Sanctorum Communio: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus 3110259486, 9783110259483

Diese Studie liefert eine umfassende Darstellung des Gebrauchs der Bezeichnung ‚Heilige' in den paulinischen Briefe

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Sanctorum Communio: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus
 3110259486, 9783110259483

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Das Thema: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus
1.2 Forschungsüberblick
1.2.1 O. HANSSEN: Heilig. Die Auseinandersetzung zwischen Paulus und den Korinthern um die ethischen Konsequenzen christlicher Heiligkeit (1984)
1.2.2 W. WIEFEL: Die Heiligen im Neuen Testament (1991)
1.2.3 W. WEISS: ‚Heilig‘ in ethischen Kontexten neutestamentlicher Schriften (2003)
1.2.4 H. STETTLER: Heiligung bei Paulus (2006)
1.2.5 K. E. BROWER / A. JOHNSON (Hrsg.): Holiness and Ecclesiology (2007)
1.2.6 M. VAHRENHORST: Kultische Sprache in den Paulusbriefen (2008)
1.2.7 E. D. SCHMIDT: Heilig ins Eschaton. Heiligung und Heiligkeit als eschatologische Konzeption im 1. Thessalonicherbrief (2010)
1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit
2 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich
2.1 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im Alten Testament
2.1.1 Himmlische Wesen als Heilige
2.1.2 Das heilige Volk
Exkurs: Gott als der Heilige im Alten Testament
2.1.3 Priester als Heilige
2.1.4 Einzelne Heilige
2.1.5 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung der Frommen
2.1.6 Zusammenfassung
2.2 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit
2.2.1 Himmlische Wesen als Heilige
2.2.2 Das heilige Volk
2.2.3 Priester als Heilige
2.2.4 Einzelne Heilige
2.2.5 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung der Frommen
2.2.6 Zusammenfassung
2.3 Die Heiligen in Qumran
2.3.1 Himmlische Wesen als Heilige
2.3.2 Die Gemeinde von Qumran als heilige Gemeinde
2.3.3 Zusammenfassung
2.4 Die Heiligen als der ‚Rest‘ Israels
3 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen
3.1 Das Selbstverständnis der Urgemeinde
3.2 Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde
3.2.1 Jünger
3.2.2 Brüder
3.2.3 Gemeinde (Gottes)
3.2.4 Heilige
4 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοιin den paulinischen Briefen
4.1 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für himmlische Wesen
4.2 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde
4.2.1 1Kor 16,1–4
4.2.2 2Kor 8f
4.2.3 Röm 15,25–28.31b
4.2.4 Das paulinische Verständnis der Kollekte für Jerusalem
4.2.5 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die Jerusalemer Gemeinde
4.3 οἱ ἅγιοι als Eigenname
4.3.1 οἱ ἅγιοι? als Anrede in den Präskripten der paulinischen Briefe
4.3.2 οἱ ἅγιοι in den Postskripten der paulinischen Briefe
Exkurs: Der heilige Kuss
4.3.3 Zusammenfassung
4.4 οἱ ἅγιοι als Gattungsname
4.4.1 1Kor 6,1.2
4.4.2 1Kor 14,33b
4.4.3 1Kor 16,15
4.4.4 Röm 8,27
4.4.5 Röm 12,13
4.4.6 Röm 16,2
4.4.7 Der Gattungsname οἱ ἅγιοι als Ausdruck christlicher Verbundenheit
4.5 Zusammenfassung: οἱ ἅγιοι als eingeführte Gruppenbezeichnung
5 Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief
5.1 „Dies nämlich ist Wille Gottes, eure Heiligung“ (1Thess 4,3–8)
5.1.1 Philologische Untersuchung des Textes
5.1.2 1Thess 4,4: „in Heiligung und Ehre“
5.1.3 1Thess 4,7: „berufen in Heiligung“
5.1.4 1Thess 4,8: „Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt“
Exkurs: Der heilige Geist und die Heiligen
5.1.5 Zusammenfassung: Heiligung als Wille Gottes
5.2 Heilig bei der Wiederkunft des Herrn (1Thess 3,13 und 5,23)
5.2.1 1Thess 3,11–13
5.2.2 1Thess 5,23
5.2.3 Eschatologische Heiligkeit
5.3 Zusammenfassung: Christliche Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief
6 Die korinthischen Christen als Heilige
6.1 Heilige als Adressaten des 1Kor (1Kor 1,2)
6.2 ἅγιοι versus ἄδικοι (1Kor 6,1–11)
6.2.1 Die Korinther als Heilige in Abgrenzung von ihrer nichtchristlichen Umwelt
6.2.2 Die Korinther als Heilige in Abgrenzung von ihrer vorchristlichen Vergangenheit
6.2.3 Zusammenfassung
6.3 Die gefährdete Heiligkeit der Gemeinde (1Kor 5f)
6.3.1 1Kor 5,1–13: Die Notwendigkeit des Ausschlusses von Sündern
6.3.2 1Kor 5,1–13 und 1Kor 6,1–11: Die Bewahrung der Heiligkeit
6.3.3 1Kor 6,12–20: Der Einzelne für die Gemeinde
6.3.4 Zusammenfassung
6.4 Heiligkeit und Heiligung im ersten Hauptteil des Briefes (1Kor 1,10 – 4,21)
6.4.1 1Kor 1,30: „Christus … uns … zur Heiligung“
6.4.2 1Kor 3,16f: Die korinthische Gemeinde als heiliger Tempel
6.5 Die Heiligkeit des Einzelnen (1Kor 7)
6.5.1 1Kor 7,14: Ansteckende Heiligkeit
6.5.2 1Kor 7,34: Die Heiligkeit der Unverheirateten
6.6 Zusammenfassung: Heiligkeit als Status im 1. Korintherbrief
7 Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus
7.1 Heiligkeit und Kult – Bedient sich Paulus mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι kultischer Sprache?
7.1.1 Kult und kultische Sprache
7.1.2 ἅγιος als kultischer Terminus
7.1.3 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι
7.2 Die Heiligen als Erwählte – Das Verhältnis der Christen zum heiligen Volk
7.2.1 Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit im Vergleich zur Rede von den Heiligen im jüdischen Traditionsbereich
7.2.2 Die christlichen Heiligen und das Volk Gottes
Exkurs: Ist Israel noch heilig? – Der Status des Gottesvolkes
Röm 9–11
Röm 11,16
Die Heiligkeit Israels
7.3 Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit
7.3.1 Unterschiede im paulinischen Gebrauch der Heiligkeitsterminologie
7.3.2 ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ – Heiligkeit als Identitätsmerkmal der paulinischen Gemeinden
7.3.3 Heiligung und Rechtfertigung
7.3.4 Die Ethik der Heiligen – Der Identität Ausdruck verleihen
7.4 Zusammenfassung und Ergebnissicherung: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus
8 Ausblick
8.1 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im Neuen Testament außerhalb der paulinischen Briefe
8.1.1 οἱ ἅγιοι in den deuteropaulinischen Briefen
8.1.2 οἱ ἅγιοι in der Apokalypse des Johannes
8.1.3 οἱ ἅγιοι in den übrigen Schriften des Neuen Testaments
8.2 Die Heiligen in der Alten Kirche
8.2.1 Veränderungen im Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘
8.2.2 Die Wendung sanctorum communio im Glaubensbekenntnis
8.3 Die Heiligen im Protestantismus
8.3.1 Die reformatorische Kritik am Heiligenkult
8.3.2 Die Heiligen in der evangelischen Kirche heute
8.3.3 ‚Communio Sanctorum‘ – Der ökumenische Dialog
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Quellen und Übersetzungen
Bibelausgaben
Weitere jüdische Quellen der Antike
Weitere christliche Quellen der Antike
Pagane Quellen der Antike
Christliche Quellen aus der Zeit der Reformation und aus neuester Zeit
Hilfsmittel
Sekundärliteratur
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Maren Bohlen Sanctorum Communio

Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche

Herausgegeben von

James D. G. Dunn · Carl R. Holladay Hermann Lichtenberger · Jens Schröter Gregory E. Sterling · Michael Wolter

Band 183

De Gruyter

Maren Bohlen

Sanctorum Communio Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

De Gruyter

ISBN 978-3-11-025948-3 e-ISBN 978-3-11-025949-0 ISSN 0171-6441 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Bohlen, Maren. Sanctorum communio : die Christen als „Heilige“ bei Paulus / Maren Bohlen. p. cm. - (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, ISSN 0171-6441 ; Bd. 183) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-3-11-025948-3 (hard : alk. paper) 1. Holiness - Biblical teaching. 2. Christian saints - Biblical teaching. 3. Communion of saints - Biblical teaching. 4. Bible. N.T. Epistles of Paul - Theology. I. Title. BS2655.H6B64 2011 2341.8-dc22 2011008800

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ” 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Meinen Eltern Heike & Gerd Bohlen

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2010 an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet. Großer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Michael Wolter. Er war es, der mein Interesse an der neutestamentlichen Wissenschaft weckte. In der Zeit meiner Promotion hat er mich stets kritisch wie wohlwollend unterstützt und begleitet. Die Arbeit am Lehrstuhl und insbesondere das weihnachtliche Banoffee werde ich in sehr guter Erinnerung behalten. Herrn Prof. Dr. Günter Röhser danke ich für das Zweitgutachten zu meiner Dissertation und zahlreiche wertvolle Anmerkungen und Korrekturen. Einzelne Kapitel dieser Arbeit konnte ich in den vergangenen Jahren bereits in der neutestamentlichen Sozietät der beiden theologischen Fakultäten der Universität Bonn vor- und zur Diskussion stellen. Allen Mitgliedern danke ich für die dort erhaltenen Hinweise. Mein Vater Gerd Bohlen sowie Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen haben die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen und mich dadurch vor vielen Fehlern bewahrt. Zu nennen sind (in alphabetischer Reihenfolge): Dr. Jochen Flebbe, Katrin Hildenbrand, Stephanie Kämpfer, Kornelia Küsgen, Dr. Barbara Liedtke, Dr. Christina Risch, Leonie Stein und Nikolai Tischler. Meine Schwester Hanna Bohlen hat mir bei der Erstellung des Literaturverzeichnisses geholfen. Mein Mann Björn Müller-Bohlen stand mir als ‚persönlicher Systemadministrator‘ nicht nur in Fragen die Hard- und Software meines Computers betreffend immer zur Seite. Ihnen allen sei von Herzen gedankt. Neben den bereits Genannten danke ich außerdem Larissa Neubauer für die freundschaftliche Begleitung meines Doktorandinnendaseins. Ich hatte das Glück, mich drei volle Jahre lang nahezu ausschließlich auf meine Promotion konzentrieren zu können. Dies war nur möglich, weil ich für diesen Zeitraum ein Stipendium der Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten habe. Auch dafür bin ich sehr dankbar.

VIII

Vorwort

Schließlich danke ich den Herausgebern der Reihe BZNW für die Aufnahme in diese Reihe und dem Verlag de Gruyter, namentlich Frau Sabina Dabrowski, für die freundliche Betreuung bei der Erstellung der Druckvolage. Ich widme dieses Buch meiner Mutter, die mich vor gut zwölf Jahren die ersten Schritte des wissenschaftlichen Arbeitens lehrte, und meinem Vater, der nicht nur diese, sondern (fast) alle meine theologischen Arbeiten kritisch gelesen und mein Theologiestudium mit dem denkbar größten Interesse verfolgt und begleitet hat. Bonn, Quasimodogeniti 2011

Inhaltsverzeichnis Vorwort ........................................................................................................ VII 1 1.1 1.2

1.3 2 2.1

2.2

Einleitung ..............................................................................................1 Das Thema: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus ...........................2 Forschungsüberblick ...........................................................................4 1.2.1 O. HANSSEN: Heilig. Die Auseinandersetzung zwischen Paulus und den Korinthern um die ethischen Konsequenzen christlicher Heiligkeit (1984) .......5 1.2.2 W. WIEFEL: Die Heiligen im Neuen Testament (1991) .........7 1.2.3 W. WEISS: ‚Heilig‘ in ethischen Kontexten neutestamentlicher Schriften (2003) .......................................9 1.2.4 H. STETTLER: Heiligung bei Paulus (2006) ........................... 10 1.2.5 K. E. BROWER / A. JOHNSON (Hrsg.): Holiness and Ecclesiology (2007).................................................................. 11 1.2.6 M. VAHRENHORST: Kultische Sprache in den Paulusbriefen (2008) ............................................................... 12 1.2.7 E. D. SCHMIDT: Heilig ins Eschaton. Heiligung und Heiligkeit als eschatologische Konzeption im 1. Thessalonicherbrief (2010) ................................................. 14 Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit .......................... 15 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich ......... 20 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im Alten Testament ............................. 20 2.1.1 Himmlische Wesen als Heilige ............................................. 21 2.1.2 Das heilige Volk ...................................................................... 24 Exkurs: Gott als der Heilige im Alten Testament .......................... 25 2.1.3 Priester als Heilige .................................................................. 31 2.1.4 Einzelne Heilige ...................................................................... 38 2.1.5 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung der Frommen ............................... 40 2.1.6 Zusammenfassung ................................................................. 45 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit ............................................................. 46 2.2.1 Himmlische Wesen als Heilige ............................................. 46 2.2.2 Das heilige Volk ...................................................................... 48

X

2.3

2.4 3 3.1 3.2

4 4.1 4.2

4.3

4.4

Inhaltsverzeichnis

2.2.3 Priester als Heilige .................................................................. 50 2.2.4 Einzelne Heilige ...................................................................... 50 2.2.5 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung der Frommen ............................... 51 2.2.6 Zusammenfassung ................................................................. 54 Die Heiligen in Qumran .................................................................... 56 2.3.1 Himmlische Wesen als Heilige ............................................. 58 2.3.2 Die Gemeinde von Qumran als heilige Gemeinde ............ 60 2.3.3 Zusammenfassung ................................................................. 62 Die Heiligen als der ‚Rest‘ Israels .................................................... 63 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen ............................................................................................... 67 Das Selbstverständnis der Urgemeinde .......................................... 68 Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde .................................... 69 3.2.1 Jünger ....................................................................................... 71 3.2.2 Brüder ....................................................................................... 71 3.2.3 Gemeinde (Gottes) .................................................................. 74 3.2.4 Heilige ...................................................................................... 76 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen ................ 78 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für himmlische Wesen .......................... 80 οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde ......... 81 4.2.1 1Kor 16,1–4 .............................................................................. 82 4.2.2 2Kor 8f ...................................................................................... 84 4.2.3 Röm 15,25–28.31b.................................................................... 87 4.2.4 Das paulinische Verständnis der Kollekte für Jerusalem.................................................................................. 90 4.2.5 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die Jerusalemer Gemeinde ................................................................................. 93 οἱ ἅγιοι als Eigenname ...................................................................... 96 4.3.1 οἱ ἅγιοι als Anrede in den Präskripten der paulinischen Briefe ................................................................. 96 4.3.2 οἱ ἅγιοι in den Postskripten der paulinischen Briefe ........ 99 Exkurs: Der heilige Kuss ................................................................. 101 4.3.3 Zusammenfassung ............................................................... 102 οἱ ἅγιοι als Gattungsname .............................................................. 105 4.4.1 1Kor 6,1.2 ............................................................................... 105 4.4.2 1Kor 14,33b ............................................................................ 107 4.4.3 1Kor 16,15 .............................................................................. 107

Inhaltsverzeichnis

XI

4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.5

5 5.1

5.2

5.3

6 6.1 6.2

6.3

Röm 8,27 ................................................................................. 108 Röm 12,13 ............................................................................... 109 Röm 16,2 ................................................................................. 109 Der Gattungsname οἱ ἅγιοι als Ausdruck christlicher Verbundenheit ...................................................................... 110 Zusammenfassung: οἱ ἅγιοι als eingeführte Gruppenbezeichnung ...................................................................... 112 Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief ................... 115 „Dies nämlich ist Wille Gottes, eure Heiligung“ (1Thess 4,3–8).................................................................................... 116 5.1.1 Philologische Untersuchung des Textes ............................ 119 5.1.2 1Thess 4,4: „in Heiligung und Ehre“.................................. 125 5.1.3 1Thess 4,7: „berufen in Heiligung“ .................................... 127 5.1.4 1Thess 4,8: „Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt“ ........................................................................................ 130 Exkurs: Der heilige Geist und die Heiligen .................................. 131 5.1.5 Zusammenfassung: Heiligung als Wille Gottes ............... 134 Heilig bei der Wiederkunft des Herrn (1Thess 3,13 und 5,23)... 138 5.2.1 1Thess 3,11–13 ....................................................................... 139 5.2.2 1Thess 5,23 ............................................................................. 140 5.2.3 Eschatologische Heiligkeit................................................... 141 Zusammenfassung: Christliche Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief ...................................................................... 142 Die korinthischen Christen als Heilige ......................................... 145 Heilige als Adressaten des 1Kor (1Kor 1,2) .................................. 145 ἅγιοι versus ἄδικοι (1Kor 6,1–11) .................................................. 151 6.2.1 Die Korinther als Heilige in Abgrenzung von ihrer nichtchristlichen Umwelt..................................................... 153 6.2.2 Die Korinther als Heilige in Abgrenzung von ihrer vorchristlichen Vergangenheit ............................................ 155 6.2.3 Zusammenfassung ............................................................... 159 Die gefährdete Heiligkeit der Gemeinde (1Kor 5f) ..................... 161 6.3.1 1Kor 5,1–13: Die Notwendigkeit des Ausschlusses von Sündern .................................................................................. 162 6.3.2 1Kor 5,1–13 und 1Kor 6,1–11: Die Bewahrung der Heiligkeit................................................................................ 165 6.3.3 1Kor 6,12–20: Der Einzelne für die Gemeinde .................. 167

XII

6.4

6.5

6.6 7 7.1

Inhaltsverzeichnis

6.3.4 Zusammenfassung ............................................................... 168 Heiligkeit und Heiligung im ersten Hauptteil des Briefes (1Kor 1,10 – 4,21) .............................................................................. 169 6.4.1 1Kor 1,30: „Christus … uns … zur Heiligung“ ................. 169 6.4.2 1Kor 3,16f: Die korinthische Gemeinde als heiliger Tempel .................................................................................... 172 Die Heiligkeit des Einzelnen (1Kor 7) ........................................... 177 6.5.1 1Kor 7,14: Ansteckende Heiligkeit ..................................... 177 6.5.2 1Kor 7,34: Die Heiligkeit der Unverheirateten ................. 180 Zusammenfassung: Heiligkeit als Status im 1. Korintherbrief .. 182

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus ............................................. 186 Heiligkeit und Kult – Bedient sich Paulus mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι kultischer Sprache? .................................... 186 7.1.1 Kult und kultische Sprache ................................................. 188 7.1.2 ἅγιος als kultischer Terminus ............................................. 188 7.1.3 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι .................................................... 190 7.2 Die Heiligen als Erwählte – Das Verhältnis der Christen zum heiligen Volk ..................................................................................... 191 7.2.1 Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit im Vergleich zur Rede von den Heiligen im jüdischen Traditionsbereich .................................................................. 192 7.2.2 Die christlichen Heiligen und das Volk Gottes ................ 195 Exkurs: Ist Israel noch heilig? – Der Status des Gottesvolkes ............... 198 Röm 9–11 ........................................................................................... 199 Röm 11,16 .......................................................................................... 201 Die Heiligkeit Israels ....................................................................... 204 7.3 Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit ................... 205 7.3.1 Unterschiede im paulinischen Gebrauch der Heiligkeitsterminologie ....................................................... 206 7.3.2 ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ – Heiligkeit als Identitätsmerkmal der paulinischen Gemeinden ............. 210 7.3.3 Heiligung und Rechtfertigung ............................................ 212 7.3.4 Die Ethik der Heiligen – Der Identität Ausdruck verleihen................................................................................. 215 7.4 Zusammenfassung und Ergebnissicherung: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus .......................................................................... 220

Inhaltsverzeichnis

8 8.1

8.2

8.3

XIII

Ausblick............................................................................................. 222 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im Neuen Testament außerhalb der paulinischen Briefe.................................................................... 222 8.1.1 οἱ ἅγιοι in den deuteropaulinischen Briefen .................... 222 8.1.2 οἱ ἅγιοι in der Apokalypse des Johannes .......................... 228 8.1.3 οἱ ἅγιοι in den übrigen Schriften des Neuen Testaments ............................................................................. 230 Die Heiligen in der Alten Kirche ................................................... 233 8.2.1 Veränderungen im Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ .................................................................................. 233 8.2.2 Die Wendung sanctorum communio im Glaubensbekenntnis ............................................................. 236 Die Heiligen im Protestantismus ................................................... 239 8.3.1 Die reformatorische Kritik am Heiligenkult ..................... 239 8.3.2 Die Heiligen in der evangelischen Kirche heute .............. 241 8.3.3 ‚Communio Sanctorum‘ – Der ökumenische Dialog ....... 245

Abkürzungsverzeichnis ............................................................................. 248 Literaturverzeichnis .................................................................................... 249 Quellen und Übersetzungen .......................................................... 249 Bibelausgaben ....................................................................... 249 Weitere jüdische Quellen der Antike ................................. 249 Weitere christliche Quellen der Antike ............................. 250 Pagane Quellen der Antike ................................................. 251 Christliche Quellen aus der Zeit der Reformation und aus neuester Zeit ................................................................... 251 Hilfsmittel ......................................................................................... 252 Sekundärliteratur ............................................................................. 253 Register ......................................................................................................... 275 Textstellen ......................................................................................... 275 Autoren ............................................................................................. 282

1

Einleitung

„Eine unbekannte Welt tut sich auf, wenn man den Heiligen begegnet.“1 – Mit diesem Satz eröffnet W. NIGG (1903–1988) sein Buch über „Große Heilige“. Der reformierte Theologe strebt mit seiner „Schau der Heiligen“2 eine neue Form der Hagiographie an3, für die es seiner Meinung nach notwendig ist, aus der Menge der Heiligen mehrere Einzelpersonen herauszugreifen, da kein Heiliger die ganze Heiligkeit verkörpere.4 Nigg wählt für sein Buch neun verschiedene Heilige aus; unter ihnen finden sich zum Beispiel Franz von Assisi und der evangelische Laienprediger Gerhard Tersteegen. Auch die vorliegende Arbeit will „den Heiligen begegnen“, und zwar den Heiligen der paulinischen Briefe. Dabei gibt es nun allerdings einen ganz entscheidenden Unterschied zum Werk von Nigg. Während Nigg die Heiligen dem neuzeitlichen Verständnis entsprechend als religiös begabte Ausnahmemenschen5 erfasst, war der Ausdruck ‚Heilige‘ im Urchristentum eine Bezeichnung für alle Menschen, die an Christus glaubten.6 Daher kann sich eine Begegnung mit den Heiligen der paulinischen Briefe nicht darin erfüllen, Leben und Wirken einzelner Christen zu ergründen. Vielmehr muss ganz grundsätzlich gefragt werden, warum und vor welchem Hintergrund Paulus die Christen ‚Heilige‘ nennt. Doch auch dabei „tut sich eine unbekannte Welt auf“, nicht zuletzt gerade weil Paulus die Bezeichnung ‚Heilige‘ anders verwendet als in heutiger Zeit üblich. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine umfassende Darstellung des paulinischen Gebrauchs der Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die ersten Christen sowie eine ausführliche Analyse des paulinischen Verständnisses von Heiligkeit. Im Folgenden soll noch etwas detaillierter in das Thema dieser Arbeit eingeführt werden (Abschnitt 1.1). In einem Forschungsüberblick wird dann in aller Kürze die für dieses Thema zentrale Literatur der letzten 30 Jahre vorgestellt (Abschnitt 1.2) und –––––––––––––– 1 2 3 4 5 6

Nigg, Große Heilige, 9. Vgl. ebd., 13: „Das Wort Schau wurde gewählt, weil mit einer bloßen Begriffsbestimmung dem Heiligen nicht nahe zu kommen ist.“ Vgl. ebd., 25ff. Vgl. ebd., 30. Vgl. ebd., 14.16. So auch ebd., 13.

2

Einleitung

schließlich in Abschnitt 1.3 das weitere methodische Vorgehen sowie der Aufbau der Arbeit erläutert werden.

1.1

Das Thema: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Bezeichnung οἱ ἅγιοι. Es soll also ausdrücklich nicht das Adjektiv ἅγιος im Allgemeinen untersucht werden, sondern allein die substantivierte Form als Bezeichnung für eine Gruppe. Die deutsche Übersetzung ‚die Heiligen‘ wird synonym zum griechischen Ausdruck οἱ ἅγιοι verwendet, wohl wissend, dass die Bezeichnung ‚Heilige‘ heute zumeist anders gefüllt ist als ἅγιοι zur Zeit des Paulus.7 Abgesehen von Textpassagen, in denen die Bezeichnung ἅγιοι belegt ist, werden noch solche Texte eine Rolle spielen, in denen Paulus in anderer Weise die Heiligkeit der Christen thematisiert und Wörter des Stammes ἁγι- gebraucht. Untersuchungsgegenstand sind die unumstrittenen paulinischen Briefe, also der erste Brief an die Thessalonicher, beide Briefe an die Korinther, der Philipperbrief, der Brief an Philemon, der Galaterbrief und der Römerbrief. Die starke Fokussierung auf die beiden ältesten Paulusbriefe (1Thess und 1Kor) ergibt sich aus inhaltlichen Gründen und wird später noch begründet werden. Die Chronologie der paulinischen Briefe muss im Zusammenhang dieser Arbeit nicht erörtert werden. Wesentlich für die folgende Argumentation ist allein der weitestgehend unstrittige Sachverhalt, dass der 1Thess der älteste Paulusbrief ist. Dem folgt in der Chronologie mit großer Wahrscheinlichkeit der 1Kor. Die Entstehungsreihenfolge der übrigen Briefe, die zum Teil sehr kontrovers diskutiert wird, ist hier nicht von Belang.8

Paulus gebraucht den Ausdruck οἱ ἅγιοι – abgesehen von einer Ausnahme in 1Thess 3,13 – nur zur Bezeichnung von Christen. Dieser Satz ist zwar richtig, in seiner Formulierung jedoch nicht ganz unproblematisch, da es sich bei dem Ausdruck ‚Christen‘ im Zusammenhang der paulinischen Briefe um einen Anachronismus handelt.9 Paulus selbst nannte die Mitglieder seiner Gemeinden nie ‚Christen‘. Ein äquivalen–––––––––––––– 7 8 9

Aus diesem Grund spricht sich Schenk, Selbstverständnisse, 1385 im Anschluss an Müller, Erfahrung, 46 gegen eine Übersetzung von ἅγιοι mit ‚Heilige‘ aus. Zur Chronologie der Paulusbriefe vgl. z.B. Becker, Paulus, 17–33. So auch das Urteil von J. Lieu, die sich kritisch zum Titel des entsprechenden Buches von W. Meeks äußert: „To speak of the group established by Paul in Corinth as ‚the first urban Christians‘ […] is self-evidently an anachronism, for apparently neither he nor they knew the term“ (Lieu, Neither Jew, 192). – Zur Bezeichnung Χριστιανοί im Neuen Testament s.u., S. 112.

Das Thema: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

3

ter Ausdruck in seinen Briefen ist die hier zentrale Bezeichnung οἱ ἅγιοι. In dem Bewusstsein, dass der Ausdruck ‚Christen‘ ein interpretationssprachlicher und kein quellensprachlicher Begriff ist, wird er im Folgenden trotzdem gezielt verwendet, da er genau jene Gruppe umfasst, die Paulus ἅγιοι nannte. Jede Leserin und jeder Leser der paulinischen Briefe wird darüber hinaus feststellen können, dass Paulus nur im Plural von Heiligen spricht. Der Ausdruck οἱ ἅγιοι ist bei Paulus eine Bezeichnung für eine konkrete Gemeinde bzw. die Christen im Allgemeinen.10 Eine Analyse der Bezeichnung οἱ ἅγιοι kann also – um einen weiteren interpretationssprachlichen Begriff einzuführen – dem Feld der paulinischen Ekklesiologie zugeordnet werden.11 Paulus beschäftigt sich in seinen Briefen nicht mit der Identität des einzelnen ‚Heiligen‘. Sein Anliegen ist die Identität der Gemeinde als ‚Gemeinschaft der Heiligen‘. Die Wendung ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ ist aus dem dritten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses bekannt, das in evangelischen wie katholischen Kirchen sonntäglich gesprochen wird: „Ich glaube an den heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, …“. Auf die Frage, wer die Heiligen in dieser Wendung sind, wird im Ausblick Bezug genommen werden.12 In diesem Zusammenhang sei ausdrücklich auf andere Arbeiten verwiesen, die ebenfalls unter dem Titel „Gemeinschaft der Heiligen“ bzw. „Sanctorum Communio“ erschienen: 1927 wurde die systematisch-theologische Dissertation von D. BONHOEFFER unter dem Titel „Sanctorum Communio“ veröffentlich. Mit ihr legt Bonhoeffer – so der Untertitel – „eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche“ vor. Zwei Jahre nach Bonhoeffer veröffentlicht P. ALTHAUS unter dem Titel „Communio Sanctorum“ ein kirchenhistorisches Buch zur lutherischen Ekklesiologie.13 Außerdem spielt die Wendung ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ im ökumenischen Dialog der letzten Jahre eine große Rolle. Im Jahr 2000 hat die Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands mit der Studie ‚Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen‘ die Ergebnisse eines mehrjährigen ökumenischen Dialogs zu ekklesiologischen und eschatologischen Fragestellungen vorgelegt. Inzwischen

–––––––––––––– 10 11

12 13

Dieser Sachverhalt wird in Kapitel 4, S. 78ff, näher ausgeführt. So auch schon Wolter, Kol/Phlm, 48 zur Bezeichnung ‚Heilige‘: „[E]s handelt sich hier um einen dezidiert ekklesiologischen Begriff.“ Zur Schwierigkeit überhaupt von einer paulinischen Ekklesiologie zu sprechen vgl. Roloff, Kirche, 87f. Vgl. Kapitel 8.2.2, S. 236ff. Vgl. darüber hinaus z.B. C. F. Arnold, Gemeinschaft der Heiligen und HeiligungsGemeinschaft, Gr. Lichterfelde-Berlin 1909 oder M. M. Garijo-Guembe, Gemeinschaft der Heiligen. Grund, Wesen und Struktur der Kirche, Düsseldorf 1988. Auch Heft 9 des Jahrgangs 96 der praktisch-theologischen Zeitschrift Pastoraltheologie (veröffentlicht im September 2007) erschien unter dem Titel ‚Gemeinschaft der Heiligen‘.

4

Einleitung

sind auch die darauf bezugnehmenden katholischen14 und evangelischen15 Stellungnahmen veröffentlicht.16 Schon 1995 hat ein Gespräch zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland stattgefunden, dessen Ergebnisse ebenfalls unter dem Titel ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ veröffentlicht sind.17 Und auch die Gemeinsame Kommission der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz hat sich mit der ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ beschäftigt.18

1.2

Forschungsüberblick

Nachdem die paulinische Rede von Heiligkeit und Heiligung in der neutestamentlichen Forschung lange Zeit nur stiefmütterlich behandelt wurde19, ist das Thema im 21. Jahrhundert wieder verstärkt in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses gerückt. Dies gilt insbesondere für den deutschsprachigen Raum, wo mit den Arbeiten von H. STETTLER (2006: Heiligung bei Paulus), M. VAHRENHORST (2008: Kultische Sprache in den Paulusbriefen) und E. D. SCHMIDT (2010: Heilig ins Eschaton) in jüngster Zeit drei umfassende Monographien zu diesem Thema erschienen sind. Aus dem angelsächsischen Sprachraum ist aus den letzten Jahren insbesondere der von K. E. BROWER und A. JOHNSON herausgegebene Aufsatzband ‚Holiness and Ecclesiology in the New Testament‘ (2007) zu beachten. Diese vier Werke sollen im Folgenden einzeln vorgestellt und mit ihren wesentlichen Thesen nachgezeichnet werden (Abschnitte 1.2.4–7). Daneben sind für den vorliegenden Zusammenhang zwei Aufsätze von größerem Interesse: Bei dem Aufsatz –––––––––––––– 14

15

16 17 18

19

Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz zur Studie „Communio Sanctorum“ (Die deutschen Bischöfe 71), Bonn 2003. O. Schuegraf/U. Hahn (Hrsg.), Communio Sanctorum. Evangelische Stellungnahmen zur Studie der Zweiten Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Hannover 2009. Vgl. dazu noch ausführlicher Kapitel 8.3.3, S. 245ff. Vgl. Koppe, Gemeinschaft. Die Ergebnisse sind veröffentlicht in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Die Sakramente (Mysterien) der Kirche und die Gemeinschaft der Heiligen. Dokumente der Gemeinsamen Kommission der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz (Arbeitshilfen 203), Bonn 2006, 83–112. E. D. Schmidt bezeichnet die Zeitspanne 1963–2002 in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der paulinischen Rede von Heiligkeit und Heiligung als „Jahre exegetischen Schweigens“ (vgl. Schmidt, Heilig, 56).

Forschungsüberblick

5

‚Die Heiligen im Neuen Testament‘ von W. WIEFEL (1991) handelt es sich um die einzige mir bekannte Studie, die sich explizit mit der Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι beschäftigt (vgl. Abschnitt 1.2.2). Der Aufsatz ‚‚Heilig‘ in ethischen Kontexten neutestamentlicher Schriften‘ von W. WEISS (2003) ist deshalb von Bedeutung, weil er wie die vorliegende Arbeit den Schwerpunkt auf die paulinischen Briefe 1Thess und 1Kor legt (vgl. Abschnitt 1.2.3). Zunächst wird jedoch als älteste Arbeit die unveröffentlichte Dissertation von O. HANSSEN (1984) vorgestellt werden, die mit der Betonung der statusrechtlichen Bedeutung christlicher Heiligkeit wertvolle Gedankenanstöße für die vorliegende Untersuchung lieferte.20

1.2.1 O. HANSSEN: Heilig. Die Auseinandersetzung zwischen Paulus und den Korinthern um die ethischen Konsequenzen christlicher Heiligkeit (1984) Die Dissertation von O. HANSSEN besteht aus dreißig mehr oder weniger zusammenhängenden Einzelstudien und ist in ihrer Grobstruktur in zwei Teile gegliedert: Im ersten Teil (Studien 6–11) gibt Hanssen einen Überblick zu den paulinischen Belegen für die Wurzel ἁγι-. Hier behandelt er u.a. die Bezeichnung οἱ ἅγιοι21 und die Wendung πνεῦμα ἅγιον22. Das „Hauptgewicht“23 der Arbeit liegt allerdings auf dem zweiten Teil, der unter der Überschrift ‚Das Ethos der Heiligen‘ nach Grundproblemen der Ethik gegliedert ist. Diese Gliederung begründet Hanssen damit, dass Paulus überwiegend von der Heiligkeit des Menschen spreche und dass man „bei der Interpretation menschlicher Heiligkeit ohne ethische Kategorien“ nicht auskomme.24 Forschungsgeschichtlich ergeben sich für Hanssen aus der ethischen Interpretation von Heiligkeit die folgenden Spannungsfelder25, die er in drei Kapiteln nacheinander abhandelt: 1. ‚Heiligkeit und Tabu‘ (Studien 12–19), 2. ‚Heiligkeit im Spannungsfeld von Recht und Ethik‘ (Studien 20–23) –––––––––––––– 20

21 22 23 24 25

Die Auseinandersetzung mit der älteren Literatur zum Thema bzw. mit weiteren Veröffentlichungen, die für Einzelheiten unserer Fragestellung relevant sind, erfolgt an den entsprechenden Stellen im Hauptteil der Arbeit. Zusätzlich sei auf die außerordentlich umfangreichen Forschungsüberblicke in den Arbeiten von H. Stettler (S. 1–29) und E. D. Schmidt (S. 18–101) verwiesen. Hanssen, Heilig, 25–33. Ebd., 50–64. Ebd., 9. Vgl. ebd., 9f, Zitat: 10 (Hervorhebung im Original). Vgl. ebd., 11.

6

Einleitung

und 3. ‚Heiligkeit im Spannungsfeld von Kult und Ethos‘ (Studien 24– 28). Zentraler Untersuchungsgegenstand des ersten Kapitels ist 1Kor 6,12–20. Nach Meinung von Hanssen steht in diesem Text für Paulus „der personale Ausschließlichkeitsanspruch des Kyrios im Vordergrund: Was mit diesem Kriterium christlicher Heiligkeit unvereinbar ist, ist tabu“26. Entsprechend sei dann für Paulus auch die Heiligkeit selbst „objektiv ein Tabu, das auf keinen Fall verletzt werden darf“ 27. Ausgangspunkt für das zweite Kapitel im zweiten Teil der Arbeit ist 1Kor 6,11. In der Exegese von 1Kor 6,(9–)11 kommt Hanssen zu dem Ergebnis, dass das Verb ἁγιάζειν in V. 11 in erster Linie statusrechtliche Bedeutung hat.28 Dies wiederum führe zu der Schlussfolgerung, dass „eine im Ansatz ethische Interpretation von Heiligkeit“ ausgeschlossen werden kann.29 Im dritten Abschnitt seines Hauptteils behandelt Hanssen schließlich noch die Tempelmetapher in 1Kor 3,16f und 6,19 unter der Fragestellung, ob die in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebrachte Heiligkeit der Korinther kultisch oder ethisch zu verstehen sei.30 Dazu bedient er sich eines religionsgeschichtlichen Vergleichs mit der Verwendung der Tempelmetapher bei Philo von Alexandrien und in Texten aus Qumran.31 Sein Ergebnis lautet: „Wenn man Philo als Paradigma für eine ethische Interpretation von Heiligkeit deuten darf und Qumran als Paradigma für eine kultische Interpretation, so nimmt Paulus demgegenüber eine immer noch unklare Zwischenstellung ein.“32 Für den vorliegenden Zusammenhang ist vor allem das zweite Kapitel des Hauptteils, in dem Hanssen die statusrechtliche Bedeutung der christlichen Heiligkeit untersucht, von Interesse. Hanssen selbst gesteht ein, in diesem Zusammenhang eine Untersuchung des Ausdrucks οἱ ἅγιοι zu vernachlässigen.33 Dieses Defizit soll mit der vorliegenden Arbeit ausgeglichen werden.

–––––––––––––– 26 27 28 29 30 31 32 33

Ebd., 112. Ebd., 117. Vgl. ebd., 126ff. Ebd., 147. Vgl. ebd., 155. Vgl. die Studien 25–27 ebd., 166–190. Ebd., 199–200. Vgl. ebd., 12.

Forschungsüberblick

1.2.2

7

W. WIEFEL: Die Heiligen im Neuen Testament (1991)

Bei dem Aufsatz von W. WIEFEL handelt es sich um jene Veröffentlichung, die der Fragestellung der vorliegenden Arbeit am nächsten kommt, und meines Wissens um die bisher einzige Arbeit, die sich ausschließlich der frühchristlichen Gruppenbezeichnung ‚die Heiligen‘ widmet. In einem ersten Abschnitt seines knappen Aufsatzes gibt Wiefel zunächst einen Überblick über die neutestamentlichen Belegstellen von οἱ ἅγιοι, die er im Hinblick auf ihr Vorkommen in den neutestamentlichen Büchern und auf gemeinsame Themen in den jeweiligen Textzusammenhängen sortiert. Für die authentischen Paulusbriefe kommt er zu dem Ergebnis, „daß es weder individual-ethische (ein persönliches Heiligsein) noch sakramentale (auf eine heiligmachende Gnade abhebende) Bezüge sind, in denen Paulus die Bezeichnung der Christen als Heilige verwendet, daß vielmehr die communio-Struktur der christlichen Existenz benannt wird, die sich im Miteinander der Gemeinde im karitativen, aber auch im rechtlichen Bereich darstellt“34.

Demgegenüber kann Wiefel für die deuteropaulinischen Briefe (Kol und Eph) feststellen, dass der Bezug auf die konkreten Einzelgemeinden zurücktritt und die ecclesia universalis in den Blick rückt.35 Etwas ausführlicher kommt er auch auf die Verwendung von οἱ ἅγιοι in der Apokalypse des Johannes zu sprechen – dem neutestamentlichen Buch, in dem die meisten Belegstellen für diesen Ausdruck zu finden sind.36 Wie auch im Eph bezeichne οἱ ἅγιοι in der Apk eine ecclesia universalis, „die den Bereich der Vollendung mitumgreift. Doch erhält sie ihre Spezifik dadurch, daß die Heiligen die Märtyrerkirche sind“37. In einem zweiten Abschnitt nimmt Wiefel dann die Belegstellen für οἱ ἅγιοι im Alten Testament sowie in zwischentestamentlicher Literatur in den Blick. Dabei verweist er zunächst auf Ps 34,10 als einzige alttestamentliche Stelle außerhalb des Danielbuches, in der mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ Menschen bezeichnet sind.38 Die Bezeichnungen ‚Heilige‘ und ‚Heilige des Höchsten‘ in Dan 7 sind – so Wiefel – gleichzusetzen: „Hier wie dort sind Menschen gemeint, und zwar das Gottesvolk (in) Israel, besser: jener Rest, der in der Zeit der Bedrängnis und –––––––––––––– 34 35 36 37 38

Wiefel, Die Heiligen, 31. Vgl. ebd., 33. Vgl. ebd., 34f. Ebd., 34. Vgl. ebd., 35.

8

Einleitung

des Abfalls widerstanden hat“39. Für die zwischentestamentlichen Schriften kann Wiefel einen „uneinheitlichen Sprachgebrauch“40 ausmachen. Es seien sowohl Stellen belegt, in denen mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ anscheinend Engel bezeichnet sind, als auch solche Stellen, in denen von Menschen die Rede ist. Für den Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ in den Schriften aus Qumran fällt nach Aussage von Wiefel auf, „daß wir nicht den absoluten Gebrauch antreffen, sondern vielmehr vom Volk bzw. der Gemeinde der Heiligen oder von den Heiligen des Bundes gesprochen wird. Das Heiligsein haftet offenbar an der Gemeinde, hat kommunitären Charakter“41.

Im dritten und letzten Abschnitt seines Aufsatzes bedenkt Wiefel schließlich „Sinn und Grenzen der Rückbeziehung zum alttestamentlichen und jüdischen Sprachgebrauch“42. Insgesamt sieht er im Gebrauch des Ausdrucks ‚Heilige‘ zwischen dem Alten und dem Neuen Testament „eine dünne, mehrfach gebrochene Linie“43: „Bis an den zeitlichen Rand der Geschichte der alttestamentlichen Überlieferung hängt die Benennung mit wesenhafter Zugehörigkeit zur Gottheit zusammen, die (einzelnen) Menschen nur in attributiver und prädikativer Übertragung zukommt. Erst die Profilierung des Rest- und Erwählungsgedankens im Zeichen der Apokalyptik erlaubt eine Transformation, wie sie uns zuerst bei Daniel, dann in der zwischentestamentlichen Literatur, vor allem im äthiopischen Henoch und in Qumran entgegentritt“ 44.

Wiefel sieht in der Bedeutung des Ausdrucks ‚Heilige‘ im Alten Testament, in der zwischentestamentlichen Literatur und schließlich im Neuen Testament einen „Entwicklungsprozeß“ 45, bei dem das zwischentestamentliche Schrifttum das „entscheidende Zwischenglied“46 für das Verständnis des christlichen Sinns der Bezeichnung οἱ ἅγιοι darstellt.

–––––––––––––– 39 40 41 42 43 44 45 46

Ebd., 36. Ebd. Ebd., 37. Ebd., 29. Ebd., 38. Ebd. Ebd., 39. Ebd.

Forschungsüberblick

1.2.3

9

W. WEISS: ‚Heilig‘ in ethischen Kontexten neutestamentlicher Schriften (2003)

W. WEISS ist der erste, der keinen einheitlichen Gebrauch der Heiligkeitsterminologie in allen paulinischen Briefen voraussetzt, sondern den 1Thess als eigene Größe berücksichtigt.47 Davon ausgehend kann er eine Wandlung des Heiligbegriffs zwischen dem 1Thess und den späteren Paulusbriefen feststellen. In 1Thess 4,1–8 sieht Weiß zwar „[d]en frühsten Beleg einer engen Verbindung von Heiligmotiv und Paränese“ 48; trotzdem sei in diesem Abschnitt nicht die Heiligung selbst gefordert, sondern „[d]er ἁγιασμός in 4,3 dürfte tatsächlich einen Modus meinen, durch den die Glaubenden zur Heiligkeit geführt werden, die Heiligung. Die Heiligung ist darin eine passive, den Glaubenden von außen her zukommende Bestimmung. In dieser Weise formuliert ‚dies ist der Wille Gottes‘ (4,3) nicht eine Forderung an die Glaubenden, sondern die von Gott gesetzte Ausrichtung ihres Seins.“49

Im Gegensatz zu den späteren Paulusbriefen sei das Heiligmotiv im 1Thess „prospektiv an das Gerichtsgeschehen bei der Parusie“ 50 geknüpft. Die Gläubigen befinden sich gegenwärtig im Status der Heiligung, „der Heilsstand als solcher steht noch aus“ 51. In den weiteren Briefen des Paulus, von denen Weiß vornehmlich den 1Kor in den Blick nimmt, werde dann „die traditionelle Grundlage forensischer Zielsetzung umgedeutet auf die durch Berufung und Taufe den Glaubenden zukommende soteriologische Qualifizierung“52. Diese paulinische Wandlung des Heiligmotivs begründet Weiß damit, dass Paulus in Korinth „vorgeprägte[n] Heiliganschauungen“53 begegnet sei, die z.B. in 1Kor 1,30 und 6,11 – beide Formulierungen sind nach Weiß vorpaulinischer Herkunft54 – zum Ausdruck kommen. Abschließend liefert Weiß noch einen kurzen Ausblick auf die Schriften der zweiten und dritten Generation, wo seiner Meinung nach „‚Heiligung‘ und ‚Heiligkeit‘ mehr und mehr als ein Topos [erscheinen], der eine gegenwärtig zu erfüllende ethische Anforderung intendiert“55. –––––––––––––– 47 48 49 50 51 52 53 54 55

So auch das Urteil von Schmidt, Heilig, 74. Weiß, Heilig, 46. Ebd., 47. Ebd., 51. Ebd. Ebd., 60. Ebd., 51. Vgl. ebd., 52. Ebd., 62.

10

Einleitung

Der entscheidende Wert dieses Aufsatzes für die wissenschaftliche Erforschung des paulinischen Verständnisses christlicher Heiligkeit liegt in der Berücksichtigung des 1Thess als eigenständiger Größe. Auch die vorliegende Arbeit wird diesen ersten paulinischen Brief unabhängig von den späteren Briefen untersuchen und mit weitaus ausführlicheren Exegesen bestätigen können, dass Paulus das Heiligmotiv im 1Thess anders verwendet als in den späteren Briefen.

1.2.4

H. STETTLER: Heiligung bei Paulus (2006)

Die unveröffentlichte Habilitationsschrift von H. STETTLER mit dem Titel „Heiligung bei Paulus“ besteht aus drei Hauptteilen und einem eingehenden Ergebniskapitel. Der erste Hauptteil liefert einen umfassenden Forschungsüberblick zum Thema. Die Auslegung der paulinischen Texte zur Heiligung erfolgt im zweiten Hauptteil. Hier untersucht Stettler jeden der Briefe aus dem Corpus Paulinum einzeln, wobei sie über die unbestrittenen Paulusbriefe hinaus auch den 2Thess, den Kol sowie den Eph berücksichtigt. Jeder Brief wird einem zweischrittigen Analyseverfahren unterzogen. In einem ersten Schritt prüft sie sämtliche Belege für das Adjektiv ἅγιος und Stammverwandte. Im zweiten Schritt werden „Aussagen zur Heiligung ohne Verwendung von Heiligkeitsterminologie“56 in den Blick genommen. Nach eigenen Angaben handelt es sich dabei um Stellen, an denen „das semantische Feld von ἅγιος κτλ. berührt wird, ohne dass diese Wortfamilie verwendet wird“57. Stettler begründet dieses zweischrittige Verfahren damit, dass sie keine Wortstudie zu ἅγιος, sondern eine Untersuchung zum paulinischen Begriff von ‚Heiligung‘ erarbeiten möchte.58 Allerdings führt sie an keiner Stelle aus, was das semantische Feld von ἅγιος ist und wie „Aussagen zur Heiligung ohne Verwendung von Heiligkeitsterminologie“ zu ermitteln sind. Die Auswahl der von ihr behandelten Texte erscheint daher zum Teil willkürlich. Der dritte Hauptteil ihrer Arbeit besteht aus Exkursen zur Heiligung im Alten Testament, zur Heiligung in der Jesustradition und in der Urgemeinde. Die Bezeichnung als Exkurse ist allerdings irreführend, da es sich zum einen um sehr ausführliche Analysen der entsprechenden Texte handelt und diese zum anderen für die Argumentation im Schlussteil sehr grundlegend sind. –––––––––––––– 56 57 58

Vgl. die entsprechenden Überschriften im zweiten Hauptteil ihrer Arbeit. Stettler, Heiligung, 30. Vgl. ebd., 30.

Forschungsüberblick

11

In ihrem Ergebniskapitel betrachtet Stettler das Thema der Heiligung schließlich unter systematischen Fragestellungen, wobei sie in jedem Unterabschnitt eine Linie vom Alten Testament über die Jesustradition und die Urgemeinde bis hin zu Paulus zieht. Dies biete sich methodisch insofern an, als Paulus – nach Meinung von Stettler – „mit seinen Aussagen zur Heiligung die alttestamentlich-jüdischen [sic!] Tradition als Bezugsrahmen voraussetzt und seinen Hörerinnen und Hörern bzw. Leserinnen und Lesern zumutet, sich in diesen einzufinden“59. In den einzelnen Abschnitten beleuchtet Stettler Subjekt, Objekt, Inhalt, Mittel und Motivation der Heiligung, außerdem das Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung. Die Habilitationsschrift von Stettler erweist sich als eine Art Gesamtdarstellung der paulinischen Theologie aus dem Blickwinkel der ‚Heiligung‘. Allerdings ist grundsätzlich zu fragen, ob und inwieweit es überhaupt einen von Stettler vorausgesetzten paulinischen Begriff von ‚Heiligung‘ gibt. Zwar gebraucht Paulus mit Ausnahme des Gal in allen seinen Briefen Heiligkeitsterminologie, doch steckt dahinter nicht unbedingt ein briefübergreifendes Konzept von ‚Heiligung‘.60 Außerdem spricht Paulus – abgesehen vom 1Thess – eher von Heiligkeit als von Heiligung. Diese Unterscheidung, die – wie noch zu zeigen sein wird – auch ausgehend vom griechischen Sprachgebrauch gerechtfertigt ist61, wird von Stettler trotz des Begriffs ‚Heiligung‘ im Titel ihrer Arbeit an keiner Stelle thematisiert.

1.2.5

K. E. BROWER / A. JOHNSON (Hrsg.): Holiness and Ecclesiology (2007)

Der Sammelband ‚Holiness and Ecclesiology‘, herausgegeben von K. E. BROWER und A. JOHNSON, beinhaltet zwanzig Einzelstudien zum Thema ‚Heiligkeit‘ in fast allen neutestamentlichen Büchern, die sich dem Thema grundsätzlich „from an ecclesial standpoint“62 nähern, denn – so die angeführte Begründung – „holiness is a theological and ecclesial issue prior to being a matter of individual piety“63. In ihrer Einleitung greifen Brower und Johnson einige Aspekte von Heiligkeit heraus, die in den einzelnen Beiträgen immer wieder thema–––––––––––––– 59 60 61 62 63

Ebd., 55. S.u. S. 214. Vgl. dazu Kapitel 5.3, S. 142. Brower/Johnson, Introduction, xvi. Ebd.

12

Einleitung

tisiert werden:64 So sei Heiligkeit „an orienting concern for Second Temple Judaism and for Early Christianity“65. Zur Zeit des Zweiten Tempels sei Heiligkeit grundsätzlich verstanden „in terms of boundary maintenance“66. Außerdem sei personale Heiligkeit immer abgeleitete Heiligkeit, und zwar abgeleitet von der Heiligkeit Gottes: „A community and people are holy only insofar as they are in relation to the Holy One.“67 Heiligkeit bedeute immer auch Reinheit, was den Aspekt der Abgrenzung (von allem Unreinen) beinhalte. 68 Schließlich sei Heiligkeit das Attribut einer Gruppe: „God’s call to holiness comes to a people/ community, not to isolated individuals.“69 Abgesehen von diesen inhaltlichen Übereinstimmungen gleichen sich viele der in diesem Band zusammengeführten Beiträge auch darin, dass sie am Schluss auf die praktische Dimension von Heiligkeit in heutigen Kirchen und Gemeinden zu sprechen kommen.70

1.2.6

M. VAHRENHORST: Kultische Sprache in den Paulusbriefen (2008)

M. VAHRENHORST fragt in seiner Habilitationsschrift „nach Elementen kultischen Denkens in den paulinischen Briefen“71 mit dem Ziel, „ihre Funktion in der Kommunikation zwischen dem pharisäischen Juden Paulus und seinen vorwiegend nichtjüdischen Adressaten zu verstehen“72. Dafür untersucht er in chronologischer Reihenfolge jene paulinischen Texte, „die Heiligkeits- bzw. Reinheitsterminologie oder andere Begriffe und Vorstellungen aus dem Bereich des Kultes aufweisen“ 73. Vahrenhorst kommt zu dem Ergebnis, dass Paulus gezielt kultische Terminologie gebraucht, weil –––––––––––––– 64

65 66 67 68 69 70 71 72 73

Eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Beiträgen dieses Sammelbandes erfolgt an den entsprechenden Stellen im Hauptteil der Arbeit. Hier soll nur die Gesamtausrichtung des Buches dargestellt werden. Brower/Johnson, Introduction, xviii. Ebd. Ebd., xix. Vgl. ebd., xx–xxi. Ebd., xxii (Hervorhebung im Original). Vgl. z.B. Gorman, „You Shall Be…“, 163–166; Winter, Carnal Conduct, 198–200; Johnson, Sanctification, 290–292. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 1. Ebd. Ebd., 4.

Forschungsüberblick

13

„die mit der Welt des Kultes verbundenen Vorstellungen sich in besonderer Weise als Basis für die Kommunikation des paulinischen Evangeliums eigneten. Auf diesem Feld konnte eine Begegnung zwischen Paulus und seinen nichtjüdischen Adressaten leicht möglich sein. Paulus konnte ganz aus dem Kontext des zeitgenössischen Judentums heraus denken und schreiben, und seine Botschaft konnte auch von Menschen verstanden werden, die mit den Grunddaten der jüdischen Tradition nicht vertraut waren.“74

Für den vorliegenden Zusammenhang ist die Arbeit von Vahrenhorst deshalb von Interesse, weil er nicht nur Begriffe wie ‚Tempel‘ oder ‚Opfer‘ zur kultischen Sprache zählt, sondern auch die Begriffsfelder ‚heilig/profan‘ und ‚rein/unrein‘75 und davon ausgehend auch die Bezeichnung οἱ ἅγιοι, die sich nach Vahrenhorst ebenfalls hervorragend für die Kommunikation zwischen dem jüdischen Paulus und seinen nichtjüdischen Adressaten eignet: „Wenn Paulus also Christen als Heilige […] beschreibt, dann konnte er davon ausgehen, dass seine Adressaten verstehen, dass damit ein Besitzbzw. Herrschaftswechsel gemeint ist, dass es darum geht, Menschen ganz real auf die Seite Gottes zu stellen, sie zu seinem Eigentum zu machen.“76

Der grundsätzliche Gedanke, dass es im Bereich der kultischen Terminologie Überschneidungen zwischen dem Judentum und den griechischen Kulten gibt und daher in diesem Bereich eine Verständigung zwischen Paulus und den hellenistischen Gemeinden möglich war, ist durchaus einleuchtend. Nicht überzeugend ist dagegen die unbegründet vorgenommene Zuordnung des Adjektivs ‚heilig‘ bzw. anderen Wörtern desselben Wortstammes und vor allem der Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι zur kultischen Sprache. Paulus hat die Bezeichnung ‚die Heiligen‘ mit Sicherheit nicht verwendet, um gezielt kultische Sprache zum besseren Verständnis seiner Briefe bei den nichtjüdischen Adressaten einzusetzen. Die vorliegende Arbeit wird zeigen, dass hinter dieser Gruppenbezeichnung eine ganz andere Tradition steht und dass Paulus mit der Bezeichnung der Christen als Heilige nicht auf den Kult referiert.77

–––––––––––––– 74 75 76 77

Ebd., 112f. Vgl. ebd., 2. Ebd., 8. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Position Vahrenhorsts erfolgt in Kapitel 7.1, S. 186ff.

14

Einleitung

1.2.7 E. D. SCHMIDT: Heilig ins Eschaton. Heiligung und Heiligkeit als eschatologische Konzeption im 1. Thessalonicherbrief (2010) Die im Jahr 2010 veröffentlichte Dissertation von E. D. SCHMIDT ist ausschließlich der paulinischen Rede von Heiligung und Heiligkeit im 1Thess gewidmet. Zentraler Untersuchungsgegenstand ist der Abschnitt 1Thess 4,3–8. Schmidt verfolgt das Ziel, das Verhältnis von Heiligung und Paränese in diesem Abschnitt neu zu bestimmen.78 Nach einem ausführlichen und sehr sorgfältigen Forschungsüberblick (Kapitel 1)79 thematisiert Schmidt zunächst die Stellung von 1Thess 4,1–8 innerhalb des Gesamtbriefes (Kapitel 2).80 Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis: „Die Weisung zum Wandeln nach Gottes Gefallen (4,1) sowie Gottes Wille zur Heiligung (4,3) führen anhand praktischer Beispiele das Leben der Heilsgemeinschaft motiviert durch den Blick aufs Eschaton aus.“81

Es folgt eine sehr detaillierte Exegese des Abschnitts 4,3–8, die Schmidt zu dem Ergebnis bringt, dass Heiligung im 1Thess „kein ethisches Ziel“82 ist, sondern vielmehr „vorethische[n] Charakter“ 83 hat. Grundlegend für dieses Resultat ist nicht zuletzt seine Deutung des τοῦτο in 1Thess 4,384, die schlussendlich in folgender Paraphrasierung dieses Verses mündet: „In Anbetracht der früheren Lehre, die wir vermittelt und ihr empfangen habt, ist der Wille Gottes – der ja in eurer Heiligung zum Ausdruck kommt! –, dass ihr euch enthaltet…“85. Zwar behauptet Schmidt, dass es „fast Geschmackssache“86 sei, wie man 1Thess 4,3 lese, tatsächlich aber baut seine Argumentation nicht zuletzt auf dieser – aus meiner Sicht mehr als fragwürdigen – Lesart des Verses auf.87

–––––––––––––– 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87

Vgl. Schmidt, Heilig, 15. Vgl. ebd., 18–101. Vgl. ebd., 102–210. Ebd., 209. Ebd., 322. Ebd., 323. S.u. S. 120f. Schmidt, Heilig, 237. Ebd., 239. In Abschnitt 3.2.5 zieht Schmidt allein aus dieser Lesart von 1Thess 4,3 die Konsequenz, dass ἁγιασμός ein vorethischer Begriff sei (vgl. Schmidt, Heilig, 248). Dies wiederum zieht er in Abschnitt 3.3.2 als Argument für seine Interpretation von ἁγιασμός in 4,4 heran (vgl. ebd., 279: „Kausale Lesart von ἐν würde damit auf ein Verständnis von ἁγιασμός hinzielen, das besser zu dem bereits besprochenen vorethischen in 1Thess 4,3 passt“).

Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit

15

In Kapitel 4 untersucht Schmidt schließlich noch die weiteren Belege des Stammes ἁγι- im 1Thess.88 Für den gesamten Brief kann er abschließend ein konsequentes Heiligungs- und Heiligkeitskonzept feststellen.89 Wesentlich ist dabei die Unterscheidung von Heiligung und Heiligkeit sowie das Ergebnis, dass letztere im 1Thess ein „Begriff göttlich-eschatologischer Vollendung [ist], eine Qualität, die nur dem göttlichen Raum zukommt“90. Der entscheidende Wert der Arbeit von Schmidt liegt in der Konzentrierung auf den 1Thess und in dem Resultat, dass dieser älteste paulinische Brief ein eigenes Heiligkeitskonzept hat. Die vorliegende Arbeit wird dieses Ergebnis – trotz Differenzen in exegetischen Detailfragen – im Großen und Ganzen bestätigen und durch einen Vergleich mit der paulinischen Rede von Heiligkeit im 1Kor weiterführen.

1.3

Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit

Das Alleinstellungsmerkmal der vorliegenden Arbeit im Vergleich zu den meisten der im vorhergehenden Forschungsüberblick vorgestellten Studien – Ausnahme ist allein der Aufsatz von W. Wiefel – liegt in der Fokussierung auf den Ausdruck οἱ ἅγιοι. Ziel ist eine umfassende Darstellung des paulinischen Gebrauchs dieser Bezeichnung sowie eine Analyse des paulinischen Verständnisses von Heiligkeit. Bevor jedoch die Verwendung der Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen näher in den Blick genommen werden kann, soll zunächst das semantische Profil dieses Ausdrucks zur Zeit und im kulturellen Umfeld des Paulus ermittelt werden. Das semantische Profil eines Ausdrucks ist die Anordnung seiner semantischen Merkmale.91 Jedes Wort hat verschiedene Bedeutungskomponenten, die sogenannten semantischen Merkmale92, die sich aus dem Gebrauch des Wortes in verschiedenen Zusammenhängen erge-

–––––––––––––– 88 89 90 91

92

Vgl. Schmidt, Heilig, 326–394. Vgl. ebd., 395. Ebd. In der linguistischen Literatur wird ein semantisches Merkmal auch ‚Sem‘ genannt (vgl. z.B. Pelz, Linguistik, 193ff). Ich gebrauche hier die Begriffe ‚semantisches Merkmal‘ und ‚Bedeutungskomponente‘ synonym. Vgl. Lutzeier, Wort, 57: „Standardauffassung ist, daß die Bedeutung eines Wortes in Komponenten oder Merkmale zerlegt werden kann.“ Lutzeier selbst steht dieser Auffassung allerdings kritisch gegenüber (vgl. ebd. 57ff).

16

Einleitung

ben.93 Man spricht dann auch von semantischen Feldern und meint damit „regelmäßig wiederkehrende Wortverbindungen“94. Abhängig davon, in welchem semantischen Feld ein Ausdruck steht, wird mal die eine und mal die andere Bedeutungskomponente hervorgehoben. Bei der Aufstellung eines semantischen Profils kann es allerdings nicht darum gehen, tatsächlich alle semantischen Merkmale des entsprechenden Ausdrucks zu finden.95 Vielmehr soll das Ziel sein, die relevanten Bedeutungskomponenten zu ermitteln, um ein umfassendes Bild des entsprechenden Begriffs zu erhalten. Im vorliegenden Zusammenhang geht es konkret darum, zu erfassen und nachzuvollziehen, welche inhaltlichen Aspekte Paulus mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι möglicherweise verbunden hat.96 Es sollen also nicht die semantischen Merkmale der Bezeichnung ‚Heilige‘ in heutiger Zeit, sondern die Bedeutungskomponenten von ‚heilig‘ zur Zeit des Paulus ermittelt werden. Als Quellen zur Erstellung dieses semantischen Profils dienen Schriften, bei denen davon auszugehen ist, dass sie entweder Einfluss auf die paulinische Sprache und Theologie nahmen oder aber den zur Zeit des Paulus geläufigen Sprachgebrauch widerspiegeln. Dies sind für den Juden Paulus vornehmlich Schriften aus dem jüdischen Traditionsbereich. Allen voran ist hier natürlich die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, zu nennen, die Paulus bestens vertraut war und die seine Sprache entscheidend geprägt hat.97 Daneben wird auch die übrige jüdische Literatur aus hellenistisch-römischer Zeit in die Untersuchung einbezogen. Auch wenn Paulus diese Schriften im Einzelnen vielleicht nicht bekannt waren, sind sie doch als Zeugnisse für den Sprachgebrauch von ἅγιος zur Zeit des Zweiten Tempels unabdingbar. Innerhalb der jüdischen Literatur sind vor allem auch die nicht-biblischen Texte aus den Qumranhöhlen interessant. Dabei ist keinesfalls von einer direkten Einflussnahme der Qumranschriften auf das frühe Christentum und Paulus auszugehen. Vielmehr liegt mit der Gemeinde in Qumran ein Beispiel für eine Gruppe vor, die –––––––––––––– 93 94 95 96

97

Vgl. Berger, Exegese, 137: „Bedeutungen entstehen nur aus dem Gebrauch, der der Praxis einer Sprach- und Handlungsgemeinschaft zugrundeliegt.“ Ebd., 138. Es ist ohnehin fraglich, ob dies möglich ist. Vgl. dazu Müller, Mitte, 182. Vgl. Steck, Exegese, 126 (Hervorhebung im Original): „Man könnte von einer Aura des in der Formulierung unausgeführt Mitschwingenden sprechen, das der Exeget viel späterer Zeit erst erfragen und bestimmen muß, wenn er am ursprünglichen Verstehen eines Textes teilhaben will.“ Vgl. Reiser, Sprache, 71 (Hervorhebung im Original): „In der Semantik und Phraseologie ist die paulinische Sprache tief geprägt von der Septuaginta, die er [Paulus; M. B.] weithin auswendig gekannt haben muß.“ Vgl. auch Hengel, Der vorchristliche Paulus, 232–237; Stettler, Heiligung, 55.

Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit

17

sich auf Grundlage derselben Wurzeln konstituiert hat wie die ersten christlichen Gemeinden.98 Für die Erstellung des semantischen Profils unberücksichtigt gelassen ist zum einen die rabbinische, zum anderen die pagane Literatur. Für diese Entscheidung lassen sich folgende Gründe anführen: Eine konkrete Einflussnahme der im Vergleich zu den paulinischen Briefen größtenteils sehr viel jüngeren rabbinischen Schriften auf das frühe Christentum und Paulus ist nur schwer auszumachen.99 Aufgrund der größeren zeitlichen Nähe zu den neutestamentlichen Texten bzw. der Tatsache, dass sie in der Regel sogar älter als die neutestamentlichen Texte sind, sind die sogenannten Apokryphen und Pseudepigraphen sowie die Funde aus Qumran für den vorliegenden Zusammenhang von höherem Interesse.100 Auch im Vergleich mit paganen Schriften gilt, dass Texte aus dem alttestamentlichjüdischen Traditionsbereich nachweislich stärkeren Einfluss auf Paulus und seine Sprache hatten. Für die Nichtbehandlung dieser Schriften in der vorliegenden Arbeit ist jedoch letztlich ausschlaggebend, dass das Adjektiv ἅγιος außerhalb des alttestamentlich-jüdischen Traditionsbereichs niemals auf Menschen bezogen wird.101 Die paganen Texte liefern also für den vorliegenden Zusammenhang kein Untersuchungsmaterial.

Die exegetische Arbeit besteht nun darin, herauszufinden, in welchen semantischen Feldern das Adjektiv ἅγιος in den aufgeführten Texten –––––––––––––– 98

Vgl. Keck, Poor/Qumran, 78: „Qumran is neither the father nor the twin of the Jerusalem church; rather, the earliest church and the covenanters are siblings from the same parent, Judaism, and are nurtured by the same Bible.“ Vgl. dazu auch Brooke, Dead Sea Scrolls. 99 Vgl. Elliott, Survivors, 3: „It has for some time been suspected that the rabbinic literature, while very important for Judaism historically, has a relatively late provenance and context when compared to this other Jewish literature, perhaps in many respects too late – and thus too historically and ideologically distant – for satisfactory comparison with the New Testament.“ Zum Verhältnis von Rabbinischer Literatur und Neuem Testament vgl. jüngst Holtz, Rabbinische Literatur. 100 Vgl. Elliott, Survivors, 3: „It is thus in marked contrast to the Pseudepigrapha and the Dead Sea Scrolls, which can all be dated to what is rightly called the formative period of Christianity, the ‘late Second Temple period’ – approximately 200 b.c. to a.d. 100. If these writings are not contemporary with the New Testament per se, they are at least chronologically antecedent, unlike the rabbinic writings.“ – Für die Frage nach personaler Heiligkeit in den rabbinischen Texten vgl. Goldberg, Der Heilige und Harrington, Holiness. 101 Vgl. Kuhn/Procksch, ἅγιος, 88 (Hervorhebung im Original): „Niemals dagegen erscheint ἅγιος im reinen Griechisch in Anwendung auf Menschen, die mit dem Kultus in Verbindung stehen“. Vgl. auch Williger, Hagios, 83: „Vor allem ist das Wort nie […] auf den Menschen angewandt worden, um eine religiöse Eigenschaft, etwa Reinheit oder Frömmigkeit zu bezeichnen.“ So auch schon Issel, Begriff der Heiligkeit, 30. – Für Beispiele für den Gebrauch von ἅγιος in paganen Texten vgl. Williger, Hagios, 72–84. Vgl. außerdem Asting, Heiligkeit, 13–17.

18

Einleitung

steht, um so die Bedeutungskomponenten ermitteln und damit ein semantisches Profil erstellen zu können (Kapitel 2).102 Im Anschluss an ein kurzes Kapitel zur Jerusalemer Urgemeinde (Kapitel 3), in dem die christlichen Anfänge der Bezeichnung ‚Heilige‘ beleuchtet werden sollen, können schließlich die paulinischen Briefe in den Blick genommen werden: Kapitel 4 bietet einen ersten Überblick über die paulinische Verwendung des Ausdrucks οἱ ἅγιοι. In diesem Kapitel werden zum einen der Begriffsumfang und zum anderen der Begriffsinhalt von οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen ermittelt. Dabei umfasst der Umfang (oder auch die Extension) eines Begriffs die Menge aller Personen oder Gegenstände, die mit diesem Begriff bezeichnet werden können. Sein Begriffsinhalt (oder auch die Intension) ist die Menge der Attribute oder Eigenschaften, die ihn charakterisieren.103 Kapitel 5 und 6 konzentrieren sich dann jeweils auf einen der paulinischen Briefe. In Kapitel 5 werden die relevanten Texte des 1Thess und in Kapitel 6 die entscheidenden Passagen des 1Kor untersucht. Die Wahl gerade dieser beiden Paulusbriefe ergibt sich aus der Tatsache, dass dies die beiden einzigen Briefe sind, in denen über die Verwendung der Bezeichnung οἱ ἅγιοι hinaus die Heiligkeit der Christen explizit thematisiert wird. Die zentralen Texte dabei sind 1Thess 4,3–8 und 1Kor 6,1–11. Die methodische Entscheidung, diese beiden Abschnitte zunächst einmal in ihrem jeweiligen Briefkontext zu untersuchen, ermöglicht es, die Besonderheiten der einzelnen Briefe im Hinblick auf die Rede von der christlichen Heiligkeit herauszuarbeiten. In der Tat werden die Untersuchungen zeigen, dass Paulus im 1Kor anders von Heiligkeit spricht als noch im 1Thess. Darüber hinaus werden die Ergebnisse beider Kapitel noch etwas zur Erfassung des Begriffsinhalts der Bezeichnung οἱ ἅγιοι bei Paulus beitragen können. Eine systematische Betrachtung der paulinischen Rede von christlicher Heiligkeit erfolgt dann in Kapitel 7. Die dort zu behandelnden Fragestellungen ergeben sich nicht zuletzt aus der Auseinandersetzung mit Ergebnissen der exegetischen Forschung zu diesem Thema. Außerdem dient Kapitel 7 der Zusammenfassung und Sicherung der zentralen Ergebnisse. Kapitel 8 bietet schließlich einen Ausblick auf die Verwendung der Bezeichnung ‚Heilige‘ in nachpaulinischer und nachneutestamentlicher Zeit, der vor allem durch die Beobachtung motiviert ist, dass sich der Begriffsumfang der Bezeichnung ‚Heilige‘ in der Kirchengeschichte schon verhältnismäßig früh verändert. Dieser Wandlung soll in Kapitel –––––––––––––– 102 Vgl. dazu Berger, Exegese, 137–159. 103 Vgl. dazu die Artikel ‚Extension‘ und ‚Intension‘ bei Lewandowski, Wörterbuch.

Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit

19

8 nachgegangen werden. Dabei wird auch die Entstehungsgeschichte der Wendung ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ aus dem Glaubensbekenntnis eine Rolle spielen. Abschließend soll ein Blick auf das heutige Verständnis der ‚Heiligen‘ in der evangelischen und katholischen Kirche sowie auf den aktuellen ökumenischen Dialog unter der Überschrift ‚Communio Sanctorum‘ geworfen werden.

2

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

In diesem Kapitel soll die Anwendung der Bezeichnung ‚Heilige‘ auf Menschen im alttestamentlich-jüdischen Traditionsbereich untersucht werden. Ziel ist es, das semantische Profil der Bezeichnung οἱ ἅγιοι zu ermitteln und damit die Grundlage für die paulinische Verwendung dieses Begriffs zu rekonstruieren. Wesentlicher Untersuchungsgegenstand ist das Alte Testament. Für die vorliegende Untersuchung ist dabei relevant, wie die alttestamentlichen Texte, die von ‚Heiligen‘ sprechen, zur Zeit des Paulus gelesen wurden. Dementsprechend soll vor allem die Septuaginta untersucht werden (Abschnitt 2.1). Das Adjektiv ἅγιος ist in der Septuaginta über 800 Mal belegt. Als Hintergrund für die Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι werden jedoch ausschließlich diejenigen Textstellen herangezogen, in denen sich ἅγιος auf Einzelpersonen bzw. Personengruppen bezieht. Außerdem werden diejenigen Texte berücksichtigt, in denen himmlische Wesen mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ bezeichnet werden. In Abschnitt 2.2 soll ein Überblick über den Begriff ‚Heilige‘ in weiteren jüdischen Texten aus der Zeit des Zweiten Tempels gegeben werden. Auch hier werden ausschließlich die Texte vorgestellt, die Bezug auf Menschen oder himmlische Wesen nehmen. Dasselbe gilt insbesondere für die Schriften aus den Qumranhöhlen, denen ein eigener Abschnitt gewidmet ist (2.3). Abschnitt 2.4 fasst schließlich die für den jüdischen Traditionsbereich gewonnenen Ergebnisse zur Rede von personaler Heiligkeit zusammen und ermittelt die Bedeutungskomponenten des semantischen Profils der Bezeichnung οἱ ἅγιοι.

2.1

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im Alten Testament

Altes Testament Untersuchungsgrundlage dieses Abschnitts sind diejenigen Schriften der Septuaginta, die auch zum hebräischen Alten Testament gehören. Ausgehend von der Frage, auf wen sich die Bezeichnung ἅγιοι bezieht bzw. wer in den jeweiligen Texten mit Heiligkeit in Verbindung gebracht wird, lassen sich fünf verschiedene Gruppen unterscheiden. Diese sollen im Folgenden vorgestellt werden: Zunächst einmal fällt eine Reihe von Stellen auf, an denen mit den so genannten ἅγιοι keine

Altes Testament

21

Menschen, sondern himmlische Wesen gemeint sind (Abschnitt 2.1.1). Dann gibt es Stellen, an denen das Volk Israel als Ganzes heilig genannt wird (Abschnitt 2.1.2). Innerhalb des Volkes Israel sind die Priester nochmal in einer besonderen Weise Heilige (Abschnitt 2.1.3). Schließlich existieren einige weitere Stellen, an denen einzelne Personen (Abschnitt 2.1.4) oder eine Personengruppe mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ benannt werden (Abschnitt 2.1.5). In Abschnitt 2.1.6 werden die gewonnenen Ergebnisse zusammengefasst.

2.1.1

Himmlische Wesen als Heilige

Ausgehend von der biblischen Reihenfolge begegnet die konkrete Bezeichnung ἅγιοι in der Septuaginta erstmals in Ex 15,11: τίς ὅμοιός σοι ἐν θεοῖς, κύριε; τίς ὅμοιός σοι δεδοξασμένος ἐν ἁγίοις, …; Wer gleicht dir unter Göttern, Herr? Wer gleicht dir verherrlicht unter Heiligen, …? Der griechische Text der Septuaginta weicht in der zweiten Hälfte des Verses entscheidend vom hebräischen Text ab. Dieser lautet: ... ‫י־כמ ָֹכה ָבּ ֵא ִלם יְ הוָ ה ִמי ָכּמ ָֹכה נֶ ְא ָדּר ַבּקּ ֶֹדשׁ‬ ָ ‫ִמ‬ Wer gleicht dir unter Göttern, Herr? Wer gleicht dir, herrlich in Heiligkeit, … Inhaltlich geht es in diesem Vers aus dem sogenannten Meerlied (Ex 15,1–21) um die Unvergleichbarkeit Gottes. Der zweite Satz in der Septuaginta ist gegenüber dem hebräischen Text stärker an den ersten angeglichen: ἐν θεοῖς und ἐν ἁγίοις stehen parallel und bezeichnen dieselbe Gruppe von Kreaturen, und zwar himmlische Wesen, mit denen Jahwe hier – zumindest syntaktisch – verglichen wird. Auch in Ps 88,6–9LXX sind die Heiligen himmlische Wesen: 6 Die Himmel (οἱ οὐρανοί) werden deine Wundertaten preisen, Herr, und deine Wahrheit in der Versammlung der Heiligen (ἐν ἐκκλησίᾳ ἁγίων). 7 Denn wer in den Wolken (ἐν νεφέλαις) kann dem Herrn gleichgemacht werden und wer kann mit dem Herrn verglichen werden unter den Söhnen Gottes (ἐν υἱοῖς θεοῦ)? 8 Gott wird verherrlicht im Rat der Heiligen (ἐν βουλῇ ἁγίων), groß und furchtbar über alle rings um ihn herum. 9 Herr, Gott der Mächte, wer ist dir gleich? Mächtig bist du, Herr, und deine Wahrheit ist rings um dich herum.

22

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Wie in Ex 15,11 geht es um die Unvergleichbarkeit Gottes. 1 Die Fragen in V. 7 und V. 9 sind rhetorisch zu verstehen: Keiner im Himmel ist vergleichbar mit Gott. Insgesamt sind diese Verse von Himmelsvokabular durchdrungen (vgl. z.B. οὐρανοί oder νεφέλαι). Die Gruppe der ἅγιοι in V. 6 und V. 8 kann im Sinne eines göttlichen Hofstaates verstanden werden. Besonders in V. 8 wird deutlich, dass die Heiligen Gott eindeutig untergeordnet sind. Damit ergibt sich eine Bedeutungsverschiebung im Unterschied zu Ex 15,11, wo Gott – wenn auch nur in einer rhetorischen Frage – direkt mit den Heiligen verglichen wird.2 Die aus Ps 88,8LXX bekannte Wendung βουλὴ ἁγίων („Rat der Heiligen“) begegnet wieder in Spr 9,10: ἀρχὴ σοφίας, φόβος κυρίου, καὶ βουλὴ ἁγίων σύνεσις. Die Bedeutung ist an dieser Stelle jedoch sehr viel unsicherer als in Ps 88,8LXX. Laut J. BECKER verbergen sich hinter der Bezeichnung ἁγίων hier wie auch in Spr 30,3 (θεὸς δεδίδαχέν με σοφίαν, καὶ γνῶσιν ἁγίων ἔγνωκα.) himmlische Wesen3, während der zugrundeliegende hebräische Ausdruck ‫ ְקד ִֹשׁים‬an beiden Stellen als „pluralische, elativische Gottesbezeichnung in Analogie zu ’älohîm“4 zu verstehen ist. Die himmlischen Wesen, die mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ bezeichnet werden, sind Gott eindeutig als seine Boten oder Begleiter untergeordnet. So kann das Adjektiv ἅγιος in Hi 5,1 auch eine attributive Ergänzung zum Subjekt ἄγγελος sein: ἐπικάλεσαι δέ, εἴ τίς σοι ὑπακούσεται, ἢ εἴ τινα ἀγγέλων ἁγίων ὄψῃ. Der hebräische Ausgangstext spricht an entsprechender Stelle nur von „Heiligen“ (‫)קד ִֹשׁים‬. ְ Die griechische Übersetzung hat also eine Präzisierung und damit eine Interpretation vorgenommen, indem sie konkret von „heiligen Boten“ spricht.5 In Hi 15,15 ist ἅγιος substantivisch gebraucht: εἰ κατὰ ἁγίων οὐ πιστεύει, οὐρανὸς δὲ οὐ καθαρὸς ἐναντίον αὐτοῦ. Der Zusammenhang und die Parallelsetzung mit οὐρανός in der zweiten Satzhälf-

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Auffällig sind neben den inhaltlichen auch die sprachlichen Übereinstimmungen zwischen Ex 15,11 und Ps 89,6–9. Vgl. dazu Brenner, Song, 115–116, besonders die Übersicht auf S. 116. Himmelsvokabular weist auch der Schluss von Ps 68 auf. In V. 36 heißt es in der Septuaginta (Ps 67LXX): θαυμαστὸς ὁ θεὸς ἐν τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ. Analog zum hebräischen Text ( ‫)מ ִמּ ְק ָדּ ֶשׁי‬ ִ könnte ἐν τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ hier „in seinen Heiligtümern“ heißen. Denkbar wäre jedoch auch eine Übersetzung mit „bei seinen Heiligen“ (vgl. Septuaginta Deutsch zur Stelle). Dann wären die ‚Heiligen‘ hier himmlische Wesen. Dasselbe gilt für Ps 21,4LXX. Vgl. Becker, Gottesfurcht, 221. Vgl. auch Noth, Die Heiligen, 276f mit Anm. 9. Becker, Gottesfurcht, 220. Vgl. auch Hi 36,14 und dazu Stark, Kultprostitution, 109–114.

Altes Testament

23

te sprechen dafür, dass mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ himmlische Wesen bezeichnet sind.6 An drei Stellen im Alten Testament werden Gottes Begleiter bei seinem Kommen auf die Erde als ‚Heilige‘ charakterisiert. Unstrittig ist dies in Sach 14,5b der Fall: … καὶ ἥξει κύριος ὁ θεός μου καὶ πάντες οἱ ἅγιοι μετ᾿ αὐτοῦ. Sach 14 beinhaltet einen Bericht vom sogenannten ‚Tag des Herrn‘. Die Heiligen sind himmlische Wesen, die mit Gott am ‚Tag des Herrn‘ zusammen vom Himmel auf die Erde kommen. Auch in Jes 13 spielt der ‚Tag des Herrn‘ eine Rolle (vgl. V. 6). In V. 3 ist von „Geheiligten“ (ἡγιασμένοι) die Rede. Damit sind ebenfalls himmlische Wesen im Sinne göttlicher Helfer gemeint. Textkritisch sehr unsicher ist Dtn 33,3. Aus dem Zusammenhang heraus zu entscheiden, wer die „Geheiligten unter Gottes Händen“ (οἱ ἡγιασμένοι ὑπὸ τὰς χεῖράς σου) sind, ist nahezu unmöglich. Die Tatsache, dass in V. 2–4.26–29 eine Theophanie geschildert wird, spricht jedoch dafür, die „Geheiligten“ auch hier als himmlische Wesen zu verstehen.7 Von einem einzelnen himmlischen Heiligen ist schließlich in Dan 8,13 die Rede: καὶ ἤκουον ἑτέρου ἁγίου λαλοῦντος … Dass an dieser Stelle ein himmlisches Wesen gemeint ist, erschließt sich aus Dan 4,10.20, wo im hebräischen Text ebenfalls von einem einzelnen Heiligen die Rede ist, der vom Himmel herabsteigt. Im Alten Testament finden sich somit einige Stellen, an denen himmlische Wesen mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ bezeichnet werden. Die Heiligen sind Gott dabei in der Regel untergeordnet und agieren als seine Boten oder Begleiter. Eine Ausnahme bildet Ex 15,11, wo Jahwe mit Heiligen verglichen wird. Die Heiligen sind hier eher im Sinne von anderen göttlichen Wesen zu verstehen, die Jahwe aber dennoch unterbzw. nachgeordnet sind.8 Im Folgenden werden nun diejenigen alttestamentlichen Stellen besprochen, an denen nicht himmlische Wesen, sondern Menschen in irgendeiner Weise als heilig bezeichnet werden.

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8

So auch Noth, Die Heiligen, 276. Vgl. Mowinckel, Psalm 16, Anm. 11, 651f: „Auch in Dtn. 33:3 hat ‚seine (Jahwes) Heilige‘ denselben Sinn; es handelt sich um die himmlischen Wesen, die Jahwe umgeben, wenn er zur Bundesschließung und Gesetzgebung kommt.“ Vgl. auch Noth, Die Heiligen, 277. Vgl. Baudissin, Studien, 125 zur alttestamentlichen Rede von den Heiligen: „Sie werden deshalb ‚Heilige‘ heissen entweder als erhabene, übermenschliche Wesen oder auch als Jahwe zugeeignete, seinem Dienst geweihte. […] Es wird darnach ‫ָקדוֹשׁ‬ die Engel ebenso wie zunächst Gott bezeichnen als himmlisch, ausgesondert von der Erdwelt, über welcher sie in der Höhe bei Gott wohnen.“

24

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

2.1.2

Das heilige Volk

Von den alttestamentlichen Stellen, an denen Menschen heilig genannt werden, zählt die folgende Wendung aus dem Buch Leviticus sicherlich zu den bekanntesten: ἅγιοι ἔσεσθε, ὅτι ἐγὼ ἅγιος, κύριος ὁ θεὸς ὑμῶν. Seid heilig, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott. Sie wird in der Regel – wie auch hier – aus Lev 19,2 zitiert, begegnet aber in teilweise leicht abgewandelter Form auch in Lev 11,44f; 20,7.26; 21,8; vgl. auch Ex 22,309 und Num 15,40. Abgesehen von Lev 21,8, wo allein die Priester angesprochen sind10, ergeht die Forderung ἅγιοι ἔσεσθε stets an das gesamte Volk Israel (vgl. Lev 19,2a; aber auch Lev 11,2; 20,2; Num 15,38).11 Was aber ist damit gemeint, heilig bzw. Heilige12 zu sein? Worin äußert sich ‚heilig sein‘? Eine Gesamtbetrachtung des Kapitels Lev 19 kann diesbezüglich Antworten geben. In Lev 19 reihen sich in einzigartiger Vielfalt13 verschiedenste Geund Verbote14 aneinander, die sich auf unterschiedliche Lebensbereiche beziehen. Darunter finden sich Gebote aus dem Dekalog (V. 3f.11f), das Gebot der Nächstenliebe (V. 18), aber auch Opfer- (V. 5–8) und Speisegebote (V. 26). Eingerahmt wird dieser „Katechismus“15 von der Überschrift in V. 2 und der abschließenden, alle genannten Gebote umfassenden Forderung in V. 37.16 Die einzelnen Ge- und Verbote werden –––––––––––––– 9

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Ex 22,30 unterscheidet sich insofern von den anderen hier genannten Textstellen, als dort das Wort ἅγιοι adjektivisch als Ergänzung zu ἄνδρες gebraucht wird (vgl. Anm. 12). Außerdem fehlt – wie auch in Num 15,40 – die Begründung mit dem Verweis auf die Heiligkeit Gottes und die Selbstvorstellungsformel. Vgl. dazu Abschnitt 2.1.3, S. 31ff. Schmidt, Glaube, 218 bemerkt: „Vielleicht ist dieser Satz […] nicht nur als Forderung, sondern zugleich als Feststellung gemeint: ‚Ihr seid heilig; denn ich bin heilig!‘“. In den deutschen Bibelausgaben wird das hebräische Wort ‫ ָקדוֹשׁ‬an dieser Stelle in der Regel adjektivisch mit ‚heilig‘ übersetzt. Im vorliegenden Zusammenhang ist jedoch außerordentlich interessant, dass in der Septuaginta mit ἅγιοι genau dasselbe Wort gebraucht wird wie in der zu untersuchenden neutestamentlichen Gruppenbezeichnung ‚die Heiligen‘. Daher sei hier auf die zumindest vom griechischen Text ausgehende mögliche substantivische Übersetzung „seid Heilige“ ausdrücklich hingewiesen. Vgl. Gerstenberger, Lev, 236. Milgrom, Leviticus, 212f. unterscheidet 18 verschiedene Gebotseinheiten. So Gerstenberger, Lev, 238–242. Nach Milgrom, Leviticus, 214 handelt es sich bei Lev 19 um „a new ‚Decalogue‘“. Vgl. Milgrom, Leviticus, 212.

Altes Testament

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mit V. 2 als Überschrift in den Kontext der Heiligkeit gestellt 17 und können so als Konkretisierungen der Heiligkeitsforderung verstanden werden. Die in Lev 19,2 formulierte Forderung ἅγιοι ἔσεσθε bzw. ‫ְקד ִ ֹ֣שׁים‬ ‫ ִתּ ְהיוּ‬ist dann erfüllt, wenn die im Folgenden genannten Gebote erfüllt werden.18 Bedenkt man nochmals die Vielfältigkeit der in Lev 19 aufgeführten Gebote und den zusammenfassenden Schlusssatz V. 37, der dazu auffordert, alle (πάντα bzw. ‫)כּל‬ ָ Ordnungen und Rechtsbestimmungen Gottes zu halten, so ergibt sich: Die Glieder des Volkes Israel sind dann Heilige, wenn sie sich in kultischen Angelegenheiten, aber eben auch in den rechtlichen und sozialen Begebenheiten des Alltags den Geboten Gottes gemäß verhalten.19 Begründet wird die Forderung, heilig bzw. Heilige zu sein, mit der Heiligkeit des Herrn selbst.20 Da Gott im Alten Testament darüber hinaus häufig als ‚Heiliger‘ bezeichnet wird, lohnt ein Exkurs zur Heiligkeit Gottes:

Exkurs: Gott als der Heilige im Alten Testament Aussagen über die Heiligkeit Gottes finden sich vornehmlich in den jüngeren Schriften des Alten Testaments. W. H. SCHMIDT geht davon aus, dass Israel die Gottesbezeichnung ‚Heiliger‘ von seiner kanaanäischen Umwelt übernommen hat.21 Als ältester Beleg für die Zuweisung des Attributs ‚heilig‘ an Jahwe gilt in der Regel 1Sam 6,20.22 Im hebräischen Text wird Jahwe hier als „heiliger Gott“ (‫ ) ָה ֱא ִהים ַה ָקּדוֹשׁ‬bezeichnet, die Septuaginta spricht einfach von dem „Heiligen“ (ὁ ἅγιος). Vornehmlich bei Jes findet sich die Bezeichnung ‚Heiliger Israels‘ (hebr. ‫ ְקדוֹשׁ ִי ְשׂ ָר ֵאל‬, griech. ὁ ἅγιος τοῦ Ἰσραήλ). Einigen wenigen Belegen im sonstigen Alten Testament (2Kön 19,22; Jer 50,29; 51,5; Ps 71,22; 78,41; 89,19) stehen mehr als 20 Belege im Jesajabuch gegenüber. Nach D. KELLERMANN geht diese

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20 21 22

Vgl. Zimmerli, Heiligkeit, 505. So auch Douglas, Reinheit, 73f. Vgl. Milgrom, Leviticus, 213: „Each of these eighteen units can be regarded as Israel’s directives for achieving holiness.“ Auch Gerstenberger, Lev, 256 sieht hinter der Heiligkeitsforderung in V. 2 den „übergeordneten Leitgedanken“. Vgl. auch ebd., 258. Vgl. Gerstenberger, Lev, 256–261. – Der hier anhand von Lev 19 aufgezeigte Zusammenhang zwischen der Forderung an das Volk Israel, heilig zu sein, und der Forderung, verschiedenste Gebote der Tora zu halten, gilt für alle Belegstellen. Auch in Ex 22; Lev 11; 20 und Num 15 steht die Heiligkeitsforderung im Kontext unterschiedlicher Ge- und Verbote aus allen Lebensbereichen. Vgl. auch Dtn 28,9. Nach J. Milgrom ist dies nicht nur die Begründung für die Forderung, heilig zu sein, sondern auch für alle anderen Gebote. Vgl. Milgrom, Leviticus, 178. Vgl. Schmidt, Glaube, 214; ausführlicher: ders., Aussage. Vgl. Kellermann, Heiligkeit, 698.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Formulierung auf Jesaja selbst zurück23, wohingegen Schmidt vermutet, dass sie „Jesaja vielleicht schon vorgegeben ist“24. Bei Jes selbst ist die Bezeichnung ‚Heiliger Israels‘ besonders häufig im Zusammenhang des Gerichtsgedankens belegt (vgl. z.B. Jes 5,19; 31,1); in den Kapiteln, die Deutero- bzw. Tritojesaja zugeordnet werden, wird die Heiligkeit Gottes dagegen mit Gottes Heilswillen verknüpft.25 So ist Gott als der ‚Heilige Israels‘ Israels Erlöser (z.B. 41,14; 43,14; 47,4) und Retter (43,3). Abgesehen von der Bezeichnung ‚Heiliger Israels‘ und einigen wenigen Belegen für die absolute Bezeichnung ‚der Heilige‘ (vgl. z.B. Hab 3,3; Jes 40,25), kennt das Alte Testament noch andere Wege, die Heiligkeit Gottes zum Ausdruck zu bringen. Vor allem im Ezechiel-Buch ist die Rede von Gottes heiligem Namen belegt (vgl. z.B. Ez 20,39; 36,20–24; 39,7 u.ö.). In den Psalmen wird abgesehen vom heiligen Namen Gottes (vgl. z.B. Ps 33,21; 99,3; 103,1) auch von seinem heiligen Weg (Ps 77,14), seinem heiligen Arm (Ps 98,1) oder seinem heiligen Wort (Ps 105,42) gesprochen. Ebenfalls verhältnismäßig häufig ist im Ezechielbuch die Wendung bezeugt, dass Jahwe sich als heilig erweist (hebr. ‫ קדשׁ‬im Niphal, griech. ἁγιάζειν im Passiv; vgl. z.B. Ez 20,41; 28,22.25). Schließlich sei auf den auch in die christliche Abendmahlsliturgie eingegangenen dreimaligen Heilig-Ruf aus Jes 6,3 hingewiesen: ‫ָקדוֹשׁ ָקדוֹשׁ ָקדוֹשׁ יְ הוָ ה ְצ ָבאוֹת‬ (LXX: ἅγιος ἅγιος ἅγιος κύριος σαβαωθ). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Attribut ‚heilig‘ im Alten Testament ganz selbstverständlich mit Jahwe verknüpft ist.

In der vorliegenden Stelle Lev 19,2 sagt Gott nicht nur von sich selbst, dass er heilig ist, sondern er präsentiert sich darüber hinaus mit der sogenannten Selbstvorstellungsformel: (‫ ֲא ִני יְ הוָ ה ) ֱא ֵה ֶיכם‬bzw. ἐγὼ (εἰμι) κύριος (ὁ θεὸς ὑμῶν).26 Für diese Selbstvorstellungsformel bzw. ihre Kurzform27 finden sich in Lev 19 – abgesehen von V. 2 – noch 15 weitere Belegstellen, an denen sie jeweils als Abschluss eines oder mehrerer Gebote fungiert.28 Dadurch wird die Korrelation zwischen der Heiligkeitsforderung und den sie konkretisierenden Einzelgeboten noch verstärkt, „denn die Namensnennung Gottes nach jedem eingearbeiteten Gebotsabschnitt ruft die Forderung von V. 2 ins Gedächtnis“29. Darüber hinaus kommt der Selbstvorstellungsformel in diesem Kontext eine weitere Funktion zu: Sie verknüpft die Forderung der –––––––––––––– 23 24 25 26 27

28 29

Vgl. ebd., 699. Schmidt, Glaube, 216. Vgl. dazu Kellermann, Heiligkeit, 699. Zur Selbstvorstellungsformel vgl. Zimmerli, Jahwe sowie Schmidt, Glaube, 78–82. Abgesehen von Lev 19,18.30 ist in der Septuaginta immer die Langform ἐγὼ (εἰμι) κύριος ὁ θεὸς ὑμῶν belegt, auch dort, wo im hebräischen Text nur ‫ ֲאנִ י יְ הוָ ה‬steht. Es kann davon ausgegangen werden, dass beide Formen die gleiche Aussage treffen wollen. Vgl. Zimmerli, Jahwe, 182. Vgl. ebd., 181. Gerstenberger, Lev, 256.

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Heiligkeit mit dem besonderen Verhältnis zwischen Israel und Jahwe, seinem Gott. Dies wird umso klarer, wenn man den sonstigen Gebrauch der im Alten Testament sehr häufigen Phrase betrachtet. Es ist eben jene Selbstvorstellungsformel, die den Dekalog einläutet (Ex 20,2 bzw. Dtn 5,6), der als „eine Art Grundsatzerklärung“ 30 zu den wichtigsten Texten bezüglich des Verhältnisses zwischen Israel und seinem Gott zählt. An die Wiedergabe der Selbstvorstellungsformel schließt sich zudem häufig die Bemerkung an, dass Jahwe sein Volk Israel aus Ägypten herausgeführt hat – „einer der elementarsten und der am häufigsten wiederholten Glaubenssätze im AT“ 31. Dies geschieht auch in Kontexten der Heiligkeitsforderung (vgl. Lev 11,44f; Num 15,40f, aber auch Lev 22,32f, vgl. auch Ps 114,1f). Auch in Lev 20,24.26 schließt sich an die Selbstvorstellungsformel eine Bemerkung zum rettenden Handeln Gottes an seinem Volk an. Dort wird Jahwe durch ὁ ἀφορίσας ὑμᾶς ἀπὸ πάντων τῶν ἐθνῶν εἶναι ἐμοί näher erläutert. Jahwe ist der, der Israel aus den anderen Nationen ausgesondert hat. Er hat Israel dazu erwählt, sein Volk zu sein.32 Damit bezeugen die hier genannten Texte einen engen Zusammenhang zwischen der Heiligkeit Israels und seinem Verhältnis zu Gott, das unter dem Stichwort ‚Erwählung‘ zusammengefasst werden kann. Als locus classicus der Erwählungstheologie gilt Dtn 7,6–833: 6 Denn ein heiliges Volk (λαὸς ἅγιος; MT: ‫)ﬠם ָקדוֹשׁ‬ ַ bist du dem Herrn, deinem Gott, und dich hat der Herr, dein Gott, sich erwählt (προαιρέω; MT: ‫)בחר‬, damit du ihm ein erlesenes Volk (λαὸς περιούσιος; MT: ‫ ) ַﬠם ְס ֻג ָלּה‬unter allen Nationen, die auf der Erde sind, bist. 7 Nicht weil ihr zahlreich seid unter allen Nationen, hat der Herr sich euch erwählt (προαιρέω; MT: ‫ )בחר‬und euch ausgesucht – ihr seid nämlich die wenigsten unter allen Nationen –, 8 sondern weil der Herr euch liebt und den Eid bewahrt, den er euren Vätern geschworen hat, hat der Herr euch herausgeführt mit starker Hand und erhobenem Arm, und aus dem Haus der Sklaven befreit, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.

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Schmidt, Glaube, 141. Auch in Lev 19 kommen Selbstvorstellungsformel und einzelne Gebote des Dekalogs zusammen. Zenger, Exodusüberlieferung, 1826. Der Hinweis auf Gottes Herausführung aus Ägypten steht u.a. auch im Anschluss an die Selbstvorstellungsformel zu Beginn des Dekalogs. Für weitere Ergänzungen der Selbstvorstellungsformel, die die Heilstaten Gottes an seinem Volk zum Ausdruck bringen, vgl. Zimmerli, Jahwe, 183. Vgl. Seybold, Erwählung, 1479. – Es folgt eine Übersetzung des Septuaginta-Textes. Die entscheidenden Begriffe und Wendungen sind jedoch in Klammern sowohl griechisch als auch hebräisch angegeben.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

In diesem Abschnitt bündeln sich entscheidende Begriffe, wie das hebräische Verb ‫( בחר‬V. 6.7; in LXX wiedergegeben durch προαιρέω), die Bezeichnung ‫( ַﬠם ְס ֻג ָלּה‬V. 6; LXX: λαὸς περιούσιος) und der Hinweis auf die Herausführung aus Ägypten (V. 8). Die Tatsache des Erwähltseins wird im direkten Zusammenhang mit der Heiligkeit des Volkes ausgesagt, und zwar in der Bezeichnung ‫( ַﬠם ָקדוֹשׁ‬LXX: λαὸς ἅγιος). Für den Ausdruck ‫ ַﬠם‬gilt: „The use of ‫ ַﬠם‬points to a more personal, subjective approach in the Deuteronomic language. ‫ ַﬠם‬denotes a discrete group of persons“34. Dies schlägt sich auch darin nieder, dass Israel als Volk im Singular angesprochen ist und demnach eine Einheit im Gegenüber zu den übrigen Völkern darstellt. Innerhalb des Dtn ist die Bezeichnung ‫ ַﬠם ָקדוֹשׁ‬bzw. λαὸς ἅγιος an vier weiteren Stellen bezeugt: 14,2.21; 26,19; 28,9.35 Dtn 7,6 und 14,2 sind nahezu identisch und auch im Kontext von 26,19 begegnet der Ausdruck ‫ ַﬠם ְס ֻג ָלּה‬bzw. λαὸς περιούσιος (V. 18). Darüber hinaus wird ausnahmslos an allen deuteronomischen Belegstellen für ‫ ַﬠם ָקדוֹשׁ‬bzw. λαὸς ἅγιος deutlich, dass Israel als heiliges Volk per definitionem zu Jahwe gehört, denn Israel ist heiliges Volk nur für den Herrn seinen Gott ( ‫ ַליהוָ ה ֱא ֶהי‬bzw. κυρίῳ τῷ θεῷ σου). Während in Lev 19 die Heiligkeitsforderung als Leitlinie über anderen Einzelgeboten steht, ist die im Buch Deuteronomium belegte Zusage an Israel, heiliges Volk zu sein, die Begründung für die Forderung nach Einhaltung verschiedenster Gebote. In Dtn 7,6; 14,2.21 steht die Aussage, dass Israel „heiliges Volk für Jahwe“ ist, inmitten von kultischen und sozialen Geboten, angeschlossen durch ein begründendes ‫ ִכּי‬bzw. ὅτι. Auch in Dtn 26,19; 28,9 stehen die Forderung nach Einhaltung von Gottes Geboten und die Heiligkeit Israels in engem Zusammenhang, auch wenn dort die Befolgung der Gebote die Voraussetzung dafür ist, dass Israel heiliges Volk ist (vgl. auch Ex 19,4–6, s.u.). Die Heiligkeit Israels kann also sowohl Begründung für die Einhaltung der Gebote sein (Dtn 7,6; 14,2.21) als auch deren Konsequenz (Dtn 26,19; 28,9; Ex 19,4–6). Oder aber die Heiligkeit ist als Leitlinie verschiedenster Gebote selbst gefordert (Lev 19,2 u.ö.). Immer aber steht die Heiligkeit Israels in engem Zusammenhang zur Forderung, die Gebote Gottes einzuhalten.36 –––––––––––––– 34 35

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Wells, People, 67. Außerhalb des Pentateuchs ist diese Bezeichnung mit z.T. leichten Abwandlungen im hebräischen oder griechischen Text belegt in Jes 30,19 (MT: ‫;)ﬠם ְבּ ִציּוֹן‬ ַ 62,12; Jes 63,18 (LXX: ὁ ἅγιος); Dan 8,24 (nur LXX[Theodotion Version], MT: ‫ם־קד ִֹשׁים‬ ְ ‫;)ﬠ‬ ַ 12,7 (LXX[Theodotion Version]: λαὸς ἡγιασμένος); Hos 12,1 (MT: ‫ם־קדוֹ ִשׁים‬ ְ ‫) ִﬠ‬. Vgl. dazu Kraus, Das heilige Volk, 38–46. Vgl. auch Wells, People, 95.

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Auf eine weitere Stelle innerhalb des Pentateuchs sei hingewiesen, die ebenfalls die Heiligkeit Israels thematisiert und zwar erneut im Kontext seiner Erwählung: Ex 19,4–6.37 4 Ihr habt selbst alles gesehen, was ich den Ägyptern getan habe, und ich habe euch in die Höhe genommen wie auf Adlerflügeln und euch zu mir hingeführt. 5 Und jetzt, wenn ihr meine Stimme wirklich hört und meinen Bund (διαθήκη; MT:‫)בּ ִרית‬ ְ bewahrt, sollt ihr mir ein erlesenes Volk (λαὸς περιούσιος; MT: ‫)ס ֻג ָלּה‬ ְ aus allen Nationen sein. Mein ist nämlich die ganze Erde. 6 ὑμεῖς δὲ ἔσεσθέ μοι βασίλειον ἱεράτευμα καὶ ἔθνος ἅγιον. … Auch hier wird in der Rede Jahwes auf den Exodus Bezug genommen (V. 4). Zudem sagt Jahwe seinem Volk zu, dass es sein Eigentum ist (V. 5: ‫;ס ֻג ָלּה‬ ְ LXX wie in Dtn 7,6 u.ö.: λαὸς περιούσιος). Der Beginn von V. 6 schließlich erinnert mit der Aufforderung, etwas zu sein (MT: ‫יוּ־לי‬ ִ ‫;תּ ְה‬ ִ LXX: ἔσεσθέ μοι), an Lev 19,2. Es folgen zwei parallele Bezeichnungen, die ausdrücken, was genau Israel sein soll: „ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation“ (MT: ‫;מ ְמ ֶל ֶכת כּ ֲֹה ִנים וְ גוֹי ָקדוֹשׁ‬ ַ LXX: βασίλειον ἱεράτευμα καὶ ἔθνος ἅγιον). Diese beiden Bezeichnungen sind als Parallelismus membrorum zu verstehen: ‚Königreich‘ und ‚Nation‘ sowie ‚von Priestern‘ und ‚heilig‘ sind die jeweils analogen Begriffe.38 Auffällig ist die Verwendung von ‫ גוֹי‬bzw. ἔθνος für das Volk Israel. Üblicherweise werden im Alten Testament vor allem die fremden Völker mit ‫ גוֹי‬bzw. ἔθνος bezeichnet, Israel ist ‫ ַﬠם‬bzw. λαός.39 Indem ‫גוֹי‬ an dieser Stelle für das Volk Israel gebraucht wird, wird das Adjektiv ἅγιος zum alleinigen Identitätsmerkmal. Israel ist eine Nation unter vielen, die sich allein durch ihre Heiligkeit von den anderen unterscheidet.40 Interessant ist schließlich noch Ps 82,4LXX. Dort heißt es von den Feinden Gottes: ἐπὶ τὸν λαόν σου κατεπανουργεύσαντο γνώμην καὶ –––––––––––––– 37

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J. B. Wells nimmt Ex 19,5–6 zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung über ‚God’s Holy People‘: „I take these verses to be pivotal for understanding Israel’s life and identity under God“ (Wells, People, 14). Innerhalb der Tora sei Ex 19,6 zu verstehen als „summary for all that follows“ (ebd., 63). Laut Dommershausen, Heiligkeit, 154 ist dies der „textus classicus vom ‚heiligen Volk‘“. Nach Wildberger, Eigentumsvolk, 30 handelt es sich bei Ex 19,5b–6a sogar um den ältesten Text des AT, der in dieser Weise von der Erwählung Israels spricht. Vgl. Dommershausen, Heiligkeit, 156. Vgl. auch Clements, ‫גּוֹי‬, 970f. Zur Heiligkeit der Priester vgl. Abschnitt 2.1.3, S. 31ff. Vgl. dazu Bertram, ἔθνος. Vgl. Wells, People, 54: „Israel is no different from ‫‚( הגוים‬the nations‘). If anything, the use of the term ‫ גוי‬identifies Israel with them. Only through their relationship with Yhwh are they unique. It is this tie that brings them together and holds them together. This uniqueness is expressed completely and concisely in the one adjective ‫קדושׁ‬.“

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

ἐβουλεύσαντο κατὰ τῶν ἁγίων σου. Während an entsprechender Stelle im hebräischen Text von ‫פוּני‬ ֶ ‫ ְצ‬die Rede ist, gibt die Septuaginta diese Bezeichnung mit οἱ ἅγιοί σου wieder. Beide Wendungen stehen an dieser Stelle jeweils parallel zur Bezeichnung ‚dein (Gottes) Volk‘ in V. 4a, womit eindeutig das Volk Israel gemeint ist (vgl. V. 5). Der Ausdruck οἱ ἅγιοι fungiert hier als Bezeichnung für das Volk Israel. Die bisherigen Ergebnisse zusammenfassend lassen sich drei Aspekte herausstellen, die im Alten Testament auf das Engste mit der Heiligkeit Israels verknüpft sind41: 1. Der Heiligkeit des Volkes Israel entspricht ein Gott gefälliges Leben in kultischer, moralischer und sozialer Hinsicht. Überall dort, wo von Israel als dem heiligen Volk gesprochen wird, wird diese Heiligkeit verbunden mit der an Israel gestellten Forderung, Gebote der Tora einzuhalten.42 Prominentester Beleg dafür ist Lev 19,2 als Überschrift eines Kapitels mit vielfältigen Ge- und Verboten aus allen Lebensbereichen. 43 2. Israel ist heiliges Volk für Jahwe, weil Jahwe selbst heilig ist.44 Dies manifestiert sich z.B. in dem dativus possessivus ‚dem Herrn, deinem Gott‘ innerhalb der Wendung λαὸς ἅγιος κυρίῳ τῷ θεῷ σου (hebr. ‫ ; ַﬠם ָקדוֹשׁ ַליהוָ ה‬so in Dtn 7,6 u.ö.; vgl. Num 15,40); aber auch darin, dass die Menschen des Volkes Israel aufgefordert sind, Heilige zu sein, weil Jahwe selbst heilig ist (Lev 19,2 u.ö.). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass das Wort ἅγιος innerhalb der alttestamentlichen Geschichte des Volkes Israel erstmals in Ex 3,5 belegt ist, als Gott Mose im brennenden Dornbusch begegnet und ihn auffordert, seine Schuhe auszuziehen – mit der Begründung, er stünde auf heiligem Boden. We–––––––––––––– 41 42 43

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Vgl. dazu ganz ähnlich Kraus, Das heilige Volk, 40.41. Vgl. Wells, People, 70: „In every instance of the description of Israel as holy, it is accompanied by a concern for obedience to God’s covenantal laws.“ Der Gebrauch von Heiligkeitsterminologie außerhalb kultischer Zusammenhänge hat in der Forschung vielfach Erstaunen hervorgerufen (vgl. z.B. Kornfeld/Ringgren, ‫קדשׁ‬, 1192), da der Begriff ‚heilig‘ nicht zu Geboten des Alltags zu passen scheint, mit der Begründung, dass er normalerweise etwas anderes bedeute (vgl. Grünwaldt, Heiligkeitsgesetz, 251). Es ist zwar richtig, dass in kultischen Zusammenhängen regelmäßig auch Heiligkeitsterminologie gebraucht wird, meiner Meinung nach ist es jedoch falsch, davon ausgehend nun mit Blick auf Lev 19 und parallele Stellen von einer ethischen Qualifizierung kultischer Begrifflichkeiten (vgl. ebd., 385) oder einer Sakralisierung der gesamten Lebenswirklichkeit Israels (vgl. ebd., 253) zu sprechen. Der Gebrauch von Heiligkeitsterminologie auch außerhalb kultischer Zusammenhänge zeigt, dass diese nicht auf den Kult reduziert werden darf. Die Verwendung von ἅγιος und Stammverwandten in Texten, die sich mit dem Kult beschäftigen, macht ἅγιος noch nicht zu einem rein kultischen Terminus. Zur Frage nach dem Verhältnis von Heiligkeit und Kult vgl. auch Kapitel 7.1, S. 186ff. Vgl. Wells, People, 70: „The declaration of the people’s holiness is, fundamentally, a statement of their relation to God.“

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nige Verse später stellt Gott sich vor als ‫( ֶא ְהיֶ ה ֲא ֶשׁר ֶא ְהיֶ ה‬V. 14; LXX: ἐγώ εἰμι ὁ ὤν) und als ‫( יְ הוָ ה‬V. 15; LXX: κύριος), der Gott der Väter. J. B. WELLS folgert: „From Exodus 3, holiness is tied up with the knowledge of God as Yhwh“45. In der Heiligkeit des Volkes Israels drückt sich somit das einzigartige Verhältnis zu seinem Gott aus. Diese besondere Beziehung zu Jahwe hat Folgerungen für das Verhältnis zu anderen Völkern: 3. Die Heiligkeit Israels spiegelt seine Erwählung aus den Völkern wider. Israel unterscheidet sich von den anderen Völkern gerade durch seine Heiligkeit, die damit zu einem Identitätsmerkmal wird. 46 Seine Heiligkeit muss Israel sich nicht selbst erarbeiten, sondern Jahwe hat sein Volk mit der Herausführung aus Ägypten als ‚heilig‘ qualifiziert.47 In der alttestamentlichen Rede vom heiligen Volk drückt sich aus, dass Israel das auserwählte Volk seines Gottes Jahwe ist und dass Israel sich damit von allen anderen Nationen abhebt. Diese Aussonderung hat Konsequenzen für die Gestaltung des individuellen und gemeinschaftlichen Lebens. Israels Heiligkeit trifft das Zentrum israelitischer Identität.48

2.1.3

Priester als Heilige

Bereits im vorherigen Abschnitt wurde mehrfach deutlich, dass es innerhalb des Volkes Israel mindestens eine Gruppe gibt, die im Alten Testament nochmals in besonderer Weise mit dem Attribut ‚heilig‘ in Verbindung gebracht wird: die Priester. So konnten in Ex 19,6 die Wörter ‫ כּ ֲֹה ִנים‬und ‫ ָקדוֹשׁ‬bzw. ἱεράτευμα und ἅγιον als jeweils analoge Begriffe innerhalb eines Parallelismus’ membrorum ausgemacht werden. Außerdem wurde bereits auf Lev 21,6–8 aufmerksam gemacht, wo die Forderung, heilig bzw. Heilige zu sein, nicht an das gesamte Volk, sondern allein an die Gruppe der Priester geht. Vor dem Hintergrund, dass im Alten Testament auch das Volk als Ganzes heilig ist, stellt sich die Frage, warum und inwiefern die Priester nochmals gesondert als heilig bezeichnet werden. –––––––––––––– 45 46 47

48

Ebd., 28. Vgl. ebd., 70: „Israel is marked out from other nations by this special status“. Vgl. Zimmerli, Heiligkeit, 503: „‚Heiligkeit‘ ist nach alledem eine nicht zuerst vom Volke oder den Priestern zu erwerbende Eigenschaft, sondern eine zuvor durch Jahwes Tat der Herausführung seines Volkes, die zugleich eine Tat der Aussonderung ist, selber geschaffene Qualität Israels und seiner Priester.“ Vgl. Wells, People, 71: „[H]oliness is absolutely fundamental for Israel’s identity. […] holiness touches on every aspect of Israel’s identity and life.“

32

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Bei den Priestern handelt es sich um eine der wichtigsten Berufsgruppen des Alten Testaments.49 Der Priester ist Mittler zwischen Gott und den Menschen und erfüllt als solcher verschiedene Aufgaben: Er „vertritt durch Orakel und Unterweisung Gott vor den Menschen, durch das Opfer und die Fürbitte die Menschen vor Gott“ 50. Ort des Opferdienstes ist das Heiligtum, über das der Priester die Aufsicht führt.51 Voraussetzung für diesen Dienst am Heiligtum ist die Heiligkeit des Priesters. So heißt es in 2Chr 23,6: καὶ μὴ εἰσελθέτω εἰς οἶκον κυρίου ἐὰν μὴ οἱ ἱερεῖς καὶ οἱ Λευῖται καὶ οἱ λειτουργοῦντες τῶν Λευιτῶν · αὐτοὶ εἰσελεύσονται, ὅτι ἅγιοί εἰσιν, … Einzig den Priestern (und Leviten) ist es aufgrund ihrer Heiligkeit erlaubt, das Heiligtum (hier: οἶκος κυρίου) zu betreten. Die Heiligkeit der Priester unterscheidet sich somit von der Heiligkeit des Volkes, das keine Berechtigung für den Eintritt ins Heiligtum hat. Es soll in den Vorhöfen bleiben (vgl. 2Chr 23,5). Nun liegt die These nahe, dass die Priester heiliger sind als das Volk und die Heiligkeit des Volkes nicht ausreicht, um das Heiligtum selbst betreten zu dürfen. 52 Es ist jedoch nicht die größere Heiligkeit der Priester gegenüber dem Volk ausschlaggebend, sondern vielmehr die Andersartigkeit ihrer Heiligkeit.53 Die Heiligkeit der Priester als notwendige Voraussetzung für ihren Opferdienst am Heiligtum ist auf das engste mit der Heiligkeit des Heiligtums selbst verbunden.54 Die Priester als Ausführende des Opferdienstes müssen ebenso heilig sein wie die Opfergeräte (vgl. z.B. –––––––––––––– 49

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Vgl. Dommershausen, ‫כּ ֵֹהן‬, 78: „Die Bedeutung des Priestertums für die at.liche Religion ist kaum zu überschätzen“ und ebd., 74: „Das Priestertum ist in Israel keine Berufung, es ist ein Beruf“. Ebd., 73. Eine ausführliche Beschreibung des alttestamentlichen Priestertums kann in diesem Zusammenhang, in dem es allein um die Heiligkeit der Priester gehen soll, nicht erfolgen. Vgl. dazu Dommershausen, ‫ כּ ֵֹהן‬und Reventlow, Priester sowie die dort angeführte Literatur. Vgl. Reventlow, Priester, 388. So z.B. Dommershausen, Heiligkeit, 163; ders., ‫כּ ֵֹהן‬, 72. Vgl. dazu auch das Buch von P. P. Jenson (Graded Holiness. A Key to the Priestly Conception of the World), der darin in vier Dimensionen verschiedene Grade von Heiligkeit unterscheidet (vgl. z.B. die Übersicht ebd., 37). Vgl. Jenson, Holiness, 119: „Israel could be called holy, but this was not intended to diminish the special holiness of the priests, for whom it was the necessary and defining attribute“. Neben den Priestern gibt es noch eine andere Personengruppe, die in engem Zusammenhang zum Opferdienst im Heiligtum steht, und zwar die Tempelprostituierten. Deren hebräische Bezeichnungen werden von der Wurzel ‫ קדשׁ‬gebildet. In der Septuaginta sind verschiedene Ausdrücke als Übersetzung belegt, u.a. πόρνη (z.B. Gen 38,21f). Vgl. dazu Stark, Kultprostitution.

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Esra 8,28; Neh 10,40) und die Opfergaben (vgl. z.B. Lev 6,10.20). Heiligkeit der Priester hat demnach gegenüber der Heiligkeit Volkes einen konkret funktionalen Aspekt und ist weniger an Person des Priesters als vielmehr an seine Aufgaben und den Ort Heiligtums gebunden.55

33 Die des die des

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Erzählung 1Sam 21,1–7: David kommt zu dem Priester Ahimelech nach Nob und bittet ihn um Brot, vorgeblich für seine Leute, die sich an einem anderen Ort aufhalten (V. 3). Der Priester zögert, ihm etwas zu geben, da er nur Schaubrote hat. Als David ihm jedoch versichert, dass die Männer in den letzten Tagen keinen Sexualverkehr hatten und somit heilig sind (V. 6; vgl. Ex 19,14f), gibt er ihm von dem Brot, das eigentlich nur für die Priester bestimmt ist (vgl. Lev 24,9). Letztere Bestimmung kann also in einer (wenn auch fingierten) Notsituation aufgehoben werden, solange zumindest ein Mindestmaß an Heiligkeit vorhanden ist. Diese Heiligkeit, die hier auch von Nicht-Priestern gefordert wird, unterscheidet sich von der Heiligkeit, die dem Volk Israel z.B. in Dtn 7,6 zugesprochen wird, insofern sie nur eine gewisse Zeitspanne andauert. In anderen Situationen wird auch von Israel eine solche temporäre Heiligkeit gefordert, so z.B. in Jos 3,5 vor dem Zug Israels durch den Jordan oder in Ex 19,14 in Vorbereitung auf die Verkündigung der Zehn Gebote. Obwohl an diesen Stellen das ganze Volk heilig ist, entspricht diese Heiligkeit eher der Heiligkeit, wie sie sonst von Priestern ausgesagt ist, da sie einen funktionalen Aspekt hat und an ganz bestimmte Situationen gebunden ist.

Die Priester werden für ihren priesterlichen Dienst geheiligt, ebenso wie ihre Kleidung und das Heiligtum und dessen Geräte. Diese Heiligung geschieht z.B. durch Mose (vgl. Lev 8, insbesondere V. 11f; vgl. auch Ex 29,1.21.33), aber auch durch Gott selbst (vgl. z.B. Lev 21,15).56 Die Heiligung, die Mose in Lev 8 oder Ex 29 vollzieht, konkretisiert sich in bestimmten Reinigungsriten. Generell ist die Heiligkeit der Priester

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Vgl. Grünwaldt, Heiligkeitsgesetz, 278 (Hervorhebung im Original): „Der Priester ist Funktionsträger im Spannungsfeld zwischen Gott und Gemeinde, aber gerade nicht so, daß er deswegen eine herausgehobene Stellung (Heiligkeit) vor Gott beanspruchen könnte. […] Priester zu sein bedeutet also nicht eine größere Nähe zu Gott, sondern in erster Linie mehr Pflichten.“ Vgl. auch Wells, People, 117 (Hervorhebung im Original): „Furthermore, the difference between the holiness of the priesthood and the holiness of the community of Israel is seen to be qualitative as well as quantitative. The priests serve a unique function. Whereas all Israel, including priests, have a call to lead holy lives, the priesthood has a special sanctity which exists in the ritual-ceremonial sphere.“ Vgl. auch Jenson, Holiness, 120 im Anschluss an eine Beschreibung des Heiligungsaktes in Lev 8 – 9: „As a result, the priests were elevated to a holiness equivalent to that of the sanctuary in which they were to serve.“

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

sehr eng mit ihrer Reinheit verbunden.57 Neben Heiligkeit wird auch Reinheit als Zugangsvoraussetzung für das Heiligtum gefordert: So sollen Aaron und seine Söhne sich vor Antritt ihres Dienstes waschen (vgl. Ex 30,17–21). Mit der Forderung, dass die Priester ihrem Gott Heilige sein sollen (Lev 21,6), sind weitere Ansprüche verbunden, die sich auf körperliche Unversehrtheit (V. 5.16–21), auf den Umgang mit Toten (V. 1–4.11) oder auf Sexualität (V. 7.9.13–15) beziehen. Zudem ist im Alten Testament häufiger davon die Rede, dass Priester (oder Leviten) sich selbst heiligen. Interessant ist, dass das hebräische Verb ‫( קדשׁ‬hitpael) an diesen Stellen in der Septuaginta in der Regel nicht mit ἁγιάζω, sondern mit ἁγνίζω wiedergegeben wird, so in 1Chr 15,12.14; 2Chr 29,5.15.34; 30,3.15.17 (anders Ex 19,22).58 In 2Chr 26,18 übersetzt die Septuaginta ‫( קדשׁ‬hitpael) mit καθαρίζω. Damit sind die im hebräischen Text mit dem Verb ‫( קדשׁ‬hitpael) bezeichneten Handlungen in der Septuaginta bereits als Reinigungen gedeutet. Das Verhältnis von Heiligkeit und Reinheit der Priester ist dabei nicht immer eindeutig. Heiligkeit kann die Begründung für die Forderung nach Reinheit sein (so in Lev 21), aber auch das Ziel der Reinigung (so in Lev 8 oder Ex 29).59 In jedem Fall gilt: „Der heilige Auftrag der Priester erfordert besondere Vorsichtsmaßnahmen“60, zu denen auch „kultische Reinheit“61 gehört. Die mit dem Opferdienst verbundene Heiligkeit der Priester verlangt auch nach spezieller heiliger Kleidung (vgl. z.B. Ex 28,2.4; 31,10; 35,19.21; 40,13; Lev 16,4.32). 62 Diese ist nur für den Dienst vorgesehen und muss ausgezogen werden, bevor der Priester nach Abschluss des Opferdienstes das Heiligtum wieder verlässt (vgl. Ez 42,14; 44,19; vgl. –––––––––––––– 57

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Vgl. Podella, Reinheit, 477: „Als religiöses Symbol umfaßt Reinheit somit einen deutlich über hygienisches Denken hinausreichenden Bedeutungsumfang. Reinheitsvorstellungen […] normieren im religiösen Symbolsystem den Kontakt mit der Sphäre des Göttlichen bzw. den Zugang zu ihr. […] Reinheit und Heiligkeit gehen damit sehr enge Beziehungen miteinander ein.“ Zum Verhältnis von ἁγνίζω und ἁγιάζω vgl. ausführlich Vahrenhorst, Kultische Sprache, 21–25. Vgl. dazu Grünwaldt, Heiligkeitsgesetz, 279 (Hervorhebung im Original): „Die Begründungsmuster laufen auf sehr verschiedenen Ebenen ab und unterliegen keiner deutlich erkennbaren argumentativen Logik. Die Scheu vor dem Heiligen und die Furcht vor einer Verunreinigung des Heiligen findet ihren Ausdruck nicht in einem systematisch strukturierten Lehrgebäude, sondern – typisch alttestamentlich – in konkreten Weisungen, die den Raum des Heiligen umgrenzend schützen.“ Ringgren, ‫קדשׁ‬, 1191. Ebd. Vgl. Dommershausen, ‫כּ ֵֹהן‬, 74: „Mit dem Verständnis von ‚heilig‘ und ‚rein‘ hängt es auch zusammen, daß der Priester während der kultischen Funktionen eine sakrale Kleidung trägt.“ Vgl. auch Müller, ‫קדשׁ‬, 607.

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auch Lev 6,3.4). In Ez 44,19 ist die Forderung nach dem Wechsel der Kleidung damit begründet, dass die Priester das Volk sonst mit ihrer Kleidung heilig machen könnten. Hier schlägt sich die strikte Trennung des Heiligen von allem Nichtheiligen nieder, die im Ezechielbuch auch an anderer Stelle thematisiert wird.63 Die Kategorie der Heiligkeit bekommt dadurch einen räumlichen Aspekt.64 Die Besonderheit der Priester gegenüber anderen Menschen besteht darin, dass sie sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des heiligen Bereichs aufhalten dürfen. Die Grenze dürfen sie jedoch nicht unbedacht überschreiten und müssen u.a. ihre Kleidung wechseln.65 Dieser Status der Priester ist in ihrer besonderen Heiligkeit begründet. Diesen Abschnitt abschließend soll ein kurzer Blick auf die Erzählung vom Aufstand der Rotte Korachs (Num 16) geworfen werden.66 Literarkritische Untersuchungen ergeben, dass hier verschiedene Erzählstränge miteinander verbunden wurden: 1. die Schilderung des Aufstands von Datan und Abiram, die Mose Führungsqualitäten absprechen (V. 12–14), und 2. die Erzählung vom Aufstand Korachs und 250 Männern, die gegen Mose und Aaron behaupten, dass nicht nur die Priester, sondern die ganze Gemeinde heilig ist (V. 3). Außerdem thematisiert die Endgestalt des Textes 3. einen Anspruch der Leviten auf das Priestertum (V. 8–11). In Bezug auf das vorliegende Thema sind nur die letzten beiden Aspekte von Interesse. Der Ausruf „Alle sind heilig!“ (MT: ‫ ֻ;כּ ָלּם ְקד ִֹשׁים‬LXX: πάντες ἅγιοι) in Num 16,3 übt Kritik an einem hierarchischen Verhältnis zwischen Priestern und Volk. Diese Klage wird durch den Tod der Kritiker in Num 16,31–35 brutal abgeschmettert. Der Anspruch der Leviten auf das Priestertum wird nur indirekt in der wörtlichen Rede Moses formuliert (V. 8–11). Hier wird eine Unterscheidung von Priestern und –––––––––––––– 63

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Vgl. Ringgren, ‫קדשׁ‬, 1198: „Die Scheidung zwischen heilig und profan/unrein wird bei Ezechiel stärker als sonst betont.“ Auch nach Ez 44,23 zählt es zu den Aufgaben der Priester, zwischen dem Heiligen und dem Profanen zu unterscheiden und das Volk dahingehend zu belehren (vgl. auch Ez 22,26; Lev 10,10). Vgl. Bettenzoli, Geist, 216 zu Ez 42 – 48: „Heilig ist nicht ein ethischer Begriff, sondern entspricht den räumlichen Kategorien, durch die die Welt gespalten ist. Nach diesen gehört der Mensch zum profanen Bereich und kann nur im Kult Kontakt mit der Gottheit haben.“ Vgl. Jenson, Holiness, 49: „Priests […] live both in the profane and holy spheres, though at different times. In order to minister in the holy sanctuary, the priests had to be holy themselves, and to this end were consecrated at Sinai […]. But in contrast to holy objects, their holiness was more than a mere potential, and it affected certain kinds of behaviour outside the sanctuary“. Vgl. zum Folgenden Hentschel, Alle sind heilig, 12–33 und Schmidt, Num II, zur Stelle. Weitere Literatur bei Hentschel, Alle sind heilig, 12, Anm. 1.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Leviten vorausgesetzt, ebenso die Aussonderung der Leviten vom Rest des Volkes (V. 9). Ausgehend von diesen Versen zeichnet sich demnach eine Dreiteilung ab: Auf der untersten Ebene befindet sich das Volk, von diesem ausgesondert sind die Leviten, den Leviten übergeordnet stehen die Priester.67 Laut Num 16,8–11 sind die Leviten mit dem ihnen in dieser Hierarchie zukommenden Platz nicht einverstanden. Das ist in Bezug auf das gesamte Alte Testament insofern interessant, als z.B. das Deuteronomium eine solche Unterscheidung von Priestern und Leviten nicht kennt.68 Mit Moses Kritik an der levitischen Unzufriedenheit (V. 9–11) und dem dramatischen Ende der Erzählung (V. 31–35) wird in der Endgestalt von Num 16 allerdings auch „der Anspruch der Leviten auf das Priestertum abgewiesen und das Opferprivileg der aaronitischen Priester verteidigt“69. Laut Num 16 kommt also ausschließlich den Priestern Heiligkeit zu.70 In ihrer Radikalität ist diese Position innerhalb des gesamten alttestamentlichen Kanons auf den ersten Blick sehr einseitig, schließlich wird an anderer Stelle das Volk als Ganzes heilig genannt.71 Die Frage ist jedoch, was hier konkret unter ‚heilig‘ zu verstehen ist. Eine Antwort darauf findet sich in V. 5, wo parallel zum Attribut ‚heilig‘ drei weitere Merkmale genannt sind, die dieses beschreiben und sich offensichtlich gegenseitig ergänzen: 1. Gott gehören, 2. von ihm erwählt sein und 3. aufgefordert sein, sich Gott zu nähern. Die ersten beiden Eigenschaften werden im Alten Testament auch dem Volk Israel insgesamt zugeschrieben, auch im Kontext der Rede von der Heiligkeit des Volkes.72 Die dritte Eigenschaft jedoch beschreibt das, was bereits als Unterschied in der Heiligkeit von Priestern und Volk deutlich wurde: Die Heiligkeit der Priester ist – im Gegensatz zur Heiligkeit des Volkes – Zugangsvoraussetzung für das Heiligtum (2Chr 23,6). Die Priester in ihrer besonderen Heiligkeit und Reinheit sind berechtigt, im Heiligtum Opfer zu bringen und sich Gott auf diese Art zu nähern. Wirft man einen Blick auf die Prüfung, die Mose durchführen lässt, um Korach –––––––––––––– 67 68

69 70 71

72

Vgl. Wells, People, 117f und in Bezug auf die gesamte Priesterschrift Jenson, Holiness, 115–148. Vgl. Reventlow, Priester, 384. Das Verhältnis von Priestern und Leviten im Alten Testament kann in diesem Zusammenhang nicht grundsätzlich besprochen werden. Vgl. dazu Gunneweg, Leviten; Kellermann, ‫ ; ֵלוִ י‬Schaper, Priester; Dahmen, Leviten. Vgl. hier auch Hentschel, Alle sind heilig, 28f. Schmidt, Num II, 66. Vgl. ebd., 65f. Vgl. Hentschel, Alle sind heilig, 32: „Die priesterlichen Autoren haben also in Num 16 eine recht einseitige Position vertreten. Sie wird jedoch durch den Kanon relativiert.“ Vgl. dazu Abschnitt 2.1.2, S. 24ff.

Altes Testament

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und seinen Leuten zu zeigen, dass er im Recht ist (V. 6–7), so stellt man fest, dass dieser sich auf eine Opferhandlung bezieht, für die auch sonst im Alten Testament nur die Priester qualifiziert sind. Die Position der Erzählung in Num 16, die allein dem aaronitischen Priestertum Heiligkeit zugesteht, ist insofern radikal und innerhalb des alttestamentlichen Kanons einmalig, als sie dem Volk insgesamt und insbesondere den Leviten eine Heiligkeit grundsätzlich abspricht. Allerdings wurde auch bei der Exegese anderer Texte deutlich, dass durchaus ein Unterschied zwischen der Heiligkeit der Priester und der des Volkes besteht. Dieser Unterschied äußert sich darin, dass allein die Priester das Heiligtum als Ort besonderer Gottesnähe betreten dürfen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass innerhalb des heiligen Volkes Israel die Priester nochmals in besonderer Weise heilig sind. Die Unterschiede zwischen der Heiligkeit der Priester und der des Volkes lassen sich anhand unterschiedlicher semantischer Felder in den entsprechenden Texten ausmachen. Während die Rede von der Heiligkeit des Volkes im Wortfeld rund um das Stichwort ‚Erwählung‘ angesiedelt ist, ist die Heiligkeit der Priester sehr eng mit dem Opfer im Heiligtum verbunden und lässt sich dem Wortfeld ‚Heiligung/Reinigung‘ zuordnen. Die Heiligkeit der Priester ist weniger mit der Heiligkeit des Volkes als vielmehr mit der Heiligkeit des Heiligtums zu vergleichen, das wie die Priester selbst für den Opferdienst geheiligt wird.73 Damit ist die Heiligkeit eines Priesters nicht an dessen Person, sondern an seine Funktion im Heiligtum gebunden. Für diesen Dienst am Heiligtum sind die Priester aus der Gesamtheit des Volkes ausgesondert und stehen insofern in einer besonderen Beziehung zu Gott.74

–––––––––––––– 73 74

Vgl. Jenson, Holiness, 119: „The holiness of the priests […] was of the same order as that of the holy areas of the Tabernacle.“ Vgl. Wells, People, 63: „I have argued that priests represent a particular illustration of holiness in Israel: they are consecrated (i.e. ‚made holy‘) and as such they are seen to belong to Yhwh in a special way. In consequence priests are set aside to serve him and to take special responsibility for holiness, both protecting the people from it and encouraging them to it. The priests are those who ‚draw near‘ to Yhwh and thus mediate his presence to others, whilst also bringing the people to Yhwh in worship and teaching them the Torah.“

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

2.1.4

Einzelne Heilige

Nur selten wird im Alten Testament ein einzelner Mensch ‚Heiliger‘ genannt.75 Besonders signifikant ist Ps 106,16 (Ps 105,16LXX), wo Aaron als „der Heilige des Herrn“ (LXX: τὸν ἅγιον κυρίου; MT: ‫) ְקדוֹשׁ יְ הוָ ה‬ bezeichnet wird. Hier wird die substantivierte Form des Adjektivs ἅγιος bzw. ‫ ָקדוֹשׁ‬im Singular auf einen einzelnen Menschen bezogen. An wenigen weiteren Stellen wird einem einzelnen Menschen im Alten Testament das Attribut ‚heilig‘ zugesprochen: So bezeichnet eine Schunemiterin den Propheten Elisa in 2Kön 4,9 als ἄνθρωπος τοῦ θεοῦ ἅγιος (MT: ‫) ִאישׁ ֱא ִהים ָקדוֹשׁ‬. Der Ausdruck ‚Mann Gottes‘ ist im Alten Testament öfter belegt. Mit ihm werden verschiedenste Männer bezeichnet, denen gemeinsam ist, dass sie in einer besonderen Beziehung zu Gott stehen oder in seinem Auftrag handeln. 76 So können beispielsweise Mose (Dtn 33,1), Samuel (1Sam 9,6–10), David (2Chr 8,14) oder Elia (1Kön 17,24) als ‚Mann Gottes‘ bezeichnet werden; aber auch ein Engel (Ri 13,6) oder eine sonst nicht weiter bekannte Person (1Kön 13). Am häufigsten wird der Ausdruck auf Elisa angewendet, insgesamt finden sich 29 Belege in 2Kön 4–13.77 Das zusätzliche Attribut ‚heilig‘ begegnet jedoch nur in 2Kön 4,9. Neben Aaron und Elisa wird noch der Prophet Jeremia mit dem Attribut ‚heilig‘ belegt. In Jer 1,5 berichtet Jeremia davon, wie Jahwe zu ihm spricht und ihm sagt, dass er ihn geheiligt (LXX: ἡγίακά σε; MT: ‫)ה ְק ַדּ ְשׁ ִתּי‬ ִ und ihn zum Propheten für die Nationen eingesetzt hat, als er noch im Leib seiner Mutter war. Schließlich sei in diesem Zusammenhang auf die alttestamentliche Nasiräer-Tradition verwiesen.78 Ein direkter Anknüpfungspunkt an das Thema Heiligkeit bietet sich in Ri 16,17. Dort sagt Simson über sich, dass er ein Nasiräer Gottes sei (hebr. ‫)נְ זִ יר ֱא ִהים‬. Aufschlussreich ist nun eine Gegenüberstellung der beiden von Rahlfs angeführten Handschriften der Septuaginta, die an dieser Stelle voneinander abweichen: LXX(A) ναζιραῖος θεοῦ ἐγώ εἰμι LXX(B) ἅγιος θεοῦ ἐγώ εἰμι Während Der Codex Alexandrinus lediglich das hebräisch Wort ‫נָ זִ יר‬ transkribiert, übersetzt der Codex Vaticanus den Ausdruck mit ἅγιος. –––––––––––––– 75 76 77 78

Vgl. auch Dan 8,13, s.o. S. 23. Der ‚Heilige‘ ist sonst immer Gott. Vgl. dazu den Exkurs, S. 25f. Vgl. dazu Bratsiotis, ‫אישׁ‬, ִ 250: „Alle sind Charismatiker, die Gott nahestehen, aber deren Amt und Aufgabe verschieden ist.“ Vgl. dazu auch Kühlewein, ‫אישׁ‬, ִ 137f. Vgl. zum Nasiräer: Bernhardt, Nasiräer; Kühlewein, ‫ ;נָ זִ יר‬Mayer, ‫ ;נזר‬Willi, Nasiräer.

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Ähnlich verfährt die Septuaginta auch in Ri 13,7. In der Geburtsankündigung in Ri 13,5 gibt LXX(B) die Bezeichnung ‫ נְ זִ יר ֱא ִהים‬durch ναζιρ θεοῦ wieder, während LXX(A) den Ausdruck ἡγιασμένος ναζιραῖος τῷ θεῷ belegt. Auch in Am 2,11f dienen Wörter des Stammes ἁγι- zur Übersetzung des hebräischen Ausdrucks ‫נְ זִ ִירים‬. Er wird mit der Wendung εἰς ἁγιασμόν umschrieben (V. 11) bzw. durch das Partizip Perfekt Plural ἡγιασμένοι wiedergegeben (V. 12).79 Die Septuaginta versteht die Nasiräer also als ‚Geheiligte‘. Dies entspricht dem Abschnitt in der Tora zum Nasiräer-Gelübde (Num 6,1–21): An dieser Stelle wird die Bezeichnung ‫ נָ זִ יר‬zwar nicht durch ἅγιος wiedergegeben80, jedoch heißt es, dass ein Mensch in den Tagen seines Nasiräer-Gelübdes heilig ist (Num 6,5.8).81 Damit sind alle jene Stellen aufgeführt, an denen einzelne Menschen im Alten Testament als ‚Heilige‘ bezeichnet werden. Konkret genannt sind Aaron, Elisa, Jeremia und Simson – vier verschiedene Männer, die jeweils in einer besonderen Beziehung zu Gott stehen und von ihm auserwählt wurden, in seinem Auftrag zu handeln.82 Jedoch ist es nicht möglich, diese vier von anderen bedeutenden Menschen des Alten Testaments, die ebenfalls in einer besonderen Beziehung zu Gott stehen, abzugrenzen. Dagegen sprechen die vielen Überlappungen, die sich bei einer Gruppierung mit Blick auf die verschiedenen besprochenen Bezeichnungen ergeben. Es wurde bereits angeführt, dass es neben Elisa noch weitere ‚Männer Gottes‘ im Alten Testament gibt. Verschiedene Motive in 1Sam 1, wie das Gelübde Hannas, ihrem Sohn die Haare nicht zu schneiden (V. 11) oder ihre Aussage, keinen Alkohol getrunken zu haben (V. 15; vgl. Ri 13,4.7), bringen Samuel außerdem in Verbindung mit dem Nasiräer-Gelübde.83 Auffällig ist auch, dass sowohl über Jeremia als auch über Simson ausgesagt wird, dass er bereits vom Mutterleib an von Gott auserwählt war (Jer 1,5; Ri 13,5.7; 16,17). –––––––––––––– 79

80 81

82

83

Außerdem sei auf folgende alttestamentliche Stellen hingewiesen: Lev 21,12; 25,5.11; Ps 89,40; 132,18; Sach 7,3; 9,16. Zwar geht es an diesen Stellen nicht um Nasiräer bzw. heilige Menschen, jedoch wird jeweils ein Ausdruck der hebräischen Wurzel ‫ נזר‬im entsprechenden griechischen Text durch ein Wort des Stammes ἁγι- wiedergegeben. Vgl. aber Num 6,12: Das hebr. Verb ‫ נזר‬ist in der Septuaginta an dieser Stelle durch ἁγιάζω wiedergegeben. Jenson, Holiness, 50f vergleicht die Heiligkeit eines Israeliten, der das NasiräerGelübde abgelegt hat, mit der Heiligkeit der Priester. Vgl. dazu Abschnitt 2.1.3, S. 31ff. Dazu kommen die Männer und Frauen, die das zeitlich begrenzte Nasiräer-Gelübde ablegen (Num 6,2). Im Unterschied zu den ersteren sind diese jedoch nur in den Tagen, in denen sie sich an das Gelübde halten, heilig. Vgl. dazu Mayer, ‫נזר‬, 331.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Dasselbe wird auch Jesaja zugesprochen (Jes 49,1). Weitere Verbindungen dieser Männer untereinander ergeben sich zum Beispiel durch die Zuordnung zur Gruppe der Propheten84 oder durch das Geschwisterverhältnis von Mose und Aaron. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch Zusammenstellungen wie z.B. die Erwähnung von Mose und Samuel in Jer 15,1 und Ps 99,6. Die Bezeichnung ‚Heiliger‘ im Alten Testament wird demnach für Männer gebraucht, die in einer besonderen Beziehung zu Gott stehen und in seinem Auftrag handeln. Synonyme für diese Bezeichnung sind beispielsweise ‚Mann Gottes‘ oder ‚Nasiräer‘. Dass ausgerechnet Aaron, Simson, Elisa und Jeremia als heilig bezeichnet werden, darf nicht überinterpretiert werden. Genauso gut könnten Mose, Samuel oder ein Prophet wie Jesaja ‚Heilige‘ heißen.

2.1.5

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung der Frommen

Abgesehen von den bereits angeführten Texten, die von der Heiligkeit des Volkes, der Priester oder einzelner Heiliger sprechen, gibt es weitere Stellen, an denen das Attribut ‚heilig‘ einer Gruppe von Menschen zugesprochen wird. In Ps 16,3 ist die Rede von den „Heiligen, die in der Erde sind“. Die Frage, ob es sich bei diesen Heiligen um himmlische Wesen im Sinne von anderen Göttern oder um Menschen handelt, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Ausgehend vom hebräischen Text und von der Frage, was die ursprüngliche Aussage des hebräischen Psalms war, ist das Ergebnis der neueren Forschung, dass die Heiligen fremde Götter sind.85 Für die vorliegende Untersuchung ist jedoch relevant, wie die alttestamentlichen Texte, die von ‚Heiligen‘ sprechen, zur Zeit des Paulus gelesen wurden. Dafür ist nicht der hebräische Text, sondern die Septuaginta ausschlaggebend; und in der Tat weicht die Septuaginta an dieser Stelle entscheidend vom hebräischen Text ab: –––––––––––––– 84 85

In Am 2,12 stehen Nasiräer und Propheten parallel. So z.B. Peels, Sanctorum Communio, 242: „According to us, the interpretation of the ‚saints‘ as idols has got unmistakenly stronger arguments in favour than the classic explanation which identifies the saints with fellow-believers“, aber auch Coppens, Les Saints, 491: „Vu l’incertitude de cette leçon, le plus simple et le plus obvie est de songer à des divinités qui sont ‚sur la terre‘ par opposition à Yahvé, dieu des cieux.“ Andere Exegeten nehmen Änderungen am vorliegenden hebräischen Text vor, um zu demselben Ergebnis zu kommen. Vgl. z.B. Zolli, Die Heiligen, 150; Mowinckel, Psalm 16, 651.652f.

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τοῖς ἁγίοις τοῖς ἐν τῇ γῇ αὐτοῦ ἐθαυμάστωσεν πάντα τὰ θελήματα αὐτοῦ ἐν αὐτοῖς. Ausgehend vom diesem Wortlaut ist eine Deutung der Heiligen als fremde Götter auszuschließen. Abgesehen von dem vom Hebräischen abweichenden Text dieses Verses muss zudem berücksichtigt werden, dass der Psalm in seiner Gesamtheit zur Zeit des Neuen Testaments (vgl. Apg 2,25–31; 13,35–37) und in den ersten Jahrhunderten danach 86 christologisch gedeutet wurde: Ps 15,3(LXX)

„According to this exegesis, in this psalm Christ himself speaks about his belonging to the Father, his bond with the believers, his dying and its fruit, his sojourn in death and his resurrection. In v. 3 the unity between Christ and those belonging to him is made explicit, according to the patres.“87

Dieses Verständnis des Psalms darf auch für Paulus angenommen werden. Die Heiligen in Ps 15,3LXX sind also – zumindest in frühchristlicher Deutung – Menschen. Ebenfalls von Menschen als Heiligen spricht Ps 34,10: Fürchtet den Herrn, ihr seine Heiligen (MT: ‫;קד ָֹשׁיו‬ ְ LXX: οἱ ἅγιοι αὐτοῦ), denn es gibt keinen Mangel für die, die ihn fürchten. Dieser Vers ist die einzige Stelle im Alten Testament, an der sich die Bezeichnung ‚Heilige‘ unbestritten auf Menschen bezieht.88 Dies ergibt sich explizit aus dem Vers, denn himmlische Wesen können keinen Mangel leiden. Fragt man nun nach einer genaueren Klassifizierung der Heiligen an dieser Stelle, muss der gesamte Psalm in den Blick genommen werden. In seinem Buch über Ps 3489 unterscheidet L. O. ERIKSSON Angaben zu Gott, zu dem Psalmisten selbst sowie zu anderen („the others“). In diesem Zusammenhang ist die letzte Gruppe von Interesse: „The description of ‚the others‘ in Ps. 34, is to a great extent centered around the comparison between the righteous and the wicked.“90 Über „the righteous“ heißt es dann in einer Zusammenfassung des entsprechenden Abschnitts: „The righteous are given eleven or twelve different designations in the psalm. They are said to be humble, v. 3b; God-fearing, vv. 8b, 10b; taking

–––––––––––––– 86 87 88

89 90

Für die Zeit der Alten Kirche vgl. Auf der Maur, Deutung; Fischer, Psalmenverständnis, 107–116. Peels, Sanctorum Communio, 239f. So z.B. Noth, Die Heiligen, 277: „Diesen Belegen [für ‚Heilige‘ als Bezeichnung für himmlische Wesen; M. B.] steht als einziges sicheres Gegenbeispiel mit dem substantivierten Wort ‚die Heiligen‘ die Stelle Ps. 34,10 gegenüber, wo allerdings mit ‚seinen (scil. Gottes) Heiligen‘ die Frommen gemeint sein müssen.“ Vgl. auch Brekelmans, Saints, 308; Wiefel, Die Heiligen, 35. Eriksson, „Come, children…“. Ebd., 19.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

refuge in Yahweh, vv. 9b, 23b; holy, v. 10a; seeking Yahweh, v. 11b; righteous, vv. 10a, 20a, 22b; broken-hearted, v. 19a; crushed in spirit, v. 19b; Yahweh’s servants, v. 23a; desiring life, v. 13a; lovin (to see good) days, v. 13b; and, possibly, looking to Yahweh, v. 6a.“91

Laut Eriksson ist die Bezeichnung ‚Heilige‘ in Ps 34,10 in einer Reihe mit anderen Ausdrücken zu sehen, die in diesem Psalm zur Beschreibung der „righteous“ gebraucht werden. Bei diesen Menschen handelt es sich um diejenigen, die auf Gottes Seite stehen. Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang, dass nicht einfach von den Heiligen die Rede ist, sondern von Gottes Heiligen (MT: ‫;קד ָֹשׁיו‬ ְ LXX: οἱ ἅγιοι αὐτοῦ). Die Heiligen in Ps 34 sind also rechtschaffene Menschen, die in einer engen Beziehung zu Gott stehen.92 Ebenfalls nur eine Teilgruppe des Volkes Israel – nämlich der sogenannte ‚Rest‘ – wird in Jes 4,3 als heilig bezeichnet: Und es wird geschehen: Was in Zion übrig geblieben ist und was in Jerusalem übrig gelassen ist, wird heilig genannt werden (MT: ‫ָקדוֹשׁ‬ ‫ ;יֵ ָא ֶמר לוֹ‬LXX: ἅγιοι κληθήσονται); alle, die (so LXX; MT: jeder, der) aufgeschrieben sind (bzw. ist) zum Leben in Jerusalem. Als ‚Rest‘ gilt hier „die jahwetreue Gemeinde der nachexilischen Zeit“93. Dass es sich tatsächlich um die nachexilische Gemeinde handelt, lässt sich aus der Entstehungszeit des Textes erschließen. 94 Der ‚Rest‘ wird noch im selben Vers mit „alle, die zum Leben aufgeschrieben sind“ umschrieben. Dahinter steht die Vorstellung, dass Gott die Namen der Gerechten in einem Buch festhält (vgl. Ps 69,29; Ex 32,32). 95 Nur diejenigen, die im Buch des Lebens verzeichnet sind, haben Aussicht auf das eschatologische Heil. In Jes 4,3 werden diese zum eschatologischen Heil Auserwählten als heilig bezeichnet. Schließlich ist in diesem Zusammenhang Dan 7 zu diskutieren. Die Frage nach den darin genannten ‚Heiligen des Höchsten‘ und ob es sich dabei um himmlische Wesen oder um Menschen handelt, ist in der Forschung umfassend diskutiert worden. So vertritt beispielsweise L. DEQUEKER die These, dass es sich bei den Genannten ursprünglich um –––––––––––––– 91 92

93 94 95

Ebd., 30. Vgl. Coppens, Les Saints, 492: „notre texte donne le titre à tous les vrais fidèles de Yahvé.“ Vgl. auch Dommershausen, Heiligkeit, 165: „In der Spätzeit gewinnt das Wort ‚heilig‘ vorwiegend die Bedeutung von ‚fromm‘, ‚gottesfürchtig‘ und ‚gesetzestreu‘. Das älteste Zeugnis hierfür ist vielleicht Ps 34,10 […] q edošîm ist hier also die engere Gemeinschaft der Frommen, der kleine Kreis der rechten Gottesverehrer in Israel“. Pfaff, Entwicklung, 50. Der Textabschnitt Jes 4,2–6 wird in der Regel in die nachexilische Zeit datiert. Vgl. Hausmann, Israels Rest, 141f; Pfaff, Entwicklung, 50. Vgl. dazu Wildberger, Jes I, 157f.

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himmlische Wesen handelte.96 Dequeker geht von einer redaktionellen Bearbeitung des Textes durch „two ‘Maccabean’ redactors“ 97 aus, in Folge derer sich auch das Verständnis der ‚Heiligen des Höchsten‘ verändert habe: „Thus the conception of a universal dominion exercised by the angels was changed into one of a universal dominion conferred upon the pious Jews in the last days.“98 Allerdings ist die Redaktionsgeschichte des Danielbuches für die vorliegende Untersuchung nicht von Belang. Bezüglich der Frage nach einer alttestamentlichen Rede von Heiligen, die auch Paulus bekannt gewesen sein dürfte, ist allein die Endgestalt des biblischen Textes ausschlaggebend. 99 Die ‚Heiligen des Höchsten‘ (MT: ‫יוֹנין‬ ִ ‫ישׁי ֶﬠ ְל‬ ֵ ‫ ַ;ק ִדּ‬LXX: ἅγιοι ὑψίστου) werden in Dan 7,18.22.25.27 erwähnt. Darüber hinaus ist in Dan 7,21– 22 der Ausdruck ‚Heilige‘ ohne den Zusatz ‚des Höchsten‘ (MT: ‫ישׁין‬ ִ ‫; ַק ִדּ‬ LXX: οἱ ἅγιοι) belegt. Ausgehend vom vorliegenden Text spricht einiges dafür, unter den ‚Heiligen des Höchsten‘ nicht himmlische Wesen, sondern Menschen, genauer das endzeitliche Volk Gottes, zu –––––––––––––– 96

97 98

99

Dequeker hat zu dieser Frage mehrere Aufsätze verfasst. Zuletzt: L. Dequeker, The “Saints of the Most High” in Qumran and Daniel, in: OTS 18 (1973), 108–187. Dieselbe Position hat auch schon M. Noth vertreten, vgl. Noth, Die Heiligen. Dequeker, Saints, 109. Ebd. So auch Noth, Die Heiligen, 290: „Bei vorsichtiger Abwägung alles Für und Wider scheint es doch so, daß im Hauptbestand von Dan. 7 bei ‚den Heiligen des Höchsten‘ an die himmlische Umgebung Gottes gedacht ist, daß erst nachträglich eine Umdeutung stattgefunden hat“. Wenn L. Dequeker schreibt, „that it is wrong to limit the exegesis of Dan. vii to the last redactional stage, which appears to be a ‚re-reading‘ and a new application of an older apocalyptic text“ (Dequeker, Saints, 131), antwortet er damit auf R. Hanhart, der formuliert: „Die Aufgabe der Exegese ist aber das Buch Daniel in der uns in der kanonischen Schrift vorliegenden Gestalt. Die Exegese der Schrift als solcher, die zusammenhängende Auslegung der überlieferten Schrift in ihrem nun einmal vorliegenden Bestand und Umfang, bleibt das schließlich allein mögliche Ziel der biblischen Wissenschaft“ (Hanhart, Die Heiligen, 98; Hervorhebung im Original). – Meiner Meinung nach sind beide Positionen in dieser Radikalität nicht haltbar. Es ist – gegen Hanhart – durchaus legitim nach der Redaktionsgeschichte eines Textes zu fragen, auch wenn man sich dabei stets der begrenzten Möglichkeiten zu wirklich gesicherten Ergebnissen auf diesem Gebiet bewusst sein sollte. Umkehrt kann es auch sinnvoll und richtig sein – gegen Dequeker – sich auf den vorliegenden Text zu beschränken. Ausschlaggebend ist allein die Frage, welcher Textgrundlage sich die jeweilige Untersuchung widmen möchte. Im vorliegenden Kontext geht es um die alttestamentliche Rede von Heiligen, so wie sie Paulus bekannt gewesen sein könnte. Dabei ist nicht ein erst noch zu ermittelnder ursprünglicher Text des Danielbuches relevant, sondern der Text in seiner Endgestalt. Die Verf. ist sich bewusst, dass nicht zu ermitteln ist, welche Handschrift des Danielbuches Paulus bekannt war. Die Arbeit mit der von Rahlfs und Hanhart edierten Septuaginta ist lediglich im Mangel an Alternativen begründet.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

verstehen.100 So ist in Dan 7,18.22.27 davon die Rede, dass die ‚Heiligen des Höchsten‘ das Reich (MT: ‫;מ ְלכוּ‬ ַ LXX: βασιλεία) empfangen und besitzen werden. Diese Aussage ist aber – wie C. H. W. BREKELMANS herausgearbeitet hat – nur in Bezug auf Menschen denkbar, „because the eschatological kingdom of the angels is practically unknown in this period“101. Umgekehrt kann Brekelmans durch verschiedene Belege zeigen „that the idea of the eschatological kingdom of the righteous was a very common one“ 102. Gegen ein Verständnis der ‚Heiligen des Höchsten‘ als himmlische Wesen spricht auch die Rede vom „Volk der Heiligen des Höchsten“ in Dan 7,27 (vgl. auch Dan 8,24).103 Schließlich bereitet die Vorstellung Schwierigkeiten, dass himmlische Wesen von einem Horn (MT: ‫ ֶ;ק ֶרן‬LXX: κέρας) besiegt (7,21) oder aufgerieben bzw. entmachtet (7,25; MT: ‫ ;בלה‬LXX: παλαιόω bzw. κατατρίβω) werden könnten.104 Demnach müssen die ‚Heiligen des Höchsten‘ ausgehend vom vorliegenden Text des Danielbuches als Menschen aufgefasst werden, genauer gesagt als die Menschen, die am Ende der Zeit auf der Seite Gottes stehen werden.105 Diese Deutung „ist an allen Stellen möglich, an einigen notwendig, während die Bedeutung ‚himmlische Wesen‘ lediglich an einigen Stellen möglich, an anderen aber unmöglich ist“106. Mit Dan 7, Jes 4,3, Ps 33,10LXX und – wenn auch eher unsicher – Ps 15,3LXX liegen damit vier Textabschnitte der Septuaginta vor, in denen οἱ ἅγιοι eine Bezeichnung für eine Gruppe von Menschen ist. Immer handelt es sich dabei um die ‚Frommen‘, also um diejenigen, die sich an Gottes Gebote halten und in seinem Sinne leben. In Ps 33 LXX finden sich –––––––––––––– 100 Zu diesem Ergebnis kommt auch Dequeker, Saints, 179: „Reading the verse 21 and 25 for themselves, without taking into account the Redaktionsgeschichte of the chapter, one comes necessarily to the conclusion that ‚the saints‘ must be understood as the faithful Jewish people, persecuted by Antiochus IV Epiphanes“. 101 Brekelmans, Saints, 329. 102 Ebd., 328. Vgl. dazu die von Brekelmans angeführten Texte ebd., 327f. 103 Ebd., 329: „‫ ַﬠם‬is nowhere used of angels“. Gegen Noth, Die Heiligen, 284f. 104 Um diesem Problem zu entgehen schlägt M. Noth eine alternative Bedeutung dieses Wortes vor: Noth, Die Heiligen, 285f. 105 R. Hanhart beschreibt die ‚Heiligen des Höchsten‘ als „heilige Glieder des irdischen Israel […], die in der diesseitigen Welt mit dem letzten irdischen Bedränger im Kampf stehen“ (Hanhart, Die Heiligen, 98). 106 Ebd. Für dieses Verständnis spricht sich auch Brekelmans, Saints, 328f aus. Vgl. auch Kosmala, Hebräer, 56: „Im AT sind die qedošim allerdings meist die Engel. Auf Menschen bezogen wird das Wort nur in Ps xvi 3 ; xxxiv 10 ; Dan (vii 18 ff. aramäisch) viii 24“. – Auch die Exegeten, die sich für ein ursprüngliches Verständnis der ‚Heiligen des Höchsten‘ als himmlische Wesen aussprechen, gestehen ein, dass der vorliegende Text eher dafür spricht, unter den ‚Heiligen des Höchsten‘ Menschen zu verstehen. S.o. Anm. 98 und 100.

Altes Testament

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zahlreiche parallele Ausdrücke, wie z.B. ‚die Gottesfürchtigen‘ oder ‚die Gerechten‘.107 In Jes 4,3 und Dan 7 kommt zudem eine eschatologische Ebene hinzu: Die Heiligen, die in der Gegenwart auf der Seite Gottes stehen, sind auch diejenigen, die am Ende der Zeiten zu seinem eschatologischen Gottesvolk gehören werden.

2.1.6

Zusammenfassung

Im Alten Testament werden sowohl himmlische Wesen als auch Menschen als ‚Heilige‘ bezeichnet bzw. ihnen wird Heiligkeit zugesprochen. Die Heiligen im Himmel sind dabei entweder mit Gott vergleichbare Wesen oder aber sie gehören zu Gott im Sinne eines himmlischen Hofstaates bzw. göttlicher Boten. Ihre Heiligkeit drückt dezidiert ihre Zugehörigkeit zur göttlichen Sphäre aus. Werden im Alten Testament Menschen als ‚Heilige‘ bezeichnet, so ist auch dies Ausdruck ihrer Zugehörigkeit zu Gott. Einzelne Heilige sind stets Menschen, die in einer besonderen Beziehung zu Gott stehen und in seinem Auftrag handeln. Darüber hinaus kann der Ausdruck ‚Heilige‘ auch bei einer ganzen Gruppe von Menschen ihrer Nähe zu Gott Ausdruck verleihen. Die Heiligen sind die, die auch am Ende der Tage noch auf der Seite Gottes stehen werden. In diesem Sinne ist auch die Heiligkeit des Volkes Israel zu beurteilen. Sie steht stets in engem Zusammenhang zum Auserwähltsein des Volkes durch seinen Gott. Als von Gott auserwähltes Volk ist es heiliges Volk und diese Identität wird in einer besonderen Ethik zum Ausdruck gebracht. Etwas anders steht es mit der Heiligkeit der Priester. Zwar korreliert auch diese mit einer besonderen Beziehung zu Gott, die es den Priestern – im Gegensatz zum Rest des Volkes – erlaubt, den Tempel zu betreten. Voraussetzung für diese Heiligkeit ist ihre besondere Reinheit. Die Priester sind weniger als Personen sondern vor allem als Angehörige des Heiligtums Heilige. Man kann daher von zwei verschiedenen semantischen Feldern sprechen, in denen im Alten Testament Menschen mit dem Begriff ‚Heilige‘ bezeichnet werden: Zum einen begegnet das semantische Feld ‚Tempelkult‘. Innerhalb dieses Wortfeldes werden allein die Priester als Heilige bezeichnet. Zu den Bedeutungskomponenten von ‚heilig‘ zählt u.a. ‚rein‘. Das andere semantische Feld ließe sich mit ‚Auserwählung‘ überschreiben. Die wesentliche Bedeutungskomponente ist hier die ‚Zugehörigkeit zu Gott‘. In diesem Sinne kann im Alten Testament das –––––––––––––– 107 S.o. S. 41f.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

gesamte Volk Israel, aber auch eine kleinere Gruppe oder sogar eine Einzelperson als heilig bezeichnet werden.108

2.2

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit

Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit In diesem Abschnitt sollen nun die jüdischen Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels auf ihre Verwendung der Bezeichnung ‚Heilige‘ hin untersucht werden. Darunter fallen auch die der Septuaginta eigenen Schriften, wie z.B. das Buch Tobit oder die Weisheit Salomos. Wie im vorherigen Abschnitt werden hier diejenigen Textabschnitte vorgestellt, in denen von menschlichen oder himmlischen Heiligen die Rede ist. Die erfassten Belege für die Bezeichnung ‚Heilige‘ werden in diesem Abschnitt in gleicher Weise gruppiert wie im vorherigen: Zunächst werden einige Belege für himmlische Heilige vorgestellt (2.2.1), dann folgen Textabschnitte, in denen vom heiligen Volk (2.2.2) oder von heiligen Priestern (2.2.3) die Rede ist. Schließlich sind auch hier einige Belege für einzelne Heilige (2.2.4) bzw. für οἱ ἅγιοι als Bezeichnung einer Gruppe von Menschen (2.2.5) anzuführen. Abschnitt 2.2.6 fasst die Ergebnisse zusammen.

2.2.1

Himmlische Wesen als Heilige

Wie schon im Alten Testament begegnet das Adjektiv ἅγιος auch in Texten aus zwischentestamentlicher Zeit als Attribut für himmlische Wesen. So stellt sich z.B. der Engel Raphael im Buch Tobit als εἷς ἐκ τῶν ἑπτὰ ἁγίων ἀγγέλων vor (Tob 12,15). Nachdem Tobit wieder sehen kann, preist er nicht nur Gott, sondern auch πάντες οἱ ἅγιοί σου ἄγγελοι (Tob 11,14). Damit sind eindeutig himmlische Wesen gemeint.109 Auch in TestAbr 16 und in ApkMos 7,2; 35,2; 42,1 ist ἅγιος Attribut zum Nomen ἄγγελοι und bezieht sich damit auf himmlische Wesen (vgl. auch syrDan 28.33). Interessant ist in diesem Zusammenhang besonders TestAbr 6, wo Sara die Gäste, von denen sie inzwischen weiß, dass es Engel sind, als τρεῖς ἄνδρες οἱ ἐπουρανίοι und als –––––––––––––– 108 Vgl. Stettler, Heiligung, 330 (im Original hervorgehoben): „Das ontologische Moment der Reinheit und das relationale Moment der Absonderung für und Zugehörigkeit zu Gott sind also offensichtlich zwei Aspekte, die im alttestamentlichen Heiligkeitsbegriff enthalten sind.“ 109 So auch Kuhn/Procksch, ἅγιος, 95.

Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit

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τρεῖς ἅγιοι ἄνδρες bezeichnet. Weitere Belege für das Adjektiv ἅγιος als Attribut zu ἄγγελοι finden sich in den griechischen Überlieferungen des äthiopischen Henochbuches.110 So werden in äthHen 20 die ἄγγελοι τῶν δυνάμεων (vgl. 20,1) namentlich vorgestellt, und zwar jeweils mit dem Zusatz ὁ εἷς τῶν ἁγίων ἀγγέλων (20,2–7). In den folgenden Kapiteln spielen einige der genannten Engel weiterhin eine Rolle. Auch dort werden sie jeweils als „einer der heiligen Engel“ bezeichnet (21,5.9; 22,3; 23,4; 24,6; vgl. auch 32,6). Im Henochbuch fungiert darüber hinaus auch das substantivierte Adjektiv ἅγιος als Bezeichnung himmlischer Wesen. In den griechisch überlieferten Textteilen findet sich die Bezeichnung ‚Heilige‘ für Engel z.B. in äthHen 1,9: Dort heißt es von Gott, dass er σὺν ταῖς μυριάσιν αὐτοῦ καὶ τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ kommt. Dieses Bild von Gott, der mit anderen himmlischen Wesen auf die Erde kommt, ist – ebenfalls mit der Bezeichnung ‚Heilige‘ für die Gottesbegleiter – bereits aus Sach 14,5 bekannt (vgl. auch ApkEl 43,10).111 Weitere Belege für den Ausdruck ‚Heilige‘ zur Bezeichnung himmlischer Wesen im Henochbuch finden sich z.B. in äthHen 12,2 oder 14,23. Die zuletzt angeführte Stelle ist besonders interessant. Dort ist von den Heiligen der Engel die Rede (οἱ ἅγιοι τῶν ἀγγέλων), womit vermutlich die Erzengel, also eine besondere Gruppe innerhalb der Engel, gemeint sind.112 Auch in anderen Schriften aus zwischentestamentlicher Zeit findet sich vereinzelt die Bezeichnung ‚Heilige‘ für himmlische Wesen, so z.B. in TestLevi 3,3. Im Kontext dieses Verses werden die verschiedenen Himmel beschrieben, die Levi auf seiner Himmelsreise zu sehen bekommt. In einem dieser Himmel halten sich auch ἅγιοι auf, womit Engel gemeint sind.113 Nicht immer ist der Sinn der Bezeichnung οἱ ἅγιοι zweifelsfrei zu beurteilen. Mitunter kann nicht eindeutig entschieden werden, ob es sich an der entsprechenden Stelle um himmlische Wesen oder um Menschen handelt. Dies gilt z.B. für SapSal 5,5. Dort stellen sich die Verfolger eines Menschen, von dem sie inzwischen wissen, dass er gerecht ist (vgl. V. 1), die Frage: πῶς κατελογίσθη ἐν υἱοῖς θεοῦ καὶ ἐν ἁγίοις ὁ κλῆρος αὐτοῦ ἐστιν; Bei den beiden Bezeichnungen ‚Söhne Gottes‘ und ‚Heilige‘ handelt es sich um parallele Begriffe, die dieselbe Gruppe umschreiben. Umstritten ist jedoch, wer damit bezeichnet wird. –––––––––––––– 110 Zur Quellenlage und Textgeschichte des äthHen vgl. Uhlig, Henochbuch, 470–491. 111 S.o. S. 23. Vgl. dazu auch Uhlig, Henochbuch, 509, Anm. 9d. Dort sind auch weitere Belege für himmlische Wesen als ‚Heilige‘ im Henochbuch angegeben, auch außerhalb der griechisch bezeugten Textabschnitte. Vgl. auch Brekelmans, Saints, 310–318. 112 Vgl. Uhlig, Henochbuch, 541, Anm. 23a. 113 So auch die Übersetzung von ἅγιοι an dieser Stelle bei Becker, Testamente, 49.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Auf der einen Seite ist der Ausdruck ‚Sohn Gottes‘ (υἱὸς θεοῦ) bereits in SapSal 2,18 belegt (vgl. auch 2,15) und dort eine Beschreibung für den Gerechten. Dies spräche dafür, die Begriffe ‚Söhne Gottes‘ und ‚Heilige‘ auch in 5,5 als Bezeichnungen für eine Gruppe von Menschen aufzufassen.114 Auf der anderen Seite ist nicht nur der Begriff ‚Heilige‘, sondern auch der Ausdruck ‚Söhne Gottes‘ im Plural öfter eine Bezeichnung für himmlische Wesen (z.B. Hi 1,6; Ps 88,7LXX). C. H. W. BREKELMANS weist außerdem auf die Schriften aus Qumran hin, in denen beide Begriffe ebenfalls parallel für Engel gebraucht werden. 115 Auch der Kontext (SapSal 4,16 – 5,2), der Assoziationen an das Endgericht weckt, spricht dafür, hinter den Söhnen Gottes und den Heiligen in 5,5 himmlische Wesen zu sehen.116 Ähnlich schwierig einzuordnen sind auch die Belegstellen für ἅγιοι im Buch Jesus Sirach. In Sir 42,17 sind mit οἱ ἅγιοι κυρίου, die von den Wundertaten Gottes berichten, himmlische Wesen gemeint.117 Alternativ könnte an dieser Stelle „aber auch auf die Begrenztheit menschlichen Redens von der Schöpfungsherrlichkeit abgehoben werden“118. In Sir 45,2 heißt es schließlich von Mose, dass er der δόξα ἁγίων gleichgemacht wurde. Damit ist vermutlich die Herrlichkeit der Heiligen im Sinne himmlischer Wesen gemeint. Insgesamt wird deutlich, dass in den Texten aus zwischentestamentlicher Zeit ἅγιος genau wie in den alttestamentlichen Schriften sowohl als Attribut zum Nomen ἄγγελος belegt ist als auch eigenständige Bezeichnung für himmlische Wesen sein kann.

2.2.2

Das heilige Volk

Die Wendung λαὸς ἅγιος kommt in den Texten aus zwischentestamentlicher Zeit nur vereinzelt vor. Abgesehen von ApkMos 13,3 ist sie meines Wissens nur noch in PsSal 17,26 belegt. Dort ist im selben Vers sowie in 17,43 zudem die Bezeichnung λαὸς ἡγιασμένος bezeugt. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass mit dem heiligen Volk an diesen Stellen –––––––––––––– 114 So z.B. Hübner, SapSal, 71. 115 Vgl. Brekelmans, Saints, 309: „the sons of God and the holy ones occur so frequently together in Qumran, and always of angels“. 116 Vgl. auch die bei Georgi, Weisheit, 416, Anm. 5a angeführten Belege für die Vorstellung von abgeschiedenen Gerechten, die unter Engeln leben. 117 Vgl. Noth, Die Heiligen, 277: „Im Buch Jesus Sirach […], kommen ‚die Heiligen Gottes‘ vor, die mit den unmittelbar danach genannten ‚(himmlischen) Heerscharen Gottes‘ identisch sind (42,17).“ 118 Wiefel, Die Heiligen, 36.

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das Volk Israel gemeint ist. Vielmehr bezieht sich der Ausdruck ‚heiliges Volk‘ auf eine sich erst am Ende der Tage konstituierende Gruppe – das eschatologische Gottesvolk. Dafür spricht bereits das Futur in ApkMos 13,3 (ὅσοι ἔσονται λαὸς ἅγιος) und PsSal 17,26 (καὶ συνάξει λαὸν ἅγιον).119 Ebenfalls nicht öfter belegt ist die Bezeichnung ἔθνος ἅγιον, die in der Septuaginta einmalig in Ex 19,6 vorkommt. Eben jener Vers wird von Philo in Abr 56,7 zitiert. Abgesehen davon ist der Ausdruck ἔθνος ἅγιον noch in SapSal 17,2 bezeugt und bezeichnet dort tatsächlich das Volk Israel. Darüber hinaus gibt es noch einige Textstellen, an denen zwar nicht konkret vom heiligen Volk, sondern von den ‚Heiligen‘ oder ‚Geheiligten‘ gesprochen wird. Aus dem Textzusammenhang heraus wird jedoch deutlich, dass es sich dabei um das Volk Israel handelt: Als Reaktion auf die Tatsache, dass Nebukadnezars Oberbefehlshaber plant, das Volk Israel zu vernichten, ist in Jdt 6,19 folgendes Gebet wiedergegeben: κύριε ὁ θεὸς τοῦ οὐρανοῦ […] ἐλέησον τὴν ταπείνωσιν τοῦ γένους ἡμῶν καὶ ἐπίβλεψον ἐπὶ τὸ πρόσωπον τῶν ἡγιασμένων σοι ἐν τῇ ἡμέρᾳ ταύτῃ. Der Textzusammenhang sowie die Parallelisierung mit γένος ἡμῶν sprechen eindeutig dafür, unter den Geheiligten hier das gesamte Volk Israel zu verstehen. Mehrdeutig ist der Sinn der Wörter τοῖς ἁγίοις bzw. τῶν ἁγίων in 1Makk 10,39.44. Denkbar wäre es, an dieser Stelle den Dativ bzw. Genitiv Plural von ἅγιος (m.) zu sehen. Damit wäre mit den Heiligen das Volk Israel bezeichnet. 120 Möglich wäre es jedoch auch, darunter den Dativ bzw. Genitiv von ἅγια (n. Pl.) zu verstehen.121 Dann wäre mit dem Ausdruck das Heiligtum, also der Tempel in Jerusalem, bezeichnet. Ein weiterer Beleg für die Heiligkeit Israels in frühjüdischen Schriften findet sich in OrSib 5,401, wo der Ausdruck ἅγιοι substantivisch gebraucht wird und sich dem Kontext nach auf diejenigen bezieht, die den zweiten Tempel bauten. Damit handelt es sich um eine Bezeichnung für das Volk Israel. Philo spricht in plant. 135,3 von Juda als dem ἅγιος καὶ αἰνετὸς καρπός und in praem. 123 nennt er das Volk Israel ἁγίου ἅγιος („des Heiligen Heiliges“). Insgesamt war die Heiligkeit des Volkes Israel in Schriften aus zwischentestamentlicher Zeit eine sehr geläufige Vorstellung. Die Selbstverständlichkeit, mit der von der Heiligkeit Israels ausgegangen wird, kommt schon darin zum Ausdruck, dass sie – anders als z.B. in –––––––––––––– 119 Vgl. dazu ausführlicher im Abschnitt 2.2.5, S. 54. 120 So Kuhn/Procksch, ἅγιος, 95. 121 So Noth, Die Heiligen, 277, Anm. 11.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Lev 19,2 oder Dtn 7,6 – im Grunde nicht thematisiert, sondern eher beiläufig erwähnt wird.

2.2.3

Priester als Heilige

Die Heiligkeit der Priester am Tempel wird in den Texten aus zwischentestamentlicher Zeit noch zurückhaltender thematisiert. Neben dem Vers 3Esra 8,57, der eine Entsprechung zum bereits genannten Vers Esra 8,28 darstellt, ist höchstens 1Makk 1,46 zu nennen. Dieser Vers steht im Zusammenhang eines Berichts von einem königlichen Dekret, in dem u.a. befohlen wird – so Vers 46 –, καὶ μιᾶναι ἁγίασμα καὶ ἁγίους. Das substantivierte Adjektiv ἅγιοι bezeichnet in diesem Zusammenhang die im Heiligtum diensttuenden Priester und Leviten.122 Darüber hinaus können einige Stellen aus den Schriften Philos angeführt werden: In spec. I,245,4 nennt Philo die Priester konkret ἅγιοι. Außerdem zitiert er in migr. 103,2 die alttestamentliche Stelle Ex 28,36, wo für Aaron als obersten Priester ein Diadem mit der Aufschrift ἁγίασμα κυρίῳ gefordert wird. Die für die Verrichtung priesterlicher Dienste notwendige Heiligung erwähnt Philo in somn. I,82,2 und spec. I,167,6. Zudem zitiert Philo öfter Lev 10,10, wo die Unterscheidung von Heiligem und Unheiligem als Aufgabe der Priester thematisiert wird (z.B. ebr. 127,5; Mos. II,158,2; spec. I,100,8).

2.2.4

Einzelne Heilige

Bei den Menschen, die in den Texten aus zwischentestamentlicher Zeit im Singular als ‚Heilige‘ bezeichnet werden, handelt es sich um andere als in den alttestamentlichen Schriften. Lediglich Aaron taucht in ihren Reihen wieder auf. So heißt es in Sir 45,4 über Mose, dass Gott ihn in Glauben und Freundlichkeit geheiligt hat (ἐν πίστει καὶ πραΰτητι αὐτὸν ἡγίασεν). In V. 6 wird Aaron als „heilig wie er, sein Bruder“ (ἅγιον ὅμοιον αὐτῷ ἀδελφὸν αὐτοῦ) bezeichnet.123 Nochmals wird Mose in SapSal 11,1 als heilig bezeichnet: Dort ist die Rede von einem heiligen Propheten (προφήτης ἅγιος). Aus dem Textzusammenhang –––––––––––––– 122 So auch Schunck, 1Makk, 302, Anm. 46a. In der Septuaginta Deutsch findet sich an entsprechender Stelle jedoch die Anmerkung: „Wichtige lat. Textzeugen lesen heilige Dinge“ (Hervorhebung im Original). 123 Aaron wird auch in Ps 106,16 als ‚Heiliger Gottes‘ bezeichnet. S.o. S. 38.

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wird deutlich, dass damit Mose gemeint ist. 124 In TestAbr 20 werden Isaak und Jakob aus dem Munde Gottes als seine Heiligen bezeichnet und in TestJos 4,1 wird aus der Perspektive Josephs berichtet, dass die ägyptische Frau ihm damit schmeichelt, ein heiliger Mann zu sein. Substantivisch ist die Bezeichnung ὁ ἅγιος dann nochmals in VitProph 4,8 belegt. Dort ist damit der Prophet Daniel bezeichnet.125 Aufschlussreich für die Frage, wie sich Daniel als Heiliger auszeichnet, ist V. 6 (vgl. auch V. 18.23), wo er als ὅσιος bezeichnet wird. Darüber hinaus wird Daniel als keuscher Asket beschrieben (V. 2–3), der „lieblich in der Gnade des Höchsten“ ist (V. 3, Übersetzung von A.M. Schwemer). Bei Philo finden sich schließlich mehrfach Bezüge zum Nasiräer-Gelübde aus Num 6126, in denen auch auf die Heiligkeit desjenigen verwiesen wird, der das Gelübde ablegt (z.B. LA I,17f; Deus 88,3; somn. I,253,1f). Die Tatsache, dass hier im Vergleich mit den alttestamentlichen Texten andere Männer als heilig bezeichnet werden, unterstreicht die oben aufgestellte These, dass der Ausdruck ‚Heiliger‘ keine exklusive Bezeichnung ist, sondern im Grunde einen Menschen charakterisiert, der in einer besonderen Beziehung zu Gott steht.

2.2.5

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung der Frommen

Die Belege für οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für himmlische Wesen im Buch Tobit sind bereits diskutiert worden. Daneben fungiert der Ausdruck ‚Heilige‘ im Buch Tobit auch als Bezeichnung für Menschen. Besonders interessant ist Tob 12,15, wo das Wort ἅγιος in dreifacher Weise verwendet wird. Raphael sagt über sich selbst, dass er zu den sieben heiligen Engeln gehört (εἷς ἐκ τῶν ἑπτὰ ἁγίων ἀγγέλων), die die Gebete der Heiligen (τῶν ἁγίων) hinauftragen und hineingehen in die Gegenwart der Herrlichkeit des Heiligen (τοῦ ἁγίου). Neben dem adjektivischen Gebrauch zur Bezeichnung Raphaels als ‚heiligen Engel‘ wird ἅγιος in diesem Vers zudem zweimal substantivisch gebraucht, einmal im Plural und einmal im Singular. Der ‚Heilige‘ (Sg.) ist eindeutig Gott.127 Die ‚Heiligen‘ (Pl.) sind Gläubige, die beten, konkret wird hier auf die Gebete des alten Tobias und seiner Schwiegertochter angespielt (vgl. V. 12).128 –––––––––––––– 124 125 126 127 128

So auch Hübner, SapSal, 145. Vgl. Schwemer, Studien I, 337f. Zum Nasiräergelübde s.o. S. 38. Zur Bezeichnung Gottes als ‚Heiligen‘ vgl. den Exkurs, S. 25f. So auch Deselaers, Tobit, 192.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Desweiteren sei Tob 8,15 angeführt. Dort heißt es in einem Gebet Raguëls an Gott: καὶ εὐλογείτωσάν σε οἱ ἅγιοί σου καὶ πᾶσαι αἱ κτίσεις σου καὶ πάντες οἱ ἄγγελοί σου καὶ οἱ ἐκλεκτοί σου εὐλογείτωσάν σε εἰς πάντας τοὺς αἰῶνας. Die „Heiligen Gottes“ (οἱ ἅγιοί σου) können an dieser Stelle nicht mit den Engeln gleichgesetzt und damit als himmlische Wesen verstanden werden. 129 Vielmehr entsprechen sich in dieser Aufzählung die beiden äußeren Glieder οἱ ἅγιοί σου und οἱ ἐκλεκτοί σου, während mit dem Mittelteil πᾶσαι αἱ κτίσεις σου καὶ πάντες οἱ ἄγγελοί σου „die umfassende, lebendig vorgestellte Schöpfung“130 beschrieben ist. Dafür spricht zum einen, dass den beiden mittleren Aufzählungsgliedern jeweils eine Pluralform von πᾶς vorangestellt ist131, und zum anderen, dass bei einer Gleichsetzung von ἅγιοι und ἄγγελοι analog auch κτίσεις und ἐκλεκτοί als Synonyme zu verstehen wären, diese aber kaum zusammenpassen. 132 Es kann hier „mit einer chiastischen Struktur gerechnet werden, die ‚Heilige‘ und ‚Auserwählte‘ in Beziehung setzt.“133 Mit den Heiligen sind also auserwählte Menschen gemeint. Auch im äthiopischen Henochbuch findet sich der Ausdruck ‚Heilige‘ – neben dem bereits ausgeführten häufigen Gebrauch zur Bezeichnung himmlischer Wesen – öfter als Bezeichnung für eine Gruppe von Menschen. Über die Frage, wer genau die Heiligen sind, geben die parallel gebrauchten Begriffe Aufschluss: So wird der Ausdruck ‚Heilige‘ regelmäßig in einer Reihe mit den Begriffen ‚Gerechte‘ und/oder ‚Auserwählte‘ gebraucht. Als Beispiel sei äthHen 38,4f angeführt: 4 Und von nun an werden die, die die Erde besitzen, nicht mehr mächtig und nicht mehr erhaben sein, und sie vermögen nicht das Angesicht der Heiligen zu sehen, denn das Licht des Herrn der Geister ist erschienen auf dem Angesicht der Heiligen, Gerechten und Auserwählten. 5 Und die Könige und Mächtigen werden in dieser Zeit zugrunde gehen, und sie werden in die Hand der Gerechten und Heiligen gegeben werden. An dieser wie auch an anderen Stellen im äthHen (vgl. z.B. 48,9; 95,3.7; 96,1; 98,12) spiegelt sich die frühjüdische Vorstellung wieder, dass diejenigen, die am Ende der Zeiten auf der Seite Gottes stehen, selbst am Gericht über die anderen beteiligt sein werden (vgl. z.B. Dan 7,22; SapSal 3,8; vgl. auch 1Kor 6,2134) und die anderen ihnen – wie hier for–––––––––––––– 129 130 131 132 133 134

Gegen Noth, Die Heiligen, 277. Deselaers, Tobit, 158. Vgl. auch ebd. So auch Wiefel, Die Heiligen, 36. Ebd. Vgl. dazu Kapitel 4.4.1, S. 105ff.

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muliert – in die Hände gegeben werden. Diejenigen, die auf der Seite Gottes stehen, werden in V. 5 als ‚Heilige‘ und ‚Gerechte‘ bezeichnet; in V. 4 ist zusätzlich der Ausdruck ‚Auserwählte‘ angeführt. Diese Reihung ist sehr typisch für äthHen (vgl. z.B. noch äthHen 39,1; 48,1 51,2; 62,8; 65,12). Wenn Menschen dort ‚Heilige‘ genannt werden, so handelt es sich um eine Gruppe, die sich selbst als die Auserwählten und Gerechten verstanden hat.135 E. P. SANDERS geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wahrscheinlicher ist jedoch, daß sich ‚die Gerechten‘ in den verschiedenen Teilen von äthHen nicht als Mitglieder einer Sekte innerhalb Israels betrachteten, sondern als die einzig wahren Israeliten.“136 Der äthHen ist die frühjüdische Textsammlung, in der die Bezeichnung οἱ ἅγιοι besonders häufig belegt ist, doch auch in anderen Texten aus der Zeit des Zweiten Tempels finden sich Belege für diesen Ausdruck. Aufschlussreich für das Verständnis von οἱ ἅγιοι ist z.B. die Formulierung „er [Gott] hat gesegnet alle Heiligen von Abel bis jetzt“ (εὐλόγησε πάντας τοὺς ἁγίους ἀπὸ Ἀβὲλ ἕως τοῦ νῦν) in TestIss 5,4. Abel, dessen Opfer Gott im Gegensatz zu dem seines Bruders Kain annahm (Gen 4,3ff), kann als eine Art Prototyp eines frommen Menschen verstanden werden.137 Hier führt er die Gruppe der Heiligen an. Daraus ist zu schließen, dass mit dem Ausdruck οἱ ἅγιοι fromme Menschen bezeichnet sind, die von Gott gesegnet werden. In TestLevi 18,11 heißt es von Gott, dass er, nachdem er die Tore des Paradieses geöffnet haben wird (V. 10), den Heiligen vom Baum des Lebens zu essen geben wird (δώσει τοῖς ἁγίοις φαγεῖν ἐκ τοῦ ξύλου τῆς ζωῆς). Der Baum des Lebens ist nach äthHen 25,4f Bestandteil des endzeitlichen Paradieses. Er wird am Ende der Zeiten den Gerechten übergeben und durch seine Früchte bekommen die Auserwählten das Leben. Genau jene Gerechten und Auserwählten werden in TestLevi 18,11 nun als ‚Heilige‘ bezeichnet (vgl. auch V. 14). Ebenso wird auch in TestDan 5,11f für diejenigen die Bezeichnung ἅγιοι gebraucht, die am Ende der Tage im Paradies sind. Hier sei außerdem auf eine Stelle aus der Jeremia-Vita verwiesen: Geschildert wird dort die Auferstehung der Bundeslade und deren Aufstellung auf dem Berg –––––––––––––– 135 Vgl. dazu Brekelmans, Saints, 317: „Another clear indication in I Henoch that the holy ones are men, is the use of parallel words as: righteous, and elect.“ Weitere Stellenangaben ebd., 312f. 136 Sanders, Paulus/Judentum, 341 (Hervorhebungen im Original). 137 Vgl. dazu Kuhn, Ἃβελ, 6: „Die Erzählung Gn 4, 3 ff von der Ermordung A.s durch Kain enthält keine Andeutung eines Unterschiedes in der Frömmigkeit oder sittlichen Haltung zwischen den beiden Brüdern. […] Die spätere jüdische Exegese hat jedoch die Geschichte fast stets im Sinne eines solchen Unterschiedes verstanden: A. war fromm, K. gottlos.“

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Sinai. Dann heißt es (VitProph 2,12): καὶ πάντες οἱ ἅγιοι πρὸς αὐτὴν συναχθήσονται. Die Heiligen sind auch hier diejenigen, die am Ende der Zeiten den Herrn freudig erwarten – so die Formulierung im weiteren Verlauf des Verses –, weil sie auf der Seite Gottes stehen werden und von ihm also nur Gutes ersehnen. Schließlich sei nochmals auf PsSal 17 verwiesen: Gott wird gebeten einen Sohn Davids aufzurichten, der als König herrschen soll (V. 21) und von dem es dann in V. 26 heißt: Καὶ συνάξει λαὸν ἅγιον, οὗ ἀφηγσεται ἐν δικαιοσύνῃ, καὶ κρινεῖ φυλὰς λαοῦ ἡγιασμένου ὑπὸ κυρίου θεοῦ αὐτοῦ. Weiter heißt es von diesem König – um nur die Verse zu nennen, in denen Heiligkeitsterminologie belegt ist –, dass er Jerusalem in Heiligkeit (ἐν ἁγιασμῷ) reinigen wird (V. 30) und dass alle, deren König er ist, Heilige (ἅγιοι) sein werden (V. 32). Wie bereits oben angedeutet, ist es durchaus fraglich, ob mit dem heiligen Volk und den Heiligen tatsächlich das Volk Israel, wie es sich aufgrund ethnischer Zugehörigkeit konstituiert, gemeint ist. Dieser Psalm schildert das endzeitliche Gericht Gottes, durch das das Volk Israel gehen muss (vgl. V. 26). Israel kann nicht bleiben wie es ist, weil es innerhalb des Volkes Gottlosigkeit gibt. Israel muss von dieser Gottlosigkeit gereinigt werden (vgl. PsSal 18,5). Diejenigen, die dem Gericht und dieser Reinigung standhalten können, bilden das ‚heilige Volk‘, von dem hier die Rede ist. Dabei handelt es sich nicht mehr um das Volk Israel in seiner Gesamtheit.138 Die Heiligen sind das von aller Gottlosigkeit gereinigte Volk Israel. Im Hinblick auf den Begriffsumfang lässt sich hier eine Differenz zum äthHen diagnostizieren, wo die Heiligen eine Teilgruppe des Volkes Israel sind. Im Hinblick auf den Begriffsinhalt wird der Ausdruck ‚Heilige‘ jedoch identisch verwendet, denn heilig sind immer diejenigen, die zum eschatologischen Gottesvolk gehören werden.139

2.2.6

Zusammenfassung

Die für den alttestamentlichen Befund entwickelte Einteilung des Textbefunds konnte auch auf die Schriften aus zwischentestamentlicher Zeit angewandt werden. Und auch, wenn man – wie im Folgenden dargelegt wird – durchaus einige Akzentverschiebungen beobachten kann, ist der Einschätzung von O. PROCKSCH sicherlich Recht zu geben: –––––––––––––– 138 Vgl. Elliott, Survivors, 561 (Hervorhebung im Original): „The result is that the recipients of the blessings of restoration will be a much different Israel from that represented by the Jerusalem sinners.“ 139 Zur Unterscheidung von Begriffsumfang und Begriffsinhalt s.o. S. 18.

Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit

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„Im ganzen wird man aber urteilen müssen, daß die apokryphische Literatur sich innerhalb der kanonischen Auffassung des ἅγιοςBegriffes hält.“140 Zum einen fällt auf, dass die Heiligkeit der am Tempel diensttuenden Priester im Grunde keine Rolle spielt. Zum anderen wird auch die Heiligkeit des Volkes Israel an keiner Stelle in einer Weise thematisiert, wie es z.B. in Lev 19,2 oder Dtn 7,6 geschieht. Dagegen ist der Ausdruck οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für himmlische Wesen überaus präsent. Das gilt in besonderer Weise für das äthHen, wo diese Bezeichnung sehr oft belegt ist – interessanterweise jedoch ebenso häufig auch für Menschen. Dass diese beiden Verwendungsweisen tatsächlich nebeneinander bestehen können, zeigt in pointierter Weise auch Tob 12,15, wo Raphael über sich selbst sagt, dass er zu den sieben heiligen Engeln gehört (εἷς ἐκ τῶν ἑπτὰ ἁγίων ἀγγέλων), die die Gebete der Heiligen (τῶν ἁγίων) hinauftragen und hineingehen in die Gegenwart der Herrlichkeit des Heiligen (τοῦ ἁγίου). Mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ können zur Zeit des Zweiten Tempels also sowohl himmlische Wesen als auch Menschen bezeichnet werden. Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis von Menschen und Engeln auf. In seinem Buch ‚Wrestling with Angels‘ untersucht K. P. SULLIVAN genau dieses und kommt zu dem Ergebnis, dass es in der Beschreibung von Menschen und Engeln in der Tat Überschneidungen gibt. So können Engel sehr menschlich und umgekehrt Menschen mit „angelomorphic terms“141 beschrieben sein. Für die vorliegende Untersuchung ist interessant, welche Personen mit angelomorphen Termini versehen werden: „The vast majority of the material involves discussion of righteous individuals.“142 Dies entspricht unseren Beobachtungen, dass sich der Begriff ‚Heilige‘ sowohl auf Engel als auch auf die Gerechten und Auserwählten unter den Menschen beziehen kann. Bezieht sich der Begriff auf die Gerechten und Auserwählten unter den Menschen, so ist damit oftmals ein weiterer Aspekt verbunden, der es nachvollziehbar macht, warum Gerechte und Engel mit denselben Ausdrücken charakterisiert werden. Der Begriff ‚Heilige‘ wird oft in Texten gebraucht, die eine eschatologische Situation beschreiben (vgl. z.B. PsSal 17; TestLevi 18,11; aber auch öfter innerhalb des äthHen). 143 –––––––––––––– 140 Kuhn/Procksch, ἅγιος, 95. 141 Sullivan, Wrestling, 228. Vgl. auch zusammenfassend ebd. 227–229. 142 Ebd., 228. Hier sei auch auf die in der Forschung diskutierte These der angelomorphen Christologie verwiesen, nach der die frühchristliche Beschreibung des erhöhten Christus von der frühjüdischen Angelologie beeinflusst ist. Vgl. dazu Gieschen, Angelomorphic Christology. 143 Vgl. Brekelmans, Saints, 317.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Die Heiligen als Gerechte und von Gott Auserwählte sind darin diejenigen, die das am Ende der Tage zu erwartende Gericht Gottes bestehen und damit zum sogenannten eschatologischen Gottesvolk gehören.144 Dieses Bestehen des Gerichts zieht nach frühjüdischer Vorstellung die Gemeinschaft mit den himmlischen Wesen nach sich (vgl. z.B. äthHen 39,5; 61; 104,6).145 Mit dem endzeitlichen Gericht werden demnach die himmlischen und die irdischen Heiligen zusammengeführt. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Der Begriff ‚Heilige‘ bezieht sich zur Zeit des Zweiten Tempels in der Regel entweder auf Gottes Engel im Himmel oder aber auf die Gerechten und von Gott Auserwählten auf Erden, die der Erwartung nach ebenso zum eschatologischen Gottesvolk gehören werden. 146 Für das semantische Profil der Bezeichnung οἱ ἅγιοι bedeutet dies, dass die Bedeutungskomponente ‚(kultisch) rein‘ hinter den Bedeutungskomponenten ‚auserwählt‘ bzw. ‚zu Gott gehörig‘ im Vergleich zum Alten Testament stark zurücktritt. Ein anderes Moment tritt dafür in den Vordergrund, und zwar das semantische Merkmal ‚zum eschatologischen Gottesvolk gehörig‘.

2.3

Die Heiligen in Qumran

Qumran Den Schriften aus Qumran147, die auch zur Gruppe der jüdischen Texte aus der Zeit des Zweiten Tempels gehören, soll hier ein eigener Abschnitt gewidmet sein – aus folgendem Grund: Die zahlreichen Textrollen, die in den Qumranhöhlen gefunden wurden, liefern heute ein außerordentlich detailliertes Bild einer Gemeinschaft, die sich ungefähr zur selben Zeit und vor demselben Hintergrund formiert hat wie die ersten Christen. Eine genauere Betrachtung ihrer Schriften verspricht daher lohnende Entdeckungen. Außerdem lässt sich bereits nach einer ersten Durchsicht der Texte feststellen, dass die Bezeichnung ‚Heilige‘ –––––––––––––– 144 Vgl. Kuhn, Enderwartung, 92 (Hervorhebung im Original): „Im Spätjudentum hat der Ausdruck ‚die Heiligen‘ auch einen speziell eschatologischen Sinn bekommen, nämlich als Bezeichnung derjenigen, die zum eschatologischen Gottesvolk gehören“. So auch schon Asting, Heiligkeit, 71. 145 Vgl. Brekelmans, Saints, 318; Decock, Holy ones, 71; Schäfer, Rivalität, 32; Dörfel, Engel, 271. 146 Vgl. auch die Zusammenfassung bei Brekelmans, Saints, 318: „On the one side there is a development from ‫ = קדשׁים‬gods to angels; on the other hand the adjectival use of ‫ קדשׁים‬for special men or groups of men may have been the occasion to a later substantival use of this word for the whole group of the righteous.“ 147 Die gefundenen Handschriften biblischer Texte werden hier nicht berücksichtigt. Als Textgrundlage und Übersetzung der hebräischen Texte verwende ich Parry/Tov, Dead Sea Scrolls Reader.

Qumran

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(‫ )קדושים‬in diesen Schriften in der Tat mehrfach belegt ist und sich dabei sehr oft auf die Qumrangemeinde selbst bezieht. Genauer: Sind mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ Menschen bezeichnet, so handelt es sich dabei immer um die Angehörigen der Gemeinde in Qumran.148 Während in den vorherigen Abschnitten fünf verschiedene Verwendungsweisen dieses Ausdrucks unterschieden werden konnten, lassen sich in den Qumrantexten lediglich zwei verschiedene Anwendungen ausmachen: Der Ausdruck ‚Heilige‘ wird entweder für himmlische Wesen gebraucht, oder aber die Qumrangemeinde oder einzelne ihrer Mitglieder werden als heilig bezeichnet. An welchen konkreten Stellen sich die Bezeichnung ‚Heilige‘ auf himmlische Wesen bezieht und wo sie eine menschliche Gruppe bezeichnet, lässt sich nur durch Einzelanalysen entscheiden.149 Dabei wird jedoch zu berücksichtigen sein, dass diese Frage an einigen Stellen gar nicht oder nur unzureichend zu beantworten ist – „das liegt zuweilen nicht nur am beschädigten Textzusammenhang, sondern auch an der unscharfen Ausdrucksweise des Kontexts“150. Mit den im Folgenden aufgeführten Textstellen ist kein Anspruch auf Vollständigkeit der Angaben zur Bezeichnung ‚Heilige‘ in den Texten aus den Qumranhöhlen verbunden. Vielmehr soll mit einigen exemplarischen Textbeispielen die typische Gebrauchsweise dieses Begriffs aufgezeigt werden. In einem ersten Abschnitt (2.3.1) werden einige Belege für den Ausdruck ‚Heilige‘ als Bezeichnung für himmlische Wesen angeführt. Abschnitt 2.3.2 beschäftigt sich mit dem Selbstverständnis der Qumrangemeinde und der Anwendung der Bezeichnung ‚Heilige‘ auf die Gemeinde. Abschnitt 2.3.3 fasst die gewonnenen Ergebnisse in aller Kürze zusammen und wagt einen ersten Vergleich zum Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ in den übrigen jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit.

–––––––––––––– 148 Damit liegt im Hinblick auf die Inanspruchnahme dieser Bezeichnung eine bemerkenswerte Parallele zu den neutestamentlichen Schriften vor, wo die Heiligen – sofern es sich um Menschen handelt – immer Christen sind. 149 Vgl. z.B. Brekelmans, Saints, 319–325; Dequeker, Saints, 133–162. 150 Nötscher, Heiligkeit, 152.

58

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

2.3.1

Himmlische Wesen als Heilige

Der Ausdruck ‚Heilige‘ kann auch in den Texten aus Qumran eine Bezeichnung für himmlische Wesen sein. Dafür seien im Folgenden drei Beispiele angeführt151: 1QM XII, 1 For a multitude of the[se] holy ones (‫ )רוב קדושים‬in the heavens and hosts of angels (‫ )וצבאות מלאכים‬in Your exalted dwelling to pr[aise] Your [truth]. The chosen ones of the holy people ( ‫ובחירי עם‬ ‫ )קודש‬2 You have established for Yourself in [ ] of the names of all their host is with You in Your holy dwelling, … 4 commissioning [ ] Your [ ] by their thousands and ten thousands together with Your holy ones (‫ ] [ )עם קדושיכה‬Your angels (‫)מלאכיכה‬, and directing them in battle … 7 And You, O God, are [ ] in the glory of Your dominion, and the company of Your holy ones (‫ )ועדת קדושיכה‬is in our midst for etern[al] support. … 8 … For the Lord is holy, and the King of Glory is with us together with the holy ones (‫)עם קדושים‬. Migh[ty men ] a host of angels (‫ )מלאכים‬are with our commissioned forces.152 Für das Verständnis von ‫ קדושים‬als Bezeichnung für himmlische Wesen spricht die Parallelisierung von Heiligen (‫ )קדושים‬und Engeln (‫)מלאכים‬ in Z. 1.4153 sowie die gleichzeitige Unterscheidung von den „Erwählten aus dem heiligen Volk“ (Z. 1). Auch in Z. 7–8 stehen die Heiligen dem „wir“ als externe Gruppe gegenüber 154 und sind damit wohl als himmlische Wesen zu verstehen.155 1QS XI, 7 … He has made them heirs in the legacy 8 of the Holy Ones (‫ ;)בגורל קדושים‬with the Angels (‫ )בני שמים‬has He united their assembly, an Yahad party. They are an assembly built up for holiness ( ‫וסוד‬ ‫)מבנית קודש‬, an eternal Planting for all 9 ages to come. Die Parallelsetzung mit „Himmelssöhnen“ (‫ )בני שמים‬spricht dafür, den Ausdruck ‚Heilige‘ in 1QS XI,8 als Bezeichnung für himmlische Wesen zu lesen.156 Ein weiterer Grund ist die Verwendung des Wortes ‫גורל‬, das –––––––––––––– 151 Weitere Textbelege für himmlische Wesen als Heilige bespricht z.B. Nötscher, Heiligkeit, 151–156, vgl. aber auch die Einzelanalysen bei Brekelmans und Dequeker, s. Anm. 149. 152 Diese und alle folgenden englischen Übersetzungen der hebräischen Qumrantexte entstammen Parry/Tov, Dead Sea Scrolls Reader. Diese englische Übersetzung ziehe ich der älteren deutschen Übersetzung von J. Maier aufgrund ihrer Aktualität und Qualität vor. 153 So auch die Begründung bei Naudé, Holiness, 189. 154 Vgl. Brekelmans, Saints, 321: „In 1QM 12,7 ‚the congregation of Your holy ones‘ is in contrast with the pious men whom they succour in their warfare.“ 155 Eine ausführliche Begründung findet sich bei Dequeker, Saints, 157–159. 156 So auch Brekelmanns, Saints, 321.

Qumran

59

nach H.-W. KUHN häufig „im Zusammenhang der priesterlichen Gemeinschaft mit den Engeln“157 belegt ist. 1QSb IV, 22 … [ For] He chose you [ ] 23 and to place (you) at the head of the Holy Ones (‫ )קדושים‬and with you to bl[ess ] by your hand 24 the men of God’s council, rather than by the hand of the prince of [ ] one another. May you 25 (abide forever) as an Angel of the Presence in the holy habitation, to the glory of the God of host[s. May you serve the Lord forever and b]e all around. May you 26 the kingdom of God, ordering destiny with the Angels of the Presence, a Council of the Yahad [with the Holy Ones] forever, for all the ages of eternity! Surely 27 [all] His [pr]ecepts are [truth]! May He establish you as hol[y] among His people (‫)קוד]ש[ בעמו‬, as the [‘greater] light (Gen 1:16) [to illumine] the world with knowledge, and to shine upon the face of many 28 [with wisdom leading to life. May He establish you] as consecrated to the Holy of Holies ( ‫לקודש‬ ‫[ !)קודשים‬You shall] indeed [be sanc]tified to Him, glorifying His name and His Holy Ones (‫!)וזכבד שמו וקודשיו‬ Auch in diesem Abschnitt werden himmlische Wesen ‚Heilige‘ genannt, so zweifellos in Z. 28. Die Priester, die mit dem vorliegenden Textabschnitt angesprochen sind, werden aufgefordert, Gott und seine Heiligen zu preisen. Da die Priester selbst die ranghöchste Ebene innerhalb der Qumrangemeinde einnehmen (vgl. z.B. 1QS II,19–23), können mit den Heiligen in diesem Zusammenhang nur schwer Menschen bezeichnet sein.158 Der Ausdruck ‚Heilige‘ (‫ – )קדושים‬dies belegen die angeführten Texte – kann in den Schriften aus Qumran somit eine Bezeichnung für himmlische Wesen sein. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass in allen drei zitierten Texten die Qumrangemeinde in die Nähe der himmlischen Heiligen gerückt wird und die Gemeinschaft zwischen Engeln und Menschen thematisiert wird. Diese Vorstellung ist durchaus typisch für die Qumranbewegung:159 Es gibt sowohl die Vorstellung einer –––––––––––––– 157 Kuhn, Enderwartung, 72. Vgl. zu dieser Thematik ebd., 66–75 die Exkurse „Die Gemeinschaft mit den Engeln in den Qumrantexten“ und „‚Erbe‘ und ‚Los‘ als eschatologische Termini im Spätjudentum“. Im ersten Exkurs legt Kuhn auch dar, dass auch die in 1QM XII thematisierte Hilfe der himmlischen Wesen im Krieg eine Form der Gemeinschaft mit den Engeln ist. Vgl. dazu auch Schäfer, Rivalität, 33–35. 158 So auch Naudé, Holiness, 189: „In 1QSb 4:28 the plural of the noun ‫( קודש‬with the suffix referring to God) is part of an admonition to the priests to honour the name of God and his holy ones. Since the priests refused to pay homage to persons lower in rank, the only possible interpretation is that the term the holy ones in this passage refers to supernatural beings in God’s service.“ 159 Vgl. Schäfer, Rivalität, 33: „Ein Hauptmerkmal der essenischen Engelvorstellung ist das Bewußtsein, daß die Engel mit den Angehörigen der Gemeinde verbunden und

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Gemeinschaft im endzeitlichen Kampf (so z.B. in 1QM XII) als auch die Vorstellung einer liturgischen Gemeinschaft (so z.B. in 1QSb IV). Außerdem belegen bereits diese drei Textbeispiele, dass nicht nur himmlische Wesen, sondern auch die Gemeinde selbst als heilig bezeichnet werden kann. So spricht 1QM XII,1 von den „Auserwählten des heiligen Volkes“ (‫ )בחירי עם קודש‬und 1QSb IV,23 konkret von den Heiligen (‫)קדושים‬, an deren Spitze die Priester gesetzt werden sollen. In beiden Fällen ist damit die Qumrangemeinde benannt. Auch in 1QS XI,8 wird die Gemeinde mit Heiligkeit in Verbindung gebracht, wenn die Gemeinschaft zwischen Gemeinde und Engeln als „Versammlung, aufgebaut zur Heiligkeit“ (‫ )וסוד מבנית קודש‬bezeichnet wird. Im Folgenden werden weitere Belege für den Ausdruck ‚Heilige‘ als Bezeichnung für die Gemeinde herangezogen.

2.3.2

Die Gemeinde von Qumran als heilige Gemeinde

Wenn der Ausdruck ‚Heilige‘ (‫ )קדושים‬in den Schriften aus Qumran nicht auf himmlische Wesen angewendet wird, so ist er eine Bezeichnung für die Qumrangemeinde selbst. Die Qumrangemeinde verstand sich als das eschatologische Gottesvolk. Um am Ende der Tage auf der Seite Gottes zu stehen und das Heil zu erlangen, war die Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinde erforderlich. Dafür wiederum waren Eintrittsriten (Vorbereitungszeit und Prüfung) notwendig und von den Gemeindegliedern wurden bestimmte Verhaltensweisen gefordert.160 Die Zugehörigkeit zur Gemeinde war mit einer strikten Absonderung von der Außenwelt verbunden. Diese fundamentale Trennung von Gemeinde und Nicht-Gemeinde und damit von rein und unrein (vgl. CD VI,17– 18; XII,20) gründet in einem stark ausgeprägten Dualismus, der mit der Naherwartung der Epiphanie Gottes verknüpft war.161 In dem endzeitlich erwarteten Kampf werden die Mitglieder der Qumrangemeinde auf der Seite Gottes als ‚Söhne des Lichts‘ gegen die ‚Söhne der Finsternis‘ kämpfen.162 In diesem Zusammenhang bezeichnet die Gemeinde sich selbst als ‚Heilige‘: in der Gemeinde gegenwärtig sind.“ Vgl. zur Vorstellung der Gemeinschaft von Engeln und Menschen auch ebd., 33–40. 160 Diese werden in den Gemeindeordnungen 1QS und 1QSa sowie in der Damaskusschrift behandelt. Für einen ersten Überblick über diese Schriften vgl. z.B. Stegemann, Die Essener, 152–163. 161 Vgl. Roloff, Kirche, 23. 162 Von diesem Kampf berichtet die sog. ‚Kriegsrolle‘ 1QM, die eingeleitet wird mit den Worten „For the In[structor, ] the War. The first attack of the Sons of Light (‫בני אור‬

Qumran

61

1QM VI,6 So the kingship shall belong to the God of Israel, and by the holy ones of His people (‫ )ובקדושי עמו‬He shall act powerfully. Mit den „Heiligen seines Volkes“ (‫)קדושי עמו‬, durch die Gott mächtig handeln wird, sind die kämpfenden ‚Söhne des Lichts‘, also die Mitglieder der Qumrangemeinde gemeint (vgl. auch 1QM XVI,1: … and by the holy ones of His people [‫ ]ובקדושי עמו‬He will do mightily). Mit dieser Bezeichnung hebt die Qumrangemeinde sich explizit aus der Gesamtheit des Volkes Israel heraus und bringt zum Ausdruck, dass nicht (mehr) das Volk insgesamt heilig ist, sondern nur noch sie, als eine Teilgruppe des Volkes. An anderer Stelle beansprucht sie auch den Titel ‚heiliges Volk‘ für sich: 1QM XIV,12 … But we, Your holy people, (‫ )ואנו עם קודשכה‬shall praise Your name for Your works of truth. In diesen Zusammenhang gehört außerdem die Wendung ‚Erwählte des heiligen Volkes‘ (‫ ;בחירי עם קודש‬vgl. 1QM XII,1), die analog dem Volk Israel als Ganzem den Erwählungsstatus ab- und ihn der Qumrangemeinde zuspricht. Mit diesen Selbstbezeichnungen verleiht die Qumrangemeinde ihrem Selbstverständnis Ausdruck, „die einzig legitime Repräsentanz des gesamten Zwölf-Stämme-Volkes Israel in ihrer Gegenwart“163 und damit genau diejenigen zu sein, die am Ende der Tage auf der Seite Gottes stehen werden.164 Neben dem Ausdruck ‚Heilige‘ (‫ )קדושים‬gibt es in den Schriften aus den Qumranhöhlen verschiedene weitere Bezeichnungen, die der Gemeinde das Attribut ‚heilig‘ zusprechen: Die Rede ist z.B. von der ‚Ratsversammlung der Heiligkeit‘ (‫ ;עצת קודש‬z.B. 1QS II,25; VIII,21; 1QSa II,9) oder der ‚Gemeinde der Heiligkeit‘ (‫ ;עדת קודש‬z.B. 1QS V,20; 1QSa I,12f). Die Mitglieder der Gemeinde werden als ‚Männer der Heiligkeit‘ (‫ ;אנשי הקודש‬z.B. 1QS V,13.18; VIII,17.23; IX,8) oder ‚Männer vollkommener Heiligkeit‘ (‫ ;אנשי התמים קודש‬1QS VIII,20; CD XX,2.5.7) bezeichnet. Daher lässt sich mit Recht urteilen: „The holiness of the members of the Community is key to its self-understanding.“165 Die Gemeindeordnungen 1QS und 1QSa sowie die Damaskusschrift, in denen die aufgeführten Bezeichnungen vornehmlich belegt

shall be undertaken against the forces of the Sons of Darkness (‫)בני חושך‬, the army of Belial…“ (1QM I,1). 163 Stegemann, Die Essener, 229. 164 Vgl. Kuhn, Enderwartung, 93: „Vom Hintergrund des spezifisch apokalyptischen Sprachgebrauchs beinhaltet diese Selbstbezeichnung der Gemeinde den Anspruch, zum eschatologischen Gesamtisrael zu gehören.“ 165 Swanson, Holiness, 29. Vgl. auch Harrington, Holiness and Law, 127: „the Qumran community regarded itself as, first of all, holy.“ Ähnlich auch Vahrenhorst, Kultische Sprache, 49.

62

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

sind, behandeln Fragen, die die Neuaufnahme von Mitgliedern und das Verhalten in der Gemeinde betreffen. In diesen Schriften geht die Heiligkeit der Gemeinde einher mit der Reinheit derselben, die vor allem bei der Aufnahme neuer Mitglieder bewahrt werden muss: 1QS V,13–14 … None of the perverse men is to enter purifying waters used by the Men of Holiness and so contact their purity. Indeed, it is impossible to be purified without first repenting of evil, inasmuch as impurity adheres to all who transgress His word. … Die Gemeindezugehörigkeit und der damit verbundene Status der Heiligkeit verlangen von den Mitgliedern ein entsprechendes Verhalten: 1QS VIII,16–20 … No man belonging to the Covenant of the Community, the Covenant of the Community who flagrantly deviates from any commandment is to touch the pure food belonging to the holy men. Further he is not to participate in any of their deliberations until all his works have been cleansed from evil, so that he is again able to work blamelessly. … These are the rules by which the men of blameless holiness shall conduct themselves, one with another. Es gibt demnach Regeln, die eingehalten werden müssen, um den Status der Heiligkeit zu wahren. Wer sich diesen Regeln vorsätzlich widersetzt, wird aus der Gemeinde weggeschickt und keines der Gemeindemitglieder darf Kontakt zum Verstoßenen pflegen (vgl. 1QS VIII,22–23). Hierin zeigt sich erneut der ausgeprägte Dualismus der Qumrangemeinde: Die ‚Söhne des Lichts‘, die im endzeitlichen Kampfe gegenüber den ‚Söhnen der Finsternis‘ triumphieren werden, grenzen sich als Heilige bereits im Alltag von allem Unheiligen ab.166 Dies spiegelt sich auch in einer strengen Gemeindeordnung wieder, die die Grenze zur Außenwelt bewahren will. Mit der Selbstbezeichnung ‚Heilige‘ verleiht die Qumrangemeinde also ihrem besonderen Status als von Gott Auserwählte Ausdruck, der sie vom Rest der Welt unterscheidet.

2.3.3

Zusammenfassung

Wagt man abschließend einen kurzen Vergleich mit den übrigen jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, so lässt sich feststellen, dass die Bezeichnung ‚Heilige‘ in den Schriften aus Qumran im Hin–––––––––––––– 166 Vgl. z.B. 1Q34 3ii 5–6: […] But in the time of Your goodwill You chose a people for Yourself, because You remembered Your covenant. So You [established] them, setting them apart from all the peoples as holy to Yourself. And You renewed Your covenant for them in a vision of Your glory […].

Die Heiligen als der ‚Rest‘ Israels

63

blick auf den Begriffsinhalt genauso verwendet wird wie in den übrigen Schriften: Die zentralen Bedeutungskomponenten dieser Bezeichnung sind ‚auserwählt‘, ‚zu Gott gehörig‘ und ‚zum eschatologischen Gottesvolk gehörig‘. Sofern mit der Bezeichnung ‚Heilige‘ Menschen gemeint sind, gibt es im Hinblick auf den Begriffsumfang einen entscheidenden Unterschied: Aus den Qumranschriften geht immer klar hervor, um wen es sich bei den ‚Heiligen‘ explizit handelt – um die Gemeinde selbst.

2.4

Die Heiligen als der ‚Rest‘ Israels

Nun liegt ein Überblick über den Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ in der Septuaginta sowie in späteren jüdischen Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels vor. Ein erstes Ergebnis ist die Feststellung, dass in dem hier behandelten jüdischen Traditionsbereich sowohl himmlische Wesen als auch Menschen als ‚Heilige‘ bezeichnet werden. 167 Es konnten Texte unterschieden werden, in denen entweder das ganze Volk Israel, die Priester am Tempel, einzelne Menschen oder aber eine Gruppe von Menschen ‚Heilige‘ genannt werden. In den Texten aus Qumran sind dies immer Angehörige der Gemeinde. Auch wenn damit der Begriffsumfang der Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich variieren kann, ist der Begriffsinhalt im Grunde immer identisch: Heilige sind Menschen, die aus ihrer Umwelt herausgehoben sind und sich durch eine besondere Gottesnähe auszeichnen. Dies gilt für das Volk Israel, das als Gottes Eigentumsvolk aus der Menge aller Völker auserwählt wurde, aber auch für die Priester, die sich vom Rest des Volkes dadurch unterscheiden, dass nur sie den Tempel betreten und sich Gott auf besondere Weise nähern dürfen. Bei den einzelnen Heiligen handelt es sich sowohl im Alten Testament als auch in den Schriften aus zwischentestamentlicher Zeit immer um Menschen, die von Gott aus dem Volk auserwählt wurden, um in seinem Auftrag zu handeln. Schließlich wird die Bezeichnung ‚Heilige‘ auf solche Gruppen angewandt bzw. von ihnen selbst gebraucht, die sich als die Gerechten innerhalb des sonst der Erwählung –––––––––––––– 167 So auch zusammenfassend Hanhart, Die Heiligen, 97: „Das außerkanonische jüdische Schrifttum der vorchristlichen Zeit, das in näherer oder fernerer Beziehung zur apokalyptischen Überlieferung Daniels steht, die spätjüdische Apokalyptik, das Schrifttum von Qumran und die jüdisch-hellenistische Literatur, sagt ebenso eindeutig wie die kanonische alttestamentliche Überlieferung, daß der Begriff ‚heilig‘ in absolutem Gebrauch nicht ausschließlich auf den himmlischen Bereich, Gott und die Engel, beschränkt ist, sondern auch Glieder des irdischen Israel bezeichnen kann.“

64

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

Gottes nicht mehr entsprechenden Volkes verstanden, wie z.B. die Gemeinde in Qumran.168 Während im Pentateuch die Heiligkeit des Volkes Israel ein stark präsentes Thema ist, findet sich die Bezeichnung ‚Heilige‘ für die Gruppe der Frommen und Gerechten innerhalb des Volkes vor allem in jüngeren Schriften des Alten Testaments sowie in den Schriften aus zwischentestamentlicher Zeit, insbesondere in den Texten aus Qumran. Die wesentlichen Bedeutungskomponenten der Bezeichnung οἱ ἅγιοι im jüdischen Traditionsbereich zur Zeit des Paulus stehen damit fest: Zu nennen ist hier zunächst einmal der Aspekt der Gottesnähe, der für alle Heiligen im jüdischen Traditionsbereich – egal ob himmlische oder menschliche Heilige – in Anspruch genommen werden kann. Zudem ist das semantische Merkmal des (von Gott) Auserwähltseins und die damit verbundene Aussonderung aus der Umwelt entscheidend. Für das semantische Profil der Bezeichnung οἱ ἅγιοι zur Zeit und im Traditionsbereich des Paulus weniger ausschlaggebend ist die noch im Alten Testament stärker präsente Bedeutungskomponente ‚(kultisch) rein‘. Dagegen haftet der Bezeichnung ‚Heilige‘ nun eine eschatologische Bedeutungskomponente an, insofern die Heiligen oftmals für sich in Anspruch nehmen, zum eschatologischen Gottesvolk zu gehören.169 Hier liegt nun eine interessante Korrelation zum Gedanken des ‚Rests‘ Israels vor.170 Die Restvorstellung kommt bereits in der Urgeschichte zum Ausdruck, wenn Gott mit Noah und seiner Familie nur einen kleinen Rest der Menschheit vor der großen Flut bewahrt (vgl. Gen 7,23).171 Schon dort – wie dann auch im Laufe der Geschichte des Volkes Israel – wird deutlich: „Rest sein heißt nicht (nur), ein mit –––––––––––––– 168 Hier lässt sich auch die Anwendung der Bezeichnung ‚Heilige‘ auf Engel einordnen. In diesem Fall sind die Heiligen Wesen, die sich von den Menschen durch eine größere und auch konkret räumlich gedachte Nähe zu Gott unterscheiden. 169 Nach O. Hanssen ist der Titel οἱ ἅγιοι in der von ihm so genannten apokalyptischen Literatur „nicht nur Ausdruck für ein bestimmtes eschatologisches Bewußtsein, sondern darüber hinaus Ausdruck für ein ‚konfessionalistisches‘ Bewußtsein.“ „‚Die Heiligen‘ sind nicht mehr einfach ‚die Frommen‘ des Volkes im Sinne von Ps34,10, sondern sie sind ‚Religionspartei‘.“ Vgl. dazu Hanssen, Heilig, 28–33, Zitate: Ebd., 29. 170 Das umfangreiche alttestamentliche Material zur Restvorstellung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eigens durchgesehen werden. Daher wird für die folgende Darstellung des Konzepts vom Rest Israels auf Sekundärliteratur zurückgegriffen. Vgl. Hausmann, Israels Rest; Brandscheidt, Rest; Stemberger, Rest; Rendtorff, Israels „Rest“; Kaiser, Rest; Elliott, Survivors. Zum Zusammenhang von Restgedanke und Heiligkeitsterminologie vgl. auch Stettler, Heiligung, 369–387. 171 Auf diesen Punkt verweist Rendtorff, Israels „Rest“, 274. Vgl. auch Brandscheidt, Rest, 1126.

Die Heiligen als der ‚Rest‘ Israels

65

knapper Not entkommenes Häuflein zu sein, sondern vor allem, von Gott bewahrter Teil des Volkes zu sein, mit dem die Geschichte weitergeht oder gar einen neuen Anfang nimmt.“ 172 Ihre endgültige Ausprägung erfährt die Vorstellung vom Rest in nachexilischer Zeit173: Das Volk hat seiner Erwählung durch Gott zuwider gehandelt und sich nicht an Gottes Gebote gehalten. Die Erfahrung des Exils stellt darüber hinaus das eigene Selbstverständnis als Gottes Eigentumsvolk nachhaltig in Frage. Die Vorstellung, dass Gott wenn auch nicht das ganze Volk so doch wenigstens einen Rest bewahren wird, bietet eine Möglichkeit, die Zusage der Erwählung aufrechtzuerhalten.174 Diesen Rest bilden dann natürlich die Gerechten, also diejenigen aus dem Volk, die sich an Gottes Gebote halten (vgl. z.B. 1Kön 19,18). Eben diese Vorstellung wird z.B. in einigen prophetischen Schriften des Alten Testaments und in außerkanonischen Schriften aus der Zeit des Zweiten Tempels transportiert. J. HAUSMANN untersucht die Funktion der biblischen Rede vom ‚Rest‘ und kommt zu dem Ergebnis: „Der größte Teil der Texte, die den Restgedanken enthalten, zielt auf die Konsolidierung der angesprochenen Gemeinde.“175 Oftmals ist mit der Zusage, der ‚Rest‘ Israels zu sein, in erster Linie die Versicherung des endzeitlichen Heils und damit das Versprechen der Zugehörigkeit zum eschatologischen Gottesvolk verbunden. 176 Der ‚Rest‘ ist im Alten Testament aber im Hinblick auf den Begriffsumfang keine feste Größe. Vielmehr zeigt sich, „daß der Restgedanke von sehr unterschiedlichen Gruppen im Volk herangezogen wurde, um die eigene Identität in Übereinstimmung mit wie in Abgrenzung zu den anderen Gruppen des Volkes bestimmen und aussagen zu können.“177 Auch in nachalttestamentlicher Zeit nehmen verschiedene jüdische Gruppierungen den Status des ‚Restes‘ Israels für sich in Anspruch.178 Die heute am besten greifbare Gruppe ist sicherlich die Qumrangemeinde. 179 Es wurde deutlich, dass –––––––––––––– 172 Rendtorff, Israels „Rest“, 275. 173 Vgl. Hausmann, Israels Rest, 198. 174 Vgl. Japhet, Concept of the „Remnant“, 359: „The concept of the Remnant constituted one form of Israel’s response to situations of severe crisis which threatened its national existence. It provided a conceptual framework in which the inevitability of divine judgement and the possibility of future existence could be linked, and thus preserve the hope for continuity and survival.“ Vgl. auch Kaiser, Rest, 1592. 175 Hausmann, Israels Rest, 215. 176 Vgl. ebd., 215f; Stemberger, Rest, 1126. 177 Hausmann, Israels Rest, 205. Vgl. auch Stemberger, Rest, 1126: „Im frühen Judentum wird der bibl. Gedanke des R. v. a. z. Selbstaussage einzelner Gruppen, die sich v. Gesamtisrael abzugrenzen versuchen.“ 178 Vgl. dazu Elliott, Survivors, 621–634. 179 Vgl. Roloff, Kirche, 23; Elliott, Survivors, 626f.

66

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ im jüdischen Traditionsbereich

sie sich als ‚Erwählte des heiligen Volkes‘ (‫ ;בחירי עם קודש‬vgl. 1QM XII,1) verstanden und damit genau diesen positiven ‚Rest‘-Status derer, die Gott aus seinem Volk übrig lassen wird, für sich in Anspruch genommen haben. Dem entsprechen im Wesentlichen auch die hier dargelegten Beobachtungen zur Verwendung des Begriffs ‚Heilige‘. Eine direkte Verknüpfung zwischen dem Restgedanken und der Heiligkeitsterminologie wird allein180 in Jes 4,3181 hergestellt, jedoch wird man mit Recht behaupten können, dass diejenigen, die als ‚Heilige‘ bezeichnet werden bzw. sich selbst so bezeichnen, mit dem ‚Rest‘ Israels gleichzusetzen sind.182 So wie die Vorstellung vom ‚Rest‘ auf dem Gedanken aufbaut, dass als Folge der Gottlosigkeit des Volks die Erwählung Jahwes nicht mehr Gesamtisrael gilt, spricht auch der Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ oftmals Gesamtisrael seine Heiligkeit ab. Die Bezeichnungen ‚Heilige‘ und ‚Rest Israels‘ haben somit denselben Begriffsinhalt. Sie sind Bezeichnungen für die Gerechten und Auserwählten, denen die Zugehörigkeit zum eschatologischen Gottesvolk sicher ist.

–––––––––––––– 180 Dies ist insofern bemerkenswert, als häufig vom „heiligen Rest“ gesprochen wird (vgl. z.B. den entsprechenden Artikel im LThK). Tatsächlich ist aber Jes 4,3 die einzige Stelle, die diesen Sprachgebrauch rechtfertigen würde. Ihr stehen zahlreiche Belege für ‚Rest‘ ohne das Attribut ‚heilig‘ gegenüber. Daher erscheint es angebrachter, nur vom ‚Rest‘ zu sprechen, wenngleich – wie hier deutlich wird – durchaus eine Korrelation zur Heiligkeitsvorstellung besteht. 181 S.o. S. 42. 182 So auch Larsson, Heilige, 644.

3 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen Mit den paulinischen Schriften liegen die ältesten Belege für den Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι für eine christliche Gruppe vor. Man kann jedoch davon ausgehen, dass sich bereits die Angehörigen der Jerusalemer Urgemeinde als ‚Heilige‘ bezeichneten. Dafür spricht die Tatsache, dass Paulus mit dem Ausdruck οἱ ἅγιοι ohne jegliche Spezifizierung konkret die Gemeinde in Jerusalem bezeichnen kann (vgl. Röm 15,25.31; 1Kor 16,1; 2Kor 8,4; 9,1.12).1 Dies geschieht stets im Zusammenhang der Rede von der Kollekte für Jerusalem. Nur aus dem Textzusammenhang (vgl. Röm 15,25–31 und 1Kor 16,1–4) kann der heutige Leser der paulinischen Briefe erkennen, dass es sich bei diesen Heiligen um die Gemeinde in Jerusalem handeln muss. Beim Lesen von 2Kor 8–9, einem Textabschnitt, der sich ausnahmslos mit der Kollekte beschäftigt, in dem jedoch nie der Name ‚Jerusalem‘ fällt, muss man sogar auf die entsprechenden Texte im 1Kor oder im Röm zurückgreifen, um nachvollziehen zu können, wer die Heiligen sind. Da Paulus seiner intendierten Leserschaft kaum Rätsel aufgeben wollte, wird man davon ausgehen müssen, dass er voraussetzen konnte, dass seine Leser wissen, wer mit den Heiligen gemeint ist. Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι war damit also zur Zeit des Paulus eine Art terminus technicus für die Jerusalemer Urgemeinde.2 Diese Tatsache wiederum lässt vermuten, dass sich die Urgemeinde selbst bereits sehr früh als ‚Heilige‘ bezeichnete.3 –––––––––––––– 1

2

3

Eine detailierte Exegese dieser Textstellen erfolgt in Kapitel 4.2, S. 81ff. Vorerst genügt die Beobachtung, dass mit den Heiligen, die abgesehen von Röm 15,26 nicht näher spezifiziert werden, stets die Gemeinde in Jerusalem gemeint ist. So auch Holl, Kirchenbegriff, 166 (Hervorhebung im Original): „Es hat also im Urchristentum einen Sprachgebrauch gegeben, vermöge dessen man die Gemeinde zu Jerusalem schlechtweg als die ἅγιοι bezeichnete, so daß, wenn οἱ ἅγιοι ohne näheren Zusatz gesagt wurde, jedermann sofort die Christengemeinde in Jerusalem darunter verstand.“ So z.B. Schenke, Urgemeinde, 86: „Paulus nennt die Jerusalemer Gemeinde ‚die Heiligen‘ […]. Es ist sicher, daß sich die ersten Christen selbst so bezeichneten.“ Vgl. auch Kümmel, Kirchenbegriff, 16: „Am sichersten auf die Urgemeinde zurückzuführen ist der Titel οἱ ἅγιοι. Denn nicht nur bezeichnet Paulus häufig die Christen so […], sondern nennt auch die Jerusalemer Christen im besonderen so […], und auch

68

Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen

Eine gewählte Selbstbezeichnung korreliert stets mit dem Selbstverständnis der entsprechenden Gruppe. Bevor der Ausdruck ‚Heilige‘ und weitere Selbstbezeichnungen der Jerusalemer Urgemeinde näher betrachtet werden (Kapitel 3.2), soll daher im Folgenden zunächst das Selbstverständnis der Urgemeinde in den Blick genommen werden (Kapitel 3.1).

3.1

Das Selbstverständnis der Urgemeinde

Der Schlüssel zum Selbstverständnis der Urgemeinde liegt in der Spannung „zwischen Kontinuitätsbewusstsein und Neuheitserfahrung“4. Auf der einen Seite sahen sich die Anhänger Jesu in Kontinuität zu ihrem vorösterlichen Auftrag: „Die Urgemeinde hat die Botschaft Jesu von der nahe herbeigekommenen Basileia Gottes aufgenommen und weiterverkündet. Sie hat dabei Jesu Person zur nahen Basileia in Beziehung gesetzt.“5 Entscheidend ist, dass sich die Anhänger Jesu nach Ostern nicht als eine neue Gemeinschaft verstanden haben, sondern als Juden, die in der Kontinuität der Geschichte Gottes mit seinem Volk stehen, deren Fortsetzung gerade in Jesus als Sohn Gottes zu sehen ist. Sie haben für sich erkannt, dass in der Auferweckung Jesu „der große Umbruch der Zeiten begonnen habe und die neue Welt Gottes angebrochen sei“6. Die Urgemeinde verstand sich „als legitime Erbin des alten Bundesvolkes“7, deren Aufgabe nun die „endzeitlich[e] Sammlung ganz Israels als des Gottesvolkes“8 war. Der von ihnen empfundenen Kontinuität zur Geschichte Gottes mit seinem Volk verliehen die Jesusanhänger in zwei Aspekten Ausdruck: Zum einen ist hier die Neukonstituierung der ‚Zwölf‘ zu nennen. „Sollte der Kreis seine Bedeutung als Symbol des Gottesvolkes in seiner Gesamtheit behalten, so war es nötig, ihn nach dem Ausscheiden des Verräters Judas wieder zu vervollständigen.“ 9 Dies hat die junge Gemeinde nach Auskunft der Apg mit der Nachwahl des Matthias getan

4

5 6 7 8 9

die Apg nennt die palästinischen Christengemeinden so […]. Es kann also kaum bezweifelt werden, dass die Urgemeinde sich als ‚die Heiligen‘ bezeichnet hat.“ So die Überschrift des entsprechenden Kapitels bei Roloff, Kirche, 58. Vgl. zum Folgenden die Ausführungen bei Schenke, Urgemeinde, 81–88 und Roloff, Kirche, 58–85. Vgl. auch Stettler, Heiligung, 434ff. Schenke, Urgemeinde, 82. Roloff, Kirche, 59. Schenke, Urgemeinde, 85. Roloff, Kirche, 69. Ebd., 61.

Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde

69

(vgl. Apg 1,15–26) und somit „ein Zeichen gesetzt für den Neuanfang Gottes mit Israel“10. Zum anderen ist Jerusalem als Wirkungsstätte von Bedeutung: „Wollten die Zwölf ihrem Auftrag an ganz Israel nachkommen, so konnten sie dies nur in Jerusalem, der Mitte und dem Sammlungsort des Gottesvolkes.“11 Schließlich wird Jerusalem der Ort sein, an dem Gott am Ende der Zeit richten wird (vgl. z.B. Jes 2,1–4; 30,19). Neben dem starken Kontinuitätsbewusstsein der Jerusalemer Urgemeinde gab es jedoch auch einen von außen wahrnehmbaren Unterschied zu dem viel größeren Teil des Judentums, der in Jesus nicht die Fortführung des Weges Gottes mit seinem Volk sehen konnte. So bildete sich unter den ersten Christen – auch schon lange, bevor sie Christen genannt wurden – mehr und mehr eine eigene Gruppenidentität heraus. Entscheidende Identitätsmerkmale dieser Gemeinschaft waren die Gegenwart des Geistes, die Taufe, der Gottesdienst mit Mahlgemeinschaft und der Glaube daran, „dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften; und dass er begraben wurde und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften; und dass er Kephas erschienen ist, dann den Zwölfen“ (1Kor 15,3b–5). Eine solche sich neu ausprägende Gruppenidentität schlägt sich in der Regel in einem dieser Gruppe eigenen Sprachgebrauch nieder. 12 Dies lässt sich auch für die ersten Christen beobachten und zeigt sich besonders deutlich in den Gruppenbezeichnungen, die sie für sich selbst wählten.

3.2

Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde

Das Neue Testament kennt verschiedene Bezeichnungen für die ersten Christen, hinter denen vermutlich auch schon Selbstbezeichnungen der Jerusalemer Urgemeinde stehen.13 Neben οἱ ἅγιοι sind hier der Aus–––––––––––––– 10 11 12

13

Ebd. Ebd., 62. Vgl. dazu Linke/Nussbaumer/Portmann, Studienbuch, 355f: „Sobald wir einen oder mehrere soziale Faktoren ausfindig machen können, aufgrund derer wir aus einer Sprachgemeinschaft eine Menge von Personen als spezifische Gruppe herauslösen können, ist es wahrscheinlich, dass auch der Sprachgebrauch dieser Personen Gemeinsamkeiten aufweist. […] Der gemeinsame Gebrauch bestimmter Sprach(verhaltens)formen signalisiert und bestätigt die Zugehörigkeit des einzelnen zur Gruppe und trägt gleichzeitig zur Manifestation der Gruppenidentität bei.“ Dabei ist natürlich zu bedenken, dass in der Jerusalemer Urgemeinde nicht Griechisch gesprochen wurde. Bei den im Neuen Testament belegten Bezeichnungen für diese Gemeinde kann es sich demnach nur um Übertragungen der vermutlich aramäischen Selbstbezeichnungen handeln.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen

druck μαθηταί (Jünger), sowie die Bezeichnungen ἀδελφοί (Brüder) und ἐκκλησία τοῦ θεοῦ (Gemeinde Gottes) zu nennen. Diese Bezeichnungen sollen im Folgenden einzeln betrachtet werden, wobei das Hauptaugenmerk natürlich auf der Bezeichnung οἱ ἅγιοι liegen soll. Es sind durchaus noch weitere Selbstbezeichnungen der Jerusalemer Urgemeinde denkbar, die jedoch im Neuen Testament nicht in dem Maße wie die bereits genannten Ausdrücke belegt sind. Dazu gehört z.B. die Bezeichnung ‚die Auserwählten‘ (vgl. Mk 13,20.22.27).14 Als weitere Selbstbezeichnung wird in der Forschung der Ausdruck οἱ πτωχοί diskutiert. Anlass dafür sind zwei Textstellen aus paulinischen Briefen, in denen es um die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem geht. So benennt Paulus die Empfänger der Kollekte in Röm 15,26 als οἱ πτωχοὶ τῶν ἁγίων τῶν ἐν ’Ιερουσαλήμ. In Gal 2,10 spricht er sogar nur von οἱ πτωχοί. K. HOLL schließt daraus, dass „οἱ πτωχοί ebenso wie οἱ ἅγιοι ein feststehender, geläufiger Name war“15. Nach Holl ist der Ausgangspunkt dieser Vorstellung „die spätjüdische Anschauung von den ’ebjōnim, die als die Elenden und Gedrückten sich Gott besonders nahe fühlen. Die Urgemeinde hat das übernommen; auch ihre Glieder nannten sich im selben Sinn die ’ebjōnim, die πτωχοί“16. Mit dieser These Holls hat sich L. E. KECK in zwei Aufsätzen auseinandergesetzt.17 Laut Keck gibt es abgesehen von Gal 2,10 (und evtl. Röm 15,26) im Neuen Testament und darüber hinaus keinerlei Hinweise darauf, dass die ersten Christen sich tatsächlich οἱ πτωχοί nannten. Meines Erachtens hat Keck Recht, wenn er zu Gal 2,10 schreibt: „[T]he fact that Paul simply refers to οἱ πτωχοί without further specification should not be used as evidence that this is a technical term“18. Dass die Urgemeinde neben den bereits genannten Bezeichnungen auch den Ausdruck ‚die Armen‘ für sich in Anspruch nahm, ist damit sehr unwahrscheinlich.19 Diese Position wird unterstützt durch Röm 15,26, wonach die Armen lediglich eine Teilgruppe der Heiligen in Jerusalem sind. Zwar ist eine rein soziale Veranlassung der Kollekte wohl auszuschließen20, jedoch wird das Geld, das

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Vgl. Schenke, Urgemeinde, 86f: „Auch die Bezeichnung ‚die Auserwählten‘ dürfte die Urgemeinde auf sich angewendet haben. […] Diese Selbstbezeichnung ist geprägt durch das Bewußtsein, das endzeitliche Gottesvolk zu repräsentieren.“ Holl, Kirchenbegriff, 167 (Hervorhebung im Original). Diese Position in Bezug auf Gal 2,10 wird auch vertreten von Georgi, Der Armen zu gedenken, 23. Zu Röm 15,26 hält Georgi jedoch fest: „Die Armen sind nach diesem Ausdruck nicht mehr alle Christen in Jerusalem, sondern nur eine, wenn auch wohl sehr große Gruppe unter ihnen. ‚Die Armen‘ ist jetzt im Gegensatz zu der Begrifflichkeit des Jerusalemer Abkommens nicht mehr eschatologischer Titel, sondern soziologische Bezeichnung“ (ebd., 81f). Holl, Kirchenbegriff, 167. Vgl. auch Bammel, πτωχός, 909. The Poor among the Saints in the New Testament, ZNW 56 (1965), 100–129; The Poor among the Saints in Jewish Christianity and Qumran, ZNW 57 (1966), 54–78. Keck, Poor/New Testament, 123. So auch Kümmel, Kirchenbegriff, 16. Zur paulinischen Deutung der Kollekte vgl. zusammenfassend Kapitel 4.2.4, S. 90ff.

Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde

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die heidenchristlichen Gemeinden – aus welchem Grund auch immer – nach Jerusalem sandten, wohl tatsächlich Bedürftigen unter den Gemeindegliedern zugekommen sein. Damit wären die Armen eine wörtlich zu verstehende Teilgruppe der Gemeinde in Jerusalem und somit keine Bezeichnung für die Gesamtgemeinde.

3.2.1

Jünger

Die „älteste Selbstbezeichnung der Jerusalemer Jesusanhänger“ 21 ist nach J. ROLOFF der Ausdruck ‚Jünger‘. Im Anschluss an die Jünger des irdischen Wanderpredigers Jesus wurden auch die nachösterlichen Anhänger des Auferstandenen ‚Jünger‘ genannt. „Maßgeblich dafür war nicht die direkte persönliche Kenntnis Jesu, sondern das Treueverhältnis zu ihm, das sich in der Verpflichtung gegenüber seiner Lehre und – wesentlicher noch – der Bindung an die von ihm geprägte Sozialstruktur erwies.“22 Im Neuen Testament ist die Bezeichnung μαθητής ausschließlich in den Evangelien und in der Apg belegt, wobei in den Evangelien damit in der Regel die Anhänger und Weggefährten des irdischen Jesus benannt sind.23 In der Apg werden die Mitglieder der Jerusalemer Urgemeinde als μαθηταί bezeichnet (z.B. Apg 6), aber auch Christen an anderen Orten (z.B. Apg 9,10: aus Damaskus; Apg 16,1: aus Lystra; Apg 18,27: aus Achaja). Insgesamt wird man diese Bezeichnung wohl als Ausdruck der empfundenen Kontinuität zu den vorösterlichen Jesusanhängern betrachten dürfen.

3.2.2

Brüder

Mit ἀδελφοί werden im Neuen Testament und vor allem in den Evangelien erst einmal leibliche Brüder bezeichnet (so z.B. Mt 4,18.21: leibliche Brüder unter den Jüngern Jesu; Joh 11,2: Lazarus, der Bruder von Maria und Martha). Daneben kann ἀδελφός auch im übertragenen Sinne gebraucht werden, beispielsweise in ethischen Aussprüchen in der Bedeutung ‚Nächster‘ (z.B. Mt 7,3–5: der Splitter im Auge des Bruders). Schließlich wird ἀδελφοί in der Apg, bei Paulus und in den deu–––––––––––––– 21 22 23

Roloff, Kirche, 82. Ebd. Auch auf nachösterliche Jünger beziehen könnte man allerdings den Satz Joh 13,35: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (vgl. auch Joh 15,8). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der sog. Missionsbefehl Mt 28,19: μαθητεύσατε πάντα τὰ ἔθνη.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen

teropaulinischen Briefen aber auch als Bezeichnung für die noch junge christliche Gemeinde, eine Gruppe nicht miteinander verwandter Männer (und Frauen) verwendet. Mit 113 Belegen allein in den paulinischen Briefen ist sie die „häufigste Selbstkennzeichnung der Christen, die bei Paulus vorkommt“24. Laut C. GERBER handelt es sich dabei um „eine selbständige Metapher […], bereits lexikalisiert und selten vitalisiert“25. Sie steht oft als Anrede der Adressaten eines Briefes (Röm 1,13; 7,1; 1Kor 1,10.11.26; 2,1; 2Kor 1,8; 8,1; Gal 1,11; Phil 1,12; 1Thess 1,4 u.ö.) oder in der Apg als Anrede der Hörer einer Rede (Apg 1,16; 2,29.37; 7,2; 13,15.26; 15,7; 22,1 u.ö.). Aber auch über Dritte wird als Brüder gesprochen (Apg 11,1.29; 28,14–15; Röm 16,14; 1Kor 16,20; 2Kor 9,3; Gal 1,2 u.ö.). Schließlich können einzelne Mitglieder dieser überregionalen Gruppe im Singular als ἀδελφός bezeichnet werden (Apg 28,21; Röm 16,23; 1Kor 7,14; 2Kor 8,18.22 u.ö.). In der neutestamentlichen Forschung wird diskutiert, ob die Bezeichnung ἀδελφοί eine spezifisch christliche Gruppenbezeichnung ist.26 Bejaht wird diese Frage z.B. von P. PILHOFER: „Die in den frühen christlichen Gemeinden übliche Anrede mit ἀδελφοί bzw. ἀδελφαί läßt sich aus den Vereinen der Umwelt nicht herleiten. Wir haben es hier vielmehr mit einem christlichen Proprium zu tun.“27 M. ÖHLER dagegen, der die Jerusalemer Urgemeinde im Spiegel des antiken Vereinswesens beleuchtet, kommt zu dem Ergebnis, „dass die Verwendung familiärer Bezeichnungen im frühen Christentum vielleicht zahlreicher belegt und intensiver, doch nicht einzigartig ist. Sowohl Vereine wie die frühchristliche Gemeinde bildeten ein Analogon zu familiären Beziehungen. Zudem waren Vereine, die sich wie die christlichen Gemeinden im Rahmen eines Hauses konstituierten, ohnehin auf die Sprache der fiktiven Verwandtschaft hin orientiert.“28 Unterstützt wird diese Position auch von den Ergebnissen P. A. HARLANDs: „[T]he term ‚brothers‘ was a natural way of expressing close social relations among friends in an association“29. Dieser metaphorische Gebrauch der Bezeichnung ‚Brüder‘ findet sich gerade auch innerhalb des jüdischen Traditionsbereichs30, so u.a. in den Schriften aus Qumran als Bezeichnung für die Mitglieder der Gemeinschaft. Beispielsweise heißt es in 1QSa I,17–19: „… In proportion to his intelligence and the perfection of his walk, let each man strengthen his loins for his assignm[ent among the tr]oops, 18 for the performance of his

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Schenk, Selbstverständnisse, 1377. Gerber, Paulus, 349. Zum außerchristlichen Gebrauch der Bezeichnung ‚Bruder‘ vgl. ganz allgemein Schelkle, Bruder. Pilhofer, Περὶ δὲ τῆς φιλαδελφίας, 146. Öhler, Urgemeinde, 400–401. Harland, Dimensions, 513. Vgl. dazu Aasgaard, Beloved Brothers, 112–115.

Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde

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works among brothers (‫)אחיו‬. [What]ever his rank, high or low, let [ea]ch man seek honour for himself, striving to outdo his fellow (‫)מרעהו‬. 19 When a man is advanced in age, let him be assigned a task in the se[rvi]ce of the congregation that is commensurate with his remaining strength. …“.31 Semantisch eng zusammenhängend ist der Ausdruck ‚Bruder‘ in diesem Kontext mit Bezeichnungen wie ‚Kollege‘ oder ‚Genosse‘ (‫)מרעהו‬. Dasselbe gilt auch für 1QS VI,10: „… None should interrupt the words of his comrade (‫)רעהו‬, speaking before his brother (‫ )אחיהו‬finishes what he has to say. …“.32

Die Tatsache, sich ‚Brüder‘ zu nennen, birgt an sich noch kein spezifisch christliches Selbstverständnis. 33 Die Metapher ‚Brüder‘ transportiert Aspekte einer Beziehung auf gleicher Ebene, wie Gleichartigkeit, Zusammengehörigkeit und Gegenseitigkeit.34 Diese Beziehungsaspekte gelten nicht nur für die christliche Urgemeinde. Deshalb kommt im Gegensatz zur Bezeichnung μαθηταί mit dem Ausdruck ἀδελφοί „nicht die – gleichsam vertikale – Bindung an Jesus, sondern die Horizontale der Verbundenheit untereinander, die sich dem Engagement für die gleiche Sache verdankt, zum Ausdruck“35. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Nebeneinander der beiden frühchristlichen Gruppenbezeichnungen μαθηταί und ἀδελφοί liefert W. BINDEMANN in seiner Studie ‚Jünger und Brüder‘. Seiner Meinung nach werden beide Begriffe im Neuen Testament „gezielt benutzt […], um Differenzierungen innerhalb der frühen Kirche zu signalisieren“36. Dies gelte insbesondere für die Apg, der einzigen neutestamentlichen Schrift, in der beide Ausdrücke als Bezeichnungen der Christen belegt sind. Lukas habe „die beiden Termini benutzt, um mit ihnen Nuancen und Differenzen in der frühen Kirche zu markieren“37. Bindemann kommt zu dem Ergebnis, dass der Ausdruck ἀδελφοί in der Apg die „jüdisch-christlich[e] Gruppe, welche die Trennung von der Synagoge noch nicht vollzogen hat“38, be-

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35 36 37 38

Diese und die folgende englische Übersetzung der hebräischen Qumrantexte entstammen Parry/Tov, Dead Sea Scrolls Reader. Vgl. Aasgaard, Beloved Brothers, 114: „The brother term is not very frequent [in den Qumranschriften; M. B.], and seems almost exchangeable with for instance ‚fellow‘“. Dieser Satz gilt natürlich nicht für die erweiterte Bezeichnung ἀδελφοί ἐν κυρίῳ (Phil 1,14), laut P. Pilhofer „eine – wenn nicht sogar die – Wurzel der Anrede mit ἀδελφέ bzw. ἀδελφή“ (Pilhofer, Περὶ δὲ τῆς φιλαδελφίας, 146). Vgl. dazu Schenk, Selbstverständnisse, 1379. Vgl. auch Gerber, Paulus, 349: Die Metapher ‚Brüder‘ „beschreibt die Zusammengehörigkeit als intergroup term mit einem sozial und emotional positiv konnotierten sowie interkulturell verständlichen Begriff“. Roloff, Kirche, 82. Bindemann, Jünger, 8. Ebd., 23 (im Original hervorgehoben). Ebd., 27 (im Original hervorgehoben).

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen

zeichnet, wohingegen mit μαθηταί „der aus Juden- und Heidenchristen gemischte Flügel des frühen Christentums“39 benannt wird. Es ist Bindemann in jedem Fall positiv anzurechnen, dass er auf das Problem des Nebeneinanders verschiedener Gruppenbezeichnungen für die Urgemeinde aufmerksam macht.40 Schade ist, dass er sich dabei nur auf die Termini ‚Jünger‘ und ‚Brüder‘ beschränkt und keine weiteren Bezeichnungen in seine Untersuchung einbezieht. Ganz abgesehen davon wirkt seine Unterscheidung von Jüngern und Brüdern in der Apg etwas gezwungen und lässt sich nicht mit der nötigen Sicherheit belegen: Beispielsweise ist in Apg 11,26–30; 14,28 von den Jüngern in Antiochia die Rede, wohingegen in Apg 15,1 die Brüder in Antiochia aufgefordert werden, sich zu beschneiden. Es gibt keinen Grund, hier von verschiedenen christlichen Gruppen in Antiochia auszugehen. Der Schlüssel für das Nebeneinander verschiedener Bezeichnungen für ein und dieselbe Gruppe liegt in der jeweiligen Aussageabsicht des Schreibenden. Wie oben bereits anklang, betont eine Bezeichnung wie μαθηταί die Beziehung zur Sache – in diesem Fall zur Person Jesu –, wohingegen die Bezeichnung ἀδελφοί die Beziehung der Gruppenmitglieder untereinander hervorhebt.41 Darüber hinaus ist es durchaus möglich, dass sich beide Bezeichnungen zur Zeit der Abfassung der Apg schon so stark als termini technici für die christlichen Gemeinden durchgesetzt hatten, dass Lukas sie als Synonyme ohne Bedeutungsunterschied nebeneinander verwendete.

3.2.3

Gemeinde (Gottes)

Eine große wirkungsgeschichtliche Bedeutung hatte die Bezeichnung ἐκκλησία.42 Dieser Ausdruck ist innerhalb des Neuen Testaments vor allem in der Apg und in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen belegt. Dabei ist nicht immer eindeutig zu klären, wer nun genau mit ἐκκλησία bezeichnet ist. Teilweise wird durch hinzugefügte Ortsangaben oder aus dem Textzusammenhang deutlich, dass es sich um eine bestimmte Gruppe an einem konkreten Ort handelt, z.B. in Jerusalem (Apg 8,1; 11,22; 15,4), in Antiochia (Apg 13,1), in Ephesus (Apg 20,17) oder in Korinth (1Kor 1,2; 2Kor 1,1). In diesem Sinne wird ἐκκλησία dann auch im Plural gebraucht (vgl. 1Kor 16,1; Gal 1,2.22; 1Thess 2,14). An anderen Stellen – vor allem in den deuteropaulini–––––––––––––– 39 40 41

42

Ebd., 32 (im Original hervorgehoben). Vgl. zum Folgenden auch die Rezension von Bindemanns Studie ‚Jünger und Brüder‘ durch W. Kraus unter http://www.bookreviews.org. So auch schon Asting, Heiligkeit, 150: „An anderen formelhaften Bezeichnungen für die Christen haben wir [in der Apg; M. B.] vor allen Dingen die häufig gebrauchten οἱ ἀδελφοί und οἱ μαθηταί. Das erstere bezieht sich auf das Verhältnis der Christen untereinander, das letztere auf ihr Abhängigkeitsverhältnis zu Jesus.“ Vgl. Roloff, Kirche, 83.

Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde

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schen Briefen – wird die Bezeichnung auch auf die gesamte Christenheit, mindestens aber auf eine überregionale Gruppierung von Jesusanhängern bezogen.43 Bis heute wird der Ausgangspunkt für die urchristliche Verwendung der Bezeichnung ἐκκλησία oft in der Septuaginta gesucht, die u.a. mit diesem Begriff das hebr. ‫ ָק ָהל‬wiedergibt (vgl. z.B. Dtn 23,2ff). Somit spiele der paulinische Gebrauch des Ausdrucks ἐκκλησία auf die Versammlung des Gottesvolkes Israel an.44 Von W. SCHRAGE wird herausgestellt, dass dies keine befriedigende Antwort sein kann, da die Septuaginta zur Wiedergabe von ‫ ָק ָהל‬ebenso gut den Ausdruck συναγωγή gebrauchen kann.45 Dagegen spricht außerdem, dass es im Neuen Testament keinen Schriftbeweis zum Begriff ἐκκλησία gibt, „was bei einem direkt dem AT entnommenen Begriff solchen Gewichtes ungewöhnlich wäre“46. Der Sprachgebrauch der Septuaginta kann also nicht allein für die frühchristliche Selbstbezeichnung ἐκκλησία verantwortlich gemacht werden.47 Geht man vom griechischem Sprachgebrauch aus, so ist festzustellen, dass ἐκκλησία zunächst einmal die Bezeichnung für eine Menschenansammlung ist und in der paganen Umwelt des Neuen Testaments auch konkret „die aus stimmberechtigten freien Männern bestehende Volksversammlung“48 bezeichnen kann. In diesem Sinne wird der Ausdruck im Neuen Testament in Apg 19,39 gebraucht (vgl. auch V. 32.40). Hier ist auch der Ausgangspunkt für die urchristliche Gruppenbezeichnung ἐκκλησία (τοῦ θεοῦ) zu sehen: Die ersten Christen versammelten sich regelmäßig, um Gottesdienst zu feiern und das Brot zu brechen (vgl. Apg 2,42.46; 20,7). Mit jedem Treffen bildeten sie eine solche aktuell –––––––––––––– 43

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Im Deutschen kommt hier stets die Frage nach einer geeigneten Übersetzung auf. Zur Verfügung stehen die Vokabeln ‚Kirche‘ und ‚Gemeinde‘, die mit ihren semantischen Unterschieden bereits das Problem bei der Frage nach dem Verständnis des neutestamentlichen Begriffs aufgreifen. Vgl. dazu Schmidt, ἐκκλησία, 530–533, insbesondere auch den dort wiedergegebenen Zusatz von L. Rost (ebd., 532f, Anm. 90). So auch Strack, Kultische Terminologie, 147–150; Dunn, Theology, 537f und jüngst Du Toit, Paulus Oecumenicus, 132ff. Vgl. Schrage, „Ekklesia“, 184: „Wir müssen also die bisherigen Versuche, die Bevorzugung des Begriffs ἐκκλησία gegenüber συναγωγή aus der LXX erklären zu wollen, für gescheitert ansehen. Sie waren schon darum zum Scheitern verurteilt, weil in der LXX ein wesentlicher Unterschied zwischen ἐκκλησία und συναγωγή nicht festzustellen ist.“ Die Diskussion um das Verhältnis der Begriffe ἐκκλησία und συναγωγή kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Vgl. dazu neben dem zitierten Aufsatz von W. Schrage auch Roloff, Kirche, 83f. Roloff, ἐκκλησία, 1001. Noch deutlicher Wolter, Paulus, 270: „Bedeutungslos für den paulinischen Gebrauch von ‚Ekklesia‘ war […] der Sprachgebrauch der Septuaginta.“ Vgl. ebd., 270–272. Roloff, Kirche, 83.

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Die Bezeichnung ‚Heilige‘ als Selbstbezeichnung der ersten Christen

versammelte ἐκκλησία (vgl. 1Kor 11,18). Die entscheidende Neuerung der frühen Christen liegt darin, diesen Begriff „in metonymischer Weise“49 zu ihrer Gruppenbezeichnung gemacht zu haben. K. BERGER begründet diesen Schritt folgendermaßen: „Die Gruppe nennt sich auch deshalb nach ihrer ‚Versammlung‘, weil sie keine naturhafte oder völkische Identität besitzt und weil alles, was die Identität ausmacht, in der Versammlung sichtbar wird (aber eben auch außerhalb der Versammlung wirksam ist).“50 Entscheidend für das Verständnis der frühchristlichen Gruppenbezeichnung ἐκκλησία ist die Tatsache, dass der „einfache Begriff ἐ. […], wo er als ekklesiologischer Terminus erscheint, als Verkürzung des urspr. Terminus ἐ. τοῦ θεοῦ zu verstehen [ist], d.h. die Näherbestimmung durch den Genitivus auctoris ‚Gottes‘ ist jeweils mitzudenken“51. Das heißt: Die Urgemeinde hat sich nicht als irgendeine Versammlung verstanden, sondern als die Versammlung Gottes. Durch den Genitiv τοῦ θεοῦ bekommt die Bezeichnung ἐκκλησία dann auch eine religiöse Konnotation.52 Die einfache Bezeichnung ἐκκλησία für die Christen ist also lediglich die Abkürzung der ausführlicheren Wendung ἐκκλησία τοῦ θεοῦ, die vor allem in den älteren Schriften des Neuen Testaments belegt ist (vgl. z.B. 1Thess 2,14; 1Kor 1,2; 10,32; 11,16.22; 15,9).

3.2.4

Heilige

In diese Reihe der Selbstbezeichnungen ist nun auch der hier zentrale Ausdruck ‚Heilige‘ einzuordnen. Ausgehend von dem semantischen Profil der Bezeichnung, das in Kapitel 2 ermittelt werden konnte, ist es im Grunde konsequent, dass sich die ersten Christen von Anfang an ‚Heilige‘ nannten. Es wurde deutlich, dass die zentralen semantischen Merkmale dieser Bezeichnung zur Zeit des Zweiten Tempels in der Zugehörigkeit zu Gott und der Erwählung durch ihn sowie in der Zugehörigkeit zum eschatologischen Gottesvolk zu suchen sind. All dies entspricht dem Selbstverständnis der Anhänger des auferstandenen Christus, die überzeugt waren, die Fortsetzung des Weges Gottes mit seinem Volk erkannt zu haben und selbst daran beteiligt zu sein. Die

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Wolter, Identität, 155. Berger, Volksversammlung, 198. Roloff, ἐκκλησία, 1001. Vgl. Lindemann, 1Kor, 26.

Die Selbstbezeichnungen der Urgemeinde

77

Inanspruchnahme der Bezeichnung ‚Heilige‘ ist also mehr als naheliegend.53 Hinzu kommt die Tatsache, dass die ersten Christen sich bewusst in Jerusalem aufgehalten haben. Ausgehend von Jes 4,3 (LXX: καὶ ἔσται τὸ ὑπολειφθὲν ἐν Σιων καὶ τὸ καταλειφθὲν ἐν Ιερουσαλημ ἅγιοι κληθήσονται πάντες οἱ γραφέντες εἰς ζωὴν ἐν Ιερουσαλημ) ist schon der Aufenthaltsort Jerusalem Grund genug, sich ‚Heilige‘ zu nennen.54 Man wird – nicht zuletzt auch im Rückgriff auf Jes 4,3 – mit Recht behaupten können, dass die ersten Christen sich wie andere jüdische Gruppen zu ihrer Zeit als ‚Rest‘ Israels verstanden haben. In diesem Sinne gibt es in der Tat interessante Parallelen zur Gemeinde in Qumran, die sich auch darin manifestieren, dass sich beide Gruppen als ‚Heilige‘ bezeichneten.55 Die Selbstbezeichnung ‚Heilige‘ ist also vor allem als Ausdruck des Kontinuitätsbewusstseins der ersten Christen zu sehen. Der Begriff ‚Jünger‘ bringt die Kontinuität zu den vorösterlichen Jesusanhängern und der Ausdruck ‚Brüder‘ vor allem die soziale Dimension der ersten Christen untereinander zum Ausdruck. Die Bezeichnung ‚Heilige‘ führt dagegen „sehr viel näher an den theologischen Ansatzpunkt des gemeindlichen Selbstverständnisses“ 56, der eben darin besteht, sich als Nachfolger der Heiligen in alttestamentlich-jüdischer Tradition zu sehen.57

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Vgl. Roloff, Kirche, 82f: „Wenn die Jerusalemer Urgemeinde sich ‚heilig‘ nennt, so bringt sie damit ihre uneingeschränkte Zugehörigkeit zur Sphäre Gottes, wie sie sich im Christusgeschehen erschlossen hat, zum Ausdruck.“ Zu Jes 4,3 s.o. S. 42. Vgl. auch Stettler, Heiligung, 369 zu Jes 4,3: „An dieser Stelle ist der Übergang zu dem im Neuen Testament selbstverständlich vorausgesetzten Sprachgebrauch zu beobachten, wonach die Glieder der Gemeinde als οἱ ἅγιοι gelten.“ Vgl. ebd., 436: „Die einzige Parallele zu dieser ansonsten einzigartigen Verwendung des Begriffs als Selbstbezeichnung für eine bereits in der Gegenwart existierende Gruppierung findet sich in Qumran“. Roloff, Kirche, 82 (Hervorhebung M. B.). So auch Stettler, Heiligung, 436: „Mit dieser Selbstbezeichnung bringt die Gemeinde zum Ausdruck, dass sie sich als das endzeitliche Gottesvolk (aus Juden und Heiden) verstand, das vor allem in späten Schriften des Alten Testaments als ‚die Heiligen‘ bezeichnet wurde“.

4

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen Schon bei einer ersten Durchsicht sämtlicher Belegstellen für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen wird deutlich, dass Paulus abgesehen von einer einzigen Ausnahme in 1Thess 3,13, wo von der Wiederkunft Christi „mit allen seinen Heiligen“ die Rede ist, nur Christen als ‚Heilige‘ bezeichnet. Außerdem ist bemerkenswert, dass Paulus die Bezeichnung grundsätzlich nur im Plural verwendet. Einzige Ausnahme ist Phil 4,21: Dort fordert Paulus dazu auf, πάντα ἅγιον zu grüßen. Formal gebraucht Paulus an dieser Stelle also den Akkusativ Singular des Adjektivs ἅγιος, inhaltlich ist jedoch auch hier von mehreren (genau genommen: allen) Heiligen die Rede. Die Bezeichnung ‚Heilige‘ ist damit für Paulus immer eine Gruppenbezeichnung. Die insgesamt 25 Belege für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι verteilen sich wie folgt auf die paulinischen Briefe: Röm 8

1Kor 6

2Kor 5

Gal –

Phil 3

1Thess 1

Phlm 2

Auffällig ist, dass οἱ ἅγιοι im 1Thess nur an einer einzigen Stelle (und zwar in 3,13 als Bezeichnung für himmlische Wesen) und im Gal gar nicht belegt ist.1 Abgesehen davon ist die Verteilung der Belegstellen – gemessen an der Länge der Briefe – verhältnismäßig gleichmäßig. Das Fehlen der Bezeichnung οἱ ἅγιοι im Gal erscheint weitaus weniger bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der paulinischen Belege für οἱ ἅγιοι in den Prä- und Postskripten seiner Briefe oder im Zusammenhang der Kollektenthematik steht. Die Kollekte für Jerusalem ist aber abgesehen von einer kurzen Bemerkung in Gal 2,10 kein Thema des Gal. Und bei der adscriptio des Präskripts handelt es sich um die kürzeste aller paulinischen Briefe, die nicht mehr als eine rein technische Adressatenangabe enthält. Abschließende Grüße fehlen im Gal ganz. Damit sind die für Paulus typischen Situationen, in denen er die Bezeichnung οἱ ἅγιοι verwendet, im Gal gar nicht gegeben.2

–––––––––––––– 1 2

Zum 1Thess s.u. Abschnitt 4.1, S. 80f und Kapitel 5, S. 115ff. Nach Meinung von M. Vahrenhorst sind das Fehlen der Bezeichnung οἱ ἅγιοι und das von ihm beobachtete Zurücktreten kultischer Terminologie im Gal der konkreten Auseinandersetzung geschuldet, die Paulus in diesem Brief führt (vgl. zum Fol-

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

79

Eine genauere Durchsicht der Belegstellen für οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen lässt zwei grundsätzlich unterschiedliche Verwendungsweisen dieser Bezeichnung erkennen: 1. Paulus verwendet die Bezeichnung οἱ ἅγιοι als einen Gattungsnamen (Appellativum) im Sinne der heutigen Bezeichnung ‚Christen‘. Dies ist in 1Kor 6,1.2; 14,33; 16,15; Röm 8,27; 12,13; 16,2 der Fall. 2. Paulus verwendet οἱ ἅγιοι im Sinne eines Eigennamens für eine konkrete Gemeinde an einem bestimmten Ort. Diese Verwendung ist vor allem in den Prä- und Postskripten seiner Briefe belegt, im Einzelnen in 1Kor 1,2; 2Kor 1,1; 13,12; Phil 1,1; 4,21.22; Phlm 5.7; Röm 1,7; 16,15.3 2’. Als ein bemerkenswerter Sonderfall der zweiten Kategorie können schließlich die Textstellen gelten, in denen οἱ ἅγιοι eine Bezeichnung für die Gemeinde in Jerusalem ist. Dies trifft zu für 1Kor 16,1; 2Kor 8,4; 9,1.12; Röm 15,25.26.31. Bevor die aufgeführten Belegstellen innerhalb der vorgenommenen Gruppierung nun in umgekehrter Reihenfolge im Einzelnen analysiert werden (Abschnitte 4.2–4), soll zunächst mit 1Thess 3,13 die einzige Belegstelle für οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für himmlische Wesen behandelt werden.

3

genden Vahrenhorst, Kultische Sprache, 247–259). Paulus schreibt an Gemeinden, die sich mit einer Nachmissionierung konfrontiert sehen. Diese Nachmissionierer, gegen die sich Paulus im Gal wendet, fordern die Beschneidung der nichtjüdischen Christen (Gal 6,12–13). Vahrenhorst zeigt „einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Reinheit bzw. Heiligkeit und Beschneidung“ auf (vgl. ebd. 252– 256, Zitat: 256). Davon ausgehend vermutet er, dass Paulus die Bezeichnung ‚Heilige‘ und kultische Terminologie bewusst vermeidet, „um seinen Gegnern keine argumentative Steilvorlage zu liefern“ (ebd., 256). Umgekehrt sei die Rechtfertigungsterminologie „in der Auseinandersetzung um die Notwendigkeit der Beschneidung schlicht und ergreifend die schärfere Waffe gewesen“ (ebd., 259). Zur Auseinandersetzung mit Vahrenhorst vgl. Kapitel 7.1, S. 186ff. Die Unterscheidung von Gattungsname und Eigenname ist von H. Weinrich übernommen, der die Nomina in diese beiden großen Subklassen unterteilt (vgl. Weinrich, Textgrammatik, 317–324). – Die Unterscheidung von οἱ ἅγιοι als Gattungsname und Eigenname entspricht auch der Frage des „doppelten Kirchenbegriffs“ (Kirche vs. Ortsgemeinde), wie sie seit A. von Harnack im Hinblick auf den paulinischen Gebrauch des Ausdrucks ἐκκλησία diskutiert wird (vgl. dazu Schenk, Selbstverständnisse, 1399f, bes. Anm. 133).

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Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

4.1

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für himmlische Wesen

In 1Thess 3,13 ist von der Wiederkunft Jesu die Rede, die erfolgt μετὰ πάντων τῶν ἁγίων αὐτοῦ. Mittlerweile ist es einhellige Meinung unter den Exegeten, dass es sich bei diesen Heiligen um Engel handelt. 4 Paulus bedient sich damit eines im jüdischen Traditionsbereich durchaus üblichen Sprachgebrauchs: Wie in Kapitel 2 näher ausgeführt, kann ἅγιοι sowohl im Alten Testament als auch in Texten aus der Zeit des Zweiten Tempels und insbesondere in den Schriften aus Qumran himmlische Wesen bezeichnen. 5 Dies trifft auch für 1Thess 3,13 zu. Dafür spricht die Tatsache, dass die Vorstellung von himmlischen Wesen als Gottes Begleiter beim Endgericht im jüdischen Traditionsbereich ebenfalls mehrfach belegt ist. Insbesondere Sach 14,5 erweist sich bis in die genaue Formulierung hinein als direkte Parallelstelle: … καὶ ἥξει κύριος ὁ θεός μου καὶ πάντες οἱ ἅγιοι μετ᾿ αὐτοῦ.6 In frühchristlicher Zeit ist das Motiv der himmlischen Gottesbegleiter auf die Parusie Christi übertragen worden. Neben der hier vorliegenden Stelle 1Thess 3,13 sei beispielhaft Mk 8,38 genannt, wo vom Kommen des Menschensohnes μετὰ τῶν ἀγγέλων τῶν ἁγίων die Rede ist.7 Auch briefintern spricht alles dafür, die Heiligen in 1Thess 3,13 als himmlische Wesen aufzufassen: In 1Thess 4,16f ist erneut von der Parusie Christi die Rede. Von den Christen heißt es dort, dass sie von den Toten auferstehen bzw. entrückt werden. Zum Zeitpunkt der Parusie Christi befinden sich also (noch) keine Christen im Himmel, die mit Jesus auf die Erde kommen könnten. Die Heiligen müssen demnach himmlische Wesen sein. In dem ältesten Paulusbrief ist οἱ ἅγιοι folglich keine Bezeichnung für die christliche Gemeinde, sondern für Engel. Paulus verwendet den Ausdruck damit zwar nicht in ungewöhnlicher Weise8, aber eben doch –––––––––––––– 4

5 6 7 8

Vgl. die zahlreichen Belege bei Schmidt, Heilig, 334, Anm. 1340. In jüngerer Zeit (seit 1995) wurde die Position, dass es sich bei den Heiligen in 1Thess 3,13 um Christen handelt, meines Wissens nur von W. Schenk vertreten (vgl. Schenk, Selbstverständnisse, 1384, Anm. 98). Vgl. dazu die Abschnitte 2.1.1 (S. 21ff), 2.2.1 (S. 46ff) und 2.3.1 (S. 58ff). Vgl. dazu Holtz, 1Thess, 147; Schmidt, Heilig, 335f (dort in Anm. 1342 weitere Belege für diese Vorstellung). Ausführlich auch Radl, Ankunft des Herrn, 53–55. Weitere neutestamentliche und außerneutestamentliche Belege sind aufgeführt bei Schmidt, Heilig, 336, Anm. 1346 und 1347. Vgl. Luckensmeyer, Eschatology, 231 zu 1Thess 3,13: „That this identification is the only exception to Paul’s use of ἅγιος is tempered by the presence of several references to such an identification elsewhere in the NT and LXX and significantly in the context of the parousia of the Son of Man.“

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

81

anders als in den späteren Briefen. Dies entspricht auch einer grundsätzlichen Differenz im Heiligkeitsverständnis zwischen dem 1Thess und den anderen Paulusbriefen.9

4.2

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

In Kapitel 3 wurde deutlich, dass die Jerusalemer Urgemeinde für sich selbst den Titel οἱ ἅγιοι in Anspruch genommen hat.10 Auch Paulus wendet diese Bezeichnung auf die Gemeinde in Jerusalem an, und zwar stets im Zusammenhang der Geldsammlung hellenistischer Gemeinden für die Urgemeinde, auf die er innerhalb seiner Briefe mehrfach zu sprechen kommt.11 Außerhalb der Kollektenthematik spricht Paulus kaum von der Jerusalemer Gemeinde und verwendet für sie auch keine der bekannten Bezeichnungen, wie z.B. ἀδελφοί oder ἐκκλησία.12 Diese Beobachtung wirft eine Reihe von Fragen auf: Warum entscheidet Paulus sich bei der Behandlung der Kollektenthematik ausgerechnet für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι? Welches Licht wirft die Verwendung dieser Bezeichnung auf das paulinische Verständnis der Kollekte? Und: Spricht Paulus der Urgemeinde mit dieser Bezeichnung einen besonderen Status zu? Um diese Fragen zu beantworten, sollen im Folgenden die Textpassagen, in denen sich Paulus zur Kollekte für Jerusalem äußert, einzeln betrachtet werden (Abschnitte 4.2.1–3). Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frage nach dem Sinn und Zweck der Kollekte. Außerdem –––––––––––––– 9

10 11

12

Vgl. zum paulinischen Heiligkeitsverständnis im 1Thess ausführlich Kapitel 5, S. 115ff. Der Vergleich zwischen dem 1Thess und dem 1Kor wird in Kapitel 7.3.1 (S. 206ff) gezogen. S.o. S. 67 und S. 76ff. Interessant ist, dass das Thema der Kollekte in der Apg fehlt (vgl. aber evtl. Apg 24,17), obwohl es zur lukanischen Gesamtausrichtung, die auf eine gute Beziehung zwischen Paulus und Jerusalem Wert legt, gut passen würde (vgl. Eckert, Kollekte, 66f). J. Gnilka begründet dieses Fehlen damit, dass die Jerusalemer die Kollekte nicht angenommen haben (Paulus äußert eine diesbezügliche Sorge in Röm 15,31) und die Einheit der Kirche damit in Frage gestellt ist (vgl. Gnilka, Kollekte, 314). Vgl. zu dieser Frage außerdem Horn, Kollektenthematik; Downs, Offering, 60–70. Zu den Bezeichnungen für die Jerusalemer Gemeinde bei Paulus vgl. Cho, Vorstellung, 147–158; ebd., 157f insbesondere auch zur Bezeichnung οἱ ἅγιοι: „Es ist auffällig, daß die Vokabel οἱ ἅγιοι (einschließlich οἱ πτωχοί) [für die Jerusalemer Gemeinde, M. B.] ausschließlich dort vorkommt, wo man mit Kollekte zu tun hat. Die Erwähnung der Gläubigen in der Jerusalemer Gemeinde als Ganzes tritt also lediglich in bezug auf das Thema Kollekte in Erscheinung.“

82

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

werden die Empfänger der Kollekte – die Heiligen – näher in den Blick genommen. Ausgehend von einer kurzen zusammenfassenden Darstellung des paulinischen Verständnisses der Kollekte für Jerusalem (Abschnitt 4.2.4) soll abschließend (Abschnitt 4.2.5) die Frage beantwortet werden, warum Paulus die Jerusalemer im Zusammenhang der Kollekte ausgerechnet mit dem Ausdruck οἱ ἅγιοι bezeichnet.

4.2.1

1Kor 16,1–4

In chronologischer Reihenfolge betrachtet kann man innerhalb des Neuen Testaments erstmals in 1Kor 16,1–4 von der Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem lesen.13 Nachdem Paulus in Kapitel 15 das Thema der Auferstehung behandelte, beginnt er in 16,1 mit περὶ δέ den Briefschluss.14 In den folgenden vier Versen geht es zunächst um die λογεία εἰς τοὺς ἁγίους. Der Ausdruck λογεία ist im Neuen Testament nur hier belegt 15: in V. 1 als Oberbegriff für den gesamten Vorgang der Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem und in V. 2 im Plural als Bezeichnung für die konkreten Geldsammlungen der einzelnen Christen in Korinth. Für das Verständnis der Kollekte für Jerusalem ist wesentlich, „daß im Sprachgebrauch von λογεία der Ton offenbar nicht in erster Linie auf dem Steuerlich-Abgabemäßigen liegt, bes nicht im sakralen Gebrauch“16. Laut G. KITTEL wird mit λογεία eher eine außerordentliche Geldsammlung bezeichnet.17 „Die Wahl des Wortes scheint […] den Charakter der als Kollekte – wenn auch in gewissen Formen – gesammelten (nicht als Steuer erhobenen) Spende anzudeuten.“18 Neben λογεία verwendet Paulus hier noch eine weitere Bezeichnung: In V. 3 spricht er von der χάρις der Korinther, die nach Jerusalem gebracht werden soll.19 Emp–––––––––––––– 13

14

15 16 17 18 19

Paulus kommt häufig am Ende eines Briefes auf Geldangelegenheiten zu sprechen. Um die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem geht es auch in Röm 15,25ff. Vgl. darüber hinaus Phil 4,10–18 und Phlm 18f, wo es ebenfalls um finanzielle Fragen, jedoch nicht um die Jerusalem-Kollekte geht. Trotz des Neuansatzes besteht Anschluss an den vorhergehenden Abschnitt. Die im Folgenden thematisierte Sammlung für die Heiligen kann als Konkretion des περισσεύοντες ἐν τῷ ἔργῳ τοῦ κυρίου πάντοτε (15,58) betrachtet werden. So z.B. Schrage, 1Kor IV, 423f; Wolff, 1Kor, 427f. Auch in der Septuaginta und in der griechischen Literatur ist λογεία nicht belegt. Kittel, λογεία, 285f führt aber einige Belege aus Papyri und Inschriften an. Kittel, λογεία, 286 (Hervorhebung im Original). Vgl. ebd., 285. Ebd., 286 (Hervorhebungen im Original). Zu χάρις s.u. S. 84f.

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

83

fänger sind laut V. 1 οἱ ἅγιοι. Nur aus dem Textzusammenhang (vgl. V. 3) und aus den weiteren Texten zur Kollekte (z.B. Röm 15,25–28.31) lässt sich schließen, dass damit die Heiligen in Jerusalem gemeint sind. Darüber hinaus bietet der Text keine Auskünfte zu den Empfängern. Der Textabschnitt 1Kor 16,1–4 enthält über die bewusst gewählten Bezeichnungen hinaus keine Informationen über den Sinn und Zweck der Kollekte für die Heiligen. Es geht lediglich um die praktische Durchführung der Sammlung in Korinth und die Frage der Überbringung des Geldes nach Jerusalem.20 Das muss aber natürlich nicht heißen, dass den Korinthern der Hintergrund der Kollekte nicht bekannt gewesen ist.21 Im Gegenteil: Die sehr knappe Einleitung, mit der Paulus die Briefzeilen zur Kollekte beginnt (V. 1: περὶ δὲ τῆς λογείας τῆς εἰς τοὺς ἁγίους), spricht dafür, dass die Sammlung für Jerusalem zwischen Paulus und den Korinthern bereits Thema war und die Korinther mit der ihnen bekannten paulinischen Begründung der Kollekte konform gingen.22 Neben der Mitteilung praktischer Details zur Durchführung der Geldsammlung dient der Textabschnitt 1Kor 16,1–4 vor allem dazu, die Korinther für die Teilnahme an der Kollekte zu motivieren. 23 So verweist Paulus auf die Gemeinden in Galatien, die sich ebenfalls an der Sammlung beteiligen (V. 1), und macht damit deutlich, dass den Korinthern keine unverhältnismäßige Sonderspende abverlangt wird, sondern dass andere christliche Gemeinden vor derselben Aufgabe stehen. Vielleicht dient die Erwähnung der galatischen Gemeinden darüber hinaus einem motivierenden Wetteifer. In V. 3 hebt Paulus die eigenverantwortliche Rolle der Korinther an der Geldsammlung hervor: Die Korinther sollen ihre Spende selbst nach Jerusalem bringen und gemeindeintern entscheiden, wer diese Aufgabe wahrnehmen wird. In V. 4 stellt Paulus seine Begleitung für die Reise nach Jerusalem in Aussicht – ἐὰν δὲ ἄξιον ᾖ – und motiviert die Korinther damit abermals zu einer reichhaltigen Spende für die Heiligen in Jerusalem. –––––––––––––– 20

21 22 23

Darüber hinaus erfährt der Leser noch, dass die Gemeinden in Galatien ebenfalls eine Kollekte einsammeln (vgl. V. 1). – Lindemann, Jerusalem-Kollekte, 101 macht auf die „geradezu ‚professionell[e]‘“ Durchführung der Kollekte aufmerksam. Seiner Meinung nach wurde die Kollekte als ein „diakonisches Unternehmen“ (ebd.) durchgeführt: „Die Kollekte war offensichtlich nicht nur ‚gut gemeint‘, sondern sie war zugleich – soweit wir erkennen können – bestens organisiert“ (ebd.). Vgl. Lindemann, 1Kor, 376. Sehr ausführlich und unter Berücksichtigung von 2Kor 8,10; 9,2 beschäftigt sich M. Gielen mit dieser Frage, vgl. Merklein/Gielen, 1Kor III, 402–406. Vgl. zum Folgenden ebd., 400–402.

84

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

4.2.2

2Kor 8f

Weitaus ausführlicher äußert Paulus sich zur Geldsammlung für die Gemeinde in Jerusalem in 2Kor 8f.24 Schlüsselbegriff beider Kapitel ist das Wort χάρις, das hier zehn Mal belegt ist (8,1.4.6.7.9.16.19; 9,8.14.15). Dabei lassen sich zwei grundsätzliche Verwendungsweisen unterscheiden:25 Zum einen ist das Wort χάρις innerhalb der Wendung ἡ χάρις τοῦ θεοῦ belegt (8,1 und 9,14; vgl. auch 9,8 sowie ἡ χάρις τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ in 8,9). Der Ausdruck ἡ χάρις τοῦ θεοῦ kann als paulinischer terminus technicus angesehen werden, der für „Gottes Erlösungswerk in Christus“26 steht. Von dieser Gnade Gottes heißt es zu Beginn der Kollektenkapitel, dass sie in den Gemeinden Makedoniens gegeben (8,1) und die Ursache für deren Freigebigkeit ist (vgl. das konsekutive ὅτι in V. 2). In 8,9 wird dann „die Gnade unseres Herrn Jesus Christus“ als Begründung für den paulinischen Aufruf zur Geldsammlung in Korinth angeführt (vgl. auch 9,8). Schließlich wird am Ende der Kollektenkapitel ausgesagt, dass auch den Christen in Achaja überschwängliche Gnade Gottes gegeben ist (9,14) – vielleicht mit dem Hintergedanken, die Gemeinden in Achaja zu eben jener Reaktion zu bewegen, die bei den makedonischen Gemeinden festgestellt worden ist. Zum anderen steht χάρις in 2 Kor 8f als Ausdruck für die Kollekte. So berichtet Paulus den Korinthern, dass die Gemeinden in Makedonien darum gebeten hatten, sich an der χάρις und der κοινωνία τῆς διακονίας τῆς εἰς τοὺς ἁγίους (8,4) beteiligen zu dürfen, und dass er Titus gebeten habe, die χάρις auch in Korinth zu vollziehen (8,6). Schließlich fordert er die Korinther konkret auf, sich ἐν ταύτῃ τῇ χάριτι hervorzutun (8,7). Dass es sich dabei tatsächlich um eine materielle Sammlung handelt, wird besonders deutlich in 8,19–20, wo χάρις parallel zu ἁδρότης steht und von beiden ausgesagt wird, dass sie von einer Gruppe, der wohl auch Paulus angehört (ὑφ᾿ ἡμῶν), überbracht wird (διακονουμένη).27 Der Ausdruck χάρις ist nach J. R. HARRISON zur Zeit des Zweiten Tempels ein „fundamental leitmotiv of the hellenistic reciprocity sys–––––––––––––– 24 25 26 27

Die literarkritischen Fragen des 2Kor können hier nicht diskutiert werden. Vgl. dazu z.B. Betz, 2Kor 8+9, 25–77. Vgl. auch Kim, Kollekte, 9. Betz, 2Kor 8+9, 86. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in 8,16 und 9,15 außerdem die Wendung χάρις τῷ θεῷ belegt ist, die im Deutschen mit ‚Dank sei Gott‘ wiedergegeben werden kann.

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

85

tem“28. Χάρις kann beide Seiten einer freundschaftlichen Beziehung bezeichnen, sowohl die Zuwendung des einen als auch die dankbare Reaktion des anderen.29 Wenn Paulus also die Kollekte für Jerusalem χάρις nennt, so wird man dahinter eine metonymische Bezeichnung nach dem Prinzip abstractum pro concreto zu sehen haben: Das Abstraktum χάρις dient hier der Bezeichnung eines konkreten Gegenstandes, nämlich der Kollekte, die das Verhältnis der spendenden Gemeinden zur Jerusalemer Gemeinde zur Anschauung bringt. Dasselbe gilt für den Ausdruck κοινωνία, der in 8,4 als weitere Bezeichnung für die Kollekte parallel zu χάρις (durch καί verbunden) steht. Κοινωνία ist nach J. HAINZ Schlüsselbegriff für das frühe Christentum30 und „Bez. für verschiedene Gemeinschaftsverhältnisse, die durch (gemeinsames) Anteilhaben entstehen und sich als (wechselseitiges) Anteilgeben und Anteilnehmen darstellen“31. Indem die Geldsammlung für Jerusalem nun also χάρις und κοινωνία genannt wird, wird sie zur „Konkretion des bestehenden Gemeinschafts- und Schuldverhältnisses, in dem die heidenchristlichen Gemeinden zur Jerusalemer Muttergemeinde stehen“32 (vgl. Gal 2,9f). Der Begriff χάρις transportiert in 2Kor 8f darüber hinaus noch einen weiteren Aspekt der Kollekte: Indem Paulus dieses Wort hier auf zwei verschiedene Weisen gebraucht und nicht nur die Kollekte, sondern auch Gottes wohlwollendes Handeln an den spendenden Gemeinden als χάρις bezeichnet, stellt er eine Beziehung zwischen beidem her.33 Die Gnade Gottes wird damit zur Voraussetzung der Kollekte und umgekehrt die Kollekte zu einer Reaktion auf die Gnade Gottes.34 –––––––––––––– 28 29 30 31 32 33

34

Harrison, Paul’s Language, 63; vgl. auch ebd. 345 sowie ausführlicher ebd. 50ff, 80ff, 128ff, 140ff, 179ff. Vgl. dazu die dritte und vierte Bedeutung von χάρις bei Spicq, Lexicon III, 503ff. Vgl. Hainz, Gemeinschaft, 41. Hainz, κοινωνία, 751. Ebd., 755. Vgl. Betz, 2Kor 8+9, 86: Χάρις „umfaßt eine ganze Bandbreite von Bedeutungen, die sämtlich für die Argumentation des Briefes von Bedeutung sind. Es gehört in der Tat zu Paulus’ Strategie, mit den verschiedenen Bedeutungen dieses Wortes zu spielen“. Vgl. dazu Schmidt, „Nicht vergeblich empfangen“, 137ff, insbesondere das Schaubild 141. Vgl. außerdem Hentschel, Diakonia, 151 (Mit dem Begriff χάρις erscheine die Kollekte „als eine sich aus der Gnade Gottes ergebende Verpflichtung“.) und Harrison, Paul’s Language, 297: „[T]he Macedonian request to participate in the Jerusalem collection in 2 Cor 8:4 should be viewed as a free act of grace, prompted by the effects of divine grace in their lives (8:1, 7a, 9b), and modelled on the grace of God’s impoverished benefactor (8:9; cf. 6:10).“ Harrison ist der Meinung, dass Paulus „subtly undermines the social expectations aroused by the Graeco-Roman reciprocity system“ (ebd., 323), indem er die Komponente der Gnade Gottes in das Beziehungsgeflecht der Gemeinden untereinander einführt (vgl. ebd., 322–324).

86

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

In der Regel wird auch der Begriff διακονία in 8,4 als eine Bezeichnung für die Kollekte angesehen 35 und entsprechend theologisch gedeutet: die Kollekte als Dienst der heidenchristlichen Gemeinden an ihrer Jerusalemer Muttergemeinde.36 Im Anschluss an D. GEORGI und J. N. COLLINS kann jedoch A. HENTSCHEL zeigen, dass eine Übersetzung von διακονία mit ‚Dienst‘ dem paulinischen, aber auch dem sonstigen antiken Gebrauch dieser Bezeichnung nicht entspricht.37 Erklärungen, die vom Tischdienst als ursprünglichem Bezugsrahmen ausgehen 38, seien schlicht falsch. Als Ergebnis ihrer Untersuchungen zum paulinischen Gebrauch von διακονέω und Stammverwandten kann Hentschel festhalten: „Paulus bezeichnet mit den Begriffen die Ausführung von Aufgaben unterschiedlicher Art, die auf eine Beauftragung zurückgeführt werden und häufig eine Vermittlungs- oder Botentätigkeit beinhalten.“39 Konkret auf die Geldsammlung für Jerusalem bezogen heißt das: „Διακονία und seine Derivate können im Zusammenhang der Kollekte offizielle Funktionen und Tätigkeiten ausdrücken, die mit der Überbringung der Geldspende der verschiedenen Gemeinden nach Jerusalem verbunden sind.“40 Damit bezieht sich der Ausdruck διακονία also „eher auf die organisatorische Dimension“41 und lässt keine Rückschlüsse auf eine theologische Deutung der Kollekte zu. Empfänger der Kollekte sind nach 2Kor 8,4 (so auch in 9,1.12) die ‚Heiligen‘. Abgesehen von diesen drei Versen und einer kurzen Erwähnung ‚der anderen‘ (ἄλλοι) in 8,13 äußert sich Paulus nicht weiter zu den Adressaten der Geldsammlung. Nur aus anderen neutestamentlichen Texten zur Kollekte lässt sich schließen, dass es sich dabei um die Gemeinde insgesamt oder wenigstens einen Teil der Gemeinde (die Armen?) in Jerusalem handeln muss, auch wenn der Name Ἰερουσαλήμ in 2Kor 8f an keiner Stelle fällt. Zur Zielsetzung der Kollekte äußert Paulus sich in 8,13f: 13 οὐ γὰρ ἵνα ἄλλοις ἄνεσις, ὑμῖν θλῖψις, ἀλλ᾿ ἐξ ἰσότητος· 14 ἐν τῷ νῦν καιρῷ τὸ ὑμῶν περίσσευμα εἰς τὸ ἐκείνων ὑστέρημα, ἵνα καὶ τὸ ἐκείνων περίσσευμα γένηται εἰς τὸ ὑμῶν ὑστέρημα, ὅπως γένηται ἰσότης, … –––––––––––––– 35 36 37 38 39 40 41

Betz, 2Kor 8+9, 94 vermutet hinter der Wendung ἡ διακονία ἡ εἰς τοὺς ἁγίους sogar einen offiziellen Namen der Sammlung. So z.B. Kim, Kollekte, 12–15. Vgl. auch Schmithals, Die Kollekten, 84; Eckert, Kollekte, 74; Gnilka, Kollekte, 310. Vgl. dazu ihre Dissertation ‚Diakonia im Neuen Testament‘. So z.B. Weiser, διακονέω, 726. Hentschel, Diakonia, 180. Ebd., 155 (Hervorhebungen im Original). Ebd., 152.

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

87

Ziel der Kollekte ist demnach, Gleichheit (ἰσότης) herzustellen zwischen den Gebern, also den hellenistischen Gemeinden bzw. hier der Gemeinde in Korinth, und den Empfängern, also der Jerusalemer Gemeinde. Dem entspricht auch die Bezeichnung der Kollekte als χάρις.42 Was zum Erreichen dieser Gleichheit zu tun ist, bestimmt die jeweilige Situation: Zu diesem Zeitpunkt (ἐν τῷ νῦν καιρῷ) kann und muss der Überfluss der Korinther dem derzeitigen Mangel der Jerusalemer abhelfen, zu einem anderen Zeitpunkt ist für Paulus auch der umgekehrte Weg zum Erreichen der ἰσότης denkbar. V. 13 lässt darauf schließen, dass es möglicherweise Kritik an der Kollekte gegeben hat und Paulus nun den Vorwurf der Ungerechtigkeit oder Unverhältnismäßigkeit der Geldsammlung abwehren muss. Insgesamt kann man sagen, dass die Aufnahme der Kollektenthematik in 2Kor neben der Mitteilung organisatorischer Details zur Überbringung der Kollekte (so vor allem 8,16–22; 9,3–5) das Ziel verfolgt, die Korinther zur großzügigen Teilnahme an der Geldsammlung zu motivieren.43 Dabei geht Paulus rhetorisch sehr geschickt vor.44 Zunächst lobt er die Gemeinden in Makedonien in einer Weise, die bei den Korinthern den Wunsch nach Nachahmung mehr oder weniger provozieren muss (8,1–5). Dann schreibt er den Korinthern, dass sie in allen Dingen reich sind (8,7) und wehrt damit das mögliche Gegenargument des eigenen Mangels von vornherein ab. Besonders strategisch ist V. 8, in dem Paulus betont, dass es sich bei dem Aufruf zur Beteiligung an der Kollekte nicht um einen Befehl handelt, sondern er nur prüfen möchte, ob Eifer und Liebe der Korinther den positiven Verhältnissen in anderen Gemeinden entsprechen. In 9,2 schließlich schmeichelt er den Korinthern und hebt dann am Schluss der Kollektenkapitel nochmals hervor, dass die χάρις τοῦ θεοῦ in Korinth übermäßig gegeben ist (9,14). Mit Blick auf 8,1.9 ist damit die Voraussetzung für eine reichhaltige Beteiligung der Korinther vorhanden.

4.2.3

Röm 15,25–28.31b

Im Röm kommt Paulus eher beiläufig auf die Kollekte für Jerusalem zu sprechen. Er berichtet den Römern, dass er auf dem Weg nach Spanien bei ihnen vorbeikommen möchte (15,22–24), jedoch vorher wegen fi–––––––––––––– 42 43 44

S.o. S. 84f. Dies ist bereits für 1Kor 16,1–4 festgestellt worden. Downs, Offering, 131 spricht von „rhetorical strategies“.

88

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

nanzieller Angelegenheiten nach Jerusalem reisen möchte. Bereits in 1Kor 16,4 hatte Paulus in Aussicht gestellt, dass er vielleicht selbst mit nach Jerusalem reisen werde, um die Kollekte zu überbringen. Eben jene Reise steht nun kurz bevor. Den Zweck dieser Reise nach Jerusalem beschreibt Paulus mit διακονεῖν τοῖς ἁγίοις. Das Partizip διακονῶν ist dabei als participium conjunctum zu verstehen, das hier einem Finalsatz entspricht.45 Auch hier ist διακονέω nicht als ‚dienen‘ zu verstehen, sondern bezieht sich auf eine Boten- oder Vermittlungstätigkeit.46 In diesem Zusammenhang (vgl. auch V. 31) ist damit die Überbringung der Geldspende gemeint. Laut A. HENTSCHEL, die sich damit der Position von J. N. COLLINS anschließt, werden mit dem Dativ τοῖς ἁγίοις in V. 25 die spendenden Christen in Makedonien und Achaja (vgl. V. 26) bezeichnet. Hentschel führt als Argumente für ihre Position angeblich vergleichbare Konstruktionen bei Josephus und Lukian an (Josephus, Ant 10.177; Lukian, Icar 20; Philops 35; Tyr 22)47 und weist außerdem darauf hin, dass die Empfänger der διακονία in Röm 15,31, aber auch in 2Kor 8,4; 9,1 im Akkusativ mit der Präposition εἰς an das Substantiv angeschlossen werden.48 Dies ist jedoch kein ausschlaggebendes Argument, da es durchaus möglich ist, dass zwei verschiedene grammatikalische Konstruktionen denselben Inhalt transportieren.49 Ein Blick auf die von Hentschel angeführten Stellen bei Josephus und Lukian zeigt außerdem, dass die dortigen Konstruktionen nicht ganz vergleichbar sind und deshalb kaum als Argumente ins Feld geführt werden können: So sind beispielsweise bei Josephus und in Lukians Icaromenippus beide Seiten des vermittelnden διακονέω aufgeführt (Josephus, Ant 10,177: ὑποσχομένου δὲ τοῦ προφήτου διακονήσειν αὐτοῖς πρὸς τὸν θεὸν συνέβη […]; Lukian, Icar 20: Der Mond spricht zu Menippus: „οὕτως ὄναιο, διακόνησαί μοί τι πρὸς τὸν Δία.“), während in Röm 15,25 διακονέω nur mit dem Dativ-Objekt steht. Philops 35 dagegen, wo es von einem in einen Diener verwandelten Besen heißt: πάντα δεξιῶς ὑπηρέτει καὶ διηκονεῖτο ἡμῖν, spräche eher dafür, in Röm 15,25 unter den Heiligen die Empfänger der Kollekte zu verstehen. Lediglich Tyr 22 könnte vielleicht als Beleg für die Deutung Hentschels dienen: Das Schwert selbst […] bewies, dass es seinem Herrn nicht unwürdig gewesen ist und bezeugte, ὅτι μοι πιστῶς διηκονήσατο.

–––––––––––––– 45 46 47 48 49

Vgl. dazu O’Rourke, Participle. Vgl. Hentschel, Diakonia, 154. S.o. S. 86f. Vgl. Hentschel, Diakonia, 154, Anm. 315. Vgl. auch Collins, Diakonia, 220f. bzw. ebd. 327, Anm. 9. Vgl. ebd., 155. Vgl. dazu auch B/D/R, 150: „Der Dativ war in hohem Maße, mehr als der Akk. und Gen., der Konkurrenz verschiedener Präpositionen, besonders von ἐν und εἰς ausgesetzt“.

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

89

Viel entscheidender ist dagegen, dass es sich bei den ἅγιοι in V. 26 und in V. 31 eindeutig um die Heiligen in Jerusalem handelt, wie auch sonst immer im Zusammenhang der paulinischen Rede von der Kollektenreise (1Kor 16,1–4; 2Kor 8–9). Wenn Paulus in V. 25 tatsächlich von den Heiligen in Makedonien und Achaja hätte sprechen wollen, so hätte er dies eindeutig zum Ausdruck gebracht, um Missverständnisse zu vermeiden. Auch besteht kein Problem darin, dass Paulus in V. 26 nicht mehr nur von den Heiligen, sondern konkreter von οἱ πτωχοὶ τῶν ἁγίων τῶν ἐν Ἰερουσαλήμ spricht.50 Dies muss keinen Widerspruch bedeuten: eine Geldsammlung für die Armen einer bestimmten Gruppe kommt auch der Gruppe als ganzer zu, die sonst selbst für die Versorgung ihrer Armen hätte aufkommen müssen. 51 Bei den Heiligen in Röm 15,25 handelt es sich zweifellos um die Jerusalemer Christen. Paulus reist nach Jerusalem mit dem Ziel, „den Heiligen (die Kollekte) zu überbringen“ (V. 25). Den römischen Christen, die nicht an der Geldsammlung beteiligt sind, muss Paulus nun zunächst erklären, was es mit dieser Kollekte auf sich hat (V. 26–27). So berichtet er, dass sich die Gemeinden in Makedonien und Achaja52 entschlossen haben (εὐδοκέω), eine κοινωνία53 zu leisten εἰς τοὺς πτωχοὺς τῶν ἁγίων τῶν ἐν Ἰερουσαλήμ. Die Geldsammlung in den heidenchristlichen Gemeinden ist also freiwillig geschehen, und als Spende „für die Armen unter den Heiligen“ (V. 26) hat sie eindeutig einen sozialen Zweck.54 Im nächsten Vers liefert Paulus allerdings auch eine theologische Begründung der Kollekte: Die heidenchristlichen Gemeinden sind ὀφειλέται (Schuldner) ihrer Jerusalemer Muttergemeinde. Sie haben Anteil bekommen an immateriellen Gütern (πνευματικά), konkret an der Tradition des Evangeliums. Ihre ‚Schulden‘ begleichen sie nun in Form materieller Güter (σαρκικά), nämlich mit Geld. Damit wird die Kollekte hier etwas anders begründet als in 2Kor 8,13–14: Dort ging es um einen Lastenausgleich zwischen aktuell wohlhabenderen Gemeinden auf der einen Seite und der notleidenden Jerusalemer Gemeinde auf der anderen Seite. Dieser Ausgleich könnte zu einem anderen Zeitpunkt und unter anderen wirtschaftlichen Bedingungen auch in umgekehrter Reihenfolge erfolgen. Nach Röm 15,27 ist ein solcher Rollentausch jedoch nicht denkbar, denn die spendenden heidenchristlichen Gemeinden sind Schuldner der Jerusalemer Gemeinde – nicht umge–––––––––––––– 50 51 52 53 54

Vgl. Hentschel, Diakonia, 155, Anm. 316. So auch Wilckens, Röm, 126. Die Galater erwähnt Paulus nicht. Vgl. 1Kor 16,1. Zu κοινωνία s.o. S. 85. Vgl. auch Gal 2,10.

90

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

kehrt.55 Gegenüber der theologischen Begründung der Kollekte in 2Kor ist hier eine Akzentverschiebung zu beobachten. Mit dem Bericht über seine Reisepläne und die Kollekte für Jerusalem verbindet Paulus schließlich die Bitte an die Christen in Rom, für ihn zu beten (V. 30), damit seine διακονία den Heiligen in Jerusalem willkommen sei (V. 31). Paulus muss offenbar befürchten, dass die κοινωνία, der die heidenchristlichen Gemeinden mit ihrer Kollekte Ausdruck verleihen wollen, aus Jerusalemer Sicht gar nicht gewollt ist. Damit wird die Kollekte zu einem Politikum.

4.2.4

Das paulinische Verständnis der Kollekte für Jerusalem

Nach Gal 2,10 wurde der Beschluss zur Kollekte für Jerusalem auf der sog. Apostelkonferenz gefasst: Als Teil der dort gemachten Vereinbarung zur Aufteilung der Missionsgebiete (V. 9) nehmen Jakobus, Petrus und Johannes dem Heidenmissionar Paulus das Versprechen ab, „an die Armen zu denken“. Dazu sagt Paulus über sich selbst, dass er sich bemüht habe, genau dies zu tun. Konkret ist das Ergebnis seiner Bemühungen in der mehrere Jahre in Anspruch nehmenden Spendenaktion zu sehen, die er in hellenistischen Gemeinden durchführt.56 Den Abschluss der Kollektenaktion bildet eine Reise nach Jerusalem, bei der das Geld übergeben werden soll (vgl. Röm 15,28.31). Die Frage ist nun, wodurch eine solche Geldsammlung für die Jerusalemer Gemeinde motiviert ist und wie Paulus die Kollekte für sich und seine Gemeinden begründet.57 Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Geldsammlung freiwillig ist.58 Dafür spricht zum einen die von Paulus verwendete Bezeichnung –––––––––––––– 55

56 57 58

Vgl. Haacker, Röm, 348 (Hervorhebung im Original): „Während dort [2Kor 8,13–14; M. B.] von einem Lastenausgleich zwischen den jeweils Bessergestellten und den Notleidenden die Rede ist, bei dem auch ein Rollentausch bei veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen in Frage kommt, interpretiert Paulus den Römern gegenüber die materiellen Spenden der Heidenchristen als eine geschuldete Gegenleistung und Dankesgabe dafür, daß die judenchristliche Urkirche den Nichtjuden Anteil an ihren geistlichen Gütern gegeben haben [sic!].“ Paulus berichtet von Gemeinden in Galatien (1Kor 16,1), Makedonien (2Kor 8,1; Röm 15,26) und Achaja (Röm 15,26; 2Kor 9,2). Einen guten Überblick über die verschiedenen Positionen in dieser Frage gibt Gnilka, Kollekte, 306–309. Vgl. auch Kim, Kollekte, 149–160. Gegen Holl, Kirchenbegriff, 168. Nach Holl handelt es sich bei der Kollekte um „eine richtige Auflage, die den Heidenchristen von der Muttergemeinde gemacht wird“ (ebd.; Hervorhebung im Original). Seiner Meinung nach „sind auch die Heidengemeinden es schuldig, zum Unterhalt der Muttergemeinde beizutragen“ (ebd.). Diese

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

91

λογεία in 1Kor 16.59 Zum anderen haben die jeweiligen Abschnitte in den Briefen einen stark motivierenden Aspekt. Paulus erwähnt keine Bestimmungen oder Erlasse, die anordnen, dass die Gemeinden für Jerusalem spenden müssen, sondern er motiviert sie, sich aus freien Stücken an der Kollekte zu beteiligen. Gegen eine Anordnung zur Spende spricht auch, dass die Gemeinden Makedoniens explizit darum gebeten haben, sich an der Geldsammlung beteiligen zu dürfen (2Kor 8,4). Zudem gibt es keinerlei Vorgaben über die Höhe des in den Gemeinden zu sammelnden Geldbetrages, auch wenn Paulus natürlich auf eine möglichst hohe Summe hofft und dafür seine Beteiligung an der Reise nach Jerusalem zur Überbringung des Geldes in Aussicht stellt. Es bleibt die Frage, aus welchem Grund die hellenistischen Gemeinden aufgefordert waren, für die Heiligen in Jerusalem zu spenden. In jedem Fall gab es einen sozialen Aspekt: Die Kollekte diente der Linderung materieller Armut unter den Christen in Jerusalem.60 Das Geld ist für „die Armen unter den Heiligen“ (Röm 15,26; vgl. Gal 2,10)61 bestimmt, derer sich die hellenistischen Gemeinden annehmen, weil sie es sich derzeit leisten können. Man könnte vielleicht von einer überregionalen Güterteilung sprechen mit dem Ziel, die sozialen Unterschiede zwischen den Gemeinden der frühen Christenheit auszugleichen (vgl. 2Kor 8,13f). Darüber hinaus muss die Kollekte für Jerusalem jedoch einen weiteren Zweck verfolgt haben. Hinweis darauf ist allein der lange Zeitraum, den die Kollekte in Anspruch genommen hat und der eindeutig dagegen spricht, dass die soziale Not der einzige Beweggrund für die Kollekte war.62 Außerdem wird es auch andere arme Gemeinden gegeben haben (z.B. in Makedonien, vgl. 2Kor 8,2). Für sie wurde entweder nicht gespendet, oder die entsprechenden Sammlungen waren in der

59 60

61

62

Position legt einen Vergleich zur jüdischen Tempelsteuer nahe. So z.B. Schweizer, πνεῦμα, 412: „Die Kollekte für Jerusalem, […] die wohl Paulus selbst als Loyalitätserweis gegen Jerusalem im Sinne der jüdischen Tempelsteuer verstanden hat“. S.o., S. 82. Vgl. Lindemann, Jerusalem-Kollekte, 100 (Hervorhebung im Original): „[S]ie hatte eine primär soziale Zielsetzung, d.h. es ging um die materielle Unterstützung von tatsächlich armen Menschen in der christlichen Gemeinde in Jerusalem.“ Wie in Kapitel 3 (S. 70f) dargelegt, ist οἱ πτωχοί kein Titel der Jerusalemer Gemeinde, sondern bezeichnet eine bestimmte Teilgruppe der Gemeinde, die materiell benachteiligt ist. Vgl. Beckheuer, Paulus, 68: „Die gesamte Kollektenaktion verlöre ihre innere Logik, wenn man an anderen Orten eine Sammlung für in soziale Not geratene Jerusalemer Gemeindeglieder organisierte, die aber erst Jahre später das Elend zu lindern vermochte“.

92

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

Kommunikation zwischen Paulus und seinen Gemeinden nicht erwähnenswert. Dass es bei der Kollekte um mehr als nur sozialen Ausgleich ging, belegen schon die gewählten Bezeichnungen. So bezeichnet Paulus die Kollekte als χάρις (vgl. 1Kor 16,3; 2Kor 8,4 u.ö.) und als κοινωνία (2Kor 8,4; Röm 15,26) und nimmt damit eindeutig Bezug auf das Gemeinschaftsverhältnis, in dem auf der einen Seite die heidenchristlichen Gemeinden, auf der anderen Seite die Urgemeinde in Jerusalem steht. Dass es sich bei diesem Gemeinschaftsverhältnis auch um ein (gegenseitiges) Schuldverhältnis handelt, erläutert Paulus in Röm 15,27: Die Sendung materieller Güter nach Jerusalem begründet er als Gegenleistung für die immateriellen Güter der Urgemeinde, an denen die hellenistischen Gemeinden Anteil bekommen haben. Damit ergibt sich, „daß die Kollekte von Anfang an für Paulus nicht nur den wirtschaftlichen Aspekt materieller Hilfeleistung hatte, sondern Ausdruck dieser Haltung dankbaren Gedenkens und Zeichen des Gemeinschaftswillens sein sollte“63. Nach K. BERGER64 ist die Kollekte für Jerusalem als Analogie zum Almosen für Israel zu sehen: Die Funktion des jüdischen Almosens fasst Berger wie folgt zusammen: „Almosen kann daher in soteriologisch-theologischer und zugleich in konkret sozialer Hinsicht auch die Beziehung des Außenstehenden, des Sympathisanten oder des Neubekehrten zum jüdischen Volk darstellen. Weggabe der Habe an Arme ist zugleich Kriterium für den Willen zur Zugehörigkeit. Theologische Aspekte und konkretes Gruppenverhalten greifen ineinander.“65 Hinter Gal 2,10 verberge sich die Vereinbarung, „daß die paulinischen Gemeinden ein Almosen für die Armen geben, aufgrund dessen sie den traditionellen Status der Gruppe der ‚Gottesfürchtigen‘ einnehmen können.“66 Weiter heißt es: „Für die paulinischen Gemeinden bedeutete das Almosen für die armen Judenchristen nicht weniger als die Einheit mit der Gemeinde in Jerusalem; es hat demonstrativen Charakter, und die Annahme durch die Gemeinde in Jerusalem bestätigt den eigenen Gruppenstatus: daß es sich um Unbeschnittene handelt, deren Wille zur Zugehörigkeit gleichwohl respektiert wird.“67

Schließlich verweist auch Paulus’ Sorge, die Jerusalemer Gemeinde könne die Kollekte ablehnen, darauf, dass es um mehr als einen rein sozialen Akt zwischen verschiedenen Gemeinden ging. Hinter der Sorge um die Ablehnung der Kollekte verbirgt sich die Sorge um die Ab–––––––––––––– 63 64 65 66 67

Hainz, Koinonia, 161. Vgl. dazu seinen Aufsatz „Almosen für Israel. Zum historischen Kontext der paulinischen Kollekte“ (NTS 23, 1977, 180–204). Vgl. auch Kim, Kollekte, 156–160. Berger, Almosen, 192. Ebd., 200. Ebd., 198.

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

93

lehnung des Gemeinschaftsverhältnisses zwischen der Urgemeinde und den von Paulus gegründeten und betreuten Gemeinden. 68 Zusammenfassend kann man festhalten, dass die Kollekte für Jerusalem beides war: Auf der einen Seite materielle Unterstützung für eine finanziell schlecht gestellte Gemeinde bzw. einzelne Glieder daraus und auf der anderen Seite Ausdruck des Gemeinschaftsverhältnisses zwischen der judenchristlichen Urgemeinde und heidenchristlichen Gemeinden und damit Zeichen der Einheit der noch jungen Christenheit.69

4.2.5

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die Jerusalemer Gemeinde

Ausgehend von der obigen Deutung der Kollekte stellt sich nun die Frage, warum Paulus im Zusammenhang der Kollektenthematik in seinen Briefen für die Jerusalemer Gemeinde ausgerechnet die Bezeichnung οἱ ἅγιοι wählt. Alles spricht dafür, dass aus der Selbstbezeichnung ‚die Heiligen‘ zur Zeit des Paulus auch eine Fremdbezeichnung für die Christen in Jerusalem geworden ist (vgl. z.B. auch Apg 9,13; 26,10) und Paulus sich mit dem Gebrauch dieser Bezeichnung dem üblichen Sprachgebrauch angeschlossen hat. Dies wurde bereits von K. HOLL so gesehen,70 der daraus allerdings noch weitere Schlüsse zog: Seiner Meinung nach –––––––––––––– 68

69 70

Georgi, Der Armen zu gedenken, 85 schreibt der Kollekte für Jerusalem auch einen provokatorischen Charakter zu: „Die Kollekte und vor allem ihre Überbringung nach Jerusalem durch eine größere Delegation unbeschnittener Heidenchristen, einer Delegation, die aus Angehörigen verschiedener heidnischer Völker bestand, mußte bei den Juden den Gedanken an die eschatologische Völkerwallfahrt nach Jerusalem wachrufen. […] Die Verheißung der Völkerwallfahrt begann sich zu erfüllen, aber ohne und gegen die Mehrzahl der Juden. Die Vertreter der Heidenvölker brachten die Gaben der Völker, doch nicht zum Tempel, sondern zu den Armen unter den ohnehin nicht angesehenen Christen Jerusalems. Dadurch aber mußte das offizielle Jerusalem als Mittelpunkt und Festung des Unglaubens ausgegeben werden, während es doch nach alttestamentlicher und spätjüdischer Hoffnung der Magnetberg des Heils sein sollte. All dies mußte besonders provokativ wirken.“ Diese Deutung geht jedoch weit über das hinaus, was den paulinischen Texten zu entnehmen ist. So u.a. auch Wolff, 1Kor, 428; Gräßer, 2Kor II, 25.43; Lindemann, Jerusalem-Kollekte, 100.102. Vgl. auch Eckert, Kollekte, 79f. Vgl. Holl, Kirchenbegriff, 166 (Hervorhebung im Original): „Es hat also im Urchristentum einen Sprachgebrauch gegeben, vermöge dessen man die Gemeinde zu Jerusalem schlechtweg als die ἅγιοι bezeichnete, so daß, wenn οἱ ἅγιοι ohne näheren Zusatz gesagt wurde, jedermann sofort die Christengemeinde in Jerusalem darunter verstand.“

94

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

wird an der Bezeichnung οἱ ἅγιοι „offenkundig, daß die Urgemeinde als Ganzes sich auch religiös den übrigen, von ihr aus entstehenden Gemeinden überlegen fühlte, als im Besitz eines Vorzugs, der sie dauernd auszeichnete“71. Aus der Tatsache der Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem folgert Holl, „daß die Urgemeinde aus ihrer ‚Heiligkeit‘, wenigstens den Heidenchristen gegenüber, auch gewisse Rechtsforderungen ableitete“72. Diese Schlussfolgerungen gehen jedoch zu weit. Die Kollekte war freiwillig, und Paulus trieben sogar Zweifel um, ob sie in Jerusalem angenommen wird. Von Rechtsforderungen kann daher keine Rede sein.73 Außerdem gebraucht Paulus den Titel οἱ ἅγιοι auch für andere Gemeinden (z.B. Röm 1,7; 1Kor 1,2)74, daher kann er im Zusammenhang der Kollekte kaum Ausdruck einer Vorzugsstellung oder eines besonderen Anspruchs der Jerusalemer Gemeinde sein. 75 Vielmehr wird man von einem frühchristlichen Sprachgebrauch ausgehen können, der der Jerusalemer Gemeinde als ältester Gemeinde, die sich als erste so genannt hat, den Titel οἱ ἅγιοι in besonderer Weise und im Sinne einer eingeführten Gruppenbezeichnung zugesprochen hat. So –––––––––––––– 71

72 73

74 75

Ebd., 166f (Hervorhebungen im Original). So jüngst wieder Stettler, Heiligung, 90: „Die Jerusalemer Urgemeinde hatte bei Paulus nicht nur in historischer, sondern auch und erst recht in theologischer Hinsicht eine Sonderstellung.“ Holl, Kirchenbegriff, 168 (Hervorhebung im Original). Dem widerspricht auch nicht, dass Paulus die heidenchristlichen Gemeinden in Röm 15,27 ὀφειλέται (Schuldner) der Jerusalemer Gemeinde nennt. Der Begriff ὀφειλέται ist hier metaphorisch zu verstehen, da er sich auf immaterielle Schulden (die Teilhabe an der Tradition des Evangeliums) bezieht (vgl. Röm 13,8). Vgl. dazu den Abschnitt 4.3, S. 96ff. Vgl. dazu auch Asting, Heiligkeit, 156: „Daß die Gemeinde in Jerusalem auf Grund ihres Heimatrechtes in der heiligen Stadt und auf Grund der Anwesenheit der Urapostel mit ihrer Autorität sich als eine Gemeinde höheren Ranges als die vielen Missionsgemeinden ansah, kann man wohl annehmen, obgleich wir kein konkretes Beispiel dafür haben. Aber, daß eine solche Selbsteinschätzung in der Bezeichnung οἱ ἅγιοι zum Ausdruck kommt, ist höchst unwahrscheinlich. Hätte in dieser Bezeichnung auch nur im allergeringsten etwas gelegen, was in Gegensatz zu Paulus’ Ansicht von diesen Dingen gestanden hätte, so könnten wir sicher sein, daß Paulus selbst niemals den Ausdruck gebraucht hätte, ja, er würde wahrscheinlich direkt dagegen polemisiert haben.“ – Vgl. auch Merklein, Ekklesia, 304f: „Gerade wenn man davon ausgeht, daß diese Termini ursprünglich in Jerusalem entstanden sind und das Bewußtsein, Gottes erwähltes Volk zu sein, zum Ausdruck brachten, ist nicht einzusehen, warum die Jerusalemer bei quantitativer Ausbreitung dieses Gottesvolkes beanspruchen sollten, die Exklusiv-Heiligen (bzw. -Armen) zu sein. Dem widerspricht auch die paulinische Übertragung dieser Terminologie auf andere Gemeinden, wobei von antijerusalemischer Polemik nichts zu verspüren ist. Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß dort, wo ‚die Heiligen‘ bzw. ‚die Armen‘ mit der Jerusalemer Gemeinde identisch sind, sich dies nicht aus dem Begriff, sondern aus dem literarischen oder situativen Kontext ergibt.“

οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für die Jerusalemer Urgemeinde

95

reichte die Bezeichnung οἱ ἅγιοι ohne weitere Zusätze aus, um die Gemeinde in Jerusalem zu benennen. 76 Neben dieser Anpassung an den üblichen Sprachgebrauch wird man hinter der Wahl der Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die Jerusalemer Gemeinde im Zusammenhang der Kollekte auch rhetorische Gründe vermuten können. Schon bei der Durchsicht der einzelnen Textpassagen wurde deutlich, dass Paulus sich sehr bemüht, seine Gemeinden zu einer reichhaltigen Beteiligung an der Kollekte zu motivieren. Paulus war die Kollekte als Zeichen der Gemeinschaft zwischen Jerusalem und den hellenistischen Gemeinden sehr wichtig. Also galt es, die hellenistischen Gemeinden von der Bedeutsamkeit der Kollekte und der Notwendigkeit der Teilnahme an derselben zu überzeugen. In diesem Sinne kann die Wahl der Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die Empfänger der Kollekte als „persuasive Benennung“ 77 verstanden werden, mit der Paulus die Leser seiner Briefe affektiv beeinflussen wollte. Der Begriff οἱ ἅγιοι ist damit nicht einfach nur eine durchaus übliche Bezeichnung für die Jerusalemer Gemeinde, sondern beinhaltet darüber hinaus eine Bewertung.78 Die mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι vorgenommene unterschwellige79 und in diesem Fall wertschätzende und würdigende Bewertung der Jerusalemer Gemeinde durch Paulus soll dazu beitragen, dass seine Gemeinden sich reichhaltig an der für ihn so wichtigen Kollekte beteiligen. Paulus wendet mit der Wahl der Bezeichnung οἱ ἅγιοι als persuasiver Benennung also ein rhetorisches Mittel an, das seine Gemeinden einmal mehr von der Notwendigkeit und Bedeutung der Kollekte überzeugen soll.80

–––––––––––––– 76

77 78 79

80

Vgl. Kümmel, Kirchenbegriff, 17: „[D]ie Jerusalemer Gemeinde hat als die älteste Gemeinde diesen Titel im besonderen behalten.“ Vgl. auch Asting, Heiligkeit, 157– 159. Schüller, Begründung, 281. Laut Schüller fließen in persuasiven Benennungen Beschreibung und Bewertung der benannten Sache ineinander (vgl. ebd.). Ein Merkmal persuasiver Benennungen ist die Tatsache, dass die darin liegende Bewertung für das zu überzeugende Gegenüber nicht offensichtlich ist. Auch der Autor bzw. Redner selbst ist sich bei gewählten persuasiven Benennungen seiner Bewertungsmaßstäbe nicht immer bewusst. Vgl. dazu ebd. Aus der Analyse der übrigen Belegstellen für οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen wird sich noch ein weiterer Grund für die Wahl der Bezeichnung ‚Heilige‘ für die Jerusalemer Gemeinde im Zusammenhang der Kollektenthematik ergeben. S.u. S. 111.

96

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

4.3

οἱ ἅγιοι als Eigenname

Paulus hat sich den seinerzeit üblichen Sprachgebrauch zueigen gemacht und die Gemeinde in Jerusalem als ‚Heilige‘ bezeichnet. Er hat den Begriff οἱ ἅγιοι aber auch auf andere christliche Gemeinden bezogen und diese in den Prä- und Postskripten81 seiner Briefe ebenfalls ‚Heilige‘ genannt. Diese Verwendungsweise wird hier durch die Kategorie ‚οἱ ἅγιοι als Eigenname‘ klassifiziert.82 Nach H. Weinrich sind Eigennamen „Nomina, die der Kennzeichnung einzelner Personen oder Sachen dienen“83. Weinrich unterscheidet innerhalb der Eigennamen Personen-, Orts- und Völkernamen. Einer dieser Untergruppen lässt sich die Bezeichnung οἱ ἅγιοι allerdings nur schwer zuordnen. Am ehesten entspricht sie einem Völkernamen84, wobei mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι kein Herkunftsort, sondern ein bestimmtes Identitätsmerkmal (die Heiligkeit) zur Kennzeichnung der so Bezeichneten herangezogen wird.

4.3.1

οἱ ἅγιοι als Anrede in den Präskripten der paulinischen Briefe

Die paulinischen Briefe entsprechen in ihrem Aufbau im Großen und Ganzen den üblichen Konventionen antiker Briefe. 85 Dies gilt insbesondere für die Prä- und Postskripte. Die Präskripte bestehen grundsätzlich aus zwei Sätzen: Der erste Satz nennt den Absender im Nominativ (superscriptio) und den Empfänger im Dativ (adscriptio). Der zweite Satz enthält einen Eingangsgruß (salutatio).86 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι ist innerhalb eines Präskripts – wenn überhaupt – nur in der adscriptio belegt und bezieht sich damit immer auf die Empfänger des Briefes. Trotzdem kann der Ausdruck οἱ ἅγιοι unterschiedlich eingesetzt werden. Erstmals spricht Paulus eine christliche Gemeinde im Präskript des 1Kor als Heilige an, genauer als „berufene Heilige“ (κλητοὶ ἅγιοι, 1Kor –––––––––––––– 81 82 83 84 85 86

Im Brief an Philemon findet sich die Bezeichnung οἱ ἅγιοι zwei Mal im Proömium (V. 5.7). Bereits J. Dillersberger spricht davon, dass „das Wort ἅγιοι sogar eigennamlich gebraucht“ wird (Dillersberger, Das Heilige, 34; vgl. auch ebd. 55). Weinrich, Textgrammatik, 317. Vgl. ebd., 319. Zum Aufbau eines antiken Briefes vgl. z.B. Klauck, Briefliteratur, 35–40. Damit orientiert Paulus sich zum einen an der orientalischen Briefkonvention, greift aber auch Elemente der griechischen Form auf bzw. entwickelt eigene Konventionen. Vgl. dazu Schnelle, Einleitung, 54–58; Schnider/Stenger, Studien, 3f.

οἱ ἅγιοι als Eigenname

97

1,2).87 Dieselbe Bezeichnung ist außerdem noch im Präskript des Röm (1,7) belegt. Als Hintergrund für diesen Ausdruck wurde mehrfach der Septuaginta-Ausdruck κλητὴ ἁγία für hebr. ‫„( ִמ ְק ָרא־ק ֶֹדשׁ‬heilige Versammlung“; vgl. Ex 12,16; Lev 23; Num 28,25) ins Spiel gebracht. 88 Hier muss jedoch kein Zusammenhang gesehen werden. Das Wort ἅγιοι ist als substantiviertes Adjektiv die auch sonst gebräuchliche Bezeichnung für eine christliche Gemeinde (‚Heilige‘), die hier durch das Adjektiv κλητός näher bestimmt ist. Damit zieht Paulus in beiden Briefen jeweils eine Parallele zu der vorangestellten Selbstvorstellung (1Kor 1,1; Röm 1,1): So wie er „berufener Apostel“ (κλητὸς ἀπόστολος) ist, so sind die Korinther bzw. Römer „berufene Heilige“ (κλητοὶ ἅγιοι).89 Sonst kann κλητοί als substantiviertes Adjektiv auch eine eigenständige Gruppenbezeichnung sein und sogar denselben Personenkreis bezeichnen wie die Bezeichnung ἅγιοι. So spricht Paulus die Römer im Präskript nicht nur als κλητοὶ ἅγιοι an, sondern spricht in V. 6 von ihnen auch als κλητοὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ (vgl. außerdem Röm 8,28; 1Kor 1,24; Jud 1; Mt 22,14; Apk 17,14).

Sowohl im 1Kor als auch im Röm ist die Bezeichnung κλητοὶ ἅγιοι nicht die eigentliche Adressatenangabe, sondern eine epexegetische Ergänzung, die die Adressaten (in 1Kor 1,2 „die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist“; in Röm 1,7 „alle, die in Rom sind“) näher charakterisiert.90 Anders verhält es sich im Präskript des Phil. Laut adscriptio (Phil 1,1) gilt der Brief πᾶσιν τοῖς ἁγίοις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ τοῖς οὖσιν ἐν Φιλίπποις σὺν ἐπισκόποις καὶ διακόνοις. Der Ausdruck ‚Heilige‘ ist hier also keine Näherbestimmung oder Qualifizierung einer irgendwie anders benannten Gruppe. Vielmehr ist er das alleinige Anredenomen91 –––––––––––––– 87

88

89 90

91

E. D. Schmidt folgert aus dem Sachverhalt, dass die Bezeichnung ‚Heilige‘ hier durch das Adjektiv κλητός ergänzt ist und außerdem parallel zur Anrede ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ steht, dass „sie sich noch nicht als Formel stabilisiert“ hat (Schmidt, Heilig, 338). Dagegen sprechen jedoch die zahlreichen weiteren Belege für οἱ ἅγιοι im 1Kor. Vgl. Stalder, Werk des Geistes, 208: „Der Ausdruck ‚klētoi hagioi‘ bezeichnet also die Adressaten als Glieder der heiligen Kult- und Festgemeinde Gottes.“ So auch schon Asting, Heiligkeit, 142f. Auch Merklein, 1Kor I, 74 zieht diese Option wenigstens in Betracht. So auch Hanssen, Heilig, 25; Strack, Kultische Terminologie, 173. Die Korinther werden im Präskript des 1Kor sogar durch zwei epexegetische Ergänzungen und damit doppelt von Paulus als ‚Heilige‘ qualifiziert. Auch darüber hinaus erweist sich die Heiligkeit der Gemeinde als zentrales Thema des 1Kor. Vgl. dazu Kapitel 6, S. 145ff. Vgl. dazu Braun/Kohz/Schubert, Anredeforschung, XVI: „Anredenomen sind Substantive und Adjektive, die den Gesprächspartner bezeichnen oder sich in anderer Weise auf ihn beziehen.“

98

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

des Hauptadressaten. 92 Ähnlich verhält es sich in der adscriptio des 2Kor (1,1). Dieser gilt τῇ ἐκκλησίᾳ τοῦ θεοῦ τῇ οὔσῃ ἐν Κορίνθῳ σὺν τοῖς ἁγίοις πᾶσιν τοῖς οὖσιν ἐν ὅλῃ τῇ Ἀχαΐᾳ. Hier ist οἱ ἅγιοι ebenfalls keine Apposition, sondern die einzige Anrede, allerdings nicht für den Hauptempfänger, sondern für einen erweiterten Adressatenkreis. Die Belege für οἱ ἅγιοι im Brief des Paulus an Philemon (Phlm 5.7) nehmen eine gewisse Sonderstellung ein, da sie sich außerhalb des Präskripts im Proömium des Briefes befinden. Bei den als ἅγιοι Bezeichneten handelt es sich um die in der adscriptio des Briefes als Mitadressat angegebene Hausgemeinde Philemons (V. 2).93 Nach Meinung von R. ASTING bezeichnet οἱ ἅγιοι in Phlm 5.7 diejenigen, „die die Botschaft von Christi Heilsbedeutung verkündigen“94, also „Personen mit autoritativer Stellung in der Gemeinde“ 95. Asting kommt zu dieser Deutung, da seiner Meinung nach der Ausspruch ‚Glaube an die Heiligen‘ keinen Sinn mache, verstehe man die Heiligen als gewöhnliche Gemeindeglieder. Allerdings ist V. 5 – gegen Asting96 – chiastisch aufgebaut, d.h. Paulus spricht hier von Liebe gegenüber den Heiligen und Glaube gegenüber dem Herrn Jesus (vgl. Eph 1,15 und Kol 1,4). Dafür spricht, dass in V. 6 der Glaube gegenüber Christus und in V. 7 die Liebe gegenüber den Heiligen wieder aufgenommen wird.97 Der Ausdruck οἱ ἅγιοι ist in Phlm 5 also unbedingt als Bezeichnung für die Angehörigen der Hausgemeinde Philemons aufzufassen. Unter Umständen ist die Bezeichnung hier sogar weiter zu fassen, da durchaus denkbar ist, dass Philemon sich nicht nur gegenüber seiner eigenen Gemeinde, sondern auch gegenüber anderen Christen vorbildlich verhält.

–––––––––––––– 92 93 94 95 96 97

Als Adressaten explizit genannt werden außerdem ἐπίσκοποι und διάκονοι. Vgl. dazu Müller, Phil, 35–38. So auch Reinmuth, Phlm, 28: „Paulus meint mit dem zweimal verwendeten Begriff ‚die Heiligen‘ (V. 1) die im Präskript genannte Hausgemeinde des Philemon.“ Asting, Heiligkeit, 165 (im Original hervorgehoben). Ebd., 160 (im Original hervorgehoben). Vgl. ebd., 164. Vgl. Wolter, Kol/Phlm, 253f.

οἱ ἅγιοι als Eigenname

4.3.2

99

οἱ ἅγιοι in den Postskripten der paulinischen Briefe

Während der Ausdruck οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefpräskripten stets eine Bezeichnung für die Empfänger ist, steht er in den Briefpostskripten für unterschiedliche Personengruppen und auch in unterschiedlichen Abschnitten. Die drei wiederkehrenden Elemente in den Postskripten der paulinischen Briefe sind 1. der Grußauftrag, 2. die Übermittlung von Grüßen Dritter sowie 3. die Grüße des Briefschreibers selbst (das sog. Eschatokoll).98 Im Röm 16,15 wird die Bezeichnung ἅγιοι im Grußauftrag genannt: Paulus bittet die römischen Leser, eine Reihe von Personen sowie „alle Heiligen bei ihnen“ (οἱ σὺν αὐτοῖς πάντες ἅγιοι) zu grüßen. Damit sind weitere Christen aus dem Umfeld der namentlich Genannten gemeint. In 2Kor 13,12 begegnet der Ausdruck dagegen bei der Übermittlung von Grüßen: alle Heiligen lassen Grüße an die Empfänger ausrichten (ἀσπάζονται ὑμᾶς οἱ ἅγιοι πάντες.). Vermutlich handelt es sich hier um die christliche Gemeinde am Abfassungsort des 2Kor.99 Im Postskript des Phil ist die Bezeichnung ἅγιοι gleich doppelt belegt: Zunächst werden die Philipper im Grußauftrag aufgefordert, πάντα ἅγιον ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ („jeden Heiligen in Christus Jesus“) zu grüßen (Phil 4,21).100 Schaut man zurück auf das Briefpräskript, so stellt man fest, dass die „Heiligen in Christus Jesus“ gerade die Empfänger dieses Briefes sind (Phil 1,1). Fordert Paulus die Empfänger und Leser seines Briefes nun also auf, jeden einzelnen (Singular!) Heiligen in Christus Jesus zu grüßen, will er sicherstellen, dass wirklich jedes Gemeindemitglied den Brief und die darin enthaltenen Grüße erhält.101 Die hier genannten Heiligen sind also keine dritten Personen, sondern die im Präskript genannten Empfänger.102 Darüber hinaus richtet Paulus den Philippern auch Grüße aus von „allen Heiligen, besonders von denen aus des Kaisers Haus“ (πάντες οἱ ἅγιοι, μάλιστα δὲ οἱ ἐκ τῆς Καίσαρος οἰκίας; Phil 4,22). Hier han–––––––––––––– 98 99

Vgl. dazu Schnelle, Einleitung, 59; Schnider/Stenger, Studien, 108f. Abfassungsort der verschiedenen Brieffragmente, aus denen der 2Kor besteht, ist vermutlich Ephesus (vgl. dazu Becker, Paulus, 234.172f). 100 Das Syntagma ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ist hier unbedingt auf das Substantiv ἅγιον zu beziehen und nicht auf das Verb. Dafür spricht schon allein die Parallele im Präskript des Phil (Phil 1,1). So auch Schenk, Philipperbriefe, 70; gegen Müller, Phil, 212. 101 Vgl. Müller, Phil, 212: „Der Ton liegt hier nur darauf, daß die Gemeinde sicherstellen soll, daß jeden in der Gemeinde der gemeinschaftsstiftende Gruß erreicht.“ 102 Vgl. dazu auch Schnider/Stenger, Studien, 122: „So besehen liest sich der Grußauftrag als Auftrag an den Empfänger im ‚postalischen Sinn‘, den Brief unter den Gemeindemitgliedern, d.h. seinen Adressaten im Sinn des Präskripts bekannt zu machen.“

100

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

delt es sich vermutlich – analog zu 2Kor 13,12 (vgl. auch die identische Formulierung) – um die christliche Gemeinde am Abfassungsort des Phil.103 Durch den erneuten Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι und die dadurch gegebene Gleichstellung der Christen am Abfassungs- und am Empfangsort wird die Verbundenheit der Christen untereinander in Philippi hier auf die gesamte Christenheit ausgeweitet: So wie sich lokal die Gemeindeglieder untereinander grüßen sollen, so gibt Paulus global betrachtet Grüße von einer Gemeinde an eine andere weiter.104 Gegrüßt werden die Philipper außerdem von den „Brüdern“, die bei Paulus sind (Phil 4,21: ἀσπάζονται ὑμᾶς οἱ σὺν ἐμοὶ ἀδελφοί). Es stellt sich die Frage, ob die ‚Brüder‘ eine andere Gruppe sind als die ‚Heiligen‘, oder ob hier zwei verschiedene Formulierungen dasselbe ausdrücken.105 Vermutlich hat Paulus hier tatsächlich zwei unterschiedliche Gruppen im Blick: Der Gemeinde an dem Ort, an dem er sich befindet – hier bezeichnet mit οἱ ἅγιοι –, stellt er mit οἱ σὺν ἐμοὶ ἀδελφοί diejenigen gegenüber, die sich ebenfalls bei ihm befinden, aber – wie Paulus selbst auch – Gäste am Ort sind und nicht zu der dortigen Gemeinde gehören. Dies könnten z.B. seine Mitarbeiter sein.106 Daraus darf allerdings nicht geschlossen werden, dass hinter der Bezeichnung οἱ ἀδελφοί grundsätzlich nur die Mitarbeiter des Paulus stehen.107 Die Ausdrücke ‚Heilige‘ und ‚Brüder‘ werden von Paulus sonst durchaus synonym verwendet (vgl. z.B. Röm 16,14.15).

–––––––––––––– 103 So Müller, Phil, 212; Barth, Phil, 80. Abfassungsort des Phil ist vermutlich – wieder analog zum 2Kor – Ephesus. Wer genau ‚die aus des Kaisers Haus‘ sind, kann in diesem Zusammenhang nicht erläutert werden; vgl. dazu Müller, Phil, 212f. 104 Vgl. Wiefel, Die Heiligen, 30: „Wenn in ein und demselben Briefausgang sich einerseits der Gruß an jeden Heiligen richtet, andererseits in Gemeinschaft mit dem Verfasser alle Heiligen grüßen (so Phil 4,21), so wird sichtbar, daß gerade dieser Würdename die den Absender umgebende Gemeinschaft und die Empfänger wechselseitig umschließt. Er ist offensichtlich dem in den Grüßen zum Ausdruck gebrachten communio-Charakter in besonderer Weise zugeordnet.“ 105 Die letztgenannte Position vertritt z.B. Walter, Phil, 101: „Sind die ‚Heiligen‘ am Orte des Paulus eine andere Gruppe als die ‚Brüder und Schwestern‘? Das wäre kaum zu begründen; denn daß etwa nur die engeren Mitarbeiter, nicht aber die sonstigen Gemeindeglieder als ‚Brüder und Schwestern‘ bezeichnet würden, kommt sonst nicht vor. Die andere Möglichkeit wäre die, daß die Redaktion hier die Grüße aus zwei Briefschlüssen kombiniert hätte, um doch auch die ‚aus dem kaiserlichen Haus‘ mit zu nennen.“ 106 So Barth, Phil, 80; Schenk, Philipperbriefe, 71. 107 Darauf verweist auch Schenk, Philipperbriefe, 71.

οἱ ἅγιοι als Eigenname

101

Exkurs: Der heilige Kuss108 Die Bitte, Grüße innerhalb der Gemeinde weiterzugeben, fasst Paulus oftmals in die Forderung, einander „mit dem heiligen Kuss“ (ἐν φιλήματι ἁγίῳ) zu grüßen (so 1Thess 5,26; 1Kor 16,20; 2Kor 13,12; Röm 16,16). Der ‚heilige Kuss‘ ist vielfach als liturgischer Brauch und damit kultisch gedeutet worden.109 K. THRAEDE hebt jedoch zu Recht hervor: „Nicht im φίλημα, sondern in ἀσπάζεσθαι liegt das übergeordnet Gemeinsame der Vergleichstexte: primär ist das brieflich übermittelte oder aufgetragene ‚Grüßen‘, nicht der Kuß.“110 Die konkrete Aufforderung zum Gruß mit heiligem Kuss ist eine Spezifizierung der üblichen Grüße im Briefpostskript. Die Formulierung von Phil 4,21 (ἀσπάσασθε πάντα ἅγιον ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) kann mit der Aufforderung zum Gruß mit heiligem Kuss verglichen werden.111 Abgesehen vom Brief an Philemon, der sich ja vornehmlich an eine Einzelperson richtet, und abgesehen vom Gal, in dem Schlussgrüße vollständig fehlen, enthält also jeder paulinische Brief eine Aufforderung, sich untereinander zu grüßen. Die Näherbestimmung des Kusses durch das Adjektiv ἅγιος stellt zunächst einmal sicher, dass der Kuss nicht mit einem gewöhnlichen Kuss unter Freunden oder einem erotischen Kuss unter Liebenden verwechselt wird (vgl. auch 1Petr 5,14: ἀσπάσασθε ἀλλήλους ἐν φιλήματι ἀγάπης). Darüber hinaus kann aber auch ein Zusammenhang zur Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι gesehen werden: Das Adjektiv ἅγιος „ist, da aus der Selbstbezeichnung der Gemeinde herzuleiten, grundsätzlich auf alles anwendbar, was Christen tun, ohne daß damit ihre Tat oder die Objekte ihres Umgangs ‚heilig‘ würden. Unter Christen wird der übliche Gruß-Kuß zum Bruderkuß einer sich geistlich verstehenden Gemeinschaft, aber nicht die Verhaltensform, nur die deutende Zuordnung ist neu.“112 Konkret ist also der heilige Kuss heilig, weil die sich Grüßenden Heilige sind.113 Klar ist, dass eine kultische Deutung des heiligen Kusses ausfällt. Es bleibt jedoch die Frage, welche Bedeutung der Gruß mit heiligem Kuss für die Gemeinde stattdessen hatte und warum Paulus in seinen Briefen durchgehend zum gegenseitigen Grüßen auffordert. W. KLASSEN sieht hinter dem gegenseitigen Grüßen mit heiligem Kuss eine Praxis, „which expressed the closeness of people who were coming from many different social classes and who were transcending gender, religious, national, and ethnic divisions and finding themselves one in Christ. Such an emerging social reality called for new practices and new ways of commu-

–––––––––––––– 108 Vgl. zum Folgenden vor allem Thraede, Ursprünge, 124–143; Klassen, Sacred Kiss. 109 Vgl. z.B. Stählin, φιλέω, 138. Eine ausführliche Vorstellung der kultischen Deutung des ‚heiligen Kusses‘ findet sich auch bei Thraede, Ursprünge, 126. 110 Thraede, Ursprünge, 131. 111 So z.B. Müller, Phil, 211. 112 Thraede, Ursprünge, 133. 113 So auch Vahrenhorst, Kultische Sprache, 200: „Weil er [der Kuss, M. B.] dem Wesen der Gemeinschaft, die er zum Ausdruck bringt, entsprechen soll, gilt auch er als ‚heilig‘.“ Vgl. auch Oakes, Made Holy, 168.

102

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

nicating with each other. […] so here the early Christians were urged to greet each other within the context of their relationship to a Holy God.“ 114 Der heilige Kuss wird damit zu einem Mittel, der eigenen neuen sozialen Identität Ausdruck zu verleihen. Er wird zum identity marker für die Mitglieder der Gemeinschaft, die sich gegenseitig küssen, und zum boundary marker für Außenstehende, die anhand des Kusses sehen können, wer zu dieser Gemeinschaft gehört und wer nicht.115

4.3.3

Zusammenfassung

Die in diesem Abschnitt untersuchten Belegstellen für οἱ ἅγιοι in den paulinischen Prä- und Postskripten zeigen deutlich, dass Paulus die von der Urgemeinde übernommene Bezeichnung auch als Titel für andere Gemeinden gebraucht. K. HOLL sieht hierin eine ganz bewusste Entgegensetzung zum Jerusalemer Kirchenbegriff: „Endlich zerstört Paulus damit auch den besondern Anspruch auf Heiligkeit, den die Gemeinde zu Jerusalem erhob. Es klingt fast wie Absicht, wenn er schon in der Anschrift der Briefe seine Gemeinden als Heilige anredet und auch sonst gern von ihnen als den Heiligen spricht. Denn damit war ausgedrückt: Heilige gibt es nicht nur in Jerusalem und auch nicht nur in Judäa, sondern ebensogut in Korinth und Rom. Paulus streift aus dem Begriff der Heiligkeit das jüdisch Selbstgerechte, das äußerlich Verengte ab, das in der Gleichsetzung von πτωχοί und ἅγιοι lag. Es kommt nur darauf an, ob einer in Christus ist. Aber von wem dies gilt, der ist auch in Christus geheiligt und steht auf derselben Höhe wie die zuerst Gewonnenen.“116

Etwas abgeschwächter formuliert auch J. GNILKA: „Wenn Paulus die ekklesiologische Terminologie aufgreift und die Christen seiner Gemeinden auch als die ‚Heiligen‘ bezeichnet, meldet er den Anspruch der Gleichberechtigung an.“117 Recht haben Holl und Gnilka vermutlich damit, dass Paulus die Bezeichnung οἱ ἅγιοι – wie auch die anderen Gruppenbezeichnungen, z.B. ἐκκλησία – innerhalb der Adressatenangaben bewusst einsetzt. Die adscriptio ist nicht mit einer heutigen postalischen Adresse im Briefkopf zu vergleichen, sondern ist durchaus rhetorisch zu verstehen und entspricht eher der Anrede in einem heutigen Brief. Die Nennung der Empfänger eines paulinischen Briefes „soll von den Lesern bzw. –––––––––––––– 114 115 116 117

Klassen, Sacred Kiss, 132. Vgl. ebd., 133.135. Holl, Kirchenbegriff, 173. Gnilka, Kollekte, 311.

οἱ ἅγιοι als Eigenname

103

Hörern als ehrende Bezeichnung vernommen werden“ 118. Unbestreitbar ist auch, dass Paulus genau die Selbstbezeichnungen der Jerusalemer Urgemeinde aufgreift und damit natürlich eine gewisse Gleichstellung bekundet. Es gibt jedoch keinen Grund dafür, darin eine bewusste Provokation gegenüber der Jerusalemer Gemeinde zu sehen. Vielmehr entspricht es der Dynamik einer Gruppe, die sich ausweitet und ‚Ableger‘ bekommt, die eigenen Bezeichnungen auf den größeren Kreis und die Tochtergruppen anzuwenden.119 Der Ausdruck οἱ ἅγιοι hatte sich, als Paulus seine Briefe schrieb, bereits als feststehender Begriff für Christen durchgesetzt.120 Zwar wurde die Bezeichnung οἱ ἅγιοι immer noch in besonderer Weise konkret auf die Jerusalemer Gemeinde bezogen, jedoch gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es provokant war, den Begriff οἱ ἅγιοι wie auch die weiteren Selbstbezeichnungen der Urgemeinde auch auf andere christliche Gemeinden zu beziehen. Hier schließt sich nun die Frage an, nach welchem Muster Paulus die verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Gruppenbezeichnungen einsetzt. Vergleicht man z.B. alle paulinischen Briefpräskripte, so stellt man fest, dass Paulus zur Bezeichnung der Empfänger seiner Briefe drei verschiedene Anredenomen gebraucht, nämlich ἐκκλησία (1Thess 1,1; 1Kor 1,2; 2Kor 1,1; Phlm 2; Gal 1,2), οἱ ἅγιοι (Röm 1,7; 1Kor 1,2; 2Kor 1,1; Phil 1,1). und ἀγαπητοί θεοῦ (Röm 1,7; vgl. auch Phlm 1). Interessanterweise ist die „häufigste Selbstkennzeichnung der Christen, die bei Paulus vorkommt“121, nämlich ἀδελφοί, nie als Empfängerbezeichnung in den Briefpräskripten belegt – um so häufiger gebraucht Paulus sie als immer wiederkehrende direkte Anrede innerhalb seiner Briefe (in 1Kor 15,58 und Phil 4,1 außerdem ergänzt durch das Adjektiv ἀγαπητός; vgl. auch Phlm 16).122 Neben der direkten Anrede kann Paulus sowohl im Singular als auch im Plural über Dritte als ‚Brüder‘ sprechen. Dies geschieht auch in den Prä- und Postskripten seiner Briefe (z.B. 1Kor 1,1; 2Kor 1,1; Gal 1,2; Phil 4,21; Phlm 1; Röm 16,14.23). Grundlegend für die Frage, wann Paulus welche Gruppenbezeichnung gebraucht, ist die Feststellung, dass hinter der Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungen – gerade in der adscriptio eines Briefes – nicht unbedingt inhaltliche Verschiedenheiten, sondern ebenso rhetorische Absichten liegen können. Beispielsweise hätte Paulus mit –––––––––––––– 118 Schnider/Stenger, Studien, 15. 119 So auch Wengst, Phlm, 54. 120 Dafür sprechen auch die in Abschnitt 4.4, S. 105ff, diskutierten Belege. Diese Beobachtung gilt so noch nicht für den 1Thess. Vgl. dazu Kapitel 5, S. 115ff. 121 Schenk, Selbstverständnisse, 1377. 122 Die Bezeichnung ‚Heilige‘ verwendet Paulus dagegen nie als direkte Anrede in der 2. Person Plural.

104

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

Sicherheit nicht bestritten, dass es sich bei den Christen in Philippi um eine ἐκκλησία handelt (vgl. Phil 4,15), auch wenn er sie an keiner Stelle direkt als solche bezeichnet. Gründe für das Fehlen der Bezeichnung ἐκκλησία im Phil sind daher wohl eher in „der besonderen Kommunikationssituation des Phil“123 zu suchen. So ermöglicht es die Bezeichnung οἱ ἅγιοι – im Unterschied zur Bezeichnung ἐκκλησία – ein stärkeres Gewicht auf jeden einzelnen Christen zu legen. Abgesehen von den Zusammenhängen, in denen Paulus von ‚berufenen Heiligen‘ spricht (1Kor 1,2; Röm 1,7), wird die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den Präund Postskripten der paulinischen Briefe zudem immer mit πᾶς verknüpft. Die Betonung des einzelnen Christen innerhalb der Gemeinschaft wird dadurch noch verstärkt. 124 Explizit für den Phil gilt, dass dies auch der sonstigen Ausrichtung des Briefes entspricht. So urteilt U. B. MÜLLER über Phil 1,1: „Wenn Paulus hier den Kollektivbegriff ‚Gemeinde‘ vermeidet und von ‚allen Heiligen‘ redet, so steht das wohl auch im Kontext der sonstigen Hinwendung zu allen Gemeindegliedern insgesamt, wie sie als Charakteristikum des Philipperbriefes begegnet. Paulus redet ja gehäuft von πάντες ὑμεῖς (1,4.7.8.25; 2,17.26; 4,22). Die beschworene Einigkeit der Gemeinde, die alle einschließen und umfassen will, kommt so zum Ausdruck.“125

Doch nicht nur die Empfängerbezeichnung im Präskript wählt Paulus abhängig von der spezifischen Situation aus, auch innerhalb seiner Briefe kann er die Bezeichnung οἱ ἅγιοι gezielt einsetzen. Dies wird z.B. deutlich im Proömium des Philemonbriefes, welches gemeinhin als –––––––––––––– 123 Schnider/Stenger, Studien, 15. 124 So auch Hvalvik, Churches, 240: „The sense of fellowship is also emphasized by the frequent use of the adjective ‚all‘ (pas) in connection with ‚the saints‘.“ Vgl. dazu auch Hwang, Verwendung, 330: „In den Briefeingängen gebraucht Paulus das Wort ‚πᾶς‘ bewußt häufig; damit bringt er seine ständige Nähe zu jedem einzelnen, seine Verbundenheit mit ihm und seine Sorge für ihn zum Ausdruck. Ebenso richten sich sein Schlußgruß und Segenswunsch an jeden einzelnen. Niemand ist ausgeschlossen oder bevorzugt. Paulus schreibt an die jeweilige Gemeinde, aber sie existiert als Ganzheit in den einzelnen Christen, und darin erweist sich die Gemeinde.“ W. Schenk sieht in der Verknüpfung von ἅγιος mit dem All-Operator einen Beleg dafür, „daß eine generelle ekklesiologische Terminologie vorliegt, die vorpaulinisch ist, da Paulus sie auch in Rom unabhängig von seinem bisherigen Arbeitsgebiet voraussetzt“ (Schenk, Selbstverständnisse, 1388). 125 Müller, Phil, 35. Ähnlich auch Schnider/Stenger, Studien, 15f. – Auch für den Röm ist das Fehlen der Bezeichnung ἐκκλησία im Präskript nicht unbedingt damit zu begründen, dass Paulus den Römern das Gemeinde-Sein abspricht. F. Schnider und W. Stenger kommen zu dem Ergebnis, dass Paulus im Römerbrief die Bezeichnung ‚Gemeinde‘ vermeidet, „weil diese zu ‚amtlich‘ klingen würde, zu sehr eine Gründer-Autorität ins Spiel bringen würde, die er gegenüber der Gemeinde von Rom nicht besitzt“ (Ebd., 19).

οἱ ἅγιοι als Gattungsname

105

captatio benevolentiae gilt, „die den Leser für den folgenden Brief geneigt machen will“126. Natürlich geht es vor allem darum, Philemon selbst ‚geneigt‘ zu machen, indem sein Glaube und seine Liebe gegenüber Jesus Christus und den Heiligen gelobt wird. Hinter den Heiligen verbirgt sich hier die Hausgemeinde des Philemon, die selbst Mitempfänger des Briefes ist. Daher ist anzunehmen, dass Paulus die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im Sinne einer persuasiven Benennung127 gezielt einsetzt, um im Proömium des Briefes nicht nur Philemon, sondern auch dessen Hausgemeinde mit einem ehrenhaften Namen freundlich zu stimmen.

4.4

οἱ ἅγιοι als Gattungsname

Abgesehen von der Verwendung von οἱ ἅγιοι als Eigenname in den Prä- und Postskripten der paulinischen Briefe und abgesehen von den Stellen, an denen die Gemeinde in Jerusalem als ‚Heilige‘ bezeichnet wird, gibt es im 1Kor und im Röm weitere Belege für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι, die nun im Einzelnen analysiert werden sollen. Dabei steht stets die Frage im Vordergrund, wer die Heiligen an der jeweiligen Stelle sind.

4.4.1

1Kor 6,1.2

Zu Beginn des Abschnitts 1Kor 6,1–11128 ist die Bezeichnung οἱ ἅγιοι gleich zweifach belegt: 1 Τολμᾷ τις ὑμῶν πρᾶγμα ἔχων πρὸς τὸν ἕτερον κρίνεσθαι ἐπὶ τῶν ἀδίκων καὶ οὐχὶ ἐπὶ τῶν ἁγίων; 2 ἢ οὐκ οἴδατε ὅτι οἱ ἅγιοι τὸν κόσμον κρινοῦσιν; καὶ εἰ ἐν ὑμῖν κρίνεται ὁ κόσμος, ἀνάξιοί ἐστε κριτηρίων ἐλαχίστων; 3 οὐκ οἴδατε ὅτι ἀγγέλους κρινοῦμεν, μήτι γε βιωτικά; In V. 1 werden die Korinther mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Rechtsstreitigkeiten vor Ungerechten (ἄδικοι) und nicht vor Heiligen (ἅγιοι) auszutragen. Auf den ersten Blick könnte es sich bei diesen Heiligen um eine Teilgruppe der korinthischen Gemeinde oder gar eine außenstehende Gruppe handeln. In V. 2 folgt jedoch auf die Frage –––––––––––––– 126 Wolter, Kol/Phlm, 251; vgl. auch Schnelle, Paulus, 422. 127 S.o. S. 95. 128 Eine ausführliche Exegese des Abschnitts 1Kor 6,1–11 erfolgt in Kapitel 6.2 (S. 151ff). Hier soll lediglich die Frage beantwortet werden, wer die Heiligen in 1Kor 6,1.2 sind.

106

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

„Oder wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden?“ der Satz „Wenn nun die Welt von euch gerichtet werden soll, …“. Damit wird deutlich, dass die angesprochenen Korinther die Heiligen sind oder mindestens der größeren Gruppe der Heiligen angehören. Mit den Heiligen in V. 2 sind also ganz allgemein Christen bezeichnet. Auch in V. 1 schließt die Bezeichnung οἱ ἅγιοι alle Christen ein; schließlich liegt der paulinische Vorwurf vor allem darin, ein außergemeindliches Gericht zu Rate gezogen zu haben. Aus dem weiteren Zusammenhang (vgl. V. 5) wird jedoch deutlich, dass die Korinther – nach Meinung des Paulus – die Rechtsstreitigkeiten besser unter sich ausgetragen hätten. Die Bezeichnung ‚Heilige‘ in 1Kor 6,1.2 ist also allgemein zu verstehen, schließt aber unbedingt die mit dem 1Kor angesprochene korinthische Gemeinde ein.129 Mit der Rede von den Heiligen, die die Welt richten werden (V. 2), greift Paulus an dieser Stelle die aus der jüdischen Literatur bekannte Vorstellung auf, dass die Heiligen bzw. Gerechten am endzeitlichen Gericht beteiligt sein werden (vgl. z.B. Dan 7,22; SapSal 3,8; äthHen 38,5; 48,9; 95,3.7; 96,1; 98,12).130 Paulus überträgt diese Vorstellung intentional auf die Christen: Da die Mitglieder der christlichen Gemeinden Heilige sind, sind sie es, die als Heilige und Gerechte (vgl. die Gegenüberstellung von ἅγιοι und ἄδικοι in 1Kor 6,1) am endzeitlichen Gericht beteiligt sind (vgl. auch Röm 2,27; Mt 19,28; Apk 20,4). Die Identität der Christen als Heilige bekommt damit eine eschatologische Qualität.131 Mit dem gezielten Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ in 1Kor 6,1.2 und der Übertragung der Vorstellung von der Beteiligung der Heiligen am endzeitlichen Gericht auf die Christen argumentiert Paulus hier gegen die Anrufung außergemeindlicher Gerichte. Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι erweist sich in diesen beiden Versen als Gattungsname für die Christen im Allgemeinen und schließt insbesondere die korinthischen Christen ein.

–––––––––––––– 129 Nach Meinung von R. Asting sind die Heiligen hier nur die Führer innerhalb der korinthischen Gemeinde. Vgl. Asting, Heiligkeit, 185–187. 130 So auch Wolff, 1Kor, 115. S.o. S. 52f. 131 Vgl. Strack, Kultische Terminologie, 176: „Das Wort des Paulus vom ‚Gericht über Engel‘ in 1 Kor 6,3 […] zeigt so die unvergleichbare eschatologische Qualität an, die der Gemeinde nun zukommt.“ Konradt, Gericht, 333f weist zurecht darauf hin, dass die Erwähnung der Beteiligung der Heiligen am endzeitlichen Gericht in 1Kor 6 im Unterschied zu den genannten frühjüdischen Texten nicht mit der Pragmatik verbunden ist, den Heiligen angesichts gegenwärtiger Bedrängnis Trost zu spenden.

οἱ ἅγιοι als Gattungsname

4.4.2

107

1Kor 14,33b

Der nächste Beleg für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im 1Kor findet sich in 1Kor 14,33b innerhalb des Schweigegebots für die Frauen in der Gemeinde (1Kor 14,33b–35). Diese Textpassage stammt vermutlich nicht von Paulus selbst, sondern wurde nachträglich in den Text des 1Kor eingefügt.132 Dafür spricht neben Resultaten der äußeren Textkritik133 vor allem der Widerspruch zu 1Kor 11,2–16, wo ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass Frauen in den Gemeindeversammlungen sprechen. Das Schweigegebot wird eingeleitet durch V. 33b: ὡς ἐν πάσαις ταῖς ἐκκλησίαις τῶν ἁγίων…. Die Wendung ἐκκλησία τῶν ἁγίων ist im Neuen Testament nur an dieser Stelle belegt134, jedoch verweist Paulus auch sonst auf andere christliche Gemeinden und deren Praxis (vgl. z.B. 1Kor 4,17; 7,17; 11,16). Wer die Heiligen sind, lässt sich aus dem Textzusammenhang nicht eindeutig erschließen. Am wahrscheinlichsten erscheint mir, dass οἱ ἅγιοι hier ein Gattungsname für die Christen allgemein ist, wobei die angesprochenen Korinther dieser Gruppe in jedem Fall zuzurechnen sind; schließlich soll es in ihren Versammlungen so sein „wie in allen Gemeinden der Heiligen“.

4.4.3

1Kor 16,15

Auch in 1Kor 16,15 wird eine nicht näher definierte Gruppe von Christen als ‚Heilige‘ bezeichnet.135 Dort heißt es über die Mitglieder des Hauses des Stephanas, dass sie sich selbst εἰς διακονίαν τοῖς ἁγίοις gestellt haben. Paulus erläutert weder worin die Tätigkeit bestand 136, noch wer die Heiligen sind. Vermutlich war den Adressaten des Briefes beides bekannt.137 Nach M. GIELEN, die auf 1Kor 1,2 verweist, zielt die Bezeichnung οἱ ἅγιοι hier „primär auf die korinthischen Christinnen –––––––––––––– 132 So z.B. Lindemann, 1Kor, 6.317–321. Alternativ ist es denkbar, hinter V. 36 den Einschnitt zu sehen und V. 33b–36 als Interpolation zu betrachten (so z.B. Merklein/Gielen, 1Kor III, 213–218). Schrage, 1Kor III, 481–487 dagegen beschränkt die Interpolation auf V. 34f. In diesem Zusammenhang, in dem es allein um die Verwendung der Bezeichnung οἱ ἅγιοι geht, kann weder eine ausführliche Diskussion dieses Sachverhalts noch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Schweigegebot erfolgen. Vgl. dazu die angeführten Kommentare zur Stelle sowie die dort angegebene Literatur. 133 Vgl. dazu Lindemann, 1Kor, 316f. 134 Laut Lindemann, 1Kor, 315 findet sie sich auch nicht bei den Apostolischen Vätern. 135 Vgl. ebd., 384. 136 Zu διακονία vgl. die Ergebnisse von A. Hentschel, s.o. S. 86. 137 Lindemann, 1Kor, 384 verweist auf das οἴδατε.

108

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

und Christen […], bleibt darüber hinaus potentiell aber auch offen für ‚alle, die den Namen des Herrn anrufen, an jedem Ort‘“138.

4.4.4

Röm 8,27

In Röm 8,27 ist davon die Rede, dass der Geist (vgl. V. 26) ἐντυγχάνει ὑπὲρ ἁγίων.139 Diese Aussage steht parallel zu der Aussage in V. 26: „aber der Geist selbst tritt für uns140 ein mit unaussprechlichem Seufzen“ (ἀλλὰ αὐτὸ τὸ πνεῦμα ὑπερεντυγχάνει στεναγμοῖς ἀλαλήτοις). Aus dieser parallelen Formulierung lässt sich schließen, dass die Heiligen mit der Gruppe übereinstimmen, der Paulus sich selbst – wie aus dem Gebrauch der 1. Person Plural ersichtlich – zurechnet.141 Über diese Gruppe wird außerdem gesagt: τὴν ἀπαρχὴν τοῦ πνεύματος ἔχοντες (V. 23) und τῇ ἐλπίδι ἐσώθημεν (V. 24). Beide Aussagen treffen der paulinischen Theologie entsprechend auf alle Christinnen und Christen zu. Demzufolge handelt es sich in dem vorliegenden Zusammenhang auch bei dem Ausdruck οἱ ἅγιοι um eine Bezeichnung für Christen allgemein im Sinne eines Gattungsnamens. Verstärkt wird diese These durch die folgenden Verse: Ab V. 28 – eingeleitet durch οἴδαμεν δέ – spricht Paulus nicht mehr direkt über das ‚wir‘, sondern trifft Aussagen über die, die Gott lieben (οἱ ἀγαπῶντες τὸν θεὸν, V. 28), die nach Gottes Plan berufen sind (οἱ κατὰ πρόθεσιν κλητοὶ ὄντες, V. 28), die von Gott ausersehen (προέγνω, V. 29), vorherbestimmt (προώρισεν, V. 29) und berufen (ἐκάλεσεν, V. 30) wurden, die von Gott gerecht gemacht (ἐδικαίωσεν; V. 30) und verherrlicht wurden (ἐδόξασεν, V. 30). Auch dies sind bei Paulus ganz allgemein Umschreibungen für Christen.142

–––––––––––––– 138 Merklein/Gielen, 1Kor III, 444. Nach Meinung von R. Asting handelt es sich hier um die Verkündiger des Evangeliums vor Ort, denen Stephanas Unterhalt gegeben hat (vgl. Asting, Heiligkeit, 182f). 139 In diesem Zusammenhang kann natürlich keine ausführliche Exegese dieses Abschnitts erfolgen. Vgl. dazu die Kommentare zur Stelle sowie Niederwimmer, Gebet; Schniewind, Seufzen. Hier geht es allein um die Frage, wer die Heiligen sind. 140 Bei einigen Textzeugen explizit υπερ ημων. In wenigen eher unbedeutenden Handschriften ist auch in V. 27 an Stelle von ἁγίων das Wort ημων belegt. 141 Vgl. Hanssen, Heilig, 26f. 142 Zu Röm 8,27–30 s.u. S. 212.

οἱ ἅγιοι als Gattungsname

4.4.5

109

Röm 12,13

In Röm 12,13 fordert Paulus die römischen Christen auf: ταῖς χρείαις τῶν ἁγίων κοινωνοῦντες. Dieser Satz steht innerhalb einer ganzen Reihe von Mahnungen und Verhaltensregeln, die das Alltagsleben der Christinnen und Christen betreffen (Röm 12,9–21). Daran schließt sich z.B. die Aufforderung zur Gastfreundschaft (τὴν φιλοξενίαν διώκοντες) direkt an. Versteht man diese als Konkretion der allgemeinen Mahnung zur Anteilnahme,143 so könnte man daraus schließen, dass Paulus mit den Heiligen hier vor allem „auswärtig[e] Geschwist[er] im Glauben“144 im Blick hat. Berücksichtigt man jedoch, dass Paulus die Römer selbst ebenfalls als Heilige anspricht (Röm 1,7), kann der Satz auch als Mahnung verstanden werden, einander in der Gemeinde zu helfen. Vermutlich ist keine der Einschränkungen sinnvoll. Der Ausdruck ‚Heilige‘ kann hier als eine allgemeine Bezeichnung verstanden werden und sich sowohl auf die Mitchristen in der eigenen Gemeinde als auch auf andere Christen beziehen.145

4.4.6

Röm 16,2

Im Vergleich zu Röm 12,13 ist es in 16,2 genau umgekehrt: Hier sind die Heiligen nicht die, die der Hilfe bedürfen, sondern diejenigen, die helfen sollen. Paulus bittet die Christinnen und Christen in Rom, Phöbe bei sich aufzunehmen und fügt hinzu: ἀξίως τῶν ἁγίων („wie es sich für die Heiligen gehört“, wörtlich: „würdig den Heiligen“). Auch hier ist die Bezeichnung οἱ ἅγιοι ganz weit zu fassen und im Sinne eines Gattungsnamens auf Christen allgemein zu beziehen.

–––––––––––––– 143 So z.B. Lohse, Röm, 347. 144 Haacker, Röm, 288 (Hervorhebung im Original). 145 Auf keinen Fall scheint mir eine Einschränkung der Bezeichnung οἱ ἅγιοι auf die Jerusalemer Christen (vgl. dazu Abschnitt 4.2, S. 81ff) sinnvoll (so zuletzt Stettler, Heiligung, 192, Anm. 10). Hier ist Lohse, Röm, 347 Recht zu geben: „Hätte Paulus […] an dieser Stelle besonders auf die Kollekte [für die Gemeinde in Jerusalem, M. B.] hinweisen wollen, so hätte er sich schon deutlicher ausdrücken müssen. Er will hier nicht eine spezielle Forderung aussprechen, sondern eine allgemeingültige Regel für brüderliches Verhalten gegenüber hilfsbedürftigen Christen benennen.“

110

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

4.4.7

Der Gattungsname οἱ ἅγιοι als Ausdruck christlicher Verbundenheit

Im 1Kor und im Röm finden sich auch außerhalb der Prä- und Postskripte und abgesehen von den Stellen, an denen die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem thematisiert wird, einige Belege für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι. Der Unterschied zu den in den vorherigen Abschnitten behandelten Texten besteht darin, dass in diesen Versen nicht die Mitglieder einer konkreten Gemeinde als ‚Heilige‘ bezeichnet werden, sondern οἱ ἅγιοι im Sinne eines Gattungsnamens auf alle Christen verweist. Dabei fällt auf, dass Paulus den Ausdruck οἱ ἅγιοι auffallend oft in Zusammenhängen gebraucht, in denen den Heiligen – wer auch immer an der entsprechenden Stelle damit gemeint ist – in irgendeiner Weise eine Unterstützung zukommt oder zukommen soll. So fordert Paulus z.B. seine römischen Adressaten in Röm 12,13 dazu auf, sich den Nöten der Heiligen anzunehmen. In 1Kor 16,15 wird lobend erwähnt, dass das Haus des Stephanas sich εἰς διακονίαν τοῖς ἁγίοις gestellt hat, und ebenso wird Philemon für seinen Glauben und seine Liebe für die Heiligen gelobt (Phlm 5.7). Letztlich geht es auch in Röm 8,27 darum, dass etwas für Heilige getan wird: Hier ist es der Geist, der für sie eintritt. In allen diesen Texten wird die Bezeichnung ‚Heilige‘ zwar für verschiedene Gruppen gebraucht, immer geht es jedoch darum, dass denen, die als ‚Heilige‘ bezeichnet werden, irgendetwas zugutekommt. Genau umgekehrt ist es in Röm 16,2: Dort sind die Heiligen nicht diejenigen, die der Hilfe bedürfen, sondern die, die helfen sollen. Mit ἀξίως wird hier eine Paränese durch den Verweis auf die Identität als Heilige begründet.146 In diesem Zusammenhang sei auch nochmals auf Phil 4,21f und den dortigen zweimaligen Gebrauch von ἅγιος bzw. ἅγιοι verwiesen. Dort ist zwar keine Rede von einer unterstützenden Tätigkeit, jedoch geht es um die gegenseitige Anteilnahme, der durch Grüße Ausdruck verliehen wird. Paulus setzt die Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι also gezielt dann ein, wenn es darum geht, dass Christen sich untereinander helfen und füreinander wirken.147 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι, die zudem immer im –––––––––––––– 146 In vergleichbarer Weise gebraucht Paulus ἀξίως auch in 1Thess 2,12 und Phil 1,27 (vgl. außerdem Kol 1,10; Eph 4,1; 3Joh 6). 147 Diese Beobachtung machen auch Schrage, Heiligung, 227; Klaiber, Rechtfertigung, 21; Hvalvik, Churches, 240f. Vgl. zu Röm 16,2 Lohse, Röm, 404: „Weil sie in der Taufe Gott, der ihnen in Christus seine Barmherzigkeit zugewandt hat, zueigen übergeben wurden, sind sie ihm ‚Geheiligte‘ und damit ‚Heilige‘. Als solche haben sie füreinander einzustehen. Es besteht also eine Verpflichtung der Christen in Rom, der

οἱ ἅγιοι als Gattungsname

111

Plural belegt ist, scheint für Paulus in besonderer Weise dazu geeignet zu sein, „die Verbundenheit der Christen untereinander zu betonen“ 148. Er setzt diesen Ausdruck gezielt ein, um in entsprechenden Zusammenhängen auf das Moment der Verbundenheit rekurrieren zu können. Aus dieser Beobachtung heraus ergibt sich noch eine weitere Antwort auf die Frage, warum Paulus die Jerusalemer Urgemeinde im Zusammenhang der Kollektenthematik ausgerechnet ‚Heilige‘ nennt: Es wurde bereits deutlich, dass die Kollekte nicht nur der Linderung materieller Not in Jerusalem diente, sondern auch Ausdruck des Gemeinschaftsverhältnisses zwischen der Urgemeinde und den heidenchristlichen Gemeinden war.149 Die Verwendung der Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι passt also hervorragend zum paulinischen Verständnis der Kollekte und verstärkt das Moment der Verbundenheit unter den christlichen Gemeinden.150 Auch wenn zu vermuten ist, dass Paulus den Ausdruck οἱ ἅγιοι an den meisten Stellen gezielt einsetzt, verwendet er ihn vielfach, ohne die Heiligkeit der so Bezeichneten explizit zu thematisieren.151 Er wird davon ausgegangen sein, dass den Empfängern seiner Briefe diese Bezeichnung geläufig war und sie keinerlei Irritationen hervorrufen würde, denen er durch eine Thematisierung der Heiligkeit hätte entgegenwirken müssen. Dies spricht dafür, hinter der Wendung οἱ ἅγιοι einen feststehenden Begriff im Sinne einer eingeführten Gruppenbezeichnung zu sehen.

148

149 150

151

Phoebe Unterkunft und sonst etwa benötigte Hilfe zu gewähren – wo immer sie deren bedarf.“ Wolff, 1Kor, 345. Auch Wiefel, Die Heiligen, 31 sieht im paulinischen Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι „die communio-Struktur der christlichen Existenz benannt […], die sich im Miteinander der Gemeinde im karitativen, aber auch im rechtlichen Bereich darstellt.“ Vgl. zusammenfassend Abschnitt 4.2.4, S. 90ff. Zu diesem Ergebnis kommt auch Hvalvik, Churches, 241: „Since unity is an import factor in connection with the collection, hoi hagioi was the natural choice for Paul when referring to the church in Jerusalem.“ Vgl. auch Wiefel, Die Heiligen, 31: „Das gehäufte Vorkommen der Bezeichnung Heilige für die Gemeinde [in Jerusalem; M. B.] dürfte weniger damit zusammenhängen, daß diese den Jerusalemer Christen in besonderer Weise eigen war, sondern mit dem communio-Charakter, der zum Anliegen der Kollekte stimmt, zu tun haben.“ Wie beiläufig die Verwendung des Ausdruck ‚Heilige‘ an den vielen Stellen ist, zeigt sich schon daran, dass die Fragen, wer die Heiligen sind und warum Paulus sie so nennt, in den Kommentaren zu den entsprechenden Versen in der Regel gar nicht angeschnitten werden.

112

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

4.5

Zusammenfassung: οἱ ἅγιοι als eingeführte Gruppenbezeichnung

Zusammenfassung Sprechen wir heute von den ersten Anhängern des gekreuzigten und auferstandenen Christus oder auch von Paulus und seinen Gemeinden, so reden wir von den ersten ‚Christen‘, wohlwissend, dass dieser Ausdruck anachronistisch ist. Der Ausdruck ‚Christen‘ (bzw. ‚Christianer‘) hat sich erst in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. als Bezeichnung für die Jesus-Anhänger und ihre Nachfolger durchgesetzt. Nach dem Zeugnis der Apg ist der Begriff erstmals in Antiochia gebraucht worden und zwar anstelle der Bezeichnung ‚Jünger‘ (Apg 11,26).152 Darüber hinaus ist er im Neuen Testament nur noch in Apg 26,28 und 1Petr 4,16 – an beiden Stellen im Singular – belegt. Das Neue Testament kennt daneben andere Bezeichnungen für die ersten Anhänger des auferstandenen Christus. Neben den Bezeichnungen ‚Jünger‘ oder ‚Brüder‘ war vor allem die Bezeichnung ‚Heilige‘ geläufig. 153 Dass es sich bei der Bezeichnung οἱ ἅγιοι tatsächlich um einen feststehenden Begriff für Christen im Sinne einer eingeführten Gruppenbezeichnung154 handelt, wurde in diesem Kapitel deutlich. Stärkstes Indiz dafür ist die Beobachtung, dass Paulus von den Heiligen sprechen kann, ohne die Heiligkeit der so Bezeichneten explizit zu thematisieren.155 Gerade die Belege für den Ausdruck οἱ ἅγιοι im Röm sprechen dafür, dass es zur Zeit des Paulus üblich war, die Christen ‚Heilige‘ zu nennen.156 Schließlich galt der Röm einer Gemeinde, die Paulus nicht selbst gegründet hat und in der er die Gemeindebezeichnung ‚Heilige‘ also nicht selbst eingeführt haben kann. 157 In besonderer Weise galt die Bezeichnung οἱ ἅγιοι der Gemeinde in Jerusalem. So kann Paulus ohne ergänzende Ortsangabe von den Heiligen sprechen und sich damit konkret auf die Gemeinde in Jerusalem beziehen. Dies ist damit zu –––––––––––––– 152 Eine solche Namensänderung der Jesus-Anhänger war insofern erwartungsgemäß, als aus der Bezeichnung ‚Jünger‘ nicht abzulesen ist, wessen Jünger die so Bezeichneten sind. Vgl. Haacker, Χριστιανός, 1089. 153 Vgl. dazu auch Kapitel 3.2, S. 69ff. 154 Dillersberger, Das Heilige, 54 spricht von einem „terminus technicus zur Bezeichnung der ntl. Gläubigen“. Vgl. auch Stalder, Werk des Geistes, 131; Klaiber, Rechtfertigung, 26f. Zeller, 1Kor, 73 nennt den Ausdruck ‚die Heiligen‘ zur Zeit des Paulus „eine geläufige Insiderbezeichnung“. 155 Vgl. dazu Klaiber, Rechtfertigung, 26f.48f. 156 Diese Beobachtung gilt zumindest für den Zeitraum seit Abfassung des 1Kor. Die Verwendung von οἱ ἅγιοι im 1Thess entspricht dem (noch) nicht (vgl. dazu Kapitel 5, S. 115ff). 157 Auf diesen Sachverhalt verweist auch Schenk, Selbstverständnisse, 1388.

Zusammenfassung

113

erklären, dass es sich bei der Urgemeinde in Jerusalem um die erste christliche Gemeinde handelte, die den Begriff ‚Heilige‘ für sich in Anspruch genommen hat. Die Bedeutung der Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen erschließt sich also oftmals nur über den Begriffsumfang und nicht über den Begriffsinhalt.158 Der Begriffsinhalt dieses Ausdrucks scheint bei einer ersten Betrachtung der paulinischen Verwendung von οἱ ἅγιοι keine besondere Rolle zu spielen.159 Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird jedoch deutlich werden, dass Paulus die Bezeichnung οἱ ἅγιοι sehr wohl mit einem bestimmten Begriffsinhalt verbindet. 160 Die Tatsache, dass es neben der Bezeichnung οἱ ἅγιοι bei Paulus noch weitere Ausdrücke für die christlichen Gemeinden gibt, wirft die Frage nach der Synonymie dieser Bezeichnungen auf. Es liegt nahe, gewisse Bedeutungsnuancen anzunehmen161, die sich aus der spezifischen Verwendungsweise der Begriffe ermitteln lassen. Für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι konnte beobachtet werden, dass sie vornehmlich in Zusammenhängen gebraucht wird, in denen es um eine wie auch immer geartete Tätigkeit der Christen aneinander geht. Daraus kann geschlossen werden, dass die Bezeichnung οἱ ἅγιοι gegenüber den anderen geläufigen Gruppenbezeichnungen das Moment der Verbundenheit der zu dieser Gruppe Gehörenden stärker zum Ausdruck bringt. Die Entscheidung für die eine und damit gegen eine andere Gruppenbezeichnung kann aber auch aus rhetorischen Gründen erfolgen. So bietet die Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι viel stärker die Möglichkeit, den einzelnen Christen in der Gruppe in den Blick zu nehmen, als die Kollektivbezeichnung ἡ ἐκκλησία. Außerdem hat sie sich als rhetorisches Mittel im Sinne einer persuasiven Benennung erwiesen. Bemerkenswert ist, dass οἱ ἅγιοι als Ausdruck für die Christen innerhalb der paulinischen Briefe erstmals im Präskript des 1Kor belegt ist, im 1Thess dagegen nur zur Bezeichnung himmlischer Wesen gebraucht wird. Es ist durchaus denkbar, dass sich die Anwendung die–––––––––––––– 158 Zur Unterscheidung von Begriffsumfang und Begriffsinhalt s.o. S. 18. 159 Vgl. dazu schon Asting, Heiligkeit, 147: „Sonst steht an einer Reihe von Stellen οἱ ἅγιοι einfach in der Bedeutung von ‚die Christen‘. Dann ist der Ausdruck durch den Gebrauch so verwischt, daß ebenso gut ein anderer Ausdruck, wie z.B. οἱ ἀδελφοί, stehen könnte. Besonders in den Grüßen finden wir diesen abgenutzten Ausdruck“. Allerdings sieht Asting in dem Ausdruck οἱ ἅγιοι an einigen Stellen auch eine Bezeichnung nur für die Autoritäten unter den Christen (z.B. Phlm 5; 1Kor 6,1.2; 16,15). Für diese Auslegung gibt es jedoch keine wirklich stichhaltigen Argumente. 160 Vgl. dazu Kap. 7.2, S. 191ff. 161 Vgl. Strack, Kultische Terminologie, 174: „Da für Paulus noch kein verbindlicher Gruppenname für die christlichen Gemeinden existiert, haben die von ihm verwendeten Bezeichnungen verschiedene Nuancen“.

114

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen

ser bereits für die Jerusalemer Urgemeinde geläufigen Bezeichnung auf heidenchristliche Gemeinden erst etablieren musste. 162 In jedem Fall – und das werden die weiteren Untersuchungen bestätigen – unterscheidet sich die Rede von der christlichen Heiligkeit im 1Thess von der Verwendung der Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den übrigen paulinischen Briefen.

–––––––––––––– 162 Vgl. Schmidt, Heilig, 339.

5

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief Im Anschluss an das vorhergehende Kapitel, in dem die paulinischen Belege für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι untersucht wurden, mag ein eigenes Kapitel zum 1Thess zunächst verwundern. Schließlich sind in der einzigen Belegstelle für οἱ ἅγιοι im 1Thess himmlische Wesen und keine Christen mit diesem Begriff bezeichnet (1Thess 3,13).1 Abgesehen davon ist das Adjektiv ἅγιος im gesamten Brief nur noch innerhalb der Wendungen ‚Heiliger Geist‘ (1,5.6; 4,8)2 und ‚Heiliger Kuss‘ (5,26)3 belegt. Trotzdem ist der 1Thess für unser Thema von großem Interesse, da er mit 4,3–8 den einzigen Textabschnitt innerhalb der paulinischen Briefe (und sogar des Neuen Testaments) enthält, in dem die Heiligkeit bzw. hier die Heiligung4 (ἁγιασμός) der Christen explizit zum Thema gemacht wird.5 Darüber hinaus enthält der 1Thess noch je einen Beleg für das Substantiv ἁγιωσύνη (3,13) und das Verb ἁγιάζω (5,23), die in diesem Zusammenhang ebenfalls von Bedeutung sind und sich zudem noch an markanten Stellen innerhalb des Briefes befinden, da sie jeweils einen der beiden Hauptteile (1,2 – 3,13 bzw. 4,1 – 5,24) abschließen. Der erste Hauptteil des 1Thess (1,2 – 3,13) besteht aus einem umfangreichen Bericht über den Dank für den Glauben der Gemeinde. Außerdem wird auf den bisherigen Weg der Thessalonicher als Erwählte und Glaubende und auf die Beziehung zu ihrem Gemeindegründer Paulus zurückgeschaut. Der zweite Hauptteil (4,1 – 5,24) gilt gemeinhin als paränetischer Abschnitt, in dem Paulus verschiedene Probleme anspricht, die das neue Leben als Christen aufwirft. Dies sind sowohl ethische Fragen (4,1–12; 5,12–22), als auch Fragen den Tod und die Wiederkunft Christi betreffend (4,13–18; 5,1–11).6 Die beiden Hauptteile des Briefes werden gerahmt von

–––––––––––––– 1 2 3 4 5 6

Vgl. dazu Kapitel 4.1, S. 80f. Vgl. dazu Abschnitt 5.1.4, S. 130ff und den dortigen Exkurs Der Heilige Geist und die Heiligen. Vgl. dazu den Exkurs Der heilige Kuss, S. 101f. Zur Unterscheidung von Heiligkeit und Heiligung s.u. S. 139 und S. 142f. So auch Schmidt, Heilig, 3. Die beiden Abschnitte, die sich thematisch mit Fragen zum Tod und zur Wiederkunft Christi beschäftigen, scheinen auf den ersten Blick nicht in einen paränetischen Briefteil zu passen. Beide Abschnitte schließen allerdings mit der Aufforderung, einander angesichts des von Paulus Vermittelten zu ermahnen (4,18; 5,11: παρα-

116

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

einem sehr kurzen Briefeingang (1,1) und einem nicht wesentlich längeren Briefschluss (5,25–28).

Bei dem 1Thess handelt es sich um das älteste von Paulus erhaltene Schriftstück. Vermutlich wurde der Brief von Korinth aus im Jahr 50/51 geschrieben, ungefähr ein Jahr nach Gründung der Gemeinde in Thessalonich. Die exegetische Forschung erhofft sich von diesem Brief Erkenntnisse über „den frühen Paulus“ 7 und Einblicke in die Theologie, die in Antiochia vorherrschte. 8 Auch wenn letzteres durchaus fraglich ist, kann man feststellen, dass dieser Brief im Vergleich mit den übrigen Paulusbriefen eine eigene Akzentuierung hat, die vor allem in der ausgeprägten Naherwartung der Parusie begründet liegt.9 Es wird sich zeigen, dass diese Naherwartung auch für das paulinische Verständnis der christlichen Heiligkeit im 1Thess maßgeblich ist. Im Folgenden widmet sich ein erster Abschnitt der Analyse von 1Thess 4,3–8 (5.1). Abschnitt 5.2 nimmt die jeweils einen Hauptteil des Briefes abschließenden Gebetswünsche 1Thess 3,11–13 und 5,23f in den Blick. Abschnitt 5.3 fasst die Ergebnisse zusammen und zieht ein Fazit.

5.1

„Dies nämlich ist Wille Gottes, eure Heiligung“ (1Thess 4,3–8)

1Thess 4,3‒8 Das Thema von 1Thess 4,3–8 wird in V. 3a, einer Art Überschrift des Abschnitts, angegeben10: τοῦτο γάρ ἐστιν θέλημα τοῦ θεοῦ, ὁ

7

8

9

10

καλεῖτε ἀλλήλους), und haben damit doch eine vornehmlich paränetische Ausrichtung. S. Schulz spricht von dem ‚frühen Paulus‘, als sei es eine eigene, völlig andere Person. So mehrmals innerhalb des Kapitels 5.A seiner neutestamentlichen Ethik (S. 290–333). Nach U. Schnelle handelt es sich beim 1Thess um „ein Zeugnis frühpaulinischer Theologie“ (Schnelle, Paulus, 199; Hervorhebung im Original). So v.a. J. Becker: „Obwohl indessen selbständig wirkender Apostel, schreibt Paulus den 1. Thess so kurz nach dem Fortgang aus Antiochia, daß man seine Äußerungen auch noch antiochenisch verrechnen kann“ (Becker, Paulus, 138). Vgl. dazu auch Becker, Erwählung, 100. Vgl. dazu Schnelle, Ethik, 296: „der für den 1 Thessalonicherbrief zentrale Denkhorizont […]: Die Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft des Herrn Jesus Christus“. Nach Meinung von J. Becker ist der leitende Grundgedanke des Briefes die Erwählung der Gemeinde, auf die Paulus – einer Rahmung gleichkommend – zu Beginn (1,4) und am Schluss des Briefes (5,24) zu sprechen komme. Außerdem verweist Becker auf 2,11f; 4,7 und – unerklärlicherweise – auf 5,9. Vgl. dazu ausführlich Becker, Erwählung und (mit großen textlichen Übereinstimmungen) ebenso Becker, Paulus, 138–148. Vgl. Baltensweiler, Erwägungen, 2: „V. 3 ist als Themastellung zu betrachten“.

1Thess 4,3‒8

117

ἁγιασμὸς ὑμῶν. Das Substantiv ἁγιασμός ist außerdem noch in V. 4 und in V. 7 belegt und damit maßgeblich für die Einheit dieses Abschnitts. In V. 8 ist innerhalb der Wendung ‚sein heiliger Geist‘ mit dem Adjektiv ἅγιος noch ein weiteres Wort des Wortstammes ἁγι- gebraucht, und zwar in herausgehobener Position: Das Adjektiv ἅγιος ist τὸ πνεῦμα αὐτοῦ nachgestellt und durch die Wiederholung des Artikels erneut determiniert. Damit wird es besonders betont. Das Thema ‚Heiligkeit‘ bzw. ‚Heiligung‘ ist also in 1Thess 4,3–8 vorherrschend und der gehäufte Gebrauch von Wörtern des Wortstammes ἁγι- spricht für die Kohärenz dieses Abschnitts.11 Das Substantiv ἁγιασμός, das in diesem kurzen Abschnitt dreifach belegt ist, kommt innerhalb der paulinischen Briefe noch in Röm 6,19.2212 und 1Kor 1,3013, im übrigen Neuen Testament nur noch in 2Thess 2,13; 1Tim 2,15; Hebr 12,14 und 1Petr 1,2 vor. Auch in der Septuaginta ist es mit nur neun Belegstellen (Ri 17,3; Ez 45,4; Am 2,11; Sir 7,31; 17,10; 2Makk 2,17; 14,36; 3Makk 2,18; PsSal 17,30) äußerst selten.14 Dasselbe gilt für außerbiblische Texte. Mit Hilfe des TLG #E lassen sich folgende Belege im jüdischen Traditionsbereich finden: TestLevi 18,7 (… καὶ πνεῦμα συνέσεως καὶ ἁγιασμοῦ καταπαύσει ἐπὶ αὐτόν)15; TestBen 10,11 (… ἐὰν πορευθῆτε ἐν ἁγιασμῷ ἐν ταῖς ἐντολαῖς Κυρίου, πάλιν κατοικήσετε ἐπὶ ἐλπίδι ἐν ἐμοί…).

Der Abschnitt 1Thess 4,3–8 steht innerhalb des 1Thess zu Beginn des zweiten Hauptteils und damit am Anfang des paränetischen Teils. Ihm voraus gehen nur V. 1–2, die eine Einleitung zu dem hier behandelten Abschnitt darstellen: –––––––––––––– 11

12 13 14

15

Vgl. Collins, Will of God, 308: „[H]agiasmos does appear three times in the sentence. Its presence assures the unity of a complex (and obtuse) expression of thought, and should not be used as a criterion for dividing the text.“ In seinem jüngeren Aufsatz ‚The Function of Paraenesis in 1 Thess 4,1–12; 5,12–22‘ weist R. F. Collins allerdings zu Recht darauf hin, dass dieser Abschnitt auch einen starken theologischen Fokus hat: Das Wort θεός ist nämlich innerhalb von 1Thess 4,3–8 ebenfalls vier Mal belegt (vgl. ebd., 407). S.u., S. 128. Vgl. Kapitel 6.4.1, S. 169f. Mit rund 50 Belegen vergleichsweise häufig ist innerhalb der Septuaginta das Substantiv ἁγίασμα belegt. Ἁγίασμα ist wie ἁγιασμός Nomen actionis (s.u., S. 139), bezeichnet aber weniger die Tätigkeit selbst als vielmehr das Ergebnis einer Tätigkeit, also ‚das Geheiligte‘ und steht daher in der Septuaginta öfter als Ausdruck für das Heiligtum (vgl. Bauer, Wörterbuch, 17). Interessanterweise sind in TestLevi 18 außerdem noch die Substantive ἁγίασμα (TestLevi 18,6: … καὶ ἐκ τοῦ ναοῦ τῆς δόξης ἥξει ἐπʼ αὐτὸν ἁγίασμα …) und ἁγιωσύνη (TestLevi 18,11: Καὶ δώσει τοῖς ἁγίοις φαγεῖν ἐκ τοῦ ξυλου τῆς ζωῆς, καὶ πνεῦμα ἁγιωσύνης ἔσται ἐπʼ αὐτοῖς.) belegt. Zu ἁγιωσύνη s.u., S. 139f, zu TestLevi 18,11 s.o., S. 53.

118

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

1 Im Übrigen also, Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus, so wie ihr empfangen habt von uns, wie ihr wandeln und Gott gefallen sollt – so ihr ja auch wandelt – dass ihr (darin) immer vollkommener werdet. 2 Ihr wisst nämlich, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus. Es stellt sich die Frage, inwieweit V. 1–2 stärker von V. 3–8 zu lösen sind und eventuell sogar als Einleitung eines größeren Abschnitts fungieren, der noch V. 9–12 einschließt.16 Dagegen spricht jedoch das dreimalige περί in 4,9.13; 5,1 (s.u.), das jeweils ein neues Thema ankündigt und darum die Abschnitte 4,9–12; 4,13–18 und 5,1–11 auf eine Ebene nebeneinander stellt und einen größeren Einschnitt nach V. 12 unwahrscheinlich macht. Außerdem stellt bereits 4,10b eine „formale Wiederholung von 4,1“17 dar. Daher sind V. 1–2 in erster Linie als Einleitung zu dem sich direkt anschließenden Abschnitt V. 3–8 zu beurteilen – was nicht heißt, dass Paulus nicht bewusst gerade diesen Abschnitt und diese beiden Verse an den Anfang des zweiten Hauptteils seines Briefes stellt.18 Den Versen 4,3–8 folgen drei Abschnitte, deren Themen jeweils im ersten Satz, eingeleitet durch περί, angesprochen werden:

1Thess 4,9

περὶ δὲ τῆς φιλαδελφίας οὐ χρείαν ἔχετε γράφειν ὑμῖν, …

1Thess 4,13

οὐ θέλομεν δὲ ὑμᾶς ἀγνοεῖν, ἀδελφοί, περὶ τῶν κοιμωμένων, …

1Thess 5,1

περὶ δὲ τῶν χρόνων καὶ τῶν καιρῶν, ἀδελφοί, οὐ χρείαν ἔχετε ὑμῖν γράφεσθαι, …

Vermutlich nimmt Paulus hier auf direkte Anfragen der Thessalonicher Bezug.19 Dies kann für den Abschnitt 1Thess 4,3–8 nicht angenommen

–––––––––––––– 16 17 18

19

So z.B. Collins, Function of Paraenesis, 404f; Reinmuth, 1Thess, 137. Holtz, 1Thess, 149. Vgl. Schulz, Ethik, 304: „Von grundsätzlicher Bedeutung sind 1.Thess. 4,1 und 2. Diese beiden Sätze sind die Grundlegung der frühpaulinischen Ethik. Sie sind nicht nur Überschrift für die folgende Paränese 4,3–8, sondern diese Grundsatzäußerung hat der frühe Paulus bewusst und programmatisch den beiden paränetischen Kapiteln 4 und 5 vorangestellt.“ Nach Baltensweiler, Erwägungen, 2 sind die Verse 1–2 „eine allgemeine Einleitung zum ganzen ermahnenden Briefteil überhaupt“. So Schnelle, Ethik, 298. Vgl. auch 1Kor 7,1.25; 8,1; 12,1; 16,1.12. – Anders M. Mitchell in ihrem Aufsatz Concerning ΠΕΡΙ ΔΕ in 1 Corinthians. Ihrer Meinung nach ist περὶ δέ „simply a topic marker, a shorthand way of introducing the next subject of discussion“ (Mitchell, ΠΕΡΙ ΔΕ, 234).

1Thess 4,3‒8

119

werden.20 Vielmehr bekommt man den Eindruck, dass Paulus mit dem Gegenstand der Heiligung eine grundsätzliche Thematik verhandelt, die er bewusst an den Anfang eines paränetischen Briefteils stellt.21

5.1.1

Philologische Untersuchung des Textes

1Thess 4,3–8 bietet einige wortsemantische und syntaktische Schwierigkeiten, die in einem ersten Durchgang durch den Text behandelt werden sollen.22 Dazu sei zunächst Gliederung23 und Übersetzung24 des Textes angeführt: Τοῦτο γάρ ἐστιν θέλημα τοῦ θεοῦ, ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν Dieses nämlich ist Wille Gottes, eure Heiligung, 3

ἀπέχεσθαι ὑμᾶς ἀπὸ τῆς πορνείας, dass ihr euch fernhaltet von der Unzucht, εἰδέναι ἕκαστον ὑμῶν τὸ ἑαυτοῦ σκεῦος κτᾶσθαι dass jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen vermag ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ, in Heiligung und Ehre, 5 μὴ ἐν πάθει ἐπιθυμίας nicht in begieriger Leidenschaft καθάπερ καὶ τὰ ἔθνη τὰ μὴ εἰδότα τὸν θεόν, wie auch die Heiden, die Gott nicht kennen, 4

–––––––––––––– 20

21 22

23 24

So auch Collins, Will of God, 307. Gegen Baltensweiler, Erwägungen; Weima, “How You Must Walk…”, 103; Verhoef, 1Thess 4:1–8, 359. Vgl. dazu Schmidt, Heilig, 222– 224. Zur Position von 4,3–8 innerhalb des zweiten Briefhauptteils vgl. ausführlich Schmidt, Heilig, 217–222. In einer Arbeit, deren Thema die Heiligkeit ist, kann es dabei freilich nicht darum gehen, Detailfragen in allen Einzelheiten zu klären. Vielmehr können und sollen diese Fragen nur insofern behandelt werden, als sie Aufschluss über das paulinische Heiligkeitsverständnis im vorliegenden Text geben. Eine ganz andere Gliederung stellt Schmidt, Heilig, 247 auf. Die Übersetzung beruht auf der exegetischen Analyse des Textes, die ich erst im Folgenden näher erläutern werde.

120

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief 6 τὸ μὴ ὑπερβαίνειν καὶ πλεονεκτεῖν ἐν τῷ πράγματι τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ, nicht das Überschreiten (von Recht) und Übervorteilen seines Bruders im Handel,

διότι ἔκδικος κύριος περὶ πάντων τούτων, denn Rächer über dies alles ist der Herr, καθὼς καὶ προείπαμεν ὑμῖν καὶ διεμαρτυράμεθα. wie wir euch auch bereits gesagt und bezeugt haben. οὐ γὰρ ἐκάλεσεν ἡμᾶς ὁ θεὸς ἐπὶ ἀκαθαρσίᾳ ἀλλ᾿ ἐν ἁγιασμῷ. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern in Heiligung. 7

τοιγαροῦν ὁ ἀθετῶν οὐκ ἄνθρωπον ἀθετεῖ ἀλλὰ τὸν θεὸν τὸν [καὶ] διδόντα τὸ πνεῦμα αὐτοῦ τὸ ἅγιον εἰς ὑμᾶς. Darum also, wer das verwirft, verwirft nicht einen Menschen, sondern Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt. 8

Der Abschnitt 1Thess 4,3–8 besteht insgesamt aus drei Sätzen, wobei der erste Satz V. 3–6 umfasst. Dessen Hauptsatz findet sich in V. 3a: Τοῦτο γάρ ἐστιν θέλημα τοῦ θεοῦ, ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν. Subjekt des Satzes ist τοῦτο, das Satzglied θέλημα τοῦ θεοῦ ist als Prädikatsnomen aufzufassen.25 Die nachfolgende Wendung ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν greift das Subjekt wieder auf26 und gibt damit die Information, worin der Wille Gottes denn nun besteht. Zu einer gänzlich anderen Deutung dieses Satzes kommt N. BAUMERT. Ihm schließt sich in dieser Frage E. D. SCHMIDT an.27 Diese Deutung geht von einem völlig anderen Sinn des τοῦτο aus: Nach Meinung von Baumert ist τοῦτο in 1Thess 4,3a weder Subjekt des Satzes noch Prädikatsnomen, sondern eine „adverbielle Bestimmung des Grundes und der Folge“ 28. Es beziehe sich anaphorisch auf den vorhergehenden Satz und auf die darin angesprochene Vermittlung von Weisungen in der Vergangenheit und sei dann zu übersetzen mit ‚demnach‘ oder ‚dementsprechend‘. Logisches Subjekt des Satzes seien die ab V. 3b folgenden AcI, das Satzglied θέλημα τοῦ θεοῦ sei Prädikatsnomen und die Wendung ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν eine

–––––––––––––– 25 26 27 28

So auch Collins, Will of God, 308. Anders z.B. Holtz, 1Thess, 154, Anm. 30: Seines Erachtens ist θέλημα τοῦ θεοῦ das Subjekt. So auch Verhoef, 1Thess 4:3–8, 349. So auch Holtz, 1Thess, 154, Anm. 30, obwohl seiner Meinung nach θέλημα τοῦ θεοῦ Subjekt des Satzes ist. Vgl. dazu ausführlich Schmidt, Heilig, 231–239. Baumert, Ehelosigkeit, 529. Vgl. zum Folgenden ebd. und Baumert, Brautwerbung, 335f.

1Thess 4,3‒8

121

Apposition zu ‚Wille Gottes‘. Baumerts Übersetzung von 1Thess 4,3 lautet dann: „Demnach ist nämlich Wille Gottes – eure Heiligung! – (dementsprechend = meinen Weisungen gemäß ist es ja ein Verhalten nach Gottes Wohlgefallen – und darin besteht eure Heiligung), daß ihr euch fernhaltet von Unzucht“29. Ähnlich paraphrasiert auch Schmidt: „In Anbetracht der früheren Lehre, die wir vermittelt und ihr empfangen habt, ist der Wille Gottes – der ja in eurer Heiligung zum Ausdruck kommt! –, dass ihr euch enthaltet…“30. Grundsätzlich kann sich das Pronomen τοῦτο natürlich anaphorisch auf den Vordersatz beziehen.31 Mehr Schwierigkeiten bereitet da schon die von Baumert vorausgesetzte adverbielle Deutung mit „kausale[m] und konsekutive[m] Einschlag“32. Zwar führt er in einem philologischen Exkurs im Anhang seiner Habilitationsschrift Beispiele an, die seine Position untermauern sollen, doch diese sind meiner Meinung nach nicht sehr überzeugend. Die Deutung des Satzgliedes ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν als Apposition wird außerdem der Tatsache nicht gerecht, dass Heiligung das Thema des Abschnittes ist. Entscheidendes Argument ist jedoch, dass man umgekehrt feststellen muss, dass das Verständnis von τοῦτο als Subjekt des Satzes, welches mit ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν wieder aufgenommen wird33, – zumindest sprachlich – keinerlei Schwierigkeiten bereitet.34 Diesem in jedem Fall näherliegenden Verständnis des Satzes ist daher unbedingt der Vorzug zu geben.

Vom Hauptsatz V. 3a sind nun insgesamt vier Infinitive abhängig, und zwar zwei AcI in V. 3b und 4a und zwei substantivierte Infinitive in V. 6a. Alle vier konkretisieren ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν und damit auch den Willen Gottes.35 V. 3b bietet mit einem epexegetischen Infinitiv36 die erste Konkretisierung der Heiligung. Die Forderung, sich von der πορνεία fernzuhalten, ist dabei im Vergleich zu den folgenden Infinitiven noch sehr weit gefasst.37 Πορνεία (Unzucht) ist im jüdisch-christlichen Traditionsbe–––––––––––––– 29 30 31 32

33

34 35

36 37

Baumert, Brautwerbung, 317. Schmidt, Heilig, 237. Vgl. B/D/R, § 290.3, 238. Baumert, Ehelosigkeit, 527. Eine nominale anaphorische Deutung kommt natürlich auch nicht in Frage, denn sollte sich das Pronomen auf die παραγγελίαι beziehen, müsste es αὗται (Pl. fem.) lauten. Vgl. dazu 2Kor 13,9, auch wenn τοῦτο dort nicht Subjekt, sondern Objekt des Satzes ist. Vgl. außerdem 1Thess 4,15, wo τοῦτο ebenfalls auf den nachfolgenden ὅτι-Satz zu beziehen ist. Gegen Baumert, Brautwerbung, 335. Vgl. Holtz, 1Thess, 155: „Paulus gibt denn auch sogleich konkret an, worin die ‚Heiligung‘ der Thessalonicher besteht.“ Ebenso Haufe, 1Thess, 67; Stettler, Heiligung, 39. Vgl. B/D/R, § 394, 324. So Holtz, 1Thess, 156.

122

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

reich eine „Sammelbezeichnung für verbotenen Sexualverkehr“ 38. An zahlreichen weiteren Stellen spricht Paulus sich gegen sie aus (deutlich z.B. 1Kor 6,18). In den sog. Lasterkatalogen wird die Unzucht vielfach als erste Sünde genannt (vgl. 1Kor 5,10.11; 6,9; Gal 5,19). Aus jüdischer Sicht handelt es sich um die Sünde der Heiden schlechthin.39 Diese Ansicht vertritt auch Paulus hier. Wenn Heidenchristen – wie in 1Thess 4,3 – dazu aufgefordert werden, sich von der Unzucht fernzuhalten, so bedeutet das für sie auch, sich von ihrem bisherigen Lebensstil und damit von ihrer heidnischen (d.h. nichtchristlichen und nichtjüdischen) Umwelt abzugrenzen.40 Paulus begegnet den Thessalonichern hier also mit einem jüdischen Ethos. Der zweite AcI in V. 4a, von dem ein weiterer Infinitiv abhängig ist, wird mit seiner positiven Weisung εἰδέναι ἕκαστον ὑμῶν τὸ ἑαυτοῦ σκεῦος κτᾶσθαι konkreter, ist aber aufgrund von wortsemantischen Schwierigkeiten in seiner Bedeutung sehr unsicher. Umstritten ist vor allem die Bedeutung von σκεῦος, das eigentlich ein Gerät oder Gefäß bezeichnet, aber auch im übertragenen Sinne gebraucht werden kann für einen Menschen und seinen Leib (z.B. Apg 9,15: Paulus als σκεῦος ἐκλογῆς) oder konkret eine Frau (z.B. 1Petr 3,7).41 Eine dieser beiden übertragenen Bedeutungen ist auch für 1Thess 4,4 anzunehmen. Diejenigen, die σκεῦος hier mit Leib übersetzen, verstehen hinter V. 4a eine Forderung zur sexuellen Selbst- bzw. Körperbeherrschung.42 Die meisten Exegeten lesen in 1Thess 4,4a jedoch ‚Frau‘, wofür vor allem die Ver-

–––––––––––––– 38

39 40 41

42

So das Ergebnis von R. Kirchhoff im Anschluss an J. Jensen (Kirchhoff, Sünde, 18–37, Zitat: 35). Kirchhoff kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass das Bedeutungsspektrum von πορνεία in paganen Texten enger ist. Dort bezeichne πορνεία lediglich den „Sexualverkehr eines Mannes mit einer πόρνη oder einem πόρνος“ (ebd., 35). Vom Juden Paulus ist allerdings zu erwarten, dass er von der πορνεία nach jüdischem Maßstab spricht. Vgl. dazu auch das sog. Aposteldekret Apg 15,29. Dort wird dieselbe Formulierung wie in 1Thess 4,3 gebraucht: ἀπέχεσθαι […] καὶ πορνείας. Vgl. Haufe, 1Thess, 70. Vgl. Maurer, σκεῦος, 359; Bauer, Wörterbuch, 1507. Zu einem Metonym für Frau konnte das Wort σκεῦος nur in einer patriarchisch strukturierten Gesellschaft werden, in der die Frau als Objekt des Mannes angesehen wird. C. Maurer weist außerdem darauf hin, dass Formulierungen wie „sich eines Gefäßes bedienen“ feste euphemistische Ausdrucksweisen für den Geschlechtsverkehr sind (vgl. Maurer, σκεῦος, 361f). So z.B. Carras, Jewish Ethics, 310.315; Verhoef, 1Thess 4:1–8, 355f.

1Thess 4,3‒8

123

wendung des Verbs κτᾶσθαι und das Pronomen ἑαυτοῦ sprechen.43 Diese Position wird auch hier vertreten.44

V. 4b–5a beinhaltet eine doppelte Modalbestimmung zu der zweiten Forderung. So soll jeder seine eigene Frau zu gewinnen suchen ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ, μὴ ἐν πάθει ἐπιθυμίας. Die zweite negative Modalbestimmung ist dann nochmals ergänzt (V. 5b): So, wie die Thessalonicher es nicht machen sollen, machen es nämlich τὰ ἔθνη τὰ μὴ εἰδότα τὸν θεόν.45 Die zwei substantivierten Infinitive in V. 6a sind direkt vom Hauptsatz V. 3a abhängig.46 Sie unterscheiden sich von den vorausgehenden AcIs nicht nur in der Konstruktion, sondern auch insofern sie nicht erläutern, was der Wille Gottes ist, sondern was er nicht ist47, nämlich τὸ μὴ ὑπερβαίνειν καὶ πλεονεκτεῖν ἐν τῷ πράγματι τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ. Außerdem greifen sie nach den vorhergehenden Forderungen, die den Bereich der Sexualität betreffen, ein neues Thema auf:48 die Übervorteilung des Nächsten.49 –––––––––––––– 43

44

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48

49

Vgl. dazu die Begründung bei Holtz, 1Thess, 157f und ausführlicher Schmidt, Heilig, 261–263. Vgl. auch Maurer, σκεῦος, 365–368. Baumert, Brautwerbung, 326 hebt hervor, dass σκεῦος nie direkt ‚Frau‘ bedeutet, sondern „im Sinn von ‚Stütze‘ kann es speziell auf die (Ehe-) Frau oder Nebenfrau angewendet werden“. Eine ausführliche Diskussion des Sachverhalts kann und braucht hier nicht zu erfolgen, da die richtige Übersetzung von σκεῦος für unser Thema nicht von zentraler Bedeutung ist. Zudem stellt Vahrenhorst, Kultische Sprache, 126 (Hervorhebungen im Original) richtigerweise fest: „Damit ergibt sich bei einer Deutung von σκεῦος als Leib in der Praxis nahezu die gleiche Konsequenz wie bei der, die σκεῦος ohnehin als Chiffre für die Ehefrau versteht.“ Ausführlich diskutiert wird die Frage z.B. bei Carras, Jewish Ethics, 308ff; Baumert, Brautwerbung, 318ff und jüngst bei Schmidt, Heilig, 252–263. Ebenfalls undiskutiert lasse ich die Frage, was es genau bedeutet, seine eigene Frau zu gewinnen, da auch diese Frage für den vorliegenden Kontext irrelevant ist. Vgl. dazu ausführlich Schmidt, Heilig, 264–275. Zu V. 4b–5 vgl. genauer Abschnitt 5.1.2, S. 125ff. Gegen N. Baumert, der V. 6 noch V. 4 unterordnet (vgl. Baumert, Brautwerbung, 336f). So auch daran anschließend Schmidt, Heilig, 246. Dies entspricht nach Aristoteles den beiden Möglichkeiten des von ihm so genannten γένος συμβουλευτικόν, nämlich Menschen entweder zu einem bestimmten Handeln aufzufordern oder aber ihnen von einem bestimmten Handeln abzuraten (vgl. Aristoteles, Rhetorik, I,3,3: Συμβουλῆς δὲ τὸ μὲν προτροπὴ τὸ δὲ ἀποτροπή). M. Wolter unterscheidet in Orientierung daran protreptische und apotreptische Weisungen (vgl. Wolter, Identität, 134). So Konradt, Εἰδέναι ἕκαστον, 128 mit Anm. 2; Holtz, 1Thess, 162. Nach Meinung einiger Exegeten geht es hier nach wie vor um dasselbe Thema wie in V. 4–5. So z.B. Haufe, 1Thess, 71; Baumert, Brautwerbung; Carras, Jewish Ethics, 311, Anm. 20. Dort sind noch weitere Befürworter dieser Position genannt. Vgl. Delling, πλεονέκτης, 270 (Hervorhebungen im Original) zum Vorkommen von Wörtern des Stammes πλεονεκ-: „Die Deutung auf das Streben nach materiellem Be-

124

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

Schwierigkeiten bereitet den Auslegern hier vor allem die Frage nach der Bedeutung von πρᾶγμα. Diejenigen Exegeten, die für den Abschnitt 1Thess 4,3b–6 ein einheitliches Thema annehmen, verstehen πρᾶγμα „im Sinne von ‚in dieser, d.h. in der eben verhandelten Sache‘“ und berufen sich damit auf die allgemeine Bedeutung des Wortes.50 Andere deuten πρᾶγμα mit Hinweis auf 1Kor 6,1 als Rechtsstreit51 oder allgemeiner als Geschäft oder Handel52. Letztlich ist es nebensächlich, um welche Angelegenheit es geht. Meiner Meinung nach ist es wahrscheinlicher, dass Paulus hier neben der Unzucht ein zweites Thema anspricht. Dabei sagt er in erster Linie, dass es nicht der Heiligung und damit dem Willen Gottes entspricht, das Recht zu überschreiten und seinen Bruder zu übervorteilen. Bezieht man die Übervorteilung auf materielle Dinge, kann man auch von „Habgier“ (πλεονεξία) sprechen.

In jedem Fall handelt es sich bei πλεονεξία aus antiker Sicht um die Mutter aller Vergehen53 und zusammen mit der in V. 3 abgelehnten πορνεία sind in diesem Abschnitt die beiden aus jüdischer Sicht zentralen Laster der Heiden angesprochen.54 V. 6b beinhaltet einen weiteren von V. 3a abhängigen Nebensatz, der eingeleitet durch διότι eine Begründung für alle zuvor genannten Forderungen liefert55: Der Herr selbst ist Rächer über dies alles. V. 6c ist dann direkt von V. 6b abhängig: Diesen langen ersten Satz des Abschnitts abschließend weist Paulus darauf hin, dass er letzteres den Thessalonichern bereits gesagt und bezeugt habe. Die beiden weiteren Sätze V. 7 und 8 sind eng an den vorhergehenden Satz angebunden, da

50

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sitz ist (außer 2 K 2,11) überall möglich; wo dieser Sinn vorliegt, überwiegt offenbar der Gedanke an die Übervorteilung des Nächsten.“ Die ausdrückliche Erwähnung des Bruders spricht dafür, dass dies in jedem Fall für die vorliegende Stelle 1Thess 4,6 gilt. So z.B. Haufe, 1Thess, 71 (Zitat ebd.). Es liegen in der exegetischen Forschung auch konkrete Vorschläge vor, um was es genau in V. 3b–6 gehen könnte. H. Baltensweiler erwägt, dass der konkrete Hintergrund der paulinischen Mahnungen das Erbtochterrecht des klassischen Griechenland sei (vgl. Baltensweiler, Erwägungen; ders., Ehe, 135–149). Laut A. J. Malherbe ist das Thema dieses Abschnitts „the desirability and quality of marriage“ (Malherbe, Thess, 224). Nach N. Baumert geht es im vorliegenden Kontext dagegen um Brautwerbung (vgl. Baumert, Brautwerbung). Dieser These schließt sich auch E. D. Schmidt an (vgl. Schmidt, Heilig, 301– 303). Vgl. Dibelius, Thess, 22. So z.B. Holtz, 1Thess, 162; Konradt, Gericht, 114. Vgl. dazu zahlreiche Belege bei Wolter, Lk, 448. S.u. S. 134f. Vgl. Holtz, 1Thess, 163: „Der begründende Satz V 6b bezieht sich nicht nur auf den Inhalt von V 6a, sondern auf das ganze Tun, das ab V 3 im Blick ist.“

1Thess 4,3‒8

125

sie nach V. 6b zwei weitere Begründungen für die Beachtung der zuvor genannten Mahnungen enthalten. 56 Thema dieses Abschnitts ist – wie oben gezeigt – die Heiligung (ἁγιασμός). Im Folgenden sollen die einzelnen Belege für Lexeme des Wortstamms ἁγι- in 1Thess 4,3b–8 untersucht werden (Abschnitte 5.1.2–4), bevor abschließend – ausgehend von der Überschrift V. 3a – etwas über das Verständnis von ἁγιασμός als Wille Gottes ausgesagt werden kann (Abschnitt 5.1.5).

5.1.2

1Thess 4,4: „in Heiligung und Ehre“

Der zweite Beleg für das Substantiv ἁγιασμός innerhalb des Abschnitts 1Thess 4,3–8 findet sich in V. 4: Paulus stellt es als Wille Gottes dar, dass jeder seine eigene Frau zu gewinnen wisse, ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ, μὴ ἐν πάθει ἐπιθυμίας καθάπερ καὶ τὰ ἔθνη τὰ μὴ εἰδότα τὸν θεόν (V. 4b–5). Nach Meinung von M. KONRADT liegt gerade in dieser doppelten und durch den zweifachen Gebrauch von ἐν parallelisierten Modalbestimmung57 – zunächst positiv: ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ, dann negativ: μὴ ἐν πάθει ἐπιθυμίας – das Entscheidende dieser indirekten Forderung: „Es geht nicht nur darum, daß ein Christenmensch Geschlechtsverkehr aus-

schließlich innerhalb der Ehe vollzieht (V. 3b), sondern es gibt für ihn auch eine spezifische Weise, wie dies zu geschehen hat, nämlich ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ, μὴ ἐν πάθει ἐπιθυμίας.“58

Doch wie ist diese doppelte Modalbestimmung zu verstehen? Inwiefern gibt sie tatsächlich Aufschluss über das Wie des Umgangs mit der eigenen Ehefrau? Zunächst zur Wendung ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ: τιμή ist hier zu verstehen als „die der Frau zu erweisende Ehrerbietung, auf die sie als Geschöpf Gottes Anspruch hat“ 59. Auch in 1Petr 3,7, wo ebenfalls der Ausdruck σκεῦος in der Bedeutung ‚Frau‘ gebraucht –––––––––––––– 56

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58 59

Vgl. Carras, Jewish Ethics, 307: „In this connection 6b–8 gives three motivations for obeying the instruction given.“ Zum Inhalt der Verse 7 und 8 vgl. die Abschnitte 5.1.3, S. 127ff und 5.1.4, S. 130ff. E. D. Schmidt zieht ein kausales Verständnis des ersten ἐν in Erwägung und hebt damit die Parallelität der beiden Bestimmungen auf (vgl. Schmidt, Heilig, 277–282). Dabei stützt er sich vornehmlich auf das von ihm ermittelte Verständnis von Heiligung als vorethischen Begriff in 1Thess 4,3, das wiederum auf einem unsachgemäßen Verständnis des τοῦτο beruht (s.o., S. 120). Konradt, Εἰδέναι ἕκαστον, 135 (Hervorhebungen im Original). Vgl. auch Weiß, Heilig, 48. Schneider, τιμή, 175 (Hervorhebung im Original). So auch Stettler, Heiligung, 42.

126

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

wird, sind die Männer aufgefordert, ihren Frauen Ehre zu erweisen (ἀπονέμοντες τιμήν). Noch weniger konkret ist die erste Hälfte dieser Wendung: ἐν ἁγιασμῷ. Vermutlich ist der Gebrauch dieses Substantivs an dieser Stelle dem Thema des Abschnitts unter der Überschrift V. 3a geschuldet60, und ‚in Heiligung‘ heißt hier so viel wie ‚dem Willen Gottes entsprechend‘ (vgl. V. 3), ohne dass näher gesagt werden würde, was das konkret bedeutet. Ähnlich unkonkret bleibt auch die negative Modalbestimmung μὴ ἐν πάθει ἐπιθυμίας (wörtlich: „nicht in Leidenschaft der Begierde“).61 M. KONRADT führt aus, dass ἐπιθυμία im hellenistischen Judentum „verschiedentlich sogar als der Quellgrund sündhaften Verhaltens namhaft gemacht“62 wird.63 Abgesehen von einer stark negativen Konnotation kann aber nichts zur semantischen Spezifizierung von ἐπιθυμία gesagt werden. Begierde muss auf jeden Fall nicht auf den sexuellen Bereich eingegrenzt sein.64 Eine gewisse Konkretisierung nimmt Paulus selbst vor, indem er dieses Verhalten im Folgenden „den Heiden, die Gott nicht kennen“, zuschreibt (V. 5b).65 Damit grenzt er die Thessalonicher und ihr Verhalten zum einen von den Heiden ab und stellt sie zum anderen auf eine Seite mit den Juden, von denen schließlich auch gesagt werden kann, dass sie Gott kennen.66 Die heidnischen Christen bilden hier neben den Juden und den Heiden keine dritte Gruppe, sondern werden auf die Seite der Juden gezogen. Während Paulus in späteren Briefen auf der Aufhebung der Grenze zwischen Juden und Heiden beharrt (vgl. Gal 3,28), ist diese Grenze hier durchaus noch präsent. Die Christen unter –––––––––––––– 60 61 62 63

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So auch Konradt, Gericht, 103, Anm. 467. Nach M. Konradt liegt hier das entscheidende Gewicht der Aussage. Vgl. ebd., 104. Ebd. (Hervorhebung im Original). Vgl. z.B. ApkMos 19,3 (…ἐπιθυμία γάρ ἐστιν κεφαλὴ πάσης ἁμαρτίας); ApkAbr 24,8 (Da sah ich die Begierde und in ihrer Hand das Haupt jeder Gesetzlosigkeit); Philo, QG I,47 (So that desire becomes the evil origin of sins). Vgl. für Paulus auch Röm 7,7. Vgl. z.B. Philo, spec. IV,82–85: … so erzeugt auch die Begierde (ἐπιθυμία) … schlimmere Gebieter als die genannten …, nämlich Durst und Hunger, aber nicht nach leiblichen Genüssen, sondern nach Geld, Ruhm, Machtstellungen, Schönheit und all den zahllosen Dingen, die sonst im Menschenleben Ziele des Strebens und Ringens bilden. Vgl. auch Holtz, 1Thess, 159. Diese Wendung ist laut T. Holtz analytisch und nicht synthetisch zu verstehen, das heißt, das erweiterte Partizip τὰ μὴ εἰδότα τὸν θεόν enthält keinerlei Zusatzinformation: ‚Heide sein‘ ist gleichbedeutend mit ‚Gott nicht kennen‘. Vgl. Holtz, 1Thess, 160. Eine andere Grenzziehung nimmt Paulus in 1Thess 4,13 vor. Dort unterscheidet er die thessalonischen Christen von den übrigen, die keine Hoffnung haben (οἱ λοιποὶ οἱ μὴ ἔχοντες ἐλπίδα). Darunter fallen vermutlich auch die Juden.

1Thess 4,3‒8

127

den Heiden haben mit ihrer Bekehrung die Seite gewechselt, und dieser Seitenwechsel sollte nach Meinung des Paulus in ihrem Sexualethos, das sich nun an dem jüdischen Ethos orientieren soll, zum Ausdruck kommen.67 Diese Beobachtung wirft nochmal ein anderes Licht auf die Wendung ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ und insbesondere auf das hier zentrale Wort ἁγιασμός: Als Gegenkonzept zum Verhalten der Heiden wird es für die Christen zu einem identitätsstiftenden Begriff, so wie die Heiligkeit schon für Israel Identitätsmerkmal war.

5.1.3

1Thess 4,7: „berufen in Heiligung“

In V. 7 liefert Paulus nach V. 6b eine weitere Begründung für die in V. 3b–6a formulierten indirekten Weisungen: Seiner Darstellung nach sollen die Thessalonicher den Willen Gottes tun, οὐ γὰρ ἐκάλεσεν ἡμᾶς ὁ θεὸς ἐπὶ ἀκαθαρσίᾳ ἀλλ᾿ ἐν ἁγιασμῷ. Die Präposition ἡμεῖς umfasst hier Paulus selbst und die Adressaten seines Briefes. Die Aussage V. 7 betrifft also nicht nur die Thessalonicher in ihrer aktuellen Situation, sondern ist allgemeiner auf alle Christen zu beziehen: Allein, weil sie wie Paulus Christen sind, gilt für die Thessalonicher wie auch für Paulus, dass Gott sie berufen hat. Der Gedanke der Erwählung kommt im 1Thess noch öfter vor. Einer Rahmung entsprechend kommt Paulus gleich zu Beginn und am Ende seines Briefes auf die Erwählung der Thessalonicher durch Gott zu sprechen (1,4 und 5,24, vgl. außerdem noch 2,12). In 2,12 dient der Bezug zur Erwählung durch Gott – wie in 4,7 – als Begründung für die Aufforderung zu einem bestimmten Verhalten: Paulus erinnert seine Leser an die frühere Mahnung, περιπατεῖν ὑμᾶς ἀξίως τοῦ θεοῦ τοῦ καλοῦντος ὑμᾶς εἰς τὴν ἑαυτοῦ βασιλείαν καὶ δόξαν. Das Verb καλέω, in Verbindung mit Gott als Subjekt, ist im Neuen Testament „ein terminus technicus für den Heilsvorgang“68. Dies wird ganz deutlich in Röm 8,30, wo die Verben προορίζω, καλέω, δικαιόω und δοξάζω parallel verwendet werden. Diese vier Verben bezeichnen in Röm 8,30 nicht verschiedene Vorgänge, sondern immer dasselbe Geschehen, und zwar das rettende Heilshandeln Gottes. Paulus kann καλέω ohne eine –––––––––––––– 67

68

Für das jüdische Selbstverständnis war die Abgrenzung von den Heiden gerade in sexualethischen Fragen bestimmend. Vgl. dazu Konradt, Gericht, 108. – Vgl. außerdem Thielman, Paul and the Law, 79: „these believers are no longer Gentiles but the people of God, and as the people of God, they must observe the boundaries of sanctification that the new convenant marks out for them“. Vgl. auch ebd., 74f und Weima, “How You Must Walk…”, 103. Schmidt, καλέω, 490 (Hervorhebungen im Original).

128

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

adverbiale Bestimmung verwenden (so z.B. Röm 8,30; Gal 5,8 oder 1Thess 5,24), aber auch wie z.B. in 1Thess 2,12 oder 4,7 mit unterschiedlichen Finalbestimmungen, die die Berufung näher qualifizieren. Dabei bedient sich Paulus verschiedener Präpositionen. Die häufigste ist ἐν mit Dativ (1Kor 7,15.20.24; Gal 1,6; 1Thess 4,7), je zwei Mal gebraucht er εἱς mit Akkusativ (1Kor 1,9; 1Thess 2,12) und ἐπί mit Dativ (Gal 5,13; 1Thess 4,7). In Gal 1,15 spricht er davon, dass Gott ihn berufen hat διὰ τῆς χάριτος αὐτοῦ, wobei dies Adverbial wohl eher als Instrumentalbestimmung zu verstehen ist: Paulus wurde berufen durch die Gnade Gottes. Alle anderen Präpositionen deuten eine Finalbestimmung an69, wobei es im Einzelnen noch Unterschiede geben und speziell dem Präpositionswechsel in 1Thess 4,7 durchaus Bedeutung zugemessen werden kann.70 Bemerkenswerterweise steht ἁγιασμός – gemessen an dem grundsätzlich seltenen Vorkommen dieses Substantivs – innerhalb des Neuen Testaments häufig mit der Präposition ἐν, so auch im vorliegenden Zusammenhang in 1Thess 4,3 (vgl. außerdem 2Thess 2,13; 1Tim 2,15 und 1Petr 1,2 und außerhalb des NT TestBen 10,11). In Röm 6,19.22 ist von εἰς ἁγιασμόν die Rede.

Unabhängig davon, ob ἐπί und ἐν in 1Thess 4,7 gleichbedeutend sind 71 oder nicht72, ist unbestreitbar, dass Paulus hier Unreinheit (ἀκαθαρσία) und Heiligung (ἁγιασμός) einander gegenüberstellt.73 Dabei ist auch unerheblich, ob es sich um direkte Gegensätze handelt oder nicht.74 In jedem Fall grenzt Paulus beide Größen voneinander ab und bewertet indirekt das eine negativ und das andere positiv. 75 Abgesehen von 1Thess 4,7 gebraucht Paulus die beiden Substantive ἀκαθαρσία und ἁγιασμός noch in Röm 6,19. Dort werden sie einander nicht direkt gegenübergestellt, erweisen sich jedoch trotzdem als unvereinbare Gegensätze, da die ἀκαθαρσία in die vorchristliche Lebenshälfte der –––––––––––––– 69 70 71 72

73 74 75

Laut B/D/R § 218 kann ἐν auch anstelle von εἰς stehen. Vgl. Weiß, Heilig, 48: „Der Wechsel der Präpositionen […] ist sicher mehr als eine Variation der gleichen Sache, vielmehr absichtsvolle Akzentsetzung.“ So z.B. Holtz, 1Thess, 165. So zuletzt Schmidt, Heilig, 312f. E. D. Schmidt zieht dabei die Möglichkeit in Betracht, dass das Verb καλεῖν nur auf die erste Satzhälfte zu beziehen und ἀλλ᾿ ἐν ἁγιασμῷ elliptisch aufzufassen sei, ergänzt durch ἐσμέν oder ἑστήκαμεν (vgl. ebd., 313). Dementsprechend lautet seine Übersetzung von V. 7: „Gott hat uns nicht zur Unreinheit berufen; sondern wir sind in (der) Heiligung“ bzw. „… stattdessen stehen wir in (der) Heiligung“ (ebd.). Dafür spricht mehr noch als die Präpositionen schon allein die ‚οὐ … ἀλλά‘Konstruktion. Vgl. Schmidt, Heilig, 311. Vgl. Weiß, Heilig, 49: „ἀκαθαρσία (Unreinheit) bildet in diesem Kontext nicht von vornherein das direkte Gegenteil von ἁγιασμός (Heiligung).“ In kultischen Zusammenhängen sind Unreinheit und Heiligkeit ohnehin unvereinbar. Reinheit ist eine unbedingte Voraussetzung für Heiligkeit. Dementsprechend schließen sich Unreinheit und Heiligkeit im Kult gegenseitig aus. S.o. S. 33.

1Thess 4,3‒8

129

römischen Christen gehört, während der ἁγιασμός ihr jetziges Dasein bestimmt.76 In Röm 1,24 gibt Gott die Gottlosen in die Unreinheit (εἰς ἀκαθαρσίαν) und in Gal 5,19 ist Unreinheit eine Tätigkeit derer, die das Reich Gottes nicht erben werden, also der Nicht-Christen.77 Ihnen gegenüber stehen die von Gott Berufenen (vgl. Gal 5,13), von denen es in 1Thess 4,7 heißt, dass sie ἐν ἁγιασμῷ berufen sind. Mit der Gegenüberstellung und Entgegensetzung von ἀκαθαρσία und ἁγιασμός betont Paulus vor allem die Differenz zwischen ChristSein und Nicht-Christ-Sein.78 Er spricht die Thessalonicher auf ihren Status ‚in Heiligung‘ an, in den Gott sie berufen hat. Die Präposition ἐν, die durch den Wechsel der Präposition besonders hervorgehoben wird79, trägt – auch bei einem grundsätzlich finalen Verständnis beider Präpositionen ἐπί und ἐν in 1Thess 4,780 – ein lokales semantisches Merkmal in sich. Das ist an dieser Stelle im metaphorischen Sinne zu verstehen, und zwar im Sinne der Versetzung in einen bestimmten Status. Hier sei nochmals auf die Parallelstelle Gal 1,6 aufmerksam gemacht, wo Paulus davon spricht, dass die Galater ἐν χάριτι berufen wurden, womit ebenfalls ein bestimmter Status angezeigt wird, aus dem man allerdings auch wieder herausfallen kann (vgl. Gal 5,4: τῆς χάριτος ἐξεπέσατε). Für die Versetzung in den Status der Heiligkeit sind die Thessalonicher nicht selbst verantwortlich, sondern Gott, der dem Juden Paulus als Heiliger bekannt ist81, hat sie ἐν ἁγιασμῷ berufen.

–––––––––––––– 76 77

78

79 80 81

Hier ist ein sogenanntes Einst-Jetzt-Schema zu erkennen. Vgl. dazu Tachau, „Einst“ und „Jetzt“, 116–123. Vgl. auch 1Kor 6,1–11, wo die korinthischen Christen (V. 1.2: οἱ ἅγιοι) von den ἄδικοι, die das Reich Gottes nicht erben werden (V. 9–10), abgegrenzt werden. S.u. Kapitel 6.2, S. 151ff. Vgl. hier auch 1Thess 5,9, wo der Zorn den Bereich des Nicht-Christ-Seins symbolisiert, demgegenüber das Heil genannt ist. Diese Gegenüberstellung schließt im Textzusammenhang direkt an die Unterscheidung der Söhne des Lichts und der Finsternis an, die z.B. auch in der Qumrangemeinde (vgl. 1QM I,1) als Gegenüberstellung derjenigen, die zu Gott gehören, und derjenigen, die nicht zu ihm gehören, bekannt ist. Weiß, Heilig, 48 spricht von „absichtsvoller Akzentsetzung“. S.o. Anm. 70. Vgl. Holtz, 1Thess, 165: „Sie bezeichnen das Ziel, auf das hin die Berufung nicht erfolgt bzw. in das hinein sie erfolgt ist.“ Vgl. dazu den Exkurs Gott als der Heilige im Alten Testament, S. 25f.

130

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

5.1.4

1Thess 4,8: „Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt“

In V. 8 gibt Paulus eine letzte (dritte) Begründung, warum die zuvor gegebenen Weisungen – der Wille Gottes – befolgt werden sollen. In diesem Zusammenhang schreibt er von Gott, dass er τὸ πνεῦμα αὐτοῦ τὸ ἅγιον εἰς ὑμᾶς gibt. Nach Meinung von F. W. HORN stehen entsprechende Prophezeiungen bei Ezechiel im Hintergrund dieser Formulierung:82 Ez 36,27(LXX) καὶ τὸ πνεῦμά μου δώσω ἐν ὑμῖν καὶ ποιήσω ἵνα ἐν τοῖς δικαιώμασίν μου πορεύησθε καὶ τὰ κρίματά μου φυλάξησθε καὶ ποιήσητε. Und meinen Geist werde ich euch eingeben, und ich werde bewirken, dass ihr nach meinen Rechtssätzen wandelt und meine Entscheidungen bewahrt und ausführt.83 Ez 37,14(LXX) καὶ δώσω τὸ πνεῦμά μου εἰς ὑμᾶς, καὶ ζήσεσθε, καὶ θήσομαι ὑμᾶς ἐπὶ τὴν γῆν ὑμῶν, καὶ γνώσεσθε ὅτι ἐγὼ κύριος λελάληκα καὶ ποιήσω, λέγει κύριος. Und ich werde euch meinen Geist eingeben, und ihr werdet lebendig werden, und ich werde euch auf euer Land setzen; da werdet ihr erkennen, dass ich, der Herr, gesprochen habe und handeln werde. Das sagt der Herr. Anstelle des dortigen Futurs (δώσω) steht bei Paulus ein Partizip Präsens (διδόντα84), das Gott „als den grundsätzlichen Geber des heiligen Geistes“85 qualifiziert. Es ist unwahrscheinlich, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den Stellen in Ez und der paulinischen Formulierung angenommen werden kann. Vielmehr wird man wohl davon ausgehen müssen, dass die in Ez zum Ausdruck gebrachte Vorstellung von Gott als dem Geber des Geistes zur allgemeinen jüdischen und dann auch zu der von Paulus profilierten christlichen Vorstellung vom Geist gehörte (vgl. außerdem Jes 42,5; Ex 31,3; u.ö.). Bevor nun auf die Besonderheit der Erwähnung des heiligen Geistes im vorliegenden Textzusammenhang eingegangen wird, soll in einem kurzen Exkurs die paulinische Rede vom heiligen Geist und die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zur Gruppenbezeichnung ‚die Heiligen‘ erörtert werden: –––––––––––––– 82 83 84

85

Vgl. dazu ausführlich Horn, Angeld, 125f. Schmidt, Heilig, 316 weist außerdem auf Joel 3,1f und vor allem Ez 11,19 hin. Diese und die folgende Übersetzung: Septuaginta Deutsch. Einige gewichtige Textzeugen lesen Aorist. Hier ist jedoch laut Horn, Angeld, 126 dem Präsens als ursprünglicher Lesart Vorzug zu geben, da die Entstehung des Aorists als Angleichung an vergleichbare Formulierungen in anderen Briefen oder an V. 7 zu erklären ist. Haufe, 1Thess, 73, Anm. 50. Vgl. auch Dunn, Theology, 419, Anm. 34.

1Thess 4,3‒8

131

Exkurs: Der heilige Geist und die Heiligen86 Nimmt man das gesamte Neue Testament in den Blick, so fällt auf, dass sich mehr als ein Drittel aller Belege für das in dieser Untersuchung zentrale Adjektiv ἅγιος innerhalb der Wendung πνεῦμα ἅγιον befindet. Umgekehrt aber wird nur bei ungefähr einem Drittel aller Belege für πνεῦμα auch das Attribut ἅγιος gebraucht.87 Für Paulus gilt, dass er zwar durchaus häufig auf den Geist zu sprechen kommt88, tatsächlich aber nur an zwölf Stellen (davon alleine drei im 1Thess) vom Heiligen Geist (πνεῦμα ἅγιον) und einmal vom Geist der Heiligkeit (πνεῦμα ἁγιωσύνης in Röm 1,4) spricht. Das Attribut ‚heilig‘ bringt dabei zunächst zum Ausdruck, dass der Geist der Geist Gottes – des Heiligen89 – ist.90 Diese Beziehung kommt besonders in den drei alttestamentlichen Belegstellen für πνεῦμα ἅγιον zum Ausdruck (Ps 51,13 [MT: ַ ‫רוּ‬ ‫ ] ָק ְד ְשׁ‬und Jes 63,10.11), wo außerdem jeweils mit einem Possessivpronomen zum Ausdruck gebracht wird, dass der Geist der Geist Gottes ist. Wie eng Gott und sein Geist in der Spätzeit des Alten Testaments zusammengedacht werden können, wird z.B. deutlich in Ps 139,7 oder Ps 143,10, wo der Geist Gottes metonymisch für Gott selbst steht.91 Für Paulus ist der Geist aber nicht nur ein Bestandteil der Sphäre Gottes, sondern eine Art und Weise der Anwesenheit Gottes unter den Menschen.92 Gott gibt seinen Geist (z.B. Röm 5,5; 8,15; 1Kor 6,19; 2Kor 1,22; 5,5; Gal 3,5; 1Thess 4,8) und umgekehrt kann der Geist Gottes im Menschen wohnen oder sein (z.B. Röm 8,9.11; 1Kor 2,11; 3,16) oder man kann den Geist Gottes haben (z.B. Röm 8,9; 2Kor 4,13). Die Präsenz des Geistes Gottes in einer christlichen Gemeinde bzw. in dem einzelnen Christen ist für Paulus selbstverständlich (vgl. z.B. 1Kor 3,16 bzw. 6,19). Mehr noch: Der Geist kann quasi als Indiz für

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91 92

Die paulinischen Äußerungen zum heiligen Geist sollen hier nur insoweit untersucht werden, als sie für das vorliegende Thema von Relevanz sind. Für eine ausführliche Beschäftigung mit dem Geist bei Paulus vgl. z.B. Stalder, Das Werk des Geistes, 9–100; Horn, Angeld; Schnelle, Paulus, 555–563; Dunn, Theology, 413–441; Wolter, Der heilige Geist. Besonders häufig ist die Wendung ‚Heiliger Geist‘ in der Apg. Für den 1Thess gilt, dass an drei von vier Belegstellen für den Geist Gottes auch das Adjektiv ‚heilig‘ belegt ist. Vgl. dazu die Zahlen z.B. bei Balz, ἅγιος, 45. J. D. G. Dunn urteilt sogar: „Mit einigem Recht kann man Paulus den Theologen des Hl. G. nennen“ (Dunn, Geist, 566; Hervorhebung im Original). Vgl. dazu den Exkurs Gott als der Heilige im Alten Testament, S. 25f. Paulus gebraucht neben der Formulierung ‚Heiliger Geist‘ auch öfter die Wendung ‚Geist Gottes‘ (z. B. Röm 8,9.14; 1Kor 3,16; 6,11; Phil 3,3; vgl. auch 1Thess 4,8). – R. Asting nimmt an, dass bei Paulus „in den meisten, ja vielleicht in allen Fällen, das Prädikat ‚heilig‘ aus besonderen Gründen gewählt“ ist (Asting, Heiligkeit, 195). Dies belegt Asting für die einzelnen Stellen (vgl. dazu ebd., 195–201). Vgl. dazu auch Oeming, Geist, 565. Vgl. Lessing, Geist, 218 (Hervorhebung im Original): „Im formalen Sinne kann als allgemeines Kennzeichen des Geistes festgestellt werden: Das Sein-Können eines Einen in oder bei einem Anderen“. Vgl. auch Härle, Dogmatik, 361: „Geist ist eine spezifische Weise der Gegenwart im Sinne des Seins-bei-anderem.“

132

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Gläubigen gelten. Wer den Geist hat, der glaubt, und wer glaubt, der hat den Geist. Nun liegt die Frage auf der Hand, ob und inwiefern die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im Zusammenhang mit der Präsenz des heiligen Geistes im Christen und in der christlichen Gemeinde steht. Abgesehen von 1Thess 4,8 gibt es nur einige wenige Stellen in den paulinischen Briefen, die einen solchen Zusammenhang vermuten lassen. Da ist zunächst auf 1Kor 3,16f hinzuweisen: 16 Οὐκ οἴδατε ὅτι ναὸς θεοῦ ἐστε καὶ τὸ πνεῦμα τοῦ θεοῦ οἰκεῖ ἐν ὑμῖν; 17 εἴ τις τὸν ναὸν τοῦ θεοῦ φθείρει, φθερεῖ τοῦτον ὁ θεός· ὁ γὰρ ναὸς τοῦ θεοῦ ἅγιός ἐστιν, οἵτινές ἐστε ὑμεῖς. In V. 16 wird die korinthische Gemeinde von Paulus daran erinnert, dass der Geist Gottes in ihnen wohnt, in V. 17 werden sie dann indirekt als heilig bezeichnet.93 Davon ausgehend ließe sich nun vermuten, dass die Korinther gerade aufgrund der Anwesenheit des Geistes (der hier allerdings nicht explizit heilig genannt wird) heilig sind. Ausdrücklich ‚heilig‘ wird der Geist in Röm 15,16 genannt. Auch dieser Vers spräche für einen konkreten Zusammenhang zwischen der Heiligkeit des Geistes und der Heiligkeit der Christen94: … damit ich ein Kultdiener (λειτουργός) Christi Jesu sei für die Heiden, das Evangelium Gottes priesterlich verwalte, damit die Darbringung der Völker wohlgefällig ist, ἡγιασμένη ἐν πνεύματι ἁγίῳ. Paulus gebraucht hier zur Beschreibung seiner Evangeliumsverkündigung unter den Heiden die Metapher von der Darbringung eines Opfers. Ein Opfer, das Gott wohlgefällig ist, ist selbstverständlich heilig (vgl. Röm 12,1).95 Die Heiligkeit der Opferdarbringung wird nun laut Röm 15,16 durch den explizit ‚heilig‘ genannten Geist hergestellt.96 In diesem Zusammenhang ist schließlich noch auf 1Kor 6,11 hinzuweisen, wo der Geist Gottes (nicht explizit der heilige Geist) neben dem ‚Namen des Herrn Jesus Christus‘ als eine Ursache für die Reinwaschung, Heiligung und Rechtfertigung der Korinther genannt wird.97 Damit liegen also drei Stellen in den paulinischen Briefen vor, die einen Zusammenhang zwischen dem Geist und der christlichen Heiligkeit zumindest nahelegen.98 Allerdings spricht Paulus nur in Röm 15,16 konkret vom ‚heiligen Geist‘, so dass eigentlich auch nur dieser Vers als unmittelbarer Beleg für den Zusammenhang zwischen der Heiligkeit des Geistes und der Heiligkeit der Christen steht.99 Sehr viel wahrscheinlicher dürfte sein, dass die Christen und

–––––––––––––– 93 94 95 96 97 98 99

Vgl. dazu auch Kapitel 6.4.2, S. 172ff. Vgl. zu diesem Vers neben den Kommentaren auch Oakes, Made Holy, 170–172. So auch Oakes, Made, Holy, 170f. Vgl. auch unten S. 175. Vgl. Stalder, Das Werk des Geistes, 238: „der Heilige Geist ist der, der es in uns dazu kommen läßt, daß wir faktisch in der Heiligung leben, die Jesus Christus ist“. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.2.2, S. 155ff. – Vgl. außerdem 2Thess 2,13 und 1Petr 1,2, wo von ‚Heiligung des Geistes‘ (ἁγιασμός πνεύματος) die Rede ist. Vgl. Hanssen, Heilig, 60: „Die philologische Basis für die Entfaltung des Themas ‚Heiligkeit durch den Geist‘ ist also sehr schmal.“ Nach Meinung von P. Oakes wird der Geist hier deshalb explizit ‚heilig‘ genannt, „because of its action in producing holiness“ (Oakes, Made Holy, 172).

1Thess 4,3‒8

133

der Geist unabhängig voneinander heilig sind, da schließlich sowohl die Christen als auch der Geist zu Gott, dem Heiligen, gehören.

Diesem Ergebnis entsprechend liegt der von Paulus in 1Thess 4,3–8 hergestellte Zusammenhang zwischen der Heiligung der Thessalonicher und dem heiligen Geist auch eher auf einer sprachlichen als auf einer inhaltlichen Ebene100: Die Formulierung τὸ πνεῦμα αὐτοῦ τὸ ἅγιον in 1Thess 4,8 ist bei Paulus einmalig.101 Vermutlich ist das nachgestellte und durch die erneute Determinierung betonte Adjektiv ἅγιος – das seine Grundlage auch nicht in den angeführten Belegen aus Ezechiel hat – dem Textzusammenhang geschuldet, in dem es um die Heiligung der Thessalonicher geht. 102 Die Qualifizierung des Geistes als ‚heilig‘ ist von Paulus an dieser Stelle demnach bewusst vorgenommen worden.103 Laut Ez 36,27 (vgl. auch 37,14 und 11,19) ist es der Geist, der dazu befähigt, die Gebote Gottes zu halten. Entsprechend ist wohl auch die Erwähnung des Geistes in 1Thess 4 zu deuten: Wer die genannten Weisungen verwirft, verwirft Gott, der seinen heiligen Geist gibt und durch ihn selbst die Möglichkeit zur Erfüllung der Weisungen nach dem Willen Gottes104 und damit die Möglichkeit zur Heiligung105 schafft. –––––––––––––– 100 Anders, wenn auch ohne weiterführende Begründung, Riches, Heiligung, 720: „Die kurze Anweisung zur Heiligung in I Thess 4 gründet sich deutlich auf die Vorstellung, daß Christen insofern heilig sind, als Gott ihnen seinen heiligen Geist gibt.“ Vgl. auch Berger, Theologiegeschichte, 517: „Die Heiligkeit von Heidenchristen ist durch den heiligen Geist gegeben“. 101 Auf die Besonderheit dieser Formulierung weist auch Schmidt, Heilig, 315f hin. 102 Vgl. Horn, Angeld, 126; Schmidt, Heilig, 333. So auch schon Asting, Heiligkeit, 198. 103 Vgl. Schmidt, Heilig, 316: „Das Attribut ἅγιον ist damit als wesentliches Element der paulinischen Geistaussage dieses Verses zu verstehen.“ 104 Vgl. Holtz, 1Thess, 167: Wenn Gott „als der prädiziert wird, der seinen Heiligen Geist in die Glieder der Gemeinde hineingibt, dann ist damit auf das Tun Gottes gezielt, das die Gemeinde ermächtigt, ‚in Heiligung‘ (ἐν ἁγιασμῷ) zu leben.“ Ähnlich auch Weiß, Heilig, 50: „Die Gabe des Heiligen Geistes befähigt die Glaubenden zu dem in der Paränese angemahnten Lebenswandel“; Schulz, Ethik, 312: „Der heilige Geist Gottes ist damit die gottgeschenkte Möglichkeit des neuen sittlichen Lebenswandels der Christen.“ Dagegen Haufe, 1Thess, 74: „Darüber hinaus anzunehmen, daß der heilige Geist zu einem Leben in Heiligkeit ‚befähigt‘ und ‚ermächtigt‘ bzw. ein solches Leben ‚realisiert‘, trägt einen Aspekt ein, der weder durch den Kontext noch durch die sprachliche Form nahegelegt wird.“ Und jüngst Schmidt, Heilig, 319: „Doch ist die Funktion der Partizipialwendung τὸν διδόντα τὸ πνεῦμα αὐτοῦ τὸ ἅγιον εἰς ὑμᾶς nicht als Ermöglichungsgrund für ethisches Tun zu deuten.“ 105 Auch in Ez 37 wird schon ein Zusammenhang zur Heiligung hergestellt. Vgl. Ez 37,28LXX: καὶ γνώσονται τὰ ἔθνη ὅτι ἐγώ εἰμι κύριος ὁ ἁγιάζων αὐτοὺς ἐν τῷ εἶναι τὰ ἅγιά μου ἐν μέσῳ αὐτῶν εἰς τὸν αἰῶνα.

134

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

5.1.5

Zusammenfassung: Heiligung als Wille Gottes

Im Abschnitt 1Thess 4,3–8 behandelt Paulus unter der Überschrift „Dies ist Wille Gottes, eure Heiligung“ zwei Themen: Zum einen warnt er vor der Unzucht (πορνεία) und äußert sich zum Verhalten in der Ehe. Zum anderen kommt er – ebenfalls ablehnend – auf das Übervorteilen des Nächsten, die „Habgier“ (πλεονεξία), zu sprechen.106 Daraus darf nicht geschlossen werden, dass mit den Weisungen, sich von Unzucht und Habgier fernzuhalten, für Paulus die Heiligung bzw. der Wille Gottes bereits erschöpfend dargestellt ist. Dennoch kann man eine bewusste Zusammenstellung dieser beiden Themen annehmen. So zeigt E. REINMUTH, dass „die Enthaltung von Unzucht und Habgier tatsächlich für Paulus wesentlich zu einem dem Willen Gottes entsprechenden Wandel hinzugehört“107. M. KONRADT führt zahlreiche Belege in frühjüdischen und frühchristlichen Texten für die gemeinsame Erwähnung gerade dieser beiden Fehlverhalten an108 und stellt zusammenfassend fest: „[D]ie Mahnung zur Meidung dieser beiden Laster dient in frühjüdischer wie frühchristlicher Literatur verschiedentlich dazu, den Willen Gottes in nuce zu umreißen“ 109. Außerdem handelt es sich bei πορνεία und πλεονεξία aus jüdischer Sicht um die zentralen Laster der Heiden. Mit der Adaptierung des jüdischen Ethos werden die Christen in Thessalonich zum einen auf die Seite der Juden gestellt und zum anderen grenzt Paulus sie damit von den nichtchristlichen Heiden ab. 110 Zudem mahnt er ausdrücklich an, sich nicht so zu verhalten wie die Heiden (V. 5). Indem die Thessalonicher sich von Unzucht und Habgier fernhalten, bringen sie ihre neue Identität zum Ausdruck. 111 Dabei nimmt gerade der Gedanke der Heiligung eine entscheidende Rolle ein und wird für die Thessalonicher zu einem identitätsstiftenden Begriff.112 –––––––––––––– 106 So auch Vahrenhorst, Kultische Sprache, 128. 107 Reinmuth, Geist und Gesetz, 15–22, Zitat: 15. 108 Vgl. Konradt, Gericht, 114, Anm. 514. Vgl. dazu auch Reinmuth, Geist und Gesetz, 22–41. 109 Konradt, Gericht, 114. 110 Vgl. ebd., 115: „Paulus sucht in 1Thess 4,3–6 mit der Meidung von Unzucht und Habgier im Gefolge jüdischer Tradition signifikante Unterscheidungsmerkmale des christlichen vom ‚heidnischen‘ Lebenswandel zur Geltung zu bringen und als Ethosdifferenz zu etablieren.“ 111 Vgl. dazu Kapitel 7.3.4, S. 215ff. 112 Vgl. Weima, „How You Must Walk …“, 99: „in 1 Thessalonians Paul teaches that the distinguishing sign or boundary marker of authentic Christian existence, what sepa-

1Thess 4,3‒8

135

Doch inwiefern fordert Paulus von den Thessalonichern nun Heiligung und was ist genau damit gemeint? Schwierigkeiten bereitet den Exegeten vor allem der scheinbare Widerspruch zwischen der Aufforderung zur Heiligung als Wille Gottes (V. 3) bzw. der Aufforderung seiner eigenen Frau in Heiligung zu begegnen (V. 4) auf der einen Seite und der Feststellung der bereits erfolgten „Berufung in Heiligung“ durch Gott (V. 7) auf der anderen Seite.113 Es kommt die Frage auf, ob Heiligung in 1Thess 4,3–8 Forderung oder Zusage ist. An dieser Stelle ist ein erster Verweis auf die von R. BULTMANN geprägte Redeweise von „Indikativ und Imperativ“ unabdingbar. 114 Mit diesem Schema hat Bultmann seinerzeit die paulinische Ethik zu erfassen und vor allem scheinbare Widersprüche zwischen Sein- und Sollensaussagen (z.B. Gal 5,25: εἰ ζῶμεν πνεύματι, πνεύματι καὶ στοιχῶμεν) zu erklären versucht.115 Laut Bultmann stehen die paulinischen Sollensaussagen (‚Imperativ‘) nicht im Widerspruch zu den Seinsaussagen (‚Indikativ‘), sondern: „Der Indikativ begründet den Imperativ.“116 Nach Bultmann ist gerade auch die paulinische Rede von Heiligkeit „bezeichnend für die Einheit von Indikativ und Imperativ“117. Dazu führt er folgende Begründung an: „Die Glaubenden sind ἅγιοι, ἡγιασμένοι […] und d. h. zunächst solche, die aus der Welt herausgenommen und in die eschatologische Existenz versetzt sind durch Christi Heilstat (1. Kr 1, 2: als ἡγιασμένοι ἐν Χρ. Ἰησοῦ), die ihnen in der Taufe zugeeignet worden ist (1. Kr. 6,11: ἀλλὰ ἀπελούσασθε, ἀλλὰ ἡγιάσθητε κτλ.). Christus ist für uns δικαιοσύνη τε καὶ ἁγιασμὸς καὶ ἀπολύτρωσις (1. Kr. 1, 30). Aber gerade daraus erwächst die Verpflichtung zum aktiven ἁγιασμός, den Gott von uns fordert

113

114 115 116

117

rates believers in Christ from those of the world, is holiness“. S.o. Abschnitt 5.1.3, S. 127ff. Im Anschluss an Stalder, Werk des Geistes, 200–238 verweist auch Malherbe, Thess, 225 auf diese zwei Aspekte: „There are thus two aspects to sanctification, divine initiative and human endeavor“. Vgl. dazu dann noch Kapitel 7.3.4, S. 215ff. Vgl. Bultmann, Problem; ders., Theologie, 332ff. Bultmann, Theologie, 335. Zur Kritik an Bultmann vgl. z.B. die ausführliche Darstellung bei Zimmermann, Jenseits. M. Wolter wendet jedoch ein, dass es sich bei dem Begriffspaar ‚Indikativ und Imperativ‘ „um eine Metapher handelt, die einfach nur umschreiben will, dass verhaltensorientierende Texte immer von bestimmten Sachverhalten ausgehen, die auf der Textebene auch explizit gemacht werden.“ (Wolter, Identität, 122; Hervorhebung im Original). Mit dem Indikativ-Imperativ-Schema sei ein literarische[r] Begründungszusammenhang“ beschrieben, der „auf keinen Fall ontologisch missverstanden werden [darf]“ (ebd.; Hervorhebung im Original). Bultmann, Theologie, 339.

136

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

(1. Th 4, 3. Rm 6, 19. 22); wer diese Forderung mißachtet, mißachtet Gott, der uns seinen heiligen Geist geschenkt hat (1. Th 4, 8).“118

Auch W. SCHRAGE verweist darauf, dass sich „bei der Heiligung dieselbe Verschränkung von göttlichem und menschlichem Tun [findet] wie auch sonst bei Paulus, und gerade bei Heiligung ist das Mit- und Ineinander besonders eng.“119 Die Heiligung ist nach Schrage ein „Prozeß […], in den Gott und Mensch gemeinsam verwickelt sind“ 120. Der Abschnitt 1Thess 4,3–8 gibt sogar noch nähere Auskünfte darüber, wie diese Beteiligung aussieht: Gott ist beteiligt, indem er die Christen zur Heiligung beruft (V. 7) und ihnen den Heiligen Geist gibt (V. 8), die Christen, indem sie sich von der Unzucht fernhalten (V. 3), ihrer Frau in Heiligung und Ehre begegnen (V. 4) und den Bruder nicht übervorteilen (V. 6). Auch wenn die Redeweise von der Heiligung als Prozess insofern etwas unglücklich ist, als sie suggeriert, Heiligung vollziehe sich in irgendeiner Weise linear und folge dabei einem bestimmten Ablauf, bringt sie doch zum Ausdruck, dass Heiligung nach 1Thess 4,3–8 kein einmaliger Akt ist, den Gott vollzieht oder den die Christen selbst vollziehen könnten. Die ethischen Einzelforderungen, die die Heiligung als Willen Gottes exemplifizieren, zeigen das ganz deutlich: Paulus fordert keine einmaligen Handlungen, sondern ein grundsätzliches Verhalten in gewissen Lebenssituationen.121 Die Thessalonicher sollen sich grundsätzlich von nun an von Unzucht und Habgier fernhalten und damit ihrer neuen Identität als Christen Ausdruck verleihen.122 Genau hierin besteht die Heiligung: Heiligung, so wie Paulus sie in 1Thess 4,3–8 als Willen Gottes darstellt, meint, der Identität als Christen Ausdruck zu –––––––––––––– 118 Ebd. 119 Schrage, Heiligung, 225f. 120 Ebd., 226. Mit der Bezeichnung der Heiligung als ‚Prozess‘ greift Schrage eine Bemerkung von W. Marxsen in dessen Kommentar zum 1Thess auf. Vgl. Marxsen, 1Thess, 59f (Hervorhebung im Original): „Der Begriff meint also nicht so etwas wie eine Eigenschaft oder eine Qualität, die den Thessalonichern zugeteilt worden wäre, sondern er drückt einen Prozeß aus, einen Vollzug des Wandels, in den sich die Christen immer neu einfügen lassen sollen auf ihrem Wege zur Begegnung mit dem Herrn ‚und allen seinen Heiligen‘ (vgl. 3,13).“ 121 So auch Kraus, Volk Gottes, 142f. 122 Vgl. dazu Vahrenhorst, Kultische Sprache, 138: „Für Christen gilt als Normalzustand, was die paganen Kulte, deren Inschriften wir betrachtet haben, als Ausnahmefall kennzeichnen, nämlich die Zugehörigkeit zum heiligen Bereich, die Nähe und Zugehörigkeit zur Gottheit selbst. Entsprechend lesen sich die paulinischen Ausführungen nicht als Maßstäbe, die für den Zugang zur Sphäre des Heiligen gelten, sondern als Richtlinien, die Orientierung für das gesamte Leben in der Gegenwart Gottes geben.“

1Thess 4,3‒8

137

verleihen und damit dem Stand, in den Gott berufen hat, zu entsprechen. Dies ist es, was Paulus fordert, wenn er Heiligung als Willen Gottes darlegt. Ähnlich lautet auch das Urteil von V. P. FURNISH: „Die Paraklese von 4,3–8 fordert die Thessalonicher auf, sich selbst in Übereinstimmung mit dem ἁγιασμός zu verhalten, der letztlich Gottes Wirken ist“123 oder R. F. COLLINS: „Holiness is a state of existence; the Thessalonians are to act accordingly“124. In einem jüngeren Aufsatz fragt Collins außerdem konkret nach der Funktion der paränetischen Texte im 1Thess und kommt für den Abschnitt 4,3–8 zu dem Ergebnis: „the function of Paul’s paraenesis is the socialization of a people, tied together in bonds of fictive kinship and separated from those who do not know God. This people is bound in an exclusive relationship to a God who has chosen them for his own, a God whose will for his people is their holiness, that is, that they belong to him exclusively.“125 In eine etwas andere Richtung geht W. WEISS: „Der ἁγιασμός in 4,3 dürfte tatsächlich einen Modus meinen, durch den die Glaubenden zur Heiligkeit geführt werden, die Heiligung. Die Heiligung ist darin eine passive, den Glaubenden von außen her zukommende Bestimmung. In dieser Weise formuliert ‚dies ist der Wille Gottes‘ (4,3) nicht eine Forderung an die Glaubenden, sondern die von Gott gesetzte Ausrichtung ihres Seins.“126 Auch nach E. D. SCHMIDT ist Heiligung „kein ethisches Ziel“127, sondern hat „vorethische[n] Charakter“128. Paulus wähle „das Heiligungsmotiv als paränetischen Motivationshintergrund“129.

Die Antwort auf die Frage, ob Paulus hier etwas fordert oder nicht, ist letztlich abhängig von der philologischen Beurteilung dieses Textes. 130 Versteht man ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν als Wiederaufnahme des Subjekts τοῦτο – so wie oben dargelegt – kommt man nicht umhin, hier eine Forderung zur Heiligung zu sehen. Die Forderung, seiner Identität als Christin bzw. Christ zu entsprechen, und damit auch der Zustand der Heiligung bestehen ein Leben lang und können erst am Ende der Zeiten bei der Parusie und vor Gottes Gericht ihren Abschluss finden.

–––––––––––––– 123 124 125 126 127 128 129 130

Furnish, Wille Gottes, 214. Collins, Will of God, 309. Collins, Function of Paraenesis, 408. Weiß, Heilig, 47. Schmidt, Heilig, 322. Ebd., 323. Ebd., 325. Vgl. Abschnitt 5.1.1, S. 119ff.

138

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

5.2

Heilig bei der Wiederkunft des Herrn (1Thess 3,13 und 5,23)

1Thess 3,13 und 5,23 Abgesehen von 1Thess 4,3–8, wo Paulus die Heiligung explizit zum Thema macht, kommt er innerhalb des 1Thess noch an zwei weiteren Stellen auf die christliche Heiligkeit zu sprechen. Und zwar jeweils am Ende der beiden Hauptteile des Briefes, innerhalb eines Gebetswunsches131. Beide kurzen Textabschnitte sollen nicht umfassend analysiert, sondern nur unter der hier relevanten Frage nach der Heiligkeit untersucht werden: Αὐτὸς δὲ ὁ θεὸς καὶ πατὴρ ἡμῶν καὶ ὁ κύριος ἡμῶν Ἰησοῦς κατευθύναι τὴν ὁδὸν ἡμῶν πρὸς ὑμᾶς· 12 ὑμᾶς δὲ ὁ κύριος πλεονάσαι καὶ περισσεύσαι τῇ ἀγάπῃ εἰς ἀλλήλους καὶ εἰς πάντας καθάπερ καὶ ἡμεῖς εἰς ὑμᾶς, 13 εἰς τὸ στηρίξαι ὑμῶν τὰς καρδίας ἀμέμπτους ἐν ἁγιωσύνῃ ἔμπροσθεν τοῦ θεοῦ καὶ πατρὸς ἡμῶν ἐν τῇ παρουσίᾳ τοῦ κυρίου ἡ ἡμῶν μ Ἰησοῦ μετὰ γ πάντων τῶν ἁγίων αὐτοῦ. 1Thess

3,11

Αὐτὸς δὲ ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης ἁγιάσαι ὑμᾶς ὁλοτελεῖς, καὶ ὁλόκληρον ὑμῶν τὸ πνεῦμα καὶ ἡ ψυχὴ καὶ τὸ σῶμα ἀμέμπτως ἐν τῇ παρουσίᾳ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τηρηθείη. 24 πιστὸς ὁ καλῶν ὑμᾶς, ὃς καὶ ποιήσει. 1Thess

5,23

Modus der finiten Verbformen beider Textabschnitte ist durchgehend der Optativ. Subjekt der von Paulus erbetenen Handlungen ist jeweils Gott132, der durch das einleitende αὐτὸς δέ besonderes Gewicht erhält.133 Beide Gebetswünsche gelten in erster Linie den Thessalonichern; Paulus erbittet ein bestimmtes Handeln Gottes an ihnen. 134 Gemeinsam ist beiden Texten darüber hinaus der Bezug zur Parusie –––––––––––––– 131 So die Titulierung von K. Berger (Berger, Formen und Gattungen, 304). Berger spricht auch von „Fürbitte“ und „Segenswunsch“ (vgl. ebd., 305). A. J. Malherbe spricht einfach von Gebeten („prayer“, vgl. Malherbe, Thess, 211.336). G. P. Wiles, der sich in seiner Dissertation „Paul’s Intercessory Prayers“ mit Gebeten und Gebetsberichten in den paulinischen Briefen beschäftigt hat, ordnet die Abschnitte 1Thess 3,11–13 und 5,23 den von ihm so bezeichneten „Wish-prayers“ zu (vgl. ausführlich Wiles, Intercessory Prayers, 45–71). 132 Das zweite Verb in 5,23 (τηρηθείη) steht natürlich im Passiv, doch auch hier ist Gott zumindest „logisches Subjekt“ (Haufe, 1Thess, 108). 133 Nach Haufe, 1Thess, 63 ersetzt αὐτὸς δέ im Gebet die direkte Gottesanrede. 134 In 3,11 bittet Paulus zunächst darum, dass Gott ihn und seine Mitabsender zu den Thessalonichern führen möge.

1Thess 3,13 und 5,23

139

Christi, der Gebrauch von ἄμεμπτος bzw. ἀμέμπτως135 und – im vorliegenden Zusammenhang entscheidend – die Rede von personaler Heiligkeit bzw. Heiligung.

5.2.1

1Thess 3,11–13

Im Abschnitt 3,11–13 ist für die vorliegende Fragestellung V. 13 entscheidend, der „das Ziel des Erbetenen“136 angibt: die Stärkung der Herzen und deren Untadeligkeit.137 Letztere ist näher bestimmt durch ἐν ἁγιωσύνῃ. Im Unterschied zu dem sich im Textverlauf anschließenden Abschnitt 1Thess 4,3–8 spricht Paulus hier nicht von ἁγιασμός, sondern gebraucht ein anderes Substantiv desselben Wortstamms, nämlich das seltenere ἁγιωσύνη (außer 1Thess 3,13 im gesamten NT nur noch in Röm 1,4 und 2Kor 7,1).138 Den Bedeutungsdifferenzen beider Substantive kommt dabei im vorliegenden Zusammenhang durchaus Gewicht zu: Ἁγιωσύνη ist ein Nomen qualitatis und bezeichnet die Eigenschaft des Heiligseins. Ἁγιασμός ist dagegen ein Nomen actionis und bezeichnet die Handlung des Heiligens.139 Im Deutschen spricht man von ‚Heiligkeit‘ und ‚Heiligung‘.140 Während es in 1Thess 4,3–8 also um den Prozess der Heiligung ging, geht es in 1Thess 3,13 um den Status der Heiligkeit. –––––––––––––– 135 Zu ἄμεμπτος bzw. ἀμέμπτως in 1Thess 3,13 vgl. Swanson, Holiness, 34 (Hervorhebungen im Original): „We should not be surprised to find blameless in relation to holiness and love, and in an eschatological framework, having seen the same grouping in 1QS.“ 136 Haufe, 1Thess, 64. So auch Holtz, 1Thess, 145. 137 Nach Haufe, 1Thess, 64, Anm. 258 steht ἀμέμπτους hier „brachylogisch für εἰς τὸ εἶναι αὐτὰς ἀμέμπτους“, vgl. auch Holtz, 1Thess, 145, Anm. 733. Zu ἄμεμπτος vgl. außerdem Schmidt, Heilig, 345–348. 138 Auch in der Septuaginta ist ἁγιωσύνη nur selten belegt (Ps 29,5; 95,6; 96,12; 144,5; vgl. außerdem TestLevi 18,11) und bezieht sich dabei immer auf die Heiligkeit Gottes. Vgl. dazu Schmidt, Heilig, 350; Stettler, Heiligung, 35. 139 Vgl. dazu B/D/R, §§ 109–110, 87ff; Leggewie, Ars Graeca, 145f. Vgl. auch Collins, Will of God, 309 zu ἁγιασμός: „The Pauline term hagiasmos, derived from the verb hagiazesthai, is a nomen actionis, it designates the process of sanctification rather than the result of the process“. So auch Malherbe, Thess, 225. Zum Unterschied von ἁγιασμός und ἁγιωσύνη vgl. auch Jovino, L’Église, 513. 140 So auch Schnelle, Heiligung, 1572: „H[eiligung] ist im NT eine Handlungskategorie, die auf der Statuskategorie der Heiligkeit basiert.“ Dagegen Weiß, Heilig, 45: „Vom Griechischen her ist auch der Modus des angewandten Heiligbegriffes kaum zu trennen, so dass eine für das Deutsche wirksame Verschiedenheit von Heiligung als ‚Handlungskategorie‘, deren ‚Basis‘ die ‚Statuskategorie‘ Heiligkeit sei, vom Sprachgebrauch des Griechischen her (etwa ἁγιασμός) nur zum Teil vorbereitet scheint.“

140

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

Als entscheidender Zeitpunkt, an dem das Ziel der Stärkung der Herzen und deren Untadeligkeit in Heiligkeit durch Gottes Tun erreicht sein soll, wird schließlich die ‚Wiederkunft unseres Herrn Jesus‘141 angegeben. Mit der Parusie Christi ist nach paulinischem Verständnis unabdingbar eine Gerichtssituation verbunden, wofür im vorliegenden Textzusammenhang schon allein das Wort ἔμπροσθεν spricht, das von Paulus öfter gebraucht wird, um das Stehen der Menschen vor dem himmlischen Richter anzuzeigen (vgl. 1Thess 2,19 und v.a. 2Kor 5,10). Genau in dieser Situation, wenn die Thessalonicher also ἔμπροσθεν τοῦ θεοῦ stehen, ist nach 1Thess 3,11 ihre Heiligkeit entscheidend.

5.2.2

1Thess 5,23

Auch in 1Thess 5,23 ist der entscheidende Zeitpunkt, um den es geht, die Parusie Christi. Das Verb ἁγιάζειν ist bei Paulus sonst nur im Passiv belegt und auf einen (einmaligen) vergangenen Akt bezogen (vgl. Röm 15,16; 1Kor 1,2; 6,11; 7,14). Hier ist dagegen gerade das Subjekt des Heiligens entscheidend, also Gott, den Paulus – wie auch sonst oft zum Schluss seiner Briefe (vgl. Röm 15,33; 16,20; 2Kor 13,11; Phil 4,9) – als den Gott des Friedens bezeichnet.142 Außerdem ist entscheidend, dass Gott heiligen wird, bis die Heiligkeit durch und durch (ὁλοτελεῖς) erfolgt ist.143 Der Rest des Verses führt schließlich aus, wie man sich Gottes heiligendes Handeln vorzustellen hat. Die beiden in 5,23 enthaltenen Gebetswünsche sind chiastisch aufgebaut144: Αὐτὸς δὲ ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης A ἁγιάσαι B ὑμᾶς C ὁλοτελεῖς, C’ καὶ ὁλόκληρον B’ ὑμῶν τὸ πνεῦμα καὶ ἡ ψυχὴ καὶ τὸ σῶμα A’ ἀμέμπτως […] τηρηθείη. Außen stehen die beiden Verben ‚heiligen‘ und ‚bewahren‘ im Optativ. In der Mitte beider Gebetswünsche ist jeweils das Objekt des Heiligens –––––––––––––– 141 Zu den ihn begleitenden Heiligen s.o. Kapitel 4.1, S. 80f. 142 Vgl. Malherbe, Thess, 337. 143 Vgl. ebd., 338: „Although translated adverbially (‚completely‘), holoteleis is an adjective […]. It is better, in view of what follows, to understand it as describing the totality of sanctification, extending throughout the person.“ 144 So auch z.B. Haufe, 1Thess, 108; Malherbe, Thess, 338.

1Thess 3,13 und 5,23

141

und Bewahrens genannt, also die Thessalonicher.145 Innen im Vers stehen die beiden synonymen Adjektive ὁλοτελεῖς und ὁλόκληρον. Laut A. J. MALHERBE ist das καί zu Beginn des zweiten Gebetswunsches epexegetisch zu verstehen und insgesamt gelte: „The second part of the prayer amplifies the petition for sanctification“146. Demnach heiligt Gott die Thessalonicher, indem er ihren Geist, ihre Seele und ihren Leib bewahrt. Das Adverb ἀμέμπτως muss dabei adjektivisch übersetzt werden,147 denn es geht natürlich nicht darum, dass Gottes bewahrendes Handeln untadelig ist, sondern dass die Thessalonicher untadelig bewahrt werden. Dass Paulus hier die Verben ‚heiligen‘ und ‚bewahren‘ gleichsetzen kann, liegt darin begründet, dass die Thessalonicher sich nach 4,3–8 schon im Stand der Heiligung befinden.

5.2.3

Eschatologische Heiligkeit

Zwei Dinge sind für die Frage nach dem paulinischen Heiligkeitsverständnis in diesen beiden Gebetswünschen von Bedeutung: 1. Gott selbst ist das Subjekt des heiligenden Handelns. 148 Unbestreitbar gilt dies für 5,23, wo θεός auch grammatikalisches Subjekt zum Verb ἁγιάζειν ist. Nicht so eindeutig ist die Situation mit Blick auf 1Thess 3,11–13. Dort ist ὁ κύριος grammatikalisches Subjekt zu den Verben πλεονάζειν und περισσεύειν (V. 12). Als Ziel dieses Handelns ist u.a. die ‚Untadeligkeit der Herzen in Heiligkeit‘ angegeben. Insofern ist es auch hier der Herr, der die Heiligkeit bewirkt. Dabei versteckt sich in 3,11–13 natürlich auch eine indirekte Forderung149: Paulus schreibt den Thessalonichern, dass er Gott darum bittet, dass er sie „wachsen und überreich werden lasse in der Liebe untereinander und zu allen“, und die Thessalonicher bemühen sich von nun an selbst um das, worum Paulus Gott bittet, weil sie dadurch erfahren, was dieser für erstrebenswert hält. Damit würde Paulus dann im Grunde auch erwarten, dass die Thessalonicher selbst etwas dafür tun, dass sie am Ende der Zeiten „untadelig in Heiligkeit“ sind. Insofern hätte U. SCHNELLE dann auch Recht, wenn er für den 1Thess schreibt, dass „die nahe Parusie des Kyrios

–––––––––––––– 145 Zu den drei Begriffen πνεῦμα, ψυχὴ und σῶμα vgl. die Kommentare zur Stelle. In jedem Fall gilt wohl die Bemerkung von Haufe, 1Thess, 109: „Sachlich eigentlich entscheidend ist die Untadeligkeit der Glaubenden am Tag der Parusie ihres Herrn.“ 146 Vgl. Malherbe, Thess, 338. 147 So Haufe, 1Thess, 108. Vgl. auch Holtz, 1Thess, 265, Anm. 707. 148 Vgl. Malherbe, Thess, 338: „In the earlier prayer [3,11–13; M. B.] and now [5,23; M. B.] he [Paul; M. B.] describes sanctification from the perspective of God’s actions (cf. 4:7), expressed in the optative“. 149 Berger, Formen und Gattungen, 305 spricht von „symbuleutischem Inhalt“.

142

Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

und die damit verbundene Gerichtsvorstellung zur Motivierung eines untadeligen Lebens in Heiligkeit“150 dient.

2. Der entscheidende Zeitpunkt, um den es in beiden Texten 3,11–13 und 5,23 geht, ist der Zeitpunkt der Parusie Christi. Ob und inwiefern die Thessalonicher bereits zum aktuellen Zeitpunkt Heilige sind, ist nicht gesagt und anscheinend auch nicht von Bedeutung. Paulus bittet darum, dass Gott sie bis zur Parusie heiligen möge und dass sie sich dann im Zustand der Heiligkeit befinden. Es bleibt die Frage, inwiefern das in den beiden Gebetswünschen 1Thess 3,11–13 und 1Thess 5,23 zum Ausdruck kommende Heiligkeitsverständnis des Paulus mit der Rede von der Heiligung in 1Thess 4,3–8 zusammenpasst. Dies soll im letzten Abschnitt dieses Kapitels erörtert werden.

5.3 Zusammenfassung: Christliche Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief Zusammenfassung Ausgehend von der Tatsache, dass der Ausdruck οἱ ἅγιοι in den meisten paulinischen Briefen eine Bezeichnung für die Christen ist, bereitet die Rede von Heiligkeit und Heiligung im 1Thess gewisse Schwierigkeiten. Neben der Tatsache, dass οἱ ἅγιοι eine Bezeichnung für himmlische Wesen ist (3,13), erscheint vor allem die Forderung nach Heiligung (4,3) problematisch, da sie der mit der Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι verbundenen Zusage der Heiligkeit zu widersprechen scheint. Doch auch im 1Thess ist von der Heiligkeit der Christen die Rede – hier allerdings erst zum Zeitpunkt der Parusie Christi (3,13; vgl. auch 5,23). Nimmt man die Unterscheidung von Heiligkeit (ἁγιωσύνη) als Bezeichnung eines bestimmten Zustands und Heiligung (ἁγιασμός) als Bezeichnung für den Vorgang, der in diesen Zustand führt, ernst, so muss man feststellen, dass der 1Thess auf die Frage nach der christlichen Heiligkeit zwar eine andere Antwort gibt als die späteren Paulusbriefe, dass diese jedoch für sich genommen schlüssig und kohärent ist: Die Christen sind nach der Auffassung des 1Thess in der Gegenwart noch keine Heiligen, sondern (nur) in den Stand der Heiligung Berufene. Ihre Heiligkeit wird erst für den Zeitpunkt der Parusie Christi er–––––––––––––– 150 Schnelle, Paulus, 635. Vgl. dazu auch seinen Aufsatz „Die Ethik des 1 Thessalonicherbriefes“ und daran anschließend Weiß, Heilig, 46: „3,13 gilt die Heiligkeit (ἁγιωσύνη) der Glaubenden bei der Parusie als das Ziel fortschreitenden christlichen Lebenswandels.“ – Zu den eschatologischen Motiven im 1Thess vgl. auch Luckensmeyer, Eschatology, insbesondere 227–233.

Zusammenfassung

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wartet bzw. erhofft.151 Dementsprechend werden die Christen im 1Thess an keiner Stelle als οἱ ἅγιοι bezeichnet. Dieser Begriff wird ausschließlich zur Bezeichnung himmlischer Wesen gebraucht (1Thess 3,13), die sich eben schon jetzt in dem Status befinden, den die Christen erst mit der Wiederkunft Jesu erlangen.152 Dies wurde bereits von C. DEMKE so gesehen153, der daraus und aus weiteren Beobachtungen jedoch den Schluss zieht, dass die entsprechenden Textstellen nicht von Paulus selbst stammen, sondern nachträglich in den Brief eingefügt wurden. 154 Dies ist jedoch nicht die richtige Schlussfolgerung, da der 1Thess sich insgesamt als einheitlicher Brief erweist.155 Vielmehr wird man – wie ebenfalls von Demke in Betracht gezogen, dann aber wieder verworfen – annehmen können, dass Paulus im 1Thess die Heiligkeitsterminologie anders gebraucht als in den folgenden Briefen.156 In allerjüngster Zeit hat sich E. D. SCHMIDT mit Heiligung und Heiligkeit im 1Thess auseinandergesetzt. Er kommt in der Differenzierung dieser beiden Begriffe zu demselben Ergebnis wie die vorliegende Arbeit: Heiligung bezeichnet nach Schmidt „den wartenden Weg der Gläubigen bis zur eschatologischen Vollendung“157. Demgegenüber sei Heiligkeit „Begriff göttlich-eschatologischer Vollendung, eine Qualität, die nur dem göttlichen Raum zukommt“158. Wenn Heiligkeit also nach dem Zeugnis des 1Thess eine eschatologische Qualität ist, die den Christen zum Zeitpunkt der Parusie zukommt, so ist es nur folgerichtig, dass der Ausdruck οἱ ἅγιοι in diesem Brief nicht zur Bezeichnung der Christen, sondern nur für himmlische Wesen gebraucht wird.159 Diese Verwendung der Bezeichnung οἱ ἅγιοι –––––––––––––– 151 Schmidt, Heilig, 394 spricht von einer „Plazierung des Heiligkeitsgedankens im Eschaton“. Vgl. auch schon Dillersberger, Das Heilige, 108: „Das volle Heiligsein wird eben erst mit der Parusie erwartet, alles andere Arbeiten der Christen im sittlichen Sinne scheint nur als ein Streben auf ‚Heiligkeit hin‘“. 152 Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 122: „Von den Denkvoraussetzungen der antiken Welt steht es außer Frage, dass die göttliche Sphäre das Prädikat ‚heilig‘ verdient. Paulus macht das hier explizit, indem er dem wiederkommenden Herrn ‚seine Heiligen‘ an die Seite stellt.“ 153 Vgl. Demke, Theologie und Literarkritik, 111f. 154 Vgl. ebd., 123. 155 Die Diskussion um Teilungshypothesen zum 1Thess wird ausführlich dargelegt bei Schmidt, Heilig, 125–132; vgl. auch Holtz, 1Thess, 23–31. 156 So auch Schulz, Ethik, 306. 157 Schmidt, Heilig, 395. 158 Ebd. 159 Vgl. ebd., 337: „Schlüssig begründet hingegen liegt die Vermeidung der ‚Heilig‘Titulierung von Gemeindegliedern in 1Thess in der eschatologischen Grunddimen-

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Heiligung und Heiligkeit im 1. Thessalonicherbrief

erinnert stark an den Gebrauch des Ausdrucks ‚Heilige‘ in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit.160 Dort können mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ zwar auch Menschen bezeichnet sein, doch liegt selbst dann ein eschatologischer Bezug vor, insofern die Heiligen diejenigen sind, die den Erwartungen nach zum eschatologischen Gottesvolk gehören werden. Wenn Paulus im 1Thess nicht die irdischen Christen, sondern nur Engel als ‚Heilige‘ bezeichnet, verwendet er diesen Ausdruck damit zwar anders als in seinen späteren Briefen, aber nicht in ungewöhnlicher Weise. Ausgehend von der Feststellung, dass die Christen im 1Thess nicht ‚heilig‘, sondern ‚in Heiligung berufen‘ sind, darf man allerdings nicht zu dem Schluss kommen, dass die Christen für Paulus im 1Thess noch nicht gerettet – im Sinne des späteren „gerechtfertigt“ – sind. Der Unterschied zu den späteren Briefen liegt nicht darin, dass Paulus Christsein in seiner Frühzeit als Briefschreiber anders verstanden hat als später, sondern darin, dass er es anders genannt hat. Es liegt also zwischen dem 1Thess und den übrigen paulinischen Briefen in Bezug auf das Thema der Heiligkeit keine Differenz in der Sache vor, sondern eine Differenz in der Sprache. Im Sinne des Heiligkeitsverständnisses z.B. des 1Kor161 waren auch die Thessalonicher natürlich Heilige. Doch als Paulus den 1Thess schrieb, war Heiligkeit für ihn noch Ausdruck für eine Qualität, die erst zum Zeitpunkt der Parusie Christi zur Vollendung kommen konnte. Eine Analogie zu der späteren Rede von den Christen als Heilige darf man im 1Thess wohl in der Rede von der Berufung der Christen sehen (vgl. 1,4; 2,12; 4,7; 5,24). 162 Nach Darstellung des Paulus hat Gott die Thessalonicher in den Stand der Heiligung berufen (4,7) und damit die Richtung für den Weg in die Heiligkeit zum Zeitpunkt der Parusie vorgegeben. Sich im Stand der Heiligung befindend sind die Thessalonicher aufgefordert, sich dieser Stellung entsprechend zu verhalten163, um damit ihre Identität als ‚in die Heiligung Berufene‘ nach außen zu tragen.

160 161 162 163

sion der Lehre von Heiligung: Die noch auf der Erde lebenden Gläubigen stehen erst in einem Prozess der Heiligung, haben aber noch nicht teil an der Qualität vollendeter Heiligkeit, die ihnen das Attribut des Heiligen erst später zukommen lassen wird.“ Vgl. dazu Kapitel 2.2 und insbesondere die Zusammenfassung Abschnitt 2.2.6, S. 54ff. Vgl. zusammenfassend Kapitel 6.6, S. 182ff. Andere Titulierungen der Christen in Thessalonich sind z.B. ἠγαπημένοι ὑπὸ θεοῦ (1,4) oder πιστεύοντες (2,10.13). Vgl. dazu auch Kapitel 7.3.2, S. 210ff. Vgl. Schmidt, Heilig, 395: „Diesem eschatologisch ausgerichteten Stand ist ein bestimmtes ethisches Verhalten angemessen bzw. ein anderes unangemessen.“

6

Die korinthischen Christen als Heilige

Nachdem Paulus den Ausdruck οἱ ἅγιοι im 1Thess zur Bezeichnung himmlischer Wesen gebraucht, wendet er ihn im Präskript des 1Kor (1Kor 1,2) erstmals auf eine christliche Gemeinde an. Darüber hinaus ist die Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι im 1Kor mehrfach belegt, entweder zur Bezeichnung von Christen allgemein (1Kor 6,1.2; 14,33b; 16,15)1 oder zur Bezeichnung der Jerusalemer Gemeinde (1Kor 16,1)2. Für ein umfassendes Bild von der paulinischen Vorstellung der Christen als Heilige sind jedoch weitere Textstellen interessant, an denen Paulus die Korinther – gegebenenfalls auch ohne die konkrete Bezeichnung ἅγιοι – mit Heiligkeit in Verbindung bringt, so in 1Kor 1,30; 3,17; 6,11.19; 7,14.34. Neben 1Kor 1,2, wo Paulus die Adressaten seines Briefes in zweifacher Weise als ‚Heilige‘ bezeichnet (ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und κλητοὶ ἅγιοι), erweist sich vor allem 1Kor 6,1–11 als zentraler Text für die Frage nach dem paulinischen Verständnis christlicher Heiligkeit. Dieser Sachverhalt rechtfertigt den folgenden Aufbau dieses Kapitels: Einem kurzen Abschnitt zur adscriptio und den darin enthaltenen Bezeichnungen für die korinthische Gemeinde (6.1) folgt zunächst eine ausführliche Exegese der zentralen Verse 6,1–11 (Abschnitt 6.2). sowie des Kontextes 1Kor 5 – 6 (Abschnitt 6.3). Zwei weitere Unterkapitel behandeln die übrigen für unsere Frage relevanten Textstellen im 1Kor, und zwar in 1Kor 1,10 – 4,21 (Abschnitt 6.4) und in 1Kor 7 (Abschnitt 6.5). Abschließend erfolgt eine ausführliche Ergebnissicherung zum paulinischen Verständnis der christlichen Heiligkeit im 1Kor (Abschnitt 6.6).

6.1

Heilige als Adressaten des 1Kor (1Kor 1,2)

1Kor 1,2 Das Präskript des 1Kor (1,1–3) beinhaltet – nach dem üblichen Muster – Angaben zu den Absendern (superscriptio; V. 1) und Adressaten (adscriptio; V. 2) des Briefes sowie einen Gnaden- und Friedenswunsch (V. 3). –––––––––––––– 1 2

Vgl. dazu Kapitel 4.4.1–3, S. 105ff. Vgl. dazu Kapitel 4.2.1, S. 82ff.

146

Die korinthischen Christen als Heilige

Als Absender des Briefes stellt sich Paulus zunächst selbst vor. Er nennt seinen Namen und bezeichnet sich als κλητὸς ἀπόστολος Χριστοῦ Ἰησοῦ διὰ θελήματος θεοῦ. Mit dem Titel ἀπόστολος Χριστοῦ Ἰησοῦ gibt Paulus sich als „legitimierten Repräsentanten seines Herrn“ 3 zu erkennen. Dieser Funktion wird durch die Angabe κλητὸς […] διὰ θελήματος θεοῦ zusätzliche Autorität verliehen: Paulus betont, dass er sich nicht selbst zum Apostel Christi Jesu gemacht hat, sondern dazu berufen wurde durch den Willen Gottes. Als weiterer Absender des Briefes ist Sosthenes genannt, der den 1Kor jedoch vermutlich nicht mit verfasst hat, da im Folgenden durchgängig die 1. Person Singular verwendet wird (vgl. z.B. 1,4.10). Sosthenes wird von Paulus als ‚Bruder‘ bezeichnet und damit als Gleichgesinnter und Mitchrist qualifiziert.4 Es folgt die Nennung der Adressaten (1,2). Demnach gilt der Brief τῇ ἐκκλησίᾳ τοῦ θεοῦ τῇ οὔσῃ ἐν Κορίνθῳ, ἡγιασμένοις ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, κλητοῖς ἁγίοις, σὺν πᾶσιν τοῖς ἐπικαλουμένοις τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐν παντὶ τόπῳ, αὐτῶν καὶ ἡμῶν· Die adscriptio des 1Kor ist die ausführlichste der paulinischen Briefe. Wie die meisten anderen paulinischen Briefe – Ausnahmen bilden lediglich der Phil und der Röm – enthält sie auch die Bezeichnung ἐκκλησία5. Abgesehen vom Gal, der sich an mehrere Gemeinden in Galatien wendet, steht sie stets im Singular und ist um eine Ortsangabe ergänzt.6 Entscheidend ist in 1Kor 1,2 der Genitiv τοῦ θεοῦ, der zum Ausdruck bringt, wodurch sich die angesprochene Gemeinde auszeichnet und durch wen sie sich konstituiert. 7 So wie Paulus nach eigener Aussage nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch den Willen Gottes berufener Apostel Christi Jesu ist (V. 1), so sind auch die Korinther nicht aus sich heraus, sondern nur durch Gott die Gemeinde, die sie sind. Die Besonderheit der adscriptio des 1Kor und die große Relevanz für das hier zu behandelnde Thema liegen in den epexegetischen Be–––––––––––––– 3 4 5 6 7

Schrage, 1Kor I, 99. Vgl. auch Roloff, Apostel, 437: „Apostolat ist für Paulus bevollmächtigter Dienst im Namen und Auftrag Christi“. Zur frühchristlichen Gruppenbezeichnung ἀδελφοί vgl. Kapitel 3.2.2, S. 71ff. Zur frühchristlichen Gruppenbezeichnung ἐκκλησία (τοῦ θεοῦ) vgl. Kapitel 3.2.3, S. 74ff. Sogar der Phlm, der als eigentlichen Adressaten die Einzelperson Philemon hat, richtet sich darüber hinaus an die Gemeinde (ἐκκλησία) in seinem Haus (Phlm 2). Vgl. Merklein, 1Kor I, 73: „Der betont vor den Ortsnamen gestellte Genitiv ‚Gottes‘ gibt aber deutlich zu erkennen, daß die angesprochene ‚ekklēsia‘ nicht durch die korinthischen Christen und ihre ‚ekklēsia‘ (Versammlung) zustande kommt, sondern daß umgekehrt Gott es ist, der durch sein erwählendes Handeln bestimmt, wer zu dieser ‚ekklēsia‘ gehört.“

1Kor 1,2

147

zeichnungen, mit denen die Gemeinde Gottes in Korinth näher charakterisiert wird: Paulus spricht die Adressaten an als ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und als κλητοὶ ἅγιοι.8 Die Korinther werden damit gleich in zweifacher Weise von Paulus als ‚Heilige‘ qualifiziert.9 Zunächst einmal bezeichnet Paulus die Korinther als „Geheiligte in Christus Jesus“ und bedient sich damit der für ihn typischen Wendung ἐν Χριστῷ (Ἰησοῦ), die in allen paulinischen Briefen zahlreich belegt ist und als „Kontinuum paulinischer Theologie“10 bezeichnet werden kann. Die zahlreiche Literatur zu diesem Ausdruck beschäftigt sich vor allem mit der Frage, wie das ἐν zu verstehen ist.11 Die Bandbreite der Auslegungen reicht dabei von einem rein lokalen Verständnis im Sinne einer mystischen Einwohnung des Gläubigen ‚in Christus‘12 bis zu einem rein instrumentalen Verständnis im Sinne von ‚durch Christus‘ 13. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass nicht von vornherein von einem einheitlichen paulinischen Verständnis dieser Wendung ausgegangen werden kann.14 Außerdem muss man sich sicherlich nicht zwangsläufig –––––––––––––– 8

9

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14

Vgl. Strack, Kultische Terminologie, 151: „Die Bestimmung der Gemeinde als ἐκκλησία τοῦ θεοῦ in Verbindung mit Bezeichnungen wie ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und κλητοὶ ἅγιοι (1 Kor 1,1f) hebt die Qualität der christlichen Gemeinde hervor und unterscheidet sie vom bloßen, rein technischen ἐκκλησία als aktueller Versammlung.“ Erwähnenswert ist, dass sich die Bezeichnungen ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und κλητοὶ ἅγιοι im Numerus von der Anrede ἐκκλησία unterscheiden. Während ἐκκλησία auf die Gemeinde in ihrer Gesamtheit rekurriert, nehmen die folgenden Bezeichnungen stärker die einzelnen Gemeindeglieder in ihrer Gemeinschaft in den Blick. S.o. S. 104. Vgl. auch Thiselton, 1Kor, 76f. Schnelle, Gerechtigkeit, 106. Vgl. Roloff, Kirche, 92–96; Schnelle, Gerechtigkeit, 106–122; Dunn, Theology, 396– 401; Meier, Mystik, 27–39. Vgl. Deissmann, Die neutestamentliche Formel, 97: „Die von Paulus unter Benutzung eines vorhandenen Profansprachgebrauchs geschaffene Formel ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ charakterisiert das Verhältnis des Christen zu Jesus Christus als ein lokal aufzufassendes Sichbefinden in dem pneumatischen Christus.“ Im selben Kontext verweist G. A. Deissmann auf einen möglichen Zusammenhang zu „dem neuerdings viel verhandelten Problem der paulinischen Mystik“ (ebd., 98; Hervorhebung im Original), den er dann in seinem 19 Jahre später in erster Auflage erschienenen Paulusbuch näher ausführt (vgl. Deissmann, Paulus, 111–124). Auch nach U. Schnelle ist die Wendung ἐν Χριστῷ „lokal-seinshaft zu verstehen“ (Schnelle, Gerechtigkeit, 109; vgl. auch ders., Paulus, 548f). Vgl. auch Klaiber, Rechtfertigung, 101. Nach Bender, Bemerkungen, 264, wird „ἐν Χριστῷ bei Paulus immer (!) instrumental verwendet“, vgl. auch ebd. 266f. Zum instrumentalen Gebrauch von ἐν im Neuen Testament vgl. auch Roberts, Instrumental en. Vgl. Wedderburn, Some Observations, 87: „Nothing so far has therefore indicated that ἐν Χριστῷ and ἐν κυρίῳ will be used in one way only in Paul’s writings.“

148

Die korinthischen Christen als Heilige

alternativ zwischen den Deutungen lokal oder instrumental entscheiden. Vielmehr wird man das Besondere der Wendung ἐν Χριστῷ (Ἰησοῦ) genau darin zu sehen haben, dass sie ein breites Deutungsspektrum abdeckt. In jedem Fall stellt sie eine Beziehung zum Christusgeschehen her. Der, der ἐν Χριστῷ (Ἰησοῦ) ist, ist durch Christus Jesus und das damit verbundene Heilsgeschehen bestimmt.15 So verstanden ist ἐν eher modal aufzufassen.16 Diese Deutung der Formel bestätigt sich auch bei einer Betrachtung möglicher Gegensätze zu ἐν Χριστῷ: So kann Paulus dem Sein „in Christus“ z.B. das Sein „im Fleisch“ (ἐν σαρκί) gegenüberstellen (vgl. z.B. Röm 8,1.8; Phil 3,3; Phlm 16) oder aber die Situationen „in Christus“ und „in Adam“ miteinander vergleichen (vgl. 1Kor 15,22). Das ἐν zeigt dabei die Zugehörigkeit an, also durch wen oder was die Identität eines Menschen oder einer Gruppe bestimmt ist. Dies bestätigt sich durch einen Beleg bei Euripides, Alcestis 278. Dort findet man den Ausspruch von Admetos gegenüber seiner Frau Alkestis: σοῦ γὰρ φθιμένης οὐκέτ’ ἄν εἴην· ἐν σοὶ δ’ ἐσμὲν καὶ ζῆν καὶ μή· σὴν γὰρ φιλίαν σεβόμεσθα. Die Wendung ἐν σοὶ δ’ ἐσμὲν kann hier übersetzt werden mit „durch dich sind wir“, womit an der vorliegenden Stelle gemeint ist: „durch die Zugehörigkeit zu dir sind wir“.17 Für die hier zu behandelnde Phrase ἐν Χριστῷ ergibt sich daher, dass sie die Zugehörigkeit zu Christus anzeigt. Wer in Christus ist, ist durch das an Christus gebundene Heilsgeschehen bestimmt. Dieses Sein ἐν Χριστῷ hat laut Paulus auch Konsequenzen für das Welt- und Gottesverhältnis: Die vorhandenen Sozialstrukturen haben keine Bedeutung mehr (vgl. Gal 3,26–28) und es gibt keine Verdammnis (κατάκριμα) mehr (Röm 8,1). Im vorliegenden Vers 1Kor 1,2 werden die Korinther als ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ angesprochen. Dies ist insofern keinesfalls verwunderlich, als dass Paulus das Verb ἁγιάζομαι (im Passiv) immer mit der Präposition ἐν gebraucht:

15 16 17

Wedderburn gibt darüber hinaus eine gute Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen von ἐν im Allgemeinen (vgl. ebd., 84f). So auch Neugebauer, In Christus, 112. Vgl. dazu Meier, Mystik, 36–39. Vgl. auch das Zitat von Gen 21,12 in Röm 9,7 und dazu Haacker, Röm, 216, Anm. 25.

1Kor 1,2

1Kor 1,2 1Kor 6,11 1Kor 7,14 Röm 15,16

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ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ἡγιάσθητε […] ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ ἐν τῷ πνεύματι τοῦ θεοῦ ἡμῶν. ἡγίασται γὰρ ὁ ἀνὴρ ὁ ἄπιστος ἐν τῇ γυναικὶ καὶ ἡγίασται ἡ γυνὴ ἡ ἄπιστος ἐν τῷ ἀδελφῷ· γένηται ἡ προσφορὰ τῶν ἐθνῶν εὐπρόσδεκτος, ἡγιασμένη ἐν πνεύματι ἁγίῳ

In Verbindung mit ἁγιάζομαι (im Passiv) wird man ἐν in jedem Fall instrumental verstehen müssen, wie die letzten drei Belegstellen deutlich machen: Die Korinther sind geheiligt „durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“, ein ungläubiger Mensch ist geheiligt durch seinen gläubigen Partner, und das Opfer der Heiden ist geheiligt durch den Heiligen Geist.18 Damit ergibt sich auch für 1Kor 1,2 ein instrumentales Verständnis von ἐν. Insbesondere 1Kor 7,14 zeigt jedoch, dass das Bedeutungsspektrum damit noch nicht abgedeckt ist. Fragt man weiter, warum ein ungläubiger Mensch durch seinen gläubigen Partner geheiligt ist, so kommt man zu dem Ergebnis, dass dafür allein das „Partner Sein“, also die Zugehörigkeit zu einem Gläubigen, ausreichend ist. Der ungläubige Mann ist also geheiligt ἐν τῇ γυναικί, weil er zu seiner Frau gehört, und die ungläubige Frau ist geheiligt ἐν τῷ ἀδελφῷ, weil sie zu ihrem Mann gehört. Überträgt man dies auf 1Kor 1,2, so kann man folgern, dass die Korinther Geheiligte sind ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, weil sie zu Christus gehören. Die Präposition ἐν ist also nicht nur instrumental, sondern auch modal zu verstehen: Die Korinther wurden geheiligt durch Christus Jesus, gehören nun zu ihm und sind durch diese Zugehörigkeit bestimmt. Mit der durch die Wendung ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ gegebenen Christusbezogenheit liegt eine Parallele zur Selbstvorstellung des Paulus vor: So wie Paulus nicht irgendein Apostel ist, sondern Apostel Christi Jesu, so ist auch die Heiligkeit der korinthischen Gemeinde durch Christus Jesus bestimmt.19 Auch mit der Bezeichnung κλητοὶ ἅγιοι20 stellt Paulus eine Parallele zu seiner Selbstvorstellung in V. 1 her: So wie Paulus selbst ‚berufener Apostel‘ ist, sind die Korinther ‚berufene Heilige‘. In V. 9 betont Paulus, dass Gott es ist, durch den die Korinther berufen und damit zu Heiligen wurden.21 –––––––––––––– 18 19 20 21

Vgl. dazu auch die ausführlichen Exegesen der jeweiligen Stellen: Zu 1Kor 6,11 s.u. S. 155ff; zu 1Kor 7,14 s.u. S. 177ff; zu Röm 15,16 s.o. S. 132. Vgl. Schrage, 1Kor I, 104. Vgl. dazu ausführlich in Kapitel 4.3.1, S. 96f. Vgl. Schrage, 1Kor I, 103: „Daß Heiligkeit den Christen nicht durch sie selbst zukommt, sie nur als von Gott Geheiligte heilig sind und ihm als solche unwiderruflich

150

Die korinthischen Christen als Heilige

Neben der Gemeinde in Korinth gilt der Brief noch πᾶσιν τοῖς ἐπικαλουμένοις τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ ἐν παντὶ τόπῳ, αὐτῶν καὶ ἡμῶν.22 Hinter dieser Wendung verbirgt sich wahrscheinlich eine gängige frühchristliche Selbstbezeichnung (vgl. auch Röm 10,12; Apg 9,14.21; 22,16; 2Tim 2,22), die ihren Ursprung im jüdischen Traditionsbereich als Bezeichnung für Israel hat (vgl. z.B. Gen 4,26; Ps 98,6LXX; Joel 3,5 [vgl. dazu auch Röm 10,13; Apg 2,21]; PsSal 2,36; TestJud 24,6; TestDan 5,11; 6,3).23 Die nähere Erläuterung „an jedem Ort“ muss nicht zwangsläufig zu dem Schluss führen, Paulus wolle mit diesem Brief die gesamte Christenheit ansprechen. 24 Vielmehr ist damit zum Ausdruck gebracht, „daß die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist, zugleich in Gemeinschaft steht mit den übrigen Christen.“25 Das Präskript des 1Kor schließt mit dem üblichen Gnaden- und Friedenswunsch (V. 3). Die Bezeichnung ἅγιοι ist zwar in vier von sieben paulinischen Briefpräskripten belegt (vgl. neben 1Kor 1,2 auch 2Kor 1,1; Phil 1,1; Röm 1,7), jedoch wird keine andere Gemeinde von Paulus schon im Briefeingang so ausdrücklich auf ihre Heiligkeit angesprochen wie die Korinther. Die weiteren Untersuchungen werden zeigen, dass Paulus die Heiligkeit der Gemeinde im weiteren Verlauf des Briefes und vor allem im Abschnitt 6,1–11 zum Thema macht und sie als Argumentationsmuster gebraucht, um ethische Fragestellungen zu bearbeiten.

22 23 24

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zugehören […], bestätigt die zweite Apposition ‚berufene Heilige‘ (vgl. Röm 1,7). Gott selbst ist es, der zur Heiligkeit beruft (vgl. zu V 9) und damit zu Heiligen macht.“ Vgl. auch Lindemann, 1Kor, 26: „Nicht ‚Heilige‘ sind berufen worden, sondern als Berufene […] sind die Christen ‚heilig‘.“ Vgl. dazu die Kommentare zur Stelle, insbesondere Zeller, 1Kor, 74–76. Außerdem Cullmann, „Alle, die den Namen …“; Van Unnik, „With all those …“. Vgl. Zeller, 1Kor, 74: „Mit ihr [der Bezeichnung ‚die den Namen des Herrn Anrufenden‘; M. B.] wird ein Proprium Israels auf die Christusgläubigen übertragen.“ Nach J. Weiß habe Paulus zwar „keinesfalls seinen Brief für die ganze Christenheit bestimmt“ (Weiß, 1Kor, 3), jedoch könne der vorliegende Text nicht anders gedeutet werden, als dass damit „schlechthin alle“ (ebd., Hervorhebung im Original) Christen gemeint sind. Daraus folgert er, dass die Worte σὺν πᾶσιν … ἡμῶν „als ein Zusatz des Redaktors der paulinischen Sammlung ausgeschieden werden müssen“ (ebd., 4). Merklein, 1Kor I, 77f (Hervorhebung im Original).

1Kor 6,1‒11

6.2

151

ἅγιοι versus ἄδικοι (1Kor 6,1–11)

1Kor 6,1‒11 Ausführlich beschäftigt sich Paulus in 1Kor 6,1–11 mit dem Thema der christlichen Heiligkeit26: 1 Wagt es jemand von euch, der einen Prozess (πρᾶγμα) gegen den anderen führt, vor Gericht zu stehen (κρίνεσθαι) vor den Ungerechten (ἄδικοι) und nicht vor den Heiligen (ἅγιοι)? 2 Oder wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? Und wenn nun von euch die Welt gerichtet wird, seid ihr dann für unbedeutende Rechtsstreitigkeiten nicht gut genug (ἀνάξιοι)? 3 Wisst ihr nicht, dass wir Engel richten werden? Dann nicht über Alltägliches (βιωτικά)? 4 Wenn ihr nun Rechtsstreitigkeiten über Alltägliches habt, setzt ihr dann diejenigen (als Richter) ein, die in der Gemeinde wenig gelten (οἱ ἐξουθενημένοι ἐν τῇ ἐκκλησίᾳ)? 5 Ich sage euch das, damit ihr euch schämt (πρὸς ἐντροπὴν ὑμῖν λέγω). Gibt es also unter euch keinen Weisen, der entscheiden kann zwischen Brüdern (ἀνὰ μέσον τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ 27)? 6 Vielmehr prozessiert (κρίνω) Bruder mit Bruder und das vor Ungläubigen! 7 Es ist nun überhaupt schon euer Versagen, dass ihr Rechtsstreitigkeiten unter euch habt. Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht antun? Warum lasst ihr euch nicht lieber bestehlen? 8 Vielmehr tut ihr selbst Unrecht und stehlt, und das Brüdern. 9 Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht erben werden? Täuscht euch nicht! (μὴ πλανᾶσθε) Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder 10 noch Diebe noch Habgierige, nicht Säufer, nicht Lästerer, nicht Räuber werden das Reich Gottes erben. 11 Und das waren einige von euch. (καὶ ταῦτά τινες ἦτε) Aber ihr habt euch reinwaschen lassen (ἀπελούσασθε), aber ihr wurdet geheiligt (ἡγιάσθητε), aber ihr wurdet gerechtfertigt (ἐδικαιώθητε) durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes. Mit der rhetorischen Frage τολμᾷ τις ὑμῶν kommt Paulus in 1Kor 6,1 auf ein vorher noch nicht behandeltes Thema zu sprechen: die Frage nach dem Umgang mit Rechtsstreitigkeiten zwischen Angehörigen der Gemeinde. Trotz des damit gegebenen Einschnitts schließt 6,1 gut an den vorhergehenden Abschnitt an, wie allein der Gebrauch des Verbs κρίνειν (richten) in 5,12(2x).13 und 6,1.2(2x).3.6 zeigt. 28 Ein neues Thema beginnt Paulus dann in 6,12 mit dem etwas harten Neueinsatz –––––––––––––– 26

27 28

Die nun folgende Übersetzung von 1Kor 6,1–11 ist meine eigene. An Stellen, an denen der griechische Wortlaut oder Satzbau im Deutschen nicht adäquat wiedergespiegelt werden kann oder an denen der griechische Wortlaut für unsere Auseinandersetzung mit dem Text wesentlich ist, ist er in Klammern angegeben. Vgl. dazu Zeller, 1Kor, 214, Anm. 112. So auch Konradt, Gericht, 330. Vgl. auch Dinkler, Zum Problem, 168.

152

Die korinthischen Christen als Heilige

πάντα μοι ἔξεστιν („Alles ist mir erlaubt.“). Der damit nach vorne und hinten abgegrenzte Abschnitt 6,1–11 lässt sich wie folgt gliedern: 1. V. 1–6: Zunächst konfrontiert Paulus die Korinther mit dem Vorwurf, ihre Rechtsstreitigkeiten vor heidnischen Gerichten auszutragen. Seiner Meinung nach sollten diese innerhalb der Gemeinde geklärt werden. 2. V. 7–8: Im weiteren Verlauf des Textes geht Paulus noch einen Schritt weiter und äußert sich ganz grundsätzlich zum Umgang der Angehörigen der Gemeinde untereinander. 3. V. 9–11: Gewichtiger noch als der Einschnitt nach V. 6 ist der Einschnitt nach V. 8. Zwar schließt die Rede von den Ungerechten in V. 9 direkt an die Erwähnung des Unrechttuns (V. 8; vgl. auch V. 1.7) an, jedoch fällt mit βασιλεία θεοῦ ein neues gewichtiges Stichwort. Die Verse 9 und 10, die einen sog. Lasterkatalog enthalten, sind eine Sinneinheit. V. 11 nimmt mit dem ersten Satz καὶ ταῦτά τινες ἦτε· direkt darauf Bezug.29 Eine Klammer um den gesamten Abschnitt und damit ein starkes Argument für die Kohärenz bilden die Wortfamilien um ἅγιος bzw. δίκαιος: In V. 1.2 spricht Paulus von den Heiligen (ἅγιοι), denen er in V. 1 die ἄδικοι gegenüberstellt, und in V. 11 sagt er über die Adressaten seines Briefes, dass sie geheiligt (ἡγιάσθητε) und gerechtfertigt (ἐδικαιώθητε) sind.30 Damit ergibt sich – neben der konkreten Frage nach dem Umgang mit Rechtsstreitigkeiten zwischen Angehörigen der Gemeinde – noch ein weiteres Thema, nämlich die Frage nach dem Status der Christen in Korinth in Abgrenzung zu ihrer nichtchristlichen Umwelt (Abschnitt 6.2.1) und im Gegensatz zu ihrer vorchristlichen Vergangenheit (Abschnitt 6.2.2).31 Die gewonnenen Erkenntnisse werden in Abschnitt 6.2.3 zusammengefasst. –––––––––––––– 29

30 31

So gliedern auch Merklein, 1Kor II, 50; Zeller, 1Kor, 210f. Andere nehmen dagegen eine Zweiteilung vor: Schrage, 1Kor I, 404 trennt zwischen V. 1–8 und 9–11, Lindemann, 1Kor, 134 zwischen V. 1–6 und 7–11. Vgl. Lindemann, 1Kor, 134: „die Stichworte ἡγιάσθητε und ἐδικαιώθητε lenken zu den Termini ἄδικοι und ἅγιοι (V. 1) zurück.“ Vgl. Merklein, 1Kor II, 52: „Insgesamt ist der Text also bemüht, das Richten (erste Sinnlinie) und darüber hinaus das Verhalten der Gemeinde überhaupt auf die Basis des ihr angemessenen Maßstabs zu stellen, der sich aus ihrem Heilsstatus und damit aus ihrem Gegensatz zur Welt (zweite Sinnlinie) ergibt.“ – Die von Merklein so genannte „erste Sinnlinie“ wird im weiteren Verlauf dieses Abschnitts, der vor allem auf die Rede von Heiligkeit in 1Kor 6,1–11 abzielt, von geringerem Interesse sein. Daher werde ich auch nicht weiter auf die Frage eingehen, warum die Korinther überhaupt Rechtsstreitigkeiten führten und worum sich diese drehten. Auch die Frage nach Analogien zu den paulinischen Ratschlägen wird hier nicht behandelt werden. Vgl. dazu Schrage, 1Kor I, 408.

1Kor 6,1‒11

6.2.1

153

Die Korinther als Heilige in Abgrenzung von ihrer nichtchristlichen Umwelt

Gegenüber und Gegensatz der Bezeichnung οἱ ἅγιοι32 in V. 1 ist der Ausdruck οἱ ἄδικοι (vgl. V. 9). Mit dieser Titulierung ist natürlich keinerlei Aussage über die Arbeit der von den Korinthern aufgesuchten heidnischen Gerichte verbunden.33 Der Sinn der Bezeichnung οἱ ἄδικοι erklärt sich vielmehr gerade aus der Gegenüberstellung zur Bezeichnung οἱ ἅγιοι: Die Ungerechten sind die ‚Nicht-Heiligen‘, also die Menschen aus der außergemeindlichen Umwelt.34 Dies wird auch deutlich in V. 9–10, wo es von den Ungerechten – die in einem Lasterkatalog noch näher differenziert werden – heißt, dass sie das Reich Gottes nicht erben werden. Abgesehen von der Gegenüberstellung ‚Heilige‘ – ‚Ungerechte‘ gibt es im gesamten Textabschnitt 1Kor 6,1–11 noch weitere Gegensätze, mit denen die korinthischen Christen von ihrer heidnischen Umwelt abgegrenzt werden35:

V. 1 V. 2–3 V. 4 V. 6 V. 9–10 V. 11

die Christen οἱ ἅγιοι οἱ ἅγιοι bzw. „wir“ ἡ ἐκκλησία ἀδελφοί βασιλεία θεοῦ κληρονομεῖν ἀπελούσασθε ἡγιάσθητε ἐδικαιώθητε

die Anderen οἱ ἄδικοι ὁ κόσμος bzw. οἱ ἄγγελοι οἱ ἐξουθενημένοι ἄπιστοι ἄδικοι bzw. die im Lasterkatalog aufgeführten Übeltäter ἄδικοι bzw. die im Lasterkatalog aufgeführten Übeltäter (V. 9–10)

–––––––––––––– 32 33

34

35

Zur Bezeichnung οἱ ἅγιοι in 1Kor 6,1.2 vgl. Kapitel 4.4.1, S. 105ff. Vgl. Barrett, 1Kor, 135. Man wird Paulus an dieser Stelle höchstens ein wenig Ironie zusprechen dürfen, ausgerechnet Rechtskundige als ἄδικοι zu bezeichnen. Vgl. Lindemann, 1Kor, 135. Anders Zeller, 1Kor, 211f. Vgl. Merklein, 1Kor II, 52f; Fitzmyer, 1Kor, 251. Dazu schreibt Barrett, 1Kor, 135 (Hervorhebungen im Original): „Neither unrighteous nor saints is a satisfactory translation; possibly ‚non-Christians‘ and ‚Christians‘ respectively would be preferable.“ Vgl. auch Vahrenhorst, Kultische Sprache, 165: „Für Paulus ist die Welt nach 1Kor 6,1 aufgeteilt in den Bereich der Heiligen (ἅγιοι) und den der Ungerechten (ἄδικοι).“ So auch schon Hanssen, Heilig, 128f. Nach May, Body, 84 transportiert die Bezeichnung ἄδικοι allerdings auch „ethical connotations“. Vgl. dazu auch Merklein, 1Kor II, 50f.

154

Die korinthischen Christen als Heilige

Neben der Bezeichnung οἱ ἅγιοι gebraucht Paulus hier noch zwei weitere frühchristliche Selbstbezeichnungen: ἡ ἐκκλησία (V. 4) und οἱ ἀδελφοί (V. 5.6.8).36 Der Gemeinde bzw. den Brüdern setzt Paulus die – nach dem Urteil der Gemeinde – Geringgeschätzten (V. 4) bzw. die ἄπιστοι (V. 6) entgegen. Die letztgenannte Bezeichnung beinhaltet indirekt wiederum eine Beschreibung der Gemeinde selbst: Sie nämlich sind die πιστοί. Die ἄπιστοι – und durch Umkehrung auch die πιστοί – können außerdem durch einen Vergleich der Schlussverse der ersten beiden Abschnitte (V. 1–6; V. 7–8) näher charakterisiert werden: V. 6 ἀλλὰ ἀδελφὸς φ ς μετὰ ἀδελφοῦ φ κρίνεται καὶ τοῦτο ἐπὶ ἀπίστων; V. 8 ἀλλὰ ὑμεῖς ἀδικεῖτε καὶ ἀποστερεῖτε, καὶ τοῦτο ἀδελφούς. Die beiden Antithesen verfügen über eine parallele Struktur. Der jeweils erste Halbsatz beginnt mit ἀλλά. Dem wird jeweils ein zweiter durch καὶ τοῦτο eingeleiteter Halbsatz gegenübergestellt. Zusammengenommen sind die beiden Sätze jedoch chiastisch angeordnet. Das eine Glied des vorliegenden Chiasmus ist das Subjekt ἀδελφός, das in V. 6 im ersten Satzteil und in V. 8 im zweiten Satzteil begegnet. Dem steht das zweite Glied gegenüber: In der zweiten Satzhälfte in V. 6 ist die Rede von ἄπιστοι, in der ersten Satzhälfte in V. 8 sind es die Verben ἀδικέω und ἀποστερέω. Die chiastische Struktur erlaubt es, ‚Unrecht tun‘ und ‚stehlen‘ als Verhaltensweisen auszumachen, durch die sich laut Paulus Ungläubige auszeichnen.37 Für den Gläubigen heißt das im Umkehrschluss, dass er kein Unrecht tun und nicht stehlen sollte. Die Sprache des Textabschnitts 1Kor 6,1–11 mit den vielen semantischen Oppositionen dreht sich also vor allem um die Identität der ko-

–––––––––––––– 36

37

Zu diesen frühchristlichen Selbstbezeichnungen vgl. Kapitel 3.2.3 (S. 74ff) und Kapitel 3.2.2 (S. 71ff). Über den Gebrauch der Bezeichnung ἀδελφοί im vorliegenden Zusammenhang urteilt M. Wolter: Paulus „verlangt, dass die ethische Darstellung der christlichen Identität als eine alle alltagsweltlichen Unterschiede hinter sich lassende gemeinsame Identität auch in alltagsweltlichen Kontexten erforderlich ist. Greifbar wird diese ekklesiologische Substruktur der ethischen Argumentation in 1.Kor 6 vor allem darin, dass Paulus die Prozessführer nicht weniger als vier Mal ‚Brüder‘ nennt (V. 5.[bis]8). Er benutzt damit eine soziale Metapher, die sie auf ihre gemeinsame und egalitäre Identität hin anspricht, die ihnen ausschließlich innerhalb der symbolischen Sinnwelt der Ekklesia zukommt“ (Wolter, Identität, 158). Vgl. Mitchell, I Corinthians 6:1–11, 41: „ The elements are exchangeable, so ἄπιστοι are effectively equated with ἀδικεῖν and ἀποστερεῖν. To ‚do wrong‘ and to ‚defraud‘ are roughly equivalent to acting like unbelievers.“

1Kor 6,1‒11

155

rinthischen Gemeinde im Gegenüber und in Abgrenzung zu ihrer nichtchristlichen Umwelt.38

6.2.2

Die Korinther als Heilige in Abgrenzung von ihrer vorchristlichen Vergangenheit

Der etwas größere Einschnitt innerhalb des Abschnitts 1Kor 6,1–11 vor V. 9, der sich z.B. durch das neue Stichwort βασιλεία θεοῦ ergibt, wurde bereits oben erläutert. Die V. 9–11 unterscheiden sich in einem weiteren wesentlichen Punkt von den vorhergehenden Versen. Und zwar wird hier nicht nur die Identität der korinthischen ChristenGemeinde im Gegenüber zu ihrer nichtchristlichen Umwelt thematisiert, sondern auch die christliche Gegenwart in Abgrenzung von der Vergangenheit der Korinther. Damals befanden sich die Angehörigen der Gemeinde auf derselben Seite wie jetzt immer noch ihre nichtchristliche Umwelt. Auch ohne die charakteristischen Adverbien ποτέ und νῦν kann man diesen Abschnitt dem sog. ‚Einst‘-‚Jetzt‘-Schema zuordnen.39 Vergangenheit und Gegenwart werden einander gegenübergestellt. Die Vergangenheit der Adressaten fasst Paulus mit dem Satz καὶ ταῦτά τινες ἦτε· (V. 11) zusammen und verweist damit auf die in V. 9– 10 genannten ἄδικοι bzw. auf die im Lasterkatalog angeführten und die ἄδικοι spezifizierenden Personengruppen.40 Den Zustand der Korinther in der Gegenwart beschreibt Paulus mit ἀλλὰ ἀπελούσασθε, ἀλλὰ ἡγιάσθητε, ἀλλὰ ἐδικαιώθητε. Vor allem durch das Verb ἀπολούομαι (hier im Medium: „sich reinwaschen lassen“41) und die Formel ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ wird ein Bezug zur Taufe hergestellt.42 Zwar wird ἀπολούομαι im Neuen Testament an keiner Stelle für das Taufgeschehen selbst gebraucht, doch ergibt sich allein aus dem Bild des Reinwaschens eine semantische Assoziation zur Taufe (vgl. die Zusammenstel–––––––––––––– 38

39 40 41 42

Vgl. ebd., 39f: „That I Cor. 6:1–11 is concerned with the constitution of the Christian community over against the world around it is first indicated by the language of separation so prominent in this text.“ Vgl. auch Strack, Kultische Terminologie, 167; May, Body, 55–57. Vgl. dazu Tachau, „Einst“ und „Jetzt“, zu 1Kor 6,11 vgl. insbesondere ebd., 83f. Vgl. Wolff, Abwaschung, 298: „Ein weitgehend am Dekalog orientierter Lasterkatalog (V 9b.10) konkretisiert die ἄδικοι“. So die Mehrheit der Exegeten. Andere lesen ein Passiv, vgl. z.B. Hartman, Auf den Namen, 64. So auch z.B. Konradt, Gericht, 342.

156

Die korinthischen Christen als Heilige

lung von βαπτίζω und ἀπολούω τὰς ἁμαρτίας in Apg 22,16).43 Verstärkt wird diese noch durch die Formel ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ. Diese Formel – ohne Bedeutungsunterschied44 alternativ auch mit den Präpositionen ἐπί oder εἰς – ist bei Taufhandlungen schon früh allgemein verbreitet gewesen.45 Durch diese Formel erfährt die Taufe eine Bezugnahme zum Christusgeschehen und unterscheidet sich damit als christliche Taufe eindeutig von anderen rituellen Waschungen, aber auch von der Johannestaufe (vgl. Apg 19,1–6).46 Auch der Geist, der am Schluss des Verses genannt wird, gehört zum Wortfeld der frühchristlichen Taufe und markiert ebenfalls einen entscheidenden Unterschied z.B. zur Rede über die Johannestaufe (vgl. Mk 1,8; Apg 1,5).47 Das heißt also, dass in 1Kor 6,11 wahrscheinlich die Taufe im Blick ist.48 Wenn Paulus hier davon spricht, dass die Korinther sich haben reinwaschen lassen, dass sie geheiligt und gerechtfertigt wurden, so verortet er dieses Geschehen in der Taufe. Trotz dieses Bezugs zum Taufgeschehen ist die Taufe nicht das eigentliche Thema dieses Abschnitts. Zwar geht es im Sinne des ‚Einst‘-‚Jetzt‘-Schemas um die Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart, an deren Schnittstelle die Taufe steht49, jedoch steht dabei nicht der zeitliche, sondern der inhaltliche Kontrast im Vordergrund. Die Taufe interessiert nicht als historisches Ereignis im Leben der Christen, sondern als Initiation der ‚Jetzt‘-Phase, die sich – hier durch dreimaliges ἀλλά angezeigt – inhaltlich entscheidend von der ‚Einst‘-Phase unterscheidet.50 –––––––––––––– 43 44 45 46 47 48

49

50

Vgl. außerdem Eph 5,26; Tit 3,5; Hebr 10,22. Vgl. auch Merklein, 1Kor II, 65. Vgl. Hartman, Auf den Namen, 45. Vgl. dazu Barth, Taufe, 40ff. Vgl. ebd., 40.44–49. Zum Verhältnis von Taufe und Geist vgl. ebd., 55–66. Nach U. Schnelle handelt es sich hier um eine „selbständige, vorpaulinische Einheit, die ursprünglich nicht mit dem vorausgehenden Katalog verbunden war“ (Schnelle, Gerechtigkeit, 39). A. Lindemann spricht von „traditioneller Terminologie, möglicherweise in Anspielung auf die Taufe“ (Lindemann, 1Kor, 140). Dagegen Wolff, Abwaschung, 301ff. Auch sonst ist das ‚Einst‘-‚Jetzt‘-Schema in Texten zur Taufe belegt, was sich auf Grund der inhaltlichen Aussagen zur Wende im Leben der Christen nahelegt. Vgl. dazu Tachau, „Einst“ und „Jetzt“, 80.130–134. Vgl. ebd., 110: „Der entscheidende Aspekt beim ποτέ –– νῦν-Schema ist der Kontrast, der nicht um der gegenseitigen Erhellung willen, sondern um der Deutlichkeit der νῦν-Stufe willen benutzt wird. Der Kontrast der Zeiten ist ein Kontrast der Inhalte. Die Zeiten interessieren nicht als Zeitabschnitte, sei es im Leben der Adressaten, sei es in der Geschichte allgemein, sondern als so oder so bestimmte Weisen des Verhältnisses des Menschen zu Gott.“ Außerdem ebd. 115: „Auch dort, wo eine Verbindung zur Taufe anklingt, wird die Taufe nicht als temporaler Fixpunkt ange-

1Kor 6,1‒11

157

Das Verb ἀπολούω ist sonst im Neuen Testament nur noch in Apg 22,16 (ebenfalls im Medium) belegt. Dort berichtet der lukanische Paulus, was Hananias nach seinem Damaskuserlebnis zu ihm sagt: ἀναστὰς βάπτισαι καὶ ἀπόλουσαι τὰς ἁμαρτίας σου ἐπικαλεσάμενος τὸ ὄνομα αὐτοῦ. Paulus wird hier aufgefordert, sich seine Sünden abwaschen zu lassen.51 Auch in 1Kor 6,11 bezieht sich das ‚reinwaschen lassen‘ vermutlich auf die Reinigung von Sünden, schließlich steht es im Kontrast zu dem Lasterkatalog in V. 9f, der die Vergangenheit der Adressaten bestimmt hat, für die Gegenwart aber nicht mehr von Bedeutung ist.52 Den historischen Ort dieser Reinigung wird man – wie schon erläutert – in der Taufe zu suchen haben. Weiter beschreibt Paulus den Zustand der Korinther damit, dass sie geheiligt und gerechtfertigt wurden, sie also ‚Heilige‘ (vgl. die Nebeneinanderstellung von ἡγιασμένοι und ἅγιοι in 1Kor 1,2) und ‚Gerechte‘ sind. Wichtig ist, dass Abwaschung, Heiligung und Rechtfertigung nicht verschiedene Akte bezeichnen, sondern ein und denselben (nämlich die Taufe) unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. 53 Das ‚abgewaschen worden sein‘ unterstreicht den Unterschied zur Vergangenheit, während mit ‚geheiligt worden sein‘ und ‚gerechtfertigt worden sein‘ stärker Bezug genommen wird auf den Status der Gegenwart auf der Seite Gottes. Als ‚Heilige‘ und ‚Gerechte‘ sind die Getauften keine ἄδικοι (vgl. V. 1). Als Nicht-ἄδικοι werden sie das Reich Gottes erben (V. 9f), was gleichbedeutend ist mit der Erlangung von (endzeitlichem) Heil.54 Damit bekommt das ‚geheiligt worden sein‘ und ‚gerechtfertigt worden sein‘ auch eschatologische und soteriologische Qualität. Die Verben ἁγιάζω und δικαιόω stehen im Passiv, das als Passivum divinum aufzufassen ist. Die Korinther haben sich nach Paulus nicht selbst geheiligt und gerechtfertigt, sondern sie wurden geheiligt und gerechtfertigt, in der Taufe und – wie V. 11c herausstellt – „durch

51

52 53 54

geben, sie interessiert im Zusammenhang mit dem Schema nicht als historisches Ereignis. […] An den Stellen, wo auf das Christusgeschehen Bezug genommen wird, dient dieses ebenfalls der sachlichen Begründung, nicht der temporalen. Es ordnet die Zeiten des Schemas also nicht historisch ein, sondern liefert die Begründung für die Wende.“ Vgl. auch den einzigen LXX-Beleg für ἀπολούω in Hi 9,30. Auch dort geht es um Reinigung im Zusammenhang von Sünde. In Psalm 50,4.9LXX wird das Verb καθαρίζω zur Bezeichnung der Reinigung von Sünden gebraucht. So auch Reichert, Verständnis der Taufe, 71. So auch Schnelle, Gerechtigkeit, 39. Vgl. Mk 10,17–31, wo „das ewige Leben erben“ gleichbedeutend ist mit „in das Reich Gottes eingehen“ und „gerettet werden“. Vgl. dazu auch Bohlen, Einlasssprüche, 172f.

158

Die korinthischen Christen als Heilige

den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“. In der Formulierung ‚durch den Namen des Herrn Jesus Christus‘ klingt – wie schon dargelegt – zunächst einmal die Taufformel an und in der Verknüpfung mit der Taufe könnte man auch den Anlass für die Erwähnung des ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ sehen.55 Doch bezieht sich die Formulierung ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ nicht nur auf das erste Verb ἀπολούω, sondern aus der Parallelsetzung mit ἐν τῷ πνεύματι τοῦ θεοῦ ἡμῶν ergibt sich, dass sich beide ἐνWendungen auf alle drei Verben und damit auf das Geschehen insgesamt beziehen.56 ἐν ist hier jeweils instrumental zu verstehen. 57 Doch wie hat Paulus sich das vorgestellt? Schlüssel zur Beantwortung dieser Frage ist die Tatsache, dass nicht der Name Jesu an sich von Bedeutung ist, „sondern der Bezug auf die mit dem Namen Jesu angedeutete Heilswirklichkeit“58. Das ὄνομα τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ ist hier zu verstehen als eine Chiffre für das an Christus gebundene Heilsgeschehen. Wenn Paulus von den Korinthern sagt, dass sie ‚durch den Namen des Herrn Jesus Christus‘ abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt wurden, so versteht er das als Konkretion des Heilshandelns Gottes an ihnen. Der Geist ist auch sonst als wirkende Kraft im Taufgeschehen bekannt (vgl. z.B. 1Kor 12,13). In diesem Zusammenhang wird man den Grund für die Wendung ἐν τῷ πνεύματι τοῦ θεοῦ ἡμῶν jedoch wohl eher darin zu sehen haben, dass der Geist Gottes den existentiellen Unterschied der Christen im Gegenüber zu ihrer vorchristlichen Vergangenheit ausmacht.59 So bezeichnet Paulus die Korinther schon in 3,16f als ‚Tempel Gottes‘ und sagt von ihnen, dass der Geist Gottes in ihnen wohne (vgl. auch 6,19).60 Dass dieses ‚im Besitz des Geistes sein‘ auch konkrete Folgen für das eigene ethische Verhalten hat, erläutert Paulus in Gal 5,19–25, wo er u.a. von der Frucht des Geistes spricht (V. 22). Der Geist Gottes erweist sich nach Paulus als ein eineindeutiges –––––––––––––– 55 56

57 58 59 60

Vgl. Delling, Zueignung des Heils, 56. So auch Schnelle, Gerechtigkeit, 39; Delling, Zueignung des Heils, 56. – Barrett, 1Kor, 143 verweist hier auf einen „quite unconscious Trinitarianism“ und schreibt dazu: „Trinitarian theology, at least in its New Testament form, did not arise out of speculation, but out of the fact that when Christians spoke of what God had done for them and in them they often found themselves obliged to use threefold language of this kind.“ Vgl. Wolff, 1Kor, 122; Schrage, 1Kor I, 428. Barth, Taufe, 48. Vgl. auch Delling, Zueignung des Heils, 60; Hartman, Auf den Namen, 66. Vgl. dazu den Exkurs Der heilige Geist und die Heiligen, S. 131. S.u. S. 167f, sowie Abschnitt 6.4.2, S. 172ff.

1Kor 6,1‒11

159

Erkennungsmerkmal der Christen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Röm 15,16, wo Paulus das Ziel seiner Arbeit damit beschreibt, dass die Opfergabe der Heiden angenehm werde, ἡγιασμένη ἐν πνεύματι ἁγίῳ. Mit ‚geheiligt durch den heiligen Geist‘ ist hier der Status der Heiden nach ihrer Bekehrung zu Gott gemeint, die entscheidende Zustandsbeschreibung, die Christen von ihrer heidnischen Vergangenheit unterscheidet. In 1Kor 6,11 schärft Paulus den Korinthern also ihren aktuellen Status im Gegensatz zu ihrer vorchristlichen Vergangenheit ein und erinnert sie daran, dass sie ‚Heilige‘ und ‚Gerechte‘ sind. Innerhalb von 1Kor 6,1–11 dient gerade die Betonung dieses Status als entscheidendes Argument gegen die Praxis, Rechtsstreitigkeiten vor außergemeindlichen Gerichten durchzuführen.

6.2.3

Zusammenfassung

Der Textabschnitt 1Kor 6,1–11 ist stark geprägt von der Gegenüberstellung der Gemeinde zu ihrer Umwelt, von Gegenwart und Vergangenheit der Korinther und damit von dem Gegensatz ‚Heilige‘ versus ‚Ungerechte‘ (V. 1). Das Thema des Umgangs mit Rechtsstreitigkeiten tritt dahinter stark zurück. Diese Erkenntnis gibt auch Aufschluss über die Pragmatik des Textes, also über die Frage, wozu Paulus diesen Text in dieser Form in seinem Brief unterbringt. So geht es Paulus nicht allein darum, den Korinthern mitzuteilen, wie sie mit Rechtsstreitigkeiten zwischen Angehörigen der Gemeinde umzugehen haben. Stattdessen wird man zu dem Urteil kommen müssen, dass Paulus die Korinther in erster Linie an ihren Status als Heilige, als Gemeinde, als Brüder und als Gläubige erinnert, um dann auf die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Frage nach dem Umgang mit Rechtsstreitigkeiten zu sprechen zu kommen.61 Ausgehend von der Feststellung, dass es in 1Kor 6,1–11 eigentlich um den Status der Gemeinde geht, erklärt sich auch, warum Paulus den Korinthern erst vorwirft, Rechtsstreitigkeiten vor heidnischen Gerichten zu führen, anstatt sie untereinander zu klären (V. 1–6) und dann noch darüber hinaus geht und beanstandet, dass sie überhaupt Rechtsstreitigkeiten haben (V. 7–8). Man wird hierin „eine fortschreitende Denkbewegung“ und „eine Radikalisierung der Forderung im –––––––––––––– 61

Vgl. Strack, Kultische Terminologie, 167: „Das in 1 Kor 6,1–11 erörterte Problem behandelt die Heiligkeit der Gemeinde nach innen und nach außen und so das Verhältnis der Gemeinde zur Welt.“

160

Die korinthischen Christen als Heilige

Vollzuge des Schreibens“ 62 sehen können, die sich ergibt, weil Paulus nicht eigentlich auf die Frage nach den Rechtsstreitigkeiten antwortet und also dazu auch keine dezidierte Position vertritt. Die von Paulus geforderten Verhaltensweisen im Umgang mit Rechtsstreitigkeiten sind die Konsequenzen, die sich aus dem Status der Christen als Heilige, Gerechte und Gläubige ergeben. Paulus vertritt hier also nicht zwei verschiedene Positionen im Umgang mit Rechtsstreitigkeiten in der Gemeinde, sondern im Schreiben steigert er lediglich die Radikalität der Konsequenzen, die der Status der Gemeinde notwendig mit sich bringt. Zur Frage nach dem Thema von 6,1‒11 äußert sich E. DINKLER wie folgt: „Dabei ist ganz evident, daß es sich nicht um Prinzipienfragen des Rechts handelt, sondern um anthropologische Fragen, nicht um eine Neukonzipierung des Rechts als Teil des κόσμος, sondern um eine radikale Durchdenkung der in der πίστις und im πνεῦμα dem Christen auferlegten Bindung, aus der Rechtfertigung durch Gott und nicht aus dem Recht der Welt zu existieren, freilich inmitten dieser Welt.“63

Zwar stellt Dinkler richtigerweise fest, dass die Rechtsstreitigkeiten nicht das eigentliche Thema dieses Abschnitts sind, jedoch darf bezweifelt werden, dass es hier um „anthropologische Fragen“ geht. Dinkler lässt außer Acht, dass Paulus die Korinther in 1Kor 6,1–11 nicht als einzelne Christen, sondern als Gemeinde anspricht, was sich schon daraus ablesen lässt, dass alle Status-Bezeichnungen – mit Ausnahme der Gruppenbezeichnung ἡ ἐκκλησία – sowie die Verbformen in V. 11 im Plural stehen. Es geht hier nicht um die „existentielle Wandlung“ 64 des Einzelnen, sondern um die Identität der Gemeinde. 65 Inhalt des Abschnitts sind daher nicht anthropologische, sondern ekklesiologische Fragen. Die ethische Frage nach dem Umgang mit Rechtsstreitigkeiten zwischen Gemeindegliedern kommt dabei nur deshalb in den Blick, weil –––––––––––––– 62

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64 65

So Dinkler, Zum Problem, 183 (Hervorhebung im Original): „Es liegt also in den Versen 1–6 und 7 f. keine bewußte Koordinierung von zwei Positionen durch Paulus vor, sondern es handelt sich um eine fortschreitende Denkbewegung, um eine Steigerung des Gedankens, um eine Radikalisierung der Forderung im Vollzuge des Schreibens.“ Ebd., 175. Vgl. z.B. auch Strack, Kultische Terminologie, 167: „Die Gemeinde soll ihre in Christus neu gewonnene einzigartige eschatologische Identität erkennen, die zugleich Maßstab des Handelns zu sein hat.“ Dinkler, Zum Problem, 182. So auch Mitchell, Rich and Poor, 563: „The critical issue addressed in 1 Cor 6.1–11 is communal. […] Paul’s concern here is a problem affecting the identity and selfdefiniton of the Corinthian Christian community.“

1Kor 5f

161

die Identität der Gemeinde Konsequenzen im ethischen Bereich haben muss, damit die Gruppenidentität der ἐκκλησία, die Paulus hier mit ‚heilig‘, ‚gerecht‘ und ‚gläubig‘ wiedergibt, und damit die Abgrenzung zu allem, was nicht ἐκκλησία ist, nach außen hin sichtbar wird. Im vorliegenden Textzusammenhang spricht Paulus in Bezug auf die Frage nach den angemessenen ethischen Konsequenzen konkret den Umgang mit Rechtsstreitigkeiten an. Durch die Abgrenzung von den im Lasterkatalog aufgeführten Verhaltensweisen ist aber auch ausgesagt, dass diese dem Status der Heiligkeit nicht angemessen sind. Thema des Abschnitts 1Kor 6,1–11 ist der Status der Christen als Heilige im Gegenüber und in Abgrenzung zur außergemeindlichen Umwelt und ihrer vorchristlichen Vergangenheit. Im Folgenden soll nun der Kontext dieses zentralen Abschnitts, die Kapitel 5 und 6 des 1Kor, näher betrachtet werden. Dabei wird deutlich werden, dass die Heiligkeit der Gemeinde das vorherrschende Thema des gesamten Abschnitts ist.

6.3

Die gefährdete Heiligkeit der Gemeinde (1Kor 5f)

1Kor 5f Mit ὅλως ἀκούεται wendet Paulus sich in 1Kor 5,1 einem neuen Thema zu, der πορνεία. Auch wenn dieser Abschnitt durchaus direkt an das Vorherige anschließt (vgl. z.B. das Verb φυσιόω in 4,6.18 und 5,2 und die Thematisierung der Abwesenheit Pauli in 4,18f und 5,3), ist hier ein größerer Einschnitt zu sehen: Im ersten Teil des Briefes ging es um Spaltungen innerhalb der Gemeinde (1Kor 1,10 – 4,21)66, im Folgenden (1Kor 5f) beschäftigt Paulus sich mit dem Verhältnis der Gemeinde zu ihrer nichtchristlichen Umwelt. 67 Der Briefabschnitt 1Kor 5f besteht aus den drei Unterabschnitten: 5,1–13; 6,1–11 und 6,12–20, deren Zusammenhänge im Folgenden näher beleuchtet werden sollen. Der nächste größere Abschnitt des 1Kor beginnt dann in 7,1, eingeleitet durch περὶ δὲ ὧν ἐγράψατε.68 Zwar behandelt Paulus hier nach wie

–––––––––––––– 66 67

68

Vgl. dazu den nachfolgenden Abschnitt 6.4, S. 169ff. Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 157: „Nachdem die Kapitel 1–4 um die innere Integrität der als Tempel beschriebenen Gemeinde in Korinth kreisten, wendet sich Paulus nun der Integrität der Gemeinde nach außen zu“. Die Einleitung neuer Abschnitte mit περὶ δέ begegnet ab jetzt häufiger (vgl. auch 7,25; 8,1; 12,1; 16,1.12), der Verweis auf das von den Korinthern Geschriebene ist aber einmalig.

162

Die korinthischen Christen als Heilige

vor (vgl. 1Kor 5,1–13 und 6,12–20) sexualethische Fragestellungen69, jedoch ist zwischen 6,20 und 7,1 ein größerer Einschnitt zu sehen, da Paulus von nun an und im Unterschied zu 1Kor 1 – 6 konkrete Anfragen der Korinther behandelt.70 Die Verse 6,12–20 bildet dabei einen Übergang zwischen 5,1 – 6,11 und dem Nachfolgenden71, denn Paulus hat hier bereits wie in 1Kor 7 eher den einzelnen Christen und nicht mehr wie in 5,1 – 6,11 vor allem die Gemeinde im Blick.

6.3.1

1Kor 5,1–13: Die Notwendigkeit des Ausschlusses von Sündern

Es wurde ja bereits deutlich, dass das eigentliche Thema des Abschnitts 1Kor 6,1–11 weniger die Frage nach dem richtigen Umgang mit Rechtsstreitigkeiten ist, als vielmehr der Status der Gemeinde und die Bewahrung desselben. Ähnliches lässt sich nun auch für 5,1–13 zeigen72: 1 Übrigens hört man von Unzucht (πορνεία) unter euch, und zwar solche Unzucht, wie es sie nicht einmal unter den Heiden (ἐν τοῖς ἔθνεσιν) gibt, nämlich derart, dass jemand eine Frau seines (wörtlich: des) Vaters hat (ὥστε γυναῖκά τινα τοῦ πατρὸς ἔχειν). 2 Und ihr macht euch wichtig und seid nicht vielmehr traurig, so dass der aus eurer Mitte beseitigt wird, der diese Tat begangen hat (ὁ τὸ ἔργον τοῦτο πράξας). 3 Ich aber, der ich zwar körperlich abwesend, geistig aber anwesend bin, habe schon geurteilt, so als wäre ich anwesend, über den, der solches getan hat: 4 Im Namen unseres Herrn Jesus kommt ihr zusammen und mein Geist mit der Kraft unseres Herrn Jesus, 5 diesen (Menschen) dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet wird am Tag des Herrn. 6 Euer Rühmen ist nicht gut. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? 7 Schafft den alten Sauerteig hinaus (ἐκκαθάρατε τὴν παλαιὰν ζύμην), damit ihr frischer Teig seid, ebenso wie ihr ungesäuert seid. Denn unser Passalamm (πάσχα), Christus, ist geschlachtet worden. 8 Darum lasst uns feiern, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der –––––––––––––– 69

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Aus diesem Grund sieht C. Wolff in 5,1 – 7,40 einen großen Abschnitt des 1Kor (vgl. Wolff, 1Kor, 133). Auch A. Lindemann macht erst nach 7,40 einen größeren Einschnitt (vgl. Lindemann, 1Kor, 120). So auch Thiselton, 1Kor, 381.483. Vgl. auch Merklein, 1Kor II, 24.85. Vgl. Schrage, 1Kor II, 8. H. Külling behandelt in seiner Monographie „Ehe und Ehelosigkeit bei Paulus“ 1Kor 6,12 – 7,40 als einen zusammenhängenden Abschnitt, wobei er diese Gliederung nicht näher begründet. Die nun folgende Übersetzung von 1Kor 5,1–13 ist meine eigene. An Stellen, an denen der griechische Wortlaut oder Satzbau im Deutschen nicht adäquat wiedergespiegelt werden kann oder an denen der griechische Wortlaut für unsere Auseinandersetzung mit dem Text wesentlich ist, ist er in Klammern angegeben.

1Kor 5f

163

Schlechtigkeit und Bosheit, sondern mit ungesäuerten Broten der Reinheit und Wahrheit (ἐν ἀζύμοις εἰλικρινείας καὶ ἀληθείας). 9 Ich habe euch in dem Brief geschrieben, euch nicht mit Unzüchtigen zu mischen (μὴ συναναμίγνυσθαι πόρνοις), 10 (gemeint war) nicht allgemein mit Unzüchtigen in dieser Welt oder Habgierigen und Räubern oder Götzendienern – denn sonst müsstet ihr ja die Welt verlassen (ἐπεὶ ὠφείλετε ἄρα ἐκ τοῦ κόσμου ἐξελθεῖν). 11 So aber habe ich euch geschrieben: Ihr sollt euch nicht mischen, wenn einer sich Bruder nennt, aber ein Unzüchtiger oder Habgieriger oder Götzendiener oder Verleumder oder Säufer oder Räuber ist, mit einem solchen nicht essen. 12 Denn was habe ich zu verurteilen, die draußen sind (τοὺς ἔξω)? Verurteilt ihr nicht die, die drinnen sind (τοὺς ἔσω)? 13 Die, die draußen sind, verurteilt Gott. Beseitigt den Bösen aus eurer Mitte (ἐξάρατε τὸν πονηρὸν ἐξ ὑμῶν αὐτῶν)! Thema dieses Abschnitts scheint ein konkreter Fall von πορνεία zu sein, von dem Paulus – durch wen auch immer – erfahren hatte: Ein Gemeindeglied ist mit der Frau seines Vaters (seiner Stiefmutter oder einer Konkubine73) zusammen. Im Verlauf des Abschnitts beschäftigt sich Paulus jedoch gar nicht mit diesem konkreten Fall, sondern er thematisiert das Verhalten der Gemeinde im Umgang mit dem sogenannten Unzuchtsünder (πόρνος, vgl. V. 9.10.11; in V. 13 wird er als πονηρός tituliert) in den eigenen Reihen.74 Paulus wendet sich mit diesem Abschnitt nicht an den, der eine Beziehung mit der „Frau seines Vaters“ eingegangen ist, sondern an die gesamte Gemeinde (vgl. allein das neunmalige ὑμεῖς in 5,1–13)75 und moniert gleich zu Beginn, dass das unzüchtige Gemeindeglied nicht aus der Mitte der Gemeinde verstoßen wurde (V. 2). Auf diesen Punkt kommt er nochmals in der abschließenden Forderung „Beseitigt den Bösen aus eurer Mitte!“ zu sprechen (V. 13), sodass der gesamte Abschnitt gerahmt wird von der Idee des Ausschlusses (in V. 2: αἴρω, in V. 13: ἐξαίρω) als die nach Meinung des Paulus notwendige Reaktion

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Es ist nicht wahrscheinlich, dass es sich bei der Frau seines Vaters um die eigene Mutter handelt. Vgl. Merklein, 1Kor II, 32; Schrage, 1Kor I, 369. De Vos, Stepmothers plädiert dafür, dass es sich hier um die Konkubine des Vaters handelt. Vgl. dazu auch Wolter, Brief, 184f, Anm. 12. Vgl. Hagenow, Heilige Gemeinde, 34: „Es kommt dem Apostel auf die Wahrung der Heiligkeit der Gemeinde an, das Ergehen des einzelnen Sünders – und sei es noch so gravierend – interessiert nur am Rande. Paulus wendet sich nicht an den Unzüchtigen wegen seines liederlichen Lebenswandels, sondern er beklagt das fehlende Eingreifen der Gemeinde.“ So auch Vahrenhorst, Kultische Sprache, 158; Konradt, Gericht, 322ff; Merklein, 1Kor II, 34f; Hanssen, Heilig, 66; Horn, Darstellung, 220. Vgl. Schrage, 1Kor I, 395; Merklein, 1Kor II, 33.

164

Die korinthischen Christen als Heilige

angesichts eines solchen Falles von πορνεία in den eigenen Reihen.76 Die Korinther hätten wissen müssen, wie sie sich zu verhalten haben, denn Paulus hatte ihnen bereits in einem früheren Brief (V. 9) geschrieben, dass sie mit Unzüchtigen, Habgierigen, Götzendienern, Verleumdern, Säufern und Räubern nichts zu tun haben sollen – zumindest nicht innerhalb der Gemeinde (V. 11). Paulus zieht hier eine eindeutige Trennlinie zwischen der Gemeinde („drinnen“, ἔσω) und der außerchristlichen Umwelt („draußen“, ἔξω; V. 12). Für die Außenwelt sind die angesprochenen Korinther nicht zuständig (vgl. V. 12f), umso mehr jedoch für ihre eigene Gruppe. Mit dem Bild des Sauerteigs, der schon in kleiner Menge eine große Menge Teig durchsäuert, fordert Paulus die Korinther dazu auf, das, was die Gemeinde unrein macht, zu beseitigen (vgl. das Verb ἐκκαθαίρω in V. 7). Durch die Rede von altem Sauerteig (παλαιὰ ζύμη) und neuem Teig (νέον φύραμα) wird zudem noch die christliche Gegenwart der korinthischen Gemeinde von ihrer vorchristlichen Vergangenheit unterschieden.77 Den gegenwärtigen Zustand der Gemeinde, der sich durch Reinheit und – wie der Abschnitt 6,1–11 dann ausführen wird – durch Heiligkeit auszeichnet, gilt es zu bewahren. Deshalb muss die Gemeinde dafür Sorge tragen, alles, was der Reinheit und Heiligkeit widerspricht, von der Gemeinde fernzuhalten.78 Es geht also nicht darum, die Reinigung (oder Heiligung) erst zu vollziehen, sondern die Gemeinde muss ihren bereits erreichten Status erhalten.79

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Vgl. Wolff, 1Kor, 99: „Die Ausführungen in Kapitel 5 sind von der Forderung nach Ausschluß des Unzüchtigen aus der Gemeinde bestimmt; das zeigt die Ringkomposition (V.2b.13b; vgl. dazu V.7a).“ Vgl. Merklein, 1Kor II, 39: „Daß der Sauerteig jetzt als ‚alter Sauerteig‘ bezeichnet wird, deutet auf eine Verschiebung in der Metaphorik. Der Wechsel von der alten zu der neuen Existenz überlagert das Bild“. Zur Metapher des Sauerteigs vgl. außerdem Konradt, Gericht, 322–324. Vgl. Strack, Kultische Terminologie, 197: „Paulus geht es in seiner Aufforderung ‚Schafft den Übeltäter weg aus eurer Mitte!‘ um die Reinhaltung der Gemeinde. Dabei ist die zuständige Instanz in jedem Fall die versammelte Ekklesia.“ Vgl. Merklein, 1Kor II, 46f: „Die von ihm [Paulus] verlangte Ausstoßung des Übeltäters […] ist daher kein Reinigungsritus im eigentlichen Sinn, d. h. sie dient nicht der Wiederherstellung der verlorenen Reinheit, sondern der Aufrechterhaltung der der Gemeinde eigenen Heiligkeit. […] Die Gemeinde steht vor der Wahl, sich vom Sündigen zu distanzieren oder selbst Welt zu werden.“

1Kor 5f

6.3.2

165

1Kor 5,1–13 und 1Kor 6,1–11: Die Bewahrung der Heiligkeit

1Kor 5,1–13 weist erstaunlich viele Parallelen zu dem nachfolgenden und bereits ausführlich besprochenen Abschnitt 1Kor 6,1–11 auf80: In beiden Fällen spricht Paulus die Gemeinde auf ein ihm zu Ohren gekommenes und seiner Meinung nach ungehöriges Verhalten an. In 5,1–13 handelt es sich um den Umgang mit einem Unzüchtigen in den eigenen Reihen, in 6,1–11 um die Behandlung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Angehörigen der Gemeinde vor außergemeindlichen Gerichten. Dabei geht es in beiden Fällen nicht um das rechte Verhalten einzelner, sondern um das Verhalten der Gemeinde.81 In 6,1–11 argumentiert Paulus damit, dass das Verhalten der Korinther nicht ihrem Status als Heilige entspricht, und in 5,1–13 sieht er genau diesen Status durch einen πόρνος in den eigenen Reihen gefährdet und fordert von der Gemeinde die Ausschluss dieses Gemeindemitglieds. In beiden Abschnitten geht es weniger um das Fehlverhalten einzelner, sondern vielmehr um die Unvereinbarkeit dieses Fehlverhaltens mit dem Status der Gemeinde. Dementsprechend sind auch nicht diejenigen angesprochen, die sich aus paulinischer Sicht falsch verhalten haben, sondern die Gemeinde insgesamt.82 Dabei geht Paulus in beiden Fällen davon aus, dass der Gemeinde das, was er zu sagen hat, bereits bekannt sein müsste (vgl. das οὐκ οἴδατε in 5,6 und 6,2.3, sowie den Verweis auf einen vorhergehenden Brief in 5,9).83 –––––––––––––– 80

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Einige der im Folgenden genannten Punkte nennt schon Richardson, Judgement, 42: „6:1–11 and 5:1–13 show the same basic elements: a specific case or cases, a demand for community action set in a strongly eschatological context, a general discussion of the purity questions, and one or more Lasterkataloge.“ Vgl. auch Konradt, Gericht, 330f. Nach Meinung von P. Richardson geht die Gemeinsamkeit der beiden Abschnitte sogar so weit, dass es sich in beiden Fällen um den Umgang mit Fragestellungen aus dem sexuellen Bereich handelt und dass es sich bei den „Dingen des täglichen Lebens“ (1Kor 6,3) um sexuelle Belange handelt: „all of chapters 5 and 6, including 6:1– 11, has to do with sexual questions“ (Richardson, Judgement, 76). Nach W. Schrage sind Fragen aus dem sexuellen Bereich jedoch nicht alltäglich (vgl. Schrage, 1Kor I, 405). Vgl. Merklein, 1Kor II, 25: „Die Normverletzung wird vielmehr moniert, weil sie nicht mit dem Status des Gemeinde- bzw. Christ-Seins zu vereinbaren ist und diesen in Frage stellt. Angeredet werden daher nicht die Individuen, die die Norm verletzt haben, sondern die Gemeinde als ganze“. Vgl. auch Konradt, Gericht, 299. Die Frage οὐκ οἴδατε ist auch in 6,15.16.19 belegt, sodass H. Merklein über die drei Texte im Abschnitt 1Kor 5f urteilen kann: „Pragmatisch gesehen handelt es sich bei allen drei Texten um Mahnungen, die mit einem Appell an bereits Bekanntes […] argumentieren und überzeugen wollen. Ziel der Mahnungen ist die Einschärfung des in Christus erreichten Status, an den am Ende einer jeden Perikope erinnert

166

Die korinthischen Christen als Heilige

Beide Texte zeichnen sich zudem durch den Gebrauch von zahlreichen semantischen Gegensätzen aus.84 Für den Abschnitt 6,1–11 wurde dies bereits näher erläutert. Innerhalb von 5,1–13 fällt vor allem die Unterscheidung von ‚drinnen‘ und ‚draußen‘ auf (ἔσω – ἔξω; V. 12f). Hier begegnet auch schon das Thema des Richtens, das Paulus dann im kommenden Abschnitt aufgreift: Während die Korinther in 6,1–6 angemahnt werden, sich nicht von Heiden, also von denen, die draußen sind, richten zu lassen, heißt es nun umgekehrt in 5,12f, dass die Korinther nicht die richten sollen, die draußen sind. Aber auch andere Begriffe, die in 6,1–11 für die Unterscheidung von Gemeinde und NichtGemeinde herangezogen werden, sind bereits in 5,1–13 belegt: So stellt Paulus der Gemeinde in 5,10 den κόσμος gegenüber. Auf der Seite des κόσμος nennt er in einem kurzen Lasterkatalog Unzüchtige, Habgierige, Räuber und Götzendiener. Die Aufgeführten werden in anderer Reihenfolge, im Singular und ergänzt durch die Ausdrücke ‚Verleumder‘ und ‚Säufer‘ in V. 11 nochmals genannt – hier im Gegenüber zur Bezeichnung ἀδελφός, die ja in 6,1–11 zur Bezeichnung der Gemeindeglieder dient, genauso wie in 6,9f ein Lasterkatalog zur Beschreibung der ἄδικοι dient.85 Dann stellt Paulus in 5,7 noch ‚alter Sauerteig‘ (παλαιὰ ζύμη) und ‚neuer Teig‘ (νέον φύραμα) einander gegenüber und unterscheidet damit nicht nur Gemeinde und außergemeindliche Umwelt, sondern auch Gegenwart und Vergangenheit der korinthischen Christen. Ähnlich dazu vergleicht er in 6,11 durch den Satz καὶ ταῦτά τινες ἦτε· die außergemeindliche Gegenwart mit der Vergangenheit der korinthischen Gemeinde. Beide Abschnitte beschäftigen sich folglich mit dem Verhältnis der Gemeinde zur außergemeindlichen Umwelt86, wobei Paulus auf einer strikten Trennung insistiert. Die christliche Gemeinde hat einen beson-

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wird“ (Merklein, 1Kor II, 26). – Alternativ ist denkbar, dass es sich bei den mit οὐκ οἴδατε eingeleiteten Fragen um rhetorische Fragen handelt. Doch auch dies würde bedeuten, dass Paulus den Inhalt der Fragen für selbstverständlich und nicht hinterfragbar hält. Vgl. zum Folgenden Merklein, 1Kor II, 25f. W.A. Meeks spricht von „language of separation“, vgl. dazu Meeks, Since then, 8ff. Der Lasterkatalog in 6,9f ist eine Umstellung und Erweiterung des vorherigen in 5,11. Alle drei Lasterkataloge „wollen nicht das sittliche Handeln nach der Vielfalt seines praktischen Vollzugs beschreiben, sondern bewußt undifferenziert und scharf die Grenzlinie zwischen der heiligen Gemeinde und der profanen Welt markieren.“ Vgl. dazu Merklein, 1Kor II, 43–45, Zitat: Ebd., 45. Vgl. Dinkler, Zum Problem, 167f (Hervorhebungen im Original): „Unser Abschnitt steht im Zusammenhang von Ausführungen, die das Verhältnis des Christen zur Welt betreffen, ja das Verhältnis von Gemeinde und Gesellschaft. ‚Glaube und Welt‘ – so könnte man auch das von Paulus seit Kap. 5 behandelte Thema bezeichnen.“

1Kor 5f

167

deren Status in der Welt, den Paulus in 1Kor 5,1 – 6,11 u.a. mit dem Ausdruck ‚heilig‘ beschreibt. Die Gemeinde muss sich diesem Status der Heiligkeit entsprechend verhalten und ihn – eben durch die Abgrenzung von der außergemeindlichen, nicht-heiligen Umwelt – bewahren.

6.3.3

1Kor 6,12–20: Der Einzelne für die Gemeinde

Bereits bei der Erläuterung der Gliederung von 1Kor 5f wurde erwähnt, dass der Abschnitt 6,12–20 eine gewisse Übergangsfunktion einnimmt, weil hier – wie auch in Kapitel 7 – stärker der einzelne Christ mit seinem Leib im Blick ist. Allerdings spricht Paulus die Christen durchaus als Gemeinschaft an, wenn er die Leiber als „Glieder Christi“ (μέλη Χριστοῦ) bezeichnet (V. 15) und sich somit aus der für jeden einzelnen geltenden Zuordnung zu Christus eine Gemeinsamkeit und damit auch eine Gemeinschaft ergibt. Thema ist erneut die πορνεία. An die Korinther ergeht die Forderung φεύγετε τὴν πορνείαν (V. 18) mit der Begründung, dass, wer Unzucht betreibt, Sünde am eigenen Leib begeht. Das wiederum wäre aus paulinischer Sicht undenkbar, wie in den letzten beiden Versen dieses Abschnitts (1Kor 6,19f) deutlich wird, die gleichzeitig den Höhepunkt bilden87: ἢ οὐκ οἴδατε ὅτι τὸ σῶμα ὑμῶν ναὸς τοῦ ἐν ὑμῖν ἁγίου πνεύματός ἐστιν οὗ ἔχετε ἀπὸ θεοῦ, καὶ οὐκ ἐστὲ ἑαυτῶν; ἠγοράσθητε γὰρ τιμῆς· δοξάσατε δὴ τὸν θεὸν ἐν τῷ σώματι ὑμῶν. Wie im vorhergehenden Abschnitt 6,1–11 begründet Paulus die ethische Mahnung (hier: „Flieht die Unzucht!“; in 6,1–11: „Führt keine Rechtsstreitigkeiten vor heidnischen Gerichten!“) mit einem abschließenden Verweis auf den Status der Christen.88 In 6,11 verwendet er dafür die Verben ἀπολούομαι (im Medium) sowie ἁγιάζω und δικαιόω (jeweils im Passiv). Hier nun schreibt Paulus über die Korinther, dass ihr Leib ein „Tempel des heiligen Geistes“ sei. Erneut werden die korinthischen Christen mit Heiligkeit in Verbindung gebracht, hier jedoch nicht so sehr die Gemeinde als ganze, sondern jeder Christ für sich als Tempel des heiligen Geistes. 89 Schon der Einstieg mit dem Satz „Alles ist mir erlaubt!“ (πάντα μοι ἔξεστιν; V. 12) verweist durch den Singular μοι darauf, dass es um Verhaltensentscheidungen des einzel–––––––––––––– 87 88 89

So Strack, Kultische Terminologie, 250. So auch Hanssen, Heilig, 69. Zur Metapher ‚Tempel‘ für die Christen s.u. S. 173ff.

168

Die korinthischen Christen als Heilige

nen geht. Im weiteren Verlauf des 1Kor wird jedoch deutlich, dass das, was von Nutzen ist (συμφέρειν; V. 1290), das ist, was anderen dient (vgl. 10,23f.33; 12,7). Im vorliegenden Zusammenhang sind „die anderen“ die Gemeinde, und damit wird die Sünde eines einzelnen (hier: πορνεία) auch zu einem Problem, das die Gemeinde und ihren Status tangiert und die Heiligkeit bedroht.91

6.3.4

Zusammenfassung

Die Heiligkeit der Gemeinde ist das übergreifende Thema des Briefabschnitts 1Kor 5f.92 Paulus hat von allerlei Zwischenfällen in der korinthischen Gemeinde gehört, zu denen er sich äußern möchte. Dies tut er auf einer fundamentalen Ebene, indem er auf die Differenz zwischen dem exklusiven Status der Korinther als Christen und ihrem konkreten Verhalten verweist. Zur Beschreibung des Status der korinthischen Gemeinde bedient sich Paulus – vor allem im Abschnitt 6,1–11 – auch der Heiligkeitsterminologie. Wichtiger Aspekt der Heiligkeit ist vor allem die Abgrenzung von der außerchristlichen, nicht-heiligen Umwelt.93 Thema des Briefabschnitts 1Kor 5f ist also weniger die πορνεία oder die Frage nach dem Umgang mit Rechtsstreitigkeiten, als vielmehr die Heiligkeit der Gemeinde und deren potentielle Gefährdung.94

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Zu συμφέρειν vgl. Wolter, ‚Let no one seek …‘, 199. So auch Merklein, 1Kor II, 72: „Da – paulinisch gesprochen – die anderen die Gemeinde sind, zu der das seine Freiheit suchende Subjekt selbst gehört, ist das individuell Zuträgliche vom ekklesial Nützlichen nicht zu trennen. Genau darum geht es Paulus in 6,12–20. Wer seine Freiheit im Sinne der Korinther praktiziert, verstößt gegen das eigene Wohl (vgl. V. 18). Im Kontext der Kapitel 5 und 6 ist dies aber zugleich ein Verstoß gegen die Heiligkeit der Gemeinde.“ Vgl. ebd., 26: „So wird man die Reinheit und Heiligkeit der Gemeinde als das übergreifende Thema betrachten dürfen, das 5,1–6,20 zusammenhält.“ Vgl. auch May, Body, 50. Vgl. May, Body, 17: „1 Corinthians 5–7 is repeatedly concerned with the boundaries of the Christian community.“ Vgl. Becker, Paulus, 203: „Alle Probleme in dem Abschnitt 5,1–6,20 haben noch eine konstitutive Gemeinsamkeit: Paulus behandelt sie vom Gesichtspunkt der Heiligkeit der Gemeinde her.“ Ähnlich, jedoch mit anderem Vokabular auch Hagenow, Heilige Gemeinde, 54: „Ebenso wie Kap 5 ist auch das sechste Kapitel des 1Kor von der paulinischen Heiligkeits- und Tempeltheologie durchzogen. Im Hintergrund beider Kapitel steht derselbe theologische Deutehorizont. Im Grunde geht es auch um die gleiche Problematik, nämlich um die Frage, wie die christliche Tempelexistenz bewahrt und nach außen abgegrenzt werden kann.“

1Kor 1,10 – 4,21

6.4

169

Heiligkeit und Heiligung im ersten Hauptteil des Briefes (1Kor 1,10 – 4,21)

1Kor 1,10 – 4,21 Den Kapiteln 5f geht mit 1Kor 1,10 – 4,21 ein größerer Abschnitt voraus, in dem Paulus sich zu Spaltungen (σχίσματα) und Streitigkeiten (ἔριδες) in der Gemeinde äußert, von denen er durch die Leute der Chloë erfahren hatte (vgl. 1,10f). Während Paulus sich in den Kapiteln 5 und 6 mit dem Status der Gemeinde in Abgrenzung zu ihrer außergemeindlichen Umwelt auseinandersetzt, behandelt er vorher in 1Kor 1,10 – 4,21 innergemeindliche Probleme.95 Innerhalb dieses Abschnitts sind für das vorliegende Thema aufgrund der darin vorkommenden Belege von ἅγιος bzw. ἁγιασμός zwei Textpassagen von Relevanz, und zwar 1Kor 1,30 (Abschnitt 6.4.1) und 1Kor 3,16f (Abschnitt 6.4.2).

6.4.1

1Kor 1,30: „Christus … uns … zur Heiligung“

In 1Kor 1,26–31 erinnert Paulus die Korinther an ihre Berufung (vgl. V. 26: βλέπετε γὰρ τὴν κλῆσιν ὑμῶν, ἀδελφοί), die sie von der Welt unterscheidet, und nimmt die aktuelle Gemeindesituation in den Blick.96 Über die Korinther sagt Paulus in V. 30: ἐξ αὐτοῦ δὲ ὑμεῖς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, ὃς ἐγενήθη σοφία ἡμῖν ἀπὸ θεοῦ, δικαιοσύνη τε καὶ ἁγιασμὸς καὶ ἀπολύτρωσις, Der erste Teil des Verses ist chiastisch aufgebaut 97: A ἐξ αὐτοῦ δὲ B ὑμεῖς ἐστε C ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ, C’ ὃς ἐγενήθη σοφία B’ ἡμῖν A’ ἀπὸ θεοῦ In der Mitte steht die Aussage, dass Christus Jesus Weisheit geworden ist (vgl. 1,24). Was das genau heißt, wird durch die Substantive δικαιοσύνη, ἁγιασμός und ἀπολύτρωσις erklärt und expliziert.98 Alle drei –––––––––––––– 95

96 97 98

Vgl. Konradt, Gericht, 296: „5,1–6,11 und 1,10–4,21 stehen damit in einem komplementären Verhältnis zueinander. Liegt dort der Ton auf dem Aspekt der Einheit, so ergänzt 5,1–6,11 dies durch Einschärfung der Grenzen christlicher Identität und christlicher Gemeinde.“ Vgl. Lindemann, 1Kor, 49. Vgl. Kammler, Kreuz und Weisheit, 138f. Vgl. ebd., 139 (Hervorhebung im Original): „Die Trias bildet vielmehr eine Epexegese, d.h. eine erklärende Näherbestimmung, zu dem sachlich übergeordneten und den Ton tragenden Begriff σοφία.“ So auch Schnelle, Gerechtigkeit, Anm. 111, 182. Ge-

170

Die korinthischen Christen als Heilige

Begriffe bezeichnen im Grunde dasselbe 99 und sind unbedingt als soteriologische Termini zu verstehen.100 Dies geht z.B. – auch wenn der Ausdruck ἁγιασμός dort fehlt – aus Röm 3,21–26 hervor.101 Die semantische Nähe von ἁγιασμός und δικαιοσύνη bei Paulus wird in Röm 6,19 deutlich.102 Die Zusammenstellung aller drei Substantive ist jedoch im Neuen Testament einmalig. Auffällig ist die Nähe zu 1Kor 6,11103, wo die Verben ἀπολούω, ἁγιάζω und δικαιόω parallel gesetzt sind.104 Der seltene Gebrauch von ἀπολύτρωσις bei Paulus (außer in 1Kor 1,30 und Röm 3,24 nur noch in Röm 8,23) und die für ihn einmalige Zusammenstellung aller drei Substantive sprechen dafür, dass Paulus hier auf einen den Korinthern geläufigen Sprachgebrauch zurückgreift.105 Dabei muss es sich jedoch nicht zwangsläufig um Tauftradition handeln.106 Die Aussage, dass Christus Jesus zur Weisheit geworden ist, dass er zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung wurde, bedeutet also, dass Rettung und Heil in dem mit Christus Jesus verknüpften Geschehen (Tod am Kreuz und Auferstehung) begründet liegen. ‚Christus Jesus‘ kann hier als eine Chiffre für das gesamte mit ihm verknüpfte Heilsgeschehen verstanden werden. Dass die Korinther Anteil an diesem Heil

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gen W. Bender, der 1Kor 1,30 folgendermaßen übersetzt: „Von ihm her seid ihr durch Christus Jesus – welcher uns von Gott zur Weisheit gemacht wurde – die Gerechtigkeit und die Heiligung und die Erlösung“ (Bender, Bemerkungen, 263). Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 144. Vgl. auch Stettler, Heiligung, 98. Vgl. dazu Barrett, 1Kor, 61. Vgl. dazu die Erläuterungen bei Stettler, Heiligung, 94f. Vgl. außerdem Röm 7,12 (ἡ ἐντολὴ ἁγία καὶ δικαία καὶ ἀγαθή) und Apg 3,14, wo von Jesus als dem Heiligen und Gerechten die Rede ist. Mitchell, Rich and Poor, 571 vergleicht die Texte 1Kor 6,1–11 und 1Kor 1,26–30: „Both texts show Paul trying to get the offenders to acknowledge a post-conversion change in their lives. Both texts are marked by sharp contrasts between what they once were and now are. The reminder of this change challenges their present situation, which is a return to their fomer lives whenever they rely on the benefits of their status in Corinthian society to the disadvantage of lower status people in the church.“ Dabei ist zu beachten, dass das Substantiv ἀπολύτρωσις und das Verb ἀπολούω nicht vom selben Wortstamm sind. Gegen Schnelle, Gerechtigkeit, 45: „Die triadische Formulierung von 1Kor 6,11bc findet sich in abgewandelter Form auch in 1Kor 1,30c, wobei wir hier die substantivischen Äquivalente in umgekehrter Reihenfolge finden.“ So Lindemann, 1Kor, 52: „Die Art, wie Paulus diese ganze Begrifflichkeit einführt, läßt darauf schließen, daß es sich um einen (auch für die Adressaten) geläufigen Sprachgebrauch handelt.“ Gegen Schnelle, Gerechtigkeit, 46: „Paulus bedient sich in 1Kor 1,30 traditioneller Taufbegrifflichkeit“. Vgl. dazu auch Wolff, 1Kor, 46.

1Kor 1,10 – 4,21

171

haben, bringt Paulus – der chiastischen Struktur des Verses entsprechend – zweifach zum Ausdruck: zum einen durch die Wendung ὑμεῖς ἐστε ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ107, zum anderen durch die explizite Aussage, dass Christus uns (ἡμῖν; Dativus commodi) zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung geworden ist. Das Pronomen ἡμῖν schließt die Korinther natürlich mit ein. Urheber dieser Heilszuwendung in Christus ist Gott selbst. Von dieser Aussage, ebenfalls zweifach angeführt, wird der vorliegende Text gerahmt: Aus Gott heraus (ἐξ αὐτοῦ) sind die Korinther in Christus Jesus, der zur Weisheit, und damit zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung wurde durch Gott (ἀπὸ θεοῦ). Die Adverbialbestimmung ἐξ αὐτοῦ bezieht sich an dieser Stelle ausdrücklich auf das Sein in Christus und nicht auf das Sein an sich (so in 1Kor 8,6 oder Röm 11,36). Dementsprechend sollte ἐστε hier unbedingt enklitisch verstanden werden.108 Und die Adverbialbestimmung ἀπὸ θεοῦ gilt nicht nur der σοφία109, sondern ebenso δικαιοσύνη, ἁγιασμός und ἀπολύτρωσις.110 Die Genitive αὐτοῦ und θεοῦ kennzeichnen Gott jeweils als Urheber (Genitivus auctoris) des in Christus begründeten und den Korinthern zuteilgewordenen Heils.111

Für das im vorliegenden Kontext entscheidende Substantiv ἁγιασμός gilt, dass es hier in einem Zusammenhang gebraucht wird, in dem Paulus die Korinther an ihren Status vor Gott erinnert, der sie von der Welt (vgl. V. 27f) und den darin Mächtigen (vgl. V. 26) unterscheidet. U.a. mit dem Begriff ἁγιασμός beschreibt und erläutert Paulus die Anteilhabe der Korinther am Heil.

–––––––––––––– 107 Zu ἐν Χριστῷ s.o. S. 147. Vgl. auch explizit zu 1Kor 1,30 Neugebauer, In Christus, 100: „ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ meint wiederum das Heilsgeschehen, das die korinthische Gemeinde bestimmt“. 108 Vgl. Wolff, 1Kor, 45, Anm. 123. 109 So Schnelle, Gerechtigkeit, 46. 110 Das Adverbial ἀπὸ θεοῦ wird im Neuen Testament regelmäßig innerhalb des Gnaden- und Friedenswunsches in den Präskripten der Briefe gebraucht: χάρις ὑμῖν καὶ εἰρήνη ἀπὸ θεοῦ πατρὸς ἡμῶν καὶ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ (1Kor 1,3, vgl. auch 2Kor 1,2; Gal 1,1; Eph 1,2; 6,23; Phil 1,2; Kol 1,2; 2Thess 1,2; 1Tim 1,2; 2Tim 1,2; Tit 1,4; Phlm 3). 111 So im Anschluss an Schrage, 1Kor I, 216 auch Thiselton, 1Kor, 189 (Hervorhebungen im Original): „On this basis the preposition governs a genitive of origin (from him), but also carries an added causal nuance: God is the ground of all things as well as their origin“.

172 6.4.2

Die korinthischen Christen als Heilige

1Kor 3,16f: Die korinthische Gemeinde als heiliger Tempel

Innerhalb des Abschnitts 1Kor 1,10 – 4,21 ist für den vorliegenden Zusammenhang noch eine weitere Stelle von Bedeutung, nämlich 1Kor 3,16f: 16 Οὐκ οἴδατε ὅτι ναὸς θεοῦ ἐστε καὶ τὸ πνεῦμα τοῦ θεοῦ οἰκεῖ ἐν ὑμῖν; 17 εἴ τις τὸν ναὸν τοῦ θεοῦ φθείρει, φθερεῖ τοῦτον ὁ θεός· ὁ γὰρ ναὸς τοῦ θεοῦ ἅγιός ἐστιν, οἵτινές ἐστε ὑμεῖς. An dieser Stelle werden die Korinther nur indirekt als heilig bezeichnet. Zunächst sagt Paulus in V. 17 vom Tempel Gottes, dass er heilig ist. Mit dem sich anschließenden οἵτινές ἐστε ὑμεῖς setzt er die Korinther dann mit dem Tempel Gottes gleich und spricht ihnen damit auch dessen Heiligkeit zu, und zwar als Gemeinde.112 Abgesehen von dem hier vorliegenden Textzusammenhang ist das Substantiv ναός (Tempel) in den paulinischen Briefen nur noch an zwei weiteren Stellen belegt und wird dort ebenfalls auf die Korinther bezogen. Zunächst 1Kor 6,19: ἢ οὐκ οἴδατε ὅτι τὸ σῶμα ὑμῶν ναὸς τοῦ ἐν ὑμῖν ἁγίου πνεύματός ἐστιν οὗ ἔχετε ἀπὸ θεοῦ, καὶ οὐκ ἐστὲ ἑαυτῶν; Hier werden die Korinther nicht als Gemeinde ‚Tempel‘ genannt, sondern Paulus setzt den Leib des einzelnen Christen mit dem Tempel des Heiligen Geistes gleich. In dem diesen Vers umgebenden Abschnitt 1Kor 6,12–20 stellt Paulus heraus, dass der Leib eines Christen nicht ihm selbst gehört, sondern dass er als jemand, in dem der heilige Geist ist, sich entsprechend verhalten und sich der πορνεία fernhalten sollte (V. 18). Vielmehr solle er Gott mit seinem Leib, der ja der Tempel des Heiligen Geistes ist, verherrlichen (V. 20).113 Der letzte Beleg für ναός in den paulinischen Briefen findet sich schließlich in 2Kor 6,16114: τίς δὲ συγκατάθεσις ναῷ θεοῦ μετὰ εἰδώλων; ἡμεῖς γὰρ ναὸς θεοῦ ἐσμεν ζῶντος, καθὼς εἶπεν ὁ θεὸς ὅτι ἐνοικήσω ἐν αὐτοῖς –––––––––––––– 112 Vgl. Thiselton, 1Kor, 316 (Hervorhebung im Original): „Here Paul is not saying that each individual Christian is a temple within which God’s Spirit dwells, but rather that the Spirit of God dwells in the Christian community corporately as a community.“ 113 Vgl. dazu auch Abschnitt 6.3.3, S. 167f. 114 Die literarkritischen Fragen zum Abschnitt 2Kor 6,14 – 7,1 können hier nicht diskutiert werden. Ich gehe von einer paulinischen Urheberschaft evtl. auf Grundlage einer vorgebildeten Tradition aus. So auch Strack, Kultische Terminologie, 259; Roloff, Kirche, 111, Anm. 58; Horn, Herodianischer Tempel, 186, Anm. 5. Anders Gräßer, 2 Kor I, 264f.

1Kor 1,10 – 4,21

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καὶ ἐμπεριπατήσω καὶ ἔσομαι αὐτῶν θεὸς καὶ αὐτοὶ ἔσονταί μου λαός. Hier ist mit dem Ausdruck ‚Tempel‘ nicht eine bestimmte christliche Gemeinde (z.B. die korinthische wie in 1Kor 3,16f), sondern die Christenheit in ihrer Gesamtheit bezeichnet.115 Mit ναός wird an den drei genannten Stellen eine Metapher 116 gebraucht, die den Korinthern vermutlich bekannt war. Dafür spricht das οὐκ οἴδατε („wisst ihr nicht“) in 1Kor 3,16 und 6,19.117 Auch die Gemeinschaft in Qumran hat sich mit dem Tempel gleichgesetzt (vgl. z.B. 1QS VIII,5–10).118 Allerdings war damit im Unterschied zur paulinischen Anwendung auf die Gemeinde immer eine Kritik am Tempelkult in Jerusalem verbunden.119 Der Tempel in Jerusalem ist nach Ansicht der Gemeinde in Qumran nicht mehr heilig und muss deshalb ersetzt werden. An seine Stelle tritt die Gemeinde selbst, die sich „als der wahre, von Gott begründete endzeitliche Tempel verstand“120. Eine solche Tempelkritik ist bei Paulus mit Sicherheit nicht intendiert. 121 Mit der Bezeichnung ‚Tempel‘ muss noch nicht einmal zwangsläufig der Jeru-

–––––––––––––– 115 Vgl. aber die ebenfalls sehr gut bezeugte Textvariante υμεις … εστε, die wie in 1Kor 3,16f für ein Verständnis der korinthischen Gemeinde als Tempel Gottes sprechen würde. Eine weitere weitaus schlechter bezeugte Textvariante liest ημεις γαρ ναοι θεου εσμεν, würde damit inhaltlich der Aussage von 1Kor 6,19 entsprechen und den Leib des Einzelnen mit dem Tempel Gottes gleichsetzen. 116 Dass es sich hier tatsächlich um eine Metapher handelt, ist eindeutig. Es ist nicht möglich, hier von „Redeweise im eigentlichen Sinn“ (so Strack, Kultische Terminologie, 234; vgl. auch Roloff, Kirche, 113) zu sprechen, da Paulus die Gemeinde kaum als ein reales Gebäude z.B. aus Stein verstanden haben wird, was aber unleugbar ein semantisches Merkmal des wörtlich verstandenen Tempels ist. Wenn Paulus die Gemeinde oder auch den Leib des einzelnen Christen metaphorisch als ‚Tempel‘ bezeichnet, so überträgt er damit zwar einzelne, aber eben nicht alle semantischen Merkmale des Tempels auf die Christen. Daher kann und sollte man durchaus von einer Metapher sprechen (so auch Hogeterp, Paul, 297). 117 Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 146.216–219; Strack, Kultische Terminologie, 231. Nach Becker, Gemeinde, 10ff handelt es sich bei 1Kor 3,16f um vorpaulinische Tradition. 118 Vgl. dazu Schiffman, Community, 272–274; Vahrenhorst, Kultische Sprache, 46–49; Horn, Herodianischer Tempel, 190f; Brooke, Dead Sea Scrolls, 13f. 119 Vgl. dazu Schiffman, Community, 280: „the Jews of the Qumran sect were separated because of their disapproval of the manner in which the Jerusalem priesthood conducted Temple worship“. 120 Roloff, Kirche, 113. Vgl. auch Schüssler Fiorenza, Cultic Language, 166. 121 Böttrich, „Ihr seid der Tempel Gottes“, 414 spricht von einem „grundsätzlich positive[n], jedoch an der Tora bemessene[n] Verhältnis des Paulus gegenüber dem Tempel“. Vgl. auch das Ergebnis bei Horn, Herodianischer Tempel.

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salemer Tempel im Blick sein122, zumal seinen korinthischen Lesern andere Tempel sehr viel vertrauter gewesen sein dürften.123 Vielmehr wird Paulus mit ναός einfach auf das Gebäude anspielen, das sowohl Juden als auch Heiden als Ort der Anwesenheit Gottes bekannt war. 124 Um überhaupt verstanden werden zu können, braucht eine Metapher immer eine semantische Schnittmenge mit dem Gegenstand, auf den sie angewandt wird. Wenn Paulus die Christen als Tempel bezeichnet, so spielt er damit immer nur auf bestimmte Merkmale des Tempels an125: 1. In 2Kor 6,16 wird – eingeleitet durch καθὼς εἶπεν ὁ θεὸς – mit einem alttestamentlichen Zitat aus Lev 26,12 eine Begründung für die Gleichsetzung der Christen mit dem Tempel gegeben. Ein semantisches Merkmal des Tempels, auf das hier angespielt wird, ist demnach die Anwesenheit Gottes. So war gerade der Tempel für Juden ein Ort, an dem Gott unter ihnen wohnt (vgl. z.B. Ex 25,8; Ez 37,27f). 126 Aber auch Nicht-Juden war der Tempel als Ort der Anwesenheit einer Gottheit bekannt.127 Dieses Moment ist für Paulus entscheidend, wenn er die christliche Gemeinde bzw. den Leib des einzelnen Christen als Tempel bezeichnet. So rekurriert er auch in 1Kor 3,16 und 6,19 zwar nicht direkt auf die Anwesenheit Gottes, aber doch auf das Wohnen bzw. Sein

–––––––––––––– 122 Gegen Hagenow, Heilige Gemeinde, 22; Stettler, Heiligung, 99; Horn, Herodianischer Tempel, 188. 123 Vgl. Böttrich, „Ihr seid der Tempel Gottes“, 414: „[S]eine [des Paulus, M. B.] heidenchristlichen Adressaten mußten viel eher die Gestalt und Funktion der zahlreichen Tempel in ihrer unmittelbaren Umgebung assoziieren.“ 124 In diesem Zusammenhang ist die zentrale These der Habilitationsschrift von M. Vahrenhorst (Kultische Sprache in den Paulusbriefen, Tübingen 2008) interessant, der zufolge Paulus kultische Terminologie bewusst einsetzt, weil Juden und Heiden auf diesem Gebiet die gleiche Sprache sprechen (zur Auseinandersetzung mit Vahrenhorst vgl. Kapitel 7.1, S. 186ff). Zum Motiv des Tempels schreibt Vahrenhorst, ebd., 154: Es erscheint „in besonderer Weise dazu geeignet, eine Brücke zwischen den biblisch-jüdischen Denkvoraussetzungen des Apostels und denen der nichtjüdischen Adressaten des Briefes zu schlagen. Der Bereich der Tempelterminologie erweist sich als ‚common ground‘, auf dem sich Juden und Nichtjuden ihrer Identität und ihrer Verantwortung vor Gott vergewissern können“. Vgl. auch Barrett, 1Kor, 90; Böttrich, „Ihr seid der Tempel Gottes“, 422. 125 Auf die im Folgenden ausgeführten Merkmale Ort der Anwesenheit Gottes und Heiligkeit verweist auch Horn, Herodianischer Tempel, 186f. 126 Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 148–152. 127 Vgl. ebd., 145.153.

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des Geistes in der Gemeinde bzw. im Leib.128 Die Gemeinde ist also Tempel Gottes, da Gott in ihr anwesend ist.129 2. Zur Schnittmenge zwischen Tempel und christlicher Gemeinde zählt außerdem die Heiligkeit. Dass ein Tempel heilig ist (1Kor 3,17), ist im Grunde eine triviale Aussage.130 Das Adjektiv ἅγιος und Stammverwandte gehören sowohl für Juden als auch für Heiden selbstverständlich zum semantischen Feld ‚Kult‘.131 Der Tempel (oftmals auch als Heiligtum bezeichnet) ist heilig, genauso wie die Kultgegenstände, die Opfergaben und das Kultpersonal heilig sein müssen. Auf der anderen Seite ist aus vielen paulinischen Aussagen und nicht zuletzt der Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι bekannt, dass die christliche Gemeinde heilig ist. Besonders 1Kor 3,17 legt nahe, in dem Merkmal der Heiligkeit ebenfalls eine entscheidende Gemeinsamkeit zwischen Tempel und Gemeinde zu sehen. Doch auch in den anderen Textstellen, in denen ναός belegt ist, wird auf die Heiligkeit angespielt: So ist in 1Kor 6,19 vom ‚Tempel des heiligen Geistes‘ die Rede. Da Paulus den Geist nur selten explizit heilig nennt, wird man darin eine bewusste Akzentsetzung sehen können.132 In 2Kor wird am Schluss des Abschnitts 6,14 – 7,1 in einer Reihe von Wendungen, die aus dem Bereich des Kultes bekannt sind, u.a. auch dazu aufgerufen, die Heiligkeit (ἁγιωσύνη) zu vollenden (7,1). Paulus verweist also mit der Metapher ‚Tempel‘ auf die Heiligkeit der christlichen Gemeinde. Letzteres gilt auch für die ebenfalls aus dem Bereich des Kultes stammende Metapher ‚Opfer‘, die Paulus im Röm an zwei Stellen gebraucht. So ermahnt er die Römer in 12,1, dass sie ihre Leiber hingeben als ein lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer (θυσία). Eher außergewöhnlich und im Grunde paradox ist die Vorstellung eines lebendigen (ζῶσα) Opfers.133 Im Grunde tautologisch sind dagegen die Hinweise, dass das Opfer heilig (ἁγία) und Gott wohlgefällig (εὐάρεστος τῷ θεῷ) sein sollte.134

–––––––––––––– 128 Dabei ist der Geist nichts anderes als die Anwesenheit Gottes. Vgl. dazu den Exkurs Der heilige Geist und die Heiligen, S. 131. 129 Vgl. Roloff, Kirche, 113: „Tempel ist die Gemeinde in dem Sinne, daß sie der Ort des Wohnens Gottes ist.“ 130 Vgl. dazu z.B. Ps 65,5, aber auch die alttestamentliche Bezeichnung ἅγιον bzw. ‫ק ֶֹדשׁ‬ für den Tempel. Auch nach Lindemann, 1Kor, 90 handelt es sich bei der Äußerung, dass der Tempel Gottes heilig ist (1Kor 3,17), um eine „inhaltlich selbstverständliche […] Aussage“. 131 Vgl. dazu Kapitel 7.1, S. 186ff. 132 Vgl. dazu den Exkurs Der heilige Geist und die Heiligen, S. 131. 133 Vgl. Stettler, Heiligung, 206. 134 Vgl. Vahrenhorst, Kultische Sprache, 298: „Dass ein Opfer Gott gefallen soll, ist in kultischer Logik ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, dass es heilig ist.“ Vgl. z.B. Ex 29,33; 30,37; Lev 22,1–7.

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Auch in 15,16 nennt Paulus beim Gebrauch der Metapher ‚Opfer‘ (hier προσφορά) explizit dessen Gottwohlgefälligkeit und Heiligkeit.

3. Ein weiterer Aspekt der semantischen Schnittmenge von Tempel und Gemeinde kommt vor allem in dem Textabschnitt 2Kor 6,14 – 7,1 zum Ausdruck. Der Tempel war – räumlich betrachtet – von seiner Umwelt abgetrennt und aus ihr herausgehoben. Für den Raum des Tempels galten besondere Regeln. Nicht jeder durfte ihn unter allen Umständen betreten. Diese Abgrenzung von der Außenwelt soll nun auch für die christliche Gemeinde gelten. So ist in 2Kor 6 mit der Aussage, Tempel Gottes zu sein, auch die Forderung verbunden, sich auszusondern (V. 17). Außerdem zeichnen sich die Verse 14–16 durch zahlreiche Oppositionspaare aus, die die Abgrenzung der Gemeinde von ihrer außergemeindlichen Umwelt verstärken.135 Die Gemeinde ist also auch deshalb Tempel, weil sie aus ihrer Umwelt herausgehoben ist. Innerhalb des 1Kor gebraucht Paulus die Metapher vom Tempel, um die Korinther an ihren Status vor Gott zu erinnern. In 1Kor 6,19 wendet er sich an die einzelnen Christen und begründet mit der Aussage τὸ σῶμα ὑμῶν ναὸς τοῦ ἐν ὑμῖν ἁγίου πνεύματός ἐστιν die zuvor geäußerten ethischen Mahnungen.136 Aus der Tatsache, dass die Leiber ‚Tempel des heiligen Geistes‘ sind, ergibt sich für Paulus die Verpflichtung zu einem bestimmten ethischen Verhalten. Nach 1Kor 3,16f ist die ganze korinthische Gemeinde Tempel Gottes.137 Doch auch hier begründet Paulus letztlich mit dem Tempel-Sein der Gemeinde seine Kritik an der aktuellen Situation in Korinth (vgl. 3,1–4).138 Die Metapher des Tempels benutzt Paulus in erster Linie dazu, den Status der Christen zu benennen. Damit dient sie der eigenen Identitätsfindung und gleichzeitig der äußeren Abgrenzung. Mit dem gemeindlichen Status des Tempel-Seins und der damit verknüpften Heiligkeit verbindet Paulus jedoch auch eine Verpflichtung. So sagt er in 1Kor 3,17 vom Tempel Gottes, dass er nicht zerstört werden darf (φθείρειν). Dies gilt für das Tempelgebäude genauso wie für die Gemeinde Gottes, die hier metaphorisch als Tempel bezeichnet –––––––––––––– 135 Vgl. δικαιοσύνη vs. ἀνομία (V. 14); φῶς vs. σκότος (V. 14); Χριστός vs. Βελιάρ (V. 15); πιστός vs. ἄπιστος (V. 15); ναός θεοῦ vs. εἴδωλον (V. 16). Vgl. dazu auch Gräßer, 2Kor I, 257–261. 136 S.o. Abschnitt 6.3.3, S. 167f. 137 In Anlehnung an F. W. Horn gebraucht S. Hagenow zur Beschreibung des Status der Christen den Begriff der „christlichen Tempelexistenz“ (Hagenow, Heilige Gemeinde, 18; vgl. Horn, Wandel, 164). 138 Vgl. auch Lindemann, 1Kor, 90: „Der von Paulus in 3,1–17 vorgetragene Argumentationsgang ist klar und zielgerichtet: Paulus weiß – und die Adressaten sollten es ebenso wissen (V. 16) –, daß die Gemeinde ‚der heilige Tempel Gottes‘ ist. Die wahrnehmbare Situation in Korinth entspricht dem aber nicht“.

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wird. Da Paulus im Abschnitt 1Kor 1,10 – 4,21 angesichts drohender Spaltungen (vgl. 1,10) zur Einigkeit innerhalb der Gemeinde mahnt, kann man davon ausgehen, dass er – im Bild gesprochen – gerade in den Spaltungen und Streitigkeiten der Gemeinde die Gefahr der Zerstörung des Tempels sieht und darum erneut Einigung anmahnt. Der Verweis auf den Status als Tempel Gottes dient damit nicht zuletzt zur Begründung paränetischer Aussagen.

6.5

Die Heiligkeit des Einzelnen (1Kor 7)

1Kor 7 Mit Kapitel 7 beginnt der Teil des 1Kor, in dem Paulus auf konkrete Anfragen der korinthischen Gemeinde eingeht (vgl. 7,1: περὶ δὲ ὧν ἐγράψατε). Zunächst äußert er sich zu Fragen der Ehe, der Ehelosigkeit und der Ehescheidung. Wie schon in dem vorherigen Abschnitt 6,12–20 sind hier stärker die einzelnen Christen mit den sie betreffenden Problemen im Blick als die Gemeinde in ihrer Gesamtheit (so in den Kapiteln 1–6). Innerhalb des Kapitels zu Ehe, Ehelosigkeit und Ehescheidung kommt Paulus an zwei Stellen auf die christliche Heiligkeit zu sprechen, und zwar in V. 14 (Abschnitt 6.5.1) und V. 34 (Abschnitt 6.5.2). Im Unterschied zu den bislang besprochenen Texten zur christlichen Heiligkeit ist hier entsprechend der Thematik auch von der Heiligkeit des Einzelnen und nicht der Gemeinde die Rede.

6.5.1

1Kor 7,14: Ansteckende Heiligkeit

Unter anderem beschäftigt die Korinther die Frage, ob der Status von Christen gefährdet ist, wenn sie ungläubige Partner haben, und ob sie sich deshalb besser scheiden lassen sollten.139 Paulus bezieht dazu Position und erläutert den Korinthern seine eigene Meinung (1Kor 7,12–16). Wenn der ungläubige Partner die Scheidung wünscht, so darf sie vollzogen werden (V. 15). Es gibt jedoch für den christlichen Partner keinen Grund, von sich aus die Scheidung einzufordern, denn – so kann Paulus in V. 14 die Sorge der Korinther abwenden –:

–––––––––––––– 139 Vgl. Blinzler, Heiligkeit der Kinder, 160f.

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ἡγίασται γὰρ ὁ ἀνὴρ ὁ ἄπιστος ἐν τῇ γυναικὶ καὶ ἡγίασται ἡ γυνὴ ἡ ἄπιστος ἐν τῷ ἀδελφῷ· ἐπεὶ ἄρα τὰ τέκνα ὑμῶν ἀκάθαρτά ἐστιν, νῦν δὲ ἅγιά ἐστιν.140 Paulus begründet seine These, dass ein Ungläubiger durch seinen christlichen Ehepartner geheiligt ist, damit, dass sonst deren Kinder unrein wären. Dass die Kinder eines Christen rein sind, schien für die Korinther außer Frage zu stehen und daher eine ausreichende Antwort zu sein.141 Die Frage ist nun, wie Paulus Heiligkeit hier versteht. Gegensatz zu ‚heilig‘ ist in der zweiten Vershälfte das Adjektiv ‚unrein‘ (ἀκάθαρτος). Aus kultischen Zusammenhängen ist es Juden und Griechen bekannt, dass der Kontakt mit dem Heiligen, z.B. dem Tempel (= Heiligtum), Reinheit voraussetzt und somit Unreinheit und Heiligkeit einander ausschließen.142 Befremdlich ist vor allem die Tatsache, dass Heiligkeit offensichtlich übertragbar zu sein scheint 143 – auch wenn der ungläubige Partner nicht in demselben Sinne geheiligt ist wie der gläubige Partner als Christ: Der Partner ist zwar ein ‚Geheiligter‘, aber eben noch kein ‚Geretteter‘ (vgl. V. 16).144 Das damit verbundene dingliche Verständnis von Heiligkeit145 ist in den Paulusbriefen zwar sonst nicht in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht (vgl. aber z.B. Röm –––––––––––––– 140 Vgl. 1Clem 46,2: „Denn die Schrift sagt: ‚Haltet euch an die Heiligen, denn wer sich an sie hält, wird selbst heilig.‘“ (zit. nach Berger/Nord, NT und frühchristliche Schriften, 713). 141 Vgl. Merklein, 1Kor II, 121: „Man wird bezweifeln dürfen, ob die Korinther und Korintherinnen die ‚Übertragung‘ von Heiligkeit überhaupt reflektiert haben. Sie werden mehr oder minder selbstverständlich vorausgesetzt haben, daß ihre Kinder heilig bzw. wenigstens nicht unrein sind. Gerade wegen dieser Selbstverständlichkeit kann Paulus V. 14b als Argument für V. 14a verwenden.“ So auch Vahrenhorst, Kultische Sprache, 177. 142 Zum Zusammenhang der paulinischen Rede von Heiligkeit und Kult vgl. Kapitel 7.1, S. 186ff. 143 In diesem Zusammenhang ist nicht weiter wichtig, wodurch die Heiligkeit konkret übertragen wird, zumal der Text selbst darüber keine Auskunft gibt. Vgl. dazu Delling, Nun aber. 144 Vgl. Blinzler, Heiligkeit der Kinder, 171: „Er [der ungläubige Partner] ist zwar ein Geheiligter, aber nicht, was zum Vollsinn dieses Wortes gehört, ein Geretteter […]. Die Heiligkeit, besser: das Geheiligtsein des ungläubigen Gatten ist also ohne soteriologische Wirkung, nicht identisch mit der sakramentalen Heiligkeit.“ 145 Nach W. Schrage liegt hier ein „objektiver, wenn nicht gar dinglich-magischer Heiligkeitsbegriff“ (Schrage, 1Kor II, 105) vor. K. Berger spricht von dem Phänomen der „offensiven Heiligkeit/Reinheit“, die er definiert als eine „Reinheit, die sich von ihrem Träger aus verbreitet, die ‚ansteckend‘ ist, die Unreines rein machen kann, die sich ausbreitet und die expansiv ist, damit auch missionarisch und universalistisch“ (Berger, Jesus als Pharisäer, 240). Vgl. dazu ausführlich ebd., 240ff.

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11,16146), muss aber deshalb noch kein Problem darstellen147, denn: „Für den antiken Menschen war Heiligkeit selbstverständlich etwas Dingliches, erfahrbar in den Tempeln und den kultischen Handlungen.“ 148 Nach Paulus ist der ungläubige Mann also geheiligt ἐν τῇ γυναικί und die ungläubige Frau ist geheiligt ἐν τῷ ἀδελφῷ. Bereits im Zusammenhang der Besprechung von 1Kor 1,2 wurde deutlich, dass ἐν zunächst instrumental aufgefasst werden kann. 149 Allerdings ist es nicht der Partner selbst, der die Heiligkeit bewirkt, sondern allein der Zustand, dass die Ehefrau „gläubig“150 bzw. der Ehemann ein „Bruder“ ist, bewirkt das Geheiligtsein des Ungläubigen. 151 Der Handelnde der Heiligung ist Gott.152 Die Präposition ἐν markiert hier – ähnlich wie in der Wendung ἐν Χριστῷ (Ἰησοῦ) – die Zugehörigkeit: Aufgrund der mit der Ehe festgeschriebenen Zugehörigkeit zu einer Christin bzw. einem Christen ist auch der bzw. die Ungläubige geheiligt. Es ist nicht zu leugnen, dass Paulus den Begriff ‚heilig‘ in 1Kor 7,14 anders verwendet als sonst. Der gravierende Unterschied zu allen anderen paulinischen Belegen für das Adjektiv ἅγιος und Stammverwandte besteht darin, dass ‚heilig‘ hier nicht gleichzusetzen ist mit ‚gläubig‘, ‚gerettet‘ (vgl. V. 16) oder anachronistisch gesprochen mit ‚christlich‘. Hier – und innerhalb den paulinischen Briefe nur hier – sind Nichtchristen Heilige.153 Versucht man zu beantworten, warum –––––––––––––– 146 Zu Röm 11,16 s.u. S. 201ff. 147 Dazu richtig Hanssen, Heilig, 44: „Vielleicht entscheidet sich das Verständnis des Ganzen der paulinischen Theologie immer wieder gerade daran, ob und inwiefern man solche Ausnahmen zu integrieren vermag – wenn man nämlich zu verstehen versucht, inwiefern für Paulus evtl. mehr oder weniger selbstverständlich dazugehören kann, was uns heute fremd (und vielleicht nur deshalb als Ausnahme) erscheint.“ 148 Merklein, 1Kor II, 119. 149 S.o. S. 147f. So auch Wolff, 1Kor, 144. 150 Einige Handschriften ergänzen ἐν τῇ γυναικὶ durch τη πιστη. 151 Vgl. Neugebauer, In Christus, 43: „Auf jeden Fall ist aber zu betonen, daß hier die Frau nicht als Frau, als geschlechtliche Größe steht – so versteht es die dingliche Deutung der Heiligkeit –, sondern als das, was sie geworden ist: πιστή. Dasselbe gilt vom Mann. Der Mann ist geheiligt in dem Umstand, daß die Frau πιστή ist, und die Frau darin, daß der Mann ἀδελφός ist.“ Vgl. auch Blinzler, Heiligkeit der Kinder, 173: „…, daß nicht das subjektive Verhalten des ungläubigen Gatten entscheidend ist, sondern der Umstand, daß seine Frau gläubig und als solche ‚heilig‘ ist.“ So auch Zeller, 1Kor, 246. 152 Vgl. Lindemann, 1Kor, 165: „Das Perf. Pass. ἡγίασται (vgl. dazu 6,11) bezeichnet einen bestehenden Zustand, dessen Urheber Gott ist; ἐν verweist auf die ‚Mittlerstellung‘ der Frau bzw. des Mannes.“ Vgl. auch Delling, Nun aber, 88f. 153 Vahrenhorst, Kultische Sprache, 178: „Trotzdem fällt auf, dass Paulus das Wortfeld Heiligkeit hier in einer Weise gebraucht, die zu der sonstigen Verwendung im Cor-

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Paulus an dieser Stelle von seiner üblichen Verwendungsweise abweicht, wird man sich die Kommunikationssituation ins Gedächtnis zu rufen haben: Paulus reagiert hier auf eine konkrete Anfrage der Korinther, und zwar auf die Befürchtung, die Unreinheit des ungläubigen Ehepartners könne den Status eines Christen gefährden. Es geht Paulus hier also weniger um den Zustand des Ungläubigen als vielmehr um den Status des Gläubigen, der als Gemeindemitglied ja schließlich auch Adressat des Briefes ist. Mit der Aussage, dass der Ungläubige durch seinen gläubigen Ehepartner geheiligt ist, betont Paulus also zuallererst, „daß der Christ durch die bestehende ‚Mischehe‘ nicht gefährdet wird […], weil Gottes heiligende Kraft (ἡγίασται; pass. divinum) stärker ist als der Unglaube des anderen“ 154. Die Heiligkeit des ungläubigen Ehepartners wird hier also als „Bedingung des familiären Zusammenlebens“155 aufgefasst, von der Paulus 1Kor 7,14 bestätigt, dass sie gegeben ist und damit also die Heiligkeit des Christen nicht gefährdet ist.156

6.5.2

1Kor 7,34: Die Heiligkeit der Unverheirateten

Auch in 1Kor 7,34 geht es um die Heiligkeit des einzelnen Christen, konkret um die unverheiratete Frau, von der Paulus sagt, dass sie sich im Gegensatz zur Verheirateten um die Dinge des Herrn kümmern kann, ἵνα ᾖ ἁγία καὶ τῷ σώματι καὶ τῷ πνεύματι. Was ist damit an dieser Stelle gemeint? Im näheren Kontext (V. 32–34) sind vier parallel aufgebaute Sätze aneinander gereiht157:

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pus Paulinum in Kontrast steht. Heiligkeit ist ansonsten durch die Zugehörigkeit zu Christus definiert. Heilig ist geradezu ein Synonym für gläubig. Hier ist es nun gerade ein ungläubiger Mensch, einer, der nicht zu Christus gehört, der geheiligt wird.“ So auch May, Body, 253 zu 1Kor 7,14: „There, holiness was certainly being used in a manner inconsistent with Paul’s usual restriction of it to those who are in Christ.“ Vgl. auch Stettler, Heiligung, 461. Lindemann, 1Kor, 165. Auch nach W. Schrage „liegt der ganze Akzent auf der Stellung des Christen und nicht auf dem Status des Nichtchristen, d.h. auf der Tatsache, daß Christen in den Weltbezügen keine Verunreinigung zu befürchten haben und auch in der Ehe dem Zugriff fremder Mächte entzogen sind“ (Schrage, 1Kor II, 106). Hanssen, Heilig, 36. Dass Paulus ausgerechnet auf der Heiligkeit des nichtgläubigen Partners insistiert, könnte in Esr 9,1f begründet liegen, wo das Verbot der Ehen mit Angehörigen anderer Völker mit der Heiligkeit Israels begründet wird (vgl. Dtn 7,3.6). Vgl. Stettler, Heiligung, 113f. Eine ähnliche Tabelle findet sich auch bei Stettler, Heiligung, 116f.

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1Kor 7

V. 32b

ὁ ἄγαμος

μεριμνᾷ

τὰ τοῦ κυρίου,

πῶς ἀρέσῃ τῷ κυρίῳ·

V. 33

ὁ δὲ γαμήσας

μεριμνᾷ

τὰ τοῦ κόσμου,

πῶς ἀρέσῃ τῇ γυναικί, καὶ μεμέρισται.

V. 34a

καὶ ἡ γυνὴ ἡ ἄγαμος καὶ ἡ παρθένος

μεριμνᾷ

τὰ τοῦ κυρίου,

ἵνα ᾖ ἁγία καὶ τῷ σώματι καὶ τῷ πνεύματι·

V. 34b

ἡ δὲ γαμήσασα

μεριμνᾷ

τὰ τοῦ κόσμου,

πῶς ἀρέσῃ τῷ ἀνδρί.

Paulus stellt hier Verheiratete und Nichtverheiratete, Frauen und Männer einander gegenüber. Dabei ergänzt er dreimal das Sorgen um die Sache des Herrn bzw. der Welt durch die Anmerkung, „wie es dem Herrn bzw. dem Ehepartner gefalle“. Nur im Falle der unverheirateten Frau lautet die Anmerkung ἵνα ᾖ ἁγία καὶ τῷ σώματι καὶ τῷ πνεύματι. Dieser Nebensatz ist hier aber genauso zu verstehen wie πῶς ἀρέσῃ τῷ κυρίῳ in V. 32b. Es geht also um die ungeteilte Übereinstimmung mit der Sache des Herrn.158 Durch die Wendung καὶ τῷ σώματι καὶ τῷ πνεύματι wird die Ganzheitlichkeit der Ausrichtung auf den Herrn betont.159 Warum Paulus nicht einfach das Verb ἀρέσκειν gebraucht, ist nicht eindeutig zu klären. A. LINDEMANN vermutet, dass er hier jede Anzüglichkeit in dem Verhältnis einer unverheirateten Frau zum Herrn zu vermeiden sucht. 160 In jedem Fall bringt die Wendung ἁγία καὶ τῷ σώματι καὶ τῷ πνεύματι ein besonderes Verhältnis zu Gott zum Ausdruck und ist hier nicht als ethische Qualität zu verstehen, sondern als „statusrechtlich relevante Besonderung“161 derer, die sich um die Sache des Herrn kümmern.

–––––––––––––– 158 So auch Lindemann, 1Kor, 181. 159 Paulus spricht in der Tat öfter von einer leiblichen Heiligkeit. Vgl. neben 1Kor 7,34 auch Röm 6,19 (οὕτως νῦν παραστήσατε τὰ μέλη ὑμῶν δοῦλα τῇ δικαιοσύνῃ εἰς ἁγιασμόν); 12,1 (metaphorisch: παραστῆσαι τὰ σώματα ὑμῶν θυσίαν ζῶσαν ἁγίαν εὐάρεστον τῷ θεῷ); 2Kor 7,1 (καθαρίσωμεν ἑαυτοὺς ἀπὸ παντὸς μολυσμοῦ σαρκὸς καὶ πνεύματος, ἐπιτελοῦντες ἁγιωσύνην ἐν φόβῳ θεοῦ); 1Thess 5,23 (ὁ θεὸς τῆς εἰρήνης ἁγιάσαι ὑμᾶς ὁλοτελεῖς, καὶ ὁλόκληρον ὑμῶν τὸ πνεῦμα καὶ ἡ ψυχὴ καὶ τὸ σῶμα). Vgl. dazu Hanssen, Heilig, 44–49. 160 Vgl. Lindemann, 1Kor, 181. 161 Hanssen, Heilig, 47.

182

Die korinthischen Christen als Heilige

6.6 Zusammenfassung: Heiligkeit als Status im 1. Korintherbrief Zusammenfassung Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass Paulus auf die Heiligkeit der korinthischen Gemeinde nur im ersten Teil des 1Kor zu sprechen kommt. Zwar ist die Bezeichnung οἱ ἅγιοι auch in den Versen 14,33b; 16,1 und 16,15 belegt, die Heiligkeit der so titulierten Gruppen wird an diesen Stellen jedoch nicht explizit thematisiert, sondern οἱ ἅγιοι wird dort im Sinne einer eingeführten Gruppenbezeichnung gebraucht.162 Eine gewisse Sonderstellung unter den Textabschnitten, in denen Paulus sich mit der christlichen Heiligkeit auseinandersetzt, nehmen die Belege in 1Kor 7 (V. 14 und V. 34; s.o. Abschnitt 6.5) ein, da es dort um die Heiligkeit des einzelnen Christen in alltäglichen Situationen geht. Die Heiligkeit der christlichen Gemeinde in Korinth thematisiert Paulus also nur im ersten Abschnitt des 1Kor (Kapitel 1–6). Von den nachfolgenden Kapiteln unterscheidet sich dieser Teil des Briefes dadurch, dass Paulus hier keine konkreten Anfragen beantwortet – wie ab Kapitel 7 (vgl. 7,1: περὶ δὲ ὧν ἐγράψατε) –, sondern auf ihm bekannt gewordene Missstände in der Gemeinde reagiert (vgl. 1,11: ἐδηλώθη γάρ μοι περὶ ὑμῶν … ὑπὸ τῶν Χλόης oder 5,1: Ὅλως ἀκούεται ἐν ὑμῖν πορνεία …). In den Kapiteln 1–6 geht es um grundsätzliche Fragen, die Paulus von sich heraus anspricht.163 Die Heiligkeit der Korinther spielt dabei eine entscheidende Rolle. Dafür spricht schon allein die Verteilung der Belege für ἅγιος und Stammverwandte innerhalb der ersten Briefhälfte: Zum einen tituliert Paulus die Korinther gleich in der ausgedehnten adscriptio des Briefes (1,2) auf zweifache Weise als Heilige (s.o., Abschnitt 6.1). Zum anderen widmet er sich in 1Kor 6,1– 11 und im gesamten Abschnitt 1Kor 5f zum Schluss des ersten Teils nochmals ausführlich der Heiligkeit der Gemeinde (s.o. Abschnitt 6.2 und 6.3). Dazwischen stehen je ein für das vorliegende Thema relevanter Beleg für ἁγιασμός (1,30, s.o. Abschnitt 6.4.1) und ἅγιος (3,17, s.o. Abschnitt 6.4.2). Entscheidend ist, dass Paulus nicht zur Heiligkeit mahnt, sondern ihm die Heiligkeitsterminologie zur Beschreibung des Status der Korinther dient. So erinnert er die Korinther sowohl im näheren Kontext von 1,30 als auch im Kontext von 3,16f zur Bekräftigung und Begründung seiner Mahnung zur Einheit an ihren Status vor Gott. Genau dazu –––––––––––––– 162 Vgl. dazu Kapitel 4, S. 78ff. 163 Vgl. Thiselton, 1Kor, 381: „If 7:1–11:1 legitimate some form of ‚situation ethics,‘ 5:1– 6:20 demonstrate that certain moral principles stand above and beyond situational variables.“

Zusammenfassung

183

bedient er sich u.a. der Heiligkeitsterminologie. In ähnlicher Weise begründet Paulus auch in 6,1–11 seine Kritik an einer konkreten Verhaltensweise der Gemeindeglieder (das Austragen von Rechtsstreitigkeiten vor außergemeindlichen Gerichten) mit der Heiligkeit der Gemeinde. Die Heiligkeit der korinthischen Gemeinde ist für Paulus in erster Linie ein Identitätsmerkmal. Sie ist nur insofern zu hinterfragen, als auch das Christsein der Korinther zu hinterfragen ist. Die Tatsache, dass er das Thema ‚Heiligkeit‘ im 1Kor trotzdem aufgreift, ist darin begründet, dass die Korinther sich ihrer Heiligkeit offenbar nicht immer bewusst waren oder aus ihrem Status als Heilige aus paulinischer Sicht nicht die notwendigen bzw. sogar falsche Konsequenzen gezogen haben. In seinem Brief, besonders im ersten Teil, erinnert Paulus die Korinther an ihren Status als Heilige und erläutert die daraus folgenden notwendigen und richtigen Konsequenzen. Dies ist zum einen die Einheit nach innen – deshalb moniert Paulus in 1Kor 1,10 – 4,21 die in der Gemeinde vorherrschenden Spaltungen – und zum anderen die Abgrenzung nach außen. Letzteren Punkt verhandelt Paulus vornehmlich in 1Kor 5f anhand zweier konkreter Vorfälle in der Gemeinde.164 Was bereits oben bei der Exegese der Texte 165 deutlich wurde, scheint sich nochmals zu bestätigen: Die in 1Kor 5f aufgegriffenen Themen (‚Gemeindeausschluss eines Sünders‘ und ‚Verhandlung von Rechtsstreitigkeiten vor außergemeindlichen Gerichten‘) sind nur Beispiele, anhand derer Paulus das ihn eigentlich beschäftigende Thema der Gemeindeidentität aufgreift. Nach Meinung von S. J. CHESTER besteht die Differenz zwischen Paulus und der von ihm gegründeten korinthischen Gemeinde vor allem in einem unterschiedlichen Verständnis von ‚Bekehrung‘ (s.u.). 166 Als zentralen Text für das paulinische Verständnis von Bekehrung führt Chester u.a. den in dieser Arbeit ausführlich behandelten Abschnitt 1Kor 6,9–11 an167, und zwar aufgrund des darin von Paulus dargestellten Kontrasts zwischen der korinthischen Vergangenheit vor der Bekehrung und ihrer jetzigen Identität nach der Bekehrung. 168 Chester teilt die von Paulus im Lasterkatalog (6,9–10) aufgeführten –––––––––––––– 164 So auch May, Body, 82 konkret zu 1Kor 6,1–11: „In this passage, as in 5.1–13, Paul and the Corinthians (or certainly those involved in litigation) appear to have differing understandings of the social implications of Christian identity.“ 165 Vgl. dazu ausführlich die Abschnitte 6.2 (S. 151ff) und 6.3 (S. 161ff). 166 Vgl. dazu Chester, Conversion. 167 Vgl. ebd., 125–147. 168 Vgl. ebd., 134.

184

Die korinthischen Christen als Heilige

Sünder zwei verschiedenen Gruppen zu169: Die in V. 9 genannten Verhaltensweisen bezögen sich – abgesehen vom Götzendienst (εἰδωλολατρία) – alle auf sexuelle Vergehen und sind einschließlich des Götzendienstes allein nach jüdischem Maßstab verwerflich. Nach jüdischem Urteil waren einige unter den Korinthern Unzüchtige, Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben oder Knabenschänder. In diesem Tun waren sich die Korinther selbst jedoch keiner Schuld bewusst. Im Gegensatz dazu sind die in V. 10 genannten Verhaltensweisen nach allgemeinem Maßstab als Unrechtstaten zu werten und auch von den Korinthern sicherlich schon vor ihrer Bekehrung abgelehnt worden. Wenn Paulus nun beide Gruppen zusammenführt und der jetzigen Identität der Korinther als Christen gegenüberstellt, mache er damit deutlich, dass sich der moralische Maßstab der Korinther mit der Bekehrung geändert haben sollte und Unzucht und Götzendienst nun genauso zu beurteilen sind wie Diebstahl oder Habgier: „Paul clearly believes that the Corinthians’ conversion should have redefined their morality.“170 Für Paulus geht also mit der Bekehrung, die eine Neubestimmung der Identität bedeutet (früher waren die Korinther ἄδικοι, jetzt sind sie ἅγιοι), unabdingbar auch eine Veränderung des moralischen Maßstabs einher: „The boundaries of immorality have been stretched in order to include items which would previously not have belonged there“171. Dem paulinischen Verständnis von Bekehrung und den sich daraus notwendigerweise ergebenden Konsequenzen steht nun nach Meinung von Chester das korinthische Verständnis von Bekehrung konträr gegenüber: „They develop an interpretation of conversion and its consequences which allows them to enjoy the experience of transformation in the Spirit without having to voyage deep into the strange and unfamiliar social world charted by Paul.“ 172 Die Differenzen zwischen –––––––––––––– 169 Vgl. zum Folgenden ebd., 135f. 170 Ebd., 136. 171 Ebd., 137. Vgl. auch Wolter, Identität, 132: „Jede Bekehrung wird erst dann zu einer auch existentiellen Wirklichkeit, wenn sie in der Übernahme eines neues Ethos mündet, das sich von dem der Zeit vor der Konversion unterscheidet.“ 172 Chester, Conversion, 317. Vgl. auch Wolter, Identität, 159 zu 1Kor 5 (Hervorhebung im Original): „Sowohl der junge Mann, dessen Entfernung aus der Gemeinde Paulus verlangt (5,4–13), als auch – das geht aus V. 2 hervor – mindestens der überwiegende Teil der korinthischen Gemeinde haben darin [in dem Verhalten des Mannes; M. B.] ganz offensichtlich eine reine Privatsache gesehen, die mit der Ekklesia als der Institution, in der die christliche Identität zum Ausdruck kommt, nichts zu tun hat. Das dürfte ihnen vor allem darum auch nicht schwer gefallen sein, weil das Verhalten, das Paulus als πορνεία bezeichnet (V. 1), zu dem von der Mehrheitsgesellschaft akzeptierten Sexualethos durchaus nicht in Widerspruch stand.“

Zusammenfassung

185

Paulus und der von ihm gegründeten korinthischen Gemeinde liegen demnach nicht in konkreten Einzelfragen, sondern vielmehr in einer grundsätzlich unterschiedlichen Auffassung der aktuellen Situation nach der Bekehrung und damit der Bekehrung selbst. Die Resultate von Chester bestätigen die vorstehenden Ergebnisse: Zwischen Paulus und der korinthischen Gemeinde gab es eine grundsätzliche Differenz in der Frage, was Bekehrung ist, oder anders ausgedrückt: was es heißt, Heilige zu sein. Paulus und die Korinther hatten letztlich ein unterschiedliches Verständnis von gemeindlicher Identität und damit von Heiligkeit. Das wird im 1Kor daran deutlich, dass Paulus seine ethischen Mahnungen in 1Kor 1–6 damit begründet, den Korinthern ihren Status als Heilige vor Augen zu führen. Die verhandelten Einzelfragen – insbesondere in 1Kor 5f – machen deutlich, dass Paulus von den Korinthern durchaus erwartet, dass ihre gemeindliche Identität als Heilige auch außerhalb gemeindlicher Kontexte bis in ihren Alltag hinein sichtbar wird, z.B. indem sie einen πορνεία-Sünder aus ihrem Kreis ausschließen (5,1–13) oder keine Rechtsstreitigkeiten vor außergemeindlichen Gerichten (6,1–11) führen. Diese für Paulus notwendigen Konsequenzen aus dem Status der Heiligkeit waren den Korinthern offensichtlich nicht evident, und Paulus versucht seine Gemeinde mit seinen Ausführungen im 1Kor wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.173 Die Heiligkeit der Gemeinde als solche steht dabei nicht in Frage: Die Korinther sind „Geheiligte in Christus Jesus“ und „berufene Heilige“ (1Kor 1,2).

–––––––––––––– 173 So auch Schnelle, Paulus, 216f (Hervorhebungen im Original): „Religiöse Identität verband sich in der Antike immer mit sozialer, d.h. Gruppenidentität (Familie, Polis), so dass Paulus den Korinthern zumutet, nicht nur einen neuen Glauben anzunehmen, sondern auch ihr gesamtes Verhalten zu ändern. Diesen Schritt vollzogen Teile der korinthischen Gemeinde jedoch nicht und verblieben innerhalb ihrer herkömmlichen ethischen und sozialen Gewohnheiten. Entweder wollten sie keinen vollständigen Bruch ihrer Sozialbeziehungen akzeptieren und/oder waren der Meinung, den neuen Glauben und das alte Verhalten miteinander vereinbaren zu können.“ Vgl. auch Lindemann, 1Kor, 15: „Im Grunde aber stellt Paulus in seiner Reaktion auf die korinthische Gemeindesituation nur ein einziges Thema in den Mittelpunkt, nämlich die ἐκκλησία selber und deren οἰκοδομή.“; Gorman, „You Shall Be…“, 151: „We may justly see 1 Corinthians, therefore, as Paul’s attempt to explain to the Corinthians what this programmatic call of God to holiness in Christ means for them in the midst of all the complex issues the community is facing.“

7

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

In diesem letzten Kapitel des Hauptteils sollen die bis hierher erzielten Ergebnisse zusammengefasst und unter systematischen Fragestellungen ausgewertet werden. Die Aufnahme der im ersten Abschnitt (7.1) zu behandelnden Frage nach dem Verhältnis von Heiligkeit und Kult ist dabei vor allem der Auseinandersetzung mit der Habilitationsschrift von M. Vahrenhorst geschuldet. Abschnitt 7.2, der das Verhältnis der Christen zu Israel thematisiert, gründet auf der Beobachtung, dass Paulus mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι den Christen ein Attribut zuschreibt, das im alttestamentlich-jüdischen Traditionsbereich dem Volk Israel bzw. einigen aus dem Volk galt. In einem sich direkt anschließenden Exkurs wird die sich daraus notwendigerweise ergebende Frage behandelt, inwiefern die den Christen zugesprochene Heiligkeit auch noch für das Volk Israel gilt. In Abschnitt 7.3 werden u.a. die Unterschiede im Gebrauch der Heiligkeitsterminologie zwischen dem 1Thess und dem 1Kor aufgezeigt werden. Außerdem sollen das Verhältnis von Heiligung und Rechtfertigung sowie das Verhältnis von Heiligkeit und Ethik bestimmt werden. Abschnitt 7.4 enthält eine abschließende Zusammenfassung und Ergebnissicherung.

7.1

Heiligkeit und Kult – Bedient sich Paulus mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι kultischer Sprache?

Heiligkeit und Kult Es wurde deutlich, dass Paulus mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι einen seinerzeit geläufigen Sprachgebrauch übernommen hat. Es entsprach in hohem Maße dem Selbstverständnis der ersten Christen, sich ‚Heilige‘ zu nennen. Damit knüpften sie an das Heiligkeitsverständnis des alttestamentlich-jüdischen Traditionsbereiches an und nahmen es für sich in Anspruch.1 Der Ausdruck οἱ ἅγιοι ist eine eingeführte Gruppenbezeichnung, die von Paulus zur Bezeichnung der Jerusalemer Gemeinde, aber auch anderer Gemeinden bzw. von Christen allgemein gebraucht wurde. Nach Meinung von M. VAHRENHORST beschreibt Paulus mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι die „Zugehörigkeit der Gemeindeglieder zu Gott –––––––––––––– 1

Vgl. dazu Kapitel 3, S. 67ff.

Heiligkeit und Kult

187

[…] in kultischer Terminologie als Zugehörigkeit zur Sphäre des Heiligen“2. Paulus bediene sich gezielt kultischer Terminologie, weil die heiligkeits- und reinheitstheologischen Systeme im Judentum und in den griechischen Kulten ähnlich seien: „Paulus konnte ganz aus dem Kontext des zeitgenössischen Judentums heraus denken und schreiben, und seine Botschaft konnte auch von Menschen verstanden werden, die mit den Grunddaten der jüdischen Tradition nicht vertraut waren.“3

Zur Bezeichnung ‚Heilige‘ schreibt Vahrenhorst: „Wenn Paulus also Christen als Heilige […] beschreibt, dann konnte er davon ausgehen, dass seine Adressaten verstehen, dass damit ein Besitzbzw. Herrschaftswechsel gemeint ist, dass es darum geht, Menschen ganz real auf die Seite Gottes zu stellen, sie zu seinem Eigentum zu machen.“4

Der grundsätzliche Gedanke, dass es im Bereich der kultischen Terminologie Überschneidungen zwischen dem Judentum und den griechischen Kulten gibt und daher in diesem Bereich eine Verständigung zwischen Paulus und den hellenistischen Gemeinden leicht möglich war, ist durchaus einleuchtend. Nicht überzeugend ist dagegen die These, dass Paulus mit der Bezeichnung ‚Heilige‘ ganz gezielt kultische Sprache aufgreift. Leider liefert Vahrenhorst weder eine Definition von ‚kultischer Sprache‘ noch eine Erklärung für die Zuordnung des Adjektivs ‚heilig‘ und Stammverwandten zu dieser Kategorie. Seine Grundlage ist lediglich eine Definition von ‚Kult‘, in der die Begriffe ‚der Heilige‘ und ‚Heiligtum‘ verwendet werden: So definiert er Kult als „rituell gestaltete Begegnung mit dem Heiligen, wie sie sich vorwiegend in einem Heiligtum vollzieht.“5 Davon ausgehend folgert er, dass die Begriffsfelder ‚heilig/profan‘ und ‚rein/unrein‘ zur kultischen Terminologie gehören. 6 Hier handelt es sich jedoch um einen Zirkelschluss. So ist es durchaus möglich, ‚Kult‘ im Sinne von Vahrenhorst zu definieren, jedoch ohne den Gebrauch von Heiligkeitsterminologie. Die direkte Folgerung, dass ‚heilig‘ kultischer Terminus ist, wäre damit hinfällig. So soll im Folgenden zunächst eine Definition von ‚Kult‘ und ‚kultischer Sprache‘ gebracht werden (Abschnitt 7.1.1). Daran anschließend wird an einigen Beispielen gezeigt werden, dass das Adjektiv ἅγιος in der Tat ein kultischer Terminus sein kann (Abschnitt 7.1.2). Für die –––––––––––––– 2 3 4 5 6

Vahrenhorst, Kultische Sprache, 143. Ebd., 112f. Ebd., 8. Ebd., 2. Vgl. ebd.

188

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι lässt sich jedoch nachweisen, dass sie kein kultischer Terminus ist (Abschnitt 7.1.3).

7.1.1

Kult und kultische Sprache

Der Ausdruck ‚Kult‘ umfasst die Summe aller ritualisierten religiösen Praktiken, die an speziellen Orten (wie z.B. einem Tempel) und zu speziellen Zeiten (wie z.B. einem Festtag oder einem besonderen Tag in der Woche) vollzogen werden. In der Regel möchte eine Gemeinschaft durch den Kult mit einer Gottheit in Kontakt treten. Oft werden die Rituale von einzelnen Zelebranten für die gesamte Gemeinschaft vollzogen; immer erfordern sie von allen Beteiligten angemessene Erscheinung und entsprechendes Verhalten. Damit wird hier ein ähnliches Kult-Verständnis vertreten wie von Vahrenhorst, für die Definition aber keine Heiligkeitsterminologie verwendet.7 ‚Kultische Sprache‘ ist dann die Summe der Begriffe, die gebraucht werden, um über den Kult zu sprechen oder zu schreiben. Wenn das Adjektiv ἅγιος in kultischen Zusammenhängen gebraucht wird – und dies ist mitunter der Fall –, handelt es sich dabei zunächst auch um einen kultischen Terminus. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob diese Zuordnung eineindeutig ist. Ein Beispiel möge dies näher erläutern: Der Ausdruck ‚Bruder‘ ist in monastischen Kontexten zur Bezeichnung eines Mönchs geläufig und damit auch ein monastischer Terminus. Wenn jedoch von einem Menschen gesprochen wird, der zu jemandem wie ein Bruder war, wird damit keine monastische Terminologie aufgegriffen. Die Klassifizierung eines Ausdrucks zu einer bestimmten Terminologie muss immer auch den Kontext, in dem der Ausdruck gebraucht wird, berücksichtigen. Die Tatsache, dass das Adjektiv ἅγιος in kultischen Kontexten gebraucht wird, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass es überall, wo es verwendet wird, auf den Kult rekurriert.

7.1.2

ἅγιος als kultischer Terminus

In der Tat sind ἅγιος und Stammverwandte in verschiedenen Traditionsbereichen zur Beschreibung kultischer Zusammenhänge belegt. –––––––––––––– 7

Vergleichbare Definitionen bieten z.B. Baudy, Kult, 1800; Bürkle, Kult, 503f; Hogeterp, Paul, 271. Andere verstehen ‚Kult‘ allgemeiner als die Summe aller religiösen Akte (vgl. z.B. Lang, Kult, 474f). Das Adjektiv ‚kultisch‘ wird dann häufig im Sinne von ‚religiös‘ gebraucht.

Heiligkeit und Kult

189

Dies gilt sowohl für pagane Kulte als auch für den jüdischen Tempelkult. Ersichtlich wird dies zum Beispiel an den im Alten Testament vielfach belegten Bezeichnungen ἅγιον für den Tempel und ἅγιον ἁγίων für das Tempelinnere. Mit der Kategorie ‚heilig‘ wird damit ein bestimmter Raum abgesteckt und alles, was sich in diesem Raum befindet bzw. in ihn hineingebracht werden soll, muss ebenfalls heilig sein. Dies gilt z.B. für die Geräte, die für die Opferhandlungen im Tempel benötigt werden (vgl. z.B. Esr 8,28; Neh 10,40), und für die Opfergaben selbst (vgl. z.B. Lev 6,10.20). Auch die Priester als Ausführende der Opferhandlungen müssen heilig sein (vgl. z.B. Lev 21,6–8; 2Chr 23,6). Diese kultische Heiligkeit lässt sich durch bestimmte Reinigungsriten herstellen (vgl. z.B. Lev 8). Überhaupt hängen Heiligkeit und Reinheit im kultischen Kontext sehr eng zusammen (vgl. z.B. Ex 30,17–21).8 Das Adjektiv ἅγιος beschreibt in kultischen Kontexten im Alten Testament also einen bestimmten Zustand, der für alles, was mit dem Kult zusammenhängt, grundlegend ist und der den Raum des Kultes mit allem, was dazu gehört, aus seiner Umgebung heraushebt. In griechischen Texten außerhalb des alttestamentlich-jüdischen Traditionsbereichs wird das Adjektiv ἅγιος in ähnlicher Weise gebraucht. Zwar ist es sehr viel seltener9, doch kann es ebenfalls als Attribut z.B. eines Heiligtums oder einer Opfergabe dienen. 10 Allerdings – und das ist für den vorliegenden Zusammenhang äußerst interessant – bezieht es sich im hellenistischen Traditionsbereich niemals auf Menschen, wie z.B. die Priester.11 Auch Paulus kann das Adjektiv ἅγιος mit kultischen Nebentönen gebrauchen. So bezeichnet er den Tempel Gottes als heilig (1Kor 3,17) oder ermahnt die römischen Christen, dass sie ihre Leiber hingeben als ein „lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer“ (Röm 12,1; vgl. auch 15,16). In 1Kor 3,17 wird außerdem ein direkter Zusammenhang zwischen der Heiligkeit des Tempels und der Heiligkeit der korinthischen Gemeinde hergestellt.12 Daraus ist allerdings nicht zu –––––––––––––– 8

9 10 11

12

Zum Verhältnis von Heiligkeit und Reinheit aus sozialanthropologischer Sicht vgl. das Kapitel ‚Rituelle Unreinheit‘ in M. Douglas’ Studie ‚Reinheit und Gefährdung‘ (S. 19–44). Üblicher ist das im alttestamentlich-jüdischen Sprachgebrauch kaum belegte Adjektiv ἱερός. Vgl. dazu ausführlich und mit zahlreichen Textbeispielen Williger, Hagios, 72–84. Vgl. Kuhn/Procksch, ἅγιος, 88 (Hervorhebung im Original): „Niemals dagegen erscheint ἅγιος im reinen Griechisch in Anwendung auf Menschen, die mit dem Kultus in Verbindung stehen“. Vgl. auch schon Williger, Hagios, 83: „Vor allem ist das Wort nie […] auf den Menschen angewandt worden, um eine religiöse Eigenschaft, etwa Reinheit oder Frömmigkeit zu bezeichnen.“ Vgl. dazu Kapitel 6.4.2, S. 172ff.

190

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

schließen, dass Paulus automatisch auf den Kult rekurriert, wenn er die konkrete Bezeichnung οἱ ἅγιοι gebraucht.

7.1.3

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι

Auch wenn das Adjektiv ἅγιος sowohl von Paulus als auch in seiner jüdischen und hellenistischen Umwelt in kultischen Zusammenhängen gebraucht wird, bedeutet das noch nicht, dass es sich bei der Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι um einen kultischen Terminus handelt. Auf Grundlage der in dieser Arbeit erzielten Ergebnisse lassen sich mehrere Gründe gegen diese Annahme Vahrenhorsts anführen: Vahrenhorst geht davon aus, dass Paulus den Begriff ‚Heilige‘ deshalb gezielt einsetzt, weil er davon ausgehen konnte, dass seine nichtjüdischen Leser diese Bezeichnung aufgrund der ihnen geläufigen Verwendung von ἅγιος in kultischen Zusammenhängen leicht einordnen konnten.13 Dagegen spricht aber schon allein die Tatsache, dass sich ἅγιος im hellenistischen Traditionsbereich niemals auf Menschen bezieht.14 Die Anwendung des Attributs ‚heilig‘ auf Menschen hat Paulus aus dem jüdischen Traditionsbereich auf seine hellenistischen Gemeinden übertragen. Das war ihnen vor ihrer Missionierung nicht bekannt. Die Durchsicht sämtlicher Belegstellen für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen hat ergeben, dass Paulus diesen Ausdruck oftmals eher beiläufig verwendet und eine bestimmte Qualität der so Bezeichneten in keiner Weise thematisiert. Dies spricht dafür, dass Paulus mit dem Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι nichts Spezielles beabsichtigte. Er hat einfach die zu seiner Zeit geläufige Bezeichnung für die Menschen gebraucht, die heute Christen genannt werden. In jedem Fall aber ist bei den Belegstellen für οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen kein Bezug zum Kult ersichtlich. Denkbar ist, dass sich seine hellenistischen Leser, denen der Begriff οἱ ἅγιοι nicht geläufig war, die Bedeutung ausgehend von der Verwendung von ἅγιος in kultischen Zusammenhängen abgeleitet haben. Es spricht jedoch nichts dafür, anzunehmen, dass Paulus selbst einen solchen Bezug zum Kult intendiert hat. –––––––––––––– 13 14

S.o., S. 186f. Auch Vahrenhorst ist sich bewusst, dass „die Anwendung des Begriffs ‚ἅγιος‘ auf Menschen […] im Griechischen so nicht gebräuchlich war“ (Vahrenhorst, Kultische Sprache, 8, Anm. 14). Allerdings zieht er aus dieser Feststellung keinerlei Konsequenzen.

Die Heiligen als Erwählte

191

Auch wenn Paulus die Bezeichnung οἱ ἅγιοι in der Regel beiläufig verwendet, thematisiert er an einigen Stellen – v.a. im 1Thess und im 1Kor – die Heiligkeit der Christen konkreter. Doch auch bei der Besprechung dieser Texte war kein Bezug zum Kult ersichtlich. Vielmehr erinnert die paulinische Verwendung der Heiligkeitsterminologie an die Rede vom heiligen Volk im Alten Testament oder an den Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit.15 Ein Bezug der Bezeichnung οἱ ἅγιοι zum Kult ließ sich bei der Analyse der paulinischen Texte nicht ermitteln und sollte daher für Paulus auch nicht angenommen werden. Der folgende Abschnitt wird zeigen, dass die paulinische Bezeichnung οἱ ἅγιοι in einem anderen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang steht.

7.2

Die Heiligen als Erwählte – Das Verhältnis der Christen zum heiligen Volk

Die Heiligen als Erwählte In Kapitel 3 wurde deutlich, dass die Inanspruchnahme der Bezeichnung οἱ ἅγιοι durch die ersten Christen in Jerusalem in ihrem Selbstverständnis gründet: Die Jerusalemer Urgemeinde sah sich in heilsgeschichtlicher Kontinuität zum Volk Gottes und hat sich – wie andere jüdische Gruppen in dieser Zeit auch – als eschatologischer ‚Rest‘ Israels verstanden. Dementsprechend haben sich die Angehörigen der Urgemeinde – wie z.B. auch die Mitglieder der Qumrangemeinde – als ‚Heilige‘ bezeichnet.16 Die in diesem Abschnitt zu behandelnde Frage nach dem Verhältnis der Christen zum heiligen Volk wäre für die Jerusalemer Christen einfach zu beantworten gewesen, denn aus ihrer Sicht war es eindeutig, dass sie selbst das eschatologische Volk Israel sind.17 Doch welche Antwort gibt Paulus auf diese Frage? Auch wenn Paulus mit dem Ausdruck οἱ ἅγιοι lediglich einen zu seiner Zeit üblichen Sprachgebrauch aufgreift, kann davon ausgegangen werden, dass ihm die Bezeichnung von Israel als heiligem Volk bekannt war und dass er mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι den Christen in hellenistischen Gemeinden ganz bewusst ein Attribut zuschreibt, das zur Darstellung der Identität Israels, die in der Erwählung aus den Völkern besteht, wesentlich war. Davon ausgehend ist zu fragen, wel–––––––––––––– 15 16 17

Dies wird im folgenden Abschnitt noch näher ausgeführt werden. Vgl. dazu Kapitel 3.2.4, S. 76ff. Vgl. Roloff, Kirche, 117: „Für die Jerusalemer Urgemeinde und wohl auch für die ‚Hellenisten‘ um Stefanus war die ekklesia ganz selbstverständlich das endzeitlich gesammelte und erneuerte Volk Israel.“

192

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

che Vorstellung von der Identität der Christen Paulus damit zum Ausdruck bringt und ob nach paulinischer Darstellung die den Christen zugesprochenen Attribute nach wie vor auch für das nichtchristliche Israel gelten. Bevor auf diese Fragen näher eingegangen wird (Abschnitt 7.2.2 und der sich anschließende Exkurs), soll zunächst der paulinische Gebrauch der Heiligkeitsterminologie, wie er in den Kapiteln 4 bis 6 näher ausgeführt wurde, nochmals in aller Kürze zusammengefasst und mit den Ergebnissen zur Rede von den Heiligen im jüdischen Traditionsbereich verglichen werden (Abschnitt 7.2.1).

7.2.1 Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit im Vergleich zur Rede von den Heiligen im jüdischen Traditionsbereich Für die Frage nach dem paulinischen Verständnis christlicher Heiligkeit haben sich vor allem die beiden ältesten Paulusbriefe als sehr aufschlussreich erwiesen: Die Besonderheit des Gebrauchs der Heiligkeitsterminologie im 1Thess18 im Vergleich mit allen späteren Briefen des Paulus liegt darin, dass die Christen den Status der Heiligkeit (ἁγιωσύνη) erst zum Zeitpunkt der Parusie Christi erreichen können und jetzt noch keine Heiligen sind. Mit dem Ausdruck οἱ ἅγιοι werden im 1Thess nur die Engel bezeichnet (1Thess 3,13). Trotzdem gebraucht Paulus Heiligkeitsterminologie, um den Status der Christen zu beschreiben. So befinden sich die Thessalonicher gegenwärtig im Stand der Heiligung (ἁγιασμός), in den Gott sie berufen hat (4,7). Sie sind aufgefordert, sich diesem Status entsprechend zu verhalten und ihrer Identität Ausdruck zu verleihen, indem sie sich von Unzucht (V. 3b) und Habgier (V. 6) fernhalten. Mit Unzucht und Habgier sind hier aus jüdischer Sicht die heidnischen Laster schlechthin bezeichnet, so dass die Enthaltung von beidem die Abgrenzung von der heidnischen Umwelt bedeutet. Dem entspricht auch die ausdrückliche paulinische Warnung, nicht so zu handeln wie die Heiden (V. 5), sondern ἐν ἁγιασμῷ καὶ τιμῇ (V. 4). Paulus ordnet die Thessalonicher also mit der Adaptierung eines jüdischen Ethos den Juden zu. Dementsprechend wird der Ausdruck ἁγιασμός für die Thessalonicher zu einem identitätsstiftenden Begriff. Ähnlich verhält es sich auch im 1Kor.19 Zwar spricht Paulus jetzt nicht mehr vom Stand der Heiligung (vgl. lediglich 1Kor 1,30), sondern –––––––––––––– 18 19

Vgl. zum Folgenden Kapitel 5, S. 115ff. Vgl. zum Folgenden Kapitel 6, S. 145ff.

Die Heiligen als Erwählte

193

von den Christen als Heilige, doch lassen sich durchaus einige Gemeinsamkeiten in der Verwendung der Heiligkeitsterminologie zwischen dem 1Kor und dem 1Thess ausmachen: So bezeichnet Paulus die Korinther im Präskript des Briefes als κλητοὶ ἅγιοι (1,2) und bringt damit zum Ausdruck, dass sie nicht aus sich selbst heraus, sondern aufgrund des erwählenden Handelns Gottes ‚Heilige‘ sind (vgl. V. 9). Vor allem in 1Kor 6,1–11 wird dann das Heiligsein der korinthischen Christengemeinde zum entscheidenden Identitätsmerkmal, das sie von ihrer vorchristlichen Vergangenheit trennt und von ihrer nichtchristlichen Umwelt unterscheidet. Der Verweis auf die Heiligkeit der Christen fungiert schließlich vor allem im ersten Teil des 1Kor als Begründung der ethischen Mahnungen: Paulus erwartet von den Korinthern, dass sie sich als Heilige ihrer Heiligkeit entsprechend verhalten. Damit sind die wesentlichen Aspekte des paulinischen Verständnisses christlicher Heiligkeit im 1Thess und im 1Kor umrissen.20 Ein Vergleich mit der Rede von personaler Heiligkeit im Alten Testament und in jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit21 zeigt, wie sehr Paulus sich mit dem Gebrauch der Heiligkeitsterminologie in jüdischer Tradition bewegt22: So konnte für den alttestamentlich-jüdischen Traditionsbereich festgestellt werden, dass ein entscheidendes semantisches Merkmal von Heiligkeit das (von Gott) Auserwähltsein und die damit verbundene Abgrenzung von der Umwelt ist. 23 Schon die Heiligkeit des Volkes Israel ist eng mit seiner Erwählung aus den Völkern verknüpft und Ausdruck seiner Identität. Israel ist heilig, weil es von Gott aus der Menge aller Völker auserwählt und zum Eigentumsvolk des heiligen Gottes gemacht wurde. Im weiteren Verlauf der Geschichte Israels wird der Begriff ‚Heilige‘ mehr und mehr zu einer Bezeichnung für einzelne Gruppen innerhalb des Volkes. Dabei bleibt er jedoch ein Abgrenzungsterminus: Die Heiligen sind diejenigen, die sich vom Rest der Welt, aber eben auch vom Rest des Volkes Israel durch ihr gerechtes Handeln und ihre Zugehörigkeit zum eschatologischen Gottesvolk unterscheiden. Diese eschatologische Bedeutungskomponente ist bei Paulus vor allem im 1Thess erkennbar. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der paulinischen Rede von christlicher Heiligkeit und der Rede von den Heiligen im jüdischen Traditionsbereich besteht schließlich in einem engen Zusammenhang –––––––––––––– 20 21 22 23

In Kapitel 7.3 wird das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit nochmals thematisiert werden. S.u. S. 205ff. Vgl. dazu Kapitel 2, S. 20ff. Vgl. dazu auch Deidun, New Covenant Morality, 15–32. Auf diese Gemeinsamkeit zwischen der paulinischen und der alttestamentlichen Rede von Heiligkeit weist schon Gaugler, Heiligung in der Ethik, 107 hin.

194

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

von Heiligkeit und Ethik:24 So erfordert der Status der Heiligkeit auch im Alten Testament ein bestimmtes Verhalten. Die Zusage der Heiligkeit Israels ist eng an die Forderung zur Erfüllung bestimmter Gebote geknüpft, die dem Status als heiliges Volk Ausdruck verleihen sollen (vgl. besonders Lev 19). Paulus übernimmt also den ihm bekannten Begriffsinhalt der Bezeichnung οἱ ἅγιοι.25 Der wesentliche Unterschied zum alttestamentlich-jüdischen Traditionsbereich liegt im Begriffsumfang dieser Bezeichnung, insofern Paulus nicht nur Juden, sondern auch Heiden ‚Heilige‘ nennt. Dabei ist im 1Thess die Grenze zwischen Juden und Heiden noch deutlich erkennbar. Das Christwerden versteht Paulus als einen Seitenwechsel von der Seite der Heiden zur Seite Israels. Dieser Seitenwechsel soll u.a. in einem neuen Ethos zum Ausdruck kommen.26 Galt für sie vormals ein aus jüdischer Sicht heidnisches Ethos, so ist für sie nun das jüdische Ethos ausschlaggebend. Nach Aussage des 1Kor verläuft die Grenze zwischen ‚heilig‘ und nicht-‚heilig‘ nicht mehr zwischen Juden und Heiden (vgl. ganz deutlich 1Kor 12,13), sondern sie wird von Paulus neu festgelegt. Diese Neufestlegung des Grenzverlaufs ist aus paulinischer Sicht problemlos möglich, da die Heiligkeit, von der Paulus spricht, nicht in der Zugehörigkeit zum Volk Israel, sondern ‚in Christus‘ gründet. Dementsprechend fügt er der Bezeichnung οἱ ἅγιοι die Wendung ἐν Χριστῷ27 an (Phil 1,1; 4,21; vgl. auch

–––––––––––––– 24 25

26

27

Vgl. dazu Abschnitt 7.3.4, S. 215ff. Vgl. Gorman, „You Shall Be…“, 153: „First of all, human holiness in the Jewish (and therefore also early Christian) tradition is, first and foremost, difference from those who do not participate in God’s call or character.“ – W. Wiefel weist ausdrücklich darauf hin, dass „die einfache Gegenüberstellung der Bedeutungsgehalte in der kanonischen alttestamentlichen Literatur und in den neutestamentlichen Schriften zur Erschließung der Spezifik des christlichen Sinns nicht ausreichend [ist]“ (Wiefel, Die Heiligen, 39). Seiner Meinung nach liegt ein „Dreischritt“ vor: „(kanonisches) Altes Testament – zwischentestamentliche Literatur (‚Apokryphen‘, Pseudepigraphen, Qumran) – Neues Testament. Er [der Dreischritt; M. B.] stellt eine chronologische Abfolge dar und kann als Entwicklungsprozeß begriffen werden“ (ebd.). Im zwischentestamentlichen Schrifttum liegt dabei laut Wiefel das entscheidende Zwischenglied (vgl. ebd.). Vgl. Weima, „How You Must Walk …“, 102: „The holiness that has previously been the characteristic that distinguished Israel from the Gentile nations has now also become the boundary marker that separates the Thessalonian Gentile believers from ‚the Gentiles who do not know God‘ (4:5), those who are ‚outside‘ God’s holy people (v 12).“ S.o. S. 147.

Die Heiligen als Erwählte

195

1Kor 1,2)28 oder spricht davon, dass die Korinther ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ geheiligt wurden (1Kor 6,11). Paulus knüpft also mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι zur Beschreibung der christlichen Identität auf der einen Seite an eine alttestamentliche Tradition an und stellt die Christen in eine Reihe mit den Heiligen aus dem ihm geläufigen jüdischen Traditionsbereich. Auf der anderen Seite benennt er mit der Wendung ἐν Χριστῷ auch einen entscheidenden Unterschied der Identität der christlichen Heiligen gegenüber allen jüdischen Heiligen.29 Diese Beobachtung führt zwangsläufig zu der Frage nach dem paulinischen Verständnis christlicher Identität im Verhältnis zur Identität Israels.

7.2.2

Die christlichen Heiligen und das Volk Gottes

Gerade aufgrund der Beobachtungen zum paulinischen Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die ersten Christinnen und Christen könnte man zu dem Schluss kommen, dass Paulus in den Christen das erneuerte Volk Gottes gesehen hat. So urteilt beispielsweise F. THIELMAN: „Paul believed that the communities he established represented the fulfillment of the prophetic promises that God would reestablish his temple and place his presence among his people in the period of Israel’s restoration.“ 30

Für dieses Ergebnis von Thielman ist insbesondere die paulinische Verwendung von Heiligkeitsterminologie im 1Thess und im 1Kor maßgeblich. Diesbezüglich lautet sein Urteil: „The level of continuity between Paul and the Mosaic law on the subject of holiness runs deep.“ 31 Auch das Ergebnis von J. A. D. WEIMA zum 1Thess gründet auf Untersuchungen zur paulinischen Verwendung von Heiligkeitsterminologie: –––––––––––––– 28

29

30 31

Vgl. Heckel, Identität, 48: „Öfters fügt Paulus das ‚in Christus‘-Motiv an eine Gruppenbezeichnung an. Diese Stellen zeigen, dass Paulus ein Ungenügen verspürte, die überkommenen Ausdrücke allein stehen zu lassen.“ Vgl. Kraus, Volk Gottes, 163f mit Zitaten von Klaiber, Rechtfertigung, 22.23: „Wir sehen somit im Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ zwei Linien zusammentreffen: Einerseits knüpft Paulus mit der Anwendung dieses geprägten Terminus auf die Christen an Aspekte der Gottesvolkvorstellung im AT und im Frühjudentum an und sieht in den Glaubenden Angehörige des endzeitlichen Gottesvolkes. Andererseits vollzieht Paulus bei der Verwendung von οἱ ἅγιοι eine ‚entscheidende Modifikation‘ dahingehend, daß die Christen durch Christus geheiligt sind, weshalb für ihn ‚die Verbindung von ἅγιος mit ἐν Χριστῷ charakteristisch‘ ist. Zum Verständnis grundlegend bleibt gleichwohl die Gottesvolk-Kategorie.“ Vgl. auch Gorman, „You Shall Be…“, 148. Thielman, Paul, 98. Ebd., 91.

196

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

„Paul, it seems clear, viewed his Gentile converts at Thessalonica as the renewed Israel – as those who, together with Jewish Christians, were now full members of God’s covenant people.“32

Doch nicht nur die paulinische Anwendung von Heiligkeitsterminologie auf die ersten Christinnen und Christen legt diesen Schluss nahe. Abgesehen von dem Ausdruck οἱ ἅγιοι weist Paulus den Christen – und insbesondere auch den Heiden unter ihnen – noch mit einer Reihe anderer Bezeichnungen Attribute zu, die wesentliche Bestandteile der Identität des Volkes Israel sind. So sind die Christen nach Paulus nicht nur ‚Heilige‘, sondern auch ‚Geliebte Gottes‘ (Röm 1,7; 1Thess 1,4), ‚Kinder Gottes‘ (Röm 8,16; Gal 3,26), ‚den Namen des Herrn Anrufende‘ (1Kor 1,2; vgl. auch Röm 10,12) und ‚Berufene‘ (Röm 1,6.7; 1Kor 1,2.9.24; vgl. auch Röm 8,33). Für alle diese Bezeichnungen gilt, dass sie auch das Verhältnis Israels zu seinem Gott ausdrücken könnten.33 Paulus beschreibt die Beziehung der Christen zu Gott also entsprechend der alttestamentlichen Konzeption von der Beziehung Israels zu Jahwe. Gottes Heilszusage an Israel gilt damit (auch) den Christen. Diese Vorstellung war ihm insofern schon vorgegeben 34, als die Urgemeinde in Jerusalem sich als das eschatologische Gottesvolk verstanden hat35 – wenn auch mit dem entscheidenden Unterschied, dass es sich bei deren Angehörigen tatsächlich um Juden handelte und die Urgemeinde zunächst eine Gruppe innerhalb Israels war. Bei den Mitgliedern der paulinischen Gemeinden handelt es sich dagegen vornehmlich um Nichtjuden, denen Paulus nun wesentliche Attribute der Identität Israels als Gottes Eigentumsvolk zuspricht. 36 Davon ausgehend scheint es durchaus angebracht, von einem Gottesvolk-Motiv zu sprechen37, das einen wesentlichen Aspekt der paulinischen Ekklesiologie beschreiben kann. 38 –––––––––––––– 32

33 34 35 36 37 38

Weima, „How You Must Walk …“, 102. Vgl. außerdem Deidun, New Covenant Morality, 15–44. Diese Position wurde auch schon von R. Asting vertreten: „‚Die Heiligen‘ sind also das wahre Volk Gottes, das von der Welt abgesondert und bestimmt ist, an der himmlischen Herrlichkeit teilzuhaben“ (vgl. Asting, Heiligkeit, 138). So auch Heckel, Identität, 45; Meeks, Christians, 85. Vgl. dazu auch Schmidt, Heilig, 342ff. So auch Kraus, Volk Gottes, 353. Vgl. Kapitel 3.1, S. 68ff. Vgl. Dunn, Theology, 45: „Gentiles share in God’s blessings by sharing in the special status God gave to Israel.“ So Roloff, Kirche, 89. So auch der Ertrag der Studie von W. Kraus: „Das übergreifende Resultat lautet dahin, daß die Gottesvolk-Thematik einen integralen Bestandteil der paulinischen Theologie darstellt. […] beim Gottesvolk-Thema handelt es sich auch von der inne-

Die Heiligen als Erwählte

197

Trotzdem ist die paulinische Ekklesiologie mit der Gleichung „die ersten Christen = das erneuerte Gottesvolk“ falsch dargestellt. Paulus spricht an keiner Stelle von den Christen als von einem „neuen Volk Gottes“. Überhaupt gebraucht er den Terminus λαὸς θεοῦ außerordentlich zurückhaltend, und zwar nur innerhalb alttestamentlicher Zitate, die sich wiederum größtenteils auf Israel beziehen (vgl. Röm 9,25f; 10,21; 11,1f; 15,10; 1Kor 10,7; 2Kor 6,16). 39 Hinzu kommt, dass Paulus Bezeichnung der Christen mit alttestamentlichem Vokabular öfters die Wendung ἐν Χριστῷ (Ἰησοῦ) ergänzt. Ausführlich diskutiert wurde diese Wendung im Zusammenhang der Exegese von 1Kor 1,2, wo die Korinther ‚Geheiligte in Christus Jesus‘ genannt werden (vgl. auch Phil 1,1; 4,21).40 Darüber hinaus kann Paulus die Mitglieder christlicher Gemeinden aber auch ‚Gottes Kinder ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ‘ (Gal 3,26) oder κλητοὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ (Röm 1,6) nennen. Die Identität der ersten Christinnen und Christen ist also nach Paulus nicht nur dadurch bestimmt, dass sie – wie schon Israel – von Gott zum Heil erwählt wurden, sondern insbesondere dadurch, dass dieses Heil gerade in Christus und in dem mit diesem Namen bezeichneten Geschehen begründet ist.41 Gerade weil das Heil ‚in Christus‘ liegt, sind die herkömmlichen Grenzen (wie z.B. zwischen Juden und Heiden) aufgehoben (vgl. Gal 3,26–29) und Paulus kann Namen und Attribute, die im Alten Testament allein Israel galten (wie z.B. das Attribut ‚heilig‘), auf die Christen, und unter ihnen auch auf die Heidenchristen, anwenden.42 Als Christen sind die Angehörigen der paulinischen Gemeinden nun weder Juden noch Heiden. Diese klassische jüdische Aufteilung der Menschheit ist für Paulus nicht mehr anwendbar, denn die Christen bilden abseits dieser Zweiteilung eine eigene Gruppe, die zunehmend auch als solche wahrgenommen wird. Während im 1Thess die Grenze zwischen Juden und Heiden noch präsent ist und die Bekehrung von Heidenchristen zumindest in ethischen Fragen mit einem

39 40 41

42

ren Logik der paulinischen Theologie her um einen zentralen Topos“ (Kraus, Volk Gottes, 247). Vgl. dazu Roloff, Kirche, 119. Vgl. Kapitel 6.1, S. 145ff. J. Roloff gebraucht für die paulinische Ekklesiologie das Bild einer Ellipse, die um zwei Brennpunkte kreist. Diese zwei Brennpunkte sind das Gottesvolk-Motiv und das Leib-Christi-Motiv (vgl. ebd., 86–90). Nach W. Klaiber liegt die Mitte des paulinischen Kirchenbegriffs „im christologischen Ansatz“ (Klaiber, Rechtfertigung, 48). Seiner Meinung nach definiert gerade die Wendung ἐν Χριστῷ das Wesen der Gemeinde (vgl. zusammenfassend ebd., 101–104). Vgl. Kraus, Volk Gottes, 351: „Die christologische Begründung ermöglicht das gleichberechtigte Hinzukommen der Heiden.“

198

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

Wechsel von der Seite der Heiden zur Seite der Juden verbunden ist 43, stellt Paulus die christliche Gemeinde im 1Kor als eine dritte Gruppe neben Juden und Heiden dar (z.B. 1Kor 1,22–24; 10,32; vgl. Gal 3,28). Die Vorstellung vom Christentum als tertium genus nimmt ihren Anfang daher nicht erst im 2. Jahrhundert n. Chr.44, sondern bereits bei Paulus.45 Zur Beschreibung der Identität dieses tertium genus wendet Paulus Bezeichnungen, die ihm zur Beschreibung der Identität Israels bekannt sind, auf die Christen seiner Gemeinde an. Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, als verdränge die sich im Anfang befindende Kirche nach paulinischer Aussage Israel von seinem angestammten Platz als Gottes Eigentumsvolk. Vielmehr wird man den Grund für die Wahl bestimmter Bezeichnungen für die ersten Christen darin zu suchen haben, dass aus der Menge der Paulus geläufigen Ausdrücke und Bezeichnungen genau diese ihm geeignet erschienen, die Identität der Christen und ihr Verhältnis zu Gott zum Ausdruck zu bringen. Die Konsequenzen, die diese Wahl und die Bezeichnung der (heidnischen) Christen als ‚Heilige‘ und ‚Erwählte‘ für Israel mit sich bringt, bedenkt er zunächst nicht. Erst im Röm setzt er sich mit der Frage auseinander, ob angesichts der Heiligkeit der Christen auch Israel nach wie vor heilig sein kann und ist.46 Die Frage nach der fortwährenden Heiligkeit Israels steht etwas außerhalb des eigentlichen Themas dieser Arbeit, die schließlich nach den Christen als ‚Heilige‘ fragt. Sie ist jedoch außerordentlich interessant, zumal – wie im Folgenden deutlich werden wird – die Heiligkeit der Christen in diesem Zusammenhang durchaus von Relevanz ist. Da die Frage nach Israels Heiligkeit für den weiteren Verlauf dieser Arbeit jedoch nicht wesentlich ist, soll sie in einem Exkurs behandelt werden.

Exkurs: Ist Israel noch heilig? – Der Status des Gottesvolkes Exkurs: Ist Israel noch heilig?

Wenn aus paulinischer Sicht den Christen gegenüber Gott der Status zukommt, der im Alten Testament für Israel reserviert war, stellt sich die Frage, welchen Status Israel nun hat – oder anders ausgedrückt: Wie steht es nach Paulus um die Heiligkeit Israels, jetzt da die Christen ‚Heilige‘ sind? Bezieht sich das Adjektiv ἅγιος bei Paulus auf Menschen, so handelt es sich dabei immer um Christen. Paulus spricht an keiner Stelle vom heiligen

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S.o. S. 194. Gegen Hengel/Schwemer, Jesus und das Judentum, 27ff. So auch Schäfke, Widerstand, 624. Vgl. dazu Kraus, Volk Gottes, 353–358.

Exkurs: Ist Israel noch heilig?

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Volk Israel oder bezeichnet Israel darüber hinaus als heilig. Lediglich an einer Stelle äußert er sich metaphorisch zur Heiligkeit Israels, und zwar in Röm 11,16. Dieser Vers steht innerhalb seiner ausführlichen Abhandlung zum Status Israels (Röm 9–11), die für die in diesem Exkurs aufgeworfene Frage insgesamt von großer Bedeutung ist. Daher wird einer detaillierten Exegese von Röm 11,16 zunächst eine zusammenfassende Betrachtung von Röm 9–11 vorangestellt.

Röm 9–11 An keiner Stelle in seinen Briefen setzt Paulus sich so ausführlich mit der IsraelFrage auseinander wie in Röm 9–11.47 Die Notwendigkeit der Frage nach der Zukunft Israels ergibt sich für ihn aus dem Widerspruch zwischen der Erwählung Israels durch Gott und den damit verbundenen Verheißungen auf der einen Seite (vgl. Röm 9,4f) und der Tatsache, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Juden und Heiden, sondern dass Gerechtigkeit nur „aus Gottes Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus“ geschieht (vgl. Röm 3,21–24), auf der anderen Seite. Damit steht das offene Problem im Raum, welchen Status der Teil Israels hat, der Christus nicht als den Messias anerkennt. Diese Fragestellung ist für Paulus und letztlich für alle Christen schließlich auch deshalb relevant, weil sie das grundsätzliche Thema der Treue Gottes und der Gültigkeit seiner Verheißungen tangiert.48 Im Anschluss an eine kurze Einleitung (9,1–5) entkräftet Paulus in einem ersten Argumentationsgang (9,6–29) die aus dem aufgezeigten Widerspruch zu folgernde These, dass Gottes Wort – womit hier seine Heilszusage an Israel gemeint ist – hinfällig geworden sei (V. 6a). Sein Argument lautet: οὐ γὰρ πάντες οἱ ἐξ Ἰσραὴλ οὗτοι Ἰσραήλ (V. 6b). Zur Bekräftigung seines Arguments führt er zwei Beispiele aus der Geschichte Israels an (V. 7–13), die deutlich machen sollen, dass die genealogische Zugehörigkeit zu Israel allein noch nie ausreichte, um zu Gottes Volk zu gehören, sondern dass es schon immer Gottes Verheißung (V. 9) und Berufung (V. 12) bedurfte. In der Frage aber, wen er beruft, ist Gott, weil er Gott ist, frei und souverän (V. 14–23). Entscheidend ist schließlich, dass Gott immer noch beruft (V. 24–29) – und zwar nun die Christen, aus Juden und Heiden (V. 24). In diesem ersten Argumentationsgang beantwortet Paulus das sog. Israel-Problem also mit dem Verweis auf Gottes Souveränität und sein Handeln in der Geschichte. Aus diesem Blickwinkel ist

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Weitere Texte, die in der neutestamentlichen Exegese zur Ermittlung einer paulinischen Antwort auf die Frage nach Israel herangezogen werden, sind 1Thess 2,14–16 und Gal 4,21–31 mit 6,16 (vgl. z.B. Roloff, Kirche 124–126; Becker, Paulus, 489–494). Manche Exegeten sehen deshalb auch das eigentliche Thema von Röm 9–11 in der „Frage nach der in Jesus Christus erschienenen Gerechtigkeit Gottes und damit der Treue Gottes angesichts der an Israel ergangenen Verheißungen“ (so die Formulierung bei Schnelle, Paulus, 379; vgl. auch Theobald, Röm, 260f). Dabei kommt jedoch zu kurz, dass Paulus sich in Röm 9–11 in erster Linie mit der konkreten Frage nach der Zukunft Israels beschäftigen möchte (vgl. 9,1–5).

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Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

das Israel-Problem gar kein Problem, sondern die aktuelle Situation entspricht dem Handeln Gottes in der Vergangenheit genau.49 Einer Antwort auf die Frage, was aus dem nichtchristlichen Teil Israels wird, ist Paulus damit noch nicht näher gekommen. Im nächsten Argumentationsgang (9,30 – 10,29) nimmt er zunächst noch das gegenwärtige Verhalten Israels in den Blick.50 Der Fehler Israels – so könnte man diesen Abschnitt zusammenfassen – liegt darin, dass es in Jesus nicht den Christus sieht.51 Erst mit dem letzten Argumentationsgang (11,1–36), eröffnet durch λέγω οὖν, μὴ ἀπώσατο ὁ θεὸς τὸν λαὸν αὐτοῦ; (V. 1a), kommt Paulus schließlich auf die Ausgangsfrage nach der Zukunft Israels zurück. Mit einem prompten μὴ γένοιτο verneint er die These, dass Gott sein Volk verstoßen habe. Zur Begründung führt er zunächst seine eigene Existenz (V. 1b) und dann – mit Verweis auf Elia – die Tatsache an, dass ein Rest aus dem Volk Israel, nämlich die Judenchristen, übriggeblieben ist (V. 2–10). In V. 11a kommt Paulus dann endlich auf den nichtchristlichen Teil Israels zu sprechen: μὴ ἔπταισαν ἵνα πέσωσιν; Auch diese Frage verneint Paulus mit μὴ γένοιτο. Zur Begründung stellt er zunächst den Unglauben der Juden als Ursache für den Glauben der Heiden dar (V. 11b–15). In V. 16 folgert er mit zwei Metaphern aus der Rettung der Judenchristen die Rettung Israels, zum Ausdruck gebracht durch das Attribut ‚heilig‘.52 In dem sogenannten Ölbaum-Gleichnis (V. 17–24) geht es schließlich um das Verhältnis von Israel und Heidenchristen: Israel wird als Ölbaum beschrieben, dem einige Zweige (= die nicht an Christus glaubenden Juden) ausgebrochen, andere (= die Heidenchristen) eingepfropft wurden. Für die Frage nach der Zukunft Israels ist entscheidend, dass die ausgebrochenen Zweige jederzeit wieder eingepfropft werden können, sofern sie nicht im Unglauben bleiben (V. 23), und dass sie tatsächlich wieder eingepfropft werden (V. 24). Am Schluss (V. 25–32) wird Paulus dann doch noch ganz deutlich: πᾶς Ἰσραὴλ σωθήσεται (V. 26a). Wie genau diese Rettung Israels vonstattengehen wird, ist auch für Paulus ein Geheimnis (V. 25). Eine Rettung unabhängig vom Glauben an Christus ist sicherlich nicht vorstellbar (vgl. V. 23). Paulus erwartet ein Handeln Gottes am Ende der Zeiten, das alle Juden zum Glauben an Christus und dadurch zur Rettung führt.53 Interessant ist, dass Paulus auch hier (vgl.

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Vgl. Flebbe, Solus Deus, 351: „Der gegenwärtige Unheilszustand weiter Teile Israels bei gleichzeitigem Heil der Heiden ist insofern kein Problem, als man diese Sachlage von Gott aus betrachten muss, und Gott, wesentlich gekennzeichnet durch sein wirksames Wort, in keiner Weise von dieser Sachlage kritisch berührt wird. Denn sein Wort war schon immer nicht auf die Konstitution einer israeldefinierten Heilsgruppe aus, sondern auf eine Heilsgruppe, die, biblisch bezeugt, ganz anderen Kriterien als der eines ethnischen Israels folgend, wesentlich aus Juden und Heiden besteht. Insofern ist die aktuelle Situation gemischtchristlicher Gemeinden nicht eine Infragestellung Gottes, sondern seine Bestätigung.“ Vgl. Schnelle, Paulus, 383. So auch Sanders, Paulus, 156–160; vgl. z.B. konkret ebd., 160: „Die Juden haben einen Fehler, aber nur einen: Sie erkennen Jesus nicht als Christus an.“ Dazu ausführlich s.u. S. 201ff. Vgl. Flebbe, Solus Deus, 369f.

Exkurs: Ist Israel noch heilig?

201

V. 11–15) den ursprünglichen Heilsplan, der eine Rettung der Heiden im Anschluss an die Rettung Israels vorsah (vgl. Röm 1,16: Ἰουδαίῳ τε πρῶτον καὶ Ἕλληνι), umdreht: Israels Verstockung führt zum Heil der Heiden (V. 25) und erst daran schließt sich auch das Heil Israels an (V. 26).54 Die Abhandlung zur Israel-Frage endet schließlich mit einem Lobpreis Gottes (Röm 11,33–36), in dem Paulus u.a. die Unerforschlichkeit und Unbegreiflichkeit des göttlichen Handelns anspricht (V. 33). Dies könnte vielleicht als ein paulinisches Eingeständnis gelesen werden, denn die Frage nach der Zukunft Israels aufgrund ihres Status als Gottes Eigentumsvolk hat sich als Aporie herausgestellt.55 Den Widerspruch zwischen der bleibenden Gültigkeit der Verheißungen an Israel und der göttlichen Zusage der Gerechtigkeit allein aus Glauben an Jesus Christus kann Paulus nicht auflösen. Trotzdem hat er eine Antwort auf die Fragen, warum Israel gegenwärtig nicht an Christus glaubt und wie es Israel in der Zukunft ergeht: Der gegenwärtige Unglaube Israels ist die Voraussetzung dafür, dass die Heiden zum Glauben kommen und damit also Bestandteil des göttlichen Heilsplans. Am Ende der Zeiten wird dann auch Israel zum Glauben kommen und gerettet werden.

Röm 11,16 In Röm 11,16 gibt Paulus nach V. 11b–15 in metaphorischer Redeweise eine weitere56 Begründung für seine These aus V. 11, dass die „gestrauchelten“ Juden noch nicht gefallen sind: εἰ δὲ ἡ ἀπαρχὴ ἁγία, καὶ τὸ φύραμα· καὶ εἰ ἡ ῥίζα ἁγία, καὶ οἱ κλάδοι. Der Ausdruck ἀπαρχή ist eine Bezeichnung für „die Jahwe (bzw. dem Heiligtum) geschuldete[n] makellose[n] Erstgabe[n] aus Naturerträgen“57. Paulus spielt mit der Metapher von der ἀπαρχή und dem Teig auf eine alttestamentliche Opferanweisung an (vgl. Num 15,20f), der er allerdings eine eigene Deutung gibt: Durch die ἀπαρχή, der als Opfergabe das Attribut ‚heilig‘ selbstverständlich zufällt58, ist auch der Teig insgesamt heilig.59 Das zweite von Paulus verwendete Bild ist parallel aufgebaut und aufgrund der biologischen Tatsache, dass die Wurzeln eines Baumes seinen Zweigen zu Nährstoffen verhelfen,

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57 58 59

Vgl. Sanders, Paulus, 161f. So auch Haacker, Röm, 238. Vgl. Schnelle, Paulus, 390. So auch Kraus, Volk Gottes, 314. Nach Haacker, Röm, 230 wird hier „das vorher Gesagte in zwei Metaphern umgesetzt“. Allerdings deutet Haacker die Metaphern anders als in der vorliegenden Arbeit. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. Sand, ἀπαρχή, 278. Zu ἀπαρχή im Neuen Testament vgl. White, Erstlingsgabe, zu Röm 11,16a s. S. 69–109. So auch Dunn, Röm II, 658. Vgl. dazu auch S. 175. Diese Deutung ist so im Alten Testament nicht zu finden. Vgl. Cranfield, Röm II, 563. Vgl. dazu auch ausführlicher Hartung, Logik, 128f.

202

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

von der Bildhälfte her unmittelbar einsichtig: Wenn die Wurzel heilig ist, sind auch die Zweige heilig.60 Die entscheidende Frage ist, wie diese beiden Metaphern aufzulösen sind. Die exegetische Forschung der vergangenen Jahre bietet dazu zahlreiche Lösungen an: 1. Nach Meinung von K. HAACKER sind Erstlingsgabe und Wurzel Bilder für Israel und der Teig bzw. die Zweige entsprechen dem Christentum: „Es geht um die Partizipation von Nichtjuden (tendenziell aller Menschen) an Israels Gottesverhältnis, die sich in der Übertragung ursprünglicher Israel-Prädikate auf die Christusgläubigen niedergeschlagen hat“61. Dabei beruft sich Haacker auf Jer 2,3LXX, wo Israel ἀρχή genannt wird, und auf einen Beleg bei Sulpicius Severus (4./5. Jh.), wo Israel als die Wurzel des Christentums bezeichnet wird.62 Diese Deutung für Röm 11,16 kann jedoch nicht zutreffen, und zwar aus folgenden Gründen: In den vorhergehenden Versen spricht Paulus von dem „gestrauchelten Israel“ (V. 11) und dessen ἀποβολή63 (V. 15). In V. 16 kann er dann kaum die Heiligkeit Israels wie selbstverständlich voraussetzen, um daraus die Heiligkeit derer zu folgern, die Christus schon angenommen haben (vgl. die Rede von der πρόσλημψις in V. 15). Außerdem muss berücksichtigt werden, dass das Thema des vorliegenden Textzusammenhangs nicht das Verhältnis von Israel und Christentum ist, sondern allein die in Röm 11,1 aufgeworfene Frage nach dem aktuellen und zukünftigen Status Israels.64 Weitere Deutungen der beiden Metaphern in V. 16 sehen daher auch nicht in der Erstlingsgabe bzw. der Wurzel ein Bild für Israel, sondern in dem Teig bzw. den Zweigen.65 2. Andere Exegeten – unter ihnen z.B. E. LOHSE oder U. WILCKENS – deuten Erstlingsgabe und Wurzel in Röm 11,16 als Metapher für die Erzväter, aufgrund deren Heiligkeit auch das nachkommende Israel (im Bild der Teig bzw. die Zweige) heilig ist.66 Ausschlaggebend für diese Deutung ist dabei die zwei-

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Vgl. Lohse, Röm, 313. Zur Abhängigkeit der Zweige von den Wurzeln vgl. auch z.B. Ez 31,7. Weitere alttestamentliche Bibelstellen zu diesem Thema führt Dunn, Röm II, 659 an. Haacker, Röm, 259. So auch Hanssen, Heilig, 42f. Vgl. Haacker, Röm, 258. Zur Diskussion um die Bedeutung von ἀποβολή in Röm 11,15 vgl. Schaller, ΑΠΟΒΟΛΗ und zuletzt Wolter, Paulus, Anm. 38, 429f. Vgl. Kraus, Volk Gottes, 314: „Es geht noch immer um Israel unter der ἀποβολή und den ἐπαγγελίαι. Die beiden Analogien aus dem Bereich des Kultus und der Natur machen daher nicht primär das Verhältnis Israels zu den Heidenchristen deutlich, sondern beziehen sich beide auf den Stand Israels.“ Ganz aus diesem Rahmen fällt die Deutung von D. Starnitzke, der (mit Verweis auf K. Barth) die Erstlingsgabe bzw. die Wurzel unmittelbar auf Christus und den Teig bzw. die Zweige auf die Christen (jüdischer wie nichtjüdischer Herkunft) bezieht (vgl. Starnitzke, Struktur, 352f). Auch Starnitzke ist entgegenzuhalten, dass er damit das eigentliche Thema dieses Abschnitts – die Frage nach dem Status Israels – verfehlt. Zur Kritik an dieser Position vgl. außerdem Cranfield, Röm II, 564f. Vgl. Wilckens, Röm II, 246; Lohse, Röm, 313; Kraus, Volk Gottes, 314f. Hier ist auch die Beurteilung von Röm 11,16 durch K. H. Rengstorf einzuordnen, der konkrete

Exkurs: Ist Israel noch heilig?

203

te Metapher und das sich im Text unmittelbar anschließende Bild vom Ölbaum (Röm 11,17–24).67 Angesichts der Tatsache, dass in den folgenden Versen die Glieder Israels – wie auch die Heidenchristen – mit den Zweigen des Baumes gleichgesetzt werden, scheint die Wurzel hier zwangsläufig etwas zu sein, das chronologisch vor bzw. im Ursprung von Israel liegt: Mit der Wurzel werde „auf Ursprung und Herkunft Israels hingewiesen und [damit] sind wiederum die Erzväter gemeint, die bewirken, daß der gesamte Baum mit allen Zweigen Gott gehört“68. Vielfach wird in diesem Zusammenhang auch auf äthHen 93 verwiesen, wo Abraham als Wurzel Israels beschrieben wird.69 3. Dieselbe Deutung berücksichtigen auch diejenigen Exegeten, die beide Metaphern unterschiedlich auflösen. Ausgehend von dem Bild der Wurzel und dem sich anschließenden Ölbaum-Gleichnis, in dem Juden und Heidenchristen eindeutig die Rolle der Zweige zugeschrieben wird, versteht auch J. D. G. DUNN die Wurzel als Metapher für die Erzväter Israels.70 Seiner Meinung nach sind die beiden Bilder in Röm 11,16 jedoch nicht zwangsläufig parallel zu lesen: „There is no reason why the two halves of v 16 should be synonymous rather than complementary“71. Mit Verweis auf paulinische Belege für ἀπαρχή als Bezeichnung für die ersten Christen an einem bestimmten Ort (1Kor 16,15; Röm 16,5) führt er, wie auch C. E. B. CRANFIELD, aus, dass es sich bei der Erstlingsgabe in Röm 11,16a um diejenigen handelt, „who have first responded to the gospel in this final stage of salvation-history“72. Darunter fasst Dunn sowohl Juden als auch Heiden. Nach Meinung von Cranfield geht es an dieser Stelle allein um die Judenchristen.73 Allerdings ist es mehr als zweifelhaft – und das spricht gegen die unter 2. und 3. vorgestellten Interpretationen von Röm 11,16 –, dass das sich im Textzusammenhang anschließende Ölbaum-Gleichnis (V. 17–24) für die Deutungsfindung von V. 16 herangezogen werden kann. Zwar bedient sich Paulus sowohl in V. 16b als auch in dem Abschnitt V. 17–24 der Metapher ‚Baum‘, jedoch auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise: Im sogenannten Ölbaumgleichnis verwendet er ein Bild aus dem Bereich der Gartenbautechnik und vergleicht die Praxis des Einpfropfens von fremden Zweigen in einen Baum mit dem Verhältnis der Heidenchristen zu Israel.74 In V. 16b braucht Paulus dagegen für seine Metapher allein die Tatsache, dass das Gedeihen der Zweige eines Baumes von seinen Wurzeln abhängig ist. V. 16b und der Abschnitt V. 17–24 soll-

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Namen nennt und in ἀπαρχή eine Metapher für Adam und in ῥίζα eine Metapher für Abraham sieht (vgl. Rengstorf, Ölbaum-Gleichnis, 130–135.138f). Vgl. dazu die Begründung bei Maurer, ῥίζα, 989. Lohse, Röm, 313. So z.B. Maurer, ῥίζα, 987.989; Käsemann, Röm, 298. Vgl. Dunn, Röm II, 660f. So auch Lietzmann, Röm, 104. Dunn, Röm II, 659. Weitere Exegeten, die diese Position vertreten, sind angeführt bei Cranfield, Röm II, 564. Dunn, Röm II, 659. Vgl. Cranfield, Röm II, 564. So auch Gaugler, Röm II, 191; Lietzmann, Röm, 104. Zu den agrartechnisch-biologischen Fragen, die dieser Text aufwerfen mag, vgl. ausführlich Hartung, Logik.

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Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

ten daher unabhängig voneinander ausgelegt werden.75 Indessen erscheint es mir – gegen Dunn, Cranfield und andere – jedoch unmöglich, die Teilverse 16a und 16b voneinander zu trennen. Schon allein der vollkommen parallele Aufbau der beiden Sätze spricht eindeutig dafür, sie als zwei Metaphern für denselben Sachverhalt zu verstehen.76 Außerdem beinhaltet die ἀπαρχή gegenüber dem Teig ebenso wie die Wurzel gegenüber den Zweigen das Moment des zeitlichen Vorausseins, insofern die ἀπαρχή der Teil des Teiges ist, der zuerst abgenommen und Gott geopfert wird (vgl. Num 15,20f). Von diesen Einwänden ausgehend lässt sich die Deutung von Dunn und Cranfield für V. 16a nun auch für V. 16b heranziehen. Damit ergibt sich die folgende vierte Auslegungsweise für Röm 11,16: 4. Mit beiden Metaphern will Paulus zum Ausdruck bringen, dass aufgrund der Heiligkeit der Judenchristen ganz Israel, d.h. auch der jetzt noch ungläubige Teil, heilig ist.77 Wie in 1Kor 16,15 und Röm 16,5 ist ἀπαρχή in V. 16a die Bezeichnung für die ersten Christen aus einer bestimmten Gruppe. Da es im vorliegenden Zusammenhang um Israel geht, handelt es sich demnach um die Judenchristen als Teilgruppe Israels, deren Heiligkeit Beleg genug dafür ist, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat (V. 1) und dass das gestrauchelte Volk noch nicht gefallen ist (V. 11). Die Heiligkeit der Judenchristen garantiert damit die Heiligkeit ganz Israels. Ähnlich wie in 1Kor 7,1478 scheint die Heiligkeit der Christen in gewisser Weise also ansteckend und auf Nichtchristen übertragbar zu sein.79 V. 16b kleidet denselben Sachverhalt nochmal in andere Worte: Als erste Christen unter den Juden sind die Judenchristen die Wurzel des noch ungläubigen Israels, das noch gerettet werden wird (V. 26). Die metaphorische Aussage von Röm 11,16 lautet also: Weil die Judenchristen als Christen heilig sind, ist ganz Israel heilig.

Die Heiligkeit Israels Wie steht es nun also um die Heiligkeit Israels? Auch wenn Paulus es so nicht formuliert, ist dies im Grunde die zentrale Frage von Röm 11. Wenn Paulus bemerkt „Hat denn Gott sein Volk verstoßen?“ (11,1a), so stellt er damit die

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78 79

Die Trennung von V. 16b und V. 17–24 hält J. White für „möglich, jedoch unwahrscheinlich“ (White, Erstlingsgabe, 100, Anm. 305). Seiner Meinung nach ist Röm 11,17–24 eine „Ausführung der Metapher in Röm 11,16b“ (ebd.). So auch White, Erstlingsgabe, 100. So auch Barrett, Röm, 216. Nach sehr ausführlichen Analysen kommt auch J. White im Grunde zu demselben Ergebnis, nämlich „dass der Referent der Erstlingsgabe in Röm 11,16a mit dem treuen Rest Israels in Verbindung gebracht werden muss. Er wird aber durch Paulus auf alle Jahwe treuen Juden einschließlich der an Christus gläubigen Juden seiner Generation erweitert“ (White, Erstlingsgabe, 108). Dieselbe Deutung nimmt White auch für Röm 11,16b vor (vgl. ebd.). Vgl. dazu Kapitel 6.5.1, S. 177ff. Auf diesen Zusammenhang weisen auch zahlreiche Kommentatoren des Römerbriefes hin. Vgl. z.B. Haacker, Röm, 258; Cranfield, Röm II, 564.

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

205

Frage, ob der Status als Gottes Eigentumsvolk, als das heilige Volk80, seine Gültigkeit verloren hat. Die paulinische Antwort darauf erfolgt in zwei Stufen: 1. Israel ist immer noch heilig, weil es unter den Juden auch Christen gibt. Als ein erstes Beispiel dafür gibt Paulus in Röm 11,1b sich selbst an. Dann führt er unter Rückgriff auf Elia aus: οὕτως οὖν καὶ ἐν τῷ νῦν καιρῷ λεῖμμα κατ᾿ ἐκλογὴν χάριτος γέγονεν· (11,5). Paulus vergleicht die aktuelle Situation und den Zustand, dass nur einige aus Israel glauben, mit der Situation zur Zeit Elias, als ebenfalls nur wenige aus dem Volk ihre Knie nicht vor Baal beugten (V. 4, vgl. 1Kön 19,18). Paulus bedient sich hier der alttestamentlichen und frühjüdischen Vorstellung vom ‚Rest‘ Israels und setzt die Judenchristen mit diesem gleich. Solange es einen Rest Israels gibt, hat Gott sein Volk nicht verstoßen, ist also Israel – zumindest dieser Rest – nach wie vor heilig.81 Interessant ist, dass Paulus nicht bei der Rest-Thematik stehen bleibt, sondern darüber hinaus geht: 2. Israel ist heilig, weil die Judenchristen die Heiligkeit des gesamten Volkes Israel garantieren. Mit Röm 11,11 kommt Paulus in seinen Ausführungen zu Israel endlich auf den Teil Israels zu sprechen, der nicht an Christus glaubt. Er integriert den momentanen Unglauben der Juden in den Heilsplan Gottes (V. 11b–12; vgl. auch V. 25b) und bringt mehrfach zum Ausdruck, dass er gleichzeitig von einer zukünftigen Rettung ganz Israels ausgeht (V. 12b: πλήρωμα αὐτῶν; vgl. auch V. 15b.24b.26a). Israel ist seiner Meinung nach vielleicht gestrauchelt, aber eben noch nicht gefallen (V. 11a). Garant dafür sind nicht zuletzt die Christen unter den Juden. Das bringt er in V. 16 in zwei Metaphern zum Ausdruck: Weil durch die Judenchristen als Christen ein Teil Israels heilig ist, ist ganz Israel heilig. Der Frage, wie man sich diese Rettung genau vorzustellen hat, geht Paulus dabei aus dem Weg. Für ihn aber steht fest, dass Israel gerettet werden wird (vgl. V. 26).

7.3

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

Bereits am Ende von Kapitel 5 ist deutlich geworden, dass Paulus im 1Thess Heiligkeitsterminologie anders verwendet als in den späteren Briefen. Nun, nachdem auch das paulinische Verständnis von Heiligkeit im 1Kor näher untersucht wurde (Kapitel 6), sollen die Unterschiede im Gebrauch der Heiligkeitsterminologie zwischen beiden Briefen näher erläutert und begründet werden (Abschnitt 7.3.1). In Abschnitt 7.3.2 soll dann auf Grundlage der Ergebnisse der vorherigen Kapitel das paulinische Heiligkeitsverständnis, das im Hintergrund der Bezeichnung οἱ ἅγιοι steht, zusammenfassend dargestellt werden. Ab–––––––––––––– 80

81

Vgl. dazu Kapitel 2.1.2, S. 24ff. Dort wird näher erläutert, dass die Bezeichnung ‚heiliges Volk‘ im Grunde nichts anderes meint, als das Eigentumsvolk Gottes, des Heiligen, zu sein. Zur Korrelation von Rest-Gedanke und Heiligkeitsterminologie vgl. Kapitel 2.4, S. 63ff.

206

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

schnitt 7.3.3 greift die Diskussion um das Verhältnis von Heiligung und Rechtfertigung auf. Abschnitt 7.3.4 bestimmt schließlich das Verhältnis von Heiligkeit und Ethik.

7.3.1

Unterschiede im paulinischen Gebrauch der Heiligkeitsterminologie

Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass der Ausdruck οἱ ἅγιοι im 1Thess im Unterschied zu den späteren Paulusbriefen nicht zur Bezeichnung der christlichen Gemeinde gebraucht wird, sondern dass damit in 1Thess 3,13 himmlische Wesen bezeichnet werden. Der älteste paulinische Beleg für den Ausdruck οἱ ἅγιοι als Gemeindebezeichnung findet sich erst in 1Kor 1,2. Doch auch in Bezug auf die Verwendungsweise anderer Wörter des Wortstammes ἁγι- lassen sich Unterschiede zwischen dem 1Thess und dem 1Kor ausmachen: So ist das Verb ἁγιάζω bei Paulus nur in 1Thess 5,23 im Aktiv belegt. Die weiteren vier Belege für das Verb innerhalb der paulinischen Briefe (3x im 1Kor; 1x im Röm) stehen alle im Passiv. In 1Thess 5,23 ist Gott das Subjekt des Heiligens, Objekt sind die Thessalonicher (ὁ θεὸς … ἁγιάσαι ὑμᾶς). Das Verb steht im Optativ Aorist, innerhalb eines Gebetswunsches. Die Handlung des Heiligens wird also für die Zukunft erbeten. In 1Kor 1,2 gebraucht Paulus das Partizip Perfekt Passiv (ἡγιασμένοι) zur Bezeichnung der korinthischen Christen. Mit dem Perfekt wird dabei das Resultat des in der Vergangenheit liegenden Heiligens angezeigt.82 Die Korinther sind also ‚Geheiligte‘. In 6,11 steht das Verb im Aorist (ἡγιάσθητε).83 Paulus erinnert die Korinther hier daran, dass sie (von Gott) geheiligt wurden. Wieder liegt die Handlung des Heiligens in der Vergangenheit. In 7,14 steht das Verb schließlich im Indikativ Perfekt Passiv. Erneut liegt damit der Fokus auf dem Resultat des Heiligens, dem Geheiligtsein. Das Verb ἁγιάζω wird also in den beiden Briefen 1Thess und 1Kor in zweierlei Hinsicht unterschiedlich gebraucht. Zum einen steht es im 1Thess im Aktiv mit Gott als Subjekt, im 1Kor (wie auch im Röm) dagegen im Passiv. Zum anderen verweist es im 1Thess auf einen Akt, der für die Zukunft erbeten wird,

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Vgl. Leggewie, Ars Graeca, 210. Vgl. auch B/D/R § 340, 279 (Hervorhebungen im Original): „Das Perfektum vereinigt gleichsam Präsens und Aorist in sich, indem es die Dauer des Vollendeten ausdrückt“. Dieselbe Verbform ist auch in Röm 15,16 gebraucht.

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

207

während es im 1Kor auf einen Akt verweist, der in der Vergangenheit liegt.84 Das Substantiv ἁγιασμός spielt innerhalb des 1Thess eine große Rolle. Die Heiligung wird in 4,3–8 explizit zum Thema gemacht. Als weiteres Substantiv desselben Wortstammes ist im 1Thess außerdem ἁγιωσύνη belegt (3,13). Gerade aus der Gegenüberstellung dieser beiden Substantive und der Beachtung ihrer Unterschiede ergibt sich, dass nach dem Zeugnis des 1Thess Heiligkeit ein zukünftiger, für den Zeitpunkt der Parusie Christi zu erwartender Status ist. 85 Im 1Kor ist nur das Substantiv ἁγιασμός belegt und das nur an einer Stelle (1,30), und zwar als ein soteriologischer Terminus parallel zu den Substantiven δικαιοσύνη und ἀπολύτρωσις.86 In 1Kor 1,30 wird dabei ein konkreter Bezug zu Christus und dem mit diesem Namen verknüpften Heilsgeschehen hergestellt. Paulus setzt also die Wörter des Wortstammes ἁγι- im 1Thess anders ein als im 1Kor.87 Entsprechend der Thematik des gesamten Briefes hat die paulinische Rede von Heiligkeit und Heiligung im 1Thess einen eindeutig eschatologischen Bezug. Der Status der Heiligkeit wird für die Christen erst zum Zeitpunkt der Parusie erwartet, zum jetzigen Zeitpunkt sind allein die Engel Heilige. Im 1Kor ist dies anders: Hier ist οἱ ἅγιοι eine Bezeichnung für eine christliche Gemeinde und die Christen im Allgemeinen. Nach Aussage des 1Kor sind die Christen nicht erst zum Zeitpunkt der Parusie, sondern schon in der Gegenwart heilig. Die Heiligkeit hat also keine futurische Ausrichtung mehr. Stattdessen zeichnet sich deutlich ein Bezug zum Christusgeschehen ab. So –––––––––––––– 84

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Dies gilt eindeutig für 1Kor 1,2 und 6,11, wo sich das Verb auf die gesamte Gemeinde bezieht. In 1Kor 7,14 kann der Akt des Heiligens auch in der Gegenwart liegen. Zur Besonderheit des Gebrauchs der Heiligkeitsterminologie in 1Kor 7 vgl. Kapitel 6.5, S. 177ff. So das Ergebnis von Kapitel 5, vgl. Abschnitt 5.3, S. 142ff. Vgl. Kapitel 6.4.1, S. 169ff. Auf Unterschiede im Gebrauch der Heiligkeitsterminologie zwischen dem 1Thess und dem 1Kor weist auch W. Weiß hin. Vgl. Weiß, Heilig 51: „Anders als in den späteren Äußerungen, die nach allgemeiner Überzeugung vorpaulinisches Gut verwahren, wird das Heiligmotiv nicht retrospektiv an das Heilsgeschehen (etwa 1Kor 1,30) oder primär an die Taufe (1Kor 6,11) gebunden, sondern prospektiv an das Gerichtsgeschehen bei der Parusie“. Vgl. außerdem ebd., 61: „In der an 1Kor zu beobachtenden Weiterentwicklung des Heilig-Motives bei Paulus wird die traditionelle Grundlage forensischer Zielsetzung umgedeutet auf die durch Berufung und Taufe den Glaubenden zukommende soteriologische Qualifizierung. Die Identität der neuen Existenz, das In-Christus-Sein, umfasst den Zuspruch von Gerechtigkeit und Heiligung. In dieser Weise ist Heiligung nicht die direkte Begründung der Ethik bzw. Paränese, sondern lediglich mittelbare Folgerung des Existenzstatus in Christus.“

208

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

sind die Korinther nach paulinischer Aussage ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (1,2), sie sind geheiligt ἐν τῷ ὀνόματι τοῦ κυρίου Ἰησοῦ Χριστοῦ (6,11) und Christus ist ihnen σοφία …, δικαιοσύνη τε καὶ ἁγιασμὸς καὶ ἀπολύτρωσις geworden (1,30). Für 1Kor 6,11 kann zudem mit großer Wahrscheinlichkeit ein Bezug zur Taufe angenommen werden. Die Christen sind also nach Aussage des 1Kor gegenwärtig Heilige, insofern sie Anteil am Heil haben, das in dem Heilsgeschehen Christi begründet liegt und den Christen durch Glaube und Taufe zuteilwird. Demnach ist jeder, der glaubt und getauft ist, heilig, und zwar bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt und nicht erst – wie nach Aussage des 1Thess – zum Zeitpunkt der Parusie Christi. Eine letzte zu nennende Differenz zwischen dem Gebrauch der Heiligkeitsterminologie im 1Thess und im 1Kor liegt in der damit verbundenen Bezugnahme auf Israel. Nach Aussage des 1Thess bedeutet die Tatsache, dass die Christen in Thessalonich in den Stand der Heiligung Berufene sind, einen Seitenwechsel: Sie wechseln von der Seite der Heiden auf die Seite Israels. Dies wird besonders deutlich darin, dass Paulus von ihnen die Adaptierung des jüdischen Ethos erwartet. Im 1Kor ist die Heiligkeit der Gemeinde dagegen stärker an das mit Christus verbundene Heilsgeschehen gebunden. Für Paulus wird mehr und mehr klar, dass die alles entscheidende Grenze nicht mehr zwischen Juden und Heiden, sondern zwischen Christen und NichtChristen verläuft (vgl. 1Kor 12,13 und dann später v.a. Gal 3,26–29). Dementsprechend ist auch die Heiligkeitsterminologie nicht mehr so mit Israel verbunden wie noch im 1Thess.88 Nun stellt sich die Frage, worin diese Unterschiede begründet sind und warum Paulus Ort und Zeit der Heiligkeit von der Parusie auf die gegenwärtige irdische Existenz der christlichen Gemeinden verschiebt. Ein wesentlicher Grund ist zunächst mit Sicherheit die sogenannte Parusieverzögerung.89 Bekanntlich ist der 1Thess von einer ausgeprägten Naherwartung der Parusie geprägt.90 Diese Naherwartung wird jedoch –––––––––––––– 88

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90

So auch Schmidt, Heilig, 342 (Hervorhebung im Original): „Zum anderen wird mit der Verselbständigung der Heidenmission, deren Ausbreitung durch Paulus’ Wirken, sowie der stärker deutlich werdenden Ablösung des Heidenchristentums vom Judenchristentum die Kategorie des Heiligseins für Heidenchristen geltend gemacht, die zunächst – folgt man der hier nachgespürten Begriffshistorie – nur den jüdischen Christusgläubigen zukam.“ Vgl. ebd., 341f: „Mit der Parusieverzögerung […] verliert er [der Begriff der Heiligung bzw. des Heiligseins; M. B.] seine klare eschatologische Orientierung und gewinnt stattdessen einen stärker diesseitigen Sitz im Leben: Dadurch entsteht Raum für dessen nachfolgende, allmählich einsetzende Ethisierung.“ Vgl. Becker, Paulus, 145: „Kein literarisches Zeugnis des Urchristentums ist so konzentriert auf die endzeitliche Ankunft des Herrn ausgerichtet wie der 1. Thess.“

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

209

nicht erfüllt und das Hier und Jetzt im Leben der Christen gewinnt an Bedeutung. Dies wird insbesondere bei einem direkten Vergleich der beiden Briefe 1Thess und 1Kor deutlich. So nehmen die paulinischen Äußerungen zu Tod und Auferstehung (1Thess 4,13 – 5,11) gemessen an der Länge des Briefes im 1Thess verhältnismäßig viel Raum ein. 91 Zwar ist das Thema auch im 1Kor präsent (1Kor 15,12–58), hier steht es jedoch neben zahlreichen Ausführungen zu Themen, die das aktuelle Leben in der Gemeinde betreffen (insbesondere ab Kap. 7). Diesem Prioritätenwandel entsprechend liegt der Fokus der paulinischen Sprache stärker auf der aktuellen Situation der Christen als auf ihrem Status am Ende der Zeiten. Paulus geht dazu über, die Christen seiner Gemeinden schon in der Gegenwart als ‚Heilige‘ zu bezeichnen. Dies bot sich aus einem weiteren Grund an, denn mit dem Ausdruck οἱ ἅγιοι greift Paulus einen Begriff auf, der zu seiner Zeit als Bezeichnung für die Christen üblich war.92 Bereits die Urgemeinde in Jerusalem hat sich so genannt und es ist nicht davon auszugehen, dass erst Paulus diesen Begriff auch für andere Gemeinden und Christen etabliert hat.93 Paulus passt sich mit dem Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die Christen also einem zu seiner Zeit üblichen Sprachgebrauch an.94 Der Ausdruck wird für ihn zu einer festen Bezeichnung für seine Gemeinden. Im Folgenden gilt es nun noch darzustellen, was es für Paulus bedeutet, dass die Christen Heilige sind, oder anders ausgedrückt: was der Begriffsinhalt der Bezeichnung ‚Heilige‘ ist.

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Ebenso Schnelle, Ethik, 298: „der für den 1 Thessalonicherbrief zentrale Denkhorizont […]: Die Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft des Herrn Jesus Christus“. Vgl. auch Luckensmeyer, Eschatology, 1 zum 1Thess: „Nowhere else does Paul refer so often to the parousia of the Lord.“ So das Ergebnis von Kapitel 4. Vgl. zusammenfassend Abschnitt 4.5, S. 112ff. Vgl. Klaiber, Rechtfertigung, 27: „Linguistische und traditionsgeschichtliche Analyse weisen gemeinsam daraufhin, daß diese Begriffe [u.a. οἱ ἅγιοι; M. B.] über den Bereich der paulinischen Mission hinaus Allgemeingut der griechisch sprechenden Gemeinden waren.“ Vgl. auch ebd., 49: „Inwieweit Paulus direkt auf jüdische Quellen zurückgreift oder die Begriffe von der Gemeinde in Antiochien und anderen urchristlichen Kreisen übernimmt, ist im einzelnen schwer festzustellen. In der Regel ist das zweite wahrscheinlicher, besonders wenn die Termini auch außerhalb des von Paulus beeinflußten Schrifttums erscheinen.“ So auch Hvalvik, Churches, 239: „It is most likely that Paul has taken over an established term“.

210 7.3.2

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

‚Gemeinschaft der Heiligen‘ – Heiligkeit als Identitätsmerkmal der paulinischen Gemeinden

In der Regel gebraucht Paulus den Ausdruck οἱ ἅγιοι für seine Gemeinden, ohne die Heiligkeit der so Bezeichneten explizit zu thematisieren. Der Ausdruck οἱ ἅγιοι hat sich in den paulinischen Briefen als eingeführte Gruppenbezeichnung erwiesen, deren Bedeutung sich vornehmlich über den Begriffsumfang und weniger über den Begriffsinhalt erschließt.95 Allerdings wurde bei der Durchsicht sämtlicher Belegstellen für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι auch festgestellt, dass Paulus den Ausdruck auffallend oft dann gebraucht, wenn den als ‚Heilige‘ Bezeichneten – wer auch immer an der entsprechenden Stelle gemeint ist – in irgendeiner Weise eine Unterstützung zukommt oder zukommen soll.96 Paulus setzt die Bezeichnung οἱ ἅγιοι also gezielt ein, um in entsprechenden Zusammenhängen auf das Moment der Verbundenheit der Christen untereinander rekurrieren zu können. In diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass Paulus die Christen seiner Gemeinden nur im Plural als Heilige anspricht. Nie wird ein einzelner Christ von Paulus Heiliger genannt.97 Der Ausdruck οἱ ἅγιοι ist für Paulus immer nur eine Gruppenbezeichnung und nie der Plural einer einfachen Personenbezeichnung.98 Nach paulinischer Ansicht ist nicht die Gemeinschaft heilig, weil sie aus Heiligen besteht, sondern der einzelne Christ ist heilig, weil er zur Gemeinschaft der Heiligen gehört. Die Gemeinschaft der Heiligen ist daher mehr als der Zusammenschluss derer, die zu ihr gehören.99 Die Identität der ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ ist – so das Ergebnis von Kapitel 6 – das zentrale Thema der ersten Hälfte des 1Kor. Schon in der adscriptio (1Kor 1,2) werden die Korinther als ἡγιασμένοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ und κλήτοι ἅγιοι angeredet.100 Zentraler Text ist der –––––––––––––– 95 96 97

Vgl. zusammenfassend Kapitel 4.5, S. 112ff. Vgl. zusammenfassend Kapitel 4.4.7, S. 110ff. Hier sei nochmals auf die formale Ausnahme Phil 4,21 hingewiesen. Paulus verwendet an dieser Stelle zwar den Akkusativ Singular des Adjektivs ἅγιος, inhaltlich ist jedoch auch hier von mehreren (genaugenommen allen) Heiligen die Rede. 98 Vgl. Adewuya, People of God, 204: „Paul’s thinking on holiness is primarily communal. Although each person who belongs to Jesus Christ belongs to him personally, there is nothing individualistic about such relationship. As such, it is the church, collectively, that is called to holy living, the individual only being important as a constituent member of the community.“ 99 Vgl. Berger, Theologiegeschichte, 391: „Die Gruppe im ganzen besitzt eine Qualität, die nicht aus der Addition der Qualitäten von einzelnen ableitbar ist. Sie besitzt ein eigenes Sein.“ 100 Vgl. Kapitel 6.1, S. 145ff.

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

211

Abschnitt 1Kor 6,1–11, in dem Paulus die Identität der Christen als Heilige in Abgrenzung von ihrer vorchristlichen Vergangenheit und ihrer nichtchristlichen Umwelt explizit zum Thema macht. Im gesamten ersten Briefteil (1Kor 1–6) gebraucht Paulus Heiligkeitsterminologie, um die korinthische Gemeinde an ihren Status vor Gott zu erinnern, der sie von ihrer Umwelt unterscheidet.101 Heiligkeit ist bei Paulus eine ekklesiologische Kategorie, mit der die Identität der christlichen Gemeinden in Abgrenzung von ihrer nichtchristlichen Umwelt unverwechselbar zum Ausdruck gebracht wird. Dazu bedient er sich vornehmlich der Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι. Daneben verwendet Paulus aber noch zahlreiche weitere Bezeichnungen für die christlichen Gemeinden und deren Angehörige: Häufige Anrede in den adscriptiones seiner Briefe ist – abgesehen von οἱ ἅγιοι – der Ausdruck ἐκκλησία.102 Außerhalb der Briefpräskripte findet sich vor allem die Bezeichnung ἀδελφοί.103 Außerdem findet sich noch eine ganze Reihe anderer Bezeichnungen, wie z.B. κλητοί bzw. ἐκλεκτοί (1Kor 1,2.24; Röm 1,6.7; 8,28.33), ἠγαπημένοι ὑπὸ θεοῦ (1Thess 1,4; vgl. Röm 1,7), υἱοὶ θεοῦ bzw. τέκνα θεοῦ (Röm 8,14.16; vgl. Gal 4,4–7), πιστεύοντες (1Thess 2,10.13) oder πνευματικοί (Gal 6,1). Alle diese Bezeichnungen können – zumindest im Hinblick auf ihren Begriffsumfang – als Synonyme gelten.104 Sie können parallel zueinander stehen und sogar zu einer einzigen Bezeichnung verschmelzen (vgl. κλητοὶ ἅγιοι in 1Kor 1,2 und Röm 1,7105). Im Hinblick auf ihren Begriffsinhalt können und sollten die genannten Bezeichnungen jedoch voneinander unterschieden werden, denn jede von ihnen verweist auf einen anderen Aspekt des Status, in dem sich die so Bezeichneten befinden. Wesentliche Aspekte des Begriffsinhalts der Be–––––––––––––– 101 Vgl. Berger, Theologiegeschichte, 356 zur Bezeichnung οἱ ἅγιοι für die Christen: „Hier […] geht es um den grundsätzlichen Status einer Gruppe und ihre welt- bzw. heilsgeschichtliche Funktion im Kontrast zu anderen Gruppen.“ 102 Zur Bezeichnung ἡ ἐκκλησία vgl. Kapitel 3.2.3, S. 74ff. 103 Zur Bezeichnung οἱ ἀδελφοί vgl. Kapitel 3.2.2, S. 71ff. – Zu den bisher angeführten Bezeichnungen schreibt W. Klaiber: „Vor allem die Worte ἐκκλησία, ἅγιοι und ἀδελφοί dienen dazu, die christliche Gemeinde und ihre Glieder anzureden bzw. als Subjekte oder Objekte eines bestimmten Handelns und Verhaltens zu benennen“ (Klaiber, Rechtfertigung, 26). 104 So auch Klaiber, Rechtfertigung, 24, der ebd. außerdem folgende berechtigte Warnung ausspricht: „Das gilt aber nur für den Bereich der titularen Verwendung und darf nicht zu einer Vermengung des traditionsgeschichtlichen Hintergrundes führen.“ Vgl. dazu außerdem Berger, Volksversammlung, 190–192. 105 Zu κλητοὶ ἅγιοι s.o. S. 96.

212

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

zeichnung οἱ ἅγιοι sind die Abgrenzung von der nichtchristlichen Umwelt und die Verbundenheit der Christen untereinander.106

7.3.3

Heiligung und Rechtfertigung

In der neuzeitlichen evangelischen Theologie ist der Begriff ‚Heiligung‘ als Komplementärbegriff zu ‚Rechtfertigung‘ gebräuchlich. Beide zusammen gelten nach M. HONECKER als „klassische Formulierung des Verhältnisses von Dogmatik und Ethik“107, wobei ‚Heiligung‘ die Ethik und ‚Rechtfertigung‘ die Dogmatik erfasst. 108 Bei Paulus können beide Begriffe dagegen als Synonyme nebeneinander stehen, und zwar in 1Kor 1,30109, wo ἁγιασμός und δικαιοσύνη neben ἀπολύτρωσις als soteriologische Termini gebraucht werden. In 1Kor 6,11110 sind die Verben ἁγιάζω und δικαιόω (jeweils im Passiv) parallel nebeneinander genannt. Beide beschreiben an dieser Stelle das in der Taufe verortete Heilsgeschehen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang schließlich noch Röm 8,27–30. Die Verse 29–30 beinhalten eine sogenannte Kettenreihe111: 29 … οὓς προέγνω, καὶ προώρισεν …· 30 οὓς δὲ προώρισεν, τούτους καὶ ἐκάλεσεν· καὶ οὓς ἐκάλεσεν, τούτους καὶ ἐδικαίωσεν· οὓς δὲ ἐδικαίωσεν, τούτους καὶ ἐδόξασεν. Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist die Feststellung, dass es dieselben Personen sind, die von Gott ausersehen, von –––––––––––––– 106 Nach Meinung von M. J. Gorman gilt: „for Paul holiness is trinitarian in structure“ (Gorman, „You Shall Be…“, 153). Dem wird man jedoch entgegenhalten müssen, dass das Neue Testament noch keine Trinitätslehre kennt (vgl. Ritter, Trinität, 91– 93). Natürlich kommt nach biblischer Aussage sowohl Gott (vgl. den Exkurs, S. 25f), als auch Jesus (vgl. z.B. Joh 6,69) und dem Geist (vgl. den Exkurs, S. 131ff) das Attribut ‚heilig‘ zu. Doch ist dahinter mit Sicherheit keine Struktur, geschweige denn eine ausformulierte Lehre wie die von der Trinität Gottes zu vermuten. 107 Honecker, Einführung, 83. Vgl. dazu auch den Untertitel von O. Bayers Buch ‚Aus Glauben leben. Über Rechtfertigung und Heiligung‘. Allerdings schreibt Bayer zum Verhältnis von Rechtfertigung und Heiligung (ebd., 10): „So kommt auch die ‚Heiligung‘ zur Rechtfertigung nicht hinzu. Mit ihr wird vielmehr nichts anderes als noch einmal die Rechtfertigung zum Thema.“ 108 Vgl. Honecker, Einführung, 83. Vgl. auch Horn, Darstellung, 229: „Es ist nicht zu bestreiten, dass der Begriff der Heiligung innerhalb der Dogmatik geradezu ein Synonym für ethische Konzeptionen geworden ist“. 109 Vgl. dazu Kapitel 6.4.1, S. 169f. 110 Vgl. dazu Kapitel 6.2.2, S. 155ff. 111 Vgl. dazu Dibelius, Jak, 125ff. Lausberg, Handbuch, 315 spricht von einer „gradatio“ als einer „fortschreitende[n] Anadiplose“.

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

213

ihm vorherbestimmt, berufen, gerechtfertigt und verherrlicht wurden.112 Bei dieser Gruppe von Menschen handelt es sich um diejenigen, die Paulus in V. 28 οἱ ἀγαπῶντες τὸν θεόν und οἱ κατὰ πρόθεσιν κλητοί sowie in V. 27 οἱ ἅγιοι nennt.113 Die Wörter des Wortstammes ἁγι- können in ihrer paulinischen Verwendungsweise also ebenso gut eine soteriologische Aussage transportieren wie Wörter des Wortstammes δικαι- (vgl. 1Kor 1,30; 6,11)114, und die als οἱ ἅγιοι Bezeichneten sind bei Paulus ohne Zweifel die Gerechtfertigten (Röm 8,27–30). Trotzdem zieht Paulus in Zusammenhängen, in denen er sich explizit soteriologischen Fragestellungen widmet, in der Regel keine Heiligkeitsterminologie, sondern viel öfter Wörter des Wortstammes δικαι- heran (vgl. z.B. Röm 3,21–26).115 Der Heiligkeitsterminologie bedient er sich dagegen, wenn er den Status der ‚Geretteten‘ und die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe anzeigen will, also vornehmlich in ekklesiologischen Zusammenhängen. Umgekehrt bezeichnet Paulus die Angehörigen seiner Gemeinden – vielleicht mit Ausnahme von Röm 5,19 – nie als δίκαιοι.116 In gewissem Sinne unterscheidet Paulus also zwischen ἅγιος und δίκαιος respektive Wörtern des jeweiligen Wortstammes. Der Unterschied zwischen den beiden Wortfamilien besteht allerdings weniger auf der inhaltlichen Ebene – denn die von Paulus als οἱ ἅγιοι Bezeichneten sind diejenigen, die gerechtfertigt wurden – als vielmehr auf einer sprachlichen Ebene: Geht es Paulus darum, den soteriologischen Vorgang an sich zu beschreiben, bedient er sich gerne der Begrifflichkeit rund um das Adjektiv δίκαιος. Das Adjektiv δίκαιος und stammverwandte Wörter können deshalb mit E. P. SANDERS zur „Transfer-Terminologie“117 gezählt werden: „Nach pln. Sprachgebrauch ist ‚gerecht –––––––––––––– 112 In diesem Zusammenhang irrelevant ist die Frage, inwiefern Röm 8,29f eine Aussage zum ordo salutis enthält. Vgl. dazu Steiger, Ordo salutis. 113 Vgl. dazu auch schon Kapitel 4.4.4, S. 108f und o. S. 127. 114 Vgl. Klaiber, Rechtfertigung, 27. 115 Vgl. Sanders, Paulus/Judentum, 438: „Trotz der herausragenden Stellung, die die ‚Reinigungs‘-Terminologie [darunter zählt Sanders auch die Wörter des Wortstammes ἁγι-; M. B.] im I Kor einnimmt […], ist sie jedoch nicht die charakteristische Ausdrucksweise, um den Übergang zum Christ-Sein in Worte zu kleiden.“ 116 Darauf verweist auch Sanders, Paulus/Judentum, 426. Vgl. auch Bonhoeffer, Nachfolge, 251f: „Der andere Name, der sich denken ließe, nämlich ‚Gerechte‘, findet keinen Eingang. Er vermag nicht in derselben Weise den ganzen Umfang der empfangenen Gabe zu beschreiben. Er ist bezogen auf das einmalige Ereignis der Taufe und Rechtfertigung.“ – Abgesehen von Röm 5,19 ist das Wort δίκαιος innerhalb der paulinischen Briefe nur noch in Röm 2,13 im Plural belegt. Dort ist es aber eindeutig adjektivisch aufzufassen und keine Gruppenbezeichnung. 117 Vgl. Sanders, Paulus/Judentum, 438–448, insbesondere 446ff.

214

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

gemacht werden‘ (‚gerechtfertigt werden‘) ein Begriff, der den Eintritt, nicht aber das Verbleiben im Leib der Geretteten bezeichnet.“118 Heiligkeitsterminologie verwendet Paulus dagegen eher in Fragen der Zugehörigkeit zur Heilsgruppe. Sie dient ihm zur Beschreibung des Status dieser Gruppe oder zur Bezeichnung einer konkreten Anzahl von Menschen, die Teil dieser Heilsgruppe (einer Gemeinde) sind.119 Das Adjektiv ἅγιος und seine Stammverwandten können daher mit W. MEEKS der Kategorie „language of belonging“ zugeordnet werden. 120 Paulus gebraucht die Rechtfertigungs- und die Heiligkeitsterminologie also nicht für unterschiedliche Sachverhalte, sondern in unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen.121 Die Grundlage für den Gebrauch der Rechtfertigungsterminologie lässt sich sogar noch genauer bestimmen: Sie hat erst in der konkreten Kommunikationssituation des Gal ihren Weg in die paulinische Sprache gefunden.122 Gerade im Vergleich mit der Rechtfertigungsterminologie und aufgrund der Feststellung, dass zwischen ‚heilig‘ und ‚gerechtfertigt‘ weniger ein inhaltlicher, als vielmehr ein sprachlicher Unterschied besteht, dürfte deutlich geworden sein, dass Paulus kein Konzept von Heiligkeit oder Heiligung hat, das aus seinen Briefen herausgefiltert werden könnte.123 Paulus spricht nicht von Heiligkeit, Heiligung oder den Hei–––––––––––––– 118 Ebd., 504. 119 Vgl. Berger, Theologiegeschichte, 519: „Im Unterschied zur Gerechtigkeit liefert die Kategorie der Heiligkeit auch eine Ekklesiologie mit.“ Vgl. auch Klaiber, Rechtfertigung, 27, wonach die Bezeichnung οἱ ἅγιοι „nicht nur soteriologisch ein Kollektiv geretteter Individuen umschreibt, sondern auf konkrete Gemeinschaft zielt“. – Aus diesem Grund ist es angemessen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema ‚Heiligkeit‘ in den Paulus-Theologien in der Regel innerhalb eines Kapitels zur paulinischen Ekklesiologie erfolgt. Vgl. Strecker, Theologie, 190–192; Hahn, Theologie II, 489; Schnelle, Paulus, 647f. 120 Vgl. Meeks, Christians, 85. Vgl. auch Hvalvik, Churches, 240 (Hervorhebung im Original): „‚the saints‘ is a term that denotes a fellowship“. 121 Mit dem Verhältnis von Heiligung und Rechtfertigung ringt auch K. Stalder. Allerdings kommt er zu keinem befriedigenden Ergebnis, da er Unterschiede und Gemeinsamkeiten allein auf der Sachebene und nicht im sprachlichen Gebrauch der jeweiligen Terminologie sucht. So schreibt er: „Die paulinische Botschaft von Heiligkeit und Heiligung des Menschen durch Gott entspricht vollkommen der Rechtfertigungsbotschaft.“ (Stalder, Werk des Geistes, 210) und: „Die Heiligung als das Leben der schon Geheiligten ist das Leben in der Rechtfertigung, und das Sein in der Heiligung ist das Ziel der Rechtfertigung“ (ebd., 208). 122 So Wolter, Perspektive, 2. Vgl. zu den Wurzeln der Rechtfertigungsterminologie und zu ihrem Gebrauch im Gal Becker, Paulus, 294–312. 123 Entsprechende Versuche müssen zwangsläufig in eine Gesamtdarstellung der paulinischen Theologie münden, wie z.B. die umfassenden Monographien von K. Stalder und H. Stettler zeigen, die vorgeben, den Begriff der Heiligung bei Paulus darzustellen, im Grunde aber eine Darstellung der gesamten paulinischen Theologie

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

215

ligen um einen bestimmten, gegenüber der Rechtfertigung neuen Sachverhalt darzulegen, sondern er gebraucht diese Terminologie, weil sie sich in konkreten Kommunikationssituationen besonders gut eignet, die Identität der Christen, die er auch mit ‚gerechtfertigt‘ oder ‚erwählt‘ titulieren könnte, zu beschreiben. Insbesondere spricht Paulus dann von der Heiligkeit der Christen, wenn er auf ihre Andersartigkeit im Vergleich zur außerchristlichen Umwelt oder auf ihre Verbundenheit untereinander rekurrieren möchte. Vor allem im 1Kor dient der Verweis auf die Heiligkeit der Christen außerdem häufig dazu, ethische Mahnungen zu begründen. Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis von Heiligkeit und Ethik auf, die nun in einem letzten Abschnitt in den Blick genommen werden soll.

7.3.4

Die Ethik der Heiligen – Der Identität Ausdruck verleihen

Das Adjektiv ‚heilig‘ und die Bezeichnung ‚Heiliger‘ haben in heutiger Zeit oftmals eine ethische Konnotation. So kann ein Mensch in der römisch-katholischen Kirche unter anderem aufgrund seiner heroischen Tugendübung heiliggesprochen werden.124 In der deutschen Alltagssprache kann der Ausdruck ‚Heiliger‘ auch einen gewöhnlichen Menschen bezeichnen, der für sein tugendhaftes Verhalten bekannt ist. 125 Umgekehrt gilt ein Mensch als ‚scheinheilig‘, wenn er sich nur scheinbar moralisch, tatsächlich aber unmoralisch verhält. Diese heute im Adjektiv ‚heilig‘ zweifellos enthaltene ethische Konnotation ist mehrfach auch in der paulinischen Verwendung des Wortes ἅγιος und anderen Wörtern des Wortstammes ἁγι- wahrgenommen worden. So urteilt C. K. BARRETT zur paulinischen Rede von Heiligung: „Sanctification (holiness) in Paul’s usage has more often a moral connotation“126. Nach Meinung von J. DILLERSBERGER ist im Neuen Testament „klarer als irgendwo anders mit dem Worte ein sittlicher Sinn verbunden“127. Seiner Meinung nach hat „[n]icht die eigentliche

124

125

126 127

aus dem Blickwinkel der Heiligung beinhalten. Auf Letzteres weist auch Schmidt, Heilig, 6 hin. Vgl. AAS 75, 349: „Inter hos quovis tempore plures Deus eligit, qui Christi exemplum proximius secuti, sanguinis effusione aut heroico virtutum exercitio praeclarum Regni caelorum praebeant testimonium.“ G. Lanczkowski definiert einen ‚Heiligen‘ „in allgemeiner Weise als den in religiöser und ethischer Hinsicht vollkommenen Einzelmenschen“ (Lanczkowski, Heilige, 641). Barrett, 1Kor, 60 (Hervorhebung im Original). Dillersberger, Das Heilige, 56.

216

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

Berufung von Gott – rein als solche genommen – […] den Christen diesen Namen [οἱ ἅγιοι; M. B.] eingetragen, sondern die damit verbundene Reinigung und Umwandlung ihrer Seele“128. R. ASTING unterscheidet zwei verschiedene Gruppen von paulinischen Aussagen zu Heiligkeit und Heiligung. Die erste Gruppe, die er als theokratisch-eschatologisch charakterisiert, beinhalte Texte, in denen Heiligkeit einen bestimmten Status beschreibt. Dieser Gruppe sei u.a. die Bezeichnung οἱ ἅγιοι zuzuordnen. Die andere Gruppe sei die mystisch-ethische Gruppe. Sie umfasse Texte, in denen Heiligkeit ethisch zu verstehen sei.129 Die Grundaussage der Texte aus der ersten Gruppe, also die Rede von Heiligkeit als einem Status, ist nach Asting vorpaulinisch. Paulus habe dann „in charakteristischer Weise den Heiligkeitsbegriff umgebildet. Das neue Gepräge, das er dem Heiligkeitsbegriff gegeben hat, besteht […] in einer Heraushebung des Ethischen.“130 Asting schreibt weiter: „Während sich die Gemeinde vor und neben Paulus einseitig an den theokratisch-kollektiven Heiligkeitsbegriff des Judentums gehalten und diesen in christlich-eschatologischer Richtung umgeformt hat, greift Paulus den anderen, individuell-ethischen Gedankengang auf und schafft aus diesem etwas ganz Neues mit christlichem Gepräge.“131

Nach Asting ist es die Auffassung des Paulus, „daß die Heiligkeit eine persönliche Qualität ist, daß diese Qualität durch ethische Bestrebungen erworben werden muß, daß aber – und dies ist die Hauptsache – diese Qualität von Gott geschenkt wird und die Bestrebungen in Gehorsam gegen Gott und in der Kraft seines Geistes sich vollziehen“132. Gewöhnlich habe die Bezeichnung οἱ ἅγιοι bei Paulus zwar „keinerlei ethische Bedeutung“133, in 1Kor 6,1f sieht Asting jedoch einen „ethischen

–––––––––––––– 128 Ebd., 77. Auf der anderen Seite kann Dillersberger aber auch schreiben: „Der Hauptgrund, warum die Christen heilig genannt werden, ist tatsächlich Gottes Tun an ihnen und nicht ihr eigenes“ (ebd., 57). Vgl. außerdem zusammenfassend ebd., 114: „Auf der einen Seite erscheint in ganz heller, verständlicher Klarheit die sittliche Reinheit und Vollkommenheit als eigentlicher Inhalt des Begriffs. Auf der anderen Seite ist derselbe Begriff von einer Wolke von Vorstellungen, Gefühlen und Stimmungen umgeben, der ihn ganz in die Sphäre des Geheimnisses weist. Beides nun zusammengenommen ergibt die Eigenart des christlichen Erlebnisses am Heiligen.“ 129 Vgl. Asting, Heiligkeit, 134. 130 Ebd., 202. 131 Ebd. 132 Ebd. 133 Ebd.

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

217

Nebensinn“134, der sich für ihn vor allem aus der Gegenüberstellung von Heiligen und Ungerechten ergibt.135 Nun ist es aber vielmehr so, dass die Christen nach Paulus nicht aufgrund eines bestimmten Verhaltens Heilige sind, sondern dass in der paulinischen Vorstellung alle Christen als Glaubende und Getaufte immer auch Heilige sind.136 Gerade in 1Kor 6,1–11 hat sich die Heiligkeit der Christen als Identitätsmerkmal ohne jeden ethischen Nebensinn erwiesen. Eine ethische Interpretation der christlichen Heiligkeit nach paulinischem Verständnis ist damit in jedem Fall unangebracht. 137 Trotzdem ist nicht zu bestreiten, dass das Thema der christlichen Heiligkeit in den paulinischen Briefen oftmals in paränetischen Kontexten verhandelt wird. Als zentrale Texte wurden in dieser Arbeit die Abschnitte 1Thess 4,3–8 und 1Kor 6,1–11 in ihren jeweiligen Briefkontexten untersucht. In Bezug auf die Verwendung von Heiligkeitsterminologie in 1Thess 4,3–8 wird oftmals eine Diskrepanz zwischen der paulinischen Aufforderung zur Heiligung in V. 3a (τοῦτο γάρ ἐστιν θέλημα τοῦ θεοῦ, ὁ ἁγιασμὸς ὑμῶν) und seiner Zusage, dass Gott ἐν ἁγιασμῷ berufen hat, in V. 7 beobachtet. Hier ist jedoch kein Widerspruch zu erkennen, denn mit der Forderung zur Heiligung ruft Paulus die Thessalonicher dazu auf, ihrer Identität als Christen Ausdruck zu verleihen und damit dem Stand, in den Gott sie berufen hat, zu entsprechen.138 Mit dem Aufruf zur Heiligung in V. 3a fordert Paulus keine konkreten Gebote, sondern ein Verhalten, das der eigenen Identität entspricht. Zur Beschreibung dieser Identität verweist er in V. 7 auf die Berufung durch Gott ἐν ἁγιασμῷ. In der ersten Hälfte des 1Kor verweist Paulus schließlich mehrmals auf die Heiligkeit der Christen, um damit seine Mahnungen zur Einheit innerhalb der Gemeinde (1Kor 1,10 – 4,21) und zur Abgrenzung von –––––––––––––– 134 Ebd., 204. 135 Vgl. ebd., 204f. 136 So auch schon Issel, Begriff der Heiligkeit, 80 (Hervorhebung im Original): „Nicht nach ihrer moralischen Qualität, sondern nach ihrer religiösen Stellung sind sie heilig. Darum steht ‚Heilige‘ kurzweg für ‚Christen‘ und zwar als Glieder der sichtbaren Gottesdienstgemeinde“. 137 Dies ist auch das zentrale Ergebnis der Dissertation von O. Hanssen: „Die statusrechtlichen Implikationen von hagiazein und auch hoi hagioi […] schließen eine im Ansatz ethische Interpretation von Heiligkeit aus“ (Hanssen, Heilig, 147). – Vgl. dazu jüngst auch Horn, Darstellung, 229: „Innerhalb der paulinischen Briefe kommt dem Wortstamm ἅγιος […] nicht die Rolle zu, die ihr [der Heiligung; M. B.] die Dogmatik gelegentlich aufbürdet, vor allem ist ihre [der Heiligung; M. B.] Zuordnung zur Ethik problematisch.“ 138 Vgl. zusammenfassend Kapitel 5.1.5, S. 134ff.

218

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

der außergemeindlichen Umwelt (1Kor 5f) zu begründen. Dies gilt insbesondere für 1Kor 6,1–11: Dieser Text ist von Heiligkeitsterminologie gerahmt und der Status der Christen als ‚Heilige‘ ist das zentrale Thema.139 Dabei ist entscheidend, dass Paulus nicht zur Heiligkeit mahnt, sondern auf die Heiligkeit der Christen verweist, um ethische Forderungen zu begründen.140 H. VON LIPS spricht in diesem Zusammenhang von der Heiligkeit als „Kriterium“ der Ethik. 141 R. ZIMMERMANN führt die Stichwörter ‚Heiligkeit‘ und ‚Heiligung‘ in einer ganzen Reihe von „Handlungsnormen“ auf, „die Paulus in seiner ethischen Argumentation als Begründungsinstanzen anführt“142. Prägnant wird die Bedeutung der Heiligkeit als Kriterium oder Begründungsinstanz einer ethischen Mahnung in der Formulierung ἀξίως τῶν ἁγίων in Röm 16,2 (vgl. auch Eph 5,3: καθὼς πρέπει ἁγίοις) zum Ausdruck gebracht. Die Bitte, Phöbe in der römischen Gemeinde gut aufzunehmen, begründet Paulus mit dem Hinweis auf die Identität der Christen als Heilige. Ein Nichtbefolgen dieser Bitte würde ihrer Identität widersprechen. Schließlich sei nochmals143 auf den vermutlich nachpaulinischen Textabschnitt 1Kor 14,33b–35 verwiesen, wo ein Schweigegebot für Frauen mit den Worten ὡς ἐν πάσαις ταῖς ἐκκλησίαις τῶν ἁγίων eingeleitet wird (V. 33b). Der Hinweis darauf, dass es „in allen Gemeinden der Heiligen“ so gehandhabt wird, begründet eine konkrete Verhaltensweise, hier das Schweigen von Frauen in der Gemeinde. Wieder ist die Heiligkeit der Christen Begründungsinstanz für eine ethische Weisung. Nun ist es aber nicht so, dass sich der Verweis auf die Heiligkeit der Christen besonders gut als Kriterium oder Begründungsinstanz für eine Ethik eignet und deshalb von Paulus in paränetischen Kontexten herangezogen wird. Vielmehr hat sich die Identität der korinthischen Christengemeinde (im Einzelnen: ihre Einheit nach innen und ihre Abgrenzung von der außerchristlichen Umwelt) als das eigentliche Thema des ersten Briefteils des 1Kor erwiesen. Eine bestimmte Ethik

–––––––––––––– 139 Vgl. Kapitel 6.2, insbesondere die Zusammenfassung Abschnitt 6.2.3, S. 159f. 140 So das Ergebnis von Kapitel 6. Vgl. dazu die Zusammenfassung Abschnitt 6.6, S. 182ff. 141 Vgl. von Lips, Heiligkeit, 172–176. 142 Zimmermann, Jenseits, 278. Vgl. auch schon Gaugler, Heiligung in der Ethik, 113 (Hervorhebung im Original): „[D]ie Heiligkeit der Gläubigen ist durchweg Motiv des ethischen Handelns.“ 143 Vgl. Kapitel 4.4.2, S. 107.

Das paulinische Verständnis christlicher Heiligkeit

219

fordert Paulus von den Korinthern nur insoweit er von ihnen erwartet, dass sie ihrer Identität als ‚Heilige‘ Ausdruck verleihen.144 Die Identität einer Gruppe drückt sich in verbindlichen, institutionalisierten Handlungen (einem Ethos145) aus. Erst durch ein der Gruppe eigenes Ethos bzw. vor allem durch die exklusiven Handlungen innerhalb dieses Ethos146 kann die Gruppe überhaupt als solche wahrgenommen werden.147 Dabei fungieren die exklusiven Handlungen „nach innen als ‚identity markers‘ und nach außen als ‚boundary markers‘“ 148. Davon ausgehend kann M. WOLTER das seit R. BULTMANN diskutierte Verhältnis von ‚Indikativ‘ und ‚Imperativ‘149 in den paulinischen Briefen neu bestimmen: „Der ‚Imperativ‘ formuliert ein normatives Ethos, dem es nicht etwa darum geht, so etwas wie eine ‚Bewährung‘ des Indikativs einzufordern. Ihm kommt vielmehr die Funktion zu, den Glaubenden und Getauften eine Objektivation ihrer neugewonnenen Identität zu ermöglichen. Anders gesagt: Die unablösbare Bezogenheit des ‚Imperativs‘ auf den ‚Indikativ‘ verdankt sich dem jeder Bestimmung und jedem Anspruch von Identität notwendig inhärenten Interesse, dass diese Identität dargestellt und zur Anschauung gebracht werden muss (und zwar nach außen wie nach innen), wenn anders sie nicht bloßes Postulat bleiben will.“150

Diesem Verhältnis von ‚Indikativ‘ und ‚Imperativ‘ bzw. von Identität und Ethos entsprechen auch unsere Beobachtungen zu den Texten, in denen Paulus die Heiligkeit seiner Gemeinden zum Thema macht. Paulus erwartet, dass die Christen ihre gemeindliche Identität als Heilige darstellen und zur Anschauung bringen. Dies tun sie seiner Meinung nach, wenn sie sich von Unzucht und Habgier fernhalten (1Thess 4,3– 8), wenn es in ihren eigenen Reihen keine πορνεία-Sünder gibt (1Kor 5) und sie Streitigkeiten unter Gemeindeangehörigen nicht vor außergemeindliche Richter bringen (1Kor 6,1–11). Entscheidend ist dabei, dass das paulinische Anliegen zur Behandlung dieser Themen nicht in den ethischen Mahnungen selbst liegt, sondern dass es ihm um die angemessene und richtige Darstellung der Identität der christlichen –––––––––––––– 144 Vgl. schon Gaugler, Heiligung in der Ethik, 116: „Die Ethik der Heiligung der Geheiligten ist vielmehr die dauernde Stellungnahme eben in jenem Geschehen der Rechtfertigung.“ 145 Vgl. Wolter, Identität, 127. 146 Zur Unterscheidung von exklusiven und inklusiven Handlungen vgl. ebd., 129. 147 Vgl. ebd., 127–129. 148 Ebd., 129 mit Verweis auf J. D. G. Dunn. 149 S.o. S. 135. F. W. Horn und R. Zimmermann verweisen darauf, dass bereits P. Wernle im Jahr 1897 von Indikativ und Imperativ sprach (Horn/Zimmermann, Einführung, 1). 150 Wolter, Identität, 136f (Hervorhebung im Original).

220

Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

Gemeinden geht. Die paulinische Ethik ist damit zuallererst „angewandte Ekklesiologie“151. Dass ausdrücklich die Identität als Heilige eine Darstellung derselben in einem bestimmten Ethos verlangt, war Paulus in gewissem Sinne aus Lev 19 vorgegeben. Dort steht die Aufforderung, heilig zu werden, als Überschrift zu verschiedenen ethischen Weisungen.152 Für das Verhältnis von Heiligkeit und Ethik kann damit zusammenfassend festgehalten werden: Nach paulinischer Vorstellung sind die Christen nicht aufgrund eines von ihnen praktizierten Ethos Heilige, sondern mit Hilfe eines bestimmten Ethos können und sollen sie ihrer Identität als Heilige Ausdruck verleihen.

7.4

Zusammenfassung und Ergebnissicherung: Die Christen als ‚Heilige‘ bei Paulus

Zusammenfassung und Ergebnissicherung Die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit zur Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen sollen nun abschließend in sechs Punkten thesenartig zusammengefasst werden: 1. Im 1Thess ist die Heiligkeit der Christen ein Status, der erst für den Zeitpunkt der Parusie Christi erwartet wird. Im Präskript des 1Kor gebraucht Paulus dann für die Angehörigen der christlichen Gemeinden in der Gegenwart erstmals die Bezeichnung οἱ ἅγιοι. Paulus hat diese Bezeichnung jedoch nicht selbst etabliert, sondern damit einen zu seiner Zeit üblichen Sprachgebrauch aufgegriffen. 2. Der paulinische Begriffsinhalt des Ausdruck οἱ ἅγιοι entspricht im Wesentlichen dem Begriffsinhalt dieser Bezeichnung im jüdischen Traditionsbereich: Die Heiligkeit ist für die so Bezeichneten Ausdruck ihres Verhältnisses zu Gott und ein Identitätsmerkmal, das sie von ihrer Umwelt unterscheidet und abgrenzt. Das gilt im Alten Testament für das Volk Israel genauso wie im Neuen Testament für die Christen. Der Unterschied gegenüber dem jüdischen Traditionsbereich besteht darin, dass Paulus die Identität der Christen und ihre Heiligkeit ἐν Χριστῷ begründet sieht. Dies hat zur Konsequenz, dass nicht nur Juden, sondern auch Heiden ‚Heilige‘ sein können. 3. Die Tatsache, dass Paulus die Christen ‚Heilige‘ nennt, darf nicht zu der Schlussfolgerung führen, die sich in den Anfängen befindende Kirche verdränge aus paulinischer Sicht das Volk Israel von –––––––––––––– 151 Ebd., 167. 152 S.o. S. 24.

Zusammenfassung und Ergebnissicherung

4.

5.

6.

221

seinem angestammten Platz als Gottes heiliges Volk. Der Grund für die Wahl der Bezeichnung ‚Heilige‘ liegt vielmehr darin, dass aus der Menge der Paulus geläufigen Ausdrücke und Bezeichnungen genau diese ihm geeignet erschien, die Identität der Christen und ihr Verhältnis zu Gott zum Ausdruck zu bringen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für den Status Israels bedenkt Paulus erst im Brief an die Römer. Paulus spricht nur im Plural von Heiligen. Heiligkeit ist ein Identitätsmerkmal der Gemeinde und nicht von Einzelpersonen. Die Christen sind nur in der Gemeinschaft und als Gemeinde Heilige. Als Heilige sind die Christen immer auch Gerechtfertigte. Trotzdem differenziert Paulus zwischen der Rede von der Rechtfertigung und der Rede von der Heiligung. Der Unterschied besteht vornehmlich auf einer sprachlichen Ebene: Mit der Rechtfertigungsterminologie beschreibt Paulus den Übergang zum Christsein, der Heiligkeitsterminologie bedient er sich dagegen um die gewonnene Identität als Christen zu benennen. Die Bezeichnung ‚Heilige‘ ist kein ethischer Begriff. Die Christen sind nach paulinischer Sicht nicht aufgrund eines bestimmten Ethos Heilige, sondern Paulus erwartet von ihnen, dass sie (mit Hilfe eines bestimmten Ethos) ihrer Identität als Heilige Ausdruck verleihen.

8

Ausblick

Zum Abschluss dieser Arbeit über die Christen als ἅγιοι bei Paulus soll der nachpaulinische Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ bedacht werden. Dies erfolgt bewusst als Ausblick im Anschluss an die Sicherung und Zusammenfassung der eigentlichen Ergebnisse. Dieses Kapitel unterscheidet sich in Detailliertheit und Ausführlichkeit von den vorangegangenen Kapiteln. Sein Ziel ist nicht die abschließende Behandlung der angesprochenen Themen, sondern ein skizzenhafter Ausblick auf den Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘, angefangen bei den deuteropaulinischen Briefen bis in die heutige Zeit. Zunächst sollen die außerpaulinischen Schriften des Neuen Testaments in den Blick genommen werden (Abschnitt 8.1). Bereits in der Zeit der Alten Kirche vollzieht sich die entscheidende Veränderung im Gebrauch des Ausdrucks ‚Heilige‘ von einer Bezeichnung für alle Christen hin zu einer Bezeichnung für einzelne Menschen, die aus der Menge der Christen hervorstechen. Dieser Wandel ist das Thema von Abschnitt 8.2. Abschließend erfolgt ein Ausblick auf die Heiligen in den Kirchen der Reformation und im ökumenischen Dialog (Abschnitt 8.3).

8.1

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im Neuen Testament außerhalb der paulinischen Briefe

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im außerpaulinischen Neuen Testament In diesem Abschnitt sollen nicht die Heiligkeitsverständnisse der einzelnen neutestamentlichen Schriften in aller Ausführlichkeit nachgezeichnet werden. Vielmehr soll der Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι im Hinblick auf den Begriffsumfang und den Begriffsinhalt an der jeweiligen Stelle untersucht werden. Textabschnitte, in denen das Wort ἅγιος adjektivisch gebraucht wird oder in denen andere Wörter des Stammes ἁγι- belegt sind, bleiben dabei mehrheitlich unberücksichtigt.

8.1.1

οἱ ἅγιοι in den deuteropaulinischen Briefen

Innerhalb der deuteropaulinischen Briefe ist die Bezeichnung οἱ ἅγιοι vor allem im Eph gebräuchlich. Mit insgesamt neun Belegen ist der Eph

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im außerpaulinischen Neuen Testament

223

innerhalb des gesamten Corpus Paulinum sogar der Brief mit den meisten Nachweisen für diese Bezeichnung (Eph 1,1.15.18; 2,19; 3,8.18; 4,12; 5,3; 6,18; vgl. außerdem Eph 3,5). Daneben ist οἱ ἅγιοι noch an fünf Stellen im Kol belegt (Kol 1,2.4.12.26; 3,12) und je einmal im 2Thess (1,10) und 1Tim (5,10). In den Präskripten des Kol und Eph1 werden die Adressaten der Briefe – wie öfter auch bei Paulus – als ἅγιοι angeredet (Eph 1,1; Kol 1,2). In Eph 1,1 wird parallel dazu die Bezeichnung πιστοί ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ gebraucht. Die Christen in Kolossä werden außerdem πιστοί ἀδελφοί ἐν Χριστῷ genannt. In beiden Briefen stehen die zwei Anreden parallel. Zumindest in Bezug auf ihren Begriffsumfang sind sie also synonym und bezeichnen jeweils die christlichen Adressaten des Briefes. Auch innerhalb der Briefe ist οἱ ἅγιοι an den meisten Stellen – wie sich aus dem jeweiligen Textzusammenhang ergibt – unbestreitbar eine eingeführte Gruppenbezeichnung im Sinne der heutigen Bezeichnung ‚Christen‘. Dies gilt für Eph 1,15; 4,12; 5,3; 6,18; Kol 1,4; 3,12 und auch für 1Tim 5,10.2 Daneben gibt es eine Reihe weiterer Belegstellen für οἱ ἅγιοι, an denen durchaus eine andere Deutung möglich wäre. Zu diesen Stellen zählt Kol 1,12: Dankt dem Vater, der euch fähig gemacht hat zum Anteil am Los der Heiligen (εἰς τὴν μερίδα τοῦ κλήρου τῶν ἁγίων) im Licht. Für eine Deutung der Heiligen als Engel spräche an dieser Stelle der Vergleich mit SapSal 5,5. Dort ist die Rede von dem Los (κλῆρος) eines Gerechten (vgl. V. 1) ἐν ἁγίοις, womit vermutlich himmlische Wesen gemeint sind.3 Aufschlussreich ist hier außerdem 1QS XI,7f: 7 … He has made them heirs in the legacy 8 of the Holy Ones ( ‫בגורל‬ ‫ ;)קדושים‬with the Angels (‫ )בני שמים‬has He united their assembly, an Yahad party. … Die Heiligen (‫ )קדושים‬sind in diesem Text eindeutig himmlische Wesen.4 Die Idee von einer Gemeinschaft der Gemeindeangehörigen mit Engeln findet sich auch sonst in den Schriften aus Qumran (vgl. z.B.: 1QH 11; vgl. außerdem äthHen 104,6).5 Die Vorstellung von einer Anteilhabe der Gerechten am Los der Engel ist im jüdischen Traditionsbereich also vorhanden und könnte auch für Kol 1,12 herangezogen wer–––––––––––––– 1 2 3 4 5

Ich gehe davon aus, dass dem Verfasser des Eph der Kol bekannt war. Vgl. dazu Schnelle, Einleitung, 355f. Diese unstrittigen Stellen sollen im Rahmen dieses kurzen Ausblicks nicht einzeln erläutert werden. Dafür sei auf die entsprechenden Kommentare verwiesen. S.o. S. 47. S.o. S. 58. Vgl. dazu außerdem die in Anm. 157, S. 59 genannte Sekundärliteratur.

224

Ausblick

den.6 R. HOPPE weist allerdings darauf hin, dass sich „der Inhalt der Qumran-Aussagen […] von Kol 1,12 doch ganz beträchtlich [unterscheidet]“7. So werde die Gemeinschaft mit den Engeln in Qumrantexten erst für die eschatologische Zukunft erwartet. 8 Der Verfasser des Kol sieht diesen Zustand dagegen schon in der Gegenwart erfüllt. 9 Als Argument gegen die Deutung von οἱ ἅγιοι als Bezeichnung für himmlische Wesen in Kol 1,12 kann außerdem Apg 26,18 herangezogen werden: τοῦ λαβεῖν αὐτοὺς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν καὶ κλῆρον ἐν τοῖς ἡγιασμένοις πίστει τῇ εἰς ἐμέ. Die ἡγιασμένοι sind an dieser Stelle Christen und keine himmlischen Wesen. Zudem ist ἅγιοι überall sonst im Kol (1,2.4.26; 3,12; vgl. auch 1,22) eine Bezeichnung für die Angehörigen der Gemeinde oder die Christen im Allgemeinen.10 Daher kann auch für 1,12 angenommen werden, dass mit οἱ ἅγιοι Christen bezeichnet sind.11 Die Aussage, dass Gott die mit dem Brief Angesprochenen befähigt hat εἰς τὴν μερίδα τοῦ κλήρου τῶν ἁγίων ἐν τῷ φωτί, bedeutet also, dass Gott sie denen, die vor ihnen Heilige waren, an die Seite gestellt hat.12 Sie, die vorher unter der Macht der Finsternis standen (vgl. V. 13), stehen jetzt wie alle Heiligen im Licht (vgl. 1Thess 5,4– 8). Parallelstelle zu Kol 1,12 ist Eph 1,18: Die Augen eures Herzens mögen erleuchtet werden, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung, was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbteils ἐν τοῖς ἁγίοις ist, … Auch hier ist die Deutung des Ausdrucks οἱ ἅγιοι umstritten. Aus den bereits zu Kol 1,12 genannten Gründen (vgl. außerdem Apg 20,32) ist es jedoch wahrscheinlicher, dass die Heiligen keine himmlischen We-

–––––––––––––– 6 7 8

9 10 11

12

So z.B. Wolter, Kol/Phlm, 65. Vgl. auch Benoit, Ἃγιοι en Colossiens. Hoppe, Triumph, 190. Dem widerspricht nicht, dass die Mitglieder der Qumrangemeinde nach eigener Vorstellung schon gegenwärtig so etwas wie eine liturgische Gemeinschaft mit den Engeln eingehen. Selbstverständlich stehen sie schon gegenwärtig gemeinsam auf der Seite Gottes (s.o. S. 59 mit Anm. 159). Die faktische Zusammenführung erfolgt dann aber erst in der eschatologischen Zukunft. Darauf verweist auch Wolter, Kol/Phlm, 65. Darauf verweist Schweizer, Kol, 47f. Vgl. ebd. I. Maisch führt als weiteres Argument gegen die Deutung von ἅγιοι in Kol 1,12 als Bezeichnung für Engel an, dass der Autor des Kol „den Engeln reserviert gegenüber steht“ (vgl. Maisch, Kol, 67f; Zitat: ebd., 67). Vgl. Maisch, Kol, 68f.

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im außerpaulinischen Neuen Testament

225

sen sind13, sondern Menschen und damit – analog zum sonstigen Gebrauch von οἱ ἅγιοι – die Christen.14 In Kol 1,26 spricht der Verfasser des Briefes vom Geheimnis (μυστήριον), das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war – „nun aber ist es offenbart worden τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ“. Der Ausdruck οἱ ἅγιοι ist hier mit Sicherheit eine Bezeichnung für die Christen. 15 Interessant ist im Vergleich dazu Eph 3,5: Dort heißt es vom Geheimnis Christi (V. 4: μυστήριον τοῦ Χριστοῦ), dass es offenbart wurde (ἀποκαλύπτω im Passiv) τοῖς ἁγίοις ἀποστόλοις16 αὐτοῦ καὶ προφήταις ἐν πνεύματι. Das Adjektiv ἅγιος ist an dieser Stelle Attribut zum Substantiv ἀπόστολοι. Diese Interpretation17 des Kolosser-Textes kann nun ihrerseits für die Auslegung von Eph 3,8 herangezogen werden, wo der Paulus des Eph sich als ἐλαχιστότερος (Allergeringster) πάντων ἁγίων bezeichnet. Demnach wäre es durchaus denkbar, dass πάντες ἅγιοι hier nicht alle Christen, sondern nur die Apostel umfasst (vgl. auch 1Kor 15,9, wo Paulus über sich schreibt: ἐγὼ γάρ εἰμι ὁ ἐλάχιστος τῶν ἀποστόλων). Unklar ist die Bedeutung von ἅγιοι in Eph 2,19: So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Nichtbürger, sondern ihr seid Mitbürger τῶν ἁγίων und Gottes Hausgenossen. Hier sind verschiedene Deutungsmöglichkeiten denkbar:18 Mit den ἅγιοι könnten – aus denselben Gründen wie in Kol 1,12 und Eph 1,18 – Engel gemeint sein, evtl. unter Einschluss der schon verstorbenen Christen.19 Wie meistens in den paulinischen und deuteropaulinischen Briefen könnte ἅγιοι aber auch für die Christen stehen.20 Dagegen führt G. SELLIN an, „dass die Formulierung ‚nicht mehr Fremde, sondern Mitbürger der …‘ eine relationale ist und zwischen genuinen Bürgern (den Heiligen) und Neu-Bürgern unterscheidet (die nun freilich zu den Heiligen dazugehören).“21 Nach Meinung von Sellin ist οἱ ἅγιοι in Eph 2,19 –––––––––––––– 13 14 15 16 17 18 19 20 21

So aber Schnackenburg, Eph, 74; Luz, Eph, 123. Vgl. Sellin, Eph, 132f. Hier wie auch in Kol 1,12 wäre es theoretisch denkbar, dass die Bezeichnung οἱ ἅγιοι neben den Christen auch die Frommen Israels umfasst. So z.B. Schweizer, Kol, 88; Wolter, Kol/Phlm, 103. Im Codex Vaticanus fehlt das Wort ἀποστόλοις. Vgl. Schweizer, Kol, 88. Vgl. zum Folgenden Sellin, Eph, 232f. So Asting, Heiligkeit, 106f; weitere Vertreter dieser Position sind aufgeführt bei Sellin, Eph, 232, Anm. 252. So Luz, Eph, 140; weitere Vertreter dieser Position sind aufgeführt bei Sellin, Eph, 232, Anm. 253. Sellin, Eph, 232f.

226

Ausblick

daher als Bezeichnung für die Judenchristen zu verstehen 22, deren „Mitbürger“ die Heidenchristen sind. Alle zu Eph 2,19 angeführten Deutungsmöglichkeiten sind auch für Eph 3,18 denkbar, wo der Autor des Eph die Fürbitte (vgl. V. 1) formuliert, die Adressaten des Briefes mögen σὺν πᾶσιν τοῖς ἁγίοις begreifen, was die Breite und Länge und Höhe und Tiefe ist.23 Aus meiner Sicht spricht jedoch einiges dafür, von einem einheitlichen Sprachgebrauch innerhalb des Eph auszugehen. Demnach würde die Bezeichnung οἱ ἅγιοι auch in 2,19 und 3,18 alle Christen und nicht nur die Judenchristen umfassen. Schließlich soll noch ein Blick auf 2Thess 1,10 geworfen werden: …wenn er kommt, um verherrlicht zu werden ἐν τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ und bewundert zu werden ἐν πᾶσιν τοῖς πιστεύσασιν, …. Für diesen Vers ist schon angenommen worden, dass es sich bei den Heiligen wie in 1Thess 3,13 um himmlische Wesen handelt. 24 Für diese Deutung sprechen zwei Stellen aus der Septuaginta, die hier im Hintergrund stehen könnten. Der Anfang des Verses erinnert stark an Ps 88,8LXX (ὁ θεὸς ἐνδοξαζόμενος ἐν βουλῇ ἁγίων). Der Versabschnitt nach dem καὶ erinnert an Ps 67,36LXX (θαυμαστὸς ὁ θεὸς ἐν τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ). An beiden Stellen sind die Heiligen himmlische Wesen.25 Trotzdem ist es wahrscheinlicher, dass in 2Thess 1,10 mit οἱ ἅγιοι genau wie mit οἱ πιστεύσαντες die Christen gemeint sind. Schon in den paulinischen Briefen ist ‚Glaubende‘ genau wie ‚Heilige‘ eine Bezeichnung für die Christen (vgl. 1Thess 2,10.13) und im Präskript des Eph sind die beiden Ausdrücke ἅγιοι und πιστοί parallel gebraucht (Eph 1,1; vgl. auch Kol 1,2: τοῖς ἐν Κολοσσαῖς ἁγίοις καὶ πιστοῖς ἀδελφοῖς ἐν Χριστῷ). Für das Verständnis von οἱ ἅγιοι in 2Thess 1,10 als Bezeichnung für die Christen spricht außerdem der parallele Aufbau des Verses: Die Infinitive ἐνδοξασθῆναι und θαυμασθῆναι beschreiben an dieser Stelle dasselbe Geschehen. Dementsprechend sind auch die adverbialen Bestimmungen ἐν τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ und ἐν πᾶσιν τοῖς πιστεύσασιν parallel zu lesen. Mit der Bezeichnung οἱ ἅγιοι ist demnach dieselbe Gruppe umschrieben wie mit der Bezeichnung οἱ πιστεύσαντες.26 –––––––––––––– 22

23 24 25 26

Vgl. ebd., 233. Als vierte, wenn auch „wenig wahrscheinlich[e]“ (ebd.) Deutungsmöglichkeit bringt Sellin die These ins Spiel, mit den Heiligen könnten die Juden gemeint sein (Befürworter dieser These ebd., Anm. 254). Vgl. ebd., 285. So z.B. Reinmuth, 2Thess, 172. In Ps 67,36LXX könnte ἐν τοῖς ἁγίοις αὐτοῦ auch analog zum hebräischen Text ‚in seinen Heiligtümern‘ bedeuten. Vgl. dazu Anm. 2, S. 22. So auch Trilling, 2Thess, 60; von Dobschütz, Thess, 250f.

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im außerpaulinischen Neuen Testament

227

Für den Begriffsumfang des Ausdrucks οἱ ἅγιοι in den deuteropaulinischen Briefen ergibt sich zusammenfassend, dass die Deutung als Bezeichnung für eine christliche Gemeinde bzw. die Christen im Allgemeinen zwar an einigen Stellen durchaus fraglich, sie jedoch an allen Stellen möglich ist. Auch wenn die exegetischen Detailfragen nicht in allen Fällen abschließend beantwortet werden können, kann festgehalten werden, dass der Begriffsumfang von οἱ ἅγιοι in den Briefen der Paulusschüler dem paulinischen entspricht. Ein Unterschied gegenüber Paulus besteht allenfalls darin, dass sich ἅγιοι in den deuteropaulinischen Briefen fast immer auf die Christen im Allgemeinen und nur selten auf eine konkrete Ortsgemeinde (vgl. nur Eph 1,127; Kol 1,2) bezieht.28 Auch der Begriffsinhalt von οἱ ἅγιοι in den deuteropaulinischen Briefen entspricht dem der echten Paulusbriefe: Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι wird dann herangezogen, wenn es um die Verbundenheit der Christen untereinander geht. Wie Paulus in Phlm 5 sprechen auch die Paulusschüler von „Liebe zu allen Heiligen“ (Kol 1,4; Eph 1,15: ἀγάπη εἰς πάντας τοὺς ἁγίους) und in Eph 6,18 fordert der Verfasser die Adressaten zum Gebet περὶ πάντων τῶν ἁγίων auf. In diesen Zusammenhang gehört schließlich auch 1Tim 5,10, wo das Waschen der Füße der Heiligen als „gutes Werk“ (ἔργον καλόν bzw. ἔργον ἀγαθόν) einer Witwe bezeichnet wird.29 Damit liegen vier Beispiele für Textzusammenhänge vor, in denen es darum geht, dass Christen etwas füreinander tun und in denen – wie auch bei Paulus in solchen Zusammenhängen – die Bezeichnung οἱ ἅγιοι gebraucht wird. Außerdem wird von den Christen als Heiligen ein bestimmtes ethisches Verhalten erwartet: Der Verfasser des Kol fordert seine Adressaten als ἐκλεκτοὶ τοῦ θεοῦ ἅγιοι καὶ ἠγαπημένοι zu herzlichem Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld auf (3,12) und der Verfasser des Eph spricht vom καταρτισμὸς τῶν ἁγίων εἰς ἔργον διακονίας (4,12). Schließlich erinnert die Formulierung καθὼς πρέπει ἁγίοις (Eph 5,3) – zumindest dem Inhalt nach – an Röm 16,2. Hier wie dort dient der Verweis auf die Identität als Heilige der Begründung einer ethischen Mahnung. In Kol 1,26 und Eph 3,18 werden die Heiligen als eine exklusive Gruppe dargestellt, der ein bestimmtes Wissen eigen ist, und in Eph 2,19 werden –––––––––––––– 27 28 29

Bei einigen gewichtigen Textzeugen fehlt der Zusatz ἐν Ἐφέσῳ. So auch Wiefel, Die Heiligen, 33: „Der Bezug auf die konkrete(n) Gemeinde(n) tritt zurück.“ Johnson, Tim, 265 weist darauf hin, dass ‚einander die Füße waschen‘ in der biblischen Tradition „a classical expression of hospitality“ ist. Für 1Tim 5,10 vermutet er, dass diese Wendung „synecdoche for the entire posture for service shown to the ekklēsia“ (ebd.) ist. Vgl. Joh 13,1ff.

228

Ausblick

die Heiligen von den ξένοι und πάροικοι abgegrenzt. Auch dies erinnert an die Verwendung von οἱ ἅγιοι in den paulinischen Briefen als Bezeichnung für die Christen zur Abgrenzung von ihrer nichtchristlichen Umwelt. Der Gebrauch des Ausdrucks οἱ ἅγιοι in den deuteropaulinischen Briefen stimmt damit dem Begriffsumfang und dem Begriffsinhalt nach im Großen und Ganzen mit dem Gebrauch der Bezeichnung bei Paulus überein.

8.1.2

οἱ ἅγιοι in der Apokalypse des Johannes

Die Johannesapokalypse ist das neutestamentliche Buch mit den meisten Belegen für den Ausdruck οἱ ἅγιοι. Insgesamt findet sich diese Bezeichnung im letzten Buch der Bibel mindestens an 13 Stellen (Apk 5,8; 8,3.4; 11,18; 13,7.10; 14,12; 16,6; 17,6; 18,20.24; 19,8; 20,9). Diese Stellen sollen im Folgenden in aller Kürze im Hinblick auf die Bezeichnung οἱ ἅγιοι analysiert werden.30 Einen weiteren Beleg bietet möglicherweise der textkritisch unsichere Vers Apk 22,21: Ἡ χάρις τοῦ κυρίου Ἰησοῦ μετὰ πάντων. Der hier wiedergegebene Text des Novum Testamentum Graece folgt dem Codex Alexandrinus. Anstelle des πάντων liest der Codex Sinaiticus τῶν ἁγίων. Welche Lesart hier die ursprüngliche ist, kann nicht entschieden werden31, ist aber für den vorliegenden Zusammenhang auch nicht relevant.

In Apk 5,8; 8,3f ist von den „Gebeten der Heiligen“ (αἱ προσευχαὶ τῶν ἁγίων) die Rede. In 5,8 werden diese Gebete mit einem Rauchopfer (θυμίαμα) gleichgesetzt, in 8,3f sollen sie gemeinsam mit dem Rauchopfer dargebracht werden (vgl. dazu Ps 141,2). Apk 8,3f erinnert an Tob 12,12.15, wo ebenfalls ein Engel die Gebete der Heiligen vor Gott bringt.32 Öfter werden die Heiligen in der Apk gemeinsam mit den Propheten (οἱ προφῆται) genannt (Apk 11,18; 16,6; 18,20.24). In Apk 18,20 sind zusätzlich noch die Apostel (οἱ ἀπόστολοι) und in Apk 17,6 parallel zu den Heiligen die Zeugen Jesu (οἱ μάρτυρες Ἰησοῦ) erwähnt. A. SATAKE kommt ausgehend von diesen Stellen zu dem Ergebnis, dass „nur Propheten und Heilige die Gemeinde bilden“33. Bei den Propheten handelt es sich seiner Meinung nach um die einzigen Amtsträger in der Ge–––––––––––––– 30 31 32 33

Vgl. zum Folgenden ausführlich Satake, Gemeindeordnung, 26–34.47–57. So auch Holtz, Apk, 146. Vgl. dazu auch Satake, Gemeindeordnung, 33. S.o. S. 51. Vgl. Satake, Gemeindeordnung, 47–57, Zitat: 53.

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im außerpaulinischen Neuen Testament

229

meinde.34 Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι diene dann in Zusammenstellung mit den Propheten als Bezeichnung der Gemeindeglieder außerhalb der Leitung. In Apk 13,7; 20,9 ist von Kämpfen gegen die Heiligen die Rede: In 13,7 kämpft „das Tier“ (V. 4: τὸ θηρίον) μετὰ τῶν ἁγίων καὶ νικῆσαι αὐτούς. Die Heiligen stehen hier im Gegensatz zu denen, die das Tier anbeten und von denen es heißt, dass ihre Namen nicht ἐν τῷ βιβλίῳ τῆς ζωῆς τοῦ ἀρνίου τοῦ ἐσφαγμένου geschrieben stehen (V. 8). Umgekehrt heißt dies, dass die Heiligen diejenigen sind, deren Namen im Buch des Lebens stehen, die dafür aber den Kampf mit dem Tier auf sich nehmen. In 20,9 wird nach tausendjähriger Herrschaft Christi (vgl. V. 4.7) „das Lager der Heiligen“ (ἡ παρεμβολὴ τῶν ἁγίων) und „die geliebte Stadt“ (ἡ πόλις ἡ ἠγαπημένη)35 vom Feuer verzehrt. Die Heiligen sind hier diejenigen, von denen es vorher hieß, dass sie das Tier nicht anbeten, sondern mit Christus regieren (vgl. V. 4) und an der ersten Auferstehung (V. 5: ἡ ἀνάστασις ἡ πρώτη) teilhaben (V. 6). Am Ende von Apk 13,10 heißt es: Ὧδέ ἐστιν ἡ ὑπομονὴ καὶ ἡ πίστις τῶν ἁγίων. 14,12 lautet ganz ähnlich: Ὧδε ἡ ὑπομονὴ τῶν ἁγίων ἐστίν. An beiden Stellen ist dieser Satz als „Mahnwort an die Leser“36 zu verstehen, die zu Ausdauer und Glauben aufgefordert werden. Aufschlussreich für das Verständnis der Bezeichnung οἱ ἅγιοι in dieser Wendung ist die zweite Hälfte von Apk 14,12, in der die Heiligen näher qualifiziert werden, und zwar als οἱ τηροῦντες τὰς ἐντολὰς τοῦ θεοῦ καὶ τὴν πίστιν Ἰησοῦ. Als weitere Belegstelle für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι ist schließlich noch Apk 19,8 zu beachten: Dort wird von der Braut des Lammes37 (vgl. V. 7) gesagt, dass sie mit den δικαιώματα τῶν ἁγίων bekleidet ist. Den Heiligen ist ein gerechtes und – wie aus 14,12 deutlich wird – gottgefälliges Verhalten zu eigen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass οἱ ἅγιοι in der Apk eine formalisierte Bezeichnung ist – und zwar für die Angehörigen der christlichen Gemeinde, die auch in Zeiten der äußeren Bedrängnis an

–––––––––––––– 34 35

36

37

Vgl. die Zusammenfassung ebd., 155ff. Hier ist eine Anspielung auf Jerusalem zu vermuten (vgl. Holtz, Apk, 130). Nach Meinung von Satake, Apk, 395 „liegt es nahe, dass der Vf. neben der Wendung ‚das Lager der Heiligen‘ auch diesen Ausdruck aus der Tradition übernimmt, beide synonym verwendet und auf die Gläubigen bezieht“. Satake, Gemeindeordnung, 32. Dies bringt auch die Einheitsübersetzung zum Ausdruck, vgl. z.B. die Übersetzung von Apk 13,10 (14,12 analog): „Hier muß sich die Standhaftigkeit und die Glaubenstreue der Heiligen bewähren.“ Zur Braut des Lammes vgl. den Exkurs bei Satake, Apk, 373f.

230

Ausblick

ihrem Glauben festhalten. 38 Die Heiligkeit der so Bezeichneten wird dabei in der Regel nicht näher thematisiert.39

8.1.3

οἱ ἅγιοι in den übrigen Schriften des Neuen Testaments

In den übrigen neutestamentlichen Schriften ist die Bezeichnung οἱ ἅγιοι nur vereinzelt belegt. Innerhalb der Evangelien findet sich οἱ ἅγιοι nur in Mt 27,52.40 Matthäus berichtet dort von den Geschehnissen zum Zeitpunkt des Todes Jesu: 51 Und siehe, der Vorhang des Tempels spaltete sich von oben bis unten in zwei (Teile), und die Erde bebte und die Felsen spalteten sich, 52 und die Gräber öffneten sich καὶ πολλὰ σώματα τῶν κεκοιμημένων ἁγίων ἠγέρθησαν, 53 und sie, die aus den Gräbern herausgekommen waren, gingen nach seiner Auferstehung in die heilige Stadt hinein und erschienen vielen. Bei den „entschlafenen Heiligen“ handelt es sich hier um die Gerechten41, deren Auferstehung von den Juden für das Ende der Zeiten erwartet wird (vgl. z.B. äthHen 91,10; 92,3; PsSal 3,12). 42 Wer genau diese Gerechten sind, kann nicht beantwortet werden.43 Es ist auch nicht zu vermuten, dass hier von der endzeitlichen Auferstehung der Toten die Rede ist (der Text spricht von πολλὰ σώματα). Vielmehr wird man zu dem Schluss kommen müssen, dass mit diesem Bericht der Ereignisse zum Zeitpunkt des Todes Jesu – von denen nur Matthäus zu berichten –––––––––––––– 38

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40

41 42 43

Satake, Gemeindeordnung, 26 spricht von einem „term. tech. für die Glaubenden“. Vgl. Hanssen, Heilig, 27: „Die Heiligen sind in Apk und auch sonst in der apokalyptischen Literatur jener heilige Rest, der in den Auseinandersetzungen mit den eschatologischen Widersachern der letzten Zeit auf der Seite Gottes stehen und dort auch in einem Übermaß von Leid aushalten.“ Vgl. aber Apk 22,11, wo ὁ ἀδικῶν und ὁ ῥυπαρός auf der einen Seite und ὁ δίκαιος und ὁ ἅγιος auf der anderen Seite einander gegenübergestellt werden. Die unzweifelhafte Gegensätzlichkeit von ἀδικῶν und δίκαιος spricht dafür, dass auch ῥυπαρός und ἅγιος als Gegensätze zu verstehen sind. Vgl. dazu Satake, Gemeindeordnung, 27f. In den Evangelien wird aber Jesus als ἅγιος τοῦ θεοῦ bezeichnet (Mk 1,24; Lk 4,34; Joh 6,69; vgl. auch Apg 4,27.30: ὁ ἅγιος παῖς). Außerdem wird Johannes der Täufer in Mk 6,20 mit den Attributen δίκαιος und ἅγιος belegt. So die meisten Exegeten, vgl. z.B. Luz, Mt IV, 365. Für weitere Belege vgl. den Exkurs „Allgemeine oder teilweise Auferstehung der Toten?“ bei Strack/Billerbeck, Kommentar IV/2, 1166ff. So auch France, Mt, 1081. Nach Wiefel, Die Heiligen, 33 sind die Heiligen „die (in Jerusalem begrabenen) Angehörigen der alttestamentlichen Heilsgemeinde, denen man die Teilhabe an der durch das österliche Geschehen eröffneten Auferstehung zuschreibt“.

Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι im außerpaulinischen Neuen Testament

231

weiß – angedeutet werden soll, dass mit Tod und Auferstehung Jesu 44 „etwas von dem, was die Leser/innen für die Endzeit erwartet haben, bereits jetzt geschieht“45. In der Apg ist die Bezeichnung οἱ ἅγιοι an vier Stellen belegt, und zwar in Apg 9,13.32.41; 26,10. In Apg 20,32; 26,18 ist außerdem das Partizip οἱ ἡγιασμένοι bezeugt.46 Der erste Beleg für οἱ ἅγιοι in 9,13 wird Hananias in den Mund gelegt, der über Paulus sagt: Ich hörte von vielen über diesen Mann, wieviel Böses er getan hat τοῖς ἁγίοις σου … ἐν Ἰερουσαλήμ. Hier bezieht sich die Bezeichnung οἱ ἅγιοι – wie öfter in den paulinischen Briefen – nur auf die Christen in Jerusalem.47 In dieser Weise wird der Begriff auch in 26,10 gebraucht, wo das sog. Damaskuserlebnis aus Apg 9 wieder aufgenommen wird. Dort berichtet der lukanische Paulus selbst von dem, was er getan hat, bevor er Christ wurde: …; das habe ich auch in Jerusalm getan, καὶ πολλούς τε τῶν ἁγίων ἐγὼ ἐν φυλακαῖς κατέκλεισα. Auch hier ist οἱ ἅγιοι Bezeichnung für die Christen in Jerusalem. In 9,32.41 sind die Heiligen nicht die Jerusalemer Christen, sondern Angehörige christlicher Gemeinden an anderen Orten, und zwar in Lydda (V. 32) und Joppe (V. 41, vgl. V. 36). 48 Die in V. 41 parallel zum Ausdruck οἱ ἅγιοι genannten Witwen zählen natürlich auch zu den Heiligen.49 Sie werden hier nur deshalb ausdrücklich genannt, weil sie besonders um die tote Tabita getrauert hatten (vgl. V. 39). Der Hebr gehört mit 28 Belegen zu den Schriften des Neuen Testaments mit den meisten Belegen für Wörter des Stammes ἁγι-. Die Bezeichnung οἱ ἅγιοι findet sich jedoch nur an zwei Stellen, und zwar in Hebr 6,10; 13,24. In 6,10 spricht der Verfasser vom Werk (ἔργον) und –––––––––––––– 44

45 46 47 48

49

Schwierigkeiten bereiten Auslegern die Worte μετὰ τὴν ἔγερσιν αὐτοῦ in V. 53 (vgl. z.B. Luz, Mt IV, 366f und unter Berücksichtigung der Auslegungsgeschichte Fascher, Auferweckung): Es ist weder eindeutig, zu welchem Verb sie gehören (ἐξέρχομαι oder εἰσέρχομαι), noch ist klar, welchen Sinn es machen soll, dass die „auferstandenen Heiligen“ entweder bis zur Auferstehung Jesu in ihren Gräbern oder zumindest außerhalb der „heiligen Stadt“ bleiben. Vermutlich dienen diese Worte dazu, die Ereignisse nicht nur an den Tod, sondern auch an die Auferstehung Jesu zu knüpfen. Luz, Mt IV, 365 (Hervorhebung im Original). S.o. S. 224. Vgl. dazu Kapitel 4.2, S. 81ff. H. Kosmala weist darauf hin, dass nach dem Bericht der Apg die Menschen in Lydda erst durch den Besuch des Petrus zu Christen wurden (vgl. Kosmala, Hebräer, 53f). Er kommt zu dem mehr als zweifelhaften Ergebnis, „daß die Gemeinschaften der ‚Heiligen‘ nicht notwendigerweise jesusgläubige Gemeinschaften waren, selbst im NT nicht“ (ebd., 54). Die Heiligen seien vielmehr „grundsätzlich Menschen, die in der messianischen Erwartung leben und sterben“ (ebd., 54f). Vgl. Pesch, Apg I, 324.

232

Ausblick

von der Liebe (ἀγάπη) der Angesprochenen, die sie in Gottes Namen erwiesen haben, διακονήσαντες τοῖς ἁγίοις καὶ διακονοῦντες. Mit dem Ausdruck ἅγιοι sind an dieser Stelle allgemein Christen gemeint. 50 Insgesamt erinnert die Formulierung sehr stark an 1Kor 16,15, wo substantivisch von der διακονία τοῖς ἁγίοις die Rede ist (vgl. auch in Bezug auf die Kollekte für Jerusalem 2Kor 8,4; 9,1).51 Auch der zweite Beleg für οἱ ἅγιοι im Hebr entspricht der auch für Paulus üblichen Verwendung dieses Begriffs. So heißt es im vorletzten Vers (13,24a): Ἀσπάσασθε πάντας τοὺς ἡγουμένους ὑμῶν καὶ πάντας τοὺς ἁγίους. Wie an entsprechender Stelle in den paulinischen Briefen soll die Aufforderung, „alle Heiligen“ zu grüßen, sicherstellen, dass die Inhalte des Schreibens jeden einzelnen Adressaten erreichen. 52 Auch wenn die konkrete Bezeichnung οἱ ἅγιοι nur an den beiden genannten Stellen belegt ist, werden im Hebr noch öfter Christen als ‚heilig‘ bezeichnet: In 3,1 werden die Adressaten mit der im Neuen Testament einzigartigen Anrede ἀδελφοὶ ἅγιοι angesprochen. Das Adjektiv ἅγιος ist hier Attribut zu ἀδελφοί. Daneben ist noch das Partizip Passiv von ἁγιάζω zu beachten: In 2,11; 10,14 wird es im Präsens (οἱ ἁγιαζόμενοι) gebraucht (in 2,11 als Gegenbegriff zu ὁ ἁγιάζων, womit eindeutig Christus bezeichnet ist)53 und in 10,10 im Perfekt (ἡγιασμένοι). An allen Stellen sind jeweils die Glaubenden gemeint. Ein weiterer Beleg für die Bezeichnung οἱ ἅγιοι findet sich schließlich in Jud 3. Dort sagt der Verfasser über den Glauben, dass er „τοῖς ἁγίοις ein für allemal überliefert wurde (παραδίδωμι)“. Die Heiligen sind hier die Gläubigen, die wahren Christen im Gegenüber zu den Gottlosen, die sich eingeschlichen haben (V. 4). Im 1Petr ist die konkrete Gruppenbezeichnung οἱ ἅγιοι nicht belegt. In einer innerhalb des Neuen Testaments einmaligen Weise werden dort jedoch alttestamentliche Texte zur Heiligkeit auf die Christen bezogen.54 In 1Petr 1,15f fordert der Verfasser die Adressaten auf: κατὰ τὸν καλέσαντα ὑμᾶς ἅγιον καὶ αὐτοὶ ἅγιοι ἐν πάσῃ ἀναστροφῇ γενήθητε. Zur Begründung zitiert er Lev 19,2 (bzw. Parallelen), ein Text, der im Alten Testament an das gesamte Volk Israel gerichtet ist.55 In 1Petr 2,9 heißt es: ὑμεῖς δὲ γένος ἐκλεκτόν, βασίλειον ἱεράτευμα, ἔθνος ἅγιον, λαὸς εἰς περιποίησιν, ὅπως τὰς ἀρετὰς ἐξαγγείλητε τοῦ ἐκ σκότους ὑμᾶς καλέσαντος εἰς τὸ θαυμαστὸν αὐτοῦ φῶς. Hier werden Attribute, die im Alten Testament Is-

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So auch Gräßer, Hebr I, 365. Vgl. dazu Kapitel 4.4.3, S. 107ff. Zu διακονία s.o. S. 86. So auch Gräßer, Hebr III, 414. Vgl. dazu oben S. 104. Vgl. Gräßer, Hebr I, 134. Wells, People, 210 spricht von einer „biblical theology of holiness“ im 1Petr. Vgl. auch Wiefel, Die Heiligen, 33f. Zu Lev 19,2 s.o. S. 24.

Die Heiligen in der Alten Kirche

233

rael gelten, auf die Christen übertragen. Die Ausdrücke βασίλειον ἱεράτευμα und ἔθνος ἅγιον erinnern an Ex 19,6.56

Als Gesamtergebnis dieses Abschnitts kann festgehalten werden: Der Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι in den außerpaulinischen Schriften des Neuen Testaments entspricht in Begriffsinhalt und -umfang im Wesentlichen dem paulinischen Gebrauch. Der Ausdruck οἱ ἅγιοι ist zwar seltener belegt (öfter noch im Eph und in der Apk), er wird aber nach wie vor zur Bezeichnung der Christen an einem bestimmten Ort bzw. der Christen allgemein gebraucht.57

8.2

Die Heiligen in der Alten Kirche

Die Bezeichnung ‚Heilige‘, deren neutestamentlicher Gebrauch bis hierher dargestellt wurde, erfährt in der Alten Kirche eine entscheidende Veränderung im Begriffsumfang. 58 Diese soll im Folgenden in aller Kürze dargelegt werden (Abschnitt 8.2.1). Von besonderem Interesse ist dabei die in dieser Zeit erstmals bezeugte Wendung ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ als Bestandteil eines Glaubensbekenntnisses (Abschnitt 8.2.2).

8.2.1

Veränderungen im Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘

In frühchristlichen Schriften außerhalb des Neuen Testaments ist der Ausdruck ‚Heilige‘ als Bezeichnung für die Christen zwar nicht sehr häufig, aber durchaus geläufig, insbesondere in den Schriften der Apostolischen Väter (vgl. z.B. Herm vis I 1,9; 3,2; II 2,4f; III 8,11; IV 3,6 u.ö.; 1Clem 56,1; MartPol 20,2). Der zuletzt genannte Beleg entspricht dem Gebrauch von οἱ ἅγιοι in den Schlussgrüßen der paulinischen Briefe: … προσαγορεύετε πάντας τοὺς ἁγίους … Im Präskript des 1Clem findet sich – vergleichbar zum Präskript des 1Kor – die Anrede κλητοὶ ἡγιασμένοι. Auch über den konkreten Gebrauch der Bezeichnung οἱ ἅγιοι hinaus findet sich in den Schriften der Apostolischen –––––––––––––– 56 57

58

Zu Ex 19,6 s.o. S. 29. So auch die Zusammenfassung bei Wiefel, Die Heiligen, 35: „Resümierend läßt sich sagen, daß im nachpaulinischen urchristlichen Schrifttum die Bezeichnung der Christen als Heilige in reflektierend-stilisiertem Sprachgebrauch eine wichtige Rolle spielt, als ‚alltäglicher‘ Terminus jedoch stark zurückgedrängt wird.“ Vgl. Geiselmann, Anthropologie, 74: „In diesem Wandel des Begriffs sanctus kündigt sich eine der folgenschwersten Verschiebungen in der Auffassung des Christentums an“.

234

Ausblick

Väter der Gedanke, dass die Christen insgesamt heilig sind (vgl. z.B. 1Clem 30,1; Did 10,5; Barn 6,15).59 Daneben entwickelt sich in der frühen Kirche schon bald ein etwas anderer Gebrauch des Ausdrucks ‚Heilige‘, der die Anwendung dieser Bezeichnung auf alle Christen verdrängte. Bis zum Ende des 5. Jahrhunderts hatte es sich durchgesetzt, nur noch herausgehobene Einzelpersonen mit dem Begriff ‚Heilige‘ zu benennen.60 Die ersten, die in der frühen Kirche als Heilige verehrt wurden, waren Märtyrer. Mit Ende der Christenverfolgung im 3. Jahrhundert n.Chr. werden dann auch Bekenner des Glaubens und Asketen verehrt. Hier findet also gegenüber dem neutestamentlichen Sprachgebrauch eine Verlagerung des Begriffsinhalts ins Ethische statt, die dem Ausdruck ‚Heilige‘ auch in heutiger Zeit anhaftet. Eine besondere Beachtung erfahren in der frühen Kirche außerdem die Patriarchen, Propheten und Apostel. Für sie alle wird der Begriff ‚Heilige‘ als eine Art Sammelbezeichnung gebraucht.61 Dies wird z.B. bei Johannes Cassianus deutlich: „omnes ergo siue patriarchae, siue prophetae, siue apostoli, siue martyres, siue denique sancti omnes habuerunt …“ 62. Bei Augustin wird die Bezeichnung ‚Heilige‘ zum einen für alle Christen gebraucht63, zum anderen sind nach Augustin aber „alii aliis sanctories, […] alii aliis meliores“64. Und auch bei ihm ist ‚heilig‘ in erster Linie Attribut der Patriarchen, Propheten, Apostel und Märtyrer.65 Bei Johannes Chrysostomos wird deutlich, dass es bereits zu seiner Zeit eine Anrufung von Heiligen gegeben hat und Heilige um Fürbitte vor Gott gebeten wurden.66

–––––––––––––– 59 60

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62 63 64 65 66

Zur Heiligkeit in den Schriften der Apostolischen Väter vgl. Asting, Heiligkeit, 255– 285. Nach Kötting, Heiligkeit, 47 werden „in der christlichen Literatur etwa vom 3. Jahrhundert an einzelne Gläubige zu Dutzenden von Malen, sei es wegen ihrer stregen [sic!] Lebensführung (Aszeten), oder wegen ihrer erhabenen Stellung in der Kirche (Bischöfe) noch zu Lebzeiten als sancti oder ἅγιοι angesprochen“. Vgl. auch Angenendt, Heilige, 34: „Als heilig galt seit dem 6. Jahrhundert nur noch, wer sich mittels Askese und durch Wunder ausgezeichnet hatte.“ – Zur Verehrung der ‚Heiligen‘ in der Alten Kirche vgl. ausführlich Hausberger, Heilige III; Kirsch, Lehre; Kötting, Heiligkeit; Lucius, Anfänge. Vgl. Baumeister, Heiligenverehrung, 1852: „Es wurde üblich, die kultisch Verehrten als ἅγιοι, ‚sancti‘, Heilige zusammenzufassen.“ Vgl. dazu auch Müller, Gemeinschaft, 218–220. Cassianus, De incarnatione, lib. V,4,2. Vgl. z.B. Augustin, In Iohannis Evangelivm VI,19 (CCSL 36, 63): Imputribilia ligna sancti sunt, fideles pertinentes ad Christum. Ebd. VI,8 (CCSL 36, 57). Vgl. z.B. ebd., XLIX,10 (CCSL 36, 425). Vgl. z.B. Chrysostomos, Homiliae in Matthaeum V,4–5; LXV,5.

Die Heiligen in der Alten Kirche

235

Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Arbeit soll eine Antwort auf die Frage gegeben werden, wie es zu einer solchen Veränderung im Begriffsumfang der Bezeichnung ‚Heilige‘ in den ersten Jahrhunderten kommen konnte.67 Zwei Aspekte sind dafür grundlegend: Zum einen liegt eine solche Veränderung in der Bezeichnung ‚Heilige‘ selbst begründet, und zwar konkret in dem semantischen Merkmal des (von Gott) Auserwähltseins und der damit verbundenen Aussonderung aus der Umwelt. Diese Bedeutungskomponente ist schon in der alttestamentlichen Rede vom heiligen Volk Israel, das sich als Gottes Eigentumsvolk von allen anderen Völkern unterscheidet, präsent. In den jüngeren Texten des Alten Testaments und in anderen Schriften aus dem jüdischen Traditionsbereich ist dann nicht mehr das ganze Volk Israel heilig, sondern nur noch die Gerechten innerhalb des Volkes, die sich durch ihre Heiligkeit von ihrer Umwelt unterscheiden. In diesem Sinne haben auch die ersten Christen, die sich zunächst als Gruppe innerhalb Israels verstanden, die Bezeichnung ‚Heilige‘ für sich in Anspruch genommen. Auch für Paulus, der auch Nichtjuden mit dem Ausdruck ‚Heilige‘ benennt, ist das Moment der Aussonderung aus der Umwelt entscheidend. Besonders im 1Kor hebt er die Identität der Christen als Heilige in Abgrenzung von ihrer vorchristlichen Vergangenheit und ihrer nichtchristlichen Umwelt heraus. Zum anderen ist die veränderte Situation der Christen zu berücksichtigen. Waren sie vormals eine Minderheit, entwickelt sich das Christentum im Laufe des vierten Jahrhunderts zur Staatsreligion. 68 Eine nichtchristliche Umwelt, von der sich die Christen in paulinischer Zeit unterschieden, ist in diesem Sinne nicht mehr vorhanden. Das Christentum wurde „Volkskirche“69.

–––––––––––––– 67

68 69

In diesem Zusammenhang kann nicht weiter auf die Frage eingegangen werden, warum es überhaupt zu einer Verehrung der Heiligen gekommen ist. Vgl. dazu Angenendt, Heilige, 12f: „[I]n der fast gänzlich agrarischen Gesellschaft, wie sie mindestens in der ersten Hälfte des Mittelalters bestand, fehlten zentrale Riten zur Bewältigung all jener kosmischen Kräfte, denen man sich tagtäglich ausgesetzt wußte. […] Die Heiligen füllten mit ihrem Segen wie mit ihrem Fluch jene Lücke, für die das Christentum zunächst kein Angebot hatte machen können.“ Zur Frage, wann das Christentum Staatsreligion wurde, vgl. Gemeinhardt, Staatsreligion, 456ff. Vgl. dazu ebd., 469: „Der Begriff ‚Volkskirche‘ vermag also ein Phänomen zu beschreiben, das seinerzeit vielen Theologen Unbehagen bereitete: die Pluralität von Glaubens- und Lebensformen in der Kirche, anders gesagt: die Uneindeutigkeit dessen, was das Christsein ausmachte.“

236

Ausblick

Sollte der Begriff ‚Heilige‘ also weiterhin verwendet werden, musste zwangsläufig eine Veränderung eintreten 70, und zwar entweder im Hinblick auf den Begriffsinhalt (d.h. ‚Heilige‘ bleibt Bezeichnung für alle Christen, ist jedoch kein Aussonderungsterminus mehr) oder aber – wie geschehen – im Hinblick auf den Begriffsumfang: Die Bezeichnung ‚Heilige‘ bleibt ein Aussonderungsterminus, kann dann jedoch nicht mehr alle Christen umfassen. ‚Heilige‘ wurden nur noch diejenigen genannt, die in irgendeiner Weise (z.B. durch einen Märtyrertod oder durch besondere Askese) aus der Gesamtheit der Christen hervorstachen.

8.2.2

Die Wendung sanctorum communio im Glaubensbekenntnis

Der Titel dieser Arbeit nimmt eine Wendung aus dem dritten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses auf. In der Forschung ist nach wie vor umstritten, wie die Wendung ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ zur Zeit der Alten Kirche verstanden wurde. Die Zeile sanctorum communionem ist erst sehr spät als Bestandteil eines Glaubensbekenntnisses belegt. Als älteste Zeugen dieser Wendung gelten Nicetas von Remesiana71 († um 420) und Faustus von Reji72 († um 495). Was aber war die ursprüngliche Bedeutung der Wendung sanctorum communio? Folgende Möglichkeiten werden in der Forschung diskutiert: 1. Nach Meinung von S. BENKO bedeutet sanctorum communio ursprünglich ‚Teilhabe an heiligen Dingen‘ und bezieht sich auf die Teilhabe am eucharistischen Mahl.73 Dies wird auch im Katholischen Erwachsenen-Katechismus als die „ursprüngliche Bedeutung dieser Bekenntnisaussage“74 angegeben. Das Wort ‚sanctorum‘ wird in diesem Fall als Genitiv Plural von sancta verstanden.75 –––––––––––––– 70

71 72 73

74 75

Vgl. auch ebd., 473: „Mit der Entstehung eines ‚volkskirchlichen‘ Christentums ging die Absonderung der in besonderer Weise Heiligen von den ‚Durchschnittschristen‘ Hand in Hand.“ So Kelly, Glaubensbekenntnisse, 382. Vgl. Nicetas von Remesiana, Instructio ad Competentes, Liber V, Sermo III, 23f. So Kirsch, Lehre, 216f. Vgl. Faustus von Reji, Homilia II. De Symbole, in: Caspari, Quellen II, 191–213, hier: 197. Vgl. die Zusammenfassung Benko, Meaning, 139–141, 139: „Its original meaning, therefore, is ‚participation in the holy things‘, i.e., the sacraments which effect the forgiveness of sins: baptism and Eucharist.“ Katholischer Erwachsenen-Katechismus, 307. Vgl zu dieser Position auch Kelly, Glaubensbekenntnisse, 386–388.

Die Heiligen in der Alten Kirche

237

2. J. N. D. KELLY spricht sich dafür aus, sanctorum communio als ‚Gemeinschaft mit heiligen Personen‘ zu verstehen, „wobei bei sanctorum entweder im engeren Sinne von den eigentlichen Heiligen und Märtyrern oder im weiteren urtümlicheren Sinne von den Gläubigen, den lebenden sowohl als auch den abgeschiedenen, die Rede ist“ 76. Entscheidet man sich also dafür, sanctorum als Genitiv Plural von sanctus aufzufassen, bleibt noch die Frage, ob sancti hier Bezeichnung für alle Christen ist oder sich nur auf die als Heilige verehrten Märtyrer und Asketen bezieht. Aufschlussreich können die Kommentare der ältesten Zeugen für die Wendung sanctorum communio sein. Nicetas von Remesiana schreibt: „Was ist die Kirche anderes […] als die Versammlung aller Heiligen? Seit dem Anfang der Welt bilden die Kirche Patriarche, Propheten, Märtyrer und alle anderen Gerechten, die gelebt haben oder jetzt leben oder in Zukunft leben werden, da sie durch einen Glauben und eine Lebensführung geheiligt und durch einen Geist versiegelt und so zu einem Körper gemacht worden sind, als dessen Haupt Christus erklärt ist, wie die Schrift sagt. Außerdem sind die Engel und die himmlischen Kräfte und Mächte in dieser Kirche miteinander verbunden … So also glaubst auch du, daß du in dieser Kirche die Gemeinschaft der Heiligen erlangen wirst.“ 77

Nach Aussage von Nicetas gehören also diejenigen der Gemeinschaft der Heiligen an, die „gerecht“ sind. Damit können theoretisch alle Christen gemeint sein, jedoch hebt Nicetas Patriarchen, Propheten und Märtyrer besonders hervor.78 Deutlicher noch ist der Kommentar von Faustus von Reji: „Laßt uns glauben […] an die Gemeinschaft der Heiligen, aber laßt uns die Heiligen verehren, nicht so sehr anstelle Gottes, als zu Gottes Ehre und Herrlichkeit … Laßt uns in den Heiligen die Furcht vor Gott und die Liebe zu ihm verehren, nicht seine Göttlichkeit. Laßt uns die Verdienste der Heiligen verehren, nicht als Verdienste, die sie aus sich selbst haben, sondern Verdienste, die sie für ihre Frömmigkeit geerntet haben. So verdienen sie, würdig verehrt zu werden, insofern sie uns durch ihre Todesverachtung die Verehrung Gottes und die Sehnsucht nach einem zukünftigen Leben einflößen.“79

Faustus denkt also bei den Heiligen zunächst an verehrungswürdige Einzelpersonen.80 Die Kommentare der ältesten Zeugen der Wendung –––––––––––––– 76 77 78 79 80

Ebd., 383. Nicetas von Remesiana, Instructio ad Competentes, Liber V, Sermo III, 23f. Die Übersetzung stammt von Kelly, Glaubensbekenntnisse, 384. Vgl. Müller, Die Heiligen, 105. Faustus von Reji, Homilia II. De Symbole, in: Caspari, Quellen II, 191–213, hier: 197. Die Übersetzung stammt von Kelly, Glaubensbekenntnisse, 384. Vgl. dazu ausführlich auch Kirsch, Lehre, 220–227.

238

Ausblick

sanctorum communio sprechen dafür, sie ihrem ursprünglichen Verständnis nach im Sinne von ‚Gemeinschaft mit den Heiligen‘ aufzulösen, wobei mit den Heiligen die als solche verehrten Märtyrer, Asketen und Apostel gemeint sind.81 Nach heutigem katholischen Verständnis umfasst die ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ „die Kirche auf der Erde, die Seligen im Himmel und die Verstorbenen im Läuterungszustand“ 82. Zur ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ gehören damit alle (katholischen) Christen, 83 insbesondere aber diejenigen, die innerhalb der katholischen Kirche als Heilige verehrt werden. Nach protestantischem Verständnis wird der Ausdruck ‚Heilige‘ in der Wendung ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ entsprechend der paulinischen Verwendung als Bezeichnung für alle Christen verstanden. ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ umfasst also die gesamte Christenheit. Zum Ausdruck kommt dieses Verständnis zum Beispiel im lateinischen Text von CA 7: „Item docent, quod una sancta ecclesia perpetuo mansura sit. Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.“84

Auch Martin Luther setzt in seinem Großen Katechismus die Kirche und die Gemeinschaft der Heiligen gleich: „Die heilige christliche Kirche heißet der Glaube ‚Communionem sanctorum‘, ‚ein Gemeinschaft der Heiligen‘. Denn es ist beides einerlei zusammen gefasset …“85

Mit dem dritten Artikel des Apostolikums bringen evangelische Christen also ihren Glauben an die Kirche als eine Gemeinschaft von Heiligen zum Ausdruck, wobei die Bezeichnung ‚Heilige‘ alle Christen umfasst. Damit unterscheidet sich das evangelische Verständnis der Wendung sanctorum communio von der vermutlich ursprünglich intendierten Bedeutung. –––––––––––––– 81 82 83

84 85

Vgl. ebd., 226; Kelly, Glaubensbekenntnisse, 388–390. Katholischer Erwachsenen-Katechismus, 308 (im Original hervorgehoben). Vgl. Papst Benedikt XVI. in der Predigt zu seiner Amtseinführung am 24.04.2005: „[Z]ur Gemeinschaft der Heiligen gehören nicht nur die großen Gestalten, die uns vorangegangen sind und deren Namen wir kennen. Die Gemeinschaft der Heiligen sind wir alle, die wir auf den Namen von Vater, Sohn und Heiligen Geist getauft sind und die wir von der Gabe des Fleisches und Blutes Christi leben, durch die er uns verwandeln und sich gleich gestalten will.“ Die Predigt ist online verfügbar unter http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/homilies/documents/hf_ben-xvi _hom_20050424_inizio-pontificato_ge.html (zuletzt abgerufen am 07.04.2011). BSLK, 61. Vgl. auch die Erläuterung in Anm. 4. BSLK, 655. Vgl. auch Anm. 6. Vgl. dazu auch Evangelischer Erwachsenen-Katechismus, 613f.

Die Heiligen im Protestantismus

8.3

239

Die Heiligen im Protestantismus

Das Fehlen einer Verehrung der Heiligen gilt gemeinhin als eines der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen der protestantischen Kirche auf der einen Seite und der katholischen und der orthodoxen Kirche auf der anderen Seite.86 Die Reformatoren haben die geltende Praxis der Heiligenanrufung ihrer Zeit zum Teil heftig kritisiert und damit den Grundstein dafür gelegt, dass es in den protestantischen Kirchen heute im Grunde keine Heiligen mehr gibt. Beides – die reformatorische Kritik an der Heiligenanrufung und der Status der Heiligen in den evangelischen Kirchen heute – soll im Folgenden knapp beleuchtet werden (Abschnitte 8.3.1–2). In jüngster Zeit sind die Heiligen Gegenstand des ökumenischen Dialogs geworden. Darauf wird im letzten Abschnitt dieses Ausblicks eingegangen werden (8.3.3).

8.3.1

Die reformatorische Kritik am Heiligenkult

Im Zuge der Reformation erfährt der in der Kirche praktizierte Heiligenkult harsche Kritik und wird wie nie zuvor in Frage gestellt. 87 So schreibt Martin Luther beispielsweise in seiner Fastenpostille von 1525 im Kommentar zu Röm 12,13, wo bei Paulus die Bezeichnung ‚Heilige‘ belegt ist: „Denn es wäre eine große Schande und Lästerung Gottes, wenn ein Christ leugnen wolle, daß er heilig ist. […] So wird also dies Wörtlein ‚heilig‘ in der Schrift nur von Lebendigen gebraucht. Wir aber haben andere Bücher denn die Schrift zu lesen gehabt. Darum sind wir in die lästerliche ‚Demut‘ geraten durch unsere Verführer, daß wir nun die Toten heilig heißen, und achten’s für die höchste Vermessenheit, daß sich unser einer sollte heilig heißen, so doch ein jeglicher will ein ‚Christ‘ geheißen sein, welches höher lautet denn ‚heilig‘. Sintemal Christus der Allerheiligste ist und ein Christ nach Christus, das ist nach dem Allerheiligsten, (so) heißt. Zu solchem Jammer hat der schändliche Greuel geholfen, den man ‚Heiligen-Erhebung‘ heißt. Da hat der Papst mitgemacht, daß man meint, die seien allein heilig, die tot sind oder (zu Heiligen) erhoben werden und solches mit Werken verdient haben. Aber

–––––––––––––– 86 87

Vgl. Müller, Die Heiligen, 102. Vgl. Müller, Gemeinschaft, 28: „Von den Prinzipien der neuen Konzeption des Christentums her wurde erstmals fundamental die Frage nach seiner [des Heiligenkultes; M. B.] theologischen Legitimität gestellt.“

240

Ausblick

wie oft wird auch hier der Teufel zu einem Heiligen erhoben worden sein, und wir halten für heilig, die in die Hölle gehören!“88

Mit der Begründung, dass nach biblischem Zeugnis alle Christen heilig sind, verurteilt Luther die Praxis, einzelne Tote, die sich durch besondere Werke hervorgetan haben, zu Heiligen zu erheben. Zumindest der lutherische Flügel der Reformation wollte die Heiligen und ihr Gedenken aber nicht gänzlich aus dem kirchlichen Leben verbannen. 89 Zwar lassen die reformatorischen Prinzipien solus Christus und sola fide eine Anrufung oder gar Anbetung von Heiligen nicht zu, Gedenken oder Bewunderung herausragender Einzelpersonen wird jedoch nicht ausgeschlossen. Entsprechend lautet der 21. Artikel der Confessio Augustana (CA): „Vom Heiligendienst wird von den Unseren also gelehret, daß man der Heiligen gedenken soll90, auf daß wir unseren Glauben stärken, so wir sehen, wie ihnen Gnad widerfahren, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist; dazu daß man Exempel nehme von ihren guten Werken […]. Durch Schrift mag man aber nicht beweisen, daß man die Heiligen anrufen oder Hilf bei ihnen suchen soll […].“91

CA 21 ist der letzte unter den so überschriebenen Artikeln des Glaubens und der Lehre. Damit wird die Anrufung der Heiligen nicht einfach als abgeschaffter Missbrauch behandelt (vgl. den zweiten Teil der CA, ab Artikel 22), sondern die CA präsentiert eine eigene Lehre über die Heiligen.92 Diese Lehre sieht vor, dass man der Heiligen gedenken soll bzw. – so der lateinische Text – kann. Aber sie betont auch, dass ihre Anrufung nicht schriftgemäß ist.93 Gegen eine solche Anrufung wehrt sich auch Luther 1537 in den Schmalkaldischen Artikeln: „Anrufung der Heiligen ist auch der endchristlichen Mißbräuche einer und streitet wider den ersten Hauptartikel und tilget die Erkenntnis Christi. Ist auch nicht gepoten noch geraten, hat auch kein Exempel der Schrift, und

–––––––––––––– 88

89

90 91 92 93

WA 17/II, 50, zitiert nach Ellwein, Luthers Epistel-Auslegung I, 220. Weitere Texte, in denen Luther sich zu den Heiligen und ihrer Verehrung äußert, finden sich bei Manns, Luther; vgl. auch Pinomaa, Die Heiligen. Andere Reformatoren waren in diesem Punkt durchaus radikaler, wie z.B. Martin Bucer, „der durch Abschaffung sämtlicher Heiligentage aller Heiligenverehrung den Boden entzog“ (Schulz, Heilige, 664). Vgl. auch Angenendt, Heilige, 239–241. Der lateinische Text lautet an dieser Stelle: „memoria sanctorum proponi potest“. BSLK, 83b–c. Grane, Confessio Augustana, 162 sieht in dieser Einordnung in die CA „[d]as Auffälligste an diesem Artikel“. Zu CA 21 vgl. ausführlich Manns, Heiligenverehrung; Kretschmar/Laurentin, Artikel; Wenz, Evangelische Heiligenverehrung.

Die Heiligen im Protestantismus

241

haben’s alles tausendmal besser an Christo, wenn jenes gleich köstlich Gut wäre, als doch nicht ist.“94

Die Kritik Luthers wie auch der CA betrifft also in erster Linie die Praxis der Anrufung der Heiligen und die an sie gerichteten Anfragen um Fürbitte vor Gott. Eine Verehrung oder Bewunderung der Heiligen als vorbildliche Exempel im Glauben entspricht durchaus der reformatorischen Lehre.95 Mit diesem veränderten Umgang mit den Heiligen ist verbunden, dass die Heiligen „aufhören, Halbgötter oder gar göttliche Gestalten zu sein, zu denen sie mittelalterliche Frömmigkeit oft gemacht hatte“96. Die Heiligen werden wieder zu Menschen, die sich von denen, die sie verehren, lediglich darin unterscheiden, dass sie besonders „mustergültige Gestalten glaubens- und liebesbewährter Gnade“97 sind.

8.3.2

Die Heiligen in der evangelischen Kirche heute

Obwohl die reformatorische Lehre ein Gedenken der Heiligen also nicht vollkommen ausschließt, sind die Heiligen schon bald aus den Kirchen der Reformation verschwunden. Die Ursache hierfür wird man nicht zuletzt in der Aufklärung zu suchen haben. 98 Zwar werden im Evangelischen Gottesdienstbuch auch heute noch Heilige bedacht. 99 –––––––––––––– 94 95

96 97 98 99

BSLK, 424. Vgl. auch die Apologie Melanchthons zu CA 21: „In unser Confession leugnen wir nicht, daß man die Heiligen ehren soll. Denn dreierlei Ehre ist, damit man die Heiligen ehret. Für das erst, daß wir Gott danksagen, daß er uns an den Heiligen Exempel seiner Gnaden hat dargestellet […]. Die andere Ehre, so wir den Heiligen tun mögen, daß wir an ihrem Exempel unsern Glauben stärken […]. Für das dritte ehren wir die Heiligen, wenn wir ihres Glaubens, ihrer Liebe, ihrer Geduld Exempel nachfolgen“ (BSLK, 317f). Vgl. auch Luther in einem Brief an Spalatin am 31. Dezember 1516 (WA 1, 81–83; LD 10,21–23) und an Johann Lang am 29. Mai 1522 (WA 2, 547f; LD 10,122). Allerdings hielt Luther die Heiligenverehrung auch nicht für notwendig, wie insbesondere der letztgenannte Brief zeigt. Kretschmar/Laurentin, Artikel, 269. Wenz, Memoria Sanctorum, 289. Vgl. Müller, Gemeinschaft, 46. So kann der 1. November auch in der evangelischen Kirche als „Gedenktag der Heiligen“ begangen werden. Im Evangelischen Gottesdienstbuch, S. 438f sind Lesungen, Lieder und Gebete für einen entsprechenden Gedenkgottesdienst vorgeschlagen. Vgl. auch ebd., S. 480ff zum Gedenktag eines Märtyrers bzw. Lehrers der Kirche und ebd., S. 412ff zu den sog. Tagen der Apostel und Evangelisten. – Hier sei auch auf den Evangelischen Namenkalender verwiesen, der von einem Ausschuss der Lutherischen Liturgischen Konferenz erarbeitet und 1966 auf Beschluss des Rates der EKD zum Gebrauch freigegeben wurde. Vgl. dazu Schulz, Heilige, 669f.

242

Ausblick

Praktisch sind die Heiligen aber in evangelischen Gottesdiensten und in der gelebten Frömmigkeit evangelischer Christen nicht präsent. 100 Trotzdem kann man im 20. Jahrhundert eine Rückkehr der Heiligen in die evangelische Kirche beobachten. Zu nennen ist beispielsweise das Lebenswerk von W. NIGG: 1946 veröffentlichte der reformierte (!) Theologe sein bahnbrechendes101 Buch über „Große Heilige“102. Von da an gilt fast sein gesamtes Schaffen der Hagiographie. Hervorzuheben ist außerdem der „Versuch einer lutherischen Lehre von den Heiligen“ von M. LACKMANN103 aus dem Jahr 1958, mit dem er auf die von ihm beobachteten hagiographischen und liturgischen Entwicklungen seiner Zeit reagiert104 und eine lutherische Hagiologie entwickelt. In jüngster Zeit sucht man verstärkt nach konkreten Personen, die als evangelische Heilige gelten könnten. Christinnen und Christen, die im 20. Jahrhundert aufgrund ihres Glaubens und eines daraus resultierenden politischen Widerstands (insbesondere während des NSRegimes oder in einem kommunistischen Staat) verfolgt und ermordet wurden, werden als Märtyrer bezeichnet. Unter dem Titel „‚Ihr Ende schaut an…‘. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ wurden 2006 Biogramme von 490 deutschsprachigen Frauen und Männern veröffentlicht, die im 20. Jahrhundert aufgrund ihres Glaubens ermordet wurden.105 Bereits 1985 präsentierte W. Oehme „Märtyrer der evangelischen Christenheit 1933–1945“.106 Zu diesen Büchern gibt es außerdem katholische107 und ökumenische108 Schwesterprojekte.

–––––––––––––– 100 Obwohl die Anzahl der Heiligsprechungen stark zugenommen hat (allein Papst Johannes Paul II. hat 482 Heiligsprechungen durchgeführt, und damit mehr als alle Päpste seit dem Pontifikat von Clemens VIII. [1592–1605] zusammen), ist auch in der katholischen Kirche eine „Krise der Heiligenverehrung“ (Manns, Heiligenverehrung, 635) zu beobachten. 101 So Müller, Gemeinschaft, 187: „Bahnbrechend für eine Wiedergewinnung der Heiligen war Walter Niggs Buch ‚Große Heilige‘.“ 102 S.o. S. 1. 103 Lackmann, Max: Verehrung der Heiligen. Versuch einer lutherischen Lehre von den Heiligen, Stuttgart 1958. 104 Vgl. seine einführenden Worte ebd., 17–22. 105 Schultze, Harald/Kurschat, Andreas (Hrsg.): "Ihr Ende schaut an…". Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2006. Zur Kritik an diesem Buch und dem darin verwendeten Märtyrer-Begriff vgl. Ohst, Evangelische Märtyrer?. 106 Oehme, Werner: Märtyrer der evangelischen Christenheit, Leipzig 1985. 107 Vgl. z.B. Moll, Helmut: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006. 108 Vgl. Hummel, Karl-Joseph/Strohm, Christoph: Zeugen einer besseren Welt. Christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts, im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelische Kirche in Deutschland, Leipzig 42002.

Die Heiligen im Protestantismus

243

Einer, der immer wieder in der Reihe der sogenannten evangelischen Märtyrer genannt wird, ist Dietrich Bonhoeffer. Als solcher wird er zum Beispiel im Ökumenischen Heiligenlexikon geführt.109 Sein Todestag, der 9. April, ist als evangelischer und anglikanischer Gedenktag angegeben. Zudem ist Bonhoeffer als einer von zehn Märtyrern des 20. Jahrhunderts (unter ihnen auch Maximilian Kolbe, Martin Luther King und Óscar Romero) über dem Westportal des Westminster Abbey in London dargestellt. Ist Bonhoeffer also ein Märtyrer oder gar ein Heiliger? Im Jahr 2000 ging im Vatikan ein Gesuch des Historikers Klemens von Klemperer ein, Bonhoeffer offiziell selig oder sogar heilig zu sprechen.110 Die Antwort aus dem Vatikan fiel erwartungsgemäß verhalten aus. Eine ausdrückliche Ablehnung wurde allerdings vermieden.111 Bonhoeffer selbst hat sich dagegen ausgesprochen, ein Heiliger zu werden oder zu sein. In einem Brief an seinen Freund E. Bethge vom 21.07.1944 schreibt er: „Ich erinnere mich eines Gespräches, das ich vor 13 Jahren in A. mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: ich möchte ein Heiliger werden (– und ich halte für möglich, dass er es geworden ist –); das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen. Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden. Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte. Am Ende dieses Weges schrieb ich wohl die ‚Nachfolge‘. Heute sehe ich die Gefahren dieses Buches, zu dem ich allerdings nach wie vor stehe, deutlich. Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder Ungerechten, einen Kranken oder Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist ‚Metanoia‘ und so wird man ein Mensch, ein Christ.“112

–––––––––––––– 109 Vgl. http://www.heiligenlexikon.de/BiographienD/Dietrich_Bonhoeffer.htm (zuletzt abgerufen am 07.04.2011). 110 Der Brief von Klemens von Klemperer ist veröffentlicht im Bonhoeffer-Rundbrief der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft Nr. 63 (Oktober 2000), S. 58f. 111 Vgl. das Antwortschreiben des Vatikans ebd., S. 59. 112 Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 183.

244

Ausblick

Bonhoeffer vertritt hier ein ethisches Verständnis von Heiligkeit. Zu einem Heiligen könne man sich demnach selbst machen, indem man ein heiliges Leben führt. Dies sei jedoch nicht der Weg zum Christsein. Christ werde man nur, indem man völlig darauf verzichte, aus sich selbst etwas zu machen, sondern sich „Gott ganz in die Arme werfe“. Letzteres ist der Weg, auf dem Bonhoeffer sich selbst sieht. W. HUBER bezeichnet ihn mit Verweis auf „das Vorbildhafte des Glaubens- und Lebenszeugnisses von Dietrich Bonhoeffer“ trotzdem als „evangelischen Heiligen“.113 Huber verweist ausdrücklich auf CA 21 und folgert daraus: „Dass wir in einer Gemeinschaft der Glaubenden leben, schließt den Dank für Vorbilder im Glauben ein. Genau in diesem Sinn lässt sich auch nach evangelischer Auffassung innerhalb der Gemeinschaft der Heiligen von besonders hervorgehobenen Heiligen sprechen. […] Von einem evangelischen Heiligen können wir dort reden, wo Lebenszeugnis und Glaubenskraft in einer Weise verbunden haben [sic!], dass dies zum Glauben und zum christlichen Handeln von Christen auch an anderem Ort, zu anderer Zeit und unter anderen Bedingungen ermutigt.“114

Folgt man Hubers Definition eines evangelischen Heiligen, so ist Bonhoeffer mit Sicherheit ein solcher. Jedoch muss viel grundsätzlicher gefragt werden, ob es überhaupt richtig ist, die Kategorie ‚evangelischer Heiliger‘ einzuführen, um – wie Huber sich ausdrückt – „größere Klarheit in der Würdigung Bonhoeffers wie in den Kategorien christlicher, in diesem Fall insbesondere evangelischer Erinnerungskultur zu gewinnen“115. Zwei Dinge sprechen aus meiner Sicht dagegen: 1. Auch wenn eine evangelische Wiederentdeckung der Heiligen vielleicht im Sinne der reformatorischen Bekenntnisschriften ist, entspricht sie nicht unbedingt dem ebenfalls reformatorischen Prinzip des sola scriptura. Denn nach neutestamentlichem Zeugnis sind alle Christen und nicht nur besondere Glaubensvorbilder Heilige. 2. Neben dem Neuen Testament ist der Begriff ‚Heilige‘ in einem davon abweichenden Sinne heute vor allem in der katholischen Kirche in Gebrauch. Wird heutzutage von einem Heiligen gesprochen, so wird damit in der Regel der katholische Umgang mit den Heiligen, der unter anderem eine offizielle Heiligsprechung einschließt, verbunden. Der –––––––––––––– 113 So W. Huber in seinem Eröffnungsvortrag beim Internationalen Bonhoefferkongress in Breslau am 3.02.2006 anlässlich des 100. Geburtstags Bonhoeffers: „Dietrich Bonhoeffer – ein evangelischer Heiliger“. Der Vortrag ist online verfügbar unter http://www.ekd.de/vortraege/2006/060203_huber_breslau.html (zuletzt abgerufen am 07.04.2011). 114 Ebd. 115 Ebd.

Die Heiligen im Protestantismus

245

katholische Heiligenkult, der über die Verehrung hinaus auch eine Anrufung der Heiligen und an Heilige gerichtete Bitten um Fürbitte vor Gott möglich macht, ist aus protestantischer Sicht jedoch nicht haltbar. Diese eindeutige Differenz zwischen dem evangelischen Umgang mit Glaubensvorbildern und der katholischen Heiligenverehrung ist aber nicht mehr für jeden zu erkennen, wenn man Glaubensvorbilder als ‚Heilige‘ bezeichnet. Das Adjektiv ‚evangelisch‘ allein reicht für eine Differenzbildung nicht aus. Das Problem mit dem Begriff ‚Heilige‘ besteht also darin, dass er durch das Neue Testament auf der einen Seite und durch den Gebrauch in der katholischen Kirche auf der anderen Seite bereits in zweifacher Weise besetzt ist. Sein Gebrauch in evangelischen Kontexten für besondere Einzelpersonen kann im Grunde nur Missverständnisse hervorrufen.116 Daher eignet er sich meiner Meinung nach nicht als Bezeichnung für evangelische Glaubensvorbilder – zu denen Bonhoeffer allerdings unbestritten zählt.

8.3.3

‚Communio Sanctorum‘ – Der ökumenische Dialog

1987 wurde die zweite Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands berufen. Unter der Überschrift „Communio Sanctorum – Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen“ hat sich die Arbeitsgruppe mehr als zehn Jahre lang mit ekklesiologischen Fragestellungen befasst. Das Ergebnis wurde im Jahr 2000 veröffentlicht, „um zu den darin angesprochenen Fragen eine Diskussion in Gang zu setzen, die die Tragfähigkeit der vorgeschlagenen Positionen erweisen oder zu anderen Klärungen führen soll, die von den beteiligten Kirchen akzeptiert werden können“117. Die Studie Communio Sanctorum (CS) beschäftigt sich im Anschluss an das Dialogdokument „Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament“ (1984) mit Fragen nach dem Wesen der Kirche und Fragen des Amtes. Letztere schließen auch die sehr kontrovers diskutierte Frage nach dem Papstamt ein. Außerdem gibt es unter der Überschrift „Gemeinschaft der Heiligen über den Tod hinaus“ einen Abschnitt zu escha–––––––––––––– 116 Vgl. hier auch die Kritik von M. Ohst am Umgang mit dem Begriff ‚evangelische Märtyrer‘: „Begriffe sind keine leblosen Gegenstände, die man nach Belieben für den je eigenen Gebrauch umformen und herrichten kann. Vielmehr beeinflussen sie subtil denjenigen, der sich ihrer bedient“ (Ohst, Evangelische Märtyrer?, 376). 117 CS, Vorwort, S. 7.

246

Ausblick

tologischen Fragestellungen, der auch die Themen ‚Gebete für Verstorbene‘, ‚Heiligenverehrung‘ und ‚Marienverehrung‘ berücksichtigt. Ausgehend von dem neutestamentlichen und vor allem paulinischen Gebrauch der Bezeichnung ‚Heilige‘ kommt die Studie im ersten Abschnitt zu der Definition „Die Kirche ist […] die Gemeinschaft oder Versammlung der Heiligen“ und kommentiert: „In diesem Bekenntnis stimmen unsere Kirchen überein“ (CS 1). Im Anschluss daran wird auf die Wendung „Ich glaube die Gemeinschaft der Heiligen“ aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis rekurriert: „Mit diesem Satz […] bekennen wir, daß der Heilige Geist das Lebensprinzip der einen heiligen Kirche ist“ (CS 2). In aller Kürze wird auf den Entstehungszeitpunkt und die ursprüngliche Bedeutung dieses Satzes eingegangen: „Er bezieht sich zunächst auf die heiligen Gaben, die Gott seiner Kirche schenkt – insbesondere in der Eucharistie. Erst von diesem alles begründenden Geschenk her werden dann auch die Menschen, die es empfangen, zu Heiligen“ (CS 4). Das gemeinsame Bekenntnis zur ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ bildet in dieser Studie die Überschrift und den Rahmen für die einzelnen ekklesiologischen Fragen, die verhandelt werden. Dies wird auch in den Stellungnahmen zu CS grundsätzlich positiv aufgenommen, da so deutlich werde, dass Differenzen im Verständnis der Kirche auf unterschiedlichen Auslegungen einer gemeinsamen Bekenntnisaussage beruhen.118 Zu den Differenzen zwischen den evangelischen Kirchen und der katholischen Kirche zählt nach wie vor die Position zur Heiligenverehrung. Dieses Thema nimmt die Studie CS in Kapitel 7 („Gemeinschaft der Heiligen über den Tod hinaus“) auf. Es erfolgt zunächst eine Definition: „Heilige in diesem Sinn sind diejenigen Glieder der Kirche, die aus Gnade und Glaube allein die christliche Liebe und die anderen christlichen Tugenden in beispielhafter Weise gelebt haben und deren Lebenszeugnis nach ihrem Tod in der Kirche Anerkennung gefunden hat.“ (CS 229).

Dem Satz aus CA 21, „dass man die Heiligen ehren soll“, können sowohl die römisch-katholische als auch die evangelisch-lutherische Kirche zustimmen (CS 230). Im Folgenden werden die unterschiedlichen Positionen zum Umgang mit den Heiligen ausgeführt, wobei die Gemeinsamkeiten hervorgehoben werden. Das Ergebnis lautet schließlich: „Wo die Verehrung der Heiligen mit ihren christologischen, soteriologischen und ekklesiologischen Voraussetzungen und Bedingungen gesehen

–––––––––––––– 118 Vgl. die Stellungnahme der Kammer für Theologie der EKD, 10, in: Schuegraf/Hahn, Communio Sanctorum, 145. Vgl. auch die Stellungnahme der Ev.-Theol. Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg, ebd., 208f sowie die Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz (Die deutschen Bischöfe 71), 5.

Die Heiligen im Protestantismus

247

wird, braucht sie sich also nicht mehr kirchentrennend auszuwirken.“ (CS 244).

Von katholischer Seite werden die Ausführungen zum Thema „Verehrung der Heiligen“ ausdrücklich begrüßt. 119 Auf evangelischer Seite besteht dagegen durchaus noch Klärungsbedarf.120 Eine wiederkehrende Kritik, die im Zusammenhang dieser Arbeit von besonderem Interesse ist, betrifft die Tatsache, dass der Begriff ‚Heilige‘ in Communio Sanctorum unterschiedlich verwendet wird: zum einen im Sinne des paulinischen Gebrauchs als Bezeichnung für alle Christen (vgl. z.B. CS 1; 90) und zum anderen im Sinne der oben angeführten Definition aus CS 229. Die damit verbundenen Schwierigkeiten werden jedoch nicht thematisiert.121 Damit geht die Studie Communio Sanctorum jedoch einem entscheidenden Aspekt in der Auseinandersetzung um die Angemessenheit einer Verehrung von ‚Heiligen‘ aus dem Weg: Schließlich geht es nicht nur um die Frage, ob und inwiefern eine Verehrung und Anbetung von herausragenden Einzelpersonen in den christlichen Kirchen geboten oder wenigstens möglich ist. Ausgehend von dem protestantischen Prinzip des sola scriptura ist nämlich schon allein der Begriff ‚Heilige‘ problematisch. Denn ‚Heilige‘ sind nach neutestamentlichem und insbesondere paulinischem Zeugnis nicht „diejenigen Glieder der Kirche, die aus Gnade und Glaube allein die christliche Liebe und die anderen christlichen Tugenden in beispielhafter Weise gelebt haben und deren Lebenszeugnis nach ihrem Tod in der Kirche Anerkennung gefunden hat“ (CS 229), sondern alle Christen.

–––––––––––––– 119 Vgl. Die deutschen Bischöfe 71, 38. 120 Vgl. z.B. die Stellungnahme des Arbeitskreises der Catholica-Beauftragten in den Gliedkirchen der VELKD und den weiteren Mitgliedskirchen des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes, in: Schuegraf/Hahn, Communio Sanctorum, 131. 121 Diese Kritik übt beispielsweise die Stellungnahme der Kammer für Theologie der EKD, 49, in: Schuegraf/Hahn, Communio Sanctorum, 160. Vgl. außerdem in dieser Frage sehr ausführlich die Stellungnahme der Ev.-Theol. Fakultät der Universität Tübingen, ebd., 257–261.

Abkürzungsverzeichnis

Die Abkürzungen biblischer Bücher und außerkanonischer Schriften folgen dem Abkürzungsverzeichnis der RGG4: Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft nach RGG4, hrsg. von der Redaktion der RGG4 (UTB 2868), Tübingen 2007. Davon abweichend verwende ich für das äthiopische Henochbuch die Abkürzung äthHen, sowie außerdem: Icar

Lukian, Icaromenippus

Philops

Lukian, Philopseudes

Tyr

Lukian, Tyrannicida

Für alle weiteren Abkürzungen, vor allem innerhalb des Literaturverzeichnisses, vgl. das Abkürzungsverzeichnis zur Theologischen Realenzyklopädie, zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner, Berlin/New York 21994. Die dort nicht verzeichneten Siglen finden sich entweder ebenfalls im Abkürzungsverzeichnis der RGG4 oder sind im Folgenden aufgelistet: %/D/R

Blass, Friedrich/Debrunner, Albert: Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearbeitet von Friedrich Rehkopf, Göttingen 171990.

CS

Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der VELKD, Paderborn 2000.

LD

Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hrsg. von Kurt Aland, Stuttgart 1959–1969.

NET

Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie

ThKNT

Theologischer Kommentar zum Neuen Testament

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Register Textstellen Altes Testament Genesis 7,23

64

Exodus 3,5 15,11 19,4–6 19,6 19,14 19,22 22,30 28,2 28,4 30,17–21 31,10 35,19 35,21 40,13

30 21f 28–29 31, 49, 233 33 34 24 34 34 34, 189 34 34 34 34

Levitikus 6,10 6,20 8,11f 10,10 11,44f 16,4 16,32 19 19,2 20,7 20,24 20,26 21,6–8 21,6 21,8 21,15 22,32f 26,12

33, 189 33, 189 33 50 24, 27 34 34 24f, 194, 220 24–30, 50, 232 24 27 24, 27 31, 189 34 24 33 27 174

Numeri 6,1–21 15,20f 15,40f

39 201, 204 27

15,40 16 16,3 16,5

24 35–37 35 36

Deuteronomium 7,6–8 7,6 14,2 14,21 23,2ff 26,19 28,9 33,3

27f 29f, 33, 50 28 28 75 28 28 23

Josua 3,5

33

Richter 13,7 16,17

39 38

1. Samuel 1,11 1,15 6,20 21,1–7

39 39 25 33

1. Könige 19,18

65, 205

2. Könige 4,9

38

Jesaja 2,1‒4 4,3 6,3 13,3 30,19 63,10 63,11

69 42, 44f, 66, 77 26 23 69 131 131

Jeremia 1,5 2,3LXX

38 202

276 Ezechiel 11,19 36,27 37,14 37,28 42,14 44,19 44,23

Register

130, 133 130, 133 130, 133 133 34 34f 35

Joel 3,1f

130

Amos 2,11f

39

Sacharja 14,5

23, 47

Psalmen 16,3 21,4LXX 29,5LXX 34 34,10 50,4LXX 50,9LXX 51,13 65,5 68,36 82,4LXX 88,6–9LXX 88,8LXX 95,6LXX 96,12LXX 106,16 139,7 143,10 144,5LXX

40f, 44 22 139 41f, 44 7, 41f, 44 157 157 131 175 22, 226 29f 21f 226 139 139 28 131 131 139

Hiob 5,1 9,30 15,15 36,14

22 157 22 22

Sprüche 9,10 30,3

22 22

Daniel 7 7,18 7,21 7,22 7,25 7,27

7, 42–45 43f 43f 43f, 106 43f 43f

8,13

23

Esra 8,28

33, 50, 189

Nehemia 10,40

33, 189

1. Chronik 15,12 15,14

34 34

2. Chronik 23,6 29,5 29,15 29,34 30,3 30,15 30,17

32, 36, 189 34 34 34 34 34 34

Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments Apokalypse Abrahams 24,8 126 Testament Abrahams 6 46 16 46 20 51 3. Esra 8,57

50

Äthiopischer Henoch 1,9 12,2 14,23 20 21,5 21,9 22,3 23,4 24,6 25,4f 38,4f 38,5 39,5 48,9 61 93 95,3 95,7

47 47 47 47 47 47 47 47 47 53 52f 106 56 52, 106 56 203 52, 106 52, 106

277

Textstellen 96,1 98,12 104,6 Judith 6,19

52, 106 52, 106 56, 223

117 53, 55, 117, 139

Issachar 5,4

53

Dan 5,11f

53

Josef 4,1

51

Benjamin 10,11

128

49

1. Makkabäer 1,46 10,39 10,44

50 49 49

Apokalypse Moses 7,2 13,3 19,3 35,2 42,1

46 48f 126 46 46

Psalmen Salomos 17 17,21 17,26 17,30 17,32 17,43

18,7 18,11

54f 54 48f, 54 54 54 48

Sapientia Salomonis 2,18 3,8 5,5 11,1 17,2

48 106 47f, 223 50 49

Sibyllinische Orakel 5,401

49

Vitae Prophetarum 2,12 4,8

54 51

Jesus Sirach 42,17 45,2 45,4 45,6

48 48 50 50

Tobit 8,15 11,14 12,15

52 46 46, 55

Testamente der zwölf Patriarchen Levi 3,3 47 18,6 117

Texte aus Qumran CD XX,2 XX,5 XX,7

61 61 61

1Q34 3ii 5f

62

1QH 11

223

1QM I,1 VI,6 XII,1‒8 XII,1 XIV,12 XVI,1

60f 61 58 58, 60f, 66 61 61

1QS II,25 V,13f V,13 V,18 V,20 VI,10 VIII,5–10 VIII,16‒20 VIII,17 VIII,20 VIII,21 VIII,23 IX,8 XI,7‒9 XI,8

61 62 61 61 61 73 173 62 61 61 61 61 61 58, 223 58, 60

1QSa

278 I,12f I,17‒19 II,9 1QSb IV,22‒28 IV,23

Register 61 72 61 59 60

Jüdisch-hellenistische Literatur Philo von Alexandria Legum allegoriae I,17f 51 De Abrahamo 56,7 De ebrietate 127,5

De plantatione 135,3

71 71 71 106 230 71

Markus 1,8 1,24 6,20 8,38 10,17‒31

156 230 230 80 157

Lukas 4,34

230

Johannes 6,69 11,2 13,35

230 71 71

Apostelgeschichte 1,5 1,15‒20 2,25–31 3,14 4,27 4,30 6 9,10 9,13 9,14 9,21 9,32 9,41 11,26‒30 11,26 13,35–37 14,28 15,1 16,1 18,27 19,1‒6 19,32 19,39 19,40 20,32 22,16 26,10 26,28

156 69 41 170 230 230 71 71 231 150 150 231 231 74 112 41 74 74 71 71 156 75 75 75 224, 231 150, 156f 231 112, 224, 231

50

50 49

De praemiis et poenis 123 49 De somniis I,82,2 I,253,1f

Matthäus 4,18 4,21 7,3‒5 19,28 27,52 28,19

49

De migratione Abrahami 103,2 50 De vita Mosis II,158,2

Neues Testament

50 51

De specialibus legibus I,100,8 50 I,167,6 50 I,245,4 50 IV,82‒85 126 Quod Deus sit immutabilis 88,3 51 Quaestiones in Genesim I,47 126 Flavius Josephus Antiquitates Iudaicae 10.177 88

279

Textstellen Römerbrief 1,1 1,4 1,6 1,7 1,16 1,24 2,13 2,27 3,21‒26 3,21‒24 5,5 5,19 6,19 6,22 7,7 7,12 8,9 8,11 8,14 8,15 8,16 8,23 8,24 8,26 8,27‒30 8,27 8,28 8,29f 8,29 8,30 8,33 9‒11 10,12 11,1 11,4 11,5 11,11 11,15 11,16 11,17‒24 11,26 12,1 12,13 15,16 15,25‒31 15,25 15,26f 15,26 15,27 15,31 15,58 16,2 16,5

97 131, 139 97, 196f, 211 79, 97, 103f, 109, 150, 196, 211 201 129 213 106 170, 213 199 131 213 117, 128, 181 117, 128 126 170 131 131 211 131 196, 211 108 108 108 212f 79, 108, 110 108, 211 212 108 108 211 199‒201 150 202, 204f 205 205 202, 204 202 178f, 199, 201‒205 203 204f 132, 175, 181, 189 79, 109f 132, 140, 149, 159, 176, 189 67, 82, 87‒90 67, 79, 88f 89 70, 79, 88f, 91f 89, 92 67, 79, 88f 103 79, 109f, 218, 227 203f

16,14 16,15 16,16 16,23 1. Korintherbrief 1‒6 1,1‒3 1,1 1,2

1,9 1,10 – 4,21 1,11 1,22‒24 1,24 1,26‒31 1,30 2,11 3,16f 3,16 3,17 5f 5,1‒13 5,1 5,2 5,3 5,6 5,7 5,9 5,10 5,11 5,12f 5,12 5,13 6,1‒11

6,1‒6 6,1 6,2‒3 6,2 6,4 6,5 6,6 6,7f 6,8 6,9‒11 6,9f

100, 103 79, 99f 101 103 182, 211 145 97, 146, 149 79, 96f, 103f, 107, 140, 145‒150, 157, 179, 182, 185, 193, 195‒197, 206‒208, 210f 128, 196 169, 177, 183, 217 182 198 196, 211 169f 9, 117, 145, 169‒171, 182, 192, 207f, 213 131 6, 132, 158, 172‒177 131, 173f 145, 175f, 182, 189 161‒168, 182f, 218 161‒167, 184f, 219 161, 182 161, 163 161 165 164, 166 163‒165 163, 166 163f, 166 166 164 163 129, 145, 151‒161, 164‒168, 170, 182‒185, 193, 211, 217‒219 152, 154, 159, 166 79, 105f, 113, 124, 145, 151–153, 157, 159, 216 153, 165 79, 105f, 113, 145, 152 153f 154 153f 152, 154, 159 154 152, 155 153, 157, 166, 183

280 6,11

Register

16,20

6, 9, 132, 140, 145, 149, 152f, 155‒160, 166f, 170, 206‒208, 213 6, 161f, 167f, 172, 177 167 167 167, 172 167 6, 131, 145, 158, 172‒176 162, 172 167, 177 161f, 177, 182 140, 145, 149, 177‒180, 182, 204, 206f 128 178f 128 128 161 180f 145, 180–182 161 198 107 76 161 158, 194, 208 107, 218 79, 107, 145, 182 69 225 209 67, 82f 67, 79, 145, 161, 182 92 88 161 79, 107f, 110, 113, 145, 182, 203f, 232 101

2. Korintherbrief 1,1 1,22 4,13 5,5 6,14 – 7,1 6,14‒16 6,16 6,17 7,1 8f 8,1

79, 98, 103, 150 131 131 131 175f 176 172‒174 176 139, 181 67, 84‒87 84

6,12–20 6,12 6,15 6,18 6,19f 6,19 6,20 7 7,1 7,14 7,15 7,16 7,20 7,24 7,25 7,32‒34 7,34 8,1 10,32 11,2‒16 11,18 12,1 12,13 14,33b‒35 14,33 15,3b‒5 15,9 15,12‒68 16,1‒4 16,1 16,3 16,4 16,12 16,15

8,2 8,4 8,6 8,7 8,9 8,13f 8,16 8,19 8,30 9,1 9,8 9,12 9,14 9,15 13,12

91 67, 79, 84‒86, 88, 91f, 232 84 84 84 86f, 89‒91 84 84 127f 67, 79, 86, 88, 232 84 67, 79, 86 84 84 79, 99, 101

Galaterbrief 1,2 1,6 1,15 2,10 3,5 3,26‒29 3,26 4,4‒7 4,21‒31 5,8 5,13 5,19‒25 5,19 6,1 6,16

103 128f 128 70, 78, 90–92 131 197, 208 196f 211 199 128 128 158 129 211 199

Epheserbrief 1,1 1,15 1,18 2,19 3,5 3,8 3,18 4,12 5,3 6,18

223, 226f 223, 227 223‒225 223, 225f, 228 223, 225 223, 225 223, 226f 223, 227 218, 223, 227 223, 227

Philipperbrief 1,1 1,14 4,1 4,10‒18 4,21f 4,21 4,22

79, 97‒99, 103f, 150, 194, 197 73 103 82 110 78f, 99–101, 103, 194, 197, 210 79, 99f

281

Textstellen Kolosserbrief 1,2 1,4 1,12 1,22 1,26 3,12 1. Thessalonicherbrief 1,1 1,4 1,5 1,6 2,10 2,12 2,13 2,14‒16 3,11‒13 3,13 4,1–8 4,1‒2 4,3–8 4,3 4,4‒5 4,4 4,5 4,6 4,7 4,8 4,9‒12 4,9 4,13 ‒ 5,11 4,13‒18 4,13 5,1‒11 5,1 5,4‒8 5,9 5,23 5,24 5,26

223f, 227 223f, 227 223‒225 224 223‒225, 227 223f, 227 103 127, 196, 211 115 115 211 127f 211 199 138–142 78, 80f, 115, 138‒140, 143, 192, 206f, 226 9 117f 14, 115‒125, 133‒137, 139, 142‒144, 207, 217, 219 9, 14, 116f, 120‒122, 124, 126, 128, 137, 142, 192 123, 125 121‒123, 125‒127, 192 126, 192 121, 123‒125, 192 117, 124, 127‒129, 144, 192 115, 117, 124, 130‒133 118 118 209 118 118, 126 118 118 224 129 115, 138, 140‒142, 181, 206 127f 101, 115

2. Thessalonicherbrief 1,10 223, 226 2,13 128, 132 1. Timotheusbrief 2,15 5,10

128 223, 227

2. Timotheusbrief 2,22 Philemonbrief 1 2 5

150

7 18f

103 103 79, 96, 98, 110, 113, 227 79, 96, 98, 110 82

Hebräerbrief 2,11 3,1 6,10 10,10 10,14 13,24

232 232 231f 232 232 231f

1. Petrusbrief 1,2 1,15f 2,9 3,7 4,16 5,14

128, 132 232 232f 125 112 102

Judasbrief 3

232

Apokalypse des Johannes 5,8 228 8,3 228 8,4 228 11,18 228 13,7 228f 13,10 228f 14,12 228f 16,6 228 17,6 228 18,20 228 18,24 228 19,8 228f 20,4 106 20,9 228f 22,11 230 22,21 228

Altkirchliche Literatur Barnabasbrief 6,15

234

1. Clemensbrief 30,1

234

282

Register

46,2 56,1

178 233

Didache 10,4

234

Hirt des Hermas vis I 1,9 vis I 3,2 vis II 2,4f vis III 8,11 vis IV 3,6

Johannes Chrysostomos Homiliae in Matthaeum V,4–5 234 LXV,5 234 Faustus von Reji Homilia II. De Symbole 236f

233 233 233 233 233

Nicetas von Remesiana Instructio ad Competentes V,III,23f 236f

Martyrium des Polykarp 20,2 233

Pagane Literatur der Antike

Augustinus In Iohannis Evangelivm VI,8 234 VI,19 234 XLIX,10 234

Euripides Alcestis 278

148

Lukian von Samosata Icaromenippus 20 88

Johannes Cassianus De incarnatione Christi V,4,2 234

Philopseudes 35

88

Tyrannicida 22

88

Autoren Aasgaard, R. 72f Adewuya, J. A. 210 Althaus, P. 3 Angenendt, A. 234f, 240 Arnold, C. F. 3 Asting, R. 17, 56, 74, 94f, 97f, 106, 108, 113, 131, 133, 196, 216, 225, 234 Auf der Maur, H. 41 Baltensweiler, H. 116, 118f, 124 Balz, H. 131 Bammel, E. 70 Barrett, C. K. 153, 157f, 174, 204, 215f Barth, G. 100, 155, 158 Barth, K. 202 Baudissin, W. 23 Baudy, D. 188 Bauer, W. 117, 122 Baumeister, T. 234 Baumert, N. 120f, 123f Bayer, O. 212

Becker, Jo. 22 Becker, Jü. 2, 47, 99, 116, 168, 173, 199, 208, 214 Beckheuer, B. 91 Bender, W. 147, 170 Benko, S. 236 Benoit, P. 224 Berger, K. 16, 18, 76, 92, 133, 138, 141, 178, 210f, 214 Bernhardt, K.-H. 38 Bertram, G. 29 Bettenzoli, G. 35 Betz, H. D. 84, 85 Billerbeck, P. 230 Bindemann, W. 73f Blinzler, J. 177, 178 Bohlen, M. 157 Bonhoeffer, D. 3, 243f Böttrich, C. 173f Brandscheidt, R. 64 Bratsiotis, N. P. 38

Autoren

283

Braun, F. 97 Brekelmans, C. H. W. 41, 44, 47, 53, 55–58 Brenner, M. L. 22 Brooke, G. J. 17, 173 Brower, K. E. 4, 11f Bürkle, H. 188 Bultmann, R. 135f, 219

Gnilka, J. 81, 86, 90, 102 Goldberg, A. M. 17 Gorman, M. J. 12, 185, 194f, 212 Grane, L. 240 Gräßer, E. 93, 172, 232 Grünwaldt, K. 30, 33f Gunneweg, A. 26

Carras, G. P. 122f, 125 Chester, S. J. 183–185 Cho, G.-H. 81 Clements, R. E. 29 Collins, J. N. 86, 88 Collins, R. F. 117–120, 137, 139 Coppens, J. 40, 42 Cranfield, C. I. B. 201–204 Cullmann, O. 150

Haacker, K. 90, 109, 112, 148, 201f, 204 Härle, W. 131 Hagenow, S. 163, 168, 174, 176 Hahn, F. 214 Hahn, U. 4 Hainz, J. 85, 92 Hanhart, R. 43f, 63 Hanssen, O. 5f, 64, 97, 108, 132, 153, 163, 167, 179, 180f, 202, 217, 230 Harland, P. A. 72 Harnack, A. von 79 Harrison, J. R. 84f Hartman, L. 155, 158 Hartung, M. 201, 203 Haufe, G. 121–124, 130, 133, 138–141 Hausberger, K. 234 Hausmann, J. 42, 64f Heckel, T. K. 195f Hengel, M. 16, 198 Hentschel, A. 85f, 88f, 107 Hentschel, G. 35f Hogeterp, A. L. A. 173, 188 Holl, K. 67, 70, 90f, 93f, 102 Holtz, G. 17 Holtz, T. 80, 118, 120–124, 126, 128f, 133, 139, 141, 143, 228f Honecker, M. 212 Hoppe, R. 224 Horn, F. W. 81, 130f, 133, 163, 172–174, 176, 212, 217, 219 Huber, W. 244 Hübner, H. 48, 51 Hvalvik, R. 104, 110f, 209, 214 Hwang, H. S. 104

Dahmen, U. 36 De Vos, C. S. 163 Decock, P. B. 56 Deidun, T. J. 193, 196 Deissmann, G. A. 147 Delling, G. 123f, 158, 178f Demke, C. 143 Dequeker, L. 41–44, 57f Deselaers, P. 51f Dibelius, M. 124, 212 Dillersberger, J. 96, 112, 215f Dinkler, E. 151, 166 Dommershausen, W. 29, 32, 34, 42 Dörfel, D. 56 Douglas, M. 25, 189 Downs, D. J. 81, 87 Du Toit, A. 75 Dunn, J. D. G. 75, 130f, 147, 196, 201–203, 219 Eckert, J. 81, 86, 93 Elliott, M. A. 17, 54, 64f Eriksson, L. O. 41f Fitzmyer, J. A. 153 Flebbe, J. 200 France, R. T. 230 Furnish, V. P. 137 Garijo-Guembe, M. M. 3 Gaugler, E. 193, 203, 218f Geiselmann, J. R. 233 Gemeinhardt, P. 235 Georgi, D. 48, 70, 86, 93 Gerber, C. 72f Gerstenberger, E. S. 24–26 Gielen, M. 83, 107f Gieschen, C. A. 55

Issel, E. 17, 217 Japhet, S. 65 Jensen, J. 122 Jenson, P. P. 32f, 35–37, 39 Johnson, A. 4, 11–12 Johnson, L. T. 227 Jovino, P. 139 Kaiser, O. 64f Kammler, H.-C. 169 Käsemann, E. 203 Keck, L. E. 17, 70

284

Register

Kellermann, D. 26, 36 Kelly, J. N. D. 236–238 Kim, B.-M. 86, 90, 92 Kirchhoff, R. 122 Kirsch, J. P. 234, 236f Kittel, G. 82 Klaiber, W. 110, 147, 195, 197, 209, 211, 213f Klassen, W. 101f Klauck, H.-J. 96 Kohz, A. 97 Konradt, M. 106, 123–127, 134, 151, 155f, 163–165, 169 Koppe, R. 4 Kornfeld, W. 30 Kosmala, H. 44, 231 Kötting, B. 234 Kraus, H.–J. 28, 30 Kraus, W. 74, 136, 195–198, 201f Kretschmar, G. 240f Kühlewein, J. 38 Külling, H. 162 Kümmel, W. G. 67f, 70, 95 Kuhn, K. G. 17, 46, 49, 53, 55, 189 Kuhn, H.–W. 56, 59, 61

Merklein, H. 83, 94, 97, 107f, 146, 150, 152f, 156, 162–166, 168, 178f Milgrom, J. 24f Mitchell, A. C. 154f, 160, 170 Mitchell, M. M. 118 Mowinckel, S. 23, 40 Müller, C. D. 2 Müller, G. L. 234, 237, 239, 241f Müller, H.-P. 34 Müller, P. 16 Müller, U. B. 98–101, 104

Lackmann, M. 242 Lanczkowski, G. 215 Lang, B. 188 Larsson, G. 66 Laurentin, R. 240f Lausberg, H. 212 Lessing, E. 131 Lewandowski, T. 18 Lietzmann, H. 203 Lieu, J. 2 Lindemann, A. 76, 83, 91, 93, 107, 150, 152f, 156, 162, 169f, 175f, 179–181, 185 Linke, A. 69 Lohse, E. 109f, 202f Lucius, E. 234 Luckensmeyer, D. 80, 142, 209 Luther, M. 238–240 Lutzeier, P. E. 15, 231 Luz, U. 225, 230

Peels, H. G. L. 40f Pelz, H. 15 Pesch, R. 321 Pfaff, H.-M. 42 Pilhofer, P. 72f Pinomaa, L. 240 Podella, T. 34 Portmann, P. R. 69 Procksch, O. 17, 49, 54f, 189

Maisch, I. 224 Malherbe, A. J. 124, 135, 138–141 Manns, P. 240, 242 Marxsen, W. 136 Maurer, C. 122f, 203 May, A. S. 153, 155, 168, 180, 183 Mayer, G. 38f Meeks, W. 2, 166, 196, 214 Meier, H.-C. 147f

Naudé, J. A. 58f Neugebauer, F. 148, 171, 179 Niederwimmer, K. 108 Nigg, W. 1, 242 Noth, M. 22f, 41, 43f, 48f, 52 Nötscher, F. 57f Nussbauer, M. 69 Oakes, P. 101, 132 Oeming, M. 131 Öhler, M. 72 Ohst, M. 242, 245 O’Rourke, J. J. 88

Radl, W. 80 Reichert, A. T. 157 Reinmuth, E. 98, 118, 134, 226 Reiser, M. 16 Rendtorff, R. 64f Rengstorf, K. H. 202f Reventlow, H. G. 32, 36 Richardson, P. 165 Riches, J. 133 Ringgren, H. 30, 34f Ritter, A. M. 212 Roberts, J. W. 147 Roloff, J. 3, 60, 65, 68, 71, 73–77, 146f, 172f, 175, 191, 196f, 199 Rost, L. 75 Sand, A. 201 Sanders, E. P. 200f, 213f Satake, A. 228–230 Schäfer, P. 56, 59

Autoren Schäfke, W. 198 Schaller, B. 202 Schaper, J. 36 Schelkle, K. H. 72 Schenk, W. 2, 72f, 79f, 99f, 103f, 112 Schenke, L. 67f, 70 Schiffman, L. H. 173 Schmidt, E. D. 4f, 9, 14f, 80, 97, 114f, 119– 121, 123–125, 128, 130, 133, 137, 139, 143f, 196, 208, 215 Schmidt, K. L. 75, 127 Schmidt, L. 35f Schmidt, U. 34 Schmidt, W. H. 24, 26f Schmithals, W. 86 Schnackenburg, R. 225 Schneider, J. 125 Schnelle, U. 96, 99, 105, 116, 118, 131, 139, 141f, 147, 156–158, 169–171, 185, 199–201, 209, 214, 223 Schnider, F. 96, 99, 103f Schniewind, J. 108 Schrage, W. 75, 82, 107, 110, 136, 146, 149, 152, 158, 162f, 165, 171, 178, 180 Schubert, K. 97 Schuegraf, O. 4 Schüller, B. 95 Schüssler Fiorenza, E. 173 Schulz, F. 240, 242 Schulz, S. 116, 118, 133, 143 Schunck, K.-D. 50 Schweizer, E. 91, 224f Schwemer, A. M. 51, 198 Sellin, G. 225f Seybold, K. 27 Spicq, C. 85 Stählin, G. 101 Stalder, K. 97, 112, 131f, 135, 214 Stark, C. 22, 32 Starnitzke, D. 202 Steck, O. H. 16 Stegemann, H. 60 Steiger, J. A. 213 Stemberger, G. 64f Stenger, W. 96, 99, 103f Stettler, H. 4f, 10f, 16, 46, 64, 68, 77, 94, 109, 125, 139, 170, 174f, 180, 214 Strack, H. L. 230 Strack, W. 75, 97, 106, 113, 147, 155, 159f, 164, 167, 172f Strecker, G. 214

285

Sullivan, K. P. 55 Swanson, D. 139 Tachau, P. 129, 155–157 Theobald, M. 199 Thielman, F. 127, 195 Thiselton, A. C. 147, 162, 171f, 182 Thraede, K. 101 Trilling, W. 226 Uhlig, S. 47 Vahrenhorst, M. 4, 12f, 34, 78f, 101, 123, 134, 136, 143, 153, 161, 163, 170, 173– 175, 179, 186–191 van Unnik, W. C. 150 Verhoef, E. 119f, 122 von Dobschütz, E. 226 von Lips, H. 218 Walter, N. 100 Wedderburn, A. J. M. 147f Weima, J. A. D. 119, 127, 134, 194–196 Weinrich, H. 79, 96 Weiser, A. 86 Weiß, J. 150 Weiß, W. 5, 9f, 125, 128f, 133, 137, 139, 142, 207 Wells, J. B. 28–31, 33, 36f, 232 Wengst, K. 103 Wenz, G. 240f White, J. 201, 204 Wiefel, W. 5, 7f, 15, 41, 48, 52, 100, 111, 194, 227, 230, 232f Wilckens, U. 89, 202 Wildberger, H. 29, 42 Wiles, G. P. 138 Willi, T. 38 Williger, E. 17, 189 Winter, B. W. 12 Wolff, C. 82, 93, 106, 111, 155f, 158, 162, 164, 170f, 179 Wolter, M. 3, 75f, 98, 105, 123f, 131, 135, 154, 168, 184, 202, 214, 219f, 224f Zeller, D. 112, 150–153, 179 Zenger, E. 27 Zimmerli, W. 25–27, 31 Zimmermann, R. 135, 218f Zolli, E. 40