bringen, während der Schreibtisch mit seinem neobarocken Aufsatz und den vielen Schnitz- und Sägearbeiten stellvertretend für die 1860 nicht mehr ferne Plüsch- und Plunderzeit steht. Maße fehlen. Jedes Möbel in 3-4 verschiedenen Größen erhältlich.

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Schlafzimmer-Puppenmöbel

In dieser Zeit haben die Möbel holzfarben zu sein, das weißlackierte Schlafzimmer liegt noch in weiter Ferne! Die Toilettentische, die ihren Platz im Schlafzimmer haben, — man wäscht sich schon lange nicht mehr in der Küche! — sind teils offenherzig, teils verbergen sie ihre eigentliche Aufgabe. Zierliches Glas- oder Porzellangeschirr, die kleine Waschschüssel, die Karaffen und die »Unaussprechlichen« im Nachtschränkchen, sind meist in Thüringen hergestellt worden. Das Schlafzimmer wird dann im bürgerlichen Haushalt, als die eigenen Platt- und Nähstube mit vielem Personal schon lange nicht mehr existierte, zum Nähzimmer, in dem der kleine Nähtisch seinen Fensterplatz hat. Maße fehlen, jedes Möbel in 3-4 verschiedenen Größen erhältlich. 48

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10 Säuglingspflege

Schon damals gab es vorbildliche Wikkelkommoden mit hochgezogenen Rändern und einer Schieblade für die benötigten Utensilien. Die Größe der Waschschüsseln nötigt immer ein gewisses Lächeln ab. Das feste Wickeln der Säuglinge war noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein üblich. Es muß schon als Fortschritt bezeichnet werden, wenn die Arme freigelassen wurden. Das kleine Paket wurde wie eine Mumie eingeschlagen und mit Patschen, den breiten Bändern, fest umwickelt. Wie äußerte sich doch der Barockdichter Christian Günther 1732, der sein Säuglingsdasein als Vorzeichen für sein späteres Leben ansah?

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»Da legte man den Leib, der kaum drei Spannen lang, in ein verwünschtes Tuch, das mich zusammenzwang. Mir Hand und Füße band und durch die Wickelschnüre mit meiner Zärtlichkeit so kurz und grob verführe, als wenn ein Häschers-Knecht den Dieb zu packen kriegt, ihm Hand und Füße bindt und in die Fesseln fügt. Ich schrie und wrunge mich, doch alles ist vergebens, O, dacht ich, welcher Blick und Anfang meines Lebens!«

Auf dem Toilettentisch der Frau Mama war ein Kippspiegel angebracht, auch das Nähtischchen durfte nicht fehlen. Keine Maßangaben.

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Wickelkinder

Die harmlos aussehenden »Schreipuppen« (Musterbuchbezeichnung) müssen nur ein wenig gedrückt werden, damit sie einen Quietscher von sich geben. Sie entsprechen dem Typ des Steckkissenbabys, das, ohne Arme und Beine rühren zu können, in ein mit Spitzen und Rüschen besetztes Kissen geschoben wurde, leicht zum Transportieren und äußerst dekorativ bei feierlichen Anlässen wie Taufe oder Herumzeigen, wenn Besuch kam! Die große Wiege, ein Querschwinger auf einem Podest mit Schieblade, wird wohl meistens außerhalb der Puppenstube gebraucht worden sein. Keine Maße, fünf verschiedene Größen.

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12 Puppen-Betten und -Fahrzeuge

Die zierlichen Drahtgestelle sind sehr hübsch ausgestattet worden, Korbwagen, Bettgestell und Wiege haben spitzenverzierte Deckchen und ebenso zarte Kissen. Der Himmel über dem Bett hat fast barocke Formen angenommen. - Daß man hauptsächlich außerhalb der Puppenstube mit diesen Sachen spielte, verraten die Maße: Der »Sprossenwagen mit Schaf« und der »Korbwagen mit Schaf« sind jeweils 28 cm lang und 9 cm hoch. Übrigens war das Anschirren von Ziegen oder Hunden vor richtigen Kinderkutschen oder Wägelchen gar nicht so selten. Manche Darstellung vom biedermeierlichen Kinderzeitvertreib schließt das Ziegengespann ein. Auf den Wandbilddrucken der Zeit gibt es als Idealvorstellung den großen Park, in dem sich wohlbehütete und wohlgekleidete Kin-

der mit ihren Fuhrwerken vergnügen konnten. Paul Hildebrandt schreibt dazu 1904: »Wir sehen diese brillanten kleinen Pony-, Esel- und Ziegenfuhrwerke besonders in den großen Modebädern Südeng-

lands, wo man viel mehr bestrebt ist, den Kindern ein Vergnügen zu bereiten als hier. In unseren ganz großen Bädern ist diese Sitte neuerdings auch adoptiert worden.

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13 Zinn-Waren

Hier ist allerempfindlichstes Kleingerät für die Puppentafel versammelt: Durchbrochene Körbchen für Obst, Konfekt oder Gebäck, Tragetabletts für Likörkaraffen und Gläser, dreiarmige Tischleuchter, Anhänger für Halsschmuck, Vogelbauer und, nicht zu vergessen, die Puppen-Babyflasche mit dem zinnernen Saugstück! So ganz ist der Zeichner allerdings nicht mit der Perspektive zurechtgekommen; im Bestreben, möglichst viel vom Muster der durchbrochenen Korbwände zu zeigen, hat er bei zwei Körbchen die Henkel verkehrt angesetzt! Selten hat dieses Spielzeug Generationen überdauert; zerbrochen, verbogen, mit abgeblätterter Farbe und fehlenden Zierraten: Das ist es, was Sammler heute im allgemeinen davon erwarten können. 56

Dagegen waren die zinnernen Spielsachen, die nach der Mitte des 18. Jahrhunderts aufkamen und die die gegenwärtige Welt im Kleinen originalgetreu nachbildeten, wesentlich solider. Zinngießer gab es überall. Das besondere Zentrum wurde Nürnberg, auch aber in Wien, Hildesheim, Lüneburg und Lübeck wurden hübsche Tiergärten, Jagden und Bauernhöfe hergestellt.

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14 Zinn-Waren

Es wird oft übersehen, daß es außer den »Blei«-Soldaten aus Zinn noch Unmengen anderer Dinge gegeben hat, die zum Aufstellen ganzer Jahrmärkte, Dörfer oder Spielszenen dienten. Und natürlich brauchte man zierliches PuppenstubenInventar in kleinsten Formaten. Dafür bot sich das leicht zu verarbeitende Zinn an, wenn es letzten Endes auch mehr ein Material zum Anschauen als zum Anfassen war. Die beiden großen und mit ihren neugotischen Rahmen leich deplaziert wirkenden Standspiegel sind vielleicht für die Ausstattung eines mittelalterlichen Spiel-Schlosses gedacht. Leuchter, Dochtschere und das Salzfaß konnte man in jedem Puppenhaushalt gebrauchen. Von all den Gegenständen besticht das blaue Glasseidel mit Zinndeckel am meisten. 58

Einige der wichtigeren Hersteller von Zinn-Spielzeug, die 1873 in Wien ausstellten: C. Schildknecht & Sohn, Fürth: Flache und plastische Zinn- und BleiKompositionsfiguren in Kästchen. C. Ammon, Nürnberg: Verschiedene Darstellungen von Zinnfiguren. Gebr. Heinrich, Fürth: Zinnfiguren. J. G. Normann, Nürnberg: Kinderspielwaren von Zinn, Kompositions-Spielwaren. J. C. Schreiber, Fürth: Zinnfiguren. Hier kommt noch auf der Weltausstellung 1876 in Philadelphia hinzu: Ernst Heinrichsen, Nürnberg: Zinnfiguren.

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15 Metall-Druck-Waren

War das Löten und Biegen von Blech zur Formung bisher das Übliche gewesen, so setzte mit dem Metalldrücken eine neue Gestaltungsmöglichkeit ein. Um 1850 kam der erste Metalldrücker aus Fürth nach Nürnberg, und damit war ein weiterer Industriezweig geschaffen. Beim Metalldrücken wurde das Modell aus Hartholz oder Gußeisen an der Drehbank befestigt und dann die ausgestanzte Blechscheibe mit Hilfe des stählernen »Reitstockes« vorsichtig dagegengepreßt. Der Arbeiter hatte mit aller Sorgfalt zu verfahren, um die Feinheiten genau herauszubekommen. Die hier abgebildeten Schreibzeuge zierten kleine und große Schreibtische. Sie hatten die Aufgabe, den Federhalter liegend aufzubewahren oder stehend,

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wenn er im Gebrauch war. Ferner gehörte das unentbehrliche Tintenfaß und der Sandstreuer dazu. Das »Punktum-Streusand!« hörte zwar auf, als sich das Löschpapier im täglichen Gebrauch durchgesetzt hatte, aber aus dekorativen Gründen blieb der Sandstreuer noch lange erhalten. Schon die Bezeichnung »Gallerie-Schreibzeug« deutet mehr auf ein Repräsentationsstück als auf einen wirklichen Gebrauchsgegenstand hin. Und in den Puppenstuben ist es nicht anders gewesen, hier hielten sich die »Man-hatzu-haben-Sachen« besonders lange. Auf der Weltausstellung 1873 in Wien zeigte der Nürnberger G. Fischer seine Spielwaren aus gedrücktem Metall.

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16 Puppen-Garnituren

Auf blauen Velvet-Unterlagen präsentieren sich die zierlichen kleinen Nützlichkeiten, ohne die der zivilisierte Mensch nicht existieren kann. Das beginnt mit Schreibzeug, Lineal, Federmesser und Petschaft und führt zu den Nähsachen wie Stricknadeln, Fingerhut und Scheren. Auch die Raucherutensilien sind nicht vergessen; neben Pfeifen und Zigarren sind der Tabaksbeutel, Zunder, Stahl und Feuerstein vorhanden. Bürsten und Kämme braucht der Mensch, auch den berüchtigten engzähnigen Läusekamm, für sich und seine Kleidung. Dann kommen die abendlichen Notwendigkeiten: Stiefelknecht und Stiefelhaken für die Langschäfter,

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Pantoffeln und Schlafmütze! Und natürlich auch jene kleinen Instrumente zur persönlichen Körperpflege, die Ohren, Nägel und Zähne einschließt.

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17 Vollständige Altareinrichtung

Die im Musterbuch so bezeichneten kirchlichen Gegenstände aus Zinn wurden als »Kirchensachen« in Pappkästchen verschickt. Darunter fielen Monstranzen, Kelche, Hostienbehälter vielarmige Kandelaber, Blumenvasen und Deckenleuchter. Neben den Nürnberger Zinngießern waren die Fürther sehr rührig und führten Unmengen von profanen und sakralen Kombinationen. Übrigens waren »Kinderaltäre« und ihr Zubehör den vergangenen Zeiten gar nichts Befremdliches. Dieser Bereich wurde genauso im Spiel aufgenommen wie auch die anderen Welten der Erwachsenen.

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18 Tee-, Kaffee- und Tafelservice

Welch ein verlockendes Angebot! Die Schachtel mit den hölzernen Küchengeräten enthält 22 Stück, darunter Milchtöpfe, Eierbecher und große Bütten. Das komplette Tafelgeschirr aus Porzellan oder Steingut mit 29 Einzelteilen umfaßt ein Dutzend kleiner und großer Teller, dazu Schüsseln, Terrinen, Leuchter und Vasen. Kaffee-Zeug (Service ä cafe Coffee Service) konnte man mit drei oder sechs Tassen erhalten und auch noch ein Serviertischchen dazu. Diese oft winzigen Stücke wurden mit dem gleichen Formgefühl hergestellt wie die Tafelgeschirre für den großen Haushalt. Die Thüringer Manufakturen nahmen sich dieser Sparte besonders an, allerdings war die englische Konkurrenz, jedoch mehr auf dem norddeutschen Markt, nicht zu übersehen. 66

Auf der Weltausstellung 1873 in Wien zeigte die Manufaktur Swaine & Co. in Hüttensteinach/Thür. ihre Puppengeschirre, aber auch A. Lerch aus Nürnberg war mit diesem Genre vertreten. Da im Musterbuch die Maßangaben fehlen, ist es nicht ausgeschlossen, daß es

sich auch um Kindergeschirre handeln kann. Mit diesen Täßchen im Durchmesser von 4-5 cm konnte man eine kleine Kindergesellschaft glücklich machen, zumal, wenn die begehrte Schokolade daraus getrunken wurde!

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19 Puppengeschirr

Diese gefälligen Formen entsprachen dem Geschmack der 50er bis 70er Jahre des 19. Jahrhunderts. Es gab nicht nur die Kaffee- und Tee-Service mit der sehr großen Zuckerschale, sondern auch eine Bowle mit den dazugehörigen Henkelbechern und der Schöpfkelle. Ein dreiteiliger Aufsatz, mit fröhlich buntem Obst aus Gips geformt, vervollständigte die aufwendige Tafel, auf der Vasen und Leuchter auf keinen Fall fehlen durften. 1860 wurde in der Weihnachtszeit von Lübecker Spielwarenhändlern eine Puppen-Ausstellung veranstaltet, bei der besonders schöne Kinderservice gezeigt wurden.

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Puppengeschirre aus Zinn

Die winzigen Geräte, bemalt oder unbemalt, sind sorgfältig auf eine weiche Unterlage gebetttet. So ist schon der Anblick der zierlichen Teller, Schalen, Zukkerzangen und Schüsseln durch den Glasdeckel des Geschenkkastens höchst erfreulich. Aber vielleicht ist dieser Anblick das Einzige, was wirklich genossen werden konnte: Es scheint recht zweifelhaft, ob die Kinder mit den überdekorierten Eßbestecken etwas anfangen konnten! Nur das Bratenbesteck und einige Löffel können wohl ein Anfassen vertragen. Diese ausladenden und jedem Gebrauch widersprechenden Formen sind charakteristisch für das zweite Rokoko. Die dazugehörigen Tabletts sind sehr lebhaft ornamentiert.

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Auf den Pappschachteln für die Zinnservice waren häufig Bildchen geklebt, die die vor dem wohlgedeckten Tisch sitzenden Familien in Erwartung der Speisen zeigen, die von dem Dienstmädchen ins Zimmer getragen werden. Über den erzieherischen Wert verbreitet sich Paul Hildebrandt 1904 sehr ausführlich und schließt das Kapitel »Hauswirtschaftliche Spiele« folgendermaßen: »Sowohl die Mittags-, Kaffee- und Abendtafel zeichnet sich durch Eleganz und Gediegenheit der Gedecke aus, auch für gefällige Arrangements wird die aufmerksame kleine Gastgeberin Sorge tragen und die Tafel mit Blumengewinden, Blumenbuketts, mit brennenden Kerzen und, nicht zu vergessen, mit zierlichen Menükarten schmücken. - Wie vorteilhaft und wertvoll in manchen Lebensla-

gen auch die Kenntnis des Tafeldeckens und Servierens ist, das weiß das kleinste Kind aus der Geschichte von Schneewittchen, das den sieben Zwergen so trefflich die Hauswirtschaft besorgte.«

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21 Küchengeräte aus Holz

Man verpackte das Spielzeug gern in handlichen Kistchen, praktisch für den Handel und Versand, praktisch aber auch für das Aufbewahren im Hause. So gehörten zu den Küchengeräten folgende Einzelheiten: Butterfaß, Mangelbrett mit Rollholz, Bütte, Hauklotz für Fleisch, Kohlhobel, Stampfer für Sauerkraut, Sieb, Eimer und Nudelbrett. Der Werkzeugkasten für die Jungen konnte von 5 bis 22 Stück Werkzeug groß sein, er enthielt u. a.: Hammer, Zugmesser, Hobel, Kneifzange, Stichsäge, Feile, Stemmeisen, Schnitzmesser. Alles konnte, wenn man es ordentlich wieder hineinlegte, mit einem Schiebedeckel verschlossen werden!

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Es wurde hier auch, wie so oft, zwischen ordinärer und feiner Ware unterschieden.

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Waschhaus und Trockenplatz

Das Schreckgespenst der großen Wäsche, das noch bis zu den Zeiten der Waschmaschine drohend über jedem Haushalt schwebte, ist hier freundlich verharmlost: Zuber und Tisch, dazu der Wäschekessel und eine Rasenbleiche mit Trockenstangen zwischen den Pfosten, das mußte bei Sonne ideal sein! Da heute die Kenntnis von einer solchen Wäsche, die höchstens viermal im Jahr, oft auch nur zweimal stattfand, nicht mehr präsent ist, hierzu einige Bemerkungen: Mehrere Waschfrauen wurden im Tagelohn bei freier Kost verdingt. Nach dem Wäschesortieren kam alles ins Waschfaß und weichte über Nacht in einer Lauge aus Eichen- und Buchenasche. Am Waschtag wurde dann jedes Stück mit Seife in heißem Wasser gerieben, - das Ruffelbrett ist vielleicht noch in Erinne74

rung -, anschließend ausgewrungen und mit der ganzen Prozedur von vorne begonnen. Erst dann wurde im Waschkessel gekocht, die Wäsche mehrfach gespült, gestärkt und aufgehängt. Nach dem Trocknen zog man sie fadengerade, rollte sie oder legte sie unter die Wäschepresse, die es übrigens schon im 16. Jahrhundert gegeben hat. Es dauerte nicht nur einen Tag, sondern das »Waschfest« nahm eine ganze Woche in Anspruch. Und viele Hände waren nötig, ehe die Hausfrau mit einem Stoßseufzer der Erleichterung ihre makellos weißen Leinensachen akkurat gestapelt in den großen Wäschespindcn verschließen konnte. Die Größe des SpielzeugTrockenplatzes: 45 cm im Quadrat.

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Stall und Wagenremise

Der Stall für die Kutschpferde war im 19. Jahrhundert so unumgänglich wie heute die Garage für das Auto. Kräftige, standsichere Holzpferde konnten von ihrem Kutscher vor die kleine Kutsche gespannt werden. Paul Hildebrandt schrieb 1904 dazu: »Einzelne dieser Ställe sind wirklich architektonisch kleine Kunstbauten, wie wir sie in Wirklichkeit nicht immer antreffen. Im Stalle selbst leiden die Pferdchen keinen Mangel, sie haben jedes eine eigene Box mit allem, was zu einer solchen gehört, und wir lesen an der Wand über den mit Heu gefüllten Krippen, daß hier in der 3. Box Hans, Hektor und Peter stehen, Musterexemplare verschiedener Rassen, denen man ansieht, daß sie sehr gut gepflegt sein müssen.«

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Auf der Weltausstellung in Wien 1873 zeigte B. Kütt aus Fürth seine SpielzeugPferdeställe.

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24 Chevaux ä louer

Daß man sich auch Pferde mieten konnte und auch zugleich den livrierten Kutscher, wird an der Aufschrift des Stalles deutlich. Ein leichter Stadtwagen steht abfahrbereit, die Zügel können die Kinder durch Schnur ergänzen. Keineswegs muß dieses Spielzeug aus Frankreich importiert worden sein. Es wurde für die Kinder der gesellschaftlichen Kreise gemacht, in denen man mit Fremdsprachen vertraut war. Und besonders das Französische galt ja noch sehr lange als der einzige Ausdruck der feinen Lebensart! Maße des Stalles: 36 cm und größer.

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Chevaux a Touer.

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25 Kutschwagen

Wie heute schon den kleinsten Kindern die Automarken vertraut sind, so damals die verschiedenen Typen der Kutschwagen, die Ein- und Zweispänner, die offenen und die Kabinett-Wagen. Man konnte sich wie der »Graf von Paris« fühlen, wenn man das stolze Gefährt mit den galoppierenden Pferden in Bewegung setzte. - Die Wagenbauer brachten fast jedes Jahr neue Modelle heraus, die noch eleganter, leichter oder zweckmäßiger waren als die vorangegangenen. Die Spielzeugindustrie griff sie sofort auf und stellte sie originalgetreu her. Auf diese Weise ist vielleicht mancher Kutschentyp noch heute repräsentiert, dessen Vorbilder längst nicht mehr im großen Original zu finden sind.

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Diese Blechspielzeuge waren keineswegs klein, sondern fast 30 cm lang und ungefähr 17 cm hoch.

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Kutschwagen

Im »Englischen Cabriolet« sitzt der Fahrgast mit dem Rücken zum Kutscher, während das »Flügelcabriolet« zusätzlich nur noch jemanden auf dem hinteren Trittbrett stehend aufnehmen kann. Die »Gig« ist etwas geräumiger gebaut und bietet zwei Personen Platz. Alle Kutschpferde brausen in gestrecktem Galopp davon, unterstützt durch ein zusätzliches kleines Rad. Das Pferd des Wasserwagens aber zieht gemächlich seine Last. Größe des Wasserwagens: 27 cm lang, 17 cm hoch.

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27 Kinderpeitschen

Zum Pferdespielen gehört das Peitschenknallen! Eine Peitsche war nicht nur nötig, nein, sie wurde durch ihre besondere Ausstattung geradezu zu einem Statussymbol für den kleinen Kutscher. Es gab Kinderpeitschen in allen Qualitäten, das Musterbuch bot 32 Nummern an. Zwei Nürnberger Firmen hatten sich darauf spezialisiert und zeigten ihre Kollektion auf der Weltausstellung in Wien 1873: G. G. Helmbrecht und Lengenfelder & Hauenstein. Um 1890 waren es vier Betriebe, die mit 15 Personen arbeiteten. Die Schwanenhalspeitschen messen ohne Schnur 76 cm.

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28 Kutschwagen

Eine Seite wie diese scheint aus dem Musterbuch eines Karosseriebauers genommen zu sein. Soviel zierliche Einspänner mit trabenden Pferdchen, wohl abgefedert, um die schrecklichen Unebenheiten der Straßen nicht so fühlen zu lassen! Der Höhepunkt dürfte das hochherrschaftliche Gefährt sein, vor das - paradoxerweise - zwei Hirsche gespannt sind, um den Jäger mitsamt Gewehr und Hund zu seinem Jagdrevier zu bringen. Größe des Hirschgespannes: 26 cm lang, 10 cm hoch.

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29 Kutschwagen

Vom »Mempton« bis zum »Omnibus«, vom »Whisky« bis zum »General-Cabriolet« fehlt nichts in dieser Aufreihung standesgemäßer und bürgerlicher Fahrzeuge. Schon die Kleidung der Kutscher verrät die jeweilige gesellschaftliche Situation. Paul Scheerbarth (1863-1915) schrieb 1904 dazu: »Zweifellos erscheint mir das Spielzeug für die Phantasierichtung des Menschen von größter Bedeutung zu sein. Ich erinnere mich, als Kind eine Postkutsche von Blech besessen zu haben. Und ich hatte immer wieder die Neigung, in das Innere dieser kleinen Kutsche zu gelangen, was natürlich zur Folge hatte, daß das Spielzeug bald entzwei ging. Hiermit hängt aber vielleicht zusammen, daß mir später eine Fahrt im Innern einer Postkutsche 88

sehr bedeutungsvoll wurde, ohne daß sich mit dieser ein Ereignis verknüpfte. Für meine Phantasierichtung war jedenfalls die kleine Postkutsche ein entscheidender Faktor.«

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Dreh-Fahrzeuge

Eine etwas merkwürdige Kombination: Eine Kunstreiter-Szenerie auf einem zweirädrigen Wagen mit galoppierendem Pferd ohne Kutscher und ein ähnlich konstruierter »Jagdwagen«! Beide Szenen, in einem Rund angeordnet, drehen sich durch die Vorwärtsbewegung des Wagens. Die Übertragung geschieht im Zahnradprinzip durch zwei Metallsterne, die unter dem Wagen angebracht sind. Auch der Hund auf dem Fuhrmannskarren muß sich im Kreise bewegen, wenn das Gefährt geschoben wird. Größe der Karre: 31,4 cm lang und 18 cm hoch.

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31 Frachtwagen

Bei diesem stabilen Gefährt für Lasten und Kisten, die durch eine dicke Lage Stroh und regendichte Planen geschützt wurden, saß der Kutscher auf dem Pferderücken. Oder, was vielleicht häufiger vorkam, ging er auf den abschüssigen Straßen nebenher, um rechtzeitig den Bremsschuh, der an einer Kette befestigt war, ansetzen zu können. Die hölzernen Apfelschimmel sind sehr sorgfältig gearbeitet und lassen auch in Hinblick auf ihr Geschirr keine Wünsche übrig. Die Markierung der Kisten mit den Hausmarken deutet noch auf eine Handelsepoche, die nach 1860 rasch zu Ende ging. Ohne Maßangaben, vermutlich 30-50 cm Länge.

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Die gedrechselte Docke (Püppchen) ist der Prototyp Puppe schlechthin und in dieser Form seit Jahrhunderten nachweisbar.

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32 Rollfuhrwerk aus Holz

Als Knabenspielzeug wurde alles eingestuft, was mit der Welt außerhalb des Hauses zu tun hatte. Diese solide gearbeiteten Wagen konnten schon ein energisches Hantieren beim Be- und Entladen der Kisten und Fässer vertragen, die über die kleine Klappleiter abgerollt wurden. Auch Brauerei-Fahrzeuge mit ihren Fässern waren beliebt. Die Pferdchen für solche Fuhrwerke wurden nicht wie die schematischeren Tiere für Bauernhöfe und Archen Noah vom gedrechselten Reifen gespalten, sondern sehr vollplastisch geschnitzt. In den erzgebirgischen Musterbüchern sind beachtliche Größen angegeben. Die hier im Nürnberger übernommenen erzgebirgischen Beispiele an Gespannen sind 30 cm lang und 9 cm hoch. (Bachmann) 94

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33 Bäckerladen

So waren die Bäckerläden um 1850: Hohe Regale für die großen, dunklen runden Brotlaibe, die eine vielköpfige Familie satt machen konnten, und darunter das Kleingebäck aus Weizenmehl. Die Stuten und Semmeln, die Zöpfe und Brezeln lagen verführerisch nahe auf dem Verkaufstisch. Mit solchen Gips-Sachen ließ es sich gut spielen, sie wurden in den Henkelkorb gepackt und dann mit in die Puppenstube genommen. Sehr typisch ist der kleine Ladentisch mit dem Schlitz, in den das Geld hineingesteckt wurde. Größe: 35 cm lang und 33 cm hoch.

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34 Bäckerladen

Hier hat der Spielzeug-Bäcker seine Wohnstube in einen Laden verwandelt, um die großen, runden Brotlaibe und die kleineren Zöpfchen, Stuten und Semmeln aus Weizenmehl zum Verkauf auszulegen. Um dem Ganzen den Anstrich eines richtigen Ladengeschäftes zu geben, hat der Hersteller eine Ladenfront davorgebaut, wie sie den großen Kaufmannsläden, etwa dem Merseburger Laden, entsprach. Größe des Ladens: 52 cm.

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Kaufniannsladen

Der hier als Merseburger Laden (Fa?on de Mersebourg) bezeichnete Spielladen macht sich mit seiner Vorderfront, den Zwiebelknäufen und den orientalischen Ausschittmustern für die Fenster-Auslagen besonders prächtig. Diese auch äußere Dokumentation von fernen Beziehungen, die die Grundlage der Materialund später der Kolonialwarenhandlungen bildeten, sind in den Spielzeugläden oft anzutreffen. Das für uns heute bunte Durcheinander im Warenangebot entspricht völlig den Notwendigkeiten in der Jahrhundertmitte: Man brauchte Farben zum Stoffefärben und Zimmerstreichen, deswegen die Schiebladen mit Berliner Blau, Englischer Erde (Rötel), Terra umbra, Marino oder Saftgrün. Zucker, natürlich nur in der Form von Zuckerhüten, und Tabakwaren als Zi-

garren, Roll- und Schnupftabak haben zusammen mit den Gewürzen wie Ingwer und Lorbeer jenes Duftgemisch erzeugt, das für Ferne und Fremde, für Kostbares und höchst Angenehmes charakteristisch war. Rapee war ein gefragter Schnupftabak, er steht auf dem Verkauf stisch, um dem Käufer ja nicht aus den Augen zu kommen! Größe: 50 cm.

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Kaufmannsladen

Diese Färb-, Spezerei- und MaterialHandlung macht einen sehr noblen Eindruck. Wohlaufgeräumt und übersichtlich thronen die Zuckerhüte auf dem Bord, auf der anderen Seite abgepacktes Post- und Schreibpapier, von der feinen und der ordinären Sorte. Die Fächer der Schrankwand enthalten lauter gute Sachen wie Candis, Zimt, Feigen und Rosinen, die leicht von Mutters Küchenvorräten nachgefüllt werden konnten. Doch es gibt auch Ingwer, Cardamon und Piment. Auf dem Fußboden stehen großen Tongefäße für Pfeffer, Kreide und Salatund Lampenöl, diese beiden allerdings zur peinlichen Verwechslung dicht nebeneinander! Den Blickfang aber bilden die Fensterauslagen und das mittlere Ladenfach: Hier konzentrieren sich die hübschen Tabak- und Schreibpapier-

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päckchen. Bei Tabak sticht der »Henricius Oldencott« ebenso ins Auge wie der »Portorico ohne Rippen«. Natürlich ist auch nicht der Rolltabak vergessen, von dem man immer nur grammweise abschnitt und verkaufte. Diesen Pfeifentabak konnte man sich evtl. noch veredeln ... Eine ganz besondere Veredelung aber wurde mit dem Schnupftabak vorgenommen, mit dem »Marocco«, der im großen Gefäß auf seinen Käufer wartete. Diese edlen Mischungen aus Virginia- und Maryland-Tabaken, gemischt mit ungarischen, mußten in einer Beize von Salz, Karottenbrühe, Zucker, Salmiakgeist, ungelöschtem Kalk und - horrible dictu Männerurin lagern, um die richtige Würze zu erlangen! So beschrieben in der Krünitz'schen Encyklopädie von 1809.

Diese Einrichtung einer Materialhandlung ist aus den alten Apotheken erwachsen, wo ja auch Gewürze, Zucker und Marzipan damals noch als Heilmittel verkauft wurden. Und genauso gut führte die Apotheke alles, was man heute als Drogerie waren kennt: Farben, Chemikalien, später Seifen und Parfüms. Der Kaufmannsladen wurde in verschiedenen Größen von 44,5 cm bis zu 70,5 cm angeboten. Größe der Zeichnung im Musterbuch: 35,5 cm.

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Lebküchner- und Wachszieher-Laden

Dieses in Süddeutschland und Österreich beheimatete Gewerbe gründet sich auf die Bienenzucht. Gerade das Gebiet um Nürnberg wurde als des »Reiches Bienengarten« schon früh mit Privilegien ausgestattet. Man brauchte den Honig zur Lebkuchenbereitung und das Bienenwachs für Kerzen, Votivgaben und vielerlei wächsernes Gerät. Über Nürnberger Lebkuchen braucht wohl nichts gesagt zu werden, ihre Berühmtheit ist in aller Munde! Und doch kam es zu einem Lebkuchenkrieg, weil die Nürnberger in den Bayreuther Umlanden keine Ware verkaufen durften...Man stellte sich mit den Potentaten gut: Als Maximilian II. von Bayern in Nürnberg zu Besuch weilte, wurde er mit einem Lebkuchen beschenkt, 104

»der war so groß, ich kann's Euch sagen, daß ihn vier Männer mußten tragen!«

Vermutlich sind die Häschen und »Oster-Betzen« (Osterlämmer), die auf dem oberen Bord zu sehen sind, sowie Blütensträuße und andere kleine Dinge aus Tragant. Dieses auch heute noch verwendete Bindemittel wurde von den Konditoren für kleinen figürlichen Schmuck genommen. Übrigens gab es um 1780 einen heftigen Streit in Nürnberg um die Zulassung weiterer »Papierdockenmacher«. Dabei zeigte sich die Verbindung zum Konditorhandwerk, denn einer der Applikanten hatte die Modelle von einem Konditor erhalten.

Alles, was sonst von Lebkuchenteig, Wachs oder Tragant gemacht worden war, ist hier als farbenfroh bemaltes Gipsspielzeug ausgestellt, beweg- und ergänzbar. Welch ein herrliches kleines Spielzeug, das zum Nachahmen anregte! Größe: 76 cm lang und 34 cm hoch.

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Spezerei-Laden und Lagerhaus

Dieser Spezerei-Laden mit deutschen Aufschriften entspricht nicht den Vorstellungen von einem offenen Spielladen. Hier wird nach mittelalterlicher Weise der Fensterladen heruntergeklappt, und schon ist der Auslage- und Verkaufstisch fertig. Die Waage muß dann natürlich an dem Deckenbalken hängen. Bei den Waren dominiert wieder der Tabak: Portorico - Kanaster -Henricius Oldencott te Amsterdam - Ächter Muselmann und Fein Cuma sind die Marken. Aber auch Melis (Zucker), Aniskügelchen und Herzgrüben vervollständigen das Angebot. Größe: Von 23,5 cm bis zu 37,6 cm Höhe. Das danebengezeichnete Lagerhaus mit holländischer Beschriftung gibt Einblikke in die Ladeluken. Mit der Winde kön-

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nen Fässer und Kisten auf die Böden befördert werden. Vermutlich hat es der Lithograph Friedrich Scharrer nicht unterlassen können, seine Initialen auf einer Kiste anzubringen. Die große Waage auf dem Vorplatz kann schon beachtliche Gewichte tragen. - Bei diesem Spielzeug ist es einmal möglich, eine exakte Herkunftsbestimmung zu machen: Ein fast genau übereinstimmendes Lagerhaus, nun aber mit englischen Aufschriften, ist in dem Waldkirchner Musterbuch um 1850 wiedergegeben. Der erzgebirgische Spielzeugfabrikant Oehme ließ seine Produktion zeichnen und in 42 Exemplaren lithographieren. (Bachmann) Größe: Von 35,2 cm bis 56,4 cm Höhe.

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Glaswaren-Handlung

Der Gläserhändler steht inmitten seiner zerbrechlichen Ware auf dem schön mit imitierten Fliesen beklebten Fußboden. Glassammler werden hier voller Vergnügen die biedermeierlichen Formen erkennen, den Ranftbecher, das Kelchglas, die Enghalsflasche, Likörkaraffen und Pokale. Aber auch die großen Goldfischgläser sind ebensowenig vergessen wie die praktischen Gurkenhäfen. Solche ausgesprochenen Spezial-Geschäfte sind nicht allzu zahlreich gewesen, man kannte eher Stoff- und Modeläden, auch Hutläden. Auf dem Lebensmittelsektor hatte man noch den »Rindermetzger« oder auch den Geflügelund Fischhändler mit seinem Laden. Komplette Spielzeug-Läden wurden von den Grossisten abgegeben, die ihrerseits erst die Ausstaffierung vornahmen. Zu

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den Herstellern von Inventarstücken gehörte in Nürnberg u.a. J. J. Landmann. In Böblingen hatten sich Kindler & Briel auf Läden und Ladentische in Kindergröße spezialisiert. Auf der Weltausstellung in Wien 1873 zeigten B. Kütt und J. H. Schmidt, beide aus Fürth, ihre Läden, Puppenzimmer und Pferdeställe. Größe des Ladens: 32,5 cm.

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40 Korbwaren-Laden

Geradezu südländisch heiter und offen mutet dieser Laden mit seiner französischen Beschriftung an. »Au gentil vannier«, »Zum netten Korbmacher«, - diese Übersetzung trifft eigentlich nicht alles, denn der Korbflechter ist nicht nur freundlich, sondern auch geschickt in seiner Arbeit. Welche kunstvoll gebogenen Körbchen und Körbe mit und ohne Dekkel, wie viel Nützliches an Brot- und Wäschekörben ist hier nicht ausgestellt! Auch eine Korb wiege ist nicht vergessen. Die Puppendame hinter dem kleinen Ladentisch, der in seiner Aufschrift große Auswahl und dazu noch ungezwungene Besichtigung verspricht, macht einen sehr tüchtigen Eindruck. Solche Korbwaren-Läden gab es auch in der üblichen, nach vorne und oben offenen Spielzeugladen-Form. Größe des Ladens: 52 cm lang und 40 cm hoch. 110

6BAIDE CHOIX DE VAMER1E Ubrc.

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Spielzeugbude für den Markt

Auf diesem Stand ist ein buntes Gemisch von Spielwaren aufgebaut: Musikinstrumente aus Thüringen und Württemberg, Nürnberger Blechspielzeug und Oberammergauer Stockdokken, jene gedrechselten und bemalten Holzpüppchen, die durch Jahrhunderte in unveränderter Gestalt kleine Mädchen erfreuten. - In Nürnberg liefen die Fäden zusammen, hier war der Grossistenplatz, von dem aus dann das meist in Heimarbeit hergestellte Spielzeug seinen Weg in die Welt antrat. Ob die Bezeichnung »RAU 186« auf der kleinen Rollkarre ein versteckter Hinweis auf den Spielzeugverleger und das Jahr ist? Wohlweislich hat man in Katalogen nie ein genaues Datum angegeben, um immer als aktuell gelten zu können.

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42 Spielzeugbude mit Nürnberger Tand

Wieder ein zauberhafter Spielzeugstand! Sehr übersichtlich ist das Gerät für die Puppenküche geordnet, Salzfaß, Reibe und Kuchenrädchen, dazu Zinngeschirr, Leuchter und Kaffeemühle. Aber auch die sog. Kurzen Waren sind vertreten, Zigarrenspitzen, Tabaksbeutel, Schreibzeug und Töpfe mit künstlichen Blumen. Nahm man den stützenden Stock weg, so konnte der Laden geschlossen werden und auf den nächsten Markttag warten. Im Spielzeugmusterbuch war mit 29 cm Front und 22 cm Höhe die genaue Größe wiedergegeben.

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43 Polichinelltheater und Hampelmänner

Was wäre eine Kinderstube ohne Theater gewesen? Hier nun ein festes Haus aus Holz, hinter der Bühne Raum zum Agieren für die Spielführer. Die »Pappenfiguren«, bunt bemalt und lackiert, konnten nach dem Spiel raumsparend wieder in ihrer Kiste verschwinden. Auf dem Vorbau ist eine Jahrmarktsszene mit dem Guckkastenmann und den ihn umringenden Kindern gemalt. Die Illusion eines wirklichen Theaterbaues wird auch durch die beiden Grisaillen hervorgerufen, die die Pilaster schmücken. Größe: 34 cm. Um den Bogen des Musterbuches voll auszunutzen, sind noch zwei »Ziehfiguren aus Pappe«, ein Türke und ein Kavalier, hinzugezeichnet. Die Geschichte des Hampelmannes beginnt in Frankreich, ein Zeitgenosse schreibt 1747: 116

»Im Laufe des letzten Jahres hat man in Paris Spielzeuge erdacht, sog. Pantins, die zunächst für Kinder bestimmt waren, bald aber alle Leute amüsiert haben. Es sind kleine, aus Karton gefertigte Figuren, deren einzelne Gliedmaßen durch Fäden verknüpft sind, wodurch sie zappeln und hampeln können. Es gibt solche von guten Malern gefertigte, u.a. von Boucher, einem der berühmtesten Künstler der Akademie, die sehr teuer waren. Diese Albernheiten haben ganz Paris beschäftigt, so daß man in kein Haus gehen kann, ohne daß man sie an jedem Kamin baumeln sieht.« Und einige Jahre später hieß es: »Ein vermögender Herr hat sich ruiniert, als er 40 Arbeiter bei sich unterhielt, die Tag und Nacht solche beweglichen Figuren anfertigten!«

In Nürnberg nannte man die Hampelmänner »gepappte Docken, die man an Schnürlein zeucht«. Erst durch die Bilderbogen-Industrie des 19. Jahrhunderts wurden Ausschneidebogen in vielen Varianten auf den Markt geworfen, und Legionen von Hampelmännern und -mädchen erfreuten die Kinder.

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44 Kasperlebühne

Die auf den Jahrmärkten verbreitete Handpuppenbühne kam auch ins Kinderzimmer. Zum Spielen genügten eine hohe Kiste mit dem Bühnenausschnitt und wenige Puppen, die durch die volkstümliche Spieltradition festgelegt sind. Hier führt der Kaspar das große Wort, dazu seine Frau Gretel und natürlich Tod und Teufel sowie der Schutzmann und das im richtigen Moment auftauchende Krokodil. Auf dieser Stubenbühne haben sich sicher zwischen Kaspar und dem als Advokaten verkleideten Teufel aufregende Geschichten abgespielt. Die Puppen hatten entweder Holz- oder lackierte Pappmache-Köpfe, die Hände waren grob geschnitzt. Die Stoffkleider konnten aus Mutters Flikkenkiste immer wieder umgenodelt werden. Die im Musterbuch angebotenen 118

Handpuppen sind 30 bis 40 cm groß. Man brauchte also entsprechende Bühnenmaße und konnte dann ein zahlreiches Auditorium erfreuen. James Krüss: Der kühne Kaspar zeigt euch hier den allerersten Streich, Er fängt den Räuber Radomir und schlägt ihn windelweich. Der zweite Streich ist auch sehr fein, da läuft der Räuber weg, Und Kasperle befreit allein Prinzessin Felseneck. Beim dritten Streich wird er ihr Mann das ist halt so der Brauch, und kriegt ein Schloß mit Fähnchen dran, und König wird er auch!

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Handpuppen und Schwenkpuppen

Diese als »nicht mehr gangbar« bezeichneten Schwenkpuppen entstammen der italienischen Comedia dell'arte. Man hielt sie an dem hölzernen Stiel und schwenkte sie im Kreise, so daß die Schellen klangen und die Federn am Hut heftig wippten. Interessant, daß diese Harlekine um 1860 nicht mehr aktuell und verkäuflich waren. Oder lag es daran, daß dieses alte Spiel zur Fastnacht von anderen Vergnügungen abgelöst worden war? Die beiden Handpuppen mit den Pappmache-Köpfe waren auch aus der Mode gekommen.

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Scheiben und Polichineller

Eine heute nicht mehr bekannte Art von Schießscheiben: Die lose aufliegende untere Klappe wird mit einer Schnur hochgezogen. Trifft der glückliche Schütze ins Schwarze, dann löst sich die Klappe und es erscheint der tänzelnde Narr in seiner ganzen Gestalt. Die Scheibe wurde in drei Größen, von 42,3 cm bis 56,4 cm, angeboten. Wieder ein Puppentheater in ähnlicher Ausstattung wie Nr. 43, nur daß statt des Guckkästners ein Drehorgelspieler auf die Vorderfront gemalt ist. Diese als »Polichineller« bezeichneten Bühnen konnten mit Handpuppen, aber auch mit den immer wieder neu zu schaffenden »Pappenfiguren«, die an Drähten geführt wurden, bespielt werden.

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47 Papiertheater

Dieses schöne, tiefgestaffelte Theater »mit Mechanik und gekleideten Figuren« diente schon höheren Ansprüchen. Hierauf konnten Stücke der Erwachsenenbühne gespielt werden, vielseitige Kulissen und Versetzstücke ließen von einer klassischen zur orientalischen oder altdeutschen Szenerie umwechseln. Diese Theater sind zum Inbegriff des häuslichen Spielens schlechthin geworden. Die Bilderbogenverlage gaben unzählige Figuren- und Kulissenbogen heraus, das Repertoire reichte vom Barbier von Sevilla bis zum Ring der Nibelungen! Generationen von Kindern schnitten aus, klebten und malten, dichteten und deklamierten. Aus der großen Zahl von Kindheitserinnerungen, die mit dem Theaterspielen

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verbunden sind, nur »Die explodierte Wolfsschlucht« von Otto Falckenberg: Otto hatte wegen Krankheit die Aufführung des »Freischütz« versäumen müssen und darum... »Zum Trost für dieses grausam unerlebte Erlebnis baute mir mein Vater ein Puppentheater, auf dem wir dann gemeinsam den »Freischütz« doch noch wirklich spielten, ja einige Lieder und Arien sogar sangen. Der szenische Höhepunkt der Aufführung sollte das Vorüberrasen eines feuerspeienden Wildschweines werden, unmittelbar vor dem Erscheinen des Samiel in der Wolfsschlucht. Da uns ein richtiges Wildschwein nicht zur Verfügung stand, so nahmen wir aus meiner Menagerie einen Bären, dem eine Papprolle, gefüllt mit feuchtem Pul-

ver, unter Bauch und Maul gebunden wurde. Vor dem Auftreten dieses »Wildschweines« wurde eine Zündschnur in Brand gesetzt, die das Feuerwerk auf der Bühne hervorrufen sollte. Leider war jedoch das Pulver zu sehr eingetrocknet, so daß der Funke eine ungeheure Explosion erweckte, welche die ganze Dekoration, Kulissen, Soffitten und Prospekte, ins Zimmer warf. Alles war von dickem Rauch erfüllt, und eine meiner Tanten verfiel in einen hysterischen Anfall; womit dann die Vorstellung in den Schrekken der Wolfsschlucht ein jähes Ende gefunden hatte.«

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48 Chinesisches Feuerwerk und Papiertheater

Die vorzüglichste Beschreibung dieses optischen Spielzeuges hat der Dichter Heinrich Seidel (1842-1906) in seinen Lebenserinnerungen gegeben: »In einem schwarzem Kasten befand sich eine um eine senkrechte Spitze drehbare Trommel, die von innen erleuchtet werden konnte und dann zugleich durch den aufsteigenden heißen Luftstrom der Lichter vermöge eines metallenen Windrades in Bewegung gesetzt wurde. Über diese Trommel konnte man verschiedene andere schieben, z. B. eine buntfarbig gestreifte. Dann setzte man in die eine offene Seite des Kastens Papptafeln ein, in die durch kleine runde Löcher allerlei Bilder eingezeichnet waren, Blumensträuße, Tempel, Vasen und dergleichen. Wenn sich nun hinter diesen Bildern die buntgestreifte Trommel drehte, so flim126

merten sie gar lieblich in stets wechselnden Farben, oder man schob einen Rahmen von Ölpapier ein und ließ sich dahinter die Hexentrommel drehen, in der allerlei greuliche Blocksberghexen ausgeschnitten waren, die dann als gespenstige weiße Gestalten vorüberzogen. Dieses Spielwerk habe ich lange gehabt und mir stets neue Variationen dazu ausgedacht«. Auch die Krünitz'sche Encyklopädie von 1833 beschreibt dieses verwandlungsfähige Spielzeug.

47 Papiertheater Die Fülle an diesen prächtigen Theatern, die fertig gekauft oder aus dem Modellierbogen selbst erstellt werden konnten,

war außerordentlich groß. Nicht von ungefähr ist dieses reiche Feld zum Tummelplatz für Sammler und Forscher geworden, gleichgültig ob in Europa oder Übersee. In Deutschland sind für die Zeit um 1850 mindestens 30 Hersteller nachweisbar, die wichtigsten waren wohl Schreiber in Eßlingen, Scholz in Mainz und die Neuruppiner. Die Papiertheaterbegeisterung nahm zur Jahrhundertwende nur noch zu. Ähnlich war es in England, wo noch heute das Juvenile Drama nach den Bogen von Pollock in »Pollock's Toys Museum« in London sein ständiges Publikum hat. Für Frankreich ist es natürlich vor allem Pellerin in Epinal gewesen, der Theaterfronten, Kulissen und Figurinen zum Ausschneiden herausgebracht hat.

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Optische Waren

Unter diesem Begriff verbergen sich nicht nur die in Nürnberg hergestellten Linsen für alle möglichen Geräte, sondern vor allem das optische Spielzeug. Hier steht der Guckkasten, das »Perspektiv-Spielzeug«, oder wie hier im Musterbuch, das »Polyorama-Panoptique« an erster Stelle. Das Prinzip ist einfach: Ein seitenverkehrt gezeichnetes (gestochenes) Bild wird eingelegt und durch Linsen und Spiegelung dem Betrachter ein Dabeisein in einer Wunderwelt suggeriert. Durch Beleuchtungseffekte mit ausgeschnittenen Fenstern oder Einfügen von Seitenkulissen konnte diese Jahrmarktsattraktion, - denn eine solche war es im 18. und bis weit ins 19. Jahrhundert hinein - noch begehrter gemacht werden. In kleinen Maßen eroberten sich die Guckkästen unter ihren zahl128

losen phantastischen Namen die Kinderstube. Die Bilderdrucker wurden nicht müde, kolorierte Kupferstiche und Lithographien mit exotischen Landschaften, trotzigen Burgen und gewaltigen Seeschlachten anzufertigen. Diese mitgelieferten Tableaux wurden ergänzt und bereichert. Besonders interessant ist das Transparent-Panorama, das wie ein Bühnenhaus gestaltet war und in seiner stattlichen Größe, bis zu 85 cm, zur abendlichen Familienunterhaltung beitrug. Das doppeläugige Stereoskop wurde erst 1832 von Wheatstone erfunden. Auch hier wurde mit Hilfe von Prismen und Spiegeln eine räumliche Wirkung hervorgerufen. Durch die zeitlich parallele Entwicklung der Fotografie erfolgte eine neue Ausweitung: Man fotografierte

Objekte aus zwei leicht verschiedenen Winkeln heraus, bei Betrachtung durch das Stereoskop erschienen sie mit dreidimensionalem Effekt. Auf der Weltausstellung in London 1851 erstmalig hoffähig gemacht, erfolgte eine sprunghafte Zunahme des häuslichen Betrachtungsgerätes. Die Verleger gaben Hunderttausende von Fotos heraus, - Fürsten, Landschaften, Tiere. In allen Familienzeitschriften um 1860-80 wurde dieses ideale Geschenk angepriesen. Ein Beispiel für viele: Die Lithographische Kunstanstalt Hermberg in Lübeck empfahl »Stereoskopbilder in großer Auswahl, bestehend in Ansichten, Gruppen und Akademien«. (Lübeckische Anzeigen vom 10.12.1860)

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Laterna magica

Diese »Geister-Maschinen« waren für Generationen ein Höhepunkt bei Familienveranstaltungen. Die aufzuspannende Leinwand, das Hantieren mit der richtigen Tischhöhe für den Apparat, das Ausprobieren der Entfernung, - das alles erfüllte die Kinder mit höchster Spannung. Und wenn dann die Fabelwesen, die Gestalten aus fremden Ländern oder die der bekannten Märchen groß und bunt an der Wand erschienen, war des Staunens kein Ende. Die Erfindung geht auf den Jesuitenpater Antonius Kirchner zurück, der sie 1640 in seinem Buch »Ars magna lucis et umbrae« beschrieb. Die um 1850 und später weit verbreitete Form soll ein Pariser Blechschmied für seine Kinder geschaffen haben, ein Gehäuse mit Kerzenhalter, Hohlspiegel und Linse. Die 130

Glasstreifen, die entweder mit Transparentfarben bemalt oder zwischen die Abziehbilder geklebt worden waren, sind heute beliebte Sammel-Objekte. Natürlich gab es große Qualitätsunterschiede in den Ausführungen. Nach 1860 hatte man viel fotografische Reproduktionen, die von Hand koloriert wurden. Im Musterbuch wird die mittelfeine englische Laterna magica mit sechs weißen Gläsern und die Geistermaschinen mit 12 auf schwarzen Grund gemalten Gläsern in den Größen 0-12 angeboten. Durchschnittsgröße: 35 cm. Auf der Londoner Weltausstellung von 1861 erhielt der Nürnberger Fabrikant L. Neußner eine Prämie. In Wien sah man 1873 Sachen des Fürther Fabrikanten St. Scheidig & Sohn, benannt »Per-

spektive, Laterna magica und NebelbildApparate«, ebenso transparente Glasbilder und Nebelbilder von Heinrich Böhm aus Hamburg. Um eine Vorstellung von den erzeugten Mengen zu geben: Ein einziger Nürnberger Hersteller brachte jährlich 50 000 Stück magischer Laternen heraus. Fünf Betriebe waren mit optischem und mechanischem Spielzeug befaßt. Sie beschäftigten um 1890 zusammen über 1000 Personen.

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51 Erdgloben

Den deutschen Spielzeugfabrikanten wurde immer wieder Zug zum lehrhaften und erzieherische Spielzeug nachgesagt. Die Zeitungsannoncen scheinen das zu bestätigen: Vergleicht man die zur Weihnachtszeit angekündigten Spielsachen wie Puppen, Zinnfiguren und Kleinzeug mit der Zahl der Bilderbücher, Kinderalmanache und Kinderbücher, so überwiegen die gedruckten Erzeugnisse bei weitem! Solche Globen, - das Musterbuch verrät leider nicht die Größe, kommen erst sehr spät in besonders gut aussgestatteten Puppenhäusern mit differenzierten Räumen vor. Aber bei den Puppen-Schulstuben durfte ein Globus auf dem Pult nicht fehlen.

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Bei der Wiedergabe dieser Erdgloben scheint sich der Zeichner eine ungeographische Freiheit erlaubt zu haben, etwas verstört blickt man auf die Bezeichnung »Nordsee« westlich von Nordamerika!

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52 Gymnastische Spiele

Für Bewegungsspiele im Freien gab es allerhand an Ball- und Kegelspielen. Dazu gehörte das seit Jahrhunderten be-

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Taschenspiel- Apparat

liebte Federballspiel. Ein oft anzutreffendes Geschicklichkeitsspiel war der »Fangbecher« oder »Kugelfang«. Man sagt ihm eine lange Geschichte nach, soll doch schon der französische König Heinrich III. (1574-89) Bilboquet spielend durch die Straßen von Paris gegangen sein! Zur Ausführung: Ein gedrechselter Stab ist oben mit einer Spitze und unten mit einer Schale versehen, ein an ihm mit einer Schnur befestigter Ball wird hochgeschleudert und dann entweder auf der Spitze aufgespießt (er hat zu diesem Zweck ein Loch) oder im Becher gefangen. - An anderen Spielen ist noch ein Springseil und ein Kreisel zu erkennen.

Utensilien für Zauberkunststücke waren immer ein Verkaufsschlager! Je komplizierter und täuschender die Tricksachen gearbeitet waren, umso größer der Applaus für den geschickten Zauberer. Ob es der gedrechselte Eierbecher war, der ein eben noch gezeigtes Ei verschwinden ließ oder der geheimnisvolle Trichter und das magische Kartenspiel, immer übten kleine und große Magier eifrig, bis ihnen das Kunststück überzeugend gelang. Vorbilder waren klingende Namen wie Bellachini oder Bosco, die in den Städten gastierten. Die 32 cm großen Kästen enthielten 12 Nummern.

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53 Brettspiele

Unter Brettspiel versteht man genau genommen den aufklappbaren Kasten, der mehrere Spielpläne in sich vereinigt und auch der Aufbewahrung der Spielfiguren und Steine dient. Die Literatur zu diesen Spielen ist kaum zu übersehen, haben sie doch z. T. ein beträchtliches Alter, - man spricht von Tausenden von Jahren- und damit eine höchst interessante Geschichte. Das im Kasteninnern aufgezeichnete Puff- oder Tricktrack-Spiel stammt vermutlich aus Indien, ist aber bereits seit dem Mittelalter in Verbindung mit Schach, Mühle und Dame nachweisbar. Das Sternspringen ist ein Glücksspiel mit zwei Würfeln, von denen der eine mit Zahlen, der andere mit einem Stern verbunden ist, die über die Plazierung entscheiden. Größe des Sternspringens: 26 cm. 136

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54 Bemalte Pochbretter

Das Pochspiel gehört zu den taktischen Glückspielen. Zwar ist der Spieler von dem Zufall der verteilten Spielkarten abhängig, kann aber durch manche überlegte Entscheidung den Spielverlauf zu seinen Gunsten beeinflussen. In der Reihe der Brettspiele ist es verhältnismäßig jung, es wird bei Hans Sachs erwähnt. Das Bayerische Nationalmuseum besitzt eine Anzahl von Brettspielen des 18. Jahrhunderts, ja es gab sogar kostbare Fayence-Platten. - In Jacobsons Technologischem Wörterbuch von 1782 und in der Krünitz'schen Encyklopädie von 1810 ist die einfachere Form mit dem Linienfeld beschrieben.

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55 Posthornund Makaroni-Spiel

Bei diesen Tisch-Kugelspielen kommt es auf Geschicklichkeit, aber noch mehr auf Glück an. Die Kugel wird von der Seite aus durch eine Zugfeder fortgeschleudert und muß die Windungen des »hochpolierten« Posthorns durchlaufen, ehe sie in den Vertiefungen des Mittelfeldes 17 kleine Kegel umwerfen kann. Die Kegel werden in der kleinen Schachtel an der Seite des Spielfeldes aufbewahrt. Solche »Stoß-Kegelspiele« werden in dem Allgemeinen Familien-Spielbuch, das im Verlag Otto Spamer in Leipzig 1882 herausgegeben wurde, eingehend beschrieben. Das Makaroni-Spiel beruht auf dem gleichen Prinzip: Die durch Zug beschleunigte Kugel rollt auf den Kreis und landet schließlich in einer der schwarzen oder roten Vertiefungen. Vorher aber

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hatte der Spieler mit dem Zeiger seine Gewinnchancen festgelegt: er konnte ihn auf die Zahlen null bis neun und die Farben blau und rot (statt schwarz und rot) stellen. Durch diesen Anzeiger besteht eine Verbindung zum alten Zeiger-Roulettespiel, das bereits im 16. Jahrhundert bekannt und im 17. Jahrhundert weiter entwikkelt wurde. Der Kugelfall ist in dem heute nicht mehr bekannten »Kakelorum« schon seit dem 18. Jahrhundert praktiziert worden: Das ist eine hohe Holzfigur, deren Körper in wendeltreppenartigen Windungen aufgelöst den Weg für die Kugel weist, die dann mit unberechenbarem Schwung auf dem runden Spielbrett mit seinen vielen kleinen Vertiefungen liegen bleibt.

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56 Kinder-Spielkarten

Die in Deutschland besonders blühende Spielkartenindustrie, es sei hier nur an Stralsund oder Altenburg i.Th. erinnert, stellte selbstverständlich auch kleinformatige Kartenspiele her. Sie entsprachen den französischen Tarok-Karten oder den deutschen, französischen und spanischen Karten. Außerdem gab es mehr kindbezogene Spiele wie die PatienceKarten oder Bilderwahrsagekarten.

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57 Tisch-Kugelspiele

Diese in der umfangreichen Spezialliteratur für altes Spielzeug selten beschriebenen Spiele sind nicht mit einem eigenen Namen bezeichnet worden. Der Spielverlauf: Der Kreisel in der Mitte des Rundes wird durch eine rasch abgezogene Schnur in Bewegung gesetzt und läßt dadurch die langsam zur vertieften Mitte rollenden kleinen Kugeln an seinen Nuppen wieder zurückschnellen. Sie treffen an Barrieren, und es muß schon ein großes Glück entfaltet werden, wenn der Stoß ausreicht, um einen der sechs Türme zu stürzen. Das andere Spiel ist ähnlich konstruiert. Hier aber müssen die Festungstürmchen so stark getroffen werden, daß ein Mechanismus zum Hochschnellen des Fähnchens ausgelöst wird. Größe: 29 cm Durchmesser. 144



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58 Tisch-Kugelspiel

Hier geht es um das Jagdglück: Treffen die irrenden Kugeln auf den Mechanismus der Scheibe, so flitzen die Männchen auf ihr Podest. Wahrscheinlich war mit den verschiedenen Tieren eine besondere Wertung verbunden. Der Kreisel als auslösender Bewegungsfaktor war bei den Tischspielen keineswegs unbekannt. Auch beim Stoßkegelspiel wurde statt des Stoßstabes ein Kreisel genommen, und »Tellerkegeln« gab es nur mit einem aufgezogenen Kreisel. Der gundlegende Unterschied ist allerdings, daß bei den im Musterbuch abgebildeten Spielen der Kreisel seinen Mittelstandpunkt nicht verläßt.

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Luftkegelspiel

59 Fortuna-Spiel

Das Fortuna-Spiel - unter diesem Namen kennt man es auch in Schweden nimmt das Prinzip des Flippens in den heutigen Spiel-Salons vorweg. Die Kugel wird mit dem Stößer (Queue beim Billardspiel) schwungvoll die Bahn hinaufbefördert und irrt zwischen den Nägeln hin und her, bis irgendwo das erlösende Glöckchen erklingt. Dann ist die Kugel in eines der mit verschiedenen Werten gekennzeicheten Löcher gefallen. Trostpreise gibt es von 1-9, man kann aber auch sofort ins Aus gelangen, wenn die Kugel auf die Seitenbahn gerollt ist. Dieses Tischspiel, an dem sich beliebig viele Personen beteiligen können, muß sehr verbreitet gewesen sein. Es ist in dem um 1850 herausgegebenen Musterbuch des erzgebirgischen Fabrikanten Oehme abgebildet und war unter der Be148

zeichnung Tivoli-, Nicolas-Spiel oder chinesisches Billard bekannt. (Bachmann). Die Beschreibung des Spieles befindet sich auch in der Krünitz'schen Encyklopädie von 1791.

Beim Luftkegelspiel hat man die Pendelbewegung der in Schwung gesetzten Kugel zu beachten, will man erfolgreich beim Umwerfen der neun Kegel sein. Sehr sinnreich sind diese unter dem Tisch miteinander verbunden, so daß das lästige Suchen im Zimmer verstreuter Kegel fortfällt und alle mit einem Ruck wieder aufgerichtet werden können!

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Soldaten aus Holz

Diese als »Holzwaren mit Messing« bezeichnete Seite des Musterbuches hat wohl einen späteren Betrachter so fasziniert, daß er sich eine Szene herausschnitt! Aber der verbliebene Rest macht noch deutlich genug, daß hier französche Artilleristen mit Kugeln, Lunten und Rohrreinigern zugange sind. Kulturgeschichtlich gesehen ist die Zeit von der Französischen Revolution bis zum Ersten Weltkrieg hin erfüllt vom Soldatenspielen in allen Uniformen und an allen Fronten. Zwar hatte man um 1860 nicht mehr die komplette Miniaturuniform zum Anziehen, aber Militärmützen und Armaturen für Kinder wurden auf der Weltausstellung in Wien 1873 von der Nürnberger Firma J. W. Mayer gezeigt. Auch M. Steinhausen in Dres-

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den hatte Militär-Requisiten für Kinder, Helme u.a. militärische Spielwaren. Zum Spielen gab es ein überreiches Angebot an Soldaten und Zubehör aller Truppengattungen und in allen Materialien. Mit der Neubewertung des deutschen Mittelalters wuchs das Gefallen an Ritterspielen; geblieben ist davon, immer noch, die Felsenburg mit Turm und Verlies aus Pappmache oder Plastik! Die stabilen Holzsoldaten konnten sich gegenüber der erdrückenden Konkurrenz der unglaublich präzisen Zinn-Modellfiguren kaum behaupten, zumal noch die »Papier-Soldätle«, vor allem in Straßburg hergestellt und dann in Neuruppin und Wien in millionenfacher Auflage gedruckt, zur ständigen Vervollständigung der kleinen Armeen herausforderten. (Melken)

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61 Messingund Holzkanonen

Eine Musterkollektion in Sachen Spielkanonen: Englische, Blechkanonen, Schiffskanonen und Mörser. Die »Gulden werk «-Kanone hat nichts mit dem goldglänzenden Messing zu tun. Guldenwerk war ein Branchenausdruck in der Kurzwarenbranche, zu der ja auch die Spielwaren gehörten. Man bezifferte damit die Menge an kleinen Gegenständen, die man für einen Gulden zu liefern hatte. - Sehr beliebt war auch die Federkanone, mit der man harte Erbsen verschoß, die alte Bezeichnung »ErbsenKanone« ist im Musterbuch durchgestrichen worden. Bei der Perkussionskanone wurden Zündplättchen eingelegt (Größe 23 cm lang, 11 cm hoch).

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62 Französische Kanonen

i Über die Herstellung von Spielzeug-Kanonen aus Messing wird schon Ende des 18. Jahrhunderts eingehend berichtet. Im »Technologischen Magazin« von Gatterer heißt es 1790, daß manche Messinggießer fast nichts anderes machen und die Arbeit geradezu fabrikmäßig betreiben. Die großen Kanonen mit »Brozwagen« (Protze) gab es in vielen Formaten, es fehlte auch nicht der geböttcherte Wassereimer zwischen den Rädern und die Rohrbürste. Fast zierlich wirken dagegen die Festungskanonen, obwohl sie mit ihren Holzgestellen sicher manchem Gefecht standhalten konnten. Die kleineren und leichteren Blechkanonen waren für beengte Raum- und Finanzverhältnisse! - Später hatte man Gummigranaten, die mit Amorcen (Zündplättchen) abgefeuert wurden, 154

oder auch Gummibälle für die im Freien stehenden großen Kanonen. Größe der Kanonen mit Protzwagen: 43 cm lang und 10 cm hoch.

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Eisenbahn und Militärspielzeug

Die schwere Artillerie-Kanone, von zwei Pferden mühsam gezogen, und der hochrädrige Pulverwagen sind nichts gegen den Charme dieser ersten Eisenbahn mit offenen Personenwagen und ihren umlaufenden Bänken! Die einfache Ankoppelung und die schlichte Radbefestigung wich wenig später sehr genauen technischen Details. - Die Eisenbahn ist ja zu dem Blechspielzeug schlechthin geworden, und Generationen von Söhnen, oder besser von Vätern und Söhnen, sind ihm verfallen. Die Geschichte der SpielEisenbahn ist nicht mehr unbekannt, zuviele Sammler haben sich mit aller Zähigkeit diesen kleinen ratternden Wunderwerken verschrieben. Auf diesem Gebiet führte Amerika, wo 1856 die erste kleine Eisenbahn mit Selbstantrieb gebaut wurde. Später wurde es durch die

europäischen, vor allem deutschen und englischen Spielzeug-Hersteller überflügelt. 1867 lieferte Erfurt kleine Lokomotiven, die durch ein Uhrwerk im Innern angetrieben wurden und einen Zug von sechs Wagen ziehen konnten. Größe der Eisenbahn-Zuges: 38 cm lang, 10 cm hoch.

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64 Spielzeug-Waffen

Das vielfältige Angebot wird hier deutlich: Voran die Pistolets mit dem Namen der französischen Waffenfirma Blanchon versehen, mit denen man Gummipfropfen verschoß, die freundlicherweise an der Schnur hängenbleiben mußten. Laut und deswegen besonders wirkungsvoll war das Schießen mit eingelegten Zündplättchen. Diese gleichen Prinzipien wurden auch für Kindergewehre angewendet. Weniger harmlos waren wohl die Armbrüste mit Stahlbogen in 63 cm Länge, die mit Bolzen verwendet wurden. Hierzu Felix Dahn (1834-1912) in seinen Jugenderinnerungen: »Ich erhielt später eine prachtvolle Armbrust, deren Sehne nur mit Hebel und Winde zu spannen war, und einen zierlichen Lederköcher aus Birnbaumholz, 158

gefüllt mit handlangen Bolzpfeilen. Selbstverständlich waren die Geschosse vorn abgestumpft, aber doch war der Schmerz recht empfindlich, traf eines derselben einen ungepanzerten Körperteil!« Auf der Weltausstellung von 1873 war die Nürnberger Firma G. Betz mit Kindergewehren vertreten. Länge der Gewehre: Bis zu 87 cm. 1885 schrieb in der Zeitschrift »Gesundheit«, die sich vor allem mit hygienischen Fragen befaßte, ein anonymer Verfasser sehr deutlich über seine Ansicht zum militärischen Spielzeug: »Wir sind dem Soldaten-Spiel feindlich gesinnt. Es legt den Keim zu dem künftigen Chauvinismus, der in Frankreich sein Vaterland, in der Großmannssucht Italiens, welches die alten römischen

Traditionen nicht vergessen kann, seine Verherrlichung fand, - und der jetzt auch in Deutschland als Spukgeist umzugehen beginnt. Ist es denn nicht genug, daß unsere Geschichtsbücher und Geschichtslehrer nichts Besseres wissen, als den Geist der Kinder mit der Blut- und Mord-Geschichte der Könige und Feldherren zu vergiften?... Und die bunte Narrheit des Soldatenspiels soll in der Kinderstube und im Kinderspiel verbleiben?«

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65 Kindersäbel

Sie wurden durchweg in 52 cm Länge mit Stahlklinge geliefert, selbstverständlich gehörten Gürtel und Gehänge dazu.Auf der Weltausstellung in Philadelphia stellte 1876 die Nürnberger Firma Strobel, gegründet 1863, ihre Kindersäbel aus. Sie wurde, wie die meisten Nürnberger Firmen, durch die Agentur Schmidt & Grüninger vertreten, die auch in London eine Niederlassung besaß. Im Musterbuch wurden Säbel in verschiedenster Ausführung, fein und ordinär, angeboten. Die Preise schwankten zwischen 6,- M für das Gros (12 Dtz) und 60 Pf. für das Stück. Die Zeiten, wo sich die Knaben ihre Holzsäbel selbst schnitzten und dann mit Staniol umwickelten, waren 1850 schon vorbei!

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Um 1890 gab es in Nürnberg fünf Betriebe mit 53 Personen, die nur Kindersäbel machten.

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66 Badepuppen und magnetisches Spielzeug

Diese Badekinder konnte man unbedenklich mit in den Badezuber nehmen, denn sie waren ganz aus Porzellan. Leider ließ es sich mit ihnen nicht gut spielen, weil sie unbeweglich waren. Sie konnten entweder liegen oder stehen, aber für ein Verweilen in der Puppenbadewanne reichte das ja. In England hatte man für sie die Bezeichnung »Frozen Charlotte« und »Frozen Charlie«. Magnetisches Spielzeug Ganz etwas anderes waren dagegen diese wunderbaren Spielzeuge! Damit war dem Kind ein sich bewegendes Spielzeug gegeben, das einen sehr großen Reiz ausübte. Die Wirkung der magnetischen Kräfte, den Kleinen nicht deutbar, mußte als etwas höchst Geheimnisvolles erscheinen, das das Schiffchen oder den Schwan von einem Uferpunkt zum ande162

ren wandern ließ. Das Bassin konnte außerdem noch mit einem Uhrwerk geliefert werden, so daß sich die mittlere Brunnenfigur im Kreise drehte.

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Magnetische Waren in Kästchen

Magnetische Spielzeuge hat es viel mehr gegeben, als man annehmen möchte. Die Ausnutzung physikalischer Gesetze führte zu zahllosen Spielformen. Als bewegliches Zwischenelement bot sich natürlich das Wasser an. Deshalb wurden prächtige Schiffe konstruiert, die schon in ihrer Verpackung mit Glasdeckel und einer passenden Landschaft als Hintergrund eine Augenweide waren. Dazu gehörten die Neapolitaner-Gondel, die türkische Gondel mit den Wasserpfeife rauchenden Muselmanen, die RömerGondel vor Pantheon und Triumphbogen und die einfacheren Segelboote und Barken.

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Schon 1861 wurde auf der Pariser Weltausstellung die Nürnberger Firma J. M. Ißmayer für magnetische Spiele mit der Bronze-Medaille ausgezeichnet. Ein Kommentar dazu besagt, daß »die mechanischen Schwimmfiguren hohl und wasserdicht sind, aus dünnem Messingblech gefertigt und durch ein eingesetztes, magnetisch gemachtes Eisenstäbchen die Eigenschaft erhalten, dem Magnete zu folgen. Ißmayer zeigt sehr hübsche Arbeiten und hält die alte Nürnberger Tradition aufrecht. Er beschäftigt 20 Personen.« Der Sohn Johannes Andreas wurde zuerst Reisender bei seinem Vater, dann gründete er 1861 sein eigenes Geschäft für Spielküchen und magnetisches Spielzeug, vor allem Eisenbahnen.

1932 erschien der Name Ißmayer zuletzt im Nürnberger Handelsverzeichnis. 1873 stellten in Wien aus: W.H.Greiner aus Fürth (Magnetische Schwimmgegenstände) und K. H. Büchner aus Nürnberg (Magnetische und mechanische Gegenstände). Auf der Weltausstellung in Philadelphia 1876 annoncierte der Nürnberger Fabrikant L. Uebelacker seine große Auswahl an schwimmenden Tieren, Fluß- und See-Fahrzeugen aller Art, Springbrunnen, Magnetnadeln und Hufeisenmagneten.

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68 Magnetische Schiffe in Holzkisten

Diese Schiffe kaufte man einzeln in wohlverpacktem Zustand, damit keine metallische Nachbarschaft den Magneten abschwächen konnte. Besonders amüsant ist das amerikanische Raddampfschiff mit Gallionsfigur und Klüverbaum, an Deck findet unter dem Sonnenschutz ein fröhliches Tafeln statt. Dieser Dampfer wurde von 11 cm bis zu 63 cm Länge geliefert. - Das französische Segelschiff konnte je nach Größe 2 bis 22 Mann Besatzung aufnehmen. - Die Besegelung der chilenischen Fregatte dürfte mehr dekorativ als zweckmäßig gewesen sein! Sehr phantasievoll die chinesische Gondel, farbenprächtig bis zu einer Länge von 42 cm.

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69 Magnetische Gegenstände

Alles, was man nur irgendwie mit dem Wasser in Zusammenhang bringen konnte, wurde »magnetisiert«. Geliefert wurde in Holz- oder Glaskisten, ganz nach Wunsch. Neben dem Wassergeflügel wie Schwan und Ente hatte man auch Poseidon's Seepferdchen oder eine »Meer-Najade«, dazu alle möglichen Bootstypen: Barken, Feluken, Boote, Kähne und Gondeln.

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71 Bewegende und klingende Figuren

Um Figuren aus ihrem unbeweglichen Zustand zu erlösen, hat man sich sinnreiche Mechanismen einfallen lassen, - von den komplizierten Automaten ganz zu schweigen. Am einfachsten war die Bewegungsübertragung durch Räder, die zwar nur kurze, aber doch sehr wirkungsvolle Bewegungen möglich machten. So rutscht das kleine Mädchen vor der fauchenden Katze zurück, oder der Junge wird auf dem Schlitten vorwärts gezogen, - in der Relation! Die als »klingende Figuren« oder als »Spielwaren auf Bälgen« in den zeitgenössischen Katalogen angepriesenen Figuren oder Figurengruppen verdienen die Bezeichnung klingend kaum. Mehr als ein kurzatmig quietschendes Geräusch ist den kleinen Blasebälgen nicht zu entlocken. Immerhin wird aber auch 172

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durch das Drücken des Balges eine kleine Bewegung des Spielzeuges hervorgerufen. Solche Spielzeuge wurden vor allem im Grödner Tal hergestellt und in Nürnberg umgeschlagen. Das sich vertrauensselig an den großen Neufundländer lehnende Mädchen ist übrigens nach dem Gemälde des Hofmalers der Queen

Victoria, Franz Winterhalter, modelliert worden. Er malte um 1845 eine der kleinen Prinzessinen mit ihrem Hund. Als »Der erste Freund« ist das Bild in vielen Wohnzimmern, durch Stiche und Lithographien reproduziert, Generationen bekannt gewesen.

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72 Klein-Spielzeuge

Die Schäferin, die ihren Lämmern ein Liedchen vorträllert, kann man an einem Stab hin- und herziehen. Beim Schmied läßt sich der Blasebalg bedienen, und bei der Kirche wird die Glocke angeschlagen. Die Hühnerfamilie wird pfeifende Geräusche von sich geben, die wahrscheinlich mit der Katzenmusik (oben rechts) fast übereinstimmen!

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73 Klein-Spielzeuge

Auch hier ein buntes Gemisch von Räderspielzeugen, klingenden und beweglichen Figuren! Das Lämmchen an der Tränke gehört zu den Pfiff ein, sicher wird ein Mäh-ähnlicher Laut zu hören sein. Das Ochsengespann ist sozusagen doppelt berädert, so daß die eigenwilligen Tiere nicht gesondert von dem kleinen Spieler gelenkt zu werden brauchten. Wenn der kleine Kutschkarren rasch genug geschoben wurde, verfiel das Pferdchen in einen wippenden Galopp. Beim Drehen an der Kurbel werden die beiden Kampfhähne aufeinander zustürzen, ohne sich ernsthaft Schaden zuzufügen.

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74 Klein-Spielzeug

Welch ein Vergnügen, wenn beim schnellen Ziehen der böse Hund auf seinem Brettchen in die bedrohliche Nähe des vorwitzigen Knaben kommt! Der Akrobat wird mühelos und ohne Atempause seine Überschläge am Reck drehen, solange der kleine Spieler die Kurbel bewegt. Die Äffchen werden tanzen und der kleine Reiter mit Trompetenton über den Busch setzen. Hier noch etwas zu den »Klimperkästel«: Sie wurden nach dem Prinzip der Altdorfer Leiern gebaut und waren über Generationen hin beliebt: In dem Kasten unter der Spielfigur war eine Mechanik angebracht, die mehr oder minder ruckartige Bewegungen der Figürchen verursachte, wenn an der Kurbel gedreht wurde.

Zugleich rissen elastische Federkiele an den Saiten dieser verborgenen Leier, so daß Auge und Ohr auf ihre Kosten kamen.

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75 A ufklapp-Puppen

Ihre Vorfahren gehören in den sakralen Bereich: Es sind die Schrein-Madonnen, die im 14. Jahrhundert einen neuen Typus des Andachtsbildes darstellten. Hier wurde auf engstem Raum eine Symbolfülle möglich. Beim öffnen der goldgefaßten Statue wurde meistens die Trinität sichtbar, aber auch die Verkündigung oder die Passion waren als Skulptur eingefügt. Solche Schreinmadonnen sind vor allem aus der Bretagne bekannt, aber auch im Gebiet des Deutschen Ritterordens. Wann die Übertragung der Form ins Spielzeug erfolgte, ist nicht feststellbar. Sicher gibt es hier Vermittlungen in der Barockzeit, die ja Überraschungseffekte so sehr liebte.

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In diesen Holzpuppen verbergen sich die Tätigkeiten der Dargestellten: Der Uhrmacher sitzt an seinem Arbeitstisch, die Wände der Stube mit Uhren behangen. Die Gärterin sammelt die gepflückten Äpfel in die Schürze, und die Mutter versorgt ihr im Bett liegendes Kind. Dieses recht altertümlich wirkende Spielzeug ist in der Spielzeug-Literatur nicht erwähnt. Leider ist das Blatt des Musterbuches so stark beschnitten, daß man die eigentliche Bezeichnung nicht lesen kann.

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76 Harlekin aus Leder Gaukler aus Pappmache

Diese Puppen aus dem unverwüstlichen Material konnten schon eine Menge Spielbegeisterung aushallen, ohne sich aufzulösen. Die farbigen Harlekine und Tirolerinnen waren sehr begehrt, es gab sie in zahlreichen Größen.

viele Abbildungen festigten sich die VorStellungen, und Griechenmotive erschienen überall, auch im Kinderspielzeug.

Das Stehauf-Männchen, früher als Wakkelpagode oder Gaugier bezeichnet, ist ein recht altes Spielzeug. Sie sollen aus China gekommen sein mit der Bezeichnung »Steh auf, kleiner Priester«. Tatsächlich sind auch solche Figuren im Musterbuch abgebildet. Hier nun könnte es sich um eine Griechin handeln. Motive aus Griechenland, vor allem Trachten, wurden ja der europäischen Allgemeinheit erst durch die griechischen Freiheitskämpfe um 1825 vertraut. Durch

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77 Puppenkinder

Diese als »filleul«, also als Täufling bezeichneten Püppchen gab es in vielen Größen. Sie sollen eine Erfindung von Herrn Finger in Sonneberg gewesen sein, nach dem sie dann »Finger'sche Täuflinge« hießen. Doch es sind bereits Babypuppen um 1820 in England hergestellt worden. Das war als besondere Neuheit anzusehen, hatte die Puppe als verkleinerte Erwachsene doch seit langem als Modeund als Spielobjekt gedient. Abgesehen von den ausgesprochenen Wickelkindern und Steckdocken gab es lange nichts für die kleinen Puppenmütter zum richtigen Bemuttern. Die Babypuppe schlug im 19. Jahrhundert alle Rekorde! Ihre Köpfe wurden aus Pappmache gemacht, aber auch aus festem Nudelteig. Leider fanden wäh-

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rend der langen Überseetransporte die Mäuse und Ratten hieran besonderen Gefallen. Um dem Zernagtwerden zu steuern, mischte man sinnigerweise Sand und Gift in die Masse! Seit der Mitte des Jahrhunderts aber hatten die ungefährlichen Porzellanköpfe gesiegt. Der Reiz dieser Babypuppen lag auch in den beweglichen Gliedmaßen, ja, man konnte sogar Hände und Füße bewegen. Über die Sonneberger Produktion, die ja über Nürnberg in alle Welt ging, ist man besonders gut unterrichtet. Die Puppenhersteller waren sehr spezialisiert, es gab Schnitzer, Dreher, Näherinnen, Schminker, Frisurmacher, Stopfer, Fertigmacher, Schneider, Schuhmacher und Pakker. Auch waren in den dortigen Zeitungen Annoncen wie diese nichts Außergewöhnliches: »Suche Händchendrücker

außer dem Hause!« - »Gesucht verläßlicher Mann zur Erzeugung besserer Babys!« (Kaut).

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78 Ankleidepuppen unter Glas

Diese hübschen Puppen mit Lederbalg, Porzellankopf und -händen liegen mitsamt ihrer üppigen Garderobe wie Schneewittchen unter einem Glasdeckel. Interessant, daß auch die spitzenbesetzten »Beinkleider«, und dazu noch die offenen, deutlich auf dem Kleide liegen! Ein Florentiner Strohhut durfte bei dem eleganten Nachmittagskleid nicht fehlen. Die besseren Puppen um 1850 besaßen einen Porzellankopf mit Decollete, an das dann der mit Werg oder Sägemehl ausgestopfte Stoffbalg angenäht wurde. Häufig war er mit feinem Leder überzogen. Die Gliedmaßen wurden durch Abschnürungen beweglich, wenn auch nicht in bestimmte Richtungen dirigierbar. Ein Kuriosum: Diese in großen Mengen für den Export bestimmten Köpfe hatten des geringeren Gewichtes und damit

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auch des Zolles wegen ein ziemliches Loch, das dann erst mit der EchthaarPerücke überdeckt wurde! 1873 stellte die Berliner Firma Schregel & Buchholz, vorm. Moewes jun. Puppenbälge und angekleidete Puppen aus. Die eigentliche Puppenfabrikation befand sich in Sonneberg, wo vor allem Wachspuppen oder mit Wachs überzogene Pappmache-Puppen hergestellt wurden.

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79 Chinesische Treppenläufer

Diese als »mechanische Figuren« bezeichneten Spielzeuge haben eine lange Tradition. Die kleinen Akrobaten waren mit Glasstangen verbunden, die Quecksilber enthielten. Gab es nur einen einzelnen Turner, so hatte er das Quecksilber im Kopf! Schon ein leichter Anstoß reichte aus, um das Metall zum Fließen zu bringen und damit, d.h. durch den sich verlagernden Schwerpunkt, Purzelbäume von einer Stufe zur anderen hervorzulocken. Ihrer ungewöhnlichen Beweglichkeit wegen waren die Figürchen abenteuerlich gekleidet, am häufigsten fernöstlich. Als Holzspielzeug kamen sie aus dem Thüringer Wald und dem Erzgebirge. Heute ist dieses Gleichgewichtsspiel fast völlig vergessen. Größe: Ab 24 cm Länge und 30 cm Höhe. 188

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80 Leder- und Gummibälle

Der Ball ist wohl eines der ältesten Spielgeräte der Welt; er hat sich sehr lange in seiner ursprünglichen Zusammensetzung gehalten: Füllung aus Haaren, Federn, Werg oder Seegras, der Bezug aus Leder. Man wüßte nichts über die mittelalterlichen Kinderbälle, wenn nicht manche aus Versehen in einem Altarschrein gelandet wären! Elastisch waren diese Bälle nicht, aber ein dauerhaftes Spielzeug. Die im Musterbuch verzeichneten Lederbälle wurden nach ihrer Zusammensetzung benannt, so gab es Achtfleck- oder auch Zwölffleck-Balle, ferner Stern- und Streifenbälle, in vielen verschiedenen Größen. Um 1850 hatte man auch schon Gummibälle, sie waren entweder massiv oder hohl. Beide Arten kannten auch »übersponnen« geliefert werden. Das Material ist aus der Zeich190

rlung nicht recht erkennbar, es sieht fast nach einem gewirkten Netz aus, um die Gummioberfläche zu schützen. Später hatte man dann die sog. Salonbälle, leichte, mit Luft gefüllte Gummibälle, die keinen Schaden an Spiegeln und Scheiben anrichten sollten. Und für das Spiel im Freien waren die buntlackierten Hartgummibälle da.

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70 Papiermache-Waren

Sie werden heute allgemein als Pappmache-Waren bezeichnet. Obwohl manche Encyklopädien die Erfindung der haltbaren Papiermasse gern nach Frankreich und ins 18. Jahrhundert verlegen wollen, ist es doch im ostasiatischen Raum schon lange bekannt gewesen. In Europa befaßte man sich seit dem 15. Jahrhundert damit, aber die eigentliche Zeit für die kleinen, dekorativen Gegenstände war das 18. und natürlich auch das 19. Jahrhundert. Zu einer Berühmtheit wurden z.B. die Tabatieren der Braunschweiger Firma Stobwasser mit ihren hübschen Malereien. Auch in England gab es Spezialisten wie Henry Clay, der in Birmingham Teebüchsen, Tabletts und auch Möbel, alle schwarz lackiert und mit lebhaften Szenen bemalt, aus Pappmache herstellte. Zur Technik: Man machte einen Papierbrei aus Schnitzeln, Leim und Füllstof170

fen, preßte ihn in Formen, trocknete diese ausgeformten Stücke im Ofen, drehte sie evt. auf der Drehbank ab und bemalte und lackierte sie. Für Haushaltswaren, Gebrauchsgegenstände und Spielzeug, die nicht dem Wasser ausgesetzt sein mußten, ist Pappmache reichlich verwendet worden. Der Bedarf an Zündholz-Behältern muß recht groß gewesen sein! Hier ist man auf das Bergwerk-Motiv verfallen: Der Hauer wird im Felsgestein aus dunkel gestrichenem Pappmache gezeigt. Der Räucheraffe gehört vom Typ her zu den erzgebirgischen Räuchermännern, in die Rauchplättchen eingelegt wurden. Zum Entzücken der Kinder zogen dann nach dem Anzünden dicke Rauchschwaden aus dem Mund. Der Uhrenhalter, in den abends die kostbare Taschenuhr gelegt wurde, ist als symmetrische Rocaille mit dem unvermeidlichen Chronos längst nicht so hu-

morvoll wie manche der englischen »watch-stands« aus Staffordshire-Keramik. Dort mußten sogar ab 1840, dem Jahre ihrer Heirat, die Königin Viktoria und Prinzgemahl Albert als Begleitfiguren dienen. Aber im Nürnberger Spielzeug ist diesen Hoheiten noch eine andere Funktion zugedacht: Die königlichen Häupter schmückten Kinderklappern, in Nürnberg Schlottern genannt. Die im Musterbuch als Victoria-Schlottern bezeichnete Klapper ist mit vielen Schellen versehen worden, so daß nicht nur die Steinchen in den Köpfen rasselten. - Als hier abgebildetes Pendant ist die »Griechen-Schlotter« anzusehen, hier dienten der griechische König, Otto von Bayern, der von 1829 bis 1862 regierte, und seine Gemahlin als Modell! - J. Ph. Kress in Fürth stellte um 1873 Kindcrklappern und Kreisel her.