Sachwalter Gottes: Der Herrscher als ›christus domini, vicarius Christi‹ und ›sacra majestas‹. Gesammelte Aufsätze. Zum 65. Geburtstag hrsg. von Martin Hille / Marc von Knorring / Hans-Christof Kraus unter Mitarbeit von Andreas Fohrer [1 ed.] 9783428552221, 9783428152223

Ein zentrales Forschungsfeld des an der Universität Passau lehrenden Mediävisten Franz-Reiner Erkens bildet die sakrale

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Sachwalter Gottes: Der Herrscher als ›christus domini, vicarius Christi‹ und ›sacra majestas‹. Gesammelte Aufsätze. Zum 65. Geburtstag hrsg. von Martin Hille / Marc von Knorring / Hans-Christof Kraus unter Mitarbeit von Andreas Fohrer [1 ed.]
 9783428552221, 9783428152223

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Historische Forschungen Band 116

FRANZ-REINER ERKENS

Sachwalter Gottes Der Herrscher als christus domini, vicarius Christi und sacra majestas Gesammelte Aufsätze Zum 65. Geburtstag herausgegeben von Martin Hille Marc von Knorring Hans-Christof Kraus Unter Mitarbeit von Andreas Fohrer

Duncker & Humblot · Berlin

FRANZ-REINER ERKENS

Sachwalter Gottes

Historische Forschungen Band 116

FRANZ-REINER ERKENS

Sachwalter Gottes Der Herrscher als christus domini, vicarius Christi und sacra majestas Gesammelte Aufsätze

Zum 65. Geburtstag herausgegeben von Martin Hille Marc von Knorring Hans-Christof Kraus Unter Mitarbeit von Andreas Fohrer

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Vereins für Ostbairische Heimatforschung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buch.bücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 978-3-428-15222-3 (Print) ISBN 978-3-428- 55222-1 (E-Book) ISBN 978-3-428- 85222-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Franz-Reiner Erkens, der am 21. November 2017 sein fünfundsechzigstes Lebensjahr vollendet, gehörte zu den ersten Doktoranden, die an der 1978 gegründeten Universität Passau promoviert wurden. Gebürtig aus Köln und auch Absolvent der dortigen Universität, kam er mit seinem akademischen Lehrer Egon Boshof Ende der 1970er Jahre nach Passau, wo er – abgesehen von einem zehnjährigen Wirken als Lehrstuhlinhaber an der Universität Leipzig (1993 – 2003) – lange Jahre als akademischer Lehrer und Forscher verbracht hat, seit 2003 auch als Nachfolger seines Lehrers Boshof auf dessen Passauer Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte. Köln und Passau markieren nicht zuletzt auch wesentliche inhaltlich-thematische Fixpunkte der gelehrten Arbeit von Franz-Reiner Erkens, der im Rahmen seiner Dissertation mit Studien über den Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg aus dem 13. Jahrhundert begann und sich in seiner letzten größeren Publikation von 2011 mit den Fälschungen des Bischofs Pilgrim von Passau befasste. Seit 2008 amtiert er zudem als Direktor der Abteilung für Historische Landeskunde im Institut für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen an der Universität Passau. Seine Forschungen zur Geschichte Bayerns wurden 2011 mit der Wahl zum Ordentlichen Mitglied in die Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewürdigt. Ein wesentliches, vielleicht das zentrale Thema der wissenschaftlichen Forschung von Franz-Reiner Erkens stellt das Problem des Verhältnisses von Herrschaft und Sakralität – vor allem, aber keineswegs nur – im Mittelalter dar; im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat er diesem Gegenstand eine Fülle grundlegender Abhandlungen sowie ebenfalls die 2006 erschienene Monographie „Herrschersakralität im Mittelalter – Von den Anfängen bis zum Investiturstreit“ gewidmet. Der vorliegende Sammelband, herausgegeben anlässlich des 65. Geburtstags von Franz-Reiner Erkens, hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine wichtigsten, partiell weit verstreut publizierten und nicht immer leicht greifbaren Beiträge hierzu in kompakter Form zusammenzufügen und sie damit allen Interessierten erneut zugänglich zu machen. Die Abhandlungen umfassen ein überaus weites Feld, das von grundlegenden Überblicksdarstellungen bis hin zu Spezialstudien reicht. Der umfassenden, epochenübergreifenden Bedeutung des Themas entsprechend, befasst Erkens sich in den beiden letzten Studien des Bandes auch mit der überaus langen und komplexen Nachwirkung bestimmter Formen religiöser Herrschaftslegitimation bis ins 19. und 20. Jahrhundert; der „magische Kitt“ der Monarchie stellt, wie er aufzeigen kann, ein die Jahrhunderte übergreifendes Phänomen der europäischen Bewusstseinsgeschichte dar.

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Vorwort

Besonders hervorzuheben ist Erkens’ Bemühen um eine strikte Präzision des Ausdrucks und eine exakte Begrifflichkeit, die diesem überaus schwierigen Thema angemessen ist, einem Gegenstand also, der geschichtswissenschaftliche, besonders auch ideen- und symbolhistorische Kompetenzen ebenso erfordert wie umfassende Kenntnisse der Theologie und der Religionsgeschichte. Die Verwendung einer elaborierten Sondersprache lehnt er dabei ab, um für alle am Thema Interessierten verständlich zu bleiben; seine Definitionen sind einfach, präzise und klar nachvollziehbar: Für ihn dient der Begriff der „Herrschersakralität“ als ein „wissenschaftlicher Hilfsbegriff“ einfach dazu, „das Nahverhältnis von hauptsächlich vormodernen Herrschern zum Numinosen“, damit zum Göttlichen, terminologisch in den Griff zu bekommen, ohne in erkenntnistheoretische Unschärfen zu verfallen. Und in diachroner Hinsicht ist Herrschersakralität nichts anderes als – wie Erkens unter Anspielung auf den berühmten Terminus Fernand Braudels sagt – ein „eigentümliches Phänomen der longue durée, das tiefe Wurzeln im Altertum besitzt und Ausläufer bis weit in die Neuzeit hinein aufweist, eine im Grunde wenig überraschende Kontinuität von Grundvorstellungen, die sich zwar wandeln, intensiver werden oder abflauen, die sich ausdifferenzieren, im Kern aber offenbar immer vorhanden sind“. Genau dieser Vorgang wird in den Studien des vorliegenden Bandes – sozusagen in der Form einzelner thematischer „Tiefenbohrungen“ – immer wieder in wechselnder Perspektive (und sich daher auch jeweils ergänzend und erläuternd) in den Blick genommen. Die Unterzeichneten, die alle dem benachbarten Passauer Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte angehören, möchten mit diesem Band dem hochgeschätzten Kollegen zugleich Dank abstatten für eine jahrelange enge und vertrauensvolle, niemals durch Dissonanzen getrübte akademische Zusammenarbeit. Es war eine Freude, mit Franz-Reiner Erkens zusammenwirken zu dürfen, und wir wünschen ihm, der im kommenden Jahr in den Ruhestand eintreten wird, noch viele ertragreiche Jahre wissenschaftlicher Arbeit und gelehrten Forschens im Dienst unserer gemeinsamen Wissenschaft! Der Druck des Bandes wurde nicht zuletzt ermöglicht durch einen namhaften Druckkostenzuschuss des Vereins für Ostbairische Heimatforschung; unser Dank gilt dem Vorstand des Vereins, insbesondere Herrn Dr. Helmut Böhm. An der Herstellung der Druckfassung wirkte Herr Andreas Fohrer mit, dem die Herausgeber an dieser Stelle ebenfalls ihren Dank sagen. Passau, im August 2017

Prof. Dr. Hans-Christof Kraus Prof. Dr. Martin Hille Privatdozent Dr. Marc von Knorring

Inhaltsverzeichnis I. Grundlegendes Herrschersakralität. Ein Essai . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sakrale Elemente des Königtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Reflexionen über das sakrale Königtum germanischer Herrschaftsverbände . . . . . .

59

Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

II. Religiöse Herrschaftslegitimierung im frühen Mittelalter Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs

99

Konrad I. als christus domini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Frommer Mönchskönig, sakraler Christusvikar und heiliger Kaiser: Heinrich II. . . 157 Gebildete Höflinge und ungebildeter König: Gedanken über den Hof Konrads II.

169

Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

III. Das sakrale Reich Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter . . . . . . . . . . 235

IV. Religiöse Herrschaftslegitimierung im späteren Mittelalter Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Herrscher- und Herrschaftsidee nach herrschaftstheoretischen Äußerungen des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

8

Inhaltsverzeichnis

Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Thronfolge und Herrschersakralität in England, Frankreich und im Reich während des späteren Mittelalters: Aspekte einer Korrelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 ,Gesalbt zu königlichem Wesen‘. Zur Bedeutung der spätmittelalterlichen Herrscherweihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 V. Überblick und Ausblick Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft zwischen Spätantike und Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Vom „magischen Kitt“ der Monarchie. Ein Essai über die longue durée und das allmähliche Verblassen religiöser Herrschaftsbezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Schriftenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559

Abkürzungen und Siglen Außer allgemein gebräuchlichen Abkürzungen werden folgende Siglen verwendet: AfD AKG CC Cont. Med CC SL CSEL DA Epist. FAZ FmaSt Font. iur. Germ.

Archiv für Diplomatik Archiv für Kulturgeschichte Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis Corpus Christianorum. Series Latina Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Epistulae Frankfurter Allgemeine Zeitung Frühmittelalterliche Studien Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum LdL Libelli de lite LL Leges SS Scriptores SS rer. Germ. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum SS rer. Merov. Scriptores rerum Merovingicarum GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht HER The English Historical Review HJb Historisches Jahrbuch HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte HZ Historische Zeitschrift LMA/LexMA Lexikon des Mittelalters MGH Monumente Germaniae Historica AA Auctores antiquissimi Capit Capitularia regnum Francorum Conc. Concilia Const. Constitutiones DD Diplomata MIÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung MPI Max-Planck-Institut NA Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Pass. Jb Passauer Jahrbuch PL J. P. Migne, Patrologia Latina QfiAB Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken RGA Reallexikon der Germanischen Altertumskunde RGG Religion in Geschichte und Gegenwart Röm. Hist. Mitt. Römische Historische Mitteilungen RTA Deutsche Reichstagsakten SBB Sitzungsberichte SFB Sonderforschungsbereich

10 SM OSB TRE ZAGV ZBGL ZHF ZKG ZRG

Abkürzungen und Siglen Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige Theologische Realenzyklopädie Zeitschrift des Aachener Geschichtsverein Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Historische Forschung Zeitschrift für Kirchengeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte GA Germanistische Abteilung KA Kanonistische Abteilung

I. Grundlegendes

Herrschersakralität Ein Essai Um den alten Briest zu bemühen: Sakralität „ist ein weites Feld“. Schon der Anwendungsbereich des Begriffs ist breit und erstreckt sich über viele Regionen. Was kann nicht alles sakral heißen: Räume, Orte, Handlungen, Gesten, Symbole, Kunstwerke, Kultgegenstände, Personen, Gemeinschaften, Namen, Bücher, Bilder – schließlich auch Könige und die Würde, die sie bekleiden. Freilich ist die Vorstellung von der Sakralität eines Herrschers schwankend und die Sache selbst schwer zu fassen1. Sie verweist ebenfalls auf ein weites Feld, auf ein Feld mit verschwimmendem Horizont und gefährlichen Stolperfallen. Während die religiöse Konnotation von Herrschaft in vormodernen Gesellschaften ebenso unbestritten ist wie die daraus resultierende Einbindung des Herrschers in eine numinose Ordnung, ist die Charakterisierung dieser Verhältnisse als sakral relativ jung und hat vor allem erst im letzten Jahrhundert einen richtigen Aufschwung genommen etwa durch Begriffsbildungen wie Sakralkönigtum oder Sakralkönig, die in den Quellen kein Äquivalent besitzen und daher letztlich wissenschaftliche Hilfsbegriffe zur sprachlichen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts sind. Die Initialzündung dazu gab offenkundig das am Ende zwölf Bände umfassende, „The Golden Bough“ betitelte Werk des schottischen Altphilologen und Ethnologen James George Frazer (1854 – 1941), der, von einer spätantiken Quelle ausgehend, in Afrika Könige entdeckte, deren reine Existenz zum Wohle ihres Volkes auf die Vegetation einwirkte und die mancherorts beim Schwinden ihrer Kräfte abgesetzt oder gar getötet worden sein sollen. Solche mit besonderem Heil ausgestattete Könige und ein ansonsten überErstdruck in: Andrea Beck / Andreas Berndt (Hgg.), Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen (= Beiträge zur Hagiographie 13), Stuttgart 2013, S. 15 – 132. 1 Vgl. dazu wie zum folgenden Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, bes. Kap. I („Was heißt Sakralität, was sakrales Königtum?“), sowie ders., Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: ders. (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitmierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 7 – 32; ders., Sakralkönigtum und sakrales Königtum. Anmerkungen und Hinweise, in: ders. (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen (= RGA Ergänzungsband 49), Berlin / New York 2005, S. 1 – 8, und ders., Reflexionen über das sakrale Königtum germanischer Herrschaftsverbände, in: Matthias Becher / Stefanie Dick (Hgg.), Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter (= MittelalterStudien 22), München 2010, S. 87 – 95, sowie den von mehreren Autoren verfaßten Artikel „Sakralkönigtum“ im RGA 26 (22004), S. 179 – 320, bes. S. 219 – 234 (F.-R Erkens: Sakrale Elemente) und S. 304 f. (F.-R. Erkens: Ergebnisse).

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haupt nicht bezeugtes Sakralkönigtum mit priesterlicher und kultischer Verantwortung glaubte die germanistische Forschung auch bei den Germanen zu erkennen und prägte dadurch die sehr intensiv rezipierte Vorstellung von einem germanischen Königsheil, das angeblich noch die Königsidee des christlichen Mittelalters beeinflußte2. Zwar ist Frazers Lehre mittlerweile einer intensiven Kritik unterzogen worden und rückt die historische Forschung immer stärker von dem germanophil inspirierten Gedankengebäude ab, das über dem „germanischen Königsheil“ aufgetürmt worden ist, aber die dabei eingeführte Begriffswelt wirkt fort. Vom mittelalterlichen „Sakralkönigtum“ wird bis in die jüngste Zeit hinein gehandelt3. Dies kann angesichts der unverkennbar religiösen Bezüge, in denen die christlichen Herrscher bis weit in die Neuzeit hinein standen, kaum überraschen. Außerdem muß des Königs besonderer Rang in der göttlichen Weltordnung und sein Verhältnis zum Numinosen, die in den Quellen greifbar sind, aber keinen eigenen Ausdruck finden, terminologisch gefaßt werden. Dafür einen bekannten und gewohnten Begriff heranzuziehen, ist naheliegend, nur sollte ihm ein einheitliches Verständnis zugrunde liegen. Genau daran mangelt es aber, und es entsteht der Eindruck, daß von Sakralkönigtum recht beliebig und unreflektiert gesprochen wird, sobald ein Herrscher eine verstärkte religiöse Legitimität, Aufgabe oder Dimension besitzt oder zu besitzen scheint. Terminologische Klarheit ist aber vonnöten – nicht nur grundsätzlich, sondern weil ein Terminus, der nicht aus den Quellen genommen ist und in diesen erklärt wird, dem wissenschaftlichen Verständnis als Vereinbarungsbegriff dient und daher in besonderem Maße auch ein Deutungsbegriff ist, dessen Verwendung zugleich Interpretation bedeutet und ein ganzes Arsenal an Vorstellungen evozieren kann. Bei seiner inhaltlichen Füllung ist daher Umsicht und nicht zuletzt sprachliche Sorgfalt geboten. Die Bedeutung von Begrifflichkeit und Sprache kann dabei für die Geschichtswissenschaft nur betont werden: Texte sind in den weitaus meisten Fällen das Medium der historischen Überlieferung und müssen gedeutet werden, um Aussagen über die Vergangenheit treffen zu können; das Wort, gelegentlich gesprochen, häufiger geschrieben, dient der Vermittlung gewonnener Erkenntnis an Mit- und Nachwelt. Der Präzision und Verständlichkeit des Ausdrucks fällt dabei die wichtige Funktion zu, eine Aussage leicht rezipierbar und vor allem im gewünschten 2 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), Kap. II 6 („Königsheil und Kultsorge: Das Trugbild des germanischen Sakralkönigtums“), und ders., in: RGA 226, S. 225 – 232 (§11). 3 Vgl. etwa die Formulierungen der Aufsatztitel von Stefan Weinfurter, Idee und Funktion des „Sakralkönigtums“ bei den ottonischen und salischen Herrschern (10. und 11. Jahrhundert), in: Rolf Gundlach / Hermann Weber (Hgg.), Legitimation und Funktion des Herrschers (= Schriften der Mainzer Philosophischen Fakultätsgesellschaft 13), Stuttgart 1992, S. 99 – 127; ders., Sakralkönigtum und Herrschaftsbegründung um die Jahrtausendwende. Die Kaiser Otto III. und Heinrich II. in ihren Bildern, in: Helmut Altrichter (Hg.), Bilder erzählen Geschichte, Freiburg i. Br. 1995, S. 47 – 103, und Giovanni Isabella, Das Sakralkönigtum in Quellen aus ottonischer Zeit: unmittelbarer Bezug zu Gott oder Vermittlung durch die Bischöfe?, in: FmaSt 44 (2010), S. 137 – 152.

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Sinne verstehbar zu machen. Bedient man sich dabei keiner elaborierten Sondersprache, die in manchen Wissenschaftsdisziplinen üblich geworden ist und die den Eingeweihten eine exakte Verständigung erleichtert, den Außenstehenden jedoch erschwert, benutzt man vielmehr eine gehobene Umgangssprache, dann ist zwar die Allgemeinverständlichkeit meist gewahrt, aber ein Mißverstehen trotzdem nicht ausgeschlossen, da ein von der Allgemeinheit verwendeter Begriff natürlich nicht genau definiert ist und mit unterschiedlichen Vorstellungen gefüllt oder auf divergierende Sachverhalte angewendet werden kann. Diese Gefahr trifft die Geschichtswissenschaft in einem besonderen Maße, da sie, will sie ihre gesellschaftliche Wirkung nicht völlig verlieren, auf Breitenwirkung und daher auf eine gehobene Alltagssprache nicht verzichten kann, und weil sie, wie die verschiedenen ,turns‘ der letzten Jahrzehnte zeigen, sehr offen ist für Einflüsse aus anderen Wissenschaften, die methodische Anregungen bieten, aber oftmals auch eine gern adaptierte Begrifflichkeit zur Verfügung stellen. Ein neueres Beispiel dafür ist etwa der durch die 1973 erschienene „Metahistory“ des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Hayden White zwar nicht auf die Wege gebrachte, aber das spätere Verständnis doch stark mitbestimmende Begriff „master narrative“, die „Meistererzählung“, verwendet als eingängiger Ausdruck für nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Gesellschaft akzeptierte und dominant gewordene Geschichtsbilder, Geschichtsdeutungen oder Darstellungen von historischen Zusammenhängen und Entwicklungen, ein schließlich zum griffigen Schlagwort mutierter Terminus also, der seither immer wieder, aber nicht unbedingt im eigentlichen Sinne unterschiedlichste Publikationen, nicht zuletzt das Feuilleton, bereichert4. In diese Kategorie fallen auch die Begriffe „Sakralkönig“ und „Sakralkönigtum“, die Frazer nicht verwendet, die aber, beflügelt durch seine Beschreibung des mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Herrschers, eine beachtliche Karriere in der Geschichtswissenschaft durchlaufen, dabei geschichtsbildstiftend gewirkt und praktisch eine Meistererzählung mitgestaltet haben5. Um so wichtiger ist es zu klären, was unter „Sakralität“ verstanden werden soll, wenn dieser Begriff auf Herrscher (Kaiser oder Könige) bezogen wird. Dabei geht es freilich nicht darum zu eruieren, was man sich im Mittelalter unter „Herrschersakralität“ vorstellte, denn dieser Ausdruck war ja unbekannt, sondern es gilt zusammenzustellen, welche Vorstellungen man damals hegte, die heute mit diesem Wort zusammengefaßt werden, und auf diese Weise einen Ordnungsbegriff zu schaffen, der einerseits eine vergangene Vorstellungswelt adäquat abbildet und andererseits beim Deuten dieser 4 Vgl. allg. Konrad H. Jarausch / Martin Sabrow, „Meistererzählung“ – Zur Karriere eines Begriffs, in: diess. (Hgg.), Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9 – 32, und für die Mediävistik Frank Rexroth, Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung. Eine Skizze zur Einführung, in: ders. (Hg.), Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen (= HZ Beihefte 46), München 2007, S. 1 – 22. 5 Vgl. Anm. 2.

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fernen Vergangenheit und ihres Verständnishorizontes hilft. Streng definitorisch darf dabei freilich nicht vorgegangen werden, sondern es muß im Sinne von Clifford Geertz (1926 – 2006) eine „dichte Beschreibung“ („thick description“) erfolgen, welche die sakralen Elemente des vormodernen Herrscherbildes erfaßt und vorstellt. Dieses Vorgehen bietet einige Vorteile: Es gewährt einerseits eine stabile Orientierung, die den kategorialen Vergleich verschiedener Herrschaftsverhältnisse in synchroner wie diachroner Perspektive sowie Aussagen über die lange Dauer und weite, letztlich weltweite Verbreitung der Idee sakraler Herrschaft erlaubt, und ermöglicht andererseits eine Betrachtung der Entwicklung einzelner Elemente dieser Herrschaft, also das Aufspüren von Veränderungen der „Herrschersakralität“. Es führt daher keinesfalls zu einem starren System6, sondern zur Erfassung von Intensivierungen und Verdichtungen, von Wachsen oder Schwinden, kurz: vom Wandel der herrscherlichen Sakralsphäre. Als Kern der herrscherlichen Sakralität läßt sich dabei das besondere Nahverhältnis der Herrscher zu Gott – oder allgemeiner: zu einer Gottheit, zum Göttlichen, zum Numinosen – bestimmen, ein spezifisches Verhältnis, das in den Quellen vielfach belegt ist und vor allem in immer wieder formulierten Überzeugungen gründet: in dem Glauben an die Erwählung des Herrschers durch Gott und in dem Gedanken der irdischen Stellvertretung Gottes durch den König, der dabei eine vikariale Sachwalterschaft in göttlichem Auftrag wahrzunehmen hat und dem daher ähnlich den Priestern eine eigene Verantwortung für die christliche Gemeinschaft zufällt, gewissermaßen eine eigene Sazerdotalität (die freilich keine priesterliche Würde bedeutete). Die Gottesnähe, die dem Herrscher zugeschrieben wurde, rechtfertigt im übrigen auch die Verwendung des Sakralitätsbegriffs zur Charakterisierung der religiösen Dimension des Königtums, denn Räume und Gegenstände, die in Verbindung zum Göttlichen stehen, werden, worauf der Philosoph Josef Piper in seiner Antwort auf die Frage „Was heißt ,sakral‘?“ 1988 hingewiesen hat, ganz allgemein als „sakral“ bezeichnet7. Dieses unprätensiöse Verständnis des Sakralen auch auf Personen zu beziehen, die keine Heiligen sind, aber eben in enger Beziehung zu Gott stehen, liegt nahe und hilft zugleich dabei, sich den Alltag eines sakralen Herrschers nicht allzu erhaben und weihevoll zu imaginieren und sich 6

Vgl. Isabella, Das Sakralkönigtum (wie Anm. 3), S. 151. Ludger Körntgen, „Sakrales Königtum“ und „Entsakralisierung“ in der Polemik um Heinrich IV., in: Gerd Althoff (Hg.), Heinrich IV. (= Vorträge und Forschungen 69), Ostfildern 2009, S. 127 – 160, bes. S. 131 Anm. 17, meint zwar, daß auch eine „weite Begriffsverwendung“ vom sakralen Königtum alle „methodischen Konzepte reflektieren und den heuristischen Wert sowie die heuristischen Grenzen des Begriffs in den jeweiligen methodischen Kontexten kritisch prüfen“ müsse, aber – abgesehen davon, daß damit ein hoher, freilich kaum (jemals) erfüllbarer Anspruch an einen (letztlich an jeden) wissenschaftlichen Hilfsbegriff gestellt wird – bleibt daran zu erinnern, daß es bei der Bildung des Oberbegriffs „sakrales Königtum“ um wesentlich Bescheideneres geht: nämlich um den pragmatischen Versuch, ein aus den Quellen geborgenes Phänomen unter Berücksichtigung bereits vorhandener Begriffsbildungen terminologisch zu erfassen. Natürlich könnte man dazu auch einen anderen Begriff wählen oder prägen, nur wird auch der nicht die postulierte Anforderung erfüllen können. 7

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nicht jede seiner Tätigkeiten als im Bewußtsein göttlicher Stellvertretung geschehen auszumalen8. Akzentuiert wurde die Herrschersakralität wohl hauptsächlich bei den großen, vom Kirchenjahr bestimmten Festen der Monarchie, zusätzlich bei Krönungen, Hochzeiten, Beisetzungen und besonderen Auftritten; wichtige Entscheidungen in Krieg und Frieden dürften darüber hinaus im Bewußtsein der herrscherlichen Verantwortung vor Gott getroffen worden sein. Bei den englischen und französischen Königen kam natürlich noch die demonstrative Übung ihres Thaumaturgentums hinzu, die Heilung von Skrofulösen am Tag der Weihe und an den Hochfesten der Kirche, ein wundertätiges Wirken, das auf einer besonderen, gleichsam durch die Salbung aktivierte Fähigkeit beruhte und die Sakralität der beiden westeuropäischen, besonders aber des französischen Monarchen in unvergleichlichem Maße verdichtete. Zu den Kernelementen der Herrschersakralität konnten also noch weitere Komponenten hinzutreten, die zur Ausdifferenzierung der herrscherlichen Sakralsphären beitrugen, aber für deren Begründung nicht zwingend nötig waren. Auch das Königtum jener Herrscher, die gemäß Frazer Vegetation und Stammeswohl durch ihre reine Existenz sicherten oder die nach Ansicht der älteren Germanenforschung mit einem besonderen Königsheil ausgestattet waren, besaßen ein Mehr an Sakralität und waren Sakralkönige im eigentlichen Sinne (weswegen der Begriff „Sakralkönigtum“ auch für ihre Herrschaft reserviert bleiben und ansonsten nur von einem „sakralen Königtum“ gesprochen werden sollte9). Die Differenzierungsmöglichkeit, welche durch die beschriebene Kategorisierung der Herrschersakralität gegeben ist, birgt, wie gesagt, nicht nur den heuristischen Nutzen der Unterscheidung in sich – etwa des sakralen Königtums als des allgemeinen Phänomens vom Sakralkönigtum, Gottkönigtum oder Thaumaturgentum als dessen gesteigerter Erscheinung –, sondern eben auch die Möglichkeit, Intensitäten und Entwicklungen zu fassen. Dabei ist es natürlich möglich, das als Herrschersakralität verstandene, in religiösen Gesellschaften wie jenen der Vormoderne letztlich aber nicht überraschende Nahverhältnis der Könige und Kaiser zu Gott aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Deren beliebteste und geläufigste ist zweifellos die des legitimatorischen Nutzens. Und in der Tat kann es keinen Zweifel daran geben, daß die sakrale Dimension, die den Herrscher umgibt, dazu diente, diesen zu legitimieren und möglichst unangreifbar zu machen. Andererseits bot die religiöse Konnotation von Herrscher und Herrschaft die Möglichkeit, Idealvorstellungen zu entwickeln, an denen ein Monarch gemessen werden konnte. Unterweisung des Herrschers und Kritik an seinen Handlungen bildeten daher einen Aspekt der Herrschersakralität und konnten in letzter Konsequenz sogar zur Beseitigung eines beratungsresistenten Machthabers, zumindest aber zu 8 Vgl. dazu wie zum folgenden Rudolf Schieffer, Mediator cleri et plebis. Zum geistlichen Einfluß auf Verständnis und Darstellung des ottonischen Königtums, in: Gerd Althoff / Ernst Schubert (Hgg.), Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen (= Vorträge und Forschungen 46), Sigmaringen 1998, S. 345 – 361, bes. S. 346 und S. 360 f. 9 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 31.

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schweren Konflikten mit ihm führen. Wie sich die Idee herrscherlicher Sakralität allerdings letztlich auswirkte, das hing nicht unwesentlich von den jeweiligen Rahmenbedingungen ab, die daher bei der Beschäftigung mit der Herrschersakralität einen eigenen Forschungsgegenstand bilden können (wobei allerdings als sicher gelten darf, daß niemals allein durch den Glauben oder Unglauben an die besondere religiöse Legitimation eines Königs dessen Herrschaft gestützt oder gestürzt worden ist). Angesichts dieser Vielfalt an Aspekten wird einer von ihnen bei jeder zwangsläufig perspektivischen Betrachtung immer isoliert, wodurch er in einem besonderen Maße als Element der Herrschersakralität in den Vordergrund rückt. Unvermeidlich findet eine perspektivische Verengung statt. Das ist allerdings so lange unproblematisch, wie dieser Vorgang bewußt bleibt und bei der Gesamtdeutung berücksichtigt wird. Eine Verzerrung bewirkt dies jedoch, wenn diese Isolation absolut gesetzt wird und zu einem monokausalen Verständnis der Zusammenhänge führt10. Die Herrschersakralität etwa allein als Mittel der Herrschaftslegitimation 10

Vgl. Isabella, Das Sakralkönigtum (wie Anm. 3), S. 152, der meint, „dass das Sakralkönigtum in seiner Tragweite als geschichtliches Phänomen erst verstanden werden kann, wenn es in seiner Eigenschaft als Mittel zum Ausbau der Legitimität innerhalb der politischen Dialektik aufgefasst wird“. Dieser Aspekt ist, wie gesagt, niemals bestritten worden, und ebenfalls nicht der von der neueren italienischen Forschung stark betonte Umstand, daß den Bischöfen im Mittelalter durch die Rolle, die sie bei der Herrscherweihe und überhaupt bei der theoretischen Diskussion von Herrschaftsaspekten spielten, eine eigene, eine herausgehobene Position zugewachsen ist (vgl. etwa Alain Boureau, Un obstacle à la sacralité royale en Occident: le principe hiérarchique, in: ders. / Claudio Sergio Ingerflom (Hgg.), La royauté sacrée dans le monde chrétien [= L’histoire et ses représentations 3], Paris 1992, S. 29 – 37); nur sollte nicht (wie das etwa auch bei Boureau geschieht) der Anschein erweckt werden, als ob die Geistlichkeit damit einen Vorrang vor dem König oder gar eine Dominanz über den König gewonnen habe und die Steigerung der geistlichen Position dadurch wichtiger erscheint als die Betonung der Herrschersakralität (vgl. Isabella, a.a.O., S. 148 ff., sowie ebenfalls Glauco Maria Cantarella, Qualche idea sulla sacralità regale alla luce delle recenti ricerche: itinerari et interrogativi, in: Studi medievale 44 [2003], S. 911 – 927 = ders., Sacralità regale: itinerari e interrogativi, in: Rivista di storia del cristianesimo 1 [2004], S. 175 – 188, der zu dem knappen Diktum kommt: „I vescovi avanti tutto, insomma“ [S. 920 = S. 182]) oder daß die Propagierung der Herrschersakralität hauptsächlich den Zweck verfolgte, die Stellung der Bischöfe zu heben. Zweifellos profitierten beide Seiten, König wie Geistlichkeit, von dem engen Zusammenwirken, aber eine eigene Handlungsmacht über den König gewannen die Bischöfe dadurch nicht und auch nicht durch die Tatsache, daß sie den König weihten (auch wenn sich dafür gelegentlich ein Ansatz bot). Erhellend ist immerhin, daß die Könige im Krönungsordo zu Christus, die Bischöfe jedoch nur zu den Aposteln in Beziehung gesetzt werden, was einen deutlichen Rangunterschied signalisiert. Außerdem ist die Thronfolge in der Praxis, vor allem wenn sie durch Wahl und Konsens bestimmt war, ein höchst komplexer Vorgang gewesen, bei dem die Bischöfe nicht nach eigenem Gutdünken verfahren konnten, sondern im Konsens mit der Allgemeinheit (oder zumindest mit einer Mehrheit) handeln mußten. Wille der Großen einschließlich Geistlichkeit ist mithin die politische Realität gewesen, Wahl durch Gott die Idee; aber selbst auf der ideellen Ebene dürften die Bischöfe als Vermittler und Deuter des göttlichen Willens kaum eine Blockademöglichkeit besessen haben. Darüber hinaus erschöpft sich die Herrschersakralität nicht ausschließlich oder vorrangig in ihrer legitimatorischen Funktion, wie etwa Hagen Keller, Über die Rolle des Königs bei der

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verstehen zu wollen, wäre eine solche Verkürzung des Verständnisses. Eine andere Blickrichtung hingegen wird eingenommen, wenn nicht vorrangig danach gefragt wird, welchen Zweck die Sakralisierung der Herrscher verfolgte, sondern danach, ob sie ein Widerlager in der Realität besaß, ob sie reine Propaganda gewesen oder ob sie auch geglaubt worden ist, ob sie – anders formuliert – einen wirklichen Sitz im Leben hatte. Natürlich läßt sich diese Frage nicht mit letzter Sicherheit und auch nicht allein aus den Quellen heraus beantworten, da diese über solche Zusammenhänge weitgehend schweigen, aber aufgrund von Indizien und allgemeinen Überlegungen läßt sich doch eine begründete Vermutung äußern. Solche nicht auf einer quellengesättigten Basis beruhenden Aussagen sind in der Geschichtswissenschaft zwar nicht besonders beliebt, lassen sich manchmal aber nicht vermeiden, vor allem dann nicht, wenn im Sinne einer kulturwissenschaftlichen Betrachtung nach dem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang eines Phänomens gefragt wird. Dessen ,Realität‘ hing natürlich ganz wesentlich von dem Glauben an die religiösen Bezüge der Herrschaft ab. Ohne Akzeptanz der Ideenwelt herrscherlicher Sakralität gibt es keinen sakralen Herrscher und die Verlautbarungen über ihn wären reine, um nicht zu sagen: üble, weil realitätsleere Propaganda gewesen mit dem Zweck der Herrschaftssicherung oder Herrschaftsbeeinflussung. Dabei ist um der Tiefenschärfe des Verstehens willens und angesichts der weltweit und aus allen Zeiten vorhandenen Hinweise auf die Vorstellung sakral konnotierter Königsherrschaft neben der Einzelanalyse spezieller Belege oder bestimmter Probleme auch der weite Blick des Historikers und die Berücksichtigung der globalen und epochenübergreifenden Aspekte gefordert. Die Vielfalt der Nachrichten etwa, die unterschiedlichen Quellenarten, Urkunden, annalistischen und chronikalischen Berichte, Krönungsordines, theoretische Schriften, in denen des Königs religiöse Dimension zur Sprache kommt oder angedeutet wird, bezeuEinsetzung der Bischöfe im Reich der Ottonen und Salier, in: FmaSt 44 (2010), S. 153 – 174, zeigt, der dabei zu Recht betont, daß sich entsprechende sakrale „Glaubensvorstellungen“ „nicht als Einzelelemente zu einem System zusammenfügen“ lassen (S. 165), und wie ebenfalls Körntgen, „Sakrales Königtum“ (wie Anm. 7), hervorhebt, der (auf S. 132 Anm. 19) daran erinnert, daß „die sakralen Momente des ottonisch-salischen Königtums als ein komplexes kulturelles und nicht eindimensionales politisches Phänomen zu verstehen“ seien; und auch in seinem Beitrag „Möglichkeiten und Grenzen religiöser Herrschaftslegitimation. Zu den Dynastiewechseln 751 und 918/919“, in: Walter Pohl/Veronika Wieser (Hgg.), Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Denkschriften = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009, S. 369 – 389, warnt er davor, die legitimatorische Dimension religiöser Herrschaftsbegründung überzubewerten. Schieffer, Mediator (wie Anm. 8), passim, weist zudem die geistlichen Einflüsse auf die ottonenzeitliche Vorstellung vom Königtum auf, ohne dabei einen episkopalen Vorrang festzustellen. Daß es auch eine andere Sicht auf die Relation zwischen Bischöfen und (wie sich zeigt: gottunmittelbaren) Königen gab, als die von der erwähnten italienischen Forschung akzentuierte, zeigt Dieter von der Nahmer, König und Bischof bei Einhard, Notker von St. Gallen und Widukind von Corvey. Nebst einem Seitenblick auf weltliche Größe, in: Steffen Patzold u. a. (Hgg.), Geschichtsvorstellungen. Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter. Festschrift für Hans-Werner Goetz zum 65. Geburtstag, Wien 2012, S. 53 – 101.

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gen die breite Präsenz der Idee vom sakralen Königtum; die Beiläufigkeit der Erwähnung zeigt deren prinzipielle Akzeptanz. Gleichzeitig weist diese breite und vor allem unterschiedliche Bezeugung darauf hin, daß alle Erwähnungen unmöglich nur gelehrtes Beiwerk mit legitimatorischer Absicht gewesen sein können. Vielmehr spricht sie für einen allgemeinen Glauben an die Sakralität des Herrschers, für eine Einstellung, die in religiös bestimmten Herrschaftsverbänden ohnehin mehr als wahrscheinlich ist, außerdem in außereuropäischen Kulturkreisen und dort manchmal bis in die Moderne hinein bezeugt11 und selbst im europäischen Mittelalter gelegentlich greifbar ist12. Deswegen wird man sagen dürfen: Die Sakralität von Königen und Kaisern ist geglaubte Wirklichkeit und nicht nur ein Mittel der Herrschaftslegitimierung gewesen, war mithin kein bloßes Instrument, das sie aber auch gewesen ist, und als solches gerade deshalb erfolgreich sein konnte, weil es auf die entsprechende Vorstellungswelt traf. Daher besitzen die Zeugnisse, die von einzelnen oder mehreren Elementen der herrscherlichen Sakralität künden, zumeist auch in verschiedenen Zusammenhängen Auskunftswert13 : einmal und primär hinsichtlich der konkreten Angelegenheit, 11 Vgl. etwa Bernhard Kölver, Der König: Herr von allem, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 1), S. 181 – 186, und Bert van den Hoek, Does Divinity Protect the King? Ritual and Politics in Nepal, in: Contributions to Nepalese Studies 17/2, 1990, S. 147 – 155; Adam Jones, „I am the same as god“. Königliche Körper und Menschenopfer in drei westafrikanischen Staaten (18.–19. Jahrhundert), in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 1), S. 201 – 212; Ute Ritz-Müller, Die magische Macht afrikanischer Könige, in: Erkens (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum (wie Anm. 1), S. 22 – 41, sowie Walter Kühme, Zwischen Vergöttlichung und enttäuschter Erwartung. Die Inthronisation des Königs von Gobir Abdou Balla Marafa im Jahre 1998 (Süd-Niger), in: Marion Steinicke / Stefan Weinfurter (Hgg.), Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, Köln 2005, S. 347 – 356. 12 Vgl. etwa die Berichte über den Glauben der einfachen Bevölkerung des Reichs an segenspendende Kräfte von Königen des 12. Jahrhunderts: Erkens, RGA 226, S. 230 ff.; ders., Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 219 – 222; zu dem Bericht über Friedrichs III. Krönungsreise im Jahre 1442 vgl. auch ders., Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae 6 (2003), S. 29 – 44, bes. S. 29, oder das thaumaturgische Wirken der englischen und französischen Könige vom hohen Mittelalter an: Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998 [frz. 1924], bes. das Zweite Buch („Größe und Schicksale der königlichen Heilkraft“). 13 Vgl. z. B. Körntgen, „Sakrales Königtum“ (wie Anm. 7), S. 150 Anm. 87; ders., Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit (= Orbis mediaevalis 2), Berlin 2001, sowie ders., König und Priester. Das sakrale Königtum der Ottonen zwischen Herrschaftspraxis, Herrschaftstheologie und Heilssorge, in: Klaus Gereon Beuckers u. a. (Hgg.), Die Ottonen. Kunst, Architektur und Geschichte, Petersberg 2002, S. 51 – 61, der etwa, ohne das königliche Gottesgnadentum und die herrscherliche Sakralität zu bestreiten, hinweist auf die fromme Intention der Stifter und die Memorialfunktion der um das Jahr 1000 entstandenen Bilder von Herrschern in Gottesnähe; aber darin erschöpft sich die Aussage der Darstellungen keineswegs, wie etwa Michael Borgolte, Die zwei Könige des Kaisers, in: FAZ Nr. 5 vom 5. I. 2002, S. 42, betont (vgl. dazu auch Thomas Ertl, Von der Entsakralisierung zur Entpolitisierung ist es nur ein kleiner Schritt. Gedanken zur Rolle des Politischen und Ritu-

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in der sie entstanden, und zum anderen ganz allgemein für den großen und heterogenen Komplex der Herrschersakralität. Wenn dieser naturgemäß auch nicht in seiner Gesamtheit lückenlos erfaßt werden kann, so läßt er sich doch in seinen Umrissen erkennen und werden die Grundlinien seiner Entwicklung deutlich. Deren Wendepunkte und mögliche Zäsuren sind freilich nicht punktgenau zu bestimmen, da Vorstellungen und Mentalitäten sich nur langsam wandeln und dies oft, ohne sofort Spuren in den Quellen zu hinterlassen; aber die Tendenzen des Entwicklungsprozesses sind anhand der Sakralitätselemente leicht zu verfolgen. Die Vorstellung etwa, daß die königliche Herrschaft auf den Willen Gottes zurückgehe, ist über Jahrhunderte hinweg zu greifen, differenziert sich jedoch seit dem hohen Mittelalter spürbar aus und manifestiert sich schließlich in einer großen Bandbreite von Antworten auf die Frage, wie sich die göttliche Mitwirkung bei der Bestellung eines neuen Herrschers vollzog. Diese konnte direkt sein, wenn Gott als eigentlicher Wähler eines Herrschers galt, oder indirekt, wenn Gott nur noch aus dem Hintergrund wirkte, beteiligt jedoch war er auf irgendeine Weise immer14. Von vergleichbarer Dauer war die Meinung, nach welcher der Herrscher irdischer Sachwalter Gottes sei; nur mußte sie im Laufe der Zeit ebenfalls stark modifiziert werden und zum einen darauf reagieren, daß der Papst nach 1100 begann, die eigene Stellung als Christi Vikar zunehmend zu betonen, und zum anderen berücksichtigen, daß die europäischen Monarchen die Gottesstellvertreterschaft, die zunächst dem antiken Kaiser und seinen mittelalterlichen Nachfolgern gebührte, für sich beanspruchten. So galten die Könige und Kaiser schließlich als vicarii dei in temporalibus, und zwar bezogen auf ihren Herrschaftsbereich15. In Korrelation dazu stand die zunehmende Betonung der herrscherlichen Gottunmittelbarkeit16, die zugleich dazu diente, gegenüber einem immer stärkere Hierokratisierungstendenzen zeigenden Papsttum die Unabhängigkeit der weltlichen Gewalt in temporalibus zu sichern. Unmittelbarkeit, große Nähe zu Gott bedeutete zugleich direkte Verantwortung des Herrschers vor Gott – und dabei kam die herrscherliche Sazerdotalität ins Spiel. Dieses dritte Element der Herrschersakralität ist sicherlich nur schwer zu fassen und ellen anläßlich einer neueren Arbeit zum ottonischen Königtum, in: Zs f. Geschichtswiss. 52 [2004], S. 301 – 317). 14 Vgl. dazu wie zum folgenden Franz-Reiner Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee nach herrschaftstheoretischen Äußerungen des 14. Jahrhunderts, in: Hubertus Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (1314 – 1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, S. 29 – 61. 15 Vgl. dazu mit Hinweis etwa auf Wyclif und andere Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003), S. 1 – 55, bes. S. 26 mit Anm. 111, und ders., Herrscher und Reich (wie Anm. 14). 16 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Jörg Jarnut u. a. (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien 13), München 2006, S. 71 – 101, bes. S. 85 ff.

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darf nicht als Priestertum mißverstanden werden17: Priester sind die christlichen Herrscher des Mittelalters nicht gewesen. Aber ihnen ist aus der spätantiken Kaisertradition heraus eine besondere Verantwortung für die christliche Gemeinschaft und damit auch für die Kirche zugewachsen, eine Sorge, die sich nicht auf die weltlichen „Amtsgeschäfte“ beschränkte und die Herrscher in die Nähe der Priester rückte18. Auf diese priesterähnliche (sazerdotale) Rolle wird in frühmittelalterlichen Quellen angespielt, wenn Chlodwig eine sacerdotalis mens nachgesagt wird oder Karl der Große als pontifex in praedicatione und Ludwig der Fromme als rector totius christianae religionis charakterisiert werden; sie schien auf, wenn die Herrscher an Synoden teilnahmen, auf die sie ganz allgemein Einfluß ausüben konnten, und sie dürfte sich auch noch manifestiert haben in dem Auftritt Heinrichs III. als Prediger bei der Verkündung seiner Indulgenzpolitik, dem Versuch einer Verwirklichung des christlichen Liebesgebots in der rauhen Wirklichkeit der Zeit. Ein Ravennater Erzbischof, möglicherweise der spätere Papst Johannes X., hat zu Beginn des 10. Jahrhundert sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, wie wenig getrennt kaiserliche und priesterliche Gewalt im Grunde seien und daß die Beherrscher des Reiches einst sacerdotes genannt worden sind. Das konnte freilich nicht das letzte Wort bleiben, und spätestens seit dem 11. Jahrhundert ist es zu einer Änderung gekommen, als das Wirken des Reformpapsttums zu einer deutlicheren Scheidung zwischen weltlicher und geistlicher Sphäre führte. Die Verantwortung jedoch ist dem König geblieben und beschränkte sich nicht allein auf das Gemeinwohl nach modernem Verständnis19. Vielmehr ist es, wie etwa Thomas von Aquin hervor17

Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 36 f., und Körntgen, „Sakrales Königtum“ (wie Anm. 7), S. 149, sowie Hartmut Hoffmann, Canossa – eine Wende?, in: DA 66 (2010), S. 535 – 568, bes. S. 544 – 556, der zu Recht betont, es habe eine unüberschreitbare Grenze zwischen Priester- und Königtum gegeben, stellt das Gottesgnadentum zwar nicht völlig in Frage, reduziert aber dessen Bedeutung stark, weil er die Aufgabe des Herrschers allein auf weltliche Ziele beschränkt wähnt und eine königliche Verantwortung für das „Heil“ der ihm anvertrauten Menschen jenseits der Sicherung von Recht und Wohlstand, jenseits der Sorge „für das materielle Wohlergehen des Volkes (einschließlich der Kirche)“ (S. 548) als nicht gegeben erachtet. Allerdings wird diese offenbar an modernen Vorstellungen geschulte, in klare Worte gefaßte Meinung kaum begründet, sondern lediglich behauptet (vgl. etwa S. 549). Betrachtet man die über das ganze Mittelalter verstreuten Zeugnisse für eine besondere Heilssorge des Herrschers im Zusammenhang, dann wird man diese allerdings nicht einfach als rein weltlich deuten können (vgl. S. 553: „doch geht es dabei im allgemeinen nur um das irdische Heil“), noch wird man einfach behaupten dürfen, Frieden und Gerechtigkeit, die der König zu schaffen habe, seien „in der damaligen Weltsicht Vorstufen zu dem höheren Frieden des Himmelreichs“ gewesen (S. 554) und hätten – wie man die Aussage wohl ergänzen muß – nichts mit Seelsorge zu tun gehabt. Zum Königtum allg. vgl. auch Franz-Reiner Erkens, König, in: HRG 3 (22012, 17. Lieferung), S. 2019 – 2034. 18 Vgl. dazu wie zum folgenden allg. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), Kap. II 5, III 3, V 1 und VI 1, sowie bes. S. 104 zur sacerdotalis mens, S. 137 zum pontifex in praedicatione, S. 139 zum rector totius christianae religionis und S. 159 zur Indulgenzpolitik Heinrichs III. sowie S. 140 f. zu dem Ravennater Schreiben vom Beginn des 10. Jahrhunderts (zu dem auch zu vergleichen ist Hoffmann, Canossa [wie Anm. 17], S. 554). 19 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 14), S. 32 f.

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hebt20, herrscherliche Pflicht gewesen, die Menschen zu einem tugendhaften Leben zu bringen, weil dieses erst die Voraussetzung schafft für die Glückseligkeit im Jenseits: für die Anschauung Gottes. Diese ist zwar, wie der Aquinate weiter ausführt, nicht allein aus menschlicher und königlicher Kraft zu erreichen, sondern bedarf vor allem der Anteilnahme Gottes und der Tätigkeit der Priester, aber die herrscherliche Sorge für das menschliche Seelenheil in einem weiteren Sinne ist doch unverkennbar. Der französische Dominikaner Jean Quidort spricht zu Beginn des 14. Jahrhunderts sogar direkt von der cura animarum, die ein legislator, gemeint ist natürlich der König, übt; und auch der Basler Professor Peter von Andlau, ansonsten durchaus papalistisch gestimmt und keinesfalls unkritisch gegenüber der imperialen Gewalt, erklärt noch nach der Mitte des 15. Jahrhunderts in thomistischer Tradition die eterna beatitudo zum höchsten Ziel, das der Kaiser für sich, aber auch für seine Untertanen anstreben müsse, denn die Leiter der Welt (mundi rectores) seien Gottes Mitarbeiter (Dei cooperatores)21. Um es nochmals zu betonen: Diese besondere Sorge für das Seelenheil der Untertanen, diese Seelsorge in weiterem Sinne, die den Herrschern aufgetragen war und die sich im gesamten Mittelalter greifen läßt, machte keinen Herrscher zum rex et sacerdos, keinen König oder Kaiser zum Priester, auch nicht Karl den Großen, der das Ideal der herrscherlichen Seelsorge vielleicht am ehesten verwirklichte22; aber sie schuf Priesterähnlichkeit, rückte das weltliche Oberhaupt an das sacerdotium heran und verlieh ihm eine sazerdotale Komponente, die wohl auch noch durch die Vorstellung verstärkt werden konnte, nach welcher iudices – mithin auch die Könige und Kaiser als oberste Richter – „Priester der Gerechtigkeit“ gewesen sind23. Bemerkenswerterweise ist diese Nähe zum Priestertum nicht nur im spätmittelalterlichen England und Frankreich betont worden, wo die sakrale Dimension der Könige ja durch das Thaumaturgentum erheblich verdichtet worden war und der Herrscher nach der Salbung nicht mehr als reiner Laie galt, sondern als persona mixta wie in England oder als espirituel et sacerdotal wie in Frankreich; aber auch im Reich finden sich ähnliche Vorstellungen24. Der kaiserliche Ornat, wie er etwa seit 1328 auf Siegeln zur Darstellung gebracht wurde, zeigt, daß der Kaiser Stola und Pluviale nach Art der Priester und Bischöfe und nicht nach Art der Diakone trug – und eine Episode während des zweiten Romzugs Friedrichs III. im Jahre 20

De regimine principum ad regem Cypri I 14/15, ed. Joseph Mathis, Turin 21971, S. 17 ff. Libellus de cesarea monarchia I 2, hg. von Rainer A. Müller, Peter von Andlau. Kaiser und Reich (= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 8), Frankfurt/M. 1998, S. 30. 22 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 136 ff.; Hoffmann, Canossa (wie Anm. 17), S. 555 f. 23 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 224; ders., Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 48 f., und ders., Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘, in: ZBLG 66 (2003), S. 795 – 818, bes. S. 802 – 806. 24 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Sol iusticie (wie Anm. 23), S. 808 – 815; ders., Heißer Sommer (wie Anm. 12), S. 33 – 42 (zu der Episode während der Weihnachtsmesse bes. S. 35 f.), sowie für das französische und englische Herrscherverständnis ders., Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 38 ff. 21

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1468 macht deutlich, wie sehr auf die korrekte Bekleidung Wert gelegt wurde: Als die geistlichen Helfer dem Habsburger während der Weihnachtsmesse beim Ankleiden zur Evangeliumslesung Stola und Mantel nach Diakonsart umhängten, protestierte der Kaiser und rückte zumindest das Pluviale eigenhändig zurecht (während er auf eine Korrektur der falsch angelegten Stola verzichtete, weil diese vom Mantel verdeckt wurde und daher kaum sichtbar war). Stola und Pluviale waren dabei ebensowenig wie die Mitra, die unter der Krone getragen wurde und in spätmittelalterlichen Ordines für die Kaiserkrönung als clericalis charakterisiert wird25, geistliche Kleidungsstücke. Sie sollten nicht den geistlichen Stand ihres Trägers signalisieren (der letztlich ja nur Einordnung in die kirchliche Hierarchie und Unterordnung unter den Papst bedeutet hätte), sondern die Nähe von regnum und sacerdotium, wobei der Herrscher, obgleich unter die Laien gezählt, offenbar einem eigenen Stand angehörte: dem, wie Peter von Andlau es mit Blick auf die Kaiserkrönung ausdrückt, einer sacra majestas, denn die Salbung bewirkte bei der Herrscherweihe offenkundig einen Dignitätswechsel, der den geweihten König (oder Kaiser) nicht zu einem Geistlichen, wohl aber zu einem geweihten Laien sui generis machte26, zur Verkörperung einer majestas, von der bereits Nikolaus von Kues etwa ein Vierteljahrhundert vor Peter von Andlau erklärte, daß sie sakral, geistlich (was keinesfalls priesterlich meint) und von Gott sei (… sacra est omnis maiestas et spiritualis et a deo27), und die – wenn auch in französischer Ausgestaltung und Intensität – der in Paris tätige Karmeliter Jean

25 Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin, hg. von Reinhard Elze, MGH Fontes iur. ant. 9, Hannover 1960, S. 66 (Ordo 17 §23) = S. 77 (Ordo 18 §24) = S. 95 (Ordo 19 §28) = S. 127 (Ordo 21 §30) = S. 131 (Ordo 22 §21) = S. 136 (Ordo 23 §24) = S. 143 (Ordo 23 A §29). 26 Libellus de cesarea monarchia II 6 (wie Anm. 22), S. 206 (Attamen per hujusmodi et consecrationem aut inunccionem non dicitur habere sacrum ordinem, sed sacram majestatem; vgl. dazu Josef Hürbin, Peter von Andlau. Der Verfasser des ersten deutschen Reichsstaatsrechts. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus am Oberrhein im XV. Jahrhundert, Strassburg 1897, S. 91). Daß die gesalbten Herrscher „eine eigene Wirklichkeit neben Klerikern und Laien“ schon in ottonisch-salischer Zeit verkörperten, hebt bes. Körntgen, „Sakrales Königtum“ (wie Anm. 7), S. 156 f. (das Zitat steht auf S. 157) hervor (der aber, wie das angeführte Zitat lehrt, zu Unrecht davon ausgeht, daß diese „Sonderstellung“ nach dem Investiturstreit „außerhalb des jetzt Denkmöglichen“ [S. 157] blieb). Zum Standes- bzw. Dignitätswechselwechsel vgl. Franz-Reiner Erkens, Königskrönung und Krönungsordnung im späten Mittelalter, in: ZAGV 110 (2008), S. 27 – 64, bes. S. 46 f. (Wenn der nicht in allen Handschriften des spätmittelalterlichen Krönungsordo erwähnte Kleiderwechsel des geweihten Königs erst im Verlauf des 14. oder 15. Jahrhunderts aufgekommen und nicht bereits bei der Erstellung dieses Ordo geübt worden sein sollte, vgl. dazu Andreas Büttner, Der Weg zur Krone. Rituale der Herrschaftserhebung im spätmittelalterlichen Reich I/II [= MittelalterForschungen 35], Ostfildern 2012, S. 155, dann würde dies die Bedeutung dieses Wechsels nicht mindern, sondern steigern). 27 De Concordantia catholica, ed. Gerhard Kallen, Nicolai de Cusa Opera omnia 14, Hamburg 1968, S. 326 (III pooemium).

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Golein aus der Normandie bereits im 14. Jahrhundert meint, wenn er erklärt28, der französische König verlasse durch die Salbung den weltlichen Stand und trete in den der religion royale ein. Mithin zeigt die mittelalterliche Herrschersakralität als eigentümliches Phänomen der longue durée, das tiefe Wurzeln im Altertum besitzt und Ausläufer bis weit in die Neuzeit hinein aufweist, eine im Grunde wenig überraschende Kontinuität von Grundvorstellungen, die sich zwar wandeln, intensiver werden oder abflauen, die sich auch ausdifferenzieren, im Kern aber offenbar immer vorhanden sind29. Es ordnet sich dabei in globale Zusammenhänge ein, gewinnt aber durch den christlichen Monotheismus, die Entwicklung des Papsttums und die herrschaftliche Diversifizierung Europas eine eigene abendländische, durch Vielfalt gekennzeichnete Ausprägung. Betrachtet man die europäische Entwicklung im Überblick, dann zeigt sich eine starke Beeinflussung durch spätantike Verhältnisse, in die antik-heidnische und christlich-biblische Vorstellungen eingeflossen waren und an die die nachantiken Herrschaftsträger, aus eigener Tradition heraus offen für eine solche Ideenwelt, anknüpfen konnten. Am nachhaltigsten erfolgte die Rezeption im karolingischen Frankenreich, wobei zusätzlich westgotische und irische Einflüsse wirksam wurden. Die Vorstellungen, die damals über das Königtum formuliert worden sind, konnten sich in den karolingischen Nachfolgestaaten entfalten und dabei unter Berücksichtigung eigener Erfahrungen weiterentwickelt werden. Dabei kam zunächst die imperiale Tradition mit ihrem ideellen Universalismus am stärksten zum Tragen. Sie formte daher das Ideengut sakraler Herrschaft besonders intensiv im Reich, wo die ottonischen Herrscher und ihre Nachfolger die Institution des karolingischen, in römischen Bezügen stehenden Kaisertums fortsetzten und wo die Idee von der Sakralität eines Herrschers unter den Saliern besonders ausgestaltet werden konnte. Allerdings war der damit verbundene „theokratische“ Anspruch angesichts des sich entwickelnden Selbstverständnisses der Reformpäp28 Vgl. Marc Bloch, Les rois thaumaturges. Étude sur le caractère surnaturel attribué à la puissance royale particulièrement en France et Angleterre, Paris 1924, S. 478 – 489 (Appendice IV. Analyse et extraits du Traité du Sacre de Jean Golein), bes. S. 483 [dt. Übersetzung von Claudia Märtl (vgl. Anm. 12), S. 502 – 513, bes. S. 507], sowie jetzt vor allem die Edition von Richard A. Jackson, The Traité du Sacre of Jean Golein, in: Proceedings of the American Philosophical Society 113 (1969), S. 305 – 324 (Edition: S. 308 – 324), hier S. 315: Golein weist in seinem Traité du Sacre darauf hin, daß das Entkleiden des Königs vor der Salbung anzeige, quil relenquist lestat mondain de par devant prendre celui de la religion Royale; zum Traktat wie zum Verfasser vgl. Jacques Nepote, Présentation du Traité du sacre de Jean Golein (1374), in: le sacre des rois. Actes du Colloque international d’histoire sur les sacres et couronnemenats royaux (Reims 1975), Paris 1985, S. 217 – 223. Der 1384 verstorbene John Wyclif sah in der regia potestas ein ordo in ecclesia (Tractatus de officio regis, ed. by Alfred W. Pollard and Charles Sayle, Wyclif, The Latin Works [11], London 1887, S. 12 f. [cap. 1]) und dürfte die Königsweihe daher ebenfalls als einen Standeswechsel verstanden haben. 29 Vgl. dazu wie zum folgenden Franz-Reiner Erkens, Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft, in: Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl (Hg.), Weltdeutungen und Weltreligionen. 600 bis 1500 (WBG-Weltgeschichte III), Darmstadt 2010, S. 279 – 305, sowie ders., Herrschersakralität (wie Anm. 1), passim sowie bes. S. 215 – 225.

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ste letztlich nicht zu verwirklichen. Die canusinische Unterwerfung unter die priesterliche Gewalt des Papstes brachte hier in der Tat einen Einbruch, wenn man so will: den Beginn einer Wende, die freilich noch lange nicht beendet war, denn – wie bereits erwähnt: Die Kaiser behaupteten ihre Gottunmittelbarkeit in temporalibus auch noch in den nächsten Jahrhunderten, wobei die durch die Rezeption des römischen Rechts30 gestärkte imperiale Tradition weiterhin nützlich gewesen ist. Brachte der Gang nach Canossa für die Kaiser auch einen Absturz aus den höchsten Höhen der Herrschersakralität (ohne diese völlig zu verlieren), so gewinnt man aus europäischer Perspektive jedoch keinesfalls den Eindruck eines Zusammenbruchs der Welt sakraler Herrschaftsbegründung oder auch nur einer erheblichen Einschränkung dieses Ideenhorizontes wegen des für die Reichsgeschichte keinesfalls unwichtigen, in Europa aber kaum zur Kenntnis genommenen31 Ereignisses, das sich 1077 auf der Burg der tuszischen Markgräfin Mathilde abspielte. Im Gegenteil! Erst nach (und natürlich unbeeinflußt von) diesem Geschehen kommt die zweifellos schon längst vorhandene Sakralität der übrigen europäischen Könige deutlicher zum Vorschein und übernehmen die seit dem 10. und 11. Jahrhundert im slawischen Osten und im skandinavischen Norden entstehenden Herrschaften christlicher Könige diese Ideenwelt32 – und vor allem: Erst jetzt beginnt sich das Thaumaturgentum der englischen und französischen Könige allmählich zu entwickeln33 und die verdichtete Sakralität dieser Monarchen Gestalt anzunehmen. Hat sich die westeuropäische Königsidee auch grundsätzlich an den allgemein bekannten, aus der christlichen Spätantike stammenden Gedanken orientiert, weswegen die Kernelemente der mittelalterlichen Herrschersakralität gleichermaßen bei Königen wie Kaisern anzutreffen sind, so gewinnt sie für die Herrscher Englands und Frankreichs doch durch den Glauben an ihre Heilkraft eine ganz eigene Dimension (die das römisch-deutsche Kaisertum nie erlangte, weil es zwangsweise der imperialen Tradition verhaftet blieb und dadurch mit dem Papsttum auf vielen Feldern wiederholt in Konflikt geriet, was manche Entwicklung hemmte). Insgesamt aber läßt sich sagen, daß das mit Blick auf eine zunehmend rationalere Erfassung und Deutung der Welt geprägte Wort eines weiteren und besonders wichtigen Stichwortgebers der modernen Geschichtswissenschaft, nämlich Max We-

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Vgl. Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 19), S. 92 – 98. Vgl. Rudolf Schieffer, Worms, Rom und Canossa (1076/77) in zeitgenössischer Wahrnehmung, in: HZ 292 (2011), S. 593 – 612, bes. S. 607 – 611. 32 Vgl. dazu und zum folgenden Erkens, Konvergenz und Divergenz (wie Anm. 29), S. 288 ff., und ders., Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 33 Anm. 140, sowie Tore Nyberg, Les royautés scandinaves entre sainteté et sacralité, in: Boureau / Ingerflom (Hgg.), La royauté sacrée (wie Anm. 10), S. 63 – 69. 33 Vgl. Jacques LeGoff, La genèse du miracle royale, in: Marc Bloch aujourd’hui. Histoire comparée et Sciences sociales. Textes réunis et présentés par Hartmut Atsma et André Borguière (= Recherches d’histoire et sciences sociales 41), Paris 1990, S. 147 – 156. 31

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bers34, von der „Entzauberung der Welt“ nicht für das Königtum zutrifft. Auf keinen Fall markiert zudem das Ende des Mittelalters auch das Ende von religiöser Herrschaftsbegründung und religiösem Herrschaftsbezug, kurz: das Ende der Herrschersakralität. Diese läßt sich vielmehr noch bis weit in die Neuzeit hinein nachweisen35. Nicht Humanismus oder Reformation, sondern offenbar erst die Aufklärung ist zum Totengräber der Herrschersakralität geworden. Obwohl, und das sollte nicht übersehen werden, schon seit der Spätantike Argumentationsmuster bereitlagen, die dazu dienen konnten, die Idee sakraler Herrschaft zu negieren36. Bevor dies allerdings wirklich einzutreten vermochte, mußte offenbar erst die ganze Gesellschaft in einen Prozess der Entsakralisierung eintreten und die Religion ihre gesellschaftliche Bedeutung verlieren. Aber auch das aufgeklärte Gedankengut brauchte lange, bis es sich restlos durchsetzte. Ist in England bereits 1714 die letzte Skrofelnheilung durch königliches Handauflegen vollzogen worden, so geschah dies erst 1825 in Frankreich, wo der Marquis de la Franquerie noch 1978 in Ausführungen über den „caractère sacré et divin“ des französischen Königtums die (wohl eher vereinzelte) Überzeugung hegte, „que, pour un Français, l’amour de Dieu, de la France et du Roi doit être un seul et même amour indissociable“, und diese Dreiheit dabei als eine Trinität minderen Ranges („trinité une, certes d’un rang inférieur à la Trinité Divine“) begriff37, während in England zumindest bis 1953 bei jeder Krönung die Salbung üblich geblieben ist, durch welche der Monarch oder die Monarchin „geheiligt“ wird (wie es im englischen Krönungsordo heißt), weswegen der Chronist der Times mit Blick auf diesen Akt auch noch 1953 einen höchsten sakramentalen Augenblick („supreme sacramental moment“) empfand38. Heute lehnt wohl die deutliche Mehrheit der von der europäischen Aufklärung geprägten Menschheit jegliche Vorstellung von einer eigenen Sakralität der Herr34 Max Weber, Die Wirtschaftspolitik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen 91988 [erstmals 1920], S. 237 – 573, hier: S. 513. 35 Vgl. Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 1), S. 16 f. 36 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 64 f., S. 71 ff. und S. 198 – 208 (außer auf die hier angeführten Belege kann etwa auch auf die um 935 in königlicher Gefangenschaft, also in einer besonderen Konfliktsituation, entstandenen ,Praeloquiorum libri VI‘ des Rather von Verona [ed. Peter L. D. Reid, CC Cont. Med. XLVI A, Turnhout 1984, S. 3 – 196, bes. S. 106 (IV 2) und allg. S. 77 – 141] verwiesen werden; zu den Hintergründen des eine gewisse Originalität besitzenden, am alttestamentlichen Vorbild orientierten Fürstenspiegels und dem besonderen Anlaß seiner Entstehung vgl. Giacomo Vignodelli, Il problema della regalità nei Praeloquia di Ratherio di Verona, in: Giovanni Isabella [Hg.], „C’era una volta un re …“. Aspetti e momenti della regalità da un seminario del dottorato in Storia medievale [Bologna, 17 – 18 dicembre 2003] [= dpm quaderni dottorato 3], Bologna 2005, S. 59 – 74, bes. S. 61 und S. 73). 37 Vgl. dazu Erkens, Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 1), S. 3, sowie – zum Ende der königlichen Skrofelnheilung – ders., Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 13 f. und S. 23. 38 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 2, sowie Ian Bradley, God Save the Queen. The Spiritual Dimension of Monarchy, London 2002, S. 73 und S. 83 – 93.

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schenden ab. Aber die angeführten Beispiele belegen, wie lange Ideenreste der Herrschersakralität auch über den siècle de lumière hinaus fortexistierten und daß es sehr viel Zeit brauchte, bis deren Welt restlos vergangen war. Immanuel Kant, selbst kaum ein Anhänger religiöser Herrschaftslegitimierung, berief sich auf diese etwa 1795 aus Gründen der Herrscherparänese39; andere hingegen dürften sie noch im 19. Jahrhundert realer verstanden haben – nicht zuletzt die Verfechter eines monarchischen Legitimismus, die freilich vor allem auf das Schwinden der religiösen Legitimation von Herrschaft reagieren mußten, und auch (wen wird es überraschen?) Wilhelm II., der in seinem Ideeneklektizismus und seinem Schwanken zwischen Traditionalismus und Moderne eine sakrale Auffassung von seiner Würde entwickelte, fühlte er sich doch als das „,auserwählte Instrument des Himmels‘“ und als „der von Gott berufene Vermittler zwischen Gott und seinen Untertanen“40. Eine solche Sakralisierung des Kaisertums an der Schwelle zum 20. Jahrhundert (oder sollte man eher „Resakralisierung“ sagen?) traf keinesfalls nur auf Ablehnung, sondern durchaus auch auf das Wohlwollen der protestantischen Mittelschicht. Historische Kenntnisse, religiöses Empfinden und althergebrachte Gewohnheiten mögen dabei zusammengewirkt haben, letztlich aber zeigt sich vor allem (wie etwa auch 1825 bei der letzten Skrofelnheilung durch einen französischen König, der selbst Skepsis gegen sein wundertätiges Werk hegte, aber auf Vertrauen bei den Kranken stieß41), wie sehr die Auffassung von einem durch Gott beauftragten Herrscher, von einem in sakralen Bezügen stehenden Monarchen immer noch Resonanz zumindest in Teilen der Bevölkerung fand. Bemerkenswert, freilich auf ein wesentlich weniger modernes als das Deutsche Reich, auf ein von spürbar älteren Traditionen geprägtes Kaisertum bezogen, ist dabei die Reflexion, die der von Wehmut, Resignation und Nostalgie geprägte und den Untergang des Habsburgerreichs beklagende Josef Roth (1894 – 1939) in einer kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs spielenden Szene seines 1932 erschienenen Romans „Radetzkymarsch“ dem Grafen Chojnicki in den Mund legt und dadurch die offenbar noch von manchen erkannte, wenn auch vielleicht nicht mehr gebilligte und sich ohnehin in starker Auflösung befindliche religiöse Konnotation der habsburgischen Kaiserwürde in Erinnerung ruft42: „Die Monarchie, unsere Monarchie, ist begründet auf der Frömmigkeit: auf dem Glauben, daß Gott die Habsburger erwählt hat, über soundso viel christliche Völker zu regieren. Unser Kaiser ist ein weltlicher Bruder des Papstes, es ist seine K. u. K. Apostolische Majestät in Europa, keine andere wie er apostolisch, keine andere Majestät in Europa so abhängig von der Gnade Gottes und vom Glauben der Völker an die Gnade Gottes“. 39

Vgl. Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 1), S. 18. Christopher Clark, Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008, S. 235 und S. 87; vgl. für das folgende auch ebd. S. 240 sowie grundsätzlich Thomas Benner, Die Strahlen der Krone. Die religiöse Dimension des Kaisertums unter Wilhelm II. vor dem Hintergrund der Orientreise, Marburg 2001, bes. S. 357 – 364. 41 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 14 f. 42 Vgl. Erkens, Sakralkönigtum (wie Anm. 1), S. 1 f. 40

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Auch päpstlicherseits konnte, wie noch 1925 in der Enzyklika ,Quas primas‘, der traditionelle Gedanke vertreten werden, daß „die Fürsten und die rechtmäßig gewählten Staatsmänner“ „nicht so sehr kraft eigenen Rechtes“ regierten, sondern „im Auftrag und an Stelle des göttlichen Königs“43. Erst nach dem zweiten Weltkrieg, offenbar auch diskreditiert durch den Gebrauch, den die totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die (freilich nicht ausschließlich) als politische Religionen begriffen werden können44, von dem nachwirkenden Ideenhorizont religiöser Herrschaftslegitimierung zu machen verstanden und diesen dabei – virtuos auf der Klaviatur überkommenen und immer noch evozierbaren Gedankengutes spielend – etwa in Deutschland für einen ebenso verbrecherischen wie charismatischen Führer45 zu instrumentalisieren wußten, erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts verschwanden die letzten Reste einer religiös-politischen, Gewalthaber in einen sakralen Schimmer tauchenden Ideenwelt weitgehend. 43

Vgl. Franz-Reiner Erkens, Christkönig. Anmerkungen zur Patroziniumswahl der Kirche des Bergfrieds in Passau, in: Passauer Jb. 49 (2007), S. 185 – 199, bes. S. 190, sowie den allgemeinen Überblick von Andreas Kosuch, Abbild und Stellvertreter Gottes. Der König in herrschaftstheoretischen Schriften des späten Mittelalters (= Passauer Hist. Forschungen 17), Köln 2011, S. 302 – 325. 44 Vgl. Eric Voegelin, Die politischen Religionen, München 1993 [erstmals Wien 1938]; Raymond Aron, L’avenir des religions séculières, in: Commentaire 8 (1985), S. 369 – 383 [erstmals 1944]; Markus Huttner, Totalitarismus und säkulare Religionen. Zur Frühgeschichte totalitarismuskritischer Begriffs- und Theoriebildung in Großbritannien (= Schriftenreihe Extremismus & Demokratie 14), Bonn 1999; Hans Maier, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Zwei Konzepte des Diktaturvergleichs, in: ders. (Hg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs (= Politik- und kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft 16), Paderborn 1996, S. 233 – 250; ders., ,Politische ReligionenR. Möglichkeiten und Grenzen eines Begriffs, in: ders. / Michael Schäfer (Hgg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs II (= Politik- und kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft 17), Paderborn 1997, S. 299 – 310. 45 Zur Debatte um Hitlers (wirkliches oder lediglich inszeniertes) Charisma vgl. etwa Ludolf Herbst, Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias, Frankfurt/M. 2010; M. Rainer Lepsius, Max Weber, Charisma und Hitler, in: FAZ Nr. 196 vom 24. VIII 2011, S. N3, oder (zur strukturellen Dimension) Maurizio Bach, Die charismatischen Führerdiktaturen. Drittes Reich und italienischer Faschismus im Vergleich ihrer Herrschaftsstrukturen (= Nomos Universitätsschriften 9), Baden-Baden 1990, und ders., Staat und Weltkrieg wurden aus dem Stegreif geführt, in: FAZ Nr. 285 vom 7. XII. 2011, S. N3 (dieser Artikel ist ein Auszug aus ders. / Stefan Breuer, Faschismus als Bewegung und Regime. Italien und Deutschland im Vergleich, Wiesbaden 2010, bes. S. 243 – 312), sowie Joachim C. Fest, Hitler. Eine Biographie, Frankfurt/M. 1973, etwa S. 610 f., S. 713 f., und allg. auch Ian Kerkshaw, Adolf Hitler. 1889 – 1936, Stuttgart 1998, etwa S. 24. Max Webers Lehre von den drei legitimen Herrschaftsformen, von denen die charismatische Herrschaft und das Charisma selbst die moderne Geisteswissenschaft offenbar am meisten fasziniert (vgl. etwa den Sammelband, den Pavlina Rychterová u. a. 2008 herausgegeben haben: Das Charisma. Funktionen und symbolische Repräsentationen [= Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften 2]) und die natürlich auch hinter der Frage nach Hitlers Charisma steht, ist für Deutung und Erklärung des sakralen Königtums allerdings kaum verwendbar: Vgl. dazu Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 1), S. 22.

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Abschließend läßt sich deshalb festhalten: Herrschersakralität, verstanden als wissenschaftlicher Hilfsbegriff, der dazu dient, das Nahverhältnis von hauptsächlich vormodernen Herrschern zum Numinosen und die dabei eine Rolle spielenden Elementen terminologisch zu fassen und in ihrer Entwicklung zu verfolgen, Herrschersakralität ist offenkundig (auch wenn man ihre späten säkularen Ausläufer unberücksichtigt läßt) ein globales und epochenüberdauerndes Phänomen, das aus wechselnden Perspektiven und mit unterschiedlichen Erkenntniszielen betrachtet und dem sich auf verschiedene Weise genähert werden kann. Als irrational sollte es ebensowenig verstanden werden46 wie als reine Legitimationsstrategie, entsprach es doch dem Denkhorizont einer religiös geordneten Welt. Seine historische Bedeutung läßt sich dabei kaum im punktuellen Zugriff, sondern, wenn überhaupt, allein mit breitem Blickwinkel und entsprechender Tiefenschärfe beschreiben. Eine ebenso wichtige wie die fallbezogene ist daher die epochenübergreifende Betrachtung des gesamten Phänomens oder einzelner seiner Elemente, erhellt sie doch nicht nur Kontinuitäten und verdeutlicht, wie sich Vorstellungen von Epoche zu Epoche formen und gestalten, umgestalten und entwickeln, ohne sich dabei völlig zu verflüchtigen, sondern hilft zugleich auch, (vermeintlich) jüngere Erscheinungen und ihre Wirkung aus der Tiefe ihrer Wurzeln heraus leichter und umfassender zu verstehen und verständlich zu machen – denn: Jede Epoche ist, wie Leopold von Ranke lehrt, unmittelbar zu Gott, aber es gilt auch, daß alle Geschichte Geschichte der Gegenwart ist47.

46 So Frantisˇek Graus, Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit, Praha 1965, S. 316 Anm. 73, und dazu Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 33. 47 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Moderne und Mittelalter oder Von der Relevanz des praktisch Untauglichen. Ein Plädoyer für das historische Interesse an älteren Epochen, in: ders. (Hg.), Karl der Große in Renaissance und Moderne. Zur Rezeptionsgeschichte und Instrumentalisierung eines Herrscherbildes (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 4/2), Berlin 1999, S. 95 – 122.

Sakrale Elemente des Königtums Ob es ein germanisches Sakralkönigtum gegeben hat, ist in der historischen Forschung seit einiger Zeit heftig umstritten. Fest steht mittlerweile nur noch, daß es von einer germanophilen, zum Teil nationalistisch determinierten Wissenschaft auf methodisch unzulässigem Wege erschlossen und mit Vehemenz propagiert worden ist. Da das Sakralkönigtum aber grundsätzlich als ein globales und epochenübergreifendes Phänomen faßbar scheint, das in anderen Kulturen deutliche Spuren hinterlassen hat, stellt sich die Frage, ob ein völliger Verzicht auf die Vorstellung von einem germanischen Sakralkönigtum, der ja gelegentlich gefordert wird1, wirklich gerechtfertigt ist. Um diese Frage beantworten zu können, ist zunächst eine begriffliche Klärung nötig: die Unterscheidung von Sakralkönigtum einerseits und sakralem Königtum andererseits. Das Sakralkönigtum ist ein (heute ebenfalls umstrittenes) Deutungsmodell der Ethnologie2, das mit Blick auf afrikanische Verhältnisse formuliert worden ist3. Jener Herrscher wird dabei als Sakralkönig verstanden, von dessen Existenz, Kraft und rituellem Verhalten das Gedeihen des Volkes, die Fruchtbarkeit des Landes, der Ertrag der Ernte abhingen und der mancherorts – wie bei den Mundang in Zen-

Der Beitrag basiert auf dem zur Aufsatzform umgestalteten und kleinere Kürzungen wieder aufnehmenden Artikel „Sakrale Elemente“ aus dem RGA 26 (22004) S. 219 – 234 (III §§ 8 – 12) sowie auf dem die Ergebnisse des Gesamtartikels „Sakralkönigtum“ zusammenfassenden Abschnitt ebd. S. 304 f. (V § 24). 1 Vgl. W. Baetke, Yngvi und die Ynglinger. Eine quellenkritische Untersuchung über das nordische „Sakralkönigtum“, 1964; H. Kuhn, Germanisches Sakralkönigtum?, in: ders., Kleine Schriften 4, 1978, S. 242 – 247; K. v. See, Kontinuitätstheorie und Sakraltheorie in der Germanenforschung. Antwort an Otto Höfler, 1972. 2 Vgl. B. Streck, Das Sakralkönigtum als archaistisches Modell, in: F.-R. Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, 2002, S. 33 – 51, sowie Chr. Auffarth, Königtum, sakrales, in: H. Cancik / B. Gladigow / K.-H. Kohl (Hgg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 3 (1993) S. 386 – 389. 3 Vgl. J. G. Frazer, Lectures on the Early History of Kingship, 1905; ders., Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, 1994 [engl. 1922]; L. Frobenius, Erythräa. Länder und Zeiten des heiligen Königsmordes, 1931, S. 223 – 229; E. Haberland, Das heilige Königtum, in: B. Freudenfeld (Hg.), Völkerkunde, 1960, S. 77 – 89, bes. 86 ff.; A. Jones, „I am all the same as God“. Königliche Körper und Menschenopfer in drei westafrikanischen Staaten (18.–19. Jahrhundert), in: Erkens (Hg.), Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 2), S. 201 – 212.

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traläthiopien – nach Ablauf einer gewissen Frist getötet worden sein soll4 oder spätestens dann beseitigt werden konnte, wenn seine Kräfte nachließen (Regizid). Dieser rituelle Königsmord, wenn es ihn denn gegeben hat5, kennzeichnet die intensivste Form sakralen Königtums, ist jedoch außerhalb Afrikas nicht sicher nachweisbar. Wohl aber gibt es auch andernorts Herrschervorstellungen, die der Existenz und Lebensführung des Königs (wie in Irland) eigene Wirkungen auf die Natur zumessen oder sie (wie in Indien) sogar in kosmische6 Zusammenhänge stellen. Nur wenn sich mit dem Königtum ein solches Verständnis verbindet, sollte von einem Sakralkönigtum gesprochen werden. Unabhängig davon gibt es aber auch sakrale Elemente, die dem Königtum eigen sein und ihm eine besondere sakrale Dimension verleihen können. Sie müssen zwar im folgenden noch einzeln erfaßt und vorgestellt werden, doch ist jetzt schon festzuhalten, daß sie, mögen sie nun vereinzelt oder kumuliert auftreten, dem Königtum einen eigenen Sakralcharakter verleihen. Sie dienten der Legitimation, bildeten zugleich aber auch, wie in religiös gebundenen Gesellschaften nicht anders zu erwarten, Wesenszüge der königlichen Herrschaft. Auf diese Weise fundierte Königtümer können, wenn auch unterschiedlich intensiv, als sakral7 verstanden werden. Der Begriff des sakralen Königtums sollte dabei jedoch nicht allein statisch verwendet, sondern unter Berücksichtigung unterschiedlicher Ausformungen der religiös legitimierten Königsherrschaften flexibel benutzt werden, also als variabler Oberbegriff dienen. In diesem Fall erscheint das Sakralkönigtum (ebenso wie etwa das Gottkönigtum8) als eine besondere Form des sakralen Königtums. Im folgenden geht es daher hauptsächlich um das sakrale Königtum und die es charakterisierenden Elemente. Diese können stärker heidnisch oder christlich getönt gewesen sein und bildeten im Mittelalter meist eine christliche Adaption paganer Traditionen. Deren Wurzeln reichen weit in den Alten Orient und in das Alte Ägypten zurück und wurden sowohl über den Hellenismus und das römische Kaisertum als auch über das Alte Testament vermittelt9 ; sie wuchsen zusammen, 4

Vgl. L. Frobenius, Und Afrika sprach … III. Unter den unsträflichen Äthiopen, 1913, S. 147. 5 Vgl. Jones (wie Anm. 3). 6 Vgl. F.-R. Erkens, Divisio legitima und unitas imperii. Teilungspraxis und Einheitsstreben bei der Thronfolge im Frankenreich, in: DA 52 (1996) S. 423 – 485, bes. 434 Anm. 44. 7 Zu diesem mit abweichenden Inhalten gefüllten Terminus vgl. J. Piper, Was heißt „sakral“?, 1988; F.-R. Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003) S. 1 – 55, bes. 18 f., sowie E. Picard, Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung, 1991, S. 31 – 35. 8 Vgl. H. H. Holz, Zur Dialektik des Gottkönigtums, in: La regalità sacra. Contributi al tema dell’VIII congresso internazionale di storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), 1959, S. 18 – 36, bes. 20 f. 9 Vgl. F.-R. Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: ders. (Hg.), Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 2), S. 7 – 32, bes. 14 ff.

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nachdem das antike Kaisertum im 4. Jahrhundert christlich geworden war, und prägten schließlich auch die Vorstellungen von Herrschaft und Herrscher in den germanischen Staatswesen, die sich seit dem 5. Jahrhundert auf dem Boden des untergehenden Imperium bildeten. Angesichts dieser starken Verschmelzung von heidnisch-antikem und jüdisch-christlichem Gedankengut und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Aufzeichnungen über sakrale Elemente germanischer Königsherrschaften oft erst in christlicher Zeit erfolgten, läßt sich häufig nicht eindeutig entscheiden, ob diese Elemente eher christlichen oder paganen Ursprungs waren und – wenn die heidnische Herkunft sicher ist – ob sie in einer germanischen oder antiken Tradition standen. Am Königsheil10 der Merowinger läßt sich dieses Problem leicht demonstrieren. Die zeitgenössische Existenz einer Vorstellung von einem besonderen Heil, das alle Mitglieder der ersten fränkischen Königsdynastie auszeichnete und dessen äußeres Abzeichen das lange Haupthaar gewesen sein soll11, ist von manchen Historikern grundsätzlich bestritten12 oder – wenn sie nicht völlig in Frage gestellt wurde – so doch stärker in christliche als in germanisch-heidnische Bezüge gestellt13 worden. Die Quellen zeichnen hierbei zunächst nur ein verschwommenes Bild. In dem Schreiben, mit dem Avitus, der aus gallorömischem Senatorenadel stammende Metropolit von Vienne, König Chlodwig zur Taufe gratulierte, spricht der Bischof davon, daß der König nun dem Glück (felicitas) die Heiligkeit (sanctitas) hinzugefügt habe14. Felicitas verstanden als Königsglück oder gar Königsheil gehörte zweifellos in eine heidnische Vorstellungswelt15, nur ist unsicher, ob diese hier auf einen germanischen16 oder antiken17 Traditionszusammenhang verweist. Andererseits jedoch wird deutlich, wie der Übertritt zum (katholischen) Christentum sofort auch das sakrale Verständnis vom Herrscher aufwertete, auch wenn die von Avitus erwähnte sanctitas noch keine spezielle Königsheiligkeit meinte. Prinzipiell aber wird man wohl davon ausgehen dürfen, daß (wie in anderen frühen Kulturen) auch im germanischen Ideenkosmos Raum war für die Vorstellung 10

Vgl. A. Erler, Königsheil, in: HRG 2 (1978) S. 1040 f. Vgl. J. de Vries, Das Königtum bei den Germanen, in: Saeculum 7 (1956) S. 289 – 309, bes. 298; W. Kienast, Germanische Treue und „Königsheil“, in: HZ 227 (1978) S. 265 – 324, bes. 284 – 288; J. M. Wallace-Hadrill, Early Germanic Kingship in England and on the Continent, 1971, S. 17 – 20. 12 Vgl. W. Affeldt, Das Problem der Mitwirkung des Adels an politischen Entwicklungsprozessen im Frankenreich vornehmlich des 8. Jahrhunderts, in: D. Kurze (Hg.), Aus Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft. Festschrift f. H. Herzfeld zum 80. Geb., 1972, S. 404 – 423. 13 Vgl. F. Graus, Volk, Herrscher und Heilige im Reich der Merowinger, 1965, S. 313 – 334. 14 Avitii opera, hg. von R. Peiper, MGH AA VI 2, Berlin 1883, S. 75 Nr. 46. 15 Vgl. H. Wolfram, Fortuna in mittelalterlichen Stammesgeschichten, in: MIÖG 72 (1964) S. 1 – 33. 16 Vgl. Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 282 f. mit Anm. 43. 17 Vgl. v. See, Kontinuitätstheorie (wie Anm. 1), S. 47. 11

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von einem sakralen Königtum, daß diese Vorstellung aber erst nach der Berührung mit antik-christlichem Gedankengut ihre volle Ausgestaltung und Bedeutung gewann18. Bei der Sichtung der einzelnen sakralen Elemente ist deshalb besonders auf diesen Zusammenhang zu achten. I. Nahverhältnis zum Numinosen Zentrales Kennzeichen einer sakral fundierten Herrschaft ist ohne Zweifel ein besonderes Verhältnis ihres Trägers zu einer Gottheit oder zu den Göttern, das sich mancherorts wie im Alten Ägypten19, im Hellenismus20 und kaiserzeitlichen Rom21 oder auch – wie heute noch – im hinduistischen Königreich Nepal22 bis zur eigenen Göttlichkeit des Herrschers steigern konnte. Häufig wurde dieses Verhältnis durch die Abstammung von einem Gott oder – wie im Alten Orient23 – durch direkte Gottessohnschaft begründet, konnte sich aber auch in einem eigens betonten Schutz manifestieren, den ein Gott gewährte24. Schließlich wurden Herrscher als Stellvertreter (eines) Gottes begriffen, als dessen Erwählte sie dann oft erschienen. Angesichts des Monotheismus, der den paganen Polytheismus schließlich ablöste, und eines in jüdischer Tradition stehenden gesteigerten Gottesverständnisses waren für den christlichen Herrscher die Möglichkeiten zur Begründung eines numinosen Nahverhältnisses allerdings sehr eingeschränkt; er vermochte allenfalls als Stellvertreter Gottes (vicarius Dei oder Christi) aufzutreten. Genau diese Position ist ihm daher auch seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert zugestanden worden, wie der sog. Ambrosiaster25 und der weitgehend unbekannte, jedoch (etwas?) jüngere Apponius26 belegen und wie vor allem seit der Karolingerzeit immer wieder betont 18 Vgl. dazu schon F.-R. Erkens, Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: Historisches Jahrbuch 118 (1998) S. 1 – 39, bes. 18 f. 19 Vgl. Elke Blumenthal, Die Göttlichkeit des Pharao. Sakralität und Herrschaftslegitimierung im alten Ägypten, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 2), S. 53 – 61. 20 Vgl. Chr. Elsas, Herrscherkult, in: H. Cancik / B. Gladigow / K.-H. Kohl (Hgg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 3 (1993) S. 115 – 122, bes. 117 f. 21 Vgl. M. Clauss, Deus praesens. Der römische Kaiser als Gott, in: Klio 78 (1996) S. 400 – 433, und ders., Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, 2001. 22 Vgl. B. Kölver, Der König: Herr von allem, in: Erkens (Hg.), Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 2), S. S. 181 – 186, und A. Michaels, Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, 1998, S. 305. 23 Vgl. Claus Wilcke, Vom göttlichen Wesen des Königtums und seinem Ursprung im Himmel, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 2), S. 63 – 83, und Walther Sallaberger, Den Göttern nahe – und fern den Menschen? Formen der Sakralität des altmesopotamischen Herrschers, ebd., S. 85 – 98. 24 Vgl. O. Höfler, Germanisches Sakralkönigtum 1: Der Runenstein von Rök und die germanische Individualweihe, 1952, S. 89. 25 Ed. A. Souter, CSEL 50, 1908, S. 157. 26 Ed. B. de Vregille und L. Neyrand, CC SL 19, 1986, S. 251.

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worden ist27. Bei jeder Königsweihe dürfte zudem auf sie hingewiesen worden sein28 ; und selbst noch in spätmittelalterlichen Traktaten, also in Schriften einer Zeit, die im Reich allgemein als Epoche einer Entsakralisierung angesehen wird und in der die Päpste ihre Stellung als Christi Vikare erfolgreich herauszustellen wußten29, wurde von ihr gesprochen. Bei den Germanen war die göttliche Abkunft von Königsgeschlechtern bekannt30, wie bei den Goten31 etwa das Abstammungsverständnis der ,greutungischostrogothischen‘ Amaler zeigt, die sich auf den skandinavischen (wohl erst in der Wikingerzeit als Wodan-Odin identifizierten) Kriegergott Gaut zurückführten sowie zeitweilig als Asen (semidei) verehrt worden sein sollen32, und wie auch die weniger bekannte Geschichte der ,terwingisch-vesigotischen‘ Balthen erkennen läßt, deren Abstammung, wie es zumindest heißt, „wunderbar“33 gewesen ist34. Für die Angelsachsen bezeugt Beda Venerabilis35 die göttliche Herkunft der Königsfamilien, indem er die beiden ersten, die angelsächsische Landnahme betreibenden Führer Hengist und Horsa auf Wodan (Uoden) zurückführt, dessen Göttlichkeit er als Christ jedoch verschweigt. Allerdings merkt er noch an, daß sich viele Königsgeschlechter von Uoden herleiteten (de cuius stirpe multarum prouinciarum regium genus originem duxit), und gibt damit ein gerade wegen der christlichen Perspektive unverdächtiges Zeugnis für die verbreitete, wohl auch in Skandinavien 27 Vgl. dazu und zu den Belegen Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 18), S. 19 ff. 28 Vgl. die frühmittelalterlichen Krönungsordines, ed. C. Vogel / R. Elze, Le pontifical romano-germanique du dixième siècle I, 1963, S. 257: … Iesu Christo, cuius nomen vicemque gestare crederis, …; aber auch die seit 1309 gebräuchliche Ordnung, ed. G. H. Pertz, MGH LL II, 1837, S. 389, sowie W. Goldinger, Das Zeremoniell der deutschen Königskrönung seit dem späten Mittelalter, in: Mitteilungen des oberösterreichischen Landesarchivs 5 (1957) S. 91 – 111. 29 Vgl. M. Maccarrone, Il sovrano „vicarius Dei“ nell’alto medio evo, in: La regalità sacra (wie Anm. 8), S. 581 – 594. 30 Vgl. de Vries, Das Königtum bei den Germanen (wie Anm. 11), S. 295; O. Höfler, Der Sakralcharakter des germanischen Königtums, in: Th. Mayer (Hg.), Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, 1956, S. 75 – 104 [= La regalià sacra (wie Anm. 8) S. 664 – 701], bes. 78 ff.; O. Sundqvist, Freyr’s offspring. Rulers and religion in ancient Svea society, 2002, S. 150 f. und 156 – 168. 31 Vgl. H. Wolfram, Theogonie, Ethnogenese und ein kompromittierter Großvater im Stammbaum Theoderichs des Großen, in: K.-U. Jäschke / R. Wenskus (Hgg.), Festschrift für Helmut Beumann zum 65. Geb., 1977, S. 80 – 97. 32 Jordanis De origine actibusque Getarum c. 13 und 14., ed. Th. Mommsen, MGH AA 5/1, 1882, S. 53 – 138, hier: 76 ff. 33 Ebd. S. 96 (c. 29): ex genere origo mirifica. 34 Vgl. H. Wolfram, Die Goten, 42001, S. 42 und 119 f.; H. Wolfram, Die Germanen, 31997, S. 66. 35 Historia eccl Ecclesiastica gentis Anglorum I 15, hg. von G. Spitzbart, Beda der Ehrwürdige. Kirchengeschichte des englischen Volkes I (= Texte zur Forschung 34/I), Darmstadt 1982, S. 60.

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greifbare36 Vorstellung von der göttlichen Abkunft germanischer Könige. Diese hatten dabei aber offenkundig und anders als früher geglaubt37 selbst keinen Anteil an der Göttlichkeit ihres Stammvaters; und auch eine Vergöttlichung germanischer Könige läßt sich nicht nachweisen – nicht nach ihrem Tode und schon gar nicht davor38. Den Merowingern wurde ebenfalls eine übernatürliche Abstammung zugeschrieben, wie Fredegar, allerdings erst nach der Mitte des 7. Jahrhundert, bezeugt, als er von der (möglichen) Zeugung Merowechs, des für die erste fränkische Königsfamilie namengebenden Vorfahren, durch die im Meer badende Gemahlin Chlodios und ein aus den Fluten auftauchendes Ungeheuer erzählt, das mit dem Minotaurus der griechischen Sagenwelt verglichen wird39. Gerade dieser Vergleich aber läßt es denkbar erscheinen, daß in der von Fredegar mit rhetorischen Einschränkungen erzählten Geschichte mehr antikes als germanisches Traditionsgut steckt40. Andererseits würde es überraschen, wenn sich in diesen Ausführungen, die zu einer Zeit niedergeschrieben wurden, als der Beginn der fränkischen Christianisierung bereits mehr als anderthalb Jahrhunderte zurücklag und das merowingische Königtum schon längst nicht nur christlich geworden, sondern bereits auch verchristlicht war41, nicht doch ein altes, wenn auch gebrochenes Bewußtsein von der übernatürlichen Abstammung der Königsfamilie widerspiegelte, ein überkommenes und wahrscheinlich verformtes Wissen, das in manchen Kreisen aber offenbar lange erhalten blieb. Die allein von Fredegar überlieferte Geschichte ausschließlich als eine vielleicht erst um die Wende vom 6. zum 7. Jahrhundert nach antikem Vorbild entstandene Erzählung zu verstehen, die dazu dienen sollte, der etymologischen Deutung des Namens Merowech (Meroveus) als bistea Neptuni: ,Meeres(s)tier‘ (mer[o] = Meer, wech, veus = *fehu = [Rind-]Vieh, Tier) eine erläuternde Fabel beizugeben42, dürfte hingegen kaum ausreichen als Erklärung für ihr Entstehen, denn, selbst wenn es ein solches Erläuterungsbedürfnis gegeben 36

Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 168, und Baetke (wie Anm. 1) S. 69 – 123, der diese Ansicht allerdings lehnt. 37 Vgl. Höfler, Der Sakralcharakter (wie Anm. 30), S. 82: „Im König ist ein Wesensanteil der Gottheit lebendig vorhanden“, 83: „Ein solcher König ist nicht ein Gott, … aber es ist ein Stück von göttlichem Sein in ihm“. 38 Vgl. Baetke (wie Anm. 1) S. 39 – 51, Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 168 ff. und 289 – 292. 39 Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici Libri IV cum Continuationibus, Chron. III 9, hg. von B. Krusch, MGH SS rer. Merov. 2, Hannover 1888, S. 1 – 193, hier 95 (III 9: bistea Neptuni Quinotauri [= Minotauri] similis). 40 Vgl. A. C. Murray, Post vocantur Merohingii: Fredegar, Merovech, and ,Sacral Kingship‘, in: ders. (Hg.), After Rome’s Fall. Narrators and sources of Early Medieval History. Essays presented to Walter Goffart, 1998, S. 121 – 152. 41 Vgl. E. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter, in: Mayer (Hg.), Das Königtum (wie Anm. 30), S. 7 – 73 [ND: ders., Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952 – 1973), hrsg. von Hartmut Atsma, Bd. 1, 1976, S. 3 – 71]. 42 Vgl. Murray (wie Anm. 40) S. 132 – 151, bes. 142 f.

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haben sollte, wären die heidnischen Bezüge, in die dadurch die Anfänge der längst christlich gewordenen Herrscherfamilie gestellt wurden, für die Merowinger doch wohl sehr kompromittierend gewesen. Eine rein intellektuelle Spielerei ohne konkreten Erinnerungshintergrund ist als Ursache für die Fabel daher gleichfalls wenig wahrscheinlich. Eine Gottesstellvertreterschaft wie im Alten Orient oder im mediterranen Altertum läßt sich für den heidnisch-germanischen König hingegen nicht nachweisen. In dieser Hinsicht scheinen erst der Übertritt zum Christentum und das Vorbild des spätantiken Kaisertums entsprechende Änderungen der Herrscheridee bewirkt zu haben, und zwar schon bevor Karl der Große durch die Kaiserkrönung im Jahre 800 weithin sichtbar in die imperiale Tradition eintrat. Bereits der karolingische König wurde als vicarius Christi angesehen, dem daher auch eine besondere Verantwortung für das ihm anvertraute Reich und Volk sowie für die Kirche zufiel. Als Sachwalter Gottes hat Karl das Richtige bekräftigt und das Falsche verbessert oder ausgemerzt, wie er 789 in seiner ,Generalermahnung‘43 allen erklärte, die an seiner Aufgabe mitzuwirken hatten. Nach Leos III. Wahl zum Papst hat Karl dem neuen Oberhaupt der römischen Kirche dieses Verständnis der eigenen Aufgabe in der Welt in seiner berühmten Glückwunschadresse von 796 ebenfalls mitgeteilt44 und dabei unmißverständlich klar gemacht, daß er selbst für den Schutz der Kirche nach außen sowie für die innere Festigung des christlichen Glaubens zuständig sei, während der Papst hauptsächlich die Pflicht habe, ihn dabei durch Gebete zu unterstützen. Der gelehrte Angelsachse Alkuin, der lange am Karlshof tätig war, bevor er Abt von St-Martin in Tours wurde, hat den König in dieser Auffassung wiederholt unterstützt45; und Karl selbst wird seine Verantwortung als christlicher Herrscher nach der Übernahme des Kaisertums nur noch deutlicher gespürt haben. Jedenfalls haben er und sein Sohn Ludwig der Fromme46 versucht, ihr in besonderer Weise gerecht zu werden. Natürlich war die starke Präsenz des Herrschers im engeren Bezirk der geistlichen Sphäre angesichts einer fortschreitenden Differenzierung von weltlichem und geistlichem Bereich auf Dauer nicht zu behaupten; aber auch die späteren Könige und Kaiser galten weiterhin als Stellvertreter Gottes auf Erden, wenn auch seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert in zunehmendem Maße allein noch im weltlichen Bereich47. Trotz dieser Entwicklung aber bewahrten die Herrscher eine priesterähnliche Stellung, die schon früh sichtbar geworden war, eng mit der Sachwalter43

Admonitio generalis, ed. A. Boretius, MGH Capit. I, Hannover 1883, S. 52 Nr. 22. Epistolae Karolini Aevi II, rec. E. Dümmler, MGH Epistolarum Tom. IV, 1895, S. 137 f. (= Alcuini epist. Nr. 136). 45 Vgl. Wallace-Hadrill, Early Germanic Kingship (wie Anm. 11), S. 101 ff. 46 Vgl. E. Boshof, Ludwig der Fromme, 1996. 47 Vgl. dazu etwa Wycliffs ,Tractatus de officio regis‘, ed. A. W. Pollard / Ch. Sayle, 1887, S. 12 f. ( … rex qui in temporalibus est dei vicarius …), und allg. sowie zu weiteren Belegen Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 7), S. 25 ff. 44

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funktion als Stellvertreter Gottes auf Erden zusammenhing, im Laufe der Jahrhunderte natürlich Wandlungen erfuhr und ein weiteres wesentliches Sakralelement darstellte. II. Sazerdotalität Der Vollzug des Kults durch den König ist als wichtiges Merkmal des Sakralkönigtums begriffen worden48. Da Kulthandlungen aber prinzipiell zum frühen Herrschertum dazugehört haben dürften, ja, sogar als Ausgangspunkt für das Werden königlicher Herrschaft gedient haben können49, bildet der Vollzug des Kults durch einen Herrscher allein noch keinen ausreichenden Hinweis auf die Existenz eines Sakralkönigtums. Dies lehrt schon ein Blick in die römische Geschichte: Auch die Magistrate, die in der Tradition des kultische Funktionen erfüllenden, aber abgeschafften Königtums50 standen und zugleich auch einem Priesterkollegium angehören konnten51, hatten sakrale Aufgaben zu erfüllen52, und der Imperator war seit Julius Caesar zugleich immer auch oberster Priester53 : pontifex maximus, während der rex sacrorum, der ,Opferkönig‘, seit republikanischen Zeiten ein Priester war, der die sakralen Pflichten des untergegangenen Königtums erfüllte54. Das Vollziehen von Kulthandlungen kann einen Herrscher daher nur dann als Sakralkönig ausweisen, wenn dieser ausschließlich oder wenigstens hauptsächlich für den Kult zuständig ist. Ein solches Monopol jedoch dürfte – wenn überhaupt – im Einzelfall nur schwer nachzuweisen sein. In den frühen germanischen Gesellschaften gab es – entsprechend den Sozialformationen anderer archaischer Gemeinwesen55 und wie etwa im Rom der etruskischen Könige oder im heidnischen Irland56– ohne Zweifel einen Bezug zwischen

48 Vgl. Picard, Germanisches Sakralkönigtum (wie Anm. 7), S. 33, sowie E. O. James, The Sacred Kingship and the Priesthood, in: La regalità sacra (wie Anm. 8), S. 63 – 70. 49 Vgl. A. M. Hocart, Kingship, 1927, S. 119 – 129; Michaels, Der Hinduismus (wie Anm. 22), S. 304 f. 50 Vgl. E. Meyer, Einführung in die antike Staatskunde, 1968, S. 156. 51 Vgl. Th. Mommsen, Abriß des römischen Staatsrechts, 21907, S. 69 f. 52 Vgl. J. Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, 71995, S. 82. 53 Vgl. M. Jehne, Der Staat des Dictators Caesar, 1987, S. 163 – 185; J. Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches I, 41995, S. 35. 54 Vgl. W. Kunkel, Zum römischen Königtum [1959], in: ders., Kleine Schriften, 1974, S. 345 – 366, bes. 354. 55 Vgl. C. M. Edsman, Zum sakralen Königtum in der Forschung der letzten hundert Jahre, in: La regalità sacra (wie Anm. 8), S. 3 – 17, bes. 6. 56 Vgl. J. Prelog, Sind die Weihesalbungen insularen Ursprungs?, in: Frühmittelalterliche Studien 13 (1979) S. 303 – 356, bes. 348; M. Richter, Irland im Mittelalter. Kultur und Geschichte, 21996, S. 44.

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dem Königtum und dem Kult57, während ein eigener Priesterstand nicht klar erkennbar ist58. Für den skandinavischen Raum ist die königliche Beteiligung am Kult eindeutig belegt59. Von besonderer Bedeutung war dabei, daß der König an drei wichtigen Kalenderfesten – gefeiert zu Beginn des Winters wegen der kommenden Jahreszeit, mitten im Winter wegen einer guten Ernte und im Sommer für den Sieg60– maßgeblich beteiligt war und nach allgemeiner Vorstellung von seinem Vollzug des Opfers die Güte des Ernteertrags und die Sicherung des Friedens abhingen61. Der Herrscher erschien damit als wichtiges Verbindungsglied zwischen dem Volk und den Göttern – was zugleich bedeutet, daß er durch die Sorge für den Kult die eigene Stellung als König entscheidend legitimierte62. Besonders bedeutsam war diese Mittlerfunktion natürlich in Zeiten des Hungers und der Kriegsgefahr63, wenn sich das Volk um seinen König scharte und sich dessen Fähigkeiten angesichts der tödlichen Bedrohung bewähren mußten; sie verlieh dem Herrscher daher ohne Zweifel eine sakrale Dimension. Wenn Kult und Königtum in heidnischer Zeit zusammengehen konnten, so war dies seit der Bekehrung zum Christentum nicht mehr möglich. Kein christlicher Herrscher ist zugleich auch sakramentespendender Priester gewesen; diese Grenze zwischen Regnum und Sacerdotium ist niemals überschritten worden64. Trotzdem konnte der König als rex et sacerdos65 apostrophiert werden. Ohne Zweifel rückte er damit – vor allem seit die Herrscherweihe aufgekommen war66 – in die Nähe des Priestertums, wurde er damit priesterähnlich oder priestergleich. Worauf allerdings die sazerdotale Qualität im einzelnen beruhte, muß – da den Herrschern das Spen-

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Vgl. Germania 10, hg. von M. Winterbottom, Cornelii Taciti opera minora, 1975, S. 35 – 46, hier 42; W. Schlesinger, Über germanisches Heerkönigtum, in: Mayer (Hg.), Das Königtum (wie Anm. 30), S. 105 – 141, bes. 132; Wolfram, Die Germanen (wie Anm. 34), S. 65, sowie – auch zum folgenden – Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 176 – 224. 58 Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 224; ders., Kultledare och kultfunktionärer i det forntida Skandinavien, in: Svensk religionshistorisk ársskrift 7 (1998) S. 76 – 104. 59 Vgl. Á. V. Ström, The King God and his connection with Sacrifice in Old Norse Religion, in: La regalità sacra (wie Anm. 8), S. 702 – 715, bes.703; Baetke (wie Anm. 1) S. 54 – 68, T. Nyberg, Frühes und spätes Mittelalter in Skandinavien – ein möglicher Vergleich?, in: M. Borgolte (Hg.), Das europäische Mittelalter im Spannungsbogen des Vergleichs, 2001, S. 197 – 208, bes. 201. 60 Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 189. 61 Vgl. ebd. S. 185. 62 Vgl. ebd. S. 205, 208 und 212 f. 63 Vgl. ebd. S. 221. 64 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 7), S. 14 und 36. 65 Vgl. F. Kampers, Rex et sacerdos, in: Historisches Jahrbuch 45 (1925) S. 495 – 515; F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie, 1954, S. 96. 66 Vgl. dazu unten Kap. IV.

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den von Sakramenten und das Abhalten von Gottesdiensten verwehrt blieb – noch genauer erfaßt werden. Schon Clodwig ist von den 511 in Orléans versammelten Konzilsvätern eine sacerdotalis mens67 zugesprochen worden, sein Sohn Childebert wurde von Venantius Fortunatus als rex atque sacerdos mit dem alttestamentlichen Priesterkönig Melchisech68, sein Enkel Gunthram wegen seiner frommen Lebensführung von dem fränkischen Geschichtsschreiber und Bischof Gregor von Tours ganz allgemein mit einem Priester verglichen69 ; und sein Urenkel Chlothar II. schließlich soll sich zeit seines Lebens wie ein Priester benommen haben70. Sicherlich, diese schon früh bezeugte Priesterähnlichkeit oder Priestergleichheit von Königen gründete – bei Gunthram ist es besonders deutlich – noch vorwiegend in persönlichen Qualitäten, doch änderte sich dies spätestens in der frühen Karolingerzeit. Bereits Papst Stephan III. erinnerte das königliche Brüderpaar Karl und Karlmann daran, ein regale sacerdotium71 zu verkörpern, und traf damit eine grundsätzliche Aussage, die Alkuin gegen Ende des 9. Jahrhunderts mit konkretem Inhalt füllte, als er Karl den Großen einen rex in potestate, pontifex in praedicatione, judex in aequitate72 nannte. In der pädagogisch-seelsorgerischen Aufgabe der Predigt also73, die noch Heinrich III. in der Mitte des 11. Jahrhunderts ebenfalls erfüllte74, darüber hinaus in der praktischen Sorge für Kultus und Kirche sowie in Werken der christlichen Barmherzigkeit, wie 794 von italischen Bischöfen unter der Federführung des Paulinus von Aquileja hervorgehoben worden ist75, mithin ganz allgemein durch Vorbildfunktion und konkrete Anweisungen für eine christliche Lebensführung (wie sie in den Kapitularien der karolingischen Herrschers zu finden sind) nahm das ,königliche Priestertum‘ Gestalt an und manifestierte sich eine eigene seelsorgerische Funktion des Herrschers76. Von daher wird es auch verständlich, wenn Notker Balbulus Karl den Großen gegen Ende des 9. Jahrhunderts als

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Concilia Galliae A. 511- A. 695, hg. von C. de Clercq, Corpus Christianorum SL 148a, 1963, S. 4. 68 Opera poetica, hg. von F. Leo, MGH AA IV 1, S. 40 (Nr. 10, V. 21). 69 Libri Historiarum X, hg. von B. Krusch und W. Levison, MGH SS rer. Merov. I 1, 1937 – 1951, S. 441 (IX 21): rex acsi bonus sacerdus; sacerdus Domini. 70 Epistolae aevi Merowingici Nr. 3, ed. W. Gundlach, Corpus Christianorum SL 117, 1958, S. 494: quasi sacerdos in hoc saeculo conversatus est. 71 MGH Epist. III, hg. von W. Gundlach, 1892, S. 561. 72 Adversus Elipandum, ed. Migne PL 101, 1851, S. 251 D. 73 Vgl. dazu auch Wallace-Hadrill, Kingship (wie Anm. 11), S. 101 f. 74 Vgl. M. Minninger, Heinrichs III. interne Friedensmaßnahmen und ihre etwaigen Gegner in Lothringen, in: Jb. für westdt. Landesgeschichte 5 (1979) S. 33 – 52. 75 Vgl. den Libellus sacrosyllabus episcoporum Italiae, hg. von A. Werminghoff, MGH Conc. II 1, Hannover und Leipzig 1906, S. 130 – 142, bes. 142. 76 Vgl. Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 18), S. 22 f.; ders., Vicarius Christi (wie Anm. 7), S.36 ff.

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episcoporum episcopus77 vorstellt und in einigen sich seit dieser Zeit ausbildenden Krönungsordines darauf hingewiesen wurde, daß der König Anteil habe am Bischofsamt. Auch durch den um 962 geschaffenen Mainzer Ordo wird diese Aussage den konsekrierenden Bischöfen in den Mund gelegt, da sie den König beim Aufsetzen der Krone daran erinnern, daß er ein Teilhaber ihres Amtes sei78. Selbst noch in dem seit 1309 im Reich benutzten Ordo79 findet sich dieser Hinweis, wenn auch in einer abgewandelten Form, die möglicherweise keine Textverderbnis darstellt, sondern eine bewußte Steigerung der ursprünglichen Aussage, denn nun sprechen die Bischöfe den König nicht mehr nur als particeps, sondern gar als princeps ihres ministerium an80, wobei die eigens für die Krönung Friedrichs III. angelegte Ordohandschrift aus dem Jahre 144281, die der bei der Königsweihe assistierende Propst Tilmann Johel von St. Florin in Koblenz mit eigenhändigen Bemerkungen versah, die Verkündung dieser Behauptung noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts zweifelsfrei belegt. Seinen sazerdotalen Charakter hat der König demnach auch im späten Mittelalter nicht verloren. Allerdings unterlag dieser einem spürbaren Wandlungsprozeß82, denn seit dem 11. Jahrhundert und besonders seit dem sog. Investiturstreit waren weltliche und geistliche Sphäre immer deutlicher von einander geschieden und der Herrscher aus dem engeren Bereich des Sacerdotium verdrängt worden. Als ,Priester der Gerechtigkeit‘83 jedoch – als der sich schon im 6. Jahrhundert der oströmische Kaiser Justinian verstand84 – blieb er ihm eng verbunden, denn als irdischer Vollstrecker göttlicher Gerechtigkeit leistete er einen Beitrag zur Errettung der menschlichen Seele, hatte er Anteil an der gesellschaftlich-sazerdotalen Aufgabe der Seelenleitung85. Daher konnte noch Friedrich III. im Jahre 1440 daran erinnert werden, daß er mit seiner Wahl zum König ein regale sacerdotium empfange, und zwar a domino tanquam Aaron86. Seit der Kaiserkrönung Ludwigs des 77

Notkeri Gesta Karoli Magni, hg. von H. F. Haefele, MGH SS rer. Germ. NS 13, Berlin 1959, S. 33 (I 25). 78 Vogel / Elze (wie Anm. 28) I, S. 257: participem ministerii nostri. 79 Vgl. Goldinger, Das Zeremoniell (wie Anm. 28), S. 104 und 110. 80 Coronatio Aquisgranensis, hg. von Johann Heinrich Pertz, MGH Leges in folio II, Hannover 1837, S. 384 – 392, hier 389: principem ministerii nostri. 81 Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III., Zweite Abt.: 1441 – 1442, 1. Hälfte, hg. von Hermann Herre, Deutsche Reichstagsakten 16, Stuttgart 1928, S. 181 (Nr. 12). 82 Vgl Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 7), S. 23 – 52. 83 Vgl. H. Houben, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, 1997, S. 142 f., sowie F.-R. Erkens, Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘, in: ZBLG 66 (2003) S. 795 – 818. 84 Dig. I 1, 1, ed. Th. Mommsen, Corpus iuris civilis I, 1895, 1: nos sacerdotes appellet: iustitiam namque colimus. 85 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 7), S. 47 – 51. 86 Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III., Erste Abt.: 1440 – 1441, hg. von Hermann Herre, Deutsche Reichstagsakten 15, Gotha 1914, S. 184 (Nr. 106: Ansprache des Vertreters des Kurfürstenkollegs [Dr. Heinrich Leubing] an Hzg. Friedrich von Österreich).

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Bayern im Jahre 1328 wurde diese Nähe zum Priestertum zudem dadurch betont, daß sich der Herrscher auf seinem Majestätssiegel nach Art der Priester und Bischöfe mit Stola und Pluviale bekleidet darstellen ließ87. Mithin läßt sich vom frühen bis zum späten Mittelalter die Vorstellung von der Priesterähnlichkeit des christlichen Herrschers – wenn auch in sich wandelnden Formen – greifen. Anders als in vorchristlicher Zeit, als der König den Kult selbst vollziehen konnte, durfte er nach der Annahme des Christentums zwar keine liturgischen Handlungen vornehmen, aber es blieb ihm eine allgemeine Sorge für Kirche und Gottesdienst erhalten und wuchs ihm zugleich eine seelsorgerische Verantwortung für das seiner Obhut anvertraute Volk zu. Die durch das Nahverhältnis zu Gott begründete sakrale Aura des christlichen Herrschers wurde dadurch natürlich enorm verstärkt. III. Königsheil Die Vorstellung von einem besonderen Heil oder Glück der heidnisch-germanischen Könige ist ebenso umstritten wie das germanische Sakralkönigtum selbst. Zwar gibt es Nachrichten über das Königsheil in den Quellen, aber diese stammen für die frühe Zeit naturgemäß von nichtgermanischen Autoren, entspringen also einer Fremdwahrnehmung, während die späteren Aufzeichnungen hauptsächlich von christlich-antikem Gedankengut berührt und verformt sein können. Manche Äußerungen in den Quellen sind zudem nur dann als Hinweis auf das Königsheil zu verstehen, wenn man von diesem schon ein Vorverständnis besitzt. Das aber bedeutet: Man hat, wenn man sich über die Existenz germanischer Königsheilvorstellungen Gewißheit verschaffen will, zunächst nach Belegen Ausschau zu halten, die eine entsprechende Ideenwelt ohne besondere Interpretationsanstrengungen erkennen lassen. Eine Musterung zuerst der südgermanisch-kontinentalen Überlieferung88 ist in diesem Zusammenhang ernüchternd, denn sie führt deutlich vor Augen, wie spärlich solche Hinweise sind. Der früheste und im Grunde auch einzige aussagekräftige Beleg stammt von dem römischen Geschichtsschreiber griechisch-syrischer Herkunft Ammianus Marcellinus, der in seinen um 380/390 entstandenen Res gestae89 über die Burgunder berichtet, daß ihr oberster Priester sinistus heiße und ihr König (rex) hendinos genannt werde, der – wie es bereits bei den Ägyptern üblich gewesen sei – nach altem Brauch abgesetzt werde, wenn ihn das Kriegsglück (fortuna belli) verlasse oder der Boden keine Früchte trage (segetum copiam negaverit terra). Schenkt man dieser 87 Vgl. F.-R. Erkens, Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae, Praha 2003, S. 29 – 44. 88 Vgl. dazu Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 282 – 292. 89 Ed. W. Seyfarth, Vierter Teil (Buch 26 – 31) (Schriften und Quellen der Alten Welt 21/4), Berlin (Ost) 1971, S. 134 (XXVIII 514).

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Stelle Vertrauen und geht davon aus, daß Ammian hier einen burgundischen Brauch wirklich richtig wiedergibt – was ja nicht unbedingt der Fall sein muß, da möglicherweise schon der Verweis, auf die ägyptische Gewohnheit nicht zutrifft, weil die Beseitigung von schlechten Herrschern nach der Demotischen Chronik90, auf die sich Ammian vielleicht bezieht, wohl Sache der Götter und nicht der Menschen war –, gesteht man Ammians singulärer Nachricht trotzdem historische Korrektheit zu, dann kann der Zusammenhang zwischen Königtum und Erntesegen bzw. zwischen Mißernte und Königsabsetzung in der Tat vor allem durch Königsheilvorstellungen erklärt werden91 – doch läßt sich letzte Sicherheit dabei nicht gewinnen. Alle anderen Belege, etwa die schon erwähnte Äußerung des Avitus von Vienne in seinem Schreiben an den getauften Chlodwig über felicitas und sanctitas92 oder die Nachrichten über das lange Haupthaar der Merowinger, dessen Verlust die Unfähigkeit anzeigte, die Königsgewalt auszuüben93, bezeugen keinesfalls zwingend heidnisch-germanische Vorstellungen, sondern können auch anders erklärt werden94. Selbst der kleine, schon als König anerkannte Chlothar II. muß 592 von seiner Mutter Fredegunde nicht deshalb mit in die Schlacht geführt worden sein95, weil er als Träger des Königsheils ein Garant des Kriegsglücks war, sondern weil die Anwesenheit des Herrschers, dem man sich verpflichtet hat und für den man kämpft, bekanntermaßen emotional beflügelt und sich somit im Kampfeinsatz auswirken kann. Auch der durch Gregor von Tours bezeugte Glaube an die Heilfähigkeit des merowingischen Königs Gunthram96, die sich daran gezeigt haben soll, daß eine Frau einige unbemerkt vom Mantel des Königs abgetrennte Fransen in Wasser gelegt und ihren an Fieber schwer erkrankten Sohn durch Einflößen des so entstandenen Trankes geheilt habe, muß nicht (oder zumindest nicht ausschließlich) in heidnischen Königsheilvorstellungen wurzeln, wie freilich immer wieder behauptet worden ist97. Der Zusammenhang von Gregors Darstellung ist nämlich aufschlußreich: Gunthrams Heilfähigkeit wird in dem selben Kapitel erwähnt, in dem auch die Frömmigkeit und Priestergleichheit des Merowingers geschildert wird98. Sie ist demnach hauptsächlich Ausfluß einer sehr christlichen Gesinnung und zugleich 90 Vgl. H. Felber, Die Demotische Chronik, in: A. Blasius / B. U. Schipper (Hg.), Apokalyptik und Ägypten. Eine kritische Analyse der relevanten Texte aus dem griechisch-römischen Ägypten, 2002, S. 65 – 111, bes. 82, und J. Assmann, Ägypten. Eine Sinngeschichte, 1999, S. 419 – 422. 91 Vgl. Wolfram, Fortuna (wie Anm. 15), S. 13. 92 Vgl. Anm. 14. 93 Vgl. Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 284 – 289. 94 Vgl. Graus, Volk (wie Anm. 13), S. 313 – 334. 95 Liber Historiae Francorum, hg. von B. Krusch, MGH SSS rer. Merov. II, 1888, S. 215 – 328, bes. 305 (c. 36). 96 Hist. IX. 21 (wie Anm. 69) S. 441 f. (c. 21). 97 Vgl. etwa Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 290. 98 Vgl. Anm. 69.

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individuelles Merkmal eines äußerst frommen Königs, der deshalb schon zu Lebzeiten das vermochte, was der von dem Merowinger Chlodomer 523 in Gefangenschaft umgebrachte und schon am Ende des 6. Jahrhunderts als Heiliger verehrte burgundische König Sigismund nach seinem Tode ebenfalls konnte: nämlich Kranke vom Fieber heilen99. Die Fähigkeit zur Krankenheilung, eine Herrschergabe, die zuvor in der römischen Antike nur noch den Kaisern Vespasian und Hadrian zugeschrieben worden ist100, wird zudem in den anderen (angeblichen) Zeugnissen vom Königsheil – wie etwa in Ammians Bericht über die Burgunder – niemals erwähnt. Das Königsglück wirkt sich vielmehr immer zum allgemeinen Wohl des Volksverbandes in Krieg und Frieden aus, keinesfalls jedoch unmittelbar auf die Gesundheit von einzelnen. Der Bericht Gregors von Tours über Gunthrams Heilkraft ist daher ohne Zweifel sehr stark von christlichen Anschauungen geprägt und allenfalls, wenn überhaupt, nur ein indirektes Zeugnis für die Existenz eines Königsheils, das alle Merowinger ausgezeichnet haben könnte. Wohl aber zeigt er, wie sehr sich herrscherliche Heilsfähigkeiten in den christlichen Vorstellungshorizont einordneten und von diesem aus einen religiösen Sinn erhielten; dem Bischof von Tours bereitete es daher auch überhaupt keine Schwierigkeiten, selbst an Gunthrams Heilkraft zu glauben, wie er ausdrücklich betont. Um die Bezeugung von germanischen Königsheilvorstellungen in frühen Quellen des Kontinents steht es mithin nicht besonders gut, und dies wird kaum anders, wenn man die nordgermanische Überlieferung betrachtet. Die in der Regel101 angeführten Belege für besonders ausgeprägte Königsheilvorstellungen der Nordgermanen sind nämlich gar nicht so eindeutig102, wie immer wieder angenommen wurde. Es handelt sich dabei um Nachrichten über die Opferung von Königen, um sagenhafte Erzählungen, die sich keinesfalls um historische Persönlichkeiten ranken, aber als Ausdruck einer realen Mentalität des Regizids gedeutet werden können. Träfe dieses Verständnis zu, wären sie unanfechtbare Zeugnisse für existierende Königsheilvorstellungen. In späten Berichten103, von denen nur einer, nämlich der von Snorri Sturluson, zugleich auch von anhaltenden Mißernten spricht, wird das Ende des schwedischen Königs Domaldi geschildert, der von seinen Kriegern geopfert wurde, um den Ernteertrag zu steigern. Warum dieses Königsopfer aber eine Verbesserung der 99 Vgl. R. Folz, Zur Frage der heiligen Könige: Heiligkeit und Nachleben in der Geschichte des burgundischen Königtums, in: DA 14 (1958) S. 317 – 34, bes. 324 ff. 100 Vgl. Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 9), S. 11 f. 101 Vgl. etwa W. Grönbech, Kultur und Religion der Germanen, 2 Bde., 121997 (11931), hier I, S. 142; G. Dumézil, Mythes et Dieux des Germains. Essai d’interpretation comparative, 1939, S. 51 ff.; de Vries, Das Königtum bei den Germanen (wie Anm. 11), S. 293 f.; Höfler (wie Anm. 24) I, S. 88. 102 Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 240 – 258, sowie Baetke (wie Anm. 1) S. 19 – 38. 103 Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 240 f., und Baetke (wie Anm. 1), S. 51 ff.

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Ernte bewirken konnte, wird nirgends gesagt. Wurde hier der Sakralkönig getötet, der seine Kraft, sein Heil verloren hatte? Oder wurde der für den Kult verantwortliche Herrscher hingerichtet, weil seine Kulthandlungen ohne Erfolg blieben, weil gar eine Nachlässigkeit im Vollzug des Kults Mißernten provoziert hatte104 und die Götter daher versöhnt werden mußten? Die Hinweise zur Beantwortung dieser Fragen sind spärlich, aber der Umstand, daß ein Opfer vollzogen wurde, um die Götter günstig zu stimmen und dadurch die Ernte zu verbessern, spricht ebenso gegen die Vorstellung, der Verlust von Königsheil sei schuld an der Mißernte gewesen105, wie die unbestrittene Verantwortung des Königs für den Kult, die den Herrscher nicht zuletzt an wichtigen, Ernte und Frieden beeinflussenden Kalenderfesten tätig werden ließ beim Vollzug des Opfers106. In der zweiten, ein Königsheil angeblich ebenfalls bezeugenden Nachricht, die vom Tode des Königs Óláfr trételgia (Olafs des Waldroders) von Uppsala handelt, wird das Fehlverhalten des Herrschers, das zu seiner Opferung führte, zudem direkt angesprochen: die Vernachlässigung des Kults107. Von einem ,magischen‘ Königsheil (und dessen Verlust) ist hier – ebenso wie in anderen als Beleg für dessen Existenz herangezogenen Quellen – nichts zu spüren, und schon gar nicht sind die Selbstmorde des historischen Gotenkönigs Ermanrich108 und des mythischen Dänenkönigs Hadding109 wirklich überzeugend als rituelle Selbstopfer zu deuten. Ebensowenig kann das selbstsüchtige Verhalten des sagenhaften Königs Aun von Uppsala, der etliche seiner Kinder opferte, um sein Leben zu verlängern110, eine von den Nordgermanen geübte Praxis des rituellen Königsmords und – letztlich damit zusammenhängend – Vorstellungen vom Königsheil belegen111. Aus der Zeit der Christianisierung Skandinaviens schließlich wird – freilich gleichfalls nur in späteren Quellen – berichtet, daß die zum Christentum übergetretenen Könige 104

Vgl. Baetke (wie Anm. 1) S. 51 – 68. Vgl. ebd. S. 52 ff., und Sundqvist, Freyr’s offspring ( wie Anm. 30), S. 249 f. 106 Vgl. H. Steuer, in: RGA 26 (22004) S. 183 – 207 (§ 3 Die arch. Perspektive), hier: S. 191 f. 107 Vgl. Baetke (wie Anm. 1) S. 66, und Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 251 f. 108 Vgl. O. Gschwantler, Ermanrich, sein Selbstmord und die Hamdirsage. Zur Darstellung von Ermanrichs Ende in Getica 24, 129 f., in: F. Daim / H. Wolfram (Hgg.), Die Völker der mittleren und unteren Donau im 5. und 6. Jahrhundert, 1980, S. 187 – 204, bes. 195 ff. 109 Vgl. Höfler, Sakralkönigtum (wie Anm. 24) I, S. 107 ff.; Höfler, Der Sakralcharakter (wie Anm. 30), S. 135; G. Dumézil, La saga de Hadingus (Saxo Grammaticus I, V-VIII). Du mythe au roman, 1953, S. 135. 110 Vgl. Dumézil, Mythes et Dieux (wie Anm. 101), S. 57 ff. 111 Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 253 – 258, gegen etwa de Vries, Das Königtum bei den Germanen (wie Anm. 11), S. 294; darüber hinaus ist auch zu bedenken, daß die Selbstopferung des römischen Konsuls Decius in einer kritischen Situation der Schlacht gegen die Latiner und die versprochene Opferung der unterlegenen Gegner, von denen Livius berichtet (VIII 9, vgl. dazu M. Eliade, Geschichte der religiösen Ideen II, 2002 [frz. 1978], S. 108), bezeichnenderweise noch nie als Indiz für ein besonderes Heil des römischen Magistrats herangezogen worden ist. 105

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mit Absetzung oder Tod bedroht worden seien, weil sie den traditionellen Kult nicht mehr vollzogen112 ; von der Sorge um eine Minderung der Heilsgarantie für das Volk durch Verlust von Königsheil hingegen ist in diesen Berichten nichts zu spüren. In diesen Zusammenhang paßt ganz gut noch eine weitere Beobachtung: Die beiden schon zum Christentum bekehrten Könige Norwegens Hákon der Gute und Olaf Tryggvason wurden im 10. Jahrhundert von den noch heidnischen Bewohnern des Landes gebeten, die traditionellen Kulthandlungen ,der guten Ernte und des Friedens wegen‘ vorzunehmen113. Daß die Könige Christen waren, scheint die Heiden dabei kaum gestört zu haben; wichtig war für sie lediglich der Kultvollzug in üblichen Formen. Dieser bildete mithin das Zentrum ihres Sakraldenkens und erscheint deshalb als Garant von Ernteglück und Frieden. Die bloße Anwesenheit der Könige als Träger eines besonderen Heils scheint dabei keine Rolle gespielt zu haben, zumindest lassen sich entsprechende Vorstellungen darüber nicht greifen. Da man sich über den möglichen Verlust eines (gleichsam magischen) Königsheils paganer Prägung, den der Übertritt zum Christentum wohl auch in den Augen der Heiden bewirkt haben mußte, offenbar überhaupt keine Gedanken machte, liegt es nahe anzunehmen, daß es ein solches Königsheil gar nicht gegeben hat. Eine restlose Klärung dieses Problems wird wohl nie zu erreichen sein, aber insgesamt spricht doch wesentlich mehr gegen als für die Existenz eines nordgermanischen Sakralkönigtums, das auf einem stark magisch oder quasigöttlich fundierten Königsheil beruhte. Das heißt aber nicht, es habe in Skandinavien kein sakrales Königtum gegeben. Die divine Abstammung sowie der Vollzug wichtiger, das Wohl des Volkes betreffender Kulthandlungen stellen den skandinavischen Herrscher vielmehr in starke sakrale Bezüge, lassen ihn in Krieg und Frieden zum Vermittler des von den Göttern gewährten Heiles werden und zeigen ihn damit in einem ausgesprochenen Nahverhältnis zum Numinosen, mithin als sakralen König. Daß einzelne Vertreter eines in diesem Sinne sakralen Königtums als Individuen mit einem besonderen Glück ausgestattet galten, das sich natürlich wieder zum Heil einer größeren Gemeinschaft auswirken konnte, lassen die Quellen darüber hinaus durchaus erkennen114, doch gehörten diese unter dem Individualaspekt noch einmal eigens durchmustert. Wenn etwa der norwegische König Halfdan svarti als besonderer Garant für das ,Ernteheil‘ galt und sein Leichnam daher – nach Art einer christlichen Reliquie115 – in vier Teile zerlegt wurde, um in den vier Teilen des Reiches beigesetzt werden zu können, damit hier das Heil des verstorbenen Königs

112 Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 181 – 184, und etwa Magistri Adam Bremensis Gesta Hammaburgensis ecclesie pontificum, hg. von Bernhard Schmeidler, MGH SS rer. Germ. in usum scholarum [2.], Hannover / Leipzig 1917, S. 259 (IV 27, Scholion 140). 113 Vgl. Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 184 ff. 114 Vgl. Grönbech (wie Anm. 101) I, S. 135 – 138; R. v. Kienle, Germanische Gemeinschaftsformen, 1939, S. 285 – 288. 115 Vgl. v. See, Kontinuitätstheorie (wie Anm. 1), S. 46.

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auch noch nach dessen Tod weiterwirke116, dann zeugt dies weniger von einem allen Königen innewohnenden Heil als von einer individuellen Fähigkeit. Insgesamt lassen sich daher bei den verschiedenen germanischen Völkern Sakralvorstellungen belegen, für die sich über alle anzunehmenden Wandlungen im Königtum hinweg117 sowohl in der Antike118 als schließlich auch im Christentum Entsprechungen finden. Die Adaption einer christlich geprägten Vorstellungswelt über die Herrschersakralität konnte sich daher bei den Germanen problemlos vollziehen. Wenn man die Vorstellung von einem magischen oder göttlichen119 Heil aufgibt, das die Germanenkönige auf wundersame Weise mit den Kräften der Natur und des Schicksals verbunden haben soll, und statt dessen von einem Konnex zwischen diesen Bezugspunkten ausgeht, der einerseits in der Sakralität des Herrschers, seiner Nähe zu den Göttern, gründet, anderseits aber entscheidend bestimmt wird vom erfolgreichen Vollzug des Kultes durch den Herrscher, dann ergibt sich – im Gegensatz zur bisher vorwaltenden Auffassung120 – eine strukturelle Vergleichbarkeit des germanischen Verständnisses vom Königtum mit der keltisch-irischen Anschauung121, wie sie in der volkssprachlichen Tecosca-Literatur Irlands122, vor allem aber in dem zwischen 625 und 725 entstandenen, im Mittelalter häufig dem 258 verstorbenen Cyprian von Karthago zugeschriebenen (deshalb: ,Pseudo-Cyprian‘), in lateinischer Sprache verfaßten und äußerst wirkmächtigen Traktat „Über die zwölf Mißbräuche der Welt“123 dokumentiert ist. Nach irischer Auffassung hing das Wohl des Volkes nämlich vom rechten Handeln des Königs ab. Diese offenkundig in einem paganen124 Königsverständnis gründenden Anschauungen125 sind im ,Neunten Mißbrauch‘, in den Ausführungen über den ungerechten, d. h.: in irgend116

Vgl. de Vries, Das Königtum bei den Germanen (wie Anm. 11), S. 294 f. Vgl. Wolfram, Die Germanen (wie Anm. 33), S. 64 ff.; ders., The Shaping of the Early Medieval Kingdom, in: Viator 1 (1970) S. 1 – 20; Schlesinger (wie Anm. 57). 118 Vgl. etwa nur die salus Augusta (Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte [wie Anm. 53] I, S. 98 und dazu 91) oder die felicitas imperatoria (Wolfram, Fortuna [wie Anm. 15], S. 10 ff.). 119 Vgl. de Vries, Das Königtum bei den Germanen (wie Anm. 11), S. 296. 120 Vgl. H. H. Anton, Pseudo-Cyprian. De duodecim abusivis saeculi und sein Einfluß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel, in: H. Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter II, 1982, S. 568 – 617, bes. 590 f. 121 Vgl. dazu Sundqvist, Freyr’s offspring (wie Anm. 30), S. 252. 122 Vgl. M. Draak, Some Aspects of Kingship in Pagan Ireland, in: La regalità sacra (wie Anm. 8), S. 651 – 663; F. J. Byrne, Irish Kings and High-Kings, 1973, S. 24 f. 123 Vgl. S. Hellmann (Hg.), Pseudo-Cyprianus De XII abusivis saeculi, 1910; WallaceHadrill, Kingship (wie Anm. 11), S. 55 ff.; Byrne, Irish Kings (wie Anm. 122), S. 25 f.; Anton, Pseudo-Cyprian (wie Anm. 120); Richter, Irland (wie Anm. 56), S. 90 f. 124 Vgl. Draak, Some Aspects (wie Anm. 122), S. 651 ff.; D. A. Binchy, Celtic and AngloSaxon Kingship, 1970, S. 9 ff., Byrne, Irish Kings (wie Anm. 122), S. 24. 125 Vgl. etwa Morands Fürstenspiegel, ed. und übers. R. Thurneysen, Morands Fürstenspiegel, in: Zs. f. celtische Philologie 11 (1917) S. 56 – 106 (bes. 99 – 102); ed. und übers. A. Ahlqvist, Le Testament de Morann, in: Études Celtiques 21 (1984) S. 151 – 170 (bes. S. 154 – 161). 117

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einer Weise falsch und unrecht handelnden König (rex iniquus), schon in einen spürbaren christlichen Zusammenhang gestellt, soll der die Gerechtigkeit übende Herrscher doch nicht nur für Friede, Recht und öffentliche Sicherheit sorgen, sondern auch die Kirchen verteidigen und immer auf Gott vertrauen sowie Beten und den rechten Glauben (fidem catholicam) an Gott besitzen. Ein Fehlverhalten des Königs hat mannigfache schlimme Folgen für ihn selbst und seine Familie, denn seine Kinder verblöden und können die Herrschaft nicht fortsetzen; es führt aber auch zu üblen Konsequenzen für das ganze Volk, bewirkt es doch Krieg und Unfrieden, Ernteeinbußen und Unwetter, während die ,Gerechtigkeit des Königs‘ dem Volke Frieden bringt und Wohlstand sowie dem Land Sicherheit und Ruhe, den Erschöpften Hilfe und den Armen Trost. Auch die Naturgewalten werden durch sie besänftigt, das Klima wird mild durch sie und das Meer heiter. In einem ganz anderen Maße als die nordgermanischen Quellen lassen diese Ausführungen aus dem christlichen Irland des frühen Mittelalters eine innere Verbindung zwischen dem König, seinem Verhalten als Mensch und Herrscher, der Ordnung in der Gesellschaft und den Äußerungen der Natur erkennen. Es ist auch hier keine magische Kraft, die das alles bewirkt, oder eine göttliche Qualität des Königs, sondern es ist das Eingebundensein des Herrschers in eine umfassende Ordnung, die er an herausgehobener Stelle repräsentiert und mitträgt, die er daher aber auch durch falsches Handeln und Nachlässigkeit verwirren und gefährden kann, wobei er dann das ganze Volk ins Unglück stürzt. Diese Konsequenz königlichen Fehlverhaltens wird zwar von dem irischen Autor nicht ausdrücklich als Strafe Gottes erklärt, konnte aber zumindest von Christen so verstanden werden. Daß ein Herrscher, der in so großem Maße für die Aufrechterhaltung der Gesamtordnung verantwortlich gewesen ist und mit seinen Verfehlungen sein Seelenheil aufs Spiel setzte, eine sakrale Dimension besaß, steht wohl außer Zweifel, aber ein Sakralkönig war auch er nicht. Ebensowenig ist er der Träger eines genuinen, aus sich heraus wirksam werdenden Königsheils gewesen, so sehr er durch sein gleichsam metaphysisches Eingebundensein in den Wirkmechanismus von Natur und Schicksal auch das Wohlergehen seines Volkes zu beeinflussen vermochte. Wohl aber waren – völlig anders als bei den germanischen Anschauungen, deren (mit einem gleichsam unspezifischen und offenbar als unwandelbar verstandenen ,Volksbewußtsein‘ begründete) Dauerhaftigkeit von der Forschung häufig angenommen oder zumindest vorausgesetzt worden ist126, – mit dieser bereits von christlichem Gedankengut durchdrungenen Lehre aus Irland eindrucksvolle Vor126

Vgl. Höfler, Der Sakralcharakter (wie Anm. 30), S. 88 – 94; K. Hauck, Geblütsheiligkeit, in: B. Bischoff / S. Brechter (Hgg.), Liber Floridus. P. Lehmann z. 65. Geb. gewidmet, 1950, S. 187 – 240; ders., Die geschichtliche Bedeutung der germanischen Auffassung von Königtum und Adel, in: Rapports du XIème Congrès International des Sciences historiques 1960, Bd. I, 1960, S. 96 – 120, bes. 106 ff.; Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 301 f. und 320 – 324; M. Blattmann, Ein Unglück für sein Volk? Der Zusammenhang zwischen Fehlverhalten des Königs und Volkswohl in den Quellen des 7.– 12. Jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien 30 (1996) S. 80 – 102.

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stellungen zu Pergament gebracht worden, die zwar starke heidnische Wurzeln aufweisen127, auf dem bereits christlich gewordenen Kontinent aber trotzdem leicht rezipiert werden konnten und deshalb eine ungeheure Nachwirkung besaßen. Über 200 Handschriften des Textes oder von dessen für das Königtum zentralen Teilen haben sich aus dem gesamten Mittelalter erhalten128, in die Collectio Hibernensis, die auf den Kontinent ausstrahlende irische Kirchenrechtssammlung, ist er eingegangen, Beda Venerabilis129 und Bonifatius haben sich ebenso auf ihn gestützt und seine Gedanken übernommen wie alle wichtigen – wenn man so sagen darf – ,Herrschaftstheoretiker‘ der Karolingerzeit130 : Cathwulf, Alkuin, Jonas von Orléans, Sedulius Scottus und nicht zuletzt auch Hinkmar von Reims. Zusammen mit Isidors von Sevilla Lehren über das Königtum131, die auch schon auf Pseudo-Cyprian selbst einwirkten, wurde der irische Traktat für das 9. Jahrhundert zu einer repräsentativen Schrift über das Königtum und konnte daher den kommenden Jahrhunderten eine deutliche Vorstellung vermitteln von der Verantwortung des Herrschers vor Gott, die nunmehr stark betont wurde132, und von den negativen Einflüssen des herrscherlichen Fehlverhaltens auf das Gemeinwohl – der Reimser Erzbischof Hinkmar etwa (um nur ein Beispiel anzuführen) drückte dies in seiner Abhandlung ,De regis persona et regio ministerio ad Carolum Calvum regem‘ mit den Worten aus133 : Qui vero regnum non secundum hanc legem dispensat, multas nimirum adversitates imperii tolerabit. Idcirco enim pax saepe populorum rumpitur, et offendicula etiam de regno suscitantur, terrarum quoque fructus diminuuntur et servitia populorum praepediuntur, multi et varii dolores prosperitatem regni inficiunt, charorum et liberorum mortes tristitiam conferunt, hostium incursus provincias undique vastant, bestiae armentorum et pecorum greges dilacerant, tempestates veris et hiemis turbantur, terrarum quoque fecunditatem et maris ministeria prohibent, et aliquando fulminum ictus segetes et arborum flores et pampinos excurunt. Daß im Umkehrschluß dazu das richtige Verhalten des Königs, die Übung der ,iustitia‘, das Wohlergehen des Volkes sicherte, verweist – es sei noch einmal ausdrücklich betont – keinesfalls auf ein genuines oder ,magisches‘ Heil des Königs, die vermeintliche ,Heilskraft‘ resultiert ja ausschließlich aus dem metaphysische Verbindungen schaffenden Nahverhältnis zu Gott und wohnt dem Herrscher nicht einfach nur inne. Trotzdem kann der (gerechte) König damit zum Heilsträger für sein Volk werden. Daß diese Überzeugung in der Vorstellungswelt des einfachen 127

Vgl. Draak, Some Aspekts (wie Anm. 122). Vgl. Anton, Pseudo-Cyprian (wie Anm. 120), S. 605 f. 129 Vgl. Wallace-Hadrill, Kingship (wie Anm. 11), S. 76 und 95 ff. 130 Vgl. Anton, Pseudo-Cyprian (wie Anm. 120), S. 597 – 615. 131 Vgl. Wallace-Hadrill, Kingship (wie Anm. 11), S. 53 ff. 132 Vgl. H. H. Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, 1968, S. 404 – 419. 133 Migne PL 125, S. 835 f. 128

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Volks ebenfalls verwurzelt war, dafür gibt es – auch wenn sich neben ihr andere Anschauungen entwickelten134 – einige Hinweise135. Wenn Widukind von Corvey dem Ende 918 sterbenden König Konrad I. die Worte vom Verlust von fortuna atque mores in den Mund legt, weswegen das Königtum an den glückhaften Sachsenherzog Heinrich übergehen müsse136, dann wird hierbei zwar die uralte, gerade auch in der Antike wirksame Ansicht vom ,Herrscherglück‘ bemüht, doch kann man, gerade weil Sallust dabei das Vorbild lieferte137, von dieser Äußerung nicht zwingend auf eine noch aus germanischer Frühzeit her wirksame Königsheilvorstellung schließen138 ; der Gesamtzusammenhang der Erzählung, vor allem der Hinweis auf den für den Herrscher selbst wirksam werdenden Verlust des ,Glücks‘, verweist an dieser Stelle zudem wesentlich stärker auf antike Traditionen als auf eine germanische Ideenkontinuität. Ohne Zweifel jedoch liefert Widukind mit seinen Ausführungen ein Zeugnis für eine wohl weiter verbreitete, wenn auch von den Quellen meist nicht näher oder gar nicht erfaßte Anschauung von der ,Glück‘ und ,Heil‘ besitzenden und diese damit auch anderen Menschen bringenden Person des Königs. Eine solche Heilsvorstellung wurzelte keinesfalls ausschließlich oder gar vorrangig in der germanischen Ideenwelt, sondern gehört spätestens seit dem Hellenismus139 zum Gemeingut der europäischen Geschichte140; sie dürfte vom einfachen Volk, anders als von den geistlich gebildeten Autoren der Karolingerzeit, freilich nur unreflektiert und gedanklich kaum ausdifferenziert aufgegriffen worden sein und eine Mischung verschiedener Elemente dargestellt haben, von denen die antik-christlichen wahrscheinlich wesentlich stärker waren als die heidnisch-germanischen. Im Kern besagte sie: Die Anwesenheit des Herrschers bringt Glück. Erst spät jedoch, erst im 11. und 12. Jahrhundert gibt es etwas deutlichere Spuren von diesem Volksempfinden. Berühmt ist die ereignisnahe Schilderung Sigeberts von Gembloux in seiner Chronik über die Vorgänge bei der Beisetzung und am Grab des im Kirchenbann verstorbenen Kaisers Heinrich IV.141. Bauern nahmen Erde vom Grab des Herrschers und verstreuten sie auf ihren Äckern oder legten Getreidekörner auf den 134

Vgl. Blattmann, Ein Unglück (wie Anm. 126). Vgl. dazu – wie zum folgenden – Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 292 – 305, von dessen als Belege für Königsheilvorstellungen angeführten Quellen die meisten nach den bisherigen Ausführungen jedoch nicht tragfähig sind. 136 Widukini monachi CorbeiensisRerum gestarum Saxoniacarum libri III, hg. von H.-E. Lohrmann und P. Hirsch, MGH SS rer. Germ. in usum scholarum [60.], 51935, S. 38 (I 25). 137 Vgl. H. Beumann, Widukind von Korvei. Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts, 1950, S. 237 mit Anm. 4 und S. 252 ff. 138 Vgl. dazu Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 297 f. 139 Vgl. H. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens I. Die Griechen: 2. Von Platon bis zum Hellenismus, 2001, S. 269 ff. 140 Vgl. etwa Wolfram, Fortuna (wie Anm. 15); Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 18), S.16 ff. 141 MGH SS 6, 371 f. 135

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Sarkophag und mischten diese anschließend unter die Aussaat – alles in der Hoffnung auf Steigerung des Ernteertrags. Daß sie sich Erntesegen von der Nähe zum König erwarteten ist mithin unverkennbar. Daß dieser Segen jedoch, wie behauptet worden ist142, nur von einem toten Herrscher kommen konnte, der damit gleichsam die Rolle eines als Reliquie präsenten Heiligen übernahm, trifft hingegen nicht zu, denn schon 1081 soll die Landbevölkerung Heinrich IV. entgegengeeilt sein, als dieser von Pisa nach Lucca zog, und seine Kleider berührt haben, um auf diese Weise die Hände ,glückhaft‘ und das von ihnen ausgesäte Korn fruchtbar zu machen143. Auch König Waldemar I. von Dänemark machte, als er 1162 auf seiner Reise durch das Reich nach Metz kam, eine ähnliche Erfahrung wie 80 Jahre zuvor Heinrich IV. in den Gefilden von Lucca144. Die ,abergläubische‘ Vorstellung von besonderen Heilskräften des persönlich anwesenden Herrschers war demnach im Bewußtsein der einfachen Bevölkerung tief verwurzelt. Die Metzer Mütter hofften sogar, ihren Kindern durch die Berührung mit dem fremden König ein glückliches Schicksal sichern zu können, wobei dieses, und das ist wichtig für die christliche Deutung des Vorgangs, nicht nur aufgrund des körperlichen Kontaktes mit dem König, sondern auch durch eine himmlische Wohltat (caelesti aliquo beneficio) erhofft wurde. Die sich in solchen Vorgängen spiegelnde ,Königsgläubigkeit‘ breiterer Bevölkerungsschichten erwuchs aus einem Konglomerat christlichen und zugleich abergläubischen, letztlich archaischen und kaum systematisch durchdachten Gedankenguts145, das sich im übrigen auch noch im späten Mittelalter feststellen läßt. 1442 etwa, im Jahr seiner Königsweihe, soll Friedrich III. – wie die Klingenberger Chronik berichtet146 – nach Meinung vieler Leute überall da, wo er erschienen ist, gutes Wetter und eine herausragende Weinernte bewirkt haben; und die in manchen Schwabenspiegelhandschriften des 14. und 15. Jahrhunderts enthaltene ,Herrenlehre‘ erklärte immer noch, ähnlich wie Jahrhunderte zuvor Pseudo-Cyprian und vor allem die Herrschaftstheoretiker der Karolingerzeit, daß das Wohlergehen des Gemeinwesens vom sündenfreien Leben des Herrschers abhänge147.

142 Zur Diskussion um Sigeberts Nachricht vgl. Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 301 f.; Blattmann, Ein Unglück (wie Anm. 126), S. 95 Anm. 50. 143 Vita metrica s. Anselmi Lucensis episcopi auct. Rangerio v. 4781 f. = MGH SS 30/2, 1256: Hi vestem tangunt, quo fortunatior illis / Sit manus et surgat laetior inde seges. 144 Saxo Grammaticus, Gesta Danorum XIV c. 28 § 13, rec. J. Olrik / H. Raeder, Bd. I, Kopenhagen 1931, 442. 145 Vgl. K. Schreiner, „Correctio principis“. Gedankliche Begründung und geschichtliche Praxis spätmittelalterlicher Herrscherkritik, in: F. Graus (Hg.), Mentalitäten im Mittelalter, 1987, S. 203 – 256, bes. S. 236 ff.; F.-R. Erkens, Konrad II. Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, 1998, S. 43 und 146 f. 146 Hg. von A. Henne von Sargans, Gotha 1861, S. 223; vgl. Erkens, Heißer Sommer (wie Anm. 87), S. 29 (III 73 und 74). 147 Vgl. Erkens, Heißer Sommer, (wie Anm. 87), S. 41 mit Anm. 77.

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Vorstellungen von in metaphysischen Zusammenhängen gründenden, letztlich auf einem besonderen Nahverhältnis zum Numinosen beruhenden heilbringenden Kräften der Herrscher lassen sich mithin während der gesamten mittelalterlichen Epoche feststellen, stehen dabei aber von Anfang an deutlich in christlichen Bezügen, die ihrerseits eine unverkennbare antike Wurzel besitzen. Sie waren zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich stark ausgeprägt, aber offenbar immer vorhanden. Wenn auch nur durch späte und häufig nicht unproblematische Quellen bezeugt, gab es solche Anschauungen – freilich kaum in Gestalt eines allen Herrschern ipso facto innewohnenden, magischen oder göttlichen Königsheils – ebenfalls bei den Germanen, die daher bei ihrem Glaubensübertritt die christlich-antik geprägten Ansichten ohne Schwierigkeiten mit dem eigenen Gedankengut verschmelzen konnten. Für die Weiterentwicklung dieser Vorstellungen dürfte dann aber vor allem das Christentum und die von diesem betriebene Ethisierung von Königtum und Gesellschaft verantwortlich gewesen sein. Nicht zuletzt deshalb findet sich die höchste Steigerung königlicher Heilkraft bei den christlichen Herrschern Englands und Frankreichs, bei den wundertätigen Königen, den rois thaumaturges, die durch die kirchliche Salbung die Fähigkeit erwarben, an Skrofeln erkrankte Menschen zu heilen148. Das war freilich keine Fähigkeit, die sich zum Wohl der ganzen Gesellschaft auswirkte, sondern nur für einzelne wirksam wurde, für jene nämlich, die der König mit seinen gesalbten Händen berührte. Sie wirkte auch nicht einfach durch die königliche Präsenz, sondern bedurfte der aktiven Vermittlung durch Handauflegen; und schließlich war sie nicht einfach vorhanden und dem Herrscher inhaerent, sondern mußte ihrerseits durch die von Bischöfen vollzogene Weihe erst vermittelt werden. All dies – und nicht nur die Entwicklung einer Vorstellung von der Heilfähigkeit bestimmter christlicher Könige erst im späteren Mittelalter149 – unterscheidet die Heilkraft der wundertätigen Könige vom (lediglich erschlossenen) germanischen Königsheil. Man sollte sie deshalb aus der Belegliste150 für die Existenz dieses Königsheils streichen. Der Glaube an die königliche Fähigkeit zur Skrofelnheilung erwächst, so sehr er auch durch die angesprochene allgemeine Königsgläubigkeit begünstigt worden sein dürfte, aus antiken und christlichen Traditionen und stellt eine eigentümliche Aufgipfelung christlicher Anschauungen dar. Entscheidend dabei war, daß eine besondere Begabung zur Krankenheilung, die 148 Vgl. M. Bloch, Die wundertätigen Könige, 1998 [frz. 1924]; F. Barlow, The King’s Evil [1980], in: ders., The Norman Conquest and Beyond, 1983, S. 23 – 47; ders., Morbus regius: The royal disease, in: B.-S. Albert u. a. (Hgg.), Medieval Studies in Honour of Avrom Saltman (= Bar-Ilan Studies in History 4), 1995, S. 53 – 66; J. LeGoff, Le mal royal au moyen âge: du roi malade au roi guérisseur, in: Mediävistik 1 (1988) S. 101 – 109; ders., La genèse du miracle royal, in: Marc Bloch aujourd’hui. Textes réunis et présentés par H. Atsma et A. Borguière, 1990, S. 147 – 156; J. Ehlers, Der wundertätige König in der monarchischen Theorie des Frühund Hochmittelalters, in: P.-J. Heinig u. a. (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für P. Moraw, 2000, S. 3 – 19. 149 Vgl J. LeGoff, Ludwig der Heilige, 2000 [frz. 1996], S. 729 f. 150 Vgl. Kienast, Germanische Treue (wie Anm. 11), S. 304 f.

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in christlichen Gesellschaften zunächst nur einzelnen, und zwar besonders frommen, Herrschern zugeschrieben worden ist – nämlich, wie bereits erwähnt, im 6. Jahrhundert dem Merowinger Gunthram, im 11./12. Jahrhundert dann auch dem angelsächsischen König Edward dem Bekenner und dem Kapetinger Robert dem Heiligen151, und schließlich im 13. Jahrhundert möglicherweise unter dem Einfluß solcher Vorbilder dem norwegischen König Magnus (1035 – 1047)152 –, schließlich ganz allgemein auf alle englischen und französischen Könige bezogen wurde, soweit sie gesalbt waren. Eine persönliche Anstrengung zu ihrem Erwerb war dabei nicht nötig; die Herrschersakralität, die im Laufe der Zeit durch die kirchliche Salbung eine gewaltige Steigerung erfuhr, reichte dazu allein aus. Die Fähigkeit von Herrschern zur Heilung von Kranken oder von bestimmten Krankheiten – wenn man so will: eine spezielle Art christlichen Königsheils – war damit Ausdruck einer immens gesteigerten Sakralität, nicht jedoch eine zwingend notwendige Voraussetzung153 für die Herrschersakralität überhaupt154. IV. Sakrale Zeichen und Symbole Dingliche Zeichen155 oder symbolhafte Vorgänge, die die Sakralität der Herrscher zur Anschauung brachten, sind für die Frühzeit praktisch kaum namhaft zu machen. Zwar läßt sich vermuten, daß der Herrschaftsantritt zu allen Zeiten mit besonderen Ritualen verbunden war156, daß eigene Abzeichen zudem den König kenntlich machten, aber wie diese aussahen und was Ausdruck der Sakralität an ihnen war, ist im einzelnen kaum zu bestimmen. Erst seit dem 9. Jahrhundert, aus dem die ersten Krönungsordines erhalten sind, werden die Verhältnisse klarer, sind aber nun schon ganz von christlichem Gedankengut durchdrungen, während etwa für die Merowinger ein Erhebungsbrauch nur allgemein erkennbar ist157, dessen möglicherweise bereits vorhandene sakrale Dimension aber völlig im Dunkeln bleibt, obwohl einzelne seiner Akte – wie besonders die Thronsetzung – und sogar

151

Vgl. Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 7), S. 12 f. Vgl. F. Jónsson (Hg.), Morkinskinna, 1932, S. 118 f., sowie dazu Grönbech (wie Anm. 100) I, S. 139. 153 Vgl. LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 149), S. 728 – 734. 154 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 7), S. 15 ff. 155 Vgl. M. Hardt, Herrschaftszeichen, in: RGA 14 (21999) S. 457 – 466, bes. 458 und 461 ff. 156 Vgl. etwa das irische ,Fest von Tara‘, das ursprünglich die rituelle Heirat des neuen Königs mit der Göttin Medb darstellte und unverkennbar den Charakter eines königlichen Fruchtbarkeitsritus besaß: Binchy, Celtic and Anglo-Saxon Kingship (wie Anm. 124), S. 11; Byrne, Irish Kings (wie Anm. 122), S. 17. 157 Vgl. J. L. Nelson, Inauguration rituals, in: P. H. Sawyer / I. N. Wood (Hgg.), Early Medieval Kingship, 1977, S. 50 – 71, bes. 53. 152

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liturgische Begleithandlungen zu erschließen sind158. Der entscheidende Ausdruck für die dem Herrscher eigentümliche Sakralität ist seit der Mitte des 8. Jahrhunderts aber ohne allen Zweifel die kirchliche Weihe und Salbung geworden; zum dinglichen Symbol der Herrschersakralität konnte daher die Krone werden159. Obwohl die Wurzeln des karolingischen Salbungsbrauchs nicht deutlich zu erkennen sind, das Vorbild der seit 672 bei den Westgoten bezeugten Königssalbung160 ebenso wie Beeinflussungen durch den kirchlichen Taufritus161 denkbar erscheinen, irische Einflüsse162 dagegen eher unwahrscheinlich sein dürften163 und letztlich nur die starke Orientierung an dem Alten Testament164 unumstritten ist, obwohl sich also um die Anfänge der fränkischen Königssalbung viele offene Fragen ranken, galt das Aufkommen der kirchlichen Herrscherweihe bei der Königserhebung Pippins des Jüngeren im Jahre 751 allgemein als epochemachender Akt und communis opinio der historischen Forschung, bis diese Zäsur 1999 mit bedenkenswerten Argumenten in Frage gestellt wurde und die Anfänge der fränkischen Herrscherweihe auf einen unbekannten Zeitpunkt in der späten Merowingerzeit verschoben worden sind165. Trotz dieser Einrede, auf die, so beachtlich sie auch ist, hier nicht näher eingegangen werden kann, bleibt 751 (oder 754, wie neuerdings von Josef Semmler166 betont wird) als herkömmlicher Termin für die Einführung der Königssalbung im Frankenreich doch am wahrscheinlichsten167. Gleichgültig aber, wann der fränkische Salbungsbrauch auch aufgekommen ist, entscheidende, schließlich zur weiteren Verbreitung führende Impulse hat er –

158 Vgl. R. Schneider, Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Untersuchungen zur Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern, 1972, S. 187 – 239 und 258 ff. 159 Vgl. Vogel / Elze (wie Anm. 28) I, S. 257; V. H. Elbern, Krone, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991) S. 1544 – 1547, bes. 1545. 160 Hist. Wambae regis c. 2, ed. MGH SS rer. Merov. V, 500 und 501; vgl. Schneider, Königswahl (wie Anm. 158), S. 197 – 201; E. Müller, Die Anfänge der Königssalbung im Mittelalter und ihre historisch-politischen Auswirkungen, in: Historisches Jahrbuch 58 (1938) S. 317 – 360, bes. 333 – 340. 161 Vgl. A. Angenendt, Rex et sacerdos. Zur Genese der Königssalbung, in: N. Kamp / J. Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft, 1982, S. 100 – 118. 162 Vgl. M. J. Enright, Iona, Tara and Soissons. The Origin of the Royal Anointing Ritual, 1985; R. Kottje, Studien zum Einfluß des Alten Testamentes auf Recht und Liturgie des frühen Mittelalters (6.–8. Jahrhundert), 1964, S. 97 – 103. 163 Vgl. Prelog (wie Anm. 56). 164 Vgl. A. T. Hack, Zur Herkunft der karolingischen Königssalbung, Zeitschrift für Kirchengeschichte 110 (1999) S. 170 – 190, bes. 175. 165 Vgl. ebd. passim. 166 Vgl. Vgl. J. Semmler, Die Erhebung Pippins, in: ders., Der Dynastiewechsel von 751 und die fränkische Königssalbung (= Studia humaniora, Series minor 6), Brühl 2003, S. 1 – 57. 167 Vgl. R. Schieffer, Die Karolinger, 32000, S. 59 f. und 62.

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ebenso wie die Weihe der Königin168 – erst in der Mitte des 9. Jahrhundert durch den westfränkischen König Karl den Kahlen empfangen169, aus dessen Regierungszeit auch der erste Krönungsordo erhalten ist. Die Krönungsordines – für die das Mainzer Pontifikale von etwa 962 als Beispiel angeführt werden soll170 – lassen hinsichtlich der Herrschersakralität nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Dabei ist es nicht allein der Akt der durch die Bischöfe mit Chrisam oder (wie im ostfränkisch-deutschen Reich) schließlich mit Katechumenenöl171 vollzogenen Salbung, der als Zeichen der numinosen Bindung des christus Domini, des Gesalbten des Herrn, gedeutet werden kann; vielmehr wird diese auch durch die Gebete, die bei der Weihe gesprochen werden, direkt angesprochen: Der König ist der Stellvertreter Christi172 auf Erden, hat die Herrschaft direkt von Gott erhalten173 und Anteil am priesterlichen Amt174. Eindrucksvoller konnte die Herrschersakralität kaum mehr zur Anschauung gebracht werden, und es wird verständlich, warum die Salbung schließlich als der eigentliche Vermittler der königlichen Sakralität galt und im späteren Mittelalter die Voraussetzung für das wundertätige Wirken der englischen und französischen rois thaumaturges bildete. Jede Festkrönung, ja, jedes einfache Unter-der-Krone-gehen der Herrscher175 erinnerte an diese sakrale Dimension, die im Reich des 11. und 12. Jahrhunderts von Heinrich III., Heinrich IV., Heinrich V. sowie Friedrich Barbarossa offenbar auch dadurch betont worden ist, daß sie ihre künftigen Gemahlinnen schon einige Zeit vor der Hochzeitsfeier zur Königin weihen ließen176. Schließlich kam der sakrale Glanz des Herrschers auch durch die Lobgesänge zum Vorschein, durch die ,Laudes regiae‘, die, als Verbindung von Herrscherakklamation und Heiligenlitanei offenkundig eine fränkische Schöpfung des späten 7. Jahrhunderts, an hohen Feiertagen oder aus besonderem Anlaß während des

168

Vgl. F.-R. Erkens, „Sicut Esther regina“. Die westfränkische Königin als consors regni, in: Francia 20 (1993) S. 15 – 38. 169 Vgl. Nelson, Inauguration rituals (wie Anm. 157), S. 60 ff.; Angenendt, Rex et sacerdos (wie Anm. 161), S. 117. 170 Vgl. Vogel / Elze (wie Anm. 28), I, S. 246 – 259 (Nr. 72). 171 Vgl. B. Schneidmüller, Salbung, in: HRG 4 (1988) S. 1268 – 1273, bes. 1270. 172 Vgl. Vogel / Elze (wie Anm. 28) I, S. 257: cuius nomen vicemque gestare crederis. 173 Vgl. ebd. S. 257: regnique tibi a Deo dati. 174 Vgl. ebd.: Der König ist particeps ministerii der Bischöfe. 175 Vgl. C. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der „Festkrönungen“ [1962], in: ders., Aus Mittelalter und Diplomatik I, 1989, S. 351 – 412, bes. 353 – 358; ders., Kronen- und Krönungsbrauch im frühen und hohen Mittelalter [1982], ebd., S. 413 – 443, bes. 418 – 428; K.-U. Jäschke, Frühmittelalterliche Festkrönungen? Überlegungen zu Terminologie und Methode, in: HZ 211 (1970) S. 556 – 588. 176 Vgl. F.-R. Erkens, Fecit nuptias, ut decuit, apparatu. Hochzeitsfeste als Akte monarchischer Repräsentation in salischer Zeit, in: D. Altenburger u. a. (Hgg.), Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes, 1991, S. 401 – 421.

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Gottesdienstes im Wechsel von Klerus und Volk gesungen wurden177. Aber auch die beim Zeremoniell des Herrscherempfangs (adventus) ertönenden Akklamationen178, die in den Quellen ebenfalls als ,Laudes‘ bezeichnet werden179, dürften die Sakralität des Herrschers beschworen haben. V. Ergebnisse und Ausblick Die Vorstellung von einem germanischen Sakralkönigtum ist und bleibt problembeladen. Recht große Einmütigkeit besteht in der Forschung zwar inzwischen darüber, daß die älteren Ansichten von einem eigentümlich gesteigerten, Glück und Heil der politisch-sozialen Gemeinschaft garantierenden Sakralkönigtum germanischer Provenienz auf einem recht unbekümmerten Umgang mit zeitlich wie räumlich weit gestreuten Quellen beruhen und von einem fest gefügten und nahezu unveränderlichen Germanenbild ausgingen, aber trotzdem werden sie, wenn auch in zum Teil modifizierter Form weiterhin vertreten180. Dies ist allerdings auch nicht überraschend, da sich – mit Ausnahme der germanischen Frühzeit, für die die Verhältnisse quellenbedingt unklar bleiben – für viele germanische Volksverbände mehr oder weniger ausführliche Nachrichten finden lassen, die das Königtum in religiös-sakrale Bezüge stellen und ihm manchmal sogar eine Heilsfunktion zuzuschreiben scheinen181. Allerdings bleiben archäologische Funde182, außer vielleicht im Bereich der Brakteatenikonographie183, wenig aussagekräftig, während sprachliche Befunde184 kaum eine religiös-sakrale Konnotation bestätigen. Trotzdem scheint es nicht gerechtfertigt, auf die Annahme einer Existenz des Sakralkönigtums vorschnell zu verzichten, weil sich vergleichbare Phänomene zu allen Zeiten und überall auf der Erde nachweisen lassen185.

177

Vgl. E. H. Kantorowicz, Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Medieval Ruler Worship, 1946; A. T. Hack, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen, 1999, S. 336. 178 Vgl. E. H. Kantorowicz, Des „Königs Ankunft“ und die rätselhaften Bildtafeln in den Türen von Santa Sabina, in: ders., Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums. Hrsg. v. E. Grünewald und U. Raulff, 1998, S. 91 – 147 [erstmals 1944], bes. 93 – 124. 179 Vgl. Hack, Empfangszeremoniell (wie Anm. 177), S. 330 – 336. 180 Vgl. dazu L. E. von Padberg / O. Sundqvist, in: RGA 26 (22004) S. 207 ff. (II. Forschungsgeschichte § 4. Religionsgesch.); L. E. von Padberg, ebd. S. 209 – 212 (II § 5. Gesch.), und O. Sundqist, ebd. S. 279 – 293 (IV. Religionsgesch. § 21). 181 Vgl. dazu H. H. Anton, ebd. S. 253 – 258 (IV. § 17. Burgunden), und Sundqvist (wie Anm. 180). 182 Vgl. Steuer (wie Anm. 106). 183 Vgl. A. Pesch, in: RGA 26 (22004) S. 294 – 299 (IV. § 22. Brakteatenikonographie). 184 Vgl. H. Beck, ebd. S. 212 – 216 (II. § 6. Sprachgesch.). 185 Vgl. Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 2).

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Freilich ist es, gerade wenn man diese Vorstellung auf die germanischen Verhältnisse anwenden will, zunächst dringend erforderlich, den Begriff ,Sakralkönigtum‘ genauer zu fassen. An der Begriffsschärfe mangelte es nämlich bisher186, weswegen die Ansichten darüber, was ein Sakralkönig sei und bewirke, einerseits stark voneinander abweichen und andererseits wild wuchern konnten. Eine genauere Beschreibung des Sakralkönigtums läßt sich am einfachsten durch eine Erfassung seiner einzelnen Facetten leisten. Deren Abgrenzung ermöglicht dabei die Feststellung eines Kernbestandes von Sakralelementen, deren Vorhandensein nötig ist, um von einem sakralen König oder einem sakralen Königtum sprechen zu können. Zu diesen Elementen zählen: 1. die Einsetzung und Erwählung des Königs durch eine Gottheit (oder die Götter) und in heidnischer Zeit häufig auch die göttliche Abstammung, 2. die irdische Stellvertretung und die eine Sachwalterschaft einschließende Repräsentanz der oder einer Gottheit durch den König und 3. eine Priesterähnlichkeit oder -gleichheit, die sich in nichtchristlichen Gesellschaften zumeist im Vollzug des Kultes und der Sorge für diesen manifestierte. Alle diese Elemente lassen sich, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und Deutlichkeit, nach der Christianisierung der germanischen Volksverbände nachweisen, während für die heidnische Epoche und insbesondere für die germanische Frühzeit aufgrund einer problematischen, durch antike und christliche Einflüsse geprägten Quellenlage allenfalls Vermutungen geäußert werden können. Neben den angeführten Kernbestand an Sakralelementen können natürlich noch weitere sakrale Elemente treten wie etwa besondere Heilfähigkeiten, die das englische und besonders das französische Königtum des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit auszeichneten, oder wie das vieldiskutierte und umstrittene Königsheil, das sich aber selbst für den skandinavischen Raum ebensowenig wie die rituelle Opferung von Königen zweifelsfrei nachweisen läßt187. Wenn aber mit dem Königtum Ernte und Sieg (also Natur und Gesellschaft) beeinflussende Fähigkeiten auf genuine Weise verbunden geglaubt werden, dann darf wohl uneingeschränkt von einem Sakralkönigtum gesprochen werden. Dieses sollte mithin nicht mehr als Allgemeinbegriff benutzt werden, sondern ebenso wie etwa das Gottkönigtum des ägyptischen Pharao als eine besondere Ausformung des sakralen Königtums. Eine begriffliche (und inhaltliche) Scheidung von ,Sakralkönigtum‘ und ,sakralem Königtum‘ ermöglicht aber nicht nur die präzisere Erfassung der germanischen Königsidee, sondern auch eine differenzierte Charakterisierung der einzelnen Königsherrschaften aufgrund des Vorhandenseins und gemäß der Ausgestaltung der drei grundlegenden Sakralelemente. Wenn die Einzelanalyse für die verschiedenen 186 Vgl. M. Diesenberger, in: RGA 26 (22004) S. 216 – 219 (II. § 7 Kritik am S[akralkönigtum]). 187 Vgl. Sundqvist (wie Anm. 180).

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Königreiche unter diesem Aspekt künftig auch noch zu neuen Einsichten führen kann, so darf aber doch wohl trotzdem schon jetzt als prinzipielles Fazit festgehalten werden: Der Sakralcharakter der germanischen Könige ist – wenn auch hauptsächlich aufgrund von Analogieschlüssen – wohl schon für die heidnische Epoche kaum zu bestreiten, ob die Herrscher aber auch Sakralkönige waren, das ist keinesfalls erwiesen; von einem sakralen Königtum der Germanen darf daher wohl ohne Vorbehalte ausgegangen werden, von einem Sakralkönigtum – wenn überhaupt – nur mit größter Zurückhaltung. Mit der Christianisierung setzte nämlich offenbar erst die eigentliche Steigerung des königlichen Sakralverständnisses ein, wobei die heidnischen Traditionen, die bei diesem Prozeß aufgenommen und ausgestaltet wurden, nicht alle ausschließlich aus germanischer Wurzel stammten, sondern auch in paganen Bezügen antik-mediterraner Provenienz standen. Die in diesem Zusammenhang noch ungelösten Probleme werden dem ,germanischen Sakralkönigtum‘ ohne allen Zweifel auch weiterhin (freilich ohne germanophile oder gar ideologische Überhitzung) die Aufmerksamkeit der Forschung sichern.

Reflexionen über das sakrale Königtum germanischer Herrschaftsverbände Über die Sakralität der Herrscher frühmittelalterlicher Gentes zu sprechen, heißt, gleich an mehrere methodische Grundprobleme der historischen Wissenschaft zu rühren: an das Problem der Quellenarmut, das Problem der Begrifflichkeit und das Problem der Konstruktion einer vergangenen Vorstellungswelt. Auf wie abschüssige Pfade man geraten kann, wenn diese diffizile und mehrschichtige Problemlage nicht beachtet wird, lehrt die Beschäftigung mit dem sogenannten germanischen Königsheil1, mit jener Vorstellung also, nach welcher dem (götterentsprossenen) König eine besondere Heilskraft inhärent gewesen sein soll, die sich auf Erntesegen und Kriegsglück des beherrschten Volkes ausgewirkt und deren Verlust mancherorts zu Absetzung oder gar Tötung des Königs geführt haben soll. Unverkennbar wirkte auf die Entwicklung dieses heilsmächtigen Königsbildes die von dem englischen Altphilologen und Ethnologen James George Frazer (1854 – 1941) entworfene und angeblich besonders in Afrika zur Realität gewordene Vorstellung eines Sakralkönigtums mit, dessen Repräsentant ein die Vegetation sichernder, Natur und Wetter beeinflussender Garant des Wohlstandes seines Volkes gewesen sei und den Verlust seiner wohltätigen Fähigkeit mit dem Leben bezahlt habe, wenn er nicht ohnehin nach Ablauf einer gewissen Frist beseitigt wurde2. Doch wird dieses über lange Zeit sehr einflußreiche Deutungsmodell sakralköniglicher Wirklichkeit mittlerweile und, zumindest in seinen zentralen, die rituelle Königstötung (den Regizid) betreffenden Bereichen, wohl auch zu Recht in Frage gestellt3. Und ebenso erwies sich die wirkmächtige Vorstellung vom germanischen Königsheil als ein Trugbild der Forschung, das auf methodisch unzulässige Weise durch die Kombination von Erstdruck in: Matthias Becher / Stefanie Dick (Hgg.), Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter (= MittelalterStudien 22), München 2010, S. 87 – 95. 1 Vgl. dazu wie zum folgenden Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, S. 80 – 87. 2 James George Frazer, Der Goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Reinbek 1994 [engl. 1922: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion, 2 Bde.]. 3 Vgl. Bernhard Streck, Das Sakralkönigtum als archaistisches Modell, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 33 – 51, und Ute Ritz-Müller, Die magische Macht afrikanischer Könige, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 49), Berlin / New York 2005, S. 22 – 41.

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Quellen aus verschiedenen Zeiten und Räumen gewonnen worden ist4, etwa durch die Verknüpfung von Berichten aus der kurz vor 100 n. Chr. entstandenen ,Germania‘ des Tacitus5, des syrischstämmigen Ammianus Marcellinus6 vom Ende des 4. Jahrhunderts und der hochmittelalterlichen Skaldendichtung Islands und Skandinaviens7. Dabei wurde zudem ein über die Jahrhunderte hinweg nahezu unverändertes und für alle als ,germanisch‘ verstandenen Völkerschaften gemeinsames Germanentum, eine gemeinsame Vorstellungswelt also und eine vergleichbare politische und gesellschaftliche Realität, vorausgesetzt, was natürlich der Grunderfahrung des historischen Wandels und der sozialen Differenziertheit widerspricht. Mittlerweile ist es sogar fraglich geworden, ob es ,die‘ Germanen überhaupt gegeben habe8, die zunehmend als ein römisches Handlungs- und Wahrnehmungsprodukt und eine gelehrte Konstruktion erscheinen, weswegen Jörg Jarnut ja auch für die Streichung des Germanenbegriffes aus der Forschungssprache plädiert hat9. Die Verwirklichung einer solchen radikalen Forderung nach einer Begriffseliminierung erweist sich bei einem längst eingeführten und in Gebrauch wie Gedächtnis tief verwurzelten Terminus natürlich als schwierig, ja, als unmöglich, doch sollte man sich bei seiner Verwendung des mit ihm verknüpften Problemhorizonts bewußt sein. Im folgenden geht es freilich nicht um die Germanenproblematik, sondern um die Frage, was sich aus den spärlichen Quellen überhaupt noch über die religiöse Dimension ,germanischer‘ Königsherrschaften sagen läßt, nachdem das germanische Königsheil und das mit diesem verbundene germanische Sakralkönigtum10 als obsolet zu betrachten sind. Da sich in diesem Zusammenhang über die 4 Vgl. dazu außer dem Hinweis in Anm. 1 auch Eve Picard, Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung (= Skandinavistische Arbeiten 12), Heidelberg 1991; Klaus von See, Kontinuitätstheorie und Sakraltheorie in der Germanenforschung. Antwort an Otto Höfler, Frankfurt/M. 1972, und Alois Wolf, Germanisches Sakralkönigtum? Zum Befund volkssprachlicher Dichtungen des Mittelalters, in: Erkens (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum (wie Anm. 3), S. 141 – 160. 5 Tacitus. Germania, ed. by Michael Winterbottom, Oxford 1975 (c. 7). 6 Ammianus Marcellinus, Römische Geschichte. Lateinisch und deutsch von Wolfgang Seyfarth, Schriften und Quellen der alten Welt 21, Berlin (Ost) 1971 (XXVIII 514). 7 Vgl. dazu Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 84 – 86, und Olof Sundqvist, Freyr’s offspring. Rulers and religion in ancient Svea society (= Historia Religionum 21), Uppsala 2002 (Part I. Theories and Sources). 8 Vgl. dazu etwa Walter Pohl, Die Germanen (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 57), München 2000, S. 45 – 65, und Allan A. Lund, Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese, Heidelberg 1998. 9 Vgl. Jörg Jarnut, Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffs der Frühmittelalterforschung, in: Walter Pohl (Hg.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters (= Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Denkschriften 322 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8), Wien 2004, S. 107 – 113. 10 Zu diesem vgl. Otto Höfler, Der Sakralcharakter des germanischen Königtums, in: Theodor Mayer (Hg.), Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen (= Vorträge und Forschungen 3), Sigmaringen 1956, S. 75 – 104 [ebenfalls in: La Regalità sacra.

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ganz frühen Königsvorstellungen und besonders über mögliche sakrale Konnotationen des Herrschers so gut wie nichts Konkretes aussagen läßt11, konzentrieren sich die folgenden Überlegungen hauptsächlich auf die Zeit des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter, also auf die Epoche der Völkerwanderung, ohne dabei jedoch die Frühzeit völlig aus dem Blick zu verlieren. I Über die Begriffe, die dabei verwendet werden, muß an dieser Stelle zwar Rechenschaft gegeben werden, doch kann dies in aller Kürze geschehen, da über sie bereits mehrfach gehandelt worden ist12. Sie sind – in gewissem Sinne – Vereinbarungsbegriffe, die nicht direkt aus den Quellen genommen wurden, sondern in der Retrospektive von dem seinen Stoff sichtenden Historiker geschaffen wurden, um Ordnungs- und Orientierungskriterien für die aufgeworfene Fragestellung und für die Quellenerschließung zu gewinnen, aber auch um den bislang vorwaltenden unterschiedlichen Begriffsgebrauch zu präzisieren. Daher wird das ursprünglich von Ethnologen beschriebene, auf vegetationsreligiösen Vorstellungen beruhende und (angeblich) den Regizid praktizierende Sakralkönigtum als Sonderfall deutlich unterschieden vom sakralen Königtum, das letztlich als kategorialer Oberbegriff dient, unter den sich zusammen mit dem (vermuteten afrikanischen und vermeintlichen germanischen) Sakralkönigtum alle Formen sakral getönter Königsherrschaft subsumieren lassen: das Gottkönigtum ebenso wie das royale Thaumaturgentum oder das Gottesgnadentum. Als sakral wird dabei eine Herrschaft verstanden, deren Träger durch ein besonderes Nahverhältnis zum Numinosen ausgezeichnet ist, wobei dieses Nahverhältnis durch drei Elemente begründet wird: durch die Vorstellung von der Gotterwähltheit des Königs, von der königlichen Stellvertretung Gottes auf Erden und von einer sazerdotalen Verantwortung des Herrschers.

Contributi al tema dell’VIII congresso internazionale di Storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), Leiden 1959, S. 664 – 701], und Walter Schlesinger, Über germanisches Heerkönigtum, in: Mayer (Hg.), Das Königtum, S. 105 – 141, bes. 132 – 137. 11 Vgl. den von mehreren Autoren verfaßten Artikel „Sakralkönigtum“ im RGA 26 (2004) S. 179 – 320, bes. 234 – 238 (Andreas Goltz, §13 Frühzeit), sowie Herwig Wolfram, Frühes Königtum, in: Erkens (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum (wie Anm. 3), S. 42 – 64, bes. 52 – 55; ders., Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter, München 2005, S. 32 – 42, und Stefanie Dick, Der Mythos vom ,germanischen‘ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischsprachigen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit (= RGA, Ergbd. 69), Berlin/New York 2008. 12 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 28 – 33; ders., Sakralkönigtum und sakrales Königtum. Anmerkungen und Hinweise, in: ders. (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum (wie Anm. 3), S. 1 – 8, und ders., Vicarius Christi – sanctissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003) S. 1 – 55, bes. 18 – 20.

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II Dieses dreidimensionale Verständnis vom sakralen Königtum ist gewonnen worden durch die Betrachtung der fränkischen und nachfränkischen Königsherrschaft, über die unterschiedliche und zeitweise recht rege fließende Quellen Auskunft geben. Trotzdem erweist es sich als nützlich auch bei der Erfassung der Verhältnisse des späteren Mittelalters13 und sogar der frühen Neuzeit14 oder bei der Beschreibung der antiken, altorientalischen und altägyptischen Königsidee15, weil es flexibel genug ist, um unterschiedliche Ausprägungen der Idee des sakralen Königtums in einer Ordnungskategorie zusammenzufassen und diese zugleich durch die Einbeziehung weiterer Sakralitätselemente auszugestalten. Verbindendes wie Differenzierendes verschiedener Vorstellungshorizonte kann dabei sichtbar werden. Freilich erhebt sich in diesem Zusammenhang sofort die grundsätzliche Frage nach der Zulässigkeit einer Verallgemeinerung von einzelnen, manchmal sogar isolierten Aussagen über die Königswürde, stellt sich also das Problem, inwieweit Vorstellungen, die von einem oder nur wenigen Autoren über das Königtum artikuliert werden, als Allgemeingut eines ganzen Volksverbandes gelten dürfen. Eine Lösung dieses Problems ist nicht vorrangig aus den Quellen heraus zu erarbeiten, sondern ist wohl eher durch eine gedanklich-theoretische Reflexion zu erlangen. Für diese soll als Ausgangspunkt eine allgemeine Überlegung über das moderne Demokratieverständnis dienen16. In der westlich-atlantischen, in den Traditionen der griechischen Philosophie, des römischen Rechts und der europäischen Aufklärung stehenden Gemeinwesen gilt die ,Demokratie‘ als hohes Gut, als letztlich (wenn auch manchmal mit monarchischen Zügen verbrämte) allein zulässige Regierungsform, die es zu verteidigen und zu verbreiten gilt, für deren Erhalt oder Wiederherstellung Kriege und für deren Ausbreitung ,Kreuzzüge‘ geführt werden. Trotzdem unterscheiden sich die demokratischen Regierungssysteme in ihrer Verfassungsstruktur, politischen Organisation und alltäglichen Praxis. In ihnen gibt es dabei (wohl nicht nur hinsichtlich der theoretischen Grundanschauungen wie Gewaltenteilung, Parlamentarismus oder Volkssouveränität) einen nur schwer bestimmbaren gemeinsamen demokratischen 13

Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 20 – 53; ders., Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae, fasc. 6 (2003) S. 29 – 44; ders., Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘, in: ZBLG 66 (2003) S. 795 – 818. 14 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: ders. (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 3), S. 7 – 32, bes. 16 – 18. 15 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), Kap. II 1 – 5. 16 Vgl. dazu und zum folgenden ebd. S. 217 und ders., Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 52.

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Kern sowie variierende Erscheinungsformen der verfassungsgemäßen Praxis und politischen Pragmatik. Alle jedoch folgen sie der Idee der Demokratie. Zu dieser Idee bekennen sich zweifellos die meisten Bürger der demokratischen Staatswesen, wenn sie auch kaum ein völlig identisches Verständnis von Demokratie besitzen. Gedanklich wirklich durchdrungen dürften Begriffe wie Verfassung, Demokratie oder Menschenrechte nur von wenigen werden, doch sind sie in einem amorphen Vorstellungsgemenge allen bewußt (und werden allenfalls in Krisensituationen oder aus besonderen Anlässen intensiver diskutiert). Eine solche, von der theoretischen Reflexion kaum erhellte, den meisten Mitgliedern eines Volksverbandes jedoch in differenzierter Vielfalt gemeinsame Vorstellung über die Herrschaftsordnung darf wohl auch für die Vormoderne und das frühe Mittelalter angenommen werden – m. a. W.: Selbst nur wenige Zeugnisse für die Vorstellung von einer sakralen Herrschaftsdimension dürfen in einer quellenarmen Zeit als Belege für das Vorhandensein einer weiter verbreiteten Idee vom sakralen Königtum genommen werden, wenn – und dies erscheint als besonders wichtig – in anderen, aber vergleichbaren Gesellschaften entsprechende Anschauungen nachgewiesen sind. Eine genaue Beschreibung dieser Sakralität ist zwar nicht immer möglich, aber an dem Grundtatbestand dürften kaum Zweifel bestehen. Solche Analogieschlüsse sind in der Geschichtswissenschaft freilich nicht besonders beliebt, läßt sich durch sie doch kein zwingender Beweis führen und weiß der Historiker zudem auch noch um die Singularität überlieferter Ereignisse, von denen es nie ein identisches Doppel gibt, weswegen eine berechtigte Skepsis waltet über die Möglichkeit, von einem Zusammenhang zutreffend auf einen anderen, von einer vereinzelten Meinungsäußerung auf einen ganzen Ideenkosmos zu schließen. Dennoch ist diese Form des Schließens, wenn auch vielleicht unbewußt, immer angewendet worden, sobald es darum ging, allgemeine Vorstellungswelten zu rekonstruieren und aus einzelnen Nachrichten ein Gesamtbild zu entwerfen. Anders ist dies nämlich für eine quellenarme Zeit gar nicht möglich, wenn auf Gesamtdeutungen nicht verzichtet werden soll. Und diese Notwendigkeit verschärft sich noch, wenn man die von Johannes Fried erarbeiteten Ergebnisse über die Art und Weise des Erinnerns berücksichtigt17. Wenn in erzählenden Quellen dargestellte Ereignisse nur einen speziellen Vorstellungs- oder Erinnerungsmoment aus einem sich beständig verändernden Erinnerungsprozeß darstellen und eine besondere Konkretisierung des Erinnerten bilden, das von einunddemselben Geschichtsschreiber zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt anders erinnert wird allein schon wegen der Art und Weise, wie das Gehirn ein Geschehen rekonstruiert18 und dabei verschiedenen Einflüssen und

17

Vgl. dazu Johannes Fried, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004. 18 Vgl. dazu etwa Wolf Singer, Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung, Frankfurt/M. 2002, und Gerhard Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neuro-

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Rahmenbedingungen der Rekonstruktion unterliegt, dann bildet jede überlieferte Nachricht nicht nur eine singuläre und perspektivische, unter Umständen sogar bewußt verfälschte Sicht auf ein Ereignis, sondern eben auch nur einen punktuellen Einblick aus der Warte einer sich entwickelnden Erinnerung, wenn man so will: einen flüchtigen, durch die Niederschrift jedoch verewigten Erinnerungspunkt. Mögen manche Historiker diese Erkenntnis vielleicht auch mit Bestürzung registrieren, weil sie eine Verflüchtigung ihrer Quellen befürchten, so verschärft sie letztlich nur ein Problem, das ohnehin schon längst bekannt ist, nämlich die Tatsache, daß es für den Historiker unmöglich ist, bis zur Realität der Vergangenheit vorzudringen, daß es, um ein Ranke-Wort verändert aufzugreifen, unmöglich ist zu wissen, wie es eigentlich gewesen ist19. Natürlich trifft der erwähnte Erinnerungspointillismus den Historiker mehr, der sich mit quellenarmen Zeiten beschäftigt, als jenen, der vor einer Flut überbordender Nachrichten steht, aber zu resignieren braucht auch er nicht. Beschäftigungslos wird er ohnehin nicht, bleiben ihm doch die klassischen Felder der Quellenkritik und öffnet sich ihm zudem der gesamte Bereich der Wahrnehmungsgeschichte und der von Johannes Fried beschriebenen Memorik. Allein hinsichtlich einer nur schwach dokumentierten Geschichte von Ereignissen rückt der Historiker noch weiter weg von der vergangenen Realität, als ihm das bislang schon bewußt war; und für quellenarme Epochen stellt sich in der Tat die Frage, inwieweit von diesen noch Gesamtbilder entworfen werden können. Doch soll diesem (wohl keinesfalls unlösbaren) Problem hier nicht weiter nachgegangen werden. Diesmal geht es ja nicht um die Ereignis-, sondern um die Vorstellungsgeschichte; und für diese stellt sich das Problem anders, weil der schriftlich überlieferte Erinnerungspunkt ja selbst bereits ein (wenn auch mitunter nur winziger) Teil des gesamten Vorstellungs- oder Ideenhorizontes darstellt, den es zu erforschen gilt. Selbstverständlich muß bei der Auswertung solcher Erinnerungspunkte und bei der Formung eines Gesamtbildes auf pointillistischer Grundlage das gesamte, mittlerweile doch sehr ausgefeilte methodische Rüstzeug des Historikers zur Anwendung kommen, soweit dies nötig (oder möglich) ist; aber auch der Schluß aus analogen Verhältnissen anderer Sozialordnungen sowie der Schluß aus einzelnen (gelegentlich sogar nur wenigen) Äußerungen auf eine allgemeine Vorstellung muß gewagt werden. Strukturell wird dabei kaum anders verfahren als bei der Urteilsbildung über alltägliche Ereignisse, von denen auch immer nur Bruchstücke bekannt sind und bei deren Rekonstruktion persönliches Erleben, Berichte von anderen, eigene Erfahrungen, erworbene Kenntnisse, analoge Zusammenhänge und an-

biologie und ihre philosophischen Konsequenzen, Frankfurt/M. 1997, sowie ders., Aus Sicht des Gehirns, Frankfurt/M. 2003. 19 Vgl. zu Rankes berühmtem Wort aus dem überarbeiteten Vorwort von 1874 zu den „Geschichten der romanischen und germanischen Völker“ von 1824 Walther Peter Fuchs, Was heißt das: „bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen“?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 30 (1979) S. 655 – 667.

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deres mehr zusammenfließen20 (wobei der Rekonstruktionscharakter dieser Urteilsbildung freilich zumeist gar nicht bewußt sein dürfte, weil das angewandte Verfahren eben alltäglich ist und mehr oder weniger unreflektiert und automatisch abläuft). Was freilich aus dem Alltag geläufig ist, bedarf als Instrument der historischen Wissenschaft der theoretischen Reflexion und der methodischen Fundierung. III Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und Ausführungen sei daher noch einmal ein Blick auf die Frage nach der Existenz und Erkennbarkeit eines sakralen Königtums in den germanischen Reichen der Völkerwanderungszeit geworfen. Auszugehen ist dabei von zwei bemerkenswerten Beobachtungen: einmal von dem Umstand, daß sich (allein schon quellenbedingt) für die Frühzeit keine, zumindest keine deutliche sakrale Konnotation des germanischen Herrschertums ausmachen läßt21 und das germanische Königsheil, wie bereits gesagt, als obsolet zu gelten hat22, und zum anderen von dem Befund, daß sich eine (immer intensiver werdende) Herrschersakralität erst nach der Christianisierung wirklich beobachten läßt: Bei den Westgoten23, Langobarden24 und Franken25 ist dies eindeutig zu erkennen, bei den Burgunden26 und den arianischen Ostgoten wenigstens zu erschließen27, allein bei den Wandalen versagen die Quellen fast völlig und lassen doch zumindest an20 Vgl. dazu und zum folgenden etwa Chris Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie (Beiträge zur Geschichtskultur 13), Köln 1997 (bes. Kap. II und III); Franz-Reiner Erkens, Mirabilia mundi. Ein kritischer Versuch über ein methodisches Problem und eine neue Deutung der Herrschaft Ottos III., in: Archiv f. Kulturgeschichte 79 (1997) S. 485 – 498, bes. 492 f., und zur Problematik der Wahrnehmung Hans-Werner Goetz, Die Wahrnehmung von ,Staat‘ und ,Herrschaft‘ im frühen Mittelalter, in: Stuart Airlie u. a. (Hgg.), Staat im frühen Mittelalter (= Denkschriften der Österr. Akad. d. Wiss., Philos.Hist. Kl., Bd. 334 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11), Wien 2006, S. 39 – 58, bes. 42 – 44. 21 Vgl. Anm. 11. 22 Vgl. Anm. 1. 23 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), Kap. III 2, und Alexander Pierre Bronisch, in: RGA 26 (2004) S. 247 – 251 (§15 Westgoten). 24 Vgl. Walter Pohl, in: RGA 26 (2004) S. 251 – 253 (§16 Langobarden). 25 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), Kap. III 3 und V; Hans Hubert Anton, in: RGA 26 (2004) S. 258 – 266 (§18 Franken), und ders., Königsvorstellungen bei Iren und Franken im Vergleich, in: Erkens (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum (wie Anm. 3), S. 270 – 331, bes. 301 – 325, sowie neuestens Régine Le Jan, Die Sakralität der Merowinger oder: Mehrdeutigkeiten der Geschichtsschreibung, in: Airlie u. a. (Hgg.), Staat im frühen Mittelalter (wie Anm. 20), S. 73 – 92. 26 Vgl. Hans Hubert Anton, in: RGA 26 (2004) S. 253 – 258 (§ 17 Burgunden), bes. 255 – 257. 27 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 89 und 241, und Andreas Goltz, in: RGA 26 (2004) S. 238 – 247 (§14 Ostgoten).

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satzweise eine sakrale Dimension des Königtums erkennen28. Zog die Vorstellung von der Herrschersakralität bei den Germanen also erst mit dem Christentum ein29? Diese Frage läßt sich keinesfalls allein mit Hilfe der z. T. spärlichen, z. T. indifferenten Quellen beantworten; vielmehr sind allgemeine Überlegungen, nicht zuletzt der Analogieschluß, vonnöten, um eine plausible Antwort zu finden. Für diese ist zunächst die unbestreitbare Tatsache bedeutsam, daß die Herrschersakralität ein weltweites und epochenübergreifendes Phänomen darstellt30, das sich in vormodernen Staatswesen spätestens seit der Bildung entwickelter Herrschaftsorganisationen in der Frühzeit der Menschheit findet31. So ist es im Zweistromland des Alten Orients, im pharaonischen Ägypten, in den hellenistischen Königreichen der Antike, im Imperium Romanum und den europäischen Monarchien des Mittelalters und der frühen Neuzeit ebenso anzutreffen wie in Indien32, China33 und Japan34, auf Java35 und Bali36, in Kambodscha37, in Thailand38 und (offenbar bis zum 18. Mai 28 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 89 und 241, sowie Helmut Castritius, Die Vandalen, Stuttgart 2007, S. 34 – 38. 29 Vgl. dazu Frantisˇek Graus, Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit, Praha 1965, S. 326, und Goltz, in: RGA 26, S. 243. 30 Vgl. dazu Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 14), passim, und die übrigen, in dem von dems. hg. Band „Die Sakralität von Herrschaft“ (wie Anm. 3) versammelten Beiträge, sowie ders., Moderne und Mittelalter oder Von der Relevanz des praktisch Untauglichen. Ein Plädoyer für das historische Interesse an älteren Epochen, in: ders. (Hg.), Karl der Große in Renaissance und Moderne. Zur Rezeptionsgeschichte und Instrumentalisierung eines Herrscherbildes (= Das Mittelalter. Zeitschrift des Mediävistenverbandes IV 2), Berlin 1999, S. 95 – 122, bes. 114 – 119. 31 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 34 und 230. 32 Vgl. etwa Bernhard Kölver, Der König: Herr von allem, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 3), S. 181 – 186, und Heiko Frese, Sakrale „Umbrüche“ am Beispiel von Orissa, ebd. S. 187 – 199. 33 Vgl. Hubert Seiwert, Sakralität und Herrschaft am Beispiel des chinesischen Kaisers, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 3), S. 245 – 265, und Hellmut Wilhelm, Gesellschaft und Staat in China. Zur Geschichte eines Weltreiches, Hamburg 1960 [erstmals 1944], bes. Kap. VI, sowie Ulrike Middendorf, Ritualismus und die Usurpation der Namen. Die Verleihung der Königswürde an General Cao Cao, in: Marion Steinicke / Stefan Weinfurter (Hgg.), Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, Köln 2005, S. 225 – 274. 34 Vgl. etwa Klaus Kracht, Tenno¯-Institution und japanische Politik, in: ders. (Hg.), Japan nach 1945. Beiträge zur Kultur und Gesellschaft, Wiesbaden 1979, S. 70 – 85, bes. 73 – 76 und 80. 35 Vgl. etwa John Villiers, Südostasien vor der Kolonialzeit (= Fischer Weltgeschichte 18), Frankfurt/M. 1965, S. 84 f. 36 Vgl. Clifford Geertz, Negara. The Theatre State of Nineteenth-Century Bali, Princeton 1980. 37 Vgl. Hermann Kulke, Der Devara¯ja-Kult. Legitimation und Herrscherapotheose im Angkor-Reich, in: Saeculum 25 (1975) S. 24 – 55, bes. 50. 38 Vgl. Kölver, Der König (wie Anm. 32), S. 184 – 186.

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200639) in Nepal40, bei Völkern auf dem afrikanischen41 und dem amerikanischen42 Kontinent und natürlich auch in Australien43 oder Polynesien44. Schon allein dieser Umstand läßt ein Fehlen von sakralen Konnotationen bei den Herrschaftsträgern in germanischen Volksverbänden als wenig wahrscheinlich erscheinen – und dies um so weniger, als sich numinose Bezüge beim heidnischen Königtum der Angelsachsen45 und ebenfalls im skandinavischen Raum46 nachweisen lassen. Die Begründung der Herrschaft mit Hilfe von sakralen Bezügen entspricht zudem – und dies gilt es durchaus zu beachten – dem religiösen Denken vormoderner Gesellschaften, entspricht einer Art der Welterklärung, die die Ordnung von Welt und Kosmos auf die Götter oder einen Schöpfergott oder ein numinoses Prinzip zurückführt und in der göttlichen Ordnungsmacht daher ebenfalls den Existenzgrund für das Königtum und seine Inhaber erblickt47. Je entwickelter eine solche Gesellschaft gewesen ist, je stärker die Herrschaft, deren Träger und Sachwalter organisiert waren und abgehoben erscheinen von der beherrschten Bevölkerung, um so entwickelter erscheint der Sakralcharakter des Königtums; vorhanden aber war die religiöse Konnotation der Herrschaft offenbar immer – in einfacher strukturierten Herrschaftsverbänden allerdings wohl in schwächerer Ausgestaltung. Gerade dieser Zusammenhang spricht einerseits dafür, daß auch die 39 Vgl. den Bericht „Parlament in Nepal entmachtet König“ vom 20. Mai 2006 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 117, wo es auf S. 6 heißt: „Die Abgeordneten hatten am Donnerstag [= 18. Mai 2006] eine Resolution verabschiedet, die eine radikale Verfassungsänderung bedeutet. In ihr wird das letzte ,hinduistische Königreich‘ der Welt zum säkularen Staat erklärt und dem Monarchen, der bislang mit weitreichenden Rechten ausgestattet war, eine rein repräsentative Rolle zugewiesen“. 40 Vgl. Kölver, Der König (wie Anm. 32), S. 181 – 183; Bert van den Hoek, Does Divinity Protect the King? Ritual and Politics in Nepal, in: Contribution to Nepalese Studies 17/2 (1990) S. 147 – 155, sowie Gérard Toffin, Le Palais et le Temple. La fonction royale dans la vallée du Népal, Paris 1993. 41 Vgl. Anm. 3 sowie Walter Kühme, Zwischen Vergöttlichung und enttäuschter Erwartung. Die Inthronisation des Königs von Gobir Abdou Balla Marafa im Jahre 1998 (SüdNiger), in: Steinicke / Weinfurter (Hgg.), Investitur- und Krönungsrituale (wie Anm. 33), S. 347 – 356, bes. 347 – 349. 42 Vgl. Ulrich Köhler, in: RGA 26 (2004) S. 181 – 183 (§2 Ethnol[ogie]). 43 Vgl. Émile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt/M. 1985 [frz. 1950], S. 93. 44 Vgl. Köhler, in: RGA 26, S. 182. 45 Vgl. Lutz E. von Padberg, in: RGA 26 (2006) S. 272 – 279 (§20 Angelsachsen), und Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 81. 46 Vgl. Olof Sundqvist, in: RGA 26 (2006) S. 279 – 293 (§21 Religionsgeschichte); ders., Freyr’s offspring (wie Anm. 7); ders., Aspects of rulership ideology in Early Scandinavia – with particular references to the skaldic poem Ynglingatal, in: Erkens (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum (wie Anm. 3), S. 87 – 124, und Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 81 f. 47 Vgl. dazu Günter Dux, Die Genese der Sakralität von Herrschaft. Zur Struktur religiösen Weltverständnisses, in: Erkens (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum (wie Anm. 3), S. 9 – 21, zum Nachfolgenden bes. S. 19 f.

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germanischen Könige (und zwar auf wohl nahezu allen Stufen der staatlichen Entwicklung) sakral gewesen sind, und hilft andererseits zu verstehen, warum diese Sakralität anfänglich noch nicht besonders stark ausgeprägt war48. Erst die Ausgestaltung der Herrschaftsorganisation und die Rezeption antik-christlicher Vorstellungen verdichtete die Sakralsphäre der germanischen Herrscher49. Als Fazit der vorgetragenen allgemeinen Überlegungen, bei denen Analogien und Schlüsse von nur wenigen Nachrichten auf eine allgemeine Vorstellung keine geringe Rolle spielten, darf daher festgehalten werden, daß wohl, auch wenn es nicht jederorts klare Hinweise darauf gibt, der König in allen Germanenreichen in sakralen Bezügen stand, über deren Intensität sich freilich oft nichts oder nur wenig aussagen läßt; doch ist sie verglichen mit den Verhältnissen in den Großreichen des Altertums vor allem in der heidnischen Zeit kaum besonders stark gewesen. Das grundsätzliche Vorhandensein der Idee vom sakralen König jedoch ermöglichte die zwang- und problemlose Adaption der entsprechenden, wesentlich stärker ausgestalteten und elaborierten Vorstellungswelt antik-christlicher Sakraltradition und führte dadurch schließlich zu einer – wahrscheinlich darf man sagen: gewaltigen – Intensivierung des ,germanischen‘ Verständnisses vom sakralen Königtum.

48

Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 86 f. Vgl. ebd. sowie Joachim Ehlers, Grundlagen der europäischen Monarchie in Spätantike und Mittelalter, in: MAJESTAS 8/9 (2000/2001) S. 49 – 81, bes. 62 – 76. 49

Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume Versuch eines Überblicks „Le voilà Prêtre et Roi!“ – Dieser Ruf: ,Seht nun den Priester und König‘, rex et sacerdos1, ertönte nicht im Mittelalter, sondern 1825, veranlaßt durch die Salbung und Krönung Karls X. (1824 – 1830, † 1836), des zweiten Königs im nachrevolutionären Frankreich, der am 29. Mai dieses Jahres nach altehrwürdigem Zeremoniell an traditioneller Stätte in Reims die Weihe, le sacre, als legitimer Herrscher seines Volkes empfing2. Er ertönte wohl nicht während der feierlichen Handlung in der Kathedrale von Reims, aber in dem aus diesem Anlaß entstandenen Gedicht „Le sacre de Charles X“ von Victor Hugo (1802 – 1885)3, dem Sohn eines napoleonischen Generals und einer royalistisch gesinnten Mutter, der damals legitimistisch dachte4 und einen Monat zuvor ,chevalier de la Légion d’honneur‘, Ritter der Ehrenlegion, geworden war5. Mit weitausholendem Gestus und tief in die Geschichte Frankreichs und die französische Königsideologie eintauchend, an die – noch 1996 zum nationalen Symbol der christlichen Nation taugende – Taufe des Frankenkönigs Chlodwig erinnernd, vorweisend die Symbole des nationalen Selbst- und Geschichtsverständnisses: die Oriflamme, die Königsgrablege Saint-Denis, die Reimser Krönungskathedrale, die beiden heiligen Krieger („les deux saints guerriers“) Charlemagne und Ludwig IX., die noch nicht heilig gesprochene Jeanne d’Arc und schließlich auch François Premier und gar den unglückseligen Louis Erstdruck (gewidmet Hartmut Wolff zum 60. Geburtstag) in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 7 – 32. 1 Zu dieser Floskel vgl. Franz-Reiner Erkens, Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: HJb 118, 1998, S. 1 – 39, bes. 21 – 24. 2 Dazu vgl. Jaques LeGoff, Reims, Krönungsstadt, Berlin 1997 [frz. 1986], S. 90 – 95. 3 Victor Hugo, Œuvres poétiques I (= Bibliothèque de la Pléiade 171), Gallimard 1964, S. 379 – 384 (Ode quatrième), das Zitat findet sich auf S. 383 (s. Anm. 6). Vgl. dazu die Übersetzung von Heinrich Elsner, in: Victor Hugo’s sämmtliche Werke, übersetzt von Mehreren. Dreizehnter Band, Stuttgart 1841, S. 149 – 157, bes. 156: „Schaut ihn als König und als Priester jetzt!“ 4 Vgl. Jürgen von Stackelberg, Kleine Geschichte der französischen Literatur, München 2 1999, S. 173 – 177, bes. 177, sowie Theodor Lücke, Victor Hugo. Roman eines Lebens, Berlin (Ost) 1979, S. 15 und 52 [das Buch liegt auch in einer Ausgabe des Fischer Taschenbuchverlags (Frankfurt 1985) vor]. 5 Vgl. die Anmerkungen zu der vierten Ode (wie Anm. 3) S. 1257 (P. 379).

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Seize, betonend endlich auch den alten Brauch der Salbung und deren Heiligkeit, mithin das große Panorama „de la grandeur française“ als Wurzelgrund bewußtseinsprägender Historie entfaltend, stellt der Dichter die ,heil’ge Salbung Carls‘, „le Saint Chrême de Charles“, in den zeitenüberspannenden Kontext herrscherlicher Gottverbundenheit, ja, er scheut sich nicht, in dem Gebet, mit dem die Ode ausklingt, zu erklären, Karl habe Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut: „Charles, comme au Sina, t’a pu voir face à face!“ Victor Hugo stand 1825 mit seiner konservativen Gesinnung, mit seiner den Bruch der Revolutionszeit überbrückenden Hinwendung zu den geheiligten Traditionen der französischen Monarchie und mit seinem Anknüpfen an vormoderne Herrschaftsvorstellungen und Formeln numinoser Herrschaftslegitimierung keinesfalls allein. Sein Dichterkollege und (als gleichfalls neues Mitglied der Légion d’honneur) Rittergenosse Alphonse Marie Louis de Lamartine (1790 – 1869) ist ebenfalls nicht untätig gewesen und hat mit vergleichbarer, wenn auch historisch weniger weit ausholender Tendenz wie Hugo einen „Chant du Sacre“ verfaßt6. Aber auch konservative Geister wie Joseph de Maistre (1753 – 1821) und damals selbst Félicité Robert de Lamennais (1782 – 1854) waren Protagonisten des alten Gedankenguts7. Hatte sich Napoleon Bonaparte bei seiner am 2. Dezember 1804 in der Pariser Kathedrale Notre-Dame inszenierten Kaiserkrönung8 trotz des unverkenn6 Vgl. ebd. S. 1257 und Karlheinrich Biermann, Vom Ende der großen Revolution zur Kommune: Romantik und Realismus, in: Jürgen Grimm (Hg.), Französische Literaturgeschichte, Stuttgart 1989, S. 230 – 272, bes. 242, sowie Lamartine, Œuevres poétiques. Édition par Marius-François Guyard, Bibliothèque de la Pléiade 165, Gallimard (Dijon) 1963, S. 247 – 271 (und dazu ebd. S. 1834 – 1837). 7 Vgl. Peter Stadler, Geschichtsschreibung und historisches Denken Frankreichs 1789 – 1871, Zürich 1958, S. 51 – 54, 204 ff.; zur Geschichtsschreibung der Zeit vgl. Jürgen Voss, Das Mittelalter im historischen Denken Frankreichs. Untersuchungen zur Geschichte des Mittelalterbegriffs und der Mittelalterbewertung von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen des Historischen Instituts der Universität Mannheim 3), München 1972, S. 312 – 338. – Zu de Maistre vgl. auch Robert Triomphe, Joseph de Maistre. Étude sur la vie et sur la doctrine d’un matérialiste mystique (= Travaux d’histoire éthico-politique 14), Genève 1968, sowie Hans Barth, Über die Staats- und Gesellschaftsphilosophie von Lamennais, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 6, 1948, S. 142 – 168, bes. 142 – 157, und Peter Richard Rohden, Joseph de Maistre als politischer Theoretiker. Ein Beitrag zur Geschichte des konservativen Staatsgedankens in Frankreich (= Forschungen zur mittelalterlichen und neueren Geschichte 2), München 1929, bes. S. 192 ff. und 238 – 242. 8 Dazu und zum folgenden vgl. Hellmuth Rössler, Napoleons Griff nach der Kaiserkrone. Das Ende des alten Reiches 1806, München 1957, S. 18 f.; José Cabanis, Le sacre de Napoléon 2 Décembre 1804 (= Trente Journées qui ont fait la France 21), Paris 1970, S. 209 ff.; Carlrichard Brühl, Les autocouronnements d’empereurs et de rois (XIIIe-XIXe s.). Remarques sur la fonction sacramentelle de la royauté au moyen âge et à l’époque moderne, in: ders., Aus Mittelalter und Diplomatik I: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim / München / Zürich 1989, S. 444 – 460 [erstmals 1984, in: Académie des Inscriptions et Belle-Lettres. Comptes rendus des séances de l’année, S. 102 – 118], bes. 444 ff., sowie Sabine Tanz, Aspekte der Karlsrezeption im Frankreich des 19. Jahrhunderts, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Karl der Große in Renaissance und Moderne. Zur Rezeptionsgeschichte und

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baren Bemühens, sich in die Legitimation spendende Tradition Karls des Großen zu stellen, ja, gleichsam dessen Platz einzunehmen9, letztlich doch als Kind der Aufklärung gezeigt und sich von dem zu den Feierlichkeiten herbeizitierten Papst zwar salben, aber nicht krönen lassen10, so wurde unter dem Bourbonenkönig zum letzten Mal in der französischen Geschichte noch einmal der numinose Zauber der Monarchie entfaltet. Eine Scherbe der während der Revolutionswirren zerbrochenen Sainte-Ampoule, in der über Jahrhunderte hinweg das angeblich für die Taufe des Merowingerkönigs Chlodwig von einer Taube aus dem Himmel herbeigebrachte Salböl aufbewahrt worden war11, hatte, eingetaucht in das Salböl Karls X., dieses durch die an ihr haftenden Rückstände zu einem Himmelsöl gemacht12, zu einer Substanz, die seit dem Hochmittelalter die französischen Herrscher nach empfangener Salbung entsprechend einer verbreiteten Ansicht dazu befähigte, an Skrofeln Erkrankte durch Handauflegung zu heilen13. Auch Karl X. erprobte – wenn auch nur widerstrebend14 – am 31. Mai 1825 noch einmal diese Kraft der „rois thaumaturges“, der wundertätigen Könige, und zog damit natürlich Spott und Kritik von aufgeklärten Geistern auf sich15. Instrumentalisierung eines Herrscherbildes (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 4, 2), Berlin 1999, S. 53 – 64, bes. 56 f. 9 Vgl. etwa Napoleons Äußerung gegenüber dem Kardinal Fesch vom 7. Januar 1806: „Pour le Pape, je suis Charlemagne“, Jacques-Louis Davids Bild von Napoleons Überquerung des Großen St. Bernhard im Mai 1800 und die dort erscheinende Felsinschrift „KAROLUS MAGNUS“ sowie die Tafel, die am 9. Juni 1811 bei den in Aachen – wie in anderen Städten auch – stattfindenden Tauffeierlichkeiten für Napoleons Sohn in einem Festzug zusammen mit einer Statue Karls des Großen durch die Stadt getragen wurde und die Aufschrift trug: „Nur Napoleon ist größer als ich“, und dazu Tanz (wie Anm. 8) S. 56 ff. (mit den Belegen in Anm. 5, 14 und 17) sowie Thomas R. Kraus, Auf dem Weg in die Moderne. Aachen in französischer Zeit 1792/93, 1794 – 1814 (= Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins, Bd. 4), Aachen 1994, S. 153 f. und 157 f., 171 (D11), und Stadler (wie Anm. 7) S. 56 ff. 10 Vgl. Rössler (wie Anm. 8) S. 19. – Allerdings hinderte diese aufgeklärte Haltung den Maler Antoine Gros 1804 nicht daran, den Pestkranke berührenden General Bonaparte auf dem Gemälde ,Die Pestkranken von Jaffa‘ in einer Haltung darzustellen, wie sie die französischen Könige einst bei der „touche des écrouelles“ einnahmen; vgl. dazu Werner Telesko, Napoleon Bonaparte und die Tradition des „alten Europa“, in: MAJESTAS 7, 1999, S. 89 – 112, bes. 104 f. und 106 (Abb. 4). 11 Zu dieser Legende vgl. LeGoff (wie Anm. 2) S. 15 ff. und 19 ff. 12 Vgl. ebd. S. 91 f. sowie Richard A. Jackson, Vivat Rex. Histoire des sacres et couronnements en France, 1364 – 1825, Paris 1984 [engl. 1984], S. 180 f. 13 Vgl. dazu das grundlegende Werk von Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998 [frz. 1924]. – Zu ähnlichen Vorstellungen in England vgl. David J. Sturdy, The Royal Touch in England, in: ders. / Richard A. Jackson / Heinz Duchhardt (Hgg.), European Monarchy. Its Evolution and Practice from Roman Antiquity to Modern Times, Stuttgart 1992, S. 171 – 184. 14 Vgl. ebd. S. 425 – 428. 15 Vgl. ebd. S. 428 sowie LeGoff (wie Anm. 2) S. 94 f., aber auch Georges Clause, Les réactions de la presse et de l’opinion au sacre de Charles X, in: Le sacre de rois. Actes du Colloque international d’histoire sur les sacre et couronnenments royaux (Reims 1975), Paris 1985, S, 289 – 303.

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Die kritische Einstellung gegenüber dem herkömmlichen Glauben an eine besondere Heiligkeit von Herrschern und an den die Sakralität von Herrschaft begründenden Institutionen und Handlungen war seit den Tagen der Aufklärung immer deutlicher geworden. Der Ritter Karl H. von Lang etwa16 vergoß seinen Spott über die Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Leopolds II. im Jahre 1790, beschrieb die ehrwürdigen Handlungen mit beißendem Hohn und stellte sie17 als eine alttestamentliche Judenpracht dar, bei der der Kaiserornat aussah, als war er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft worden, und bei der der Kaiser vor allem auf herabwürdigende Weise gezwungen gewesen sei, alle Augenblicke vom Stuhl herab und hinauf, hinauf und herab sich ankleiden und auskleiden, einschmieren und wieder abwischen [zu] lassen, sich vor den Bischofsmützen mit Händen und Füßen ausgestreckt auf die Erde [zu] werfen und liegen bleiben zu müssen. Schon eine Flugschrift von 1782 hatte von einem Fasnachtsspiel in zerrissenen, prangenden Fetzen gesprochen18. Selbst Goethe, der als Halbwüchsiger 1764 regen Anteil an dem Verlauf der Frankfurter Krönungsfeierlichkeiten Josefs II. nahm und den erhabenen Zauber der ehrwürdigen Zeremonien empfand, konnte nicht umhin, manche ihrer Erscheinungsformen in ein mild-ironisches Licht zu tauchen. Der junge König, so berichtet er viele Jahre später in ,Dichtung und Wahrheit‘19, schleppte sich in den ungeheuren Gewandstücken mit den Kleinodien Karls des Großen wie in einer Verkleidung einher, so daß er selbst, von Zeit zu Zeit seinen Vater ansehend, sich des Lächelns nicht enthalten konnte. Die Krone, welche man sehr hatte füttern müssen, stand wie ein übergreifendes Dach vom Kopf ab. Aber gerade der alt gewordene Goethe, der Geheime Rat des Herzogs von Weimar und zum Olympier stilisierte Dichterfürst Deutschlands, legt im gleichen Atemzug Zeugnis ab vom Fortleben jener Vorstellungen, die von einem besonderen Verhältnis des Herrschers zum Numinosen künden. Noch als er an dem 1811 erschienenen ersten Teil seiner Dichtung und Wahrheit verwebenden Memoiren arbeitete, als nunmehr Sechzigjähriger, konnte er sich an die religiöse Atmosphäre erinnern, die er als junger Zuschauer bei den Feierlichkeiten anläßlich der Krönung Josefs II. gespürt hatte, noch annähernd ein halbes Jahrhundert später sprach er von dem unendlichen Reiz, den die politisch-religiöse Feierlichkeit auf ihn ausgeübt hatte20. Die Krönung wurde – wenn auch kaum von Goethe selbst – offenbar immer

16 Die Memoiren des Ritters von Lang, 1764 – 1835, hg. von Hans Hausherr, Stuttgart 1957, S. 119 f. 17 Vgl. ebd. S. 114. 18 Zitiert nach Viktor Bibl, Kaiser Josef II. Ein Vorkämpfer der Grossdeutschen Idee, Wien 1943, S. 41. 19 Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke 10 [Artemis-Ausgabe], Zürich 1977, S. 219 – 228, das Zitat findet sich auf S. 223 f. 20 Ebd. S. 222.

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noch von vielen ebenso wie etwa 1726 von dem Juristen und Staatsrechtslehrer Jacob Carl Spener21 als ein solennes und respectiue heiliges Geschaeffte begriffen. 1792 ist zwar im 1806 untergegangenen Reich zum letzten Mal dieses ,heilige Geschäft‘ vollzogen und ein gewählter Kaiser gesalbt und gekrönt worden, aber noch bei der Reichsgründung von 1871 diskutierte man – freilich mit negativem Ergebnis – sowohl in katholischen als auch in nationalliberalen Kreisen die Möglichkeit einer Krönung des künftigen deutschen Kaisers preußisch-protestantischer Herkunft unter Verwendung der aus dem Mittelalter überkommenen Reichskleinodien22. Das ungarische Krönungszeremoniell für den seit 1804 existierenden Kaiser von Österreich aber, der ja zugleich auch König von Ungarn war, bewahrte immerhin Reste des spirituellen Brauches23, und die Königin von England ist noch 1953 nach altem Ritus gesalbt und gekrönt worden24. I Was sich im Lichte der Aufklärung und unter dem Einfluß kühler Rationalität seit dem 18. Jahrhundert allmählich auflöste, die Vorstellung von einer eigentümlichen Heiligkeit der Monarchie, stand in einer Jahrhunderte alten Tradition. Zu allen Zeiten und an allen Orten wurden die Herrscher mit dem Numinosen in Verbindung gebracht – sei es, daß sie selbst als Götter betrachtet wurden, sei es, daß sie als Söhne, Nachkommen, Schützlinge oder Stellvertreter eines Gottes galten, sei es, daß sie in einer besonderen Verantwortung gegenüber einer göttlichen Person oder transzendenten Macht standen25. Der Bezug zum Divinen mag mehr oder weniger

21 Teutsches Ius Publicum oder des heil. Roemisch=Teutschen Reichs vollstaendige Staats=Rechts= Lehre V, Franckfurt und Leipzig 1726, S. 4 (§II). 22 Vgl. Theodor Schieder, Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat (= Wiss. Abh. d. Arbeitsgemeinschaft f. Forschung des Landes NRW 20), Köln 1961, S. 154 – 158. 23 Vgl. etwa Egon Cäsar Conte Corti / Hans Sokol, Franz Joseph, Graz 1960, S. 167 f., sowie Heinrich Marczali, Ungarisches Verfassungsrecht (= Das öffentliche Recht der Gegenwart 15), Tübingen 1911, S. 55 ff., bes. 57, und Otto de Habsbourg (Habsburg), Le couronnement du roi Charles IV de Hongrie à Budapest en 1916, in: Le sacre de rois (wie Anm. 15), S. 305 – 311, bes. 308 f. 24 Vgl. zum englischen Brauch Percy Ernst Schramm, Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung, Weimar 1937 [ND Darmstadt 1970], der den Gegenstand seiner Forschung am 12. Mai 1937 bei der Krönung Georges VI. (1936 – 1952) selbst vor Augen geführt bekam (vgl. ebd. S. XXI); zur Krönung von Georges VI. Tochter Elisabeth II. am 3. Juni 1953 vgl. Kurt Kluxen, Geschichte Englands. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 21976, S. 834; Edward Shils / Michael Young, The Meaning of the Coronation, in: E. Shils, Center and Periphery. Essays in Macrosociology (= Selected Papers of E. Shils II), Chicago and London 1975, S. 135 – 152, bes. 141, sowie The Times Coronation Supplement June 1953 („The Queen takes possession of her kingdom“) S. 13 ff. 25 Auf Einzelnachweise muß hier verzichtet werden, vgl. aber neben den übrigen Beiträgen in diesem Band auch Franz-Reiner Erkens, Moderne und Mittelalter oder Von der Relevanz des praktisch Untauglichen. Ein Plädoyer für das historische Interesse an älteren Epochen, in:

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stark ausgeprägt gewesen sein, vorhanden jedoch war er im Grunde immer: bei Naturvölkern ebenso wie in hochstehenden Kulturen, bei ,Primitiven‘ und ,Wilden‘ ebenso wie bei den Eliten entwickelter Zivilisationen. Den Herrscher umgab daher eine eigentümliche sakrale Aura, und mancherorts wurden ihm sogar übermenschliche Fähigkeiten zugeschrieben. Titus Flavius Vespasianus etwa (69 – 79), Begründer der flavischen Kaiserdynastie nach dem mit dem Namen Neros verbundenen unrühmlichen Ende des julisch-claudischen Herrscherhauses und Überwinder der Wirren des antiken Dreikaiserjahres, soll nach seiner Erhöhung zum Imperator die Fähigkeit besessen haben, Kranke zu heilen. Als er, aus einem Geschlecht von dunkler Herkunft stammend26, noch keine Majestätsautorität besaß27 und bald nach seiner Proklamation zum Kaiser in Alexandria auf dem Tribunal saß, da näherten sich ihm, wie Sueton berichtet28, ein Blinder und ein Lahmer mit der Bitte um Heilung von ihren Gebrechen. Serapis, so erklärten sie, der ägyptische Heilgott, habe ihnen in einem Traumbild Heilung verheißen, falls der Kaiser die Augen des Blinden mit seinem Speichel benetze und das kranke Bein des Lahmen mit seinem Fuß berühre. Und so sei es geschehen, als Vespasian, zunächst voller Skepsis über dieses Ansinnen, auf Drängen seiner Umgebung die erbetenen Handlungen ausführte. Unverkennbar diente dieser inszenierte Akt der göttlichen Legitimierung eines neuen princeps aus einer gens obscura. Tacitus, der dieselbe Geschichte mit leichten Abwandlungen, aber deutlich größerer Skepsis aufgrund von Augenzeugenberichten ebenfalls beschreibt29, läßt daher auch die Ärzte, bei denen sich der zögernde und die Sache eigentlich als lächerlich empfindende Vespasian vor dem eigenen Tätigwerden nach den Erfolgsaussichten seines Handelns erkundigt haben soll, davon sprechen, daß ein Heilungserfolg mit medizinischen Mitteln nicht ausgeschlossen sei und daß – und dies ist nun das Entscheidende – die Götter ihn, den Kaiser, vielleicht zu ihrem Werkzeug machen wollten. Der Erfolg als Gesundheit spendender Herrscher ließ Vespasian mithin als diuino ministerio principem electum30, als Gehilfe und damit als Schützling der Götter erscheinen. Wenn nun auch die Nachrichten über herrscherliche Heilkräfte bis in das europäische Hochmittelalter hinein spärlich bleiben – nur über den römischen Kaiser ders. (Hg.), Karl der Große in Renaissance und Moderne (wie Anm. 8), S. 95 – 122, bes. 114 – 120. 26 Suet., Vesp. I 1: gens Flaua, obscura illa quidem ac sine ullis maiorum imaginibus. 27 Suet., Vesp. VII 4: Auctoritas et quasi maiestas quaedem ut scilicet inopinato et adhuc nouo principi deerat. 28 Vesp. VII 5 – 6. Vgl. dazu und zum folgenden Gabriele Ziethen, Heilung und römischer Kaiserkult, in: Sudhoffs Archiv 78, 1994, S. 171 – 191, bes. 181 – 184, sowie Siegfried Morenz, Vespasian, Heiland der Kranken. Persönliche Frömmigkeit im antiken Herrscherkult?, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumskunde 4, 1949/50, S. 370 – 378. 29 Hist. IV 81. 30 Tac., Hist. IV 81,6.

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Hadrian (117-138)31, den Merowingerkönig Guntram (561 – 584)32, den westfränkisch-französischen König Robert II., den Frommen (996 – 1031)33, aus dem Hause der Kapetinger und den angelsächsischen König Eduard den Bekenner (1041/42 – 1066)34 liegen entsprechende Berichte vor –, so kann es doch keine Zweifel daran geben, daß sich von der römischen Kaiserzeit an eine lange nachwirkende Tradition entwickelte35, die das sakrale Herrschaftsverständnis im abendländischen Europa prägte. Heilkräfte als Zeichen göttlicher Legitimierung, wie sie die Könige Frankreichs seit dem Hochmittelalter36, wie sie aber auch die ,rois thaumaturges‘ Englands37 und vielleicht Kastiliens38 für sich beanspruchten, sind nur ein – zwar überaus eindrucksvoller, im übrigen aber keinesfalls zwingend notwendiger – Bestandteil der herrscherlichen Sakralität. Diese konnte sich vielmehr ganz unterschiedlich äußern und fand ihren Ausdruck etwa auch in der priesterlichen Stellung der Könige, die gerade im frühen Mittelalter besonders stark ausgeprägt war39 und sich, nach dem in den einzelnen Königreichen mit unterschiedlichem Erfolg unternommenen Versuch einer Verdrängung aus dieser Position durch den Kampf der Kirche und des Papsttums um Unabhängigkeit von den säkularen Gewalten40, im 31

Vita Hadriani 25, 1 – 4, ed. Ernst Hohl, Scriptores Historiae Augustae. Vol. I., Leipzig 1965, S. 26. 32 Gregorii ep. Turon. Libri historiarum decem IX 21, ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. I, Hannover 21937 – 1951, S. 441 f. 33 Epitoma Vitae regis Roberti pii des Helgaud, ed. Recueil des historiens des Gaules et de la France X, Paris 1760, S. 115; ed. Robert-Henri Bautier / Gillette Labory, Vie de Robert le Pieux. Epitoma vitae regis Rotberti pii (= Sources d’histoire médiévale I), Paris 1965, S. 128 (cap. 27). 34 Vgl. etwa Willelmi Malmesbiriensis monachi De gestis regum Anglorum libri quinque. Vol. I., ed. by William Stubbs, Rolls Series, London 1887, S. 272 f. (Lib. II, § 222), sowie Bloch (wie Anm. 13) S. 80 ff. 35 Vgl. dazu etwa Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 1), S. 15 – 19 (und die hier verzeichnete Literatur). 36 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung von M. Bloch (wie Anm. 13) sowie Jacques LeGoff, La genèse du miracle royal, in: Marc Bloch aujourd’hui. Histoire comparée et Sciences sociales. Textes réunis et présentés par Hartmut Atsma et André Borguière (= Recherches d’histoire et sciences sociales 41), Paris 1990, S. 147 – 156, und Joachim Ehlers, Der wundertätige König in der monarchischen Theorie des Früh- und Hochmittelalters, in: PaulJoachim Heinig u. a. (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (= Hist. Forschungen 67), Berlin 2000, S. 3 – 19. 37 Vgl. ebd. sowie Frank Barlow, The King’s Evil, in: ders., The Norman Conquest and Beyond (= History Series Vol. 17), Bodmin 1983, S. 23 – 47 [erstmals 1980, in: English Historical Review 95, S. 3 – 27]. 38 Vgl. Bloch (wie Anm. 13) S. 181 f. 39 Vgl. dazu Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 1), S. 21 – 24, sowie Egon Boshof, Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 27), München 21997, S. 109 – 122. 40 Vgl. dazu etwa Libelli Honorii Augustodunensis presbyteri et scholastici III. Summa Gloria c. 9, ed. Julius Dieterich, MGH LdL 3, Hannover 1897, S. 63 – 80, hier: 69, sowie Bloch (wie Anm. 13) S. 211 – 215; Bernhard Töpfer, Tendenzen zur Entsakralisierung der Herrscherwürde in der Zeit des Investiturstreites, in: Jb. für Geschichte des Feudalismus 6, 1986,

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spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Frankreich41 und England42 erneut konsolidierte und selbst im Reich eine schwache Renaissance erfuhr, als unter Karl IV. (1346 – 1378) der ,kaiserliche‘ (auch von einem ,künftigen‘ Kaiser geübte) Brauch aufkam, bei der Christmette das Weihnachtsevangelium zu verlesen, und es im 15. Jahrhundert gelegentlich vorkam, daß ein neu gewählter König bei der Krönungsmesse das Evangelium von den heiligen drei Königen vortrug43. Der Ausruf Victor Hugos44, veranlaßt durch Karls X. Krönung: „Le voilà Prêtre et Roi!“, war im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts daher keinesfalls nur eine Reminiszenz an ferne, längst untergegangene Jahrhunderte, sondern bedeutete das Anknüpfen an eine Tradition, die erst durchschnitten worden war, als man Ludwig XVI. den Kopf vom Rumpf trennte, und die im 15. Jahrhundert aufgefrischt worden war, als etwa der Reimser Erzbischof Jean Juvénal des Ursins gegenüber dem König erklärte45 : vous n’etes pas simplement personne laye, mais prelat ecelesiastique (was 1493 vor dem Pariser Parlament, dem obersten Gerichtshof, ähnlich auch von dem Advokaten Olivier verkündet worden ist46 und bis zum Ende des ancien régime galt47). S. 163 – 171; Boshof (wie Anm. 39) S. 123 ff. und allg. Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 21), München 1993, sowie prinzipiell auch Frantisˇek Graus, Mittelalterliche Vorbehalte gegen die Sakralisierung der Königsmacht, in: Marc Bloch aujourd’hui (wie Anm. 36), S. 115 – 123. 41 Vgl. dazu Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. bis 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates, 2 Bde., Darmstadt 21960, I, S. 252 – 254. 42 Vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 24), S. 138 f. 43 Vgl. Hermann Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: DA 39, 1983, S. 131 – 206, sowie ders., Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin / New York 1982, S. 388 – 411, und ders., Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung, in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 447 – 459. 44 Vgl. Anm. 3. 45 Zitiert nach Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 41), S. 254, und Bloch (wie Anm. 13) S. 238 f. mit Anm. 58 bzw. in der frz. Ausgabe von 1924: S. 213 Anm. 1. Vgl. auch die Denkschrift des Jean Juvénal des Ursins für Karl VII. von 1452, ed. Noël Valois, Histoire de la Pragmatique Sanction de Bourges sous Charles VII (= Archives de l’histoire religieuse de la France IV), Paris 1906, S. 206 – 250 [Nr. 84], hier: 216: … comme chef et la premiere personne ecclesiastique, appelés vos preslas … Vgl. aber auch die Worte, die Jean Gerson 1390 an Karl VI. richtete: Roy tres crestien, roy par miracle consacré, roy espirituel at sacerdotal …, zitiert nach der frz. Ausgabe von Bloch (wie Anm. 13), S. 213 mit Anm. 2 [dt. Ausgabe: S. 239 mit Anm. 19]. 46 Vgl. Bloch (wie Anm. 13) S. 171 mit Anm. 104: le roy n’est pas pur lay. 47 Vgl. dazu allg. Bloch (wie Anm 13) sowie Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 41), S. 254, und André Leguai, Fondements et problèmes du pouvoir royal en France (autour de 1400), in: Reinhard Schneider (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich (= Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987, S. 41 – 58, bes. 49 f.

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Das angeführte Beispiel des römischen Kaisers Vespasian markiert keinesfalls den Beginn einer europäischen Entwicklung, sondern signalisiert allenfalls die Intensivierung von Tendenzen, die den römischen Herrscher als sakral oder gar divin erscheinen lassen48, seit der Begründung des Prinzipats durch Augustus49 immer deutlicher sichtbar wurden, sich bis zur Spätantike und in der Zeit des sog. Dominats voll entfalteten, von Konstantin dem Großen und seinen Nachfolgern schließlich in christlicher Umgestaltung adaptiert wurden50 und wirkmächtig sowohl die Herrschergeschichte von Byzanz51 als auch der abendländischen Königreiche prägten52. Die politischen Handlungen Roms waren zwar schon immer in einen, besonders bei wichtigen Entscheidungen etwa durch Vogel- und Eingeweideschau zu beachtenden religiösen Rahmen eingebunden53, auch kannte man natürlich den charismatisch begabten Führer, der – wie Julius Caesar54 – durch persönliche Leistung55, aber auch durch seine Herkunft aus einem Geschlecht göttlichen Ursprungs 48 Vgl. dazu Andreas Alföldi, Die Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells am römischen Kaiserhof, in: ders., Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 1970, S. 1 – 118 [erstmals 1934, in: Mitteilungen des Deutschen Archaeologischen Instituts, Römische Abt., 49, S. 1 – 118], sowie Manfred Clauss, Deus praesens. Der römische Kaiser als Gott, in: Klio 78, 1996, S. 400 – 433, und ders., Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, Stuttgart / Leipzig 1999. 49 Vgl. dazu die knappe, den Forschungsstand resümierende, aber äußerst instruktive Darstellung von Werner Eck, Augustus und seine Zeit, München 1998, zur Sakralisierung bzw. Divinisierung bes. S. 42 f., 62 und 115. 50 Vgl. Otto Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938 [ND Darmstadt 1956 u. ö.], und Friedrich Heiler, Fortleben und Wandlungen des antiken Gottkönigtums im Christentum, in: La regalità sacra. Contributi at tema dell’VII congresso internazionale di storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), Leiden 1959, S. 543 – 580. 51 Vgl. dazu etwa Joh. B. Aufhauser, Die sakrale Kaiseridee in Byzanz, in: La regalità sacra (wie Anm. 50), S. 531 – 542, sowie Klaus-Peter Matschke, Sakralität und Priestertum des byzantinischen Kaisers, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 143 – 164. 52 Vgl, Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 1), S. 16 – 24. 53 Dazu vgl. Jochen Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung (= UTB 460), Paderborn u. a. 71995, S. 171 – 179, sowie Klaus Bringmann, Imperium und Sacerdotium. Bemerkungen zu ihrem ungeklärten Verhältnis in der Spätantike, in: Peter Kneißl / Volker Losemann (Hgg.), Imperium Romanum. Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschrift für Karl Christ zum 75. Geburtstag, Stuttgart 1988, S. 61 – 72, bes. 61 ff. – Zur Bestellung etwa des römischen Königs der Frühzeit nach dem Willen der Götter vgl. Wolfgang Kunkel, Zum römischen Königtum, in: ders., Kleine Schriften, Weimar 1974, S. 345 – 366 [erstmals 1959, in: Ius et Lex. Festgabe zum 70. Geburtstag von Max Gutzwiller, S. 1 – 22], bes. 361; zur Sakralität des Königs vgl. bes. 363. 54 Vgl. Mattias Gelzer, Caesar, Der Politiker und Staatsmann, Wiesbaden 1960, und Christian Meier, Caesar, Berlin 1982. – Allg. vgl. dazu und zum folgenden auch Christoph R. Hatscher, Charisma und Res Publica. Max Webers Herrschaftssoziologie und die Römische Republik (= Historia. Einzelschriften 136), Stuttgart 2000. 55 Vgl. dazu bes. Christian Meier, Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar, in: ders., Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar? Drei biographische Skizzen, Frank-

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(bei den Juliern war es die Venus Genetrix56) sowie durch den besonderen Schutz der Götter (verwiesen sei nur auf Caesars sprichwörtliches Glück57) ausgezeichnet war, aber grundsätzlich war man in republikanischen Zeiten zurückhaltend geblieben bei der Sakralisierung von Menschen. Erst die Spätphase der Republik58 und natürlich die Kaiserzeit59 brachten hier einen Wandel, der den Vorstellungen von Herrschaft und ihrer Legitimität unter Rückgriff auf hellenistische Traditionen auch Elemente der altorientalischen Ideenwelt beimengte60 (weswegen es sicherlich kein Zufall war, daß man Vespasians kaiserliche Heilkraft im ägyptischen Alexandria entdeckte). Diese Elemente wurden durch die im 4. Jahrhundert einsetzende Verchristlichung der Herrschaft und die damit wirksam werdenden alttestamentlichen Vorbilder weiter verstärkt und konnten schließlich eine eigentümliche Kraft entfalten, die das Bewußtsein der Menschen von den sakralen Bezügen annähernd jeglicher Herrschaft entscheidend prägte. Diese Wirkung beschränkt sich keinesfalls nur auf die Zeit des Mittelalters. Allein das französische Beispiel belegt ein bis in die Moderne hinein andauerndes Nachwirken dieser besonderen Vorstellungswelt. Natürlich hat es, man braucht ja nur an die Aufklärung und ihre politischen Konsequenzen zu denken, in der Neuzeit auch andere Strömungen, andere Denkrich-

furt/M. 1980, S. 17-100, und ders., Caesars Bürgerkrieg, in: ders., Entstehung des Begriffs ,Demokratie‘. Vier Prolegomena zu einer historischen Theorie, Frankfurt/M. 1970, S. 70 – 150. 56 Vgl. dazu etwa Martin Jehne, Der Staat des Dictators Caesar (= Passauer Hist. Forschungen 3), Köln / Wien 1987, S. 180 und 200, und – etwa zur Bedeutung der Herkunft griechischer und hellenistischer Könige von Herakles – Ulrich Huttner, Die politische Rolle der Heraklesgestalt im griechischen Herrschertum (= Historia. Einzelschriften 112), Stuttgart 1997, sowie ders., Hercules und Augustus, in: Chiron 27, 1997, S. 369 – 391, etwa 389, der ebd. aber besonders hervorhebt, wie bedeutend die Divinisierung Caesars für die politische Stellung seines Adoptivsohnes Augustus gewesen ist. 57 Vgl. dazu Gelzer, Caesar (wie Anm. 54), S. 210 und 217, grundsätzlich aber auch Gregor Weber, Kaiser, Träume und Visionen in Prinzipat und Spätantike, in: HZ 270, 2000, S. 99 – 117, bes. 107. 58 Vgl. dazu etwa für Caesar Jehne (wie Anm. 56) S. 163 – 185 und 217 ff., für Pompejus Matthias Gelzer, Pompeius, München 1973 [erstmals 1949], S. 82 – 99 und 109 ff., für Sulla Arthur Keaveney, Sulla and the Gods, in: Carl Deroux (Hg.), Studies in Latin Literature and Roman History III (= Coll. Latomus 180), Brüssel 1983, S. 44 – 79, bes. 45 – 50 (zu Sullas Glück), 56 – 70 (zu Sullas Verhältnis zu einigen Göttern, vor allem zu Apollo und zur Venus Victrix), 73 (Sulla als pater patriae und salus), sowie Clauss (wie Anm. 48) 5.403 – 406. 59 Vgl. hierzu neben der in Anm. 48, 50 und 60 angegebenen Literatur auch Maria R[adnoti]-Alföldi, Bild und Bildersprache der römischen Kaiser. Beispiele und Analysen (= Kulturgeschichte der antiken Welt 81), Mainz 1999, S. 42 – 82 und 190 – 205. 60 Vgl. Wilhelm Ensslin, Gottkaiser und Kaiser von Gottes Gnaden (= SBB d. bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Abt., 1943, H. 6), München 1943, und Frank W. Walbank, Könige als Götter. Überlegungen zum Herrscherkult von Alexander bis Augustus, in: Chiron 17, 1987, S. 365 – 382.

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tungen gegeben, um Herrschaft zu legitimieren61, und diese sind am Ende ja auch sehr erfolgreich gewesen. Trotzdem hielten sich die traditionellen Ansichten über die sakrale Dimension von Herrschaft und ihren Trägern, verblaßten sie nur langsam zu Relikten aus einer vergangenen Zeit und kehrten oft sogar in verwandelter Gestalt wieder – gleichsam als pervertierte Wiedergänger. Blicken wir nur auf die Verhältnisse im Reich, so zeigt sich eine große Bandbreite an Aussagen, die letztlich alle einen sakralen Wurzelgrund besitzen: Dei imago eminentissima est princeps – „Der Fürst ist das herausragendste Bild Gottes“, heißt es 1629 auf katholischer Seite62, er sei ein Mittler zwischen Gott und den Menschen und erscheine erhöht durch seine Stellvertreterschaft Gottes; und 1711 wird in Bayern erklärt63 : Der Allmechtige Erschaffer der Erde, welcher von sich selbsten und durch seine ainzige Handt nach seinem gefallen kunte die Welt regieren, hat iedoch solche gewalt denen Fürsten mitgethaillet, so er gleichsam als Verweser seiner Macht und Herrlichkeit aufgestelet … Auf evangelischer Seite wurde 1584 verkündet64 : Bonus Princeps est Minister et Vicarius Dei in terris; und noch 1775 wird auf Luthers Lehre verwiesen65 : Ein frommer Regent soll mit Ehren die drey göttliche Amt und Nahmen haben, daß er hilffet, nehret und rettet, und darum ein Heyland, Vater, Retter heissen; und Martin Luther selbst hat in seiner Auslegung des 82. Psalms erklärt, Gott wil sie lassen Götter sein über menschen. Sakrosankte66 Ebenbilder Gottes, Gottes Amtleute und Statthalter auf Erden, ja, Götter über Menschen, so lauten vom 16. bis zum 18. Jahrhundert die Auskünfte, seien sie nun katholischen oder evangelischen Ursprungs, über die Könige, Fürsten und Regenten – und die angeführten Beispiele ließen sich leicht vermehren67. Kann es da noch überraschen, wenn Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seinen zwischen 1821 und 1831 gehaltenen „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“ fest61 Dazu vgl. etwa Horst Dreitzel, Monarchiebegriff in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz, 2 Bde., Köln / Weimar / Wien 1991, sowie Paul Kléber Monod, The Power of Kings. Monarchy and Religion in Europe. 1589-1715, New Haven / London 1999. 62 Vgl. dazu und zum folgenden Adam Contzen, S.J., Politicorum libri decem, Köln 21629, Epistola dedicatoria (S. 1): … Dei imago eminentissima est Princeps, qui immensam numinis maiestatem, media quadam, inter Deum et homines maiestate repre˛ sentat; quocirca Deus etiam dicitur, quia Dei vicariatu sublimis est, et sacrosanctus. 63 Mundus christiano bavaro politicus, zit. nach Eberhard Straub, Zum Herrscherideal im 17. Jahrhundert vornehmlich nach dem „Mundus Christiano Bavaro Politicus“, in: Zs. für bayerische Landesgeschichte 32, 1969, S. 193 – 221, hier: 196. 64 Johannes Schuwardt, Regententaffell darinnen wolgegründeter christlicher Bericht von der Obrigkeit Standt / Namen / Ampt / Glück / Tugenden / Lastern / Nutz / Schaden / Belohnung und Straffen, Leipzig 1584, S. 28. 65 Johannes Gerhard, Loci theologici, tom. 13, Tübingen 1775, S. 239 (Sternchenfußnote zu § XXIII.). Das folgende Lutherzitat findet sich in D. Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe 31, 1, Weimar 1913, S. 182 – 218 (Der 82. Psalm ausgelegt), hier: 191. 66 Vgl. Anm. 62. 67 Vgl. dazu Dreitzel (wie Anm. 61), Bd. 2, S. 486 – 528.

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stellt68: „Im allgemeinen ist die Religion und die Grundlage des Staates eines und dasselbe; sie sind an und für sich identisch“. Diese Einheit ist für den Philosophen vor allem „im allgemeinen dem Prinzip nach, aber in abstrakter Weise … in den protestantischen Staaten“69 verwirklicht, da es in diesen – anders als in den katholischen Staatswesen70 – keinen Dualismus von Staatsführung und eigenständiger Priesterhierarchie gibt, aber auch weil „der Protestantismus fordert, daß der Mensch nur glaube, was er wisse, daß sein Gewissen als ein Heiliges unantastbar sein solle; …“71. Die zu summepiskopalen Höhen72 gesteigerte Stellung der Regenten evangelischer Konfession, „die Gesetze, die Obrigkeit, die Staatsverfassung“ werden dabei nach Vorstellung der Menschen, wie Hegel eigens betont73, von Gott her abgeleitet und dadurch „autorisiert“. Lassen wir die philosophischen und politischen Implikationen der Lehre des ,preußischen Staatsphilosophen‘ beiseite, so belegen dessen Ausführungen vor allem eine für Hegels Zeit – die Zeit der Krönung Karls X. von Frankreich – immer noch verbreitete Vorstellung von der göttlichen Sachwalter- und Stellvertreterschaft der Fürsten. Natürlich, es wurde bereits gesagt, gab es längst auch schon andere Herrschaftstheorien, aber diese hatten sich noch nicht ausschließlich durchgesetzt; und der kritische Rationalismus konnte dem fürstlichen Gottesgnadentum um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert sogar positive Seiten abgewinnen, erklärte Immanuel Kant doch 1795 in seinem Beitrag „Zum ewigen Frieden“74 : „Man hat die hohen Benennungen, die einem Beherrscher oft beigelegt werden (die eines göttlichen Gesalbten, eines Verwesers des göttlichen Willens auf Erden und Stellvertreter desselben), als grobe, schwindligmachende Schmeicheleien oft getadelt: aber mich dünkt, ohne Grund. – Weit gefehlt, daß sie den Landesherrn sollten hochmütig machen, so müssen sie ihn vielmehr in seiner Seele demütigen, wenn er Verstand hat (welchen man doch voraussetzen muß), und es bedenkt, daß er ein Amt übernommen habe, was für einen Menschen zu groß ist, nämlich das Heiligste, was Gott auf Erden hat, das Recht der Menschen zu verwalten, und diesem Augapfel Gottes irgend worin zu nahe getreten zu sein jederzeit in Besorgnis stehen muß“. 68

G. W. F. Hegel, Werke 16 (= stw 616), Frankfurt/M. 1995, S. 236. Ebd. S. 242. 70 Vgl. ebd. S. 241. 71 Ebd. S. 242. 72 Zum Summepiskopat vgl. Johannes Heckel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Summepiskopates, in: ders., Das blinde, undeutliche Wort ,Kirche‘. Gesammelte Aufsätze. Hg. von Siegfried Grundmann., Köln 1964, S. 371 – 386 [erstmals 1924, in: ZRG KA 13, S. 266 – 283]; Wilhelm Maurer, Die Entstehung des Landeskirchentums in der Reformation, in: ders., Die Kirche und ihr Recht. Gesammelte Aufsätze zum evangelischen Kirchenrecht. Hg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebass, Tübingen 1976, S. 135 – 144 [erstmals 1966, in: Walter Peter Fuchs (Hg.), Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, S. 69 – 78]. 73 Werke 16 (wie Anm. 68) S. 237. 74 Ed. Wilhelm Weischedel (= Immanuel Kant Werkausgabe VI), Frankfurt/M. 1964 = 1977, S. 207. 69

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Inwieweit diese aus didaktischem Bemühen entsprungene und keineswegs voraussetzungslose75 Deutung des neuzeitlichen Gottesgnadentums als eines verpflichtenden Amtsauftrages im Dienste Gottes zum Wohle der Allgemeinheit bei Fürsten und Untertanen auf fruchtbaren Boden fiel und weitere Beachtung fand, sei hier dahingestellt. Für die sakrale Legitimierung von Herrschaft an der Schwelle zur Moderne erscheint nämlich etwas anderes bedeutsam: der Umstand, daß auch der große Aufklärer und kritische Philosoph den „Beherrscher“ – wenn auch auf besondere, die Herrscherverantwortung betonende Weise – in unmittelbare Beziehung zu Gott rückt. Selbst wenn dabei nur an einen abstrakten ,Gott der Philosophen‘76 gedacht gewesen sein sollte, konnte dieser doch von den Lesern, soweit sie nicht in besonderem Maße philosophisch gebildet oder weitgehend areligiös waren, in traditionellem Sinne verstanden werden. Wie sehr jedenfalls die der Legitimation dienenden sakralen Vorstellungen von Herrschaft auch noch nach 1800 im Bewußtsein breiterer Bevölkerungsschichten verwurzelt waren, lehren zahlreiche Äußerungen der unterschiedlichen, gleichsam als säkulare oder politische Religionen77 in Erscheinung tretenden ,Weltanschau75

Vgl. dazu etwa Dreitzel (wie Anm. 61) S. 492 und 510 – 515. Vgl. dazu Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, 2 Bde., Darmstadt 31975 [ND in einem Band: Darmstadt 1998], zu Kant etwa S. 201 – 206, sowie Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Stuttgart 1973, S. 672 (wo das „höchste Wesen“ als „fehlerfreies Ideal“ charakterisiert wird), und Hegel, Werke 16 (wie Anm. 68), S. 92 – 101. 77 Vgl. dazu etwa Hans Maier, Politische Religionen. Die totalitären Regime und das Christentum, Freiburg / Basel / Wien 1995; ders. (Hg.), ,Totalitarismus‘ und ,Politische Religionen‘. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn / München / Wien / Zürich 1996 (darin vor allem die Beiträge von Dietmar Herz, Die politischen Religionen im Werk Eric Voegelins, S. 191 – 209; Hans Maier, „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“. Zwei Konzepte des Diktaturvergleichs, S. 233 – 250; Michael Rohrwasser, Religions- und kirchenähnliche Strukturen im Kommunismus und Nationalsozialismus und die Rolle des Schriftstellers, S. 383 – 400); Hans Maier / Michael Schafer (Hgg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, Bd. II, Paderborn / München / Wien / Zürich 1997, und Hermann Lübbe (Hg.), Heilserwartung und Terror. Politische Religionen des 20. Jahrhunderts (= Schriften der Kath. Akad. in Bayern 152), Düsseldorf 1995 (darin vor allem die Beiträge von Hermann Lübbe, Totalitäre Rechtgläubigkeit. Das Heil und der Terror, S. 15 – 34, und Hans Maier, „Politische Religionen“. Ein Konzept des Diktaturenvergleichs, S. 94 – 112), sowie (auch zum folgenden) Erkens, Moderne und Mittelalter (wie Anm. 25), S. 115 ff. – Zur Deutung des Nationalsozialismus als einer ,politischen Religion‘ vgl. auch schon Lucie Varga, Die Entstehung des Nationalsozialismus. Sozialhistorische Anmerkungen, in: dies., Zeitenwende. Mentalitätshistorische Studien 1936 – 1939. Hg. von Peter Schöttler (= stw 892), Frankfurt/M. 1991, S. 115 – 137, bes. 116, 121 ff., 130, 133 [frz. 1937, in: Annales 9, S. 529 – 546], sowie dazu ebd. S. 53 – 57, aber auch Klaus Hildebrand, Nichts Neues über Hitler. Ian Kershaws zünftige Biographie über den deutschen Diktator, in: HZ 270, 2000, S. 389 – 397, bes. 393, sowie Hermann August Winkler, Der lange Weg nach Westen II. Deutsche Geschichte vom „Dritten Reich“ bis zur Wiedervereinigung, München 2000, etwa S. 1 – 7; Michael Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Gesamtdarstellung, Frankfurt/M. 2000, S. 15 – 37, und Wolfgang Hardtwig, Political Religion in Modem Germany: Reflections on Nationalism, Socialism, and National Socialism, in: Bulletin of the German Historical Institute, Washington, D.C., 28, 2001, S. 3 – 27. 76

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ungen‘, auf die sich die großen diktatorischen Regime des 20. Jahrhunderts beriefen. Diese Systeme mit totalitärem Anspruch überhöhten sich gleichsam pseudoreligiös und stilisierten ihren jeweiligen Führer zur charismatischen Heilsgestalt, indem sie auf den überlieferten Fundus sakraler und herrschaftlicher Repräsentation zurückgriffen. Hitler etwa konnte als von Gott gesandter „Vollstrecker göttlichen Geschichtswirkens“78, als „Meldegänger Gottes“79 und schließlich gar als Adressat eines Gebetes erscheinen80. Lenin wurde gemäß der russischen Vorstellung von der Unverweslichkeit des Heiligenkörpers wie ein Religionsstifter einbalsamiert und zur Verehrung in einem eigenen Mausoleum ausgestellt81. Mussolini schließlich, der Duce, wurde um 1929 in die Akklamationsgesänge der auf antike Gebräuche zurückgehenden laudes regiae82 einbezogen und dabei nach der einleitenden Anrufung Christi (Christus vincit, Christus regnat, Christus imperat!) als dritter Segenswunschempfänger nach dem Papst Pius XI. und dem König Viktor Emanuel III. genannt83: Duci Benito Mussolini italicae gentis gloriae pax, vita et salus perpetua! Dergleichen findet sich nicht nur in Europa! Auch Mao Tse-tung (Mao Zedong) rückte als Schöpfer der kommunistisch geprägten Volksrepublik China in das Zentrum eines Sonnenkultes und wurde dabei gleichsam als Gott verehrt84. Daß es auch in Asien, mit den Ausstrahlungszentren China und Indien, eine reiche, bis heute nachwirkende Vielfalt an sakralen Herrschaftsformen gab, braucht an dieser Stelle wohl nicht eigens ausgeführt zu werden85. Wesentlicher erscheint in diesem Zusammenhang vielmehr die Tatsache eines nicht nur gebrochenen, sondern man78 So der thüringische Pfarrer Julius Leutheuser, zitiert nach Peter Merseburger, Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht, Stuttgart 31999, S. 338. 79 Vgl. Romano Guardini, Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik, in: ders., Unterscheidung des Christlichen. Gesammelte Studien 1923 – 1963, Bd. 2: Aus dem Bereich der Theologie (= Romano Guardini Werke. Hg. von Franz Henrich), Mainz / Paderborn 31994, S. 155 – 204, bes. 95 f. [erstmals 1946], sowie Maier, Politische Religionen (wie Anm. 77), S. 33. 80 Vgl. Guardini (wie Anm. 79) S. 198. 81 Vgl. Maier, Politische Religionen (wie Anm. 77), S. 14 f., und Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994, S. 328 f. 82 Dazu vgl. Ernst H. Kantorowicz, Laudes Regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship, Berkeley and Los Angeles 1946. 83 Ebd. S. 186. 84 Vgl. Li Zhisui, Ich war Maos Leibarzt. Die persönlichen Erinnerungen des Dr. Li Zhisui an den Großen Vorsitzenden, Bergisch Gladbach 1994, S. 23 f., und Maier, Politische Religionen (wie Anm. 77), S. 15. 85 Vgl. dazu Erkens, Moderne und Mittelalter (wie Anm. 25), S. 117 ff. (und die hier verzeichnete Literatur), aber etwa auch Clifford Geertz, Negara. The Theatre State in NineteenthCentury Bali, Princeton 1980, bes. S. 102 und 124 – 129, sowie dazu Burkhard Schnepel, Die Dschungelkönige. Ethnohistorische Aspekte von Politik und Ritual in Südorissa/lndien (= Beiträge zur Südasienforschung. Südasien-Institut Universität Heidelberg, Bd. 177), Stuttgart 1997, S. 66 f. und 281.

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cherorts auch ungebrochenen Fortlebens von sakralen Herrschaftsvorstellungen. Erinnert sei nur an den Dalai Lama, dessen Verehrung als Bodhisattva Avalokites´vara durch die vom Glauben an die Reinkarnation bewegten Buddhisten Tibets auch nach einem mittlerweile mehr als vierzig Jahre andauernden Aufenthalt im Exil kaum nachgelassen hat und an dessen charismatischer Erscheinung ebenso wie an dem unerschütterlichen Festhalten der Tibeter an überkommenen Glaubensinhalten bislang alle Bemühungen der chinesischen Unterdrücker um Beseitigung oder zumindest Zurückdrängung des Lamaismus gescheitert sind86. In Nepal dagegen, um ein weiteres, diesmal aber hinduistisches Beispiel anzuführen, wurde am 24. Februar 1975 der König Bı¯rendra in traditionellen Formen zum Herrscher geweiht87, zum bı¯ra (Held), bikram(a) (Tapferer), sha¯ha (König) und deva (Gott = König), was ihm eine besondere Heiligkeit verlieh, die für ihn noch im vorletzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in politisch schwieriger Situation hilfreich war und ihm den Thron erhielt, ihn aber nicht vor dem Mordanschlag bewahrte, der aus der eigenen Familie heraus gegen ihn geführt worden ist und dem er am 1. Juni 2001 zum Opfer fiel88. II Das epochenübergreifende und weltweite, bis heute in unterschiedlicher Art und Weise nicht nur nachwirkende, sondern in manchen Ländern auch immer noch wirksame Phänomen sakraler Herrscher- und Herrschaftslegitimierung wirft eine Reihe von Fragen auf und ist für den Historiker daher von höchstem Interesse. Deswegen hat es auch schon häufig die Aufmerksamkeit der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen auf sich gezogen; eine vergleichende Betrachtung jedoch wurde dabei nur selten vorgenommen und blieb, wenn sie überhaupt versucht wurde, meist in Ansätzen stecken. Die Vielfalt der Erscheinung und ihr globales Auftreten in den 86 Vgl. Heinrich Hackmann, Der Buddhismus [bearbeitet von Ernst von Waldschnidt und Franz Bernhard), in: Carl Clemen (Hg.), Die Religionen der Erde. Ihr Wesen und ihre Geschichte III, München 1966, S. 56 – 101, bes. 88 ff. und 95 ff., sowie Charles Bell, The Religion of Tibet, Oxford 1968 [1. Aufl. 1931], S. 107 – 110, 115, 129, 135, 160 f., 190, und Michael von Brück, Religion und Politik im Tibetischen Buddhismus, München 1999, bes. das 2. Kapitel „Religion und Politik“. 87 Vgl. Mahes Raj Pant, Pusyaratha. The Royal Chariot of Coronation, in: Journal of the ˙ Nepal Research Centre 1 (Humanities), 1977, S. 110 – 116, bes. 116, sowie Michael Witzel, The Coronation Rituals of Nepal. With special reference to the coronation of King Bı¯rendra (1978) (= Nepalica 4/20, ed. by Niels Gutschow and Axel Michaels: Heritage of the Kathmandu Valley. Proceedings of an International Conference in Lübeck, June 1985), St. Augustin 1987. 88 Vgl. Bert van den Hoek, Does Divinity Protect the King? Ritual and Politics in Nepal, in: Contributions to Nepalese Studies 17, 2, 1990, S, 147 – 155. – Zu den königlichen Epitheta vgl. Bernhard Kölver, Der König: Herr von allem, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 181 – 186.

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unterschiedlichsten Kultur-, Sprach- und Traditionszusammenhängen überfordern ja zwangsläufig die Fähigkeiten eines einzelnen Wissenschaftlers und erfordern das interdisziplinäre Gespräch, das aber bekanntlich nicht immer leicht zu führen ist und den einzelnen Gesprächsteilnehmer bei Auskünften über den Zugang eines fremden Faches zu einer bestimmten Problemkonstellation letztlich immer abhängig hält von dem jeweiligen Gesprächspartner. Da es aber bei der Fachgrenzen überschreitenden Erörterung sakraler Herrschaftsphänome nicht hauptsächlich um deren rein additive Erfassung gehen kann, sondern weil allein eine das Gesamtphänomen in den Blick nehmende, die aus den verschiedenen Bereichen zusammengetragenen Befunde integrierende und zu einer prinzipiellen Interpretation gerinnende Erklärung der Zweck des Bemühens sein muß, erscheint eine gemeinsame Anstrengung dennoch notwendig – und erfolgversprechend. Sie sollte dabei – unter Beachtung der deutlichen Unterschiede und spürbaren Wandlungen – zu einer Gesamtdeutung des herrschaftslegitimierenden Sakralitätsphänomens gelangen, zu einer Synthese, die hinter den verschiedenen Erscheinungsformen herrscherlicher Sakralität ein vielleicht vorhandenes und der Erscheinungsvielfalt zugrunde liegendes gemeinsames Muster erkennen läßt. Dazu ist es freilich nötig, eine Differenz aufzuheben, die von christlich geprägten Historikern ansonsten häufig betont wird: den angeblichen Unterschied von christlichen und heidnischen Vorstellungen über die sakrale Fundierung von Herrschaft. Die Forderung, von der Praxis religionsgeschichtlicher Phänomenologie, die alle Arten „autochthon-paganer“, „pagan-antiker“ und „christlicher Elemente“ unter dem Begriff der Sakralität vereinigt, abzurücken und statt dessen „die bibl(isch)-christl (ich) geprägten [Formen] wegen wesentl(icher) struktureller Verschiedenheit als sakral-theokrat(isch)“ zu bezeichnen89, mag aus heuristischen Gründen bei der Betrachtung der mittelalterlichen Verhältnisse sinnvoll sein, bei der Erfassung einer weltweiten und epochenübergreifenden Erscheinung jedoch ist sie eher hinderlich, denn die christlich fundierte Herrschersakralität stellt unter globaler Perspektive ja nichts anderes dar, als die spezielle Ausformung eines allgemeinen Phänomens. Auch die von Max Weber aufgestellte Typologie der legitimen Herrschaftsformen90, die prinzipiell drei Arten von Herrschaft (nämlich die rationale, traditionale und charismatische) unterscheidet, hilft bei diesem Blickwinkel nur bedingt weiter, weil sie die idealtypischen Erscheinungsformen zwar benennt, aber natürlich keine Erklärung für die einzelnen historischen Entwicklungen und ihre vielfältigen Ver-

89 Vgl. H(ans) H(ubert) Anton, Sakralität, in: Lexikon des Mittelalters 7, 1995, S. 1263 – 1266 (die Zitate finden sich auf S. 1263 f.). 90 Vgl. dazu Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Fünfte, revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann, Tübingen 1972 u. ö., bes. 1. Teil Kap. III: „Die Typen der Herrschaft“ und 2. Teil Kap. IX: „Soziologie der Herrschaft“, sowie ders., Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winkelmann, Tübingen 71988, S. 475 – 488.

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knüpfungen untereinander (oder für deren Fehlen) bieten kann91. Selbstverständlich war Max Weber bewußt, wie wenig die von ihm beschriebenen Herrschaftstypen in der historischen Wirklichkeit in ungetrübter Reinheit vorkommen92 und daß die charismatische Herrschaft etwa, die zunächst allein durch die charismatische Heiligkeit oder die vorbildliche Heldenkraft ihres Trägers begründet wurde und ausschließlich von dessen Erfolg abhing93, schließlich dauerhaft werden konnte und zu ihrer Fortexistenz keinen Träger eines persönlichen Charismas mehr benötigte94. Bei diesem Prozeß näherte sie sich zwangsläufig der traditionalen Herrschaft an95, die in starkem Maße auf der Heiligkeit von Traditionen beruht96. Da mithin Elemente der Heiligkeit und des Sakralen in allen drei Typen des Weberschen Klassifizierungssystems vorkommen, selbst bei der Form rationaler Herrschaft97, trägt dieses System nur wenig zum historischen Verständnis des Phänomens sakraler Herrschaftslegitimierung bei. Deren Wesen dürfte vielmehr besser erfaßt werden, wenn man von allgemeinen und äußerst wirksamen religiösen Grundvorstellungen ausgeht. „Im allgemeinen ist die Religion und die Grundlage des Staates eins und dasselbe; sie sind an und für sich identisch“, hat ja im frühen 19. Jahrhundert bereits Hegel bemerkt98, der natürlich auch schon darauf hinwies, daß „die Verehrung Gottes oder der Götter“ befestigend und erhaltend für „die Individuen, die Familien, Staaten“ wirksam zu werden vermag99, weswegen die Religion als etwas Nützliches für „Individuen, Regierungen, Staaten“ eben auch als ein Mittel zum Zweck betrachtet werden kann100. Auch Eduard Meyer betont diesen Zusammenhang im ersten, den ,Elementen der Anthropologie‘ gewidmeten Teilband seiner großen „Geschichte des Altertums“101: „Je größer die Kulturgüter sind, desto fester klammert man sich an die Götter, denen man sie verdankt, desto zuversichtlicher hofft man zugleich durch gesteigerte Religionsübung ihren Bestand zu sichern; wer sich gegen die traditionelle Ordnung auflehnt, empört sich damit gegen den Willen der Götter. Daher erscheint die Religion als die festeste Stütze der bestehenden Staatsordnung, sei sie eine unumschränkte Monarchie, sei sie das Regiment eines bevorrechteten Standes, sei sie eine auf Grund der Gleichberechtigung aller Vollfreien aufgebaute freie Verfassung. Daher die enge Verbindung zwischen Religion und Recht: die Götter 91

Vgl. dazu und zum folgenden Erkens, Moderne und Mittelalter (wie Anm. 25), S. 120. Vgl. Weber, Wirtschaft (wie Anm. 90), S. 124 (III 1 § 2, 3.2). 93 Vgl. ebd. (III 1 § 2, 3) sowie S. 140 ff. (III 4 §10). 94 Vgl. ebd. S. 142 ff. (III 5 § 11) und 661 – 681 (IX § 2). 95 Vgl. ebd. S. 662. 96 Vgl. ebd. S. 124 (III 1 § 2, 2) und 130 (III 3 § 6). 97 Vgl. ebd. S. 143. 98 Vgl. Anm. 68. 99 G. W. F. Hegel, Werke 16 (wie Anm. 68), S. 103. 100 Vgl. ebd. S. 104. 101 Eduard Meyer, Geschichte des Altertums I 1: Einleitung. Elemente der Anthropologie, Darmstadt 61953, S. 133 f. 92

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beschirmen es nicht nur, …, sondern sie offenbaren auch ihren Dienern, Priestern und Sehern die richtigen Grundsätze der Rechtsordnung“. Diese enge Beziehung von ,Staat‘ und Religion fand ihren Ausdruck nicht zuletzt in der Vorstellung, „daß der Bestand der Kultur, des Staats, der Moral auf der Religion und dem Gottesglauben beruhe, daß sie zusammenstürzen und dem Chaos … erliegen müßten, wenn die Religion angetastet oder gar umgestoßen werde“102. Das freilich ist ein Ursache-Wirkungsverhältnis, das Eduard Meyer nicht akzeptiert – denn: „Staat und Gesellschaft, Recht und Moral sind“ – nach seiner Ansicht – „selbständige Gewalten, die ebenso wie alle materielle Kultur eine von der Religion völlig unabhängige Grundlage haben und unverändert ohne sie fortbestehen können, wenn sie auch … mit ihr in Wechselwirkung stehen; ihre Verknüpfung mit der Religion beruht nur darauf, daß sie zu den Komponenten der bestehenden Welt gehören, und darum wie diese alle als Schöpfung der Götter gelten, Nicht die Religion an sich stützt den Staat, sondern vielmehr dieser die Religion, weil ihm dieser Glaube nützlich ist; …“103. Ob ein so eindeutiges Verhältnis zwischen Religion und herrschaftlicher Ordnung, wie Eduard Meyer es annimmt, aber wirklich bestanden hat, darf mit gleichem Fug und Recht bezweifelt werden wie die sinnvolle Anwendung des an modernen Verhältnissen gewonnenen Staatsbegriffs auf die vormodernen Staatswesen104. Allein die Herleitung von Herrschaft, ihrer Ordnung und gelegentlich auch ihres Trägers aus der Sphäre des Übernatürlich-Numinosen105 zeigt die Bedeutung religiöser Vorstellungen als Wurzelgrund menschlicher Ordnungswelten; und dieses, auf mythischem Denken106 beruhende Bewußtsein vom göttlichen Ursprung ist in der historischen Wirklichkeit zweifellos von größerer Wirkung gewesen als jede aus modern-laizistischem Staatsverständnis abgeleitete (und der Realität unter Umständen nahekommende, aber von den Miterlebenden nicht geteilte) Vorstellung von „Staat und Gesellschaft, Recht und Moral“ als Ordnungsbegriffe, die auf „von der Religion völlig unabhängige[r] Grundlage“ beruhen107. Daß nämlich das historische Bewußtsein, daß die überlieferte Vorstellung von geschichtlichen Zusammenhängen – sei sie nun ,richtig‘ oder nicht – eine äußerst wirkmächtige Rolle bei historischen Prozessen spielt, hat Jan Assmann mit Bezug auf Maurice Halb-

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Ebd. S. 134 f. Ebd. S. 135. 104 Vgl. dazu schon die Einwände, die E. Meyer (ebd. S. 11 f.) diskutiert und verwirft, aber auch Stefan Breuer, Der archaische Staat. Zur Soziologie charismatischer Herrschaft, Berlin 1990, in der Einleitung zu seinen Ausführungen, in denen er selbst freilich am Staatsbegriff festhält. Roman Herzog, Staaten der Frühzeit. Ursprünge und Herrschaftsformen, München 1988 [21998], akzeptiert, trotz ebenfalls vorhandenen Problembewußtseins, zu rasch den Begriff ,Staat‘ für die frühen Herrschaftsbildungen und Reiche. 105 Vgl. dazu etwa E. Meyer (wie Anm. 101) I 1, S. 106 f., 126 f., 133 ff. 106 Zu diesem Begriff vgl. ebd. S. 87 – 93. 107 Vgl. Anm. 103. 103

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wachs108 ja gerade am Beispiel früher Hochkulturen und an deren ,kulturellem Gedächtnis‘ demonstriert und dabei nicht zuletzt auf die Religion verwiesen, „als das bei weitem wirkungsvollste Mittel, einer ethnischen Identität Permanenz zu verleihen“109. Darin allein aber erschöpft sich die Rolle der Religion keineswegs. Vielmehr wird man von allgemeinen und in allen Lebensbereichen wirksamen religiösen Grundvorstellungen ausgehen dürfen110 und deswegen eben auch von der ,Geburt‘ „fast alle[r] großen sozialen Institutionen aus der Religion“111 mithin von einem religiösen Gesamtzusammenhang, in den die Entwicklung und Ausprägung sakraler Herrschaftsvorstellungen ebenfalls eingeordnet und von dem her sie verstanden und gedeutet werden müssen. Daß solche Vorstellungen offenbar allen menschlichen Gemeinwesen kohärent sind – entweder von Anfang an oder doch mindestens seit einer frühen Stufe ihrer Entwicklung – zeigen sowohl die weltweite Verbreitung als auch die entsprechenden Erscheinungen bei den sog. Naturvölkern112. Die Ausprägungen reichen dabei von primitiven Formen der magischen Naturbeherrschung durch entsprechend begabte Personen113, denen sich aufgrund ihrer ,übernatürlichen‘ Fähigkeiten der Aufstieg an die politische Spitze eines Personenverbandes eröffnete, über den Schamanismus im weitesten Sinne114 bis hin zu den beschriebenen Formen mittel108 Vgl. Maurice Halbwachs, Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen (= stw 538), Frankfurt/M. 1985 [frz. 1925]; ders., Das kollektive Gedächtnis (= FW 980), Frankfurt/M. 1985 [frz. 1950]. 109 Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1999 [erste Auflage 1997], zur Bedeutung besonders der Religion S. 160. 110 Vgl. dazu Émile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt/M. 21998 [frz. 31994, 11912]; Mircea Eliade, Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte, Frankfurt/M. 31994 [frz. 1949], sowie Günter Dux, Ursprung, Funktion und Gehalt der Religion, in: Internat. Jb. f. Religionssoziologie 8, 1973, S. 7 – 67. 111 Durkheim (wie Anm. 110) S. 561. 112 Vgl. dazu etwa Horst Nachtigall, Das sakrale Königtum bei Naturvölkern und die Entstehung früher Hochkulturen, in: Zs. f. Ethnologie 83, 1958, S. 34 – 44, sowie Geo Widengren, Religionsphänomenologie, Berlin 1969, S. 360 – 393. 113 Vgl. dazu James George Frazer, Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker, Reinbek 1989 u. ö. [engl. 1922], S. 120 – 131. – Zur (die hier behandelte Problematik jedoch nicht tangierende) Kritik an Frazers Magiebegriff vgl. etwa Nicole Belmont, Superstition et religion populaire dans les sociétés occidentales, in: La fonction symbolique. Essais d’anthropologie réunis par Michel Izard et Pierre Smith (= Bibliothèque des sciences humaines), Paris 1979, S. 53 – 70, bes. 64 f. 114 Vgl. dazu Mircea Eliade, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik (= stw 126), Frankfurt/M. 1975 [frz. 1951, dt. 1957], der den allgemeinen – hier beibehaltenen – Schamanenbegriff zu Recht zugunsten eines spezifischen kritisiert (vgl. S. 13 ff., 461), der schamanische Mechanismen aber eben auch in archaischen Kulturen feststellt (vgl. Kap. XI: „Schamanische Lehren und Techniken bei den Indogermanen“ sowie Horst Kirchner, Ein archäologischer Beitrag zur Urgeschichte des Schamanismus, in: Anthropos 47, 1952, S. 244 – 286) und zudem die Verbindung des Schamanen, Medizinmanns und Zauberers zum Göttlichen eigens betont (vgl. S. 465); vgl. auch Mircea Eliade, in: Die Religion in Geschichte und

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alterlicher Sakralität115, antiker Divinität116 und altägyptischer Herrschergöttlichkeit117. Magisch-charismatische Fähigkeiten konnten in einfacheren Vorstellungswelten – etwa in Australien118 und Afrika119, wo sich im übrigen am Beispiel von Tenkodogo in Burkina Faso120 oder auch des Sudan das Nachwirken sakralen Herrschaftsverständnisses in breiteren Bevölkerungsschichten noch heute leicht nachweisen läßt121 – für ihren Besitzer zwar auch bedrohlich werden, dann nämlich, wenn die übernatürliche Begabung versagte oder im Verlauf eines normalen Alterungsprozesses schwächer zu werden drohte und man daher den nicht mehr das Heil garantierenden Herrscher tötete; aber in der Regel wirkten die sakralen Bezüge, in die die Herrscher gestellt waren, herrschaftsstabilisierend, weswegen die großen Diktatoren des 20. Jahrhunderts und ihre Helfer ja auch mit pseudoreligiösem Gestus auf entsprechende Relikte zurückzugreifen suchten. Gegenwart 5, 31986, S. 1387 (s. v. Schamanismus), sowie allg. Klaus E. Müller, Schamanismus. Heiler – Geister – Rituale (= Beck’sche Reihe 2072), München 1997. 115 Vgl. oben bei Anm. 32 – 47. 116 Vgl. dazu Anm. 48 und 60. 117 Vgl. dazu E[lke] Bl[umenthal], Königsideologie, in: Lexikon der Ägyptologie 3, Wiesbaden 1980, S. 526 – 531, sowie dies., Die Göttlichkeit des Pharao. Sakralität von Herrschaft und Herrschaftslegitimierung im alten Ägypten, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 88), S. 53 – 62 und die entsprechenden Passagen bei Jan Assmann, Ägypten. Eine Sinngeschichte, Frankfurt/M. 1999 [erstmals München 1996]. 118 Vgl. dazu und zum folgenden Durkheim (wie Anm. 110) S. 93. 119 Vgl. dazu und zum folgenden Frazer (wie Anm. 113) S. 123 – 126 sowie S. 387 – 400 (aber auch ders. in der dritten Auflage der umfänglicheren englischen Ausgabe von 1911: The Golden Bough. Part I: The Magic Art and the Evolution of Kings, Vol. I, S. 352 ff., wo auch die Belege verzeichnet sind) und Adolf Friedrich, Afrikanische Priestertümer. Vorstudien zu einer Untersuchung (= Studien zur Kulturkunde 6), Stuttgart 1939, S. 19 f. und 15 ff.; Leo Frobenius, Erythräa. Länder und Zeiten des heiligen Königsmordes, Berlin / Zürich 1931, S. 223 – 229; Eike Haberland, Das heilige Königtum, in: Burghard Freudenfeld (Hg.), Völkerkunde, München 1960, S. 77 – 89, bes. 86 ff.; Edwin M. Loeb, Die Institution des sakralen Königtums, in: Paideuma 10, 1964, S. 102 – 114; Michael W. Young, The divine kingship of the Jukun: A re-evaluation of some theories, in: Africa 36/1, 1966, S. 135 – 152; Gillian Feeley-Harnik, Issues in divine kingship, in: Annual Review of Anthropology 1985, S. 273 – 313; James H. Vaughan, A Reconsideration of Divine Kingship, in: Explorations in African Systems of Thought. Ed. by Ivan Karp and Charles S. Bird, Washington, D. C. und London 2 1992, S. 120 – 142 [1. Aufl. 1980]; A. Adler, Royauté, in: Pierre Bonte / Michel Izard (Hgg.), Dictionnaire de 1’ethnologie et de l’anthropologie, Paris 1991, S. 636 – 639, sowie allg. auch R. E. Bradbury, The kingdom of Benin, in: ders., Benin Studies. Edited, with an Introduction, by Peter Morton-Williams, London / New York / Ibadan 1973, S. 44 – 75, bes. 74 f. [erstmals 1967, in: Daryll Forde and P. M. Kaberry (Hgg.), West African Kingdoms in the Nineteenth Century, S. 1 – 35]. 120 Vgl. Ute Ritz-Müller, Kingship and cosmological order: The royal court of Tenkodogo, in: Studies in geography, ethnology and linguistics of the West African Savannah (= Berichte des SFB 268 „Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne“ Bd. 4), Frankfurt/M. 1994, S. 111 – 130. 121 Vgl. Bernhard Streck, Fröhliche Wissenschaft Ethnologie. Eine Einführung, Wuppertal 1997, S. 111 f.

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In diesem Zusammenhang gewinnt schließlich auch eine apodiktische Feststellung des tiefblickenden, aber wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus zu Recht umstrittenen Carl Schmitt122 ein besonderes Gewicht, die markante Aussage nämlich, mit der der bekannte Staatsrechtlehrer das „Politische Theologie“ genannte dritte Kapitel seiner 1922 erstmals erschienenen Broschüre gleichen Titels eröffnet123 : „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe“. Wegen dieser Behauptung nämlich und der in ihrem Anschluß von Schmitt behandelten „Politisierung theologischer Begriffe“124 sowie wegen des Hinweises auf die – schon erwähnte125 – gottgleiche Stellung neuzeitlicher Fürsten126, aber auch auf die entsprechende Rolle der Menschheit, die in die Position Gottes einrückt127, und damit auf die Bedeutung des „Volkes“ als Souverän in demokratischen Gemeinwesen lassen sich die säkularisierten Vorstellungen sakral legitimierter Herrschaft in gewissem Sinne bis in die politische Vorstellungswelt moderner Demokratien hinein128 verfolgen. Weitere Grenzen können einem historischen Untersuchungsfeld kaum mehr gesteckt werden.

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Vgl. dazu etwa Golo Mann, Erinnerungen und Gedanken. Lehrjahre in Frankreich. Hg. von Hans-Martin Gauger und Wolfgang Mertz, Frankfurt/M. 1999, S. 120 – 129. 123 Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 7 1996, S. 43. 124 Vgl. ebd. S. 51, dazu siehe jetzt aber auch die eine gegenläufige Bewegung mitbedenkenden Ausführungen von Jan Assmann, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, München / Wien 2000, vor allem die „Einführung: ,Politische Theologie‘ – Redefinition eines Begriffs“. 125 Vgl. Anm. 61 – 67. 126 Vgl. Schmitt (wie Anm. 123) S. 51 ff. 127 Vgl. ebd. S. 53 f. – Zum Souveränitätsbegriff des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit vgl. Helmut Quarisch, Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806 (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 38), Berlin 1986. 128 Vgl. dazu etwa Carl Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin 41996 [1. Aufl. 1970], aber auch die Vorstellungen von einer „Zivilreligion“, wie sie hauptsächlich, aber nicht ausschließlich in den Vereinigten Staaten von Amerika vertreten werden: Hermann Lübbe, Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität, in: Norbert Achterberg / Werner Krawietz (Hgg.), Legitimation des modernen Staates (= Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 15), Wiesbaden 1981, S. 40 – 64; ders., Religion nach der Aufklärung, Graz / Wien / Köln 1986, S. 306 – 327 (sowie dazu Herbert Scheit, „Zivilreligion“ – Liberalitätsgarant des Staates? Eine Auseinandersetzung mit Hermann Lübbe, in: Politische Vierteljahrsschrift. Zs. d. Dt. Vereinigung für Polit. Wiss. 25 [Heft 3], 1984, S. 339 – 348), und Niklas Luhmann, Grundwerte als Zivilreligion. Zur wissenschaftlichen Karriere eines Themas, in: Heinz Kleger / Alois Müller (Hgg.), Religion des Bürgers. Zivilreligion in Amerika und Europa (= Religion. Wissen. Kultur 3), München 1986, S. 175 – 194 [erstmals 1978, in: Archivo di Filosofia, S. 51 – 71].

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III Bei diesem weiten Horizont vermag man zahlreiche Detailprobleme in den Blick zu nehmen, ohne die großen Perspektiven zu verlieren. Diese erfassen zumindest vier Bereiche, die umschreibbar sind mit den Begriffen: Wandlungen, Analogien, Beeinflussungen und Unabhängigkeit. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, sollen diese im folgenden durch wenige Beispiele charakterisiert werden: 1. Wandlungen Der sog. Investiturstreit129 gilt als ,Wendezeit des Mittelalters‘130, sein früher Höhepunkt in Canossa als eine ,Wende‘, durch die das mittelalterliche Königtum in einen Prozeß der Entsakralisierung eintrat131 (der freilich erst nach vielen Jahrhunderten zu einem Abschluß kam und im England und Frankreich der ,rois thaumaturges‘ völlig anders verlief als im ,Heiligen Römischen Reich‘132). Während etwa die Sakralität des französischen Königs erst seit dem hohen Mittelalter durch die Entfaltung der sog. ,religion royale‘133 zur vollen Ausgestaltung gelangte, müssen für die hoch- und spätmittelalterlichen Kaiser erst noch alle Belege für die Reste ihrer ursprünglichen ,Heiligkeit‘ zusammengesucht werden, um den eingetretenen Wandel voll erfassen und genau beschreiben zu können. Hierfür ist zwar

129 Zu diesem Begriff vgl. Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König (= Schriften der MGH 28), Stuttgart 1981, S. 1 – 6, zur Sache neuestens Werner Goez, Kirchenreform und Investiturstreit. 910 – 1122, Stuttgart / Berlin / Köln 2000. 130 Dazu vgl. etwa Erkens, Moderne und Mittelalter (wie Anm. 25), S. 108 ff. 131 Vgl. dazu neben der in Anm. 40 angegebenen Literatur vor allem auch die Studie von Anton Mayer-Pfannholz, Die Wende von Canossa. Eine Studie zum Sacrum Imperium, in: Hellmut Kämpf (Hg.), Canossa als Wende. Ausgewählte Aufsätze zur neueren Forschung (= Wege der Forschung 12), Darmstadt 31976, S. 1 – 26 [erstmals 1932/33, in: Hochland 30, S. 385 – 404], sowie Goez (wie Anm. 128) S. 191, der zu Recht darauf hinweist, daß die „Fastensynode des Jahres 1076 mit der erstmaligen Absetzung und Exkommunikation eines gesalbten und gekrönten christlichen Königs durch den Papst“ „einen der größten Wendepunkte in der Geschichte des Mittelalter“ bildete. Sinnfällig wird der Erfolg des Papstes allerdings erst 1077 durch den Bußakt von Canossa, der Konsequenz der Bannung des Vorjahres. 132 Zum Begriff Sacrum Imperium Romanum vgl. Gottfried Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20), Berlin (Ost) 1972, S. 260 – 279, sowie Heinrich Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas, in: Gunther Wolf (Hg.), Friedrich Barbarossa (= Wege der Forschung 390), Darmstadt 1975, S. 208 – 244 [erstmals 1967, in: SBB d. Österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 252, 4, S. 3 – 32], bes. 218 – 225. 133 Zu dieser vgl. Schramm, Der König von Frankreich I (wie Anm. 41), S. 4, 241, 257, 266, 270, und Carlrichard Brühl, Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln 2 1995, S. 59 f.

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schon einiges geschehen134, muß aber auch noch vieles geleistet werden. So bleibt z. B. in diesem Zusammenhang nach der vielfach betonten Bedeutung der Rezeption des römischen Rechts durch die späten Salier und ihre Nachfolger zu fragen. Diese Rezeption diente den Herrschern zweifellos dazu, die seit dem Gang nach Canossa auf dem Feld der Sakralität eingetretenen Legitimationsverluste zu kompensieren, und führte schließlich zu der Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie135. Darüber hinaus aber ist zu untersuchen, inwieweit im hohen und späten Mittelalter durch diese Adaption des antik-römischen Kaiserrechtes auch Elemente der kaiserlichen ,Heiligkeit‘ spätantiken Zuschnitts zur sakralen Fundierung der Kaiserwürde übernommen werden konnten. Friedrich II. jedenfalls, der allerdings auch in der Tradition der süditalischen Normannenherrscher stand136, orientierte sich im 13. Jahrhundert an entsprechenden Vorbildern137. Außerdem zeigt sich gerade im Imperium, dessen Charakter als Wahlreich seit dem 12. Jahrhundert unbestritten feststand138, wie sehr hier trotz aller Entsakralisierungstendenzen die traditionelle Vorstellung von der Wahl als einer Willensentscheidung Gottes fortbestand

134 Vgl. etwa Anm. 43, 131 und 141 sowie Bernd Schütte, Herrschaftslegitimierung im Wandel. Die letzten Jahre Kaiser Heinrichs IV. im Spiegel seiner Urkunden, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 88), S. 165 – 180. 135 Vgl. dazu die ältere Studien aufnehmende und fortsetzende Untersuchung von Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (= Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse der Akad. d. Wiss. in Mainz, Jg. 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999. 136 Vgl. dazu etwa Hubert Houben, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, Darmstadt 1997, S. 120 – 135; Antonio Marongiu, Lo spirito della monarchia normanna nell’allocuzione di Ruggero II ai suoi grandi, in: Atti del Congresso internationale di Diritto romano e di Storia del diritto, a cura di Guiscardo Moschetti, Vol. IV, Milano 1953, S. 313 – 327, sowie Wolfgang Stürner, Rerum necessitas und divina provisio. Zur Interpretation des Prooemiums der Konstitutionen von Melfi (1231), in: DA 39, 1983, S. 467 – 554, bes. 478 f. 137 Vgl. etwa Ernst Kantorowicz, Friedrich der Zweite, 2 Bde., Düsseldorf / München 1973 [= 41936; Ergänzungsband 1931], sowie die entsprechenden Beiträge in: Gunther Wolf (Hg.), Stupor Mundi. Zur Geschichte Friedrichs II. von Hohenstaufen (= Wege der Forschung 101), Darmstadt 1966, und – in knapper Zusammenfassung – Hans Martin Schaller, Kaiser Friedrich II. Verwandler der Welt (= Persönlichkeit und Geschichte 34), Göttingen 21971, sowie ders., Die Kaiseridee Friedrichs II., in: ders., Stauferzeit. Ausgewählte Aufsätze (= Schriften der MGH 38), Hannover 1993, S. 53 – 83 [erstmals 1974 in: Probleme um Friedrich II., hg. von Josef Fleckenstein (= Vorträge und Forschungen 16), S. 109 – 134], und Wolfgang Seegrün, Kirche, Papst und Kaiser nach den Anschauungen Kaiser Friedrichs II., in: HZ 207, 1968, S. 1 – 41, bes. 8 f., 26 – 32; Wolfgang Stürner, Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser. 1220 – 1250, Darmstadt 2000, etwa S. 194 ff. und 471 f., aber auch (wegen wichtiger Einsichten) Hans-Joachim Schmidt, Vollgewalt, Souveränität und Staat. Konzepte der Herrschaft von Kaiser Friedrich II., in: Heinig u. a. (Hgg.), Reich (wie Anm. 36), S. 21 – 51, bes. 24 f. und 46. 138 Vgl. dazu etwa die Erklärung Friedrich Barbarossas gegenüber Papst Hadrian IV. von 1158, ed. Ludwig Weiland, MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum I, Hannover 1893, S. 233 Nr. 167: Cumque per electionem principum a solo deo regnum et imperium nostrum sit, …

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und ihren Ausdruck etwa in der Heilig-Geist-Messe fand139, die spätestens seit 1314 vor der Königswahl gesungen wurde140, um durch die – auch schon bei früheren Königswahlen übliche, aber wohl in einfacheren Formen vorgenommene – Herbeiflehung und Mitwirkung des Heiligen Geistes für die wichtige Entscheidung gerüstet zu sein. Der neue König empfing dadurch geradezu eine Art ,Wahlheiligkeit‘141. Wandel als ein prägendes und daher von der Forschung immer Aufmerksamkeit heischendes Element der Geschichte vollzog sich natürlich immer und überall. Die Sakralität etwa des mesopotamischen und altägyptischen Herrschertums war daher selbstverständlich auch von ihm betroffen142 und bedarf deshalb einer besonderen Betrachtung vor allem hinsichtlich der Kräfte und Ideen, die dabei wirksam wurden – und dies nicht zuletzt unter dem Aspekt der Vergleichbarkeit: Inwieweit z. B. läßt sich die bis weit in die Neuzeit hinein hinziehende Entsakralisierung des frühmittelalterlichen Königtums in Parallele setzen zu der Entwicklung der Vor-

139 Vgl. Winfried Dotzauer, Anrufung und Messe zum Heiligen Geist bei Königswahl und Reichstagen in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 33, 1981, S. 11 – 44, bes. 16 – 35. 140 Vgl. neben den Belegen, die in der in Anm. 139 und 141 angegebenen Literatur angeführt werden, vor allem auch die entsprechende Bestimmung Karls IV. in der Goldenen Bulle von 1356, ed. Wolfgang D. Fritz, MGH Fontes iuris Germanici antiqui XI, Weimar 1972, S. 53 (II 1): Postquam autem sepedicti electores seu nuncii civitatem Frankenfordensem ingressi fuerint, statim sequenti die diluculo in ecclesia sancti Bartholomei apostoli ibidem in omnium ipsorum presentia missam de sancto spiritu faciant decantari, ad finem ut ipse sanctus spiritus corda ipsorum illustret et eorum sensibus lumen sue virtutis infundat, … 141 Vgl. dazu Ernst Schubert, Königswahl und Königtum im spätmittelalterlichen Reich, in: Zs. f. hist. Forschung 4, 1977, S. 257 – 338, bes. 260 – 264; Roland Pauler, Wahlheiligkeit, in: Karl Rudolph Schnith / Roland Pauler (Hgg.), Festschrift für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag (= Münchener Historische Studien, Abt. Mittelalterliche Geschichte 5), Kallmünz 1993, S. 461 – 477, und allg. Wilhelm Kölmel, „A deo sed per homines“. Zur Begründung der Staatsgewalt im Ordnungsverständnis des Mittelalters, in: Franziskanische Studien 48, 1966 (= Festgabe für Valens Heynck, O.F.M.), S. 308 – 335. Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Inst. für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 35 – 42, notiert darüber hinaus noch weitere Hinweise auf den sakralen Gehalt im spätmittelalterlichen Königsgedanken. 142 Für den Alten Orient vgl. etwa Walther Sallaberger, Den Göttern nahe – und fern den Menschen? Formen der Sakralität des altmesopotamischen Herrschers, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 88), S. 85 – 98 sowie Claus Wilcke, Vom göttlichen Wesen des Königtums und seinem Ursprung im Himmel, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 88), S. 63 – 84 und Wolfgang Röllig, Zum „Sakralen Königtum“ im Alten Orient, in: Burkhard Gladigow (Hg.), Staat und Religion, Düsseldorf 1981, S. 114 – 125, sowie Wolfgang Fauth, Diener der Götter – Liebling der Götter. Der altorientalische Herrscher als Schützling höherer Mächte, in: Saeculum 39, 1988, S. 217 – 246; für Ägypten vgl. die folgende Anm. sowie für beide Regionen Henri Frankfort, Kingship and the Gods. A Study of Ancient Near Eastern Religion as the Integration of Society and Nature, Chicago 1948 [ND 1955].

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stellung vom Pharao143 als einem Herrscher, dessen ursprüngliche „identitäre Göttlichkeit“ sich schließlich zu einer rein „repräsentative(n)“ wandelte, der zunächst als Gott und schließlich als Gottessohn und Stellvertreter Gottes auf Erden galt? Mit dieser Frage wird zugleich schon der Bereich der Analogien berührt. 2. Analogien Analogien, Vergleichbarkeiten oder Ähnlichkeiten lassen sich unter dem Aspekt der Herrschersakralität ohne Mühe zu allen Zeiten und in allen Räumen der Erde finden. Sie müssen natürlich vorrangig unter strukturellen Gesichtspunkten betrachtet werden – dann nämlich lassen sich beispielsweise miteinander vergleichen: die mesopotamische Einschätzung der Bedeutung des sakralen Königs für den Wohlstand des Landes144, die frühmittelalterliche (in der wirkmächtigen145, aber fälschlicherweise Cyprian zugeschriebenen Abhandlung146 ,de duodecim abusivis saeculi‘147 ebenso wie in der buddhistischen Herrscherlehre ,aus der Angereihten Sammlung‘148 geäußerte) Vorstellung von der Tugendhaftigkeit des Herrschers als Voraussetzung für das Wohlergehen des Volkes149 sowie der besonders, aber nicht nur in Afrika bezeugte Glaube an einen Zusammenhang150 zwischen den übernatürlichen Herrscherkräften und der Fruchtbarkeit des Landes.

143 Vgl. dazu Assman, Ägypten (wie Anm. 117), etwa S. 136 f.; ders., Politik zwischen Ritual und Dogma. Spielräume politischen Handelns im pharaonischen Ägypten, in: Saeculum 35, 1984, S. 97 – 114, bes. 99 – 103, sowie Rolf Gundlach, Der Pharao – eine Hieroglyphe Gottes. Zur „Göttlichkeit“ des ägyptischen Königs, in: Dieter Zeller (Hg.), Menschwerdung Gottes – Vergöttlichung von Menschen (= Novum Testamentum et Orbis Antiquus 7), Freiburg/Schweiz und Göttingen 1988, S. 13 – 35, und – in knapper Zusammenfassung – Bl[umenthal] (wie Anm. 117) S. 530. 144 Vgl. etwa Fauth (wie Anm. 142) S. 217 f. und Röllig (wie Anm. 142), S. 122 f. – Zu entsprechenden römischen Vorstellungen vgl. Clauss, Kaiser und Gott (wie Anm. 48), S. 342 – 346. 145 Vgl. dazu etwa die folgende Anm. sowie Martina Blattmann, ,Ein Unglück für sein Volk‘. Der Zusammenhang zwischen Fehlverhalten des Königs und Volkswohl in Quellen des 7.–12. Jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien 30, 1996, S. 80 – 102. 146 Zu dieser vgl. Hans Hubert Anton, Pseudo-Cyprian. De duodecim abusivis saeculi und sein Einfluß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel, in: Heinz Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter II, Stuttgart 1982, S. 568 – 617. 147 Hg. von Siegmund Hellmann, Pseudo-Cyprianus de XII abusivis saeculi (= Texte und Untersuchungen der altchristlichen Literatur 34), Leipzig 1910, S. 32 – 60, bes. 52 (Nonus abusionis gradus est rex iniquus). 148 Aa˙ guttara-Nika¯ya, Die Lehrreden des Buddha aus der Angereihten Sammlung. Neue Ausgabe in fünf Bänden, Bd. 2. Aus dem Pa¯li übersetzt von Nyanatiloka [d. i. Anton Gueth], Freiburg 51993, S. 75 f. (IV 70). 149 Vgl. dazu etwa Erkens, Moderne und Mittelalter (wie Anm. 25), S. 118 f. mit Anm. 154. 150 Vgl. Anm. 118 und 119.

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3. Beeinflussungen Die angesprochenen Analogien und Ähnlichkeiten führen von selbst zu der Frage nach (einseitigen) Abhängigkeiten und (wechselseitigen) Beeinflussungen. Daß es solche gab, ist unübersehbar. Gerade die europäische Entwicklung151 legt deutliches Zeugnis für sie ab: Unverkennbar wurde die christliche Idee vom sakral legitimierten Herrscher ja durch mächtige Traditionsströme gespeist, die durch mindestens zwei verschiedene Strombette flossen. Beide Stränge beginnen in der altorientalischen und altägyptischen Frühzeit. Der eine setzt sich über das Alte Testament und die jüdisch-christliche Gedankenwelt fort152, der andere findet seinen Weg über den Hellenismus und die römische Kaiserzeit153 ; beide vereinigen sich in der christlichen Spätantike und gewinnen so für die folgenden Jahrhunderte eine mächtige Prägekraft. Vergleichbares läßt sich aber auch für den asiatischen Raum feststellen, wo, wie bereits erwähnt154, Indien und China zu äußerst wirksamen Ausstrahlungszentren sakraler Herrschaftsvorstellungen wurden. Weitere Zusammenhänge solcher Art lassen sich ohne Zweifel aufweisen und detailliert beschreiben. Letztlich stellt sich damit aber auch die Frage, ob alle registrierbaren Vorstellungen über Herrschersakralität miteinander zusammenhängen, ja, ob sie möglicherweise nicht nur miteinander verwoben sind, sondern vielleicht sogar einen gemeinsamen Ursprung besitzen. 4. Unabhängigkeit Dies ist jedoch eher unwahrscheinlich. Wenn darüber angesichts der Menge des Materials und seiner Zerstreutheit über den ganzen Globus auch kein stringenter Beweis geführt werden kann, so hat es doch den Anschein, als ob es mehrere, nicht zusammenhängende Wurzeln bei der Entwicklung des sakralherrschaftlichen Gedankenguts gegeben habe. Man wird zumindest einen altorientalisch/altägyptischchristlich-europäischen und – davon unabhängig – einen chinesisch-asiatischen Ideenkreis annehmen dürfen. Daneben sind aber auch noch die verschiedenen Bereiche der sogenannten Naturvölker in Afrika und Australien155 und der gesamte amerikanische Raum156 zu stellen, während über die mögliche Eigenständigkeit157 151

Zu Beeinflussungen im allgemeinen Sinne vgl. etwa Eduard Meyer, Geschichte des Altertums I 2, Darmstadt 71954, S. 838 – 845 (§§ 541 – 545), sowie Siegfried Morenz, Die Begegnung Europas mit Ägypten (= SBB d. Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Philol.-hist. Kl. 113, 5), Berlin 1968. 152 Vgl. dazu etwa Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 1), S. 6 – 12. 153 Vgl. Anm. 50 und 60 sowie Alfons M. Schneider, Das byzantinische Zeremoniell und der alte Orient, in: Jb. f. kleinasiatische Forschung 2, 1952, S. 154 – 166. 154 Vgl. Anm. 85. 155 Vgl. Anm. 118 und 119. 156 Vgl. dazu etwa Nachtigall (wie Anm. 112) S. 38 – 41. 157 Daß es zur Zeit Alexanders des Großen und seiner seleukidischen Nachfolger Berührungen gab und damit wohl auch Einflüsse, kann natürlich nicht überraschen; vgl. dazu Hel-

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des indischen Kosmos sakralherrscherlicher Vorstellungen nichts Sicheres gesagt werden kann. IV Mit dieser Bemerkung wird abschließend ein weiterer, freilich nicht (oder noch nicht?) zufriedenstellend beantwortbarer Fragenkomplex deutlich: Wenn für das vielgestaltige und teilweise durch ein- oder gegenseitige Beeinflussung entstandene, epochenübergreifende und weltumspannende Netz sakralherrschaftlichen Gedankenguts kein gemeinsamer Anfang festgestellt werden kann, wenn dieses Netz von verschiedenen Enden her Gestalt annahm, wenn es mehrere oder gar viele Wurzeln für diesen Ideenkosmos gibt: wie ist es dann zu erklären, daß es diese Ideenwelt – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung – praktisch zu allen Zeiten und wahrscheinlich bei allen Völkern gegeben hat? Eine sichere Antwort auf diese Frage kann es wohl nicht geben; aber zweifellos ist die Vermutung erlaubt, sie sei im Bereich der menschlichen Natur zu suchen. Wenn auch noch vieles unsicher und undeutlich ist und diese Unklarheit zunächst eine verstärkte Forschungsanstrengung herausfordert, so zeichnet sich doch die Möglichkeit ab, daß die beschriebene, weltweite und zeitenüberdauernde Erscheinung sakral legitimierter Herrschaft nicht nur ein ethnologisches Phänomen ist, sondern ebenfalls eine anthropologische Konstante darstellt158.

mut Humbach, Herrscher, Gott und Gottessohn im Iran und in angrenzenden Ländern, in: Zeller (Hg.), Menschwerdung Gottes (wie Anm. 142), S. 89 – 114, bes. 94 – 98. 158 Der Begriff ,Sakralkönigtum‘ ist einer eindringlichen Kritik unterzogen worden durch Jens Ivo Engels, Das „Wesen“ der Monarchie? Kritische Anmerkungen zum „Sakralkönigtum“ in der Geschichtswissenschaft, in: Majestas 7, 1999, S. 3 – 39, der vor allem von den Verhältnissen im frühneuzeitlichen Frankreich ausgeht und eine zu unscharfe Definition der Wortbedeutung bemängelt (vgl. dazu auch ders., Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts [= Pariser Historische Studien 52], Bonn 2000, S. 240 – 250). Hier kann nicht der Ort sein, sich mit dieser grundsätzlichen Kritik auseinanderzusetzen, die viele richtige Einzelbeobachtungen enthält, in ihrer weitgehenden Ablehnung der Sakralität als eines (möglichen) Wesenszuges von Herrschaft aber wohl zu weit geht: Die unterschiedlichen Äußerungen in den Quellen aus allen Epochen und Kulturräumen legen jedenfalls eine andere Deutung nahe und zeigen ein weltweites Phänomen, das nicht allein durch einen engen Begriff von ,Sakralkönigum‘ gefaßt werden kann, sondern das als Vielfalt von (im einzelnen noch zu beschreibenden) differenzierten Formen sakraler Herrschaftslegitimierung begriffen werden muß.

II. Religiöse Herrschaftslegitimierung im frühen Mittelalter

Der Herrscher als gotes drút Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs Zeugnisse aus dem 9. Jahrhundert über Vorstellungen von der ostfränkischen Königswürde gibt es so gut wie keine. Während die Nachrichten über das Königsideal eines Karl des Großen1, Ludwig des Frommen2 oder Karl des Kahlen3 für frühmittelalterliche Verhältnisse geradezu sprudeln, herrscht in dem 843 entstandenen Reich östlich des Rheines Schweigen. Die wirtschaftliche und kulturelle Rückständigkeit dieser Region, die sich mit den stärker von der untergegangenen römischen Zivilisation geprägten Gegenden westlich des Rheines und südlich der Alpen zweifellos nicht messen konnte, kann für diese Tatsache leicht als Begründung angeführt werden. „Germanien war weithin Entwicklungsland“, lautet das keineswegs unbegründete Urteil in einer neueren Darstellung aus kompetenter Feder4, ein Urteil, in dem wie von ferne das Diktum des Tacitus nachzuhallen scheint5 : Das Land sei „schaurig durch seine Wälder und häßlich durch seine Sümpfe“, rückständig halt, im 1. wie noch im 9. Jahrhundert nach Christi Geburt, denn ohne Frage entwickelte sich die Kultur im Reich Ludwigs des Deutschen nur mühsam und verharrte „das politische Denken“ hier „auf einer tiefen Stufe und ist zudem schwer zu fassen, da fast niemand darüber schrieb“6. Freilich blieb, auch wenn sie zurückging und auf keinen Fall mit den Verhältnissen im Westen oder mit den Zeiten Karls des Großen und Ludwigs des Frommen verglichen werden kann, die Literalität erhalten7 und eroberte sich, was der lateinerprobte Historiker leicht übersieht, sogar ein neues Feld: die Volkssprache. Erstdruck (gewidmet Bernhard Kölver zum 60. Geburtstag) in: Historisches Jahrbuch 118 (1998) S. 1 – 39. 1 Vgl. Josef Fleckenstein, Karl der Große, Göttingen 31990. 2 Vgl. Egon Boshof, Ludwig der Fromme, Darmstadt 1996. 3 Vgl. Nikolaus Staubach, Das Herrscherbild Karls des Kahlen. Formen und Funktionen monarchischer Repräsentation im früheren Mittelalter I, Diss. Münster 1981, und ders., Rex christianus. Hofkultur und Herrschaftspropaganda im Reich Karls des Kahlen, Köln 1993, sowie Janet L. Nelson, Charles the Bald, London 1992. 4 Johannes Fried, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024 (= Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994, S. 387. 5 Germania c. 5, 1: Terra, etsi aliquanto specie differt, in universum tamen aut silvis horrida aut paludibus foeda, umidior qua Gallias, ventosior qua Noricum ac Pannoniam aspicit; satis ferax, frugiferarum arborum impatiens, pecorum fecunda, sed plerumque improcera. 6 Vgl. Fried, Der Weg in die Geschichte (wie Anm. 4), S. 413 – 416, die Zitate finden sich auf S. 415 und 416. 7 Vgl. ebd., S. 414.

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An dieser volkssprachlichen Literatur scheint Ludwig der Deutsche im übrigen gar nicht so uninteressiert gewesen zu sein8, ist vielleicht doch er – und nicht sein gleichnamiger Vater – jener Ludouicus piissimus Augustus gewesen, der als Auftraggeber des Heliand9, einer altsächsischen Evangelienbearbeitung, genannt wird10, befand sich in seinem Besitz zudem auch ein Codex11, in den nachträglich, aber wohl noch zu seinen Lebzeiten das bairische Stabreimlied von der Endzeit und der Zukunft nach dem Tode, das Muspilli12, mit ungelenker Hand – vielleicht, wie freilich ohne zwingenden Beleg vermutet wurde, von Ludwig selbst13 – eingetragen 8

Vgl. dazu etwa Dieter Geuenich, Die volkssprachige Überlieferung der Karolingerzeit aus der Sicht des Historikers, in: DA 39, 1983, S. 103 – 130, bes. S. 129; Wolfgang Haubrichs, Die Anfänge: Versuche volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (ca. 700 – 1050/ 60) (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit. Hg. von Joachim Heinzle, Bd. 1: Von den Anfängen zum hohen Mittelalter, Teil 1), Tübingen 2 1995, S. 267 – 281, und Wilfried Hartmann, Herrscher der Karolingerzeit, in: Karl Rudolf Schnith (Hg.), Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern, Graz 1990, S. 11 – 97, bes. S. 66 f. 9 Heliand und Genesis. Hg. von Otto Behagel, überarbeitete Auflage von Burkhard Taeger, Tübingen 101996, S. 1. Eine Edition der ursprünglichen Praefatio findet sich auch bei Wolfgang Haubrichs, Die Praefatio des Heliand. Ein Zeugnis der Religions- und Bildungspolitik Ludwigs des Deutschen, in: Jürgen Eichhoff / Irmengard Rauch (Hgg.), Der Heliand, Darmstadt 1973, S. 400 – 435 [erstmals 1966, in: Niederdt. Jb. 89, S. 7 – 32], bes. S. 409 f. Vgl. auch ders., Die Anfänge (wie Anm. 8), S. 273 – 287 (wo ebenfalls auf S. 275 die Praefatio abgedruckt ist); Helmut de Boor, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung. 770 – 1170 (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Von Helmut de Boor und Richard Newald, Bd. 1), München 1971, S. 58 – 63. 10 Vgl. Helena Siemes, Beiträge zum literarischen Bild Kaiser Ludwigs des Frommen in der Karolingerzeit, Diss. phil., Freiburg i. Br. 1966, S. 189 – 219, bes. S. 218; Haubrichs, Die Praefatio (wie Anm. 9), passim; ders., Die Anfänge (wie Anm. 8), S. 276 ff., sowie zur gelegentlichen Titulierung des ostfränkischen Königs Ludwig als Kaiser: Heinz Zatschek, Die Erwähnungen Ludwigs des Deutschen als Imperator, in: DA 6, 1943, S. 374 – 378, und Edmund E. Stengel, Kaisertitel und Suveränitätsidee. Studien zur Vorgeschichte des modernen Staatsbegriffs, in: ders., Abhandlungen und Untersuchungen zur Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, Köln 1965, S. 239 – 286 [erstmals 1939, in: DA 3, S. 1 – 56], bes. S. 282 – 286 [S. 50 – 56]. 11 Zu diesem vgl. Haubrichs, Die Anfänge (wie Anm. 8), S. 267 und 319. 12 Zu diesem vgl. Haubrichs, Die Anfänge (wie Anm. 8), S. 319 – 323, und de Boor I (wie Anm. 9), S. 53 – 57. 13 Vgl. Ernst Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches II, Leipzig 21887, S. 417; Cola Minis, Handschrift, Form und Sprache des Muspilli, Berlin 1966, S. 88 f.; Horst Dieter Schlosser, Die literarischen Anfänge der deutschen Sprache. Ein Arbeitsbuch zur althochdeutschen und altniederdeutschen Literatur; Berlin 1977, S. 109, und Bernhard Bischoff, Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit, in: ders., Mittelalterliche Studien 3, Stuttgart 1981, S. 73 – 111 [erstmals 1971, in: FmaSt 5, S. 101 – 134], bes S. 98 f. [S. 122 f.]; ders., Bücher am Hofe Ludwigs des Deutschen und die Privatbibliothek des Kanzlers Grimalt, in: ders., Mittelalterliche Studien 3, S. 187 – 212, bes. S. 188; ders., Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit II, Wiesbaden 1980, S. 151 Nr. 143. Die Ablichtung einer Seite des Muspilli aus dem Clm 14098 findet sich bei Haubrichs, Die Anfänge (wie Anm. 8), vor S. 183 (Abb. 16).

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worden ist, und schließlich ist ihm von dem Weißenburger Mönch Otfrid dessen Evangelienharmonie14 gewidmet15 und mit der Hoffnung dediziert worden, daß der König die Lektüre des Werkes anordnen werde16. Bedeutung für den Historiker gewinnt gerade Otfrids Dichtung aber noch aufgrund eines anderen Umstandes: wegen der Vorstellungen, die der dichtende Magister in seinen Widmungsversen über das ostfränkische Königtum äußert, denn er stellt Ludwig, den Frankono kuning des ostarrichi17, in die Nachfolge des alttestamentlichen Königs David. Das aus 96 binnengereimten Verszeilen bestehende Widmungsgedicht in althochdeutscher Sprache – in dessen Text der Wunsch der Überschrift Luthouuico orientalium regnorum regi sit salus aeterna zusätzlich sowohl als Akrostichon als auch als Telestichon so kunstvoll eingeflochten ist, daß er von jeweils dem ersten und dem letzten Buchstaben zweier zu einer strophischen Einheit zusammengefaßten Verse gebildet wird18 – eröffnet zusammen mit einer Widmung für den Konstanzer Bischof Salomo I.19 und einem lateinischen Brief an den Mainzer Erzbischof Liutbert20, in dem die Gründe angegeben werden, warum der Verfasser hunc librum theodisce dictaverit21, das in fünf Bücher gegliederte Werk, dessen Struktur und Zweck vor allem den Forschergeist zahlreicher Germanisten angeregt hat22. Die Aufmerksamkeit des Historikers freilich verdient besonders das Dedikationsgedicht für Ludwig den Deutschen, das in der langen, aus antiken und christlichen Quellen gespeisten Tradition des Herrscherpreises steht und nicht allein gemäß den Forderungen des römischen Prinzenerziehers und Rhetoriklehrers Quintilian († 100) die Vorzüge und Tugenden des Königs ausbreitet23, sondern eben auch Einblick ge14 Otfrids Evangelienbuch. Hg. von Oskar Erdmann. 6. Aufl. besorgt von Ludwig Wolff, Tübingen 1973; vgl. dazu Haubrichs, Die Anfänge (wie Anm. 8), S. 292 – 312, und de Boor I (wie Anm. 9), S. 79 – 84. Zu Otfrid vgl. auch Wolfgang Haubrichs, Eine prosopographische Skizze zu Otfrid von Weißenburg, in: Wolfgang Kleiber (Hg.), Otfrid von Weißenburg, Darmstadt 1978, S. 397 – 413, und ders., Nekrologische Notizen zu Otfrid von Weißenburg. Prosopographische Studien zum sozialen Umfeld und zur Rezeption des Evangelienbuches, in: Horst Wenzel (Hg.), Adelsherrschaft und Literatur, Bern 1980, S. 7 – 113. 15 Evangelienbuch (wie Anm. 14), S. 1 ff. 16 Ebd. S. 3, V. 88. 17 Ebd. S. 1, V. 2. 18 Ebd. S. 1 ff., V. 1 – 96; vgl. die Ablichtung aus dem Cod. 2687 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien bei Haubrichs, Die Anfänge (wie Anm. 8), vor S. 183 (Abb. 13). 19 Evangelienbuch (wie Anm. 14) S. 8 f. 20 Ebd. S. 4 – 7. 21 So – ebd. S. 11 – die Überschrift der althochdeutschen Vorrede des ersten Buches (I 1). 22 Vgl. dazu neben der in Anm. 14 und 23 verzeichneten Literatur die mit einer Bibliographie versehene Aufsatzsammlung von Kleiber (Hg.), Otfrid von Weißenburg (wie Anm. 14), sowie U[Irich] Ernst, Otfrid v. Weißenburg, in: LMA 6, 1993, S. 1557 ff., und W. Schröder, Otfrid von Weißenburg, in: Verfasserlexikon 7, 1989, S. 172 – 193 (sowie die in diesen Werken angeführte Literatur). 23 Vgl. dazu Ulrich Ernst, Der Liber Evangeliorum Otfrids von Weißenburg. Literarästhetik und Verstechnik im Lichte der Tradition, Köln / Wien 1975, S. 152 – 170 (zu Quintilian

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währt in Otfrids Idee vom (ost)fränkischen Königtum. Gerade dies macht die Lobrede auf den ersten ostfränkischen Karolinger zu einer interesseheischenden Nachricht über das Königsideal, an dem Ludwig gemessen worden ist. I Entsprechend der Lobrhetorik panegyrischer Dichtung hebt Otfrid, indem er auf die Schilderung biographischer Details verzichtet, zunächst die Tugenden des Königs hervor: Tapferkeit, Weisheit und Gerechtigkeit24 – und betont damit auf herkömmliche Weise die üblichen Eigenschaften eines Herrschers: ,fortitudo‘, ,sapientia‘ und ,iustitia‘25, während die ansonsten ebenfalls bei der Charakterschilderung von Herrschern als Topos erscheinende Fähigkeit zum Maßhalten26 nicht erwähnt wird. Statt dessen freilich wird Ludwig als ,rex litteratus‘ vorgestellt und erhält damit eine weitere, für einen König seit der Antike wichtige Eigenschaft27 zugesprochen: Gelehrsamkeit28. Als christlicher Herrscher erfüllt der Karolinger darüber hinaus noch ein anderes Ideal: Er ist Diener Gottes29, der sich dem Willen des Herrn beugt, von diesem daher unterstützt und beschützt wird und der deshalb sein Volk zum Heil führt und die eigene Herrschaft zu befestigen vermag30. Einem solchen König kann nur alles Gute gewünscht werden: Glück und langes Leben sowie nach dem Tode die Aufnahme in hímile31. Ein solcher Herrscher ist aber auch, wie Otfrid dreißig Verse lang bes. S. 153, sowie Annette Georgi, Das lateinische und deutsche Preisgedicht des Mittelalters in der Nachfolge des genus demonstrativum, Berlin 1969, S. 24 f. und 56 – 61). 24 Evangelienbuch (wie Anm. 14) S. 1, V. 1 und 13 – 17: Lúdouuig ther snéllo, thes wísduames fóllo … Uunta er ist édil Franko, wísero githánko, wísera rédinu; thaz dúit er al mit ébinu. In sínes selbes brústi ist hérza filu fésti, mánagfalto gúati; bi thiu ist sínen er gimúati. Cléinero githánko so íst ther selbo Fránko, 25 Vgl. Ernst, Der Liber Evangeliorum (wie Anm. 23), S. 155 f., sowie Sibylle Mähl, Quadriga virtutum. Die Kardinaltugenden in der Geistesgeschichte der Karolingerzeit, Köln 1969. 26 Dazu vgl. etwa Mähl, Quadriga virtutum (wie Anm. 25), S. 171 – 176. 27 Vgl. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 8 1973, S. 184 ff. 28 Vgl. die Verse, mit denen Otfrid dem König sein Werk dediziert: Evangelienbuch (wie Anm. 14) S. 3, V. 87 ff., sowie, damit gleichsam korrespondierend, ebd. S. 13 (I 1), V. 101 f., und Ernst, Der Liber Evangeliorum (wie Anm. 23), S. 156 ff. 29 Vgl. etwa das Evangelienbuch (wie Anm. 14) S. 2, V. 65 f.: In thésemo ist ouh scínhaft, so fram so inan lázit thiu craft, thaz ér ist ío in nóti gote thíononti. 30 Vgl. ebd. S. 1 und 2 f., V. 19 – 30, 60 – 74. 31 Ebd. S. 3, V. 86; vgl. ebd. V. 74 – 96.

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ausführt32, dem alttestamentlichen König David vergleichbar: als Diener33 und Vertrauter Gottes (gotes drút34), als Gefolgsmann (man, thegan35) des Herrn und vor allem im geduldigen Ertragen von Nachstellungen und Not 36. Wenn auch zu Recht angemerkt worden ist37, daß diese Darstellung üblicher Herrschertopik entspreche und keinesfalls individuelle Züge besitze, so ist sie doch in doppelter Weise exzeptionell: einmal, weil sie überhaupt Auskunft über die Einordnung des ostfränkischen Königtums in die politische Ideenwelt des 9. Jahrhunderts gibt, und zum anderen38, weil sie den Vergleich zwischen David und Ludwig weder mit den triumphalen Zügen eines Idealkönigs noch mit denen eines demütigen Büßers ausstattet39, sondern vielmehr Ludwigs Langmut (thulti40) unter Anspielung auf die mit Geduld ertragene Verfolgung Davids durch Saul und den eigenen Sohn Absalom als zentrale Tugend des Herrschers herausstellt. Gerade mit diesem Vergleich aber wird Ludwig nicht nur in die Nachfolge Davids, sondern in unmittelbare Beziehung zu Christus selbst gestellt, galt der gesalbte König Israels doch den mittelalterlichen Theologen als Präfiguration des Heilands und als imago Christi41, weil der Erlöser aus seinem Geschlechte hervorgegangen war42, besonders aber weil der Heiland ebenfalls ungerechterweise durch die Juden verfolgt43 worden ist: David filii Dei et Salvatoris nostri expressit imaginem, sive quod insectatione Judaeorum injustam persecutionem sustinuit, sive quia Christus

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Ebd. S. 2, V. 37 – 66. Vgl. ebd. S. 2, V. 66. 34 Ebd. V. 58. 35 Ebd. V. 39, 40, 42. 36 Vgl. ebd. V. 47 – 55, bes. 47 f.:

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Giwísso, thaz ni híluh thih, thúlta therer sámalih árabeito ginúag; mit thulti sáma iz ouh firdrúag. 37 Vgl. Fried, Der Weg in die Geschichte (wie Anm. 4), S. 387 f. 38 Vgl. dazu Ernst, Der Liber Evangeliorum (wie Anm. 23), S. 159. 39 Vgl. Siemes, Beiträge (wie Anm. 10), S. 54 ff. 40 Vgl. Evangelienbuch (wie Anm. 14) S. 2, V 48 und 50. 41 Vgl. etwa Odilbert von Mailand: MGH Capitularia regum Francorum I, ed. Alfred Boretius, Hannover 1883, S. 247 (Nr. 126), oder Hinkmar von Reims: De ordine palatii, hg. und übersetzt von Thomas Gross und Rudolf Schieffer, MGH Font. iur. Germ. antiqui i. u. sch. 3, Hannover 1980, S. 38 (c. I, Z. 60 ff.): Legimus in sancta scriptura veteris testamenti, quia David rex simul et propheta praefigurans dominum nostrum Jesum Christum …, sowie Hugo Steger, David Rex et Propheta. König David als vorbildliche Verkörperung des Herrschers und Dichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölften Jahrhunderts, Nürnberg 1961, S. 124. 42 Vgl. dazu etwa auch das Evangelienbuch (wie Anm. 14) S. 16 f. (I 3): Liber generationis Jesu Christi filii David. 43 Vgl. zur Duldsamkeit Christi etwa auch ebd. S. 137 f. (III 19) und dazu Ernst, Der Liber Evangeliorum (wie Anm. 23), S. 160.

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ex ejus stirpe carnem assumpsit, erklärte daher schon Isidor von Sevilla44. Indem Otfrid seinen König sowohl indirekt durch die Betonung von dessen Tapferkeit und Weisheit45, also durch einen Topos, der besonders eng mit der Gestalt des alttestamentlichen Königs und Psalmisten verknüpft ist46, als auch durch den unmittelbaren Vergleich unübersehbar in die Nachfolge Davids stellt, ordnet er die ostfränkische Monarchie in den Gesamtzusammenhang des Davidkönigtums und damit in einen Kosmos politischer Ideen ein, der seit dem Aufstieg der Karolinger zur Königswürde eine eigene Ausgestaltung erfahren hatte und in besonderem Maße die Sakralität des gesalbten Herrschers betonen half. Offenkundig besaß Ludwig der Deutsche zumindest in Otfrids Augen auch ohne Salbung47 Anteil an dieser Sakralität, die sich nicht zuletzt in der Gottesknechtschaft des ostfränkischen Karolingers äußert48. II In der Mitte des 9. Jahrhunderts war es nichts Ungewöhnliches mehr, einen christlichen Herrscher mit einem König des Alten Testaments, insbesondere mit David, in Verbindung zu bringen. Für einen solchen Vergleich gab es vielmehr schon eine lange, in die Spätantike zurückreichende Tradition49. Deutlich faßbar wird sie 451, als der oströmische Kaiser Markian (450 – 457) von den in Chalkedon zum Konzil versammelten Geistlichen als neuer Paulus, neuer Konstantin und neuer 44 Allegoriae quaedam sacrae scripturae, ed. Migne PL 83, Paris 1850, S. 97 – 130, hier: S. 112 (Nr. 89). 45 Vgl. Anm. 24. 46 Vgl. Werner Fechter, Lateinische Dichtkunst und deutsches Mittelalter. Forschungen über Ausdrucksmittel, poetische Technik und Stil mittelhochdeutscher Dichtungen, Berlin 1964, S. 89. 47 Vgl. dazu Carlrichard Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der „Festkrönungen“, in: ders., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze I. Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim 1989, S. 351 – 412 [erstmals 1962 in: HZ 196, S. 265 – 326], bes. S. 382 – 389 [S. 296 – 303], und Eduard Hlawitschka, Vom Frankenreich zur Formierung der europäischen Staaten- und Völkergemeinschaft. 840 – 1046. Ein Studienbuch zur Zeit der späten Karolinger, der Ottonen und der frühen Salier in der Geschichte Mitteleuropas, Darmstadt 1986, S. 104 f., sowie unten Anm. 229. 48 Vgl. Anm. 29. 49 Vgl. dazu und zum folgenden Eugen Ewig, Zum christlichen Königsgedanken im Frühmittelalter, in: ders., Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952 – 1973), hg. von Hartmut Atsma, Bd. 1, München 1976, S. 3 – 71 [erstmals 1956, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen, S. 7 – 73]; Otto Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938 [ND Darmstadt 1956 u. ö.], S. 129 – 135, sowie Percy Ernst Schramm, Das Alte und das Neue Testament in der Staatslehre und Staatssymbolik des Mittelalters, in: ders., Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters IV, 1, Stuttgart 1970, S. 123 – 140 [erstmals 1963, in: La Biblia nell’alto medioevo (= Settimane di studio del Centro Italiano di studi sull’alto medioevo X), S. 229 – 255], bes. S. 128 f. [S. 236 ff.].

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David akklamiert wurde50. In diesem Akt äußerte sich eine bald noch weit intensiver werdende Rezeption alttestamentlicher Vorbilder für das oströmisch-byzantinische Kaisertum51, die sich weder auf die Gestalt des Königs David beschränkte noch ohne Folgen blieb für das in der Völkerwanderungszeit entstandene christliche Reich der fränkischen Könige. Wenn dabei etwa auch dem weisen Davidssohn Salomo eine keineswegs marginale Rolle zugefallen ist52, so soll mit Blick auf die Vorbildlichkeit des Davidkönigtums und seiner Bedeutung für die Herrschaft Ludwigs des Deutschen hier allein dessen Entwicklung verfolgt werden. In Byzanz galt offenbar jeder Kaiser als neuer David53, die Akklamation als Paulus und David ist zumindest noch im 10. Jahrhundert belegt54; die Päpste haben keine Bedenken getragen, die Kaiser – etwa 519, 680 und 68255 – in davidische Tradition zu stellen, und ein mindestens bis in das 8. Jahrhundert zurückreichendes Kaisergebet56 verweist ausdrücklich auf Davids Salbung durch den Propheten Samuel. Der endgültige Anschluß des oströmischen Kaisertums an die Davidstradition erfolgte offenkundig im 7. Jahrhundert, und zwar durch Herakleios (610 – 641), der selbst von dem fränkischen Geschichtsschreiber Fredegar als novus David charak50

Joannes Dominicus Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio VII, Florentiae 1762, S. 169 C; Acta conciliorum oecumenicorum II, ed. Eduard Schwartz: Concilium universale Chalcedonense I 2, Berlin und Leipzig 1933, [351] S. 155 (Nr. 11), und II 2, Berlin und Leipzig 1936, [101] S. 9 (Nr. 10: nouo Constantino Marciano, nouo Paulo, nouo Dauid. annos Dauid da principi); vgl. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 7 [S. 11], und Francis Dvornik, Early Christian and Byzantine Political Philosophy. Origins and Background II (= Dumbarton Oaks Studies IX), Washington, DC, 1966, S. 780 f. 51 Vgl. dazu Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee (wie Anm. 49), S. 81 und 129 ff. 52 Vgl. dazu etwa Anm. 78 und 83. Allerdings wurde der Vergleich mit David als besondere Auszeichnung verstanden, vgl. dazu Anm. 72 und Ernst H. Kantorowicz, Laudes regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Mediaeval Ruler Worship, Berkley and Los Angeles 1946, S. 57 Anm. 148: ,,However, the title of David is considered the highest“. 53 Vgl. Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee (wie Anm. 49), S. 130 mit Anm. 2. 54 Constantini Porphyrogeniti imperatoris De Cerimoniis Aulae Byzantinae Libri duo. Graece et Latine recensione Io. Iac. Reiskii (= Corpus scriptorum historiae Byzantinae), Vol. I, Bonn 1829, S. 368 (I 73: %kom Dab_d se amol\fei), vgl. auch S. 322 (I 69); Constantin VII Porphyrogénète, Le Livre des Cérémonies. Tome II. Texte établi et traduit par Albert Vogt (= Collection Byzantine), Paris 1939, S. 167 (I 82; vgl. dazu ders., Constantin VII Porphyrogénète, Le Livre des Cérémonies. Tome II. Commentaire, Paris 1940, S. 172 – 177). 55 Mansi VIII, Florentiae 1762, S. 462 C (Nr. 44); Mansi XI, Florentiae 1765, S. 282 B; und bes. Migne PL 96, Paris 1851, S. 409 C (Nr. 3:… confide, ne metuas, novas David, … – Vicit novus David constantissimus Augustorum …); vgl. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 9 [S. 13], und ders., Das Bild Constantins des Großen in den ersten Jahrhunderten des abendländischen Mittelalters, in: ders., Spätantikes und fränkisches Gallien (wie Anm. 49), S. 72 – 413 [erstmals 1956, in: HJb 75, S. 1 – 46], bes. S. 78 [S. 7]. 56 Vgl. Ewig, Das Bild Constantins (wie Anm. 55), S. 78 [S. 7 f.] mit Anm. 41, und ders., Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 7 [S. 11].

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terisiert wird57. Dieser Basileus, der nach einem triumphalen militärischen Sieg über die Perser (628 oder 630) in Jerusalem, die Stadt Davids, einziehen konnte, sie aber schließlich nach einer bitteren Wendung des Schicksals zusammen mit den östlichen Provinzen seines Reiches für immer an die zum Islam bekehrten Araber verlor58, Herakleios legte besonderen Wert auf die Davidsakklamation59 und gab 638 sogar seinem jüngsten Sohn den Namen seines alttestamentlichen Vorbildes60. Für das westgotische Königtum spielte der Davidvergleich kaum eine Rolle61; Isidor von Sevilla empfiehlt den Herrschern gelegentlich nur Davids Demut als Vorbild62. Anders dagegen war es im Frankenreich. Nachdem bereits Venantius Fortunatus bei dem 567 verstorbenen Charibert I. die Daviticae mansuetudo vitae bemerkt hatte63, wurde der alttestamentliche König im 7. Jahrhundert zwei weiteren Merowingern als Beispiel vor Augen gehalten64 : Chlothar II. im Jahr 626/27 von den in Clichy zum Konzil versammelten Bischöfen und – ebenfalls vom Episkopat – einem seiner Enkel; und das vielleicht noch dem 7. Jahrhundert angehörende, im frühen 8. Jahrhundert sicher vorliegende Missale gallo-fränkischer oder italolangobardischer Provenienz aus dem Columbankloster Bobbio verzeichnet ein Friedensgebet aus der Missa pro principe, in dem der Wunsch nach Frieden am

57 Chronicarum quae dicuntur Fredegarii Scholastici libri IV cum Continuationibus, ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. II, Hannover 1888, S. 152 (IV 64): Aeraclius imperatur arma sumens … singolare certamen, ut novas Davit, procedit ad bellum. 58 Vgl. dazu Georg Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates (= Handbuch der Altertumswissenschaft, 12. Abt. I 2), München 31963, S. 83 – 87, 92 f.; Franz Georg Maier, Byzanz, Frankfurt a.M. 1973, S. 78 ff. 59 Vgl. Ewig, Das Bild Constantins (wie Anm. 55), S. 80 [S. 9]. 60 Vgl. Ernst Kornemann, Doppelprinzipat und Reichsteilung im Imperium Romanum, Leipzig 1930, S. 163 f., und Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 7 [S. 11]. 61 Vgl. dazu Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 20 – 34 [S. 24 – 37]. 62 Sententiarum lib. III 49, 1, ed. Migne PL 83, Paris 1850, S. 720: … proponens sibi exemplum humilitatis David. 63 Venanti Honori Clementiani Fortunati presbyteri italici opera poetica, rec. et emendavit Friedrich Leo, MGH AA IV 1, Berlin 1881, S. 133 (Carminum liber VI Nr. 2 [De Chariberctho rege], V. 78): est tibi Daviticae mansuetudo vitae. 64 Zum folgenden vgl. Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 18 [S. 21 f.], sowie für Chlothar II.: MGH Concilia I, rec. Friedrich Maassen, Hannover 1893, S. 196 (Conc. Clippiacense 626/627 Sept. 27); ed. Carolus de Clercq, Concilia Galliae A. 511 – A. 695 (= Corpus Christianorum SL 148a), Turnhout 1963, S. 291: … a nobis [den Bischöfen] dicenda prevenitis [Chlothar II.] hac velut illi David et regni imperium gratia provide gubernantes et ministrationem propheticam adimpletis; und für seinen Enkel: Epistolae aevi merowingici collectae, ed. Wilhelm Gundlach, MGH Epist. III (= Epistol. merowingici et karolini aevi I [= Corpus Christianorum SL 117, Turnhout 1957, S. 491 Nr. 3]), Berlin 1892, S. 457 Nr. 15, hier S. 457: Rex enim David sapiens humilisque, iugiter opera bona sectando, quae Domino erant placita, proelia, quae fuerant contra illum parata, semper vicit, templum Domini ipse aedificare coepit, filiusque suus Salomon illud postea ad perfectionem perduxit …

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Beispiel Davids und seines Sieges über Goliath exemplifiziert wird65. Nach dem Aufstieg der Karolinger zur Königswürde wurde der Davidvergleich schließlich immer häufiger und intensiver für den fränkischen Herrscher gebraucht und konnte unter Karl dem Großen66 sogar einen identifikatorischen Charakter annehmen; die karolingische Herrschaft erstrebte und erhielt durch diese Berufung auf biblische Vorbilder zweifellos eine zusätzliche Legitimation67. Wohl spätestens 754, als von Papst Stephan II. in St-Denis persönlich die Salbung an Pippin wiederholt wurde, ist bei den dabei gesprochenen Gebeten ein Bezug zwischen David und dem Karolinger hergestellt worden68 ; und es waren die Päpste, die Pippin in ihren Briefen von 757 an in alttestamentliche Bezüge stellten69 und ihn als (novus) David apostrophierten70. Wenn der päpstliche Überschwang 65 The Bobbio Missal. A Gallican Mass-Book (Ms. Paris. lat. 13246). Ed. by E[lias] A [very] Lowe (= Henry Bradshaw Society 58), London 1920, S. 151 ff., bes. S. 152 [495]: … to supleces deprecamur, ut pax … iuieter perseuerans nostris uegeat in cordibus, et sicut dauid quondam fortis manus purio percusso golia pacem saulis fecit in populo ita princeps noster opitolantem uniuersis deuictis undeque gentibus pacifece innummerus per annus suo feliceter splendeat in rigno. Vgl. dazu Anneliese Sprengler, Gebete für den Herrscher im frühmittelalterlichen Abendland und die verwandten Anschauungen im gleichzeitigen Schrifttum, Diss. (masch.), Göttingen 1950, S. 36 – 40, bes. S. 37 f., und im Anhang Gebet 78, sowie Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 20 [S. 24]. – Zu Entstehungszeit und -ort des Missale, die beide umstritten sind, vgl. André Wilmart, Notice du Missel de Bobbio. Paris B. N. 13246, in: Notes and Studies. By André Wilmart, E. A. Lowe and H. A. Wilson (= Henry Bradshaw Society 61), London 1924, S. 1 – 58, bes. S. 35 – 39; E[lias] A[very] Lowe, The Palaeography of the Bobbio Missal, ebd. 59 – 106, bes. 98 – 105; ders., Notes on Parallel Forms in Early Texts, ebd. S. 107 – 147, bes. S. 143 f. (zur ,Missa pro principe‘). 66 Vgl. Anm. 75. 67 Vgl. dazu allg. Kantorowicz, Laudes regiae (wie Anm. 52), S. 56 ff.; Ernst Rieber, Die Bedeutung alttestamentlicher Vorstellungen für das Herrscherbild Karls des Großen und seines Hofkreises, Diss. phil. [masch.], Stuttgart 1949; Walter Mohr, Christlich-alttestamentliches Gedankengut in der Entwicklung des karolingischen Kaisertums, in: Paul Wilpert (Hg.), Judentum im Mittelalter. Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch, Berlin 1966, S. 382 – 409, und vor allem Hans Hubert Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, Bonn 1968, S. 419 – 436. 68 Vgl. Sprengler, Gebete (wie Anm. 65), S. 56 – 62 und im Anhang Gebet 107, 107 A und 108 (hier heißt es in der Benedictio super principes, also im Segen für die Königssöhne, daß diese dauiticum teneant sublimitatis sceptrum), und Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 42 ff. [S. 45 f.], sowie Eduard Eichmann, Königs- und Bischofsweihe (= SBB der Bayer. Akad. d. Wiss., Philos.-philolol. u. hist. Kl. Jg. 1928, 6. Abh.), München 1928, S. 31. 69 Vgl. dazu und zum folgenden Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 43 ff. [S. 46 f.]; Mohr, Christlich-alttestamentliches Gedankengut (wie Anm. 67), S. 390 – 398. 70 Codex Carolinus Nr. 11 (757 März/April). 33 (761 – 766). 39 (758 – 767). 43 (767), ed. Wilhelm Gundlach, MGH Epist. III, Berlin 1892, S. 505 (Quid enim aliud quam novum te [Pippin I.] dixerim [Stephan II.] Moysen et praefulgidum asseram David regem), 540 (vgl. Anm. 72), 552 (Novus quippe Moyses novusque David in omnibus operibus suis effectus est christianissimus et a Deo protectus filius et spiritalis compater, domnus Pippinus, Dei nutu victoriosissimus rex, …), 557 (Unde merito, christianissime fili et spiritalis compater, cum

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auch schon vor dem Ende des 8. Jahrhunderts wieder zur Ruhe kam71 und die Nachfolger Petri fortan vorsichtiger umgingen mit der Stilisierung des Frankenkönigs zum rex et propheta alttestamentlicher Prägung72, so griff die karolingische Hofgesellschaft doch bald selbst auf den Davidnamen zurück und schmückte mit ihm ihren alles bewegenden Mittelpunkt73, Karl den Großen, der im Kreise seiner ,Hofakademie‘74 als David galt und häufig auch so genannt worden ist75. Zweifellos stellte die Herrschaft des großen Karl einen besonderen Höhepunkt des frühmittelalterlichen Davidkönigtums dar, einer Herrschaft, deren Träger durch eine besondere Nähe zu Gott ausgezeichnet und durch die Salbung auf eigentümliche Weise für die Erfüllung seines ministerium begnadet erscheint76. Aber nicht nur egregio illo ac praecipuo David rege et eximio prophetarum in celestibus regnis participem te esse, omnium fidelium mentes opinantur …). Vgl. auch ebd. S. 652 (Nr. 99 [767 nach August 31]). 71 Vgl. dazu und zum folgenden Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 419 f. 72 Vgl. die in Anm. 70 angeführten Belege, bes. etwa Codex Carolinus Nr. 33, MGH Epist. III, S. 540: Sed in omnibus illis non ita complacuit eius divina maiestas, sicut in Davit rege et propheta, testante eodem misericordissimo Deo nostro in id quod ait: ,Inveni David servum meum secundum cor meum, oleo sancto unxi eum‘, cui et regnum et semini eius in aeternum gloriose tribuit possidendum. Sic enim … a Deo instituti reges, isdem dominus Deus noster in vestra christianissima conplacuit excellentia … 73 Dazu vgl. Fried, Der Weg in die Geschichte (wie Anm. 4), S. 264 – 323. 74 Zu dieser vgl. ebd. S. 304 ff. sowie Josef Fleckenstein, Karl der Große und sein Hof, in: ders., Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters. Ausgewählte Beiträge, Göttingen 1989, S. 28 – 66 [erstmals 1965, in: Wolfgang Braunfels (Hg.), Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 1. Hg. von Helmut Beumann, S. 24 – 50]. 75 Vgl. etwa die entsprechenden Briefstellen bei Alkuin, ed. Ernst Dümmler, MGH Epist. IV (= Epist. karolini aevi II), Berlin 1895, gemäß dem Index nominum 620 (s.v. Carolus: Die erste Nennung findet sich auf S. 67 [Nr. 25 von 794?], die letzte auf S. 473 [Nr. 308 von 801 – 804: dulcissime mi David]), sowie auch Erich Auerbach, Typologische Motive in der mittelalterlichen Literatur, Krefeld 1953, S. 17; Paul Lehmann, Das literarische Bild Karls des Großen vornehmlich im lateinischen Schrifttum des Mittelalters, in: ders., Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze I, Leipzig 1941, S. 154 – 207 [erstmals 1934, in: SBB der Berliner Akad. d. Wiss., Philos.-hist. Abt., H. 9], bes. S. 157 (wo etliche Belegstellen verzeichnet sind), und allg. Rieber, Die Bedeutung (wie Anm. 67). 76 Vgl. dazu die in Anm. 148 angeführten Quellenstellen sowie Hrabanus Maurus’ Widmungsbrief an den jungen Ludwig den Deutschen, ed. Ernst Dümmler, MGH Epist. V (= Epist. karolini aevi III), Berlin 1899, S. 423 (Nr. 18): Fas enim erat, ut regi christianissimo et in divinis preceptis studiosissimo historia regum Iuda, hoc est confitentium, cum spiritali sensu aliquantulum explanata offerretur. Nam quia populum ecclesiasticum … vestra nobilis ad servitium Dei regit prudentia, ideo bene convenit piissimo principi, hoc est rectori membrorum veri regis Christi, …, ritum regiminis secundum divinam scripturam habere et agere, maxime cum sapientia, quae in ipsis litteris manifestissime elucet, ammonens dicat: ,Per me reges regnant et conditores legum iusta decernunt‘. … Accipite ergo regum priorum historiam et sensum spiritalem ad gratiam Christi pertinentem super omnia in illa amate. Lex enim Dei spiritalis est, et revelatione opus est, ut intellegatur, ac revelata facie gloriam Dei contemplemur. Unde in Apocalipsin liber septem signaculis signatus ostenditur, quem nemo aperit, nisi ille reserat ,qui habet clavem David, qui aperit, et nemo claudit; claudit et nemo aperit‘. Zur clavis David (Apokalypse 3, 7) vgl. die Explanatio Apocalypsis des Beda Venerabilis, ed. Migne PL 93, Paris 1862, S. 141 A (lib. I, caput III): ,Haec dicit sanctus et verus, qui habet

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Karl und sein Vater sind mit David verglichen oder als neuer David gefeiert worden77, sondern auch Ludwig der Fromme78 und Karl der Kahle79 und ebenfalls noch etliche andere Herrscher des frühen und hohen Mittelalters80. Im Epilog des Rolandsliedes aus dem 12. Jahrhundert wird sogar Herzog Heinrich der Löwe mit dem König aus dem Alten Testament verglichen81, und wohl spätestens seit dem ersten Salierkaiser Konrad II. verwiesen bis zum Ende des Alten Reiches im Jahre 1806 alle römisch-deutschen Kaiser und Könige auf das biblische Vorbild des christus Domini, wenn sie unter der Krone gingen82, zählt doch neben den Königen Salomo clavem David‘. Id est regiam potestatem, quia sive ex David stirpe natus, sive quia prophetia David, Christi est dispensatione patefacta. 77 Vgl. dazu und zum folgenden Eberhard Nellmann, Karl der Große und König David im Epilog des deutschen Rolandsliedes, in: Zs. f. dt. Altertum u. dt. Literatur 94, 1965, S. 268 – 279, bes. S. 274 ff. (und die hier verzeichneten Belege). 78 Amalar von Metz nennt ihn novus David: De ecclesiasticis officiis libri quattuor ad Ludovicum pium imperatorem, ed. Migne PL 105, Paris 1851, S. 988 A/B (Divo Hludovico vita. Novo David perennitas. Da principi, Domine, vitam. Ipsi novo Salomoni felicitas.); Papst Stephan IV. secundus Dauid rex: Theganus, Gesta Hludowici imperatoris c. 16. Hg. und übersetzt von Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. LXIV., Hannover 1995, S. 196. Vgl. auch ebd.: Astronomus, Vita Hludowici imperatoris c. 55 (S. 506/508). 79 Er wird rex inclite David (MGH Poetae latini III rec. Ludwig Traube, Berlin 1886 – 1896, S. 249 [Nr. VI] = Percy Ernst Schramm / Florentine Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser I. Ein Beitrag zur Herrschergeschichte von Karl dem Großen bis Friedrich II. 768 – 1250, München 21981, S. 130 [Nr. 42]), splendide und sanctissime David (Schramm / Mütherich, a.a.O.) oder auch alter David (Registrum Iohannis VIII. papae Nr. 22, ed. Erich Caspar, MGH Epist. VII [= Epist. karolini aevi V], Berlin 1912 – 1928, S. 20, Z. 34) genannt. 80 Vgl. Nellmann, Karl der Große (wie Anm. 77), S. 275; Steger, David (wie Anm. 41), S. 126 – 130 mit Anm. 15; Eduard Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland II, Würzburg 1942, S. 78, sowie Ernst Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite. Ergänzungsband, Düsseldorf und München 1931, S. 73 f. 81 Hg. von Friedrich Maurer (Deutsche Literatur. Reihe: Geistliche Dichtung des Mittelalters, Bd. 5), Darmstadt 1964: V. 9039 – 9043: Nune mugen wir in diesem zîte / dem chuninge Davite / niemen sô wol gelîchen / sô den herzogen Hainrichen. Dazu vgl. Georg Steer, Literatur am Braunschweiger Hof Heinrichs des Löwen, in: Bernd Schneidmüller (Hg.), Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter, Wiesbaden 1995, S. 347 – 375, bes. S. 354, sowie Karl-Ernst Geith, Karlsdichtung im Umkreis des welfischen Hofes, ebd. S. 337 – 346, bes. S. 341. 82 Zu dieser und der immer noch umstrittenen Datierung ihrer Anfertigung vgl. Hansmartin Decker-Hauff, Die „Reichskrone“, angefertigt für Kaiser Otto I., in: Percy Ernst Schramm, Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom 3. bis zum 16. Jahrhundert II, Stuttgart 1955, S. 560 – 637; Josef Deer, Kaiser Otto der Große und die Reichskrone, in: ders., Byzanz und das abendländische Herrschertum. Ausgewählte Aufsätze. Hg. von Peter Classen, Sigmaringen 1977, S. 125 – 177 [erstmals 1955, in: Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte 13, S. 48 – 110]; Mechthild Schulze-Dörrlamm, Die Kaiserkrone Konrads II. (1024 – 1039). Eine archäologische Untersuchung zu Alter und Herkunft der Reichskrone, Sigmaringen 1992, bes. S. 117 – 125, sowie allg. Reinhart Staats, Theologie der Reichskrone. Ottonische „Renovatio Imperii“ im Spiegel einer Insignie, Stuttgart 1976, S. 136 – 143; ders., Die Reichskrone. Geschichte und Bedeutung eines europäischen Symbols, Göttingen 1991; Georg Johannes Kugler, Die Reichskrone, Wien 1968, S. 11 – 41, und die bei Egon Boshof, Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert, München 21997,

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und Ezechias (Hiskia) und dem Propheten Isaias (Jesaja) auch der rex David zu dem altestamentlichen Bildprogramm dieses Herrschaftszeichens83. Außer auf Abraham, Moses, Josua, Salomo oder weitere Gestalten aus dem Alten Testament wird seit 877, seit der Krönung des westfränkischen Karolingers Ludwig des Stammlers, in den Gebeten, die bei der Herrscherweihe gesprochen wurden, auch auf David verwiesen, gemäß dem Krönungsordo von 877 bei der Salbung84, laut dem auf die ottonischen Vorstellungen einwirkenden, aber in westfränkischer Tradition stehenden ,Ordo der sieben Formeln‘ aus dem 10. Jahrhundert gleich zu Beginn der feierlichen Handlung85. Der Vorbildcharakter des davidischen Königtums blieb mithin für alle karolingischen Herrscher bedeutsam; auf dieses Idealbild eine Herrschaft beziehen, wie Otfrid von Weißenburg es mit Blick auf Ludwig den Deutschen unternimmt, hieß daher vor allem, königliches Handeln auf bestmögliche Weise zu legitimieren und mit einer sakralen Aura zu umgeben.

S. 118 ff., verzeichnete Literatur, sowie neuestens Gunter G. Wolf, Die Wiener Reichskrone, Wien 1995, und Hans Martin Schaller, Die Wiener Reichskrone – entstanden unter Konrad III., in: Die Reichskleinodien (= Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 16), Göppingen 1997, S. 58 – 105. 83 Dazu vgl. Eichmann, Die Kaiserkrönung II (wie Anm. 80), S. 75 – 81, bes. S. 78 f.; Decker-Hauff, Die „Reichskrone“ (wie Anm. 82), S. 583 – 619, bes. S. 611 – 616; Staats, Theologie (wie Anm. 82), S. 32 – 57, bes. S. 36 – 39. 84 Ordo coronationis Hludowici Balbi, MGH Capit. II, edd. Alfred Boretius und Victor Krause, Hannover 1897, S. 461 Nr. 304: Omnipotens sempiterne Deus, … qui … humilem quoque David puerum tuum regni fastigio sublimasti eumque de ore leonis et de manu bestiae atque Goliae, sed et de gladio maligno Saul et omnium inimicorum eius liberasti … 85 Ed. Carl Erdmann, Königs- und Kaiserkrönung im ottonischen Pontifikale, in: ders., Forschungen zur politischen Ideenwelt des Frühmittelalters, aus dem Nachlass des Verfassers hg. von Friedrich Baethgen, Berlin 1951, S. 52 – 91, bes. S. 87 ff. (hier S. 87): Omnipotens eterne Deus, … qui … humilem (…) David puerum tuum regni fastigio sublimasti … Vgl. auch ebd. S. 82 – 87 den ,frühdeutschen Ordo‘ (bes. S. 84: Benedic, Domine, hunc regem nostrum …, ut Davidicum teneat sublimitatis sceptrum et sanctificatus in eius protinus reperiatur merito.). Vgl. dazu Percy Ernst Schramm, Die Krönung bei den Westfranken, in: ders., Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters II, Stuttgart 1968, S. 140 – 168, bes. S. 166 f., sowie das sog. Pontificale Egberti aus dem späten 10. Jahrhundert (zu diesem vgl. Jan Prelog, Sind die Weihesalbungen insularen Ursprungs?, in: FmaSt 13, 1979, S. 303 – 356, bes. S. 317 und 321 Anm. 129), in dem das Zeremoniell der angelsächsischen Königsweihe aufgeschrieben worden und wie schon im ,frühdeutschen Ordo‘ (vgl. oben) und im Krönungsordo des Pontificale Romano-Germanicum (ed. Cyrille Vogel / Reinhard Elze, Le pontifical roman-germanique du dixième siècle I-III [= Studi e Testi 226, 227, 269], Città del Vaticano 1963 – 1972, Bd. I, S. 250 [LXXII 10]) ebenfalls vom Davidsszepter die Rede ist: Ed. Walther Schucking, Der Regierungsantritt. Eine rechtsgeschichtliche und staatsrechtliche Untersuchung I. Die Urzeit und die Zeit der ost- und westgermanischen Stammesreiche, Leipzig 1899, S. 198 – 202, bes. S. 200: Benedic Domine hunc praesulem principem … Et tali eum benedictione glorifica, ut Davidicum teneat sublimatis sceptrum salutis, …

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Da aber – nach allem, was wir wissen86 – Ludwig der Deutsche ebensowenig wie irgendeiner seiner Nachkommen, der ihm in der Herrschaft über das ostfränkische Reich folgte, jemals zum König konsekriert worden ist (nur sein Sohn Karl III. ,der Dicke‘ empfing als Kaiser 881 die Weihe durch Papst Johannes VIII., nachdem er vielleicht schon früher zum (italischen?) König gesalbt worden war87), da es also keinen ostfränkischen Salbungsbrauch gab, ist dieser Umstand besonders bemerkenswert, denn er zeigt nicht nur, daß im 9. Jahrhundert ein ungesalbter Herrscher als sakral gelten konnte88, sondern auch, daß die ostfränkische Königswürde selbst ohne kirchlichen Weiheakt eine numinose Dimension besaß – und dies nicht nur nach dem Verständnis des Weißenburger Mönchs, wie sich trotz der disparaten Quellenlage erkennen läßt. III An Ludwigs des Deutschen persönlicher Frömmigkeit ist nicht zu zweifeln, ließ er doch während der Fastenzeit nach Möglichkeit die Regierungsgeschäfte ruhen, um sich kontemplativen Übungen und geistlicher Lektüre widmen zu können89; und ein anonymer Zeitgenosse scheint um 865 allein noch in ihm einen wirklichen Beschützer der Kirche gesehen zu haben90. Die Kirchenhoheit, die vor allem bei der 86 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 388 [S. 302] Anm. 3; Percy Ernst Schramm, Salbung und Krönung bei den Ostfranken bis zur Thronbesteigung König Heinrichs I. (919), in: ders., Kaiser II (wie Anm. 85), S. 287 – 305. 87 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 411 [S. 325] Nr. 31 und 32; Schramm, Salbung (wie Anm. 86), S. 294. 88 Die Vermutung von Ernst, Der Liber Evangeliorum (wie Anm. 23), S. 161, Otfrids Wendung im Widmungsgedicht (Evangelienbuch [wie Anm. 14] S. 2, V. 57): Mit so sámeliche so quám er ouh zi ríche, könne der Reflex einer ansonsten nicht bezeugten Salbung des Karolingers sein, ist zwar interessant, aber insgesamt doch wenig wahrscheinlich. Die Feststellung bezieht sich wohl eher auf die schwierigen Anfänge beider Könige und ihre charismatische Berufung durch Gott. 89 Vgl. Raymund Kottje, König Ludwig der Deutsche und die Fastenzeit, in: Heribert Roßmann / Joseph Ratzinger (Hgg.), Mysterium der Gnade. Festschrift für Johann Auer, Regensburg 1975, S. 307 – 311, bes. S. 310 f., aber auch Hrabanus Maurus: Epist. 18, MGH Epist. V (wie Anm. 76), S. 422: Cum se˛ pius iamdudum per alios audirem in cultu pietatis vos [scil. dominum gloriosissimum et gratia dei plenissimum, in veraque religione excellentissimum Hludowicum regem] esse devotissimum atque strenuissimum Dei famulum, et postmodum ipse presentialiter viderem atque probarem id verum esse, quod antea solo auditu perceperam … 90 Vgl. die ,Visio Karoli Magni‘, ed. Philipp Jaffé, Bibliotheca rerum Germanicarum 4. Monumenta Carolina, Berlin 1867, S. 701 – 704; ed. Patrick J. Geary, Germanic Tradition and Royal Ideology in the Ninth Century: The Visio Karoli Magni, in: ders., Living with the Dead in the Middle Ages, Ithaca and London 1994, S. 49 – 76, bes. S. 74 ff., die den ostfränkischen Karolinger in der Rolle des Beschützers der Kirche darstellt: Post cuius [Ludwigs des Frommen] obitum filii eius Lotharius et Pippinus et Ludouuicus per regnum sibi derelictum NASG dilatare ceperunt. Nam Pippinus quanta monasteria spoliauerit in Aquitania et res ecclesiasticas ac utensilia clericorum et monachorum tulerit suisque satellitibus dederit, longum est

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Besetzung der Bistümer wirksam wurde91, hat er unangefochten besessen92 und noch eigens betont durch die Einführung der Investitur von hohen Geistlichen mit dem Stab. Diese wird erstmals anläßlich der 865 vollzogenen Wahl des Bremer Erzbischofs Rimbert erwähnt93, scheint jedoch schon um 900 als Gewohnheit empfunden und spätestens seit der Mitte des 10. Jahrhunderts zur Regel geworden zu sein94. Daß die sich in diesen Handlungen widerspiegelnde überragende Stellung gegenüber der Kirche ganz wesentlich im Sakralcharakter des ostfränkischen Königtums gründete, bleibt nicht nur reine Vermutung. Zwar wurde die von Bischöfen gespendete Herrscherweihe seit der Salbung Pippins I. allmählich zum wesentlichen Merkmal herrscherlicher Sakralität95, vollzog sich die Verkirchlichung des Thronerhebungsaktes im Westfrankenreich schon seit der Mitte des 9. Jahrhunderts96, erfaßte schließlich alle Teile des fränkischen Reiches97 und gewann am Ende auch im ottonisch-salischen Reich überragende Bedeutung98, aber zur Begründung des christlich-sakralen Charismas von Königen war sie im Abendland bis ins 10. Jahrhundert hinein nicht zwingend erforderlich. Allerdings gehörte ihr die Zukunft, weswegen die ostfränkischen Verhältnisse an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert hinsichtlich der Herrschersalbung als rückständig und die sakrale Dimension des ostfränkischen Königtums als zweifelhaft erscheinen können. Die mittelalterliche Vorstellung vom christlichen Sakralkönigtum besitzt jedoch ein breites, weit in Antike und Alten Orient zurückreichendes Wurzelgeflecht99. Da enarrare. Lotharius quoque in Italia similia fecisse perhibetur. De qua re extat epistola temporibus filii sui ab uniuersis episcopis Romane ecclesie Ludouuico regi Germanico destinata … (S. 704 = S. 76), und dazu die Deutung von Geary, nach der Ludwig mit deutlicher Propagandaabsicht (vgl. S. 56) gezeigt werde „as the only son of Louis the Pious, to whom the Church could turn for protection“ (S. 52). 91 Vgl. dazu etwa Georg Weise, Königtum und Bischofswahl im fränkischen und deutschen Reich vor dem Investiturstreit, Berlin 1912, und Otto P. Clavadetscher, Zur Bischofseinsetzung im 9. Jahrhundert, in: ZRG KA 42, 1956, S. 388 – 392. 92 Vgl. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches II (wie Anm. 13), S. 423 f. 93 Vgl. die Vita Rimberti c. 11, ed. G[eorg] Waitz, MGH SS rer. Germ. [55.], 1884, S. 90. 94 Vgl. dazu Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König, Stuttgart 1981, S. 11 f. 95 Vgl. dazu etwa Fritz Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie. 2. Auflage hg. von Rudolf Buchner, Darmstadt 1954, §3: „Die Herrscherweihe“. 96 Vgl. dazu Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. zum 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates, Darmstadt 21960, bes. Kap. I. 97 Vgl. dazu etwa Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 409 – 412 [S. 323 – 326] Nr. 12. 16. 21. 29. 30. 32. 33. 36. 38. 42. 98 Vgl. dazu Boshof, Königtum (wie Anm. 82), 77 f. und 110 – 115. 99 Vgl. Kern, Gottesgnadentum (wie Anm. 95), S. 107; Eduard Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und der Kirchenpolitik I, Würzburg 1942,

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sich ähnliche Anschauungen auch noch bei Völkern in Afrika, Asien und Amerika finden100, ist sie zugleich Teil eines weltweiten ethnologischen Phänomens. Wenn das sakrale Charisma eines Herrschers mancherorts auch durch eigene Salbungsund Weiheakte vermittelt worden ist101, so waren solche Zeremonien doch offenbar nicht überall Brauch102. Besonders in der stark von altorientalischen Einflüssen geprägten Welt des Hellenismus konnte der König selbst als göttlich betrachtet werden103. Das antike Kaisertum schließlich rezipierte solche Ansichten unter Beimengung römischer Traditionen104 und gewann damit eine besondere Divinität, die vom Christentum selbst unter dem Druck von Verfolgungen immer abgelehnt,

S. 3 – 23; Fritz Taeger, Charisma. Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes, 2 Bde., Stuttgart 1957 und 1960, sowie die in Anm. 103 – 105 und 107 verzeichnete Literatur. 100 Vgl. dazu die entsprechenden Beiträge in dem Sammelband: La regalità sacra. Contributi al tema dell’VIII congresso internazionale di storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), Leiden 1959, sowie Horst Nachtigall, Das sakrale Königtum bei Naturvölkern und die Entstehung früher Hochkulturen, in: Zs. f. Ethnologie 83, 1958, S. 34 – 44; Francis Dvornik, Early Christian and Byzantine Political Philosophy. Origins and Background I (= Dumbarton Oaks Studies IX), Washington, DC, 1966, und Geo Widengren, Religionsphänomenologie, Berlin 1969, S. 360 – 393. 101 Etwa bei den Hethitern und in Israel: Vgl. Ernst Kutsch, Salbung als Rechtsakt im Alten Testament und im Alten Orient, Berlin 1963, S. 36 – 39 und S. 52 – 66; Josef Funkenstein, Unction of the Ruler; in: Josef Fleckenstein / Karl Schmid (Hgg.), Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, Freiburg 1968, S. 6 – 14, bes. S. 6 f. (zur Salbung im alten Orient) und S. 8 – 11 (zur Salbung in Israel). 102 Während Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 99), S. 8 – 11, sowohl für das ägyptische als auch für das assyrische Königtum eine Salbung annimmt, und sie Funkenstein, Unction (wie Anm. 101), S. 6 f., ebenso wie Bruno Meissner, Babylonien und Assyrien (= Kulturgeschichtliche Bibliothek I. Reihe: Ethnologische Bibl. 3), Heidelberg 1920, S. 63, für den assyrischen Herrscher für sehr wahrscheinlich halten, ist Kutsch, Salbung (wie Anm. 101), S. 46 f. und 41 – 52, sowohl hinsichtlich einer Königssalbung in Mesopotamien als auch in Ägypten äußerst skeptisch. Auch Dvornik, Early Christian and Byzantine Political Philosophy I (wie Anm. 100), S. 282 ff., mahnt mit Blick auf Ägypten zur Vorsicht und weist auf S. 283 ausdrücklich darauf hin, daß die Salbung des Pharao nicht direkt bezeugt ist: ,,… no text is known which includes anointing in the enthronement ritual of the Pharaohs“ (vgl. dazu auch Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1952, S. 649 [s. v. Salben], und E[rnst] Kutsch, Salbung I. Religionsgeschichtl., in: RGG 5, 31961, S. 1330 f.), während die Salbung einiger von der ägyptischen Herrschaft abhängiger Könige ebenso belegt ist wie die Salbung hoher Beamter durch den Pharao, vgl. ebd. S. 58 und Kutsch, a.a.O., S. 34 f. 103 Vgl. Wilhelm Ensslin, Gottkaiser und Kaiser von Gottes Gnaden (= SBB d. bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Abt., 1943, H. 6), München 1943, S. 7 – 18. 104 Vgl. dazu ebd. S. 18 – 54 sowie Andreas Alföldi, Die Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells am römischen Kaiserhofe, in: Mitteilungen des Deutschen Archaeologischen Instituts, Römische Abt., 49, 1934, S. 1 – 118 [ND in: ders., Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche, Darmstadt 1970, S. 1 – 118], bes. S. 29 – 33, und Jochen Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches 1, Paderborn 1978, S. 94 – 112.

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nach der konstantinischen Wende jedoch in gewandelter Form akzeptiert worden ist105. Der spätantik-christliche, schließlich oströmisch-byzantinische Imperator erschien daher als Kaiser von Gottes Gnaden106 und Stellvertreter Christi auf Erden107, erwählt vom Schöpfer108 und als dessen „Emanation“109 sakral überhöht, weswegen er sogar in liturgische Handlungen einbezogen werden konnte110. Aber – und dies ist von besonderer Wichtigkeit – er erlangte diese eigentümliche Heiligkeit nicht durch einen kirchlichen Weiheakt, „nicht als ein sakramentales Charisma“111; vielmehr „trug er seine göttliche Vollmacht in sich selbst“112. Die Krönung des oströmischen Kaisers113, in der Frühzeit ohnehin ein rein weltlicher Akt, gewann nämlich, nachdem sie seit dem 5. Jahrhundert vom Patriarchen vorgenommen und seit dem 7. Jahrhundert in einer Kirche (641 erstmals in der Hagia Sophia) vollzogen worden ist, keinen der abendländischen Herrscherweihe vergleichbaren Rang, und der Basileus bedurfte zur Erlangung seiner sakralen Würde niemals einer kirchlichen Handlung. Die Salbung gar ist erst spät, wahrscheinlich nicht vor dem 13. Jahrhundert114, Teil der Krönungsfeierlichkeiten geworden und spielte in den früheren Jahrhunderten überhaupt keine Rolle. 105 Vgl. dazu Ensslin, Gottkaiser (wie Anm. 103), S. 55 – 108; Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian. 284 – 565 n. Chr. (= Handbuch der Altertumswissenschaft, 3. Abt., 6. Teil), München 1989, S. 223 f., und Friedrich Heiler, Fortleben und Wandlungen des antiken Gottkönigtums im Christentum, in: La regalità sacra (wie Anm. 100), S. 543 – 580. 106 Vgl. Ensslin, Gottkaiser (wie Anm. 103), S. 60 u. ö., und Herbert Hunger, PROOIMION. Elemente der byzantinischen Kaiseridee in den Arengen der Urkunden, Wien 1969, S. 49 – 58 und S. 203 – 208. 107 Vgl. Anm. 120 – 124 sowie Ensslin, Gottkaiser (wie Am. 103), S. 61 und S. 81 ff.; Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee (wie Anm. 49), S. 43; Joh. B. Aufhauser, Die sakrale Kaiseridee in Byzanz, in: La regalità sacra (wie Anm. 100), S. 531 – 542, bes. S. 532 f. 108 Vgl. Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee (wie Anm. 49), S. 34 – 40. 109 Ebd., S. 47. 110 Vgl. ebd., S. 124 ff. 111 Heiler, Fortleben (wie Anm. 105), S. 565. 112 Ebd. 113 Vgl. dazu und zum folgenden Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee (wie Anm. 49), S. 7 – 16, S. 27 ff.; Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 99), S. 12 – 22; Heiler, Fortleben (wie Anm. 105), S. 565 f.; Aufhauser, Die sakrale Kaiseridee (wie Anm. 107), S. 535 f.; Ralph Johannes Lilie, Byzanz. Kaiser und Reich, Köln 1994, S. 10 – 20 und S. 29 f. (zur Krönung) und S. 24 ff. (zur Rolle des Patriarchen bei der Krönung), sowie allg. Hans-Georg Beck, Das byzantinische Jahrtausend, München 21994, S. 60 – 70; Peter Schreiner, Byzanz, München 1986, S. 58 f. und S. 141 f. 114 Vgl. Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee (wie Anm. 49), S. 29 mit Anm. 90; Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 99), S. 20 f.; Schreiner, Byzanz (wie Anm. 113), S. 58 und S. 142, sowie Georg Ostrogorsky, Zur Kaisersalbung und Schilderhebung im spätbyzantinischen Krönungszeremoniell, in: ders., Zur byzantinischen Geschichte. Ausgewählte kleine Schriften, Darmstadt 1973, S. 142 – 152 [erstmals 1955, in: Historia 4,

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Trotzdem war der oströmische Herrscher eqeÂc]tgr115, ûcior116, sacratissimus117 und sanctissimus118, um nur einige die Sakralität kennzeichnenden Epitheta anzuführen119, selbstverständlich war er auch der Stellvertreter Gottes auf Erden120, b d’ oXa lec\kou basik]ur vpaÂwor121, vicarius potestatis Dei122, sulbasike}ym123 und vicarius Christi124, und ohne Zweifel haben Könige slawischer und germanischer 246 – 256; ND in: Herbert Hunger (Hg.), Das byzantinische Herrscherbild, Darmstadt 1975, S. 94 – 108], bes. S. 142 – 148 (dazu Jan-Louis van Dieten, in: Südost-Forschungen 33, 1974, S. 489 ff., bes. S. 490); Donald M. Nicol, Kaisersalbung. The Unction of Emperors in Late Byzantine Coronation Ritual, in: Byzantine and Modern Greek Studies 2, 1976, S. 37 – 52, und neuestens Viktor Tiftixoglu, Zur Genese der Kommentare des Theodoros Balsamon. Mit einem Exkurs über die unbekannten Kommentare des Sinaiticus gr. 1117, in: N. Oikonomides (Hg.), Byzantium in the 12th Century. Canon Law, State and Society (= Society of Byzantine and Post-byzantine Studies Dypticha-Paraphylla 3), Athen 1991, S. 483 – 532, bes. S. 505 – 512 mit Anm. 103. [Auf diese Studie hat mich Franz Tinnefeld (München) aufmerksam gemacht, wofür ihm an dieser Stelle gedankt sei.] 115 Vgl. etwa: De Cerim. (wie Anm. 54), I 3. 9. 69 = S. 42, 59, 322 und 326; ed. Vogt, Tome I, Paris 1935, I 3. 9 = S. 36, 54; Tome II, I 78 = S. 127, 130. Zum Epitheton vgl. Gerd Rösch, OMOLA BASIKEIAS. Studien zum offiziellen Gebrauch der Kaisertitel in spätantiker und frühbyzantinischer Zeit , Wien 1978, S. 48. 116 De Cerim. (wie Anm. 54), I 69 (S. 320 f.); ed. Vogt, tome II, S. 126 f. (I 78; vgl. dazu ders., Commentaire [wie Anm. 54], S. 137 ff.). 117 Mansi VI, Florentiae 1761, 50 B, 51 C und D, 590 B, 602 A, 646 A. 118 Migne PL 54, Paris 1881, 863 B (ep. 57 [Eudoxia an ihren Vater Theodosius II.] = Acta conciliorum oecumenicorum, ed. Eduard Schwartz, Tom. II: Concilium universale Chalcedonense, Vol. III, pars 1, Berlin 1935, S. 15, Z. 23 f. : domine sanctissime pater et adorabilis imperator). 119 Vgl. dazu Heiler, Fortleben (wie Anm. 105), S. 557 ff. (wo noch weitere Belege verzeichnet sind), sowie Demandt, Die Spätantike (wie Anm. 105), S. 221, und Rösch, ONOMA (wie Anm. 115), S. 66 f. 120 Vgl. Heiler, Fortleben (wie Anm. 105), S. 560 und oben Anm. 107. 121 Vgl. die Tricennatsrede des Eusebius, hg. von Ivar A. Heikel, Eusebius Werke I (= Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte VII), Leipzig 1902, S. 215, Z. 31 (c. 7); siehe auch ebd. S. 202, Z. 2 (c. 3; wo derselbe Begriff auf Christus angewendet wird, um dessen Verhältnis zu Gott Vater zu charakterisieren), sowie Johannes A. Straub, Vom Herrscherbild in der Spätantike, Stuttgart 1939, S. 118 – 126, bes. S. 118 und 123. 122 Vita Epifani, ed. Friedrich Vogel, MGH AA VII, Berlin 1885, S. 93 (Nr. 71: „Gratias … omnipotenti domino, qui pacem suam principis menti inseruit, quem ad instar superni dominatus vicarium potestatis suae voluit esse mortalibus“). 123 Acta conciliorum oecumenicorum, ed. Eduard Schwartz, Tom. I: Concilium universale Ephesum, Vol. I, pars 7, Berlin / Leipzig 1929, S. 129, Z. 12 f.: !kk’ rle?r oR t_i Wqist_i t_i he_i Bl_m t_i aqh]mtgi basike? sulbasike}omter to»r pokel_our (vgl. Acta conc. oec., Tom. I., Vol. II, Berlin 1925/26, S. 88, Z. 24:… uos qui Christo deo nostro auctore regnatis …). Zum Begriff vgl. auch Percy Ernst Schramm, „Mitherrschaft im Himmel“: Ein Topos des Herrscherkults in christlicher Einkleidung (vom 4. Jahrhundert an festgehalten bis in das frühe Mittelalter), in: ders., Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters I, Stuttgart 1968, S. 79 – 85, bes. S. 80 f. 124 Vgl. Anm. 132 sowie die Ausführungen des sog. Ambrosiaster (zu diesem vgl. Anm. 131) in der dem Mittelalter als Werk des hl. Ambrosius von Mailand geltenden Schrift ,Commentaria in XIII epistolas beati Pauli‘ c. XIII, ed. Migne PL 17, Paris 1866, 172 A:

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Völker diese Vorstellungen übernommen125. Auf besonders fruchtbaren Boden fielen sie freilich bei den Franken. Inwieweit sie bei diesen auf gemeingermanische Anschauungen eines charismatischen Königsheils126 trafen, mit diesen verschmolzen und dadurch eine besondere Kraft entfalten konnten127, ist im einzelnen umstritten128. Zweifelsfrei fest steht jedoch die sakrale Dimension, die das fränkische Königtum unter christlichem Einfluß gewann (oder ausbaute) und die ihre letzte Steigerung durch die kirchliche Salbung erfuhr. Allerdings war diese ebenso wie in Byzanz zunächst nicht nötig, um der Königswürde eine sakrale Aura zu verleihen; der mit Gottes Wille geschehene Herrschaftsantritt und das rechte Verhalten als rex christianus129 allein reichten dazu aus. Schon Apponius hat zu Beginn des 5. Jahrhunderts erkärt, daß die religiosissimi reges in Stellvertretung Gottes auf Erden handelten und das caput christianae plebis seien130 ; und in einer einflußreichen Schrift des sog. Ambrosiaster131 aus der … principi enim suo, qui vicem Dei agit, sicut Deo subjiciuntur, … Vgl. dazu Adolf von Harnack, Christus praesens – Vicarius Christi. Eine kirchengeschichtliche Skizze, in: SBB d. preuß. Akad. d. Wiss., philos.-hist. Kl., Berlin 1927, S. 415 – 446, bes. S. 436 – 440; Michele Maccarrone, Vicarius Christi. Storia del titolo papale (= Lateranum NS XVIII 1 – 4), Roma 1952, S. 36 – 42 und S. 78 – 82 (der Harnacks Studie zwar hinsichtlich der nicht genügend beachteten päpstlichen Titelführung zu Recht kritisiert, aber ihre grundsätzliche These doch nicht rundweg als irrig zu erweisen vermag; vgl. dazu auch Heiler, Fortleben [wie Anm. 105], S. 577); Michele Maccarrone, Il sovrano „vicarius dei“ nell’alto medioevo, in: La regalità sacra (wie Anm. 100), S. 581 – 594, bes. S. 582 – 585. 125 Vgl. etwa Heiler, Fortleben (wie Anm. 105), S. 567 – 572, und Ensslin, Gottkaiser (wie Anm. 103), S. 108 – 114. 126 Zu diesen vgl. Wilhelm Grönbech, Kultur und Religion der Germanen I, Darmstadt 12(= 5) 1997, S. 135 – 162, bes. S. 139 – 146, und Otto Höfler, Der Sakralcharakter des germanischen Königtums, in: Das Königtum (wie Anm. 49), S. 75 – 104 (ebenfalls in: La regalità sacra [wie Anm. 100], S. 664 – 701), sowie Kern, Gottesgnadentum (wie Anm. 95), S. 13 – 20, und Wilhelm Kienast, Germanische Treue und „Königsheil“, in: HZ 227, 1978, S. 265 – 324, bes. S. 282 – 292. 127 Dazu vgl. etwa Taeger, Charisma II (wie Anm. 99), S. 694; Heiler, Fortleben (wie Anm. 105), S. 567. 128 Zur Kritik vgl. etwa Walter Baetke, Yngvi und Ynglinger. Eine quellenkritische Untersuchung über das nordische „Sakralkönigtum“ (= SBB d. sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Kl. 109, H. 3), Berlin 1964; Eve Picard, Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung, Heidelberg 1991, und vor allem Frantisˇek Graus, Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit, Prag 1965, S. 313 – 334. 129 Vgl. dazu Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 13 – 38 [S. 17 – 42]. 130 Apponii In canticum canticorum expositionem edd. B[ernard] de Vregille und L. Neyrand, CC SL 19, Turnholt 1986, S. 251 (X 33: Nam in tantum religiosissimi reges uices Dei agentes in terris caput christianae plebis esse noscuntur, ut, si quando morbo hereticae contagionis aut persecutionis corpus Ecclesiae coeperit infirmari, aut ipsorum auctoritate ad pristinam sanitatem reformatur, si sani fuerint in fide; aut, si insani, per ipsos infirmari necesse est). Vgl. Harnack, Christus praesens (wie Anm. 124), S. 438; ders., Vicarii Christi vel dei bei Aponius. Ein Beitrag zur Ideengeschichte des Katholizismus, in: Delbrück=Fest-

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zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, als deren Verfasser im Mittelalter der hl. Augustinus galt, heißt es kurz und bündig, der König werde auf Erden gleichsam als Stellvertreter Gottes verehrt: rex enim adoratur in terris quasi uicarius dei132. Besonders seit den Karolingern erfuhr dieser Gedanke von der Gottesstellvertreterschaft des Königs einen gewaltigen Aufschwung. Schon um 775 wies der angelsächsische (oder irische) Priester Cathwulf den großen Karl in einem theologisch höchst problematischen Vergleich darauf hin, daß der König in Stellvertretung Gottes zu regieren habe, während der Bischof der Stellverter Christi sei133. Die Vorstellung vom König als vicarius Dei oder Christi wurde von diesem Zeitpunkt an bis. in den sog. Investiturstreit134 hinein häufig135 artikuliert und bildete ein bedeutsames Element für den christomimetischen Zug des frühmittelalterlichen Königtums136. Selbst in der Konstantinischen Fälschung, auf päpstlicher Seite also, taucht dieser Gedanke auf137, der bald nach 950 auch in den Krönungs-

schrift. Gesammelte Aufsätze. Professor Hans Delbrück zu seinem sechzigsten Geburtstage (11. November 1908) dargebracht von Freunden und Schülern, Berlin 1908, S. 37 – 46, bes. S. 44; Heiler, Fortleben (wie Anm. 105), S. 567 f., sowie K[arl] S[uso] Frank, Apponius, In Canticum Canticorum Explanatio, in: Vigiliae Christianae 39, 1985, S. 370 – 383, bes. S. 371 und S. 376 f. 131 Zu diesem vgl. Alfred Stuiber, Ambrosiaster, in: TRE 2, Berlin 1978, S. 356 – 362. 132 Pseudo-Augustini Quaestiones Veteris et Novi Testamenti c. 91, 8, rec. Alexander Souter, CSEL 50, Wien und Leipzig 1908, S. 157, S. 23 f. Vgl. dazu Walter Dürig, Der theologische Ausgangspunkt der mittelalterlichen liturgischen Auffassung vom Herrscher als Vicarius Christi, in: HJb 77, 1958, S. 174 – 187, bes. S. 178 f., und Dvornik, Early Christian and Byzantine Political Philosophy II (wie Anm. 50), S. 626 ff. 133 Epistolae variorum Carolo Magno regnante scriptae Nr. 7, ed. Ernst Dümmler, MGH Epist. IV, Berlin 1895, S. 503: Memor esto ergo semper, rex mi, Dei regis tui cum timore et amore, quod tuo es in vice illius super omnia membra eius custodire et regere, et rationem reddere in die iudicii, etiam per te. Et episcopus est in secundo loco, in vice Christi tantum est. Vgl. dazu Heinrich Lilienfein, Die Anschauungen von Staat und Kirche im Reich der Karolinger. Ein Beitrag zur mittelalterlichen Weltanschauung, Heidelberg 1902, S. 28 ff.; Dürig, Der theologische Ausgangspunkt (wie Anm. 132), S. 178; Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 75 f. 134 Vgl. dazu Maccarrone, Il sovrano „vicarius dei“ (wie Anm. 124), S. 592 ff., und ders., Vicarius Christi (wie Anm. 124), wo allerdings besonders die Entwicklung des päpstlichen Titels verfolgt wird. 135 Vgl. etwa die Belege für die Karolingerzeit, die in folgender Literatur angeführt werden: Maccarrone, Vicarius Christi (wie Anm. 124), S. 79 ff.; ders., Il sovrano „vicarius dei“ (wie Anm. 124), S. 585 – 590; Dürig, Der theologische Ausgangspunkt (wie Anm. 132), S. 177 f.; Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 267. 136 Dazu vgl. etwa Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. „The King’s Two Bodies“. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 [engl. Princeton 1966], Kap. III: „Königtum und Christus“. 137 Das Constitutum Constantini (Konstantinische Schenkung), hg. von Horst Fuhrmann, MGH Font. iur. Germ. ant. X, Hannover 1968, S. 81, Z. 160 (c. 11).

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ordo des in St. Alban bei Mainz entstandenen ,Pontificale Romano-Germanicum‘ eingeflossen ist138. Wenn auch, soweit wir blicken, kein Merowinger direkt als vicarius Christi bezeichnet worden ist, so wurden die Könige aus diesem Geschlecht doch ebenfalls „als Stellvertreter Gottes in der Regierung der Welt“139 begriffen und standen deshalb in besonderen Beziehungen zur himmlischen Sphäre. Für sie erflehte man bei den Meßfeiern nicht nur, wie für alle christlichen Herrscher, die Gnade und Hilfe Gottes140, und für einzelne Mitglieder der Dynastie ist gelegentlich nicht nur der Davidvergleich bemüht worden141, nein, das merowingische Königtum ist auch schon früh an den priesterlichen Bereich herangerückt worden. Bereits Chlodwig wurde 511 von den in Orleans versammelten Bischöfen eine sacerdotalis mens bescheinigt und sein Sohn Childebert I. († 558) ist von Venantius Fortunatus direkt mit dem Priesterkönig Melchisedech verglichen und als rex atque sacerdos besungen worden142 ; Chlodwigs Enkel Gunthramn († 592), an dessen königlicher Fähigkeit, Kranke zu heilen und Dämonen auszutreiben, selbst Gregor von Tours glaubte143, wurde sogar unmittelbar mit einem Priester gleichgesetzt144 ; und im 7. Jahrhundert ist von Chlothar II. behauptet worden, er habe sich zeit seines Lebens wie ein Priester benommen: quasi sacerdos in hoc saeculo conversatus est145. Wenn 138 Le pontifical romano-germanique (wie Anm. 85), S. 257 (LXXII 22) = Ordo der sieben Formeln, ed. Erdmann (wie Anm. 85), S. 88 (3). 139 Ewig, Zum christlichen Königsgedanken (wie Anm. 49), S. 19 [S. 23], mit Bezug auf die Formula Marculfi Suppl. 6, ed. Karl Zeumer, MGH Formulae merowingici et karolini aevi, Hannover 1886, S. 109 [Carta de episcopatu]: Dum iuxta apostoli dictum omnes potestas sublimatur a Domino, et quatenus post Deum in regia manet potestate, qualiter cuncta terrena dibeantur gubernare … 140 Vgl. Gerd Tellenbach, Römischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des frühen Mittelalters, in: ders., Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze 2, Stuttgart 1988, S. 343 – 410 [erstmals 1934/35: SBB d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Philos.-hist. Kl., 1. Abh.], vor allem auch die Gebetsformeln S. 392 – 405 [S. 52 – 65], bes. etwa Nr. 3 (auf S. 393 [S. 53]), und Eugen Ewig, Die Gebetsklausel für König und Reich in den merowingischen Königsurkunden, in: Norbert Kamp / Joachim. Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin 1982, S. 87 – 99, bes. S. 90 f. und S. 90 f. und S. 91 – 96 (wo die Belege aus den Diplomen zusammengestellt sind, die verdeutlichen, wie sehr die merowingischen Herrscher selbst die Gebetsleistung der Kirchen anstrebten). 141 Vgl. Anm. 64. 142 Zur sacerdotalis mens Chlodwigs vgl. die Epistola ad regem, ed. de Clerq, Concilia Galliae (wie Anm. 64), S. 4, zu Childebert vgl. Venantius Fortunatus Carm. lib. II Nr. 10, MGH AA IV 1, S. 40, V. 21 f.: Melchisedech noster merito rex atque sacerdos / conplevit laicus religionis opus. 143 Vgl. Gregorii ep. Turon. libri historiarum decem IX 21, ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. I, Hannover 21937 – 1951, S. 441 f. 144 Ebd. S. 441: … rex acsi bonus sacerdus providens remedia … und ebd.: … iam tunc non rex tantum, sed etiam sacerdus Domini putaretur … 145 Epist. aevi merow. coll. Nr. 15 (wie Anm. 64), MGH Epist. III, S. 459 [= Corpus Christianorum SL 117, S. 493 f.]: Hoc autem inter reliqua satis dulce est commemorari de

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die Belege für die Charakterisierung merowingischer Herrscher als priestergleich oder priesterähnlich auch nicht gerade zahlreich sind146 und, wie nicht anders zu erwarten, der eigentliche Aufschwung der Bezeichnung von fränkischen Königen als rex et sacerdos oder rex et propheta erst mit Karl dem Großen einsetzte147, so sind die angeführten Beispiele doch aussagekräftig genug: Davidkönigtum und priestergleiche Würde der Herrscher können, wie die merowingischen und vor allem die byzantinischen Beispiele lehren, auch bei ungesalbten Herrschern angetroffen werden; die königliche Sakralität war nicht allein Ausfluß der kirchlichen Salbung, wenn diese für die Sanktifikation eines Monarchen auch immer größere Bedeutung gewinnen sollte148. Die Verbindung von David- und Priesterkönigtum ist zweifellos unter Karl dem Großen besonders eng gewesen, fordern die italischen Bischöfe unter Federführung des Paulinus von Aquileja 794 den karolingischen David doch geradezu auf, König und Priester zu sein149 :… sit dominus et pater, sit rex et sacerdos, sit omnium Christianorum moderantissimus gubernator. Freilich wollte der Patriarch damit kaum eine Theorie des Priesterkönigtums zur Rechtfertigung theokratischer Ansprüche des Herrschers über die Kirche entwerfen150 ; vielmehr diente der Hinweis auf die sazerdotale Funktion des rex eher dazu, eine ethische Forderung zu betonen, da des Königs priestergleiche Stellung eben nicht in der sakramenteverwaltenden eodem avo tuo Hlothario, quia tanta fuit eius benignitas secundum Deum, ut non solum intus videretur esse in operibus, sed quasi sacerdos in hoc saeculo conversatus est: ille rexit Francos, aedificavit ecclesias. 146 Vgl dazu auch Rieber, Die Bedeutung (wie Anm. 67), S. 20 und S. 32 – 39. 147 Vgl. dazu etwa Franz Kampers, Rex et sacerdos, in: HJb 45, 1925, S. 495 – 515, bes. S. 497 – 501. 148 Vgl. etwa schon das Schreiben Stephans III. an Karl und Karlmann aus dem Jahre 769: Codex Carolinus Nr. 45, MGH Epist. III, S. 561: …; nam absit hoc a vobis, qui perfecte estis christiani et ,gens sancta atque regale estis sacerdotium‘. Recordamini et considerate, quia oleo sancto uncti … caelesti benedictione estis sanctificati, oder Smaragd von St-Mihiel in der Epistola nuncupatoria seiner Via regia, ed. Migne PL 102, Paris 1851, S. 933 B: Deus omnipotens … caput tuum oleo sacri chrismatis linivit, et dignanter in filium adoptavit; sowie die Ausführungen Hinkmars von Reims gegenüber Ludwig dem Deutschen im Jahre 858: MGH Capit. II, S. 439 (Nr. 297 c. 15) = MGH Concilia 3. Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 843 – 859, ed. Wilfried Hartmann, Hannover 1984, S. 424 f. (Nr. 41 c. XV), und die Erklärung, die Karl der Kahle 859 auf der Synode von Savonnières abgab: Libellus proclamations, ed. MGH Conc. 3, S. 464 – 467, bes. S. 465 (c. III): A qua consecratione vel regni sublimitate subplantari vel proici a nullo debueram, saltem sine audientia vel iudicio episcoporum, quorum ministerio in regem sum consecratus et, qui throni dei sunt dicti, in quibus deus sedet et per quos sua decernit iudicia, quorum paternis correptionibus et castigatoriis iudiciis me subdere fui paratus et in praesenti sum subditus. 149 Libellus sacrosyllabus episcoporum Italiae, ed. Alfred Werminghoff, MGH Conc. II 1, Hannover 1906, S. 130 – 142, hier: S. 142. Vgl. dazu Lilienfein, Die Anschauungen (wie Anm. 133), S. 36; Kampers, Rex (wie Anm. 147), S. 499; Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 110 f. 150 Vgl. dazu Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 111, und Rieber, Die Bedeutung (wie Anm. 67), S. 120 ff.

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Priesterwürde gründete, sondern in der praktischen Sorge um Kultus und Kirche sowie in Werken der christlichen Barmherzigkeit. Paulinus betont daher auch besonders die moralische Verpflichtung des Königs zur barmherzigen Milde, bevor er ihn rex et sacerdos nennt151: Indulgeat miseratus captivis, subveniat oppressis, dissolvat fasciculos deprimentes, sit consolatio viduarum, miserorum refrigerium, sit dominus et pater, …; und Alkuin weist Karl dem Großen, der später sogar einmal von Notker Balbulus als „Bischof der Bischöfe“ charakterisiert worden ist152, darüber hinaus noch die pädagogisch-seelsorgerische Aufgabe der Predigt zu, wenn er den rex in potestate einen pontifex in praedicatione nennt153 und ihn ein anderes Mal als von Gott erwählten und geliebten David rex, als rector et doctor des Volkes, als siegreichen Kämpfer für die Christenheit und beredten Verkünder des wahren Glaubens anspricht und in ihm überdies den Erfüller einer heilsgeschichtlichen Aufgabe sieht, von dessen Wirken nicht zuletzt die Reinheit des Glaubens abhängt154. Diesem Verständnis von Herrschaft entspricht es dann auch, wenn David, der dem Betrachter in bildlichen Darstellungen des 9. Jahrhunderts immer deutlicher als König vor Augen geführt wird155, nun in der Regel zugleich, wie im übrigen auch in der Literatur156 und in liturgischen Gebeten157, als propheta und nicht als 151

Vgl. Anm. 149. Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni imperatoris I 25, hg. von Hans F. Haefele, MGH SS rer. Germ. NS 12, Berlin 1959 [verbesserter Nachdruck München 1980], S. 33 = Monachus Sangallensis De Carolo Magno I 25, ed. Philipp Jaffé, Monumenta Carolina (wie Anm. 90), S. 655 (episcoporum episcopo, religiosissimo Karolo); vgl. dazu Kern, Gottesgnadentum (wie Anm. 95), S. 97. Zur ungewöhnlichen Titulatur vgl. auch Eichmann, Königs- und Bischofsweihe (wie Anm. 68), S. 11. Zum Verständnis von Notkers Formulierung kann sicherlich die frühere Äußerung Amalars von Metz gegenüber Ludwig dem Frommen herangezogen werden: … cum sciamus vos rectorem esse totius Christianae religionis, quantum ad homines pertinet (De ecclesiasticis officiis, ed. Migne PL 105, Paris 1851, S. 987 A [praef.]). 153 Adversus Elipandum Toletanum lib. I 16, ed. Migne PL 101, Paris 1851, S. 251 D:… catholicus est in fide, rex in potestate, pontifex in praedicatione, judex in aequitate …; vgl. dazu Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 111 f. 154 Vgl. dazu Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 111 ff. und S. 421 f., sowie Alkuins Brief Nr. 41 (um 794/95), MGH Epist. IV (wie Anm. 75), S. 84: Beata gens, cuius est dominus Deus eorum: et beatus populus tali rectore exaltatus et tali praedicatore munitus; et utrumque: et gladium triumphalis potentiae vibrat in dextera et catholicae praedicationis tuba resonat in lingua. Ita et David olim praecedentis populi rex a Deo electus et Deo dilectus et egregius psalmista Israheli victrici gladio undique gentes subiciens, legisque Dei eximius praedicator in populo extitit. Cuius eximia filiorum nobilitate in salute mundi, de virga flos campi et convallium floruit Christus, qui istis modo temporibus ac eiusdem nominis, virtutis et fidei David regem [= König Karl] populo suo concessit rectorem et doctorem. Sub cuius umbra superna quiete populus requiescit christianus, et terribilis undique gentibus extat paganis. Cuius devotio a sectis perversi dogmatis fidem catholicam evangelica soliditate munire non cessat, ne quid novi et apostolicis inconveniens doctrinis per clandestinas subreptiones alicubi oboriri valeat, sed caelestis gratiae lumine fides ubique fulgeat catholica. 155 Vgl. dazu und zum folgenden Steger, David (wie Anm. 41), S. 11, 23, 27, 33 ff., 122 – 125, 129, 132. 156 Smaragd von St-Mihiel (Via regia, ed. Migne PL 102, Paris 1851, S. 956 D) und Johannes Scottus (MGH Poetae latini III, rec. Ludwig Traube, Berlin 1886 – 1896, S. 552, V. 73) 152

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sacerdos charakterisiert wird; dieses Verständnis vom königlichen Psalmensänger David erklärt aber auch, warum Smaragd von St-Mihiel den karolingischen Herrschern die Nachahmung des alttestamentlichen Vorbildes empfiehlt158. Mit dieser Feststellung können wir uns wieder Ludwig dem Deutschen zuwenden und der Einordnung seines Königtums in die davidische Tradition durch Otfrid von Weißenburg. Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, wie sehr sich im frühen Mittelalter sakrale Vorstellungen um das Davidkönigtum rankten und daß diese auch auf ungesalbte Herrscher übertragen werden konnten. Der Rückschluß von Otfrids Versen auf die Sakralität des ostfränkischen Königtums ist damit erhärtet worden. Um ihn weiter zu stützen, lassen sich aber auch noch andere Indizien anführen. Ludwig selbst betonte sein Gottesgnadentum, indem er seine Urkunden als divina favente gratia rex (oder mit einer ähnlichen Legitimationsformel im Titel159) ausstellen ließ. Er gliederte sich damit in die karolingische Tradition ein, die unter Karl dem Großen Gestalt angenommen hatte160 und in deutlichem Gegensatz steht nennen David zwar rex et sacerdos, ansonsten jedoch herrscht die Formel rex et propheta vor: Vgl. etwa Theodulf von Orléans (MGH Poetae latini I, rec. Ernst Dümmler, Berlin 1881, S. 479, V. 99), den Poeta Saxo (MGH Poetae latini IV, rec. Paul von Winterfeld, Berlin 1899, S. 54, V. 325) oder Lupus von Ferneres (MGH Epist. VI [= Epist. karolini aevi IV], ed. Ernst Dümmler, Berlin 1925, S. 65 [Nr. 64]), sowie dazu Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 109 mit Anm. 186 und S. 423 f. mit Anm. 292 (wo weitere Belege verzeichnet sind). 157 Vgl. etwa das Bobbio-Missale (wie Anm. 65), S. 74 [S. 242]; das Missale Francorum (Cod. Vat. Reg. lat. 257). In Verbindung mit Leo Eizenhöfer OSB und Petrus Siffrin OSB hg. von Leo Cunibert Mohlberg OSB (= Rerum Ecclesiasticarum Documenta, Series Maior, Fontes 2), Rom 1957, S. 10, Z. 13; The Benedictionals of Freising (Munich, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. lat. 6430). Ed. by Robert Amiet (= Henry Bradshaw Society 88), London 1974, S. 100 [S. 456], oder das Pontificale von Angers, das Antonio Santantoni, L’ordinazione episcopale. Storia e teologia dei riti dell’ordinazione nelle antiche liturgie dell’occidente (= Studia Anselmiana 69 = Analecta Liturgica 2), Rom 1976, S. 285 [S. 298], zitiert. In allen diesen Schriften wird die Salbung durch die Floskel näher charakterisiert … sicut unxit [oder: uncxit] Samuhel Dauid in regem et prophetam [oder: in rege et propheta] … 158 Via regia, ed. Migne PL 102, Paris 1851, S. 969 C (c. 31): David rex est dulciter imitandus. 159 MGH Die Urkunden der deutschen Karolinger I. Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren. Bearb. von P[aul] Kehr, Berlin 1932 – 1932. Vgl. dazu und zum folgenden auch Uta Reinhardt, Untersuchungen zur Stellung der Geistlichkeit bei den Königswahlen im fränkischen und deutschen Reich (751 – 1250), Marburg 1975, S. 85 f. 160 MGH Die Urkunden der Karolinger I. Bearb. von Engelbert Mühlbacher, Hannover 1906, von Nr. 55 (769 Jan. 13) und 59 (769 Juli) an lautet die Formel bis zur Kaiserkrönung zumeist: Carolus gratia dei rex Francorum vir inluster oder ähnlich. Vgl. dazu und zum folgenden auch Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien (= Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte, Abt. IV, I. Teil), München 1907, S. 310 f. und S. 314, sowie Kern, Gottesgnadentum (wie Anm. 95), S. 79 f. und S. 257 – 260, und Heinrich Fichtenau, „Dei gratia“ und Königssalbung, in: Reinhard Härtel (Hg.), Geschichte und ihre Quellen. Festschrift für Friedrich Hausmann zum 70. Geburtstag, Graz 1987, S. 25 – 35, bes. S. 32.

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zu den Gepflogenheiten der Merowinger161, der karolingischen Hausmeier 162 und selbst noch Pippins I.163. Des Königs Verfügungen werden im Namen Gottes (In nomine domini nostri Iesu Christi dei omnipotentis; In nomine sanctae et individuae trinitatis164) erlassen, wie es ebenfalls seit Karl dem Großen, und zwar seit der Kaiserkrönung, üblich wurde165, in Byzanz aber schon seit dem Jahre 534 Praxis war und dort ein besonderes Nahverhältnis zum Himmelsherrscher ausdrücken half166. Im Sinne eines solchen Nahverhältnisses wird – wie schon Jahrhunderte früher in einigen Diplomen von ebenfalls ungesalbten Herrschern aus dem merowingischen Hause167 – in manchen Arengen168 von Ludwigs Urkunden betont, der König 161 MGH Diplomata regum Francorum e stirpe Merowingica, ed. Karl August Friedrich Pertz, Hannover 1872; vgl. auch Peter Classen, Kaiserreskript und Königsurkunde. Diplomatische Studien zum Problem der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter (= Byzantina Keimena kai Meletai 15), Tessaloniki 1977 [erstmals 1955/56, in: AfD 1, S. 1 – 87, und 2, S. 1 – 115], S. 152. 162 MGH DD Merow. (wie Anm. 161) S. 91 – 110. Vgl. Ingrid Heidrich, Titulatur und Urkunden der arnulfingischen Hausmeier, in: AfD 11/12, 1965/66, S. 71 – 279, bes. S. 134 – 138. Allerdings bezeichnen sich Pippin der Mittlere und Karl Martell wiederholt sowie einmal auch der spätere König Pippin noch als Hausmeier als in Dei nomine inluster vir (MGH DD Merow.: Arnulfinger-Urkunden 2. 4. 6 [Pippin d. M.]. 9. 11. 12 [Karl Martell]. 17 [Pippin]; vgl. dazu Heidrich S. 248 A Metz 1, S. 238 A3, S. 239 A5, S. 240 A7, S. 241 A10 und A11, S. 242 A12, S. 243 A15); zweimal findet sich in den Hausmeierurkunden auch eine Invocatio: In nomine domini (MGH DD Merow.: Arnulfinger-Urkunden 3 und 7; vgl. dazu Heidrich S. 238 A2 und S. 239 f. A6). 163 Pippin nennt sich ausschließlich in einer Urkunde aus dem Juli 768, die allerdings nur in einer späteren Abschrift überliefert ist, gratia dei rex Francorum vir inluster (MGH D Kar. I Nr. 24), während sein Titel in den übrigen Diplomen (Nr. 1 – 23. 25 – 30) rex Francorum vir inluster lautet. Sein Sohn Karlmann folgte zunächst diesem Vorbild (DD Kar. I 43. 44 [beide aus dem Januar 769]), ehe er sich seit dem 22. März 769 dem Beispiel seines Bruders Karl anschloß (DD Kar. 45 – 54). Allerdings wurde die Einsetzung des gesalbten Pippin durch Gott gelegentlich in den Arengen betont; vgl. dazu die entsprechenden Wendungen in DD 14 (760 Juni 10). 16 (762 Aug. 13). 27 (768 Sept. 23) sowie Brigitte Merta, Politische Theorie in den Königsurkunden Pippins I., in: MIÖG 100, 1992, S. 117 – 131, bes. S. 125 – 128. 164 Vgl. Anm. 159. 165 Vgl. dazu Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden (wie Anm. 160), S. 306 ff. In den Urkunden vom 29. Mai 801 an (MGH DD Kar. I 197 – 218 [mit Ausnahme von DD 200. 204]) lautet die Invocatio: In nomine patris et filii et spiritus sancti. 166 Vgl. Ensslin, Gottkaiser (wie Anm. 103), S. 115 – 118; Rösch, ONOMA (wie Anm. 115), S. 62. 167 MGH DD Merow. 13 (= Vita Desiderii Cadurcae urbis episcopi, ed. Bruno Krusch, MGH SS rer. Merov. 4, Hannover 1902, S. 571 [Nr. 13], 629 April 8; Dagobert I.: Condecet clementiae principatus nostri sagaci indagatione prosequere et pervigili cura tractare, ut electio vel dispositio nostra Dei in omnibus voluntati debeant concordare, et dum nobis regiones et regna in potestate ad regendum largiente Domino noscuntur esse conlatae, illis committantur privilegia dignitatum, quos vita laudabilis et morum probitas vel generositatis nobilitas attollat [bzw. adtulit]). 39 (662 Feb. 1; Chlothar III.: Dum et nobis Dominus in solio parentum nostrorum fecit sedere, oportet nobis salubriter peragere, ut ea in Dei nomine debeamus propensare …). 42 (664 Aug.; Chlothar III.: Regem coelorum … erga solium regni

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habe seine beneficia169 und sein regnum170 unmittelbar von Gott erhalten und überrage durch göttliche Gnade alle Sterblichen171. Das ist ein Gedanke, der in dem „Lieblingsprooemium des Hebarhard“172, des bedeutenden und vor allem nachwirkende Neuerungen in Ludwigs Kanzlei einführenden Notars und Erfinders der diplomatischen Minuskel173, ebenfalls anklingt, wenn es etwa heißt174 : Oportet igitur nos, qui divina sumus gratia quodammodo caeteris mortalibus sublimati, eius in omnibus parere praeceptis, cuius clementia existimus praelati atque cuius praecellimus munere, loca utique ipsius sibi dicata ante omnia nostris rebus sublimare atque dilatare, quoniam hoc procul dubio ad salvationem corporis et animae nostri, quod ipse nobis ad regendum commisit, credimus esse cultorem, …). 57 (688 Okt. 30; Theuderich III.: Dum et nobis divina pietas ad legitima etate fecit pervenire et in solium rigni parentum nostrorum succidere, …). 96 (743 April 23; Childerich III.: Quem divina pietas sublimat ad regnum, …). Gelegentlich wird auch deutlich gemacht, und zwar bes. bei Gerichtsverfahren, daß der König in dei nomine handele: Vgl. etwa MGH DD Merow. 12 (um 628). 24. 27. [34. 35.] 39. 40. 41. 45. 50. 51. 56. 58. 66. 68. 70. 73. 79. 85. 87. 89. 90. 94 (726 März 3). 168 Zu Aussagekraft und Propagandafunktion der Arengen vgl. Heinrich Fichtenau, Arenga, in: LMA 1, 1980, S. 917 f.; ders., Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln, Graz 1957, zum folgenden bes. S. 63 ff.; ders., Monarchische Propaganda in Urkunden, in: ders., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze 2: Urkundenforschung, Stuttgart 1977, S. 18 – 36 [erstmals 1956/57, in: Bulletino dell’Archivio paleografico Italiano NS 2/3, S. 299 – 316], bes. S. 32 – 36. 169 MGH DD LD 5 (831 Juni 19). 7. 8 . 9. 18. 25. 73 (855 März 20): de beneficiis a deo nobis conlatis; vgl. auch ähnliche Formulierungen in DD 28. 65. 67. 83. 91. 98. 99 (de rebus terrenis, quas divina sumus largitate consecuti). 29 (de rebus terrenis divina miseratione nobis conlatis). 170 MGH DD LD 36 (ohne Datum). 37 (844 Juli 28): in regno a deo nobis conlato; vgl. auch D 26 (840 Dez. 10): pro statu regni nobis divinitus et paterno iure commissi. 171 MGH DD LD 15 (834 Feb. 5). 22 (837 Feb. 24): Constat nos divina dispensante gratia ceteris mortalibus supereminere … 172 Vgl. Kehr in der editorischen Vorbemerkung zu D LD 96 (859 Mai 1), 138, aber auch ebd. (wie Anm. 159) XXVI f. 173 Zu diesem vgl. Kehr, MGH Die Urkunden der deutschen Karolinger I (wie Anm. 159), S. XXV ff.; ders., Die Schreiber und Diktatoren der Diplome Ludwigs des Deutschen, in: NA 50, 1935, S. 1 – 105, bes. S. 73 – 93; ders., Die Kanzlei Ludwigs des Deutschen (= Abhandlungen d. Preuß. Akad. d. Wiss., Philos.-hist. Kl. Jg. 1932 Nr. 1), Berlin 1932, S. 21 f. (der gegenüber der gelegentlich geäußerten Vermutung, Hebarhard stamme aus Weißenburg, entschieden betont, daß wir über die Herkunft des Notars und späteren Kanzlers in Wirklichkeit nichts wissen); Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden (wie Anm. 160), S. 131 ff.; Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I, Leipzig 21912, S. 412, und Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige I. Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle, Stuttgart 1959, S. 181 – 184, S. 186, S. 193. 174 MGH D LD 96 (859 Mai 1). Vgl. DD 101 (860 Mai 8). 102 (860 Nov 20). 107 (862 März 23). 112 (864 Jan. 6). 115 (864 Okt. 2). 116 (864 [?] Dez. 18). 117 (865 April 25). 122 (867 Juni 14). 130 (870 März 20). 139 (871 Juni 15). 140 (871 Okt. 14). 164 (875 Aug. 11). Zur Vorstellung vom munus divinum und seinem den Herrscher verpflichtenden Charakter ebenso wie zur Tradition, in der sie steht, vgl. Percy Ernst Schramm, ,MUNUS DIVINUM‘, ein in der Zeit Ludwigs des Frommen oft benutztes, auch auf seine Münzen gesetztes Devotionswort, in: ders., Kaiser II (wie Anm. 85), S. 63 – 67, bes. S. 65 f. mit Anm. 13.

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nostrae fore creditur. Freilich wird hier zugleich auch der göttliche Auftrag als Handlungsgrund175 für den König, der nach Hrabanus Maurus ja secundum voluntatem Dei regieren soll176, eigens akzentuiert, wie Ludwig andererseits auch einmal ausdrücklich in Anspruch nimmt177, in nomine unice˛ et perpetuae trinitatis pro regimine sanctae matris et universalis ecclesiae, etiam et pro statu regni zu handeln. Die hier aufscheinende sakrale Autorität Ludwigs des Deutschen fand ihren reinsten Ausdruck aber nicht in den Königsurkunden, sondern im Gottesdienst selbst. Wenn die Laudes gesungen wurden, erflehte man für Ludwig, den „von Gott gekrönten, großen und den Frieden bringenden König“, die Hilfe Christi: Hludevvico a Deo coronato magno et pacifico regi vita et victoria, heißt es in einer liturgischen Handschrift aus St. Gallen, die zu Lebzeiten des Herrschers benutzt wurde und Gebrauchsspuren aufweist178. Kronen sind von den fränkischen Königen wohl schon im 6. Jahrhundert als Herrschaftszeichen getragen worden179, ohne daß über ein Krönungszeremoniell etwas bekannt ist. Ebenfalls ist es unsicher, ob Ludwig jemals gekrönt wurde; doch ist dies vermutet worden180. König geworden ist er 817 zweifellos durch einen Willensakt des Vaters181, der ihm aus diesem Anlaß vielleicht auch eine Krone aufs Haupt setzte und damit ähnlich wie an Karl dem Kahlen182 im Jahre 838 eine weltliche Krönung vollzog. Wie es aber auch immer gewesen sein mag, für das Verständnis von Ludwigs des Deutschen Herrschaft und Sakralität entscheidend ist, daß er als von Gott gekrönt galt. Damit stand er im übrigen wiederum in großväterlicher Tradition, denn aus der Zeit Karls des Großen ist nicht nur ein im wesentlichen gleichlautender Laudes-Text erhalten183, sondern 175

Vgl. MGH D LD 96: … in omnibus parere praeceptis … Vgl. Migne PL 111, Paris 1884, S. 12 B (De Universo, Praefatio ad Ludovicum regem invictissimum Franciae); vgl. auch Hrabans an Ludwig den Deutschen gerichtete Commentaria in libros II Paralipomenon: Migne PL 109, Paris 1864, S. 279 CM (Prolog) = MGH Epist. V, S. 423 (vgl. Anm. 76). 177 MGH D LD 26 (840 Dez. 10). 178 Vgl. Reinhard Elze, Die Herrscherlaudes im Mittelalter, in: ZRG KA 40, 1954, S. 201 – 223, bes. S. 218 – 221 (das Zitat befindet sich auf S. 219). 179 Vgl. Percy Ernst Schramm, Von wann an gab es germanische Kronen?, in: ders., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert I, Stuttgart 1954, S. 136 ff., bes. S. 137 f., und Reinhard Schneider, Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Untersuchungen zur Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern, Stuttgart 1972, S. 207 – 212 und S. 259. 180 Vgl. dazu Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 382 – 389 [S. 296 – 303], bes. S.385 ff. [S. 299 ff.]. 181 Vgl. MGH Capit. I, ed. Alfred Boretius, Hannover 1883, S. 270 Nr. 136, sowie die Annales regni Francorum a. 817, rec. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. [6.], Hannover 1895, S. 146. 182 Astronomus c. 59 (wie Anm. 78), S. 526: … domnus imperator filium suum Karolum … corona regali caput insignivit … 183 Kantorowicz, Laudes regiae (wie Anm. 52), S. 15: Carolo excellentissimo et a Deo coronato atque magno et pacifico regi Francorum et Longobardorum ac patricio Romanorum 176

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Karl selbst stellte nach der Kaiserkrönung die Urkunden, die er in nomine patris et filii et spiritus sancti ausfertigen ließ, auch als a deo coronatus aus184. Sakralität besaß Ludwigs des Deutschen Königtum aber nicht nur nach ostfränkischem Verständnis; auch Hinkmar von Reims185, der wie kaum ein anderer die Salbungstradition im Westfrankenreich mitgestaltet186 und dadurch die Einbeziehung der Monarchie in die geistliche Sphäre im kirchlichen Sinne ausgestaltet hat, spielte auf sie an, als er den König 858 an die Verantwortung des rex christianus vor Gott erinnerte187, an die Pflicht des Herrschers, der zwischen Gott und Menschen (sub deo et super homines188) stehe, zum Wohle von Kirche und Christenheit zu wirken und unchristliches Handeln zu vermeiden, weil der Königshof ,heilig‘ sein müsse189 : quoniam palatium vestrum debet esse sacrum et non sacrilegium. IV Ist damit auch kaum mehr ein Zweifel an dem sakralen Glanz erlaubt, der Ludwig den Deutschen umgab, so stellt sich doch die Frage, ob diese Aura auch seinen Nachfolgern erhalten blieb. Die bisherigen Ausführungen über die Sakralität des ungesalbten Herrschers sprechen natürlich ohne weiteres dafür, auch wenn aus den kurzen Regierungszeiten190 Karlmanns (876 – 880) und Ludwigs des Jüngeren (876 – 882) keine eindeutigen Belege vorliegen und Karl III. als gesalbter Kaiser191 aus den Betrachtungen ausgeschlossen werden muß. In ihren Urkunden betonten vita et victoria. Vgl. auch Ludwig Biehl, Das liturgische Gebet für Kaiser und Reich. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Staat, Paderborn 1937, S. 157 f., wo ein Laudes-Text für einen Kaiser aus der Mitte des 9. Jahrhunderts abgedruckt ist. 184 Vgl. Anm. 165. 185 Zu diesem vgl. Rudolf Schieffer, Hinkmar von Reims, in: TRE XV, 1986, S. 355 – 360 (und die hier verzeichnete Literatur). 186 Dazu vgl. etwa Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 96), S. 21 – 29, S. 56 ff. 187 MGH Capit. II, S. 427 Nr. 297 = MGH Conc. 3, S. 403 Nr. 41: etwa S. 430 (Z. 40) = S. 411 (Z. 31) oder S. 441 (Z. 11= S. 427 [Z.14]; jeweils zur Vorstellung vom rex christianus), S. 429 f. und S. 435 = S. 410 f. und S. 419 f. (c. 4 und 11; zur Verantwortlichkeit des Königs vor Gott). Vgl. dazu Jean Devisse, Hincmar, Archevêque de Reims, 845 – 882, 3 Bde. (= Travaux d’histoire éthicopolitique 29), Genf 1976, S. 315 ff.; Ursula Penndorf, Das Problem der „Reichseinheitsidee“ nach der Teilung von Verdun (843). Untersuchungen zu den späten Karolingern, München 1974, S. 40; Hans Hubert Anton, Zum politischen Konzept karolingischer Synoden und zur karolingischen Brüdergemeinschaft, in: HJb 99, 1979, S. 55 – 132, bes. S. 120, sowie allg. auch Staubach, Das Herrscherbild Karls des Kahlen (wie Anm. 3), S. 104 – 114. 188 MGH Capit. II, S. 436, Z. 9 f. (Nr. 297 c. 12) = MGH Conc. 3, S. 420, Z. 20 (Nr. 41 c. XII): … vos, qui sub Deo estis et super homines estis, reddite, quae sunt Dei, Deo … 189 MGH Capit. II, S. 431 (Nr. 297 c. 5) = MGH Conc. 3, S. 411 f. (Nr. 41 c. V). 190 Zu diesen vgl. Hartmann, Herrscher (wie Anm. 8), S. 73 f. (Karlmann) und S. 74 ff. (Ludwig d. J.), sowie Johannes Fried, König Ludwig der Jüngere in seiner Zeit. Zum 1100. Todestag des Königs, in: Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße 16, 1983, S. 5 – 26. 191 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 411 [S. 325] Nr. 31.

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die genannten Karolinger, wie seit der Zeit Karls des Großen Brauch192, selbstverständlich ihr Gottesgnadentum193, aber erst unter Arnulf von Kärnten194 werden die Verhältnisse insgesamt wieder klarer. Nun sind es freilich weniger die Arengen der Herrscherdiplome, die die nötigen Auskünfte liefern195, als das Verhalten der Bischöfe auf den großen Reichssynoden. Die im Frühjahr 888 in Mainz versammelten Geistlichen etwa, die zunächst den Beschluß faßten, künftig für den neuen König Arnulf unablässig beten zu wollen196, zeigten deutlich ihre Ausrichtung auf den von Gott mit dem ministerium regale197 betrauten Herrscher198, dem sie gleichzeitig seine Verantwortlichkeit vor Gott einschärften199. Sieben Jahre später, in Tribur200, betonten die Bischöfe besonders die regis eminentia201, die herausgehobene Stellung des Herrschers, der von Gott selbst die Kirche anvertraut erhalten habe202 und keinesfalls von den Menschen, sondern

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Vgl. Anm. 160. Vgl. die Invocatio (In nomine etc.) und die Intitulatio (divina favente gratia oder ähnlich) in den Diplomen: MGH Die Urkunden der deutschen Karolinger I (wie Anm. 159), S. 287 – 327 (DD Karlm.) und S. 333 – 365 (DD LD); MGH Die Urkunden der deutschen Karolinger II. Die Urkunden Karls III. Bearb. von P[aul] Kehr, Berlin 1937, bes. S. XXX f.; MGH Die Urkunden der deutschen Karolinger III. Die Urkunden Arnolfs. Bearb. von P[aul] Kehr, Berlin 1940, bes. S. XXVII; MGH Die Urkunden der deutschen Karolinger IV. Die Urkunden Zwentibolds und Ludwigs des Kindes. Bearb. von Theodor Schieffer, Berlin 1960, S. 88 und S. 95 – 216 (DD LK). Gelegentlich erklären auch die späten Karolinger, daß ihnen Besitz (MGH DD Karlm 2. 25; D K III 7; DD A 5. 14. 45. 64. 70. 84. 87. 106. 117. 136. 145. 169. 170. 171; DD LK 33. 72) und Reich (MGH DD A 132. 103; DD LK 28. 30) unmittelbar von Gott anvertraut worden seien, der sie über alle anderen Sterblichen erhöht habe (MGH D LJ 8 [mit Bezug auf MGH D LD 15]; DD A 1. 2 [= 101]. 19. 85; D LK 3), doch sind die Zeugnisse herrscherlichen Selbstverständnisses in den Arengen der Urkunden von Ludwigs des Deutschen Nachfahren insgesamt weniger aussagekräftig als zu Zeiten Ludwigs des Deutschen selbst. 194 Zu diesem vgl. Hartmann, Herrscher (wie Anm. 8), S. 83 – 88, und Heinrich Appelt, Arnulf von Kärnten und das Karolingerreich, in: Franz Sauer (Hg.), Kärnten in europäischer Schau (= Heft 6 der Kärntner Hochschulwochen-Berichte), Graz 1960, S. 27 – 41. 195 Vgl. Anm. 193. 196 Mansi XVIII A, Venetiis 1773, S. 61 – 72, bes. S. 63 (c. I); vgl. Wilfried Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien, Paderborn 1989, S. 361 ff. 197 Zu diesem Begriff vgl. Mansi XVIII A, S. 65 (c. III), und Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 67), S. 404 – 419, sowie Johannes Fried, Der karolingische Herrschaftsverband im 9. Jh. zwischen „Kirche“ und „Königshaus“, in: HZ 235, 1982, S. 1 – 43, bes. S. 27 – 33. 198 Vgl. dazu Jörg Lehn, Die Synoden zu Mainz (888) und Tribur (895). Ihre Bedeutung für das Verhältnis Arnulfs von Kärnten zum ostfränkischen Episkopat im ausgehenden 9. Jahrhundert, in: Jb. f. westdt. Landesgeschichte 13, 1987, S. 43 – 62, bes. S. 48 – 54. 199 Mansi XVIII A, S. 65 (c. III). 200 MGH Capit. II, S. 196 Nr. 252. Zur Synode vgl. Hartmann, Die Synoden (wie Anm. 196), S. 367 – 371. 201 MGH Capit. II Nr. 252 (S. 212 A). 202 Ebd. S. 212 A: … ab ipso Deo sibi datam ecclesiam Christi … 193

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allein vom Herrn der Welt erwählt worden sei203. An dem sakralen Rang, den die sanctissimi episcopi204 Arnulfs Königtum schon vor dessen Weihe zum Kaiser im Jahre 896 beimaßen, kann mithin kaum gezweifelt werden205. In St. Gallen sah man in dem Herrscher daher auch den ecclesiae catholicae filius et defensor, der das Reich durch göttliche Vorsehung erhalten hatte, und traf damit offenbar genau die Vorstellung des ostfränkischen Hofes206. In Ludwig des Kindes kurzer Regierungszeit207 änderte sich an diesem Herrschaftsverständnis nichts. Auch dieser Kindkönig, der am 4. Februar 900 in Forchheim gekrönt (aber wohl nicht gesalbt) worden ist208, stand divina miserante providentia allen Sterblichen voran und erblickte daher, zumindest nach Ansicht der für ihn die Feder führenden Geistlichen und ebenso wie seine Vorgänger, im göttlichen Auftrag den eigentlichen Grund des königlichen Handelns209 : Constat igitur nos divina miserante providentia ce˛ teris quodammodo praeferri mortalibus, unde oportere censemus, ut cuius praecellimus munere, illi omnino pareamus in operatione. Auch der minderjährige Herrscher war vollgültiger König210, und er war es nicht zuletzt aufgrund der seiner Würde innewohnenden Sakralität. Diese wurde, wie das ostfränkische Beispiel lehrt und die byzantinische Praxis noch weit nach der Jahrtausendwende belegt, nicht ausschließlich durch die kirch203 Ebd. S. 210 A: …, ut totus cognoscat mundus non ab homine neque per hominem, sed per ipsum Dominum eum esse electum. 204 Ebd. S. 210 B. 205 Vgl. dazu auch W[ilhelm] Störmer, A[rnulf] „von Kärnten“, in: LMA 1, 1980, S. 1013 ff., bes. S. 1014. 206 MGH D A 103 (892 Juli 2): Cum dispositione superna in regnum patrum nostrorum … sublimati fuissemus, … 207 Zu dieser vgl. Hartmann, Herrscher (wie Anm. 8), S. 92 – 94. 208 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungbrauch (wie Anm. 47), S. 412 [S. 326] Nr. 44; ders., Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln 21995, S. 389 mit Anm. 216 und 218, und Hlawitschka, Vom Frankenreich (wie Anm. 47), S. 92 und S. 105, sowie Schramm, Salbung (wie Anm. 86), S. 299 f., der ausdrücklich betont, daß eine Salbung nicht belegt ist, aber letztlich unentschieden bleibt, da ihm ein Schluß e silentio bedenklich erscheint – und dies zumal, da Konrad I. 911 zum ostfränkischen und Zwentibold 895 zum lotharingischen König geweiht worden seien. Allerdings gehört Zwentibolds Salbung in den Zusammenhang der lotharingischen Tradition und nicht der ostfränkischen (vgl. dazu Boshof, Königtum [wie Anm. 82], S. 76), so daß dieses Argument letztlich nicht sticht. Wichtig ist dagegen der Hinweis (auf S. 300), daß der Koronator von 900 völlig unbekannt ist und es keinen Anhalt dafür gibt, daß er ein Geistlicher gewesen ist – m. a. W.: Schramm scheint auch eine weltliche Krönung für möglich gehalten zu haben (zu solchen weltlichen Akten vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch [wie Anm. 47], S. 387 f. [S. 301 f.]). 209 MGH D LK 3 (900 April 13). Die Arenga wurde zwar nach einer Vorurkunde gestaltet (vgl. MGH D A 2), aber die vorgenommene Überarbeitung zeigt deutlich, daß die zitierte Passage dabei nicht einfach unreflektiert übernommen worden ist. 210 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, … more Grecorum conregnantem instituere vultis? Zur Legitimation der Regentschaft Heinrichs des Zänkers im Thronstreit von 984, in: FmaSt 27, 1993, S. 273 – 289, bes. S. 274, und Theo Kölzer, Das Königtum Minderjähriger im fränkischdeutschen Mittelalter. Eine Skizze, in: HZ 251, 1990, S. 291 – 323.

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liche Salbung begründet – auch wenn die abendländischen Verhältnisse seit dem 10. Jahrhundert weitgehend vom Salbungsbrauch geprägt waren und dem rückschauenden Historiker daher die kirchliche Weihe als eigentliche Vermittlungsinstanz des Sakralen erscheinen kann211. Der Anstieg ihrer Bedeutung läßt sich auch gar nicht leugnen, und er hängt offenkundig mit einer Entwicklung zusammen, die Ernst Kantorowicz als „the drift of the age toward ,liturgifying‘ the secular sphere“212 beschreibt. Spezielle Salbungstraditionen – wie bei Taufe und Firmung oder bei Krankheit213 – hat es im kirchlichen Bereich schon früh gegeben, und sie besaßen einen alle Christen verbindenden Charakter; die sich vom äußersten Westrand der Christenheit allmählich ausbreitende Personensalbung214 dagegen, die sich östlich des Rheins vielleicht erst im Verlauf des 9. Jahrhunderts völlig durchsetzte215, 211 Vgl. etwa Ernst Karpf, Königserhebung ohne Salbung. Zur politischen Bedeutung von Heinrichs I. ungewöhnlichem Verzicht in Fritzlar (919), in: Hess. Jb. für Landesgeschichte 34,1984, S. 1 – 24, oder Wolfgang Giese, Ensis sine capulo. Der ungesalbte König Heinrich I. und die an ihm geübte Kritik, in: Karl Rudolf Schnith / Roland Pauler (Hgg.), Festschrift für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag, Kallmünz 1993, S. 151 – 164, bes. S. 157 oder S. 162, und grundsätzlich H[ans] H[ubert] Anton, Sakralität, in: LMA 7, 1995, S. 1263 – 1266, bes. S. 1265. 212 Laudes regiae (wie Anm. 52) S. 56. Vgl. dazu Arnold Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900, Stuttgart 21995, S. 328. 213 Vgl. L. Hödl / J. Neumann, Firmung, in: LMA 4, 1989, S. 490 – 493; K. Langenbahn, Taufe, in: LMA 8 (3. Lief.), 1996, S. 495 – 501, bes. S. 499 f.; Georg Kretschmar, Die Geschichte des Taufgottesdienstes in der alten Kirche (= Leiturgeia. Hg. von Karl Ferdinand Müller [und] Walter Blankenburg V: Der Taufgottesdienst), Kassel 1970, S. 1 – 348; Arnold Angenendt, Der Taufritus im frühen Mittelalter, in: Segni e riti nella chiesa altomedievale occidentale I (= Settimane di Studio del Centro Italiano di studi sull’alto medioevo 23, 1), Spoleto 1987, S. 275 – 321; ders., Bonifatius und das Sacramentum initiationis. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Firmung, in: Röm. Quartalschrift 72, 1977, S. 133 – 183; Philipp Hofmeister, Die heiligen Öle in der morgen- und abendländischen Kirche. Eine kirchenrechtlich-liturgische Abhandlung, Würzburg 1968, S. 126 – 136 (zur Taufe), S. 136 – 144 (zur Firmung), S. 144 – 154 (zur Krankenölung); H[arry] B. Porter, The Origin of the Medieval Rite for Anointing the Sick or Dying, in: Journal of Theological Studies NS 7, 1956, S. 211 – 225, sowie R. Kaczynski, Salbung I. Kirchlicher Bereich, in: LMA 7, 1995, S. 1288 f. 214 Vgl. dazu Raymund Kottje, Studien zum Einfluß des Alten Testamentes auf Recht und Liturgie des frühen Mittelalters (6.–8. Jahrhundert), Bonn 1964, s: 94 – 105; Bruno Kleinheyer, Die Priesterweihe im römischen Ritus. Eine liturgiegeschichtliche Studie, Trier, 1962, s: 115 [gegen Gerald Ellard, Ordination Anoitings in the Western Church before 1000 A. D., Cambridge, Mass., 1933, s: 19 f., der sich für westgotische Einflüsse ausspricht], sowie Arnold Angenendt, Rex et Sacerdos. Zur Genese der Königssalbung, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin 1982, s: 100 – 118. Vgl. zur Entwicklung der Bischofsweihe auch Eichmann, Königs- und Bischofssalbung (wie Anm. 68), passim, und Reinhardt, Untersuchungen (wie Anm. 159), S. 133 – 141. 215 Leider läßt sich der Entwicklungsprozeß von Priester- und Bischofssalbung im 9. Jahrhundert nur undeutlich verfolgen. Zweifellos wurde die Handsalbung bei der Priesterweihe schon in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts im Frankenreich praktiziert (vgl. die entsprechenden Einträge im Missale Francorum [vgl. Anm. 157] aus dieser Zeit sowie Kleinheyer, Die Priesterweihe [wie Anm. 214], S. 114 – 122), während in Rom jegliche Personensalbung noch unter Nikolaus I. (858 – 867) ungebräuchlich war (vgl. Kottje, Studien [wie

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grenzte die geistliche Gruppe der Gesalbten immer deutlicher von den Nichtgesalbten ab und ließ es schließlich als geboten erscheinen, auch die Aufnahme in die sakrale Sphäre des Herrschertums durch einen eigenen Initiationsritus zu betonen216. Besondere Umstände, die Begründung einer neuen Herrschaft oder die Schwäche des Königtums, trieben diese Entwicklung offenkundig voran; ihr Fehlen hingegen verzögerte die Ausbreitung des Salbungsbrauches. Ließe sich schon allein mit dieser Feststellung der späte Anschluß des ostfränkischen Königtums an die Salbungstradition erklären, so scheint in diesem Zusammenhang aber auch noch eine weitere Beobachtung von nicht unerheblicher Bedeutung zu sein, der Umstand nämlich, daß es offenbar keine ungebrochene Entwicklung einer Praxis der Königsweihe von der Salbung Pippins I. im Jahre 751 an gegeben hat und die 848 annähernd 100 Jahre später vollzogene Salbung Karls des Kahlen in gewissem Sinne einen Neuansatz darstellte217 – anders gewendet Anm. 214], S. 103 f.; Eichmann, Königs- und Bischofsweihe [wie Anm. 68], S. 18 – 23 und S. 37 f.) und sich hier „erst seit ottonischer Zeit“ durchsetzte (C[ornelius] A[drianus] Boumann, Salbung IV. In der christlichen Kirche, in: RGG 5, 31961, S. 1333 f., bes. S. 1333; vgl. auch Bruno Kleinheyer, Salbung bei der Bischofsweihe, in: Mélanges liturgiques offerts au R. P. Dom Bernard Botte de l’abbaye du Mont César. A 1’occasion du 50e anniversaire de son ordination sacerdotale, Löwen 1972, S. 259 – 271, bes. S. 262). Noch gegen Ende des 9. Jahrhunderts gab es in Rom mithin keine Bischofssalbung (vgl. Eichmann, a.a.O., S. 48), die hingegen im Westfrankenreich schon in der Mitte dieses Säkulums fester Brauch gewesen ist (vgl. Eichmann, a.a.O., S. 39 f.), im ostfränkisch-ottonischen Reich aber offenbar erst im 10. Jahrhundert greifbar wird (vgl. Eichmann, a.a.O., S. 44 ff.). Es ist demnach keinesfalls auszuschließen – und bedarf künftig zweifellos einer eigenen Untersuchung –, daß im ostfränkischen Reich sich Priester- und Bischofssalbung während des 9. Jahrhunderts (wenn nicht gar noch später) erst allmählich durchsetzten und ihre Entfaltung dabei der Entwicklung der ostfränkischen Königssalbung vergleichbar ist. Eine solche ,Verspätung‘ brauchte dabei noch nicht einmal allein auf die Rückständigkeit des Ostreichs zurückgeführt zu werden, vielmehr ist die Gesamtentwicklung der Salbungspraxis durch Karls des Großen Liturgiereform und ihren Rückgriff auf das römische Vorbild (vgl. dazu Angenendt, Das Frühmittelalter [wie Anm. 212], S. 328 – 331) ins Stocken geraten (vgl. Kleinheyer, Die Priesterweihe [wie Anm. 214], S. 107 – 114) und verhinderte dadurch eine rasche Durchsetzung der Personensalbung im Rahmen des karolingischen Großreiches ebenso wie es andererseits (vgl. Eichmann, a.a.O., S. 36 f.) eine längere Zeit benötigte, Priester- und Bischofssalbung in formaler Hinsicht abzugrenzen, also einen festen Brauch zu etablieren. Vgl. dazu allg. auch Odilo Engels, Der Pontifikatsantritt und seine Zeichen, in: Segni e riti (wie Anm. 213) II, S. 707 – 766, bes. S. 720 – 726; Santantoni, L’ordinazione episcopale (wie Anm. 157), S. 166 – 175, und C. A. Bouman, De oorsprong van de rituelle zalving der koningen. De stand van een problem, in: Dancwerc. Opstellen aangeboden aan Prof. Dr. D. Th. Enklaar ter gelegenheid van zijn vijfenzestigste verjaardag, Groningen 1959, S. 64 – 85, bes. S. 76 mit der Feststellung: „Ik meen, dat het inderdaad tot in de 9e eeuw geduurd heeft voordat de wijdingszalvingen het voorwerp werden van enige bewuste theologische reflectie, …“. 216 Vgl. dazu Jan Prelog, Sind die Weihesalbungen insularen Ursprungs? (wie Anm. 85); S. 303 – 307. 217 Vgl. dazu schon Carl Erdmann, Der ungesalbte König, in: ders., Ottonische Studien. Hg. von Helmut Beumann, Darmstadt 1968, S. 1 – 30 [erstmals 1938, in: DA 2, S. 311 – 340], bes. S. 4 [S. 314], der aus dem Befund allerdings einen falschen Schluß zieht; Martin Lintzel, Heinrich I. und die fränkische Königssalbung, in: ders., Ausgewählte Schriften II. Zur Karo-

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heißt dies ja, daß das ostfränkische Königtum nicht rund anderthalb Jahrhunderte, sondern nur etwa 60 Jahre lang ,resistent‘ geblieben ist gegen die Übernahme der sich aus dem Westen langsam ausbreitenden Königssalbung. Eine ostfränkische Salbung wird erstmals bei Konrads I. Herrschaftsantritt im Jahre 911 erwähnt, allerdings nur von dem Corveyer Mönch Widukind218, der ein halbes Jahrhundert nach dem Ereignis schrieb219, nicht immer zuverlässig ist220 und dessen Glaubwürdigkeit daher von Carlrichard Brühl grundsätzlich221, aber auch mit Blick auf diese Nachricht bestritten wird222. Zweifellos könnte sich der sächsische Historiograph bei seinem Bericht über die Anfänge Konrads von Vorstellungen haben leiten lassen, die im ottonischen Reich erst seit der Wahl und Weihe Ottos des Großen im Jahre 936 zur verpflichtenden Tradition geworden sind. Andererseits wird 916 in den Akten der Synode von Hohenaltheim223 der König grundsätzlich als linger- und Ottonenzeit, zum hohen und späten Mittelalter; zur Literaturgeschichte, Berlin 1961, S. 583 – 612 [erstmals 1955: Berichte über die Verhandlungen der Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Philol.-hist. Kl., Bd. 102, H. 3], bes. S. 593 – 597, und vor allem Angenendt, Rex et Sacerdos (wie Anm. 214), S. 117; Fichtenau, „Dei gratia“ (wie Anm. 160), S. 26 f. und S. 33 ff., sowie Janet L. Nelson, Inauguration Rituals, in: dies., Politics and Ritual in Early Medieval Europe, London 1986, S. 283 – 307 [erstmals 1977, in: Peter Hayers Sawyer / Ian N. Wood (Hgg.), Early Medieval Kingship, S. 50 – 71], bes. S. 291 ff. [S. 58 ff.] (die auf S. 293 [S. 60] kategorisch erklärt: „It’s likely that no Frankish king had been anointed since 800, … There was no real indigenous Frankish tradition of royal anointing“), und H[ans] H[ubert] Anton, Salbung, in: LMA 7, 1995, S. 1288 – 1292, bes. S. 1290: „Die entscheidende rechtl [iche] und polit[ische] Bedeutung erhielt die K[öni]gss[albung] im westfr[än]k[ischen] Reich“. 218 Widukindi monachi Corbeiensis Rerum gestarum Saxonicarum libri III. Hg. von Paul Hirsch und Hans-Eberhard Lohmann, MGH SS rer. Germ. [60.], Hannover 1935, S. 27 (I 16): … Cuonradus quondam dux Francorum ungitur in regem. 219 Vgl. Helmut Beumann, Widukind von Korvei. Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts, Weimar 1950, S. 1 f. und S. 178 – 204, sowie Gerd Althoff, Widukind von Corvey. Kronzeuge und Herausforderung, in: FmaSt 27, 1993, S. 253 – 272, bes. S. 254 f., und Bernd Schneidmüller, Widukind von Corvey, Richer von Reims und der Wandel politischen Bewußtseins im 10. Jahrhundert, in: ders. / Carlrichard Brühl (Hgg.), Beiträge zur mittelalterlichen Reichs- und Nationsbildung in Deutschland und Frankreich, München 1997, S. 83 – 102, bes. S. 87 f. 220 Vgl. dazu etwa Althoff, Widukind (wie Anm. 219), S. 255, und Schneidmüller, Widukind (wie Anm. 219), S. 85 ff. 221 Vgl. Deutschland – Frankreich (wie Anm. 208), etwa S. 149, S. 415, S. 422 f., S. 550, sowie Johannes Fried, Die Königserhebung Heinrichs I. Erinnerung, Mündlichkeit und Traditionsbildung im 10. Jahrhundert, in: Michael Borgolte (Hg.), Mittelalterforschung nach der Wende 1989, München 1995, S. 267 – 318, bes. S. 278 – 291, der die Problematik freilich aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachtet. 222 Vgl. Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 208), S. 404 mit Anm. 305. 223 Bearb. von Horst Fuhrmann, in: MGH Concilia VI 1. Die Konzilien Deutschlands und Reichsitaliens 916 – 1001. Teil 1. 916 – 960. Hg. von Ernst-Dieter Hehl, Hannover 1987, S. 28 und S. 30 (Nr. 1 c. 21 und 23). Vgl. dazu ders., Die Synode von Hohenaltheim (916) – quellenkundlich betrachtet, in: DA 43, 1987, S. 440 – 468, bes. S. 447 f., und Heinz Wolter, Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056, Paderborn 1988, S. 13 f.

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christus domini apostrophiert. Konrad selbst wird zwar nicht ausdrücklich so bezeichnet, aber aus dem Zusammenhang läßt sich doch erschließen, daß auch er als ,Gesalbter des Herrn‘ betrachtet worden ist und eine unctio deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit stattgefunden haben dürfte224. Außerdem läßt sich das Salbungsangebot von 919, das Heinrich I. ablehnt225, leichter verstehen, wenn zuvor schon einmal ein ostfränkischer König konsekriert worden ist. Obschon, was zweifelsfrei feststeht, Ludwig das Kind im Jahre 900 gekrönt worden ist226, muß er dabei entgegen einer anders lautenden Vermutung227 aber nicht auch unbedingt gesalbt worden sein228, weshalb es im zweiten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts wohl in der Tat noch keine (zumindest keine ausgeprägte) Salbungstradition gab229. Diese 224 Die Bedenken, die Brühl (vgl. Anm. 222) äußert – daß nämlich bei der Begriffswahl einfach auf alttestamentliche Vorstellungen oder gedankenlos auf Formulierungen aus Vorlagen (zu diesen vgl. MGH Conc. VI 1, S. 3 f.) zurückgegriffen worden sein könne –, sind dagegen von geringerem Gewicht, wenn auch schon im 5. Jahrhundert der Kaiser einmal als von Jesus Christus zum König gesalbt begriffen worden ist, obwohl in Wirklichkeit überhaupt keine Salbung stattgefunden hatte (vgl. dazu Ensslin, Gottkaiser [wie Anm. 103], S. 101, und oben Anm. 114 [zur Salbung in Byzanz]), und Funkenstein, Unction (wie Anm. 101), S. 12, der daher wohl auch zu Recht anmerkt: „The expressions christos or unctus do not necessarily imply that the ruler was in fact anointed. They may well be an imitation of biblical language.“ Zu Konrads Salbung vgl. auch Schramm, Salbung (wie Anm. 86), S. 301. [Vgl. jetzt aber auch den folgenden Beitrag in diesem Band bei Anm. 106]. 225 Vgl. Georg Waitz, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter König Heinrich I., Darmstadt 4 1963, S. 39 f. und S. 217 – 221. 226 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 382 [S. 296] und S. 412 [S. 326] Nr. 44; Schramm, Salbung (wie Anm. 86), S. 299. 227 Vgl. Erdmann, Der ungesalbte König (wie Anm. 217), S. 3 [S. 313]; Lintzel, Heinrich I. (wie Anm. 217), S. 596; Hagen Keller, Widukinds Bericht über die Aachener Wahl und Krönung Ottos I., in: FmaSt 29, 1995, S. 390 – 453, bes. S. 426 f. 228 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 388 [S. 302] Anm. 3; ders., Deutschland – Frankreich (wie Anm. 221), S. 389; Walter Ullmann, The Carolingian Renaissance and the Idea of Kingship, London 1969, S. 126; Janet L. Nelson, National Synods, Kingship and Royal Anointing, in: dies., Politics and Ritual (wie Anm. 217), S. 239 – 257 [erstmals 1971, in: Studies in Church History 7, S. 41 – 59], bes. S. 247 f. [S. 49 f.], sowie oben Anm. 208. 229 So schon Brühl: Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 47), S. 389 [S. 303], und: Deutschland – Frankreich (wie Anm. 208), S. 423. Vgl. auch Fried, Die Königserhebung (wie Anm. 221), S. 306 f.; Josef Semmler, Francia Saxoniaque oder Die ostfränkische Reichsteilung von 865/76 und die Folgen, in: DA 46, 1990, S. 337 – 374, bes. S. 350 f.; B[ernd] Schneidmüller, Salbung, in: HRG 4, 1990, S. 1268 – 1273, bes. S. 1270; Reinhardt, Untersuchungen (wie Anm. 159), S. 55 ff., S. 61 f., S. 88, die zwar (S. 89) von einer Weihe Ludwigs des Kindes spricht, weil dem Knaben die Krone am ehesten von einem Geistlichen aufgesetzt worden sein dürfte [dazu freilich vgl. auch Anm. 208], aber zu einer von Erdmann für wahrscheinlich gehaltenen (vgl. Anm. 227) Salbung äußert sie sich nicht. Die Argumente für eine Salbungstradition, die Erdmann, Der ungesalbte König (wie Anm. 217), S. 3 – 9 [S. 313 – 319], vorträgt, überzeugen jedenfalls nicht (dazu vgl. auch Lintzel, Heinrich I. [wie Anm. 217], S. 594 f., der letztlich allerdings unentschieden bleibt); und die von Keller, Widukinds Bericht (wie Amn. 227), S. 426 f., vorgebrachten Argumente für eine ostfränkische Salbungstradition werden vorwiegend aus ottonenzeitlichen Vorstellungen gewonnen, die erst seit der Mitte des 10. Jahrhunderts greifbar sind.

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setzte erst mit Otto dem Großen richtig ein und steigerte schließlich die Sakralität, die schon der ungesalbte ostfränkische Herrscher besessen hatte, in den besonderen Formen des ottonisch-salischen Herrschaftsverständnisses230 zu einer theokratischen Erhabenheit eigener Prägung. V Die Ausführungen über die Sakralität des ungesalbten Königs werfen im übrigen auch ein neues Licht auf Heinrichs I. Verhalten im Jahre 919. Daß der Sachse ungeweiht blieb, steht außer Zweifel, obwohl späte Quellen231, weil ihre Verfasser sich keinen ungesalbten Herrscher mehr vorstellen konnten232, etwas anderes berichten und ein moderner Historiker eine spätere Salbung des Liudolfingers angesichts ihrer Bedeutung für die ottonische Sakralität geradezu postulieren möchte233. Das Bemühen Widukinds von Corvey um eine Erklärung des für ihn ungewohnten Umstandes234 und die von dem Priester Gerhard berichtete Vision Udalrichs von Augsburg über den ungesalbten Herrscher, der wie ein Schwert ohne Knauf oder Griff sei235, zeigen deutlich die Schwierigkeiten der in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts schreibenden Historiographen, mit einem außerhalb der eigenen Erfahrungswelt liegenden und daher beunruhigenden Faktum fertig zu werden. Zweifel an ihm sind – trotz Widukinds bekannter ,Unzuverlässigkeit‘236 – jedoch nicht angebracht, während die Schilderung eines Salbungsangebotes durch den 230 Dazu vgl. etwa Helmut Beumann, Die sakrale Legitimierung des Herrschers im Denken der ottonischen Zeit, in: ZRG GA 66, 1948, S. 1 – 45; Joachim Wollasch, Grundlagen ottonischer Königsherrschaft, in: Karl Schmid (Hg.), Reich und Kirche vor dem Investiturstreit, Sigmaringen 1985, S. 17 – 34; ders., Herrscherbild und Herrschaftslegitimation. Zur Deutung der ottonischen Denkmäler, in: FmaSt 19, 1985, S. 290 – 311; Stefan Weinfurter, Idee und Funktion des „Sakralkönigtums“ bei den ottonischen und salischen Herrschern (10. und 11. Jahrhundert), in: Rolf Gundlach / Hermann Weber (Hgg.), Legitimation und Funktion des Herrschers. Vom ägyptischen Pharao zum neuzeitlichen Diktator, Stuttgart 1992, S. 99 – 127; Johannes Fried, Tugend und Heiligkeit. Beobachtungen und Überlegungen zu den Herrscherbildern Heinrichs III. in Echternacher Handschriften, in: Wilfried Hartmann (Hg.), Mittelalter. Annäherung an eine fremde Zeit, Regensburg 1993, S. 41 – 85. 231 Annales Quedlinburgenses a. 920, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 3, Hannover 1839, S. 52; Ekkehardi IV. Casus sancti Gail c. 49, ed. Hans F. Haefele, Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters (= Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10), Darmstadt 1980, S. 110. 232 Vgl. Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 208), S. 422. 233 Vgl. Keller, Widukinds Bericht (wie Anm. 227), S. 448 mit Anm. 350. 234 Wid. I 26 (= S. 39). 235 Vita sancti Oudalrici episcopi Augustani auctore Gerhardo c. 3, ed. Georg Waitz, MGH SS 4, Hannover 1841, S. 389; edd. Walter Berschin und Angelika Häse, Gerhard von Augsburg, Vita Sancti Uodalrici. Die älteste Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich, Heidelberg 1993, S. 108. Zur Deutung von Griff oder Knauf vgl. Giese, Ensis sine capulo (wie Anm. 211), S. 160 f. 236 Vgl. Anm. 220 und 221.

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Mainzer Erzbischof Heriger und der Ablehnung dieser Ehre durch den neuen König schon eher Skepsis zu erregen vermag; doch braucht diese Problematik, die unterschiedliche Deutungen hervorgerufen hat237, an dieser Stelle nicht weiter zu interessieren. Aber selbst wenn Widukind völlig korrekt berichten sollte, wird man das vieldiskutierte238 Schauspiel, das dann bei der Wahl in Fritzlar stattgefunden haben muß, und die Gründe, die zur Zurückweisung des Mainzer Angebotes von unctio cum diademate führten, keinesfalls überbewerten und schon gar nicht als Zeugnis für eine antikirchliche Haltung239 des Königs aus Sachsen deuten dürfen. Wenn es 919 im ostfränkischen Reich keine verpflichtende Salbungstradition gegeben hat, dann kann das Unterlassen der Weihe zwanglos als Rückkehr zu der vor Konrad I. herrschenden Gewohnheit verstanden werden – und dies um so mehr, wenn der König auch ohne einen besonderen kirchlichen Akt als sakral angesehen wurde. Die wenigen Urkunden Heinrichs I. lassen daran aber keinen Zweifel. Nach ihrem Zeugnis besaß auch der Sachse als divina favente clementia rex240 seine Herrschaft 237

Vgl. dazu etwa Fried, Die Königserhebung (wie Anm. 221), S. 305 – 309. Die stark angeschwollene Literatur dazu wird zusammengestellt und knapp besprochen von Boshof, Königtum (wie Anm. 82), S. 75, und Hlawitschka, Vom Frankenreich (wie Anm. 47), S. 207. Vgl. auch die in den Anm. 159 (Reinhardt), 211 (Karpf und Giese), 216 (Lintzel und Erdmann), 218 (Beumann), 220 (Fried), 222 (Fuhrmann) genannten Werke sowie Heinrich Büttner / Irmgard Dietrich, Weserland und Hessen im Kräftespiel der karolingischen und frühen ottonischen Politik, in: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde 30, 1952, S. 133 – 149, bes. S. 147 Anm. 95; Martin Lintzel, Miszellen zur Geschichte des zehnten Jahrhunderts, in: ders., Ausgewählte Schriften I (wie Anm. 217), S. 220 – 296 [erstmals 1953: Berichte über die Verhandlungen der Sächs. Akad. d. Wiss., Philol.-hist. Kl., Bd. 100, H. 2], bes. S. 257 – 260; Hans Joachim Bartmuss, Die Geburt des ersten deutschen Staates. Ein Beitrag zur Diskussion der deutschen Geschichtswissenschaft um den Übergang vom ostfränkischen zum mittelalterlichen deutschen Reich, Berlin 1966, S. 249 – 253; Walter Schlesinger, Die Königserhebung Heinrichs I. zu Fritzlar im Jahre 919, in: Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger 1965 – 1979. Hg. von Hans Patze und Fred Schwind, Sigmaringen 1987, S. 199 – 200 [erstmals 1974, in: Fritzlar im Mittelalter. Festschrift zur 1250-Jahr-Feier, S. 121 – 143], bes. S. 209 – 216 [S. 131 – 138]; Wolfgang Giese, Der Stamm der Sachsen und das Reich in ottonischer und salischer Zeit. Studien zum Einfluß des Sachsenstammes auf die politische Geschichte des deutschen Reichs im 10. und 11. Jahrhundert und zu ihrer [!] Stellung im Reichsgefüge mit einem Ausblick auf das 12. und 13. Jahrhundert, Wiesbaden 1979, S. 79 – 82; Ernst Karpf, Herrscherlegitimation und Reichsbegriff in der ottonischen Geschichtsschreibung des 10. Jahrhunderts, Stuttgart 1985, S. 155 – 159; Helmut Beumann, Die Ottonen, Stuttgart 31994, S. 32 ff. 239 Vgl. dazu Gerd Tellenbach, Die geistigen und politischen Grundlagen der karolingischen Thronfolge. Zugleich eine Studie über kollektive Willensbildung und kollektives Handeln im neunten Jahrhundert, in: ders., Ausgewählte Abhandlungen 2 (wie Anm. 140), S. 503 – 621 [erstmals 1979, in: FmaSt 13, S. 184 – 302], bes. S. 563 f. [S. 244 f.] Anm. 22. 240 Vgl. MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser I. Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I., hg. von Th[eodor] Sickel, Hannover 1879 – 1884, S. 39 – 74: Die Legitimationsformel in der Intitulatio lautet zumeist divina favente clementia, aber auch: divina ordinante providentia, divina favente gratia, divina gratis concedente, dei favente clementia, divina disponente clementia, dei donante clementia, divina concedente clementia, 238

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unmittelbar von Gott241 und verwirklichte sie nach dessen Willen242 : … divina misericordia dispensante sublimati in regnum omnibus circumquaque degentibus fidelibus aequo et iusto moderamine praeesse et omnia dei respectu regere cupiamus, erklärte Heinrich daher 929, als er deo opitulante sein Haus bestellte243. Der Verzicht auf die Salbung, in welchen Formen er sich auch immer abgespielt haben mag, bedarf freilich einer weiteren Erklärung, wenn man die herrschaftslegitimierende Bedeutung bedenkt, die die kirchliche Weihe des Königs im Jahre 919 schon längst im Westfrankenreich besaß244 und die die Salbung am Ende des Jahrhunderts auch für die Ottonen gewinnen sollte245, und wenn man für Heinrichs Verhalten nicht allein eine konservative Gesinnung verantwortlich machen will. Am ehesten wird man dabei an politische Erwägungen des Liudolfingers denken müssen, die ohnehin bei den meisten Deutungsversuchen der Ereignisse von 919, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung246 in Rechnung gestellt und schon von Georg Waitz247 in gleichsam klassischer Weise formuliert worden sind: „Was den König bestimmte [auf die kirchliche Weihe zu verzichten], ist mit Sicherheit nicht zu erkennen, und sehr verschiedene Vermuthungen sind geäußert worden; daß es aber noch anderes war als Bescheidenheit, daß Heinrich nicht geneigt sein mochte, die Krone aus der Hand der Bischöfe zu empfangen, die zuletzt einen so überwiegenden und nicht in jeder Beziehung heilsamen Einfluß geübt hatten, daß er wünschte, frei und unabhängig ihnen gegenüberzustehen, gegen sie keine besondere Verbindlichkeit zu haben, ist wahrscheinlich genug.“ Zwar sollte nicht gerade ein Gegensatz zwischen dem König und seinen Bischöfen vermutet werden248, der sich zudem ja auch während Heinrichs gesamter Regierungszeit gar nicht feststellen

divina inspirante gratia; die Invocatio traditionsgemäß In nomine sanctae et individuae trinitatis und einmal (MGH D H 1 40): In nomine omnipotentis dei. 241 MGH DD H I 4 (922 Juni 22: Si cum terrenarum rerum facultatibus divino munere nobis collatis…). 9 (925 März 30 [zwar aus MGH D K I 15 übernommen, wo dieser Gedanke aber nicht in der Arenga ausgedrückt wird]:… quia fautore omnium Christo propitio regni gubernacula suscepimus …). 15 (927 Dez. 27 [zwar nach einer Vorurkunde Ludwigs des Deutschen stilisiert, aber nicht einfach gedankenlos übernommen, wie eine Änderung zeigt]: Oportet igitur nos qui divino sumus munere ceteris mortalibus prelati, eius in omnibus parere preceptis …); vgl. auch D H 11(920 April 3 [allerdings völlig aus Vorurkunden übernommen]: Constat nos divina dispensante gratia caeteris supereminere mortalibus, unde oportet ut cuius precellimus munere, eius studeamus modis omnibus parere voluntati). 242 MGH DD H I 15 und 1 (vgl. dazu Anm. 241). 243 MGH D H I 20. 244 Vgl. dazu etwa Lintzel, Heinrich I. (wie Anm. 217), S. 595 f., oder Schramm, Salbung (wie Anm. 86), S. 288. 245 Vgl. neben Anm. 230 auch Karpf, Königserhebung (wie Anm. 211), S. 6 ff. 246 Vgl. dazu die in Anm. 238 angeführten Überblickswerke und Abhandlungen sowie Schramm, Salbung (wie Anm. 86), S. 302. 247 Jahrbücher (wie Anm. 225), S. 40. 248 Vgl. dazu etwa auch Anm. 239.

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läßt249, aber die westfränkische Geschichte hatte doch gelehrt, daß die enge Verbindung zwischen Königtum und Episkopat nicht nur der Stabilisierung einer monarchischen Herrschaft diente, sondern gleichzeitig zu einem intensiveren Einfluß der Geistlichkeit250 und damit letzlich wohl auch zur Entfremdung des weltlichen Adels führen konnte251; und gerade das politische Scheitern des in solchen Bahnen wandelnden Konrad I.252 mag von dem Liudolfinger als deutliche Warnung verstanden worden sein. Die Sakralität des ungesalbten Königs dagegen schien (wie zuletzt die Herrschaft Arnulfs von Kärnten glanzvoll bewiesen hatte253, wie in gewissem Sinne aber auch noch die kurze Regierungszeit Ludwigs des Kindes belegte254), ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Herrscher und den das Reich mittragenden Kräften eher zu garantieren255 – denn der Episkopat orientierte sich erfahrungsgemäß ohnehin am divina favente clementia rex, und das problematische Verhältnis zu größeren Teilen des weltlichen Adels konnte mit diesem Rückhalt, der auch ohne besondere Betonung effektiv war, wieder verbessert werden: Die Freundschaftsbünde (amicitiae), die der Liudolfinger mit zahlreichen Adligen schloß256, legen beredtes Zeugnis davon ab. Wenn sich das Rätsel um Heinrichs I. 249

Vgl. etwa Beumann, Die Ottonen (wie Anm. 238), S. 32 – 52. Vgl. etwa Karls des Kahlen Erklärung aus dem Jahre 859 (vgl. Anm. 148) oder die 881 unter Hinkmars Leitung formulierten Kanones der Synode von Fismes, ed. Mansi XVII A, Venetiis 1772, S. 537 – 546 (bes. c. I), sowie Eva Müller, Die Anfänge der Königssalbung im Mittelalter und ihre historisch-politischen Auswirkungen, in: HJb 58, 1938, S. 317 – 360, bes. S. 352 – 360. Zur bischöflichen Aufgabe der Herrscherermahnung allg. vgl. Matthias Theodor Kloft, Oratores vestri monent (Eure Beter mahnen) Das Bischofsamt des karolingischen Reiches im Spiegel juristischer und theologischer Texte (Diss. Theol. Münster), Frankfurt [a.M.] 1994, etwa S. 443 f. 251 Vgl. etwa Ullmann, The Carolingian Renaissance (wie Anm. 228), S. 111 ff., sowie zu den Konflikten im Westfrankenreich auch Tellenbach, Die geistigen und politischen Grundlagen (wie Anm. 239), S. 218 – 227 und S. 237 ff., oder Karl Ferdinand Werner, Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000 (= Geschichte Frankreichs 1), Stuttgart 1989 [frz. 1984], S. 436 – 449. 252 Vgl. dazu etwa Hans-Werner Goetz, Der letzte „Karolinger“? Die Regierung Konrads I. im Spiegel seiner Urkunden, in: AfD 26, 1980, S. 56 – 125, bes. S. 111 – 118. 253 Vgl. Anm. 194 – 206. 254 Vgl. Anm. 207 – 209 sowie Rudolf Schieffer, Die Karolinger, Stuttgart 21997, S. 194 – 200: Die Macht des Königtums schmolz zwar während Ludwigs Minderjährigkeit dahin, aber im sog. Regentschaftsrat (zu diesem vgl. Ernst Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches III, Leipzig 21888, S. 497 – 500) fanden sich – wenn auch nicht immer spannungsfrei – geistliche und weltliche Große zu gemeinsamem Handeln zusammen. 255 Lehn, Die Synoden (wie Anm. 197), etwa S. 53 und S. 58, hat – gegen Ullmann, The Carolingian Renaissance (wie Anm. 228), S. 124 ff. – herausgearbeitet, daß Arnulf an einem Gleichgewicht zwischen Adel und Geistlichkeit gelegen war und das Übergewicht einer der beiden Gruppen zu vermeiden trachtete. 256 Vgl. dazu Gerd Althoff / Hagen Keller, Heinrich I. und Otto der Große. Neubeginn auf karolingischem Erbe, Bd. 1, Göttingen 21994, S. 61 – 65; Gerd Althoff, Verwandte, Freunde und Getreue. Zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im früheren Mittelalter, Darmstadt 1990, S. 108 – 111; ders., Amicitiae und Pacta. Bündnis, Einung, Politik und Gebetsgedenken im beginnenden 10. Jahrhundert, Hannover 1992. 250

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Verzicht auf die Salbung letztlich wohl auch niemals völlig lösen läßt und wenn das liudolfingische Königtum schließlich im Verlauf des 10. Jahrhunderts durch die kirchliche Salbung eine Intensivierung seiner Sakralität erfuhr, so kann es trotzdem kaum einen Zweifel daran geben, daß auch schon der ungesalbte ostfränkische Herrscher aus karolingischem Hause als von Gott zum Königtum berufen und als sakral galt und daß Heinrich I. in dieser Tradition stand: Ihm ist, wie Widukind von Corvey rückblickend feststellt257, das magnum latumque imperium allein von Gott – a solo Deo – anvertraut (concessum) worden; und der stammesstolze Geschichtsschreiber aus Sachsen gibt mit dieser Deutung keinesfalls nur die spätere Sicht des ottonischen Hofes wieder, sondern vor allem auch Heinrichs Herrschaftsverständnis selbst258 – wenn Herr Heinrich auch keinesfalls (wie eine späte, das Geschichtsbild für Jahrhunderte prägende Erzählung mit ausschmückender Geste behauptet259) nichtsahnend am Vogelherd saß, als Gott ihn zum Königtum berief.

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Wid. I 41 (= S. 60). Vgl. Anm. 241. 259 Vgl. dazu Waitz, Jahrbücher (wie Anm. 225), S. 209 – 214, und Carl Erdmann, Beiträge zur Geschichte Heinrichs I. (IV–VI), in: Ottonische Studien (wie Anm. 217), S. 83 – 130 [erstmals 1941/43, in: Sachsen und Anhalt. Jb. der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle für die Provinz Sachsen und für Anhalt 17, S. 14 – 61], bes. S. 106 – 117 [S. 37 – 48]. 258

Konrad I. als christus domini Als Konrad I. im November 911 als Nachfolger des jung verstorbenen Ludwig IV., „des Kindes“ und letzten Karolingers aus der ostfränkischen Linie, zum König erhoben wurde, bedeutete seine Wahl Kontinuität und Diskontinuität zugleich1: Kontinuität, weil mit dem Konradiner ein Repräsentant jener Führungsgruppe von weltlichen und geistlichen Großen auf den Thron gelangte, die unter dem jungen und leitungsbedürftigen Ludwig ohnehin schon den größten Einfluß auf die königliche Politik gewonnen hatte2; Diskontinuität, weil im fränkischen Ostreich mit Konrad die lange währende und zudem lange Zeit überaus erfolgreiche Herrschaft der Karolinger ein definitives Ende fand, obwohl es im Westreich noch ein Mitglied dieser Familie gab, dem man die Königswürde hätte übertragen können. Der politische Wille3, der hinter dieser Entscheidung stand, ist natürlich durch Adelsinteressen und -rivalitäten mitgeprägt worden, führte aber, obwohl die Konradiner ein verzweigtes Geschlecht waren und in der Geschichte des ostfränkischottonischen Reiches noch lange eine gewichtige Rolle spielen sollten4, keineswegs zu einer erfolgreichen Königsherrschaft oder gar zur Etablierung einer neuen Königsdynastie. Die kurze Regierungszeit Konrads I. war vielmehr geprägt vom Mißerfolg: von vergeblichen Anstrengungen zur Rückgewinnung des linksrheinisch-lotharingischen Raumes (dessen Adel 911 die Hinwendung zu dem Konradiner nicht mitvollzogen, sondern sich dem westfränkischen König Karl III., „dem Einfältigen“, unterstellt hatte), von der Nichtbewältigung der Ungarngefahr und Erstdruck (gewidmet Heribert Müller zum 60. Geburtstag) in: Hans-Werner Goetz (Hg.), Konrad I. Auf dem Weg zum „Deutschen Reich“?, Bochum 2006, S. 111 – 127. 1 Vgl. Johannes Fried, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024 (Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994, S. 450 – 458; Franz-Reiner Erkens, Zerfall der Einheit – Die Reichsteilungen des 9. Jahrhunderts, in: Brockhaus. Die Bibliothek. Weltgeschichte 3: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650), Leipzig-Mannheim 1998, S. 170 – 181, bes. S. 177 ff. 2 Vgl. Rudolf Hiestand, Pressburg 907 – eine Wende in der Geschichte des ostfränkischen Reiches?, in: ZBLG 57, 1994, S. 1 – 20. 3 Vgl. dazu Theodor Schieffer, Die rheinischen Lande an der Schwelle der deutschen Geschichte, in: Historische Forschungen und Probleme. Peter Rassow zum 70. Geburtstag dargebracht (Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde. Vorträge 14), Wiesbaden 1960, S. 17 – 30; Eduard Hlawitschka, Lotharingien und das Reich an der Schwelle der deutschen Geschichte (MGH Schriften 21), Stuttgart 1968, bes. Kap. V; Carlrichard Brühl, Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln 21995, bes. Kap. 6, § 3. 4 Vgl. dazu zuletzt Eduard Hlawitschka, Konradiner-Genealogie, unstatthafte Verwandtenehen und spätottonisch-frühsalische Thronbesetzungspraxis. Ein Rückblick auf 25 Jahre Forschungsdisput (MGH Studien und Texte 32), Hannover 2003 (und die hier verzeichnete Literatur).

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vom nur zeitweilig, nämlich anfänglich, erfolgreichen Bemühen, die aufstrebenden Herzogsgewalten zurückzudrängen5. Das konradinische Königtum erscheint daher im Rückblick nicht als Neuanfang, sondern lediglich als Intermezzo zwischen den Herrschaftszeiten der Karolinger und der Liudolfinger (Ottonen), ja, mehr noch als Annex der karolingischen Epoche, denn unverkennbar versuchte Konrad die Regierungspraxis seiner Vorgänger fortzusetzen und seine Herrschaft in die Tradition des karolingischen Königtums zu stellen: Geradezu als „letzter Karolinger“ konnte er deshalb erscheinen6. Nirgendwo wird dieses Bemühen um Kontinuität deutlicher als bei der Stilisierung der königlichen Urkunden und bei der Organisation der Hofkapelle einschließlich des zu dieser Institution gehörenden Urkundenressorts7: Das Formular der konradinischen Diplome weist gegenüber demjenigen der Urkunden des karolingischen Vorgängers keine Besonderheiten auf, wofür nicht zuletzt die aus der ,Kanzlei‘ Ludwigs des Kindes übernommenen Notare sorgten; und an der Spitze von ,Kanzlei‘ und Kapelle blieben (wenn auch mit einer kurzen, freilich folgenlosen und wohl allein durch die spezifische Lage unmittelbar nach der Königswahl bedingten Unterbrechung) der Konstanzer Bischof Salomon und der Salzburger Metropolit Pilgrim, die diese Aufgaben schon zu Zeiten des letzten ostfränkischen Karolingers versehen hatten. Aber auch die Ziele und Mittel von Konrads Politik waren, worauf die historische Forschung schon wiederholt hingewiesen hat8, karolingisch geprägt, was hauptsächlich meint, daß die aufstrebenden fürstlichen Mittelgewalten bekämpft wurden und dies in enger Anlehnung an die Kirche geschah. Die Akzentuierung der karolingischen Tradition durch den konradinischen König besaß aber auch eine ideelle Dimension, die in besonderem Maße durch den sakralen Charakter des Königtums bestimmt war und um die es im folgenden vorrangig gehen soll. Der Sakralcharakter des fränkischen Königs war ein Erbe der christlichen Antike, auf das unterschiedliche Einflüsse eingewirkt hatten9. Er wurde 5 Vgl. dazu außer den in Anm. 3 genannten Werken zur Orientierung über die Geschehnisse immer noch Ernst Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches, Bd. 3: Die letzten Karolinger. Konrad I. (Jahrbücher der Deutschen Geschichte), Leipzig 21888 [ND Hildesheim 1960], sowie die knappen Ausführungen von Egon Boshof, Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 27), München 21997, S. 3 f. 6 Vgl. dazu wie auch zum folgenden Hans-Werner Goetz, Der letzte „Karolinger“? Die Regierung Konrads I. im Spiegel seiner Urkunden, in: AfD 26, 1980 [ersch. 1982], S. 56 – 125. 7 Vgl. ebd. S. 61 – 72 sowie Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien, München/Berlin 1907, S. 55 f.; Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 1, Leipzig 21912, S. 421 f. und S. 436 f.; Paul Kehr, Die Kanzlei Ludwigs des Kindes (Abhandlungen der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl. Jg. 1939, Nr. 16), Berlin 1940; Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige 1: Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle (MGH Schriften 16,1), Stuttgart 1959, S. 213 ff. 8 Vgl. etwa die in Anm. 1, 3 und 5 angeführte Literatur. 9 Vgl. dazu wie zum folgenden Franz-Reiner Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: Die Sakralität von Herrschaft.

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begründet durch ein besonderes Nahverhältnis des Herrschers zur Sphäre des Numinosen und beruhte ganz wesentlich auf der Vorstellung von der Erwählung des Königs durch Gott sowie der Ansicht, daß der Herrscher Gottes Stellvertreter (vicarius) auf Erden sei und eine schon sazerdotal zu nennende Verantwortung für das Seelenheil der Menschen besitze. Vermittelt wurde der sakrale Charakter nach mittelalterlichem Verständnis vor allem durch die Salbung, die der König bei der Thronerhebung aus den Händen der Geistlichkeit empfing, doch gewann die Konsekration de oleo sanctificato (wie es im Mainzer Ordo von etwa 960 heißt)10, die im Frankenreich erstmals in der Mitte des 8. Jahrhunderts bei dem Aufstieg Pippins des Jüngeren zum Königtum praktiziert worden ist11, erst allmählich eine solche herausragende Bedeutung; und noch bis in das 10. Jahrhundert hinein war im Abendland die Salbung – wie übrigens auch in Byzanz, und hier sogar bis in das 13. Jahrhundert hinein – keinesfalls zwingend nötig zur Begründung der Herrschersakralität, umgab doch auch den ungesalbten Herrscher eine sakrale Aura12. Eine konkrete Konsequenz dieser Sakralität bildete die königliche Kirchenhoheit, die den Herrschern eine aktive Bistumsbesetzungspolitik in ihren Reichen ermöglichte (wie vor allem das ostfränkische Beispiel noch für das Ende des 9. Jahrhunderts belegt)13 und die zu einer deutlichen Ausrichtung des Episkopats auf den König führte14, der, wie bereits die antiken Kaiser, Kirchenversammlungen einberufen und an ihnen teilnehmen konnte15, und dem gegenüber die zur Synode vereinte Geistlichkeit wiederholt eine die sakrale Stellung und Aufgabe des Königs Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, hg. v. dems., Berlin 2002, S. 7 – 32, sowie ders., Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA. 89, 2003, S. 1 – 55. 10 Le Pontifical Romano-germanique du dixième siècle. Le Texte I, ed. Cyrille Vogel und Reinhard Elze (Studie e Testi 226), Città del Vaticano 1963, S. 246 – 259, Nr. LXXII, hier: S. 252 (Nr. 13) u. S. 254 (Nr. 15). 11 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Auf der Suche nach den Anfängen: Neue Überlegungen zu den Ursprüngen der fränkischen Königssalbung, in: ZRG KA. 90, 2004, S. 494 – 509 (und die hier verzeichnete Literatur). 12 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: HJb 118, 1998, S. 1 – 39. 13 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Die Bischofswahl im Spannungsfeld zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt. Ein tour d’horizon, in: Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich, hg. v. dems. (Beihefte zum AKG 48), Köln 1998, S. 1 – 32, bes. S. 17 f., sowie für Ludwig den Deutschen jetzt speziell Boris Bigott, Ludwig der Deutsche und die Reichskirche im Ostfränkischen Reich (826 – 876) (Historische Studien 470), Husum 2002, und Wilfried Hartmann, Ludwig der Deutsche (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 2002, S. 172 – 212, bes. S. 172 – 187. 14 Vgl. dazu auch Franz-Reiner Erkens, Einheit und Unteilbarkeit. Bemerkungen zu einem vielerörterten Problem der frühmittelalterlichen Geschichte, in: AKG 80, 1998, S. 269 – 295, bes. S. 282 – 290. 15 Vgl. Hartmann, Ludwig der Deutsche (wie Anm. 13), S. 192 – 201; ders., Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich und in Italien, Paderborn 1989, S. 222 – 233 und S. 359 – 372.

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sowie dessen besondere Verantwortung für die Kirche herausstellende Ehrfurcht zu artikulieren wußte16. Deutlichen Ausdruck verliehen die Herrscher ihrer im Nahverhältnis zu Gott gründenden sakralen Würde aber auch selbst, indem sie ihre Urkunden im Namen Gottes aus- und ihre Herrschaft als von Gott stammend (dei gratia) vorstellten17, was – wie schon gesagt18 – auch Konrad I. in traditioneller Weise machte. Auch er war sakral, auch auf ihn richtete sich der Episkopat Schwabens und Frankens19, offenbar aber auch noch der Bayerns20 (nicht mehr jedoch der sächsische)21 aus; auch er nahm wohl an der gerade für seine Königsherrschaft wichtigen Synode von Hohenaltheim teil22, die 916 im Ries, im Grenzraum dreier Herzogtümer (näherhin Frankens, Schwabens und Bayerns), unter Leitung des päpstlichen Legaten Petrus von Orte stattfand und die den König als christus domini, als Gesalbten des Herrn23, bezeichnete. Das war keine neue Bezeichnung für einen von Gott erwählten König, dessen besonderes Verhältnis zu Gott ausgedrückt werden sollte. Sie findet sich vielmehr schon im Alten Testament, und zwar erstmals in den Königsbüchern (etwa in 1 Sam 24,7 und 26,9). Beigelegt wurde sie hier zunächst Saul, dem ersten König der 16 Vgl. dazu Erkens, Einheit und Unteilbarkeit (wie Anm. 14), S. 286 f. (und die dort angeführten Belege), sowie Jörg Lehn, Die Synoden zu Mainz (888) und Tribur (895). Ihre Bedeutung für das Verhältnis Arnulfs von Kärnten zum ostfränkischen Episkopat im ausgehenden 9. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 13, 1987, S. 43 – 62, und Wilfried Hartmann, Kaiser Arnolf und die Kirche, in: Kaiser Arnolf. Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts, hg. v. Franz Fuchs und Peter Schmid (ZBLG, Reihe B, Beiheft 19), München 2002, S. 221 – 252, bes. S. 237 – 252. 17 Vgl. Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 12), S. 24 f., S. 30 und S. 37 (und die hier angeführten Belege), und ders., Vicarius Christi (wie Anm. 9), S. 11 f. mit Anm. 44 u. 46. 18 Vgl. Anm. 7, bes. Goetz (wie Anm. 6) S. 66 ff. und: DD Ko I 1 – 38, ed. Theodor Sickel, MGH DD Dt. Könige I, Berlin 1879 – 1884, S. 2 – 35 (bes. auch D Ko I 2, wo in der Arenga darauf hingewiesen wird, daß Konrad das Reich von Gott übertragen erhalten habe). 19 Vgl. zu den Teilnehmern der Synode von Hohenaltheim: Synode von Hohenaltheim (916), ed. Horst Fuhrmann, MGH Conc. VI,1, Hannover 1987, Nr. 1, S. 1 – 40, hier: S. 1 f., sowie allg. Horst Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (916) – quellenkundlich betrachtet, in: DA 43, 1987, S. 440 – 468, und Heinz Wolter, Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056, Paderborn 1988, S. 11 – 20, bes. S. 17 f. 20 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Die Salzburger Kirchenprovinz als Teil der ottonischsalischen Reichskirche, in: Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte, Bd. 1,1, hg. v. Walter Brandmüller, St. Ottilien 1998, S. 133 – 163, bes. S. 139 f. und S. 145 f. 21 Zum sächsischen Episkopat und seinem Verhalten gegenüber Konrad I. vgl. Wolter (wie Anm. 19) S. 17, sowie Wolfgang Giese, Der Stamm der Sachsen und das Reich in ottonischer und salischer Zeit. Studien zum Einfluß des Sachsenstammes auf die politische Geschichte des deutschen Reichs im 10. und 11. Jahrhundert und zu ihrer [sic!] Stellung im Reichsgefüge mit einem Ausblick auf das 12. und 13. Jahrhundert, Wiesbaden 1979, S. 19, und relativierend dazu Matthias Becher, Rex, Dux und Gens. Untersuchungen zur Entstehung des sächsischen Herzogtums im 9. und 10. Jahrhundert (Historische Studien 444), Husum 1996, S. 186 – 192. 22 Vgl. Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 455 f. und S. 461. 23 Synode von Hohenaltheim c. 21 u. 23 (wie Anm. 19), S. 28 und S. 30.

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Israeliten, den Samuel gesalbt hat und dessen Leben von dem Psalmisten und späteren König David verschont wurde, obwohl der Herrscher diesen verfolgte; aber Saul war, wie David selbst erklärte, als Gesalbter Jahwes allein von diesem zu richten. Obwohl aber die Bezeichnung christus domini der bibelkundigen Geistlichkeit des frühen Mittelalters aus den alttestamentlichen Büchern geläufig gewesen sein dürfte, ist sie 916 kaum direkt von diesen aus in die Konzilskanones von Hohenaltheim übernommen worden. Das Vorbild lieferte vielmehr eher der 75. Kanon des Vierten Konzils von Toledo24, das 633 nicht nur unter dem ordnenden Vorsitz, sondern auch unter der geistigen Leitung des Metropoliten und großen Enzyklopädisten Isidor von Sevilla († 636) tagte25 und die Herrschaft des westgotischen Königs Sisenand (631 – 636), der seinen Vorgänger Suinthila (621 – 631) vom Thron vertrieben hatte26, legitimierte27, indem es nicht zuletzt die biblischen Äußerungen über den als christus domini sakrosankten König aufgriff. Da die Bestimmungen dieses Konzils in die spanische Sammlung des Kirchenrechts, in die gerade auch im Frankenreich verbreitete ,Collectio Hispana‘28 eingegangen sind, konnte man in Hohenaltheim auf sie zurückgreifen. Es überrascht daher kaum, daß im Jahre 916 gerade der zur Festigung des Königtums dienende Kanon 19 aus Sätzen des 75. Kanons des 4. Toletanum zusammengestellt worden ist29, und zwar auf der Grundlage einer ,Hispana‘-Redaktion in vorpseudoisidorischer Gestalt30 24

Concilios Visigóticos e Hispano-Romanos hg. v. José Vives u. a. (España Cristiana 1), Barcelona/Madrid 1963, S. 186 – 225, bes. S. 217 – 221 (c. 75). 25 Zu diesem vgl. etwa Marc Reydellet, Isidor von Sevilla, in: Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 3, hg. v. Martin Greschat, Stuttgart 21994, S. 47 – 57; ders., La royauté dans la littérature latine de Sidoine Appolinaire à Isidore de Séville (Bibl. des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 243), Rom 1981, bes. Kap. X; Hans-Joachim Diesner, Isidor von Sevilla und seine Zeit (Arbeiten zur Theologie 52), Stuttgart 1973. 26 Vgl. dazu Dietrich Claude, Geschichte der Westgoten, Stuttgart 1970, S. 77 f.; Aloys Suntrup, Studien zur politischen Theologie im frühmittelalterlichen Okzident. Die Aussage konziliarer Texte des gallischen und iberischen Raumes (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft), Münster 2001, S. 227 f. 27 Vgl. dazu Suntrup (wie Anm. 26), S. 227 – 248, bes. S. 239 – 248; Hans Hubert Anton, Der König und die Reichskonzilien im westgotischen Spanien, in: ders., Königtum – Kirche – Adel. Institutionen, Ideen, Räume von der Spätantike bis zum hohen Mittelalter, hg. v. Burkhard Asper und Thomas Bauer, Trier 2002, S. 127 – 149, bes. S. 134 f. [erstmals 1972, in: HJb 92, S. 257 – 281, bes. S. 265]. 28 Vgl. Friedrich Maassen, Geschichte der Quellen und der Literatur des canonischen Rechts im Abendlande 1. Die Rechtssammlungen bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts, Graz 1870, S. 215 f. und S. 667 – 716; Hubert Mordek, Die Rechtssammlung der Handschrift von Bonneval – ein Werk der karolingischen Reform, in: DA 24, 1968, S. 339 – 434, bes. S. 340; ders., Kirchenrecht und Reform. Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien. Studien und Edition (Beiträge zu Geschichte und Quellen des Mittelalters 1), Berlin 1975, S. 6, S. 8 und S. 250 ff. 29 Synode von Hohenaltheim c. 19 (wie Anm. 19), S. 27 f. mit Anm. 76. – Vgl. oben Anm. 24. 30 Vgl. dazu Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 448, sowie Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 3.

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(obwohl man im Ries auch die Dekretalen Pseudoisidors und die falschen Kapitularien des Benedictus Levita zur Hand hatte)31. Für den folgenden, ebenfalls auf die Sicherung der königlichen Herrschaft zielenden Kanon 20 schöpfte man nochmals aus der spanischen ,Collectio‘ und griff dabei auf den 18. Kanon des 6. Toletaner Konzils von 638 zurück32. Wenn in den beiden Kanones 19 und 20 auch der Begriff christus domini nicht fällt, sondern erst in den folgenden33, weitgehend ohne Rückgriff auf besondere Vorbilder stilisierten Kanones 21 (über Erchanger, den schwäbischen Widersacher des Königs, und seine Helfer) und 23 (über die Meineidigen, welche den dem König geleisteten Eid verletzen), so kann es doch kaum einen Zweifel daran geben, daß die Lektüre der ,Collectio Hispana‘ und näherhin des 75. Kanons des 4. Konzils von Toledo 916 den Anstoß gab, vom ,Gesalbten des Herrn‘ zu sprechen. Die Absicht, die damit verfolgt worden ist, läßt sich leicht erfassen: die Sicherung der königlichen Herrschaft durch Betonung einer Sakralität und damit sacrosanctitas verleihenden Gottesnähe des Königs und der göttlichen Erwählung des Herrschers. Weniger leicht beantworten lassen sich hingegen zwei Fragen, die sich unmittelbar aus dieser Feststellung ergeben: Wer war der spiritus rector dieses Bemühens? Und: War Konrad I. im wirklichen oder lediglich im übertragenen Sinne ein ,Gesalbter des Herrn‘? Ist er bei seiner Erhebung zum König tatsächlich gesalbt worden oder nicht? Beide Probleme sind nicht restlos zu klären, lohnen aber die Erörterung, da sie dem nuancierenden Verständnis der Königsidee einer quellenarmen Zeit dienen.

31 Vgl. dazu Peter Landau, Kanonistische Aktivität in Regensburg im frühen Mittelalter, in: Zwei Jahrtausende Regensburg. Vortragsreihe der Universität Regensburg zum Stadtjubiläum 1979, hg. v. Dieter Albrecht, Regensburg 1979, S. 55 – 74, bes. S. 64 f., und vor allem Horst Fuhrmann, Die pseudoisidorischen Fälschungen und die Synode von Hohenaltheim (916), in: ZBLG 20, 1957, S. 136 – 151; ders., Die Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 444 u. S. 448, sowie zu Pseudoisidor allg. und grundsätzlich ders., Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihren Anfängen bis in die neuere Zeit, 3 Bde. (MGH Schriften 24,1 – 3), Stuttgart 1972 – 1974; ders., The Pseudo-Isidorian Forgeries, in: Papal Letters in the Early Middle Ages, hg. v. dems. und Detlev Jasper (History of Medieval Canon Law 2), Washington 2001, S. 135 – 195; ders., Stand, Aufgaben und Perspektiven der Pseudoisidorforschung, in: Fortschritt durch Fälschungen. Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli 2001, hg. v. Wilfried Hartmann und Gerhard Schmitz (MGH Studien und Texte 31), Hannover 2002, S. 227 – 262, sowie jetzt Klaus Zechiel-Eckes, Auf Pseudoisidors Spur. Versuch, einen dichten Schleier zu lüften, ebd., S. 1 – 28 (und dessen ebd. S. 5 Anm. 18 verzeichnete Arbeiten). 32 Synode von Hohenaltheim c. 20 (wie Anm. 19), S. 28 mit Anm. 77; vgl. Concilios Visigóticos (wie Anm. 24) S. 233 – 248, bes. S. 245 (c. 18). 33 Vgl. Synode von Hohenaltheim c. 21 u. 23 (wie Anm. 19) S. 28 f. und S. 30 f. Ein weiteres Mal wird der Begriff verwendet in Kanon 24 (ebd. S. 31), allerdings mit Bezug auf den Bischof und nicht auf den König; vgl. dazu Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 448 f.

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Für die ältere Forschung, repräsentiert in herausragendem Maße durch Ernst Dümmler und Manfred Hellmann34, bereitete die Beantwortung der ersten Frage kaum größere Mühe: Für sie nahm ein selbstbewußter Episkopat das schwach gewordene und vielfach gefährdete Königtum in seinen Schutz. Doch sprechen gegen eine solche Deutung die Hohenaltheimer Synodalakten selbst35, welche – anders als früher angenommen – eben keine kraftvoll agierende Bischofsversammlung erkennen lassen, die dem schwächlichen König zum Sukkurs beispringt, sondern die über das gewohnte Maß hinaus zerknirscht und bußfertig auftritt und ein merkwürdig timides Erscheinungsbild der hohen Geistlichkeit des ostfränkischen Reiches vermittelt. Nicht die Bischöfe halten die Fäden des Geschehens in ihrer Hand, sondern der päpstliche Legat Petrus von Orte war ganz offenkundig die treibende Kraft, und d. h.: der Papst, in dessen Auftrag Petrus handelte, also Johannes X. (914 – 928). Römische Direktiven lassen sich sogar an manchen Formulierungen der Hohenaltheimer Kanones erkennen; und folglich dürfte es das Papsttum gewesen sein, das – gerufen von ostfränkischen Bischöfen und wohl auch von Konrad I. – dem Königtum 916 zu Hilfe eilte und zusammen mit dem zur Synode versammelten Episkopat daran erinnerte, daß der König ein Gesalbter des Herrn sei. Dies freilich konnte – ja, wollte vielleicht sogar – die ältere deutsche Geschichtsforschung nicht so sehen, vermochten ihre von liberalem, protestantischem und nationalem Gedankengut geprägten Vertreter doch nur schwer eine papale Dominanz zu ertragen; und zudem schien auch die historische Wirklichkeit gegen eine solche Deutung zu sprechen36 – denn: Das Papsttum befand sich seit dem 34 Vgl. Dümmler (wie Anm. 5), S. 605 – 610; Manfred Hellmann, Die Synode von Hohenaltheim (916). Bemerkungen über das Verhältnis von Königtum und Kirche im ostfränkischen Reich zu Beginn des 10. Jahrhunderts, in: Die Entstehung des deutschen Reiches (Deutschland um 900). Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1928 – 1954, hg. v. Helmut Kämpf (Wege der Forschung 1), Darmstadt 1956, S. 289 – 312 [erstmals 1953, in: HJb 73, S. 127 – 142], aber auch Martin Lintzel, Heinrich I. und die fränkische Königssalbung (Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philol.-hist. Kl. 102,3), Berlin 1955, S. 35 – 38, bes. S. 35 mit Anm. [ND in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 2, Berlin 1961, S. 583 – 612, bes. S. 601 f.], und Odilo Engels, Der Reichsbischof (10. und 11. Jahrhundert), in: Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche. Festgabe für Josef Kardinal Höffner, hg. v. dems. und Peter Berglar, Köln 1986, S. 41 – 94, bes. S. 69. 35 Vgl. dazu wie zum folgenden die aus einer ebenso intensiven wie vorbildlichen Quellenanalyse gewonnenen Einsichten, die Horst Fuhrmann in seinen in den Anm. 19 und 31 genannten Arbeiten über die Synode von Hohenaltheim ausbreitet. 36 Zu den folgenden Ausführungen vgl. außer dem knappen Überblick von Harald Zimmermann, Die Päpste des „dunklen Jahrhunderts“, in: Gestalten der Kirchengeschichte (wie Anm. 25), Bd. 11, S. 129 – 139, bes. S. 130 ff., und der Darstellung von Franz Xaver Seppelt, Geschichte der Päpste von den Anfängen bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, Bd. 2: Die Entfaltung der päpstlichen Machtstellung im frühen Mittelalter von Gregor dem Großen bis zur Mitte des elften Jahrhunderts, München 21955, S. 329 – 358, auch die mit kräftigen Strichen gezogenen älteren Schilderungen von Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter vom V. bis zum XVI. Jahrhundert, Bd. 1,2, hg. v. Waldemar Kampf, Darmstadt 1978 (vor allem Buch 5, Kap. 6 u. 7, sowie Buch 6, Kap. 1), und Johannes Haller,

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schauerlichen Tod von Johannes VIII. (872 – 882), dem man Gift verabreichte und, als dieses nicht rasch genug wirkte, den Schädel einschlug, unverkennbar im Niedergang – in einem Niedergang, der sich nicht nur durch eine rasche Abfolge wechselnder Pontifikate37 und durch heftige Parteienkämpfe bei der Besetzung der cathedra Petri auszeichnete, sondern auch einen makaberen Ausdruck fand in jenem Prozeß, den seine Gegner dem toten Papst Formosus (891 – 896) machten, dessen Leichnam man dazu aus dem Grabe riß und vor eine Gerichtsversammlung schleppte, bevor – natürlich nach einer Verurteilung – der verstümmelte Kadaver durch die Straßen Roms geschleift und in den Tiber geworfen wurde. Ein saeculum obscurum hat an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert der Kardinal und Geschichtsschreiber Cesare Baronio (1538 – 1607) diese Zeit genannt38, ein wegen der Quellenarmut ,dunkles Jahrhundert‘39. Dieses konnte aber ebensogut als düster im moralischen Sinne begriffen werden, kennzeichnet mancher Gelehrte das Zeitalter doch mit Blick auf die sich damals in Rom entfaltende Herrschaft des Senators Theophylakt († um 924) und seines Hauses und nicht zuletzt mit Bezug auf des Senators Frau und Töchter, auf Theodora d. Ä. († nach 914) und auf Theodora d. J. und deren ebenso machtbewußte wie heiratsfreudige Schwester Marozia († vor 936), als eine Epoche der ,Pornokratie‘40, des „Dirnenregiments“ oder der „Hurenherrschaft“41. Auch Johannes X. hatte intensiven Anteil an dieser angeblich ,pornokratischen‘ und mit Sicherheit ,eisernen‘ Zeit42 : Zuvor bereits Bischof von Bologna und Erzbischof von Ravenna, war er nicht ohne Förderung durch die Familie Das Papsttum. Idee und Wirklichkeit, Bd. 2: Der Aufbau, Reinbek 1965, S. 129 – 149 (nach der 1962 erschienenen, verbesserten und ergänzten Hardcover-Auflage). 37 Marinus I. (882 – 884), Hadrian III. (884/885), Bonifatius VI. (896), Stephan VII. (896/ 897), Romanus (897), Theodorus (897), Johannes IX. (898 – 900), Benedikt IV. (900; † 903), Leo V. (903), Christophorus (903, nicht anerkannt und verjagt 904), Anastasius III. (911 – 913), Lando (913; † 914), Leo VI. (928), Stephan VIII. (928 – 931). 38 Annales ecclesiastici (864 – 933), Bd. 15, ed. Augustinus Theiner, Bar-le-Duc 1868, S. 467. 39 Vgl. Harald Zimmermann, Das dunkle Jahrhundert. Ein historisches Porträt, Graz 1971, S. 15 – 21. 40 Vgl. Haller (wie Anm. 36) S. 145 („,Dirnenregiment‘ [Pornokratie]“); Harald Zimmermann, Das Papsttum im Mittelalter. Eine Papstgeschichte im Spiegel der Historiographie, Stuttgart 1981, S. 91 („römisches Hurenregiment“). 41 Vgl. dazu die entsprechenden Schilderungen von Baronius (Annales ecclesiastici c. 7 – 14 [wie Anm. 38], S. 533 ff.) und außer der in der vorhergehenden Anm. genannten Literatur vor allem Valentin Ernst Löscher, Historie des Römischen Huren-Regiments der Theodorae und Maroziae, in welcher die Begebenheiten des zehenden Seculi und deren Intriguen des Römischen Stuhls ausgeführt werden, Leipzig 1705; vgl. dazu Harald Zimmermann, Valentin Ernst Löscher, das finstere Mittelalter und das Saeculum obscurum, in: Gesellschaft – Kultur – Literatur. Rezeption und Originalität im Wachsen einer europäischen Literatur und Geistigkeit. Beiträge Luitpold Wallach gewidmet, hg. v. Karl Bosl (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 11), Stuttgart 1975, S. 259 – 277. 42 Zu Johannes X. vgl. neben der in den Anm. 36 u. 39 genannten Literatur auch T. Venni, Giovanni X., in: Archivio della R. Deputazione romana di Storia patria NS 59,1936, S. 1 – 136, sowie BZ 15 – 89 und 91. – Zum eisernen Zeitalter vgl. Anm. 38.

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Theophylakts Papst geworden; als Papst jedoch hatte er – wie sechs Jahrhunderte später sein kunstsinniger und waffenerprobter Nachfolger Julius II. (1503 – 1513)43, der Arbeitgeber Michelangelos, Bramantes und Raffaels – zu den Waffen gegriffen und im August 915 die Sarazenen vom Garigliano zu vertreiben und Italien mit großer Energie von einer alten Plage zu befreien geholfen, wovon er selbst voller Stolz berichtete44. Trotz der militärischen Versiertheit aber fand sein Leben im Kerker Marozias ein wohl gewaltsames Ende. Mit dem Papsttum stand es demnach in den Jahrzehnten um 900 wirklich nicht besonders gut; und kein Petrusnachfolger hat – so mochte es wohl früher scheinen – im beginnenden 10. Jahrhundert das (sittliche) Format besessen, dem Königtum ideelle Hilfe zu bringen. Und doch ist dies ganz offenkundig durch Johannes X. geschehen, dem schon ältere Forschergenerationen historische Bedeutung attestierten – freilich nur als Politiker und Kriegsherr, kaum aber als moralische Autorität, denn „er war wenig geistlich gesinnt, wohl aber ein tatkräftiger Mann“ (wie ein modernes Urteil über ihn lautet)45. Trotzdem darf Johannes X. als der wohl bedeutendste Papst zumindest des früheren 10. Jahrhunderts gelten46, zumal er ganz zweifellos ein universales Amtsverständnis besessen hat, das sich nicht zuletzt an den Urkunden und Briefen zeigt, die von ihm erhalten und in alle Himmelsrichtungen versendet worden sind47. Dabei nahm er nicht nur Einfluß auf die Synode von Hohenaltheim, sondern er bezog – um Rudolf Schieffer zu zitieren48 – auch Stellung „zu Bischofserhebungen in Narbonne, Lüttich und Reims“, stellte „die erste Papsturkunde für Cluny“ aus, gab „Anweisungen zur Missionierung der Normannen“, bemühte sich „um die Gewinnung Kroatiens und Dalmatiens für den lateinischen Ritus“ und stellte schließlich im Jahre 923 „die kirchliche Einheit mit Byzanz“ wieder her. Sein Verständnis von der königlichen Gewalt und ihrer Aufgabe in und gegenüber der Kirche bewegte sich dabei – und das ist gerade mit Blick auf das Hohenaltheimer Geschehen nicht ohne Bedeutung – in durchaus traditionellen Bahnen, sah er doch 43 Zu diesem vgl. Seppelt (wie Anm. 36), Bd. 4: Das Papsttum im Spätmittelalter und in der Renaissance von Bonifaz VIII. bis zu Klemens VII., bearb. v. Georg Schwaiger, München 2 1957, S. 395 – 408; Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Bd. 3,2: Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance von der Wahl Innozenz’ VIII. bis zum Tode Julius’ II. 1484 – 1513, 2. Abt.: Pius III. und Julius II., Freiburg 111955, sowie Alfred A. Strnad, Die Päpste der Früh- und Hochrenaissance, in: Gestalten der Kirchengeschichte (wie Anm. 25), Bd. 12, S. 39 – 52, bes. S. 46 ff. 44 Papsturkunden 896 – 1046, ed. Harald Zimmermann, Bd. 1: 896 – 996 (Österreichische Akadademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Denkschriften 174 = Veröffentlichungen der Historischen Kommission 3), Wien 21988, Nr. 41. 45 Franz Xaver Seppelt / Georg Schwaiger, Geschichte der Päpste. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1964, S. 118. Vgl. dazu auch Seppelt (wie Anm. 36), Bd. 2, S. 350. 46 Vgl. Gerd Tellenbach, Die westliche Kirche vom 10. bis zum frühen 12. Jahrhundert (Die Kirche in ihrer Geschichte F 1,2), Göttingen 1988, S. 68 f. 47 Papsturkunden, Bd. 1 (wie Anm. 44), Nr. 35 – 42, 45, 46, 48, 49 und 51 – 59; vgl. BZ 16, 17, 19, 21, 24, 26, 27, 28, 31, 37, 44, 49, 56, 57, 59, 60, 62, 69, 71, 72, 74, 76, 77, 85, 87. 48 Vgl. Rudolf Schieffer, Art. Johannes X., in: LMA V, Sp. 540 f. (die Zitate in Sp. 541).

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im König, und zwar ohne jeglichen Vorbehalt, den entscheidenden kirchenorganisatorischen Faktor in den einzelnen Reichen und gestand dem Herrscher daher ohne Einschränkung das Bistumsbesetzungsrecht, also die traditionelle Kirchenhoheit, zu, wie eindeutig aus seiner wohl Anfang 921 verfaßten Stellungnahme zum Lütticher Bistumsstreit hervorgeht, in welchem er sich energisch für den vom westfränkischen König favorisierten Bischofskandidaten einsetzte49. In Hohenaltheim wurde im Zusammenwirken von Papst und Bischöfen gleichfalls die Stellung des Königs gefestigt, wobei die päpstliche Autorität wohl keine unbedeutende Rolle spielte, auch wenn der Episkopat hier die konkreten Formulierungen zum Schutz des Königs fand50. Die ostfränkischen Bischöfe mußten dabei allerdings kaum zu einer Änderung ihrer traditionellen Haltung gegenüber dem König gebracht werden, vielmehr lag die nunmehr ausdrücklich formulierte Vorstellung vom Herrscher als einem sankrosankten christus domini völlig innerhalb ihres traditionellen Gedankenhorizonts vom sakralen König51; doch wurde nun ganz offenkundig die Situation genutzt, auch ihre Position zu festigen, und die bereits früh mit Blick auf die Könige entworfene Vorstellung vom Gesalbten des Herrn auf sie übertragen52, denn sie werden in den Hohenaltheimer Synodalakten einmal ebenfalls ausdrücklich als christi domini charakterisiert53. Freilich wird man angesichts des päpstlichen Einflusses auf das Geschehen in Hohenaltheim nun nicht einfach die Interpretation von Manfred Hellmann54 dahingehend modifizieren dürfen, daß man sagt: Es haben im Ries halt nicht die ostfränkischen Bischöfe dem König ihren Schutz gewährt, sondern ein universal handelnder und zugleich selbstbewußter Papst, der im Jahr zuvor die Sarazenen besiegt55 und den italischen König Berengar von Friaul am 8. Dezember 915 zum Kaiser gekrönt hatte56, habe den schwachen Konradiner unter seine Fittiche genommen und damit gleichzeitig seine Überordnung dokumentiert. Der Streit um das Verhältnis zwischen königlicher und kaiserlicher Gewalt einerseits und der päpstlichen andererseits, wie er zu Zeiten des Reformpapsttums nach der Mitte des 11. Jahrhunderts ausbrechen und dann im sogenannten Investiturstreit ausgetragen

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Papsturkunden, Bd. 1 (wie Anm. 44), Nr. 48 und 49; vgl. dazu BZ 56, 57 und 61, sowie Harald Zimmermann, Der Streit um das Lütticher Bistum vom Jahre 920/921. Geschichte, Quellen und kirchenrechtshistorische Bedeutung, in: MIÖG 65, 1957, S. 13 – 52, und allg. Erkens, Die Bischofswahl (wie Anm. 13), S. 18. 50 Vgl. dazu Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 452 – 463, bes. S. 454, S. 461 und S. 463. 51 Vgl. dazu Anm. 12, 15 und 16. 52 Vgl. Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 448 f. 53 Synode von Hohenaltheim c. 24 (wie Anm. 19), S. 31; vgl. ebd. Anm. 92. 54 Vgl. Anm. 34. 55 Vgl. Anm. 44. 56 BZ 40; vgl. Rudolf Hiestand, Byzanz und das Regnum Italicum im 10. Jahrhundert (Geist und Werk der Zeiten 9), Zürich 1964, S. 131.

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werden sollte57, lag zu Beginn des 10. Jahrhunderts doch noch in zu ferner Zukunft und lieferte für das Handeln von Johannes X. sicherlich kein Motiv. Vielmehr ist 916 noch immer vom herkömmlichen Synergismus beider Gewalten auszugehen58, von einem Zusammenwirken, das dem weltlichen Herrscher weitreichende Wirkmöglichkeiten im kirchlichen Bereich ermöglichte und zu dem sich Johannes X. knapp fünf Jahre später im Lütticher Bistumsbesetzungsstreit ja auch gegenüber dem westfränkischen König Karl ,dem Einfältigen‘ (893/898 – 923, † 929) und dem Kölner Erzbischof Hermann I. (889/890 – 924) eindeutig bekennen sollte59. Außerdem ist Konrad I. in Hohenaltheim noch nicht der völlig gescheiterte Herrscher gewesen, der er bei seinem Tode zwei Jahre später war (oder wurde). Zwar hatte er 916 noch keines der großen Probleme seiner Herrschaft wirklich gelöst, aber mit dem liudolfingischen Gegenspieler aus Sachsen, dem späteren König Heinrich I. (919 – 936), war er 915 offenbar zu einem (zumindest vorläufigen) Ausgleich gekommen60, die schwäbischen Widersacher Erchanger und Berthold, seine Schwäger, sowie deren Neffe Liutfried konnten als ausgeschaltet gelten, sie wurden von der Synode zu lebenslanger Klosterhaft verurteilt61 und, wenn sie nicht schon damals Gefangene des Königs waren, wenig später ergriffen und im Januar 917 hingerichtet62. Auch Konrads ehrgeiziger – durch die Heirat mit der 57 Vgl. dazu Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König (MGH Schriften 28), Stuttgart 1981; Werner Goez, Kirchenreform und Investiturstreit 910 – 1122 (Urban TB 462), Stuttgart 2000 (Kap. C); Stefan Weinfurter, Das Jahrhundert der Salier (1024 – 1125), Ostfildern 2004 (Kap. VIII-X), und Egon Boshof, Die Salier (Urban TB 387), Stuttgart 42000 (Kap. IV und V), sowie Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit (Enzyklopädie deutscher Geschichte 21), München 21996. 58 Zu diesem vgl. Theodor Schieffer, Krisenpunkte des Hochmittelalters (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 209), Opladen 1976, bes. S. 17 – 23. 59 Vgl. Anm. 49. – Das traditionelle, auf ein enges Zusammenwirken beider Gewalten bedachte Verständnis des Papstes vom Königtum wird weiter erhellt, wenn der Verfasser zweier Briefe aus dem ersten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts, ein Ravennater Erzbischof, mit dem späteren Papst Johannes X. identisch ist (wofür einiges spricht): Vgl. dazu Samuel Loewenfeld, Acht Briefe aus der Zeit König Berengars, gedruckt und erläutert in: Ceriani e Porro, Il rotolo opistografo del principe Antonio Pio di Savoja. Aus dem Italienischen mit eigenen Bemerkungen, in: NA 9, 1884, S. 513 – 539, hier: S. 529, Nr. 5, und S. 533, Nr. 6, sowie Pietro Fedele, Ricerche per la storia di Roma e del papato nel secolo X, III. Le lettere dell’arcivescovo Giovanni di Ravenna, in: Archivio della R. Società Romana di Storia Patria 34, 1911, S. 75 – 115, sowie Venni (wie Anm. 42) S. 21 ff. und S. 62 – 65. 60 Vgl. dazu Becher (wie Anm. 21) S. 187 f.; Helmut Beumann, Die Ottonen (Urban TB 384), Stuttgart 31994, S. 29; Karl Brunner, Oppositionelle Gruppen im Karolingerreich (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 25), Wien 1979, S. 170. 61 Synode von Hohenaltheim c. 21 (wie Anm. 19), S. 28 f., sowie dazu ebd. c. 34, S. 36 f. 62 Vgl. dazu Helmut Maurer, Der Herzog von Schwaben. Grundlagen, Wirkungen und Wesen seiner Herrschaft in ottonischer, salischer und staufischer Zeit, Sigmaringen 1978, S. 46 f.; Michael Borgolte, Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie (Archäologie und Geschichte. Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland 2), Sigmaringen 1986, S. 81 f. (zu Bertold) und S. 110 f. (zu Erchanger).

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schwäbischen Kunigunde, der Witwe des 907 gegen die Ungarn gefallenen bayerischen Markgrafen Liutpold – Stiefsohn Arnulf hatte 916 seine bayerische Machtposition offenbar noch nicht hinreichend gefestigt und befand sich in diesem Jahr in großer Bedrängnis und zeitweilig wohl sogar außer Landes63. Die fast als sicher anzunehmende Anwesenheit Konrads in Hohenaltheim64 legt darüber hinaus ein königlich-päpstliches Einvernehmen nahe, das eingebettet erscheint in eine ostfränkische Orientierung am Papsttum65, die wohl bereits anderthalb Jahrzehnte früher in einem Schriftstück zum Ausdruck gebracht worden war, das die ältere Forschung freilich wegen eines hier (vielleicht nur vermeintlich?) erkennbaren „konstitutiven Anteil[s]“66 des Papstes an der Königserhebung verstörte und lange als gefälscht galt67, für dessen Echtheit sich aber mittlerweile wichtige Indizien haben finden lassen68. Dem ist noch ein weiteres – erst jüngst69, aber kaum zu Recht70 als ebenfalls gefälscht verdächtigtes – Dokument an die Seite zu stellen: die (nur in späteren Abschriften überlieferten) Briefe der Erzbischöfe Hatto von

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Vgl. Erkens, Die Salzburger Kirchenprovinz (wie Anm. 20), S. 139, sowie Kurt Reindel, Die bayerischen Luitpoldinger 893 – 989 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte, N.F. 11), München 1953, S. 107 – 116, Nr. 55 – 58, sowie neuestens Ludwig Holzfurtner, Gloriosus Dux. Studien zu Herzog Arnulf von Bayern (907 – 937) (ZBLG, Reihe B, Beiheft 25), München 2003, S. 112 – 122, bes. S. 117 – 121. 64 Vgl. Fuhrmann, Die Synode von Hohenaltheim (wie Anm. 19), S. 455 f. 65 Vgl. dazu wie zum folgenden ebd. S. 464 f. 66 Ebd. S. 464. Vgl. aber auch Helmut Beumann, Die Einheit des ostfränkischen Reichs und der Kaisergedanke bei der Königserhebung Ludwigs des Kindes, in: ders., Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1966 – 1986. Festgabe zu seinem 75. Geburtstag, hg. v. Jürgen Petersohn und Roderich Schmidt, Sigmaringen 1987, S. 44 – 65, hier S. 58 f. [erstmals 1977, in: AfD 23, S. 142 – 163, hier S. 156 f.]. 67 Vgl. Harry Bresslau, Der angebliche Brief des Erzbischofs Hatto von Mainz an Papst Johann IX., in: Historische Aufsätze Karl Zeumer dargebracht zum 60. Geburtstag, Weimar 1910, S. 9 – 30. 68 Vgl. Horst Fuhrmann, Der angebliche Brief des Erzbischofs Hatto von Mainz an Papst Johannes IX., in: MIÖG 78, 1970, S. 51 – 62, sowie S. Bonifatius, in: Germania pontificia 4,4, bearb. v. Hermann Jakobs (Regesta pontificum Romanorum), Göttingen 1978, Nr. 54, S. 71, und Beumann, Die Einheit des ostfränkischen Reiches (wie Anm. 66), S. 58 f. 69 Vgl. Egon Boshof, Das Schreiben der bayerischen Bischöfe an einen Papst Johannes – eine Fälschung Pilgrims?, in: Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, hg. v. Joachim Dahlhaus u. a. (Beihefte zum AKG 39), Köln 1995, S. 37 – 67. 70 Vgl. Fritz Losˇek, Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und der Brief des Erzbischofs Theotmar von Salzburg (MGH Schriften 15), Hannover 1997, S. 55 – 87, und künftig die von mir vorbereitete Neuedition der Pilgrimschen Fälschungen: Die Fälschungen Pilgrims von Passau. Historisch-kritische Untersuchungen und Edition nach dem Codex Gottwicensis 53a (rot), 56 (schwarz) (= Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte NF 46), München 2011 (dazu siehe vorerst Erkens, Einheit und Unteilbarkeit [wie Anm. 14], S. 289 Anm. 98, sowie ders., Geschichtsbild und Rechtsstreit: Das Nachwirken der Fälschungen Pilgrims von Passau, in: Passauer Jahrbuch 47, 2005, S. 57 – 68).

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Mainz71 und Theotmar von Salzburg72, die diese im Jahre 900 an den Papst richteten. Das Zusammenwirken verschiedener Traditionen (hauptsächlich von herkömmlichen Ansichten über den sakralen Herrscher und einen weltlich-geistlichen Synergismus), aber auch die grundsätzliche Orientierung der ostfränkischen Bischöfe am nahen König und am fernen Papsttum, das mehr als nur eine rein politische Bedeutung für die fränkische Königsherrschaft besaß und nicht zuletzt unter Johannes X. zu einem wichtigen, auch im Westfrankenreich spürbaren73 Unterstützungsfaktor für den Herrscher geworden war, mithin das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren führte also in Hohenalteim dazu, daß die keinesfalls neue Vorstellung vom König als christus domini ausdrücklich aufgegriffen wurde zur Festigung der Position des konradinischen Königs – einer Position allerdings, die 916 wohl weniger durch Schwäche als (angesichts der noch nicht völlig besiegten Widersacher) durch Gefährdung charakterisiert erscheint. Deswegen – und nicht weil die Kirche sich das Königtum unterordnen wollte – wurde der ohnehin vorhandene Sakralcharakter des Herrschers betont. Eine andere Frage ist es dabei jedoch, ob Konrad I. nur im übertragenen Sinne oder auch in Wirklichkeit ein christus domini gewesen ist: ob er bei seiner Thronbesteigung gesalbt wurde oder nicht. Ohne Zweifel ist die Salbung im Verlauf des Mittelalters zu der entscheidenden Handlung geworden, durch welche den Königen ihre Sakraldimension vermittelt wurde; aber sie ist dazu – wie bereits gesagt74 – nicht zu allen Zeiten nötig und im Reich der ostfränkischer Karolinger offenbar auch niemals üblich gewesen75. Obwohl sie von der Mitte bis zum Ende des 8. Jahrhunderts mehrfach an karolingischen Herrschern und Prinzen vollzogen worden war76, drohte sie in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts wieder außer Gebrauch zu geraten. Allein bei der Kaiserweihe wurde sie weiterhin gespendet, weswegen sie im regnum Italiae, das unter Karls des Großen Enkeln und Urenkeln 71

Ed. Bresslau (wie Anm. 67) S. 27 – 30 (Nr. 2). Ed. Losˇek (wie Anm. 70) S. 138 – 156. 73 Vgl. Johannes Fried, Laienadel und Papst in der Frühzeit der französischen und deutschen Geschichte, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972 – 1975, hg. v. Helmut Beumann und Werner Schröder (Nationes 1), Sigmaringen 1978, S. 367 – 406, bes. S. 399 f. 74 Vgl. Anm. 12. 75 Vgl. Percy Ernst Schramm, Salbung und Krönung bei den Ostfranken bis zur Thronbesteigung König Heinrichs I. (919), in: ders., Kaiser, Könige und Päpste, Bd. 2. Beiträge zur allgemeinen Geschichte. Zweiter Teil: Vom Tode Karls des Großen (814) bis zum Anfang des 10. Jahrhunderts, Stuttgart 1968, S. 287 – 305. 76 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 12), S. 32 f., sowie Carlrichard Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der „Festkrönungen“, in: ders., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim u. a. 1989, S. 351 – 412, bes. S. 407 – 412 (wo die Belege verzeichnet sind, weswegen in der Regel der Einfachheit halber künftig allein auf diese Liste verwiesen wird) [erstmals 1962, in: HZ 196, S. 265 – 326]. 72

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zum Kernland des Kaisertums wurde, gelegentlich – nämlich 844 sicher und möglicherweise ebenfalls 88077 – auch an Königen vollzogen wurde, nämlich als Zeichen ihres imperialen Anspruchs an dem zum Nachfolger im Imperium ausersehenen Kaisersohn oder an einem anderen Aspiranten auf die Kaiserwürde. Der entscheidende Anstoß für die Bedeutungssteigerung und schließlich für die europäische Verbreitung der Königssalbung ging jedoch vom Westfrankenreich aus, wo sich Karl der Kahle (843 – 877) 848 in Orléans hatte salben lassen78, und zwar zunächst mit Blick auf die noch keinesfalls gesicherte Herrschaft in Aquitanien. Doch wurde dieser Akt sehr bald auf das westfränkische Königtum schlechthin bezogen und führte zu einer regelrechten Salbungspolitik des zweiten Karls, die einem Teil seiner Kinder, schließlich aber auch seiner Gemahlin zugute kam79. Als Karl schließlich 869 (allerdings erfolglos) versuchte, Lotharingien, das Reich seines verstorbenen Neffen Lothars II. (855 – 869), unter seine Herrschaft zu bringen, ließ er sich dabei eigens in Metz salben und krönen80. Die damals entwickelte und überhaupt erstmals in ihrem Verlauf belegte Zeremonie einer fränkischen Herrscherweihe wurde nicht nur vorbildlich für das mittelalterliche Krönungszeremoniell81, sondern etablierte auch eine eigene lothringische Salbungstradition, denn anders als früher angenommen82 existierte in Lotharingien vor 869 kein eigener 77 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 409 Nr. 12, und S. 411 Nr. 30; Kurt Haase, Die Königskrönungen in Oberitalien und die „eiserne“ Krone, Diss. Phil., Strassburg 1901, S. 113 – 118, deutet zwar die urkundlich belegte consecratio Karls III. (D Karl III 132, ed. Paul Kehr, MGH DD Dt. Karolinger II, Berlin 1937, S. 210 ff., hier S. 211) aufgrund chronologischer Probleme (vgl. dazu auch Brühl, a.a.O., S. 384 f.) als Weihe zum Schwabenkönig und nicht zum italischen König, doch sind seine Ausführungen keinesfalls zwingend, so daß mit Kehr (a.a.O., S. 26 f. [zu Nr. 17] und S. 211 [zu Nr. 132], der freilich seine Aussagen aus den Vorbemerkungen zu den genannten Urkunden auf S. XL zugunsten einer alemannischen Weihe Karls III. relativiert) und Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 294, weiterhin eher von einer in Ravenna mit Blick auf das Kaisertum vollzogen Königsweihe auszugehen ist, wenn diese erst 885 erwähnte Weihe überhaupt stattgefunden hat und nicht nur im übertragenen Sinne aus einer speziellen politischen Situation heraus verstanden werden muß: Vgl. dazu Simon MacLean, Kingship and Politics in the Late Ninth Century. Charles the Fat and the End of the Carolingian Empire, Cambridge 2003, S. 144 – 160. 78 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 409 Nr. 13. 79 Vgl. ebd. S. 409 f. Nr. 15, 17 und 20 sowie Franz-Reiner Erkens, „Sicut Esther regina“. Die westfränkische Königin als consors regni, in: Francia 20, 1993, S. 15 – 38. 80 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 410 Nr. 21, sowie Walter Schlesinger, Zur Erhebung Karls des Kahlen zum König von Lothringen 869 in Metz, in: Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger. 1965 – 1979, hg. v. Hans Patze und Fred Schwind (Vorträge und Forschungen 34), Sigmaringen 1987, S. 173 – 198 [erstmals 1970, in: Landschaft und Geschichte. Festschrift für Franz Petri zu seinem 65. Geburtstag, hg. v. Georg Droege u. .a., Bonn, S. 454 – 475]. 81 Vgl. Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. bis zum 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates, 2 Bde., Darmstadt 21960, bes. Bd. 1, S. 25 – 29, sowie ders., Die Krönung bei den Westfranken, in: Kaiser, Bd. 2 (wie Anm. 75), S. 140 – 168, bes. S. 159. 82 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 409 Nr. 16.

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Salbungsbrauch83 ; 888 jedoch führte ihn Rudolf von Hochburgund († 912) fort, als er sich in Toul (freilich vergeblich) zum lothringischen König weihen ließ84, und ebenso verfuhr Arnulf von Kärnten, als er seinen Sohn Zwentibold 895 zum König des regnum quondam Lotharii machte85. Damals freilich war das längst verfestigte westfränkische Vorbild in weiten Teilen des Karolingerreichs bereits rezipiert worden, denn die meisten (wenn nicht gar alle) Aufsteiger, die im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts vom Zerfall des fränkischen Großreichs und der karolingischen Herrschaft profitierten und eigene Königreiche schufen, ließen sich dabei salben, um ihre neue Würde zu legitimieren. Erstmals geschah dies 879 durch Boso von Vienne († 887) in Niederburgund (Provence), und sein Sohn Ludwig (,der Blinde‘, † 928) führte 890 diesen Brauch fort86 ; Rudolf von Hochburgund trat, wie schon erwähnt, 888 in Toul in die lothringische Tradition ein, war aber vielleicht schon zuvor in St-Maurice d’Agaune zum burgundischen Herrscher gesalbt, mit Sicherheit jedoch gekrönt worden87. Natürlich hatte sich, wie im Westfrankenreich auch gar nicht mehr anders möglich, auch der Robertiner Odo, der erste nichtkarolingische Beherrscher des Westreichs, 888 salben lassen88. Über eine Königssalbung Berengars von Friaul († 924) und Widos von Spoleto († 894), der beiden Rivalen um die Herrschaft in Italien, berichten die nur spärlich fließenden Quellen zwar nichts89, doch darf sie wohl als wahrscheinlich (zumindest aber nicht als ausgeschlossen) gelten, da es als Vorbild immerhin die imperiale Tradition gab und neue Könige, deren Legitimität bezweifelt werden konnte, die unctio als wichtigen Legitimierungsfaktor begriffen, wie sowohl das Beispiel Pippins d. J. († 768) im 8., aber auch Karls des Kahlen, Bosos von Vienne und Rudolfs von Hochburgund im 9. Jahrhundert lehrt. Gerade in dem zuletzt genannten Umstand ist aber wohl auch der entscheidende Grund zu sehen, warum sich im Ostfrankenreich, wo die Königsherrschaft der Karolinger sich bis zum Ende des 9. Jahrhunderts als recht stabil erwies und nicht zusätzlich legitimiert werden mußte, kein eigener Salbungsbrauch ausgebildet hat (was im übrigen auch nicht nötig war, um dem Königtum einen besonderen Sakralcharakter zu vermitteln, denn auch der ungesalbte Herrscher galt ja als sakral)90. Andererseits jedoch legt 83

Vgl. Hans Hubert Anton, Verfassungspolitik und Liturgie. Studien zu Westfranken und Lotharingien im 9. und 10. Jahrhundert, in: ders., Königtum (wie Anm. 27), S. 253 – 292, bes. S. 268 – 272 [erstmals 1994, in: Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken, hg. v. Marlene Nikolay-Panter u. a., Köln, S. 65 – 103]. 84 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 412 Nr. 36. 85 Vgl. ebd. S. 412 Nr. 42 sowie Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 297 ff., bes. S. 299. 86 Vgl. Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 411 f. Nr. 29 und 38. 87 Vgl. ebd. S. 411 Nr. 33. 88 Vgl. ebd. S. 411 Nr. 34. 89 Vgl. Hiestand, Byzanz (wie Anm. 56), S. 37 ff. (Berengar) und S. 50 ff. (Wido), sowie Haase (wie Anm. 77) S. 21 ff., und Tellenbach (wie Anm. 46) S. 51. 90 Vgl. Anm. 12.

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dieser Umstand den schon wiederholt geäußerten Gedanken91 nahe, daß gerade bei der Königserhebung Konrads I., dessen Herrschaft natürlich als besonders legitimierungsbedürftig erscheint, im Ostfrankenreich erstmals auch eine Königssalbung vollzogen worden ist. Die Vertreter dieser Meinung können zudem auch auf die Hohenaltheimer Synodalakten und deren Ausführungen über den christus domini92 sowie auf eine entsprechende Nachricht Widukinds von Corvey93 verweisen. Aber als wirklich eindeutig erweisen sich diese Zeugnisse letztlich doch nicht. Widukind, der ohnehin nicht als zuverlässig gilt94, schreibt nämlich nicht nur ein halbes Jahrhundert nach dem Ereignis95, sondern vor allem in einer Zeit, als man sich eine Königserhebung ohne Salbung nicht mehr vorstellen konnte96. Da sein Zeugnis – abgesehen von dem Bericht Hermanns von der Reichenau97, der aber schon dem 11. Jahrhundert angehört und daher keine unmittelbare historische Relevanz besitzt – praktisch alleine steht, verdiente es wenig Vertrauten, wenn es nicht indirekt durch die Hohenaltheimer Kanones über den Gesalbten des Herrn gestützt würde98. Doch ist selbst diese Stütze nur schwach, denn die Bezeichnung christus domini ist im Verlauf der Geschichte oftmals nur im übertragenen Sinne verwendet

91 Vgl. etwa Dümmler (wie Anm. 5) S. 576; Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 301; Janet L. Nelson, National Synods, Kingship as Office, and Royal Anointing: An Early Medieval Syndrome, in: dies., Politics and Ritual in Early Medieval Europe, London 1986, S. 239 – 257, bes. 248 (mit Verweis ebd. in Anm. 1 auf die eigene, noch ungedruckte [und leider nicht zugängliche], 1967 in Cambridge approbierte Ph. D. dissertation: „Rituals of Royal Inauguration in Early Medieval Europe“) [erstmals 1971, in: Studies in Church History 7, S. 41 – 59]. 92 Vgl. Anm. 33. 93 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae I,16, ed. Paul Hirsch und Hans-Eberhard Lohmann, MGH SS rer. Germ. [60], Hannover 51935, S. 27: […] eius [sc. des Vaters Heinrichs I.] tamen consultu Cuonradus quondam dux Francorum ungitur in regem. 94 Vgl. dazu etwa Bernd Schneidmüller, Widukind von Corvey, Richer von Reims und der Wandel politischen Bewußtseins im 10. Jahrhundert, in: Beiträge zur mittelalterlichen Reichsund Nationsbildung in Deutschland und Frankreich hg. v. dems. und Carlrichard Brühl (HZ, Beihefte N.F. 24), München 1997, S. 83 – 102, bes. S. 85 ff.; Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 3), S. 149, S. 415, S. 422 f. und S. 550, und Johannes Fried, Die Königserhebung Heinrichs I. Erinnerung, Mündlichkeit und Traditionsbildung im 10. Jahrhundert, in: Mittelalterforschung nach der Wende 1989, hg. v. Michael Borgolte (HZ, Beihefte N.F. 20), München 1995, S. 267 – 318, bes. S. 278 – 291. 95 Vgl. Helmut Beumann, Widukind von Korvey. Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts (Abhandlungen zur Corveyer Geschichtsschreibung 3), Weimar 1950, S. 1 f. und S. 178 – 204. 96 Dazu vgl. Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 12), S. 35 f. 97 Vgl. Dümmler (wie Anm. 5) S. 576 Anm. 3, und Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 301 mit Anm. 54: Hermann von Reichenau, Chronicon a. 911, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS V, Hannover 1844, S. 112. 98 Vgl. Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 301; Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 12), S. 34.

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worden99, um die Gottesnähe ungesalbter Herrscher zu versinnbildlichen. Selbst als das Vierte Konzil von Toledo diese Formel im Jahre 633 in seinen 75. Kanon aufnahm100, muß sie nicht unbedingt der Realität entsprochen haben, denn sicher bezeugt ist die Salbung westgotischer Könige erst seit 672101; und obwohl die Entwicklung der westgotischen Herrscherweihe schon viel früher eingesetzt haben wird, lassen sich die Bedenken gegen eine an König Sisenand real vollzogene Salbung nicht ausräumen, da Isidor von Sevilla, der spirituelle wie tatsächliche Leiter des 4. Toletanums, sie in seinen zahlreichen Schriften nicht erwähnt, obwohl er dazu genügend Gelegenheit besessen hätte102. Im 8. Jahrhundert stellte Beda Venerabilis sogar die unsichtbare, also die nicht wirklich vollzogene Salbung ausdrücklich über die tatsächlich gespendete103. Ob diese Wertschätzung bei Konrads Thronbesteigung im Jahre 911 noch galt, muß freilich dahingestellt bleiben, zumal vom Westfrankenreich aus ja schon längst eine andere Entwicklung eingesetzt hatte. Aber Bedenken gegen eine Salbung des Konradiners bleiben dennoch bestehen – nicht nur weil, worauf Carlrichard Brühl hinweist104, in den Synodalakten keine direkte Verknüpfung zwischen der allgemeinen Charakterisierung eines Königs als christus domini und der Person Konrads I. hergestellt wird, sondern mehr noch weil diese Formulierung ganz offenkundig aus einer spanischen Kanonessammlung übernommen worden ist105 und daher keine unmittelbare Adaption des Terminus aus dem Alten Testament darstellt. Gerade diese Übernahme aus zweiter Hand läßt die Wahrscheinlichkeit einer Salbung Konrads eher gering erscheinen106. Allerdings lassen sich die starken Bedenken nicht zu einem zwingenden Beweis verdichten. Doch ist immerhin soviel klar, daß es zu Beginn des 10. Jahrhunderts im ostfränkischen Reich noch keine verfestigte Salbungstradition gab107: Ludwig das Kind ist im Jahre 900 zwar wahrscheinlich gekrönt worden, wie als Zeitgenosse

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Vgl. Josef Funkenstein, Unction of the Ruler, in: Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hg. v. Josef Fleckenstein und Karl Schmid, Freiburg 1968, S. 6 – 14, bes. S. 12. 100 Vgl. Anm. 24. 101 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Auf der Suche nach den Anfängen (wie Anm. 11), S. 502 Anm. 34, 36 und 39 (sowie die dort verzeichnete Literatur). 102 Vgl. Suntrup (wie Anm. 26) S. 304 f. 103 Beda Venerabilis, In cantica canticorum, allegorica expositio lib. II, ed. Jacques Paul Migne, PL 91, Paris 1850, S. 1085 f. 104 Brühl, Deutschland – Frankreich (wie Anm. 3), S. 404 mit Anm. 305. 105 Vgl. Anm. 24, 28 – 30 und bei Anm. 33. 106 Eine etwas andere Einschätzung findet sich noch bei Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 12), S. 34. 107 Vgl. dazu ebd. S. 33 f. und S. 37; Boshof, Königtum (wie Anm. 5), S. 76, und ders., Die Vorstellung vom sakralen Königtum in karolingisch-ottonischer Zeit, in: Das frühmittelalterliche Königtum – ideelle und religiöse Grundlagen, hg. v. Franz-Reiner Erkens (RGA, Ergänzungsband 49), Berlin/New York 2005, S. 331 – 338, bes. S. 350.

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immerhin Regino von Prüm erwähnt108, aber eine Salbung fand dabei offenbar nicht statt (zumindest wird nichts über eine Königsweihe berichtet) und auch die Form der Krönung ist völlig unbekannt. Handelte es sich um einen rein weltlichen Akt109, wie ihn etwa Ludwig der Fromme110 an seinem gerade volljährig gewordenen Sohn Karl dem Kahlen 838 vollzog? Wer aber könnte in diesem Falle der Koronator des seit 899 vaterlosen Kindkönigs Ludwig gewesen sein? Oder hat ein kirchlicher Akt stattgefunden? Wäre der jedoch um 900 ohne Salbung denkbar? Oder meint Regino doch keine Krönung nach üblichem Verständnis und spricht nur im übertragenen Sinne111, ohne sich auf ein reales Ereignis zu beziehen, wenn er von der Erhöhung des gekrönten Kindes an die Spitze des Reiches (fastigium regni) spricht? Alle diese Fragen müssen ohne Antwort bleiben. Sicher hingegen ist112, daß Konrads Nachfolger Heinrich I. nicht gesalbt wurde113 – wie auch immer die Thronerhebung im Jahre 919 verlaufen ist und unabhängig davon, ob es ein von dem Liudolfinger abgelehntes Salbungsangebot des Mainzer Erzbischofs Heriger gegeben hat oder nicht114. Diese (in der Mitte des 10. Jahrhunderts und natürlich auch noch später von ottonisch gesinnten Historiographen als problematisch empfundene) Unterbleibung der Salbung jedoch läßt sich am einfachsten dann verstehen, wenn sie 919 noch gar nicht zwingend erforderlich war – und eine wirkliche Tradition hat es nach allem, was wir wissen, selbst dann nicht gegeben, wenn Konrad I. gesalbt worden sein sollte. Quellenbedingt muß es hinsichtlich einer konradinischen Salbung also bei einem non liquet bleiben, wenn sich auch, zumal Konrad ja als wenig innovativer Rezipient der karolingischen Königsvorstellung gilt115 und die unctio im Ostreich doch eine wirkliche Neuerung darstellen würde, die Zweifel an ihr mehren. Unabhängig davon jedoch repräsentierte der Konradiner ein sakrales Königtum, wie nicht zu108 Regino von Prüm, Chronicon a. 900, ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. [50], Hannover 1890, S. 148 ([…] Ludowicum […] regem super se creant et coronatum regiisque ornamentis indutum in fastigio regni sublimant.); vgl. dazu Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 299 f.; Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 382 und S. 412 Nr. 44; ders., Deutschland – Frankreich (wie Anm. 3), S. 389 mit Anm. 216; Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm 12), S. 30 mit Anm. 208. 109 Vgl. Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 300. 110 Astronomus, Vita Hludowici imperatoris c. 59, ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. [64], Hannover 1995, S. 526; vgl. dazu Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch (wie Anm. 76), S. 387 und S. 409 Nr. 10. 111 Vgl. Schramm, Salbung (wie Anm. 75), S. 299 mit Anm. 48. 112 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 12), S. 35 – 39 (und die dort verzeichnete Literatur). 113 Vgl. Widukind I,26 (wie Anm. 93) S. 39, und Gerhard von Augsburg, Vita Sancti Uodalrici c. 3, ed. Walter Berschin und Angelika Häse, Die älteste Lebensbeschreibung des heiligen Ulrich, Heidelberg 1993, S. 108. 114 Dazu vgl. etwa Fried, Die Königserhebung (wie Anm. 94), S. 305 – 309, und Boshof, Die Vorstellung vom sakralen Königtum (wie Anm. 107), S. 348 – 351. 115 Vgl. Anm. 6.

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letzt die Synode von Hohenaltheim und der von ihr in prinzipieller Weise formulierte Hinweis auf den Herrscher als pia deivi belegen. Auch dies war nichts grundsätzlich Neues, es wurden 916 lediglich schon lange vorhandene Grundüberzeugungen offenbar unter Rückgriff auf den 75. Kanon des Vierten Konzils von Toledo in eine griffige rhetorische Form gebracht. Konrad selbst hatte an dieser sprachlichen Zuspitzung allerdings kaum einen direkten Anteil. Vielmehr boten sein nicht ungefährdetes Königtum und die heftigen Konflikte, in die es verwickelt war, nur den Anlaß dafür. Von kirchlicher Seite wurde kanonische und verbale Unterstützung geliefert für einen mit großen Schwierigkeiten ringenden König, der nicht mehr über die Machtfülle seiner karolingischen Vorgänger verfügte, aber zumindest 916 auch noch nicht erkennbar vor einer unabwendbaren Niederlage stand. Wichtiger Faktor, vielleicht sogar der eigentliche Initiator dieser Hilfe ist wohl Papst Johannes X. gewesen und nur mittelbar der ostfränkische Episkopat, der den König in Hohenaltheim nicht von einer gestärkten Position aus in seinen Schutz nahm und auf diese Weise seinen politischen Einfluß demonstrierte. Aber auch dem Papsttum ging es damals wohl weniger um eine Veränderung des noch lange nicht als problematisch empfundenen Verhältnisses zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt. Es handelte vielmehr, wie so oft seit der Begründung des karolingischen Königtums, vorrangig aus einem unangefochtenen weltlich-geistlichen Synergismus heraus, der die sakrale Würde des Königtums nicht in Frage stellte, sondern in kritischer Situation betonte. Was freilich in Hohenaltheim unter päpstlicher Mitwirkung formuliert worden ist, konnte in ottonischer Zeit fortwirken und zu einem besonderen Höhepunkt geführt werden116. Deshalb erweist sich, wie in so vielen anderen Bereichen ebenfalls, die kurze Regierungszeit Konrads I. auch mit Blick auf das sakrale Königtum karolingisch-ottonischer Prägung als Übergangszeit, besser noch: als Vermittlungsphase, die keine neuen Vorstellungen brachte, wohl aber den herkömmlichen Gedankenhorizont durch die von außen angestoßene Rezeption eines traditionsreichen Begriffs ausgestaltete und intensivierte.

116 Vgl. dazu etwa Stefan Weinfurter, Sakralkönigtum und Herrschaftsbegründung um die Jahrtausendwende. Die Kaiser Otto III. und Heinrich II. in ihren Bildern, in: Bilder erzählen Geschichte, hg. v. Helmut Altrichter, Freiburg i. Br. 1995, S. 47 – 103, und Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 9), S. 9 f.

Frommer Mönchskönig, sakraler Christusvikar und heiliger Kaiser: Heinrich II. Am* 14. Februar 1014, an einem Sonntag, stand Heinrich II. vor den Toren Roms, wo er vom Papst feierlich empfangen und anschließend in der Peterskirche zum Kaiser gekrönt worden ist. Dies war in mehrfacher Hinsicht ein denkwürdiges Ereignis. Zum einen wurde zwölf Jahre nach dem Tode Ottos III., nach einem recht langen Zeitraum also, das von Otto dem Großen im abendländischen Westen 962 wiedererrichtete Kaisertum fortgesetzt, zum anderen die Italienpolitik, in der der letzte Liudolfinger die Zügel lange hatte schleifen lassen, intensiviert und die mit der Kaiserwürde verbundene Pflicht gegenüber Christenheit und römischer Kirche mit universalem Anspruch erfüllt. Mehr Macht freilich brachte die neue Stellung nicht. Zwar setzte mit der Erhebung zum Kaiser sofort der Chor der Lobredner ein, Erstdruck (mit hier nicht reproduzierten Abbildungen) in: Norbert Jung / Holger Kempkens (Hgg.), Gekrönt auf Erden und im Himmel – das heilige Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde. Ausstellung anlässlich des 1000jährigen Jubiläums ihrer Kaiserkrönung (= Veröffentlichungen des Diözesanmuseums Bamberg 26). Münsterschwarzach 2014, S. 20 – 27. * Um die nötigsten Belege und Hinweise ergänzter Vortrag, der auf dem „Kolloquium anläßlich des 1000jährigen Jubiläums der Kaiserkrönung von Heinrich II. und Kunigunde am 14. Februar 2014“ in Bamberg gehalten wurde und sich auf folgende grundlegende Literatur stützt, die in den Anmerkungen nur noch in Ausnahmefällen eigens, und dann ausschließlich mit Kurztitel, angeführt wird: J. F. Böhmer, Regesta Imperii II. Sächsisches Haus: 919 – 1024, 4. Abt.: Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich II. 1002 – 1024, neubearb. von Theodor Graff, Wien / Köln / Graz 1971; Siegfried Hirsch, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich II., I, Leipzig 1862, II Bd., vollendet von Hermann Pabst, Leipzig 1864, III Bd., hg. und vollendet von Harry Bresslau, Leipzig 1875; Rudolf Schieffer, Christianisierung und Reichsbildungen. Europa 700 – 1200, München 2013; Hagen Keller / Gerd Althoff, Die Zeit der späten Karolinger und der Ottonen. 888 – 1024 (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 10III), Stuttgart 2008; Josef Kirmeier u. a. (Hgg.), Kaiser Heinrich II. 1002 – 1024. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2002 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 44), Augsburg 2002; Stefan Weinfurter, Heinrich II. (1002 – 1024). Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 32002, zum Kaisertum und zur Italienpolitik bes. S. 227 – 249, zum Verhältnis zu den Bischöfen bes. S. 127 – 167, zum Verhältnis zum Adel bes. S. 186 – 205; Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, bes. Kap. VI (Christomimese: „Theokratisches“ Herrschertum in Liturgie und Bild), sowie ders., Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft, in: Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl (Hgg.), Weltdeutungen und Weltreligionen. 600 bis 1500 (= WBG-Weltgeschichte III), Darmstadt 2010, S. 279 – 305, und ders., Herrschersakralität – Ein Essai, in: Andrea Beck / Andreas Berndt (Hgg.), Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen (= Beiträge zur Hagiographie 13), Stuttgart 2013, S. 15 – 32.

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die den universalen Charakter des Kaisertums, die Erhabenheit der Kaiserwürde und den universellen Vorrang des „göttlichen Augustus“ verkündeten1, aber dies entsprach traditionellen Vorstellungen von der Kaiserherrschaft und bedeutete in der herrschaftlichen Realität wenig. Das Kaisertum2 war eine Aufgabe, in deren Zentrum der Schutz der römischen Kirche stand, und verlieh dem Imperator eine eigene Würde; es steigerte damit die Autorität des kaiserlichen Herrschers, was politisch nützlich sein konnte, aber es verlieh nicht die Weltherrschaft, auch nicht einen zu konkretisierenden Anspruch auf diese, sondern lediglich die Theorie bleibende Idee, Universalherrscher zu sein und die neben dem Papsttum zweite universale Würde zu verkörpern. Natürlich waren in diesem Dualismus der Universalgewalten Konfliktpotentiale angelegt, doch sollten diese erst ein halbes Jahrhundert nach Heinrichs II. Tod mit Macht ausbrechen, während sie zu Lebzeiten des Herrschers belanglos blieben. Der sich während des 11. Jahrhunderts anbahnende und im sog. Investiturstreit schließlich aufgipfelnde Konflikt zwischen den beiden höchsten Gewalten der christlichen Welt besaß verschiedene Facetten. Eine davon bestand in der religiösen Dimension, die den christlichen Herrscher in der Vormoderne umgab und dessen Pflichtenkreis nur unscharf von demjenigen der Priester abgegrenzt erscheinen ließ. Kein christlicher Herrscher ist zwar zugleich Priester gewesen, auch hat kein König oder Kaiser jemals priesterliche Funktionen im engeren Sinne wahrgenommen und etwa die Leitung von Meßfeiern oder die Verwaltung der Sakramente für sich beansprucht, aber der christliche Monarch besaß eine religiöse Verantwortung, die um die erste Jahrtausendwende noch in den priesterlichen Bereich hineinreichen konnte. Sie wurde bei jeder Herrscherweihe erwähnt3, spiegelte sich deutlich in der Teilnahme an Synoden und konkretisierte sich kurz nach der Kaiserkrönung von 1014, als Heinrich II. auf der in der Ewigen Stadt versammelten Synode es gegen römischen Widerstand durchsetzte, daß fortan während der Messe auch in Rom das Credo, und zwar, wie im Reich nördlich der Alpen bereits seit Karl dem Großen üblich, einschließlich des filioque zu singen sei4. Die sazerdotale Attitüde, die sich bei diesem Ereignis ebenso wie bereits gut 200 Jahre zuvor bei Karl dem Großen zeigte, erwuchs aus jenem Phänomen, das 1 Heinrich wird als augustus maximus divinus durch Odilo von Cluny apostrophiert in der Epistola Odilonis abbatis Cluniacensis ad Heinricum imperatorem Augustum, ed. Ernst Sackur, Ein Schreiben Odilo’s von Cluni an Heinrich III. vom October 1046, in: NA 24 (1899) S. 728 – 735, hier: 734 f., bes. 734; vgl. dazu und zur chronologischen Einordnung dieses Schreibens in den Februar 1014 Weinfurter, Heinrich II., S. 239 f. mit Anm. 93 und 94. 2 Vgl. Bernd Schneidmüller, Die Kaiser des Mittelalters. Von Karl dem Großen bis Maximilian I., München 2006 u. ö. 3 Vgl. den Ordo ad regem benedicendum quando novus a clero et populo sublimatur in regum, ed. Cyrille Vogel / Reinhard Elze, Le pontifical romano-germanique du dixième siècle. Le texte I (= Studi e Testi 226), Città del Vaticano 1963, S. 246 – 259 (Nr. LXXXII), hier: 257 (§22). 4 Vgl. Weinfurter, Heinrich II., S. 240; ders., Karl der Große. Der heilige Barbar, München 2013, S. 219 – 22, und Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter, S. 137 – 140.

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sich in der gesamten Vormoderne nahezu auf der ganzen Welt findet und als Herrschersakralität bezeichnet werden kann. In ihm drückt sich ein besonderes Nahverhältnis des Monarchen zu Gott aus. Als sakral kann dabei jener Herrscher begriffen werden, der als Erwählter und irdischer Stellvertreter Gottes galt und dem dadurch eine eigene religiöse Verantwortung aufgetragen war. Zu dieser Verantwortung zählte in einem weiteren Sinne auch die Seelsorge, insofern ein Herrscher die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für eine christliche und damit heilssichernde Lebensführung zu schaffen und zugleich selbst ein allgemeine Orientierung gebendes, mithin vorbildliches und an den christlichen Normen ausgerichtetes Leben zu führen hatte. Die Wurzeln dieser Vorstellungen reichen weit in die Antike, und zwar in verschiedenen Hauptsträngen bis in das altorientalische Zweistromland und das pharaonische Ägypten, aber auch in das alttestamentliche Israel zurück. Vermittelt wurde dem Mittelalter der Ideenkosmos einer sakral getönten Königsherrschaft über die spätantike Kaiseridee, die sich in Byzanz kontinuierlich entfaltete und im westlichen Europa, angereichert durch westgotisches und irisches Gedankengut, adaptiert worden ist und die hellenistischen mit biblischen Traditionen verknüpfte. Für den abendländischen Rezeptions- und Adaptionsprozess war die karolingische Epoche von äußerster Wichtigkeit, da in ihr auf der Grundlage antiker, westgotischer und irischer Schriften eigene theoretische Abhandlungen über das Königtum entstanden und nachwirkende Praktiken zur Demonstration der herrscherlichen Sakralität entwickelt wurden – erinnert sei nur an die Entwicklung der Herrscherlaudes, an die Königssalbung oder das Tragen einer Krone aus besonderem Anlaß. In der Ottonenzeit, die weitaus weniger theoriefreudig gewesen ist als die vorausgegangene Epoche, konnten diese Ansätze fortgeführt und das sakrale Königtum in der Praxis auf einen gewissen Höhepunkt geführt werden. Dieser spiegelt sich um das Jahr 1000 nicht zuletzt in jenen Bildern, die Heinrich II. und seinen Vorgänger Otto III. in besonderer Gottesnähe darstellen5: in den sog. Krönungsbildern Ottos III. im Aachener Liuthar-Evangeliar und Heinrichs II. im Regensburger Sakramentar, bei dem thronenden Heinrich II. in demselben Sakramentar und in der Präsentation Heinrichs II. (und wohl nicht wie gelegentlich vermutet Heinrichs III.) als Richter im Evangeliar von Montecassino. Natürlich war es lediglich eine zufällige Koinzidenz, daß Heinrich II. zu einer Zeit König wurde, in der sich die Idee der sakralen Königsherrschaft einem Höhepunkt näherte; und ebenso zufällig ist es gewesen, daß der letzte Liudolfinger durch manche seiner Neigungen, den Typus des sakralen Herrschers ausgesprochen gut verkörperte. Denn die traditionellen Elemente der Herrschersakralität waren ja vorgeben; und Sakralität gewann ein Herrscher spätestens bei seiner Weihe, bei der 5

Diese Miniaturen sind oft reproduziert worden, u. a. auch in: Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter, S. 178 f. Abb. 11 und 12, S. 181 f. Abb. 13 und 14, sowie Weinfurter, Heinrich II., S. 131 Abb. 3 („Krönungsbild“ Heinrichs II. im Regensburger Sakramentar), 132 Abb. 4 („Thronbild“ Heinrichs II. im Regensburger Sakramentar), 142 Abb. 14 (Heinrich II. als Richter im Evangeliar von Montecassino).

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ihm ausdrücklich in Erinnerung gerufen wurde, daß er von Gott auserwählt sei, daß ihm Reich und Volk von Gott anvertraut worden seien, daß er Stellvertreter Christi auf Erden sei und Gerechtigkeit zu üben habe, daß er an der bischöflichen Aufgabe teilhabe und ein particeps des bischöflichen ministerium sei6. Die Tugenden, die er zu verkörpern hatte, wurden ihm dabei an alttestamentlichen Gestalten vor Augen geführt7: Er hatte glaubensstark wie Abraham, großmütig wie Moses, tapfer wie Josua, demütig wie David und weise wie Salomo zu sein. Dies war gleichsam der traditionelle, der strukturelle Rahmen, in dem sich das sakrale Königtum verwirklichen mußte. Wie das jedoch geschah, das hing nicht unwesentlich von der Persönlichkeit des jeweiligen Herrschers ab, während die Kaiserkrönung dabei kaum eine Rolle spielte, denn die sakrale Dimension wuchs dem Herrscher bereits durch die Königssalbung zu, wie in schöner Deutlichkeit der um 960 entstandene Krönungsordo zeigt8 und wie vor allem auch die erwähnten Miniaturen belegen, da die beiden Heinrich in Gottesnähe zeigenden Bilder vor 1014, vor der Kaiserkrönung also, entstanden sind; sogar das berühmte Bild im Evangeliar von Montecassino, das Heinrich als von Gott inspirierten Richter zeigt und die kaiserliche Herkunft betont, verweist durch die Umschrift zur obersten Mandorla vor allem auf die königliche Sphäre, insofern hier der milde Segen Gottes dem König zugeteilt wird9. Vorstellungen und Ideengut vom sakralen Königtum standen zwar gerade im Reich hauptsächlich in imperialen Traditionen, aber sie wurden nicht erst durch die Kaisererhebung wirksam. An sakraler Würde gewann ein Herrscher durch die päpstliche Krönung kaum etwas hinzu, sie steigerte allenfalls die Dignität und verlieh der ohnehin erreichten Position den angemessenen Ausdruck. Daher minderte Heinrich II. durch seine lange Abstinenz vom Kaisertum auch nicht die legitimatorischen Grundlagen seiner Königsherrschaft, wenn die über ein Jahrzehnt währende Verzögerung des Romzugs auch nicht unproblematisch gewesen ist für die Herrschaftssicherung in Italien und die Bewahrung des Anspruchs auf die Kaiserwürde. Die Krönung zum italischen König im Jahre 1004 konnte dafür nämlich nur einen schwachen und kaum dauerhaften Ausgleich schaffen; sie diente deshalb außer zur Festigung einer gefährdeten und durch Arduin von Ivrea10 und seinen Anhang bestrittenen Herrschaft über das südalpine Reich wohl vor allem der Betonung des Anspruchs auf die Kaiserwürde.

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Vgl. den Krönungsordo (wie Anm. 3) S. 246 (§1), 249 (§7), 251 (§12), 255 (§18), 257 (§22). 7 Vgl. ebd. S. 251 (§11). 8 Vgl. Anm. 6. 9 Vgl. Wolfgang Eric Wagner, Die liturgische Gegenwart des abwesenden Königs. Gebetsverbrüderung und Herrscherbild im frühen Mittelalter (= Brill’s Series on the Early Middle Ages 19), Leiden 2010, S. 205 – 249 (zu Handschrift, Bild und Datierung), hier bes. 210: Spiritus alme deus regem benedicito clemens. 10 Zu diesem vgl. Ursula Brundorfer, Arduin von Ivrea und seine Anhänger. Untersuchungen zum letzten italienischen Königtum des Mittelalters, Augsburg 1999.

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Die Verkörperung der sakralen Königsherrschaft hing natürlich – wie bereits gesagt, wie aber wohl kaum eigens betont werden muß – vom Naturell eines jeden Herrschers ab. An der persönlichen Frömmigkeit der mittelalterlichen Monarchen ist dabei kaum zu zweifeln. Daß der geistlich erzogene Heinrich II. dabei eine besondere Neigung für kirchliche Angelegenheiten und Normen hegte, ist längst bekannt11. Er gründete nicht nur die Bistümer Bamberg und Bobbio und reanimierte das Merseburger Bistum, er förderte auch die Klosterreform, schärfte die Bedeutung des kirchlichen Eherechtes ein und nahm häufig und offenbar mit einer gewissen Leidenschaft an Kirchweihen teil. Als Mönchskönig ist der bayerische Liudolfinger daher bezeichnet worden12. Dieses kirchlich-spirituelle Engagement bedeutete freilich kein rein geistliches l’art pour l’art. Mit ihm konnten sich vielmehr handfeste Interessen verbinden. Die monastischen Reformeingriffe13 etwa dienten in der Regel auch der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage eines Klosters, die Konflikte um die kirchenrechtlich anfechtbaren Ehen zu naher Verwandter trafen nicht zuletzt adelige Widersacher des Königs14. Aber dieser Nutzen war eben nicht das alleinige Ziel der getroffenen Maßnahmen. Vielmehr gingen religiöse Verantwortung und utilitaristische Pragmatik eine enge Verbindung ein, so wie der sakrale, der christlichen Nächstenliebe und Milde verpflichtete Monarch zugleich ein harter und unnachgiebiger Herrscher sein konnte. Davon künden die zahlreichen Konflikte, die Heinrichs II. Regierungszeit durchzogen, und besonders die Geschicke des Kölner Erzbischofs Heribert15, der oppositionellen Konradiner oder der Brüder der Königsgemahlin Kunigunde; sie alle wußten ein je eigenes Lied von der Härte und Unbeugsamkeit des sakralen Herrschers zu singen, der sich zudem nicht scheute, in der Auseinandersetzung mit dem christlichen Polenherzog Boleslaw Chrobry ein Bündnis mit den heidnischen Liutizen einzugehen. Dies minderte aber die sakrale Würde Heinrichs trotz vereinzelter Kritik16 nicht, und der prinzipielle 11 Vgl. dazu wie zum folgenden Hartmut Hoffmann, Mönchskönig und rex idiota. Studien zur Kirchenpolitik Heinrichs II. und Konrads II. (= MGH Studien 8), Hannover 1993. 12 Vgl. die vorhergehende Anm. 13 Vgl. etwa Franz-Reiner Erkens, Die Salzburger Kirchenprovinz und das Bistum Augsburg im Zeitalter der Ottonen und frühen Salier (907 – 1046), in: Walter Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte I. Von den Anfängen bis zur Schwelle der Neuzeit 1. Kirche, Staat und Gesellschaft, St. Ottilien 1998, S. 133 – 186, bes. 185. 14 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Konrad II. Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Regensburg bzw. Darmstadt 1998, S. 32 – 36. 15 Vgl. Heribert Müller, Heribert, Kanzler Ottos III. und Erzbischof von Köln (= Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 33), Köln 1977, bes. Teil D („Simulatae pacis longa discordia: Heribert unter Heinrich II. [1002 – 1021]“), und ders., Heribert, Kanzler Ottos III. und Erzbischof von Köln, in: RhVjbll 60 (1996) S. 16 – 64, bes. 33 – 37. 16 Epistola Brunonis ad Henricum regem, hg. von Jadwiga Karwasinka, in: Monumenta Poloniae Historica. Series Nova Tom. IV, fasc. 3, Warschau 1973, S. 85 – 106. Zu den Hintergründen von Heinrichs Liutizenbündnis und den Traditionen, in denen es stand, vgl. Knut Görich, Eine Wende im Osten: Heinrich II. und Boleslaw Chrobry, in: Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hgg.), Otto III. – Heinrich II. Eine Wende? (= Mittelalter-Forschungen 1), Sigmaringen 1997, S. 95 – 167.

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Respekt vor der sakralen Majestät blieb, vor allem natürlich in kirchlichen Kreisen, bewahrt. Dazu trugen wohl nicht zuletzt der kirchenrechtskonforme Lebenswandel des Herrscherpaares sowie die fortwährende Demonstration der sakralen Würde des Monarchen bei. Die Kinderlosigkeit der königlichen Ehe, die offenbar schon früh feststand17, zeitigte zwangsläufig politische Konsequenzen18 und konnte in späteren Jahrhunderten als Folge einer heiligmäßigen ,Josefsehe‘ gedeutet werden19. Wie sehr diese Deutung ein – freilich produktives – Mißverständnis war, zeigen Formulierungen in Heinrichs Urkunden über das Einssein des Herrscherpaars im Fleische20. Was angesichts der Bedeutung des Erhalts der Dynastie eine Kinderlosigkeit des Königspaares bedeutete, was sie an persönlichen und herrschaftlichen Krisen bewirkte, läßt sich leicht ausmalen. Doch appellierte Heinrich in dieser verzweifelten Lage nicht an die Geistlichkeit, um sich scheiden zu lassen und das Kinderglück in einer anderen Ehe zu suchen21. Warum er dies nicht tat, darüber schweigen die Quellen. Wahre Zuneigung zur Gemahlin, die sich aus manchen, vielleicht sogar eigenen Worten seiner Urkunden herauslesen läßt, mag im Spiel gewesen sein, obwohl Königsehen in der Regel und hauptsächlich politische Verbindungen waren, die wohl oft genug ohne emotionale Wärme und wirkliche Liebe und manchmal auch ohne eine rudimentäre Zuneigung auskommen mußten. Ob auf Heinrichs ehewahrende Haltung die im Kirchenrecht verankerte Forderung von der Unauflösbarkeit einer Ehe einwirkte, läßt sich allenfalls vermuten; doch hat Heinrich in anderen Zusammenhängen das kirchliche Eherecht eingeschärft. Gleichgültig jedoch, wie es wirklich gewesen, in einer christlich gebundenen, zunehmend vom Kirchenrecht mitgeprägten Gesellschaft konnte Heinrichs und Kunigundes Ehe im Grunde nur als vorbildlich empfunden werden – zumindest in kirchlichen Kreisen, weswegen der Herrscher durch sein Eheleben die ihm in paränetischen Schriften abverlangte Vorbildfunktion unverkennbar erfüllte. Das kirchliche Umfeld war es auch, in dem Heinrich sein sakrales Königtum eindrucksvoll zur Schau stellen und damit sowohl verwirklichen als auch befestigen 17

Vgl. Franz-Reiner Erkens, Consortium regni – consecratio – sanctitas: Aspekte des Königinnentums im ottonisch-salischen Reich in: Stefanie Dick u. a. (Hgg.), Kunigunde – consors regni. Vortragsreihe zum tausendjährigen Jubiläum der Krönung Kunigundes in Paderborn (1002 – 2002) (= MittelalterStudien 5), München 2004, S. 71 – 82, bes. 80, und Bernd Schneidmüller, Heinrich II. und Kunigunde. Das heilige Kaiserpaar des Mittelalters, ebd., S. 29 – 46, bes. 39. 18 Vgl. dazu Karl Ubl, Der kinderlose König. Ein Testfall für die Ausdifferenzierung des Politischen im 11. Jahrhundert, in: HZ 292 (2011) S. 323 – 363. 19 Vgl. Schneidmüller, Heinrich II. und Kunigunde (wie Anm. 17), S. 39. 20 Vgl. Erkens, Consortium regni (wie Anm. 17), S. 80 und die dort in Anm. 49 verzeichneten Belege, sowie Hoffmann, Mönchskönig (wie Anm. 11), S. 117, und ders., Eigendiktat in den Urkunden Ottos III. und Heinrichs II., in: DA 44 (1988) S. 390 – 423, bes. 400 ff. 21 Vgl. Erkens, Consortium regni (wie Anm. 17), S. 80, und dazu ders., „Notwendige Gefährtin“ und „Teilhaberin der Herrschaft“: Die Königin im hohen Mittelalter, in: Daniela Wawra (Hg.), Genderforschung multidisziplinär, Frankfurt/M. 2007, S. 87 – 100, bes. 99.

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konnte. Der Wirkverbund zwischen König und Bischöfen, der sich über Generationen herausbildete und unter den Ottonen zu einer eigenen Ausgestaltung gelangte, hatte die die Kirchenhoheit übenden Herrscher und die von diesen protegierten und in steigendem Maße mit Gütern und Rechten ausgestattete Reichsgeistlichkeit recht eng miteinander verbunden, ohne daß dieses besondere Verhältnis zu einem sich selbst tragenden, vom königlichen Zentrum aus straff dirigierten und strikt dominierten System geronnen wäre22. Aber diese Gemeinschaft der Gesalbten, die mit rund 35 Bischöfen und einigen herausragenden Äbten überschaubar war, sich zu mehr oder minder großen Teilen in unregelmäßigen Abständen auf Synoden mit dem König treffen und beraten konnte und deren geistliche Mitglieder durch die vom Herrscher empfangene Investitur auf den Monarchen hin zentriert gewesen sind – dieser Kreis von christi Domini war strukturell auf das Königtum hin ausgerichtet, wenn auch die besondere Nähe einiger Bischöfe zum König und deren beachtliche Leistung im Königsdienst, in dem etwa Meinwerk von Paderborn nach einem Wort Heinrichs II. „schwitzte“23, stärker auf persönliche Neigungen und Bindungen zurückzuführen ist. Diese Königsgeistlichkeit bildete die von weltlichen Großen durchsetzte Entourage, wenn der Herrscher an hohen Kirchenfesten, besonders auf Weihnachten, Ostern und Pfingsten, aber auch bei weiteren Anlässen, im vollen Glanz seiner Majestät erschien, unter der Krone, dem Zeichen der Heiligkeit und der Tapferkeit24, ging oder dieses dingliche Symbol sogar in einem eigenen liturgischen Akt aufgesetzt bekam. In solchen Szenen wurde das sakrale Königtum manifest; und die Wirkung, die damit bei den Teilnehmern zu erreichen war, ließ sich noch verstärken und verbreitern durch Prozessionen zwischen zwei Gotteshäusern: einem, in dem die Krone empfangen, und einem, in dem der Gottesdienst zelebriert wurde. Ein unter Heinrich II. bemerkbar werdender Wandel bei der königlichen Gastungsgewohnheit, der zu häufigeren Aufenthalten in Bischofsstädten gerade an den Hochfesten der Christenheit führte, kam dieser Demonstration der sakralen Majestät voll und ganz entgegen, bot die urbane Topographie doch bessere Möglichkeiten für einen würdigen und breitenwirksamen Auftritt und Umzug des Herrschers als eine Königspfalz. Angesichts der Notwendigkeit, in einer Gesellschaft mit nur wenig ausgeprägten Herrschaftsinstitutionen und einer begrenzten Reichweite der Kommunikation Herrschaft persönlich zu repräsentieren 22 Vgl. Rudolf Schieffer, Der ottonische Reichsepiskopat zwischen Königtum und Adel, in: FmaSt 23 (1989) S. 291 – 301, und ders., Der geschichtliche Ort der ottonisch-salischen Reichskirchenpolitik (= Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften: Geisteswissenschaften, Vorträge G352), Opladen 1998. 23 Die Urkunden Heinrichs II, und Arduins, hg. von Harry Bresslau und Heinrich Bloch unter Mitwirkung von M. Meyer und Robert Holtzmann, MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser III, Berlin 1900 – 1903, Nr. 484 (S. 618) und 485 (S. 619); vgl. dazu wie auch zum folgenden Franz-Reiner Erkens, „Nach Art der biblischen Martha“. Bischof Meinwerk im Dienst der Könige, in: Christoph Stiegemann / Martin Kroker (Hgg.), Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Meinwerk von Paderborn, Regensburg 2009, S. 58 – 73, bes. 63. 24 Vgl. den Krönungsordo (wie Anm. 3) S. 257 (§22).

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und augenfällig zu demonstrieren, waren solche Ereignisse von beträchtlicher Bedeutung, führten sie doch nicht nur die religiöse Konnotation des Königtums vor aller Augen, sondern brachten zugleich das Herrschaftssystem, seine Struktur und sein Funktionieren zur Anschauung. In diesen Verhältnissen scheint sich Heinrich wie ein Fisch im Wasser bewegt zu haben25. Wie stark die Wirkung solcher Auftritte auf die Miterlebenden gewesen ist, läßt sich natürlich nicht messen; unbekannt bleibt auch, wie sehr sich der weltliche Adel von ihnen beeindrucken ließ. Unbezweifelbar dürfte es aber sein, daß Heinrich, der ja etliche Konflikte mit Großen seines Reiches auszutragen hatte, aus der prinzipiell akzeptierten Autorität des sakralen Herrschers Nutzen ziehen konnte bei der Bewältigung solcher Differenzen. Den nachfolgenden Generationen jedenfalls und vor allem kirchlichen Reformkräften ist er in bester Erinnerung geblieben, obwohl er sich bei der Handhabung der Kirchenhoheit offenbar kaum unterschied von seinem Nachfolger Konrad II.26, der von den gleichen, dem letzten Liudolfinger äußerst wohlgesonnenen Reformern zum Teil heftig kritisiert worden ist. Die positive Erinnerung an Heinrich II. beflügelte schließlich auch dessen postume Karriere als Heiliger27. Heiligkeit und Sakralität sind keinesfalls deckungsgleiche Größen. Heiligkeit ist ein individuell erworbener Zustand, den Könige wegen des blutigen Handwerks, das sie mitunter auszuüben hatten, lange gar nicht, zumindest nicht in Erfüllung ihrer königlichen Aufgabe erreichen konnten. Sakralität hingegen ist eine eher amtsmäßige Qualität, vergleichbar der päpstlichen Amtsheiligkeit28, von der Gregor VII. etwa ein halbes Jahrhundert nach Heinrichs II. Tode spricht und die nicht primär mit der Person eines Papstes, sondern durch die rechtmäßige Nachfolgerschaft Petri entsteht. Zwar mußte ein sakraler König die von seiner auf Gottesnähe beruhenden Funktion sowie die dadurch geforderten christlichen Normen erfüllen und als Herrscher anerkannt sein, ansonsten aber nicht besonders heiligmäßig sein. Freilich füllte er seine Position in einem besonderen Maße aus, wenn er wie Heinrich II. erkennbar fromm und religiös bewegt war, wenn er als Kirchen- oder gar als Bistumsgründer in Erscheinung trat, als Förderer des Mönchstums und der monastischen Reform wirkte und Aufgeschlossenheit zeigte für geistliche Angelegenheiten. Da Heinrich im Rahmen dieses Vorstellungshorizontes als vorbildlich gelten darf, kann es kaum überraschen, wenn bereits im späteren Verlauf des 11. Jahr25

Vgl. auch Hoffmann, Mönchskönig (wie Anm. 11), S. 113. Vgl. Theodor Schieffer, Heinrich II. und Konrad II. Die Umprägung des Geschichtsbildes durch die Kirchenreform des 11. Jahrhundert, in: DA 8 (1951) S. 384 – 437 [auch sep. Darmstadt 1969: Libelli 285], und dazu Hoffmann, Mönchskönig (wie Anm. 11), S. 64, 71, 124 ff. 27 Vgl. dazu wie zum folgenden Schneidmüller, Heinrich II. und Kunigunde (wie Anm. 17), S. 39 – 43. 28 Vgl. Horst Fuhrmann, Über die „Heiligkeit“ des Papstes, in: ders., Einladung ins Mittelalter, München 1987, S. 151 – 168 und 290, bes. 156 ff. [erstmals 1980, in: Jb. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, S. 28 – 43]. 26

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hunderts von Heinrichs Heiligkeit, von seiner sanctitas, die Rede sein konnte wie etwa bei Adam von Bremen29. Freilich reichte dieses wohlwollende Gedächtnis allein nicht aus, um zur Ehre der Altäre erhoben zu werden. Ein weiteres, ein spezielles Interesse mußte hinzukommen – etwa dasjenige von Gläubigen, welche die Person ihrer Verehrung als Heiligen anerkannt wissen wollten. Allerdings war seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert – anders als in früheren Zeiten – eine Abstimmung mit den Füßen, also durch eine intensive Verehrung, kaum mehr ausreichend für das Heiligwerden eines Verstorbenen. Mittlerweile hatte sich nämlich ein päpstliches Regelwerk, ein kuriales Anerkennungsverfahren von Heiligkeit entwickelt, das sich zu einem Kanonisationsprozeß verdichtete und einerseits für einen normierten und somit vergleichbaren Verlauf von Heiligsprechungen sorgte, diese andererseits aber für die nächsten Jahrhunderte nur noch in einem sehr restringierten Maße zuließ30 – mit anderen Worten: Es war nach der Mitte des 11. Jahrhunderts nicht mehr leicht, heilig zu werden. Wenn die Heiligkeit eines Menschen nicht unmittelbar mit Händen zu greifen war und die Verehrung durch Gläubige allein nicht mehr ausreichte, um zur Ehre der Altäre zu gelangen, wenn darüber hinaus Heinrich II. selbst kaum ein Bewußtsein eigener Heiligkeit besessen31 und sein Wirken auch keine heiligen Spuren hinterlassen hatte, dann brauchte es starker Interessen von anderer Seite, damit der Kaiser in den Heiligenhimmel aufsteigen konnte. Diese Interessen formierten sich im 12. Jahrhundert, getragen von einer prinzipiell positiven Erinnerung an den Herrscher. Die Pflege von dessen Memoria setzte natürlich mit der Beisetzung in Bamberg ein32, am Ort der letzten Ruhe, der seine ganze Bedeutung dem bistumsgründenden und -ausstattenden Wollen des Verstorbenen verdankte. Sie verknüpfte sich mit Reminiszenzen, die im Reich nördlich der Alpen wohlwollend, in anderen Regionen des Imperiums zum Teil deutlich weniger freundlich waren und sogar bis in die Hölle führen konnten, aber in dieser negativen Ausprägung keine Aussicht auf eine meinungsprägende Rezeption in Deutschland besaßen. In Bamberg konnte man gar nicht anders, als sich in treuer Zuneigung und hehrer Verehrung zu erinnern an den kinderlosen Kaiser. Hier fiel es zudem leicht, an seine Heiligkeit zu glauben. Von hier kamen deshalb auch die Anstöße für die Kanonisation. 29 Magistri Adam Bremensis Gesta Hammaburgensis ecclessiae pontificum II 56 (54), hg. von Bernhard Schmeidler, MGH SS rer. Germ. [2] Leipzig 1917, S. 116: … Heinricus imperator, iusticia et sanctitate insignis, … 30 Vgl. Renate Klauser, Zur Entwicklung des Heiligsprechungsverfahrens bis zum 13. Jahrhundert, in: ZRG KA 40 (1954) S. 85 – 191; Otfried Krafft, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation (= AfD, Beiheft 9), Köln 2005, bes. S. 1033 ff.; Schneidmüller, Heinrich II. und Kunigunde (wie Anm. 17), S. 41, sowie Bernhard Schimmelpfennig, Heilige Päpste – päpstliche Kanonisationspolitik, in: Jürgen Petersohn (Hg.), Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter (= Vorträge und Forschungen 42), Sigmaringen 1994, S. 73 – 100, bes. 79 – 82. 31 Vgl. Schneidmüller, Heinrich II. und Kunigunde (wie Anm. 17), S. 38. 32 Vgl. Hoffmann, Mönchskönig (wie Anm. 11), S. 200 f., und Schneidmüller, Heinrich II. und Kunigunde (wie Anm. 17), S. 40.

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Obwohl dieses Bemühen der Bamberger Kirche, die nach Heinrichs II. Tod an den Rand des herrscherlichen Interesses gerutscht war, ebenfalls Nutzen, sogar sehr großen Nutzen brachte, braucht man trotzdem als Triebfeder hinter den Anstrengungen für Heinrichs Heiligsprechung nicht unbedingt einen rein egoistischen Utilitarismus am Werke wähnen. Frommer Sinn und handfestes Kalkül gingen vielmehr wie so oft im Mittelalter eine innige Verbindung ein und lassen sich nicht fein säuberlich scheiden. Der Bamberger Wunsch, nicht nur die Überreste des kaiserlichen Stifters, sondern die Reliquien eines heiligen Kaisers zu hüten, und das dabei verfolgte Interesse an der Aufwertung der eigenen Bedeutung konvergierte mit den Vorstellungen Konrads III., des ersten Herrschers aus staufischem Hause, der später selbst – wenn auch gegen seinen Willen – die letzte Ruhe im Bamberger Dom finden sollte und mit dessen Aufstieg zur Königswürde das östliche Franken wieder stärker zur Königslandschaft wurde. Ihm konnte es nur recht sein, wenn dieser Region in Bamberg ein sakrales Zentrum erwuchs (das, was er nicht wissen konnte, in den folgenden Jahrzehnten durch die Heiligsprechung des Bamberger Bischofs Otto und der Kaiserin Kunigunde, der Gemahlin Heinrichs II., erheblich verstärkt werden sollte) und wenn er einen heiligen Vorgänger bekam. Heilige Könige, deren sanctitas natürlich auch auf das Königsamt und damit auf die Nachfolger ausstrahlte, kamen damals in Mode. Es gab sie allerdings – abgesehen von einigen für die hochmittelalterlichen Dynastien unerheblichen und eher lokal verehrten Heiligen merowingischen und burgundischen Geblüts – bis zum 12. März 1146 hauptsächlich an der Peripherie der lateinischen Christenheit: in den jungen christlichen Königreichen Skandinaviens und Ungarns sowie – schon seit angelsächsischer Zeit – in England33, nicht aber im Zentrum Europas. Dies änderte sich erst mit Heinrichs Heiligwerdung. Konrad III. hatte mithin allen Grund, die Bamberger Ambitionen zu fördern. Heinrichs fromme Taten, in einem erheblichen Maße die Gründung des Bistums Bamberg, dazu die Erinnerung an eine kirchliche Gesinnung und christliche Lebensführung, die sich in der Umdeutung des Leids der Kinderlosigkeit in eine religiöse Tugend widerspiegelt, haben die Heiligkeit des Kaisers fundiert, nicht geschaffen. Geschaffen worden ist sie von einer interessierten Nachwelt. Zeitgenössisch hingegen war sie nicht: weder in der Wahrnehmung der Mitwelt noch im 33 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003) S. 1 – 55, bes. 19 und 53, und ders., Herrschersakralität im Mittelalter, S. 27 und 223, sowie Erich Hoffmann, Politische Heilige in Skandinavien und die Entwicklung der drei nordischen Reiche und Völker, in: Petersohn (Hg.), Politik und Heiligenverehrung (wie Anm. 30), S. 277 – 324, zu den im 11. Jahrhundert und um 1100 heilig gewordenen Königen Olav von Norwegen und Knut von Dänemark bes. S. 281 und 285 f.; Gabór Klawiczay, Königliche und dynastische Heiligkeit in Ungarn, ebd., S. 343 – 361, zu Stefan dem Heiligen bes. 350, und allg. Robert Folz, Les saints rois du moyen âge (VIe-XIIIe siècles) (= Subsidia Hagiographica 68), Bruxelles 1984, bes. S. 23 ff. (zu dem Burgunder Sigismund [† 523]) sowie 26 f., 73 f. und 74 f. (zu den Merowingern Dagobert II. [† 679], Guntram [†592] und Sigibert [† 656], deren Verehrung eher unbedeutend gewesen und erst spät aufgekommen ist).

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eigenen Bewußtsein. Diese Relation ist nicht unwichtig für das angemessene Verständnis der Herrschersakralität im allgemeinen wie ihrer besonderen Ausprägung unter dem letzten Liudolfinger. Sakralität hat nämlich, es sei noch einmal betont, nichts mit persönlicher Heiligkeit zu; wohl aber mit der Nähe zum Göttlichen. Heiligkeit und Sakralität schlossen sich in einem gewissen Sinne sogar aus, beruhte jene doch auf einer individuellen Leistung und Haltung, diese hingegen auf einer Funktion und Würde. Außerdem dürfte kaum ein mittelalterlicher Herrscher, so dicht seine sakrale Aura auch gewesen sein mag, bereits zu Lebzeiten als Heiliger verehrt worden sein, während nach seinem Tode, wenn der König – wie es im Krönungsordo voller Hoffnung heißt34 – an der Seite Christi herrscht, die Sakralität obsolet geworden ist und an ihre Stelle vereinzelt die Heiligkeit treten konnte. Zu Lebzeiten aber gehörte sie zentral zum Königssein hinzu, zumindest zu dem Bild, das man sich von einem König machte, war rechte Königsherrschaft ohne Gott doch nicht vorstellbar. Sakralität ist wohl geglaubte Realität, legitimierende Idee und – insoweit sie eine gewisse Lebens- und Herrschaftsführung erforderte – paränetische Mahnung zugleich gewesen. Sie umgab jeden christlichen König. Heinrich II. jedoch vermochte ihr eine besondere Ausprägung zu geben: Eine persönliche, stark geistlich orientierte Frömmigkeit verdichtete sich im kirchlich-religiösen Handeln zu einer gottesnahen Gottesstellvertreterschaft, die in mehreren Miniaturen eindrucksvoll zur Anschauung gebracht worden ist, seit dem 14. Februar 1014 zwar nicht intensiviert, aber mit kaiserlichem Glanz verbrämt erschien und deren nachwirkenden Äußerungen den überaus frommen und zu Lebzeiten immens sakral erscheinenden Kaiser mehr als hundert Jahre nach seinem Ableben durch fremdes Interesse geleitet in die Heiligkeit hinübergleiten ließen.

34

Vgl. den Krönungsordo (wie Anm. 3) S. 255 und 256 (§§18 und 19).

Gebildete Höflinge und ungebildeter König: Gedanken über den Hof Konrads II. Das berühmte Wort, das den ungebildeten König als einen gekrönten Esel vorstellt1: Rex illiteratus quasi asinus coronatus, ist im Mittelalter gern zitiert worden2 und auch moderne Gelehrte greifen immer wieder auf die bildmächtige Formulierung zurück, um Anspruch und Wirklichkeit mittelalterlicher Herrscherbildung zu erörtern3. Von Geistlichen formuliert, besaß dieser Spruch natürlich immer einen starken paränetischen Charakter, den er selbstverständlich nicht verlor, wenn er einem König in den Mund gelegt wurde. Sprach diesen Satz aber ein König aus oder wurde zumindest behauptet, er sei königlichem Munde entfahren, dann wurde er sofort auch zum Ausdruck royalen Bildungsbewußtseins und Bildungsstolzes. Bildungswillen wird man daher dem ersten Stauferkönig Konrad III. nicht absprechen dürfen, wenn es zutrifft, was Johannes von Salisbury in seinem Policraticus berichtet4, daß Konrad nämlich seinem französischen Amtskollegen Ludwig VII. in einem Schreiben durch Anführung des erwähnten Satzes die Notwendigkeit einer literaten Prinzenerziehung vor Augen habe halten wollen. Wie hoch aber der Bildungsanspruch des Staufers auch immer gewesen sein mag, seine Vorgänger (und natürlich auch Nachfolger) haben ihn zweifellos nur in unterschiedlichem Maße erfüllt.

Erstdruck in: Konrad Ackermann / Hermann Rumschöttel (Hgg.), Bayerische Geschichte, Landesgeschichte in Bayern. Festgabe für Alois Schmid zum 60. Geburtstag I (= ZBLG 68 I), München 2005, S. 305 – 335. 1 William of Malmesbury, Gesta regum Anglorum. The History of the English Kings V 3902, Vol. I ed. and translated by R. A. B. Mynors, completed by R. M. Thomson and M. Winterbottom, Oxford 1998, S. 710. 2 Vgl. Herbert Grundmann, Litteratus – illitteratus. Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter, in: ders., Ausgewählte Aufsätze 3: Bildung und Sprache (= MGH Schriften 25/III), Stuttgart 1978, S. 1 – 66, bes. 52 f. [erstmals 1958, in: AKG 40, S. 1 – 65], sowie die in dem in der folgenden Anm. genannten Werk von J. Fried in Anm. 1 und 2 verzeichneten Hinweise. 3 Vgl. etwa Johannes Fried, In den Netzen der Wissensgesellschaft. Das Beispiel des mittelalterlichen Königs- und Fürstenhofes, in: ders. / Thomas Kailer (Hgg.), Wissenskulturen. Beiträge zu einem forschungsgeschichtlichen Konzept (= Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 1), Berlin 2003, S. 141 – 193, hier S. 141. 4 Johannes Saresberiensis episcopi Carnotensis Policratici sive de nugis curialium et vestigiis Philosophorum lib. IV 6, rec. Clemens C. I. Webb, Vol. I, London 1909, S. 254.

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Hervorragendes leistete dabei ohne Einschränkungen Karl der Große, dem sein Biograph Einhard zwar einerseits die Fähigkeit zu schreiben abspricht5, dem er andererseits aber einen unbändigen Wissensdurst und Bildungsdrang bescheinigt6, eine Offenheit für Wissensvermittlung und Wissenschaft, die der Schreibfähigkeit offenkundig nicht bedurfte und in dem Bemühen um die sog. Karolingische Renaissance nicht nur schöne Früchte trug, sondern auch auf die europäische Wissensgemeinschaft anhaltend und prägend nachwirkte7. Hervorragendes leistete aber auch der letzte Stauferkaiser Friedrich II., der selber naturwissenschaftliche Beobachtungen trieb und sie in seinem Falkenbuch niederlegte8 ; und über das Mittelmaß hinaus ragte ebenfalls der theologisch gebildete Luxemburger Karl IV., der erste königliche Autobiograph des Mittelalters9 und Petrarcas Brieffreund10. Wie hoch freilich bei jedem dieser Kaiser der Stand der Bildung war, wie tief das Wissen, wie breit die Kenntnisse, das läßt sich natürlich nicht exakt berechnen; und es erscheint keinesfalls ausgeschlossen, daß, gemessen an den Normen der Zeit, die Kluft zwischen der Bildung der Herrscher und dem Stand der Wissenschaft angesichts einer sich entwickelnden und ausgestaltenden Wissenskultur11 immer größer wurde im Verlauf des Mittelalters, auch wenn das Bildungsniveau der einzelnen Kaiser immer 5 Vita Karoli Magni c. 25, ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. [25.] 61911, S. 50. 6 Ebd. S. 29 f. (c. 24 und 25). 7 Zur sog. Karolingischen Renaissance und ihrer Bedeutung vgl. Josef Fleckenstein, Die Bildungsreform Karls des Großen als Verwirklichung der Norma rectitudinis, Bigge 1953; Johannes Fried, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschland bis 1024 (= Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994, S. 262 – 324, und ders., Karl der Große, die Artes liberales und die karolingische Renaissance, in: P. Butzer u. a. (Hgg.), Karl der Große und sein Nachwirken (= Wissen und Weltbild), Turnhout 1997, S. 25 – 42. 8 Vgl. etwa Wolfgang Stürner, Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 1220 – 1250, Darmstadt 2000, Kap. 9, und Johannes Fried, … correptus est per ipsum imperatorem. Das zweite Falkenbuch Friedrichs II., in: Rudolf Schieffer (Hg.), Mittelalterliche Texte. Überlieferung – Befunde – Deutungen. Kolloquium der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica am 28./29. Juni 1996 (= MGH Schriften 42), Hannover 1996, S. 93 – 124; ders., Kaiser Friedrich II. als Jäger oder Ein zweites Falkenbuch Kaiser Friedrichs II.?, in: Nachrichten der Akad. d. Wiss. in Göttingen aus dem Jahre 1996, Philol.-hist. Kl., Göttingen 1996 (Nr. 4), S. 115 – 156. 9 Vita Caroli Quarti. Die Autobiographie Karls IV. Einführung, Übersetzung und Kommentar von Eugen Hillenbrand, Stuttgart 1979. 10 Vgl. Ferdinand Seibt, Karl IV. Ein Kaiser in Europa. 1346 – 1378, München 1978, etwa S. 215 – 221 oder 367 – 376; ders. (Hg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, Teil IV, sowie Peter Moraw, Kaiser Karl IV. 1378 – 1978. Ertrag und Konsequenzen eines Gedenkjahres, in: Herbert Ludat / Rainer Christoph Schwinges (Hgg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für Frantisˇek Graus zum 60. Geb. (= Beihefte zum AKG 18), Köln 1982, S. 224 – 318. 11 Vgl. dazu etwa Johannes Fried, Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München 2001, und ders., Die Aktualität des Mittelalters. Gegen die Überheblichkeit unserer Wissensgesellschaft, Stuttgart 22002.

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besser wurde und Friedrich II. ebenso wie Karl IV. den karolingischen Karl an persönlicher Bildung überragt haben sollten. Wenn der Königshof allerdings ein Hort des Wissens in weitestem Sinne12, in der Regel jedoch wohl weniger ein Ort der theoretischen Wissenschaft als einer praktischen Wissenskultur im Sinne von Wissen als einer ,verfügbaren Erfahrung‘13, gewesen ist, wenn an ihm die Fäden jeglichen Wissens zusammenlaufen und praktischen Bedürfnissen nutzbar gemacht werden konnten, wenn sich hier künstlerisches Können äußerte und Kunst wie Kenntnisse kulturell wirksam wurden und dabei sozialen Wandel zugleich widerspiegelten und beförderten, dann hing die Intensität dieser Wirkung und deren Ausstrahlung wohl weniger vom persönlichen Bildungsstand der Herrscher als von deren Fähigkeit ab, ihren Hof für gelehrte Geister attraktiv und zum Zentrum kulturellen Austauschs zu machen. Wieder ist es der schreibunkundige Karl der Große gewesen, der hierbei Vorbildliches leistete und mit der sog. Hofakademie14 einen Kreis von Künstlern und Gelehrten um sich scharte, die dem Herrscher freundschaftlich verbunden waren und deren Einwirken auf die Vorstellungen wie auf das Handeln des Karolingers nicht unbeachtet bleiben darf. Dem Hof an sich fiel mithin eine entscheidende Rolle bei der Konzentration, Nutzung und Distribution jeglichen Wissens zu. Der Hof, alltäglicher Lebensraum der königlichen Familie ebenso wie zentrales Regierungsinstrument des Herrschers15, hat ob seiner politischen und gesellschaftlichen Bedeutung wiederholt die besondere Aufmerksamkeit der historischen Forschung auf sich gezogen16 ; seine Struktur und Verwaltung, seine wechselnde personelle Zusammensetzung, die gelegentliche Weitung zum Hoftag und zur Reichsversammlung sind dabei ebenso thematisiert worden wie die Kunst, die für 12

Vgl. dazu Johannes Fried / Thomas Kailer, Einleitung: Wissenskultur(en) und gesellschaftlicher Wandel. Beiträge zu einem forschungsstrategischen Konzept, in: dies. (Hgg.), Wissenskulturen (wie Anm. 3), S. 7 – 19, bes. 10 f. und 15 ff.; J. Fried, In den Netzen der Wissensgesellschaft (wie Anm. 3), passim (etwa S. 165: „Wissen in jeglicher Gestalt“). 13 Fried/Kailer, Einleitung (wie Anm. 12), S. 10: „Wissen ist … verfügbare Erfahrung, die … in allen Lebensbereichen angesiedelt ist“. 14 Vgl. Josef Fleckenstein, Karl der Große und sein Hof, in: ders., Ordnungen und formende Kräfte des Mittelalters. Ausgewählte Beiträge, Göttingen 1989, S. 28 – 66 [erstmals 1965, in: Wolfgang Braunfels (Hg.), Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben I: Persönlichkeit und Geschichte. Hg. von Helmut Beumann, Düsseldorf, S. 24 – 50]. 15 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Territorialpolitisches Wirken und landesherrliches Regiment Wolfgers von Erla als Bischof von Passau (1191 – 1204), in: Egon Boshof / Fritz Peter Knapp (Hgg.), Wolfger von Erla. Bischof von Passau (1191 – 1204) und Patriarch von Aquileja (1204 – 1218) als Kirchenfürst und Literaturmäzen (= Germ. Bibl., 3. Reihe, Bd. 20) Heidelberg 1994, S. 43 – 67, bes. 55 – 58; ders., Der Braunschweiger Welfenhof. Bericht über ein neues Buch, in: Ostbair. Grenzmarken 38 (1996) S. 193 – 200. 16 Vgl. Bernd Schneidmüller (Hg.), Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof im hohen Mittelalter (= Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 7), Wiesbaden 1995; Peter Moraw (Hg.), Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter (= Vorträge und Forschungen 48), Stuttgart 2002.

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ihn hervorgebracht wurde17, und das Mäzenatentum18, das an ihm gedeihen konnte. Allerdings konzentrierte sich diese Betrachtung vorwiegend auf das Hoch- und Spätmittelalter, während die Zeit vor der Jahrtausendwende dabei kaum in den Blick geriet, obwohl aus der karolingischen Epoche die erste mittelalterliche Reflexion über die Ordnung des Herrscherhofes erhalten ist19 und die soziale wie kulturelle Ausstrahlung der Hofgesellschaft des großen Karl20 wie seines gleichnamigen Enkels aus Westfranken21 natürlich nicht unbemerkt blieb. Ansonsten fließen die Informationen über den ostfränkischen, ottonischen und salischen Königshof recht spärlich, weswegen es verständlich ist, wenn ein modernes Nachschlagewerk über den mittelalterlichen Königshof erst mit der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert einsetzt22. Das bedeutet angesichts des Mangels anderer Gesamtdarstellungen über den Königshof des 10. und 11. Jahrhunderts23 aber auch, daß man sich die Informationen mühsam zusammensuchen muß, wenn man Einblicke in den Hof Konrads II., des ersten Salierkaisers24, gewinnen will. 17

Vgl. Robert Suckale, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993. Vgl. dazu Joachim Bumke, Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150 – 1300, München 1979, und Hiltrud WestermannAngerhausen, Heinrich der Löwe – ein Mäzen, in: Johannes Fried und Otto Gerhard Oexle (Hgg.), Heinrich der Löwe. Herrschaft und Repräsentation (= Vorträge und Forschungen 57), Ostfildern 2003, S. 1 – 26, sowie Franz-Reiner Erkens, Heinrich der Löwe 1995 – Diskussion und Perspektiven. Eine Zusammenfassung, ebd., S. 427 – 449, bes. 431 f. 19 Hinkmar von Reims, De ordine palatii, hg. und übers. von Thomas Gross und Rudolf Schieffer, MGH Fontes iur. Germ. ant. 3, Hannover 1980. 20 Vgl. Anm. 7 und 14. 21 Vgl. Nikolaus Staubach, Rex christianus. Hofkultur und Herrschaftspropaganda im Reich Karls des Kahlen II: Die Grundlegung der ,religion royale‘ (= Pictura et Poesis 2 II), Köln 1993; Margaret T. Gibson / Janet L. Nelson (Hgg.), Charles the Bald: Court and Kingdom, London / New York 21990; Egon Boshof, Karl der Kahle – novus Karolus magnus?, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Karl der Große und das Erbe der Kulturen, Berlin 2001, S. 135 – 152. – Über den Hof von Karls Halbbruder Ludwig dem Deutschen wird man immerhin soviel sagen dürfen, daß, wenn er auch nicht die Strahlkraft des westfränkischen Königshofes erreichte und kaum besondere Impulse von ihm ausgingen, er wohl nicht zuletzt wegen der persönlichen Bildung des Herrschers trotzdem ein Anziehungspunkt für Gelehrte und Künstler war; vgl. dazu Wilfried Hartmann, Ludwig der Deutsche, Darmstadt 2002, S. 212 – 235, bes. 233. 22 Werner Paravicini (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch I: Dynastien und Höfe (= Residenzenforschung 15 I), Ostfildern 2003. – Zum Hof Friedrich Barbarossas vgl. Peter Ganz, Friedrich Barbarossa: Hof und Kultur, in: Alfred Haverkamp (Hg.), Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers (= Vorträge und Forschungen 40), Sigmaringen 1992, S. 623 – 650, und Peter Johanek, Kultur und Bildung im Umkreis Friedrich Barbarossas, ebd. S. 651 – 677. 23 Vgl. Egon Boshof, Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 27), München 21997. 24 Zu diesem wie zu den folgenden Ausführungen vgl. immer noch Harry Bresslau, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Konrad II., 2 Bde., Leipzig 1879/1884, sowie Ernst Trillmich, Konrad II. und seine Zeit, hg. von Otto Bardong, Bonn 1991; Herwig Wolfram, 18

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Dessen Hof verdient unter verschiedenen Aspekten eine gewisse Beachtung. Einmal ist er eines jener institutionellen Gebilde aus dem früheren Mittelalter, die nach allem, was wir wissen, und anders als die Hofgesellschaften des karolingischen und luxemburgischen Karl und des staufisch-normannischen Friedrich keine besondere Ausstrahlung entfaltet haben. An ihm läßt sich daher jenseits der beschriebenen höfischen Gipfelleistungen das forschungsgeschichtliche Konzept des Herrscherhofes als eines Focus der Wissenskultur25 gleichsam wie an einem Normalfall (den es aber im eigentlichen Sinne wahrscheinlich nie gegeben hat) überprüfen. Wir erhoffen also Einblicke in den nur mäßig dokumentierten Alltag eines nachkarolingischen und vorstaufischen Königshofes. Einen besonderen Akzent erhält diese Alltagswirklichkeit durch den Umstand, daß Konrads Hof trotz aller von der Forschung erwiesenen Kontinuität zwischen der spätottonischen und der frühsalischen Zeit26 durch den neuen König eine über das bei jedem Thronwechsel wohl übliche Maß hinausgehende Neuausrichtung erfuhr, wofür freilich weniger der Dynastiewechsel verantwortlich gewesen sein dürfte, sondern eher die Berufung eines Mannes zur Königswürde, der für die hohe Aufgabe nicht eigens erzogen worden war. Es sollen daher (so gut dies geht) in den folgenden Ausführungen die persönlichen Interessen und Ambitionen des Königs, die sich in der höfischen Wissenskultur bemerkbar machen können, unterschieden werden von den allgemeinen Vorstellungen und Äußerungen einer strukturell vorgeprägten Hofelite. Im einzelnen wird dabei die Frage gestellt nach dem persönlichen Bildungsstand und Bildungsinteresse des Saliers und deren gestaltende Einflüsse auf die Hofgesellschaft und schließlich dem Problem nachgegangen, inwieweit das geistliche Hofpersonal prägenden Anteil hatte an der höfischen Wissenskultur. In diesem Zusammenhang steht natürlich das institutionelle Verwaltungswissen (und zwar in weitestem Sinne) im Zentrum der Betrachtung. Beginnen wir mit dem König selbst! Der Stammvater der salischen Herrscherdynastie, in deren Tradition sich ja bekanntlich die Staufer stellten27, der namensgleiche Vorfahre des bildungsbewußten Konrad III. also, hat hinsichtlich seiner

Konrad II. 990 – 1039. Kaiser dreier Reiche, München 2000, und Franz-Reiner Erkens, Konrad II. (um 990 – 1039). Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Regensburg bzw. Darmstadt 1998. 25 Vgl. Anm. 12. 26 Vgl. Theodor Schieffer, Heinrich II. und Konrad II. Die Umprägung des Geschichtsbildes durch die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts (= Libelli 285), Darmstadt 1969 [erstmals 1951, in: DA 8, S. 384 – 437]. 27 Vgl. etwa Karl Schmid, „De regia stirpe Waiblingensium“. Bemerkungen zum Selbstverständnis der Staufer, in: ders., Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge, Sigmaringen 1983, S. 454 – 466 [erstmals 1976, in: ZGOrh 124, S. 63 – 73], und Odilo Engels, Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert (I), in: ders., Stauferstudien. Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert. Hg. von Erich Meuthen und Stefan Weinfurter, Sigmaringen 21996, S. 32 – 115 [erstmals 1971, in: DA 27, S. 373 – 456].

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eigenen Bildung keinen allzu guten Ruf. Dem Chronisten von Novalese28 galt er, freilich nicht zuletzt, weil er mißliebige Verfügungen getroffen hatte, als „unerfahren in allen Wissenschaften und unwissender Mensch“, als rex idiota also, und die moderne historische Forschung neigt zumindest in Teilen dazu29, diesem Urteil zu folgen. Aber auch der dem Kaiser wohlgesonnene Biograph Wipo vermag Konrads mangelndes Gelehrtenwissen, das Fehlen einer lateinischen – und das meint natürlich: einer höheren – Ausbildung nicht zu verschweigen, weswegen er freimütig erklärt, dem Kaiser habe jegliche wissenschaftliche Bildung gefehlt30: enim litteras ignoraret. Daher kann Konrads fehlendes Interesse an theologischen Disputen ebensowenig überraschen wie der offenkundig weitgehend unmusische Zuschnitt seiner Hofgesellschaft. Ob sich der Salier die ihm von seinem Kapellan und späteren Biographen gewidmeten lateinischen Verse31 jemals hat vortragen lassen und, wenn ja, ob er sich dabei langweilte oder nicht, wissen wir zwar nicht32, aber sein Hof ist niemals zum Ausgangspunkt starker wissenschaftlicher oder kultureller Impulse geworden und steht damit im deutlichen Gegensatz zum Hofe des großen Karl, in dessen Tradition Wipo seinen Helden ansonsten stellt, wenn er das Sprichwort anführt, nach dem an Konrads Sattel die Steigbügel des ersten Karolingerkaisers gehangen haben sollen33. Allein die Kaiserin, die karolingerblütige Gisela, zeigte einmal geistige Interessen, als sie in St. Gallen um Abschriften von Werken des 1022 verstorbenen Notker Labeo bat34, aber dieser vereinzelte Wunsch macht Giselas und ihres Gemahls Hofgesellschaft noch lange nicht zu einem Musenhof. War Konrad II. also ein asinus coronatus, vor dem sein gleichnamiger Nachfolger gut hundert Jahre später gewarnt haben soll? Wohl kaum! Denn einerseits wäre der Salier dann nicht in so vielen anderen Bereichen erfolgreich gewesen35, und andererseits hätten in diesem Falle er und seine Gemahlin (der Harry Breßlau dabei allerdings in der Nachfolge Wipos einen Vorrang einräumt36) den Sohn und Thronfolger Heinrich III. kaum so sorgfältig, und das meint eben auch: literat37, ausbilden lassen – durch Gelehrte aus der Ferne, zu 28 Chronicon Novalicense App. c. 17, ed. Carlo Cipolla, Monumenta Novalicensia vetustiora 2 (= Fonti per la storia d’Italia 32), Roma 1901, S. 304: per omnia litterarum inscius atque idiota; vgl. dazu Grundmann, Litteratus (wie Anm. 2), S. 12 f., und Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 201 f. 29 Vgl. Hartmut Hoffmann, Mönchskönig und rex idiota. Studien zur Kirchenpolitik Heinrichs II. und Konrads II. (= MGH Studien und Texte 8), Hannover 1993. 30 Gesta Chuonradi II c. 6, ed. Harry Bresslau, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 28. 31 Ebd. S. 29, 49 und 53 (c. 6. 30 und 33); vgl. ebd. S. X f. 32 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 201 – 214. 33 Gesta Chuonradi II c. 6, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 28 f. 34 Vgl. Bresslau, Jbb. I, S. 221, und Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 213. 35 Vgl. dazu etwa ebd. S. 214 und Wolfram, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 337 – 357. 36 Vgl. Jbb. II, S. 343, und Tetralogus V. 154 – 171, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 80. 37 Vgl. ebd. S. 344 und Ernst Steindorff, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich III., Bd. I, Leipzig 1874, S. 11 f., und Bd. II, Leipzig 1881, S. 361.

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denen wohl neben Almerich Ursus, dem späteren Mönch von S. Pietro in Cielo d’Oro und Abt des in der Sabina gelegenen Königsklosters Farfa, auch der aus dem burgundischen Reich stammende Hofkapellan Wipo gerechnet werden kann38. Konrads mangelnde Schulbildung, also hauptsächlich die fehlende Kenntnis des Lateinischen, die den Zugang zur höheren Bildung verschloß, war zudem ja auch nur die schlichte Folge eines Werdeganges, an dessen Ende ursprünglich nicht das Königtum stand. Selbst wenn es zutrifft, daß der Salier für eine kurze Zeit von dem Wormser Bischof und Kanonisten Burchard erzogen worden ist39, so diente das Bemühen dieses geistlichen Herrn doch nicht der Ausbildung eines künftigen Klerikers. Konrad scheint vielmehr alles gelernt zu haben, was er als Mitglied einer bedeutenden Adelsfamilie benötigte, also vor allem praktische Fertigkeiten und grundlegende Fähigkeiten, die er als Grundeigentümer und Heerführer benötigte40 und durch Erfahrung verfeinerte. Eine literate Komponente jedoch gehörte üblicherweise nicht dazu. Diese ist im früheren Mittelalter – und das bleibt durchaus festzuhalten – für eine erfolgreiche Königsherrschaft offenbar auch nicht nötig gewesen (wenngleich sie zumindest aus geistlicher Sicht das Idealbild eines Königs vervollständigte und daher für Königssöhne verpflichtend war). Für die Vorstellung vom Königshof als einem Schnittpunkt der mittelalterlichen Wissenskultur bedeutet dies, daß intensive Bildungsinteressen der Herrscher dem höfischen Getriebe zwar einen besonderen Glanz und eine eigene Ausstrahlung verliehen, daß sie aber keinesfalls eine zwingende Voraussetzung waren für die wissenskulturelle Funktion eines Herrscherhofes41. 38

Vgl. Bresslau, Jbb. II, S. 343. Zu Almerich vgl. Il Chronicon Farfense di Gregorio di Catino, Vol. II, ed. Ugo Balzani (Fonti per la Storia d’Italia 34), Roma 1903, S. 107 (… litteris optime eruditum et ecclesiasticis doctrinis magnifice imbutum, qui etiam eundem imperatorem liberales apices studuerat edocere.), sowie Ildefonso Schuster, L’imperiale abbazia di Farfa. Contribuito alla storia del ducato Romano nel medio evo, Roma 1921, S. 185. Die Chronik ist allerdings mehr als ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen geschrieben worden (vgl. Repertorium fontium historiae medii aevi V, Rom 1984, S. 223 f.), so daß die Exaktheit der Nachricht – zumal weitere Quellen fehlen – nicht mehr überprüft werden kann; auch muß offen bleiben, wann genau der Unterricht durch Almerich stattgefunden hat, so daß Heinrichs III. Unterweisung in den Artes nicht zwingend zum ,Schulprogramm‘ dazugehört haben muß, sondern erst später (u. U. sogar erst nach 1039) erfolgte. In diesem Fall würde die Nachricht aber immerhin vom, wohl nicht zuletzt durch die Erziehung geprägten Bildungsdrang des Saliers zeugen. 39 Vita Burchardi episcopi c. 7, ed. Georg Waitz, MGH SS 4, Hannover 1841, S. 835; vgl. dazu Tilmann Schmidt, Kaiser Konrads Jugend und Familie, in: Karl Hauck / Hubert Mordek (Hgg.), Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter. Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geb., Köln / Wien 1978, S. 312 – 324, bes. 313 und 317 f., sowie Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 30. 40 Vgl. dazu etwa Heinrich Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts. Studien über Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich, München 1992 [erstmals Stuttgart 1984], S. 190 – 193. 41 Vgl. dazu auch die Bemerkung von Johanek, Kultur und Bildung (wie Anm. 22), S. 652: „Ein illiterater Herrscher … hat nicht von vornherein die Entfaltung höfischer und geistiger Kultur in seinem Umfeld behindert“.

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Dessen Ordnung und personelle Zusammensetzung sind freilich für die frühsalische Zeit kaum bekannt. Der sich in seinem Bestand durch ein dauerndes Kommen und Gehen von hochrangigen Gästen beständig verändernde Hof in weiterem Sinne42 läßt sich, vor allem in den Zeiten, in denen er sich zum Hoftag weitet, noch relativ gut fassen, geben Petenten- und Intervenientennennungen in den Herrscherurkunden sowie weitere Quellen doch genügend Auskunft über ihn, der Hof im engeren Sinne jedoch bleibt – mit Ausnahme seines geistlichen Teils – weitgehend schemenhaft. Um seine Bedeutung weiß zwar Konrads Biograph Wipo, weswegen er ihm in den Gesta Chuonradi auch ein eigenes Kapitel widmet (nämlich das vierte43 : De dispositione curiali et de regina), doch füllt er es inhaltlich vor allem mit einer Eloge über die Königin Gisela, der er wegen ihrer Klugheit und Schönheit uneingeschränkte Bewunderung zollt und die dem König als necessaria comes44 unentbehrlich zur Seite stand45 : als Gefährtin und Ratgeberin. Über die eigentliche Organisation des königlichen Haushalts hingegen berichtet der Kapellan – außer daß die Bischöfe Bruno von Augsburg, der Bruder des verstorbenen Kaisers Heinrich II., und Werner von Straßburg, ein Schulfreund des verstorbenen Herrschers, den neuen König anfänglich zusammen mit einem kampferprobten, ansonsten aber nicht näher bekannten miles Werner umsichtig berieten – nur mit allgemeinen Wendungen46 : „Ebenso brauchen wir nicht lange bei der Hofordnung zu verweilen, wen der König als Majordomus einsetzte, wen er zu Kämmerern, Truchsessen, Mundschenken und anderen Ämtern ernannte; ich kann kurz feststellen, soviel ich weiß und gelesen habe: unter keinem seiner Vorgänger waren diese Ämter besser und würdiger besetzt“. Von diesem ,Personal‘ bekannt sind freilich nur ein Truchseß namens Konrad und ein Kämmerer mit Namen Liudolf47. 42 Zu der Unterscheidung eines engeren von einem weiteren Hof vgl. die in Anm. 15 verzeichnete Literatur. 43 MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 24 – 26. 44 Ebd. S. 25. 45 Zur Bedeutung der Königin als Gefährtin des Königs in der Herrschaft vgl. Franz-Reiner Erkens, Die Frau als Herrscherin in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: Anton von Euw / Peter Schreiner (Hgg.), Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin II, Köln 1991, S. 245 – 259; Kurt-Ulrich Jäschke, Notwendige Gefährtinnen. Königinnen der Salierzeit als Herrscherinnen und Ehefrauen im römisch-deutschen Reich des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts (= Historie und Politik 1), Saarbrücken 1991, und Amalie Fössel, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume (= Mittelalter-Forschungen 4), Stuttgart 2000. 46 Die Übersetzung ist entnommen den Quellen des 9. und 11. Jahrhunderts zur Geschichte der hamburgischen Kirche und des Reiches, neu übertragen von Werner Trillmich, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 11, Darmstadt 1978, S. 551, der Text von Wipo lautet (MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 24): Similiter in dispositione curiali, quem rex maiorem domus statueret, quos cubiculariorum magistros, quos infertos et pincernas et reliquos officiarios ordinaret, diu non est supersedendum, cum illud breviter dicere possim, quod nullius antecessoris sui ministeria aptius et honorificentius provisa memini vel legi. 47 Vgl. Bresslau, Jbb. II, S. 360 mit Anm. 5; Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 126, und Wolfram, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 70.

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Besser hingegen steht es um unsere Kenntnisse über die zur Geistlichkeit gehörenden Höflinge Konrads, die, wie seit der Karolingerzeit üblich48, zusammengefaßt waren in der Hofkapelle, der einzigen wirklich und dauerhaft ausgestalteten Institution am Herrscherhof. Als deren Mitglieder sind (von Josef Fleckenstein) für Konrads Regierungszeit erfaßt oder erschlossen worden49: Alberich (der spätere Bischof von Osnabrück), der spätere Hamburger Erzbischof Alebrandus-Bezelin, Brun (ein Verwandter des Saliers, der schließlich Bischof von Toul und als Leo IX. Papst wurde), der italische Kanzler, spätere Bischof von Würzburg und Vetter Konrads II. Bruno, ein weiterer Bruno (der der Bruder des sächsischen Pfalzgrafen Siegfried gewesen ist und in Minden Bischof wurde), der Kanzler für deutsche Angelegenheiten und spätere Bischof Burchard von Halberstadt, Ebbo/Eppo (der Bruder des Bischofs Warmann von Konstanz), Eppo/Eberhard (als Nachfolger des Kaiserbruders Brun Bischof von Augsburg), der missus in Italien50 und spätere Bischof von Eichstätt Gezeman, der italische Kanzler Hermann (ein Sohn des lothringischen Pfalzgrafen Ezzo und über die Mutter ein Enkel Ottos II., der schließlich Erzbischof von Köln wurde), Hunold (der spätere Bischof von Merseburg), der italische Kanzler und spätere Bischof von Parma Hugo, der spätere Bischof von Arezzo Immo, der italische Kanzler und Bischof von Naumburg Kadeloh, der dänische Priester (Kapellan Gunhilds, der ersten Gemahlin des Thronfolgers Heinrichs III.) und spätere Bischof von Hildesheim Thietmar (Tymme), die Kanzler für deutsche Angelegenheiten Theoderich (der spätere Bischof von Basel) und Udalrich, der spätere Bischof von Lüttich Wazo, der Oheim des Königs und spätere Bischof von Straßburg Wilhelm (der archicapellanus reginae51 und Bruder des 999 verstorbenen Papstes Gregor V.) und der später gegen Erzbischof Aribert von Mailand auf die cathedra der oberitalienischen Metropole erhobene Italiener Ambrosius. Schließlich sind noch die nicht zu bischöflichen Ehren gelangten Kapelläne Hagano (wohl aus einer ,hessischen‘ Familie stammend), der gelehrte italienische Kleriker Hugo aus Parma (der nicht mit dem gleichnamigen Bischof und Kanzler identisch ist) und der Geschichtsschreiber und Prinzenerzieher Wipo52 zu nennen. Darüber hinaus gehörten Konrads Kapelle vielleicht auch noch der unter seinem Vorgänger und Nachfolger genannte Azeli48 Vgl. Josef Fleckenstein, Die Hofkapelle der deutschen Könige I: Grundlegung. Die karolingische Hofkapelle (= MGH Schriften 16/I), Stuttgart 1959. 49 Vgl. ders., Die Hofkapelle der deutschen Könige II: Die Hofkapelle im Rahmen der ottonisch-salischen Reichskirche (= MGH Schriften 16/ II), Stuttgart 1966, S. 190 – 198, 203 – 208 und 223 – 230, sowie Harry Bresslau, MGH Die Urkunden Konrads II. mit Nachträgen zu den Urkunden Heinrichs II., Hannover und Leipzig 1909, S. XI-XVIII, und allg. auch Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 127 – 131, sowie Wolfram, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 70 f. 50 I placiti del „Regnum Italiae“ III, a cura di Cesare Manaresi (= Fonti per la storia d’Italia 97), Roma 1960, S. 77 Nr. 347 (1038 Feb. 6: Ego Gezemannus domni Chuonradi imperatoris serenissimi capellanus et missus Placentinus subscripsi). 51 Ann. Hildesheim. a. 1029, hg. von Georg Waitz, MGH SS rer. Germ. [8.] 1878, S. 35. 52 Gesta Chuonradi II (epistola ad regem Heinricum), MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 3: non potui in capella senioris mei Chuonradi frequenter adesse.

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nus/Eccelinus an sowie die Bischöfe Adalfred von Bologna, Azecho von Worms, Hermann von Hamburg, Hermann von Münster, Heinrich von Ivrea, Udalrich von Basel und Walter von Verona. Mit dieser Gruppe von knapp dreißig Personen wird wahrscheinlich nur ein Teil des tatsächlichen Personalbestands der frühsalischen Kapelle sichtbar53, doch blieb – das machen selbst die nur eingeschränkten Kenntnisse über deren Zusammensetzung deutlich – die Hofgeistlichkeit Konrads II. nach (hoch)adeliger Herkunft und zeitgemäßer Bildung kaum hinter den Mitgliedern der Kapelle des ,Mönchskönigs‘54 und letzten Liudolfingers Heinrich II.55 zurück56. Sie bildete als Personenverband ein Netzwerk, das die Kirchen im Reich, indem diese Angehörige ihrer Kapitel an den Hof entsandten und von dort ihr Oberhaupt oder neue Kapitelangehörige empfingen, untereinander und mit dem Königshof verknüpfte sowie allgemeines Wissen und geistliche Bildung an den Hof brachte und zum Teil den Charakter eines hochadelig-königlichen Verwandtenkreises besaß. Die geistig-geistliche Kompetenz, die hier versammelt war, war dem Herrscher nicht nur für die Feier der Hofgottesdienste nützlich und bei praktischen Fragen der Herrschaftsausübung im Reich, sondern sie diente ihm auch zur Beratung – in allgemeinen wie vornehmlich auch in geistlichen Angelegenheiten (etwa auf Synoden oder bei dem Streit um die zeitlich richtige Feier des Advents, der im Dezember 1038 entschieden wurde57). Es war eine ,international‘ zusammengesetzte Runde, zu der neben Geistlichen aus dem salisch-deutschen Reich auch der aus dem burgundischen Regnum stammende Wipo, der aus dem skandinavisch-angelsächsischen Imperium Knuts des Großen in Begleitung der Prinzessin Gunhild, der Braut des Thronfolgers, an den salischen Hof gekommene Tymme-Thietmar und natürlich eine Reihe von italischen Klerikern58 zählten. Konrads Kapelle verband den Königshof also mit allen Teilen des Reiches und war – gerade mit Blick auf Italien – auch ein Ort, über den Wissen und Informationen aus den fernen Gegenden des Imperiums am Hof zusammenflossen, aber auch distribuiert werden konnten; sie repräsentierte damit zugleich und gleichsam institutionell die Weltoffenheit der frühsalischen Hofgesellschaft, die es dem aus Italien stammenden, aber nicht zur Kapelle gehörenden 53

Vgl. Fleckenstein, Hofkapelle II (wie Anm. 49). Vgl. den Titel des in Anm. 29 genannten Buches. 55 Zu diesem vgl. Stefan Weinfurter, Heinrich II. (1002 – 1024). Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 1999. 56 Vgl. Fleckenstein, Hofkapelle II (wie Anm. 49), S. 191 und 196. 57 Vgl. Heinz Wolter, Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056, Paderborn 1988, S. 315 – 344 und 353 – 361, bes. 359 ff. 58 Zu den Beziehungen zwischen den nord- und südalpinen Teilen des Reiches vgl. jetzt die groß angelegte und zu wichtigen Einsichten gelangende Untersuchung von Wolfgang Huschner, Transalpine Kommunikation im Mittelalter. Diplomatische, kulturelle und politische Wechselwirkungen zwischen Italien und dem nordalpinen Reich (9.–11. Jahrhundert) (= MGH Schriften 52 I-III), Hannover 2003, zu den Italienern am Hofe Konrads bes. II, S. 836 ff., 843 f. und 856 – 913. 54

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Abt Rudolf (Rotho) von Hersfeld59, einem engen Mitarbeiter des Klosterreformers Poppo von Stablo60, im Jahre 1036 ermöglichte, als Nachfolger des bedeutenden Meinwerk Bischof von Paderborn zu werden, und die sogar eine jüdische Dimension besaß, denn ein Arzt Konrads war Jude61. Die kulturellen Interessen der Hofgeistlichkeit lassen sich im einzelnen natürlich nur schwer fassen62. Einige Kapelläne machten sich später als Bischöfe jedoch einen Namen als Büchersammler und Förderer der Wissenschaft63. Dem aus vornehmer bayerischer Familie stammenden Kanzler Burchard wird zudem ganz allgemein eine exzellente Bildung bescheinigt, die Konrad veranlaßt haben soll, ihn an den Hof zu berufen64; der italische Kanzler Bruno ist der Autor eines Psalmenkommentars65, der Parmese Hugo wußte, sich ein Astrolabium66 aus reinstem Silber zu besorgen67, und besaß daher, da er als ambitioniert in den freien Künsten galt, wohl auch astronomische Kenntnisse, und sowohl Bruno von Toul68 als auch der Kaiserbiograph Wipo69, dieser als Schöpfer einer Ostersequenz, haben sich um den 59

Vgl. Fleckenstein, Hofkapelle II (wie Anm. 49), S. 228. Zu dessen Bedeutung für den König vgl. Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 203 f., vgl. auch Wolfram, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 311 – 324. 61 Anselmi Gesta epp. Leodiensium c. 44, ed. Rudolf Koepke, MGH SS 7, Hannover 1846, S. 216: Iudeus quidam in arte medecinae praecipuus et ob hoc imperatori Cuonrado satis acceptus, dem es im übrigen nicht schadete, daß er in einer am Königshof geführten Glaubensdisputation dem Wazo von Lüttich unterlag. 62 Zur schulischen Bildung der Bischöfe allg. vgl. Herbert Zielinski, Der Reichsepiskopat in spätottonischer und salischer Zeit (1002 – 1125) I, Stuttgart 1984, S. 74 – 125, bes. 103 – 106. 63 Vgl. Fleckenstein, Hofkapelle II (wie Anm. 49), S. 198. 64 Gesta epp. Halberstad., ed. Ludwig Weiland, MGH SS 23, Leipzig 1925, S. 94. 65 Hermann Knaus, Der heilige Bischof Bruno von Würzburg und sein Psalmenkommentar, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 37/38 (1975) S. 143 – 147, und Alfred Wendehorst, Das Bistum Würzburg I: Die Bischofsreihe bis 1254 (= Germania Sacra NF I 1), Berlin 1962, S. 92 – 100 (wo auf S. 98 noch die von Knaus widerlegte Ansicht vertreten wird, es handele sich bei diesem Psalmenkommentar um ein Produkt aus der Mitte des 12. Jahrhunderts). 66 Zur Intensivierung der astronomischen Bemühungen seit der ersten Jahrtausendwende vgl. Werner Bergmann, Innovationen im Quadrivium des 10. und 11. Jahrhunderts. Studien zur Einführung von Astrolab und Abakus im lateinischen Mittelalter (= Sudhoffs Archiv, Beiheft 26), Stuttgart 1985, und Arno Borst, Astrolab und Klosterreform an der Jahrtausendwende (= SBB der Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., Jg. 1989, Bericht 1), Heidelberg 1989, S. 73 f. (zum folgenden). 67 Petrus Damiani opus 45 c. 6, ed. Migne PL 145, Paris 1853, S. 700 (Ugo … tantae fuit ambitionis in artium studiis, ut astrolabium sibi de clarissmo provideret argento …). 68 Vgl. Leonis IX vita I 13, ed. Johann Matthias Watterich, Pontificum Romanorum vitae I, Leipzig 1862, S. 143 f.; vgl. dazu Pierre-Paul Brucker, L’Alsace et l’Église au temps du pape saint Léon IX (Bruno d’Egisheim) 1002 – 1054, Bd. I, Strasbourg 1889, S. 119 ff.; Bd. II Strasbourg 1889, S. 442, und Peter Wagner, Einführung in die Gregorianischen Melodien III. Gregorianische Formenlehre. Eine choralische Stilkunde, Leipzig 1921, S. 439 und 455. 69 Vgl. Bresslau, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. XI und 65. 60

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Kirchengesang gekümmert. Thietmar, dem Kapellan der nordischen Prinzessin Gunhild, wurde nach der Übertragung der als Ausbildungsstätte gerade für den geistlichen Reichsdienst berühmten Bischofskirche von Hildesheim70 zwar eine nur mangelhafte Bildung nachgesagt71, doch traf ein solches Verdikt – vorausgesetzt, der Vorwurf wurde zu Recht erhoben – sicherlich nicht auf die Mehrheit der Hofkapelläne zu. Im Gegenteil! Die 1046/47 von Anselm von Besate gleichsam als Empfehlungsschreiben für eine Aufnahme in die Hofkapelle begonnene Rhetorimachia72 zeigt mit all ihrem Bildungsprunk, wie sehr es am Hofe Heinrichs III. geschätzt wurde, wenn die Kapelläne gediegene Kenntnisse (nicht zuletzt aus dem Bereich der septem artes liberales) mitbrachten – und dies galt, wie die angeführten Belege zeigen73, mit Sicherheit auch schon zu Zeiten des „rex idiota“74 Konrad II. und seiner ottonischen Vorgänger. Die kulturelle Bedeutung der Hofkapelle kann seit ihren Anfängen zwar nicht immer auf gleichem Niveau gewesen sein, völlig unerheblich war sie aber wohl nur selten. In der karolingischen Epoche, als zur Aufgabe des höfischen Klerikerverbandes auch die offiziöse Geschichtsschreibung gehörte75, ist sie zeitweise erheblich gewesen76, konnten die Geistlichen sich doch damals auf eine Hofbibliothek77 70 Dazu vgl. etwa Rudolf Schieffer, Domkapitel und Reichskirche, in: Michael Brandt / Arne Eggebrecht (Hgg.), Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993, Bd. 1, Hildesheim 1993, S. 269 – 273. 71 Vita Godehardi episcopi post. c. 33, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 11, Hannover 1854, S. 215; vgl. Hans Goetting, Die Hildesheimer Bischöfe von 815 bis 1221 (1227) (= Germania Sacra NF 20, 3), Berlin 1984, S. 256 – 263, bes. 261. 72 Rhetorimachia, ed. Karl Manitius, MGH Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 2, Weimar 1958, S. 59 – 183; dazu wie zum folgenden vgl. Huschner, Transalpine Kommunikation II (wie Anm. 58), S. 845 – 852. 73 Vgl. Anm. 64 und 65, 68 und 69 sowie vor allem 67. 74 Vgl. zu dieser Charakterisierung des Saliers Anm. 28 und 29. 75 Vgl. Wilhelm Wattenbach / Wilhelm Levison / Heinz Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Heft 2: Die Karolinger vom Anfang des 8. Jahrhunderts bis zum Tode Karls des Großen, Weimar 1953, S. 246 f. und 250 f., sowie Wilhelm Wattenbach / Heinz Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Heft VI: Die Karolinger vom Vertrag von Verdun bis zum Herrschaftsantritt der Herrscher aus dem sächsischen Hause. Das ostfränkische Reich, Weimar 1990, S. 685. 76 Vgl. Fleckenstein, Hofkapelle I (wie Anm. 48), S. 231 – 239, zur Pflege der Geschichtsschreibung bes. 234. 77 Vgl. ebd. S. 234 und Paul Lehmann, Büchersammlung und Bücherschenkungen Karls des Großen, in: ders., Erforschung des Mittelalters. Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze III, Stuttgart 1960, S. 67 – 75 [erstmals 1919, in: Hist. Vierteljahrsschrift 19, S. 237 – 246]; Bernhard Bischoff, Die Hofbibliothek Karls des Großen, in: ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte III, Stuttgart 1981, S. 148 – 169 [erstmals 1964, in: Wolfgang Braunfels (Hg.), Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben II. Das geistige Leben, Düsseldorf, S. 42 – 62], sowie ebd. S. 169 – 186: ders., Die Hofbibliothek unter Ludwig dem Frommen [erstmals 1976, in: Jonathan James Graham Alexander / Margaret Templeton Gibson (Hgg.), Medieval Learning and Literature. Essays presented to Richard William Hunt, Oxford, S. 3 – 22].

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stützen und mit der Hofschule78 kooperieren. Unter Otto dem Großen war die Hofkapelle (wie die neuen Forschungsergebnisse von Wolfgang Huschner zeigen79) zumindest zeitweise ein Begegnungsort der zeitgenössischen Geistesgrößen, waren in ihr doch offenbar die Historiographen Liutprand von Cremona und der Continuator Reginonis Adalbert aus St. Maximin bei Trier (der spätere Abt von Weißenburg und Erzbischof von Magdeburg) sowie der literarisch und künstlerisch interessierte Abraham von Freising tätig und schrieben hier Urkunden, während sie das Geistesleben ganz allgemein hoben; unter Otto II. und Otto III. entfaltete in ihr der kunstsinnige Bernward als gelehrter Hofschreiber (aulicus scriba doctus), Prinzenerzieher80 und späterer Bischof von Hildesheim über mehr als ein Jahrzehnt hinweg seine Tätigkeit81. Und in der frühsalischen Epoche wirkte in ihr der Geschichtsschreiber und Dichter Wipo aus dem burgundischen Königreich, weswegen die Kapelle Konrads II. – wenn auch nicht in vergleichbarer Dichte, wie zu den ottonischen Glanzzeiten – so doch auf einem beachtlichen intellektuellen Niveau stand. Allerdings ändert diese Feststellung nichts an der eingangs getroffenen Einschätzung von der geringen Ausstrahlung des frühsalischen Hofes in kultureller Hinsicht. Es überrascht daher auch nicht, wenn in einer breit angelegten Studie über die „Höfische Kultur“ des hohen Mittelalters zwar einerseits erklärt wird82 : „Bis zum 12. Jahrhundert“ sei „der Kaiserhof der einzige Ort der Literatur außerhalb der Klöster und Stifte“ gewesen, andererseits aber ein literarischer Betrieb an diesem Hofe erst seit der Stauferzeit wirklich beschreibbar wird. Frühere literarische Aktivitäten wie die des salischen Kapellans Wipo sind oft nicht von den Herrschern direkt angeregt worden, sondern scheinen hauptsächlich von den Hofgeistlichen selbst ausgegangen zu sein – denn: „Der persönliche Anteil, den die Kaiser am Mäzenatentum ihres Hofes nahmen, war von Herrscher zu Herrscher verschieden. Nur in wenigen Fällen wurde der gesamte Bildungsbetrieb am Hof so entschieden 78 Vgl. Josef Fleckenstein, Königshof und Bischofsschule unter Karl dem Großen, in: ders., Ordnungen (wie Anm. 14), S. 168 – 192, bes. 176 [erstmals 1956, in: AKG 38, S. 38 – 62], und ders., Karl der Große und sein Hof (wie Anm. 14), passim und bes. S. 45 – 49. 79 Vgl. das Kapitel 3.3 in dem in Anm. 58 genannten Werk (Bd. II) und die Zusammenfassung ebd. S. 961. 80 Vgl. Gerd Althoff, Vormundschaft, Erzieher, Lehrer – Einflüsse auf Otto III., in: von Euw / Schreiner (Hgg.), Kaiserin Theophanu II (wie Anm. 45), S. 277 – 289, bes. 281 f. 81 Vgl. dazu ebd. I, S. 29 f., sowie Goetting, Die Hildesheimer Bischöfe (wie Anm. 71), S. 166 – 230, und Hans Jakob Schuffels, „Aulicus scriba doctus“ – Bernward in der Königskanzlei, in: Michael Brandt / Arne Eggebrecht (Hgg.), Bernward von Hildesheim (wie Anm. 70), Bd. 2, Hildesheim 1993, S. 247 – 250; ders., Bernward Bischof von Hildesheim. Eine biographische Skizze, in: Brandt / Eggebrecht (Hgg.), Bernward von Hildesheim (wie Anm. 70), S. 29 – 43, bes. 30; Ulrich Kuder, Ottonische Buchmalerei und bernwardinische Handschriftenproduktion, ebd. S. 191 – 200; Fidel Rädle, Lateinische Literatur im Umkreis Bernwards, ebd. S. 201 – 205; Hans Drescher, Zur Technik bernwardinischer Silber- und Bronzegüsse, ebd. S. 337 – 351. 82 Joachim Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter I/II, München 1986 (u. ö.), S. 639 – 654, die folgenden Zitate finden sich auf S. 639 und 640.

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vom Kaiser selbst bestimmt wie unter Karl dem Großen und später unter Friedrich II.“. Konrad II. jedoch fehlte, wie schon betont, die Bildungsvoraussetzung, um unmittelbar an der lateinischen Prosa wie Dichtung seines Kapellans partizipieren zu können. Auch als Bauherr, der er gewesen ist83 : in Speyer als Initiator des Domneubaus, in Limburg an der Haardt als Stifter eines Klosters, entwickelte der erste Salierkaiser keinen besonderen mäzenatischen Eifer, sondern überließ dies dem bauerfahrenen Bischof Reginbald und seinem Hauptratgeber in monastischen Fragen, dem Abt Poppo von Stablo. Und daß Konrad auf die Gestaltung oder Umarbeitung der sog. Reichskrone, deren Entstehungszeit ohnehin heftig umstritten ist84, eingewirkt haben könnte, ist ebenso unwahrscheinlich wie eine künstlerische Beeinflussung des von ihm gestifteten Reichskreuzes85. Ob der Kaiser hierzu wenigstens Ratschläge von seiner geistlichen Umgebung im engeren wie im weiteren Sinne erbeten hat, läßt sich ebenfalls nicht mit Gewißheit sagen. Wohl aber ist der praktische und ideelle Nutzen näher faßbar, der dem Kaiser aus der geistig-geistlichen Kompetenz seiner Hofkleriker zuwuchs. Der praktische Nutzen ist dabei nicht nur in den traditionellen Aufgaben der Hofkapelläne zu sehen: in der Feier des Herrschergottesdienstes und der Reliquienhut, im Schreiben von Urkunden und Übernehmen von diplomatischen Aufgaben sowie in einer allgemeinen Beratungstätigkeit. Die Beratungsaufgabe gewann vielmehr mit Blick auf den Wissenstransfer eine zusätzliche Dimension in dem Maße, in dem sich der Herrschaftsbereich ausdehnte und schließlich das regnum Italiae mit umfaßte. Natürlich konnte jeder, der keinen unmittelbaren Zugang zum König besaß und bei diesem etwas erreichen wollte, die Vermittlung eines Höflings erbitten86 ; am ehesten erforderlich war diese aber zweifellos bei italischen Magnaten, die keinen eigenen Einblick in die speziellen Verhältnisse der Hofgesellschaft besaßen und daher besondere Hilfe benötigten, wie andererseits die Herrscher selbst, da meist nördlich der Alpen weilend, einer ausführlichen Beratung in italischen Angelegenheiten bedurften. Hierbei konnten sich natürlich vor allem jene Hofgeistlichen nützlich machen, die selbst aus Italien stammten oder als Kanzler 83

Vgl. Bresslau, Jbb. II, S. 383 – 388, und Stefan Weinfurter, Herrschaftslegitimation und Königsautorität im Wandel: Die Salier und ihr Dom zu Speyer, in: ders. (Hg.), Die Salier und das Reich 1. Salier, Adel und Reichsverfassung, Sigmaringen 21992, S. 55 – 96, bes. 57 – 73; zu Speyer vgl. auch Caspar Ehlers, Metropolis Germaniae. Studien zur Bedeutung Speyers für das Königtum (751 – 1250) (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Inst. Für Geschichte 125), Göttingen 1996, S. 75 – 81 und 337 Nr. 1, und Hans Erich Kubach / Walter Haas, Der Dom zu Speyer (= Die Kunstdenkmäler von Rheinland-Pfalz), 3 Bde., München 1972, S. 695 f. 84 Zur Diskussion vgl. Boshof, Königtum (wie Anm. 23), S. 118 ff.; zu ergänzen ist mittlerweile noch Hans Martin Schaller, Die Wiener Reichskrone – entstanden unter König Konrad III., in: Karl-Heinz Rueß (Red.), Die Reichskleinodien. Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches (= Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 16), Göppingen 1997, S. 58 – 105. 85 Zu diesem vgl. Helmut Trnek, Die Insignien des Heiligen Römischen Reiches in der Schatzkammer in der Wiener Hofburg, in: Die Reichskleinodien (wie Anm. 84), S. 10 – 29, bes. 19 ff. 86 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 128 – 131.

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und Hofnotare eigene Erfahrungen auf der Apenninenhalbinsel gesammelt hatten – nicht zuletzt als königliche Sachwalter (missi) oder Richter87. Je stärker das italische Regnum in die Herrschaft der nordalpinen Kaiser integriert war, je mehr südalpine Angelegenheiten nördlich der Alpen verhandelt wurden oder südlich des Gebirgs in Abwesenheit des Herrschers durch dessen Beauftragte erledigt werden mußten, desto wichtiger wurde die Sachkompetenz der Italienspezialisten in Kanzlei und Kapelle. Diese gebirgsüberschreitende Integration machte aber gerade unter den ersten beiden Saliern spürbare Fortschritte88, weswegen auch der Bedeutungsanstieg der italischen Kanzler, der nun greifbar wurde89, nicht überraschen kann. Italien war zu allen Zeiten jedoch auch ein Bildungserlebnis. Die sog. Karolingische Renaissance hat von hier wesentliche Anstöße erhalten90, die ottonische Urkundenpraxis und Historiographie empfing von hier ebenso deutliche Impulse wie die Ausgestaltung des kirchlichen Schulwesens91 (für spätere Jahrhunderte wären etwa noch die Attraktivität des Studiums der Rechte zu nennen, die viele deutsche Scholaren über die Alpen zog92, sowie die europäische Ausstrahlung von Humanismus93 und Renaissance und nicht zuletzt Goethes italienische Reise mit ihren Einflüssen auf die Weimarer Klassik und das deutsche Bildungsbürgertum94). Doch auch unter den ersten beiden Salierkaisern ist der südliche Einfluß spürbar, und zwar am meisten bei der graphischen Ausgestaltung der Urkunden. Das zeigen vor allem die Forschungsergebnisse von Wolfgang Huschner95, die dazu zwingen, noch einmal über die soziale und organisatorische Struktur von Hofkapelle und Kanzlei nachzudenken (was an dieser Stelle natürlich nicht geleistet werden kann), 87

Dazu vgl. Huschner, Transalpine Kommunikation (wie Anm. 58), S. 838, 844. Vgl. Eckhard Müller-Mertens / Wolfgang Huschner, Reichsintegration im Spiegel der Herrschaftspraxis Kaiser Konrads II. (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 35), Weimar 1992, und Huschner, Transalpine Kommunikation (wie Anm. 58), S. 836 – 843. 89 Vgl. Wolfgang Huschner., Über die politische Bedeutung der Kanzler für Italien in spätottonisch-frühsalischer Zeit (1009 – 1057), in: AfD 41 (1995) S. 31 – 47. 90 Vgl. Fried, Der Weg in die Geschichte (wie Anm. 7), S. 262 – 265. 91 Vgl. Huschner, Transalpine Kommunikation (wie Anm. 58), passim sowie bes. S. 448 – 479, 955 – 958, 961 und 976 f. 92 Vgl. dazu etwa Johannes Fried, Die Rezeption Bologneser Wissenschaft in Deutschland während des 12. Jahrhunderts, in: Viator 21 (1990) S. 103 – 145, und Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273 – 1493), in: Roman Schnur (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S. 77 – 147. 93 Vgl. etwa Johannes Helmrath u. a. (Hgg.), Diffusion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, Göttingen 2002. 94 Vgl. etwa Nicolas Boyle, Goethe. Der Dichter in seiner Zeit I. 1749 – 1790, München 1995 [engl. 1991], 7. Kap., und Gerhard Schulz, Die deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration I/II (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart VII/1 – 2), München 1983 und 1989, passim und bes. II, S. 547 – 550. 95 Vgl. Anm. 58, bes. S. 836 – 913 (und hier vor allem 864 – 889). 88

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die aber vor allem auch deutlich machen, wie groß der individuelle Gestaltungsspielraum der Urkundenschreiber gewesen ist, was die Formulierungen in den Urkunden und deren zeichenhafte Erscheinung, wenn man so will: ihr Layout, betrifft. Die Gestaltungsfreiheit ist offenbar so groß gewesen, daß die Urkunden sogar mehr als Zeugnisse ihrer Schreiber und Verfasser denn als „,Ego-Dokumente‘“ der Aussteller verstanden werden können96, doch sollte man darüber nicht vergessen, daß sie in den Augen ihrer Empfänger vor allem eine Willensäußerung des Ausstellers, also des Herrschers darstellten, dessen Autorität durch das Schriftstück und seine Erscheinung repräsentiert wurde. Natürlich kann über den konkreten Einfluß der Herrscher auf die formale Gestaltung der Texte und deren graphische Erscheinung gestritten werden und wahrscheinlich ist er – wenn überhaupt vorhanden97 – nicht sehr groß gewesen, aber was auf das Pergament gebracht wurde, war doch nicht völlig beliebig; es war determiniert durch Traditionen und Denkhorizonte und zumindest an diesen hatte der Herrscher, auch wenn er dabei wiederum durch geistliche Vorstellungen entscheidend geprägt wurde, einen eigenen Anteil. Mit anderen Worten heißt das: Bestand beim Verfassen der Urkunde und beim Zeichnen ihrer graphischen Merkmale auch prinzipiell ein weiter individueller Spielraum, so mußte das Ergebnis trotzdem den vorgegebenen Zweck erfüllen und den herrscherlichen Willen angemessen zum Ausdruck bringen sowie in seiner Erscheinung die Billigung der übrigen Hofnotare wie auch des Herrschers finden. Dies dürfte, da die Kapelläne ebenso wie der Herrscher trotz aller gedanklicher Nuancierung im einzelnen durch die gleiche Vorstellung von der königlichen und kaiserlichen Herrschaft geprägt waren, im Normalfall auch kein Problem gewesen sein, weswegen die „Ego-Dokumente“ der Schreiber zugleich auch immer Dokumente des herrscherlichen Selbstverständnisses98 (und keinesfalls reine Fremdaussagen99) gewesen sind. Dieser Zusammenhang wiederum gewinnt an Bedeutung, wenn man die Diplome unter dem Aspekt der Sichtbarmachung einer nicht allein der ottonisch-salischen Epoche eigentümlichen Vorstellung betrachtet: der Herrschersakralität100 nämlich. 96

Ebd. S. 936; vgl. auch S. 201 f., 206 f., 934 – 937, 942 ff. Zum gelegentlich vorkommenden Eigendiktat vgl. Hartmut Hoffmann, Eigendiktat in den Urkunden Ottos III. und Heinrichs II., in: DA 44 (1988) S. 390 – 423. 98 Zu diesem (freilich in anderen Zusammenhängen erörterten) Problem vgl. auch Jürgen Petersohn, Friedrich Barbarossa und Rom, in: Haverkamp (Hg.), Friedrich Barbarossa (wie Anm. 22), S. 129 – 146, bes. 129, und Jörg Jarnut, Barbarossa und Italien. Zeitvorstellungen im staatsrechtlichen und politischen Denken des Kaisers, in: Hans-Werner Goetz (Hg.), Hochmittelalterliches Geschichtsbewußtsein im Spiegel nichthistoriographischer Quellen, Berlin 1998, S. 257 – 267, bes. 258. 99 So Huschner, Transalpine Kommunikation II (wie Anm. 58), S. 942 f. 100 Zu dieser vgl. Franz-Reiner Erkens, Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: HJb 118 (1998) S. 1 – 39; ders., Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herscherlegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003) S. 1 – 55, und ders., Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: ders. (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herr97

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Natürlich ist es richtig, wenn festgestellt wird, die Hofnotare seien es gewesen, die in den Urkunden den Ausdruck und die Formen zur Veranschaulichung der Herrschersakralität gefunden hätten101; und es ist zweifellos auch richtig, ihnen ein Gutstück des anhaltenden Erfolgs dieser besonderen Sakralitätsvorstellung zuzuschreiben (eines Erfolgs, der vor dem sog. Investiturstreit durch nur schwach ausgebildete gegenläufige Ansichten102 kaum gefährdet war und nach dem Investiturstreit in sich wandelnder Form noch lange andauern sollte103); aber es wäre falsch, aus dieser Tatsache den Schluß zu ziehen, die Notare seien auch die Schöpfer dieser Vorstellung gewesen und hätten sie gleichsam erfunden, um dem Herrscher ein ideologisches Leitseil um den Hals zu werfen104. Selbstverständlich weist das Ideengut über die Stellung des Herrschers als eines vicarius Christi immer auch eine paränetische Dimension auf, es ist jedoch zugleich Teil eines Gedankenhorizonts, der bis in die Spätantike zurückreicht und vielen Einflüssen ausgesetzt war. Die Hofnotare sind daher meist nur Vermittler (und keineswegs Schöpfer) einer Ideenwelt gewesen, die innerhalb der weltlich-geistlichen Führungsschicht wohl als gedankliches Allgemeingut betrachtet werden darf und aus einer grundsätzlich nicht in Frage gestellten Glaubensüberzeugung heraus ihre Wirksamkeit entfaltete. Bei der Vermittlung jedoch haben sie Beachtliches geleistet – sei es durch Formulierungen, die die Herrschersakralität zumeist in Invocatio105, Intitulatio106 und Arenga107 betonten, sei es durch die graphische Gestaltung der symbolischen Anrufung

schaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 7 – 32. 101 Vgl. Huschner, Transalpine Kommunikation I (wie Anm. 58), S. 201 – 209. 102 Vgl. Bernhard Töpfer, Tendenzen zur Entsakralisierung der Herrscherwürde in den Zeiten des Investiturstreites, in: Jb. f. Geschichte des Feudalismus 6 (1982) S. 163 – 171. 103 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Jörg Jarnut u. a. (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien [wahrscheinlich 13]), München (voraussichtlich) 2006, und ders., Vicarius Christi (wie Anm. 100), S. 20 – 54. 104 Vgl. Huschner, Transalpine Kommunikation (wie Anm. 58), S. 202 – 209, 935 und 945. 105 Heinrich Fichtenau, Zur Geschichte der Invokationen und „Devotionsformeln“, in: ders., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze 2: Urkundenforschung, Stuttgart 1977, S. 37 – 61, bes. 38 – 49; ders., Forschungen über Urkundenformeln, in: MIÖG 94 (1986) S. 285 – 339, bes. 287 – 292. 106 Vgl. dazu etwa ebd. S. 49 – 59 und ders., „Dei gratia“ und Königssalbung, in: Reinhard Härtel (Hg.), Geschichte und ihre Quellen. Festschrift für Friedrich Hausmann zum 70. Geburtstag, Graz 1987, S. 25 – 35, sowie ders., Forschungen über Urkundenformeln (wie Anm. 105), S. 292 – 296, und (als hilfreiche Zusammenstellung des Materials) Jack Autrey Dabbs, Dei gratia in Royal Titels (= Studies in European History 22), Den Hag / Paris 1971, allg. aber auch Herwig Wolfram, Intitulatio. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts (= MIÖG Erg.bd. 21), Graz 1967. 107 Vgl. dazu allg. Heinrich Fichtenau, Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (= MIÖG Ergbd. 18), Graz 1957; ders., Forschungen über Urkundenformeln (wie Anm. 105), S. 309 – 311, sowie als Beispiele die Hinweise bei Erkens, Der Herr-

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Gottes (Chrismon und Labarum [Chirho]) und von besonderen Beizeichen108, oder sei es durch die Schöpfung zunächst der en-face-Darstellung des Kaisers im Siegel nach 962 und dann – um die erste Jahrtausendwende – durch die Entwicklung des Majestätssiegels109, durch das der thronende, den Betrachter anschauenden Herrscher in Analogie zur Majestät Gottes ins Bild gesetzt wurde. Bei der Vermittlung des herrscherlichen Selbst- wie Fremdverständnisses, mithin bei der Verbreitung herrschaftstheoretischen Wollens und Wissens, haben die Hofnotare also Bedeutendes und vor allem einen praktischen Beitrag zur Distribuierung der religiösen Herrscheridee geleistet. Dies war unter Konrad II. und seinem Sohn Heinrich III. nicht anders als unter Otto I. oder Otto III.110 ; und es ist vor allem der italische Kanzler Kadeloh († 1045) gewesen, der in diesem Zusammenhang zu nennen ist, eine Persönlichkeit, die schon der älteren Forschung aufgefallen war111, weil sie, was 1037 etwas Neues war, das Kanzleramt erhielt, nachdem sie bereits 1030 die Leitung einer Diözese übernommen hatte: nämlich des Bistums Naumburg an der Saale, wohin gerade erst mit päpstlicher Billigung (nämlich 1028) der Bischofssitz von Zeitz verlegt worden war112. Bisher in mitteldeutsche und – was seine Herkunft betrifft – bayerische Bezüge gestellt113, darf Kadeloh heute als Italiener betrachtet werden, der in 42

scher als gotes drút (wie Anm. 100), S. 26; ders., Vicarius Christi (wie Anm. 100), S. 11 f. mit Anm. 44. 108 Vgl. dazu Peter Rück, Bildberichte vom König. Kanzlerzeichen, königliche Monogramme und das Signet der salischen Dynastie (= elementa diplomatica 4), Marburg 1996, S. 29 – 36, und ders., Die Urkunde als Kunstwerk, in: von Euw / Schreiner (Hgg.), Kaiserin Theophanu II (wie Anm. 45), S. 311 – 333, sowie Erika Eisenlohr, Von ligierten zu symbolischen Invokations- und Subskriptionszeichen in frühmittelalterlichen Urkunden, in: Peter Rück (Hg.), Graphische Symbole in mittelalterlichen Urkunden. Beiträge zur diplomatischen Semiotik (= Historische Hilfswissenschaften 3), Sigmaringen 1996, S. 167 – 262, bes. 176 – 206. 109 Vgl. Hagen Keller, Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Gestalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext, in: ders., Ottonische Königsherrschaft. Organisation und Legitimation königlicher Macht, Darmstadt 2002, S. 131 – 166 [erstmals 1997, in: Konrad Krimm / Herwig John (Hgg.), Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie. Festschrift für Hansmartin Schwarzmaier, Sigmaringen, S. 3 – 51]. 110 Vgl. dazu außer der in den vorhergehenden Anmerkungen angegebenen Literatur grundsätzlich Huschner, Transalpine Kommunikation (wie Anm. 58), passim. 111 Vgl. etwa Bresslau, MGH DD K II, S. XVII f., und Paul Kehr, in: MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser V. Die Urkunden Heinrichs III. Hg. von Harry Bresslau (†) und Paul Kehr, Berlin 1931, S. XXXI f. 112 Vgl. Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 153; Wolfram, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 233 f.; Heinz Wiessner, Das Bistum Naumburg I 2. Die Diözese (= Germania Sacra. NF 35/ 2), Berlin 1998, S. 738 f. (zur Verlegung vgl. auch Bd. I 1, Berlin 1997, S. 123 – 128), 740 – 743 (zu Kadeloh). 113 Vgl. etwa Zielinski, Der Reichsepiskopat (wie Anm. 62), S. 70 Anm. 319, oder Wiessner, Das Bistum Naumburg I 2 (wie Anm. 112), S. 740.

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Urkunden als Kanzler bezeichnet wird114, nach neuester Erkenntnis115 aber auch der bislang anonym gebliebene und daher als Kadeloh A (oder KA) bezeichnete Schreiber gewesen ist, der (die Zuschreibungen sind freilich nicht immer ganz sicher) an der Ausfertigung von mehr als 35 Urkunden116 nicht nur für italienische Empfänger beteiligt war. Er war es, der die Urkunden Konrads II. und Heinrichs III. mit großer Selbständigkeit und einem ausgeprägten Gefühl für die Repräsentierung der herrscherlichen Majestät gestaltete und um 1040 trotz seiner mangelhaften Rechenkunst als der bedeutendste Schreiber von Diplomen betrachtet werden darf, war er doch „im ganzen seinen deutschen Kollegen überlegen“117. Er ist es gewesen, der das größer gewordene Herrschermonogramm optisch in den Mittelpunkt von Konrads II. Urkunden rückte und damit stilbildend wurde noch für die Diplome Heinrichs III.118; er hob im Schlußteil wiederholt das AMEN der Apprecatio deutlich hervor und verwendete (offenkundig eine italische Tradition fortsetzend) im Eingangsprotokoll von Urkunden für südalpine Empfänger anstelle des Chrismon das Chirho. Und er ist an Rezeption wie Durchsetzung des – in einem von ihm offenbar direkt oder indirekt beeinflußten, aber nur in einer Abschrift aus dem 16. Jahrhundert überlieferten Urkundentext zum allerersten Mal119, in einer würzburgischen Empfängerausfertigung120 wenig später auch in einem Original belegten – Beizeichens in Heinrichs III. Urkunden beteiligt gewesen121, also jenes Signum speciale (MPR oder MR), das von der älteren Diplomatik122 als manu propria, von der neueren123 jedoch als ein Marienmonogramm (Maria) gedeutet wird. 114 MGH DD K II 235 (1037 März 31). 237. 239 – 247. 249. 250. 254 – 261. 263. 264. 265. 267. 268. 270 – 274. 277 (1038 Aug. 11); DD H III 12 (1039 Dez. 30). 13. 14. 26. 31. 57. 70. 86. 90. 114. 115 (1043 Nov. 30). 115 Vgl. Huschner, Transalpine Kommunikation II (wie Anm. 58), S. 856 – 913. 116 MGH DD K II 235 (1037 März 31). [241 (1037 April 23)]. 243. 246. 250. 256. 257. 260. 261. 264. 265. 267. 268. 272; DD H III 41 (1040 Mai 3). 43. 44. 46 – 49. 54. 55. 57. 70. 71. 72. 82. 84. 85. 86. 90. 106. 107. 112. 115 (1043 Nov. 30). 131 (1045 Feb. 22). 132 (1045). 117 Kehr, MGH DD H III, S. XXXII. 118 Vgl. dazu wie zum folgenden Huschner, Transalpine Kommunikation II (wie Anm. 58), S. 868 – 896, bes. 869 und 874 (zum Monogramm), 871 f. (zum AMEN und zum Chirho) und 876 – 879 (zum Signum speciale); vgl. auch die Abb. in Bd. III: 84b (MGH D K II 256), 88a (MGH D K II 264), 93 (MGH D H III 86) und 96a (MGH D H III 112) als Beispiele für das Monogramm; 84a, 88b und 91a (MGH D H III 115) als Beispiele für das Chirho als symbolische Invocatio; 96a als Beispiel für das Signum speziale. 119 MGH D H III 87 (1041 Nov. 9). 120 MGH D H III 89 (1042 Jan. 3). 121 MGH DD H III 95 (1042? Aug. 8). 106 (1043 Juni 27). 107. 112 und 114 (1043 Nov. 29). 131 (1045 Feb. 22); vgl. dazu Huschner, Transalpine Kommunikation II (wie Anm. 58), S. 879 mit Anm. 486 und 489. 122 Vgl. Kehr, MGH DD H III, S. XXXVIII f., und Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien, München / Berlin 1907, S. 157 f. 123 Vgl. Rück, Bildberichte (wie Anm. 108), S. 29 – 36, bes. 30 f., sowie zustimmend Huschner, Transalpine Kommunikation II (wie Anm. 58), S. 877.

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Wenn die neue Deutung zutrifft, dann wurde in etlichen Diplomen Heinrichs III. und auch noch Heinrichs IV. die marianisch orientierte Frömmigkeit der salischen Herrscher, die sich auch sonst nachweisen läßt124, auf besondere Weise und unter eigenhändiger Beteiligung der Herrscher zur Anschauung gebracht und die in den Urkunden traditionell zum Ausdruck kommende Herrschersakralität um eine eigentümliche Facette bereichert. Grundsätzlich jedoch standen die Diplome der beiden ersten Salierkaiser trotz aller Erscheinungsvielfalt im Detail recht konservativ im Strom einer traditionellen Darstellung der herrscherlichen Sakralität, wobei Kadeloh von Naumburg allerdings zusammen mit anderen behutsam begann, die von Anfang an vorhandene römische Dimension des Kaisertums stärker zu betonen125. Hierbei wirkte sich am Herrscherhof zweifellos der durch die salische Herrschaftspraxis126 geförderte Transfer von Nachrichten und Anschauungen aus dem nördlichen Italien aus und führte offenbar zu einer verstärkten Reflexion über die ideellen Grundlagen der Kaiserherrschaft; was bei der Formulierung und Gestaltung der Herrscherurkunden jedoch praktisch wirksam wurde, das dürfte zuvor von Teilen der im Zentrum eines Kommunikationsnetzes stehenden Hofgesellschaft durchdacht und vielleicht auch allgemein erörtert worden sein. Mit dieser Fest124 Vgl. Stefan Weinfurter, Herrschaft und Reich der Salier. Grundlinien einer Umbruchzeit, Sigmaringen 21992, S. 27 und 38; Johannes Fried, Tugend und Heiligkeit. Beobachtungen und Überlegungen zu den Herrscherbildern Heinrichs III. in Echternacher Handschriften, in: Wilfried Hartmann (Hg.), Mittelalter. Annäherungen an eine fremde Zeit (= Schriftenreihe der Universität Regensburg NF 19), Regensburg 1993, S. 41 – 85, bes. 46; Rück, Bildberichte (wie Anm. 108), S. 34, und Bernd Kluge, Deutsche Münzgeschichte von der späten Karolingerzeit bis zum Ende der Salier (ca. 900 bis 1125) (= Röm.-Germ. Zentralmuseum. Monographien 29), Sigmaringen 1991, S. 171, 173 und 189 Nr. 143, 149 und 198. 125 Vgl. etwa die seit dem 19. Juli 1033 verwendete Bulle (MGH D K II 195) mit dem Bild Roms auf dem Revers und der bekannten Umschrift Roma caput mundi regit orbis frena rotundi (vgl. Percy Ernst Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit. Neuauflage hg. von Florentine Mütherich, München 1983, S. 106 f. und 223 mit Abb. 138a-b), die regelmäßige Bezeichnung des Kaisers auch in der Signumzeile als Romanorum imperator unter und seit Konrad II. (vgl. Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden [wie Anm. 122], S. 318), und die Bezeichnung des Reiches sowohl als imperium Romanum (MGH DD K II 208. 265. 271. 273; vgl. auch DD H III [29.] 235. 306 und 80: Romanum regnum) wie auch als Romana res publica (MGH DD K II 210. 254) oder die Charakterisierung des Kanzlers Theoderich durch KA (= Kadeloh von Naumburg) als episcopus Romani palatii cancellarius im November 1043 (MGH D H III 112) und die Verwendung des Herrschertitels rex Romanorum für Konrad II. (MGH D K II 53. 64) und besonders Heinrich III. (MGH DD H III 31. 41. 53. 72), in dessen Urkundenmonogramm dieser Titel sogar aufgenommen worden ist (MGH D H III 102); dazu vgl. Huschner, Transalpine Kommunikation II (wie Anm. 58), S. 889 – 896, und allg. Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 96 und 113; Rudolf Buchner, Der Titel rex Romanorum in deutschen Königsurkunden des 11. Jahrhunderts, in: DA 19 (1963) S. 327 – 338; Helmut Beumann, Der deutsche König als „Romanorum rex“ (= SB d. Wiss. Gesell. an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M. 18/2), Wiesbaden 1981; Brigitte Merta, Die Titel Heinrichs II. und der Salier, in: Herwig Wolfram / Anton Scharer (Hg.), Intitulatio III. Lateinische Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert (= MIÖG Ergänzungsbd. 29), Wien 1988, S. 163 – 200, sowie Wolfgang Christian Schneider, Heinrich II. als „Romanorum Rex“, in: QFitAB 67 (1987) S. 421 – 445. 126 Vgl. Anm. 88 und 89.

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stellung rückt die Gestalt des Dichters, Lehrers und Historiographen Wipo, Konrads Kapellan aus dem alemannischen Teil des Königreichs Burgund, in das Blickfeld der Betrachtung127. Wipo gehörte ohne allen Zweifel zu den herausragenden Geistesgestalten am Hofe Konrads II. und auch noch seines Sohnes Heinrich III. Von gediegener Bildung, die die Kenntnis geistlicher Schriften und der klassischen Literatur (genannt seien nur Horaz, Ovid und Vergil sowie Sallust und Sueton) einschloß, war er ein gewandter Stilist und Verseschmied, dessen Œeuvre zwar nicht mehr komplett erhalten ist, neben den Gesta Chuonradi imperatoris und der schon erwähnten Ostersequenz128 aber möglicherweise noch zwei Gesänge auf die Kaiserkrönung Konrads II. (1027) und die Königsweihe seines Sohnes Heinrich (1028) umfaßt129 sowie vor allem die wohl 1028 für den Thronfolger gedichteten Proverbia und den diesem als Nachfolger des Vaters zu Weihnachten 1041 überreichten Tetralogus130. Die Resonanz, die der Kapellan mit seinen Werken fand, war freilich sehr unterschiedlich131. Wenn auch nicht völlig unbeachtet, so doch weitgehend unbekannt blieben die Gesta, von denen nur eine Abschrift aus dem späten 16. Jahrhundert überliefert ist, und der Tetralogus, der zwar die Aufmerksamkeit der modernen Forschung erregte132, von dem es aber überhaupt kein handschriftliches Zeugnis mehr gibt. Die Ostersequenz hingegen und die Proverbia, die als Fürstenspiegel gelesen werden konnten, waren ein Publikumserfolg: Die Sequenz ist nicht nur oft überliefert, sondern, wie Harry Breßlau im Jahre 1915 anmerkt133, auch noch zu seiner Zeit gesungen worden, und von den Proverbia gibt es aus sechs Jahrhun127 Zu Wipo und seinem Werk vgl. neben den Ausführungen von Bresslau, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. VII-LVIII, auch den Artikel von Tilman Struve, in: LexMA 9 (1998) S. 243 f., sowie Helmut Beumann, Das Imperium und die Regna bei Wipo, in: ders., Wissenschaft vom Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze, Köln / Wien 1972, S. 175 – 200 [erstmals 1960, in: Aus Geschichte und Landeskunde. Festschrift f. Franz Steinbach, Bonn, S. 11 – 36]; Johannes Spörl, Pie rex caesarque future! Beiträge zum hochmittelalterlichen Kaisergedanken, in: Unterscheidung und Bewahrung. Festschrift f. Hermann Kunisch zum 60. Geb., Berlin 1961, S. 331 – 353, bes. 338 und 341 – 349; Karl Schnith, Recht und Friede. Zum Königsgedanken im Umkreis Heinrichs III., in: HJb 81 (1962) S. 22 – 57; Tilman Struve, Kaisertum und Romgedanke in salischer Zeit, in: DA 44 (1988) S. 424 – 454, und Hagen Keller, Das Bildnis Kaiser Heinrichs II. im Regensburger Evangeliar aus Montecassino (Bibl. Vat., Ottob. Lat. 74). Zugleich ein Beitrag zu Wipos ,Tetralogus‘, in: FmaSt 30 (1996) S. 173 – 214, bes. 194 – 197. 128 Vgl. Anm. 30 und 69. 129 Vgl. Bresslau, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. LVIII, 103 f. und 105 f. 130 Ebd. S. 66 – 74 und 75 – 86. 131 Vgl. dazu wie zum folgenden ebd. S. XXXII-XXXVIII und XLIX-LVI (zu Gesta und Tetralogus) sowie XXXVIII-XLVIII (zu Ostersequenz und Proverbia). 132 Vgl. etwa Gerhart Ladner, Theologie und Politik vor dem Investiturstreit. Abendmahlstreit, Kirchenreform, Cluni und Heinrich III. Mit einer Vorbemerkung zum Neudruck, Darmstadt 1968 [erstmals 1936], S. 74 – 78; Spörl, Pie rex (wie Anm. 127), S. 343 – 346, und Wollasch, Das Bildnis Kaiser Heinrichs II. (wie Anm. 127). 133 MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. XI.

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derten (näherhin vom 11. bis zum 16. Jahrhundert) immerhin 26 handschriftliche Zeugnisse. Am Hof der ersten beiden Salierherrscher jedoch müssen sowohl die Werke als auch die Vorstellungen Wipos bekannt gewesen sein, denn das Verhältnis des belesenen und die didaktische Rede bevorzugenden Kapellans zum Herrscherhaus kann als Lehrer und wohl auch Erzieher Heinrichs III. kaum anders als intim gewesen sein. Vielleicht gibt es sogar ein Zeugnis für den Gedankenaustausch, der am Salierhof herrschte; doch bleiben die Zusammenhänge sehr unklar. Der Notar KA, also wohl der italische Kanzler und Naumburger Bischof Kadeloh, verfaßte am 21. Mai 1040 für den ,deutschen‘ Kanzler Theoderich eine nur noch in Abschriften des 12. und 13. Jahrhunderts erhaltene Urkunde für die Kirche von Utrecht134. In der Arenga formulierte er den Gedanken, daß, „wie man lesen könne“, Herrschen ein Gottesdienst sei: …, quia, sicut legitur, si deo servire regnare est, … . Eine ähnliche Formulierung taucht in Heinrichs Urkunden – außer in einem in seiner überlieferten Gestalt keinesfalls echten Schriftstück135 – nicht mehr auf, wohl aber gelegentlich in Diplomen Heinrichs V., Lothars III., Konrads III. und Friedrich Barbarossas136, doch weicht in diesen die Wortwahl etwas von derjenigen in Heinrichs III. Dokument ab und greift offenkundig direkt auf ein Gebet in der missa pro pace aus Gregors des Großen Liber sacramentorum zurück, das schließlich in das römische Missale aufgenommen worden ist und in dem es heißt137: Deus auctor pacis et amator, quem nosse vivere, cui servire regnare est. Nach dem Überlieferungsbefund war Kadeloh der erste, der in einem Diplom Herrschen als ein Dienst für Gott darstellte, und der einzige, der sich dabei auf eine Lesefrucht berief. Diese fiel dem Kanzler (anders als vielleicht den späteren Notaren) aber möglicherweise nicht durch die unmittelbare Lektüre von Gregor dem Großen zu, sondern durch die Kenntnis von Wipos Proverbia. In einem nach Lothringen verweisenden, freilich 134

MGH D H III 43. MGH D H III 362b (für Benediktbeuern). 136 Karl Friedrich Stumpf-Brentano, Die Reichskanzler vornehmlich des 10., 11. und 12. Jahrhunderts II. Die Kaiserurkunden des 10., 11. und 12. Jahrhunderts, chronologisch verzeichnet als Beitrag zu den Regesten und zur Kritik derselben. Mit Nachträgen von Julius Ficker (1883), Innsbruck 1883, Nr. 3018 (1107 Sept. 30, Heinrich V. für Corvey: cui servire regnare est); MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 8: Die Urkunden Lothars III. und der Kaiserin Richenza. Hg. von Emil von Ottenthal und Hans Hirsch, Berlin 1927, Nr. 27 (1130 für das Kloster Indersdorf: deo in omnibus devote servire est regnare); MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 9: Die Urkunden Konrads III. und seines Sohnes Heinrich. Bearb. von Friedrich Hausmann, Wien 1969, Nrr. 56 (1141 April 6 – 13 für St. Jakob zu Lüttich) und 74 (1142 [Mai] für Floreffe: beide wie Stumpf-Brentano 3018); MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 10: Die Urkunden Friedrichs I., Teil 1 (1152 – 1158). Hg. von Heinrich Appelt, Hannover 1975, Nr. 83 ([1154 nach Juni 23]: cui servire vivere et regnare est). Vgl. dazu das Arengenverzeichnis zu den Königs- und Kaiserurkunden von den Merowingern bis Heinrich VI. Zusammengestellt von Friedrich Hausmann und Alfred Gawlik (= MGH Hilfsmittel 9), München 1987, Nr. 200. 360. 549. 918. 1507 und 655. 917. 137 Migne PL 78, Paris 1849, S. 206. 135

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erst seit dem 12. Jahrhundert belegten138 Überlieferungsstrang dieses Werkes findet sich nämlich an der Spitze von Wipos Sprüchen die im ursprünglichen Textcorpus nicht vorhandene Auskunft: Deo servire est regnare. Unter der Voraussetzung, die Harry Breßlau offenbar für wahrscheinlich hält, daß Kadeloh diesen Satz 1040 – immerhin wortgleich – in die Urkunde für Utrecht übernahm, daß eine entsprechende Handschrift der Proverbia also schon damals vorlag, gäbe es einen direkten Beleg für deren Rezeption durch ein Mitglied der salischen Hofgesellschaft, doch läßt sich ein solcher Zusammenhang quellenmäßig nicht wirklich absichern. Unabhängig davon darf jedoch weiterhin von der Kenntnis der wiponischen Werke am Hof Konrads II. und Heinrichs III. ausgegangen werden und natürlich auch davon, daß sich die Höflinge über die vorgetragenen Gedanken und Ansichten unterhielten und austauschten139. Von diesen waren für Wipos Herrschaftsidee vor allem drei Ideenkreise zentral: die imperiale, gelegentlich eine römische Dimension aufweisende Überhöhung der salischen Herrschaft, der mit dieser Erhöhung verbundene Rechtsgedanke und die traditionelle, nunmehr aber in sehr starkem Ausmaße betonte Vorstellung vom Herrscher als vicarius Christi. Die von Helmut Beumann erörterte140 und vorwiegend ideale Züge aufweisende Anschauung Wipos von einer gleichsam regnalen Integration des Imperiums braucht hier weniger zu interessieren, während die römischen Bezüge der Herrschaft, die in Konrads Kaiserurkunden immerhin in steigendem Maße betont wurden141, in Wipos Denken offenbar nur am Rande eine Rolle spielten142. Am deutlichsten ließen sie sich fassen, wenn der Kapellan wirklich der Schöpfer jener Umschrift gewesen ist, durch die auf dem Revers der seit 1033 gebräuchlichen Kaiserbulle Rom als Haupt der Welt gepriesen wird143; doch ist Wipos Autorschaft, auch wenn einige Hinweise dafür sprechen144, nicht zwingend zu beweisen. Wipos Gedanken über die herrscherliche Aufgabe der Rechts138 Vgl. dazu und zum folgenden Bresslau, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 73 Anm. * und XLI-XLIV sowie XLVII Anm. 1. 139 Vgl. dazu etwa auch die Überlegungen, die Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König (= MGH Schriften 28), Stuttgart 1981, S. 38 – 46, anstellt über die Verbreitung von Kenntnissen der durch Handschriften nicht besonders gut dokumentierten Ansichten des Humbert von Silva Candida in der päpstlichen Umgebung. 140 Beumann, Das Imperium und die Regna (wie Anm. 127), etwa S. 188 f. und 199 f. 141 Vgl. Anm. 125. 142 Im Tetralogus etwa werden Beispiele und Vorbilder aus der römischen Geschichte angeführt, die salische Kaiserherrschaft aber nicht eigens als römisch dargestellt (vgl. Anm. 130), in den Gesta Chuonradi II c. 16, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 36, heißt es nur lakonisch: Caesar et augustus Romano nomine dictus. 143 Vgl. Anm. 125. 144 Vgl. Wilhelm Erben, Rombilder auf kaiserlichen und päpstlichen Siegeln des Mittelalters (= Veröffentlichungen des Hist. Seminars der Universität Graz 7), Graz 1931, S. 39 – 44, bes. 42 ff. mit Anm. 39, und Herbert Bloch, Der Autor der „Graphia aureae urbis Romae“, in: DA 40 (1984) S. 55 – 175, bes. 95 f.

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und Friedenswahrung hingegen sind wesentlich schärfer konturiert und haben offenbar sogar die Indulgenzpolitik des jungen Heinrich III. und dessen Versuch einer Verwirklichung des christlichen Liebesgebots in der rauhen Wirklichkeit der Welt beeinflußt145. Die Vorstellung vom die Gerechtigkeit im weitesten Sinne verwirklichenden Herrscher war bereits im 11. Jahrhundert uralt146, Wipo jedoch verlieh ihr eigene Akzente. Im Tetralogus, den er Heinrich III. auf Weihnachten 1041 zum Geschenk machte, hat er seine Vorstellungen zusammengefaßt, in deren Zentrum der Friede steht, der durch das rechte Verhältnis von Gesetzesstrenge und Gnadenübung erreicht wird147: Est bona temperies, quam Lex et Gratia miscent; / Hae si coniunctae, generabunt pacis amorem. Bemerkenswert ist jedoch nicht nur diese den Frieden Gottes bewirkende Verbindung von Recht und christlicher Gnade, sondern die (von Heinrich ohnehin erfüllte148) Forderung an den Herrscher, eigene Kenntnis der schriftlich fixierten Gesetze zu erwerben und als künftiger Kaiser für die Vornehmen seines Reiches die literate Ausbildung und Rechtskenntnis durch Edikt verpflichtend zu machen149, denn eine solche in Italien geübte, in Deutschland jedoch – außer bei der Klerikerausbildung – mißachtete Erziehung150 habe einst die römische Herrschaft großgemacht151. Hinter dieser Forderung steckte nicht unbedingt die Vorstellung einer notwendigen Erneuerung des römischen Rechts (auch wenn diese nicht mehr allzu lange auf sich warten ließ152 und in einer Totenklage auf Heinrich III. ausdrücklich auf

145 Vgl. Monika Minninger, Heinrichs III. interne Friedensmaßnahmen und ihre etwaigen Gegner in Lothringen, in: Jb. f. westdt. LG 5 (1979) S. 33 – 52, sowie Ladner, Theologie und Politik (wie Anm. 132), S. 76, und Schnith, Recht und Friede (wie Anm. 127), passim, bes. S. 48 – 57. 146 Vgl. etwa Hans Hubert Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (= Bonner hist. Forschungen 32), Bonn 1967; ders., Pseudo-Cyprian. De duodecim abusivis saeculi und sein Einfluß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel, in: Heinz Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im früheren Mittelalter 2, Stuttgart 1982, S. 568 – 617, aber etwa auch (der historischen Tiefendimension wegen) Eva Cancik-Kirschbaum, „Ein König der Gerechtigkeit“ – ein altorientalisches Paradigma zu Recht und Herrschaft, in: Gesine Palmer u. a. (Hgg.), Torah – Nomos – Ius. Abendländischer Antinomismus und der Traum vom herrschaftsfreien Raum (= Vorwerk 8), Berlin 1999, S. 52 – 68. 147 V. 236/237, vgl. Anm. 130 und 127. 148 V. 153 – 171 (vgl. Anm. 130). 149 V. 190 – 194. 150 V. 195 – 200. 151 Vgl. V. 195 und 165/166 (Gentes infestas vicit Romana potestas / Olim consiliis; non semper vicerat armis.) sowie Struve, Kaisertum und Romgedanke (wie Anm. 127), S. 427 f. 152 Vgl. Anm. 92 sowie Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (= Abhandlungen der Geistes- und Sozialwiss. Kl. der Akad. d. Wiss. und der Lit. Mainz, Jg. 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999, und künftig Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 103).

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dessen Bemühen um die leges a senibus patribus actas hingewiesen wird153), wohl aber das Verlangen eines Intellektuellen nach einem gebildeten Herrscher, der arte peritus und doctus ist, der mit Weisheit (sapientia) und durch die Kraft des Wortes (per vim verbi) regiert154, der die Bildung aller heben soll155 und in der eigenen Ausbildung alles erworben hat, um das decus imperii per iura zu beschützen (tueri)156. Nach dem Beispiel des römischen Rechts157 (und nicht unbedingt durch das römische Recht) soll der Kaiser herrschen und die christliche Rechtsordnung verwirklichen. Dabei ist die lex wohl nicht ausschließlich in einem engen Rechtsinne zu verstehen, sondern auch im Sinne einer ethisch-religiösen Gesamtordnung, ist sie doch auch eine Lehre (doctrina), die den finsteren Erdkreis erleuchtet und leitet158, und wird sie zudem durch die Hinzuziehung der Gnade (gratia) veredelt159. Bereits der illiterate Konrad II. hat sie daher durch Gesetz und Recht mancherorts wiederherstellen und bewahren können160. Was Wipo 1041 in gelehrter Konzentration als Vierergespräch zwischen Dichter, Musen, Gesetz und Gnade dem jungen König gleichsam als Regierungsmaxime und offenbar nicht völlig ohne Erfolg161 vorlegte, hatte er dem Thronfolger bereits 1028 in seinen hundert Lehr- und Merksprüchen der Lebens- und Herrschaftsweisheit, den Proverbia, in leicht faßlicher und lockerer, freilich weniger dichten Gedankenfügung, aber mit desto größerer Publikumswirksamkeit162 nahegebracht. Hier finden sich neben allgemeinen Belehrungen163 und auf Teile der traditionellen Königsethik, etwa auf den Schutz und Trost von Witwen, Waisen und Armen164 zie153 Vgl. die vierte Strophe des vom Herausgeber auf den Karolinger Lothar I. bezogenen Planctus ,Hlotharii I Caesaris‘ in: MGH Poetae Latini medii aevi IV 3, hg. von Karl Strecker, Berlin 1923, S. 1074, und dazu Bernhard Bischoff, Caesar, tantus eras, in: ders., Mittelalterliche Studien. Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte II, Stuttgart 1967, S. 169 – 174, bes. 172 f. [erstmals 1941, in: Edmund E. Stengel (Hg.), Corona Quernea. Festgabe Karl Strecker zum 80. Geburtstag dargebracht (= MGH Schriften 6), Leipzig 1941, S. 247 – 253], S. 172 f. [250 f.], sowie Struve, Kaisertum und Romgedanke (wie Anm. 127), S. 431 f. 154 V. 163, 201, 202 und 168 (vgl. Anm. 130). 155 V. 201: … rex docte, iube cunctos per regna doceri, … 156 V. 170/171. 157 Vgl. Anm. 149 und 150. 158 V. 164 (vgl. Anm. 130): Doctrinae lumen tenebrosum dirigit orbem; … 159 Vgl. Anm. 147 und V. 230 – 233: Legem scripsit homo, descendit Gratia caelo; / Lex servire docet, dominari Gratia monstrat; / Lex condemnabit, sed Gratia iustificabit. 160 Gesta Chuonradi II c. 5, 37 und 40, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 28 (non auditores legis, sed factores iustificari), 57 (civitates Apuliae lege et iustitia stabilivit) und 61 (Occubuit imperator Chuonradus, legis amator), 62 (Saxonibus et Noricis imposuit frena legis), sowie allg. S. 27 ff. (c. 6); vgl. dazu Struve, Kaisertum und Romgedanke (wie Anm. 127), S. 426, und allg. Erkens, Konrad II. (wie Anm. 24), S. 209 und 214. 161 Vgl. Anm. 145. 162 Vgl. Anm. 130 und 131. 163 Vgl. etwa V. 69 (vgl. Anm. 130): Contra lupum vigilare est raptus vitare. 164 V. 70 – 72.

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lenden Merksätzen gleich in den Eröffnungsversen165 die Hervorhebung des Gesetzes und die Pflicht des Königs, das Gesetz zu kennen und ihm zu folgen (Decet regem discere legem. / Audiat rex, quod praecipit lex), sowie die Erklärung, daß Regieren bedeute, das Gesetz zu wahren (Legem servare est regnare). Sofort danach166 wird aber auch die Wichtigkeit der literaten Bildung betont (Notitia litterarum lux est animarum), und einundzwanzig Verse später167 der Friede als besonderes Gut für die Allgemeinheit gepriesen (Pacis donum omnibus est bonum). Mithin waren bei Wipo zumindest in nuce schon früh die Gesetzes- und Friedenslehre sowie die Hochschätzung einer vertieften Herrscherbildung angelegt; und er hat seine Ansichten – wie schon gesagt – dem heranwachsenden Königskind mit einigem Erfolg vorgestellt. Gern wüßte man zwar, wie der Kapellan seine Anschauungen durch Gespräche mit den übrigen Angehörigen der Hofgesellschaft verfeinerte und ausgestaltete, bis er sie 1041 in eine eigene Form brachte, ob etwa seine Kenntnis über die Ausbildung in Italien168 aus eigener Anschauung stammte oder durch die italienischen Höflinge169 vermittelt wurde, doch geben die Quellen auf solche Fragen keine Antwort. Festgehalten werden kann jedoch, daß dem praktischen Wissen, das am frühsalischen Herrscherhof zusammenfloß und etwa bei der Urkundenvergabe faßbar wird, zumindest durch Wipos Tätigkeit auch eine ideell-theoretische Dimension hinzugefügt wurde (ohne daß allerdings die Mechanismen einer gegenseitigen Beeinflussung, von der freilich ausgegangen werden muß, erkennbar würden). Hat Wipo durch seine in weiter verbreitete Gedankengänge170 eingebettete und eine starke gratiale Fundierung aufweisende Lex-et-Pax-Lehre die herrschaftstheoretischen Vorstellungen seiner Zeit ganz offenkundig mit einem eigenen Akzent versehen, dessen religiöser Kern unverkennbar ist, so verlieh er darüber hinaus dem mit diesem Ordnungsideal aufs engste verknüpften, jedoch in einer langen Tradition171 wurzelnden Verständnis vom Herrscher als einem Sachwalter Gottes auf Erden einen gesteigerten Ausdruck. Das, was in karolingischer Zeit auf vielfältige Weise artikuliert worden ist – die Berufung des Königs durch Gott, als

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V. 1 – 3. V. 4. 167 V. 25. 168 Vgl. Anm. 150. 169 Vgl. Anm. 58. 170 Vgl. etwa den Brief Berns von der Reichenau Nr. 27 von 1044/45, ed. Franz-Josef Schmale, Die Briefe des Abtes Bern von Reichenau (= Veröffentlichungen der Komm. f. geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe A: Quellen Bd. 6), Stuttgart 1961, S. 56 – 64, und dazu Ladner, Theologie und Politik (wie Anm. 132), S. 74 und 76; Schnith, Recht und Friede (wie Anm. 127), S. 39 – 46, bes 40. 171 Vgl. dazu etwa Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 100), S. 16 – 20; ders., Vicarius Christi (wie Anm. 100), S. 10 – 13. 166

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dessen irdischer Stellvertreter (vicarius) der Herrscher erscheint172 –, was um 960 im Mainzer Krönungsordo173 schriftlich fixiert und um die erste Jahrtausendwende auch in Bildern174 zur Anschauung gebracht worden ist, was hinter manchen Formulierungen in den Herrscherurkunden steht und gelegentlich auch von Thietmar von Merseburg175, dem Chronisten der spätottonischen Zeit, sowie von dem Tegernseer Abt Seifried in einem Schreiben176 an Heinrich III. artikuliert wurde, das wird von Wipo auf eine Art und Weise beschrieben, die in ihrer flexiblen Variabilität und treffenden Prägnanz wohl einmalig ist und den Herrscher in eine unmittelbare Nähe zu Gott rückt: Konrad ist der vicarius Christi177, Heinrich der dei amicus178 – für Gott der regum carissimus179, ein rex carus für Christus180 – und der zweite nach Gott (secundus post dominum caeli und alter post Christum181). Beide Salier erscheinen in den Wipo zugeschriebenen Gedichten auf Konrads Kaiserkrönung von 1027 und Heinrichs Königsweihe von 1028 als von Gott erwählt182, der Kaiser, der fromme Gesalbte des Herrn (pius unctus Domini183), darüber hinaus als von der göttlichen Vorsehung zur Herrschaft über die Völker gemäß dem Beispiel des alttestamentarischen Königs David, der im Mittelalter als das Vorbild für alle Herrscher galt184, nicht nur auserwählt, sondern sogar vorherbestimmt (predestin172

Vgl. etwa Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 100), S. 18 ff., und allg. auch Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 146). 173 Ed. Cyrille Vogel / Reinhard Elze, Le pontifical romano-germanique du dixième siècle. Le texte I (= Studi e testi 226), Città del Vaticano 1963, S. 257 (Nr. 7222: … redemptore et salvatore Iesu Christo, cuius nomen vicemque gestare crederis, …). 174 Schramm / Mütherich, Die deutschen Kaiser (wie Anm. 125), S. 359 Nr. 107, 376 f. Nr. 124, 383 Nr. 130, und Ludger Körntgen, Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonischfrühsalischen Zeit (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 2), Berlin 2001, sowie Hagen Keller, Herrscherbild und Herrschaftslegitimation. Zur Deutung der ottonischen Denkmäler, in: ders., Ottonische Königsherrschaft (wie Anm. 109), S. 167 – 183 [erstmals 1985, in: FmaSt 19, S. 290 – 311]. 175 Chronicon I 26 (15), ed. Robert Holtzmann, MGH SS rer. Germ. NS 9, Berlin 1935, S. 34: … imperatores, summi rectoris vice in hac peregrinacione prepositi, … 176 Ed. Karl Strecker, Die Tegernseer Briefsammlung (Froumund) (= MGH Epist. sel. 3), Berlin 1925, S. 143 (Nr. 126), wo die Rede ist von der Liebe zu Gott, qui vos sibi in ecclesia vicarium delegit. 177 Gesta Chuonradi II c. 3 und 5, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 23 (vicarius es Christi) und 26 (ut vicarius Christi). 178 Widmung der Proverbia, MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 66, sowie S. 79, V. 135: His rex Heinricus Christi clarescit amicus. 179 Ebd. S. 76 (Tetralogus V. 25). 180 Ebd. S. 79 (Tetralogus V. 140). 181 Ebd. S. 79 (Tetralogus V. 121/122: regnas orbe secundus / Post dominum caeli) und 76 (Tetralogus V. 19). 182 Ebd. S. 104 (Chuonrado, christo Dei electo) und 106 (puer Heinricus, Christo electus). 183 Ebd. S. 103. 184 Vgl. dazu Erkens, Der Herrscher als gotes drút (wie Anm. 100), S. 5 – 12, und Hugo Steger, David Rex et Propheta. König David als vorbildliche Verkörperung des Herrschers und

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avit)185. Das Kaisertum, die regni monarchia, wird zudem ebenso als heilig (sancta) bezeichnet wie die Königskrone, die Heinrich in Aachen empfing186. Selbst wenn die letzten Zeugnisse nicht von Wipo stammen sollten und lediglich als zeitnahe Belege für die Allgemeingültigkeit der von ihm artikulierten Vorstellungen dienen können, bleibt die Intensität beeindruckend, mit der Wipo die Herrschersakralität beschreibt. Daß seine Auffassungen am frühsalischen Herrscherhof grundsätzlich geteilt wurden, unterliegt wohl keinem Zweifel; sein erzieherisches Wirken aber dürfte deren zeitweilige Verwirklichung durch Heinrich III. wesentlich gefördert haben. Wenn auch Einzelheiten des anzunehmenden Gedankenaustauschs verborgen bleiben, so zeigt sich der frühsalische Herrscherhof, sowohl derjenige des illiteraten Konrad als auch derjenige des gebildeten Heinrich, trotzdem als ein Focus praktischen und theoretischen Wissens, als ein Ort, an dem Informationen aus dem gesamten Reich zusammenliefen und erfolgreich in herrschaftliches Handeln umgesetzt wurden und an dem vor allem die geistlichen Mitglieder der Hofgesellschaft die monarchische Repräsentation der Herrscher weiter intensivierten sowie – zumindest in der Gestalt Wipos – die ideellen Grundlagen der Herrschaft theoretisch reflektierten und literarisch präsentierten. All dies geschah auf einem hohen Niveau, das keinesfalls von der Bildung des Herrschers, sondern hauptsächlich von dem seiner Mitarbeiter bestimmt wurde – und bei deren Auswahl bewies nicht zuletzt Konrad eine glückliche Hand. Natürlich kann man die bei Konrad II. mangels Bildung fehlende, bei Heinrich II. und Otto III. hingegen nachweisbare Beteiligung an der Formulierung von Urkunden beklagen und Konrads Präzepte daher als „glatt und platt“, als „bürokratische Prosa“, der die „farbigen Details“ fehlen, und als ,trocken‘ im Ton charakterisieren187, doch funktionierte der Kanzleibetrieb routinemäßig188 und tat dem König gute Dienste, ja, half in einem bisher nicht beachteten Maße die monarchische Autorität zur Anschauung zu bringen: Mag sich über die Diplome Konrads auch ein „Grauschleier der bürokratischen Prosa“189 gelegt haben, so entwickelte sich die äußere Gestalt der Dokumente nicht zuletzt unter italienischem Einfluß doch unverkennbar fort und brachte dabei die kaiserliche Erhabenheit zum Ausdruck190. Wer aber, so darf gefragt werden, hat die kaiDichters im Mittelalter, nach Bilddarstellungen des achten bis zwölften Jahrhunderts (= Erlanger Beiträge zur Sprach- und Kunstwissenschaft 6), Nürnberg 1961. 185 MGH SS rer. Germ. [61.] 31915, S. 103 (Strophe 5a): Quem providentia / Dei preclara / predestinavit / et elegit / regere gentes strennue / Davidis exemplo / Messieque triumpho. 186 Ebd. S. 105 f. (Strophe 7): Die, qua surrexit qui mundum redemit, / regni monarchiam accepit sanctam / pius Cuonradus … und (Strophe 8): Post unius anni recursus / accepit sanctam regni coronam / puer Heinricus, Christo electus. 187 Vgl. Hoffmann, Eigendiktat (wie Anm. 97), S. 420 ff. (die Zitate befinden sich auf S. 420, vom „trockenen Ton“ ist auf S. 422 die Rede). 188 Vgl. ebd. S. 422. 189 Ebd. S. 420. 190 Vgl. Rück, Bildberichte (wie Anm. 108), S. 24 f.

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serlichen Präzepte schon gelesen und konnte sich wie der spätgeborene Wissenschaftler an den herrscherlichen Formulierungen delektieren? Häufiger als gelesen werden die Urkunden wohl angeschaut worden sein191, und dabei wird das Layout von Konrads Diplomen schon Eindruck gemacht haben. Der Salier profitierte dabei wie mancher anderer Herrscher auch von der Welt- und Bildungsoffenheit seines Hofes.

191 Vgl. zur demonstrativen Form der Urkundenverkündung etwa Thietmars von Merseburg Chronicon III 1 (wie Anm. 175) S. 96/98 und 97/99 sowie Huschner, Transalpine Kommunikation I (wie Anm. 58), S. 210 und (zur „virtuelle[n] Präsenz des Herrschers“) 214, und ganz allg. zur Bedeutung des Zeigens und Sehens von Urkunden und daher auch der formalen Gestaltung Rück, Die Urkunde als Kunstwerk (wie Anm. 108), S. 316 und 330 f. – Zur lediglich erschließbaren rezitativen Verlesung von Urkunden in liturgischem Rahmen vgl. Fichtenau, Arenga (wie Anm. 107), S. 62 und 82 f., sowie ders., Zur Lage der Diplomatik in Österreich, in: ders., Beiträge 2 (wie Anm. 105), S. 1 – 17, bes. 15 [erstmals 1961 frz., in: Bibl. de l’École des Chartes 199, S. 5 – 20]; ders., Bemerkungen zur rezitativischen Prosa des Hochmittelalters, in: ders., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Aufsätze 1: Allgemeine Geschichte, Stuttgart 1975, S. 145 – 162, bes. 148 f. [erstmals 1966, in: Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 12, S. 21 – 31], und ders., Monarchische Propaganda in Urkunden, in: ders., Beiträge 2 (wie Anm. 105), S. 18 – 36, 29 f. [erstmals 1956 /57, in: Bulletino dell’Archivio paleografico Italiano NS 2/3, S. 299 – 316], zur Bedeutung von Sehen und Hören in der Rechtspraxis allg. Horst Wenzel, Hören und Sehen, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, S. 62 – 65.

Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit Infernus totum vomuit, quod habet et quod potuit. Deutlich ist die Sprache, die Benzo von Alba1, der leidenschaftliche Parteigänger Heinrichs IV., fand, drastisch das Bild, das er wählte, um sein Verständnis der erschütternden Ereignisse von Rom und Canossa, die Bannung und Buße des Königs, auszudrücken: Der Höllische, womit Gregor VII. gemeint ist, spie aus, was er hatte und was er konnte. Auf gregorianischer Seite verspürte Bonizo von Sutri2 das Erzittern des gesamten römischen Erdkreises, als die Bannung des Königs bekannt wurde, und prägte damit ein Wort, das in späteren Jahrhunderten häufig aufgegriffen worden ist, um die 1076/77 eingeläutete Epochenwende und das Exzeptionelle an dem damaligen Geschehen zu versinnbildlichen. Anton Mayer-Pfannholz schließlich3 sprach zu Beginn der Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts von der „Wende von Canossa“ und verwies damit gegen historische Deutungen, die in Heinrichs Gang nach Canossa und der dort vollzogenen Kirchenbuße einen taktischen Erfolg des Saliers bei der Wiedergewinnung politischer Handlungsfreiheit sehen, auf das Grundsätzliche des Vorganges: auf die „Entwürdigung der ,regia potestas‘“ und die mit dieser verbundenen „Entsakralisierung, Entheiligung des Reiches“, die eine „Schicksalswende des Mittelalters und des Abendlandes“ bedeutete und Canossa zu einer „Kammscheide“ machte, „von der aus die Geschicke der christlich-abendländischen Welt unaufhaltsam nach einer neuen Richtung fluErstdruck in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien 13), München 2006, S. 71 – 101. 1 Benzo von Alba, Ad Heinricum IV. imperatorem libri VII, hg. und übers. von Hans Seyffert, MGH SS rer. Germ. 65, Hannover 1996, S. 404 (IV 35: Z. 18). 2 Bonizo von Sutri, Liber ad amicum, ed. Ernst Dümmler, MGH Ldl 1, Hannover 1891, S. 568 – 620, hier: S. 609 (lib. 8): postquam de banno regis ad aures personuit vulgi, universus noster Romanus orbis contremuit. 3 Anton Mayer-Pfannholz, Die Wende von Canossa. Eine Studie zum Sacrum Imperium, in: Hochland 30 (1932/33), S. 385 – 404 [wiederabgedruckt in: Canossa als Wende. Ausgewählte Aufsätze zur neueren Forschung. Hg. von Hellmuth Kämpf (= Wege der Forschung 12), Darmstadt 1976, S. 1 – 26 (verwiesen wird im folgenden auf die Seiten des Erstdrucks, da diese auch im Nachdruck verzeichnet sind)], zu den angeführten Zitaten vgl. S. 386 f. und 399. Vgl. dazu Karl Jordan, Das Zeitalter des Investiturstreites als politische und geistige Wende des abendländischen Hochmittelalters, in: ders., Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters (= Kieler Historische Studien 29), Stuttgart 1980, S. 11 – 20 [erstmals 1972, in: GWU 23, S. 513 – 522].

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ten“ – denn: Mit der „Entheiligung der Kaiseridee“ verbunden waren „die Auflösung einer alten Weltordnung“ und „der Zusammenbruch des ,heiligen‘ Reichs und des Glaubens an dieses ,heilige‘ Reich“4. Heute würde man diesen Sachverhalt weniger emphatisch beschreiben, in der Diktion nüchterner bleiben und von ,Entsakralisierung‘ nur mit gewissen Einschränkungen reden sowie vor allem mit Blick auf das sich seinem Ende zuneigende 11. Jahrhundert kaum von einem ,heiligen‘ Reich sprechen, da die Charakterisierung des salisch-staufischen Imperiums als ,heilig‘, als eines sacrum imperium oder sacrum imperium Romanum erst nach der Mitte des 12. Jahrhunderts einsetzte5 und es noch weitere hundert Jahre dauerte, bis sie in der Königskanzlei allgemein gebräuchlich wurde6; aber von einem sakralen Herrschaftsverständnis der Salier, von einem sakralen König- und Kaisertum und einer die geweihte Person des Herrschers umgebenden eigentümlichen Aura der Sakralität darf, ja, muß auch heute noch gesprochen werden. Nur um diese besondere Sakralität der Herrscher und der Würde, die sie bekleideten, soll es im folgenden gehen, nicht hingegen um das Reich7, nicht um den Herrschaftsverband, nicht um dessen soziales Gefüge und politisches Netzwerk, auch wenn alle genannten Elemente in der historischen Wirklichkeit nicht sauber von einander zu trennen sind und das Königtum ebenso wie das Reich und seine Ordnungen gleichermaßen von dem vielschichtigen Veränderungsprozeß betroffen waren, der der spätsalisch-frühstaufischen Epoche ein eigenes Gepräge gab und nach dessen Wirkungen, seien es nun spürbare Umbrüche oder deutliche Neuanfänge oder prozeßhafte Entwicklungen, noch heute gefragt wird. Gleichgültig aber, wie man das zu betrachtende Jahrhundert verstehen will, ob

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Ebd. S. 402 und 404. Das wußte natürlich auch Mayer-Pfannholz, der daher das „,heilige‘ Reich“ auch vom „,heiligen Reich‘“ unterscheidet – vgl. dazu etwa a.a.O. S. 403 f. – und mit seiner Wortwahl vor allem die spirituelle Dimension des Reiches vor der Wende von Canossa betonen will, doch führt seine Wortwahl leicht zu Mißverständnissen und sollte daher vermieden werden. 6 Dazu vgl. Heinrich Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas, in: Gunther Wolf (Hg.), Friedrich Barbarossa (= Wege der Forschung 390), Darmstadt 1975, S. 208 – 244, etwa 218 – 220, und vor allem neuestens Jörg Schwarz, Herrscher- und Reichstitel bei Kaisertum und Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 22), Köln 2003, S. 81 – 110, 189 – 263 und 270 Nr. 39 (1157 März 24 – 31) – 311 Nr. 394 (1255 Nov. 7). 7 Zur allgemeinen Geschichte des Reiches unter den Saliern vgl. Egon Boshof, Die Salier, Stuttgart 42000, und Stefan Weinfurter, Herrschaft und Reich der Salier. Grundlinien einer Umbruchzeit, Sigmaringen 21992, speziell zum Investiturstreit sind auch heranzuziehen Wilfried Hartmann, Der Investiturstreit (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 21), München 2 1996, und Werner Goez, Kirchenreform und Investiturstreit. 910 – 1122, Stuttgart 2000. Für die folgenden Ausführungen ist grundsätzlich auch zu vergleichen Tilman Struve, Die Stellung des Königtums in der politischen Theorie der Salierzeit, in: Stefan Weinfurter (Hg.), Die Salier und das Reich III. Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 21992, S. 217 – 244. 5

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als Umbruchsperiode, Aufbruchsepoche, Wendezeit oder gar Revolution8, in seinem Verlauf haben sich nicht nur die politisch-praktischen Bedingungen der Königsherrschaft im Reich verändert, sondern auch deren ideelle Grundlagen, auch wenn man königlicherseits bemüht war, Kontinuitäten zu wahren und zu betonen. Nach diesen Änderungen, für die Canossa als Symbol der Wende steht, soll im folgenden gefragt werden. Unbestritten ist, daß das salische Königtum in ottonischer und karolingischer Tradition, die ihrerseits wiederum erheblich von antik-römischen Kaiservorstellungen mitgeprägt worden war, durch einen eigenen religiösen Nimbus sakral verklärt erschien. Eine letzte Aufgipfelung hatte diese Sakralität unter Heinrich III. erfahren, der 1046 nicht nur drei um die cathedra Petri ringende Päpste hatte absetzen lassen, sondern als alter post Christum galt9 und durch seine Politik, für die er anfänglich sogar selbst predigend auf die Kanzel stieg, versuchte, das christliche Liebesgebot im rauhen Alltag einer spannungsreichen Gesellschaftsordnung zu verwirklichen10. Aus dem tiefreligiösen Verantwortungsbewußtsein seines theokratischen Herrschaftsverständnisses heraus verhalf er auch dem Reformpapsttum in Rom (und ebenfalls in Europa) zum Durchbruch11 und leitete damit – natürlich unbewußt und unbeabsichtigt – jene Wende ein, die der bislang nahezu unbestrittenen Führungsrolle des Kaisertums in der christlichen Weltordnung des Abendlandes unter seinem Sohn Heinrich IV. ein Ende bereiten sollte. Wenn sich aber auch seit der Mitte des 11. Jahrhunderts die Gewichte im Verhältnis von regnum und sacerdotium zu Gunsten des seinen Führungsanspruch in der Christenheit immer stärker einfordernden Papsttums zu verschieben begannen, so bedeutete dies zunächst aber noch keinen Verlust der herrscherlichen Sakraldimension, die ihren äußeren Ausdruck in der Herrscherweihe fand und ganz wesentlich durch drei Elemente charakterisierbar ist12 : durch die Vorstellung einer göttlichen Erwählung des Herrschers, durch die Ansicht vom Christusvikariat des Herrschers (also von der königlichen Stellvertretung Gottes auf Erden) und durch die Meinung, der 8 Dazu vgl. Jordan, Das Zeitalter des Investiturstreites (wie Anm. 3), S. 12 („Umbruchsperiode“), sowie Michael Borgolte, Einheit, Reform, Revolution. Das Hochmittelalter im Urteil der Moderne, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 248 (1996), S. 225 – 256, bes. 235 – 249. 9 Tetralogus, hg. von Harry Bresslau, Wiponis opera (= MGH SS rer. Germ. [61.]), Hannover 31915, S. 76 (V. 19). 10 Vgl. Monika Minninger, Heinrichs III. interne Friedensmaßnahmen und ihre etwaigen Gegner in Lothringen, in: Jb. f. westdt. LG 5 (1979), S. 33 – 52, bes. 33, und Karl Schnith, Recht und Friede. Zum Königsgedanken im Umkreis Heinrichs III., in: HJb 81 (1962), S. 22 – 57. 11 Vgl. Theodor Schieffer, Heinrich III. 1017 – 1056, in: Hermann Heimpel u. a. (Hgg.), Die großen Deutschen I, Stuttgart 1956, S. 52 – 69, und Rudolf Schieffer, Heinrich III. 1039 – 1056, in: Helmut Beumann (Hg.), Kaisergestalten des Mittelalters, München 31991, S. 98 – 115. 12 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003), S. 1 – 55, bes. 10 – 18.

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Herrscher besitze eine eigene Sazerdotalität, eine dem Priestertum vergleichbare seelsorgerische Verantwortung für die Menschen (ohne daß irgendein Herrscher dabei allerdings zum sakramentespendenden und liturgisch tätigen Priester im Vollsinne des Wortes geworden wäre). All diese Kriterien herrscherlicher Sakralität werden dem König in der Frühphase des Reformpapsttums bis in die Anfänge von Gregors VII. Pontifikat hinein nicht grundsätzlich abgesprochen und auf königlicher Seite ohnehin weiter vertreten. Die Einsetzung des Königs durch Gott, die herrscherliche Gottunmittelbarkeit und der religiös-sazerdotale Charakter der Monarchie galten den Vertretern des salischen Herrschaftsgedankens auch nach Canossa als unverändert gegeben an13, 13 Die Rückführung der salischen Herrschaft auf Gott zeigt sich zunächst an den in den Urkunden und Briefen vor und nach 1077 unverändert beibehaltenen Legitimationsformeln in der Intitulatio (divina favente clementia und dei gratia; dazu vgl. MGH Die Urkunden Heinrichs IV. Bearb. von Dietrich von Gladiss und Alfred Gawlik, Berlin/Weimar/Hannover 1941 – 1978, und Die Briefe Heinrichs IV., hg. und übers. von Franz-Josef Schmale, Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV. [= Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 12], Darmstadt 1974, S. 52 – 141), darüber hinaus aber auch in weiteren Formulierungen der Urkunden (etwa in DD H IV 361 [1084 Mai 24; a deo coronato]. 397 [1087 Sept. 13: qui legem dare et servare a deo potestatem in terra accepimus]. 421 [1091; zur Arenga dieses Diploms sowie zu dem Notar Oger A, der diese und die beiden folgenden Urkunden [mit]verfaßte, vgl. Bernd Schütte, Herrschaftslegitimierung im Wandel. Die letzten Jahre Kaiser Heinrichs IV. im Spiegel seiner Urkunden, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 165 – 180, bes. 172 – 176]. 423 [1091 Mai 23: potestas nobis a deo largita est]. 448 [1095 Juni 5; nach Alfred Gawlik, Bischof Adalbero von Trient und Bischof Oger von Ivrea als Leiter der italienischen Kanzlei unter Kaiser Heinrich IV., in: DA 26 (1970), S. 208 – 219, bes. 208 – 217, gehört die Urkunde jedoch wahrscheinlich in das Jahr 1091], oder auch in Urkunden Heinrichs V. [deren folgend angeführte, aber noch in Vorbereitung befindliche kritische Ausgabe vom Bearbeiter, Herrn Matthias Thiel aus Göttingen, großzügigerweise als Kopie zur Verfügung gestellt worden ist, wofür an dieser Stelle ganz herzlich gedankt sei]: Karl Friedrich Stumpf-Brentano, Die Reichskanzler vornehmlich des 10., 11. und 12. Jahrhunderts II. Die Kaiserurkunden des 10., 11. und 12. Jahrhunderts, chronologisch verzeichnet als Beitrag zu den Regesten und zur Kritik derselben. Mit Nachträgen von Julius Ficker, Innsbruck 1883, Nr. 3011 A, ed. Ludwig Weiland, MGH Const. I, Hannover 1893, S. 133 Nr. 81 [= D H V 11 (1106)]: qui a deo protegente regnum patrum nostrorum cum pace possidemus; 3045 [= D H V 62 (1111 Jan. 9, verunechtet) nach Vorurkunde: D H III 183]; 3046 [= D H V 64 (1111 Jan.): Divina disponente gratia postquam regnum patrum nostrorum intravimus, …]; 3082, ed. Ernst Friedrich Johann Dronke, Codex Diplomaticus Fuldensis, Cassel 1850, S. 374 Nr. 770 [= D H V 98 (1111 Nov. 9: Constat nos diuina disponente gratia ce˛ teris supereminere mortalibus) nach Vorurkunde: D H III 380]; 3085, ed. Heinrich Beyer, Urkundenbuch zur Geschichte der, jetzt die Preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelreinischen Territorien I, Coblenz 1860, S. 481 Nr. 421 [= D H V †101 (1112 April 25: nos diuina dignatio ad regni solium prouexit) nach echter Vorlage]; 3147, ed. ebd. S. 495 Nr. 434 [1116 Juli 1: antiquorum insignis regum deo ordinante gestamus]; 3156 [= D H V †208 (1117 Dez. 15) nach echter Vorlage]; 3161 [= D H V 223 (1119 Nov. 21) nach Vorurkunde D Lo I 87]) sowie gelegentlich in urkundlichen Äußerungen von Anhängern des Saliers (D H IV 408 [1089 Nov. 22; Empfängerausfertigung für das Kloster Stablo: divine˛ miserationis electus tertius Heinricus gratia dei Romanorum imperator]) und natürlich in kaiserlich gesinnten Streitschriften: Petri Crassi

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aber auch auf Seiten der antisalischen Opposition wurden diese Vorstellungen – wenn auch mit Blick auf die Gegenkönige Rudolf von Rheinfelden und Hermann Defensio Heinrici IV. regis c. 3 und 6, hg. von Lothar von Heinemann, MGH Ldl I, Hannover 1891, S. 437 (Henricus rex dispensatione divina in regno successit) und 445 (regno H[enrico] regi divinitus dato); Liber de unitate ecclesiae conservanda II 11 und 15, hg. und übers. von Irene Schmale-Ott, Quellen zum Investiturstreit II. Schriften über den Streit zwischen Regnum und Sacerdotium (= Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe XIIb), Darmstadt 1984, S. 402 (Henrichus … successisset progenitoribus suis in regnum ex Dei ordinatione) und 428 (regia potestas, quam acceperat ex ordinatione divina). Zur Gottunmittelbarkeit und Sachwalterschaft finden sich Hinweise allg. in der Wenrici scholastici Trevirensis epistola sub Theoderici episcopi Virdunensis nomine composita c. 4, ed. Kuno Francke, MGH Ldl I, Hannover 1891, S. 288 – 291 (vgl. zu diesem jetzt auch Franz-Reiner Erkens, Die Trierer Kirchenprovinz im Investiturstreit [= Passauer Hist. Forschungen 4], Köln 1987, S. 128 – 134, und ders., „VUENRICUS CANCELLARIUS SCRIPSIT ET SUBSCRIPSIT“. Eine unedierte Urkunde des Erzischofs Egilbert von Trier, in: RhVjbll 56 [1992], S. 79 – 96), sowie bes. bei Benzo von Alba (zu diesem vgl. Tilman Struve, Kaisertum und Romgedanke in salischer Zeit, in: DA 44 [1988], S. 424 – 454, bes. 437 – 450) in dessen sieben Büchern Ad Heinricum IV. imperatorem: I 23 und 26 sowie auch I 14, MGH SS rer. Germ. 65, S. 164 (Post deum, o caesar, tu es rex, tu imperator), 172 (vicarius est conditoris), 140 (Quia ipse deus vadit … ante HENRICUM, christum suum, preparans ei victorie˛ cumulum. Nam omnis terra expectat eum quasi redemptorem …); in der Petri Crassi Defensio c. 6 und 7, MGH Ldl I, S. 445 (Quocirca divino nutu regnorum ordinationem fieri nulli dubium esse constat) und 450 (Item ideo dicit apostolus subiectionem praestare regibus, per quam sciant non esse liberos, sed sub potestate agere, quae ex Deo est, id est sub principe suo, qui vicem Dei agit); und im Lib. de unitate eccl. cons. II 15 sowie I 10 und II 13, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe XIIb, S. 414 (iuxta divinam utriusque potestatem ordinationem [mit Bezug auf Gelasius]; vgl. auch S. 424) sowie S. 316/ 318 (Dum enim docuit [Hildebrand = Gregor VII.] regi Francorum contradicendum et non communicandum esse, cui potestas a Deo concessa est hereditaria successione, videtur Dei ordinationi restitisse, qui etiam ipsum Dei ministrum, cui gladius est permissus ad vindicatam noxiorum,dum studuit gladio adversariorum deicere …) und S. 408 (Dei ministro), sowie in der anonymen, aus dem italienischen Königskloster Farfa stammenden Orthodoxa defensio imperialis c. 2 und 6, ed. Lothar von Heinemann, MGH Ldl II, Hannover 1892, S. 536 (Quod vero caput eclesiae [!] regem debeamus intelligere, …) und 538 (Dei enim ministri sunt principes, …), zu der jetzt – neben Mary Stroll, The Medieval Abbey of Farfa. Traget of Papal and Imperial Ambitions (= Brill’s Studies in Intellectual History 74), Leiden 1997, S. 210 – 220, bes. 214 – 216 – auch Oliver Münsch, Die Orthodoxa defensio imperialis. Ein Beitrag zur Publizistik des Investiturstreits, in: Thomas Martin Buck u. a. (Hgg.), Quellen, Kritik, Interpretation. Festgabe zum 60. Geb. von Hubert Mordek, Frankfurt a. M. 1999, S. 135 – 154, zu vergleichen ist. Auf die Sazerdotalität wird angespielt in folgenden Schriften: Excerpta ex Widonis Osnabrugensis libro de controversia inter Hildebrandum et Heinricum imperatorem, ed. Lothar von Heinemann, MGH Ldl I, Hannover 1891, S. 467 (Unde dicunt nulli laico umquam aliquid de ecclesiasticis disponendi facultatem esse concessam, quamvis rex a numero laicorum merito in huiusmodi separetur, cum oleo consecrationis inunctus sacerdotalis ministerii particeps esse cognoscitur – was natürlich auf die entsprechende Formel im Mainzer Krönungsordo anspielt [Cyrille Vogel / Reinhard Elze (Hgg.), Le pontifical romanogermanique du dixième siecle. Le Texte I (= Studi e Testi 226), Città del Vaticano 1963, S. 257 (LXXII 22, wo die krönenden Bischöfe den König daran erinnern, daß er ein particeps ministerii nostri, ein Teihaber an ihrem Amt, sei)], deren Rezeption mit dieser Anspielung belegt ist und deren Verwendung bei der Krönung dadurch zumindest wahrscheinlich wird; Wido episcopus Ferrariensis De scismate Hildebrandi, ed. Roger Wilmans, recog. Ernst Dümmler, MGH Ldl I, Hannover 1891, S. 566 (Unde nec [scil. imperatores et reges] debent

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von Salm – sowohl von einigen Fürsten14 als auch von dem Abt Wilhelm von Hirsau15 weiterhin geäußert, hegte man doch auch in dem sehr stark antisalisch eingestellten Herzogtum Sachsen den traditionellen Gedanken an das herrscherliche Gottesvikariat16 und konnte sogar noch 1085 der päpstliche Parteigänger Gebhard von Salzburg erklären, daß Sachsen kein königliches Eigengut sei, sondern ein Reich Gottes (Domini regnum), das dieser gebe, wem er wolle17; selbst Gregor VII. löste sich nur langsam von den traditionellen Gedanken über das Verhältnis der inter laicos computari, sed per unctionis meritum in sorte sunt Domini deputandi); Orthodoxa defensio imp. c. 6, MGH Ldl II, S. 538 (Nam reges et imperatores propter sacram unctionem christi nuncupantur et sic suorum ministerio vel officio sive prelatione sacramentis ecclesiae [!] sunt uniti, ut in nullo debeant separari.). Grundsätzlich vgl. zu dieser Problematik auch Gottfried Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20), Berlin (Ost) 1972, S. 30 – 60, sowie (bes. zur königlichen Gottunmittelbarkeit und Vikariatsstellung) S. 61 – 99, und Tilman Struve, Regnum und Sacerdotium, in: Iring Fetscher / Herfried Münkler (Hgg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen II. Mittelalter: Von den Anfängen des Islams bis zur Reformation, München 1993, S. 189 – 242, bes. 213 – 234. 14 In einem Schreiben an Gregor VII. wird Rudolf von Rheinfelden als fortis in eo, qui dat salutem regibus bezeichnet (Brunos Buch vom Sachsenkrieg c. 110, hg. von Hans-Eberhard Lohmann, MGH Dt. Mittelalter 2, Leipzig 1937, S. 100), wodurch deutlich gemacht wird, daß des neuen Königs Heil, also auch die Herrschaft, von Gott stammt, dem der Herrscher daher natürlich verantwortlich ist. Im Ansatz wird hier eine Übertragung der herkömmlichen Königsidee auf das Gegenkönigtum greifbar; vgl. dazu Otto-Hubert Kost, Das östliche Sachsen im Investiturstreit. Studien zu Brunos Buch vom Sachsenkrieg (= Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens 13), Göttingen 1962, S. 43 – 65, bes. 43 und 170 f. Daß Rudolf selbst seine Herrschaft als divina favente clementia empfangen betrachtete, dokumentiert er in der einzigen von ihm erhaltenen Urkunde: MGH DD H IV, S. 676 f. 15 Die Hannoversche Briefsammlung, hg. von Carl Erdmann, in: ders. / Norbert Fickermann (Bearb.), MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit V: Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., Weimar 1950, S. 41 (Hildesheimer Briefe Nr. 18 [an Hermann von Salm, 1082 – 1085]: Unam petii a Deo, hanc requiram, ut Deus et Dominus adaperiat cor vestrum in lege sua et in pre˛ ceptis suis in omnibus operibus vestris clarescere faciat, quia ex ipso et per ipsum regnatis, et quod ex voluntate eius administrandam in terra vicem suam suscepistis). In den beiden Königsurkunden, die von Hermann erhalten sind, bezeichnet sich der Salmer nicht nur als divina favente clementia rex (MGH DD H IV, S. 677 – 680), sondern betont auch einmal darüber hinaus zusätzlich (ebd. S. 678), daß er die Herrschaft durch Gottes Gnade erhalten habe: Volumus enim ipso donante, quo favente regni gubernacula suscepimus, … 16 Vgl. den von Bruno überlieferten Brief Werners von Magdeburg wohl aus dem Jahre 1075 an seine Amtsbrüder von Mainz und Würzburg, in dem es heißt, sie sollen den König daran erinnern se coelestis regis vicem simul et nomen habere (Brunos Buch vom Sachsenkrieg c. 48, MGH Dt. Mittelalter 2, S. 47), sowie das ein Jahr früher anzusetzende Schreiben des dem Salier sicherlich mehr gewogenen Hezilo von Hildesheim an Heinrich IV.: MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit V, S. 99 (Hildesheimer Brief Nr. 53: regis regum insigni vicario). 17 Frutolfi chronica a. 1085, teiled. und übers. von Franz-Josef Schmale und Irene SchmaleOtt, Frutolfs und Ekkehards Chroniken und die anonyme Kaiserchronik (= Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 15), Darmstadt 1972, S. 48 – 121, hier 100: … Saxonia, que˛ non suum [= des Königs] dumtaxat predium, sed Domini sit regnum, qui … cuicumque voluerit dat illud; …

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Herrscher zum Numinosen und konnte Heinrich IV. noch 1074 und 1075 von Gott auf den Gipfel der Macht gestellt18 sehen, wobei er allerdings auch keinen Zweifel daran hegte19, daß das Priestertum vor dem Herrscheramt rangierte, während ein älterer Reformer wie Petrus Damiani († 1072) königliche Eingriffe in kirchliche Verhältnisse (wie etwa 1046 in Ravenna) noch ohne Vorbehalte akzeptierte, solange sie der Reform dienten, denn er sah den König ein Condominium mit Christus verwirklichen20. Einen gesteigerten Ausdruck für seine eigene Gottunmittelbarkeit fand das durch die Reformkurie unter Druck geratene salische Königtum schließlich 1076, als Heinrich IV. in seinem mit propagandistischer Absicht verfertigten Absageschreiben an Gregor VII. die bislang noch nie artikulierte Behauptung aufstellte21: Er, Heinrich, durch Gottes gerechte Anordnung König (pia dei ordinatione rex), dem die Gewalt von Gott verliehen worden (regiam potestatem nobis a deo concessam) und der von Christus selbst zur Königsherrschaft berufen (dominus noster Iesus Christus nos ad regnum … vocavit) und zum Königtum gesalbt (inter christos ad regnum sum unctus) worden sei, könne von niemandem außer von Gott 18 Das Register Gregors VII., hg. von Erich Caspar, MGH Epistolae selectae 2, Berlin 1920/23, S. 165 (II 31: quem Deus in summo culmine rerum posuit) und 257 (III 7: quem Deus in summo rerum posuit culmine). Zum Register vgl. Rudolf Schieffer, Tomus Gregorii papae. Bemerkungen zur Diskussion um das Register Gregors VII., in: AfD 17 (1971), 169 – 184, zur Sache selbst Christian Schneider, Prophetisches Sacerdotium und heilsgeschichtliches Regnum im Dialog 1073 – 1077. Zur Geschichte Gregors VII. und Heinrichs IV. (= Münstersche Mittelalter-Schriften 9), München 1972, 87 – 91; Rudolf Schieffer, Gregor VII. und die Könige Europas, in: Studi Gregoriani 13 (1989), S. 189 – 211. 19 Vgl. dazu Anm. 35. 20 Die Briefe des Petrus Damiani, Bd. 1. Hg. von Kurt Reindel, MGH Die Briefe der deutschen Kaiserzeit IV 1, München 1983, S. 199 Nr. 20 (nach Pfingsten [18. Mai] 1046): Quapropter, rex invictissime, quod ad laudem Dei et salutem hominum coepistis, ad finem usque perducite et latrone reiecto pastorem, unde aecclesia gaudeat, ordinate. Omnipotens Deus, qui tibi terreni imperii gubernacula tribuit, et ad faciendam iusticiam suam diu in hac te vita custodiat, et post mortalis vitae decursum ad caelestia regna perducat. Zu Petrus Damianis konservativer Vorstellungwelt über das Königtum vgl. Hans Peter Laqua, Traditionen und Leitbilder bei dem Ravennater Reformer Petrus Damiani 1042 – 1052 (= Münstersche Mittelalter-Schriften 30), München 1976, S. 312 – 318, bes. 316, zur Bewertung von Heinrichs III. Eingriff in Ravenna bes. 134 f. und 277 – 279; Brigitte Szabó-Bechstein, Libertas ecclesiae. Ein Schlüsselbegriff des Investiturstreits und seine Vorgeschichte. 4.–11. Jahrhundert (= Studi Gregoriani 12), Roma 1985, S. 123 f. und 129 f.; Struve, Regnum (wie Anm. 13), S. 217 ff., und ders., Kaisertum (wie Anm. 13), S. 434 f. Zum Condominium von König und Christus vgl. den zitierten Brief (S. 200 f.) und Schneider, Prophetisches Sacerdotium (wie Anm. 18), S. 47 Anm. 132. Zu Petrus Damiani vgl. auch Wilhelm Levison, Die mittelalterliche Lehre von den beiden Schwertern, in: DA 9 (1952), S. 14 – 42, bes. 28 f., der allerdings den Sermo 69 (vgl. Anm. 97) noch dem Eremitenprior zuschreibt, und Struve, Die Stellung (wie Anm. 7), S. 219, der darauf hinweist, daß die Vorstellungen des Petrus Damiani über das Verhältnis der beiden Gewalten eine zukunftsträchtige Scheidung von regnum und sacerdotium ermöglichten, während Gregor VII. noch an der traditionellen Verbindung – allerdings mit neuen Vorzeichen – festgehalten habe. 21 Briefe Heinrichs IV. (wie Anm. 13) S. 64 – 68 Nr. 12. Zu diesem Schreiben vgl. Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 94 f., und Schneider, Prophetisches Sacerdotium (wie Anm. 18), S. 158 – 166.

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gerichtet werden, es sei denn, er falle vom Glauben ab (quem sanctorum patrum traditio soli deo iudicandum docuit nec pro aliquo crimine, nisi a fide … exorbitaverim). Unverkennbar wird hier von Heinrich und seinem wortgewandten Helfer Gottschalk von Aachen22 die altbekannte Lehre von der Unrichtbarkeit des Papstes23 einfach auf den König und künftigen Kaiser übertragen, der nun auch die traditionelle, während der vergangenen Jahrhunderte in der Regel von geistlicher Seite zur Abwehr kaiserlicher Dominanz bemühten Zweigewaltentheorie des Gelasius24 aufgriff, um die von Gregor VII. in Frage gestellte Unabhängigkeit der weltlichen Gewalt zu sichern25: Gregor VII. wird nämlich vorgeworfen, sich beide Gewalten anzumaßen (regnum et sacerdotium deo nesciente sibi usurpavit), während der König doch von Gott zur Herrschaft berufen worden sei (quem deus in regnum … vocavit) und an Gottes Statt (pro deo) auf Erden regiere. Erstmals wird in diesem Zusammenhang aber auch das biblische Bild von den beiden Schwertern (Lk 2238), die Jesus gebracht wurden und von denen dieser feststellte, daß sie genügen, auf regnum und sacerdotium bezogen, um zu demonstrieren, daß es eben zwei unmittelbar von Gott stammende Gewalten in ecclesia gebe, die mit und für einander bei der Verbreitung und Verteidigung des Christentums zu wirken haben – und nicht nur eine26. Was jedoch von Heinrich und seinen Helfern 1076 so vollmundig behauptet worden ist, die Unrichtbarkeit des Königs, erwies sich in der historischen Realität als falsch, denn kaum ein Jahr später vollzog der Salier in Canossa die Kirchenbuße und unterwarf sich als sündiger Mensch der kirchlichen Strafgewalt des Papstes. Nicht die Bußübung an sich, die zuvor auch schon von anderen Herrschern geleistet worden war27, schmälerte dabei das sakrale Ansehen des Königtums, sondern 22

Zu diesem und seinem Wirken vgl. Tilman Struve, G(ottschalk) v(on) Aachen, in: LexMA 4 (1989), S. 1610 f.; Erich Meuthen, Die Aachener Pröpste bis zum Ende der Stauferzeit, in: ZAGV 78 (1966/67), S. 5 – 95, bes. 23 – 25; Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 31. 23 Vgl. dazu Albert Michael Koeniger, Prima sedes a nemine iudicatur, in: Beiträge zur Geschichte des christlichen Altertums und der byzantinischen Literatur. Festgabe Albert Ehrhard, Bonn 1922, S. 273 – 300, und Hubert Mordek, Der römische Primat in den Kirchenrechtssammlungen des Westens vom IV. bis VIII. Jahrhundert, in: Il primato del vescovo di Roma nel primo millennio. Ricerche e testimonianze, Città del Vaticano 1991, S. 523 – 566. 24 Lotte Knabe, Die gelasianische Zweigewaltentheorie bis zum Ende des Investiturstreits (= Hist. Stud. 292), Berlin 1936. 25 Briefe Heinrichs IV. (wie Anm. 13) S. 68 – 72 Nr. 13 ([1076]). Zu diesem Schreiben vgl. Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 64 f.; Schneider, Prophetisches Sacerdotium (wie Anm. 18), S. 167 – 169, sowie allg. auch Levison, Die mittelalterliche Lehre von den beiden Schwertern (wie Anm. 20), S. 14 – 42, und Hartmut Hoffmann. Die beiden Schwerter im hohen Mittelalter, in: DA 20 (1964), S. 78 – 114. 26 Vgl. Briefe Heinrichs IV. (wie Anm. 13) Nr. 17 ([1082]), hier S. 80: Deus non unum, sed duos gladios satis esse dixit. 27 Vgl. dazu etwa Rudolf Schieffer, Von Mailand nach Canossa. Ein Beitrag zur Geschichte der christlichen Herrscherbuße von Theodosius d. Gr. bis zu Heinrich IV., in: DA 28 (1972), S. 333 – 370.

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Heinrichs Unvermögen, die Kluft zu überwinden zwischen dem propagandistisch gesteigerten Anspruch auf die alleinige Unterwerfung unter das Gericht Gottes und der vom Papst durch die Bannsentenz geschaffenen Wirklichkeit einer priesterlichen Überordnung zumindest in spiritualibus. Unverkennbar erwiesen sich die (bislang ohnehin kaum reflektierten) theoretischen Grundlagen der salischen Herrschaft 1077 als brüchig, befand sich der pia dei ordinatione rex nicht nur in einer Herrschafts-, sondern auch in einer Legitimationskrise – und dies um so mehr, als sich auf reformpäpstlicher Seite das Verständnis vom König und seinem Amt und damit verbunden auch von dem traditionellen Verhältnis von Regnum und Sacerdotium deutlich und für den salischen König vor allem auch spürbar zu ändern begann. Das war natürlich keine Entwicklung ohne Vorgeschichte, hatte doch schon 1047/48 ein wohl aus Frankreich stammender, anonymer Kleriker in seiner Bewertung von Heinrichs III. Vorgehen gegen die drei um die cathedra Petri rivalisierenden Päpste und von deren durch den Salier betriebenen Absetzung scharfe Worte gefunden, den Kaiser als nequissimus, infamis und deo odibilis charakterisiert, ihn, offenkundig als Laien betrachtend, im Rang hinter die Geistlichen eingeordnet und ihm keinesfalls das Christusvikariat zugestanden, wodurch der Salier seiner sakralen Würde völlig entkleidet erscheint28. Etwa zur gleichen Zeit hat der Lütticher Bischof Wazo (oder, falls die überlieferten Worte erfunden sein sollten, sein Biograph Anselm) Heinrich III. über den Unterschied aufgeklärt, der nach seiner Ansicht zwischen der Bischofsweihe und der Königssalbung bestand29 : Weil der Bischof zum Spenden des ewigen Lebens, der Herrscher aber in Ausübung seiner richterlichen und militärischen Aufgaben zum Töten geweiht sei, so meinte der lothringische Prälat, besitze die Bischofssalbung einen Vorrang vor der Königsweihe. Humbert von Moyenmoutier schließlich, der Kardinalbischof von Silva Candida, zählte etwa zehn Jahre später den König ebenso wie schon der Verfasser

28 Vgl. dazu Erwin Frauenknecht, Der Traktat De ordinando pontifice (= MGH Studien und Texte 5), Hannover 1992 (Edition 73 – 99, vgl. bes. 89 – 99 und hier die Zeilen 202 f., 263, 311 und 291 f.: Ubi enim inveniuntur imperatores locum Christi obtinere?), und Hans Hubert Anton, Der sogenannte Traktat „De ordinando pontifice“. Ein Rechtsgutachten in Zusammenhang mit der Synode von Sutri (1046) (= Bonner Hist. Forschungen 48), Bonn 1982 (Edition S. 75 – 83, bes. 80 – 83), sowie ders., Die Synode von Sutri, ihr zeitgeschichtlicher Kontext und Nachklang. Neue Forschungen zu einer lange diskutierten Schrift, in: ZRG KA 83 (1997) S. 576 – 584, aber auch Franz-Reiner Erkens, Die Trierer Kirchenprovinz am Vorabend des Investiturstreits, in: Bll. f. dt. LG 126 (1989), S. 109 – 158, bes. 117 – 120. 29 Anselmi Gesta episcoporum Leodiensium c. 66, ed. Rudolf Koepke, MGH SS 7, Hannover 1846, S. 230 (Alia … est et longe a sacerdotali differens vestra haec quam asseritis unctio, quia per eam vos ad mortificandum, nos auctore Deo ad vivificandum ornati sumus; unde quantum vita morte praestantior, tantum nostra vestra unctione sine dubio est excellentior.); vgl. dazu Erkens, Die Trierer Kirchenprovinz am Vorabend des Investiturstreits (wie Anm. 28), S. 112 – 115, und Jean-Louis Kupper, Liège et l’église impériale. XIe-XIIe siècles (= Bibl. de la Faculté de Phil. et Lettres de l’Université de Liège 228), Paris 1981, S. 130 – 134 und 384 – 387.

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von ,De Ordinando pontifice‘ unter die Laien30, billigte ihm also keine hervorgehobene Position mehr als mediator cleri et plebis zu31 und bezeugt damit einen Vorstellungswandel an der Kurie (den er wohl auch entscheidend mitprägte). Für Gregor VII. jedenfalls war der Herrscher, wie der Papst bereits in den ersten Monaten seines Pontifikats verkündete, ebenfalls ein Laie, allerdings der erste, das Haupt der Laienschar32 : laicorum caput. Wenn Gregor VII. zunächst auch keinesfalls den Bruch mit dem salischen Königtum anstrebte, sondern nach der Besteigung der cathedra Petri in herkömmlicher Weise um ein Miteinander der beiden höchsten Gewalten bemüht war33, so gab es für ihn doch auch keinen Zweifel am Vorrang des Sacerdotiums vor der weltlichen Gewalt. In diesem Sinne erfuhr der traditionelle weltlich-geistliche Synergismus34, der bis in die Mitte des 11. Jahrhunderts eine Präponderanz des Kaisertums aufwies, eine Umverteilung der inneren Gewichte zugunsten der Geistlichkeit. Nirgendwo deutlicher wird dies vor dem Ausbruch des großen Ringens um die rechte Ordnung der Christenheit als in dem eigentümlichen Dokument, das als ,Dictatus papae‘ bezeichnet wird und sich in Gregors Briefregister unter den Einträgen zum Jahr 1075 befindet35. Unverkennbar spiegelt das wohl als Inhaltsverzeichnis einer ge30 Humberti Cardinalis Libri III adversus simoniacos, ed. Friedrich Thaner, MGH LdL I, Hannover 1891, S. 95 – 253 (etwa S. 203 – 217: III 5 – 15); vgl. dazu Rudolf Schieffer, Die Entstehung des päpstlichen Investiturverbots für den deutschen König (= MGH Schriften 28), Stuttgart 1981, S. 36 – 47, bes. 38 ff.; Szabó-Bechstein, Libertas ecclesiae (wie Anm. 20), S. 130 – 137, und Struve, Regnum (wie Anm. 13), S. 219 f. 31 Mainzer Ordo (wie Anm. 13) S. 258 (LXXII 25), vgl. dazu Rudolf Schieffer, Mediator cleri et plebis. Zum geistlichen Einfluß auf Verständnis und Darstellung des ottonischen Königtums, in: Gerd Althoff / Ernst Schubert (Hgg.), Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen (= Vorträge und Forschungen 46), Sigmaringen 1998, S. 345 – 361, bes. 354 f. 32 Reg. I 20 (wie Anm. 18) S. 33 (1073 Sept. 1). 33 Vgl. dazu Schneider, Prophetisches Sacerdotium (wie Anm. 18), passim; Schieffer, Investiturverbot (wie Anm. 30), S. 108 – 113; Johann Englberger, Gregor VII. und die Investiturfrage. Quellenkritische Studien zum angeblichen Investiturverbot von 1075 (= Passauer Hist. Forschungen 9), Köln 1996; ders., Gregor VII. und die Bischofserhebungen in Frankreich. Zur Entstehung des ersten römischen Investiturdekrets vom Herbst 1078, in: FranzReiner Erkens, (Hg.), Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich (= Beihefte zum AKG 48), Köln 1998, S. 193 – 258, sowie allg. auch H. E. J. Cowdrey, Pope Gregory VII 1073 – 1085, Oxford 1998, S. 89 – 129, und Uta-Renate Blumenthal, Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform, Darmstadt 2001; zum Ideengut Gregors vgl. darüber hinaus Szabó-Bechstein, Libertas ecclesiae (wie Anm. 20), S. 138 – 175. 34 Vgl. dazu Theodor Schieffer, Krisenpunkte des Hochmittelalters (= Rhein.-Westf. Akad. d. Wiss. Vorträge G 209), Opladen 1976, S. 17 f. 35 Reg. II 55a (wie Anm. 18) S. 202 – 208 (wo sich die für die weiteren Überlegungen zentralen Sätze finden: VIII. Quod solus possit uti imperialibus insigniis. VIIII. Quod solius pape˛ pedes omnes principes deosculentur. X. Quod illius solius nomen in ecclesiis recitetur. XI. Quod hoc unicum est nomen in mundo. XII. Quod illi liceat imperatores deponere. … XVIIII. Quod a nemine ipse iudicari debeat. … XXIII. Quod Romanus pontifex, si canonice˛ fuerit ordinatus, meritis beati Petri indubitanter efficitur sanctus … XXVII. Quod a fidelitate iniquorum subiectos potest absolvere. Vgl. Hubert Mordek, Dictatus papae, in: LexMA 3 (1986), S. 978 – 981, und Schneider, Prophetisches Sacerdotium (wie Anm. 18), S. 110 – 118.

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planten oder verlorenen Kirchenrechtssammlung entstandene Dokument den innerkirchlichen Primat des sich seiner juridischen Grundlagen bewußten Papsttums36 wider und den Vorrang vor der weltlichen Gewalt, dessen sich der Papst sicher war, wenn er etwa das Recht, für sich beanspruchte, Kaiser abzusetzen und Untertanen vom Eid zu lösen. Noch war dies freilich ein Vorrang im Reich der Ideen, den Gregor jedoch, Zeichen seiner historischen Größe!, in entsprechender politischer Situation – ohne daß dies langfristig geplant gewesen wäre und in keinesfalls als sicher einzuschätzender und den Erfolg verbürgender Lage – allein im Vertrauen auf seine geistliche Pflicht als Nachfolger Petri (und daher keine Gefahr achtend) mit unerbittlicher Schroffheit und unbeugsamer Härte Wirklichkeit werden ließ37. Freilich kam dieses konsequente Handeln, die Bannung und Absetzung des Königs, selbst für Gregors Anhänger überraschend und warf Fragen nach der Rechtmäßigkeit des päpstlichen Vorgehens auf. Auf allen Seiten war man noch deutlich den traditionellen Vorstellungen vom Königtum verhaftet und wollte, soweit man die prinzipielle Problematik überhaupt erfaßte, eine theoretisch fundierte Begründung für die Unterordnung der königlich-kaiserlichen Gewalt unter die Hoheit des Papstes erfahren, denn die soeben angeführten, seit der Mitte des 11. Jahrhunderts greifbaren Äußerungen über den Vorrang des Sacerdotiums bildeten zunächst ja nur Einzelstimmen, die ohne unmittelbare praktische Folgen geblieben und deren Verlautbarungen noch nicht zu einem eigenen Ideensystem verdichtet worden waren, ja, außerhalb des gedanklichen Dunstkreises der Reformkurie wohl allenfalls isoliert wahrgenommen worden sind. Es ist nicht zuletzt den bohrenden Fragen eines prinzipiell papsttreuen und reformorientierten Geistlichen ohne zelotischen Kampfwillen, nämlich dem lothringischen Bischof Hermann von Metz38, zu verdanken, daß Gregor VII. sich veranlaßt sah und die Gelegenheit bekam, seine Aktionen gegen den Salier ausführlich zu begründen. Die Fragen des lothringischen Geistlichen sind zwar nicht überliefert, wohl aber die Antworten, die sie hervorriefen: ein Schreiben des gregorianisch gesinnten Erzbischofs Gebhard von Salzburg39 und zwei Briefe des Papstes selbst aus den Jahren 1076 und 1081, von denen besonders das letzte Schriftstück grundsätzliche 36

Vgl. dazu etwa Horst Fuhrmann, Das Reformpapsttum und die Rechtswissenschaft, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Investiturstreit und Reichsverfassung (= Vorträge und Forschungen 17), Sigmaringen 1973, S. 175 – 203. 37 Vgl. dazu Rudolf Schieffer, Gregor VII. – Ein Versuch über die historische Größe, in: HJb 97/98 (1978), S. 87 – 107. 38 Zu diesem vgl. Erkens, Die Trierer Kirchenprovinz im Investiturstreit (wie Anm. 13), S. 16 – 18, 37 – 43 und 45 – 66. 39 Epistola venerabilis Gebehardi Salzburgensis archiepiscopi ad Herimannum Metensem episopum, ed. K. Francke, MGH Ldl 1, Hannover 1891, S. 263 – 279. Zu Gebhard vgl. Josef Fleckenstein, Erzbischof Gebhard von Salzburg als Repräsentant der Reichskirche und Gegner des Königs im Investiturstreit, in: Eberhard Zwink (Hg.), Salzburg in der europäischen Geschichte (= Salzburg Dokumentationen 19), Salzburg 1977, S. 11 – 28, sowie Walter Steinböck, Erzbischof Gebhard von Salzburg (1060 – 1088). Ein Beitrag zur Geschichte Salzburgs im Investiturstreit, Wien / Salzburg 1972.

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Aussagen formuliert40. In ihm leitet Gregor nämlich die Überordnung des römischen Bischofs über das König- und Kaisertum aus der Binde- und Lösegewalt ab, die Christus einstens an Petrus verliehen hat (Mt 1618f.) und über die der Papst in der Nachfolge des Apostelfürsten verfüge. Gleichzeitig weist er dem geweihten König als einem Laien den Rang hinter dem Exorzisten, also eine Position hinter und unter einem der niedrigen Weihegrade der katholischen Kirche, zu und beschreibt die Entstehung des Königtums als eine Folge des Sündenfalls der Menschen, denn die menschliche Sündhaftigkeit, angestachelt vom Satan, habe zur Herrschaft von Menschen über Menschen geführt41. Dies war zwar kein grundsätzlich neuer Gedanke42, aber er erhielt – nach Ansätzen schon in ,De ordinando pontifice‘43 – durch Gregor eine negative Zuspitzung44, wie er sie seit Augustinus († 430) und Tertullian († nach 212) nicht mehr besessen hatte45 und die von papalistisch eingestellten Autoren natürlich auch weiterhin gern gegen herrscherliche Gleichrangigkeits- und Gottunmittelbarkeitsansprüche vertreten worden ist46. 40 Reg. IV 2 und VIII 21 (wie Anm. 18) S. 293 – 297 und 544 – 562; vgl. dazu Schneider, Prophetisches Sacerdotium (wie Anm. 18), S. 190 – 194; Wolfgang Stürner, Peccatum und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sigmaringen 1987, S. 131 – 135, und Bernhard Töpfer, Urzustand und Sündenfall in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Staatstheorie (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 45), Stuttgart 1999, S. 124 – 129, sowie Nikolaus Staubach, Der König als membrum diaboli? Augustinusrezeption in der Publizistik des Investiturstreits, in: FmaSt 33 (1999), S. 108 – 124, bes. 112 – 114. Zur propagandistischen Verbreitung dieses Papstbriefes vgl. Stefan Beulertz, Gregor VII. als „Publizist“. Zur Wirkung des Schreibens Reg. VIII, 21, in: Archivum Historiae Pontificiae 32 (1994), S. 7 – 29, bes. 11 und 14 f. 41 Reg. VIII 21 (wie Anm. 18) S. 548 (päpstliche Binde- und Lösegewalt auch über Könige), 555 f. (Überordnung des Exorzisten) und 552 (Ursprung der Herrschaft aus der Sünde: Quis nesciat reges et duces ab iis habuisse principium, qui Deum ignorantes superbia, rapinis perfidia, homicidiis postremo universis pene sceleribus mundi principe diabolo videlicet agitante super pares, scilicet homines, dominari ce˛ ca cupidine et intollerabili presumptione affectaverunt?). 42 Vgl. Stürner, Peccatum (wie Anm. 40), S. 38 – 125. 43 De ord. pont. (wie Anm. 28) S. 96, Z. 292 f. 44 Vgl. Stürner, Peccatum (wie Anm. 40), S. 132 – 135, und Schieffer, Gregor VII. und die Könige Europas (wie Anm. 18), S. 208 – 210. 45 Vgl. ebd. S. 42 – 49 und 67 – 85. 46 Vgl. ebd. S. 136 – 225 und Struve, Regnum (wie Anm. 13), S. 221 – 227, aber allg. auch Szabó-Bechstein, Libertas ecclesiae (wie Anm. 20), S. 195 – 204, und Töpfer, Urzustand (wie Anm. 40), S. 129 – 148. – In diesem Zusammenhang ist etwa auf Manegolds von Lautenbach Erwiderung auf Wenrich von Trier (zu diesem vgl. Anm. 13) hinzuweisen: auf den Liber ad Gebehardum (zu diesem vgl. Wilfried Hartmann, Manegold von Lautenbach und die Anfänge der Frühscholastik, in: DA 26 [1970], S. 47 – 149, bes. 123 – 138), der von Kuno Francke herausgegeben worden ist (MGH LdL 1, Hannover 1891, S. 308 – 430) und in dem u. a. durch den berühmten Vergleich mit einem Schweinehirten (S. 365 [c. 30]) die funktionale Seite des Herrscheramtes betont und die sakrale Stellung des Königs deutlich herabgesetzt wird; vgl. dazu Horst Fuhrmann, „Volkssouveränität“ und „Herrschaftsvertrag“ bei Manegold von Lautenbach, in: Sten Gagnér u. a. (Hgg.), Festschrift f. Hermann Krause, Köln 1975, S. 21 – 42, bes. 33 – 42, sowie Miethke, Politische Theorien (wie Anm. 149), S. 62 f.

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Gregors Verständnis vom Ursprung der weltlichen Herrschaft als einer Konsequenz menschlicher Sündhaftigkeit und teuflischer Insinuation bezeichnet daher zweifellos eine bedeutende Wegmarke der Wende von Canossa, aber es wird zugleich auch in einer bestimmten politischen Krisensituation geäußert und korrespondiert mit anderen Vorstellungen über das Königtum, die in ihrer positiven Einschätzung der Königsherrschaft den traditionellen Ansichten wesentlich mehr verpflichtet waren und die der Papst ebenfalls artikulierte. Eine Ideenwelt, auch die Gregors VII. und seines Anhangs, ändert sich eben nur allmählich und unterliegt dabei vielfältigen Einflüssen; von allzu monolithischen Deutungen sollte man daher absehen und erkennbare Differenzen innerhalb eines Gedankenhorizonts nicht primär als unverständliche Widersprüche, sondern als notwendige Folge von Entwicklungsprozessen begreifen. Wenn sich Gregors Skepsis etwa auch weniger gegen das Königtum als Institution und mehr gegen die Herrscherpersönlichkeiten seiner Zeit richtete47 und wenn der Papst gelegentlich, und zwar noch 1080, davon sprach, daß die weltliche Gewalt von Gott verliehen werde48, ihr eine moralische Aufgabe und die Fürsorge für die ihr Unterworfenen49 und damit auch eine Verantwortung vor Gott50 zufalle, wenn er sich schließlich sogar auf die gelasianische Zweigewaltenlehre bezog51 und damit zumindest prinzipiell die Gottunmittelbarkeit der Königsgewalt akzeptierte, so wandelte er dabei zweifellos in gewohnten Bahnen, allerdings nicht, ohne zugleich eigene, die Tradition verändernde Akzente zu setzen und das Aufsichtsrecht und den Vorrang des Papsttums zu betonen – denn: Die moralisch-politische Funktion und Fürsorgepflicht der Könige diente einer christlichen Aufgabe, näherhin der „sittliche(n) Entwicklung“ der Untertanen52, und besaß, da das Seelenheil der Untertanen das letzte Ziel war53, im weiteren Sinne eine priesterliche Dimension; sie war daher auch der kirchlichen Kontrolle unterworfen54. Die beiden Gewalten, auch wenn man sie als unmittelbar zu Gott begriff, waren dies deshalb nach Gregors Ansicht keinesfalls im gleichen Maße; die Politik unterstand hinsichtlich ihres christlichen Zweckes ja der geistlichen Oberaufsicht, die deshalb als überlegen zu gelten hat. Papsttum und Königtum (apostolica et regia 47

Vgl. Schieffer, Gregor VII. und die Könige Europas (wie Anm. 18), S. 202. Reg. VII 21 und 25 (wie Anm. 18) S. 497 (Te …, cui regni curam providentia divina commisit) und 505. 49 Vgl. Anm. 53 sowie – gleichsam in negativer Umkehr dazu – die 1074 gegenüber französischen Bischöfen über ihren König Philipp I. geäußerten Vorwürfe: Reg. II 5 (wie Anm. 18) S. 130 f. 50 Ebd. II 51 und IV 28 = S. 193 (1075) und 345 (1077). 51 Ebd. VII 25 und VIII 21 = S. 505 f. (1080) und 553 (1081). 52 Schieffer, Gregor VII. und die Könige Europas (wie Anm. 18), S. 195. 53 Reg. IX 2 (wie Anm. 18) S. 570 (1081): subditorum tuorum salutem ce˛ lesti gratia inspirante, sicut regem decet, curare … 54 Ebd. VII 6 und 25 sowie VIII 20 = S. 465 f. (1079), 505 – 507 (1080) und 543 (1080); The Epistolae vagantes of Pope Gregory VII Nr. 57 ([1074 – 1084]), ed. and transl. by H. E. J. Cowdrey, Oxford 1972, S. 138. Vgl. dazu Schieffer, Gregor VII und die Könige Europas (wie Anm. 18), S. 198 f. 48

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dignitas) verhielten sich deswegen, um mit Gregor zu sprechen, der damit im Jahre 1080 ein intensiv nachwirkendes Bild des Vergleichs schuf55, wie Sonne und Mond zueinander56: Sicut enim ad mundi pulchritudinem oculis carneis diversis temporibus representandam solem et lunam omnibus aliis eminentiora disposuit luminaria, sic, ne creatura, quam sui benignitas ad imaginem suam in hoc mundo creaverat, in erronea et mortifera traheretur pericula, providit, ut apostolica et regia dignitate per diversa regeretur officia. Angesichts solcher Auffassungen, die nicht nur unüberhörbar formuliert wurden und deren Beachtung der Papst nicht nur immer strikter einforderte, sondern die zudem durch die Schaffung eines von zahlreichen Briefen dokumentierten, ganz Europa umfassenden päpstlichen Aktionsradius und die freilich nicht immer geglückte Knüpfung von Lehnsbeziehungen zu etlichen Fürsten und Königen (unter ihnen die Herrscher Spaniens, Englands, Dänemarks, Rußlands, Ungarns, Kroatiens, Süditaliens, Sardiniens und Korsikas) auch auf besondere Weise zu einer politische Realität zu werden schien57, angesichts solcher Entwicklungen im Reich der Ideen und der realen Politik blieb dem salischen Königtum gar nichts anderes übrig, als innerhalb des überkommenen Systems des Gewaltendualismus weiterhin, wenn auch unter Verzicht auf die traditionelle Präponderanz der weltlichen Gewalt, die Begründung des Königtums durch Gott, die mit dem Sacerdotium gleichrangige Gottunmittelbarkeit der weltlichen Herrschaft und die aus diesen Komponenten erwachsende, durch die Herrscherweihe vermittelte und verstärkte eigentümliche Sakralität des Königs zu verteidigen und vernehmbar herauszustellen58. Wie bereits ausgeführt59, verzichtete die salische Seite ja auch keinesfalls auf die herkömmlichen Vorstellungen und Umschreibungen des sakralen Königtums.

55 Vgl. dazu Giles Constable, The Relation between the Sun and the Moon in Medieval Thought (to 1200), in: Oliver Münsch / Thomas Zotz (Hgg.), Scientia Veritatis. Festschrift für Hubert Mordek zum 65. Geburtstag, Ostfildern 2004, S. 326 – 336, bes. 329 und 334 f.; Wolfgang Weber, Das Sonne-Mond-Gleichnis in der mittelalterlichen Auseinandersetzung zwischen Sacerdotium und Regnum, in: Hans-Jürgen Becker u. a. (Hgg.), Rechtsgeschichte als Kulturgeschichte. Festschrift für Adalbert Erler zum 70. Geb., Aalen 1976, S. 147 – 175, und Othmar Hageneder, Das Sonne-Mond-Gleichnis bei Innocenz III. Versuch einer teilweisen Neuinterpretation, in: MIÖG 65 (1957), S. 340 – 368. 56 Reg. VII 25 (wie Anm. 18) S. 505 f. 57 Vgl. Karl Jordan, Das Eindringen des Lehnswesens in das Rechtsleben der römischen Kurie, in: AUF 12 (1932), S. 13 – 110, bes. 74 – 83; Schieffer, Gregor VII. und die Könige Europas (wie Anm. 18), S. 192 f. und 201 f., sowie Blumenthal, Gregor VII. (wie Anm. 33), S. 298 – 306, und Cowdrey, Gregory VII (wie Anm. 33), S. 423 – 480. 58 Vgl. dazu Jürgen Vogel, Gregor VII. und Heinrich IV. nach Canossa (= Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 9), Berlin 1983, der in den entsprechenden Kapiteln seiner Arbeit eine Reihe von königlichen Demonstrationsakten herrscherlicher Sakralität erschließt. 59 Vgl. Anm. 13.

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Und die staufischen Könige, im institutionellen Bereich ohnehin an das spätsalische Vorbild anknüpfend60, waren weiterhin von diesem sakralen Herrschaftsverständnis durchdrungen, paßten es aber auch den neuen Zeitverhältnissen an, wie Friedrich Barbarossas Ausführungen in dem nach dem Eklat von Besançon 1157 aufgesetzten und im ganzen Reich verbreiteten Rundbrief zeigen, in dem der Staufer seine Erhebung zum König als Willensäußerung Gottes interpretiert, die zwar, und das mußte angesichts der erstarkten Fürstenmacht61 nun anders als früher auch eigens betont werden, sich in einem fürstlichen Wahlakt manifestierte, aber das als von jeglichem päpstlichen Einfluß unabhängig verstandene Königtum allein begründete62 : Cumque per electionem principum a solo Deo regnum et imperium nostrum sit, … . Dies ist eine Vorstellung, die im übrigen auch außerhalb der Königskanzlei vertreten worden ist, wie eine Urkunde des Würzburger Bischofs Gebhard vom 19. Februar 1152 bezeugt63, und ebenfalls durch ein Schreiben aus dem Jahre 1158 dokumentiert wird, in welchem die deutschen Bischöfe dem Papst mit zustimmender Billigung über Barbarossas auf Gottunmittelbarkeit gerichtetes Selbstverständnis durch wörtliche Anführung einer kaiserlichen Äußerung berichten64. Aber auch die sog. Trierer Stilübungen, drei wohl um 1158 fingierte Schreiben aus dem Umkreis des hofnahen Bamberger Bischofs Eberhard, geben Kunde davon65. 60 Vgl. dazu Friedrich Hausmann, Reichskanzlei und Hofkapelle unter Heinrich V. und Konrad III. (= MGH Schriften 14), Stuttgart 1956. 61 Vgl. dazu Jutta Schlick, König, Fürsten und Reich (1056 – 1159). Herrschaftsverständnis im Wandel (= Mittelalter-Forschungen 7), Stuttgart 2001, und Stefan Weinfurter, Papsttum, Reich und kaiserliche Autorität. Von Rom 1111 bis Venedig 1177, in: Ernst-Dieter Hehl u. a. (Hgg), Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts (= Mittelalter-Forschungen 6), Stuttgart 2002, S. 77 – 99. 62 MGH Die Urkunden Friedrich Barbarossas, hg. von Friedrich Appelt, Teil 1, Hannover 1975, Nr. 186, hier S. 315. Das Zitat geht weiter: qui in passione Christi filii sui duobus gladiis necessariis regendum orbem subiecit, cumque Petrus apostolus hac doctrina mundum informaverit: Deum timete, regem honorificate, quicumque nos imperialem coronam pro beneficio a domno papa suscepisse dixerit, divinae institutioni et doctrinae Petri contrarius est et mendacii reus erit. Vgl. dazu auch Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 21 f. mit Anm. 90 und 91, sowie unten Anm. 71. 63 Monumenta Boica 37, München 1864, S. 70 Nr. 97 ([1154 Jan. 9] mit den Verbesserungen dieser unzulänglichen Edition von Henry Simonsfeld, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Friedrich I., Bd. 1, Leipzig 1908, S. 21 Anm. 9: divina ordinatione ac cunctorum principum electione in regem elevatus). 64 MGH Const. 1 Nr. 167 (hier S. 233: Liberam imperii nostri coronam divino tantum beneficio asscribimus, electionis primam vocem Maguntino archiepiscopo, deinde quod superest ceteris secundum ordinem principibus recognoscimus, regalem unctionem Coloniensi, supremam vero, que imperialis est, summo pontifici …). 65 Vgl. dazu Norbert Höing, Die „Trierer Stilübungen“. Ein Denkmal der Frühzeit Kaiser Friedrich Barbarossas, in: AfD 1 (1955), S. 257 – 329, und 2 (1956), S. 125 – 249 (Edition 1, S. 318 – 329, hier etwa Stilübung I §1 [Barbarossa an Erzbischof Hillin von Trier]: Potestas itaque nostra et regnum nostrum a deo est, qui etiam ante mundi constitutionem elegit nos, ut per nos administraretur pax ecclesiarum [S. 318]. – [§3]: …, quod solam unctionem pro reverentia beati Petri ab eo [= papa] accepimus [S. 319]. – [§4]: … regnum non ab eo

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Alle nachsalischen Herrscher des 12. Jahrhunderts (und auch noch weit darüber hinaus66) waren von ihrer Erwählung durch Gott, als dessen irdischen Sachwalter sie sich fühlten67, und von der Gottunmittelbarkeit ihrer Würde überzeugt und haben dies, allerdings unterschiedlich intensiv, dokumentiert68. Auch in der staufi[= papa], sed a deo suscepimus [S. 320] – Stilübung II §3 [Hillin an Papst Hadrian IV.]: …, cum ipse pater et dominus [= Friedrich Barbarossa] a Deo in regnum sit constitutus …[S. 323]. Die päpstliche Gegenposition zu diesem Verständnis scheint auf in Stilübung III §5 [Hadrian IV. an Hillin]: Notate verba: ante consecrationem solummodo rex, post consecrationem imperator et augustus. Unde igitur habet imperium nisi a nobis? Ex electione principum suorum … habet nomen regis et non imperatoris, ex consecratione autem nostra habet nomen imperatoris et augusti et cesaris. Ergo per nos imperat. [S. 326 f.]). Zu dem angeblichen Schreiben des Trierer Erzbischofs und der päpstlichen Antwort vgl. auch Germania Pontificia Vol. X (Provincia Treverensis) Pars I (Archidioecesis Treverensis) congessit Egon Boshof, Göttingen 1992, S. 129 Nrr. †295 und †296. 66 Vgl. dazu etwa Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 22 f., 26 – 35, und ders., Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘, in: ZBLG 66 (2003), S. 795 – 818. 67 Vgl. die in der folgenden Anmerkung angeführten Belege (D K III 6 und D F I 606) sowie die Charakterisierung des Herrschers als minister dei durch Otto von Freising (Ottonis episcopi Frisingensis Chronica sive Historia de duabus civitatibus, hg. von Adolf Hofmeister, MGH SS rer. Germ. [45.], 21912, S. 2) und Rahewin (Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris, hg. von Georg Waitz und Bernhard von Simson, MGH SS rer. Germ. [46.], Hannover und Leipzig 31912, S. 202 [III 29]). 68 Vgl. entsprechende Äußerungen in den Urkunden Lothars III. (hg. von Emil von Ottenthal und Hans Hirsch, MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 8, Berlin 1927), Konrads III. (hg. von Friedrich Hausmann, MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 9, Wien 1969) und Friedrich Barbarossas (hg. von Heinrich Appelt u. a., Die Urkunde den deutschen Könige und Kaiser 10, Teil 1 – 4, Hannover 1975 – 1990) sowie Heinrichs VI., dessen Urkunden freilich noch nicht in einer modernen Edition vorliegen (s. deshalb die Hinweise von Peter Csendes, Die Kanzlei Kaiser Heinrichs VI. [= Österr. Akad. d. Wiss., Philos.-hist. Kl., Denkschriften 151], Wien 1981, S. 135 – 137 [zur Devotionsformel] und 136 [zur Arenga] mit Anm. 4 und 5): DD Lo III 9 (1126: Quia preordinante divina clementia omnium fidelium consensu et electione ad regnum pervenimus). 11 (1127 Aug. 18: Duo sunt, quibus hic mundus principaliter regitur, pontificii auctoritas et regalis potestas. In cuius auctoritatis partem, quia nos gratia redemptoris ascivit). 16 (1129 Feb. 10: Quia ad hoc dei gratia in regnum sublimati sumus). 31 (1131 Feb. 5: Quoniam divina clementia regni nobis commisit gubernacula). 37 (1131 Mai 2: Quoniam divine˛ pietatis favente clemencia locum Romani tenemus imperii). 43 (1132 Sept. 28: Divine˛ bonitatis clementia, que˛ hoc nos ad culmen regie˛ maiestatis evexit). 70 (1135 Jan. 1 : á deo nobis collati imperii); DD K III 6 (1138 April 11: ei … cuius et nomen et vicem in terris gerimus). 18 (1139 Mai 20: divina coadiutrice gratia regni gubernacula administranda suscepimus). 32 (1139 Juli 19: regni nobis a deo collati). 35 (1139 Okt. 14). 63 (1141: unxit nos deus). 67 (1142 [Jan./Feb.]: regali potentia a deo nobis concessa). 158 (1146 Nov. 21: nos per gratiam dei regni gubernacula suscipientes). 216 ([1149 Okt.]). 221 (1150 [Feb.]), [vgl. auch DD K III 45. 95. 161]; D F I 3 (1152 März 12: Quia placuit altissimo, ut nos unctione misericordie˛ sue˛ inungeret et regni fastigio sublimaret). 4. 5. 18. 25 (1152: Quoniam divina preordinante clementia solium regie maiestatis conscendimus). 38 (1152: Ad hoc nutu dei regni gubernacula suscepimus). 59. 80. 102 (1155 Mai 5: Cum regalis seu imperialis maiestatis pietas sibi commissis a deo). 111. 156. 161. 215. 218. 301 (1160 Feb. 13: divina favente gratia ad culmen imperii et tocius regni gubernacula promoti sumus). 461 (1164: Ex quo creator altissimus … nos ad imperialis celsitudinis culmen erigere voluit). 606 (1173 Juli 2: Imperatoria maiestas, que regis regum et

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schen Historiographie wurde diese traditionelle Ansicht vertreten, wofür Gottfried von Viterbo69, Rahewin70 und vor allem Otto von Freising71 Beispiele liefern. Ebenso wurde sie vom Archipoeta verkündet, dessen Kunst die kaiserliche Sakralität sehr subtil zur Darstellung bringt72; und unter den Vertretern der aufblühenden domini dominantium vicem gerit in terris, …). 618 (1174 Mai 9: Quoniam auctore Deo sacri imperii gubernacula amministramus). 707 ([1177] Sept. 17 [an Papst Alexander III.]: Cum imperatoria maiestas a rege regum ad hoc in terris ordinata sit, ut per eius operam totus orbis pacis gaudeat incremento, nos, quos deus in solio Romani imperii constituit eam diligentius amplecti et ferventius conservare debemus et volumus.); vgl. auch DD F I 231 (1158 Nov. 23). 285 (1159 Okt.) sowie dazu und zum folgenden vgl. Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 178 – 191, und Thomas Szabó, Herrscherbild und Reichsgedanke. Eine Studie zur höfischen Geschichtsschreibung unter Friedrich Barbarossa, Diss. Freiburg i. Br. 1971, S. 40 – 44 und 130 – 132, sowie neuestens Heinz Krieg, Herrscherdarstellung in der Stauferzeit. Friedrich Barbarossa im Spiegel seiner Urkunden und der staufischen Geschichtsgeschreibung (= Vorträge und Forschungenh, Sonderbd. 50), Ostfildern 2003, bes. Kap. V. 69 Pantheon, ed. Georg Waitz, MGH SS 22, Hannover 1872, S. 221 (part. XIII 15): Ungit eum presul, set Christus inunctor habetur; S. 273 (part. XXVI praef.): Crux datur imperio speciali iure ferenda, / Quippe vicem Christi tenet hic ad regna tuenda, / Et gerit in terris signa colenda crucis. 70 Dies zeigt sich nicht nur an Barbarossas Schriftstücken, die Rahewin (zu diesem vgl. Roman Deutinger, Rahewin von Freising. Ein Gelehrter des 12. Jahrhunderts [= MGH Schriften 47], Hannover 1999) in seinem Werk (vgl. Anm. 68) wörtlich anführt, sondern etwa auch an der folgenden Äußerung (IV 72): omnipotenti Deo, qui dat salutem regibus (MGH SS rer. Germ. [46.], S. 318). 71 Chron. IV (prol.) = MGH SS rer. Germ. [45.], S. 181 – 183, wo die traditionelle Lehre von den beiden gottgewollten und gleichberechtigten Gewalten vertreten wird und die Auffassung, daß die Königherrschaft begründet werde ex ordinatione Dei et electione populi (S. 182); vgl. dazu Hans-Werner Goetz, Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts (= Beihefte zum AKG 19), Köln 1984, S. 249 – 258. 72 Der wohl im Herbst 1163 entstandene, wahrscheinlich erstmals in Novara erklungene ,Kaiserhymnus‘ des Archipoeta (der vielleicht der Kölner Domscholaster Rodulf und Kanzleinotar Rainald H [zu diesem vgl. Walter Koch, Die Reichskanzlei unter Kaiser Friedrich I. in: AfD 31 (1985), S. 327 – 350, bes. 345] gewesen ist, wie Rudolf Schieffer, Bleibt der Archipoeta anonym?, in: MIÖG 98 [1990], S. 59 – 79 [doch vgl. auch Johannes Fried, Der Archipoeta – ein Kölner Scholaster?, in: Klaus Herbers u. a. (Hgg.), Ex Ipsis Rerum Documentis. Beiträge zur Mediävistik. Festschrift für Harald Zimmermann zum 65. Geb., Sigmaringen 1991, S. 85 – 90], zeigt) betont die sakrale Aura des Kaisers sehr klar (Die Gedichte des Archipoeta, kritisch bearbeitet von Heinrich Watenphul, hg. von Heinrich Krefeld, Heidelberg 1958, S. 68 – 72 [Nr. IX]; vgl. dazu ebd. S. 127 – 138), wenn der cesar Friedrich Barbarossa als mundi dominus (Str. I 1), princeps terrae principum (Str. II 1) und christus domini (Str. VIII 2) bezeichnet und damit als gottgewollter Träger der weltlichen Herrschaft vorgestellt wird, der per dei nutum (Str. III 1) über alle andere Könige gesetzt ist und iubente deo (Str. XIV 1) handelt. Die Parallelisierung von Gottesherrschaft und Kaiserherrschaft (besonders in den ersten drei Strophen des Hymnus; vgl. dazu Walter Stach, Salve, mundi domine! Kommentierende Betrachtungen zum Kaiserhymnus des Archipoeta [= Berichte über die Verhandlungen der Sächs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Philol.-hist. Kl. 91, Heft 3], Leipzig 1939, S. 29 – 31) wird dabei grundiert durch eine Sprache, die biblische und liturgische Anklänge aufweist (vgl. Watenphul / Krefeld, S. 130). Der dominus mundi entspricht dabei dem dominus caeli (Ps 366 : Domine, caelum contingit misericordia tua, …), der cesar noster (Str. I 1) dem Pater

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Kanonistik gab es – neben Verfechtern der päpstlichen Hierokratie – genügend Anhänger eines auf der kaiserlichen Gottunmittelbarkeit beruhenden Gewaltendualismus73. Für den gebildeten und prinzipiell papsttreuen Propst Gerhoch von Reichersberg74, für den es an der spirituell begründeten Überordnung des Sacerdotiums über das Regnum keinen Zweifel gab, stand die Gottunmittelbarkeit des Herrschers und dessen göttliche Berufung (divina ordinatio) durch die Wahl der Fürsten gleichfalls außer Frage75; und selbst die Kardinäle, die 1159 den von Barbarossa abgelehnten Alexander III. gewählt hatten, appellierten noch angesichts des Schismas an die besondere Verantwortung des Kaisers, die diesem zugefallen sei aufgrund der ihm von Gott übertragenen Gewalt (a Deo collata est et attributa potestas)76. Die traditionellen Vorstellungen von der Gottesnähe eines Königs, die einen wesentlichen Teil der Herrschersakralität ausmachte, waren also auch in der Mitte des 12. Jahrhunderts noch präsent. Die Meinung, sie hätten an Kraft verloren77, nur weil etwa Friedrich Barbarossa seine Gottesstellvertreterschaft nicht besonders betont und den Papst selber einmal als vicarius Christi78 bezeichnet habe, trifft daher nicht zu. Schon vor dem Investiturstreit gab es kein herrscherliches Monopol auf die Charakterisierung als Vikar Gottes (oder Christi), aber noch im späteren Mittelalter, als der Papst neben der Petrusnachfolge auch die göttliche Stellvertretungsfunktion ganz wesentlich für sich beanspruchte, wurden die Herrscher weinoster (Mt 69), das cesar noster ave (Str. I 1) korrespondiert mit dem Ave Maria (vgl. Lk 128, aber auch mit dem Ave Rabbi, das bei der Gefangennahme Jesu gesprochen wurde: Mt 2649). In Str. XXX wird Barbarossa in Parallele gesetzt zu Kaiser Augustus (Str. XXX 1 f.: Iterum describitur orbis ab Augusto / redditur res publica statui vetusto), der regierte, als Christus geboren wurde und das Heil in die Welt kam, und dessen weltumspannende Friedensherrschaft mit diesem Geschehen auf das engste zusammengehörend betrachtet wurde (vgl. Lk 21). Und schließlich evoziert Str. XXX 1, auch wenn sie auf konkrete Ereignisse anspielt (vgl. Watenphul / Krefeld, S. 138), sehr stark die Geschichte von Johannes dem Täufer, in der Jesus erklärt, daß ein von Gott gesandter Engel den Weg bereitet (Mt 1110, Mk 12, Lk 727: qui praeparavit viam tuam ante te): Archicancellarius viam preparavit. 73 Vgl. Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 175 – 177 mit Anm. 135, sowie allg. FranzJosef Felten, Kaisertum und Papsttum im 12. Jahrhundert, in: Hehl (Hg.), Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts (wie Anm. 61), S. 101 – 125. 74 Zu diesem vgl. Erich Meuthen, Kirche und Heilsgeschichte bei Gerhoh von Reichersberg (= Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters VI), Leiden/Köln 1959, und Peter Classen, Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie, Wiesbaden 1960. 75 De investigatione Antichristi I 38 und 72, ed. Ernst Sackur, MGH Ldl III, Hannover 1897, S. 346 (… reges ac duces per sacerdotum benedictionem non creari, sed ex divina ordinatione per humanam electionem et acclamationem creatis …) und 392. Vgl. auch den knappen Hinweis in Gerhochs Psalmenkommentar (ed. Ernst Sackur, ebd. S. 411 – 502, hier 467, Z. 8): … catholico principe a deo misso et apostolicae sedis auctoritate firmato ad vindictam malefactorum …, sowie allg. dazu Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 173 f., und Meuthen, Kirche und Heilsgeschichte (wie Anm. 74), S. 88. 76 Gesta Fried. IV 63 = MGH SS rer. Germ. [46.], S. 307. 77 So Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 184 und 188 f. 78 MGH Const. 1 Nr. 183 (1159), hier S. 254 (unius Dei et Petri vicarius).

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terhin als Gottes irdische Stellvertreter begriffen79. In ihren Urkunden und Verlautbarungen jedoch haben sie dies meist nicht betont, war der Terminus vicarius Dei oder vicarius Christi doch für die Könige weder ein Titel80 noch ein gebräuchliches Epitheton. Er findet sich vielmehr meist in theologischen, liturgischen und historiographischen Texten, in Briefen und Traktaten, und besonders häufig dann, wenn die entsprechenden literarischen Genera blühten (wie in der Karolingerzeit81), während er in der spätottonisch-frühsalischen Epoche, die unbestritten eine Zeit gesteigerter Königssakralität gewesen ist82, außerhalb von Historiographie83 und bildlichen Zeugnissen84, kaum zum Ausdruck gelangte. Daher ist, so sehr 79 Vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 10 – 13 und 26 – 34, sowie zur Entwicklung der päpstlichen Vikariatsvorstellung Michele Maccarrone, Vicarius Christi. Storia del titulo papale (= Lateranum NS XVIII 1 – 4), Roma 1952, und ders., Il sovrano „vicarius die“ nell’alto medioevo, in: La regalità sacra. Contributi al tema dell’VIII congresso internazionale di storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), Leiden 1959, S. 581 – 594, aber auch mit Blick auf Innozenz III. H. Hoffmann, Die beiden Schwerter (wie Anm. 25), S. 111 f. 80 Schon allein deshalb ist eine Formulierung, wie sie Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 184 („Im 12. Jh. konnte der vicarius-Titel dem Kaisertum endgültig vom Papsttum abspenstig gemacht werden, …“), prägt, ebensowenig zutreffend und evoziert ebenso falsche Vorstellungen wie die schon früher (auf S. 72) mit Blick auf die „Vikariatsvorstellung“ angeführte Überlegung über „die relative Schwäche der ideologischen Position des Königtums“ oder wie die von ihm (auf S. 189) verwendete Formulierung von „der Idee vom ,königlichen Kleriker‘“. Der Königswürde eignete zwar eine geistliche, eine priestergleiche oder -ähnliche, eine sazerdotale Dimension, aber der König war deshalb noch lange kein Geistlicher und schon gar kein Kleriker; vgl. dazu etwa Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 13 f. und 36 – 38, aber auch die Diskussion um das sog. Königskanonikat, die Michael Borgolte, Die mittelalterliche Kirche (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 17), München 22004, S. 82 f., referiert. 81 Vgl. dazu Struve, Regnum (wie Anm. 13), S. 192 – 200, sowie Hans Hubert Anton, Fürstenspiegel und Herrrscherethos in der Karolingerzeit (= Bonner Hist. Forschungen 32), Bonn 1968. 82 Vgl. dazu etwa Stefan Weinfurter, Idee und Funktion des „Sakralkönigtums“ bei den ottonischen und salischen Herrschern (10. und 11. Jahrhundert), in: Rolf Gundlach / Hermann Weber (Hgg.), Legitimation und Funktion des Herrschers (= Schriften der Mainzer Phil. Fakultätsgesellschaft 13), Stuttgart 1992, S. 99 – 127, und ders., Sakralkönigtum und Herrschaftsbegründung um die Jahrtausendwende. Die Kaiser Otto III. und Heinrich II. in ihren Bildern, in: Helmut Altrichter (Hg.), Bilder erzählen Geschichte, Freiburg i. Br. 1995, S. 47 – 103, sowie Hagen Keller, Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Gestalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext, in: ders., Ottonische Königsherrschaft. Organisation und Legitimation königlicher Macht, Darmstadt 2002, S. 131 – 166 [erstmals 1997, in: Konrad Krimm / Herwig John (Hgg.), Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie. Festschrift f. Hansmartin Schwarzmaier zum 65. Geb., S. 3 – 51], und ders., Herrscherbild und Herrschaftslegitimation. Zur Deutung der ottonischen Denkmäler, ebd. S. 167 – 183 [erstmals 1985, in: FmaSt 19, S. 290 – 311], aber auch Ludger Körntgen, Königsherrschaft und Gnade Gottes. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit (= Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 2), Berlin 2001. 83 Vgl. Struve, Regnum (wie Anm. 13), S. 202 – 210. 84 Dazu vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 9 f. und 12 mit Anm. 47. Hierzu ist wohl auch die Entwicklung des Siegelbildes zu rechen, wie von Keller, Ottonische Herr-

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die Idee vom königlichen Gottesvikariat auch Wandlungen unterlag und sie seit der Mitte des 11. Jahrhunderts zudem von kirchlicher Seite bekämpft worden ist, doch sehr stark davon auszugehen, daß sie als fester Bestandteil des gesellschaftlichen Bewußtseins die Vorstellungen vom Herrscher zu allen Zeiten des Mittelalters mitprägte. Nicht unwesentlich war es dabei, daß trotz des reformkirchlichen Bemühens, den Laiencharakter des Königs zu betonen85, die Vorstellung einer herrscherlichen Priesterähnlichkeit von den Sachwaltern der königlichen Gewalt weder während des 12. Jahrhunderts noch in späterer Zeit (als auf gewisse Weise sogar eine Intensivierung stattfand86) aufgegeben worden ist. Nicht nur ist wohl jeder neue König während der Herrscherweihe in Aachen von den die Krönung vollziehenden Erzbischöfen auf seine Teilhabe am Bischofsamt hingewiesen worden87, sondern diese Sazerdotalität wurde in den Jahrzehnten um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert von den die Feder für die salischen Herrscher wetzenden Geistlichen auch immer wieder betont, wie in den Schriften Widos von Osnabrück, Widos von Ferrara und des anonymen Verfassers der ,Orthodoxa defensio imperialis‘ nachgelesen werden kann88. Noch bedeutsamer war freilich die Meinung der Kanonisten aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts89, die – wie der Bologneser Magister Rufinus90 (um 1158) und der Verfasser der (etwa ein Jahrzehnt später schersiegel (wie Anm. 82), vor allem unter den Punkten 7, 8 und 10 seiner Zusammenfassung dargelegt wird. 85 Vgl. oben Anm. 30 und 32 sowie die ,Summa Gloria‘ des Honorius Augustodunensis, ed. Julius Dieterich, MGH Ldl 3, Hannover 1897, S. 63 – 80, hier: 69 (c. 9: Quod rex sit laicus) und 74 – 76 (c. 24 – 27), und dazu Hans-Werner Goetz, Die „Summa Gloria“. Ein Beitrag zu den politischen Vorstellungen des Honorius Augustudunensis [sic!], in: ZKG 89 (1978), S. 307 – 353, etwa 308 oder 312. 86 Vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 35 – 52; ders., Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae, fasc. 6 (2003), S. 29 – 44, und ders., Sol iusticie (wie Anm. 66), S. 808 – 818. 87 Vgl. das in Anm. 13 angeführte Zitat aus dem Mainzer Ordo. 88 Vgl. die entsprechenden Hinweise in Anm. 13. 89 Vgl. dazu wie zum folgenden Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 188 f. mit Anm. 78; Friedrich Kempf, Papsttum und Kaisertum bei Innocenz III. Die geistigen und rechtlichen Grundlagen seiner Thronstreitpolitik (= Miscellanea Historiae Pontificiae 19), Rom 1954, S. 127 mit Anm. 52, und Sergo Mochi Onory, Fonti canonistiche dell’idea moderna dello Stato (Imperium spirituale – iurisdictio divisa – sovranità) (= Pubblicazioni dell’Università Cattolica del Sacro Cuore NS 38), Milano 1951, etwa S. 111 f., 150, 188 f., 238. 90 Summa decretorum, ed. Heinrich Singer, Die Summa decretorum des Magisters Rufinus, Paderborn 1902, S. 403 (Causa XXII. Questio V.): Si opponatur de iuramento fidelitatis, quod hodie episcopi faciunt imperatori respondeatur non omnia, que consuetudo habet, canones permittere. Vel dicatur imperatorem non omnino laicum esse, quem per sacram unctionem constat consecratum esse. Vgl. dazu auch die Referenzstelle zu der in Anm. 93 angeführten Erörtung bei Josef Juncker, Summen und Glossen. Beiträge zur Literaturgeschichte des kanonischen Rechts im zwölften Jahrhundert, in: ZRG KA 14 (1925), S. 384 –

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entstandenen) ,Summa Coloniensis‘91 – den Kaiser eben nicht unter die Laien zählten (ohne ihn damit freilich zu einem Geistlichen zu machen!) oder die – wie es in der nur fragmentarisch erhaltenen ,Summa Reginensis‘92 (nicht lange nach 1191) und bei dem papsttreuen Huguccio in der Dekretsumme93 (vor 1190) geschieht – in ihm gar eine ecclesiastica persona sahen (nicht freilich, um ihn besonders zu erhöhen, sondern um ihn in der kirchlichen Hierarchie unter dem Papst einzuordnen). Als entscheidend für die aus der Laienschar herausgehobene Stellung des Kaisers galt den Kirchenrechtlern dabei die Salbung, die der Herrscher empfing – denn94: imperatorem propter sacram unctionem in numero laicorum non haberi. Die Salbung wurde deshalb auch von den Staufern selbst und ihrem geistlichen Anhang entsprechend gewürdigt und verstanden. Konrad III. und Friedrich Barbarossa ließen sie in ihren Urkunden gelegentlich als von Gott selbst gespendet verkünden95 ; aber vor allem der das traditionelle Verhältnis zwischen den beiden

474, hier 453 Anm. 2: Quidam tamen dicunt quod imperator non simpliciter et omnino est laicus propter sacram unctionem qua est inunctus. – Zur prinzipiell hierokratischen Gesinnung des Rufinus vgl. H. Hoffmann, Die beiden Schwerter (wie Anm. 25), S. 97 f., wo auch auf die Problematik hingewiesen wird, die sich daraus ergibt, daß die meisten kanonistischen Texte entweder gar nicht oder nur unzureichend ediert sind (zu diesem, wohl noch lange bestehenden Problem vgl. allg. auch Wilfried Hartmann, Schwierigkeiten beim Edieren. Gelungene und gescheiterte Editionen von großen Kirchenrechtssammlungen, in: ders. / Gerhard Schmitz (Hgg.), Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli 2001 [= MGH Studien und Texte 31], Hannover 2002, S. 211 – 226) und deshalb, da die gelehrten Juristen gerne ausführlich verschiedene Meinungen zitierten, es angesichts der unbefriedigenden und nur ausschnitthaften Editionslage nicht immer klar wird, für welche Meinung sie sich selbst entschieden; für die hier behandelte Problematik ist es aber zunächst hauptsächlich wichtig, daß die sazerdotale Qualität der Herrscher durch solche Referate überhaupt in Erinnerung gerufen wurde. 91 Vgl. Joh. Friedrich Ritter von Schulte, Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. Zweiter Beitrag (= SBB d. Phil.-Hist. Cl. d. ksl. Akad. zu Wien 64), Wien 1870, S. 93 – 142, bes. 93 – 114, hier 112. Zu der Summe und ihrem Verfasser vgl. Johannes Fried, Die Rezeption Bologneser Wissenschaft in Deutschland während des 12. Jahrhunderts, in: Viator 21 (1990), S. 103 – 145, bes. 130 und 132, sowie Peter Landau, Die Anfänge der Verbreitung des klassischen kanonischen Rechts in Deutschland im 12. Jahrhundert und im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts, in: Chiesa diritto e ordinamento della ,Societas Christiana‘ nei secoli XI e XII (= Miscellanea del Centro di Studi medioevali 11), Milano 1986, S. 272 – 297, bes. 278. 92 Zit. nach Alfons M. Stickler, Vergessene Bologneser Dekretisten, in: Salesianum 14 (1952), S. 476 – 503, hier 493: Ergo imperator ordinem habet; ergo ecclesiastica persona. 93 Zitiert nach Kempf, Papsttum (wie Anm. 89), S. 128 Anm. 52: Sed numquid imperator habet ordines? Sic videtur et sic est ecclesiastica persona. Respondetur: Si ei sunt collati ordines, habet; alias non; sed de isto loco non potest haberi quod ordines habeat. 94 Wie Anm. 91. 95 D K III 63 (1141 Juni/Juli]; Quia unxit nos deus unctione misericordie sue˛ ) und D F I 3 (1152 März 12: Quia placuit altissimo, ut nos unctione misericordie˛ sue˛ inungeret). Vgl. auch Gottfried von Viterbo (wie Anm. 69).

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höchsten Gewalten vertretende96 Otto von Freising wies – wie andere auch97 – auf ihren Charakter als Sakrament hin98, und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem das reformkirchliche Bestreben schon längst darauf gerichtet war, der Herrscherweihe jegliche sakramentale Bedeutung abzusprechen99. Obwohl anfänglich in keinem christlichen Reich nötig und in Byzanz sogar noch während des ganzen 12. Jahrhunderts ohne praktische Bedeutung100 für die Begründung einer besonderen Sakralität des Basileus, war die Salbung im abendländischen Europa des hohen Mittelalters für das Königtum zur entscheidenden Vermittlungsinstanz numinoser Bezüge geworden. Wenn etwa Heinrich IV. am 5. Juni 1095 davon sprach101, daß der von Gott geweihte Herrscher in besonderem Maße das Haus Gottes zu erhöhen habe, in welchem er durch die göttliche Gnade geheiligt worden sei (in qua per gratiam ipsius sanctificamur), dann spielte er mit dieser Aussage auf die Salbung an, die diese Heiligung bewirkte102. Und der gelehrte Bischof Robert Grosseteste von Lincoln sollte dem englischen König im 13. Jahrhundert auf Anfrage hin erläutern, daß die Salbung (unctionis sacramentum) dem Herrscher zwar nicht die Priesterwürde verschaffe, daß sie ihm aber wohl die sieben Gaben des Heiligen Geistes vermittele103. Angesichts dieser Bedeutung des kirchlichen Weiheaktes konnte es für die Herrscher zwar mißlich sein, bei dessen Vollzug von der Weihekompetenz der Geistlichkeit abhängig zu sein, weswegen sogar und kaum zu Unrecht von einer

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Vgl. Anm. 71. Etwa in dem früher Petrus Damiani zugeschriebenen Sermo 69, ed. J.-P. Migne, PL 144, Paris 1853, S. 897 – 904, bes. 899 f. (dazu vgl. Eduard Eichmann, Königs- und Bischofsweihe [= SBB d. Bayer. Akad. d. Wiss., Philos.-philol. und hist. Kl. 1928, 6. Abh.], München 1928, S. 13 mit Anm. 2). 98 Gesta Fried. II 3 = MGH SS rer. Germ. [46.], S. 104, wo anläßlich der Krönung Barbarossas vom unctionis sacramento die Rede ist, und S. 105: sacramentaliter unguntur (nämlich König und Bischof). 99 Vgl. dazu Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 87 und 185, sowie Fritz Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht. Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie. 2. Aufl. von 1954 hg. von Rudolf Buchner, Darmstadt 61973, S. 98 f., und Eduard Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und der Kirchenpolitik I, Würzburg 1942, S. 147 f., sowie ders., Königs- und Bischofsweihe (wie Anm. 20), S. 55 – 62, bes. 55 – 57. 100 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: HJb 118 (1998), S. 1 – 39, zu Byzanz bes. 16 – 18 (und die ebd. in Anm. 114 verzeichnete Literatur). 101 D H IV 448. 102 Zum Verständnis dieser Aussage und von sanctificare in Bezug auf die Salbung vgl. Schütte, Herrschaftslegitimierung (wie Anm. 13), S. 171 f. mit Anm. 31. 103 Robert episcopus Grosseteste, Epistolae 124, ed. Henry Richards Luard, Rolls Series 25, London 1861, S. 350 f.; dazu vgl. Eichmann, Königs- und Bischogsweihe (wie Anm. 20), S. 13. 97

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„strukturellen Schwäche des theokratischen Königtums“ gesprochen worden ist104, doch kam es – soweit erkennbar – trotzdem zu keinen anhaltenden oder grundsätzlichen Konsekrationskonflikten in den christlichen Königreichen Europas. Der deutsche König jedoch bekam als imperator futurus Versuche zu spüren, die sakrale Bedeutung des kirchlichen Aktes, und zwar bei der Kaiserkrönung, zu mindern105. Diesem kurialen Unterfangen, das sich auf ein ebenso traditionelles wie europaweit spürbares Vertrauen in die durch Gott legitimierte höchste Instanz der lateinischen Christenheit und „die Suggestivkraft einer großen religiösen Idee“ zu stützen vermochte106, hatte der Kaiser natürlich wenig entgegenzusetzen, doch war auch er nicht völlig hilflos. Schon Barbarossa hatte die Weihe des Kaisers durch den Papst als reine Formalie gedeutet107, die seiner gottgewollten Herrschaft kaum noch etwas hinzufügte (und damit einen Weg gewiesen, der Jahrhunderte später, nach 1530, zu einem völligen Verzicht auf die Kaiserkrönung führte108, nachdem sich Maximilian I. schon 1508 in Trient zum erwählten Römischen Kaiser hatte proklamieren lassen109); vor allem aber war der Kaiser als in Aachen gesalbter König ohnehin ein geweihter, in seiner Sakralität gefestigter Herrscher110. Alles in allem gibt es daher keinen Grund, an der Fortexistenz und Wirksamkeit sämtlicher traditioneller Sakralelemente der ottonisch-salischen Monarchie auch nach dem sog. Investiturstreit zu zweifeln. Die Herrschersakralität wurde zwar vom Reformpapsttum bekämpft 104 Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (= Abhandlungen der Geistesund Sozialwiss. Kl. der Akad. d. Wiss. und der Lit. Mainz, Jg. 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999, S. 7 f. mit Anm. 4; vgl. ders., Die Stellung (wie Anm. 7), S. 243, vor allem aber Walter Ullmann, Der Souveränitätsgedanke in den mittelalterlichen Krönungsordines, in: Festschrift Percy Ernst Schramm I, Wiesbaden 1964, S. 72 – 89, bes. 79 – 84. 105 Vgl. Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 99), S. 145 – 149, und die idealtypische Schilderung einer Kaiserkrönung durch Reinhard Elze, Eine Kaiserkrönung um 1200, in: Josef Fleckenstein / Karl Schmid (Hgg.), Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65. Geb. dargebracht, Freiburg 1968, S. 365 – 373, bes. 368. 106 Vgl. Rudolf Schieffer, Papsttum und mittelalterliche Welt, in: Rudolf Hiestand (Hg.), Hundert Jahre Papsturkundenforschung. Bilanz – Methoden – Perspektiven. Akten eines Kolloquiums zum hundertjährigen Bestehen der Regesta Pontificum Romanorum vom 9.–11. Oktober 1996 in Göttingen (= Abhandlungen d. Akad. d. Wiss. zu Göttingen, Phil.Hist. Kl., Dritte Folge, Bd. 261), Göttingen 2003, S. 373 – 390 (das Zitat findet sich auf S. 390). 107 Vgl. Anm. 64. Vgl. dazu Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 172. 108 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Der Erzbischof von Köln und die deutsche Königswahl. Studien zur Kölner Kirchengeschichte, zum Krönungsrecht und zur Verfassung des Reiches (Mitte 12. Jahrhundert bis 1806) (= Studien zur Kölner Kirchengeschichte 21), Siegburg 1987, S. 99 f. 109 Vgl. Hermann Wiesflecker, Maximilians I. Kaiserproklamation zu Trient (4. Februar 1508). Das Ereignis und seine Bedeutung, in: Österreich und Europa. Festgabe für Hugo Hantsch zum 70. Geb., hg. vom Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Graz 1965, S. 15 – 38, und ders., Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit IV, München 1981, S. 6 – 15. 110 Vgl. dazu Anm. 108 und die Äußerung in Barbarossas Rundschreiben von 1157 (wie Anm. 62).

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und daher nicht mehr allseits weitgehend und bedenkenlos akzeptiert, aber sie spielte – wenn auch unter geänderten politischen Rahmenbedingungen – weiterhin eine zentrale Rolle für die salisch-staufische Herrschaft. Die Tradition blieb auf diesem Gebiet ungebrochen111, eine Wende trat hier mit Canossa nicht ein. Dies belegen auch die zahlreichen Sakralnomina (sacer, sanctus, sacratissimus, sanctissimus), die den deutschen Königen und römischen Kaisern sowie ihrer Herrschaft im 12. Jahrhundert beigelegt worden sind112, ja, deren Verwendung im Gegensatz zu früheren Zeiten nun offenbar in Reaktion auf den reformkichlichen Kampf gegen die Herrschersakralität sogar eine gewisse Steigerung erfuhr. Diese Intensivierung ist ganz offenkundig durch die Rezeption des römischen Rechts gefördert worden, durch die den traditionellen Elementen des sakralen Herrschaftsverständnisses ein neuer (und auf lange Sicht wesentlicher) Aspekt hinzugefügt werden konnte. Allerdings war dies ein langwieriger Prozeß, der bereits unter Heinrich IV. einsetzte und in der Mitte des 12. Jahrhunderts noch keinesfalls abgeschlossen war. Es war der rechtskundige Norditaliener Petrus Crassus113, ein Laie, der 1080 oder wenig später (vielleicht 1083/84), neben den herkömmlichen Argumenten aus Bibel, Kirchenrecht und Vätertradition erstmals das römische Recht heranzog, um die Ansprüche Heinrichs IV. gegenüber Gregor VII. zu verteidigen, und der dabei Kenntnis von drei der vier Bücher114 des später als Corpus Iuris Civilis bezeichneten, auf Kaiser Justinian (527 – 565) zurückgehenden Gesetzeswerks bewies. Seine 111

Vgl. dazu auch Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 162 und 191. Vgl. dazu Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 260 – 273, bes. 270 – 273 (und die hier angeführten Belege); Szabó, Herrscherbild (wie Anm. 68), S. 140 – 143; Krieg, Herrscherdarstellung (wie Anm. 68), S. 341 – 346, und Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 19 f. mit Anm. 83 und 84. 113 Zu diesem, seinem Werk und seiner Wirkung vgl. Struve, Die Salier (wie Anm. 104) S. 44 – 53 und 67 f.; Hans Hubert Anton, Beobachtungen zur heinrizianischen Publizistik: Die Defensio Heinrici IV. regis, in: Dieter Berg / Hans-Werner Goetz (Hgg.), Historiographia medievalis. Studien zur Geschichtsschreibung und Quellenkunde des Mittelalters. Festschrift für Franz-Josef Schmale zum 65. Geb., Darmstadt 1988, S. 149 – 167; Ingrid Heidrich, Ravenna unter Erzbischof Wibert (1073 – 1100). Untersuchungen zur Stellung des Erzbischofs und Gegenpapstes Clemens III. in seiner Metropole (= Vorträge und Forschungen, Sonderbd. 32), Sigmaringen 1984, S. 148 – 156, bes. 150 – 154; Karl Jordan, Der Kaisergedanke in Ravenna zur Zeit Heinrichs IV. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der staufischen Reichsidee, in: ders., Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters (wie Anm. 3), S. 21 – 51, bes. 27 – 35 [erstmals 1938, in: DA 2, S. 85 – 128]. 114 Vgl. Defensio (wie Anm. 13) c. 4, 6 (Inst. IX 9.4; II 9.6, III 1.1,), c. 4, 6, 7, 8 (Cod. Just. IX 29.1, I 1.4, I 2.23, IX 17.1; I 14.9 [Leges sacratissimae, quae constringunt vitas omnium, ab omnibus intelligi debent], III 28.8, VII 27.1, VIII 25 [53], VII 32.10 und 33.2; IX 46.10, V 1.7, IX 18.7, I 1.5; VIII 4.7, IX 2.5, IV 18.3 [Bezug auf die Lex Iulia], IX 8.51), c. 7 (Nov. CXXIII 21.1). – Außer von Petrus Crassus wurde auch von dem Fälscher oder von den Fälschern, der oder die um 1100 wohl ebenfalls in Italien zu Gunsten der salischen Ansprüche tätig geworden sind und angebliche Investiturprivilegien schufen, auf das römische Recht zurückgegriffen; vgl. Claudia Märtl (Hg.), Die falschen Investiturprivilegien (= MGH Font. iuris Germ. ant. 13), Hannover 1986, S. 45 – 49. 112

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Stimme wurde anfänglich wohl kaum gehört, denn sein Werk ist nur in einer einzigen Handschrift des 16. Jahrhunderts überliefert; und es sollte noch geraume Zeit vergehen, bis den Herrschern das römische Recht auch praktisch nutzbar gemacht wurde, aber die einmal geknüpfte Verbindung wirkte nach und sollte es schließlich ermöglichen, eine „säkulare Herrschaftstheorie“ zu entwickeln115, die – seit dem 13. Jahrhundert noch verstärkt durch die Rezeption der aristotelischen Gesellschaftslehre116 – auf einer von den kirchlichen Ansichten unabhängigen Gedankenbasis beruhte und den negativen Ansichten über die Entstehung weltlicher Herrschaft entgegengestellt werden konnte. Adaptierbare Vorstellungen über das Eigentums- und Erbrecht, über die Erhabenheit der kaiserlichen Majestät sowie über das Majestätsverbrechen spielten hierbei eine bedeutende Rolle117, doch bot eine allein auf dem römischen Recht fußende „monarchische Herrschaftstheorie“ in der politischen Praxis wohl lange noch keinen „Ersatz für das infolge der Mitwirkung des Priestertums bei der Königssalbung diskreditierte Modell des Gottesgnadentums“118. Im Gegenteil! Die Frührezeption des römischen Rechts, die eingebettet war in eine im 12. Jahrhundert ohnehin immer deutlicher spürbare Orientie-

115 Vgl. dazu Struve, Die Salier (wie Anm. 104), S. 64, sowie Hans Hubert Anton, Anfänge säkularer Begründung von Herrschaft und Staat im Mittelalter. Historiographie, Herkunftssagen, politische Metaphorik (Institutio Traiani), in: AKG 86 (2004), S. 75 – 122. – Zu den Rechtslehrern des 12. Jahrhunderts und der allmählichen Annäherung der salisch-staufischen Herrscher an diese und das römische Recht vgl. auch Johannes Fried, Die Entstehung des Juristenstandes im 12. Jahrhundert. Zur sozialen Stellung und politischen Bedeutung gelehrter Juristen aus Bologna und Modena (= Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte 21), Köln 1974, S. 46 – 56, zu der in Italien keinesfalls auf Bologna beschränkten, vom Mezzogiorno her beeinflussten Rezeption des römischen Rechts in den Jahrzehnten um 1100 vgl. ders., … „auf Bitten der Gräfin Mathilde“. Werner von Bologna und Irnerius, in: Klaus Herbers (Hg.), Europa an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Beiträge zu Ehren von Werner Goez, Stuttgart 2001, S. 171 – 206, bes. 198 f. 116 Zur Aristotelesrezeption und ihrer Auswirkung auf das Herrschaftsverständnis vgl. Martin Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Staat (= SBB der Bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Abt., Jg. 1943 Nr. 2), München 1934; Struve, Die Stellung (wie Anm. 7), S. 244, und ders., Die Bedeutung der aristotelischen „Politik“ für die natürliche Begründung der staatlichen Gemeinschaft, in: Jürgen Miethke (Hg.), Das Publikum politischer Theorie im 14. Jahrhundert. Zu den Rezeptionsbedingungen politischer Philosophie im späteren Mittelalter (= Schriften des Historischen Kollegs 21), München 1992, S. 153 – 171; allg. vgl. auch Christoph Flüeler, Rezeption und Interpretation der aristotelischen Politica im späten Mittelalter (= Bochumer Studien zur Philosophie 191-2), Amsterdam 1992; ders., Mittelalterliche Kommentare zur „Politik“ des Aristoteles und zur pseudo-aristotelischen „Ökonomik“, in: Bulletin de philosophie médiévale 29 (1987), S. 193 – 229, und Tilmann Struve, Die Begründung monarchischer Herrschaft in der politischen Theorie des Mittelalters, in: ZHF 23 (1996), S. 289 – 323, bes. 320 – 322. 117 Defensio c. 6 und 8 [in der Edition irrtümlich zum zweiten Mal 7] (wie Anm. 13), S. 443 – 445 und 452 f.; vgl. dazu neben Struve, Die Salier (wie Anm. 104), S. 47 – 49, auch Jordan, Der Kaisergedanke in Ravenna (wie Anm. 113), S. 31 – 34. 118 Struve, Die Salier (wie Anm. 104), S. 62.

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rung an antiken Vorbildern119, lieferte zusätzliche Argumente für die herkömmliche Sakralität der Herrscher. Die bereits erwähnte Intensivierung des Einsatzes von Sakralnomina im kaiserlichen Umfeld kam dabei ebenso zum Tragen wie die Profilierung der herrscherlichen Rechtswahrungspflicht und Gesetzesgewalt. Was dabei in der spätsalischen Zeit begann, wurde unter den frühen Staufern nahtlos fortgesetzt (wobei freilich die Protagonisten dieses ohnehin mehrschichtigen Prozesses nicht immer klar erkennbar sind120). Unter Konrad III. wird jedoch in den Herrscherurkunden eine Aufladung der Arengen durch eine gesteigerte Sakralsprache spürbar, die nicht mehr nur auf Zitaten aus biblischen Schriften und liturgischen Texten beruht (welche freilich immer noch überwiegend verwendet wurden), sondern sich gelegentlich ebenfalls einzelner Phrasen aus dem römischen Recht bedient (die zudem auch in anderen Teilen der Diplome verwendet worden sind)121; unter Friedrich Barbarossa ging diese Entwicklung weiter122, doch kündigte sich der Rückgriff auf Justinians Ge119

Vgl. grundsätzlich Charles Homer Haskins, The Renaissance of the Twelfth Century, Cambridge (Mass.) 1927 (zur Rezeption des römischen Rechts selbst S. 193 – 223), sowie zu städtischen Orientierungen an der römischen Antike etwa Hugo Stehkämper, Imitatio urbis. Altrömische Ämterbezeichnungen im Hochmittelalter in deutschen Städten, besonders in Köln, in: Wallraf-Richartz-Jb. 47 (1986), S. 215 – 222. 120 Die Frage, inwieweit Wibald von Stablo (zu diesem vgl. Ph. George, Wibald v. Stablo, in: LexMA 9 [1998], S. 57 f.) Einfluß auf diese Entwicklung nahm (dazu vgl. Koch, Auf dem Weg [wie Anm. 13], S. 156 – 161, 226 – 231, 236 ff. u. ö.), oder inwieweit hierbei eine Bamberger Schultradition (zur Bamberger Schule vgl. Johannes Fried, Die Bamberger Domschule und die Rezeption von Frühscholastik und Rechtswissenschaft in ihrem Umkreis bis zum Ende dert Stauferzeit, in: ders. (Hg.), Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters [= Vorträge und Forschung 30], Sigmaringen 1986, S. 163 – 201) wirksam wurde, die sich auf den berühmten Codex Udalrici (zu diesem vgl. T. Reuter, Codex Udalrici, in: LexMA 2 [1983], S. 2209 f.) stützen konnte (dazu vgl. Appelt, Die Kaiseridee [wie Anm. 6], S. 210 – 221), ist für unsere Problematik ohne Belang. 121 Vgl. dazu und zum folgenden Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 181 – 183; Heinrich Fichtenau, Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (= MIÖG Erg.-Bd. 18), Graz/Köln 1957, S. 49 Nr. 59, 63 f., 87 f., und Rainer Maria Herkenrath, Regnum und Sacerdotium in den Diplomen der ersten Regierungsjahre Friedrichs I., in: Wolf (Hg.), Friedrich Barbarossa (wie Anm. 6), S. 323 – 359, bes. 354 f. Anm. 158 [Teilnachdruck (des 3. Kapitels = S. 24 – 53) von: ders., Regnum und Imperium. Das „Reich“ in der frühstaufischen Kanzlei (1138 – 1155) (= SBB der Österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 264, 5), Wien 1969, hier: S. 51 Anm. 277], sowie DD K III 89 (1143 Juli 8: Inst. I 1.1 = Dig. I 1.10: Iusticie˛ diffinitio est constantem ac perpetuam habere voluntatem tribuendi unicuique, quod sibi iure). 93 (1143 Aug. 1: wie Nr. 89). 105 (1144 [Mai]: wie Nr. 89). 106 (1144 [Mai]: wie Nr. 89). 116 (1144 Okt. 17: wie Nr. 89). 117 (1144 Okt. 17: wie Nr. 89). 128 (1145 [Mai]: wie Nr. 89). 136 (1145 [Sept.]: wie Nr. 89). 233 ([1150 Juni]: Dig. IV 2. 121). 237 (1150 Aug. 20: Dig. I 1.10: unicuique iusticiam suam). 122 Vgl. dazu Heinrich Appelt, MGH Die Urkunden Friedrichs I., Teil 5: Einleitung. Verzeichnisse, unter Mitwirkung von Rainer Maria Herkenrath und Brigitte Meduna, Hannover 1990, S. 108 – 111 und 123 – 129, sowie ders., Friedrich Barbarossa und das römische Recht, in: Wolf (Hg.), Friedrich Barbarossa (wie Anm. 6), S. 58 – 82, sowie etwa DD F I 91 (1154 Dez. 5: Cod. Just. V 4.23 und 9.6, Dig. L 17.29). 147 (1156 Juni 21: Inst. [proem.]: pius et catholicus imperator utpote non solum armis ornatus, sed etiam legibus armatus). 223 (1158

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setzeswerk bereits unter Heinrich IV.123 und Lothar III. an124. Er bewirkte (und das ist mit Blick auf die Herrschersakralität von Bedeutung) einerseits, daß die kaiserlichen Gesetze und Anordnungen (wie in der Spätantike) als sacer begriffen wurden (als sacrae disciplinae125, sacrae leges126 oder leges sanctae imperatorum127), und führte andererseits ganz wesentlich zu einer Prononcierung der ohnehin geläufigen und aus etlichen Bibelzitaten gleichfalls belegbaren Aufgabe des Königs, ein gerechter Richter zu sein. Die Rezeption des römischen Rechts schuf mithin nicht nur langfristig die Voraussetzung für eine säkulare Rechtstheorie, sondern schärfte zunächst die Wahrnehmung der kaiserlichen Sakralsphäre, die damit zugleich auch konsistenter wurde; und die Betonung der herrscherlichen Pflicht zur Gerechtigkeitspflege etwa durch den aus dem Vorwort zu den Institutiones des justinianischen Gesetzeswerks entnommenen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Ausstattung der Herrscher nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Gesetzen128 dürfte zu einem vergleichbaren Effekt geführt haben. Zwar gingen die Staufer im 12. Jahrhundert nicht so weit129 wie der süditalische Normanne Roger II., der – ohnehin auf seine sakrale Würde bedacht130 – um 1140 in Juli 30: Cod. Just. I 14.2). 271 (1159 Mai 17: wie Nr. 223). 480 (1165 Juni 1: Cod. Just. I 1.1). 509 (1166 April 10: Dig. XL 2.11). 827 (1182 Mai 27: Cod. Just. XIV 12.3: Quoniam vero sicut nostrum est leges condere, …). 123 D H IV. *313 ([1079 Juli 30]: Inst. I 1.1 = Dig. I 1.10); vgl. auch †309. †310. 124 D Lo III 105 ([1136] Nov. 6). 125 MGH Const. 1 Nr. 137 (S. 191) = D F I 5 (Friedrichs Anzeige seiner Wahl an den Papst); vgl. dazu Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 160 f. (aber auch 158) und 238, sowie (mit weiteren Belegen auch für das Folgende) Krieg, Herrscherdarstellung (wie Anm. 68), S. 344 mit Anm. 11 – 13. 126 D F I 492 (1165 Sept. 26: ex legibus divorum augustorum … – … sacras leges); vgl. dazu schon die Formulierung von Petrus Crassus: Defensio c. 6 (wie Anm. 13), S. 443 (Zitat aus Cod. Just. I 14.9: Leges sacratissimae, quae constringunt vitas omnium, ab omnibus intelligi debent, …). 127 MGH Const 1 Nr. 167 (hier S. 233) = Gesta Fried. III 20 = MGH SS rer. Germ. [46.] S. 188. 128 Vgl. 121 und 122 sowie Barbarossas Anzeige seiner Wahl MGH Const. 1 Nr. 137 (S. 191) = D F I 5: …, ut noverit regnum sibi a Deo collatum legibus ac moribus non minus adornare quam armis et bello defensare.) und D F I 147 (1156 Juni 21: non solum armis ornatus, sed etiam legibus armatus), aber auch die Gesta Fried. IV 4 = SS rer. Germ. [46.] S. 236, Ottonis ep. Fris. Chron. = MGH SS rer. Germ. [45.] S. 1 (Brief an Friedrich Barbarossa), und Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 237. 129 Vgl. dazu und zum folgenden Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 278. 130 Vgl. Hubert Houben, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, Darmstadt 1997, S. 120 – 135; Carlrichard Brühl, Urkunden und Kanzlei König Rogers II. von Sizilien (= Studien zu den normannisch-staufischen Herrscherurkunden Siziliens. Beihefte zum ,Codex diplomaticus regni Siciliae‘ 1), Köln 1978, S. 68 (eigenhändige Unterschrift auf griechisch), 80 f. (dei-gratia-Titel), 89 f. (Arenga); Albrecht Noth, Die arabischen Dokumente König Rogers II. von Sizilien, ebd. S. 217 – 261, bes. 249 (Herrscherattribut: hochheilig); Karl Andreas Kehr, Die Urkunden der normannisch-sicilischen Könige, Innsbruck 1902, S. 271 – 275, bes. 272 (und ergänzend dazu Horst Enzensberger, Beiträge zum Kanzlei- und Urkun-

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den Assisen von Ariano seine royale Sazerdotalität als eines „Priesters der Gerechtigkeit“ mit direktem Bezug auf das römische Recht, nämlich auf die Digesten (I 1.1), hervorhob131; aber ohne Zweifel wurde auch ihre sakrale Aura durch die Anknüpfung an die Tradition der römischen Kaiser132 und deren Gerechtigkeitsverständnis verstärkt. Obwohl die um 1150 noch in ihren Anfängen steckende Ausgestaltung und Steigerung des kaiserlichen Selbstverständnisses im Zeichen der Adaption des römischen Rechts erst im 13. Jahrhundert unter Friedrich Barbarossas gleichnamigem Enkel einen besonderen Höhepunkt erreichte133, zeichnete sich schon wesentlich früher das Ergebnis dieses Prozesses ab: Der Herrscher wurde aus einem reinen Wahrer des Rechts zum Herrn des Rechts, dessen Wille als Gesetz galt134 und der schließlich – losgelöst von den Gesetzen (legibus solutus135) und über diesen stehend136 – selbst zur lex animata137, zum beseelten Gesetz, wurde, wie es denwesen der normannischen Herrscher Unteritaliens und Siziliens [= Münchener Hist. Stud., Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 9], Kallmünz 1971, S. 93 – 95); Thomas Dittelbach, Rex Imago Christi. Der Dom zu Monreale. Bildsprachen und Zeremoniell in Mosaikkunst und Architektur (= Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend, Reihe B: Studien und Perspektiven 12), Wiesbaden 2003. Zur Prinzepssalbung Rogers II. im Jahre 1127 vgl. Brühl (a. a. 0.) S. 80 und Hartmut Hoffmann, Französische Fürstenweihen des Hochmittelalters, in: DA 18 (1962), S. 92 – 119, bes. 95 f. und 119. 131 Vgl. das Prooemium zu den Assisen von Ariano, ed. Francesco Brandileone, Il diritto nelle leggi Normanne e Sveve del regno di Sicilia (= Nuova collezione di Opere Giuridiche 21), Florenz 1884, S. 89 – 138, hier 94 f.; ed. Ortensio Zecchino, Le Assise di Ariano, Cava dei Tirenni 1984, S. 22/26, hier 22, und dazu Houben, Roger II. (wie Anm. 130), S.142 f.; Erich Caspar, Roger II. (1101 – 1154) und die Gründung der normannisch-sicilischen Monarchie, Innsbruck 1904, S. 240 – 242; Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. „The King’s Two Bodies“. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 [engl. 1957], S. 135 – 142, sowie Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 51. 132 Dazu vgl. etwa Odilo Engels, Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert (I), in: ders., Stauferstudien. Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert. Hg. von Erich Meuthen und Stefan Weinfurter, Sigmaringen 21996, S. 32 – 115 [erstmals 1971, in: DA 27, S. 373 – 456], bes. 34 – 58 und 91 – 113. 133 Vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper (wie Anm. 131), S. 146 – 148; ders., Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 41936, S. 202 – 238 und 474 – 487; Hans Martin Schaller, Kaiser Friedrich II. Verwandler der Welt (= Persönlichkeit und Geschichte 34), Göttingen 31991, S. 40 – 43; ders., Die Kaiseridee Friedrichs II., in: ders., Stauferzeit. Ausgewählte Aufsätze (= MGH Schriften 38), Hannover 1993, S. 53 – 82 [erstmals 1974, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Probleme um Friedrich II. (= Vorträge und Forschungen 16), Sigmaringen, S. 109 – 134]; Stürner, Peccatum (wie Anm. 40), S. 180 – 183; ders., Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 1220 – 1250, Darmstadt 2000, S. 190 – 201. – Für die frühere Zeit vgl. Hermann Krause, Königtum und Rechtsordnung in der Zeit der sächsischen und salischen Herrscher, in: ZRG GA 82 (1965), S. 1 – 98, und bes. die mit Blick auf die weitere Entwicklung getroffene Feststellung auf S. 98: „Der Herrscher wird zum legum conditor“. 134 Gesta Fried. IV 5 = MGH SS rer. Germ. [46.] S. 239, wo der Mailänder Erzbischof zu Barbarossa sagt: Tua voluntas ius est, sicut dicitur: Quod principi placuit, legis habet vigorem (= Inst. I 2.6). 135 Dig. I 3.31: Princeps legibus solutus est. 136 Ottonis ep. Fris. chron. = MGH SS rer. Germ. [45.] S. 1 (Brief an Friedrich Barbarossa: Preterea cum nulla inveniatur persona mundialis, quae mundi legibus non subiaceat, su-

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im übrigen schon Jahrhunderte früher über die zur Gottheit in Beziehung gesetzten hellenistischen Herrscher hieß138. Damit aber erhielt die auch ansonsten betonte Gottunmittelbarkeit des christlichen Kaisers eine besondere Note, die – wie Otto von Freising zeigt139 – unter anderem dazu dienen konnte, auf die päpstlicherseits bestrittene Unrichtbarkeit der Herrscher hinzuweisen. Das Ergebnis dieses Entwicklungsprozesses läßt sich daher mit wenigen Worten zusammenfassen: Die Rezeption des römischen Rechts stärkte die Herrschersakralität, indem sie im kaiserlichen Umfeld den Gebrauch von Sakralnomina intensivierte, auf diese Weise die herrscherliche Sakralsphäre ausgestaltete und zugleich die Gottesnähe des Herrschers herausstellte. Dabei bleibt es nicht ohne Bedeutung, daß diese Rezeption in der juristischen Praxis, aber auch im ,Staats‘verständis selbst noch lange keine konkreten Änderungen bewirkte, sondern hauptsächlich eine rhetorische Angelegenheit, eine Sache des Stils und des Ausdrucks war140. Die traditionelle Herrschersakralität bedurfte nämlich (anders als etwa die Entwicklung moderner Herrschaftsformen und biacendo coerceatur, soli reges, utpote constituti supra leges, divino examini reservati seculi legibus non cohibentur). 137 Gotifredi Viterbiensis Gesta Friderici I. et Heinrici VI. imperatorum metrice scripta c. 18, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS rer. Germ. [30.], Hannover 1870, S. 15 (Nr. 18: Tu lex viva potes dare, solvere, condere leges /…/ Rem quocumque velis lex animata geris.), der anläßlich des berühmten Reichstags von Roncaglia (1158) einen Bolgoneser Juristen zu Barbarossa sagen läßt: Tu lex viva potes dare, solvere, condere leges … Rem quoque velis lex animata geris. Vgl. dazu und zum Vorstehenden Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 238 f., sowie zu Gottfried von Viterbo Odilo Engels, Gottfried von Viterbo und seine Sicht des staufischen Kaiserhauses, in: ders., Stauferstudien (wie Anm. 132), S. 263 – 281 [erstmals 1992, in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geb. (= Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 3), Frankfurt a. M., S. 327 – 345], und Friedrich Hausmann, Gottfried von Viterbo. Kapellan und Notar, Magister, Geschichtsschreiber und Dichter, in: Alfred Haverkamp (Hg.), Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers (= Vorträge und Forschungen 40), Sigmaringen 1992, S. 603 – 621. 138 Vgl. etwa die vorhergehende Anm. sowie allg. Kantorowicz, Die zwei Körper (wie Anm. 131), S. 143 – 151, sowie Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens I. Die Griechen 2. Von Platon bis zum Hellenismus, Stuttgart 2001, S. 269 f. 139 Vgl. Anm. 136. 140 Vgl. dazu Appelt, MGH DD F I, Teil 5 (wie Anm. 122), S. 123 – 129; ders., Friedrich Barbarossa und das römische Recht (wie Anm. 122), S. 58 – 82; Fried, Die Rezeption (wie Anm. 91), allg. sowie S. 138; Gerhard Dilcher, Die staufische Renovatio im Spannungsfeld von traditionalem und neuem Denken. Rechtskonzeptionen als Handlungshorizont der Italienpolitik Friedrich Barbarossas, in: HZ 276 (2003), S. 613 – 646; allg. vgl. auch Walter Koch, Die Reichskanzlei in den Jahren 1167 bis 1174. Eine diplomatisch-paläographische Untersuchung (= Österr. Akad. d. Wiss., Phil.-Hist. Kl., Denkschriften 115 = Veröffentlichungen der Hist. Kommission II), Wien 1973, etwa S. 71, 107 mit Anm. 102, 109 mit Anm. 116, 132 mit Anm. 72, und ders., Zu Sprache, Stil und Arbeitstechnik in den Diplomen Friedrich Barbarossas, in: MIÖG 88 (1980), S. 36 – 69, bes. 57 – 64. – Zu vergleichbaren grammatischen und rhetorischen Interessen bei der Frührezeption des römischen Rechts in Italien vgl. Struve, Die Salier (wie Anm. 104), S. 25 – 30.

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,Staats‘ideen) keiner Änderungen in der Herrschafts- und Gerichtspraxis, ihr reichten vielmehr die alten, nun erneut zum Einsatz kommenden Floskeln aus, die ja zu nichts anderem dienten, als einer längst vorhandenen, aber von der Kirche angefochtenen Herrscheridee ungewohnten Ausdruck und neuen Glanz zu verleihen. Gerade dieses Verhaftetsein in reiner Rhetorik – begreift man diese nicht als völlig substanzlos und ohne konkreten Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit – bildet zugleich auch einen Beleg für die Fortexistenz der herkömmlichen Vorstellung vom sakralen König- und Kaisertum auch nach Canossa, denn man suchte stilistische Hilfe zur Veranschaulichung einer vorhandenen Ideenwelt und schuf diese nicht erst, auch wenn sie sich im Zeichen der Antiken- und Rechtsrezeption allmählich weiter ausgestaltete. Auf einer ganz anderen Ebene als der der Herrschaftstheorie und königlichen Selbstdarstellung wird die ungebrochene Virulenz der nachcanusinischen Herrschersakralität zudem ebenfalls deutlich: Im Bereich schlichter Volksreligiösität finden sich nämlich Belege für einen durch die Quellen nur schlecht dokumentierten, aber offenbar weit verbreiteten Glauben des einfachen Volkes an eine eigentümliche Heiligkeit des Königs, dessen Berührung sich nach Meinung der frommen Gemüter segensreich auswirkte auf die Ernte und Entwicklung der Kinder. Heinrich IV. ist dieser Glaube im Leben wie im Tode entgegengebracht worden, 1084 in Italien141, 1106 in Lüttich142 ; aber noch in der Mitte des 12. Jahrhunderts erlebte ihn auch der dänische König Waldemar I., als er durch das Reich reiste und sich 1162 in Metz aufhielt143. Das Verhalten des ungebildeten Volkes und die Rhetorik der gelehrten Geistlichen, der Historiographen, Traktatenschreiber und Urkundenverfasser, bestätigen sich mithin gegenseitig und lassen keinen Zweifel aufkommen an der während des 12. Jahrhunderts auch im Reich immer noch weit verbreiteten Vorstellung von einer ausgeprägten Sakralität des Königs und Kaisers. Nach und mit dieser Feststellung ist zurückzublicken auf die einleitend angesprochene ,Wende von Canossa‘, deren wesentliches Charakteristikum die ,Entsakralisierung‘ gewesen sein soll144. Läßt sich dieses Urteil noch halten? In der Perspektive einer longue durée zweifellos – denn bis zum sog. Investiturstreit konvergierten Regnum und Sacerdotium recht stark, seit diesem Ringen um die rechte Ordnung der Welt aber traten sie stärker auseinander, grenzten sich deutlicher von einander ab und divergierten schließlich in einem Maße, das (unter Abwehr von 141 Vita metrica s. Anselmi Lucensis episcopi auct. Rangerio, edd. Ernst Sackur, Gerhard Schwartz, Bernhard Schmeidler, MGH SS 30/2, Leipzig 1934, S. 1256 (V. 4781 f.: Hi vestem tangunt, quo fortunatior illis / Sit manus et surgat laetior inde seges). 142 Sigebert von Gembloux, Chronik, ed. Ludwig Conrad Bethmann, MGH SS 6, Hannover 1844, S. 371 f. 143 Saxo Grammaticus, Gesta Danorum XIV 28 §13, rec. Jørgen Olrik / Hans Raeder, Bd. I, Kopenhagen 1931, S. 442. 144 Vgl. Anm. 4 und Bernhard Töpfer, Tendenzen zur Entsakralisierung der Herrscherwürde in der Zeit des Investitiurstreites, in: Jb. f. Geschichte des Feudalismus 6 (1986), S. 163 – 171.

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zeitweise äußerst heftigen hierokratischen Tendenzen) die Herausbildung eines säkularen Staatsverständnisses ermöglichte. Dies war freilich ein Prozeß, der sich noch über Jahrhunderte hinzog und noch lange nicht – weder im Mittelalter noch in der frühen Neuzeit – zu seinem Ende gelangte. Die ,Wende von Canossa‘ bewirkte also keine Entsakralisierung als abgeschlossenes Ereignis, sondern setzte lediglich einen langwierigen Prozeß in Gang. Darf dieses Schlagwort trotzdem weiterhin auf die Sakralität der Herrscher angewendet werden? Wohl nur noch mit Einschränkungen! Die ungebrochene Kontinuität der Vorstellung einer auf besonderer Nähe zu Gott begründeten Sakralität der Könige ist ja deutlich geworden. Zwar mußte die salische Monarchie durch den Bußakt von Canossa die höchsten Gipfel einer unter Heinrich III. und selbst noch unter dem jungen Heinrich IV. fast schon theokratisch getönten Sakralität aufgeben, aber eine solide Substanz herrscherlicher Sakralität vermochte sie zu bewahren und weiterzugeben an die folgenden Königsherrschaften, unter denen Modifizierungen und Ausgestaltungen vorgenommen wurden, aber kein genereller Verlust eintrat. Was allerdings neu war und deshalb als ,Wende‘ verstanden werden kann, das ist der Verlust eines breiten Konsenses über die Existenz einer den Herrschern eigenen Sakralität. Nicht die Geistlichkeit in ihrer Gesamtheit, wohl aber starke kirchliche Kräfte, die sich um das Papsttum zentrierten, kämpften seit der Mitte des 11. Jahrhunderts gegen die sich oftmals als Oberhoheit äußernde sakrale Sonderstellung der Kaiser. Natürlich konnte man hierbei an ältere Traditionen anknüpfen145, aber eine völlige und anhaltende Negierung der Herrschersakralität gleichsam von der Spitze der lateinischen Kirche her hatte es bislang nicht gegeben und auf sie sollte – trotz allen pragmatischen Verhaltens der Päpste und vieler Zugeständnisse gegenüber den christlichen Königen Europas – künftig auch nicht mehr verzichtet werden. Zugleich ist eine schärfere Scheidung zwischen den in der Theorie ohnehin separaten Sphären von Regnum und Sacerdotium vorgenommen worden146, was zu einer Verdrängung des Königtums aus dem Bereich des Sacerdotiums führte, an dem es zunächst noch einen diffusen, freilich niemals den liturgischen und sakramentalen Kern berührenden Anteil besaß147. Zu einem völligen Verlust der herrscherlichen Sazerdotalität führte dieser Prozeß jedoch nicht148.

145

Vgl. Frantisˇek Graus, Mittelalterliche Vorbehalte gegen die Sakralisierung der Königsmacht, in: Hartmut Atsma / André Borguière (Hgg.), Marc Bloch aujourd’hui. Histoire comparée et Sciences sociales (= Recherches d’histoire et sciences sociales 41), Paris 1990, S. 116 – 123, bes. 119; Stürner, Peccatum (wie Anm. 40), S. 42 – 122. 146 Vgl. dazu etwa Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), Stuttgart 1978, S. 98 – 107, bes. 106, und ders., Die Stellung (wie Anm. 7), S. 217, sowie Szabó-Bechstein, Libertas ecclesiae (wie Anm. 20), S. 137. 147 Vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 43 ff. und 47 – 52. 148 Vgl. ebd. S. 36 – 52; ders., Heißer Sommer (wie Anm. 86), S. 31 – 41, und ders., Sol iusticie (wie Anm. 66), S. 802 – 818.

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Sollte der seit der Mitte des 11. Jahrhunderts (besonders in Konfliktsituationen) spürbare Dualismus zwischen sakralen und nicht-sakralen Herrschervorstellungen auch niemals mehr überwunden werden, so behaupteten die Kaiser doch nicht nur trotzdem ihre sakrale Würde, sondern die westeuropäischen Monarchen von Frankreich und England begannen erst jetzt, ihre zweifellos bereits früher vorhandene sakrale Dimension richtig auszugestalten149 und wurden nun durch die Salbung zu rois thaumaturges, zu krankenheilenden Königen150, wobei besonders in Frankreich eine eigene religion royale151 zur Entfaltung kam. Aber auch die nor149 Vgl. dazu für Frankreich Joachim Ehlers, Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Stuttgart 1987, S. 62 f. (und für die spätere Entwicklung 160 ff.); ders., Die Kapetinger, Stuttgart 2000, S. 40 – 42 und 71 f., und für England Karl-Friedrich Krieger, Geschichte Englands von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, München 1990, S. 69; Jürgen Sarnowsky, England im Mittelalter, Darmstadt 2002, S. 32, 43 und 58 (und für die spätere Entwicklung 125 f. und 196 f.), sowie die folgende Anm. Zu den Vorstellungen königlicher Gottesstellvertreterschaft in Frankreich und England während des 12. Jahrhunderts vgl. Koch, Auf dem Weg (wie Anm. 13), S. 6, 75 f., 132, 268, und im einzelnen: Die Texte des Normannischen Anonymus, unter Konsultation der Teilausgaben von H. Böhmer, H. Scherrinsky und G. H. Williams neu aus der Handschrift 415 des Corpus Christi College Cambridge hg. von Karl Pellens, Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 42. Abteilung für abendländische Religionsgeschichte, Wiesbaden 1966, S. 132 (Herrscher als Abbild Gottes, Bischof als Abbild Christi), 151 (der Herrscher als alter Christus), 198 und 223 (König als Mitherrscher Christi) (dazu vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper [wie Anm. 131], S. 42 – 44, und Jürgen Miethke, Politische Theorien im Mittelalter, in: Hans-Joachim Lieber (Hg.), Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart [= Studien zur Geschichte und Politik, Schriftenreihe 299], Bonn 1991, S. 47 – 156, bes. 63 – 65); Hugo von Fleury, Tractatus de regia potestate et sacerdotali dignitate I 3 und 5, ed. Ernst Sackur, MGH Ldl 2, Hannover 1892, S. 468 und 472 (König als imago Dei patris, Bischof als imago Christi); Ioannis Saresberiensis Episcopi Carnotensis Policratici sive De nugis curialium et vestigiis philosophorum libri VIII, ed. Clemens C. J. Webb, 2 Bde., London 1909, hier etwa I, S. 235 f. (IV 1: Herrscher als diuinae maiestatis imago), II, S. 80 (VI 26: Herrscher als imago Dei) und 358 f. (VIII 18: Herrscher als minister Dei); zur besonderen Heiligkeit des Königs (und des Dienstes für ihn) vgl. Peter von Blois, Epist. 150, ed. Migne, PL 207, Paris 1855, S. 440 (Fateor quidem, quod sanctum est domino regi assistere; sanctus enim et christus Domini est; nec in vacuum accepit unctionis regiae sacramentum …). 150 Vgl. dazu immer noch grundlegend Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998 [frz. 1924], sowie die Modifizierungen von Jacques LeGoff, Le mal royal au moyen âge: du roi malade au roi guerisseur, in: Mediaevistik 1 (1988), S. 101 – 109; ders., La genèse du miracle royal, in: Atsma / Borguière (Hgg.), Marc Bloch aujourd’hui (wie Anm. 145), S. 147 – 156, und Joachim Ehlers, Der wundertätige König in der monarchischen Theorie des Frühund Hochmittelalters, in: Paul-Joachim Heinig u. a. (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (= Hist. Forschungen 67), Berlin 2000, S. 3 – 20; zu den englischen Verhältnissen vgl. bes. Frank Barlow, The King’s Evil, in: ders., The Norman Conquest and Beyond, London 1983, S. 23 – 47 [erstmals 1980, in: English Historical Review 95, S. 3 – 27]; ders., Morbus regius: The Royal Disease, in: Bat-Shevan Albert u. a. (Hgg.), Medieval Studies in Honour of Avron Saltman (= Bar-Ilan Studies in History IV), Jerusalem 1995, S. 53 – 66. 151 Zu dieser vgl. Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. zum 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates I, Darmstadt 21960, S. 240 f. und 266, aber auch Carlrichard Brühl, Deutschland – Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln 21995, S. 59 f.

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mannischen Könige Süditaliens taten alles, um ihre Sakralität zu betonen152. Wenn, wie gesagt, die christlichen Könige zumindest Kerneuropas auch schon früh als sakrale Herrscher galten, so kommen – bedingt durch die Quellenlage und den Rombezug – im 10. und 11. Jahrhundert doch meist nur die ottonischen und salischen Kaiser im sakralen Glanz zum Vorschein. Dies änderte sich seit dem 12. Jahrhundert, treten den Beherrschern des Imperiums doch nun die genannten Könige an die Seite, so daß (und auch dies ist neu) von jetzt an von einer erkennbaren Vielfalt der sakralherrscherlichen Repräsentanz gesprochen werden darf. Angesichts der besonderen Heilkraft, welche die englischen und französischen Könige seit dem hohen Mittelalter zu demonstrieren wußten, wirkt die zur selben Zeit in Auseinandersetzungen mit dem Papsttum wiederholt in Frage gestellte und aus anderen, nämlich imperialen153, Traditionen erwachsene Sakralität der Kaiser auf den rückschauenden Betrachter zwar als recht blaß, aber man wird trotzdem nicht von einem Mißerfolg der Behauptung der herrscherlichen Sakralität durch die späten Salier, Staufer und deren Nachfolger sprechen dürfen154 – auch wenn die kaiserliche Sakralität anders als die der westeuropäischen Monarchen schließlich nicht die dauerhafte Festigung der herrscherlichen Position und eine intensive Ausgestaltung des monarchischen Staatswesens mitbewirkte, denn dieses häufig als Erfolg gepriesene Ergebnis mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Staatsentwicklung wurde ja nicht allein aufgrund der herrscherlichen Sakralität erreicht. Hierbei kamen vielmehr die in dieser Betrachtung weitgehend ausgeblendeten politischen und strukturellen Rahmenbedingungen zum Tragen, die sich für die westeuropäischen Monarchien aus verschiedenen Gründen155 wesentlich günstiger gestalteten als für das Reich. Dieses aber sollte bis zu seinem Ende nicht nur von einer zunehmenden politischen Schwäche der Zentralgewalt und von dem (früher oft beklagten) Ausbleiben einer Umgestaltung in ein modernes Staatswesen gekennzeichnet sein, sondern zumindest bis zur Aufklärung auch von einer eigenen Heiligkeit und von der Sakralität seines Oberhaupts.

152

Vgl. Anm. 130 und 131. Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 12), S. 42, und ders., Heißer Sommer (wie Anm. 86), S. 33. 154 Vgl. Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 146 f. 155 Vgl. dazu Koch, Auf dem Wege (wie Anm. 13), S. 8 – 10, 76, 255 u. ö., sowie Ehlers, Der wundertätige König (wie Anm. 150), bes. S. 17 – 19; ders., Die französische Monarchie im 13. Jahrhundert, in: Egon Boshof / Franz-Reiner Erkens (Hgg.), Rudolf von Habsburg. 1273 – 1291. Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel (= Passauer Hist. Forschungen 7), Köln 1993, S. 165 – 184, und Peter Moraw, Rudolf von Habsburg: Der ,kleine‘ König im europäischen Vergleich, ebd. S. 185 – 208. 153

III. Das sakrale Reich

Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter „Das liebe, heil’ge Röm’sche Reich, Wie hält’s nur noch zusammen?“

hebt Frosch an zu singen, als er dem Wunsche seiner Saufkumpane nach musikalischer Unterhaltung nachkommt und dabei auf den Unwillen jener „Zeche lustiger Gesellen“ trifft, die sich in „Auerbachs Keller in Leipzig“ versammelt hat, um einen feucht-fröhlichen Abend nach deutscher Art zu feiern, und dabei (was ihren Mitgliedern beinahe die Nasen kostet) auf den Doktor Faust und den Teufel in der Gestalt des Mephistopheles trifft1. Der Widerwille richtet sich freilich nicht gegen eine mangelhafte Sangeskunst, sondern gegen den Inhalt des Vorgetragenen; und er wird artikuliert durch Brander, der seine Kritik in Worte kleidet, die zu einem geflügelten Wort geworden sind: „Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied!“, der aber auch eine Erklärung für seinen Unmut anführt: „Dankt Gott mit jedem Morgen / Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu sorgen!“ Auf einer anderen Bühne kommt Hans Sachs, der Schuster und Poet aus Nürnberg, ebenfalls auf das Reich zu sprechen, als er den im Wettgesang erfolgreichen Junker Walther von Stolzing in seinem großen Schlußmonolog ermahnt, die Meister ob ihrer Verdienste um die deutsche Kunst nicht zu verachten, denn ihr künstlerisches Wirken sei ehrenvoll und trage zum Erhalt dieser Kunst bei, selbst wenn der politische Rahmen zerfiele, in dem sich das Bemühen der Meister als gute und kunstbeflissene Geister abspiele2: „Und gebt ihr ihrem Wirken Gunst, zerging’ in Dunst das Heil’ge Röm’sche Reich, Erstdruck in: Helmut Knüppel / Manfred Osten / Uwe Rosenbaum / Julius H. Schoeps / Peter Steinbach (Hgg.), Wege und Spuren. Verbindungen zwischen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard [zum 60. Geburtstag] (= Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam, Bd. 10), Berlin 2007, 223 – 239. 1 Zitiert nach der Ausgabe im Deutschen Klassiker Verlag von Albrecht Schöne, Johann Wolfgang Goethe. Faust. Texte, Frankfurt 1999, S. 89 f. (im einzelnen sind angeführt die Verse 2090 – 2094), doch sind die Verse vom Heil’gen Röm’schen Reich schon im ,Urfaust‘ enthalten, während die Versifizierung der gesamten Szene erst für ,Faust. Ein Fragment‘ vorgenommen worden ist: Vgl. Johann Wolfgang Goethe. Sämtliche Werke 5. Die Faustdichtungen (= Artemis Ausgabe), Zürich 21961 – 1966 [zit. nach der DTV-Ausgabe von 1977], S. 22 (Urfaust) und 86 (Faust. Ein Fragment). 2 Zitiert nach der Reclam-Ausgabe: Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg, Stuttgart 1966, S. 109 (3. Aufzug, 5. Auftritt).

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Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst.“

Goethes Faust und Wagners Meistersinger haben mit diesen Reimen wohl nicht unerheblich dazu beigetragen, im deutschsprachigen Bildungsbürgertum das Wissen darüber wach zu halten, daß das 1806 untergegangene Reich römisch und heilig gewesen ist, wobei beide Werke auf je eigene Weise auf die politischen Probleme hinweisen, die dieses von dem bedeutenden Gelehrten Samuel von Pufendorf bereits im 17. Jahrhundert mit einem Monstrum verglichene Reich hinsichtlich seines inneren und äußeren Zusammenhalts und (modern gesprochen) seiner Regierbarkeit aufwarf3. Goethe, der sein Leipziger Sittengemälde um 1775 schuf und gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Reime goß und dabei die Agonie des alten Reiches vor Augen hatte, läßt denjenigen glücklich preisen, der für dieses Reich (dessen Ende im Jahre 1806 den Geheimrat kaum sonderlich berühren wird4) nicht zu sorgen hat, während für den etwa 90 Jahre später seine Verse schmiedenden Richard Wagner dieses Reich schon längst in Dunst zergangen war. Dichter und Komponist hielten freilich nicht nur die Erinnerung an die Heiligkeit des Alten Reiches wach, die im 20. Jahrhunderts wohl noch in so mancher Reichsmystik5 nachwirkte, sondern auch an den merkwürdigen Zustand dieses Reiches, das, vor allem wenn man es mit der Elle nationalstaatlicher Machtversessenheit maß, so eigentümlich unmodern und politisch ebenso schwerfällig wie ineffektiv wirkte. Seither haben sich die Bewertungskategorien, mit denen dieses Reich lange beurteilt worden ist, zwar geändert und zu einer günstigeren Einschätzung seiner historischen Bedeutung geführt6; 3 Severini de Monzambano Veronensis [d. i. Samuel von Pufendorf], De statu imperii Germanici ad Laelium fratrem, dominum Trezolani, liber unus, hg. und übers. von Horst Denzer, Samuel von Pufendorf. Die Verfassung des Deutschen Reiches (= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 4), Frankfurt/M. / Leipzig 1994, S. 198 (VI §9): Nihil ergo aliud restat, quam ut dicamus, Germaniam esse irregulare aliquod corpus et monstro simile, siquidem ad regulas scientiae civilis exigatur, … 4 Vgl. Karl Otto Conrady, Goethe. Leben und Werk II. Summe des Lebens, Frankfurt/M. 1987, S. 328. 5 Vgl. dazu etwa Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 31992 (10. Kapitel „Die Vision des Reiches“, daraus bes. d) „Das Reich als Mythos“), sowie allg. Elisabeth Fehrenbach, Reich VII. Ausblick: Imperialismus und Weltreich. Der Reichsmythos des 20. Jahrhunderts, in: Otto Brunner u. a. (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe 5, Stuttgart 1984, S. 505 – 508, bes. 506 f., und für das 19. Jahrhundert Karl Zeumer, Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel (= Quellen und Forschungen zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit IV 2), Weimar 1910 (Kap. III. Das „heilige römische Reich deutscher Nation“ in der neueren Literatur). 6 Vgl. etwa Peter Moraw, Reich I-III, in: Brunner u. a. (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe 5 (wie Anm. 5), S. 423 – 456, sowie allg. auch Egon Boshof, Reich/Reichsidee, in: Theologische Realenzyklopädie 28 (1997) S. 442 – 450; Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hgg.), Heilig – Römisch – Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa, Dresden 2006 [darin bes. S. 44 – 56: Rudolf Schieffer, Konzepte des Kaisertums, und S. 440 – 450: Peter Moraw, Das Reich im mittelalterlichen Europa], und Bernd Schneidmüller, Die Kaiser des

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doch soll es im folgenden nicht um diesen Beurteilungswechsel gehen, sondern um die Frage, was man sich unter der Heiligkeit des mittelalterlichen Reiches vorzustellen hat. Daß dieses Reich und damit auch seine Beherrscher in der Tradition des antiken Imperium Romanum standen, war bereits seit der Wiedererrichtung des westlichen Kaisertums durch Karl den Großen im Jahre 800 so7 und wurde seit spätottonischfrühsalischer Zeit immer deutlicher betont8, weswegen nicht nur der mittelalterliche und frühneuzeitliche Kaiser schließlich als Imperator der Römer galt, sondern sogar der deutsche König offiziell als rex Romanorum, als König der Römer bezeichnet worden ist9. Der für die frühe Neuzeit wichtige Zusatz im Reichstitel hingegen, der die Deutschen als besondere Träger des Reiches hervorhebt und wohl zugleich auch eine Reaktion auf den Schrumpfungsprozeß des Imperiums darstellt10, die 1474 erstmals in dieser Form belegte Bezeichnung „Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“ also11, kam erst seit dem 15. Jahrhundert auf und spielte für die eigentlichen mittelalterlichen Jahrhunderte als offizieller Reichstitel, als der er wohl erstmals 1512 verwendet worden ist12, keine Rolle13. Mittelalters. Von Karl dem Großen bis Maximilian I., München 2006 (bes. Kap. 7: „Das Heilige Reich [1138 – 1308]“). 7 Vgl. Peter Classen, Romanum imperium gubernans. Zur Vorgeschichte der Kaisertitulatur Karls des Großen, in: Josef Fleckenstein (Hg.), Ausgewählte Aufsätze von Peter Classen (= Vorträge und Forschungen 28), Sigmaringen 1983, S. 187 – 204 [erstmals 1951/52, in: DA 9, S. 103 – 121, ND mit Nachtrag 1972, in: Gunther Wolf (Hg.), Zum Kaisertum Karls des Großen (= Wege der Forschung 38), Darmstadt, S. 4 – 29]; ders., Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen Kaisertums. Nach dem Handexemplar des Verfassers hg. von Horst Fuhrmann und Claudia Märtl (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 9), Sigmaringen 1985, S. 71 ff. 8 Vgl. Moraw, Reich (wie Anm. 6), S. 436 – 439, und Jörg Schwarz, Herrscher- und Reichstitel bei Kaisertum und Papsttum im 12. und 13. Jahrhundert (= Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 22), Köln 2003, S. 17 – 22, sowie Eckhard Müller-Mertens, Römisches Reich im Besitz der Deutschen, der König an Stelle des Augustus. Recherche zur Frage: seit wann wird das mittelalterlich-frühneuzeitliche Reich von den Zeitgenossen als römisch und deutsch begriffen?, in: Historische Zeitschrift 282 (2006) S. 1 – 58. 9 Vgl. Moraw, Reich (wie Anm. 6), S. 438, sowie Helmut Beumann, Der deutsche König als „Romanorum Rex“ (= Sitzungsberichte der wiss. Gesell. an der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt 18 Nr. 2), Wiesbaden 1981, und Brigitte Merta, Die Titel Heinrichs II. und der Salier, in: Herwig Wolfram / Anton Scharer (Hgg.), Intitulatio III. Lateinische Herrschertitel und Herrschertitulaturen vom 7. bis zum 13. Jahrhundert (= MIÖG Ergbd. 29), Wien 1988, S. 163 – 200, bes. 198 f. 10 Vgl. Moraw, Reich (wie Anm. 6), S. 454 f. 11 Actenstücke und Briefe zur Geschichte des Hauses Habsburg im Zeitalter Maximilians I., hg. von Joseph Chmel, Monumenta Habsburgica, 1. Abt., Bd. 1, Wien 1854, S. 391 Nr. 139 (Gehorsams-Revers des Landgrafen Hermann, Verwesers des Stiftes Cöln): heilgen Romisschen rych der Duytschen nacioin. 12 Neue und vollstaendigere Sammlung der Reichsabschiede II, 1747 [ND Osnabrück 1967], S. 137 (Kölner Reichsabschied von 1512): des heiligen Roemischen Reichs Teutscher Nation; vgl. dazu Zeumer, Heiliges römisches Reich deutscher Nation (wie Anm. 5), S. 19.

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Der Begriff ,Reich‘ selbst – in der Sprache der Quellen: regnum oder imperium sowie daz rîche – war freilich vielschichtig und konnte Verschiedenes bedeuten14: Besonders in den früheren Jahrhunderten des Mittelalters diente er in identifikatorischem Sinne zur Bezeichnung des Königs, seit dem 12. Jahrhundert jedoch meinte er in zunehmendem Maße vor allem auch die Gesamtheit der Fürsten, die dem König gegenüberstanden und eine Teilhabe an der Herrschaft besaßen oder forderten, die also zusammen mit dem (und manchmal gegen den) König das Reich trugen, ein Reich, das ursprünglich als Herrschaft und Herrschaftsverband verstanden wurde15, sich in einem langwierigen Abstrahierungsprozeß aber zu einer transpersonalen Vorstellungsgröße entwickelte16 : zu einem überpersönlichen, gleichsam objektiven Gebilde von geographisch-politischer Bedeutung, dem freilich immer auch eine ideelle, ja sogar heilsgeschichtliche Sinnuance beigemengt war. Die heilsgeschichtliche Dimension des Kaiserreichs ist in der Mitte des 12. Jahrhunderts Mit- wie Nachwelt durch des gelehrten Bischofs Otto von Freising Chronik und Geschichte de duabus civitatibus auf hohem intellektuellen Niveau vor Augen geführt worden, wenn etwa im Prolog zum ersten Buch dieser universalhistorischen Darstellung die Menschheitsgeschichte in traditioneller Weise als Abfolge von vier Weltreichen, von denen das römische Imperium das letzte sei, vorgestellt wird, wenn außerdem im Vorwort zum dritten Buch die Geburt Christi zur Zeit des Kaisers Augustus als eine gottgewollte Koinzidenz gedeutet wird, weil die Welt damals in Frieden geeint und die geistige Entwicklung der Menschen weit genug fortgeschritten gewesen sei für die Gewinnung höherer religiöser Erkenntnis, und wenn schließlich das achte und letzte Buch vom Kommen des Antichrist und von dem Ende der Welt handelt17. Die Vorstellungen, die der Freisinger Bischof in 13

Vgl. dazu außer Anm. 6 auch Zeumer, Heiliges römisches Reich deutscher Nation (wie Anm. 5), S. 17 – 29; Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 240 – 244, und Ulrich Nonn, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. Zum Nationen-Begriff im 15. Jahrhundert, in: Zeitschrift f. hist. Forschung 9 (1982) S. 129 – 142, bes. 142; Hermann Weisert, Der Reichstitel bis 1806, in: Archiv f. Diplomatik 40 (1994) S. 441 – 513, bes. 457 – 483 und 494 ff. 14 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Heinrich Raspe, die Fürsten und das Reich. Ansichten und Einsichten, in: Matthias Werner (Hg.), Heinrich Raspe – Landgraf von Thüringen und römischer König (1227 – 1247). Fürsten, König und Reich in spätstaufischer Zeit (= Jenaer Beiträge zur Geschichte 3), Frankfurt/M. 2003, S. 359 – 369, bes. 360 und die hier in Anm. 4 verzeichnete Literatur. 15 Zu weiteren, hier nicht interessierenden Bedeutungsinhalten vgl. Karl-Friedrich Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 14), München 22005, S. 36. 16 Vgl. dazu neuestens auch Stefan Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde, in: Bernhard Jussen (Hg.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, S. 191 – 204, bes. 196 ff. 17 Ottonis episcopi Frisingensis Chronica sive Historia de duabus civitatibus, hg. von Adolf Hofmeister, MGH SS rer. Germ. [45.], Hannover 21912, S. 6 – 11 (Prolog zum ersten Buch),

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seinem Geschichtswerke äußerte, waren in ihrem Kern allerdings nicht neu, sondern sie reichen bis in die Spätantike (und noch weiter) zurück18 und haben bereits vor Otto etliche namhafte und wirkmächtige Verkünder gefunden, wie etwa um 400 den lateinischen Kirchenvater Hieronymus19 und in der Mitte des 10. Jahrhunderts den späteren Abt Adso von Montier-en-Der20. Nach spätmittelalterlicher Auffassung bestand dabei die wesentliche, seit Jahrhunderten bekannte und in den Prophetien des sog. Pseudo-Methodios und der tiburtinischen Sibylle21 eindrücklich formulierte Aufgabe des römischen Reiches vor allem darin, das Erscheinen des Antichrist und damit den Untergang der Welt aufzuhalten: Das Imperium Romanum, das im Laufe der Zeit von den Römern auf die Griechen, dann auf die Franken und schließlich auf die Deutschen übertragen worden sein soll22, war mithin, wie bereits Hieronymus lehrte23, das katéchon: das dem Weltende im Wege stehende und dieses daher verzögernde und aufhaltende Element. 132 – 135 (Prolog zum dritten Buch) und 393 – 457 (8. Buch); übers. von Adolf Schmidt, hg. von Walther Lammers, Ausgewählte Quellen zu deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 16), Darmstadt 1960 [51990], S. 10 – 17 (Prolog zum ersten Buch), 209 – 213 (Prolog zum dritten Buch) und 588 – 681 (8. Buch); vgl. zum Verständnis der Heilsgeschichte ebd. S. XLI ff. und Hans-Werner Goetz, Das Geschichtsbild Ottos von Freising. Ein Beitrag zur historischen Vorstellungswelt und zur Geschichte des 12. Jahrhunderts (= Beihefte zum AKG 19), Köln / Wien 1984, S. 137 – 158, bes. 143 – 148. 18 Vgl. dazu wie zum folgenden Josef Adamek, Vom römischen Endreich der mittelalterlichen Bibelerklärung, Würzburg 1938, allg. und bes. S. 47 f. (zu Hieronymus), 79 ff. (zu Adso) und S. 98 f. (zu Otto von Freising), sowie Alois Dempf, Sacrum imperium. Geschichtsund Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 41973, S. 254 ff. 19 Commentariorum in Danielem libri III [IV], ed. Franciscus Glorie, S. Hieronymi presbyteri opera, pars I : Opera exegetica 5 (CC Ser. Lat. 75 A), Turnhaut 1964, S. 842 – 850 (II 77-27). 20 Adso Dervensis De ortu et tempore Antichristi necnon et tractatus qui ab eo dependunt, ed. D. Verhelst, CC Cont. Med. 45, Turnhaut 1976, S. 20 – 30; vgl. dazu Robert Konrad, De ortu et tempore Antichristi. Antichristvorstellung und Geschichtsbild des Abtes Adso von Montier-en-Der (= Münchener Hist. Studien, Abt. Mittelalterliche Geschichte 1), Kallmünz 1964. 21 Vgl. Sibyllinische Texte und Forschungen. Pseudomethodius, Adso und die Tiburtinische Sibylle, [hg.] von Ernst Sackur, Halle/S. 1898, S. 59 – 96 (bes. von cap. 9 an; vgl. dazu ebd. S. 39 f.) und 177 – 187 (bes. 185 f.; vgl. dazu ebd. S. 163 f. und 171 f.), und dazu Adamek, Vom römischen Endreich (wie Anm. 18), S. 59 – 65, sowie Hannes Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung (= Mittelalter-Forschungen 3), Stuttgart 2000, S. 17 – 104, 136 – 143 und 321 – 359. 22 Zur Vorstellung von der translatio imperii vgl. Werner Goez, Translatio Imperii. Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Tübingen 1958. 23 In Hieremiam libri VI, ed. Sigofredus Reiter, S. Hieronymi presbyteri opera, pars I: Opera exegetica 3 (= CC Ser. Lat. 74), Turnhaut 1960, S. 246 (V 274): Eum, ,qui tenet‘, Romanum ostendit imperium; nisi enim hoc destructum fuerit sublatumque de medio, iuxta prophetiam Danihelis Antichristus ante non veniet. Vgl. auch Augustinus, De civitate Dei libri XXII, ed. Emanuel Hoffmann, Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum 40, 2 Bde., Prag 1899/1900, Bd. 2, S. 470 – 475 (XX 19); zum Ende der Zeiten und zum jat]wym vgl. auch

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Vor dem Hintergrund solcher Vorstellungen, die besonders bei gravierenden Auseinandersetzungen dazu führen konnten, den Gegner als Antichrist zu verteufeln, wie es bereits vor der Mitte des 13. Jahrhunderts auf höchster politischer Ebene im Kampf zwischen dem letzten Stauferkaiser Friedrich II. und den Päpsten geschehen ist24, wie es aber auch noch im 16. Jahrhundert geschah, als das römische Oberhaupt der katholischen Christenheit für Martin Luther zum Antichrist wurde25, vor dem Hintergrund eines solchen, auch in zahlreichen Chroniken26 zur Darstellung gebrachten Allgemeinguts der mittelalterlichen Glaubenswelt ist natürlich auch das Aufkommen der Vorstellung von der Heiligkeit des Imperiums zu verstehen. Wenn diese Vorstellung ebenso wie der aus der Universalität des Kaisertums abgeleitete Gedanke einer Weltherrschaft27 auch kaum je politisch-praktische Konsequenzen gezeitigt hat, sondern hauptsächlich ein Gegenstand theoretischer Erörterung geblieben ist28, wenn es also hinsichtlich der universalen und heilsgeschichtlichen Dimension des Imperiumsgedankens zumeist eine spürbare Differenz Paulus, 2 Thess 23-8 (bes. V. 7: tantum ut qui tenet nunc, teneat) sowie Hermann Jakobs, Weltherrschaft oder Endkaiser? Ziele staufischer Politik im ausgehenden 12. Jahrhundert, in: Theo Kölzer (Hg.), Die Staufer im Süden. Sizilien und das Reich, Sigmaringen 1996, S. 13 – 28, bes. 18. Vgl. aber etwa auch Adso Dervensis (wie Anm. 20), S. 25 f. 24 Vgl. Otto Vehse, Die amtliche Propaganda in der Staatskunst Kaiser Friedrichs II. (= Forschungen zur mittelalterlichen und neueren Geschichte 1), München 1929, S. 72 – 77; Hans Martin Schaller, Endzeit-Erwartung und Antichrist-Vorstellungen in der Politik des 13. Jahrhunderts, in: ders., Stauferzeit. Ausgewählte Aufsätze (= MGH Schriften 38), Hannover 1993, S. 25 – 52, bes. 36 – 45 [erstmals 1971, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geb. (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Inst. f. Geschichte 36/II, Göttingen, S. 924 – 947, bes. 934 – 941]; Möhring, Der Weltkaiser (wie Anm. 21), S. 209 f., und Wolfgang Stürner, Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 1220 – 1250, Darmstadt 2000, S. 472 – 476 und 531 f., aber auch Peter Herde, Literary Activities of the Imperial and Papal Chanceries during the Struggle between Frederick II and the Papacy, in: William Tronzo (Hg.), Intellectual Life at the Court of Frederick II of Hohenstaufen (= Studies in the History of Art 44 = Center for Advanced Study in the Visual Arts. Symposium Papers 24), Washington 1994, S. 227 – 239, bes. 233 ff. 25 Vgl. Hans Preuss, Die Vorstellungen vom Antichrist im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Geschichte der christlichen Frömmigkeit, Leipzig 1906, etwa S. 114, 116 f., 135; Arno Seifert, Der Rückzug der biblischen Prophetie von der neueren Geschichte. Studien zur Geschichte der Reichstheologie des frühneuzeitlichen deutschen Protestantismus (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 31), Köln 1990, S. 7 ff., und Ingvild Richardsen-Friedrich, Antichrist-Polemik in der Zeit der Reformation und der Glaubenskämpfe bis Anfang des 17. Jahrhunderts (= Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Bd. 1855), Frankfurt/M. 2003 (bes. Kap. III). 26 Vgl. Martin Haeusler, Das Ende der Geschichte in der mittelalterlichen Weltchronistik (= Beihefte zum AKG 13), Köln / Wien 1980. 27 Dazu wie zum folgenden vgl. Othmar Hageneder, Weltherrschaft im Mittelalter, in: MIÖG 93 (1985) S. 257 – 278, sowie speziell zur staufischen Epoche Hans Joachim Kirfel, Weltherrschaftsidee und Bündnispolitik. Untersuchungen zur auswärtigen Politik der Staufer (= Bonner Hist. Forschungen 12), Bonn 1959; Heinrich Appelt, Christianitas und Imperium in der Stauferzeit, in: La cristianità dei secoli XI e XII in occidente: Coscienza e strutture di una società (= Miscellanea del Centro di studi medioevali X), Milano 1983, S. 26 – 44, bes. 37 ff., und Jakobs, Weltherrschaft (wie Anm. 23), S. 13 – 28. 28 Vgl. Moraw, Reich (wie Anm. 6), S. 446 – 454.

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zum politischen Verhalten der mittelalterlichen Kaiser gab, von denen sich zwar mancher wohl gern dominus mundi, Herr der Welt, nennen ließ29, von denen aber keiner entsprechend auftrat oder auch nur die Souveränität anderer Könige in Frage stellte, so darf der mit diesen Vorstellungen verbundene Ideenhorizont doch als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, zeugen davon doch die überlieferten Handschriften der das Weltende beschreibenden Prophetien aus der Spätantike und dem früheren Mittelalter ebenso wie deren Rezeption durch zahlreiche Autoren30, wobei das Interesse an solchen Endzeitschilderungen im späteren Mittelalter offenbar in einem besonderem Maße wuchs, wie die steigende Zahl der Manuskripte, die aus den einzelnen Jahrhunderten überliefert sind, vermuten läßt. Diese intensive Handschriftenproduktion und die breite Rezeption der uralten Weissagungen vom Weltende belegen aber auch, wie wenig solche Spekulationen einem kleinen Gelehrtenkreis allein vorbehalten blieben. Vielmehr schlugen sie sich in der Gestaltung der keinesfalls praktischen Zwecken, sondern dem Weltverständnis dienenden Weltkarten nieder31 und wurden überhaupt zum Allgemeingut des mittelalterlichen Wissens32 ; sie müssen daher auch den Herrschern bekannt gewesen sein. Dies braucht im übrigen nicht nur vermutet zu werden, sondern dafür gibt es sogar deutliche Hinweise, war es doch die westfränkische Königin Gerberga, die Schwester Ottos des Großen, die Adso von Montier-en-Der um 950 den Auftrag zur Anfertigung eines Antichrist-Traktes gab33. Der gelehrte, 1169 verstorbene Chorherr und Propst Gerhoch von Reichersberg34, der gelegentlich sogar ein Gesprächspartner Friedrich Barbarossas gewesen ist35, hat (mit deutlicher Skepsis ge29 Vgl. etwa den Archipoeta und seinen Kaiserhymnus ,Salve, mundi domine‘, hg. von Heinrich Watenphul und Heinrich Krefeld, Die Gedichte des Archipoeta, Heidelberg 1958, S. 68 Nr. IX. 30 Vgl. dazu wie zum folgenden Möhring, Der Weltkaiser (wie Anm. 21), S. 321 – 343 und 350 – 368 (mehr als 200 Handschriften des Pseudo-Method [vgl. S. 321], mehr als 130 Manuskripte der mittelalterlich-lateinischen Version der Tiburtina [vgl. S. 351] und 171 Textzeugen sind von Adsos Antichrist-Traktat und dessen Bearbeitungen [vgl. S. 360] erhalten). 31 Vgl. Anna-Dorothee von den Brincken, Mappa mundi und Chronographia. Studien zur imago mundi des abendländischen Mittelalters, in: DA 24 (1968) S. 118 – 186, bes. 172 f. und 186, sowie allg. auch dies., Fines Terrae. Die Enden der Erde und der vierte Kontinent auf mittelalterlichen Weltkarten (= MGH Schriften 36), Hannover 1992, etwa S. 146 oder zum Antichrist S. 118 und 183 f. oder zu den apokalyptischen Völkern Gog und Magog S. 61 f., 70, 89, 93, 105, 119, 146, 149, 152 f. und 156 f., 167 – 170, 178. 32 Vgl. dazu allg. auch Johannes Fried, Aufstieg aus dem Untergang. Apokalyptisches Denken und die Entstehung der modernen Naturwissenschaft im Mittelalter, München 2001. 33 Vgl. Adso Dervensis (wie Anm. 20), S. 20 ff. sowie ebd. S. 1 ff. und Konrad, De ortu (wie Anm. 20), S. 23. 34 Zu diesem vgl. Peter Classen, Gerhoch von Reichersberg. Eine Biographie mit einem Anhang über die Quellen, ihre handschriftliche Überlieferung und ihre Chronologie, Wiesbaden 1960, bes. S. 215 – 234, 421 – 424: Opus 14, und Erich Meuthen, Kirche und Heilsgeschichte bei Gerhoh von Reichersberg (= Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters VI), Leiden 1959, bes. S. 87 ff., 135 – 145. 35 Vgl. dazu Classen, Gerhoch (wie Anm. 34), S. 276 f.

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genüber den weltlichen Reichen und mit der Prämisse einer geistigen und keinesfalls konkreten Deutung der Endzeitlehren) ebenfalls ein Werk de investigatione Antichristi verfaßt, und auch Gottfried von Viterbo, der Lobredner des staufischen Hauses36, hielt, wie Jahrzehnte zuvor Otto von Freising, das Wissen um den heilsgeschichtlichen Charakter des Imperiums und das endzeitliche Auftreten des Antichrists wach37. Trotzdem ist das Aufkommen der Charakterisierung des Reiches als sacer, die 1157 in zwei Urkunden Friedrich Barbarossas erstmals vorkam38 und gelegentlich sogar gesteigert werden konnte, wenn vom sacratissimum imperium die Rede war39, nicht vorrangig aus diesen Zusammenhängen heraus zu verstehen. Auch setzte sich die Bezeichnung des Reiches als sacrum imperium40, sacrum imperium Romanum41 und erstmals 1186 in der für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit maßgeblichen Form42 : sacrum Romanum imperium nur allmählich durch. In den Herrscherurkunden zunächst eher aufgrund persönlicher Vorlieben der Kanzlisten verwendet, intensivierte sich ihre Verwendung erst seit den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts, wurde in den vierziger Jahren zur am meisten benutzten Titelform und erst nach dem Sturz des staufischen Herrschergeschlechts, also erst nach 1250, zur üblichen Benennung des Reiches, die von der Kurie freilich zunächst ignoriert und erst

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Vgl. Odilo Engels, Gottfried von Viterbo und seine Sicht des staufischen Kaiserhauses, in: ders., Stauferstudien. Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert. Hg. von Erich Meuthen und Stefan Weinfurter, Sigmaringen 21996, S.263 – 281 [erstmals 1992 in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geb. (= Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte 3), Frankfurt/M., S. 327 – 345], bes. 270 – 276, sowie Friedrich Hausmann, Gottfried von Viterbo. Kapellan und Notar, Magister, Geschichtsschreiber und Dichter, in: Alfred Haverkamp (Hg.), Friedrich Barbarossa. Handlungsspielräume und Wirkungsweisen des staufischen Kaisers (= Vorträge und Forschungen 40), Sigmaringen 1992, S. 603 – 621; Gerhard Baaken, Zur Beurteilung Gottfrieds von Viterbo, in: Karl Hauck / Hubert Mordek (Hgg.), Geschichtsschreibung in geistiges Leben im Mittelalter. Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geb., Köln / Wien 1978, S. 373 – 396, und allg. Thomas Szabó, Herrscherbild und Reichsgedanke. Eine Studie zur höfischen Geschichtsschreibung unter Friedrich Barbarossa, Diss. Freiburg/Br. 1971. 37 Vgl. etwa das weit verbreitete Pantheon des Gottfried von Viterbo, hg. von Georg Waitz, MGH SS 22, Hannover 1872, S. 107 – 307, bes. 147 (part. XVI 24), und dazu Möhring, Der Weltkaiser (wie Anm. 21), S. 356 f. 38 Die Urkunden Friedrichs I., hg. von Heinrich Appelt u. a., MGH Friderici I. Diplomata, Hannover 1975 – 1990, Nr. 163 (1157 März 24 – 31) und 171 (1157 Juni 23): sacrum imperium. 39 Ebd. Nr. 254 (1159 Feb. 1) und 267 (1159 April 17). 40 Vgl. dazu wie zum folgenden Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), passim sowie bes. S. 86 – 96, 256 ff. und die Auflistung der Belege S. 270 Nr. 39 bis 311 Nr. 394. 41 Urk. Friedrichs I. (wie Anm. 38) Nr. 881 (1184 Nov. 3). 42 Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), S. 281 Nr. 128 (1186 Aug. 28) = J. F. Böhmer, Regesta Imperii IV 3: Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich VI. 1165 (1190) – 1197, bearb. von Karin und Gerhard Baaken, Köln / Wien 1972, Nr. 14 (1186 August 28 für den Bischof Hildebrand von Volterra).

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im weiteren Verlauf des Spätmittelalters akzeptiert worden ist43. Die terminologische Sakralisierung des Reiches setzte damit zwar bereits unter Friedrich Barbarossa ein, worauf die Forschung natürlich bereits früh hingewiesen hat44, gewann aber eindeutig erst in der Endphase von Friedrichs II. Regierung an Schwung und bewirkte noch später, nämlich erst in nachstaufischer Zeit, eine dauerhafte Änderung des offiziellen Reichstitels. Die Bezeichnung des Reiches als sacer hing ohne Zweifel mit der verstärkten Hinwendung zur Antike zusammen, die im 12. Jahrhundert deutlich spürbar wurde45 und sogar als eine eigene Renaissance verstanden werden kann46. Da in der späten römischen Kaiserzeit alles, was kaiserlich war, als sacer begriffen wurde47 und die einsetzende Rezeption des römischen Rechts48 diesen Brauch wieder ins Bewußtsein rief, ging man im Umfeld der frühen Staufer dazu über, kaiserliche Verfügungen ebenfalls als sacer zu charakterieren49. So sehr aber die Begriffsprägung sacrum imperium in diesen Rezeptionsprozeß hineingehört, so wenig ist sie antik gewesen, vielmehr ist sie erst im 11. Jahrhundert, und zwar von dem St. Emmeramer Mönch Otloh50, bei der Anfertigung einer auf den Namen Kaiser Arnulfs († 899) gefälschten Urkunde51 vorgenommen worden und gelangte aller Wahr-

43 Vgl. dazu Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), S. 260 – 263 mit Anm. 985 sowie die Auflistung Belege auf den Seiten 323 – 406. 44 Vgl. dazu schon Zeumer, Heiliges römisches Reich (wie Anm. 5), S. 11 – 14, und vor allem Heinrich Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas, in: ders., Kaisertum, Königtum, Landesherrschaft. Gesammelte Studien zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, hg. von Othmar Hageneder (MIÖG Ergbd. 28), Wien 1988, S. 11 – 39, bes. 35 f. [erstmals 1967: Sitzungsberichte d. Österr. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 252/4, S. 3 – 32, bes. 30 f.], und ders., Christianitas (wie Anm. 27), S. 41 – 44. Vgl. auch Kurt Zeillinger, Kaiseridee, Rom und Rompolitik bei Friedrich I. Barbarossa, in: Bullettino dell’Instituto Storico Italiano per il Medio evo 96 (1990) S. 367 – 419, bes. 375 f. 45 Vgl. etwa Hugo Stehkämper, Imitatio urbis. Altrömische Ämterbezeichnungen im Hochmittelalter in deutschen Städten, besonders in Köln, in: Wallraf–Richartz–Jahrbuch 47 (1986) S. 205 – 233. 46 Vgl. Charles Homer Haskins, The Renaissance of the twelfth century, Cambridge/Mass. 1927. 47 Vgl. Otto Hiltbrunner, Die Heiligkeit des Kaisers (Zur Geschichte des Begriffs sacer), in: Frühmittelalterliche Studien 2 (1968) S. 1 – 30. 48 Zu dieser vgl. Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (= Abhandlungen der Mainzer Akad. d. Wiss. u. Lit., Geistes- und sozialwiss. Kl. Jg. 1999, Nr. 5), Stuttgart 1999. 49 Vgl. etwa die bei Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 57), S. 95 mit Anm. 125 – 127, angeführten Belege. 50 Zu diesem und seinem Wirken vgl. Hedwig Röckelein, Othloh v. St. Emmeram, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) S. 1559 f., sowie (auch für das Folgende) Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde (wie Anm. 16), S. 191 ff. 51 Die Urkunden Arnolfs, hg. von Paul Kehr, MGH Arnolfi Diplomata, Berlin 1940, Nr. 190.

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scheinlichkeit nach über den Codex Udalrici52, einer 1125 von dem Bamberger Domscholaster Udalrich für den Würzburger Bischof Gebhard I. zusammengestellte Formularsammlung, in welche die Fälschung aufgenommen worden war und die von Kanzlisten des Königs benutzt wurde, dem Stauferhof zur Kenntnis53. Der Terminus sacrum imperium ist mithin eine genuin mittelalterliche Schöpfung, die zwar nicht am Herrscherhof entstanden ist, hier aber auf sehr fruchtbaren Boden fiel. Ähnlich verhielt es sich offenbar auch bei der erweiterten Reichsbezeichnung sacrum Romanum imperium, die wohl auf die in Rom tätigen kaiserlichen Skriniare (Notare) zurückgeht und von diesen benutzt worden ist, um sich von den päpstlichen Skriniaren, die sich auf die Autorität der sancta Romana ecclesia beriefen, abzusetzen54. Die Begriffsbildung geschah also zunächst aus einem praktischen Grund, der bis in die dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts hinein wirksam blieb, denn überaus häufig finden sich die Erwähnungen des sacrum (Romanum) imperium bei der Kennzeichnung kaiserlicher Amtsträger, und zwar hauptsächlich, aber nicht ausschließlich in Italien55. Das Werden und Aufkommen eines Begriffs ist jedoch das eine, das andere hingegen ist die Bedeutung, die ihm schließlich zukommt, und sind die Vorstellungen, die sich in ihm bündeln. Zu Recht wird daher bereits seit langem die politische und ideologische Dimension der Vorstellung von der Heiligkeit des Reiches betont56, die Korrelation – um nicht zu sagen: der Gegensatz – von sacrum (Romanum) imperium und sancta (Romana) ecclesia; und ebenfalls zu Recht ist die Ausgestaltung dieser ideologischen Dimension mit den zahlreichen, nicht zuletzt auch ideengeschichtlichen Wandlungen, die der sog. Investiturstreit bewirkt und befördert hat, in eine ursächliche Verbindung gebracht worden: Durch den Bußakt

52 Zu diesem vgl. Timothy Reuter, Codex Udalrici, in: Lexikon des Mittelalters 2 (1983) S. 2209 f., und Claudia Märtl, Die Bamberger Schulen – ein Bildungszentrum des Salierreichs, in: Stefan Weinfurter / Hubertus Seibert (Hgg.), Die Salier und das Reich 3. Gesellschaftlicher und geschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 21992, S. 327 – 345, bes. 333 und 340 f.; zur Benutzung in der Königskanzlei vgl. Appelt, in: Die Urkunden Friedrichs I. (wie Anm. 38), Bd. V, S. 118 – 121. 53 Vgl. Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), S. 87 ff., sowie Gottfried Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20), Berlin (Ost) 1972, S. 269. 54 Vgl. dazu Zeillinger, Kaiseridee (wie Anm. 44), S. 376, und vor allem Jürgen Petersohn, Rom und der Reichstitel „sacrum Romanum imperium“ (= Sitzungsberichte d. wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. Bd. 32 Nr. 4), Wiesbaden 1994, S. 85 – 94, sowie Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), S. 211. 55 Vgl. Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), S. 200 – 203 und 211. 56 Vgl. dazu zuletzt Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde (wie Anm. 16), S. 198 – 204.

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von Canossa sei es, wie Anton Mayer-Pfannholz bereits im Jahre 1933 hervorhob57, zu einer Entsakralisierung, also zu einem Legitimationsdefizit der Kaiserwürde gekommen, das im 12. Jahrhundert durch die Rezeption des als kaiserlich begriffenen römischen Rechtes58 und der mit dieser verbundenen Entwicklung der Idee vom sacrum imperium wieder ausgeglichen werden konnte59. In seiner Sakralität erschien das Reich nämlich als eine unabhängige, unmittelbar auf Gott zurückgehende Einrichtung, die der Kirche und ihrer Heiligkeit an die Seite gestellt, aber auf keinen Fall untergeordnet war60. Das die Ordnung der Christenheit verändernde Ringen zwischen den späten Saliern und den Reformpäpsten hat zweifellos wesentliche Wandlungen im Verhältnis von Regnum und Sacerdotium sowie im Verständnis der weltlichen Herrschaft bewirkt. Einerseits wurden die beiden obersten Gewalten, wurden weltlicher und geistlicher Bereich nun deutlicher unterschieden, löste sich das Regnum aus der engen Verflechtung mit der Ecclesia und konnte daher schließlich als eigenständige und abstrakte Institution begriffen werden61, als sacrum imperium, was vorher trotz aller heilsgeschichtlichen Konnotationen, in denen das Imperium seit Jahrhunderten gesehen wurde, offenbar nicht möglich gewesen ist. Diesem Abstraktionsprozeß entsprach eine Entsakralisierung des Kaisertums, die freilich nicht als abgeschlossene Entwicklung (und keinesfalls als ein bereits in Canossa eingetretener Zustand) verstanden werden darf, sondern die sich noch bis weit in die Neuzeit hinein hinzog62. Was seit der Bannung Heinrichs IV. durch Gregor VII. allerdings für alle Zeiten zerbrochen war, das ist der zuvor weitgehend unangefochtene Konsens über die Sakralität des Herrschers gewesen, über das Nahverhältnis des Kaisers zu 57 Die Wende von Canossa, in: Hochland 30 (1932/33) S. 385 – 404 [ND in: Helmuth Kämpf (Hg.), Canossa als Wende. Ausgewählte Aufsätze zur neueren Forschung (= Wege der Forschung 12), Darmstadt 1976, S. 1 – 26]; relativierend dazu vgl. Franz-Reiner Erkens, Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalischfrühstaufischer Zeit, in: Jörg Jarnut u. a. (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien 13), München 2006, S. 71 – 101. 58 Vgl. Anm. 48 und 57. 59 Vgl. dazu Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium (wie Anm. 53), S. 260 – 279, aber auch allg. Struve, Die Salier und das römische Recht (wie Anm. 48), und ders., Vorstellungen von „König“ und „Reich“ in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in: ders., Staat und Gesellschaft im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze (= Historische Forschungen 80), Berlin 2004, S. 123 – 150 [erstmals 2002, in: Stefan Weinfurter (Hg.), Stauferreich im Wandel, S. 288 – 311], bes. 127, 139 – 143 [= 291, 302 – 306]. 60 Vgl. Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde (wie Anm. 16), S. 198 – 201. 61 Vgl. Weinfurter, Wie das Reich heilig wurde (wie Anm. 16), S. 19 ff., sowie dazu Johannes Fried, Der karolingische Herrschaftsverband im 9. Jh. Zwischen „Kirche“ und Königshaus, in: Historische Zeitschrift 235 (1982) S. 1 – 43, und ders., Warum es das Reich der Franken nicht gegeben hat, in: Jussen (Hg.), Die Macht des Königs (wie Anm. 16), S. 83 – 89. 62 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 57), passim sowie bes. S. 98 – 101, und ders., Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, S. 200 – 225.

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Gott63, das begründet wurde durch die Vorstellung von der Erwählung des Herrschers durch Gott und von der irdischen Stellvertretung Gottes durch den Herrscher sowie durch eine gewisse, sazerdotal gefärbte Verantwortung des Herrschers für das Seelenheil seiner Untertanen. Seit Gregor VII. formierten sich nämlich zunehmend stärker werdende Kräfte, die eine Unterordnung des Kaisers unter den Papst behaupteten und damit den Widerspruch der kaiserlichen Seite provozierten, von der die Gottunmittelbarkeit des Kaisers und die vom Papsttum unabhängige Stellung des Kaisertums verteidigt wurde. Die Idee des sacrum imperium war dabei mehr als hilfreich. Allerdings trat die Sakralität des Kaisers dabei nicht hinter die des Reiches zurück! Die alte, aus der Antike überkommene Vorstellung von einem Nahverhältnis des Herrschers zur Gottheit, die in Begriffen wie a deo electus64, vicarius Christi oder dei, minister dei, imago dei65 oder auch christus domini (Gesalbter des Herrn) zum Ausdruck kam66, lebte, wenn auch in gewandelter Form und mit manchen Nuancen, fort und wurde besonders bei der Aachener Krönungsfeierlichkeit liturgisch gestaltet: Als der alte, um 960 geschaffene und durch das Ideengut des 9. und 10. Jahrhunderts geprägte Krönungsordo67 wohl 1309 den neuen Verhältnissen angepaßt worden ist68, hat man es jedenfalls nicht für nötig befunden, die herrschaftstheologischen Partien zu ändern. Im hohen wie im späten Mittelalter erscheint der zu weihende Herrscher daher bei seiner Krönung als Stellvertreter Christi und Teilhaber am Bischofsamt69 und legte in manchen seiner Auftritte wie

63 Vgl. dazu Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 62), S. 29 ff., und ders., Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Kan. Abt. 89 (2003) S. 1 – 55, bes. 9 – 20. 64 Vgl. Andreas Kosuch, A deo electus? Klerus und Volk als Verkünder des göttlichen Willens bei der Königserhebung des frühen Mittelalters. Von Wirkung und Wandel einer alten Vorstellung, in: Franz-Reiner Erkens (Hrsg), Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 49), Berlin / New York 2005, S. 407 – 426, bes. 424 f. 65 Vgl. dazu etwa Walter Dürig, Der theologische Ausgangspunkt der mittelalterlichen liturgischen Auffassung vom Herrscher als Vicarius Dei, in: Historisches Jahrbuch 77 (1958) S. 174 – 187, bes. 179 – 183. 66 Vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 63), S. 21 – 35 (und die dort verzeichneten Belege). 67 Ordo ad regem benedicendum quando novus a clero et populo sublimatur in regnum, hg. von Cyrille Vogel und Reinhard Elze, Le pontifical romano-germanique du dixième siécle (= Studi e Testi 226/227), Città del Vaticano 1963, S. 246 Nr. LXXII. 68 Coronatio Aquisgranensis, hg. Georg Heinrich Pertz, MGH Leges 2, Hannover 1837, S. 384 – 392. 69 … participem ministerii nostri [= episcoporum]… und… Iesu Christo, cuius nomen vicemque gestare crederis, … (Ordo, hg. von Vogel / Elze [wie Anm. 67] S. 257 Nr. 22 = Coronatio Aquisgranensis, hg. von Pertz [wie Anm. 68] S. 389 Z. 48 f.: … principem ministerii nostri … und [S. 390 Z. 5 f.] Ihesu Christo, cuius nomen vicemque gestare crederis, … ).

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etwa bei der gelegentlich vorkommenden Evangeliumslesung70 auch Wert darauf, sakral-priesterlich zu erscheinen71. Die seit dem 12. Jahrhundert greifbare, aber erst seit dem 13. Jahrhundert richtig in Schwung gekommene Sakralisierung des Reiches korreliert mit dieser alten und – wie gesagt – während des Mittelalters niemals aufgegebenen, sondern lediglich modifizierten Vorstellung von einer eigenen Sakralität des Kaisers, ja, ist in gewisser Weise sogar aus ihr abgeleitet. Der Zuständigkeitsbereich des Imperators, das Imperium, gleichgültig ob ideell als Kaiserherrschaft und Kaisertum oder praktisch als Kaiserreich verstanden, mußte in dem Maße, wie er seit dem Investiturstreit als eigenständige Größe begriffen und gegenüber dem Papsttum in seiner Eigenständigkeit und Gottunmittelbarkeit verteidigt wurde, auch als sakral gelten, weil der für das Imperium zuständige Kaiser, der in italischen Urkunden des 12. Jahrhunderts sogar als sacratissimus und sanctissimus bezeichnet worden ist72, dies schon längst war. In diesem Sinne bedeutete die Entwicklung der Idee vom sacrum imperium eine weitere Ausgestaltung der traditionellen Ansicht über die sakral legitimierte Herrschaft. Daher ist der Terminus sacrum (Romanum) imperium, so sehr er dazu dienen konnte, die Unabhängigkeit des Reiches von der Kirche und die Gottunmittelbarkeit des Kaisertums zu betonen73, auch kein antipäpstlicher Kampfbegriff gewesen, denn in Schreiben an die Kurie ist er lange Zeit und bis weit in das 13. Jahrhundert hinein überhaupt nicht verwendet worden74. Er diente – entsprechend etwa der durch die Rezeption des römischen Rechts im Umfeld der kaiserlichen Herrscher verstärkt zur Anwendung gelangten Sakralnomina75 – vielmehr hauptsächlich dazu, der eigenen, durch lange Traditionen und zeitbedingte

70

Vgl. Hermann Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: DA 39 (1983) S. 131 – 206 (und die dort verzeichneten Quellen), sowie ders., Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung, Hubert Mordek (Hg.), Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigsten Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 447 – 459. 71 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae fasc. 6 (2003) S. 29 – 44, und ders., Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 66 (2003) S. 795 – 818. 72 Vgl. Werner Goez, Zur Geschichte des Alexander-Schismas im nordöstlichen Mittelitalien, in: Franz-Reiner Erkens / Hartmut Wolff (Hgg.), Von Sacerdotium und Regnum. Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag (= Passauer Hist. Forschungen 12), Köln 2002, S. 519 – 540, bes. 535 ff. 73 Vgl. Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), S. 95; Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas (wie Anm. 44), S. 24 [18], und Jakobs, Weltherrschaft (wie Anm. 23), S. 15. 74 Vgl. Schwarz, Herrscher- und Reichstitel (wie Anm. 8), S. 313 ff. 75 Vgl. dazu Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 57), S. 92 – 95, und Appelt, Christianitas (wie Anm. 27), S 30.

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Änderungen geformten Anschauung von der Herrschafts- und Herrschersakralität einen besonderen Ausdruck zu verleihen. Die mit der Sakralität der Kaiser in Wechselwirkung stehende Vorstellung von der Heiligkeit des Reiches, die sich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts dauerhaft in der Reichsbezeichnung spiegelte und damit zugleich auch in offiziellen Verlautbarungen präsent war, blieb, ohne daß dies eigens artikuliert zu werden brauchte, im Ideenhorizont des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit verknüpft mit der alten, seit dem 11. Jahrhundert ebenso wie die Vier-Weltreiche-Lehre76 intensivierte Auffassung von der heilsgeschichtlichen Bedeutung des Imperiums77, über die ein interessiertes Publikum seit etwa 1270 auch Auskunft erhielt in der während des gesamten Spätmittelalters viel gelesenen und weit verbreiteten und daher sehr einflußreichen Papst-Kaiser-Chronik des Martin von Troppau78. Und noch im 16., ja, noch im 17. Jahrhundert und selbst für reformatorisch gesinnte Gelehrte79 und nicht zuletzt für Martin Luther80 galt das sacrum Romanum imperium als letztes Reich in der Abfolge von vier Weltreichen (nämlich des assyrisch-babylonischen, medischpersischen, griechisch-makedonischen sowie des römischen Reiches) und besaß damit Dauer bis zur Wiederkehr Christi, aber auch die besondere Aufgabe, die Ankunft des Antichrist zu verzögern. Wie sehr solche hehren Ansichten vom Reich allerdings bei jedem einzelnen seiner Bewohner präsent waren, das läßt sich nicht ermitteln; und natürlich gab es im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit schon

76

Vgl. Müller-Mertens, Römisches Reich (wie Anm. 8), S. 11. Vgl. Adamek, Vom römischen Endreich (wie Anm. 18), S. 107 – 123, sowie Anm. 30, in welcher die Belege für die Verbreitung der Antichrist-Prophetien verzeichnet sind. 78 Vgl. Martini Oppaviensis Chronicon pontificum et imperatorum, hg. von Ludwig Weiland, MGH SS 22, Hannover 1872, S. 377 – 475, sowie Heike Johanna Mierau, Das Reich, politische Theorien und die Heilsgeschichte. Zur Ausbildung eines Reichsbewußtseins durch die Papst-Kaiser-Chroniken des Spätmittelalters, in: Zeitschrift f. hist. Forschung 32 (2005) S. 543 – 573, bes. 551 – 559, und zu Martin selbst Anna-Dorothee von den Brincken, Martin von Troppau, in: Hans Patze (Hg.), Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter (= Vorträge und Forschungen 31), Sigmaringen 1987, S. 155 – 193, sowie zur Verbreitung von dessen Werk dies., Studien zur Überlieferung der Chronik des Martin von Troppau (Erfahrungen mit einem massenhaft überlieferten historischen Text). Teil 1, in: DA 41 (1985) S. 460 – 531; Teil 2, in: DA 45 (1989) S. 551 – 591; Erste Nachträge, in: DA 50 (1994) S. 611 ff., und Wolfgang-Valentin Ikas, Neue Handschriftenfunde zum Chronicon pontificum et imperatorum des Martin von Troppau, in: DA 58 (2002) S. 521 – 537. 79 Vgl. Helmut Zedelmaier, Die Marginalisierung der Historia sacra in der frühen Neuzeit, in: Storia della Storiografia 35 (1999) S. 15 – 26; Martina Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19), Stuttgart 2001, zum Fortleben der Vorstellung der Vier-Weltreiche-Lehre bes. S. 29 (und Goez, Translatio Imperii [wie Anm. 22], Kap. 12 – 15), sowie Gustav Adolf Benrath, Das Verständnis der Kirchengeschichte in der Reformationszeit, in: Ludger Grenzmann / Karl Stackmann (Hgg.), Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, Wolfenbüttel 1981, S. 97 – 113 (bes. 97 f.). 80 Vgl. Preuss, Die Vorstellungen vom Antichrist (wie Anm. 25), S. 135, und Seifert, Der Rückzug der biblischen Prophetie (wie Anm. 25), S. 9. 77

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längst auch andere Vorstellungen vom Reich81 und Deutungen des Geschichtsverlaufs82, aber sie brauchten lange, bis sie das tradierte Ideengut restlos zu beseitigen vermochten. Weil sich aber, wenn auch bei jedem einzelnen mit unterschiedlicher Intensität und variierender emotionaler Zustimmung, die Vorstellung von der Heiligkeit des Reiches so lange gehalten hat, dürfte sie auch den Bestand des Reiches und seinen Zusammenhalt mitgesichert haben. „Das liebe heil’ge Röm’sche Reich“, über dessen Zusammenhalt sich Frosch in Auerbachs Keller wunderte und dessen Monstrosität Samuel von Pufendorf im 17. Jahrhundert beschrieb83, dürfte mithin nicht zuletzt wegen seiner Heiligkeit so dauerhaft gewesen sein. Trotz einer territorialen Ausdehnung, die, selbst wenn man nur auf den nordalpinen Teil blickt, den größten Herrschaftsbereich im lateinischen Europa darstellte84, war das Reich gegenüber den werdenden Königsstaaten nationalen Zuschnitts seit dem Hochmittelalter ins Hintertreffen geraten, was staatliche Ausgestaltung und monarchische Konzentration betraf85. Zwar ein gewaltiger Wirtschafts- und Handelsraum86, blieb es wirtschaftlich, sozial, kulturell und poli-

81

Vgl. Moraw, Reich (wie Anm. 6), S. 446 f. und 452, und Karl Otmar Frh. v. Aretin / Notker Hammerstein, Reich IV. Frühe Neuzeit, in: Brunner u. a. (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe 5 (wie Anm. 5), S. 456 – 486; Werner Conze, Reich V. ,Erlöschen‘ und ,Wiedererweckung‘, ebd. S. 487 f. 82 Vgl. dazu etwa Ulrich Muhlack, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991; Adalbert Klempt, Die Säkularisierung der universalhistorischen Auffassung. Zum Wandel des Geschichtsdenkens im 16. und 17. Jahrhundert (= Göttinger Bausteine zur Geschichtswissenschaft 31), Göttingen 1960; Karl Löwith, Weltgeschichte als Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie, in: ders., Weltgeschichte als Heilsgeschehen. Zur Kritik der Geschichtsphilosophie (= Sämtliche Schriften 2), Stuttgart 1983 [engl. 1949, dt. 1953], S. 7 – 239 (bes. Kap. V–VII), und allg. Johannes Helmrath u. a. (Hgg.), Diffussion des Humanismus. Studien zur nationalen Geschichtsschreibung europäischer Humanisten, Göttingen 2002. 83 Vgl. Anm. 1 und 3. 84 Vgl. dazu Peter Moraw, Wesenszüge der „Regierung“ und „Verwaltung“ des deutschen Königs im Reich (ca. 1350 – 1450), in: ders., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters. Hg. von Rainer Christoph Schwinges, Sigmaringen 1995, S. 73 – 88 [erstmals 1980, in: Werner Paravicini / Karl Ferdinand Werner (Hgg.), Histoire comparée de l’administration, München, S. 149 – 167], bes. 73, zur Auswirkung dieser Größe vgl. ders., Neue Ergebnisse der deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, ebd. S. 47 – 71 [erstmals 1993, in: Lectiones eruditorum extraneorum in Facultate Philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae, Fasc. 2, S. 29 – 59], bes. 51. 85 Vgl. dazu etwa Peter Moraw, Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter. 1250 bis 1490 (= Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Frankfurt/M. 1985, S. 155 – 169, und in knapper Raffung Schneidmüller, Die Kaiser des Mittelalters (wie Anm. 6), S. 15 und 105. 86 Vgl. (den von mehreren Autoren verfaßten) § 20 Das Deutsche Reich, in: Jan A. van Houtte (Hg.), Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2. Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Mittelalter, Stuttgart 1980, S. 506 – 594; Gerhard Fouquet, Das Reich in den europäischen Wirtschaftsräumen des Mittelalters, in: Schneidmüller / Weinfurter (Hgg.), Heilig – Römisch – Deutsch (wie Anm. 6), S. 323 – 344, bes. 342 ff.

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tisch nach innen unausgeglichen87 und von verschiedenen fürstlichen Hegemonialsystemen durchzogen88, in deren Spiel letztlich auch der deutlichen und phasenweise immer stärker werdenden Handlungsbeschränkungen unterliegende Kaiser89 einbezogen gewesen ist. Angesichts der zunehmenden Schwäche des Herrschers, der militärischen Schwerfälligkeit des Reiches, der Länge seiner zahlreiche verschiedene Staatswesen berührenden Grenze90 und der Königsferne mancher seiner Teile überrascht nicht nur der lange Bestand des Reiches, sondern auch die bis weit in die Neuzeit hinein ausbleibende Dismembration des politisch so unübersichtlichen Gebildes. Die erstaunliche Kohärenz dieses heterogenen Reichsgebäudes, dessen königsferne91, ja, königsfreie Zonen sich nicht zu königslosen und damit reichsfreien Räumen entwickelten, gründete nicht zuletzt in der allseits präsenten und offenbar ungefährdeten Reichstradition, die zu keinem kleinen Teil vom Kaisertum – selbst wenn dieses fern war – garantiert, repräsentiert und prolongiert worden ist und die auf das engste verwoben erscheint mit der römisch-universalen und christlichheilsgeschichtlichen Dimension, die sich in den beiden Adjektiven sacer und romanus des spätmittelalterlichen Reichstitels (sacrum Romanum imperium) spiegelte. Durch diese aber war das Reich, das in der spätmittelalterlichen Alltagswelt mancherorts kaum mehr spürbar gewesen sein dürfte und im Laufe einer langen Entwicklung eigentümlich unwirklich geworden war, auf das beste legitimiert und blieb im politischen Bewußtsein präsent. Nicht allein, aber doch wohl in einem erheblichen Maße ist es dabei die ,Heiligkeit‘ gewesen, die dem Imperium als einer eigenen Vorstellungsgröße seine beachtliche Dauer verlieh. Natürlich spielten hierbei ebenfalls politische Konstellationen und Interessen sowie zu einem guten Stück auch einfach nur Gewohnheiten, vor allem die Gewöhnung an die Existenz des Reiches, eine nicht unwesentliche Rolle, aber die ideelle Orientierung, die der Reichsgedanke bot, sollte nicht unterschätzt werden; sie besaß immerhin ein emotionales Potential, an das noch angeknüpft werden konnte92, als das „liebe Heil’ge 87

Vgl. die vorhergehende Anm. sowie Moraw, Über Entwicklungsunterschiede und Entwicklungsausgleich im deutschen und europäischen Mittelalter. Ein Versuch, in: ders., Über König und Reich (wie Anm. 84), S. 293 – 320 [erstmals 1987, in: Uwe Bestmann u. a. (Hgg.), Hochfinanz – Wirtschaftsräume – Innovationen. Festschrift für Wolfgang von Stromer, Bd. 2, Trier, S. 583 – 622], und ders., Das Reich im mittelalterlichen Europa (wie Anm. 6), S. 443 f. 88 Vgl. Peter Moraw, Die Entfaltung der deutschen Territorien im 14. und 15. Jahrhundert, in: ders., Über König und Reich (wie Anm. 84), S. 89 – 126 [erstmals 1984, in: Gabriel Silagi (Hg.), Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongreß für Diplomatik, Teilbd. 1 (= Münchener Beiträge zur Mediävistik und RenaissanceForschung 35), München, S. 61 – 108], bes. 116 – 121; ders., Neue Ergebnisse (wie Anm. 84), S. 61, und ders., Wesenszüge (wie Anm. 84), S. 74. 89 Vgl. Moraw, Von offener Verfassung (wie Anm. 85), S. 155 ff. 90 Vgl. Moraw, Das Reich im mittelalterlichen Europa (wie Anm. 6), S. 445. 91 Vgl. dazu Peter Moraw, Hessen und das deutsche Königtum im späten Mittelalter, in: Hess. Jahrbuch für Landesgeschichte 26 (1976) S.43 – 95, bes. 63 f. 92 Vgl. Anm. 5.

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Röm’sche Reich“ schon längst „in Dunst“ zergangen war93 und aufgeklärt-spöttische Geister wie Heinrich Heine (in seinem „Deutschland“ betitelten „Wintermärchen“ von 1844) den Kaiser Rotbart nur noch mit abweisender Ironie dazu auffordern konnten (caput XVII), „das alte heilige römische Reich“ wieder herzustellen und dabei „den modrigsten Plunder zurück[zugeben] mit allem Firlifanze“.

93

Vgl. Anm. 1 und 2.

IV. Religiöse Herrschaftslegitimierung im späteren Mittelalter

Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter Die junge Königin saß, bis auf die Ohrringe bar jeden Schmuckes und nach Ablegung ihrer Staatsgarderobe nur noch schlicht gekleidet mit einem weißen Gewand, unter einem von vier Rittern des Hosenbandordens gehaltenen, golddurchwirkten Baldachin auf König Edwards Thron, während zwei Bischöfe ihre Seiten flankierten und der Erzbischof von Canterbury, assistiert vom Dekan von Westminster, der geweihtes Öl aus einer adlerförmigen Silberampulle in einen Löffel goß, die demütige und der Gnade Gottes bedürftigen Fürstin nach uraltem, weit in das frühe Mittelalter zurückreichenden, spätestens seit dem 11. Jahrhundert ununterbrochen geübten1 und 1689 in seine bislang bleibende Form gebrachten Brauch an Händen, Brust und Haupt salbte2, wonach die Königin niederkniete und der Erzbischof den Segen über sie sprach. „Thus Elizabeth II became a queen in the sight of God.“ Diese Szene spielte sich also nicht im märchenhaften Dunkel längst vergangener Zeiten ab, sondern erst vor einem knappen halben Jahrhundert, am 3. Juni 1953; und Teil hatte an ihr nicht nur eine auserlesene Schar höchster Würdenträger, sondern Millionen Menschen konnten im Film und dem neuen Medium des Fernsehens die ehrwürdige Handlung verfolgen, an die sich die Investitur mit den Zeichen der königlichen Macht, die Krönung und die Huldigung durch die Großen des Reiches anschloß. Auch die „Times“ berichtete ausführlich und brachte im Juni 1953 eine Krönungsbeilage, ein „Coronation Supplement“ heraus, aus dem soeben zitiert worden ist und das unter dem Titel steht: „The Queen takes possession of her kingdom.“ Natürlich darf man darauf gespannt sein, ob nach all den Erschütterungen, denen das englische Königshaus in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts ausgesetzt war, sich auch der nächste Thronwechsel in jenen traditionellen Formen vollziehen wird, die 1953 noch auf eine ungeteilte Zustimmung breiter Bevölkerungsschichten stießen und die Monarchin keinesfalls nur als Oberhaupt der anglikanischen Kirche mit einer religiösen Aura umgaben. Erstdruck in: ZRG KA 79 (2003) S. 1 – 55. 1 Vgl. George Garnett, Coronation, in: Michael Lapidge u. a. (Hgg.), The Blackwell Encyclopaedia of Anglo-Saxon England, Oxford 1999, S. 122 ff., besonders 123. 2 Vgl. Percy Ernst Schramm, Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung, Darmstadt 21970, sowie die English Coronation Records, ed. by Leopold G. Wickham Legg, Westminster 1901.

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Der Chronist der „Times“ jedenfalls sprach damals ganz unbefangen von den religiösen Handlungen („religious rites“), die vollzogen wurden, vom höchsten sakramentalen Augenblick („supreme sacramental moment“) der Salbung und von der die Weihe erwartenden Königin als von einer all ihrer äußeren Herrlichkeit entkleideten und in der Weite des Kirchenraums von Westminster Abbey am wenigsten geschmückten, um die göttliche Gnade bittenden Gestalt: „she was the least ornamented figure in the whole of Westminster Abbey – and the most beautiful. She had put away all her outward magnificence; she was nothing now except a suppliant for devine grace.“ Diesem Empfinden des Reporters entsprach durchaus der Wunsch des Erzbischofs von Canterbury, der auf die Krone, bevor er sie der Königin aufs Haupt setzte, den Segen Gottes in altertümlichem Englisch herabflehte, damit ihre Trägerin durch sie „geheiligt“ werde: „O God …: Bless … this Crown, and so sanctify thy servant Elizabeth upon whose head this day thou dost place it for a sign of royal majesty, …“. Nicht zuletzt, wenn auch nur indirekt, dürfte selbst die Königin in ihrer Rundfunkansprache auf diese sakrale Dimension angespielt haben, als sie ihren Untertanen erklärte: „The ceremonies you have seen today are ancient, and some of their origins are veiled in the mists of the past. But their spirit and their meaning shine through the ages, never perhaps more brightly than now.“ Die sakralen Elemente des englischen Königtums sind mithin unübersehbar: die Salbung, die Krönung durch Gott, auf die der Erzbischof von Canterbury hinweist, und schließlich die „Supremacy“3, die den englischen Königen seit Heinrich VIII. die oberste Leitung der anglikanischen Kirche garantiert. Dem aus der sog. Postmoderne des 21. Jahrhunderts rückschauenden Betrachter mag das, was sich bei der Thronsetzung Elisabeths II. an religiösen Vorgängen und sakral legitimierenden Handlungen in Westminster Abbey abspielte, erscheinen als eine Reminiszenz an längst untergegangene Vorstellungswelten, als etwas Unzeitgemäßes in einer aufgeklärten und immer stärker säkularisierten Gesellschaft, als etwas letztlich Überholtes, das allein noch dem britischen Hang zur Traditionspflege verdankt wird und allenfalls politische Bedeutung gewinnen kann in afrikanischen und asiatischen Gemeinwesen, in denen es keine philosophische und politische Aufklärung gegeben hat – in der iranischen „Theokratie“ der Mullahs etwa oder in Nepal, wo der am 1. Juli 2001 ermordete König Birendra 1975 ebenfalls nach althergebrachten Zeremonien geweiht worden war4 und auf diese Weise einen herrschaftssichernden sakralen Charakter gewonnen hatte5. 3

Vgl. Schramm (wie Anm. 2) S. 138 und Julius Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte bis zum Regierungsantritt der Königin Victoria, München/Berlin 1913, S. 550 ff. 4 Vgl. dazu Michael Witzel, The Coronation Rituals of Nepal with special reference to the coronation of king Birendra (1975), in: Niels Gutschow / Axel Michaels (Hgg.), Heritage of the Kathmandu Valley, Proceedings of an International Conference in Lübeck, June 1985, Sankt Augustin 1987, S. 417 – 467, und Bernhard Kölver, Der König: Herr von allem, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft, Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 181 – 186, besonders 181 f.

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Allerdings läßt die Krönung von 1953 deutlich erkennen, in welchen religiösen Bezügen das englische Königtum auch heute noch steht: Es besitzt offenkundig eine sakrale Dimension, die ihm nicht nur aus dem Mittelalter überkommen ist, sondern die es zugleich mit anderen Monarchien – europäischen wie außereuropäischen – teilt oder (in vergangenen Zeiten) teilte. Sakralität scheint ja ohnehin ein bestimmender Wesenszug von zumindest vormoderner Herrschaft gewesen zu sein. Diese Ansicht ist in jüngster Zeit jedoch grundsätzlich in Frage gestellt worden. Sowohl in seiner Dissertation „Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König des achtzehnten Jahrhunderts“6 als auch in einer eigenen Abhandlung mit dem Titel: „Das ,Wesen‘ der Monarchie? Kritische Anmerkungen zum ,Sakralkönigtum‘ in der Geschichtswissenschaft“7 übt Jens Ivo Engels scharfe Kritik an der in Ethnologie wie Geschichtswissenschaft verbreiteten Vorstellung vom Sakralcharakter des Königtums. Er verweist dabei zum einen auf die inflationäre Verwendung des Begriffs „Sakralkönigtum“, die die sakrale Selbstinszenierung der Monarchen sowie die entsprechenden Äußerungen ihrer Herrschaftstheoretiker allzu sehr als bare Münze nehme und dabei „das jeweils Spezifische historischer Machtkonstellationen und -konzepte“8 vernachlässige sowie Spott und Hohn, die mit kritischer Absicht über einen König ausgeschüttet werden konnten, zu wenig beachte als Hinweise auf ein alltägliches und eben nicht sakrales Verständnis von Königsherrschaft. Zum anderen bemängelt er die Unschärfe des Begriffs selbst: „Mit dem Konzept des ,sakralen‘ Königtums wird in der geschichtswissenschaftlichen Literatur oft sehr unsorgsam umgegangen. Die Folge davon ist, daß der Begriff mittlerweile keine scharfen Konturen mehr besitzt“9 ; er „droht seine Aussagekraft zu verlieren, wenn ohnehin die gesamte Welt vom Sakralen durchwaltet ist. Vor allem die Bemühungen von Ethnologie und Anthropologie, das Sakralkönigtum als überkulturelle Erscheinung zu beschreiben, haben zur Unschärfe des Konzepts beigetragen“10. Hier kann nun nicht der Ort sein, sich mit diesen Thesen intensiv auseinanderzusetzen und vor allem die ebenso zahlreichen wie beachtenswerten Einzelbeobachtungen, die Engels hauptsächlich in seiner Dissertation ausbreitet, näher zu würdigen; auch kann hier dem Problem der verschiedenen Wahrnehmungen des 5 Vgl. Bert van den Hoek, Does Divinity Protect the King? Ritual and Politics in Nepal, in: Contributions to Nepalese Studies 17, 2 (1990) S. 147 – 155. 6 Pariser Historische Studien 52, Bonn 2000. 7 In: Majestas 7 (1999) S. 3 – 39. 8 Vgl. ebd. S. 37. 9 Engels, Königsbilder (wie Anm. 6), S. 240. 10 Ebd. S. 241; vgl. auch ders., „Wesen“ der Monarchie (wie Anm. 7), S. 13: „,Sakralität‘ scheint als wohlwollend gemeinter Sammelbegriff für all jene Aspekte des alten Königtums und seiner Akzeptanz zu stehen, die in der modernen Welt verlorengegangen sind und die die Wissenschaftler nicht auf eine Form von Rationalität zurückführen können“, sowie 25: „Könnte es nicht allein der Klang des großen Wortes sein, der unbeschadet aller historischen Belegverfahren unsere Vorstellung von ,Sakralkönigtum‘ auf einer schwer reflektierbaren Ebene vorfertigt …?“

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Königtums und des unterschiedlichen Verständnisses seines „Wesens“ nicht nachgegangen werden. Dabei müßte ja eine Vielfalt von – schon früh feststellbaren und den Vorstellungen von Herrschersakralität widersprechenden11 – Positionen ebenso berücksichtigt werden wie die für das Mittelalter anders als für das 18. Jahrhundert kaum zu beantwortende Frage12, was das einfache Volk vom Königtum dachte, wozu hier jedoch weder Zeit noch Raum ist. Das Ziel der folgenden Bemühungen ist hingegen eher bescheiden: Es soll, wie von Engels angemahnt, der Versuch unternommen werden, die Kriterien zu beschreiben, die erfüllt sein müssen, um von einem sakral legitimierten Königtum sprechen zu können, denn die Vorstellung von einer eigentümlichen Sakralität vormoderner Herrschaft und ihrer Träger einfach aufzugeben oder sie zumindest auf den Bereich „des staatstheoretischen Diskurses“13 zu beschränken und statt dessen mit Blick auf das Königsbild der einfachen Bevölkerung eher an eine vom Königtum ausgehende Faszination zu denken, wie Engels vorschlägt14, führt nicht weiter, da eine solche Faszination ja nicht aus sich selbst heraus entstanden, sondern allein als Reaktion auf einen durch die besondere Attraktivität der Monarchie ausgelösten Reiz15 begriffen werden kann. Um die – im übrigen weltweit faßbare16 – sakrale Dimension dieser Attraktivität soll es im folgenden gehen. Um sie zu erfassen, sind jedoch zunächst einige Vorklärungen nötig. Erstens: Trotz des globalen Charakters dieser Erscheinung beschränken sich die folgenden Ausführungen aus für einen Mediävisten naheliegenden Gründen auf das 11 Vgl. dazu etwa Bernhard Töpfer, Tendenzen zur Entsakralisierung der Herrscherwürde in der Zeit des Investiturstreites, in: Jb. f. Gesch. d. Feudalismus 6 (1986) S. 163 – 171; Frantisˇek Graus, Mittelalterliche Vorbehalte gegen die Sakralisierung der Königsmacht, in: Marc Bloch aujourd’hui, Histoire comparée et sciences sociales. Textes réunis et présentés par Hartmut Atsma et André Borguière, Paris 1990, S. 116 – 123, sowie Franz-Reiner Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: ders. (Hg.), Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 4), S. 7 – 32, besonders 13, aber auch Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer sakulären Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (= Abh. Akad. Mainz, Jg. 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999. 12 Vgl. dazu etwa Franz-Reiner Erkens, Konrad II. (um 990 – 1039). Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Regensburg bzw. Darmstadt 1998, S. 146 f. 13 Engels, Königsbilder (wie Anm. 6), S. 268. 14 Vgl. ebd. S. 268 f. sowie ders., „Wesen“ der Monarchie (wie Anm. 7), S. 38. 15 Dies gesteht auch Engels, Königsbilder (wie Anm. 6), S. 269, ein, wenn er erklärt, der König sei „ein Symbol der Gesellschaftsordnung“ gewesen und schließlich fortfährt: „Die Untertanen sahen im König einen bedeutsamen Menschen, in dessen Wesen sich etwas ungeheuer Wichtiges verbarg. Um was es sich dabei genau handelte, war ihnen wohl selten klar.“ Worin aber gründete dieses Bedeutsame des königlichen Menschen? „Abgesehen von den Einschränkungen zum ,sakralen Element‘ kann man die Bedeutung der offiziellen Königsdarstellung [für die Königsvorstellung der einfachen Untertanen] wohl recht hoch ansetzen“ (ebd.). 16 Vgl. dazu etwa die in dem in Anm. 4 genannten Band publizierten Beiträge über „Die Sakralität von Herrschaft“.

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mittelalterliche Europa, und zwar hauptsächlich auf den Bereich der sogenannten karolingischen Nachfolgestaaten unter Einschluß der britischen Insel. Zwischen diesen Regionen, die bis zur Reformationszeit von einer romorientierten christlichen Tradition geprägt waren, gab es vielfältige Beziehungen und einen gelegentlich regen Gedankenaustausch. Zweitens: Diese räumliche und zeitliche Einschränkung zieht wichtige Folgen nach sich. Einerseits werden aus den Überlegungen die vorchristlichen Zeiten17 und vor allem die paganen Religionen der Antike ebenso ausgeschlossen wie die außereuropäischen Kulturen, in denen sich mancherorts wie in Indien und China sowie wohl sekundär auch in Japan eigene Vorstellungen18 über die religiöse Legitimierung ,weltlicher‘ Herrschaft in einem reichen Maße entwickelten. Konsequenz des christlich-jüdischen Monotheismus und der von ihm betriebenen überscharfen Trennung von Diesseits und Jenseits sowie der mit dieser klaren Scheidung verbundenen Distanzvergrößerung zwischen göttlichem Himmel dort und der von den Menschen bewohnten Erde hier war die banale Tatsache, daß der christliche Herrscher – anders als seine heidnisch-römischen Vorgänger19 oder die Königs Altägyptens20 – niemals selbst ein Gott sein oder werden konnte; und auch eine Gottessohnschaft oder die himmlische Abstammung, die im Alten Orient ebenso wie in China und Japan geläufig waren21, blieben ihm verwehrt. Divinität ist somit aus mediävistischer Perspektive als zentrales Element der Herrschersakralität auszuschließen. Andererseits wird aber auch auf eine Betrachtung der Neuzeit und damit auf die stärkere Berücksichtigung von Säkularisierungsprozessen verzichtet. Transformationen sakralen Herrschaftsdenkens in den Bereich der politischen (Pseudo-)Religion22 von totalitären Weltanschauungen oder der sogenannten Zivilreligion ame17

Vgl. dazu Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 11), S. 12, 15 und 29. Vgl. dazu ebd. S. 20 und 25 sowie ders., Moderne und Mittelalter oder Von der Relevanz des praktisch Untauglichen. Ein Plädoyer für das historische Interesse an älteren Epochen, in: ders. (Hg.), Karl der Große in Renaissance und Moderne. Zur Rezeptionsgeschichte und Instrumentalisierung eines Herrscherbildes (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Zeitschrift des Mediävistenverbandes 4, 2), Berlin 1999, S. 95 – 122, besonders 118 f. 19 Vgl. Manfred Clauss, Deus praesens. Der römische Kaiser als Gott, in: Klio 78 (1996) S. 400 – 433, und ders., Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, Stuttgart – Leipzig 1999. 20 Vgl. etwa Elke Blumenthal, Die Göttlichkeit des Pharao. Sakralität von Herrschaft und Herrschaftslegitimierung im alten Ägypten, in: Erkens (Hg.), Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 4), S. 53 – 61. 21 Vgl. Anm. 18. 22 Vgl. dazu Hans Maier, Politische Religionen. Die totalitären Regime und das Christentum, Freiburg i. Br. 1995; ders. (Hg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs, Paderborn u. a. 1996; ders. / Michael Schäfer (Hgg.), Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs II, Paderborn u. a. 1997, und Hermann Lübbe (Hg.), Heilserwartung und Terror. Politische Religionen des 20. Jahrhunderts, Düsseldorf 1995. 18

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rikanischer und europäischer Prägung23 bleiben damit unberücksichtigt. Zweifellos nehmen diese quasireligiösen Erscheinungen sakral legitimierende Traditionen auf, können für ihre gläubigen Anhänger wohl auch die herkömmliche Religion ersetzen, verleihen – was besonders für die politischen Religionen zutrifft – ihren Äußerungen aber oft auch einen deutlichen Propagandacharakter, um die eigene Legitimität zu verstärken, und unterscheiden sich gerade dadurch von den vormodernen Verhältnissen. In diesen gewann die Herrschaft eines Königs unter anderem zwar auch an Legitimität durch den Hinweis auf die göttliche Berufung (etwa mit der bekannten Floskel dei gratia), jedoch wird man angesichts der alle Gesellschaftsschichten durchwirkenden Religiosität24 für das Mittelalter davon ausgehen dürfen, daß dieser Hinweis zumeist auch für wahr gehalten, daß er geglaubt worden ist. Die innere Distanz zu herrschaftslegitimierenden Äußerungen, die spätestens seit der Aufklärung auch Zweifel an den sakralen Bezügen einschließen konnte, fehlte während der mittelalterlichen Jahrhunderte wohl weitgehend – und hohltönende Propaganda sakraler Herrschaftsdimensionen, der Verweis auf religiöse Zusammenhänge, an die man selber gar nicht glaubte, dürfte im Mittelalter vollends unmöglich gewesen sein. Drittens: Wirken und Vorstellung von Königtum und Königsherrschaft25 ist niemals eindimensional gewesen, sie setzten sich vielmehr immer aus verschiedenen Elementen zusammen. Die Autorität des Königs erwuchs aus sakralen, paternal (istisch)en, oft auch dynastischen Komponenten, wurde fundiert von einer ausreichenden materiellen Basis und gründete nicht zuletzt im Erfolg als Heerführer, oberster Richter und Moderator divergierender Adelsinteressen26 sowie als Wahrer des Friedens. Diese Komponenten waren auf das engste miteinander verwoben und beeinflußten sich zum Teil wechselseitig, lassen sich also in der Realität nur schlecht von einander trennen. Wenn eine von ihnen zur wissenschaftlichen Analyse gesondert betrachtet wird, so darf diese aus praktischen und methodischen Gründen notwendige Isolierung nicht das komplexe Gesamtbild verzerren – mit anderen Worten: Die folgende Betrachtung der sakralen Dimension von Königsamt und -würde soll nicht den Eindruck erwecken, als ob die Sakralität der Wesenszug des mittelalterlichen Königtums schlechthin gewesen sei. Dies konnte er gar nicht sein, da es ja auch kritische Stimmen zum sakralen Sein des Königs gab27 und dem 23

Vgl. Heinz Kleger / Alois Müller (Hgg.), Religion des Bürgers. Zivilreligion in Amerika und Europa, München 1986. 24 Vgl. dazu etwa Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 2 2000. 25 Vgl. dazu Egon Boshof, Königtum und Königsherrschaft im 10. und 11. Jahrhundert, München 21997, sowie Theodor Mayer (Hg.), Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen (= Vorträge und Forschungen 3), Sigmaringen 1956, und Reinhard Schneider (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich (= Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987. 26 Vgl. dazu die gesammelten Aufsätze von Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997. 27 Vgl. Anm. 11.

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Herrscher im Priestertum letztlich ein mehr als ebenbürtiger Konkurrent auf dem Feld der Sakralkompetenz gegenüberstand. Nach diesen allgemeinen Vorüberlegungen ist noch eine Begriffsklärung nötig: Engels gibt „Kritische Anmerkungen zum ,Sakralkönigtum‘“28 und unterzieht damit einen Ausdruck der Kritik, der in Ethnologie und Geschichtswissenschaft häufiger gebraucht wird, zur Bezeichnung des terminologisch noch genauer zu fassenden Phänomens aber dennoch wenig geeignet erscheint: Trotz der sakralen Aura, die etwa Karl den Großen umgibt29, wird man den Karolinger doch nicht als einen Sakralkönig bezeichnen, seine königliche und später kaiserliche Herrschaft nicht einfach als ein Sakralkönigtum verstehen wollen. Diese besondere Erscheinung königlicher Herrschaft wird von Ethnologen, die sich hauptsächlich mit afrikanischen Sozialverbänden beschäftigen, nämlich als eigene Form eines heiligen, mit der Natur auf eigentümliche Weise verbundenen Königtums verstanden30 ; und manche Historiker, die vor allem die frühgermanischen Verhältnisse betrachten, unterscheiden zwischen dem Heer- und Sakralkönig31, also zwischen einem Heerführer und dem Nachkommen einer Gottheit, der mit kultischen, mancherorts die rituelle (Selbst-)Opferung einschließenden Funktionen betraut und mit einer übernatürlichen, Witterung und Wachstum beeinflussenden Gabe, dem Königsheil, ausgestattet gewesen sein soll. Aber abgesehen davon, daß das ethnologische Verständnis vom afrikanischen Sakralkönig, der beim Nachlassen seiner besonderen Kräfte sogar getötet werden kann, ebenso umstritten32 ist wie die vergleichbare Vorstellung vom germanischen Sakralkönigtum33, stellte ein solches Königtum, 28

Vgl. Anm. 7. Vgl. dazu etwa Franz-Reiner Erkens, Der König als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: HJb 118 (1998) S. 1 – 39, besonders 19 – 24. 30 Vgl. Bernhard Streck, Das Sakralkönigtum als archaistisches Modell, in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 4), S. 33 – 51. 31 Vgl. Walter Schlesinger, Das Heerkönigtum, in: Mayer (Hg.), Das Königtum (wie Anm. 25), S. 105 – 141, besonders 132 – 137; Otto Höfler, Der Sakralcharakter des germanischen Königtums, ebd. S. 75 – 104, besonders 82 – 88 und 94 ff.; ders., Germanisches Sakralkönigtum I/II, Tübingen 1952; H[ans] H[ubert] Anton, König, Königtum A. Allgemein und Germanische Königreiche, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991) Sp. 1298 – 1304. Zum Königsheil vgl. unten Anm. 64; zur Kritik germanophiler Kontinuitätsvorstellungen vgl. FranzReiner Erkens, Einheit und Unteilbarkeit. Bemerkungen zu einem vielerörterten Problem der frühmittelalterlichen Geschichte, in: AKG 80 (1998) S. 269 – 295, besonders 269 ff., und Joachim Ehlers, Grundlagen der europäischen Monarchie in Spätantike und Mittelalter, in: Majestas 8/9 (2000/2001) S. 49 – 80. 32 Vgl. dazu etwa Adam Jones, „I am all the same as God“. Königliche Körper und Menschenopfer in drei westafrikanischen Staaten (18.–19. Jahrhundert), in: Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 4), S. 201 – 212, besonders 202 und 208, sowie Streck (wie Anm. 30). 33 Vgl. Walter Baetke, Yngvi und Ynglinger. Eine quellenkritische Untersuchung über das nordische „Sakralkönigtum“ (= SBB Akad. Leipzig, Phil.-hist. Kl. 109, H. 3), Berlin 1964; Klaus von See, Kontinuitätstheorie und Sakraltheorie in der Germanenforschung. Antwort an Otto Höfler, Frankfurt/M. 1972, und Eve Picard, Germanisches Sakralkönigtum? Quellen29

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vorausgesetzt, es existierte wirklich, immer nur eine Sonderform dar, die nicht zur Beschreibung eines allgemeinen Phänomens dienen kann. Um Sakralität, um sakrales oder sakral legitimiertes Königtum, um die sakrale Dimension der Königsherrschaft und die sakralen Elemente im Bild vom König geht es daher im folgenden, nicht um ein wie auch immer geartetes Sakralkönigtum. Unbestritten erscheinen die drei Jahrhunderte zwischen dem Aufstieg der Karolinger zum König- und Kaisertum einerseits und dem Ausbruch des sog. Investiturstreits andererseits, also der Zeitraum zwischen etwa 751/800 und 1076/77, als die Epoche eines in besonderem Maße als sakral empfundenen Königtums. Das Davidkönigtum Karls des Großen34 und die von dem Karolinger ursprünglich als Korrektur irriger Bräuche und Traditionen im kirchlichen Bereich initiierte ,Karolingische Renaissance‘35, die aufgrund theologischer Erwägungen von Ludwig dem Frommen zeitweise geförderte Einheit des fränkischen Großreichs36, die um die erste Jahrtausendwende entstandenen christomimetischen Darstellungen Ottos III.37 und Heinrichs II.38 als von Gott gekrönten Herrschern39, das aus besonderer religiöser Verantwortung erwachsene Wirken Heinrichs III. für die Kirchenreform sowie die Charakterisierung dieses Saliers als alter post Christum40 und das Verständnis seiner Herrschaft als ,theokratisch‘41 können als Höhepunkte in der frühkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung, Heidelberg 1991. 34 Vgl. Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), S. 9 ff. 35 Vgl. ders., Das Erbe der Kulturen – Die karolingische Renaissance, in: Die Weltgeschichte 3, Leipzig – Mannheim 1998, S. 165 – 170, und ders., Karolus Magnus – Pater Europae?, in: Christoph Stiegemann / Matthias Wemhoff (Hgg.), 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Mainz 1999, S. 2 – 9, besonders 6 ff. 36 Dazu vgl. zuletzt ders., Divisio legitima und unitas imperii. Teilungspraxis und Einheitsstreben bei der Thronfolge im Frankenreich, in: DA 52 (1996) S. 423 – 485, aber auch Johannes Fried, Elite und Ideologie oder die Nachfolgeordnung Karls des Großen vom Jahre 813, in: Régine LeJan (Hg.), La Royauté et les élites dans l’Europe carolingienne (du début du IXe aux environs de 920), Villeneuve-d’Ascq 1998, S. 71 – 109, und Egon Boshof, Ludwig der Fromme, Darmstadt 1996, S. 129 – 134. 37 Vgl. Gerd Althoff, Otto III., Darmstadt 1996 (Schutzumschlag), und Franz-Reiner Erkens, Mirabilia mundi. Ein kritischer Versuch über ein methodisches Problem und eine neue Deutung der Herrschaft Ottos III., in: AKG 79 (1997) S. 485 – 498, besonders 490 f. 38 Vgl. Stefan Weinfurter, Heinrich II., Herrscher am Ende der Zeiten (1002 – 1024), Regensburg 1999, S. 131. 39 Vgl. Johannes Fried, Methode und Problematik historischer Bildanalyse. Hochmittelalterliche Herrscherbilder, in: Forschung Frankfurt 4 (1987) S. 2 – 7, und Frank Kämpfer, Der mittelalterliche Herrscher zwischen Christus und Untertan, in: Hans Hecker (Hg.), Der Herrscher, Leitbild und Abbild in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 1990, S. 203 – 223, besonders 215 ff. 40 Tetralogus, hg. von Harry Bresslau, Wiponis opera (= MGH SS rer. Germ. [61.]), Hannover 31915, S. 76 (V. 19). 41 Vgl. H[ans] H[ubert] Anton, König, Königtum B. Deutsches Reich I., Bis zum Investiturstreit, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991) Sp. 1304 f.; Theodor Schieffer, Kaiser Hein-

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mittelalterlichen oder voralteuropäischen Geschichte des sakralen Königtums gelten. Aus den damals formulierten Ansichten über die Königsherrschaft lassen sich daher am ehesten die Kriterien ableiten, die zur Definition herrscherlicher Sakralität dienen können. Es sind im Grund drei Elemente, die dabei namhaft zu machen sind und auf das Engste zusammengehören: die Vorstellung, daß der König von Gott erwählt und/ oder gekrönt, dem Herrscher das Reich also von Gott übertragen worden sei, daß er Sachwalter Gottes auf Erden sei und daß er dadurch in einem eigenen, mit einer besonderen Verpflichtung gegenüber der christlichen Religion und Gemeinschaft verbundenen Verhältnis zu Gott stehe. Die erste Anschauung spiegelt sich in Formulierungen wie rex a deo electus42 oder coronatus43, regnum a deo commissum44 und nicht zuletzt auch in der berich III. 1017 – 1056, in: Hermann Heimpel u. a. (Hgg.), Die großen Deutschen I, Stuttgart u. a. 1956, S. 52 – 69; Rudolf Schieffer, Heinrich III. (1039 – 1056), in: Helmut Beumann (Hg.), Kaisergestalten des Mittelalters, München 31991, S. 98 – 115; Egon Boshof, Die Salier, Stuttgart u. a. 42000, S. 91 – 140, und (zum sakralen Selbstverständnis Heinrich III.) Franz-Reiner Erkens, Fecit nuptias regio, ut decuit, apparatu. Hochzeitsfeste als Akte monarchischer Repräsentation in salischer Zeit, in: Detlef Altenburg u. a. (Hgg.), Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes, Sigmaringen 1991, S. 401 – 421, besonders 403 – 411 und 419 ff., sowie Stefan Weinfurter, Ordnungskonfigurationen im Konflikt. Das Beispiel Kaiser Heinrichs III., in: Jürgen Petersohn (Hg.), Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters (= Vorträge und Forschungen 54), Stuttgart 2001, S. 79 – 100, besonders 83 – 92. 42 Vgl. etwa Alkuins Brief Nr. 41 (um 794/95), ed. Ernst Dümmler, MGH Epist. IV (= Epist. karolini aevi II), Berlin 1895, S. 84 (rex a Deo electus – hier bezogen auf König David, mit dem Karl der Große aber gleichgesetzt wird), die Gesta Chuonradi imperatoris c. 3, hg. von Bresslau (wie Anm. 40) S. 22 (Dominus, qui te elegit), und die etwa durch eine Inschrift in der sog. Reichskrone zum Ausdruck gebrachte Vorstellung, daß die Könige durch Gott regieren: Per me reges regnant; vgl. Mechthild Schulze-Dörrlamm, Die Kaiserkrone Konrads II. (1024 – 1039). Eine archäologische Untersuchung zu Alter und Herkunft der Reichskrone, Sigmaringen 1992, S. 135 Tafel 10. 43 Vgl. etwa die Laudes – in der Form: NN a deo coronato magno et pacifico regi vita et victoria – und dazu Ernst H. Kantorowicz, Laudes Regiae. A Study in Liturgical Acclamations and Medieval Ruler Worship, Berkley – Los Angeles 1946, S. 14, sowie Reinhard Elze, Die Herrscherlaudes im Mittelalter, in: ZRG Kan. Abt. 40 (1954) S. 201 – 223, besonders 218 – 221; aber auch Karls des Großen Herrschertitulatur nach 800: MGH DD Karolinorum I, hg. von Engelbert Mühlbacher, Berlin 1906, Nr. 197 (801 Mai 29) – 218 (813 Mai 9). 44 Vgl. etwa den Mainzer Krönungsordo, ed. Cyrille Vogel / Reinhard Elze, Le Pontifical Romano-Germanique du dixième siècle, Le Texte I (= Studi e Testi 226), Città del Vaticano 1963, S. 246 – 259, hier 249 (Nr. 7: regnum tibi a Deo concessum) oder 257 (Nr. 22: regnique tibi a Deo dati), und Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), S. 26 (und die hier verzeichneten Belege); Ronald Neumann, Die Arengen der Urkunden Ottos des Großen, in: AfD 24 (1978) S. 292 – 358, besonders 314 f.; Hans Hubert Anton, Verfassungspolitik und Liturgie. Studien zu Westfranken und Lotharingien im 9. und 10. Jahrhundert, in: Marlene Nikolay-Panter u. a. (Hgg.), Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven. Georg Droege zum Gedenken, Köln u. a. 1994, S. 65 – 103, besonders 82, sowie auch D H IV 269 (1074 Jan. 28), ed. Dietrich von Gladiss, MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 6, Berlin 1941, S. 345 (regni a deo). Folgende

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rühmten, seit Karl dem Großen zum festen Formularbestand der Herrscherurkunden gehörenden, gelegentlich variierten, aber ihre Kernaussage nicht verändernden und bis in das 20. Jahrhundert hinein nachwirkenden45 Floskel von der Berufung des Königs in sein Amt gratia dei46; aber auch Ottos III. und Heinrichs II. bereits erwähnte ,Krönungsbilder‘47 verleihen ihr mit christomimetischer Attitüde bildlichen Ausdruck. Die zweite Anschauung, die Vorstellung von der StellvertreterHerrscher haben nach Friedrich Hausmann / Alfred Gawlik, Arengenverzeichnis zu den Königs- und Kaiserurkunden von den Merowingern bis Heinrich VI. (= MGH Hilfsmittel 9), München 1987, in den Arengen ihrer Urkunden darauf hinweisen lassen, daß ihnen das Reich von Gott übertragen (commissum/collatum) worden sei: Ludwig der Fromme (Nr. 2383. 2541. 3531) Pippin I. von Aquitanien (Nr. 2721) Karl der Kahle (Nr. 424. 2280. 2541. 2557. 2700) Odo (Nr. 2552. 2557. 3335) Karl der Einfältige (Nr. 2117. 2140. 3700) Lothar II. (Nr. 777. 779) Lothar I. von Westfranken-Frankreich (Nr. 2541) Arnulf (Nr. 3693) Zwentibold (Nr. 3431) Ludwig das Kind (Nr. 2729. 2769. 3133) Konrad I. (Nr. 2953) Otto II (Nr. 2541. 3133) Heinrich II. (Nr. 3457) Konrad II. (Nr. 2083. 2729) Heinrich III. (Nr. 2083. 2729) Heinrich IV. (Nr. 2729) Konrad III. (Nr. 3224. 3568) Friedrich Barbarossa (Nr. 1501). 45 Vgl. etwa Wilhelms II. Titulatur als Deutscher Kaiser (Ernst Rudolf Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte 3, Stuttgart u. a. 31990, S. 11 Nr. 7c: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, etc. …“) oder die Nennung Elisabeths II. als D[EI] G[RATIA] und F[idei] D[efensor] auf den Münzen Großbritanniens: Fred Reinfeld, Münzkatalog. Die bekanntesten Münzen von der Antike bis zur Gegenwart, München o. J., S. 128 f.; allg. vgl. auch Jack Autrey Dabbs, Dei gratia in Royal Titels (= Studies in European History 22), Den Haag – Paris 1971 (zur Münzprägung unter Elisabeth II. besonders S. 168 f.), und Manfred Groten, Unser lieber gnädiger Herr. Beobachtungen zum Herrschaftsverständnis Wilhelms V. von Jülich (gest. 1361), in: RhVjbll 65 (2001) S. 197 – 221, besonders 209 und 215. 46 Vgl. dazu etwa Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), S. 24 f. (und die hier angeführten Belege, die sich natürlich beliebig vermehren ließen), sowie Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien, München/Berlin 1907, S. 314 f. 47 Vgl. Anm. 37 und 38. – Zu diesen und der Kritik ihrer Deutung vgl. jetzt die Bemerkungen von Ludger Körntgen, Königsherrschaft und Gnade Gottes. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit, Berlin 2001, S. 178 – 235, der die Herrschersakralität zwar nicht in Zweifel zieht, sich wohl aber sehr skeptisch über die christomimetische Aussage äußert (dazu wiederum siehe Michael Borgolte in seiner Besprechung, die am 7. Januar 2002 in der Frankfurter Allgemeine (n) Zeitung Nr. 5, S. 42, erschienen ist).

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schaft Gottes durch den Herrscher, wird in Briefen, Traktaten, Lebensbeschreibungen und vor allem auch in Krönungsordines greifbar, wenn der Herrscher als vicarius Christi oder dei48, als imago dei oder typus Christi49, auch als alter post Christum50 oder mit ähnlichen Ausdrücken vorgestellt wird. Auch der zur Verteidigung seiner sakralen Würde von Heinrich IV. 1076 gegenüber Gregor VII. formulierte Anspruch, (ebenso wie der Papst51) allein durch Gott richtbar zu sein52, ist letztlich eine Konsequenz der königlichen Stellvertreterschaft Gottes auf Erden und liefert zugleich ein Zeugnis für die dritte Anschauung, für das Nahverhältnis des Königs zu Gott, das ansonsten hauptsächlich in der seit der Karolingerzeit gebräuchlich werdenden Herrscherweihe53, namentlich in der Salbung, sinnfällig wird, den Herrscher als mediator cleri et plebis54 aus der Schar der Laien heraus48

Vgl. etwa Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), S. 19 f. (und die hier verzeichneten Belege); Hans Hubert Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, Bonn 1968, S. 372 – 377, oder Walter Ullmann, Principles of Government and Politics in the Middle Ages, London 41978, S. 121 ff., sowie darüber hinaus Thietmars von Merseburg Chronicon I 26, hg. von Robert Holtzmann, MGH SS rer. Germ. N. S. 9, Berlin 1935, S. 33 (reges nostri et imperatores, summi rectoris vice in hac peregrinacione prepositi), und die Gesta Chuonradi imperatoris c. 3, hg. von Bresslau (wie Anm. 40 S. 23 (vicarius es Christi). 49 Vgl. etwa Anm. 117 oder Die Texte des Normannischen Anonymus (wie Anm. 118) S. 131 und 134 sowie den Mainzer Krönungsordo (wie Anm. 44) S. 256 (Nr. 19: cum mundi salvatore, cuius typum geris in nomine). 50 Vgl. Anm. 40. 51 Vgl. etwa den ,Dictatus pape‘ von 1075, ed. Erich Caspar, Das Register Gregors VII. (= MGH Epistolae selectae 2), Berlin 1920/23, S. 20 (II 55a), Satz XIX: Quod a nemine ipse [= papa] iudicari debeat; sowie Albert Michael Koeniger, Prima sedes a nemine iudicatur, in: Beiträge zur Geschichte des christlichen Altertums und der byzantinischen Literatur. Festgabe Albert Ehrhard, Bonn 1922, S. 273 – 300, und Hubert Mordek, Der römische Primat in den Kirchenrechtssammlungen des Westens vom IV. bis VIII. Jahrhundert, in: Il primato del vescovo di Roma nel primo millennio. Ricerche et testimonianze, Città del Vaticano 1991, S. 523 – 566. 52 Vgl. Heinrichs IV. längeres Absageschreiben an Gregor VII. von 1076, ed. Ludwig Weiland, MGH Const. I, Hannover 1893, S. 110 Nr. 62: Me quoque, qui licet indignus inter christos ad regnum sum unctus, tetigisti, quem sanctorum patrum traditio soli deo iudicandum docuit … 53 Selbst wenn Achim Thomas Hack, Zur Herkunft der karolingischen Königssalbung, in: ZKG 110 (1999) S. 170 – 190, mit seiner Meinung Recht haben sollte, daß es im fränkischen Reich schon vor 751 eine Salbungstradition gegeben habe (was freilich noch einmal überprüft werden müßte), so bleibt doch die Feststellung richtig, daß diese erst seit Karls des Kahlen intensiver Salbungspolitik in der Mitte des 9. Jahrhunderts zu einem verbindlichen Brauch geworden ist; vgl. dazu Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), S. 28 – 35 mit Anm. 215; ders., Sicut Esther regina. Die westfränkische Königin als consors regni, in: Francia 20/1 (1993) S. 15 – 38, besonders 26 – 37, sowie Anton, Verfassungspolitik (wie Anm. 44), S. 77 – 38. 54 Vgl. den Mainzer Krönungsordo (wie Anm. 44) S. 258 (Nr. 259) und dazu Rudolf Schieffer, Mediator cleri et plebis. Zum geistlichen Einfluß auf Verständnis und Darstellung des ottonischen Königtums, in: Gerd Althoff / Ernst Schubert (Hgg.), Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen (= Vorträge und Forschungen 46), Sigmaringen 1998, S. 345 – 361, besonders 354 f.

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hebt, ihm eine priestergleiche Stellung55 verleiht, die ihn durch ein vorbildliches Leben56, aber auch durch Predigten57 und entsprechende Regierungsmaßnahmen58 zu einem priesterähnlichen Erzieher59 des ihm anvertrauten Volkes (jedoch niemals zu einem die Sakramente spendenden Priester im Amtssinne60) werden läßt. Letztlich gehört in diesem Zusammenhang auch der Glaube an die Mitregentschaft des verstorbenen Königs an der Seite Christi61, der unter den Saliern den Brauch inspirierte, den Herrschern eine Krone mit ins Grab zu geben62. 55

Außer auf Floskeln wie rex et sacerdos oder rex et propheta – dazu vgl. (mit den Belegen) Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), S. 10 und 22 ff., und Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 48), S. 110 – 117 – ist hier vor allem auf den Mainzer Krönungsordo (wie Anm. 44) hinzuweisen, wo die Bischöfe dem König beim Aufsetzen der Krone erklären (S.257 [Nr. 22]): Accipe coronam regni … et per hanc te participem ministerii nostri non ignores … 56 Vgl. dazu etwa Pseudo-Cyprianus De XII abusivis saeculi, ed. Siegmund Hellmann, Leipzig 1909, S. 32 – 60, besonders 51 ff. (Nonus abusionis gradus), und Hans Hubert Anton, Pseudo-Cyprian. De duodecim abusivis saeculi und sein Einfluß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel, in: Heinz Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter II, Stuttgart 1982, S. 568 – 617, sowie Marita Blattmann, Ein Unglück für sein Volk? Der Zusammenhang zwischen Fehlverhalten des Königs und Volkswohl in den Quellen des 7.–12. Jahrhunderts, in: FmaSt 30 (1996) S. 80 – 102. 57 Vgl. etwa die Charakterisierung Karls des Großen als praedicator durch Alkuin (wie Anm. 42) oder auch desselben Darstellung des Karolingers als pontifex in praedicatione in dem Adversus Elipandum Toletanum liber I 16, ed. Migne, PL 101, Paris 1851, Sp. 251 D, sowie die Bezeichnung Karls als rector und doctor des Volkes durch einen zeitgenössischen Ependichter: KAROLUS MAGNUS ET LEO PAPA, Ein Paderborner Epos vom Jahre 799, Paderborn 1966, S. 64 (V. 64 und 67) (sowie dazu Franz-Reiner Erkens, Von Paderborn nach Rom: Ein Kaiserweg?, in: Manfred Hettling u. a. (Hgg.), Figuren und Strukturen. Historische Essays für Hartmut Zwahr zum 65. Geburtstag, München 2002, S. 141 – 156, besonders 149). Heinrich III. ist darüber hinaus sogar nachweislich auf die Kanzel gestiegen; vgl. Monika Minninger, Heinrichs III. interne Friedensmaßnahmen und ihre etwaigen Gegner in Lothringen, in: Jb. f. westdt. LG 5 (1979) S. 33 – 52, besonders 33. 58 Wie etwa Karls des Großen admonitio generalis und epistola de litteris colendis oder Ludwigs des Frommen admonitio ad omnes regni ordines, ed. Alfred Boretius, MGH Capit. I, Hannover 1883, S. 52 Nr. 22 (789 März 32), 78 Nr. 29 (780 – 800), 303 Nr. 150 (823 – 825), oder das hier nicht eigens zu dokumentierende, vielfältige Eintreten der Könige für die Kloster- und Kirchenreform. 59 Vgl. Anm. 57 und Alkuins Hinweis an Karl den Großen in De fide sanctae et individuae trinitatis, ed. Migne, PL 101, Paris 1851, Sp. 1 – 58, besonders die Epistola nuncupatoria Sp. 11 – 14, etwa 13 A (Multa est omnibus fidelibus in vestra pietate gloriandi facultas, dum clementiae vestrae sollicitudo sacerdotalem, ut decet, habet in praedicatione verbi Dei vigorem, …), sowie Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 48), S. 111 ff. 60 Die Grenze zum Priestertum ist während des gesamten Mittelalters wohl niemals überschritten worden. Auch die hochtönendsten Verkündigungen priesterähnlicher Aufgaben des Herrschers, wie sie etwa Alkuin vornahm (vgl. Anm. 57), führten nicht zu einer Zuweisung der priesterlichen Vollgewalt an den König; vgl. dazu auch Anton, Fürstenspiegel (wie Anm. 48), S. 12, sowie allg. Nikolaus Staubach, Königtum III. Mittelalter und Neuzeit, in: TRE 19 (1990) S. 333 – 345. 61 Vgl. den Mainzer Krönungsordo (wie Anm. 44) S. 259 (Nr. 25: in hoc regni solio confirmet et in regno aeterno secum regnare faciat Iesus Christus). – Eine Mitregentschaft noch

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Die Vorstellung von besonderen Kräften und Fähigkeiten hingegen, die Königen in außereuropäischen Kulturkreisen offenbar zugeschrieben worden sind63, in Form des Königsheils auch bei den Germanen eine Rolle gespielt haben sollen64 und im früheren Mittelalter durch die breite Rezeption65 des irischen Werks ,De duodecim abusivis saeculi‘ (von Pseudo-Cyprian66) einen nicht unerheblichen Einfluß67 ausgeübt hat, ist kein zwingend notwendiger Bestandteil der sakralen Königsidee gewesen. Sie konnte diese Idee ergänzend ausschmücken, aber niemals zu ihrem eigentlichen Zentrum werden. Besondere Heilkräfte sollen bis in das 11. Jahrhundert hinein ohnehin nur ganz wenige Herrscher besessen haben68, und die Berichte darüber dienten hauptsächlich dazu, die heiligmäßige Erscheinung eines Königs ganz individuell hervorzuheben; aber auch das sich seit dem 12./13. Jahrhundert

zu Lebzeiten des Herrschers paßte hingegen nicht in die abendländische Vorstellungswelt; vgl. dazu schon die Äußerungen der fränkischen Bischöfe, die 794 Stellung bezogen gegen die byzantinische Bilderverehrung und in diesem Zusammenhang auch energisch gegen den oströmischen Gedanken von der göttlichen Mitregentschaft des Herrschers auftraten: Opus Caroli regis contra synodum (Libri Carolini), hg. von Ann Freeman unter Mitwirkung von Paul Meyvaert, MGH Conc. II Suppl. I, Hannover 1998, S. 105 – 115 (I 1), etwa 115, Z. 4 f.: Nondum enim conregnamus ei[] qu[amdiu] huius mortalitatis tunica induti sumus. 62 Vgl. Erkens, Konrad II. (wie Anm. 12), S. 9, 100 und 217. 63 Vgl. Streck (wie Anm. 30) und Jones (wie Anm. 32) sowie Eike Haberland, Das heilige Königtum, in: Burghard Freudenfeld (Hg.), Völkerkunde, München 1960, S. 77 – 89, besonders 86 ff., oder Gillian Feeley-Harnik, Issues in divine kingship, in: Annual Review of Anthropology 1985, S. 273 – 313. 64 Vgl. etwa Wilhelm Grönbech, Kultur und Religion der Germanen, 2. Bde. in einem, Darmstadt 12(= 05)1997, S. 135 – 162, besonders 139 – 146; Walther Kienast, Germanische Treue und „Königsheil“, in: HZ 227 (1978) S. 265 – 324, besonders 282 – 292. 65 Vgl. dazu Anton, Pseudo-Cyprian (wie Anm. 56), S. 579 – 586 und 597 – 614. 66 Vgl. Anm. 56 (und den auf den König bezogenen neunten Mißbrauch mit der Feststellung [S. 52]: Qui vero regnum secundum hanc legem non dispensat, multas nimirum adversitates imperii tolerat. Idcirco enim saepe pax populorum rumpitur et offendicula etiam de regno suscitantur, terrarum quoque fructus diminuuntur et servitia populorum praepediuntur; multi et varii dolores prosperitatem regni inficiunt, carorum et liberorum mortes tristitiam conferunt, hostium incursus provincias undique vastant, bestiae armentorum et pecorum greges dilacerant, tempestates aeris et hiemisperia turbata terrarum fecunditatem et maris ministeria prohibent et aliquando fulminum ictus segetes et arborum flores et pampinos exurunt). 67 Vgl. dazu auch Blattmann ,Ein Unglück für sein Volk‘ (wie Anm. 56), passim. 68 Der Merowinger Guntram (vgl. Gregorii ep. Turonensis Libri historiarum decem, ed. Bruno Krusch und Wilhelm Levison, MGH SS rer. Merov. I, Hannover 21937 – 1951, S. 441 f. [IX 21]); der Kapetinger Robert II. (vgl. die Epitoma vitae regis Rotberti Pii, éd. par RobertHenri Bautier et Gillette Labory, Helgaud de Fleury. Vie de Robert le Pieux [= Sources d’histoire médiévale 1], Paris 1965, S. 128 [c. 27]), und der Angelsachse Edward der Bekenner (vgl. Willelmi Malmesbiriensis monachi De gestis regum Anglorum libri quinque, vol. I., ed. by William Stubbs, Rolls Series, London 1887, S. 272 f. [II 222]; R. A. B. Mynors / R. M. Thomson / M. Winterbottom (Hgg.), William of Malmesbury, Gesta regum Anglorum. The History of the English Kings, vol. I, Oxford 1998, S. 406 – 410 [II 222. 223. 224]).

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entfaltende Wirken der wundertätigen Könige Englands69 und vor allem Frankreichs, der „rois thaumaturges“70, das die eigentümliche, wenn man so will: gesteigerte, Sakralität gerade dieser Herrscher besonders augenfällig werden ließ, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Befähigung zu Wunderheilungen eine Folge, nicht die Ursache der königlichen Sakralität war. Ja, die Salbung71 selbst, die für die Begründung des Königtums und der sakralen Aura seines Trägers im Verlauf des abendländischen Mittelalters eine kaum zu überschätzende Bedeutung gewann, erschien nicht überall und nicht zu allen Zeiten als die entscheidende Vermittlerin der sakralen Dimension des Herrschers72. In Kastilien, Aragon und Navarra konnte man im späten Mittelalter – ebenso wie in Sizilien – sogar den Salbungsbrauch nach 1379, 1414 und 1494 wieder aufgeben, ohne daß die Könige etwas von ihrer Sakralität einbüßten73. 69 Vgl. Frank Barlow, The King’s Evil, in: ders., The Norman Conquest and Beyond, London 1983, S. 23 – 47 [erstmals 1980, in: EHR 95, S. 3 – 27]. 70 Dazu immer noch grundlegend Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998 [frz. 1924], dazu vgl. Jacques LeGoff, La genèse du miracle royal, in: Marc Bloch aujourd’hui (wie Anm. 11), S. 147 – 156; ders., Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000 [frz. 1996], S. 733 ff. (der sich übrigens [S. 728 ff.] ebenfalls um eine Definition der Königssakralität bemüht und dabei als deren Elemente das Sakrale, Religiöse, Priesterliche und Wundertätige unterscheidet, letztlich aber, obwohl sich natürlich viele seiner Beobachtungen mit dem hier Vorgetragenen decken, mit seiner Begriffsklärung zu sehr am französischen Vorbild orientiert bleibt), und Joachim Ehlers, Der wundertätige König in der monarchischen Theorie des Früh- und Hochmittelalters, in: Paul-Joachim Heinig u. a. (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 3 – 19. 71 Vgl. neben der in Anm. 53 angeführten Literatur auch H[ans] H[ubert] Anton, Salbung II., in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995) Sp. 1289 – 1292. 72 Vgl. dazu Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), passim, sowie für das erst späte Aufkommen der Salbung bzw. die zeitweise Unterbrechung des Salbungsbrauches in den spanischen Königreichen Kastilien, Aragon und Navarra Percy Ernst Schramm, Die Krönung im Aragonesischen Königreich, in: ders., Kaiser, Könige, Päpste IV 1, Stuttgart 1970, S. 352 – 371 [erstmals 1936, in: Homenatje a Antoni Rubió i Lluch, Miscellània d’estudis literaris, històrics i lingvistics III, S. 577 – 598], und ders., Der König von Navarra (1035 – 1512), in: ZRG Germ. Abt. 68 (1951) S. 110 – 210, sowie die folgende Anm. Schon Robert Grosseteste, der Bischof von Lincoln (1235 – 1272), beantwortete die Frage des englischen Königs Heinrich III. (1216 – 1272), quid unctionis sacramentum videatur adicere regiae dignitatis, cum multi sint reges qui nullatenus unctionis munere decorentur, mit dem Hinweis auf die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die der König durch die Weihe empfange, nicht ohne jedoch zugleich zu erklären, daß der König dadurch auf keinen Fall die priesterliche Würde erhalte: Haec tamen unctionis praerogativa nulla modo regiam dignitatem praefert aut etiam aequiparat sacerdotali, aut potestatem tribuit alicujus sacerdotalis officii; …, ed. Henry Richards Luard, Robert episcopus Grosseteste. Epistolae (= Rolls Series 25), London 1861, Nr. 124, hier S. 350 f. (die beiden Zitate finden sich auf S. 350 und 351). 73 Vgl. Teofilo F. Ruiz, Unsacred Monarchy: The Kings of Castile in the Late Middle Ages, in: Sean Wilentz (Hg.), Rites of Power – Symbolism, Ritual and Politics since the Middle Ages, Philadelphia 1985, S. 109 – 144 [erstmals frz. 1984, in: Annales 39, S. 429 – 453], der allerdings die mittelalterliche Vorstellung von der Königssakralität zu sehr vom französischen Vorbild (der königlichen Fähigkeit zur Krankenheilung) her versteht und daher zu einer ambivalenten, die sakrale Stellung des Herrschers im Prinzip verneinenden, nach den in den

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Letztlich meint Herrschersakralität also die in den einzelnen christlichen Königreichen unterschiedlich ausgestaltete, aber im Prinzip gleichartige Vorstellung von einem besonderen Nahverhältnis des Königs zu Gott. Dieses Verständnis der Herrschersakralität deckt sich im übrigen weitgehend mit der Definition, die Josef Piper 1988 für den Begriff ,sakral‘ vorgeschlagen hat74 : „Die Worte ,heilig‘ und ,sakral‘ sollen … weder die unendliche Vollkommenheit Gottes noch auch die sittliche Größe eines Menschen bezeichnen. Sie besagen vielmehr, daß gewisse empirisch vorfindbare Dinge, Räume, Zeiten, Handlungen die besondere Eigentümlichkeit besitzen, auf eine aus der Reihe des Durchschnittlichen herausfallende Weise der göttlichen Sphäre zugeordnet zu sein.“ Was hier mit Bezug auf Dinge, Räume, Zeiten und Handlungen, mithin Unbelebtes, vorgetragen wird, gilt im mittelalterlichen Sinne eben auch für Personen – freilich mit der Einschränkung, daß König und Königtum ausdrücklich nur als ,sakral‘ (sacer), nicht jedoch als ,heilig‘ (im Sinne von sanctus) verstanden werden sollten. Der sancta ecclesia tritt seit dem Hochmittelalter unter Rezeption der antiken Vorstellung, daß alles, was mit dem Kaiser zusammenhängt, sacer75 sei, das sacrum (Romanum) imperium folgenden Ausführungen vorgetragenen Kriterien letztlich jedoch positiven Aussage kommt (S. 110: „The Castilian kings did not consider their office sacred, even though they believed that as kings their responsibilities were of the highest order and were entrusted to them by God. Never did the kings of Castile and later of Spain claim seriously to have the power to heal the sick“; vgl. auch S. 121 – 124, 128 ff. und 133: „… let us remember that Franco’s only claim to legitimacy was to be the caudillo, the old medieval leader of hosts, by the grace of God …“), sowie Schramm, Krönung im Aragonesischen Königreich (wie Anm. 72), S. 366 f.; ders., Das Kastilische Königtum in der Zeit Pedros des Grausamen, Enriques II. und Juans I. (1350 – 1390), in: Gedächtnisschrift für Adalbert Hämel, hg. vom Romanischen Seminar der Universität Erlangen, Würzburg 1954, S. 253 – 274, besonders 259 und 264 (zu den beiden letzten kastilischen Herrscherweihen von 1366 und 1379); Ludwig Vones, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711 – 1480). Reiche – Kronen – Regionen, Sigmaringen 1993, S. 160 f.; Carlrichard Brühl, Les auto-couronnements d’empereurs et de rois (XIIIe-XIXe s.). Remarques sur la fonction sacramentelle de la royauté au moyen âge et à l’époque moderne, in: ders., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze I: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim u. a. 1989, S. 444 – 460 [erstmals 1984, in: Comptes-rendus de l’Acad. des Inscriptions et Belles Lettres. Comptes-rendus des séances de l’année, S. 102 – 118], besonders 451 – 457; José Maria Nieto Soria, Imágenes religiosas del rey y del poder real en la Castilla del siglo XIII, in: Miguel Angel Ladero Quesada (Hg.), En la España Medieval V, Estudios en memoria del professor D. Claudio Sánchez-Albornoz 2, Madrid 1986, S. 709 – 729; Peter Linehan, The Politics of Piety: Aspects of the Castilian Monarchy from Alfonxo X to Alfonso XI, in: Rivista Canadiense de Estudios Hispánicos 9 (1985) S. 385 – 404. – Zu den Verhältnissen im süditalienischen Königreich Neapel vgl. Reinhard Elze, Könige im spätmittelalterlichen Italien vom Beginn des 14. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, in: Schneider (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum (wie Anm. 25), S. 123 – 134, besonders 125 f. 74 Josef Piper, Was heißt „sakral“? Klärungsversuche, Stuttgart 1988, S. 18. – Zum Begriffsverständnis von ,heilig‘ vgl. auch Hubert Seiwert, Sakralität und Herrschaft am Beispiel des chinesischen Kaisers, in: Erkens (Hg.), Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 4), S. 245 – 265, besonders 245 ff. und 253 – 261. 75 Zu diesem Begriff vgl. Otto Hiltbrunner, Die Heiligkeit des Kaisers (Zur Geschichte des Begriffs sacer), in: FmaSt 2 (1968) S. 1 – 30. Die Ausführungen von Jürgen Schatz, Imperium,

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gegenüber76 ; die sanctitas des Papstes77 korrespondiert mit der Sakralität der Herrscher, die zwar persönlich heilig werden konnten wie der fränkische Herrscher Karl der Große († 814)78, der liudolfingische Kaiser Heinrich II. († 1024)79, der angelsächsische König Edward der Bekenner († 1066)80 oder der französische König Ludwig IX., der Heilige († 1270)81, dies aber nicht von Amts wegen waren. Wohl wurde Friedrich Barbarossa – ähnlich wie seine spätantiken Vorgänger82 – in italischen Urkunden gelegentlich als sanctissimus imperator bezeichnet83, aber Pax et Iustitia. Das Reich – Friedensstiftung zwischen Ordo, Regnum und Staatlichkeit, Berlin 2000 S. 133 – 137, der sacer und sanctus im Sinne von ,heilig durch Gott seit eh und je‘ und ,geheiligt zur Steigerung des Rechtsschutzes‘ deutet, bedürfen zweifellos der Modifikation. Sacer bedeutete ursprünglich immerhin „,im Eigentum einer außermenschlichen, göttlichen Macht stehend‘ und damit ,der Verfügungsgewalt der Menschen entzogen‘“ (Hiltbrunner S. 18; vgl. ebd. S. 21: „Die Bedeutung des göttlichen Eigentums ist für den Römer die primäre Vorstellung, die er mit dem Wort sacer verbindet“), Fritz Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im früheren Mittelalter, Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie, 2. Aufl. hg. von Rudolf Buchner, Darmstadt 1954 [ND 1973], S. 113 mit Anm. 237 und 115 ff. mit Anm. 249, spricht daher vom sacrum imperium auch als von einem „geweihten Reich“. 76 Vgl. dazu etwa Gottfried Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert, Berlin (Ost) 1972, S. 260 – 279; Heinrich Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas, in: Gunther Wolf (Hg.), Friedrich Barbarossa (= Wege der Forschung 390), Darmstadt 1975, S. 208 – 244 [erstmals 1967, in: SBB Akad. Wien, Phil.-hist. Kl. 252/4, S. 3 – 32], besonders 218 – 225. 77 Vgl. etwa den ,Dictatus papae‘ (wie Anm. 51) Satz XXIII (S. 207): Quod Romanus pontifex, si canonice fuerit ordinatus, meritis beati Petri indubitanter efficitur sanctus …, sowie die heute noch gebräuchliche Anredeform des Papstes als „Heiligkeit“ oder „Heiliger Vater“. Siehe dazu auch Horst Fuhrmann, Über die „Heiligkeit“ des Papstes, in: ders., Einladung ins Mittelalter, München 1987, S. 151 – 168 [erstmals 1981, in: Jb. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen 1980, S. 28 – 43], besonders 156 – 165. 78 Vgl. Erich Meuthen, Karl der Große – Barbarossa – Aachen. Zur Interpretation des Karlsprivilegs für Aachen, in: Wolfgang Braunfels u. a. (Hgg.), Karl der Große, Lebenswerk und Nachleben IV: Das Nachleben, Düsseldorf 1967, S. 54 – 76, besonders 55; ders., Barbarossa und Aachen, in: Rhein. Vjbll. 39 (1975) S. 28 – 59, besonders 33 ff., 41; Jürgen Petersohn, Die päpstliche Kanonisationsdelegation des 11. und 12. Jahrhunderts und die Heiligsprechung Karls des Grossen, in: Stephan Kuttner (Hg.), Proceedings of the Fourth International Congress of Medieval Canon Law, Toronto, 21 – 25 August 1972 (= Monumenta iuris canonici Series C: Subsidia Vol. 5), Città del Vaticano 1976, S. 163 – 206; ders., Saint-Denis – Westminster – Aachen. Die Karls-Translatio von 1165 und ihre Vorbilder, in: DA 31 (1975) S. 420 – 454. 79 Vgl. Weinfurter, Heinrich II. (wie Anm. 38), S. 271. 80 Vgl. Petersohn, Saint-Denis (wie Anm. 78), S. 421, 433 ff.; Bernhard W. Scholz, The Canonization of Edward the Confessor, in Speculum 36 (1961) S. 38 – 60, besonders 49. 81 Vgl. dazu zuletzt LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 268 f. 82 Vgl. die Belege bei Erkens, Herrscher als gotes drút (wie Anm. 29), S. 17 mit Anm. 117 und 118. 83 Vgl. Pio Cenci (Hg.), Carte e diplomi di Gubbio dall’anno 900 al 1200, Perugia 1915, S. 209 f. Nr. 278 (1164), sowie dazu und zum folgenden Werner Goez, Zur Geschichte des Alexander-Schismas im nordöstlichen Mittelitalien, in: Franz-Reiner Erkens / Hartmut Wolff (Hgg.), Von Sacerdotium und Regnum: Geistliche und weltliche Herrschaft im frühen und

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häufiger war das Epitheton sacratissimus84. Beide Begriffe werden im übrigen ohnehin identisch gebraucht als Ausdruck eben für die kaiserliche Sakralität und nicht als Hinweis auf eine persönliche Heiligkeit des Staufers. Schon die letzten Beispiele zeigen, wie wenig der Investiturstreit und die mit ihm in Zusammenhang gebrachte Wende in der Geschichte des Königtums zu einer Beseitigung der Herrschersakralität im Reich, zu einer völligen „Entsakralisierung“85 führten. Hinsichtlich des englischen oder gar des französischen Königtums trifft eine solche Einschätzung ohnehin nicht zu. Vielmehr begann in den westeuropäischen Monarchien erst seit dem 11. Jahrhundert die eigentliche Ausgestaltung der königlichen Sakralsphäre86, während gleichzeitig die sakrale Dimension des Königs und Kaisers im Vergleich zur karolingisch-ottonisch-salischen Zeit, in der sie zweifellos eine Steigerung erfahren hatte, zwar zurückgedrängt, aber doch nicht gänzlich aufgelöst worden ist. Obwohl gelegentlich schon einzelne Beobachtungen darüber notiert worden sind87, steht eine systematische Behandlung der Sakralität des Herrschers im Reich des späteren Mittelalters noch aus, ja, es wurde bisher noch nicht einmal das dazu nötige Quellenmaterial in umfassendem Maße gesichtet, weswegen die nachfolgenden Überlegungen lediglich einen ersten Eindruck vermitteln können. Ohnehin kann es vorläufig noch nicht darum gehen, die Gesamtentwicklung der spätmittelalterlichen Herrschersakralität und ihre verschiedenen Nuancen in den Blick zu nehmen; sondern es stellt sich zunächst allein die Frage, ob die Kriterien, die in der Vorstellungswelt der Jahrhunderte vor 1100 dazu dienen konnten, das sakrale Wesen des Königs genauer zu fassen, sich auch in der Zeit nach 1100 ausfindig machen lassen, ob sich also auch nach dem Investiturstreit hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag, Köln 2002, S. 519 – 540, besonders 535 und 537. 84 S[ilvia] Tagliaferri / B[runo] Gurioli (Hgg.), Il „Libro Biscia“ di S. Mercuriale di Forlì I (aa. 894 – 1178), Forlì 1982, S. 177 Nr. 95 (1161 April 21), 181 Nr. 99, 183 Nr. 101 – 209 Nr. 118, 210 Nr. 122 – 214 Nr. 124, 218 Nr. 127 – 222 Nr. 130, 224 Nr. 132 sowie 227 Nr. 134 – 232 Nr. 137, 245 Nr. 146, 248 Nr. 147, 252 Nr. 150, 258 Nr. 155, 262 Nr. 159, 281 Nr. 175 – 285 Nr. 178, 290 Nr. 183 – 293 Nr. 185, 296 Nr. 189 – 301 Nr. 190 (1177 Juni 15). 85 Dazu vgl. Anton Meyer-Pfannholz, Die Wende von Canossa. Eine Studie zum Sacrum Imperium, in: Helmuth Kämpf (Hg.), Canossa als Wende. Ausgewählte Aufsätze zur neueren Forschung (= Wege der Forschung 12), Darmstadt 1976, S. 1 – 26 [erstmals 1932/33, in: Hochland 30, S. 385 – 414], besonders 19 – 26, und Werner Goez, Kirchenreform und Investiturstreit, 910 – 1122, Stuttgart 2000, S. 189 ff., aber auch Helmut G. Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterlichen Souveränitätsgedankens, München 1976, S. 53, der – vorsichtig und daher zweifellos richtig – von einer „eingeleitete(n) Säkularisierung der Monarchie“ seit Gregor VII. spricht. Neuestens bezweifelt auch Körntgen (wie Anm. 47) S. 449 – 457, freilich von einer anderen Perspektive aus, einen Sakralitätsverlust des Königtums durch den Investiturstreit. – Vgl. aber auch die Verwendung des Begriffs durch Thomas Wünsch, Der heilige Bischof – Zur politischen Dimension von Heiligkeit im Mittelalter und ihrem Wandel, in: AKG 82 (2000) S. 260 – 302, besonders 268. 86 Vgl. Anm. 69 und 70. 87 Vgl. etwa Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1979, S. 35 – 42.

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noch ein besonderes Nahverhältnis des Herrschers zu Gott feststellen läßt. Das heißt vor allem die Frage beantworten nach der Fortexistenz der Vorstellungen von der Übertragung der Herrschaft durch Gott, von der Stellung des Königs als Sachwalter und Abbild Gottes auf Erden und von einer priestergleichen Verpflichtung gegenüber der christlichen Religion und Gemeinschaft. Daß alle Gewalt von Gott stamme (Röm. 131), war dem Mittelalter natürlich eine geläufige Einsicht, auch wenn sich daneben die etwa von Gregor VII. propagierte Vorstellung entwickeln konnte vom menschlich-sündhaften Ursprung der staatlichen Gewalt88. Trotzdem galten die Herrscher für viele weiterhin als von Gott in ihre Würde eingesetzt. Die Könige selbst betonten dies, indem sie wie ihre Vorgänger seit Karl dem Großen in ihren Urkunden auf ihre Berufung gratia dei89 hinwiesen. Gelegentlich haben sie dies aber auch zusätzlich in eigene Worte gefaßt, wie etwa Friedrich Barbarossa 1157 in einem in seinem ganzen Reich verbreiteten Rundschreiben90 und 1159 während eines Disputs mit kurialen Gesandten91, sein Enkel Friedrich II. 1231 in den Konstitutionen von Melfi, dem Liber augustalis92, 88 Vgl. dazu die beiden Briefe Gregors VII. an Hermann von Metz vom 25. August 1076 und 15. März 1081: Register IV 2 (wie Anm. 51) S. 29 (Illam [= regiam dignitatem] quidem superbia humana repperit, hanc [= episcopalem dignitatem] divina pietas instituit) und VIII 21, S. 556 Z. 10 – 557 Z. 10, 558 Z. 10 – 560 Z. 13, sowie die Kritik im Hugonis monachi Floriacensis tractatus de regia potestate et sacerdotali dignitate, ed. Ernst Sackur, MGH LdL 2, Hannover 1892, S. 465 – 494, besonders 467 Z. 25 – 28 und 466 Z. 25 – 28, und Wolfgang Stürner, Rerum necessitas und divina provisio. Zur Interpretation des Prooemiums der Konstitutionen von Melfi (1231), in: DA 39 (1983) S. 467 – 554, besonders 504 f.; ders., Peccatum et Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken, Sigmaringen 1987, S. 131 – 143; ders., Gregors VII. Sicht vom Ursprung der herrscherlichen Gewalt, in: Studi Gregoriani 14 (1991) S. 61 – 67, sowie Rudolf Schieffer, Gregor VII. und die Könige Europas, in: Studi Gregoriani 13 (1989) S. 189 – 211, besonders 194 ff. und 207 – 210. 89 Einzelbelege erübrigen sich dafür, vgl. Anm. 46. 90 MGH Die Urkunden Friedrichs I., Teil 1. Hg. von Heinrich Appelt, Hannover 1975, Nr. 186, hier S. 315: Cumque per electionem principum a solo deo regnum et imperium nostrum sit, … Zu weiteren Belegen vgl. Stürner, Rerum necessitas (wie Anm. 88), S. 472 f. mit Anm. 13 und 14. 91 Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris, hg. von Georg Waitz und Bernhard von Simson, MGH SS rer. Germ. i. us. sch. [46.] 31912, S. 278 (IV 35): Nam cum divina ordinatione ego Romanus imperator et dicar et sim, …; vgl. dazu Hans-Werner Goetz, Potestas. Staatsgewalt und Legitimität im Spiegel der Terminologie früh- und hochmittelalterlicher Geschichtsschreiber, in: Erkens / Wolff (Hgg.), Von Sacerdotium und Regnum (wie Anm. 83), S. 47 – 66, besonders 54. 92 Hg. und übersetzt von Hermann Conrad / Thea von der Lieck-Buyken / Wolfgang Wagner, Die Konstitutionen Friedrichs II. von Hohenstaufen für sein Königreich Sizilien. Nach einer lateinischen Handschrift des 13. Jahrhunderts, Köln/Wien 1973 (vgl. das Prooemium S. 2/4); hg. von Wolfgang Stürner, Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien (= MGH Const. Suppl. II), Hannover 1996 (vgl. das Prooemium S. 145 – 148). Das Prooemium wurde auch ediert von Stürner, Rerum necessitas (wie Anm. 88), S. 548 – 554. Vgl. hieraus vor allem die Feststellung: sicque ipsarum rerum necessitate cogente nec minus divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati (ed. Stürner, DA 39, S. 551; ed.

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oder Rudolf von Habsburg, als er 1280 ein in die eigene Urkunde inseriertes Privileg des letzten Stauferkaisers bestätigte und dabei auf seine Erhöhung zum König ab humilitatis tugurio non sine divino misterio anspielte93. Aber auch noch im Jahre 1401 erklärte Konrad von Soltau dem römischen Papst Bonifaz IX. als Gesandter Ruprechts von der Pfalz und ähnlich wie annähernd ein Viertel Jahrtausend früher Barbarossa dem Papst Hadrian IV.94, daß der neue König (aus dem Hause der Wittelsbacher) von Gott erwählt worden sei95; und während der Krönung Friedrichs III., die am 17. Juni 1442 von dem Kölner Erzbischof Dietrich von Moers in Aachen vollzogen worden ist, mußte der zu weihende Habsburger natürlich die übliche Frage beantworten, ob er ein gerechtes Regiment führen wolle, wobei er zugleich daran erinnert wurde, daß er das Reich von Gott als Lehen erhalte96 : wiltu daz riche dir van gote verleent na rechtikeit dinre furfaren regeren und kreftlichen beschirmen? ders., MGH Const. Suppl. II, S. 147; ed. Conrad / Lieck-Buyken / Wagner S. 2/4). Zu weiteren Belegen für die Einsetzung durch Gott und für die herrscherliche Gottunmittelbarkeit vgl. Hans Martin Schaller, Die Kaiseridee Friedrichs II., in: ders., Stauferzeit. Ausgewählte Aufsätze (= MGH Schriften 38), Hannover 1993, S. 53 – 82 [erstmals 1974, in: Probleme um Friedrich II., hg. von Josef Fleckenstein (= Vorträge und Forschungen 16), S. 109 – 134], besonders 63 f., 76, 78. – Die Vorstellung vom gottunmittelbaren Kaisertum ging nach dem Sturz der Staufer keinesfalls unter, im 15. Jahrhundert etwa griff Dietrich von Nie(hei)m direkt auf Friedrichs II. Gedankenhorizont zurück, vgl. Achim Funder, Reichsidee und Kirchenrecht. Dietrich von Nieheim als Beispiel spätmittelalterlicher Rechtsauffassung, Freiburg u. a. 1993, S. 133 – 189 (Kap. 4.1: „Das Rechtsdenken Dietrichs als Reflex der staufischen Kaiseridee unter Friedrich II.“). 93 Acta Imperii inedita seculi XIII. et XIV. Urkunden und Briefe zur Geschichte des Kaiserreichs und des Königreichs Sicilien in den Jahren 1200 – 1400, hg. von Eduard Winkelmann, Bd. 2, Innsbruck 1885, S. 102 Nr. 124 (1280 Juli 9), das ganze Zitat lautet (S. 102): Ad monarchiam regie dignitatis ipso auctore, qui super gentes et regna thronum constituit imperatorie dignitatis, ab humilitatis tugurio non sine divino misterio feliciter evocati, libenter iustis precibus fidelium subditorum, …, exoptate exauditionis promptuarium aperimus, ut … 94 Vgl. Anm. 90. 95 Deutsche Reichstagsakten [künftig: RTA] 4 (unter König Ruprecht, Erste Abt. 1400 – 1401), hg. von Julius Weizsäcker, Gotha 1882, S. 19 Nr. 3, besonders S. 20 [6]: quod autem rex regum et dominus dominancium istum regem Romanorum elegerit, videlicet dominum Rupertum …, certo ostenditur judicio (vgl. auch die weiteren Ausführungen S. 19 f.). – Vgl. aber auch die Äußerung von Ruprechts abgesetztem Vorgänger Wenzel gegenüber Richard II. von England, ed. Odoricus Raynaldus, Annales ecclesiastici Tom. 7, Lucae 1752, S. 392 f., hier: 393 (1379 Mai 20): Nos, quibus imperium universae reipublicae temporalis a solo Deo … concessum dignoscitur, oder die Formulierungen in Arengen Ludwigs des Bayern, die zusammengestellt sind von Helmut Bansa, Studien zur Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag der Wahl bis zur Rückkehr aus Italien (1314 – 1329), Kallmünz 1968, S. 67 f. 96 RTA 16 (1441 – 1442), hg. von Hermann Herre und Ludwig Quidde, Stuttgart/Gotha 1928, S. 178 Nr. 102, das Zitat findet sich auf S. 180, wo auch die lateinische Fassung der Frage notiert ist: vis regnum a deo tibi concessum secundum iusticiam predecessorum tuorum regere et efficaciter defendere? – Auch Maximilian I. mußte 1486 die gleiche Frage beantworten, vgl. Albert Huyskens, Die Krönung König Maximilians I. in Aachen nach einem unbekannten Frühdruck, in: ZAGV 64/65 (1951/52) S. 72 – 99 (Edition: 79 – 99), hier 85: Wiltu das reich, dir von got verlihen, … beschirmen?

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Nicht nur die Könige selbst behielten während des gesamten Mittelalters den Glauben an ihre Erwähltheit durch Gott, sondern auch von anderer Seite wurde er weiter verkündet. 1159 etwa, beim Ausbruch des alexandrinischen Schismas, erinnerten die Wähler Alexanders III. den staufischen Kaiser an seine Pflichten gegenüber der römischen Kirche, an seine Verantwortung, die der Größe der dem Herrscher von Gott übertragenen Gewalt entspreche97: Quanto excellentie vestre maior a Deo collata est et attributa potestas …, tanto amplius imperialem convenit maiestatem, sacrosanctam Romanam ecclesiam … in omnibus honorare et ei semper et presertim necessitatis tempore salubriter atque utiliter providere. 1273 wurde Rudolf von Habsburg – wie der Tiroler Dichter Friedrich von Sonnenburg in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verkündet98 von got durch der fürsten munt erwählt. Im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts vertrat Dante Alighieri († 1321), gescheiterter Florentiner Staatsmann, Philosoph und Poet99, in seinem Traktat ,De Monarchia‘100 vehement die Auffassung, daß die königliche Autorität ohne jegliche Vermittlung direkt von Gott stamme und die Wähler (electores) des Kaisers daher nichts anderes seien als die Verkünder (denuntiatores) des göttlichen Willens101. In einem vergleichbaren Gedankenhorizont bewegte sich aber auch Karl IV. († 1378), als er 1356 in der Goldenen Bulle festlegte, daß die in Frankfurt 97

Gesta Frid. IV 63 (wie Anm. 91) S. 307; vgl. dazu Goetz (wie Anm. 91) S. 52. Ed. Oswald Zingerle (= Ältere Tirolische Dichter 2, 1), Innsbruck 1878, S. 73 (IV 26: hie bî [anläßlich der Kreuzeserscheinung am Tage von Rudolfs Krönung erklärt; vgl. Anm. 209] sô wiz ich daz, / daz in got durch der fürsten munt ze einem vogete hât erwelt; zu dem Dichter vgl. Oswald Zingerle, Ueber Friedrich von Sonnenburg’s Leben und Dichtung, Phil. Diss. Innsbruck 1898, S. 3 – 24). Vgl. aber etwa auch die während des Konstanzer Konzils am 13. Juni 1417 von Johannes de Veruculo gehaltene Predigt (ed. Heinrich Finke, Acta Concilii Constanciensis II: Konzilstagebücher, Sermones, Reform- und Verfassungsakten, Münster i. W. 1923, S. 494 ff., hier 496), in der Sigismund gefeiert wurde als: a Deo electus, inspiratus, tactus et pertactus. 99 Zu diesem vgl. den von mehreren Autoren verfaßten Artikel ,Dante Alighieri‘ im Lexikon des Mittelalters 3 (1986) Sp. 544 – 563, zum folgenden besonders 555, sowie Helene Wieruszowski, Der Reichsgedanke bei Dante, in: Dt. Dante-Jb. 14 (1932) S. 185 – 209, besonders 192 und 198; Heinz Löwe, Dante und das Kaisertum, in: ders., Von Cassiodor zu Dante, Berlin/New York 1973, S. 298 – 328 [erstmals 1960, in: HZ 190, S. 517 – 552]; Karl Ferdinand Werner, Das Imperium und Frankreich im Urteil Dantes, in: Karl Hauck / Hubert Mordek (Hgg.), Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter. Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geburtstag, Köln 1978, S. 546 – 564. 100 Ed. Pier Giorgio Ricci, Verona 1965, zum folgenden das Dritte Buch, besonders Kap. XV (etwa 15: Sic ergo patet quod auctoritas temporalis Monarche sine ulla medio in ipsum de Fonte universalis auctoritatis descendit … [S. 275]). Zu Dantes Lehre allg. vgl. auch Miethke, Weltanspruch (wie Anm. 106), S. 396 ff., und Heiner Bielefeldt, Von der päpstlichen Universalherrschaft zur autonomen Bürgerrepublik. Aegidius Romanus, Johannes Quidort von Paris, Dante Alighieri und Marsilius von Padua im Vergleich, in: ZRG Kan. Abt. 78 (1987) S. 70 – 130, besonders 94 – 101 101 XV 13 (S. 274 f.): Quod si ita est, solus eligit Deus, solus ipse confirmat, cum superiorem non habeat. Ex quo haberi potest ulterius quod nec isti qui nunc, nec alii cuiuscunque modi dicti fuerint ,electores‘, sic dicendi sunt: quin potius ,denuntiatores divine providentie‘ sunt habendi. 98

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zur Wahl versammelten Kurfürsten am Tage nach ihrer Ankunft gemeinsam die missa de sancto spiritu feiern sollen ad finem ut ipse sanctus spiritus corda ipsorum illustret et eorum sensibus lumen sue virtutis infundat102. Und noch 1497 heißt es in der Schedelschen Weltchronik103 : Kaiserlicher gewalt und koenigcliche macht ist nicht allain auß kraft der natur zu gemaynem nutz eingelaytet, sunder auch durch den hayland unßern herrn ihesum christum gottes sun. Das Wirken Gottes bei der Bestellung der Könige war dabei freilich keinesfalls eine auf das Kaiserreich als einer Wahlmonarchie beschränkte Ansicht; auch für den 1358 in den Franziskanerorden eingetretenen Infanten Pedro von Aragon104 etwa, seit 1338 Kanzler und zeitweise auch Statthalter seines Neffen Pedro IV. (,el cerimoniós‘) von Aragon, war es ebenfalls Gott, der sich den König als seinen baiulus, procurator et villicus erwählt105. Das letzte Beispiel führte schon in den Vorstellungskreis der irdischen Stellvertreterschaft Gottes durch den Herrscher hinein. Zu dieser lassen sich weitere Belege anführen, die alle zeigen, wie sehr während des späteren Mittelalters auch diese Ansicht fortlebte. Diese Zeugnisse sind oft gar nicht zu trennen, von den Äußerungen über die Einsetzung des Königs durch Gott. Obwohl sie dabei natürlich zu ganz unterschiedlichen, hier jedoch nicht interessierenden Gedankengebäuden über die weltliche Herrschaft gehören können106, künden sie grundsätzlich doch von einem herrschaftstheoretischen Verständnishorizont, der für viele verbindlich war.

102

(II 1). 103

Ed. Wolfgang D. Fritz, MGH Fontes iuris Germanici antiqui XI, Weimar 1972, S. 53

Zit. nach dem Reprint von 1975, fol 183r. Zu diesem vgl. P[eter] Segl, P[eter] v. Aragón OFM, Infant v. Aragón, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 1927 f., und Vones (wie Anm. 73) S. 157, 167, 169. 105 Vgl. dazu Wilhelm Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters, Leipzig 1938, S. 99 f. und 345 – 348 Nr. 36, wo der Inhalt des Traktats ,De vita, moribus et regimine principum‘ referiert wird und sich auf S. 346 die angeführten Begriffe zitiert finden. Komplett lautet das Zitat (vgl. die Edition von Ferràn Valls Taberner, El tractat „De regimine principum“ de l’infant Pere d’Aragó, in: Estudis Franciscans 37 [1926] S. 271 – 287 und 432 – 450; 38 [1926] S. 107 – 119 und 199 – 209, hier S. 446): Consideret prudentia tua, potentissime princeps, a quo principio tui principatus principium oritur, et a qua potestate tua regalis potentia derivatur. „Ecce unxit te Dominus …“. Sed super quam hereditatem unxit te in principem Dominus? Super haereditatem suam. Suam dixi, non tuam, ad denotandum: quod suum est regnum, suum est imperium, sua est haereditas, sua est potentia regni tui. Tu baiulus, tu procurator, tu villicus Domini es. 106 Vgl. dazu Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), passim, sowie Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, Stuttgart 1978, besonders Kap. VI-VIII, und Jürgen Miethke, Politische Theorien im Mittelalter, in: Hans-Joachim Lieber (Hg.), Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart, Bonn bzw. München 1991, S. 47 – 156, besonders 71 – 142, und ders., Der Weltanspruch des Papstes im späteren Mittelalter. Die politische Theorie der Traktate De Potestate Papae, in: Iring Fetscher / Herfried Münkler (Hgg.), Pipers Handbuch der politischen Ideen II. Mittelalter: Von den Anfängen des Islams bis zur Reformation, München/Zürich 1992, S. 351 – 445; zu den Fürstenspiegeln vgl. auch LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 353 – 380, sowie allg. Einar 104

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Ludwig der Bayer († 1347) nennt sich selbst regis regum Iesu Christi vicarius107, Karl IV. († 1378) wendet sich in den ersten Kapiteln seiner bis zu seiner Thronbesteigung reichenden, die eigene Herrschaft rechtfertigenden Autobiographie in einer Art politischem Testament an seine Nachfolger und schärft ihnen ein, daß sie Abbild und Stellvertreter Gottes auf Erden seien108, der Oxforder Theologe John Wyclif († 1384)109 spricht – unter Bezug auf Nikolaus von Lyra († 1349)110 – vom rex qui in temporalibus est Dei vicarius111, Aeneas Silvius Piccolomini († 1464), der spätere Pius II., sieht (1446) im Kaiser einen tanquam dei vicem in temporalibus gerentem112, und für den großen Philosophen und Theologen Nikolaus von Kues († 1464) war der Kaiser ebenso ein vicarius Christi113 wie für den aus dem Már Jónsson, La situation du Speculum regale dans la littérature occidentale, in: Études germaniques 42 (1987) S. 391 – 408. 107 Vgl. Joh. Friedrich Böhmer, Regesta Imperii inde ab anno MCCCXIIII usque ad annum MCCCXLVII. Die Urkunden Kaiser Ludwigs des Baiern, König Friedrich des Schönen und König Johanns von Böhmen, Frankfurt/M. 1839, Nr. 1282 (1331 April 10, für das Kloster Langheim), ed. Johann Adolph Schultes, Historische Schriften und Sammlungen ungedruckter Urkunden zur Erläuterung der deutschen Geschichte und Geographie des mittleren Zeitalters I, Hildburghausen 1798, S. 95 Nr. 31: Vniuersis nostri Imperii fidelibus tam potentibus, quam humilibus significandum duximus per praesentes, quod praedecessorum nostrorum iustis inhaerendo vestigiis, Regisque Regum IESV CHRISTi Domini nostri intuitu, cuius nos credimus vicarium …; vgl dazu Otto Bornhak, Staatskirchliche Anschauungen und Handlungen am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayern, Weimar 1933, S. 15, und Heinz Lieberich, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, in: ZRG Germ. Abt. 76 (1959) S. 173 – 245, besonders 221 ff. mit Anm. 135. 108 Eugen Hillenbrand (Hg.), Vita Caroli quarti. Die Autobiographie Karls IV., Stuttgart 1979, S. 74 (2. Kap.): Si igitur vultis [= diejenigen, die nach Karl herrschen] effici filii dei, mandata patris vestri servate, que anunciavit vobis per filium suum, dominum nostrum Jesum Christum, regem celestem, cuius typum et vices geritis in terris; zum Werk vgl. ebd. S. 7 – 62, besonders 19 ff., 32 – 38 und 59 – 62. 109 Zu diesem vgl. K. Walsh, Wyclif, in: Lexikon des Mittelalters 9 (1998) Sp. 391 ff. 110 Zu diesem vgl. R. Peppermüller , N[ikolaus] v. Lyra, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 1185. 111 Tractatus de officio regis, ed. by Alfred W. Pollard and Charles Sayle (= Wyclid, The Latin Works [11]), London 1887, S. 12 f.: Postquam descripta est ipsius David unccio, hic communiter describitur sui regiminis disposicio, que quidem est optima quando incipit a divinis, quia quando rex qui in temporalibus est dei vicarius, bene se habet erga deum, deus in agendo dirigit eum. 112 Epistola Enee Silvii de Piccolominibus de ortu et auctoritate imperii Romani ad serenissimum et invictissimum principem et dominum, dominum Fridericum, Romanorum regem semper augustum, ed. Gerhard Kallen, Aeneas Silvius Piccolomini als Publizist in der epistola de ortu et auctoritate imperii Romani, Köln 1939, S. 52 – 97, hier: 94; vgl. auch ebd. S. 68: Talique modo in Germanos Romanum imperium constat esse translatum, quod per varios manus deductum ad te denique, dive cesar Friderice, per legitimam electionem derivatum est tibique suprema in temporalibus est ex alto commissa potestas … Zu Aeneas vgl. A[rnold] Esch, P[ius] II., in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 2190 ff. 113 De concordantia catholica, ed. Gerhard Kallen (und Anna Berger), Nicolai de Cusa Opera omnia 14, Hamburg 1968, S. 20 (Reg.: Imperium potestatem supremam mundi ac vicariam substitutionem a Christo habere; hinc et Dei minister et Christi vicarius dicitur gerens

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Deutschordensland stammenden Pfarrer zu dem Hechte114, der dies um die Mitte des 14. Jahrhunderts in seiner Schachallegorie betonte. Und weitere Belege bis in die Neuzeit hinein ließen sich anführen115. typum Christi regnantis super omnes gentes. [zu III 5]), S. 535 ff., besonders 354 (III 5: Sed hoc est supremum privilegium, quia minister dei est, …, et est ut vicarius Iesu Christ in terris … – Unde sicut Christus est rex regum, ita omnes reges in potestate regnantis dominii quid divini habent.), S. 359 – 363 (III 7), S. 326 (III prooemium: … sacra est omnis maiestas et spiritualis et a deo.); vgl. dazu Elisabeth Bohnenstädt, Kirche und Reich im Schrifttum des Nikolaus von Kues (= SBB Akad. Heidelberg, Philos.-hist. Kl. Jg. 1938/39, 1. Abh.), Heidelberg 1939, S. 90 und 97 ff., besonders 99; Gerhard Kallen, Die politische Theorie im philosophischen System des Nikolaus von Cues, in: HZ 165 (1942) S. 246 – 277 [ND in: ders., Probleme der Rechtsordnung in Geschichte und Theorie. Zehn ausgewählte Aufsätze, Köln/ Graz 1965, S. 141 – 171], besonders 267 (aber auch S. 256 f.); Johannes Bärmann, Cusanus und die Reichsreform, in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusannus-Gesellschaft 4 (1964) S. 74 – 103, besonders 90, sowie zu dem Werk allg. Gerhard Kallen, Der Reichsgedanke in der Reformschrift De concordantia catholica des Nikolaus von Cues, in: Neue Heidelberger Jahrbücher NF 40 (1940) S. 59 – 76, und Walther, Imperiales Königtum (wie Anm. 85), S. 231 – 235; zu dem Cusaner vgl. R. Haubst, N[ikolaus] v. Kues, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) Sp. 1181 – 1184, und Erich Meuthen, Nikolaus von Kues, 1401 – 1464. Skizze einer Biographie, Münster 71992 (S. 41 – 49 zur Concordantia catholica). 114 Zu diesem vgl. Hans Jürgen Kliewer, Die mittelalterliche Schachallegorie und die deutschen Schachzabelbücher in der Nachfolge des Jacobus de Cessolis, Diss. Heidelberg 1966, S. 52 mit Anm. 4, zu dem Verständnis vom König als Stellvertreter Gottes vgl. ebd. S. 105 (= E. Sievers, Pfarrer zu dem Hechte, Mitteldeutsches Schachbuch, in: Zeitschrift für dt. Alterthum 17 [1874] S. 161 – 389, hier: 183, Z. 3 ff.: und sintemol ein kung rich / etwaz si gote gelich / an sinem ampte daz he treit, …). 115 Vgl. etwa die auf Friedrich II. bezogene Formulierung des Magisters und Priors Salvus von S. Nicola in Bari (der die kaiserliche Gnade wiedererlangen möchte), ed. A. HuillardBréholles, Vie et correspondence de Pierre de la Vigne, ministre de l’empereur Frédéric II, avec une étude sur le mouvement réformiste au XIIIe siècle, Paris 1864, S. 428 f. Nr. 109 (Adest etiam cohoperator ejus [scil. Dei] et vicarius constitutus in terris, Romanus princeps nominis et honoris, cujus divina mens in manu Dei est et quo voluerit vertit illam), sowie Helene Wieruszowski, Vom Imperium zum nationalen Königtum. Vergleichende Studien über die publizistischen Kämpfe Kaiser Friedrichs II. und König Philipps des Schönen mit der Kurie, München 1933, S. 142 – 149; Karla Eckermann, Studien zur Geschichte des monarchischen Gedankens im 15. Jahrhundert, Berlin 1933, S. 18 (wo in Anm. 6 der Kaiser Sigismund gewidmete Dialogus de Regia ac Papali Potestate des Ludwig Strasold aus Friaul zitiert wird: Inclite Auguste Christum regem tuum cuius vicem geris in terris) und 70 (wo auf die Ansicht des 1466 in Padua verstorbenen Konsistorialadvokaten Antonio Roselli aus Arezzo verwiesen wird, nach der der Kaiser Christi Vikar auf Erden sei und bei seiner Wahl die Herrschergewalt von Gott selbst übertragen bekomme [vgl. S. 104 ff.]), sowie Friedrich Andrae, Das Kaisertum in der juristischen Staatslehre des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der „Kaiseridee“ im späten Mittelalter, Diss. phil. (masch.) Göttingen 1951, S. 35 und 65 (mit den Anm. 47 und 48 auf S. 64 f. des „Apparats“, wo etwa [Anm. 48] auf den zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Salerno lehrenden Robertus Maranta verwiesen und dessen Ansicht zitiert wird: … nam imperator dicitur vicarius Dei in temporalibus ergo quanto fecit legem super eis dicitur illam facere auctoritate …, wo aber auch [Anm. 47] die interessante Formulierung des 1550 verstorbenen Andreas Alciatus, des „Begründers der modernen Rechtswissenschaft“ [ebd. S. 109 im „Apparat“], notiert ist, nach der der Kaiser ein Legat und Prokonsul Gottes sei: … item imperator est ordinarius omnium legatus et proconsul Dei …), und Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 11), S. 16 f.

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Eng verknüpft mit der traditionellen Vorstellung vom Herrscher als einem Stellvertreter Gottes auf Erden war die Charakterisierung des Königs als imago Dei116. Schon der sog. Ambrosiaster hatte am Ende des 4. Jahrhunderts in einem während des Mittelalters fälschlich dem hl. Augustinus zugeschriebenen Traktat erklärt, der Herrscher sei gleichsam ein Stellvertreter Gottes und insofern auch dessen Abbild117, was vielfältig weiterwirkte, um 1100 etwa von dem Yorker Anonymus in einer die königliche Sakralität besonders betonenden Weise aufgegriffen worden ist118 und, wenn auch in abgeschwächter Form, während des ganzen späten Mittelalters bis in die frühe Neuzeit hinein in staatstheoretischen Äußerungen virulent blieb sowie selbst Eingang in das Kirchenrecht fand119. Vertreten wurde die Lehre vom Herrscher als imago Dei von ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten, die in ihrer Einstellung zu Kirche und Herrschaft keineswegs immer übereinstimmten. Zu nennen sind etwa: der den König ansonsten als sacerdotii minister betrachtende Johannes von Salisbury120, Gilbert von Tournai121, Vinzenz von Beauvais122 und mit ihm ein Anonymus, der fälschlich für Thomas von Aquin ge116

Dazu vgl. Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 25 – 34, und Friedrich Baethgen, Zur Geschichte der Weltherrschaftsidee im späteren Mittelalter, in: Peter Classen / Peter Scheibert (Hgg.), Festschrift Percy Ernst Schramm 1, Wiesbaden 1964, S. 189 – 203, besonders 202. 117 Pseudo-Augustini Quaestiones Veteris et Novi Testamenti c. 106, 17, rec. Alexander Souter, CSEL 50, Wien – Leipzig 1908, S. 243: Haec imago Dei est in homine, ut unus factus sit quasi dominus ex quo ceteri orirentur; habens imperium Dei quasi vicarius, quia omnis rex Dei habet imaginem. 118 De consecratione pontificum et regum et de regimine eorum in e˛ cclesia sancta, ed. Karl Pellens, Die Texte des Normannischen Anonymus … neu aus der Hs. 415 des Corpus Christi College Cambridge, Wiesbaden 1966, S. 129 – 180; vgl. dazu Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 28; Kern, Gottesgnadentum (wie Anm. 75), S. 253 – 257; Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. „The King’s Two Bodies“. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 [engl. 1957], S. 64 – 81. 119 C. 33 qu. 5 c. 13 (ed. Corpus Juris Canonici Tom. I, Coloniae Munatianae 1718, Sp. 1101): Haec imago Dei est in homine, ut unus factus sit quasi Dominus, ex quo caeteri orirentur, habens imperium Dei, quasi vicarius eius: quia omnis Rex Dei habet imaginem …; vgl. dazu Anm. 115 und 117 sowie Schubert, König und Reich (wie Anm. 87), S. 36 Anm. 8. 120 Ioannis Saresberiensis Episcopi Carnotensis Policratici sive De nugis curialium et vestigiis philosophorum libri VIII, ed. Clemens C. J. Webb, 2 Bde., London 1909, hier Bd. 2, S. 73 f. (VI 25) bzw. Bd. 1, S. 235 (IV 1): Est ergo, ut enim plerique diffiniunt, princeps potestas publica et in terris quaedam diuinae maiestatis imago; zu Johannes vgl. Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105) S. 131 – 143, und H[ans]-W[erner] Goetz, J[ohannes] v. Salisbury, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991) Sp. 599 ff. 121 Le traité Eruditio regum et principum de Guibert de Tournai, O. F. M., par A[lphonse] de Poorter, in: Les Philosophes Belges. Textes et Études Tome IX, Louvain 1914, S. 89: Princeps enim in exercitio mansuetudinis tipum divinae portat imaginis, …; vgl. Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 156, sowie LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 359 – 367. 122 Vincentii Belvacensis De morali principis institutione, hg. von Robert J. Schneider, CC Cont. Med. 137, Turnhout 1995, S. 54 – 59 (c. 10: Quod rex ymaginem trinitatis preferre debet et primo in potestate et uirtute), besonders 55: In hiis tribus debet conformari sancte trinitatis

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halten worden ist (möglicherweise aber Vinzenz von Beauvais oder Guillaume Peyraut war)123, der große Aquinate († 1274) selbst124, der in späteren Jahren als strikter Papalist schreibende125 Aegidius Romanus († 1316)126, Juan Manuel, offenbar nach dem Vorbild der „Siete partidas“ Alfons’ X. (des Weisen, 1252 – 1284), in seinem Infantenbuch127 und der von Abneigungen gegen das Papsttum und die ymagini, quia patri attribuitur potencis, filio sapiencia, spiritui sancto bonitas; et hoc forte prefiguratum est in genesi, ubi legitur homo factus ad ymaginem dei, qui esset quasi rex uel princeps paradisi terrestis, immo tocius mundi sensibilis …; vgl. Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 194; LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 358, 504 und 520 – 524, sowie R. Düchting / Ch. Hünemörder, V[inzenz] v. Beauvais, in: Lexikon des Mittelalters 8 (1997) S. 1705 – 1708. 123 De eruditione principum, ed. Stanislas Eduard Fretté, Opera omnia 27, Paris 1875, S. 552 – 673; ed. in: S. Thomae Aquinatis Doctoris Angelici O. P. Opera omnia, Parma 1865, Bd. 16, S. 390 – 476, etwa IV 7: Princeps qui locum Dei tenet, et eum i m i t a r i debet …; I 2: Septimo, quia potestatem habens in hoc tenet locum Dei, et vices Dei debet agere; vgl. Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 195; Antoine Dondaine O. P., Guillaume Peyraut, Vie et œuvres, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 18 (1948) S. 162 – 236, besonders 163 – 183 (zum Leben) und 220 – 232 (zum Werk), sowie LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 358 f. 124 Divi Thomae Aquinatis doctoris angelici De regimine principum ad regem Cypri et De regimine Judaeorum ad ducissam Brabantiae politica opuscula duo Joseph Mathis, Taurini 1924 (S. 1 – 116: De regimine principum), S. 19 (I 12: …, dum considerat ad hoc se positum [rex], ut, loco Dei, judicium regno exerceat; …); vgl. dazu Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 32 und 116, sowie Struve (wie Anm. 106) S. 149 – 165 und L. Elders, Th[omas] v. Aquin, in: Lexikon des Mittelalters 8 (1997) Sp. 706 – 711. 125 Vgl. Aegidius Romanus. De ecclesiastica potestate, hg. von Richard Scholz, Weimar 1929, sowie dazu Richard Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz’ VIII. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Anschauungen des Mittelalters, Stuttgart 1903, S. 32 – 45 und 119 – 129; Friedrich Merzbacher, Die Rechts-, Staats- und Kirchenauffassung des Aegidius Romanus, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 41 (1954/55) S. 88 – 97; Struve (wie Anm. 106) S. 231 – 240; Miethke, Weltanspruch (wie Anm. 106), S. 372 – 376, und Bielefeldt (wie Anm. 100) S. 71 – 82. 126 Aegidii Colvmnae Romani De regimine principum libri III per Fr. Hieronymus Samaritanum … recogniti et vna cum vita auctoris in lucem editi, Romae 1607 [ND Aalen 1967], S. 40 (I 1 c. 14): Deus enim est remunerator omnium bonorum: & quia non remunerat nisi ex amore, cum semper amor sit ad similes, & conformes, oportet esse similem, & conformem Deo, qui ab eo remunerari desiderat: quanto ergo quis magis gerit imaginem eius, & plus se conformat ei, maius meritum ab ipso suspiciet: Principis autem status requirit, vt sit Deo conformior, quam eius subditi. Immo eo ipso quod Rex studet per legem, & prouidentiam suum regnum regere, quomodo Deus totus vniuersum regit & gubernat, Rex maxime conformatur ei …; dazu vgl. Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 211 – 228, besonders 216, und allg. auch Charles F. Briggs, Giles of Rome’s De Regimine Principum. Reading and Writing Politics at Court and University, c. 1275 – c. 1525, Cambridge 1999, sowie zu Aegidius selbst A. Zumkeller, Ae[gidius] Romanus, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980) Sp. 178, und F. del Punta / S. Donati / C. Luna, Egidio Romano, in: Dizionario biografico degli Italiani 42 (1993) S. 319 – 341. 127 Vgl. Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 228 – 249, besonders 240, sowie 341 f. Nr. 30. In Juan Manuels Libro Enfenido, ed. José Manuel Blecua, Don Juan Manuel. Obras completas I (= Biblioteca Románica Hispánica IV. Textos, 15), Madrid 1982, S. 141 – 189, hier: S. 159 (c. IV), etwa heißt es: Et pues los reys tienen lugar de Dios en la tierra, während in

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kirchliche Hierarchie geprägte Wyclif128, aber auch noch der Jesuit Adam Contzen, der 1629 erklärte129 : Dei imago eminentissima est princeps. Gelegentlich ist mit dieser Vorstellung aufs engste die Ansicht verknüpft, daß der Herrscher als göttliches Abbild gleichsam ein Gott auf Erden sei. Rex quasi semideus erklärte der Augustiner-Eremit Aegidius Romanus130 um 1278 in seinem für Philipp IV. von Frankreich verfaßten, äußerst erfolgreichen Fürstenspiegel, bevor er von 1301/02 an als strenger Verfechter der päpstlichen Oberhoheit auch in weltlichen Angelegenheiten auftrat; rex sicut Deus in mundo definierte etwa 1265 sein älterer Zeitgenosse und Lehrer131, der doctor angelicus Thomas aus dem Geschlecht der Grafen von Aquino. Aber auch der Doctor utriusque iuris Baldus de Ubaldis († 1400)132 und sein berühmter Lehrer Bartolus von Sassoferrato († 1357)133 vertraten diese Auffassung, und ebenfalls der sog. Oberrheinische Re-

den Siete Partidas steht: el rey es puesto en la tierra en lugar de Dios (zit. nach Vones [Anm. 73] S. 155; vgl. auch Nieto Soria [Anm. 73] S. 715 ff.). Zu den Siete partidas vgl. J. Lalinde Abadía, Siete Partidas, in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995), Sp. 1878 f. 128 Tractatus de officio regis (wie Anm. 111) S. 13 (rex gerit ymaginem deitatis Christi sicut episcopus ymaginem sue humanitatis), S. 137 (regalis auctoritas precellit auctoritatem sacerdotalem secundum racionem multiplicem. Primo quia illa habet similitudinem vicariam deitatis), S. 4, 5, 12 und 137 (vicarius dei oder deitatis oder christi), S. 5 = 197 (gerunt regalem imaginem dei); vgl. dazu Justus Hashagen, Staat und Kirchen vor der Reformation. Eine Untersuchung der vorreformatorischen Bedeutung des Laieneinflusses in der Kirche, Essen 1931, S. 539. – In der Mitte des 13. Jahrhunderts sprach auch der englische Jurist Henry Bracton von der königlichen similitudo Jesu Christi (vgl. Anm. 170). 129 Politicorum libri decem, Köln 21629, Epistola dedicatoria (S. 1). 130 De reg. princ. III 2 c. 32 (wie Anm. 126) S. 544: decet nobiles et ingenuos esse magis bonos & virtuosos quam ciues alios: propter quod regem ipsum tanquam omnibus excellentiorum decet esse optimum & quasi semideum. Vgl. dazu I 1 c. 6 (S. 19): Dictum est enim, quod decet Principem esse supra Hominem & totaliter diuinum. 131 De reg. princ. I 12 (wie Anm. 124) S. 18 f.: Hoc igitur officium rex suscepisse cognoscat, ut sit in regno sicut in corpore anima, et sicut Deus in mundo. 132 Baldi Ubaldi Perusini iurisconsulti consiliorum sive responsorum volumen primum (-quintum), Venetiis 1575 = ND Turin 1970, hier: I fol. 102v (= Cons. 328.7: Imperator dominus totius mundi … Item est deus in terris …). – Zu Baldus vgl. P. Weimar, Baldus de Ubaldis, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980) Sp. 1375 f., sowie Joseph Canning, The Political Thought of Baldus de Ubaldis, Cambridge 1987, S. 213 (corporalis deus), und Helmut G. Walther, Die Legitimität der Herrschaftsordnung bei Bartolus von Sassoferrato und Baldus de Ubaldis, in: Gerhard Mock / Georg Wieland (Hgg.), Rechts- und Sozialphilosophie des Mittelalters, Frankfurt/M. 1990, S. 115 – 139, besonders 124 f. und 130. 133 Vgl. den Kommentar des Bartolus zum Kaisergesetz Heinrichs VII. vom 2. April 1313 („Ad reprimenda“, ed. Jacob Schwalm, MGH Const. IV 2, Hannover und Leipzig 1909 – 1911, S. 965 Nr. 929) im Tractatus super Constitutione … Ad reprimendum (ed. Omnia quae extant opera X, Venedig 1590, S. 261 ff. Nr. 5): Princeps est Deus in terris … Est enim Deus in terris (zit. nach Kallen, Aeneas Silvius Piccolomini [Anm. 112], S. 43 Anm. 73b). – Zu Bartolus vgl. P. Weimar, Bartolus de Saxoferrato, in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980) Sp. 1500 f., sowie Walther (wie Anm. 132).

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volutionär134, als er um 1500 schrieb: So sol ein keiser in der clarheit sin eins mit gott … So ist er ein irdischer gott. Selbst Martin Luther stand noch in der gleichen Tradition, als er in seiner Auslegung des 82. Psalms über die Regenten feststellte135: Gott wil sie lassen Götter sein über menschen. In der praktischen Politik fand dieser Gedanke 1440 ebenfalls seine Anwendung, als Dr. Heinrich Leubing als Bote und Sprecher der Kurfürsten den Herzog Friedrich von Österreich von seiner Wahl zum König unterrichtete und dabei den Kaiser als deus terrestris bezeichnete136. Doch hatte zuvor schon, nämlich 1408, Dietrich von Nie(hei)m unter Rückgriff auf Flavius Vegetius Renatus, den spätantiken Verfasser eines im Mittelalter bekannt ge134

Das Buch der hundert Kapitel und der vierzig Statuten des sogenannten Oberrheinischen Revolutionärs, ed. Annelore Franke, Berlin 1967, S. 206 (in dem Kapitel: Ein darthu˚ n, wie gott ist) und S. 284 ([34. Kap.]: … das boß zu˚ stroffen als ein irdischer gott … Wie gott, sin himelsherr, also sol er gewaldt haben) sowie 401 ([75. Kap.]: Ich hab obgemelt, wie gott sim himel [regiert], so ein keiser die welt, in der liebe gottes, noch den worten gottes) und 480 ([24 Stat.]: das 24. statut, waß ein keisser sig, womit er von gott begobt ist, was in zier vnd in glich macht gott in sim obresten tron … – … Dorumb, wan ein keisser sin schwert noch dem bu˚ chstaben brucht, so ist er ein irrischer gott); zum Werk und seinem Autor vgl. ebd. S. 11 – 162: Gerhard Zschäbitz, Historisches zum Buch der hundert Kapitel, besonders 34 – 41, sowie Klaus H. Lauterbach, Der „Oberrheinische Revolutionär“ und Mathias Wurm von Geudertheim. Neue Untersuchungen zur Verfasserfrage, in: DA 45 (1989) S. 109 – 172. 135 Kritische Gesamtausgabe 31, 1, Weimar 1913, S. 182 – 218 (Der 82. Psalm ausgelegt), hier: 191. – Vgl. auch die Vorstellung, die Erasmus von Rotterdam im 1. Kapitel (De Nativitate et educatione Principis Christiani) seiner Institutio Principis Christiani von 1515 über den König als imago dei äußerst (vgl. Werner Welzig [Hg.], Ausgewählte Schriften V, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gertraud Christian, Darmstadt 21990 [= 1995], S. 154: Ita vere magni Principis est, ut aeterni Principis imaginem referentis … . Deus … inter homines evidentem ac vivam sui collocavit imaginem, Regem; vgl. auch S. 222/224: At Princeps Dei simulacrum quoddam est, si vere Princeps sit.), die allerdings nicht mehr „theokratisch“, sondern „ethisch“ fundiert gewesen sein soll; vgl. dazu Eberhard von Koerber, Die Staatstheorie des Erasmus von Rotterdam, Berlin 1967, S. 76 und 79, und Ludwig Schrader, Der Herrscher nach Erasmus von Rotterdam, in: Hecker (Hg.), Der Herrscher (wie Anm. 39), S. 179 – 201, besonders 193. Natürlich bedeutet die Verwendung gleicher Begriffe in verschiedenen Traktaten und zu unterschiedlichen Zeiten nicht zwangsläufig ein identisches Verständnis des Begriffsinhaltes und es bedarf ohne allen Zweifel noch einiger Bemühungen, um durch eine Sichtung entsprechender Texte zu einer differenzierten und nuancierten Deutung der traditionellen Termini zu kommen, aber inwieweit wirklich ein Gegensatz zwischen ,theokratisch‘ und ,ethisch‘ besteht, bedarf ebenfalls noch genauerer Untersuchung. Andere Äußerungen des Erasmus lassen immerhin einen sakralen (nicht theokratischen) Verständnishorizont erkennen; vgl. etwa von Koerber (S. 40, 50 – 54, 66, 75 f.) sowie die Institutio, a.a.O., S. 150 (At tu … Princeps, cum audis aut legis te Dei simulacrum esse, te Dei vicarium esse, cave ne quid hinc intumescas animo …), 186/188 (… Regiam dominationem omnium excellentissimam judicat Aristoteles, eamque maxime divinam appellat, quod ea res quiddam homine majus habere videatur.), 214 (Quod Deus in universo, quod sol in mundo, quod oculus in corpore, hoc oportet esse Principem in Republica.). 136 RTA 15 (1440 – 1441), hg. von Herrmann Herre, Göttingen 1957, Nr. 106, hier S. 184: …, quod tua serenitas a domino tanquam Aaron ad regale sacerdotium et supremum Cristi ministerium advocata constituta est in successorem omnium, de quo modo dixeram, caput temporale, monarcham et patricium universi orbis, patrem omnium, deum terrestrem, principem victoriosissimum, legem animatam, …

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bliebenen Militärhandbuches137, gegenüber Ruprecht von der Pfalz138 vom Kaiser gesprochen als von einem tanquam presenti et temporali Deo. An der Ansicht von einer Berufung der Herrscher durch Gott, als dessen Stellvertreter, ministri139, Vögte140, villici141 und Lehnsleute142 die Könige auch noch im späteren Mittelalter betrachtet worden sind, hat sich trotz der Durchsetzung des Universalprimats143 und der göttlichen Vikariatsstellung der Nachfolger Petri144 seit 137 Ed. Alf Önnerfors, P. Flavii Vegeti Renati Epitoma rei militaris, Stuttgart – Leipzig 1995, S. 61: Nam Imperator [Variante: Imperatori] cum Augusti nomen accepit, tamquam praesenti et corporali Deo fidelis est et praestanda deuotio et inpendendus peruigil famulatus …; vgl. dazu Funder (wie Anm. 98) S. 178 f. 138 Nemus Unionis, ed. S. Schard, Historiae Theoderici de Niem … Libri IIII, Basel 1566, S. 475 (VI 33), zit. nach Funder (wie Anm. 98) S. 178; vgl. die von Dietrich von Nie(hei)m um 1413/14 verfaßte Cronica, hg. von Katharina Colberg und Joachim Leuschner, Historischpolitische Schriften des Dietrich von Nieheim (= MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters V 2), Stuttgart 1980, S. 143 – 292, hier S. 148: tamquam presenti et corporali deo. 139 Johannes von Salisbury, Policratius VIII 18 (wie Anm. 120), Bd. 2, S. 358: Ministros Dei; vgl. dazu und zum folgenden Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 39, siehe aber auch die Formulierung von Aegidius Romanus in: De eccl. potestate III 1 (wie Anm. 125) S. 147: rex est minister Dei, oder Dietrich von Nie(hei)ms Cronica (wie Anm. 138) S. 147: Et imperator dei minister est, … – Zum Kirchenverständnis des Johannes von Salisbury allg. vgl. Georg Miczka, Das Bild der Kirche bei Johannes von Salisbury, Bonn 1970. 140 Vgl. Anm. 98 und das wohl um 1250 entstandene altnorwegische Speculum regale ,Konungs Skuggsjá‘ [hg. von F. Jónsson], Kopenhagen 1920, sowie dazu Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 177; E. M. Jónsson (wie Anm. 106) S. 400 – 406, und Sverre Bagge, The Political Thought of the King’s Mirror, Odense 1987, der gegen Berges betont, daß die in dem Königsspiegel vertretene sakrale Idee vom Königtum, die ein „concept of the king as God’s elect“ (S. 211) war und vor allem die richterliche Funktion des Herrschers als gleichsam göttlich hervorhob (ebd.: „When treating the king as a judge, he points out that God is also a judge and that the king’s power of life and death is a reflection of God’s power, and he presents God as the example for the king to imitate when judging.“ sowie: „… the king imitates God as sovereign and judge over his people …“), nicht mit einer fortschrittlichen ,säkularen Ansicht vom Staat‘ einherging (vgl. ebd. S. 213). 141 Vgl. Anm. 105 sowie das Prooemium zu den Konstitutionen von Melfi, ed. Stürner, Rerum necessitas et divina provisio (wie Anm. 88), S. 551 (= MGH Const. Suppl. II [Anm. 92] S. 147, wo es über die principes heißt: ut villicationis sibi commisse perfecte valeant reddere rationem), und Johannes von Limoges, Morale somnium Pharaonis sive de regia disciplina, Epist. XI, ed. Joh. Albert Fabricius, Codex pseudepigraphus Veteris Testamenti, Vol. I, Hamburg 1722, S. 471. 142 Vgl. Anm. 96 sowie Heinrich Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Weimar 1933 [ND Darmstadt 1972], S. 322 mit Anm. 178, und Ferdinand Werner, Königtum und Lehnswesen im französischen Nationalepos, in: Roman. Forsch. 25, Erlangen 1908, S. 321 – 443, besonders 322. 143 Zu diesem vgl. R[udolf] Schieffer, Primat, in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995) Sp. 210 f. 144 Vgl. dazu Adolf von Harnack, Christus praesens – Vicarius Christi. Eine kirchengeschichtliche Skizze, in: SBB Akad. Berlin, philos.-hist. Kl., Berlin 1927, S. 415 – 446; Michele Maccarrone, Vicarius Christi. Storia del titolo papale (= Lateranum NS XVIII 1 – 4), Roma 1952; ders., Il sovrano „vicarius die“ nell’alto medioevo, in: La regalità sacra. Contributi al

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der Mitte des 11. Jahrhunderts und trotz aller Differenzierung des staatstheoretischen Denkens145 seit dem sog. Investiturstreit im Grunde wenig verändert. Die Herrscher selbst wie ihre philosophisch-theologisch geschulten Ratgeber hielten, während sich zur gleichen Zeit auch andere Staatslehren (fort)entwickelten146, an der überlieferten Anschauung erfolgreich fest, paßten sie gelegentlich der Zeit an147 und erhielten dabei unter Umständen sogar Unterstützung aus dem stärker kirchlich orientierten Lager, wie das Beispiel des Johannes von Salisbury oder des Thomas von Aquin lehrt. Lediglich das im früheren Mittelalter deutlich geäußerte Vertema dell’VIII congresso internazionale di storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), Leiden 1959, S. 581 – 594, und Ullmann, Principles (wie Anm. 48), S. 52 ff. 145 Vgl. dazu etwa Wilhelm Kölmel, Regimen Christianum. Weg und Ergebnisse des Gewaltenverhältnisses und des Gewaltenverständnisses (8. bis 14. Jahrhundert), Berlin 1970; Alois Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 41973. 146 Vgl. Anm. 106 sowie mit Blick etwa auf Wilhelm von Ockham: Wilhelm Kölmel, Wilhelm von Ockham und seine kirchenpolitischen Schriften, Essen 1962; Miethke, Weltanspruch (wie Anm. 106), S. 408 – 416; ders., Ockhams politische Theorie, in: ders., Wilhelm von Ockham, Dialogus. Auszüge zur politischen Theorie, Darmstadt 21994, S. 209 – 242; Bernhard Töpfer, Zur Wirksamkeit ideologischer Vorstellungen in der mittelalterlichen Gesellschaft. Ockhams und Wyclifs Positionen zur kirchlichen und weltlichen Ordnung, in: Bea Lundt / Helena Reimöller (Hgg.), Von Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters für und mit Ferdinand Seibt aus Anlaß seines 65. Geburtstags, Köln u. a. 1992, S. 265 – 284, besonders 271 – 202, oder auf Marsilius von Padua: Struve (wie Anm. 106) S. 257 – 288 sowie die in Anm. 100, 147 und 195 verzeichnete Literatur, oder auf Engelbert von Admont: Miethke, Weltanspruch, S. 393; Andreas Posch, Die staats- und kirchenpolitische Stellung Engelberts von Admont, Paderborn 1920; Ottokar Menzel, Bemerkungen zur Staatslehre Engelberts von Admont und ihrer Wirkung, in: Edmund E. Stengel (Hg.), Corona Quernea. Festgabe für Karl Strecker, Leipzig 1941, S. 390 – 408; Erna Josefine Buschmann, Rex inquantum rex. Versuch über den Sinngehalt und geschichtlichen Stellenwert eines Topos in „De regimine principum“ des Engelbert von Admont, in: Albert Zimmermann (Hg.), Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters, Berlin 1970, S. 303 – 333; dies., Ministerium Dei – idoneitas. Um ihre Deutung in den mittelalterlichen Fürstenspiegeln, in: HJb 82 (1963) S. 70 – 102, besonders 85 – 88; Marlis Hamm, Engelbert von Admont als Staatstheoretiker, in: SM OSB 85 (1974) S. 343 – 495; dazu Karl Ubl, Engelbert von Admont. Forschungsbericht 1970 – 1995, in: Zeitschrift des Hist. Vereins für Steiermark 87 (1996) S. 15 – 39, besonders 32 – 37, sowie ders., Engelbert von Admont. Ein Gelehrter im Spannungsfeld von Aristotelismus und christlicher Überlieferung, München 2000, S. 73, und Struve (wie Anm. 106) S. 196 – 210. – Zu der in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung besitzenden Rezeption der aristotelischen Philosophie und Staatsauffassung vgl. etwa Martin Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Staat, in: ders., Gesammelte Akademieabhandlungen 1, Paderborn 1979, S. 809 – 965 [erstmals München 1934, in: SBB Akad. München, Heft 2], oder Kurt Flasch, Einführung in die Philosophie des Mittelalters, Darmstadt 31994, S. 135 – 147. 147 Vgl. dazu etwa Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), passim, und Walther, Imperiales Königtum (wie Anm. 85), S. 159, der etwa auf die Bedeutung der Rezeption des aristotelischen Naturrechts für die spätmittelalterliche Anschauung von der weltlichen Herrschaft hinweist, aber auch Wolfgang Sürner, Adam und Aristoteles im „Defensor Pacis“ des Marsilius von Padua. Ein Vergleich mit Thomas von Aquin und Jean Quidort, in: Rivista di storia della filosofia medievale 6 (1980) S. 379 – 396.

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ständnis vom sazerdotalen Charakter148 des Königs mußte angesichts der immer selbstbewußter auftretenden geistlichen Gewalt und des Unterfangens, den Laienstand der Könige zu betonen149, stärker modifiziert werden. In dieser Hinsicht führte das Studium der Fürstenspiegel vom 12. bis zum 14. Jahrhundert Wilhelm Berges daher auch zu dem Urteil150 : „Man tut … gut, sich den Unterschied zwischen der göttlichen Sanktion des Königtums und der Sanktion sakraler Aufgaben und Funktionen des Königs … klar zu machen. Keiner der vielen Fürstenspiegelautoren, auch der französischen, spricht von sakralen Funktionen des Königs … Der König ist niemandem ,mediator cleri et plebis‘, wie der deutsche Ordo sagte151. Statt Anteil am Lehramt zu haben, erscheint er [der König] vielmehr den kirchlichen Lehren unterstellt, ihrer Deutung des ius divinum selbst, soweit sie in den kanonischen Satzungen Niederschlag findet, unterworfen, und die Billigung seiner Regierungsgrundsätze obliegt damit der Kirche (Johann von Salisbury, Gilbert von Tournai u. a.). Er wird ferner zwar noch des öfteren ,pastor‘ genannt, aber man mochte hierbei teils alttestamentliche Vorstellungen erneuern und die königlichen Pflichten mit dem beliebten Bilde illustrieren, teils wirklich die seelsorgerische Verantwortlichkeit des Königs betonen wollen – auf keinen Fall zog das königliche Hirtenamt Funktionen des kirchlichen nach sich. Mit einem Wort, nur in liturgischen Floskeln gilt der König noch als ,particeps ministerii‘152 des Klerus.“ Doch ist es nötig, dieses hauptsächlich aus dem Studium nur einer Quellengattung gewonnene Urteil etwas zu korrigieren. ,Sakrale Funktionen‘ als Spender von Sakramenten hat, so weit erkennbar, der christliche König auch im Frühmittelalter nie besessen; und ein kirchliches Lehramt übte er ebenfalls nie eigenständig und losgelöst von geistlicher Beratung aus153. Seine priestergleiche Stellung gründete vielmehr in einer Vorbildfunktion und gelegentlich in einer allgemeinen Unterweisung des Volkes154, allenfalls noch in einem Aufsichtsrecht zur Abstellung von Mißbräuchen und Fehlentwicklungen155. 148

Vgl. Anm. 57 – 60. Vgl. dazu etwa Humbert da Silva Candida und seine ,Libri tres adversus simoniacos‘, ed. Friedrich Thaner, MGH LdL 1, Hannover 1891, S. 95 – 253 (etwa S. 203 – 206 [III 5 – 7]), oder die Krönungsordnung von 1442, ed. RTA 16 (Anm. 96) S. 180 (c. 5), wo es (entsprechend dem spätmittelalterlichen ordo coronationis [Anm. 159] S. 386 Z. 45 f.) heißt: … et quia rex tamquam illiteratus et laicus premissas interrogaciones et earum responsiones in latino dictas non intelligit, … 150 Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 35 f. 151 Vgl. Anm. 54. 152 Vgl. Anm. 55. 153 Vgl. etwa die Erörterungen des Frankfurter Konzils von 794: Opus Caroli regis contra synodum, hg. von Freeman (wie Anm. 61), und dazu: 794 – Karl der Große in Frankfurt am Main. Ein König bei der Arbeit. Ausstellung zum 1200-Jahre-Jubiläum der Stadt Frankfurt am Main, Sigmaringen 1994 (darin vor allem S. 25 – 34: Johannes Fried, Karl der Große in Frankfurt am Main. Ein König bei der Arbeit). 154 Vgl. Anm. 56. 155 Vgl. Anm. 58. 149

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Insofern trifft der pastor-Titel, auf den Berges verweist156 und der Ludwig dem Frommen schon im 9. Jahrhundert beigelegt worden ist157, recht genau die seelsorgerische Verantwortung, die der König auch noch im späteren Mittelalter besitzt158. In diesem Zusammenhang darf es daher auch nicht allzu gering veranschlagt werden, wenn – wie Berges es formuliert – der König „nur in liturgischen Floskeln“ „noch als ,particeps ministerii‘ des Klerus“ galt. Die Herrscherweihe, bei der auch in den spätmittelalterlichen Jahrhunderten während der Aufsetzung der Krone immer noch der Hinweis auf die königliche Teilhabe am Bischofsamt erfolgte159, war immerhin ein in Analogie zur Bischofsweihe160 stehender kirchlicher Akt, dessen symbolische Bedeutung wohl nicht unterschätzt werden darf. Das Einsetzen von Zeremoniell und rituellen Handlungen nicht nur als Mittel zur Selbstdarstellung der Monarchie, sondern ebenfalls zur Konstituierung und Evozierung von Herr156 Vgl. Anm. 105 sowie zu weiteren Belegen Berges, Fürstenspiegel (wie Anm. 105), S. 36 Anm. 2, sowie beispielsweise Philippus de Leyden De cura reipublicae et sorte principantis, hg. von R. Fruin en P. C. Molhuisen, ’s-Gravenhage 1900, S. 53 (cas. IX 26): Sciat etiam, quoniam ipse princeps pastor est populi sibi commissi, … 157 Ermoldi Nigelli Carmina in honorem Hludowici lib. II 66, ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae lat. 2, Berlin 1884, S. 26: Christicoloque fui [Ludwig der Fromme] pastor et arma gregi. 158 Vgl. dazu etwa die Ausführungen des papalistisch gesinnten Dominikaners Tholomäus von Lucca (zu diesem vgl. Struve [Anm. 106] S. 165 – 178 und 223 – 231, zum folgenden besonders 231), der in seiner Determinatio compendiosa de iurisdictione imperii auctore anonymo ut videtur Tholomeo Lucensi O. P., ed. Mario Krammer, MGH Fontes iur. ant. 1, Hannover 1909, S. 1 – 65, erklärt (S. 41 f., c. 20): Cum ergo creatura rationalis ordinata sit et producta, ut sit Dei capax, et hic est finis eius precipuus, …, ad hunc ergo fine consequendum, et si homo adiuvetur divina luce gratie, maxime vero manuducitur per mundi gubernatores tum per bone vite exempla, tum per cottidiana documenta, tum per correctionem continuam, ex qua ratione, …, mundi rectores Dei adiutores et cooperatores dicuntur sicut instrumenta principalis agentis, der mit dieser Ansicht freilich in Thomas von Aquin einen bedeutenden Vorläufer besaß; vgl. De reg. princ. I 15 (wie Anm. 124) S. 18 f.: Quia igitur vitae, qua in praesenti bene vivimus, finis est beatitudo coelestis, ad regis officium pertinet ea ratione vitam multitudinis bonam procurare, secundum quod congruit ad coelestem beatitudinem consequendam. 159 Vgl. etwa RTA 16 (wie Anm. 96) S. 178 Nr. 102 mit den Hinweisen auf den seit 1309 geltenden Krönungsordo, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH LL 2, Hannover 1837, S. 384 – 392 (ed. Eduard Eichmann, Kirche und Staat, II. von 1122 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts [= Quellensammlung zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 2], Paderborn 1914, S. 56 Nr. 25), besonders den Verweis auf MGH LL 2, S. 389 Z. 48 f. (… et per hanc te principem [so nun!, statt wie früher: participem] ministerii nostri non ignoras, ita ut sicut nos in interioribus pastores rectoresque animarum intelligimur, … = Mainzer Krönungsordo, ed. Vogel / Elze [Hgg.], Le Pontifical Romano-germanique I [Anm. 44], S. 257 [22]), sowie Walter Goldinger, Das Zeremoniell der deutschen Königskrönung seit dem späten Mittelalter, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 5 (1957) S. 91 – 111, besonders 105. 160 Vgl. dazu Eduard Eichmann, Königs- und Bischofsweise (= SBB Akad. München, Philos.-philol. und hist. Kl. Jg. 1928, 6. Abh.), München 1928, und Arnold Angenendt, Rex et Sacerdos. Zur Genese der Königssalbung, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin 1982, S. 100 – 118.

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schaft wie auch der sie tragenden Vorstellungen tat – neben anderen Herrschaftspraktiken – wohl immer noch seine Wirkung, wie etwa die Reimser Krönung Karls VII. im Jahre 1429 zeigt161; Konsensstiftung und -befestigung durch bestimmte Riten, wie sie sich außerhalb Europas etwa am Beispiel Balis162 ebenso aufzeigen ließen wie im Wechselspiel von König und Adel während der früheren Jahrhunderte des Mittelalters163, funktionierten auch noch im späten Mittelalter. Wenn die zweite Hälfte des Mittelalters auch durch eine schärfere Scheidung der Stände gekennzeichnet war und sich der deutsche König im 15. Jahrhundert durchaus als Laie bezeichnen lassen mußte164, so behielt er als christus domini, als Gesalbter des Herrn, doch weiterhin eine besondere Stellung in Kirche und Gesellschaft. Dem französischen roi thaumaturge wurde sogar von kirchlicher wie weltlicher Seite ausdrücklich versichert, er sei keine einfache personne laye, sondern vielmehr ein prelat ecclesiastique165, ein Prälat comme chef et la premiere Personne ecclesiastique166 ; ja, der Theologe, spätere Kanzler der Universität Paris und bedeutende Konstanzer Konzilsvater Jean Gerson sprach 1390 sogar vom roy espirituel et sacerdotal167. In England168 scheinen die Verhältnisse, wenn auch aus 161

Vgl. Heribert Müller, Karl VII. 1422 – 1461, in: ders. / Joachim Ehlers / Bernd Schneidmüller (Hgg.), Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888 – 1498, München 1996, S. 320 – 336, besonders 326. 162 Vgl. Clifford Geertz, Negara. The Theatre State in Nineteenth Century Bali, Princeton 1980, sowie dazu die Kritik von Burckhard Schnepel, Die Dschungelkönige. Ethnologische Aspekte von Politik und Ritual in Südorissa/Indien, Stuttgart 1997, S. 66 f. und 281, und Kölver (wie Anm. 4) S. 182 Anm. 5. 163 Vgl. Anm. 26. 164 Vgl. RTA 16 (wie Anm. 96) Nr. 102, hier S. 180 [5b]: rex [= Friedrich III.] tamquam illiteratus et laicus. 165 Vgl. P. S. Lewis, Jean Juvenal des Ursins and the Common Literary Attitude towards Tyranny in Fifteenth-Century France, in: Medium Aevum 34 (1965) S. 103 – 121, besonders 104 f., wo auf S. 104 aus Jeans Manuskript ,Verba mea auribus percipe, Domine‘ von 1452 (Bibl. nat., Ms. franç. 2701, fol. 89) zitiert wird: Et est ung roy comme ung vaillant prelat. Car au resgart de vous, mon souverain seigneur, vous nestes pas simplement personne laye mais prelat ecclesiastique, le premier en vostre royaume qui soit aprez le pape, le bras dextre de lesglise, sowie Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich, Das Wesen der Monarchie vom 9. bis 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates, 2 Bde., Darmstadt 21960, I, S. 254; Bloch, Wundertätige Könige (wie Anm. 70), S. 238 f. mit Anm. 58; P. S. Lewis, Later Medieval France. The Polity, New York 1968, S. 81 f.; André Leguai, Fondements et Problèmes du pouvoir royal en France (autour de 1400), in: Schneider (Hg.), Spätmittelalterliches Königtum (wie Anm. 25), S. 41 – 58, besonders 49 f. Zu Leben und Karriere des juristisch gebildeten Kaplans Karls VII., späteren Bischofs von Beauvais und Erzbischofs von Reims (1388 – 1473), vgl. Ferdinand Maton, La Souveraineté dans Jean II Juvénal des Ursins, Paris 1917, S. 39 – 43, zu seinen Vorstellungen vom Königtum S. 96 f. 166 Denkschrift des Jean Juvénal des Ursins für Karl VII. von 1452, ed. Noël Valois, Histoire de la Pragmatique Sanction de Bourges sous Charles VII, Paris 1906, S. 206 – 250 [Nr. 84], hier 216. 167 Sermon Nr. 342 (Adorabunt eum [Pour l’Epiphanie, prononcé le 6 janvier 1391 en présence du roi]), éd. par Mgr. Glorieux, Jean Gerson. Œuvres complètes VII 2, L’œuvre

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einer anderen Tradition heraus, vergleichbar, jedoch insgesamt weniger deutlich erkennbar zu sein. Das Gewand etwa, das der englische König bei der Krönung trug, ließ ihn seit dem 14. Jahrhundert nicht mehr als reinen Laien erscheinen169; freilich wird dies weniger von Bedeutung gewesen sein als etwa jene Darlegungen des berühmten englischen Juristen Henry Bracton († 1268), in denen der König als vicarius Dei170 vorgestellt wird, oder die Einstellung eines William Lyndwood (Lyndewode), der im 15. Jahrhundert sich mit ausdrücklicher Zustimmung darüber äußerte, quod Rex unctus non sit mere persona laica, sed mixta171. John Wyclif schließlich, der große Antipapalist, konnte im 14. Jahrhundert einen Standpunkt vertreten, der dem von Jean Gerson etwas später geäußerten172 vergleichbar ist, nämlich daß die königliche Gewalt ein dem Priestertum übergeordneter ordo in ecclesia sei173. française, Paris 1968, S. 519 – 538, hier: 530. Vgl. dazu Marc Bloch, Les rois thaumaturges. Étude sur le caractère surnaturel attribué à la puissance royale particulièrement en France et en Angleterre, Paris 1924, S. 171, und Jacques Krynen, Idéal du prince et pouvoir royal en France à la fin du moyen âge (1380 – 1440). Étude de la littérature politique du temps, Paris 1981, S. 237, sowie Carl Schäfer, Die Staatslehre des Johannes Gerson, (Diss. Köln) Bielefeld 1935, S. 51 f. Zu Gerson vgl. R[emigius] Bäumer, J[ohannes] Carlerius de Gerson, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991) Sp. 561 f., und Heribert Smolinsky, Johannes Gerson (1363 – 1429), Kanzler der Universität Paris, und seine Vorschläge zur Reform der Theologischen Studien, in: HJb 96 (1976) S. 270 – 295, besonders 271 f. 168 Vgl. zum folgenden Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 2), S. 126 – 139, sowie zur im Wesenskern unveränderten Fortdauer des englischen Königtums den Hinweis von John B. Gillingham, Crisis or Continuity? The Structure of Royal Authority in England 1369 – 1422, in: Schneider (Hg.), Spätmittelalterliches Königtum (wie Anm. 25), S. 59 – 80, besonders 61 Anm. 13. 169 Vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 2), S. 133 ff. 170 De legibus et consuetudinibus Angliae libri quinque, Vol. I, ed. Travers Twiss, Rolls Series 70/I, London 1878, S. 38 (Et quod sub lege esse debeat [scil. rex], cum sit Dei vicarius, evidenter apparet ad similitudinem Jesu Christi, cujus vices gerit in terris, …); ed. by George E. Woodbine, translated by Samuel E. Thorne, Bracton on the laws and customs of England, 4 Bde., Cambridge/Mass. 1968 – 1977, hier Bd. 2, 1968, S. 33. Zu Bracton vgl. B. Lyon, H[enricus] de Bracton, in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989) Sp. 2137. – Die Vorstellung vom Herrscher als vicarius Christi – zu ihr vgl. auch Fritz Schulz, Bracton on Kingship, in: EHR 60 (1945) S. 136 – 176, besonders 147 ff. sowie 138 ff. (A 8, 16, 22 und 23), 143 (B 2) und 144 (C 4), und Wiebke Fesefeldt, Englische Staatstheorie des 13. Jahrhunderts. Henry de Bracton und sein Werk, Göttingen 1962, S. 48 f. und 57 – 61 – ist in England auch noch etwa ein Jahrhundert später bezeugt, vgl. den Tractatus de regibus, ed. Jean-Philippe Genet, Four English Political Tracts of the Later Middle Ages, London 1977, S. 5 – 19, hier 8 (c. 3), wo mit Bezug auf Augustinus erklärt wird: kynge is vicar of God, and preste vicar of Criste. 171 Provinciale (von Canterbury) lib. III tit. 2 (ed. Oxford 1679), S. 126, zitiert in: Monumenta Ritualia Ecclesiae Anglicanae, by William Maskell, Vol. III, London 1847, S. XV mit Anm. 23; J. Wickham Legg, The Sacring of the English Kings, in: The Archaelogical Journal Vol. 51 No. 201 (= Second Series, Vol. I No. 1), London 1894, S. 28 – 43, besonders 28 mit Anm. 1; Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 2), S. 138. 172 Vgl. Anm. 167. 173 Tractatus de officio regis c. 1 (wie Anm. 111) S. 10 f.: Ex istis patet quod regia potestas, que est ordo in ecclesia, stat cum mortale, eciam in prescito … Vgl. dazu allg. auch ebd. S. 4

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Thomas Cranmer schließlich erklärte am 20. Februar 1547 als Erzbischof von Canterbury während der Krönung Edwards VI., der in seinem Herrschaftsbereich weiterhin als Stellvertreter Gottes verstanden wurde, ganz unbefangen, daß die Salbung als reine Zeremonie nur Gottes Willen bestätigte und der König von Gott auserwählt und sein Gesalbter sei, auch wenn die kirchliche Weihe mit heiligem Öl unterbliebe174. Damals hatten die Tudors schon die ,royal Supremacy‘ errungen und die englischen Könige an die Spitze der anglikanischen Kirche geführt175, doch hatte bereits 1359 der königliche Richter Skipwith die gesalbten Könige zur geistlichen Gerichtsbarkeit für befähigt gehalten176 und Edward III. 1360 entsprechend gehandelt177. Und wie sah es im Reich aus, wo es keine krankenheilenden Herrscher gab und sich weder eine eigene religion royale noch eine royal supremacy entwickelte? Hier hatte man zweifellos von dem stark sazerdotal geprägten Königsbild des früheren Mittelalters Abschied nehmen müssen, aber völlig aufgegeben worden ist es nicht. Nicht nur wurde bei Gelegenheit auf das rex et sacerdos-Beispiel zurückgegriffen, das der alttestamentliche König Melchisedech bot178, sondern vor allem nutzten und 10 ff. sowie Hashagen, Staat und Kirche (wie Anm. 128), S. 539, wo von der königlichen Gewalt als einer potestas spiritualis et evangelica die Rede ist. 174 Die Ansprache des Erzbischofs ist ediert bei: [John] Strype’s Memorials of Archbishop Cranmer Vol. II, Oxford 1848, S. 7 ff. (wichtig besonders S. 8), und John Edmund Cox, The Works of Thomas Cranmer II, Miscellaneous Writings and Letters of Thomas Cranmer, Cambridge 1846, S. 126 f. (wichtig besonders S. 126): The solemn rites of coronation have their ends and utility, yet neither direct force or necessity: they be good admonitions to put kings in mind of their duty to God, but no increasement of their dignity; for they be God’s anointed – not in respect of the oil, which the bishop useth, but in consideration of their power, which is ordained, of their sword, which is authorised, of their persons, which are elected by God, and endued with the gifts of his Spirit, for the better ruling and guiding of his people. The oil, if added, is but a ceremony: if it be wanting, that king is yet a perfect monarch notwithstanding, and God’s anointed, as well as if he was inoiled. – Zu Cranmer vgl. Marie-Luise Ehrenschwendtner, Cranmer, in: RGG 2 (41999) Sp. 483, sowie Diarmaid MacCullogh, Thomas Cranmer, A Life, New Haven/London 1996, S. 364; vgl. auch ebd. S. 349: Your Majesty is God’s vice-gerent and Christ’s vicar within your own dominions, … 175 Vgl. Anm. 3. 176 Reges s. oleo uncti sunt spiritualis iurisdictionis capaces; zitiert nach Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 2), S. 268 Anm. 4 zu S. 135, und J. Wickham Legg, The Coronation of the Queen (= The Church Historical Society 42), London 1898, S. 6 Anm. 2 (mit dem Verweis auf „Sir Anthony Fitzherbert, La Graunde Abridgement, London, Richard Tottell, 1577, fo. 35, line 15 from bottom.“), wo es heißt: Regis [sic!] sancto oleo uncti sunt spiritualiter [sic!] Iurisdictionis Capaces. 177 Vgl. dazu neben den in der vorhergehenden Anm. angeführten Hinweisen etwa auch das Vorgehen bei der Bestellung eines Koadjutors für den amtsunfähigen Bischof von Hereford im Jahre 1360 durch Edward III.: Thomas Rymer, Foedera, conventiones, litterae, et cujuscunque generis acta publica … accurantibus John Caley et Peter Holbrooke, Vol. III 1, London 1825, S. 467. 178 Vgl. dazu Hashagen, Staat und Kirche (wie Anm. 128), S. 544 f., sowie Schubert, König und Reich (wie Anm. 87), S. 36 mit Anm. 9, und z. B. die Reformation Kaiser Sieg-

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Karl IV. und seine Nachfolger bis hin zu Karl V. die Chance, den eigentümlich an die geistliche Sphäre heranreichenden Charakter des Königtums auf besondere Weise wieder stärker zu betonen: durch die Evangelienlesung im liturgischen Rahmen bei entsprechenden Anlässen, nämlich in der Weihnachtsmette (Matutin) des Stundengebets durch die Lesung von Lk 21: Exiit edictum a Caesare Augusto sowie durch die Lesung des Evangeliums in der Krönungsmesse179. Die Hintergründe für die Entwicklung dieses Brauchs und seine Variationen brauchen hier nicht zu interessieren, sie sind von Hermann Heimpel in mehreren Untersuchungen mustergültig ausgebreitet worden180. Wichtig ist vielmehr das sowohl von Heimpel als auch von Ernst Schubert gegenüber irrigen älteren Auffassungen181 vertretene ,imperiale‘ Verständnis dieser Akte: Nicht einen geistlichen Rang, den sie in der Regel auch gar nicht besaßen182, wollten die Könige und Kaiser durch ihren liturgischen Auftritt betonen, „sondern als rex Romanorum die Nachfolge des Kaisers Augustus, der die weltliche Herrschaft innehatte, als Christus geboren wurde183. Die königlich-kaiserliche Evangelienlesung gestaltete sich damit zu einem Akt politischer Liturgik184 und bildete in nicht geringem Maße auch das „Instrument eines“ munds, hg. von Heinrich Koller, MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters VI, Stuttgart 1964, S. 242. 179 Zur spätmittelalterlichen Krönungsliturgie, die die königliche Evangeliumslesung allerdings nicht zwingend vorschreibt, vgl. MGH LL 2 (wie Anm. 159) S. 391 f. (Hiis omnibus ita peractis, legatur euangelium secundum Matheum: Cum natus esset Iesus … [bis] … in regionem suam [Mt 2, 1 – 12]) und Goldinger (wie Anm. 159) S. 106. 180 Vgl. die Aufsätze: Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: DA 39 (1983) S. 131 – 206; Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft, Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin/New York 1982, S. 388 – 411; Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung, in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Kirche und Reich, Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter, Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 447 – 459. 181 Zu diesen vgl. Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 180), S. 131 ff. 182 Karl IV. hatte wohl die niederen Weihen empfangen und wird gelegentlich als Akoluth bezeichnet (in der Leichenrede, die Johannes von Jenzenstein – nicht Johannes Ocko von Vlasim – 1378 auf den Kaiser hielt, ed. Josef Emler, Fontes rerum Bohemicarum 3, Prag 1882, S. 423 – 432, hier 429: Ipse enim fuit ordinatus accolitus et eciam rex et imperator inunctus; vgl. dazu Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter [wie Anm. 180], S. 134 f. mit Anm. 11), aber Diakon ist – entgegen mancher geäußerten Meinung (Beispiele sind verzeichnet von Heimpel S. 132) – kein deutscher König bei der Kaiserweihe geworden: Vgl. dazu Eduard Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und der Kirchenpolitik I: Gesamtbild, Würzburg 1942, S. 282 f., sowie Heimpel, a.a.O., S. 132 ff. 183 Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späten Mittelalter (wie Anm. 180), S. 140 = Schubert, König und Reich (wie Anm. 87), S. 38. 184 Vgl. Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 180), S. 152.

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auf einen bestimmten Augenblick bezogenen „politischen Wollens“185, sie war damit „Politik des Tages“186 – wie etwa 1347 in Basel187 –, aber eben nicht nur „bloße Tagespolitik“188, sondern doch auch mehr, nämlich Ausdruck herrscherlicher Sakralität189 : Indem der König (oder der Kaiser) das Evangelium las, verkündete er wie ein Priester „,Worte des Lebendigen Gottes‘ innerhalb der geistlich vornehmsten, weil dem Evangelium entnommenen dritten Nokturn“190. Wie nahe der seinen liturgischen Dienst versehende Herrscher damit dem geistlichen Stand rückte oder – anders formuliert: wie sehr er sich damit aus der Schar der übrigen Laien heraushob, und eben nicht nur wie ein einfacher, wenn auch vornehmer Laie, der dazu gelegentlich bei der vom Papst an Weihnachten gefeierten zweiten Nokturn herangezogen werden konnte191, den Lektordienst versah, das zeigt sich auch daran, daß der Kaiser zur Lesung nicht nur geistliche Gewänder (Stola und Pluviale) anzog, sondern diese (zumindest 1468, 1529 und 1532) auch nach Art eines Priesters oder Bischofs und nicht nur wie ein Diakon trug192. In dieser geistlichen Gewandung präsentierte sich Friedrich III. – aber nicht nur er allein193 – ebenfalls auf seinem Majestätssiegel194. 185

Ebd. S. 154. Ebd. S. 155. 187 Vgl. ebd. S. 148 – 157. 188 Ebd. S. 155. 189 Ebd.: „Und es war doch etwas anderes, …, in der Sakralität des Königtums das Evangelium Primum …,Worte des lebendigen Gottes‘ zu verkünden“. 190 Ebd. S. 148. 191 Vgl. ebd. S. 135 und 140 – 148. 192 Vgl. ebd. S. 191 und 202 f. sowie des Augustinus Patritius Descriptio adventus Friderici III. imperatoris ad Paulum papam (1469 Jan. 13), zit. ebd. S. 192: pluviale et stolam ad morem sacerdotem gestare, und dessen Caeremoniale von 1488 fol. 78, zit. ebd. S. 202 Anm. 240: ante pectus ut episcopi; vgl. Elisabeth Cornides, Rose und Schwert im päpstlichen Zeremoniell von den Anfängen bis zum Pontifikat Gregors XIII., Wien 1967, S. 38 und 57 f. sowie 140 (Auszug aus dem Caeremoniale des Augustinus Patritius), sowie generell zum „Caeremoniale des Agostino Patrizi und Johannes Burckhard“ Bernhard Schimmelpfennig, Die Zeremonienbücher der römischen Kirche im Mittelalter, Tübingen 1973, S. 136 ff. 193 Vgl. dazu künftig Franz-Reiner Erkens, Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae, fasc. 6, Praha 2003, S. 29 – 44, und Wilhelm Ewald, Siegelkunde, München/Berlin 41914 [ND Darmstadt 1978], Tafel 18 Nr. 3 und 5 (Sigismund), Tafel 25 Nr. 4 und 5 (Karl IV.), Nr. 7 (Maximilian I); Bertalan Kéry, Kaiser Sigismund. Ikonographie, Wien/München 1972, Abb. 92, 93, 95, 97 und 104, sowie Otto Posse, Die Siegel der Deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1913, 5 Bde., Dresden 1909 – 1913: I Tafel 51, 1 (Ludwig der Bayer, vgl. V S. 37), II Tafel 3, 4/6 und 5, 1 (Karl IV., vgl. V S. 41 f.), II Tafel 13, 3, Tafel 17, 1 und Tafel 18, 2/5 (Sigismund, vgl. V S. 45 – 48), II Tafel 19, 7 (Albrecht II., vgl. V S. 49), II Tafel 23, 1, Tafel 24, 3 (?), Tafel 25, 1, Tafel 26, 2 und Tafel 27, 1 (Friedrich III., vgl. V S. 49 und 51 f.). 194 Vgl. dazu die Descriptio adventus ([Anm. 192]: … ita, ut in magno caesareo sigillo sculptum vidimus, ubi imperator in sua maiestate sedens paludamento sacerdotali, et subtus stola in crucis modum ante pectus ornatus …) sowie Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst 186

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Ebensowenig wie im früheren Mittelalter wurde der Herrscher damit zu einem Priester im Vollsinne, ja, die Grenze zwischen Königs- und Priesteramt war nun wesentlich schärfer gezogen als früher und an der hierarchischen Unterordnung in spiritualibus konnte es überhaupt keinen Zweifel geben195, aber etwas sazerdotaler Glanz ist trotzdem geblieben und wurde nach Möglichkeit betont. Die liturgischen Auftritte in Christmette und Krönungsmesse, die sich ja in einem besonders feierlichen, fast ,heilig‘196 zu nennenden Rahmen vollzogen, brachten daher jedesmal auch den sakralen Gehalt der Königswürde in Erinnerung und zur Anschauung. In diesem Sinne ist es auch keinesfalls als eine Abwertung der herrscherlichen Position zu verstehen, sondern als eine Betonung der exzeptionellen Eigentümlichkeit der kaiserlichen Stellung in der Welt, wenn der Basler Professor für Kirchenrecht Peter von Andlau 1460 erklärt197: Attamen per hujusmodi consecracionem aut inunccionem non dicitur habere sacrum ordinem, sed sacram Majestatem. Der Basler Kanonist sieht in dem Kaiser also trotz seiner konservativ-kurialistischen Gesinnung eine sacra majestas, verweist den geweihten imperator zwar aus dem engeren Bereich des sacer ordo, also des sacerdotium, nicht jedoch aus der im späteren Mittelalter (wie Anm. 180), S. 202, und Ewald (wie Anm. 193) Tafel 14 Nr. 1 und 5. 195 Vgl. etwa, um nur Kritiker des kurialen Herrschaftsanspruchs in weltlichen Angelegenheiten anzuführen, das 3. Buch von Dantes Mon. XV 17 – 18 (wie Anm. 100) S. 274 oder den (den Zwang in Glaubensfragen weitgehend verwerfenden) Defensor pacis des Marsilius von Padua, hg. von Richard Scholz, MGH Fontes iuris antiqui 7, Hannover 1932/33, S. 231 f. (2. Dictio: IX 2, vgl. auch IX 7 [237]), sowie dazu Bielefeldt (wie Anm. 100) S. 94 – 101, besonders 96 ff. (zu Dante), und 101 – 127, besonders 104 – 108 (zu Marsilius), und Jürgen Miethke, Marsilius von Padua. Die politische Philosophie eines lateinischen Aristotelikers des 14. Jahrhunderts, in: Hartmut Boockmann u. a. (Hgg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie (= Abh. Akad. Göttingen, Philol.-Hist. Kl. 3. Folge 179), Göttingen 1989, S. 52 – 76. 196 Vgl. die Definition von Piper (wie Anm. 74), aber auch Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 1991 [1. Aufl. 1917], der (in Kap. 4, 5 und 7) das Heilige im Spannungsfeld zwischen furcherregender maiestas, mysterium tremendum und mysterium fascinans als numinose Erfahrung zu beschreiben versucht. 197 Libellus de Cesarea monarchia II [Tit. 6], ed. Joseph Hürbin, Der „Libellus de Cesarea monarchia“ von Peter aus Andlau, in: ZRG Germ. Abt. 12 (1891) S. 34 – 103 [lib. I]; 13 (1892) S. 163 – 219 [lib. II], hier S. 178; ed. Rainer A. Müller, Peter von Andlau. Kaiser und Reich. Libellus de Cesarea monarchia, Frankfurt/M. – Leipzig 1998, S. 206; vgl. auch Joseph Hürbin, Peter aus Andlau, der Verfasser des ersten deutschen Reichsstaatsrechts. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus am Oberrhein im XV. Jahrhundert, Straßburg 1897, wo auf S. 91 aus den erhaltenen Vorlesungen des Basler Professors zitiert wird: Imperator per unccionem et consecrationem non dicitur recipere sacrum ordinem, licet pape vel episcopo possit ministrare in missa in apparatu subdyaconali, sed dicitur recipere sacram maiestatem. Zum Werk und seinem Verfasser vgl. außer den Ausführungen von Müller in seiner Edition (S. 317 – 331) auch Helmut G. Walther, Gelehrtes Recht. Stadt und Reich in der politischen Theorie des Basler Kanonisten Peter von Andlau, in: Boockmann u. a. (Hgg.), Lebenslehren und Weltentwürfe (wie Anm. 195), S. 77 – 111, besonders 79 – 84 und 98 – 107, und M[ichael] Stolleis, Andlau, Peter v., in: Lexikon des Mittelalters 1 (1980) Sp. 597 f.

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Sphäre des Sakralen. Daher kann er in der an Friedrich III. gerichteten Widmung seines Werkes ganz unbefangen, wenn auch wohl mit einer gewissen antikisierenden Attitüde von sich als dem Sacre sue [= Friedrichs III.] majestatis subjectissimus Petrus de Andio sprechen sowie den Kaiser als princeps orbis sacratissime und schließlich gar als dive Cesar anreden198. Allein stand der gelehrte Kirchenrechtler und spätere Rektor der Universität Basel mit dieser Auffassung von der kaiserlichen Sakralität keineswegs. Vielmehr lassen sich Belege für ihre Verbreitung im ganzen späteren Mittelalter finden199. So wandte sich 1468 und 1469 der venezianische Artist und Jurist Petrus Molinus als Rhetor ebenfalls an Friedrich III. als den sacratisimum [!] imperatorem200, sprach man in der Umgebung Maximilians I. von der sacra Caesarea maiestas201, wurde Karl IV. 1378 in der Leichenpredigt Johanns von Jenzenstein als ,heilig‘ (sanctus) bezeichnet202 (was in dem funeralen Zusammenhang der Aussage nicht allein mit dem frommen und nun erfüllten christlichen Leben203 des Verstorbenen begründet wird, sondern auch mit der Salbung des Herrschers204) und erschien der

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Libellus, ed. Müller (wie Anm. 197) S. 10 und 12. – Auch Enea Silvio Piccolomini nannte Friedrich III. divus; vgl. seine Epistola de ortu et auctoritate imperii Romani, ed. Kallen, Aeneas Silvius Piccolomini (wie Anm. 112), S. 52 (in der Anrede: dive Friderice, cesar auguste), 68 (vgl. Anm. 112), 96 (im Schlußabsatz: divine cesar Friderice). 199 Vgl. dazu und zum folgenden Schubert, König und Reich (wie Anm. 87), S. 36 f., sowie als Beispiel auch die Predigt, die am 5. September 1417 auf dem Konstanzer Konzil gehalten worden ist und in der König Sigismund wegen seiner Verdienste um das Konstanzer Konzil in den höchsten Tönen gefeiert wurde (ed. Finke, Acta Conc. Const. II [Anm. 103], S. 507 – 513, hier 509: Das Konzil sei zustande gekommen per manus et operaciones … invictissimi ac religiosissimi principis Romanorum ac Ungarie etc. regis sacratissimique Sigismundi … Nos omnes ut alter Christus in unum congregavit …). 200 RTA 22/1 (1468 – 1470), hg. von Ingeborg Most-Kolbe, Göttingen 1973, S. 34 Anm. 4: Oratio habita apud sacritisimum (!) imperatorem Federicum terzium per me Petrum Molinum artium et utriusque iuris doctor … [30. Nov. 1468]. Oratio habita apud sacratisimum imperatorem Federicum tercium a Petro Molino artium et iuris utriusque doctore … [4. Feb. 1468; gemeint ist wohl 1469]. 201 Vgl. Alphons Lhotsky in der Einleitung seiner Edition von: Thomas Ebendorfer. Chronica Austriae, MGH SS rer. Germ. NS 13, Berlin/Zürich 1967, S. LIII, wo Johannes Stabius, Mitglied des Gelehrtenkreises, den der Herrscher mit der ,Erforschung‘ der antiken Anfänge seiner Familie betraut hat, zitiert wird: Doctor Manlius a sacra cesarea maiestate anno etc. 1509 Viennam missus … 202 Vgl. Font. rer. Boemicarum 3 (wie Anm. 182) S. 429: Et non miremini, reverendissimi patres, quod beatum et sanctum ipsum nominaverim … 203 Zu Karls IV. Religiosität vgl etwa Franz Machilek, Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, in: Ferdinand Seibt (Hg.), Kaiser Karl IV., Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 87 – 101. 204 Vgl. Font. rer. Boemicarum 3 (wie Anm. 182) S. 429: Primo enim unctus fuit oleo sancto ad modum regum, sowie Reinhard Schneider, Karls IV. Auffassung vom Herrscheramt, in: Theodor Schieder (Hg.), Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen deutschen Königtums, München 1973, S. 122 – 150, besonders 146.

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Luxemburger 1348 als sacratissimus legislator205; darüber hinaus wurde Karl auf von ihm in Auftrag gegebenen Darstellungen als ,Priesterkönig‘ Melchisedech abgebildet und mehrfach auch als einer der Heiligen Drei Könige206. Ludwig der Bayer, die längste Zeit seines Herrscherlebens im päpstlichen Bann207, galt den römischen Bürgern als sol iusticie und princeps sacratus208, und Rudolf von Habsburg wird in der von dem Straßburger Bürger Ellenhard im letzten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts angeregten Chronik anläßlich seines energischen Durchgreifens gegen Raubgesindel im Jahre 1289, bei dem er sich wie weiland Salomo bewährte, geradezu als rex sanctus gefeiert209. Mit diesem Hinweis auf die Heiligkeit des 205

MGH Const. VIII, ed. Karl Zeumer und Richard Salomon, Hannover/Leipzig 1919 – 1926, Nr. 600, hier S. 607: Romanus princeps, sacratissimus legislator, … 206 Vgl. dazu Machilek (wie Anm. 203) S. 100 sowie Helga Wammetsberger, Individuum und Typ in den Porträts Kaiser Karls IV., in: Wiss. Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 16 (1967) S. 79 – 93, besonders 83 (mit Abb. 2 auf S. 80 und Nr. 15a auf S. 89: Darstellung des Melchisech, der die Züge Karls IV. trägt, in der S-Initiale des Wortes sacerdos im vor 1360 entstandenen Antiphonar vom Vysˇehrad, das heute im steiermärkischen Kloster Vorau liegt) und 89 ff.; Jaroslav Pesˇina, Imperium et Sacerdotium. Zur Inhaltsdeutung der sogn. Morgan-Täfelchen, in: Ume˘ ni 26 (1978) S. 521 – 528 (besonders Abb. 1: Karl IV. als einer der Heiligen Drei Könige); Rudolf Chadraba, Der „Zweite Konstantin“. Zum Verhältnis von Staat und Kirche in der karolingischen Kunst Böhmens, ebd. S. 505 – 520 (besonders Abb. 15: Karl IV. als Priesterkönig Melchisedech), sowie Kéry (wie Anm. 193) S. 158. 207 Vgl. Heinz Thomas, Ludwig der Bayer (1282 – 1347). Kaiser und Ketzer, Regensburg 1993. 208 Brief der Römer an Papst Johannes XXII., ed. Wilhelm Erben, Berthold von Tuttlingen, Registrator und Notar in der Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern (= Denkschriften Akad. Wien, Philos.-hist. Kl. 66, 2), Wien/Leipzig 1923, S. 169 Ep. 7; vgl. dazu Bornhak, Staatskirchliche Anschauungen (wie Anm. 107), S. 13, sowie zu dem Kanzlisten Berthold auch Bansa, Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern (wie Anm. 95), S. 247 ff., besonders 247 mit Anm. 302 sowie S. 134 f. – Zur Verwendung des Begriffs sacra maiestas für Ludwig den Bayern in italienischen Urkunden vgl. MGH Const. VI, ed. Jacob Schwalm, Hannover 1914 – 1927, S. 220 Nr. 311 ([1327] hier S. 221 Z. 3: sacra regia maiestas), S. 694 Nr. 820 ([1330 Juli 30)], hier S. 694 Z. 13: sacra imperatoria maiestate), auch für Friedrich von Sizilien finden sich Belege: vgl. ebd. S. 279 f. Nr. 375 und 376 (1327 Dez. 15 und 28); vgl. auch die Nova Alamanniae I. Urkunden, Briefe und andere Quellen besonders zur deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts vornehmlich aus den Sammlungen des Trierer Notars und Offizials, Domdekans von Mainz Rudolf Losse aus Eisenach in der Ständischen Landesbibliothek zu Kassel und im Staatsarchiv zu Darmstadt, ed. Edmund E. Stengel, Berlin 1921, S. 93 Nr. 173 § 2. 209 Ed. Philipp Jaffé, MGH SS 17, Hannover 1869, S. 132 f., besonders 133, wo in einem die salomonische Weisheit des Habsburgers demonstrierenden Bericht der durch den König zu seinem Recht gekommene Kläger, ein mercator, ausruft (Z. 32 f.): „Vere, quia rex iste sanctus est, et multa per eum Dominus mirabilia dignatus est operari“. Der König erscheint also gleichsam als Instrument Gottes. Daher fährt der Bericht auch fort (Z. 33 f.): Et intonuit [scil. mercator] vocem in celum, laudavit et glorificavit Dominum dicens: ,Alleluia‘. Zu dieser Erzählung und ihrem auf den französischen König Philipp II. August bezogenen Vorbild vgl. Erich Kleinschmidt, Herrscherdarstellung. Zur Disposition mittelalterlichen Aussageverhaltens, untersucht an Texten über Rudolf I. von Habsburg, Bern 1974, S. 85 mit Anm. 424 und S. 126; zu Ellenhard und seiner historiographischen Initiative vgl. K[arl] Schnith, E[llenhard] d. Große, in: Lexikon des Mittelalters 3 (1986) Sp. 1847 f. – Rudolfs persönliche Frömmigkeit

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rechtsprechenden Königs schließt sich nicht nur der Bogen der vom späten 15. bis ins 13. Jahrhundert reichenden Belegstellen über die sacra, sacratissima und sancta maiestas, sondern er deutet auch an, worin die Sakralität des spätmittelalterlichen Herrschers nunmehr in verstärktem Maße wurzelte: in der Funktion des Gesetzgebers, Rechtsprechers und Friedenswahrers. Ernst Kantorowicz hat in seinem berühmten Buch über die beiden Körper des Königs die Entwicklung der mittelalterlichen Königsidee unter dem Aspekt der politischen Theorie beschrieben, dabei den Wandel vom Bild des Herrschers als eines christomimetes hin zum pater et filius iustitiae und zur lex animata210, zum lebenden Gesetz, erfaßt und in diesem Zusammenhang den Weg „von der Liturgie zur Rechtswissenschaft“ beschrieben211. Bei diesem Prozeß kam es innerhalb der um die Königsherrschaft zentrierten Ideenwelt zu einer Gewichteverschiebung, keinesfalls jedoch zu einem radikalen Austausch der herrschaftstheoretischen Paradigmen, denn selbstverständlich ist der mittelalterliche König immer höchster Wahrer und Garant von Frieden und Recht sowie – die bisherigen Ausführungen zeigen es – Gottes Sachwalter und Abbild auf Erden gewesen; aber dieses numinose Verhältnis wurde zunehmend begründet aus der Verpflichtung des Königs, Hüter des Rechts zu sein212: Karl IV. ist der sacratissimus legislator213, ebenso Friedwurde in über ihn umlaufenden Anekdoten gepriesen, vgl. dazu Willi Treichler, Mittelalterliche Erzählungen und Anekdoten um Rudolf von Habsburg, Bern/Frankfurt a. M. 1971, S. 41 – 60, von denen eine, die Nachricht von der Erscheinung einer Wolke in Kreuzesform während der Krönung des Königs (vgl. ebd. S. 48 Nr. 7 = MGH SS 17, S. 244 [Chronicon Colmariense]), die habsburgische Erhöhung offenkundig in numinose Bezüge stellt. Vgl. dazu auch Kleinschmidt, a.a.O., S. 224 ff. 210 Vgl. zu den beiden letzten Begriffen Kantorowicz (wie Anm. 118) S. 117 f. sowie die ebd. in Anm. 37 und 38 angeführten Belege, aber auch ders., Kaiser Friedrich der Zweite. Ergänzungsband, Düsseldorf/München 1931, S. 83, und Schaller, Kaiseridee (wie Anm. 92), S. 68 f., sowie zum Herrscher als lex animata ebenfalls Dr. Heinrich Leubings Rede vor Friedrich III. von 1440 (wie Anm. 136); allg. vgl. dazu auch Tilman Struve, Die Begründung monarchischer Herrschaft in der politischen Theorie des Mittelalters, in: ZHF 23 (1996) S. 289 – 323, besonders 322 f. 211 Vgl. Kantorowicz (wie Anm. 118) passim und die entsprechenden Kapitelüberschriften sowie Friedrich Kempf, Untersuchungen über das Einwirken der Theologie auf die Staatslehre des Mittelalters. Bericht über ein neues Buch, in: Röm. Qs. 54 (1959) S. 203 – 233, besonders 206 – 210. 212 Vgl. etwa Henry Bractons Ausführungen aus der Mitte des 13. Jahrhunderts (De legibus et consuetudinibus [Anm. 170], ed. Twiss, S. 38 [c. 8 : Ipse autem rex, non debet esse sub homine, sed sub Deo et sub lege, quia lex facit regem; und ebd.: Sunt etiam sub rege liberi homines, et servi ejus potestati subjecti, et omnis quidem sub eo, et ipse sub nullo, nisi tantum sub Deo]; ed. Woodbine / Thorne [Anm. 170] S. 33) oder The III Consideracions Right Necesserye to the Good Governaunce of a Prince, ed. Genet (wie Anm. 170) S. 180 – 209, hier 196 (XIII): And verily, whan a Prince loveth justise and executeth it, he hath a greete resemblaunce and similitude unto God. Dieser Text wurde 1347 in Frankreich verfaßt und in der Mitte des 15. Jahrhunderts ins Englische übersetzt; vgl. ebd. S. 174. Auch in Norwegen wurden in der Mitte des 13. Jahrhunderts vergleichbare Gedanken geäußert: Vgl. Anm. 140. 213 Vgl. Anm. 205.

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rich II.214 ; Rudolf von Habsburg wird deshalb als ,heilig‘ (sanctus) betrachtet, weil er sich als gewaltiger Verfolger von Rechtsbrechern und als gewiefter Urteilsfinder bewährt215. Ludwig der Bayer erschien als ,Sonne der Gerechtigkeit‘216. Deutlich beschrieben findet sich das auf der Grundlage der Rechtswahrung begründete Nahverhältnis zwischen Gott und Herrscher aber bereits 1231 durch Friedrich II. in dessen berühmtem Prooemium zum Liber Augustalis, in dem die Könige als Vollstrecker des göttlichen Urteils und damit als Werkzeuge Gottes sowie als dem Schöpfer für die ihnen übertragene Aufgabe unmittelbar Verantwortliche vorgestellt werden217: Sicque ipsarum rerum necessitate cogente nec minus divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati, per quos posset licentia scelerum coherceri; qui vite necisque arbitri gentibus, qualem quisque fortunam, sortem statumque haberet, velud e x e c u t o re s quodammodo d i v i n e s e n t e n t i e stabilirent; … Mit dieser Vorstellung vom Herrscher als Vollstrecker des göttlichen Willens und seiner unmittelbaren Verantwortung vor Gott stand Friedrich II. im übrigen nicht allein, sie wurde vielmehr von Papst Honorius III. geteilt218, und Innozenz III. stellte 1199 immerhin einen direkten Vergleich zwischen göttlicher und kaiserlicher Majestät an219. Allerdings sollte diese Gedankengemeinschaft schon bald aufgege214 Johannis Viterbiensis Liber de regimine civitatis, ed. Caietano Salvemini, in: Scripta anecdota glossatorum vel glossatorum aetate composita (= Bibliotheca iuridica medii aevi, ed. Augustus Gaudentius, Vol. 3), Bologna 1901, S. 215 – 280, hier 277 (c. 139: De impertoris gratia promerenda et conservanda), spricht unter Bezug auf die antiken Kaiser, aber ohne direkte Nennung Friedrichs II. ganz allgemein vom sanctissimo Imperatori, der eben auch ein sanctissimus legislator sei, wie aus den antiken Belegen hervorgeht: Dicitur vero santissimus legislator; vgl. auch die Bezeichnung des Kaiserthrons als sanctissima sedes durch den Notar Petrus de Prece in einem Schreiben von 1248 an Friedrich II., ed. Eugen Müller, Peter von Prezza, ein Publizist der Zeit des Interregnums, Heidelberg 1913, S. 115 Nr. 3 (hier S. 116). 215 Vgl. Anm. 209. 216 Vgl. Anm. 208. 217 Prooemium, ed. Stürner, Rerum necessitas und divina provisio (wie Anm. 88), S. 551 (= MGH Const. Suppl. II [Anm. 92] S. 147, das Zitat lautet weiter: …; de quorum manibus, ut villicationis sibi commisse perfecte valeant reddere rationem …); vgl. dazu ebd. S. 476 und 529. 218 Vgl. Stürner, Rerum necessitas und divina provisio (wie Anm. 88), S. 517 – 520, sowie Emmy Heller, Zur Frage des kurialen Stileinflusses in der sizilischen Kanzlei Friedrichs II., in: DA 19 (1963) S. 434 – 450, besonders 436 – 441, und die Ergänzungen von Hans Martin Schaller, ebd., S. 443 ff., sowie ebd. S. 446 ff. Nr. I die Edition des an die kastilischen Großen gerichteten Briefes von Honrius III. ([1218, nach August 19]), besonders S. 447, wo es u. a. heißt: Cum enim ex Deo regnent reges …, hii, qui resistere terrenis potestatibus moliuntur, manifeste videntur divinis dispositionibus obviare, … 219 Ep. II 1 (an Klerus, Konsuln und Volk von Viterbo über die Verfolgung und Bestrafung von Ketzern), ed. Migne PL 214, Sp. 539 B (…, cum longe sit gravius aeternam quam temporalem laedere majestatem); vgl. dazu die annähernd wortgleichen Ausführungen Friedrichs II. über die Verfolgung und Bestrafung von Ketzern: MGH Const. II, ed. Ludwig Weiland, Hannover 1896, Nr. 85 (1220 Nov. 22), hier S. 108 c. 6 (…, cum longe sit gravius eternam quam temporalem offendere maiestatem); Nr. 157 (1232 Feb. 22), hier S. 195 c 1; Nr. 211 (1238/39), hier S. 284 c. 1, sowie Stürner, Rerum necessitas und divina provisio (wie Anm. 88), S. 477 mit Anm. 23.

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ben und die Leitvorstellung, die der Kaiser in seinem Prooemium formulierte, von Gregor IX. papalistisch umgedeutet werden220. Dies führte jedoch nicht zum völligen Verzicht auf die Ansicht von einer besonderen, Gott gegenüber rechenschaftpflichtigen Verantwortung des Herrschers als Wahrer des Rechts; vielmehr zeigt sie sich – wie dargelegt221 – noch bei Rudolf von Habsburg und Karl IV., selbst bei dem kurial eingestellten Peter von Andlau findet sich nach der Mitte des 15. Jahrhunderts von ihr noch ein Reflex222. Vor allem aber half sie in der Mitte und am Ende des 13. Jahrhunderts die Heiligkeit des französischen Königs Ludwig IX., Saint Louis’, zu begründen223. Für den 1297 heilig gesprochenen Kapetinger224 war die Herstellung von Gerechtigkeit und Frieden eine zentrale (freilich von einer im Vergleich mit dem Reich erheblich besseren administrativen Basis225 aus zu erfüllende) Königsaufgabe, weil pax et iustitia von Gott gewollt waren und ihre Verwirklichung als ein Ausdruck der königlichen Liebe zu Gott erschien. Mit diesem Verständnis vom Herrscheramt verband sich die naturrechtlich konnotierte Lehre, nach der die menschliche Seele durch die irdische Gerechtigkeit zu Gott geführt werden kann226, wodurch der von 220 Vgl. dazu Stürner, Rerum necessitas und divina provisio (wie Anm. 88), S. 529 mit Anm. 146. 221 Vgl. Anm. 205 und 209. 222 Libellus II, ed. Müller (wie Anm. 197) S. 300 (Tit. XVIII): Nam sive augeatur pax et disciplina ecclesie propter fideles principes, sive solvatur; ille racionem ab eis exiget, qui eorum potestati suam ecclesiam credidit committendam. 223 Vgl. dazu und zum folgenden Joachim Ehlers, Die Kapetinger, Stuttgart 2000, S. 175 f., sowie LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 368, 375 ff., 567 ff. u. ö. 224 Vgl. Ehlers (wie Anm. 223) S. 165 ff. und 204 sowie LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 265 – 269. 225 Vgl. dazu etwa Joachim Ehlers, Die französische Monarchie im 13. Jahrhundert, in: Egon Boshof / Franz-Reiner Erkens (Hgg.), Rudolf von Habsburg. 1273 – 1291. Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel, Köln/Weimar/Wien 1993, S. 165 – 184, und Peter Moraw, Rudolf von Habsburg: Der ,kleine‘ König im europäischen Vergleich, ebd., S. 185 – 208. 226 Vgl. Ludwig Buisson, Ludwig IX., der Heilige, und das Recht, Studie zur Gestaltung der Lebensordnung Frankreichs im hohen Mittelalter, Freiburg i. Br. 1954, S. 231 – 244, besonders 242 („Mit seiner iustitia riß der König die Seelen von dem Willen zur Sünde, nämlich gegen die göttliche Ordnung des Friedens zu handeln und Gott zu versuchen, zurück.“; ders., Saint Louis, justice et amour de Dieu, in: ders., Lebendiges Mittelalter, Köln/Wien 1988, S. 228 – 250 [erstmals 1978, in: Francia 6, S. 127 – 149, besonders 145 ff.]; LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 70), S. 368; Bielefeldt (wie Anm. 100) S. 91 und 112, der etwa (auf S. 91) auf Jean Quidort (zu diesem vgl. R. Scholz, Die Publizistik [Anm. 125] S. 275 – 284, und Struve [Anm. 106] S. 240 – 256) verweist und dessen Ansicht, daß der Gesetzgeber ein Seelsorger sei (Tractatus de regia potestate et papali c. 17, ed. Fritz Bleienstein, Johannes Quidort von Paris. Über königliche und päpstliche Gewalt [De regia potestate et papali], Textkritische Edition mit deutscher Übersetzung [= Frankfurter Studien zur Wissenschaft von der Politik IV], Stuttgart 1969, S. 157 [c. XVII]: … dicit Philosophus in Ethicis, quod intentio legislatoris est homines facere bonos et inducere ad virtutem, et in Politicis dicit quot sicut anima melior est corpore, sic legislator melior est medico, quia legislator habet curam animarum, medicus corporum.), sowie allg. auch The Teachings of Saint Louis. A Critical Text, by David

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Gott mit dieser Aufgabe betraute Herrscher in eine besondere Verantwortung genommen wurde – mit anderen Worten: Nicht mehr vorrangig die in ihrer konkreten Bedeutung nur schwer zu fassende christliche Unterweisung, verbunden mit einer eigentümlichen Vorbildfunktion, machte nun die seelsorgerische Verpflichtung des Herrschers aus, sondern sein Richteramt. Man kann es auch noch einmal anders wenden: Priesterähnlich erscheint der König nicht mehr aufgrund einer letztlich diffusen Teilhabe am bischöflichen Amt227 des Seelsorgers, sondern weil er als irdischer Vollstrecker göttlicher Gerechtigkeit gilt, weil er ein ,Priester der Gerechtigkeit‘228 ist und damit einen Beitrag zur Rettung der menschlichen Seele leistet. Von päpstlich-kurialer Seite völlig aus dem engeren Bereich des Sacerdotium ausgegrenzt, aber in einer speziellen Verantwortung für Kirche und Glauben belassen229, verblieb dem Herrscher damit ein Anteil an der gesellschaftlich-sazerdotalen Aufgabe der Seelenleitung. Heinrich Leubing konnte daher noch im Jahre 1440 in seiner vor Friedrich III. gehaltenen Rede vom regale sacerdotium sprechen, das der Herrscher a domino tanquam Aaron empfange230. Damit erweist sich auch das dritte Kriterium, das als Merkmal frühmittelalterlicher Herrschersakralität gelten kann, das mit einer besonderen Verantwortung gegenüber der christlichen Religion und Gesellschaft verbundene Nahverhältnis zu Gott, ebenfalls noch, wenn auch in modifizierter Form, für das spätere Mittelalter von Bedeutung. Daher kann – zumindest für das Jahrtausend zwischen Antike und Neuzeit und unter Berücksichtigung modifizierender Entwicklungen – die Vorstellung vom König oder Kaiser als einem von Gott selbst berufenen und mit einer speziellen seelsorgerischen Aufgabe betrauten Stellvertreter, Sachwalter und Abbild der göttlichen Majestät auf Erden als distinktives Wesensmerkmal sakraler Königsherrschaft verstanden werden. Wie intensiv diese Vorstellung in der BevölO’Connell, Chapel Hill 1972, und dazu vgl. Jacques Krynen, L’empire du roi. Idées et croyances politiques en France, XIIIe-XVe siècle, Paris 1993, S. 225 ff. – Vgl. auch oben Anm. 158. 227 Vgl. Anm. 55. 228 Vgl. das Prooemium zu den Assisen von Ariano, ed. Francesco Brandileone, Il diritto Romano nelle leggi Normanne e sveve del regno di Sicilia (= Nuova collezione di Opere Giuridiche 21), Florenz 1884, S. 89 – 138, hier: 94 f. (In qua oblatione regni officium quoddam sibi sacerdotii vendicat privilegium; unde quidam sapiens legisque peritus iuris interpretes iuris sacerdotes appellat); ed. Ortensio Zecchino, Le Assise di Ariano, Cava dei Tirenni 1984, S. 22/26 (hier: 22); und dazu Hubert Houben, Roger von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, Darmstadt 1997, S. 142 f. 229 Vgl. dazu neben den in Anm. 158 angeführten Quellen etwa auch das Prooemium zu den Konstitutionen von Melfi, ed. Stürner (wie Anm. 88) S. 551 f. = MGH Const. Suppl. II (wie Anm. 92) S. 147; Clemens’ VI. Äußerungen in seiner Approbationsbulle für Karl IV. vom 6. Nov. 1346, ed. Karl Zeumer und Richard Salomon, MGH Const. VIII, Nr. 100, S. 159 f. (c. [IV]); des Cusaners Concordantia catholica (wie Anm. 113) S. 465 (III 41 = § 577: … quia tunc deficiente fide et exorta turbatione conveniebat, imperatorem fidei defensorem potentem esse); Peter von Andlau Libellus (wie Anm. 197) S. 290 – 296 (Lib. II Tit. XVII: Quod Cesareus animus ad divini cultus augmentum semper debet esse intentus). 230 Vgl. Anm. 136.

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kerung verbreitet war, wie sehr sie ,geglaubt‘ worden ist und von gegenläufigen Tendenzen der Entsakralisierung begleitet und schließlich gar überlagert wurde, bedarf freilich noch der näheren (hier nicht zu leistenden) Untersuchung, bei der freilich zu berücksichtigen bleibt, daß, wie Rudolf Schieffer mit Blick auf das 10. Jahrhundert formuliert hat: es „gleichermaßen naiv (wäre), sich die Realität politischen Handelns … als ständig bewußte Mitwirkung an einem Heilsplan Gottes vorzustellen wie umgekehrt hinter derartigen Motivationen Mal um Mal die fromme Verbrämung von autonomer ,Realpolitik‘ zu wittern“231. Was prinzipiell im Bewußtsein präsent ist, wird meist ohnehin nur bei besonderen Anlässen eigens betont und aus einem mitunter amorphen Vorstellungsgemenge heraus zu präziser Darstellung gebracht. Vergleichbar dem allgemeinen Wissen, dem Grundempfinden des modernen Staatsbürgers von Demokratie, Verfassung und Menschenrechten dürfte im Mittelalter auch die herrscherliche Sakralität nur von wenigen gedanklich wirklich erfaßt, von vielen jedoch bejaht worden und je nach Notwendigkeit artikuliert worden sein. Die herrschaftslegitimierende Bedeutung eines solchen Allgemeinempfindens ist dabei unbestritten, wie etwa für das vom hundertjährigen Krieg zerrissene Frankreich des 15. Jahrhunderts die durch Jeanne d’Arc herbeigeführte Reimser Königsweihe Karls VII. eindrucksvoll belegt232, sie machte den mittelalterlichen Herrscher aber nie in einem umfassenden Sinne sakrosankt und unangreifbar; vielmehr blieb er als Mensch trotz seines Nahverhältnisses zu Gott sündhaft und fehlbar. Er war daher keinesfalls der Kritik enthoben, wie die zahlreichen, oft bis zum bewaffneten Auf- und Widerstand gesteigerten Oppositionsbewegungen gegen königliche Maßnahmen und herrscherliches Auftreten während des gesamten Mittelalters zeigen233. Wegen solcher Widerstände jedoch auf die Nichtexistenz verbreiteter Vorstellungen von Herrschersakralität zu schließen oder diese als ein lediglich der Herrschaftssicherung dienendes Propagandamittel aufzufassen, wäre freilich völlig verfehlt. Denn das im späteren Mittelalter vielerorts feststellbare Bemühen, den sakralen Glanz der Königswürde durch die Etablierung von heiligen Vorfahren oder Vorgängern auf dem Thron zu verstärken, besaß nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn man auf eine entsprechende Resonanz in weiteren Kreisen hoffen durfte. Wie weit diese Hoffnung tragen konnte, wird an den verschiedenen Kanonisationen deutlich, 231

Schieffer, Mediator (wie Anm. 54), S. 346. Vgl. H. Müller (wie Anm. 161); ders., Frankreich im Spätmittelalter: Vom Königsstaat zur Königsnation, in: Ernst Hinrichs (Hg.), Kleine Geschichte Frankreichs, Stuttgart 1994, S. 63 – 123, besonders 99 f.; ders., Jeanne d’Arc, in: Damals 12/2000, S. 28 – 34 (1. Teil: „Im Namen Gottes …“), und in: Damals 1/2001, S. 36 – 42 (2. Teil: Der Sieg der Feinde und Neider), besonders 36; Jean Favier, Frankreich im Zeitalter der Lehnsherrschaft. 1000 – 1515, Stuttgart 1989 [frz. 1984], S. 398; Heinz Thomas; Jeanne d’Arc, Jungfrau und Tochter Gottes, Berlin 2000, S. 348 – 352, und Krynen (wie Anm. 167) S. 241 – 277, besonders 276 f. 233 Vgl. dazu etwa Kern, Gottesgnadentum (wie Anm. 75), die entsprechenden Arbeiten von Althoff (wie Anm. 26) oder die Verhältnisse im spätmittelalterlichen England der Rosenkriege: Karl-Friedrich Krieger, Geschichte Englands von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, München 1990, S. 220 – 235. 232

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durch die seit dem 12. Jahrhundert ganz unterschiedliche Herrscher zur Ehre der Altäre erhoben worden sind: um 1100 Knut der Heilige von Dänemark unter seinem Bruder Erik I. Ejegod234, 1161 Edward der Bekenner unter Heinrich II. Plantagenet235, 1165 Karl der Große unter Friedrich Barbarossa236 und 1297 Ludwig der Heilige unter seinem Enkel Philipp dem Schönen von Frankreich237 (um nur einige hochmittelalterliche Königsheilige zu nennen238. Nicht zuletzt deshalb hat Karl IV., der sich natürlich ebenfalls in der Tradition Karls des Großen sah und dies auch betonte239, den Kult des hl. Wenzel von Böhmen240 und des burgundischen Königs Sigismund241, der Namenspatrone seiner Söhne, nach Möglichkeit gefördert242. Noch die junge Elisabeth II. hat – wie schon am Beginn dieser Ausführungen erwähnt – bei ihrer Krönung im Jahre 1953 den Thron König Edwards (des Bekenners), dessen Heiligenschrein nach einem Ordo des ausgehenden Mittelalters vom neuen Herrscher nach beendeter Krönungsmesse aufgesucht werden sollte243, 234 Vgl. Wolfgang Seegrün, Das Papsttum und Skandinavien bis zur Vollendung der nordischen Kirchenorganisation (1164), Neumünster 1967, S. 108 und 113 – 116, sowie Erich Hoffmann, Knut der Heilige und die Wende der dänischen Geschichte im 11. Jahrhundert, in: HZ 218 (1974) S. 529 – 570, besonders 566 f., und ders., Die heiligen Könige bei den Angelsachsen und den skandinavischen Völkern. Königsheiliger und Königshaus, Neumünster 1975, S. 97 – 139, aber auch Tore S. Nyberg, Die Kirche in Skandinavien. Mitteleuropäischer und englischer Einfluß im 11. und 12. Jahrhundert. Anfänge der Domkapitel Børglum und Odense in Dänemark, Sigmaringen 1986, S. 112. 235 Vgl. Anm. 80. 236 Vgl. Anm. 78. 237 Vgl. Anm. 81. 238 Vgl. dazu etwa Robert Folz, Les saints rois du Moyen âge en occident (VIe-XIIIe siècles) (= Subsidia Hagiographica 68), Bruxelles 1984, S. 76 – 115; zu den heiligen Königen Skandinaviens – etwa Olaf von Norwegen († um 1160) – vgl. Hoffmann, Heilige Könige (wie Anm. 234), zu Stephan dem Heiligen von Ungarn vgl. Thomas Bogyay, Stephanus Rex. Versuch einer Biographie, Wien 1975. 239 Vgl. Maria Bláhová, Nachleben Karls des Großen in der Propaganda Karls IV., in: Erkens (Hg.), Karl der Große (wie Anm. 18), S. 11 – 25, besonders 16 – 25; Reinhard Schneider, Karolus, qui et Wenceslaus, in: Kurt-Ulrich Jäschke / Reinhard Wenskus (Hgg.), Festschrift für Helmut Beumann zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1977, S. 365 – 387, sowie die am 30. Dezember 1378 entworfene Predigt Heinrichs von Wildenstein und seine Leichenpredigten auf Kaiser Karl IV., in: DA 24 (1968) S. 187 – 223, Edition: 214 – 223 (Nr. II), hier 217: Karolus filius illustris regis Iohannis, … nepos divorum [der ebenfalls als heilig verehrten; vgl. oben Anm. 79 und 78] Heinrici et Karoli imperatorum. 240 Zu diesem vgl. Folz (wie Anm. 238) S. 33 – 36. 241 Zu diesem vgl. ebd. S. 23 ff. und ders., Zur Frage der heiligen Könige: Heiligkeit und Nachleben in der Geschichte des burgundischen Königtums, in: DA 14 (1958) S. 317 – 344. 242 Vgl. Machilek (wie Anm. 203) S. 89 f. (zu Wenzel) und 99 (zu Sigismund); Schneider, Herrscheramt (wie Anm. 204), S. 126 ff. (zu Wenzel), 128 f. (zu Karl dem Großen), 130 f. (zu Sigismund); ders., Karolus (wie Anm. 239), S. 382 ff. 243 Ordo secundum quem rex debet coronari, ed. by Walter Ullmann, Liber regie capelle. A manuscript in the Biblioteca Publica, Evora (= Henry Bradshaw Society 92), London 1961, S. 74 – 110 Nr. XV, hier S. 105, wo die Prozession nach erfolgter Krönungsmesse ad feretum sancti Edwardi beschrieben wird.

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bestiegen und damit an eine lange Tradition angeknüpft – zweifellos nicht ohne Bedacht. Allerdings ist dieses Nachleben mittelalterlicher Gebräuche im England des 20. Jahrhunderts eine Ausnahme im Gesamtverlauf der europäischen Geschichte, eine Singularität, von der abzuwarten bleibt, wie lange sie noch Bestand haben wird. Eine völlig andere Frage ist es dagegen, inwieweit die am Beispiel des Mittelalters erhobenen Kriterien für die Herrschersakralität, die 1953 in Westminster offenbar noch eine gewisse Rolle spielten, anwendbar sind auf andere Epochen oder außereuropäische Zivilisationen und inwieweit die hinter ihnen stehenden Vorstellungen in zunehmend säkularisierten oder gar atheistischen Gesellschaften weiterhin, wenn auch in gewandelter Gestalt wirksam werden. Das ist freilich ein eigenes Kapitel, wenn nicht gar ein ganzes Buch in der Menschheitsgeschichte, das hier weder aufgeschlagen werden soll noch vorgetragen werden kann.*

* Zu der in Anm. 53 angesprochenen, neu entfachten Diskussion um den Zeitpunkt der Einführung der Königssalbung im Frankenreich vgl. jetzt auch Josef Semmler, Der Dynastiewechsel von 751 und die fränkische Königssalbung, Düsseldorf 2003, der in der Salbung der karolingischen Königsfamilie durch den Papst im Jahre 754 den Anfang der fränkischen Salbungspraxis und in Hinkmar von Reims einen entschiedenen Promotor dieses Brauchs im 9. Jahrhundert sieht. Zu dem in Anm. 75 angeführten Buch von J. Schatz vgl. die Rezension von Heinz Duchhardt, in: HZ 273 (2001) S. 119 f., sowie zu dem in Anm. 115 erwähnten Antonio Roselli die Arbeit von Thomas A. Weitz, Der Traktat des Antonio Roselli „De Conciliis ac Synodis Generalibus“. Historisch-kanonistische Darstellung und Bewertung, Paderborn u. a. 2002, S. 7 – 114. Der von H. Müller in Anm. 232 genannte Beitrag (Frankreich im Spätmittelalter) ist 2002 in einer bebilderten Neuausgabe erschienen, in: Ernst Hinrichs (Hg.), Geschichte Frankreichs, S. 55 – 101.

Sol iusticie und regis regum vicarius Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘ Als er am 11. Oktober 1347, wohl vom Schlag getroffen, von seinem Pferd stürzte, hauchte er sein Leben mit der Bitte aus, die Mutter Gottes möge in dieser schweren Stunde bei ihm sein1: SEze kEnigin, unser frawe, bis pei meiner schidung, soll er gefleht haben. Im Augenblick seines Ablebens bekundete Ludwig der Bayer damit seine perso¨nliche, sich sehr stark als Marienverehrung2 a¨ußernde und daher wohl auch eine gewisse Volkstu¨mlichkeit besitzende Fro¨mmigkeit. Allerdings starb der Wittelsbacher, der seit dem 20. Oktober 1314 Ko¨nig war, im Kirchenbann, in dem er sich seit dem 23. Ma¨rz 1324 befand, und als am 23. Oktober 1327 verurteilter Ketzer, der vom Papst bereits am 11. Juli 1324 seiner ko¨niglichen Herrschaftsrechte und 1327 sogar seiner ererbten Wu¨rde als Herzog von Bayern entkleidet worden war, ohne daß dies freilich viel bewirkt hatte, denn trotz der pa¨pstlichen Maßnahmen ist Ludwig, der Bayer: bavarus, wie er in manchen pa¨pstlichen und pa¨pstlich gesinnten Schriften genannt wird3, von vielen weiterhin als rechtma¨ßiger Herrscher anerkannt worden. Erst am 11. Juli 1346 wurde sein Ko¨nigtum von einigen Kurfu¨rsten wirklich in Frage gestellt und ist ihm durch die Wahl des ma¨hrischen Markgrafen Karl zum Ko¨nig ein Gegenspieler erwachsen, dessen Anfa¨nge freilich, da die wittelsbachische Herrschaft ungefa¨hrdet blieb, erErstdruck (mit Abbildungen im Text, die nun an das Ende der Ausführungen gerückt sind) in: ZBLG 66 (2003) S. 795 – 818. 1 Sächsische Weltchronik. Zweite Bairische Fortsetzung c. 7, ed. Ludwig Weiland, MGH Dt. Chroniken II, Hannover 1877, S. 339. 2 Vgl. dazu Heinz Thomas, Ludwig der Bayer. Kaiser und Ketzer, Regensburg 1993, S. 389. 3 Zur Bezeichnung als bavarus vgl. Julius von Pflugk-Harttung, Die Bezeichnung Ludwigs des Bayern in der Kanzlei des Papstes Johann XXII., in: Historisches Jahrbuch 22, 1901, S. 329 – 337, bes. S. 335 ff., aber auch Formulierungen wie die Benedikts XII. in einem Schreiben an Peter von Aragon vom 25. Januar 1339, ed. Edmund E. Stengel, Nova Alamanniae. Urkunden, Briefe und andere Quellen besonders zur deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts, 2. Hälfte, II. Teil, hg. unter Mitwirkung von Klaus Schäfer, Hannover 1976, S. 810 Nr. 1435 (hier 811): Ludovicus de Bavaria; die Traktate des Franciscus Toti ,Contra Bavarum‘, ed. R. Scholz, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften 2 (wie Anm. 103), S. 76 – 88, oder Albertino Mussato in seiner Geschichte Ludwigs des Bayern (ed. Joh. Friedrich Böhmer, Fontes rerum Germanicarum I, Stuttgart 1843, S. 189: Bavarum vocitabant) und Giovanni Villani, der in seiner Florentiner Geschichte (Nuova Cronica II, ed. Giuseppe Porta, Parma 1991, etwa S. 542 [lib. XI 19]: Come l’eletto di Baviera detto Bavero si fece coronare in Milano; oder 543 [lib. XI 20]: l’avento del Bavero, u. ö.) Ludwig häufig einfach ,den Bayern‘ (Bavero) nennt.

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ba¨rmlich waren, dessen weitere Regierung jedoch insgesamt recht erfolgreich verlief, weswegen Karl IV. heute nicht zu Unrecht als der bedeutendste Herrscher des deutschen Spa¨tmittelalters gilt4. Den Weg zu diesem Erfolg ebnete dem Luxemburger zweifellos das rasche Ende des Wittelsbachers, das es dem Gegenko¨nig ersparte, aus ungu¨nstiger Position heraus um die Ko¨nigsherrschaft im Reich ka¨mpfen zu mu¨ssen. Sein Ruhm als listenreicher Taktiker und besonnener Diplomat, der in der Politik lieber das Gold als den Stahl erprobte, der Glanz seiner Bildung und die Ausstrahlung seiner theologisch fundierten Fro¨mmigkeit, sein kunstsinniges Wirken wie seine wissenschaftlichen Interessen verdunkelten bald das Bild des Wittelsbacher, der zwar in einem za¨hen Ringen die Rechte des Reiches gegenu¨ber den Anspru¨chen des Papsttums wahrte, dessen Herrschaft im ganzen ¨ bergangs empfunden worden ist und aber als eine Zeit der Stagnation und des U dessen Perso¨nlichkeit in ihrer bajuwarischen Schlichtheit deutlich abfiel gegenu¨ber dem feinsinnigen Luxemburger aus Bo¨hmen. Deutlich ist hier das Urteil von Hermann Heimpel, mithin von einem der kenntnisreichen und verdienstvollen Erforscher des deutschen Spa¨tmittelalters, der in drei wichtigen Studien5 den wohl zu Recht unter Karl IV. anzunehmenden Anfa¨ngen der herrscherlichen Evangelienlesung im Weihnachtsgottesdienst und bei der Kro¨nungmesse nachging und dabei einen wichtigen Aspekt des sakralen Herrschaftsversta¨ndnisses verfolgte, aber auch erkla¨rte6 : „Nicht dem ritterlich-analphabetischen Ludwig dem Bayern wa¨re es zuzutrauen: mehrere lateinische Verse flu¨ssig, mit richtiger Betonung und in der einschla¨gigen Melodie vorzutragen; dem lateinkundigen Sigmund, erst recht seinem laientheologischen Vater, Karl IV., machte das Lesen von Luc. 2, 1 – 14 gewiß ebenso wenig Schwierigkeiten wie ein Lesen der Homilie“. Mittlerweile jedoch leuchtet das Bild des Bayern etwas heller aus dem Dunkel historischer Interpretation hervor. Erste Anstöße für diese Aufhellung gingen von der landeshistorischen Forschung aus, die zunächst die Verdienste des Wittelsba-

4 Vgl. Peter Moraw, Kaiser Karl IV. 1378 – 1978. Ertrag und Konsequenzen eines Gedenkjahres, in: Herbert Ludat / Rainer Christoph Schwinges (Hgg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für Frantisˇek Graus zum 60. Geburtstag (Beihefte zum AKG 18), Köln / Wien 1982, S. 224 – 318; ders., Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter. 1250 bis 1490 (Propyläen Geschichte Deutschlands 3), Berlin 1985, S. 240 – 256; Jörg K. Hoensch, Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung. 1308 – 1437, Stuttgart 2000, S. 105 – 176. 5 1.: Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, 1982, S. 388 – 411; 2.: Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 39, 1983, S. 131 – 206; 3.: Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung, in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 447 – 459. 6 Vgl. Anm. 5: Nr. 1, S. 401.

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chers für die Formung des bayerischen Herrschaftsraumes hervorhob7; 1993 folgte eine moderne biographische Darstellung der Herrscherpersönlichkeit und ihrer Zeit8, die im Guten wie im Schlechten, hinsichtlich der Stärken ebenso wie der Schwächen des Bayern9 zu einer angemesseneren Würdigung gelangte als frühere – gelegentlich auch aus nicht wissenschaftlicher Feder stammende10 – Versuche11 des historischen Verständnisses. Von kunsthistorischer Seite schließlich wurde im gleichen Jahr „Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern“ in eindrucksvoller Weise zur Anschauung gebracht12. Vor dem Hintergrund des sich ändernden und vor allem facettenreicher werdenden Bildes von Ludwig dem Bayern läßt sich jetzt auch die Frage nach der Bedeutung des wittelsbachischen Königtums für das spätmittelalterliche Sakralverständnis von Herrschaft stellen. Damit ist eine Frage aufgeworfen, der Hermann Heimpel vielleicht nur mit großer Skepsis begegnet wäre, die aber, wie sich zeigen wird, nicht ohne genauere Betrachtung der wittelsbachischen Regierungszeit beantwortet werden kann. Die Vorstellung, daß der Herrscher eine sakrale Würde besitze, weil er in einem Nahverhältnis zum Numinosen steht, ist alt und vielschichtig, sie kann daher an dieser Stelle noch nicht einmal skizzenhaft in ihrer vielgestaltigen Entwicklung13 7 Vgl. Heinz Angermeier, Bayern in der Regierungszeit Kaiser Ludwigs IV. (1314 – 1347), in: Max Spindler (Hg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte II, München 21988, S. 149 – 195; ders., Kaiser Ludwig der Bayer und das deutsche 14. Jahrhundert, in: Hubert Glaser (Hg.), Wittelsbach und Bayern I 1: Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I. zu Ludwig dem Bayern. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst. 1180 – 1350, München 1980, S. 369 – 378, sowie die entsprechenden Beiträge in der ZBLG 60, 1997. 8 Thomas, Ludwig der Bayer (wie Anm. 2). – Zur Würdigung von Ludwigs Regierung und Persönlichkeit vgl. jetzt auch die Aufsatzsammlung von Hermann Nehlsen / Hans-Georg Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellung und Wahrnehmung seiner Herrschaft (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF, Heft 22), Paderborn 2002 (darin bes. S. 39 – 74: Jürgen Miethke, Der Kampf Ludwigs des Bayern mit Papst und avignonesischer Kurie in seiner Bedeutung für die deutsche Geschichte). 9 Vgl. dazu auch Konrad Fritze, Ludwig der Bayer, in: Evamaria Engel / Eberhard Holtz (Hgg.), Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters, Leipzig 1989, S. 274 – 304. 10 Vgl. etwa Gertrud Benker, Ludwig der Bayer. Ein Wittelsbacher auf dem Kaiserthron. 1282 – 1347, München 1980; Siegfried Obermeier, Ludwig der Bayer. Herzog und Kaiser (Stöppel – Kaleidoskop 303), Weilheim 1989; Barbara Hundt, Ludwig der Bayer. Der Kaiser aus dem Hause Wittelsbach. 1282 – 1347, Frankfurt/M. 1995. 11 An älteren, sich stark an ,staatlichen‘ und ,nationalen‘ Kriterien orientierenden Arbeiten, in deren Tradition in gewisser Weise auch noch Angermeier (wie Anm. 7: Kaiser Ludwig der Bayer) steht, vgl. etwa Richard Moeller, Ludwig der Bayer und die Kurie im Kampf um das Reich (Hist. Studien 116), Berlin 1914, und Friedrich Bock, Reichsidee und Nationalstaaten vom Untergang des alten Reiches bis zur Kündigung des deutsch-englischen Bündnisses im Jahre 1341, München 1943. 12 Robert Suckale, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993. 13 Darüber wird eine eigene Monographie vorbereitet [mittlerweile: Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006]; vorläufig vgl. dazu und zum folgenden Franz-Reiner Erkens, Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: Historisches Jahrbuch 118, 1998, S. 1 –

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beschrieben werden. Zu ihrem Kernbestand gehörten aber zweifellos drei Elemente: die Erwählung des Herrschers durch Gott, dessen Stellvertretung durch den Herrscher in irdischen Angelegenheiten sowie eine sazerdotal-seelsorgerische Aufgabe des Herrschers bei der Leitung der Menschen zu ihrem Heil. Aus allen Zeiten des Mittelalters lassen sich Belege für diese eigentümliche Auffassung vom Herrscher und seinen besonderen Pflichten gegenüber der göttlichen Weltordnung beibringen – Belege freilich, die zugleich auch Veränderungsprozesse innerhalb dieser Ideenwelt erkennen lassen. Auch darauf kann hier nicht näher eingegangen werden; doch läßt sich soviel anmerken, daß die Kirchenreform des 11. Jahrhunderts und der sog. Investiturstreit bei diesen Änderungen eine nicht unwesentliche Rolle spielten. Sie führten nämlich zu einer deutlichen Scheidung von Regnum und Sacerdotium, von weltlicher und geistlicher Gewalt, die beide als von Gott verliehen und grundsätzlich notwendig für die Leitung der menschlichen Gesellschaft galten, und sie bewirkten eine Präzisierung aller Kompetenzen der Repräsentanten dieser Gewalten. Natürlich erschienen beide Sphären trotz ihrer inneren Autonomie weiterhin einander zugeordnet, wurden Regnum und Sacerdotium nicht völlig von einander getrennt, aber die Herrscher blieben nun, anders als im früheren Mittelalter, aus dem engeren Bereich des Sacerdotiums ausgeschlossen. Selbstverständlich betonten sie auch jetzt noch die göttliche Erwählung und ihre Funktion als Sachwalter Gottes in ihrem Reich, aber eine priesterähnliche Stellung war nun nicht mehr so leicht zu behaupten – und doch ist sie von ihnen weiterhin beansprucht worden14. Bei jeder Krönung wurden sie wie die Priester und Bischöfe gesalbt, trugen sie priesterliche Gewänder, mit denen sie sich seit 1328 auch auf ihren Siegeln abbilden ließen; schließlich traten sie, wie seit Karl IV. belegt, in Christmette und Krönungsmesse als Verkünder des Evangeliums auf, wobei sie die Stola und das Pluviale nicht wie Diakone, sondern nach Art der Priester trugen. Der Eklat während der 1468 in Rom gefeierten Weihnachtsmesse, als Friedrich III. Stola und Pluviale zunächst nach Art der Diakone angelegt worden waren, wogegen der Kaiser jedoch erfolgreich protestierte, zeigt deutlich, wie sehr den Herrschern daran gelegen war, bei solchen liturgischen Auftritten wie ein Priester (mit vor der Brust gekreuzter Stola und nach vorne offenem Chormantel) und nicht nur wie ein Diakon zu erscheinen. Wie ein Priester finden sie sich ebenfalls auf den Majestätssiegeln dargestellt – nämlich bekleidet mit den kaiserlichen Herrschaftszeichen und dem priesterlichen Chormantel und darunter geschmückt mit einer vor der Brust überkreuzten Stola: in sua maiestate sedens paludamento sacerdotali, et subtus stola in 39, und ders., Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 89, 2003, S. 1 – 55. 14 Vgl. dazu wie zum folgenden Franz-Reiner Erkens, Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae, fasc. 6, Praha 2003, S. 29 – 44.

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crucis modum ante pectus ornatus, wie es Friedrich III. dem römischen Klerus auf Weihnachten 1468 höchstselbst erläuterte15. Das herrscherliche Selbstverständnis suchte mithin auch noch im späten Mittelalter die Nähe zum Sacerdotium, ohne daß dabei, was aber auch früher nicht der Fall gewesen ist16, die Grenze zum Priestertum überschritten worden wäre: Die Herrscher wollten keine (Sakramente spendenden) Priester sein, wohl aber priestergleich oder priesterähnlich, weil sie eine priesterliche Aufgabe zu erfüllen hatten. Diese sazerdotale Funktion und ihre ,propagandistische‘ Verkündung gilt es, näher in den Blick zu nehmen. Ein pontifex in praedicatione17, ein doctor und rector seines Volkes18, ein episcoporum episcopus19 wie Karl der Große, ein Herrscher, der durch persönliches Vorbild und normsetzende Maßnahmen, durch die Kapitulariengesetzgebung und die sog. karolingische Renaissance, an der christlichen Erziehung der Menschen mitwirkte20 und auf der Erde Verhältnisse zu schaffen suchte, die den Menschen die Sicherung ihres Seelenheils ermöglichte, oder der wie Heinrich III. das christliche Liebesgebot durch entsprechende Friedensgebote und eigene Predigten zu verwirklichen trachtete21, also eine Teilhabe an sazerdotalen Aufgaben im engeren Sinne besaß, ein solcher Herrscher war aus Warte der Kirche nicht mehr akzeptabel, seitdem die Könige, wie durch den Kardinal Humbert von Silva Candida22 und Papst Gregor VII.23 nach der Mitte des 11. Jahrhunderts geschehen, unter die Laien gezählt wurden, ihnen also keine eigene sakrale Position mehr zwischen der Laienschaft und der Geistlichkeit24 zugebilligt worden ist. Für die Friedenswahrung und Rechtsprechung, für den Schutz der Kirchen und Geistlichen sowie für die 15

Vgl. die Teiledition der Descriptio adventus Friderici III. imperatoris ad Paulum papam II. von Augustinus Patritius durch Heimpel (wie Anm. 5: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 39), S. 191 f. 16 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 13), S. 14. 17 Alkuin, Adversus Elipandum Toletanum lib. I 16, ed. Migne PL 101, 1851, Sp. 251 D. 18 Alkuin ep. 41, MGH Epist. 4, 1895, S. 84 (rectorem et doctorem); vgl. dazu die Epistola Nuncupatoria zu Alkuins Traktat De fide sanctae et individuae trinitatis, ed. Migne PL 101, 1851, Sp. 11 – 14. 19 Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni imperatoris, hg. von Hans F. Haefele, MGH SS rer. Germ. NS 12, 1959, S. 33 (I 25). 20 Vgl. dazu etwa Johannes Fried, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024 (Propyläen Geschichte Deutschlands 1), Berlin 1994, S. 262 – 324. 21 Vgl. dazu etwa Monika Minninger, Heinrichs III. interne Friedensmaßnahmen und ihre etwaigen Gegner in Lothringen, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5, 1979, S. 33 – 52. 22 Libri tres adversus simoniacos, ed. Friedrich Thaner, MGH LdL 1, Hannover 1891, S. 203 – 206 (III 5 – 7). 23 Registrum, ed. Erich Caspar, MGH Epist. Sel. 2, Berlin 1920/23, etwa S. 555 ff. (VII 21). 24 Vgl. die Charakterisierung des Königs als mediator cleri et plebis im Mainzer Krönungsordo von etwa 962, ed. Cyrille Vogel / Reinhard Elze (Hgg.), Le pontifical romanogermanique du dixième siècle I (Studi e Testi 226), Città del Vaticano 1963, S. 258 (Nr. LXXII §25).

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Verteidigung des Glaubens und seines Reiches blieb der Herrscher natürlich auch weiterhin zuständig, die seelsorgerische Dimension seines Wirkens jedoch wurde weitgehend negiert, obwohl bei der Krönung des deutschen Königs in Aachen weiterhin vom geistlichen Koronator jene im Mainzer Krönungsordo von 962 aufgenommene, freilich schon etliche Jahrzehnte ältere Gebetsformel gesprochen wurde, die den neuen König daran erinnerte, daß er ein Teilhaber (particeps) des bischöflichen Amtes (ministerium) sei25: Accipe coronam regni – „Empfange die Krone der Herrschaft, die Deinem Haupte zwar von unwürdigen, aber immerhin bischöflichen Händen aufgesetzt wird, und bedenke, daß sie den Ruhm und die Ehre der Heiligkeit (sanctitatis) sowie das Werk der Tapferkeit sinnfällig zum Ausdruck bringt; sei Dir bewußt, daß Du durch sie Teilhaber an unserem Amte [also am Bischofsamte] wirst, …“. Auch in dem wohl seit 1309 während des gesamten Spätmittelalters benutzten Krönungsordo26 findet sich dieser Hinweis, allerdings mit einer – wenn es sich nicht um einen Schreibfehler des Kompilators handelt – bemerkenswerten Änderung, mit der Feststellung nämlich, daß der gekrönte König der Erste im bischöflichen Amte sei27: princeps ministerii nostri (was immerhin mit entsprechenden Vorstellungen in Frankreich und England korrespondieren würde, wo der König zur gleichen Zeit verstanden worden ist als chef et la premiere Personne ecclesiastique28 oder als Repräsentant eines dem Priestertum übergeordneten ordo in ecclesia29). Die Nähe zum Sacerdotium, die mit dieser Formel und der schon erwähnten priesterlichen Präsentation im Vollzug der Liturgie und auf den Majestätsbildern der königlich-kaiserlichen Siegel und Bullen herausgestellt wurde, diente freilich nicht dazu (wie früher allerdings behauptet worden ist30), einen Rang innerhalb der kirchlichen Hierarchie zu beanspruchen. Priester im Vollsinne des Wortes waren die Herrscher nie und wollten sie nie sein, auch nicht – es sei noch einmal eigens betont – im früheren Mittelalter. Gerade im späten Mittelalter hätte ein diakonaler oder sazerdotaler Rang zudem Unterordnung unter Bischof und Papst bedeutet; daran aber konnte den Herrschern nicht gelegen sein. Ihnen ging es vielmehr darum, eine von der Geistlichkeit weitgehend unabhängige Sakralität zu gewinnen, die eine Priesterähnlichkeit ohne hierarchische Unterordnung einschloß. Der Auftritt als 25 Ebd. S. 257 (Nr. LXXII § 22): Accipe coronam regni, quae licet ab indignis episcoporum tamen capiti tuo imponitur, eamque sanctitatis gloriam et honorem et opus fortitudinis expresse intellegas et per hanc te participem ministerii nostri non ignores, … 26 Vgl. Walter Goldinger, Das Zeremoniell der deutschen Königskrönung seit dem späten Mittelalter, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 5, 1957, S. 91 – 111. 27 Ed. Georg Heinrich Pertz, MGH LL 2, Hannover 1837, S. 389 Z. 48 f. 28 Denkschrift des Jean Juvénal des Ursins für Karl VII. (1452), ed. Noël Valois, Histoire de la Pragmatique Sanction de Bourges sous Charles VII, Paris 1906, S. 216 (Nr. 84). 29 John Wyclif, Tractatus de officio regis, ed. by Alfred W. Pollard and Charles Sayle (Wyclif. The Latin Works [11]), London 1887, S. 10 f. (c. 1). 30 Vgl. dazu Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 5), S. 131 ff.

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Leser des Weihnachtsevangeliums bezeugt dies im übrigen ebenso deutlich, worauf schon Hermann Heimpel hinwies31, wie die Evangeliumslesung in der Krönungsmesse. Wenn der kaiserliche Lektor auf Weihnachten zunächst mit dem Schwert fuchtelte, bevor er das Evangelium nach Lukas laß (2,1: „Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot ausging von dem Kaiser Augustus“), dann stellte er sich eindeutig in eine imperiale Tradition, wie er royale Bezüge betonte, wenn er bei der Aachener Krönung das Evangelium von den Heiligen Drei Königen vortrug (Matth 2,1 ff.). Nikolaus von Kues verstand daher die herrscherliche Sakralität am Ausgang des Mittelalters auch entsprechend als ein eigenständiges, vom Priestertum unabhängiges Phänomen, wenn er 1433/34 feststellte32: … sacra est omnis maiestas et spiritualis et a deo; und Peter von Andlau, Basler Professor für Kirchenrecht und eher kurial als kaiserlich gesonnen, folgte ihm prinzipiell in dieser Ansicht, indem er die herrscherliche Würde als sacram majestatem33 charakterisierte. Worin aber gründete im späteren Mittelalter die Priestergleichheit des Herrschers, die ein eigenes Element dieser Sakralität darstellte und die in entsprechenden Aktionen zur Schau gestellt worden ist? Sie gründete, wie schon gesagt, nicht mehr in einem diffusen Verständnis von einem königlichen Priestertum frühmittelalterlicher Prägung, von dem um 770 wohl sogar Papst Stephan III. in einem Schreiben an das karolingische Brüderpaar Karl und Karlmann sprach34. Vielmehr gewann seit dem 11. Jahrhundert immer mehr die Vorstellung vom König als Rechtswahrer und Gesetzgeber an Bedeutung, ein Juridifizierungsprozeß mithin, den Ernst H. Kantorowicz in einigen seiner Arbeiten beschrieben hat35 und der dem 31 Vgl. ebd., S. 140 sowie auch Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte (Veröffentlichungen des MPI für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 38. 32 De Concordantia catholica, ed. Gerhard Kallen [und Anna Berger], Nicolai de Cusa Opera omnia 14, Hamburg 1968, S. 326 (III prooemium). 33 Libellus de Cesarea Monarchia, ed. Rainer A. Müller, Peter von Andlau. Kaiser und Reich (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 8), Frankfurt a. M. / Leipzig 1998, S. 206 (II Tit. 6). 34 MGH Epist. III, 1892, S. 561 (Nr. 45): … nam absit hoc a vobis, qui perfecte estis christiani et ,gens sancta atque regale estis sacerdotium‘. Zweifellos ist mit dieser Formulierung zunächst ein allgemeines (hinsichtlich der Königsherrschaft also unspezifisches) Priester- und Königtum gemeint, das gemäß 1 Petr 29 jedem Christen – also auch den karolingischen Herrschern – mit der Taufe übertragen wird: Vgl. dazu Paul Dabin, Le Sacerdoce Royal des Fidèles dans la tradition ancienne et moderne (Museum Lessianum – Section Théologique 48), Paris 1950. Doch gibt der nachfolgende Satz des Briefes möglicherweise einen Hinweis auf eine bereits erweiterte, wenn auch nicht klar umrissene Deutungsmöglichkeit des regale sacerdotium mit Blick auf den 754 vom Papst gesalbten König, heißt es hier doch: Recordamini et considerate, quia oleo sancto uncti per manus vicarii beati Petri caelesti benedictione estis sanctificati, … 35 1: Die zwei Körper des Königs. „The King’s Two Bodies“. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 [engl. 1957]; 2: Götter in Uniform. Studien zur Entwicklung des abendländischen Königtums. Hg. von Eckhart Grünewald und Ulrich Raulff, Stuttgart 1998 (darin besonders S. 180 – 202 [und hier vor allem S. 194 ff.]: „Königtum unter der Einwirkung wissenschaftlicher Jurisprudenz“ [engl. 1961], und S. 263 – 289 [und hier vor

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Bild des Herrschers als eines ,Priesters des Rechts‘ oder ,der Gerechtigkeit‘ deutliche Konturen verlieh. Von dieser Auffassung her gewann die Sazerdotalität des sakralen Herrschers ein neues Profil. Roger II. hat als normannischer König Süditaliens im Vorwort zu den wohl 1140 in Ariano verkündeten Assisen als erster abendländischer Herrscher unter Verweis auf Kaiser Justinians Corpus iuris civilis (und zwar auf Digesten I 1.1) die priesterliche Funktion des Richters und damit auch des rechtsetzenden und -wahrenden Königs betont36: „,Durch mich herrschen die Könige und regeln die Gesetzgeber die Gerechtigkeit‘“, erkläre Gott selbst, weswegen Roger kundgibt: „Wir glauben, daß Gott nichts wohlgefälliger ist, als wenn wir ihm einfach das darbringen, was er selber ist, nämlich Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Mit dieser Gabe nimmt das Herrscheramt für sich ein Privileg des Priestertums in Anspruch. Daher nennt ein Jurist die Rechtslehrer Priester des Rechts (iuris sacerdotes)“. Rogers Enkel, der letzte Stauferkaiser Friedrich II., stellte sich ganz in diese Tradition, als er 1231 im Prooemium der Konstitutionen von Melfi Rechenschaft gab von seiner Herrschaftsauffassung und dabei die Ansicht vertrat, den Völkern seien Fürsten vorangestellt worden sowohl durch zwingende Notwendigkeit (rerum necessitate) als auch auf Eingebung der göttlichen Vorsehung (divinae provisionis instinctu), damit sie als Richter (arbitri) und gewissermaßen Vollstrecker des göttlichen Urteils (executores quodammodo divinae sententiae) die Verbrechen zügeln könnten37, wobei Friedrich ebenso wie sein normannischer Großvater die Pflege der Gerechtigkeit und den Erlaß von Gesetzen als ein dem lebendigen Gotte dargebrachtes Dankopfer auffaßte38.

allem S. 267 – 272] „Mysterien des Staates. Eine absolutistische Vorstellung und ihre Ursprünge im Spätmittelalter“ [engl. 1955]). 36 Ortensio Zecchino (Hg.), Le Assise di Ariano, Cava di Tirenni 1984, S. 22 (,per me reges regnant et conditores legum decernunt iustitiam‘. Nichil enim gratius deo esse putamus, quam si id simpliciter offerimus, quod eum esse cognovimus, misericordiam scilicet atque iustitiam. In qua oblatione regni officium quoddam sibi sacerdotii vendicat privilegium; unde quidam sapiens legisque peritus iuris interpretes iuris sacerdotes appellat); zur Sache und zur Übersetzung vgl. Hubert Houben, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, Darmstadt 1997, S. 136 – 146, bes. S. 142 f. 37 Vgl.: Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, hg. von Wolfgang Stürner, MGH Const. Suppl. II, Hannover 1996, S. 145 – 148, bes. S. 147 (Sicque ipsarum rerum necessitate cogente nec minus divine provisionis instinctu principes gentium sunt creati, per quos posset licentia scelerum coherceri; qui vite necisque arbitri gentibus, qualem quisque fortunam, sortem statumque haberet, velut executores quodammodo divine sententie stabilirent …), sowie dazu wie zur Sache ders., Rerum necessitas und divina provisio. Zur Interpretation des Prooemiums der Konstitutionen von Melfi (1231), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 39, 1983, S. 467 – 554. 38 Vgl. das Prooemium Friedrichs zu den Konstitutionen, MGH Const. Suppl. II, S. 147: Nos itaque … reddere Deo vivo in reverentiam Jesu Christi … colendo iustitiam et iura condendo mactare disponimus vitulum labiorum …, sowie das Vorwort Rogers zu den Assisen (wie Anm. 36).

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Jedoch nicht nur über das staufisch-normannisch-süditalische Königreich wurde dem Mittelalter die durch Justinians Gesetzeswerk dem christlichen Rechtsdenken eingepflanzte Vorstellung heidnisch-antiker Autoren vom Richter und damit auch vom Herrscher als iustitiae antistes39, iuris antistes40 oder iustitiae sacerdos41 vermittelt. Noch wichtiger dürfte vielmehr die seit dem 12. Jahrhundert allgemein spürbare Rezeption des römischen Rechts42 gewesen sein, durch die schließlich – nicht zuletzt auch im Verbund mit der ein Jahrhundert später einsetzenden Wiederentdeckung der aristotelischen Lehre vom Gemeinwesen43 – säkulare Herrschaftsbegründungen möglich wurden44, durch die aber ebenfalls, was bislang zu wenig beachtet worden ist, spätantike Anschauungen über die Sakralität der Kaiser wieder in Erinnerung gerufen worden sind. So erklärte etwa der berühmte Accursius, der um 1258 verstorbene Ausleger des römischen Rechts, in seiner ,Glossa ordinaria‘, die Richter seien wie Priester, weil sie sich mit Hochheiligem (leges sanctissimae) beschäftigten und im Gericht einem jedem sein Recht zuteilten so, 39 Auli Gellii Noctium Atticarum, ed. Carl Hosius, Stuttgart 1903, S. 117 (XIV 4, 3: … iudicem, qui Iustitiae antistes est, …). 40 M. Fabii Quintiliani Institutio oratoria XI 1. 69. Hg. von M. Winterbottom, Bd. 2, Oxford 1970, S. 636. 41 Symmachi Relatio X 3, 13, hg. von Otto Seeck, Q. Aurelii Symmachi quae supersunt, MGH AA VI 1, Berlin 1883, S. 282, 28 (im Schreiben von 384, das auch mit den Werken des Ambrosius von Mailand überliefert ist, an Theodosius mit Bezug auf den Kaiser: iustitiae sacerdotes); vgl. Corpus Inscriptionum Latinarum VI 1, edd. Eugen Bormann und Wilhelm Henzen, Berlin 1876, Nr. 2250 (sacerdotes iustitiae). 42 Zu dieser vgl. etwa Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse der Akad. der Wiss. in Mainz, Jg. 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999; oder Gottfried Koch, Auf dem Wege zum Sacrum Imperium. Studien zur ideologischen Herrschaftsbegründung der deutschen Zentralgewalt im 11. und 12. Jahrhundert (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 20), Berlin (Ost)1972; neuestens auch Gerhard Dilcher, Die staufische Renovatio im Spannungsfeld von traditionalem und neuem Denken. Rechtskonzeptionen als Handlungshorizont der Italienpolitik Friedrich Barbarossas, in: Historische Zeitschrift 276, 2003, S. 613 – 646. 43 Vgl. dazu Martin Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Staat (SBB d. Bayer. Akad. d. Wiss., Philos.-hist. Abt. Jg. 1934, Heft 2), München 1934 [ND in: ders., Gesammelte Akademieabhandlungen 1, Paderborn 1979, S. 809 – 906], sowie Kurt Flasch, Einführung in die Philosophie des Mittelalters, Darmstadt 31994, S. 134 – 148; Wolfgang Stürner, Adam und Aristoteles im „Defensor Pacis“ des Marsilius von Padua. Ein Vergleich mit Thomas von Aquin und Jean Quidort, in: Rivista di storia della filosofia medievale 6, 1980, S. 379 – 396. 44 Vgl. dazu etwa Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse der Akad. d. Wiss. in Mainz, Jg. 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999; sowie ders., Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), Stuttgart 1978, Kap. VI., und Wolfgang Stürner, Peccatum und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sigmaringen 1987, Kap. VI.

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wie es auch die sacerdotes täten, wenn sie eine Buße auferlegten45 ; und der um 1280 in Florenz tätige, auch als Schriftsteller wirkende Jurist Johannes von Viterbo war davon überzeugt, daß Richter durch die Gegenwart Gottes geheiligt seien46. Im 14. Jahrhundert schließlich verteidigte der als Lehrer einflußreiche Doctor iuris utriusque Baldus de Ubaldis aus Perugia mit großem Selbstbewußtsein die Ansicht, nach der die Rechtslehrer Priester genannt würden47: legum professores dicuntur sacerdotes, und unterschied dabei das sacerdotium spirituale von einem sacerdotium temporale. Selbst Kirchenrechtler, deren Disziplin seit Gratians Wirken im 12. Jahrhundert aufblühte48, wußten von er sazerdotalen Qualität der das Recht sprechenden und hütenden Herrscher vergangener Zeiten. Gratian selbst erinnerte, indem er sich auf die Etymologien des Isidor von Sevilla stütze49, noch im 12. Jahrhundert daran, daß der rex vor Zeiten sowohl sacerdos als auch pontifex gewesen sei, weswegen die römischen Kaiser als pontifices bezeichnet worden seien50. Der 1296 gestorbene Wilhelm Durandus (der Verfasser des vielbeachteten ,Speculum iudiciale‘ und des die Liturgie beschreibenden ,Rationale divinorum officiorum‘, der seinerseits Gratians ,Decretum‘ herangezogen hat) erklärte gar noch gegen Ende des 13. Jahrhunderts, daß der Kaiser als pontifex51 charakterisiert

45 Glossa ordinaria (zu Dig. 1, 1, 1; zit. nach Kantorowicz, Mysterien [wie Anm. 35], S. 271 Anm. 26): quia ut sacerdotes sacra ministrant et conficiunt, ita et nos, cum leges sunt sanctissimae … Ut ius suum cuique tribuit sacerdos in danda poenitentia, sic et nos in iudicando. 46 Liber de regimine civitatum, hg. von Gaetano Salvemini, Scripta anecdota glossatorum vel glossatorum aetate composita (Bibliotheca iuridica medii aevi 3), Bologna 1901, S. 215 – 280, hier: S. 226 (c. 25): … nam iudex alias sacerdos dicitur, quia sacra dat; sic enim scriptum est in principio Dig.: „Merito quis nos sacerdotes appellet“.; et alias dicitur: „Iudex dei presentia consecratur“ [Cod. III, I, I4], …. Dicitur etiam, immo creditur, esse deus in omnibus pro hominibus … [Cod. II, 59, 2, 8]. 47 Zit. nach Kantorowicz, Königtum und wissenschaftliche Jurisprudenz (wie Anm. 35), S. 196. 48 Vgl. dazu Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche, Köln 5 1972, §§ 25. 26. 49 Ed. Migne PL 82, 1878, Sp. 291 (VII 1213-14); ed. W. M. Lindsay, Isidori Hispalensis episcopi Etymologiarum sive Originum Libri XX, Tom. I, Oxford 1911 (ohne Seitenzählung!): Pontifex, princeps sacerdotum est, … Antea autem pontifices et reges erant; nam majorum haec erat consuetudo, ut rex esset etiam sacerdos et pontifex. Unde et romani imperatores pontifices dicebantur. 50 Decretum Magistri Gratiani I, Dist. XXI, C. 1, §8, hg. von Emil Friedberg, Leipzig 2 1879, Bd. I, S. 68: Pontifex princeps sacerdotum est, … Ante autem pontifices et reges erant. Nam maiorum hec erat consuetudo, ut rex esset et sacerdos et pontifex. Unde et Romani imperatores pontifices dicebantur. 51 Guillelmi Duranti Rationale Divinorum officiorum, edd. A. Davril et T. M. Thibodeau, Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis 140, Turnholti 1995, S. 172 (II 11, 3): unde et romani imperatores pontifices dicebantur; vgl. aber auch das Zitat in der folgenden Anm.

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werde, und führte darüber hinaus auch noch die von manchen vertretene Ansicht an, nach welcher der Kaiser den Rang eines Priesters (presbyter) besitze52. Vor dem Hintergrund solcher Äußerungen scheint die Vorstellung von einem weltlichen Priestertum (sacerdotium temporale) der Gesetzgeber und Rechtswahrer, einschließlich natürlich der Herrscher, sehr verbreitet gewesen zu sein, auch wenn nicht immer ausdrücklich auf sie hingewiesen und die praktische Rechtspflege in zunehmendem Maße in die Hände ausgebildeter Juristen gelegt wurde53. Daher kann es im Grunde kaum überraschen, wenn die Könige, deren Würde auch während des späten Mittelalters von vielen als unmittelbar von Gott stammend verstanden54 und deren Rechenschaftspflicht gegenüber Gott wiederholt betont55 worden ist, als oberste Garanten und Quellen des Rechts den Priestern gleich geachtet worden sind. In England leuchtete dieser Gedankenhorizont in der Mitte des 13. Jahrhunderts hinter den Ausführungen des dem Richter Henry Bracton zugeschriebenen hochberühmten Traktats ,De Legibus et Consuetudinibus Regni Angliae‘56 auf, in dem vom König gesagt wird, es gebe niemanden, der ihm gleich oder übergeordnet sei in seinem Reich; unter Gott und dem Recht stehend, walte er auf Erden als Gottes Stellvertreter und Diener (dei minister et vicarius), indem er allen Gerechtigkeit widerfahren lasse. In Frankreich sah Ludwig der Heilige57 etwa zur gleichen Zeit in der Herstellung von Gerechtigkeit ebenfalls eine zentrale Aufgabe seines Amtes, weil pax et iustitia von Gott gewollt waren und ihre Verwirklichung als Ausdruck der königlichen Liebe zu Gott erschien und weil die menschliche Seele durch die irdische Gerechtigkeit zu Gott geführt werden konnte58. Zu Beginn

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Ebd. S. 156 f. (II 8, 6): Quidam etiam dicunt, quod [imperator] sit presbyter iuxta illud: „Cuius merito quis nos sacerdotes appellat“. Imperator etiam pontifex dictus est … . 53 Vgl. dazu Kantorowicz, Königtum und wissenschaftliche Jurisprudenz (wie Anm. 35), S. 186 ff., sowie allg. auch Peter Moraw, Gelehrte Juristen im Dienst der deutschen Könige des späten Mittelalters (1273 – 1493), in: Roman Schnur (Hg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates, Berlin 1986, S. 77 – 147. 54 Vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 13), S. 20 – 25. 55 Vgl. ebd., S. 49 ff. 56 Ed. by George E. Woodbine, translated by Samuel E. Thorne, 4 Bde., Cambridge 1968 – 1977, die Belege für die nachfolgenden Darlegungen finden sich in Bd. II, 1968, S. 33: Parem autem non habet rex in regno suo, quia sic amitteret praeceptum, cum par in parem non habeat imperium. Item nec multo fortius superiorem, neque potentiorem habere debet, quia sic esset inferior sibi subiectis, et inferiores pares esse non possunt potentioribus. Ipse autem rex non debet esse sub homine sed sub deo et sub lege, quia lex facit regem. … Non est enim rex ubi dominatur voluntas et non lex. Et quod sub lege esse debeat, cum sit dei vicarius, evidenter apparet ad similitudinem Ihesu Christi, cuius vices gerit in terris. – S. 305: Ad hoc autem creatus est rex et electus, ut iustitiam faciat universis, et ut in eo dominus sedeat, et per ipsum sua iudicia discernat … – … Nihil enim aliud potest rex in terris, cum sit dei minister et vicarius, nisi id solum quod de iure potest … 57 Zu diesem vgl. Jacques LeGoff, Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000 [frz. 1996]. 58 Vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 13), S. 50 f. mit Anm. 226. – Ludwig der Bayer erklärte in seinem Landrecht (wie Anm. 79) etwa (S. 54), er verkünde sein Gesetzes-

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des 14. Jahrhunderts verstand der Pariser Gelehrte und königstreue Dominikaner Jean Quidort daher auch den Gesetzgeber als Seelsorger und lehrte59 : legislator habet curam animarum. Auch im Reich lassen sich ähnliche Ansichten greifen, werden die Kaiser hier doch gelegentlich als sanctissimus60 oder sacratissimus legislator61 vorgestellt. Rudolf von Habsburg, der unerbittliche Verfolger von Raubgesindel, erschien dem Verfasser des Ellenhardi Chronicon62 sogar als heilig (sanctus) sowie als Instrument Gottes, weil der König nach seiner Ansicht als listiger Urteilsfinder wie ein neuer Salomo aufgetreten war. Ernst Kantorowicz hat die in solchen und ähnlichen Darlegungen greifbare Entwicklung der mittelalterlichen Königsidee als einen Weg „von der Liturgie zur Rechtswissenschaft“, als Wandel der Vorstellung vom Christus imitierenden Herrscher (christomimetes) älterer Zeiten hin zum vorwaltenden Verständnis vom Herrscher als einem Garanten und Schöpfer von Recht und Gerechtigkeit beschrieben63. Die Linien, die er dabei zog, sind durchaus korrekt, wenn auch manchmal wohl etwas zu scharf konturiert – etwa wenn es heißt: „Auf jeden Fall war das Königtum [seit dem 12. Jahrhundert] im Begriff, vom Altarraum getrennt zu werden, und das alte Ideal des Priesterkönigs nach dem Vorbild von Melchisedek und Christus wurde allmählich durch einen neuen königlichen Pontifikalismus nach dem Vorbild Ulpians oder sogar Justinians ersetzt“64. Eine wirkliche Trennung vom Altarraum ist nämlich während des gesamten Mittelalters (und noch lange darüber hinaus) nicht eingetreten. Die liturgischen Auftritte der Herrscher zeigen vielmehr ein anhaltendes Bemühen um die Nähe zum Altar, auch – und das ist völlig richtig – wenn die Repräsentanten des Regnum von der Kirche nun als Laien betrachtet worden sind65 und ihre sazerdotale Dimension hauptsächlich aus ihrer Stellung als ,Priester der Gerechtigkeit‘ gewannen. Wenn dabei auch der Versuch (etwa des Wilhelm Durandus) bemerkenswert ist, den – um noch einmal Kantorowicz zu zitieren66 – „Nichtlaiencharakter des Fürsten nicht von seiner Salbung mit dem heiligen Balsam und seiner Weihe abzuleiten, sondern von Ulpians feierlichem werk zum ,Heil‘ (salus) seiner getreuen Bayern: Volens igitur dominus serenissimus Ludowicus Romanorum imperator quartus saluti fidelium suorum Babarie proficere, … 59 Tractatus de regia potestate et papali, hg. von Fritz Bleienstein, Johannes Quidort von Paris. Über königliche und päpstliche Gewalt. Textkritische Edition mit deutscher Übersetzung (Frankfurter Studien zur Wissenschaft von der Politik IV), Stuttgart 1969, S. 157 (c. 17). 60 Vgl. den Liber de regimine civitatis des Johannes von Viterbo (wie Anm. 46), S. 277 (c. 139). 61 MGH Const. VIII, Hannover / Leipzig 1919 – 1926, S. 607 (Nr. 600: 1348 in Bezug auf Karl IV.). 62 Hg. von Philipp Jaffé, MGH SS 17, 1869, S. 132 f. 63 Vgl. dazu Kantorowicz’ Arbeiten (wie Anm. 35), vor allem ,Die beiden Körper des Königs‘ (und hier zu dem Zitat die Überschrift des Kapitels IV 1). 64 Kantorowicz, Mysterien (wie Anm. 35), S. 272. 65 Vgl. etwa den Krönungsordo von 1309 (wie Anm. 27), S. 368 Z. 45. 66 Kantorowicz, Königtum unter der Einwirkung wissenschaftlicher Jurisprudenz (wie Anm. 35), S. 196.

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Vergleich von Richtern mit Priestern“, so darf trotzdem nicht vergessen werden, daß etwa Johann von Jenzenstein den verstorbenen Karl IV. in seiner Leichenpredigt unter anderem deshalb als ,heilig‘ (sanctus) bezeichnete, weil der Luxemburger mit heiligem Öl zum König gesalbt worden war67, und daß Peter von Andlau in der Mitte des 15. Jahrhunderts erklärte, der Kaiser empfange durch die Weihe und Salbung zwar keinen sacrum ordinem, wohl aber eine sacram Majestatem68. Wenn auch die Vorstellung vom ,Priester der Gerechtigkeit‘ im späteren Mittelalter immer wirkmächtiger wurde bei der sazerdotalen Fundierung der Herrschersakralität, so verdrängte sie die ältere Idee eines sakramental-priesterlich fundierten Herrschertum doch keineswegs völlig69. Beide Anschauungen konnten vielmehr gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig ergänzen. Die priesterliche Gewandung der kaiserlichen Majestät bei feierlichen Anlässen zeigt dies ganz deutlich. Die Erinnerung an sie lenkt aber auch den Blick zurück auf Ludwig den Bayern, von dem die hier ausgebreiteten Gedankengänge ihren Ausgang nahmen, und führt zugleich weiter zu der Frage nach den Umständen und Hintergründen der unter dem wittelsbachischen Kaiser spürbar werdenden Betonung der herrscherlichen Priesterähnlichkeit. Wenn auch Karl IV. getrost die Ehre gelassen werden darf, das liturgische Auftreten der Kaiser initiiert oder zumindest entscheidend gefördert zu haben70, so erfolgte doch unverkennbar bereits während Ludwigs Regierungszeit eine sich intensivierende Zurschaustellung der sazerdotal getönten Herrschersakralität. Hervorstechendes Kennzeichen der kaiserlichen Priestergleichheit war dabei das Tragen der Stola nach Art der Priester, also in vor der Brust gekreuzter Form, und zusätzlich oft die Bekleidung mit dem nach vorne offenen, mithin ebenfalls priesterlich getragenen Pluviale71. Die Herrscherstola hatte sich zwar offenbar aus dem römischen Triumphalgewand, das die siegreichen Imperatoren beim Triumphzug durch Rom trugen, und dem Lorum, einem bindenartigen Teil des byzantinischen Kaisergewands, entwickelt72, wurde aber im späteren Mittelalter mit dem ehema67 Fontes rerum Bohemicarum 3, hg. von Josef Emler, Prag 1882, S. 429: Et non miremini, reverendissimi patres, quod beatum et sanctum ipsum nominaverim, cum in veritate beatus et sanctus reputari debeat, quod probatur septem racionibus. Primo enim unctus fuit oleo sancto ad modum regum. 68 Vgl. Anm. 33: Attamen per hujusmodi consecracionem aut inunccionem non dicitur habere sacrum ordinem, sed sacram Majestatem. 69 Vgl. dazu etwa auch die Feststellung, die Dr. Heinrich Leubing als Beauftragter der Kurfürsten traf, als er Friedrich III. 1440 die Wahl zum König mitteilte, Dt. RTA 15, hg. von Hermann Herre, Gotha 1914, S. 184 (Nr. 106 §4): …, quod tua serenitas a domino tanquam Aaron ad regale sacerdotium et supremum Cristi ministerium advocata constitutum est … 70 Vgl. Anm. 6. 71 Vgl. Anm. 15. 72 Vgl. Percy Ernst Schramm, Von der Trabea Triumphalis des römischen Kaisers über das byzantinische Lorum zur Stola der abendländischen Herrscher. Ein Beispiel für den Wandel von Form und Bedeutung im Laufe der Jahrhunderte und bei der Übertragung von einem Land in das andere, in: ders., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert I (MGH Schriften 13/1), Stuttgart 1954, S. 25 – 50.

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ligen Schweißtuch, der Stola, der eigentlichen Amtsinsignie der Priester73, gleichgesetzt. Ein früher Beleg für diese Identifikation findet sich in dem wohl 1309 angelegten, für die folgenden Jahrhunderte maßgebenden Krönungsordo, in dem es heißt74 : Der König werde nach der Salbung mit Sandalen, Albe und Stola ad modum crucis in pectore bekleidet. Dieser Brauch ist mithin spätestens seit Heinrichs VII. Regierungszeit (1308 – 1313) praktiziert worden, aber besonders herausgestellt als Träger einer Stola wurden die Herrscher erst seit Ludwig dem Bayern, auch wenn der erste Kaiser aus dem Hause Luxemburg in der berühmten Bilderchronik über seine Romfahrt, die sein Bruder, der Trierer Erzbischof Balduin, wohl in den dreißiger und vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts anfertigen ließ, bei der Kaiserkrönung mit vor der Brust gekreuzter Stola vorgestellt wird75. Auf seinen Siegeln erscheint der Luxemburger aber noch nicht angetan mit priesterlichen Gewandstücken; solche Darstellungen finden sich erst nach der Kaiserkrönung Ludwigs am 17. Januar 1328 auf den Bullen und Majestätssiegeln der römischen Könige und Kaiser76 und bisweilen auch auf ihren Gerichtssiegeln77. Sie haben daher vielleicht auch die Gestaltung des soeben erwähnten Bildes von der Kaiserkrönung Heinrichs VII. beeinflußt; und selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, so entstand Ludwigs Bullen- und Siegelbild (Abb. 1 und 2) doch früher als Heinrichs VII. Krönungsdarstellung in der von seinem Bruder veranlaßten Chronik. Damit jedoch nicht genug! Es blieb nämlich nicht bei Siegeldarstellungen Ludwigs in geistlichen Kleidern. Vielmehr sind weitere bildliche Darstellungen des Wittelsbachers als Stolaträgers und ein Bericht über sein stolageschmücktes Auftreten überliefert. Leonhard von München, der kunstfertige Kanzlist des Kaisers, der für seinen Herrn über 300 Urkunden schrieb und dabei 23 von ihnen mit Zierzeilen schmückte, hat in zwei von diesen Prunkstücken die Initiale des Herrschernamens 73 Vgl. Rupert Berger, Liturgische Gewänder und Insignien, in: Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft. Hg. von Hans Bernhard Meyer u. a., Teil 3), Regensburg 21990, S. 324 f. und S. 340, sowie B. Kranemann, Stola, in: Lexikon des Mittelalters 8, 1997, Sp. 190. 74 MGH LL 1, S. 387 Z. 42 f. 75 Kaiser Heinrichs Romfahrt. Die Bilderchronik von Kaiser Heinrich VII. und Kurfürst Balduin von Luxemburg. 1308 – 1313. Mit einer Einleitung und Erläuterungen hg. von FranzJosef Heyen, München 1978, S. 97 (zur Datierung vgl. ebd., S. 44: „eher um 1340“, zum Zusammenhang der Entstehung vgl. S. 35 ff.). 76 Vgl. die Belege bei Erkens, Heißer Sommer (wie Anm. 14), S. 39 f. mit Anm. 63 – 69, sowie Eugen Hillenbrand, ,Ecce sigilli faciem‘. Das Siegelbild als Mittel politischer Öffentlichkeitsarbeit im 14. Jahrhundert, in: Konrad Krimm / Herwig John (Hgg.), Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie. Festschrift für Hansmartin Schwarzmeier zum fünfundsechzigsten Geburtstag, Sigmaringen 1997, S. 53 – 77, bes. S. 57 – 61. 77 Vgl. Erkens, Heißer Sommer (wie Anm. 14), S. 40 mit Anm. 71 sowie, mit Bezug auf Ludwig den Bayern, Karl. IV., Sigismund und Friedrich III., Friedrich Battenberg, Das Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1235 – 1451. Mit einer Liste der Hofgerichtsurkunden (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 6), Köln / Wien 1979, S. 103 – 110, S. 114 – 118, S. 129 – 139.

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dazu genutzt (Abb. 3), Ludwig mit (priesterlicher) Stola darzustellen78. Aber auch auf dem zeitgenössischen ,Titelbild‘ des gleichsam serienmäßig vervielfältigten Oberbayerischen Landrechts von 1346 (Abb. 4) wird Ludwig mit diesem Kleidungsstück präsentiert79 ; und ebenso erscheint er in der Miniatur jenes Antiphonars, das er wohl dem Prämonstratenserstift Schäftlarn und dessen langjährigem Vorsteher, seinem Kaplan Konrad Sachsenhauser, schenkte80. An der Ostwand des großen Rathaussaals von Nürnberg wurde um 1338/40 sogar ein Relief des mit einer Stola bekleideten Wittelbachers angebracht81. Später, lange nach seinem Tode, als seine sterblichen Überreste umgebettet wurden in die Münchener Liebfrauenkirche, durch die 1468 die alte Marienkirche und die ihr zugehörige Friedhofskapelle ersetzt wurden, ist Ludwig auf seiner Grabplatte aus rotem Marmor ebenfalls mit Stola und Pluviale verewigt worden82. Diese Skulptur ist zwar kein Zeugnis aus Ludwigs Regierungszeit und für sein priestergleiches Auftreten, wohl aber für das Fortwirken einer Erinnerung an den Kaiser, der bei bedeutsamen Handlungen geistliche Gewandstücke trug: die Stola, die der wichtigsten priesterlichen Amtsinsignie entsprach, darüber hinaus gelegentlich auch das Pluviale, das gleichfalls auf die sazerdotale Sphäre verwies, und schließlich manchmal (unter der Krone) auch eine Mitra83, die freilich nicht unbedingt immer als eine geistliche Kopfbedeckung erkannt worden sein muß, für die aber die Miniatur in der Wir-Initiale der 78 Vgl. Christa Wrede, Leonhard von München, der Meister der Prunkurkunden Ludwigs des Bayern (Münchener Hist. Studien, Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 17), Kallmünz 1980, bes. S. 58 ff. (Katalog 8 und 12: 1332 August 25 für Dortmund; 1339 März 10 für Balduin von Trier); Helmut Bansa, Studien zur Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag der Wahl bis zur Rückkehr aus Italien (1314 – 1329) (Münchener Hist. Studien, Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 5), Kallmünz 1968, S. 191 – 200, sowie zu den Darstellungen bes. Suckale, Die Hofkunst (wie Anm. 12), S. 37 Abb. 22, (24), 25, und allg. Wittelsbach und Bayern I 2. Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I. zu Ludwig dem Bayern. Hg. von Hubert Glaser, München / Zürich 1980, S. 225 – 233. 79 Vgl. Suckale, Die Hofkunst (wie Anm. 12), S. 38 Abb. 26 (sowie S. 245 Abb. 188); Wittelsbach und Bayern I 2 (wie Anm. 78), S. 233 ff. Nr. 355; Heinz Lieberich, Eine zeitgenössische bildliche Darstellung Kaiser Ludwigs des Bayern, in: Zeitschrift für Bayrische Landesgeschichte 23, 1960, S. 128 – 136, bes. S. 131 ff., sowie zum Text selbst jetzt: Oberbayerisches Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346. Edition, Übersetzung und juristischer Kommentar. Von Hans Schlosser (Kommentar und Übersetzung) und Ingo Schwab (Edition), Köln 2000, und dazu Hans Schlosser, Das Rechtsbuch Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346 – Strukturen des materiellen und Prozessrechts, in: Nehlsen / Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 8), S. 261 – 284. 80 Vgl. Suckale, Die Hofkunst (wie Anm. 12), S. 41 – 45 mit Abb. 30, sowie zu Ludwigs Beziehungen zu Schäftlarn und seinem Propst auch Gertrud Diepolder, Getreue des Kaisers. Das Stift Schäftlarn und sein Propst Konrad Sachsenhauser. Eine Fallstudie, in: ZBLG 60, 1997, S. 363 – 406. 81 Vgl. Suckale, Die Hofkunst (wie Anm. 12), S. 111 mit Abb. 93. 82 Vgl. Thomas, Ludwig der Bayer (wie Anm. 8), S. 379 f. mit den Abb. auf Seite 192 und 177, und Hubert Glaser, Schwierige Erinnerung – Über das „Kaisergrab“ in der Münchner Frauenkirche und andere Denkmäler Kaiser Ludwigs des Bayern, in: Nehlsen / Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 8), S. 1 – 38, bes. S. 8 – 14. 83 Vgl. Suckale, Die Hofkunst (wie Anm. 12), S. 33 f.

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von Ludwig am 17. November 1345 ausgestellten Urkunde für die Stadt Passau84 ein schönes, heute noch im Stadtarchiv der Dreiflüssestadt zu betrachtendes Beispiel liefert. Neben den bildlichen Zeugnissen gibt es aber mindestens auch einen schriftlichen Beleg für Ludwigs Auftreten in geistlichem Gewand bei hochbedeutsamen Akten der Politik, nämlich bei der – in den Zusammenhang des beginnenden hundertjährigen Krieges85 zwischen England und Frankreich und der durch den französischen König blockierten Ausgleichsverhandlungen86 des gebannten Wittelsbachers mit Papst Benedikt XII. gehörenden – Ernennung Edwards III. von England zum Generalvikar des Kaisers, die am 5. September 1338 in Koblenz erfolgte und verbunden war mit der durch den Kaiser auf der Grundlage eines Fürstenspruches vollzogenen Anerkennung von Edwards Recht an der französischen Krone87. Bei dieser Gelegenheit, bei einer öffentlichen Handlung von höchster politischer Bedeutung, bei dem rechtlichen Vorgang einer Aufgabenübertragung legte Ludwig den vollen herrscherlichen Ornat an, den er auch auf seinen Majestätssiegeln trug: Krone mit Mitra, Szepter und Reichsapfel, eine Dalmatika (damaticle) sowie eine nach Priesterart getragene Stola: une estolle devant, croisie en la maniere d’un prestre, wie es in einer flandrischen Chronik des 14. Jahrhunderts heißt88. 84 Vgl. ebd. die Abb. 196 und 197 auf Seite 262 und Wrede (wie Anm. 78), S. 138 f. Nr. 23 sowie zu den politischen Hintergründen der Privilegiengewährung Franz-Reiner Erkens, Aspekte der Passauer Geschichte im 14. Jahrhundert: Das Bistum zwischen Habsburg, Wittelsbach und Böhmen und die kommunale Bewegung in Passau, in: Ostbairische Grenzmarken 31, 1989, S. 61 – 85, bes. S. 72 f. 85 Zu diesem vgl. André Leguai, La guerre de Cent ans, 1974; Jean Favier, La guerre de Cent Ans, Paris 1980; Philippe Contamine, La guerre de Cent Ans, Paris 71994; Joachim Ehlers, Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Stuttgart 1987, Kap. 6 – 9, und Heribert Müller, Frankreich im Spätmittelalter: Vom Königsstaat zur Königsnation (1270 – 1498), in: Ernst Hinrichs (Hg.), Geschichte Frankreichs, Stuttgart 2002, S. 55 – 101, bes. S. 64 – 87. 86 Vgl. dazu Hermann Otto Schwöbel, Der diplomatische Kampf zwischen Ludwig dem Bayern und der römischen Kurie im Rahmen des kanonischen Absolutionsprozesses 1330 – 1346 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit X), Weimar 1968, S. 89 – 105 und S. 173 – 277. 87 Friedrich Bock (Hg.), Das deutsch-englische Bündnis von 1335 – 1342, Bd. 1: Quellen (Quellen und Erörterungen zur Bayer. Gesch. NF 12), München 1956, S. 120 Nr. 530 (1338 Sept. 15, Frankfurt); vgl. dazu ders., Reichsidee (wie Anm. 11), S. 432 – 440; Fritz Trautz, Die Könige von England und das Reich. 1272 – 1377. Mit einem Rückblick auf ihr Verhältnis zu den Staufern, Heidelberg 1961, S. 272; Thomas, Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 8), S. 315 ff., und neuestens Marie-Luise Heckmann, Das Reichsvikariat Eduards III. von England „per Alamanniam et Galliam“ (1338 – 1341) – Eine Neuinterpretation, in: Peter Thorau u. a. (Hgg.), Regionen Europas – Europa der Regionen. Festschrift für Kurt-Ulrich Jäschke zum 65. Geb., Köln 2003, S. 167 – 188 (zum folgenden bes. S. 181). 88 Chronique de la Flandres, écrite au XIVe siècle, en patois rouchy (langue de Valencienne), ed. J.-A.-C. Bouchon, Choix de Chroniques et Mémoires sur l’Histoire de France, avec notices littéraires, Paris 1839, S. 601 – 672 (vgl. dazu S. XLIII-XLV: Notice sur le manuscrit des Chroniques de Flandres. Extraits des livres de Baudoin d’Avesnes, bes. S. XLV zur Entstehung der Handschrift im 14. Jahrhundert), hier: S. 669 (H. 196) = Johann Friedrich Böhmer, Fontes rerum Germanicarum I, Stuttgart 1843, S. 190: … Et estoit vestu d’un drap de

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Insgesamt sind die Zeugnisse also recht dicht, die von Ludwigs priestergleichem Auftreten und Erscheinen künden. Grundsätzlich ordnete sich der Wittelsbacher damit in eine alte Tradition ein, die er aufnahm und in die auch noch seine Nachfolger eintreten sollten. Bemerkenswert ist dabei jedoch zweierlei: einmal die Präsentation des stolatragenden Herrschers im Zusammenhang mit rechtserheblichen Akten und zum anderen die durch die Häufigkeit der Belege faßbare Intensivierung einer Zurschaustellung herrscherlicher Sazerdotalität. Die Rechtsnähe des (spätestens seit 1309)89 stolageschmückten Herrschers und die Verwirklichung von Recht wie Gerechtigkeit durch ihn zeigen sich sowohl an dem Koblenzer Auftritt von 1338 als auch an den bildlichen Darstellungen auf dem ,Titelblatt‘ des Oberbayerischen Landrechts90 (Abb. 4) sowie speziell auf den Gerichtssiegeln91 und allgemein auf den Bullen und Majestätssiegeln92 (Abb. 1 und 2), die ja an Urkunden, also an Rechtsdokumenten, hängen. Darüber hinaus bedeutete die Vorstellung des Herrschers in seiner Majestät ohnehin die Präsentation des Königs und Kaisers als obersten Rechts- und Friedenswahrers, der allein Gott verantwortlich ist, weswegen es auch nicht mehr überraschen kann, wenn die beiden Initialen (Abb. 3), in denen Leonhard von München den stolagezierten Ludwig darstellt93, sich in Urkunden befinden, mit denen Rechte in umfassender Form besoye changant, et par deseure d’ung damaticle, et en ses bras avoit ungs fanons d’une espenne de large, et une estolle devant, croisie en la maniere d’un prestre, toute estoffée et semée de ses armes, et avoit ses pieds cauchiés de pareil drap que le corps estoit, et avoit son chief atourné d’une mitre ronde, et sur celle mitre il y avoit une couronne d’or moult riche la quele estoit a flourons d’or tenans à la couronne, et devant le front de la couronne, … qui passoit de haulteur les flourons de la couronne, et en ses mains il y avoit deux blans gans de soye, et en ses dois aneaulx moult riches et tenoit en sa destre main une pomme d’or et une croix, et en l’autre main tenoit le sceptre. Vgl. dazu auch die nahezu gleichlautende Schilderung Jean Froissarts (um 1337 bis um 1404) in den Varianten zur ersten Fassung der Chroniques de France, d’Engleterre, d’Escoce, de Bretagne, d’Espaigne, d’Ytalie, de Flandres et d’Alemaigne, publ. par M. le baron Kervyn de Lettenhove, Œuvres de Froissart (Chroniques) II, 1869, S. 464, sowie das durch Rudolf Losse überlieferte publicum instrumentum über die Ereignisse vom 5. September 1338 (ed. Edmund E. Stengel, Nova Alamanniae I, Berlin 1921, Nr. 557; ed. Aloys Schmidt, Quellen zur Geschichte des St. Kastorstifts in Koblenz. I. Bd. Urkunden und Regesten [857 – 1400] [Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 53], Berlin 1954, S. 359 Nr. 687, wo die Gewandung Kaiser Ludwigs ganz allgemein, aber doch eindeutig mit den Worten beschrieben wird: … imperator dyademate ceterisque ornamentis et indumentis imperialibus indutus [et], prout est consuetudinis …). Im ältesten Ratsbuch der Stadt Koblenz findet sich, wenn auch unter Vertauschung der in den Händen gehaltenen Insignien, eine ähnlich lautende zeitgenössische Beschreibung (ed. A. Schmidt, a.a.O., S. 361 Anm. [zu Nr. 687] = E. Schaus, Ein Koblenzer Ratsbuch aus dem 14. Jahrhundert, in: Rhein. Heimatblätter 5 [1928], S. 500 ff. [hier S. 502]): … dictus dominus imperator indutus vestibus et ornamentis cesaree maiestatis, coronatus corona imperiali sedit in solio sue maiestatis cum ceptro in dextra manu e pomo aureo in sinistro … . 89 Vgl. Anm. 74. 90 Vgl. Anm. 79. 91 Vgl. Anm. 77. 92 Vgl. Anm. 76. 93 Vgl. Anm. 78 sowie Wrede (wie Anm.78) S. 116 ff. Nr. 8 und S. 121 ff. Nr. 12.

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stätigt oder gewährt werden, und wenn diese Bilder den Kaiser in der Haltung des Privilegien gewährenden Reichsoberhauptes zeigen (der bei solchen Akten offenbar ein Ende der Stola über den rechten Unterarm legte). Letztlich erscheint der Wittelsbacher in solchen Posen als ,Priester der Gerechtigkeit‘ oder, wie es biblisch (Mal 3,20), aber auch vollmundig in einem Brief der Römer an Papst Johannes XXII. aus dem Jahre 1328 ausdrücklich von Ludwig heißt94 : als sol iusticie, als ,Sonne der Gerechtigkeit‘. Im Grunde aber, es sei noch einmal betont, war dies nichts Neues. Neu war lediglich die deutliche Betonung der sazerdotalen Attitüde, die sich im 14. Jahrhundert freilich auch in England und Frankreich findet95, also keinesfalls etwas Einzigartiges darstellte, sondern zeittypisch war. Allerdings standen entsprechende Äußerungen im Reich – anders etwa als in den westeuropäischen Monarchien – vorrangig in einer imperialen Tradition96, an die vor allem in Rom und Italien ebenso gern wie beispielgebend erinnert worden ist97, die aber auch im Reich nördlich der Alpen ihre gebührende Anerkennung fand. Unverkennbar gehörte die sich intensivierende Hervorhebung der kaiserlichen Sazerdotalität darüber hinaus auch in den Gesamtzusammenhang von Ludwigs erbittertem Streit mit dem Papsttum um die Rechte des Reiches, mithin zu einem Grundsatzkonflikt, der den Wittelsbacher und seine Berater veranlaßte, die (bestrittene) Gottunmittelbarkeit und eigenständige Sakralität des Kaisertums in besonderem Maße in Erinnerung zu rufen. Alle Zeugnisse, die Ludwig priesterähnlich zeigen, stammen nämlich aus der Zeit nach der gegen heftigen päpstlichen Widerstand vollzogenen Kaiserkrönung oder sind bei der Vorbereitung der römischen Krönungsfeierlichkeiten entstanden. Sie sind daher zugleich Teil jenes Bemühens, das nach der Bannung, Absetzung und schließlich auch noch Verketzerung des Bayern dazu diente, die herkömmliche Vorstellung einer vom Papste unabhängigen Gottesnähe des Kaisers in temporalibus, in weltlichen Angelegenheiten, zu verteidigen.

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Ed. Wilhelm Erben, Berthold von Tuttlingen. Registrator und Notar in der Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern (Denkschriften d. Akad. Wien, Philos.-hist. Kl. 66, 2), Wien / Leipzig 1923, S. 169 Ep. 7. 95 Vgl. Anm. 29 und 28. – Zur Bedeutung der Gerechtigkeitsübung für die Heiligkeit des französischen Königs Ludwig des Heiligen (1226 – 1270), aber auch für die Sakralität der französischen Monarchie überhaupt vgl. neuestens Cecilia Gaposchkin, Ludovicus decus regnantium: The Liturgical Office for Saint Louis and the Ideological Program of Philip the Fair, in: MAJESTAS 10, 2002, S. 27 – 89, bes. S. 48 – 58. 96 Vgl. Anm. [37, 38,] 49, 51, 52. 97 Erinnert sei in diesem Zusammenhang etwa nur an die Herrschersiegel, die im frühen 14. Jahrhundert ihre anspielungsreiche und in die Zukunft weisende Gestalt von Künstlern aus Venedig und Pisa erhielten; vgl. dazu Suckale, Die Hofkunst (wie Anm. 12), S. 31 ff., sowie Tilman Struve, Roma caput mundi. Die Gegenwart Roms in der Vorstellung des Mittelalters, in: Franz-Reiner Erkens / Hartmut Wolff (Hgg.), Von Sacerdotium und Regnum. Geistliche und weltliche Gewalt im frühen und hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag (Passauer Historische Forschungen 12), Köln 2002, S. 153 – 179, bes. S. 171 ff.

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Natürlich betonte Ludwig in seinen Urkunden auf hergebrachte Art und Weise, daß er seine Herrschaft direkt von Gott erhalten habe, nannte er sich Herrscher von ,Gottes Gnaden‘98 und ließ dies auch in einigen Arengen näher ausführen99 (wobei gelegentlich sogar das herrscherliche Bestreben einer Nachahmung Gottes angesprochen wurde100). In seinem ,Licet iuris‘ genannten Gesetz über das Kaisertum101 vom 6. August 1338 wurde darüber hinaus energisch gegen die päpstliche Behauptung einer Abhängigkeit der kaiserlichen Gewalt und Würde vom Papst (quod imperialis dignitas et potestas est a papa) Stellung bezogen und auf der Unabhängigkeit des Kaisertums bestanden, das unmittelbar aus Gott hervorgegangen sei (imperialem dignitatem et potestatem immediate a solo deo ab initio processisse) und durch dessen Träger Gott dem Menschengeschlecht Recht und Gesetz zuerteilt habe (deum per imperatores et reges mundi iura humano generi tribuisse). In dem diese Gesetzesverkündung begleitenden Mandat ,Fidem catholicam‘, das ein die Argumente der klassischen Kanonistik über das Verhältnis der beiden höchsten Gewalten aufnehmendes Rechtsgutachten enthält, wurde diese traditionelle Ansicht ausführlicher begründet102; und die Theoretiker der weltlichen Herrschaft, herausragende Geistesgestalten des 14. Jahrhunderts, die, Wilhelm von Ockham103 und 98 Vgl. Emil Schaus, Zur Diplomatik Ludwigs des Bayern, (Phil. Diss. Berlin) München 1894, S. 26, und dazu Bansa, Studien (wie Anm. 78), S. 38 mit Anm. 16. 99 Vgl. Bansa, Studien (wie Anm. 78), S. 67 f. 100 Vgl. ebd. S. 80. 101 Vgl. Karl Zeumer, Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz „Licet iuris“ vom 6. August 1338, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere Geschichtskunde 30, 1905, S. 85 – 112 und S. 485 ff. (Edition: S. 100 ff., bes. S. 100 f.). 102 Vgl. Hans-Jürgen Becker, Das Mandat „Fidem catholicam“ Ludwigs des Bayern von 1338, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 26, 1970, S. 454 – 512 (Edition: S. 496 – 512, bes. S. 497 ff.), und die Conclusio ebd., S. 499: Ex quibus et aliis pluribus, que brevitatis causa dimittuntur, clare patet, quod potestas et auctoritas imperialis est immediate a solo Deo et non a papa, … Dazu und zum folgenden vgl. auch ders., Das Kaisertum Ludwigs des Bayern, in: Nehlsen / Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 8), S. 119 – 138. 103 Vgl. etwa den Tractatus contra Benedictum (von 1337/38), hg. von H[ilary] S[eton] Offler, Guillelmi de Ockham opera politica 3, Manchester 1956, S. 165 – 322, bes. S. 277 – 285 (Lib. VI c. 5 und 6, etwa S. 279: Ergo imperium non est a papa, nec imperator dignitatem imperialem vel gladium materiale quoad executionem ab eo tenetur recipere; S. 281: Ex iure ergo divino nullam habet papa potestatem specialem super electum in regem Romanorum, quam non habeat super alios reges, und: papa non habet in temporalibus plenitudinem potestatis), die Allegationes de potestate imperiali (von 1338), hg. von Richard Scholz, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern 2. Texte (Bibl. d. Kgl. Preuß. Hist. Inst. in Rom 10), Rom 1914, S. 417 – 431 (dazu vgl. ders., Bd. 1. Analysen [ Bibl. … 9], Rom 1911, S. 162 – 167, bes. S. 164 ff.), bes. S. 424 f. (etwa S. 425: … quod ipsius imperatoris potestas est immediate a solo Deo et non a papa, et quod potestas pape est solum in spiritualibus, et quod papa non habet plenitudinem potestatis in temporalibus), oder das Breviloquium de principatu tyrannico, hg. von Richard Scholz, Wilhelm von Ockham als politischer Denker und sein Breviloquium de principatu tyrannico (MGH Schriften 8), Leipzig 1944, S. 29 – 212 (z. B. S. 146 f. [IV 2] und die – im weiteren Argumentationsgang [vgl. etwa S. 147 ff.: IV 3 und 4] zwar ausdifferenzierte, aber nicht grundsätzlich verworfene – Fest-

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Marsilius von Padua104 an der Spitze, am Wittelsbacher Hofe Zuflucht vor päpstlicher Verfolgung gefunden hatten, beeilten sich, diese Anschauung weiter zu untermauern. Auch der theologisch geschulte und juristisch ausgebildete, als Gesandter Ludwigs an den Papst aber auch in der praktischen Politik diplomatisch wirksame Marquart von Randegg, der spätere Bischof von Augsburg und Patriarch von Aquileja, wagte es im Herbst 1335 in einer vielbeachteten Rede vor Benedikt XII., daran zu erinnern, daß das Imperium unmittelbar von Gott stamme, daß die kaiserliche Gewalt von Gott begründet worden sei105 (und daß, so muß der Gedankengang wohl fortgesetzt werden, der Papst daher gegenüber dem Kaiser nur in spiritualibus eine übergeordnete Gewalt besitze). Im Grunde wurde damit von kaiserlicher Seite angespielt auf die alte, eine eigene Sakralität mitbegründende Auffassung von der irdischen Sachwalterschaft des Herrschers, der seinem göttlichen Auftraggeber unmittelbar verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist. Am 10. April 1331 hat der Wittelsbacher diese Anschauung in einer Urkunde für das Kloster Langheim auch einmal eigens verkünden und sich selbst als Vikar Jesu Christi, des Königs der Könige, vorstellen lassen106 : Vniversis nostri Imperii fistellung ebd., S. 147: Ex quibus colligitur, quod imperium est a solo Deo, … Quod etiam ratione videtur posse probari, quia ab illo solo est imperium, cui soli est imperator subiectus; imperator aut[em] in temporalibus soli Deo est subiectus, quia non est subiectus pape in temporalibus, ut probatum est, et multo fortius nulli alteri est subiectus, ergo imperium est a solo Deo). – Zu dem gelehrten Bettelmönch aus England vgl. jetzt Volker Leppin, Wilhelm von Ockham. Gelehrter, Streiter, Bettelmönch, Darmstadt 2003 (zur Gottunmittelbarkeit des Kaisertums und zu dem Breviloquium bes. S. 257 ff.). 104 Vgl. etwa schon den Defensor pacis, hg. von Richard Scholz, MGH Font. Iuris Germ. Ant. 7, Hannover 1932/33, etwa S. 575 – 601 (Dictio II, cap. XXIX und XXX, bes. cap. XXIX §5 [S. 579] und cap. XXX §5 [und hier insbesondere S. 597: principans vero secundum legem humanam Dei vicarius seu minister est]), und das Gutachten über die kaiserliche Ehescheidungskompetenz, hg. von Carlo Pincin, Turin 1967, S. 268 – 283. Zu dem Gutachten und weiteren Schriftstücken über die Ehescheidungsaffaire vgl. Hermann Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern und seiner Berater Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham im Tiroler Ehekonflikt, in: ders. / Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 8), S. 285 – 328, bes. S. 301 – 311, sowie zu dem Gewaltenverständnis des Marsilius grundsätzlich auch Jürgen Miethke, Marsilius von Padua. Die politische Philosophie eines lateinischen Aristotelikers des 14. Jahrhunderts, in: Hartmut Boockmann u. a. (Hgg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie (Abhandlungen d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, Philol.-Hist. Kl. 3. Folge 179), Göttingen 1989, S. 52 – 76, bes. S. 60 f. 105 Vgl. Siegmund von Riezler, Vatikanische Akten zur deutschen Geschichte in der Zeit Kaiser Ludwigs des Bayern, Innsbruck 1891, S. 597 – 600 Nr. 1759 (1335 Okt. 9, hier: S. 599 Z. 9 ff. und 23 f.), und dazu Schwöbel, Der diplomatische Kampf (wie Anm. 86), S. 191 – 197, bes. S. 195 f., sowie allg. zu den Verhandlungen mit Benedikt XII. auch Alois Schütz, Die Verhandlungen Ludwigs des Bayern mit Benedikt XII. Ein Beitrag zum päpstlichen Anspruch auf Approbation des Römischen Königs 1335 – 1337, in: ZBLG 60, 1997, S. 253 – 315, bes. S. 306 – 312. 106 Johann Adolph von Schultes, Historische Schriften und Sammlungen ungedruckter Urkunden zur Erläuterung der deutschen Geschichte und Geographie des mittleren Zeitalters I, Hildburghausen 1798, S. 95 Nr. 31; vgl. dazu Otto Bornhak, Staatskirchliche Anschauungen und Handlungen am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayern, Weimar 1933, S. 15, und Heinz Lie-

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delibus tam potentibus, quam humilibus significandum duximus per praesentes, quod praedecessorum nostrorum iustis inhaerendo vestigiis, Regisque Regum IESV CHRISTI Domini nostri intuitu, cuius nos credimus vicarium … Sol iusticie und regis regum vicarius, Priester der Gerechtigkeit und Stellvertreter Christi – das sind die Formeln, mit denen sich nicht nur das Sakralität verleihende Nahverhältnis der christlichen Herrscher zur Sphäre des Numinosen stichwortartig beschreiben läßt, das ist gleichzeitig die Quintessenz des herrschaftslegitimatorischen Bemühens des Wittelsbachers und seiner Berater, die angesichts einer äußersten politischen und juridisch-ideellen Gefährdung der kaiserlichen Herrschaft die traditionellen Elemente sakralen Herrschaftsverständnisses aufgriffen, intensivierten und – besonders hinsichtlich ihrer außenwirksamen Präsentation – ausgestalteten. Das war (modern gesprochen) ,Propaganda‘, aber wohl nicht nur – und in der Regel wohl kaum ,Propaganda wider besseres Wissen‘, sondern meist eher die Artikulation von herrschaftstheoretischen Überzeugungen. Zwar ist nur schwer zu entscheiden, was von dem in gelehrten Abhandlungen theoretisch Gedachten und in ideologisch-praktischen Verlautbarungen vernehmbar Geäußerten zum wirklich geglaubten Vorstellungsgut weiterer Kreise oder gar der einfachen und ungebildeten Bevölkerungsschichten gehörte, doch läßt die Variationen und Wandlungen unterlegene, im Kern aber über Jahrhunderte hinweg beständige Idee von der Herrschersakralität keinen Raum für die Vermutung, Ludwigs und seiner Getreuen Äußerungen seien reines propagandistisches Blendwerk gewesen, das aus einer bestimmten historisch-politischen Situation heraus entstanden sei. Die offizielle und sakrale Dimension des Herrschers wurde freilich immer auch durch eine persönliche Note, durch die herrscherliche Privatfrömmigkeit ergänzt, die sich in Wort und Tat, in frommen Handlungen und geistlichen Stiftungen manifestierte und bei dem sterbenden Ludwig an dem (der Kreis schließt sich nun) einleitend zitierten, die Hilfe der Gottesmutter in Todesnot erflehenden Stoßseufzer deutlich wurde. Die Elemente und Wertigkeit der religiös fundierten Herrschaftsauffassung des Kaisers aus Bayern und seiner Mitstreiter mögen einzeln oder auch im ganzen bestreitbar, umstritten und (in jedem Wortsinn) fragwürdig sein – die schlichte Frömmigkeit des Wittelsbachers ist dies trotz Exkommunikation und Verketzerung nicht.

berich, Kaiser Ludwig der Bayer als Gesetzgeber, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 76, 1959, S. 173 – 245, bes. S. 221 ff. mit Anm. 135.

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Abb. 1: Goldene Bulle Ludwigs des Bayern, Avers. München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv

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Abb. 2: Kaisersiegel Ludwigs des Bayern. München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv

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Abb. 3: Urkunde Ludwigs für Erzbischof Balduin von Trier vom 10. 3. 1339, Titelinitiale. Koblenz, Hauptstaatsarchiv

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Abb. 4: Oberbayerisches Landrecht Ludwigs von 1346, Titelbild. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 2786

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Herrscher- und Herrschaftsidee nach herrschaftstheoretischen Äußerungen des 14. Jahrhunderts Die Betrachtung der spätmittelalterlichen Herrschaftsidee zeigt, eingebettet in eine äußerst vielschichtige sowie sich von Reich zu Reich und von Königtum zu Königtum verändernde Herrschaftspraxis, einen schier unentwirrbaren Knäuel unterschiedlichster Vorstellungen, praktischer Handlungsmaximen und theoretischer Positionen, die kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind1 und trotzdem auf einen überschaubaren Kreis philosophischer, theologischer und juristischer Autoritäten und somit auf eine handvoll, immer wieder angeführter, aber auch unterschiedlich gedeuteter Grundpositionen zurückgehen. Zu diesen zählen die paulinische, im bibelfesten Mittelalter natürlich allseits bekannte Lehre von der Rückführung jeglicher Herrschaft auf Gott2, die augustinische Vorstellung von Herrschaft als Folge der menschlichen Sündhaftigkeit3 (die gelegentlich wie etwa von Gregor VII. gesteigert werden konnte zu der Behauptung eines diabolischen Ursprungs der weltlichen Herrschaft4) und die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts rezipierte Soziallehre des Aristoteles5, vor allem dessen Verständnis vom Menschen Erstdruck (gewidmet Ulrich von Hehl zum 65. Geburtstag) in: Hubertus Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (1314 – 1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, S. 29 – 61. 1 Vgl. dazu etwa jetzt Bernd Schneidmüller, Grenzerfahrung und monarchische Ordnung. Europa 1200 – 1500, München 2011, S. 111 – 171. 2 Vgl. Werner Affeldt, Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese. Röm. 13, 1 – 7 in den Römerbriefkommentaren der lateinischen Kirche bis zum Ende des 13. Jahrhunderts (= Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 22), Göttingen 1969. 3 Vgl. dazu Wolfgang Stürner, Peccatum et Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (= Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11), Sigmaringen 1987, bes. S. 38 – 125. 4 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien 13), München 2006, S. 71 – 101, bes. 81. 5 Vgl. Martin Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Stadt (= SBB d. bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Abt. 1934/2), München 1934; ders., Die mittelalterlichen Kommentare zur Politik des Aristoteles (= SBB d. bayer. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Abt. 1941/II 10), München 1941 [beide nachgedruckt in: M. Grabmann, Gesammelte Akademieabhandlungen (= Münchener Universitätsschriften, Fachbereich Katholische Theologie NF 25, Paderborn 1979, I S. 809 – 965 und II S. 1725 – 1800]; Christoph Flüeler, Rezeption und Interpretation der aristotelischen Politica im späten Mittelalter I und II (= Bochumer Studien zur Philosophie 19

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als eines animum sociale, das, weil unvollkommen und mängelbehaftet, zur Verwirklichung seiner Anlagen die Gemeinschaft braucht und daher nach Bildung von Staatswesen strebt. Die Vorstellung vom Herrscher hat sich dabei über Jahrhunderte entwickelt und ist in manchen ihrer Grundzüge trotzdem recht stabil geblieben6. Zu ihrem Kernbestand gehört etwa, in welcher Variation auch immer, die Idee der Gerechtigkeit7, also die bereits im Alten Orient nachweisbare Verpflichtung des Herrschers zur Rechtswahrung und -sicherung8, die im Mittelalter in der Lehre vom rex iustus ihren Ausdruck fand9. Daneben spielte die Idee von einem besonderen Nahverhältnis des Herrschers zu numinosen Kräften eine variantenreiche, ebenfalls bis in den Alten Orient und das pharaonische Ägypten zurückverfolgbare Rolle, die dem als Sohn, Stellvertreter oder Sachwalter einer Gottheit agierenden König ebenso eine (erst seit der Aufklärung verblassende) religiöse Dimension verlieh wie der vermeintlich von Gott herrührenden Institution des Königtums. Auch die christlichen Herrscher des Mittelalters, seien es Könige oder Kaiser, standen, natürlich unter den Bedingungen des christlichen Glaubens und der sich entfaltenden kirchlichen Lehre, in dieser Vorstellungstradition, die im lateinischen Abendland zu einer eigenen Ausgestaltung gelangte, da sich hier ein an Konflikten zunehmend reicher werdender Dualismus der beiden universalen Gewalten Kaisertum und Papsttum und gleichzeitig eine bunte Vielfalt unterschiedlicher Monarchien entwickelte. Besondere Schwierigkeiten ergaben sich im Verlauf dieser Entwicklung bei der Bestimmung des Zuordnungsverhältnisses von weltlicher und geistlicher Gewalt, etwa bei der Abgrenzung der königlich-kaiserlichen von der päpstlichen Verantwortlichkeit für die christliche Gemeinschaft, oder beim Ver1/2), Amsterdam 1992, etwa S. 29, und Stürner, Peccatum (wie Anm. 3), Kap. VI und VII, sowie zu Spezialaspekten Vasileios Syros, Die Rezeption der aristotelischen politischen Philosophie bei Marsilius von Padua. Eine Untersuchung zur ersten Diktion des Defensor pacis (= Studies in Medieval and Reformation Traditions 134), Leiden 2007; Jürgen Miethke, Politische Theorie in der Krise der Zeit. Aspekte der Aristotelesrezeption im früheren 14. Jahrhundert, in: Gert Melville (Hg.), Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde (= Norm und Struktur 1), Köln / Wien 1992, S. 157 – 186, und Georg Wieland, Die Rezeption der aristotelischen „Politik“ und die Entwicklung des Staatsgedankens im späten Mittelalter: am Beispiel des Thomas von Aquin und des Marsilius von Padua, in: ders. / Erhard Mock (Hgg.), Rechts- und Sozialphilosophie des Mittelalters (= Salzburger Schriften zur Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie 12), Frankfurt/M. 1990, S. 67 – 81. 6 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006. 7 Vgl. Franz-Reiner Erkens, König, in: HRG (2012, 17. Lieferung) S. 2019 – 2034, bes. 2022, 2025, 2026 und 2028. 8 Vgl. etwa Wolfram von Soden, Einführung in die Altorientalistik, Darmstadt 21992, S. 61 f. 9 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 6), S. 90 – 102 und zum folgenden S. 27 – 88 sowie 215 – 225, und bes. zum rex iustus Hans Hubert Anton, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit (= Bonner Hist. Forschungen 32), Bonn 1968, etwa S. 55, 58, 68, 79, und ders., Pseudo-Cyprian. De duodecim abusivis saeculi und sein Einfluß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel, in: Heinz Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter II, Stuttgart 1982, S. 568 – 617, bes. 572, 588 f., 615.

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ständnis vom je eigenen Rang der Herrscher, bei der Frage also, ob Kaiser und Papst gleichrangig waren oder ob es eine Überordnung gab, aber auch bei dem Problem der Gleichrangigkeit von Königen und Kaisern. Die genannten Schwierigkeiten bilden zwar nur einen kleinen Ausschnitt aus der Wirklichkeit eines facettenreichen und vielschichtigen Entwicklungsprozesses, gehörten aber gelegentlich in den größeren Zusammenhang gravierender Konflikte, durch welche die Reichsgeschichte beeinflusst wurde und die Verfassungsverhältnisse spürbare Impulse empfingen, weswegen sie bis heute eine besondere Beachtung verdienen. I Über viele Jahrhunderte hinweg zog sich dabei die Entwicklung der angesprochenen Rangverhältnisse, und die verschiedenen Vorstellungen, welche über diese gelegentlich formuliert worden sind, entsprachen sich keinesfalls immer, wie auch der theoretisch erhobene Anspruch nicht unbedingt deckungsgleich gewesen sein muß mit der historischen Wirklichkeit. Die bereits gegen Ende des 5. Jahrhunderts von Papst Gelasius I. formulierte Zweigewaltenlehre etwa10, die eine Gleich- und Aufeinanderzuordnung von regnum und sacerdotium postulierte, traf bis in das 11. Jahrhundert hinein auf die faktische Präponderanz des Kaisertums und danach auf eine zunehmende Hierokratisierungstendenz des Papsttums, die 1302 in des Papstes Bonifaz VIII. berühmter Bulle Unam sanctam ihren vielleicht bekanntesten und durch die konzise Zusammenfassung längst entwickelter Gedanken wohl auch am meisten gesteigerten Ausdruck fand11. Die gelasianische Lehre dürfte daher (wenn überhaupt) nur selten die Wirklichkeit beschrieben und viel häufiger als Argument gedient haben, um die wirkliche oder drohende Unterordnung zunächst des Priestertums und dann der weltlichen Gewalt abzuwenden. Außerdem konnten, denn ,leicht beieinander wohnen die Gedanken‘, unterschiedliche Ansichten lange 10 Vgl. Migne PL 59, Paris 1847, S. 41 – 47, bes. 42, und die Teiledition von Carl Mirbt / Kurt Aland (Hgg.), Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus I: Von den Anfängen bis zum Tridentium, Tübingen 61967, S. 222 Nr. 462. 11 Unam Sanctam, ed. Georges Digard, u. a., Les registres de Boniface VIII, Tom. 3, Paris 1906, S. 888 Nr. 5382, mit Übersetzung hg. von Ruedi Imbach und Christoph Flüeler, Dante Alighieri. Monarchia, Stuttgart 1989, S. 348 – 355; vgl. dazu allg. Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2. Das Mittelalter, Stuttgart 2004, S. 225 f., und speziell Jürgen Miethke, Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008 [Neuauflage von: De potestate papae – Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2000], S. 51 – 55; Karl Ubl, Die Genese der Bulle Unam sanctam: Anlass, Vorlagen, Intention, in: Martin Kaufhold (Hg.), Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters / Political Thought in the Age of Scholasticism. Essays in honour of Jürgen Miethke (= Studies in medieval and reformation traditions 103), Leiden / Boston 2004, S. 129 – 149; Walter Ullmann, Die Bulle Unam Sanctam: Rückblick und Ausblick, in: Röm. Hist. Mitt. 16 (1974) S. 45 – 77 [ND in: ders., Scholarship and Politics in the Middle Ages (= Collected Studies Series 72), London 1978], sowie neuestens Klaus Herbers, Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Darmstadt 2012, S. 217 – 223, bes. 220 f.

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problemlos nebeneinander existieren und erst, wenn die Sachen ,hart im Raume‘ aneinanderstießen, in konkreten Konfliktsituationen also, zum Streit der Theorien führen, zur Formulierung prinzipieller Positionen oder zu deren Fortentwicklung. Die harte Auseinandersetzung ist mithin oft zum Vater des zukunftsträchtigen Fortschritts auf der Ebene der Theorie geworden, dienten theoretische Erörterungen doch in der Regel zur Untermauerung handfester Ansprüche12. Der Investiturstreit etwa, ausgefochten nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit der Feder, hat zu einer verstärkten Klärung der ideellen Grundlagen des Königtums und zugleich zu einer spürbaren Entflechtung der ursprünglich stärker verwobenen weltlichen und geistlichen Sphären geführt13. Trotz dieser Entwicklung aber bewirkte dieses Ringen um die rechte Ordnung der Welt und um die Führung der Christenheit keine Entsakralisierung von Königtum, Reich und Herrschaft, wie wiederholt behauptet worden ist14, sondern setzte lediglich einen Prozess in Gang, der ganz allgemein Veränderungen innerhalb des Vorstellungshorizontes der Herrschersakralität sowie vor allem deren prinzipielle Ablehnung in manchen, jedoch nicht in allen kirchlichen Kreisen herbeiführte15. 12

Vgl. etwa Jürgen Miethke, Johannes Quidort von Paris: De regia potestate et papali. Anlaß und Charakter einer Streitschrift, in: Prague papers on history of international relations, Prague 2000, S. 15 – 31, bes. 19 und 23 f. 13 Vgl. etwa Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 6), Kap. VII 2; ders., Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 99; Tilman Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung im Mittelalter (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), Stuttgart 1978, S. 98 – 107, bes. 106; ders., Die Stellung des Königtums in der politischen Theorie der Salierzeit, in: Stefan Weinfurter (Hg.), Die Salier und das Reich 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 21992, S. 217 – 244, bes. 217, und Ludger Körntgen, „Sakrales Königtum“ und „Entsakralisierung“ in der Polemik um Heinrich IV., in: Gerd Althoff (Hg.), Heinrich IV. (= Vorträge und Forschungen 69), Ostfildern 2009, S. 127 – 160, bes. 138 – 152, der zu Recht darauf hinweist, daß in der Polemik der Streitschriften aus den Jahrzehnten um 1100 manche Positionen erstmals formuliert oder traditionelle Ansichten zugespitzt bzw. in verschärfter Form vorgetragen wurden (wobei sie – gerade in ihrer Zuspitzung – situationsbezogen zu deuten seien, was natürlich richtig ist; trotzdem enthalten sie aber auch situationsunabhängige Grundvorstellungen, die zwar nicht bis auf das Jota genau zu erfassen sind, aber doch eine gewisse Allgemeingültigkeit besessen haben). 14 Vgl. Anton Mayer-Pfannholz, Die Wende von Canossa. Eine Studie zum Sacrum Imperium, in: Hellmuth Kämpf (Hg.), Canossa als Wende. Ausgewählte Aufsätze zur neueren Forschung (= Wege der Forschung 12), Darmstadt 1976, S. 1 – 26 [erstmals 1932/33, in: Hochland 30, S. 385 – 404]. 15 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 6), S. 213 f. und 223 ff.; ders., Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 98 – 101; ders., Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft, in: Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl (Hgg.), WBG-Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert III: Weltdeutungen und Weltreligionen. 600 – 1500, Darmstadt 2010, S. 279 – 305, bes. 286 – 301, sowie Ernst-Dieter Hehl, König – Kaiser – Papst. Gedankliche Kategorien eines Konflikts, in: Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hgg.), Salisches Kaisertum und neues Europa. Die Zeit Heinrichs IV. und Heinrichs V., Darmstadt 2007, S. 7 – 26, bes. 24 f. Auch Körntgen, „Sakrales Königtum“ (wie Anm. 13), und Hartmut Hoffmann, Canossa – eine Wende?, in: DA 66 (2010)

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Allerdings wirkte sich diese grundsätzliche Ablehnung sehr unterschiedlich auf die kuriale Einstellung gegenüber den einzelnen Monarchien Europas aus; hierbei S. 535 – 568, etwa 566 und 568, lehnen, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven, die Vorstellung einer Entsakralisierung durch die ,Wende von Canossa‘ ab, wobei Hoffmann (S. 548 f. und 553 f.) aber wohl zu Unrecht die Aufgabe des Herrschers allein auf weltliche Ziele beschränkt sieht und eine königliche Verantwortung für das ,Heil‘ der ihm anvertrauten Menschen jenseits der Sicherung von Recht und Wohlstand, jenseits der Sorge „für das materielle Wohlergehen des Volkes (einschließlich der Kirche)“ (S. 548) als inexistent betrachtet. Freilich wird diese offenbar an modernen Vorstellungen geschulte, in klare Worte gefaßte Meinung nicht begründet, sondern lediglich behauptet (vgl. etwa S. 549). Die Frage nach der religiösen Verantwortung des Herrschers ist allerdings nicht leicht (und hier auch nicht restlos) zu beantworten; man kann sich einer Antwort zudem auch nur in epochenübergreifender Zusammenschau und nicht allein punktuell nähern: Daß Karls des Großen Herrschaft „eine geistliche Dimension“ besaß, ist selbst Hoffmann (S. 552) geneigt zuzugestehen, daß die priesterliche Verantwortung des Königs während des Investiturstreits diskutiert wurde, ist offenkundig (vgl. dazu Körntgen, „Sakrales Königtum“, S. 149 f., dessen Versuch einer Relativierung des Verständnisses der königlichen Sazerdotalität freilich nicht nachvollziehbar ist). Selbst noch im späteren Mittelalter finden sich Spuren dieser Vorstellung, die offenbar von manchen geteilt wurde. Thomas von Aquin etwa – vgl. z. B. Wieland, Die Rezeption der aristotelischen „Politik“ (wie Anm. 5), S. 70 (Staatliche Gewalt als „Heilmittel für unsere Sünden“ besitzt „heilsgeschichtliche Bedeutung“); Jakob Hans Josef Schneider, Thomas von Aquin und die Grundlegung der politischen Philosophie in „De Regno“, in Mock / Wieland (Hgg.), Rechts- und Sozialphilosophie (wie Anm. 5), S. 47 – 66 (S. 61: „der gute Regent [hat für die Vervollkommnung dessen zu sorgen, das als notwendige Bedingung der vollkommenen Glückseligkeit dem Menschen zu tun aufgegeben ist, nämlich ein gutes, der Tugend gemäßes Leben zu führen, dessen letztes Ziel in der Anschauung Gottes begründet liegt“] – weist auf die zentrale Aufgabe des Königs hin, die Menschen zu einem tugendhaften Leben zu bringen, da dieses als Endziel jeglicher Gemeinschaft von Menschen die Voraussetzung für das jenseitige Ziel, die Anschauung Gottes in himmlischer Glückseligkeit, bilde, die allerdings nicht allein aus menschlicher und königlicher Kraft erreicht werden könne, sondern eines göttlichen Anteils und dadurch eines dem König übergeordneten Tätigwerdens der Priester bedürfe (De reg. princ. I 14, ed. Mathis [wie Anm. 61] S. 17 f. ); ungeachtet dieser Einschränkung fiel dem König mithin eine wichtige Funktion bei der Sorge um die Seele der Menschen zu – denn (I 15 = S. 18 f.): Quia igitur vitae, qua in praesenti bene vivimus, finis est beatitudo coelestis, ad regis officium pertinet ea ratione vitam multitudinis bonam procurare, secundum quod congruit ad coelestem beatitudinem consequendam, ut scilicet ea praecipiat, quae ad coelestem beatitudinem ducunt, et eorum contraria, secundum quod fuerit possibile, interdicat. In diesem allgemeinen Sinne wirkte der Herrscher also bei der Seelsorge mit. Quidort weist in De regia potestate c. 17 (wie Anm. 26) S. 157 ebenfalls darauf hin, daß die von Gott stammende Gewalt des Königs, des minister Dei (vgl. etwa ebd. S. 112 f. [c. 10]), eben auch eine potestas spiritualis sei und der cura animarum diene, insofern sie den Menschen tugendhaft (vgl. dazu auch ebd. S. 78 [c. 2]) machen soll (Primo quia supponit quod potestas regalis sit corporalis et non spiritualis, et quod habeat curam corporum et non animarum, quod falsum est cum, …, ordinetur ad bonum commune civium non quodcumque, sed quod est vivere secundum virtutem, …, quod intentio legislatoris est homines facere bonos et inducere ad virtutem, …, sic legislator melior est medico, quia legislator habet curam animarum, medicus corporum.). Die von dem Pisaner Juristen Johannes Branchazolus (zu dessen Gutachten vgl. Malte Heidemann, Heinrich VII. Kaiseridee im Spannungsfeld von staufischer Universalherrschaft und frühneuzeitlicher Partikulkarautonomie [= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 11], Warendorf 2008, S. 213 – 220) im früheren 14. Jahrhundert geäußerte Ansicht, der Kaiser sei

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waltete, je nach Tradition und politischer Erfordernis, ein deutlicher Pragmatismus, der trotz Festhaltens an herrschaftstheoretischen Grundsatzpositionen ein weitreichendes Entgegenkommen ermöglichte. In England und Frankreich konnte die Herrschersakralität daher erst nach dem Investiturstreit zur vollen Blüte gelangen und fand schließlich sogar das sich seit dem 12. Jahrhundert entwickelnde Thaumaturgentum der Könige nach langer Zurückhaltung kirchliche Akzeptanz16; und auch die christlichen Herrscher Skandinaviens besaßen zumindest im 12. und 13. Jahrhundert noch eine sakrale Dimension17, die in dieser Form wohl kaum mehr das Haupt der Kirche (De principio et origine et potencia imperatoris et pape, ed. Edmund E. Stengel, Nova Alammaniae 1, Berlin 1921, S. 44 Nr. 90, hier S. 49 [II 3]: Dominatur in spiritualibus et divinis, quoniam rex est omnium rerum, etiam divinarum …, cum capud sit ecclesie, …), dürfte neben anderem auch diese Verantwortung zumindest in einem allgemeinen Sinne meinen. Und noch in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts spricht Peter von Andlau von der seelsorgerischen Verpflichtung des Herrschers, wenn er die „ewige Glückseligkeit“ der Untertanen als Hauptaufgabe des Princeps bezeichnet (Libellus de cesarea monarchia I 2, hg. von Rainer A. Müller, Peter von Andlau. Kaiser und Reich [= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 8], Frankfurt / M. 1998, S. 30: Finis vero quem princeps principaliter in se et subditis intendere debet, eterna est beatitudo, que perfectissimum bonum est. Sunt namque atque dicuntur mundi rectores Dei cooperatores, et ut instrumenta principalis agentis.), vgl. Stürner, Peccatum (wie Anm. 3), S. 256. Schließlich konnten auch Reichsfürsten eine geistliche Verantwortung für ihre Untertanen beanspruchen, wie das Beispiel des Habsburgers Rudolfs IV., des Stifters, lehrt; vgl. dazu Alexander Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert (Mittelalter-Forschungen 12), Ostfildern 2003, S. 187 und 311 Nr. 38 (Urkunde vom 13. Mai 1357 über die Stiftung einer Kapelle in der Wiener Burg: […] darumb zimt wol fürstliche wirdehait, […], daz si solich unwizzentlich Volch […] darzu nöte und bringe, […] daz sie hinzu geweiset werden von der irrung in vichlichen unerchantnuzze, und chomen auf den Weg der Warheit, also daz sie begreiffen die gnade göttlicher Vernunft, […]). Diese religiöse Verantwortung der Könige und Kaiser ist begrifflich nicht leicht zu fassen, sie als ,sazerdotal‘ zu begreifen und dem Herrscher ,Sazerdotalität‘ zuzuschreiben, kann natürlich mißverstanden werden (vgl. Körntgen, „Sakrales Königtum“, S. 149 mit Anm. 85), aber dieser Terminus ist auch auf nichtchristliche Verhältnisse anwendbar, dient daher der Vergleichbarkeit und ist bislang offenbar noch durch keinen treffenderen Ausdruck ersetzbar. Sazerdotalität darf freilich nicht gleichgesetzt werden mit einer Klerikalisierung des Kaisers, die im späteren Mittelalter gelegentlich greifbar ist, wie in den spätmittelalterlichen Ordines für die Kaiserkrönung, nach welchen der Konsekrator dem zu weihenden Kaiser eine mitram clericalem aufs Haupt setzt, bevor die eigentliche Krönung geschieht (vgl. Lorenz Weinrich [Hg.], Quellen zur Verfassungsgeschichte des römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter [1250 – 1500] [= Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 33], Darmstadt 1983, Nr. 77 § 23 [S. 248], und vor allem Reinhard Elze, Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin [= MGH Fontes iur. ant. 9], Hannover 1960, S. 66 Nr. 23, 77 Nr. 24, 95 Nr. 28, 127 Nr. 30, 131 Nr. 21, 136 Nr. 24 und 143 Nr. 29). 16 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 6), S. 18 – 24; ders., Konvergenz und Divergenz (wie Anm. 15), S. 290 f., und Joachim Ehlers, Der wundertätige König in der monarchischen Theorie des Früh- und Hochmittelalters, in: Paul-Joachim Heinig u. a. (Hgg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw (= Hist. Forschungen 67), Berlin 2000, S. 3 – 19. 17 Vgl. Erkens, Konvergenz und Divergenz (wie Anm. 15), S. 289 f., und ders., Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003) S. 1 – 55, bes. 33 Anm. 140, sowie Sven Bagge, The Poli-

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möglich gewesen wäre in Zentraleuropa. Vieles konnte offenbar geduldet werden, solange es nicht zum Konflikt kam, wobei sich natürlich auch die Frage stellt, was von der jeweils anderen theoretischen Position überhaupt bekannt gewesen ist, solange es nicht zum konfliktbefeuerten Disput gekommen war. Da die Kaiser des späteren Mittelalters jedoch in der Tradition einer konfliktgesättigten Geschichte des Reiches standen und zugleich als Beherrscher Italiens ebenso wie als Repräsentanten der zweiten Universalgewalt fortwährend wie Rivalen der Päpste erschienen (und dies zeitweilig auch waren), bestand zwischen diesen beiden Gewalten immer genügend Reibungsfläche, die zu Auseinandersetzungen und heftigen Diskussionen über das Rangverhältnis zwischen ihnen führte. Papsttum wie Kaisertum fanden daher über diese Konflikte und die aus ihnen erwachsenden Reflexionen zu einem je eigenen Selbstverständnis18. Während hier die Fähigkeit zur Toleranz daher gering und die Schwelle zum Streit niedrig und leicht überschreitbar gewesen ist, zeigt die Problematik des Rangverhältnisses zwischen dem römisch-deutschen Kaiser und den Monarchen Europas ein anderes Bild19. Natürlich wurde entsprechend der antiken Tradition das Kaisertum im Reich als universal begriffen, konnte der imperator in vollmundigen Äußerungen als dominus mundi apostrophiert werden, begründete gerade diese Position die Sonderstellung des Imperiums etwa als Wahlmonarchie20 und zum Teil tical Thought oft he King’s Mirror (= Medieval Scandinavia Supplements 3), Odense 1987, etwa S. 210 – 219. 18 Vgl. Jürgen Miethke, Kaiser und Papst im Spätmittelalter. Zu den Ausgleichsbemühungen zwischen Ludwig dem Bayern und der Kurie in Avignon, in: ZHF 10 (1983) S. 421 – 446, bes. 423. 19 Vgl. dazu allg. Bernd Schneidmüller, Die Kaiser im Mittelalter. Von Karl dem Großen bis Maximilian I., München 2006. 20 Vgl. etwa Ottonis et Rahewini Gesta Friderici I. imperatoris, hg. von Georg Waitz und Bernhard von Simson, MGH SS rer. Germ. [46.], Hannover 31912, S. 103 (II 1: nam id iuris Romani imperii apex, videlicet non per sanguinis propaginem descendere, sed per principum electionem reges creare, sibi tamquam ex singulari vendicat prerogativa [vgl. dazu jetzt Roman Deutinger, Imperiale Konzepte in der hofnahen Historiographie der Barbarossazeit, in: Stefan Burkhardt u. a. (Hgg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert. Konzepte – Netzwerke – Politische Praxis, Regensburg 2010, S. 25 – 39, bes. 32]); Alexander von Roes, Memoriale de prerogativa Romani imperii c. 24 und Notitia seculi c. 16, hg. von Herbert Grundmann und Hermann Heimpel, Alexander von Roes. Schriften, MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters I 1, Stuttgart 1958, S. 124 (non enim convenit sanctuarium dei, id est regnum ecclesie, iure hereditario possideri) und 164 (quod ad sacerdotium et regnum ecclesie catholice, que utraque tanquam dei sanctuarium iure hereditario possideri non convenit); Yconomica, hg. von Sabine Krüger, Die Werke des Konrad von Megenberg (= MGH Staatschriften des späteren Mittelalters III 1 – 3), Stuttgart 1973 – 1984, hier II, S. 8 f. (liber II, tract. 1 c. 4, in dem der Vorzug der Wahl bei der Thronfolge freilich nur allgemein und ohne direkten Bezug zur Kaiserwürde betont wird; zu der Diskussion über den Vorzug von Wahl- oder Erbmonarchie vgl. Gert Melville, Vorfahren und Vorgänger. Spätmittelalterliche Genealogien als dynastische Legitimation von Herrschaft, in: Peter-Johannes Schuler [Hg.], Die Familie als sozialer und historischer Verband. Untersuchungen zum Spätmittelalter und zur Frühen Neuzeit, Sigmaringen 1987, S. 203 – 309, bes. 255 ff.), Bartolus de Sassoferrato, Tractatus de regimine civitatis II, ed. Diego Quaglioni, Politica e Diritto nel Trecento Italiano. Il „De tyr-

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die konfliktträchtige Rivalität mit dem Papsttum, aber in der politischen Praxis spielte im Verhältnis zu den übrigen Herrschern Europas die Vorstellung von einer Universalmonarchie kaum eine Rolle21; und als Heinrich VII. sie am Beginn des 14. Jahrhunderts einmal unüberhörbar europaweit verkündete und sie scheinbar Wirklichkeit werden lassen wollte, traf er auf allseitige Ablehnung22 und den energischen Widerspruch des französischen Königs Philipp IV., der darauf hinwies, in weltlichen Angelegenheiten keine höhere Gewalt über sich zu haben, wobei er sich auf die im 13. Jahrhundert entwickelte, von den Päpsten akzeptierte Lehre stützte, nach welcher – in der populärsten Formulierung – der König Kaiser in seinem

anno“ di Bartolo da Sassoferrato (1314 – 1357). Con l’edizione critica dei trattati „De Guelphis et Gebellinis“, „De regimine civitatis“ e „De tyranno“ (= Il pensiero politico, Biblioteca 11), o. O. 1983, S. 149 – 170, hier: 166 (… nota, quod regimen quod est per electionem est magis divinum, quam illud quod est per successionem: …; dazu Andreas Kosuch, Abbild und Stellvertreter Gottes. Der König in herrschaftstheoretischen Schriften des späten Mittelalters [= Passauer Hist. Forschungen 17], Köln 2011, S. 223); Peter von Andlau, Libellus II 1 (wie Anm. 15), S. 174 (fuit … ordinatum, ut tante potestatis fastigium, quod non debetur sanguini sed virtuti, non per viam successionis sed electionis procederet, ut dignissimus habeatur ad dignitatem imperii gubernandam), sowie Friedrich Andrae, Das Kaisertum in der juristischen Staatstheorie des 15. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der „Kaiseridee“ im späten Mittelalter, Diss. (masch.) Göttingen 1951, S. 9, 21, 44, 82; Franz-Reiner Erkens, Teilung und Einheit, Wahlmonarchie und Erbkönigtum: Vom Wandel gelebter Normen, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Verfassungsänderungen (= Beihefte zu „Der Staat“ 20), Berlin 2012, S. 9 – 34, bes. 31, und Schneidmüller, Grenzerfahrung (wie Anm. 1), S. 152 f. 21 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter, in: Helmut Knüppel u. a. (Hgg.), Wege und Spuren. Verbindungen zwischen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard (= Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam 10), Berlin 2007, S. 223 – 239, bes. 229 (und die dort in Anm. 27 verzeichnete Literatur), sowie jetzt auch Stefan Burkhardt, Barbarossa, Frankreich und die Weltherrschaft, in: ders. u. a. (Hgg.), Imperiale Konzepte (wie Anm. 20), S. 133 – 158, der den mißverständlichen Begriff „Weltherrschaft“ durch „Hegemonie“ (S. 152) ersetzen möchte (wobei der Terminus „Vorrang“ vielleicht noch angemessener ist). 22 MGH Constitutiones IV 2, hg. von Jacob Schwalm, Hannover / Leipzig 1909 – 1911, S. 801 Nr. 801 (1312 Juni 29: Krönungsenzyklika Heinrichs VII.: … universi homines distincti regnis et provinciis separati uni principi monarche subessent, quatinus eo consurgeret machina mundi preclarior, quo ab uno Deo suo factore progrediens sub uno principe moderata et in se pacis ac unitatis augmenta susciperet et in unum Deum et dominum per amoris gressum et devote fidei stabilimenta rediret.), 812 Nr. 811 (1312 Juni/Aug: Antwort Philipps IV. von Frankreich mit Betonung der eigenen Souveränität), 814 Nr. 812 (1313 April 30: lakonische Antwort Edwards III. von England); vgl. Jürgen Miethke, Politisches Denken und monarchische Theorie. Das Kaisertum als supranationale Institution im späteren Mittelalter, in: Joachim Ehlers (Hg.), Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter (= Nationes 8), Sigmaringen 1989, S. 121 – 144, bes. 137; Othmar Hageneder, Weltherrschaft im Mittelalter, in: MIÖG (1985) S. 257 – 278, bes. 272 f., sowie Heidemann, Heinrich VII. (wie Anm. 15), S. 169 – 184 und 340.

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Reich sei (rex est imperator in regno suo)23. Danach hat kein Kaiser mehr versucht, mit dem Weltgeltungsanspruch zu argumentieren. Ein solch im Grunde entspanntes Verhältnis zwischen theoretischer Höhe und praktischer Herrschaftsausübung wie im zwischenstaatlichen Bereich war – wie gesagt – aufgrund vielfältiger Vorprägungen zumeist nicht möglich zwischen der kaiserlichen und der päpstlichen Autorität, auch wenn der nüchterne Pragmatismus eines Karl IV. und dessen Fähigkeit, Streitpunkte auszuklammern und zu verschleiern, beachtliche Erfolge gegenüber dem Papsttum selbst auf ideologisch höchst umstrittenem Gebiet ermöglichten24. Doch blieb dies im Mittelalter die Ausnahme, die wohl nur ermöglicht worden ist durch die besondere Persönlichkeit des luxemburgischen Herrschers und vielleicht durch die Erfahrung des heftigen, in seiner Form letzten und für das Kaisertum nicht gewinnbaren Streites zwischen Ludwig dem Bayern, dem Vorgänger in der Reichsherrschaft, und den in Avignon residierenden Päpsten. Auch wenn dieser von Seiten der Päpste mit unbeugsamer Härte und von dem Wittelsbacher mit bedenklichen Mitteln geführte Kampf um wichtige Rechte des Reiches (etwa um die Gültigkeit der kurfürstlichen Wahl, den Anspruch des geweihten Königs auf die Kaiserkrone und die Gleichrangigkeit von Kaiser- und Papsttum) keinesfalls zum Triumph der ludovizianischen Maximalforderungen führen konnte, so war er doch wiederum auch eine Etappe der bereits angesprochenen Selbstfindung beider universaler Gewalten im Konflikt miteinander25, in dessen Verlauf die Federn gewetzt, alte Ansichten neu formuliert oder fortentwickelt, aber ebenfalls völlig neue Ansichten artikuliert wurden26 und in dem 23

Vgl. Helmut G. Walther, Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität. Studien zu den Grenzen des mittelalterlichen Souveränitätsgedankens, München 1976, S. 78 – 85, und Miethke, Politisches Denken (wie Anm. 22), S. 126. 24 Vgl. Jürgen Miethke, Die päpstliche Kurie des 14. Jahrhunderts und die „Goldene Bulle“ Kaiser Karls IV. von 1356, in: Joachim Dahlhaus u. a. (Hgg.), Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag (= Beihefte zum AKG 39), Köln 1995, S. 437 – 450. 25 Vgl. Anm. 18. 26 Etwa von Jean Quidort (zu diesem vgl. Johannes Quidort von Paris. Über königliche und päpstliche Gewalt [De regia potestate et papali]. Textkritische Edition mit deutscher Übersetzung von Fritz Bleienstein [= Frankfurter Studien zur Wissenschaft von der Politik IV], Stuttgart 1969; Thomas J. Renna, The populus in John of Paris’ Theory of Monarchy, in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 42 [1974] S. 243 – 268 [zum Königtum bes. 245]; Miethke, Politiktheorie [wie Anm. 11], S. 116 – 126; ders., Johanes Quidort [wie Anm. 12], S. 15 – 31; ders., Die Legitimität der politischen Ordnung im Spätmittelalter: Theorien des frühen 14. Jahrhunderts [Aegidius Romanus, Johannes Quidort, Wilhelm von Ockham], in: Burkhard Mojsisch / Olaf Pluta [Hgg.], Historia philosophiae medii aevi II, Amsterdam 1991, S. 643 – 674, bes. 649 – 653 und 657 – 664; Karl Ubl und Lars Vinx, Kirche. Arbeit und Eigentum bei Johannes Quidort von Paris, O. P. [† 1306], in: Christoph Egger / Herwig Weigl [Hgg.], Text – Schrift – Codex. Quellenkundliche Arbeiten aus dem Institut für Geschichtsforschung [= MIÖG Ergbd. 35], Wien 2000, S. 304 – 339; Stürner, Peccatum [wie Anm. 3], S. 196 ff.; Karl Ubl, Johannes Quidorts Weg zur Sozialphilosophie, in: Francia 30/1 [2003] S. 43 – 72), Marsilius von Padua (zu diesem vgl. Stürner, Peccatum [wie Anm. 3], S. 202 – 207; Miethke, Politiktheorie [wie oben], S. 204 – 247; Hermann Segall, Der „Defensor pacis“ des Marsilius

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es zu wichtigen, von Karl IV. schließlich aufgegriffenen Klärungen des Reichsrechts, nicht zuletzt des Königswahlrechtes kam. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich natürlich die Frage, ob sich während des letzten großen Konfliktes zwischen Kaiser und Papst und im Verlauf der kontrovers geführten Debatte über das Verhältnis zwischen den beiden Universalgewalten etwas an den theoretischen Ansichten über die herrscherliche Position veränderte, ob die traditionellen Vorstellungen vom Kaiser als eines gotterwählten und religiös legitimierten Sachwalters der himmlischen Majestät Modifizierungen erfuhren. Dabei können die Äußerungen der Vertreter des papalistischen Standpunktes, der sog. Hierokraten27, weitgehend unbeachtet bleiben, da für diese, unabhängig von Varianten im Detail, die Unterordnung des Herrschers unter das Papsttum feststand und Bonifaz VIII. die Superiorität des Nachfolgers Petri in seiner Bulle Unam sanctam prägnant28 verkündet hat. Vorrangig interessieren hier vielmehr die Verfechter einer nichtpapalen Sicht, und von diesen sollen Engelbert von Admont, Dante Alighieri, Marsilius von Padua, Wilhelm von Ockham und Lupold von Bebenburg befragt werden29. Natürlich besaßen die Genannten keine identische Anvon Padua. Grundfragen der Interpretation [= Hist. Forschungen 2], Wiesbaden 1959 [der das bei Marsilius wirkende kommunale Vorbild betont]; Michael Löffelberger, Marsilius von Padua. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im „defensor pacis“ [= Schriften zur Rechtsgeschichte 57], Berlin 1992 [zur Lebensgeschichte S. 15 – 18]), Wilhelm von Ockham (zu diesem vgl. Volker Leppin, Wilhelm von Ockham. Gelehrter, Streiter, Bettelmönch, Darmstadt 2003, bes. Kap. VIII 4; Jürgen Miethke, Die Legitimität der politischen Ordnung [wie oben], S. 666 – 673; ders., Die Anfänge des säkularisierten Staates in der politischen Theorie des späten Mittelalters, in: Reinhard Mußgnung [Hg.], Entstehen und Wandel verfassungsrechtlichen Denkens [= Beihefte zu „Der Staat“ 11], Berlin 1996, S. 7 – 43, bes. 37 – 41; ders., Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, bes. Kap. 1; ders., Politiktheorie [wie Anm. 11], S. 272 – 295; Stürner, Peccatum [wie Anm. 3], S. 227 – 234) oder Lupold von Bebenburg (zu diesem vgl. unten Anm. 80 sowie die Kap. I-III der Einleitung zu der in Anm. 29 angeführten Edition). 27 Zu dem Begriff (und der ihn ergänzenden Bezeichnung „Dualisten“) vgl. Jürgen Miethke, Geschichtsprozeß und zeitgenössisches Bewusstsein – Die Theorie des monarchischen Papats im hohen und späteren Mittelalter, in: HZ 226 (1978) S. 564 – 599, bes. 580. Allg. vgl. auch Alfons M. Stickler, Imperator vicarius Papae. Die Lehre der französisch-deutschen Dekretistenschule des 12. und 13. Jahrhunderts über die Beziehungen zwischen Papst und Kaiser, in: MIÖG 62 (1954) S. 165 – 212, der den hierokratischen Anspruch aus kanonistischer Perspektive als deutlich eingeengt beschreibt. 28 Vgl. Anm. 11. 29 Folgende Werke werden dazu herangezogen: Engelbert von Admont, De regimine principum, hg. von Johannes Georg Theophil Hufnagel, Regensburg 1725; ders., De ortu et fine Romani imperii, hg. von Melchior Goldast, Politica Imperialia, Frankfurt/M. 1614, S. 754 – 773; Dante Alighieri, Convivio, hg. von Cesare Vasoli und Domenico de Robertis, Dante Alighieri. Opere minori I 2 (= La Letteratura Italiana. Storia e Testi Vol. 5, Tomo I, Parte II), Mailand / Neapel 1988; ders., Monarchia, hg. von Pier Giorgio Ricci, Opere 5, Verona 1965, mit Übersetzung hg. von Ruedi Imbach und Christoph Flüeler (wie Anm. 11); Marsilius von Padua, Defensor Pacis, hg. von Richard Scholz, MGH Fontes iur. Germ. Ant. 7, Hannover 1932, mit Übersetzung hg. von Horst Kusch, Marsilius von Padua. Der Verteidiger des Friedens (= Leipziger Übersetzungen und Abhandlungen zum Mittelalter, Reihe A 2/I-II),

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schauung, eine solche ist ohnehin niemals und am allerwenigsten in einem Kreis von Gelehrten so unterschiedlicher Herkunft und Prägung zu erwarten, aber eingebettet in allgemeine und traditionelle Vorstellungen verband sie doch ihr Verständnis von einem unabhängigen, dem Papsttum nicht untergeordneten Kaisertum. Bei der Betrachtung dieses Verständnisses geht es im folgenden freilich weniger um die Erfassung der bereits wiederholt erörterten30 je besonderen philosophischen Positionen und des Fortschritts im spätmittelalterlichen Diskurs der politischen Theorie, sondern schlicht um die Frage, inwieweit es einen gemeinsamen Wurzelgrund für dieses Gedankengut gibt und wie sehr tradierte Auffassungen weiter gewirkt haben. II Auffallend ist dabei zunächst die ungebrochene Kontinuität der begrifflichen Charakterisierung der weltlichen Herrscher. Obwohl sich die Päpste seit Inno-

Berlin 1958; Wilhelm von Ockham, Breviloquium de principatu tyrannico, hg. von Hilary S. Offler, William Ockham Opera Politica IV (= Auctores britannici medii aevi 14), Oxford 1997, S. 97 – 260; ders., De imperatoum et pontificum potestate, hg. von H. S. Offler (wie vor) S. 279 – 355; ders., Octo quaestiones de potestate pape, hg. von H. S. Offler, Guillelmi de Ockham Opera Politica I, Manchester 21974, S. 15 – 217; ders., Dialogus, hg. von Melchior Goldast, Monarchia S. Romani Imperii 2, Frankfurt/M. 1614 [ND Graz 1960], S. 394 – 957, in Auswahl übersetzt von Jürgen Miethke, Wilhelm von Ockham. Dialogus (Bibliothek klassischer Texte), Darmstadt 1994; Politische Schriften des Lupold von Bebenburg, hg. von Jürgen Miethke und Christoph Flüeler, MGH Staatsschrifen des späteren Mittelalters IV, Hannover 2004 (S. 233 – 409: Tractatus de iuribus regni et imperii; 411 – 505: Libellus de zelo christiane religionis; 507 – 524: Ritmaticum querulosum et lamentosum dictamen de modernis cursibus et defectibus); Konrad von Megenberg, De translacione Romani imperii, hg. von Richard Scholz, Unbekannte kirchenpolitische Streitschriften aus der Zeit Ludwigs des Bayern (1327 – 1354), 2 Bde. (= Bibliothek des Kgl. Preuß. Historischen Instituts in Rom 9/10), Rom 1911 – 1914, hier: II, S. 249 – 345. 30 Vgl. Miethke, Politiktheorie (wie Anm. 11); ders., Politische Theorien im Mittelalter, in: Hans-Joachim Lieber (Hg.), Politische Theorien von der Antike bis zur Gegenwart (= Studien zur Geschichte und Politik, Schriftenreihe 299), Bonn 1991, S. 47 – 156; ders., Die Anfänge des säkularisierten Staates (wie Anm. 26), passim; Karl Ubl, Engelbert von Admont. Ein Gelehrter im Spannungsfeld von Aristotelismus und christlicher Überlieferung (= MIÖG Ergbd. 37), München 2000, Kap. 3 („Politische Theorie“) (zu Engelbert speziell vgl. auch Andreas Posch, Die staats- und kirchenpolitische Stellung Engelberts von Admont, Paderborn 1920; Ottokar Menzel, Bemerkungen zur Staatslehre Engelberts von Admont und ihrer Wirkung, in: Edmund E. Stengel [Hg.], Corona Quernea. Festgabe Karl Strecker zum 80. Geburtstag dargebracht [= Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 6], Leipzig 1941, S. 390 – 408; Marlis Hamm, Engelbert von Admont als Staatstheoretiker, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 85 [1974] S. 343 – 495; Erna Buschmann, Rex inquantum rex. Versuch über den Sinngehalt und geschichtlichen Stellenwert eines Topos in „De regimine principum“ des Engelbert von Admont, in: Albert Zimmermann [Hg.], Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters [= Miscellanea Mediaevalia 7], Berlin 1970, S. 303 – 333); Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), Kap. III 1.

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zenz III. ausdrücklich als Stellvertreter Christi begriffen31 und seither papalistisch gesinnte Schriftsteller die Bezeichnung vicarius Christi, die zuvor im Wechsel mit vicarius Dei jahrhundertelang nahezu selbstverständlich den Monarchen und namentlich den Kaisern beigelegt worden war32, allein noch für die Nachfolger Petri reservierten33, betrachteten die Verteidiger der herrschlichen Position die Könige und Kaiser trotzdem weiterhin als irdische Stellvertreter und Sachwalter Gottes. Dieses Festhalten an der Tradition ist freilich nicht ohne einschränkende Modifizierungen möglich gewesen. War die nahezu unstrittige Vorstellung vom Herrscher als eines Gottesvikars in Spätantike und Frühmittelalter offenbar noch kaum durchdacht und wenig differenziert, hatten doch keine frühen Grundsatzkonflikte einen Anlaß zur differenzierenden Reflexion geboten oder zu spekulativen Erörterungen geführt, so bewirkte die kirchliche Entwicklung seit den Reformpäpsten des 11. und 12. Jahrhunderts eine deutlichere Scheidung des geistlichen vom weltlichen Bereich, die keine indifferente Zuschreibung einer irdischen Sachwalterschaft Gottes an die Monarchen mehr zuließ. Die strikten Papalisten verwarfen eine solche monarchische Position völlig oder ließen sie allenfalls nur dann zu, wenn sie als päpstlich vermittelt gelten konnte. Die Theoretiker der weltlichen Gewalt jedoch begannen zu betonen, daß sich die Stellvertretungsaufgabe der Herrscher allein auf den weltlichen Bereich beziehe, daß das monarchische Vikariat in temporalibus gelte. Es waren – nach Vorläufern in der Kanonistik – Nikolaus von Lyra († 1349), John Wyclif († 1384) und der Verfasser des Somnium viridarii, die diese Begrenzung für die Könige hervorhoben34, aber sie galt auch für den Kaiser, wie im 15. Jahrhundert Aeneas Silvius Piccolimini bezeugt35; und wenn Marsilius von Padua und Baldus de Ubaldis – Philosoph also wie Jurist – ohne ausdrückliche Einschränkung vom Kaiser als vicarius Dei sprechen, dann verdeutlich der jeweilige Zusammenhang, in dem dies geschieht, doch, daß allein eine Sachwalterschaft im weltlichen Bereich gemeint ist. Marsilius etwa erklärt, der Herrscher sei Stellvertreter und Diener Gottes (Dei vicarius seu minister) und in dieser Eigenschaft 31 Vgl. Jürgen Miethke, Der Weltanspruch des Papstes im späteren Mittelalter. Die politische Theorie der Traktate De potestate Papae, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen II, München 1993, S. 351 – 445, bes. 359, sowie allg. Michele Maccarrone, Il sovrano „vicarius Dei“ nell’alto medio evo, in: La regalità sacra. Contributi al tema del’VIII congresso internazionale di Storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), Leiden 1959, S. 581 – 594, und ders., Vicarius Christi. Storia del titolo papale (= Lateranum NS an. 18, N. 1 – 4), Roma 1952. Zuvor hatte etwa schon Bernhard von Clairvaux (De consideratione ad Eugenium papam, in: Bernhard von Claivaux. Sämtliche Werke lateinisch/deutsch, hg. von Gerhard B. Winkler, Bd. I, Innsbruck 1990, S. 626 – 827, hier S. 772 [VII.23]) den Papst als Stellvertreter Christi bezeichnet; vgl. Herbers, Geschichte des Papsttums (wie Anm. 11), S. 161. 32 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 12 f. 33 Vgl. etwa Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), 124 f. 34 Vgl. zu Wycliff Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 26 mit Anm. 111, zum Somnium Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 230 mit Anm. 864 sowie (zu Huguccio und Hostiensis, den Kanonisten des späten 12. und des 13. Jahrhunderts, und ihrer Lehre vom Herrscher als Gottesvikar in weltlichen Angelegenheiten) S. 124 ff. 35 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 26 mit Anm. 112.

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nicht auf unbestimmte Weise mit der Stellvertretung betraut, sondern hauptsächlich als Vollstrecker von Strafen gegen die Übeltäter in der Welt36, und Baldus bezeichnet eben nicht nur den Kaiser, sondern auch den Papst, diesen natürlich mit einem gewissen Vorrang, und die übrigen Könige als Gottes Vikare37. Das Verständnis vom Monarchen als einem irdischen Sachwalter Gottes, das sich auch in den Charakterisierungen von König und Kaiser als Diener oder Abbild Gottes spiegelt38 und das natürlich von den Herrschern – selbstverständlich auch von Ludwig dem Bayern, dem regis regum Iesu Christi vicarius39 – geteilt und gelegentlich geäußert wurde40, die Idee einer vikarialen Herrscherstellung also war im späteren Mittelalter noch weit verbreitet und prägte das Verständnis von der weltlichen Herrschaft sehr deutlich, wenn auch in differenzierter Form, insofern dem Papst seine Vikariatsstellung im geistlichen Bereich in der Regel nicht bestritten wurde41 und der römische Bischof wie von Petrus Johannis Olivi († 1296) sogar als der einzige umfassende Christusvikar42 begriffen werden konnte, dem Baldus de Ubaldis aufgrund des bekannten geistlichen Vorrangs auch einen Vorrang gegenüber den weltlichen Stellvertretern Gottes eingeräumte43 (während andererseits ein so scharfer Kritiker der päpstlichen Vollgewalt wie Marsilius von Padua das päpstliche Christusvikariat in seiner Bedeutung sehr minderte und auf die Stufe

36 Defensor Pacis (wie Anm. 29) II xxx 5: Dei enim minister est. Ecce vicarium Dei, non qualemcumque, sed coactivum malorum in hoc seculo. 37 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 226 f. mit Anm. 855. 38 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 28 – 31 (zu den Herrschern als imago dei), und Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 202 f. (zur vikarialen Bedeutung der Bezeichnung minister dei). 39 Urkunde Ludwigs des Bayern vom 10. April 1331, zit. von Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 26 Anm. 107. 40 Vgl. etwa die Ausführungen Karls IV. im 2. Kapitel von dessen Autobiographie, hg. von Eugen Hillenbrand, Vita Caroli quarti, Stuttgart 1979, S. 74; aber auch die in der vorhergehenden Anm. belegte Charakterisierung darf wohl in diesem Sinne verstanden werden. Für Heinrich VII. vgl. die Krönungsenzyklika „in forma minori“ (MGH Const. IV 2 Nr. 802 [hier S. 804: …, divina cooperante clementia per eos, ad quos spectat, in Romanorum regem futurum imperatorem rite et concorditer electi, …], sowie dazu Heidemann, Heinrich VII. [wie Anm. 15], S. 170 – 173). 41 Vgl. etwa Jean Quidort, De regia poestate c. 18 (wie Anm. 26) S. 164: papa qui est Christi vicarius in spiritualibus. 42 Vgl. Maccarrone, Vicarius Christi (wie Anm. 31), S. 146 (wo Olivis Diktum zitiert wird: … papa est eius [= Christi] vicarius universalis et immediatus …), und Ludwig Hödl, Die Lehre des Petrus Johannis Olivi O.F.M. von der Universalgewalt des Papstes. Eine dogmengeschichtliche Abhandlung auf Grund von edierten und unedierten Texten (= Mitteilungen des Grabmann-Instituts der Universität München 1), München 1958, S. 11 – 22, sowie allg. Merio Scattola, Eine interkonfessionelle Debatte. Wie die spanische Spätscholastik die politische Theologie des Mittelalters mit der Hilfe des Aristoteles revidierte, in: Alexander Fidora u. a. (Hgg.), Politischer Aristotelismus und Religion in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin 2007, S. 139 – 161, bes. 146 f. 43 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 227.

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einer allen Bischöfen zukommenden Christusstellvertreterschaft hinabdrückte44). Differenziert war die Vorstellung vom Christusvikariat allerdings nicht nur hinsichtlich der weltlichen und geistlichen Zuständigkeit, sondern auch innerhalb des weltlichen Bereichs, in welchem nicht allein der Kaiser, der Vertreter der zweiten Universalgewalt, als Gottesvikar galt, sondern in dem alle Könige diese Stellung in ihren Reichen einnahmen. In der Praxis waren damit alle Herrscher gleichgestellt, in der Theorie jedoch konnte dem Kaiser gelegentlich trotzdem eine gewisse Sonderstellung eingeräumt werden45. Noch eine weitere Bezeichnung, die Nähe zu Gott signalisiert und auf die göttliche Allmacht verweist und die im späten Mittelalter daher auch auf den Papst bezogen wurde46, ist den Herrschern zur gleichen Zeit ebenfalls nicht vorenthalten worden, denn als deus in terris galt etwa den großen Juristen Accursius, Bartolus de Sassoferrato und Baldus de Ubaldis der Kaiser47. Doch läßt es sich im einzelnen natürlich kaum sagen, welche konkrete Vorstellung sich hinter solchen Floskeln verbarg. Mit Sicherheit aber sollten sie immer und ebenso wie der seit der Mitte des 8. Jahrhunderts in Herrscherurkunden übliche Hinweis auf die Gnade Gottes, aus der heraus die Herrschaft ausgeübt werde48, den unmittelbaren Gottesbezug der weltlichen Herrschaft unterstreichen. Natürlich wurde auch die von den Hierokraten verworfene Gottunmittelbarkeit des weltlichen Herrschers hartnäckig verteidigt, denn ohne sie wären alle hochtönenden Verkündigungen vom monarchischen deus in terris und vicarius Christi nur hohle Phrase und leeres Gerede geblieben. Bereits die deutsch-römischen Könige und Kaiser hatten daher nach den sakralen Einbußen von Canossa, die freilich kein Ende ihrer Sakralität bedeuteten, verstärkt begonnen, ihr Gottesgnadentum zu betonen49 ; und die übrigen Monarchen Europas, die von den ideellen und herrschaft44

Vgl. ebd. S. 203 sowie Defensor Pacis (wie Anm. 29) II xxviii 19. Etwa durch Baldus de Ubaldis: Vgl. dazu Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 226 f. 46 Vgl. Miethke, Politisches Denken und monarchische Theorie (wie Anm. 24), S. 123, sowie ders., Ockhams Weg zur Sozialphilosophie (wie Anm. 26), S. 411 f. Anm. 255. 47 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 31 f. mit Anm. 132 und 133, sowie Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 223 und 224. Auch Johannes Branchazolus weist darauf hin, daß der Kaiser auf Erden wie Gott sei (Nova Alam. 1 [wie Anm. 15] S. 46 [I 2]: sicut deus est in terra); vgl. dazu Heidemann, Heinrich VII. (wie Anm. 15), S. 213 – 220, bes. 213. 48 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 11 f. 49 Vgl. Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 85 ff. – Der Entsakralisierungsprozeß zog sich im übrigen lange hin und ist u. a. davon bestimmt gewesen, daß die religiöse Legitimierung der Herrscher zunehmend auf den weltlichen Bereich eingegrenzt wurde (vgl. Anm. 34 und 35) und sich gleichzeitig die Ansichten über die Herrschaftsbegründung ausdifferenzierten – etwa durch die Vorstellung, daß für diese Gott nur noch als causa remota wirksam wurde (vgl. die folgenden Ausführungen bes. von Anm. 57 an), wie dies etwa für Engelbert von Admont galt (De providentia cap. 1; vgl. Posch, Die staats- und kirchenpolitische Stellung Engelberts [wie Anm. 30], S. 43; Hamm, Engelbert von Admont [wie Anm. 30], S. 374), der im übrigen mit Blick auf den Herrscher zwischen einer Privat- und einer Königsmoral unterschied (vgl. Erna Buschmann, Ministerium Dei – idoneitas. Um ihre Deutung aus den mittelalterlichen Fürstenspiegeln, in: HJb 82 [1963] S. 70 – 102, bes. 86 f.; 45

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lichen Folgen des heftigen Ringens zwischen den späten Saliern und den Reformpäpsten weniger stark betroffen waren und in deren Reichen, wie das Beispiel der anglonormannischen und französischen Historiographie lehrt50, die das Imperium erschütternden Ereignisse des Investiturstreits nur sehr selektiv zur Kenntnis genommen worden waren, taten es ihnen angesichts des hierokratischen Aufstiegs des hochmittelalterlichen Papsttums51 gleich. Bei der theoretischen Begründung dieser Gottunmittelbarkeit zeigt sich schließlich ein Reichtum an keinesfalls deckungsgleichen Ansichten, eine Vielfalt, die auf mehrere Ursachen zurückgeführt werden kann: auf die unterschiedlichen Traditionen, von denen die einzelnen, kaum von identischen Interessen geleiteten Autoren geprägt waren, auf den Umstand, daß bei den Reflexionen nicht allein das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt zu berücksichtigen war, sondern auch jenes von König- und Kaisertum sowie von Erbund Wahlmonarchie, und nicht zuletzt auch darauf, daß bei der Herleitung der Herrschaft auf die realen Verfassungsverhältnisse geachtet worden ist. Die nuancenreiche Differenziertheit, die dadurch entsteht, verdeutlicht eindrucksvoll, wie vielgestaltig die Ideenwelt vom Königtum gewesen ist, und zeigt zugleich doch auch den gemeinsamen und damit verbindenden Wurzelgrund der einzelnen Äußerungen, der sich ebenfalls in der traditionellen Begrifflichkeit widerspiegelt. Gemeinsam war natürlich allen dualistischen Vorstellungen die durch den Römerbrief verkündete Herleitung jeglicher Herrschaft von Gott (auch wenn die Rezeption der aristotelischen Soziallehre es ermöglichte, die Entstehung von Königreichen aus menschlichen Notwendigkeiten zu erklären, und von juristischer Seite dies., Rex inquantum rex [wie Anm. 30]; S. 311 – 331; Karl Ubl, Engelbert von Admont. Forschungsbericht 1970 – 1995, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Steiermark 87 [1996] S. 15 – 39, bes. 32]), was vor dem Hintergrund der bislang geforderten Integrität von persönlicher und ,amtlicher‘ Lebensführung sicherlich zukunftsweisend gewesen ist, aber, auch wenn die Existenz von Staatswesen nun hauptsächlich mit aristotelischer Argumentation erklärt wird, wohl kaum bedeutete, daß der Herrscher keine sakrale Dimension mehr besaß, bleibt er doch von Gott erwählt (De reg. princ. I 11 [wie Anm. 29] S. 29: Unus Deus et verus, qui est in coelis, eligit et constituit Reges in terris, quibus circa regimen hominum quasi providentiae suae partem commisit; vgl. Hamm S. 376 f.) und diesem unmittelbar verantwortlich (vgl. Hamm S. 395), gilt er doch weiterhin gleichsam als deus terrester (De reg. princ. I 11[wie Anm. 29], S. 29: Reges …honorandi sunt et colendi tanquam Dii terrestres) und wie ein Gott auf Erden (De reg. I 5 [wie Anm. 29] S. 17: non est jam civis vel pars civitatis, sed sicut Deum inter homines aestimandum est), und hatte das Imperium und damit auch der Kaiser weiterhin eine heilsgeschichtliche Aufgabe zu erfüllen (vgl. Hamm S. 408 f.; Ubl, a.a.O., S. 34 f.). 50 Vgl. Rudolf Schieffer, Worms, Rom und Canossa (1076/77) in zeitgenössischer Wahrnehmung, in: HZ 292 (2011) S. 593 – 612, bes. 607 – 611. 51 Vgl. dazu Miethke, Geschichtsprozeß (wie Anm. 27), S. 567 – 595, aber zur praktischen Seite dieses Aufstiegs auch Rudolf Schieffer, Die päpstliche Kurie als internationaler Treffpunkt des Mittelalters, in: Claudia Zey / Claudia Märtl (Hgg.), Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, Zürich 2008, S. 23 – 39, sowie ders., Papsttum und neue Königreiche im 11./ 12. Jahrhundert, in: Stefan Weinfurter (Hg.), Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweisen – Strategien – Darstellungsformen, Ostfildern 2012, S. 69 – 80.

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ein Unterschied zwischen dem von Christus legitimierten imperium und den übrigen regna germacht werden konnte52). Trotzdem gingen die Ansichten über die konkrete Mitwirkung Gottes bei der Bestellung eines Herrschers spürbar auseinander und bildeten ein breites Spektrum. Dieses reichte von der tiefe Wurzeln besitzenden, im 14. Jahrhunderts jedoch bereits archaisch anmutenden Meinung, Gott erwähle den Herrscher direkt, bis hin zu der in die Zukunft weisenden Ansicht, das Volk treffe die Auswahl. Vertreten wurden diese divergierenden Anschauungen von den Trägern klingender Namen, von dem Florentiner Exulanten und Dichterphilosophen Dante Alighieri, der in Gott den einzigen Wähler des Kaisers und in den Kurfürsten lediglich die Verkünder des göttlichen Willens sah53, und Marsilius von Padua54, dem nachdrücklichsten Bekämpfer der päpstlichen Vollgewalt55, in dem manche einen Verkünder der Volkssouveränität56 erblickten. Doch verlief auch für den Autor des ,Defensor pacis‘ eine Herrschereinsetzung nicht ohne Gott; aller52

Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 227, sowie Joseph Canning, The political thought of Baldus de Ubaldis (= Cambridge studies in medieval life and thought, fourth series 6), Cambridge 1987, S. 28. 53 Mon. (wie Anm. 29) III xv 13: Quod si ita est, solus eligit Deus, solus ipse confirmat, cum superiorem non habeat. Ex quo haberi potest ulterius quod nec isti qui nunc, nec alii cuiuscunque modi dicti fuerint ,electores‘, sic dicendi sunt: quin potius ,denuntiatores‘ divine providentie sunt habendi. Vgl. auch Convivio IV iv 9 (wie Anm. 29) S. 558 sowie zu dieser Ansicht Ottomann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 232 – 256, bes. 241 – 244; Stürner, Peccatum (wie Anm. 3), S. 200 ff.; Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 187 – 193, bes. 191, und Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 150 – 155, bes. 152 ff., sowie Dirk Lüddecke, Dantes Monarchia als politische Theologie, in: Der Staat 37 (1998) S. 347 – 370, und Peter Herde, Dante als Sozialphilosoph, in: Mock / Wieland (Hgg.), Rechts- und Sozialphilosophie (wie Anm. 5), S. 83 – 102. 54 Defensor pacis (wie Anm. 29) I xv 2. Zu Marsilius und seiner Auffassung vgl. Johannes Haller, Zur Lebensgeschichte Marsiglios von Padua, in: ders., Abhandlungen zur Geschichte des Mittelalters, Stuttgart 1944, S. 335 – 368 [erstmals 1929, in: Zs. f. Kirchengesch. 48, S. 166 – 197]; Stürner, Peccatum (wie Anm. 3), S. 202 – 207; Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 261 – 273; Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 193 – 203, bes. 197 ff.; Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 74 und 212 ff., und Jürgen Miethke, Marsilius von Padua. Die politische Philosophie eines lateinischen Aristotelikers des 14. Jahrhunderts, in: Hartmut Boockmann u. a. (Hgg.), Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Politik – Bildung – Naturkunde – Theologie (= Abh. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, Philol.-Hist. Kl. 3. Folge 179), Göttingen 1989, S. 52 – 76, sowie ders., Die Anfänge des säkularisierten Staates (wie Anm. 26), S. 33 – 37. 55 Vgl. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 260. 56 Vgl. etwa Otto von Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht 3. Die Staats- und Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland, Berlin 1881, S. 578 ff.; Christian Vogel, Zur Rolle der Beherrschten in der mittelalterlichen Herrschaftslegitimation (= Studia Humaniora 45), Düsseldorf 2011, S. 195; dazu skeptisch Friedrich Prinz, Marsilius von Padua, in: ZBLG 39 (1976) S. 39 – 77, der auf S. 61 darauf hinweist, daß Volk für Marsilius „kein fundamentaldemokratischer Begriff“ sei, und Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 261, sowie allg. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung (wie Anm. 13), S. 260 – 288, bes. 286 f., und prinzipiell zum Souveränitätsgedanken Francesco Maiolo, Medieval Sovereignity. Marsilius of Padua and Bartolus of Saxoferrato, Delft 2007.

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dings wirkte nach seiner Meinung der Schöpfer aller Dinge dabei nur noch als causa remota aus dem Hintergrund57, insofern, wie Thomas von Aquin lehrt58, Gott seine Schöpfung als unbewegter Beweger und causa prima nur mittelbar lenkt, und zwar durch von ihm mit inneren Prinzipien versehenen causae secundae, im Falle der Staatswesen also durch die Menschen, denen der Trieb zum gesellschaftlichen Zusammenschluß und damit zur Staatenbildung innewohnt, die jedoch den dabei zu verwirklichenden Zweck des Gemeinwohls aufgrund ihres freien, aber vernunftgeleiteten Willens, mithin ihres inneren Prinzips, auf verschiedene Weise erreichen können, etwa durch die Wahl unterschiedlicher Herrschaftsformen, aber eben auch durch die Wahl der Herrscher. Daher war auch noch nach spätmittelalterlicher Anschauung die göttliche Mitwirkung bei der Auswahl von Herrschern unumstritten, nur konnte sie je nach eigenem Standpunkt irgendwo zwischen den beiden Extremen ,direkte Wahl‘ und ,indirektes Wirken als causa remota‘ verankert, also maximal oder eher verhalten sein. Thomas von Aquin etwa, auf den sich wegen der ausgeglichenen Ambivalenz seiner niemals voll ausformulierten Herrschaftstheorie und trotz der von ihm natürlich prinzipiell vertretenen Prävalenz des Papsttums alle Seiten, Hierokraten wie Dualisten, beziehen konnten59, sah bei der Herrscherberufung, was lange zu wenig beachtet wurde60, in Gott wohl nicht nur eine causa remota, denn für ihn steht der Herrscher als Diener und Vollstrecker (executor et minister) des göttlichen Willens an der Stelle Gottes (loco dei) auf Erden61; für den Aquinaten gab es also eine enge 57

Defensor pacis (wie Anm. 29) I ix 2: Alia vero est principatuum institucio, que scilicet ab humana mente immediate provenit, licet a Deo tamquam a causa remota, qui omnem principatum terrenum eciam concedit, …, quod tamen non est immediate semper, quinimo ut in plurbius et ubique quasi hos statuit per hominum mentes, quibus talis institucionis concessit arbitrium. Vgl. auch II xxx 4: … princeps iudex coactivus existens in hoc seculo Dei ordinacione, quamvis immediate humani legislatoris aut alterius cuiusvis humane voluntatis institucione, … 58 Vgl. die Summa theologiae. Pars Prima et Prima Secundae cura et studio Petri Caramello, Turin 1986, S. 489 f. (I-I qu. 103 a. 6), die auch ediert ist als 8. Band der ,deutsche(n) Thomas-Ausgabe‘, Heidelberg u. a. 1951, S. 19 – 22 (und S. 412 ff.), und die Summa contra Gentiles libri quattuor, hg. übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Karl Albert und Paulus Engelhadt unter Mitarbeit von Leo Dümpelmann, Darmstadt 32009, S. 286 – 293 (III 69), sowie dazu Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 146 f. 59 Vgl. zu dem Aquinaten und seiner Herrschaftstheorie Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung (wie Anm. 13), S. 150 – 165; Stürner, Peccatum (wie Anm. 3), S. 189 – 192; Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 203 – 221, bes. 205 – 210; Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 141 – 154; Schneider, Thomas von Aquin (wie Anm. 15); Miethke, Die Anfänge des säkularisierten Staates (wie Anm. 26), hier bes. 24 f., sowie ders., Johannes Quidort (wie Anm. 12), S. 28 f., und Franz-Martin Schmölz, Recht und Politik bei Thomas von Aquin, in: Mock / Wieland (Hgg.), Rechts- und Sozialphilosophie (wie Anm. 5), S. 29 – 45 (der bei Thomas „eine … ausgeprägte Vorliebe für die demokratische Regierungsform“ [S. 34] feststellt). 60 Vgl. dazu wie zum folgenden Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 150 ff. 61 Divi Thomae Aquinatis De regimine principum ad regem Cypri I 11/12, hg. von Joseph Mathis, Turin 21971, S. 15 f. (bes. S. 16 [I 12]: …, ut, loco dei, iudicium regno exerceat; …).

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Verbindung zwischen weltlicher und göttlicher Herrschaft, zwischen göttlichem Auftraggeber und irdischem Sachwalter, bei dessen Auswahl Gott die Menschen möglicherweise nicht einfach nur als causa secunda akzeptierte, sondern auch selbst Impulse gab und im Sinne der sog. Konkurslehre, der Lehre vom Zusammenwirken zweier Ursachen, die causa immediata gewesen ist – eindeutig zu entscheiden ist dies freilich nicht62. Deutlicher als bei dem doctor angelicus, der sich ja niemals zentral mit herrschaftstheoretischen Fragen auseinandergesetzt hat und vieles in der Schwebe ließ, sind diese Zusammenhänge beim doctor singularis et invincibilis, bei Wilhelm von Ockham, zu erkennen. Nach dessen Verständnis wählen zwar die Menschen den Herrscher, verleiht diesem aber allein Gott die Gewalt zum Herrschen, weshalb die Monarchen nach dem Antritt ihrer Herrschaft nur noch von Gott abhängen und das Volk sich ihrem Willen zu beugen hat63 (auch wenn unter gewissen Voraussetzungen eine Herrscherabsetzung als legitim erachtet wird64). A deo sed per homines werde die Wahl vollzogen65, erklärt der englische Theoretiker aus dem Franziskanerorden bündig, wobei es hinsichtlich des menschlichen Anteils zwei verschiedene Möglichkeiten gebe, von denen eine, der Ockham allerdings nicht zuneigte, den Wählern lediglich die Verwirklichung des göttlichen Willens beläßt66, während die andere zusätzlich die Übertragung einiger zeitlicher Rechte umfaßt67. Gleichgültig jedoch, welche der beiden Varianten man akzeptiert: Ockham begriff Gott bei den Herrschererhebungen seiner Zeit68 weder als allein handelnd noch als causa remota.

62 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 150, der freilich auch ausdrücklich darauf hinweist, daß „im herrschaftstheoretischen Kontext ebenso wenig expressis verbis herauszulesen“ ist, ob der Aquinate in Gott die causa remota oder die causa immediata bei der Herrschaftsbegründung sieht. 63 Octo Quaestiones 2 c. 3 (wie Anm. 29) S. 72 (… electores tamen illi sibi potestatem suam non tribuunt, sed solus Deus …), vgl. dazu auch die wohl nicht von Ockham stammenden, aber wahrscheinlich von ihm neben anderen beeinflußten Allegationes de potestate imperiali II, hg. von Hilary S. Offler, Opera politica IV (wie Anm. 29), S. 367 – 444, hier 396 (… imperatoris potestas est immediate a solo Deo …). 64 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 219, sowie Mario Grignaschi, L’elezione del „rex Romanorum semper augustus“ nel „Defensor pacis“ di Marsiglio da Padova, in: Rivista Storica Italiana 65 (1953) S. 410 – 435, bes. 415 f. 65 III Dialogus II i 26 (wie Anm. 29) S. 899 und dazu Breviloquium IV 3 (wie Anm. 29) S. 200; vgl. dazu Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 213 – 220; Wilhelm Kölmel, „A Deo sed per homines“. Zur Begründung der Staatsgewalt im Ordnungsverständnis des Mittelalters, in: Franziskanische Studien 48 (1966) S. 308 – 335, bes. 332 f. 66 Vgl. etwa Octo Quaestiones II 5 (wie Anm. 29) S. 75: …, ita celebrata electione imperatoris eligentes nichil conferunt sibi, sed ipso consentiente, omnem proprietatem, quae propria est imperatoriae dignitati, et potestatem sibi confert solus Deus. 67 Ebd. II 6 (= S. 76 ff.). 68 Octo quaestiones V 6 (wie Anm. 29) S. 158 f.: … principatus regalis humanitus institutus, cuiusmodi est omnis principatus, qui etiam inpraesentiarum habetur, pendeat et procedeat ex ordinatione humana, quae ex causa rationabiliter variari potest, …

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Die durch den theoretischen Diskurs vorangetriebene Differenzierung der im Kern über Jahrhunderte hinweg recht konstanten Vorstellung von einer göttlichen Beteiligung an der Herrschererhebung, von dem Wirken Gottes und der Mitwirkung des Volkes bei der Auswahl eines Herrschers ist einerseits natürlich eine Folge des allgemeinen akademischen Fortschritts gewesen, der seit dem Hochmittelalter greifbar ist, und andererseits eine Konsequenz der politischen Diversifizierung Europas. Keine der geäußerten Meinungen wurde jedoch allgemeinverbindlich, konnte dies allerdings auch gar nicht werden, da die einzelnen Äußerungen – abgesehen davon, daß sie von ausgeprägten Individualisten stammten – aus je konkreten Situationen heraus formuliert wurden und auf bestimmte Verhältnisse Rücksicht nahmen; der (bevor er seit 1302 als glühender Verfechter der päpstlichen Vollgewalt auftrat) in Paris tätige Augustinereremit Aegidius Romanus etwa hatte bei seinen Reflexionen über das regimen principum die französische Erbmonarchie vor Augen und stellte daher die erbliche Weitergabe der Herrschaft über die Wahl69, während Autoren aus dem Reich die Wahl höher schätzten als den Erbgang70, wenn sie über die beste Begründung einer neuen Herrschaft nachdachten (wobei freilich die konkreten Wahlmodalitäten, modern gesprochen: die realen Verfassungsstrukturen, meist nicht erörtert werden). Trotz aller Nuancierungen jedoch blieb genügend gemeinsames Gedankengut erhalten, und zentrale Einsichten, die etwa mit Blick auf das Königtum gewonnen wurden, waren ebenso auf das Kaisertum übertragbar wie umgekehrt Aussagen, die bei der Erörterung der Kaiserwürde formuliert wurden, auch für die Königsherrschaft gelten konnten. Argumentiert etwa Wilhelm von Ockham vom Kaisertum her, so spricht er doch häufig genug von imperatores vel reges und verdeutlicht damit die Allgemeingültigkeit seiner Aussage71; und bei den übrigen Theoretikern ist es meist nicht anders72. Vor allem die Vorstellung vom Herrscher als Erwähltem und Sachwalter Gottes stellte eine verbindende Gemeinsamkeit in der Welt der Herrschaftstheorie dar. Allerdings ist dieser Aspekt niemals zentral erörtert, sondern meistens nur eher beiläufig erwähnt worden; doch deutet gerade diese Beiläufigkeit auf die Allgemeingültigkeit einer 69 De regimine principum libri III, Rom 1607 [ND Aalen 1967], S. 461 – 465 (II. pars lib. III c. 5), bes. 461 (wo es aber auch heißt: Absolute ergo loquendo, melius est Principem praestituendum esse per electionem, quam per haereditatem.); vgl. dazu Melville, Vorfahren und Vorgänger (wie Anm. 20), S. 257 f., zu Aegidius allg. vgl. auch Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 155 – 163, und Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 29 f. mit Anm. 126. 70 Vgl. Anm. 20. 71 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 219 mit Anm. 826. 72 Vgl. allg. dazu Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 231, und etwa das Somnium viridarii, hg. von F. Chatillon und Marion Schnerb-Lièvre (= Revue du Moyen Age Latin 22), Strasbourg 1966, in dem Feststellungen gleichermaßen auf Kaiser und König bezogen werden, wie z. B. S. 123 (I 163: … nec Imperator nec Rex habet …); noch deutlicher wird dies in der französischen Adaption dieses Werks: Le Songe du Vergier, hg. von Marion Schnerb-Lièvre, 2 Bde., Paris 1982, in dem sich der zitierte Sachverhalt ebenfalls findet (I 128 [S. 209]), in dem aber auch Äußerungen, die in der lateinischen Fassung allein auf den Kaiser bezogen sind (etwa Somnium II 15 [S. 151]), auch auf alle Könige ausgedehnt werden: S. 13 (II 15).

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wohl an vielen Schattierungen reichen und auch außerhalb des theoretischen Diskurses existierenden Ansicht hin. Natürlich gibt es neben den deutlichen Gemeinsamkeiten und den impliziten Übertragbarkeiten auch Besonderheiten, Spezifika, die den einzelnen Herrschaften ein eigenes Gepräge verliehen. Als Gottesvikar konnte, wenn auch gelegentlich mit unterschiedlicher Begründung73, jeder Monarch charakterisiert werden, als universal jedoch galt im weltlichen Bereich allein die Kaiserwürde. Die Betonung des Kaisertums als Universalgewalt und damit verbunden die Hervorhebung des Anspruchs auf die Weltherrschaft war daher ein solches Spezifikum, dem die Abwehr der kaiserlichen Oberhoheit als Merkmal der europäischen Herrscher, besonders jedoch des französischen Königs74 entsprach. Allerdings klafften Theorie und Wirklichkeit des imperialen Weltherrschaftsanspruches weit auseinander, ja, im Grunde war dieser Anspruch eine rein theoretische Angelegenheit und seine Verwirklichung ist, wie bereits erwähnt, bestenfalls ein einziges Mal versucht worden75. Ansonsten sind die Verfechter der kaiserlichen Weltherrschaft zumeist damit beschäftigt gewesen zu erklären, warum diese Weltherrschaft nicht wirklich existierte, und dabei zu erörtern, inwieweit die bestehende Wirklichkeit, die Souveränität der europäischen Monarchien, rechtens und akzeptabel war76. Die Kaiserrea73

Vgl. Anm. 45. Vgl. etwa Jean Quidort, De regia potestate c. 3 (wie Anm. 26) S. 82 f. (bes. 83 mit der Feststellung: Non est ergo sic necesse mundum regi per unum in temporalibus …), oder das Somnium viridarii (wie Anm. 72) S. 68 und dessen französische Übertragung Le Songe du Vergier (wie Anm. 72) S. 51 (I 3615: La seignorie, donques, de l’Impereur, qui vout avoir la monarchie du monde seür touz Roys et seigneurs terriens, fust contre l’ordonance de Dieu, qui avoit ja lez seignories du moinde divisees entre Roys, princes, dux et aultres seigneurs terrians), und zu diesem Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 230 ff, sowie grundsätzlich auch oben Anm. 23 und Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S.148 f.; Kurt-Ulrich Jäschke, Zu universalen und regionalen Reichskonzeptionen beim Tode Kaiser Heinrichs VII., in: Hans Maurer / Hans Patze (Hgg.), Festschrift für Berent Schwineköper. Zu seinem siebzigsten Geburtstag, Sigmaringen 1982, S. 415 – 435. 75 Vgl. Anm. 22 sowie Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 141 – 147, bes. 146, wo mit Bezug auf Adolf Dieckmann, Weltkaisertum und „Districtus Imperii“ bei Kaiser Heinrich VII. Untersuchungen über die Reichsherrschaft und Reichspolitik im Zeitalter Heinrichs VII., Diss. (masch.) Göttingen 1956, S. 98 ff., zu Recht darauf hingewiesen wird, daß Heinrich VII. Robert von Neapel trotz aller Weltherrschaftsrhetorik als Vasall des Reiches, der dieser als Graf der Provence gewesen ist, vor sein Gericht geladen hat. Diese Gerichtsladung kann daher allenfalls in einem übertragenen, kaum jedoch in einem konkreten Sinne als Folge der von Heinrich VII. beanspruchten Stellung eines dominus mundi sein. Vgl. dazu jetzt auch Heidemann, Heinrich VII. (wie Anm. 15), S. 227 – 246, der auf das Schwanken der Argumente Heinrichs VII. hinweist, aber ebenfalls im Lehnrecht einen Argumentationsstrang sieht. 76 Vgl. etwa Engelbert von Admont, De ortu c. 18 und 23 (wie Anm. 29) S. 768 und 772 (dazu Ubl, Engelbert von Admont [wie Anm. 30], S. 161 f., und ders., Die Rechte des Kaisers in der Theorie deutscher Gelehrter des 14. Jahrhunderts [Engelbert von Admont, Lupold von Bebenburg, Konrad von Megenberg], in: Claudia Märtl u. a. [Hgg.], Konrad von Megenberg [1309 – 1374] und sein Werk. Das Wissen der Zeit [= ZBLG Beiheft 31 (Reihe B)], München 2006, S. 353 – 387, hier 361 f.), Lupold von Bebenburg, Tractatus de iuribus regni et imperii 15 74

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lität spiegelt sich mithin in den theoretischen Diskursen häufig in eigentümlich gebrochener Weise, wobei sich die dominus mundi-Charakterisierung des imperator77 als reine Stilisierung, als ein pures Theoriegebilde erweist; denn in Wahrheit ist die vollmundige Bezeichnung des Kaisers als „Herr der Welt“ lediglich ein schmückendes Beiwort der höchsten weltlichen Würde und ansonsten ohne jeden Realitätsgehalt gewesen. Trotz ihrer fiktionalen Dimension zeitigte die fortwährende Behauptung des imperialen Weltherrschaftsanspruches Wirkungen – auf der Ebene der Theorie durch die erwähnte Entwicklung der Souveränitätslehre der Könige, auf der politischen Ebene durch die Zementierung des ideellen Gegensatzes zum Papsttum. Während die erste Entwicklung, da sie die Sphäre der Theorie praktisch nie verließ, kaum Folgen für die realen Machtkonstellationen hatte und eher zur prophylaktischen Abwehr möglicher Konsequenzen der Rezeption des römischen, die kaiserliche Weltherrschaft betonenden Rechts diente78, ist die zweite wiederholt und gerade während der Regierungszeit Ludwigs des Bayern spürbar gewesen. Der kaiserliche Universalismus konkurrierte ja mit der (im lateinischen Europa deutlich realer wirkenden79) Universalgewalt des Papstes und verquickte sich dabei immer wieder mit konkreten Herrschaftskonflikten vornehmlich in Italien. Solange der imperiale Anspruch aufrechterhalten wurde, konnten diese Auseinandersetzungen, wie wiederholt geschehen, zum Prinzipienstreit eskalieren und dadurch zu heftigen Erschütterungen führen – die traditionelle Vorstellung vom Kaiser als Beherrscher der Welt war jedoch fest in der Mentalität der Reichstheoretiker verankert, wie selbst der fortschrittliche Versuch einer Definierung der kaiserlichen Herrschaftsgewalt durch Lupold von Bebenburg lehrt.

(wie Anm. 29) S. 382 – 392 (vgl. dazu Ubl, Die Rechte des Kaisers, S. 372 f.), Wilhelm von Ockham, III Dialogus II i 1 – 14 sowie ii 5 – 15 (wie Anm. 29) S. 871 – 883 und 904 – 922, bes. etwa 906 ff. (c. 6 und 7) (vgl. dazu Ubl, Engelbert von Admont [wie Anm. 30] S. 162 f.), Konrad von Megenberg, De translacione c. 21 und 18 (wie Anm. 29) S. 315 und 308 (imperator de iure et reges de consuetudine) (vgl. dazu Ubl, Die Rechte des Kaisers, S. 380 f.), aber auch Baldus de Ubaldis (vgl. Kosuch, Abbild [wie Anm. 20] S. 226 f.). 77 Vgl. etwa die von Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 147 mit Anm. 498; Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 222 und 224, und Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (= Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 210 ff., angeführten Belege 78 Vgl. Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 142. 79 Vgl. dazu Schieffer, Die päpstliche Kurie als internationaler Treffpunkt (wie Anm. 51), und ders., Das Papsttum als Autorität für die europäische Ordnung des Hochmittelalters, in: Schneidmüller / Weinfurter (Hgg.), Salisches Kaisertum (wie Anm. 15), S. 47 – 63, sowie zur theoretischen Begründung der überragenden Stellung des Papstes Karl Ubl, Der Mehrwert der päpstlichen Schlüsselgewalt und die Tradition des heiligen Clemens, in: Andreas Pecˇ ar / Kai Trampedach (Hgg.), Die Bibel als Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne (= HZ Beihefte [NF] 43), München 2007, S. 189 – 217.

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Lupold80, dessen Ansichten nicht zuletzt im Zeichen des Konfliktes zwischen Ludwig dem Bayern und den Päpsten Gestalt angenommen haben, hat sich im Gegensatz zu den übrigen Theoretikern verstärkt mit den realen Verfassungsverhältnissen beschäftigt und nichts Geringeres versucht, als der Rhenser Erklärung des Jahres 1338 eine theoretisch vertiefte Grundlage zu schaffen81 und dabei sowohl das Verhältnis zwischen Kaisertum und Papsttum sowie zwischen den Beherrschern des Reiches und den europäischen Königen zu bestimmen als auch den Unterschied zu erfassen zwischen der Gewalt des deutsch-römischen Königs als imperator futurus und derjenigen des gekrönten Kaisers. Daß er das Kaisertum dabei als unabhängig vom Papsttum begriff82, versteht sich natürlich von selbst und braucht hier nicht weiter beachtet zu werden; Aufmerksamkeit verlangt hingegen sein Versuch, die Relation zwischen königlicher und kaiserlicher Gewalt zu klären, wobei er mit Blick auf die europäischen Königreiche in gewisser Weise eine – weitgehende, aber nicht völlige – Egalisierung der kaiserlichen Sonderstellung anstrebte. Er reklamierte nämlich offenkundig für den (künftigen) Kaiser die Souveränität der europäischen Könige, die sich in dem bereits erwähnten Grundsatz ausdrückte, daß ein König in seinem Reich die kaiserliche Gewalt besitze und in weltlichen Angelegenheiten niemanden über sich habe83. Diese Gleichstellung schuf einerseits eine höhere Sicherheit vor päpstlichen Ansprüchen auf Überordnung und bedeutete andererseits die Anerkennung aller Monarchien im bestehenden Herrschaftssystem Europas als in gleichem Maße souverän sowie den weitgehenden Verzicht auf die

80 Zu dessen Leben und Wirken vgl. neben der ausführlichen Einleitung zu der Edition der politischen Schriften Lupolds von Bebenburg (wie Anm. 29, S. 1 – 148) auch Jürgen Miethke, Mittelalterliche Politiktheorie. Vier Entwürfe des Hoch- und Spätmittelalters (= Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und rechtssoziologie 35), Baden-Baden 2007, S. 33 – 40; ders., Die Anfänge des säkularisierten Staates (wie Anm. 26), S. 42 f.; ders., Der Weltanspruch des Papstes (wie Anm. 31), S. 418; Erik Wolf, Grosse Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, Tübingen 41963, S. 30 – 58 (Lupold von Bebenburg); Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 288 f., und Rolf Most, Der Reichsgedanke des Lupold von Bebenburg, in: DA 4 (1941) S. 444 – 485. 81 Vgl. Politische Schriften (wie Anm. 29) S. 41 und 113 ff. sowie Miethke, Mittelalterliche Politiktheorie (wie Anm. 80), S. 36 f. – Die Rhenser Kurfürstenerklärung vom 16. Juli 1338 (das sog. „Rhenser Weistum“) ist am leichtesten zugänglich und mit Übersetzung ediert von Weinrich, Quellen zur Verfassungsgeschichte (wie Anm. 15), S. 287 Nr. 88. 82 Politische Schriften (wie Anm. 29): Tractatus c. 8, 9, 12, 13, 16 und Libellus c. 7 sowie S. 121 f. und 130 f. 83 Vgl. Politische Schriften (wie Anm. 29) S. 105, 111 f. und 115; Ubl, Die Rechte des Kaisers (wie Anm. 76), S. 368, sowie zu dem erwähnten Grundsatz oben Anm. 23. – Bereits Jean Quidort, De regia potestate c. 10 (wie Anm. 26), S. 106, hatte bei allem Bemühen, die Unabhängigkeit der französischen Monarchen zu betonen, hervorgehoben, daß der Kaiser in temporalibus niemanden, auch nicht den Papst über sich habe (Et maior est imperator in temporalibus non habens super se superiorem sicut papa in spiritualibus); vgl. dazu Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung (wie Anm. 13), S. 241 – 256, bes. 250.

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Idee der imperialen Weltherrschaft84. Völlig negieren ließ sich die lange Tradition des kaiserlichen Universalismus allerdings nicht. Doch schrumpfte der imperiale Vorrang in Lupolds Sicht zusammen auf eine handvoll von Sonderrechten85, von Reservatrechten, die der ,Weltenherrscher‘ erst nach seiner Krönung zum Kaiser ohne regionale Einschränkung ausüben durfte, während ihm alle übrigen Herrschaftsrechte bereits seit der Erhebung zum König zustanden86. Diese iura reservata – die Legitimierung von Bastarden, die Wiederehrbarmachung von für ehrlos Erklärten, der Erlaß von Gesetzen, die Ernennung kaiserlicher Notare87 – besaß der Kaiser freilich nicht allein, vielmehr durften alle Könige sie in ihren Reichen ausüben88, dem gekrönten Kaiser jedoch standen sie darüber hinaus uneingeschränkt, also auch in fremden Herrschaftsgebieten, zu. Allerdings schuf dieser Anspruch nur noch ein schwaches Anrecht auf universale Bedeutung, denn er mußte, wie Lupold selbst einsah89, reine Theorie bleiben angesichts der – modern gesprochen – europäischen Verfassungswirklichkeit seiner Zeit. Das von dem Bebenburger in seiner Theorie verkündete „Weltkaisertum“ besaß keine Chance auf Verwirklichung; selbst in seinem Gedankengebäude vermochte Lupold nicht die Kluft zu schließen zwischen der Idee vom „Weltkaiser“ und der Realität des kaiserlichen Alltags. Trotzdem erfüllte diese Idee – ob von Lupold so gewollt oder nicht, bleibe dahingestellt – eine wichtige Funktion, diente sie doch dazu, die Tradition des universalen Kaisertums nicht völlig abreißen zu lassen, sondern diese, um es anderes zu wenden, trotz aller Reduzierung fortzusetzen, da es für die kaiserlich gesinnten Dualisten, einschließlich wohl des ansonsten recht nüchtern denkenden Lupold, unmöglich gewesen ist, gänzlich auf die Vorstellung vom imperialen Universalismus zu verzichten. Wie undenkbar ein solcher Verzicht gewesen ist, lehrt allein schon die Haltung der übrigen Herrschaftstheoretiker imperialer Couleur. Marsilius von Padua äußerte sich zwar nicht dezidiert zu dem Problem der kaiserlichen Weltherrschaft90, aber für Dante, der deshalb auch als ein Prophet der 84 Vgl. Politische Schriften (wie Anm. 29) S. 118 f.; Ubl, Die Rechte des Kaisers (wie Anm. 76), S. 368. 85 Vgl. dazu wie zum folgenden Politische Schriften (wie Anm. 29) S. 117 – 122; Rolf Most, Der Reichsgedanke des Lupold von Bebenburg, in: DA 4 (1941) S. 444 – 485. 86 Tractatus c. 7 (wie Anm. 29) S. 30211-23 und 3054-16. 87 Ebd. S. 30220-23 (c. 7) und 3408-10 (c. 11). 88 Ebd. S. 3054-27 (c. 7). 89 Ebd. S. 338 (c. 11: Sed credo, quod post coronacionem imperialem ea de iure concedere possit iuxta ea, que dicam in sequenti opposicione. Et licet forte de facto talia privilegia non reciperentur vel admitterentur, tamen admittenda essent, cum contra obedienciam, ad quam tenentur imperatori alii reges, non videatur currere prescripcio, ut iam dicam.) und 38817-27 (c. 15). 90 Vgl. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 273. Frank Godthardt, Marsilius von Padua und der Romzug Ludwigs des Bayern. Politische Theorie und politisches Handeln (= Nova Mediaevalia. Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter 6), Göttingen 2011, S. 137 – 140, weist auf die Vorbehalte des Marsilius gegenüber einer kai-

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Vergangenheit charakterisiert worden ist91, für den Florentiner Exulanten erscheint die universale Herrschaft des Kaisers als einzige Möglichkeit, den Frieden, der die Voraussetzung für die zeitliche Glückseligkeit darstellt und um den es dem Dichterphilosophen vorrangig ging, überhaupt wahren zu können92. Für Engelbert von Admont93 und die Juristen94 Bartolus de Sassoferrato und Baldus de Ubaldis bildete die Idee der Weltmonarchie ebenfalls einen festen Bestandteil ihres Weltbildes. Und selbst für Konrad von Megenberg, der grundsätzlich die hierokratische Überordnung des Papstes über den Kaiser vertrat95, stand der weltherrschaftliche Vorrang des Kaisers vor den Königen Europas außer Zweifel96. Natürlich ist der Kaiser auch in späterer Zeit noch als dominus mundi betrachtet worden97; und sogar Wilhelm von Ockham, mit dem Lupold offenkundig in gedanklichem Austausch stand und der zudem auf einige Ansichten des deutschen Geistlichen ablehnend reagier-

serlichen Universalmonarchie hin und spricht sogar von einem „nicht-universellen Kasiertum“. 91 Vgl. Alois Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, Darmstadt 41973, S. 481 („Dante ist prophète du passé, er hat ein vergangenes Ideal, …“), und dazu Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 255, sowie zu Dantes Konservativismus allg. Jacques Goudet, La politique de Dante, Lyon 1981, S. 183 f. – Zum Nachwirken Dantes allg. vgl. Johannes Helmrath, Dante, in: Johannes Fried / Olaf B. Rader (Hgg.), Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends, München 2011, S. 209 – 231. 92 Convivio IV iv 4 (wie Anm. 29) S. 552 ff. und De Mon. (wie Anm. 29) I iv 2 (Unde manifestum est quod pax universalis est optimum eorum que ad nostram beatitudinem ordinantur.) und 5 (Ex hiis ergo que declarata sunt patet per quod melius, ymo per quod optime genus humanum pertingit ad opus proprium; … est pax universalis …) sowie I v 9 und 10 (Et sic patet quod ad bene esse mundi necesse est Monarchiam esse sive Imperium; vgl. Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 150 ff., sowie allg. Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung (wie Anm. 13), S. 211 – 222. 93 De ortu c. 15 – 18 (wie Anm. 29) S. 763 – 769 (bes. die Feststellung auf S. 767 in c. 18: … dicimus, quod melius & iustius est, semperque erit, quamdiu secundum provisum a Deo cursum rerum mundi ipsi Deo placuerit, omnia regna & omnes reges subesse uni imperio & imperatori Christiano, …); vgl. Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 155 – 160, und ders., Die Rechte des Kaisers (wie Anm. 77), S. 362 ff., sowie Struve, Die Entwicklung der organologischen Staatsauffassung (wie Anm. 13), S. 196 – 210; Posch, Die staats- und kirchenpolitische Stellung Engelberts (wie Anm. 30), Kap. VIII; Hamm, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 424 – 437. 94 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 20), S. 222 und 224, sowie Helmuth G. Walther, Die Legitimität der Herrschaftsordnung bei Bartolus von Sassoferrato und Baldus de Ubaldis, in: Mock / Wieland (Hgg.), Rechts- und Sozialphilosophie (wie Anm. 5), S. 115 – 139, bes. 121 mit Anm. 32 und 33. 95 De translacione c. 11 – 19 (wie Anm. 29) S. 283 – 312; vgl. Ubl, Die Rechte des Kaisers (wie Anm. 76), S. 377 und 381 f. 96 De translacione c. 18 (wie Anm. 29) S. 307 (… ex generali auctoritate imperium omnibus regnis et provinciis dominetur.); vgl. Ubl, Die Rechte des Kaisers (wie Anm. 76), S. 383. 97 Vgl. die Beispiele, die Schubert, König und Reich (wie Anm. 77), S. 210, anführt.

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te98, hat die Reduzierung des imperialen Universalismus nicht akzeptiert, wie seine zwar ambivalenten, aber letztlich doch eindeutigen Erörterungen zeigen, nach denen es in der Regel (von der es freilich Ausnahmen gibt) zuträglich sein soll, wenn die Menschen einem einzigen Weltkaiser unterworfen sind99. Daher sind die Kurfürsten für den Franziskaner auch nicht nur Repräsentanten der Einwohner des Imperiums in den Grenzen der tria regna Deutschland, Italien und Burgund, sondern der gesamten Welt, wählen sie den Kaiser in Stellvertretung (vice) für omnes principes et populum Germaniae, Italiae, Indiae, Africae, Graeciae et aliarum provinciarum, que de iure imperio Romanorum sunt subiectae100. Die theoretische Diskussion über Herrschaft und Reich zeigt mithin in der Zeit Ludwigs des Bayern eine beachtliche Differenziertheit von Einzelpositionen und zugleich als verbindendes Fundament der einzelnen Diskussionsbeiträge den gemeinsamen Wurzelgrund des Gedankengutes. Weiterhin und grundsätzlich galt der Kaiser, der minister dei und vicarius Christi in temporalibus, als von Gott erwählt und seine Herrschaft als universal. Trotz aller Versuche der Anpassung im allgemeinen und auch trotz des besonderen Aggiornamentos eines Lupold von Bebenburg erwies sich die imperiale Tradition, in der das Reich und seine Beherrscher standen, als unvermindert wirksam in der Vorstellungswelt des 14. Jahrhunderts. Dies kann angesichts der Dauerhaftigkeit von bewußtseinsprägenden Ideen nicht überraschen – und schon gar nicht dann, wenn zusätzlich bedacht wird, daß sich der besondere Rang des Kaisers gerade aus alterwürdigem Gedankengut ergab und der imperator augustus – anders als die englischen und französischen Könige – keine Entwicklung zu einem besondere religiöse Legitimität verleihenden Thaumaturgentum durchlief. Die ideelle Legitimation des Kaisers, die sakrale Dimension seiner Würde speiste sich vielmehr allein aus der imperialen Tradition, die deshalb unverzichtbar blieb, solange weltliche Herrschaft in einem religiösen Kontext stand. Mit beigetragen zu dem fortwirkenden Bewußtsein von der Besonderheit des Kaisertums und der Kaiserwürde hat natürlich auch die heilsgeschichtliche Dimension, die dem Reich seit der Spätantike zugemessen wurde und die nicht zuletzt in der Vorstellung gründete, das Imperium Romanum sei das in der Bibel erwähnte katéchon, das das Weltende aufhaltende Element101. Erstmals 1157, offiziell und beständig allerdings erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts wurde das Reich als sacer, als heilig, bezeichnet102 und offenbar auch entsprechend begriffen, worauf 98

Vgl. Politische Schriften (wie Anm. 29) S. 42 und 120 mit Anm. 421 und 422 sowie Eva Luise Wittneben, Lupold von Bebenburg und Wilhelm von Ockham im Dialog über die Rechte am Römischen Reich des Spätmittelalters, in: DA 53 (1997) S. 567 – 586. 99 Vgl. etwa das 1. Buch des zweiten Traktats im dritten Teil des Dialogus (wie Anm. 29) S. 889 (sic!) – 902 (bis!), aber etwa auch III Dialogus II ii 20 und dazu wie zum folgenden Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 162 – 168, bes. 163; Ottmann, Geschichte des politischen Denkens 2/2 (wie Anm. 11), S. 285. 100 Octo quaestiones VIII 4 (wie Anm. 29) S. 188. 101 Vgl. Erkens, Anmerkungen zur Sakralität des Reiches (wie Anm. 21), S. 227 f. 102 Vgl. ebd. S. 235 f.

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zumindest die etwa zur selben Zeit vermehrt einsetzende Produktion von Handschriften über die Endzeitprophetien und das Kommen des Antichrist sowie die verstärkte Rezeption dieser Thematik hindeuten103. Das Weltende ist zwar in der Regel nicht Gegenstand der spätmittelalterlichen Herrschaftstheorie gewesen, wohl aber der gelehrten Reflexion, wie etwa Engelberts von Admont Schrift über Anfang und Ende des römischen Reiches oder Jean Quidorts Abhandlung ,De Antichristo et fine mundi‘ lehrt104 ; vor allem wurde es jedoch in historiographischen Schriften thematisiert oder war in diesen zumindest präsent etwa durch die Charakterisierung des römischen Reichs als des letzten Weltreichs wie z. B. in der vielgelesenen Chronik des Martin von Troppau105. Lupold von Bebenburg zeigte sich ebenfalls mit diesem Gedankengut vertraut, als er in seinem ,Ritmaticum‘ erklärte, daß der Antichrist nicht geboren werde, solange das römische Reich bestehe106. Zweifellos ist der vermutete Verlauf des Weltendes und vor allem die Funktion, die das Reich dabei zu erfüllen hatte, in vielen Köpfen präsent gewesen und haben das Bewußtsein von der Bedeutung des Imperiums und seines Beherrschers mitgeprägt. Schon allein deshalb wäre ein völliger Verzicht auf die universale Geltung des Kaisertums im späten Mittelalter nur schwer vorstellbar gewesen. Doch führt diese Feststellung zu der Frage, ob die Kaiser und Reich betreffenden Reflexionen gelehrter Theoretiker aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts unmittelbare Wirkung zeigten und das politische Handeln Ludwigs des Bayern beeinflussten, und zwar über die traditionellen Grundanschauungen von der Kaiserwürde hinaus. III Das Nachdenken über die kaiserliche Herrschaft ist zwar zweifellos von dem großen Konflikt Ludwigs des Bayern mit den Päpsten befeuert worden, hat aber auf diesen in der Praxis kaum eingewirkt. Natürlich konnten die geäußerten Gedanken ganz allgemein weiterwirken und den theoretischen Diskurs noch lange beflü103 Vgl. ebd. S. 228 f. mit Anm. 30 und zur Handschriftenproduktion bes. Hannes Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung (= Mittelalter-Forschungen 3), Stuttgart 2000, S. 321 – 368, bes. 322 (zur Verbreitung der Handschriften im Reich nördlich der Alpen) und 325 (zum Anstieg der Handschriftenproduktion im 13. und 14. und – am intensivsten – im 15. Jahrhundert); zur Rezeption vgl. Josef Adamek, Vom römischen Endreich der mittelalterlichen Bibelerklärung, Diss. München 1938, bes. S. 104 – 126. 104 Vgl. Anm. 29 (De ortu c. 20 – 24) und Ubl, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. 158 f.; Adamek, Vom römischen Endreich (wie Anm. 103), S. 107 f.; Posch, Die staats- und kirchenpolitische Stellung Engelberts (wie Anm. 30), Kap. X; Hamm, Engelbert von Admont (wie Anm. 30), S. S. 450 – 469, sowie zu Quidort Möhring, Der Weltkaiser (wie Anm. 103), S. 338. 105 Vgl. Martini Oppaviensis Chronicon pontificum et imperatorum, hg. von Ludwig Weiland, MGH SS 22, Hannover 1872, S. 377 – 475, hier 3981, und dazu wie allg. Erkens, Anmerkungen zur Sakralität des Reiches (wie Anm. 21), S. 236. 106 Ritmaticum V. 113 – 116 (wie Anm. 29) S. 520 und dazu Adamek, Vom römischen Endreich (wie Anm. 103), S. 111 f.

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geln107; zweifellos gab es auch eine enge Korrelation zwischen dem Rhenser Weistum von 1338 und dem Traktat Lupolds von Bebenburg, aber dessen Schrift selbst stellte eine Reaktion auf die Erklärung der Kurfürsten dar und gab nicht den Anstoß zu ihr; vielmehr untermauerte sie vor allem das, was in Rhens bereits verkündet worden war108. Und selbstverständlich haben die vom Papst verfolgten Franziskaner ebenso wie Marsilius von Padua ihre Federn in den Dienst des Wittelsbachers gestellt109, sogar – wie die Gutachten des Marsilius und des Wilhelm von Ockham über die kaiserliche Ehescheidungskompetenz110 zeigen – in durchaus prekären Angelegenheiten wie der Scheidungsaffaire der Margarethe Maultasch111. Für die 107

Zur Rezeption Ockhams vgl. Miethke, Politiktheorie (wie Anm. 11), S. 258 f. (zum Nachwirken der theologischen Werke) und 276 (zum Nachwirken der herrschaftstheoretischen Werke), zu derjenigen von Dante und Marsilius (der von seinen unmittelbaren Kontrahenten offenbar kaum gelesen worden ist, vgl. ebd. S. 234) vgl. ebd. S. 160, zu Quidorts Nachwirken vgl. ebd. S. 116, zur Anzahl der überlieferten Handschriften ebd. S. 312 f. (Ockham), 315 f. (Quidort) und 316 (Marsilius), und allg. vgl. auch ders., Das „Jubeljahr“ Bonifaz’ VIII.: päpstlicher Anspruch auf Weltgeltung, in: Lothar Gall (Hg.), Das Jahrtausend im Spiegel seiner Jahrhundertwenden, Berlin 1999, S. 137 – 175, bes. 148 f., und zur Rezeption Engelberts von Admont (nicht zuletzt durch Enea Silvio Piccolomini) vgl. Heinrich Schmidinger, Romana Regia Potestas. Staats- und Reichsdenken bei Engelbert von Admont und Enea Silvio Piccolomini, in: Heinz Dopsch u. a. (Hgg.), Patriarch im Abendland. Beiträge zur Geschichte des Papsttums, Roms und Aquileias im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze von Heinrich Schmidinger. Festgabe zu seinem 70. Geburtstag, Salzburg 1986, S. 247 – 274, bes. 255 f. [erstmals 1978, in: Vorträge der Aeneas-Silvius-Stiftung an der Universität Basel 13, S. 16 – 24]. 108 Vgl. Anm. 81. 109 Von ihren Gedanken und z. T. auch von ihren Worten geprägt waren etwa die Sachsenhausener Appellation (ed. Jakob Schwalm, MGH Constitutiones V, Hannover / Leipzig 1919 – 1913, Nr. 909 und 910; vgl. dazu Eva Luise Wittneben, Bonagratia von Bergamo. Franziskanerjurist und Wortführer seines Ordens im Streit mit Papst Johannes XII. [= Studies in Medieval and Reformation Thought 90], Leiden / Boston 2003, S. 229 – 253) und das Manifest ,Fidem catholicam‘ (ed. Hans-Jürgen Becker, Das Mandat „Fidem catholicam“ Ludwigs des Bayern von 1338, in: DA 26 (1970) S. 454 – 512, hier: 496 – 512; vgl. dazu ebd. 474 f. und 482, aber auch – stärker relativierend – ders., Das Kaisertum Ludwigs des Bayern, in: Hermann Nehlsen / Hans-Georg Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 22), Paderborn 2002, S. 119 – 138, bes. 130, sowie Hilary Seton Offler, Zum Verfasser der ,Allegaciones de potestate imperiali‘ [1938], in: DA 42 [1986] S. 555 – 619, bes. 555). 110 Das Scheidungsgutachten von Marsilius ist ediert von Carlo Pincin, Marsilio (= Pubblicazzioni dell’Istituto di Scienze Politiche dell’Università di Torino 17), Torino 1967, S. 268 – 283 Anhang Nr. 8C, dasjenige Wilhelms von Ockham von Hilary Seton Offler, Opera politica I (wie Anm. 29), S. 278 – 286. 111 Zu dieser und ihren Hintergründen vgl. allg. Ulrike Wegener, Die Eheangelegenheit der Margarethe von Tirol. Überlegungen zur politischen und kulturhistorischen Bedeutung des Tiroler Eheskandals, Berlin 1996, sowie bes. Jürgen Miethke, Die Eheaffäre der Margarete „Maultasch“, Gräfin von Tirol (1341/1342). Ein Beispiel hochadliger Familienpolitik im Spätmittelalter, in: Andreas Meyer u. a. (Hgg.), Päpste, Pilger, Pönitentiare. Festschrift für Ludwig Schmugge zum 65. Geburtstag, Tübingen 2004, S. 353 – 391 (der auf S. 380 f. auch auf die Überlegungen von Heinz Thomas, Ludwig der Bayer [1282 – 1347]. Kaiser und Ketzer,

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Asylanten, die zwar von Ludwig dem Bayern in den kaiserlichen Schutz aufgenommen worden sind, die sich aber trotzdem nicht sicher sein konnten, niemals auf dem Altar eines angestrebten Ausgleichs mit dem Papst geopfert zu werden112, für die Exulanten im Umkreis des Wittelsbachers galt dasselbe wie für abhängige Künstler: Sie hatten das Lied desjenigen zu singen, dessen Brot sie aßen. Ihre theoretische Reflexion steigerte sich dabei aber nicht nur gelegentlich zu praktischer Beratung der politischen Akteure113 bei wichtigen Handlungen wie wohl bei der merkwürdigen, möglicherweise von Vorstellungen des Marsilius und sicher von Entscheidungen der Römer, des populus Romanus, bestimmten Kaiserkrönung Ludwigs am 17. Januar 1328114, sondern sie traten auch direkt in den Dienst des Regensburg 1993, S. 332 f., eingeht und auf S. 379 beide für Ludwig im Ergebnis positiven, in der Argumentation aber unterschiedlichen Gutachten behandelt, aber auch darauf hinweist, daß die Ehe wohl nicht geschieden, sondern für inexistent erklärt worden ist [vgl. S. 384 ff.]); ders., Wirkungen politischer Theorie auf die Praxis der Politik im Römischen Reich des 14. Jahrhunderts. Gelehrte Politikberatung am Hofe Ludwigs des Bayern, in: Joseph Canning / Otto Gerhard Oexle (Hgg.), Political Thought anf the Relations of Power in the Middle Ages / Politisches Denken und die Wirklichkeit der Macht im Mittelalter (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 147), Göttingen 1998,), S. 173 – 210, bes. S. 197 ff.; Syros, Die Rezeption (wie Anm. 5), S. 26 f.; Hermann Nehlsen, Die Rolle Ludwigs des Bayern und seiner Berater Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham im Tiroler Ehekonflikt, in: ders. / Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 109), S. 285 – 328, bes. 301 – 311; Leppin, Wilhelm von Ockham (wie Anm. 26), S. 264 ff., und ders., Papst, Kaiser und Ehedispens. Zur rechtlichen und politischen Problematik der Eheaffaire Margarete Maultasch, in: Michael Beyer u. a. (Hgg.), Christlicher Glaube und weltliche Herrschaft. Zum Gedenken an Günther Wartenberg (= Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 24), Leipzig 2008, S. 155 – 165, bes. 160 f. (zur Argumentation des Marsilius von Padua) und 162 – 165 (zur Argumentation Wilhelms von Ockham). 112 Vgl. Miethke, Politiktheorie (wie Anm. 11), S. 226 ff. mit Anm. 690; ders., Wirkungen (wie Anm. 111), S. 180 – 183 mit Anm. 19 sowie S. 187 und 190; Syros, Die Rezeption (wie Anm. 5), S. 20 f. – Daß die ins Exil getriebenen Papstgegner und kaiserlichen Schutzbefohlenen zumindest Gegenstand der gescheiterten Ausgleichsverhandlungen Ludwigs mit Avignon waren, wird etwa durch die schriftliche Vollmacht vom 28. Oktober 1336 für die Aussöhnungsverhandlung mit Papst Benedikt XII. bezeugt: Vatikanische Akten zur deutschen Geschichte in der Zeit Kaiser Ludwigs des Bayern, bearb. von Sigmund von Riezler, Innsbruck 1891, Nr. 1841 (S. 639 ff. und 642). 113 Vgl. dazu auch die grundsätzliche Feststellung von Jürgen Miethke, Practical intentions of scolasticism: the example of political theory, in: ders. / William J. Courtenay (Hgg.), Universities and Schooling in Medieval Society (= Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 10), Leiden 2000, S. 211 – 228, bes. 222, der die politische Theorie nicht nur als eine Sache des philosophischen Nachdenkens, sondern auch der praktischen Politikberatung begreift. Dagegen vgl. Michael Menzel, Die Zeit der Entwürfe. 1273 – 1347 [= 10Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte 7a], Stuttgart 2012, S. 171 f. 114 Vgl. Miethke, Politiktheorie (wie Anm. 11), S. 229 – 332; ders., Wirkungen (wie Anm. 111), S. 184 ff.; ders., Marsilius von Padua (wie Anm. 54), S. 75; ders., Der Kampf Ludwigs des Bayern mit Papst und avignonesischer Kurie in seiner Bedeutung für die deutsche Geschichte, in: Nehlsen / Hermann (Hgg.), Kaiser Ludwig der Bayer (wie Anm. 109), S. 39 – 74, bes. 62 f.; Syrios, Die Rezeption (wie Anm. 5), S. 23; Thomas, Ludwig der Bayer (wie Anm. 111), S. 206 ff.; Heike Johanna Mierau, Kaiser und Papst im Mittelalter, Köln 2010, S. 123; Becker, Das Kaisertum Ludwigs des Bayern (wie Anm. 109), S. 122 f. und

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Wittelsbachers: Heinrich von Thalheim etwa 1328 als Ludwigs Reisekanzler in Italien, Johannes von Jandun als kaiserlicher consiliarius, dem das Bistum Ferrara anstelle eines päpstlichen Parteigängers übertragen wurde, und Marsilius von Padua als kaiserlicher Sachwalter in Rom115, als der er vielleicht Einfluß genommen hat auf die Gestaltung der Kaiserkrönung. Aber auch aus solcher, letztlich nicht dauerhafter Tätigkeit ergab sich keine tiefergreifende Beeinflussung der traditionellen Vorstellungswelt Ludwigs des Bayern, der zwar bis zum Ende seine Hand schützend über die zu ihm geflohenen Papstgegner hielt, aber keinem von diesen einen anhaltenden Einfluß einräumte116, sondern sie je nach Nützlichkeitserwägungen in seinem Konflikt mit dem Papsttum heranzog und sie als Mittel seiner Taktik einsetzte oder beiseite legte, gerade so, wie es ihm oder seinen Beratern gutdünkte. Wenn man auch nicht das harte Urteil eines Sigmund Riezler teilen muß, nach welchem Ludwig der Baier an „Geist und Charakter so unbedeutend“ gewesen ist, „daß ihm jede nachhaltige Einwirkung auf den Gang der Ereignisse versagt bleiben mußte“117, so wird die Annahme doch kaum fehlgehen, daß der Wittelsbacher wenig an den hochgeistigen Debatten und Erörterungen der europäischen Geistesgrößen an seinem Hof interessiert gewesen ist, fehlte ihm doch – anders als seinem 131 ff.; Rudolf Schieffer, Otto Imperator – In der Mitte von 2000 Jahren Kaisertum, in: Hartmut Leppin u. a. (Hgg.), Kaisertum im ersten Jahrtausend. Wissenschaftlicher Begleitband zur Landesausstellung „Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter“, Regensburg 2012, S. 355 – 374, bes. 371 f., sowie Michael Menzel, Imperiales Beben. Ludwig der Bayer, Italien und der Papst, in: Hans-Michael Körner / Florian Schuller (Hgg.), Bayern und Italien. Kontinuität und Wandel ihrer traditionellen Beziehungen, Lindenberg im Allgäu 2010, S. 72 – 87, bes. 81 f., und ders., Weltstadt mit Geist? Marsilius von Padua, Michael von Cesena, Bonagratia von Bergamo und Wilhelm von Ockham in München, ebd., S. 88 – 102, bes. 96, dessen (vgl. dazu jetzt auch ders, Die Zeit der Entwürfe [wie Anm. 113], S. 170 – 174 und 176) Charakterisierung der Kaisererhebung Ludwigs als „laikal begründet(..)“ und „ganz laikal gestaltet“ allein schon deshalb mißverständlich ist, weil an der Königswahl ebenso wie an der Kaiserkrönung Geistliche handelnd beteiligt waren. Darüber hinaus gründete die kaiserliche Herrschaft letztlich im Willen Gottes, weswegen ja auch die Gottunmittelbarkeit betont wird; und die kirchliche Weihe durch Salbung und Krönung ist keinesfalls ein reiner Formalakt gewesen, vollzogen allein aufgrund einer langen Tradition, auf den man im Grunde auch hätte verzichten können. Die Negation papaler Ansprüche, die ja von Seiten des Reichs auch schon früher nicht akzeptiert worden sind, bedeutete daher kaum eine Laisierung der Herrschaftsvorstellung im geläufigen Wortsinne. Zu den Vorgängen in Rom vgl. jetzt auch die weiterführenden Überlegungen von Godthardt, Marsilius (wie Anm. 90), Kap. 5. 115 Vgl. Miethke, Wirkungen (wie Anm. 111), S. 192 (Heinrich von Thalheim), 185 (Johannes von Jandun) und 184 (Marsilius), sowie Godthardt, Marsilius (wie Anm. 90), S. 313 – 320 (zum vicariatus des Marsilius) und 403 – 410 (zu Johannes von Jandun). 116 Vgl. zu dem Wechsel der verschiedenen Einflüsse an Ludwigs Hof Miethke, Wirkungen (wie Anm. 111), S. 184 – 194. 117 Sigmund Riezler, Die literarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwig des Baiers, Leipzig 1874, S. 296; vgl. dazu die bereits aufwertenden Bemerkungen von Richard Scholz, Politische und weltanschauliche Kämpfe um den Reichsgedanken am Hofe Ludwigs des Bayern, in: Zs. f. dt. Geisteswiss. 1 (1938/39) S. 298 – 316, bes. 300. Allg. zur Persönlichkeit des Bayern vgl. Thomas, Ludwig der Bayer (wie Anm. 111), S. 384 – 391.

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Nachfolger118 – jegliches Interesse etwa an theologischen Subtilitäten, war er doch, wie er selbst vor dem Papst erklären ließ, nur wie ein unbedarfter Ritter: unerfahren in den Raffinessen schriftlicher Erörterungen119. Daher werden – selbst wenn diese Selbsteinschätzung eine Untertreibung aus diplomatischen Gründen gewesen sein sollte – Ludwigs persönliche Ansichten auch kaum von den argumentativen Feinheiten und den besonderen, in die Zukunft weisenden Gedankengängen seiner Intellektuellenschar geformt worden sein. Der Wittelsbacher wollte von dieser hauptsächlich, wie entsprechende Einlassungen gegenüber Benedikt XII. zeigen120, zugkräftige Argumentationshilfen im geistigen Ringen mit dem Papsttum um die Rechte von Kaiser und Reich; die Durchsetzung irgendeiner speziellen Theorie hingegen war ebensowenig sein Ziel wie er diesen Theorien prägenden Einfluß auf seine persönlichen Anschauungen von Herrschaft und Reich gewährte. Da die Intellektuellen europäischen Ranges weniger als Vertreter bestimmter Theorien für Ludwig von Interesse waren denn als Kampfinstrumente wider den Papst, war der Kaiser wohl auch weniger interessiert an dem speziell Neuen der Gedankengebäude seiner, wie es einmal – die Sache nicht wirklich treffend, daher falsche Vorstellungen weckend und mißverständlich – formuliert worden ist: „geistlichen Hofakademie“121. Wichtiger für ihn dürfte vielmehr die Verteidigung traditioneller, aber in ganz Europa verbreiteter122 Vorstellungen gewesen sein, die er

118

Vgl. etwa das Urteil von Hermann Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin 1982, S. 388 – 411, hier: 401, und dazu Franz-Reiner Erkens, Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘, in: ZBLG 66 (2003) S. 795 – 818, bes. 796 f., sowie grundsätzlich Fidel Rädle, Karl IV. als lateinischer Autor, in: Ferdinand Seibt (Hg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 253 – 260, und Franz Machilek, Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, ebd. S. 87 – 101, bes. 87 f. 119 Vgl. die Vollmacht vom 28. Okt. 1336 (wie Anm. 112) S. 639: … item quod sicut miles, scripturarum et litterrarum subtilitatum ignari, …; vgl. auch ebd. S. 640: … sicut miles et laycus credebamus … 120 Vgl. mit Bezug auf die Minoriten ebd. S. 640: … item ut cum supradictis litteratis nos contra litteratos defensare in iuribus nostris et imperii; … und ebd. bezogen auf Marsilius und Johannes von Jandun: … item quod expresse, quod de eorum opinionibus et scripturis nolebamus nos intromittere, in quantum essent contra fidem et ecclesie determinationem, sed si aliqua dicerent vel scirent, que essent pro defensione iuris imperii, illis volebamus uti; … 121 Vgl. Karl Bosl, Die „Geistliche Hofakademie“ Kaiser Ludwigs des Bayern im alten Franziskanerkloster zu München, in: Der Mönch im Wappen. Aus Geschichte und Gegenwart des katholischen München, München 1960, S. 97 – 129, und zu Recht kritisch dazu Miethke, Wirkungen (wie Anm. 111), S. 175 f.; Leppin, Wilhelm von Ockham (wie Anm. 26), S. 197 – 200 (der auf S. 200 von einem „intellektuellen Milieu“ spricht, das sich in München herausgebildet hatte), sowie Menzel, Weltstadt mit Geist? (wie Anm. 114), S. 99 („Von der sogenannten ,Hofakademie‘ bleibt nicht viel übrig. … Ein geistiges Zentrum der damaligen Welt war München allenfalls durch die traurige Exilsituation“ der papstkritischen Intellektuellen.). 122 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 17), S. 21 – 34.

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selbst teilte und die auch in seinen eigenen Dokumenten Spuren hinterließen123 : die Erwählung des Kaisers durch Gott und das herrscherliche Gottesvikariat in temporalibus (während die Nähe des Herrscheramtes zum Priestertum, für die offenbar gerade unter dem gebannten Wittelsbacher neue Ausdrucksformen entstanden124, in den theoretischen Schriften gattungsbedingt nicht behandelt worden ist). Nicht allein, aber doch auch wegen des vorrangigen Einsatzes in akuten Konfliktfällen wird es verständlich, warum keine der zukunftweisenden Theorien aus dem wittelsbachischen Umfeld die zeitgenössische Herrschaftsvorstellung unmittelbar und trotz gelegentlicher Anwendung in konkreten Situationen nachhaltig zu beeinflussen vermochte. Die Kerngedanken der verschiedenen Erörterungen blieben vielmehr und zumeist für lange Zeit der theoretischen Sphäre verhaftet – mit der bezeichnenden Ausnahme des bebenburgischen Traktats, da dieser im Zusammenhang des Rhenser Kurvereins von der (modern gesprochen) Verfassungswirklichkeit ausging und dieser den theoretischen Unterbau schaffen wollte. Die Charakterisierung des Kaisers nach westeuropäischem Vorbild als imperator in regno suo125 bedeutete dabei nicht nur eine Angleichung von imperialer Herrscheridee und kaiserlicher Herrschaftswirklichkeit und ließ nicht allein die universale Dimension des Kaisertums schwinden, sondern sie ist zugleich Teil eines Prozesses der longue durée gewesen, einer langen Entwicklung, durch welche die Vermittlung der Kaiserwürde unabhängig vom Papsttum werden konnte126, wie es im 16. Jahrhundert Brauch geworden ist, nachdem es im späten Mittelalter zu langen Phasen ganz ohne in Rom gekrönten oder – wie unter Ludwig dem Baier – ohne allseits anerkannten Kaiser gekommen war, zu nichtkaiserlichen Herrschern also, denen jedoch, wie Lupold lehrte und wohl viele glaubten, trotzdem die vollen Rechte eines Kaisers zustanden. Nach den Vorstellungen der 1338 in Rhens versammelten Kurfürsten, nach Ludwigs Kaisergesetz ,Licet iuris‘, nach Lupolds Traktat, aber auch nach der 1356 von Ludwigs Gegenspieler Karl IV. erlassenen Goldenen Bulle bedurfte der römisch-deutsche Herrscher (außer für wenige und letztlich unbedeutende Spezialrechte) zur Erfüllung der imperialen Aufgaben kei-

123 Auf die Erwählung bzw. Übertragung der Herrschaft durch Gott wird etwa in Ludwigs Urkunde hingewiesen, mit welcher Johannes von Jandun das Bistum Ferrara übertragen wurde (ed. Jakob Schwalm, MGH Constitutiones VI 1, Hannover 1914 – 1927, Nr. 444 [hier S. 366] = Vatikanische Akten [wie Anm. 112] Nr. 1004 [hier S. 375]: Altitudo divitiarum sapientie Dei cuncta disponentis sic nobis orbem terrarum et que in eo sunt gubernandi comisit, …; ähnlich etwa auch in MGH Const. VI 1 Nr. 436 [S. 344]), als vicarius Christi erscheint er 1331 (vgl. Erkens, Sol iusticie [wie Anm. 117], S. 818 und dazu 816 ff.). 124 Vgl. Erkens, Sol iusticie (wie Anm. 117), S. 808 – 815, sowie allg. ders., Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditi extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragenses factae 6 (2003) S. 29 – 44, bes. 39. 125 Vgl. oben bei Anm. 80. 126 Vgl. Schieffer, Otto Imperator (wie Anm. 114), S. 373.

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nes päpstlichen Rechtsaktes127, wenn es auch noch mehr als anderthalb Jahrhunderte dauern sollte, bis diese Rechtsauffassung völlig mit der politischen Wirklichkeit übereinstimmte und auch die Führung des Kaisertitels nicht mehr von einer Handlung des Papstes abhing. Für die grundsätzliche Formung dieser Vorstellung ist die konfliktgeladene Epoche Ludwigs des Bayern ganz offensichtlich von erheblicher Bedeutung gewesen, wobei von dem, was in ihr in verfassungsrechtlicher Hinsicht gedacht und diskutiert worden ist, offenbar dasjenige die beste Chance auf Verwirklichung hatte, das an erlebter Wirklichkeit bereits genügend in sich aufgenommen hatte.

127 Vgl. Becker, Das Kaisertum Ludwigs des Bayern (wie Anm. 109), S. 126 ff. und 135 – 138, sowie Miehtke, Wirkungen (wie Anm. 111), S. 200 – 207 und 209 f.

Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter In diesem jar – gemeint ist 1442 – was ain gar guoter sumer. Es was haiss vnd trucken, vnd ward korn vnd aller frucht ain notturft, wie die um 1460 redigierte, prohabsburgisch gestimmte Klingenberger Chronik1 aus dem schweizerischen Thurgau zu berichten weiß, bevor sie, das Wetter lobend, fortfährt und schließlich verkündet: Es ward och der aller best win vnd dess genuog, als es vor in funfzig jaren je ward, wan der win hatt wetter nach wunsch. In disem jar ward küng Fridrich von österrich ze Ach mit grossen eren krönt, … Vnd wa er was, da was es wolfail, vnd hielt viel lüt, man hett das guot wetter vnd das guot jar von jm, won er in dem land was. Er was ouch ain fromer göttlicher her. Unverkennbar werden hier dem neuen König aus Innerösterreich, dem Habsburger aus der leopoldinischen Linie2, den man früher gern als ,des Heiligen Römischen Reichs Erzschlafmütze‘ verspottet hat3, heilbringende Eigenschaften zugesprochen4, ist es doch seine durch die Herrscherweihe in einen sakralen Glanz getauchte Person, die nach Meinung „vieler Leute“, wo sie erschien, gutes Wetter, einen herrlichen Sommer und die herausragende Ernte eines erlesenen Jahrhundertweins bewirkte. Vorstellungen von einem ,Königsheil‘ artikulieren sich hier, die aus dem früheren Mittelalter wohlErstdruck in: Lectiones Eruditorum extraneorum in Facultate Philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae 6 (2003) S. 29 – 44. 1 Ed. Anton Henne von Sargans, Gotha 1861, S. 223 (III 73 und 74). 2 Zu Friedrich III. vgl. Alphons Lhotsky, Kaiser Friedrich III. Sein Leben und seine Persönlichkeit, in: ders., Aufsätze und Vorträge. Ausgewählt und hg. von Hans Wagner und Heinrich Koller, Bd. 2, Wien 1971, S. 119 – 163 [erstmals 1966, in: Friedrich III. Kaiserresidenz Wiener Neustadt. (= Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums NF 29), S. 16 – 47]; Roderich Schmidt, Friedrich III. 1440 – 1493, in: Helmut Beumann (Hg.), Kaisergestalten des Mittelalters, München 31991, S. 301 – 331; Karl-Friedrich Krieger, Die Habsburger im Mittelalter. Von Rudolf I. bis Friedrich III., Stuttgart 1994, S. 169 – 237, sowie die umfängliche Strukturanalyse von Friedrichs Hof und Regierung durch Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440 – 1493). Hof, Regierung und Politik (= Beihefte zu J. F. Heinig, Regesta Imperii Bd. 17), 3 Bde., Köln/Weimar/Wien 1997; als ältere Arbeit vgl. Adolf Bachmann, Deutsche Reichsgeschichte im Zeitalter Friedrich III. und Max I., 2 Bde., Leipzig 1884/ 1894. – Die Darstellung von Wolfgang Zanetti, Der Friedenskaiser. Friedrich III. und seine Zeit. 1440 – 1493, Herford 1985, befriedigt vorwiegend populäre Ansprüche. 3 Vgl. Heinz Thomas, Deutsche Geschichte des Spätmittelalters. 1250 – 1500, Stuttgart 1983, S. 449, und allg. auch Brigitte Haller, Kaiser Friedrich III. im Urteil der Zeitgenossen (= Wiener Dissertationen aus dem Gebiete der Geschichte 5), Wien 1965. 4 Vgl. Tilman Struve, Die Begründung monarchischer Herrschaft in der politischen Theorie des Mittelalters, in: ZHF 23, 1996, S. 289 – 323, bes. 320.

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vertraut sind, an der Schwelle zur Neuzeit jedoch eher überraschen, führte die Niederlage des Kaisertums in dem Investiturstreit genannten Ringen um die rechte Ordnung der Christenheit doch nach landläufiger und keinesfalls falscher Meinung zu einer ,Entsakralisierung‘ der Herrscherwürde – im Reich, nicht jedoch in den westeuropäischen Monarchien Englands und Frankreichs5, wo sich die Idee vom ,roi thaumaturge‘, vom wundertätigen König und seiner krankenheilenden Kraft vielmehr erst seit dem Hochmittelalter richtig entfaltete. Wenn die Herrscher im Reich aber auch zweifellos seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert von den höchsten Gipfeln kaiserlicher Sakralität heruntersteigen mußten, so bedeutete dies doch keinesfalls den völligen Verlust ihrer sakralen Aura, wie nicht nur die zitierte Passage aus der Klingenberger Chronik verrät, sondern wie sich anhand zahlreicher weiterer Quellen6 belegen läßt. Versteht man unter Herrschersakralität ein besonderes Nahverhältnis des Monarchen zu Gott, das sich vor allem dadurch auszeichnet, daß der König und Kaiser nach allgemeiner Ansicht von Gott selbst in sein Amt berufen werden, im weltlichen Bereich Christi Stellvertreter auf Erden sei und eine sazerdotale Verantwortung für alle seiner Herrschaft Unterworfenen besitze, so lassen sich dafür während des gesamten Spätmittelalters entsprechende Zeugnisse finden. Die göttliche Urheberschaft für ein neues Königtum etwa wurde bei jeder Krönungsfeier betont7, die Vorstellung vom Herrscher als Abbild oder Vikar Gottes findet sich, wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen, in etlichen Traktaten, und zwar gleichgültig, ob sie eine kuriale oder imperiale Tendenz aufweisen8. Nikolaus von Kues etwa, um nur ein, freilich äußerst prominentes Beispiel anzuführen, betonte 1433/34 in seiner ,Concordantia catholica‘9 des Kaisers göttliches Vikariat10 und erklärte dabei unumwunden11: … sacra est omnis maiestas et spiritualis et a deo. Läßt sich für diese Elemente des mittelalterlichen Verständnisses von Herrschersakralität eine nahezu lückenlose Kette von Belegen vom frühen zum späten Mittelalter vorweisen, so sind die Verhältnisse hinsichtlich des dritten, des sazerdotalen Sakralelementes wesentlich komplizierter. Die seit dem 11. Jahrhundert immer deutlicher gezogene Grenze zwischen der weltlichen und der geistlichen Sphäre haben das Imperium ohne allen Zweifel aus dem engeren Bereich des Sacerdotiums verwiesen. Im hohen und späten Mittelalter konnte kein Herrscher mehr 5

Vgl. Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998 [frz. 1924]; Jacques LeGoff, Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000 [frz. 1996], S. 728 – 734. 6 Dazu vgl. Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 79, 2003, S. 1 – 55. 7 Vgl. etwa den spätmittelalterlichen ordo coronationis, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH LL 2, Hannover 1837, S. 384 – 392, etwa 386 Z. 28 f., 390 Z. 1 und 28. 8 Vgl. dazu Erkens (wie Anm. 6). 9 Ed. Gerhard Kallen [und Anna Berger], Nicolai de Cusa Opera omnia 14, Hamburg 1968. 10 Ebd. S. 354 (III 5). 11 Ebd. S. 326 (III prooemium).

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als pontifex in praedicatione12 auftreten, wie dies für Karl den Großen an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert ohne weitere Schwierigkeiten und noch für Heinrich III. in der Mitte des 11. Jahrhunderts, wenn auch für den Salier nicht mehr ohne Probleme, möglich gewesen ist. Allerdings verblieb dem Herrscher auch jetzt noch als lex animata und sacratissimus legislator, wie es gelegentlich heißt13, eine priesterliche Aufgabe, hatte er als Gesetzgeber sowie als Recht- und Friedenswahrer doch auch für Verhältnisse zu sorgen, die es seinen ,Untertanen‘ ermöglichten, ihr Seelenheil zu Lebzeiten zu sichern14. Die Juridizierung des mittelalterlichen Königtums, die Ernst Kantorowicz in seinem großen Buch über die beiden Körper des Königs15 so eindrucksvoll beschrieben hat, führte mithin nicht zu einem Verzicht auf den sazerdotalen Charakter des Herrschers, sondern lediglich zu einer Spezifizierung der priesterlichen Aufgabe des Königs. Die deutliche (Unter-)Scheidung von Regnum und Sacerdotium bewirkte also in keiner Weise eine völlige Trennung, bewirkte keine Loslösung beider Sphären von einander. In Frankreich läßt sich sogar beobachten, wie dem rex christianissimus auch noch im 14. und 15. Jahrhundert ein herausgehobener Rang im kirchlichen Gefüge zugewiesen wird, indem man ihn als prelat ecclesiastique16, comme chef et la premiere Personne ecclesiastique17 oder als roy espirituel et sacerdotal18 bezeichnet. Vergleichbares läßt sich im Reich nicht finden, wohl aber das Bemühen, die geistliche, die priesterähnliche Dimension des Herrscheramtes stärker zu betonen. Freilich trifft es nicht zu19, daß der Kaiser bei seiner Krönung in Rom gleichsam die geistliche Weihe eines Subdiakons oder gar eines Diakons empfing und daher fortan der geistlichen Sphäre angehörte. Zwar haben dies schon manche Zeitgenossen 12

Alkuin, Adversus Elipandum Toletanum lib. I 16, ed. Migne PL 101, 1851, Sp. 251 D. Vgl. etwa die Rede des Dr. Heinrich Leubing, gehalten 1440 vor Friedrich III., ed. Hermann Herre, RTA 15, Göttingen 1957, Nr. 106 (hier S. 184: legem animatam), und die Urkunde Karls IV. von 1348, ed. Karl Zeumer und Richard Salomon, MGH Const. VIII, Hannover/Leipzig 1919 – 1926, Nr. 600 (hier S. 607: sacratissimus legislator). 14 Vgl. dazu Erkens (wie Anm. 6). 15 Ernst Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. „The king’s two bodies“. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 [engl. 1957]. 16 Zit. nach Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. bis 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates, 2 Bde., Darmstadt 21960, I, S. 254; vgl. dazu und zum folgenden André Leguai, Fondements et Problèmes du pouvoir royal en France (autour de 1400), in: Reinhard Schneider (Hg.), Spätmittelalterliches Königtum im europäischen Vergleich (= Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987, S. 41 – 58, bes. 49 f. 17 Denkschrift des Jean Jouvénal des Ursins für Karls VII. von 1452, ed. Noël Valois, Histoire de la Pragmatique Sanction de Bourges sous Charles VII (= Archives de l’Histoire religieuse de la France IV), Paris 1906, S. 206 – 250, Nr. 84, hier: 216. 18 Adorabunt eum (sermon pour l’Epiphanie, prononcé en présence du Roi), ed. Palémon Glorieux, Jean Gerson, Œuvres complètes VII 2, L’œuvre française, Paris 1968, S. 519 – 538 (Nr. 342), hier: 530. 19 Vgl. dazu und zum folgenden Hermann Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: DA 39, 1983, S. 131 – 206, bes. 132 ff. 13

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geglaubt20, da bei der Kaiserkrönung seit dem 12. Jahrhundert der Brauch aufkam21, daß der zum Imperator gesalbte Herrscher dem Papst in der Krönungsmesse more subdiaconi, nach Art eines Subdiakons, assistierte und von seiner Heiligkeit sicut unum ex diaconibus, wie einer der Diakone, behandelt wurde; aber der neue Kaiser agierte offenkundig nicht als (Sub-)Diakon, sondern lediglich wie ein (Sub-)Diakon22 und hätte sich als (Sub-)Diakon zudem nur auf einer niedrigen Weihestufe befunden, die einen deutlichen Rangunterschied gegenüber dem Papst, aber auch gegenüber den Bischöfen und Priestern signalisiert hätte. Daran jedoch konnte dem Kaiser nicht gelegen sein. Wichtiger dürfte es für ihn vielmehr gewesen sein, sich unabhängig von einem rangmindernden Vergleich in sazerdotaler Attitüde zu zeigen. Dazu boten ihm die Evangelienlesungen in Christmette und Krönungsmesse, mithin eine gottesdienstliche Aufgabe in liturgischem Rahmen, die Hermann Heimpel in vorbildlicher Weise erforscht und beschrieben hat23, eine wohl von Karl IV. erstmals ergriffene und dann von seinen Nachfolgern bis hin zu Karl V. wiederholt und gern genutzte Chance. Die Lesung von Lukas 2, 1 (Exiit edictum a Caesare Augusto) in der Weihnachtsmatutin oder des Evangeliums der Aachener Krönungsmesse im Rahmen der Königsweihe (seit 1309 wohl in der Regel24 Matthäus 2, 1 – 12: Cum natus esset Iesus …) diente dazu, „die Nachfolge des Kaisers Augustus, der die weltliche Herrschaft innehatte, als Christus geboren wurde“25, zu 20

Vgl. etwa Eduard Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und der Kirchenpolitik I: Gesamtbild, Würzburg 1942, S. 282 f. 21 Vgl. Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin. Hg. von Reinhard Elze, MGH Fontes iuris Germ. ant. 9, Hannover 1960, S. 68 = Ordo XVII § 30; 83 = Ordo XVIII § 42; 98 = Ordo XIX § 39; 117 = Ordo XX § 39; 138 = Ordo XXIII § 47; 150 = Ordo XXIV § 39 (more subdiaconi) sowie 65 = Ordo XVII § 18; 76 = Ordo XVIII § 19; 93 = Ordo XIX § 19; 110 = Ordo XX § 21; 136 = Ordo XXIII § 19; 148 = Ordo XXIV § 21 (sicut unum ex diaconibus). 22 Vgl. Die Werke des Konrad von Megenberg. 5. Stück: Yconomica, hg. von Sabine Krüger, MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters III 5, 2, Stuttgart 1977, S. 83 mit Anm. 221. 23 Vgl. dazu außer dem in Anm. 19 angeführten Aufsatz auch die Studien desselben: Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin/New York 1982, S. 388 – 411, und: Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung, in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 447 – 459. 24 Vgl. den spätmittelalterlichen ordo coronationis (wie Anm. 7) S. 391 sowie Walter Goldinger, Das Zeremoniell der deutschen Königskrönung seit dem späten Mittelalter, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 5, 1957, S. 91 – 111, bes. 104, 106 und 110. 25 Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 19), S. 140 = Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungs-

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betonen, war also eine imperiale Geste, die der Sakralität des Herrschers allerdings einen besonderen Ausdruck verlieh und zugleich den das Evangelium singenden Monarchen in eine priesterliche Aura tauchte, verkündete der König-Kaiser doch „Worte des lebendigen Gottes“26 wie ein Priester. Wie ein Priester war er dabei auch gekleidet, worauf schon Hermann Heimpel hinwies27, ohne daraus freilich weitere Schlüsse auf die auch im Spätmittelalter immer noch sazerdotal getönte Sakralität der römischen Könige und Kaiser zu ziehen. Doch wurde der durch priesterliche Kleidung und symbolhaften Auftritt entstehende Eindruck von einer Teilhabe des Monarchen an der geistlich-sazerdotalen Sphäre kaum ungewollt vom Herrscher erzeugt; wofür im übrigen wiederum ein Ereignis aus der Geschichte Friedrichs III. beredtes Zeugnis ablegt. Schon Percy Ernst Schramm hat 1937 in seiner eindrucksvollen ,Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung‘ darauf hingewiesen28, daß in England „die Krönungsgewänder … gewisse Entsprechungen zu dem priesterlichen Ornat (zeigten), so daß sich der Schluß geradezu aufdrängte, der Geweihte sei ,rex et sacerdos‘ wie einst Melchisedek“, weswegen „für den unbefangenen Zuschauer bei einer Krönung … der englische König … seit dem 14. Jahrhundert [auch] nicht mehr [nur] einfacher Laie“ gewesen sein dürfte. Ähnliches läßt sich aber auch im Reich feststellen, wo der Herrscher bei mancher Gelegenheit und nicht nur bei der Krönung29 ebenfalls geistliche Gewänder anlegte – Kleidungsstücke, die sich ursprünglich kaum von der Tracht der Laien unterschieden haben, jedoch spätestens seit der Karolingerzeit nicht mehr von der allgemeinen Modeentwicklung betroffen waren, einen distinktiven Charakter gewannen und im späten Mittelalter schon längst zum ,Ornat‘ geworden waren30. Von besonderer Bedeutung wurden für die

geschichte (= Veröffentlichungen des Max Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 38. 26 Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 19), S. 148; vgl. ebd. S. 155. 27 Vgl. ebd. S. 191. 28 Vgl. die zweite, unveränderte Auflage von 1970, S. 133 ff. (die beiden folgenden Zitate befinden sich auf S. 133 und 135). Zu den Verhältnissen in Frankreich vgl. Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 16), S. 239 mit Anm. 9, sowie ders., Von der Trabea Triumphalis des römischen Kaisers über das byzantinische Lorum zur Stola der abendländischen Herrscher. Ein Beispiel für den Wandel von Form und Bedeutung im Laufe der Jahrhunderte und bei der Übertragung von einem Land in das andere, in: ders., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum sechzehnten Jahrhundert (= MGH Schriften 13/I), Stuttgart 1954, S. 25 – 50, bes. 36 ff. (Neapel), 45 ff. (Aragon) und 49 (Böhmen und Polen). 29 Vgl. den spätmittelalterlichen ordo coronationis (wie Anm. 7) S. 387 Z. 41 ff.: Hic ducatur rex ad armarium et induatur ibidem sandaliis, alba et stola ad modum crucis in pectore, sine cappa, et ita redeat ad suam sedem circa altarem. 30 Vgl. Rupert Berger, Liturgische Gewänder und Insignien, in: Gestalt des Gottesdienstes. Sprachliche und nichtsprachliche Ausdrucksformen (= Gottesdienst der Kirche. Handbuch der Liturgiewissenschaft. Hg. von Hans Bernhard Meyer u. a., Teil 3), Regensburg 21990,

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Herrscher dabei das Pluviale, der Chor-, Vesper- oder auch Rauchmantel31, und die Stola, das ehemalige Schweißtuch, das zur eigentlichen Amtsinsignie der Diakone und Priester wurde32. Weder Stola noch Pluviale waren ausschließlich für Priester und Bischöfe reservierte Kleidungsstücke, doch wurden sie entsprechend des Weihegrades ihres Trägers auf unterschiedliche Art und Weise getragen: Während die Priester die Stola so anlegten, daß sich deren Enden, die bei den Bischöfen frei herunterhängen konnten, vor der Brust kreuzten, trugen die Diakone sie wie eine Schärpe von der linken Schulter zur rechten Hüfte33; das Pluviale hingegen zogen Bischöfe und Priester so an, daß der Mantel nach vorne offen war und durch eine Agraffe über der Brust zusammengehalten wurde, während die Diakone das Gewand so umlegten, daß der linke Arm verdeckt blieb und die Verschlußspange auf der anderen Seite vor dem rechten Schlüsselbein saß34. Da auch den Königen und Kaisern bei ihrer Krönung und anderen Gelegenheiten geistliche Gewänder angelegt wurden, kam es in einer Zeit, in der Kleiderordnungen erlassen wurden und das Gewand ,Bedeutung‘ gab35, weil es den Stand anzeigte, natürlich ganz darauf an, nach welchem Brauch dies geschah.

S. 309 – 346, bes. 327, und B. Kranemann, Kleidung II. Liturgischer Bereich, in: Lexikon des Mittelalters 5, 1991, Sp. 1201 ff. 31 Vgl. dazu außer Berger (wie Anm. 30) S. 339 auch Franz Bock, Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters II, 1866 [ND Graz 1970], S. 287 – 321; Joseph Braun, Die liturgische Gewandung im Occident und Orient nach Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik, 1907 [ND Darmstadt 1964], S. 306 – 358, sowie B. Kranemann, Pluviale, in: Lexikon des Mittelalters 7, 1995, Sp. 26. 32 Vgl. dazu außer Berger (wie Anm. 30) S. 324 f. und 340 auch B. Kranemann, Stola, in: Lexikon des Mittelalters 8, 1997, Sp. 190, sowie Theodor Klauser, Der Ursprung der bischöflichen Insignien und Ehrenrechte, in: ders., Gesammelte Arbeiten zur Liturgiegeschichte und christlichen Archäologie, hg. von Ernst Dassmann (= Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsbd. 3), Münster 1974, S. 195 – 211 [erstmals 1949 (21953): Bonner akademische Reden 1], bes. 202 und 204; Josef Andreas Jungmann (SJ), Missarum sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe, 2 Bde., Freiburg 41958, hier Bd. I: S. 370 f., und Schramm, Von der Trabea Triumphalis (wie Anm. 28), der die Herkunft der Stola aus dem weltlichen Bereich verfolgt, zugleich aber zeigt, daß sie im Spätmittelalter auch von den sie tragenden Herrschern als ein geistliches Gewandstück verstanden worden ist (vgl. etwa S. 37 und 39 – 45). 33 Vgl. dazu die in der vorhergehenden Anmerkung angeführte Literatur, bes. den Artikel von Kranemann. 34 Vgl. Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 14), S. 191 und 202. 35 Vgl. Robert Suckale, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993, S. 53 und 55, und allg. auch Veronika Baur, Kleiderordnungen in Bayern vom 14. bis zum 19. Jahrhundert (= Miscellanea Bavarica Monascensia 62), München 1975, S. 1 und 126 f.

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Da es darüber während des gut dokumentierten zweiten Romzuges Friedrichs III.36 auf Weihnachten 1468 zu einem Wortwechsel kam, den verschiedene Augen- und Ohrenzeugen schildern37, lassen sich Einblicke in die kirchliche wie kaiserliche Auffassung über die Bedeutung der geistlichen Gewandung eines Herrschers gewinnen. Die erwähnten Zeugen sind hauptsächlich der päpstliche Zeremoniar Augustinus Patritius, der eine ,Descriptio adventus Friderici III. imperatoris ad Paulum papam II.‘ schrieb38 und darüber hinaus seine Eindrücke von den Feierlichkeiten zwanzig Jahre nach dem Ereignis in dem zusammen mit Johannes Burckard verfaßten ,Caeremoniale‘ verarbeitete39, sowie der Kardinalpriester und Kommentator des Geschehens seiner Zeit Jakob Ammanati (-Piccolomini)40 ; beide erzählen von dem Geschehen ausführlicher als die übrigen Berichterstatter41, doch soll von diesen zumindest noch Stefanus de Robiis, der Elekt von Ventimiglia, genannt werden, der als Gesandter des Herzogs Galeazzo Maria von Mailand an seinen Auftraggeber brieflich berichtete42, der Kaiser sei bei der weihnachtlichen Evangelienlesung bekleidet gewesen cum la camise et la stolla et il piviale sacerdotale. Um die beiden letztgenannten Teile des geistlichen Ornats, um Stola und Pluviale ging es in der schon erwähnten Kontroverse43.

36 Vgl. Bachmann (wie Anm. 2) Bd. 2, S. 171 – 188, und Alfred A. Strnad, Francesco Toderini-Piccolomini. Politik und Mäzenatentum im Quattrocento, in: Röm. Hist. Mitt. 8/9, 1966, S. 101 – 425, bes. 219 – 222. 37 Vgl. dazu und zum folgenden Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 19), S. 186 – 202, wo das Geschehen nicht nur geschildert wird, sondern die zum Teil noch nicht in moderner Edition vorliegenden Quellen wörtlich angeführt werden, soweit sie die behandelte Problematik betreffen. (Nach dieser Teiledition wird daher auch im folgenden zitiert.) 38 Ed. Jean Mabillon / Michel Germain, Museum Italicum Tom. I, Paris 1724, S. 256 – 272, bes. 263 (c. XI), und Ludovico Antonio Muratori, Rerum Italicarum Scriptores tom. 23, Mailand 1733, Sp. 205 – 216, hier 210 C-211 B; teiled. Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 19), S. 191 f.; zum Werk und seinem Verfasser vgl. die in der folgenden Anm. verzeichnete Edition (S. 1*-16* und 70*-97*). 39 Marc Dykmans, S.J. (Hg.), L’Œuvre de Patrizi Piccolomini ou Le Cérémonial Papal de la Première Renaissance, Tome I/II (= Studi e Testi 293/294), Città del Vaticano 1980/82, hier: Tome I, S. 190 – 194 (Nr. 524 – 534: De receptione principum; vgl. auch 200 – 285: De adventu, receptione et coronatione electi in imperatorem Romanorum [S. 93 – 117]). 40 Rerum suo tempore gestarum commentarii, ed. Marquard Freher / B. G. Struvius, Rerum Germanicarum Scriptores III, Straßburg 1717, hier S. 286; teiled. Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 19), S. 193. 41 Zu diesen vgl. Heimpel (wie vor) S. 193 – 196. 42 Ed. Ingeborg Most-Kolbe, RTA 22, 1, Göttingen 1973, Nr. 16 f., hier S. 48 (Z. 20 – 27, bes. 22 f.); teiled. Heimpel (wie vor) S. 194. 43 Vgl. dazu Heimpel (wie vor) S. 197 f. sowie Elisabeth Cornides, Rose und Schwert im päpstlichen Zeremoniell von den Anfängen bis zum Pontifikat Gregors XIII. (= Wiener Dissertationen aus dem Gebiete der Geschichte 9), Wien 1967, S. 38 und 57, und die in Anm. 38 und 40 angeführten Berichte.

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Als der Kaiser zur Lesung des Evangeliums eingekleidet wurde, zog man ihm über sein Alltagsgewand eine leinene Tunika, den Superpelliz44 genannten Chorrock. Dann wurde ihm vom Zeremonienmeister erklärt, er habe die Stola wie eine Schärpe (also wie ein Diakon, wenn dieser den Lesedienst versieht) anzulegen, was Friedrich III. zunächst ablehnte, aber schließlich doch akzeptierte, weil man unter dem Mantel ohnehin nicht erkennen könne, wie die Stola getragen würde. „Jetzt lasst’s wie’s is, sieht ja eh kaner“, könnte der Kaiser, wie Hermann Heimpel sich vorstellt45, die hilfsbereiten Geister angefahren haben, als sie begannen, die Stola unter dem bereits angelegten Pluviale neu zu richten: Cum diaconi stolam ut ille dixerat vellent componere, respondit caesar non opus esse quicquam immutari, quoniam id videret nemo, schildert Patritius die Szene. Davor jedoch hatte sich der Kaiser in einer anderen Frage durchgesetzt: als man ihm nämlich auch den Chormantel nach Art der Diakone umlegen wollte. ,So‘ sei er es gewohnt, erklärte er und rückte, wie Ammanati überliefert46, das Pluviale mit eigener Hand zurecht, damit sich die Mantelöffnung vor der Brust (und nicht mehr vor der rechten Körperseite) befand, und Patritius liefert die Erklärung für die heftige Reaktion des Habsburgers. Dieser versicherte nämlich, daß der Kaiser Stola und Pluviale nach Art der Priester trage47: … asserens caesarem pluviale et stolam ad morem sacerdotum gestare oportere … Deutlicher konnte der sazerdotale Anspruch Friedrichs III. kaum formuliert werden: Ohne Priester zu sein, wollte der Kaiser bei seinen gottesdienstlichen Auftritten seine Nähe zum Sacerdotium und nicht zum Diakonat betont wissen. Mit diesem Anspruch stand er im übrigen unter den spätmittelalterlichen Herrschern keinesfalls allein, hatten doch auch Karl IV. und dessen Sohn Sigismund die Lesung des Weihnachtsevangeliums praktiziert48. Karls IV. Physionomie wurde darüber hinaus in bildlichen Darstellungen dem Priesterkönig Melchisedech49 und einem der Heiligen Drei Könige50 geliehen; Sigismund soll, wie Eberhart Windecke be44

Zu dieser vgl. Berger (wie Anm. 30) S. 335. Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter (wie Anm. 19), S. 198. 46 Ed. Heimpel (wie vor) S. 193: Admonuerat inter vestiendum ceremoniarum magister, ut transversam stolam et pluviale ad sinistram apertum acciperet. Sed ille me audiente, qui proximus eram, ,Non faciam‘ inquit et utrumque a collo ad pectus rectum induens conversus ad magistrum: ,Sic‘, inquit, ,semper sum solitus‘. 47 Vgl. Anm. 38. 48 Vgl. Anm. 23. 49 Vgl. Helga Wammetsberger, Individuum und Typ in den Porträts Kaiser Karls IV., in: Wiss. Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 16, 1967, S. 79 – 93, bes. 83 (mit Abb. 2 auf S. 80 und Nr. 15a auf S. 89), sowie dazu und zum folgenden Franz Machilek, Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, in: Ferdinand Seibt (Hg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 87 – 101, bes. 100. 50 Vgl. Jaroslav Pesˇina, Imperium und Sacerdotium. Zur Inhaltsdeutung der sgn. MorganTäfelchen, in: Ume˘ ni 26, 1978, S. 521 – 528 (bes. Abb. 1). 45

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richtet51, an seinem Sterbetag die Messe in imperial-geistlichem Gewande gehört haben, angetan mit Albe, episteler- und ewangelier-Rock, gekleidet also wie ein Subdiakon und Diakon, sowie mit der korkappen (dem Pluviale) und der Kaiserkrone; Ruprecht von der Pfalz schließlich hat zumindest anläßlich seiner Krönung das Evangelium gelesen52. Alle spätmittelalterlichen Beherrscher des Sacrum Imperium Romanum (außer Wenzel53 und Ruprecht) ließen sich darüber hinaus auf ihren Majestätssiegeln mit geistlichen Attributen, mit Stola und Pluviale, getragen nach Art der Priester, und manchmal auch mit einer Mitra unter der Krone, also mit einer bischöflichen Kopfbedeckung54, darstellen. Sie betonten damit ihre imperial fundierte Priesterähnlichkeit nicht nur äußerst wirksam55, sondern auch mit immer größer werdender Intensität, denn in dem Maße wie die Urkundenproduktion anwuchs und im 15. Jahrhundert schließlich deutlich über der Grenze von Hunderttausend lag – allein von Friedrich III. dürften sich etwa 40 – 50.000 Urkunden erhalten haben56 –, in diesem Maße wurde auch der Empfängerkreis immer größer, 51 Eberhart Windeckes Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigmunds, hg. von Wilh. Altmann, Berlin 1893, S. 447 (§ 68 [460a]). Zum Hingang des Luxemburgers vgl. auch Jörg K. Hoensch, Kaiser Sigismund. Herrscher an der Schwelle zur Neuzeit. 1368 – 1437, S. 457 – 462, bes. 461. 52 Vgl. die Cölner Jahrbücher des 14. und 15. Jahrhunderts (Rez. D), hg. von Hermann Cardauns, Die Chroniken der deutschen Städte 13 (= Die Chroniken der niederrheinischen Städte. Cöln II), Leipzig 1876, S. 139, Z. 19 f., und dazu Heimpel, Königliche Evangeliumslesung (wie Anm. 23), S. 447 f. 53 Wenn es offenbar auch kein Siegelbild mit Wenzel in priesterlicher Gewandung gibt, so zeigt doch die Darstellung des Königs in der D-Initiale auf fol. 2 der Wenzelsbibel (Wenzels Bibel I Genesis und Exodus = Wenzelsbibel. König Wenzels Prachthandschrift der deutschen Bibel. Erläutert von Horst Appuhn. Mit einer Einführung von Manfred Kramer I: Genesis und Exodus [Harenberg Edition = Die bibliophilen Taschenbücher], Dortmund 1990; vgl. auch Wenzels Bibel VIII, S. 295), daß auch in der Umgebung dieses Luxemburgers der imperialsazerdotale Bildtypus keinesfalls unbekannt war. Hier thront nämlich Wenzel neben seiner Gemahlin (vgl. ebd. S. 28 f.) mit vor der Brust gekreuzter goldener Stola und mit Hermelin gefüttertem blauen Mantel, der nach Art des priesterlich getragenen Pluviale nach vorne offen ist; vgl. dazu Friedrich Battenberg, Das Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1235 – 1451. Mit einer Liste der Hofgerichtsurkunden (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 6), Köln/Wien 1979, S. 119 f. – Für den Hinweis auf diese Darstellung sei ganz herzlich Frau Doz. L. Bobková aus Prag gedankt. 54 Zur Mitra vgl. O[dilo] Engels, Pontifikalien, in: Lexikon des Mittelalters 7, 1995, Sp. 96 f.; Berger (wie Anm. 30) S. 341 f. und Percy Ernst Schramm, Die geistliche und die weltliche Mitra, mit Seitenblicken auf die Geschichte der päpstlichen Tiara. Ein weiteres Beispiel für den Wandel von Form und Bedeutung, in: ders., Herrschaftszeichen und Staatssymbolik (wie Anm. 32), S. 51 – 98, bes. 68 – 74 und 82 – 94, sowie Suckale (wie Anm. 35) S. 33 f. 55 Zur Propagandafunktion des Siegelbildes vgl. etwa Toni Diederich, Rheinische Städtesiegel, Neuss 1984, S. 29 f., sowie Hagen Keller, Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Gestalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext, in: Konrad Krimm / Herwig John (Hgg.), Bild und Geschichte. Studium zur politischen Ikonographie, Sigmaringen 1992, S. 3 – 51 [ND in: ders., Ottonische Königsherrschaft. Organisation und Legitimation königlicher Macht, Darmstadt 2002, S. 131 – 166 und 275 – 297], bes. 4 – 7. 56 Vgl. Krieger (wie Anm. 2) S. 229.

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dem sich die Herrscher in priesterlicher Aufmachung präsentierten. Doch ist dieser Zusammenhang bislang noch kaum beachtet worden, weswegen zum Schluß die entsprechenden Herrschersiegel in näheren Augenschein genommen werden müssen. Auch dafür gibt Friedrichs III. Verhalten während der römischen Weihnacht von 1468 den entscheidenden Hinweis. Als der Kaiser nämlich unwirsch und eigenhändig das ihm angelegte Pluviale zurechtrückte, um es wie die Priester tragen zu können, verwies er nicht nur darauf, daß dies die für ihn übliche Art und Weise sei, Stola und Chormantel zu tragen, sondern unterstrich dies zugleich mit einem Hinweis auf die Gestaltung seines Majestätssiegels: Die Gewandstücke seien ihm so anzulegen, ut in magno caesareo sigillo sculptum vidimus, ubi imperator in sua maiestate sedens paludamento sacerdotali, et subtus stola in crucis modum ante pectus ornatus exprimitur57 (wie wir es auf dem großen kaiserlichen Siegel gestaltet sehen, wo der Kaiser dargestellt wird in seiner Majestät sitzend im priesterlichen Chormantel und darunter geschmückt mit der vor der Brust überkreuzten Stola). Die Auslegung des Siegelbildes durch den Habsburger ist also eindeutig und zielt ebenso wie Friedrichs Verhalten in Rom selbst auf die Betonung des priesterlichen Charakters, der dem Kaiser eignet. Zugleich gibt der kaiserliche Hinweis Anlaß dazu, die Siegel der mittelalterlichen Herrscher unter dem Sakralaspekt zu betrachten; die fünfbändige Siegeledition von Otto Posse58 bietet dafür genügend Vergleichsmaterial und erweist sich daher für die folgenden Ausführungen als äußerst hilfreich59. Der Typ des durch priesterliche Gewandung ausgezeichneten Majestätssiegels, das in seiner Grundform seit Otto III. belegt ist60 und den Herrscher vor dem 14. Jahrhundert in einem über der rechten Schulter durch eine Spange zusammen57

Aus der in Anm. 38 belegten Quelle. Otto Posse, Die Siegel der Deutschen Kaiser und Könige von 751 bis 1913, 5 Bde., Dresden 1909 – 1913. 59 Vgl. außerdem F. M. Haberditzl, Über die Siegel der deutschen Herrscher vom Interregnum bis Kaiser Sigmund, in: MIÖG 29, 1908, S. 625 – 661. 60 Zu diesem Siegeltyp vgl.: Wilhelm Ewald, Siegelkunde, München/Berlin 41914 [ND Darmstadt 1978], S. 188, 190 – 194; Erich Kittel, Siegel (= Bibliothek der Kunst- und Antiquitätenfreunde 11), Braunschweig 1970, S. 211 – 217; Harry Bresslau / Hans-Walter Klewitz, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien II, Berlin/Leipzig 21931, S. 602 ff., sowie Wilhelm Erben, Die Kaiser- und Königsurkunden des Mittelalters in Deutschland, Frankreich und Italien, München/Berlin 1907, S. 176, 231 f. und 271 ff.; Werner Goez, Zur Entstehung des Thronsiegels, in: Ulrich Schneider (Hg.), Festschrift für Gerhard Bott zum 60. Geburtstag, Darmstadt 1987, S. 211 – 221, und Keller, Ottonische Herrschersiegel (wie Anm. 55), S. 4 f., 7, 16 und 19, der (S. 28 – 31 und 49 f.) vor allem auch betont, wie sehr an der Wende des ersten Jahrtausends die Darstellung der königlichen und kaiserlichen Majestät in der „Frontalität“ der Majestas Domini (vgl. S. 28) die Gottesstellvertreterschaft des Herrschers zur Anschauung brachte und das Siegelbild zu einem ,Stellvertreterbild‘ oder ,Amtwalterbild‘ (vgl. S. 31) werden ließ. Vgl. dazu jetzt auch Ludger Körntgen, Königsherrschaft und Gottes Gnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit (= Orbis Mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 2), Berlin 2001, S. 310 und 372. 58

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gehaltenen Umhang nach Art der Chlamys zeigt61, wurde – nach einem unter besonderen Vorzeichen stehenden, ins normannische Süditalien verweisenden Sonderfall unter Friedrich II.62, der auf einem Siegel mit dem byzantinischen Lorum geschmückt erscheint – seit der Kaiserkrönung Ludwigs des Bayern63 außer von Friedrich III.64 auch von Karl IV.65, Sigismund66, Albrecht II.67, Maximilian I.68 und Karl V.69 geführt. Abgesehen von weiteren bildlichen Darstellungen70 erscheint der 61

Vgl. dazu etwa die Abbildungen bei Posse (wie Anm. 58) I Tafel 10, 1 (Otto III.) sowie 11, 2 und 3 (Heinrich II.) bis 47, 1 (Heinrich VII.) und 50, 5 (Ludwig der Bayer). 62 Vgl. Schramm, Von der Trabea Triumphalis (wie Anm. 28), S. 39, und Posse (wie Anm. 58) I Tafel 27, 1 (vgl. V S. 27). 63 Posse (wie Anm. 58) I Tafel 51, 1 (vgl. V S. 37); vgl. Suckale (wie Anm. 35) S. 31 ff. (mit Abb. 16a und 17); R[ainer] K[ahsnitz] in dem Katalog der Ausstellung auf der Burg Trausnitz in Landshut. 14. Juni – 5. Oktober 1980: Wittelsbach und Bayern I 2. Die Zeit der frühen Herzöge. Von Otto I. zu Ludwig dem Bayern. Hg. von Hubert Glaser, München/Zürich 1980, S. 214 ff. Nr. 322 (Siegel Kaiser Ludwigs IV. des Bayern) und 216 f. Nr. 323 (Goldbulle Kaiser Ludwigs IV. des Bayern), und Haberditzl (wie Anm. 59) S. 645 – 650, bes. 647, sowie dazu und zum folgenden auch Schramm, Von der Trabea Triumphalis (wie Anm. 28), S. 41 – 44. – Zu Ludwigs Siegel aus der Königszeit vgl. den schon zitierten Katalog S. 218 ff. Nr. 325 sowie allg. zur Besiegelung auch Helmut Bansa, Studien zur Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag der Wahl bis zur Rückkehr aus Italien (1314 – 1329) (= Münchener Hist. Studien, Abt. Hilfswissenschaften 5), Kallmünz 1968, S. 3 – 15. – Auf dem berühmten Koblenzer Hoftag vom 5. September 1338, auf dem er den englischen König zum Reichsvikar ernannte, erschien Ludwig nach dem Zeugnis der ,Flandrischen Chronik‘ (ed. Johann Friedrich Böhmer, Fontes rerum Germanicarum I, Stuttgart 1843, S. 190: Et estoit vestu d’un drap de soye changant, et par deseure d’ung damaticle, et en ses bras avoit ungs fanons d’une espenne de large, et une estolle devant, croisie en la maniere d’un prestre, …) ebenfalls mit nach priesterlicher Art vor der Brust gekreuzter Stola – mithin genau so, wie ihn das Thronsiegel auch zeigt. Außerdem trug er eine (runde) Mitra unter der goldenen Krone. Zu der Chronik, die von dem französischen Geschichtsschreiber Jean Froissart († 1404) benutzt worden ist, vgl. Böhmer S. XXI f. 64 Posse (wie Anm. 58) II Tafel 23, 1, Tafel 24, 3 (?), Tafel 25, 1, Tafel 26, 2 und Tafel 27, 1 (vgl. V S. 51 ff.); vgl. Zanetti (wie Anm. 2) Abb. 13 (zwischen den Seiten 128 und 129), die Abb. im Anhang sowie zu Friedrichs III. Siegeln allgemein und ihrer imperialen Gestaltung Heinrich Koller, Beiträge zum Kaisertum Friedrichs III., in: Karl Hauck / Hubert Mordek (Hgg.), Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter. Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geburtstag, Köln/Wien 1978, S. 584 – 599, bes. 590 ff. 65 Posse (wie Anm. 58) II Tafel 3, 4/6, und 5, 1 (vgl. V S. 41 f.); vgl. Ewald (wie Anm. 60) Tafel 25 Nr. 4 und 5. 66 Posse (wie Anm. 58) II Tafel 13, 3, Tafel 17, 1 und Tafel 18, 2/5 (vgl. V S. 45 – 48); vgl. Ewald (wie Anm. 60) Tafel 18 Nr. 3 und 5 sowie Bertalan Kéry, Kaiser Sigismund. Ikonographie, Wien/München 1972, Abb. 92, 93, 95, 97 und 104. 67 Posse (wie Anm. 58) II Tafel 19, 7 (vgl. V S. 49). 68 Ebd. III Tafel 6, 4 und 5 (vgl. V S. 56); vgl. Ewald (wie Anm. 60) Tafel 25 Nr. 7. 69 Posse (wie Anm. 58) III Tafel 18, 1 (vgl. V S. 60). 70 Vgl. etwa Heinrich VII. (im erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen Balduineum 1: Kaiser Heinrichs Romfahrt. Die Bilderchronik von Kaiser Heinrich VII. und Kurfürst Balduin von Luxemburg. 1308 – 1313. Mit einer Einleitung und Erläuterungen hg. von Franz-Josef Heyen, München 1978, Tafel 23 [auf S. 97]; vgl. dazu Schramm, Von der Trabea Triumphalis [wie Anm. 28], S. 41) und Ludwig den Bayern (im Antiphonar des Klo-

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Herrscher darüber hinaus gelegentlich auch auf anderen Siegeln in geistlicher Kleidung, vor allem auf Gerichtssiegeln71. Angesichts seiner seelsorgerischen Verantwortung als ,Priester der Gerechtigkeit‘72, als sacratissimus legislator und lex animata73 dürfte gerade dies von besonderer Bedeutung gewesen sein, weswegen es auch nicht besonders überrascht, wenn Ludwig der Bayer, der sich in seinen durch Initialen geschmückten Urkunden gelegentlich mit Stola und Pluviale abbilden ließ74, auch auf dem zeitgenössischen ,Titelbild’ des von ihm erlassenen und gleichsam serienmäßig vervielfältigten Oberbayerischen Landrechts mit Stola vorgestellt wird75 ; doch ist die priestergleiche Selbststilisierung der – wie der Basler Professor für Kirchenrecht Peter von Andlau es in der Mitte des 15. Jahrhunderts ausdrückt – sacra maiestas76 auch ohne direkten Bezug auf das Gerichtswesen eindrucksvoll genug und wird die beabsichtigte Wirkung kaum verfehlt haben. Die Aussage der Siegelbilder jedenfalls fügt sich glücklich zu den anderen Zeugnissen über die sakrale Aura, die auch noch den spätmittelalterlichen Kaiser umgab. Wenn dieser trotz der einleitend erwähnten Ansicht, sein Erscheinen habe 1442 eine ausgezeichnete Weinernte bewirkt, und trotz der in manchen Handschriften des sters Schäftlarn: vgl. Suckale [wie Anm. 35] S. 41 und ebd. Abb. 30 [auf S. 42]; aber auch unten die Anm. 74 und 75). 71 Vgl. Posse (wie Anm. 58) II Tafel 5, 1 (Karl IV.) und Tafel 18, 5 (Sigismund) sowie Tafel 24, 3 (Friedrich III.) (vgl. V S. 42, 51 und 48) sowie Battenberg (wie Anm. 53) S. 103 – 110 (Ludwig der Bayer), 114 – 118 (Karl IV.), 129 – 133 (Sigismund) und 133 – 139 (Friedrich III.). 72 Vgl. zu dieser Formulierung die Assisen von Ariano, ed. Francesco Brandileone, Il diritto Romano nelle leggi Normanne e sveve de regno di Sicilia (= Nuova Collezione di Opere Giuridiche 21), Firenze 1884, S. 94 f.; ed. Ortensio Zecchino, Le Assise di Ariano, Cava dei Tirreni 1984, S. 22 (Praefatio): Nichil enim gratius deo esse putamus, quam si id simpliciter offerimus, quod eum esse cognovimus, misericordiam scilicet atque iustitiam. In qua oblatione regni officium quoddam sibi sacerdotali vendicat privilegium; unde quidam sapiens legisque peritus iuris interpretes sacerdotes appellat, sowie dazu Dig. I 1. 1,1 (ed. Theodor Mommsen und Paul Krüger, Corpus iuris civilis, Berlin 1911, S. 29): Cuius merito quis nos sacerdotes appellet: iustitiam namque colimus … 73 Vgl. Anm. 13. 74 Vgl. Suckale (wie Anm. 35) S. 37 Abb. 22, 24, 25 sowie zur Urkundengestaltung unter Ludwig allg. auch Wittelsbach und Bayern I 2 (wie Anm. 63) S. 225 – 232; Christa Wrede, Leonhard von München, der Meister der Prunkurkunden Kaiser Ludwigs des Bayern (= Münchener Hist. Studien, Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 17), Kallmünz 1980, S. 58 ff. (Katalog 8 und 12: 1332 August 25 für Dortmund; 1339 März 10 für Balduin von Trier), und Bansa (wie Anm. 63) S. 1 f. 75 Vgl. Suckale (wie Anm. 35) S. 38 Abb. 26 (aber auch S. 245 Abb. 188) sowie Wittelsbach und Bayern I 2 (wie Anm. 63) S. 233 ff. Nr. 355; Heinz Lieberich, Eine zeitgenössische bildliche Darstellung Kaiser Ludwig des Bayern, in: ZBLG 23, 1960, S. 128 – 136, bes. 131 ff., sowie zum Landrecht und seiner Bedeutung Walter Jaroschka, Das oberbayerische Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern, in: H. Glaser (Hg.), Wittelsbach und Bayern I 1 (wie Anm. 63), S. 379 – 387, bes. 382 (zum tatsächlichen Verbreitungsbereich) und 383 (zur Zahl der überlieferten Handschriften). Allg. vgl. auch Heinz Lieberich, Kaiser Ludwig der Baier als Gesetzgeber, in: ZRG GA 76, 1959, S. 173 – 245, bes. 232 – 242. 76 Libellus de Cesarea monarchia II [Tit. 6], ed. Rainer A. Müller, Peter von Andlau. Kaiser und Reich (= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 8), Frankfurt/M./Leipzig 1998, S. 206.

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Schwabenspiegels aufgestellten Behauptung, sein sündenfreies Leben garantiere das Wohlergehen des Gemeinwesens77, auch kein roi thaumaturge westeuropäischer Prägung gewesen ist, so besaß er trotz aller Einschränkungen, die seine numinose Legitimierung seit dem Investiturstreit getroffen hatte, doch unverkennbar auch weiterhin genügend Sakralität, die sich wirksam zur Schau stellen ließ; er konnte daher, wie Friedrich III., als princeps orbis sacratissime und dive Cesar78 angeredet oder als deus terrestris und Inhaber eines regale sacerdotium79 betrachtet werden. All dies ließ natürlich nie vergessen, daß der Herrscher trotz seiner Nähe zu Gott ein Mensch war und dem Kreatürlichen unterworfen blieb. Auch dies zeigt das Schicksal Friedrichs III., mit dem wir begonnen haben und mit dem wir nun auch enden wollen, überdeutlich: Die letzten Wochen seines Lebens waren elend und qualvoll80. „In Linz beginnt’s“, heißt es in einem donauländischen Sprichwort, für den Habsburger jedoch vollzog sich hier sein Sterben. Hier hatte Friedrich in dem wenig repräsentativen und wohl auch baufälligen Schloß über Jahre hinweg seine Altersresidenz bezogen. Die Staatsgeschäfte, die er sich nicht völlig aus der Hand nehmen lassen wollte, führte trotzdem schon weitgehend der tatendurstige Sohn, während der alte Kaiser, wortkarg, zum Phlegma neigend und menschenscheu, mehr und mehr vereinsamte. Von Durchblutungsstörungen im Bein geplagt, mußte er sich, nachdem durch den Altersbrand ein übelriechendes Geschwür entstanden war, schließlich den linken Unterschenkel amputieren lassen. Zweieinhalb Monate überlebte der bald 78-jährige Greis die Operation, bevor er – verstümmelt – sein irdisches Dasein am 19. August 1493 beschloß, an einem Sommertag mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Krönung und dem heißen Sommer, in dem er sein Erscheinen so segensvoll gewirkt haben soll. Bis zum Schluß, wenn auch in Linz zurückgezogen und eher bescheiden lebend, suchte er die kaiserliche Würde zu wahren81, doch kamen am Ende hinter dem Glanz der sacra maiestas menschliches 77 Vgl. die ,Herrenlehre‘ (Von eins herren lere) in: Schwabenspiegel. Langform H. Tractaverunt Karl August Eckhardt [et] Irmgard Eckhardt geb. Rauch, Bibliotheca Rerum Historicarum. Studia 7 (= Ius Suevicum IV), Aalen 1979, S. 136 f., bes. 137: vnd also verdienen die hern noch hewt mit iren sunden das in iren landen vrlewg wird oder vich sterbent oder hunger iar oder ander vngeluck. – Zur Verbreitung der Herrenlehre in Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts vgl. Karl August Eckhardt, Studia Iuris Teutonici. Deutschenspiegel (= Bibliotheca Rerum Historicarum. Studia 3 [Ius Teutonicum], Aalen 1971, S. 31 – 36 (Dz 1 – 9, Dz 1,1 – 12, 14, 15). 78 Peter von Andlau, Libellus (wie Anm. 76), S. 10 und 12. 79 RTA 15, hg. von Hermann Herre, Göttingen 1957, Nr. 106 (hier S. 184). 80 Vgl. dazu und zum folgenden Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit I: Jugend, burgundisches Erbe und Römisches Königtum bis zur Alleinherrschaft 1459 – 1493, München 1971, S. 349 – 353, sowie Harry Kühnel, Die Leibärzte der Habsburger bis zum Tode Kaiser Friedrichs III., in: Mitteilungen aus dem Österreichischen Staatsarchiv 11, 1958, S. 1 – 36, bes. 25 – 28. 81 Vgl. den Bericht der venezianischen Gesandtschaft, die den Kaiser 1492 in Linz aufsuchte, in übersetzten Auszügen mitgeteilt von Henry Simonsfeld, Ein venezianischer Reisebericht über Süddeutschland, die Ostschweiz und Oberitalien aus dem Jahre 1492, in: Zs. f.

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Gebrechen und irdische Hinfälligkeit zum Vorschein. Wenn allerdings auch die menschliche Hülle des Herrschers zerging, die Sakralität, die eine Zeit lang an ihr gehaftet hatte und sich nun im Jenseits verwirklichen mußte, bestand fort82 : Sohn wie Urenkel, Maximilian I. und Karl V. legen Zeugnis davon ab. Anhang Sowohl auf seinen Goldbullen als auch auf seinem Majestätssiegel ist Friedrich III. mit vor der Brust gekreuzter Stola und nach vorne offenem Pluviale dargestellt (vgl. Anm. 64). Die nachfolgende Abbildung bietet zwar nur den Entwurf oder die Nachzeichnung eines Thronsiegels Friedrichs III. (mit der Umschrift SIGILLUM MAIESTAT(is) FRIDERICI DEI GRA (tia) ROMANORU(m) IMPERATORIS SEMPER AUGUSTI DUCIS AUSTRIE STIRIE / KARINTHIE ET E[statt C]ARNIOLE COMITISQUE TIROLIS ETC(etera) und Unterschrift unter dem Thron: QUI NATUS EST IN DIE MATHEI S(ancti) APOST(oli) MCCCCXV [vgl. dazu die Beschreibung von Friedrichs III. königlichem Thronsiegel bei Posse (wie Anm. 58) [V, S. 51 Nr. 8]), entspricht aber durchaus dem gebräuchlichen Bildtypus (vgl. etwa Posse II Tafel 23,1) und wird – dem Beispiel Zanettis (wie Anm. 2: vgl. Abb. 13 zwischen den S. 128 und 129 sowie den Bildnachweis S. 366: Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, Wien. Dg 74 61/3) folgend – hier der leichteren und klareren Reproduzierbarkeit wegen angeführt, um einen Eindruck von der Bildgestaltung zu vermitteln.

Kulturgeschichte, 4. Folge, Bd. 2, 1895, S. 241 – 283, bes. 251 f. (5. Juli 1492), und dazu Zanetti (wie Anm. 2) S. 327 ff. 82 Vgl. (zu Maximilian I.) Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit V: Der Kaiser und seine Umwelt. Hof, Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, München 1986, S. 155 sowie 638 und 641 f.; Hans-Joachim König, Monarchia Mundi und Res Publica Christiana. Die Bedeutung des mittelalterlichen Imperium Romanum für die politische Ideenwelt Kaiser Karls V. und seiner Zeit, dargestellt an ausgewählten Beispielen, Diss. phil. (masch.) Hamburg 1969, S. 165 und 177 – 189 sowie (zu den Vorstellungen von Karls Großkanzler Gattinara) 69, 77 – 84; John M. Headly, Germany, the Empire and Monarchia in the Thought and Policy of Gattinara, in: Hans Lutz (Hg.), Das römisch-deutsche Reich im politischen System Karls V., München/Wien 1982, S. 15 – 33; Franz Bosbach, Monarchia Universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit (= Schriftenreiche der Hist. Kommission bei der Bayer. Akad. d. Wiss. 32), Göttingen 1988, S. 42 mit Anm. 42; Alfred Kohler, Karl V. 1500 – 1558. Eine Biographie, München 1999, S. 94 – 100, sowie zuletzt, besonders auch den sakralen Aspekt betonend, Luise SchornSchütte, Karl V. Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit, München 2000, etwa S. 27 f., 39 oder 87 ff.

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Nach W. Zanetti, Der Friedenskaiser (1985)

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Thronfolge und Herrschersakralität in England, Frankreich und im Reich während des späteren Mittelalters: Aspekte einer Korrelation Nicht alle Flut im wüsten Meere kann den Balsam vom gesalbten König waschen. Der Atem ird’scher Männer kann des Herrn geweihten Stellvertreter nicht entsetzen. Für jeden Mann, den Bolingbroke gepreßt, den Stahl zu richten auf die goldne Krone, hat Gott für seinen Richard einen Engel in Himmelssold. Mit Engeln im Gefecht besteht kein Mensch, der Himmel schützt das Recht. (Richard II., 3. Akt, 2. Szene)

Mit diesen Worten in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, Dorothea und Ludwig Tieck, die den Schwan vom Avon schon fast zu einem deutschen Klassiker machten, läßt William Shakespeare den englischen König Richard II. im Angesicht der sich abzeichnenden und bald auch eintretenden Niederlage gegen Heinrich Bolingbroke, den künftigen König, der dem unglücklichen und realitätsfremden Plantagenet einen schmählichen Tod im Kerker bereiten wird, den unerschütterlichen Glauben verkünden an die himmlische Beauftragung des geweihten Herrschers, an des Königs irdische Stellvertreterschaft Gottes und die durch Salbung wie Weihe vermittelte und zur Anschauung gebrachte Nähe des Königs zum Numinosen – an eine Nähe, aus der Richard zu Unrecht, wie sich zeigen wird, unüberwindbare Hilfe für sein gutes Recht erhofft. Der Dichter, Zeitgenosse nicht nur Elisabeths I., sondern auch des aus Schottland stammenden Jakob I., der, gleichsam als königlicher Theologe, selbst über das Gottesgnadentum des Herrschers und damit über einen sakralen Aspekt schrieb1, Shakespeare verweist auch in anderen Dramen auf die religiöse Dimension des englischen Königs und berichtet etwa in Macbeth (4. Akt, 3. Szene) vom Thaumaturgentum des englischen Monarchen. Den unglücklichen Richard II. läßt er schließlich Vorstellungen äußern, die sich über Jahrhunderte hinweg in ganz Europa finden, den christlichen König in Erstdruck (gewidmet Egon Boshof zum 80. Geburtstag) in: Matthias Becher (Hg.), Die mittelalterliche Thronfolge im europäischen Vergleich (= Vorträge und Forschungen 84), Ostfildern 2017, S. 359 – 448. 1 Vgl. Ronald G. Asch, Jakob I. (1566 – 1625). König von England und Schottland. Herrscher des Friedens im Zeitalter der Religionskriege, Stuttgart 2005, S. 114 – 133.

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eine besondere Nähe zu Gott rücken, ihn zu einem Sachwalter Gottes auf Erden machen und die auf den seit der Karolingerzeit im ganzen Abendland geübten, die königliche Gottesnähe versinnbildlichenden Brauch der Herrscherweihe und -salbung verweisen, die also, um es kurz zu sagen: auf die Sakralität des Herrschers anspielen2. Neben der Gerechtigkeit, die bis heute als wesentliches Element und zentrale Aufgabe jeglicher Herrschaft gilt und die ein anderer Schöpfer von Weltliteratur, nämlich Johann Wolfgang Goethe im zweiten Teil des Faust (V. 4772 – 4777), eingängig als Wesenselement und Tugend des Kaiser- und damit auch des Königtums beschreibt, wenn er den „Kanzler“ in der „kaiserlichen Pfalz“ verkünden läßt: Die höchste Tugend, wie ein Heiligenschein, umgibt des Kaisers Haupt, nur er allein vermag sie gültig auszuüben: Gerechtigkeit! Was alle Menschen lieben, was alle fordern, wünschen, schwer entbehren, es liegt an ihm, dem Volk es zu gewähren,

– neben der iustitia also3, wie es in den mittelalterlichen Quellen heißt, ist die religiöse Legitimierung von Herrschaft und Herrschern in wohl allen vormodernen Gesellschaften anzutreffen und hat auch die christliche Herrscheridee in Zentraleuropa über gut anderthalb Jahrtausende hinweg geprägt. Natürlich schwankten Gehalt und Intensität dieser Idee im Laufe der Zeit, und selbstverständlich gestaltete sich diese je nach Rahmenbedingungen und Voraussetzungen in den einzelnen Regionen des Kontinents unterschiedlich, vorhanden aber war sie immer. Wenn auch der sog. Investiturstreit nicht das Ende bedeutete für die frühmittelalterliche, zu einer besonderen Intensität gesteigerte, sich aber quellen- und situationsbedingt hauptsächlich am ottonisch-salischen Kaisertum zeigende Herrschersakralität4, so stellte er doch insofern eine Zäsur dar, als er einen spürbaren Einbruch der kaiserlichen Sakralität bewirkte und mit ihm ein langer, auch retardierende Phasen aufweisender Prozeß der Entsakralisierung der weltlichen Herrschaft einsetzte. Da durch die Entfaltung des Thaumaturgentums der englischen und französischen Könige die Ausgestaltung der westeuropäischen Herrschersakralität erst seit dem 12./13. Jahrhundert richtig in Schwung kam5, das römisch-deutsche Kaisertum 2

Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, sowie ders., Herrschersakralität. Ein Essai, in: Andrea Beck / Andreas Berndt (Hgg.), Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen (= Beiträge zur Hagiographie 13), Stuttgart 2013, S. 15 – 32. 3 Vgl. Franz-Reiner Erkens, König, in: HRG2 3 (17. Lieferung 2013) S. 3 – 18, bes. 9. 4 Vgl. Anm. 7 sowie Franz-Reiner Erkens, Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien 13), München 2006, S. 71 – 101. 5 Vgl. Marc Bloch, Die wundertätigen Könige, München 1998 [frz. 1924]; Jacques Le Goff, La genèse du miracle royal, in: Marc Bloch aujourd’hui. Histoire comparée et Sciences

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aber, dessen Repräsentanten niemals Heilkräfte für sich beanspruchten, nun um die Behauptung einer reduzierten Sakralität kämpfen mußte, liegt es nahe, die religiöse Ausformung der Herrscheridee in den drei genannten Reichen miteinander zu vergleichen und dabei nach der Bedeutung der Sakralität für die Monarchie und die Thronfolge zu fragen. I. Herrschersakralität nach dem Investiturstreit: Fortentwicklung und Ausdifferenzierung Daß das Königtum vormoderner Gesellschaften in religiösen Bezügen stand, ist unbestritten; daß es lange eine sakrale Dimension besaß, darüber besteht im Grunde ebenfalls Einmütigkeit, doch divergieren die Vorstellungen darüber, was genau unter Sakralität zu verstehen ist und welche Funktion diese in der mittelalterlichen Vorstellungswelt besaß6. Schließlich gehen die Ansichten darüber auseinander, inwieweit mit dem ,Investiturstreit‘ und durch Heinrichs IV. Buße von Canossa eine Entsakralisierung des Herrschers einsetzte, doch wird inzwischen allgemein nicht mehr von einem abrupten Ende der Herrschersakralität durch den Bußakt ausgegangen7. Vor dem Hintergrund dieses sich abzeichnenden Konsenses soll daher im folgenden weniger die Definitions- und Verständnisproblematik des Terminus ,Herrschersakralität‘ interessieren, als eine Betrachtung der Vorstellungen, die mit diesem Begriff zusammengefaßt werden können und ein Nahverhältnis des Herrschers zum Numinosen anzeigen8, also die Meinung, die Herrschaft eines Königs werde durch Gott begründet, weswegen der Monarch Sachwalter (Vikar) Gottes auf Erden sei und eine spezifische, in gewissem Sinne sogar seelsorgerische Verantwortung für die ihm anvertraute Gemeinschaft besitze. sociales.Textes réunis et présentés par H. Atsma et A. Borguière (= Recherche d’histoire et sciences sociales 41), Paris 1990, S. 147 – 156; Frank Barlow, The King’s Evil (1980), in: ders., The Norman Conquest and Beyond (= History Series Vol. 17), Bodmin 1983, S. 23 – 47; Cristiano Grottanelli, Unzione del re, miracoli regali, in: ders. / Sergio Bertelli, Gli occhi di Alessandro. Potere sovrano e sacralità del corpo da Alessandro Magno a Ceaus¸escu (= Laboratorio di storia 2), Firenze 1990, S. 47 – 76. 6 Vgl. Erkens, Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2), S. 19 ff. 7 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee nach herrschaftstheoretischen Äußerungen des 14. Jahrhunderts, in: Hubertus Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (1314 – 1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, S. 29 – 61, bes. 32 mit Anm. 15 und dem Exkurs auf S. 59 – 61. Zum grundsätzlichen Problem der Säkularisierung vgl. jetzt Horst Dreier, Säkularisierung des Staates am Beispiel der Religionsfreiheit, in: Rechtsgeschichte 19 (2001) S. 72 – 88, bes. 72 ff. („I. Begrifflichkeit und Abgrenzungen“, wo mindestens drei Aspekte des Säkularisierungsprozesses unterschieden werden: der „Rückgang gelebter religiöser Praxis“, „die Loslösung verschiedener Sphären und gesellschaftlicher Bereiche … aus der Dominanz religiöser Bindung und Deutung“ und ein „epochale[r] Ausdifferenzierungsprozess“, der zu einer „Trennung von Staat und Kirche“ führte; keiner von diesen trifft, wie leicht zu erkennen ist, auf die mittelalterlichen Verhältnisse zu). 8 Vgl. Erkens., Herrschersakralität (wie Anm. 2), Kap. 2, und ders., Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2). S. 18.

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Betrachtet man die Entwicklung des Ideenhorizonts der religiösen Legitimierung weltlicher Herrschaft in der lateinischen Christenheit vom Investiturstreit bis in das spätere Mittelalter hinein im Überblick, so zeigt sich eine Mischung von Tradition und Neuerung, von grundsätzlicher Beharrung und differenzierendem Fortschritt und – wenn nicht alles täuscht – von einer prinzipiellen Intensivierung der herrscherlichen Sakralsphäre. Der um 1100 entstandene ,Normannische Anonymus‘, der die priesterliche, die Geistlichkeit überragende Position des Monarchen in voller Christomimese betont, repräsentiert dabei letztlich eine bereits zu seiner Zeit überholte Position9, während ansonsten die Tendenz dahin ging, die irdische Stellvertretung Gottes durch den König differenzierter aufzufassen, sie allein in temporalibus und ausschließlich im eigenen Herrschaftsbereich gelten zu lassen, wie vor allem seit dem 13. Jahrhundert angesichts einer an Intensität zunehmenden Diskussion über herrschaftstheoretische Positionen deutlich wird10. Auch die Mitwirkung Gottes bei der Bestellung eines neuen Königs konnte schließlich sehr unterschiedlich aufgefaßt werden. Während sie in Erbmonarchien außer in speziellen Situationen unproblematisch war und – wie in Frankreich11 – in eine ferne Vorzeit verlegt werden konnte, in der Gott die Auswahl für alle Zukunft vorgenommen und gleichsam ein zur Herrschaft berufenes Geschlecht geschaffen haben soll, war dies anders in einer Wahlmonarchie, in der praktisch bei jeder Wahl nach Gottes Mitwirkung gefragt werden mußte. Die Antworten12, die auf diese Frage gegeben werden konnten, reichten dabei von der noch durch Dante vertretenen Ansicht, Gott sei der eigentliche Wähler (die Kurfürsten im Reich seien daher lediglich Verkünder des göttlichen Willens), bis hin zu der Meinung, Gott wirke nur noch als causa remota aus dem Hintergrund heraus und lasse den Menschen, die ja von ihm mit entsprechenden Fähigkeiten ausgestattet worden seien, einen eigenen Handlungsspielraum. Doch immer wirkt Gott auf irgendeine Art bei der Auswahl des geeigneten Kandidaten mit13, bleibt der Herrscher, wie in religiös gebundenen Gesellschaften auch kaum anders zu erwarten, von Gott bestimmt und aus der Gnade Gottes heraus – dei gratia – herrschend. 9

Karl Pellens, Die Texte des Normannischen Anonymus unter Konsultation der Teilausgaben von H. Böhmer, H. Scherrinsky und G. H. Williams neu aus der Handschrift 415 des Corpus Christi College Cambridge herausgegeben (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 42), Wiesbaden 1966, S. 129 – 161 sowie (zur fehlenden Rezeption) XXXVI; vgl. Francesco Paolo Terlizzi, La Regalità Sacra nel Medioevo? L’Anonimo Normanno e la Riforma romana (secc. XI-XII) (= Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, Studi 13), Spoleto 2007, und ders., Regalità, sacerdozio e cristomimesi: l’Anonimo Normanno, in: Giovanni Isabella (Hg.), „C’era una volta un re …“. Aspetti e momenti della regalità (= dpm quaderni, dottorato 3), Bologna 2005, S. 97 – 114; Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. ,The King’s Two Bodies‘. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 [engl. 1957], S. 67 – 81. 10 Vgl. Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 38 f. 11 Vgl. Anm. 311. 12 Vgl. zum folgenden Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 42 – 45. 13 Vgl. ebd. S. 42.

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Die sakrale Aura, die einen Monarchen umgibt, kann in ihrer Intensität zwar schwanken von Reich zu Reich und sogar von König zu König, aber vorhanden war sie immer. Sie ist bei den Herrschern aus ottonischem und salischem Hause, nicht zuletzt gespeist durch die imperiale Tradition, in der diese standen, besonders ausgeprägt gewesen14 und – anders als in den übrigen Monarchien Lateineuropas – sogar recht gut faßbar wegen einer seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert relativ günstigen Quellenlage. Aber ohne sakrale Bezüge waren, wie vereinzelte Nachrichten zeigen, die übrigen europäischen Könige keinesfalls. Deren Sakralität nimmt jedoch seit dem 11. Jahrhundert immer deutlichere Züge an, weswegen die herrscherliche Sakrallandschaft im hohen und späten Mittelalter auch immer stärker differenziert erscheint. Zu deren Ausgestaltung gehörten einerseits die Einbeziehung aller Könige der christlich gewordenen Reiche Skandinaviens und der Sclavinia in den Sakralzusammenhang der christlichen Tradition15 sowie der Aufstieg des süditalischen Normannenreiches in den Kreis der europäischen Monarchien, der begleitet wurde von einer bildmächtig verkündeten, byzantinische Elemente aufnehmenden und den König als einen Priester der Gerechtigkeit propagierenden Adaptation der christlich-sakralen Herrscheridee16. Andererseits fanden die iberi14

Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), Kap. VI. Zu den Verhältnissen in Skandinavien vgl. Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 89 (2003) S. 1 – 55, hier 33 mit Anm. 140 sowie S. 53 f. (und die dort in Anm. 234 und 238 verzeichnete Literatur), und ders., Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 33 (und die dort in Anm. 17 verzeichnete Literatur), sowie für Norwegen Sverre Bagge, Kingship in Medieval Norway. Ideal and Reality, in: Heinz Duchhardt u. a. (Hgg.), European Monarchy. Its Evolution and Practice from Roman Antiquity to Modern Times, Stuttgart 1992, S. 41 – 52, bes. 43 und 44 f. (zur gesteigerten Vorstellung der irdischen Repräsentanz Gottes durch den König), 47 (zur Krönung), 48 f. (zu der im norwegischen Königsspiegel aus der Mitte des 13. Jahrhunderts geäußerten Vorstellung, daß der König auch ohne Salbung und Krönung ein christus domini sei [vgl. dazu auch ders., The political Thought of The King’s Mirror [= Medieval Scandinavia Supplements 3], Odense 1987, S. 48]), und allg. Jean-Pierre Bayard, Sacres et couronnements royaux, Paris 1984, S. 95 f., sowie zur Rezeption des europäischen Salbungsbrauchs seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Erich Hoffmann, Coronations and Coronation Ordines in Medieval Scandinavia, in: János M. Bak (Hg.), Coronations. Medieval and Early Modern Monarchic Ritual, Berkeley 1990, S. 125 – 151, bes. 125 (erste norwegische Krönung: 1163 oder 1164), 131 (erste dänische Krönung: 1170) und 138 (erste schwedische Krönung: 1210); zu den Entwicklungen in Ostmitteleuropa vgl. Erkens, Vicarius Christi, S. 54; Bayard, Sacres, S. 95 (zu Polen); Benita Berning, „Nach alltem löblichen Gebrauch“. Die böhmischen Königskrönungen der Frühen Neuzeit (1526 – 1743) (= Stuttgarter Historische Forschungen 6), Köln 2008, S. 34 – 37. 16 Vgl. Hubert Houben, Roger II. von Sizilien. Herrscher zwischen Orient und Okzident, Darmstadt 1997, S. 120 – 135 und 142 ff.; Thomas Dittelbach, REX IMAGO DEI. Der Dom von Monreale. Bildsprachen und Zeremoniell in Mosaikkunst und Architektur (= Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend 12), Wiesbaden 2003, Kap. 6; Franz-Reiner Erkens, Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als Priester der Gerechtigkeit, in: ZBLG 66 (2003) S. 795 – 818, bes. 802 f., sowie zur Salbung und Krönung Reinhard Elze, The Ordo for the Coronation of Roger II. of Sicily: An Example of Dating by Internal Evidence, in: Bak (Hg.), Coronations (wie Anm. 15), S. 165 – 178, bes. 170 – 177 (Edition des Ordo). 15

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schen Königreiche17, nachdem in León der dort wohl seit dem 9. Jahrhundert geübte Brauch der Herrscherweihe nach 1135 aufgegeben worden war, seit dem 13. Jahrhundert, wenn auch nur vorübergehend, Anschluß an die ursprünglich fränkische, mittlerweile jedoch europäisch gewordene Salbungstradition; doch standen ihre Herrscher als irdische Sachwalter Gottes auch ungeweiht in religiös-sakralen Bezügen18. Die Könige Englands und Frankreichs schließlich begannen etwa zur selben Zeit (und nicht bereits im 12. Jahrhundert19) ihren sakralen Nimbus zu verdichten durch die Betonung und Intensivierung ihres Thaumaturgentums. Schon die sich in diesem allgemeinen Überblick spiegelnde Entwicklung der Herrschersakralität im späteren Mittelalter wiederlegt die herkömmliche, mittlerweile freilich immer stärker aufgegebene Vorstellung von einer Entsakralisierung der Königswürde im Zeitalter des sog. Investiturstreits20. Allein hinsichtlich der kaiserlichen Sakralität lassen sich Einbußen feststellen, nicht jedoch ein völliges Verschwinden und schon gar nicht eine bereitwillige Hinnahme der vom Reformpapsttum betriebenen Minderung der sakralen Dignität durch die Kaiser, die freilich als Repräsentanten der zweiten Universalgewalt des Mittelalters immer in einer spürbaren Konkurrenz zu den Päpsten standen und daher ideologische Differenzen manchmal mit entsprechender Schärfe auszutragen hatten. Wegen dieser latenten Konkurrenzsituation, die jederzeit durch handfeste politische Gegensätze nicht zuletzt in Italien verschärft werden konnte, kam es wiederholt zum offenen Konflikt, denn die Kampfbereitschaft der beiden universalen Gewalten war groß, die Schwelle zum heftigen Disput lag niedrig und der Wille zum Entgegenkommen

17 Vgl. zu Kastilien: Percy Ernst Schramm, Das Kastilische Königtum in der Zeit Pedros des Grausamen, Enriques II. und Juans I. (1350 – 1390), in: Gedächtnisschrift für Adalbert Hämel, Würzburg 1954, S. 253 – 274; Jean-Pierre Barraqué / Béatrice Leroy, Des écrits pour les Rois. En Espagne medievale, la réflexion politique, d’Isidore de Séville aux Rois Catholiques, Limoges 1999, S. 78 – 87; zu Aragón: Percy Ernst Schramm, Die Krönung im Aragonesischen Königreich, in: ders., Kaiser, Könige und Päpste IV 1, Stuttgart 1970, S. 352 – 371 [erstmals 1936, in: Homenatje a Antoni Rubió i Lluch. Miscellània d’estudis literaris, històrics i lingvistics III, S. 577 – 598]; Barraqué / Leroy, Des écrits pour les Rois, S. 77 f.; diess., La Majesté en Navarre et dans les couronnes de Castille et d’Aragon à la fin du Moyen Âge, Limoges 2011, S. 76 – 83; und zu Navarra: Percy Ernst Schramm, Der König von Navarra (1035 – 1512), in: ZRG GA 68 (1951) S. 110 – 219, bes. 147 ff.; Barraqué / Leroy, Des écrits pour les Rois, S. 78; diess., La Majesté en Navarre, S. 75 f., sowie allg. Odilo Engels, Königtum und Stände in Spanien während des späteren Mittelalters, in: Reinhard Schneider (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich (= Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987, S. 81 – 121; Ludwig Vones, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711 – 1480). Reiche – Kronen – Regionen, Sigmaringen 1993, S. 160 f., und zu den politischen Hintergründen Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006. 18 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 16 f. mit Anm. 73. 19 Vgl. die in Anm. 5 genannten Studien von Barlow und Le Goff sowie Grottanelli, Unzione del re (wie Anm. 5), S. 53. 20 Vgl. dazu wie zum folgenden Anm. 7 sowie Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 98 – 101.

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gerade in ideellen Fragen, den das Papsttum gegenüber anderen europäischen Herrschern bewies, war gering21. Die sakrale, stark von imperialen Traditionen geprägte Entwicklung des deutschrömischen Kaisertums verlief daher anders als diejenige der westeuropäischen Monarchien. Aber, es sei nochmals betont, sie führte trotz reduzierender Modifikationen an der Vorstellung von der Kaisersakralität nicht zu einem völligen Verblassen. Vielmehr begann man seit dem 12. Jahrhundert die Gottunmittelbarkeit verstärkt zu betonen, nutzte zugleich die beginnende Rezeption des römischen Rechts, die letztlich ebenso wie die im späteren 13. Jahrhundert einsetzende Aristotelesrezeption eine von kirchlichen Konnotationen freie Begründung weltlicher Herrschaft ermöglichte22, und verdichtete etwa durch den Einsatz von aus dem antiken Kaiserrecht übernommenen Sakralnomina die sakrale Dimension der staufischen Herrscher. In kirchenrechtlichen Sammlungen, die nun entstanden, wurde zudem, gleichgültig ob der Verfasser diese Ansicht teilte oder nicht, an den besonderen Stand des nach der Salbung nicht mehr unbedingt unter die Laien gerechneten princeps erinnert23; und Friedrich II. steigerte schließlich noch einmal unter Einbeziehung süditalisch-normannischer Traditionen24 die imperiale Herrschaftsidee hin zu einem besonderen Davidkönigtum, durch eine Vorstellung, welche die kaiserliche Position bis hin zur Messiasnachfolge und -imitation überhöh21

Vgl. Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 33. Vgl. Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 92 f.; ders., Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7); S. 29 f. (und die dort in Anm. 5 genannte Literatur über die Aristotelesrezeption), sowie allg. zur Rezeption des römischen Rechts und ihrer Bedeutung für die Ausformung einer in weltlichen Kategorien wurzelnden Herrschaftsbegründung Tilman Struve, Die Salier und das römische Recht. Ansätze zur Entwicklung einer säkularen Herrschaftstheorie in der Zeit des Investiturstreites (= Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse der Akad. d. Wiss. und der Literatur Mainz, Jg. 1999 Nr. 5), Stuttgart 1999. 23 Vgl. Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 88 ff. (und die dort in den Anm. 90 – 93 zitierten Belege), sowie Gerard Fransen (Hg.), Summa ,Elegantius in iure diuino‘ seu Coloniensis (= Monumenta Iuris Canonici, Series A: Corpus Glossatorum 1), tom. 1, New York 1969, tom. 2 – 4, Città del Vaticano 1978 – 1990, tom. 3 (1986) S. 212 (XII 92: Si opponitur de iuramento fidelitatis quod ab episcopis imperatori prestatur, responderi potest non omnem moderni temporis consuetudinem canonibus concordare uel, quod potius est, imperatorem propter sacram unctionem in numero laicorum non haberi.); zur Kölner Kanonistik vgl. Peter Landau, Die Kölner Kanonistik des 12. Jahrhunderts. Ein Höhepunkt der europäischen Rechtswissenschaft (= Kölner rechtsgeschichtliche Vorträge 1), Badenweiler 2008, bes. S. 15 – 18 (zur Summa Coloniensis, einem „systematisch gegliederte[n] Lehrbuch“, dessen zweiter und dritter Teil auch das Verhältnis von Kaiser und Papst behandelt), und ders., Der Archipoeta – Deutschlands erster Dichterjurist. Neues zur Identifizierung des politischen Poeten der Barbarossazeit (= SBB d. Bayer. Akad. d. Wiss., Philos.-hist. Kl. Jg. 2011, H. 3), München 2011, bes. S. 25 – 30 und 41 f. Zum Archipoeta vgl. neuestens auch Peter Godman, The Archpoet and the Emperor, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 74 (2011) S. 31 – 58, wo auf S. 31 f. (mit Anm. 6, 10 und 11) knapp auf weitere Identifizierungsvorschläge verwiesen wird. 24 Vgl. Anm. 16. 22

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te25, wobei der Staufer während seiner letzten großen Auseinandersetzung mit dem Papsttum zugleich auch als apokalyptisches Ungeheuer verteufelt und in die Nähe des Antichrist gerückt worden ist26. Nach dem Ende der staufischen Herrschaft und der Aufgabe der gesteigerten Kaiseridee blieb die Grundvorstellung von einem sakral getönten Kaisertum natürlich erhalten und fand ihre theoretische Fundierung in zahlreichen Schriften juristischer und philosophisch-theologischer Natur27. Zur Anschauung gelangte sie dabei vor allem bei entsprechenden Auftritten des deutsch-römischen Königs und Kaisers: bei der Aachener Krönung28, bei der Herrschaftsrepräsentation im Ornat der Majestät29, bei der wahrscheinlich seit Karl IV. üblichen Lesung des Weihnachtsevangeliums durch den Herrscher30, in der seit Ludwig dem Bayer belegten 25 Vgl. Ernst Kantorowicz, Kaiser Friedrich der Zweite, 2 Bde., München / Düsseldorf 1927 / 1931, S. 183 – 186, 461, 466 f., 474 f., 477 („Messiaskaisertum“); Wolfgang Stürner, Friedrich II., Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194 – 1220, Darmstadt 1992, Teil 2: Der Kaiser 1220 – 1250, Darmstadt 2000 (bes. S. 190 – 200 zu den Konstitutionen von Melfi); Hubert Houben, Kaiser Friedrich II. (1194 – 1250). Herrscher, Mensch und Mythos, Stuttgart 2008, S. 186 – 193; Olaf B. Rader, Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie, München 22010 (bes. S. 152 – 156 zu den Konstitutionen von Melfi); Andreas Fischer, Herrscherliches Selbstverständnis und die Verwendung des Häresievorwurfs als politisches Instrument. Friedrich II. und sein Ketzeredikt von 1224, in: QFiAB 87 (2007) S. 71 – 108, bes. 91 – 95 und vor allem 93 f. (über „das sakrale Amtsverständnis“ [S. 94] Friedrichs II., der sich im Besitz einer unmittelbar von Gott verliehenen plenitudo potestatis sah); Sindy Schmiegel, Gerechtigkeitspflege und herrscherliche Sakralität unter Friedrich II. und Ludwig IX. Herrschaftsauffassungen des 13. Jahrhunderts im Vergleich, Diss. phil. Passau 2007, Kap. 3.3 (opus-passau). 26 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter, in: Helmut Knüppel u. a. (Hgg.), Wege und Spuren. Verbindungen zwischen Bildung, Kultur, Wissenschaft, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhardt (= Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam 10), Berlin 2007, S. 223 – 239, bes. 228, sowie Stürner, Friedrich II., Teil 2 (wie Anm. 25), S. 473 ff.; Houben, Kaiser Friedrich II. (wie Anm. 25), S. 176 – 186, und Rader, Der Sizilianer (wie Anm. 25), S. 445 f., 452 – 462 und 473. 27 Vgl. Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), Kap. II (ab Anm. 31). 28 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Krönung und Krönungsordnung im späten Mittelalter, in: ZAGV 110 (2008) S. 27 – 64, bes. 42 – 50; Andreas Büttner, Der Weg zur Krone. Rituale der Herrschererhebung im spätmittelalterlichen Reich I/II (= Mittelalter-Forschungen 35), Ostfildern 2012, S. 142 – 145. 29 Vgl. Gerald Schwedler, Herrschertreffen des Spätmittelalters. Formen – Rituale – Wirkungen (= Mittelalter-Forschungen 21), Ostfildern 2008, S. 38 – 67 (zum Koblenzer Hoftag und Herrschertreffen von 1338), bes. 50 ff. und 437 R 97; Jan Keupp, Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters (= MittelalterForschungen 33), Ostfildern 2010, S. 251 ff., sowie Erkens, Sol iusticie (wie Anm. 16) S. 813, und ders., Ein Drache in Würzburg. Die Reichssynode und der Hoftag von 1287, in: ZKG 122 (2011) S. 153 – 172, bes. 161 ff. 30 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 41 ff., und ders., Sol iusticie (wie Anm. 16), S. 796 f.; Hermann Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: DA 39 (1983) S. 131 – 206; ders., Königlicher Weihnachtsdienst auf den Konzilien von Konstanz und Basel, in: Norbert Kamp / Joachim Wollasch (Hgg.), Tradition als historische

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Gestaltung der kaiserlichen Bulle31, gelegentlich wohl auch bei anderen feierlichen Anlässen, wenn sich der Beherrscher des Reiches unter der Krone zeigte (wobei das im früheren Mittelalter an kirchlichen Hochfesten häufig geübte Unter-der-Kronegehen und offenbar besonders der Brauch der Festkrönung nach 1200 spürbar rückläufig war32). In allen Fällen dieser Zurschaustellung der sakralen Majestät spielte eine wichtige Rolle die auch beim englischen König auffällige33, am Priesterornat orientierte Gewandung des Herrschers, auf deren korrekte, nämlich sazerdotale Art des Tragens Friedrich III. zumindest Weihnachten 1468 großen Wert legte34, die den Herrscher freilich nicht zu einem Geistlichen machte, ihn aber wohl Kraft. Interdisziplinäre Forschungen zur Geschichte des früheren Mittelalters, Berlin/New York 1982, S. 388 – 411; ders., Königliche Evangeliumslesung bei königlicher Krönung, in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Kirche und Reich. Studien zu Theologie, Politik und Recht im Mittelalter. Festschrift für Friedrich Kempf zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag und fünfzigjährigen Doktorjubiläum, Sigmaringen 1983, S. 447 – 459. 31 Vgl. Erkens, Sol iusticie (wie Anm. 16), S. 809 f., und ders., Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae 6 (2003) S. 29 – 44, bes. 39 f. und 44. 32 Vgl. zu Unter-der-Krone-gehen und Festkrönungen Franz-Reiner Erkens, „Nach Art der biblischen Martha“. Bischof Meinwerk im Dienst der Könige, in: Christoph Stiegemann / Martin Kroker (Hgg.), Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Meinwerk von Paderborn, Regensburg 2009, S. 58 – 73, bes. 66; ders., Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 167; Carlrichard Brühl, Fränkischer Krönungsbrauch und das Problem der „Festkrönungen“, in: ders., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze I: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim 1989, S. 351 – 412 [erstmals 1962, in: HZ 194, S. 265 – 326]; ders., Kronen- und Krönungsbrauch im frühen und hohen Mittelalter, ebd., S. 413 – 443 [erstmals 1982, in: HZ 234, S. 1 – 31], und zum Rückgang dieser Gewohnheit im Reich Jürgen Petersohn, Die Reichsinsignien im Herrscherzeremoniell und Herrschaftsdenken des Mittelalters, in: Die Reichskleinodien. Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches (= Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 16), Göppingen 1997, S. 162 – 183, bes. 171; ders., Über monarchische Insignien und ihre Funktion im mittelalterlichen Reich, in: HZ 266 (1998) S. 47 – 96, bes. 68 f. (zum Rückgang des Kronetragens) und 70 ff. (Beispiele des Kronetragens bei Herrschaftsakten); Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 90 ff.; in England blieb der Brauch des Kronetragens üblich und wurde während des späten Mittelalters offenbar sogar gesteigert, vgl. Roy Strong, Coronation. From the 8th to the 21st Century, London 2005, S. 118, und Ullmann, Liber Regie Capelle (wie Anm. 38) S. 18. Schwedler, Herrschertreffen (wie Anm. 29), S. 359, weist darauf hin, daß das Tragen von Kronen bei Herrschertreffen offenbar kaum üblich gewesen ist. 33 Vgl. Percy Ernst Schramm, Geschichte des englischen Königtums im Lichte der Krönung, Weimar 21970, S. 133 ff. In Navarra und Kastilien trug der König Gewandstücke eines Diakon: Vgl. Barraqué / Leroy, Des écrits pour les Rois (wie Anm. 17), S. 78 (Navarra) und 86 (Kastilien); in Aragón wurde das Krönungsgewand „in einem geradezu ungwöhnlichem Ausmaß“ der geistlichen Kleidung angeglichen: so Engels, Königtum und Stände (wie Anm. 17), S. 87 (vgl. Schramm, Die Krönung im Aragonesischen Reich [wie Anm. 17], S. 362). Allg. vgl. auch Dávid Diósi, Die mittelalterliche Kaiser-/ Königssalbung als „Sakrament“ . Das Aufkommen der Königssalbung im Abendland, in: Studia Universitatis Babes¸Bolyai, Theologia Catholica Latina XLVII/1 (2002) S. 135 – 148, bes. 138. 34 Vgl. Erkens, Heißer Sommer (wie Anm. 31), S. 35 f. – Daß die geistliche Gewandung des Kaisers auch von Außenstehenden wahrgenommen worden ist, belegt eine Nachricht über

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in die Nähe des Priestertums rückte und vor allem einen durch die Salbung bewirkten Standeswechsel anzeigte35. Angesichts dieses Umstandes und der Entwicklung des Thaumaturgentums in England und Frankreich stellt sich natürlich die Frage, welche Rolle die herrscherliche Sakralität bei der Begründung einer neuen Königsherrschaft spielte. II. Sakralität durch Salbung: Die Herrscherweihe als Übergang in einen eigenen Stand 1. Gottesvikariat und religiöse Verantwortung: Entfaltung der Tradition Diese Frage läßt sich aus zwei verschiedenen Blickwinkeln heraus beantworten: einmal aus der Perspektive des consecrandus unter Hervorhebung der Herrschaftslegitimierung und der Bedeutung der herrschaftsstabilisierenden, weil Sakralität vermittelnden oder intensivierenden Weihe und zum anderen aus der Perspektive des Thronfolgers oder (in einer Wahlmonarchie) des Thronaspiranten unter Erörterung des Problems, ob dieser seinen Anspruch oder sein Recht auf die Nachfolge mit einer eigenen, wie auch immer gearteten Sakralität untermauern kann. Der erste Aspekt ist weniger diffizil als der zweite, mit ihm soll die Betrachtung daher eröffnet werden. Für diese können die Krönungsordines als Wegweiser dienen, da sie Hinweise auf die Königsidee enthalten. Dabei ist weniger das schon wiederholt behandelte Wurzel- und Beziehungsgeflecht dieser Regiebücher des europäischen Krönungsgeschehens, sind weniger die gegenseitigen Abhängigkeiten und wechselweisen Beeinflussungen von Bedeutung als die konkreten Aussagen über die sakrale Dimension des zu weihenden Herrschers. Wenn in England und Frankreich sowie im Reich die Entwicklung der Krönungshandlungen und der sie verzeichnenden Ordines auch unterschiedlich intensiv gewesen36 und aus den den Besuch Karls IV. in Lübeck, der im Oktober 1375 stattfand; vgl. dazu Der sogenannten Rufus-Chronik erster Theil von 1105 – 1395, hg. von Karl Koppmann, Die Chroniken der niedersächsischen Städte-Lübeck 2 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Bd. 26), Leipzig 1899, S. 175 – 276, hier S. 251 (§ 756: do toch he [Karl IV.] an myt er syn keyserliche wede, also en byschop). 35 Vgl. Erkens, Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2), S. 25 ff. 36 Vgl. Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. zum 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates I/II, Darmstadt 21960; ders., Der König von Frankreich. Wahl, Krönung, Erbfolge und Königsidee vom Anfang der Kapetinger (987) bis zum Ausgang des Mittelalters, in: ZRG KA 25 (1936) S. 222 – 354 und 26 (1937) S. 161 – 284; ders., Ordines-Studien II: Die Krönung bei den Westfranken und den Franzosen, in: AUF 15 (1938) S. 3 – 55, III: Die Krönung in England, ebd., S. 305 – 391, Nachträge zu den Ordines-Studien II-III, in: AUF 16 (1939) S. 279 – 286, sowie P. L. Ward, The Coronation Ceremony in Medieval England, in: Spec. 14 (1939) S. 160 – 178; Lawrence E. Tanner, The History of the Coronation, London 1952; H. G. Richardson, The Coronation in Medieval England. The Evolution of the Office and the Oath, in: Traditio 16 (1960) S. 111 – 202, und The Coronation of Richard III: the extant documents,

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westeuropäischen Monarchien eine spürbar größere Vielfalt an Ordines für die Krönung des Königs überliefert ist als aus dem römisch-deutschen Reich, wo sich im Grunde nur zwei wirkliche Entwicklungsstufen37 finden, während in England vier, in sich weiter ausdifferenzierte Rezensionen38 gezählt und in Frankreich mindestens elf verschiedene Krönungsordnungen zwischen dem späteren 10. und dem ausgehenden 15. Jahrhundert entstanden sind39, wenn es also Unterschiede in der Entwicklungsaktivität gab, so bildete doch in allen drei Reichen das 14. Jahrhundert eine wichtige Etappe bei der Ausgestaltung der Krönungshandlungen und ihrer Aufzeichnungen: Um 1300 entstand die vierte Rezension der englischen Krönungsordnung, die wohl 1308 bei der Weihe Edwards II. erstmals benutzt und in einer Überarbeitung aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts zum sog. Liber Regalis wurde, der, in der Mitte des 15. Jahrhunderts noch einmal modifiziert, während der nächsten Jahrhunderte das insulare Krönungsgeschehen bestimmte40. Im Reich wurde wohl ed. by Anne F. Sutton / Peter W. Hammond, Gloucester 1983 = New York 1984, S. 200 ff.; Carra Ferguson O’Meara, Monarchy and Consent. The Coronation Book of Charles V of France. British Library MS Cotton Tiberius B. VIII, London / Turnhout 2001, S. 66 – 105. Für die Entwicklung im Reich vgl. die umfassende Darstellung von Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), wo auch die ältere Literatur erfaßt ist. 37 Mainzer Ordo von etwa 960, ed. Cyrille Vogel / Reinhard Elze, Le pontifical romanogermanique du dixième siècle. Le texte I (= Studi e Testi 226), Città del Vaticano 1963, S. 246 Nr. 72; Ordo aus dem früheren 14. Jahrhundert, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH Leges 2, Hannover 1837, S. 384 – 392; ed. Franz-Reiner Erkens / Andreas Fohrer, Der Kölner Ordo von wahrscheinlich 1309, in: Franz-Reiner Erkens, Königskrönung und Krönungsordnung im späten Mittelalter, in: ZAGV 110 (2008) S. 27 – 64, hier: 51 – 64. 38 English Coronation Records, ed. by Leopold G(eorge) Wickham Legg, Westminster 1901; Missale ad usum ecclesie Westmonasteriensis, Vol. II, ed. by John Wickham Legg (= Henry Bradshaw Society 5), London 1893, S. 673 – 733 (ordo secundum quem Rex debet coronari pariter et inungi; zu dem auf den Abt des Klosters Nicholas Lytlington [1362 – 1382] zurückgehenden Missale vgl. Vol. I, London 1891, S. V); English Coronations, 1216 – 1308: The Edition of the Coronation Ordines, by John Brückmann, Toronto 1964; Krönungsordo (Liber Regalis) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, ed. Walter Ullmann, Liber Regie Capelle. A Manuscript in the Biblioteca publica, Evora (= Henry Bradshaw Society 92), London 1961, S. 74 Nr. XV, sowie Richardson, The Coronation in Medieval England (wie Anm. 36), S. 111 f.; H. A. Wilson, The English Coronation Orders, in: The Journal of Theological Studies 2 (1901) S. 481 – 504, und Jörg Rogge, „Tum quia regalis unctio in anima quicquam non inprimit …“. Zur Bedeutung von Königskrönungen und Königssalbungen in England und im römisch-deutschen Reich während des Spätmittelalters, in: Ludolf Pelizaeus (Hg.), Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 23), Frankfurt/ M. 2008, S. 41 – 64, bes. 44 f. 39 Ordines Coronationis Franciae. Texts and Ordines for the Coronation of Frankish and French Kings and Queens in the Middle Ages. Vol. I/II, ed. by Richard A. Jackson, Philadelphia (Penn.) 1995/2000, Nr. 15 – 25. 40 Vgl. Richardson, The Coronation in Medieval England (wie Anm. 36), S. 112; Sutton / Hammond (Hgg.), The Coronation of Richard III (wie Anm. 36), S. 201 f.; Chris Given-Wilson, The Coronation of Richard II, 16 July 1377, in: Ceremonial de la coronación, unción y exequias de los reyes de Inglaterra. Estudios complementarios, hg. von Eloísa Ramírez Vaquero, Pamplona 2008, S. 195 – 210, bes. 195, sowie Ullmann, Liber Regie Capelle (wie

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im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts auf der Grundlage einer bereits leicht weiterentwickelten Fassung des Mainzer Ordo von etwa 960 die spätmittelalterliche, bis zum Ende des alten Reiches im Jahre 1806 gültige und 1792 letztmals praktizierte Ordnung der Königskrönung entwickelt und verschriftlicht41, während in Frankreich kurz nach (vielleicht sogar schon anläßlich) der Weihe Karls V. im Jahre 1364 ein vom Monarchen selbst initiierter und inspirierter Ordo geschaffen wurde42, der zwar im weiteren Verlauf des Mittelalters nicht bei jeder Krönung eines französischen Königs herangezogen wurde43, aber ohne Zweifel ungewöhnlich ist, zudem weiterwirkte, zu den Glanzleistungen des Genre zählt44 und gerade deshalb, weil seine Gestaltung vom Herrscher persönlich überwacht wurde, Zeugnis ablegt nicht nur von einer allgemeinen, sondern zugleich auch von einer individuellen Königsidee. Die Krönungsordines lassen prinzipiell keinen Zweifel an der Sakralität der geweihten Herrscher aufkommen, rücken sie den König doch unverkennbar in die größte Nähe zu Gott, als dessen Erwählte und irdische Stellvertreter die Monarchen angesprochen werden45, und schärfen diesen zugleich ihre religiöse Verantwortung für die christliche Gemeinschaft ein46. Diese Vorstellungen, die christlicherseits während Spätantike und früherem Mittelalter in Anknüpfung an ein globales, weit in die Frühzeit der Menschheit zurückreichendes Gedankengut adaptiert und aus-

Anm. 38), S. 10 und 22 (zur Entstehung des Manuskripts kurz vor der Mitte des 15. Jahrhunderts und der Vorlage [Lytlington Missal] aus dem 14. Jahrhundert), sowie Paul Binski, The Liber Regalis: Its Date and European Context, in: Dillian Gordon u. a. (Hgg.), The Regal Image of Richard II and the Wilton Diptych, London 1997, S. 233 – 246 (der die Entstehung auf etwa 1390 datiert), und English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 81 Nr. XIII. 41 Vgl. Walter Goldinger, Das Zeremoniell der deutschen Königskrönung seit dem späten Mittelalter, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 5 (1957) S. 91 – 111; Erkens, Königskrönung (wie Anm. 37), S. 51 f., und die breit angelegte, in manchen Bereichen weiterführende Untersuchung von Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), Kap. 4. 42 Vgl. Jackson, Ordines Coronationis II (wie Anm. 39), S. 454 (Ordo XXIII) und dazu bes. S. 454; ders., Vive le Roi! A History of the French Coronation from Charles V to Charles X, Chapel Hill and London 1984, S. 30 (wo es für möglich gehalten wird, daß dieser Ordo bereits bei Karls V. eigener Krönung zur Anwendung gelangte); ORMeara, Monarchy and Consent (wie Anm. 36), S. 107 – 151, sowie Martin Kintzinger, Sakrale Repräsentation bei der Thronsukzession der Könige von Frankreich im Spätmittelalter, in: Pelizaeus (Hg.), Wahl und Krönung (wie Anm. 38), S. 23 – 39, bes. 34. 43 Vgl. Jackson, Ordines Coronationis II (wie Anm. 39), S. 455 f. 44 Vgl. Jackson, Vive le Roi! (wie Anm. 42), S. 26 ff., und ders., Ordines Coronationis II (wie Anm. 39), S. 454 f. 45 Eine lückenlose Aufzählung der Belege ist hier nicht nötig, vgl. aber z. B. das Gebet, das während der Herrscherweihe beim Aufsetzen der Krone gesprochen wurde: Mainzer Ordo von etwa 960 = Der Kölner Ordo (wie Anm. 37) S. 60; Ordo XXIII, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 499 f. (Ordo of Charles V) = Ordo XXV, ebd., S. 604 Nr. 124 (Ordo of Charles VIII), oder vergleichbare Äußerungen im Liber Regalis, ed. English Coronation Records (wie Anm. 38), S. 82, 92 und 99. 46 Vgl. die vorhergehende Anm. sowie Anm. 78 und 81 – 83.

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gestaltet worden sind47, bildeten auch noch im späteren Mittelalter einen bedeutenden Teil der Königsidee; und dies keinesfalls nur für den überschaubaren Kreis von Teilnehmern an den Krönungsfeierlichkeiten, künden von ihnen doch auch andere Quellen: In theoretischen Schriften wird, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und Ausgestaltung, auf sie Bezug genommen; und es sind herausragende Gestalten der europäischen Geistesgeschichte, die dies tun48 : Thomas von Aquin, Engelbert von Admont, Dante Alighieri, Marsilius von Padua, Wilhelm von Ockham, Konrad von Megenberg, John Wyclif, Nicolaus Cusanus und Aeneas Silvius Piccolomini (der spätere Papst Pius II.), aber auch noch weitere Gelehrte können angeführt werden wie etwa der Pariser Dominikaner Jean Quidort49, der aragonesische Infant Pedro50, der kastilische Königsenkel Juan Manuel 51, der Basler Professor beider Rechte Peter von Andlau52, der militärisch erfahrene Diplomat Diego de Valera53 oder die anonymen Verfasser des Somnium viridarii54 (Le Songe du

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Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), Kap. II, III und V. Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 39 – 41 (zur Vorstellung des Herrschers als irdischer Sachwalter Gottes) und 42 – 45 (zur herrscherlichen Gotterwähltheit), und ders., Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 22 – 27, 33 f. (wo auch die Belege verzeichnet sind), sowie allg. Andreas Kosuch, Abbild und Stellvertreter Gottes. Der König in herrschaftstheoretischen Schriften des späten Mittelalters (= Passauer Hist. Forschungen 17), Köln 2011. 49 Vgl. etwa zur Einsetzung des Königs durch Gott: Johannes Quidort von Paris. Über königliche und päpstliche Gewalt (De regia potestate et papali). Textkritische Edition mit deutscher Übersetzung von Fritz Bleienstein (= Frankfurter Studien zur Wissenschaft von der Politik IV), Stuttgart 1969, S. 106 (c. 10) und 158 (c. 17), und dazu Kosuch, Abbild (wie Anm. 48), S. 185 50 Vgl. Ferràn Valls Taberner, El tractat „De regimine principum“ de l’infant Pere d’Aragó, in: Estudis Franciscans 37 (1926) S. 271 – 287 und 432 – 450; 38 (1926) S. 107 – 119 und 199 – 209, bes. 37, S. 446. 51 Libro Enfenido, ed. José Manuel Blecua, Don Juan Manuel. Obras Completas, Madrid 1982, S. 141 – 189, hier 159 ([c. IV]: Et pues los reys tienen lugar de Dios en la tierra). Zu Don Juan Manuel vgl. Béatrice Leroy, Le „Livre des États“ de Don Juan Manuel de Castille. Un essai de philosophie politique vers 1330, Turnhout 2005, S. 9 ff., und Jean-Pierre Barraqué / Béatrice Lerroy, La Majesté en Navarre et dans les couronnes de Castille et d’Aragon à la fin du Moyen Âge, Limoges 2011, S. 17 f. 52 Libellus de Cesarea Monarchia, lateinisch und deutsch hg. von Rainer A. Müller (= Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 8), Frankfurt / M. 1998, S. 222/224 (II 8) und 228 (II 9); vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 48), S. 286 f., der zu Recht betont, daß Peter von Andlau im Kaiser zwar einen vicarius Christi sieht, diesen aber nicht als unmittelbar zu Gott betrachtet, sondern als dem Papst untergeordnet, daß hier mithin eine besondere, kuriale Ansichten stark berücksichtigende Form der Gottesstellvertreterschaft angenommen wird. 53 Doctrinal de príncipes, ed. Mario Penna, Prosistas castellanos del siglo XV, Bd. 1 (Biblioteca de Autores Españoles 116), Madrid 1959, S. 173 – 196, bes. 175 (c. 2: lugar en la tierra posee), 187 (c. 3: los reyes que tenéis su lugar en la tierra); vgl. Barraqué / Leroy, Des écrits pour les rois (wie Anm. 17), S. 145 bzw. 147 – 180, und hier bes. 151 (c. 2), 168 (c. 3). 54 Somnium viridarii, hg. von F. Chatillon und Marion Schnerb-Lièvre (= Revue du Moyen Age Latin 22), Strasbourg 1966. 48

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Verger55), also vielleicht Evrart de Trémaugon, oder des Oberrheinischen Revolutionärs56. Den Juristen der Zeit war diese Vorstellung ebenfalls nicht fremd – weder Bartolus de Sassoferrato57, Baldus de Ubaldis58 oder Antonio Roselli59 in Italien noch Henry Bracton60 in England und schon gar nicht, wenn auch angesichts der Erblichkeit des Königtums in besonderer Ausgestaltung, den Legisten der französischen Monarchie61. Im 15. Jahrhundert schließlich ist der Kaiser nicht allein von Legisten als Sachwalter Gottes in temporalibus begriffen worden, sondern dies konnte auch durch Kanonisten geschehen62, doch war dies nichts prinzipiell Neues, denn auch der Hostiensis Heinrich von Susa hat diese Ansicht in der Mitte des 13. Jahrhunderts vertreten63.

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Le Songe du Vergier, hg. von Marion Schnerb-Lièvre, 2 Bde., Paris 1982, etwa I, S. 51 (chap. XXXVI 16; zu Èvrart de Trémaugon als wahrscheinlichem Verfasser vgl. ebd. S. LXXXV–LXXXVIII und Marion Schnerb-Lièvre, Èvrart de Trémaugon et le Songe de Vergier, in: Romania 101 [1980] S. 527 – 530). 56 Der Oberrheinische Revolutionär. Das Buchli der hundert Capiteln mit XXXX Statuten, hg. von Klaus H. Lauterbach, MGH Staatsschriften 7, Hannover 2009, S. 385 (Kap. 67: Ein keisser im sim palast, wie got in sim tron.), 386 (ebd.: Der keisser in sim stu˚ l glich wie got:), 522 (24. Statut: … waß ein keisser sig, womit er von got begobt ist, … und in glich macht got in sim obristen tron. Ein kunig in tutsch ist ein grosser nam, … Den sol man billich fur ein irrischen got erkennen.) und 523 (ebd.: Darumb, wan ein keisser sin schwert noch dem bu˚ chstaben brucht, so ist er ein irrischer gott.). 57 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 48), S. 222 f. 58 Vgl. ebd. S. 224 sowie Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 39. 59 Monarchia sive Tractatus De potestate pape et imperatoris, ed. Melchior Goldast, Monarchia S. Romani Imperii, Bd. I, Hannover 1611 [ND Graz 1960], S. 252 – 556, hier: 267 (c. 28), 272 (c. 27), 273 (c. 38), 275 [irrtümlich 273 (c. 41)] 277 (c. 47). Zu Roselli vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 48), S. 265 – 272 (wo in den Anm. 984, 990, 993 und 995 die Ansichten des gebildeten Juristen dokumentiert sind). 60 Bracton De legibus et consuetudinibus Angliae, ed. by George E. Woodbine, translated, with revisions and notes, by Samuel E. Thorne, Bracton on the laws and customs of England, 4 Bde. Cambridge (Mass.) 1968 – 1977, hier Bd. 2, 1968, S. 33; vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 39 mit Anm. 170. 61 Vgl. zu diesen Anm. 200 sowie bei Anm. 221. 62 Vgl. Friedrich Andrae, Das Kaisertum in der juristischen Staatslehre des 15. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte der „Kaiseridee“ im späten Mittelalter, Diss. (masch.) Göttingen 1951, S. 35 und 65 sowie (in Teil II „Apparat“) S. 34 Anm. 12 und 65 Anm. 47 (wo die Belege verzeichnet sind). 63 Henrici de Segusio Cardinalis Hostiensis In Quartum Decretalium librum Commentaria, Venedig 1581 [ND Turin 1965, Bd. II], pag. 361 (Cap. VII von ,Qui filii sint legitimi‘: … dico, quod etiam Imperator potestatem suam a Deo habet, … Deus misit ipsum legem animatam in terris … Papa non habet vtramque iurisdictionem, vnde non habet se intromittere de he¸reditatibus, vel aliis temporalibus … … Hugo dixit, quod Papa habet potestatem a deo quo ad spiritualia solus Imperator habet potestatem a deo solus quo ad temporalia, nec subest in eius pape¸, gladium tamen accipit ab altari … Et secundum hanc opinionem iurisdictiones diuise¸ sunt & distinctae. Et sunt duo vicarii Dei in terris, vnus in spiritualibus, alius in temporalibus, …). Auf diese Stelle dürfte sich Peter von Andlau, Libellus de Cesarea Monarchia II 8 (wie Anm. 52), S. 222, beziehen, wenn er rund 200 Jahre später des Kaisers Gottesvikariat in

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Angesichts dieses Befundes überrascht es kaum, wenn der Kaiser, der bereits früher – etwa in juristischer Literatur – als deus in terris charakterisiert werden konnte64, im beginnenden 15. Jahrhundert von dem juristisch gebildeten und historisch interessierten Dietrich von Nie(hei)m in antikisierender Manier und unter Rückgriff auf den spätantiken Militärtheoretiker Flavius Vergetius Renatus als tanquam presen[s] et temporali[s] de[us] bezeichnet wurde65 und wenn in einem englischen Traktat wohl etwas früher verkündet wird66: kynge is vicar of God, and preste vicar of Criste, womit sich der unbekannte Verfasser aus dem geistigen Umfeld John Wyclifs einreiht in eine lange, auf der britischen Insel offenbar besonders virulente Tradition der unterscheidenden Zuweisung des königlichen und priesterlichen Vikariats an die verschiedenen göttlichen Hypostasen, in eine Tradition der Distinktion zu Gunsten des Herrschers, die in gewisser Weise über Wyclif

temporalibus mit Bezug auf den Hostiensis erwähnt, dabei aber – wohl irrtümlich – auf Kap. 2 von ,Qui filii sint legitimi‘ verweist. 64 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 31 ff., und ders., Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 40 f. 65 Cronica, hg. von Katharina Colberg und Joachim Leuschner, Historisch-politische Schriften des Dietrich von Nieheim (= MGH Staatsschriften V 2), Stuttgart 1980, S. 143 – 292, hier 148; vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 33 mit Anm. 137 und 138, und Achim Funder, Reichsidee und Kaiserrecht. Dietrich von Nieheim als Beispiel spätmittelalterlicher Rechtsauffassung (= Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Supplementheft 48), Freiburg 1993, S. 178, sowie zu Vegetius Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), S. 177 – 180. 66 Tractatus de regibus, ed. Jean-Philippe Genet, Four English Political Tracts of the Later Middle Ages, London 1977, S. 5 – 19, hier 8 (c. 3); zum Verfasser vgl. ebd. S. 2 f. Dieser verweist (ebenso wie der in der folgenden Anm. genannte Traktat Wyclifs) auf Augustinus (ebd. S. 8: For as Austeyn techis) als Quelle für seine Unterscheidung, und der Editor führt dazu die ,Questiones ex novo testamento‘ (Migne, PL 35, Paris 1841, S. [2213 – 2298, bes.] 2284 [Quaestiones veteris et novi testamenti, hier: Questio 91]) an. Das ist freilich nicht ganz korrekt, denn einmal handelt es sich bei diesem Text um einen Pseudo-Augustinus, der heute dem sog. Ambrosiaster zugeschrieben wird (Quaestiones veteris et novi testamenti, rec. Alexander Souter, CSEL 50, Wien 1908, S. 157 [c. 8]; vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter [wie Anm. 2], S. 77 f.), und zum anderen belegt er (auch wenn der Autor des Traktats das anders verstanden haben mag) im Grunde nur, daß der Herrscher in der Spätantike (wie auch noch im frühen Mittelalter) als vicarius dei und nicht als vicarius christi bezeichnet worden ist, nicht jedoch, daß die Bischöfe hinter dem Herrscher als Gottesvikar in nachgeordneter Weise als Christi Stellvertreter verstanden wurden. – In einem Gedicht aus dem frühen 15. Jahrhundert wird, um einen weiteren englischen Beleg für die Korrelation zwischen Gott und König anzuführen, darauf hingewiesen, daß des Königs richterliche Gewalt über Leben und Tod goddis power sei: Twenty-Six Political and other Poems, ed. J. Kail, Early English Text Society, Original Series 124, London 1904, S. 54 (XII. Gode saue the kyng, and kepe the croun – Strophe 14: Eche a kyng hath goddis power, / Of lyf and leme to saue and spille), dazu vgl. G. L. Harris, Introduction: the Exemplar of Kingship, in: ders. (Hg.), Henry V. The Practice of Kingship, Oxford 1985, S. 1 – 29, bes. 10, und S. B. Chrimes, English Constitutional Ideas in the Fifteenth Century, Cambridge 1936, S. 20 f.

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und den Normannischen Anonymus67 bis zu dem Priester Cathwulf68 im 7. Jahrhundert zurückreicht. Eine ähnlich langlebige, in den Quellen freilich nur schlecht dokumentierte Vorstellungswelt ist mit Blick auf allgemeine, von breiteren Bevölkerungsschichten geteilten Ansichten über ein besonderes Vermögen der Könige anzunehmen, über eine (aus heutiger Sicht: vermeintliche) Fähigkeit, die häufig und vielleicht allzu vordergründig als magisch verstanden wird, deren Akzeptanz aber wohl eher auf eine christliche, auch unter Gebildeten verbreitete69 Wundergläubigkeit zurückzuführen ist. Bereits in der karolingischen Epoche ist die irische Königslehre des Pseudo-Cyprian, die Wohlstand und Wohlergehen eines Volkes mit der christlichmoralischen Integrität des Königs verknüpfte, auf dem Kontinent rezipiert worden70. Spuren vergleichbarer Vorstellungen, die es schon in der Antike gab71, finden sich im Reich noch im 14. und 15. Jahrhundert: in der sog. Herrenlehre72 etwa, die sich in manchen Schwabenspiegelhandschriften findet und das Wohlergehen des Gemeinwesens vom sündenfreien Leben des Herrschers abhängig wähnt; außerdem ist gelegentlich belegt, daß man dem Erscheinen des (künftigen) Kaisers, etwa dem Karls IV. 1355 in Pisa73 und dem Friedrichs III. 1442 im Reich nördlich der Alpen74, 67

Vgl. Wyclifs Tractatus de officio regis, ed. by Alfred W. Pollard and Charles Sayle (= Wyclif. The Latin Works [11]), London 1887, S. 13 (c. 1), dazu Stephen E. Lahey, Philosophy and Politics in the Thought of John Wyclif, Cambridge 2003, S. 171 – 199, bes. 175, und zum Normannischen Anonymus unten Anm. 114. – Der Normannische Anonymus unterscheidet allerdings mit Blick auf König und Bischof nicht zwischen deus und christus, sondern zwischen der göttlichen und der menschlichen Natur Christi. 68 Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), S. 135. 69 Als Teil einer vermeintlichen Volksfrömmigkeit, verstanden im Sinne einer spezifischen Frömmigkeit der niederen und ungebildeten Schichten, ist der Glaube an die wundertätigen Fähigkeiten von Königen wohl nicht oder nur unzureichend zu verstehen; vgl. zur Problematik der Volksfrömmigkeit etwa Christoph Dartmann, Wunder als Argumente. Die Wunderberichte in der Historia Mediolanensis des sogenannten Landulf Senior und in der Vita Arialdi des Andrea von Strumi (= Gesellschaft, Kultur und Schrift – Mediävistische Beiträge 10), Frankfurt/M. 2000, S. 18 – 35. 70 Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), S. 90 – 95, 135 und 141 f. 71 Vgl. etwa ebd. S. 58 und 82. 72 Vgl. ebd. S. 222 und den Schwabenspiegel in der Langform H, hg. von Karl August Eckhardt und Irmgard Eckhardt geb. Rauch, Bibliotheca Rerum Historicarum. Studia 7 (Ius Suevicum), Aalen 1979, S. 135 f. und bes. 137: vnd also verdienen die hern noch hewt mit iren sunden das in iren landen vrlewg wirt oder vich sterbent oder hunger iar oder ander vngeluck. 73 Vgl. die anonyme Cronaca di Pisa, hg. von Ludovico Antonio Muratori, Rerum Italicarum Scriptores 15, Mailand 1729, S. 973 – 1086, hier 1027 f., und die Cronaca Senense von Donato di Neri e suo figlio Neri, hg. von Alessandro Lisini und Fabio Jacometti (Muratori2, Rerum Italicarum Scriptores 15/6), Bologna 1936, S. 567 – 685, hier 576, und dazu Martin Bauch, Öffentliche Frömmigkeit und Demut des Herrschers als Form politischer Kommunikation. Karl IV. und seine Italienaufenhalte als Beispiel, in: QFiAB 87 (2007) S. 109 – 138, bes. 116, sowie ders., Divina favente clementia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsverrmittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 36) Köln/Weimar/Wien 2015, Kap. 5.3.

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einen Einfluß auf das Wetter beimaß. Früh schon wurden Herrschern auch wundertätige oder heilende Kräfte zugeschrieben75, ohne daß gerade bei den Berichten aus dem früheren Mittelalter immer ganz klar würde, ob dieser Glaube auf individuelle Eigenschaften der Herrscher oder prinzipiell auf die königliche Würde zurückzuführen ist. Im späteren Mittelalter jedoch gelangte, wie bereits erwähnt, der Glaube an die thaumaturgischen Fähigkeiten christlicher Herrscher in England und besonders in Frankreich zur vollen Entfaltung, während er im Reich keine Rolle spielte und in anderen Monarchien der Versuch offenbar erfolglos blieb, den Glauben an herrscherliche Heilkräfte dauerhaft zu etablieren76. Bleibt in diesem Bereich des Wunders und des Übernatürlichen – außer beim Thaumaturgentum des englischen und des französischen Königs – vieles nur schemenhaft, so ändert sich dies etwas beim Blick auf die religiöse Verantwortung, die die Herrscher besaßen – eine Verantwortung, die sich nicht bloß auf die persönliche Lebensführung im Sinne der christlichen Morallehre beschränkte, auf frommes Wirken und ein für die Untertanen vorbildliches und moralische Orientierung gebendes Leben (das, wenn es diese Aufgabe verfehlte, nach gelegentlich geäußerter, aber offenbar doch verbreiteter Meinung77 die Gemeinschaft in ihrer Existenz gefährden konnte), sondern die auch eine Heilssorge, eine in einem weiteren Sinne verstandene Sorge für das Seelenheil des dem Herrscher anvertrauten Volkes umfaßte78. Eine solche Verantwortung kann als sazerdotal, als priestergleich, bezeichnet werden, rückt den Herrscher zweifellos auch in die Nähe des Sacerdotiums, macht ihn aber, und dies gilt es zu beachten, keinesfalls zu einem Priester79, ja, noch nicht einmal zu einem Geistlichen. Diese seit der Spätantike und dem früheren Mittelalter und vor allem bei Karl dem Großen feststellbare Herrscherverantwortung verblaßte im späteren Mittelalter trotz mittlerweile deutlicherer Scheidung von geistlicher und weltlicher Sphäre nicht. Natürlich blieb die Sicherung des Seelenheils eines jeden Menschen eine zentrale priesterliche Aufgabe; aber an dieser Seelsorge hatten die Herrscher in einem weiteren Sinne mitzuwirken, indem sie die Rahmenbedingungen dafür schufen, daß die Menschen ohne Gefährdung ihres Seelenheils leben konnten. Auf diese Pflicht hat der als philosophisch-theologischer Denker einflußreiche Thomas von Aquin, für den der Vorrang des Papsttums unbezweifelt feststand und der im Priester natürlich den entscheidenden Seelsorger sah, in seinem unvollendet ge74 Vgl. die Klingenberger Chronik, hg. von Anton Henne von Sargans, Gotha 1861, S. 223 (III 74), und dazu Erkens, Heiße Sommer (wie Anm. 31), S. 29. 75 Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter(wie Anm. 2), S. 16 – 22 und 220 f. . 76 Vgl. Bloch, Die wundertätige Könige (wie Anm. 5), S. 181 – 185 und 178 ff. 77 Vgl. Anm. 70 und 72. 78 Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), S. 137 – 141; ders., Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2), S. 24 f.; ders., Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 32 mit Anm. 15 und dem Exkurs auf S. 59 – 61. 79 Vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 36 f.; ders., Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), S. 139.

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bliebenen und von Tholomäus von Lucca fertiggestellten Traktat ,De regimine principum‘ ausdrücklich hingewiesen80, indem er die zentrale Aufgabe des Königs betont, die Menschen zu einem tugendhaften Leben zu bringen, da dieses als Endziel jeglicher Gemeinschaft von Menschen die Voraussetzung für das jenseitige Ziel, die Anschauung Gottes in himmlischer Glückseligkeit, sei, die allerdings nicht allein aus menschlicher und königlicher Kraft erreicht werden könne, sondern einer göttlichen Anteilnahme und dadurch eines dem König übergeordneten Tätigwerdens der Priester bedürfe. Mit dieser Feststellung wird zwar der priesterliche Vorrang, ja, die kirchliche Überordnung in Fragen der Seelsorge hervorgehoben, aber dem König verblieb trotzdem eine wichtige Funktion bei der Sorge um die Seele der Menschen, denn ad regis officium pertinet81, zur Pflicht des Königs gehöre es: für die menschliche Existenz mit Blick auf die Erreichbarkeit der himmlischen Seligkeit zu sorgen (procurare). Dieses königliche Wirken für die beatitudo coelestis der Menschen darf wohl als äußere und weitläufige Beteiligung des Herrschers an der Seelsorge verstanden werden, als ein Auftrag, den Peter von Andlau rund zweihundert Jahre nach dem Aquinaten und mit spürbarem Rekurs auf dessen Ansichten als Hauptaufgabe des Kaisers, des Mitarbeiters und Werkzeuges Gottes, betrachtete82. Solche Vorstellungen waren mithin präsent; und es überrascht nicht, sie am meisten ausgeprägt in Frankreich zu finden, wo Jean Quidort um 1300 verkündete, daß die von Gott stammende Gewalt des Königs, des minister dei, auch eine potestas spiritualis sei und der cura animarum diene, insofern sie den Menschen tugendhaft machen soll, und wo Raoul de Presles aus dem Umfeld Karls V. zwei Generationen später ebenfalls auf die königliche Verantwortung für das Seelenheil der Untertanen hinwies83. Von daher erklärt es sich auch, warum die priesterliche Attitüde des französischen Monarchen so ausgeprägt erscheint und dessen spirituelle Dimension immer wieder betont wurde. Der rex christianissimus, der aller80 Divi Thomae Aquinatis De regimine principum ad regem Cypri, hg. von Joseph Mathis, Turin 21971, S. 17 f. (I 14). Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 59 f. (sowie die dort verzeichnete Literatur). 81 De reg. Princ. I 15 (wie Anm. 80) S. 18 f.: Quia igitur vitae, qua in praesenti bene vivimus, finis est beatitudo coelestis, ad regis officium pertinet ea ratione vitam multitudinis bonam procurare, secundum quod congruit ad coelestem beatitudinem consequendam, ut scilicet ea praecipiat, quae ad coelestem beatitudinem ducunt, et eorum contraria, secundum quod fuerit possibile, interdicat. 82 Libellus de Caesarea Monarchia I 2 (wie Anm. 52) S. 30: Finis vero quem princeps principaliter in se et subditis intendere debet, eterna est beatitudo, que perfectissimum bonum est. Sunt namque atque dicuntur mundi rectores Dei cooperatores, et ut instrumenta principalis agentis. 83 De regia potestate c. 10, 17 und 2 (wie Anm. 49) S. 112 f., 157 (… intentio legislatoris est homines facere bonos et inducere ad virtutem, …, sic legislator melior est medico, quia legislator habet curam animarum, medicus corporum) und 78. Zu Raoul de Presles vgl. Shulamith Shahar, Traduction et Commentaire de la „Cité de Dieu“ par un penseur politique sous Charles V, in: L’information historique 39 (1977) S. 46 – 51, bes. 48, und E. Lalou, in: LexMA 7 (1995) S. 190 f. (s. v. 2. P., Raoul de).

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christlichste König, wie der französische Herrscher seit dem Hochmittelalter gelegentlich, seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhundert jedoch programmatisch und immer regelmäßiger sowie schließlich exklusiv genannt wurde84, der roi très chrétien war kein reiner Laie, wie etwa 1493 eine Ständeversammlung mit den Worten Le roy n’est pas pur lay erklärte85, sondern er galt gegen Ende des 14. Jahrhunderts als roy espirituel et sacerdotal86 und im 15. Jahrhundert, nicht unbeeinflußt vom Gallikanismus, als prelat ecclesiastique und premiere Personne ecclesiastique87, wobei der quasipriesterliche Charakter des französischen Königs88 durch dessen Krönungsgewand betont wurde, da dieses seit dem 14. Jahrhundert als geistlich begriffen werden konnte89. In England war diese Vorstellung vielleicht nicht so stark ausgeprägt, vorhanden jedoch war sie offenkundig auch hier. Auch hier ließ das Krönungsgewand den König, der als gesalbter Herrscher Eingriffsrechte in die geistliche Jurisdiktion 84 Vgl. Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 250; Louis Rougier, Le caractère sacré de la royauté en France, in: La regalità sacra. Contributi al tema del’VII Congresso internazionale di Storia delle religioni (Roma, Aprile 1955), Leiden 1959, S. 609 – 614, bes. 616; Jacques Krynen, Le roi très chretien et le retablissement de la Pragmatique Sanction pour une explication idéologique du gallicanisme parlamentaire et de la politique religieuse de Louis XI, in: Églises et pouvoir politique, Angers 1987, S. 135 – 149, bes. 139. 85 Vgl. P(ierre) Imbart de la Tour, Les Origines de la Réforme. La France moderne, Paris 1905, S. 13 Anm. 3, und Jean Juvenal des Ursins (wie Anm. 87) dazu Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 265, sowie ders., Der König von Frankreich (wie Anm. 36) I, S. 254. 86 Sermon Nr. 342 (Adorabunt eum [Pour l’Epiphanie, prononcé le 6 janvier 1391 en présence du roi], éd. par Mgr. [Palémon] Glorieux, Jean Gerson. Œuvres complètes VII 2, L’œuvre française, Paris 1968, S. 519 – 538, hier 530: Roy tres chretien, roy par miracle consacre, roy espirituel et sacerdotel …. 87 Vgl. P(eter) S(hervey) Lewis, Jean Juvenal des Ursins and the Common Literary Attitude towards Tyranny in Fifteenth-Century France, in: Medium Aevum 34 (1965) S. 103 – 121, bes. 104 f., wo auf S. 104 aus Jean Juvenals Manuskript ,Verba mea auribus percipe, Domine‘ von 1452 (Bibl. Nat., Ms. Franc. 2701, fol. 89) zitiert wird: Et est ung roy comme ung vaillant prelat. Car au resgart de vous, mon souverain seigneur, vous nestes pas simplement personne laye mais prelat ecclesiastique, le premier en vostre royaume qui soit aprez le pape, le bras dextre de lesglise, sowie die Denkschrift des Jean Juvenal des Ursins für Karl VII. von 1452, ed. Noël Valois, Histoire de la Pragmatique Sanction de Bourges sous Charles VII, Paris 1906, S. 206 – 250 [Nr. 84], hier 216, wo der König comme chef et la premiere Personne ecclesiastique als berechtigt bezeichnet wird, Kirchenversammlungen einberufen zu lassen, und dazu Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 265; ders., Der König von Frankreich (wie Anm. 36) I, S. 254. 88 Vgl. zu diesem allg. Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 211 – 241; Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG 25, S. 324 – 332, und 26, S. 264 ff.; ders., Der König von Frankreich (wie Anm. 36) I, S. 155 – 162; Rougier, La caractère sacré (wie Anm. 84), S. 616; P(eter) S(hervey) Lewis, Later Medieval France, London 1968, S. 81 f.; Jacques Krynen, L’Empire du Roi. Idées et croyances politiques en France. XIIIe-XVe siècle, Paris 1993, S. 358 – 363, 376 – 383. 89 Vgl. Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 25, S. 327 – 331; ders., Der König von Frankreich (wie Anm. 36) I, S. 160 ff.

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beanspruchte90 und von manchen als persona mixta begriffen wurde91, spätestens seit dem 14. Jahrhundert nicht mehr als Laie erscheinen92. Ein Bericht über die Krönung Heinrichs VI. am 6. November 1429 zeigt dies ganz deutlich, wenn es heißt93 : „They arrayed him like a bishop that should sing Mass, with a dalmatic like a tunic, and a stole about his neck but not crossed, and sandalled, and also with hosen and shoes and cope and gloves like a bishop“. Im Reich war es kaum anders: Hier ist der Herrscherornat ebenfalls der Priesterkleidung angeglichen worden94, und zumindest Friedrich III. legte Wert auf die solchermaßen bewirkte Ähnlichkeit mit dem Sacerdotium, wie sein Unmut belegt, als man ihm 1468 in Rom den Mantel während der Weihnachtsmesse falsch, nämlich nach Art der Diakone und nicht der Priester umlegte und er dies eigenhändig und keinesfalls kommentarlos korrigierte95. Freilich wurde dadurch kein kirchlicher oder sazerdotaler Rang angestrebt oder 90

1359 erklärte der Richter Skipwith (zit. nach Schramm, Geschichte des englischen Königtums [wie Anm. 33], S. 268 Anm. 4 [zu S. 135]): Reges s. oleo uncti sunt spiritualis iurisdictionis capaces; vgl. dazu und zum folgenden Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 40 f. mit Anm. 176 und 177. Zum allg. Hintergrund, der zunehmenden Dominanz des englischen Königs über die Kirche seines Reichs, vgl. Karl-Friedrich Krieger, Das Haus Lancaster (1377 – 1461), in: Hanna Vollrath / Natalie Fryde (Hgg.), Die englischen Könige im Mittelalter. Von Wilhelm dem Eroberer bis Richard III., München 22009, S. 150 – 185, bes. 182 ff. 91 Darüber berichtet im 15. Jahrhundert der bedeutende, 1446 verstorbene Kanonist William Lyndwood (Lyndewode) in seinem Provinciale (lib. III tit. 2, Oxford 1679, zit. in: Monumenta Ritualia Ecclesiae Anglicanae, by William Maskell, Vol. III, London 1847, S. XV mit Anm. 23): rex unctus non sit mere persona laica, sed mixta secundum quosdam; vgl. dazu John Wickham Legg, The Sacring of the English King, in: The Archaeological Journal 51 (1894) S. 28 – 42, bes. 28 mit Anm. 1; Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 138, und Francis C. Eeles, The Coronation Service. Its Meaning and History, London 1952, S. 16, und vor allem unten Anm. 255. 92 Vgl. Legg, The Sacring (wie Anm. 91), S. 29 und (zum Krönungsgewand) 34 – 40, sowie Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 133 ff.; Eeles, The Coronation Service (wie Anm. 91), S. 10 (wo die Königskrönung vorgestellt wird als „the consecration of the sovereign to a definitely ecclesiastical position“); English Coronations (wie Anm. 38), S. 18 (wo von einem „quasi-clerical status“ die Rede ist). 93 Brit. Mus. Ms. Nero, c. ix, ff. 172 b und 173, zit. nach Eeles, The Coronation Service (wie Anm. 91), S. 14. Vgl. auch Froissarts Bericht über die Krönung Heinrichs IV: The Chronicle of Froissart, translated out of French by Sir John Bourchier, Lord Berners, annis 1523 – 25, with an Introduction by William Paton Ker, Vol. VI, London 1903, S. 381 (IV 241 – nach Ablegung des Obergewands und Vollzug der Salbung heißt es: Than the kinge was aparelled lyke a prelate of the churche, with a cope of reed sylke, and a payre of spurres, with a poynte without a rowell.) = Jean Froissart. Chroniques, Livre III (du Voyage en Béarn à la champagne de Gascogne) et Livre IV (années 1389 – 1400), présenté, établi et commenté de Peter Ainsworth et Alberto Varvaro, Paris 2004, S. 833 (IV 78: Et là fu vestus le roy des draps de l’eglise comme ung diacre, et puis lui chaussa on ungz sollers de vermeil velours à guise de prelat, et puis ungz espourons à pointe sans meulette.). 94 Vgl. Erkens, Sol iusticie (wie Anm. 16), S. 808 – 813, und ders., Heißer Sommer (wie Anm. 31), S. 33 ff., sowie Keupp, Die Wahl des Gewandes (wie Anm. 29), S. 254 – 259. 95 Vgl. Erkens, Heißer Sommer (wie Anm. 31), S. 35 f. mit Anm. 37 – 47, und die Teileditionen der dort angeführten Quellen bei Heimpel, Königlicher Weihnachtsdienst im spä-

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gar eingenommen96, aber doch die eigene Würde betont im Gesamtgefüge der christlichen Gemeinschaft, eine besondere, ja, hinsichtlich des eigenen Herrschaftsraumes sogar exklusive Stellung, ein, wie es Wyclif formuliert, eigener ordo in ecclesia97, die – nach dem Basler Professor Peter von Andlau98 – Dignität einer sacra maiestas, der, auch wenn der Andlauer meint, sie sei kein sacer ordo, von dem gelehrten Nikolaus von Kues attestiert worden ist, sowohl sacer als auch spirituell und natürlich von Gott zu sein, verkündete der Cusanus doch99 : sacra est omnis maiestas et spiritualis et a deo. Dieser Majestät wurde zudem spätestens seit dem 14. Jahrhundert während der Krönung von den Bischöfen in Erinnerung gerufen, princeps des bischöflichen Amtes (ministerium) zu sein100. Jene Ansicht, auf die schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in kanonistischen Werken, etwa in der ,Summa Coloniensis‘101, hingewiesen und die seither seitens des Papsttums nicht zuletzt durch die spirituelle Abwertung der Königssalbung102 bekämpft worden ist, daß nämlich der Kaiser wegen seiner Salbung nicht unter die Laien zu zählen sei103, diese Meinung – nun deutlich auch auf die Könige bezogen – wurde offenbar auch noch im späten Mittelalter von manchen geteilt. Aus dieser Feststellung erwächst die Frage nach der Bedeutung der Herrscherweihe im späteren Mittelalter, die Frage nach der Vorstellung der Zeitgenossen von teren Mittelalter (wie Anm. 30), S. 193: Admonuerat inter vestiendum ceremoniarum magister, ut transversam stolam et pluviale ad sinistram apertum acciperet. Sed ille [Friedrich III.] me audiente, qui proximus eram [so der Kardinalpresbyter Jakob Amanti], ,Non faciam‘ inquit et utrumque a collo ad pectus rectum induens conversusque ad magistrum: ,Sic‘, inquit, ,semper sum solitus‘, und 191 f.: … asserens caesarem pluviale et stolam ad morem sacerdotum gestare oportere … (so der päpstliche Zeremoniar Augustinus Patritius). 96 Vgl. Erkens, Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2), S. 23 – 27 mit Anm. 17. 97 Tractatus de officio regis (wie Anm. 67) S. 11 (c. 1). 98 Libellus de Cesarea Monarchia II 6 (wie Anm. 52) S. 206 (Attamen per hujusmodi consecracionem aut inunccionem non dicitur habere sacrum ordinem, sed sacram majestatem.) sowie Peters Vorlesungsmanuskript, zit. nach Peter Hürbin, Peter aus Andlau, der Verfasser des ersten deutschen Reichsstaatsrechts. Ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus am Oberrhein im XV. Jahrhundert, Straßburg 1897, S. 91 (Imperator per unccionem et consecrationem non dicitur recipere sacrum ordinem, licet pape vel episcopo possit ministrare in missa in apparatu subdyaconali, sed dicitur recipere sacram maiestatem.); vgl. dazu Erkens, Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2), S. 26 mit Anm. 26. 99 De concordantia catholica, hg. von Gerhard Kallen, Nicolai de Cusa Opera Omnia 14, Hamburg 1968, S. 326 (III prooemium). 100 Der Kölner Ordo (wie Anm. 37) S. 60. 101 Vgl. Anm. 23. 102 Vgl. dazu unten Anm. 115. 103 Summa Coloniensis (wie Anm. 23) tom. 3, S. 212 (XII 92), auch zit. bei Johann Friedrich von Schulte, Zur Geschichte der Literatur über das Dekret Gratians. Zweiter Beitrag (SBB der Phil.-Hist. Classe der kaiserlichen Akad. zu Wien 64), Wien 1870, S. 93 – 142 (bzw. 1 – 50), hier 112 (bzw. S. 20): imperatorem propter sacram unctionem in numero laicorum non haberi; zu weiteren Belegstellen vgl. Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 89 f. mit Anm. 90 und 92.

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Kraft und Wirkung der Salbung. Ölen und Salben104 war ein im Alten Orient ebenso wie im pharaonischen Ägypten und überhaupt in mediterranen Kulturen gern geübter Brauch, dem vielerlei übertragene Bedeutung beigemessen werden konnte, der in sonnendurchglühten Ländern aber vor allem auch eine für Körper und Haut wohltuende, durch wohlriechende Essenzen verstärkte Wirkung entfaltete. Hierbei vermochte sich natürlich wegen des bemerkbaren, durch die ölige Substanz geförderten, letztlich aber doch unsichtbaren Eindringens von Geruch- und Heilstoffen in die Haut leicht die Vorstellung zu entwickeln, daß durch eine entsprechende Salbung verändernd auf das Wesen des Menschen eingewirkt werden könne. In Taufund Krankensalbung hat das Christentum, selbst mediterran-orientalischen Ursprungs, solche Vorstellungen bewahrt und fortentwickelt. Im heiligen Buch der Christen (1 Sam 101 und 161/13) war zudem das Wissen konserviert um den alttestamentlichen Brauch der Königssalbung, der im übrigen nicht nur in Israel geübt worden ist und an den man in karolingischer Zeit anknüpfen konnte105. Im Ersten Buch Samuel ist zudem nachzulesen, was die Salbung bewirkte: Der Geist Gottes kam durch sie über den König (1613) und machte aus ihm – wie man in Kombination mit einer anderen Stelle schließen konnte – einen anderen Menschen (106 : et insiliet in te spiritus Domini et … mutaberis in alium virum). In dem 877 für die Krönung Ludwigs des Stammlers wohl durch den Reimser Erzbischof Hinkmar zusammengestellten Ordo erinnert daran ein Gebet106, dessen Formulierung spätere Krönungsordnungen zum Teil stark beeinflußte107 und dem „Öl der Gnade des Hl. 104

Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), S. 112 f. (von wo einige der folgenden Sätze wörtlich übernommen worden sind) und 244 (wo unter Kap. IV weitere Literatur verzeichnet ist), sowie auch zum folgenden Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 9 – 12, und Bayard, Sacres (wie Anm. 15), S. 192 f. und 196 ff. 105 Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2), S. 110 – 115, sowie zur alttestamentlichen Salbung Diósi, Die mittelalterliche Kaiser-/ Königssalbung (wie Anm. 33), S. 140 ff. 106 Ed. von Alfred Boretius und Victor Krause, MGH Capit. II, Hannover 1897, S. 461 Nr. 304 = Ordo VIII B (Hincmar’s Ordo), ed. Jackson, Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 121: … et oleo gratiae Spiritus sancti tui perunge, … Cuius sacratissima unctio super caput eius defluat atque ad interiora eius descendat et cordis illius intima penetret et promissionibus, quas adepti sunt victoriosissimi reges, gratia tua dignus efficiatur; quatenus et in praesenti seculo feliciter regnet et ad eorum consortium in coelesti regno perveniat. Vgl. dazu Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 12. 107 Vgl. etwa: Mainzer Ordo von etwa 960 (wie Anm. 37) S. 254 Nr. 16 (Spiritus sancti gratia, humilitatis nostrae officio, in te copiosa descendat, ut, sicut manibus nostris indignis oleo materiali pinguescis exterius oblitus, ita, eius invisibili unguine delibutus impinguari merearis interius, eiusque spirituali unctione perfectissime semper imbutus, et inclita declinare tota mente et spernere discas seu valeas et utilia animae tuae iugiter cogitare, optare atque operari queas.); Der Kölner Ordo (wie Anm. 37) S. 58 (nahezu wörtlich gleich wie vorstehend); Second English Coronation Order, in: English Coronation Records (wie Anm. 38), S. 17 (Nr. III: et oleo gratie spiritus sancti perunge und getrennt davon im folgenden Gebet der Rest fast wörtlich wie in Anm. 106); Ordo of 1250, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 354 (Ordo XXI Nr. 30: ab sacratissima unxio wie in Anm. 106) und 357 (Ordo XXI Nr. 37: Et oleo gracie Spiritus sancti perunge); Last Capetian Ordo, ebd., S. 394 (Ordo XXII A Nr. 25: wie unmittelbar zuvor) und 396 (Ordo XXII A Nr. 29: fast

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Geistes“ (dem oleo gratiae Spiritus sanctii) eine erhebliche Wirkung auf den Gesalbten und den Erfolg von dessen Herrschaft beimißt. In den späteren Ordines aus dem Reich, aus England und Frankreich, aber auch aus Böhmen und Polen, ja, seit dem 12. Jahrhundert sogar in den Ordines für die Kaiserkrönung wird auf dieses Wirken des Hl. Geistes ebenfalls verwiesen – wie bereits angedeutet recht häufig im Rückgriff auf die Formulierung Hinkmars von Reims, grundsätzlich aber durch die Bitte an den Gottessohn, mit dem Öl der Salbung den Hl. Geist, den spiritus paraclitus, über das Haupt des Königs auszugießen und das Herz des Königs durchdringen zu lassen, damit der Herrscher durch die sicht- und greifbare Gabe Unsichtbares, nämlich des Hl. Geistes Gnade (invisible grace, wie es im frühen 17. Jahrhundert im englischen Ordo heißt108), empfange und nach gerechter Herrschaft im Diesseits auf ewig würdig sei, an Christi Seite zu herrschen109. Das Herabkommen des Hl. Geistes, das im spätmittelalterlichen wörtlich wie in Anm. 106 und identisch mit dem zweiten englischen Krönungsordo [wie oben]); Ordo of Charles V, ebd., S. 487 (Ordo XXIII Nr. 39: et oleo gracie Spiritus sancti perunge = Ordo XXIV Nr. 40 [Ordo of Louis XI, S. 541] = Ordo XXV Nr. 100 [Ordo of Charles VIII, S. 597]) und 488 (Ordo XXIII Nr. 42: wie Ordo XXII A Nr. 29 = Ordo XXIV Nr. 43 [Ordo of Louis XI, S. 541 f.] = Ordo XXV Nr. 104 [Ordo of Charles VIII, S. 598]). 108 English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 259 (Nr. XXIII: The Coronation Order of King Charles I.). In den spätmittelalterlichen Übersetzungen des letzten kapetingischen Ordo hingegen wird das Wort invisibilia (vgl. folgende Anm.) wiedergeben mit: les dons invisibles bzw. les choses invisibles: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 438 Nr. 31 b/c (Ordo XXII B-C). 109 Deus Dei filius, Iesus Christus dominus noster, …, ipse per praesentem sacri unguinis infusionem spiritus paracliti super caput tuum [= regem] infundat benedictionem eandemque usque ad interiora cordis tui penetrare faciat, quatinus hoc visibili et tractabili dono invisibilia percipere et temporali regno iustis moderaminibus exsecuto aeternaliter cum eo regnare merearis, …: So im Mainzer Ordo von etwa 960 (wie Anm. 37) S. 255 Nr. 18 = Der Kölner Ordo (wie Anm. 37) S. 59 = Second English Coronation Order, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 17 (Nr. III) = An English Coronation Order of the Twelfth Century, ebd., S. 33 (Nr. 4) = Liber Regalis, ebd., S. 93 (Nr. XIII) = Ordo of 1250, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39), S. 354 Nr. 31 (Ordo XXI) = Last Capetian Ordo, ebd., S. 397 Nr. 31 (Ordo XXII A) = Ordo of Charles V, ebd., S. 490 Nr. 44 (Ordo XXIII) = Ordo coronandi regis Poloniae saeculi XIII., ed. Stanisław Kutrzeba, Ordo coronandi regis Poloniae, in: Collectanea ex Archivo Collegii Historici Tom. XI (= Editionum Collegii Historici Academiae Litterarum Cracoviensis 70), Krakau 1909 – 1913, S. 133 – 216, hier: 148 – 154, bes. 151 = Ordo coronandi regis Poloniae saeculi XIV., ebd., S. 155 – 161, bes. 158 = Ordo coronandi regis Poloniae saeculi XV., ebd., S. 161 – 174, bes. 168 = Ordo coronandi regis Poloniae saeculi XVI., ebd., S. 174 – 193, bes. 180 = Ordo coronandi regis Poloniae saeculi XVIII., ebd., S. 194 – 208, bes. 202 f. = Ordo ad coronandum Regem Boemorum, ed. Josef Cibulka, cˇesky´ rˇád korunovacˇ ní a jeho pu˚ rod, in: Jirˇí Kuthan / Miroslav sˇmied, Korunovacˇ ní ˇrád cˇ esky´ch králu˚ , Praha 2009, S. 273 – 342, hier: 327 – 342 (Edition), bes. 332a. Diese Liste könnte noch verlängert werden (vgl. etwa den „Index of Formulas“, in: Ordines Coronationis Franciae [wie oben] S. 655, wo die Formel „Deus, Dei filius, Iesus Christus dominus noster“ außer für die bereits angeführten Ordines noch für folgende Ordines nachgewiesen wird: XIV [Nr. 3], XV [Nr. 15], XVI [Nr. 22], XIX [Nr. 27], XXIV [Nr. 45] und XXV C [Nr. 106]), doch ist dies nicht nötig, um die beeindruckende Präsenz dieser Formel in West- und Mitteleuropa während des Hoch- und Spätmittelalters zu belegen.

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England bei der Eröffnung der Weihehandlung mit dem alten Hymnus ,Veni creator spiritus‘ eigens erfleht wurde110, veränderte den König und vermittelte ihm durch die Salbung – so die offenkundige, zeitweilig auch von Päpsten geteilte111 Vorstellung – die Gnade Gottes und die Hilfe des Hl. Geistes, welche den Herrscher erst dazu befähigten, seine schwere Aufgabe angemessen zu erfüllen. Nach der Salbung, Zu den Kaiserkrönungsordines vgl. Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin, hg. von Reinhard Elze, MGH Fontes iur. Germ. ant. IX, Hannover 1960, S. 25 Nr. 8 (Ordo X = Cencius I), 42 Nr. 27 (Ordo XIV = Cencius II), 49 Nr. 11 (Ordo XV), 54 Nr. 12 (Ordo XVI), 65 Nr. 17 (Ordo XVII), 76 Nr. 18 (Ordo XVIII), 93 Nr. 18 (Ordo XIX), 110 Nr. 21 (Ordo XX), 126 Nr. 19 (Ordo XXI), 131 Nr. 14 (Ordo XXII), 135 Nr. 18 (Ordo XXIII), 143 Nr. 23 (Ordo XXIII A), 147 Nr. 20 (Ordo XXIV) und 171 Nr. 38 (Ordo XXVII); sowie dazu Eduard Eichmann, Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte des Mittelalters, mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und der Kirchenpolitik I, Würzburg 1942, S. 88. Bemerkenswert ist, daß dieses Gebet, das die Einwirkung des Hl. Geistes auf den Geweihten thematisiert und dem manchmal weitere Gebete mit ähnlichen Verweisen folgen, erst um 1100 in die Zeremonie zur Kaiserkrönung aufgenommen worden ist und sich in dieser bis zur letzten Kaiserkrönung im Jahre 1530 hielt, obwohl im 12. Jahrhundert die von Innozenz III. 1204 abgeschlossene Abwertung der Herrschersalbung (vgl. Anm. 115) bereits im Gange war und der Kaiser spätestens seit dem 10. Jahrhundert nicht mehr mit Chrisam (vgl. Eichmann, Die Kaiserkrönung I [wie oben], S. 85), sondern mit oleum exorcizatum (Ordo I: S. 2 Nr. 6: episcopus Ostiensis ungat ei de oleo exorcizato brachium dextrum et inter scapulas; vgl. auch die entsprechenden Passagen in Ordo IV B Nr. 5, V Nr. 6, VI Nr. 6, VII A Nr. 6, VIII Nr. 6, X Nr. 6, XI I Nr. 10, XIV Nr. 25, XV Nr. 9, XIV Nr. 10, XVII Nr. 15, XVIII Nr. 16, XIX Nr. 16 [ungat ei in modum crucis de oleo exorcizato], XX Nr. 18 [in modum crucis], XXI Nr. 17, XXII Nr. 12, XXIII Nr. 16, XXIII A Nr. 21 [in modum crucis], XXIV Nr. 18 [in modum crucis], XXVII Nr. 36 [in modum crucis]; allein in Ordo IX Nr. 8 heißt es: ungat ei de oleo sancto compagem brachii et inter scapulas) gesalbt wurde. Dieser Befund zeigt, daß auch aus Warte des Papsttums die kaiserliche Salbung, sogar noch nachdem sie theologisch bereits abgewertet war und man behaupten konnte, sie wirke nicht auf die Seele des Geweihten ein (vgl. Anm. 124), keinesfalls ohne Beteiligung des Hl. Geistes ablief, sondern dieser vielmehr eine positive Wirkung auf den Gesalbten ausüben sollte, daß die kaiserliche Salbung also mehr war als eine exorzistische Abwehr böser Einflüsse (vgl. dazu auch Eichmann, Die Kaiserkrönung I, S. 86 und 206 ff. sowie unten Anm. 118). Darüber hinaus zeigt dies deutlich, daß das Verständnis der Gebetsfloskeln nicht immer völlig identisch war, daß dieses vielmehr von Krönungstradition und Weiheverständis der einzelnen Monarchien beeinflußt worden ist. 110 Liber Regalis, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 88 (Nr. XIII); vgl. Little Device for the Coronation of Henry VII., ebd., S. 231. 111 Vgl. die Darlegungen zur Bekräftigung der Kaisererhebung Karls des Kahlen in der Ravennater Rede Johannes’ VIII. aus dem Sommer 877, ed. Wilfried Hartmann, Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 875 – 911 (= MGH Concilia 5), Hannover 2012, Nr. 8 (hier S. 65 [A. Protokoll]: … et secundum priscam consuetudinem solempniter ad imperii Romani sceptra proveximus, et augustali nomine decoravimus, unguentes eum oleo extrinsecus, ut interioris quoque spiritus sancti unctionis monstraremus virtutem, qua unxit eum dominus deus suus pre¸ consortibus suis, christum hunc oleo le¸titie¸ delibutum extrinsecus faciens, et principem populi sui constituens, ad imitationem scilicet veri regis Christi filii sui domini nostri; ita ut quod ipse possidet per naturam, iste consequeretur per gratiam.); dazu siehe auch Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 109), S. 86 – 90, bes. 87, sowie Dorothea Arnold, Johannes VIII. Päpstliche Herrschaft in den karolingischen Teilreichen am Ende des 9. Jahrhunderts (= Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII: Theologie 797), Bern / Frankfurt/M. 2003, S. 90 – 100, bes. 91 – 95.

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so der Normannische Anonymus um 1100112, springe der Geist des Herrn auf den König über, dringe also in diesen ein und mache aus ihm einen ,anderen Menschen‘: virum alium. Daher ist es kein Wunder, wenn im 11. Jahrhundert die inunctio regis unter die – zahlenmäßig noch nicht auf sieben beschränkten – Sakramente der katholischen Kirche gezählt werden konnte113 und der Normannische Anonymus den König, der auch Seelen retten könne, in officio als figura et imago Christi et Dei betrachtete und höher einstufte als Priester und Bischof114 ; ebensowenig überrascht es aber auch, daß das Papsttum im Zuge und als Folge der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts daran ging, ein solches Verständnis auszumerzen. Der theologisch wie juristisch gebildete Innozenz III. ist es gewesen, der am Beginn des 13. Jahrhunderts auf der Ebene der Theorie den Schlußstrich unter solche Vorstellungen zog und mit seiner ins Kirchenrecht eingegangenen, von der Bedeutung der Salbung handelnden Dekretale aus dem Jahre 1204 die Abwertung der Königssalbung vollzog und damit zugleich die Nachrangigkeit des gesalbten Herrschers betonte115, 112 Pellens, Die Texte (wie Anm. 9), S. 130 (Post unctionem vero insilivit in eum spiritus Domini, …, et mutatus est in virum alium, …) und 129 f. (Ad ipsam quippe unctionem et divinam benedictionem insiliebat in eos [pontifices et reges] Spiritus Domini et virtus deificans, per quam Christi figura fierent et imago, et que¸ mutaret eos in viros alios, ita, ut uterque im [sic] persona sua esset alius vir, et alius in spiritu et virtute.); vgl. dazu Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 68, sowie die unten in Anm. 118 erwähnten, aus der Zeit Karls des Großen stammenden Ausführungen Leidrads von Lyon über das Taufsakrament und die heilige Salbung (Migne PL 99, S. 864 A/B: … notandum est quod post unctionem, imo per unctionem, dirigatur spiritus Domini in David, sicut in Ecclesia credimus per chrismatis unctionem et manus impositionem dari Spiritum sanctum.). 113 Sermo LXIX In Dedicatione Ecclesiae (der fälschlich Petrus Damiani zugeschrieben wurde), ed. Migne PL 144, Paris 1853, S. 899 – 904, hier: 899 f., vgl. Giovanni Lucchesi, Sancti Petri Damiani Sermones (= CC Cont. Med. 57), Turnhout 1983, S. IX, und English Coronations (wie Anm. 38) S. 24. 114 Pellens, Die Texte (wie Anm. 9), S. 134 (… in officio figura et imago Christi et Dei est: sacerdos sacerdotis [also der menschlich-priesterlichen Dimension Christi, des einzigen rex et sacerdos], rex regis [also der königlich-göttlichen Dimension]; sacerdos inferioris officii et nature¸ – id est: humanitatis – rex superioris – id est: divinitatis.) und 142 (Rex enim principaliter sequitur Christum, id est: ex eius vice et imitatione, episcopi vero, etsi secuntur Christum, hoc tamen faciunt interposita vice et immitatione apostolorum.) und 160 (Unde et anima salvare et peccatis hominum propiciari, ut sanctificentur, videtur esse idoneus.); vgl. English Coronations (wie Anm. 38) S. 28, und Strong, Coronations (wie Anm. 32), S. 48. 115 Dekretalen Gregors IX. (Liber Extra), Lib. I tit. 15 (De sacra unctione) cap 1, ed. Emil A. Friedberg, Corpus iuris canonici II, Leipzig 1881, S. 131 – 134, hier 132 f. (… principis unctio a capite [scilicet] ad brachium est translata, ut princeps extunc non ungatur in capite, sed in brachio … In capite vero pontificis sacramentalis est delibutio conservata, quia personam capitis in pontificali officio repraesentat. Refert autem inter pontificis et principis unctionem, quia caput pontificis chrismate consecratur, brachium vero principis oleo delinitur, ut ostendatur, quanta sit differentia inter auctoritatem pontificis et principis potestatem.); ed. Othmar Hageneder u. a. (Hg.), Die Register Innocenz’ III., Bd. 7 (= Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom. Abt. 2: Quellen, Reihe 1), Wien 1997, S. 9 Nr. 3; ed. Eduard Eichmann (Hg.), Kirche und Staat II. Von 1122 bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (= Quellensammlung zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum

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die bereits Gregor VII. provokativ vertreten hatte, als er den Exorzisten, den Inhaber lediglich eines niedrigen Weihegrades, über den König stellte116. Innozenz III. setzte am Beginn des 13. Jahrhunderts mithin den Schlußpunkt unter eine schon längst eingeleitete Entwicklung und hob sehr deutlich den Unterschied zwischen Bischofs- und Königssalbung hervor: Die eine, die des Geistlichen, sei sacramentalis und werde mit dem aus Öl und Balsam gemischten Chrisam117 am Haupte, die andere jedoch, die königliche, werde nur mit dem weniger bedeutenden Katechumenenöl am Arm vollzogen; sie galt daher nicht mehr als ein Sakrament. Da die Katechumenen bei der Aufnahme in die christliche Gemeinschaft mit Öl (oleo exorcizato) gegen die Machinationen des Teufels gestärkt wurden und bei der Taufe, wie es bereits zur Zeit Karls des Großen hieß118, Wasser zur Reinigung von der Sünde diene, Chrisam aber die Erleuchtung durch den Hl. Geist bringe, bedeutete die Erklärung des Papstes, die als prinzipiell anerkannte Lehre nicht nur in das Kirchenrecht einging, sondern von Wilhelm Durandus, dem 1296 verstorbenen Bischof von Mende, auch in sein weit verbreitetes Rationale aufgenommen worden ist119, eine spürbare Trennung des geweihten Königs vom wohltätigen Wirken des Hl. Geistes120. Hauptsächlich stärkte die ,Ölung‘121 den König, dessen Haupt eben nicht wie das eines Priesters und Bischofs mit Chrisam ,geweiht‘ wurde (chrismate Kirchenrecht 2), Paderborn 1914, S. 115 (Nr. 36 i); vgl. dazu Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 109), S. 147 f. und 279; Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 25, S. 324 f.; ders., Der König von Frankreich I (wie Anm. 36), S. 157; ders., Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 120; Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 321 ff.; Bayard, Sacres (wie Anm. 15), S. 194 f. Grottanelli, Unizione del re (wie Anm. 5), S. 54; Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 744 f., und allg. Diósi, Die mittelalterliche Kaiser-/ Königssalbung (wie Anm. 33), S. 142 – 146. 116 Vgl. den an Hermann von Metz gerichteten Brief Gregors VII. vom 15. März 1081, ed. Erich Caspar, Das Register Gregors VII., Teil 2 (= MGH Epist. sel. II 2), Berlin 1923, S. 555 f. (VIII 21). 117 Guillelmi Duranti Rationale divinorum officiorum I-IV, edd. A. Davril, OSB, et T. M. Thibodeau, CC Cont. Med. 140, Turnholti 1995, S. 101 (I viii 9): … crismate, ex oleo et balsamo confecto, … 118 Leidrad von Lyon, Liber de sacramento baptismi, Migne PL 99 (1851) S. 853 – 872, hier 858 (c.2: Unguntur etiam nunc catechumeni in pectore et inter scapulas oleo exorcizato, cum abrenuntiant Satanae et operibus ac pompis ejus. … Bene ergo in abrenuntiatione diaboli unguntur corda catechumenorum, ut recedat ab eis cum omnibus operibus et pompis ejus.), 862 (c. 6: Aqua illa non solum sordes lavat, sed et animam a peccatis liberat.) und 863 ff. (c. 7, bes. S. 864: … per unctionem sanctificatio Spiritus adhibetur. und 865: Dum moluntur per exorcismum, a potestate diaboli eruantur; dum consperguntur per baptismum, a peccatorum sordibus emundentur; dum per chrisma coquuntur, sancti Spiritus gratia illustrentur et confirmentur.); vgl. dazu wie zum folgenden Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 323 mit Anm. 15. 119 Rationale I viii 20/21 (wie Anm. 117) S. 106 f. Von der Verbreitung dieses Werks künden 120 erhaltene Handschriften: Vgl. ebd. S. IX f. 120 Vgl. ebd. S. 101 (I viii 9: Vnctio … fit cum crismate, …, ut sciamus, quod Spiritus sanctus ei datur qui inuisibiliter operatur, …) und Anm. 118. 121 Vgl. Anm. 115: oleo delinitur.

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consecratur122), nur noch gegen den Einfluß diabolischer Mächte und bewirkte damit einen Schutz vor dem Bösen123 ; sie übte aber, wie Johannes XXII. 1318 erklärte, keine Wirkung auf die Seele des gesalbten Königs aus, sondern sei, wie derselbe Papst 1329 dem schottischen König erläuterte, der Tau der geistlichen Gnade, durch die der Herrscher gestärkt werde bei der Ausübung gerechten Regiments124. Die offizielle Theorie der Kirche war jedoch das eine, die Praxis der Herrschenden und der Glaube der Beherrschten etwas anderes: In der Vorstellungswelt der Völker spielte die Salbung nämlich eine völlig andere Rolle, als ihr Innozenz III. und die von ihm in dieser Hinsicht geprägte und von keinem seiner Nachfolger mehr substantiell veränderte Lehre zubilligen wollten. Schon Innozenz selbst hat den französischen König, als dessen Lehnsfürsten den englischen König Johann Ohneland wegen der (angeblich eigenhändigen) Ermordung seines Neffen Arthur von der Bretagne zum Tode verurteilt hatten, darauf hingewiesen125, daß ein gesalbter König über den Lehnsfürsten stehe und von diesen daher nicht abgeurteilt werden könne, und damit eine Aussage getroffen, die deutlich macht, daß ein Herrscher auch für den Papst einen besonderen Rang wegen seiner Salbung besaß (selbst wenn diese nicht als Sakrament galt). 122

Vgl. Anm. 115. Vgl. Alkuini Ep. 137, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. IV, Berlin 1895, S. 214 f.: Pectus quoque eodem perungitur oleo, ut signo sanctae crucis diabolo claudatur ingressus. Signantur et scapulae, ut undique muniatur. 124 Vgl. den Brief vom 2. Juni 1318 an den englischen König Eduard II., ed. English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 69 Nr. X (hier S. 72: Tum quia Regalis unctio in anima quicquam non imprimit, …), und dazu Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 132, sowie die Bulle vom 13. Juni 1329, durch welche dem schottischen König das Recht verliehen worden ist, sich bei der Krönung salben zu lassen, ed. Augustinus Theiner, Vetera Monumenta Hibernorum et Scotorum historiarum illustrantia (1216 – 1547), Rom 1864, S. 244 Nr. 480 (… Reges unctionis sacre virtute … donum gratie recipiunt potioris, ut et in prosecutione iusti regiminis fortius convalescant, et tam in se, quam in eorum subditos prudentiori et sanctiori spiritu dirigantur. Vehemens namque est in eisdem Regibus huiusmodi efficacia unctionis: nam inuncto Saule insiliit spiritus domini super eum, et in virum alterum est mutatus, et in David, unctione suscepta, spiritus dominus est directus. … – … rorem spiritualis gratie, qui per huiusmodi infunditur unctionem, …), und dazu Dougal Shaw, Scotland’s Place in Britain’s Coronation Tradition, in: The Court Historian 9 (2004) S. 41 – 60, bes. 47, der auf S. 46 erklärt: „Unction was the most highly prized distinction of the coronation ceremony at this time because it was deemed to confer a supernatural quality on the king, as God’s representative on earth“. 125 Matthaei Parisiensis, monachi sancti Albani, Chronica Majora, Vol. II, (A. D. 1067 to A. D. 1216), ed. by Henry Richards Luard (= RS 57/2), London 1874, S. 657 (Pro quo facto idem rex condemnatus fuit ad mortem in curia regis Francorum, per judicium parium suorum. Ad hanc objectionem opponit dominus Papa, quod barones Franciae non potuerunt judicare eum ad mortem, quia est rex inunctus, et ita sit superior; per barones, tanquam inferiores, non potuit ad mortem condemnari, quia major dignitas quodam modo absorbet minorem.); vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 127, sowie oben Anm. 109 (zweiter Absatz). 123

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Als Johanns Sohn Heinrich III. 1245 wissen wollte, was den gesalbten vom ungesalbten Herrscher unterscheide, und diese Frage dem gelehrten Bischof Robert Grosseteste von Lincoln unterbreitete, erhielt er eine bemerkenswerte Antwort. Natürlich stand der Bischof grundsätzlich auf dem Boden der offiziellen Lehre der Kirche und erklärte126, daß die Salbung des Königs, die – wohl nicht ganz im Sinne des Papsttums – noch als sacramentum bezeichnet wird, nichts an priesterlicher Gewalt oder Aufgabe vermittle, wohl aber die sieben Gaben des Hl. Geistes, die in ihrer je speziellen Bedeutung etwas ausführlicher charakterisiert werden und den gesalbten Herrscher weit über einen ungesalbten König erheben sowie alle seine herrscherlichen Handlungen lenken (omnes regias et regiminis sui actiones dirigere) und mit göttlicher Kraft erfüllen (virtutibus divinis et heroicis) sollen. Mit dieser Ansicht stand der Bischof von Lincoln offenkundig nicht allein, wie eine Äußerung seines rechtsgelehrten Zeitgenossen Hostiensis und die bereits erwähnten Gebete aus den west- und mitteleuropäischen Krönungsordines belegen, die während des gesamten Hoch- und Spätmittelalters bei den Herrscherweihen aufgesagt worden sind und auf das Eindringen des Hl. Geistes in das Herz des gesalbten Königs verweisen127. Nicht allein durch die Formulierung einer solchen Vorstellung blieben die Krönungsordnungen auf Distanz zu der von Innozenz III. formulierten Lehre; auch die päpstlichen Ansichten über das bei der Herrscherweihe zu verwendende Salböl und die Unterlassung der Hauptsalbung wurden, wenn überhaupt, nur sehr zurückhaltend oder – wie in England – nur für einige Zeit übernommen. Ansonsten behauptete sich der alte Brauch und mit ihm die Vorstellung einer Einwirkung des Hl. Geistes auf den gesalbten Herrscher (wenn, mit einziger Ausnahme Frankreichs128, auch grundsätzlich akzeptiert werden mußte, daß die Königsweihe kein Sakrament war). Wirklichen Einfluß auf die Gestaltung eines Krönungsverlaufs hatten die Päpste freilich nur bei der Kaiserkrönung, bei der

126 Ep. 124, ed. Henry Richards Luard, Roberti Grossesteste episcopi quondam Lincolniensis epistolae (RS), London 1861, S. 348 – 351, hier: 350 f.; teiled. in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 66 Nr. IX (… non ignoramus, quod regalis inunctio signum est praerogativae susceptionis septiformis doni sacratissimi Pneumatis, quo septiformi munere tenetur rex inunctus praeminentius non unctis regibus, omnes regias et regiminis sui actiones dirigere; … [hier folgt die Aufzählung der sieben Gaben des Hl. Geistes (donum timoris, pietatis, scientiae, fortitudinis, consilii, intellectus, sapientiae) und ihrer Bedeutung für den König]. Adicit igitur regiae dignitati unctionis sacramentum, quod rex unctus prae caeteris in suo genere debet, …, ex septiformi Spiritus munere in omnibus suis regitivis actibus, virtutibus divinis et heroicis pollere. Haec tamen unctionis praerogativa nullo modo regiam dignitatem praefert aut etiam aequiparat sacerdotali, aut potestatem tribuit alicujus sacerdotalis officii; …); vgl. dazu Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 128 f. 127 Vgl. Anm. 107 und 109 sowie die Summa Domini Henrici Cardinalis Hostiensis, Lyon 1537 [ND Aalen 1962], pag. 35‘ (lib. I [De sacra vnctione Nr. 11]: Effectus vnctionis regalis est vt augeat ei gratia ad officium quod ei committitur exercendum, …), und dazu Eeles, The Coronation Service (wie Anm. 91), S. 16. 128 Vgl. Rougier, Le caractère sacré (wie Anm. 84), S. 617, und Jackson, Vive le Roi! (wie Anm. 42), S. 32.

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ihre Vorstellungen daher auch schon früh verwirklicht worden sind129, und später im süditalischen Lehnsreich. In Frankreich jedoch dachte man gar nicht daran, die hergebrachte Gewohnheit zu ändern, und hielt konsequent an Hauptsalbung und Salböl, das ja immerhin Himmelsöl in Verbindung mit Chrisam war, fest130. In England orientierte man sich im 12. und 13. Jahrhundert an den kurialen Vorstellungen, verzichtete zwar nicht darauf, das königliche Haupt zu salben, benutzte dafür aber nun Katechumenenöl statt Chrisam; spätestens im 14. Jahrhundert jedoch griff man den früheren Brauch wieder auf, insofern nun im Anschluß an die mit Katechumenenöl vollzogenen Salbungshandlungen, zu denen auch schon eine Hauptsalbung gehörte, zusätzlich eine Salbung mit Chrisam am Kopf vorgenommen wurde131. Im Reich wurde bei der Königssalbung das Haupt ebenfalls immer 129 Bereits seit ottonischer Zeit wurde der Kaiser durch den Kardinalbischof von Ostia mit oleo exorcizato an Arm und Schulter und nicht am Haupt gesalbt (vgl. Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers [wie Anm. 109] S. 2 Nr. 6 [Ordo I, vor 960], 11 Nr. 5 [Ordo IV B], 13 Nr. 6 [Ordo V], 14 Nr. 6 [Ordo VI], 15 Nr. 6 [Ordo VII A], 17 Nr. 6 [Ordo VIII], S. 22 Nr. 8 [Ordo IX: de oleo sancto], 24 Nr. 6 [Ordo X], 32 Nr. 7 und 10 [Ordo XII]). Dieser Brauch ist im hohen und späten Mittelalter mithin nichts Neues gewesen und gehört daher nicht ursächlich in den Zusammenhang des seit dem Investiturstreit greifbaren Bemühens der Päpste um Abwertung der kaiserlichen Weihe (vgl. Anm. 115). Seit dem 12. Jahrhundert ist dann aber (offenbar mit einer gewissen Zwischenstufe: Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers [wie oben] S. 43 Nr. 31 und 32 [Ordo XIV = Ordo Cencius II aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts: Krönung vor dem Mauritius-Altar, während die Salbung – vgl. S. 41 Nr. 25 – anscheinend wie üblich vollzogen werden sollte]) die Verlegung der Salbung weg vom Hauptaltar hin zum Mauritius-Altar vollzogen worden: Vgl. ebd. S. 49 Nr. 9 (Ordo XV [Der Ordo von Apamea aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts]: … vel in eodem loco vel ante altare sancti Mauricii …) und S. 65 Nr. 15 (Ordo XVII [Der staufische Ordo vom Ende des 12. Jahrhunderts]: ad altare sancti Mauritii; vgl. auch Ordo XVIII Nr. 16 [S. 75], XIX Nr. 16 [S. 93], XX Nr. 18 [S. 109], XXIII Nr. 16 [S. 135] und XXIV Nr. 18 [S. 147]). Vgl. dazu auch Erkens, Königskrönung (wie Anm. 37), S. 30 mit Anm. 16 und S. 43; Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 109), S. 85 – 89, 145 – 148 und 279 f., und (auch für das folgende) Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 745. 130 Ordo von 1200, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 256 Nr. 19 (Ordo XIX); Ordo of Reims (von etwa 1230), ebd., S. 301 Nr. 11 (Ordo XX A: Hiis itaque gestis, crismate in altari super patenam consecratam preparato, debet archiepiscopus sacrosanctam ampullam super altare aperire et inde cum acu aurea aliquantulum de oleo celitus misso attrahere, et crismati parato diligencius immiscere ad inungendum regem, qui solito inter universos reges terre hoc glorioso prefulget privilegio, ut oleo celitus misso singulariter inungatur. Tunc dissutis ansulis aperturarum ante et retro, et genibus in terram positis, primo archiepiscopus eum eodem loco oleo inungto in summitate capitis. Secundo in pectore. Tercio inter scapulas. Quarto in sacpulis. Quinto in compagibus brachiorum.); Ordo of 1250, ebd., S. 353 Nr. 26 (Text wie vor); Last Capetian Ordo, ebd., S. 387 Nr. 14 (Text in der Aussage wie vor, aber mit dem Hinweis: Alii enim reges inunguntur solum in humero. Iste vero in capite, et in aliis membris sicut inferius [vgl. dazu S. 395 Nr. 26] distinguetur.); Ordo of Charles V, ebd., S. 483 Nr. 35 (Text in der Aussage wie alle angeführten Vorgänger) und 488 Nr. 40 (Nennung der gesalbten Körperpartien wie vor). 131 An English Coronation Order of the Twelfth Century, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 32 (Tunc demum ab ipso metropolitano unguantur sibi manus de oleo sanctificato) und S. 33 (Postea uero caput. pectus. et scapulas. ambasque compages brachiorum ipsius unguat metropolitanus …); Coronation of Richard I, ebd., S. 49 (Deinde

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gesalbt – mit oleo sanctificato, also wohl mit Chrisam132, im hohen, mit (vielleicht in Angleichung an die Kaiserkrönung133) Katechumenenöl im späteren Mittelalter und der Neuzeit134, doch konnte auch dieses Öl wie im Jahre 1414 von Teilnehmern an der Krönungsfeier als Chrisam aufgefaßt werden135. In Polen und Böhmen schließlich, um einen vergleichenden Blick zu werfen auf die Staatswesen Ostmitteleuropas, die erst später in den Kreis der Königreiche mit geweihten Herrschern an der Spitze eingetreten sind, waren die Verhältnisse kaum anders, auch wenn es hier keine Salbungstradition zu behaupten gab, die vor Innozenz’ III. Formulierung der kirchlichen Salbungslehre zurückreichte. In Polen136 ist im 13. und 15. Jahrhundert das Königshaupt mit oleo sanctificato bzw. sacro oleo bestrichen worden, während man im 14. Jahrhundert auf diese Salbung verzichtete; in Böhmen sah der von Karl IV. mitgestaltete Ordo für die Krönung des Königs ebenfalls die Hauptsalbung vor137, und zwar mit oleo sancto und (so wie in England138) in Kreuzesform.

Baldewinus cantuariensis Archiepiscopus infundens oleum sanctum super caput eius unxit eum in regem in tribus locis uidelicet in capite. in pectore. in brachiis …); Liber Regalis, ebd., S. 93 (Postea uero pectus et inter scapulas et scapule ambeque compages brachiorum ipsius ungantur de oleo supradicto et de eodem fiat crux super caput eius et postea de crismate.); Forma et Modus, ebd., S. 175 (… et tunc vngatur in quinque locis videlicet in manibus interius in pectore inter scapulas in compagibus brachiorum et in capite in modum crucis cum oleo sancto et postea in capiente faciendo crucem cum crismate …); Little Device for the Coronation of Henry VII., ebd., S. 232; vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 120 – 131, bes. 120 (mit Verweis auf den Normannischen Anonymus und dessen um 1100 getroffene Aussage, daß König und Priester mit dem selben heiligen Öl und Chrisam gesalbt werden [wie Anm. 9, S. 140: Nam eodem sancto Spiritu sanctificantur, eodem sancto chrismate et oleo sanctificantur, …], als Beleg für die Salbung des anglonormannischen Herrschers mit Chrisam. 132 Vgl. Eichmann, Die Kaiserkrönung I (wie Anm. 109), S. 86. 133 Vgl. Erkens, Königskrönung (wie Anm. 37), S. 42. 134 Mainzer Ordo von etwa 960 (wie Anm. 37) S. 252 Nr. 13 und 254 Nr. 15 (… unguat de oleo sanctificato caput, pectus et scapulas ambasque compages brachiorum); Der Kölner Ordo (wie Anm. 37) S. 57 (…, et dominus Coloniensis ungat caput eius, pectus inter scapulas et ambas iuncturas brachiorum circa scapulas, de oleo sacro cathecuminorum, …). 135 Aufzeichnung des Eigil von Sassen über die Krönung von 1414, hg. von Dietrich Kerler, Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund. Erste Abteilung: 1410 – 1420 (= Dt. RTA 7), München 1878, S. 244 Nr. 167 (und der bischaf von Kollen … den cresam gab); vgl. Erkens, Königskrönung (wie Anm. 37), S. 44 mit Anm. 109. 136 Ordo saec. XIII. (wie Anm. 109), S. 150; Ordo saec. XIV., ebd., S. 157; Ordo saec. XV, ebd., S. 167. 137 Ordo ad coronandum Regem Boemorum (wie Anm. 9) S. 331b – Zur Beteiligung Karls IV. vgl. Franz Machilek, Privatfrömmigkeit und Staatsfrömmigkeit, in: Ferdinand Seibt (Hg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 87 – 101, bes. 89. 138 Vgl. Anm. 131.

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2. Verdichtung und Intensivierung der Herrschersakralität in England und Frankreich Die Resistenz der Könige, ihrer Berater und der von ihnen Beherrschten gegen eine Übernahme aller von kurialer Seite formulierten, abwertenden Ansichten über die Herrschersalbung führte während des späteren Mittelalters keinesfalls dazu, daß die Vorstellung von der Bedeutung der Herrscherweihe unverändert blieb. Im Gegenteil! Sie hat eine gravierende Entwicklung erfahren, die hauptsächlich den konstitutiven, in gewissem Maße aber auch den legitimatorischen Charakter der Herrscherweihe betraf und auf die noch einmal zurückzukommen sein wird139. Doch bewahrte, ja, gestaltete sie sogar in einer Hinsicht zunächst ihre legitimierende Funktion aus, denn die Zurückhaltung bei der Rezeption der kirchlichen Salbungslehre ging einher mit der Bewahrung der päpstlicherseits abgelehnten Vorstellung vom Einwirken des Hl. Geistes auf den gesalbten König. Diese Vorstellung, nach der sich durch die Weihe etwas verändert an der Persönlichkeit des Gesalbten, wurde nun stärker akzentuiert und machte das gesamte Krönungszeremoniell nicht nur zu einem bedeutungsvollen Inaugurationsakt, sondern verlieh ihm besonders durch die Salbung auch den Anschein eines ,rite de passage‘. Darauf hat bereits Jacques Le Goff bei der Betrachtung des französischen Ordo von 1250 hingewiesen140, aber auch Aleksander Gieysztor kam mit Blick hauptsächlich auf den polnischen Ordo des 15. Jahrhunderts zu einer ähnlichen Auffassung141. Und in der Tat mehren sich im späteren Mittelalter die Anzeichen, die ein solches Verständnis der Herrscherweihe nahelegen. Damals war zwar die Vorstel139

Vgl. unten Anm. 196. Jacques Le Goff, A Coronation Program for the Age of Saint Louis: The Ordo of 1250, in: Bak (Hg.), Coronations (wie Anm. 15), S. 46 – 57, hier 47 („rite of Passage“); ders., Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000 [frz. 1996], S. 731 („Übergangsritus“). Zu diesem Ordo (Ordines coronationis Franciae [wie Anm. 39] S. 341 Nr. XXI), den Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36) II, S. 4 Nr. 16, noch in die Jahre um 1300 datierte, vgl. auch JeanClaude Bonne, The Manuscript of the Ordo of 1250 and its Illuminations, in: Bak (Hg.), Coronations (wie Anm. 15), S. 58 – 71 (wo auf S. 59 darauf hingewiesen wird, daß es in dem Ordo sonst nicht übliche Kommentare gibt, etwa „on the priestly connotation of a royal vestment“: Ordines [wie oben] S.352 Nr. 24, 357 Nr. 38). Zu den rites de passage allg. vgl. Arnold Gennep, Übergangsriten (Les rites de passage), Frankfurt/M. 1986 [frz. 1909], zu den „Umwandlungsriten“ (rites de marges) bes. S. 21. 141 Aleksander Gieysztor, Gesture in the Coronation Ceremonies of Medieval Poland, in: Bak (Hg.), Coronations (wie Anm. 15), S. 152 – 164, hier 157 („passing from an ordinary lay state to a sacred one“) und 158 („The unction was followed by a brief silence, specifically stipulated in the ordo coronandi, accompanied by the absence of any gesture. It was to suggest to the collective imagination the moment of supernatural intervention which transformed a layman into an anointed person, a christus domini, in many ways equal to the bishops“); vgl. dazu ders., Spektakl i liturgia – polska koronacja królewska, in: Kultura elitarna a kultura masowa w Polsce póz´nego s´redniowiecza, Warschau 1978, S. 9 – 23, bes. 13 f. und 16 ff. [Andreas und Katarzyna Fohrer (Passau) ist zu danken für die Erläuterung des polnischen Textes]. Allerdings liefert der Ordo selbst (vgl. Anm. 109) kaum direkte Hinweise auf einen königlichen Standeswechsel. 140

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lung, nach welcher die Salbung des Herrschers einen Dignitätswechsel, ja, einen Standeswechsel bewirkt, kaum etwas Neues – der in den Ordines schon früh bezeugte Glaube an einen Einfluß des Hl. Geistes auf den gesalbten König belegt dies zu Genüge –, aber dieser Wechsel wurde nun stärker betont als zuvor und in England und Frankreich noch zusätzlich durch das Zusammenfließen von Salbung und der mit dieser verbundenen Aktivierung des königlichen Thaumaturgentums akzentuiert. Diese Entwicklung vollzog sich – wenig überraschend angesichts der Traditionen, die dabei wirksam wurden – am intensivsten in Frankreich und läßt sich daher auch hier am deutlichsten fassen. In England wie Frankreich ist es im späteren Mittelalter zu Versuchen einer Intensivierung der Sakraldimension gekommen, die nicht zuletzt auf die Krisen zurückzuführen sind, in die beide Monarchien damals gerieten und die mannigfache Folgen zeitigten142. Obwohl sich in beiden Königreichen bei der Thronfolge schon längst der Erbgedanke durchgesetzt hatte, kam es während des 14. und 15. Jahrhunderts bei verschiedenen Thronwechseln zu gravierenden Problemen: in Frankreich durch das Aussterben der Kapetinger im Mannesstamm und die sich daraus ergebende Frage eines weiblichen Erbrechts, die schließlich, nicht zuletzt zur Ausschaltung englischer Thronansprüche, durch das ,salische Thronfolgerecht‘ im Sinne einer rein männlichen Primogenitur beantwortet wurde, aber die Legitimität der frühen Valois zunächst noch schwach und brüchig erscheinen ließ; in England durch gravierende Konflikte zwischen Krone und Adel, die sich auch in der Entwicklung des Krönungseides widerspiegeln143 und in denen sich das Parlament als 142

Vgl. dazu wie zum folgenden Joachim Ehlers, Geschichte Frankreichs im Mittelalter, Stuttgart 1987 / Darmstadt 2009, Kap. 6 – 9; ders. u. a. (Hgg.), Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888 – 1498; München 1996 (2. Aufl. als Taschenbuch mit veränderten Seitenzahlen 2006), bes. 250 – 265 (Bernhard Töpfer, Philipp VI. 1328 – 1350), 267 – 283 (Heinz Thomas, Johann II. 1350 – 1364), 285 – 302 (ders., Karl V. 1364 – 1380), 303 – 320 (Heribert Müller, Karl VI. 1380 – 1422), 321 – 336 (ders., Karl VII. 1422 – 1461); Heribert Müller, Frankreich im Spätmittelalter: Vom Königsstaat zur Königsnation (1270 – 1498), in: Ernst Hinrichs (Hg.), Geschichte Frankreichs, Stuttgart 2002, S. 55 – 101 [erstmals 1994, in: Ernst Hinrichs (Hg.), Kleine Geschichte Frankreichs, S. 63 – 123]; Françoise Autrand, Charles VI. La folie du roi, Paris 1986 (zum königlichen Schwachsinn Chap. XVIII und bes. S. 304 – 308); Kurt Kluxen, Geschichte Englands. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 41991, S. 96 – 169; Karl-Friedrich Krieger, Geschichte Englands von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, München 21996 (Dritter Teil: Krisen und neue Antriebskräfte); ders., Das Haus Lancaster (wie Anm. 90); Jürgen Sarnowsky, England im Mittelalter, Darmstadt 2002, Kap. III 1 – 4; Robin Studd, Die eduardische Epoche (1272 – 1377), in: Vollrath/Fryde (Hgg.), Die englischen Könige im Mittelalter (wie Anm. 90), S. 130 – 149; Bärbel Brodt, Das Haus York und die Rosenkriege (1461 – 1485), ebd., S. 186 – 226; William Huse Dunham, Jr. / Charles T. Wood, The Right to Rule in England: Depositions and Kingdom’s Authority, 1327 – 1485, in: AHR 81 (1976) S. 738 – 761, bes. 738 (zu den abgesetzten Königen) und 761 (zu dem Bemühen der neuen Herrscher, ihre Stellung zu sichern durch die Fortführung herkömmlicher Legitimationsmuster). 143 Vgl. zu dieser Entwicklung Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), Kap. VII (bes. VII C); Richardson, The Coronation in Medieval England (wie Anm. 36), S. 161 – 174; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 55 f.; Bertie Wilkinson, The

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wichtiger politischer Faktor profilierte144, aber auch durch den vorzeitigen Tod des ,Schwarzen Prinzen‘ und die sich daraus ergebenden Nachfolgeprobleme sowie durch die Absetzung und physische Beseitigung von immerhin drei Königen (die Söhne Edwards IV. nicht mitgerechnet) in einem Zeitraum von rund anderthalb Jahrhunderten, wodurch sich das Legitimitätsproblem vor allem im 15. Jahrhundert immer wieder neu stellte. In beiden Reichen wirkten sich schließlich die psychischen Besonderheiten, geistige Merkwürdigkeiten oder Schwächen, je eines Herrschers aus: In Frankreich war dies der Geisteszustand Karls VI. und in England derjenige Heinrichs VI. Es waren mithin nicht zuletzt Legitimitätskrisen, durch die Herrscher und ihr Herrschaftsanspruch in Frage gestellt wurden und die sich im Verlauf des Hundertjährigen Krieges phasenweise verstärkten. Sie führten zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen – auch hinsichtlich der Herrschersakralität, woran sich im übrigen die Wechselwirkung145 von religiösem Legitimationsbemühen, politisch-herrschaftlicher Rahmenbedingung und mentaler Bereitschaft, die sakrale Legitimierung des Herrschers zu akzeptieren, zeigt. In beiden Königreichen konnte dabei natürlich an eine schon längst verwurzelte Grundvorstellung von der religiösen Konnotation der Herrschaft und des Herrschers angeknüpft werden, an einen Glauben, der sich ohnehin in expansiver Entwicklung befand, und dies nicht zuletzt durch das sich erst seit dem 13. Jahrhundert wirklich entfaltende Thaumaturgentum der Herrscher146. Es kam daher kaum von ungefähr, daß während des 14. Jahrhunderts die wundertätigen Handlungen der Könige auf beiden Seiten des Kanals deutlicher in Erscheinung traten147 und zudem in England, wo Eduard III. den Glauben an seine Heilkraft offenbar unmittelbar politisch zu nutzen verstand148, ausgestaltet wurden durch weiteres Wunderwirken, durch auf

Coronation Oath of Edward II., in: Historical Essays in Honour of James Tait, Manchester 1933, S. 405 – 416. 144 Vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 170 – 176; Sarnowsky, England (wie Anm. 142), Kap. III 6; Krieger, Das Haus Lancaster (wie Anm. 90), S. 154 f. und 158 f., sowie Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 49 f. 145 Vgl. dazu unten S. 460 f. und Erkens, Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2), S. 19 f. 146 Vgl. Anm. 5. 147 Vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 131 – 144, bes. 131 ff., und Keith Thomas, Religion and the Decline of Magic. Studies in Popular Beliefs in Sixteenth- and Seventeenth-Century England, Hardmondsworth 1971, S. 227 – 242, bes. 228 (wo darauf hingewiesen wird, daß erst unter den Stuarts im 17. Jahrhundert der zahlenmäßige Höhepunkt der königlichen Heilungshandlungen erreicht worden ist: Karl II. hat offenbar in einem Zeitraum von 20 Jahren über 90.000 Menschen in heilender Absicht berührt), sowie David J. Sturdy, The Royal Touch in England, in: Duchhardt u. a. (Hgg.), European Monarchy (wie Anm. 15), S. 171 – 184, bes. 172 ff.; Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 115. 148 Vgl. W. M. Ormrod, The Reign of Edward III. Crown and Political Society in England. 1327 – 1377, New Haven / London 1990, S. 44, und bes. ders., The Personal Religion of Edward III. in: Speculum 64 (1989) S. 849 – 877, bes. 862 – 867 und hier vor allem 862 ff.

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königliches Handeln an Karfreitag zurückgehende, Krämpfe heilende Ringe149, und schließlich sogar eingebettet worden sind in eine regelrechte Liturgie, die zwar erst in der frühen Tudorzeit belegt ist, aber deutlich ältere Züge aufweist150. In Frankreich kam es zur selben Zeit zwar zu keinen gravierenden Änderungen im Umfeld des königlichen Heilungshandelns, wohl aber zur Verdichtung der Königtum wie Reich betreffenden Gottesbezüge, wurden doch jetzt Legende wie Deutung von ,Fleur de lis‘ und ,Oriflamme‘ entsprechend formuliert und die königlichen Lilien ebenso wie die französische Kriegsfahne aus St. Denis als Zeichen himmlischer Verbundenheit, als Ausdruck göttlicher Protektion begriffen151. Gleichzeitig ist, womit bereits Philipp der Schöne begonnen hatte, das Andenken an den 1297 heiliggesprochenen Ludwig IX. gehegt und intensiviert worden152, erzeugten die Heiligkeit dieses Herrschers, der ein Leben super homines führte, wie Bonifaz VIII. es in einer seiner Predigten anläßlich der Kanonisation Ludwigs ausdrückte153, und die kirchliche Verehrung des – in den Worten Karls V.154 – sanctissimus Attavus et Predecessor doch zusätzlichen sakralen Glanz für seine königlichen Nachfahren. Vor allem aber ist, und das galt für England wie für Frankreich gleichermaßen, die Zeremonie der Herrscherweihe in wesentlichen, die transzendenten Bezüge stärkenden Elementen verfeinert worden. 149 Vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 188, und Ormrod, The Personal Religion (wie Anm. 148), S. 864 ff., sowie Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 115. 150 Vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 127. 151 Vgl. Schramm, Der König von Frankreich I (wie Anm. 36), S. 214 f.; Krynen, Le roi très chretien (wie Anm. 84), S. 140; Anne Lombard-Jourdan, Fleur de lis et Oriflamme. Signes célestes du royaume de France, Paris 1991, passim sowie S. 260 ff., wo ein Auszug aus dem Vorwort des Raoul de Presles zu seiner Übersetzung des Gottesstaates von Augustinus abgedruckt ist (etwa S. 260: Item les roys de France portent les trois fleurs de lys en signe de la benoite Trinité qui de Dieu par son angre furent envoyés au dit Clovis, premier roy crestien, …, und S. 261 über l’oriflambe), und allg. auch Shahar, Traduction (wie Anm. 83), S. 47. 152 Vgl. LeGoff, Ludwig der Heilige (wie Anm. 140), S. 265 – 271; Robert Folz, Les saints rois du Moyen Âge en occident (VIe-XIIIe siècles), Bruxelles 1984, S. 179 f.; Andrew W. Lewis, Le Sang Royal. La famille capétienne et l’8tat, France, Xe-XIVe siècle, 1986 [engl. 1981], S. 177 ff.; Bernd Carqué, Stil und Erinnerung. Französische Hofkunst im Jahrhundert Karls V. und im Zeitalter ihrer Deutung (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 192), Göttingen 2004, S. 486 f.; zu Heiligkeit und Heiligsprechung Ludwigs IX. vgl. Folz (wie oben) S. 107 – 113, sowie ders., La sainteté de Louis IX d’après les textes liturgiques de sa fête, in: Revue d’Histoire de l’Église de France Bd. 57 (1971) S. 31 – 45. 153 Sermo de canonisatione regis Ludovicis (6. Aug. 1297), ediert in: Recueil des Historiens des Gaules et de la France 23, publié par MM. de Wailly, Deslisle et Jourdain, Paris 1894, S. 148 – 152, hier 149 (… vita ejus non fuit solum vita hominis, sed super homines; …); die zweite Predigt und die Kanonisationsbulle sind ebenfalls dort ediert, und zwar auf S. 152 f. und 154 – 160. 154 Ordonnance qui fixe la Majorité des Rois de France, à l’âge de quatorze ans (1374), ediert in: Ordonnances des Roys de France de la troisième race VI par M. Secousse, Paris 1741, S. 26 – 32, hier 28: sanctissimus Attavus & Predecessor noster, patronus, defensor & Dominus singularis, Beatus Ludovicus, flos, decus, lumen & speculum nedum Regalis prosapie, sed omnium Gallicorum …

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An der französischen Krönungsordnung mußte dabei am wenigsten verändert werden, hatte man in Frankreich doch konsequent an dem herkömmlichen Brauch der Hauptsalbung mit Chrisam und Himmelsöl festgehalten155 und bereits um 1230 in dem Reimser Ordo auf die exzeptionelle Bevorzugung des französischen Königs hingewiesen, weil dieser als einziger König mit Öl gesalbt wurde, das aus dem Himmel stammte (qui solito inter universos reges terre hoc glorioso prefulget privilegio, ut oleo celitus misso singulariter inungatur156). Auf diesen Hinweis ist auch später nicht verzichtet worden157. Mußten Symbolik und Handlung des Sacre also kaum ausgestaltet werden, so ist der Ordo des gelehrten Karl V. an Umfang trotzdem bedeutend gewachsen und dies nicht zuletzt wegen der Erweiterung des Präludiums der kirchlichen Feier, also der Choreographie der Einholung des zu weihenden Königs, und der dabei erfolgten Hinzufügung von Gebeten, die zwar nicht neu waren und schon früher erklangen, aber im letzten kapetingischen Ordo keine Verwendung gefunden hatten und nun dazu dienten, die Gotterwähltheit und -verbundenheit des neuen Königs zu betonen158. Völlig neu aufgenommen wurde hingegen als Responsorium ein Hymnentext159, der in der Reimser Kirche bereits während des 11. Jahrhunderts gebetet worden ist, einen deutlichen Anklang an den aus der Zeit des ersten Karolingerkönigs Pippins stammenden Prolog zur Lex Salica

155

Vgl. Anm. 130. Ordo XX A, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 301 Nr. 11; vgl. ebd. S. 328 Nr. 11b (Ordo XX B: Translation of the Ordo of Reims: … li quel roys resplendist seulement, devant touz les autres roys du monde, de ce glorieus privileige que il singulierement soit enoit de l’uyle envoiee des ciex.) und 339 Nr. 11c (Ordo XX B: The Unofficial Translation). 157 Ordo XXI, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 353 Nr. 26 (Ordo of 1250); Ordo XXII A, ebd., S. 387 Nr. 14 (The Last Capetian Ordo, mit dem in einigen Handschriften nicht wirklich zutreffenden Zusatz: Alii enim reges inunguntur solum in humero), sowie 431 Nr. 14b/c (Ordo XXII B-C: Translations of the Last Capetian Ordo); Ordo XXIII, ebd., S. 483 Nr. 35 (Ordo of Charles V); Ordo XXIV, ebd., S. 538 Nr. 35 (Ordo of Louis XI); Ordo XXV, ebd. S. 588 Nr. 82 (Ordo of Charles VIII). Vgl. auch Philippe de Mézières: Le Songe du Vieil Pelerin, 2 Bde., ed. G(eorge) W(illiam) Coopland, Cambridge 1969, II, S. 248 – 251, bes. 249 (lib. III cap. 236: pour le sacre, tressaint et singulier entre tout les roys crestiens), und dazu Philippe de Mézières. Songe du Vieux Pèlerin. Traduction de Joël Blanchard (= AGORA 297), Paris 2008, S. 715 – 718, bes. 716. 158 Vgl. Jackson, Vive le roi! (wie Anm. 42), S. 28, sowie Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 454 f. und 471 Nr. 5 (Omnipotens sempiterne Deus, qui famulum tuum N. fastigio dignatus es sublimare), Nr. 6 (Ecce mitto angelum meum), Nr. 7 (Israel, si me audieris,), Nr. 8 (Deus, qui scis humanum genus), 472 Nr. 10 (Omnipotens Deus, celestium moderator, qui famulum tuum N. ad regni fastigium dignatus es provehere). Zu der früheren Verwendung dieser Gebete vgl. ebd. S. 656 (Nr. 8: Ordo XVI Nr. 7, XVIII Nr. 4, XIX Nr. 6, XXI Nr. 5), 657 (Nr. 6: Ordo XVI Nr. 5, XVIII Nr. 3, XIX Nr. 4, XXI Nr. 3), 658 (Nr. 7: XVI Nr. 6, XIX Nr. 5, XXI Nr. 4), 659 (Nr. 10: XV Nr. 45, XVI Nr. 9, XVIII Nr. 6, XIX Nr. 8, XXI Nr. 7 / Nr. 5: XVI Nr. 3, XVIII Nr. 2, XIX Nr. 2, XXI Nr. 2). 159 Vgl. Jackson, Vive le roi! (wie Anm. 42), S. 33 mit Anm. 26 (auf S. 232, wo der in einem Reimser Breviarium aus dem 11. Jahrhundert überlieferte Hymnus zitiert wird). 156

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aufweist160 und nun bei der Zubereitung des Salböls gesprochen wurde161. Mit diesem Hymnus wird nicht nur an den Empfang und ersten Gebrauch des Himmelsöls durch Remigius von Reims erinnert, sondern erscheinen zugleich auch das französische Volk und sein König (gens Francorum inclita simul cum rege nobili) im Wirken Gottes und des Hl. Geistes eng miteinander verbunden und erhöht, ja, durch das Handeln des Remigius gleichsam ,geheiligt‘, wobei die ohnehin gegebene, sich unter anderem an der Kommunion in beiderlei Gestalt162 zeigende Nähe des französischen Königs zum Priestertum zusätzlich betont wurde163 durch die Wiederaufnahme der Handsalbung164, auf welche im letzten kapetingischen Ordo verzichtet worden war165. Bedeuteten die Änderungen in der französischen Krönungsordnung also letztlich nur eine gesteigerte und intensivierte Verkündung längst etablierter Vorstellungen, so gestaltete sich die englische Entwicklung anders. Der englische König war in seiner Herrschaft ja nicht nur deutlich ungesicherter als der französische, ihn umgab zudem auch noch eine schwächer ausgestaltete Sakralität166, wurde er doch nicht mit einem besonderen Öl gesalbt. Und genau diesem Mangel sollte im 14. Jahrhundert abgeholfen werden. Wurde, nach zwischenzeitlichem Verzicht, spätestens seit dem Beginn dieses Jahrhunderts wieder der Chrisam für die Hauptsalbung des Herrschers benutzt167, so wollte man in England den König nach französischem Beispiel doch auch mit einem besonderen, himmlische Qualitäten aufweisenden Öl gesalbt wissen. Daher kam die Vorstellung vom Becket-Öl auf168, nach welcher dem hl. Thomas zur Zeit seines französischen Exils von der Gottesmutter ein himmlisches Öl überbracht worden sein soll, dem eine verworrene Geschichte nachgesagt wird, das aber vor allem dazu bestimmt war, ab dem fünften König nach Hein160 Lex Salica, hg. von Karl August Eckhardt, MGH Leges nationum Germ. IV 2, Hannover 1969, S. 2/3 (§1): Gens Francorum inclita, auctorem Deo condita. 161 Ordo XXIII, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 483 (Nr. 33): Gentem Francorum inclitam simul cum rege nobili, beatus Remigius sumpto celitus crismate sacro, sanctificavit gurgite, atque Spiritus sancti plene ditavit munere. 162 Ordo XXIII, ebd., S. 508 Nr. 85; vgl. aber auch Ordo XX, ebd., S. 304 Nr. 17 (Ordo of Reims, in dem dieses Vorrecht erstmals erwähnt wird), sowie Jackson, Vive le Roi! (wie Anm. 42), S. 33. 163 Vgl. Jackson, Vive le Roi! (wie Anm. 42), S. 43. 164 Ordo XXIII, in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 491 Nr. 46 (Ordo of Charles V). 165 Anders als der Ordo XXII – vgl. Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 395 – 398 Nr. 26 – 32 (The Last Capetian Ordo) – kennt etwa der Ordo XXI, ebd., S. 354 Nr. 32 (Ordo of 1250), die Handsalbung. 166 Vgl. Ullmann, Liber Regie Capelle (wie Anm. 38), S. 35. 167 Vgl. Anm. 131. 168 Vgl. dazu wie zum folgenden den Bericht in dem Schreiben Johannes XXII. von 1318, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 69 Nr. X (bes. S. 70 f.), sowie Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 131 f.; Ullmann, Liber Regie Capelle (wie Anm. 38), S. 35; Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 116 f.; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 58 ff.

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rich II., dem Gegenspieler Beckets, zum Salböl der englischen Könige zu werden169. Unter dem so vorbestimmten, vielfach bedrängten, aber als uir benignus et ecclesie dei pugil gelobten Eduard II. ist dieses Öl dann in der Tat wieder aufgefunden worden. Doch scheiterte dieser bei dem Versuch, sich mit diesem himmlischen Öl ein Jahrzehnt nach seiner Krönung ein weiteres Mal salben zu lassen, an der kühlen Reaktion des Papstes, der sein Einverständnis zwar nicht verweigerte, aber die Bedeutungslosigkeit einer solchen Handlung deutlich machte170 und darüber hinaus forderte, die zweite Salbung heimlich vornehmen zu lassen, also ohne propagandistische Wirkung, auf die es dem bedrängten Herrscher wohl nicht zuletzt angekommen sein dürfte. Noch einige Jahrzehnte mußten daher vergehen, bis bei der englichen Krönung das Öl des Hl. Thomas wirklich benutzt werden konnte. Richard II., geschult vielleicht an der Fürstenlehre des Aegidius Romanus171 und ohnehin durchdrungen von der Erhabenheit seiner durch die Salbung erworbenen sakralen Stellung172, verlangte 1399, also etliche Jahre nach seiner Krönung, freilich ebenfalls vergeblich, eine erneute Salbung mit dem inzwischen wieder aufgetauchten, durch die Jungfrau Maria vermittelten Öl173 ; jedoch erst sein erfolgreicher Gegenspieler aus dem Hause 169

Schreiben Johanns XXII. (wie Anm. 168) S. 70: … quod quintus Rex Anglie ab eo qui regnabat tunc, esset uir benignus, et ecclesie dei pugil, pro quo et suis successoribus inungendis tradidit dicto sancto [Thomas Becket] Ampullam unam cum sacratissima unctione, … . 170 Vgl. Anm. 124 sowie Walter Ullmann, Thomas Becket’s Miraculous Oil, in: The Journal of Theological Studies NS 8 (1957) S. 129 – 133, bes. 129. 171 Zu den u. a. vielleicht an Aegidius Romanus geschulten Vorstellungen Richards II. über seine königliche Würde und seine als ,Absolutismus‘ charakterisierte Auffassung vom Königtum vgl. Richard H. Jones, The Royal Policy of Richard II: Absolutism in the Later Middle Ages, Oxford 1968, S. 174 f.; Nigel E. Saul, Richard II’s Ideas of Kingship, in: Gordon (Hg.), The Regal Image (wie Anm. 40), S. 27 – 32, bes. 30; ders., The Kingship of Richard II, in: Anthony Goodman / James Gillespie (Hgg.), Richard II. The Art of Kingship, Oxford 1999, S. 38 – 57 (der in seinem Aufsatz: Richard II and the Vocabulary of Kingship, in: EHR 100 [1995] S. 854 – 877, bes. 868, deutliche Vorbehalte formuliert gegen eine Kenntnis des Werks von Aegidius Romanus seitens Richards II.); Krieger, Das Haus Lancaster (wie Anm. 90), S. 154 und 157, sowie allg. auch Dunham/Wood, The Right to Rule in England (wie Anm. 142), S. 742 – 748. – Zu Aegidius Romanus vgl. Anm. 317. 172 Dieses Selbstverständnis wird nicht nur durch das einleitende Shakespeare-Zitat belegt, sondern auch durch die überlieferte Ansicht des Königs über die von ihm geforderte Resignation: Vgl. Anm. 232 sowie Frank Rexroth, Um 1399. Wie man einen König absetzte, in: Bernhard Jussen (Hg.), Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, S. 241 – 254, bes. 242. 173 Vgl. Annales Ricardi Secundi et Henrici Quarti, regum Angliae, hg. von Henry Thomas Riley, Johannis de Trokelowe et Henrici de Blaneforde, monachorum S. Albani, Chronica et Annales, regnantibus Henrico Tertio, Edwardo Primo, Edwardo Secundo, Ricardo Secundo, et Henrico Quarto (= RS), London 1866, S. 155 – 420, bes. 299 f., und Thomae Walsingham, quondam monachi s. Albani, Historia Anglicana, hg. von Henry Thomas Riley, Vol. II (1381 – 1422), RS, London 1864, S. 239 f., sowie Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 137; Ullmann,Thomas Becket’s Miraculous Oil (wie Anm. 170), S. 129, und J. W. McKenna, The Coronation Oil of the Yorkist Kings, in: EHR 82 (1967) S. 102 ff., bes. 102; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 60 f.

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Lancaster und in manchen Kreisen als Usurpator betrachteter174 Nachfolger Heinrich IV. ist mit dem Becket-Öl gesalbt worden175. Damit war der Durchbruch erreicht. Anders als früher geglaubt176 ließen sich nämlich auch die nachfolgenden Herrscher mit der vermeintlich himmlischen Substanz salben177, hatte doch im 174

In manchen kirchlichen Kreisen, etwa unter den Dominikanern, zu denen Richard II. ein gutes Verhältnis gepflegt hatte (vgl. Jones, The Royal Policy of Richard II [wie Anm. 171], S. 169), wurde die Thronbesteigung Heinrichs IV. als Usurpation betrachtet und stieß auf hartnäckigen Widerstand (vgl. James Hamilton Wylie, History of England under Henry the Fourth, Vol. I [1399 – 1404], London 1884, S. 271 – 280), wobei der Glaube eine nicht unwesentliche Rolle spielte, Richard sei noch am Leben und seinen Widersachern entkommen. Inwieweit bei diesem Glauben die Vorstellung mitwirkte, daß göttlicher Schutz Richards Flucht ermöglichte (vgl. Jones a.a.O.: „More than a few became martyrs after 1400 to the belief that divine protection, having enabled Richard to escape, would restore him tot he throne“), läßt sich aus den von Jones angeführten Belegen (vgl. die Angaben bei Wylie [a.a.O.] und Maude Violet Clarke, The Deposition of Richard II [in collaboration with V. H. Galbraith], in: L. S. Sutherland / M. McKisack [Hgg.], Fourteenth Century Studies by M. V. Clarke, Oxford 1937, S. 52 – 89 [erstmals 1930], bes. 87 f.) nicht erkennen. 175 Vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 137; Ullmann,Thomas Becket’s Miraculous Oil (wie Anm. 170), S. 129 f.; McKenna, The Coronation Oil (wie Anm. 173), S. 102, die Continuatio Eulogii, in: Eulogium (historiarum sive temporis): Chronicon ab orbe condito usque ad annum domini M.CCC.LXVI., a monacho quodam Malmesburiensi exaratum, Vol. III, hg. von Frank Scott Haydon (RS 9/3), London 1863, S. 384 (Rex Henricus Quartus coronatur a Thoma de Arundell‘, unctus cum oleo aquilae innotatae. Et erat primus qui cum oleo illo ungebatur.), die angebliche, um 1400 fabrizierte Beschreibung des Thomas Becket über den Empfang des ihm von der Jungfrau Maria anvertrauten Himmelsöls (in: English Coronation Records [wie Anm. 38] S. 169 Nr. XV), die Annales Ricardi Secundi et Henrici Quarti (wie Anm. 173) S. 300 und die Historia Anglicana des Thomas Walsingham (wie Anm. 173) S. 240. 176 Vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 137. 177 Vgl. Ullmann, Thomans Becket’s Miraculous Oil (wie Anm. 170), S. 130 ff.; ders., Liber Regie Capelle (wie Anm. 38), S. 36 ff., und ergänzend dazu McKenna, The Coronation Oil (wie Anm. 173), S. 102 ff., und den in der Mitte des 15. Jahrhunderts von dem Dekan der königlichen Kapelle William Say für den portugiesischen Grafen Alvaro Vaz d’Almada aufgezeichneten Ordo für die englische Königskrönung (Liber Regie Capelle [wie Anm. 38] S. 74 – 110 [Nr. XV]), der grundsätzlich auf dem Liber Regalis des späteren 14. Jahrhunderts (vgl. Anm. 40) beruht, aber auch einige Änderungen aufweist (vgl. Ullmann, Liber Regie Capelle, S. 9 – 14 und 36 – 41), vor allem einen Zusatz zur traditionellen Salbungshandlung: sic solebat antiquitus fieri. Modernis autem temporibus sacra aquila, in qua continetur oleum miraculose inuentum per sanctum Thomam Cantuariensem, quo presentes reges inunguntur,…, et deinde cetera peraguntur ut supra (Liber Regie Capelle S. 90 Anm. 3). Zur Krönung Heinrichs V. ist zu vergleichen: Thomae de Elmham, Vita et Gesta Henrici Quinti Anglorum Regis, hg. von T. Hearne, Oxford 1727, S. 21 (auch zit. bei McKenna – wie oben – S. 102 Anm. 5: unccione coelica, per manus beatae virginis quondam Sancto Thomae Cantuariensi tradita), zu derjenigen Heinrichs VI. die Aufforderung vom 6. November 1429, dem Tag der Krönung, ed. Thomas Rymer, Foedera, Conventiones, Literae, et cujuscunque generis Acta Publica, inter Reges Angliae et alios quosvis Imperatores, Reges, Pontifices, Principes, vel Communitates, Tom. IV 4, Den Haag 31740, S. 151: Aquilam Auream cum Ampulla, qua Reges Consecrari solebant, auszuhändigen (die wohl mit Blick auf die anderen in dieser Anm. angeführten Belege als Hinweis auf das Becket-Öl verstanden werden darf), sowie das Zeugnis Fortescues (vgl. Anm. 244), und zu derjenigen Richards III. die folgende Anmerkung.

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15. Jahrhundert mit Ausnahme Heinrichs V. jeder englische König eine besondere numinose Legitimation dringend nötig: der Ende 1421 geborene Heinrich VI., der Mitte 1422 noch in Windeln auf den Thron gelangte und bereits 1429 als knapp achtjähriges Kind gekrönt wurde, Eduard IV. aus dem Hause York, der den als Herrscher und im Geiste schwachen Heinrich VI. beiseiteschob und letztlich beseitigte, Eduards sklerotischer Bruder Richard III.178, der weder die blutige Bestie noch der bucklige Bösewicht gewesen ist, zu dem ihn die Tudor-Historiographie stilisierte und als welcher Shakespeare ihn auf die Bühne brachte, der aber das Thronrecht seiner Neffen überging und an deren Tode kaum unschuldig war179, und schließlich der Tudor Heinrich VII.180, der Bezwinger Richards III. und Überwinder der als Rosenkriege beschriebenen Auseinandersetzungen des 15. Jahrhunderts um die englische Krone, der neben dem militärischen Erfolg von Bosworth natürlich ebenfalls einer besonderen spirituellen Legitimation bedürftig war. Aber auch noch Wenn es für die Krönung Eduards IV. auch keinen Beleg gibt über eine Verwendung des Becket-Öls, so ist diese doch mit großer Sicherheit anzunehmen angesichts der Bemerkung im Krönungsordo des Liber Regie Capelle und der Tatsache, daß alle drei Könige und Vorgänger aus dem Hause Lancaster und Richard III., der Bruder und Nachfolger Eduards, mit diesem Öl gesalbt worden sind. Wegen eines gesteigerten Legitimationsbedürfnisses ist daher aber auch eine Salbung Heinrichs VII. mit dem Öl der Gottesmutter mehr als wahrscheinlich. 178 Über den Verlauf der Krönung Richards III. und seiner Gemahlin gibt es zeitgenössische Beschreibungen, in denen aber die Salbung wie alles andere Geschehen nur kurz erwähnt wird, sie sind ediert in den English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 193 Nr. XVIII (hier S. 196: And after divers songes solemnely soong they both ascended to the high Altar, and were shifted from their Robes, and had divers places open from the middle vpward, in which places they were anointed), und in Sutton/Hammond, The Coronation of Richard III (wie Anm. 36), S. 270 – 282, bes. 277. The Little Device for the Coronation of Richard III, ed. Sutton/Hammond (wie vor) S. 213 – 227, beschreibt den Salbungsvorgang (auf S. 221 f.) ebenfalls knapp, und zwar entsprechend der Vorgabe des Krönungsordo. Doch bezeugt ein von McKenna, The Coronation Oil (wie Anm. 173), S. 103, edierter Bericht vom 7. Juli 1483, dem Tag nach der Krönung, die Rückgabe eines kostbaren Gefäßes (an Egle of gold garnysshed with perles and precious stones), das die Ampulle mit dem Becket-Öl enthielt (in which is closed the precious Relique called the Ampulle), an den Abt von Westminster, der für die Aufbewahrung zuständig war. 179 Das historische Bild Richards III. ist in den letzten Jahrzehnten deutlich aufgehellt worden, ohne daß dabei eine reine Mohrenwäsche vollzogen wurde; vgl. dazu P. W. Hammond, The Reputation of Richard III, in: John Gillingham (Hg.), Richard III. A Medieval Kingship, London 1993, S. 133 – 149 (dessen Darlegungen über die äußere Erscheinung Richards mittlerweile ergänzt werden können durch die Untersuchungen des inzwischen aufgefundenen Skeletts des Königs: vgl. FAZ vom 4. 2. 2013 [Feuilleton]), sowie insbesondere Paul M. Kendall, Richard III. Der letzte Plantagenet auf dem englischen Königsthron. 1452 – 1485, München 1980 [engl. 1955]; Charles Ross, Richard III, London 1981; Michael Hicks, Richard III as Duke of Gloucester. A Study in Character, in: ders., Richard III and his Rivals: Magnates and their Motives in the War of the Roses, London 1991, S. 247 – 279, und Brodt, Das Haus York (wie Anm. 142), S. 213 – 226, zu den Hintergründen der Thronbesteigung bes. 214 – 220, sowie Colin Richmond, 1483: The Year of Decision (or Taking the Throne), in: Gillingham (Hg.), Richard III (wie oben), S. 39 – 55. 180 Das Little Device for the Coronation of Henry VII, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 219 Nr. XX, erwähnt das Becket-Öl in seinen Ausführungen über die königliche Salbung nicht, sondern nennt nur holie oyle und holie creyme: Vgl. ebd. S. 232.

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im gesamten 16. Jahrhunderts scheint bei der Krönung des englischen Monarchen das Becket-Öl verwendet worden zu sein181. 3. Bedeutung und Wirkung der Salbung in England und Frankreich Die Betonung und Intensivierung der Sakralität der Könige von England und Frankreich im späteren Mittelalter, die fleißige, sich offenbar steigernde Übung der Krankenheilung, die Ausgestaltung der himmlischen Bezüge der Monarchie (in Frankreich durch Fleurs-de-lis und Oriflamme, in England durch das Becket-Öl), die Hervorhebung der Priesterähnlichkeit durch die Zeremonie der Herrscherweihe und die herrscherliche Gewandung, kurz: die unverkennbare, mit der Salbung verbundene Verdichtung der königlichen Sakralität läßt noch einmal die Frage nach Sinn und Bedeutung der Herrscherweihe ins Zentrum der Betrachtung rücken. Natürlich gab es im späteren Mittelalter, in einem Zeitalter immerhin der vielfältigen Ausdifferenzierung unterschiedlichster Verhältnisse182, auf diese Frage keine einheitliche Antwort mehr (wenn es eine solche überhaupt jemals gegegeben hat), aber es lassen sich doch einige Grundzüge der damals vorgetragenen Ansichten herausstellen. Die kirchlich-kuriale Lehre hatte, wie erwähnt, schon längst die Bedeutung der Salbung abgeschwächt183. Darüber hinaus konnte nach William Ockham ein Herrscher nichts durch die Weihe gewinnen – weder im weltlichen noch im geistlichen Bereich184. Eine vergleichbare Ansicht, wenn auch aus einer anderen Perspektive, hatte bereits um 1300 Jean Quidort vertreten, der erklärt, die Weihe sei lediglich ein Manifestationsakt ohne konstitutive Wirkung, da das französische Königtum göttlichen Ursprungs sei und durch die Salbung lediglich ,öffentlich‘ werde, was schon 181

Vgl. Ullmann, Thomas Becket’s Miraculous Oil (wie Anm. 170), S. 133; ders., Liber Regie Capelle (wie Anm. 38), S. 38, und vor allem Wilson, The English Coronation Orders (wie Anm. 38) S. 501 f. Anm. 4. 182 Vgl. Erich Meuthen, Das 15. Jahrhundert (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte 9), München 1980, 5. Aufl. 2012 überarbeitet von Claudia Märtl, S. 1 f., und ders., Gab es ein spätes Mittelalter?, in: Johannes Kunisch (Hg.), Spätzeit. Studien zu den Problemen eines historischen Epochenbegriffs (= Hist. Forschungen 42), Berlin 1990, S. 29 – 46. 183 Vgl. Anm. 115. 184 Octo quaestiones de potestate papae, hg. von Hilary S. Offler, Guillelmi de Ockham Opera Politica I, Manchester 2 1974, S. 15 – 217, hier 163 (V 9: … respondetur si reges Angliae et Franciae habent gratiam curandi a scropfhulis, non habent ipsam propter unctionem regalem, quia multi alii reges, quamvis inungantur, huiusmodi gratia minime decorantur; sed habent huiusmodi gratiam propter aliam causam, quae nobis latet, nec potest ab homine indagari. …, tamen ista non habent specialiter conferre aliquod donum spirituale, sed propter bonam intentionem prodesse possunt etiam spiritualiter: quemadmodum omnes sollemnitates, etiam corporales, quae fiunt circa novos milites, nuptias, bella, …); vgl. dazu Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 253, und – mit anderem Akzent – Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 172, sowie allg. Krynen, L’Empire du Roi (wie Anm. 88), S. 349.

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ist185. Ein dreiviertel Jahrhundert später wurde im Songe du Verger die Meinung Ockhams übernommen, allerdings nur mit Blick auf die übrigen Könige Europas, denn, so die weitere Behauptung, das Himmelsöl, das bei der Krönung des französischen Königs verwendet werde, verleihe der Zeremonie einen anderern Charakter und dem Herrscher des Hl. Geistes Gaben186. Mit solchen theoretischen Überlegungen ging seit dem 13. Jahrhundert eine praktische Entwicklung einher: die Lösung des Herrschaftsbeginns von der Krönung und der in ihrem Verlauf vollzogenen Salbung. In den Erbmonarchien Westeuropas, in England und Frankreich, wurde es seit 1272 und 1270 üblich, die Herrschaft eines neuen Königs mit dem Tod des Vorgängers beginnen zu lassen: mit dem Tag des Todes oder kurz danach, und sie 185 De regia potestate c. 17 (wie Anm. 49) S. 158 (Pro tanto ergo dicebat Hugo [von St. Viktor] quod potestas spiritualis regiam instituebat ut esset non quidem ipsam efficiendo ut esset, cum sit a Deo et populo consentiente et eligente, sed quia inungendo ipsum instituentem et electum manifestabat.), vgl. Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 228. 186 Songe du Vergier I (wie Anm. 55) S. 133 (Livre I, chap. LXXX, 6 – 8, bes. 8: Mez quoy que nous diïons dez aultres Roys, il samble que nul ne doie doubter que le roy de France ne praingne especial grace du Saint Esprit par sa saincte unction. Car, ainssi que il est plus merveilleusement oynt et plus especialment que nul aultre Roy, c’est chose vraysamblable que, devant tout aultre, il receve par celle unccion especial don et grace du Saint Esprit. Car il est oynt de la Saincte Ampoule, laquelle fust envoïee par l’Angre du Ciel, pour quoy il appiert que lez roys de France ne sont pas oynt seulement par ordenance humaine, mez sont oyns, consecrés et couronnés par l’ordenance du Pere, du Filz et du Saint Esprit.); vgl. auch die lateinische Fassung im Somnium Viridarii (wie Anm. 54) S. 129 (lib. I c. 173), sowie Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 253 f., und Colette Beaune, Les théoriciens contestataires du sacre au XVe siècle, in: Le sacre des rois. Actes du Colloque international d’histoire sur les sacres et couronnements royaux (Reims 1975), Paris 1985, S. 233 – 241, bes. 234 – 237, hier: 237. – Im übrigen spiegeln sich im Songe du Verger verschiedene, in Frankreich vertretene Positionen über die Bedeutung der Salbung wieder; eine Gruppe, vertreten durch den Kleriker, meint, die Salbung vermittle dem König die Befähigung zur Krankensalbung (Livre I, chap. LXXIX 6 [S. 131]), und eine andere, die durch den Ritter repräsentiert wird und bereits zitiert ist, lehnt diese Vorstellung ab; sie führt die besondere Stellung des französischen Königs einerseits auf das Geblüt (also auf den Erbgang) zurück und andererseits auf die besonderen, durch das Himmelsöl garantierten Beziehungen zu Gott. Nach dem weitgereisten und kenntnisreichen Philippe de Mézières, Mitglied des Beraterkreises Karls V. und 1389 Verfasser des Songe de Vieil Pelerin (wie Anm. 157) als „miroir des princes“ für Karl VI. (vgl. Autrand, Charles VI [wie Anm. 142] S. 198 – 202, und Blanchard [wie Anm. 157] S. 41; hier auch S. 9 – 24 zum Leben und Wirken Philippes), bewirkte die Salbung die Heilkraft der französischen Könige, deren Handeln direkt durch den Heiligen Geist inspiriert worden sein soll: Le Songe du Vieil Pelerin (wie Anm. 157) II, S. 249 f. = 716 f. (lib. III cap. 236: … de la susdicte digne unction et par espicial de la saincte unction qui est venue du ciel, …, tu as la dignite. … / … il te doit souvenir et souvent reduyre a ta memoyre, …, de la tresgrant vertu du ciel en ton saint sacre et benoist unction, tant de fois repetee, qui est si grande et si manifeste au monde que pour toucher tant seulment de ta main sacree a la maladie qui s’appelle escroelles, …, le pacient, sans medicine, en certain temps recoit plaine sancte, qui est une miracle evident, … par la vertu de la sainte unction, … / … Se doncques, …, ceste sainte unction en toy et par toy honnestement et dignement sera bien gardee, de l’onction du Saint Esperit, …, ton ame, …, sera visitee, qui en ton gouvernement doulcement t’enseignera tout ce que tu auras a faire, quant tu devras parler et quant tu (te) devras tayre.).

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nicht mehr erst von der Weihe an zu zählen187; im römisch-deutschen Imperium gab es gleichzeitig eine ähnliche, sich freilich länger hinziehende und vor allem unter Ludwig dem Bayer vorangetriebene Entwicklung durch die Betonung der Wahl als entscheidendes Moment der Herrschaftsbegründung, von der an zunehmend die Jahre einer neuen Herrschaft gezählt wurden188. Im Reich konnten daher schließlich längere Zeiträume eintreten zwischen Wahl und Krönung wie etwa bei Sigismund von Luxemburg und Friedrich III.189 und in England konnte sich Eduard IV. drei Monate Zeit lassen nach seinem Sieg über das Haus Lancaster, bevor er sich krönen ließ190. Hier wie da bestand dabei kein Zweifel am Recht des neuen Herrschers, die volle Regierungsgewalt schon vor der Weihe auszuüben. In Frankreich, wo die Erbmonarchie am filigransten und mit letzter Konsequenz ausgebildet wurde und Karl V. zudem 1374 noch offene Probleme der Nachfolge durch eine eigene Ordonnance grundsätzlich geregelt hat191, im Reich der Valois war dies selbstverständlich nicht anders, wie sogar die schwierigen Anfänge Karls VII. lehren, der, seit 1422 Nachfolger des Vaters, erst 1429 gekrönt werden konnte, aber seinen Anhängern letztlich doch als rechtmäßiger, wenn auch in seinen konkreten Aktionsmöglichkeiten zunächst noch beschränkter König galt192. Die englischen und französischen Krönungsordines des 14. und 15. Jahrhunderts193 geben daher ebenso 187 Vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 166; ders., Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 227 f.; André Leguai, Fondements et problèmes du pouvoir royal en France (autour de 1400), in: Schneider (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum (wie Anm. 17), S. 41 – 58, bes. 49. 188 Vgl. Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), Kap. 7.1 (und die dort verzeichnete Literatur), wo in einer aufwendigen, neue Detaileinsichten bringende Untersuchung das Ergebnis der älteren Forschung grundsätzlich bestätigt wird. 189 Vgl. ebd. S. 611 sowie 491 und 505, 528 und 545 f., aber auch Rogge, „Tum … (wie Anm. 38), S. 47 f.; Franz-Reiner Erkens, Der Erzbischof von Köln und die deutsche Königswahl. Studien zur Kölner Kirchengeschichte, zum Krönungsrecht und zur Verfassung des Reiches (Mitte 12. Jahrhundert bis 1806) (= Studien zur Kölner Kirchengeschichte 21), Siegburg 1987, S. 96: Sigismund wurde 1410 und 1411 gewählt, 1414 gekrönt; Friedrich III. 1440 gewählt und 1442 gekrönt. 190 Vgl. Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 131 f. 191 Vgl. Anm. 154 und dazu Françoise Autrand, La succession à la couronne de France et les ordonnance de 1374, in: Joël Blanchard (Hg.), Représentation, Pouvoir et Royauté à la fin du Moyen Âge, Paris 1995, S. 25 – 32. Aus den Jahren 1403 und 1407 gibt es Ordonnancen Karls VI. (Ordonnances des Rois de France de la troisème race VIII, par M. Secousse, Paris 1750, S. 579 f. [26. April 1403] und 581 ff. [April 1403], und 9, par M. de Vilevault, Paris 1755, S. 267 ff. [26. Dezember 1407]), die die unmittelbare Nachfolge regeln, die Anerkennung des jungen Königs im Falle eines vorzeitigen Ablebens des Vaters sichern sowie die Organisation der Regierung während der Zeit der Minderjährigkeit festlegen und die auf diese Weise „annulèrent la valeur légale du rite et son caractère obligatoire dans la transmission de l’autorité souveraine.“ Vgl. dazu Marina Valensise, Le sacre du roi: stratégie symbolique et doctrine politique de la monarchie française, in: Annales ESC 41 (1986) S. 543 – 577, bes. 549. 192 Vgl. Kintzinger, Sakrale Repräsentation (wie Anm. 42), S. 30 ff. 193 Vgl. für die englischen Verhältnisse den Liber Regalis, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 81 Nr. XIII, sowie die Krönungsordnung aus dem 15. Jahrhundert, in: Liber

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wie der spätmittelalterliche Ordo aus dem Reich194 ganz kar zu erkennen, daß nicht ein neuer Herrscher zum König geweiht, sondern daß ein König gekrönt wurde. Die skizzierte Entwicklung, begleitet von einer immer deutlicher werdenden Ausprägung transpersonalen Verständnisses der Königswürde und einem spürbaren Bewußtwerden von deren Amtscharakter195, läßt natürlich nur einen, schon oft gezogenen und vorgetragenen Schluß zu196 – nämlich: daß die Salbung im späten regie Capelle (wie Anm. 38) S. 74 Nr. XV, in denen der ,consecrandus‘ außer in Textpassagen, die von älteren Formulierungen beeinflußt sind, schon vor der Weihe zumeist rex genannt wird (wobei es, wenn man Ullmann, Liber regie Capelle, S. 40 f., folgt, vom 14. zum 15. Jahrhundert zu einer Intensivierung der Betonung des königlichen Standes des zu Weihenden gekommen sein kann); für die französischen Verhältnisse seit dem 13. Jahrhundert, die nicht anders waren als die englischen, vgl. die Ordines XX bis XXV in: Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39), Bd. II. 194 Vgl. Der Kölner Ordo (wie Anm. 37); im Mainzer Ordo von etwa 960 (wie Anm. 37) hingegen wird erst der gesalbte Herrscher als rex (S. 257 Nr. 22 und 23) bezeichnet, während er vor der Salbung princeps (S. 247 Nr. 6, 248 Nr. 7, 249 Nr. 8) genannt wird. 195 In diesem Zusammenhang ist ganz allg. hinzuweisen auf die sich entwickelnde Vorstellung von den beiden Körpern des Königs, die Ernst Kantorowicz in einer großen Studie ausbreitete (vgl. Anm. 9: Die zwei Körper des Königs, Kap. I), und auf die Lehre, daß der König nicht sterbe (ebd. Kap. VII sowie Schramm, Der König von Frankreich [wie Anm. 36], in: ZRK KA 26, S. 278), aber auch auf ein an den Prinzen Heinrich, den späteren König, gerichtetes Gedicht aus der sich dem Ende zuneigenden Regierungszeit Heinrichs IV., das Thomas Hoccleve verfaßte (The Regiment of Princes, ed. by Charles R. Blyth, Kalamazoo/ Mich. 1999, V. 2409 und 2413 [his office]), sowie auf The Governance of England: otherwise called The Difference between an Absolute and a Limited Monarchy; by Sir John Fortescue. A revised Text edited by Charles Plummer, Oxford 1885 [ND 1979], S. 109 – 157, hier 127 (Kap. VIII: Ffor though his estate be the highest estate temporall in the erthe, yet it is an office, in wich he mynestrith to his reaume defence and justice.); vgl. außerdem Chrimes, English Constitutional Ideas (wie Anm. 66), S. 17 f.; Ormrod, Personal Religion (wie Anm. 148), S. 852; Krieger, Das Haus Lancaster (wie Anm. 90), S. 151 f.; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 56 f.; John Watts, Henry VI and the Politics of Kingship, Cambridge 1996, S. 21, sowie Kintzinger, Sakrale Repräsentation (wie Anm. 42), S. 38. Auch die von Nicolas de Lyre formulierte Vorstellung, daß Herrscher zwei Schutzengel besitzen, einen als Individuum und einen als König, belegt das sich formierende Verständnis vom Königtum als einem Amt, heißt es doch: Sciendum quod imperatores et reges habent duos angelos custodes, unum ratione singularis persone, sicut et ceteri homines, … alterum vero ratione dignitatis seu officii; … (zit. nach Philippe Buc, Exégèse et pensée politique: Radulphus Niger [vers 1190] et Nicolas de Lyre [vers 1330], in: Blanchard [Hg.], Représentation [wie Anm. 191], S. 145 – 164, hier: 154 f. Anm. 50). Zur Entwicklung der transpersonalen Vorstellung vom Reich vgl. Ernst Schubert, König und Reich. Studien zur spätmittelalterlichen deutschen Verfassungsgeschichte (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 63), Göttingen 1979, S. 256 – 275 (zur Vorstellung vom Kaiser als ,Pfleger‘ und ,Vogt‘ des Reiches bes. S. 256 und 267). 196 Vgl. etwa Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 94 ff.; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 42, 46 f. und 52; Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 744 – 747, 775, 778 f.; Hans Joachim Berbig, Der Krönungsrirus im Alten Reich (1648 – 1806), in: ZBLG 38 (1975) S. 639 – 700, bes. 690; Jackson, Le pouvoir monarchique (wie Anm. 199), S. 246 f. Vgl. auch unten Anm. 204. Jackson, Le pouvoir monarchique (wie Anm. 199), S. 247, weist auch auf Iohannes Limnaeus, Juris publici Imperii Romano-Germanici libri IX, Argentorati 3 1657, Tom. I, Buch 2 cap. 481, hin (Coronatio non facit Imperatorem: ergo est in totum inutilis

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Mittelalter ihre frühere (quasi-)konstitutive Bedeutung für die Königsherrschaft verlor. Selbst in Frankreich, wo ,le sacre‘ in einem Maße ausgestaltet und ideologisch aufgeladen war wie in keinem anderen christlichen Königreich und Karl V. mitsamt seinem Beraterkreis noch im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts die besondere Bedeutung der Salbung betonte und hervorheben ließ197, selbst hier, wo der Königsmythos von besonderer Bedeutung war198 und die Herrscherweihe wie ein Mysterium erscheinen konnte199, werteten die Juristen der Krone im 15. Jahrhunderts die Salbung als Konstitutivakt ab200. Dabei ging es ihnen hauptsächlich um die völlige Absicherung des königlichen Erbrechts: Nichts als die richtige Abstammung sollte Thronrecht und Nachfolge bestimmen. Weil der kirchliche Akt der Herrscherweihe daher keinerlei konstitutive Bedeutung besitzen durfte201 und das Papsttum damals schon längst die Herrschersalbung abgewertet hatte, überrascht zunächst die Beibehaltung der erhabenen Feierlichkeit in den west- und zentraleuropäischen Monarchien, hätte man doch wie in den spanischen Königreichen und in Sütitalien202 auch auf sie verzichten können. Offenbar jedoch maß man Salbung und Krönung weiterhin eine gewisse Bedeutung zu, weswegen von der historischen Forschung immer erklärt worden ist, trotz ihres

et supervacua. … A caeremoniis autem externis, jura regni non dependent, nec potestas eadem administrandi, cum illa nihil addant electioni: … nec ideo coronatur, ut Imperator sit, sed cum sit Imperator, ideo coronatur.), doch ist diese Ansicht erst in der frühen Neuzeit und mit Blick auf die (römische) Kaiserkrönung (vgl. ebd. cap. 452 : Tertia coronatio est Romana, …) formuliert worden, sie trifft deshalb nicht unbedingt auf die spätmittelalterlichen Verhältnisse der Aachener Königskrönung zu. Für diese einschlägig ist hingegen die Feststellung (ebd. cap. 438): Coronatio haec, utpote ad solemnitatem potius extrinsecam pertinens, magis honoris & celebritatis causa peragitur, quam necessitatis essentialis: Vnde ea, electio & commissio Imperii quasi renovatur, ad autoritatem electo stabiliendam, & et personam eius omnibus & singulis notam faciendam: nihil vero novi eadem tribuitur … 197 Vgl. dazu unten Anm. 207 und 212 – 215. 198 Vgl. Leguai, Fondements et problèmes (wie Anm. 187), S. 48. 199 Vgl. Richard A. Jackson, Le pouvoir monarchique dans la cérémonie du sacre et couronnement des rois de France, in: Blanchard (Hg.), Représentation (wie Anm. 191), S. 237 – 251, bes. 240, und allg. Hélène Wolff, Les sacres du XVe siècle racontés par les chroniqueurs: le mystère et la fête, in: Le sacre des rois (wie Anm. 186), S. 131 – 140. 200 Vgl. dazu wie zum folgenden Beaune, Les théoriciens (wie Anm. 186), S. 234 und bes. 235 ff., und Leguai, Fondements et problèmes (wie Anm. 187), S. 49 f., aber auch Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 278. Im übrigen ist bereits im Songe du Vergier I (wie Anm. 55) S. 129 (Livre I, chap. LXXVIII 11: Item, que, par le couronement, le Roy n’ait aucun pover sur la temporalité …) die Bedeutungslosigkeit des ,sacre‘ für den Herrschaftsantritt des französischen Königs betont worden. Zur Bedeutung der Salbung nach der Auffassung des Songe du Vergier vgl. außer dem in Anm. 186 angeführten Zitat auch Livre I, chap. LXXV I (a.a.O. S. 125). 201 Vgl. etwa Jackson, Le pouvoir monarchique (wie Anm. 199), S. 246: „Il serait faux de conclure que le sacre et couronnement était une condition préalable à la succession ou nécessaire pour faire le roi.“ 202 Vgl. Anm. 17 und Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 16.

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Bedeutungsverlustes sei die Herrscherweihe wichtig geblieben: zur Präsentation203, zur Verkündung, Bekräftigung und Bezeugung der neuen königlichen Herrschaft, als ein Akt, qui „donne plus d’honneur et de prestige“204, und notwendig zugleich zur Sicherung der „mysterious powers“205 der Königswürde. Gerade dieser letzte Aspekt, die Demonstration der sakralen, der religiösen Dimension des Königtums, dürfte von nicht unerheblicher Bedeutung gewesen sein und läßt Zweifel aufkommen an einem prinzipiellen Bedeutungsverlust der Salbung im späten Mittelalter, treffender ist es vielleicht eher, von einer Bedeutungsverschiebung zu sprechen. Die Entwicklung der Herrschaftstheorie und damit die Beseitigung des quasikonstitutiven Charakters der Herrscherweihe ist nämlich ähnlich dem päpstlichen Bemühen um Abwertung der Herrschersalbung das eine, die Wahrnehmung und das Verständnis der Öffentlichkeit jedoch das andere. Und für diese scheint die Salbung im späten Mittelalter kaum etwas an ihrem Charakter als ,rite de passage‘ verloren zu haben206. In Frankreich blieb diese Vorstellung am stärksten erhalten. Jean Golein, der im Umfeld Karls V. wirkende Karmeliterprior aus Rouen und Beichtvater der Königin, gab ihr um 1372 den klarsten Ausdruck in seinem für den König verfaßten „Traité du Sacre“, in dem er nicht nur die eigene Überzeugung, sondern auch die seines korrigierend eingreifenden Königs und der übrigen königlichen Berater, aber auch die einer breiteren Öffentlichkeit formulierte und in dem alles Wesentliche angesprochen wird, was damals die französische Königsidee ausmachte207: die Unabhängigkeit von irgendeiner anderen weltlichen Gewalt208, die Erbsukzession in 203 Vgl. Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 97, ders., Königskrönung (wie Anm. 37), S. 37; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 52; Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), S. 279, und Jackson, Vive le Roi! (wie Anm. 42), S. 10 f. 204 Beaune, Les théoriciens (wie Anm. 186), S. 243: „Le sacre est une épisode tardif et non nécessaire pour constituer le pouvoir royal. Il l’officialise, le confirme, l’approuve, lui donne plus d’honneur et de prestige“. 205 Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 132: „If it were not for the necessity of securing the mysterious powers bestowed by unction and the Tudor succession, the secular ceremony might well have grown in importance“. 206 Vgl. dazu wie zum folgenden die in Anm. 140 angegebene Literatur sowie zusätzlich Rougier, Le charactère sacré (wie Anm. 84), S. 617; Jackson, Le pouvoir monarchique (wie Anm. 199), S. 246; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 41 („Krönungen … als Übergangsrituale“). 207 The Traité du sacre of Jean Golein, hg. von Richard A. Jackson, in: Proceedings of the American Philosophical Society 113 (1969) S. 303 – 324, bes. 308 – 324 (Edition) und 305 (zum Leben Goleins); vgl. zu Autor und Werk auch Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 168 ff. und 502 – 513; Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 246 ff.; O’Meara, Monarchy and Consent (wie Anm. 36), S. 116 ff. Kintzinger, Sakrale Repräsentation (wie Anm. 42), S. 37; Jacques Nepote, Présentation du Traité du Sacre de Jean Golein (1374), in: Le sacre des Rois (wie Anm. 186), S. 217 – 223, bes. 217 f. (zum Autor). 208 Traité du sacre (wie Anm. 207) S. 309 (ne recognoist nul souverain temporel estre sur lui) und 310 (le Roy de france ne recognoisse nul seigneur temporel sur lui en terre); vgl. dazu Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 34 f. (und die dort verzeichnete Li-

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männlicher Line209, die Sakralität des Königshauses210, Himmelsöl und Sainte Ampoule, fleurs-de-lis sowie Oriflamme211. Dabei läßt der Karmeliter keinen Zweifel an dem Standeswechsel aufkommen, welchen die Salbung beim König bewirkt und der sich im Ablegen der Kleider vor der Salbung manifestiert, denn dadurch verläßt der zu Weihende den weltlichen Stand, um in den der ,religion royale‘, also in einen eigenen Stand, überzuwechseln212: Et quand le Roy se despoille cest signifiance quil relenquist lestat mondain de par devant pour prendre celui de la religion Royal. Die Weihe, wenn in angemessener Frömmigkeit (devocion) empfangen, reinigt den König nach Goleins Auffassung nicht nur von allen Sünden213, sie verleiht ihm, weil mit Himmelsöl vollzogen, auch eine höhere Würde, als sie irgend ein anderer Herrscher und selbst der Kaiser besitzt214, vor allem aber befähigt sie ihn, wie auch Goleins Zeitgenossen Raoul de Presles und Philippe de Mézières meinen, zur Skrofelnheilung215 (freilich ohne den Herrscher als Person heilig oder zum Wundertäter zu machen, sondern aufgrund des königlichen Standes, des digne estat royal216). Diese vom französischen König und seinem Hof im letzten Drittel des teratur), sowie allg. Ralph E. Giesey, The Juristic Basis of Dynastic Right to the French Throne (= Transactions of the American Philosophical Society 51/5), Philadelphia 1961. 209 Traité du sacre (wie Anm. 207) S. 322 (Nachfolge par succession de hoir masle. et non mie par election comme lempire de Romme et dalemaingne). 210 Ebd. S. 309; vgl. dazu auch unten Anm. 318, 320 – 323. 211 Ebd. S. 309, 312 f., 316, 323 (Himmelsöl und Sainte Ampoule), 315 (fleur-de-lis), 324 (Oriflamme). 212 Ebd. S. 315. Jackson, Le pouvoir monarchique (wie Anm. 199), S. 246, weist darauf hin, daß das Krönungsritual aus dem französischen König einen neuen Menschen mache: „Le rituel du sacre et couronnement créait un home nouveau …“; wobei die Zeremonie, auch wenn der Herrscher durch sie nicht erst zum König werde (vgl. S. 247), doch eine besondere Verbindung zu Gott schlage: „Elle [die Zeremonie] renforçait le pouvoir du roi en l’associant avec Dieu et avec le clergé de Dieu dont il jurait de défendre l’Eglise“. Die Teilhabe am Bischofsamt (vgl. S. 243 f.) betone dabei die Krönungsfloskel des Ordo XXIII (in: Ordines Coronationis Fanciae [wie Anm. 39] S. 499 f. Nr. 65), weswegen zumindest für Karl V., VI. und VII. und gelte (S. 244): „par cette formule, le roi qui avait reçu l’onction cessait d’être un simple laïc et commençait à partager certaines des obligations du sacerdoce“. 213 Vgl. Traité du sacre (wie Anm. 207) S. 315. 214 Vgl. ebd. S. 309 und 316 und unten Anm. 216. 215 Traité du sacre (wie Anm. 207) S. 323: … le Roy est oint de la sainte onction du ciel aportee. par la quele dignement prise il guerist de la merveilleuse maladie que on apelle les escroelles. Zu Raoul de Presles vgl. Shahar, Traduction (wie Anm. 83), S. 47, zu Philippe de Mézières Anm. 186. 216 Vgl. im Traité du sacre (wie Anm. 207) die Fortsetzung des in Anm. 215 zitierten Satzes: Non mie que pour ce on doie entendre que la personne soit pource dicte sainte ne faisant miracles. mais la cause du digne estat royal il a ceste prerogative sur touz autres Roys quelz quil soient. Wenig später heißt es ebd.: Comment que je ne die mie le Roy ait tel caractere [gemeint ist der zuvor erwähnte Charakter eines geweihten Priesters: … uin prestre qui seroit en pechie pourroit consacrer pour lautorite et caractere prise en la consecration] pour cause de lonction. si ha il tele dignite pour cause de la consecration et de la lignie sacree

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14. Jahrhunderts vertretene Auffassung von der Bedeutung der Salbung, von der Aktivierung der thaumaturgischen Kraft und vom Standeswechsel, den diese bewirkt und der sich wohl zusätzlich in dem Umstand spiegelt, daß König und Königin die Kommunion nicht nur bei der Krönung217, sondern auch noch später in beiderlei Gestalt empfingen218, dieses Verständnis vom ,sacre‘ blieb auch künftig im Bewußtsein der französischen Nation präsent. Daran änderte die Ausgestaltung der schon vor Karl V. greifbaren Vorstellung219 von der geringen Bedeutung der Salbung im 15. Jahrhundert und die Zurückführung aller Prärogativen und besonderen Kräfte des französischen Königs allein auf Abstammung und Herkunft und damit auf das königliche Erbe220 wenig. Denn man konnte trotz aller Betonung des königlichen Blutes als des eigentlichen Trägers und Vermittlers von Herrschaft und Sonderstellung des französischen Monarchen natürlich nicht ganz vom göttlichen Wirken und damit vom Himmelsöl und von der

quil plaist a nostre seigneur a li donner vertu contre celle laide maladie des escroelles. – Die neuere Forschung betont aufgrund solcher Aussagen sehr stark die ,Amtsheiligkeit‘ des französischen Königs (vgl. etwa Kintzinger, Sakrale Repräsentation [wie Anm. 38], S. 36 [„Sakralität der Erbmonarchie“] und 38 [„…, vermittelt die kirchliche Weihe im Krönungsritus … an eine dynastische Erbsukzession Sakralität – des Amtes, nicht der Person“]), was sicherlich richtig ist, denn die durch die Weihe erworbene Sakralität ist zweifellos keine persönliche Heiligkeit gewesen (zur Unterscheidung von ,sakral‘ und ,heilig‘ in diesem Zusammenhang vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter [wie Anm. 2], S. 28 f.), es sollte dabei aber die Bedeutung der Person des Königs nicht zu gering veranschlagt werden, denn sie ist ausgezeichnet durch eine besondere Geblütsheiligkeit (vgl. Anm. 321) und sie ist es, die geweiht (vgl. etwa Kintzinger, a.a.O., S. 38: „Zuschreibung von Sakralität an den neuen König“ durch die Weihe) und damit in eine besondere Nähe zu Gott gerückt wird. Philippe de Mézières läßt daher im Songe du Vieil Pelegrin (lib. III cap. 236 [wie Anm. 157] S. 249 = S. 716) la royne Verite den jungen König ermahnen: Et te doit souvenir, Beau Filz, en tremblant, que pour le sacre, tressaint et singulier entre tous les roys crestiens, …, pour lequel sacre tu es appelle le roy trescrestien, … 217 So – nachdem dies bereits der (als einziger früher Ordo überhaupt etwas über die Eucharistiefeier anmerkende) Ratold-Ordo von etwa 980 vorsah (vgl. Ordo XV [wie Anm. 106] S. 192 Nr. 40) – im 13. Jahrhundert erstmals (vgl. Jackson, Vive le Roi! [wie Anm. 42], S. 33) im Reimser Ordo von etwa 1230, ed. Ordines Coronationis Franciae (wie Anm. 39) S. 304 (Ordo XX A Nr. 19); vgl. auch ebd. die folgenden Ordines: S. 416 (Ordo XXII A Nr. 75), 508 (Ordo XXIII Nr. 85), 552 (Ordo XXIV Nr. 86) und 613 (Ordo XXV Nr. 156). 218 Vgl. Jackson, Vive le Roi! (wie Anm. 42), S. 33 („Finally, as a result of the consecration, the king and queen were given the right to communicate in both species, …“); Lewis, Later Medieval France (wie Anm. 88), S. 82, und Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 230 f. mit Anm. 42, wo darauf hingewiesen wird, daß dieses Recht 1344 von Papst Clemens VI. an Philipp VI., dessen Gemahlin, den damaligen Thronfolger und dessen Frau gleichsam ad personam verliehen worden ist, sich dann aber wohl zu einem königlichen Gewohnheitsrecht entwickelte. 219 Vgl. Anm. 185. 220 Vgl. Anm. 200 und 204.

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dieses bergenden Sainte Ampoule absehen221. Diese aber spielten gerade beim Verlauf des ,sacre‘ eine herausragende Rolle. Daher kann es letztlich nicht überraschen, wenn außerhalb des Kreises der Kronjuristen und Herrschaftstheoretiker die breite Öffentlichkeit weiterhin von der eine besondere Sakralität vermittelnden Kraft der Herrscherweihe überzeugt blieb222. Deshalb redete Jeanne d’Arc Karl VII. vor der Weihe lediglich als Dauphin an223, und wenig später erwähnte Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., die Überzeugung der Franzosen, daß niemand wahrer König sei, der nicht mit dem Himmelsöl gesalbt wurde224. Daher wiesen aber auch die Anfang 1484 in Tours versammelten Stände den jungen, erst im Jahr zuvor auf den Thron gelangten und noch nicht gesalbten Karl VIII. darauf hin, daß die Königskrönung mit größtmöglicher Eile erfolgen solle, weil eine Verzögerung wie zu Zeiten Karls VII., dem die meisten Untertanen vor der Weihe nicht gehorchen wollten, nur Übles mit sich bringe und der König außerdem durch die Weihe Unverletzbarkeit und Gottes Gnade erlange225. Mithin hatte sich seit dem 221 Vgl. etwa die Feststellung von Beaune, Les théoriciens (wie Anm. 186), S. 237: „Le sacre n’est pas à l’origine du pouvoir thaumaturgique des rois de France. Celui-ci résulte surtout des qualités ou privilèges héréditaires du sang de France et des vertus pariculières de la Sainte Ampoule“. 222 Vgl. dazu etwa Hermann Weber, Das „Toucher Royal“ in Frankreich zur Zeit Heinrichs IV. und Ludwigs XIII., in: Duchhardt u. a. (Hgg.), European Monarchy (wie Anm. 15), S. 155 – 170, bes. 158 und 164 (wo u. a. auf die Festellung von Josué Barbier, Les miraculeux effects de la sacrée main des Rois de France Tres-Chrestiens pour la guarison des Malades et conversion des Heretiques, Paris 1618, S. 38 f., einem konvertierten protestantischen Pastor, aus der Zeit Ludwigs XIII. [vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 392], hingewiesen wird: Et ne suffit pas d’estre fils de Roy, mais il faut estre Roy, …, recevoir d’icelle ceste onction sacrée, d’où procede la vertu admirable de guarir. [zit. nach Weber]). 223 Vgl. dazu wie zum folgenden Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 259 f., 274 und 345 f; Jackson, Vive le Roi! (wie Anm. 42), S. 10 und 205 f.; ders., Le pouvoir monarchique (wie Anm. 199), S. 247; Pierre Duparc, Procès en nullité de la condamnation de Jeanne d’Arc V, Paris 1988, S. 207 – 210, bes. 208; Leguai, Fondements et problèmes (wie Anm. 187), S. 49 f., sowie ders., Charles le Téméraire face au Roi de France et au royaume de France, in: Cinq-Centième anniversaire de la battaille de Nancy (1477) (= Annales de l’Est, Mémoire 62), Nancy 1979, S. 269 – 289, bes. 275. 224 Jules Quicherat, Procès de condamnation et de rehabilitation de Jeanne d’Arc, dite la Puchelle, IV, Paris 1849, S. 513 (negantque verum esse regem qui hoc oleo non sit delibutus); vgl. dazu wie zum folgenden Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 246, und Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 275. Im Songe du Vieil Pelegrin lib. 3 cap. 236 (wie Anm. 157) S. 249 = S. 716 heißt es, an den jungen König gerichtet: …, tu dois te souvenir, dans le plus grand respect, de la sainte huile venue du ciel et de la digne onction par laquelle tu as été sacré roi légitime du royaume de Gaule … 225 Journal des États Généraux de France tenus à Tours en 1484 sous le règne de Charles VIII, rédigé en Latin par Jehan Masselin, publié par A. Bernier, Collection de documents inédits sur l’histoire de France, Première Série (Histoire politique [41]), Paris 1835, S. 661 f. (Appendice I: …, il semble aux gens desditz troys estatz, pour éviter les grans maulx qui pevent advenir, à cause du délay du sacre du roy, et mesmement que durant le temps que le roy Charles septiesme fut sans estre sacré et couronné, plusieurs inconvéniens advindrent au royaume et à la chose publique; car la pluspart des subgectz, devant sondit sacre, ne luy vouloient obéir, et les ennemis invadoient le réaume, et ne couroit aucune justice, fors pillerie

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früheren 14. Jahrhundert, als eine auf Ludwig X. gemünzte, aber erst Jahre nach dessen Tod aufgezeichnete Aussage formuliert wurde, nach welcher nur der gesalbte und gekrönte Herrscher König genannt werden dürfe226, wenig geändert an der populären Auffassung von der eine neue Königsherrschaft erst wirklich etablierenden Wirkung der Weihe. Und diese Auffassung dürfte historisch wirkmächtiger gewesen sein als jede theoretisch-juristische Distinktion. Sogar die Könige selbst scheinen sie geteilt, zumindest aber auf sie Rücksicht genommen zu haben, ist doch im 15. Jahrhundert227 und wohl auch später kein französischer Monarch vor der Salbung als Thaumaturg aufgetreten, selbst – soweit erkennbar – Karl VII. nicht, der lange, nämlich von 1422 bis 1429, ungeweihter König und in äußerster politischer Bedrängnis gewesen ist, der also allen Grund gehabt hätte, seine Legitimität durch die Krankenheilung zu beweisen. Wie sehr ,le sacre‘ weiterhin als die wahre Königkraft, die thaumaturgische Fähigkeit sowie die Gaben des Hl. Geistes vermittelnde und damit als Sakralität spendende Handlung228 galt, belegt eine Nachricht aus der Mitte des 17. Jahrhunderts229. Als bei der jungen Mary Eure im Jahre 1650 die Skrofeln (,the king’s evil‘) diagnostiziert wurden, suchte sie königliche Hilfe. Da diese nach der Enthauptung Karls I. in England nicht zu finden war und die Heilkräfte des sich im Exil aufhaltenden, aber nicht zum englischen König gesalbten Karl II. von den Eures (noch) bezweifelt wurden, richtete man die Hoffnung auf den jungen Ludwig XIV. und dessen heilende Berührung. Ludwig jedoch war, obwohl seit 1643 König, noch nicht geweiht, weswegen Marys Hoffnungen unerfüllt blieben, denn in Frankreich glaubte man, daß et oppression: et sitost qu’il fut couronné, ne cessa de prospérer et de avoir victoire sur ses ennemis; et aussi le roy qui est très-chrestien, à l’occasion du saint sacre et unction qui, par grâce divine, fut envoyée, a plusieurs grans previléges et prérogatives, qui sont toutes notoires, est convenable et nécessaire que le roy sacré et couronné en la plus grande diligence que faire se pourra.) und 616 – 624 (bes. 619: C’est-à-dire que la vertu de l’unction sacrée et des benedictions sacerdotales et pontificales qui se font en saincte église, au couronnement du roy, quant ilz sont dignement reçeues de luy, le font régner en paix, en joie et en prospérité, avoir longue vie, grant gloire et invincible seurté, pour la protection et garde de Dieu, le créateur, et des benoistz anges, de laquelle le roy en est avironné, deffendu et gardé.). Zu Karl VIII. und seinen Anfängen vgl. Neithard Bulst, Karl VIII. (1483 – 1498), in: Ehlers u. a. (Hgg.), Die französischen Könige (wie Anm. 142), S. 363 – 382, bes. 364 – 367. 226 Excerpta e memoriali historiarum auctore Johanne Parisiensi (Mémorial de Jean de St-Victor), ed. Recueil des Historiens des Gaules et de la France XXI, publié par MM. Guigniaut et de Wailly, Paris 1855, S. 630 – 676, hier 661 B (Ille enim quem tu regem Franciae reputas non est unctus adhuc nec coronatus, et ante hoc non debet rex nominari.); vgl. dazu Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 246, und Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36), in: ZRG KA 26, S. 259 Anm. 4. 227 Vgl. dazu wie zum folgenden Beaune, Les théoriciens (wie Anm. 186), S. 236. 228 Vgl. Anm. 109. 229 Vgl. zum folgenden Thomas, Religion and the Decline of Magic (wie Anm. 147), S. 230, sowie Margaret M. Verney, Memoirs of the Verney Familiy during the Commonwealth. 1650 to 1660, Vol. III, London 1892 [ND 1970], S. 66 und 70. – Zum weiteren Verlauf und Ende der Zweifel an Karls II. Heilkraft vgl. unten Anm. 250.

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eine Berührung der Skrofeln ohne Heilungserfolg bleibe, solange der König nicht gesalbt sei. In England war manches ähnlich und doch vieles anders. Auch hier wurde während der Herrscherweihe auf das Wirken des Hl. Geistes hingewiesen, das auf den Gesalbten einwirkt230. Zumindest in manchen Kreisen und nicht zuletzt von Richard II. wurde auf die Salbung eine eigene Qualität des Königseins zurückgeführt, verlieh die Salbung geradezu einen ,Character indelebilis‘231. Das aus moderner Warte an Hybris grenzende, im einleitenden Shakespeare-Zitat ebenso bühnenreif wie publikumswirksam formulierte Selbstverständnis des als Königs gefährdeten Plantagenet ist nämlich keine reine Erfindung des großen Dramatikers gewesen, sondern findet sich, zumindest was die Bedeutung der Salbung angeht, auch in zeitgenössischen Quellen reflektiert, wobei der Gedanke einer besonderen Wirkung der Salbung offenbar weiter verbreitet gewesen ist und nicht allein von Richard II. geteilt wurde. Dieser jedenfalls hat, als er bereits von seinen Gegnern gefangen war und zur Abdankung gezwungen wurde, erklärt232, er wolle und beabsichtige nicht, auf den seiner Seele durch die Salbung eingeprägten ,Charakter‘ zu verzichten, da dies, wie er wenig später in vertrautem Gespräch eröffnete233, nach seiner Auffassung gar nicht möglich sei, weil dieser ,Charakter‘ – so muß der Gedankengang wohl ergänzt werden – unauslöschlich sei. Mit anderen Worten bedeutet dies: Auf die Ausübung der Herrschaft konnte verzichtet werden234, auf die durch die Salbung erworbene religiös-royale Dimension der Persönlichkeit nicht. Ob sich Richard II. (nicht nur, aber auch) mit dieser Ansicht sein Todesurteil gesprochen hat? Er stand jedenfalls nicht allein mit seinem Verständnis von einer besonderen, die Persönlichkeit beeinflussenden Wirkung der Königssalbung. Allerdings spiegelte 230

Vgl. Anm. 109. Vgl. die beiden folgenden Anmerkungen und dazu Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 58 mit Anm. 22, wo auf die Problematik eines solchen Verständnisses der Königssalbung hingewiesen wird. 232 Document A (urkundliche Erklärung Richards II. über seine Resignation und weitere Notizen dazu), ed. Gerald O. Sayles, The Deposition of Richard II: Three Lancastrian Narratives, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 54 (1981) S. 257 – 270, bes. 264 ff., hier 266 (Premissa protestatione quod noluit nec intendebat renunciare carecteribus anime sue impressis a sacra unccione.). Vgl. dazu wie zum folgenden Chrimes, English Constitutional Ideas (wie Anm. 66), S. 7; Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 58; Rexroth, Um 1399 (wie Anm. 172), S. 249, und ders., Tyrannen und Taugenichtse. Beobachtungen zur Ritualität europäischer Königsabsetzungen im späten Mittelaltzer, in: HZ 276 (2004) S. 27 – 53, bes. 52. 233 Annales Ricardi Secundi et Henrici Quarti (wie Anm. 173) S. 286: Ubi vero Dominus Willelmus Thernyng dixit ei [Richard II.] quod renunciavit omnibus honoribus et dignitati Regi pertinentibus, respondit quod noluit renunciare spirituali honori characteris sibi impressi, et inunctioni, quibus renunciare nec potuit, nec ab hiis cessare. 234 Document A (wie Anm. 232) S. 266 (declaravit quod renunciavit regimen regni) sowie Cont. Eulogii (wie Anm. 175) S. 383 (renuntio omni juri quod habeo in corona Angliae cum pertinentiis, soll Richard erklärt haben). 231

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sich dieses Wirken nicht in der Wandlung Heinrichs V. vom prinzlichen Bruder Leichtfuß zum königlichen Verantwortungsträger, einer Entwicklung, die Shakespeare eindrucksvoll auf der Bühne darstellt und die gelegentlich als Beispiel für die Kraft der Salbung angeführt wird235. Aber des jungen Heinrichs Wandlung setzte nicht mit Krönung und Salbung ein, sondern bereits vorher mit dem Tod des Vaters236 ; sie geht mithin nicht auf die Königsweihe zurück, sondern unterstreicht eher die Bedeutung des Beginns der neuen Königsherrschaft mit dem Ableben des Vorgängers und bringt damit wohl vorrangig die auch in England wirksame Vorstellung einer ununterbrochenen, auf die Weihe nicht unbedingt angewiesene Kontinuität des Königtums zum Ausdruck, ja, im Grunde sogar die ohne kirchlichen Eingriff auskommende Wirkmächtigkeit des königlichen Blutes. Anders jedoch wird es bei jenen Mitgliedern geistlicher Kommunitäten gewesen sein, die in Opposition zu Heinrich IV. verharrten, weil sie dessen Königtum für illegitim hielten und meinten, Richard II. sei seinem Widersacher entkommen237; allerdings ist hier nicht über Vermutungen hinauszugelangen. Eindeutig jedoch wird die Sache bei einem Zeugen ersten Ranges, bei dem bedeutenden, um 1476/79 verstorbenen Juristen und Staatstheoretiker John Fortescue, der unter Heinrich VI. oberster Richter am königlichen Gerichtshof war und natürlich weichen mußte, als das Haus York den Thron eroberte, aber dessen im schottischen Exil verfaßten Erörterungen über die englische Verfassung und die Rechte des Hauses Lancaster noch lange nachwirkten238. Fortescue, der einerseits die durch das Recht begrenzte Stellung des englischen Königtums, der limited monarchy239, betonte, sah andererseits Gott wirksam werden bei der Herrscherweihe. Erst durch die Salbung, und zwar der Hand240, wurde nämlich nach seiner (kaum nur singulären) Meinung der König zur Krankenheilung befähigt241. Unverkennbar ist daher die sakrale Sonderstellung des englischen Kö235

Vgl. Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 41. Vgl. Christopher Allmand, Henry V, London 1997, S. 63 f. (der darauf hinweist, daß Ereignisse aus der Zeit zwischen dem Tod Heinrichs IV. und der Krönung Heinrichs V. den Anlaß für die spätere Deutung geboten haben, und zugleich betont [S. 64]: „Henry’s coronation, in the eyes of many, marked a real beginning“. Hierbei ging es aber zunächst nicht um die Wandlung eines Charakters, sondern um das allgemeine Empfinden eines Neuanfangs). Im übrigen setzt auch Shakespeare im zweiten Teil seines ,Heinrich IV.‘ die Wandlung vom Prinzen Harry zum König Heinrich vor der Krönung an, nämlich in der Dritten Szene des 5. Aufzugs; die einprägsame Verkündung dieser Wandlung freilich erfolgt erst nach der Krönung, nämlich in der fünften und letzten Szene, als der König seinen alten Saufkumpanen, den in der Opernliteratur des 19. Jahrhunderts Karriere machenden Sir John Falstaff, mit den Worten abfertigt: „Denk nicht, ich sei das Ding noch, das ich war: / Der Himmel weiß, und merken soll’s die Welt, / Daß ich mein vor’ges Selbst hinweggetan, / …“. 237 Vgl. Anm. 174. 238 Zu Fortescue vgl. Plummer (wie Anm. 195) S. 40 – 73. 239 Vgl. Anm. 195. 240 Zur Handsalbung des englischen Königs vgl. Anm. 151. 241 Of the Title of the House of York, hg. von Thomas (Fortescue) Lord Clermont, The works of Sir John Fortescue, Bd. I, London 1869 (21885), S. 497 – 502, hier 498: And sithen 236

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nigs, die sich im übrigen während der Krönung ebenso wie beim französischen Monarchen an der wohl seit dem 13. Jahrhundert üblich gewordenen Spendung des Abendmahls in beiderlei Gestalt zeigte242, und die natürlich auch dazu diente, die bereits erwähnten Rechte des Königs243 über die englische Kirche zu legitimieren. Allerdings gründete diese sakrale Position nach Fortescue nicht allein in der Weihe, sondern auch in der Rechtmäßigkeit der Königsherrschaft, denn der Anhänger der Lancaster-Dynastie macht deutlich, und dies ist natürlich vor dem Hintergrund des Konfliktes mit dem Hause York zu sehen, daß Krönung und Salbung allein nicht ausreichen, um den König mit der heilenden Kraft auszustatten, vielmehr müsse der Geweihte auch geeignet, eine persona apta – sprich: durch Geblüt und Abstammung legitimiert – sein, also über einen indubitatissimum titulum verfügen244. Natürlich wurde durch diese Meinung die Salbung, auf deren Bedeutung die Anhänger Yorks zur Legitimierung ihres Königs offenkundig hingewiesen haben245, abgewertet und wie in Frankreich die rechtmäßige Herkunft zur entscheidenden the Kinges of England ben enoynted in theyre hands, and by vertue and meane thereof God commonlie healeth sicknes, by putting to and touching the maladie, by thenontinge hands, … Vgl. auch Defensio Juris Domus Lancastriae, ebd., S. 505 – 510, hier 508 (c. III): Reges insuper Angliae in ipsa unctione suâ talem coelitus gratiam infusam recipiunt quod per tactum manuum suorum unctarum, infestos morbo quodam qui vulgo Regius morbus appellatur, mundant et curant, qui alias dicuntur incurabiles. Item aurum et argentum sacris unctis manibus Regum Angliae in die Parascivae divinorum tempore, quemadmodum Reges Angliae annuatim facere solent, tactum devote et oblatum spasmaticos et caducos curant, quemadmodum per annulos ex dicto auro seu argento factos et digitis hominum morbidorum impositos multis in mundi partibus crebro usu expertum est; quae gratia Reginis non confertur, cum ipsae in manibus non ungantur. Die letztgenannte Vorstellung, nach welcher Königinnen, genauer: Gemahlinnen von Königen, diese Befähigung nicht besaßen, da ihre Hände nicht gesalbt wurden, traf auf die Königinnen der frühen Neuzeit, die selbst die Herrschaft ausübten, also für Maria, Elisabeth und Anna, natürlich nicht zu. Zu der sich nicht nur auf die Skrofeln und direktes Handauflegen beschränkenden Heilungsfähigkeit des englischen Königs vgl. Anm. 149 sowie allg. Thomas, Religion und the Decline of Magic (wie Anm. 229), S. 227 – 242, zur Sache selbst Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 204 f.; Chrimes, English Constitutional Ideas (wie Anm. 66), S. 7 f.; Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 115. 242 The Westminster Directory of 1273, ed. Richardson, The Coronation in Medieval England (wie Anm. 36), S. 161 – 174, hier 201 (Nr. [28]: … rex … percipiatque corpus domini et sanguinem; während es in The Old French Directory, ed. Brückmann, English Coronations [wie Anm. 38], S. 580 – 587, hier 587, lediglich heißt: … serra commune del corps nostre seignur …); Liber Regalis, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 105 (König und Königin percipient corpus et sanguinem domini). Zur Sache vgl. Richardson, a.a.O., S. 137 und 144. 243 Vgl. Anm. 90. 244 De titulo Edwardi comitis Marchie, ed. Clermont (wie Anm. 241), S. 64*–74*, hier 70* (cap. X, wo behauptet wird, daß der beiseitegeschobene, aber mit dem Becket-Öl gesalbte Heinrich VI. immer noch erfolgreich heile, während dem Usurpator Eduard IV. eine solche Kraft nicht zukomme, und dies geschehe ad … sui [Heinrichs VI.] indubitatissimi tituli, Domino approbante, confirmationem.); vgl. dazu Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 143 f. und 249, und Chrimes, English Constitutional Ideas (wie Anm. 66), S. 8. 245 Vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 249.

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Vorausaussetzung für ein legitimes Königtum erklärt, etwa im Sinne des bedeutenden Juristen Henry Bracton246, der bereits im 13. Jahrhundert erklärt hatte247: Nur Gott könne einen Erben machen (solus deus heredem facit) – was jetzt nichts anderes meinen konnte, als daß die königliche Abstammung anzeige, wer rechtmäßiger König, wer von Gott für die Königswürde auserwählt sei248. Und auf dem Wege dieser Vorstellung wurde in England fortgeschritten. Hatte die Salbung bei Fortescue wenigstens noch die Funktion, die Heilkräfte bei einem legitimen Herrscher zu aktivieren, so spielte sie dafür in der frühen Neuzeit keine Rolle mehr. Denn anders als in Frankreich, wo dem König die thaumaturgische Fähigkeit im Gegensatz zum juristisch-theoretischem Verständnis, aber nach offenkunfig weit verbreitetem Glauben erst durch die Salbung vermittelt wurde, sind die englischen Monarchen seit den Tudors nicht nur gern und in der Stuartzeit sogar äußerst intensiv als wundertätige Ärzte aufgetreten249, sondern sie machten dies auch schon vor ihrer Weihe. Die 1650 mit Ihrer Hoffnung auf königliche Berührung gescheiterte Mary Eure konnte sich daher 1653 von Karl II. ,heilen‘ lassen250, der damals freilich nur zum schottischen König gekrönt, in England aber nicht als Herrscher anerkannt war251 und trotzdem als in seiner und seiner Anhänger Augen rechtmäßiger Nachfolger des 1649 geköpften Karl I. das Heilungsritual vollzog, um als legitimer Erbe seinen Anspruch auf die Krone zu dokumentieren. Während seiner späteren Herrschaft soll Karl II. dann innerhalb von zwanzig Jahren mehr als 90.000 Personen als Thaumaturg berührt haben252, was einen statistischen Durchschnitt von etwa 4.500 Berührungen pro Jahr bedeutet und den vorletzten Stuart auf dem englischen Thron wohl zum unerreichten Praktiker der Skrofelnheilung gemacht haben dürfte. Das Heilungsritual, das natürlich immer einen legitimatorischen Charakter besaß, bekam damit in England eine wesentlich größere Bedeutung für die Bestä246 Zu diesem vgl. Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 39 mit Anm. 170 (und die dort verzeichnete Literatur). 247 De legibus et consuetudinibus Angliae (wie Anm. 60) Bd. 2, S. 184. 248 Vgl. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S, 332, und Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 49; Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 332. 249 Vgl. Anm. 147. 250 Verney, Memoirs (wie Anm. 229), S. 87 f.; vgl. dazu und zum folgenden Thomas, Religion and the Decline of Magic (wie Anm. 147), S. 230 f. 251 Zu den Hintergründen vgl. Raingard Esser, Die Tudors und die Stuarts. 1485 – 1714, Stuttgart 2004, S. 154 – 168. 252 Vgl. Anm. 147 und Esser, Die Tudors und die Stuarts (wie Anm. 251) S. 166, wo der Zusammenhang allerdings etwas mißverständlich angesprochen wird durch die lakonische Feststellung, Karl II. habe „das lang vergessene Zeremoniell des königlichen Handauflegens bei Skrofelkranken wieder“ eingeführt, denn das Berührungzeremoniell ist in England von allen Tudors und Stuarts geübt worden (vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige [wie Anm. 5], S. 144 ff., 357 – 365 und 412 f.), war also weder ,lang vergessen‘ noch brauchte es wieder ,eingeführt‘ zu werden, da es, obwohl während des cromwellschen Protektorats in England natürlich nicht praktiziert, von Karl selbst aber durchgeführt worden ist (vgl. Anm. 250).

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tigung der Rechtmäßigkeit einer Königsherrschaft als in Frankreich, wo das Thaumaturgentum in starkem Maße als Teil der ,religion royale‘ fester Bestandteil im Glauben weiter Kreise gewesen ist und keine Vielzahl einzelner Herrscher um die grundsätzliche Anerkennung der eigenen Legitimität besorgt sein mußte. Gerade daher dürfte in Frankreich aber auch der Glaube an den ,Königsmythos‘ wesentlich stärker zur Verfestigung der monarchischen Stellung bis hin zum Absolutismus der frühen Neuzeit beigetragen haben, als dies auf der britischen Insel der Fall gewesen ist. Doch spiegelt sich in diesem Unterschied kein grundsätzlicher Verlust der sakralen Dimension, welche die englischen Könige umgab – und dies schon gar nicht im 14. und wohl auch nicht im 15. Jahrhundert, wurden doch die Monarchen in Schriften herrschaftstheoretischer Natur nach wie vor als irdische Stellvertreter Gottes in temporalibus vorgestellt253, bei der Krönung entsprechend präsentiert254, außerdem wie etwa von Sir John Fortescue als persona mixta begriffen255 und gelegentlich wie 1483 als quasi deus in terris256 apostrophiert. Nach Wyclif nahmen sie einen eigenen ordo, einen eigenen Stand innerhalb der Kirche ein257, waren also weder reine Laien noch Geistliche und galten daher als personae mixtae, worauf hinzuweisen man gerade in England nicht müde wurde258. Im 14. Jahrhundert und auch noch einige Zeit später dürfte der Übergang in diesen Stand noch hauptsächlich durch die Weihe, symbolisiert etwa durch den Gewand-

253 Vgl. dazu die in Anm. 66 angeführten Belege sowie Wyclifs Tractatus de officio regis c. 1 (wie Anm. 67) S. 12 f. und den Legisten Guillaume de Plaisians, der vor dem Hintergrund der Templeraffaire seinen König Philipp IV. 1308 charakerisierte als: dominus meus Francie rex, dicti regis Jhesu Christi in regno suo temporalis vicarius (ed. Georges Lizerand, Le dossier de l’affaire des Templiers [= Les classiques de l’histoire de France au moyen âge 2], 1923, S. 112). 254 Vgl. Anm. 45. 255 Defensio Juris Domus Lancastriae (wie Anm. 241) S. 508; vgl auch oben Anm. 91. Anders als von Chrimes, English Constitutional Ideas (wie Anm. 66), S. 8, behauptet, wurde eine solche persona mixta aber nicht als rex et sacerdos bezeichnet, auch nicht von Fortescue in der als Beleg angeführten Stelle (The Declaration made by John Fortescue, Knyght, upon certayn wrytinges sent oute of Scotteland, ayenst the Kinges title to the Roialme of Englond, ed. Clermont [wie Anm. 241] S. 523 – 541, bes. 535). 256 So der Bischof von Lincoln und Lordkanzler John Russell in seiner nicht gehaltenen, aber konzipierten Ansprache für die Eröffnung der ersten Parlamentsversammlung des jungen Eduard V., die wegen dessen Verdrängung vom Thron nicht stattgefunden hat, ed. Chrimes, English Constitutional Ideas (wie Anm. 66), S. 168 – 178, hier 173 (The peuple must stond a forr, and not passe the lymittes; ye speke with the prince, whyche is quasi deus noster in terris, as they did with God mouthe to mouthe; …); vgl. Watts, Henry VI (wie Anm. 195), S. 19, und Kendall, Richard III. (wie Anm. 179), S. 220 f. 257 Vgl. Anm. 97. 258 Vgl. Anm. 91 sowie Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 236 (wo Beispiele aus dem 17. Jahrhundert angeführt werden, und zwar Äußerungen anläßlich der Krönungen Jakobs I. und Karls I.), und grundsätzlich Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 66 f., 76 und 77 – 81.

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wechsel bei der Salbung259, bewirkt worden sein, wie nicht zuletzt auch das Vorgehen bei der Absetzung von Königen belegt, denn weder Eduard II. 1327 noch Richard II. 1399 wurde einfach seines ,Amtes‘ enthoben, sondern sie sahen sich zusätzlich gezwungen, ,freiwillig‘ auf ihre Würde zu verzichten260. Formal erschien das Ende der mißliebigen Königsherrschaften damit als Resignation. Dieses Vorgehen sollte der Öffentlichkeit wohl vor allem die Endgültigkeit des Herrscherwechsels vor Augen führen und war daher auch als eine propagandistische De259 Vgl. den Liber Regalis, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S. 91 (vor der Salbung uadat ad altare deponatque ibi uestes suas preter tunicam sericam et camisiam) und 94 (Post hec [der Salbung] induatur sindonis colobio ad modum dalmatice formato capite amictu operto propter unccionem. Qui amictus per septem dies continuos circa regium capud indesinenter permanebit. … [und schließlich] … induetur super predictum colobium tunica longa et talari intexta magnis ymaginibus aureis ante et retro. simul caligis sandariis et calcaribus tibiis eius et pedibus coaptatis.) = Liber regie capelle (wie Anm. 38) S. 88, 91 (mit leichter Variante) und 92, sowie Forma et Modus, in: English Coronation Records (wie oben), S. 184 f. (Nr. XVI: Item, afterwards the king shall arise from his chair and go to the altar and lay aside his garments, except his tunic and shirt … after the anointing of the king’s head, his head is to be covered with a linen coif on account of the holy anointing, and so it is to remain till the eigth day after the anointing … after the said anointing, the Abbott of Westminster or his deputy shall clothe the king in the royal vestments, namely, the colobium sindonis, shaped like a dalmatic, the buskins and the sandals. And the shall follow the blessing of the royal ornaments by the Archbishop), die Beschreibungen der Krönung Richards III.: Coronation of Richard III., in: English Coronation Records (wie oben) S. 196 (Nr. XVIII: And after divers songes … they both [König Richard III. und Königin Anna] ascended to the high Altar, and were shifted from their Robes, and had divers places open …, in which places they were annointed. Then both … changed them into Cloath of Gold and ascended to their seate … ), sowie The Coronation of Richard III, ed. Sutton/Hammond (wie Anm. 36) S. 277 (… and in the meane while the King and Queene departed from their robes …, and after this [Salbung] was done the King and the Queene changed their robes into clothe of golde …), The Little Device for the Coronation of Richard III, ed. Sutton/Hammond (wie vor) S.222 (Der Abt von Westminster shall putt on the Kinge a tabard of tarteryn white shaped in manner of a dalmatik. And he shall putt on the Kinges hed a coife … And the for said Abbott shall putt the same apon the Kynge that is to say a longe cote to the heles wroght befor’ and behinde with gret ymages of gold, his hosyn sandelles and spurres …), und Little Device for the Coronation of Henry VII., in: English Coronation Records (wie vor) S. 233 (Nr. XX: And the said Abbot shall put the same vpon the king, that is to say, a long cote vnto the heeles wrought before and behind wt great Images of golde, hisd hosen Saddles and spurres ….). Zum englischen Krönungsornat vgl. Anm. 92. 260 Vgl. dazu Rexroth, Tyrannen (wie Anm. 232), S. 41, und (für 1327) ders., Die Bilderwelt moderner Geschichtsschreibung und das mittelalterliche Imaginarium. Eine Studie über die Absetzung König Edwards II. von England 1327, in: Otto Gerhard Oexle / Michail A. Bojcov (Hgg.), Bilder der Macht in Mittelalter und Neuzeit. Byzanz – Okzident – Rußland (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 226), Göttingen 2007, S. 361 – 388, bes. 364 f.; Claire Valente, The Deposition and Abdication of Edward II, in: EHR 113 (1998) S. 852 – 881, bes. 858 f., 862, 864 und 868 – 875; und neuestens Seymour Phillips, Edward II, New Haven / London 2010, S. 526 – 549 (und hier bes. 536 – 539) und 560 – 565; zum Handeln des Parlaments vgl. Krieger, Geschichte Englands (wie Anm. 142), S. 177 und 206, sowie Helmut G. Walther, Das Problem des untauglichen Herrschers in der Theorie und Praxis des europäischen Spätmittelalters, in: ZHF 23 (1996) S. 1 – 28, zu 1327 und 1399 bes. 13 – 18 (wo auch der juristisch-theoretische Aspekt behandelt wird).

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monstration gedacht, die dazu beitragen konnte, das kaum schon völlig gesicherte neue Königtum weiter zu festigen. Aber auch das in Richards II. Glauben an die faktische Unmöglichkeit eines Verzichts auf den durch die Weihe erhaltenen ,Charakter‘261 sich widerspiegelnde Ideengut und der Umstand, daß der gefangene Plantagenet nicht völlig allein mit seiner Ansicht von einer auf den König einwirkenden Kraft der Salbung stand262, dürften ebenfalls den Wunsch nach einer Resignation des seiner Macht bereits Beraubten inspiriert haben; denn dadurch konnte für die Person des abgesetzten Herrschers – und dies galt wohl auch schon für Eduard II. – die durch die Weihe gewonnene Legitimation beseitigt werden, ohne die Salbung selbst prinzipiell in Frage zu stellen, die ja von jedem neuen König weiterhin gern empfangen wurde als Legitimität verschaffende Handlung und gerade von Heinrich IV. in ihrer Bedeutung gesteigert worden ist durch die erstmalige Verwendung des Becket-Öls263. In England wurde mithin die Wirkung der Salbung um 1400 noch als so beträchtlich eingeschätzt, daß man es für besser hielt, wenn ein entmachteter König in einem formalen, die Herrscherweihe gleichsam aufhebenden Akt selbst abdankte, denn dadurch konnte zugleich suggeriert werden, daß durch das Beiseiteschieben eines Gesalbten des Herrn die göttliche Ordnung nicht verletzt wurde264. Außerdem konnte keinem König eine Absetzung mit Blick auf die eigene Position besonders sympathisch sein, während ein Rücktritt zumindest äußerlich die königliche Autorität wahrte. Die Hochschätzung der Salbung jedoch nahm, wie bereits erwähnt, im weiteren Verlauf der englischen Geschichte ab, da dem Weiheakt im Sinne der 261

Vgl. Anm. 232 und 233. Vgl. Anm. 174, 235 und 241 sowie allg. Walther, Das Problem des untauglichen Herrschers (wie Anm. 260), S. 17. 263 Vgl. Anm. 173. 264 Vgl. Rexroth, Um 1399 (wie Anm. 172), S. 241 f.; allg. vgl. auch B. Wilkinson, The Deposition of Richard II and the Accession of Henry IV, in: EHR 54 (1939) S. 215 – 239. Die Cont. Eulogii (wie Anm. 175) S. 382 ff. stellt Richards Vertreibung vom Thron ganz als ,renuntiatio‘ dar, den gesamten Vorgang vom Sturz Richards II. berichten die Annales Ricardi Secundi et Henrici Quarti (wie Anm. 173) S. 252 – 287, bes. 254 ff. (Renuntiationserklärung Richards) und 279 f. (Absetzungserklärung), die Szene von Richards II. Abdankung wird geschildert in einem eigenen Bericht, der von Sayles, The Deposition of Richard II (wie Anm. 232), S. 266 – 270 (Document B: La manere de la renonciacione del roy Richard de sa corone et de la eleccione del roy Henri le Quatre puis le conqueste) ediert wurde, sowie von Froissart, The Chronicle IV 240/241 (wie Anm. 93), S. 378 ff., zur Abdankungzeremonie bes. 378 (IV 240), zur Begründung von Heinrichs Thronanspruch bes. 379 (IV 241: … by thre reasons: Fyrst, by conquest; secondly, bycause he was heyre; and thyrdly, bycause Rycharde of Burdeaux had resygned the realme into his handes by his free wyll, …) = Jean Froissart, Chroniques (wie Anm. 93), S. 825 – 829 (IV 77: Abdankung Richards II.) und 830 (IV 78: Begründung von Heinrichs IV. Thronanspruch [conquest – droit hoir – par ce que le roy Richard de Bordiaulx luy avoit resiné le royaulme en sa main, de pure et liberale voulenté]); vgl. dazu Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 129 f., sowie zur Sache und den Vorstellungen der Zeit Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs (wie Anm. 9), S. 58; Rexroth, Tyrannen (wie Anm. 232), S. 41, 43 f., 47 f.; ders., Um 1399 (wie Anm. 172), S. 252; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 62. 262

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dynastischen Kontinuität keine größere Bedeutung mehr beigemessen wurde. Schon Eduard IV. konnte sich 1461 Zeit lassen mit der Krönung265, wodurch der Eindruck entsteht, „that coronation was an additional rather than an essential rite of passage for a king“266. Eine Generation früher jedoch sah das offenbar noch anders aus. 1434 wurde nämlich während des Basler Konzils von englischer Seite im Verlauf eines Rangstreits mit den letztlich erfolgreichen Vertretern des kastilischen Königs nicht nur deshalb der Vorrang gefordert, weil der englische Monarch im Gegensatz zum kastilischen gesalbt werde oder, falls dieser doch eine Salbung empfange, weil der englische Salbungsbrauch älter sei als der kastilische, sondern weil dabei zugleich auch behauptet worden ist, man könne einen Herrscher eigentlich erst nach der Krönung als König bezeichnen – so, wie ein Bischof erst nach der Weihe wirklich Bischof und nicht mehr nur Kleriker (clericus … et confirmatus) sei267. Der englischen Wirklichkeit entsprach das zwar schon damals kaum noch, aber als Argument nach außen ließ sich die Behauptung dennoch leicht wagen – und dies um so eher, als im 15. Jahrhundert das Verständnis von Salbung und Krönung offenkundig in Bewegung geraten und der im Gange befindliche Veränderungsprozeß innerhalb des Ideenhorizonts der Herrscherweihe noch nicht zu Ende war. Aber nach den Wirren der Rosenkriege und der endgültigen Durchsetzung einer gesicherten Erbsukzession unter den Tudors und natürlich nicht unbeeinflußt vom reformatorischen Gedankengut des 16. Jahrhunderts268 konnte Erzbischof Thomas Cranmer schließlich bei der Krönung von Heinrichs VIII. Sohn Eduard VI. am 20. Februar 1547 erklären269, daß die Weihe lediglich eine Zeremonie sei, geeignet, 265

Vgl. Anm. 190. Strong, Coronation (wie Anm. 32), S. 131 f. 267 Englische Denkschrift gegen die Forderungern der Kastilier [1435 Mai 31], ed. August Zellfelder, England und das Basler Konzil. Mit einem Urkundenanhang (= Hist. Stud. 113), Berlin 1913, S. 284 – 292, bes. 286 (wo es nach den Ausführungen über den englischen und kastilischen Salbungsbrauch heißt: Et sicut precedens consecratio episcopi facit illum aliis anteferri, quia nec ante bene potest dici episcopus, sed solum clericus dicitur et confirmatus, sicut jura volunt, ita et in regibus dicendum necessarium, ut illum plenum atque sacrum sceptrum atque solium regale sacratum senciatur, qui est sacra unccione unctus … ); vgl. Peter Linehan, The King’s Touch and the Dean’s Ministrations: Aspects of Sacral Monarchy, in: Miri Rubin (Hg.), The Work of Jacques Le Goff and the Challenges of Medieval History, Woodbridge 1997, S. 189 – 206, bes. 190 f.; Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 748, und allg. Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431 – 1449. Forschungsstand und Probleme (= Kölner Hist. Abhandlungen 32), Köln 1987, S. 247, 322 – 326; und ders., Rangstreite auf Generalkonzilien des 15. Jahrhunderts als Verfahren, in: Barbara StollbergRilinger (Hg.), Vormoderne politische Verfahren (= ZHF Beiheft 25), Berlin 2001, S. 139 – 173, bes. 163 – 171. 268 Vgl. B. Wilkinson, The Coronation in History, London 1953, S. 20 f. und 11. 269 The Archbishop’s Speech at the Coronation of Edward VI., Feb. 20, 1547, ed. John Edmund Cox, Miscellaneous Writings and Letters of Thomas Cranmer (= The Works of Thomas Cranmer II), Cambridge 1846, S. 126 f., bes. 126 (The solemn rites of coronation have their ends and utility, yet neither direct force or necessity: they be good admonitions to put kings in mind of their duty to God, but no increasement of their dignity. For they be God’s anointed, not in respect of the oil which the bishop useth, but in consideration of their power 266

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Gottes Willen, durch den allein der neue König in sein Amt berufen werde, zu verdeutlichen und den neuen Herrscher an seine Pflicht gegenüber Gott zu erinnern, daß sie ihm ansonsten aber nichts bringe, was er nicht ohnehin schon aus Gottes Gnade besitze: nämlich die königliche Gewalt (power) und die Gaben des Hl. Geistes (the gifts of his [= Gottes] Spirit). Ein solcher Herrscher sei ein Gesalbter des Herrn (God’s anointed) selbst dann, wenn er nicht mit Öl gesalbt werde – und kann daher, wie die weitere Entwicklung lehrt270, bereits vor der Weihe die Skrofeln heilen. Diese Reduzierung von Salbung und Krönung auf einen Symbolakt, den die englische Monarchie bis heute aufs äußerste schätzt, zumindest bis 1953 nicht zuletzt als Gelegenheit zur Repräsentation monarchischen Glanzes immer geschätzt hat, bedeutete allerdings keinen Verlust an Sakralität, wie Cranmers Darlegungen auf das Genaueste zeigen, wird der englische König, mittlerweile Oberhaupt der englischen Kirche und im Besitz der ,Supremacy‘271, doch in eine unmittelbare und äußerst enge Beziehung zu Gott gerückt, als dessen vice-gerent and Christ’s vicar272 er natürlich weiterhin galt. 4. Weihe und Wahl, Salbung und Krönung im Reich Im Vergleich zu England und Frankreich war im Reich natürlich vieles anders und doch – zumindest strukturell – manches auch ähnlich. Die Entwicklung zur Wahlmonarchie273 brachte natürlich deutliche Unterschiede bei der Thronfolge, aber ebenfalls eine langsame Zurückdrängung der Bedeutung der Salbung für den

which is ordained, of the sword which is authorized, of their persons which are elected by God, and endued with the gifts of his Spirit for the better ruling and guiding of his people. The oil, if added, is but a ceremony; if it be wanting, that king is yet a perfect monarch notwithstanding, and God’s anointed, as well as if he was inoiled.); vgl. dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 40 mit Anm. 174 (und die dort angegebene Literatur). 270 Vgl. Anm. 250. 271 Vgl. Schramm, Geschichte des englischen Königtums (wie Anm. 33), S. 138 f., 176, 214 f., und Esser, Die Tudors und die Stuarts (wie Anm. 251), S. 42 – 46 und 54 f., sowie Geoffrey R. Elton (Hg), The Tudor Constitution. Documents and Commentary, Cambridge 2 1982, S. 338 – 378, und neuestens Dieter Berg, Heinrich VIII. von England. Leben – Herrschaft – Wirkung, Stuttgart 2013, etwa S. 201 und 251. 272 Vgl. Anm. 269 sowie die weitere Darlegung Cranmers in seiner dort zitierten Ansprache (ed. Cox S. 127): Your majesty is God’s vice-gerent and Christ’s vicar within your own dominions, …, oder die Predigt eines Unbekannten über den Gehorsam aus dem Jahre 1547: We may not resist, nor in any wise hurt, an anointed king which is God’s lieutenant, vicegerent and highest minister in that country where he is king … (ed. Elton, The Tudor Constitution [wie Anm. 271], S. 15 [Nr. 7]). Dies ist natürlich vor dem Hintergrund einer durch Heinrich VIII. betriebenen Verstärkung der religiösen Position des englischen Königs zu sehen; vgl. zu dieser Politik John Guy, Tudor monarchy and its critiques, in: ders. (Hg.), The Tudor Monarchy, London 1997, S. 78 – 109, bes. 83 f. 273 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Teilung und Einheit, Wahlkönigtum und Erbmonarchie: Vom Wandel gelebter Normen, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Verfassungsänderungen (= Der Staat, Beiheft 20), Berlin 2012, S. 9 – 34.

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Herrschaftsbeginn274. Als Thaumaturgen sind die römisch-deutschen Könige und Kaiser zudem niemals aufgetreten, weswegen ihnen der auratische Zauber wundertätiger Sakralität abging, aber sie standen in einer eigenen, imperial geprägten Sakraltradition und galten – es wurde bereits erwähnt275 – auch noch im späten Mittelalter als von Gott auserwählte und mit einer religiösen Verantwortung ausgestattete Stellvertreter des Schöpfers. Auch sie besaßen einen eigenen Rang, eine eigene Dignität, einen eigenen Stand, waren durch die Salbung keine reinen Laien mehr (aber auch keine Geistlichen), sondern, wie Peter von Andlau es formulierte276, eine sacra majestas. Deswegen behielt die Herrscherweihe auch im Reich ihren Charakter als ,rite de passage‘, der spätestens seit dem 15. Jahrhundert seinen Ausdruck fand im bezeichnenderweise unmittelbar nach der Salbung n Anlegen priesterlicher Gewänder, nämlich von Albe, Stola und von offenbar als Pontifikalschuhe begriffenen Sandalen277. Manche Gebete, die während der Krönungsfeier gesprochen wurden278, erinnerten zudem an das Wirken des Hl. Geistes, das den König stärken konnte, auch wenn die Salbung, die den König immerhin mit dem „Tau der geistlichen Gnade“ benetzte279, nicht mehr sakramental verstanden worden ist. Inwieweit dabei die Vorstellung von einer Vermittlung der Gaben des Hl. Geistes noch eine Rolle spielte, läßt sich freilich nicht genau feststellen, daß sie auf verschwommene Weise mitschwang ist aber eher wahrscheinlich, zumal einem – freilich äußerst frommen und theologisch nicht ungebildeten – Monarchen wie Karl IV. in der Totenpredigt, die der Prager Erzbischof Johann von Jenstein hielt280, nachgerühmt wurde, er habe diese Gaben besessen (ohne daß dabei freilich auf die Salbung als eigentlichem Vermittlungsakt hingewiesen worden ist). Aber: Der Erzbischof vergaß nicht, die besondere Heiligkeit des Luxemburgers hervorzuheben, wobei unter den sieben Argumenten, die als Ursache dieser Heiligkeit angeführt werden, als erstes die mit heiligem Öl (oleo sancto) vollzogene Königssalbung 274

Vgl. Anm. 188 und 189. Vgl. Anm. 12 und 13 sowie 78 – 82. 276 Vgl. Anm. 98. 277 Vgl. Der Kölner Ordo (wie Anm. 37) S. 57 und dazu ebd. S. 46 f. mit Anm. 127; Erkens, Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 2), S. 26 Anm. 26, sowie Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 155, der darauf hinweist, daß dieser Gewandwechsel erst durch Handschriften aus dem 15. Jahrhundert belegt ist, was natürlich nicht heißt, daß er nicht schon früher vorgenommen worden sein kann. Sollte er aber wirklich erst im 15. Jahrhundert aufgekommen sein, dann würde dies auf eine Intensivierung der sakralen Elemente während des späten Mittelalters hinweisen. Zu den geistlichen Gewandstücken vgl. auch Matthias Th. Kloft, „Weil dessen Oberhaupt … Gesalbter des Herrn und auf keine Weise zu verletzen und anzutasten ist.“ Die Rolle der Liturgie bei Königswahl und Kaiserkrönung in Frankfurt, in: Evelyn Brockhoff / Michael Matthäus (Hgg.), Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356 – 1806. Aufsätze, Frankfurt am Main 2006, S. 326 – 337, bes. 333. 278 Vgl. Anm. 109. 279 Vgl. Anm. 124. 280 Ed. Josef Emler, Fontes rerum Bohemicarum 3, Prag 1882, S. 423 – 432, bes. 427: … septem dona Spiritus sancti caritati attribuuntur, id est, Spirito sancto, merito ergo habuit in se septem dona Spiritus sancti. 275

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rangiert281 und als letztes der Umstand, daß der verstorbene Herrscher alle sieben Sakramente empfangen habe: das Sakrament der Ehe, der Taufe, der Firmung, der Eucharistie, der letzten Ölung, der Buße und – wie es sogar als erstes heißt – das Sakrament der Weihe, denn der verstorbene Herrscher sei zum Akoluth geweiht, aber auch zum König und zum Kaiser gesalbt worden282. Offenkundig wird bei dieser Aufzählung der Sakramente die Priesterweihe unter anderem durch die beiden Herrscherweihen ersetzt, was mit Blick auf die kirchliche Sakramentenlehre natürlich nicht korrekt ist, aber doch immerhin den Gedanken nahelegt, zumindest bei Karls IV. Herrscherweihe habe man noch ein quasisakramentales Wirken des Hl. Geistes angenommen. Vor allem aber läßt sich aus den Worten des Prager Erzbischofs heraushören, daß dem Herrscher durch die Weihe eine religiöse Dimension verliehen werde, die sich durch Karls exzeptionelle Persönlichkeit zu einer eigenen Heiligkeit gesteigert habe. Die besondere, eine eigene Sakralität schaffende Nähe der deutsch-römischen Herrscher zum Numinosen wurde dabei im späten Mittelalter nicht erst bei der Weihe in Aachen demonstriert, sondern seit dem frühen 14. Jahrhundert, wahrscheinlich seit 1308, seit der Wahl Heinrichs VII., spätestens jedoch seit der Erhebung von dessen Nachfolger Ludwig dem Bayer 1314, bereits zuvor zur Anschauung gebracht durch den schließlich bis in das ausgehende 17. Jahrhundert hinein praktizierten Akt einer Altarsetzung des neugewählten Königs283. Gleichgültig wie man das unterschiedlich gedeutete Aufkommen dieses Brauches verstehen will, und unabhängig davon, in welche performativen Bezüge man diese Erhebungshandlung einordnet, die etwa auch dem die Wahl abschließenden und die getroffene Entscheidung bekräftigenden Zeigen und Vorstellen des neuen Königs vor einer breiteren Öffentlichkeit diente, also einen promulgativen Effekt besaß, unabhängig von solchen Aspekten gilt: Der Ort des Sitzens ist heilig, ist geheiligt durch die Reliquien, die er birgt284, und durch die Gegenwart Gottes, dessen Zeichen der Altar ist, 281 Vgl. ebd. S. 429 (Et non miremini, …, quod beatum et sanctum ipsum nominaverim, cum in veritate beatus vel sanctus reputari debeat, quod probatur septem racionibus. Primo enim unctus fuit oleo sancto ad modum regum.) und Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 46, und Reinhard Schneider, Karls IV . Auffassung vom Herrscheramt, in: Theodor Schieder (Hg.), Beiträge zur Geschichte des mittelalterlichen deutschen Königtums (HZ Beiheft 2), München 1973, S. 122 – 150, bes. 146. 282 Vgl. Fontes rer. Boh. 3 (wie Anm. 280) S. 429: Septimo et ultimo, breviter transeundo, ipse habuit in se septem sacramenta ecclesie. Primo ordinem: ipse enim fuit ordinatus accolitus et eciam rex et imperator inunctus. 283 Vgl. Michail A. Bojcov, Warum pflegen deutsche Könige auf Altären zu sitzen?, in: ders. / Oexle (Hgg.), Bilder der Macht (wie Anm. 260), S. 243 – 314, bes. 244 – 250, 300 f. und 306; Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 48, und Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 655 – 663. 284 Vgl. Bojcov, Warum … ? (wie Anm. 283), S. 300 f., und bes. die vorsichtige Frage von Dieter J. Weiss, Altarsetzung und Inthronisation. Das Zeremoniell bei der Einsetzung der Bischöfe von Bamberg, in: Werner Taegert (Hg.), Hortulus Floridus Bambergensis. Studien zur fränkischen Kunst- und Kulturgeschichte. Renate Baumgärtel-Fleischmann zum 4. Mai 2002, Petersberg 2004, S. 99 – 108, bes. 101 ff. und vor allem 103.

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vor dem sich die Gemeinde zum Gottesdienst versammelt und das Meßopfer vollzogen wird – mit anderen Worten: Der Altar dürfte aus dem Erleben der christlichen Meßfeier heraus als Kontaktzone des Göttlichen verstanden worden sein, und dieses Empfinden kann (muß aber nicht unbedingt) noch verstärkt worden sein durch die Vorstellung, nach welcher ein Altar Tisch Gottes und Symbol Christi ebenso wie des corpus Domini ist und (in alter Zeit auch) als Thron Gottes galt285. Auf einen solchen Tisch konnte man nicht jeden setzen, sondern nur jemanden, der, wie man heute sagen würde, ,kompatibel‘ mit dem Numinosen ist: Päpste, Bischöfe und schließlich auch Könige. Gleichgültig mithin, welcher praktische Aspekt bei der Altarsetzung eines jeden einzelnen Königs daher auch immer im Vordergrund gestanden haben mag, allein die Tatsache der Elevation auf den Altar zeigte die Gottesnähe des Herrschers an, machte seine Sakralität sozusagen sichtbar. Bis 1690, bis zur Wahl Josefs I. wurde dieser Brauch geübt286, bis zum Ende des 17. Jahrhunderts hielt man es mithin für angebracht, den neuen Herrscher nach vollzogener Wahl für alle sichtbar auf den Altar und damit in die Nähe Gottes zu erheben. Welche Rolle aber spielten Salbung und Krönung dann überhaupt noch, wenn die herrscherliche Sakralität bereits kurz nach der Wahl und – zumindest manchmal – lange vor der Weihe demonstriert wurde durch die Altarsetzung? Offenbar hatte diese Demonstration neben anderem die Funktion287, den Zeitraum zwischen Wahl und Krönung, der im 15. Jahrhundert Monate und sogar Jahre umfassen konnte, zu überbrücken und des neuen Herrschers Gottesnähe schon vor der Weihe anschaulich zu machen sowie die Wahl durch einen Präsentationsakt publikumswirksam zu beschließen. Erst als seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Aachen als Krönungort langsam und sukzessive aufgegeben und die Krönung sogleich im Anschluß an die Wahl am Wahlort vollzogen wurde288, entfiel diese Notwendigkeit. Die Weihe selbst aber blieb wichtig und nötig, auch wenn sie keinerlei konstitutive Bedeutung mehr besaß289 und am Ende von aufgeklärten Geistern als geistlicher

285 Vgl. zum Verständnis des Altares das kurz vor 1300 entstandene Rationale des Wilhelm Durandus (wie Anm. 117) S. 29 f. (I ii 3: Rursus altare est mortificatio nostra seu cor nostrum in quo carnales motus feruore Spiritus sancti consumuntur. … Tertio significat Christum … Quarto significat corpus Domini … Quinto significat mensam in qua cum discipulis conuiuatus est Christus.) sowie grundsätzlich zur Bedeutung des Altars den von mehreren Autoren verfaßten Artikel ,Altar‘ in: TRE 2 (1978) S. 305 – 327, vor allem 306 ff. (Altar als Ort einer möglichen Präsenz Gottes), 309 (Altar als ,Tisch des Herrn‘ in der alten Kirche), 317 (Altar als Thron und Symbol Christi in der Antike), 321 (Z. 35 f.: „Die an sich wegen der Vielzahl der Altäre nicht mehr mögliche Deutung jedes Altares wie des ursprünglich nur einen auf Christus wird trotzdem beibehalten“ im späteren Mittelalter), und Bojcov Warum …? (wie Anm. 283), S. 301. 286 Vgl. Bojcov, Warum …? (wie Anm. 283), S. 250. 287 Ähnlich etwa Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 48. 288 Vgl. zu dieser Entwicklung die Tabelle bei Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 136 f. 289 Vgl. Anm. 196.

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Mummenschanz verspottet worden ist290. Sie blieb bis zum Ende des Alten Reichs unverzichtbar nicht nur aus Gründen der Tradition, sondern als feierliche, geistliche und heilige Handlung291, in die verschiedene Akte integriert waren, welche unter anderem vor Gott eingegangene Rechtsbindungen akzentuierten; und sie diente als publicum preconium292 dazu, den neuen Herrscher dem Reich vorzustellen, das sich dabei in seinem fürstlichen Gefüge selbst zur Schau stellte, ja, gleichsam konstituierte und als königlich-aristokratischer Wirkverbund präsentierte293. Aber auch die religiöse Dimension der Weihe blieb bedeutsam. Mehr als alles andere wird die immer wichtiger gewordene Funktion der Herrscherweihe als Inaugurationsakt294 und Vorstellung des neuen Königs und seiner Würdigkeit per saniorem orbem295 dazu beigetragen haben, daß diese Weihe im späteren Mittelalter zunehmend als Krönung (und nicht mehr als consecratio) bezeichnet wurde296, war die Krone, im Reich verstanden als Zeichen der Heiligkeit 290 291

38.

Vgl. die Belege bei Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 101 und 128. Vgl. die Belege ebd. S. 95 ff. und bei Erkens, Königskrönung (wie Anm. 37), S. 37 und

292 Iohannes Limnaeus, Capitulationes Imperatorum et Regum Romano-Germanicorum, Argentorati 31674, S. 312 (nr. 1): Decet electum Regem Romanorum, coronam Regiam suscipere, non quasi ea novi aliquid, quod electione nondum consecutus, in eum conferatur; sed quia ubique per saniorem orbem ita observatur, ut coronatio publicum preconium sit, eum, qui coronatur, in Regno electio dignum fuisse iudicatum, ut Imperio praeficeretur … (vgl. auch das zweite Zitat in Anm. 196). 293 Vgl. Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 203; Berbig, Der Krönungsritus (wie Anm. 196), S. 690 f., und allg. zu solchen Formen der symbolischen Kommunikation Erkens, Teilung und Einheit (wie Anm. 273), S. 13 mit Anm. 20 (und die dort verzeichnete Literatur). 294 Vgl. Philippi Reinhardi Vitriarii Institutiones Juris Publici Romano-Germanici Selectae, hg. von F. Spener, Norimbergae et Lipsiae 1727, S. 52 (§1): Coronatio est actus, quo legitime electus … solemniter inaugurator. 295 Vgl. Anm. 292. 296 Vgl. Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 684 f. und 746 f., und Dela von Boeselager, Zur Salbung und Krönung in der Liturgie des Ordo, in: Brockhoff / Matthäus (Hgg.), Die Kaisermacher (wie Anm. 277), S. 338 – 345, deren Ansicht, daß nicht der Kölner Metropolit, sondern die Trias der drei rheinischen Erzbischöfe das Krönungsrecht besessen hätte, zumindest für das späte Mittelalter nicht zutrifft und für die Neuzeit noch einmal überprüft gehört. Gegen dieses Verständnis spricht nicht nur eine Äußerung Ruprechts von der Pfalz vom 5. Dezember 1400 in einem Schreiben an die Stadt Aachen (Deutsche Reichstagsakten unter König Ruprecht, Erste Abtheilung 1400 – 1401, hg. von Julius Weizsäcker (= Dt. RTA 4), Gotha 1882, S. 209 [Nr. 179]: wann au˚ ch der obgenant erzbischof Fryderich gute privilegien und friheit hat daz ein erzbischof von Collen einen Romischen konig cronen moge in demselben bistumme und seiner provincien wo er wolle.) sowie der Bericht eines unbekannten Verfassers über die Krönung von 1442 (Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III., Zweite Abteilung 1441 – 1442, hg. von Hermann Herre und Ludwig Quidde (= Dt. RTA 16), Stuttgart 1928, S. 175), der (auf S. 340 des genannten Aufsatzes) angestrengt wegzudiskutieren versucht wird, in dem es aber eindeutig heißt, der Kölner soll den kung die kron unter dem ampt, daz er singt, selbs aufsetze. An die kron sol auch greifen der von Maintz zu der rechten seiten, der von Tryer zu der tenken, ob die da sein. Ob die aber nicht da sein, so

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und Tapferkeit und zumindest ursprünglich auch als Hinweis auf das himmlische Jerusalem297, doch das sichtbarste Symbol der Königswürde und das Aufsetzen der soll es dannach kein irrung haben. Damit ist deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Beteiligung des Mainzer und Trierer Erzbischofs nicht zwingend erforderlich ist, während der Kölner als Haupthandelnder und seine Anwesenheit unverzichtbar erscheint, wie er im übrigen ebenfalls im spätmittelalterlichen Ordo (vgl. Anm. 37) grundsätzlich, aber auch beim eigentlichen Krönungsakt vorgestellt wird. In diesem Ordo wird zwar die Mitwirkung von Mainz und Trier ausdrücklich erwähnt, aber die Wortwahl macht deutlich, daß der Kölner Metropolit, der die Meßfeier leitet und den König salbt, der unverzichtbare Akteuer ist, wird er doch ausdrücklich und im Singular genannt, während die beiden Amtsbrüder lediglich subsumierend im Plural erwähnt werden (Kölner Ordo [wie Anm. 37] S. 60): Hic dominus Coloniensis, domini Maguntinensis et Treverensis archiepiscopi, simul superponant coronam regiam et pariter dicant: … Dazu passen dann auch die entsprechenden Berichte über die Krönung Sigismunds im Jahre 1414 (verfaßt von Eigil von Sassen [RTA 7 (wie Anm. 135) S. 244 (Nr. 167)]: da sang der bischof von Kollen der von Morse sin erste messe noch der welu˚ nge zu˚ Ache in dem monster vor unser liben frauwen, als unser herre der konnig … und … di konniginnen beidersit ir cronunge von im namen, und si beide cresemed und in daz sakerment gab.), über die Krönung Friedrichs III. im Jahre 1442 (vgl. dazu neben der bereits angeführten Quelle auch die von Tilmann Johel mit Anmerkungen versehene Krönungsordung von 1442 [RTA 16, S. 183 (Nr. 102 §21): nec conveniens reputo, quod aliquis archiepiscopus vel episcopus absque consensu domini Coloniensis requisito et obtento de hujusmodi coronacione se audeat ingerere, quia valde temerarium foret dominoque Coloniensi et ecclesie sue injuriosum et absque calumpnia hujusmodi coronacio merito non transiret.], den Bericht eines Ungenannten [ebd. S. 193 (Nr. 108): da hu˚ eb der von Koeln an zu˚ kronen bzw. der bischof von Koeln hu˚ b an zu kroenen, nachdem es zuvor (auf S. 192) in einer allgemeinen, aber eben nicht das eigentliche Krönungsrecht meinenden Formulierung einleitend geheißen hatte: di kurfuersten anhu˚ eben zu˚ kronen zwischen siben und achtn vor unserer frawen altar.] und – merkwürdig falsch, aber die Kölner Prärogative eindeutig betonend – den Bericht des Lütticher Benediktiners Johannes von Stablo über das Aachener Geschehen von 1442 [ebd. S. 188 (Nr. 107 §3)]: promiere ly noble archevesque de Collongne celebrat la messe et coronnat le dit roy de sa propre main avesque les aultres electeurs tant spirituels com temporeils.), und der Bericht von Maximilians I. burgundischem Historiographen Jean Molinet (zu diesem vgl. Hiram Kümper, „Groth gethone“ schallt ins Reich. Ein Versuch über Königswahl und -krönung Maximilians I. als vormodernes Medienereignis an der Schwelle zur Neuzeit, in: Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs, hg. von Pelizaeus [wie Anm. 38], S. 7 – 21, bes. 17) über die Krönung von 1486 in dessen Chronik (Chroniques de Jean Molinet, publ. par Georges Doutrepont et Omer Jodogne, Tome I [1474 – 1488], Bruxelles 1935, S. 505 – 515 [Chap. CXXIX], hier: 507 f.: et finablement coronné par l’archevesque de Coulogne). In gleichem Sinne stellen andere das Geschehen dar, nämlich der Frankfurter Stadtschreiberdiener Johannes Kremer, der kein Augenzeuge der Krönungshandlung selbst war (Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Erster Bd., Reichstag zu Frankfurt, Teil II, bearb. von Heinz Angermeier unter Mitwirkung von Reinhard Seyboth [Dt. RTA mittlere Reihe I 2], Göttingen 1989, S. 846 [Nr. 885: … ist der vorgenant Kg. Maximilian … durch den EB von Collen zum röm. Kg. gesalbet und gekronet worden, als ime das fur andern nach inhalt der gulden bullen zu thun gepuret.]), und Bernhard Sittich, der Herold Romreich, in einem Schreiben an den bayerischen Herzog Albrecht (ebd. S. 935 [Nr. 915: Und hielt der chorbf. von Coln Ks. Karlins kron, bis das sie der von Coln dem Kg. ufsatzt. … Darnach satzt ime der von Coln Ks. Karlins kron uf. Daran griffen der Ks. und die andern Kff., und sprach der von Coln: Accipe coronam regni, …]). Die Berichte, die von einem Aufsetzen der Krone durch die drei rheinischen Erzbischöfe (vgl. RTA mittlere Reihe I 2, S. 948 [Nr. 916 (anonyme Aufzeichnung über die Krönung von 1486): … darnach die drey Bff. ym die kron Ks. Karols aufgesetzt, alles mit

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Krone, die ,Krönung‘ im eigentlichen Sinne, von allen Anwesenden zudem meist gut zu verfolgen (während die Salbung und ihre Folge, das Eindringen des Öls in die Haut und das spirituelle Einwirken auf die Persönlichkeit des Konsekrierten von den meisten optisch kaum wahrnehmbar war). Diese Bezeichnungsverschiebung markiert aber keinesfalls einen völligen Bedeutungsverlust der Salbung etwa in Folge der Reformation. In den evangelisch gewordenen Königreichen Skandinaviens298 etwa ist – obwohl hier Änderungen am Krönungsverlauf vorgenommen wurden – ebensowenig wie in England auf die Salbung verzichtet worden; und als gesprochen collecten vom Bf. von Koln: …, über den es bereits zuvor hieß: Item gingen die drei Bff., der von Koln, der den tag alweg den vorgang het, …]; ebd. S. 960 [Nr. 917: anonyme Aufzeichnung über die Krönung von 1486]) oder manchmal sogar durch die Kurfürsten und weitere Anwesende (vgl. RTA mittlere Reihe I 2, S. 935 [Nr. 915: vgl. oben]; ebd. S. 971 [Nr. 918: anonyme Aufzeichnung über die Krönung von 1486]) sprechen, geben lediglich das visuell faßbare Geschehen, manchmal wohl auch die Meinung eines Berichterstatters wieder, weniger jedoch das tatsächlich geltende Recht auf das Koronatorenamt. Ob dies auch noch in der frühen Neuzeit so gewesen ist, muß, wie gesagt, noch einmal eigens untersucht werden; bis in die Mitte des 16. Jahrhundert jedenfalls scheint aber eher das spätmittelalterliche Verständnis weiter gegolten zu haben, auch wenn nun offenbar verstärkt das gemeinsame Handeln der rheinischen Erzbischöfe beim Aufsetzen der Krone erwähnt wird. (vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Karl V., Zweiter Bd., bearb. von Adolf Wrede [Dt. RTA jüngere Reihe 2], Gotha 1896, S. 95 – 97 sowie 89 Anm. 4; Ordnung der Krönungsfeierlichkeiten von 1531, ed. Walter Kaemmerer, Aachener Quellentexte [Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen 1], Aachen 1980, S. 178 Nr. 33 [bes. S. 180]; Helga Reuter-Pettenberg, Bedeutungswandel der Römischen Königskrönung in der Neuzeit, Diss. masch. Köln 1963, S. 29 – 35, bes. 33). Vor allem ist unter dem Koronator – wie früher unter dem Konsekrator – auch noch in der frühen Neuzeit nicht bloß derjenige verstanden worden, der die Krone aufsetzte (bzw. der die Salbung spendete), sondern derjenige, der rechtlich zuständig war für die gesamte Herrscherweihe (vgl. etwa die juristischen Schriften, die im Verlauf des Krönungsstreits zwischen den Erzbischöfen von Köln und Mainz in der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden sind, und besonders die Urkunde vom 16. Juni 1657 über den gefundenen Kompromiß: Günter Wallner, Der Krönungsstreit zwischen Kurköln und Kurmainz [1653 – 1657], Diss. Mainz 1967, etwa S. 23 – 41 und 134 – 137 [Edition der Urkunde], bes. 136, wo es heißt: Daß beiden Ihren Churfrl. Gnad. und Dht. zu Mäintz und Cölln, die Würde und daß Ampt zu crönen in Ihren Ertzbischthumben … alzeit allein … zukommen solle). 297 Vgl. etwa die Aussagen der Krönungsordines (sowohl im früh- als auch im spätmittelalterlichen Ordo, in denen es heißt [Der Kölner Ordo (wie Anm. 37) S. 60]: sanctitatis gloriam et fortitudinis expresse signare; in Frankreich [etwa in Ordo XIX (Ordo of 1200), in: Ordines Coronationis (wie Anm. 39), S. 261 Nr. 31 = Ordo XXIII (Ordo of Charles V), ebd., S. 499 Nr. 65 = Ordo XXV (Ordo of Charles VIII), ebd., S. 604 Nr. 124] erscheint die Krone als Zeichen von sanctitatis gloria et honor sowie des opus fortitudinis, doch galt sie hier auch als Zeichen der Gerechtigkeit [iustitia], der pietas und des Rums [gloria] – vgl. dazu etwa den Ordo XXIII [wie oben] S. 492 Nr. 48 und S. 499 Nr. 63 – und England [etwa im Liber Regalis, in: English Coronation Records (wie Anm. 38) S.96] begriff man die Krone als corona glorie atque iusticie) sowie Joachim Ott, Vom Zeichencharakter der Herrscherkrone. Krönungszeremoniell und Krönungsbild im Mittelalter: Der Mainzer Ordo und das Sakramentar Heinrichs II., in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hgg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Frühe Neuzeit 25), Tübingen 1995, S. 534 – 571, bes. 548 – 553 (zur Krone als Verweis auf das himmlische Jerusalem und die jenseitige Krone des Lebens). 298 Vgl. Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 103 f.

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es 1701 zur ersten (und einzigen) Krönung eines preußischen Königs kam, setzte der sich zwar die Krone selbst auf das Haupt, ließ sich aber von zwei eigens dazu ernannten Bischöfen salben299, weil er dadurch zu einer Sacra Regia Majestas wurde und zeremonielle Vorteile genoß300. Aber nicht allein an der Fortdauer des Brauches erweist sich die fortdauernde Bedeutung der Salbung, sie wird im Reich vielmehr auch ausdrücklich betont. 1558 etwa legte der Reichsvizekanzler Sigismund Seld in einer Denkschrift dar301, daß ein Roemischer Keyser als die hoechste christliche Obrigkeit vieler geistlichen Gnaden vnd Gaben durch die Salbung empfaenglich werde. Der herausragende Staatsrechtler Johannes Limnaeus sah dies ein Jahrhundert später kaum anders. Natürlich quälte ihn kein Zweifel an der konstitutiven Kraft der Wahl, welche er wiederholt hervorhebt302 und die dem Elekten nach seiner Ansicht ein jus ad rem verschaffe, das durch die Beeidung der Wahlkapitulation zum jus in re werde303; aber die geistlichen Handlungen bekräftigen in seinen Augen das, was dem König bereits durch die Wahl zugefallen ist, und zwar benedictione divina, wodurch der geweihte Herrscher dem Volk magis sacer atque venerabilis werde304. Eine Generation später akzentuierte der Tübinger Rechtsprofessor Gabriel Schweder in seiner vielgelesenen, 1681 in erster, 1733 in zehnter Auflage erschienenen Einführung in das Reichsrecht ebenfalls diese autoritätsstärkende und herrschaftsstabilisierende Wirkung der Krönung305. Allerdings erwecken die aus dieser Epoche überlieferten Zeugnisse zugleich den Eindruck, daß die religiöse Dimension der Herrscherweihe abgenommen hat zugunsten eines unverkennbaren Utilitarismus, und werden während des 17. Jahr299

Vgl. Iselin Gundermann, „Ob die Salbung einem Könige nothwendig sey“, in: Johannes Kunisch (Hg.), Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (= Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte NF Beiheft 6), Berlin 2002, S. 115 – 133, bes. 120 – 128. 300 Vgl. ebd. S. 127 und 129. Die Salbung selbst wurde von den Worten begleitet (ebd. S. 126): Und der Herr unser Gott salbe hierbey auch selbsten mit dem Heiligen Geiste Eure Königliche Majestät, daß Sie als ein Gesalbter des Herrn … diß Ihr Volck und Königreich beherrschen … 301 Hg. von Melchior Goldast, Politische Reichs=Haendel, Franckfurt am Mayn 1614, S. 167 – 200, hier: 186; vgl. dazu Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 97 mit Anm. 48. 302 Vgl. Anm. 196, 292, 303 und 304. 303 Vgl. Limnaeus, Capitulationes (wie Anm. 292), S. 17 (nr. 7); vgl. Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 93. 304 Limnaeus, Capitulationes (wie Anm. 292), S. 520 (nr. 4): Solemnitates consecrationis et coronationis … partim fundamentum in scriptura sacra, partim a cuiusque gentis beneplacito originem habent. Eae, quae ecclesiasticae pure sunt, regnum non conferunt, sed ideo peraguntur, ut quod collatum iam est, benedictione divina firmum fiat et stabile, ac is, cui Imperium collatum, populo magis sacer atque venerabilis efficiatur. 305 Vgl. Gabriel Schweder, Introductio in Jus Publicum Imperii Romano-Germanici novissimum, Tubingae 71721, S. 222 f. (nr. 27), und dazu Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 189), S. 97 f.

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hunderts zudem jene Änderungen deutlicher spürbar, die schon längst ihren Anfang genommen hatten, sich im Zeitalter der Aufklärung immer stärker ausprägten und schließlich mit zum Ende der Herrscherweihe in fast allen europäischen Ländern beitrugen. Der noch kaum erforschte Weg dahin war freilich weder kurz noch gerade, hatte doch die Königskrönung im Reich durch den Wegfall der Kaiserkrönung nach 1530 zwangsläufig eine gewisse Aufwertung erfahren, da sie nun für den ,erwählten römischen Kaiser‘, wie sich der Beherrscher des Reiches fortan nannte, den einzigen traditionellen und legitimierenden Zeremonialakt sakraler Natur darstellte. Wenn dieser, wie die Nachrichten aus den frühneuzeitlichen Jahrhunderten nahelegen, jetzt auch zunehmend als Schauspiel für das Volk aufgeführt worden ist, so verband sich mit ihm auf diffuse Weise doch weiterhin der Glaube an eine Wirkung der Salbung, ohne daß klar wird, wie stark dieser Glaube noch war. Das Beispiel der einzigen preußischen Königsweihe zeigt dies ganz deutlich: Einerseits ist dem ersten preußischen König bei der Salbung erklärt worden, daß ihn der Herr … salbe … mit dem Heiligen Geiste und er daher ein Gesalbter des Herrn sei306, andererseits konnte der zweite preußische König nur ein gutes Jahrzehnt später beim Antritt der Nachfolge auf Krönung und Salbung verzichten und sich mit der Huldigung durch die Stände begnügen307. So weit war es am Ende des Mittelalters allerdings noch nicht, wenn der Weg dahin wohl auch schon betreten war. Noch 1442 etwa konnte der Kölner Erzbischof bei der Weihe Friedrichs III. die anwesenden Kurfürsten ganz unbefangen fragen308, ob es ir aller wille were, das man herrn Friedrichen herzogen zu Oesterreich etc. zu˚ dißem m!l kúng machen und kroenen soelte, und damit offenbar zum Ausdruck bringen, daß die nachfolgende Weihe dem Erwählten noch irgendetwas an königlicher Würde vermittele, was er noch nicht besaß, obwohl der Habsburger, der die Reichsgewalt schon über zwei Jahre ausübte, zum Zeitpunkt seiner Krönung bereits seit der Wahl und deren Annahme am 6. April 1440 König war309. Da die merkwürdige Frage des Kölners, wenn sie wirklich wie zitiert gestellt worden ist, kaum eine Bestätigung der Wahl durch die Kurfürsten bezweckte (wäre Friedrich in diesem Fall wirklich nur als Herzog tituliert worden und was hätte ein Sinneswandel der Wähler angesichts der vorbereiteten Krönung gebracht?), da sie aber auch keine Wiederholung der Wahl bedeutet haben kann, bei der der König für einen Augenblick in den Herzogsstand zurückversetzt wurde, und weil es schließlich nicht vorstellbar ist, daß Friedrich erst durch die Krönung ,zum König gemacht‘ werden sollte, verbarg sich hinter der Frage vielleicht einfach nur die nicht weiter präzi306

Vgl. Anm. 300. Vgl. Gundermann, „Ob die Salbung einem König nothwendig sei“ (wie Anm. 299), S. 132. 308 Berichte eines Ungenannten, des Johannes Bürn von Mohnhausen und des Erhard von Appenwiler über Einzug und Krönung K. Friedrichs III. in Aachen, hg. von Hermann Herre und Ludwig Quidde, Dt. RTA 16, Stuttgart 1928, Nr. 109 §9 (S. 198); vgl. Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 546 f. und 682. 309 Vgl. Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 28), S. 528 f. und 530 f. mit Anm. 1904. 307

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sierte Vorstellung einer ,ideellen Komplettierung‘ des längst bestehenden Königtums. Dies aber würde einen zusätzlichen Beleg für die noch im 15. Jahrhundert mehr als traditionelle Notwendigkeit der Herrscherweihe und für deren die Königsherrschaft zusätzlich legitimierenden Charakter bedeuten. Und es muß die Salbung gewesen sein, die dies hauptsächlich bewirkte, denn in einem zeitgenössischen Bericht über Friedrichs III. Krönung heißt es ausdrücklich310, der Habsburger sei zu˚ kúniglichem weßen gesalbt worden. III. Sakralität durch Herkunft Im Vergleich der spätmittelalterlichen Entwicklung von Krönung, Salbung und Herrschersakralität in England, Frankreich und dem Reich lassen sich trotz deutlicher Unterschiede einige Gemeinsamkeiten feststellen. In allen drei Reichen wurde, freilich mit unterschiedlicher Intensität, an der Vorstellung festgehalten, daß der Herrscher in seinem Regnum Stellvertreter und Sachwalter Gottes auf Erden, und zwar in temporalibus, sei, was nicht zuletzt bei der Gerechtigkeitspflege meinte. Darüber hinaus besaß er eine allgemein-religiöse Verantwortung für den ihm von Gott anvertrauten Volksverband. Diese Aufgaben, die eine gesteigerte Rechenschaftspflicht gegenüber Gott bewirkten, zeigten den Herrscher in einer deutlichen Nähe zum Numinosen und verschafften ihm eine eigene Dignität, die ihn von den Laien unterschied, aber nicht zum Priester machte, sich in England und Frankreich mit dem Thaumaturgentum verband und in Frankreich darüber hinaus besonders spirituell ausgeprägt war. Die Herrscherweihe, ursprünglich wohl als ein wesentlicher Akt für die Begründung der besonderen königlichen Dignität begriffen, spielte in diesem Zusammenhang zwar weiterhin eine wichtige, jedoch zunehmend unklarer werdende Rolle und erfuhr dabei eine Veränderung und Abschwächung ihres Stellenwerts. Der Verlust ihrer quasikonstitutiven Wirkung führte zunächst zu einer Verschiebung der Bedeutung der Weihe hin zu einer geistlichen Handlung, die durch Intensivierung der herrscherlichen Sakralität die Legitimität der Königsherrschaft verstärkte. Doch drohte diese Funktion in dem Maße verloren zu gehen, in dem sich in England und Frankreich die Erblichkeit der Thronfolge durchsetzte und ausgestaltete und man dort seit dem 14., vor allem jedoch im 15. Jahrhundert bemüht war, die königliche Stellung einschließlich der wundertätigen Begabung und das Recht zur Ausübung der Herrschaft unter direktem Rückgriff auf den Willen Gottes allein mit dem königlichen Geblüt, also mit der rechtmäßigen Herkunft, kurz: mit der Legitimität der Abstammung zu begründen. Die Entwicklung dahin verlief wegen unterschiedlicher Voraussetzungen und Rahmenbedingungen in England und Frankreich zwar nicht identisch, aber doch grundsätzlich in die gleiche Richtung: In beiden Reichen sind Salbung und Krönung letztlich bedeutungslos geworden für die 310 Berichte (wie Anm. 308), in: Dt. RTA 16, Nr. 109 §9 (S. 199); zu dem nicht erhaltenen, aber durch drei Redaktionen faßbaren Bericht vgl. ebd. S. 167 f.

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juristische Begründung eines Königtums und für die Ausgestaltung der herrscherlichen Sakralität, wenngleich im Bewußtsein der französischen Bevölkerung ,le sacre‘ eine – trotz gegenteiliger Lehre der Kronjuristen – immense, von den Monarchen offenbar akzeptierte Bedeutung behielt und von diesem geistlichen Akt in der politischen Praxis weiterhin die volle Legitimität eines Königs und dessen thaumaturgisches Auftretren abhingen. Theorie und Praxis entsprachen sich hier also nicht völlig, doch bewirkte dies keine Schwächung, sondern eher eine Stärkung der Monarchie. Im Reich sind bekanntlich andere Wege beschritten worden, aber auch hier kam es zu einer Minderung des Stellenwerts der Herrscherweihe, da sich die Wahl durch die Kurfürsten als die Herrschaft begründende Handlung durchsetzte, als einziger Konstitutivakt, weswegen die Weihe einem neuen Königtum allenfalls noch eine zusätzliche, aber letztlich nicht zwingend erforderliche Legitimität zu verschaffen vermochte, und zwar wohl hauptsächlich durch Betonung und Intensivierung der Herrschersakralität – denn: Im Reich scheint man noch bis in die Neuzeit hinein der Salbung eine entsprechende Wirkung auf die ohnehin vorhandene sakrale Dimension des Kaisers beigemessen zu haben. Die Kenntnis dieser Entwicklungen erleichtert einen Perspektivwechsel weg von der Betrachtung der Herrschersakralität als einer Folge der Thronerhebung hin zu der Frage, inwieweit die Sakralität von Thronfolgern die Herrschaftsnachfolge beeinflußte. Zwar wird in den Krönungsordines aller drei in die folgenden Überlegungen einbezogener Reiche behauptet, ein neuer, nun zu weihender König sei schon vor Zeiten von Gott zur Herrschaft auserwählt worden311, was ja durchaus als Indiz für sakrale Gottesnähe schon vor der aktuellen Thronbesteigung gewertet werden kann; aber aus dieser allgemeinen Vorstellung, die sich ja immer erst in einer bestimmten Nachfolgesituation durch Wahl oder Erbgang konkretisierte, einen die Thronfolge beeinflussenden Aspekt abzuleiten, geht wohl nicht an. Hat es daher überhaupt so etwas wie eine auf die Thronfolge einwirkende Herrschersakralität gegeben? Die Antwort auf diese Frage kann weder einfach ,ja‘ oder ,nein‘ lauten noch gleichermaßen für die englischen, französischen und deutschen Verhältnisse gegeben werden, bewirkt doch allein schon der Umstand, ob sie mit Blick auf eine Erb- oder eine Wahlmonarchie formuliert wird, spürbare Unterschiede; und selbst in Erbmonarchien sind die Entwicklungsprozesse und Verfassungsverhältnisse keinesfalls identisch. Am deutlichsten jedoch sind die Zusammenhänge in Frankreich zu erfassen.

311 Vgl. etwa den früh- und spätmittelalterlichen Ordo aus dem Reich (Der Kölner Ordo [wie Anm. 37] S. 57: Deus … qui … preelegisti reges seculis profuturos …), den Liber Regalis, in: English Coronation Records (wie Anm. 38), S. 90, oder Ordo XIX (Ordo of 1200), in: Ordines Coronationis (wie Anm. 38) S. 256 Nr. 18 = Ordo XXI (Ordo of 1250), ebd., S. 352 Nr. 23 = Ordo XXIII (Ordo of Charles V), ebd., S. 477 Nr. 21 = Ordo XXV (Ordo of Charles VIII), ebd., S. 584 Nr. 69 (vgl. auch Ordo I [790 – 800], ebd., S. 53 Nr. 2, und Ordo II [ca. 800], ebd., S. 59 Nr. 2).

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Die seit dem ausgehenden 10. Jahrhundert über mehr als 300 Jahre ungefährdete Sohnesfolge, die nahezu problemlose Ausbildung der Erbmonarchie312, die das Königtum letztlich stärkende Überwindung der phasenweise bedrohlichen Sukzessionskrise des frühen 14. Jahrhunderts, die, einen Reditus ad stirpem Karoli313 einbeziehende, Ausbildung einer allgemein akzeptierten Königsideologie, welche sich auf den Glauben vom Himmelsöl, von Oriflamme und fleurs-de-lis gründete314 sowie schließlich unter dem Schlagwort der religion royale315 zusammengefaßt werden konnte und seit 1297 durch die Heiligsprechung Ludwigs IX. und deren propagandistische Ausnutzung316 erheblich verstärkt worden ist, all das, fundiert durch das heiligmäßige Wirken Ludwigs und das Bewußtsein von einer unerschütterlichen Bereitschaft der Monarchen zur Verteidigung des wahren Glaubens317, hat die französische Königsdynastie schließlich in den Ruf einer besonderen Heiligkeit gebracht. Bereits Aegidius Romanus bezeichnete die kapetingische Familie in der Widmung seines dem Thronfolger und späteren König Philipp IV. dedizierten Fürstenspiegels als eine sanctissima prosapia318, während Papst Nikolaus III. 1280 von der electa domus Franciae sprach319. Für Jean Golein und damit für den ganzen auf Karl V. hin ausgerichteten Kreis (und wohl auch noch weit über diesen hinaus) galt die Königsfamilie als la sainte et sacree lignie320. Diese Heiligkeit des Blutes war es schließlich, die den Thronfolgeanspruch begründete; sie 312

Vgl. Erkens, Teilung und Einheit (wie Anm. 273), S. 28 f. (und die dort verzeichnete Literatur), sowie Giesey (wie Anm. 208). 313 Vgl. Erkens, Teilung und Einheit (wie Anm. 273), S. 25 (und die dort in Anm. 84 zum ,Reditus regni Francorum ad stirpem Karoli‘ verzeichnete Literatur). 314 Vgl. Anm. 151 und 211. 315 Vgl. Anm. 212. 316 Vgl. Anm. 152 und 153. 317 Vgl. dazu etwa die lobenden Worte Martins IV. in der Urkunde, mit der am 5. Mai 1284 ein Zehnt für den Kreuzzug gegen Aragon ausgeschrieben wurde, ed. F. Kaltenbrunner, Actenstücke zur Geschichte des Deutschen Reiches unter den Königen Rudolf I. und Albrecht I. (= Mittheilungen aus dem Vaticanischen Archive I), Wien 1889, Nr. 262 (S. 297), oder den Traité du sacre (wie Anm. 207) S. 309 (le plus noble le treschrestien deffendeur de la foy et de leglise) sowie die Ansichten des Bischofs Wilhelm von Angers, der neben Rechts- und Friedenswahrung als besondere Aufgaben der Könige den religiösen Konnex hervorhebt, in dem diese und das Königreich stehen, wobei das französische Königtum vor allen anderen Monarchien ausgezeichnet sei als treuer Förderer der Kirche (vgl. Joseph Avril, La conception du pouvoir d’après les écrits de Guillaume le Maire, évêque d’Angers [1291 – 1317], in: Églises et pouvoir politique [wie Anm. 84] S. 117 – 134, etwa 122, 124 f.). 318 Aegidii Romani De regimine principum libri III, Romae 1606 [ND Frankfurt 1968], S. 1. Zu Aegidius vgl. Charles F. Briggs, Giles of Rome’s De regimine principum. Reading and Writing Politics at Court and University, c. 1275-c. 1525, Cambridge 1999, S. 9 ff.; Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 31. 319 An Königin und König von Frankreich gerichtete Schreiben vom 7. März 1280, ed. F. Kaltenbrunner (wie Anm. 317) Nr. 217 (S. 226) und 219 (S. 228). 320 Traité du sacre (wie Anm. 207) S. 309: … le royaume de france demourroit aux Roys de france descendans de la sainte et sacree lignie par hoir masle. afin que ceste beneicon demourast en transfusion de lun en lautre.

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war eine ererbte Heiligkeit, die nicht erst durch das Königsamt vermittelt wurde321: Dies klingt schon in einem anonymen, während des Konfliktes zwischen Philipp IV. und Bonifaz VIII. entstandenen Traktat aus dem frühen 14. Jahrhundert an322, wurde natürlich gern von Karl V. und seinem Kreis aufgegriffen323 und von Jean Golein entsprechend hervorgehoben324; schließlich ließ sich zwei Jahrhunderte später im Zeichen des aufziehenden Absolutismus die Aura der Geblütsheiligkeit, die die französischen Monarchen besaßen, sogar noch zu einer Aureole der Christusverwandschaft steigern325. Es kann daher auch keinen Zweifel daran geben, daß in Frankreich die Thronfolge entscheidend durch eine eigentümliche Heiligkeit des königlichen Blutes, durch die Herkunft aus der sainte et sacree lignie, durch die Zugehörigkeit zu einer gottgefälligen electa domus bestimmt worden ist, daß bei der Nachfolge im französischen Königtum diese sakrale Dimension, die dann durch die Übernahme der Königswürde und den Vollzug des ,sacre‘ weiter verdichtet wurde, eine wesentliche Rolle spielte – war doch, solange an die Gotterwähltheit 321 Vgl. die vorhergehende Anm. sowie Lewis, Le Sang Royal (wie Anm. 152), S. 165; Beaune, Les théoriciens (wie Anm. 186), S. 237; Leguai, Fondements et problèmes (wie Anm. 187), S. 49; Carqué, Stil und Erinnerung (wie Anm. 152), S. 487. – Dies gilt es natürlich zu berücksichtigen bei dem Unterfangen, weniger den französischen Königen, sondern hauptsächlich dem Königtum als Institution Sakralität zuzuschreiben (vgl. Anm. 216). 322 Quaestio disputata in utramque partem pro et contra Pontificiam Potestatem, ed. Goldast, Monarchia (wie Anm. 59) II, Francofordiae 1614, S. 95 bzw. 96 [statt irrtümlich 106]-107, hier 102 (vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige [wie Anm. 5], S. 160 f. Anm. 81) = Gustavo Vinay, Egidio Romano e la cosidetta Quaestio in utramque partem, in: Bullettino dell’Istituto Storico Italiano per il Medio Evo e Archivio Muratoriano 53 (1939) S. 43 – 136 (Edition 93 – 136), hier: S. 118 f. = Robert William Dyson (Hg.), Three Royalist Tracts, 1296 – 1302: Antequam essent clerici; Disputatio inter Clericum et Militem; Quaestio in utramque partem, Durham 1999, S. 12 – 45, bes. 46 – 111 (Edition, zum Traktat vgl. ebd. S. XXVIII–XLI) und hier 82 (V 2): Sicut enim haereditario iure succedit patri filius in adoptione regni sui, sic, quasi haereditario iure, succedit, faciente Deo [Lesung nach Goldat: succedendi, facultatem Deo tradente], alter alteri in simili potestate huiusmodi miracula faciendi. Zur Quelle vgl. Richard Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz VIII. (= Kirchenrechtliche Abhandlungen 6 – 8), Stuttgart 1903, S. 224 – 251, bes. 239 f.; Jean Rivière, Le problème de l’Église et de l’État au temps de Philippe le Bel (= Spicilegium sacrum Lovaniense 8), Louvain 1927, S. 133 – 141; John Watt, The „Quaestio in utramque partem“ reconsidered, in: Studia Gratiana 13 (1967) S. 411 – 453, sowie – auch zum historischen Hintergrund – Jürgen Miethke, Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 2008, S. 68 – 82 und 109 – 113, und Jean Favier, Philippe le Bel, Paris 1978, S. 343 – 390. 323 Vgl. Bloch, Die wundertätigen Könige (wie Anm. 5), S. 160. 324 Vgl. Anm. 320. 325 Vgl. die um 1600 formulierte Behauptung des Juristen Pierre Rebuffi: Plus ex praedictis infero, illos reges nostros esse aequiparandos quibusque consanguineis, sive cognatis, quos Christus habuerit, zit. nach Richard A. Jackson, Anzeichen der Vergötterung des französischen Königs, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Herrscherweihe und Königskrönung im frühneuzeitlichen Europa (= Schriften der Mainzer Philosophischen Fakultätsgesellschaft 8), Wiesbaden 1983, S. 96 – 102, hier: 100 Anm. 20, oder die für Ludwigs XIV. Weihe entstandene Ode au Roy sur son sacre, zit. nach Jackson (wie vor) S. 101: JESUS et LOUIS Couronnés … Qu’ils ont de fils de DIEU: sont frères d’Onction; zur Sache vgl. ebd. S. 100 f.

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und Heiligkeit des königlichen Geblüts geglaubt wurde, ein Abweichen von der herrschenden Dynastie nicht möglich. Anders ist dies in England gewesen, obwohl sich das Königtum auch hier zur Erbmonarchie entwickelte und die Herrscher im ausgehenden Mittelalter sogar zeitweise mit einem eigenen, vom Himmel vermittelten Öl gesalbt worden sind. Aber die Rahmenbedingungen der Königsherrschaft waren anders als in Frankreich. Die zahlreichen Konflikte zwischen der Krone und dem Adel, im 14. Jahrhundert vor allem unter Eduard II. und Richard II., das anhaltende fürstliche Ringen um die Königswürde während des 15. Jahrhunderts, das nur unter Heinrich V. kurz erlahmte, sich in der zweiten Jahrhunderthälfte aber zu den Gewalttaten der Rosenkriege steigerte, schließlich die wiederholte Absetzung von Königen und die gewaltsame Beseitigung der unterlegenen Rivalen ließen, ungeachtet der von jedem einzelnen Monarchen angestrebten und mehr oder minder wirksamen sakralen Legitimation, keine dauerhafte Verehrung des Volkes für das Königshaus und seine verschiedenen Zweige wachsen – kurz gesagt: In England fehlten die tiefen Wurzeln herrscherlicher Sakralität, das breite Wurzelgeflecht einer religiös getönten Königsideologie und die sichere Verankerung solcher Vorstellungen in der Mentalität breiterer Schichten. Natürlich konnte sich jeder Throninhaber oder Thronbewerber die sakralen Traditionen und Möglichkeiten des Herrscheramtes nutzbar machen oder zumindest nutzbar zu machen suchen; aber eine verläßliche und dauerhafte Sakralität der Dynastie formte sich nicht, obwohl Ansätze dafür vorhanden waren, hatte doch bereits Henry Bracton erklärt, nur Gott könne einen Erben machen326, was in einer etablierten Erbmonarchie mit unangefochtener Königsfamilie nichts anderes bedeutete, als daß der Thronfolger von Gott erwählt sei327 und ihm dadurch schon vor der Thronbesteigung eine gewisse religiöse Legitimität eignete. Im ausgehenden Mittelalter fehlte in England jedoch eine allseits anerkannte Herrscherdynastie, weswegen eine Ausgestaltung der dynastischen Sakralität unmöglich war. Erst der Erfolg der Tudors eröffnete hierfür neue Möglichkeiten. Die mentale Verankerung des dynastischen Gedankens zu Gunsten der Tudors im englischen Volk, die 1553 die Thronbesteigung einer katholisch orientierten Tochter Heinrichs VIII., der noch nicht zum blutigen bête noir des englischen Geschichtsbewußtseins avancierten Maria, trotz anderer Pläne ihres königlichen Bruders und entsprechender Aktivitäten von dessen Beratern recht rasch und bereitwillig zu

326

Vgl. Anm. 248 und dazu Rogge, „Tum …“ (wie Anm. 38), S. 49. Vgl. etwa die Erklärung, mit der Heinrich IV. 1399 den Thron für sich beanspruchte und die in den Annales Ricardi Secundi et Henrici Quarti (wie Anm. 173) S. 281 überliefert ist: In the name of God, I, Henry of Lancastre, challenge this reiaume, this the corone, with alle the membris and the appurtenaunce ther to, save the ryght blood comyng of the Kyng Henry, and thorghe that ryght that Gode of hys grace hath sent me, … 327

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akzepzierten half328, und die gewonnene ,Supremacy‘ über die Kirche329 taten zusammen mit der von Erzbischof Cranmer verkündeten Ansicht, des König Herrschaft gründe allein im Willen Gottes330, ein übriges. Die Stuarts, ganz im Sinne dieser Tradition auf dem Erbwege auf den englischen Thron gelangt, reklamierten „the Divine Right of Kings“ in vollem Umfange für sich331 und übten daher im 17. Jahrhundert die Skrofelnheilung unabhängig von der Weihe aus, gingen also einen Schritt weiter als ihre französischen Amtsbrüder und versuchten dadurch, das sakrale Auserwähltsein ihrer Dynastie und deren Legitimität zu demonstrieren332; aber die Zeitverhältnisse, englische Reformation und erneut vertiefte Gegensätze zwischen den Monarchen und breiten Teilen der Bevölkerung ließen einen Erfolg nicht zu. Was nicht wie in Frankreich in der Tiefe der Geschichte und in der Breite des gesellschaftlichen Bewußtseins wurzelte, ließ sich im 17. Jahrhundert nicht mehr etablieren. Und im Reich? Ist unter den Bedingungen einer Wahlmonarchie überhaupt mit der Sakralisierung einer Herrscherfamilie und des Thronfolgers zu rechnen? Eigentlich nicht, und trotzdem sind Ansätze dafür zu erkennen, haben die Staufer sich doch als das berufene Kaisergeschlecht verstanden und sind von den Geschichtsschreibern ihres Umfeldes, die man eine Zeit lang sogar als regelrechte Hofhistoriographen verstanden hat333, entsprechend als domus imperialis und imperialis prosapia dargestellt worden334. Mit dem Ende der staufischen Kaiserherrlichkeit, 328 Vgl. Esser, Die Tudors und die Stuarts (wie Anm. 251), S. 61 und 66, sowie David Michael Loades, Maria Tudor (1516 – 1558). England unter Maria der Katholischen, München 1982 [engl. 1979], S. 80 – 83; Elton (Hg.), The Tudor Constitution (wie Anm. 271) S. 3. 329 Vgl. Anm. 271. 330 Vgl. Anm. 269. 331 Vgl. Glenn Burgess, Absolute Monarchy and the Stuart Constitution, New Haven and London 1996, S. 91 – 123, bes. 91, 96, 121; zu der Intensivierung dieser Dimension des englischen Königtums durch Heinrich VIII. vgl. Anm. 272. 332 Vgl. Anm. 147, 250 und 252. 333 Vgl. Roman Deutinger, Imperiale Konzepte in der hofnahen Historiographie der Barbarossazeit, in: Stefan Burkhardt u. a. (Hgg.), Staufisches Kaisertum im 12. Jahrhundert. Konzepte – Netzwerke – Politische Praxis, Regensburg 2010, S. 25 – 39. 334 Thomas Szabó, Herrscherbild und Reichsgedanke. Eine Studie zur höfischen Geschichtsschreibung unter Friedrich Barbarossa, Diss. Freiburg i. Br. 1971, S. 103 – 106, hebt vor allem die Kontinuität der Kaiserherrschaft von Augustus bis zu den Staufern hervor, Otto von Freising läßt aber darüber hinaus erkennen, daß die Staufer als Salierverwandte das berufene Herrschergeschlecht sind: Gesta Friderici I. imperatoris, hg. von Georg Waitz und Bernhard von Simson, MGH SS rer. Germ. [46.], Hannover/Leipzig 31912, S. 103 (II 2: famosa[..] familia[..] … Heinricorum de Gueibelinga … imperatores … producere solita.), und Gottfried von Viterbo, Speculum regum, hg. von Georg Waitz, MGH SS 22, Hannover 1872, S. 21 – 93, hier 21 (Z. 12: de imperiali prosapia; Z. 29: … ab una Troianorum regum stirpe procedat …), erkennt in ihnen Mitglieder der seit Urzeiten existierenden imperialis prosapia, zu der als propria parentela die Reichsherrschaft immer wieder zurückgekehrt sei (ebd. S. 100: Et si aliquando in alienam proieniem successio regum exorbitasse asseritur, semper ad prime stirpis propaginem redire monstratur, et semper ad propriam rediit parentelam.); vgl. Karl Schmid, De regia stirpe Waiblingensium. Bemerkungen zum Selbstverständnis der

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die von Friedrich II. zuvor allerdings noch einmal sakral überhöht worden war335, kam jedoch das vorläufige Ende einer wie auch immer gearteten ideellen Überhöhung der Herrscherfamilie. Im sich an den Untergang der Staufer anschließenden Zeitalter wechselnder Königshäuser ist es natürlich nicht möglich gewesen, eine auf das Königtum bezogene Familienidee auszuprägen. Dies änderte sich erst wieder, als es zur dauerhaften Herausbildung von neuen Herrscherfamilien kam, also zunächst unter den Luxemburgern und dann unter den Habsburgern. Karl IV. etwa in seiner vielschichtigen und komplexen Frömmigkeit336, die den theologisch fundierten Luxemburger zum Reliquiensammler machte und sich in dessen Reliquienburg Karlstein gelegentlich zur monastischen Lebensform steigerte, hegte und pflegte, sicherlich vorrangig, aber kaum ausschließlich wegen politischer Erwägungen, den Heiligenkult der Könige seiner Reiche: Karls des Großen, des kaiserlichen Herrscherideals schlechthin, des böhmischen Wenzel und des burgundischen Sigismund, die alle Namenspatrone von Karls IV. Söhnen wurden. Dabei bekundete sich ein persönliches Auserwähltheitsbewußtsein337, das Ansätze für eine dynastische Weiterentwicklung in sich barg338, denen freilich durch Schicksal und Sturz Wenzels im Jahre 1400 und durch das 1437 mit dem Tode Sigismunds eingetretene Ende des luxemburgischen Mannesstamms keine wirkliche Entfaltung vergönnt war. Erfolgreicher in dieser Hinsicht waren hingegen die Habsburger, die ohnehin das Erbe der Luxemburger in verschiedenen Bereichen antraten.

Staufer, in: ders., Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge. Festgabe zu seinem sechzigsten Geburtstag, Sigmaringen 1983, S. 454 – 464 [erstmals 1976, in: ZGOrh 124, S. 63 – 73], bes. 456 und 460 [65 und 69]; Heinrich Appelt, Die Kaiseridee Friedrich Barbarossas (= SBB der Österr. Akad. d. Wiss 252, H. 4), Wien 1967, S. 30 (wo darauf hingewiesen wird, daß Barbarossa nicht nur „als Rechtsnachfolger der antiken Imperatoren“ galt, sondern auch die Herrscherfamilien von den Karolingern bis zu den Staufern als „dynastische Einheit“, als „kaiserliche(s) Haus“ verstanden wurden.); Odilo Engels, Beiträge zu Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert (I), in: ders., Stauferstudien. Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert. Hg. von Erich Meuthen und Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1996, S. 32 – 115 [erstmals 1971, in: DA 27, S. 373 – 456], bes. 112 – 115 [452 – 456]. 335 Vgl. Anm. 25. 336 Vgl. dazu wie zum folgenden Machilek, Privatfrömmigkeit (wie Anm. 137), S. 88 (zu den religiösen Übungen), 89 ff. (Förderung des Wenzels- und Karlskults), 92 ff. („Reliquiensammeleifer“), 94 und 99 (Sigismundverehrung). 337 Vgl. ebd. S. 88 f. und Ferdinand Seibt, Karl IV. Ein Kaiser in Europa. 1346 bis 1378, München 1978, S. 126 ff., sowie die Vita Caroli Quarti. Die Autobiographie Karls IV. Einführung, Übersetzung und Kommentar von Eugen Hillenbrand, Stuttgart 1979, S. 90 (I 4), 98/ 100 (I 5) und 108 – 114 (I 7). 338 Vgl. die dynastischen Bezüge, die Karl IV. in seiner Autobiographie (wie Anm. 337) S. 80 (I 3) zu Karl dem Großen sowie dem hl. Wenzel herstellt, und dazu ebd. S. 38 ff.; Karl Hauck, Geblütsheiligkeit, in: Bernhard Bischoff / Suso Brechter (Hgg.), Liber Floridus. Mittellateinische Studien. Paul Lehmann zum 65. Geburtstag gewidmet, St. Ottilien 1950, S. 187 – 240, hier 206 – 213.

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Nachdem sich die Wittelsbacher als nachranging unter den drei königsfähigen Familien im Reich erwiesen hatten und die Luxemburger im Mannesstamm ausgestorben waren, öffnete sich für die Habsburger in der Mitte des 15. Jahrhunderts das Tor endgültig zum Kaiserthron und zur Höhe europäischer Geltung. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie mit Rudolf I., Albrecht I. und Friedrich dem Schönen bereits dreimal Beherrscher des Reiches gestellt und in der mehr als hundert Jahre währenden Phase des Wartens auf eine neue Chance zur Bekleidung der höchsten Reichswürde ihr königliches Selbstverständnis nicht verloren. Rudolf IV., der Stifter, Urheber der gefälschten, aber die habsburgische Dignität steigernden ,österreichischen Freiheitsbriefe‘ mit dem Privilegium maius339 im Zentrum, Begründer der (zunächst nicht so recht in Gang gekommenen) Wiener Universität340 und verantwortlich für den gotischen Umbau des Stefansdomes wie auch für die Ausgestaltung von dessen Kapitel in Dimensionen eines Bischofssitzes341, vor allem dieser Schwiegersohn Kaiser Karls IV. setzte während seiner nur sieben Jahre währenden Herrschaft Zeichen eines königlichen Selbstbewußtseins, die als Ausdruck des Strebens nach Umwandlung des Herzogtums Österreich in ein Königreich verstanden werden können342, vor allem aber ein royales, ja, imperiales Ver339

Vgl. Alphons Lhotsky, Privilegium Maius. Die Geschichte einer Urkunde, Wien 1957; Eva Schlotheuber, „Das Privilegium maius – eine habsburgische Fälschung im Ringen um Rang und Einfluss“, in: Peter Schmid / Heinrich Wanderwitz (Hgg.), Die Geburt Österreichs. 850 Jahre Privilegium minus (= Regensburger Kulturleben 4), Regensburg 2007, S. 143 – 165; Alexander Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert (= Mittelalter-Forschungen 12), 2003, S. 159 ff., und allg. Peter Moraw, Das „Privilegium maius“ und die Reichsverfassung, in: Fälschungen im Mittelalter III. Diplomatische Fälschungen (I) (= MGH Schriften 33/III), Hannover 1988, S. 201 – 224. 340 Vgl. Viktor Flieder, Stephansdom und Wiener Bistumsgründung. Eine diözesan- und rechtsgeschichtliche Untersuchung (= Veröffentlichungen des Kirchenhistorischen Institutes der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien 6), Wien 1968, S. 194 f., und Paul Uiblein, Beiträge zur Frühgeschichte der Universität Wien, in: Kurt Mühlberger / Karl Kadletz (Hgg.), Die Universität Wien im Mittelalter. Beiträge und Forschungen von Paul Uiblein (= Schriftenreihe des Universitätsarchiv. Universität Wien 11), Wien 1999, S. 15 – 44 [erstmals 1963], bes. 32 – 41; ders., Die Wiener Universität im 14. und 15. Jahrhundert, ebd. S. 75 – 99 [erstmals 1985] bes. 76 – 83; Heinrich Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885, S. 604 – 625, bes. 609; Peter Csendes, Wien III. Universität, in: LexMA 9 (1998) S. 84 f., sowie allg. J. Verger, Universität A. Westen, in: LexMA 8 (1997) S. 1249 – 1255, bes. 1252. 341 Vgl. Flieder, Stephansdom (wie Anm. 340), S. 177 ff. und 140 – 148 sowie 251 Nr. 1, 254 Nr. 2. 342 Vgl. dazu Heinrich Koller, Das „Königreich“ Österreich (= Kleine Arbeitsreihe des Instituts für Europäische und Vergleichende Rechtsgeschichte an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz), Graz 1972, passim und bes. S. 20 – 24. Die freilich nicht unbedingt von dem Ziel einer Umwandlung des Herzogtums in ein Königreich inspirierte Betonung einer royal-imperialen Dimension der habsburgischen Dynastie zeigt sich im übrigen auch daran, daß Rudolf IV. den Propst des neugeschaffenen Wiener Kapitels zum ,obersten Erzkanzler‘ des Landes Österreichs bestimmte: Vgl. Wilfried Stelzer, Zur Kanzlei der Herzoge von Österreich aus dem Hause Habsburg (1282 – 1365), in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter I (= Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 35), München 1984, S. 297 – 313, bes. 310.

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ständnis von der Würde der eigenen Familie erkennen lassen. Die kronenartige Gestaltung von Rudolfs (Erz-)Herzogshut, der (wenn er je existierte) nicht erhalten, aber in Bildzeugnissen visualisiert ist und einen mit kostbarem Brokat überzogenen zwölfzackigen, vielleicht von der antiken Strahlenkrone inspirierten Reif mit einem an die Reichskrone gemahnenden, kreuzgeschmückten Bügel besaß343, diese als Krone gestaltete Kopfbedeckung war vielleicht das am meisten ins Auge stechende Symbol von Rudolfs königlichem Bewußtsein. Die durch das (wirkliche oder zumindest beabsichtigte) Tragen diesen Hutes bewirkte und durch weitere Insignien wie den als Szepter deutbaren Stab344 verstärkte Demonstration königlichen Anspruchs, welche vorzunehmen Rudolf im November 1360 eigens abzuschwören hatte, weil sie Karls IV. Unmut erregte345, eine solche Demonstration muß nicht unbedingt, zumindest nicht ausschließlich als Zeichen des rudolfinischen Bestrebens, das Herzogtum Österreich in ein Königreich umzuwandeln, verstanden werden. Vielmehr verweist sie auf einen allgemeinen, nicht zuletzt auf das Reich gerichteten und vor der Geburt des Kaisersohnes Wenzel im Jahre 1361 nicht völlig aussichtslosen Anspruch auf die Thronfolge: Weder mit (schlecht zu einer österreichischen Königswürde passenden) keiserlichen noch mit kuniglichen Abzeichen sollte sich Rudolf nach des luxemburgischen Schwiegervaters Willen schmücken, und zeitgenössische Historiographen wähnten (ob zu Recht oder Unrecht ist hier unwichtig) den royalen Ehrgeiz des jungen Herzogs als auf Karls IV. Nachfolge gerichtet, zumindest soll Rudolf IV., als er zusammen mit dem noch söhnelosen Karl IV. 1353 im Kloster Zwettl weilte, tanquam rex Romanorum aufgenommen worden sein346, und der Florentiner Matteo Villani berichtet347, der Habsburgerher343 Vgl. Ursula Begrich, Die fürstliche „Majestät“ Herzog Rudolfs IV. von Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte der fürstlichen Herrschaftszeichen im späten Mittelalter, Wien 1965, S. 22 sowie die Abb. vor dem Titelblatt und die Darstellungen späterer Erzherzogshüte im Abbildungsteil; Anna Hedwig Benna, Erzherzogshut und Kaiserkrone. Zu den „kaiserlichern und koniglichen zierden, die einen herzogen von Ostereich nicht angehoren“, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25 (1972 = Festschrift Hanns Leo Mikoletzky), S. 317 – 333, bes. 332, und allg. auch Gerd Tellenbach, Über Herzogskronen und Herzogshüte im Mittelalter, in: DA 5 (1942) S. 55 – 71, bes. 65 f.; Schlotheuber, „Das Privilegium maius“ (wie Anm. 339), S. 144 ff., und Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 339), S. 172 ff. 344 Vgl. Begrich, Die fürstliche „Majestät“ (wie Anm. 343), S. 26. 345 Eduard Winkelmann (Hg.), Acta imperii inedita saeculi XIII et XIV. Urkunden und Briefe zur Geschichte des Kaiserreichs und des Königreichs Sizilien, Bd. 2, Innsbruck 1885, S. 861 Nr. 1204 (Rudolf mußte vor den versammelten Fürsten erklären: daz ich weder mit keiserlichen oder kuniglichen bogen crucze cronen sceptir swerte noch in anderen sachen mich nicht anzihen wil noch beginnen noch einige nuwe ding anders, wan min vater und min veteren seligen getan und gehandelt haben bii iren lebtagen); vgl. dazu Lhotsky, Privilegium Maius (wie Anm. 339), S. 29 f.; Schlotheuber, „Das Privilegium maius“ (wie Anm. 339), S. 159; Sauter, Fürstliche Herrschaftsrepräsentation (wie Anm. 339), S. 163, und Begrich, Die fürstliche „Majestät“ (wie Anm. 343), S. 26 f. 346 Kalendarium Zwetlense, ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9, Hannover 1851, S. 689 – 698, hier 693 (A. D. 1353 …; et postea Albertus dux cum rege Karolo et filio suo Rudolfo ad monasterium [= Zwettl] sunt reversi. Qui Karolus tanquam serenissmus augustus et cesar

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zog sei vom Kaiser zum Re de’Lombardi erhoben worden (was man durchaus als Ernennung zum Thronfolger verstehen kann). In den weiteren Zusammenhang solcher Ambitionen paßt natürlich auch die (von späteren Habsburgern variierte) Betonung antiker Herkunft durch Anschluß an die römische Familie der Colonna348, die sich auf das julische Kaiserhaus zurückführte und deren Mitglied Agapit, bischof zu Estulan legat des stuls ze Rom, in einer Urkunde Rudolfs vom 30. Januar 1365 als dessen lieber ohem bezeichnet wird349. Rudolf und seine Berater schätzten den durch vornehmes Alter eine besondere Legitimation spendenden Rückgriff auf die römische Antike ohne allen Zweifel sehr, sie scheuten sich daher auch nicht, für das Fälschungswerk der österreichischen Freiheitsbriefe Urkunden Cäsars und Neros zu stilisieren. Mochte Petrarca als von Karl IV. bestellter Gutachter den Fälscher schließlich auch als „literarischen Stümper“ und „Erzschelm“, als „Ochse“ und „Esel“ der Lächerlichkeit preisgeben350 : Nicht nur Habsburg, auch Österreich gewann durch das Machwerk eine antik-römische Wurzel, und der namenlose Senator, dem von Julius Cäsar die plaga Orientalis terre, dem (wie es in einer frühen Übersetzung heißt) der tail des erdtreichs gegen aufgang der sun zu besonderem Recht unterstellt worden sein soll, ist des Iulius imperator Onkel (avunculus)351 gewesen, wodurch die Nachfolger des Senators und in letzter Konsequenz natürlich die Habsburger als Herzöge des Landes aufgewertet worden sind. Drei nahe Verwandte (Onkel, Großvater und Urgroßvater) als Beherrscher des Reiches in der jüngeren Vergangenheit und dazu die excellentissimus, et gener eius Rudolfus filius Alberti tanquam rex Romanorum … sunt susscepti et refecti copiose.). 347 Istorie di Matteo Villani, hg. von Ludovico Antonio Muratori, Rerum Italicarum Scriptores 14, Mailand 1729, S. 9 – 770, hier: 527 (lib. 8, cap. 98); vgl. dazu wie zum folgenden Begrich, Die fürstliche „Majestät“ (wie Anm. 343), S. 49 f. 348 Vgl. Alphons Lhotsky, Apis Colonna. Fabeln und Theorien über die Abkunft der Habsburger. Ein Exkurs zur Cronica Austrie des Thomas Ebendorfer, in: ders., Das Haus Habsburg (= Alphons Lhotsky. Aufsätze und Vorträge. Ausgewählt von Hans Wagner und Heinrich Koller, Bd. II), München 1971, S. 7 – 102, bes. 27 – 32 (wo die Belege für das schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts vorhandene ,Wissen‘ der Habsburger um die Verwandtschaft mit den Colonna zusammengestellt sind; historiographisch verkündet wurde es jedoch erst in der Mitte des 15. Jahrhunderts durch Thomas Ebendorfer (Chroncia Austriae, hg. von Alphons Lhotsky, MGH SS rer. Germ. NS 13, Berlin 1967, S. 352 f. [lib. III] ), und Begrich, Die fürstliche „Majestät“ (wie Anm. 343), S. 75 f. 349 Vgl. Lhotsky, Apis Colonna (wie Anm. 348), S. 33 ff. und 32 f. (wo auf S. 32 Agapit von der Colump erwähnt wird). 350 Berthe Widmer (Hg.), Francesco Petrarca. Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises. Ausgewählte Briefe. Lateinisch-Deutsch, Basel 2001, S. 508 – 519 ([1361] März 21), bes. 508 (scolasticum rudemque literatorem), 510 (trifurcifer, bos) und 512 (asellus), vgl. Samuel Steinherz, Karl IV. und die österreichischen Freiheitsbriefe, in: MIÖG 9 (1888) S. 63 – 81, bes. 67. 351 Vgl. Die Texte der österreichischen Freiheitsbriefe Nr. I, in: Lohtsky, Das Privilegium Maius (wie Anm. 339) S. 82 (mit Anm. *) sowie Die Urkunden Heinrichs IV. Bearb. von Dietrich von Gladiss und Alfred Gawlik, MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae VI, Hannover 1941 – 1978, Nr. 42.

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weitläufige und noble Verwandtschaft aus Italien und Antike, das war eine Familienphalanx, die wohl kein weiterer Reichsfürst aufbieten, die aber noch über Rudolfs IV. Mutter Johanna von Pfirt um Karolinger und Kapetinger vermehrt werden konnte352 ; zugleich ist dies ein Pfund gewesen, mit dem man nicht nur um die Erhöhung Österreichs wuchern konnte, sondern das auch im Ringen um die höchste weltliche Würde der Christenheit einsetzbar war. Aber nicht nur an solche Vorstellungen konnten die Habsburger anknüpfen, als sie seit 1438 wieder auf dem Thron saßen und ihr dynastisches Selbstverständnis weiter ausgestalteten; auch die Geschichtsschreibung war dazu dienlich, hatte sie in den habsburgischen Erbländern doch nicht nur wie in anderen Territorien auch353 eine besondere, gottgegebene und unauflösbare Verbindung zwischen Fürstenfamilie und deren Land propagiert, sondern dabei eine flexible Offenheit bewiesen und nicht allein die das Herzogtum erst seit 1282 besitzenden Habsburger zu einem landesfürstlichen Haus zusammengeschlossen354. Vielmehr konnten in diesen Familienverband auch die babenbergischen Vorgänger und schließlich – mit anderer Zielsetzung – sogar sämtliche europäischen Königsfamilen355 einbezogen werden. Zweifellos gelangte diese Entwicklung unter Maximilian I. zu einem Höhepunkt. Die genealogischen Interessen, die der ,letzte Ritter‘ besaß, und die familiären Konstruktionen, die ihm seine Mitarbeiter lieferten, verfolgten selbstverständlich verschiedene Ziele. Sie konnten einmal ganz konkreten Absichten dienen356, etwa der Begründung oder Untermauerung von Besitz- und Herrschaftsansprüchen im gesamten europäischen Interessensraum der Habsburger; sie sollten aber auch das Ansehen der Dynastie fördern und diese der Welt als einzigartig und von Gott zum Kaisertum auserwählt präsentieren. Dabei spielten religiöse Bezüge keine unwesentliche Rolle.

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Vgl. Begrich, Die fürstliche „Majestät“ (wie Anm. 343), S. 73 ff. Vgl. dazu grundsätzlich Jean-Marie Moeglin, Dynastisches Bewußtsein und Geschichtsschreibung. Zum Selbstverständnis der Wittelsbacher, Habsburger und Hohenzollern im Spätmittelalter (= Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge 34), München 1993. 354 Vgl. ebd. S. 32 – 37, bes. 35 f. 355 Vgl. Anm. 358 und 359 sowie Heinz Angermeier, in: ders. (Bearb.), Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. V (Reichstag von Worms 1495) 1/1 (= Dt. RTA mittlere Reihe, Bd. V), Göttingen 1981, S. 69 („In den Augen Maximilians wurden alle Dynastien Europas zu Filiationen des Hauses Habsburg“), und den von Dr. Konrad Peutinger stammenden Entwurf der Urkunde, mit der Österreich zu einem Königreich erhoben werden sollte und in dem betont wird, daß alle christlichen Königreiche in Europa nach Geblüt oder erbrecht mit dem Erzhaus verbunden seien: Quellen zur Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit, hg. von Inge Wiesflecker-Friedhuber (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 14), Darmstadt 1996, S. 253 Nr. 73 (undatiert [1516]). 356 Vgl. dazu Peter Kathol, Alles Erdreich ist Habsburg Untertan. Studien zu genealogischen Konzepten Maximilians I. unter besonderer Berücksichtigung der „Fürstlichen Chronik“ Jakob Mennels, in: MIÖG 106 (1998) S. 365 – 376, etwa 365, und auch Moeglin, Dynastisches Bewußtsein (wie Anm. 353), S. 42. 353

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Indem unter Maximilian nicht zuletzt durch die ältere Vorarbeiten einbeziehende Leistung Jakob Mennels, des Doktors beider Rechte und habsburgischen Rates, eine auch bildlich propagierte357 Genealogie der Habsburger geschaffen wurde358, weitete sich die habsburgische Dynastie zu einer welt- und epochenumspannenden Familie, deren Blut sich nicht nur mit dem aller bedeutenden europäischen Fürstenhäuser vermischt hatte, sondern die von den biblischen Urvätern sowie von Priamus und Hector an sämtliche Herrscherfamilien in agnatischer Linie umfaßte, also letztlich alle seit der Sintflut einschließlich trojanischer Heroen aus mythischgriechischer Vorzeit, und auf diese Weise Ansehen und heiliges Blut sämtlicher Herrscherhäuser als sakrales Erbe für die Habsburger nutzbar machte359. Völlig neu war dies natürlich nicht. Bereits Gottfried von Viterbo erklärte gut 300 Jahre früher Jupiter zum Vorfahren der Staufer360, und Karl IV. hatte auf dem Karlstein in einer von Noah über Saturn, Jupiter, Priamus, Merowinger und Karolinger bis zu sich 357 Vgl. etwa K. Hauck, Geblütsheiligkeit (wie Anm. 338), S. 214 ff., und Thomas Ulrich Schauerte, Die Ehrenpforte für Kaiser Maximilian I. Dürer und Altdorfer im Dienst des Herrschers (= Kulturwissenschaftliche Studien 95), München / Berlin 2001, etwa S. 127 – 132, bes. 128 f., sowie die Quellen zur Geschichte Maximilians I (wie Anm. 355) S. 234 Nr. 69 (1515, Auszug aus der Inschrift in der Ehrenpforte, in der Maximilian bezeichnet wird als haubt der christanhait). 358 Vgl. Dieter Mertens, Geschichte und Dynastie – Zu Methode und Ziel der ,Fürstlichen Chronik‘ Jakob Mennels, in: Kurt Andermann (Hg.), Historiographie am Oberrhein im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit (= Oberrheinische Studien 7), Sigmaringen 1988, S. 121 – 153, und Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. V: Der Kaiser und seine Umwelt. Hof, Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, München 1986, S. 362 – 365. Zu dem genealogischen Bemühen vgl. ebenfalls Lhotsky, Apis Colonna (wie Anm. 348), S. 57, 61, 92 f. (hinsichtlich der trojanischen Abstammung) und 59, 69, 98 f. (hinsichtlich der Abstammung von den biblischen Erzvätern); allgemein zu den Quellen und der Arbeitsweise Mennels vgl. außer der in Anm. 367 genannten Arbeit von Tanja Reinhardt Gerd Althoff, Studien zur habsburgischen Merowingersage, in: MIÖG 87 (1979) S. 71 – 100. 359 Vgl. Moeglin, Dynastisches Bewußtsein (wie Anm. 353), S. 42 („Ernsthafter deutete man es [das genealogische Werk Mennels] als Versuch, sich das Ansehen und das Charisma aller vorausgegangener Dynastien und ihrer ruhmvollen Vertreter anzueignen“), sowie Elisabeth Kovács, Der heilige Leopold – Rex perpetuus Austriae?, in: Jb. des Stiftes Klosterneuburg NF 13 (1985) S. 159 – 211, bes. 176. 360 Speculum regum lib. I 8 (wie Anm. 334) S. 38 (V. 160: a Jove nostrorum venit generatio regum, …) und 39 (V. 191 f.: Romani reges Ioviano semine florent; / Tu [Heinrich VI.] flos de flore regna Iovina cole.), und Memoria seculorum, ed. Georg Waitz, MGH SS 22, Hannover 1872, S. 94 – 106, bes. 100 f. (De genealogia et origine regum Germanorum, que est regum Francorum vel Teutonicorum, hier 100: Ecce habes lector, clarissimam regum genealogiam a tempore diluvii usque ad imperatorem … Fridericum; ita dumtaxat quod omni tempore et per omnes etates successio fiat illius sanguinis sive de patre in filium sive in fratrem sive in nepotem aut in consanguineum istius parentele. Et si aliquando in alienam proieniem successio regum exorbitasse asseritur, semper ad prime stirpis propaginem redire monstratur, et semper ad propriam rediit parentelam.); vgl. dazu K. Hauck, Geblütsheiligkeit (wie Anm. 338), S. 198; Szabó, Herrscherbild (wie Anm. 334), S. 82, und Wilhem Berges, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (= MGH Schriften 2), Stuttgart 1938, S. 104 f.

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selbst reichenden Bilderfolge seine ,Vorfahren‘ malen lassen361 – ähnlich wie Johannes von Marignola, der auf Gottfried von Viterbo zurückgreifende Florentiner Franziskaner, Asienreisende und zeitweilige Hofgeistliche Karls IV., diese in seinem Chronicon Bohemorum vorstellt362: Karolus [Karl IV.] autem ex deorum gentilium Saturni et Jouis recta linea per Troyanos noscitur descendisse … Karls Sohn Wenzel schließlich konnte 1413 auf Karlstein dem brabantischen Geschäftsträger Edmund de Dynter mit Blick auf den gemeinsam betrachteten Freskenzyklus erklären, dort sei seine genealogia abgebildet, er selbst stamme von den Trojanern und vor allem von dem großen und heiligen Kaiser Karl ab363. Unter dem früh auf persönlichen Nachruhm und Erinnerung an sein Wirken bedachten Maximilian364 ist also nur zur Perfektion gediehen, was andere schon vorgemacht hatten. Die Einzigartigkeit der habsburgischen Familie, der domus Austriae, wie es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts heißen konnte365, wurde zur Zufriedenheit des erwählten Kaisers umfänglich dokumentiert; noch auf dem Totenbett soll sich der sterbende Herrscher aus den Darlegungen Mennels von diesem selbst haben vorlesen lassen366. Ein wichtiger Teil der habsburgischen Mag-, Sippund Schwägerschaft sind dabei Heilige gewesen, denen Mennel eine eigene Dar-

361 Zu den verlorenen, aber bis in die Zeit Rudolfs II. hinein vorhandenen Fresken, deren Gestaltung in Zeichnungen des 16. Jahrhunderts erhalten ist, vgl. Joseph Neuwirth, Der Bilderzyklus des Luxemburger Stammbaumes aus Karlstein (= Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens II), Prag 1897, S. 2, 4, 5, 6 (Aufzählung der dargestellten Personen von Noah über Ninus, Saturn, Jupiter, Priamus, merowingische und karolingische Könige, Brabanter Herzöge bis zu Karl IV. und dessen erster Gemahlin Blanca von Valois), 35, sowie etwa Abb. IV 1 (Noah), V 3 und 4 (Saturn und Jupiter), VI 4 (Priamus), XI 2 (Karl der Große), XV 3 (Heinrich VII.); ders., Mittelalterliche Wandgemälde und Tafelbilder der Burg Karlstein in Böhmen (= Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens I), Prag 1896, S. 82 f., und dazu wie zum folgenden K. Hauck, Geblütsheiligkeit (wie Anm. 338), S. 207 f., und allg. Evemarie Clemens, Luxemburg-Böhmen, Wittelsbach-Bayern, Habsburg-Österreich und ihre genealogischen Mythen im Vergleich, Trier 2001, bes. Kap. II 3. 362 Ed. Emler, Fontes 3 (wie Anm. 280), S. 492 – 604, hier: 520. 363 Chronica nobilissimorum ducum Lotharingiae et Brabantinae ac regum Francorum auctore Magistro Edmundo de Dynter, Bd. 3, ed. P. F. X. de Ram, Chronique des Ducs de Brabant par Edmond de Dynter (= Collection de chroniques belges 19), Bruxelles 1857, S. 74 (lib. VI cap. 38: ipse de propagine Trojanorum, et signanter sancti Karoli magni imperatoris …, descendit). 364 Zur Bedeutung der Erinnerung für Maximilian vgl. Jan-Dirk Müller, Gedechtnus. Literatur und Hofgesellschaft um Maximilian I. (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 2), München 1982. 365 Vgl. Chronica Austriae (wie Anm. 348) S. 155, 163 u. ö. (vgl. S. 642 s. v. Österreich/ domus Austrie), und dazu Christian Lackner, Das Haus Österreich und seine Länder im Spätmittelalter. Dynastische Integration und regionale Interessen, in: Fragen der politischen Integration im mittelalterlichen Europa, hg. von Werner Maleczek (Vorträge und Forschungen 63), Ostfildern 2005, S. 273 – 301, bes. 286 – 288 und hier: 287. 366 Vgl. Mertens, Geschichte und Dynastie (wie Anm. 358), S. 127 f.

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stellung innerhalb seines 1518 abgeschlossenen Werkes widmete367. Sie besaßen eine eigene Bedeutung, da sie der Habsburgerdynastie sakralen Glanz verliehen. Man muß sich das vor Augen halten: Europas heilige Könige – etwa der Merowinger Dagobert II., der Karolinger Karl der Große, der Liudolfinger Heinrich II., der Kapetinger Ludwig der Heilige, natürlich auch Stefan der Heilige von Ungarn und der Burgunder Sigismund und andere (hauptsächlich Gestalten aus dem Umkreis der Merowinger und Karolinger, der angelsächsischen und schottischen Herrscherfamilien)368 – sind der habsburgischen Vorfahrenreihe ebenso attachiert worden wie weitere Heilige, unter anderem Bonifatius und Papst Leo IX.369. Über einer so beschaffenen Genealogie flimmerte und oszilierte beständig ein heiliger Schein. Von eigener Wichtigkeit war dabei natürlich ein Landesheiliger wie der Babenberger Leopold III. aus dem 12. Jahrhundert, der schon vor den genealogischen Konstruktionen der maximilianischen Epoche als blutsverwandter Vorfahre der Habsburger galt370, dies über Elisabeth von Görz, die Gemahlin Albrechts I., in kognatischer Aszendenz sogar war371, und der am 6. Januar 1485 auf Betreiben Friedrichs III. zur Ehre der Altäre erhoben worden ist372. Zwanzig Jahre lang hatte sich zuvor das bereits einmal von Rudolf dem Stifter ins Auge gefaßte Kanonisationsverfahren hingezogen, an dessen Beginn Friedrich III. am 30. November 1465 vor den österreichischen Ständen in Korneuburg durch seinen Kanzler, den Passauer

367 Vgl. Mertens, Geschichte und Dynastie (wie Anm. 358), S. 147; Althoff; Studien (wie Anm. 358), S. 90 – 99; Simon Laschitzer, Die Heiligen aus der „Sipp-, Mag- und Schwägerschaft“ des Kaisers Maximilian I., in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses 4 (1886) S. 70 – 287 und 5 (1887) S. 117 – 261, und Tanja Reinhardt, Die habsburgischen Heiligen des Jakob Mennel, Diss. Freiburg 2002 (http://www.freidok.unifreiburg.de/volltexte/2438, S. 218 (zur Bedeutung „der genealogischen Vernetzung des Hauses Habsburg“ für dessen „Vorrangstellung“). 368 Vgl. Althoff, Studien (wie Anm. 358), S. 92, sowie Laschitzer, Die Heiligen (wie Anm. 367), 4 (Abb. 20: Dagobert II., Abb 57: Karl der Große, Abb. 47: Heinrich II., Abb. 68: Ludwig der Heilige, Abb. 97: Sigismund) und 5 (Abb. 101: Stefan der Heilige). 369 Vgl. Laschitzer, Die Heiligen (wie Anm. 367), 4 (Abb. 15: Bonifatius, Abb. 63: Leo IX.). 370 Brief Friedrichs III. an Papst Paul II. (1466 Feb. 1), ed. Vinzenz Oskar Ludwig, Urkunden und Aktenstücke zum Kanonisationsprozeß des Markgrafen Leopold III. des Heiligen (= Jb. des Stiftes Klosterneuburg 9), Wien 1919, S. 9 (Nr. 7): Nos [Friedrich III.] vero, qui de eiusdem Leopoldi sanguine trahimus originem, jure sanguinis omnem sollicitudinem omneque studium nostrum pro ipsius honore ac canonizacione inpendere sumus obnoxii. 371 Vgl. Heinrich Fichtenau, Herkunft und Bedeutung der Babenberger im Denken späterer Generationen, in: MIÖG 84 (1976) S. 1 – 30, bes. 14 – 18 und hier insbesondere S. 16; Kovács, Leopold der Heilige (wie Anm. 359), S. 165, und dies., Die Heiligen und heiligen Könige der frühen Habsburger (1273 – 1519), in: Klaus Schreiner (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 20), München 1992, S. 93 – 126, bes. 94. 372 Vgl. dazu wie zum folgenden K. Hauck, Geblütsheiligkeit (wie Anm. 338), S. 214; Kovács, Der heilige Leopold (wie Anm. 359), S. 161.

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Bischof Ulrich von Nußdorf, erklären ließ373, er erhoffe sich durch den neuen Heiligen seines geslechts und pluets Friede, Glück und Seligkeit für das lannd Osterreich, während er zwei Monate später, am 1. Februar 1466, in einem Schreiben an Papst Paul II. zusätzlich den Wunsch nach Ruhm für seine Dynastie und Trost für das (damals sehr bedrängte) Haus Österreich artikulierte374. Offenkundig waren Landes- und Dynastieaspekte bei diesem Heiligenprojekt auf das engste verwoben. Das sich im ausgehenden Mittelalter mithin nicht nur bei Maximilian I. bemerkbar machende Bestreben, dem eigenen Haus einen sakralen Glanz durch heilige Vorfahren zu verschaffen, ist, begrifflich nicht ganz glücklich, mit Blick auf die Habsburger als „dynastische Spiritualität“375 bezeichnet worden. Um eine besondere Spiritualität ging es diesen aber doch wohl weniger als um Dignität, die heiligmäßig grundiert und nicht allein an das Land Österreich gebunden war376. Die Heiligkeit des habsburgischen Geblüts wurde betont und gesteigert; die Dynastie der Habsburger, die durch die Arbeit ihrer Genealogen alles wie ein Schwamm aufgesogen hatte, was es an bedeutenden Herrscherfamilien, Persönlichkeiten und Heiligen in Europa und darüber hinaus gab, die österreichische Großdynastie wurde zur Summe alles Erhabenen, zur crème de la crème der abendländischen Königsdynastien, zur alleinigen, über alle anderen Familien herausgehobenen Kaiserfamilie, die ,kaiserlich‘ war wegen ihres dynastisch-genealogischen Ranges und aus der Position des „älteste(n), edelste(n), ,heiligste(n)‘„ Herrscherhauses nicht ohne weiteres zu verdrängen war377. Dieses „dynastische Kaisertum“, wie es genannt worden ist378, war nicht übertragbar, sondern erwuchs aus dem ebenfalls nicht übertragbaren Gefüge genealogischer Stringenz und Dichte; es darf daher keinesfalls verwechselt werden mit dem traditionellen Kaisertum römisch-deutscher

373 Bericht vom Landtag, ed. Urkunden und Aktenstücke (wie Anm. 370) S. LVI. (1465 Nov. 30): Item darnach redt der von Passaw, wie im unser allergnedigister herre etc., der Romisch kaiser, mit großer begir furgenommen hiet den heyligen leichnam seins geslechts und pluets marggraff Leupolden … zu erheben, wann der groß zaichen tet, die dann verschrieben waren. Zu den Bemühungen Rudolfs des Stifters vgl. ebd. S. XXV sowie 3 Nr. 1 (1358 April 6) und 2 (1358 Dez. 30), zu dem Nußdorfer vgl. Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440 – 1493). Hof, Regierung und Politik (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 17), Köln 1997, S. 653 – 658, und Franz-Reiner Erkens, Ulrich von Nußdorf, Bischof von Passau (1451 – 1479). Friedrichs III. persona non grata und Kanzler, in: ZBLG 77 (2014) S. 505 – 541, bes. 537. 374 Vgl. Anm. 370 (hier S. 9: pro gloria ac solacio domus nostre Austrie et incolarum eius aliorum und generique nostro ac domui nostre Austrie ad precipium decus et nobis ad complacenciam cedet singularem). 375 Kovács, Die Heiligen (wie Anm. 371), S. 93. 376 Vgl. Mertens, Geschichte und Dynastie (wie Anm. 358), S. 134 f. 377 Vgl. ebd. S. 147 – 150, bes. 149, wo die zitierten Begriffe auf S. 149 zu finden sind („Dank der Rückführung der Vaterreihe Karls, Philipps und Maximilian bis zu Hector und Priamus konnte das habsburgische Herrscherhaus als das älteste, edelste, ,heiligste‘ und nunmehr mächtigste der um 1518 regierenden Häuser vorgestellt werden …“). 378 Vgl. ebd. S. 149 und 150.

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Prägung379, wenn die Vorstellung der Habsburger von ihrer Dynastie natürlich auch dazu diente, den Anspruch auf die herkömmliche Kaiserwürde zu untermauern. Inwieweit die ,domus Austriae‘ mit dieser familiären Vorstellung ihres Hauses jenseits des häuslichen Kreises erfolgreich war, läßt sich natürlich nur schwer ermessen. Die Tatsache jedenfalls, daß ihre Mitglieder nach Maximilians Tode noch fast dreihundert Jahre lang mit nur einer marginalen Unterbrechung auf dem Thron des Wahlreiches und danach über ein weiteres gutes Jahrhundert auf dem erblichen Thron der österreichischen Donaumonarchie saßen, ist vorrangig auf andere Umstände zurückzuführen, hauptsächlich auf die Hegemonie, die die Casa de Austria als Großdynastie im Reich und in Europa gewonnen hatte. Tradition und Macht, Anspruch und Akzeptanz spielten bei jeder neuen Wahl eines Kaisers zusammen und verhalfen den Habsburgern über Jahrhunderte hinweg wieder und wieder an die Spitze des Reiches. Die ,Heiligkeit‘ des habsburgisch-kaiserlichen Geblüts mag, ja, wird dabei eine Rolle gespielt haben: im Selbstverständnis der Kandidaten und ihres Anhangs, weniger jedoch bei den Wählern. Für Maximilian I. etwa verband sich die – bereits von dessen Vater gehegte380 – Vorstellung von der Auserwähltheit seines Hauses mit dem Bewußtsein eines persönlichen Auserwähltseins. In seiner von Joseph Grünpeck bearbeiteten, Fragment gebliebenen und in ihren Grundzügen schon kurz vor 1500 diktierten Autobiographie381 spricht der Herrscher, der heres totius Austrie domus, deshalb von der 379

Vgl. ebd. S. 149. Vgl. Paul-Joachim Heinig, Friedrich III. (1440 – 1493), in: Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hgg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919 – 1519), München 2003, S. 495 – 517, bes. 500, 501 f., 510 und 517. Die Auflösung der persönlichen, zunächst wohl als ,buchstabenmagisches‘ Besitzzeichen dienende Devise Friedrichs III. „AEIOU“ als Austriae est imperare orbi universo oder Al[le]s erdreich ist osterreich underthan kann als Ausdruck des habsburgischen Erwähltheitsgedankens unter Friedrich III. verstanden werden, wenn sich die angeführten Deutungen der Vokalfolge eindeutig auf diesen Herrscher zurückführen ließen (so, ältere Untersuchungen aufgreifend, Heinrich Koller, Zur Bedeutung des Vokalspiels AEIOU, in: Österreich in Geschichte und Literatur 39 [1995] S. 162 – 170, bes. 169 f.) und sie nicht erst deutlich jüngeren Datums sind (wie Alphons Lhotsky, AEIOV. Die „Devise“ Kaiser Friedrichs III. und sein Notizbuch, in: ders., Das Haus Habsburg [wie Anm. 348], S. 164 – 222 [zur buchstabenmagischen Deutung bes. 192 f.], meint). Doch bleibt hierbei manches unklar: Vgl. Heinig, a.a.O., S. 501, und Roderich Schmidt, Friedrich III. (1440 – 1493), in: Helmut Beumann (Hg.), Kaisergestalten des Mittelalters, München 1984, 31991, S. 301 – 331, bes. 305 f. Die sanctio pragmatica vom 6. Januar 1453 hingegen, die kaiserliche Bestätigung der gefälschten Österreichischen Freiheitsbriefe von 1358 (vgl. Lhotsky, Privilegium Maius [wie Anm. 339], S. 34; Heinrich Koller, Kaiser Friedrich III., Darmstadt 2005, S. 134 ff.; R. Schmidt, a.a.O., S. 316 f., und Heinig, a.a.O., S. 501 f.), läßt Friedrichs Verständnis von einer engen Verbindung zwischen sacrum imperium und habsburgischer Familie (inclita Austrie domus et familia; sublimis et alta domus) klar erkennen: Ernst Freiherr von Schwind / Alfons Dopsch (Hgg.), Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutschösterreichischen Erblande im Mittelalter, Innsbruck 1895, S. 368 Nr. 195 (bes. S. 368). 381 Alwin Schultz, Fragmente einer lateinischen Autobiographie Kaiser Maximilians I., in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 6 (1888) 380

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wunderbaren Stunde (mirabilis hora) seiner Geburt und ihrer (tatsächlich besonderen) ,Konstellation‘ sowie von dem Schutz, den er in Gefahr immer von Gott erhalten und der sich bereits in den ersten Lebensjahren ausgewirkt habe, als er von einer tödlichen Krankheit (mortalis infirmitaz [!]) befallen wurde und bereits für tot galt und doch – divino tanquam miraculo – am Leben blieb. Zu einem so von Gott Protegierten paßt es gut, daß er, wie ebenfalls in der Autobiographie ausgeführt382, nach dem Wunsch seiner Mutter, der portugiesischen Prinzessin Eleonore, deren Namen aber auf Bitten Friedrichs III. mit Billigung Papst Nikolaus V. in Helena umgewandelt worden war383, eigentlich Konstantin heißen sollte, wodurch bemerkenswerte imperial-sakrale Bezüge hergestellt worden wären: Eleonore und Maximilian, Mutter und Sohn, benannt nach dem ersten christlichen Kaiser und dessen Mutter, die beide einen ruhmreichen Platz im Heiligengedächtnis der christlichen Kirche einnahmen; Helena-Eleonorens Sohn durch den antiken Namen zudem auch noch aufgerufen zur Rückeroberung des erst vor wenigen Jahren an die Osmanen gefallenen byzantinischen Reiches, des regnum Constantinopolitanum384 – da wäre

S. 421 – 446, und die folgenden Zitate auf S. 422, 423 und 424; vgl. dazu Quellen zur Geschichte Maximilians I. (wie Anm. 355), S. 31 Nr. 2 (bes. S. 32); Franziska Schmid, Eine neue Fassung der maximilianeischen Selbstbiographie, Diss. masch. Wien 1950, S. 1 – 4, und Hermann Wiesflecker, Joseph Grünpecks Commentaria und Gesta Maximiliani Romanorum Regis. Die Entdeckung eines verlorenen Geschichtswerkes, Graz 1965, S. 15; ders., Joseph Grünpecks Redaktionen der lateinischen Autobiographie Maximilians I., in: MIÖG 78 (1970) S. 416 – 431, bes. 417 (zur Datierung des Diktats der Biographie in den Zeitraum 1497/98) und 420 f. (zu den verschiedenen Redaktionsstufen), sowie ders., Kaiser Maximilian I., Bd. V (wie Anm. 358), S. 309 und (zum Erwähltheitsglauben) 638. Zur besonderen ,Konstellation‘ bei Maximilians Geburt und dessen Auserwähltheit vgl. auch Christina Lutter, Maximilian I. (1486 – 1519), in: Schneidmüller / Weinfurter (Hgg.), Die deutschen Herrscher (wie Anm. 380), S. 518 – 542, bes. 518 und 522. Auch im ,Weisskunig‘ (hg. von Heinz Theodor Musper, 2 Bde., Stuttgart 1956) wird die Paralelle zwischen Christi und Maximilians kometenbegleiteter Geburt deutlich betont: Vgl. Bd. I, S. 219 Cap. 14 (…, daraus wol zu erkennen ward, das derselb comet ain zaichen was des kinds [= Maximilians] kunftig regirung und wunderlich sachen, … [Der Weisskunig-Text des Marx Treitzsaurwein von 1514, ebd. S. 195 – 302]) = 325 Cap. 14 (Gekürzte neudeutsche Fassung des Treizsaurweinschen Textes, ebd. S. 305 – 382), und Bd. II, Tafel 16 (Darstellung des auf dem Arm getragenen Kindes mit gestirntem Himmel und auf das Neugeborene ausgerichteten Strahlen im Hintergrund und einer Wiege, die das Christusmonogram IHS trägt). 382 Fragmente (wie Anm. 381) S. 423; vgl. Eine neue Fassung (wie Anm. 381) S. 1 f. 383 Urkunde Nikolaus’ V. vom 22. März 1452, ed. Josef Chmel, Materialien zur österreichischen Geschichte. Aus Archiven und Bibliotheken gesammelt, Zweiter Band, Wien 1837; S. 3 Nr. III (wo es auf S. 4 über den Namen und Helena heißt: …, ut eo nomine, quo sancta Elena magni Constantini dive memorie Romanorum imperatoris mater, que una cum dicto suo filio sanctam catholicam ecclesiam multimodis pacis et temporalium rerum beneficiis extulit, fungebatur, …); vgl. Heinrich Fichtenau, Der junge Maximilian (1459 – 1482), München 1959, S. 8 mit Anm. 11 und 12. 384 Fragmente (wie Anm. 381) S. 423: … imperatrix eum Constantinum, tanquam recuperatorem regni Constantinopolitani, quod illis tunc diebus ab Turcis ocupatum fuerat atque abstractum Christianis, animum et cor ad hoc sibi movit. Vgl. Eine neue Fassung (wie Anm. 381) S. 1 f.

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die heilige Aufgabe, der Maximilian zeit seines Lebens erfolglos nachstrebte385, gleichsam mit aus der Taufe gehoben worden. Doch reichte zur onomastisch-deklamatorischen Förderung dieses frommen Zieles nach der Ansicht des Taufpaten, der damit zugleich zum Namengeber wurde, auch der heilige Maximilian als Namenspatron aus386. Unverkennbar weist die Schilderung der ersten Lebensmonate und -jahre des habsburgischen Prinzen Züge einer Heiligenvita auf. Der sakrale Eindruck, der dadurch entsteht, wird noch verstärkt durch eine bemerkenswerte Äußerung des Herrschers, der sich fest vom heiligmäßigen Lebenswandel seiner Mutter überzeugt gibt und deshalb eine spätere Verehrung Eleonorens als Heilige, als Auserwählte Gottes andeutet387. Man kann wahrlich nicht sagen, daß Maximilian klein dachte von sich und seiner Familie. Wie aber stand es bei dem von seiner persönlichen Auserwähltheit durchdrungenen Propagator des habsburgischen Selbstverständnisses, edelstes und heiligstes Blut zu verkörpern, clarus iste sanguis de Hablspurg zu sein, wie es bereits Thomas Ebendorfer388 formulierte, mit dem traditionellen Verständnis kaiserlicher Herrschaft als eines Christusvikariats? Bei manchem sich über die Stellung des Herrschers reflektierenden Schriftsteller der Jahre um 1500 sind solche hergebrachten Bezüge unverkennbar. Der ,Oberrheinische Revolutionär‘ etwa389 sah im Kaiser den irdischen, von Gott begnadeten und diesem ähnlichen Sachwalter in weltlichen Angelegenheiten. Erasmus von Rotterdam und Martin Luther, so sehr sie ansonsten neue Wege beschritten, bewahrten ebenfalls die Vorstellung von einer vikarialen Gottähnlichkeit des Herrschers390, und in Maximilians unmittelbarer Umgebung wurden ähnliche Ansichten vertreten391. Maximilian selbst scheint seine Christusähnlichkeit so häufig erwähnt 385

Vgl. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., Bd. 5 (wie Anm. 358), S. 308. Fragmente (wie Anm. 381) S. 423, vgl. Eine neue Fassung (wie Anm. 381) S. 1. 387 Vgl. ebd. S. 424. Bereits Friedrich III. jedoch hat sich und seine Gemahlin als heiliges Paar stilisiert: Vgl. Heinig, Friedrich III. (wie Anm. 380), S. 498. 388 Chronica Austriae (wie Anm. 348) S. 2 (lib. I). 389 Vgl. Anm. 56. 390 Vgl. etwa die ,Institutio Principis Christiani‘ des Erasmus von Rotterdam aus dem Jahre 1515 (Ausgewählte Schriften, hg. von Werner Welzig, Bd. V, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gertraud Christian, Darmstadt 21990, S. 150, 154, 214 222/224) oder Luthers Auslegung des 82. Psalms (Kritische Gesamtausgabe 31, 1, Weimar 1913, S. 182 – 218, bes. 191) und dazu Erkens, Vicarius Christi (wie Anm. 15), S. 32 mit Anm. 135, sowie Bruno Singer, Die Fürstenspiegel in Deutschland im Zeitalter des Humanismus und der Reformation. Bibliographische Grundlagen und ausgewählte Interpretationen: Jakob Wimpfeling, Wolfgang Seidel, Johann Sturm, Urban Rieger (= Humanistische Bibliothek, Reihe I: Abhandlungen 34), München 1981, S. 41 f. und (zu den in der Mitte der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts entstandenen Darlegungen von Urban Rieger, dem von Maximilian I. 1517 zum Dichter gekrönten Humanisten aus dem Bodenseeraum und späteren evangelischen Pastor in Celle) 293 f., 298 f., 307 f. 391 Vgl. etwa die ,Ansprache eines Wiener Dominikaners an Maximilian‘, in: Ein Lehrbuch für Maximilian I. Der Codex Ser. N. 2617 der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. 386

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zu haben, daß er sich dafür offenbar gelegentlich Spott gefallen lassen mußte392; ansonsten verstand er sich wie seine kaiserlichen Vorgänger, nicht zuletzt wie sein Vater Friedrich III.393, der zugleich die über Ernst den Eisernen vermittelte Ambitionen und Traditionen Rudolfs des Stifters aufgriff und fortführte394, in weltlichen Angelegenheiten als irdischer Stellvertreter Gottes395. Die dynastische Kaiseridee396 Kommentar zur Faksimileausgabe von Univ.-Prof. Dr. Otto Mazal, Salzburg 1981, S. 53 – 56 bzw. fol. 16‘-20‘ der Handschrift, hier fol. 17 (S. 53: Einsetzung des princeps durch Gott in die Herrschaft super credentem sibi populum) und 17‘ (S. 53: … deus … erexit in terris regnantium solia et diversarum dignitatum principatus, …). 392 Vgl. Hermann Wiesflecker, Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. II: Reichsreform und Kaiserpolitik. 1493 – 1500. Entmachtung des Königs im Reich und in Europa, München 1975, S. 285 f., sowie ders., Maximilian I., Bd. V (wie Anm. 358), S. 638, und zur Sache (einer offenbar spitzen Entgegung des Mainzer Erzbischofs Berthold von Henneberg auf eine schwer verständliche Rede Maximilians, dieser spreche wie einst Christus in Gleichnissen zu ihnen) Johann Gröblacher, König Maximilian I., das Reich, Europa und die Erbländer im Jahre 1498, Phil. Diss. (masch.) Graz 1969, S. 27. 393 Zu Friedrichs III. Vorstellung von der Monarchie als einer Einrichtung Gottes und dem Glauben an die Auserwähltheit des eigenen Hauses vgl. Anm. 380 sowie Koller, Kaiser Friedrich III. (wie Anm. 380), S. 242 f. und 245 f., und Manfred Hollegger, Maximilian I. (1459 – 1519). Herrscher und Mensch einer Zeitenwende, Stuttgart 2005, S. 258. Der Habsburger dürfte die Anschauungen seiner Zeit über die sakrale Würde des Kaisers (vgl. Erkens, Vicarius Christi [wie Anm. 15], S. 26 f. und 31 f.) geteilt und die Darlegungen, die Dr. Heinrich Leubing als Vertreter der Kurfürsten und der Propst Tilmann von St. Florin in Koblenz als kurfürstlicher Gesandter am 31. März 1440 vor ihm ausbreiteten (Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III., Erste Abt. 1440 – 1441, hg. von Hermann Herre [= Dt. RTA 15], Gotha 1914, S. 18341 f. [Nr. 106 = Ansprache H. Leubnlings] und 184 [§4]: …, quod tua serenitas a domino tanquam Aaron ad regale sacerdotium et supremum Cristi ministerium advocata constituta est in succesorem omnium, de quo modo dixeram, caput temporale, …, deum terrestrem, …, legem animatam, …, advocatum ecclesie sancte dei, regem Romanorum et deo auspice futurum imperratorem …; S. 1872 f. [Nr. 107 = Ansprache des Koblenzer Propstes Tilmann] und 18823-26 : …, divina te vocatione tanquam Aaron elegerunt [die Kurfürsten] et caput in Ysrahel supremum, in temporalibus omniregentis vicarium, regem Romanorum in cesarem deo auspice promovendum, advocatum ecclesie et dominum tocius mundi summa affectione constituerunt.), um ihn zur Annahme der Wahl zu bewegen, entsprechend aufgefaßt haben. 394 Vgl. Anm. 373 sowie Begrich, Die fürstliche „Majestät“ (wie Anm. 343), S. 83 f. 395 Vgl. Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., Bd. V (wie Anm. 358), S. 155; ders., Kaiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Bd. IV: Gründung des habsburgischen Weltreiches. Lebensabend und Tod. 1508 – 1519, München 1981, S. 494 f.; ders., Maximilian I. (1486 – 1519), in: Schneidmüller / Weinfurter (Hgg.), Die deutschen Herrscher (wie Anm. 380), S. 332 – 357, bes. 337; Helga Neroutsos-Hartinger, Die Idee der deutschen Nation bei Kaiser Maximilian I., Phil. Diss. (masch.) Graz 1963, allg. S. 70, 82 f. und 89 sowie bes. 77: Maximilians Verantwortung deß Römischen Reichs auff die klag, so der König von Franckreich uber den Röm. König auff diesem Reichstag zu Costentz den Churfürsten, Fürsten und Ständen deß heiligen Reichs unbillichen und mit erdichten worten gethan hat (anno 1507), ed. Melchior Goldast, Politische Reichs-Händel, Frankfurt/M. 1614, S. 274 – 284, hier: 281 (Er [der König von Frankreich] ist auch kein Statthalter deß allmächtigen Gottes, als er sich berümbt, sondern deß gemeinen Nutz und aller fürnemmen, so der Christenheit zu gut beschehen, ein offenbarer Zerstörer und Verhinderer, dann er und seine Vordern haben allwegen vor etwa vil hundert Jarn und noch unterstanden, dem Reich und

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trat mithin nicht an die Stelle traditioneller Vorstellungen, sondern ergänzte diese ebenso wie der von den Humanisten betriebene, Züge einer Vergöttlichung aufweisende Kaiserkult397. Viel Neues bereicherte mithin unter Maximilian einen uralten Ideenhorizont, vor allem die Ansicht von der alles übersteigenden Heiligkeit des habsburgischen Geblüts, aber eine allgemeine oder zumindest eine in weiteren Kreisen prinzipiell akzeptierte Sakralität des (erwählten) Kaisers dürfte auch weiterhin vorrangig durch Wahl und Weihe vermittelt worden sein. IV. Thronfolge und Sakralität – ein Resümee Wie kaum anders zu erwarten, erfaßt eine Betrachtung der Thronfolge in den westeuropäischen Königreichen England und Frankreich sowie im Reich unter dem Aspekt der Herrschersakralität Gemeinsamkeiten, Vergleichbarkeiten und Ähnlichkeiten ebenso wie deutliche Unterschiede. Wenig überraschend ist es auch, wenn die ohnehin durch vielfältige Beziehungen geprägten Erbmonarchien beiderseits des Ärmelkanals in dieser Hinsicht enger verbunden waren als das zum Wahlreich gewordene Imperium. Gemeinsam jedoch war allen die Vorstellung vom Christusvikariat in temporalibus des gotterwählten Herrschers und von einer dieser Sachwalterschaft entsprechenden allgemeinen Verantwortung nicht zuletzt auch für das Seelenheil der Untertanen. Diese Gemeinsamkeiten, die in einer langen christlichen Tradition mit tiefen Wurzeln im Altertum gründeten, erscheinen freilich reichlich ausdifferenziert und in den einzelnen Königreichen verschieden stark ausgestaltet. In jeder Monarchie besaß die herrscherliche Sakralität mithin eine je eigene Intensität, die sich auf unterschiedliche Kontinuitäten, Wirkzusammenhänge und Einflüsse, also auf von einander abweichende Rahmenbedingungen der historischen Entwicklung zurückführen läßt. Im Reich wirkte sich zwangsläufig die christlich-imperiale Tradition, die in der Spätantike Gestalt angenommen hatte und von den abendländischen Kaisern aufgegriffen wurde, am stärksten aus und wurde hier – wenn natürlich auch die übrigen europäischen Königreiche nicht unbeeinflußt von ihr blieben – entscheidend für die Vorstellung von der Sakralität des Herrschers. Dieser Umstand scheint, auch wenn man die im Vergleich zu den westeuropäischen Monarchien bessere Quellenlage für das Imperium des 10. und 11. Jahrhunderts berücksichtigt, den Ottonen und Saliern einen Sakralitätsvorsprung verschafft zu haben, der freilich seit dem hohen Mitallen seinen Nachbarn das ire abzuziehen unnd gewaltiglich zu nemmen unnd nie betracht gemeiner Christenheit zu hilff etwas wider die Unglaubigen zu handeln, wiewol sie sich die Christlichen König nennen, das doch nicht seyn sol, sondern derselbig Titul und Predicat gehört allein einem Rö. Keyser oder König zu, dann sich die König von Franckreich bißher rechte Feinde deß gemeinen Nutz und der Christenheit mit iren bösen handlungen erzeigt und gemacht, und nemmen denselben Titul nit anders an, dann daß sie in einem verdeckten schein wöllen seyn und werden Erbrömische Keyser). 396 Zur Unterscheidung dieser Kaiservorstellung von der traditionellen vgl. Anm. 379. 397 Vgl. Hollegger, Maximilian I. (wie Anm. 393), S. 252.

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telalter durch die Entwicklung und Ausgestaltung des Thaumaturgentums mehr als wettgemacht werden konnte, zumal die sakrale Höhe des Kaisertums mittlerweile von kurialer Seite in Frage gestellt wurde. Den Kaisern jedoch, die der Idee nach Vertreter einer weltlichen Universalgewalt und daher aufs engste mit der geistlichen Universalgewalt des Papsttums verknüpft waren, blieb im Grunde nichts anderes übrig, als den imperialen Kontinuitätsfaden fortzuspinnen, auch nachdem in dem Investiturstreit genannten Konflikt um die Führung der Christenheit die päpstliche Dominanz in spiritualibus deutlich und die Sakralität weltlicher Herrschaft spürbar zurechtgestutzt worden war. Dieses Festhalten an der Tradition eröffnete natürlich die Möglichkeit, legitimierenden, auch sakralen Nutzen aus der einsetzenden Rezeption des römischen Kaiserrechts und seiner Sakralterminologie zu ziehen398, verband aber die beiden Universalgewalten gleichzeitig weiterhin als Partner wie Konkurrenten miteinander und stellte das Kaisertum damit unter eine besondere Beobachtung der Päpste, die seit dem späteren 11. Jahrhundert die Nachrangigkeit der Kaiser zu betonen und deren ideelle wie sakrale Dimension, nicht zuletzt inspiriert durch wiederholte heftige Auseinandersetzungen, zu bekämpfen begannen. Waren von dem päpstlichen Bestreben einer Minimierung der herrscherlichen Sakralität prinzipiell auch alle übrigen Herrscher betroffen, so standen diese doch nicht in dem latenten, sich oft aktualisierenden Spannungsverhältnis, das der doppelte Universalismus der beiden höchsten Gewalten und deren konkreter Antagonismus in politischen Auseinandersetzungen schufen399. Im Gegenteil! Ihre Unterstützung oder Neutralität war häufig nötig für die Päpste und eröffnete ihnen einen weiteren Spielraum, als ihn die Kaiser seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert besaßen. Den übrigen Königen im christlichen Abendland gegenüber konnten sich die Päpste auf ideellem Gebiet großzügig erweisen – solange es nicht zu Konflikten kam. Diese Monarchen vermochten mithin von dem Umstand zu profitierten, daß sie im Windschatten der großen Konflikte der Universalgewalten standen oder als Unterstützer der Päpste auftreten konnten – und diese waren zu Zugeständnissen bereit, die sie den Kaisern kaum noch gewährt hätten. Zu diesen gehörte auch die stillschweigende Akzeptanz des Thaumaturgentums, das ja nicht so recht in das kirchliche Lehrgebäude paßte400. Dieses Thaumaturgentum unterscheidet als distinktives Merkmal die Sakralität der Monarchen Englands und Frankreichs von derjenigen der übrigen Könige und verdichtete gleichzeitig die königliche Sakralsphäre; diese gestaltete sich entsprechend verschiedener Rahmenbedingungen ebenfalls unterschiedlich aus und verlieh dem französischen König eine ganz andere sakrale Dimension als dem englischen. Dafür waren weniger die unterschiedlichen Riten verantwortlich, in denen sich das 398

Vgl. Erkens, Der pia Dei ordinatione rex (wie Anm. 4), S. 94. Vgl. dazu Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 7), S. 32 f. 400 Vgl. Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter (wie Anm. 2) S. 20 – 23, und ders., Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft, in: Johannes Fried / ErnstDieter Hehl (Hgg.), WBG Weltgeschichte III. Weltdeutungen und Weltreligionen. 600 bis 1500, Darmstadt 2010, S. 290 f. 399

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Heilungshandeln der Könige vollzog, als vielmehr kontingente Faktoren und politische Entwicklungen. Auf der Ebene der Politik war wohl das Fehlen gravierender und langanhaltender Konflikte zwischen den französischen Königen und den gesellschaftlich einflußreichen Schichten des Königreichs entscheidend, förderte dieses doch eine prinzipielle Anerkennung des monarchischen Vorrangs, die bereits früh und auch zu Zeiten einer relativen Schwäche des Königtums erkennbar ist401, schließlich zu einer – durch Ausgestaltung von Herrschaftsinstitutionen und Erweiterung der Machtmittel begleitete – Ausrichtung des französischen Gemeinwesens auf das königliche Zentrum führte und diesen Herrschaftsverband regelrecht als eine „Königsnation“402 erscheinen läßt. Zufällig, das heißt: nicht unbedingt oder ausschließlich auf die spätere Wirkung für die Königsidee berechnet, ist die keinesfalls immer auf königliche Initiative zurückgehende Entwicklung einzelner Elemente der sakralen Herrscheridee (wie etwa der ursprünglich Reimser Legende vom Himmelsöl403). Diese Elemente konnten sich vielmehr langsam entwickeln und in der Vorstellungswelt der französischen Öffentlichkeit Wurzeln schlagen, bevor sie, allseits akzeptiert und immer enger zusammengeführt, seit dem 13. Jahrhundert mit dem Thaumaturgentum verknüpft und im 14. Jahrhundert um neue, Frankreich insgesamt religiös aufwertende Legenden (von der oriflamme und den fleurs-delis404) vermehrt, einen Königsmythos etablierten, der die Legitimität der französischen Monarchie weitgehend unbestritten bis in den siècle des lumières sicherte. In England fehlte die Ruhe für eine solche Entwicklung. Sie konnte trotz längerer harmonischer Phasen nicht gedeihen wegen immer wieder heftig aufbrechender Konflikte zwischen König und Adel und wegen des wiederholt gewaltsamen Endes von Königsherrschaften und ihrer Träger. Aus demselben Grunde kam es ebenfalls nicht zu einer tieferen Verwurzelung der prinzipiell akzeptierten Idee der Königssakralität in einem breiteren Bewußtsein: Jener Teil des Herrschaftsverbandes, der sich gegen den König stellte, konnte diesem ja keine sakral legitimierte sacrosanctitas zubilligen (auch wenn die Idee der Herrschersakralität grundsätzlich zu seinem Ideenhaushalt gehörte). Die Wiederholung solcher antagonistischer Konstellationen jedoch mußte – auch wenn diese auf ein Fehlverhalten des Königs und nicht auf die Substanzlosigkeit einer Idee zurückgeführt wurden – zu einer grundsätzlichen Schwächung dieser Idee führen, da ihre eigentlich intendierte Wirkung, die religiöse Legitimierung der Herrschaft eines Königs, zu oft verhindert worden ist. Versuche einer Stärkung, etwa durch die Implantation des Becket-Öls in den sakralen Kosmos des englischen Königtums, konnten daher auch nicht auf Dauer erfolgreich sein. Gab es in Frankreich so etwas wie einen Primat 401 Vgl. Erkens, Teilung und Einheit (wie Anm. 273), S. 24 f. (und die dort verzeichnete Literatur). 402 Vgl. den Titel von Heribert Müllers in Anm. 142 angeführtem Beitrag zur ,(Kleine[n]) Geschichte Frankreichs‘. 403 Vgl. Anm. 159 und 161 sowie Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36) I, S. 145 – 149. 404 Vgl. Anm. 151 und Schramm, Der König von Frankreich (wie Anm. 36) I, S. 248.

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des Königsmythos, so herrschte in England eher ein Äquilibrium von theoretischer Anerkennung der religiösen Verankerung des Königtums und praktischer Möglichkeit oppositionellen Handelns gegen den König. Natürlich konnte sich dieses Gleichgewicht verschieben: im 14., 15. und 17. Jahrhundert verstärkt zu Ungunsten, im 16. Jahrhundert zu Gunsten etablierter Monarchen und ihrer Dynastien; aber niemals ließ es sich zu gleicher Wirkung wandeln wie in Frankreich. Solche Unterschiede strahlten natürlich auch auf die Thronfolge und das Virulentwerden von Sakralität in deren Verlauf aus: In jedem Fall gewann der neue König durch die Nachfolge und die Krönung an sakralem Ansehen, am meisten zweifellos in Frankreich. In den beiden westeuropäischen Erbmonarchien wurde dabei zumindest auf der Ebene der Theorie die Bedeutung der Weihe für die Herrschaftsübernahme und die Vermittlung einer sakralen Dimenson zwar negiert, aber nur in Frankreich führte dies (und konnte dies wohl auch nur führen) zu einer dauerhaften Sakralisierung der Königsfamilie, zu einer dynastischen Sakralität, die die Thronfolge beeinflußte, während diese Entwicklung in England in wiederholten Ansätzen stecken blieb und nur unter den Tudors und frühen Stuarts eine gewisse Wirksamkeit entfaltete. Hinsichtlich des Reichs jedoch kann allenfalls von einer ,Wahlheiligkeit‘ gesprochen werden405, die wenig Möglichkeiten für eine dynastische Sakralität offen ließ, auch wenn die Habsburger, als einzige wirklich königsfähige Familie im Reich übriggeblieben und im Besitz einer hegemonialen Stellung, schließlich sogar so etwas wie eine erbliche Wahlmonarchie406 verkörperten, ein starkes Auserwähltheitsbewußtsein entwickelten und propagierten. Dieses kann freilich anders als eingeübte Gewohnheit und im Zweifelsfall aktivierbare Macht kaum die Königs- und Kaiserwahlen beeinflußt haben.

405 406

Vgl. Schubert, König und Reich (wie Anm. 195), S. 42. Vgl. Erkens, Teilung und Einheit (wie Anm. 273), S. 33 f.

,Gesalbt zu königlichem Wesen‘. Zur Bedeutung der spätmittelalterlichen Herrscherweihe Phänomene von langer Dauer unterliegen trotz aller Kontinuität, die sie bewirken und anzeigen, dem Wandel, einer historischen Grundkategorie, die den Historiker natürlich in einem besonderen Maße interessiert. Die Herrscherweihe1, die in der karolingischen Epoche ihre Gestalt gewann und deren eigentümliches Merkmal die Verknüpfung von Salbung und Krönung im kirchlich-liturgischen Zeremoniell darstellt, ist ein solches Phänomen der longue durée gewesen, das über ein Jahrtausend hinweg wirksam war und erst im Verlauf der Moderne verblaßte – nicht gänzlich im übrigen, auch wenn monarchische Inaugurationsakte heute eher feierliche Veranstaltungen anstaltsstaatlicher Nüchternheit sind. Im traditionswilligen England jedoch konnte sich noch 1953 in ungebrochener Tradition der Zauber geistlicher Krönungszeremonien entfalten, erschien damals doch, wie im Coronation Supplement der Times nachzulesen, die junge Elisabeth II. ganz in Erwartung der erbetenen göttlichen Gnade und sollen dabei Geist wie Bedeutung der alten Bräuche und Riten über die Jahrhunderte hinweg erglänzt sein, „never perhaps more brightly than now“, wie die gerade gekrönte Königin ihren Untertanen verkündete2. Ob damit ein Schlußpunkt erreicht worden ist oder ob sich der alte Brauch auch beim nächsten Herrscherwechsel fortsetzen oder ob er grundlegend verändert werden wird, das alles bleibt abzuwarten. Die Herrscherweihe ist aber nicht nur ein Phänomen von langer Dauer, sondern auch von europaweiter Ausstrahlung gewesen (und ordnet sich zudem in einen globalen, hier nicht weiter interessierenden Zusammenhang ein). Was in der Mitte des 8. Jahrhunderts im Frankenreich einsetzte und dort ein Jahrhundert später unter Erstdruck in: Gabriele Annas / Jessika Nowak (Hgg.), Et l’homme dans tout cela. Von Menschen, Mächten und Motiven. Festschrift für Heribert Müller zum 70. Geburtstag (= Frankfurter Historische Abhandlungen 48), Stuttgart 2017, S. 333 – 350. 1 Zu dieser wie zu allen weiteren Ausführungen vgl. Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, bes. Kap. IV, und ders., Thronfolge und Herrschersakralität in England, Frankreich und im Reich während des späteren Mittelalters: Aspekte einer Korrelation, in: Matthias Becher (Hg.), Die Thronfolge im europäischen Vergleich (Vorträge und Forschungen [im Manuskript abgeschlossen; vgl. Protokoll Nr. 410 über die Arbeitstagung in Hegne vom 24 – 27. September 2013 (Die Tronfolge im europäischen Vergleich), S. 54 f.]). 2 Vgl. das Coronation Supplement der Times aus dem Juni 1953 und Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 79 (2003), S. 1 – 55, bes. 1 f. (das Zitat steht auf S. 2).

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Karl dem Kahlen nachwirkende Impulse empfing, setzte sich nicht nur in den karolingischen Nachfolgestaaten fort, sondern drang letztlich bis in die Randzonen Europas vor. Gegen Ende des Mittelalters ist dann in iberischen Reichen beim Herrschaftsantritt zwar wieder auf die Salbung verzichtet worden, doch blieb dies die Ausnahme. Die Wertschätzung der kirchlichen Salbung erhielt sich vielmehr selbst in den evangelisch gewordenen Königreichen des nördlichen Europa3 und wurde sogar einmal, nämlich 1701 bei der Begründung der neuen Königswürde, in Preußen vollzogen4. Für wie wichtig sie besonders in früheren Jahrhunderten erachtet worden ist, das zeigt sich nicht zuletzt daran, daß man von ihr an die Herrscherjahre zählte5. Sie erscheint mithin als herrschaftsbegründend. Allerdings sollte bei dieser keinesfalls falschen Einschätzung zweierlei nicht übersehen werden: Auch wenn bei der Herrschaftsbegründung göttliches Wirken wahrgenommen wurde, das sich im kirchlichen Weiheakt manifestierte, so beruhte die Herrschaft doch auch auf dem Konsens und dem Willen der Beherrschten, die in rudimentären Wahlhandlungen, in Huldigungen und Akklamationen ihren Ausdruck fanden. Zudem ist die Weihe Teil eines Erhebungsprozesses gewesen, an dessen Ende Salbung und Krönung standen. Vor Abschluß dieses Prozesses konnte eine neue Herrschaft gar nicht als begründet gelten, wobei die kirchliche Zeremonie den einzigen wirklich institutionell normierten Akt des Thronerhebungsverlaufs bildete, durch den sichtbare Zeichen gesetzt wurden und dem gerade auch deshalb ein besonderes Gewicht zufiel. Daher wird man für ein Zeitalter, in dem die Thronfolge weder eindeutig durch Erbgang noch ausschließlich durch Wahl bestimmt war, sondern durch eine eigentümliche Verschränkung von Wahlrecht und Erbprinzip6, die Wahl nicht allzu sehr gegenüber der Weihe abwerten dürfen (auch wenn sie zeitlich auseinanderlagen). Allerdings ist die Weihe nicht nur ein unverzichtbarer Bestandteil der Herrschaftsbegründung gewesen, sondern erst ihr Empfang machte den neuen Herrscher wirklich zum König. Sich wie in Frankreich bereits unmittelbar nach dem Tod des Vorgängers oder wie im Reich sofort nach der Wahl König zu nennen und die Rechte des Herrschers praktisch uneingeschränkt 3 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Der Erzbischof von Köln und die deutsche Königswahl. Studien zur Kölner Kirchengeschichte, zum Krönungsrecht und zur Verfassung des Reiches (Mitte 12. Jahrhundert bis 1806) (Studien zur Kölner Kirchengeschichte 21), Siegburg 1987, S. 103 f. 4 Vgl. Iselin Gundermann, „Ob die Salbung einem Könige nothwendig sey“, in: Dreihundert Jahre preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte NF Beihefte 6), Berlin 2002, S. 115 – 133, und Wolfgang Neugebauer, Friedrich III./I. (1688 – 1713), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 22009, S. 113 – 133, bes. 128. 5 Vgl. dazu Andreas Büttner, Auf dem Weg zur Krone. Rituale der Herrschererhebung im spätmittelalterlichen Reich (Mittelalter-Forschungen 35 I/II), Ostfildern 2012, S. 702 f. 6 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Teilung und Einheit, Wahlkönigtum und Erbmonarchie: Vom Wandel gelebter Normen, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Verfassungsänderungen (Beihefte zu „Der Staat“ 20), Berlin 2012, S. 9 – 34, bes. 25 ff.

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wahrzunehmen, sich zudem Monate und Jahre mit der Weihe Zeit zu lassen – diese im späteren Mittelalter aufgekommenen Bräuche7 wären in früheren Zeiten unmöglich gewesen. Die hier faßbare Entwicklung ist Folge eines Differenzierungs-, Spezifizierungsund Juridifizierungsprozesses gewesen. So entwickelte sich in Frankreich eine Erb-, im Reich eine Wahlmonarchie aus vergleichbaren Verhältnissen heraus, zugleich unterschied man im Laufe der Entwicklung die Sphären des Weltlichen und des Geistlichen deutlicher und wurden sich Regnum und Sacerdotium ihrer Eigenart stärker bewußt; dabei bauten sie ihre juridischen Grundlagen spürbar aus. Wahl oder Erbgang hier und Weihe dort wurden zugleich in ihrer Bedeutung für den Beginn einer Herrschaft deutlicher erfaßt und in ihrem Verhältnis zueinander klarer unterschieden. Im Reich ist es bei dieser Entwicklung zu einer Abwertung der Weihe, zu einer Minderung ihrer gleichsam konstitutiven Bedeutung und zu einer Änderung ihrer Funktion gekommen8, erklären die Reichsjuristen der frühen Neuzeit die Wahl doch eindeutig zum Konstitutivakt für die neue Herrschaft und billigen den Krönungsfeierlichkeiten lediglich noch die Aufgabe der Inauguration und feierlichen Präsentation des neuen Kaisers zu9. Der bereits erwähnte, nach einer längeren Phase des Schwankens seit dem 14. Jahrhundert etablierte Brauch, die Herrscherjahre von der Wahl an zu zählen und die besonders im 15. Jahrhundert greifbare Tendenz, zwischen Wahl und Weihe viel Zeit verstreichen zu lassen, sind äußerer Ausdruck des Schwindens der ursprünglich mitkonstitutiven Rolle der Herrscherweihe. Aber – und dies sollte nicht unbeachtet bleiben: Verzichten wollte man bis zum Ende des alten Reiches nicht auf die liturgische Inaugurationszeremonie. Dies muß Gründe haben, will man hier nicht einen blinden Traditionalismus am Werke sehen. Ein vergleichender Blick auf die französischen Verhältnisse10, so sehr diese sich auch durch die religion royale und das Thaumaturgentum eines durch Erbfolge bestimmten Monarchen von denen des in imperialen Traditionen stehenden Wahlreichs unterschieden, hilft bei der Suche nach diesen Gründen weiter. Die franzö7

Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 187 – 192. Vgl. ebd. bei Anm. 196. 9 Vgl. Iohannes Limnaeus, Capitulationes Imperatorum et Regum Romano-Germanicorum, Argentorati 31674, S. 312 (Nr. 1: Decet electum Regem Romanorum, coronam Regiam suscipere, non quasi ea novi aliquid, quod electione nondum consecutus, in eum conferatur; sed quia ubique per saniorem orbem ita observatur, ut coronatio publicum preconium sit, eum, qui coronatur, in Regno electio dignum fuisse indicatum, ut Imperio praeficeretur … ), und Jacob Carl Spener, Teutsches Ius Publicum oder des heil. Roemisch=Teutschen Reichs vollstaendiges Staats=Rechts=Lehre V, Franckfurt und Leipzig 1726, S. 4 (§II: Ich mag die Croenung beschreiben als ein in den Reichs=Herkommen und Gesetzen bestaetigtes solennes / und respectiue heiliges / Geschaeffte / durch welches der erwehlte Kaeyser mit der Salbung / Aufsetzung der Crone / und Uebergebung der Reichs=Cleinodien / zu seiner hoechsten Wuerde eingeweyhet / und dem Reiche nochmahlen als dessen befugtestes Haupt dargestellt wird.). 10 Vgl. dazu und zum folgenden Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 197 – 229. 8

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sische Monarchie besaß im abendländischen Europa zweifellos eine einzigartige Stellung. Diese lag begründet in einer speziellen, auf die männliche Nachkommenschaft konzentrierten Erbfolge, dem Aufbau funktionierender Herrschaftsinstitutionen, einem breiten, das Königtum tragenden Konsens und vor allem in der eigentümlichen Sakralität des Herrschers, der durch die Weihe zur Skrofelnheilung befähigt schien und mit einem aus dem Himmel stammenden Öl gesalbt wurde. Le sacre, die Herrscherweihe, nahm daher im Bewußtsein breiter Kreise eine zentrale Rolle für die Begründung der exzeptionellen Erhabenheit des Königs von Frankreich ein. Trotz des Erbprinzips, das den Tod des Vorgängers gleichsam zum Konstitutivakt des neuen Herrschers werden ließ, trotz königlichen Geblüts, das den neuen König zur uneingeschränkten Herrschaftsausübung befähigte, galt ein neuer Monarch den meisten Franzosen erst nach der Weihe als wirklicher König, dessen thaumaturgische Handlungen erst nach der Salbung Wirkung zu zeigen vermochten; und diese Vorstellung hielt sich in Spätmittelalter und früher Neuzeit, obwohl sich die Kronjuristen eifrig darum bemühten, die besondere Stellung des französischen Königs allein mit dem Geblüt und aus den Prinzipien des Erbrechts zu begründen11. Juristische Theorie und – wenn man dies so sagen darf – gesellschaftliche Praxis klafften mithin deutlich auseinander. Weniger das juristische Verständnis als der Glaube an die Wirkung des sacre dürfte die Position des französischen Königs bis zur französischen Revolution auf ideeller Ebene wirksam gefestigt haben12. Die sich hier zeigende Möglichkeit einer Differenz zwischen juristischer Lehre und allgemeinem, auf mentalen Prägungen und ideellen Traditionen beruhendem Verständnis gilt es auch bei der Betrachtung der Verhältnisse im Reich zu bedenken. Diese sind allerdings wegen der Quellenbasis, die im Reich deutlich schmäler ist als in Frankreich oder auch in England, gar nicht so leicht zu fassen. Natürlich gibt es theoretische und juristische Abhandlungen, die erkennen lassen, wie sehr die alte Vorstellung von einer eigenen sakralen Dimension des Herrschers – wenn auch in gewandelter Form – fortbestand13. Dies ist als Hintergrund für das Verständnis der Herrscherweihe nicht unwichtig festzuhalten, sagt über diese selbst aber wenig aus. Der spätmittelalterliche Krönungsordo aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts, der in gewichtigen Teilen seinen Vorgänger aus dem 10. Jahrhundert samt dessen späteren Ergänzungen rezipierte und daher von einer starken Kontinuität kündet, aber auch ein aggiornamento an die spätmittelalterlichen Verfassungsverhältnisse vornahm, gibt zumindest Auskunft über die prinzipiellen Vorstellungen vom Königtum, die kirchlichen Zeremonien bei dessen Begründung und die in diesen zur Anschauung 11 Vgl. Colette Beaune, Les théoriciens contestataires du sacre au XVe siècle, in: Le sacre des rois. Actes du Colloque international d’histoire sur les sacres et couronnements royaux (Reims 1975), Paris 1985, S. 233 – 241. 12 Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), Anm. 222, 224, 225, 226 und 229. 13 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee nach herrschaftstheoretischen Äußerungen des 14. Jahrhunderts, in: Hubertus Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (1314 – 1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, S. 29 – 61.

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gebrachten Ideen königlicher Legitimation und Aufgaben14. Im Gegensatz zu Frankreich, wo über die mittelalterlichen Jahrhunderte hinweg eine überbordende Fülle an Krönungsordines entstand15, und auch zu England16, wo gleiches, wenn auch nicht in gleichem Maße, geschah, im Gegensatz zu diesen westeuropäischen Monarchien ist das Reich keine Region der Krönungsordines gewesen. Im Grunde entstanden hier nur zwei solcher Regiebücher der Herrscherweihe: der ottonische Ordo in der Mitte des 10. und der spätmittelalterliche Ordo am Beginn des 14. Jahrhunderts17, die, wie bereits erwähnt, eng zusammenhängen und beide während der Zeit ihrer Geltung Ergänzungen erhielten; aber die Anlage neuer Krönungsordnungen wurde offenbar nicht für nötig befunden. Allerdings ist auch nicht mit einer sklavischen Befolgung aller Anweisungen einer Krönungsordnung zu rechnen. Diese war Richtschnur, aber nicht ausnahmslos zu befolgende Regel; Anpassungen an besondere Umstände konnten immer vorgenommen werden. Zu den angeführten Quellen gesellten sich seit dem 15. Jahrhundert Berichte und ausführlichere Nachrichten über das Krönungsgeschehen und die dieses begleitenden Feierlichkeiten18 ; in der frühen Neuzeit schließlich kamen noch die Krönungsdiarien19 hinzu. Diese Erweiterung der Quellenbasis erlaubt gelegentlich einen genaueren Einblick in Zusammenhänge und Vorgänge und ermöglicht es manchmal auch, Entwicklungen und Besonderheiten zu erkennen, wobei hinsichtlich der einzelnen Darstellungen allerdings mit interessegeleiteten oder perspektivischen Interpretationen, individuellen Deutungen oder Beschreibungen nach der Norm und weniger der Wirklichkeit zu rechnen ist. Die sich steigernde Nachrichtendichte läßt Äußerlichkeiten und Festivitäten klarer erkennbar werden und veranschaulicht Veränderungen wie Entwicklungen nicht nur im engeren Bereich des liturgischen Handelns, sondern auch bei den weltlichen Festlichkeiten in dessen Umfeld. Wenn diese Veranstaltungen auch wenig zum Verständnis der liturgischen Feier beitragen, so fällt von ihnen doch gelegentlich ein erhellendes Licht auf die Abläufe in der Kirche, gelangten doch bei den Krönungsfeiern in der Gesamtheit des Geschehens durch Ein- und Umzüge, Feiern und Geselligkeiten, durch Krönungsmahl und natürlich durch die Weihe das Reich und sein Herrschaftsverband zur eindrucksvollen Anschauung, zur durch symbolische Handlungen beziehungs14 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Königskrönung und Krönungsordnung im späten Mittelalter, in: ZAGV 110 (2008), S. 27 – 64, bes. 32 – 50. 15 Ordines Coronationis Franciae. Texts and Ordines for the Coronation of Frankish and French Kings and Queens in the Middle Ages I/II, ed. by Richard A. Jackson, Philadelphia (Penn.) 1995/2000. 16 English Coronation Records. Ed. by Leopold G. Wickham Legg, Westminster 1901. Zu weiteren Editionen vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), Anm. 38. 17 Vgl. Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 5), S. 96 – 169. 18 Vgl. etwa die in den Anm. 33, 34 und 47 verzeichneten Berichte. 19 Vgl. Barbara Dölemeyer, Reichsrecht, politische Propaganda und Festbeschreibung in den Wahl- und Krönungsdiarien, in: Evelyn Brockhoff / Michael Matthäus (Hg.), Die Kaisermacher. Frankfurt am Main und die Goldene Bulle. 1356 – 1806, Frankfurt/Main 2006, S. 140 – 151, bes. 140 ff.

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reichen Darstellung seines Rang- und Wirkgefüges, was, worauf die moderne Forschung nicht müde wird hinzuweisen, von höchster Bedeutung gewesen ist für das Selbstverständnis und das Funktionieren des politischen Wirkverbunds im Reich20. Trotzdem geschahen alle für das neue Königtum wesentlichen Handlungen während der kirchlichen Feier. Entscheidender Akt der Herrscherweihe ist anfänglich ohne Zweifel die Salbung gewesen, durch die der Herrscher zu einem Gesalbten des Herrn und auf besondere Weise für seine schwere Aufgabe begnadet wurde21. Wenn schließlich dieses Verständnis von der Konsekration eines Herrschers seitens der Päpste, die zunächst die Vorstellung von einer die Persönlichkeit des Königs beeinflußenden Wirkung der Salbung teilten22, auch energisch bekämpft worden ist und der Herrscherweihe spätestens seit Innozenz III. jegliche sakramentale Bedeutung abgesprochen wurde23, so hielt sich in weiten Kreisen doch grundsätzlich die Ansicht, daß dem Herrscher durch die Salbung die Gnade und die Gaben des Hl. Geistes vermittelt würden24. Kirchliche Theorie und geglaubte Praxis klafften hier offenkundig auseinander. Innozenz III. mochte noch so ironisch von der ,Ölung‘ des Princeps sprechen und diese von dem Sakrament der Salbung eines Geistlichen absetzen25, Johannes XXII. konnte noch so sehr ein Einwirken der Salbung auf die Seele des Königs verneinen und dabei auf den ,Tau‘ der geistlichen Gnade hinweisen, durch den ein gesalbter Herrscher bei der Ausübung seiner Herrschaft immerhin gestärkt werde26 – die Vorstellung von einer bei der Salbung auf den König einwirkenden und diesen positiv beeinflußenden Kraft verblaßte nicht. Vielmehr erscheint die Herrscherweihe eindeutig als ,rite de passage‘. In Frankreich wird dies besonders deutlich und von Jean Golein sogar eigens formuliert, wenn der Kleiderwechsel bei der Salbung als Symbol für den Übertritt des Königs in den eigenen Stand der ,religion royale‘ gedeutet wird27: Et quand le Roy se despoille cest signifiance quil relenquist lestat mondain de par devant pour prendre celui de la religion Royal. In England steht ebendiese Vorstellung hinter der 20

Vgl. Erkens, Teilung und Einheit (wie Anm. 6), S. 13 f. mit Anm. 20 und 21. Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 104 – 112. 22 Vgl. die Ravennater Rede des Papstes Johannes VIII. aus dem Sommer 877, ed. Wilfried Hartmann, Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 875 – 911 (MGH Concilia 5), Hannover 2012, Nr. 8 (hier S. 65 [A. Protokoll]). 23 Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 115 – 121. 24 Vgl. ebd. bei Anm. 125 – 126 und 278 – 282. 25 Vgl. Dekretalen Gregors IX. (Liber Extra), Lib. I tit.15 (De sacra unctione) cap. 1, ed. Emil A. Friedberg, Corpus iuris canonici II, Leipzig 1881, S. 131 – 134, bes. 132 f. 26 Vgl. die Schreiben von Johannes XXII. an den englischen König Eduard II. (1318 Juni 2), ed. English Coronation Records (wie Anm. 16) S. 67 Nr. X (bes. S. 72), und an den schottischen König (1329 Juni 13), ed. Augustinus Theiner, Vetera Monumenta Hibernorum et Scotorum historiarum illustrantia (1216 – 1547), Rom 1864, S. 244 Nr. 480. 27 The Traité du sacre of Jean Golein, hg. von Richard A. Jackson, in: Proceedings of the American Philosophical Society 113 (1969) S. 303 – 324 (Edition: S. 308 – 324), hier 315. 21

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Äußerung des unglücklichen Richard II., er könne zwar auf seine Herrschaft verzichten, aber nicht auf die Prägung durch die Salbung28, die nach seiner Ansicht offenkundig einen ,character indelebilis‘ besaß. Vor dem Hintergrund einer solchen Anschauung hielt man es auf der Insel daher wohl auch für besser, einen geweihten, aber mißliebig gewordenen Herrscher nicht einfach nur abzusetzen, sondern ihn darüber hinaus zur ,freiwilligen‘ Abdankung zu zwingen29 (und ihn schließlich zu beseitigen). Auch ist 1435 auf dem Basler Konzil von englischer Seite erklärt worden, man könne einen Herrscher eigentlich erst nach der Salbung als König bezeichnen30 (was freilich schon bald nicht mehr so gesehen wurde31). Im Reich dürften ähnliche Vorstellungen geherrscht haben. So spricht der Basler Professor Peter von Andlau von dem eigenen Stand der sacra majestas, in den der Herrscher durch die Salbung eintrete32 ; und die Bekleidung des frisch gesalbten Königs mit Albe, Stola und Sandalen zeigte bei der Herrscherweihe genau diesen Standeswechsel an33. In Zentraleuropa hatte sich mithin bis in das ausgehende Mittelalter hinein die Vorstellung gehalten von einem durch die Weihe bewirkten Standeswechsel des Herrschers, der durch die Salbung zwar nicht zum Priester wurde, aber doch einen eigenen sakralen Rang in der Weltordnung bekleidete, kein reiner Laie mehr war und an das Priestertum herangerückt erschien. Deshalb blieb die Konsekration, auch wenn sie nicht mehr in juristischem Sinne eine neue Königsherrschaft begründete, weiterhin unverzichtbar, fügte sie dem neuen Herrscher doch etwas nur schwer Faßbares, aber immerhin Herrschaftslegitimierendes und -stabilisierendes hinzu.

28 Vgl. die urkundliche Erklärung Richards II. über seine Resignation, ed. Gerald O. Sayles, The Deposition of Richard II: Three Lancastrian Narratives, in: Bulletin of the Institute of Historical Research 54 (1981), S. 257 – 270, hier 264 ff. (Dokument A) und bes. 266, sowie Annales Ricardi Secundi et Henrici Quarti, regum Anglie, hg. von Henry Thomas Riley, Johannis de Trokelowe et Henrici de Blaneforde, monachorum S. Albani, Chronica et Annales, regnantibus Henrico Tertio, Edwardo Primo, Edwardo Secundo, Ricardo Secundo, et Henrico Quarto (= RS), London 1866, S. 155 – 420, hier 286, und dazu Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 231 – 234. 29 Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 260 – 262. 30 Englische Denkschrift gegen die Forderungen der Kastilier [1435 Mai 31], ed. August Zellfelder, England und das Basler Konzil. Mit einem Urkundenanhang (Hist. Stud. 113), Berlin 1913, S. 284 – 292, hier 286. 31 Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 265 – 272. 32 Libellus de Ceasarea Monarchia, hg. von Rainer A. Müller, Peter von Andlau. Kaiser und Reich (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens 8), Frankfurt/M. 1998, S. 206 (II 6). 33 Vgl. den Bericht des Gesandten des savoyardischen Grafen über die Krönung Sigismunds im Jahre 1414, hg. von Heinrich Finke, Acta Concilii Constanciensis IV, Münster 1928, S. 449 (Nr. 459: facta unctione ipsum [den König] abduxerunt in sacrosancta et eum induerunt vestibus sacerdotalibus, videlicet amito, alba tunica diachonali cum manipulo et super capam de velluto cremesiano circumdatam auro, …), und den Ordo aus dem früheren 14. Jahrhundert, ed. Franz-Reiner Erkens / Andreas Fohrer, Der Kölner Ordo von wahrscheinlich 1309, in: Erkens, Königskrönung (wie Anm. 14), S. 51 – 64, bes. 57, und dazu ebd. S. 46 f. mit Anm. 127 sowie Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), Anm. 277.

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Vor diesem Ideenhorizont ist wohl auch die angesichts der Verfassungsentwicklung merkwürdige Frage zu verstehen, die der Kölner Erzbischof als zuständiger Koronator bei der Krönung Friedrichs III. 1442 ganz unbefangen an seine Mitkurfürsten gerichtet haben soll – nämlich34, ob es ir aller wille were, das man u herrn Friedrichen herzogen zu Oesterreich etc. zu˚ dißem mal kúng machen und kroenen soelte. Bemerkenswert ist diese Frage deshalb, weil sie suggeriert, der ausdrücklich als Herzog titulierte Habsburger werde erst durch die Weihe König, obwohl er bei deren Vollzug bereits länger als zwei Jahre gewählter und anerkannter Herrscher gewesen ist. Als ein das Königtum begründender Akt kann die Konsekration 1442 daher kaum verstanden worden sein. Eher bedeutete sie und das vom Kölner Konsekrator angesprochene kúng machen eine ideelle, nicht weiter präzisierte Komplettierung von Friedrichs längst bestehendem Königtum. Rechtlich fügte sie diesem nichts mehr hinzu, aber sie verdeutliche den Standeswechsel und vermittelte die religiöse Aura des neuen Herrschers. Sie war daher mehr als nur dessen feierliche Vorstellung35. 1558 konnte der Reichsvizekanzler Sigismund Seld daher auf die Ansicht hinweisen36, dass ein Roemischer Keyser als die hoechste christliche Obrigkeit vieler geistlichen Gnaden vnd Gaben durch die Salbung empfaenglich werde. Auch Rechtsgelehrte des Reiches, die in der frühen Neuzeit nicht müde wurden, die konstitutive Bedeutung der Wahl herauszustellen37, betonten die legitimierende, autoritätsstärkende und herrschaftsstabilisierende Wirkung der geistlichen Handlungen bei der Herrscherweihe, wurde der Geweihte durch sie doch für das Volk magis sacer atque venerabilis38. Daher konnte noch 1742 der unglückliche Karl VII., der letzte, vom Hause Habsburg heftig bekämpfte Wittelsbacher auf dem 34 Berichte eines Ungenannten, des Johannes Bürn von Mohnhausen und des Erhard von Appenwiler über Einzug und Krönung K. Friedrichs III. in Aachen, hg. von Hermann Herre und Ludwig Quidde, RTA 16, Stuttgart 1928, Nr. 109 §9 (S. 198); vgl. dazu und zum folgenden Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 308 – 310. 35 Vgl. Limnaeus, Capitulationes (wie Anm. 9), S. 312 (Nr. 1), sowie Philippi Reinhardi Vitriarii Institutiones Juris Publici Romano-Germanici Selectae, hg. von F. Spener, Nürnberg/ Leipzig 1727, S. 52 (§1), und Spener (wie Anm. 9). 36 Vgl. Selds Denkschrift von 1558, hg. von Melchior Goldast, Politische Reichs=Haendel, Franckfurt am Mayn 1614, S. 167 – 200, hier 186. 37 Vgl. Limnaeus, Capitulationes (wie Anm. 9), S. 312 (Nr. 1), und ders., Juris publici Imperii Romano-Germanici libri IX, Straßburg 31657, Tom. I, Buch 2 cap. 481 (Coronatio non facit Imperatorem: ergo est in totum inutilis et supervacua.); Spener, Teutsches Ius Publicum (wie Anm. 9) IV, 1725, S. 571 (§ XXVI), und V, 1726, S. 2 (§ I); Johann Jacob Moser, Teutsches Staats=Recht. Zweyter Theil, Franckfurt und Leipzig 1738, S. 419 f. (§70); ders., Von dem Roemischen Kayser, Roemischen Koenig, und denen Reichs=Vicarien, Franckfurt am Main 1767, S. 313 (§§ 274 und 276); Freiherr von Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen, Deutsch. und Bayerischen Staatsrechtes, München 21789, S. 85 (§46); Nicolaus Thaddäus Gönner, Teutsches Staatsrecht, Landshut 1804, S. 135 (§ 112 VI). 38 Limnaeus, Capitulationes (wie Anm. 9), S. 17 (Nr. 4). Vgl. auch Gabriel Schweder, Introductio in Jus Publicum Imperii Romano-Germanici novissimum, Tübingen 71721 (1. Aufl. 1681), S. 222 f. (Nr. 27).

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Kaiserthron, seinem Tagebuch die (vergebliche) Hoffnung seiner Freunde anvertrauen, die Krönung werde eine festigende Wirkung auf seine Reichsherrschaft ausüben, weil man erst nach der Krönung wirklich als Kaiser gelte39. Und gut vierzig Jahre zuvor, 1701, hatte sich der erste preußische König (im übrigen als einziger von allen nun königlich werdenden Hohenzollern) nicht nur selbst gekrönt, sondern auch von zwei Bischöfen salben lassen, weil er dadurch zu einer Sacra Regia Majestas wurde40. Die spätmittelalterliche und offenbar ebenfalls die frühneuzeitliche Herrscherweihe, auch ohne quasikonstitutive Bedeutung keinesfalls bedeutungslos, erfüllte für den neuen Herrscher nicht nur als Inaugurations- und Präsentationsakt eine wichtige Funktion. Sie galt trotz ihrer juristischen Bedeutungslosigkeit, die von den Rechtsgelehrten immer wieder betont worden ist, offenkundig nicht vorrangig aus Gründen der Tradition als unverzichtbar, sondern weil sie nach verbreiteter Ansicht eine legitimierende und herrschaftsstabilisierende Wirkung entfaltete durch die religiösen Bezüge, die sie imaginierte und schuf. Im Wandel bewahrte sie mithin Kontinuität. Vom Wandel ist aber nicht allein die Funktion der Herrscherweihe betroffen gewesen. Auch ihr Verlauf wurde den Verfassungsentwicklungen angepaßt, wobei man im Reich besonders die während des 13. Jahrhunderts entstandene Würde der Kurfürsten zu berücksichtigen hatte, ohne daß dies nach der wohl im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts erfolgten Formulierung des spätmittelalterlichen Krönungsordo zu weiteren Ordines geführt hätte. Die Kurfürsten in den Krönungsverlauf einzubeziehen, war nötig wegen deren herausragender Stellung als Königswähler und weil sich bei solchen Feierlichkeiten das Reich und sein Ranggefüge durch symbolisches Handeln und gestische Auftritte selbst zur Anschauung brachten. Der spätmittelalterliche Ordo hat darauf noch keine Rücksicht genommen und bezog die weltlichen Kurfürsten nicht in die kirchlichen Handlung ein; allein den Metropoliten von Mainz und Trier wurden Aufgaben zugewiesen41, und zwar als Assistenten des Kölner Erzbischofs, der aufgrund einer langen Tradition der Zelebrant der Krönungsmesse war42 und ausdrücklich als debitus consecrator43 sowie 39 Karl Theodor Heigel (Hg.), Das Tagebuch Kaiser Karl’s VII. aus der Zeit des österreichischen Erbfolgekrieg, München 1883, S. 50 f. (me conseilloit de ne plus differer cette ceremonie … que je ne puis étre veritablement regardé comme empereur qu’après le couronnement.). Vgl. Peter Claus Hartmann, Karl Albrecht – Karl VII. Glücklicher Kurfürst, unglücklicher Kaiser, Regensburg 1985, S. 229 ff. 40 Vgl. Gundermann, „Ob die Salbung einem Könige nothwendig sey“ (wie Anm. 4), Berlin 2002, S. 120 – 128 (und zum Zitat S. 127 und 129). 41 Vgl. Der Kölner Ordo (wie Anm. 33) S. 54 – 63. 42 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Aachener Geschichte zwischen Karolingern und Staufern: Entwicklungen – Prägungen – Formierungen (911 – 1137), in: Thomas R. Kraus (Hg.), Aachen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart 2. Karolinger – Ottonen – Salier, Aachen 2013, S. 471 – 583, bes. 479 – 494 (und die dort verzeichnete Literatur). 43 Der Kölner Ordo (wie Anm. 33) S. 54: ex iure regni debitus consecrator.

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in anderem Zusammenhang auch als verus et legittimus coronator44 bezeichnet wird. Die Mitwirkung des Mainzers und Trierers gründete, obwohl beide Kurfürsten waren, nicht in dieser Reichswürde, sondern in der geistlichen Stellung als Erzbischof, war doch die Herrscherweihe eine kirchliche Angelegenheit. Ihre Mitwirkung gipfelte in der Beteiligung beim Überreichen des Schwertes und beim Aufsetzen der Krone45, während die übrigen Kurfürsten nur bei der Opferung erwähnt werden46. Erst im weiteren Verlauf der Entwicklung wurden die weltlichen Königswähler beim Vollzug der kirchlichen Zeremonien mit einzelnen Handreichungen betraut, doch blieben sie dabei letztlich marginal als lediglich dienende Helfer, die bei entsprechender Gelegenheit und keinesfalls exklusiv die Insignien des Königs trugen47. Eindrucksvoller konnte ihre gewichtige Rolle im Verfas44 Krönungsordnung von 1442 mit eigenhändigen Bemerkungen des Koblenzer Propstes Tilmann Johel aus Linz, ed. RTA 16 (wie Anm. 34) S. 182 (Nr. 102 c. 21). 45 Vgl. Der Kölner Ordo (wie Anm. 33) S. 59 und 60: Hic dominus Coloniensis, domini Maguntinensis et Treverensis archiepiscopi, simul superponant coronam regiam et pariter decant… Die nicht zwingend nötige Beteiligung der Erzbischöfe von Mainz und Trier zeigen die Aufzeichnungen von 1442 (s. Anm. 47); vgl. dazu auch Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), Anm. 296. 46 Vgl. Der Kölner Ordo (wie Anm. 33) S. 63: … et postea alii principes electores secundum gradum et officium suum. 47 Vgl. für die frühneuzeitlichen Verhältnisse die Darstellungen der einzelnen Krönungen von 1653 bis 1792 durch Hans Joachim Berbig, Der Krönungsritus im Alten Reich (1648 – 1806), in: ZBLG 38 (1975), S. 639 – 691, bes. 650 – 680, für die spätmittelalterlichen Verhältnisse aber den Bericht der savoyardischen Gesandten (wie Anm. 33) Nr. 459 (hier S. 449: … tradidit ensem duci Sausonie, pomum aureum duci Ludovico de Bavaria Palatino Reni … et virgam auream burgrafio de Novemberch, qui nunc est rector marchionatus Brandenberch.) und die Aufzeichnung Eigils von Sassen über die Krönung König Sigmunds (1414), ed. Dietrich Kerler (Hg.), Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund. Erste Abtheilung 1410 – 1420 (RTA 7), München 1878, Nr. 167 (hier S. 24422-26 : und waz dabi [bei der Krönung] herzog Ludewyg von Beyhern, der hatte den appil ein cruze darof als ein phalzgrafe, …; sodann der herzoge von Sassen …, der hatte daz bloße swert; sodann burggraffe Frederych von Norenberg von der marg wegen von Brandenburg daz gulden zeptrum.), die Aufzeichnungen von 1442 über Einritt und Altarsetzung des neuen Königs in Frankfurt, den Aufenthalt beim Königsstuhl von Rhens und den Einritt und die Krönung in Aachen, ed. RTA 16 (wie Anm. 34) S. 175 (Nr. 100 c. 21: So der aid nun gesworn ist und man den kung mit der kunklich kron kr=nen will, das sol thun der von Kh=ln. der soll dem kung die kron unter dem ampt, das er singt, selbs aufsetzen. an die kron sol auch greifen der von Maintz zu der rechten seiten, der von Tryer zu der tenken, ob die da sein. ob die aber nicht da sein, so soll es dannoch kain irrung haben. es soll auch darzu der phalzgrave den apfl halten und der von Sachsen das swert und der von Branndenburg das zepter, als sich dann ieden von seins ampts wegen gepurt.), den Bericht des Ritters Ludwig von Eyb über des Römischen Königs Maximilian Krönung zu Aachen im Jahre 1486, mitgetheilt von Joseph Baader, in: AHVNrh 15 (1864), S. 1 – 18 (hier: S. 8 [Tragen der Herrschaftsinsignien durch Nichtkurfürsten] und 9 [Item ist vorgangen zu oppffer der palzgraff mit dem apffel, Hertzog Ernst mit keyser Karels schwert und der Bischoff von Augsburg an Markgraff Albrechts (!) von Brandenburg statt, trug der von Weinsberg das zepter …]), den Bericht Bernhard Sittichs über die Königskrönung sowie das Krönungsbankett in Aachen (1486), ed. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I., Bd. 1: Reichstag zu Frankfurt 1486, Teil II, bearb. von Heinz Angermeier, unter Mitwirkung von Reinhard Seyboth, RTA mittlere Reihe I 2, Göttingen 1989, Nr. 915b (S. 929 – 945, hier: 935 [Tragen der

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sungsgefüge des Reiches außerhalb der Kirche zur Anschauung gebracht werden: bei Einzügen etwa gemäß der von Karl IV. in der Goldenen Bulle formulierten Prozessionsordnung48 oder beim Zurschaustellen ihrer besonderen Reichsaufgaben als Inhaber der Erzämter49, deren Bekleidung ja mit dem Königswahlrecht verknüpft gewesen ist und bei besonderen Anlässen, etwa bei Reichsversammlungen50, vor allem jedoch beim Krönungsmahl durch einen symbolischen Hofdienst, aber auch bei weiteren Auftritten im Rahmen der Krönungsfeierlichkeiten einem breiteren Publikum durch Schauspiele mit Verfassungsernst vor Augen geführt wurde. Als Marschall des Reiches etwa ritt der Herzog von Sachsen bei solchen Gelegenheiten in einen aufgeschütteten Haufen Hafers und füllte vom Sattel aus den ersten Scheffel, bevor er die weitere Verteilung anderen überließ; und der Dienst beim Krönungsmahl gewährte dem rheinischen Pfalzgrafen als Truchsessen des Reiches zumindest 1486 in Aachen einen öffentlichen Auftritt, mußte er doch in der zeremoniellen Begleitung des sächsischen Herzogs zu Pferde das Essen für König und Kaiser, für Maximilian I. und Friedrich III., aus der offenbar nicht im Rathaus, dem Ort des Banketts, gelegenen Küche holen und in zwei silbernen Schüsseln herbeibringen51. Herrschaftsinsignien durch Nichtkurfürsten], und 938 [Der Pfalzgf. trug den apfel, Hg. Ernst von Sachsen das schwert, der von Wynsperg an stat Mgf. Albrechts von Brandenburg selig den zepter …; vgl. auch noch die daran anschließenden Sätze]), sowie Chroniques de Jean Molinet, publ. par Georges Doutrepont et Omer Jodogne, Tome I (1474 – 1488), Bruxelles 1935, S. 505 – 515 (chap. CXXIX), hier: 507 f. 48 Vgl. Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356, bearb. von Wolfgang D. Fritz, MGH Font. iur. germ. ant. XI, Weimar 1972, S. 78 und 83 (c. 22 und 261). 49 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Erzämter, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 6 (22007) S. 1420 – 1425. 50 Vgl. die Bestimmungen der Goldenen Bulle (wie Anm. 48) S. 85 f. (c. 273-6). 51 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Marschall, in: HRG2 III (2015), S. 1334 ff., bes. 1335, sowie zu den Aufführungen bei den Festivitäten zur Königskrönung etwa: die Anonyme Aufzeichnung über die Aachener Krönung und das anschließende Krönungsbankett (1486), ed. RTA mittlere Reihe I 2 (wie Anm. 47) Nr. 917 (bes. S. 957 – 965 und hier 963 = Albert Huykens, Die Krönung König Maximilians I. in Aachen 1486 nach einem noch unbekannten Frühdruck, in: ZAGV 64 [1954], S. 72 – 99, bes. 79 – 99 und hier 93 [wonach zitiert wird wegen der offenkundig größeren orthographischen Nähe zur Quelle]: Item herczog Ernst von Sachßsen, curfürst und erczmarschalck des heyligen reychs, ließ für das rathauß auff den placz fueren einen grossen hauffen habern und darzu bereyten ein silbrin maeß und ein silbrin streychen. Und, als der keyser und der künig auf dem rathauß warent, was im ein pferd zugericht und für das rathauß auff den placz gefuert. Darauf saß er und reyt in den hauffen haberen bis an die prust des pfaerdes und neyget sich auf seinem pferde, maß das silbrin maeß vol haber und streich das ab mit dem silbrin strich und schut das einem, der bei im was, in seym geschür und reyt wider in das rathauß. Etwas später heißt es ebd.: Als nun unser genaedigoster herr und keyser und der künige zu tisch gesessen warent, da reyt der pfalzgraf, curfürst und ercztrucksaeß des heyligen roemischen reychs, zu des roemischen künigs kuchen und empfienge zwey eßen auffeinander in silbrin schüßeln; dem gieng herczog Ernst von Sachssen vor mit dem stab zu fuße, als eyn erczmarschalck des heiligen reychs und curfürst, und der pfalzgraff rayt pis an das rathauß, da saß er ab und truge die essen dem roemischen keyser und dem roemischen künig ze tisch.). Diese Auftritte werden ebenfalls erwähnt im Bericht Bernhard

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Das waren ausdrucksstarke Schauspiele, die einem breiteren Publikum geboten wurden und den Rang des sich präsentierenden Fürsten verdeutlichten; mit der eigentlichen Herrscherweihe hatten sie allerdings nur indirekt zu tun, konnten sie doch auch bei anderen Gelegenheiten aufgeführt werden. In Frankreich hingegen sind die fürstlichen Kronvasallen, die Pairs des Königsreichs, stärker in die Krönungszeremonie eingebunden gewesen als im Reich die deutschen Wahlfürsten. Die Pairs umgaben den König, wenn diesem der Reimser Erzbischof die Krone aufs Haupt setzte, berührten diese nach vollzogener Krönung als Stützen der Herrschaft gemeinsam und blieben bis zum Ende der Krönungszeremonie an der Seite des Herrschers52. Der Herzog von Burgund, der dem König die Sporen anlegte und seit der Mitte des 14. Jahrhunderts selbst aus der Königsfamilie stammte, hatte mithin sogar noch eine weitere Aufgabe zu übernehmen53. Im Vergleich dazu ist der Verlauf der Herrscherweihe im Reich deutlich weniger von einer Beteiligung der Laienfürsten geprägt gewesen. Natürlich sind die weltlichen Kurfürsten seit dem späten Mittelalter in die Handlungen der Krönung einbezogen gewesen; aber sie blieben in rein dienender Funktion, wenn sie während des Krönungsgottesdienstes gelegentlich den Reichsapfel, das Reichsschwert und das Szepter zu tragen hatten54. Ihre Bühne war weniger der Kirchenraum als die Straße. Ebensowenig wie in Frankreich, wo die geistliche Bedeutung des sacre trotz starker Beteiligung der Pairs nie umstritten war55, sollten daher im Reich Rückschlüsse auf eine Säkularisierung der Herrscherweihe wegen der (letztlich doch nur minimalen) Beteiligung von Laienfürsten am Krönungsgeschehen gezogen werden. Und ebensowenig sollte dies aufgrund der allmählichen Änderung der Bezeichnung für die Thronerhebung Sittichs (wie Anm. 47: S. 939 und 940) sowie in der Anonymen Aufzeichnung über die Königskrönung Maximilians I. und das Krönungsmahl in Aachen (1486), ed. RTA mittlere Reihe I 2 (wie Anm. 47) Nr. 916 (bes. 947 – 953 und hier 951 f.). 52 Vgl. etwa den Ordo Karls V., ed. Jackson (wie Anm. 15) S. 454 – 522 (Ordo XXIII), hier 498 (Nr. 62: … omnes pares …. manum apponunt coronam et eam undique sustentant, et soli pares) und 504 (Nr. 76: Deinde coronatus rex et ducatur … concomitantibus paribus … de altari per chorum usque ad solium iam antea preparatum.) sowie 515 Nr. 102, oder den Ordo Ludwigs XI. , ebd. S. 523 – 554 (Ordo XXIV), hier 544 (Nr. 52), 550 (Nr. 74) und 552 (Nr. 86), den Ordo Karls VIII., ebd. S. 558 – 617 (Ordo XXV), hier 603 (Nr. 119), 604 (Nr. 122 und 124) und 610 f. (Nr. 145), oder den letzten kapetingischen Ordo, ebd. S. 367 – 418 (Ordo XXII A), hier 401 (Nr. 38), 405 (Nr. 51) und 406 = 408 (Nr. 55). 53 Vgl. Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. zum 16. Jahrhundert. Ein Kapitel des abendländischen Staates, 2 Bde., Darmstadt 21960, S. 169, sowie Ordo XXII A (wie Anm. 52) S. 385 (Nr. 9); Ordo XXIII, ebd., S. 478 (Nr. 22); Ordo XXIV, ebd., S. 537 (Nr. 27), und Ordo XXV, ebd., S. 585 (Nr. 71). 54 Vgl. Anm. 47 sowie den Bericht eines Ungenannten über den Einzug und die Krönung König Friedrichs III. in Aachen (1442), ed. RTA 16 (wie Anm. 34) S. 193 (Nr. 108 c. 3e/f : und darnach da daz ewengeli gelesen ward, da ging der herzog Lutwig pfalzgraf bei dem Rhein gen oppher und trueg vor dem allerdurchleichtigistn konig Fridrichen den koniklichen appel gein oppher. Und darnach der herzog von Sachsen trueg des kaisers Karls swert, und dere marcgraff auch da mitging.). 55 Vgl. Dela von Boeselager, Zur Salbung und Krönung in der Liturgie des Ordo, in: Brockhoff / Matthäus (Hgg.), Die Kaisermacher (wie Anm. 19), S. 338 – 345, bes. 344.

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geschehen, aufgrund der seit dem späten Mittelalter schleichenden Ersetzung des Begriffs Weihe (consecratio) durch Krönung (coronatio). Diese terminologische Entwicklung läßt sich sowohl im Reich56 als auch in England57 feststellen, ist aber kaum Ausdruck eines sich zunehmend säkularisierenden Verständnisses der Herrscherweihe. In England blieb ja der königliche Anspruch auf die religiöse Dimension der Herrscherwürde erhalten58 und im Reich galt die Krone als ein Zeichen der Heiligkeit59, wobei es im Prinzip gleichgültig war, welche Krone dem neuen Herrscher aufs Haupt gesetzt wurde. Wie der Besitz der (echten) Reichsinsignien unerheblich gewesen ist für die rechtmäßige Begründung einer Königsherrschaft und allenfalls in Konfliktsituationen als Argument für die Rechtmäßigkeit dienen konnte60, so war auch die sog. Reichskrone, die spätestens seit dem 14. Jahrhundert regelmäßig bei der Krönung verwendet und wohl seit der Mitte des 15. Jahrhunderts als eigentliche Krönungskrone verstanden worden sein dürfte61, nicht zwingend nötig bei der Herrscherweihe62. Bedeutete die erwähnte Änderung der Bezeichnung für den Gesamtverlauf der Thronerhebung, bedeutete dessen zunehmende Charakterisierung als coronatio eine 56

Vgl. Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 5), S. 684 f. Vgl. etwa Court of Claims of Richard II., ed. English Coronation Records (wie Anm. 16) S.131 Nr. 14 (Processus factus ad Coronacionem domini Regis Anglie Ricardi secondi); Forma et Modus (aus dem 15. Jahrhundert), ebd. S. 172 Nr. 16 (Princeps nouiter coronandus ante diem sue Coronacionis); Coronation of Richard III., ebd. S. 193 Nr. 18 (The Coronation of King Richard the Third); Emptions and Provisions of Stuff for the Coronation of Henry VII., ebd. S. 198 Nr. 19 (S. 199); Little Device for the Coronation of Henry VII., ebd. S. 219 Nr. 20 (S. 220: a little devise of the coronacion of the most high and mightie Christian Prince Henrie the vii); The Coronation Oath as Revised by Henry VIII., ebd. S. 240 Nr. 21 (This is the othe that the king shall swere at y[e] coronacion); The Coronation Order of King Charles I., ebd. S. 245 Nr. 23 (S. 246: Benedictio Olei in Coronatione Regis Caroli). 58 Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 175 – 181 und 230 – 272. 59 Vgl. den Mainzer Ordo (von etwa 960), ed. Cyrille Vogel / Reinhard Elze, Le pontifical romano-germanique du dixième siècle. Le texte I (Studi e testi 226), S. 246 Nr. 72 (hier S. 257 [22]: … coronam regni, … eamque sanctitatis gloriam et honorem et opus fortitudinis expresse signare intelligas, …), und Der Kölner Ordo (wie Anm. 33) S. 60 (… coronam regni, … quamque sanctitatis gloriam et fortitudinis expresse signare intelligas, …). Zu der vielschichtigen und nicht auf einen einzigen Aspekt beschränkten Bedeutung der Krone vgl. Joachim Ott, Vom Zeichencharakter der Herrscherkrone. Krönungszeremoniell und Krönungsbild im Mittelalter: der Mainzer Ordo und das Sakramentar Heinrichs II., in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (Frühe Neuzeit 25), Tübingen 1995, S. 534 – 571, bes. 547 – 555. 60 Vgl. Jürgen Petersohn, „Echte“ und „falsche“ Insignien im deutschen Krönungsbrauch des Mittelalters? Kritik eines Forschungsstereotyps (SBB d. Wiss. Gesell. a. d. Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Bd. XXX Nr. 3), Stuttgart 1993; ders., Die Reichsinsignien im Herrschaftszeremoniell und Herrschaftsdenken des Mittelalters, in: Die Reichskleinodien. Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 16), Göppingen 1997, S. 162 – 183. 61 Vgl. Arno Mentzel-Reuters, Die goldene Krone. Entwicklungslinien mittelalterlicher Herrschaftssymbolik, in: DA 60 (2004), S. 135 – 182, bes. 176. 62 Vgl. Petersohn, „Echte“ und „falsche“ Insignien (wie Anm. 60), S. 104 ff. 57

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Akzentuierung, eine Hervorhebung der Krönung im Gesamtverlauf der Herrscherweihe? Wurde der Krönungsakt seit dem späteren Mittelalter „als entscheidendes Ritualelement“63 bei der Thronerhebung begriffen, oder diente der Terminus ,Krönung‘ lediglich als „Sammelbegriff“64 für das liturgische Geschehen am Krönungstag? Die Quellen selbst äußern sich dazu nicht, weswegen allgemeine Beobachtungen und prinzipielle Erwägungen weiterhelfen müssen. Zunächst warnt der für England und das Reich gleiche Befund, nämlich die Krönung als pars pro toto der Thronerhebungshandlung aufzufassen65, vor einer Suche nach Gründen, die allein in der Geschichte des Reiches und besonders in dessen Wahlcharakter zu finden sind. Auch eine Entwertung der Salbung gegenüber der Krönung ist als Ursache für die terminologische Entwicklung kaum anzunehmen, zeigen doch theoretische Schriften, daß man gerade im späten Mittelalter an der Vorstellung vom sakralen Charakter des Monarchen festhielt66 und dabei im Salbungsakt einen ,rite de passage‘ erblickte67, durch welchen dem Herrscher sein besonderer Stand im Weltgefüge erst vermittelt wurde. Außerdem ist, wie bereits ausgeführt, die Krone im Reich als Zeichen der Heiligkeit begriffen worden68. Auffällig hingegen ist die Parallelität der Karrieren der beiden eng zusammengehörenden Begriffe ,Krönung‘ und ,Krone‘ im späteren Mittelalter. Beide Termini werden nämlich im 14. Jahrhundert verstärkt benutzt, um Heterogen-Vielschichtiges zusammenzufassen: der eine, wie erwähnt, um den gesamten Verlauf der Thronerhebungsfeier auszudrücken, und der andere, um differenzierte Herrschaftsrechte und unterschiedliche sowie gelegentlich überhaupt nicht zusammenhängende Herrschaftsgebiete als herrschaftliche Einheit auszuweisen und darüber hinaus „als Inbegriff des von der Person des Trägers losgelösten Königtums“ zu dienen69. 63

Büttner, Der Weg zur Krone (wie Anm. 5), S. 684. Ebd., wo auf S. 684 f. auch beachtenswerte Hinweise auf die Verfasserabhängigkeit der Verwendung der Begriffe Salbung und Krönung für die Thronerhebung stehen. 65 Vgl. Anm. 57. 66 Vgl. Anm. 13. 67 Vgl. Anm. 27 – 30, 32 und 33 sowie zur Salbung als Übergangsritus auch die grundsätzlichen Ausführungen von Annette Kehnel, Vom Rossopfer zur Kaiserkrönung?, in: Andreas Büttner u. a. (Hg.), Grenzen des Rituals. Wirkreichweiten – Geltungsbereiche – Forschungsperspektiven (Norm und Struktur 42), Köln 2014, S. 307 – 348, bes. 330 – 337 und hier insbesondere 330 („Im Akt der Herrschersalbung geht es nicht um ein materielles Zeichen der Macht, sondern um einen unmittelbar am Körper des Erwählten vollzogenen Heilsübertragungsakt, der Körper selbst wird gleichsam zum Herrschaftszeichen.“) und 336 („Es ist ein Akt der Insignierung des herrscherlichen Körpers …[,] der den Herrscherkörper verändert und die Heilsübertragung sichtbar zur Darstellung bringt, in einer sehr ephemeren Handlung … . Die Haut assimiliert das Heil – materialisiert im Salbungsöl – ganz unmittelbar. Die Aufnahme in den Körper hinterlässt nur sehr kurzfristig optisch sichtbare Spuren des erfolgten Sakralisierungsaktes.“). 68 Vgl. Anm. 59. 69 Vgl. Fritz Hartung, Die Krone als Symbol der monarchischen Herrschaft im ausgehenden Mittelalter, in: Manfred Hellmann (Hg.), Corona regni. Studien über die Krone als Sym64

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Zwar blieb der Sinn des Wortes ,Krone‘ vielschichtig, das zudem – je nach Verwendung – unterschiedliche Aspekte von Königtum und Königsherrschaft (Krongut, Hoheitsrechte und deren Unveräußerbarkeit, eine dem König übergeordnete Instanz sowie die allgemeine Hoheit und Herrschaftsgewalt des Königs70) zum Ausdruck bringen kann; aber der Hinweis auf das Königtum als einer überindividuellen und dauerhaften Institution schwingt bei seinem Gebrauch seit dem späteren Mittelalter fast immer mit. Am frühesten, nämlich seit dem 12. Jahrhundert, läßt sich diese Karriere der Krone in England und Frankreich greifen71, doch ist sie ein Jahrhundert später auch in Ungarn und zwei Jahrhunderte später in Böhmen und Polen72 sowie prinzipiell auch in Aragon erkennbar73. Europaweit bezeichnete mithin die ,Krone‘ im Spätmittelalter und darüber hinaus die „Macht und Würde des Herrschers, losgelöst von seiner Person“74; nur im Reich gibt es kaum eine Spur von diesem Kronbegriff75. Freilich war er auch hier nicht völlig unbekannt, wurde doch 1353 das Königreich Böhmen in kurfürstlichen Willebriefen als gelyet der Romischen cronen76 bol des Staates im späteren Mittelalter, Weimar 1961, S. 1 – 69 [erstmals 1940 und auch in: Fritz Hartung, Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, S. 9 – 61], bes. S. 2 (wo das Zitat zu finden ist), 7, 34, sowie den zusammenfassenden Überblick in der in Anm. 72 genannten Studie von Jan Da˛browski (S. 416 – 442). 70 Zu Einzelheiten vgl. die in der vorhergehenden Anm. genannten Studien. 71 Vgl. ebd. S. 6 ff. sowie 27 ff. und S. 418 ff. sowie 420 ff. und Josef Karpat, Zur Geschichte des Begriffs Corona regni in Frankreich und England, in: Hellmann (Hg.), Corona regni (wie Anm. 69), S. 70 – 155. 72 Vgl. die entsprechenden Beiträge in dem in Anm. 69 genannten Sammelband ,Corona regni‘: S. 225 – 398, Josef Karpat, Corona regni Hungarie im Zeitalter der Arpaden [erstmals Preßburg 1937], bes. 232 – 256 und insbesondere 239 – 256; S. 198 – 24, Joachim Prochno, Terra Bohemiae, regnum Bohemiae, corona Bohemiae [erstmals Salzburg 1953], bes. 198 und 218; S. 399 – 548, Jan Da˛browski, Die Krone des polnischen Königtums im 14. Jahrhundert. Eine Studie aus der Geschichte der Entwicklung der polnischen ständischen Monarchie [erstmals Breslau/Krakau 1956], bes. 443, und S. 156 – 197, Alexander V. Soloviev, Corona regni. Die Entwicklung der Idee des Staates in den slawischen Monarchien [erstmals Lwów 1933], S. 156 – 197, bes. 163 – 170. 73 Vgl. Da˛browski, Die Krone des polnischen Königtums (wie Anm. 72), S. 423 mit Anm. 28. 74 Ebd. S. 418. Vgl. auch Hans Hirsch, Das Recht der Königserhebung durch Kaiser und Papst im hohen Mittelalter, in: Festschrift Ernst Heymann I: Rechtsgeschichte, Weimar 1940, S. 209 – 249, bes. 209. 75 Vgl. Hartung, Die Krone als Symbol (wie Anm. 69), S. 50 f. 76 Willebriefe über die Verpfändung Egers an die Krone Böhmens von Gerlach von Mainz, Wilhelm von Köln, Ruprecht von der Pfalz, Ludwigs des Römers von Brandenburg und Balduins von Trier, ed. Johann Christian Lünig, Codex Germaniae Diplomaticus I, Franckfurt und Leipzig 1732, S. 1117 f. Nr. 137 (1353 Dez. 4, ed. Wenceslaus Hruby´, Archivum Coronae Regni Bohemiae II, Prag 1928, S. 378 Nr. 305: das kungrich zu Behem ein edlez und wirdiges gelyet ist der Romischen cronen [S. 381] – regnum Boemie imperialis corone dignum quidem et nobile membrum [S. 379]) = 1119 f. Nr. 138 (1353 Dez. 4) = 1119 f. Nr. 139 (1353 Dez. 4) = 1121 f. Nr. 140 (1355 Dez. 3) = 1123 f. Nr. 141 (1353 Dez. 22); vgl. Hruby´, Archivum, S. 382 Nr. 306, 383 Nr. 307 und 394 Nr. 317, sowie die Dokumente zur Geschichte des

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charakterisiert und sprachen 1454 nach Auskunft des Enea Silvio Piccolomini77 ein fränkischer Ritter (eques quidam Franco, homo minime malus) auf dem Regensburger Reichstag in seiner Klage über die Zustände im Reich sowie der Bischof von Gurk in seiner Antwort auf diese von der corona nostra und den iura corone. Allerdings hat im Heiligen Römischen Reich die übergroße Bedeutung, die das Imperium für das historisch-politische Bewußtsein und als integrativ-überwölbender Begriff besaß, die umfassende Ausgestaltung einer dem west- und osteuropäischen Verständnis vergleichbare transpersonale Vorstellung von der Krone verhindert78. Die territoriale Ausdifferenziertheit des Reiches dürfte dazu ein Übriges beigetragen haben. Jedoch spricht die im Imperium anders als im übrigen Europa verlaufene Entwicklung des corona-Begriffs nicht gegen dessen Einwirken auf den im Reich feststellbaren Aufstieg des Wortes Krönung als Bezeichnung für die Gesamtheit der kirchlichen Thronerhebungsfeier. Denn einerseits war hier, wie die angeführten Beispiele belegen, die west- und osteuropäische Bedeutung von corona nicht nur bekannt, sondern konnte sogar auf die Verhältnisse im Reich angewendet werden; andererseits ist es nichts Ungewöhnliches, wenn besondere Umstände eine allgemeine Entwicklung in bestimmten Regionen nicht voll zur Entfaltung kommen lassen: Verhinderte der hohe Rang, den das Imperium – nicht zuletzt auch als heilsgeschichtliche Größe79 – in der Vorstellungswelt der Reichsbewohner einnahm, eine Rezeption des Verständnisses der Krone als Inbegriff der monarchischen Herrschaft, so ließ in gleichsam spiegelbildlicher Analogie dazu die besondere Bedeutung der mit Himmelsöl vollzogenen und nach allgemeiner Ansicht die Befähigung zur Skrofelnheilung vermittelnde Salbung80 es in Frankreich nicht zu, le sacre hauptsächlich als Krönung zu verstehen, obwohl die Vorstellung von der co-

Deutschen Reiches und seiner Verfassung. 1350 – 1353, bearb. von Margarete Kühn, MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum X, Weimar 1979 – 1991, S. 545 Nr. 729 a–d, und Da˛browski, Die Krone des polnischen Königtums (wie Anm. 72), S. 424 Anm. 29, sowie Hans Schreuer, Die rechtlichen Grundgedanken der französischen Königskrönung. Mit besonderer Rücksicht auf die deutschen Verhältnisse, Weimar 1911, S. 74. 77 Ed. im Nachwort von Corona regni (wie Anm. 69) S. 549 und von Helmut Weigel / Henny Grüneisen, Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Fünfte Abt., erste Hälfte: 1453 – 1454 (RTA 19/1), Göttingen 1969, S. 280 (Nr. 36 b und c). 78 Vgl. Hartung, Die Krone als Symbol (wie Anm. 69), S. 50 f., sowie zur Bedeutung des Reiches in der spätmittelalterlichen Vorstellungswelt Franz-Reiner Erkens, Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter, in: Helmut Knüppel u. a. (Hg.), Wege und Spuren. Verbindungen zwischen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard (Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam 10), Berlin 2007, S. 223 – 239, bes. 226 mit Anm. 14 – 16. 79 Vgl. Erkens, Anmerkungen (wie Anm. 78), S. 226 – 230 und 236 f. 80 Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 1), bei Anm. 130 und 197 und 207 – 229.

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rona Franciae hier ansonsten mehr als geläufig war81 und unter Karl V. sogar einmal Eingang in den Krönungseid82 fand. Die Krone, bereits um 835 als insigne imperii charakterisiert83, eignete sich als auffälligstes Zeichen der königlichen Würde freilich besonders gut dazu, die monarchische Herrschaft zu symbolisieren. Beim Krönungsakt wurde sie seit dem späteren Mittelalter in Deutschland als sanctitatis gloria et fortitudinis, in Frankreich als sanctitatis gloria et honor und ebenso wie in England als corona glorie atque iusticie bezeichnet84. Mit ihr konnte leicht die Vorstellung von Königsherrschaft verbunden werden: Wer sie trug war König und was er beherrschte gehörte zur Krone. Wurde sie einem neuen Herrscher während der Krönungsfeier auf das Haupt gesetzt, waren sie und der frisch gekrönte Monarch weithin erkennbar, während die Salbung und ihre körperliche Wirkung – ganz zu schweigen von ihrer ideellen – den meisten Zuschauern verborgen blieb. Was lag mithin näher, als den Akt des Kronenaufsetzens zum Namengeber für die gesamte liturgische Feier der Thronerhebung zu machen? Im Reich paßte dies zudem vorzüglich mit der frühneuzeitlichen Auffassung zusammen, die Krönung sei ein publicum preconium, eine öffentliche Vorstellung des neuen Herrschers85, denn für die Menge war der vorzustellende, frisch geweihte König auch in größerer Entfernung leicht an der Krone erkennbar. Die spätmittelalterliche Herrscherweihe, so sehr sie in einzelnen Teilen fortentwickelt worden ist und auf diese Weise ein Angleichen an geänderte Vorstellungen und Verfassungsverhältnisse erfuhr und so sehr sich im Binnenverhältnis von Wahl und Krönung die konstitutiven Gewichte zugunsten der Wahl verschoben: die Herrscherweihe ist dennoch zu keiner quantité negligeable, zu keinem bedeutungslosen und im Grunde verzichtbaren, allein aus Gründen pietätvoller Tradition vollzogenen Anhang der Königswahl geworden. Sie blieb wichtig nicht allein wegen ihrer vor allem in der frühen Neuzeit betonten Funktion als Präsentation des neuen Herrschers vor der Öffentlichkeit, eines zweifellos bedeutsamen Aktes, sondern wegen der religiösen Bezüge, in denen der König und Kaiser stand und die

81 Vgl. die Belege, die sich bei Hartung, Die Krone als Symbol (wie Anm. 69), S. 28 – 49; Karpat, Zur Geschichte (wie Anm. 71), S. 76 – 108, und Da˛browski, Die Krone des polnischen Königtums (wie Anm. 72), S. 421 f., finden. 82 Vgl. den Ordo of Charles V, ed. Jackson (wie Anm. 15), S. 476 (Ordo XXIII Nr. 19: … promitto: … ut superioritatem, iura et nobilitates corone Francie inviolabiliter custodiam et illa nec transportabo nec alienabo.). 83 Vgl. Annales de Saint-Bertin, publ. par Félix Grat, Jeanne Vielliard et Suzanne Clémencet, Paris 1964, S. 16 ( a. 835: coronam insigne imperii). 84 Vgl. Anm. 59 sowie (etwa) den Ordo of Charles V., ed. Jackson (wie Anm. 15), S. 499 (Ordo XXIII Nr. 63 und 65), und den Liber Regalis, ed. English Coronation Records (wie Anm. 16), S. 96 (Nr. XIII), sowie den Coronation Order of Charles I., ebd., S. 261 (Nr. XXIII: Crowne of glorie and righteousnes). 85 Vgl. Anm. 9.

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erst spät und nur allmählich verblaßten86. Solange der Herrscher als von Gott erwählt galt und seine Herrschaft als göttlicher Auftrag begriffen wurde, konnte dies auch kaum anders sein. In der juristischen Diskussion vollzog sich dabei ähnlich wie in Frankreich eine rechtliche Abwertung der Weihe; aber ebenso wie in Frankreich, freilich nicht in gleichem Maße, scheint auch im Reich das Bewußtsein lebendig geblieben zu sein vom Charakter der Salbung als eines ,rite de passage‘, als einer auf die Persönlichkeit einwirkenden Handlung. Davon zeugen nicht nur das Gebet, das bis 1792 nach der Salbung gesprochen worden ist, und der Kleiderwechsel nach deren Vollzug87, das belegt auch die Auffassung der Entourage des unglücklichen Karl VII., die sich 1742 durch die Krönung des Wittelsbachers eine Festigung von dessen Herrschaft erhoffte88, und davon sprach der Kölner Koronator, als er 1442 während der Herrscherweihe die Frage stellte89, ob der Herzog von Österreich ,zum König gemacht und gekrönt werden solle‘. Kann es da noch überraschen, wenn der damals schon längst gewählte Friedrich III. nach Ansicht einiger über die Krönung berichtenden Autoren90 zu˚ kúnglichem weßen gesalbt worden ist, nachdem die Frage des Kölner Metropoliten bejaht worden war?

86 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: ders. (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 7 – 32, bes. 16 ff.; ders., Herrschersakralität (wie Anm. 1), S. 223 ff., und ders., Herrschersakralität. Ein Essai, in: Andrea Beck / Andreas Berndt (Hg.), Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen (Beiträge zur Hagiographie 13), Stuttgart 2013, S. 15 – 32, bes. 28 – 31, sowie speziell mit Blick auf die Krone und ihren Symbolgehalt Hans-Jürgen Becker, Die Symbolik der Reichskleinodien, in: Die Reichskleinodien (wie Anm. 60), S. 146 – 161, bes. 157 („Zwar machten die Krone und die anderen Reichskleinodien den Gekrönten nicht zum Herrscher, ihr Besitz aber zeigt aller Welt an, daß ihr Inhaber Herrscher ist … Die ,corona regni‘, die den transpersonalen Charakter der Monarchie verkörpert, macht sichtbar, was unsichtbar ist: Dieser König und Kaiser ist Teil der göttlichen Herrschaftsordnung und steht damit auch in der Verantwortung vor Gott.“). 87 Vgl. Der Kölner Ordo (wie Anm. 33), S. 58 (Spiritus sancti gracia humilitatis nostre officio in te copiosa descendat, ut sicut manibus nostris indignis oleo materiali delibutus pinguescis exterius, ita eius invisibili unguine delibutus inpinguari merearis interius, eiusque spirituali unctione perfectissime semper imbutus, et illicita declinare tota mente et spernere discas seu valeas, et utilia anime tue iugiter cogitare, optare atque operari queas, …) und 57 f., sowie oben Anm. 33 und 32. 88 Vgl. Anm. 39. 89 Vgl. Anm. 34. 90 Vgl. Berichte (wie Anm. 34) S. 199.

V. Überblick und Ausblick

Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft zwischen Spätantike und Neuzeit In* der modernen Geschichtswissenschaft wird gelegentlich der Begriff „anthropologische Konstante“ verwendet. Jedoch ist nicht immer klar, was genau er beschreiben soll: ein Phänomen, das gleichsam in den Genen der Menschheit angelegt ist, oder eine Erscheinung, die sich weltweit während gewisser Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung in nahezu allen politischen Gemeinschaften aufErstdruck (mit hier nicht reproduzierten Abbildungen unter dem Titel „Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft“) in: WBG-Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert III. Weltdeutungen und Weltreligionen. 600 bis 1500, hg. von Johannes Fried und Ernst-Dieter Hehl, Darmstadt 2010, S. 279 – 305. * Literatur: Armand Abel, Le Khalife, présence sacrée, in: Studia Islamica 7 (1957) S. 29 – 45; Aziz Al-Azmeh, Muslim Kingship. Power and the Sacred in Muslim, Christian, and Pagan Polities, London / New York 1997; ders., / János Bak (Hgg.), Monotheistic Kingship. The Medieval Variants, Budapest 2004; Thomas W. Arnold, The Caliphate, Oxford 1924, New edition with a concluding chapter by Sylvia G. Haim, London 1965 / New York 1966; Egon Boshof, Europa im 12. Jahrhundert. Auf dem Weg in die Moderne, Stuttgart 2007; Patricia Crone / Martin Hinds, God’s Caliph. Religious authority in the first centuries of Islam (= University of Cambridge Oriental Publications 37), Cambridge 1986, 22003; Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006 (mit umfänglichem Verzeichnis der einschlägigen Literatur); ders., Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter, in: Helmut Knüppel u. a. (Hgg.), Wege und Spuren. Verbindung zwischen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard (= Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam 10), Berlin 2007, S. 223 – 239; ders., Reflexionen über das sakrale Königtum germanischer Herrschaftsverbände, in: Matthias Becher / Stefanie Dick (Hgg.), Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter (= MittelalterStudien 22), München 2010, S. 87 – 95; Helmut Kluger, Bischof und König in Dänemark um das Jahr 1100, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich (= AKG Beiheft 48), Köln 1998, S. 321 – 342; Andreas Kosuch, Abbild und Stellvertreter Gottes. Der Herrscher in herrschaftstheoretischen Schriften des späten Mittelalters (= Passauer Historische Forschungen 17), Köln 2011; Jürgen Miethke, Politiktheorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm Ockham, Tübingen 2008 [1. Aufl. 2000 als 16. Bd. der Neuen Reihe ,Spätmittelalter und Reformation‘ unter dem Titel: De potestate papae – Die päpstliche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham]; Rudi Paret, Halı¯fat Alla¯h – Vicarius Dei. Ein differenzierender Vergleich, in: ˘ Pierre Salomon (Hg.), Mélanges d’Islamologie. Volume dédié à la mémoire de Armand Abel par ses collègues, ses élèves et ses amis, Leiden 1974, S. 224 – 232; Tilman Struve, Regnum und Sacerdotium, in: Pipers Handbuch der politischen Ideen II. Mittelalter: Von den Anfängen des Islams bis zur Reformation, München 1993, S. 189 – 242; Christian Zgoll, Heiligkeit – Ehre – Macht. Ein Modell für den Wandel der Herrschaftskonzeption im Spätmittelalter am Beispiel der byzantinischen Kydonesbriefe (= Passauer Hist. Forschungen 16), Köln 2007.

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finden läßt und vornehmlich strukturell bedingt ist. Eher in letztgenanntem Sinne zu begreifen ist die enge Verflechtung von Religion und Herrschaft, die bis in die Moderne hinein zu fast allen Zeiten nahezu überall auf der Erde anzutreffen ist und deren Kern das Nahverhältnis der jeweiligen Herrschaftsträger zum Numinosen darstellte. Die enge Verbindung zu einer himmlischen Macht, als deren irdische Erwählte und Sachwalter die Herrscher auftraten, schuf eine besondere Legitimation und dürfte in religiös geprägten Gesellschaften oftmals nicht nur Herrschaftspropaganda gewesen sein, sondern tatsächlich geglaubte Wirklichkeit. Die Begründung der Herrschaft mit Hilfe sakraler Bezüge entspricht nämlich uneingeschränkt dem religiösen Denken vormoderner Gesellschaften, entspricht einer Art der Welterklärung, durch welche die Ordnung von Welt und Kosmos auf die Götter, einen Schöpfergott oder ein numinoses Prinzip zurückgeführt wird und die deshalb in der göttlichen Ordnungsmacht ebenfalls den Existenzgrund für das Königtum und seine Inhaber erblickt. Je entwickelter eine solche Gesellschaft gewesen ist, je stärker die Herrschaft, deren Träger und Sachwalter organisiert waren und von der beherrschten Bevölkerung abgehoben erschienen, um so intensiver hat sich die religiöse Herrschaftslegitimation entfaltet und um so entwickelter erscheint der sakrale Charakter des Königs, dessen Sakralität stiftendes Nahverhältnis zum Numinosen nicht allein durch den Glauben an die Erwählung des Herrschers durch (einen) Gott sowie durch die Vorstellung von der irdischen Stellvertreterschaft (eines) Gottes durch den Herrscher begründet wurde, sondern auch durch die priesterliche oder priesterähnliche (sazerdotale) Verantwortung des Herrschers für das Wohl der politischen Gemeinschaft und ihrer Mitglieder. Wie der Pharao im Alten Ägypten, die hellenistischen Herrscher nachalexandrinischer Zeit oder – zumindest nach dem Tode, aber vielleicht auch schon davor – die römischen Kaiser, wie aber auch noch bis in den Beginn des 21. Jahrhunderts hinein der König des hinduistischen Staatswesens in Nepal konnte der König in polytheistischen Gesellschaften dabei sogar selbst als Gott erscheinen oder doch zumindest als Sohn einer Gottheit. Anteil am Göttlichen besaßen darüber hinaus die Kaiser von China und von Japan, deren Herrschaftsauftrag als himmlisches Mandat galt. In paganen Religionen hatte der Herrscher aber auch eine besondere Kultverantwortung, nicht unbedingt für alle Kulte seines Herrschaftsraumes, wohl aber für die staatserhaltenden Riten, deren Vollzug pünktlich vorzunehmen war, wollte man nicht das Wohl des Volkes, die eigene Existenz oder gar den Bestand des Kosmos gefährden. Natürlich gab es daneben Priester und Priesterkollegien, jedoch nicht unbedingt eine stark organisierte und exklusive Priesterschaft wie das Christentum sie kennt. Wo es jedoch solche Priesterschaften gab, da konnte es auch zu Konflikten zwischen ihnen und dem religiös legitimierten Herrscher kommen. In Gesellschaften monotheistischen Glaubens gestalteten sich die Verhältnisse etwas anders, aber doch vergleichbar: Natürlich konnte in ihnen der König kein Gott oder Gottessohn, aber doch Gottes Stellvertreter auf Erden sein, wie es bereits der König im alttestamentlichen Judentum war, der seit Etablierung seiner Würde eigens gesalbt wurde und als Gesalbter des Herrn sakrosankt war sowie eine be-

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sondere Legitimation genoß. Diese irdische Stellvertretung Gottes bedeutete dabei nicht unbedingt eine Minderung der sakralen Stellung des Königs gegenüber jenen Herrschern, die selbst als Gott verehrt wurden oder göttlicher Abstammung waren, denn der Gott, dem die Herrscher über eine monotheistische Glaubensgemeinschaft als Vikare dienten, hatte als Schöpfergott, der in der Transzendenz thront, eine andere Qualität als die heidnischen Götter menschlichen Zuschnitts. Als die römischen Kaiser im 4. Jahrhundert Christen wurden und auf ihre Divinität verzichten mußten, steigerten sie daher ihre Sakralität sogar eher als daß sie diese minderten. Damals flossen zwei Traditionsströme sakraler Herrschaftslegitimierung zusammen. Beide entsprangen im Alten Orient und im Alten Ägypten, doch wurde der eine über den Hellenismus und das römische Kaisertum und der andere über das Alte Testament vermittelt. Zusammen bewirkten sie eine ungeheure Steigerung des sakralen Ansehens der christlichen Kaiser Roms, die – mit Ausnahme von Glaubensfragen im engeren Sinne – das natürliche Orientierungszentrum für eine hierarchisch noch nicht voll ausgebildete Kirche darstellten. Konvergenz In dieser Gestalt einer religiös überhöhten Autorität, deren Träger der Stellvertreter und das Abbild Gottes auf Erden war, Synoden einberufen, an diesen teilnehmen und ihre Tagesordnung bestimmen durfte, weitreichende Wirkmöglichkeiten selbst innerhalb der Kirche besaß und sich verantwortlich wußte für das Seelenheil der Reichsangehörigen, in der Gestalt einer quasigeistlichen Größe also, die jeden Grundsatzkonflikt mit geistlichen Gewalten erfolgreich überstand, lebte das römische Kaisertum am Bosporus nahezu bis zum Ende des Byzantinischen Reiches im Jahre 1453 fort. Vor allem aber wirkte es als Vorbild für die germanischen Könige, die ihre Herrschaftsgebilde auf dem Boden des weströmischen Reiches errichteten und selbst in einer wohl nur schwach ausgebildeten, aber ausbaufähigen Sakraltradition standen. Es diente dabei nicht zuletzt als eine Orientierungshilfe für alle Lenker der frühmittelalterlichen Staatswesen, die sich mehr und mehr die herrschaftsbegründenden Elemente der christlichen Kaiseridee zu eigen machten. In die Vermittlung dieser antiken Tradition sind wohl nur wenige germanische Elemente eingeflossen und auf diese haben vor allem keine besonderen Königsheilvorstellungen germanischer Prägung eingewirkt, weil es sie, anders als eine ausufernde Germanenforschung meinte, gar nicht gegeben hat. Diese Vermittlung der antiken Tradition, die Adaption, Fortentwicklung und Weiterreichung des sakral getönten Herrschaftsgedankens antik-alttestamentlichen Ursprungs an die mittelalterlichen Staatswesen in Europa geschah in einem besonderen Maße durch das karolingische Großreich, in dem der merowingische Status königlicher Sakralität mit der im westgotisch-iberoromanischen Raum seit dem späten 6. Jahrhundert geformten Idee vom christlichen Königtum sowie mit der paganen Vorstellungen in christlichem Sinne aufnehmenden irischen Königslehre verknüpft und zu neuer

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Intensität gesteigert wurde. Das Zentrum dieser Vorstellung vom Königtum, die durch die Etablierung eines abendländischen Kaisertums durch Karl den Großen an Weihnachten 800 nur noch unwesentlich ausgestaltet worden ist, und den Kern der karolingischen Königsidee bildete die Gerechtigkeit (iustitia) und die Ansicht, der König habe gerecht, habe ein rex iustus zu sein. Die iustitia aber mußte nicht allein in der königlichen Gerichtspraxis und der herkömmlichen Gerechtigkeitsübung verwirklicht werden, sondern sie betraf auch die Lebensführung des Königs, der nur dann ein gottgefälliges Regiment führte, wenn er sich den religiösen und moralischen Geboten des Christentums unterwarf und diese erfüllte. Versagte er in der Gerechtigkeitspflege oder in dem persönlichen, mit dem öffentlichen Wirken jedoch auf das engste verquickten Lebensbereich, dann wurde der Herrscher zu einem rex iniquus, dessen verfehltes Verhalten die schlimmsten Folgen für das ihm anvertraute Volk zeitigte – nämlich Niederlagen im Kampf mit äußeren Feinden und innere Zwietracht ebenso wie Seuchen, Hungersnöte und Wetterkatastrophen –, wie unter Rückgriff auf irische Quellen von manchen karolingischen Geistlichen bis zum Ende des 9. Jahrhunderts immer wieder betont worden ist. Diese Königslehre besaß zweifellos eine ausgeprägte paränetische Dimension, verstärkte aber zugleich auch die sich gegen Ende des 8. Jahrhunderts ohnehin intensivierende Sakralität des karolingischen Herrschers. Ihren Ausdruck fand diese gesteigerte Herrschersakralität schließlich in der Herrscherweihe, deren zentralen Elemente Salbung und Krönung waren. Für die Begründung des herrscherlichen Nahverhältnisses zu Gott ist die Salbung ursprünglich nicht nötig gewesen; sie war daher auch nicht im eigentlichen Sinne sakralitätsstiftend, weswegen der byzantinische Basileus bis in das 13. Jahrhundert hinein ohne sie auskam und in iberischen Königreichen gegen Ende des Mittelalters wieder auf sie verzichtet werden konnte. Aber sie gewann seit der Mitte des 9. Jahrhunderts eine gesamteuropäische Bedeutung und konnte schließlich sogar als entscheidender Akt zur Vermittlung der göttlichen Gnade für den neuen Herrscher erscheinen, als Herrschaftslegitimation und -initiation zugleich, die bei den englischen und französischen Königen schließlich sogar seit dem 12./13. Jahrhundert die Fähigkeit zur Krankenheilung aktivierte. Dunkel sind zwar die Ursprünge der Königssalbung, die im Frankenreich wohl erstmals 751 bei der Thronbesteigung Pippins des Jüngeren stattfand. Um so deutlicher jedoch ist die Analogie zur Priester- und Bischofsweihe, welche die Herrschersalbung in ausgestalteter Form aufweist und seit dem letzten Drittel des 9. Jahrhunderts durch Krönungsordines belegt ist, mithin also seit dem Augenblick, in dem die Verbreitung des Salbungsbrauches im ganzen abendländischen Europa durch das salbungspolitische Wirken des westfränkischen Karolingers Karl des Kahlen (843 – 877) einsetzte. Nichts kann die enge Beziehung, ja Verflechtung von weltlichem und geistlichem Bereich besser veranschaulichen als diese Analogie, denn offenbar ist sie das Ergebnis einer Wechselwirkung und nicht bloß das Resultat einer einfachen Übernahme geistlicher Gebräuche durch weltliche Gewalten. Darüber auskunftgebende Quellen fließen allerdings nur spärlich, doch hat es ganz

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den Anschein, als ob die in der Kirche lange ungebräuchliche Salbung von mit besonderen Funktionen betrauten Personen während des früheren 8. Jahrhunderts in Teilen des Frankenreichs bei der Priesterweihe praktiziert wurde, neben anderen möglichen Vorbildern auf die karolingische Königssalbung einwirkte und erst von dieser aus wiederum die Entwicklung der Bischofsweihe beeinflußte. Diese Konvergenz von weltlichem und geistlichem Bereich läßt sich an anderen Bezügen ebenfalls feststellen, in besonderem Maße natürlich an der königlichen Kirchenhoheit. Diese war eine wichtige Prärogative des christlichen Königtums, obwohl das in die Antike zurückreichende Kirchenrecht vor allem die Unabhängigkeit des geistlichen Bereichs betonte und die Autonomie der Kirche in eigenen Angelegenheiten zu wahren suchte. In der Zeit des heidnischen Kaisertums verstand sich dies ohnehin von selbst, zumal die meisten Christen Distanz zum paganen Staatswesen hielten, ohne dieses grundsätzlich abzulehnen. Diese Situation änderte sich jedoch durch die Christianisierung des Imperiums, in deren Verlauf nicht nur die christlichen Einwohner, sondern auch die Geistlichen in den Dienst der weltlichen Herrschaft genommen werden konnten und die römischen Kaiser einen zum Teil sehr weitreichenden Einfluß auf kirchliche Angelegenheiten gewannen. Dies geschah keinesfalls allein aus Anmaßung, sondern mehr noch deshalb, weil an die Imperatoren kirchliche Probleme zur Entscheidung herangetragen wurden und man gerade Konstantin dem Großen eine besondere Stellung gegenüber der Kirche zubilligte. Zwar setzte schon nach dessen Tode das Bemühen um eine Eindämmung der überragenden kaiserlichen Position innerhalb der Kirche ein, doch vermochten – wie bereits gesagt – die oströmisch-byzantinischen Herrscher ihre herausragende Stellung in der orthodoxen Kirche bis zum Untergang Konstantinopels zu wahren – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich in der griechischen Kirche keine dem Papsttum vergleichbare hierarchische Spitze ausbildete. Eine solche gab es freilich im römischen Westen zunächst auch nicht, weswegen die Kaiser hier anfänglich ebenfalls einen dominierenden Einfluß im geistlichen Bereich ausüben konnten. Dies wirkte – ebenso wie die gegenläufige, den weltlichen Einfluß mindernde Tendenz – nach und gehörte als königliche Kirchenhoheit zum antiken Erbe des abendländischen Mittelalters. Die Sakralität des Herrschers erhöhte dabei bei den Geistlichen die Akzeptanz dieses herrscherlichen Einflusses, milderte die Kirchenhoheit in gewisser Weise ab und fundierte diese zugleich in der Praxis, ohne sie jedoch im eigentlichen Sinne zu begründen. Ausfluß der Kirchenhoheit war natürlich auch die herrscherliche Gewohnheit, an der Besetzung von Bistümern mitzuwirken. Allerdings stand die Bistumsbesetzungspraxis lange nicht im Vordergrund des herrscherlichen Handelns gegenüber der Kirche, konnte dies, obwohl natürlich immer ein grundsätzliches Interesse der Staatsgewalt an der Auswahl loyaler Bischöfe bestand, auch gar nicht, solange die Herrschaftsgebiete von großem Umfang und die in ihnen vereinten Bischofssitze zahlreich sowie in der Masse politisch unbedeutend waren. Erst der Zerfall des Imperium Romanum – in dem es immerhin etwa 2000 Bistümer gab – und die Herausbildung kleinerer Reichsgebilde eröffneten der kirchlichen Personalpolitik

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der Könige neue Spielräume. Besonders im Reich der Ottonen und Salier sollte dies im 10. und 11. Jahrhundert von besonderer Bedeutung werden. Unter den ottonischen und salischen Herrschern kam es in Orientierung an karolingische Vorgaben und Vorbilder zu einer Intensivierung traditioneller Vorstellungen über die Herrschersakralität und das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt. Diese Entwicklung dürfte nicht zuletzt auch durch die Übernahme der abendländischen Kaiserwürde im Jahre 962 gefördert worden sein, da durch diese imperiale Traditionen aufgegriffen und verstärkt wurden. In der Praxis führte dies im Reich nördlich der Alpen zu einem zwar nicht immer störungsfrei funktionierenden, aber doch recht engen Wirkverbund von Episkopat und einem Kaiser, der in Ausübung seines auf langer Gewohnheit beruhenden Bistumsbesetzungsrechtes eine eigene, allerdings unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzte kirchliche Personalpolitik betrieb. Neben dem Bischofsstab, der seit dem Ende des 9. Jahrhunderts als Investitursymbol bei der Übertragung eines Bistum verwendet wurde, überreichten die Salierkaiser seit Heinrich III. (1039 – 1056) als weiteres Investitursymbol einen Ring, also das Zeichen für die geistliche Vermählung des Bischofs mit seiner Kirche. Indem Heinrich III. diese Neuerung einführte, machte er deutlich, daß er als Sachwalter Gottes auf Erden den neuen Bischof nicht nur in die weltlichen, sondern auch in die geistlichen Aufgaben seines Amtes einführte. Die Konvergenz von geistlichem und weltlichem Bereich, die seit dem Wirken Karls des Großen und seines Sohnes Ludwig des Frommen nicht mehr in vergleichbarem Maße deutlich geworden war, gelangte damit zu einem neuen Höhepunkt. In tiefer Religiosität und durchdrungen von einem unerschütterlichen Glauben an die eigene göttliche Beauftragung hat der zweite Salierkaiser in der Tat das Unmögliche versucht, indem er das christliche Liebesgebot als Herrscher verwirklichen wollte; vor allem aber hat er die Kirchenreform gefördert und ihr schließlich in Rom selbst zum Durchbruch verholfen, als er drei um das Amt rivalisierende Päpste, die seinen strengen Maßstäben an eine untadelige Amtsführung nicht entsprachen, von der cathedra Petri vertrieb und Reformpäpste einsetzte. Allerdings ist dieser Eingriff, so sehr er auch die Kirchenreform förderte und von führenden Reformern begrüßt wurde, nicht ohne Kritik geblieben. Diese zeitigte zwar noch keine Folgen, doch läßt sie ansatzweise den Wandel erkennen, der in der Mitte des 11. Jahrhunderts Verständnis und Verhältnis der beiden höchsten Gewalten Papsttum und Kaisertum ergriff. In dem Vierteljahrtausend seit dem Wirken Karls des Großen war es eben nicht nur zu einer Ausgestaltung und Intensivierung der Herrschersakralität gekommen, sondern innerhalb der Kirche hatte eine Entwicklung eingesetzt, die zu einer stärkeren Bewußtwerdung der juridischen Grundlagen nicht zuletzt des Papsttums führte: Was schon seit Jahrhunderten in der Theorie feststand und im Kirchenrecht verankert war, sollte jetzt auch in der Praxis wirksam werden: der Primat des Papsttums – nunmehr verstanden auch als eine aktive Leitung der lateinischen Gesamtkirche.

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Von diesem neuen Bewußtsein war natürlich auch die mit weitreichenden Befugnissen gegenüber der Kirche verbundene Stellung des sakralen Herrschers betroffen. Wie wichtig die Herrschersakralität für die Legitimierung des Eingreifens in kirchliche Verhältnisse sein konnte, lehrt eine Äußerung des 1018 verstorbenen Chronisten und Merseburger Bischofs Thietmar, der allein dem Kaiser und König als dem Stellvertreter des höchsten Lenkers (Chron. I 26: summi rectoris vice) das Recht auf die Vergabe von Bistümern einräumt, während er entsprechende Maßnahmen anderer laikaler Gewalten mißbilligt. Diese Feststellung zeigt einerseits, daß sich die Geistlichkeit mancherorts mit innerkirchlichen Eingriffen des in keiner Weise sakral legitimierten Laienadels abfinden mußte, daß die Kirchenhoheit eben auch zu einem guten Teil eine reine Machtfrage war, belegt andererseits jedoch auch, daß dies als ein zu bekämpfender Mißstand begriffen wurde und allenfalls dem König als einem Gesalbten des Herrn kirchliche Mitwirkungsrechte zugestanden werden konnten. Daher richtete sich der nach 1050 spürbar werdende Kampf der römischen Reformer gegen die Laieninvestitur zunächst auch nicht gegen den König, obwohl dieser mittlerweile und im Gegensatz zu früheren Zeiten voll und ganz unter die Schar der Laien gerechnet wurde. Allerdings waren die kurialen Reformer nunmehr von dem päpstlichen Vorrang zumindest in kirchlichen und religiösen Angelegenheiten überzeugt und nicht mehr bereit, die herkömmliche Präponderanz des König- und Kaisertums länger zu dulden. Dies bedeutete – wie gesagt – zunächst keine Auflösung des geistlich-weltlichen Synergismus herkömmlicher Art, wohl aber eine Verschiebung der Gewichte innerhalb dieses Zusammenwirkens zugunsten des Papsttums, eine Umkehr der Verhältnisse, die nördlich der Alpen anfänglich kaum wahrgenommen worden sein dürfte, unter den gegensätzlichen Persönlichkeiten Gregors VII. und Heinrichs IV. aber zu einem Grundsatzkonflikt um die rechte Ordnung der Welt führte. Dieser Konflikt ging letztlich in ein langwieriges Ringen um das königliche Investiturrecht über, war in seinem prinzipiellen Kern allerdings schon früh, bereits 1077, entschieden, als Heinrich IV. sich bußfertig dem Papst unterwarf, obwohl er noch ein knappes Jahr zuvor seine Unrichtbarkeit hatte proklamieren lassen: Von nun an war der Vorrang des Papsttums bei der Führung der Christenheit und besonders in geistlichen Angelegenheiten unbestritten. In späteren Jahrhunderten konnte aus dieser sazerdotalen Präponderanz sogar eine hierokratische Überordnung abgeleitet werden; unverkennbar jedoch hatte spätestens mit dem Ereignis von Canossa die Konvergenz von weltlichem und geistlichem Bereich begonnen, sich in eine Divergenz zu wandeln. Dieser Umschwung vollzog sich zwar nicht ohne längere Vorbereitung, war aber zweifellos auch an die besonderen Bedingungen gebunden, die erst im Verlauf des 11. Jahrhunderts eintraten. In der Spätantike waren ja bereits kirchliche Bemühungen um Autonomie im eigenen Zuständigkeitsbereich spürbar, und schon kurz nach der konstantinischen Wende des Jahres 313 hatte der mit seinem Anliegen vor Konstantin dem Großen gescheiterte Donatus die provokante, aber lange folgenlose Frage gestellt: „Was hat der Kaiser mit der Kirche zu schaffen?“ Im 9. Jahrhundert

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fand der fränkische Episkopat schließlich wieder zu einem in den Übergangsjahrhunderten zwischen Antike und Mittelalter untergegangenen Selbstbewußtsein, das die traditionellen und nie völlig vergessenen, in der frühmittelalterlichen Praxis aber nur selten wirksamen Autonomiebestrebungen erneut betonte; am Ende dieses Jahrhunderts zog der bedeutende Reimser Erzbischof Hinkmar († 882) dann sogar schon eine für das Königtum negative Konsequenz aus der Herrscherweihe, als er den Vorrang der Bischöfe vor den Königen beanspruchte und diesen damit begründete, daß die Könige von Bischöfen, Bischöfe jedoch nicht von Königen gesalbt würden. Im Grunde ist damit bereits der Knoten geschürzt gewesen für eine Auseinandersetzung, wie sie knapp 200 Jahre später zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. geführt worden ist. Daß es zu dieser um 900 noch nicht kam, lag wohl hauptsächlich an den Wirren, die der Niedergang des fränkischen Großreichs, die Herausbildung neuer Herrschaftsgebilde sowie die Einfälle äußerer Feinde mit sich brachten und durch die auch die Entwicklung des Papsttums in Mitleidenschaft gezogen wurde, das damals völlig in die Verfügungsgewalt des stadtrömischen Adels geriet und manches an gerade nach der Mitte des 9. Jahrhunderts gewonnenem Einfluß wieder verlor. Um 1050 jedoch waren nicht nur die Herrschaftsverhältnisse im Kaiserreich weitgehend konsolidiert, innerhalb der Kirche eine zahlreiche Felder berührende Reform im Gange, die Gesellschaft insgesamt zutiefst verchristlicht und äußerst religiös geprägt sowie in den Anfängen eines Umbruchs, um 1050 war vor allem auch das Papsttum in die entscheidende Phase seiner Entwicklung eingetreten und konnte den Schritt vollziehen von einer zwar prinzipiell anerkannten, zumeist aber nur auf Anfrage hin wirksamen, also reaktiven Autorität hin zu einer die Primatsstellung aktiv ausschöpfenden Zentralgewalt. Damit profilierte sich der Papst an der Spitze der lateinischen Christenheit und konnte auf diese Weise zum direkten Gegenspieler von Königen und Kaisern werden. Diese hierarchische Zuspitzung war von erheblicher Bedeutung bei Konflikten zwischen Regnum und Sacerdotium, denn mit ihr war nun vorhanden, was im 4. Jahrhundert noch völlig fehlte und auch im 9. Jahrhundert nur erst in Ansätzen vorhanden gewesen ist: die die kirchlichen Kräfte bündelnde Kraft – während die Herrscher früherer Zeiten sich in Konsens wie Dissens zumeist immer nur mit Gruppen von Geistlichen auseinanderzusetzen hatten, mit denen in der Regel leichter fertig zu werden war. Wie bedeutsam nicht zuletzt auf politischem Gebiet eine solche Konzentration der kirchlichen Gewalt in einer einzigen Hand war, das lehrt ein Blick auf Byzanz, wo kein Bischof, auch nicht der Patriarch von Konstantinopel, eine dem Papst vergleichbare Stellung gewinnen konnte und die kirchliche Dominanz des Basileus auch deshalb bis zum Ende nahezu ungebrochen blieb. Allein die unter steigendem Türkendruck zur Gewinnung von Hilfe aus dem lateinischen Europa ins Auge gefaßte Union mit der lateinischen Kirche, die einen Konfessionswechsel sowie die Aufgabe der traditionellen Stellung des byzantinischen Kaisers gegenüber der Kirche bedeutet hätte und sowohl beim griechisch-orthodoxen Klerus als auch beim einfachen Volk auf heftige Ablehnung stieß, weil sie in Jahrhunderten eingeübte Gewohnheiten mißach-

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tete, letztlich also die Selbstaufgabe des herkömmlichen Glaubens- und Herrschaftssystems vermochte der Basileus nicht durchzusetzen. Umschwung Die Wende von Canossa, der Umschlag von der Konvergenz zur Divergenz im Gewaltenverhältnis, ist – nicht völlig zu Unrecht – als eine Entsakralisierung der weltlichen Herrschaft, ja als eine Entzauberung der Welt begriffen worden. Freilich trifft dieses Urteil nur zu, wenn unter Entsakralisierung kein fertiger Zustand, keine abgeschlossene Entwicklung, sondern ein langwieriger Prozeß verstanden wird, der im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts einsetzte und bis weit in die Neuzeit, bis in das Zeitalter der Aufklärung – und sogar noch darüber hinaus – andauerte. Die Entzauberung stellte vielleicht nichts anderes dar als eine Ausdifferenzierung der Welt, die in der Zeit nach 1100 weniger homogen erscheint als in den Jahrhunderten davor, weil sie an Vielgestaltigkeit und Facettenreichtum gewann. Da der Konflikt zwischen Kaisertum und Papsttum nicht nur mit dem Schwert, sondern auch mit der Feder ausgetragen worden war, förderte er zugleich die Befähigung zur intellektuellen Auseinandersetzung, verfeinerte er die politische wie wissenschaftliche Diskursfähigkeit im Austausch gegensätzlicher Argumente und begleitete er zugleich die Entwicklung der scholastischen Dialektik, also jener Methode, Probleme von unterschiedlichen Standpunkten aus zu erörtern und einer Lösung zuzuführen. Der europaweite Aufschwung der Wissenschaften sowie des Bildungs- und Universitätswesens, der vor allem seit dem 12. Jahrhundert und zunächst im Süden und Westen des Kontinents spürbar und natürlich von sozialen Wandlungen getragen wurde, hat zweifellos auch Impulse von den zum Teil hitzigen Debatten der Investiturstreitzeit erhalten: Die damit einsetzende Entzauberung der Welt beseitigte trotz aller Rationalität, die sie begleitete – freilich noch lange nicht Glauben und Wunder als Erklärungsmittel dieser Welt; und dies gilt es zu berücksichtigen bei dem Versuch zu verstehen, was sich mit und durch die Wende von Canossa hinsichtlich der herrscherlichen Sakralität änderte, was Entsakralisierung der weltlichen Herrschaft bedeutete und wie sich diese Änderungen auf die platzgreifende Divergenz von Regnum und Sacerdotium auswirkten. Die libertas, die Freiheit, die sich die Kirche im Investiturstreit erkämpft hatte, stand ganz im Zeichen der Unabhängigkeit von jeglicher weltlichen Gewalt, zielte auf Autonomie im eigenen Bereich und bedeutete nicht zuletzt eine deutlichere Abgrenzung der Zuständigkeiten von weltlicher und geistlicher Gewalt. In der Theorie hatte es diese Abgrenzung spätestens seit dem Ende des 5. Jahrhunderts gegeben, als Papst Gelasius I. die beiden höchsten, unmittelbar von Gott stammenden Gewalten in der Welt, die kaiserliche potestas und die sazerdotale Autorität, deutlich voneinander unterschied sowie jede Gewalt für autonom und unabhängig in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich erklärte, dabei aber zugleich auf die gegenseitige Unterstützungspflicht hinwies. Die Praxis freilich hatte durch die weitreichenden Wirkmöglichkeiten der Herrscher gegenüber der Kirche bis in das

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11. Jahrhundert hinein völlig anders ausgesehen. Für ein solches Wirken waren seit Gregor VII. deutlichere Grenzen gezogen. Andererseits blieb natürlich der Vorrang des Religiösen in der Welt erhalten, war diese doch nach Gottes Willen geordnet und hatte sich die menschliche Gesellschaft nach den göttlichen Geboten zu richten. Daher barg die errungene Freiheit der Kirche von Anfang an die Möglichkeit einer in den weltlichen Bereich hineinexpandierenden Dominanz in sich, bestand die Gefahr einer hierokratischen Überordnung, da die Herrscher sowohl in der persönlichen Lebensführung als auch im politischen Alltag den göttlichen Gesetzen, kirchlichen Normen und christlichen Moralvorstellungen verpflichtet und der priesterlichen Korrekturgewalt unterworfen waren – einer Gewalt, die zwar primär der Abwehr oder Besserung sündhaften Handelns diente, aber eben auch im politischen Handeln buß- und sühnewürdige Vergehen erblicken konnte. Die letzte Konsequenz des geistlichen Einwirkens auf den weltlichen Bereich wegen sündigen Vergehens – ratione peccati, wie es Papst Innozenz III. (1198 – 1216) formulierte – ist zwar erst im späten Mittelalter gezogen worden, aber bereits Heinrich IV. hatte nicht ohne Bedacht 1076 die irdische Unrichtbarkeit für sich beansprucht. Die Buße von Canossa hat – wie bereits gesagt – die Unhaltbarkeit dieses Anspruchs vor aller Augen gezeigt und daher zu einer gewaltigen Einbuße an Sakralität für den salischen Herrscher geführt. Divergenz Für diesen war der Sturz aus den sakralen Höhen besonders tief, hatte ihn auf diese doch die imperiale Tradition und zuletzt noch das Wirken Heinrichs III. besonders weit hinauf geführt; verbunden mit diesem Absturz war ein deutlicher Legitimationsverlust, der zukünftig ausgeglichen werden mußte, wobei – dies sei vorweggenommen – keinesfalls auf alle traditionellen Elemente religiöser Herrschaftslegitimation verzichtet wurde. Auf herrscherlicher Seite war man vielmehr auf Kontinuität und Aufrechterhaltung einer sakralen Dimension bedacht, doch wurde das Verständnis sakraler Königsherrschaft, so sehr diese auch von Geistlichen mitgetragen und mitformuliert worden ist, fortan nicht mehr nahezu uneingeschränkt von kirchlicher Seite und vor allem von der Spitze der abendländischen Christenheit, dem Papsttum und der Kurie, akzeptiert. Der zwar nie völlig einmütige, aber offenbar doch wohl recht umfassende Konsens über die traditionelle Herrschersakralität ist im sogenannten Investiturstreit zerbrochen; über sie sollten die königliche und die kuriale Seite fortan unterschiedliche Vorstellungen entwickeln. Dies ist der zunächst wohl am meisten spürbare Effekt der Wende von Canossa gewesen. Davon war natürlich nicht nur der deutsche König und römische Kaiser betroffen, sondern alle christlichen Könige der lateinischen Christenheit. Von deren Sakralität ist bisher kaum die Rede gewesen – nicht, weil es sie nicht gegeben hat, sondern weil sie quellen- und situationsbedingt zunächst weniger gut zu greifen ist:

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Die Herrschersakralität des Mittelalters stand in einer ausgeprägt spätantik-imperialen Tradition, weswegen sie zunächst in einem besonderen Maße – jedoch niemals ausschließlich – anhand der Geschichte des abendländischen Kaisertums verfolgt werden kann. Trotzdem galt, wie die erhaltenen Krönungsordines belegen, etwa der westfränkisch-französische König ohne allen Zweifel ebenfalls als sakral; gerade er sollte im Verlauf des weiteren Mittelalters eine gewaltige Steigerung seiner sakralen Dimension erfahren. Was allgemein über die Ausdifferenzierung von Gesellschaft und Wissenschaft im Gefolge des großen Konfliktes beider Universalgewalten an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert gesagt werden kann, gilt im Speziellen auch hinsichtlich der Sakralität der europäischen Könige: Nach 1100 erscheint das Phänomen der Herrschersakralität in Europa vielgestaltiger und facettenreicher als in den Jahrhunderten zuvor; und dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, daß nun erst die sakrale Dimension der übrigen abendländischen Könige deutlicher in Erscheinung tritt und sich in eigenen Entwicklungen immer stärker ausgestaltet. Dieses Phänomen ist im Übrigen auch ein Beleg dafür, wie langsam die Entsakralisierung der weltlichen Herrschaft nach dem Investiturstreit fortschritt. Statt Einschränkung und Beseitigung der herrscherlichen Sakralität läßt sich in manchen Ländern Europas erst jetzt deren Aufblühen feststellen. Das hängt nicht nur damit zusammen, daß sich nach dem Jahr 1100 richtig entfaltete, was schon längst in Entwicklung begriffen war; vielmehr wirkte sich hierbei zusätzlich auch die Phasenverschiebung bei der Christianisierung Europas aus, die in den erst spät christianisierten Gebieten zu einer epigonalen Rezeption von traditionellen Ansichten und verbreiteten Bräuchen führte, auch wenn diese andernorts bereits auf Kritik gestoßen waren. Die Einbeziehung der slawischen Völker und der Ungarn, vor allem aber des skandinavischen Nordens in die lateinische Christenheit führte daher in den seit der Jahrtausendwende östlich und nördlich der Reichsgrenze entstehenden oder sich konsolidierenden Königreichen zur Herausbildung von neuen, nach einem christlich-sakralen Nimbus strebenden Königsherrschaften. Der in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstandene altnorwegische Königsspiegel etwa („Konungs Skuggsjá“) verstand den Herrscher ganz selbstverständlich als gotterwählt und die Gewalt des Königs – besonders wenn dieser zu Gericht saß – als Reflex der göttlichen Gewalt. Roger II., der erste König des päpstlichen Lehnsreiches im normannischen Süditalien, stellte sich nach 1130 ganz unbefangen in die Tradition der gottgekrönten Herrscher, betonte dadurch seine Gottunmittelbarkeit und stilisierte sich im Rückgriff auf das von Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert kodifizierte römische Recht als „Priester der Gerechtigkeit“. Ganz anders noch verlief die sakrale Karriere der Könige von England und Frankreich: Sie wurden zu krankenheilenden Herrschern, zu rois thaumaturges, die nach ihrer Königsweihe für fähig gehalten wurden, an Skrofeln, einer tuberkulösen Infektion der Lymphknoten, Erkrankte durch Handauflegung zu heilen. Zwar ist es umstritten, ob dieser Glaube bis in das 11. Jahrhundert zurückreicht und ob er sich zuerst um den englischen oder um den französischen König rankte, sicher aber ist,

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daß er erst seit dem 13. Jahrhundert, mithin lange nach dem Investiturstreit und dem Beginn der Entsakralisierung der weltlichen Herrschaft, zur vollen Entfaltung gelangte und dabei die königliche Sakralsphäre in einem ungewöhnlichen Maße verdichtete. Am weitesten ging diese Verdichtung zweifellos beim französischen König. Um diesen entstand eine eigene Königsreligion (religion royale), zu der auch die Vorstellung von dem Himmelsöl zählte, mit dem die französischen Könige bei ihrer Weihe gesalbt wurden und das am Ende des 5. Jahrhunderts von einer Taube zur Verwendung bei der Taufe des Merowingers Chlodwig auf die Erde herabgebracht worden sein soll. Als roi très chrétien, rex christianissimus, als allerchristlichster König, wie er seit dem 12. Jahrhundert gelegentlich und seit dem späteren Mittelalter immer häufiger genannt wurde, überragte der französische Monarch alle anderen Herrscher Europas in seiner sakralen Erscheinung und betätigte sich dabei bis 1825 als erster Arzt seines Reiches – während in England bereits 1714 zum letzten Mal der Akt der königlichen Krankenheilung vollzogen worden ist. Noch im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts jedoch konnte in royalistischen Kreisen Frankreichs der caractère sacré et divin des französischen Königtums als sehr real empfunden und die Liebe zu Gott, zu Frankreich und zum König als eine unauflösbare Einheit, als un seul et même amour indissociable begriffen werden. Unverkennbar hat der Glaube an die Heilkräfte des englischen und französischen Königs in einer spürbaren Konkurrenzsituation der beiden Monarchen Gestalt angenommen, wobei er von der Bevölkerung in England wie Frankreich offenbar begeistert aufgegriffen, wenn nicht sogar in wesentlichen Teilen erst an die Herrscher herangetragen worden ist. Als Mittel der religiösen Herrschaftslegitimierung eignete er sich ganz ausgezeichnet und wurde daher auch entsprechend eingesetzt. Den kirchlichen Kräften jedoch und vor allem jenen Kreisen, die seit der Mitte des 11. Jahrhunderts die Herrschersakralität zu beseitigen oder zumindest einzuschränken suchten, konnte dieser Glaube an eine übernatürliche, gleichsam im königlichen Geblüt liegende Fähigkeit der Herrscher nicht genehm sein, und es dauerte lange, bis sie ihn akzeptierten. Nach kirchlicher Lehre ist Heiligkeit zudem nur durch Verdienst und – außer beim Papst, dem eine eigene Amtsheiligkeit zugebilligt wird – nicht durch die Zugehörigkeit zu einem Stand oder einer bestimmten Familie zu erwerben. Noch 1297 ist daher bei der Begründung für die Heiligsprechung des französischen Königs Ludwig IX. (1226 – 1270) vom Papst nicht auf dessen Krankenheilungen hingewiesen worden, obwohl der König als Thaumaturg tätig geworden ist. Mit der besonderen Sakralität der Könige Frankreichs vermochte man sich kirchlicherseits erst voll und ganz vor dem Hintergrund der Vorstellung abzufinden, daß es Gott ist, der das Heilungswunder wirkt, während der König gleichsam nur als Vermittler auftritt und die dazu nötige Kraft in ihm erst durch die Herrscherweihe (le sacre) aktiviert wird. Erscheinen die spätmittelalterlichen und selbst noch die frühneuzeitlichen Könige Englands und besonders Frankreichs durch die beschriebene Entwicklung auch in einem besonderen Maße religiös legitimiert und sakral überhöht, so sind sie unter den europäischen Monarchen doch keinesfalls allein sakral gewesen; vielmehr

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vermochten ihre Amtskollegen ebenfalls die sie auszeichnende Sakralität zu behaupten oder auszugestalten. Dies geschah zwar nicht mit gleicher Intensität, wohl aber mit vergleichbarem Erfolg: Wie schon im früheren Mittelalter blieben sie alle in betonter Gottesnähe, galten sie – auch in den Reichen, in denen es eine Erbmonarchie gab – als Herrscher aus Gottes Willen und Gnade sowie als irdische Sachwalter Gottes, wie es mit unterschiedlicher Nuancierung in etlichen spätmittelalterlichen Abhandlungen – etwa aus der Feder John Bractons, Marsilius’ von Padua, Pedros von Aragón, Karls IV., John Wyclifs, Aeneas Silvius Piccolominis oder Nikolaus’ von Kues – zu lesen ist. Allerdings wurde die Stellvertretung Gottes durch König oder Kaiser nun eindeutig allein auf den weltlichen Bereich bezogen, geschah sie in temporalibus, wie Wyclif im 14., Aeneas Silvius (der spätere Papst Pius II.) sowie Nikolaus von Kues im 15. und Robert Maranta – ein in Salerno wirkender Rechtslehrer – am Beginn des 16. Jahrhunderts hervorheben. Dies mag prinzipiell schon in früheren Zeiten ebenfalls so empfunden worden sein, nur wurde es damals nicht als nötig erachtet, dies eigens zu betonen, denn vor der Mitte des 11. Jahrhunderts war die Grenze zwischen weltlichem und geistlichem Aufgabenbereich noch nicht so scharf gezogen wie nach dem Wirken der Reformpäpste, durch das es zu einer deutlicheren Scheidung von Regnum und Sacerdotium kam, die eine unpräzise Beschreibung der herrscherlichen Zuständigkeit nicht mehr zuließ. Dieser Umstand wirkte sich natürlich auch stark auf die Vorstellung von der Sazerdotalität der Herrscher aus. Zu den Kompetenzen der Könige zählten zwar zu keiner Zeit die Liturgiefeier und Sakramentenspendung, und den theologischen Kernbereich des Sacerdotium haben die Herrscher ebenfalls niemals beansprucht, wohl aber besaßen sie eine seelsorgerliche Verantwortung, die sie zu einem vorbildlichen Leben verpflichtete und ihnen auftrug, den Mitgliedern der ihnen anvertrauten Gemeinschaft die Sicherung des Seelenheils durch die Aufrichtung und Bewahrung einer gesellschaftlichen Ordnung nach den Maßgaben der christlichen Glaubenslehre und der aus dieser abgeleiteten Rechts- und Moralvorstellungen zu erleichtern. Karl der Große etwa an der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert und noch Heinrich III. in der Mitte des 11. Jahrhunderts haben diese Verantwortung sehr ernst genommen und unterstrichen damit ihre Priesterähnlichkeit; der Karolinger, der rex in potestate, erschien dabei in den Augen seines angelsächsischen Freundes und gelehrten Ratgebers Alkuin geradezu als ein pontifex in praedicatione, und der Salier hielt selbst Predigten zur Verkündung seiner dem christlichen Liebesgebot verpflichteten Herrschaftsmaxime. Nur wenige Jahre später war dergleichen kaum mehr möglich; trotzdem suchten auch die Herrscher aus der Zeit nach dem Investiturstreit die Aura des Sacerdotium. Hatte daher – wie bereits erwähnt – Roger II. sich schon im 12. Jahrhundert in Anlehnung an antike Traditionen zum „Priester der Gerechtigkeit“ stilisiert, woran ein Jahrhundert später in eigener Weise sein Enkel Friedrich II., der letzte Stauferkaiser, anknüpfte, so galten im späten Mittelalter auch die wundertätigen Könige Englands und Frankreich keinesfalls als bloße Laien. In Frankreich sprach Jean

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Gerson 1390 vom roy espirituel et sacerdotal, von dem es zwei Generationen später heißt, er sei ein prelat ecclesiastique und als ein solcher sogar comme chef et la premiere Personne ecclesiastique; in England betrachtete der große Papst- und Kirchenkritiker Wyclif die königliche Gewalt als eine potestas spiritualis et evangelica und als ein dem Priestertum übergeordneter ordo in ecclesia, während William Lyndwood (Lyndewode) den gesalbten König als persona mixta, also nicht einfach nur als Laien, begriff. Die Bedeutung der Salbung für die Stellung des Königs hatte zwar schon im 13. Jahrhundert der gelehrte Bischof Robert Grosseteste von Lincoln – in Einklang mit der Lehre Papst Innozenz’ III., die den sakramentalen Charakter der Herrscherweihe negierte – relativiert, als er seinem König Heinrich III. (1216 – 1272) erklärte, die Salbung mache den König weder zu einem Priester noch verleihe sie ihm die priesterliche Gewalt, sie vermittele allein die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Da sie dadurch aber den Herrscher in einem besonderen Maße zur Ausübung der Herrschaft befähigte und ihn mit der göttlichen Sphäre verband, konnte sie trotzdem weiterhin als ein den persönlichen Status verändernden Akt begriffen werden, durch den der König zu einer „gemischten“ Person wurde, die weder zum Stand der Laien noch zu dem der Geistlichen gehörte. Dem Kaiser konnte daher Peter von Andlau noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts einen eigenen – dem Papste allerdings untergeordneten – Rang zuweisen, den der sacra majestas, denn, so erklärt der Basler Professor für Kirchenrecht, durch die Salbung werde der Kaiser nicht in einen geistlichen Stand (sacram ordinem) aufgenommen, sondern zu einer geweihten Majestät. Kanonisten haben dabei seit dem 12. Jahrhundert immer wieder den kaiserlichen Stand erörtert, wobei – wie etwa die »Summa Coloniensis« belegt – manche von ihnen die Ansicht vertraten: imperatorem propter sacram unctionem in numero laicorum non haberi („Wegen der heiligen Salbung können die Kaiser nicht zu der Schar der Laien gerechnet werden“). Auch der römisch-deutsche Kaiser, gegen dessen religiöse Legitimierung sich im 11. Jahrhundert die ganze Wucht des reformpäpstlichen Angriffs gerichtet hatte, besaß also im späteren Mittelalter noch eine eigene Sakralität. Diese war zwar im Vergleich zu den Verhältnissen vor dem Investiturstreit deutlich gemindert, aber keinesfalls völlig verschwunden. Mit der Sakralität des französischen Königs konnte sie sich freilich nicht messen, denn über wundertätige Kräfte verfügte kein Kaiser. Dessen Sakralität wurzelte zudem vorrangig in imperialen Traditionen und gewann von diesen her ihre besondere Ausprägung. Die seit dem 11. Jahrhundert allmählich einsetzende, sich im 12. Jahrhundert intensivierende – in manchen Teilen Europas aber auch mit Zurückhaltung geübte – Rezeption des römischen Rechts, das hauptsächlich als Kaiserrecht verstanden wurde, spielte dabei eine nicht geringe Rolle. Langfristig verhalf sie dazu, der weltlichen Gewalt eine von kirchlichen Maximen unabhängige Legitimationsbasis zu schaffen, die seit dem Jahrhundert noch durch die Rezeption der aristotelischen Philosophie und den Rückgriff auf die Gesellschaftslehre des Stagiriten verbreitert werden konnte; am Anfang jedoch diente sie vor allem dazu, die kaiserliche Sakralität zu betonen, da sie im kaiserlichen Umfeld den Gebrauch von bereits in der Antike auf den Imperator

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bezogene Sakralnomina (besonders sacer und sacratissimus, aber auch sanctus und sanctissimus) intensivierte und auf diese Weise die herrscherliche Sakralsphäre auszugestalten half. Natürlich galt – wie bereits erwähnt – auch der Kaiser für viele weiterhin als von Gott erwählt und als Stellvertreter Gottes auf Erden. Um päpstliche Ansprüche auf eine kaiserliche Unterordnung abzuwehren, war es nun jedoch von besonderer Bedeutung, die Gottunmittelbarkeit zu betonen, was daher auch immer wieder geschah – nicht zuletzt durch die Pflege von Recht und Gerechtigkeit, bei welcher, wie Friedrich II. in besonderem Maße betonte, der Herrscher als Werkzeug, ja gleichsam als Abbild Gottes erscheinen konnte und die ihn schließlich unter dem Einfluß des römischen Rechts – wenn auch zunächst mehr in der Theorie als in der Praxis – aus einem reinen Wahrer des Rechts zum Herrn des Rechts, ja zum beseelten Gesetz (lex animata) werden ließ. Die Kaiser betonten in ihrer Selbstdarstellung aber auch weiterhin die Nähe zum Sacerdotium – nicht um einen geistlichen, dem Papsttum jedoch untergeordneten Rang innerhalb der kirchlichen Hierarchie zu erobern oder zu behaupten, sondern um eine den Priestern und Bischöfen vergleichbare Verantwortung hinsichtlich der Seelenführung ihrer Untertanen zu akzentuieren, hatten sie die ihnen anvertraute Pflege der Gerechtigkeit doch auch in dem Sinne auszuüben, daß sie den ihrer Hoheit unterworfenen Menschen Existenzbedingungen schufen, die ein gottgefälliges und das Seelenheil sicherndes Leben ermöglichten. Natürlich diente diese Priesterähnlichkeit zugleich dazu, die herrscherliche Gottunmittelbarkeit in temporalibus zu unterstreichen, was besonders der letzte Stauferkaiser Friedrich II. (1212 – 1250) im Proömium zu seinem berühmten, als „Liber Augustalis“ bezeichneten Gesetzeswerk von 1231 hervorhebt, wenn er den Herrscher dort als Vollstrecker des göttlichen Willens und daher als Gott unmittelbar verantwortlich vorstellt. Zwar bildete dieses Herrschaftsverständnis nur einen Teil von Friedrichs Bemühen, in Anknüpfung an imperiale und normannische Traditionen, die er als Enkel des Stauferkaisers Barbarossa und des süditalischen Normannenkönigs Roger II. aufgriff, noch einmal eine ungeheure Ausgestaltung der sakralen Dimension des Kaisertums voranzutreiben – ein Bemühen im Übrigen, das Intermezzo blieb und scheiterte, dessen Scheitern aber nicht die prinzipielle Vorstellung von der kaiserlichen Sazerdotalität desavouierte. Diese kam vielmehr weiterhin bei der Aachener Krönung zum Ausdruck, wenn die unter Leitung des Kölner Metropoliten agierenden Bischöfe den neuen König und künftigen Kaiser beim Aufsetzen der Krone als Teilhaber ihres Amtes (particeps ministerii nostri) bezeichneten; vor allem aber wurde sie seit dem Jahrhundert in der offiziellen Kaisergewandung sichtbar, die der liturgischen Kleidung der Priester entsprach: in der (unter der Krone getragenen) Mitra, in dem nach Art des bischöflichen Pluviale angelegten Mantel und besonders in der gemäß priesterlichem Brauch vor der Brust gekreuzten Kaiserstola, die sich zwar aus dem spätantik-byzantinischen Lorum entwickelt hatte, im späten Mittelalter aber als Analogie zur Stola der Geistlichen, dem wichtigsten Amtszeichen der Priester, begriffen wurde.

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Während in England und besonders in Frankreich, aber auch in anderen europäischen Königreichen seit etwa 1100 eine beständige, natürlich regional unterschiedlich starke Intensivierung der Herrschersakralität feststellbar ist, die oftmals und wiederum besonders in Frankreich erst in den beiden letzten Jahrhunderten des Mittelalters die stärkste Intensität gewann und weit in die Neuzeit hinein ausstrahlte, verlief die Entwicklung im Reich anders. Hier war der Gipfel bereits im 11. Jahrhunderts erreicht worden; doch erfolgte dann ein Absturz, der zu einem zähen Ringen um die Bewahrung von Resten der kaiserlichen Sakralität und vor allem um die Behauptung der Gottunmittelbarkeit führte und schließlich im 14. Jahrhundert in die bereits beschriebene Verdichtung der imperialen Sakralität einmündete, wodurch immerhin freilich auf niedrigerem Niveau als in den westeuropäischen Monarchien – ein Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung im lateinischen Europa gewahrt blieb. Im gleichen Zeitraum, zaghaft einsetzend bereits im 12. Jahrhundert, mit aller Konsequenz jedoch erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, vollzog sich die Sakralisierung des Reiches, wurde das Imperium (Romanum) zu einem Sacrum Imperium (Romanum). In dieser Profilierung des Reiches als heilig hat man einen Ausgleich für den Verlust der kaiserlichen Sakralität gesehen, was sicherlich nicht unzutreffend ist; doch sind die Zusammenhänge insgesamt wohl komplexer gewesen und bedeuteten keinesfalls eine bloße Verlagerung der Sakralität von der Person des Kaisers auf das Gebilde des Reiches, von dem aus sie dann wieder auf den Herrscher zurückstrahlen konnte. Gegen eine solche einfache Verschiebung spricht schon allein der Umstand, daß die Vorstellung von der Sakralität des Herrschers trotz aller Wandlungen niemals von der kaiserlichen Seite aufgegeben worden ist. Außerdem ist die Begriffsbildung sacrum Romanum imperium als Korrelat zur sancta ecclesia Romana zunächst aus praktischen Gründen und keinesfalls auf Grund theoretisch-ideeller Erwägungen vorgenommen worden: nämlich um in Rom die kaiserlichen von den päpstlichen Notaren zu unterscheiden. Erst nach 1230 läßt sich, ausgehend vom Umfeld des seine sakrale Aura sehr stark betonenden Friedrichs II., eine allmähliche Etablierung und damit wohl auch Emotionalisierung des Begriffs als Reichsbezeichnung feststellen. Die Heiligkeit des Reichs trat damit an die Seite, nicht an die Stelle der Sakralität des Kaisers und ergänzte die herrscherliche Sakraldimension auf eigene Weise. Das Imperium wurde dabei nicht nur deshalb heilig, weil es nach alter, in besonderem Maße jedoch während des späteren Mittelalters verbreiteter Vorstellung eine heilsgeschichtliche, von Kirche wie Papsttum unabhängige und unmittelbar auf Gott zurückgehende Aufgabe zu erfüllen hatte, nämlich das Weltende aufzuhalten und hinauszuschieben, sondern die Sanktifizierung vollzog sich auch deshalb, weil der Beherrscher des Imperiums sakral war. Die Sakralität der christlichen Könige Europas, die während des ganzen Mittelalters – wenn auch zeitlich wie räumlich in unterschiedlich starker Ausprägung – vorhanden war und mancherorts wie vor allem in Frankreich erst gegen Ende des Zeitalters zur vollen Ausgestaltung gelangte, verschwand weder im Zeichen der aufziehenden Neuzeit noch durch die Reformation: In England fand der letzte

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Auftritt eines königlichen Thaumaturgen 1714 statt, in Frankreich gar erst 1825. Auch die Praxis der Königssalbung wurde noch lange beibehalten: im Reich bis 1792, in Frankreich bis 1825 und in England bis heute. Dort, wo sie im späteren Mittelalter aufgegeben wurde, nämlich in den iberischen Königreichen und im Königreich Sizilien, geschah dies aus jeweils speziellen Gründen, keinesfalls jedoch, weil der Herrscher nicht mehr als sakral betrachtet worden ist. Bemerkenswerterweise ist die Königssalbung sogar in protestantisch gewordenen Königreichen beibehalten worden: im anglikanischen England ebenso wie in Schweden und Dänemark, wo bereits 1665 auf die Krönung, aber erst 1840 auf die Salbung verzichtet worden ist; und selbst bei der ersten Krönung eines preußischen Königs im Jahre 1701 ist sie noch vollzogen worden, während man bei der zweiten, die erst 1861 stattfand, auf sie verzichtete. Auch die dem neuen christlichen Glauben zugewandten Herrscher wollten nicht auf die religiöse Legitimierung verzichten, welche die Salbung schuf, und nutzten vor allem die Chance, die ihnen die Reformation zur Straffung des landesherrlichen Kirchenregiments bot: Nicht nur im englischen Königreich, wo 1534 der Act of Supremacy eine bereits länger spürbare Entwicklung mit der königlichen Suprematie über die Kirche abschloß, nicht nur im anglikanischen England traten die weltlichen Oberhäupter an die Spitze der Landeskirche, sondern auch in den evangelischen Herrschaftsräumen fiel ihnen eine vergleichbare Position zu, die mancherorts schließlich als Summepiskopat beschrieben worden ist. Natürlich war eine solche Intensivierung der Kirchenhoheit nur durch die Loslösung vom Papsttum möglich, aber auch in den katholisch gebliebenen Reichen lassen sich vergleichbare, ebenfalls in das Spätmittelalter zurückreichende Tendenzen feststellen. Die universale Stellung des Papstes wurde dabei nicht prinzipiell und schon gar nicht hinsichtlich der Lehrkompetenz in Glaubensfragen angegriffen, aber innerhalb der eigenen Zuständigkeitsbereiche waren auch die altgläubigen Könige an einer loyalen, ihre Herrschaft stützenden Kirche und damit an der Wahrung ihrer Kirchenhoheit interessiert. Bei dieser spielte die Personalpolitik eine nicht unerhebliche Rolle, die einerseits durch gute Beziehungen zum Papsttum gefördert, andererseits aber auch durch Macht und Gewohnheit beeinflußt werden konnte. In Frankreich hatte sich auf diesem Wege seit dem hohen Mittelalter eine regelrechte Königskirche entwickelt, deren Ausrichtung auf das Königtum 1438 durch die vom Monarchen erlassene Pragmatische Sanktion von Bourges festgeschrieben und nach langen Verhandlungen schließlich im Konkordat von 1516 auch päpstlicherseits anerkannt wurde. Nach harten Auseinandersetzungen ist es 1482 im Spanien der Katholischen Könige ebenfalls, nachdem hier bereits 1478 eine von Rom unabhängige Inquisitionsbehörde als königliches Instrument der Glaubensüberwachung geschaffen worden war, zu umfassenden Konzessionen durch das Papsttum gekommen, die 1508 auf die Besitzungen in der Neuen Welt ausgedehnt wurden. Allein im Römisch-Deutschen Reich waren die Verhältnisse diffiziler, schrieb hier das Wiener Konkordat von 1448 doch grundsätzlich die freie Wahl bei der Besetzung der Bistümer vor. Doch ist diese Bestimmung in der politischen

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Wirklichkeit durch territoriale Sonderregelungen stark ausgehöhlt worden: Der Habsburgerkaiser Friedrich III. etwa (1440 – 1493), immerhin eine Vertragspartei des Wiener Konkordats, wußte zunächst sich selbst, letztlich aber seinem Haus das Nominationsrecht für zahlreiche Bistümer in den habsburgischen Erblanden zu sichern, und der Kurfürst von Brandenburg besaß mit päpstlicher Einwilligung seit 1447 das Ernennungsrecht für die Bistümer Brandenburg, Havelberg und Lebus. Und selbstverständlich versuchten die Kaiser auch weiterhin, freilich mit unterschiedlichem Erfolg, auf die Besetzung von Reichsbistümern einzuwirken, die nicht im unmittelbaren Zugriffsbereich anderer Gewalten lagen. Wie bei der Herrschersakralität gab es an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit also auch hinsichtlich der landesherrlichen Kirchenhoheit und des landesherrlichen Einflusses auf die Besetzung von Bistümern eine bunte Vielfalt der konkreten Ausgestaltung; vorhanden jedoch waren sie noch ebenso gut wie Jahrhunderte zuvor: Das seit dem 11. Jahrhundert spürbare Divergieren politischer und religiöser Herrschaft hatte ihnen mithin um 1500 noch kein Ende gesetzt – und sollte dies auch in den folgenden Jahrhunderten nicht tun; wohl aber hatten sich Formen und Rahmenbedingungen, Intensität und Wirkung der Erscheinungen geändert. Die Sakralität der christlichen Könige Europas wirft eine Frage auf, die im Mittelalter trotz der langen Dauer des Phänomens offenbar nie diskutiert worden ist, die Frage nämlich nach dem Verhältnis der irdischen Vikariatsstellung der einzelnen Herrscher zueinander. Die Gottesnähe der einzelnen Könige ließ sich hinsichtlich ihrer Gotterwähltheit und Sazerdotalität natürlich leicht behaupten, wenn sie aber auch in der Vorstellung von einer Sachwalterschaft Gottes auf Erden gründete, dann konnte sich daraus unter Umständen ein Problem entwickeln, da die spätantik-christliche Kaiseridee die imperiale Gottesstellvertreterschaft natürlich in einem universalen Sinn begriff. Allerdings dürften die Könige ihr Christusvikariat immer nur auf ihren eigenen Herrschaftsbereich bezogen haben, wie – freilich erst nach dem Beginn der Neuzeit – der Erzbischof Thomas Cranmer von Canterbury bezeugt, als er seinen König 1547 daran erinnerte, Gottes Stellvertreter und Christi Vikar in seinem eigenen Herrschaftsraum (God’s vice-gerent and Christ’s vicar within your own dominions) zu sein. Auch die abendländischen Kaiser werden ihre Stellvertretung Gottes in der Praxis kaum anders begriffen haben, wenn in den theoretischen Äußerungen über das hoch- und spätmittelalterliche Kaisertum auch weiterhin eine universale Note mitschwang. Allein vor 1100 scheint die universale Dimension des imperialen Gottesvikariats stärker betont worden zu sein, ohne daß dies zu Konflikten mit anderen Herrschern führte, da die Theorie keine Auswirkung auf die kaiserliche Herrschaftspraxis hatte. Eigentlicher Gegenspieler für den Kaiser wurde auf dieser Ebene nur der Papst, dem die Vorstellung, Christi irdischer Stellvertreter zu sein, natürlich nicht fremd war, der sie aber erst nach dem Investiturstreit immer stärker betonte. In dieser besonderen Korrelation der beiden universalen Gewalten lag daher ein besonderes Konfliktpotential, das durch die herrschaftliche Situation in Italien und die sich hier überkreuzenden politischen Ambitionen von Kaisertum und Papsttum noch verstärkt wurde. Die seit dem Investi-

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turstreit zwischen diesen Universalgewalten immer wieder spürbaren Spannungen und offen ausbrechenden Konflikte gründeten zu einem nicht geringen Teil in dieser prinzipiellen Gegensätzlichkeit, welche die päpstliche Seite eine letztlich unerbittliche Abminderung der kaiserlichen Sakralität und die Unterordnung des Kaisertums unter das Papsttum zu betreiben veranlaßte, während, wie sich gezeigt hat, die Nachfolger Petri ansonsten auch eine großzügigere Einstellung gegenüber der Sakralität weltlicher Herrscher bewiesen, wenn diese in keiner universalen Tradition standen. In dem Grundsatzkonflikt der beiden Universalgewalten jedoch war das Kaisertum dem Papsttum hoffnungslos unterlegen – nicht immer hinsichtlich der tatsächlichen Macht, wohl aber mit Blick auf die theoretische Begründung der eigenen Herrschaftsposition: Der Sakralkompetenz der Priesterschaft mit dem Papst an der Spitze hatte kein sakraler König Vergleichbares entgegenzusetzen, auch kein Kaiser vermochte in dieser Hinsicht mitzuhalten. Natürlich umgab den Papst die dichteste sakrale Aura, verfügte er doch, wie es Gregor VII. 1075 im »Dictatus papae« formulierte, ohne eigenes Verdienst über eine besondere Amtsheiligkeit, wenn er rechtmäßig erhoben worden ist, und sein Nahverhältnis zu Gott ist niemals umstritten gewesen. Trotzdem war er, auch wenn er in einigen Landstrichen Mittelitaliens die weltliche Herrschaft ausübte, kein sakraler Herrscher nach Art der Könige und Kaiser, denn seine Stellung gründete primär im Spirituellen und nicht auf der weltlichen Gewalt. Gleichwohl ließ sich von daher ein Vorrang vor aller weltlichen Gewalt begründen, rangierte doch das Religiöse vor dem Profanen, das Geistliche vor dem Weltlichen, das Göttliche vor dem Irdischen und verlieh zudem die Verantwortung für das Seelenheil aller Menschen, auch der Könige und Kaiser, dem Priestertum und damit schließlich vor allem dem Papsttum eine größere Bedeutung und Dignität als irgendeine irdische Macht oder weltliche Aufgabe. Nicht zuletzt dieser Umstand hatte im 11. Jahrhundert den Kampf der Reformkirche um die libertas ecclesiae, um die Unabhängigkeit von weltlicher Beeinflussung und gegen die allzu starke Verstrickung in irdische Händel beflügelt, nicht zuletzt dieser Umstand ließ aber in langer Perspektive auch die kuriale Neigung wachsen, die bis in das 11. Jahrhundert vorwaltende Präponderanz des Kaisertums nicht nur zu beseitigen, sondern durch eine kirchliche Dominanz, die hierokratische Züge annehmen konnte, zu ersetzen. Wiederum ist es Gregor VII. gewesen, der – diesmal im Jahre 1080, und zwar in einem Schreiben an den anglonormannischen König Wilhelm (1066 – 1087), den Eroberer Englands, – die Höherrangigkeit des Papsttums deutlich betonte und dabei den Unterschied von päpstlicher und königlicher Würde am Vergleich von Sonne und Mond, dem großen und dem kleinen Himmelslicht, dem eigenständig strahlenden und dem lediglich den fremden Schein reflektierenden Himmelskörper exemplifizierte. Dieses Gleichnis wirkte nach und machte ebenso wie das gleichfalls im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts aufgekommene Bild von den beiden Schwertern, die die weltliche und geistliche Gewalt symbolisieren, seit dem 12. und vor allem seit dem 13. Jahrhundert Karriere, als die kirchliche Rechtslehre immer

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feiner die theoretische Grundlage für die päpstliche Vollgewalt (plenitudo potestatis) und den supremativen Vorrang des Papsttums ausgestaltete. In der Sache nicht neu, sondern die im 13. Jahrhundert entfaltete Vorstellung von der einmaligen Stellung des Papsttums bündelnd, hat Papst Bonifaz VIII. (1294 – 1303) diese Lehre 1302 in der berühmten Bulle »Unam sanctam« mit geschulter kurialer Rhetorik aller Welt unmißverständlich verkündet und erklärt, daß beide Schwerter – also beide Gewalten – in der Macht der Kirche seien, die aber nur das geistliche Schwert selbst führe, während das weltliche Schwert in die Hand der Könige gegeben und von diesen zum Nutzen der Priester geführt werde, weswegen es der höchsten geistlichen Gewalt, die ausschließlich von Gott zur Rechenschaft gezogen werden könne, auch zustehe, über die weltliche zu richten, wenn diese in die Irre gehe, wobei, wie es im letzten Satz der Ausführungen knapp und bündig lautet: „jedes menschliche Geschöpf dem römischen Bischof unterworfen sein muß“ und „dies ganz und gar heilsnotwendig sei“. Ein Jahr später heißt es in der unveröffentlichten Bulle, die die Bannung des französischen Königs Philipp des Schönen verkünden und diesem gleichzeitig die Absetzung bei Unbußfertigkeit androhen sollte: der Papst als „Stellvertreter dessen, vor dem jedes Ansehen der Person als unangemessen empfunden wird“, sei „Richter über die Hohen wie die Geringen“. Der weltlichen Gewalt und damit den Königen in ihren Reichen blieb zwar auch nach diesem Verständnis von der Stellung des Papstes eine unbestrittene Selbständigkeit bei der Ausübung der Herrschaft, denn das politische Alltagsgeschäft wollte der Papst keinesfalls an sich ziehen und auch nicht nur in Stellvertretung durch die weltlichen Herrscher verwirklichen lassen, aber das geforderte Aufsichtsrecht als vicarius Christi bot ihm jede Möglichkeit zum Eingreifen, sobald eine herrscherliche Handlung als Verstoß gegen die göttliche Ordnung erschien. Hätte sich diese Vorstellung von der papalen Aufgabe verwirklichen lassen, wäre die Unabhängigkeit der königlichen Gewalt sehr stark eingeschränkt gewesen. Daran aber konnte keinem noch so christlichen König gelegen sein. Die Realität sah daher anders aus: Auch der Papst mußte wie zuvor der Kaiser erfahren, daß allzu hoch geschraubte Ansprüche auf Widerstand stoßen, und seine Forderungen in der politischen Wirklichkeit weit zurückstecken. Noch Bonifaz selbst machte diese Erfahrung im Konflikt mit dem französischen König, den er 1303 bannen wollte, dessen Sachwalter Wilhelm von Nogaret dies jedoch zu verhindern wußte, indem er den in Anagni weilenden Papst rechtzeitig festsetzen ließ. Die Kluft zwischen theoretischem Anspruch und politischer Realität war zu groß, um vom Papsttum überwunden werden zu können; der Macht einer gefestigten Monarchie hatte der Pontifex nur wenig Konkretes entgegenzusetzen. Bereits die Zeitgenossen haben dies so empfunden, lief doch offenbar schon bald nach dem Geschehen von 1303 eine Anekdote um, deren Wahrheitsgehalt bezweifelt werden darf, die aber aussagekräftig für das zeitgenössische Verständnis der Vorgänge ist und schließlich in England aufgezeichnet wurde: Als Pierre Flot(t)e, der Kanzler Philipps des Schönen, einige Zeit vor dem Eklat von Anagni die Position seines Herrn vor dem Papst und der ganzen Kurie in zähen Verhandlungen unnachgiebig vertrat, soll ihm Bonifaz, offenbar um

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den eigenen Standpunkt durchzusetzen, erklärt haben, im Besitz beider Gewalten, also sowohl der geistlichen als auch der weltlichen, zu sein, was der Franzose kühl und lakonisch mit dem Hinweis pariert habe, die päpstliche Gewalt sei nur eine potestas verbalis, eine theoretische Größe, während die Gewalt des französischen Königs eine Realität sei, eine potestas realis. In der Praxis mußte auch das Papsttum trotz des Festhaltens an den theoretischen Grundsätzen auf solche herrschaftliche Realitäten Rücksicht nehmen und den weltlichen Mächten gelegentlich weit entgegenkommen – wie etwa in manchen Konkordaten des 15. und 16. Jahrhunderts. Insofern bedeutete das Scheitern des Bonifaz einen Sturz aus der luftigen Höhe der päpstlichen Herrschaftsdoktrin. Andererseits blieb der spirituelle Vorrang erhalten, bis zur Reformation sogar im gesamten lateinischen Europa. Letztlich löste sich daher das schon früh erkennbare Spannungsverhältnis zwischen den christlichen Königen als den irdischen Stellvertretern Gottes in temporalibus und dem Papst als dem einzigen spirituellen vicarius Christi in universalem Sinne auch von der kurialen Seite her nicht auf, vielmehr resultierte es weiterhin aus einer – vor allem in konfliktlosen Zeiten – grundsätzlichen Anerkennung der Eigenständigkeit beider Seiten in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen und dem Austrag von gelegentlich heftigen Differenzen bei entsprechenden Interessenslagen. Auch die nachstaufischen Kaiser, obwohl ihnen auf der Ebene der Idee weiterhin eine universale Dimension beigemessen werden konnte, haben sich in diese bipolare Realität von latenter Akzeptanz und gelegentlichem, aus aktuellem Anlaß erwachsenem Konflikt einfügen müssen – in ein pragmatisches System von theoretischer Grundsatztreue und politischer Flexibilität, das den prinzipiellen Vorrang des Papsttums ebenso einschloß wie es für die Könige und Kaiser viele Wirkmöglichkeiten in der Praxis des Herrscheralltags offen ließ. Rudolf von Habsburg (1273 – 1291) etwa hat 1279 den päpstlichen Vorrang anerkannt, als er keinen Einspruch dagegen erhob, daß die Kurfürsten den deutschen Herrscher auf Weisung des Papstes als das kleinere Himmelslicht bezeichneten, das von dem größeren, dem Papst als dem Stellvertreter Christi, beschienen werde; und manche, freilich nicht alle, Nachfolger des Habsburger sind diesem Beispiel konzilianten Entgegenkommens auf der Ebene der Herrschaftstheorie gefolgt und haben, wie von anderen Königen Europas schon längst praktiziert, trotzdem versucht, ihre politischen Interessen – etwa bei der Besetzung von Bistümern – mit unterschiedlichen Mitteln zu wahren. Das beschriebene Spannungsverhältnis, das im lateinischen Westen der Christenheit schon seit dem 4. Jahrhundert angelegt war und sich im Laufe der Zeit entwickelte, das lange durch eine imperiale Präponderanz und die Konvergenz von politischer und religiöser Herrschaft geprägt war und am Ende von Divergenz und zeitweise von einer starken päpstlichen Dominanz gekennzeichnet wurde, und die aus dieser Spannung resultierende Unmöglichkeit, daß eine Seite, daß eine Gewalt, daß Regnum oder Sacerdotium auf Dauer die Dominanz erringen konnte, charakterisieren die Verhältnisse im papstkirchlichen Europa auf besondere Weise und verschafften dieser Region in gewisser Weise eine Sonderstellung. Schon im grie-

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chisch-orthodoxen Christentum des Ostens, im Byzantinischen Reich, ist dies anders gewesen, obwohl sich auch hier eine mit einer besonderen geistlichen Kompetenz ausgestattete Priesterschaft gebildet hatte; aber dieser fehlte die mit einer erhöhten Autorität ausgestattete Spitze, wie es sie im Westen mit dem Papsttum gab und die die geistlichen Kräfte hätte bündeln können. Deshalb blieb in Byzanz, wenn auch mit einigen Wandlungen und am Ende zudem abgeschwächt, die bis in die spätantik-frühbyzantinische Zeit, in die Zeitalter Konstantins und Justinians zurückreichende Dominanz des Basileus über den geistlichen Bereich erhalten. Die Vernichtung des Byzantinischen Reiches, die 1456 mit der osmanischen Eroberung Athens, 1460 mit dem Fall der letzten byzantinischen Besitzungen auf der Peloponnes und 1461 mit dem Untergang des am Schwarzen Meer gelegenen Kaiserreichs von Trapezunt vollendet wurde, der Fall Konstantinopels und der Tod des letzten Basileus Konstantin XI. am 29. Mai 1453 setzten der als Caesaropapismus nicht wirklich treffend, aber auch nicht völlig falsch bezeichneten Bündelung von geistlicher und weltlicher Herrschaft in den Händen eines christlichen Monarchen ein Ende – allerdings nur vorläufig, denn die Deklarierung eines „Dritten Roms“ in Moskau und die Anknüpfung an byzantinische Vorbilder durch die russischen Zaren ließen diese Form einer Weltliches wie Geistliches verquickenden Herrschaft in gewandelter und sich weiter wandelnder Gestalt wieder auf- und bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein fortleben. Außereuropäische Verhältnisse Über Konstantinopel aber, der Gründung des ersten christlichen Kaisers, dem Hort der griechisch-christlichen Orthodoxie, dem Zentrum der byzantinischen Hochkultur und dem Sitz der „heiligen“, von Gott gekrönten und gelenkten Herrscher von Byzanz (hagioi basileis), wehte fortan die grüne Fahne des Propheten, die den Blick auf die Frage lenkt, wie sich in nichtchristlichen Staatswesen das Verhältnis von Religion und Herrschaft in jenen Jahrhunderten gestaltete, die allein aus europäischer Perspektive als mittelalterlich bezeichnet werden. Wenn die Herrschersakralität und die mit ihr konnotierbaren Konvergenzen und Divergenzen religiöser und weltlicher Herrschaft auch getrost als weltweite und epochenübergreifende Phänomene begriffen werden dürfen, so sind sie doch nicht zu allen Zeiten an allen Orten der Welt gleichermaßen stark dokumentiert. Das mittlere und südliche Afrika, Nord-, Mittel- und Südamerika sowie Australien und Ozeanien liegen für die Jahrhunderte zwischen dem Untergang des Weströmischen Reiches und dem Aufziehen der Neuzeit in einem kaum zu durchdringenden Quellendunkel. Asien hingegen mit dem chinesischen, japanischen und indischen Herrschaftsraum und den von diesen Zentren ausstrahlenden politischen und kulturellen Entwicklungen gewährt ebenso wie der Nordafrika, Arabien und Teile Asiens und Europas umfassende Bereich des Islam weitere Einblicke – und diese zeigen Vergleichbares und Analogien, aber auch Differenzen zu den christlichen Herrschaftsverhältnissen und -anschauungen.

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Vor die Zeitenwende zurück reicht das chinesische Kaisertum, dessen Legitimationsprinzipien wohl schon gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends formuliert worden sind und bis in die Moderne hinein in Geltung blieben. Der Kaiser erschien dabei als Inhaber eines himmlischen Mandats (tianming), als Beauftragter des – zunächst anthropomorph, dann aber, und zwar noch vor der Zeitenwende, als divine Größe und allgemeine Chiffre für die Allnatur verstandenen – Himmels, von dem er den Auftrag erhielt, die Welt so zu ordnen, daß sie im Einklang mit der natürlichen Ordnung stand. Dieses Ziel erreichte er nicht allein durch die Ausübung von Herrschaft in engerem Sinne, sondern auch durch den Vollzug entsprechender Kulthandlungen. Vergleichbar dem altägyptischen Pharao trug er damit Verantwortung für den Erhalt und das richtige Funktionieren der Ordnung des gesamten Kosmos sowie für das Wohlergehen seiner Untertanen und den Bestand seines Reiches; er repräsentierte also zumindest hinsichtlich seiner Person und Position ein Herrschaftssystem, das religiöse und profane Elemente vereinte und die Herrscher selbst als „Söhne des Himmels“ mit einem gottähnlichen Zuschnitt ausstattete und sie als Bindeglied zwischen Himmel und Erde präsentierte. Nichts anderes galt, wenn auch erst Jahrhunderte später, für den japanischen Kaiser, der seine Herrschaft nicht zuletzt nach chinesischem Vorbild ebenfalls auf eine himmlische Beauftragung zurückführte. Als Tenno und „Himmelssohn“ war er sogar ein „himmlischer Herrscher“, der – auch noch nach heutiger Vorstellung – von der Sonnengöttin Amaterasu-o¯-mi-kami abstammt und seine Göttlichkeit erst nach einem verlorenen Krieg und dem Abwurf zweier Atombomben am 1. Januar 1946 ablegte. Eine vergleichbare Vorstellungswelt findet sich auch auf dem indischen Subkontinent, wo die Könige ebenfalls zugleich Gewalthaber und Kultverantwortliche mit kosmischer Wirkung waren, von deren richtigem Verhalten beim religiösen Ritual die Ordnung des Universums, aber auch das Wohlergehen der Untertanen und die Fruchtbarkeit der Felder abhing. Weitere Beispiele für einen solchen, oftmals von Indien her beeinflußten Ideenkosmos ließen sich noch aus anderen, südostasiatischen Regionen anführen. Sie alle zeigen eine dauerhafte, wenn auch sicherlich Wandlungen und Nuancierungen unterliegende Herrscheridee, die Machtausübung und religiöse Verantwortung miteinander verband, gelegentlich einen (manchmal erzwungenen) Verzicht auf unmittelbare Herrschaft, nicht jedoch auf den persönlichen Vollzug des Kultes zuließ und die Aufgabe des Herrschers in einen kosmischen Zusammenhang eingebettet sah. Eine prinzipielle Differenz zwischen religiösem und profanem Bereich, wie er für die Geschichte der lateinischen Christenheit charakteristisch gewesen ist, hat es dabei auf der Herrschaftsebene offenbar nicht gegeben. Im Da¯r al-Isla¯m, im weitläufigen Haus des Islam, sah dies im Grunde nicht anders aus, konnte es auch gar nicht anders aussehen, weil die islamischen Staatswesen völlig der religiösen Rechtsordnung unterworfen waren, weswegen die Herrscher zwangsläufig profane und religiöse Aufgaben zu erfüllen hatten. Die Ulema (,ula¯ma‘), die Vertreter der theologischen Gelehrsamkeit, waren daher als Imame auch nicht nur als Vorbeter beim rituellen Gebet tätig, sondern als Muftis

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und Kadis die Gesetzesausleger und Richter, sie waren, wie die wörtliche Übersetzung von ,ula¯ma‘ lautet, Gelehrte und sind, auch wenn sie geistliche Aufgaben erfüllen, keinesfalls mit der christlichen Geistlichkeit gleichzusetzen, die zwar auch über eine gelehrte Ausbildung verfügt, sich aber eben auch durch die Weihe und – außer in den reformierten Kirchen der Neuzeit – durch eine besondere, vom Zölibat geprägte Lebensweise von der Laienschar unterscheidet und als Amtskirche eine stark ausgeprägte Hierarchie entwickelte. War schon allein wegen dieser unterschiedlichen Struktur des geistlichen Bereichs und wegen der juridischen Aufgaben der Ulema die Beziehung eines islamischen Gewalthabers zu den Repräsentanten der religiösen Tradition anders als für einen christlichen König sowie die Konvergenz von profaner und religiöser Ordnung prinzipiell nicht gefährdet, so stand der islamische Herrscher andererseits doch ebenso wie der christliche hinsichtlich Herrschaftslegitimation und -präsentation in antiken und sogar alttestamentlichen Traditionen, was Gemeinsamkeiten der Herrscheridee mühelos – aber wohl kaum allein – verständlich macht. Dies galt in besonderem Maße für den Kalifen. Der Kalif war Führer der Gläubigen (amı¯r al-mu’minı¯n), Nachfolger des Propheten und Stellvertreter Gottes auf Erden, khalı¯fat alla¯h (Kalif Gottes). Das Kalifat, das im 16. Jahrhundert auf die osmanischen Sultane überging und 1924 von der Großen Nationalversammlung der laizistischen Türkei Kemal Atatürks offiziell abgeschafft worden ist, galt als heiliges Amt, der Kalif als gotterwählt, als Schatten und Repräsentant Gottes, gelegentlich wohl auch als gottgleich. Er besaß unbestritten eine in der Religion verankerte Autorität und handelte in göttlichem Auftrag. Die ersten Kalifen nach Mohammeds Tod (632) agierten, ohne selbst prophetische Qualität zu besitzen, als Nachfolger des Propheten und führten dessen religiöse und herrschaftlichen Aufgaben fort: vor allem die Leitung des Gebets, die Führung des Heeres und die Organisation des Staatswesens. Sie verstanden sich dabei wohl von Anfang an als Gottes Stellvertreter, wenn auch die spätere gelehrte Diskussion sie nur als Stellvertreter (= Nachfolger) des Gesandten Gottes (kalı¯fat ˘ rasu¯l alla¯h) gelten lassen wollte. Dahinter stand das Bemühen der islamischen Theologen, das Erklärungsmonopol von Koran und Überlieferung (sunna) zu sichern. Unter Harun ar-Raschid (Ha¯run ar-Rasˇid) (786 – 809) war die Entscheidung schließlich zugunsten der Ulema gefallen: Der Kalif unterstand fortan wie jeder andere Muslim dem religiösen Recht, dessen Auslegung allein Sache der islamischen Gelehrten war, hinter deren im Konsens gefundenen Auslegungen die persönliche Ansicht des Kalifen zurückstehen mußte; aber dieser behielt den Titel „Kalif“, blieb religiöser Führer der islamischen Gemeinschaft und im Bereich der weltlichen Machtausübung praktisch ohne Einschränkung. Ihm stand, war er doch als Imam Vorbeter in der Hauptmoschee der jeweiligen Hauptstadt, die religiöse Anleitung der Untertanen zu und er verkörperte die Vorherrschaft des religiösen Rechts. Um den religiösen Charakter der Aufgabe des Kalifen zu betonen, kam nach 750 als besondere Herrschaftsinsignie der Mantel des Propheten auf, zu dem sich später noch der Stab und das Schwert gesellten, während zuvor allein Zepter und Siegel als Herrschaftssymbole dienten. Bekleidet mit der prophetischen Ge-

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wandung und Ausrüstung trat der Kalif bei feierlichen Handlungen auf, etwa wenn er, was durchaus möglich war, die ihm von Gott im politischen Bereich verliehene Autorität an andere Herrscher delegierte. Obwohl sich die muslimischen Könige mit den selben Epitheta schmückten wie die Kalifen, sich also als Schatten und Stellvertreter Allahs fühlten und vorstellten, kann an dem übergeordneten Rang der Kalifen jedoch nicht gezweifelt werden. Allerdings kam es wie im Christentum auch im Islam zu Spaltungen, welche die nach der Theorie einzigartige Stellung des Kalifen erheblich einschränkten. Die früheste und wohl auch bedeutendste Abspaltung vollzog sich bereits 661, knapp 30 Jahre nach dem Tode des Propheten, als dessen Schwiegersohn und vierter Nachfolger Ali dem Omaijaden Muawiya unterlag und ermordet wurde. Seine Partei (schia), die Schiiten, bestritten fortan die Rechtmäßigkeit der omaijadischen Kalifen und deren nichtomaijadischen Nachfolger und betrachteten allein Nachkommen Alis und der Prophetentochter Fatima als rechtmäßige Leiter der Gesamtgemeinde des Islam, als (in einem speziellen Sinne) Imame, denen stets eine umfassende weltliche und geistliche Autorität zugebilligt wurde. Aber auch das Kalifat selbst war zeitweise verdoppelt und verdreifacht. Die Omaijaden, die in Damaskus residierten, wurden 750 von den Abbasiden abgelöst, die ihr politisches Zentrum nach Bagdad verlegten, wo sie 1258 dem Mongolensturm erlagen, was die seit 1250 in Ägypten herrschenden Mamluken, ehemalige Militärsklaven, nicht zuletzt zur Steigerung des eigenen Prestiges ausnutzten, als ein Mitglied der abbasidischen Familie, das die Katastrophe von 1258 überlebt hatte, nach Kairo floh, wo das Kalifat von 1261 bis 1517, bis zur Eroberung der Stadt durch die Osmanen, als vorrangig religiöse Größe unter der politischen Oberherrschaft der Mamluken fortbestehen konnte, im Vergleich zu früheren Zeiten aber nur noch ein Schattendasein führte. Daneben hat es jedoch immer wieder weitere Kalifate gegeben: 909 bis 1171 das schiitische Kalifat der Fatimiden in Ägypten, 929 bis 1031 das omaijadische Kalifat von Córdoba (Iberische Halbinsel) oder später das Kalifat der Almohaden und ihrer Nachfolger im Maghreb. Das Zusammenwirken weltlicher und geistlicher Elemente bei der Herrschaftsbegründung wie bei der Herrschaftsausübung ist, wie eingangs schon angemerkt, ein weltweites, epochenüberdauerndes und in religiös stark gebundenen Gesellschaften ein strukturell bedingtes Phänomen. Dessen Erscheinungsformen konnten zwar variieren, auch sind Entwicklungen – Ausgestaltungen, Intensivierungen und Abschwächungen – greifbar, aber vorhanden war es immer. Sein Ende wurde auch nicht mit dem Aufziehen der Neuzeit eingeläutet, sondern offenbar erst im Zeitalter der Aufklärung, über das hinaus es aber noch bis in die Moderne hinein nachwirkte. Bemerkenswert ist dabei, daß dieser Vergehensprozeß, an dessen Ende ein weitgehend säkularisiertes Staatswesen mit deutlicher Trennung von religiösem und profanem Bereich steht, dort einsetzte und von dort aus auch auf andere Teile der Welt ausstrahlte, wo – ältere Denkansätze aufgreifend – bereits im hohen Mittelalter die grundsätzliche Konvergenz von weltlicher und geistlicher Sphäre in eine prinzipielle Divergenz umgeschlagen war. Zufall wird das kaum gewesen sein. Die politi-

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Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft

sche Bedeutung der Konvergenz beider Sphären freilich muß sehr differenziert betrachtet werden. Zweifellos ist die religiöse Konnotation von Herrschaft, unabhängig davon, wie stark sie dem Herrscher Wirkmöglichkeiten im geistlichen Bereich eröffnete, immer ein Mittel der Herrschaftslegitimation gewesen, ohne dabei – zumindest wohl in der Vormoderne – pure Propaganda zu sein. Sie dürfte in der Regel vielmehr auch geglaubt worden sein. Allerdings entfaltete sie ihre Wirkungen nie unabhängig von anderen Faktoren; so vermochte sie etwa keine Macht zu schaffen, wo nicht schon welche vorhanden, oder Macht zu erhalten, wo diese im Schwinden begriffen war. Dieses Korrelationsverhältnis zu anderen – politischen, sozialen oder ökonomischen Faktoren – gilt es immer zu beachten, und dies nicht zuletzt, weil es auch von paränetischen Aspekten beeinflußt werden konnte. Die religiöse Konnotation schuf nämlich nicht nur Legitimation und Legitimität, sondern auch die Möglichkeit zur Mahnung, wenn ein Herrscher seine religiösen Aufgaben und Pflichten nicht richtig erfüllte oder nicht richtig zu erfüllen schien. Sie besaß mithin eine gewisse Ambivalenz, die sich – wie wohl meist – stabilisierend auf eine Herrschaft auswirken, aber auch zu deren Niedergang oder Wandel beitragen konnte.

Vom „magischen Kitt“ der Monarchie Ein Essai über die longue durée und das allmähliche Verblassen religiöser Herrschaftsbezüge Man kann es drehen und wenden wie man will: Über Jahrtausende hinweg durchdrangen sich Religion und Herrschaft auf symbiotische Weise, waren Herrschaft ohne religiöse Verankerung und Ausübung des Kults ohne herrscherlichen Schirm, ohne herrscherliche Förderung kaum denkbar. Erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts scheint dieser Konnex, wenn auch nach einer langen Vorgeschichte zunehmender Trennung, im europäisch-abendländischen Kulturkreis weitgehend aufgelöst1. Angesichts dieser langen Dauer religiöser Herrschaftsbezüge und des nur langsamen Verblassens der sakralen Dimension von Herrschaft2 ist es vielleicht gar nicht so überraschend, wenn auch immer noch ungewöhnlich, daß der Beitrag eines Mediävisten eine Tagung über Monarchien in der Moderne beschließt, wenn also nicht in chronologischer Ordnung das mediävistische Fundament für die Erörterung moderner Phänomene ausgebreitet, sondern eine zeitenüberwölbende Zusammenschau geboten werden soll. Vom Ende aus ist daher über Jahrhunderte zurückzublicken und aufzuzeigen, was sich trotz Änderungen im Einzelnen über lange Zeiträume hinweg an Vorstellungen über das Königtum erhalten hat3, was mithin zum Traditionskern der monarchischen Legitimation geErscheint auch in: Benjamin Hasselhorn / Marc von Knorring (Hgg.), Vom Olymp zum Boulevard: Die europäischen Monarchien von 1815 bis heute – Verlierer der Geschichte? (= Prinz-Albert-Forschungen / Prince Albert Research Publications N. F., 1), Berlin 2018. 1 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert, in: ders., Der säkularisierte Staat. Sein Charakter, seine Rechtfertigung und seine Probleme im 21. Jahrhundert (= Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Themen Bd. 86), München 2007, S. 11 – 41, und Martin Rhonheimer, Christentum und säkularer Staat. Geschichte – Gegenwart – Zukunft. Mit einem Vorwort von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Freiburg / Basel / Wien 2012, S. 134 – 191. 2 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006, bes. S. 222 – 225; ders., Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft, in: Johannes Fried / Ernst-Dieter Hehl (Hgg.), Weltdeutungen und Weltreligionen. 600 bis 1500 (= WBG-Weltgeschichte III), Darmstadt 2010, S. 279 – 305; ders., Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: ders. (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002, S. 7 – 32, bes. 7 – 11 und 16 – 20. 3 Vgl. dazu für das Mittelalter Franz-Reiner Erkens, Herrscher und Herrschaftsidee nach herrschaftstheoretischen Äußerungen des 14. Jahrhunderts, in: Hubertus Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (1314 – 1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, S. 29 – 61,

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hörte. Die Abenddämmerung monarchischer Herrschaft gilt es gleichsam mit der Morgenröte der Monarchie zu verknüpfen und dabei weniger die immer wieder greifbaren und zukunftsträchtigen Neuerungen, die es natürlich gab, sondern die sich ausdünnenden Traditionen und deren Windungen zu erfassen. Der weite Bogen, der dabei gespannt werden muß, läßt natürlich keine detailgesättigte Darstellung zu und verlangt nach Konzentration – nach Konzentration auf die Grundzüge der Entwicklung und auf besondere Aspekte des Themas. Daher geht es vorrangig um die religiösen Bezüge, in die Monarch und Monarchie verwoben erscheinen, und weniger um die Herrschaft selbst, um das System und die Praxis der Herrschaftsausübung oder um den Staat, der im eigentlichen Sinne ohnehin ein Produkt erst der Neuzeit gewesen ist4, dessen Werden jedoch nachhaltig einwirkte auf das Verschwinden der sakral-religiösen Dimension des Herrschertums. Denn: Der christliche Herrscher galt als Gottes Erwählter und Sachwalter auf Erden und besaß eine allgemeine seelsorgerische Verantwortung5, insofern er die irdischen Verhältnisse so zu ordnen hatte, daß die Untertanen ein gottgefälliges und seelenheilsicherndes Leben führen konnten. Da der Herrscher also eine eminent religiöse Aufgabe zu erfüllen hatte, konnte das Herrschaftssystem nicht religionsneutral sein. Der neuzeitliche Staat jedoch, seine Kontur gewinnend angesichts der verheerenden Konfessionskriege, die sich nach der Spaltung der abendländischen Christenheit nicht zuletzt entwickelten wegen des Absolutheitsanspruchs der Religionen und Konfessionen, das nun Gestalt annehmende Staatswesen der Neuzeit suchte, und zwar zunehmend erfolgreich, den Religionskonflikt aus dem staatlichen Bereich zu verbannen, indem es sich für neutral erklärte gegenüber Fragen der religiösen Wahrheit sowie gegenüber den verschiedenen Glaubensrichtungen und dabei Glauben wie Glaubensangelegenheiten allein in die Verantwortung des Individuums (und natürlich der Glaubensgemeinschaften) verwies. In diesem Sinne ist, wenn auch nicht ausschließlich, der moderne Staat das Ergebnis einer in der frühen Neuzeit einsetzenden Säkularisierung6, eines Herauslösens der Herrschaftsordnung aus den traditionell alles Menschliche fundierenden und prägenden religiösen Bebes. 38 – 53; ders., Thronfolge und Herrschersakralität in England, Frankreich und im Reich während des späteren Mittelalters: Aspekte einer Korrelation, in: Matthias Becher (Hg.), Die Thronfolge im europäischen Vergleich (= Vorträge und Forschungen; im Manuskript abgeschlossen), sowie für die Neuzeit ders., Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 2), S. 16 ff., und ders., Herrschersakralität. Ein Essai, in: Andrea Beck / Andreas Berndt (Hgg.), Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen (= Beiträge zur Hagiographie 13), Stuttgart 2013, S. 15 – 32, bes. 28 – 31. 4 Vgl. Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 22000, etwa S. 16. 5 Vgl. dazu Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 27 – 33, und ders., Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 3), S. 18. 6 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Der säkularisierte Staat (wie Anm. 1), S. 43 – 72 [erstmals 1967, in: Säkularisation und Utopie. Ebracher Studien. Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, Stuttgart, S. 75 – 94; nachgedruckt in: E.-W. Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt 2006, S. 92 – 114].

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zügen. Von diesem Prozeß konnte die religiöse Legitimierung der Herrschaft nicht unberührt bleiben, auch wenn die Schwächung der religiösen Legitimation nicht in gleichem Maße Fortschritte machte wie die Säkularisierung des Staatswesens und daher festzuhalten ist: Während der neuzeitliche Staat seit der Mitte des 17. Jahrhunderts immer stärker säkularisiert erscheint und religionsneutral wird, herrscht der König weiterhin dei gratia: aus der Gnade Gottes. Daneben ist an eine weitere Entwicklung zu erinnern, die sich schwächend auf die religiöse Legitimation von Herrschaft auswirken mußte: an die schleichende Entchristlichung Europas seit dem siècle de lumière. Das ist ein vielschichtiger, nicht leicht zu fassender und keinesfalls ohne retardierende Phasen verlaufender Prozeß, der bis heute anhält und keinesfalls in einem puren Atheismus enden muß. Vielmehr entwickelten sich in seinem Verlauf verschiedene religiöse Spielarten, Bewegungen quasireligiösen Charakters, esoterische Sekten, Formen privater Frömmigkeit, aber auch die Sakralisierung der Nation, die Entstehung sog. politischer Religionen, die Entfaltung zivilreligiöser Tendenzen. Diese Strömungen schließen sich nicht unbedingt aus – ein die Heiligkeit der Nation feiernder Bürger konnte dies durchaus mit seinem christlichen Glauben verbinden7 – und dürften daher gelegentlich auch stabilisierend auf die Vorstellungswelt religiöser Herrschaftslegitimierung eingewirkt haben, aber auf Dauer und in der Summe erweisen sie sich doch als destruktiv für einen ohnehin verblassenden Ideenkosmos. Zugleich verdeutlichen sie aber auch, wie sehr sich Politisches und Religiöses durchdringen können und über Jahrhunderte hinweg durchdrungen haben8, denn die Sakralisierung der Nation weist ebenso traditionelle religiöse Elemente und Strukturen auf9 7 Vgl. etwa die von dem Ersten Weltkrieg befeuerten, nach zwei (verlorenen) Weltkriegen und den Greueltaten des nationalsozialistischen Regimes und der Überwindung einer nationalen Hybris mehr als abstrus wirkenden Thesen von Friedrich Andersen / Adolf Bartels / Ernst Katzer / Paul Freiherr von Wolzogen, Deutschchristentum auf rein=evangelischer Grundlage. 95 Leitsätze zum Reformationsfest 1917, Leipzig 1917, wo auf S. 5 als Ziel die „Verdeutschung des Christentums“ (§3; vgl. §4) formuliert wird, auf S. 6 mit spürbarem antijüdischen Affekt von einer „innigere[n] Verbindung zwischen Deutschtum und Christentum“ (§ 7) die Rede ist und es auf S. 27 heißt: „…, daß dieses Christentum des Heilandes unserem inneren Deutschtum grundverwandt ist, …“ (§73, vgl. §74), und wo Luther natürlich als „der kerndeutsche Mann“ (S. 3) apostrophiert wird. 8 Vgl. etwa den Überblick von Armin Adam, Politische Theologie. Eine kleine Geschichte (= Theophil 12), Zürich 2006, in dem vor allem das Spannungsverhältnis zwischen weltlicher Herrschaft und religiös-kirchlicher Sphäre behandelt wird. Zu dem Begriff der Politischen Theologie und der mit ihm verbundenen Problematik vgl. Henning Ottmann, Politische Theologie, in: Manfred Walther (Hg.), Religion und Politik. Zu Theorie und Praxis des theologisch-politischen Komplexes (= Schriftenreihe der Sektion Politische Theorien und Ideengeschichte in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft 5), Baden-Baden 2004, S. 73 – 83, der zu Recht auf die herrschaftsrelativierende Bedeutung der sog. Politischen Theologie hinweist (deren affirmative Funktion daher nicht absolut gesetzt werden darf). 9 Vgl. allg. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 bis 1918, Bd. I: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1998 [erstmals 1990], S. 486 – 495 und 517 f., sowie im Speziellen Peter Walkenhorst, Nationalismus als „politische Religion“? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich, in: Olaf Blaschke / Frank-Michael Kuhlemann

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wie die vor allem im 20. Jahrhundert virulenten politischen Religionen10 des Kommunismus11 und Nationalsozialismus12. Traditionelle, aus den kirchlichen (Hgg.), Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen (= Religiöse Kulturen der Moderne 2), Gütersloh 1996, S. 503 – 529, der sich (etwa auf S. 528) wohl zu Recht gegen die Charakterisierung des Nationalismus als ,politische Religion‘ (zu diesem Begriff vgl. die folgende Anm.) wendet, wohl aber dessen ,religiöse Dimension‘, hervorgegangen aus einem mehrdimensionalen Prozeß (vgl. S. 527), betont und dabei die „transzendente“ (S. 503) und „religiöse Qualität“ (S. 516) hervorhebt, aber auch auf die vornehmlich protestantische Prägung des „offiziellen Nationalismus“ (S. 517) hinweist. Freilich entwickelten auch die Katholiken ein „Nationalbewußtsein“, das sich jedoch vom „Nationalismus im protestantischen Deutschland“ unterschied, da die Vorstellung von „der Kirche als Mittlerin zwischen Gott und Welt“ eine „religiöse Überhöhung der Nation“ behinderte, wie Wolfgang Altgeld, Katholizismus, Protestantismus, Judentum. Über religiös begründete Gegensätze und nationalreligiöse Ideen in der Geschichte des deutschen Nationalismus (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte B 59), Mainz 1992, S. 162, betont. Jedoch konnte sich auch in katholischen Regionen das Nationalgefühl zu religiösem Patriotismus steigern, wie zu Beginn des Ersten Weltkriegs geschehen (vgl. Winfried Becker, Religiöse und nationale Orientierung im Widerstreit? Deutsche Militärseelsorge im Ersten Weltkrieg, in: Pass. Jb. 56 [2014] S. 259 – 280) oder wie das Beispiel Frankreichs als katholischer, in weiten Teilen aber auch laizistischer Nation lehrt (vgl. ebd. S. 274). Die ,Sakralisierung der Nation‘, bei der die „exklusive Nähe zu Gott“ eine Rolle spielte, die Nation zu einem loyalitätsfordernden „Letztwert“, zu einem „höchsten Wert“ aufgewertet wurde, die aber zu keiner Ablösung der herkömmlichen Religion führte (vgl. dazu Friedrich Wilhelm Graf, Die Nation – von Gott „erfunden“? Kritische Randnotizen zum Theologiebedarf der historischen Nationalismusforschung, in: Gerd Krumeich / Hartmut Lehmann [Hgg.], „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert [= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 162], Göttingen 2000, S. 285 – 317, bes. 308 f. und 312 f.), setzte in den Befreiungskriegen ein und durchzog das ganze 19. Jahrhundert (vgl. dazu schon Friedrich Meinecke, Die deutschen Erhebungen von 1813, 1848, 1870 und 1914, in: ders., Die deutsche Erhebung von 1914. Vorträge und Aufsätze, Stuttgart / Berlin 1914, S. 9 – 38, aber auch Hans-Christof Kraus, Heiliger Befreiungskampf? Sakralisierende Kriegsdeutungen 1813 – 1815, in: HJb 134 [2014] S. 44 – 60, bes. 59 f.) und führte am Ende sogar zur Nationalisierung und Eindeutschung Gottes (vgl. dazu Robert Hepp, Politische Theologie und theologische Politik. Studien zur Säkularisierung des Protestantismus im Weltkrieg und in der Weimarer Republik, Diss. (masch.) ErlangenNürnberg 1967, S. 9 ff., sowie Max Lenz, Der deutsche Gott, in: Süddeutsche Monatshefte, Sept. 1914, S. 821 – 823 [der freilich nicht Gott zum Deutschen macht, sondern die Deutschen in ein besonderes Verhältnis zu Gott setzt], und Klaus Schiller, Politische Religiosität, in: Walter Künneth / Helmuth Schreiner [Hgg.], Die Nation vor Gott. Zur Botschaft der Kirche im Dritten Reich, Berlin 1933, S. 422 – 440, bes. 427 ff.). 10 Zu Begriff und Sache vgl. Eric Voegelin, Die politischen Religionen, München 1993 [erstmals Wien 1938, und dazu Hans-Christof Kraus, Eric Voegelin redivivus? Politische Wissenschaft als Politische Theologie, in: Michael Ley / Julius H. Schoeps (Hgg.), Der Nationalsozialismus als politische Religion (= Studien zur Geistesgeschichte 20), Bodenheim b. Mainz 1997, S. 74 – 88, bes. 78 ff.]; Raymond Aron, L’avenir des religions séculières, in: Commentaire 8 (1985) S. 369 – 383 [erstmals 1944]; Hans Maier, „Politische Religionen“. Ein Konzept des Diktaturvergleichs, in: Hermann Lübbe (Hg.), Heilserwartung und Terror. Politische Religionen des 20. Jahrhunderts (= Schriften der Kath. Akad. In Bayern 152), Düsseldorf 1995, S. 94 – 122; ders., Konzepte des Diktaturvergleichs: „Totalitarismus“ und „Politische Religionen“, in: ders. (Hg.), ,Totalitarismus‘ und ,Politische Religionen‘. Konzepte des Diktaturvergleichs (= Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft 16), Paderborn 1996, S. 233 – 250; Dietmar Herz, Der Begriff der

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Glaubensgemeinschaften bekannte Ausdrucksformen und Symbole13, aber auch Einstellungen und Haltungen ließen sich von solchen politischen Bewegungen vereinnahmen und zur Festigung der eigenen Gemeinschaft verwenden. Selbst die in jüngerer Zeit so häufig beachtete Zivilreligion14, vielgestaltig und sogar gegensätzlich in ihren konkreten Erscheinungsformen, kann offenbar nur schwer auf eine Adaptation bekannter Äußerungsformen und Verhaltensweisen der traditionellen Religion verzichten. Für Rousseaus „religion civile“, voraufklärerisch in ihrem vom Bürger erzwungenen Bekenntnis sowie alle traditionellen Tugenden des Christentums für das Staatswesen einfordernd und zugleich die Kirche ausschließend15, gilt dies ebenso wie für die amerikanische „civil religion“, die bei strikter Trennung von Religion und Politik „In God we trust“ auf die Geldscheine drucken läßt und offenbar spielend die religiöse Überhöhung der Nation und eine entsprechende Hin„politischen Religionen“ im Denken Eric Voegelins, ebd., S. 191 – 209; Markus Huttner, Totalitarismus und säkulare Religionen. Zur Frühgeschichte totalitarismuskritischer Begriffsund Theoriebildung in Goßbritannien (= Schriftenreihe Extremismus & Demokratie 14), Bonn 1999, sowie Claus-E. Bärsch, Der Topos der Politischen Religion aus der Perspektive der Religionspolitologie, in: Michael Ley u. a. (Hgg.), Politische Religion? Politik, Religion und Anthropologie im Werk von Eric Voeglin, Paderborn 2003, S. 175 – 197, bes. 180 – 186; Graf, Die Nation (wie Anm. 9), S. 305 – 308. 11 Vgl. Michael Rohrwasser, Religions- und kirchenähnliche Strukturen im Kommunismus und Nationalsozialismus und die Rolle des Schriftstellers, in: Maier (Hg.), ,Totalitarismus‘ und ,Politische Religionen‘ (wie Anm. 10), S. 383 – 400. 12 Vgl. Claus-Ekkehard Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 22002, sowie die entsprechende, in Anm. 10 angeführte Literatur. 13 Vgl. Graf, Die Nation (wie Anm. 9), S. 305, 311, und Walkenhorst, Nationalismus (wie Anm. 9), S. 503, 516. 14 Vgl. zu dieser den 1986 erstmals erschienenen und 2004 in erweiterter Fassung vorgelegten Sammelband von Heinz Kleger / Alois Müller (Hgg.), Religion des Bürgers. Zivilreligion in Amerika und Europa (= Soziologie 14), Münster 2004 (darin neben dem Vorwort der Herausgeber zur 2. Aufl. „Von der atlantischen Zivilreligion zur Krise des Westens“, S. I–XLVII, und deren Einleitung „Bürgerliche Religion, Religion des Bürgers, politische Religion, Zivilreligion, Staatsreligion, Kulturreligion“, S. 7 – 15, bes. Hermann Lübbe, Staat und Zivilreligion. Ein Aspekt politischer Legitimität, S. 195 – 229 [erstmals in: Norbert Achterberg / Werner Krawietz (Hgg.), Legitimation des modernen Staates (= Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie, Beiheft 15), Wiesbaden 1981, S. 40 – 64]; Hermann Lübbe, Religion der Aufklärung, Graz 1986, S. 306 – 327 („Exkurs über ,Zivilreligion‘“). 15 J.-J. Rousseau, Du Contrat social ou Principes du Droit Politique (= Bibliothèque française 40), Berlin 1922, S. 143 – 156 (IV 8), bes. 148, 150 f. und 155 f.; dt. Ausgabe: Der Gesellschaftsvertrag oder Die Grundsätze des Staatsrechts, in der verbesserten Übersetzung von H. Denhardt hg. und eingeleitet von Heinrich Weinstock, Stuttgart 1969, S. 181 – 195, bes. 186, 188 f. und 194 f. Vgl. dazu Böckenförde, Der säkularisierte Staat (wie Anm. 1), S. 28 f.; Rolf Schieder, Civil Religion. Die religiöse Dimension der politischen Kultur, Gütersloh 1987, S. 51 f.; Lübbe, Staat und Zivilreligion (wie Anm. 14), S. 42 f.; Adam, Politische Theologie (wie Anm. 8), S. 137 f., sowie Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III: Die Neuzeit 1. Von Machiavelli bis zu den großen Revolutionen, Stuttgart 2006, S. 490 ff.

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gabe vieler Bürger ermöglicht16, während in Europa wenig Einmütigkeit darüber besteht, was unter Zivilreligion genau zu verstehen ist und es hier wegen unterschiedlicher nationaler Traditionen offenkundig schwer fällt, einen einheitlichen Begriff von dem oft bemühten Schlagwort zu gewinnen17. Vor dem Hintergrund des bis in das 20. Jahrhundert hinein unverkennbaren Zusammenhangs von (gelegentlich säkularisierter) Religion und Politik, der sich etwa auch darin spiegelt, daß „Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät“ Franz Josef „von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen“ noch 1903 Einfluß auf die Wahl des Papstes ausüben und einen ihm nicht genehmen Kandidaten von dieser ausschließen lassen konnte18, daß katholischen wie evangelischen Herrschern in Konkordaten oder anderen Dokumenten des 16 Vgl. Robert N. Bellah, Zivilreligion in Amerika, in: Kleger/Müller, Religion des Bürgers (wie Anm. 10), S. 19 – 41 [engl. 1967], sowie Lübbe, Staat und Zivilreligion (wie Anm. 14), S. 45 und 55; Schieder, Civil Religion (wie Anm. 15), S. 55 – 82, und allg. Detlef Junker, Power and Mission. Was Amerika antreibt, Freiburg i. Br. 2003, etwa S. 18; Manfred Henningen, Politische Religion versus Zivilgesellschaft, in: Ley u. a. (Hgg.), Politische Religion? (wie Anm. 10), S. 101 – 113, bes. 108 ff.; Marcia Pally, In God we trust, in: FAZ Nr. 253 vom 30. Okt. 2010, S. 8. 17 Vgl. dazu etwa Herbert Scheit, „Zivilreligion“ – Liberalitätsgarant des Staates? Eine Auseinandersetzung mit Hermann Lübbe, in: Polit. Vierteljahresschrift 25 (1984) S. 339 – 348; Walter Seitter, Brauchen wir eine Zivilreligion?, in Ley u. a. (Hgg.), Politische Religion? (wie Anm. 10), S. 15 – 134, bes. 121 – 127; Heinz Kleger / Alois Müller, Mehrheitskonsens als Zivilreligion? Zur politischen Religionsphilosophie innerhalb liberal-konservativer Staatstheorie, in dies. (Hgg.), Religion des Bürgers (wie Anm. 10), S. 221 – 262, etwa 240, oder auch Leo Layendecker, Zivilreligion in den Niederlanden, ebd., S. 64 – 84, bes. 68, und die Definitionsbemühungen von Jean-Paul Willaime, Zivilreligion nach französischem Muster, ebd., S. 147 – 174, bes. 158 f. („Sprechen wir also von Zivilreligion, so meinen wir damit die Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihr Zusammen-Sein zelebriert, insbesondere die gemeinschaftlichen Riten, die sie sich gibt, und das Imaginäre, das sie dabei ins Spiel bringt.“) und die ergänzende Erläuterung auf S. 166 („Die französische Zivilreligion ist zwar eine laizistische, aber dennoch ist es ihr nicht gelungen, jeden religiösen Bezug von dem von ihr in Anspruch genommenen Imaginären auszutilgen.“); Niklas Luhmann, Grundwerte als Zivilreligion. Zur wissenschaftlichen Karriere eines Themas, ebd., S. 175 – 194 [erstmals 1981, in: Archivio di Filosofia 2, S. 51 – 71], bes. 175 („Der in den letzten Jahren aus den Vereinigten Staaten rückimportierte Begriff der ,Zivilreligion‘ soll Mindestelemente eines religiösen oder quasireligiösen Glaubens bezeichnen, für den man bei allen Mitgliedern der Gesellschaft Konsens unterstellen kann. Hierzu gehört die Anerkennung dessen, was man in der deutschen politischen Diskussion gegenwärtig ,Grundwerte‘ nennt, also die Anerkennung der in der Verfassung kodifizierten Wertideen.“), und Lübbe, Staat und Zivilreligion (wie Anm. 14), S. 57 („Zivilreligion ist das Ensemble derjenigen Bestände religiöser Kultur, die in das politische System faktisch oder sogar förmlich-institutionell … integriert sind, die somit auch den Religionsgemeinschaften nicht als ihre eigene interne Angelegenheit überlassen sind, …“). 18 Vgl. Norbert Miko, Das Konklave vom Jahre 1903 und das österreichisch-ungarische Veto, in: Theol.-Prakt. Quartalsschrift 101 ( 1953) S. 285 – 302, und Franz-Reiner Erkens, Die Bischofswahl im Spannungsfeld zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt. Ein tour d’horizon, in: ders. (Hg.), Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich (= Beihefte zum AKG 48), Köln 1998, S. 1 – 32, bes. 1 f. – Zum Titel des Kaisers vgl. Michaela und Karl Vocelka, Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn. 1830 – 1916. Eine Biographie, München 2015, S. 75.

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19. Jahrhunderts ein spürbarer Einfluß auf die Personalentscheidung bei den Erhebungen katholischer Bischöfe eingeräumt worden ist19, daß der englische Monarch das Oberhaupt der anglikanischen Kirche war (und ist), evangelische Fürsten eine vergleichbare Position in ihren Landeskirchen innehatten, der evangelische Landesherr zum summus episcopus avanciert war20 und daher gelegentlich sogar wie der preußische König – freilich nicht ohne Widerspruch21, aber doch auch mit Zustimmung22 – Einfluß auf die Liturgiegestaltung nehmen wollte23, vor diesem Hintergrund sowie vor dem Hintergrund der beiden skizzierten Entwicklungen allgemeiner Phänomene, der Säkularisierung des Staatswesens und der zunehmenden Entchristlichung der Gesellschaft, ist die Entwicklung der religiösen Herrschaftsidee zu betrachten, der Vorstellung von einer besonderen Gottesnähe der Monarchen. Dazu sollen zunächst Philosophen und Dichter zu Wort kommen. „Im allgemeinen“, so erklärte Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seinen zwischen 1821 und 1831 gehaltenen „Vorlesungen über die Philosophie der Religion“24, ist die Religion und die Grundlage des Staates eines und dasselbe; sie sind an und für sich identisch“; und vergaß dabei nicht zu betonen, daß „die Gesetze, die Obrigkeit, die Staatsverfassung“ nach Ansicht der Menschen von Gott her abgeleitet und dadurch „autorisiert“ würden25. Griffiger als der zum preußischen Staatsphilosophen stilisierte Schwabe beschrieb etwa ein halbes Jahrhundert später der ins Alemannische gezogene und dort staatenlos gewordene Preuße Friedrich Nietzsche diese Zusammenhänge, als er, der große Unzeitgemäße, in der „Geburt 19

Vgl. Erkens, Die Bischofswahl (wie Anm. 18), S. 3 – 7, bes. 5 f. (und die dort angeführten Belege). 20 Vgl. Wilhelm Maurer, Die Entstehung des Landeskirchentums in der Reformation, in: ders., Die Kirche und ihr Recht. Gesammelte Aufsätze zum evangelischen Kirchenrecht, hg. von Gerhard Müller und Gottfried Seebass, Tübingen 1976, S. 135 – 144 [erstmals 1966, in Walter Peter Fuchs (Hg.), Staat und Kirche im Wandel der Jahrhunderte, S. 69 – 78], und Johannes Heckel, Die Entstehung des brandenburgisch-preußischen Summepiskopats, in: ders., Das blinde, undeutliche Wort ,Kirche‘. Gesammelte Aufsätze., hg. von Siegfried Grundmann, Köln 1964, S. 371 – 386 [erstmals 1924, in: ZRG KA 13, S. 266 – 283], sowie Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 – 1918, Bd. I (wie Anm. 9), S. 480 – 485, und HansChristof Kraus, Staat und Kirche in Brandenburg-Preußen unter den ersten beiden Königen, in: Joachim Bahlcke / Alexander Schunka (Hgg.), Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700 (= Jabloniana 1), Wiesbaden 2008, S. 47 – 85. 21 Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Ueber das liturgische Recht evangelischer Landesfürsten. Ein theologisches Bedenken von Pacificus Sincerus (Göttingen 1824), in: ders., Kirchenpolitische Schriften. Hg. von Günter Meckenstock unter Mitwirkung von HansFriedrich Traulsen (= F. D. E. Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe, Erste Abt.: Schriften und Entwürfe, Bd. 9), Berlin / New York 2000, 211 – 269 (zu dieser Schrift vgl. ebd. S. LXXI–LXXXI). 22 Vgl. ebd. S. LXXI. 23 Zum historischen Hintergrund des Konflikts vgl. Thomas Stamm-Kuhlmann, Friedrich Wilhelm III. (1797 – 1840), in: Frank-Lothar Kroll (Hg.), Preußens Herrscher. Von den ersten Hohenzollern bis Wilhelm II., München 22009, S. 197 – 218, etwa 201, 203. 24 Werke 16 (= stw 616), Frankfurt/M. 1995, S. 236. 25 Vgl. ebd. S. 237.

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der Tragödie“ verkündete26: „… der Staat kennt keine mächtigeren ungeschriebenen Gesetze als das mythische Fundament, das seinen Zusammenhang mit der Religion, sein Herauswachsen aus mythischen Vorstellungen verbürgt“, und in „Menschliches Allzumenschliches“ „für freie Geister“ weiter ausführte27: „Der Glaube an eine göttliche Ordnung der politischen Dinge, an ein Mysterium in der Existenz des Staates ist religiösen Ursprungs: schwindet die Religion, so wird der Staat unvermeidlich seinen alten Isisschleier verlieren und keine Ehrfurcht mehr erwecken“. Wiederum etwa ein halbes Jahrhundert später erläuterte der ehrfürchtige Trinker Joseph Roth, dessen Analysefähigkeit jedoch nicht durch den hohen Alkoholkonsum beeinträchtigt wurde, einen Grund für den in sehnsüchtiger Wehmut empfundenen Untergang des habsburgischen Vielvölkerreiches und ließ in seinem 1932 erschienenen „Radetzkymarsch“ den polnischen Grafen Chojnicki kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs über das absehbare Ende der K. u. K. Monarchie räsonieren28: „Die Monarchie, unsere Monarchie, ist begründet auf der Frömmigkeit: auf dem Glauben, daß Gott die Habsburger erwählt hat, über soundso viel christliche Völker zu regieren. Unser Kaiser ist ein weltlicher Bruder des Papstes, es ist seine K. u. K. Apostolische Majestät in Europa, keine andere wie er apostolisch, keine andere Majestät in Europa so abhängig von der Gnade Gottes und vom Glauben der Völker an die Gnade Gottes. Der deutsche Kaiser regiert, wenn Gott ihn verläßt, immer noch, eventuell von der Gnade der Nation. Der Kaiser von Österreich-Ungarn darf nicht von Gott verlassen werden. Nun aber hat ihn Gott verlassen“. Nicht nur den Zusammenhang von Politik und Religion lassen diese, um eine einschlägige, freilich aus dem tiefen Brunnen der Vergangenheit herauftönende Stimme aus Thomas Manns „Joseph und seine Brüder“29 vermehrbaren Zitate erkennen, sondern vor allem auch, daß man im 19. und frühen 20. Jahrhundert um ihn wußte. Gerade das letzte Zitat verdeutlicht zudem, und darauf soll im folgenden vermehrt das Augenmerk gelegt werden, wie sehr dabei noch nach 1900 die weit ins Altertum zurückreichende Vorstellung vom Nahverhältnis des Monarchen zu Gott 26 Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (= Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hg. von Giorgo Colli und Mazzino Montinari, Bd. 1), München 21988 [erstmals 1872], S. 9 – 156, hier: 145 (cap. 23). 27 Menschliches Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister (= Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke in Einzelbänden), Stuttgart 81978 [erstmals 1878], Bd. I, S. 300 (Aphorismus 472: „Religion und Regierung“). 28 Zitiert nach der 1998 erschienenen 16. Auflage der Taschenbuchausgabe des Verlags Kiepenheuer & Witsch: S. 198. Zu Josef Roth und seiner prekären Situation in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts vgl. die eindrucksvolle Schilderung von Volker Weidermann, Ostende 1936 – Sommer der Freundschaft, Köln 2014. 29 Bd. IV: Joseph, der Ernährer, Frankfurt/Main (Fischer-Taschenbuch) 1996, S. 107: „Es heißt die Einheit der Welt verkennen, wenn man Religion und Politik für grundverschiedene Dinge hält, die nichts miteinander zu schaffen hätten noch haben dürften, so daß das eine entwertet und als weniger unecht bloßgestellt wäre, wenn ihm ein Anschlag vom anderen nachgewiesen würde“.

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eine Rolle spielte30. Zwar hatte diese Vorstellung, wie Nietzsche in seinen Aphorismen über „Menschliches Allzumenschliches“ hervorhebt, im Laufe der Zeit deutlich an Allgemeinverbindlichkeit verloren, aber vorhanden war sie noch immer und begründete nicht zuletzt die Ehrfurcht vor dem Fürsten – denn, so der sprachmächtige Diagnostiker seiner Zeit31: „Die Menschen verkehren mit ihren Fürsten vielfach in ähnlicher Weise wie mit ihrem Gotte, wie ja vielfach auch der Fürst der Repräsentant des Gottes, mindestens sein Oberpriester war. Diese fast unheimliche Stimmung von Verehrung und Angst und Scham war und ist viel schwächer geworden, aber mitunter lodert sie auf und heftet sich an mächtige Personen überhaupt“. Und selbst Immanuel Kant vermochte 1795 in seinen Gedanken „Zum ewigen Frieden“ dem vikarialen Gottesgnadentum der Monarchen Positives abzugewinnen32, als er im Sinne eines kritischen Rationalismus mit pädagogischer Attitüde ausführte33 : „Man hat die hohen Benennungen, die einem Beherrscher oft beigelegt werden (die eines göttlichen Gesalbten, eines Verwesers des göttlichen Willens auf Erden und Stellvertreter desselben), als grobe schwindligmachende Schmeicheleien oft getadelt; aber mich dünkt, ohne Grund. – Weit gefehlt, daß sie den Landesherrn sollten hochmütig machen, so müssen sie ihn vielmehr in seiner Seele demütigen, wenn er Verstand hat (welchen man doch voraussetzen muß), und es bedenkt, daß er ein Amt übernommen habe, was für einen Menschen zu groß ist, nämlich das Heiligste, was Gott auf Erden hat, das Recht der Menschen zu verwalten, und diesem Augapfel Gottes irgend worin zu nahe getreten zu sein jederzeit in Besorgnis stehen muß“. Die von Kant angeführte Vorstellung vom Herrscher als einem „Verweser des göttlichen Willens auf Erden“ und damit als irdischem Stellvertreter Gottes ordnet sich in einen uralten Ideenhorizont ein, der sich über die gesamte Welt wölbte und bis weit in die Frühzeit der Menschheit zurückreicht34. In der Spätantike nahm sie im Imperium Romanum, hellenistische, aus dem alten Orient und dem alten Ägypten heraufreichende Traditionen mit alttestamentlich-christlichem Gedankengut verknüpfend, eine besondere Gestalt an und strahlte, nicht zuletzt kirchlich vermittelt, auf alle in Europa entstehende Königreiche aus. Die Idee der Gottesnähe, der besonderen Beauftragung und Verantwortung des christlichen Herrschers 30 Vgl. dazu Franz-Reiner Erkens, Sakralkönigtum und sakrales Königtum. Anmerkungen und Hinweise, in: ders. (Hg.), Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen (= Ergänzungsbde. zum RGA 49), Berlin / New York 2005, S. 1 – 8, bes. 1 f. 31 Menschliches Allzumenschliches (wie Anm. 27), S. 292 f. (Aphorismus 461: „Fürst und Gott“). 32 Vgl. Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 1), S. 18. 33 Immanuel Kant. Werkausgabe, hg. von Wilhelm Weischedel, VI, Frankfurt/M. 1964 = 1977, S. 207. 34 Vgl. dazu wie zum folgenden Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), Kap. II, sowie ders., Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 3), und ders., Thronfolge und Herrschersakralität (wie Anm. 3), aber auch – besonders auf die Gegenstimmen zur herrscherlichen Sakralität verweisend – Almut Höfert, Kaisertum und Kalifat. Der imperiale Monotheismus im Früh- und Hochmittelalter, Frankfurt/M. 2015, Kap. IV.

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vor der Himmelsmacht, ging fortan über mehr als ein Jahrtausend nicht unter. Sie unterlag zwar Wandlungen und erfuhr Ausdifferenzierungen, ihr Kern jedoch blieb unverändert. In groben Zügen lassen sich dabei mehrere Hauptphasen der Entwicklung unterscheiden: Auch wenn es Stimmen gab, die zurückhaltend und distanziert, ja gelegentlich auch ablehnend gegenüber dieser Ansicht blieben, so galt sie doch weitgehend unbestritten und räumte dem Herrscher zunächst ohne differenzierende Diskussion die Stellung als Gottesvikar ein. Erst der als Investiturstreit bezeichnete Konflikt zwischen den Saliern und den Reformpäpsten führte nach der ersten Jahrtausendwende zu einer verstärkten Diskussion des Problems auf theoretischer Ebene und zu einer deutlicheren Scheidung von weltlicher und geistlicher Sphäre. Zugleich behaupteten die Herrscher das Christusvikariat, allerdings nur im weltlichen Bereich und bezogen auf ihren Herrschaftsraum – auch wenn die Kaiser in der Theorie an ihrer universalen Stellung festhielten. Entscheidend war für die Monarchen vor allem, die Gottunmittelbarkeit ihrer Würde, das Gottesgnadentum, zu bewahren, um nicht in eine untergeordnete Position gegenüber Geistlichkeit und Papsttum zu geraten, die ansonsten natürlich in der um 750 aufgekommenen Königssalbung einen Ansatzpunkt besaßen, die königliche Gewalt als kirchlich vermittelt und deshalb nicht direkt von Gott stammend zu deuten. Besondere Ausgestaltungen der herrscherlichen Sakralität lassen sich schließlich seit dem 12. Jahrhundert feststellen. Während die Kaiser ihre sakrale Dimension weiterhin aus der imperialen Tradition heraus begriffen, entwickelte sich in England und vor allem in Frankreich das Thaumaturgentum der Herrscher, die Vorstellung, die Könige seien aufgrund von Salbung und Geblüt befähigt, an Skrofeln Erkrankte zu heilen. Die nächsten Zäsuren werden zweifellos markiert durch die reformatorischen Bewegungen des 16. und danach durch die ,Aufklärung‘ des 18. Jahrhunderts. Überraschend ist freilich, wie wenig die Reformationszeit an dem Grundphänomen der religiösen Herrschaftslegitimierung änderte. Das Festhalten an gewohnten Vorstellungen im katholischen Lager verwundert dabei weniger als das konservative Verhalten auf evangelischer Seite. Ansonsten auf Distanz gehend zu alten Formen der Liturgie und zu überkommenen Weihebräuchen, verzichtete man in den neugläubig gewordenen Königreichen auf die Salbung des Monarchen während der Thronerhebungsfeier lange nicht35. In England ist die Salbungstradition bis heute nicht unterbrochen worden36; und selbst in Preußen, als dort 1701 der erste König erhoben wurde und Friedrich I. sich die Krone selbst aufs Haupt setzte, wollte man ausdrücklich nicht auf die Salbung durch Bischöfe verzichten, weil der neue Mon35

Vgl. Franz-Reiner Erkens, Der Erzbischof von Köln und die deutsche Königswahl. Studien zur Kölner Kirchengeschichte, zum Krönungsrecht und zur Verfassung des Reiches (Mitte 12. Jahrhundert bis 1806) (= Studien zur Kölner Kirchengeschichte 21), Siegburg 1987, S. 103 f.; Sebastian Olden-Jørgensen, Zeremonielle Innovation: Die erste dänische absolutistische Königssalbung (1671) und die erste preußische Königssalbung (1701) im Vergleich, in: Heide Barmeyer (Hg.), Die preußische Rangerhöhung und Königskrönung 1701 in deutscher und europäischer Sicht, Frankfurt/M. 2002, S. 185 – 196. 36 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: ZRG KA 79 (2003) S. 1 – 55, bes. 1 f.

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arch dadurch zu einer Sacra Regia Majestas wurde37. Natürlich bedeutete die Konfessionalisierung der abendländischen Christenheit einen tiefen Einschnitt in der Geschichte Europas, aber die irdische Sachwalterschaft der Fürsten wurde von ihm kaum berührt. Weiterhin glaubten die „Untertanen“, wie Golo Mann mit knappen Worten sprachmächtig skizziert38, „an die Heiligkeit des Amtes und des Amtsträgers. Der Glaube gehörte dazu; ohne ihn, diesen magischen Kitt, und nur kraft Interesses, und nur kraft versteckter oder offener Gewalt hätte die ganze Anordnung nicht gehalten. Herrscher zu sein von Gottes Gnaden, gesalbt und gekrönt, das war etwas. … Ein Monarch, der an sein heiliges Recht selber nicht glaubte, wäre verloren gewesen; wir finden in dieser Zeit [des Dreißigjährigen Krieges] keinen“. Das gibt Anlaß zur Suche nach zeitgenössischen Belegen für dieses Herrschaftsverständnis. Dei imago eminentissima est princeps – „der Fürst ist das herausragendste Bild Gottes“, ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, Repräsentant der ungeheuren Majestät des Göttlichen und durch seine Gottesstellvertreterschaft erhöht, weswegen er auch ,Gott‘ genannt werden könne, erklärte 1620 Adam Contzen, der mit seiner Staatslehre nachwirkende Jesuit und spätere Beichtvater des bayerischen Herzogs Maximilian39; 1711 wurde, ebenfalls in Bayern, erklärt40 : Der Allmechtige Erschaffer der Erde, welcher von sich selbsten und durch seine ainzige Handt nach seinem gefallen kunte die Welt regieren, hat iedoch solche gewalt denen fürsten mitgethaillet, so er gleichsam als Verweser seiner Macht und Herrlichkeit aufgestelet … . Auf evangelischer Seite stand man keinesfalls zurück bei solchen Äußerungen. Martin Luther selbst hatte in seiner Auslegung des 82. Psalms über die Fürsten erklärt41, Gott will sie lassen Götter sein über menschen; und noch 1775 37 Vgl. Iselin Gundermann, „Ob die Salbung einem Könige nothwendig sey“, in: Dreihundert Jahre preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation (= Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte NF Beihefte 6), Berlin 2002, S. 115 – 133, bes. 120 – 128. – Zum Verständnis der Salbung als eines auf die Persönlichkeit einwirkenden Geschehens vgl. Esther-Beate Körber, Das Beziehungsgefüge der Monarchie in Predigten Daniel Ernst Jablonskis, in: Bahlcke / Korthaase (Hgg.), Daniel Ernst Jablonski (wie Anm. 20), S. 109 – 122, bes. 112 f., sowie zum Verlauf der Krönung Frank Göse, Friedrich I. (1657 – 1713). Ein König in Preußen, Regensburg 2012, S. 237 f. 38 Wallenstein. Sein Leben erzählt von Golo Mann, Frankfurt a. M. 1971, S. 41 f. 39 Adam Contzen, SJ, Politicorum libri decem, Köln 21629 (11620), S. 1 (Epistola dedicatoria: … Dei imago eminentissima est Princeps, qui immensam numinis maiestatem, media quadam, inter Deum et homines maiestate repre˛ sentat; quocirca Dei vicariatu sublimis est, et sacrosanctus); vgl. Erkens, Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 2), S. 16, und ErnstAlbert Seils, Die Staatslehre des Jesuiten Adam Contzen, Beichtvater Kurfürst Maximilian I. von Bayern (= Hist. Studien 405), Lübeck / Hamburg 1968, S. 1 – 17 (zum Leben Contzens), 179 f. (zu seinem Herrscherverständnis) und 192 – 228 (zum Nachwirken). 40 Mundus christiano bavaro politicus, zit. nach Eberhard Straub, Zum Herrscherideal im 17. Jahrhundert, vornehmlich nach dem „Mundus Christiano Bavaro Politicus“, in: ZBLG 32 (1969) S. 193 – 221, hier: 196. 41 Der 82. Psalm ausgelegt, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe 31, 1, Weimar 1913, S. 182 – 218, hier: 191.

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wurde auf Luthers Lehre verwiesen, die da lautet42 : Ein frommer Regent soll mit Ehren die drey göttliche Amt und Nahmen haben, daß er hilffet, nehret und rettet, und darum ein Heyland, Vater, Retter heissen. 1701 ist schließlich wie bereits 1584 verkündet worden43 : Bonus Princeps est Minister et Vicarius Dei in terris. Ähnliche Ansichten finden sich in Gebeten formuliert, die während jeder Krönung des Erwählten Kaisers, und d. h. letztmals 1792, gesprochen wurden44. Aber auch bei den Staatsdenkern der Zeit sind sie anzutreffen. Mögen diese Theoretiker der monarchischen Herrschaft seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert auch noch so sehr das Gemeinwohl durch eine Verdrängung der religiösen Wahrheit aus der Zuständigkeit des Staates zu sichern versucht haben: der Herrscher blieb auch für sie eine von Gott installierte Größe45. Dies gilt für den Anwalt am Pariser Parlament Jean Bodin im 16. Jahrhundert ebenso wie hundert Jahre später für den beliebten Kanzelprediger, Prinzenerzieher, académien und Bischof von Meaux Jacques Bénigne Bossuet46, dem der König als Inkarnation einer höheren Vernunft allein Gott als rechenschaftspflichtig galt. Für einen Praktiker des Absolutismus wie Richelieu, der die Politik allein an den Maßstäben der Vernunft ausgerichtet wissen wollte, gab es ebenfalls keinen Zweifel daran, daß hauptsächlich die Regierung Gottes (le règne de Dieu) die Grundlage für das Wohlergehen eines Staates bilde

42 Johannes Gerhard, Loci theologici, tom. 13, Tübingen 1775, S. 239 (Sternchenfußnote zu § XXIII). 43 Johannes Schuwardt, Regententaffel darinnen wolgegründeter christlicher Bericht von der Obrigkeit Standt / Namen / Ampt / Glück / Tugenden / Lastern / Nutz / Schaden / Belohnung und Straffen, Leipzig 1584, S. 28, und Jablonski in seiner Predigt von 1701, in der es auf deutsch heißt, man soll den König ehren „als einen Diener und Stadthalter [!] Gottes“ (zit. nach Körber, Das Beziehungsgefüge [wie Anm. 37], S. 118). 44 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Königskrönung und Krönungsordnung im späten Mittelalter, in: ZAGV 110 (2008) S. 27 – 64, hier: S. 51 – 64 (ders. / Andreas Fohrer, Der Kölner Ordo von wahrscheinlich 1309) und bes. 57 – 60. 45 Vgl. Böckenförde, Die Entstehung des Staates (wie Anm. 6), S. 53, und allg. auch zum folgenden Heinz Duchhardt, Barock und Aufklärung (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte 11), München (4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage des Bandes „Das Zeitalter des Absolutismus“) 2007, S. 41 f. 46 Vgl. Jean Bodin (1526 – 1596): Les six livres de la république, Lyon 1593 (erstmals 1576) [ND des 1. Buches im Corpus des Œuvres de Philosophie en Langue française: Fayard 1986], S. 295 (I 10: Puis qu’il n’y a rien plus grand en terre apres Dieu, que les Princes souverains, et qu’ils sont establis de lui comme ses lieutenants, pour commander aux autres hommes, il est besoin de prendre garde à leur qualité, afin de respecter et reverer leur majesté en toute obeissance, sentir et parler d’eux en tout honneur: car qui mesprise son Prince souverain, il mesprise Dieu, duquel il est l’image en terre.), und: Jacques Bénigne Bossuet (1627 – 1704): Politique tirée des propres paroles de l’Écriture-Sainte, Bruxelles 1710, S. 73 f. (Livre III, Art. II 1: Nous avons déja vu que toute puissance vient de Dieu. … Les princes agissent donc comme ministres de Dieu & ses lieutenants sur la terre. … C’est pour cela que nous avons vû que le trône Roïal n’est pas le trône d’un homme, mais le trône de Dieu même.); vgl. dazu Rhonheimer, Christentum (wie Anm. 1), S. 118 f. und 121, sowie Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III 1 (wie Anm. 15), S. 213 – 230, bes. 219.

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und die Könige wahre Ebenbilder des Höchsten auf Erden seien47. Jenseits des Ärmelkanals sah man die Dinge keinesfalls anders. 1609 erklärte hier James I. von England und Schottland, zugleich gelehrter Theoretiker und umsichtiger Pragmatiker der Macht, vor dem Parlament in Whitehall höchstselbst, Könige seien nicht nur Gottes Statthalter auf Erden (Gods Lieutenants) und säßen auf Gottes Thron, sondern sie seien außerdem von keiner irdischen Instanz zu richten und nur Gott allein Rechenschaft schuldig48. Weitere gleichlautende oder ähnliche Ansichten ließen sich anführen – etwa von Luis de Molina, dem aus der Neuen Welt gebürtigen, aber in Spanien wirkenden Jesuiten49, oder von Althusius50, dem zum calvinistischen Lager gehörenden und 47

Cardinal de Richelieu. Testament politique, publ. par Louis André, Paris 1947, S. 21 (Seconde partie, chap. 1er : Le règne de Dieu est le principe du gouvernement des États, et, en effet, c’est une chose si absolument nécessaire que, sans ce fondement, il n’y a point de prince qui puisse bien régner ni d’État qui puisse être heureux et suffisant.) = dt.: Richelieu. Politisches Testament und Kleinere Schriften, eingeleitet und ausgewählt von Wilhelm Mommsen (= Klassiker der Politik 14), Berlin 1926, S. 164 f. (2. Teil, Kap. I: „Die Regierung Gottes ist das Prinzip der Staatsverwaltung, sie ist in der Tat so absolut nötig, daß es ohne diese Grundlage keinen Fürsten gibt, der wohl regieren, keinen Staat, der glücklich sei könnte.“); Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’état du Cardinal de Richelieu, recueillis et publiés par M. Avenel, Tome III. (1628 – 1630), Paris 1858, S. 179 – 213 (Nr. 105, 1629 Jan. 13: Advis donné au roy après la prise de La Rochelle), hier S. 196 (Les roys estant les vrais images de Dieu); vgl. dazu Böckenförde, Die Entstehung des Staates (wie Anm. 6), S. 60 f., und Carl J. Burckhardt, Richelieu, 4 Bde. München 1935 – 1967, hier Bd. II: Behauptung der Macht und kalter Krieg, 1966, S. 12. 48 A Speech to the Lords and Commons of the Parliament at White-Hall, on Wednesday the XXI. of March 1609, in: King James VI and I. Political Writings, ed. by Johann P. Sommerville, Cambridge/New York 1994, S. 179 – 203, hier: 181 (The State of Monarchie is the supremest thing vpon earth: For Kings are not onely Gods Lieutenants vpon earth, and sit vpon Gods throne, but euen by God himselfe they are called Gods.); vgl. dazu Rhonheimer, Christentum (wie Anm. 1), S. 121 f., und allg. Ronald G. Asch, Jakob I. (1566 – 1625), König von England und Schottland. Herrscher des Friedens im Zeitalter der Religionskriege, Stuttgart 2005, Kap. VI. („Rex doctus: Jakob I. als gelehrter Polemiker und Verteidiger des Gottesgnadentums“), sowie Erkens, Thronfolge (wie Anm. 3), S. 359. 49 Lodovici Molinae, …, de justitia et jure Tomus Primus, ed. Mainz 1614, S. 115 (Tract. II disp. XXII: Quare dicendum est, Rempublicam non habere suam potestatem autoritate partium ex quibus coalescit, sed autoritate divina, a Deoque immediate, tamquam autore naturae.) und 126 f. (Tract. II disp. XXVII: Ex quibus constat, seculares potestates a Deo esse, & ut Dei ministros Deum ipsum referre. Preterea, dum illis obedimus, Deo nos obedire, eiusque praeceptum & voluntatem servare.); vgl. dazu wie zum folgenden Luigi Giancola, L’origine del potere nel pensiero politico di F. Suarez, in: Sophia 20 (1952) S. 104 – 112. – Zur göttlichen Mitwirkung bei der Begründung weltlicher Herrschaft nach der Lehre des Francisco Suàrez und der dabei wirksamen Konkurs-Theorie vgl. Gerald Hartung, Die politische Theologie des Francisco Suàrez: Zum Verhältnis von Religion und Politik in der Spätscholastik, in: Walther (Hg.), Religion und Politik (wie Anm. 8), S. 113 – 126, bes. 119 – 123, und Robert Schnepf, Concursus – theoretische Hintergründe der Auslegung Rm. 13.1 bei Francisco Suàrez. Kommentar zu Gerald Hartung, ebd., S. 127 – 139, bes. 134. 50 Johannes Althusius (1563 – 1638): Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrate, Herborn 1603 [ND Aalen 1981], S. 361 (XIX 67) und 580 f. (XXVIII 20) = Johannes Althusius. Politik, übers. von Heinrich Janssen, in Auswahl hg., überarb. und ein-

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mit seiner Souveränitätslehre als Gegenpol zu Bodin erscheinenden Berater des Bruders von Wilhelm von Oranien, der seinerseits als Gegenspieler Philipps II. von Spanien die Niederlande aus der habsburgischen Herrschaft herauslöste, aber keinen Zweifel daran hatte, daß ein Fürst von Gott als Beschützer über seine Untertanen gesetzt werde51. Ohne Abstriche ist daher dem Urteil von Niklas Luhmann beizupflichten52 : „Noch um 1600 … herrscht in Europa ein religiös fundiertes Legitimitätsverständnis. … Alle Legitimität ist von Gott, und Gott verleiht direkt (immediate) direkte potestas im jeweiligen Ordnungsbereich. … Politische Herrschaft ist gottgewollte Ordnung …“. Im Grunde gilt diese Feststellung für das gesamte 17. Jahrhundert, wie selbst der Leviathan des Thomas Hobbes belegt53. In Sorge wegen der von religiös gefärbten geleitet von Dieter Wydukel, Berlin 2003, S. 208 (XIX §67) und 283 f. (XXVIII §20). Zu Althusius vgl. ebd. S. VIII-XIV sowie Ernst Reibstein, Johannes Althusius als Fortsetzer der Schule von Salamanca. Untersuchungen zur Ideengeschichte des Rechtsstaates und zur altprotestantischen Naturrechtslehre (= Freiburger Rechts- und Staatswissenschaftliche Abhandlungen 5), Karlsruhe 1955, S. 209 – 235, bes. 213, und allg. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III 1 (wie Anm. 15), S. 93 – 98. 51 Zur Begründung der Loslösung von Spanien vgl.: Plakkaat van Verlatinge 1581. Facsimile-Uitgave van de originele druk, hg. von M. E. H. N. Mout, ‘s-Gravenhage 1979 (und dort in der Einleitung S. 20, 26 und 53 zur Herkunft der Herrschergewalt von Gott), und zu der Vorstellung des Oraniers die: Apologie ofte Verantwoordinge van den Prince van Orangien, uitgegeven door M. Mees-Verwey, Santport 21942 = The Apologie of Prince William of Orange against the Proclamation of the King of Spain, edited after the English edition of 1581 by H. Wansink (= Textus minores 40), Leiden 1969 (in der häufig auf Gottes Hilfe und Gnade hingewiesen wird, etwa aus S. 47 f. und 52, in der sich Wilhelm von Oranien aber auch als gottergebenes [S. 132: what can they condemne in me, except it be my constancie and fidelitie, towards God and the countrey, which I have preferred before all the goods in the world?] Werkzeug Gottes stilisiert [S. 59 f.]: …, the more wil I reioyce herein, that it hath pleased God, to shewe me this grace, to be an ryder to cutt of the course, of this unmeasurable tyrannie, and by that meanes also to have bin an assitaunt, to the manifestation and opening of the true Religion.”), sowie Olaf Mörke, Wilhelm von Oranien (1533 – 1584). Fürst und „Vater“ der Republik, Stuttgart 2007, S. 235. 52 Niklas Luhmann, Selbstlegitimation des Staates, in: Achterberg / Krawietz (Hgg.), Legitimation des modernen Staates (wie Anm. 14), S. 65 – 83, bes. 66. Zur zeitgenössischen, durchaus differenzierten theoretischen Erörterung der religiös legitimierten Stellung des Monarchen im Gefüge der Herrschaft vom 16. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert vgl. Horst Dreitzel, Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz, Bd. II: Theorie der Monarchie, Köln / Weimar / Wien 1991, S. 484 – 523 (und die dort angeführten Beispiele). 53 Thomas Hobbes. Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hg. und eingeleitet von Iring Fetscher, Frankfurt/M. o. J. [1984, erstmals 1966]; ed. by Richard Tuck, Revised Student Edition (= Cambridge Texts in the History of Political Thought), Cambridge 1996; vgl. dazu wie zum folgenden Böckenförde, Die Entstehung des Staates (wie Anm. 6), S. 61 ff.; Adam, Politische Theologie (wie Anm. 8), S. 125 f.; Bärsch, Die politische Religion des Nationalsozialismus (wie Anm. 12), S. 23; Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III 1 (wie Anm. 15), S. 265 – 321, bes. 276 – 300 und hier insbesondere 298 ff.; Michael Grossheim, Religion und Politik. Die Teile III und IV des Leviathan, in: Wolfgang Kersting (Hg.), Thomas Hobbes. Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines

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Bürgerkriegen ausgehenden Gefahren und zum Schutz von Frieden und Sicherheit trieb Hobbes in der Mitte des Jahrhunderts die Säkularisierung des Staatswesens54 voran, indem er dessen friedenstiftende Funktion nicht aus christlichem Gedankengut ableitete. Er betonte dabei die Notwendigkeit staatlicher Machtfülle, andererseits jedoch blieb für ihn der sub Deo eingesetzte55 Souverän Gottes höchster Statthalter auf Erden (Gods Supreme Lieutenant)56, der seine Gewalt, auch wenn sie durch die Übereinstimmung des versammelten Volkes übertragen wurde, von Gott empfängt57 und allein Gott verantwortlich ist58. Die eminent christliche Prägung von Hobbes Gedankenwelt ist mithin allenthalben greifbar, zumal die Gesetze der Natur, aus denen die hobbesche Staatslehre abgeleitet wird, ausdrücklich als Gottes Gesetze begriffen werden59 und jeder Mensch als der Gewalt Gottes unmittelbar

kirchlichen und bürgerlichen Staates (= Klassiker Auslegen 5), Berlin 22008, S. 233 – 255, bes. 247 ff. 54 Vgl. Anm. 6. 55 Thomas Hobbes, De Cive, ed. by Howard Warrender, The Clarendon Edition of the Philosophical Works of Thomas Hobbes), Oxford 1983, S. 215 (XIV 19: Punitur enim Atheus siue à Deo immediatè, siue à Regibus sub Deo constitutis, …). 56 Leviathan c. 37 (wie Anm. 53) S. 339 („…, daß wir niemanden für einen Propheten halten sollen, der eine andere Religion als diejenige lehrt, die Gottes Statthalter … eingeführt hatte, … Deshalb … ist der souveräne Herrscher des Gottesvolkes unmittelbar unter Gott selbst, das heißt das Haupt der Kirche, zu allen Zeiten zu befragen, welche Lehre sie eingeführt haben, bevor man einem angeblichen Wunder oder Propheten Glauben schenkt.“); vgl. Revised Student Edition (wie Anm. 53) S. 305 f. (und dort vor allem die Charakterisierung des Monarchen als Gods Lieutenant, Vicar or Lieutenant, Gods Supreme Lieutenant, Lieutenant of God). – Ein eigener Aspekt dieser irdischen Statthalterschaft bildet die Stellung des Königs als oberster Priester: Vgl. ebd. c. 42 (S. 414: „… der König und jeder andere Souverän übt das Amt eines obersten Priesters auf Grund unmittelbarer göttlicher Autorität aus, das heißt kraft göttlichen Rechts oder iure divino. Und deshalb kann niemand außer den Königen in seinem Titel zum Zeichen dafür, daß er allein Gott unter sei, Dei gratia rex, usw., aufnehmen.“ – vgl. auch S. 412 f., 418 und 434 bzw. Rivised Student Edition S. 374, 372 f., 377 f. und 391). 57 Vgl. ebd. c. 23 und 42 (S. 186: „… niemand außer dem Souverän empfängt seine Gewalt schlechthin Dei gratia, das heißt, durch die Gnade keines geringeren als Gott.“ – S. 434: „Denn die christlichen Könige haben ihre bürgerliche Gewalt unmittelbar von Gott, … Alle rechtmäßige Gewalt ist von Gott, unmittelbar beim obersten Herrscher, …“); vgl. dazu ebd. c. 18 (S. 136: „Von dieser Einsetzung eines Staates werden alle Rechte und Befugnisse dessen oder derer abgeleitet, denen die höchste Gewalt durch die Übereinstimmung des versammelten Volkes übertragen worden ist.“). 58 Vgl. ebd. c. 30 (S. 255: „Die Aufgabe des Souveräns, ob Monarch oder Versammlung, ergibt sich aus dem Zweck, zu dem er mit der souveränen Gewalt betraut wurde, nämlich der Sorge für die Sicherheit des Volkes. Hierzu ist er kraft natürlichen Gesetzes verpflichtet sowie zur Rechenschaft vor Gott, dem Schöpfer dieses Gesetzes, und nur vor ihm“). 59 Vgl. ebd. c. 43 (S. 458: „die Gesetze Gottes [denn das sind die Gesetze der Natur]“) sowie c. 32 (S. 285: „Ich habe bisher die Rechte der souveränen Gewalt und die Pflichten der Untertanen nur aus den Grundsätzen der Natur abgeleitet, … Da ich aber nunmehr von der Natur und den Rechten eines christlichen Staates handeln werde, wobei viel von den übernatürlichen Offenbarungen des göttlichen Willens abhängt, muß Grundlage meiner Abhandlung nicht nur das natürliche Wort Gottes, sondern auch das prophetische sein.“).

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unterworfen erscheint60. Gott, der den handelnden Menschen mit Vernunft begabt hat61, lugt dabei gleichsam als causa remota62 hinter vielen Äußerungen des englischen Staatsdenkers hervor. Die Verhaftung in der Tradition des Gottesgnadentums, die sich bei Hobbes findet und die im 17. Jahrhundert noch stark an der etwa auch bei Shakespeare anzutreffenden63 sowie von den Stuarts als eifrige Thaumaturgen praktizierten64 Vorstellung vom sakralen König orientiert war und die selbst Oliver Cromwell nicht völlig negieren konnte65, diese Verhaftung im Herkömmlichen ist aber nur das eine, das sich im Leviathan spiegelt, das andere, das Zukunftweisende, ist das allmähliche Erodieren dieser Vorstellungswelt. Diese brauchte noch lange, bis sie völlig verschwunden war, aber im 18. Jahrhundert war ihr Fundament schon deutlich im Schwinden66. Auch wenn es keine statistischen Angaben darüber geben kann, wieviel Zustimmung oder Ablehnung sie erfuhr, so mehrten sich doch die kritischen Stimmen, die freilich nicht völlig neu waren67, aber nun an Intensität gewannen und durch die Gesellschafts- und Religionskritik der Aufklärung verstärkt wurden. Nicht nur gab es sich vermehrende Gegenpositionen zu den angeführten Anschauungen68, sondern die Herrscher begannen selbst, die religiöse Aura, die sie umgab, zu schwächen, verzichteten die englischen Monarchen69 doch seit 1714 auf die im 60

Vgl. ebd. c. 31 (S. 271: „Ob die Menschen wollen oder nicht, sie unterstehen immer der göttlichen Gewalt“.). 61 Vgl. ebd. c. 32 (S. 285: „… unsere natürliche Vernunft, die das unbezweifelbare Wort Gottes ist, …“). 62 Vgl. dazu Erkens, Herrscher- und Herrschaftsidee (wie Anm. 3), S. 43 ff. (und die dort verzeichnete Literatur). 63 Vgl. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III 1 (wie Anm. 15) S. 250 und 252; Wolfgang Clemen, Shakespeare und das Königtum, in: Shakespeare-Jb. 68 (1932) S. 56 – 79, bes. 65 f., sowie Shakespeares Dramen Macbeth (IV 3: Schilderung des Thaumaturgentums der englischen Könige), Richard II. (III 2: Bedeutung der Salbung), Heinrich IV. (1. Teil IV 3 und 2. Teil Prolog: Hinweis auf das Gesalbtsein des Königs), Heinrich V. (I 2: Heiligkeit des Throns) und Richard III. (I 2: Heiligkeit des toten Königs). 64 Vgl. Erkens, Thronfolge (wie Anm. 3), S. 412. 65 Vgl. zu Oliver Cromwell und dessen Bewußtsein, mit seinem Handeln den Willen Gottes zu vollziehen und ein Werkzeug Gottes zu sein, Michael Maurer, Kleine Geschichte Englands, Stuttgart 1997 = 2002, S. 202 – 206; Christopher Hill, God’s Englishman. Oliver Cromwell and the English Revolution, London 1970, S. 219 – 250; Barry Coward, Oliver Cromwell, London / New York 1991, etwa S. 152, und Hans-Christoph Schröder, Oliver Cromwell – das Werkzeug Gottes, in: Wilfried Nippel (Hg.), Virtuosen der Macht. Herrschaft und Charisma von Perikles bis Mao, München 2000, S. 101 – 120, bes. 107, 110 f. und 118. 66 Zur allgemeinen Entwicklung vgl. etwa Dreitzel, Monarchiebegriffe II (wie Anm. 52), S. 510 – 523, und Andreas Kosuch, Abbild und Stellvertreter Gottes. Der König in herrschaftstheoretischen Schriften des späten Mittelalters (= Passauer Hist. Forschungen 17), Köln 2011, S. 302 – 325, bes. 306 – 311. 67 Vgl. dazu die in Anm. 34 angeführte Literatur. 68 Vgl. Rhonheimer, Christentum (wie Anm. 1), S. 120 f., und allg. Dreitzel, Monarchiebegriffe II (wie Anm. 52), etwa S. 510 – 515. 69 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 23.

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17. Jahrhundert noch fleißig geübte Praxis der Krankenheilung70, die in Frankreich – trotz auch hier in manchen Schichten spürbar werdender Distanz71 – bis zum Ende des Ancien Régime geübt und 1825 sogar noch einmal fortgesetzt worden ist72, entwickelten die preußischen Könige nach 1701 keine Krönungstradition und legte Friedrich der Große großen Wert darauf, vorrangig als erster Diener des Staates zu erscheinen, ohne die Herrschaft als göttliche Einrichtung zu begreifen, aber freilich auch ohne den Hinweis auf Gottes Gnade fallenzulassen73. So sehr der Alte Fritz dem preußischen Königtum einen eigenen Nimbus verschaffte74, so sehr wirkte er ebenso wie sein gelehriger Verehrer in Österreich Josef II. durch eine (wohl nur vermeintliche) Verringerung der Distanz zum Untertanen an einer Entzauberung der Monarchie mit75. Zugleich wurde, und zwar nicht allein durch Kant76, die 70

Vgl. Anm. 64. Vgl. Anton Haueter, Die Krönungen der französischen Könige im Zeitalter des Absolutismus und in der Restauration, Zürich 1975, S. 112, 254 – 257 und 339 – 342, und allg. auch Jens Ivo Engels, Königsbilder. Sprechen, Singen und Schreiben über den französischen König in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts (= Pariser Studien 52), Bonn 2000. 72 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 13 – 15 und 22 f. 73 Vgl. Friedrichs Essai sur les formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains (1777), in: Œuvre de Frédéric le Grand 9, hg. von Johann D. E. Preuss (= Œuvres philosophiques de Frédéric II, roi de Prusse, 2), Berlin 1848, S. 223 – 240 (= Gustav Berthold Volz (Hg.), Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung VII: Antimachiavell und Testamente, Berlin 1912, S. 225 – 237), etwa 225, 229, 238, sowie dazu Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt/M. 1983, S. 285 ff.; Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, S. 534 ff.; ders., Friedrich der Große und die preußische Königskrönung von 1701, in: ders., Friedrich der Große in seiner Zeit. Essays, München 2008, S. 176 – 198 und 251 – 259, bes. 177 [erstmals 2002: Nordrhein-Westfälische Akad. d. Wissenschaften – Vorträge 381] Ernst Walder, Aufgeklärter Absolutismus und Staat. Zum Staatsbegriff der aufgeklärten Despoten, in: Karl Otmar Freiherr von Aretin (Hg.), Der Aufgeklärte Absolutismus (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek 67), Köln 1974, S. 103 – 122 [erstmals 1957, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte 15, S. 134 – 156], bes. 108 f.; Emile Lousse, Absolutismus, Gottesgnadentum, Aufgeklärter Despotismus, ebd., S. 89 – 102, bes. 99 ff., sowie Karl Otmar von Aretin, Der Aufgeklärte Absolutismus als europäisches Problem, ebd., S. 11 – 51, bes. 14 ff. (und zur religiösen Entwicklung 31 f.); Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 520. Zur deigratia-Formel vgl. Jack Autrey Dabbs, Dei gratia in Royal Titels (= Studies in European History 22), Den Haag / Paris 1971. 74 Vgl. Peter-Michael Hahn, Friedrich II. von Preußen. Feldherr, Autokrat und Selbstdarsteller, Stuttgart 2013 (bes. Kap 4). 75 Vgl. etwa das Urteil Goethes in einer Notiz zu ,Dichtung und Wahrheit‘ (Goethes Werke – Sophien-Ausgabe – I 53, Weimar 1914, S. 384: „Joseph wirft die äußeren Formen weg … Maxime, der Regent sey [!] nur der erste Staatsdiener. Die Königin von Franckreich [!] entzieht sich der Etikette. Diese Sinnesart geht immer weiter bis der König von Frankreich sich selbst für einen Misbrauch [!] hält.“), und dazu Manfred Beetz, Überlebtes Welttheater. Goethes autobiographische Darstellung der Wahl und Krönung Josephs II. in Frankfurt/M. 1764, in: Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn (Hg.), Zeremoniell als höfische Ästhetik in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Frühe Neuzeit 25), Tübingen 1995, S. 572 – 599, bes. 590; Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München / Berlin 3 1929, S. 421; Fritz Hartung, Der Aufgeklärte Absolutismus, in: von Aretin (Hg.), Der Auf71

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ebenfalls nicht neue paränetische Dimension des herrscherlichen Gottesgnadentums verstärkt hervorgehoben77 und erlitt die Religion einen Bedeutungsschwund für die Herrschaftsbegründung – auch dies in Intensivierung einer älteren Tradition, bildete sie doch bereits für Machiavelli nur noch ein Mittel der Politik78 und für Montesquieu lediglich den Gegenstand einer funktionalistischen Betrachtung79. Im Reich spiegelte sich diese Entwicklung nicht zuletzt in der Kritik wider, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Zeremonien der Königskrönung hervorriefen und die einherging mit der zunehmenden Ablehnung vermeintlich sinnentleerten Pomps barocker Opulenz80. Am bekanntesten ist wohl die erst posthum erschienene satirische Beschreibung der vorletzten Herrscherweihe im Jahre 1790 durch den Augenzeugen Karl Heinrich (seit 1808) Ritter von Lang81, der in der liturgischen Weihehandlung nichts anderes mehr erblicken mochte als ein Fastnachtsspiel in prangenden Fetzen. Auch die von einer ironischen Sympathie getragene Darstellung der Krönungsfeierlichkeiten Josefs II. im Jahre 1764, die Goethe nahezu ein geklärte Absolutismus (wie Anm. 73), S. 54 – 76 [erstmals 1955, in: HZ 180, S. 15 – 42], bes. 73. 76 Vgl. oben Anm. 33. 77 Vgl. Kosuch, Abbild (wie Anm. 66), S. 300 f. und 317 – 322. 78 In Machiavellis ,Il Principe‘ von 1513 spielt die Religion überhaupt keine Rolle, in den nahezu zeitgleich entstandenen ,Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio‘ (hg. von Francesco Bausi, Opere di Niccolò Machiavelli, Sezione I: Opere politiche II 1 / 2, Roma 2001, S. 76 – 99 [I 11 – 15]; dt. von Rudolf Zorn, Stuttgart 21977, S. 43 – 56 [I 11 – 15]) wird sie allein als Mittel der Politik vorgestellt; vgl. Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III 1 (wie Anm. 15), S. 11 – 62, bes. 35. Zu Machiavelli vgl. die jüngere Darstellung von Volker Reinhardt, Machiavelli oder Die Kunst der Macht. Eine Biographie, München 2012, sowie René König, Niccolo Machiavelli. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende, München / Wien 1979 [erstmals Zürich 1941], S. 228 – 262 (zu den ,Discorsi‘). 79 Vgl. Charles de Montesquieu, L’esprit des lois (Amsterdam und Leipsick [!] 1748), hg. von André Masson, Œuvres complètes de Montesquieu I/II, Paris 1950, II, S. 80 – 125; ausgewählt und übersetzt von Kurt Wiegand, Stuttgart 2003, Buch XXIV und XXV, und dazu Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III 1 (wie Anm. 15), S. 454 f. 80 Vgl. dazu etwa Haueter, Die Krönungen (wie Anm. 71), S. 339 ff.; Jörg Jochen Berns / Thomas Rahn, Zeremoniell und Ästhetik, in: dies. (Hg.), Zeremoniell (wie Anm. 75), S. 650 – 665, bes. 661 – 664; Günter Oesterle, Die Kaiserkrönung Napoleons. Eine ästhetische und ideologische Instrumentalisierung, in: Berns/Rahn (Hgg.), Zeremoniell (wie Anm. 45), S. 632 – 649, bes. 640, und vor allem die Kritik Friedrichs des Großen an seinem Großvater Friedrich I. wegen dessen angeblicher Verschwendungssucht im Zeremoniellen: Kunisch, Friedrich der Große und die preußische Königskrönung (wie Anm. 73), S. 178 ff. 81 Die Memoiren des Karl Heinrich Ritters von Lang. Faksimile der Ausgabe 1842 mit einem Nachwort von Heinrich von Mosch (= Bibliotheca Franconica 10), Erlangen 1984, S. 209 – 212 (bes. 212: „das Fastnachtsspiel einer solchen in ihren zerrissenen Fetzen prangenden Kaiserkrönung“); vgl. dazu Erkens, Der Erzbischof von Köln (wie Anm. 35), S. 128; Rolf Haaser, Das Zeremoniell der beiden letzten deutsch-römischen Kaiserkrönungen in Frankfurt am Main und seine Rezeption zwischen Spätaufklärung und Frühromantik, in: Berns / Rahn (Hgg.), Zeremoniell (wie Anm. 75), S. 600 – 631, bes. 601, sowie Adam Wandruszka, Leopold II. Erzherzog von Österreich, Großherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser, Bd. II: 1780 – 1792, Wien 1965, S. 306 f.

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halbes Jahrhundert später in seinen Lebenserinnerungen als „Dichtung und Wahrheit“ verwoben mit der Schilderung seiner ersten, fast in einer Katastrophe endenden zarten Zuneigung für ,Gretchen‘, ein Kind aus dem Volk, gibt82 und die Burleskes neben Erhabenes stellt, kann man als Kritik lesen am ,überlebten Welttheater‘83 der traditionellen Krönungsfeier. Doch ist dabei nicht nur zu berücksichtigen, daß sich das Abgelebte des Geschehens von 1764 erst dem aus dem Jahre 1811, also ein halbes Jahrzehnt nach dem Ende des Alten Reiches, zurückblickenden Geheimrat erschloß84, sondern vor allem auch, daß Goethe in seiner Erzählung lediglich den farbigen Abglanz des Krönungsgeschehens, die seit dem ausgehenden Mittelalter entwickelten Formen der äußeren Feierlichkeiten, die Einzüge, öffentlichen Darbietungen und Festivitäten zur Anschauung bringt, nicht jedoch das Wesentliche: die Weihe und Krönung im Kirchenraum. Dieser blieb dem jungen Goethe verschlossen, und er konnte ihn auch nicht mit einem Trick betreten (wie er ihn angeblich – vielleicht aber auch nur als Erzählkniff – anwandte, um das Krönungsmahl betrachten zu können85). Daher begnügt er sich mit dem lakonischen Hinweis86 : „Was in dem Dome vorgegangen, die unendlichen Zeremonien, welche die Salbung, die Krönung, den Ritterschlag vorbereiten und begleiten, alles dieses ließen wir uns in der Folge gar gern von denen erzählen, die manches andere aufgeopfert hatten, um in der Kirche gegenwärtig zu sein.“ Was jedoch, weil ungesehen, nicht zur Darstellung gelangt, kann auch nicht kritisiert werden. Ohne zeitgenössische Kritik ist das Krönungsgeschehen im Reich des späten 18. Jahrhunderts aber keinesfalls geblieben87, und Parallelen dazu gab es in Frankreich88. Doch stieß es vor allem auf ein breites Interesse der Öffentlichkeit, was 82

Johann Wolfgang Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit (= ArtemisGedenkausgabe. Sämtliche Werke 10, hg. von Ernst Beutler), Zürich 1948, ND München 1977, S. 199 – 229 (I 5). Zur Niederschrift des ersten Buches der Lebenserinnerung vgl. ebd. S. 888, sowie Karl Otto Conrady, Goethe. Leben und Werk II: Summe des Lebens, Königstein/Ts. 1985 [= Sonderausgabe: Frankfurt/M. 1987], S. 382 f. Zum Geschehen von 1764 und zur ,Gretchen‘-Episode vgl. Nicolas Boyle, Goethe. Der Dichter in seiner Zeit I: 1749 – 1790, München 1995, S. 77 (wo eine gewisse Skepsis gegenüber den Details der Gretchengeschichte artikuliert wird), und Rüdiger Safranski, Goethe. Kunstwerk des Lebens, München 2013, S. 34 f. (der die ausführlichsten Informationen bietet). 83 Vgl. Beetz, Überlebtes Welttheater (wie Anm. 75), etwa S. 583, 585, 588, 596 ff. 84 Vgl. Haaser, Das Zeremoniell (wie Anm. 81), S. 600. 85 Dichtung und Wahrheit (wie Anm. 82) S. 226 f. 86 Ebd. S. 221. – Zur Krönung selbst vgl. Bernhard A. Macek, Die Krönung Josephs II. zum Römischen König in Frankfurt am Main. Logistisches Meisterwerk, zeremonielle Glanzleistung und Kulturgüter für die Ewigkeit, Frankfurt/M. 2010, S. 81 – 93. 87 Vgl. Haaser, Das Zeremoniell (wie Anm. 81), S. 602 mit Anm. 7 und 8. – Zum Verlauf der letzten Krönung im Jahre 1792 vgl. allg. Christian Hattenhauer, Wahl und Krönung Franz II. AD 1792. Das Heilige Reich krönt seinen letzten Kaiser – Das Tagebuch des Reichsquartiermeisters Hieronymus Gottfried von Müller und Anlagen (= Rechtshistorische Reihe 130), Frankfurt/M. 1995, bes. S. 162 – 196 und Anlage XXIII („Der Krönungsakt vom 14. Juli 1792“). 88 Vgl. Anm. 71.

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einen regelrechten „Krönungsjournalismus“ beflügelte89. Aber der sich hier regende Boulevard scheint doch eher die exotische Neugier seines Publikums befriedigt zu haben, auch wenn es durchaus zu ernsten Erörterungen von Verfassungsfragen kam90; die religiöse Herrschaftslegitimierung allerdings scheint dabei keine Rolle gespielt zu haben. Aus dem unverkennbaren Publikumsinteresse am Frankfurter Krönungsgeschehen lassen sich daher keine Rückschlüsse ziehen auf eine breite Akzeptanz des herrscherlichen Gottesgnadentums, und die gelegentlichen Hinweise darauf, Krönungsfeierlichkeiten seien Schauspiele für das Volk91, mahnen dabei zu besonderer Vorsicht, denn wenn sie zutreffen, bezeugen sie eine naive oder derbe Festfreude, nicht jedoch ein eigenes Verständnis für die religiöse Dimension der Herrscherweihe, ja, sie lassen bei dem, der sie äußert, sogar eher eine Distanz zu einer sakralen Deutung vermuten. * Aufklärung und Französische Revolution brachten zweifellos die entscheidende Erschütterung für den Glauben an ein Nahverhältnis der Herrscher zu Gott. Sie erst gaben den endgültigen Anstoß zum Verschwinden religiöser Herrschaftsbegründungen. Doch dauerte deren tatsächlicher Untergang lange und lieferte ein zähes Rückzugsgefecht im Zeichen des Legitimismus. Im Staatsrecht ist – unabhängig davon, was in den Köpfen vieler Menschen immer noch herumspukte – die Legitimierung der Staatsgewalt durch Gottes Gnade praktisch erledigt gewesen, im Verlauf des 18. Jahrhunderts war sie weitgehend verdrängt und ersetzt worden durch die naturrechtliche Vertragstheorie92. Carl Gottlieb Svarez merkte daher 1791/92 in seinen Kronprinzenvorträgen gegenüber dem Thronfolger und späteren König Friedrich Wilhelm III. an, man könne „die unmittelbare göttliche Stiftung der Regierungen aus der Geschichte so gar nicht dokumentieren“93. Nahezu zeitgleich, nämlich 1793, erklärte August Ludwig Schlözer94 „,origo majestatis a Deo‘“ 89

Vgl. Haaser, Das Zeremoniell (wie Anm. 81), S. 603 – 611. Vgl. ebd. S. 607 f. 91 Vgl. ebd. S. 605 f., sowie Johann Christian Lünig, Theatrum Ceremoniale HistoricoPoliticum, 2 Bde., Leipzig 1719/1720, hier: Bd. I, S. 5 (wo ganz allgemein Aussagen getroffen werden über die das Volk beeindruckende Bedeutung des Zeremoniells für die „Statthalter[.. Gottes] auf Erden“), und zum Vorstellungshintergrund solcher Meinungen Andreas Gestrich, Höfisches Zeremoniell und sinnliches Volk. Die Rechtfertigung des Hofzeremoniells im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in: Berns/Rahn (Hgg.), Zeremoniell (wie Anm. 75), S. 57 – 73. 92 Vgl. dazu wie zum folgenden Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 520 – 523. 93 Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez, hg. von Hermann Conrad und Gerd Kleinheyer (= Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NRW), Köln und Opladen 1960, S. 462 (Grundsätze des Natur- und Allgemeinen Staatsrechts, S. 453 – 468); vgl. auch ebd. S. 6 f. 94 August Ludwig Schlözer, Allgemeines StatsRecht (!) und Statsverfassungslere (!), Göttingen 1793, S. 96 f. (vgl. auch ebd. den Anhang „Allgemeines StatsRecht [!], nach Grundsätzen des ,großen deutschen Manns‘“, S. 173 – 202, der eine Auseinandersetzung mit der in der folgenden Anm. belegten Position des Friedrich Carl von Moser darstellt). 90

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sei eine „gefärliche [!] scholastische Grille“, nachdem im Jahr zuvor Friedrich Carl von Moser95, zweifellos kein Freund eines göttlich umglänzten Absolutismus, aus Sorge vor den menschengefährdenden Auswüchsen der Französischen Revolution in der Herleitung der „Obrigkeit“ von Gott einen Schutz erblickt hatte gegen die „hohe Volks=Majestät mit Laternen=Pfählen“ und gegen die „Volksjustiz mit Metzgermessern“. Das in den Ohren vieler Menschen nachklingende ,C¸a ira‘ der Revolution, das in den Köpfen umgehende ,Les aristocrates à la laterne‘ des revolutionären Gassenhauers, die Furcht vor der aufgebrachten Menge und ihrer Agitation mit „Laternenpfählen“ und „Metzgermessern“ trug offenkundig zur Daseinsverlängerung des Gottesgnadentums bei – natürlich nicht alleine: Ökonomische und soziale Besitzstandswahrung spielten dabei ebenso eine Rolle wie religiöse Bindungen. Der Glaube an eine göttliche Installierung der weltlichen Herrschaft fand dabei freilich, wenn wohl auch mit Schwankungen96, nicht nur immer weniger Anhänger, sondern er mutierte auch zu einer Parteimeinung und nahm immer mehr den Charakter einer Propagandaphrase an. Natürlich bleibt unbekannt, ob und wie sehr in früheren Jahrhunderten wirklich an den sakralen Charakter der Herrscher geglaubt worden ist; aber die Vermutung liegt nahe, daß die Betonung der religiösen Dimension der Monarchie nicht allein legitimatorische Zwecke erfüllte, sondern ebenfalls Teil einer geglaubten Wirklichkeit gewesen ist97. Aber die Zahl der Gläubigen dürfte permanent, wenn auch, über Jahrhunderte hinweg betrachtet, nur langsam zurückgegangen sein, ohne daß quantitative Einzelheiten dieser Entwicklung greifbar sind. Wann genau die überzeugten Anhänger des Gottesgnadentums in die Minderheit gerieten, muß zwar offen bleiben, im 19. Jahrhundert jedoch sind sie es wohl gewesen. Offenkundig speiste sich ihre Anhängerschar nun überwiegend aus hofnahen oder konservativen Kreisen. Wie sehr die Zurschaustellung religiöser Herrschaftsbezüge mittlerweile utilitaristischen Erwägungen entsprang, zeigte am 2. Dezember 1804 in schöner Deutlichkeit die Kaiserkrönung des Kindes, Erben und Überwinders der Französischen Revolution: Napoleon Bonapartes. Dieses Ereignis98, das der hegemonialen Stellung des kleinen Korsen einen angemessenen Ausdruck verlieh, stand natürlich im 95 Friedrich Carl von Moser, in: Neues patriotisches Archiv für Deutschland 1 (1792) S. 539 ff. (das Zitat steht auf S. 539). 96 In diesem Zusammenhang ist wohl in einem besonderen Maße die Entwicklung der Religiösität im 19. Jahrhundert zu berücksichtigen, vgl. dazu die in Anm. 9 angeführte Literatur sowie Hans Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“. 1815 – 1845/49, München 1987, S. 459 – 477, und Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. 1849 – 1914, München 41996, S. 1171 – 1191. 97 Vgl. dazu Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 218 – 222; ders., Herrschersakralität. Ein Essai (wie Anm. 3), S. 20 f. 98 Vgl. dazu Oesterle, Die Kaiserkrönung Napoleons (wie Anm. 80), passim, zur Salbung vor allem S. 646.

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Widerspruch zu den Prinzipien der Revolution und barg vor allem die Gefahr in sich, zu deutlich an die beseitigte Monarchie der Bourbonen zu erinnern. Diese Gefahr sollte gebannt werden, indem Napoleon mit identifikatorischer Attitüde an Karl den Großen99 und die imperiale Tradition anknüpfte und durch die Selbstkrönung jeglichen Eindruck einer Abhängigkeit von der geistlichen Gewalt des eigens zur Krönung geladenen Papstes vermied. Allerdings wurde dieser nicht nur als Dekoration gebraucht, sondern vor allem dazu benötigt, den angehenden Kaiser der Franzosen zu salben. Auf diesen geistlichen Akt wollte man offenkundig nicht verzichten, auch wenn er dem aufgeklärt-republikanischen Geist am meisten zuwider gewesen sein muß. Von nun an konnte Hegels „Weltseele zu Pferde“100, die ihre erstaunliche Karriere völlig aus eigener Leistung heraus gestaltet hatte, auf die Gnade Gottes als Hintergrund ihres Handelns und vor allem auf die sakrale Legitimierung des neuen Erbkaisertums verweisen. Der Schein des Gottesgnadentums ruhte nun auf dem Usurpator, der Napoleon für den europäischen Hochadel wohl auch nach dem Krönungsakt von Paris blieb. Den vermeintlichen Glanz des Gottesgnadentums erstrebte auch der zweite Bourbonenkönig der Restaurationszeit, Karl X., der sich, anders als sein Bruder und Vorgänger, bei der Thronbesteigung nach altem Ritus und mit angeblich aus dem Himmel stammenden Salböl weihen ließ und, obwohl selbst voller Bedenken, gedrängt von seinen hochkonservativen Beratern 1825 noch einmal das Wunder versuchte: die Heilung von Skrofulösen durch Handauflegen101. Wenn damals auch Victor Hugo und Alphonse Marie Louis de Lamartine, beide frisch gebackene Chevaliers de la Légion d’honneur, Gedichte auf diesen ,sacre‘ schrieben, so war doch die Reaktion der breiten Öffentlichkeit eher zurückhaltend und ablehnend, ja, sogar spöttisch. Sicherlich, einige vom Zeitgeist Unerschütterte, wie es sie noch im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in Gestalt des Marquis de la Franquerie und seines Glaubens an die quasitrinitäre Liebe der Franzosen zu Gott, Frankreich und dem König (dem aus einem ,heiligen‘ Hause stammenden König!) gab102, mögen damals gemeint haben, der 1793 durchtrennte Faden der thaumaturgen Königstra99 Vgl. ebd. S. 644, und Sabine Tanz, Aspekte der Karlsrezeption im Frankreich des 19. Jahrhunderts, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Karl der Große in Renaissance und Moderne. Zur Rezeptionsgeschichte und Instrumentalisierung eines Herrscherbildes (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 4/2), Berlin 1999, S. 55 – 64, bes. 56 ff. 100 Vgl. Hegels Brief vom 13. Okt. 1806 an Friedrich Immanuel Niethammer, in: Johannes Hoffmeister (Hg.), Briefe von und an Hegel I: 1785 – 1812 (= Philosophische Bibliothek 235), Hamburg 31969, S. 119 – 121 (Nr. 74), hier: 120 („den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten“). 101 Vgl. dazu Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 13 – 16, und ders., Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 2), S. 7 ff., sowie Haueter, Die Krönungen (wie Anm. 71), S. 157 f., 257 ff., 343 – 350 und 354 – 359. 102 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Einleitung, in: ders. (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft (wie Anm. 2), S. 3 – 6, hier: 3 und die dort in Anm. 1 und 2 verzeichneten Arbeiten des Marquis de la Franquerie, vor allem dessen Werk Le caractère sacré et divin de la royauté en France, Vouillé 1978.

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dition könne aufgegriffen und verlängert werden. In Wirklichkeit machte die Resonanz auf das Reimser Geschehen von 1825 aber wohl nur die Unmöglichkeit einer Fortsetzung der französischen Königstradition deutlich. Als Karl X. 1830 abdankte und ihm der Bürgerkönig Louis Philippe folgte, verzichtete man nicht nur auf einen geistlichen Erhebungsakt – nicht zuletzt, weil man Kritik und Spott der Öffentlichkeit fürchtete103 –, sondern auf jede religiöse Legitimierung104. Die lange und lang erfolgreiche Geschichte der sich in einem besonderen Bunde mit Gott präsentierenden und wundersame Kräfte besitzenden allerchristlichsten Könige Frankreichs, das eine eigene religion royale entfaltende Gottesgnadentum der französischen Monarchie war damit endgültig erledigt. Im übrigen Europa entwickelten sich die Verhältnisse hingegen differenzierter. In England, wo das Königtum ebenfalls in einer das Wunder über ein halbes Jahrtausend hinweg bemühenden Tradition stand, man aber pragmatisch und flexible auf Entwicklungen zu reagieren wußte und alte Bräuche gehegt, manchmal geändert oder – wenn nötig – sogar erst erfunden105 werden, auf der britischen Insel haben sich, gestützt auf die besondere Ausgestaltung der anglikanischen Kirche, Reste des Gottesgnadentums bis heute erhalten, wobei freilich bereits im 19. Jahrhundert klar war, daß der königliche Gottesbezug in der parlamentarisch bestimmten Alltagspraxis der Politik keine Rolle spielte106. Dagegen hielt sich in den zaristischen Kreisen Rußlands der Glaube an die gottgewollte Autokratie bis zum bitteren Ende107. Die russischen Kaiser, herrschend über ein multiethnisches Imperium, in dem Kirche und Staat als vereint begriffen wurden, traten als Schützer der orthodoxen Christenheit auch jenseits der Reichsgrenzen auf108, galten als gottähnlich109 und selbst noch der letzte Zar konnte sich allein gegenüber Gott verantwortlich fühlen sowie dessen Eingebung erhoffen110. Im 1804 geschaffenen Kaisertum Österreich, in dem sich natürlicherweise manche Tradition aus dem 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation bewahrte, verzichtete man zwar bei der Herrscherinauguration auf besondere geistliche Akte, doch 103

Vgl. Haueter, Krönung (wie Anm. 71), S. 158. Vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 524. 105 Vgl. David Cannadine, Die Erfindung der britischen Monarchie 1820 – 1994, Berlin 1994 [engl. 1983]. 106 Vgl. dazu etwa F. W. Maitland, The Constitutional History of England, Cambridge 1908 (Period V.), und Julius Hatschek, Englische Verfassungsgeschichte bis zum Regierungsantritt der Königin Victoria, München / Berlin 1913, §§ 43, sowie allg. Alexander Gauland, Gemeine und Lords. Porträt einer politischen Klasse, Frankfurt a. M. 1989. 107 Vgl. Andreas Frings, Religion und Politik im späten Rußländischen Reich, in: HZ 289 (2009) S. 669 – 702, bes. 674 – 679 und hier vor allem 677 f. 108 Vgl. Orlando Figes, Krimkrieg. Der letzte Kreuzzug, Berlin 2011 [engl. 2010], bes. Kap. 1 und 2. 109 Vgl. ders., Nataschas Tanz. Eine Kulturgeschichte Russlands, Berlin 2013 [engl. 2002], S. 324; Michael Cherniavsky, Tsar and People. Studies in Russian Myths, New Haven and London 1961, S. 44 – 95. 110 Matthias Stadelmann, Die Romanovs, Stuttgart 2008, S. 214 f. 104

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wurde bei der Krönung des Kaisers zum König von Ungarn die Salbung weiterhin vollzogen111; im Habsburgerreich, das trotz wirtschaftlichen Fortschritts und mancher Modernisierung112 stark in vormodernen Traditionen wurzelte und in einem besonderen Maße von der Person des Kaisers zusammengehalten wurde, lebte die religiöse Legitimation mithin einfach weiter. Der Kaiser war, wie bereits erwähnt113, von Gottes Gnaden eine apostolische Majestät, besaß kirchliche Eingriffsrechte und führte seine Stellung auf Gottes Willen zurück. Regierte ein solcher Herrscher lange genug wie Kaiser Franz Josef, dann wurde er selbst zum Symbol und Zusammenhalt des Reiches und genoß eine ehrfürchtige Verehrung114. In Deutschland waren die Verhältnisse komplizierter. Das 1871 neugegründete Reich konnte sich zwar in die Tradition des 1806 untergegangenen Alten Reiches stellen und vor allem an das Vorbild der vermeintlichen Kaiserherrlichkeit des Mittelalters erinnern115, aber es war, abgesehen vom sich zunehmend religiös aufladenden Nationalismus116, als Fürstenbund ohne eine eigene religiöse Dimension, auch wenn sich der ,Deutsche Kaiser‘ von Gottes Gnaden nannte. Dies war jedoch ein deutbarer Ausdruck, der Legitimation ebenso wie Demut anklingen lassen konnte oder gar nur als mehr oder weniger hohl gewordene Phrase aus Gründen der 111 Vgl. etwa Edmund Bernatzik (Hg.), Die österreichischen Verfassungsgesetze mit Erläuterungen (= Studienausgabe Österreichischer Gesetze III: Die Verfassungsgesetze), Wien 2 1911, S. 49 Nr. 13 (bes. S. 51 §4), 113 Nr. 38, S. 311, 320 Nr. 109, S. 1087; Wilhelm Brauneder, Kaiserwürde durch Verwaltungsakt: Der österreichische Kaisertitel von 1804, in: Ludolf Pelizaeus (Hg.), Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs (= Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 20), Frankfurt/M. 2008, S. 199 – 213, bes. 202, 204 f., 208 f., und zur Inauguration von Franz Joseph I. Egon Cäsar Conte Corti / Hans Sokol, Franz Joseph, Graz 1960, S. 167 f., und Vocelka, Franz Joseph I. (wie Anm. 18), S. 70 – 73 und 195, sowie Anton von Virozsil, Das Staats-Recht des Königreichs Ungarn, vom Standpunkt der Geschichte, und der vom Beginn des Reiches bis zum Jahre 1848 bestandenen Landes-Verfassung, Pest 1865, S. 315 – 326 [§33]; Heinrich Marczali, Ungarisches Verfassungsrecht (= Das öffentliche Recht der Gegenwart 15), Tübingen 1911, S. 55 ff., bes. 57; Vocelka, a.a.O., S. 195 – 205, bes. 202 (Salbung Franz Josephs I. 1867) sowie 77 (Krönung Ferdinands I. 1830, der sich 1836 auch in Böhmen und 1838 sogar in Mailand hat krönen lassen); Otto de Habsbourg (Habsburg), Le couronnement du roi Charles IV de Hongrie à Budapest le 30 décembre 1916, in: Le sacre des rois. Actes du Colloque international d’histoire sur les sacres et couronnements royaux (Reims 1975), Paris 1985, S. 305 – 311, bes. 308 f. 112 Vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, München 32013, Kap. 2: Das Reich ohne Eigenschaften (bes. S. 104 – 116); Helmut Rumpler, Österreichische Geschichte 1804 – 1914: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, aber auch Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 – 1918, Wien 2013, S. 44 – 48. 113 Vgl. Anm. 18 und 28. 114 Vgl. etwa Rauschensteiner, Der Erste Weltkrieg (wie Anm. 112), S. 638 – 644, sowie Vocelka, Franz Joseph I. (wie Anm. 18), S. 9 u. ö. 115 Vgl. etwa Klaus Schreiner, Die Staufer in Sage, Legende und Prophetie, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur. Katalog der Ausstellung Stuttgart 1977, Bd. III: Aufsätze, Stuttgart 1977, S. 249 – 262 bes. 261 f. 116 Vgl. oben Anm. 9.

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Tradition benutzt wurde117. Bezeichnenderweise hatte man 1871 bei der Konstituierung des Deutschen Kaisertums, obwohl darüber diskutiert worden ist und etwa der als liberal geltende Kronprinz selbst entsprechende Vorschläge gemacht hatte118, auf ein Anknüpfen an zeremonielle Praktiken des Mittelalters und auf eine Krönung verzichtet. Ganz anders dagegen war der nur widerwillig zum Deutschen Kaiser erhöhte Wilhelm I. ein Jahrzehnt früher bei seiner Erhebung zum preußischen König verfahren, als er sich in Anspielung auf die erste (und bislang einzige) Krönung eines preußischen Herrschers im Jahre 1701 selbst die Krone aufs Haupt setzte und damit die zweite (und letzte preußische) Krönung vollzog119. Das war ein bemerkenswertes Ereignis, auf das noch einmal zurückzukommen sein wird – nicht zuletzt auch deshalb, weil der häufig bramarbasierende Enkel des ersten deutschen Kaisers eine Anmerkung zu diesem Thema zu machen beliebte120. Hier jedoch zeigt es zunächst nur an, daß sich das Gottesgnadentum im Deutschland des 19. Jahrhunderts allein in den souveränen Fürstenhäusern fortsetzen konnte. Dieses Gottesgnadentum war nach dem Sturz Napoleons verknüpft worden mit dem Begriff der Legitimität, der offenbar erstmals 1791 politisch zum Einsatz kam und dann durch Talleyrand und den Wiener Kongreß zum Allgemeingut der europäischen Verfassungsdiskussion wurde121. Im Kern meint die Legitimität der Monarchen nichts anderes als ein seit Urzeiten bestehendes, durch Erbgang tradiertes, unverbrüchliches und nicht entziehbares Besitzrecht der Herrscherdynastien. Eine Rückführung dieses Rechtes auf eine göttliche Übertragung war nicht unbedingt nötig122 und ist im weiteren Verlauf der Verfassungsdebatte auch zunehmend ver117

Vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 515 f. Vgl. Theodor Schieder, Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat (= Wiss. Abh. d Arbeitsgemeinschaft f. Forschung des Landes NRW 20), Köln 1961, S. 154 – 158, und Hans-Christof Kraus, Friedrich III. (12. März 1888 – 18. Juni 1888), in: Kroll (Hg.), Preußens Herrscher (wie Anm. ), S. 265 – 289, bes. S. 279. 119 Vgl. Jürgen Angelow, Wilhelm I. (1861 – 1888), in: Kroll (Hg.), Preußens Herrscher (wie Anm. 23), S. 242 – 264, bes. 254 f., und Jan Andres, „Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet“. Huldigungsrituale und Gelegenheitslyrik im 19. Jahrhundert (= Historische Politikforschung 4), Frankfurt / New York 2005, S. 60 – 66 (bes. S. 62 und 66 die Hinweise Wilhelms I. auf das Gottesgnadentum: „Die Herrscher Preußens empfangen ihre Krone von Gott.“ bzw.: „Von Gottes Gnaden tragen Preußens Könige … die Krone.“); zur Krönung von 1701 vgl. oben Anm. 37. 120 Vgl. dazu unten Anm. 142. 121 Vgl. dazu wie zum folgenden Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 523; Otto Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip. Der Weg der europäischen Monarchie seit dem hohen Mittelalter, in: Theodor Mayer (Hg.), Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen (= Vorträge und Forschungen 3), Sigmaringen 1956, S. 279 – 305, bes. 300, und Steffen Schlinker / Dietmar Willoweit, Gottesgnadentum, in: LThK 4 (31995) S. 917 ff., bes. 919. 122 Vgl. Karl Heinrich Ludwig Pölitz, Die Staatswissenschaften unserer Zeit 1, Leipzig 1827, S. 459 Anm. *: „Folgt man der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs der Legitimität, so kann in demselben keine unmittelbare Ableitung der Regentengewalt von Gott, sondern bloß die rechtliche Thronfolge in einer Erbmonarchie gefunden werden, und dies scheint in rechtlicher und politischer Hinsicht auszureichen.“ 118

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neint worden123. Aber es ließ sich eine Verknüpfung herstellen, und genau dies ist auch geschehen. Es waren Christian Maaßlieb124 und vor allem der Rechtsphilosoph und Staatsrechtler, spätere Mitbegründer der Conservativen Partei Preußens und engagierte Mitarbeiter der erzkonservativen Kreuzzeitung Friedrich Julius Stahl125, die Gottesgnadentum und Legitimitätsprinzip wirkmächtig zusammenbrachten und schließlich auch von katholischer Seite Zustimmung erhielten126. Sie wollten dadurch aber keinesfalls einer unbeschränkten Monarchie das Wort reden127, wohl aber einem von Gott gestifteten, sich in einem konstitutionellen Rahmen bewegenden Königtum, aus dem der Monarch nicht ohne weiteres entfernt werden kann. „… eben das“, erklärte daher Maaßlieb128, „wird Jeder als etwas im Wesen der Legitimitaet Liegendes anerkennen, daß der König nicht durch Menschen hingestellt wird, sondern als ein von Gott selbst Erwählter erscheint.“ Und Stahl differenzierte und präzisierte diesen Gedanken, indem er die Stiftung des Staates als Institution und die Einsetzung des einzelnen Herrschers als Erbmonarch unterschied, beide Handlungen aber auf Gott zurückführte129. „Das göttliche Recht (Vollmacht) und die Legitimität“, so lehrte er daher130, „sind … verschiedene, aber zusammenhängende Begriffe; jenes bedeutet, daß die Autorität, kraft der der König herrscht, diese, daß seine Thronerlangung von Gott ist. Sie sind das christliche Prinzip des Staates.“ Letztlich diente dieses „christliche Prinzip“ der Herrschaft dazu, den Souverän – sofern er sich im Rahmen der Gesetze bewegte, nicht herrschaftsunfähig wurde oder zum Tyrannen entwickelte – unantastbar zu machen und ihm die „staatsrechtliche Unverantwortlichkeit“, das Nichtverantwortlichsein vor weltlichen Instanzen zu garantieren sowie die nicht durch die Wahl des Volkes begründete Erbherrschaft zu legitimieren131.

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Vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 526 ff. Christian Maasslieb, Von Gottes Gnaden: Ein Beitrag zur naeheren Bestimmung der Legitimitaet, Jena 1831. 125 Friedrich Julius Stahl, Die Philosophie des Rechts 2: Rechts= und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung, Tübingen und Leipzig 41878 [erstmals 1830 – 1837 unter dem Titel: Die Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht]. 126 Vgl. Peter Hake, Die christliche Idee des Königthums, Paderborn 1864, S. 5: „Das Christenthum knüpft aber die Idee des Königthums nach seinem Ursprung, wie nach seinem Beruf an eine höhere und allgemeinere Weltordnung und stellt zwischen den Thron und das Volk ein über beide erhabenes Gesetz, wodurch sowohl die unverletzliche Würde und Heiligkeit der Königlichen Gewalt, als auch die allgemeine Wohlfahrt ihre Wahrung, und der mit dem Verhältnis der Ueber= und Unterordnung gegebene Gegensatz in höchst möglicher Annäherung seine Ausgleichung und Versöhnung findet.“ Vgl. auch ebd. S. 12, 14 und 22. 127 Vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 525. 128 Von Gottes Gnaden (wie Anm. 122) S. 11. 129 Vgl. Stahl (wie Anm. 125) S. 176 ff. und 250 ff. 130 Ebd. S. 251. 131 Vgl. Dreitzel, Monarchiebegriffe (wie Anm. 52), S. 525. 124

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Erfolgreich war diese christliche Lehre am Ende freilich nicht. Vielmehr setzte sich schließlich die liberale Tradition durch, die in doppelter Hinsicht Distanz schuf zwischen dem Königtum und der Religion132: Einmal mediatisierte sie die monarchische Gewalt, indem sie dem Staat anstelle des Herrschers eine eigene Souveränität verlieh und das herrscherliche Recht auf Besitz und Erbe der Königswürde als ein an den Staat gebundenes Verfassungsrecht begriff; zum anderen wurde der Monarch als „Organ des Staates“ aufgefaßt133, der seine Legitimation nicht von Gott, sondern von dem Staatswesen erhielt, das er repräsentierte. Otto Hintze, in seiner preußischen Gesinnung sicherlich unverdächtig, konnte daher 1911 feststellen134 : „Das monarchische Prinzip wird am besten gewahrt, wenn der Staat, in dem es gilt, als etwas rein Weltliches und Menschliches betrachtet wird.“ Damit war der „magische Kitt“ der Monarchie zerbröselt. Er besaß keine oder besser: kaummehr Bindungskraft – kaummehr, denn natürlich gab es auch an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert immer noch Verfechter einer – wenn auch nur noch rudimentären und keinesfalls religiöse Dimensionen begründenden – Ableitung der monarchischen Gewalt von einer überirdischen Instanz, wird doch etwa im 1888 erschienenen „Preußischen Staatsrecht“ Conrad Bornhaks mit Blick auf den juridischen Kern des Gottesgnadentums weiterhin gesprochen von einer „Nichtableitbarkeit von jeder höheren irdischen Gewalt“135. Darüber hinaus führten natürlich die Päpste weiterhin jegliche Herrschaftsgewalt auf Gott zurück, wie etwa in der Enzyklika ,Quas primas‘ von 1925 nachzulesen ist136. Und vor allem spukten ungehindert – sowie mit weniger juristischer Präzision als in den Hand- und Lehrbüchern – eigene Vorstellungen vom Gottesgnadentum in manchen konservativen oder traditionsbewußten Köpfen und nicht zuletzt in den Häuptern der Herrscher und ihrer Entourage. Die Idee vom christlichen Staat, von einer auf „christlichen Prinzipien“ aufgebauten Staatsordnung war ja nicht nur ein Teil der staatsrechtlichen Diskussion, sondern sie war eingebettet in die Gedankenwelt des politischen Konservatismus, 132

Vgl. ebd. S. 526 f. Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Berlin 3. Auflage (unter Verwertung des handschriftlichen Nachlasses durchgesehen und ergänzt von Dr. Walter Jellinek)1914 [erste Aufl.: 1900], S. 679. In der zweiten, 1905 erschienenen Auflage des Werkes heißt es etwa auf S. 676: „Nicht der Monarch erbt die Krone, sondern die Krone den Monarchen; die bleibende staatliche Institution nimmt beim Thronwechsel einen neuen Organträger auf.“ 134 Otto Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, in: ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte I, Göttingen 31970, S. 359 – 389 [erstmals 1911], hier: 388. 135 Conrad Bornhak, Preußisches Staatsrecht I, Freiburg i. B. 1888, S. 148 Anm. 2 (wo aber auch gegen Stahl ausdrücklich festgehalten wird, daß das „göttliche[] Recht[] des Königtums“ juristischen und nicht religiösen Inhalts sei und eben nur „die Nichtableitbarkeit von jeder höheren irdischen Gewalt“ bedeute). 136 Vgl. Franz-Reiner Erkens, Christkönig. Anmerkungen zur Patroziniumswahl der Kirche des Bergfrieds in Passau, in: Passauer Jb. 49 (2007) S. 185 – 199, bes. 190 f., und allg. Kosuch, Abbild (wie Anm. 66), S. 311 – 316. 133

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der sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als europäisches Phänomen und antirevolutionäre Bewegung formiert hatte137. An ihr hatten, auch wenn sie letztlich erfolglos blieb, viele teil: bedeutende Ideengeber138 ebenso wie fürstliche Nutznießer. Auch wenn in der praktischen Politik der Legitimismus diskreditiert werden konnte wie etwa durch die territoriale Expansion Preußens im Norden Deutschlands und die damit einhergehende Verdrängung angestammter, also: legitimer Herrscherhäuser oder als Mittel zur Konservierung politischer und sozialer Verhältnissen139: das Gedankengut wurde bei den Fürsten und in ihrem Umfeld gehegt und gepflegt. Daher konnten noch zu Zeiten, in denen sich die Vorstellung von religiös legitimierter Herrschaft in der staatsrechtlichen Diskussion bereits auf dem Rückzug befand, Zeichen eines eigenen Verständnisses gesetzt und sogar zustimmend aufgenommen werden. Ernst Ludwig von Gerlach etwa, Mitbegründer der Kreuzzeitung und der konservativen Partei Preußens, hielt 1863 einen später veröffentlichten Vortrag vor dem Evangelischen Verein in Berlin über „Christentum und Königtum von Gottes Gnaden“, in dem er – freilich keinem Gottesgnadentum ohne Rechtsbindung das Wort redend – die Gottesebenbildlichkeit des Königs als „Substanz“ und “Wesenheit der Majestät“ in Erinnerung rief, mithin die Analogie zwischen König und Gott betonte und im Gottesgnadentum die entscheidende Legitimation für die Ausübung jeglicher, keinesfalls nur der monarchischen Herrschaft erblickt140. Bereits zwei Jahre zuvor setzte sich Wilhelm I. als neuer preußischer König selbst die Krone aufs Haupt, um damit zum Mißfallen seiner liberal gesinnten Untertanen Gottesgnadentum und Gottunmittelbarkeit seiner Würde zu 137

Vgl. Henning Ottmann, Geschichte des politischen Denkens III. Neuzeit 3: Die politischen Strömungen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2008, S. 1 f. 138 Zu diesen vgl. etwa Adam Müller, Von der Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften und der Staatswirtschaft insbesondere, in: ders., Schriften zur Staatsphilosophie, ausgewählt und hg. von Rudolf Kohler, Schriften zur Staatsphilosophie, München o. J. (1923), S. 177 – 246, bes. etwa 195 f., 221, 244; Louis Gabriel Ambroise de Bonald, Théorie du pouvoir politique et réligieux I-III (1796), in: Œuvres complètes 12 – 15, Paris 1843 [ND Genf/Paris 1982], etwa I (Livre I, chap. V und VI) und II, S. 452 (Livre VI, Conclusion: „Telle est en peu de mots la marche et l’analyse de mes preuves de la nécessité, ou ce qui est la même chose, de la divinité de la religion chrétienne, et de la nécessité, oserois-je dire, de la divinité du gouvernement monarchique.“); Joseph de Maistre, Von der Souveränität. Ein Anti-Gesellschaftsvertrag, Berlin 2000, bes. II 2 [Étude sur la souveraineté, in: Œuvres complètes de J. de Maistre I, Lyon 1884, S. 309 – 559]; Juan Donoso Cortés, Rede über die allgemeine Lage Europas (30. Januar 1850), in: ders., Über die Diktatur. Drei Reden aus den Jahren 1849/50, hg. von Günter Maschke, Wien / Leipzig 1996, S. 53 – 76, bes. 62 – 65. 139 Vgl. Schlinker / Willoweit, Gottesgnadentum (wie Anm. 121), S. 919; Brunner, Vom Gottesgnadentum (wie Anm. 121), S. 300, und Böckenförde, Die Entstehung des Staates (wie Anm. 6), S. 66. 140 „Christentum und Königtum von Gottes Gnaden im Verhältnis zu den Fortschritten des Jahrhunderts (1863)“, hg. von Hans-Christof Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach. Gottesgnadentum und Freiheit. Ausgewählte politische Schriften aus den Jahren 1863 bis 1866, Wien 2011, S. 7 – 43 (die Zitate stehen auf S. 33). Zu Gerlach vgl. ebd. S. 127 – 141, bes. 128, 130, 136 und 137 ff.

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veranschaulichen141; und sein redseliger Enkel hat dies ein knappes halbes Jahrhundert später am 25. August 1910 auch so interpretiert, als er, nicht ohne Kritik zu provozieren und seine Äußerung kurze Zeit später abzumildern, feststellte142, sein Großvater habe mit der Selbstkrönung deutlich hervorgehoben, daß die Krone „von Gottes Gnaden allein ihm verliehen sei und nicht von Parlamenten, Volksversammlungen und Volksbeschlüssen, und daß er sich als auserwähltes Instrument des Himmels ansehe und als solches seine Regenten- und Herrscherpflichten versehe“. Angesichts dieser klaren Worte waren damals die Befürchtungen wohl nicht völlig unbegründet, der zweite Wilhelm habe mit ihnen auch sein eigenes Herrschaftsverständnis artikuliert, denn zweifellos begriff er sich selbst ebenfalls als ein ,Instrument des Herrn‘. Mit Wilhelm II., dem letzten, als Person und Herrscherpersönlichkeit heftig umstrittenen Kaiser143, begann das letzte Kapitel des monarchischen Gottesgnadentums in Deutschland. In diesem konnte es, nachdem das die Herrschaft religiös fundierende Gottesgnadentum staatsrechtlich bereits im Sinne eines verfassungs-

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Vgl. Anm. 119. Zur Sache vgl. Benjamin Hasselhorn, Politische Theologie Wilhelms II. (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 44), Berlin 2012, S. 63 ff., das Zitat aus Wilhelms Rede (zu deren Überlieferung vgl. ebd. S. 64 Anm. 5 und 7) findet sich auf S. 63, sowie allg. – zugleich auch für das folgende – Hans Wilderotter, „Als Instrument des Herrn mich betrachtend“. Zum historischen und politischen Selbstverständnis, in: ders. / Klaus-D. Pohl (Hgg.), Der letzte Kaiser Wilhelm II. im Exil, Gütersloh / München 1991, S. 307 ff., bes. 307. 143 Zum Meinungsstreit um Wilhelm II. vgl. John C. G. Röhl, Kaiser Wilhelm II. „Eine Studie über Cäsarenwahnsinn“ (= Schriften des Historischen Kollegs. Vorträge 19), München 1989 (zur „,nichtnormale[n] Geistesverfassung‘“ des Hohenzollern und ihren Ursachen S. 29 – 36); ders., Kaiser Wilhelm II. Bd. I: Die Jugend des Kaisers 1859 – 1888, BD. II: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888 – 1900, Bd. III: Der Weg in den Abgrund 1900 – 1941, München 1993, 2001, 2008; Nicolaus Sombart, Wilhelm II. Sündenbock und Herr der Mitte, Berlin 1996 (dessen auf S. 94 – 98 entfalteter Begriff vom sakralen Königtum die christliche, und das meint für das 19. Jahrhundert doch wohl: die wirkmächtigste Traditiion zu wenig berücksichtigt); Christopher Clark, Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers, München 2008 [engl. 2000]; Frank-Lothar Kroll, Wilhelm II. (1888 – 1918), in: ders. (Hg.), Preußens Herrscher (wie Anm. 23), S. 290 – 310, und ders., Zur Beurteilung Willhelms II., in: Das Historisch-Politische Buch 40 (1992) S. 355 – 358, bes. 355, sowie Marc von Knorring, Die Wilhelminische Zeit in der Diskussion. Autobiographische Epochencharakterisierungen 1918 – 1939 und ihr zeitgenössischer Kontext (= Historische Mitteilungen, Beiheft 88), Stuttgart 2014, S. 51 – 68 sowie 219 ff., und auch die 1908 publizierte, von Harry Graf Kessler kritisch bespöttelte ebenso merk- wie denkwürdige Verteidigungsschrift von Rudolf Borchardt, Der Kaiser, in: ders., Gesammelte Werke in Einzelbänden, Prosa V: Reden und Schriften zur Politik, hg. von Marie Luise Borchardt und Ulrich Ott, Stuttgart 1979, S. 86 – 110 (und dazu Patrick Bahners, Der dämonische Mann. Wilhelm II. in Rudolf Borchardts poetisch-politischer Theologie, in: Stefan Samerski [Hg.], Wilhelm II. und die Religion. Facetten einer Persönlichkeit und des Umfelds [= Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte NF Beiheft 5], Berlin 2001, S. 13 – 57 [zu Graf Kesslers ironischer Kritik S. 21]). 142

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rechtlichen Legitimismus entkernt worden war144, letztlich nur noch um das Selbstverständnis des Monarchen von Gottes Gnaden und um die Auswirkungen der Äußerungen dieses Selbstverständnisses gehen. Dabei ist freilich daran zu erinnern, daß der Deutsche Kaiser von Haus aus kaum über eine religiöse Legitimation verfügte145 ; was ihm auf diesem Feld zuwuchs, das stammte hauptsächlich aus der preußischen Tradition und konnte allenfalls im Bewußtsein der kaiserlichen Würde gesteigert werden. Andererseits muß das Selbstverständnis, das man von sich besaß, nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprochen haben. So hatte Wilhelm der Welt mit vollmundigen Sprüchen sein persönliches Regiment verkündet und den Eindruck erwecken wollen, nur er sei Herr im Reich, während die Realität doch erheblich anders aussah146. Die Faszination, die die vielfach wohl romantisch verklärten Vorstellungen vom mittelalterlichen Gottesgnadentum auf Monarchen des 19. Jahrhunderts ausüben konnten, spiegelt sich augenfällig in manchen Bauwerken dieser Souveräne. Wilhelm II. etwa zeigte sich äußerst beeindruckt von den normannischen Kirchen auf Sizilien und besonders von den Bildern, auf denen der Herrscher in greifbarer Gottesnähe erscheint: von dem berühmten Krönungsmosaik in Monreale, auf dem Gott eigenhändig dem Normannenkönig (es ist, zusätzliche Beziehungen stiftend, auch noch ein Wilhelm II.) die Krone aufs Haupt setzt, sowie von dem Thron unter einem wandfüllenden Pantokratorgemälde in der Capella Regia in Palermo. In der auf Wilhelms Geheiß gebauten, aber nicht erhaltenen Schloßkapelle der Kaiserresidenz von Posen gab es offenkundig deutliche Bezüge zu diesen normannischen Vorbildern, indem hier etwa der Thron wie in Palermo in ein entsprechendes Verhältnis zu einer Pantokratordarstellung gerückt erscheint und es dadurch zu einer „Visualisierung des Dei-Gratia-Gedanken“ kam147. Ludwigs II. von Bayern Thron 144

Vgl. dazu oben Anm. 132 – 134. Dies spiegelt sich etwa bei der Abdankung Wilhelms II. wieder, als dieser meinte, auf die Kaiserwürde verzichten und die preußische Königswürde, da er diese von Gottes Gnaden besitze, behalten zu können: Vgl. dazu Franz Herre, Wilhelm II. Monarch zwischen den Zeiten, Köln 1993, S. 339; Clark, Wilhelm II. (wie Anm. 143), S. 319. 146 Vgl. dazu etwa Kroll, Wilhelm II. (wie Anm. 143), S. 297 – 301, sowie Werner Tschacher, Königtum als lokale Praxis. Aachen als Feld der kulturellen Realisierung von Herrschaft. Eine Verfassungsgeschichte (ca. 800 – 1918) (= Historische Mitteilungen d. Ranke Gesellschaft, Beihefte 80), Stuttgart 2010, S. 317 – 321; Michael A. Obst, „Einer nur ist Herr im Reiche“. Kaiser Wilhelm II. als politischer Redner (= Otto-von-Bismarck-Stiftung, Wiss. Reihe 14), München 2010, S. 131 ff. 147 Vgl. dazu Jürgen Krüger, Wilhelms II. Sakralitätsverständnis im Spiegel seiner Kirchenbauten, in: Samerski (Hg.), Wilhelm II. und die Religion (wie Anm. 143), S. 235 – 264, bes. 249 ff. (zu den normannischen Bauten als Vorbilder für wilhelminische Projekte) und 251 f. (zur Schloßkapelle von Posen, wo sich auf S. 252 auch das angeführte Zitat befindet). Zum Krönungsmosaik von Monreale vgl. Thomas Dittelbach, Rex Imago Christi. Der Dom zu Monreale. Bildsprachen und Zeremoniell in Mosaikkunst und Architektur (= Spätantike – Frühes Mittelalter – Byzanz. Kunst im ersten Jahrtausend, Reihe B: Studien und Perspektiven 12), Wiesbaden 2003, Farbtafel 42 (Farbabb. 50), und zum sakralen Verständnis der Normannenkönige im Süditalien des 12. Jahrhunderts Franz-Reiner Erkens, Der pia Dei ordina145

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unter der Darstellung Christi und im Kreis der Bilder von sechs heiligen Königen im Thronsaal der Gralsburg Neuschwanstein148, der geplante, aber nie wirklich in Angriff genommene byzantinische Palast149, Herrenchiemsee als Reminiszenz an das absolute Königtum des bewunderten Herrscherkollegen und Namensvetters Ludwig XIV.150 können Wilhelms Schloßkapelle wohl ohne weiteres an die Seite gestellt werden. Wenn Ludwig II. aber auch völlig von seinem Gottesgnadentum durchdrungen war151, so zeigte dieses in Anbetracht der Abgeschiedenheit und der Nacht, die der Wittelsbacher zunehmend suchte, doch keine politische Wirkung. Bei Wilhelm II. hingegen war dies anders – und daran dürfte nicht nur sein extrovertierter Mitteilungsdrang schuld gewesen sein. Vielmehr scheint dazu ein imaginiert-ideelles Majestätsbewußtsein beigetragen haben, das nicht immer ein Gegenlager in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit besaß. Bereits 1887 – noch zu Lebzeiten des kaiserlichen Großvaters und dessen Thronfolgers, also des eigenen Vaters – hatte der junge Wilhelm, wissend um die Schwäche der religiösen Dimension der Kaiserwürde, das Gottesgnadentum gegenüber den Fürsten des Reiches als Argument einsetzen wollen, um seine Nachfolge auf dem Kaiserthron zu sichern, auf Anraten Bismarcks jedoch davon abgelassen152. Noch bei seiner Abdankung im November 1918 versuchte der letzte Hohenzollernherrscher unter Hinweis auf seine Stellung als preußischer König von Gottes Gnaden das Königtum zu behaupten und allein auf die Kaiserwürde (als eben nicht von Gott, sondern von den Fürsten übertragene) Aufgabe zu verzichten153, was bekanntlich mißlang. Weder am Ende noch am Anfang von Wilhelms dreißigjähriger Regierungszeit ließ sich mithin das Gottesgnadentum erfolgreich als politisches Argument einsetzen, aber im Bewußtsein des Monarchen besaß es offenkundig eine teils virulente, teils latente Bedeutung und konnte immerhin zur tione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien 13), München 2006, S. 71 – 101 bes. 95 f. 148 Vgl. Peter Wolff u. a. (Hgg.), Götterdämmerung. König Ludwig II. und seine Zeit. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2011 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 60), Augsburg 2011, S. 110; Christine Tauber, Flucht nach Utopia, in: FAZ Nr. 135 vom 11. Juni 2011, S. Z3, und dies., Ludwig II. Das phantastische Leben des Königs von Bayern, München 2013, S. 137 – 63, bes. 157. 149 Vgl. Wolff u. a. (Hgg.), Götterdämmerung. Katalog (wie Anm. 148), S. 118. 150 Vgl. ebd. S. 119 – 152, bes. 119, sowie Bernhard Löffler, Wie funktioniert das Königreich Bayern? Zur politisch-sozialen Verfassung Bayerns in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Peter Wolf u. a. (Hgg.), Götterdämmerung. König Ludwig und seine Zeit. Aufsätze zur Bayerischen Landesausstellung 2001 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 59), Augsburg 2011, S. 22 – 32, bes. 25 f. 151 Vgl. Löffler (wie Anm. 150) sowie Franz Merta, „Und dieser König stirbt in Wahrheit nicht“ – Das Herrscherethos König Ludwigs II., in: Peter Wolf u. a., (Hgg.), Götterdämmerung. Aufsätze (wie Anm. 150), S. 179 – 183, bes. 179. 152 Vgl. Hasselhorn, Politische Theologie (wie Anm. 142), S. 68. 153 Vgl. Anm. 145.

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Ansehensfestigung oder -steigerung dienen. Wilhelm empfand sich „,als auserwähltes Rüstzeug des Herrn‘“ und daher auch in einer besonderen Verantwortung vor Gott154. An dieser Auffassung hielt er auch noch im Exil fest155, nicht jedoch ohne die schon früher geäußerte Ansicht besonders hervorzuheben und sich damit selbst rechtfertigend, Gottesgnadentum bedeute nicht Absolutismus, sondern Verantwortung – so, wie jeder Mensch an seinem Platz auf Gottes Gnade angewiesen sei. Gottesgnadentum wurde damit zu einer Gottgebundenheit, die vor Rechtsbruch und Machtmißbrauch schützt. Wie sehr Wilhelm das Problem von Gottesgnadentums und herrscherlicher Gottesnähe faszinierte, zeigt sich auch an seinem wissenschaftlichen Bemühen um dieses Phänomen, über das er 1938 sogar die Broschüre „Das Königtum im alten Mesopotamien“ herausbrachte156. In dieser ging es um die Theokratie im alten Babylonien und im assyrischen Reich und um die Rezeption der Vorstellungen vom Gottkönigtum durch Perser, Makedonen, Römer und schließlich die mittelalterlichen Kaiser157 – letztlich aber auch um die dynastische und eigene Rechtfertigung, erklärte der gewesene Monarch doch158 : „Der Gedanke eines ,Gottkönigtums‘ lag“ den Vorfahren „fern; durchdrungen von der christlichen Mahnung: gebt dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist – fühlten sie sich lediglich als Diener Gottes, … An die Stelle des Anspruches auf Gott-Ähnlichkeit war das christliche Ethos getreten …“. Herrscherlegitimation und -demut gehen hier ineinander über (was im übrigen keinesfalls etwas Neues war, zumal die christlichen Herrscher seit der Spätantike zwar eine spürbare Gottesnähe suchten, Diener und Amtleute Gottes wie später die Hohenzollern, aber keine Gottkönige waren159). Die deutliche Betonung des christlichen Ethos der hohenzollernschen Fürsten jedoch dient offenkundig der Selbstexkulpation, ohne daß dies eine völlige Haltungsänderung des Kaisers bedeuten muß: Er dürfte immer die Verantwortung vor Gott verspürt haben, nur muß diese Verantwortung während der dreißigjährigen Herrschaft nicht allein das Selbstverständnis als Herrscher von Gottes Gnaden ausgemacht haben. Manche Äußerungen legen immerhin ein selbstbewußtes, zwar rechtlich nicht ungebundenes, aber letztlich doch allein Gott und keiner irdischen Instanz verantwortliches Selbstverständnis nahe. 154 Vgl. Hasselhorn, Politische Theologie (wie Anm. 142), S. 71 f. (das Zitat aus einem Trinkspruch des Kaisers vom 31. Aug. 1897 steht auf S. 71), sowie die Rede, die Wilhelm II. am 3. Feb. 1899 vor dem Brandenburgischen Provinziallandtag gehalten hat, ed. Gisela Brude-Firnau, Preussische Predigt. Die Reden Wilhelms II., in: The Turn oft he Century 5 (1983) S. 149 – 170, hier: 154 f. (bes. 154). 155 Vgl. Hasselhorn, Politische Theologie (wie Anm. 142), S. 73 – 77, 86 und 119. 156 Wilhelm II., Das Königtum im alten Mesopotamien, Berlin 1938; vgl. dazu Oswald Gschliesser, Das wissenschaftliche Œuvre des ehemaligen Kaisers Wilhelm II., in: AKG 54 (1972) S. 385 – 392, bes. 389. 157 Vgl. Das Königtum im alten Mesopotamien (wie Anm. 156) S. 41. 158 Ebd. S. 42. 159 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), passim, sowie ders., Vicarius Christi (wie Anm. 36), S. 26 f.

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Daher überrascht es auch nicht, wenn die liberale Öffentlichkeit absolutistische Neigungen bei dem Kaiser ausmachte160 und der Mediävist und Herausgeber spätmittelalterlicher Reichstagsakten, künftige Friedensnobelpreisträger und Flüchtling vor dem nationalsozialistischen Terror Ludwig Quidde das Reichsoberhaupt in einer, seine wissenschaftliche Karriere beendenden Studie über Caligula verdeckt, aber für jeden Kundigen deutlich erkennbar des „Cäsarenwahnsinns“ zieh161. Manche der Kriterien, die Quidde als Beleg für diesen Wahnsinn nennt, die Vorstellung vom herrscherlichen Nahverhältnis zu Gott und das Bewußtsein des Auserwähltseins162, zählen freilich zu Jahrtausende alten Grundmustern der Herrscherlegitimation163 und können kaum als Beleg für eine cäsarische Abnormität des Hohenzollern dienen. Ihre Erwähnung zeigt jedoch, wie groß mittlerweile die Distanz zu diesem Aspekt des Gottesgnadentums geworden war, zu dem sich Wilhelm klar bekannte164. Allerdings gab es nicht nur Ablehnung, sondern auch noch Zustimmung zu dieser Vorstellungwelt – zumeist von konservativen, hofnahen oder herrschaftsorientierten Kreisen. Schon Wilhelm I. war bei seinem 90. Geburtstag von und vor der Öffentlichkeit betont als auserwähltes „Werkzeug Gottes“ bezeichnet worden165, seinem Enkel auf dem Thron wurde dann hauptsächlich von der protestantischen Mittelschicht eine breite Zustimmung für die Hervorhebung seiner religiösen Legitimation entgegen-

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Vgl. Hasselhorn, Politische Theologie (wie Anm. 142), S. 120; Clark, Wilhelm II. (wie Anm. 143), S. 240. 161 Ludwig Quidde, Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn (Leipzig 1894), in: ders., Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn. 31. Auflage, ergänzt durch Erinnerungen des Verfassers: Im Kampf gegen Cäsarismus und Byzantinismus, Berlin 1926, S. 3 – 20 (ebenfalls in: ders., Caligula. Schriften über Militarismus und Pazifismus. Mit einer Einleitung hg. von Hans-Ulrich Wehler, Frankfurt/M. 1977, S. 61 – 80). – Röhl, Kaiser Wilhelm II. „Eine Studie über Cäsarenwahnsinn“ (wie Anm. 143), sowie ders., Kaiser Wilhelm II., Bd. I (wie Anm. 143), S. 24 – 36, bes. 35 f., untermauert die Ausführungen Quiddes aus einem anderen Blickwinkel und erblickt in dem Kaiser keinen am Cäsarenwahn leidenden, aber einen aufgrund der schweren, die Physis dauerhaft schädigenden Geburt geistig abnormen Menschen. 162 Vgl. Quidde, Caligula (wie Anm. 161), S. 7 und 15, und dazu Röhl, Wilhelm II. „Eine Studie über Cäsarenwahnsinn“ (wie Anm. 143), S. 10. 163 Vgl. Erkens, Herrschersakralität (wie Anm. 2), S. 29 f. und Kap. II; ders., Sakral legitimierte Herrschaft (wie Anm. 1), S. 17. 164 Vgl. Kroll, Wilhelm II. (wie Anm. 143), S. 290; Clark, Wilhelm II. (wie Anm. 143), S. 87. 165 Vgl. Oskar Meding, Neunzig Jahre in Glaube, Kampf und Sieg. Ein Menschen- und Heldenbild unseres deutschen Kaisers, Stuttgart und Leipzig 1887, S. III („Unser Kaiser Wilhelm steht hoch unter den Werkzeugen Gottes da, welche erwählt, gerüstet und gesegnet wurden, des deutschen Volks gelähmte und zersplitterte Kraft zu stählen, zu sammeln und zu führen, …“) und VI (Wilhelm I. als „auserwählte[s] Werkzeug[] seines [= Gottes] Willen“), und dazu Jakob Vogel, Zwischen protestantischem Herrscherideal und Mittelaltermystik. Wilhelm I. und die „Mythomotorik“ des Deutschen Kaiserreichs, in: Krumeich / Lehmann (Hgg.), „Gott mit uns“ (wie Anm. 9), S. 213 – 230, bes. 219 – 222 und hier vor allem 221.

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gebracht166. Wie in anderen Bereichen auch, befand sich der Kaiser also mit der Betonung des Gottesgnadentums zumindest zeitweilig in Übereinstimmung mit einem großen Teil seiner Untertanen, auch wenn die liberale Presse und linke wie bürgerliche Intellektuelle Kritik an der Herausstreichung des göttlichen Amtsauftrags durch den Kaiser übten. Inwieweit für die Zustimmung der evangelischen Reichsbewohner die Stellung des Kaisers als evangelischer summus episcopus in Preußen167 eine Rolle spielte, läßt sich freilich kaum sagen. Daß Wilhelm während seiner sommerlichen Nordlandfahrten bei den sonntäglichen Gottesdiensten an Bord seiner Yacht die Predigt hielt und damit, wie Fürst Eulenburg meint: „seines priesterlichen Amtes“ waltete168 (und dies später auch gelegentlich im Exil machte169), dürfte einer breiteren Öffentlichkeit verborgen geblieben sein und kann schon allein deshalb nicht zur Stärkung der religiösen Dimension des Herrscheramtes beigetragen haben. Auch ist es keinesfalls sicher, ob Wilhelm im Summepiskopat, der trotz mancher Einschränkungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer noch einen großen Spielraum für Personalpolitik bot170, die Grundlage seiner Predigttätigkeit gesehen hat171. Sicher ist allein, daß er niemals als summus episco166

Vgl., auch zum folgenden, Clark, Wilhelm II. (wie Anm. 143), S. 240, und Thomas Hartmut Benner, Die Strahlen der Krone. Die religiöse Dimension des Kaisertums unter Wilhelm II. vor dem Hintergrund der Orientreise 1898, Marburg 2001, S. 363. 167 Die von Brude-Firnau, Preussische Predigt (wie Anm. 154), S. 151 f., vorgetragene Behauptung, Wilhelm sei für „65 % aller Deutschen, das sind 38 Millionen Protestanten“ „nicht nur oberster Landesherr, sondern als summus episcopus auch oberste Instanz in allen Glaubensfragen“ gewesen, trifft in mehrfacher Hinsicht nicht zu: „Landesherr“ war der Kaiser nicht in Deutschland, sondern nur in Preußen (und zwar als König), und ebenfalls nur in Preußen hatte er den evangelischen (aber für keine weitere Religion geltenden) Summepiskopat inne, der ihn aber nicht für „Glaubensfragen“ zuständig machte. 168 Vgl. Benner, Die Strahlen der Krone (wie Anm. 166), S. 108 – 113, und Hasselhorn, Politische Theologie (wie Anm. 142), S. 134 f., sowie Maximilian Richter, Die Stimme des Herrn auf den Wassern. Schiffspredigten für die Nordlandreisen Seiner Majestät des Kaisers und Königs 1890 und 1891, Berlin 1891, und Fürst Philipp zu Eulenburg, Mit dem Kaiser als Staatsmann und Freund auf Nordlandreisen I, Dresden 1931, S. 59, der berichtet, wie der Kaiser am Sonntag, dem 21. Juli 1889, um 10 Uhr, auf dem Vorderdeck seiner Yacht ,Hohenzollern‘, geschmückt mit dem Stern des Schwarzen Adler-Ordens, eine Predigt hielt, deren Inhalt nicht erwähnt wird: „Nach Verlesung des Evangeliums und der Epistel las der Kaiser eine kurze Predigt und schloß den Gottesdienst mit dem ,Vater unser‘ und dem Segen. Der Tag war hell und klar. Wir fuhren zwischen herrlichen Felseninseln hin, während der geliebte Kaiser in seiner schlichten, geraden Art uns Gottes Wort vortrug. Welcher deutsche Kaiser hat wohl je in solcher Form und Umgebung seines priesterlichen Amtes gewaltet?“. Auf S. 104 erwähnt Fürst Eulenburg einen weiteren kaiserlichen Gottesdienst mit nur dürren und wenig aussagekräftigen Worten: „Den 20. Juli [scil. 1890], Sonntag, …, hielt Seine Majestät den Gottesdienst. Der Kaiser las eine schöne Predigt vom Feldpropst Richter, in der derselbe über den Psalm 104 spricht. Es war wieder ein herrlicher Eindruck, den ich damit für mein Leben gewann.“). 169 Vgl. Hasselhorn, Politische Theologie (wie Anm. 142), S. 270 – 294. 170 Vgl. ebd. S. 170 f. 171 Dies behaupten ohne nähere Begründung Benner, Die Strahlen der Krone (wie Anm. 166), S. 108 („Als Summus Episcopus nahm sich Wilhelm II. das Recht, in Abwesen-

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pus öffentlich predigend auftrat, ihm aber die traditionelle Funktion des obersten Bischofs wichtig gewesen ist, unterzeichnete er doch noch 1930 im Exil einen Brief als „Oberster Bischof“172. Auch nutze er sie wahrscheinlich sogar einmal für sich persönlich, als er – sich deutlich von dem bewunderten Vorfahren Friedrich dem Großen unterscheidend, der nach schwerer Niederlage im Siebenjährigen Krieg an Selbstmord dachte173 – das am Ende des Weltkrieges an ihn herangetragene Ansinnen ablehnte, den Schlachtentod zu suchen, denn u. a. begründete er diese Haltung wohl mit einem Hinweis „auf seine Stellung als Oberhaupt der protestantischen Kirche in Preußen“ 174. Wilhelms II. Vorstellung von seinem Gottesgnadentum und der mit diesem verknüpften religiösen Dimension ist sicherlich heterogen und ambivalent gewesen. Von beeindruckender Klarheit jedoch war sie nicht175. Ihre verschiedenen Elemente – die Auserwähltheit durch Gott, die besondere Verantwortung vor Gott, das Instrumentsein für Gott – ließen sich zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich gewichten. Im Exil stand die exkulpatorische Deutung im Vordergrund, die Gottesgnadentum als Unabhängigkeit von weltlichen Gewalten und göttliche Verpflichtung zum sozialen Ausgleich betonte, zuvor dürfte der legitimatorische Charakter wichtiger gewesen sein, die Unverantwortlichkeit vor irdischen Instanzen, die Unangreifbarkeit, vielleicht sogar die Unfehlbarkeit des eigenen Tun und Sagens. Immer aber wird es darum gegangen sein, der eigenen Majestät eine eigentümliche, eine herausragende Dignität zu verschaffen. Mit diesem Anliegen und den Vorstellungen des Gottesgnadentums stand der letzte deutsche Kaiser in einer uralten, heit des Pfarrers den Gottesdienst zu leiten.“), und Brude-Firnau, Preussische Predigt (wie Anm. 154), S. 166 („Nicht zuletzt pflegte er [Wilhelm II.] an Bord der Hohenzollern selber zu predigen als oberstes bischöfliches Exempel.“). Vgl. dagegen Hasselhorn, Politische Theologie (wie 142), S. 135, und vor allem Richter, Die Stimme (wie Anm. 168), S. 37, sowie Wilhelm Hüffmeier, Gott, „die Große Hemmung“? Kaiser Wilhelm als Prediger, in: Irmfried Garbe (Hg.), Kirche im Profanen. Studien zum Verhältnis von Profanität und Kirche im 20. Jahrhundert. Festschrift für Martin Onnasch zum 65. Geb. (= Greifswalder theologische Forschungen 18), Frankfurt/M. 2009, S. 39 – 55, bes. 43 f. 172 Vgl. Hans Bernd Gisevius, Der Anfang vom Ende. Wie es mit Wilhelm II. begann, Zürich 1971, S. 357, und Brude-Firnau, Preussische Predigt (wie Anm. 154), S. 152. 173 Vgl. etwa Hans Rothfels, Friedrich der Große in den Krisen des Siebenjährigen Krieges, in: ders., Bismarck, der Osten und das Reich, Darmstadt 1960, S. 129 – 148, bes. 141 f. [erstmals 1926, in: HZ 134, S. 14 – 30]. 174 So Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918, Berlin 2013, S. 750, wo als Beleg auf Herre, Kaiser Wilhelm II. (wie Anm. 145, S. 339, verwiesen wird, von dem die verschiedenen Erwägungen um das Ende von Wilhelms Herrschaft vorgestellt werden, der aber keinen Beleg für das angeführte Zitat liefert. Auch Röhl, Wilhelm II., Bd. 3 (wie Anm. 143), erwähnt von dieser Argumentation nichts und berichtet allein auf S. 1244 von Wilhelms Erwägung, nur als Kaiser abzudanken. Eine Anfrage nach dem Quellenbeleg bei H. Münkler vom 13. Juli 2015 blieb leider ohne Antwort. Doch ist die zitierte Aussage so speziell, daß sie kaum frei erfunden sein kann und eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sie spricht. Vielleicht läßt sich der entsprechende Beleg künftig (wieder)finden. 175 Vgl. dazu Wilderotter, „Als Instrument des Herrn mich betrachtend“ (wie Anm. 142), S. 307.

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bis in die Anfänge der Menschheit zurückreichenden, allerdings seit dem 18. Jahrhundert immer schwächer werdenden Tradition, die nun ihr Ende fand. Wenig überraschend ist es dabei, wenn ein Monarch sich in diese Tradition stellte; bemerkenswerter hingegen erscheint die Zustimmung, auf die er dabei in manchen Kreisen noch an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stieß. Das durch liberale Strömungen und eine sich beschleunigende Entchristlichung der Gesellschaft176 allgemein geförderte Schwinden der Akzeptanz von Vorstellungen eines Gottesgnadentums wurde dabei vielleicht zeitweilig ausgeglichen durch die religiöse Verbrämung der Nation177, an deren Spitze der Kaiser stand und die er repräsentierte, und zwar mit einer Zustimmung, die angesichts der rhetorischen Entgleisungen des Monarchen überrascht, die aber offenkundig von einer Konvergenz der Empfindungen und Ziele getragen worden ist178. Die Katastrophe des Weltkriegs und das Versagen der herrschenden Eliten mit dem Kaiser an der Spitze bewirkten dann aber das unwiderrufliche Ende des ohnehin untergehenden Gottesgnadentums der Monarchen. Dessen Auflösung in den Stahlgewittern der Zeit bedeutete freilich noch nicht das völlige Ende religiöser Herrschaftslegitimierung, dieses ließ in Europa noch etwa eine Generation auf sich warten und fand in den politischen Religionen des 20. Jahrhunderts179 zuvor noch einen eigenen Ausdruck.

176 Zur Entchristlichung vgl. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 – 1918, Bd. I (wie Anm. 9), S. 507 – 528, sowie Frank Simon-Ritz, Kulturelle Modernisierung und Krise des religiösen Bewußtseins. Freireligiöse, Freidenker und Monisten im Kaiserreich, in: Blaschke / Kuhlemann (Hgg.), Religion im Kaiserreich (wie Anm. 9), 457 – 473, sowie Norbert Schlossmacher, Entkirchlichung, Antiultramontanismus und „nationalreligiöse Orientierungen“ im Liberalismus der Kulturkampfära. Der Deutsche Verein für die Rheinprovinz, ebd., S. 474 – 502. 177 Vgl. Anm. 9. 178 Vgl. Anm. 166 und Kroll, Wilhelm II. (wie Anm. 143), S. 303 f. 179 Vgl. Anm. 10 – 12.

Schriftenverzeichnis In der folgenden Liste werden keine Rezensionen aufgeführt. Die durch einen Stern (*) gekennzeichneten Aufsätze sind in diesem Band wiederabgedruckt.

1. Edition Die Fälschungen Pilgrims von Passau. Historisch-kritische Untersuchungen und Edition nach dem Codex Gottwicensis 53a (rot), 56 (schwarz) (= Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte NF 46), München 2011

2. Monographien Siegfried von Westerburg (1274 – 1297). Die Reichs- und Territorialpolitik eines Kölner Erzbischofs im ausgehenden 13. Jahrhundert (= Rheinisches Archiv 114), Bonn 1982 Die Trierer Kirchenprovinz im Investiturstreit (= Passauer Historische Forschungen 4), Köln 1987 Der Erzbischof von Köln und die deutsche Königswahl. Studien zur Kölner Kirchengeschichte, zum Krönungsrecht und zur Verfassung des Reiches (Mitte 12. Jahrhundert bis 1806) (= Studien zur Kölner Kirchengeschichte 21), Siegburg 1987 Konrad II. (um 990 – 1038). Herrschaft und Reich des ersten Salierkaisers, Regensburg (Pustet) bzw. Darmstadt (WBG) 1998 Kurfürsten und Königswahl. Zu neuen Theorien über den Königswahlparagraphen im Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums (= MGH Studien und Texte 30), Hannover 2002 Herrschersakralität im Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Investiturstreit, Stuttgart 2006 St. Englmar. Anmerkungen zu den Anfängen eines Ortes im Bayerischen Wald (= Windberger Schriftenreihe 6), Windberg 2009

3. Aufsätze und Beiträge zu Sammelwerken und Lexika Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Herzöge von Limburg im 12. und 13. Jahrhundert, in: Rheinische Vierteljahrblätter 43 (1979) S. 169 – 195 Die Stellung des Bistums Passau im Kräftespiel zwischen Bayern, Böhmen und Habsburg beim Übergang der babenbergischen Länder an König Rudolf I., in: Ostbairische Grenzmarken 22 (1980) S. 5 – 21

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Schriftenverzeichnis

Siegfried von Westerburg (um 1235 – 1297), in: Rheinische Lebensbilder 9, hg. von Wilhelm Janssen, Köln 1982, S. 79 – 99 Vier Miszellen zur Geschichte des Kölner Erzstiftes im ausgehenden 13. Jahrhundert, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 53 (1982) S. 21 – 40 Der Prozeß des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg mit dem Grafen Florens von Holland, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 185 (1982) S. 25 – 38 Fürstliche Opposition in ottonisch-salischer Zeit. Überlegungen zum Problem der Krise des frühmittelalterlichen deutschen Reiches, in: Archiv für Kulturgeschichte 64 (1982) S. 307 – 370 Territorium und Reich in Politik und Vorstellung des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg, in: Nassauische Annalen 94 (1983) S. 25 – 46 Die ältesten Passauer Bischofsurkunden, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 46 (1983) S. 469 – 514 Das Erzstift Köln im geschichtlichen Überblick (bis 1288), in: Kurköln. Land unter dem Krummstab. Essays und Dokumente (= Veröffentlichungen der staatlichen Archive d. Landes NRW, Reihe C: Quellen und Forschungen, Bd. 22 = Schriftenreihe des Kreises Viersen [vormals Kempen-Krefeld 35a]), Kevelaer 1983, S. 19 – 28 Narratio et exordium monasterii de Sanctipetrimonte. Über die Anfänge des Kanonikerstiftes St. Pierremont in der Diözese Metz, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 12 (1986) S. 41 – 61 Die Rezeption der Lorcher Tradition im hohen Mittelalter, in: Ostbairische Grenzmarken 28 (1986) S. 195 – 206 Ludwigs des Frommen Urkunde vom 28. Juni 823 für Passau (BM2 778), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 42 (1986) S. 86 – 117 Die Kanonikerreform in Oberlothringen, in: Historisches Jahrbuch 107 (1987) S. 1 – 43 Über Kanzlei und Kanzler König Sigismunds. Zum Kontinuitätsproblem in der deutschen Königskanzlei unter dem letzten Luxemburger, in: Archiv für Diplomatik 33 (1987) S. 429 – 458 Die Schlacht bei Worringen und der Erzbischof von Köln. Grundzüge der erzbischöflichen Politik in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: Der Name der Freiheit 1288 – 1988. Aspekte Kölner Geschichte von Worringen bis heute, hg. von Werner Schäfke, Köln 1988, S. 211 – 218 Die Trierer Kirchenprovinz am Vorabend des Investiturstreits, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989) S. 109 – 158 Aspekte der Passauer Geschichte im 14. Jahrhundert: Das Bistum zwischen Habsburg, Wittelsbach und Böhmen und die kommunale Bewegung in Passau, in: Ostbairische Grenzmarken 31 (1989) S. 61 – 85 Die Bistumsorganisation in den Diözesen Trier und Köln – ein Vergleich, in: Die Salier und das Reich 2: Die Reichskirche in der Salierzeit, hg. von Stefan Weinfurter unter Mitarbeit von Frank Martin Siefarth, Sigmaringen 1991, 21992, S. 267 – 302

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Fecit nuptias regio, ut decuit, apparatu. Hochzeitsfeste als Akte monarchischer Repräsentation in salischer Zeit, in: Feste und Feiern im Mittelalter. Paderborner Symposion des Mediävistenverbandes, hg. von Detlef Altenburg, Jörg Jarnut und Hans-Hugo Steinhoff, Sigmaringen 1991, S. 401 – 421. Die Frau als Herrscherin in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens mit dem Westen um die Wende des ersten Jahrtausends. Gedenkschrift des Kölner Schnütgen-Museums zum 1000. Todesjahr der Kaiserin II, hg. von Anton von Euw und Peter Schreiner, Köln 1991, S. 245 – 259 Mangold, Graf von Berg, Bischof von Passau, in: Neue Deutsche Biographie 16 (1991) S. 27 f. Lorcher Fälschungen, in: Lexikon des Mittelalters 5 (1991) S. 2112 Pilgrim, Bischof von Passau (971 – 991). Versuch einer Würdigung (anläßlich des 1000. Todestages), in: Ostbairische Grenzmarken 34 (1992) S. 25 – 37 „VUENRICUS CANCELLARIUS SCRIPSIT ET SUBSCRIPSIT“. Eine unedierte Urkunde des Erzbischofs Egilbert von Trier, in: Rheinische Vierteljahrblätter 56 (1992) S. 79 – 96 Die Kölner Kirche und das Reich in der Regierungszeit Lothars von Supplinburg, in: Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, hg. von Hannah Vollrath und Stefan Weinfurter (= Kölner Historische Abhandlungen 39), Köln 1993, S. 283 – 321 … more Grecorum conregnantem instituere vultis? Zur Legitimation der Regentschaft Heinrichs des Zänkers im Thronstreit von 984, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993) S. 273 – 289 Zwischen staufischer Tradition und dynastischer Orientierung: Das Königtum Rudolfs von Habsburg, in: Rudolf von Habsburg. Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel, hg. von Egon Boshof und Franz-Reiner Erkens (= Passauer Historische Forschungen 7), Köln 1993, S. 33 – 58 Sicut Esther regina. Die westfränkische Königin als consors regni, in: Francia 20 (1993) S. 15 – 38 In tota cunctis gratissimus aula? Egbert von Trier als Reichsbischof, in: Egbert, Erzbischof von Trier. 977 – 993. Gedenkschrift der Diözese Trier zum 1000. Todestag, hg. von Franz J. Ronig, Bd. 2: Aufsätze (= Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete, Beiheft 18), Trier 1993, S. 37 – 52 Nikolaus II., Papst, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 5 (1993) S. 863 – 867 Ph[ilipp] II. Erzbf. v. Köln, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993) S. 2075 Abbo I. (Goëricus), Bf. v. Metz, in: Lexikon für Theologie und Kirche 1 (31993) S. 15 Adalbero II. Bf. v. Metz, ebd. S. 127 Adelphius, 3. Abt v. Remiremont, ebd. S. 155 Ansbald, Abt v. Prüm, ebd. S. 705 Das Niederkirchenwesen im Bistum Passau (11.–13. Jahrhundert), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 102 (1994) S. 53 – 97 Militia und Ritterschaft. Reflexionen über die Entstehung des Rittertums, in: Historische Zeitschrift 258 (1994) S. 623 – 659

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… un wil ein grosse Reise do tun. Überlegungen zur Balkan- und Orientpolitik Sigismunds von Luxemburg, in: Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift für Erich Meuthen, hg. von Johannes Helmrath und Heribert Müller in Zusammenarbeit mit Helmut Wolff, München 1994, S. 739 – 762 Die Ursprünge der Lorcher Tradition im Lichte archäologischer, historiographischer und urkundlicher Zeugnisse, in: Das Christentum im bairischen Raum von den Anfängen bis zum 11. Jahrhundert, hg. von Egon Boshof und Hartmut Wolff (= Passauer Historische Forschungen 8), Köln 1994, S. 423 – 459 Territorialpolitisches Wirken und landesherrliches Regiment Wolfgers von Erla als Bischof von Passau (1191 – 1204), in: Wolfger von Erla, Bischof von Passau (1191 – 1204) und Patriarch von Aquileja (1204 – 1218), als Kirchenfürst und Literaturmäzen, hg. von Egon Boshof [und] Fritz Peter Knapp (= Germanistische Bibliothek, NF 3. Reihe: Untersuchungen 20), Heidelberg 1994, S. 43 – 67 Coloman (Kol[o]man), Pilger aus Irland, in: Lexikon für Theologie und Kirche 2 (31994) S. 1260 Pilgrim, Bischof von Passau, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 7 (1994) S. 616 – 619 R[udolf] I. (v. Habsburg), in: Lexikon des Mittelalters 7 (1994) S. 1072 – 1075 Gorze und St-Evre. Anmerkungen zu den Anfängen der lothringischen Klosterreform des 10. Jahrhunderts, in: Lotharingia – eine europäische Kernlandschaft um das Jahr 1000, hg. von Hans-Walter Herrmann und Reinhard Schneider (= Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 26), Saarbrücken 1995, S. 121 – 141 Heinrich der Löwe 1995 – Diskussion und Perspektiven. Eine Zusammenfassung, in: Protokoll Nr. 345 über die Arbeitstagung auf der Insel Reichenau vom 4. – 7. April 1995 [Heinrich der Löwe 1995 – Diskussionen und Perspektiven], Konstanz 1995, S. 105 – 124 Siegfried von Westerburg, Erzbf. von Köln, in: Lexikon des Mittelalters 7 (1995) S. 1865 Deodat(us), Bf. v. Nevers, in: Lexikon für Theologie und Kirche 3 (31995) S. 99 Der Braunschweiger Welfenhof. Bericht über ein neues Buch, in: Ostbairische Grenzmarken 38 (1996) S. 193 – 200. Divisio legitima und unitas imperii. Teilungspraxis und Einheitsstreben bei der Thronfolge im Frankenreich, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 52 (1996) S. 423 – 485 Mirabilia mundi. Ein kritischer Versuch über ein methodisches Problem und eine neue Deutung der Herrschaft Ottos III., in: Archiv für Kulturgeschichte 79 (1997) S. 483 – 498 Kuno, Erzbf. v. Trier, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 (31997) S. 528 f. Sozialstruktur und Verfassungsentwicklung in der Stadt Köln während des 11. und frühen 12. Jahrhunderts, in: Die Frühgeschichte der europäischen Stadt im 11. Jahrhundert, hg. von Jörg Jarnut und Peter Johanek (= Städteforschung, Reihe A: Darstellungen 43), Köln 1998, S. 169 – 192 [gekürzte Fassung: Köln im 11. Jahrhundert. Eine sozial- und verfassungshistorische Skizze, in: Geschichte in Köln 42 (1997) S. 5 – 20]

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Die Salzburger Kirchenprovinz und das Bistum Augsburg im Zeitalter der Ottonen und frühen Salier (907 – 1046), in: Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte I 1, hg. von Walter Brandmüller, St. Ottilien 1998, S. 133 – 186 Das Werden des Abendlandes – Römischer Katholizismus als Grundlage der Einheit, in: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650) (= Brockhaus. Die Bibliothek. Die Weltgeschichte 3), Leipzig 1998, S. 136 – 140 [Neudruck: Auf den Spuren Roms: Die Entstehung der mittelalterlichen Welt, in: Die Zeit. Welt- und Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 6, Hamburg 2006, S. 299 – 307] Von der Landnahme zum Großreich – Das Frankenreich der Merowinger, in: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650) (= Brockhaus. Die Bibliothek. Die Weltgeschichte 3), Leipzig 1998, S. 140 – 149 [Neudruck: Das Frankenreich dehnt sich aus: Der Aufstieg der Merowinger, in: Die Zeit. Welt- und Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 6, Hamburg 2006, S. 345 – 357, und: „Bürgerkriege“ und Konsolidierung: Die Merowinger unter den Nachfolgern Chlodwigs I., ebd. S. 357 – 367] Hegemonialmacht des Abendlandes – Das Karolingerreich, in: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650) (= Brockhaus. Die Bibliothek. Die Weltgeschichte 3), Leipzig 1998, S. 149 – 156 [Neudruck: Von Hausmeiern zu Königen: Der Aufstieg der Karolinger, in: Die Zeit. Welt- und Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 6, Hamburg 2006, S. 367 – 381] Symbol der Einheit – Das abendländische Kaisertum Karls des Großen, in: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650) (= Brockhaus. Die Bibliothek. Die Weltgeschichte 3), Leipzig 1998, S. 156 – 165 [Neudruck: Der „Vater Europas“: Karl der Große und das abendländische Kaisertum, in: Die Zeit. Welt- und Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 6, Hamburg 2006, S. 381 – 396, und: Auflösungstendenzen im Frankenreich: Ludwig der Fromme und die „ordinatio imperii“, ebd. S. 397 – 401] Das Erbe der Kulturen – Die karolingische Renaissance, in: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650) (= Brockhaus. Die Bibliothek. Die Weltgeschichte 3), Leipzig 1998, S. 165 – 170 [Neudruck: Reine Sprache, klare Schrift: Die „karolingische Renaissance“, in: Die Zeit. Welt- und Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 6, Hamburg 2006, S. 401 – 414] Zerfall der Einheit – Die Reichsteilungen des 9. Jahrhunderts, in: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650) (= Brockhaus. Die Bibliothek. Die Weltgeschichte 3), Leipzig 1998, S. 170 – 181 [Neudruck: Zerfall der Einheit: Die Teilungen des Frankenreichs, in: Die Zeit. Weltund Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 6, Hamburg 2006, S. 414 – 425, und: „Herr Heinrich saß am Vogelherd“: Das ostfränkische Königtum Heinrichs I., ebd. S. 426 – 429] Zwischen Aachen und Rom – Das römische Kaisertum der Ottonen, in: Um Glaube und Herrschaft (600 – 1650) (= Brockhaus. Die Bibliothek. Die Weltgeschichte 3), Leipzig 1998, S. 181 – 189 [Neudruck: Zwischen Aachen und Rom: Die Ottonen, in: Die Zeit. Weltund Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 6, Hamburg 2006, S. 429 – 447] Die Bischofswahl im Spannungsfeld zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt. Ein tour d’horizon, in: Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich, hg. von Franz-Reiner Erkens (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 48), Köln 1998, S. 1 – 32

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*Der Herrscher als gotes drút. Zur Sakralität des ungesalbten ostfränkischen Königs, in: Historisches Jahrbuch 118 (1998) S. 1 – 39 Einheit und Unteilbarkeit. Bemerkungen zu einem vielerörterten Problem der frühmittelalterlichen Geschichte, in: Archiv für Kulturgeschichte 80 (1998) S. 269 – 295 [gekürzte Fassung in: Mittelalter-Studien zu Ehren von Egon Boshof aus Anlaß seines 60. Geburtstages (= Nachrichten und Berichte, Sonderhefte Nr. 17), Passau 1997, S. 13 – 24] Wien, Friede v., in: Lexikon des Mittelalters 9 (1998) S. 85 f. Buße in Zeiten des Schwarzen Todes: Die Züge der Geißler, in: Zeitschrift für historische Forschung 26 (1999) S. 483 – 513 [gekürzte Fassung in: Ortrun Riha (Hg.), Seuchen in der Geschichte: 1348 – 1998. 650 Jahre nach dem Schwarzen Tod, Aachen 1999, S. 27 – 45] Karolus Magnus – Pater Europae?, in: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Katalog der Ausstellung, hg. von Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, Paderborn 1999, Bd. 1, Mainz 1999, S. 2 – 9 Moderne und Mittelalter oder Von der Relevanz des praktisch Untauglichen. Ein Plädoyer für das historische Interesse an älteren Epochen, in: Karl der Große in Renaissance und Moderne. Zur Rezeptionsgeschichte und Instrumentalisierung eines Herrscherbildes, hg. von Franz-Reiner Erkens (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Zeitschrift des Mediävistenverbandes 4, 2), Berlin 1999, S. 95 – 122 [gekürzte Fassung: Die Relevanz des praktisch Untauglichen: Mittelalter und Moderne, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik. Zeitschrift für historisch-politische Bildung 28 (2000) S. 31 – 41] Pibo, Bf. v. Toul, in: Lexikon für Theologie und Kirche 8 (31999) S. 281 Hochmittelalterliches Geschichtsbewußtsein? Ein kritischer Versuch, in: Mittellateinisches Jahrbuch 35 (2000) S. 289 – 299 Graecisca sublimitas: Byzanz’ Attraktivität und der abendländische Westen, in: Europas Mitte um 1000. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Archäologie 2, hg. von Alfried Wieczorek und Hans-Martin Hinz, Stuttgart 2000, S. 749 – 753 Otto der Große. ,Der größte Herrscher seit Karl dem Großen‘. Erneuerer des Kaisertums und Festiger der ottonischen Monarchie, in: Brockhaus. Die Infothek = Infothek-Faxservice, Dokument Nr.: OTTODE-1, 2001, 8 S. Mission (Lorcher Fälschungen), in: Bayern – Ungarn. Tausend Jahre, hg. von Wolfgang Jahn, Christian Lankes, Wolfgang Petz und Evamaria Brockhoff. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2001. Oberhaus, Passau. 8. Mai bis 28. Oktober 2001 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 43), Augsburg 2001, S. 97 Von Paderborn nach Rom: Ein Kaiserweg?, in: Figuren und Strukturen. Historische Essays für Hartmut Zwahr zum 65. Geburtstag, hg. von Manfred Hettling, Uwe Schirmer und Susanne Schölz, München 2002, S. 141 – 156 *Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks, in: Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, hg. von Franz-Reiner Erkens, Berlin 2002, S. 7 – 32 Multi oder pauci? Überlegungen zur fürstlichen Wahlbeteiligung an den Königswahlen der staufischen Epoche, in: Von Sacerdotium und Regnum: Geistliche und weltliche Herrschaft im frühen und hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag, hg. von

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Franz-Reiner Erkens und Hartmut Wolff (= Passauer Historische Forschungen), Köln 2002, S. 135 – 152 Ex jure regni debitus coronator: Zum Krönungsrecht des Kölner Erzbischofs, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 104/105 (2002/2003) S. 25 – 49 *Vicarius Christi – sacratissimus legislator – sacra majestas. Religiöse Herrschaftslegitimierung im Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 89 (2003) S. 1 – 55 Heinrich der Löwe 1995 – Diskussion und Perspektiven. Eine Zusammenfassung, in: Heinrich der Löwe. Herrschaft und Repräsentation, hg. von Johannes Fried und Otto Gerhard Oexle (= Vorträge und Forschungen 57), Ostfildern 2003, S. 427 – 449 Heinrich Raspe, die Fürsten und das Reich. Ansichten und Einsichten, in: Matthias Werner (Hg.), Heinrich Raspe – Landgraf von Thüringen und römischer König (1227 – 1247). Fürsten, König und Reich in spätstaufischer Zeit, Frankfurt/Main 2003, S. 359 – 369 *Heißer Sommer, geistliche Gewänder und königliche Siegel: Von der Herrschersakralität im späten Mittelalter, in: Lectiones eruditorum extraneorum in facultate philosophica Universitatis Carolinae Pragensis factae, fasc. 6 (2003) S. 29 – 44 Köln zur Jugendzeit Brunos des Kartäusers, in: Saint Bruno et sa postérité spirituelle. Actes du colloque international des 8 et 9 octobre 2001 à l’Institut catholique de Paris réunis par Alain Girard, Daniel Le Blérec et Nathalie Nabert (= Analecta Cartusiana 189), Salzburg 2003, S. 3 – 12 Rudolf von Habsburg (1273 – 1291), in: Werner Paravicini (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch (= Residenzenforschung 15 I). Teilband I: Dynastien und Höfe, Ostfildern 2003, S. 276 – 282 *Sol iusticie und regis regum vicarius. Ludwig der Bayer als ,Priester der Gerechtigkeit‘, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 66 (2003) S. 795 – 818 Consortium regni – consecratio – sanctitas: Aspekte des Königinnentums im ottonisch-salischen Reich, in: Stefanie Dick / Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.), Kunigunde – consors regni. Vortragsreihe zum tausendjährigen Jubiläum der Krönung Kunigundes in Paderborn (1002 – 2002) (= MittelalterStudien Bd. 5), München 2004, S. 71 – 82 Auf der Suche nach den Anfängen: Neue Überlegungen zu den Ursprüngen der fränkischen Königssalbung, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 90 (2004) S. 494 – 509 *Sakralkönigtum III. Sakrale Elemente, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 26 (2004) S. 219 – 234 *Sakralkönigtum V. Ergebnisse, ebd. S. 304 f. Vom historischen Deuten und Verstehen: Noch einmal zu einer neueren Theorie über die Entstehung des Kurfürstenkollegiums, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 122 (2005) S. 327 – 351 *Gebildete Höflinge und ungebildeter König. Gedanken über den Hof Konrads II., in: Festgabe für Alois Schmid zum 60. Geburtstag (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 68), München 2005, S. 305 – 335

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Sakralkönigtum und sakrales Königtum. Anmerkungen und Hinweise, in: Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen, hg. von Franz-Reiner Erkens (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 49), Berlin/New York 2005, S. 1 – 8 Geschichtsbild und Rechtsstreit: Das Nachwirken der Fälschungen Pilgrims von Passau, in: Passauer Jahrbuch 47 (2005) S. 57 – 68 Summus princeps und dux quem rex ordinavit: Tassilo III. im Spannungsfeld zwischen fürstlichem Selbstverständnis und königlichem Auftrag, in: Lothar Kolmer / Christian Rohr (Hgg.), Tassilo III. von Bayern. Großmacht und Ohnmacht im 8. Jahrhundert, Regensburg 2005, S. 21 – 38 *Der pia Dei ordinatione rex und die Krise sakral legitimierter Königsherrschaft in spätsalisch-frühstaufischer Zeit, in: Jörg Jarnut / Matthias Wemhoff (Hgg.), Vom Umbruch zur Erneuerung? Das 11. und beginnende 12. Jahrhundert – Positionen der Forschung (= MittelalterStudien 13), München 2006, S. 71 – 101 Das sakrale Königtum in der Krise. Eine Skizze, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik I, Essays, hg. von Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, München 2006, S. 93 – 98 *Konrad I. als christus domini, in: Konrad I. – Auf dem Weg zum „Deutschen Reich“?, hg. von Hans-Werner Goetz unter Mitarbeit von Simon Elling, Bochum 2006, S. 111 – 127 *Anmerkungen über die Sakralität des Reiches im späteren Mittelalter, in: Wege und Spuren. Verbindungen zwischen Bildung, Wissenschaft, Kultur, Geschichte und Politik. Festschrift für Joachim-Felix Leonhard, hg. von Helmut Knüppel, Manfred Osten, Uwe Rosenbaum, Julius H. Schoeps und Peter Steinbach, Berlin 2007, S. 223 – 239 Christkönig. Anmerkungen zur Patroziniumswahl der Kirche des Bergfrieds in Passau, in: Passauer Jahrbuch 49 (2007) S. 185 – 199 Erzämter, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 6 (22007) S. 1420 – 1425 Faktoren episkopaler Dignität. Aspekte der Bischofserhebungspraxis in Passau während des hohen Mittelalters, in: Passauer Jahrbuch 49 (2007) S. 11 – 28 „Notwendige Gefährtin“ und „Teilhaberin der Herrschaft“: Die Königin im hohen Mittelalter, in: Daniela Wawra (Hg.), Genderforschung multidisziplinär, Frankfurt a. M. 2007, S. 87 – 100 Actum in vico fonaluae die consule. Das Rottachgau-Fragment und die romanische Kontinuität am Unterlauf des Inns, in: Nomen et Fraternitas. Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag, hg. von Uwe Ludwig und Thomas Schilp (= Reallexikon für Germanische Altertumskunde Ergänzungsband 62), Berlin/New York 2008, S. 491 – 509 Königskrönung und Krönungsordnung im späten Mittelalter, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 110 (2008) S. 27 – 64 „Nach Art der biblischen Martha“. Bischof Meinwerk im Dienst der Könige, in: Für Königtum und Himmelreich. 1000 Jahre Bischof Meinwerk von Paderborn, hg. von Christoph Stiegemann und Martin Kroker, Regensburg 2009, S. 58 – 73 Siegfried (Sifrid) von Westerburg, Erzbischof von Köln, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010) S. 344 f.

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Salz, Handel und Herrschaft. Aspekte der wirtschaftlichen Verhältnisse am Zusammenfluss von Inn und Donau im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Passauer Jahrbuch 52 (2010) S. 125 – 135 *Reflexionen über das sakrale Königtum germanischer Herrschaftsverbände, in: Matthias Becher / Stefanie Dick (Hgg.), Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter (= MittelalterStudien 22), München 2010, S. 87 – 95 *Konvergenz und Divergenz politischer und religiöser Herrschaft, in: WBG Weltgeschichte. Eine globale Geschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert III: Weltdeutungen und Weltreligionen, 600 – 1500, hg. von Johannes Fried und Ernst-Dieter Hehl, Darmstadt 2010 [Nachdruck 2015], S. 279 – 305 Herzog, Herzogtum, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 2 (22011) S. 993 – 1004 Heinrich II., Niedernburg und der böhmische Zoll, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), 1000 Jahre Goldener Steig (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschungen Ostbaierns und der Nachbarregionen 61), Passau 2011, S. 1 – 12 Wie Valentin Bischof von Passau wurde, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 74 (2011) S. 727 – 741 Heilige, Bischöfe und Bürger: Fakten und Fiktionen der Passauer Geschichte, in: Passauer Jahrbuch 53 (2011) S. 47 – 55 Ein Drache in Würzburg. Die Reichssynode und der Hoftag von 1287, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 122 (2011) S. 153 – 172 Anmerkungen zu einer neuen Theorie über die Entstehung des Kurfürstenkollegs, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 119 (2011) S. 376 – 381 Interregnum, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 (22011) S. 1276 ff. Teilung und Einheit, Wahlkönigtum und Erbmonarchie: Vom Wandel gelebter Normen, in: Verfassungsänderungen. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 15. bis 17. März 2010, hg. von Helmut Neuhaus ( = Beiheft 20 der Zeitschrift „Der Staat), Berlin 2012, S. 9 – 34 und S. 35 – 44 Bischöfliche Herrschaft im Nordwald: Der Passauer Bischöfe herrschaftliche Präsenz im Norden der Donau, in: Adel, Burg und Herrschaft an der „Grenze“: Österreich und Böhmen. Beiträge der interdisziplinären und grenzüberschreitenden Tagung in Freistadt, Oberösterreich, vom 26. bis 28. Mai 2011 (= Studien zur Kulturgeschichte von Oberösterreich Folge 34), hg. von Klaus Birngruber und Christina Schmid unter Mitwirkung von Herwig Weigl, Linz 2012, S. 41 – 56 Erich Caspar, in: Geisteswissenschaftler II, hg. von Hans-Christof Kraus, Berlin 2012 (= Berlinische Lebensbilder 10), S. 281 – 305 Institut für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen (IKON), in: http:// www.historisches-lexikon-bayern.de Aachener Geschichte zwischen Karolingern und Staufern: Entwicklungen – Prägungen – Formierungen (911 – 1137), in: Aachen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart 2, hg. von Thomas R. Kraus, Aachen 2013, S. 471 – 583

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*Herrschersakralität. Ein Essai, in: Andrea Beck / Andreas Berndt (Hgg.), Sakralität und Sakralisierung. Perspektiven des Heiligen (= Beiträge zur Hagiographie 13), Stuttgart 2013, S. 15 – 32 Brand und Barock. Ein Passauer Thema, in: Franz-Reiner Erkens (Hg.), Nur Eitelkeit auf Erden? Das Zeitalter des Barock an der bayerisch-österreichischen Donau (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen 67), Passau 2013, S. 1 – 7 (zusammen mit Frantisˇek Kubu˚ und Petr Zavrˇel), Auf den Spuren des „Weißen Goldes“: Der „Goldene Steig“ von Passau nach Prachatitz, in: Werner Gamerith, Dieter Anhuf und Ernst Struck (Hgg.), Passau und seine Nachbarregionen. Orte, Ereignisse, Verbindungen – ein geographischer Wegweiser, Regensburg 2013, S. 360 – 379 Marschall, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (22013), S. 1334 – 1336 Königsheil, ebd. S. 50 f. Konrad II. (um 990 – 1039), ebd. S. 105 f. *Frommer Mönchskönig, sakraler Christusvikar und heiliger Kaiser: Heinrich II., in: Gekrönt auf Erden und im Himmel – das heilige Kaiserpaar Heinrich II. und Kunigunde, hg. von Norbert Jung und Holger Kempkens (= Veröffentlichungen des Dözesanmuseums Bamberg 26), Münsterschwarzach 2014, S. 20 – 27 *Herrscher- und Herrschaftsidee nach herrschaftstheoretischen Äußerungen des 14. Jahrhunderts, in: Hubertus Seibert (Hg.), Ludwig der Bayer (1314 – 1347). Reich und Herrschaft im Wandel, Regensburg 2014, S. 29 – 61 Ulrich von Nußdorf, Bischof von Passau (1451 – 1479). Friedrichs III. Persona non grata und Kanzler, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 77 (2014) S. 503 – 541 Ludwig der Bayer und Passau, in: Passauer Jahrbuch 57 (2015) S. 35 – 79 König, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 3 (22015) S. 3 – 18 Pilgrim von Passau – Bischof, Fälscher, Krimhilds Onkel, in: Ostbairische Lebensbilder 5, hg. von Franz-Reiner Erkens (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen 54/V) Passau 2016, S. 8 – 30 Das Bistum Passau im Spätmittelalter. Ein Überblick, in: Passauer Jahrbuch 58 (2016) S. 81 – 88 [elektronische Fassung: „Passau, Bistum: Politische Geschichte (Spätmittelalter)“ unter http://www.historisches-lexikon-bayerns.de] Ulrich I., Bischof von Passau, in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016) S. 590 Ulrich II., Bischof von Passau, ebd. S. 590 f. Ulrich III. Von Nußdorf, Bischof von Passau, ebd. S. 591 f. *„Gesalbt zu königlichem Wesen“. Zur Bedeutung der spätmittelalterlichen Herrscherweihe, in: Gabriele Annas / Jessika Nowak (Hgg.), Et l’homme dans tout cela. Von Menschen, Mächten und Motiven. Festschrift für Heribert Müller zum 70. Geburtstag (= Frankfurter Historische Abhandlungen 48), Stuttgart 2017, S. 333 – 350 *Thronfolge und Herrschersakralität in England, Frankreich und im Reich während des späteren Mittelalters: Aspekte einer Korrelation, in: Die mittelalterliche Thronfolge im euro-

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päischen Vergleich, hg. von Matthias Becher (= Vorträge und Forschungen 84), Ostfildern 2017, S. 359 – 448

4. (Mit)Herausgeberschaften Rudolf von Habsburg. 1273 – 1291. Eine Königsherrschaft zwischen Tradition und Wandel (= Passauer Historische Forschungen 7, hg. zusammen mit Egon Boshof), Köln 1993 Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter (= Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 20), Berlin 1997 Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 48), Köln 1998 Karl der Große in Renaissance und Moderne. Zur Rezeptionsgeschichte und Instrumentalisierung eines Herrscherbildes (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Zeitschrift des Mediävistenverbandes 4, 2), Berlin 1999 Karl der Große und das Erbe der Kulturen (= Akten des 8. Symposium des Mediävistenverbandes, Leipzig 15.–18. März 1999), Berlin 2001 Von Sacerdotium und Regnum: Geistliche und weltliche Herrschaft im frühen und hohen Mittelalter. Festschrift für Egon Boshof zum 65. Geburtstag (= Passauer Historische Forschungen 12, hg. zusammen mit Hartmut Wolff), Köln 2002 Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Fünfzehn interdisziplinäre Beiträge zu einem weltweiten und epochenübergreifenden Phänomen, Berlin 2002 Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 49), Berlin/New York 2005 1000 Jahre Goldener Steig. Vorträge der Tagung vom 24. April 2010 in Niedernburg (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen 61), Passau 2011 Königtum, Kirche und Mission im Südosten des Reiches. Ausgewählte Aufsätze von Egon Boshof. Festgabe zum 75. Geburtstag (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen 63), Passau 2012 Nur Eitelkeit auf Erden? Das Zeitalter des Barock an der bayerisch-österreichischen Donau (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen 67), Passau 2013 Ostbairische Lebensbilder 4 (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen 54/IV), Passau 2013 Ostbairische Lebensbilder 5 (= Veröffentlichungen des Instituts für Kulturraumforschung Ostbaierns und der Nachbarregionen 54/V), Passau 2016 Passauer Jahrbuch 51 (2009), 52 (2010), 53 (2011), 54 (2012), 55 (2013), 56 (2014), 57 (2015), 58 (2016), 59 (2017)

Register Das Register erfaßt Herrscher, Päpste und für die Ausführungen wichtige Personen. Herrscher Merowingerreich Charibert I. 106 Childebert I. 40, 118 Chlodio (myth.?) 36 Chlodomer 44 Chlodwig 33, 40, 43, 69, 71, 118, 496 Chlothar II. 40, 43, 106, 118 Dagobert II. 454 Gunt(h)ram 40, 43 f., 53, 75, 118 Merowech (myth.?) 36 Karolingerreich Arnulf von Kärnten (Ostfrankenreich) 126 f., 135, 151, 243 Karl der Große (Charlemagne) 22 f., 37, 40, 69 – 71, 99, 107 f., 119 – 122, 124 – 126, 149, 158, 170 – 173, 182, 237, 261 f., 264, 270, 299, 307, 361, 391, 447, 454, 488, 490, 497, 532 Karl II. der Kahle (Westfrankenreich) 55, 99, 109, 124, 129, 150, 172, 466, 488 Karl III. der Dicke (Ostfrankenreich, 885 – 887 Gesamtreich) 111, 125 Karl III. der Einfältige (Westfrankenreich) 137, 147 Karlmann, Bruder Karls d. Gr. 40, 307 Karlmann (Ostfrankenreich) 125 Lothar II. (Lotharingien) 150 Ludwig der Deutsche (Ostfrankenreich) 99 – 105, 110 f., 121 – 125 Ludwig der Fromme 22, 37, 99, 109, 154, 285, 490 Ludwig der Jüngere (Ostfrankenreich) 125 Ludwig der Stammler (Westfrankenreich) 110, 396 Ludwig IV. das Kind (Ostfrankenreich) 127, 131, 135, 137 f., 153 f.

Odo (Westfrankenreich) 151 Pippin I. der Jüngere 54, 107, 112, 122, 129, 139, 151, 409, 488 Zwentibold (Lotharingien) 151 Römisch-deutsches Reich Albrecht I. 448, 454 Albrecht II. 369 Friedrich I. Barbarossa 55, 190, 213, 216, 219, 221, 224, 241 – 243, 270, 272 – 274, 299 Friedrich II. 91, 170 f., 173, 182, 226, 240, 243, 272, 294 f., 308, 369, 381, 447, 497, 499 f. Friedrich III. 23 f., 41, 51, 273, 281, 290, 292, 297, 304 f., 359, 363, 365 – 369, 371 f., 383, 390, 394, 416, 440, 454, 459, 471, 475, 482, 502 Friedrich der Schöne 448 Heinrich I. 131 – 136, 147, 154 Heinrich II. 157 – 167, 176, 178, 196, 262, 270, 454 Heinrich III. 22, 40, 55, 159, 174, 177, 180, 186 – 192, 195 f., 201, 207, 229, 262, 264, 305, 361, 402, 490, 494, 497 Heinrich IV. 50 f., 55, 188, 199, 201, 205 f., 220, 222, 225, 228 f., 245, 265, 377, 491 f., 494 Heinrich V. 55, 190 Heinrich VII. 314, 334, 434 Herrmann von Salm 204 Josef I. 435 Josef II. 72, 527 f. Karl IV. 76, 170 f., 173, 274, 276, 289, 292 – 294, 296, 299, 301, 302, 304, 313, 335 f., 357, 362, 366, 369, 382, 390, 404, 433 f., 447 – 450, 452 f., 475, 497 Karl V. 289, 362, 369, 372, 481 Karl VII. 472, 482

560

Register

Konrad I. 50, 130 f., 133, 135, 137 – 155 Konrad II. 109, 164, 169 – 197 Konrad III. 166, 169, 173, 190, 219, 224 Leopold II. 72 Lothar III. 190, 225 Ludwig der Bayer 41 f., 276, 293, 295, 301 – 325, 335, 339, 347 f., 351 – 358, 369, 382, 416, 434 Maximilian I. 221, 292, 369, 372, 451 – 453, 455 – 458, 475 Otto I. der Große 130, 132, 157, 181, 186 Otto II. 177, 180 Otto III. 157, 159, 180, 186, 196, 262, 264, 368 Rudolf von Habsburg 273 f., 293, 295 f., 312, 448, 505 Rudolf von Rheinfelden 204 Ruprecht von der Pfalz 273, 282, 367 Sigismund 366, 369, 416, 447 Wenzel 299, 367, 447, 449, 453 Frankreich Franz I. 69 Karl V. 386, 392, 408 f., 416, 418 f., 421, 443 f. Karl VI. 407 Karl VII. 286, 298, 416, 422 f. Karl VIII. 422 Karl X. 69, 71, 76, 80, 532 f. Ludwig VII. 169 Ludwig IX., der Heilige 69, 270, 296, 299, 311, 408, 443, 454, 496 Ludwig X. 423 Ludwig XIV. 423, 541 Ludwig XVI. 69, 76 Napoleon Bonaparte, Konsul, Kaiser 70, 531, 535 Philipp IV. der Schöne 280, 299, 334, 443 f., 504 Robert II. der Fromme 53, 75 England Edward (Eduard) der Bekenner 53, 75, 255, 270, 299 Edward II. 385, 411, 429 f., 445 Edward III. 288, 316, 407 Edward IV. 407, 413, 416, 431 Edward VI. 288, 431

Elisabeth I. 375 Elisabeth II. 255 f., 299, 465 Heinrich II. Plantagenet 299, 410 f. Heinrich III. 498 Heinrich IV. 375, 412, 425, 430 Heinrich V. 413, 425, 445 Heinrich VI. 394, 407, 413, 425 Heinrich VII. 413 Heinrich VIII. 256, 431, 445 Jakob / James I. 375, 523 Johann Ohneland 401 Karl I. 423, 427 Karl II. 423, 427 Knut der Große, Kg. von England, Dänemark und Norwegen 178 Maria (Mary) I. 445 Richard II. 411, 424 f., 429 f., 445, 471 Richard III. 413 Wilhelm der Eroberer 503 Rom Augustus 77, 238, 289, 362 Hadrian 44, 75 Julius Caesar 38, 77 f., 450 Konstantin der Große 77, 104, 491, 506 Markian 104 Nero 450 Vespasian 44, 74, 77 f. Byzanz Herakleios 105 f. Justinian 41, 222, 224, 308, 312, 495, 506 Konstantin XI. 506 Iberische Halbinsel Alfons X., der Weise, Kg. von Kastilien und León 279 Pedro IV., Kg. von Aragon 275 Philipp II., Kg. von Spanien 524 Sonstige Arduin von Ivrea, Kg. von Italien 160 Berengar von Friaul, Kg. von Italien 146, 151 Bı¯rendra, Kg. von Nepal 83, 256 Boleslaw Chrobry, Kg., zuvor Hg. von Polen 161 Boso von Vienne, Kg. von Niederburgund 151

Register Domaldi (myth.?), Kg. von Schweden 44 Erik I. Ejegod, Kg. von Dänemark 299 Ermanrich, Kg. der Ostgoten 45 Franz Josef I., Ks. von Österreich 516, 534 Friedrich I., Kg. in Preußen 520 Friedrich II. der Große, Kg. von Preußen 527 Friedrich Wilhelm III., dt. Kaiser 530 Hákon der Gute, Kg. von Norwegen 46 Halfdan svarti, norweg. Kg. 46 Knut der Heilige, Kg. von Dänemark 299 Ludwig („der Blinde“) von Vienne, Kg. von Niederburgund 151 Ludwig II., Kg. von Bayern 540 f. Magnus, Kg. von Norwegen 53 Óláfr trételgia (Olaf der Waldroder, Kg. von Norwegen; myth.?) 45 Olaf Tryggvason, Kg. von Norwegen 46 Roger II., Kg. von Sizilien 225, 308, 495, 497, 499 Rudolf, Kg. von Hochburgund 151 Sigismund, Kg. der Burgunder 44, 299, 454 Sisenand, Kg. der Westgoten 141, 153 Stefan der Heilige, Kg. von Ungarn 454 Suinthila, Kg. der Westgoten 141 Viktor Emanuel III., Kg. von Italien 82 Waldemar I., Kg. von Dänemark 51, 228 Wilhelm I., dt. Kaiser 535, 538, 543 Wilhelm II., dt. Kaiser 28, 539, 540 – 542, 544 f. Päpste Alexander III. 216, 274 Benedikt XII. 316, 320, 356 Bonifaz VIII. 329, 336, 408, 444, 504 Bonifaz IX. 273 Formosus 144 Gelasius I. 206, 329, 493 Gregor V. 177, 265 Gregor VII. 164, 199, 202, 204 – 206, 208 – 212, 222, 245 f., 265, 272, 305, 327, 400, 491 – 493, 503 Gregor IX. 296 Hadrian IV. 273 Honorius III. 295 Innozenz III. 338, 399 – 402, 404, 470, 494, 498 Johannes VIII. 111, 144 Johannes X. 22, 143 – 145, 147, 149, 155

561

Johannes XXII. 318, 401, 470 Julius II. 145 Leo III. 37 Leo IX. (Bruno von Toul) 177, 179, 454 Nikolaus III. 443 Nikolaus V. 457 Paul II. 365, 455 Pius II. (Aeneas Silvius Piccolomini) 276, 338, 387, 422, 480, 497 Pius XI. 82 Stephan II. 107 Stephan III. 40, 307 Weitere Personen Accursius 309, 340 Adalbert, Ebf. von Magdeburg 181 Adalfred, Bf. von Bologna 178 Adam von Bremen 165 Adso von Montier-en-Der 239, 241 Aegidius Romanus 279 f., 345, 411 Agapit, Bf. von Estulan 450 Alberich, Bf. von Osnabrück 177 Alebrandus-Bezelin, Ebf. von Hamburg 177 Alkuin von Tours 37, 40, 49, 120 Almerich Ursus, Abt von Farfa 175 Ambrosiaster 34, 116 Ambrosius, Bf. von Mailand 177 Ammianus Marcellinus 42 – 44, 60 Anselm (Biograph Bf. Wazos von Lüttich) 207 Anselm von Besate 180 Antonio Roselli 388 Apponius 34, 116 Aribert, Ebf. von Mailand 177 Arnulf „der Böse“, Hg. von Bayern 148 Arthur I., Hg. von Bretagne 401 Augustinus 117, 430 Augustinus Patritius 365 f. Avitus, Bf. von Vienne 33, 43 Azecho, Bf. von Worms 178 Azelinus/Eccelinus 177 f. Balduin, Ebf. von Trier 314 Baldus de Ubaldis 280, 310, 338 – 340, 350, 388 Bartolus von Sassoferrato 280, 340, 350, 388 Beda Venerabilis 35, 49, 153

562

Register

Benzo, Bf. von Alba 199 Bernward, Bf. von Hildesheim 181 Berthold 147 Bismarck, Otto von 541 Bodin, Jean 522 Boleslaw Chrobry 161 Bonifatius 49, 454 Bonizo von Sutri 199 Brun(o), Bf. von Augsburg 176 f. Bruno, Bf. von Würzburg 177, 179 Bruno, Bf. von Minden 177 Burchard, Bf. von Halberstadt 177, 179 Cathwulf 49, 117, 390 Contzen, Adam 280 Cromwell, Oliver 526 Cyprian, Bf. von Karthago 47, 93 Dante Alighieri 274, 336, 342, 349, 378, 387 Diego von Valera 387 Dietrich von Moers, Ebf. von Köln 273 Dietrich von Nie(hei)m 281, 389 Donatus 491 Ebbo/Eppo 177 Ebendorfer, Thomas 458 Eberhard/Eppo, Bf. von Augsburg 177 Eberhard, Bf. von Bamberg 213 Edmund de Dynter 453 Eleonore (Helena) von Portugal 457 f. Elisabeth von Görz 454 Engelbert, Abt. von Admont 336, 350, 352, 387 Erasmus von Rotterdam 458 Erchanger, Hg. von Schwaben 142, 147 Eure, Mary 423, 427 Evrart de Trémaugon 388 Ezzo, lotharingischer Pfgf. 177 Fatima, Tochter Mohammeds 509 Flavius Vegetius Renatus 281, 389 Fredegar 36, 105 Fredegunde 43 Friedrich von Sonnenburg 274 Galeazzo Maria Sforza, Hg. von Mailand 365 Gebhard, Ebf. von Salzburg 204, 209

Gebhard, Bf. von Würzburg 213, 244 Gerhard, Biograph Bf. Udalrichs von Augsburg 132 Gerhoch, Propst von Reichersberg 216, 241 Gerlach, Ernst Ludwig von 538 Gezeman, Bf. von Eichstätt 177 Gilbert von Tournai 278, 284 Gisela, Gemahlin Ks. Konrads II. 174, 176 Gottfried von Viterbo 215, 242, 452 f. Gottschalk von Aachen 206 Gratian 310 Gregor, Bf. von Tours 40, 43 f., 118 Grünpeck, Joseph 456 Guillaume Peyraut 279 Gunhild, Gemahlin Kg. Heinrichs III. 178 Hagano 177 Harun ar-Raschid 508 Hatto, Ebf. von Mainz 148 f. Heinrich von Thalheim 355 Heinrich der Löwe, Hg. von Bayern und Schwaben 109 Heinrich, Bf. von Ivrea 178 Heinrich von Susa (Hostiensis) 388 Henry Bracton 287, 311, 388, 427, 445, 497 Heribert, Ebf. von Köln 161 Heriger, Ebf. von Mainz 133, 154 Hermann, Ebf. von Hamburg 178 Hermann I., Ebf. von Köln 147 Hermann II., Ebf. von Köln 177 Hermann, Bf. von Metz 209 Hermann, Bf. von Münster 178 Hermann von der Reichenau 152 Hieronymus 239 Hinkmar, Ebf. von Reims 49, 125, 396 f., 492 Hitler, Adolf 82 Horaz 189 Hostiensis, vgl. Heinrich von Susa Hrabanus Maurus 124 Hugo, Bf. von Parma 177 Hugo von Parma (Kleriker) 177, 179 Huguccio 219 Humbert von Silva Candida 207, 305 Hunold, Bf. von Merseburg 177 Immo, Bf. von Arezzo 177 Isidor, Bf. von Sevilla 49, 106, 141, 153, 310

Register Jacques von Meaux 522 Jakob Ammanati (Piccolomini), Kardinalbf. von Frascati 365 f. Jakob Mennel 453 Jean Gerson 286 f., 497 f. Jean Golein 24 f., 419, 420, 443 f. Jean Quidort 23, 312, 352, 387, 392, 414 Jeanne d’Arc 69, 298, 422 Johann von Jenzenstein (Jenstein), Ebf. von Prag 313, 433 Johanna von Pfirt 451 Johannes, Bf. von Ferrara 355 Johannes von Marignola 453 Johannes von Salisbury 169, 278, 283 f. Johannes von Viterbo 310 Johannes Burckard 365 John Fortescue 425 f., 428 John Wyclif 276, 280, 287, 338, 387, 389, 395, 428, 497 f. Jonas von Orléans 49 Juan Manuel von Kastilien, Enkel Kg. Ferdinands III. von Kastilien und Léon 387 Kadeloh, Bf. von Naumburg 177, 186 – 188, 190 f. Konrad (Truchseß Konrads II.) 176 Konrad von Megenberg 350, 387 Konrad von Soltau 273 Konrad Sachsenhauser 315 Kunigunde, Gemahlin Ks. Heinrichs II. 161 f., 166 Kunigunde, Mutter Hg. Arnulfs „des Bösen“ 148 Lang, Karl Heinrich von 528 Lenin (Wladimir Iljitsch Uljanow) 82 Leonhard von München 314, 317 Leopold III., Mgf. von Österreich 454 Leubing, Heinrich 281 Liudolf (Kämmerer Konrads II.) 176 Liutbert, Ebf. von Mainz 101 Liutfried 147 Liutpold, bayerischer Mgf. 148 Liutprand, Bf. von Cremona 181 Luis de Molina 523 Lupold von Bebenburg 336, 347 – 353, 357 Luther, Martin 79, 240, 248, 281, 458, 521

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Mao Tse-tung (Mao Zedong) 82 Maranta, Robert 497 Margarete, Hgin. von Kärnten, Gfin. von Tirol (Margarete Maultasch) 353 Marozia, Tochter des Theophylakt 144 f. Marquart, Patriarch von Aquileja 320 Marsilius von Padua 320, 336, 338 f., 342, 349, 353, 355, 387, 497 Martin von Troppau 248, 352 Mathilde, Mgfin. von Tuszien 26 Matteo Villani 449 Maximilian I., Hg. von Bayern 521 Meinwerk, Bf. von Paderborn 163, 179 Mohammed, Prophet 508 Muawija 509 Mussolini, Benito 82 Nikolaus von Kues (Cusanus) 24, 276, 307, 360, 387, 395, 497 Nikolaus von Lyra 276, 338 Notker Balbulus 40, 120 Notker Labeo 174 Olivier, Advokat 76 Otfrid von Weißenburg 101 f., 104, 110 f., 121 Otloh, Mönch von St. Emmeran 243 Otto, Bf. von Bamberg 166 Otto, Bf. von Freising 215, 220, 227, 238, 242 Ovid 189 Paulinus II., Patriarch von Aquileja 40, 119 f. Paulus, Apostel 104 f. Pedro, Infant von Aragon 275, 387, 497 Peter von Andlau 23 f., 291, 307, 313, 370, 387, 392, 395, 433, 471, 498 Petrarca 450 Petrus Crassus 222 Petrus Damiani, Kbf. von Ostia 205 Petrus Johannis Olivi 339 Petrus Molinus 292 Petrus von Orte 143 Philippe de Mézières 420 Pierre Flot(t)e 504 Pilgrim, Ebf. von Salzburg 138 Poppo von Stablo 179, 182 Quintilian 101

564

Register

Rahewin 215 Raoul de Presles 392, 420 Reginbald II., Bf. von Speyer 182 Regino, Abt von Prüm 154 Rimbert, Ebf. von Bremen 112 Robert Grosseteste, Bf. von Lincoln 220, 402, 498 Rudolf IV. der Stifter, Hg. von Österreich 448 – 451, 454, 459 Rudolf (Rotho), Abt von Hersfeld 179 Rufinus 218 Sallust 50, 189 Salomo(n) I., Bf. von Konstanz 101, 138 Schweder, Gabriel 439 Sedulius Scottus 49 Seifried von Tegernsee 195 Seld, Sigismund 439, 472 Siegfried, sächs. Pfalzgraf 177 Sigebert von Gembloux 50 Skipwith 288 Smaragd von St-Mihiel 121 Stahl, Friedrich Julius 538 Stefanus de Ventimiglia 365 Sueton 74, 189 Tacitus 60, 74, 99 Talleyrand (Charles-Maurice de TalleyrandPérigord) 535 Tertullian 210 Theoderich, Bf. von Basel 177, 190 Theodora die Ältere, röm. Senatorin, Gemahlin des Theophylakt 144 Theodora die Jüngere, Tochter des Theophylakt 144 Theophylakt, röm. Senator 144 f. Theotmar, Ebf. von Salzburg 149 Thietmar, Bf. von Merseburg 491 Thietmar (Tymme), Bf. von Hildesheim 177 – 180

Tholomäus von Lucca 392 Thomas von Aquin 22, 278 – 280, 283, 343, 387, 391 Thomas Becket, Ebf. von Canterbury 410 f. Thomas Cranmer, Ebf. von Canterbury 288, 431, 446, 502 Tilmann Johel 41 Udalrich/Ulrich, Bf. von Augsburg 132 Udalrich, Bf. von Basel 178 Udalrich (Kanzler Konrads II.) 177 Udalrich (Domscholaster von Bamberg) 244 Ulpian 312 Ulrich III. (von Nußdorf), Bf. von Passau 454 f. Venantius Fortunatus 40, 106, 118 Vergil 189 Vinzenz von Beauvais 278 f. Walter, Bf. von Verona 178 Warmann, Bf. von Konstanz 177 Wazo, Bf. von Lüttich 177, 207 Werner, Bf. von Straßburg 176 Wido von Ferrara 218 Wido von Osnabrück 218 Wido von Spoleto 151 Widukind von Corvey 50, 130, 132 f., 136, 152 Wilhelm, Bf. von Straßburg 177 Wilhelm (Durandus), Bf. von Mende 310, 312, 400 Wilhelm, Abt von Hirsau 204 Wilhelm von Nogaret 504 Wilhelm (William) von Ockham 319, 336, 344 f., 350, 353, 387, 414 f. William Lyndwood, Bf. von St. Davids 287, 498 Wipo 174 – 179, 181, 189 – 196