Russlands Sonderweg der Transformation – Von der Oligarchie zur Marktwirtschaft?: Eine institutionenökonomische Analyse 9783110528411, 9783110525847

Diese Arbeit befasst sich mit den Gründen für die Herausbildung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Russl

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Russlands Sonderweg der Transformation – Von der Oligarchie zur Marktwirtschaft?: Eine institutionenökonomische Analyse
 9783110528411, 9783110525847

Table of contents :
Inhalt
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Hinweise
Kapitel 1: Einführung
1.1. Einleitung
1.2. Gang der Problemuntersuchung
1.3. Ursprung und Bedeutung des Begriffs „Oligarchie
1.4. Oligarchie und Institutionen
Kapitel 2: Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung: Bedeutung, Wandel und Wechsel von Institutionen
2.1. Die Transformation von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen
2.1.1. Einordnung und Begriffsbestimmung
2.1.2. Die formale Regelebene
2.1.2.1. Arten von Wirtschaftsordnungen
2.1.2.2. Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien einer freien Wettbewerbsordnung
2.1.2.3. Die Schaffung einer freien Wettbewerbsordnung
2.1.3. Die informale Regelebene
2.2. Institutionen, Wahrnehmung und Handeln
2.2.1. Zur Regelgeleitetheit allen Handelns
2.2.2. Spezifizierung des Institutionenbegriffs
2.2.2.1. Institution und Regel
2.2.2.2. Einige Ansätze zur Klassifizierung von Institutionen
2.2.2.3. Die Theorie des institutionellen Wandels von North
2.2.2.4. Die Institutionen-Typologisierung von Kiwit und Voigt
2.2.2.5. Die Institutionen-Typologisierung von Leipold
2.2.3. Wahrnehmung und Handeln der Individuen
2.2.3.1. Faktoren individueller Prägung
2.2.3.2. Das Problem der individuellen Wahrnehmung
2.2.3.3. Das Problem des individuellen Handelns
2.2.3.4. Wahrnehmung, Handeln und die Freiheit des Willens
2.3. Zwischenfazit
Kapitel 3: Soziales Kapital, Interessen und Umwelt
3.1. Sozialkapital und Gruppeninteressen
3.1.1. Das soziale Kapital
3.1.1.1. Begriff und Bedeutung
3.1.1.2. Die positive Dimension des Sozialkapitals: „Putnam-Gruppen“
3.1.1.3. Die negative Dimension des Sozialkapitals: „Olson-Gruppen“
3.1.2. Die Macht der Gruppen
3.1.2.1. Rentensuche und der Einfluss von Interessengruppen
3.1.2.2. Die Interessen der Bürokratie
3.1.2.3. Der Staat als Korrektiv?
3.2. Gründe für die Bevorzugung bestimmter Sektoren
3.2.1. Das Streben nach politischer und wirtschaftlicher Macht
3.2.1.1. Zwischen „Machtvertikale“ und Interessengruppen
3.2.1.2. Zur Entstehung von illegitimer Verfügungsmacht: Ein Lehrbeispiel
3.2.2. Sektorale Vorrangigkeiten in der Geschichte des ökonomischen Denkens
3.2.2.1. Einige theoretische Ansätze
3.2.2.2. Die Bedeutung für reale Systeme und insbesondere für Russland
3.2.3. Besonderheiten der Umwelt als Determinanten institutioneller Eigenarten
3.2.3.1. Allgemeine Bemerkungen
3.2.3.2. Klima, Geographie und wirtschaftliche Entwicklung
3.3. Zusammenfassung
Kapitel 4: Russlands Oligarchie und ihre Wurzeln
4.1. Einführende Bemerkungen
4.2. Besonderheiten Russlands und seiner Entwicklung
4.2.1. Geographische Lage und natürliche Umwelt
4.2.1.1. Geographie und Klima
4.2.1.2. Natürliche Ressourcen – Grundlage der Autarkiebefähigung Russlands
4.2.2. Geschichte, Orthodoxie und Kultur
4.2.2.1. Geschichte
4.2.2.2. Orthodoxe Kirche, Kultur und die „russische Idee“
4.2.3. Auf dem Weg zum ‚Kommunismus‘ und zurück: Revolution, Sowjetsozialismus und Perestroika
4.2.3.1. Vor und nach der Oktoberrevolution 1917
4.2.3.2. Die Sowjetunion bis 1985
4.2.3.3. Perestroika und Auflösung der Sowjetunion
4.3. Der Übergang: Vom Plan – wohin?
4.3.1. Schattenwirtschaft und Schocktherapie
4.3.2. Phasen der Privatisierung
4.3.2.1. Die informelle Phase bis 1992
4.3.2.2. Die Voucher-Privatisierung (1992-1994)
4.3.2.3. Kredite gegen Aktien (1994-1996)
4.3.3. Die Oligarchen
4.3.3.1. Allgemeine Bemerkungen
4.3.3.2. Wem gehört der Staat?
4.3.4. Putins ‚gelenkte‘ Demokratie
4.3.4.1. Von Jelzin zu Putin
4.3.4.2. Die Gleichschaltung der Medien und die Unterminierung der Zivilgesellschaft
4.3.4.3. Die ‚Machtvertikale‘ und die Renaissance des wirtschaftspolitischen Dirigismus
4.3.4.4. Von Putin zu Medwedjew und zurück: Verfestigung einer neuen Staatsoligarchie
4.3.5. Der „Fall Chodorkowski“ – Sichtbares Zeichen einer latenten Krise
4.4. Zusammenfassung
Kapitel 5: Abschließende Bemerkungen und Ausblick
Endnoten
Literaturverzeichnis

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Thomas Welsch Russlands Sonderweg der Transformation – Von der Oligarchie zur Marktwirtschaft?

Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft

herausgegeben von Prof. Dr. Thomas Apolte Prof. Dr. Martin Leschke Prof. Dr. Albrecht F. Michler Prof. Dr. Christian Müller Prof. Dr. Rahel Schomaker und Prof. Dr. Dirk Wentzel

Band 102

Thomas Welsch

Russlands Sonderweg der Transformation – Von der Oligarchie zur Marktwirtschaft? Eine institutionenökonomische Analyse

ISBN 978-3-11-052584-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-052841-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-052596-0 ISSN 1432-9220 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort: Die Schriftenreihe im neuen Gewand Der Band 102 der Schriftenreihe zu Ordnungsfragen der Wirtschaft ist der erste, der im Verlag De Gruyter erscheint. Der von Thomas Welsch vorgelegte Beitrag über die Systemtransformation Russlands und den russischen Sonderweg steht in der Tradition einer Reihe, die schon seit über sechzig Jahren ein hohes Ansehen in der deutschen ökonomischen Wissenschaftslandschaft hat. Im Jahre 1954 hat K. Paul Hensel an der Universität Freiburg seine Habilitationsschrift zum Thema „Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft“ publiziert. Mit dieser Arbeit wurde zugleich die Reihe Schriften zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme begründet, die nach seinem Wechsel an die Universität Marburg 1957 und der Gründung der Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme dort für viele Jahrzehnte beheimatet war. 1989 wurde die Reihe in Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft umbenannt, in der ordnungs- und institutionenökonomische Beiträge mit verschiedenen Themengebieten und Anwendungsfragen thematisiert wurden. K. Paul Hensel war ein Schüler von Walter Eucken und hat dessen Forschungsprogramm weitergeführt. Nach Hensels Tod 1975 haben seine zahlreichen Schüler das wissenschaftliche Vermächtnis Hensels weiterentwickelt. Bis heute kommen sie jedes Frühjahr zu dem von Hensel gegründeten Forschungsseminar Radein in Südtirol zusammen, aus dem inzwischen zahlreiche ordnungsökonomische Publikationen hervorgegangen sind. Die Bände 1–51 der Schriftenreihe erschienen zunächst im Gustav-Fischer Verlag. Die Bände 52–101 wurden vom Verlag Lucius&Lucius herausgegeben. Dem Verleger Wolf von Lucius war immer ganz besonders an der Schriftenreihe gelegen, die sich in der ökonomischen Wissenschaftslandschaft – nicht zuletzt dank der Redaktion und Schriftleitung der damaligen Mitherausgeberin Hannelore Hamel – als erstaunliche Konstante mit hoher Wertschätzung etabliert hatte. Mit der Auflösung des Verlags und dem Ruhestand des Verlegers entstand 2016 die Notwendigkeit zu einem Verlagswechsel zu De Gruyter, bei dem Wolf von Lucius wichtige Hilfestellung leistete. Die Herausgeber bedanken sich herzlich bei ihm für eine über Jahrzehnte währende, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Die langjährigen Herausgeber der Schriftenreihe – allesamt Schüler Hensels – haben 2011 die Herausgabe in die Hände der nachfolgenden Generation gelegt, die sich weiterhin der ordnungsökonomischen Tradition verpflichtet fühlt: Thomas Apolte (Universität Münster), Martin Leschke (Universität Bayreuth), Albrecht Michler (Universität Düsseldorf), Christian Müller (Universität Münster), Rahel Schomaker (FH Kärnten) und Dirk Wentzel (Hochschule Pforzheim). Mit dem Wechsel der Schriftleitung war auch ein Umzug von der Universität Marburg an die Hochschule Pforzheim verbunden. Geblieben ist der Anspruch, aktuelle Ordnungsfragen der Wirtschaft in methodischer Vielfalt auf wissenschaftlich höchstem Niveau zu bearbeiten in einer Sprache, die sowohl der Fachwelt wie auch der interessierten Öffentlichkeit und der Politikberatung zugänglich ist. Mit dem Verlag De Gruyter haben wir hierzu einen idealen Partner gefunden, mit dem wir auch die neuen Publikationsanforderungen im digitalen Zeitalter angehen können. Wir freuen uns auf die zukünftige Zusammenarbeit. Im November 2016

Dirk Wentzel Im Namen der Herausgeber

Vorwort Nach der Auflösung der Sowjetunion hat Russland einen eigenen Entwicklungsweg eingeschlagen, der mit einer Transformation der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verbunden war. Nicht nur die naheliegende Frage, wie dieser Weg aussieht, sondern insbesondere, warum er verfolgt wird, war Motivation für diese Arbeit. So habe ich versucht, auch solche Aspekte in eine institutionenökonomische Untersuchung zu integrieren, denen zuweilen weniger Aufmerksamkeit in der ökonomischen Literatur beigemessen wird. Die Analyse Russlands erfolgt deshalb auf einem vertieften wie auch erweiterten Fundament und soll so belastbarere Aussagen über den bis heute beschrittenen Transformationsweg erlauben. Die Arbeit wurde als Dissertation vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der PhilippsUniversität Marburg angenommen. Danken möchte ich Prof. Dr. Alfred Schüller für die Begleitung des Werdens dieser Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtens, Prof. Dr. Sascha Mölls für seine Bereitschaft zur Übernahme des Zweitgutachtens. Für wertvolle Hinweise bei der redaktionellen Durchsicht für die Drucklegung danke ich Frau Dr. Hannelore Hamel, für die Erstellung der Druckvorlage Herrn Michael Sendker. Gewidmet ist diese Dissertation meinen Eltern. Ohne ihr Vertrauen und ihre Unterstützung hätte sie nicht entstehen können. Berlin, im November 2016

Thomas Welsch

IX

Inhalt Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................... XII Abkürzungsverzeichnis .......................................................................................................... XII Hinweise ................................................................................................................................ XIII Kapitel 1: Einführung.............................................................................................................. 1 1.1. Einleitung .......................................................................................................................... 1 1.2. Gang der Problemuntersuchung........................................................................................ 2 1.3. Ursprung und Bedeutung des Begriffs „Oligarchie“......................................................... 4 1.4. Oligarchie und Institutionen ............................................................................................. 8 Kapitel 2: Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung: Bedeutung, Wandel und Wechsel von Institutionen .......................................... 9 2.1. Die Transformation von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen................................. 9 2.1.1.

Einordnung und Begriffsbestimmung ................................................................ 9

2.1.2.

Die formale Regelebene ................................................................................... 11 2.1.2.1.

Arten von Wirtschaftsordnungen ................................................... 11

2.1.2.2.

Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien einer freien Wettbewerbsordnung ..................................................................... 13

2.1.2.3. 2.1.3.

Die Schaffung einer freien Wettbewerbsordnung ......................... 16

Die informale Regelebene ................................................................................ 18

2.2. Institutionen, Wahrnehmung und Handeln ..................................................................... 18 2.2.1.

Zur Regelgeleitetheit allen Handelns ............................................................... 18

2.2.2.

Spezifizierung des Institutionenbegriffs ........................................................... 19

2.2.3.

2.2.2.1.

Institution und Regel...................................................................... 19

2.2.2.2.

Einige Ansätze zur Klassifizierung von Institutionen ................... 20

2.2.2.3.

Die Theorie des institutionellen Wandels von North .................... 22

2.2.2.4.

Die Institutionen-Typologisierung von Kiwit und Voigt ............... 23

2.2.2.5.

Die Institutionen-Typologisierung von Leipold ............................ 25

Wahrnehmung und Handeln der Individuen .................................................... 29 2.2.3.1.

Faktoren individueller Prägung ..................................................... 29

2.2.3.2.

Das Problem der individuellen Wahrnehmung.............................. 32

2.2.3.3.

Das Problem des individuellen Handelns ...................................... 39

2.2.3.4.

Wahrnehmung, Handeln und die Freiheit des Willens .................. 46

X 2.3. Zwischenfazit .................................................................................................................. 50 Kapitel 3: Soziales Kapital, Interessen und Umwelt ........................................................... 53 3.1. Sozialkapital und Gruppeninteressen.............................................................................. 53 3.1.1.

3.1.2.

Das soziale Kapital ........................................................................................... 53 3.1.1.1.

Begriff und Bedeutung .................................................................. 53

3.1.1.2.

Die positive Dimension des Sozialkapitals: „Putnam-Gruppen“ .. 56

3.1.1.3.

Die negative Dimension des Sozialkapitals: „Olson-Gruppen“ .... 57

Die Macht der Gruppen .................................................................................... 59 3.1.2.1.

Rentensuche und der Einfluss von Interessengruppen .................. 59

3.1.2.2.

Die Interessen der Bürokratie ........................................................ 61

3.1.2.3.

Der Staat als Korrektiv?................................................................. 62

3.2. Gründe für die Bevorzugung bestimmter Sektoren ........................................................ 64 3.2.1.

3.2.2.

3.2.3.

Das Streben nach politischer und wirtschaftlicher Macht ................................ 64 3.2.1.1.

Zwischen „Machtvertikale“ und Interessengruppen ...................... 64

3.2.1.2.

Zur Entstehung von illegitimer Verfügungsmacht: Ein Lehrbeispiel ............................................................................. 65

Sektorale Vorrangigkeiten in der Geschichte des ökonomischen Denkens ..... 69 3.2.2.1.

Einige theoretische Ansätze ........................................................... 69

3.2.2.2.

Die Bedeutung für reale Systeme und insbesondere für Russland ................................................................................... 74

Besonderheiten der Umwelt als Determinanten institutioneller Eigenarten .... 76 3.2.3.1.

Allgemeine Bemerkungen ............................................................. 76

3.2.3.2.

Klima, Geographie und wirtschaftliche Entwicklung.................... 77

3.3. Zusammenfassung .......................................................................................................... 78 Kapitel 4: Russlands Oligarchie und ihre Wurzeln ............................................................ 80 4.1. Einführende Bemerkungen ............................................................................................. 80 4.2. Besonderheiten Russlands und seiner Entwicklung ....................................................... 81 4.2.1.

4.2.2.

Geographische Lage und natürliche Umwelt ................................................... 81 4.2.1.1.

Geographie und Klima ................................................................... 81

4.2.1.2.

Natürliche Ressourcen – Grundlage der Autarkiebefähigung Russlands ....................................................................................... 84

Geschichte, Orthodoxie und Kultur .................................................................. 86 4.2.2.1.

Geschichte...................................................................................... 86

XI 4.2.2.2. 4.2.3.

Orthodoxe Kirche, Kultur und die „russische Idee“ ...................... 92

Auf dem Weg zum ‚Kommunismus‘ und zurück: Revolution, Sowjetsozialismus und Perestroika .................................................................. 98 4.2.3.1.

Vor und nach der Oktoberrevolution 1917 .................................... 98

4.2.3.2.

Die Sowjetunion bis 1985 ............................................................ 101

4.2.3.3.

Perestroika und Auflösung der Sowjetunion ............................... 104

4.3. Der Übergang: Vom Plan – wohin? .............................................................................. 107 4.3.1.

Schattenwirtschaft und Schocktherapie .......................................................... 107

4.3.2.

Phasen der Privatisierung ............................................................................... 109

4.3.3.

4.3.4.

4.3.5.

4.3.2.1.

Die informelle Phase bis 1992 ..................................................... 109

4.3.2.2.

Die Voucher-Privatisierung (1992-1994) .................................... 111

4.3.2.3.

Kredite gegen Aktien (1994-1996) .............................................. 113

Die Oligarchen ................................................................................................ 115 4.3.3.1.

Allgemeine Bemerkungen ........................................................... 115

4.3.3.2.

Wem gehört der Staat?................................................................. 117

Putins ‚gelenkte‘ Demokratie ......................................................................... 120 4.3.4.1.

Von Jelzin zu Putin ...................................................................... 120

4.3.4.2.

Die Gleichschaltung der Medien und die Unterminierung der Zivilgesellschaft ..................................................................... 121

4.3.4.3.

Die ‚Machtvertikale‘ und die Renaissance des wirtschaftspolitischen Dirigismus ................................................................. 123

4.3.4.4.

Von Putin zu Medwedjew und zurück: Verfestigung einer neuen Staatsoligarchie ................................................................ 126

Der „Fall Chodorkowski“ – Sichtbares Zeichen einer latenten Krise ............. 127

4.4. Zusammenfassung ........................................................................................................ 129 Kapitel 5: Abschließende Bemerkungen und Ausblick .................................................... 135 Endnoten ............................................................................................................................... 139 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 213

XII Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Grundformen der Wirtschaftsordnung ............................................................. 12 Abbildung 2: Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien einer freien Wettbewerbsordnung nach Walter Eucken ..................................................... 14 Abbildung 3: Ordnungspolitische Hauptprobleme in der Systemtransformation .................. 16 Abbildung 4: Typen interner und externer Institutionen........................................................ 24 Abbildung 5: Institutionentypen............................................................................................. 26 Abbildung 6: Handeln im Konflikt zwischen Wert- und Zweckrationalität .......................... 44 Abbildung 7: Institutionen und ihre Internalisierung ............................................................. 45 Abbildung 8: Die Imperien der russischen Oligarchen im Jahre 1996 ................................ 116

Abkürzungsverzeichnis AG AAMs GOELRO GUS IWF KPdSU MPI NEP NGO NPÖ OVWR RSFSR UdSSR ZK der KPdSU

Aktiengesellschaft Angeborene auslösende Mechanismen Gosudarstvennij plan Elektrifikazii Rossii (Государственный план Электрификации России) / Staatlicher Plan zur Elektrifizierung Russlands Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Internationaler Währungsfonds Kommunistische Partei der Sowjetunion Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, Jena Nowaja Ekonomitscheskaja Politika (Новая Экономическая Политика) / Neue Ökonomische Politik Non-Governmental Organisation / Nichtregierungsorganisation Neue Politische Ökonomie Oberster Volkswirtschaftsrat Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (Sowjetunion) Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion

XIII Hinweise 1. Im Interesse einer besseren Lesbarkeit werden russische Namen in dieser Arbeit gemäß Duden transkribiert. Im Literaturverzeichnis werden den so transkribierten bibliographischen Angaben Autor und Titel (sowie bei Periodika deren Name) auch in kyrillischen Buchstaben beigefügt, um dem russischsprachigen Leser das Auffinden der Quelle zu erleichtern. Quellen, die bereits wissenschaftlich transliteriert vorliegen, werden unverändert übernommen, wiederum um ihre Auffindbarkeit zu erleichtern. Im Einzelfall möglich, aber unvermeidbar, kann deshalb ein Name (oder Begriff) in verschiedenen Schreibweisen vorkommen. 2. In russischen Publikationen, insbesondere in Periodika, wird bei den Autoren verbreitet der Vorname nur abgekürzt genannt. Dieser hat sich nicht in allen Fällen ermitteln lassen und wird deshalb gegebenenfalls auch nur abgekürzt im Literaturverzeichnis wiedergegeben. 3. In dieser Arbeit wurde die neue Rechtschreibung verwendet. Wenn aber in Zitaten oder Literaturangaben eine andere Schreibweise verwendet wurde, dann wurde diese im Interesse der Authentizität beibehalten. 4. ‚russkaja‘ und ‚rossiskaja‘ = ‚russisch‘ und ‚russländisch‘: Für historische Veränderungen in räumlicher und ethnischer Zusammensetzung der Bevölkerung sowie in der russischen Staatlichkeit und ihrer Entwicklung werden in der Literatur mitunter die Begriffe ‚russkaja‘ und ‚rossiskaja‘ = ‚russisch‘ und ‚russländisch‘ unterschieden; siehe beispielsweise Kappeler (2002, S. 13 f.). In dieser Arbeit wird nur der Begriff ‚russisch‘ verwendet, gemeint sind damit Russland und die auf dessen Territorium lebenden Menschen. 5. Die Zusammenfassungen der Kapitel und die abschließenden Bemerkungen (Kapitel 5) geben die Ergebnisse der vorangegangenen Untersuchungen aus der Sicht des Verfassers dieser Arbeit wieder. Diese Ergebnisse sind aus der Diskussion der Literatur in den einzelnen Kapiteln entstanden. Die verwendeten Quellen wurden in den Kapiteln zitiert, in denen sie diskutiert wurden. Eine nochmalige Quellenangabe erfolgt deshalb in den Zusammenfassungen der Kapitel und in den abschließenden Bemerkungen nicht.

1. Einführung

1

„[S]o viel ist klar, daß ein ... Volk der Freiheit bedarf, … und daß es in seiner Fortdauer einen immer höher steigenden Grad derselben ohne alle Gefahr erträgt.“ Johann Gottlieb Fichte (1808/1978, S. 132 f.)

„Je mehr wir [die Russen] uns der ... Freiheit nähern, desto größer wird die Gefahr für das Vaterland. Wir gehen einen schmalen Pfad den Abgrund entlang, aber einen anderen Weg gibt es nicht.“ Leonid Gosman (1993, S. 55)

1.

Einführung

1.1.

Das Problem

Bereits Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde in der Sowjetunion mit Reformen begonnen, durch die die Leistungsfähigkeit des sozialistischen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems erhöht werden sollte. Dabei war zunächst nur an eine Umgestaltung der wirtschaftlichen Ordnung (Perestroika – Umbau) sowie eine Demokratisierung der politischen Ordnung (Glasnost – Transparenz) gedacht, nicht aber an einen grundlegenden Systemwechsel. Die von Gorbatschow in den Jahren 1985/86 begonnene Liberalisierung war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Die Gewährung stärkerer individueller ökonomischer und politischer Freiheit entwickelte ihre eigene Dynamik, aus der im Laufe des Transformationsprozesses – trotz der latenten Gefahr einer Umkehr durch beharrende Kräfte des alten Systems – wesentliche formale Merkmale einer Marktwirtschaft hervorgegangen sind. Bemerkenswert an diesem Prozess ist, dass viele der mittel- und osteuropäischen Staaten, die in der Folge von Gorbatschows Reformpolitik ihre nationale Eigenständigkeit wiedererlangt haben, den Umgestaltungsprozess weitaus schneller und erfolgreicher voranbringen konnten. Den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion – und insbesondere Russland – ist dies (mit Ausnahme der baltischen Staaten) nicht in gleichem Maße gelungen.1 Die wirtschaftlichen Strukturen, die bis zur Mitte der 1990er Jahre in Russland entstanden sind, werden häufig als „Oligarchie“ bezeichnet. Damit sind große finanz-industrielle Gruppen gemeint, die über erhebliche ökonomische Macht und politischen Einfluss verfügen. Als Symptom des bestehenden Ordnungsrahmens in Russland spiegeln sie die Defizite im Vergleich zu anderen Transformationsgesellschaften und demokratischen Marktwirtschaften wider. Der Wettbewerb – in den politischen und ökonomischen Teilordnungen – konnte seine Funktion als System sozialer Kontrollen (von Hayek) nicht auf breiter Front entfalten. Die institutionenökonomisch geprägte Betrachtungsweise dieser Untersuchung soll Aufschluss darüber geben, welche Gründe zu dieser Entwicklung geführt haben könnten. Sie wird jeweils dort um weitere theoretische Ansätze ergänzt, wo diese für die in Russland zu beobachtenden Erscheinungen einen zusätzlichen Erklärungsgehalt versprechen. Hierbei wird ein besonderes Augenmerk auf jene Aspekte gelegt, die bisher weniger Auf-

Russlands Sonderweg der Transformation

2

merksamkeit erfahren haben, insbesondere auf die Bedeutung der individuellen Handelnsfreiheit. In autokratischen Traditionen, Eigenheiten der Orthodoxie und physischen Bedingungen wie Klima und Geographie werden Ursachen vermutet, die den russischen Entwicklungsweg nachhaltig geprägt haben. So ist der Raum, den ihre Darstellung hier einnimmt, weniger Ausdruck der ihnen in der ökonomischen Literatur beigemessenen Bedeutung, als vielmehr Ergebnis der besonderen Sichtweise dieser Arbeit. Gleichwohl wird versucht, trotz der herangezogenen zahlreichen Quellen und Belege, die der Sache geschuldet sind, kurz zu bleiben. Deshalb ist die Arbeit nicht breiter angelegt, als es für die behandelten Aspekte erforderlich erscheint.

1.2.

Gang der Problemuntersuchung

Zunächst wird der Begriff „Oligarchie“, dessen Herkunft und übliche Verwendung, erläutert. Danach werden die theoretischen Ansätze vorgestellt, mit deren Hilfe der Frage nach dem russischen Sonderweg nachgegangen werden soll. Es würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen, Aussagen aus einer vergleichenden Analyse mit anderen Ländern zu gewinnen.2 Gleichwohl impliziert die Frage nach einem Sonderweg die Möglichkeit, dass dieser Weg nicht mit dem anderer Länder übereinstimmt. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Feststellung, dass es weder nur einen Weg zu Marktwirtschaft und Demokratie gab, noch dass alle marktwirtschaftlichen Demokratien gleich wären. Die Auswahl der theoretischen Konzepte und die dargestellten Beispiele stehen in einem engen Bezug zu der These von Russlands Sonderweg bei der Transformation. Die Untersuchung bleibt auf Russland beschränkt. In Kapitel 2 wird zuerst kurz auf das Problem der Transformation von Wirtschaftsund Gesellschaftssystemen eingegangen, um den Hintergrund zu beleuchten, vor dem die Entwicklung in Russland seit der Perestroika zu sehen ist. Danach werden aus dem umfangreichen Forschungsprogramm der neuen Institutionenökonomik einige Ansätze vorgestellt. Formale Institutionen, etwa das Gesellschafts- und das Aktienrecht oder das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) wurden nach westlichen Vorbildern übernommen. Sie funktionieren indes im russischen Kontext nicht so, wie in den Ländern, aus denen sie entlehnt sind. Deshalb interessieren in dieser Arbeit besonders jene Ansätze, die einen Beitrag zur Klassifizierung von formalen und informalen Institutionen leisten, da von ihnen Aussagen darüber zu erwarten sind, was häufig recht abstrakt als „Rolle kultureller und geschichtlicher Faktoren“ für die wirtschaftliche Entwicklung bezeichnet wird. Danach wird auf die Bedeutung der Wahrnehmung für das menschliche Handeln eingegangen. Es wird untersucht, wodurch das Handeln des Individuums geprägt ist, und welche Rolle internalisierte (d.h. verinnerlichte) Handelnsanweisungen spielen. Herausgestellt werden die Konflikte, die sich für die Individuen ergeben können, wenn sie sich mit widersprüchlichen Institutionen konfrontiert sehen. Dabei wird argumentiert, dass ein Erkenntnisfortschritt vor allem dann möglich erscheint, wenn über eine rein ökonomische Sichtweise (ausgehend vom Konzept des homo oeconomicus) hinaus ein für andere Disziplinen wie die Psychologie oder die Erkenntnistheorie offener Ansatz der Ordnungsökonomie verfolgt wird. Eventuelle Gegensätzlichkeiten in den Annahmen der Ansätze oder aus den verschiedenen Sichtweisen resultierende Konflikte werden dabei bewusst in

1. Einführung

3

den Hintergrund gerückt, um einen gemeinsamen Erklärungsbeitrag für die Frage zu ermöglichen, wie die Wahrnehmung des Individuums dessen Willensbildung und daraus folgend sein Handeln prägt. Hierzu bietet die neue Institutionenökonomik, aufbauend auf der Ordnungstheorie der „Freiburger Schule“, interessante Anknüpfungspunkte. Abschließend wird auf die Bedeutung der Freiheit für individuelles Handeln eingegangen und der Zusammenhang zwischen individueller Freiheit und staatlichem Handeln hergestellt. Daran anschließend wird in Kapitel 3 – ausgehend von den informalen Institutionen – auf Konzepte eingegangen, die Kultur als Sozialkapital verstehen und so einen Zugang zu kulturellen, ethischen und weltanschaulich-religiösen Erscheinungen und Traditionen ermöglichen. Das Konzept des „Sozialkapitals“ beschreibt aus etwas anderer Sicht jenen Sachverhalt, der am Ende des vorhergehenden Kapitels dargestellt worden ist. Die Darstellung ist hilfreich, weil sie mit verschiedenen Arten gleichsam eine positive und eine negative Ausformung sozialen Kapitals sowie deren Konsequenzen für das Handeln der Individuen zeigen kann. In der positiven Ausprägung kommt es zu positiven Externalitäten im Handeln der Individuen. Zu einer negativen Ausformung des Sozialkapitals führt individuelles Handeln im Streben nach macht- oder statusbedingten Renten, das sich durch Gruppenaktivitäten oder innerhalb informaler Netzwerke vollzieht. Dabei richten sich die positiven Effekte nur auf die Gruppenmitglieder und gegen die nicht beteiligten Außenstehenden. Dies soll durch die Darstellung der Handelnslogik von Interessengruppen und Bürokratie verdeutlicht werden. Grundlegende Ordnungsmerkmale von Wirtschaftssystemen wie Wirtschaftsrechnung, Eigentums- und Unternehmensordnung sowie ihre wirtschaftspolitischen Konzeptionen (Ziele, Grundsätze und Mittel) werden durch die verschiedenen Ausformungen von Sozialkapital geprägt. Daneben wird ein Beispiel präsentiert, das eine mögliche Art der Entstehung von Verfügungsmacht zeigt. Dieser Untersuchung folgt ein Abschnitt, der sich dem wirtschaftspolitischen Denken in Vorrangigkeiten, mithin der Bevorzugung bestimmter Wirtschaftsbereiche oder Branchen aus politischen oder ideologischen Gründen, widmet. Diese Vorstellungen haben eine lange dogmengeschichtliche Tradition, ihre Spuren im (wirtschafts)politischen Handeln können bis heute nachgezeichnet werden. Zwar kann die Darstellung nur exemplarisch erfolgen, es wird jedoch deutlich, dass dieses Denken ebenso wie Verwaltungs- und Machtstrukturen und aus ihnen erwachsende (auch) informelle Netzwerke starke Beharrungskräfte besitzen. Abschließend zu Kapitel 3 werden Einflüsse von Klima und Geographie auf die institutionelle und wirtschaftliche Entwicklung dargestellt. Kapitel 4 befasst sich mit der Entwicklung Russlands, vor der die aktuellen Erscheinungen zu sehen sind. Hier werden die vorangegangenen theoretischen Überlegungen für den eigentlichen Untersuchungsgegenstand genutzt. Zunächst werden, unmittelbar anschließend an die Ausführungen des vorhergehenden Kapitels, geographische Besonderheiten Russlands dargestellt. Anschließend werden einige wesentliche und für das Thema bedeutsame Ereignisse der russischen Geschichte skizziert und kulturelle Besonderheiten abgeleitet. Die Rolle des Staates und der Religion sowie die Machtverhältnisse – wie auch das Verhältnis von Herrschenden und Bevölkerung zur Macht – werden dargestellt. Es wird gezeigt, dass die hierarchisch geprägte Gesellschaft seit jeher ein wesentliches Merkmal Russlands ist.

4

Russlands Sonderweg der Transformation

In diesem Zusammenhang interessieren die Einbruchstellen für Machtmissbrauch und systemtypische Erscheinungen der „defekten“ Demokratie. Vor deren Hintergrund wird die Entstehung oligarchischer Strukturen – mit anderen Worten: der oligarchischen Krankheit (Michels 1911/1970, S. 375) – ebenso deutlich wie ihre Persistenz in neuem Gewand. Hier wird der Bezug zum Beginn dieses Kapitels sowie zu den vorhergehenden Kapiteln hergestellt. Die Erklärung dieser Strukturen wird durch die Verbindung der dort dargestellten Theorieansätze gestärkt. Gründe für den Verlauf des russischen (Sonder)Wegs im Transformationsprozess werden sichtbar. Darüber hinaus wird in Russland selbst ein Sonderweg beschworen, der gegangen worden und der weiter zu gehen sei. Hinter dieser Behauptung werden Interessen der Herrschaftssicherung der russischen Elite vermutet. Die Persistenz der Strukturen, die geringe vertikale Durchlässigkeit der Gesellschaft und die Instrumentalisierung von Medien und Unternehmen dürften diesen Interessen entspringen. Der „Fall Chodorkowski“ kann als deutlichstes Symptom dieser Ordnungsdefizite sowie als Beispiel dienen, um latent vorhandene Gefahren für die freiheitliche Ordnung und die Marktwirtschaft zu verdeutlichen. Die Frage, ob angesichts dessen mit einer Überwindung oligarchischer Strukturen und mit der Stärkung der Prinzipien einer freiheitlichen Ordnung zu rechnen oder ob die Verfestigung einer neuen Klasse von Staatsoligarchen zu vermuten ist, beschließt dieses Kapitel. In einer Schlussbemerkung (Kapitel 5) werden wesentliche Aussagen der Arbeit zusammenfassend gewürdigt.

1.3.

Ursprung und Bedeutung des Begriffs „Oligarchie“

Der Begriff „Oligarchie“ entstammt dem antiken Griechenland (vgl. Jenkin 1968, S. 281). Er bezeichnet die Verfassung des Staates mit einer quantitativen (Herrschaft weniger) und einer qualitativen Dimension (Fehlform der Aristokratie). Er ist überwiegend negativ belegt. Kriterien für die Beurteilung der Oligarchie sind neben anderen eine bestimmte Höhe des Vermögens (Platon, Aristoteles), die Zugehörigkeit zu bestimmten Familien (Hegel) oder zu den Machtstrukturen im Umfeld eines Herrschers (Krug), aber auch die Bindung der Herrschenden an geltendes Recht (Platon, Aristoteles) oder an den Willen der Mehrheit (Michels, Schmitt). Erstmals verwendet wurde der Begriff „Oligarchie“ in Herodots ‚Historien’ (vgl. Bien 1984, S. 1178). In Form einer dialektischen Rede und Gegenrede werden die drei möglichen Staatsformen Volksherrschaft, Monarchie und Oligarchie bewertet. In der Oligarchie würde, so Herodot, die Macht den Besten übertragen, weil „von den Adligsten auch die edelsten Entschlüsse ausgehen“ (Herodot 1971, S. 219; III, 81).3 Diesem positiven Verständnis wird entgegengehalten, dass es „[i]n der Oligarchie, wo viele sich um das Gemeinwohl verdient machen wollen“, zu Privatfehden und Unruhen kommt, und „[d]as pflegt dann wieder zur Monarchie zu führen“, die als die beste Verfassung angesehen wird (Herodot 1971, S. 219 f.; III, 82-83). Platon hat eine weitere Differenzierung vorgenommen. Für ihn ist die Oligarchie eine der vier Hauptformen der „schlechten Verfassungen und Seelenzustände“ (Platon 1990, S. 639-739; VIII-IX, 543a-576c). Zu diesen negativ beurteilten Verfassungen zählt er neben Timokratie und Tyrannis freilich auch die Demokratie. Sie alle können aus der Aristokratie, der einzig ‚guten’ Verfassung, folgen, in der die Besten „in der Philosophie und

1. Einführung

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im Kriege“ die Könige sind (Platon 1990, S. 639; VIII, 543a). Die Oligarchie ist nach Platon durch die Herrschaft einer reichen Minderheit über die arme Mehrheit des Volkes gekennzeichnet: „keiner solle am Regiment teilhaben, dessen Vermögen nicht die bestimmte Höhe erreiche“ (Platon 1990, S. 661; VIII, 551b). Im Hinblick auf die Lenkungsfrage bedeutet ‚Herrschaft‘ hier nichts anderes als eine hierarchische und zentralistische Ordnung. An anderer Stelle dient Platon auch das Verhalten der Regierenden zur Unterscheidung: Wenn sich die Reichen nicht an die Gesetze hielten, sei eine solche Staatsform „Oligarchie“ zu nennen (Platon 1914, S. 99; Politikos, 301). Auch bei Aristoteles ist die Oligarchie negativ besetzt: „Verfehlte Formen ... sind für das Königreich die Tyrannis, für die Aristokratie die Oligarchie und für die Politie die Demokratie“ (Aristoteles 1996, S. 114; III, 1279bI). Die Unterscheidung dieser Formen ist indes schwierig. Da jedoch die Armen zahlreich und die Wohlhabenden wenige sind, folgert Aristoteles (1996, S. 115; III, 1280aI): „Wo die Regierung auf dem Reichtum beruht, da handelt es sich notwendigerweise um eine Oligarchie, mögen die Regierenden viele oder wenige sein, wo aber die Armen regieren, da ist eine Demokratie“.

Habermann (2002, S. 176) hebt hervor, dass für Aristoteles „weniger…die Frage [wichtig ist], wer herrscht (ob ein Monarch, eine privilegierte Gruppe oder das Volk), als die ganz andere, ob diese Herrschaft nach allgemeinen Regeln oder nach Willkür ... [und] nur zum Nutzen von einzelnen oder Gruppen oder auch der Mehrheit des Volkes ausgeübt wird“.4

Spätere Definitionen bewegen sich innerhalb des von Herodot, Platon und Aristoteles vorgegebenen Rahmens, von der Systematik der Verfassungsformen von Aristoteles wurde die westliche Philosophie über mehrere Jahrhunderte beeinflusst (vgl. Bien 1984, S. 1179 mit weiteren Hinweisen). So sieht Hegel (1961, S. 73; Philosophische Propädeutik, I – Rechtslehre, § 28) in der Oligarchie die Ausartung der Aristokratie, „wenn nämlich die Anzahl der Familien, die das Recht zur Regierung haben, von kleiner Zahl ist. Ein solcher Zustand ist deswegen gefährlich, weil in einer Oligarchie alle besonderen Gewalten unmittelbar von einem Rath ausgeübt werden“.

Ebenso spricht Kant (1922, S. 167 f.; Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, II. Teil, § 51 – insbesondere die Anmerkung) auch mit Blick auf die Oligarchie von der Verfälschung der aristokratischen Staatsform durch „unbefugte Machthaber“. Weil in allen Staaten – auch in der Demokratie – „Wenige über Viele herrschen“, hat der Begriff „Oligarchie“ bei Krug, indem ihm eine engere Bedeutung zugeschrieben wird, eine Akzentuierung erfahren: die einer angemaßten und daher meist tyrannischen Herrschaft einiger Menschen über ihre Mitbürger. So würde ein Monarch durch das Verhalten von Aristokraten in eine Abhängigkeit gebracht, „so daß er genöthigt ist, den Staat durch sie und zu ihrem Vorteil, obwohl in seinem Namen, regieren zu lassen. – Diejenigen, welche zur Oligarchie gehören, heißen dann auch selbst Oligarchen“ (Krug 1833, S. 111).

Für Spengler (1922, S. 468) ist die Oligarchie eine Erscheinung, die aus der Rivalität unter den Herrschenden folgt. So sei die Einigung auf eine Erbfolge zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber tatsächlich unmöglich, weil „jeder sie insgeheim für sein

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Russlands Sonderweg der Transformation

Geschlecht in Anspruch nimmt. Auf diesem Zustand schöpferisch5 gewordener Eifersucht beruhen die Regierungsformen der antiken Oligarchie“.6 In der soziologischen Untersuchung von Michels (1911/1970, S. 371) wird der Begriff „Oligarchie“ auf (demokratische Partei-)Organisationen angewendet: „Die Bildung von Oligarchien im Schoße der mannigfaltigen Formen der Demokratien ist eine organische, also eine Tendenz, der jede Organisation ... notwendigerweise unterliegt“.

Als Ursachen hierfür werden die geistige Immobilität der Massen, die Kartellbildung der Führer, deren Geltungsbedürfnis sowie ihre Unentbehrlichkeit genannt. Aus der Spezialisierung und Arbeitsteilung entstehe ein zunächst spontaner Prozess der Differenzierung, der sich in einem berufsmäßigen und durch besondere Eigenschaften gekennzeichneten Führertum vollende (S. 370). Die Demokratie sei ohne Organisation nicht denkbar, doch „[w]er Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie“, denn mit zunehmender Organisation schwinde die Demokratie und steige die Macht der Führer (Michels 1911/1970, S. 25). Max Weber kritisiert die Ungleichbehandlung beim Wahlrecht. Vorrechte einzelner oder einiger Gruppen seien, „formal betrachtet, der weitaus häufigste ‚legale’ Weg zur Oligarchie“ (Weber, M., 1964a; insbesondere 1964b, S. 846 f.). Michels (1911/1970, S. 377) stellt aber trotz dieser oligarchischen Entwicklungen fest: „Die Suche nach der Demokratie wird keine anderen Früchte liefern“. Das Ideal wäre eine Aristokratie „sittlich guter und technisch brauchbarer Menschen“ im Dienste für das Gemeinwohl, von denen die realen Menschen jedoch so weit entfernt seien, „daß es auf absehbare Zeiten nur dem Utopisten Anlass zur Hoffnung auf gründliche Besserung zu geben vermöchte“ (Michels 1911/1970, S. 377 und S. 372).7 Die Studie von Michels war die Grundlage für zahlreiche weitere Arbeiten auf diesem Gebiet. Sie hat in der soziologischen Erforschung des Führungsverhaltens und der Machtstrukturen in Organisationen eine Differenzierung erfahren (siehe beispielsweise Cassinelli 1953; Mayhew und Levinger 1977; Grunwald 1980; Rohrschneider 1994). Während Michels von einem „ehernen Gesetz der Oligarchie“ spricht, wird diese Aussage von späteren Autoren relativiert. Ansell (2001, S. 10854) fasst die Positionen zusammen: „The thrust of the literature ... has been to downgrade the ‚iron law’ to a ‚tendency under certain conditions“. Dieser inhaltliche Bedeutungswandel spiegelt die Veränderung in den Sozialwissenschaften wider: „[W]hat happened to the concept of oligarchy in recent decades may be taken as an index to what has happened in the social sciences“ (Jenkin 1968, S. 283). Nicht mehr die Staatsverfassung steht mithin im Mittelpunkt der Betrachtung – auch wenn bei Michels der Bezug stets gegenwärtig ist –, sondern das Verhalten in Organisationen. Als ein Beispiel für „eine feste Organisation ..., [die,] ohne sich auf den Willen der Mehrheit der Staatsbürger zu berufen, die grundlegenden politischen Entscheidungen über Art und Form der politischen Existenz [trifft], d.h. eine Verfassung [gibt]“, nennt Schmitt (1928/1970, S. 81 f.)8 unter anderem die Herrschaft der „Räte“ in Russland: „[I]n ihrer Verbindung mit der kommunistischen Organisation ... [weisen sie] Elemente einer neuen Art aristokratischer Formen [auf].“ Nach Götz (2003a, S. 2) prägten Rudolf Hilferding und Wladimir I. Lenin den Begriff ‚Finanzoligarchie’, mit dem sie „das“ Großkapital im 20. Jahrhundert charakterisierten.

1. Einführung

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In Anlehnung daran benutzte im postsowjetischen Russland der damalige stellvertretende Regierungschef Boris Nemzow im Jahre 1997 den Begriff „Oligarchen“, der seither in russischen Veröffentlichungen verwendet wird (vgl. Götz 2003a, S. 2). Er bezeichnet Personen, die an der Spitze der sogenannten finanz-industriellen Gruppen stehen. Bei diesen Gruppen handelt es sich um Konglomerate großer Industrieunternehmen und Banken (organisiert in Form von Holdings), die über erhebliche finanzielle Mittel (und zumeist Zugang zu natürlichen Ressourcen) verfügen.9 Diese Mittel haben sie in die Lage versetzt, aktiv die Politik Russlands mitzubestimmen, indem sie auf die Anwendung der Gesetze, teilweise sogar auf deren zielgerichtete Entstehung, Einfluss genommen haben. „Im heutigen Sprachgebrauch werden bestehende Herrschaftsformen als oligarchisch kritisiert, wenn trotz formaldemokratischer Herrschaftslegitimation und Gleichberechtigung die tatsächlichen Entscheidungen von eng begrenzten Gruppen gefällt werden“ (Bibliographisches Institut 1976, S. 626).

Ihre herausgehobene Stellung in Russland haben diese Gruppen während der Regierungszeit von Präsident Boris Jelzin (1990-1999) erlangt. In der Regel konnten sie von einer privilegierten Ausgangsposition mit guten Beziehungen starten, etwa aus dem Kreis der bisherigen Unternehmensleitung, aus der sowjetischen Nomenklatura oder aus dem Umfeld der Wissenschafts- und Technikzentren der Jugend. Jelzin nahestehende Personen, die an der Macht teilhatten, ohne demokratisch dazu legitimiert zu sein, wurden auch als „Familie“ bezeichnet. Der Begriff „Oligarchie“ wurde in Anlehnung an die klassische Definition zur Erklärung der engen Verflechtung von politischer, administrativer und wirtschaftlicher „Elite“ verwendet, insbesondere der Verbindung einer kleinen Gruppe von Finanzmagnaten zum Präsidenten und zur Regierung. Hinter dem Begriff verbirgt sich nicht zuletzt ein Unbehagen gegenüber der Sonderstellung dieser dominierenden Akteure und ihrer symbiotischen Beziehung zur Jelzin-Administration (vgl. Schröder 1999, S. 164). Auch hier hat der Begriff „Oligarch“ eine negative Bedeutung (vgl. Fruchtmann 2004a, S. 10). Wenn auch seit dem Regierungswechsel zu Präsident Wladimir Putin vermindert, verfügen diese Strukturen bis heute über erhebliche wirtschaftliche Macht (siehe Kapitel 4). Allerdings sind die russischen „Oligarchen“ heute noch weniger als in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Hinblick auf die Verfolgung ihrer ökonomischen und politischen Interessen und auf ihr daraus abgeleitetes Handeln eine homogene Gruppe. Mit der Stärkung der „Machtvertikale“, also der Festigung des hierarchischen Verwaltungsaufbaus mit dem Präsidenten an der Spitze und einer Durchgriffsmöglichkeit bis auf untere Ebenen aller drei Gewalten (Legislative, Judikative und Exekutive) wie auch der Unternehmen, ist es Putin nicht nur gelungen, die Oligarchen in „gute“ (d.h. staatstreue) und „schlechte“ (nicht obrigkeitshörige) zu trennen. Darüber hinaus wurde durch die Neuverteilung des einigen Oligarchen abgerungenen Vermögens eine neue Gruppe der „Staatsoligarchen“ aus dem Kreis der Kreml-Bürokratie generiert. Um seine Politik des „starken Staates“, der „Diktatur des Gesetzes“ und der „Vertikale der Macht“10 zu legitimieren, greift Putin heute auf die Gedanken Iwan Iljins11 zurück, der – einst in Opposition zum Sowjetstaat – die Forderung nach Verwirklichung genau dieser Prinzipien unter Berücksichtigung des orthodoxen Glaubens forderte. In seinem Traktat „Über die Staatsform“ schreibt Iljin, Russland brauche, solange die Russen noch

Russlands Sonderweg der Transformation

8

nicht „demokratiefähig“ seien, „eine nationale, patriotische, keineswegs totalitäre, jedoch autokratische – zugleich erzieherische und auferweckende – Diktatur“ (Ingold 2007, S. N 3).12 Wie die russische Bevölkerung unter diesen Voraussetzungen „demokratiefähig“ werden soll, bleibt dabei offen. Vielmehr erscheint es wahrscheinlich, dass die oligarchischen und zunehmend staatsoligarchischen Strukturen – freilich unter anderem Namen – zementiert werden. Der Begriff „Oligarchie“ bleibt negativ belegt, gleichzeitig werden die sich dahinter verbergenden Strukturen im Interesse der Herrschaftssicherung gefestigt.

1.4.

Oligarchie und Institutionen

Um zu untersuchen, wie oligarchische Strukturen in Russland entstanden sind und wie die Aussicht auf ihre Überwindung einzuschätzen ist, soll im folgenden Kapitel 2 zunächst – einer institutionenökonomischen Herangehensweise folgend – ausführlich auf die Bedeutung und den Wandel formaler und informaler Institutionen eingegangen werden. Vor dem Hintergrund, dass weder in der Sowjetunion noch in Russland ein formales Institutionengefüge existiert hat, das einer Oligarchie adäquat gewesen wäre, stellt sich die Frage, wie oligarchische Strukturen entstehen konnten.13 Im Kontext der Transformation, während der nicht nur die formalen Institutionen (Gesetze) weitgehend ausgetauscht worden sind, sondern auch bestimmte informale Institutionen ihre Problemlösungskompetenz verloren haben, ist das Zusammenwirken aus dem damit verbundenen institutionellen Vakuum auf der einen und der Persistenz von handelnsleitenden Normen auf der anderen Seite von Interesse. Deshalb werden im Folgenden, im Hinblick auf die Transformation, die formale und die informale Institutionenebene einer ausführlichen Untersuchung unterzogen. In einem weiteren Schritt werden dann Einflussfaktoren auf das individuelle Handeln untersucht. Diese Untersuchung soll es ermöglichen, ein über das Übliche hinausgehendes theoretisches Fundament für die später folgende Betrachtung Russlands zu schaffen.

2. Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung

9

2.

Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung: Bedeutung, Wandel und Wechsel von Institutionen

2.1.

Die Transformation von Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen

2.1.1. Einordnung und Begriffsbestimmung Einführend sollen, ohne den vertiefenden Ausführungen in den folgenden Abschnitten vorzugreifen, einige wichtige Begriffe (Regeln, Institutionen, Wirtschaftsordnung, Wirtschaftssystem, Transformation) erläutert werden. Regeln sind handelnsleitende Normen, die das Verhalten der Individuen lenken. Institutionen können als sanktionsbewehrte Regeln aufgefasst werden. Sanktionsbewehrt heißt, dass die Nichtbefolgung der Regel beispielsweise mit einer Bestrafung verbunden sein und grundsätzlich auch durchgesetzt werden kann. Institutionen können formaler (Gesetze) oder informaler Art (Sitten) sein. Funktional betrachtet reduzieren Institutionen Unsicherheit, weil sie Erwartungen an das Verhalten der Individuen zulassen. Die Wirtschaftsordnung wird aus den formalen Regeln der Geld-, Eigentums- und Außenwirtschaftsordnung (und anderen Teilordnungen) gebildet. Die individualistische Fundierung der Ordnungsökonomik versteht Ordnungen als das Zusammenwirken individueller Handlungen (vgl. Starke 2007, S. 183). Mit den Präferenzen der Menschen, ihren Fähigkeiten und Ressourcen sowie in Verbindung mit der politischen Ordnung wird die Wirtschaftsordnung deshalb als grundlegend für die Beschaffenheit eines Wirtschaftssystems angesehen (vgl. Schüller 2002b, S. 1). Transformation kann verstanden werden als Variante des institutionellen Wandels, der zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft abläuft und dessen Ergebnis offen ist.1 Der Wandel kann endogenen (spontan aus sich selbst heraus) oder exogenen Ursprungs (von außen mit bestimmten Zielen initiiert) sein. Im Hinblick auf die Reichweite der Veränderungen ist entweder von Reformen (innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens) oder von Transformation zu sprechen. Bei der Transformation ist von einem grundlegenden „Wechsel der in der Ordnungstheorie als systemkonstituierend angesehenen Elemente einer Wirtschaftsordnung“ auszugehen (Apolte 1992, S. 9; auch Schüller 1991, S. 1 f.; Bleuel 1996, S. 15; Weber, R. 1999, S. 166). Dafür wird zuweilen auch der Begriff Revolution verwendet, doch erscheint er für einen weitgehend friedlichen Umbruch weniger geeignet. Er wäre umso weniger geeignet, als es Eliten des alten Systems im Transformationsprozess möglich ist, Privilegien zu behalten und Machtstrukturen sowie Verfügungsrechte über Ressourcen in das neue System zu übernehmen, was für Revolutionen weithin auszuschließen ist. Dies wird für Russland in Kapitel 4 zu prüfen sein. Auch der Transformationsprozess kann endogenen oder exogenen Ursprungs sein.2 Aus der Ambivalenz von spontanen (endogenen) und gezielt angestrebten (exogenen) Veränderungen erwachsen weitgehende Schwierigkeiten, aber der Prozess ist nur in der Verbindung beider Elemente denkbar. Das ausschließliche Vertrauen in die Herausbildung einer „spontanen Ordnung“ marktwirtschaftlicher Regeln im Sinne von Hayeks (1969a) ist ebenso wenig hilfreich wie die Setzung ungeeigneter Ziele. Im ersten Fall

10

Russlands Sonderweg der Transformation

wäre die Entstehung einer marktwirtschaftlichen Ordnung das Ergebnis eines Zufalls3 und darüber hinaus schon deshalb kaum wahrscheinlich, weil diese Ordnung Regeln voraussetzt, die sie selbst nicht schaffen kann (vgl. Voigt, S. 1994, S. 80 f.; Streit 1995a, S. 41 f.; Leipold 1997a, S. 43).4 Im letzten Fall besteht die Gefahr, Regeln zu setzen, die bestehenden Handlungsmustern widersprechen und letztlich ebenso scheitern wie die sozialistischen Systeme.5 Der Transformationsprozess besitzt einen Ausgangs- sowie einen Zielpunkt und ist damit ein Prozess, der für unbestimmte Zeit, aber nicht zeitlich unbegrenzt stattfindet. Er beginnt, wenn ein System nicht mehr durch systemimmanente Korrekturmaßnahmen stabilisiert werden kann. Er endet, wenn ein neues System etabliert ist. Dieses muss nicht mit dem ursprünglich angestrebten Ziel übereinstimmen (vgl. Sundhaussen 1995, S. 77 f.).6 Angesichts der unterschiedlichen Erscheinungsformen ist es sinnvoll, den Inhalt des Begriffs einzuschränken auf die mittel- und osteuropäischen Staaten. Damit werden historisch ähnliche Ereignisse ausgeschlossen und ausschließlich die Umwandlung ehemals sozialistischer Zentralplanwirtschaften in demokratische Marktwirtschaften betrachtet. 7 Dies erleichtert auch die Abgrenzung der Transformation gegenüber Revolution und systemimmanenter Reform. Die Frage, was im Verlauf des Transformationsprozesses zu tun ist, wurde in der Literatur seit Beginn der 1990er Jahre ausführlich behandelt.8 Eine einheitliche Theorie der Transformation besteht indes nicht.9 Zuweilen wird von einer „transformationstheoretischen Triade“ aus Transformationsbasis, -ziel und -prozess gesprochen, wobei besonders die Interdependenzen zwischen diesen Elementen hervorgehoben werden (vgl. Starke 2007, S. 185-194). Einer bewussten Setzung sind nur formale Institutionen (Gesetze, einschließlich der Verfassung) zugänglich. Hier sind Aussagen möglich, was getan werden muss, um in Abhängigkeit von den historischen Gegebenheiten eine marktwirtschaftliche und demokratische Ordnung zu etablieren.10 Dabei sind die nicht geschriebenen (informellen) Normen menschlichen Verhaltens zu beachten, deren Wandlung nur in einem langsamen, endogenen und ergebnisoffenen Prozess möglich ist. Für die ehemals sozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas kann das Ziel unterstellt werden, marktwirtschaftliche Strukturen zu etablieren.11 Dabei kommt ihnen entgegen, dass die „Marktwirtschaft ... keine bereits im Liberalismus endgültig festgelegte Form [ist], sondern ein Organisationsprinzip, welches vielfältiger Abwandlung zugänglich ist“ (Müller-Armack 1947, S. 141). Um später die Entwicklung in Russland nachvollziehen zu können, wird im Folgenden zunächst untersucht, wie eine freiheitliche Wettbewerbsordnung konstituiert ist und welche Maßnahmen zu ihrer Schaffung erforderlich sind. Dies bildet gleichsam den theoretischen Vergleichsrahmen, vor dem der russische Weg, ausgehend von der sowjetischen Zentralplanwirtschaft, untersucht werden kann. Dabei interessiert nicht nur die formale, sondern auch die informale Regelebene. Auf handlungsleitetende Momente, die über eine hohe Persistenz verfügen, wird besonderes Augenmerk gelegt, weil in ihnen ein hoher Aussagegehalt für die Untersuchung des russischen Weges zu vermuten ist. Ausgehend von diesen Aspekten kann untersucht werden, wie die Transformationsschwelle, also jener Punkt, der einen „Rückfall“ in die alte Ordnung ausschloss, in Russland überwunden

2. Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung

11

wurde. Deshalb gilt es, für diese Fragen in den folgenden Abschnitten ein breites theoretisches Fundament zu schaffen. 2.1.2.

Die formale Regelebene

2.1.2.1. Arten von Wirtschaftsordnungen Unter Wirtschaftsordnung kann die Gesamtheit der für den Wirtschaftsprozess verbindlichen Rechtsregeln und sozialen Normen verstanden werden (vgl. Leipold 1975/1988, S. 58; siehe auch Schönwitz und Weber 1983, S. 6 f.). Gemeinsam mit den wirtschaftlichen Elementen (den handelnden Menschen und den natürlichen Ressourcen) sowie den Beziehungen, die diese eingehen, bestimmt die Wirtschaftsordnung das Wirtschaftssystem. Dies geschieht nicht autonom, sondern vielmehr in enger Wechselwirkung mit anderen Teilordnungen, insbesondere mit dem politischen System. Mit Eucken (1952/1990) ist von der ‚Interdependenz der Ordnungen’ zu sprechen.12 Bei der Untersuchung der Wirtschaftsordnungen ist zwischen Real- und Idealtypen zu unterscheiden. Ein Vergleich darf nur innerhalb verschiedener real existierender Wirtschaftsordnungen oder innerhalb verschiedener idealisierter Modelle erfolgen. Der Vergleich einer realen Wirtschaftsordnung mit dem Modell eines anderen Typs der Wirtschaftsordnung ist nicht zulässig (vgl. Leipold 1975/1988, S. 70). In der Realität sind Mischformen zu beobachten, die mehr oder weniger von einem theoretischen Idealmodell abweichen. Die theoretischen Modelle der Zentralverwaltungswirtschaft und der privatwirtschaftlichen Marktwirtschaft stellen gleichsam die beiden „Grundformen“ dar, von denen es in der Realität diverse Ausprägungen gibt (vgl. Hensel 1972/2015). Diese Grundformen und ihre elementaren Ordnungsformen sind in der folgenden Abbildung 1 dargestellt. Die Grundformen der Wirtschaftsordnung werfen die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit der politischen Ordnung auf, insbesondere wenn die enge Interdependenz zwischen beiden Teilordnungen berücksichtigt wird. Eine Zentralverwaltungswirtschaft, in der von staatlichen Planträgern Art und Umfang der Produktion festgelegt werden, kann nur in einem autoritären politischen System umgesetzt werden, weil die Präferenzen der Individuen nicht berücksichtigt werden und eine freie Abstimmung mithin zur Erosion des Plansystems führen würde. „Die der Zentralverwaltungswirtschaft adäquate Staatsform ist deshalb die Diktatur, nicht die Demokratie und vor allem nicht der Rechtsstaat“ (Böhm 1950, S. 42; ähnlich von Hayek 1971a, S. 99 f.).13

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Russlands Sonderweg der Transformation

Abbildung 1: Grundformen der Wirtschaftsordnung

Quelle: Schüller (2002b, S. 9; verändert).

Mit Blick auf eine bestehende autoritäre (und nicht rechtsstaatliche) Ordnung, wie sie der Ausgangspunkt der Transformationsbestrebungen in Mittel- und Osteuropa war, ist festzustellen: „Ein vorhandener Verwaltungsapparat tendiert zur Festhaltung oder Einführung der Rationierung und zentraler Planung“ (Eucken 1952/1990, S. 333). Im Gegensatz dazu ergänzen sich eine Wettbewerbswirtschaft und Demokratie, weil eine wettbewerbliche Ordnung die Planungsrechte der Individuen – d.h. die Erfüllung ihrer Bedürfnisse gemäß ihren Präferenzen – ermöglicht, und „weil sie in sich selbst ein demokratischer Vorgang ist“ (Böhm 1950, S. 51; ähnlich auch Vanberg 1997, S. 15 f.).14 Eine der einen oder der anderen Grundform entsprechende Wirtschaftsordnung kann sich nur in Richtung auf die andere Ordnung verändern. Für eine gemischte Wirtschaftsordnung, d.h. eine Ordnung, die Elemente beider Grundformen Zentralverwaltungswirt-

2. Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung

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schaft und Marktwirtschaft enthält, bestehen verschiedene Möglichkeiten der Entwicklung. Bei jeder staatlichen Intervention wird die Wirtschaft von ihrem ursprünglichen Entwicklungspfad „abgelenkt, aber nicht gelenkt“ (Böhm 1950, S. 58). Dies würde selbst dann gelten, wenn der Staat theoretisch über alles notwendige Wissen verfügen würde, was er in der Praxis freilich nicht haben kann. Wenn die staatlichen Eingriffe nicht revidiert werden und der freie Markt nicht hergestellt wird, werden die Individuen den regulierenden Maßnahmen ausweichen. Dies könnte wiederum staatliche Folgeinterventionen auslösen (vgl. Böhm 1950, S. 61). Der letzte Fall ist der weitaus wahrscheinlichste.15 Er führt letztlich „in die Zentralverwaltungswirtschaft wider Willen“ (Böhm 1950, S. 63).16 Dies zeigt die große Bedeutung einer klaren ordnungspolitischen Grundentscheidung insbesondere auch im Transformationsprozess auf: Nur wenn alle staatlichen Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Transformationsziel einer marktwirtschaftlichen und demokratischen Ordnung überprüft werden, ist die Gefahr, in eine sich selbst verstärkende Rückwärtsspirale zu geraten, auszuschließen.17 Diese Grundentscheidung geht am weitesten, wenn die Prinzipien einer freien Wettbewerbsordnung sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik nach allgemeinen Regeln verwirklicht werden (Markt- und Parteienwettbewerb). 2.1.2.2. Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien einer freien Wettbewerbsordnung Den konstituierenden und regulierenden Prinzipien liegt die Idee Walter Euckens (1952/1990, S. 254-304) zugrunde, eine funktionsfähige und menschenwürdige Wettbewerbsordnung zu schaffen.18 Sie ist entstanden vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit einem interventionistischen Staat während der Zwischenkriegszeit in Deutschland, mit der Weltwirtschaftskrise und ihren Folgen sowie mit der Vermachtung der Wirtschaft. Ein auf die Gewährleistung des Wettbewerbs ausgerichteter staatlicher Ordnungsrahmen soll dazu führen, dass Partikularinteressen nicht Vorrang vor dem Gemeinwohl erhalten und der Wettbewerbsprozess seine Wirkung als nichtautoritäres System sozialer Anreize und Kontrollen entfalten kann. Für die Unternehmen heißt dies, dass Marktmacht verhindert werden soll. Für den Staat bedeutet es, Regeln zu etablieren, die wirtschaftliche und politische Macht verhindern. Wie die folgende Abbildung 2 verdeutlicht, bildet den Ausgangspunkt und gleichsam den Anker ein funktionsfähiges Preissystem, das die tatsächlichen Knappheitsverhältnisse widerspiegelt und mithin seine Informations- und Allokationsfunktion effizient erfüllen kann. Es wird von den konstituierenden und regulierenden Prinzipien ummantelt (vgl. Weber, R. 1995, S. 10). Mit den konstituierenden Prinzipien ist nach Eucken der „harte Kern“ einer Wettbewerbsordnung beschrieben (vgl. Wagener 1996, S. 4). Die Prinzipien sind im Einzelnen:19

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Russlands Sonderweg der Transformation

Abbildung 2: Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien einer freien Wettbewerbsordnung nach Walter Eucken

Quelle: Darstellung in Anlehnung an Schüller (1992, S. 41) und Weber, R. (1992, S. 80).

1. Primat der Währungspolitik: Um eine Verzerrung der Marktpreise durch Inflation oder Deflation zu verhindern, ist die Geldverfassung auf Geldwertstabilität zu verpflichten; 2. offene Märkte: Beschränkungen des Marktzutritts oder des Marktaustritts sind zu vermeiden, damit Marktmacht sowie daraus folgend politische Machtkonzentrationen nicht entstehen können; 3. Privateigentum: Für eine dezentrale wirtschaftliche Planung und die Gewährleistung wettbewerblicher Marktstrukturen ist Privateigentum die Voraussetzung. Seine Anreize für die wohlstandsmaximierende Nutzung knapper Güter sind umso größer, je stärker es exklusive Verfügungs- und Nutzungsbefugnisse vermittelt (vgl. auch Weber, R. 1995, S. 12); 4. Vertragsfreiheit: Sie ermöglicht es den Marktakteuren, ihre Tauschpartner frei zu wählen sowie selbst festzulegen, was unter welchen Bedingungen getauscht

2. Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung

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wird. Freilich darf sie nicht dazu missbraucht werden, die Vertragsfreiheit und mithin den Wettbewerb selbst an anderer Stelle einzuschränken; 5. Haftung: Sie bewirkt eine Eigenkontrolle der Handelnden, weil sie ihnen die Folgen ihres Handelns auferlegt. Dadurch kommt es zu einem vorsichtigen Umgang mit knappen Ressourcen; 6. die Konstanz der Wirtschaftspolitik: Sie unterstützt eine langfristige Planung der Marktakteure, weil sie die Unsicherheit über künftige Entwicklungen reduziert und dadurch stabilisierend wirkt; 7. die Zusammengehörigkeit der Prinzipien (1-6): Eucken (1952/1990, S. 291) hebt hervor, dass die Prinzipien (1-6) alle erfüllt sein müssen und auf keines verzichtet werden kann, weil „einzelne von ihnen bei isolierter Anwendung ihren Zweck völlig verfehlen“. Die konstituierenden Prinzipien sind eine unverzichtbare Bedingung, damit eine marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung entstehen kann. Sie bilden die Grundlage staatlicher Wirtschaftsordnungspolitik. Ihr rahmensetzender Charakter erlaubt es den Individuen, nach ihren Präferenzen, in bestimmten Situationen bestimmte Handelnsalternativen gegenüber anderen vorzuziehen, zu handeln. Um diese Wettbewerbsordnung zu bewahren, wird sie durch regulierende Prinzipien gestützt: 1. Monopolkontrolle: Sie veranlasst nicht auflösbare („natürliche“) Monopole20 zu wettbewerbsanalogem Verhalten; 2. Einkommenspolitik: Maßnahmen der Einkommensangleichung können erforderlich sein, wenn die Einkommensverteilung durch die Marktkräfte große Unterschiede hervorbringt; 3. Geschlossene Wirtschaftsrechnung: Treten externe Effekte auf, müssen diese in den Rechnungszusammenhang internalisiert werden; 4. Anomales Angebot: Ein ruinöser Preisverfall des Angebots, beispielsweise auf den Arbeitsmärkten, ist zu vermeiden. Mit diesen Prinzipien ist das wirtschaftsordnungspolitische Leitbild einer freien Marktwirtschaft umrissen. Zwar wird kritisiert, dass das zugrundeliegende wettbewerbstheoretische Leitbild der vollständigen Konkurrenz fragwürdig ist. Auch wird dem Ansatz vorgeworfen, er bestehe nur in der Vorstellung des Analytikers (vgl. Wagener 1996, S. 4). Dabei wird jedoch übersehen, dass Eucken sich damit nicht am neoklassischen Modell der vollständigen Konkurrenz orientiert, sondern am Gedanken des Leistungswettbewerbs.21 Auch wird bemängelt, dass der Staat idealisiert betrachtet, sein Eigeninteresse mithin unterschätzt wird. Diese Schwierigkeiten betreffen freilich vor allem die Umsetzung des Konzepts und dürfen nicht a priori seiner Leistungsfähigkeit angelastet werden.22 Die Euckenschen Prinzipien sind eine notwendige Bedingung für eine freie Wettbewerbsordnung, aber sie sind noch nicht hinreichend. Sie bedürfen der Einbettung in einen institutionellen Rahmen, in dem kulturelle und andere informale Regeln aufgehoben sind

Russlands Sonderweg der Transformation

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(sie werden in Abbildung 2 durch den äußeren Rahmen dargestellt). Eucken selbst hat darauf hingewiesen, indem er die Interdependenz von politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und kultureller Ordnung betont hat.23 2.1.2.3. Die Schaffung einer freien Wettbewerbsordnung Selbst in etablierten Marktwirtschaften bestehen Defizite bei der Umsetzung der konstituierenden und regulierenden Prinzipien. Noch viel schwieriger ist ihre Verwirklichung in den Transformationsgesellschaften: Zum Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung müssen diese Länder einen gleichsam paradigmatischen Wandel vom zentralplanwirtschaftlichen Wirtschaftsordnungsmodell24 hin zu einer marktpreisgesteuerten Wirtschaftsordnung durchlaufen. Mit anderen Worten: Es müssen alle oben genannten Prinzipien neu eingeführt werden. Dabei besteht weitgehend Einigkeit darüber, welche Maßnahmen zur binnen- und außenwirtschaftlichen Liberalisierung, zur Privatisierung und zur makroökonomischen Stabilisierung erforderlich sind (Abbildung 3).25 Abbildung 3: Ordnungspolitische Hauptprobleme in der Systemtransformation Liberalisierung

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Binnenwirtschaftliche L. Außenwirtschaftliche L. WährungsVertragsfreiheit Offene Märkte Konvertibilität (Preisfreigabe)

Quelle: Weber, R. (1999, S. 180).

Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen erlangen die konstituierenden Prinzipien Geltung. Hier wird die Interdependenz der Teilordnungen besonders deutlich: So sind zur Umsetzung des Prinzips „offene Märkte“ eine Beseitigung der staatlichen Devisenbewirtschaftung und des Außenhandelsmonopols sowie die Zulassung privater Anbieter aus dem Ausland und Inland notwendig. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit der Zulassung und des Schutzes privaten Eigentums, welches seinerseits Vertragsfreiheit erfordert. Diese Argumentation ließe sich fortsetzen. Es ist ersichtlich, dass auf diese Weise jedes einzelne Prinzip von Euckens Prinzipienkatalog berührt wird.

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Aus den Maßnahmen wurde eine Liste von zehn Punkten als Handlungsempfehlung für die politischen Entscheidungsträger abgeleitet. Dieser als „Washington-Consensus“ bekannte Katalog umfasst:26  Haushaltsdisziplin (der öffentlichen Haushalte);  Neuausrichtung der öffentlichen Ausgaben auf Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur;  Steuerreformen;  Marktgesteuerte und mäßige, positive Realzinssätze;  Wettbewerbsfähige Wechselkurse;  Handelsliberalisierung (Aufhebung mengenmäßiger Beschränkungen einschließlich Zollabbau);  Öffnung für ausländische Direktinvestitionen;  Privatisierung staatlicher Unternehmen;  Deregulierung (Abschaffung von wettbewerbs- oder marktzutrittbehindernden Beschränkungen unter Beachtung des Umwelt- und Verbraucherschutzes sowie Überwachung der Finanzinstitutionen) und  Gesetzliche Absicherung von Eigentumsrechten. Über die Eignung dieser Maßnahmen besteht aus rein makroökonomischer Sicht – auch unter Ökonomen – weitgehend Konsens. Auf einige Probleme bei der Umsetzung wurde bereits eingegangen.27 Aufgrund der Interdependenz der Maßnahmen sind vor allem Fragen der zeitlichen Abfolge und Abstimmung von praktischer Relevanz. Um den unterschiedlichen Zeitbedarf für die Maßnahmen sowie ihre Koordinierung zu verdeutlichen, werden auch die Begriffe „timing“ und „sequencing“ verwendet.28 Für die zeitliche Abfolge wurde sowohl die Schock- als auch die Gradualismustheorie verfochten. Praktisch mussten die Maßnahmen jedoch stets einem gradualistischen Konzept folgen, also der zeitlichen Abfolge und dem Zeitbedarf der einzelnen Maßnahmen Rechnung tragen. Aber die Folgen der angestoßenen Maßnahmen können für ein Land durchaus wie ein Schock wirken, selbst wenn nicht explizit eine „Schocktherapie“ verfolgt wurde. 29 Die Probleme sollten prinzipiell zu lösen sein und wurden, wie sich am Beispiel einiger Länder wie Estland, Ungarn oder Slowenien zeigt, auch erfolgreich bewältigt. Zu Recht weist Streit (1995a, S. 40) darauf hin, dass ein einzig richtiger Weg nicht zu erkennen ist „und auch dann, wenn eine bestimmte Abfolge von Transformationsschritten grundsätzlich identifizierbar wäre, [es] genügend pragmatische Gründe geben dürfte, davon abzuweichen“. Als Grund hierfür wird ein Konsistenzproblem zwischen verschiedenen Institutionen erkannt (vgl. Streit 1995a, S. 40 f.). Ganz offensichtlich ist es nicht immer möglich, mit der Übernahme von in anderen Ländern bewährten Gesetzen und durch die Befolgung der oben angesprochenen Maßnahmen das gewünschte Ziel einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Ordnung zu erreichen (s.a. Peterhoff 1999a). Die Ursache hierfür ist im Bereich der informalen Regeln zu suchen. 30 Sie sollen im Folgenden näher untersucht werden.

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2.1.3.

Die informale Regelebene

Formale Regeln (geschriebene Gesetze) könnten durchaus auch vergleichsweise leicht in der Folge bestehender Vorbilder oder sogar willkürlich gesetzt werden. Die willkürliche Setzung oder Übertragung – und vor allem die Durchsetzung (Anwendung) – formaler Regeln stößt aber dort an ihre Grenzen, wo sie mit bestehenden informalen Normen kollidieren. Darauf wurde im Zusammenhang mit dem Scheitern der sozialistischen Systeme bereits hingewiesen.31 Informale Regeln können demgegenüber nicht gesetzt werden. Für sie gilt das, was von Hayek (1969a) als charakteristisch für eine „spontane Ordnung“ herausgestellt hat:32  ihre Regeln sind abstrakt, also eine Vielzahl von möglichen Situationen betreffend;  sie sind entstanden, ohne dass es eine planende Instanz gibt noch geben kann und  sie werden befolgt, ohne dass auch nur ihre Existenz immer bekannt wäre. Informale Regeln sind also nicht planbar, und ihre Geltung kann nicht von politischen Akteuren befohlen werden. Für den Transformationsprozess bedeutet dies – ebenso wie für den systemimmanenten gesellschaftlichen Wandel –, dass sie einer direkten Beeinflussung nicht zugänglich sind. Gleichwohl besitzen auch sie einen Durchsetzungsmechanismus, der ihre Befolgung gewährleistet.33 Beispiele für solche Regeln sind Sprache, Moral, ungeschriebenes Gesetz, Schrift und Geld, denen menschliches Verhalten bereits folgte, „lange bevor ein Bedürfnis bestand, sie in Worte zu fassen“, und „ein Großteil dessen, was wir Kultur nennen, [ist] eine solche spontan gewachsene Ordnung, die weder völlig unabhängig von menschlichem Handeln entstand, noch planmäßig geschaffen wurde“ (von Hayek 1969a, S. 36). Informale Regeln sind über einen langen Zeitraum gewachsen. Sie spiegeln sich in formalen Regeln insofern wider, als formale Regeln entweder den Kern informeller Regeln bewahren oder diesem mithilfe harter Sanktionsmechanismen entgegenwirken. Informale Regeln verdienen vor diesem Hintergrund eine ausführliche Betrachtung, weil zu vermuten ist, dass daraus auch ein Verständnis für die Art der und den Umgang mit den geschriebenen Regeln (Gesetzen) gewonnen werden kann. Dazu sind gleichsam als Basis die Arten der informalen Regeln sowie ihr Verhältnis untereinander näher zu beleuchten. Hier werden zunächst verschiedene Ansätze zur Klassifizierung dargestellt, um sie dann durch eine kognitions- und motivationstheoretisch orientierte Sicht zu ergänzen.

2.2.

Institutionen, Wahrnehmung und Handeln

2.2.1.

Zur Regelgeleitetheit allen Handelns

Jegliches Handeln, nicht nur das menschliche, ist regelgeleitet.34 Den für alle Lebewesen gültigen Rahmen bilden Naturgesetze, physikalische, chemische und biologische Prozesse, deren Wirksamkeit nicht überwunden werden kann. So folgt jedes Tier und jede Pflanze dem vorgegebenen Muster, ohne bewusst Einfluss nehmen zu können und damit mehr zu sein als ein Gefangener jener Prozesse. Der Mensch ist ebenfalls diesen natürlichen Regeln unterworfen. Es ist ihm jedoch möglich, den Handlungsrahmen zu beein-

2. Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung

19

flussen.35 Sein Verstand erlaubt es, einen Ordnungsrahmen für Klein- und Großgesellschaften zu bilden, damit neue Möglichkeiten des Handelns zu erschließen (vgl. von Hayek 1969a, S. 38 f.; 1969b, S. 144 f.; 1980, S. 109). Als soziales Wesen ist der Mensch auf Interaktionen mit anderen Individuen angewiesen. Es zeichnet die Menschwerdung aus, dass sich das Zusammenleben in der Gruppe gegenüber anderen Möglichkeiten als überlegen erwiesen hat.36 Waren die frühen Sozialstrukturen der menschlichen Gemeinschaft auch stark hierarchisch geordnet (d.h. beispielsweise durch Unterschiede in der körperlichen oder geistigen Stärke der Individuen begründet), zeichneten sie sich doch durch soziales, d.h. reziprokes Verhalten aus, das schon zu dieser Zeit „freiwillige“ Handelnsbeschränkungen zugunsten anderer Gruppenmitglieder einschloss.37 Würde ein Zustand der Anarchie bestehen, dann wäre selbst dieser noch durch die Regel gekennzeichnet, dass zu keiner Zeit mit Verhaltensbeschränkungen der anderen Individuen zu rechnen ist, mithin ein ständiger Kampf bis zum Äußersten stattfinden würde.38 Aber dieser wäre nur von kurzer Dauer, würde sich doch herausstellen, dass nicht der Kampf zwischen einzelnen Individuen den größten Erfolg verspricht, sondern der Zusammenschluss und gemeinsame Kampf in Gruppen. Selbst das niederste Mitglied einer solchen Gruppe hätte einen Vorteil davon, bedingungslos zu dienen und als Gegenleistung die Protektion seines Herrn bzw. der Gruppe zu erfahren.39 Nachdem festgestellt wurde, dass jegliches Handeln regelgeleitet ist, sollen nun die Regeln selbst näher betrachtet werden. 2.2.2.

Spezifizierung des Institutionenbegriffs

2.2.2.1. Institution und Regel Die Begriffe Institution und Regel werden oft synonym verwendet. Institutionen werden jedoch auch als sanktionsbewehrte Regeln bezeichnet, d.h. sie bilden ein Ge- oder Verbot und besitzen einen Mechanismus zur Durchsetzung der Verhaltensbeschränkung bei Missachtung.40 Nicht unumstritten ist indes die Frage, wann eine beobachtbare „Regel“mäßigkeit im Verhalten der Menschen eine Regel darstellt. Ist bei einer Gewohnheit bereits von einer Regel zu sprechen? Die Frage könnte einerseits mit der Begründung verneint werden, dass aus dieser Gewohnheit keine Sanktionsmechanismen abzuleiten sind – weder für denjenigen, der ihr nachgeht, noch für ein beobachtendes Individuum. Andererseits kann argumentiert werden, dass alles Handeln knappe Ressourcen in Anspruch nimmt. Das beobachtende Individuum könnte folglich gezwungen sein, in seine Entscheidung über mögliche Aktivitäten das Verhalten eines anderen Individuums mit einzubeziehen. Ein regelmäßig beobachtetes Verhalten ließe mithin erstens den Schluss zu, dass es auch künftig zu beobachten sein wird und zweitens, dass es bei Nichtberücksichtigung durch das beobachtende Individuum zu einem Konflikt kommen könnte. Beides sind jedoch recht konkrete Erwartungen an die Zukunft, die Unsicherheit reduzieren. Dies ist gerade der wirtschaftliche Wert von Regeln.41

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Aus der Beobachtung einer Gewohnheit könnte zwar die Erwartung abgeleitet werden, ihr bei diesem Individuum auch künftig zu begegnen. Ob dies aber auch für andere Individuen gilt, hängt davon ab, wie weit das beobachtete Verhalten in der Gesellschaft geteilt wird.42 Hier ist der eigentliche Kern von Regeln zu sehen, denn um ihre Funktion der Unsicherheitsreduktion für alle Mitglieder einer Gesellschaft effizient erfüllen zu können, müssen die Erwartungen der Individuen möglichst weitgehend übereinstimmen (s.a. von Hayek 1980, S. 57; Streit 1995b, S. 177 f.). Dies ist nur möglich, wenn die Regeln von allen geteilt (d.h. akzeptiert) und befolgt werden; auch müssen ihre Sanktionsmechanismen im Falle der Nichtbefolgung ein intersubjektiv zumindest ähnliches Unbehagen hervorrufen. Eine Institution kann mithin aus einzelnen oder mehreren Regeln bestehen, die eine hinlänglich hohe soziale Akzeptanz erreicht haben, um wechselseitig verlässliche Verhaltenserwartungen zuzulassen. Sie kann nach Leipold (1997b, S. 400) verstanden werden als „ein System von wechselseitig respektierten und sozial sanktionierten Regeln oder Restriktionen des Verhaltens“.43 Die verbreitete Akzeptanz der bestehenden Regeln schließt ihre intergenerationelle Gültigkeit ein, schon allein deshalb, weil stets verschiedene Generationen in einem Gemeinwesen zusammenleben und die Regeln gemeinsam erleben. Die Kehrseite dessen kann die relative Starrheit und nur begrenzte Veränderbarkeit dieser Art von Institutionen sein.44 2.2.2.2. Einige Ansätze zur Klassifizierung von Institutionen Bereits Menger (1883/1969, S. 142-146) unterscheidet Institutionen45 hinsichtlich der Art und Weise ihrer Entstehung und mit Blick auf den Freiheitsgrad, den sie den Individuen bei der Verfolgung ihrer Ziele bieten (vgl. Vanberg 1983, S. 58-63; Holl 2004, S. 14). Danach sind Institutionen „organischen“ Ursprungs solche, die unbeabsichtigt aus dem menschlichen Handeln entstanden sind, wohingegen „pragmatische“ Institutionen bewusst gesetzt worden sind (vgl. Holl 2004, S. 13).46 Max Weber (1964a, S. 21 und S. 240-250) unterscheidet zwischen Sitten, Konventionen und Recht, wobei als Abgrenzungskriterium der Mechanismus zur Durchsetzung im Falle eines Verstoßes gilt. Sitten werden danach vom Individuum aus sich heraus befolgt, bei Konventionen erfolgt die Überwachung innerhalb der (kleinen) Gruppe des sozialen Umfelds, Recht wird durch den Staat durchgesetzt (s.a. Holl 2004, S. 14). In einem weiteren vergleichsweise frühen Ansatz unterscheidet Lachmann (1963) äußere, innere und neutrale Institutionen.47 Die äußeren Institutionen sind z.B. das notwendige Rahmenwerk der marktwirtschaftlichen Ordnung. Sie müssen als solche bekannt und gegeben sein, bevor von einer Marktwirtschaft gesprochen werden kann. Sie sind mit Zwangsgewalt verbunden. Als Beispiel gilt die Rechtsordnung, die vor Betrug schützt und Eigentum garantiert. Innere Institutionen bilden sich im Marktgeschehen langsam heraus. Sie sind Geschöpfe, nicht Voraussetzungen des Marktgeschehens. „Ihre Entstehung, Wandlung und ihr Dahinsinken stellen also Anpassungserscheinungen dar“ (Lachmann 1963, S. 67). Dazu zählt Lachmann das Termingeschäft, die Börse und das Versicherungswesen. Neutrale Institutionen sind weder Geschöpfe noch Voraussetzungen des

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Marktes. Sie gehen weder aus dem Marktgeschehen hervor, noch sind sie mit Zwangsgewalt versehen. Ein Beispiel für neutrale Institutionen ist die freiwillige Gerichtsbarkeit. Für Lachmann sind äußere Institutionen, im Gegensatz zu inneren, nicht an das Marktgeschehen gebunden und „hören nicht auf, zu bestehen, wenn sie keinen Gewinn abwerfen“ (Lachmann 1963, S. 76). In dieser Unterscheidung ist bereits eine frühe Begründung für institutionellen Wandel intendiert. Für Clapham (1978) beeinflussen Institutionen die wirtschaftliche Entwicklung. Nach seiner Ansicht gibt es nur partielle Erkenntnisse über den Entwicklungseffekt institutioneller Ausstattungen, also über die Rolle, die Eigentums-, Rechts-, Währungs- oder Finanzordnung sowie die Staatsverwaltung für die wirtschaftliche Entwicklung spielen. Mit anderen Worten: „Wir verfügen noch nicht über eine Theorie der institutionellen Infrastruktur, welche Qualität und Interdependenz wachstumsfördernder Institutionen angibt“ (Clapham 1978, S. 85). Da diese Frage theoretisch noch unzureichend geklärt ist, wird hier eine Schwierigkeit gesehen, die Anwendbarkeit der Sozialen Marktwirtschaft auf Entwicklungsländer zu behaupten. Als problematisch wird ebenfalls gesehen, dass Komplementärbeziehungen zwischen den institutionellen Infrastrukturen bestehen. Das heißt, es ist nicht nur wichtig, ob eine spezielle Infrastruktur in einem Entwicklungsland vorhanden ist, sondern ob sie mit dem Qualitätsniveau der anderen notwendigen Institutionen kompatibel ist. Hier klingen bereits die begrenzte Übertragbarkeit von Institutionen sowie ihr untereinander möglicherweise konfligierendes Verhältnis an. Vanberg (1983, S. 55 f.) unterscheidet zwischen korporativen Gebilden (kollektiven Handlungseinheiten)48 und komplexen normativen Regelungen.49 Mit korporativen Gebilden sind Parteien, Verbände, Gewerkschaften u.a. gemeint, unter normativen Regelungen werden beispielsweise Eigentum und Geld verstanden (s.a. Holl 2004, S. 14 f.). Nach Dietl (1993, S. 74) gibt es fundamentale Institutionen und von diesen abgeleitete sekundäre Institutionen. Die sekundären Institutionen, für die verschiedene Stufen (1 bis n) bestehen, sind das Ergebnis rationalen Kalküls (z.B. Steuergesetze), während fundamentale Institutionen ungeplant entstanden sind (als Ergebnis der sozio-kulturellen Evolution) (s.a. Holl 2004, S. 15). Besondere Beachtung wird der Entstehung sowie der Fähigkeit zum Wandel der Institutionen geschenkt.50 In seiner auf Lachmann zurückgehenden Klassifizierung unterscheidet Schüller (1986a; 2002c) äußere und innere Institutionen, wobei er beide Gruppen weiter in formlose und formgebundene Institutionen differenziert.51 Äußere formlose Institutionen sind moralische Selbstbindungen wie Fleiß, Ehrlichkeit und Fairness sowie gemeinsame Grundüberzeugungen wie Gefühle der kulturgeschichtlichen Zusammengehörigkeit (beispielsweise durch Religion, Sprache oder Literatur). Hierzu gehören auch Leitbilder für Erziehung und Bildung sowie für das staatliche Ordnungsdenken. Äußere formgebundene Institutionen bilden die marktwirtschaftliche Rahmenordnung, deren Teilelemente die Preis-, Tausch-, Zahlungs- und Solidargemeinschaft sind. Als innere formlose und formgebundene Institutionen werden die Handlungsfreiheit, Verträge und Unternehmen angesehen. Diese Institutionen umschließen Zwiebelschalen gleich die Tauschprozesse auf Märkten wie alle Handlungen der Individuen.

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2.2.2.3. Die Theorie des institutionellen Wandels von North Der Ausgangspunkt für die Untersuchung ist bei North (1988) die Neoklassik, der er zunächst eng verbunden bleibt.52 Er behält den Wettbewerb und die Knappheit als wesentliche Elemente bei (was den methodologischen Individualismus einschließt). In der Abfolge seiner Veröffentlichungen modifiziert North (1992; 1994) aber die Rationalitätsannahme53, um uneigennütziges Verhalten erklären zu können.54 North (1992, S. 3) definiert Institutionen als „die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion“. Er unterscheidet zwischen formgebundenen und formlosen Institutionen (vgl. North 1992, S. 4 sowie ausführlich die Kapitel 5 und 6; 1994, S. 360). Sie sind Beschränkungen des menschlichen Verhaltens, um ein geordnetes Zusammenleben zu ermöglichen.55 Das Verhältnis zwischen ihnen kann komplementär oder konfligierend sein. Die Bedeutung informaler (formloser) Regeln wird besonders herausgestellt. Dabei handelt es sich um Verhaltensnormen, Konventionen und selbstauferlegte Normen. Unter formalen (formgebundenen) Regeln sind Gesetze und Verfassungen zu verstehen. Beide Arten von Institutionen verfügen über entsprechende Durchsetzungsmechanismen. Damit definieren sie die Anreizstruktur in einer Gesellschaft (vgl. North 1994, S. 360). North relativiert die These von O. E. Williamson, der zufolge Institutionen nach der Maßgabe der Transaktionskostenminimierung entstehen, also das menschliche Zusammenleben effizient gestalten.56 Demgegenüber nennt North drei Hauptursachen für das dauerhafte Auftreten ineffizienter Institutionen:  Unvollkommenheiten des Staates,  Pfadabhängigkeiten und  mentale (kulturelle) Modelle der Weltsicht. Unter Unvollkommenheiten des Staates ist der Umstand zu verstehen, dass Institutionen vielfach nicht mit dem Ziel der effizienten Gestaltung wirtschaftlicher Prozesse und Strukturen entstehen, sondern zur Sicherung von Vorteilen für die politischen Entscheidungsträger (s. für Russland Kapitel 4). Mit Hilfe von Pfadabhängigkeiten soll der Sachverhalt beschrieben werden, dass die Entwicklung eines Landes bzw. seiner Institutionen zwar nicht zwangsläufig festgelegt (determiniert), gleichwohl aber abhängig von der Bindungs- und Beharrungskraft früherer Entscheidungen ist.57 Der Spielraum für künftige Möglichkeiten wird durch Entscheidungen der Vergangenheit begrenzt. Ein Grund hierfür ist im Verhalten der Individuen zu sehen: Sie können an der Weitergeltung bestehender Regeln interessiert sein, um die erhöhte Unsicherheit beim Verlust dieser Regeln zu vermeiden. Weiterhin ist es ein Merkmal von spontanen Ordnungen, wie sie informale Institutionen bilden, dass sie ergebnisoffen sind und in dem Zeitbedarf ihrer Entwicklung nicht beeinflusst werden können. Wechselmöglichkeit und -geschwindigkeit sind also begrenzt (s.a. von Hayek 1969a). Die wohl wichtigste Begründung für das dauerhafte Auftreten ineffizienter Institutionen stellen in North`s Ansatz die mentalen oder kulturellen Modelle der Weltsicht dar.58 Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die Individuen diejenigen Institutionen wählen, die

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ihnen bei eigeninteressiertem Verhalten – stabile und transitive (widerspruchsfreie) Präferenzen vorausgesetzt – den höchsten Nutzen versprechen. Durch die mentalen Modelle wird diese Annahme modifiziert, weil das Wissen der Individuen sowie ihre Fähigkeit, das Knappheitsproblem zu mindern, begrenzt und intersubjektiv verschieden sind (vgl. auch Hartig 2002, S. 21). Die Modelle der subjektiven Wahrnehmung der Individuen sind vielmehr genetisch wie auch kulturell geprägt. Kultur wird verstanden als „Übertragung von Wissen, Werten und anderen verhaltensrelevanten Faktoren mittels Lehre und Nachahmung von einer Generation auf die nächste“ (North 1992, S. 44).59 Hierbei kommt individuellen und gesellschaftlichen Lernprozessen eine zentrale Bedeutung zu. In einem Versuch-Irrtum-Verfahren werden neue institutionelle Arrangements gesucht. Dadurch entsteht institutioneller Wandel. An diesem Ansatz kritisiert Leipold (2000a, S. 12), dass die Modifikationen des ökonomischen Erklärungsmusters es nicht vermögen, geschlossen und konsistent zu erscheinen, insbesondere was die Verknüpfung der drei angesprochenen Hauptursachen für das dauerhafte Auftreten ineffizienter Institutionen betrifft. Die von North im Laufe der Zeit an seinem Ansatz vorgenommenen Korrekturen seien vielmehr „ein Lehrstück für die Pfadabhängigkeit der Theorieentwicklung, die aufgrund des ursprünglich von Coase inspirierten und eingeschlagenen Weges [der Transaktionskostenökonomik; T.W.] auf stetige Korrekturen angewiesen“ sei (Leipold 2000a, S. 11). Ebenso bemängelt Hartig (2002, S. 22), dass das Verhältnis zwischen den Wahrnehmungen der Individuen und ihrer Handelnsmotivation „in vieler Hinsicht ... nicht eindeutig“ klar werde. Auch werde die Pfadabhängigkeit der kulturellen Evolution nicht hinreichend berücksichtigt (vgl. Leipold 2000a, S. 19). Gleichwohl ist es das Verdienst dieses Ansatzes, durch die Aufwertung informaler Institutionen eine erklärungsstärkere Begründung für die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung in verschiedenen Ländern zu liefern, als dies makroökonomische Modelle alleine vermögen.60 2.2.2.4. Die Institutionen-Typologisierung von Kiwit und Voigt Für Kiwit und Voigt (1995, S. 118)61 besteht, wie bereits angesprochen, die Aufgabe von Regeln der Moral, der Sitte und des Rechts darin, Unsicherheit zu verringern. Dies geschieht durch die Beschränkung menschlichen Verhaltens. Regeln stellen Vorschriften dar, die den Individuen einer Gruppe bekannt sind und die ihre Interaktionen ordnen. „Institutionen setzen sich aus zwei Bestandteilen zusammen. Der erste Bestandteil ist eine Regel im oben definierten Sinne, während der zweite Bestandteil in einem Überwachungssystem besteht. Bei externen Institutionen stützt sich die Überwachung auf das staatliche Gewaltmonopol, auf das bei internen Institutionen nicht zurückgegriffen werden kann“ (Kiwit und Voigt 1995, S. 122 f.).

Die Unterscheidung zwischen internen und externen Institutionen erfolgt also anhand der Art ihrer Überwachung. Interne Institutionen vom Typ 1 bis 4 werden gesellschaftlich überwacht, während externe Institutionen einer organisierten staatlichen Überwachung unterliegen:

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Abbildung 4: Typen interner und externer Institutionen Regeltypen

Art der Überwachung Institutionenkategorie

Beispiel

1. Konvention

Selbstüberwachung

grammatikalische Regeln der Sprache

2. Ethische Regel

Imperative Selbstbin- Intern vom Typ 2 dung

Dekalog, kategorischer Imperativ

3. Sitte

Informelle Überwachung durch andere Akteure

Intern vom Typ 3

Gesellschaftliche Umgangsformen

4. Formelle private Organisierte private Regel Überwachung

Intern vom Typ 4

Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft

5. Regel positiven Rechts a. bestimmt b. unbestimmt

Intern vom Typ 1

Organisierte staatliche extern Überwachung

Privat- und Strafrecht

Quelle: Kiwit und Voigt (1995, S. 124).

Bei Institutionen des Typs 1 (Konventionen) gibt es keinen Anreiz, die Regel zu brechen, da für das Individuum erkennbar ist, dass es sich damit schlechter stellen würde als bei ihrer Einhaltung. Damit ist sie gewissermaßen selbstüberwachend.62 Institutionen des Typs 2 (ethische Regeln) besitzen eine ‚imperative Selbstbindung’ der Individuen, d.h. die Akteure folgen nicht unbedingt einem zweckrationalen Kalkül. „Vielmehr internalisieren sie bestimmte ethische Regeln dergestalt, daß eine intrinsische Motivation besteht, dieser Regel zu folgen, selbst dann, wenn es gegen das eng definierte Eigeninteresse verstößt. ... Internalisierte Zwänge sind – zumindest zu einem gewissen Grad – einem Kosten-Nutzen-Kalkül entzogen“ (Kiwit und Voigt 1995, S. 121 f.).63

Institutionen vom Typ 3 (Sitten) werden informell durch andere Akteure überwacht. Formelle private Regeln (Typ 4) schließlich unterliegen einer organisierten privaten Überwachung. Von ihnen unterscheiden sich formelle Institutionen des Typs 5 (Regeln des positiven Rechts) dadurch, dass ihre Überwachung organisiert durch den Staat erfolgt. Zwischen den einzelnen Typen von Institutionen können verschiedene Arten von Beziehungen bestehen. Kiwit und Voigt unterscheiden ein neutrales, ein komplementäres, ein substitutives und ein konfligierendes Verhältnis. Dabei wird jedoch nur die Beziehung zwischen externen und internen Institutionen betrachtet, nicht aber das Verhältnis zwischen den verschiedenen Typen der internen Institutionen. Dies geschieht aus Gründen der Vereinfachung, prinzipiell ist aber auch zwischen verschiedenen internen Institutionen die Annahme etwa konfligierender oder substitutiver Beziehungen möglich (vgl. Kiwit und Voigt 1995, S. 124 f.). Die Beziehung zwischen externen und internen Institutionen kann als neutral bezeichnet werden, wenn diese unterschiedliche Bereiche des Handelns betreffen, also keine Situation besteht, in der beide Institutionen berührt werden.64 Als komplementär wird das

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25

Verhältnis bezeichnet, wenn externe und interne Institutionen das menschliche Verhalten in inhaltlich gleicher oder ähnlicher Weise beschränken und die Einhaltung sowohl staatlich (bei externen) als auch privat (bei internen Institutionen) überwacht wird. Auch im Fall substitutiver Beziehungen wird das Verhalten in inhaltlich gleicher Weise beschränkt, die Überwachung erfolgt demgegenüber entweder staatlich oder privat. Ein konfligierendes Verhältnis ist dann gegeben, wenn die Einhaltung einer Institution mit der Verletzung einer anderen verbunden ist. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein zentraler Wirtschaftsplan (externe Institution) zu seiner Erfüllung einen Verstoß gegen interne Institutionen verlangt (etwa durch falsche Angaben). Das Individuum stünde dann vor der Entscheidung, entweder der internen Institution (etwa als Gebot, nicht zu lügen) oder der externen Institution (dem gesetzlichen Plan) Folge zu leisten. Weil sie eine Entscheidung des Individuums für die eine oder die andere Institution erfordern, sind vor allem konfligierende Beziehungen interessant. Hierbei dürfte eine Reihe von Einflussfaktoren relevant sein, und die Entscheidung muss durchaus nicht immer einem ökonomischen Kalkül folgen (vgl. Kiwit und Voigt 1995, S. 121 und S. 125; Siegenthaler 1993, S. 26). So wird internalisierten internen Institutionen, wie ethischen Regeln, eine intrinsische Motivation der Regelbefolgung und eine insgesamt stärkere Beharrungstendenz als externen Institutionen unterstellt. Für den institutionellen Wandel bedeutet dies, dass Pfadabhängigkeiten und Beharrungstendenzen nur sehr begrenzte Veränderungen zulassen. Diese Wechselwirkungen werden verstärkt durch die kognitive Verankerung der Institutionen, die einerseits tradierten (eingeübten) Mustern folgt und gleichzeitig der Einschränkung begrenzter subjektiver Fähigkeiten (der Informationsaufnahme und -verarbeitung) unterliegt (vgl. Kiwit und Voigt 1995, S. 134 ff.). Ebenso wie die Veränderung durch institutionellen Wandel ist auch die Möglichkeit der Beeinflussung interner durch externe Institutionen als sehr begrenzt anzusehen. An diesem Ansatz ist positiv hervorzuheben, dass – insbesondere die internen – Institutionen einer Klassifizierung unterzogen wurden, aus der nicht zuletzt auch Aussagen über ihre Tendenz zur Beharrung und ihre gezielte Veränderbarkeit abgeleitet werden können. Der Rückgriff auf intrinsische Motivation bei der Entscheidung, die, wie gezeigt wird, nicht immer zweckrational erfolgt, und die Hervorhebung der kognitiven Verankerung der Institutionen sind wertvolle Aspekte für die Institutionenanalyse. Indes wird kritisiert, dass zwar herausgestellt wird, wie die Überwachung der Regelbefolgung erfolgt (durch die Gesellschaft oder durch den Staat), nicht aber warum die Überwachung erforderlich ist (vgl. Leipold 2002a, S. 96). 2.2.2.5. Die Institutionen-Typologisierung von Leipold Die Frage, warum die Überwachung der Regelbefolgung erforderlich ist, steht bei Leipold im Mittelpunkt seiner Arbeiten (s. 1997a; 2000a; 2000b; 2002a; 2002b). Dabei geht er von der Annahme aus, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der sich Individuen auf Regeln einigen und diese befolgen, „maßgeblich von den zugrundeliegenden Interessenkonstellationen und den damit verbundenen Kosten-Nutzen-Kalkülen“ abhängt (Leipold 2000b, S. 405). Als Kriterium für die Unterscheidung von Institutionen wird folglich der Grad der Interessenübereinstimmung oder des Interessenkonfliktes gewählt.

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Es ist festzuhalten, dass es hier nicht wie bei Kiwit und Voigt (1995) um konfligierende Beziehungen zwischen Institutionen, insbesondere zwischen internen und externen Institutionen, geht, sondern um Interessenkonflikte zwischen Individuen, die mithilfe geeigneter Institutionen überwunden werden sollen. Dabei wird der Grad der Interessenübereinstimmung durch eine Ja/Nein-Unterscheidung recht einfach dargestellt.65 In einem Fall bestehen keine Interessenkonflikte, eine Einigung auf die Regel 66 und ihre Befolgung stellen also für die Individuen die beste Lösung dar. Bei diesem als „selbstbindende“ Institutionen bezeichneten Typ besteht kein Anreiz zu abweichendem Verhalten. Im anderen – und weit häufigeren – Fall sind die Beziehungen zwischen den Individuen durch verschiedene konfligierende Interessen gekennzeichnet. Der Konflikt erwächst daraus, dass ein eigeninteressiert handelndes Individuum, das die für sich situativ beste Lösung anstrebt, die Interessen anderer verletzt, die nicht in gleichem Maße verwirklicht werden können. Die Institutionen, mit deren Hilfe diese Situationen überwunden werden sollen, werden als „bindungsbedürftige“ Institutionen bezeichnet.67 Mit ihrer Hilfe wird das Handeln des Individuums so gelenkt, dass es bereit ist, zugunsten der Interessen anderer auf einen Teil seiner unmittelbar erwarteten Auszahlungen68 zu verzichten. Leipold (2000b) erkennt hierfür vier Ordnungsfaktoren: Moralische Gefühle, Glaube, Überzeugung und Vernunft. Sie bilden emotional, religiös und ideologisch gebundene (informale) Institutionen einerseits und rechtlich erzwingbare (formale) Institutionen andererseits (Abbildung 5). Abbildung 5: Institutionentypen Informale Institutionen Selbstbindende Institutionen

Formale Institutionen

Bindungsbedürftige Institutionen Moralgebundene Institutionen Emotional gebundene Institutionen

Spontane und bewußte Vereinbarungen

Moralische Gefühle + Vernunft

Religiös gebundene Institutionen

Glaube + Moralische Gefühle + Vernunft

Ideologisch gebundene Institutionen

Überzeugung + Moralische Gefühle + Glaube + Vernunft

Rechtlich erzwingbare Institutionen

Vernunft + Moralische Rückbindungen

Quellen bzw. Ordnungsfaktoren

Quelle: Leipold (2000b, S. 415).

Emotional gebundene Institutionen werden hauptsächlich durch die ethischen Gefühle der Menschen bestimmt. Diese Dimension wird häufig unterschätzt. Sie geht zurück auf die englischen Moralphilosophen wie David Hume und Adam Smith (vgl. Leipold 2000b,

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S. 407 ff.). Im Kern geht es dabei um die Feststellung, dass bei den meisten Entscheidungen Vernunft und Gefühl zusammenwirken. Die moralische Dimension sei im Vergleich zur Vernunft hervorzuheben, weil ohne ihr eigenständiges Bestehen Wohlverhalten gegenüber Mitmenschen nicht zu erklären sei – jedenfalls dann nicht, wenn dieses dem Eigennutz entgegenstehe.69 Die Aussage, sanktionsbewehrte und erzwingbare (formale) Regeln könnten als ein überlegenes Substitut für innere moralische Restriktionen angesehen werden, weil es für die Individuen dann vorteilhaft sei, moralisch gut zu handeln, verdient eine nachdrücklichere Kritik als die von Leipold (2000b, S. 408) angeführte. Es ist richtig, dass damit weder das Trittbrettfahrerproblem (Ausnutzen der Gelegenheit zu opportunistischem Verhalten) noch der Umstand berücksichtigt wird, dass das Moralproblem nicht gelöst, sondern lediglich auf eine höhere Ebene übertragen wird. Ebenso wichtig erscheint die Feststellung, dass dies ein komplementäres Verhältnis zwischen informaler und formaler Institution voraussetzt.70 Diese Voraussetzung wäre aber beispielsweise auch dann nicht erfüllt, wenn, wie Leipold (2000a, S. 14) vermutet, Moral tatsächlich das knappste Gut wäre. Dann stünde die formale Regel in einer Vielzahl der Fälle gegen die informale, weil die Individuen eine Handlung präferieren würden, welche die formale Institution negativ sanktioniert. Naheliegend scheint indes die Vermutung, dass die Reichweite moralischer Bindungen nicht überschätzt werden darf und sich ihre ordnungsstiftende Wirkung vorrangig im Kreise verwandtschaftlicher oder freundschaftlicher Beziehungen in Kleingruppen entfaltet (vgl. Leipold 2000b, S. 409 f.). Die zweite Unterform moralisch gebundener Institutionen sind die religiös gebundenen Institutionen (vgl. Leipold 2000b, S. 410 ff.). Mit ihrer Hilfe soll die begrenzte Reichweite der verwandtschaftlichen Beziehungen auf die gesamte Gesellschaft übertragen, der Dualismus von Binnen- und Außenmoral überwunden werden. Ihre ordnungsstiftende Wirkung erzielen sie auf zwei Ebenen: Neben einer Sinndeutungsfunktion (Antwort auf existenzielle Fragen) haben sie die Aufgabe, moralische Werte und soziale Normen zu postulieren (Ordnungsfunktion). In der Durchbrechung der Kleingruppenmoral und der Möglichkeit, die dort geltenden Verhaltensgrundsätze auf alle Mitglieder eines Gemeinwesens zu erweitern, sei die wesentliche handlungsleitende Leistung von Religionen zu sehen. Gleichwohl wird zu Recht kritisiert, dass die Religion, mithin der Glaube an ihre Aussagen, von den Mitgliedern des Gemeinwesens anerkannt werden muss. Dies schließe jedoch ein, dass andere Religionen als unwahr erkannt und – unabhängig von möglicher gegenseitiger Tolerierung – abgelehnt werden müssten. Dadurch lebe der Dualismus zwischen Binnen- und Außenmoral an der Grenze der Religionsgemeinschaft fort. Besonders kritisch wird die Konzentration von religiöser und politischer Macht gesehen, da diese nicht nur zu Erstarrung, sondern auch „stets zum totalitären Machtmissbrauch tendiert hat“ (Leipold 2000b, S. 412). Ideologisch gebundene Institutionen seien gleichsam die weltliche Entsprechung der Religion. Oft haben sie religiöse Ursprünge. In der Tat besitzen einige Erscheinungen in stark ideologisch geprägten (und zumeist autoritären) Staaten wie ein übertriebener Personenkult oder die ikonengleiche Verwendung von Symbolen die Anmutung des Quasireligiösen. Religionen seien Träger von Werten, die als Objekte der Identifikation für die Individuen eines Gemeinwesens dienen, wie beispielsweise Freiheit und Gerechtigkeit.

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Auch sie würden auf moralische Gefühle zurückgreifen, was in der Betonung ethnischer Bindungen (wie Patriotismus) seinen Ausdruck finde (vgl. Leipold 2000b, S. 412 f.). Damit sei auch ihr Zweck darin bestimmt, den Dualismus von Binnen- und Außenmoral zu überwinden. Gleichwohl gelte auch für sie, dass das Problem an die Grenze der Wertegemeinschaft verschoben werde. Für nicht zum Gemeinwesen gehörende Individuen gelten die Wertmaßstäbe nicht. Von diesen vorrangig moralgebundenen informalen Institutionen unterscheiden sich nach Leipold die formalen Institutionen dadurch, dass ihre wichtigste Quelle die Vernunft sei. Zwar kämen auch sie nicht ohne moralische Rückbindungen aus, im formellen Recht seien aber „moralgebundene Regeln im Hegelschen Doppelverständnis aufgehoben“ (Leipold 2000b, S. 416). Das heißt, dass moralgebundene Regeln einerseits die Ausgestaltung formeller Regeln beeinflussen, andererseits aber „bei der Anwendung und Durchsetzung des [formellen] Rechts von moralischen und sonstigen Gesinnungen abzusehen ist“ (S. 416). Diese Aussage ist insofern zu präzisieren, als von den Gesinnungen desjenigen zu abstrahieren ist, auf den die formellen Rechtsregeln im konkreten Fall angewendet werden sollen. Derjenige, der die Rechtsregeln anwendet, kann dies indes kaum unter vollständigem Verzicht auf die Rückbindungen tun, die ihm in seiner Kultur durch Erziehung und Bildung vermittelt wurden. Das formelle Recht – insbesondere das dispositive – ist einer stetigen Weiterentwicklung unterworfen, und in seine Auslegung fließen Moralvorstellungen und ihre Veränderungen im Zeitablauf mit ein. Natürlich verläuft dieser Wandel pfadabhängig und relativ langsam. Zumindest in Gesellschaft und Politik (schwieriger, aber durchaus möglich, auch im wirtschaftlichen Bereich) sollte er sich auf einen Grundkonsens freiheitlicher Regeln stützen können. In Russland und den mittelund osteuropäischen Staaten geht es ja gerade um die Frage, ob das neugeschaffene formelle Recht auf ausreichende moralische Rückbindungen zurückgreifen kann, ob es mithin jene Legitimation besitzt, an deren Mangel die sozialistischen Systeme gescheitert sind. Von Recht spricht Leipold (2000b, S. 414), „wenn eine Einheit zwischen primären und sekundären Rechtsregeln besteht“: Primäre Rechtsregeln seien die Verhaltensbeschränkungen der Individuen, sekundäre Rechtsregeln schreiben vor, „von wem und wie die primären Regeln geschaffen, verändert und ausgelegt werden“. Im Fehlen oder der nur unzureichenden Entwicklung sekundärer Regeln sieht Leipold das Hauptproblem, das zu überwinden ist, um von einem Rechtsstaat sprechen zu können. Die Schaffung dieser Regeln erfolge in einem bewussten, zielgerichteten und vernunftgeleiteten Prozess – im Unterschied zu den spontan entstandenen moralgebundenen informalen Institutionen. Mit der Herausarbeitung von Moral und Vernunft sowie mit einer Gewichtung dieser beiden Ordnungsfaktoren für die informalen und die formalen Institutionen leistet der Ansatz von Leipold einen wichtigen Beitrag zur Beantwortung der Frage, warum Individuen auf eigeninteressiertes Verhalten zugunsten der Interessen anderer verzichten. Ausgehend von der These, dass Moral ein sehr knappes Gut ist, wird eine Begründung für die Überwachung der Regelbefolgung geliefert. Diese erfolgt durch Regeln des Zusammenlebens, deren Einteilung in emotional, religiös und ideologisch gebundene sowie rechtlich erzwingbare Institutionen überzeugt. Gleichwohl bleiben einige Fragen weiterhin offen.

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So ist nicht ganz klar, was unter Vernunft zu verstehen und wie sie gegen Moral abzugrenzen ist. Meint Vernunft Rationalität im Sinne reiner Zweckrationalität unter den Annahmen des homo oeconomicus?71 Dies dürfte nicht der Fall sein. Denn ist nicht vernunftgeleitetes Handeln bereits zweifach durch moralische Rückbindungen beeinflusst: einmal durch die Wahrnehmung, durch Erziehung und Bildung, die gleichsam einen Filter für das Erlernen des „Vernünftigen“ bilden und zum anderen durch die Handelnsmaxime, die durch die Setzung rechtlich erzwingbarer Regeln schon einen bewussten und gleichwohl freiwilligen Verzicht des Individuums auf mögliche Auszahlungen erfordert? Kritisch ist auch zu fragen, ob die Ursachen für die Schwierigkeiten der Menschen, ihr Verhalten wechselseitig verlässlichen Regeln zu unterwerfen, tatsächlich zuerst in ihrer genetischen Veranlagung zu suchen sind (s. Leipold 2000b, S. 416). Indes eröffnet seine Feststellung, bei moralgebundenen Institutionen erfolge die Koordination „über verinnerlichte, informale Beschränkungen“, während sie bei rechtlich erzwingbaren „über äußere, formale Beschränkungen“ (S. 416)72 erfolge, den Blick auf eine Sichtweise, die das Individuum mit seinen Bedürfnissen und Präferenzen, mit seiner Handelnsmotivation und seinen Entscheidungen in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt.73 Damit wird es möglich zu klären, unter welchen Bedingungen Institutionen ihre ordnungsstiftende Wirkung auf das Individuum entfalten. Zu diesem Zweck wird im folgenden Abschnitt ausführlich auf vielfältige Bestimmungsgrößen für die Wahrnehmung und das Handeln der Individuen eingegangen. Sie sollen verdeutlichen, wodurch die in Russland seit langem eingeübten und verinnerlichten informalen Regeln ihre starke Beharrungskraft erlangt haben mit der Folge, dass sich die Übernahme neuer formaler Institutionen so schwierig und konfliktreich gestaltet. Die folgenden Ausführungen sollen insoweit die institutionenökonomische Analyse vertiefen. 2.2.3.

Wahrnehmung und Handeln der Individuen

2.2.3.1. Faktoren individueller Prägung Den bisher vorgestellten Ansätzen ist gemeinsam, dass sie, vom Individuum ausgehend, auf intersubjektive Gemeinsamkeiten abstellen, damit also Ausdruck des methodologischen Individualismus sind. Zusammen mit dem Prinzip der Problemorientierung (gemeint ist die Orientierung am Knappheitsproblem), dem Prinzip der Trennung zwischen Restriktionen und Präferenzen, dem Rationalitätsprinzip und dem Prinzip der Nicht-Einzelfall-Betrachtung bildet der methodologische Individualismus den Kern des ökonomischen Menschenbildes – des eigeninteressiert und rational handelnden homo oeconomicus. Ihm liegen die Annahmen konstanter und gegebener Präferenzen, knappheitsbestimmender Handlungsrestriktionen und individueller Wahlhandlungen im Zusammenspiel von Präferenzen und Restriktionen zugrunde (vgl. Erlei, Leschke und Sauerland 1999, S. 2-6). Diese Annahmen begrenzen jedoch oftmals die Aussagefähigkeit der Ansätze. Letztlich können diese Ansätze (Modelle) sogar normative Kraft entfalten, wenn sie Individuen als Handelnsmaxime dienen. Freilich kann es nicht darum gehen, das Modell des homo oeconomicus durch das des homo sociologicus oder sonst ein anderes Modell zu ersetzen.74 Auch das Modell des homo sustinens (des „nachhaltigen“ Menschen) vermag

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den stets präsenten Konflikt zwischen Eigennutz und Altruismus nicht überzeugend zu erklären.75 Wie jedes Modell stellt es eine Vereinfachung der komplexen Realität dar. Solche Abstraktionen sind jedoch nur dann zulässig, wenn dabei keine wesentlichen Aspekte vernachlässigt werden. Insbesondere für das Handeln des Menschen scheint eine solche Vereinfachung problematisch: Hier ist zum einen das Wissensproblem von Hayeks anzuführen, denn nicht alle relevanten Aspekte sind bekannt (und sie werden es auch nie sein). Zum anderen greifen die Menschenbilder verschiedener Disziplinen nur bestimmte Aspekte heraus und vernachlässigen jene, die in anderen Bereichen als wichtig herausgestellt werden.76 Nach von Hayek (1980, S. 31) ist „[d]ie Begrenzung des Wissens ... nicht eine Begrenzung, die von der Wissenschaft überwunden werden kann“, denn das Problem der Unwissenheit sei nicht durch den Erwerb von „mehr“ Wissen zu lösen, „sondern durch die Nutzbarmachung von Wissen, das weit unter den Individuen verstreut ist und bleibt“ (s.a. Kasper und Streit 1998, S. 44 ff.; Hoppmann 1999, S. 146). Jedoch verlangt „[v]ollständige Rationalität der Handlung ... die vollständige Kenntnis aller relevanten Tatsachen“ (von Hayek 1980, S. 27). Diese Kenntnis ist freilich niemals gegeben. Bereits mit der daraus erwachsenden konstitutionellen Unsicherheit, in der Entscheidungen getroffen werden müssen, können Individuen kaum rational umgehen (vgl. Kahneman, zitiert nach Wegner 2004a, S. 118).77 Und selbst was als ‚ökonomisch rational’ zu gelten hat, ist noch ungeklärt.78 Auch ist „[e]s ... wichtig, sich darüber im klaren zu sein, daß der ‚rationale Mensch’ nicht mit dem ökonomischen Menschen identisch ist“ (Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 187). Schließlich „[gestalten] unsere Entscheidungsprozesse ihre Rationalität nicht nur in Bezug auf ein Ich, sondern auch in Bezug auf Kooperation [aus]“ (Linke 2005, S. 208; s.a. Selten 2000, S. 130 f.). Die Lösung kann folglich nur in einem interdisziplinären Ansatz liegen, der die in den verschiedenen Disziplinen als wichtig erachteten handelnsleitenden Aspekte menschlichen Verhaltens integriert und so zu einer Gesamtsicht kommt, die der Komplexität des Untersuchungsgegenstands Rechnung trägt.79 Wissenschaften wie die Ökonomik, die Soziologie, die Psychologie80 und die Gehirnforschung müssten mithin nach Gemeinsamkeiten ihrer Erkenntnismöglichkeiten suchen, anstatt Modelle zu entwerfen, in deren eng umgrenztem Rahmen jene Ergebnisse sichtbar werden, die durch die Annahmen bereits vorgezeichnet waren.81 Als Schritt in diese Richtung soll hier eine etwas breitere Sichtweise auf die Ordnungsfaktoren menschlichen Handelns eingenommen werden, die auch die individuelle Prägung und Wahrnehmung berücksichtigt. Dabei ist herauszustellen, welche Probleme sich für den Einzelnen aus der Existenz bestimmter institutioneller Arrangements ergeben und welchen Einflussfaktoren seine Handelnsentscheidungen unterworfen sind. Anders formuliert, geht es um eine Antwort auf die Frage: Wodurch wird das Individuum in seiner Wahrnehmung und Handlung beeinflusst? Besonders zu berücksichtigen sind die menschliche Präferenzbildung (Motivation) und die Informationsverarbeitung (Kognition), da in ihnen wesentliche Einflussgrößen für individuelle Entscheidungen zu vermuten sind.82 Für das Individuum ist von grundsätzlich zwei Ordnungsfaktoren auszugehen, die sein Wesen bestimmen: Das sind einerseits seine Gene und andererseits die äußeren Einflüsse

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(Umweltfaktoren), denen es ausgesetzt ist.83 Die Gene entfalten ihre ordnungsstiftende Wirkung auf zwei Ebenen. Sie bestimmen auf einer grundlegenden Ebene das arteigene Verhalten, das jedem Individuum möglich ist, und das es bei anderen erkennt und in seiner Bedeutung versteht (vgl. Lorenz 1978a, S. 185 f.). Die zweite Ebene sind die Besonderheiten, die es innerhalb der eigenen Art von anderen Individuen unterscheiden. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass durch genetische Effekte „ungefähr 40 Prozent der Verschiedenheit von Persönlichkeitsmerkmalen ... erklärt werden können“, die verbleibenden 60 Prozent werden demnach vor allem dem Einfluss der spezifischen Umwelt zugeschrieben (Wolf, Spinath und Angleitner 2003, S. 8).84 Andere Autoren lehnen die Argumentation mit Prozentangaben hingegen ab und weisen auf die Komplementarität genetischer und Umweltfaktoren hin: „Der Mensch ist ganz durch seine Gene und ganz durch seine Umwelt bestimmt. Diese Wechselwirkung ist wörtlich zu nehmen. Auch unser Gehirn verändert sich lebenslang durch Aktivität“ (Kempermann 2004, S. 37; s.a. Hondrich 2000, S. I. f.; Baltes und Lindenberger 2004, S. 37). A. Smith (1776/2005, S. 99) vermutet jedoch, „[d]ie Verschiedenheit einander besonders unähnlicher Charaktere ... dürfte nicht so sehr aus der Natur als vielmehr aus Lebensweise, Gewohnheit und Erziehung entstehen“. Nach Streissler (2005a, S. 13) ist zu beachten, „daß die wahre ‚Natur’ des Menschen hier nicht nur durch die individuelle Erziehung erklärt wird, sondern die Unterschiede der Erziehung selbst wieder aus dem gesellschaftlichen Prozeß der Arbeitsteilung abgeleitet werden“.85 Dabei gilt es zu beachten, dass zwar „Verhaltenstendenzen in den Genen verankert sind, nicht aber besondere Verhaltensweisen“ (Wolf, Spinath und Angleitner 2003, S. 10). Die Individuen verfügen also nicht über ein genetisch angelegtes, feststehendes Verhalten, sondern über eine Neigung, sich in bestimmten Situationen in bestimmter Weise zu verhalten. Wie diese Neigung in tatsächliches Verhalten umgesetzt wird, hängt ganz offensichtlich von der Umwelt und deren Wirkung auf das Individuum ab.86 Damit sind die institutionelle Umwelt und ihre Wahrnehmung durch das Individuum angesprochen.87 Die Fähigkeit, diese Umwelt mit dem Ziel wahrzunehmen, Unsicherheit zu reduzieren und stabile Erwartungen zu bilden, wird dem Individuum neben der genetischen Vorprägung durch Erziehung und Bildung vermittelt88, wobei es sich in beiden Fällen um Erfahrungen handelt: Erziehung ist das Lernen durch eigene Erfahrung, Bildung kann als die Vermittlung fremder Erfahrungen verstanden werden.89 Sie vermitteln das Wertemuster, gleichsam die Brille, durch die das Individuum Sinneseindrücke wahrnimmt und be„wertet“. Obwohl damit ein (auch interpersonell vermittelbares90) Muster gebildet werden kann, ist der Prozess doch höchst individueller Natur.91 Auf einer tieferliegenden Ebene, gleichsam unterhalb von Erziehung und Bildung, sind Triebe und Instinkte als prägend einzuschätzen. Ein triebhaftes Verhalten wird ausgelöst, wenn ein Vorgang der Umwelt in bestimmte, vorgefertigte „Schablonen“ passt, die als „angeborene auslösende Mechanismen“ (AAMs) bezeichnet werden und „einen ‚Sittenkodex’ unterhalb des Niveaus echter Sittlichkeit [bilden]“ (Lorenz 1968, S. 60).92 Da nur über die angeborenen auslösenden Mechanismen ein „Zugang zu den inneren Kräften des Organismus“ möglich ist, muss durch „Lernen, Erfahrung, Einsicht und Überlegung“ die Komplexität der Umwelt soweit reduziert werden, daß sie dem „Parlament der Triebe begreiflich“ gemacht werden kann: „Verstand und Erfahrung bilden

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sozusagen die ‚Sachverständigenausschüsse’ des Triebparlaments“ (Lorenz 1968, S. 61 f.).93 Weiterhin ist Restriktionen, vor allem aber Präferenzen eine prägende Funktion für das Verhalten des Individuums beizumessen. Restriktionen können sich beispielsweise aus der begrenzten Verfügbarkeit von Ressourcen, aus klimatischen oder geographischen Gegebenheiten oder aus den Fähigkeiten des Individuums ableiten. Die individuellen Bedürfnissen entspringenden Präferenzen sind – anders als im neoklassischen Modell des homo oeconomicus – nicht als unveränderlich anzusehen.94 Vielmehr gilt das Gegenteil: Sich ändernde Bedürfnisse erzeugen zwangsläufig andere Präferenzen. Mit Blick auf die Pfadabhängigkeiten institutionellen Wandels und die Beharrungsneigung institutioneller Arrangements ist davon auszugehen, dass eine allgemeine Präferenzänderung, zumindest aber eine relative Neugewichtung, erfolgen muss, um einen Wandel auszulösen. Nicht nur veränderte Restriktionen können also zu einem institutionellen Wandel führen, sondern ebenso veränderte Präferenzen. 2.2.3.2. Das Problem der individuellen Wahrnehmung Es mag an dieser Stelle interessieren, sich vor dem Hintergrund der eben getroffenen Aussagen zu Restriktionen und Präferenzen sowie zu deren Änderung mit der Wahrnehmung des Individuums zu beschäftigen.95 Schließlich könnte die Wahrnehmung ein Schlüssel dafür sein, wie äußere Reize in Handeln umgesetzt werden. Autoritäre Systeme dürften jedenfalls nicht zufällig über Propaganda und ideologische Indoktrination versuchen, die Wahrnehmung und über sie mittelbar auch das Handeln und die Willensbildung der Individuen zu beeinflussen (s. ausführlich von Hayek 1971a, S. 194-209). Auch die Tatsache, dass Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz dem Problem der Wahrnehmung (Kognition) viel Aufmerksamkeit gewidmet haben, lässt ihre Bedeutung für das menschliche Verhalten vermuten. Diesen Aspekt nicht zu untersuchen würde bedeuten, möglicherweise auf einen Teil von Erklärungskraft für das Handeln der Menschen – insbesondere auch in Russland während der Transformationsphase – zu verzichten.96 Die Berücksichtigung der Wahrnehmung liegt schon deshalb auf der Hand, weil im Individuum – anders als dies beispielsweise in der biologischen und der ökonomischen Evolutionstheorie angenommen wird – ein gemeinsamer Erkenntnisgegenstand besteht.97 Dabei soll gerade nicht jene „mechanische und unkritische Anwendung von Denkgewohnheiten auf andere Gebiete, als in denen sie sich herausgebildet haben“, versucht werden, die von Hayek als „szientistisch“ bezeichnet und zu Recht kritisiert (von Hayek 1979, S. 16). Ausgehend vom Individuum könnte die Berücksichtigung der Ansätze verschiedener Wissenschaftsdisziplinen jedoch durchaus für die Untersuchung eine fruchtbare Ergänzung sein, insbesondere wenn die Begrenztheit des Wissens bzw. seiner Erkenntnismöglichkeiten im Blick behalten wird (vgl. von Hayek 1975a; Vollmer 1975, S. 135 ff.; Watrin 2006, S. 50).98 Von Hayek (1952/1963) hat in seinem Buch „The Sensory Order“ die weitreichende Feststellung getroffen, dass zwischen Wahrnehmung und Empfindung nicht wirklich Unterschiede bestehen.99 Auf „kognitive Modelle“ wird in jüngerer Zeit auch in der institutionenökonomischen Forschung eingegangen.100 Dabei entstehen jedoch durch die unterschiedliche und zumeist unklare Verwendung von Begriffen wie „kognitives Muster“,

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„kognitives Modell“ oder ähnliches mehr Unklarheiten, als beseitigt werden. 101 Ein Hauptgrund ist darin zu sehen, dass von Fall zu Fall entweder auf das Ergebnis, auf den Prozess oder den Apparat102 der Wahrnehmung abgestellt wird, ohne diese Ebenen zu unterscheiden.103 Das Problem wird dadurch verschärft, dass zwischen ihnen Rück- und Wechselwirkungen bestehen. Mit anderen Worten: Das Ergebnis der Wahrnehmung ist abhängig vom Wahrnehmungsapparat und vom Wahrnehmungsprozess, die sich beide ihrerseits an Wahrnehmungen anpassen und mithin ebenso von ihnen beeinflusst werden.104 Der Schlüssel zur Lösung dieses Problems ist im Wahrnehmungsapparat zu suchen, denn „alles, was wir Menschen über die reale Welt wissen, in der wir leben, verdanken wir stammesgeschichtlich entstandenen, Relevantes vermeldenden Apparaten des Informationsgewinns“ (Lorenz 1977, S. 18). So wird es zwar nie möglich sein, alles zu verstehen, aber „alles, was unser Erkenntnisapparat105 uns meldet, [entspricht] wirklichen Gegebenheiten der außersubjektiven Welt“ (Lorenz 1977, S. 18). Eine wissenschaftliche Betrachtung geht deshalb davon aus, dass es eine Wirklichkeit gibt, „die unabhängig vom Forscher existiert (metaphysischer Realismus)“ (Meyer 2002a, S. 17).106 Dies bedeutet, ein Muster zu erkennen, das jenseits der subjektiven Wahrnehmung besteht und nachgewiesen werden kann.107 Die Korrespondenztheorie der Wahrheit geht davon aus, dass zumindest ein Teil der menschlichen Überzeugungen wahr ist, das heißt, dass sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen (vgl. Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 32 f.; s.a. Meyer 2002a, S. 23). Diese Sichtweise geht auf Platon zurück und wurde seither immer wieder aufgegriffen, so durch Isaac Israeli, der bereits im 9. Jahrhundert nach Christi Wahrheit als „Übereinstimmung der Sache mit dem Verstand“ bezeichnet hat. Die Formulierung wird ihm durch Thomas von Aquin zugeschrieben. In neuerer Zeit hat Bertrand Russel zur Verbreitung dieser Theorie beigetragen (vgl. Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 33). Die Kohärenztheorie der Wahrheit versucht, Wahrheit als Zusammenhang aufzufassen. Von Vertretern eines rationalistischen Ansatzes wird betont, die einzelnen Wahrheiten stünden in einem solchen Zusammenhang zueinander, dass sie durch Vernunftüberlegungen zu entdecken seien. Auch mit einem idealistischen Ansatz, nach dem keine vom Bewusstsein des Individuums unabhängige Wirklichkeit besteht, ist die Kohärenztheorie vereinbar, da sie „keine unabhängige Wirklichkeit … [voraussetzt], mit welcher unser Bewußtsein erst in Übereinstimmung zu bringen ist“ (Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 34). An diesem Ansatz wird kritisiert, dass es keinen Grund für die Annahme gibt, es würde „nur eine einzige umfassende und kohärente Menge von Glaubensannahmen“ geben (Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 34).108 Auch bestehe die Gefahr, die Wahrheit mit Gründen oder Indizien für die Wahrheit zu verwechseln.109 Wahrheit kann also nicht dasselbe bedeuten wie Kohärenz (vgl. Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 35). Die Kritik an der Korrespondenztheorie zielt auf das Problem, dass sie nur dann befriedigend sein kann, wenn sowohl eine Theorie über die Wirklichkeit als auch eine Theorie über die Glaubensannahmen besteht.110 Außerdem ist eine Theorie über die Sprache erforderlich, in der die Annahmen der Theorien ausgedrückt werden.111 Dies ist mit Schwierigkeiten verbunden, so mit Wahrheitsantinomien bestimmter Aussagen, bei de-

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nen eine Lösung nicht immer möglich ist, allenfalls eine Transformation auf eine Metaebene, auf der sich das gleiche Problem wieder stellt (vgl. Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 35-40). Der Wahrnehmungsapparat besteht aus einer Vielzahl verschiedener Bestandteile, die jeweils unterschiedliche Leistungen zu erbringen vermögen. Als das am höchsten entwickelte Lebewesen besitzt nur der Mensch die Fähigkeit zu begrifflichem Denken.112 Gleichwohl verfügt auch er über die Wahrnehmungsleistungen, die auf niederen Ebenen bereits vorkommen. So ist die abstrahierende und objektivierende Gestaltwahrnehmung, also die Fähigkeit, vom Zufälligen abzusehen und diejenigen Eigenschaften zu abstrahieren, die einem Gegenstand invariant anhaften, nicht nur „eine Voraussetzung für die Entstehung des begrifflichen Denkens, sondern sie bleibt auch weiterhin als unentbehrliche Teilfunktion in ihm erhalten“ (Lorenz 1977, S. 207). Die verschiedenen Leistungen der Wahrnehmung fügen sich also nicht zu einem System höherer Ordnung zusammen, „sondern [sind] ganz im Gegenteil einander höchst ungleichwertig … und [stehen] zueinander in einem Verhältnis teils sehr enger, teils sehr loser Wechselwirkung und gegenseitiger Abhängigkeit“ (Lorenz 1977, S. 206). Lorenz stellt ausführlich mit eingehender Analyse die verschiedenen Leistungen des Wahrnehmungsapparates dar, die mit Ausnahme des begrifflichen Denkens auch schon bei Tieren vorkommen. Einige Leistungen, die – neben der Gestaltwahrnehmung – das menschliche Verhalten beeinflussen, seien hier beispielhaft genannt, um anschließend einige Aspekte etwas näher zu beleuchten (Lorenz 1977): (1) Lernen ohne Belohnung, beispielsweise durch Gewöhnung, Angewöhnung und Prägung oder Vermeidungsreaktionen infolge eines „Traumas“; (2) das Lernen durch Belohnung („Dressur“); (3) die abstrahierende Leistung der Wahrnehmung, Einsicht und Lernen, Nachahmung und Tradition als Beispiele für die Wurzeln des begrifflichen Denkens; (4) Symbolbildung und Sprache; (5) der menschliche Geist, Vererbung erworbener Eigenschaften und die soziale Konstruktion des für wirklich Gehaltenen sowie (6) Faktoren, die Invarianz von Kultur bewahren, auf der einen und Faktoren, die dem Abbau der Invarianz dienen, auf der anderen Seite. Zu (1): Anhand von Untersuchungen mit Hunden zeigt Lorenz (1977, S. 105), dass nur dann Vermeidungsreaktionen erfolgen, wenn die Tiere zuvor Schmerzreizen ausgesetzt waren, denen sie ausweichen konnten. Tiere, die den Schmerzen ausgesetzt waren und ihnen nicht entkommen konnten, zeigen auch später kein Vermeidungsverhalten („Hilflosigkeits-Effekt“) (s.a. Schaller 2002, S. 214 f.). Dieser Effekt ist auch für den Menschen anzunehmen, weil sein Wahrnehmungsapparat ebenfalls jene Leistung erbringt. Das gilt insbesondere dann, wenn der menschliche Verstand ohne ausreichendes Wissen über Ursache und Wirkung nicht in der Lage ist, ein Muster zu erkennen und eine verlässliche Lösung des Problems anzubieten. Zu denken ist hier an einen totalitären Staat, dessen ‚Bürgern’ Repressalien wie Lagerhaft oder sogar die Todesstrafe drohen, ohne dass ein erkennbares schuldhaftes Verhalten vorausgegangen ist. Mit zunehmender

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Beliebigkeit der Bestrafungen schwindet die Möglichkeit, Verhaltensmuster zu erkennen und das eigene Handeln – was bei verlässlichen Erwartungen möglich ist – anzupassen. Sind weder Widerspruch noch Austritt möglich, ist mit einer zunehmend fatalistischen Einstellung der Individuen zu rechnen.113 Zu (2): Das Lernen durch Belohnung („Konditionierung“) betrifft vor allem Instinkthandlungen, die genetisch vorgeprägt sind. Führen bestimmte Verhaltensweisen zu einem Erfolg, kommt es zu positiven Rückmeldungen des Nervensystems. Das Lernen114 besteht darin, dass das Individuum mit der Zeit nur jene Handlungen vornehmen wird, die zu positiven Rückmeldungen führen, weil sie „im angeborenen Lernmechanismus als bestärkend einprogrammiert sind“ (Lorenz 1977, S. 123). Die wissenschaftliche Vermittlung von Wissen ist dem begrifflichen Denken vorbehalten und auf dieser Ebene ausgeschlossen. Freilich können beide Ebenen das Handeln der Individuen gleichzeitig beeinflussen, etwa wenn – wie in Russland in der Zeit des Übergangs geschehen – intellektuell beachtliche Leistungen mit dem Ziel vollbracht wurden, ohne jede moralische Rückbindung den eigenen – auch niederen – Instinkten zu folgen, um grenzenlos gewordene materielle Bedürfnisse zu befriedigen. Zu (3): Zu den Wurzeln des begrifflichen Denkens soll hier auf zwei Leistungen näher eingegangen werden: auf die abstrahierende Leistung der Wahrnehmung und auf die Tradition (zitiert nach Lorenz 1977, S. 150; s.a. Streit 2000, S. 123): „[J]egliches Erkennen und Wiedererkennen realer Gegebenheiten [beruht] darauf ..., daß äußere in den Sinnesdaten obwaltende Konfigurationen oder ‚Muster’ mit solchen zur Deckung gebracht werden, die, entweder aus der individuellen Erfahrung oder aus der Stammesgeschichte gewonnen, als Grundlage weiterer Erkenntnis bereitliegen – ‚pattern matching’ im Sinne von Karl Popper.115 Konstante Konfigurationen räumlicher Natur bedeuten meist das, was wir gemeinhin als Gegenstände bezeichnen“.116

Ebenso sieht von Hayek (1952/1963, S. 143) die Wahrnehmung als das Ergebnis einer Klassifikation, bei der Sinneseindrücke mit bestehenden Zuordnungsschemata (Theorien) verglichen werden: „[All] we know about the world is of the nature of theories and all ‚experience’ can do is to change these theories“.117 Das bedeutet aber, wie Streit (1995b, S. 161) feststellt, „daß unsere gesamte Wahrnehmung ‚abstrakt’ und eine Unterscheidung zu ‚konkret’ sinnlos ist“.118 Die Fähigkeit der Abstraktion beruht darauf, das Zufällige im Vorgang des Wissensgewinnens aus der Form der Reizdaten auszuscheiden. Dies geschieht objektivierend, weil die den Gegenständen konstant anhaftenden Eigenschaften unabhängig davon erkannt werden, welche Wahrnehmungsbedingungen herrschen (vgl. Lorenz 1977, S. 206). Diese Vorgänge besitzen zwar weitgehende Analogien zu rationalen Vorgängen und gleichen „funktionell vernunftmäßigen Berechnungen und Schlüssen“, trotzdem sind sie einer rationalen Kontrolle unzugänglich. Lorenz (1977, S. 155 und S. 206 f.) bezeichnet sie als ‚ratiomorph’. Der Wahrnehmungsapparat würde beispielsweise ein Schaf erkennen, auch wenn es eine widernatürliche blaue Farbe hätte (was wohl seine Neugier nach dem Grund wecken würde). Der menschliche Verstand vermag es, das realitätsfremde Bild eines blauen Scha-

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fes unabhängig von dessen Wahrnehmung zu erzeugen (wobei die Zahl der Blautöne dabei so groß ist wie die derjenigen, die zu dieser Vorstellung aufgefordert werden). Der Verstand vermag es aber nicht, sich ein Schaf ohne jegliche Farbe vorzustellen. „Ebenso muß auch die Idee eines Mannes, die ich mir bilde, entweder die eines weißen oder eines schwarzen oder eines rothäutigen ... Mannes sein. ... [I]ch finde mich selbst befähigt zur Abstraktion in einem ganz bestimmten Sinne, nämlich wenn ich gewisse einzelne Teile oder Eigenschaften gesondert von anderen betrachte, mit denen sie zwar in irgendeinem Objekt vereinigt sind, ohne die sie aber in Wirklichkeit existieren können. Aber ich finde mich nicht befähigt, diejenigen Eigenschaften durch Abstraktion zu trennen oder gesondert aufzufassen ..., die nicht möglicherweise ebenso gesondert existieren können, oder einen allgemeinen Begriff ... durch Abstraktion von den besonderen in der vorhin bezeichneten Weise zu bilden. In diesen beiden letzten Bedeutungen aber wird eigentlich der Terminus ‚Abstraktion’ gebraucht“ (Berkeley 2003, S. 6).

Bemerkenswert ist die Aussage Mengers (1883/1969, S. 74), dass der „Irrthum ... vom menschlichen Handeln sicherlich noch viel weniger getrennt gedacht werden kann, als Sitte, Gemeinsinn, Rechtsgefühl und Menschenliebe von der Wirthschaft“ (im Original mit Hervorhebung). Treffender ließe sich die Kritik am neoklassischen Modell des homo oeconomicus nicht auf den Punkt bringen, der sowohl von Unwissenheit als auch von sozialen Rückbindungen des Menschen abstrahiert.119 Tradition bezeichnet denjenigen Vorgang, „durch den erlerntes Wissen von einem Individuum auf ein anderes, von einer Generation auf die nächste weitergegeben wird“ (Lorenz 1977, S. 200). Für von Hayek sind Traditionen und Sitten zwischen Instinkt und Verstand angesiedelt (s. Streit 1995b, S. 180 f.). An anderer Stelle weist von Hayek (2003, S. 474) darauf hin, dass „Tradition … nicht etwas Gleichbleibendes [ist], sondern das Ergebnis eines Selektionsprozesses, der nicht von der Vernunft geleitet ist, sondern vom Erfolg“. Weiterhin hebt von Hayek (1996a, S. 40) hervor: „Kultur ist weder natürlich noch künstlich, weder genetisch übermittelt noch mit dem Verstand geplant worden, sie ist eine Tradition erlernter Regeln des Verhaltens, die niemals erfunden worden sind, und deren Zweck das handelnde Individuum gewöhnlich nicht versteht“ (im Original mit Hervorhebungen). Darauf weist auch Fukuyama (1995a, S. 8) hin, der den Zusammenhang von Kultur und Tradition herausstellt: „Culture can be defined as a-rational, ethical habit passed on through tradition“. Hervorzuheben ist, dass er diesen Bereich ebenfalls für rational nicht zugänglich hält. Die Nachahmung ist die Voraussetzung für die Tradition, ebenso wie für das Entstehen einer tradierbaren Wortsprache (vgl. Lorenz 1977, S. 210).120 Zu (4): Die Entwicklung der syntaktischen Sprache, die Möglichkeit zur Anhäufung und Weitergabe von Wissen und die unabhängige Tradierung sozialer und ethischer Grundhaltungen haben im menschlichen Zusammenleben eine neue Gemeinschaft mit einer geistigen Dimension geschaffen.121 „Die individuelle, konkrete Verwirklichung eines solchen überindividuellen Systems nennen wir eine Kultur“ (Lorenz 1977, S. 219). Die Tradition seiner Kultur schreibt dem Menschen vor, wie er lernt, was er lernen darf und was nicht (vgl. Lorenz 1977, S. 220). „Es scheint ... so zu sein, daß alle Menschenrassen die gleichen oder doch sehr ähnliche kognitiven Fähigkeiten [zur Bildung von Alltagswissen] aufweisen ... Was die einzelnen

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Stämme, Völkerschaften oder Kulturen unterscheidet, sind nicht die natürlichen Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis, sondern die Inhalte ihrer allgemein geteilten normativen und kognitiven Überzeugungen: ihre kulturellen Traditionen“ (Meyer 2002b, S. 17).

Zu (5): Damit sind die Erkenntnisfunktionen des Wahrnehmungsapparats in hohem Maße davon beeinflusst, was in einer Kultur für ‚wahr’, für ‚wirklich’ oder ‚moralisch’ gehalten wird.122 Diese, im kulturbedingten Weltbildapparat enthaltene Information ist dem Menschen nur zum kleinsten Teil bewusst, ebenso wie die subjektiv nicht empfundene Einschränkung seiner Freiheit durch die Strukturen dieses Apparats. Die Geschwindigkeit, mit der die kulturelle Entwicklung abläuft, ist erheblich größer als die der genetischen Entwicklung. Da menschliches Verhalten – wie gezeigt wurde – von beiden Bereichen beeinflusst wird, können Konflikte entstehen, denn für das Verhältnis zwischen stammesgeschichtlich und kulturgeschichtlich entstandenen Riten sind prinzipiell die gleichen Beziehungen denkbar, wie sie Kiwit und Voigt (1995) für das Verhältnis zwischen formalen und informalen Institutionen herausgearbeitet haben: Sie können zueinander in einem neutralen, komplementären, substitutiven oder konfligierenden Verhältnis stehen.123 Sofern das Verhältnis neutral oder komplementär ist, sollten keine Probleme auftreten. Es ist allerdings fraglich, inwieweit das Verhältnis substitutiv sein kann, das heißt, in welchem Maße es in der Tat möglich ist, dass stammesgeschichtlich entstandenes Verhalten durch kulturgeschichtliche Normen verdrängt werden kann. Zweifellos ist in gewissem Maße eine „Kanalisierung“ stammesgeschichtlich entstandener Riten denkbar, ein vollständiges Ersetzen scheint indes ausgeschlossen.124 Im Falle eines konfligierenden Verhältnisses könnten die auftretenden Probleme letztlich auch zum Niedergang einer Kultur führen (s. dazu auch Lorenz 1977, S. 270 f.). Zu (6): Die ausführliche Darstellung des Zusammenhangs zwischen stammesund kulturgeschichtlicher Ritenbildung erscheint hilfreich, weil sie eine Begründung liefert für die Aussage von Buchanan (1981, S. 47 f.): „Die Institutionen, die Ausdruck der sozialistischen Experimente dieses Jahrhunderts sind, sind nachweisliche Mißerfolge, weil ihre Schöpfer die durch die Natur des Menschen gesetzten Grenzen ignoriert haben“.

Sie stellen diese Aussage zudem auf ein breiteres Fundament, denn offensichtlich stehen jene ‚sozialistischen’ Institutionen nicht nur in einem konfligierenden Verhältnis zu den informalen Regeln, die durch die kulturgeschichtliche Ritenbildung entstanden sind, sondern sie stören darüber hinaus ebenso den Gleichklang mit den durch die stammesgeschichtliche Entwicklung entstandenen Regeln menschlichen Verhaltens.125 Dies kann auf zwei Arten geschehen: Zum einen könnte es zu einem direkten Konflikt auch mit den stammesgeschichtlich entstandenen Regeln kommen, zum anderen ist davon auszugehen, dass informale, kulturgeschichtlich gewachsene Regeln durch staatlichen Zwang zur Anpassung an formale Regeln ihre Gültigkeit verloren haben oder neu entstanden sind. In der Folge müssen sie zwar nicht, können dann jedoch gleichwohl in einem konfligierenden Verhältnis zu den stammesgeschichtlich entstandenen Normen stehen.126 Die in den Genen verankerten Verhaltensweisen besitzen eine Beharrungskraft gegen die verändernden Einflüsse der menschlichen Kultur (vgl. Lorenz 1977, S. 238). Auf diese Weise kommt ihnen langfristig eine stabilisierende Funktion für das Verhalten zu. Auch in der kulturellen Entwicklung gibt es Faktoren, die verhaltensstabilisierend wirken.127

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Zu diesen beharrenden, die Invarianz der Kultur bewahrenden Kräften gehören Gewohnheiten, Nachahmung und die Findung einer Identität. Dem Abbau dieser Kräfte dienen das Neugierverhalten und das „Neuerungsstreben der Jugend“ (vgl. Lorenz 1977, S. 276284). Zwischen der genetisch vorgeprägten („stammesgeschichtlichen“) und der kulturgeschichtlichen Ritenbildung bestehen Analogien (vgl. Lorenz 1977, S. 268). Ihnen sind wesentliche Leistungen gemeinsam, wie die Fähigkeit der Kommunikation, die Lenkung des Verhaltens in bestimmte Bahnen (Handelnsbeschränkungen – etwa durch Sanktionierung abweichenden Verhaltens) und die Schaffung neuer Motivationen. 128 Es ist offensichtlich, dass hier der Kern dessen angesprochen wird, was die Institutionenökonomik als ‚Institutionen’ bezeichnet: Zum einen leiten sie das Handeln und vermitteln darüber hinaus einen Beurteilungsrahmen für die individuelle Bewertung erwünschter oder zu unterlassender Verhaltensweisen. Zum anderen sind sie – funktional betrachtet – in der Lage, die Unsicherheit für die Individuen zu reduzieren und zur Bildung eindeutiger Wahrnehmungsmuster und klarer Erwartungen über wahrgenommene Erscheinungen beizutragen.129 Mit anderen Worten: Auch intuitive, der stammesgeschichtlichen Ritenbildung entspringende Handelnsmuster sind in der Lage, menschliches Verhalten in ähnlicher Weise zu lenken wie die sozialen Normen (im Sinne von Institutionen) der kulturgeschichtlichen Entwicklung. Sie sind nach Lorenz (1968, S. 60 f.) der „’Sittenkodex’ unterhalb des Niveaus echter Sittlichkeit“, der Voraussetzung für jedes Wertempfinden ist. Die in der stammesgeschichtlichen Ritenbildung entstandenen Merkmale und Verhaltensweisen dürften sehr weitgehend bei allen Menschen vorzufinden sein. Im Gegensatz dazu ist für die kulturgeschichtliche Ritenbildung anzunehmen, dass hier jene Unterschiede entstanden sind, durch die sich verschiedene Kulturen voneinander abgrenzen und unterscheiden lassen. Daraus ist abzuleiten, dass das Verhalten der Menschen gegenüber Mitgliedern ihrer Kultur ein anderes ist als gegenüber Außenstehenden, was Lorenz (1977, S. 274) am Beispiel der Aggressivität des Verhaltens herausstellt: „Die eng umschriebenen Bahnen, in die so gut wie alles soziale Verhalten des Menschen durch kulturelle Ritualisierung geleitet wird, dämmen natürlich auch seine Aggressivität ein, allerdings meistens nur, soweit sie sich gegen Mitglieder derselben Kultur und derselben Gesellschaftsklasse richtet“.130

In einer ähnlichen Unterscheidung stellt Leipold einen Dualismus von Binnen- und Außenmoral zwischen kleinen (etwa familiär gebundenen) Gruppen einerseits und der Großgesellschaft andererseits fest und sieht die Überwindung dieses Unterschieds als Bedingung für die wirtschaftliche Entwicklung an. Zu Recht weist er darauf hin, dass damit das Problem des Dualismus aber nicht gelöst, sondern allenfalls an die Grenze des Kulturraumes (oder der Religions- bzw. Glaubensgemeinschaft) verschoben wird (vgl. Leipold 2000b, S. 411).131 Mit der Natur des Menschen sind sowohl moralisches Verhalten als auch das Streben nach Eigennutz vereinbar. Jedoch sind beide in ihrer Reichweite begrenzt, weil moralisches Verhalten das Eigennutzstreben der Individuen einschränkt. Dieser Sachverhalt ist als „Adam-Smith-Problem“ bekannt.132 Dabei spricht Smith, A. (1759/1994) jedoch nicht

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nur von ‚Moral’, sondern vielmehr von Gefühlen133, die die Menschen einander entgegenbringen oder davon, dass das Wohlergehen anderer ein Bedürfnis für die Individuen ist. Hier wird deutlich, dass das Individuum offensichtlich einen Nutzen aus dem Wohlergehen des anderen oder aus dem Umstand zieht, dass es etwas zu diesem Wohlergehen beigetragen hat. Es sei betont, dass der Nutzen hier in erster Linie nicht materieller Art sein kann, sondern vielmehr ein Nutzen, der aus moralischem Verhalten oder aus der Einhaltung moralischer Regeln um ihrer selbst willen entspringt. Die Neigung, solche Regeln einzuhalten, kann sehr stark sein. Ein Abweichen wird vermieden, weil die Furcht davor „wesentlich an dem angstbetonten Gefühl des Sich-versündigt-Habens, kurz an den Schuldgefühlen beteiligt [ist], und sie trägt damit erheblich zur Gesetzestreue des Kulturmenschen bei“ (Lorenz 1977, S. 249).134 Gleichwohl seien hier auch andere Emotionen neben der Angst wirksam. Die Gefühle sind besonders stark, wenn es sich um tradierte Normen handelt, zumal wenn sie von einem Vorbild übernommen wurden: „Es sind in erster Linie die Normen sozialen Verhaltens, die im eigentlichen Wortsinne sittlichen Bräuche, die man von dem verehrten Vorbild übernimmt. Das Schuldgefühl, das ihre Durchbrechung bestraft, ist aufs nächste mit den peinlichen Empfindungen verwandt, die man hätte, wenn man von jenem Menschen dabei ertappt würde“ (Lorenz 1977, S. 254).

Hierdurch wird die starke Beharrungskraft ersichtlich, die diesen Normen (mit anderen Worten: den informellen Regeln) innewohnt. Dieser Prozess wird dadurch verstärkt, dass die Achtung vor den Ahnen sowie ihren Werten im Zeitablauf seit ihrer Existenz zunimmt, was zu einer gleichsam religiösen Verehrung der Vorfahren und ihrer Regeln führen kann.135 Es ist offensichtlich, dass die genannten Faktoren sowie die verschiedenen Ebenen, auf denen sie ihre Wirksamkeit entfalten, die Wahrnehmung des Individuums in grundlegender Weise beeinflussen. Ihre Darstellung hatte daher in gleicher Weise und unter Würdigung der Bedeutung zu geschehen, die der Wahrnehmung für das menschliche Handeln zukommt. Die ausführliche Beschreibung bildet die Grundlage für die Untersuchung des individuellen Handelns. 2.2.3.3.

Das Problem des individuellen Handelns

Die bisher getroffenen Aussagen haben gezeigt, durch welche Mechanismen die individuelle Wahrnehmung geprägt wird und wie dadurch ein Bild, gleichsam eine „Meinung“ von der Umwelt entsteht. Auch wurde bereits darauf eingegangen, wie diese die Handelnsmöglichkeiten des Individuums einschränken – unabhängig davon, ob sich das Individuum dieser Einschränkungen bewusst ist oder nicht. Diese Sicht verkennt durchaus nicht die Leistungen, die die Wahrnehmung dem Individuum ermöglicht. Die Frage nach den Grenzen ist jedoch hier die interessantere, weil ihre Beeinflussung möglicherweise Handelnsänderungen erwarten lässt und weil, in ökonomischen Zusammenhängen ausgedrückt, die Knappheit und das Bestreben ihrer Überwindung wesentliche handlungsleitende Elemente sind. Davon ausgehend soll im Folgenden das Handeln des Individuums betrachtet und das Wirken der verschiedenen handlungsleitenden Faktoren verdeutlicht werden.136 Hier sollen neben Institutionen zunächst Präferenzen und Restriktionen angesprochen werden,

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auf die bisher nur kurz eingegangen wurde (s. Abschnitt 2.2.3.1.) Präferenzen können sich ändern – etwa als Folge geänderter Bedürfnisse des Individuums.137 Präferenzen führen zur Bevorzugung bestimmter Alternativen für das Handeln in bestimmten Situationen. Restriktionen beschränken die Zahl der Handelnsalternativen für das Individuum. Sie können sich beispielsweise aus der begrenzten Verfügbarkeit von Ressourcen, aus klimatischen oder geographischen Gegebenheiten oder aus den Fähigkeiten des Individuums ableiten. Auch Institutionen – zumal wenn sie internalisiert sind – können die Handelnsmöglichkeiten des Individuums einschränken.138 Dies geschieht etwa durch das Verbot bestimmter Verhaltensweisen oder durch Gebote, bestimmte Alternativen gegenüber anderen zu wählen. Institutionen gelten dann als internalisiert, wenn das Verhalten, das sie vorschreiben, auch langfristig aus innerem Antrieb heraus ohne äußere Verstärkung aufrechterhalten wird (vgl. Mummert 1996, S. 80, dort mit Verweis auf Herkner 1983).139 „Übertragen in die ökonomische Theorie bedeutet dies, daß die Befolgung bzw. NichtBefolgung von Normen als solche mit Nutzen oder ‚psychischen Kosten’ verbunden ist. Neben die externen Sanktionsmechanismen treten intrinsische“ (Mummert 1996, S. 80).

Präferenzen entstehen als Ergebnis von Bedürfnissen. Bei ihnen handelt es sich um psychische Dispositionen. Da eine internalisierte Regel um ihrer selbst willen befolgt wird, unabhängig von äußeren (extrinsischen) Sanktionsmechanismen, kann auch hier von der Entstehung einer psychischen Disposition gesprochen werden (vgl. Mummert 1996, S. 80 f.). Sind internalisierte Institutionen mithin als Präferenzen oder als Restriktionen aufzufassen? Die Anwendung des ökonomischen Instrumentariums auf informale Regeln wird durchaus kritisch gesehen (so etwa Mummert 1996, S. 79 f.). Lässt man die Anwendung zu, werden Institutionen als Restriktionen interpretiert. Es läge also nahe, auch internalisierte informale Institutionen – ebenso wie die formalen Institutionen – als Restriktionen zu behandeln (vgl. Mummert 1996, S. 86 f.). In dieser Arbeit geht es jedoch nicht darum, informale Regeln (wie Werte, Sitten, kulturelle Gepflogenheiten) einer ökonomischen Analyse zu unterziehen, sondern darum zu zeigen, dass es neben Bereichen – auch beschränkter – ökonomischer Rationalität weitere „Rationalitäten“ gibt, nach denen das Individuum handeln kann.140 Schließlich beurteilen Individuen „eine Handlung nicht nur danach, ob sie wirksam oder unwirksam gemäß vorgegebener Zwecke ist. Sie messen sie auch daran, ob die mit ihr verfolgten Intentionen mit einem vorgegebenen Wertesystem übereinstimmen“ (Blien 2002, S. 54).141 Die einfachste – und am leichtesten nachvollziehbare – Form der Rationalität ist die ‚formale’ Rationalität, die mit der Logik gleichzusetzen und als solche mit mathematischer Genauigkeit zu überprüfen ist. Da die Individuen weder über das gleiche noch auch nur über ausreichendes Wissen verfügen, um mit seiner Hilfe eine Entscheidung zu treffen, und weil emotionale sowie intuitive Einflussfaktoren keine Berücksichtigung finden können, ist die Aussagekraft dieser Form der Rationalität gerade für den hier untersuchten Gegenstand freilich begrenzt.142 Die Sichtweise, internalisierte Institutionen als Präferenzen zu verstehen, orientiert sich meist an Lerntheorien. Sie gehen davon aus, dass nicht die Institution selbst, sondern ihre Verstärker internalisiert werden (vgl. Mummert 1996, S. 83; für ein Beispiel siehe Lorenz 1977, S. 254). Bei diesen Verstärkern handelt es sich um positive oder negative

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Anreize, die als Ergebnis bestimmter Verhaltensweisen entstehen. Primäre Verstärker sind Reize, die Triebe reduzieren können. Sekundäre Verstärker entstehen in Verbindung mit einer Quelle der Belohnung und sind im sozialen Bereich wirksam, wie beispielsweise Lob, Tadel, Anerkennung oder Macht (vgl. Mummert 1996, S. 82). Angewandt auf die Unterscheidung von Lorenz (1977) in die phylogenetische (stammesgeschichtliche) und die kulturgeschichtliche Entwicklung des Menschen liegt es nahe, die primären Verstärker dem ersten und die sekundären Verstärker dem zweiten Bereich zuzuordnen. Von Interesse ist hier vor allem der zweite Bereich, da er die kulturspezifischen Eigenarten und die in dieser Entwicklung entstandenen Wertmaßstäbe und Handelnsanweisungen enthält.143 Im Prozess der Internalisierung werden externe Sanktionsmechanismen durch interne, sich selbst verstärkende Mechanismen ersetzt. Dies käme einer Verwandlung der Institutionen von Restriktionen in Präferenzen gleich (vgl. Mummert 1996, S. 83). Sanktionen als positive Verstärker beeinflussen somit die Präferenzstruktur des Individuums, weil die Beachtung der Institution nun mit einem höheren Nutzen verbunden ist als vorher. „Dies bedeutet aber, daß ein formeller institutioneller Wandel in einem Präferenzwandel resultiert“ (Mummert 1996, S. 85). Nach Ansicht von Mummert ist diese Auffassung jedoch problematisch – unter anderem, weil es inkonsistent erscheine, formale und nicht internalisierte informale Institutionen als Restriktionen, internalisierte informale Institutionen aber als Präferenzen aufzufassen. Auch sei das Maß des Einflusses von Institutionen auf die Präferenzen zu hinterfragen. Schließlich seien „die individuellen Bedürfnisse ... das Produkt ihrer sozialen Umwelt“, und damit bestehe die Gefahr der Beliebigkeit (Mummert 1996, S. 87).144 Folglich seien auch internalisierte informale Institutionen als Restriktionen aufzufassen.145 Die Grundlage dieser Sichtweise bildet die Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger (1957/1978) (vgl. Mummert 1996, S. 88).146 Kognitionen sind danach Meinungen, Einstellungen, Glaubensweisen oder Wissensaspekte, zwischen denen vom Individuum ein Gleichgewicht angestrebt wird. Sofern kein Gleichgewicht – also eine Dissonanz – besteht, entstehen psychische Spannungszustände. Je stärker die kognitive Dissonanz empfunden wird, desto stärker ist der Motivationsdruck, die Dissonanz zu beseitigen (vgl. Mummert 1996, S. 88).147 Zwar haben Kognitionen ein Beharrungsvermögen, so dass eine Veränderung des kognitiven Systems eine starke Dissonanz erfordert, aber andererseits sind die Individuen in der Lage, Informationen selektiv wahrzunehmen und so kognitive Dissonanzen zu verringern oder zu vermeiden.148 Dissonanzen können beispielsweise entstehen in Entscheidungssituationen, bei erzwungener Einwilligung, bei der Konfrontation mit dissonanten Informationen oder bei verschiedenen Meinungen zwischen Individuen (vgl. Mummert 1996, S. 88 f.).149 Auch kann eine ‚stellvertretende’ Dissonanz erlebt werden, wenn bei einem Individuum, dem man sich verbunden fühlt, ein dissonantes Verhalten (z.B. Lügen) wahrgenommen wird.150 Die Anfälligkeit für diese Art von Dissonanz ist bei kollektivistisch eingestellten Individuen höher als bei individualistischen.151 Internalisierte Institutionen, die sich durch eine intrinsische Motivation zu normgerechtem Verhalten auszeichnen – ohne die Notwendigkeit einer äußeren Verstärkung –,

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sind dem sozialpsychologischen Konzept der sozialen Einstellung vergleichbar. Das Konzept geht davon aus, dass Einstellungen vom Individuum erlernt und zu Gewohnheiten geworden sind. Da auch Einstellungen als Kognitionen aufzufassen sind, besteht ein enger Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten.152 Wenn die Handlungen eines Individuums nicht seinen Einstellungen entsprechen, wird es in der Folge entweder seine Einstellungen oder seine Verhaltensweisen ändern: „Die Menschen tendieren dazu, ihre Einstellungen und Ansichten in Übereinstimmung mit ihren Handlungen zu bringen“ (Ajzen und Fishbein 1980, S. 22; Übersetzung T.W.; zitiert nach Mummert 1996, S. 90).153 Dies erklärt auch, warum wir, wie Meyer (2000, S. 153) feststellt, denjenigen, dem wir Unrecht zugefügt haben, auch noch hassen.154 Das Beharrungsvermögen internalisierter Institutionen führt dazu, dass sie nur begrenzt Änderungen zugänglich sind. Ist ein Individuum gezwungen, gegen seine Einstellungen zu handeln, entstehen psychische Kosten. „Je stärker die Einstellung – d.h. je stärker die Institution internalisiert ist –, desto höher sind die Kosten einer Institutionendevianz“ (Mummert 1996, S. 91). Dies bedeutet aber auf der anderen Seite, dass eine äußere Motivation, beispielsweise durch formale Regeln, starke Anreize benötigt, um für das Individuum handlungsleitend zu werden. Mit anderen Worten: Je stärker bestimmte Verhaltensweisen internalisiert sind, umso stärker müssen die ihnen entgegenstehenden Sanktionen formaler Regeln sein. Um eine Dissonanz zu erzeugen, muss das Individuum den Grund hierfür sich selbst zuschreiben (vgl. Frey, D. 1978, S. 253).155 Zur Reduktion dieser Dissonanz kann es entweder versuchen, sein Verhalten oder seine Umwelt zu ändern (vgl. Festinger 1957/1978, S. 31 f.).156 „Erzeugt ein Ereignis kognitive Dissonanz, so wird mit höchster Wahrscheinlichkeit diejenige Kognition geändert, welche im Vergleich zu den übrigen an der dissonanten Beziehung unmittelbar beteiligten Kognitionen die relativ geringste Resistenz gegen Änderung besitzt“ (Frey, D. 1978, S. 251).157 Eine weitere Möglichkeit, Dissonanz zu reduzieren, besteht im Hinzufügen neuer kognitiver Elemente. Hierbei werden jene Informationen vom Individuum gesucht, die Dissonanz verringern, aber solche Informationen gemieden, die sie erhöhen könnten.158 Allerdings können die Bemühungen zur Verringerung von Dissonanz auch fehlschlagen. Dies ist dann zu erwarten, wenn ein Individuum die soziale Unterstützung nicht findet, die es zur Änderung eines kognitiven Elementes bräuchte oder wenn es keine neuen Informationen gewinnen kann, die geeignet sind, die Dissonanz zu reduzieren (vgl. Festinger 1957/1978, S. 35). Insbesondere die soziale Unterstützung verdient hierbei Beachtung, denn ob sie gewährt wird, hängt schließlich auch davon ab, was von anderen Individuen für „wahr“ gehalten wird, welche normativen Vorstellungen sie haben und wie ihre Wahrnehmung geprägt ist. Selbst wenn ein einzelnes Individuum eine bestimmte Situation als dissonant wahrnimmt, sind seine Möglichkeiten, diesen Zustand zu ändern, begrenzt und von anderen Individuen abhängig (vgl. dazu ausführlich Frey, D. 1978, S. 268-272). Zusammenfassend lässt sich herausstellen, dass zwar auch internalisierte Institutionen als Restriktionen interpretiert werden könnten, „unter denen ein Individuum seinen Nutzen maximiert“ (Mummert 1996, S. 91). Ein Wandel der Einstellungen eines Individuums könnte dann als Ergebnis eines Optimierungskalküls aufgefasst werden. Diese Folgerung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Anders als formale und nicht internalisierte infor-

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male Institutionen sollten internalisierte informale Institutionen als Präferenzen aufgefasst werden. Diese Unterscheidung zwischen internalisierten und nicht internalisierten informalen Institutionen erscheint notwendig, weil auch eine informale Regel allein aufgrund ihres Sanktionsmechanismus (sozialer Druck) akzeptiert und befolgt werden kann und nicht, weil es das Individuum will, also weil eine intrinsische Motivation besteht.159 Eine internalisierte Regel wird befolgt, weil das Individuum sie befolgen will und aus der Befolgung selbst einen Nutzen zieht.160 Die Befolgung der Regel ist für das Individuum gleichsam ein ebensolcher Wert, wie es beispielsweise eine materielle Auszahlung bei ökonomisch rationalem Verhalten wäre. Je stärker die Regel internalisiert ist, umso größer müssen offensichtlich die Sanktionsmechanismen entgegenstehender (formaler) Regeln sein, um handlungsleitend zu werden. Individuen versuchen, solche Dissonanzen zu vermeiden. Ihre Ursache ist in dem Konflikt zu sehen, der entsteht, wenn sich die Individuen entscheiden müssen zwischen der Befolgung einer formalen Regel (oder einer extrinsischen Motivation, etwa durch materielle Anreize) und den ihr entgegenstehenden Wertvorstellungen.161 Dieser Konflikt kommt im täglichen Leben in einer Vielzahl von Entscheidungssituationen vor. In Anlehnung an M. Weber wird in dieser Arbeit ein Verhalten gemäß der Wertvorstellungen als wertrational, ein Verhalten, das sich am materiellen Nutzen orientiert, als zweckrational bezeichnet (vgl. Weber, M. 1964a, S. 17). M. Weber (1964a; 1964b) unterscheidet vier verschiedene Arten des Verhaltens: zweckrationales, wertrationales, affektuelles (insbesondere emotionales) sowie traditionales Verhalten. Das Verhalten ist zweckrational, wenn es sich an den „Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt ... und unter Benutzung dieser Erwartungen ... als ‚Mittel’ für ... eigene Zwecke“ orientiert. Es ist wertrational, wenn es „durch bewußten Glauben an den – ethischen ... – unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg“ gekennzeichnet ist. Affektuelles (emotionales) Verhalten entsteht „durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen“. Traditionales Verhalten entspringt „eingelebte[r] Gewohnheit“ (Weber, M. 1964a, S. 17). „Rein wertrational handelt, wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt im Dienst seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung ... ihm zu gebieten scheinen ... Zweckrational handelt, wer sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt“ (Weber, M. 1964a, S. 18).162

Interessant ist die Feststellung M. Webers, dass insbesondere traditionales und affektuelles Verhalten nicht als ‚sinnhaft’ bezeichnet werden können, mithin streng von zweckrationalem Verhalten zu trennen sind.163 Traditionale, affektuelle und wertrationale Verhaltensweisen könnten durchaus als moralgebunden (oder in der Formulierung von M. Weber: wertrational) zusammengefasst und von zweckrationalem Verhalten abgegrenzt werden.164 Ihnen liegen jene Ordnungsfaktoren zugrunde, die oben (s. Abschnitt 2.2.2.) ausführlich dargestellt wurden. Daneben sind Analogien zur Klassifizierung informaler Institutionen von Leipold (2000b) erkenn-

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bar, der als Ordnungsfaktoren moralische Gefühle, Glaube und Überzeugungen annimmt.165 Der Gegensatz zwischen wert- und zweckrationalem Verhalten lässt sich in einer zweidimensionalen Matrix darstellen: Abbildung 6: Handeln im Konflikt zwischen Wert- und Zweckrationalität Wertrationalität Zweck-

ja

nein

ja



?

nein

?



rationalität

Quelle: Eigene Darstellung.

Sofern eine Handlung sowohl wert- als auch zweckrational ist, besteht kein Konflikt, und das Individuum wird in Übereinstimmung mit beiden Rationalitäten handeln. Widerspricht die Handlung sowohl wert- als auch zweckrationalem Verhalten, besteht ebenfalls kein Konflikt und das Individuum wird auf die Handlung verzichten. Ein Konflikt entsteht, wenn eine Handlung zweckrational geboten erscheint, aus wertrationalen Erwägungen aber unterbleiben sollte oder umgekehrt.166 Dann hängt die Entscheidung, auf die Handlung zu verzichten oder sie vorzunehmen, einerseits davon ab, wie stark die Werte internalisiert sind, d.h. wie hoch der Nutzen aus der Regelbefolgung als solcher empfunden wird und wie stark mithin der Wille zu wertkonformem Verhalten ist (intrinsische Motivation). Andererseits sind die Höhe der extrinsischen pekuniären Anreize oder die Stärke der Sanktionen entgegenstehender Institutionen maßgeblich: Je stärker die Werte internalisiert sind und je größer der Nutzen ihrer Befolgung empfunden wird, je stärker folglich der Wille ist, ihnen gemäß zu handeln, desto höher müssen die materiellen Anreize oder desto schärfer die Sanktionen nicht internalisierter Institutionen sein, um handlungsleitend zu werden. Stehen den Wertvorstellungen des Individuums und der Bereitschaft zu moralischem Verhalten dauerhaft starke Anreize (wie materieller Nutzen oder Strafen) entgegen, so kann es auch zu einer Verdrängung internalisierter Werte kommen (vgl. Meyer 2000, S. 155; Frey und Kirchgässner 2002, S. 91). Es ist wichtig, festzustellen, dass eine nicht internalisierte Institution nicht zwangsläufig auch gleichzeitig eine formale Institution sein muss. Zwar dürften es in der Realität vor allem die Sanktionsmechanismen formaler Regeln sein, die jenen Zwang erzeugen können, der zu ihrer unbedingten Einhaltung führt, selbst wenn ihnen eine starke intrinsische Motivation entgegensteht. Doch sind sie meist die bewusst geschaffene Entsprechung, gleichsam die Zementierung informaler Institutionen, die beispielsweise durch ideologische Rückbindungen ordnend auf das Handeln der Individuen einwirken.167 Wie sehr auch diese in Konflikt mit internalisierten Werten stehen können, zeigt das bereits angesprochene Scheitern der sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme.168

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Die folgende Abbildung stellt die beschriebenen Zusammenhänge graphisch dar: Abbildung 7: Institutionen und ihre Internalisierung

Quelle: Eigene Darstellung. Typologisierung der Institutionen nach Leipold (2000b, S. 415).169

Die selbstbindenden Institutionen, die befolgt werden, weil ein Individuum sie aus innerem Antrieb heraus befolgen will, stellen den Kern handelnsleitender Regeln dar. Sie werden ergänzt durch jene informalen Institutionen, die durch emotionale, religiöse oder ideologische Rückbindungen diesen Kern umschließen und in den Fällen handlungsleitend werden sollen, in denen eine Selbstbindung nicht möglich ist. Hierdurch entsteht auf einer ersten Stufe ein Konflikt, wenn die bindungsbedürftigen Institutionen unvereinbar mit dem inneren Kern selbstbindender Institutionen sind. Dieser Konflikt kann dazu führen, dass sie ihren Zweck, soziale Dilemmasituationen170 zu überwinden, nicht erreichen und mithin ihre Wirkung nicht nur verfehlen, sondern ins Gegenteil verkehren.171 Gleichwohl besitzen bindungsbedürftige Institutionen das Potential, Dilemmata zu überwinden und können prinzipiell internalisiert werden, d.h. ebenfalls zu einer intrinsischen Motivation für das Individuum führen. Offensichtlich ist es für eine informale Institution wichtig, internalisiert zu werden, um von den Individuen befolgt zu werden und ihre ordnungsstiftende Wirkung entfalten zu können.

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Auf einer zweiten Ebene spiegeln formale Institutionen (geschriebenes Recht) die Rückbindungen der bindungsbedürftigen und in den Fällen, in denen keine Konflikte bestehen, auch der selbstbindenden Institutionen wider. Ein Konflikt ist auf dieser Ebene zwischen formalen und informalen Institutionen ebenso möglich, wie er für das Verhältnis zwischen bindungsbedürftigen und selbstbindenden Institutionen beschrieben wurde. Das gilt dann, wenn das bewusst geschaffene formale Recht im Widerspruch zu informalen Regeln steht. Dieser Widerspruch kann sich entweder auf das Verhältnis zu den bindungsbedürftigen oder zu den selbstbindenden Institutionen beziehen.172 Diese Konflikte spiegeln jene Situationen wider, in denen ein Individuum eine Entscheidung treffen muss, entweder seiner inneren Motivation oder ihr entgegenstehenden, äußeren Anreizen zu folgen. Selbst wenn das Individuum gezwungen ist, den äußeren Anreizen zu folgen, entsteht dabei nicht zwingend das Gefühl einer Dissonanz. Dieses könnte beispielsweise dann nicht entstehen, wenn damit die Unterlassung einer nach inneren Maßstäben gebotenen, aber unbequemen Handlung gerechtfertigt werden kann.173 Dadurch würden sich die Individuen aber nicht nur auf einen gleichsam vorgezeichneten „Weg zur Knechtschaft“ begeben, wie von Hayek (1971a) eines seiner Werke nannte. Vielmehr wäre ihnen dann auch der ‚Weg aus der Knechtschaft’ verbaut, weil jenes Gefühl der Sicherheit verbunden war mit dem Verlust der Freiheit (und mit ihr der Verantwortung174). Ein Wegfall jener freiheitsbeschränkenden und Zwang ausübenden Institutionen (oder schon allein der Wegfall ihrer Sanktionsmechanismen) und die Gewährung von Freiheiten könnten also ein Vakuum erzeugen, das bei den Individuen zu einem Gefühl der Dissonanz führen kann.175 Die Konsequenz wäre dann eine fortgesetzte Hinwendung zum bisher bestehenden System, auch wenn es – inhaltlich bzw. in Werturteilen – abgelehnt worden ist. Das Spannungsfeld soll durch die beiden Zitate von Fichte (1808/1978) und Gosman (1993) verdeutlicht werden, die dieser Arbeit voranstehen. Damit wird deutlich, dass starke äußere Anreize oder Sanktionsmechanismen nicht nur die Gültigkeit innerer Antriebe untergraben und verdrängen können, sondern dass durch diesen Effekt auch die Verantwortungslosigkeit gefördert und eigenbestimmtes Handeln vermieden wird. Allerdings dürfte an Werten orientiertes (moralisches) Handeln nie ganz ausgelöscht werden und im Zeitablauf durchaus gleichsam eine Generierung moralischer Werte erfolgen. Zwar ist der Vorrat an Moral begrenzt.176 Jedoch entspringen moralische Normen der Notwendigkeit, Konflikte zu schlichten (vgl. Verycken 2003c, S. 8). Das heißt aber nichts anderes, als dass – sofern individuelle Freiheit garantiert wird177 – mit dem Auftreten der eben dargestellten Konflikte gleichzeitig auch ein Mindestmaß jener Moral entsteht, die zu deren Überwindung erforderlich ist. Freilich mag sich hierbei das individuelle Gefühl einstellen, dass „mehr“ Moral oder eine stärkere Orientierung an Werten ein besseres Ergebnis (im Sinne einer Pareto-Verbesserung) ermöglicht hätte.178 2.2.3.4.

Wahrnehmung, Handeln und die Freiheit des Willens

Nach der Darstellung der Faktoren, die die Wahrnehmung des Individuums beeinflussen, und der Beschreibung ihrer Wirkungen auf dessen Handeln soll abschließend auf die Rolle des Willens eingegangen werden.179 Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie frei das Individuum bei der Wahl einer Handelnsalternative entscheiden kann. Mit anderen

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Worten: Wie groß ist der Spielraum des Individuums, sich für eine – beispielsweise wertoder zweckrationale – Handlungsweise zu entscheiden? Die Beziehungen zwischen Wille und Vernunft sind in verschiedenen ökonomischen Ansätzen sehr unterschiedlich aufgefasst worden (vgl. Pribram 1992a, S. 1163). Insbesondere frühe Ansätze gingen von der Unterordnung des Willens unter die Vernunft aus. An diesen rationalistischen Erklärungsversuchen ist zu kritisieren, dass sie gleichsam das Problem nicht zu lösen, sondern allenfalls in eine mit ihren Annahmen zu vereinbarende Form zu transformieren vermochten.180 Hier soll nun, dem Ansatz einer stärker interdisziplinär orientierten Sichtweise folgend, versucht werden, die Analyse durch einige Ergebnisse der Hirnforschung und Psychologie zu befruchten. „Die sogenannte ‚Willensstärke’ ist ... eine Funktion der Stärke der Einzeltriebe und ihres Zusammenwirkens“ (Lorenz 1968, S. 62). „Alles hat mit lauter Gier angefangen: Neugier, Habgier … und Vermehrungsgier“ (Markl 2004, S. 39). Der Wille scheint in diesem Verständnis ein Mittel zur Befriedigung von Bedürfnissen und Trieben zu sein. Bedürfnisse unterliegen in ihrer Bedeutung für das Individuum einer Rangfolge. 181 So kann die Befriedigung eines grundlegenden Bedürfnisses dazu führen, dass erst in der Folge bestimmte andere Bedürfnisse entstehen.182 Ähnliches gilt für Triebe, deren Auftreten wie das der Bedürfnisse von den Besonderheiten der jeweiligen Situation und denen des Individuums abhängen. In beiden Fällen spielt der Prozess der Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinneseindrücken eine unverzichtbare Rolle bei der Entscheidung des Individuums für eine bestimmte Reaktion. Zweifellos können Bedürfnisse und Triebe die Freiheit des Individuums bei dieser Entscheidung einschränken (s.a. Kirsch 1993, S. 181 f.). Auf der anderen Seite führen sie dazu, dass das Individuum Unabhängigkeit von der physikalischen Umwelt erlangt und somit überhaupt erst in die Lage versetzt wird, Freiheit im Sinne von Entscheidungs- und Handelnsfreiheit zu erfahren.183 Eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit scheint aber auch darin zu bestehen, dass das Erlebenssystem des Individuums getäuscht werden kann. In Experimenten der Hirnforschung führten elektrische Reizungen des Gehirns zu Muskelbewegungen, die in Abhängigkeit des Ortes der Reizung im Gehirn vom Individuum entweder als gewollt oder ungewollt empfunden wurden (vgl. Cruse 2004, S. 31). In beiden Fällen war die Bewegung allein durch den elektrischen Impuls verursacht. Dass sie in einem Fall als ‚selbst gewollt’ empfunden wurde, fördert Zweifel an der Existenz eines unbedingt freien Willens.184 Ein anderes Experiment hat gezeigt, dass bei einer Bewegung des Individuums nicht erst ein ‚Willensruck’ einem Aufbau eines Bereitschaftspotentials im Gehirn vorausgeht, wie das bei freiem Willen zu erwarten gewesen wäre: „Tatsächlich stellte sich das Nichterwartete heraus: Dem Willensruck ging schon der Aufbau eines Bereitschaftspotentials voraus“ (Höffe 2004, S. 33). Daraus wird gefolgert, dass der freie Wille nicht existiert, weil „das neuronale System, das den Inhalt des Erlebens konstruiert, ... um Bruchteile von Sekunden zu spät kommt“ (Cruse 2004, S. 31).185 In letzter Konsequenz würde dies aber bedeuten, dem Menschen mit der Unfreiheit seines Willens seine – auch strafrechtliche – Eigenverantwortung abzusprechen (vgl. Hagner 2004, S. 31). Nach einer anderen – und hier geteilten – Auffassung ist allein das subjektive Freiheitsbewusstsein, also das Gefühl, frei zu handeln, ausreichend, um Verantwortung zu begründen (s.a. Mechsner 2003, S. 84).

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Der individuelle Wahrnehmungsapparat steht vor dem Problem, aus der Vielzahl der möglichen Interpretationen der wahrgenommenen Sinnesdaten ein Bild der Wirklichkeit zu konstruieren, das für ‚wahr’ erachtet wird (vgl. Cruse 2004, S. 31).186 Informationsoder Erklärungslücken würden dabei durch „optische und kognitive Illusionen“ ausgefüllt. Möglicherweise ist auch die Vorstellung des freien Willens als ein solches Konstrukt zu verstehen.187 Der Wille ist mithin nicht dann frei, wenn er ohne jede Rückbindung entscheidet, sondern dann, wenn „er sich das Gesetz (Nomos) selbst gibt“ (Höffe 2004, S. 33). Das heiße auch, dass Willensfreiheit „[n]icht in einem Willensruck besteht ..., sondern in dem Umstand, daß der Wille keinem fremden, sondern dem eigenen Gesetz folgt“. Ein freier Wille zeige sich deshalb darin, auch dann Entscheidungen zu treffen, die diesen Rückbindungen, die Erziehung und Moral entsprechen, wenn starke Anreize entgegenstehen.188 Die Handlungen des Individuums sind also von seinen Werturteilen bestimmt. Dieser Bereich individueller Erfahrungen ist nicht vollständig zu rationalisieren 189, und gerade hier liegt die Bedeutung der Freiheit.190 Sie erlaubt dem Menschen „einen spezifisch persönlichen Blickwinkel, den wir gewöhnlich als Bewußtsein ... bezeichnen“ (Verycken 2003c, S. 6).191 Von Hayek ging deshalb davon aus, dass „Freiheit niemals ohne tiefwurzelnde Überzeugungen möglich ist“ und hat sie als „Artefakt der Zivilisation“ bezeichnet, um das Verständnis für ihren Wert zu schärfen (Streit 1995b, S. 180 f.) 192 Hume (1888, S. 103) versteht unter Freiheit „nur die Macht ... zu handeln oder nicht zu handeln, je nach dem Beschluß des Willens“. Dieser Wille ist Beschränkungen unterworfen, und die Freiheit dürfte in der Tat mehr sein als Zufall – auch wenn sie als Gegensatz der Notwendigkeit (und nicht des Zwangs) verstanden wird.193 Für Kant ist Willensfreiheit das Vermögen, unabhängig von naturgesetzlicher Kausalität selbst einen Zustand zu beginnen.194 Wenn auch Willensfreiheit in einem „starken“ Sinne nicht besteht, ist doch auch nach Kant der Wille bedingt frei, was erstens bedeutet, „daß ich als bewußter Akteur meine Handlungen letztendlich (trotz aller einschränkender Motive) verursache, und zweitens, daß ich unter identischen physikalisch-physiologischen Bedingungen auch anders handeln könnte ..., als ich es tue“ (Roth, G. 2004, S. 133).195 Freiheit besteht somit immer in der Perspektive des Einzelnen. Dabei sind durchaus verschiedene Grade der Willensfreiheit denkbar: Je umfassender der Wille vom Nachdenken geleitet wird, umso freier ist er (vgl. Mechsner (2003, S. 69). „[W]ie die Vernunft zeigt sich die Freiheit nur in konkreten menschlichen Vollzügen, in denen ein Individuum sich und seine Welt versteht“ (Gerhardt 2004, S. 124). Das moralische Gesetz, das nur in der ‚Brust’ des Individuums bestehe, sei gleichsam der Bezugspunkt aller Gesetze der praktischen Vernunft. Deshalb sei es nur dann sinnvoll, von ‚Freiheit’ (oder freien Entscheidungen) zu sprechen, wenn das Individuum ganz jenen inneren und äußeren Gesetzen unterworfen ist.196 Im Gegensatz zur Willensstärke, die eingangs beschrieben wurde, sei das Individuum bei dem Problem der Willensschwäche jenen Gesetzen offensichtlich nicht unterworfen: „Man handelt entgegen dem, wovon man, alles in allem, überzeugt ist, daß es das Beste wäre“ (Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 183).197 Ebenso dürfte in Situationen, in denen eine kognitive Dissonanz besteht, die Freiheit des Willens unterlaufen werden.

2. Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung

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Dies ist zumindest solange anzunehmen, bis die Dissonanz abgebaut ist, also vom Individuum nicht mehr empfunden wird. „Das Glück besteht nicht darin, dass du tun kannst, was du willst, sondern darin, dass du immer willst, was du tust“ (Leo Tolstoi).198 Zu wollen, was man nicht kann (d.h. darf!), führt zu inneren Spannungen, die jedenfalls dann zu einer Änderung des ‚Wollens’ führen, wenn die Ge- oder Verbote der Handelnsmaximen unumstößlich sind. Damit ist auch der Wille des Individuums der normativen Kraft dessen unterworfen, was seine Handelnsordnung prägt – unabhängig davon, ob bei (auch bedingt) freier Entscheidung diese Ordnung gewollt worden wäre oder nicht. Das Individuum strebt nach Vermeidung (oder Abbau) der inneren Spannungen, die es als Dissonanz empfindet. Dies ist Teil des Strebens nach Ausgeglichenheit neuronaler, hormoneller und emotionaler Zustände. Sie kann im Individuum jenes Gefühl des Wohlbefindens auslösen, das als ‚Glück’ bezeichnet wird. Ein Wille, der auf die Erreichung dieses Zustands gerichtet ist, kann nur insofern als frei gelten, als er sich das Ziel selbst gesetzt hat. Zwar ist wegen der dabei auftretenden Konflikte, die oben ausführlich dargestellt wurden, nicht auszuschließen, dass in der Konsequenz „[d]as Glück ... jedesmal auf der Strecke [bleibt]. Die Differenz besteht in der Instanz, welche den Verzicht fordert und durchsetzt: das autonome Ich oder der autokratische Staat“ (Waßner 1998, S. 98). Jeder Versuch des Staates, für das Glück der Individuen zu sorgen oder bestimmte Formen des Glücks auszuschließen, ist deshalb zum Scheitern verurteilt. Wo dies durch den Staat versucht wird, entsteht „der ärgste und drückendste Despotismus“ (W. v. Humboldt, zitiert nach Mandt 1998, S. 70).199 Nach Kant entsteht diese schlimmste Form des Despotismus dort, „wo die Untertanen wider ihren Willen glücklich zu sein gezwungen werden“ (vgl. Mandt 1998, S. 70; Hervorhebung T.W).200 Die Wirksamkeit des Staates in diesem Bestreben hängt von den angewandten Mitteln ab. Sie reichen von unmittelbarer Einwirkung durch Ge- und Verbote über dem Wohlstand verpflichtete Handelnsanweisungen bis zu direktem Einwirken ‚auf Kopf und Herz’, um die Neigungen der Individuen mit dem positiven Wohlstand in Übereinstimmung zu bringen: „Im ersten Falle bestimmt er [der Staat; T.W.] zunächst nur einzelne Handlungen, im zweiten schon mehr die ganze Handlungsweise und im dritten endlich Charakter und Denkungsart“ (von Humboldt 1947, S. 27). Daraus entstehen grundsätzliche Probleme für die Willensbildung und das Handeln der Individuen, denn „durch eine zu ausgedehnte Sorgfalt des Staates [leiden] die Energie des Handelns ... und der moralische Charakter. ... Wer oft und viel geleitet wird, kommt leicht dahin, den Ueberrest seiner Selbsttätigkeit gleichsam freiwillig zu opfern“ (von Humboldt 1947, S. 31).201 Deshalb müsse sich der Staat „aller Sorgfalt für den positiven Wohlstand der Bürger [enthalten] und ... keinen Schritt weiter [gehen], als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist; zu keinem anderen Endzwecke beschränke er ihre Freiheit“ (von Humboldt 1947, S. 45).202 Die Freiheit des Willens ist folglich nicht nur abhängig von Gründen, die im Individuum selbst liegen, sondern auch von solchen, die in seiner Umwelt und insbesondere in der Art und im Umfang des Wirkens des Staates liegen. Beide sind, wie die vorangehende ausführliche Annäherung gezeigt hat, untrennbar miteinander verbunden.203

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2.3.

Zwischenfazit

In Kapitel 2 wurden der Zusammenhang von Regeln und Institutionen und deren Bedeutung für menschliches Handeln dargestellt. Dazu wurde zunächst auf die Transformation von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen eingegangen, wie sie sich seit fast zwei Jahrzehnten in Russland vollzieht. Wandel und Wechsel von Institutionen wurden zunächst im Bereich der formalen Regelebene (Gesetze) beschrieben. Nach einer kurzen Darstellung der verschiedenen Arten von Wirtschaftsordnungen wurden die Prinzipien einer freien Wettbewerbsordnung vorgestellt, wie sie von Eucken (1952/1990) entworfen worden sind. Die makroökonomischen Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung, die als ‚Washington Consensus’ bekannt wurden, sind in der Literatur weithin rezipiert und unter Ökonomen vielfach unumstritten. Ihre Einführung in den Transformationsgesellschaften Mittel- und Osteuropas war denn auch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zügig in Angriff genommen und recht umfassend vollzogen worden. Das gilt auch für Russland, das eine Reihe von Gesetzen aus Westeuropa oder den USA entlehnt hat. Gleichwohl sind erhebliche Defizite in der Rechtswirklichkeit Russlands festzustellen, die sich nur sehr begrenzt auf eine mangelhafte oder unvollkommene Übernahme der westlichen Rechtsnormen zurückführen lassen. Wenn in West- und Osteuropa die gleichen formalen Regeln eine unterschiedliche Ausfüllung erfahren, sie mithin ihre Wirkung nicht überall mit der gleichen Effizienz entfalten können, liegt es nahe, die Ursache hierfür im Bereich der informalen Regeln zu suchen. Dies geschah im zweiten Abschnitt des Kapitels. Hier wurden der Institutionenbegriff spezifiziert und einige Ansätze zur Klassifizierung von Institutionen vorgestellt. Sie stammen zumeist aus jüngerer Zeit und sind Teil der „Neuen Institutionenökonomik“. Die bis hierhin untersuchten Fragen gehörten zum Problemfeld der Wahl von Regeln (Choice of rules), danach folgte die Betrachtung des Handelns innerhalb bestehender Regelsysteme (choice within rules). Der dritte Abschnitt des Kapitels beschäftigte sich mit dem Individuum, mit seiner Wahrnehmung und seinem Handeln, weil der individuellen Wahrnehmung im institutionellen Gefüge eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Art und Weise zukommt, wie Institutionen das menschliche Handeln in Politik, Staat und Wirtschaft beeinflussen. Hier stand die Frage im Mittelpunkt, wodurch die Wahrnehmung des Individuums beeinflusst und letztlich sein Handeln bestimmt wird. Dabei waren zunächst ausführlich die Faktoren individueller Prägung wie die Gene, Erziehung und Bildung darzustellen, um dann auf die Wahrnehmung einzugehen. Die Ausführlichkeit, mit der dies geschah, schien aus verschiedenen Gründen geboten zu sein: Zunächst erforderte eine nicht unmittelbar der ökonomischen Theorie entstammende Sichtweise eine Erläuterung, um die gemeinsamen Berührungspunkte besser herausstellen und für die Analyse fruchtbar machen zu können. Sie schien weiterhin geboten, um das Handeln des Individuums, das nach den zuvor dargestellten Ansätzen innerhalb des bestehenden Rechtsrahmens (within rules) erfolgt, besser erklären zu können. Dabei waren jene Bestimmungsgrößen breiter darzustellen, durch die Wahrnehmung und Handeln des Individuums beeinflusst werden. Besonders zu berücksichtigen waren die menschliche Präferenzbildung (Motivation) und die Informationsverarbeitung (Kognition). In ihnen werden wesentliche Einflussgrößen für

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individuelle Entscheidungen vermutet. Letztlich dürfte es auch in der ökonomischen Theorie kaum möglich sein, Verhaltensannahmen zu treffen, ohne diesen Zusammenhang angemessen zu berücksichtigen. Die Darstellung dieser Probleme hat eine Vielzahl möglicher Konflikte aufgezeigt, die zu einem weniger effizienten Funktionieren der neu übernommenen formalen Regeln (Institutionen) führen können. Zusammenfassend seien folgende Punkte genannt:  Im „alten“ Denken verhaftete und / oder von der Gestaltungsfähigkeit des Staates überzeugte politische Akteure neigen, insbesondere bei einer unklaren oder von ihnen und in Teilen der Gesellschaft nicht anerkannten Zielsetzung des Transformationsprozesses, zu interventionistischen Maßnahmen, die – auch wider Willen – zurück in die Zentralverwaltungswirtschaft führen können (Böhm 1950).  Durch die Entwertung des spezifischen Wissens im Umgang mit den bisher praktizierten Regeln entsteht eine erhöhte existentielle Unsicherheit. Um sie zu vermeiden, können Individuen an der Weitergeltung bestehender Regeln interessiert sein.  Konflikte zwischen alten und neuen Regeln können bei den Individuen zu einem Gefühl der Dissonanz führen. Dieses wird nach Möglichkeit vermieden, so durch selektive Wahrnehmung von Informationen, beispielsweise durch Ignorieren von Vorteilen, die mit neuen Regeln verbunden sind.  Das Problem der Dissonanz wird verschärft, wenn das Individuum keine soziale Unterstützung erfährt. Mangelnder sozialer Rückhalt kann dazu führen, dass der neuen Ordnung gegenüber prinzipiell positiv eingestellte Individuen der ehemaligen Ordnung weiter oder wieder den Vorrang geben.  Starke Sanktionsmechanismen (Strafen) der alten Regeln können zu einem Verlust der Eigenverantwortung für das Handeln sowie zu einer Erosion der Wertebasis führen mit der Folge, dass neu entstandene Freiheiten nicht nur ein Gefühl der Unsicherheit erzeugen, sondern auch zu einer sittlichen Entgrenzung des Handelns führen. Die aufgezeigten Probleme stellen sich umso schärfer, je stärker informale Regeln internalisiert sind, d.h. je stärker die intrinsische Motivation des Individuums ist, ihnen gemäß zu handeln (‚ich will’), weil dann der Konflikt zu entgegenstehenden formalen Regeln am größten ist. Internalisierte informale Institutionen sind, wie gezeigt wurde, anders als formale und nicht internalisierte informale Institutionen nicht als Restriktionen, sondern als Präferenzen aufzufassen. Aus einer Handlung, die diesen Präferenzen folgt, kann ein Individuum Nutzen ziehen. Wenn die Handlung (z.B. die Befolgung einer Regel um ihrer selbst willen) einen Nutzen stiftet, handelt das Individuum wertrational. Daraus können Konflikte zu anderen Verhaltensweisen, insbesondere zur Zweckrationalität, erwachsen (Weber, M. 1964a; 1964b). Abschließend war auf die Bedeutung des freien Willens im Zusammenhang mit der Wahrnehmung und dem Handeln des Individuums einzugehen. Im Verständnis dieser Arbeit besteht die Freiheit des Willens weder in einer unbedingten Freiheit des Vorstellbaren noch als reines Konstrukt: Willensfreiheit zeigt sich darin, auch in Situationen konfligie-

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Russlands Sonderweg der Transformation

render institutioneller Handelnsanweisungen eine Entscheidung zu treffen, die moralischen Rückbindungen entspricht, obwohl das Individuum auch anders hätte handeln können. Willensfreiheit ist nicht nur von Gründen abhängig, die im Individuum selbst liegen, sondern ebenso von solchen, die in Art und Umfang des Wirkens des Staates liegen. Beide gehören untrennbar zusammen, und je höher der Anspruch staatlichen Handelns zum Eingriff in individuelle Belange ist, desto weniger Freiheit bleibt dem Individuum, seinen Bedürfnissen und Präferenzen gemäß zu handeln. Diese Ergebnisse gilt es im Folgenden um weitere theoretische Aspekte zu ergänzen, die einen zusätzlichen Blick auf die Besonderheiten der russischen Oligarchie ermöglichen und zusammen ein noch breiteres theoretisches Fundament für die Erklärung bilden. Danach werden die Gegebenheiten in Russland einschließlich des staatlichen Handelns zu untersuchen sein.

3. Soziales Kapital, Interessen und Umwelt

3.

Soziales Kapital, Interessen und Umwelt

3.1.

Sozialkapital und Gruppeninteressen

3.1.1.

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Das soziale Kapital

3.1.1.1. Begriff und Bedeutung Das folgende Kapitel ergänzt die bisherigen Erkenntnisse um weitere Ansätze. Damit soll ein noch breiteres theoretisches Fundament für die Erklärung des russischen Sonderwegs der Transformation gewonnen werden. Zunächst wird auf einen Sachverhalt eingegangen, der in der Soziologie mit dem Begriff „Sozialkapital“ bezeichnet wird. Auf die Folgen der historischen Entwicklung für den Aufbau von Sozialkapital in Russland wird dann in Kapitel 4 eingegangen. Im Folgenden geht es um diejenigen Aspekte, die die Aussagen des vorangehenden Kapitels aufgreifen. Die Aussagen sollen mit dem Ziel ergänzt werden, durch eine erweiterte Analyse ein besseres Verständnis für das Entstehen von Vertrauen zwischen Individuen als Basis jeglicher Interaktion zu schaffen. Davon, so wird hier angenommen, hängen letztlich die verhaltensbestimmenden informalen Normen für die ökonomische und soziale Entwicklung ab. Diese Normen (Regeln) können als entscheidend für die Höhe und den Wandel der Transaktionskosten angesehen werden, die bei menschlicher Interaktion anfallen (siehe dazu etwa Habermann 2002, S. 172). Freilich bezeichnet etwa Fukuyama nur diejenigen Regeln als ‚Institutionen’, die in der Systematisierung in Kapitel 2 ‚formale Institutionen’ genannt wurden. Den Bereich der informalen Institutionen umschreibt er mit ‚Zivilgesellschaft’ und ‚Kultur’ oder mit der Sammelbezeichnung „Sozialkapital“ (vgl. Fukuyama 1995a, S. 7 f.).1 Konzeptionell kann darin ein Analogon zur institutionentheoretischen Betrachtung des vorherigen Kapitels gesehen werden; denn der Erkenntnisgegenstand mit dem handlungsleitenden Potential bestehender Regeln ist der gleiche – auch wenn die Sicht auf das Problem (teilweise) eine andere (soziologische) ist. Ausgehend von kurzen Erklärungen zur Herkunft und Fortentwicklung dieser Kategorie, werden anschließend mit der positiven und der negativen Dimension des sozialen Kapitals zwei gegensätzliche Ausprägungen betrachtet.2 Coleman (1988) verwendet ‚Sozialkapital’ im Zusammenhang mit Bildung (siehe Stiglitz 2000, S. 59); vor ihm wurde bereits 1916 von Lyda J. Hanifan dieser Zusammenhang hergestellt. In den 1980er Jahren nahmen verschiedene Autoren darauf Bezug (vgl. Fukuyama 2000, S. 36). A. de Tocqueville äußerte sich der Sache nach ähnlich, auch schon Aristoteles, Thomas von Aquin oder Edmund Burke (vgl. Fukuyama 2000, S. 36; Bowles und Gintis 2003, S. 73).3 Vor diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund hat der Begriff ‚Sozialkapital‘ eine breite Rezeption und Diskussion in der sozialwissenschaftlichen Literatur gefunden.4 Weitgehend übereinstimmend wird er auf den Bereich der informalen Werte und Normen von – vorrangig – kleineren Gruppen bezogen, während mit ‚Zivilgesellschaft’ ein großgesellschaftlicher Bezug in Verbindung gebracht wird (vgl. Fukuyama 1999, S. 1 f.; Leipold 2003, S. 94). Demzufolge erfordert Sozialkapital keine Zivilgesellschaft, umgekehrt kann eine Zivilgesellschaft nicht ohne Sozialkapital entstehen. Eine Zivilgesellschaft wiederum ist Voraussetzung für eine funktionsfähige Demokratie.5

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Russlands Sonderweg der Transformation

Im Sozialkapital manifestiert sich die Fähigkeit einer Gruppe von Individuen oder einer (Groß)Gesellschaft, von einer gemeinsamen Vertrauensbasis aus Austauschbeziehungen zu ermöglichen. Ähnlich dem Humankapital6 kann es als ein Vermögen in zweifacher Hinsicht verstanden werden: Zum einen spiegeln die bestehenden Regeln (Institutionen) das Ausmaß des in ihnen akkumulierten wechselseitigen Vertrauens7 aus der Vergangenheit wider (quantitativer Aspekt); zum anderen können sie als die Fähigkeit gesehen werden, jenes Vertrauen zu schaffen, das in Gegenwart und Zukunft für das Zustandekommen wohlstandsmehrender Interaktionen und Tauschhandlungen erforderlich ist (qualitativer Aspekt) (s. dazu Putnam 1995, S. 67). Allerdings stellt Fukuyama (2000, S. 32) fest: Gemeinsame Werte und Normen sind noch nicht hinreichend für das Entstehen von Sozialkapital, „denn es können auch die falschen Werte [etwa die krimineller Organisationen; T.W.] sein“. Deshalb kann freiwillige Solidarität (mit dem Gegenstück staatlich erzwungener Solidarität) allein kein Merkmal von Sozialkapital sein, da die Ausprägungen freiwilliger Solidarität auch kriminelle Gruppen kennzeichnen können. Die Unterscheidung zwischen einer quantitativen Ebene (akkumuliertes wechselseitiges Vertrauen aus der Vergangenheit) und einer qualitativen Ebene (Fähigkeit, auch heute und morgen Vertrauen zu bewahren, das für das Zustandekommen wohlstandsmehrender Interaktionen und Tauschhandlungen erforderlich ist) kann hilfreich sein, um zu erkennen, dass in gesellschaftlichen Umbruchsituationen (Transformation in Osteuropa und Russland) bestehende Regeln ihre ordnende Kraft verlieren können und mithin das Sozialkapital (zumindest teilweise) entwertet werden kann (vgl. Putnam 2001, S. 779).8 Darüber hinaus wird hier eine zweite Dimension des Sozialkapitals deutlich: Als Folge der Anpassung der Individuen an bestimmte Regelsysteme kann es mit diesen Regeln verlorengehen (allerdings auch wieder neu entstehen). Während die funktionale Sichtweise, also die Senkung der Transaktionskosten durch Reduzierung der Unsicherheit in Form von Vertrauensbildung, recht gut nachvollziehbar ist, bestehen bei der inhaltlichen Ausfüllung erhebliche Probleme.9 Die Ursache ist vor allem darin zu sehen, dass der Begriff Sozialkapital in verschiedenen Forschungsdisziplinen unterschiedlich verwendet wird (vgl. Lageman 2001, S. 73).10 Darüber hinaus ist die Abgrenzung zu anderen Begriffen wie ‚Zivilgesellschaft’, ‚Bürgergesellschaft’ oder ‚Kultur’ oft unklar, was letztlich aber auch das Problem mangelnder inhaltlicher Schärfe dieser Begriffe widerspiegelt.11 Neben Pfadabhängigkeiten sind für das Entstehen des Sozialkapitals jene Quellen von Bedeutung, die im vorhergehenden Kapitel als Ursprünge moralischen Verhaltens dargestellt wurden.12 Die positiven (oder negativen) externen Effekte des Sozialkapitals können formal wie öffentliche Güter betrachtet werden. Der Charakter der Produktion des Sozialkapitals, auf den es hier ankommt, kann indes kein öffentlicher, sondern nur ein privater zwischen Individuen sein. Sozialkapital ist aber auch keine „persönliche private Ressource“ wie die anderen Kapitalarten (so Human- oder Sachkapital), weil „es nicht unabhängig von anderen Personen erworben oder genutzt werden kann“ (Haug 1997, S. 10). Deshalb wird in dieser Arbeit Sozialkapital als ein privates Gut aufgefasst, das aus der Interaktion von zwei oder mehr Individuen entsteht.13 Es ist wichtig hervorzuheben, dass diese Interaktionen nicht dem Muster des Koordinationsspiels folgen müssen, bei dem die Individuen übereinstimmende Handelnsanreize haben. Vielmehr können dies –

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und werden in der Realität in aller Regel auch – Dilemmasituationen sein, die dem wiederholten Gefangenendilemmaspiel (mit Anreizen zur Defektion) entsprechen (vgl. Fukuyama 1999, S. 9). Daraus wird zweierlei deutlich: Erstens wird die im vorhergehenden Kapitel getroffene Aussage gestützt, dass gleichzeitig mit der Interaktion von Individuen auch Vertrauen entsteht (s. Abschnitt 2.2.3.3.). Daneben ist in kleineren Gruppen regelmäßig mehr Vertrauen (Sozialkapital) zu erwarten als in größeren, weil umso mehr Vertrauen entsteht, je öfter freiwillige Interaktionen zwischen Individuen stattfinden (vgl. Fukuyama 2000, S. 283 f.).14 Dies dürfte noch umso mehr gelten, je größer die Umlenkungseffekte sind, die zu Lasten der Nichtmitglieder (Outsider) entstehen. Daraus folgt aber auch, dass Sozialkapital nicht in beliebigem Umfang oder in vorherbestimmter Zeit geschaffen oder verändert werden kann. Insbesondere kann es nicht zielgerichtet und bewusst „konstruiert“ werden. Allenfalls lassen sich Maßnahmen qualifizieren, die seiner Entstehung förderlich bzw. hinderlich sind. Diese liegen weitgehend außerhalb der Kontrolle politischer Akteure, die aber beispielsweise durch Bildung, durch die effiziente Bereitstellung öffentlicher Güter, durch freiheitssichernde und freiwilliges individuelles Handeln stärkende institutionelle Arrangements oder die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements15 versuchen könnten, das Entstehen von Sozialkapital zu fördern. Freilich könnten insbesondere politische Akteure (durchaus unbewusst) auch den Verlust von Sozialkapital bewirken, wenn sie staatliches Handeln in alle Bereiche individuellen Lebens ausdehnen und so die Eigenverantwortung der Individuen untergraben (vgl. Fukuyama 1999, S. 341 f.).16 Darüber hinaus könnten insbesondere autoritäre oder totalitäre Regime durch die Zerstörung persönlicher Bindungen oder die Schaffung gegenseitigen Misstrauens gezielt versuchen, die Bildung von Sozialkapital zu erschweren, um ihre Macht zu sichern. Fukuyama (1999, S. 11) nennt als Beispiel hierfür die Sowjetunion nach der bolschewistischen Revolution, in der horizontale Bindungen zwischen den Individuen zugunsten vertikaler Bindungen zwischen der Partei oder dem Staat und den Individuen ersetzt werden sollten. Als Schwäche des Konzepts gilt die bereits angesprochene Uneinigkeit in der Frage, wie Sozialkapital zu messen ist. Fukuyama (1999, S. 6 ff.) unterscheidet zwei grundsätzlich verschiedene Methoden, die Zählung von Gruppen und Gruppenmitgliedschaften sowie die Sammlung von Daten über Vertrauen und gesellschaftliches Engagement.17 Neben diese stellt er ergänzend einen dritten Ansatz, der den Blick auf das Sozialkapital in Unternehmen richtet. Danach umfasst Sozialkapital die Summe tangibler und intangibler Vermögenswerte. Mögen diese auch nicht quantifizierbar sein, so ändert das nichts am Wirkungspotential.18 Von der Sicht eines Unternehmens geht auch Hofstede aus und versucht, Kultur19 anhand von vier Dimensionen zu erfassen.20 Er unterscheidet einen Maskulinitäts-, Unsicherheitsvermeidungs-, Individualismus- und einen Machtdistanzindex.21 Deren Ausprägungen untersucht er anhand verschiedener Kriterien.22 Besonders hervorzuheben sind der Machtdistanz- und der Individualismusindex, weil vor allem sie für die in dieser Arbeit untersuchte Fragestellung wichtige Anhaltspunkte liefern. Bei diesen Indizes geht es darum, wie autoritär eine Gesellschaft (Machtdistanz) und wie individualistisch (Individualismusindex) sie organisiert ist. Ebenfalls hervorzuheben ist die Bedeutung, die Hof-

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stede den Bereichen zumisst, in denen er seine Indizes untersucht hat. Sie sind nur zusammen denkbar und zeigen deutlich, dass das Individuum als ein ganzheitliches verstanden werden muss, weil Verhaltensweisen am Arbeitsplatz und Ausprägungen des Staatswesens wie auch individuelle Anpassungen an dieselben nicht losgelöst denkbar sind von der Prägung durch Familie und Schule.23 Auch müssen diese vor dem Hintergrund geschichtlicher Entwicklungen, von Traditionen und von geographischen Besonderheiten gesehen werden.24 In einer Gesellschaft mit großer Machtdistanz, besonders in autokratischen Systemen, werden Unterschiede in den Rechten der Individuen als selbstverständlich hingenommen: Macht wird von den Individuen als eine fundamentale gesellschaftliche Gegebenheit betrachtet und geht vor Recht (vgl. Hofstede 1997, S. 47). Mit Macht sind Privilegien für die in der Hierarchie übergeordneten Individuen verbunden, und die Menschen erwarten, dass die Mächtigen in legitimierter oder nicht legitimierter Weise nach ihnen streben und diese für sich sichern. Bemerkenswert ist Hofstedes Feststellung, dass „das Bedürfnis des Menschen nach Abhängigkeit [auf diese Art] befriedigt“ wird (Hofstede 1997, S. 47), weil es sowohl den Mächtigen als auch den anderen Individuen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt.25 Das Idealbild des Vorgesetzten ist ein „wohlwollender Autokrat“ (vgl. Hofstede 1997, S. 44), der davon ausgehen kann, dass die Individuen in Kollektiven das höchste handlungsleitende Potential sehen, in denen sie ihre Interessen am besten aufgehoben meinen. Bei dieser Handlungsorientierung liegt es nahe, im Staat den Wirtschaftslenker zu sehen.26 Je kollektivistischer eine Gesellschaft geprägt ist, desto stärker sinkt die Pressefreiheit und „desto mehr formelle politische Macht wird gut organisierten Interessengruppen zugestanden, und je größer die Machtdistanz, desto kleiner ist die Anzahl solcher Gruppen“ (Hofstede 1997, S. 93). Als Beispiel für eine kollektivistische Gesellschaft führt Hofstede Russland an (vgl. Hofstede 1997, S. 91).27 Beim Machtdistanzindex belegt Russland Platz 6 von 74 Ländern und weist damit eine sehr hohe Machtdistanz aus (vgl. Hofstede, G. und Hofstede, G. J. 2005, S. 43). Hierin liegt eine Tendenz zur „Oligarchisierung“ begründet. Aus dem Gesagten sowie aus der eingangs getroffenen Unterscheidung zwischen ‚Sozialkapital’ (kleinere Gruppen) und ‚Zivilgesellschaft’ (gesamtgesellschaftlich) wird noch einmal deutlich, dass der Begriff Sozialkapital neben einer positiven und wünschenswerten Dimension auch eine unerwünschte, weil gesamtgesellschaftlich negative Dimension haben kann: In Großgesellschaften könnten innerhalb relativ kleiner, abgegrenzter Gruppen Netzwerke wechselseitigen Vertrauens dazu benutzt werden, Arrangements zu Lasten der ‚Outsider’, also derjenigen zu treffen, die der Gruppe nicht angehören und keinen Zugang zu ihr oder zu den durch sie generierten Erträgen (Renten) haben.28 Die Unterscheidung einer „positiven“ und einer „negativen“ Dimension des Sozialkapitals ist ein wesentlicher Vorzug dieser Betrachtung. Im Folgenden soll auf beide Arten näher eingegangen werden, um auf dieser Basis später die in Russland beobachtbaren Ausprägungen einordnen zu können. 3.1.1.2. Die positive Dimension des Sozialkapitals: „Putnam-Gruppen“ Als positiv gilt Sozialkapital, wenn es mit seiner Hilfe gelingt, das zwischen den Individuen notwendige Vertrauen als Grundlage für wohlstandsfördernde wechselseitige

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(Tausch)Handlungen zu erzeugen. Mithin können die Anreize zu opportunistischem Verhalten (machtbedingte Rentensuche, Betrug, Regelbruch usw.) reduziert werden (vgl. Putnam 1995, S. 67; Putnam und Goss 2001, S. 21 f.). Hierin sieht Putnam (1995) die Funktion und den Nutzen des Sozialkapitals für eine Gesellschaft.29 Deshalb seien die Gruppen, denen dies gelingt, als „Putnam-Gruppen“ bezeichnet. Von der Vielzahl verschiedener Gruppen und Netzwerke erzeugen diejenigen das „beste“ Sozialkapital, die horizontal organisiert sind und bei denen das Ergebnis ihrer Aktivitäten nicht nur den eigenen Mitgliedern zugutekommt, sondern auch Externe begünstigt (vgl. Offe und Fuchs 2001, S. 433).30 Dieses Sozialkapital wird als „brückenbildendes“ Sozialkapital bezeichnet (vgl. Putnam und Goss 2001, S. 28-40). Ein besonderes Qualitätsmerkmal des Sozialkapitals ist seine Fähigkeit, gesellschaftliche Dilemmasituationen zu vermeiden oder aufzulösen (vgl. Putnam und Goss 2001, S. 29). Die bereits angesprochene ambivalente Rolle des Staates im Hinblick auf das Sozialkapital legt den Schluss nahe, dass sich in einer Gesellschaft Sozialkapital dann vorteilhaft entwickeln kann, wenn das Staatswesen freiheitlich, demokratisch und nicht autoritär organisiert ist.31 Versucht der Staat, beispielsweise aus ideologischen Motiven, durch gezielte Maßnahmen die Herausbildung einer ganz bestimmten Art von Sozialkapital zu steuern, ist die Entstehung von Sozialkapital nicht zu erwarten. Das Bewusstsein staatlicher Verantwortungsträger für das (all)gemeine Wohl droht dabei verloren zu gehen, weil die Präferenzen der Menschen – soweit sie überhaupt bekannt sind – keine hinreichende Berücksichtigung finden. Auch dürfte staatlich erzwungene Solidarität den ideellen und finanziellen Handlungsspielraum der Individuen soweit einschränken, dass freiwillige Solidarität zwischen ihnen schwerer entstehen oder expandieren kann. Mit der Entstehung von Sozialkapital ist gerade dann zu rechnen, wenn sich der Staat nicht in die Belange der Individuen drängt, weil sonst Eigenverantwortung und individuelles Engagement erodieren würden (vgl. Putnam 1995, S. 65). Sozialkapital kann ein positiver externer Effekt mit dem Charakter eines öffentlichen Gutes sein, der durch das freiwillige Handeln von Individuen (auch) für andere in einem privaten Herstellungsprozess zwischen Individuen entsteht (vgl. Putnam und Goss 2001, S. 21). Schon deshalb verlangt das Konzept des Sozialkapitals eine Beschränkung des Staatshandelns auf eine freiheitssichernde Wirtschaftsordnungspolitik ebenso wie das Schaffen von Freiräumen für eigenverantwortliches individuelles Handeln. In Gesellschaften mit einem hohen Sozialkapital ist diese Forderung zweifellos erfüllt und Grundbedingung für den Fortbestand einer freiheitlichen Ordnung.32 Auch in dieser Sichtweise setzen die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen freien Willensentscheidungen der Individuen also eine freiheitliche Verfasstheit des Staates und seiner Rechtswirklichkeit voraus. 3.1.1.3. Die negative Dimension des Sozialkapitals: „Olson-Gruppen“ Im Gegensatz dazu ist die negative Dimension des Sozialkapitals dadurch gekennzeichnet, dass es in Form von Vertrauensnetzwerken nur in kleinen exklusiven Gruppen besteht, dass Außenstehende (‚Outsider’) keinen Zugang erhalten und dass ein Austausch zwischen den Gruppen weder vorgesehen noch möglich ist. Darüber hinaus können auf illegitimer Macht oder Autorität basierende hierarchische (vertikale) Netzwerke negative

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externe Effekte für die Gesellschaft erzeugen.33 Solche Gruppen seien als „Olson-Gruppen“ bezeichnet, weil die negativen Effekte denen der im Konzept der Rentensuche beschriebenen vergleichbar sind (s.a. Olson 1968).34 Eine negative Konsequenz kann sich bereits aus dem Mangel an Sozialkapital ergeben: Nicht hinreichend oder in nicht hinreichend guter Qualität vorhandenes Sozialkapital (etwa aufgrund institutioneller Mängel oder der Entwertung durch institutionellen Wandel) kann dazu führen, dass (Tausch)Handlungen zwischen Individuen unterbleiben oder zumindest mit der Folge gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrtseinbußen verteuert werden. Als nächste Stufe kann die Entstehung von Gruppen35 gesehen werden, innerhalb derer jenes Vertrauen generiert wird, das sonst in einer Gesellschaft nicht vorhanden ist. Allerdings steht der Nutzen dieser Netzwerke exklusiv den Mitgliedern zur Verfügung und Außenstehende sind davon ausgeschlossen.36 Als Beispiel können Lobby- oder andere Interessengruppen gelten, deren Vertrauensradius auf die Mitglieder bzw. auf den Kreis der in die Aktivitäten einbezogenen Individuen beschränkt bleibt.37 Lobbying-Aktivitäten können – insbesondere bei Anfälligkeit des staatlich-bürokratischen Systems – negative externe Effekte zu Lasten der Gesellschaft verursachen (wie einen gesellschaftlichen Wohlfahrtsverlust, monetäre und nichtmonetäre Kosten oder eine Lähmung der Wachstumskräfte). Dann kommt zum Fehlen positiver die Existenz negativer Effekte hinzu. Letztere sind umso stärker, je unbeschränkter die sie verursachenden Handlungen betrieben werden können. Dies ist vor allem davon abhängig, ob hinreichende Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten herrschen. Sowohl kriminelle Strukturen der Netzwerke als auch Unvollkommenheiten des Staates, wie Anfälligkeit für Korruption, autoritäre staatliche Machtstrukturen, ausufernde und kaum kontrollierbare Bürokratien oder eine weitreichende Regulierungsanmaßung des Staates können in hohem Maße zur Verstärkung der negativen Effekte beitragen. Kriminelle Vereinigungen wie mafiaähnliche Strukturen und Korruption sind die auffälligsten Symptome gesellschaftlich schädlicher hierarchischer Vertrauensbeziehungen (vgl. Fukuyama 2000, S. 34 f.; ebenso Panther 1998, S. 218). Das innerhalb solcher Gruppen generierte Vertrauen basiert vor allem auf Abhängigkeit und Unterordnung, wodurch die Freiwilligkeit des Handelns erheblich eingeschränkt wird. Das gilt selbst dann, wenn das Abhängigkeitsverhältnis freiwillig eingegangen wurde. Der herrschende Konformitätsdruck führt zum Verlust individueller Freiheit (vgl. Deindl 2005, S. 4). Innerhalb der Gruppen können autoritäre Strukturen mithin ebenso negative Konsequenzen verursachen, wie es auf gesellschaftlicher Ebene totalitäre Staaten durch die Zerstörung horizontaler Netzwerke und die umfassende Kontrolle der Bevölkerung vermögen. Die gezielte Zerstörung der zivilen Gesellschaft durch den totalitären Staat geschah in der Sowjetunion nach 1917 (vgl. Fukuyama 1992, S. 56 f.; 1999, S. 11). Die Nachwirkungen sind bis heute sichtbar. Deshalb gehört es zu den wichtigsten Voraussetzungen für eine Zivilgesellschaft, „für institutionelle Bedingungen Sorge zu tragen, welche die Erzielung machtbedingter Statusrenten einschließlich individueller Defektionsrenten möglichst verhindern“ und somit ermöglichen, dass „sich generalisiertes Vertrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbreiten kann“ (Leipold 2003, S. 93).

3. Soziales Kapital, Interessen und Umwelt

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Nicht nur das Vorhandensein krimineller oder das Fehlen horizontaler Vertrauensnetzwerke (vgl. Fukuyama 2000, S. 41) kann sich als problematisch für die Bildung von Vertrauen und damit letztlich für die wirtschaftliche Entwicklung erweisen. Auch die Ausdehnung staatlichen Handelns zu Lasten der individuellen Eigenverantwortung der Bürger hat negative Folgen: Der Wohlfahrtsstaat zerstört das soziale Kapital (vgl. Haug 1997, S. 24; Fukuyama 2000, S. 341 f.; ähnlich auch Leipold 2003, S. 105), weil er Initiative und Leistungsbereitschaft des Individuums unterhöhlt. Dieses Problem verstärkt sich besonders in den Ländern, die bei der Transformation zu einer Marktwirtschaft auf dem Weg von einer rentensuchenden (und aufgrund der institutionellen Mängel verbreitet auch -findenden) zu einer leistungsorientierten Gesellschaft noch nicht allzu weit fortgeschritten sind (vgl. Eger 2000, S. 33). Neuen marktwirtschaftlichen Ordnungsbedingungen stehen Institutionen gegenüber, die den notwendigen Gleichlauf erschweren. Da ein Gleichlauf weder ohne weiteres möglich noch eine Anpassung an die neuen Ordnungsbedingungen politisch von den Herrschenden gewollt ist, können die Voraussetzungen für eine marktwirtschaftliche Entwicklung nicht als hilfreich bezeichnet werden. Wahrscheinlich erscheint daher ein „Dritter Weg“, der mehr oder weniger stark dem bisherigen Entwicklungspfad verhaftet ist. 3.1.2.

Die Macht der Gruppen38

3.1.2.1. Rentensuche und der Einfluss von Interessengruppen Unter Interessengruppen39 werden jene rentensuchenden Vereinigungen verstanden, denen es gelingt, im politischen Prozess Vorteile zu Lasten der Allgemeinheit durchzusetzen (vgl. von Hayek 2003, S. 156). Dies ist vor allem kleinen und weitgehend homogenen Gruppen möglich, weil sich diese leichter organisieren lassen als große, von einer Vielzahl verschiedener Interessen geprägte Gruppen (vgl. Olson 2002, S. 79; von Hayek 2003, S. 395 f.). Auch nehmen die Vorteile für den Einzelnen mit steigender Gruppengröße ab, so dass die Anreize zur Beteiligung sinken (vgl. Olson 1991, S. 39 f.).40 Als ‚Rente’ wird eine Auszahlung bezeichnet, die ein Ressourcenbesitzer über den Wert der zweitbesten Verwendungsmöglichkeit erhält (vgl. Tollison 1982, S. 577). Dies ist dann problematisch, wenn die Generierung der Rente nicht auf produktivem Verhalten, sondern auf Macht, Status oder Regelmissachtung beruht, weil dadurch gesamtgesellschaftlich negative Folgen entstehen.41 Die Art und Weise sowie die Folgen des Handelns der Gruppen, die Rentensuche betreiben, hat Olson (1991; 2004) beschrieben. Die Kernaussagen lassen sich (vereinfacht) folgendermaßen zusammenfassen: In etablierten Demokratien werden sich Gruppen zusammenfinden, die, je homogener und je besser von anderen abgrenzbar ihre Interessen sind, um so effektiver bei den Politikern Privilegien für sich durchzusetzen versuchen. Diese Handlung wird als Rent Seeking bezeichnet. Das Ergebnis, die Rente, fällt als ein unproduktives, machtbedingtes Einkommen denjenigen zu, die im Wettbewerb mit anderen Partikularinteressen obsiegt haben.42 Dies geschieht stets zu Lasten der heterogenen oder aufgrund der Gruppengröße schwer organisierbaren Interessen der Mehrheit einer Gesellschaft. Über die Zeit führt die zunehmende Erpressung des Staates durch Partikularinteressen zu wachsender Korruption, Fehlallokation, Ineffizienz, Folgeinterventionen

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des Staates, privater und staatlicher Machtkonzentration und letztlich zum Niedergang der wirtschaftlichen Dynamik.43 Allerdings ergeben sich einige Besonderheiten daraus, dass sich das in dieser Arbeit herrschende Erkenntnisinteresse nicht auf eine etablierte Demokratie, sondern auf eine Gesellschaft richtet, die die Systemtransformation hin zu einer freiheitlichen und marktwirtschaftlichen Ordnung bei weitem noch nicht vollendet hat. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Rahmen dieses Prozesses eine Reihe neuer Rechtsnormen etabliert werden musste, einschließlich der Vorschriften zu ihrer Umsetzung und Ausführung. Des Weiteren erfordert die Transformation die Abkehr von einer bisher rentensuchenden und die Hinwendung zu einer leistungsorientierten Wirtschaftsordnung.44 Verbunden mit den Unvollkommenheiten des Staates, die in einer noch nicht gefestigten (etablierten) Demokratie zu erwarten sind, lässt sich eine erhebliche Verstärkung des Rent Seeking-Problems vermuten. In etablierten Demokratien mit funktionierender Gewaltenteilung, Parteienwettbewerb, Freiheit der Medien usw. sind Interessengruppen ein Machtzentrum neben anderen (Parlament, Regierung, Verwaltung, Medien, Wählern). Zwischen ihnen können Principal Agent-Probleme aufgrund von Informationsasymmetrien bestehen mit der Gefahr, dass die besser informierte Seite ihren Informationsvorsprung opportunistisch ausnutzt. Grundsätzlich können diese Probleme überwunden werden (vgl. Welsch 2002, S. 125128). Auch könnte die Gegensätzlichkeit der Interessen dieser ‚Machtzentren’ dafür sorgen, dass im Zeitablauf ein Ausgleich zugunsten der Allgemeinheit zu erwarten ist.45 Freilich ist dieser Ausgleich ausdrücklich nicht dadurch zu erwarten, dass verschiedene Partikularinteressen bei einem Adressaten um die Durchsetzung ihrer Ziele konkurrieren, weil dadurch „ein Gebilde ... [geschaffen würde], das nachweislich irrational und ineffizient wäre und in höchstem Maße ungerecht – nach jedem Kriterium der Gerechtigkeit, das verlangt, alle nach denselben Regeln zu behandeln“ (von Hayek 2003, S. 398).46 Gerade in einer Transformationsgesellschaft mit mangelndem Gleichlauf zwischen den formalen und informalen Institutionen kann sich jedoch die Machtverteilung auf das Verhältnis von einem (oder wenigen) Regierenden zu einer kleinen Zahl mächtiger und finanzstarker Interessengruppen reduzieren. Damit steigt die Intransparenz der Entscheidungsbildung ebenso wie die Kosten der Rentensuche für die Interessengruppen sinken, weil es nur mehr einen (oder wenige) Adressaten für ihre Aktivitäten gibt. Die Größe der einzelnen Interessengruppen wird im Vergleich zur Gesellschaft stets relativ gering sein. Doch dürfte ihre Macht47 groß genug sein, um ihren Mitgliedern die Durchsetzung ihrer Ziele leichter zu ermöglichen, als der Einzelne sie erreichen könnte (vgl. von Hayek 2003, S. 395). Bei entsprechend großer finanzieller Macht oder politischem Einfluss können freilich auch Einzelpersonen im Streben nach Renten erfolgreich sein. Besonders „dort, wo das Eigentum stark konzentriert ist, [sind] die Anreize für erfolgreiche gemeinschaftliche Lösungen nur schwach oder gar nicht vorhanden“ (s. Bowles und Gintis 2003, S. 79).48 Die politische Macht ökonomischer Interessengruppen ist umso größer, je mehr Mitglieder49 sie umfassen, je größer ihre Marktmacht und ihre Finanzkraft sind und / oder je besser ihr Zugang zu Massenmedien ist.50 Mit dem Grad der Organisiertheit51 steigt die Macht dieser Gruppen und mit ihr die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen auf Dritte, ihre Beseitigung wird zunehmend schwieriger.52 Macht

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als die Fähigkeit, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen, eigene ökonomische Interessen durchzusetzen und auf diese Weise gleichsam als ein – weder demokratisch noch konstitutionell legitimierter – Teil der Herrschaftsstrukturen zu handeln, ist das herausragende Charakteristikum dieser Gruppen (vgl. auch Eucken 1952/1990, S. 327 f.). 3.1.2.2. Die Interessen der Bürokratie Wie das Handeln der Individuen sind auch Art und Ausmaß bürokratischen Handelns ordnungsabhängig. Beschränkt sich der Staat auf die Bereitstellung öffentlicher Güter, werden die Anreize und Möglichkeiten der Bürokratie für ineffizientes oder gesamtwirtschaftlich schädliches Verhalten gering sein. Unter dieser Voraussetzung könnten die Bürokratie und die in ihr Tätigen effizient ihre Aufgaben erfüllen. Die Bürokratie könnte dann sogar bezeichnet werden als „die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Extensität der Leistung, formal universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommenbare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung“ (Weber, M. 1964a, S. 164).

Dieser Sichtweise liegt das Bild des Wilhelminischen Beamten in Deutschland zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts zugrunde, das nicht nur durch die seinerzeit herrschenden Ordnungsbedingungen gerechtfertigt wird, sondern auch durch die intrinsische Motivation der Beamten zu ebendiesem Handeln.53 Die intrinsische Motivation kann aus jenen Quellen erwachsen, die in Kapitel 2 ausführlich dargestellt wurden. Ihre Bedeutung ist für ein bürokratisches System umso geringer (aber gleichzeitig umso höher zu schätzen), je weiter Korruption und Ineffizienz in der Verwaltung verbreitet sind. Unter ungünstigen Ordnungsbedingungen, zumal wenn mit ihnen schlechte Arbeitsbedingungen (Bezahlung unterhalb des Existenzminimums, geringe Reputation, unzureichende Arbeitsausstattung) verbunden sind, steigt die Gefahr, dass die intrinsische Motivation durch eine extrinsische (z.B. durch Korruption) verdrängt wird.54 Dies gilt umso mehr, je mehr Leistungen der Staat außerhalb der wettbewerblichen Kontrolle erledigen lässt und je weniger private Unternehmen und Verbände selbst dem Wettbewerb unterliegen. Von Mises stellt die Ineffizienz bürokratischer Systeme gegenüber den dem Wettbewerb unterworfenen privaten Unternehmen heraus und kommt zu dem Schluss, „daß die Zwangsjacke bürokratischer Organisationen die Initiative des Individuums lähmt“ (von Mises 1997, S. 128).55 Damit werden die Auswirkungen deutlich, die Bürokratien über ihre eigene Ineffizienz hinaus auf die Gesellschaft und das Handeln der Individuen haben können. Aufgrund der Verfestigung in den Erwartungen und im Handeln der Individuen sind langfristig schädliche Konsequenzen für eine Gesellschaft zu vermuten. Die Organisation einer Bürokratie dürfte eher einer Veränderung zugänglich sein als die über lange Zeit verfestigten Verhaltensweisen der Bürokraten und die in Anpassung an sie entstandenen Verhaltensweisen der Individuen.56 Wenn Bürokraten eigeninteressiert handeln (s. Downs 1967, S. 79-91), orientieren sie sich an Geldeinkommen, Macht, Prestige, Aufstiegschancen sowie an ihren Arbeitsbedingungen und -belastungen (vgl. Fehl 2002, S. 143; s.a. Frey 1977, S. 133 ff. sowie Tullock 1965). Diese Sicht betont die Bedeutung dieser Anreize für den Bürokraten und in ihrer Folge einen Expansionsdrang

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der Bürokratien (Budgetmaximierung) (vgl. Niskanen 1971).57 Korruption kann insofern als Sonderfall der Nutzenmaximierung des Bürokraten gesehen werden, die umso wichtiger für ihn ist, je geringer sein Arbeitseinkommen bemessen ist und je unbeschränkter und je weniger kontrolliert die Bürokratie handeln kann. Daneben wird der Aspekt der Kostenproduktion herausgestellt, also eines überhöhten Faktoreinsatzes, aber auch einer zu hohen Faktorentlohnung (insbesondere des Faktors Arbeit) (vgl. O. E. Williamson 1967).58 Auch sind mögliche Koalitionen zwischen Regierung und Bürokratie zu nennen, die im beiderseitigen Interesse zu Lasten der Steuerzahler ihren Nutzen maximieren. Ihnen ist das Problem immanent, dass eine asymmetrische Informationsverteilung zwischen Bürokratie und Regierung vorliegt und die Handlungen bzw. Absichten der anderen Seite nur begrenzt und mit Kosten59 beobachtbar oder beeinflussbar sind (sog. Principal Agent-Probleme).60 Dieses Problem der Informationsasymmetrie kann dadurch verstärkt werden, dass Interessengruppen ihren Informationsvorsprung gegenüber Regierung und Bürokratie opportunistisch auszunutzen versuchen (vgl. Fehl 2002, S. 143). Letztlich ist festzustellen, dass neben der Motivation der Bürokraten und der Größe der Bürokratie vor allem die herrschenden Ordnungsbedingungen dafür ausschlaggebend sind, welche gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ihr Handeln hat. Sie können die Annahme von Bestechungsgeldern und die Interpretation von Gesetzen zugunsten des Meistbietenden (verstärkt in Zeiten eines institutionellen Interregnums) begrenzen oder fördern. 3.1.2.3. Der Staat als Korrektiv? In etablierten Demokratien mit Gewaltenteilung zwischen Legislative, Judikative und Exekutive kommen weitere Ordnungskräfte hinzu (Parteien, Verbände, Medien, Wähler), die trotz der oben beschriebenen Informationsprobleme und trotz der Gefährdung durch die zunehmende Organisiertheit von Partikularinteressen zumindest prinzipiell eine freiheitliche Ordnung aufrechterhalten können. Zwischen diesen Kräften besteht ein politisches Kräftefeld. Die politische Elite selbst besteht aus rivalisierenden Teilen. Zwar bestimmt sie die Staatstätigkeit (Legislative und Exekutive), doch ist sie auch auf die Zustimmung der Bürger angewiesen (vgl. Schmidt 1988, S. 396). So könne, „wenn auch nicht die Heilung, so doch eine gewisse Milderung der oligarchischen Krankheit in dem Prinzip der Demokratie selbst“ gesehen werden, denn „[e]s liegt im Wesen der Demokratie, die geistige Fähigkeit zur Kritik im Einzelnen zu stärken und anzuspornen, wenn auch andererseits die Bürokratisierung ihrer Formen dieser Fähigkeit der Kontrolle wieder in hohem Maße Abbruch tut“ (Michels 1911/1970, S. 375).61 Insbesondere den Medien kommt eine wichtige Bedeutung bei der Kontrolle und bei der Steigerung der Transparenz staatlichen Handelns zu. Deshalb sind die Sicherstellung ihrer Unabhängigkeit und des Wettbewerbs unter ihnen unverzichtbare Instrumente der Freiheitssicherung.62 Die Probleme demokratischer Systeme, wie der Wählerstimmenmarkt, politische Konjunkturzyklen und Staatsversagen (neben den oben behandelten Interessengruppen und Bürokratien) sind in der Literatur ausführlich beschrieben.63 Allerdings wird der Frage weniger Bedeutung beigemessen, welche Folgen das Fehlen oder die relative Bedeutungslosigkeit eines oder mehrerer der genannten Machtzentren verursachen könnte. Dies betrifft mithin nicht nur die Defekte des demokratischen Prozesses, sondern vor allem

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auch die Defekte in der Konstruktion der bestehenden Ordnung. So wie Eucken (1952/1990, S. 291) mit Blick auf die konstituierenden Prinzipien einer Wirtschaftsordnung feststellt, „[d]ie Zusammengehörigkeit der Prinzipien geht so weit, daß einzelne von ihnen bei isolierter Anwendung ihren Zweck völlig verfehlen“, so ist auch für die Institutionen der Demokratie anzunehmen, dass sie nicht unabhängig voneinander bestehen können und das Fehlen eines Teiles zur Funktionsunfähigkeit des Gesamtsystems führt. Ähnlich wie im Wettbewerbsprozess Vertragsfreiheit nicht dazu eingesetzt werden darf, den Wettbewerb und damit die Vertragsfreiheit selbst an anderer Stelle einzuschränken, darf auch politische Freiheit nicht zur Einschränkung derselben missbraucht werden. Aufgrund der engen Interdependenz von Wirtschafts- und Staatsordnung (vgl. Eucken 1952/1990, S. 332 ff.) ist zu vermuten, dass Defekte der einen Teilordnung auch in Defekten der jeweils anderen mitbegründet sind. Mit anderen Worten: Ohne massive Defizite der staatlichen Ordnung könnte es privaten Interessen(gruppen) nicht möglich sein, Eigentums- und Machtkonzentrationen von gleichsam oligarchischen Ausmaßen zu erreichen.64 Das reduziert erheblich die Erwartungen, die an staatliches Handeln angelegt werden können, um diese Erscheinungen – so sie einmal entstanden sind – zu überwinden. Neben einflussmächtigen Interessengruppen, einer ausgreifenden Bürokratie und abhängigen Medien65 können Probleme auch dadurch entstehen, dass der parlamentarische Einfluss zugunsten einer mit weitreichenden Rechten ausgestatteten Regierung oder eines Präsidenten besonders gering ist. So muss eine Regierung ihren Spielraum zur Befriedigung von Partikularinteressen nutzen, um an der Macht zu bleiben. Mithin kommt es darauf an, im demokratischen Prozess diese Macht zu begrenzen, um zu verhindern, dass sie genutzt werden kann (vgl. von Hayek 2003, S. 322). Ebenso problematisch ist es, wenn die Wähler nur durch einen Schauprozess am „demokratischen System“ beteiligt sind. Dabei ist ein breites Spektrum von Verzerrungen vorstellbar, das von Wahlfälschung über die Bestechung und Bedrohung von Kandidaten bis zur diffizilen „Organisation“ der Wahl im Vorfeld reicht, was nicht weniger problematisch ist, wenn die Manipulationen versteckt geschehen und für die Wähler kaum eine Möglichkeit besteht, sie zu erkennen. Ähnlich dem Konzept des „Wettbewerbs als-ob“ von Miksch (1937, S. 219; 1949, S. 333), das Unternehmen mit Hilfe der Wirtschaftspolitik zu wettbewerbsanalogem Verhalten anregen soll, werden hier, freilich in einer Abart dieser Idee, die Bürger dazu angespornt, sich so zu verhalten, als hätten sie eine Wahl.66 Tatsächlich ist aber durch informelle Einflussnahmen und Manipulationen das Ergebnis schon vorgezeichnet.67 Sind also in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen die Probleme nicht demokratisch legitimierter Machtgruppen schon schwer zu lösen und in „defekten“ oder noch nicht etablierten Demokratien noch bedeutend schwerer bezwingbar, so ist zu fragen, ob die Lösung in einem „starken“ Staat gesehen werden könnte. Unter einem starken Staat wird allerdings nicht derjenige verstanden, der sich unter Beschränkung auf seine Kernkompetenzen und auf die Durchsetzung allgemeingültiger Regeln dem Einfluss von Interessengruppen entzieht, denn nach diesem ordnungsökonomischen Verständnis eines starken Staates sind „die Zunahme im Umfange der Staatstätigkeit und die gleichzeitige Abnahme der staatlichen Autorität“ zwei Seiten derselben Medaille (Eucken 1952/1990, S. 327). Das Problem dabei ist, dass die „Zunahme der Staatstätigkeit nach Umfang und

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Intensität ... den Verlust der Autorität des Staates [verschleiert], der [zwar] mächtig erscheint, aber abhängig ist“ (Eucken 1952/1990, S. 327; Hervorhebungen T.W.). Vielmehr wird hierbei am Wunschbild eines wirkmächtigen, allwissenden und wohlwollenden autokratischen Staates angeknüpft, der sich mit dem Anspruch der Verfolgung des Gemeinwohls gegen gut organisierte Einzelinteressen durchsetzt. Zwar könnte ein Staat (oder Herrscher), dem dies gelänge, in der Tat die Anreiz- und Kontrollprobleme überwinden, doch ist es völlig ausgeschlossen, dass es in der Realität einen solchen Staat oder Herrscher geben kann.68 Dagegen spricht das Wissensproblem von Hayeks, nach dem das erforderliche Wissen dezentral unter den Individuen verteilt ist und nur dort größtmöglich genutzt werden kann. Auch wird es keine Gleichheit geben, weil sich im Machtgürtel um den Herrscher stets Partikularinteressen organisieren werden, die Vorteile für sich generieren (vgl. Weber, M. 1964a, S. 157). Darüber hinaus gibt die Tatsache wenig Anlass zu Optimismus, dass alle sozialromantischen staatsgläubigen Träumereien der Vergangenheit in ihrer Umsetzung ohne Ausnahme zu real existierenden diktatorischen Alpträumen wurden.69 Dies ändert freilich nichts daran, dass Versuche dazu auch in Russland immer wieder unternommen werden, wohl aber nicht unwesentlich aus dem Kalkül heraus, individuelle Vorteile (Macht oder Renten) für die Beteiligten zu ermöglichen. Dieser Umstand lässt es geboten erscheinen, das Streben nach Macht und Renten im Folgenden etwas näher zu untersuchen.

3.2.

Gründe für die Bevorzugung bestimmter Sektoren

3.2.1.

Das Streben nach politischer und wirtschaftlicher Macht

3.2.1.1. Zwischen „Machtvertikale“ und Interessengruppen Es gibt einen häufig anzutreffenden Blickwinkel, aus dem in Politik und Wirtschaft einigen Wirtschaftszweigen höhere Bedeutung beigemessen wird als anderen Sektoren. Dies äußert sich beispielsweise in einer besonderen Förderung, in der Qualifizierung als „strategischer“ Sektor oder in dem Versuch, Kontrolle über diese Bereiche zu erlangen bzw. sie nicht zu verlieren. In diesem Abschnitt soll versucht werden, Gründe für die Bevorzugung der Sektoren herauszuarbeiten. Relevante Sektoren können einerseits jene sein, die von staatlicher Seite für die Erreichung politischer Ziele als wichtig erachtet werden (z.B. Rüstungsgüter). Daneben kommen solche Sektoren in Betracht, die wichtige knappe Güter oder deren Substitute herstellen, die auf dem Handelswege nicht zu erlangen wären (beispielsweise weil der freie Handel eingeschränkt ist oder weil die eigene Währung nicht frei konvertierbar ist). Auch Rohstoffen oder Vorprodukten, von denen eine große Abhängigkeit besteht, kann besondere politische Bedeutung beigemessen werden. Des Weiteren kommen all jene Bereiche in Betracht, die machtsichernd oder -verstärkend interessant erscheinen oder die große Renten bei ihrer Kontrolle versprechen. Das kann in einer großen Nachfrage begründet sein, die hohe Einkommen verspricht (verstärkt durch Kartell- oder Monopolrenten), oder in der natürlichen Verfügbarkeit von Ressourcen, für deren Gewinnung und Aneignung exklusive Rechte vergeben werden.

3. Soziales Kapital, Interessen und Umwelt

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Für Regierungen, insbesondere in nicht etablierten Demokratien, ist anzunehmen, dass sie nicht durch allgemeingültige Regeln, sondern durch Machtausübung versuchen, ihre Herrschaft zu sichern. Dies geschieht sowohl nach außen (durch Militär) als auch nach innen (durch Polizei).70 Für die Sicherung nach innen ist entscheidend, über die Kontrolle von Schlüsselbereichen (in Staat, Verwaltung, auch Justiz) zu verfügen sowie die Loyalität wichtiger Gruppen zu kaufen. Auch lässt es das bereits angesprochene Wissensproblem (von Hayek) sinnvoll erscheinen, die Lenkungskapazitäten auf wesentliche Bereiche zu konzentrieren und die Weisungs- und Kontrollstrukturen streng hierarchisch zu organisieren. Dazu kommt die Notwendigkeit, die mit erheblichen Kosten verbundene Absicherung nach innen und außen zu finanzieren. Die Sicherung der Macht ist hierbei der Zweck, die Einkommenserzielung vorrangig nur das Mittel zur Erreichung desselben.71 Für Interessengruppen kann im Gegensatz dazu vermutet werden, dass ihr Streben nach Macht und Zugang zu bestimmten Bereichen letztlich nur das Mittel ist, den Zweck, nämlich die Erzielung von Renten und die Steigerung ihres finanziellen Einkommens, zu erreichen.72 Da es zu rentensuchenden Aktivitäten nicht kommt, „wenn im voraus bekannt ist, wer die Eigentumsrechte und damit die Rente erhält“ (Schüller 1988a, S. 163) oder, in negativer Abgrenzung: wenn klar ist, wer die Rente nicht bekommt, könnten die potentiell oder tatsächlich nicht Privilegierten versuchen, durch einen Zusammenschluss ihre Machtposition zu erhöhen.73 Das würde den Konzentrationsprozess verstärken und letztlich zu kartell- oder monopolartigen Strukturen führen – was wiederum zu beiderseitigem Vorteil jene oligarchischen Verflechtungen aus politischer und wirtschaftlicher Macht hervorbringen würde. Der Zusammenschluss zu noch größeren und wirkmächtigeren Interessengruppen setzt jedoch voraus, dass die sich Zusammenschließenden schon ein gewisses Maß an Macht besitzen, denn nur so ist gewährleistet, dass die Interessen nicht auf zu viele Individuen verteilt und damit zu heterogen sind. 3.2.1.2. Zur Entstehung von illegitimer Verfügungsmacht: Ein Lehrbeispiel Im Folgenden soll anhand eines Beispiels dargestellt werden, wie es zu nicht legitimierten exklusiven Eigentumsrechten kommen kann. Das Fehlen der demokratischen und formalrechtlichen Legitimierung ist für diese Arbeit nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil die Legitimität von Herrschaft Parallelen zu der des Besitzes aufweist.74 Die Nichtprivilegierten sind dabei nicht in der Lage, das Entstehen dieser Eigentumsrechte zu verhindern.75 Das Beispiel verdeutlicht die Folgen eines fehlenden allgemeinverbindlichen Ordnungsrahmens oder seiner Durchsetzung für das Handeln der Individuen. Ebenso wie im Beispiel die Besatzung eines Schiffes nicht eingreift, um etwa eine Schiffsordnung oder sonstige Rechtsnormen durchzusetzen und dadurch das Entstehen von nicht legitimierter Verfügungsmacht zu verhindern, können auch Staaten bei der Durchsetzung allgemeinverbindlicher Normen versagen, wenn ein entsprechender Ordnungsrahmen fehlt oder nicht angewendet wird. Das Beispiel von Popitz (1968) ist gleichsam ein Modell, dessen Aussagen für diese Arbeit dienstbar gemacht werden sollen. (Hierauf beziehen sich die im weiteren Text angegebenen Seitenzahlen.) In dem Beispiel wird von einem Schiff ausgegangen, auf dem nur für ein Drittel der Passagiere Liegestühle vorhanden sind.76 Dinge, die anzeigen, dass ein Stuhl nicht frei ist, obwohl sich augenblicklich kein Individuum darauf befindet (Belegsymbole), werden

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nicht anerkannt. Die Ausgangssituation geht von der Annahme aus, dass die Nachfrage zu einem bestimmten Zeitpunkt nur so groß ist, dass jeder bei Interesse einen Stuhl findet. Dies ändert sich, weil nunmehr auch zeitweilig nicht belegte (eigentlich freie) Stühle als belegt reklamiert werden. Mit anderen Worten: Ein öffentliches Gut, das bisher in ausreichend großem Umfang bereitstand und daher nicht übernutzt wurde, wird durch individuelle Ansprüche an die exklusive (d.h. die anderen Individuen von der Nutzung exkludierende) Nutzung soweit verknappt, dass die Nachfrage das Angebot an Stühlen übersteigt. Obwohl Belegsymbole nicht anerkannt werden, gelingt es in einem spontan ablaufenden Vorgang durch ein wechselseitiges Abschrecken durch alle diejenigen, die einen Liegestuhl belegt haben (‚Auch-Besitzer’), die besitzlosen Interessenten ohne körperliche Auseinandersetzung zu vertreiben.77 Durch engeres Aneinanderstellen entsteht eine Konzentration von Stühlen, nicht belegte Stühle werden zusammengeklappt und als Ringmauer aufgestellt (S. 7). Dadurch sind zwei Gruppen entstanden: die der privilegierten Besitzenden und die der nichtprivilegierten Besitzlosen. Letztere sind gegenüber dem Ausgang schlechter gestellt, weil sie ein Recht, das sie hatten (Nutzung der Stühle), nicht mehr in Anspruch nehmen können (S. 8). „Sobald einige der bisher Besitzlosen auf den neueroberten Liegestühlen sitzen (sobald einige der Landlosen das besetzte Land für sich abgesteckt haben), stehen sie vor der Frage, ob sie nicht das Verteilungsproblem persönlich für erledigt und damit die Aktion für abgeschlossen halten können. Der Gedanke des Nichtbesitzes, des reinen Gebrauchsrechtes, dürfte [für diese Gruppe; T.W.] inzwischen seine Unschuld verloren haben“ (S. 11 f.).

Der nächste Schritt ist die Vermietung der Stühle (S. 8). Für die Besitzer ist dies attraktiv, weil sie dadurch von der Bewachung entlastet werden, für die Mieter, weil sie zeitweilig die Stühle nutzen dürfen.78 „Die Nur-Besitzlosen sind von nun an aus freien Stücken und eigenem Verschulden in der schlechtesten Lage“ (S. 8). Obwohl sie in der Mehrheit sind und dieser Prozess gegen ihren Willen abläuft, können sie ihn nicht verhindern. Zwischen den beiden Aussagen, die Individuen seien „aus freien Stücken ... in der schlechtesten Lage“ und der „Prozeß [vollziehe] sich gegen ihren Willen“, besteht nur vordergründig ein Widerspruch. Tatsächlich befinden sich die Besitzlosen in einem Dilemma: Sie wollen nicht Besitz an den Stühlen, sondern die Herstellung der alten Ordnung und freien Zugang zu den Stühlen. Doch ist die Organisationsfähigkeit dieses Interesses viel geringer als bei den Besitzern eines Stuhles. Auch stünden sie, wenn sie ihren Anspruch durchsetzen würden, dann wieder vor demselben Problem: Sobald sie den Stuhl verlassen, würde dieser neu belegt werden – mit der Gefahr, dass die nachfolgenden Besitzer wiederum das Verteilungsproblem für gelöst halten würden und neuerlich vertrieben werden müssten. So kommt es aus der individuellen Erwägung des Einsatzes und des Nutzens heraus nicht zu einer Auseinandersetzung mit den Besitzern (S. 10 f., S. 12 und S. 13).79 Die leichtere Organisierbarkeit der Besitzer beruht indes ausdrücklich nicht auf Rückbindungen innerhalb dieser Gruppe80, sondern einzig auf der leichteren Organisierbarkeit ihrer Interessen.81 Diese entspringt zunächst nur der „augenblickliche[n] de-factoVerfügung über ein allgemeines Gebrauchsgut“ sowie dem „Anspruch auf exklusive und dauerhafte Verfügungsgewalt“, was „zum Beginn eines Akkumulationsprozesses der Macht gegen die Interessen der Mehrheit [ausreicht]“ (S. 14).

3. Soziales Kapital, Interessen und Umwelt

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Die Frage ist nun, wie dieser Zustand legitimiert, d.h. wie er von den Individuen anerkannt wird. Legitimation entsteht zuerst unter den Besitzern.82 Das geschieht dadurch, dass diese wechselseitig ihren Besitz anerkennen, gleichsam „als Consensus der Privilegierten über die Gültigkeit der Ordnung, die sie privilegiert“ (S. 15). Dabei handelt es sich um eine ‚horizontale’ Legitimation auf gleicher Ebene innerhalb dieser (einen) Gruppe.83 Über Gewohnheit und opportunistische Motive hinaus kann eine Anerkennung auch bei den Nicht-Privilegierten (Beherrschten) entstehen, wenn sie dem Legitimitätsanspruch der Herrschenden einen Legitimitätsglauben entgegenbringen.84 Der „interne Vorgang [der Anerkennung der Legitimitätsgeltung; T.W.] ... gibt nicht nur den Beteiligten [d.h. den Herrschenden; T.W.] zunehmende Sicherheit, er hat auch eine ausstrahlende Wirkung: die Suggestivkraft des Einverständnisses. ... [Diese] wirkt bereits, wenn der interne gegenseitige Anerkennungsprozeß für andere sichtbar, beobachtbar wird“ (S. 15 f.).

Die Anerkennung von Privilegien kann allerdings nicht nur das erste Phänomen der Legitimitätsentwicklung einer neuen Ordnung sein, sondern auch das letzte, und lange nach deren Zusammenbruch die alte Ordnung überdauern (S. 16 f.).85 Besonders fatal stellt sich die Situation für die Nichtprivilegierten dar, wenn ihr Kreis sowohl in der alten als auch in der neuen Ordnung weitgehend identisch ist. Dann verfestigt sich der Eindruck, unabhängig von den Bedingungen immer zu verlieren – mit der Folge einer Diskreditierung der neuen Ordnung in der Wahrnehmung dieser Individuen und mit der Begünstigung fatalistischer Einstellungen und Verhaltensweisen. Allerdings erklärt die Suggestivwirkung die Ausbreitung des Glaubens an die Legitimität der Herrschaft (oder des Besitzes) nur zum Teil. Für die nicht-privilegierten [beherrschten; T.W.] Individuen ist anzunehmen, „daß sie die Normen dieser Ordnung nicht nur fürchten, sondern verinnerlichen; daß sie nicht nur in dumpfer Gewohnheit, sondern in Bereitschaft und Gefolgschaft pflichtgemäß das Ihre tun“ (S. 33). Dies ist auch für sehr autokratische und selbst für totalitäre Systeme zu vermuten. Für diejenigen, die als „Hilfstruppe“ das System stützen, ist dies sinnvoll, um nicht in die unterste Gruppe der Ausgebeuteten abzugleiten.86 Für letztere ist es sinnvoll, weil damit vielleicht eine noch stärkere Ausbeutung vermieden werden kann.87 Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass die unterdrückten Individuen keine Aussicht haben, diesen Zustand zu überwinden.88 „Der Wille aber, der immer wieder gebrochen wird, läßt sich nicht durchhalten.89 Das Widerstreben gegen einen permanent übermächtigen Zwang stellt schließlich nicht diesen, sondern sich selbst in Frage. Damit sind die Voraussetzungen für eine Art Kehre gegeben: Der dauernd Erniedrigte rechtfertigt seine Fügsamkeit, indem er sie in Freiwilligkeit uminterpretiert, und er rechtfertigt diese Freiwilligkeit durch die Verbindlichsetzung der Ordnung, in die er sich fügt. ... So wie die Machthaber im Sinne dieser Ordnung tun müssen, was sie wollen, so wollen die Unterworfenen, was sie müssen“ (S. 34, Fn. 3).90

Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung der Ordnungssicherheit: Sie wird den Individuen dadurch vermittelt, dass „sie ein sicheres Wissen haben, was sie und was andere tun dürfen und tun müssen“ (S. 35).91 Sie kann sich in demokratischen Systemen ebenso entwickeln wie in despotischen, zwangsweise oktroyierten Systemen. Sobald eine Ordnung lange genug besteht, um verlässliche Erwartungen der Individuen zu ermöglichen, ist die Funktion der Stiftung von Orientierungssicherheit erfüllt. Je länger diese Ordnung besteht, umso größer sind die Investitionen der Individuen in die Anpassung an

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Russlands Sonderweg der Transformation

diese Ordnung und umso schwerer wird es, den Wert dieser Investitionen zugunsten einer anderen Ordnung aufs Spiel zu setzen (S. 36 f.). Nicht nur der Wert dieser Investitionen ist individuell verschieden, auch der Ordnungswert ist eine subjektive Größe, die unterschiedlich wahrgenommen werden kann und deren Realitätsgehalt unterschiedlich sein kann (S. 37). Trotzdem ist eine gewisse Objektivierbarkeit im Verhalten der Herrschenden unverzichtbar, um den Beherrschten zu signalisieren, welches Verhalten gefordert wird, und dadurch jene Ordnungssicherheit zu schaffen, ohne die auch diese nicht existieren können.92 Wenn den Herrschenden dies gelingt und sie den Investitionen der Beherrschten in die bestehende Ordnung einen gewissen Wert geben können, wenn sie des Weiteren die Ordnung lange genug aufrechterhalten, dann kann „über die Anerkennung des Ordnungswertes das gesamte System anerkannt ... [werden]. Auf bestimmte inhaltliche Werte kommt es dabei zunächst nicht an. Die Anerkennung kann sich an politischen Überzeugungen – auch an denen, die ausdrücklich angeboten werden – vorbeientwickeln“ (S. 37 f.).

Vermutlich ist das ein wichtiger Grund für das Scheitern autoritärer Systeme: Wenn der Druck auf die Beherrschten nachlässt, bricht das System zusammen, weil es keine anderen Quellen des Zusammenhalts gibt. Die Abhängigkeit, in die die Beherrschten geraten, „hat sich bereits verdichtet, wenn Organisationsfähigkeit und Besitz als ‚Machtmittel’ verwendet werden können“, weil sie „in allen Sozialverhältnissen als Interdependenz des Verhaltens“ angelegt ist (S. 41, Fn. 7). Es ist offensichtlich, dass die „Interdependenz des Verhaltens“ ihre Entsprechung in der „Interdependenz der Ordnungen“ findet (vgl. Eucken 1952/1990). Auch über diesen Weg lässt sich die Erkenntnis ableiten, dass die Freiheit des Individuums unteilbar ist und wirtschaftliche Freiheit nicht unabhängig von politischer Freiheit gedacht werden kann.93 Deshalb ist es naheliegend, „den Sündenfall der Machtnahme in diese Verdichtungen selbst hineinzudenken, in die ‚Entstehung des Eigentums’ bzw. in die Entwicklung bestimmter Organisationsformen“ (S. 41, Fn. 7). Auch kommt es zu einer wechselseitigen Verstärkung des Abhängigkeitsverhältnisses dadurch, „daß die Akkumulation von Gütern umgesetzt werden konnte in Machtausübung über Menschen (Abgaben, Dienstleistungen, Widerstandsverzicht, Folgebereitschaft) und diese Machtausübung wiederum in eine Akkumulation von Gütern. ... Das ist ... die Dialektik des ... mehr oder minder kalkulierten Umsetzens von Verfügungsgewalten über knappe Güter in Verfügungsgewalten über Menschen und von Verfügungsgewalten über Menschen in Verfügungsgewalten über knappe Güter“ (S. 28).94

Für die Möglichkeit, Macht auszuüben, können zusammenfassend drei in Zusammenhang stehende Ursachen genannt werden: die überlegene Organisationsfähigkeit bestimmter Gruppen, exklusive Verfügungsgewalt über knappe Güter (Ressourcen) und die breite Anerkennung der Ordnung (S. 39). Die Prozesse müssen gewiss nicht zwangsläufig so ablaufen, wie dies hier beschrieben wurde, zweifellos können sie es aber. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine staatlichen Institutionen vorhanden sind, die dies verhindern könnten, oder wenn bestehende Gesetze nicht angewendet werden. Es ist offensichtlich, wie leicht es kleinen Gruppen dann gelingen kann, die Aneignung von Ressourcen und die Machtbildung ungestört zu Lasten der Mehrheitsinteressen zu vollziehen, und wie groß ihr Anreiz ist, dies tatsächlich auch zu tun.

3. Soziales Kapital, Interessen und Umwelt

3.2.2.

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Sektorale Vorrangigkeiten in der Geschichte des ökonomischen Denkens

3.2.2.1. Einige theoretische Ansätze Die Ideengeschichte der ökonomischen Theorien hat eine Vielzahl von Ansätzen hervorgebracht, die stets auch ein Spiegelbild ihrer Zeit sind. Ihr Ziel kann darin bestehen, die herrschende Ordnung zu stützen oder auch einem System ein anderes „besseres“ gegenüberzustellen. Die verschiedenen Systeme und ihre Teilordnungen können durch die Ordnungstheorie miteinander verglichen werden. Hier sollen exemplarisch einige Ansätze angesprochen werden, die bestimmte sektorale oder produktionswirtschaftliche Vorrangigkeiten begründen und eine besondere Relevanz für die untersuchte Fragestellung vermuten lassen. Dabei geht es um die Frage, ob die Existenz dieser (oder gegebenenfalls auch das Fehlen anderer) Ansätze Auswirkungen auf Russland gehabt haben könnte, wodurch Besonderheiten der russischen Entwicklung erklärt werden könnten. Darüber hinaus wäre es ganz allgemein interessant – ist aber im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich –, die historische Entwicklung der ökonomischen Theorien und ihre Konfliktlinien nachzuzeichnen und die Beziehungen zu den Systemen herzustellen, in denen sie entstanden sind oder angewandt wurden.95 In einer ganz grundsätzlichen Unterteilung lassen sich liberale, freiheitliche96 Ansätze einerseits und staatszentrierte, konstruktivistische Ansätze auf der anderen Seite unterscheiden. Kenntnisse ökonomischer Zusammenhänge waren bereits vorhanden, lange bevor ökonomische Theoriegebäude entstanden (vgl. Stavenhagen 1969, S. 15). Diese wurden zumeist innerhalb anderer Wissenschaften generiert, so in der Philosophie und in der Theologie, auch in naturwissenschaftlichen Bereichen wie der Medizin.97 Der Rückgriff vieler Ansätze auf physikalisch-mechanische Beispiele mag gewiss auch ein Grund dafür sein, dass konstruktivistische Ideen für die ökonomische und gesellschaftliche Ordnung so weite Verbreitung fanden: Sie sind viel leichter nachvollziehbar als der abstrakte Gedanke einer spontanen, ungeplanten Ordnung, die vielfach als Chaos empfunden wird. Schon im Griechenland der Antike haben sich die Philosophen (beispielsweise Aristoteles, Platon, Xenophon) zu ökonomischen Fragen geäußert, allerdings mehr aus einer hauswirtschaftlichen als aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive.98 Ähnliches ist auch für das römische Schrifttum festzustellen. In der Scholastik des Mittelalters wurde nicht zuletzt „die Vereinbarkeit wirtschaftlicher Phänomene mit der kirchlichen Lehre untersucht“ (Stavenhagen 1969, S. 16). Hier stand weniger das innere Gesetz der Wirtschaft im Mittelpunkt des Interesses, es ging vielmehr um ethische Überlegungen wie die Suche nach dem ‚gerechten’ Preis. Allerdings gab es innerhalb der Scholastik verschiedene Richtungen, und es kann nicht von einem homogenen Theoriegebäude gesprochen werden. Freilich wurden durch sie wichtige Grundlagen für die Theoriebildung in späterer Zeit gelegt (vgl. Stavenhagen 1969, S. 16 f.; s.a. Fehl 1989). Die Suche nach einem gerechten Preis, noch grundsätzlicher nach einer ‚natürlichen’ Ordnung, also nach einer gesellschaftlichen (wirtschaftlichen und politischen) Ordnung, die dem ‚natürlichen Zustand’ angemessen ist, hat später bei Adam Smith, John Locke und anderen Klassikern eine große Rolle gespielt.99

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Neben diesen frühen Formen der Beschäftigung mit ökonomischen Phänomenen gilt der Merkantilismus (Mitte 16. bis Mitte 18. Jahrhundert) als zweite Vorstufe des wissenschaftlichen Denkens in der Nationalökonomie.100 Er gilt ebenfalls nicht als geschlossenes Theoriegebäude, vielmehr wird der Begriff ‚Merkantilismus’ für all jene staatlichen Maßnahmen gebraucht, die zur Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt ergriffen wurden.101 Dabei wurde jegliches Wirtschaftsdenken durch obrigkeits-staatswirtschaftliche, nicht durch individual- oder privatwirtschaftliche Prinzipien beherrscht.102 Der Staat ist durch den Landesherren (Fürsten) Lenker aller politischen und wirtschaftlichen Belange.103 Sein Geldbedürfnis ist die Haupttriebfeder der merkantilistischen Ökonomie (vgl. Mahl 1982, S. 125 und S. 130). Mit dem Merkantilismus wird die Wende von der moralisch-ethischen zur sozialökonomischen Betrachtung der Einkommenserzielung vollzogen: „Fortan arbeiten die Wirtschaftssubjekte nicht mehr primär zum Zwecke der Bedarfsdeckung, sondern vielmehr, um Gewinn, um ‚Mehrwert’ zu erzielen“ (Mahl 1982, S. 124). Der Reichtum eines Volkes besteht für Merkantilisten und Kameralisten in Geld und Edelmetallen.104 Die Notwendigkeit ihrer Anhäufung und Bewahrung ergab sich aus dem Wunsch, „politische und militärische Macht [zu] erlangen und diese auf Dauer [zu] behaupten“ (Blaich 1973, S. 80). Die Ursache ist im statischen Wirtschaftsablauf des vorindustriellen Zeitalters zu sehen. Man ging davon aus, dass natürliche Ressourcen (Rohstoffe) nahezu konstant sind. Daneben wuchsen Wissen sowie gewerbliche Produktion und Handel nur sehr langsam. Daraus entsprang die Überlegung, dass eine Nation nur auf Kosten anderer Länder an ‚Reichtum’ gewinnen konnte (vgl. Blaich 1973, S. 81). Zu diesem Zweck wurden auch Exporte von Fertigerzeugnissen mit dem Ziel einer aktiven Handelsbilanz gefördert. Billige Vorprodukte wurden importiert, der Bergbau vorangetrieben und Kolonien105 ausgebeutet – wiederum mit dem Ziel, den Bestand an Edelmetallen zu erhöhen (vgl. Mahl 1982, S. 126). Die Kameralwissenschaft war die deutsche Variante des Merkantilismus.106 Nach Mahl (1982, S. 126-134) bestand sie aus vier Disziplinen: Polizeiwissenschaft, Staatsfinanzwissenschaft, Staatswirtschaft bzw. Nationalökonomie und Ökonomie.107 Hiervon beschäftigte sich die Staatswirtschaft (Nationalökonomie) mit der Frage, „wie der Reichtum für Volk und Herrscher erzeugt und vermehrt wird“ (S. 130). Der Ackerbau wurde als nachrangig angesehen und verkümmerte, aber gleichzeitig wurden der Zwang zu Frondiensten und die Ausbeutung der agrarischen Bevölkerung immer stärker. Dies war, neben der höfischen Verschwendung, der Hauptgrund für den Niedergang des Merkantilismus. Angesichts der Ausbeutung und Verelendung der Bauern wurde die auf den Merkantilismus folgende Physiokratie „wie ein Evangelium“ verehrt (Mahl 1982, S. 132). Obwohl die Physiokraten die Abschaffung der parasitären Feudalgesellschaft nicht betrieben hätten, sind sie für Karl Marx „die eigentlichen Väter der modernen Ökonomie“ (zitiert nach Mahl 1982, S. 130).108 Die physiokratische Schule wurde von François Quesnay (1694-1774) begründet.109 Die Physiokratie war wie vor ihr der Merkantilismus kein homogenes Theoriegebäude, zumal die Ansätze weiterentwickelt wurden und in der Folge verschiedene andere Denkschulen entstanden.110 Von zentraler Bedeutung war die Idee einer ‚natürlichen’ Ordnung.

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Deren Gesetzmäßigkeiten seien von Gott in Gang gesetzt worden („Ordre naturel“).111 Dem liege die naturrechtliche Auffassung Quesnays zugrunde, „daß unveränderliche und bestmögliche Gesetze die Grundlage aller gesellschaftlichen Erscheinung bilden und diese, wie die Gesetze der Natur, die physikalischen Tatsachen beherrschen“ (Stavenhagen 1969, S. 36). Davon seien die vom Menschen erlassenen Gesetze (‚Ordre positif’) zu unterscheiden, deren Aufgabe darin bestehe, „entsprechend den gegebenen Umständen und der jeweiligen Situation die allgemeinen Prinzipien des ‚Ordre naturel’ zu verwirklichen“ (Stavenhagen 1969, S. 36).112 So kommt denn auch „[i]m Tableau Économique ... die eigentliche Produktivkraft der Ökonomie von außen, von der Natur, die mit göttlichen Eigenschaften versehen wird, sie ist die Quelle des Reichtums“ (Ötsch 2002, S. 290).113 Im Unterschied zu den Merkantilisten, die die Landwirtschaft nicht für wertschaffend hielten, ist diese für die Physiokraten der einzige Sektor, der Wert schaffen kann. Allerdings ist „[d]ie ‚produktive Klasse’ in der Landwirtschaft ... [auch] nur deshalb produktiv, weil sie in direktem Kontakt mit der Natur wirkt“ (Ötsch 2002, S. 290). Die beiden anderen Klassen, die Grundeigentümer (la classe des propriétaires oder wegen ihrer Verteilungsfunktion auch la classe distributive genannt) und die Handwerker (la classe stérile) schafften keinen Wert und seien deshalb nicht produktiv.114 Der ‚vierte Stand’, die Arbeiter (le petit peuple), sei von untergeordneter und rein „konsumtiver“ Bedeutung und nicht im Tableau Économique enthalten (vgl. Kolb 2000, S. 490). Die Physiokraten gelten als Begründer der theoretischen Volkswirtschaftslehre, die sie „als umfassende Anschauung einer sozialen Wissenschaft verstanden“ (Mahl 1982, S. 139). Jedoch werden sie „gerade auch infolge des engen Zusammenhangs mit Smith ... nicht als selbständige internationale Schule, sondern als eine im Wesentlichen lokale, frühe und unvollkommen ausgeprägte Variante der Klassik“ gesehen (Sreissler 2005b, S. 32, Fußnote 3). Diese Sichtweise mag zwar der Erkenntnis Rechnung tragen, dass „[a]uch der Wissenschaftler ... ein Kind seiner Zeit und seiner Kultur [ist]“ (Lorenz 1977, S. 291) und dass die Situation im damaligen Frankreich eine andere war als beispielsweise in England. Sie unterschätzt aber ganz gewiss das konstruktivistische und immanent freiheitsgefährdende Moment der physiokratischen Theorie. Zwar bestand ihre wichtigste Maxime in der Sicherstellung ökonomischer Freiheit.115 Dem lag die Einsicht zugrunde, dass „[a]lles andere als die Gewerbefreiheit ... zu monopolähnlichen Gebilden [führe]“ (Mahl 1982, S. 150). Eng damit verbunden sei die Pflicht des Staates, das private Eigentum zu gewährleisten. Als eine der wichtigsten Aufgaben wurde die Sanierung des hochverschuldeten Staatshaushalts angesehen.116 Allerdings hielt Quesnay „Eingriffe in die Wirtschaft für zulässig und sogar für erforderlich“, wenn der als ideal geltende Status der ‚natürlichen Ordnung’ noch nicht erreicht sei (vgl. Stavenhagen 1969, S. 41). Da in der Realität das Ideal nicht erreicht war, wurde dem ständigen konstruktivistischen Interventionismus ein theorieimmanentes Einfallstor geöffnet. Quesnays Kreislauftheorie liegt ein stationärer Wirtschaftsablauf anhand von Wertströmen zugrunde.117 Aufgrund der Unmöglichkeit, alle Daten der Gegenwart und alle künftigen Ereignisse zu kennen, ist eine effiziente Allokation durch zentrale Planung nicht möglich. Dieses Problem konnten die Physiokraten ebenso wenig lösen (auch wenn die Ökonomie damals noch weniger komplex war) wie „moderne“ sozialistische Sys-

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teme.118 Diese statische und mechanistische Sichtweise abstrahiert überdies von gewachsenen Bindungen der Menschen und Institutionen (Regeln) des Zusammenlebens und Tauschs: „Von daher ist das Wüten der physiokratischen Rationalisten gegen Traditionen und historisch gegebene Gliederungen der Gesellschaft zerstörerisch und verödend, so viel sie auch sonst zur Theorie der spontanen Ordnung beigetragen haben“ (Habermann 2002, S. 181).

Das Hauptziel der Physiokraten „eine[r] einsichtige[n] und wohlwollende[n] Regierung“ (Mahl 1982, S. 118) konnte weder damals und noch weniger später verwirklicht werden. Allerdings wurde gerade dieses Ziel bis heute in zahlreichen Versuchen tradiert.119 So werden die Physiokraten als Beispiel für eine Sozialtheorie „auf der Basis einer Descartianischen Philosophie“ gesehen, „die den Staat bzw. die Gesellschaft in Analogie zu einer Uhr beschreiben“ (Ötsch 2002, S. 288).120 „Diesem Objekt-Bild entspricht ein feudal-absolutistisches Menschen-Bild mit kapitalistischen Zügen (Marx hat einmal den Physiokratismus als ‚Kapitalismus in feudaler Hülle’ bezeichnet)“ (Ötsch 2002, S. 289).121 Die physiokratische Lehre wurde von Turgot weiterentwickelt und leitete zur Smithschen Epoche über.122 Für Turgot war Produktivität sinnlich fassbare Produktivität des Ackerbodens, für Adam Smith war sie Wertproduktivität (vgl. Mahl 1982, S. 161). Gleichwohl war bei Turgot, gleichsam noch unbewusst, bereits der Schritt von der Bodenzu Landarbeiterproduktivität angelegt.123 Von hier aus war es nicht mehr weit zu Adam Smiths Erkenntnis, dass Arbeit schlechthin wertschaffend ist (vgl. Mahl 1982, S. 166). Adam Smith hat die Fehler in Turgots Lehre erkannt und beseitigt.124 Er trat nicht nur „die Hinterlassenschaft der Physiokraten“ an, sondern verfolgte auch „als erster Ökonom den verborgenen Bau des Ganzen, den inneren Zusammenhang der ökonomischen Kategorien“ (K. Marx, zitiert nach Mahl 1982, S. 170). Trotz der Bedeutung, die die Physiokraten der Freiheit beimessen, darf nach Ansicht Turgots „dem Wirtschaften nicht die völlige Freiheit ... überlassen“ werden (Mahl 1982, S. 167). Diese Einschränkung meint jedoch nicht – wie bei den liberalen Klassikern – eine Beschränkung des Staates auf die Organisation des Wettbewerbs und die Sicherung der Rechte der Individuen, sondern eine lenkende Einflussnahme im Sinne festgesetzter Ziele. So ist es schon mit Blick auf die alleinige Eigenschaft des Bodens, wertschaffend zu sein, naheliegend, dass Geldeinkommen als nicht produktiv bezeichnet werden (vgl. Mahl 1982, S. 165 f.). Wie wenig freiheitlich eine Gesellschaft nach physiokratischem Muster letztlich sein muss, zeigt sich an der geringen Bedeutung, die politischen Freiheiten125 beigemessen wurde, an der Negierung von Bindungen und Traditionen und am System der „natürlichen Ordnung“, das eigentlich Despotien ausschließen soll, aber auf einen allmächtigen Staat angewiesen ist. Neben liberalen Elementen enthält die Physiokratie also durchaus sichtbare Ansätze, „die sich zu einer Fortentwicklung in Richtung auf eine sozialistische Gesellschaftstheorie eignen“ (Krüsselberg 2002, S. 76). Genau dies ist durch K. Marx geschehen, der die Präformation materialistischen Denkens aufgegriffen und fortgeführt hat (s.a. Stavenhagen 1969, S. 142). Marx ging später davon aus, dass nur (menschliche) Arbeit wertschaffend ist. Für dessen Denken waren die Theorien der Physiokraten von großer Bedeutung (vgl. Streissler 2005b, S. 34). Marx hat sie geradezu als Vorbereiter seiner Lehre, nicht als eigenständige

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ökonomische Theoretiker verstanden. So hat er jedoch (wie auch einige andere) „die Beschäftigung mit der Wirtschaftsgeschichte bewusst zu einem Werkzeug politischer Agitation gemacht“ (von Hayek 1955, S. 17). Zwischen Marx und den Physiokraten gibt es denn auch wesentliche Unterschiede: „Der Fehler von Marx und allen marxistischen Interpreten gegenüber den Physiokraten ist, daß sie deren prinzipielle Unterschiedlichkeit zur Arbeitswerttheorie nicht genügend beachteten. Marx unterstellt ihnen eine falsche Arbeitswertlehre, aber sie nannten als Quelle des Wertes nicht die Arbeit, sondern die Natur“ (Immler 1985, S. 302; Hervorhebungen T.W.).

Ausführlich geht Marx (1970) auf die Physiokraten und auch auf Adam Smith an mehreren Stellen in Band II des ‚Kapitals’ ein. Marx kann geradezu als typisches Beispiel für das Denken in Vorrangigkeiten gelten. Hier ist nicht nur die von ihm vorgenommene Trennung der Güter in solche erster (Produktionsmittel) und solche zweiter Ordnung (Konsumtionsmittel) zu nennen (vgl. Marx, K. 1970, S. 394 ff.).126 Darüber hinaus können auch der historische Materialismus selbst und die deterministische Geschichtsauffassung als versinnbildlichte Vorrangigkeiten aufgefasst werden. Während Marx ebenso wie die Merkantilisten den Produktionsmitteln den Vorrang gab, bestand für A. Smith kein Zweifel am Konsum als Zweck jeder Produktion (vgl. Streissler 2005a, S. 4). Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, denen es um eine verständliche Darstellung der Grundzüge wirtschaftlichen Handelns ging, war es das Ziel von K. Marx, über die Theorie hinaus eine Gesellschaftskonzeption mit den ihr zugrundeliegenden Entwicklungsgesetzen zu erarbeiten (vgl. Stavenhagen 1969, S. 142 f.).127 Dafür griff er auf die Geschichtsphilosophie von Hegel zurück, musste aber feststellen, „daß die existierende Wirklichkeit der wahren Idee [widerstritt]“ (Stavenhagen 1969, S. 145).128 Daraus zog Marx nicht den Schluss, dass Hegels ‚Idee des Staates als die Wirklichkeit der sittlichen Ideale’ falsch sei, sondern dass sich vielmehr die Wirklichkeit durch die Selbstentfremdung des Menschen davon entfernt habe.129 Erschwerend, aber in keiner Weise zufällig kommt hinzu, dass unter den Interpreten Marxscher Lehre jene die Deutungshoheit gewannen, die der radikalen Spielart (dem Bolschewismus) zugetan waren (vgl. Stavenhagen 1969, S. 160-164): Dem ‚radikalen’ Marxismus bolschewistischer Prägung (Revolutionsprinzip) stand eine ‚gemäßigte’ Form (Evolutionsprinzip) gegenüber. Beide ließen sich mit der Exegese von Marx’ Werken begründen. Die gemäßigte Variante hatte zwei Ausprägungen: die orthodoxe (Aufrechterhaltung der Inhalte und ihre Ergänzung) und die revisionistische (kritische Interpretation und Verzicht auf den historischen Materialismus). Obwohl insbesondere für letztere ein – vergleichsweise – hohes Maß an Anpassungsfähigkeit (und damit Realitätsbezug) zu vermuten ist, konnte sie sich nicht durchsetzen. Der naheliegendste Grund ist in der Machtarithmetik des Bolschewismus zu sehen: Dieser konnte nur durch gewaltsamen Umsturz die Regierung übernehmen. Zum Erhalt derselben war er auf die alleinige Deutungshoheit angewiesen. So gehe auch die „größte Gefahr für die absolute, unbeschränkte Herrschaft ... von internen Rivalen der Machtelite“ aus (Leipold 1997b, S. 411). Letztlich dienten „Führerprinzip und autoritäre Staatsführung ... nur [als] die Umschreibung für einen Zustand, in dem jeder Einzelne und jede Gruppe, die sich stark genug fühlen, es versuchen, sich mit Gewalt der Herrschaft zu bemächtigen“ (von Mises 1940, S. 709).

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Deshalb verbot sich jeder konkurrierende Ansatz, auch innerhalb des gleichen Ideensystems. Es verwundert in diesem Zusammenhang nicht, dass erst nach dem Tod Stalins auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 dessen Legende der ökonomischen Entwicklung nachhaltig zerstört wurde. So kritisierte Stalins Nachfolger Nikita S. Chruschtschow die sowjetischen Ökonomen „wegen ihres ‚blinden Festhaltens an alten Zitaten, Formeln und Prinzipien’ ... [und rief sie auf], eine ‚schöpferische Haltung’ gegenüber der marxistisch-leninistischen Theorie einzunehmen“ (Pribram 1992a, S. 768).130 Die Folgen, die dieses Denken und seine Rezeption in den „real existierenden“ sozialistischen Gesellschaften hatte (und hat), sind hinreichend bekannt. Einige Aspekte von praktischer Bedeutung sollen im folgenden Abschnitt kurz dargestellt werden.131 3.2.2.2. Die Bedeutung für reale Systeme und insbesondere für Russland Die Arbeiterparteien der meisten Länder haben die Lehre von K. Marx übernommen. In den ehemals sozialistischen Systemen war sie herrschende Staatsideologie, in Russland seit 1917. Damit waren sowohl die Möglichkeiten für die wirtschaftliche (Produktionsweise)132 als auch die politisch-gesellschaftliche Entwicklung (dialektischer Materialismus und Geschichtsdeterminismus)133 festgelegt. Der sowjetische Bolschewismus spielte die dominierende Rolle. Alle gegebenenfalls abweichenden Interpretationen des Marxismus im In- und Ausland hatten sich ihm unterzuordnen. Nicht nur durch die räumliche Nähe und eigene Erfahrungen134 ist dies noch sehr präsent. Insbesondere auch die kurze Zeit seit dem Ende der sozialistischen Systeme135 und die breite wissenschaftliche Aufarbeitung sind ursächlich für eine vergleichsweise gute Dokumentation dieser Zusammenhänge. Weniger präsent ist die Bedeutung älterer Ansätze, so des Merkantilismus und der Physiokratie. Sie dienten seinerzeit dem Machterhalt der herrschenden Schichten – und diese Mechanismen könnten durchaus in die heutige Zeit übertragen werden. Zwar hat sich die Wirklichkeit durch technischen Fortschritt und neues Wissen verändert, aber nach wie vor sind (materielle) Ressourcen nötig, um politisch in nicht-demokratischen Systemen zu überleben (beispielsweise durch den Kauf von Unterstützung der Eliten, zur Schaffung militärischer Macht nach innen und außen).136 Insofern sind über gegebenenfalls vorhandene Ideologielinien hinaus direkte Verbindungen erkennbar, die nicht-demokratischen Systemen immanent sind und der Logik der Machtsicherung oder auch der Rentensuche folgen. Mit anderen Worten: Wenn Merkantilismus oder Physiokratie so stark rezipiert worden wären wie der Kommunismus von K. Marx, dann hätten sie vermutlich auch einen ähnlich großen Schaden angerichtet. Dies gilt durchaus auch für die Physiokratie – trotz ihres ökonomischen Freiheitsgedankens. Dieser wäre vermutlich nicht haltbar gewesen, weil der Physiokratie letztlich immer eine Art Vorrangigkeit zugrunde liegt, und weil die Suche nach der „natürlichen“ Ordnung stets eine Hierarchie einschließt und deshalb Zwang und Unterordnung erfordert – der notwendige, „allmächtige“ Staat hätte vor den gleichen unlösbaren Problemen gestanden wie die kommunistischen Gesellschaftsutopien in allen Staaten der Welt. Nur eine wirklich freie Gesellschaft ohne Bevorzugung einiger (und das heißt Benachteiligung anderer) Sektoren hat das Potential, auf Dauer

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freiheitssichernd und wohlstandsfördernd, im besten Sinne gerecht und menschenwürdig zu sein. Die Ideen des Merkantilismus waren auch im zaristischen Russland gegenwärtig.137 Es gab Manufakturen und Bergwerke, die Einwanderung von Fachkräften aus westeuropäischen Staaten wurde gefördert. Damit verbunden waren Zwangsrekrutierungen von Arbeitskräften und der festungsgleiche Ausbau der Manufakturen. Diese wurden von Soldaten bewacht, um die „Abwanderung“ der Arbeitskräfte zu verhindern. Damit gelang es, die Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen.138 Allerdings fehlte der Wirtschaftspolitik unter Peter dem Großen ein wesentliches Merkmal des Merkantilismus: der Vorrang im Bemühen um eine aktive Handelsbilanz (vgl. Blaich 1973, S. 185 f.). Dies wurde von Leontief auf die geographischen Besonderheiten Russlands zurückgeführt, das an der Peripherie Europas und außerhalb der Staaten des damaligen Weltzentrums liegt.139 Die Kriege Peters des Großen waren darauf gerichtet, dem großen Hinterland im Osten Russlands einen Zugang zur östlichen Ostsee und zum Schwarzen Meer zu schaffen. Damit sieht Leontief das Motiv von Peters Entwicklungspolitik in der Machtpolitik „eigener, russischer Art“ und in Peter dem Großen den ersten „Imperator“ (zitiert nach Blaich 1973, S. 186). Auch für physiokratische Lehrmeinungen waren in Russland Sympathien vorhanden, so bei der Zarin Katharina II. (1729-1796) (s. Kolb 2000, S. 488). Zwar lag Russland, wie eben beschrieben, an der Peripherie Europas, doch war es nicht so fern, dass nicht unter Wissenschaftlern, in der Literatur und nicht zuletzt unter den Herrschenden ein Austausch erfolgt wäre. Möglicherweise hat die spätere Zarin Katharina II. (auch Katharina ‚die Große’ genannt) ihre Aufgeschlossenheit gegenüber den Physiokraten aus Deutschland mitgebracht – sie wurde 1729 in Stettin als Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst geboren und ging erst im Jahr 1744 an den Zarenhof nach Sankt Petersburg, um den russischen Thronfolger, den Großfürsten Peter Iwanowitsch (den späteren Zaren Peter III.), zu heiraten (vgl. Siebert 2007, S. 1). Freilich richtete sie ihre Politik im Verlaufe ihrer Herrschaft, die sie 1762 durch den Sturz ihres Mannes Peter III. erlangt hatte, immer stärker an den Interessen der adligen Grundbesitzer aus (vgl. Siebert 2007, S. 2). Allerdings hat Katharina II. wenigstens zu Beginn ihrer Regierungszeit ernsthafte Versuche unternommen, Anreize zu unternehmerischer Initiative auf gewerblichem Gebiet zu setzen und gleichzeitig staatliche Interventionen zurückzunehmen (vgl. Heller 1998, S. 112). Freilich dürften insgesamt am Zarenhof weniger die freiheitlichen, als eher die staatswirtschaftlich-konstruktivistischen Elemente eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls herrschte zu jener Zeit noch die Leibeigenschaft der Bauern, und Katharina II. verfasste eine ‚Instruktion’ einer gesetzgebenden Kommission, für die sie die Gedanken Montesquieus eines ‚aufgeklärten Despotismus`’ heranzog (vgl. Siebert 2007, S. 2). Die Ideen der ökonomischen Klassiker fanden den Weg an den russischen Zarenhof auch durch den deutsch-russischen Ökonomen von Storch.140 Dieser ist ein Beispiel für die Mobilität des ökonomischen Wissens zur damaligen Zeit und für dessen Einfluss auf die politischen Eliten. Katharina II. wollte ihn zu ihrem Privatsekretär erheben, was durch ihren Tod verhindert worden ist.141 So wurde von Storch erst nach dem Tod von Katharina II. Lehrer am Zarenhof und unterrichtete die Kinder von Paul und Maria Feodorowna, darunter den

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späteren Zaren Nikolaus I. (vgl. Kieseritzky 1893/2007, S. 437 f.).142 Von Storch wurde 1803 Ordinarius für politische Ökonomie und Statistik an der Sankt Petersburger Akademie der Wissenschaften.143 Er war ein Kritiker der Arbeitswertlehre, der ausführlich mit dem Werk von Adam Smith vertraut war und einige Widersprüche in dessen Theorie herausarbeitete (vgl. Rosner 1997, S. 193). Auch trat er für Pressefreiheit ein, beschönigte die Zustände in Russland nicht, versuchte gleichwohl, positive Elemente herauszustellen. Es ist zu vermuten, dass es von Storch (und anderen) so gelang, westliche Gedanken und Theorien in einer Weise nach Russland zu vermitteln, die den dortigen Gegebenheiten (also den Besonderheiten der Kultur und Tradition sowie den Herrschaftsstrukturen) Rechnung trug.144 Die Besonderheiten dieser geschichtlichen Erfahrungen und einige der skizzierten Zusammenhänge sind nach wie vor wirksam. Sie dürften sich insbesondere auch in ‚modernen’ autokratischen Systemen wiederfinden. Der Rückgriff auf die vorher behandelten „Schulen“ ist hilfreich, um – beispielhaft – einige vermutete Verbindungen darzustellen. Dies gilt umso mehr, als eine „Russische Schule“ des ökonomischen Denkens nicht existiert hat (vgl. Zweynert 2002, S. 422).145 Abschließend soll nun auf Klima und Geographie eingegangen werden, weil auch von ihnen Einflüsse auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung eines Landes ausgehen. 3.2.3.

Besonderheiten der Umwelt als Determinanten institutioneller Eigenarten

3.2.3.1. Allgemeine Bemerkungen Einflüsse der Umwelt waren stets prägend für die in ihr lebenden Menschen.146 Zur Umwelt gehören Klima (Wetter mit Temperatur, Niederschlägen usw.), Geographie (Lage, Oberflächengestalt usw.) sowie in ihr vorkommende Lebewesen und Materie (Tiere, Pflanzen, organische und anorganische (Roh)Stoffe). Sie beeinflussen die Möglichkeiten, in denen wirtschaftliche und darüber hinaus institutionelle Entwicklung möglich sind.147 Die Faktoren der Umwelt können sich sowohl fördernd als auch hemmend auf die Entwicklung auswirken (vgl. Stadelbauer 2001, S. 11). Förderlich können sie beispielsweise dann sein, wenn ein gemäßigtes Klima den Zugang zu vorhandenen Rohstoffen erleichtert, diese mit geringem Aufwand gewonnen, transportiert und verarbeitet werden können. Daneben können die Umweltbedingungen die Lebensqualität erhöhen und damit ein ‚weicher’ Faktor im Standortwettbewerb sein.148 Aber nicht nur das Vorhandensein bestimmter Rohstoffe oder Klimabedingungen, auch ihr Fehlen kann Anreize zur Entwicklung bieten. Dahinter steht der Gedanke, dass das Ziel des Wirtschaftens darin besteht, die Knappheit der Güter zu mindern. Die Knappheit setzt damit Handelnsanreize, ohne die keine Notwendigkeit zum Handeln und damit zur Entwicklung empfunden würde.149 Andererseits kann die Knappheit wichtiger Faktoren oder Rohstoffe auch gleichsam „prohibitiv“ hoch sein. Das könnte dazu führen, dass – auch trotz etwaiger komparativer Kostenvorteile – die Förder- oder Transportkosten aufgrund großer Entfernungen so hoch

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sind, dass bei freier Preisbildung Investitionen unterbleiben. Auch könnten die natürlichen Bedingungen (z.B. eine zu kurze Vegetationszeit in der Landwirtschaft) einen Ertrag verhindern. Diese Aspekte sollen im Folgenden kurz untersucht werden. 3.2.3.2. Klima, Geographie und wirtschaftliche Entwicklung Die Zusammenhänge zwischen klimatischen und geographischen Faktoren und der wirtschaftlichen und institutionellen Entwicklung eines Landes werden seit langem untersucht.150 Für die Wachstumstheorie hat die Ausstattung mit Produktionsfaktoren seit jeher eine besondere Rolle gespielt. In jüngerer Zeit gewinnt auch die Frage der Nachhaltigkeit der Ressourcennutzung an Bedeutung (s. Frenkel und Hemmer 1999, S. 321-339). In seiner landwirtschaftlich geprägten Untersuchung ist bereits Heinrich von Thünen (1826/1990, S. 75-85) der Frage nach dem Zusammenhang von Arbeitskosten und Entfernung des Ackers vom Hof nachgegangen. Aus der Häufigkeit des zurückzulegenden Weges und der Art der jeweils notwendigen Arbeit leitet er konkrete Folgerungen ab, in welcher Entfernung sich welche Nutzungsform empfiehlt. Die Transportkosten, die hier sehr wesentlich sind, können auch heute noch als wichtiger Faktor für die Rentabilität einer Investition gelten. Neben den Transportkosten sind für die Raumwirtschaftslehre noch weitere Faktoren von Bedeutung, so die Mobilität von Kapital und Arbeitskräften (s. Stahl 1997, S. 56). Geographische Faktoren wie Entfernung, Lage (zum Meer sowie zu anderen Staaten oder Unternehmen usw.) und Oberfläche (Berge, Sumpf) sind von großer Bedeutung für ökonomische Entscheidungen.151 So ist leicht vorstellbar, dass Gebirge oder Sümpfe den Transport behindern, ebenso wie lange schneereiche und kalte Winter, in denen Flüsse nicht schiffbar sind. Blaich (1973, S. 186) stellt unter Verweis auf Leontief fest, dass Russlands Lage an der Peripherie Europas dafür verantwortlich gewesen sei, dass es seinen Blick nach Osten gerichtet hätte und das Gedankengut des Merkantilismus deshalb nicht vollständig übernommen habe, weil es wenig in Wettbewerb mit Westeuropa gestanden habe.152 Die Entfernung zwischen den Wirtschaftssubjekten, mithin die Bevölkerungsdichte, kann einen wichtigen Einfluss darauf haben, inwieweit Spezialisierungsgewinne erzielt werden können. So müssten die verstreut lebenden Familien bei geringer Bevölkerungsdichte lernen, „eine große Zahl kleiner Arbeiten selbst [zu] verrichten ..., für die sie in dichter besiedelten Gegenden die entsprechenden Handwerker rufen würden“ (Smith, A. 1776/2005, S. 101). Trotzdem haben Geographie und Ökonomie einen grundsätzlich unterschiedlichen Blick auf die Probleme. Dies erklärt die Schwierigkeiten bei der Behandlung von Fragen, die trotz deutlicher Berührungspunkte auftreten.153 Gleichwohl bietet insbesondere die Entwicklungstheorie Ansätze, geographische Faktoren (im weiteren Sinne) zu berücksichtigen (siehe dazu ausführlich Krugman 1999). Zu den geographischen Bedingungen kann auch das Vorkommen von natürlichen Rohstoffen gezählt werden.154 Sie sind in der Umwelt (z.B. im Boden) in natürlicher Verteilung vorhanden (vgl. Clement 2003, S. 299). Anders als bei produzierenden Unternehmen ist die Förderung der Rohstoffe damit räumlich festgelegt. Allerdings gelten, sofern die Preise ihre Koordinationsfunktion erfüllen können, auch hier die Gesetze des Marktes.

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Das heißt, dass Investitionen in die Gewinnung unterbleiben, wenn der Aufwand (einschließlich Transport usw.) höher ist als der zu erzielende Ertrag. 155 Freilich können die Gesetze des Marktes oft nur verzerrt wirken, weil der Ordnungsrahmen kein marktwirtschaftlicher ist, oder weil es durch Korruption und die Zuteilung exklusiver Verfügungsrechte (Abbaurechte) zu einer Fehlallokation der volkswirtschaftlichen Ressourcen kommt (s. Clement 2003, S. 307 f.). Ob der Reichtum an Rohstoffen also tatsächlich die Entwicklung eines Landes fördert, hängt maßgeblich von den vorhandenen Institutionen ab.156 So sind insbesondere Länder, die sich durch eine große Bürokratie sowie unvollkommen vorhandene (oder durchgesetzte) marktwirtschaftliche und demokratische Institutionen auszeichnen, bei Vorhandensein reicher Rohstoffvorkommen anfällig für die Bildung von Interessengruppen und die gesamtwirtschaftlich ineffiziente Rentensuche (siehe dazu Olson 2004 sowie Abschnitt 3.1.2.). Eine große Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung wird auch dem Klima157 zugeschrieben.158 Dabei wird ihm über das Wirtschaftswachstum hinaus auch ein Einfluss auf die institutionelle Entwicklung des Staates unterstellt.159 So wird ein Einfluss auch auf die Menschen und ihre Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen vermutet (siehe z.B. Margolina 2006a, S. 13). Dass Individuen durch ihre Umwelt geprägt werden, wurde bereits dargestellt. Es liegt daher nahe, dass die natürliche Umwelt in Gestalt von Klima und Geographie ebenfalls einen Einfluss auf die institutionellen Rahmenbedingungen eines Landes hat.

3.3.

Zusammenfassung

Ähnlich der zuvor in Kapitel 2 behandelten Ansätze dient Sozialkapital der Erklärung individuellen Handelns durch die Schaffung von Vertrauen. Dadurch kann genauso Unsicherheit reduziert (und können Transaktionskosten gesenkt) werden wie dies durch Institutionen möglich ist. Die formalen und informalen Institutionen des bestehenden Ordnungsrahmens können nicht nur Ergebnis des Sozialkapitals der Vergangenheit sein, sie bilden gleichsam auch einen Rahmen, in dem seine verschiedenen Ausprägungen entstehen können. Sie bestimmen daher mit, welche Wirkung Sozialkapital entfalten kann. Sozialkapital ist Voraussetzung für das Entstehen einer Zivilgesellschaft. Ohne diese kann es wiederum keine funktionierende Demokratie geben. Sozialkapital im positiven Sinn entsteht spontan aus der freiwilligen Interaktion von Individuen, gleichsam als positiver externer Effekt. Dieser Prozess kann nur horizontal zwischen freien und eigenbestimmten Individuen entstehen – und er muss durch einen adäquaten institutionellen Rahmen ermöglicht, d.h. er darf nicht (im Extremfall ganz) verhindert werden. Je stärker der institutionelle Rahmen das freie und eigenbestimmte Handeln der Individuen beschränkt, desto wahrscheinlicher entsteht Sozialkapital in vertikalen Netzwerken, mithin Vertrauen in seiner negativen Ausprägung. Sein Nutzen kommt im Gegensatz zum vorherigen Fall nur den Mitgliedern einer Gruppe zugute. Es ist nach innen gerichtet und nicht in der Lage, positive externe Effekte zu erzeugen. Wenn es Externalitäten für die Gesellschaft erzeugt, dann sind diese negativ. Die Art des Vertrauens in solchen „Klubs“ beruht nicht auf wechselseitig freien Willenserklärungen, sondern auf Macht und

3. Soziales Kapital, Interessen und Umwelt

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Abhängigkeit, insofern ist selbst für die exklusive Gruppe der Begünstigten ein negatives Moment festzustellen. Je kleiner eine solche Gruppe ist und je homogener die Interessen ihrer Mitglieder sind, umso leichter lassen sich diese organisieren. Damit wird es möglich, Rentensuche zu Lasten der großen Gruppe der nicht Begünstigten (mit anderen Worten: der Gesellschaft) zu betreiben. Die Rentensuche ermöglicht es den Beteiligten, nichtleistungsbedingte Einkommen (Renten) durch Macht, Defektion (Regelmissachtung) oder Korruption zu erzielen. Dies kann durchaus im Interesse aller unmittelbar Beteiligten, so auch von Politikern und Bürokratie sein, doch ist es in hohem Maße unproduktiv. Zu hoffen, der Staat könnte hier korrigierend eingreifen, verkennt die Wirkzusammenhänge: Je größer die Bürokratie, je aktiver der Staat in seinem Bemühen um weitgehende Regelung der wirtschaftlichen Prozesse ist, um so angreifbarer für Partikularinteressen ist er und umso höher ist auch die Korruption – und umso mehr wird zwangsläufig das freie und eigenbestimmte Handeln der Individuen eingeschränkt sein. Die Renten, die erzielt werden können, sind insbesondere bei Vorhandensein großer Rohstoffvorkommen und anderer Vermögenswerte so attraktiv, dass sich die Rentensuche und das Streben nach Zuteilung exklusiver Aneignungsrechte auch bei sehr hohen Kosten lohnen. Wirtschaftliche und politische Macht treten hier in Wechselbeziehung und bedingen sich gegenseitig: Das Interesse der einen Seite ist der Zweck der anderen und umgekehrt. Verfügungsmacht kann insbesondere dann entstehen, wenn verhaltensbeschränkende moralische Rückbindungen fehlen, wenn die Anreize zu rentensuchendem Verhalten sehr hoch und die Interessenverflechtungen der informellen Netzwerke stabil sind. Vor dem Hintergrund der leichteren Organisierbarkeit kleinerer Gruppen ist unter diesen Bedingungen die Persistenz auch von autokratischen und sogar von totalitären Systemen möglich. „Legitimation“ kann dann von oben nach unten, also zunächst innerhalb der privilegierten Elite und dann durch die Nichtbegünstigten, entstehen. Auch die auf der untersten Stufe Stehenden haben einen Anreiz, diese Ordnung anzuerkennen (was nicht heißt, dass sie ihr zustimmen müssen). Mit der Dauer des Bestehens dieser Ordnung und mit der Höhe der Investitionen zur Anpassung an dieselbe fällt es immer schwerer, sich von ihr zu lösen. Die Verfestigung von Strukturen der Herrschaft findet ihre Entsprechung in der dauerhaften Bevorzugung der zu ihrer Sicherung notwendigen Ressourcen. Nichtdemokratische Systeme sind dauerhaft auf materielle Ressourcen zur Machtsicherung angewiesen, weil die Ressourcen notwendige Voraussetzung für ihren Fortbestand sind. Insofern muss ihnen ein latentes Denken in Vorrangigkeiten immanent sein. Dies lässt sich für die Vergangenheit anhand verschiedener Beispiele zeigen, und diese Mechanismen besitzen auch heute noch Gültigkeit. So bedingen und verstärken sich Rentensuche und autokratisches System, nicht zuletzt wenn diese Länder von großem Rohstoffreichtum geprägt sind, weil stabile Verteilungskoalitionen zu Lasten der Gesellschaft dauerhaft hohe Einkommen versprechen. Den Ausführungen der vorangegangenen Kapitel lag bereits – zumeist implizit – die Sicht auf Russland zugrunde. Zum Teil wurden auch bereits Verknüpfungen zu Russland hergestellt. Im sich anschließenden Kapitel 4 wird explizit auf die Situation eingegangen, wie sie in Russland zu beobachten ist.

Russlands Sonderweg der Transformation

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4.

Russlands Oligarchie und ihre Wurzeln

4.1.

Einführende Bemerkungen

Die makroökonomischen Daten Russlands haben sich seit Ende der 1990er Jahre deutlich und kontinuierlich verbessert. Auffallend ist gleichwohl eine nach wie vor starke Abhängigkeit der russischen Ökonomie vom Rohstoffsektor.1 Die wirtschaftliche Ordnung, die offiziell der Marktwirtschaft verpflichtet ist, kommt nicht ohne erläuternde Attribute aus: So sei die russische Wirtschaft eine Geld-, aber keine Marktwirtschaft. Auch wird die verbreitete Zunahme der Schattenwirtschaft beklagt.2 Die Entwicklung von einer offenen zu einer geschlossenen Gesellschaft (außenpolitisch und aus Sicht eines Beobachters des Systems) wird als ein wichtiges Charakteristikum nach 10 Jahren der Reformen herausgestellt (vgl. Rywkina 2001, S. 44). In noch größerem Maße ist diese Aussage heute zutreffend.3 Zweifellos ist es Russland gelungen, die Transformationsschwelle in dem Sinne zu überschreiten, dass ein Rückfall in das kommunistische zentralplanwirtschaftliche System, wie es in der Sowjetunion bestanden hat, unwahrscheinlich erscheint. Doch finden die Euckenschen konstituierenden und regulierenden Prinzipien einer Wettbewerbsordnung, die in Kapitel 2 in Abschnitt 2.1.2.2. dargestellt wurden, nicht jene praktische Anwendung, die dem Transformationsziel einer Marktwirtschaft und Demokratie adäquat wäre.4 In der Amtszeit von Präsident Jelzin in den 1990er Jahren traten Unvollkommenheiten und Defekte des zentralplanwirtschaftlichen Systems5 noch deutlicher zutage, als dies bis dahin schon der Fall war. Der Optimismus, der im Hinblick auf eine Stärkung des marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmens nach dem Amtsantritt Putins in Russland selbst wie auch im Ausland zuweilen spürbar war, ist bald verbreiteter Skepsis gewichen. Dirigistische und autokratische Maßnahmen haben sich in Putins Amtszeit in einer Weise verstetigt, die erhebliche Zweifel am Fortbestand der ordnungspolitischen Grundentscheidung für eine freiheitliche Marktwirtschaft und Demokratie haben aufkommen lassen. Eine Abkehr von diesem Kurs des Staatsdirigismus unter Präsident Medwedjew (2008-2012) ist ebenfalls nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund soll nun, ausgehend von den theoretischen Grundlagen, die in den bisherigen Kapiteln gelegt wurden, auf Besonderheiten Russlands eingegangen werden. Dabei geht es jedoch nicht darum, den russischen Sonderweg als eine determinierte Zwangsläufigkeit aufzufassen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Sonderentwicklung Russlands durch die im Folgenden dargestellten Kräfte erhöht wird.6 Vorrangig sollen diejenigen Aspekte dargestellt werden, in denen prägende Momente für die im Weiteren näher zu beschreibenden Phänomene einer „oligarchischen“ Wirtschaftsstruktur und einer hierarchisch geprägten Gesellschaft (im Sinne der staatlich „gelenkten Demokratie“) vermutet werden. Diese beiden Phänomene werden – im Euckenschen Verständnis der Interdependenz der Teilordnungen – als zwei Seiten einer Medaille aufgefasst.

4. Russlands Oligarchie und ihre Wurzeln

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Zunächst wird auf geographische, geschichtliche und kulturelle Besonderheiten Russlands eingegangen. Die Darstellung beschränkt sich auf Erklärungen für aktuell beobachtbare Erscheinungen. Diesem Abschnitt folgt ein Rückblick auf den real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion, der durch die Reformbestrebungen von Michail Gorbatschow seit 1985 sein Ende fand. Die von ihm eingeleiteten Reformen, die sog. Perestroika (Umgestaltung, Umbau), die zunächst keineswegs als Systemwechsel, sondern als „Vervollkommnung“ des bestehenden Systems intendiert waren (vgl. Peterhoff 1999b, S. 358), haben wichtige Voraussetzungen geschaffen, auf deren Grundlage sich später die „oligarchische“ Wirtschaftsstruktur Russlands entwickeln konnte. Anschließend wird nachvollzogen, wie es bestimmten Gruppen – beginnend in der Phase der Gorbatschowschen Reformen und unter Rückgriff auf bereits vorher bestehende Handlungsmuster – möglich war, das in dem abrupt einsetzenden Systemwandel entstandene institutionelle Vakuum für die Verfolgung ihrer Interessen zu nutzen. Hier soll gezeigt werden, dass diese Gruppen auf Erfahrungen zurückgreifen konnten, die in den verschiedenen Phasen der Privatisierung einen Wissens- und Handlungsvorsprung bedeuteten, der Einfluss auf die weitere Regelsetzung hatte und das Verhältnis von Wirtschaft und Politik in der zweiten Amtszeit von Präsident Jelzin bestimmen konnte. Das wiederum beeinflusste das Handeln von Wladimir Putin.

4.2.

Besonderheiten Russlands und seiner Entwicklung

4.2.1.

Geographische Lage und natürliche Umwelt

4.2.1.1. Geographie und Klima Russland erstreckt sich über ein Territorium von ca. 17.075.400 qkm. Dies entspricht ungefähr 76 % der Fläche der ehemaligen Sowjetunion. Damit ist Russland immer noch der größte Flächenstaat der Erde. Etwa ein Viertel seiner Landfläche liegt auf europäischem, drei Viertel auf asiatischem Gebiet (vgl. Mommsen 2002, S. 355). Die Bevölkerung von rund 145 Millionen Einwohnern7 verteilt sich sehr ungleich über das Land – mit einer starken Konzentration in Großstädten. Dies ist nicht zuletzt auf die Industrialisierungs- und Verstädterungspolitik der sowjetischen Machthaber zurückzuführen.8 Durch die Abwanderung aus den mit großem Aufwand während der Sowjetunion erschlossenen Gebieten des hohen Nordens hält diese Entwicklung weiter an (vgl. Stadelbauer 2001, S. 20). Dies ist auch weiterhin für jene klimatisch ungünstigen und räumlich abgelegenen Regionen zu erwarten, in denen selbst bei steigenden Preisen auf den Weltmärkten eine Gewinnung der dort vorkommenden Rohstoffe bisher wirtschaftlich nicht möglich ist.9 In jenen Teilen der Bevölkerung, die nicht abgewandert sind, ist angesichts fehlender wirtschaftlicher Perspektiven Resignation erkennbar (vgl. Stadelbauer 2001, S. 20).10 Dies ist die Konsequenz einer verfehlten sowjetischen11 Industrialisierungspolitik, die jetzt in der Folge wegfallender Subventionen und Planvorgaben sowie der Abwanderung der Menschen in jene Gebiete sichtbar wird, die Arbeit und Einkommen versprechen. Die sprichwörtliche Weite des Landes – Russland erstreckt sich über elf Zeitzonen – und die daraus folgenden großen Entfernungen, die geologische Beschaffenheit und die

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Russlands Sonderweg der Transformation

klimatischen Verhältnisse führen zu hohen Kosten, insbesondere bei größeren Infrastrukturprojekten (vgl. Lynch 2001, S. 21). Darin ist ein Grund für den mangelnden Ausbau der Infrastruktur zu sehen. Die Weite des Landes kann mithin eine Entwicklungsbarriere darstellen, und sie ist umso deutlicher bemerkbar, je mehr der Staat zentralistisch geführt wird (vgl. Stadelbauer 2001, S. 11). Gerade deshalb könnte eine Dezentralisierung politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen in Verbindung mit einer Stärkung des Subsidiaritätsprinzips (Vorrang der niederen Ebene) Informations- und Entscheidungskosten reduzieren. Die genau entgegengesetzte Auffassung vertrat freilich Zarin Katharina II.: „Ein weiträumiger Staat setzt eine autokratische Herrschaft in jener Person voraus, die ihn regiert“, damit die Nachteile der großen Entfernungen durch die Schnelligkeit der Entscheidungen ausgeglichen werden können (zitiert nach Raupach 1979, S. 1). Die Neigung zum staatswirtschaftlichen Zentralismus als Antwort auf die Herausforderungen schwer zu überwindender räumlicher und klimatischer Bedingungen besitzt in Russland geschichtliche Kontinuität. Dieserart lässt sich der Marxismus-Leninismus als Staatsdoktrin – seinem eigenen Verständnis folgend – als ideologischer Überbau für die unter den naturräumlichen Gegebenheiten und in Wechselwirkung zu den mit politischem Zwang entstandenen Produktionsverhältnissen verstehen (vgl. Raupach 1979, S. 4).12 Zu Recht stellt Kappeler (2002, S. 10 f.) unter Hinweis auf den russischen Philosophen Pjotr Tschaadajew fest, dass dessen „These von der großen und ambivalenten Wirkungskraft der geographischen Gegebenheiten auf die russische Geschichte ... grundsätzlich zuzustimmen [ist]“, sie darf jedoch nicht zu „deterministischen Kurzschlüssen“ führen.13 Eine neue Phase der Zentralisierung der Verwaltungs- und Machtstrukturen Russlands hat Präsident Putin bereits in seiner ersten Amtszeit begonnen (vgl. Thumann 2002, S. 243). Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat er im Mai 2000 per Dekret die Einsetzung von sieben bevollmächtigten Vertretern erlassen (vgl. Mommsen 2002, S. 398). Sie sollen in den so geschaffenen Großregionen14 die Interessen des Kremls durchsetzen und die „Regionalfürsten“ der 89 „Subjekte“15, in die sich Russland nach seiner Verfassung aus dem Jahre 1993 gliedert, kontrollieren. Allerdings entstand dadurch die Gefahr, dass auch diese wiederum ein „Eigenleben“ entwickeln konnten (vgl. Mommsen 2002, S. 398). Die geographische Entfernung zum politischen Entscheidungszentrum ist mit einer solchen Maßnahme folglich nur bedingt zu überwinden. Das Machtvakuum aufgrund der räumlichen Distanz könnte dann von den handelnden Individuen und Gruppen, einschließlich von Kriminellen, im eigenen Interesse ausgefüllt werden (vgl. Skaperdas 2001, S. 180). Freilich waren (und sind) diese Phänomene insbesondere in Russland nicht nur an der Peripherie des Landes anzutreffen.16 Russlands Streben nach Größe behinderte die nationale Einheit der ethnisch heterogenen Bevölkerung. Gemeinsame Institutionen konnten kaum entstehen: Die informalen Institutionen waren zwischen den Bevölkerungsgruppen verschieden, die formalen Institutionen, nicht selten den informalen entgegengesetzt, wurden autokratisch durchgesetzt. Erhebliche Teile des Haushalts wurden durch das Militär gebunden, um das Land gewaltsam zusammenzuhalten und auszudehnen (vgl. Thumann 2002, S. 41). Für den Aufbau einer verbindenden Infrastruktur waren keine ausreichenden finanziellen Mittel vorhanden.

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Der Raum hat die Mentalität des russischen Volkes geprägt wie weniges sonst.17 „Eingespannt zwischen einer garstigen Natur und dem Joch der Autokratie, wählte der russische Untertan nicht den Kampf um seine Rechte, sondern die Flucht. Die Weite des Landes erlöste ihn von der Unterdrückung, untergrub aber auch die zivilisatorischen Anstrengungen“ (Margolina 2006b, S. 25).18

Einerseits stimulierte diese Weite also die Migration, auf der anderen Seite förderte sie eine extensive Wirtschaftsweise, die „Russland nicht zu einer Intensivierung der Anbaumethoden oder der Technologie [zwang]“ (vgl. Kappeler 2002, S. 12 f.). Auch gab es strategische Gründe für die Nutzung des gesamten Raumes, etwa zur Erschließung des Nordens und Ostens des Reiches. Nach der kommunistischen Revolution wurden diese um gesellschaftspolitische Motive ergänzt. So meinten die Vordenker des Kommunismus – was später von der Institutionentheorie erklärt wurde –, der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft könne „am besten auf neuem Land … ohne Traditionen oder bodenständige Minderheiten, lokale Sitten und Gebräuche erfolgen“ (Wiles 1965, S. 443). Das Klima Russlands ist in weiten Teilen des Landes während einer langen Zeit des Jahres durch Kälte und Schnee oder durch Sümpfe ungünstig für Transport und wirtschaftliche Aktivitäten. Das zumeist kontinentale Klima weist große jahreszeitliche Temperaturschwankungen auf – mit einem ausgedehnten winterlichen Kältehoch in weiten Teilen des Landes. Typisch sind lange, harte Winter und kurze, heiße Sommer. Der Dauerfrostboden bedeckt mit 47 % fast die Hälfte der Landesfläche. Im Norden herrscht ein mehrere Monate dauernder Eisgang auf den Flüssen. Ihre Nutzung als Transportmedium ist dadurch stark einschränkt. Die Niederschlagsmengen betragen 600-800 mm pro Jahr, was bereits ausreicht, um in einigen klimatisch prinzipiell für landwirtschaftliche Produktion geeigneten Gebieten im europäischen Teil des Landes die mineralischen Nährstoffe aus dem Boden auszuwaschen. Insgesamt können Klima, Oberflächenstruktur und Lage als hemmende Faktoren für wirtschaftliche Aktivitäten wirken und diese verteuern oder technisch unmöglich machen. Allerdings ist die geringe agrarische Produktion nur teilweise den natürlichen Gegebenheiten, maßgeblich aber der Organisation der landwirtschaftlichen Produktion und dem Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag geschuldet.19 Die geographischen und klimatischen Bedingungen haben nicht nur Auswirkungen auf die Ökonomie, sondern auch auf das Handeln und die Gewohnheiten der Menschen, die sich ihnen anpassen müssen.20 Auch die Politik sieht sich durch diese Bedingungen beeinflusst. Allerdings wird dieser als Geopolitik bezeichnete Teil der Politik zuweilen als ‚Pseudometaphysik‘ oder ‚Pseudotheologie‘ missbraucht, die nicht nur auf Landschaft, Geographie und Umwelt zurückgehen, sondern darüber hinaus in sakral-mythologischen Dimensionen denken (s. ausführlich Ignatow 1998). Insbesondere in jüngerer Zeit wird versucht, unter dem Begriff ‚Geopolitik‘ in einem Verständnis von „physisch-geographische[r] Einheit des Raums den territorialen Verlust nach dem Zerfall der Sowjetunion [zu] kompensieren“ (Scherrer 2001, S. 30). Mit dem Begriff werden nach Ignatow (1998, S. 10) politische und religiöse Anschauungen und Mythen eines russischen Sonderwegs propagiert, der aber nicht nachprüfbar und wissenschaftlich unseriös sei.

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Russlands Sonderweg der Transformation

Letztlich können die geographischen und klimatischen Besonderheiten Russlands auch Einfluss auf den Übergang von der Zentralplan- zu einer Marktwirtschaft haben, etwa wenn in einem Marktsystem mit knappheitsanzeigenden Preisen bisherige, auf politischen Weisungen beruhende Produktionsstätten und Siedlungen nicht mehr lebensfähig sind.21 4.2.1.2. Natürliche Ressourcen – Grundlage der Autarkiebefähigung Russlands Russland ist eines der rohstoffreichsten Länder der Erde mit großen Reserven fossiler Energieträger und mineralischer Rohstoffe. Die landwirtschaftliche Nutzfläche beträgt 221 Millionen Hektar (13 % der Gesamtfläche des Landes). Etwa 872 Millionen Hektar (51 % der Gesamtfläche) sind Waldgebiete (vgl. Clement 2003, S. 297). Für die Landwirtschaft wichtige Anbauflächen der Sowjetunion liegen nicht auf dem Gebiet Russlands, doch sind maßgebliche Vorkommen an Bodenschätzen weitgehend auf seinem Territorium verblieben (vgl. Stadelbauer 2001, S. 16). Der größte Teil der Rohstoffreserven findet sich in den asiatischen Gebieten Russlands (vgl. Clement 2003, S. 299). Umfangreiche Lagerstätten von Öl und Gas sind aufgrund ihrer Abgelegenheit von den Absatzmärkten nur mit hohem Aufwand für die Schaffung von Infrastruktur nutzbar (vgl. Stadelbauer 2001, S. 12). Dies erhöht die Kosten ihrer Gewinnung. Zudem sind die Investitionen im Verlauf der russischen Transformation so stark gesunken, dass sich ihr geringer Umfang hemmend auf das Wachstum auswirkt.22 Seit Anfang der 1990er Jahre haben die nach Autonomie strebenden regionalen Kräfte versucht, die Rohstoffvorkommen vermehrt in eigener Regie zu nutzen. Im Tausch gegen politische Unterstützung ist ihnen dies unter Präsident Jelzin – zum Teil sehr weitgehend – gelungen. Ein solcher „Regionalisierungsprozess“ hätte in der Tat den Transformationsprozess erleichtern können („Transformation von unten“). Nach dem Amtsantritt von Präsident Putin kam es recht schnell zu einer Rezentralisierung der Kompetenzen und einer Beschränkung der Zugriffsmöglichkeiten der Regionen auf die Ressourcen. 23 Dies wurde auf zentraler Ebene im Sinne der Restauration der Macht als eine notwendige Entwicklung betrachtet, doch „[gehört] die Verbindung zwischen Naturressourcen und politischer Größe, genauer zwischen Geographie und Herrschaft, ... zur russischen politischen Philosophie, die älter ist als die heutige Machtstrategie“ (Margolina 2006b, S. 25). Die Gewinnung von Rohstoffen dominiert die russische Wirtschaftsstruktur. Ihre Bedeutung – insbesondere der fossilen Energieträger – für die Gesamtwirtschaft ist weiter gestiegen (vgl. Engerer 2003). Rohstoffe machen 85 % der Ausfuhren Russlands aus (vgl. Åslund 2009, S. 8). So bestimmen die Weltmarktpreise weitgehend Russlands Leistungsbilanzentwicklung, doch wirft die Abhängigkeit der russischen Ökonomie vom Rohstoffsektor eine Reihe von Problemen auf. Der Rohstoffreichtum und das mit ihm einhergehende Einkommen können – entweder, weil die Unternehmen direkt oder mittelbar in Staatshand sind oder weil der Staat hohe Steuereinnahmen erzielt – zu hohem staatlichem Konsum und Fehlallokationen bei den Investitionen verleiten. Auch vermindern diese Einnahmen den Anreiz, notwendige Reformen, etwa im sozialen Bereich, in der Verwaltung oder durch die Schaffung marktwirtschaftlicher Institutionen (Privatisierung) für eine produktivere, international wettbewerbsfähige wirtschaftliche Struktur, in Angriff zu nehmen. Hohe Staatseinnahmen können deshalb das wirtschaftliche Wachstum hemmen

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und ein ineffektives Gleichgewicht stabilisieren (vgl. Gylfason 2000; Libman 2005, S. 13). In der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007, in der die Staatseinnahmen nicht mehr wie vorher von hohen Erlösen der Rohstoffexporte gespeist wurden, kam es bei unveränderten Staatsausgaben zu Passivierungstendenzen; auch die Mittel der Staatsfonds als Quelle für Staatsausgaben sind begrenzt. So habe sich der Ölreichtum Russlands nach Ansicht des Chefökonomen im Beraterstab des Präsidenten, Illarionow, als Versuchung für die Machthaber erwiesen, die rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Institutionen (die formal mit der Übernahme westlicher Rechtsnormen eingeführt wurden) zu zerrütten (vgl. Horn 2005b, S. 11). Russland sei wie andere „populistische Autokratien mit einer armen Bevölkerungsmehrheit und einer kleptokratischen Elite“ dadurch gekennzeichnet, dass letztere die riesigen Gewinne zur Festigung ihrer Macht verwendet (Margolina 2006b, S. 25). Mit anderen Worten: Die Rohstoffe sind der Lebenssaft, der das – korrupte – russische System speist (vgl. Holm 2001, S. II; s.a. Krämer 2004, S. 63). Aus dieser Sicht ist nachvollziehbar, dass beispielsweise in der russischen Ölindustrie in viel stärkerem Maße enge Korruptionsnetzwerke entstanden sind als in der subventionsabhängigen Kohleindustrie, die für die Rentensuche vergleichsweise unattraktiv erschien. Neben möglichen Fehlallokationen, fehlenden Anreizen zu Reformen und Rent Seeking-Problemen (wie Korruption) können hohe Devisenzuflüsse infolge hoher Weltmarktpreise für Rohstoffe zu einer Aufwertung des russischen Rubels führen, was die Wettbewerbsfähigkeit von Russlands produzierenden Branchen benachteiligen kann.24 Auch könnten hohe Lohnzahlungen im Rohstoffsektor zu ähnlichen Forderungen in anderen Branchen führen, in denen sie aber aufgrund der geringeren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit nicht gerechtfertigt wären. Dies wird als „Holländische Krankheit“ bezeichnet (vgl. Welsch 2005, S. 2).25 In Zeiten sinkender Preise vermindern sich diese Probleme, aber dem Staat fehlen gleichzeitig die Einnahmen aus dem Verkauf der Rohstoffe. Die russische Regierung versuchte, der „Holländischen Krankheit“ durch die Gründung eines Zukunftsfonds zu begegnen, in den wesentliche Teile der Einnahmen aus dem Ölverkauf fließen.26 Dass sich dieser dauerhaft – und insbesondere in weniger guten Zeiten – dem Einfluss von Lobby- und Rent Seeking-Aktivitäten entziehen kann, ist aus jetziger Sicht schwer vorstellbar. Im Jahre 1990 war die Lobby der Schwarzhändler gegen die Freigabe der Preise für Rohstoffe und Güter des täglichen Bedarfs, um sie weiter billig beschaffen und an den Rohstoffbörsen und Märkten mit einem höheren Gewinn weiterverkaufen zu können (vgl. Huber 2002, S. 199).27 Auf diesem Prinzip fußt der Beginn des Aufstiegs der Oligarchen (s. Abschnitt 4.3.). In wichtigen Bereichen des russischen Marktes blieben Preisregulierungen erhalten; und wenn sie abgebaut wurden, folgten die Preise nicht unbedingt den Weltmarktpreisen (vgl. Cukrowski 2004, S. 288). Der staatliche Einfluss auf die Rohstoffwirtschaft ist eher größer geworden, seitdem deren Regulierung wieder als politisches Instrument eingesetzt wird (s. Ludwig 2009c, S. 6; Pleines 2009, S. 3).28

Russlands Sonderweg der Transformation

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Es ist festzuhalten: Die große Befähigung Russlands zur Autarkie ist nicht automatisch ein Garant eines Wohlstands für alle. Entscheidend sind, und das zeigt das Beispiel Kanadas oder der USA, die ordnenden Kräfte, die für die Struktur und Entwicklung der Verfügungsrechte bestimmend sind. 4.2.2.

Geschichte, Orthodoxie und Kultur

4.2.2.1. Geschichte An dieser Stelle soll auf einige geschichtliche Besonderheiten Russlands eingegangen werden. Hierbei steht die Kernfrage der Arbeit, Russlands Sonderweg der Transformation, im Vordergrund des Interesses. Eine historisch chronologische Vorgehensweise wäre damit nicht vereinbar.29 Vielmehr sollen einige Elemente der russischen Geschichte aufgegriffen werden, die in der Literatur vielfach dazu dienen, den russischen Sonderweg als unausweichlich zu begründen.30 Dieser werde, so wird behauptet, durch ein bis in die Spätantike zurückreichendes und bis heute andauerndes autokratisches Kontinuum begründet, das im Langzeitgedächtnis der Russen verankert sei. 31 Schließlich sind mentale Prägungen neben Strukturelementen von Staat und Gesellschaft besonders resistent und unterliegen nur einem sehr langsamen Wandel (vgl. Simon 1998, S. 11). Zweifellos bestehen historische Ähnlichkeiten zu aktuell beobachtbaren Erscheinungen. Sie dürfen jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass es eine Zwangsläufigkeit der Entwicklung nicht gibt, dass selbst bei sehr hoher Autarkiebegabung eines Landes immer auch alternative Entwicklungspfade möglich sind. Pfadabhängigkeiten der vergangenen Entwicklung können aber künftige Handlungsmöglichkeiten erschweren. 32 Ein Land mit einer nichtdemokratischen Vorgeschichte ist deshalb nicht prinzipiell unfähig, einen demokratischen Weg einzuschlagen (s. Kapitel 2). Im Folgenden wird auf einige Kontinuitäten, aber auch auf Brüche in der russischen Geschichte eingegangen.33 Die historischen Ursprünge des heutigen Russland liegen in der Kiewer Rus.34 Sie war ein Element der christlich-europäischen Welt, bevor die Invasion der Tataren in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts der Zugehörigkeit Russlands zu Europa ein – wenn auch vorübergehendes – Ende setzte. Auch die Nowgoroder Stadtrepublik, die sich als Mitglied der Hanse am gesamteuropäischen Handel beteiligte, war eine Quelle des europäischen Russland.35 In verschiedenen Bereichen des russischen Lebens gab es dadurch europäische Einflüsse. Aber auch wenn demokratische Elemente vorhanden waren, dominierte doch das Autokratische (vgl. Ignatow 1999, S. 30). Ereignisse, die der Französischen Revolution, der Renaissance oder der Aufklärung vergleichbar wären, fehlen. Die Verstaatlichung der Gesellschaft, das paternalistische Verhältnis des Staates zu den Menschen, gilt als Grundströmung und Kontinuum der russischen Geschichte (vgl. Kappeler 2002, S. 47; auch bereits Dathe 1995, S. 81; Simon 1998, S. 14). Die Klammer für Staat und Gesellschaft war die Loyalität des Adels zur zaristischen Dynastie (vgl. Kappeler 1992, S. 99). Sie bestand in „freiwilliger“ Gefolgschaft, entsprang jedoch dem Versuch, mit der Verleihung von Privilegien die Herrschaft zu sichern. Dieses Herrschaftssystem beruhte auf dem Prinzip der gegenseitigen Versicherung und Sicherung exklusiver Rechte – zu Lasten der Bauern und der städtischen Bevölkerung. Die Idee des

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Gesellschaftsvertrags im Verhältnis von Staat und Bevölkerung fehlte und fehlt bis heute. Dies gehört zu den tiefgreifenden Unterschieden zum Westen: Der russische Herrscher schloss mit seinen Untertanen keine gedanklichen Verträge auf Gegenseitigkeit, er forderte vielmehr Unterwerfung.36 Wenn er bezahlte, dann mit relativen Vergünstigungen. Ein wesentliches Merkmal der russischen Autokratie37, deren Grundprinzipien bis ins 20. Jahrhundert erhalten geblieben sind (vgl. Kappeler 2002, S. 50), ist in der größeren Machtfülle des Monarchen und in der im Vergleich zu Westeuropa stärkeren Zentralisierung der Verwaltung des Reiches zu sehen.38 Indem der Herrscher weder an Rechtsnormen noch an ständische Institutionen, sondern vorgeblich nur an Gott gebunden war, entstand eine spezifische Herrschaftsform mit byzantinischen und tatarischen Elementen (vgl. Kappeler 2002, S. 47 ff.). Das russische, gleichsam theokratische Herrschaftssystem wurde von der orthodoxen Kirche tradiert und legitimiert.39 Im Ausgleich für ihre politische Unterordnung und die Legitimierung des Herrschers erhielt sie Privilegien (vgl. Kappeler 2002, S. 49). Reformation, Aufklärung oder eine christliche Soziallehre, etwa im Sinne von Personalität, Subsidiarität und Solidarität, hat es in Russland nicht gegeben. Zu den inneren Wurzeln des russischen Herrschaftssystems gehört seit jeher auch das Prinzip der patrimonialen Verfügungsgewalt: Die Herrscher sahen das Moskauer Reich als ihr Erbgut an, politische Herrschaft betrachteten sie als Erweiterung ihrer Eigentumsrechte über Land und Leute. In der Folge gab es in Russland lange keine Trennung zwischen Privateigentum und öffentlicher Sphäre (vgl. Kappeler 2002, S. 48).40 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatte der Selbstherrscher (Zar) gleichsam das „Obereigentum“ am gesamten Land, erst im Jahr 1785 erhielt der Adel für seinen Grundbesitz eine Eigentumsgarantie (vgl. Simon 1998, S. 14). Es verwundert nicht, dass die patrimonialen Vorstellungen der russischen Herrscher auch Denken und Handeln der Untertanen beeinflussten. Die Eigentumsmentalität war in breiten Schichten der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung vergleichsweise schwach verwurzelt. Die Vorstellung, privates Eigentum könne die Freiheit des Individuums sichern, konnte sich nicht etablieren. Traditionell trat die Freiheit des Individuums gegenüber der Gleichheit in Rechtlosigkeit gegenüber der herrschenden Elite zurück. Fehlende bzw. falsch gesetzte Anreize für das Handeln der Menschen wirkten so hemmend auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung, bestehende Strukturen wurden verfestigt und konserviert. Der russische Adel blieb in Clans und Klientelgruppen zersplittert, seine Machtposition schwach. Dies wurde von der Zentralgewalt durch Umsiedlungen, durch die Vergabe von Gütern (Privilegien) und durch die Rangplatzordnung41 gezielt gefördert (vgl. Kappeler 2002, S. 49). So vermochten es die Repräsentanten des hohen Adels, die Bojaren, selbst in der sogenannten „Zeit der Wirren“ („smuta“ – 1598-1613)42, insgesamt nicht, den Herrschaftszentralismus aufzulockern. Im Gegenteil: „[D]ie ‚Zeit der Wirren‘ [hatte] es viel besser als Iwan IV. [„der Schreckliche“; T.W.] geschafft, die Bojaren zu schwächen“ (Hosking 2000, S. 95). Die gesellschaftlichen Beziehungen waren ungefestigt, und daraus erwuchsen kaum überwindbare Schwierigkeiten, gesetzmäßige Institutionen zu schaffen.43 So blieb auch die auf Patronage-Klientel-Beziehungen beruhende Beteiligung des Adels an der Herrschaft nur informell und nicht auf verlässlichen Institutionen gegründet (vgl. Kappeler 2002, S. 51).

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Das Fehlen einklagbarer Institutionen hat die Ausbreitung der Korruption begünstigt. So stellte Katharina II. fest, viele ihrer Untertanen, vor allem fernab der Residenz, seien Gewalt und Willkür ausgesetzt und würden keine schnellen und gerechten Entscheidungen nach dem Gesetz erhalten. Seit Zar Peter I. zu Beginn des 18. Jahrhunderts haben fast alle russischen Herrscher – angesichts der starken Elemente einer Willkürherrschaft vergeblich – versucht, gegen Bestechung und Korruption anzukämpfen (vgl. Reitschuster 2004, S. 266). Auch dieses Phänomen besitzt offensichtlich eine hohe Persistenz.44 Ein weiteres Kontinuum der russischen Geschichte ist die beständige Ausdehnung des Territoriums. Durch diese jahrhundertelange Expansion verwandelte sich Russland allmählich in ein Vielvölkerreich (vgl. Kappeler 1992, S. 99; 2002, S. 71). Die Traditionen der polyethnischen Symbiose sind bis ins Mittelalter zurückzuverfolgen, ebenso sei auch das Entwicklungsdefizit der Russen im Vergleich zu vielen Nichtrussen des Reiches eine dauerhafte Erscheinung (vgl. Kappeler 1992, S. 136). Für die Vormoderne45, für einzelne Regionen Russlands bis ins 20. Jahrhundert, dürfe man daher nicht von einer russischen Nation sprechen (vgl. Kappeler 1992, S. 14). Vielmehr sei von der russischen Ethnie zu sprechen, die neben anderen Ethnien innerhalb des riesigen Territoriums bestand.46 Die russische Sprache und der orthodoxe Glaube waren zwei wesentliche ethnische Merkmale der Russen, aber der entscheidende Faktor seit dem 14. Jahrhundert war der Zentralstaat (vgl. Kappeler 2002, S. 14 f.). Insofern bestand ein russisches Imperium, aber nicht eine russische Nation.47 Die ethnische Heterogenität blieb aufgrund der Größe des Landes trotz des starken Zentralismus und des autokratisch-absolutistischen Herrschaftssystems in Russland erhalten.48 Der große und ständig weiter expandierende Raum begünstigte die Migration, erschwerte die Siedlungsverdichtung und bot der Bevölkerung Rückzugsgebiete. Die administrative Durchdringung des Landes war nur grobmaschig, nicht zuletzt auch wegen des Mangels an geeignetem Personal für die Verwaltung. Dies erleichterte der Bevölkerung Ausweichreaktionen gegenüber den Herrschenden.49 Daher dürfe die russische Geschichte auch nicht nur von der Staatsspitze her interpretiert werden, sondern müsse diese Ausweichstrategien der Unterschichten in Rechnung ziehen: „Völlig passiv war die russische Gesellschaft ... nicht“ (Kappeler 2002, S. 50). Vor allem die nichtrussische Bevölkerung leistete – auch offenen – Widerstand, blieb weniger integriert als ethnische Minderheiten in westeuropäischen Ländern (vgl. Kappeler 1992, S. 136 ff.). Die Grundeinstellung der Menschen gegenüber dem Staat war – und ist – ambivalent: Einerseits halten ihn die Menschen nicht selten für allzuständig, wenn es um ihre Belange geht, auf der anderen Seite begegnen sie ihm mit Misstrauen (vgl. Lipman 2012, S. 11 f.). Dieses ambivalente Verhältnis mag nicht zuletzt aus der Staatssicht eines methodologischen Kollektivismus folgen und ebenso daher rühren, dass Peter I. („der Große“; T.W.) unter dem Einfluss der Frühaufklärung um ein rationales Fortschrittsdenken bemüht war. Er versuchte, im Interesse der Modernisierung des Landes möglichst alle Lebensbereiche zu regulieren und sie in eine gut funktionierende, in diesem Sinne: in eine plan- und lenkbare Organisation zu verwandeln. Dazu wurden die Menschen – notfalls mit Gewalt – in den Dienst des Staates gestellt – als lebenslängliche Zwangsarbeiter und Rekruten oder als Beamte und Offiziere (bei adliger Herkunft) (vgl. Kappeler 2002, S. 25).50

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Die Zentralisierung der politischen Macht und ihre Kulminierung in der Hauptstadt Moskau oder Sankt Petersburg ist seit dem Mittelalter ein prägendes Merkmal der Staatsentwicklung (s.a. Götz und Halbach 1993, S. 3). Mit der Ostexpansion im 18. Jahrhundert setzte Russland den Kurs der Kolonialisierungspolitik verstärkt fort – mit dem Ziel, die imperiale Großmacht auszubauen.51 Dem lag die russische Idee eines ‚Panslawismus‘ zugrunde. Die beherrschten Länder gerieten nicht in eine gleichsam einseitige (koloniale) Abhängigkeit, doch waren die russischen Institutionen für ihre ökonomische und politische Entwicklung nicht besonders förderlich. Deshalb sollen abschließend zu diesem Gliederungspunkt die Mechanismen der Herrschaftserweiterung und -sicherung sowie der Entwicklungsstand des Russischen Reiches im Vergleich zum übrigen Europa angesprochen werden. Eine deutliche Spannung zwischen der politischen und militärischen Dominanz Russlands einerseits und seiner relativen sozio-ökonomischen Rückständigkeit auf der anderen Seite ist nicht erst Kennzeichen des sowjetischen Imperiums seit 1917, sondern war auch schon früher wahrnehmbar (vgl. Kappeler 1992, S. 9). Besonders in den Jahren von 1877 bis 1913 hatte die protektionistische Politik Russlands einen „militärfiskalischen“ Charakter (vgl. Jasper und Tokarev 2002, S. 223).52 So dürfte sich in dem durch den Panslawismus genährten Nationalismus, der sich in Russlands militärischen Ambitionen widerspiegelte, ein wesentliches Charakteristikum russischer Politik äußern, das sich geradlinig und mit noch wirksameren Mitteln in der sowjetischen Politik nach 1917 fortsetzte. In Russland bestand eine starke technologische Abhängigkeit vom Ausland (vgl. Jasper und Tokarev 2002, S. 224). Eine Reihe von Entwicklungen, insbesondere ab dem 18. Jahrhundert, hat Russland im Vergleich zu westeuropäischen Ländern verspätet durchlaufen. Der wichtigste Grund dafür ist in der starken Orientierung des russischen Staates an militärischen Zielen zu sehen, vor allem in den letzten 200 Jahren (vgl. Raupach 1979, S. 9; Jasper und Tokarev 2002, S. 223).53 Der Befund der ökonomischen Rückständigkeit lässt sich – zumindest teilweise – zweifellos an dieser Eigentümlichkeit („Tradition“) festmachen. Mit anderen Worten: Dem Primat des höchsten Regierungshandelns folgt systemlogisch der Vorrang politökonomischer vor individuellen Interessen (vgl. Zweynert 2002, S. 423).54 Militär und Bürokratie waren die beiden Machtsäulen des Russischen Reiches (vgl. Kappeler 1992, S. 113). Die Entwicklung neuer Technologien und Wirtschaftsformen wurde üblicherweise von der Regierung unter dem Zwang angestoßen, Handlungsunfähigkeit aufgrund der bestehenden wirtschaftlichen Rückständigkeit zu vermeiden (vgl. Jasper und Tokarev 2002, S. 223). Dabei orientierte sich die russische Entwicklungsbürokratie an den Interessen des Staates (Militär, Schwerindustrie), nicht an denen der Menschen (vgl. Heller 2002, S. 28 f.). Bei diesen Reformen „von oben“ waren die Menschen Objekt, aber nicht Initiator oder Motor der Veränderungen. Trotzdem konnten in der Periode zwischen der Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 und der Revolution 1917 ein – relativ – freies Unternehmertum und ein hochentwickeltes Genossenschaftswesen entstehen (vgl. Petrov 1996, S. 31).55 Unter Umgehung der Privilegien des Adels sind aus ehemaligen Bauern Unternehmer entstanden, die durch beharrliche Arbeit, Geschlossenheit gegenüber staatlichen Repressionen und ihre altgläubige Einstellung56 innerhalb weniger

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Generationen in einzelnen Fällen sogar große Industrieunternehmen begründen konnten (vgl. Petrov 1996, S. 32 f.). Freilich hat der Staat dem Unternehmertum in Russland einen eigentümlichen korporativen Charakter gegeben: Im Jahr 1914 fanden sich in Russland etwa 2.200 Aktiengesellschaften mit einem Kapital von 4,5 Milliarden Rubel, was mehr als 70 % der gesamten Industriekapitals entsprach (vgl. Petrov 1996, S. 41). Besonders große Unternehmen, vor allem Banken und Eisenbahnunternehmen, erwarben ihr Vermögen in kurzer Zeit durch Geschäfte mit der Verwaltung, was eine Konsequenz der staatlichen Regulierung war. So war es ihnen möglich, lukrative Konzessionen für den Bau von Bahnlinien oder bevorzugt Kredite der Staatsbank zu erhalten (vgl. Petrov 1996, S. 43). Die Direktoren von Banken, führenden Handels-, Industrie- und Transportunternehmen bildeten vor der Revolution die wirtschaftliche Elite Russlands.57 Der Kreis dieser ‚Finanzoligarchen‘ (Petrov 1996, S. 45) belief sich auf etwa 5.000 Personen, von denen wiederum nur 60 an der Leitung von fünf oder mehr Gesellschaften beteiligt waren. Relativ kurzen Reform- und Aufbruchperioden folgten jedoch stets lange Zeiten des Rückfalls in die alten freiheitsbeschränkenden und entwicklungshemmenden Verhaltensweisen (vgl. Simon 1998, S. 8).58 Die staatliche Bürokratie erwies sich oft aus Eigeninteresse als neuerungsfeindlich (vgl. Jasper und Tokarev 2002, S. 224). Reformen, auch die Industrialisierung, vollzogen sich innerhalb der hergebrachten politischen Ordnung und haben dadurch die bestehenden Widersprüche verschärft (vgl. Kappeler 2002, S. 30). Die daraus resultierenden ethischen und sozialen Konflikte innerhalb der Gesellschaft richteten sich jedoch nicht unbedingt gegen die russische Zentralmacht, sondern oftmals gegen fremde Ober- und Mittelschichten in den verschiedenen Regionen des Reiches (vgl. Kappeler 1992, S. 108). Dazu trug ein wesentliches Grundprinzip der imperialen russischen Eingliederungspolitik bei: die Wahrung des Status quo in den gewonnenen Gebieten und die Kooperation mit der fremden Elite (vgl. Kappeler 1992, S. 69). Neben Ideen59 wurden in nicht unerheblichem Umfang auch Ausländer, oftmals Angehörige des Adels, in führende Positionen in Bürokratie und Militär übernommen. Diese wurden von den Russen mitunter als Barriere für den eigenen Aufstieg wahrgenommen. Allerdings haben nur einzelne Persönlichkeiten Bedeutung erlangt, als Gruppe blieb ihr Einfluss begrenzt – auch wenn sie nicht zuletzt als Gegengewicht zum russischen Adel gezielt durch die Zaren (so von Zar Nikolaus I.) gefördert wurden (vgl. Kappeler 1992, S. 114 f.). Neben der – nicht immer freiwilligen, sondern wohl auch den Machtverhältnissen geschuldeten – Loyalität des Adels zum Zaren war die Armee das zweite wesentliche Mittel, das die russische Gesellschaft – insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert – „zusammenhielt“ (vgl. Hosking 2000, S. 511). Zum einen war sie das Instrument zur Umsetzung der imperialen Politik der Herrscher nach innen und außen. Neben dieser herrschaftssichernden Funktion wirkte sie gleichsam auch wertbildend: Sie nahm die Leibeigenen auf, befreite sie von der Erbuntertänigkeit und machte sie zu Bürgern, die bewusst für Zar und Vaterland kämpften. Dieses System war jedoch nur um den Preis der Trennung der Leibeigenen von ihren Heimatdörfern, mithin durch die Zerstörung des sozialen Gefüges, aufrechtzuerhalten (vgl. Hosking 2000, S. 511 f.). Die dörfliche Gemeinschaft („mir“) als Prinzip des sozialen und geistigen Zusammenlebens, die eine relativ späte mittelalterliche Erscheinung war, ist selbst aus fiskalischen Interessen (der Einnahmeerzielung) des Staa-

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tes entstanden. Es ist fraglich, ob sie tatsächlich in der russischen Geschichte immer existiert hat (vgl. Litschev 2001, S. 82).60 Es hat jedoch nicht an Versuchen gefehlt, sie als Erbe eines „urslavischen Kommunismus“ umzudeuten (siehe dazu Kappeler 2002, S. 60). Durch die Bereitschaft der von Leibeigenschaft befreiten und zu Bürgern gewordenen Bauern, für Zar und Vaterland zu kämpfen, identifizierten sich die Zaren mit ihrer Armee, kam dies doch ihren Großmachtansprüchen entgegen. Diese Denkweise war bereits Peter dem Großen eigen. Er verfestigte auch die grundlegende gesellschaftliche Trennung zwischen den gleichsam elitären „Staatsdienern“ und den einfachen „Steuerpflichtigen“. Diese Trennung betraf alle Seiten des Lebens wie Sprache, Kultur, Weltanschauung sowie die Auffassung von Recht, Eigentum und Macht (vgl. Hosking 2000, S. 511). Seit seiner Zeit, endgültig seit der Zeit von Katharina II., war die Bevölkerung Russlands in die Stände des erblichen sowie des nichterblichen Adels, der Geistlichkeit, der Stadtbevölkerung und der Bauern geteilt (vgl. Kappeler 1992, S. 101). Die Ständeversammlungen, die Katharina II. in der Mitte des 18. Jahrhunderts ins Leben gerufen hat, waren Instrumente, mit denen der Staat Präsenz zeigen konnte – eine Zivilgesellschaft erwuchs aus diesen staatlichen Veranstaltungen freilich nicht (vgl. Baberowski 2008, S. 33 mit Hinweis auf Geyer, D. 1977). Diese Spaltung („raskol“) zwischen den Klassen und Schichten ist ein weiteres wesentliches Spezifikum der russischen Geschichte (vgl. Ignatow 1999, S. 26). Sie betrifft einerseits als Instrument der Herrschaftssicherung die strikte Trennung der Obrigkeit von der Unterschicht. Die Elemente der Oberschicht, namentlich der Zar und der Adel (in seiner Funktion als Bürokraten oder Offiziere), bildeten persistente Koalitionen, die zu Lasten der Unterschicht lebten und überlebten. Eine Durchlässigkeit nach oben hat es für die Unterschicht weitgehend nicht gegeben. Deshalb war es auch das Ziel des russischen Bildungsministers Uwarow (1833 bis 1849), das Bildungswesen auf die drei Säulen Orthodoxie (prawoslawie), Autokratie (samoderschawie) und einen volksverbundenen Patriotismus (narodnost) zu stellen, um damit unter anderem die Mobilität zwischen den Ständen zu verringern (vgl. Zweynert 2002, S. 142 f.). Auf der anderen Seite entstand jedoch auch eine Kluft zwischen dem Adel und dem autokratischen Herrscher (vgl. Hosking 2000, S. 512; Kappeler 2002, S. 30). Dies war nicht zuletzt eine Folge der Wendung Peters des Großen nach Westen, die die Welt des Adels durch Reformen tiefgreifend umgestaltet hat. Doch auch die in der Folgezeit nach Peters Tod entstehenden Krisen konnte der Hochadel (Bojaren) wie bereits in der „Zeit der Wirren“ nicht nutzen, um die Autokratie des Zaren zu beschränken (vgl. Kappeler 2002, S. 25 f.). Wurden im 18. Jahrhundert der Interessenkoalition mit dem Adel noch die Bauern geopfert und die Leibeigenschaft gefestigt, befreite Alexander II. im Jahr 1861 die leibeigenen Bauern und kündigte damit die seit dem Mittelalter bestehende Koalition mit dem Gutsadel, die ein Fundament der autokratischen Herrschaft war, auf (vgl. Kappeler 2002, S. 26 f. und S. 28 f.).61 Freilich konnte der Adel aber einen wesentlichen Teil seines Grundbesitzes behalten und erhielt eine Entschädigung für das an die Bauern übergehende Land. Wenn auch durch die Reformen der 1860er Jahre erstmals gewisse Aufgaben von der Autokratie delegiert wurden, so brachten erst die Reichsgrundgesetze von 1906 eine Einschränkung der autokratischen Herrschaft und die Rahmenbedingungen für

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politische Partizipation in der Duma (Parlament) als Voraussetzung für die allmähliche Entfaltung einer Zivilgesellschaft (vgl. Kappeler 2002, S. 51). Letztlich haben Russlands Herrscher – nicht zuletzt in einer russischen Variante des Merkantilismus dem Ziel der Machtsicherung und den Zwängen einer latenten ökonomischen Rückständigkeit folgend – tief in den Gang der Geschichte eingegriffen und dadurch das Gesicht des Landes geprägt (vgl. Simon 1998, S. 8). Gleichwohl blieb die Autokratie in Russland bis zuletzt nicht innovationsfähig (vgl. Heller 2002, S. 29). Die Ursachen hierfür sind zu sehen: im Übergewicht des Staates über die Gesellschaft, in der im Vergleich zu Westeuropa größeren Machtfülle der Herrscher und in der stärkeren Zentralisierung des Landes, in der fehlenden Durchsetzung verlässlicher Institutionen, in der beständigen konfliktreichen imperialen Ausdehnung des Territoriums, in der zentralen Rolle des Militärs für den Staat, in der latenten ökonomischen Rückständigkeit, in der ambivalenten Grundeinstellung der Bevölkerung gegenüber dem Staat und in der Spaltung der russischen Gesellschaft. Sie haben den Verlauf der russischen Geschichte nachhaltig beeinflusst. 4.2.2.2. Orthodoxe Kirche, Kultur und die „russische Idee“ Für die Russisch-Orthodoxe Kirche, die ihre Feiertage auch heute noch nach dem Julianischen Kalender62 begeht, liegt der Ursprung der bereits erwähnten Kiewer Rus im Juni 988, als auf Anordnung Wladimirs I. eine Massentaufe der Kiewer Bevölkerung im Fluss Dnjepr stattfand. In diesem Ereignis wird der Beginn der Christianisierung gesehen. Die Motivation des Herrschers war freilich eine machtpolitische: Durch die Übernahme des Christentums byzantinischer Prägung konnte er mittels Hochzeit enge Verbindungen mit dem byzantinischen Kaiserhaus schließen. Für die Kiewer Rus bedeutete dies den Eintritt in die christlichen Königshäuser Europas. Allerdings hatte die enge Anlehnung an Byzanz zur Folge, dass bald eine nicht mehr überwindbare religiöse und kulturelle Distanz zum katholischen Westen entstanden ist (vgl. Heller 1988, S. 29). Mit der Zeit nahm die orthodoxe Kirche Einfluss auf alle Lebensbereiche. Auch während und nach der Fremdherrschaft der Tataren im 13. Jahrhundert konnte sie ihre Stellung behaupten. Zu dieser Zeit, als die Kiewer Rus in verschiedene Teilfürstentümer zersplittert und neben den Tataren auch von anderen äußeren Feinden (z.B. von den Litauern) bedroht war, mahnte die Kirche zur Treue zum Glauben und zum gemeinsamen Kampf gegen die äußeren Feinde. Die Begriffe ‚russisch‘ und ‚orthodox‘ wurden in jener Zeit zu Synonymen (vgl. Heller 1988, S. 29). Das Glaubensbekenntnis war im vormodernen Russland das wichtigste kulturelle Merkmal (vgl. Kappeler 1992, S. 121). Später, während des Moskauer Reiches (Mitte des 15. bis Ende des 17. Jahrhunderts), bestand eine substantielle Interessengemeinschaft zwischen den Großfürsten und den späteren Zaren auf der einen und den Metropoliten der Kirche auf der anderen Seite. Als Staatskirche war die Russisch-Orthodoxe Kirche seit den Anfängen des Moskauer Reiches eng mit dem Herrscher verbunden (vgl. Kappeler 1992, S. 122). Die Russisch-Orthodoxe Kirche vermochte es – im Gegensatz zu den Bojaren – sogar in der Zeit der Wirren, ihre Macht zu festigen (vgl. Hosking 2000, S. 96). Der Führungsanspruch der Großfürsten und Zaren wurde von der Kirche nicht bestritten. Er beruhte nicht auf einem rechtlichen Anspruch, sondern gleichsam informal „auf religiösen Anschauungen über

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die Pflichten des ‚rechtgläubigen Zaren‘ gegenüber der Kirche“ (Heller 1988, S. 30).63 Erst Peter der Große hat, vom westlichen Geist der Säkularisierung beeinflusst, dem Irdischen einen Selbstwert zugemessen. Dabei fiel der Kirche die Aufgabe zu, den Aufbau dieses Irdischen durch die Erziehung des Volkes zu „guten“ Untertanen zu unterstützen. Die orthodoxe Kirche im Russischen Reich wurde damit zu einer staatlichen Institution im Dienste der sittlichen Erziehung des Volkes umgeformt (vgl. Heller 1988, S. 30). Eine Säkularisierung mit ihren Einflüssen auf die Rechtsentwicklung wie im westlichen Europa gab es jedoch in adäquater Form in Russland nicht. Gleichwohl gab es Bestrebungen, den Besitz der Kirche zu säkularisieren (etwa 1764) (vgl. Kappeler 2002, S. 83). Durch die Reformen des Patriarchen Nikon und der Synoden in den Jahren 16531656 kam es zu einer bis heute fortwirkenden tiefen Spaltung der Russisch-Orthodoxen Kirche.64 Obwohl es sich bei den Reformen vorrangig um formale Änderungen handelte, folgten ihnen trotz Verfolgung viele Gläubige („Altgläubige“) nicht. Im Jahr 1725 trat an die Stelle des Patriarchen ein aus Bischöfen gebildeter „Heiligster Regierender Synod“, zuständig für alle Glaubensfragen, mit einem weltlichen Kontrollorgan („Oberprokureur“). Er wurde im 19. Jahrhundert zum eigentlichen Leiter der Staatskirche. Die orthodoxe Kirche erhielt – gleichsam als staatliches Verwaltungsorgan – eine herrschende und privilegierte Stellung gegenüber anderen Religionsgemeinschaften. Sie verlor aber die Verbindung zum Kirchenvolk (vgl. Heller 1988, S. 30 f.).65 Die Folge war nicht eine Modernisierung nach westlichem Vorbild, sondern eine Erstarrung. In der Sowjetzeit wurde die Russisch-Orthodoxe Kirche zunächst scharf verfolgt (vgl. Bremer 2001, S. 257). Die atheistische Ideologie schränkte ihre Tätigkeit ein, trat sogar an ihre Stelle. Es kam zu einer Verdrängung christlicher Werte durch die kommunistische Erziehung (vgl. Kappeler 2002, S. 85). So wird zuweilen festgestellt, in Russland hätten Nihilismus, Atheismus und Kommunismus religiöse Färbung angenommen (vgl. Litschev 2001, S. 76). Diese Feststellung hat aber auch im Blick zu behalten, dass die kommunistische Revolution von 1917 grundlegende inhaltliche Unterschiede und gesellschaftliche Diskontinuitäten gegenüber der vorrevolutionären agrarischen Gesellschaft hervorrief (vgl. Kappeler 2002, S. 85). Die agrarkommunistisch geprägte, mit mythischer Religiosität verschmolzene „Volkstümlerei“ (narodnitschestwo) ist mit der marxistischen Dogmatik in Konflikt geraten (vgl. Weber, M. 1964a, S. 403). Mit anderen Worten: Zwischen den Institutionen bestanden Konflikte. Sie wurden von der Dogmatik für sich entschieden – durch Bewährung der Regeln mit hohen Strafen. Die Kirche verlor nach der Revolution von 1917 ihre Eigentumsrechte, ihr gesamtes Vermögen wurde zum Volkseigentum erklärt (vgl. Heller 1988, S. 33). Widerstand, insbesondere während der Hungerkatastrophe 1922, wurde hart verfolgt, der Patriarch Tichon, der zum Widerstand aufrief, wurde verhaftet. Nach seinem Tod 1925 – bis zu dem er unter Hausarrest stand – wurde sein „Testament“ veröffentlicht, und diesem folgend gab der Metropolit Sergej als Patriarchatsverweser (ein neuer Patriarch durfte nicht gewählt werden) eine Erklärung ab, in der die Gläubigen auf den atheistischen Arbeiterund Bauernstaat verpflichtet werden sollten. Diesem Bestreben der Kirche, ihr Überleben zu sichern, war nur geringer Erfolg beschieden. Dies geschah zwar in der Tradition der Anpassung an und Unterordnung unter die staatliche Macht, aber der Erfolg stand in kaum einem Verhältnis zu den Opfern, die

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sie jetzt zu bringen hatte. Die Repressionen nahmen zu und fanden unter dem Terror Stalins ihren Höhepunkt (vgl. Heller 1988, S. 33 f.). Freilich folgten während der Sowjetzeit auch Phasen weniger intensiver Verfolgung und der Konsolidierung der kirchlichen Stellung (vgl. Heller 1988, S. 35 ff.; Bremer 2001, S. 257; Güdel 2002, S. 67). Insgesamt jedoch hat die „demütige Loyalität gegenüber dem Sowjetstaat“ (Heller 1988, S. 36) allenfalls eine teuer erkaufte Existenz am Rande – wenn nicht außerhalb – der sowjetischen Gesellschaft ermöglicht. Das ist deshalb besonders tragisch, weil die Kirche dadurch – unabhängig vom individuell integeren Verhalten einzelner Mitglieder – als moralische Instanz und Quelle zivilgesellschaftlicher Werte versagt hat und als Wertemaßstab diskreditiert war. In einer Zeit, in der andere Quellen ethischer Normen und zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts gezielt ausgetrocknet wurden, erscheint dieses Defizit noch schmerzlicher. Wenn auch eine Anpassung an die herrschende Macht in Zeiten repressiver Verfolgung in gewisser Weise nachvollziehbar erscheinen könnte, so tritt doch das historisch begründete Streben der Russisch-Orthodoxen Kirche nach Nähe zur und Zusammenarbeit mit der herrschenden Elite zu allen Zeiten bis in die Gegenwart hervor (vgl. Bremer 2008, S. 4).66 So ist es nicht zuletzt ihrer Einflussnahme zuzuschreiben, dass das liberale russische Religionsgesetz aus dem Jahre 1990 abgelöst und 1997 durch ein Gesetz ersetzt wurde, das die Behinderung anderer Religionsgemeinschaften auf regionaler und lokaler Ebene ermöglicht (vgl. Bremer 2008, S. 2). Die Versuche der Russisch-Orthodoxen Kirche, die Orthodoxie zur einzigen „Staatsreligion“ zu erklären, zeigen die ideologische Seite der Wiederentstehung der russischen Religiosität. Die Rivalität zu anderen Glaubensrichtungen gründet freilich auf lange tradierten Ressentiments: Seit dem Wirken des Mönchs Filofej im 16. Jahrhundert ist das Bewusstsein entstanden, dass nur Moskau (das „dritte Rom“ – nach dem Untergang Konstantinopels und dessen „verräterischer“ Union mit dem Katholizismus 1453) das Bollwerk des wahren Christentums und die Russen die einzigen konsequenten Christen seien. Katholiken und Protestanten wurden als Häretiker betrachtet. Der Mythos vom heiligen Russland entstand, und die Überlegenheit der Orthodoxie wurde zum Leitmotiv in der russischen Ideengeschichte (vgl. Litschev 2001, S. 77 f.). Daraus wird verständlich, dass es der im Januar 2009 zum neuen Patriarchen gewählte Metropolit von Smolensk und Königsberg Kirill als großen Erfolg bezeichnet hat, nach dem Verlust der staatlichen Einheit die kirchliche Einheit der „Heiligen Rus“ (gemeint ist das aus dem 988 christianisierten Kiewer Reich hervorgegangene ostslawische Gebiet mit Russen, Weißrussen und Ukrainern) zu erhalten (vgl. Ludwig 2009a, S. 6).67 Für Kirill waren die Zaren Verteidiger der orthodoxen Tradition. Er selbst hat am Aufbau der „Machtvertikale“ innerhalb der Kirche tatkräftig mitgewirkt (vgl. Ludwig 2009b, S. 10). Das Selbstverständnis der Russisch-Orthodoxen Kirche und ihre Anpassung in politischen Fragen an die Staatsräson entspringen heute noch zu einem nicht unwesentlichen Teil aus inhaltlicher Übereinstimmung mit dem russischen Staat (vgl. Bremer 2008, S. 4). Beide vereint nicht zuletzt ihre gemeinsame Abneigung des Liberalismus (vgl. Jerofejew 2007, S. 33). Die Kirche sieht sich als Vertreterin der Interessen des Volkes, aber das bedeutet keineswegs einen Gegensatz zur russischen Regierung (vgl. Bremer 2008, S. 3). Dies wird von den Gläubigen durchaus kritisch wahrgenommen, und viele von

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ihnen sind eher „nominelle“ Gläubige, die kaum die Kirchen besuchen (vgl. Ludwig 2009a, S. 6).68 Die Menschenrechte werden von der Russisch-Orthodoxen Kirche als westliches Konzept kritisiert, das für Russland nicht gelten dürfe, denn „es könne nicht angehen, dass die Rechte Einzelner über denen der Gemeinschaft stehen dürften“ (Bremer 2008, S. 4).69 Nur in diesem Verständnis konnte der verstorbene Patriarch Alexij II. an die Adresse des neu gewählten Präsidenten Medwedjew den Wunsch richten, man solle auch künftig viel gemeinsam für die Entwicklung der Zivilgesellschaft tun (vgl. Bremer 2008, S. 3). Dieses staatsorientierte hierarchisch-autokratische Verständnis der Russisch-Orthodoxen Kirche, die nie ein Verhältnis zum Subsidiaritätsprinzip entwickelt hat, findet seine wesentliche Ergänzung im Umgang mit den Gläubigen in einem besonderen Verständnis der Orthodoxie als Harmonie des Geistes (vgl. Litschev 2001, S. 75).70 So besteht die Vorstellung vom Gegensatz zwischen der formellen Äußerlichkeit der westlichen Religiosität und dem tiefen, inneren, authentischen Glauben der Russen (vgl. Litschev 2001, S. 77). „Sobornost“ (kommunitäre Gemeinschaftlichkeit) und „Obschtschina“ (Gemeinde) bezeichneten das Ideal der sozialen Organisation als Ausdruck eines ganzheitlichen Wesens.71 Zwar ist fraglich, inwieweit diese Gemeinschaftlichkeit sowie die – nicht zuletzt aus fiskalischen Interessen des Staates – im Mittelalter entstandene solidarische Dorfgemeinschaft („mir“) jeweils bestanden haben (vgl. Litschev 2001, S. 82).72 Doch kann davon ausgegangen werden, dass die drei Typen der Gemeinschaft, die die moderne Soziologie unterscheidet – 1. Zweckgemeinschaft73 unabhängiger Einzelner, 2. Durch gemeinsames Ziel verbundene Mitglieder, 3. Gemeinschaft im „starken Sinne“, d.h. durch Internalisierung (!) gemeinsamer, auch religiöser Werte – mehr oder weniger gleichzeitig jene Sakralgemeinschaft bildeten, durch die das Gemeinschaftsprinzip in Russland auf den gesamtstaatlichen Rahmen ausgeweitet wurde (vgl. Henke 2003, S. 138 f.). In jedem Fall ist bemerkenswert, dass die „Russische Idee“74 von nahezu allen Gruppierungen von der Orthodoxen Kirche bis zur Kommunistischen Partei Russlands aufgenommen wird. Dafür spricht wohl auch der Umstand, dass die Mehrheit der Russen die These vertritt, das Eigene, etwa die russische Geschichte, Religiosität, Kultur oder der Charakter des Volkes, sei einmalig (vgl. Litschev 2001, S. 30). Dies kommt wiederum denen entgegen, die aus Gründen der Machtsicherung oder Rentensuche einen kulturell oder historisch vorgegebenen und notwendigen russischen Sonderweg propagieren. Die Renaissance dieses Gedankens, namentlich die Rezeption Iwan Iljins, ist wesentlich in seiner einfachen ideologischen Instrumentalisierung begründet, und zwar über das ganze politische Spektrum Russlands hinweg (vgl. Litschev 2001, S. 47). Iljins Glaubens-, Kultur- und Staatsverständnis spiegelt sich in seinem Werk wider.75 Titel wie „Der geistige Sinn des Krieges“, „Der Russe ist dem Russen ein Bruder“ (der Titel erinnert augenscheinlich an das bekannte Zitat von Hobbes – leider ist es nicht gelungen, diesen Aufsatz einzusehen) oder „Von der Freiheit“ mögen dies – näherungsweise – verdeutlichen. Bemerkenswert ist Iljins Ansicht, ‚glauben‘ bedeute mehr als ‚für wahr halten‘, und die Grundlagen echter Wahrheitserkenntnis würden sich nicht aus Verstandes- oder Vernunftprinzipien herleiten, sondern „im Herzen“ stattfinden. Wahrheit hat im Russischen eine besondere, nicht wertfreie Bedeutung, die eng mit der Sprache

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verbunden ist, und es ist kein Zufall, dass das Wort prawda (Wahrheit) für politische Zwecke instrumentalisiert wurde (vgl. Litschev 2001, S. 70).76 Iljin lehnt alle (meist westlichen) rationalistischen Bestrebungen zur Lösung des Erkenntnisproblems ab und ist sehr stark in der gläubigen Tradition der Orthodoxie verhaftet (vgl. Offermanns 1979, S. 123 und S. 128 f.). Sein Staatsverständnis sei kurz mit der Bemerkung angedeutet, man dürfe nicht annehmen, Autokratie führe zu Totalitarismus, während Demokratie davor schütze. Gerade „die“ demokratische Ordnung könne die Neigung zu systematischer Vergrößerung des administrativen Raubes an den Tag bringen (vgl. Iljin 2007, S. 1). Die Lösung sieht Iljin in einem „dritten Weg“, in einer harten national-patriotischen und der Idee nach freien (!) Diktatur (vgl. Poljakow 1997, S. 276).77 Das in Russland herrschende Prinzip der „Speisung aus dem Amt“, also der von oben geduldeten Möglichkeit der Beamten, sich zu bereichern, solange dies nicht auf Kosten der Obrigkeit erfolgte, nannte Iljin „Bestechung als Lebensweise“ (vgl. Saizew 1998, S. 66).78 Von Vorteil mag gewiss auch der Aspekt sein, dass nach der „russischen Idee“ das Volk nicht nach einer diesseitigen, sondern nach einer jenseitigen Heimstatt streben solle.79 Dadurch wird zivilgesellschaftliches Engagement nicht gerade gefördert, und das Streben nach Entfaltung der „einfachen“ Menschen kann durchaus wirksam begrenzt werden (vgl. Litschev 2001, S. 38).80 Das verbreitete Misstrauen in die Geltung formalen Rechts wird gestärkt (vgl. Stjopin 1997, S. 24), auch entstehen dadurch keine Anreize für moralisches Verhalten, weil weltliches Handeln nicht durch religiöse Konsequenzen sanktioniert wird – mit anderen Worten: wenn verhaltensbegrenzende informale Institutionen fehlen, können die ökonomisch bzw. politisch Privilegierten ihren Handelnsimpulsen exzessiv und rücksichtslos folgen. Die „russische Idee“, als Spiegelbild des „russischen Wesens“ („Russkost“), deren moralische Grundwerte in einem Wettbewerb der Zeitung „Rossiskaja Gaseta“ ermittelt wurden und zu denen neben anderen Geduld und Opferbereitschaft zählen, ist „Volksideologie“ und Mittel zur Herrschaftssicherung gleichermaßen (vgl. Litschev 2001, S. 26 f.). In ihr werden in Abgrenzung zur westlichen Zivilisation und zum Kapitalismus alle „ewigen eigenen“ Werte des russischen Volkes und der russischen Staatlichkeit verherrlicht. Allein das russische Volk würde die christliche Idee auf eine national-staatliche Ebene heben und die Reinheit der Orthodoxie von Moral und Kultur bewahren (vgl. Litschev 2001, S. 32). Diesem Selbstverständnis folgend solle das russische Denken vorwiegend ganzheitlich, intuitiv, überrational-mystisch, tiefreligiös, wertorientiert, moralisch, leidenschaftlich-emotional (…) sein (vgl. Litschev 2001, S. 61; Thumann 2002, S. 130). Nach Sudakow, dem Gewinner des eben genannten Wettbewerbs, hätte der russische Mensch stets versucht, sich in einem Kokon einzurichten, der aus beruhigenden und befriedigenden Ideen besteht. Diesem würden die traditionellen russischen Moralvorstellungen gleichen (vgl. Litschev 2001, S. 28). Zwischen den Vorstellungen eines „anarchistischen Kommunitarismus“, einer urrussischen Sittlichkeit, auf der einen Seite und der Logik der autoritären Staatlichkeit auf der anderen kommt es zu einer tiefen und „ewigen“ Spaltung, die für Historiker eine Eigenart der russischen Geschichte darstellt. Das Resultat seien zwei einander entgegengesetzte Zivilisationstypen:

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„Der Kampf dieser zwei Zivilisationen im Rahmen des einheitlichen Körpers Rußland bringt zwei verschiedene Mentalitätstypen, zwei moralische, wirtschaftliche und politische Systeme hervor. Die eigenartige Verschmelzung dieser zwei Typen bildet eine besondere ‚Zwischenzivilisation‘ mit der entsprechenden Spaltung der Kultur, des Bewußtseins und der Persönlichkeit“ (Litschev 2001, S. 24).81

Daraus schloss der Schriftsteller Jerofejew, die „russische Seele“ sei „frei in ihrem versklavten Urzustand“ (Litschev 2001, S. 24).82 Die „russische Seele“ ist die des einfachen Menschen, der in dieser Einfachheit auf hierarchisch niedriger Stufe in der Gesellschaft verharren soll.83 Die für das Volk gleichsam schicksalhaft gefügte Elite ist in ihrem Handeln (nahezu völlig) frei. Die politische Kultur Russlands wird als ein Kontinuum beschrieben (vgl. Saizew 1998, S. 38). Es verwundert nicht, dass sie durch einen Etatismus geprägt ist, dem die Regierungsform der Autokratie adäquat ist (Herrschaft eines über das politische Geschehen erhobenen Zentrums). Ähnlich weist auch die Wirtschaftskultur eine spezifisch russische Prägung auf, die nicht zuletzt von den Wertvorstellungen der Russisch-Orthodoxen Kirche beeinflusst ist (vgl. Saizew 1998, S. 41 ff.).84 Diese waren nicht geeignet, unternehmerisches Handeln zu fördern (vgl. Henke 2003, S. 156).85 Allenfalls die sogenannten „Altgläubigen“ verfügten über eine dem Protestantismus vergleichbare Ethik, deren Reichweite aber umstritten ist (vgl. Saizew 1998, S. 55). Schon aufgrund der massiven staatlichen und kirchlichen Verfolgung dürfte der Einfluss der Altgläubigen über ihre verstreut lebenden und abgeschlossenen Gruppen hinaus überschaubar geblieben sein.86 Weitaus wichtiger war die Wirkung der orthodoxen (Staats-)Kirche und des patrimonialen Staates. Fast während ihrer gesamten Entwicklung war die russische Wirtschaft seine Geisel: Er nahm dem Volk die Möglichkeit, sich über die unmittelbare Pflichterfüllung hinaus zu betätigen, und er entmutigte Adlige und Kaufleute, sich wirtschaftlich zu betätigen (vgl. Saizew 1998, S. 69). Privatinitiative und eigenverantwortliches Handeln waren unerwünscht und lange Zeit sogar verboten. Abschließend ist festzustellen, dass die in Russland weit verbreitete – gleichwohl interessengeleitete – Rezeption der „russischen Idee“ als Synonym kultureller, religiöser und politischer Besonderheiten im Sinne informaler Institutionen ebenfalls nicht zu dem Schluss führen darf, es gebe eine Zwangsläufigkeit in der Verfolgung eines russischen „Sonderweges“. Die als originär russisch beschriebenen Werte wie Kollektivismus, Paternalismus, Autoritätsorientiertheit, Bedürfnis nach Harmonie und öffentliche im Gegensatz zu individuell freiheitlicher Moral waren und sind durchaus auch in westlichen Staaten anzutreffen. Mehr als geographisch-kulturelle Attribute sind sie Charakteristika traditionaler vormoderner Gesellschaften (vgl. Henke 2003, S. 153). Zwar mögen Pfadabhängigkeiten Zeitdauer und Fortschritte in der Veränderung erschweren, aber die beschriebenen Besonderheiten sind keine schicksalhaft gegebenen Fesseln, die unverrückbar sind.

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4.2.3.

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Auf dem Weg zum ‚Kommunismus‘ und zurück: Revolution, Sowjetsozialismus und Perestroika

4.2.3.1. Vor und nach der Oktoberrevolution 1917 Im Folgenden wird kurz auf die Ereignisse vor und nach der Oktoberrevolution des Jahres 1917 eingegangen. Wie in Abschnitt 4.2.2.1. dargelegt, konnte sich in der Periode seit Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 bis zur Revolution 1917 ein – relativ – freies Unternehmertum entwickeln. In dieser Zeit bildeten die Direktoren von Banken, führenden Handels-, Industrie- und Transportunternehmen die wirtschaftliche Elite Russlands. Moskau war seit Auflösung der bäuerlichen Wirtschaft zum Zentrum des Bürgertums geworden und hat sich bis 1917 vom Kleinhandel bis zur Finanz- und Industrieoligarchie entwickelt (vgl. Petrov 1996, S. 46 ff.). Russland fehlten durchaus nicht unternehmerische Menschen, doch schaffte es die Unternehmerschaft nicht, in den Auseinandersetzungen mit bolschewistischen und anderen Ideen die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Gleichwohl hat für Russland zu diesem Zeitpunkt eine Alternative bestanden zwischen einer demokratischen Ordnung mit privatem Unternehmertum und einer sozialistischen totalitären Ordnung (vgl. Petrov 1996, S. 52). Der Staatsstreich der Bolschewiken setzte dieser Entwicklungsoption ein Ende (vgl. Scherrer 2001, S. 23). Er war die Grundlage für die Sozialisierung jener Generationen, die in der Sowjetunion aufwuchsen und sie letztlich auch wieder überwanden.87 Unter der Führung Lenins gelang es den Kommunisten im Oktober 1917, die Macht zu ergreifen.88 Die Voraussetzungen dafür lagen freilich bereits vorher in der Krise der Autokratie, die ihre soziale und wirtschaftliche Rückständigkeit offenbart hatte und durch verlorene Kriege und ein gescheitertes Konzept der forcierten Industrialisierung (Scheitern des Staatskapitalismus) sowie durch die Revolution von 1905/06 geschwächt war (siehe Raupach 1979, S. 3; Hildermeier 2001, S. 9). Der Oktoberrevolution vorausgegangen war die Februarrevolution 1917, deren Regime Lenin erfolgreich stürzen konnte.89 Wesentliche Ursachen für den Sieg der Bolschewiken werden im schnellen Aufbau der Roten Armee, in den Strukturen der russischen Wirtschaft und in geographisch-klimatischen Faktoren gesehen.90 Die bolschewistische Diktatur konnte an autokratische Traditionen anknüpfen. Die mechanistischen Vorstellungen Lenins von der Organisation der Wirtschaft orientierten sich an staatlichen oder monopolkapitalistischen Unternehmen und führten ihn zu der Annahme, die gesamte proletarische Wirtschaft ließe sich als eine einzige Fabrik organisieren.91 Er stellte sich die Wirtschaft offenbar als ein Instrument vor, das von den „Kommandohöhen“ (Staatsgewalt, Großindustrie, Bank- und Transportwesen sowie Außenhandel) her zu besetzen und von denen deshalb die „Kapitalisten“ zu entfernen seien (vgl. Wiles 1965, S. 433 f.). Die Industrie müsse völlig nationalisiert und eine Gesamtplankommission eingerichtet werden. Dies geschah bereits im Dezember 1917 mit der Gründung des Obersten Volkswirtschaftsrates (OVWR), die den Beginn der Wirtschaftslenkung durch den Staat markierte (vgl. Hildermeier 2001, S. 20).92 Dessen bisherige Abteilung „Gosplan“ wurde 1921 zu einer eigenständigen Planungsbehörde, die bis zum Zerfall der Sowjetunion Bestand hatte. Auch sollten nach Lenin Kommissionen, wie zur

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Elektrifizierung93 Russlands, eingerichtet werden; nicht erkannt hat er offenbar die Bedeutung von Preismechanismus und Wettbewerb (siehe Raupach 1965, S. 142 f.). Zur Überwindung der widrigen Verhältnisse, die nach Ansicht der Bolschewiken als Gegner angesehen werden sollten, müssten alle Produktionskräfte auf obrigkeitlichen Befehl und unter Vernachlässigung individueller Interessen auf die Ziele der nachholenden Industrialisierung bei knappem Erfüllungszeitplan eingesetzt werden (vgl. Raupach 1965, S. 140 f.; s.a. Harter et al. 2003, S. 139). Diese Zentralverwaltungswirtschaft94 verlangt die direkte zentrale Kontrolle des Planvollzugs und der Wirtschaftsführung bei gleichzeitiger Delegation wirtschaftlicher Entscheidungsmacht an untergeordnete Planträger (weisungsgebundene Unternehmen).95 Dazu wurde ein „System ineinandergreifender Kontrollen entwickelt, die dem totalen gesellschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln, der Zentralisierung der Finanz- und Geldvorgänge und der ausschließlichen politischen Willensbildung durch einen einheitlichen Parteiapparat entsprechen“ (Raupach 1965, S. 179).96

Die staatliche Wirtschaftstätigkeit beruhte in diesem System auf einem allumfassenden Anspruch, die private Wirtschaftstätigkeit wurde bis auf Restbestände (die private Eigenwirtschaft der Bauern) zurückgedrängt. Die „Kriegswirtschaft“ (Oskar Lange) war ein wesentliches Instrument zur Herbeiführung der endgültigen und „perfekten“ Gesellschaftsordnung (Kommunismus) (vgl. Raupach 1965, S. 141).97 In einer solchen zentral geplanten Wirtschaft ist jedoch der einzelne Mensch nicht einmal theoretisch souverän – selbst dann nicht, wenn seine Wünsche und Präferenzen bei der Planung Berücksichtigung finden sollten (vgl. Wiles 1965, S. 438). Im (bürger-)kriegsbedingten völligen Zerfall der bisherigen Ordnung war es nicht schwer, durch einfache Dekrete die „Kommandohöhen“ der Wirtschaft zu erobern.98 Von November 1917 bis Sommer 1918 (Periode der „Arbeiterkontrolle“ und der „Landreform“) wurden Banken, Eisenbahnen, Außenhandel und große Fabriken verstaatlicht (vgl. Wiles 1965, S. 433). Die Zwangskollektivierung zerschlug Hof, Familie und Bauerngemeinde und damit die Welt des russischen Dorfes mit Gewalt (vgl. Kappeler 2002, S. 62). Die bäuerliche Individualproduktion galt den Bolschewiken als Fundament des Kapitalismus, das zerstört werden müsse (vgl. Raupach 1979, S. 30). Doch traf das Vorgehen gegen die größeren Bauern („Kulaken“) auf Widerstände: Die Landbevölkerung verhielt sich in der Dorfgesellschaft unerwartet solidarisch (vgl. Hildermeier 2001, S. 19). Die unsichtbare Hand des Marktes wurde durch die stets und überall spürbare starke (aber „blinde“) Hand des Staates ersetzt (vgl. Hildermeier 2001, S. 159) mit der Folge, dass die Reserven aufgezehrt wurden. Schon 1918 wurden landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Waffengewalt requiriert, in der Folge der ungeordneten Umstände99 und der schlechten Versorgungslage mit Nahrungsmitteln kam es zum Niedergang der Industrieproduktion. Durch die Revolution war die „Utopie an die Macht“ gekommen. Sie brachte jedoch nicht die verkündete Gleichheit, sondern neue Ungleichheit, die auf der Zugehörigkeit zur ideologisch privilegierten Klasse, namentlich zur kommunistischen Partei, gründete.100 Die Herrschaft konzentrierte sich auf eine kleine Minderheit mit der „richtigen“ Weltanschauung.101 Eine gesellschaftliche Legitimierung besaß sie nicht (vgl. Hildermeier 2001, S. 159). Verfolgt wurden nicht einzelne Personen, sondern es wurde Krieg

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gegen die „Bourgeoisie“ als Klasse geführt. Schon bald richtete sich der Kampf weit darüber hinaus gegen alle, die sich nicht vollständig und bedingungslos der neuen Macht und ihrer Ideologie unterwarfen. Nur Überläufer sollten für sich und ihre Angehörigen Verzeihung erhalten (vgl. Scheibert 1984, S. 75 ff.).102 Terror wurde gegen die Bevölkerung nicht als Bestrafung, sondern zur Einschüchterung eingesetzt. Bereits 1919 wurden Konzentrationslager eingerichtet (vgl. Scheibert 1984, S. 88).103 Die städtischen Eliten wurden vernichtet. Unzivilisierte Individuen traten an ihre Stelle, Kriminelle wurden in den Lagern gezielt benutzt, um politische Häftlinge einzugrenzen (vgl. Knabe 1998a, S. 9). Die Folge war gleichsam ein „Verlust der Zivilisation“ (Reitschuster 2004, S. 272). Hinter allem stand die Geheimpolizei („Tscheka“), die bald gegen alle kämpfte, nicht zuletzt gegen Bauern und Arbeiter, und eine Art Immunität genoss. Oft war sie die einzige Quelle der „Wahrheit“, Missbrauch und Erpressung waren weit verbreitet. Die geringe Bezahlung ihrer Angehörigen schuf massive Anreize für Willkür, Korruption und Bereicherung (vgl. Scheibert 1984, S. 81). Der Zusammenbruch der alten und das Versagen der neuen „sozialistischen“ Moral, die Kompliziertheit der Wirtschaftsgesetze und die Möglichkeit großer illegaler Gewinne förderten Wirtschaftsverbrechen.104 Die desolate wirtschaftliche Lage der Bevölkerung machte praktisch jeden erpressbar und damit zum potentiellen Opfer der Tscheka. Allerdings ist mit dem ideologisch-politischen Aspekt nur ein Grund für die staatliche Gewaltherrschaft angesprochen. Der andere Grund liegt im System selbst: Im Zentralplansystem werden Knappheiten nicht durch Preise, sondern als Fehlmengen in Form von Salden in güterwirtschaftlichen Planbilanzen („Materialbilanzen“) sichtbar.105 In einem System willkürlich festgesetzter Preise ist folglich politische Macht der ausschlaggebende Faktor.106 Staatliche Rationalität ist von individueller Rationalität zu unterscheiden (vgl. Wiles 1965, S. 439). Bedürfnisse und Präferenzen des Individuums sind für das staatliche Handeln bestenfalls unwichtig, regelmäßig aber gefährlich, wenn die Ziele im Widerspruch stehen. Mit willkürlich festgelegten Preisen korrespondiert eine ebenso willkürliche Durchsetzung der Macht. Beliebigkeit und Willkür waren zentrale Elemente bei der Durchsetzung des Planes, der eigentlich Gesetz war, von dem aber stets abgewichen wurde, wenn der „ungeschriebene“ Plan es erforderte (vgl. Raupach 1965, S. 146; Wiles 1965, S. 446; Olson 2002, S. 110 f.). Auf diese Weise entstanden „Patron-Klienten-Beziehungen“, die zuweilen die Form „administrativer Clans“ annehmen konnten (vgl. Mrowczynski 2005, S. 38 f. mit weiteren Verweisen). Daher konnten die Repressionen auch die Erosion der ökonomischen Basis nicht aufhalten, und die soziale Machtgrundlage des neuen Systems drohte zu schwinden. Es wird als bedeutende Tat Lenins angesehen, dies zu erkennen und richtigerweise auf die revolutionären Methoden und den „Kriegskommunismus“ als Ursachen zurückzuführen (vgl. Raupach 1979, S. 31 ff.). Das mag für einen Ideologen in der Tat eine Leistung sein, doch muss in diesem Zusammenhang nach den Alternativen gefragt werden: Angesichts der dramatischen Versorgungslage und Millionen von Hungertoten dürften schlichtweg keine anderen Möglichkeiten mehr bestanden haben.107 So war die Einleitung der „Neuen Ökonomischen Politik“ (NEP)108 für Lenin von Anfang an eine rein taktische Wende zur Bekämpfung der ökonomischen Probleme. Die zentralistische Planwirtschaft wurde dabei zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt.109 Auch

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wurden die repressiven Maßnahmen gegen die Bevölkerung fortgesetzt (vgl. Scheibert 1984, S. 90). Trotzdem normalisierten sich die Beziehungen der Bolschewiken zu den Bauern, so dass diesen die Phase der NEP in „glücklicher Erinnerung“ blieb und sich sogar ein „Lenin-Mythos“ bilden konnte (vgl. Wiles 1965, S. 435). Es entstand eine Aufbruchsstimmung in relativer wirtschaftlicher Freiheit nach einer Zeit beispiellosen Leids. Leerlauf und Arroganz der Verwaltung („Bürokratismus“) wurden bereits von Lenin beklagt (vgl. Hildermeier 2001, S. 22). Trotz überkommener Technik wurde nach der Wiederherstellung der privaten Initiative in Handel, Landwirtschaft und Kleingewerbe in kurzer Zeit ein Niveau erreicht, das dem Stand vor der Revolution nahekam (vgl. Raupach 1979, S. 35; ähnlich Peterhoff 2002a, S. 181). Aufkommenden Schwierigkeiten der NEP wollte Stalin nach dem Tod Lenins110 durch eine beschleunigte Industrialisierung begegnen (vorrangiger Aufbau der Schwerindustrie / „Fünfjahrpläne“). Die kleinbetriebliche Produktion sollte in Übereinstimmung mit den Planzielen gebracht und dadurch der staatliche Zugriff auf die individuelle Leistung ermöglicht werden (vgl. Raupach 1965, S. 144). Die systemimmanenten Widersprüche waren jedoch zu groß. Die – systemlogische – Konsequenz war die Rückkehr zu ausschließlich zentraler Planung sowie ein Terrorregime gegenüber der Bevölkerung, das jenes des „Kriegskommunismus“ noch bei weitem übertraf.111 Damit war die Zeit der Experimente beendet, die – einschließlich des „Kriegskommunismus“ und der NEP – auf der Suche nach geeigneten Mitteln in frühen Stadien bereits all jene Instrumente anwandte, die später bis zur Perestroika zum Einsatz kamen.112 4.2.3.2. Die Sowjetunion bis 1985 Die Phase der NEP war eine einzelne Episode, die nicht an marktwirtschaftlich geprägte Reformen im Zarenreich (etwa unter Witte und Stolypin)113 anknüpfen konnte. Stattdessen kam es zur totalen Sozialisierung der Produktionsmittel. Das in den 1930er Jahren etablierte zentralistische Planungs- und Leitungssystem bestand in seinen Grundzügen bis zur Perestroika. Stalin verglich sich selbst mit Peter dem Großen und sah in Alexander Newski und Iwan dem Schrecklichen Vorbilder in ihrer Leistung für die Zentralisierung Russlands (vgl. Scherrer 2001, S. 21). Lenin war zu der Einsicht gelangt, dass Formen militärischer Disziplin nicht auf Dauer auf den Arbeitsprozess anwendbar seien (vgl. Raupach 1979, S. 33). Doch zielten nicht wenige Initiativen genau darauf ab und fanden ihren Höhepunkt in der „Stachanow-Bewegung“ der 1930er Jahre.114 Sie stilisierte – wie andere von oben initiierte bzw. gelenkte Initiativen – spontane, individuelle Bestleistungen Einzelner zu Vorbildern. Im ökonomischen Interesse sowie im Interesse der Machtsicherung wurden sie beeinflusst und benutzt, um Druck auf die Arbeiter auszuüben, der oftmals der Zwangsarbeit nahekam (vgl. Raupach 1965, S. 146).115 Das Anreizproblem vermochten diese Initiativen nicht zu lösen. Das Problem der zentralen Planungsbehörde, das dezentral im Wirtschaftskreislauf vorhandene Wissen nur bedingt und mit Zeitverzug sowie unter Aufwendung erheblicher Ressourcen erhalten zu können, war systemimmanent ebenfalls nicht überwindbar (vgl. Bouillon 2006, S. 128). Doch weit über diese Initiativen hinaus stand hinter Stalins ökonomischer Konzeption die Macht des Staates und hinter diesem die Drohung des Terrors. Trotzdem war diese

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Konzeption nachgerade dazu geschaffen, in der Praxis umgangen zu werden. Die Gründe lagen in der mangelnden Zentralisierbarkeit des dezentralen Wissens (von Hayek), im Druck der nicht erfüllbaren Forderungen der Planer, in der Säumigkeit, Ineffizienz und Überzentralisierung, im Wettbewerb um die knappen Arbeitskräfte, in der Übernachfrage nach Konsumgütern und in der irrationalen Verwendung der verfügbaren Ressourcen116 sowie in verbreiteten Verbrechen (vgl. Wiles 1965, S. 446). Die Verfolgung und Vernichtung der gesellschaftlichen Eliten haben es nicht vermocht, diese Verhaltensweisen zu ändern. Dass Korruption und Veruntreuung selbst dann noch weiter existieren würden, wenn die halbe Bevölkerung inhaftiert wäre, konnte Stalin genauso wenig begreifen wie später Andropow (vgl. Jakowlew 2003, S. 659). Doch dürften diese Maßnahmen für Stalin in erster Linie auch ein Mittel der Herrschaftssicherung gewesen sein (vgl. Jakowlew 2003, S. 634). Nach dem Tod Stalins117 kam es unter Chruschtschow zunächst bis etwa 1956 zu einer Lockerung der Repressionen und zu einem Prozess der „Entstalinisierung“.118 Die Nomenklatura, die – nicht zuletzt auch Dank Stalins Tod – überlebt hatte, schloss einen impliziten, ungeschriebenen Vertrag: Niemand aus ihrem Kreise sollte künftig mehr in den Verließen der Tschekisten umkommen (vgl. Jakowlew 2003, S. 634). Dieser Pakt hat bis heute überlebt, und wer zum Zirkel der herrschenden Elite gehört, muss, selbst wenn er in Ungnade gefallen ist, nicht das Schlimmste befürchten.119 Im Gegenteil: Werden die ungeschriebenen Grenzen eingehalten, ist auch weiter ein auskömmliches Leben möglich (vgl. Knabe 1998a, S. 23). Dieses Bündnis zwischen Staat und Nomenklatura trug wesentlich zur Stabilität des Systems bei und hatte sich zu Lasten der unteren Schichten in anderer Zusammensetzung bereits zwischen Zar und Adel bewährt (vgl. Kappeler 2002, S. 54). Die Masse der Bevölkerung blieb eine gegenüber der Nomenklatura unterprivilegierte und unvermögende Unterschicht (vgl. Kappeler 2002, S. 58).120 Im Jahre 1964 wurde Chruschtschow gestürzt und Breschnew zum Generalsekretär der KPdSU gewählt. Die folgende Zeit war die eigentliche Probe im Systemvergleich (vgl. Hildermeier 2001, S. 77). Wie Chruschtschow waren Breschnew und der Vorsitzende des Ministerrates Kosygin mit den ökonomischen Mängeln des Systems unzufrieden121 und wollten diese gleichsam geräuschlos „von oben“ beheben. Die Initiativen dazu verloren jedoch an Elan, und das zentrale Planungssystem blieb im Wesentlichen unverändert. Mit Breschnews fortschreitendem Alter (wie auch der gesamten Führungsriege) verwandelte sich die Stabilität zunehmend in Stagnation, schließlich war diese Generation seit dem Tode Stalins (1953) an der Macht (vgl. Hildermeier 2001, S. 78).122 Als Breschnew 1982 starb123, schien es, als sei nicht nur ein Parteiführer gestorben, sondern eine Epoche zu Ende gegangen (vgl. Hildermeier 2001, S. 87). Hinzu kam eine allgemeine Verantwortungslosigkeit, und auf diesem fruchtbaren Boden konnte die Nomenklatura ihre Macht entfalten (vgl. Jakowlew 2003, S. 636 f.). Am Ende der Regierungszeit Breschnews war ein Zustand erreicht, der sich als Gerontokratie und Oligarchie beschreiben lässt (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 145). Im Laufe der Zeit war es der Nomenklatura immer mehr gelungen, ihre ökonomischen und politischen Interessen durchzusetzen, und der administrativen Oberschicht wurde mittlerweile ein Einfluss beigemessen, der an Partizipation heranreichte (vgl. Hildermeier 2001,

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S. 79).124 Die gesamte Nomenklatura war von Vetternwirtschaft, Käuflichkeit und Unterschlagungen befallen (vgl. Jakowlew 2003, S. 648). Die Korruption war schnell gewachsen und chronisch geworden. Dies ist vor dem Hintergrund kein Zufall, dass – in der Kategorisierung von Hofstede125 – insbesondere machtdistante Länder mit einer kollektivistischen Gesellschaft und einer hohen Neigung, Unsicherheit zu vermeiden, besonders anfällig für Korruption sind (vgl. Müller 2002, S. 494).126 In der Sowjetunion (und nach deren Auflösung auch in Russland) reichte die Korruption bis in die höchsten Ebenen.127 Trotzdem war die Nomenklatura nicht gefährdet, weil sie in Person von Breschnew und Kosygin selbst an der Macht war (vgl. Hildermeier 2001, S. 79). Die parteipolitische und administrative Elite hat sich zu einer eigenen Gruppe abgesondert, die höchste Posten und Gehälter erhielt. Sie wurde zum Signum der Herrschaftsstruktur des Sowjetsystems: In einer Gesellschaft ohne Eigentum oder Standeszugehörigkeit konnte sich eine kleine Elite bilden, die es vermochte, sich dauerhafte und vererbbare Privilegien mit der Tendenz zur Selbstrekrutierung zu sichern (vgl. Hildermeier 2001, S. 85).128 Die Diskrepanz zwischen Sein und Anspruch des Systems führte zu kognitiven Dissonanzen in der Wahrnehmung der Menschen: Die individuelle Lebenswirklichkeit und die staatliche Propaganda waren nicht mehr in Einklang zu bringen.129 In der Folge verlor die Propaganda an Wirkung. Was laut ausgesprochen werden durfte, stand im Verdacht, falsch oder von oben gelenkt zu sein. Doch nur eine Minderheit befand sich im Dissens130 – die große Mehrheit der Bevölkerung war einfach abgestumpft (vgl. Hildermeier 2001, S. 87).131 Anpassung oder Angepasstheit waren Schlüsselbegriffe für das Handeln der Menschen, und ein Großteil der Bevölkerung hat sich passiv verhalten; die Menschen haben die herrschende Ordnung akzeptiert (das heißt hingenommen) und nicht versucht, wesentliche Ressourcen neu zu verteilen (vgl. Dubin 2007, S. 65).132 Der ständige propagandistische Druck, die beinahe vollständige Ablösung ehemaliger (vorsowjetischer) Eliten, die Zwangssozialisierung über drei Generationen hinweg, eine gesellschaftliche Nachrichtensperre133 und die strenge Kontrolle der Aufstiegskanäle134 waren prägende Faktoren des „sowjetischen“ Menschen (homo sovieticus) (vgl. Lewada 1992, S. 8).135 Der „homo sovieticus“ ist freilich nicht in Abgrenzung zum „deutschen“ oder „chinesischen“ Menschen zu sehen, sondern in einer Referenzreihe stehend mit dem homo oeconomicus, dem homo ludens u.a. (so Lewada 1992, S. 9; s.a. Götz 2003b, S. 73 f.). Dabei hat die sowjetische Gesellschaft jedoch nicht einen speziellen Menschentyp geschaffen, sondern vielmehr eine spezifische Verteilung menschlicher Typen vorgenommen. Dieser „Sowjetmensch“ hatte freilich nichts mit dem heroischen Menschenideal der sowjetischen Propaganda gemein.136 Er war als Produkt des real existierendem Sozialismus vielmehr dessen genaues Gegenteil und hatte zutiefst ambivalente („doppelherzige“) Wertmaßstäbe: Die Orientierung an Werten stand jener an Zwecken gegenüber (vgl. Lewada 1992, S. 295). Um etwas zu erreichen, mussten Regeln und Gesetze verletzt und musste gelogen werden.137 Informelle Beziehungen waren Teil der Wirtschaftspraxis (vgl. Wiles 1965, S. 446 f.).138 Ohne Tauschbeziehungen auf dem „grauen“ Markt hätten die Unternehmen ihren Plan nicht erfüllen können (vgl. Nötzold 1996, S. 136).139 Die Nachfolger Breschnews, zunächst Andropow und danach Tschernenko, waren nur kurz im Amt.140 Trotz des Vorgehens Andropows gegen die Vetternwirtschaft sollte der Fortbestand der alten Ordnung nicht gefährdet werden (vgl. Hildermeier 2001, S. 92).

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Auch wegen der kurzen Zeit blieben Erfolge sehr begrenzt. Verschiedene Versuche, der wirtschaftlichen Entwicklung neue Impulse zu geben, waren nicht erfolgreich.141 Die Wahl Gorbatschows zum Generalsekretär am 11. März 1985 beendete gleichsam diese Übergangszeit. Mit Gorbatschow begann eine neue Periode (vgl. Nötzold 1996, S. 130). Vermutlich hat keiner derjenigen, die für ihn gestimmt haben, mit den Turbulenzen gerechnet, die seine Wahl auslöste (vgl. Hildermeier 2001, S. 93).142 4.2.3.3. Perestroika und Auflösung der Sowjetunion Bereits als Tschernenko noch Generalsekretär war, versuchte Gorbatschow unter Rückgriff auf Lenin und die Anpassung von dessen Zitaten aus der Zeit der Neuen Ökonomischen Politik (vgl. Hildermeier 2001, S. 95), etwas Neues zu sagen, ohne jedoch die Nomenklatura von vorneherein zu verschrecken.143 Gleichwohl stand sie ihm ablehnend gegenüber, seine Rede wurde totgeschwiegen (vgl. Jakowlew 2003, S. 442 f.). Zunächst war von Gorbatschow nicht ein Wandel der wirtschaftlichen oder politischen Ordnung, sondern vielmehr deren Vervollkommnung beabsichtigt.144 Im Ausland wurde die Perestroika (deutsch: Umgestaltung, Umbau) weniger als Phänomen der Krise, aus der sie entstanden war, als vielmehr als Beweis für die Reformierbarkeit des zentralplanwirtschaftlichen Systems (miss-)verstanden (vgl. Knabe 1994, S. 8). Vorausgegangen war der Perestroika – wie der Revolution von 1917 – eine von oben verordnete „Prohibition“ (vgl. Margolina 2006a, S. 16; s.a. Klebnikow 2001, S. 74 f.). Doch als Gorbatschow nach dem Scheitern der Anti-Alkoholkampagne145 (und der ebenso gescheiterten Kampagne zur Beschleunigung der wirtschaftlichen Entwicklung) zu dem Schluss kam, dass wirtschaftliche Freiheit nicht ohne politische Freiheit möglich ist, hatte er de facto bereits den Bereich systemimmanenter Reformen verlassen und dadurch implizit die Transformationsschwelle betreten (vgl. Hildermeier 2001, S. 156). Gorbatschows Reformen wurden von Anfang an sabotiert (vgl. Jakowlew 2003, S. 664 f.). In Partei und staatlichen Organisationen gab es Widerstände, Reformen wurden verschleppt und ihre Ziele verfälscht (vgl. Nötzold 1996, S. 137; Schneider 1987, S. 45 ff.; Schüller 1988b, S. 13). Ein wesentlicher Grund dafür ist im befürchteten Machtverlust der Nomenklatura zu sehen (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 212; Gabanyi 1997, S. 14). Ex post betrachtet hat es diesen während der Perestroika nur punktuell gegeben. Viele Angehörige der Partei-Nomenklatura blieben auf ihren Posten und wandten sich neuen, lukrativen Tätigkeiten zu (vgl. Jakowlew 2003, S. 634). Die alte Elite arbeitete dabei eng mit der neu entstehenden Elite aus Geschäftsleuten, Bankern und Kriminellen (Mafia) zusammen, wobei diese Gruppen meist keineswegs deutlich zu unterscheiden waren (vgl. Kappeler 2002, S. 58).146 Bereits 1985 begannen, teilweise aufbauend auf den bereits bestehenden illegalen Verfügungsmöglichkeiten, Prozesse der nichtlegalen „Privatisierung“, die freilich offiziell weiterhin nicht zur Kenntnis genommen wurden.147 Ende der 1980er Jahre hat der Umfang der Mafia-Geschäfte den Jahreshaushalt einiger Sowjetrepubliken übertroffen (vgl. Knabe 1994, S. 29). Insbesondere jene Teile der Gesellschaft vermochten es, aufgrund ihrer Position, ihrer Beziehungen und Erfahrungen aus dem planwirtschaftlichen System bzw. aus dessen Umgehung, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, die durch den „Beschluß über das Genossenschaftswesen“ (1987 – ersetzt durch das Gesetz „Über Kooperationen in der

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UdSSR“ 1988)148 sowie das „Gesetz über den staatlichen Betrieb“ (1988) geschaffen wurden. Daneben wurde 1987 ein „Gesetz über Joint Ventures“ erlassen (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 222 f.). Neben staatlichem war nun auch genossenschaftliches Eigentum erlaubt. Erste Joint Ventures sind auch bereits im gleichen Jahr entstanden (vgl. Jasper und Tokarev 2002, S. 226). Eine „alternative“ Wirtschaft entstand im organisatorischen Zusammenhang mit den sogenannten Wissenschafts- und Technikzentren der Jugend.149 Eigentliches Ziel dieser Gesetze war es, die eingefahrene Wirtschaftspraxis zu ändern und darüber hinaus die Anpassung und Gleichgültigkeit der Menschen zu überwinden, die eine Folge der jahrzehntelangen autoritären Ordnung waren. Ohne diesen gesellschaftlichen Umbau schien die Umgestaltung der Wirtschaftsordnung nicht möglich. Doch im Gegensatz zu den zahlenmäßig überschaubaren Kreisen aus „alter“ und „neuer“ Elite konnten die meisten Betriebe die neuen Freiheiten nicht für unternehmerisches Handeln nutzen. Wesentliche Ursachen sind in der fortgesetzten Bevormundung durch vorgesetzte Bürokratien und in der Behinderung durch örtliche Partei- und Staatsorgane zu sehen (vgl. Nötzold 1996, S. 137 f.). Es ist jedoch fraglich, inwieweit die mit den Reformen verbundene graduelle Dezentralisierung des Planungsprozesses für die Stärkung der Wirtschaft erfolgreich gewesen wäre, wenn es die genannten Hemmnisse nicht gegeben hätte.150 Das Fehlen von Marktdisziplin im Sinne mangelhafter Qualität, fehlende Freiheiten bei der Auswahl der Marktpartner, zunehmende Verschuldung und spürbarer Wertverfall des Rubels 151 verbunden mit steigenden staatlichen Defiziten lassen vermuten, dass weitere und grundlegende Reformen unvermeidbar wurden. Zudem führten die Reformen zu Widersprüchen im Wirtschaftsplan, da das Basisplansystem erhalten geblieben war.152 Als problematisch erwies sich auch, dass weiterhin Kredite an verlustbringende Unternehmen vergeben wurden, und dass auf der anderen Seite mit Gewinn arbeitende Unternehmen nicht von ihrem Erfolg profitieren konnten. Insofern bestanden keine Anreize zu effizientem Wirtschaften oder zur Ausweitung der Produktion, was zu Tauschhandel und Schwarzmärkten führte (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 214 ff.).153 Erschwerend wirkte sich für die sowjetische Wirtschaft der Kollaps der internationalen Ölpreise in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre aus, der Gorbatschows Reformpolitik wichtige Deviseneinnahmen entzog.154 Hinzu kam, dass der – wenn auch eher formal und nicht vollständig – liberalisierte Außenhandel zu einer Importschwemme mit substantieller Verdrängung der im Autarkiegedanken gewachsenen importsubstituierenden Industrien führte (vgl. Jasper und Tokarev 2002, S. 226).155 Diesen wirtschaftlichen Problemen standen elementare politische Zerfallserscheinungen gegenüber. Gorbatschow hatte die Interdependenz der Ordnungen klar erkannt und daraus die Konsequenz gezogen, dass das politische und das ökonomische Teilsystem nur gemeinsam und wechselseitig zu reformieren seien. Die angestoßenen Reformen führten jedoch gleichsam zu einem Dammbruch, das alte System war nicht mehr zu halten. Die Sowjetunion löste sich auf. Eine Reihe von Unionsrepubliken erklärten ihre Unabhängigkeit, auch die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR).156 Gorbatschow versuchte, die Sowjetunion zu erhalten. Mit der Unabhängigkeit Russlands, die Jelzin im eigenen Interesse betrieb, wurde die Sowjetunion jedoch gleichsam von innen ausgehöhlt.157 Nicht Gorbatschow, der in der Wahrnehmung der russischen Bevölkerung

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zuallererst verantwortlich erscheint, sondern vielmehr Jelzin kommt mithin eine erhebliche Mitverantwortung für das Auseinanderfallen der Sowjetunion zu.158 Gorbatschow hatte in der Spätphase seiner Amtszeit von der Notwendigkeit bürgerlicher Reformen gesprochen. Jelzin, der im Juni 1991 zum russischen Präsidenten gewählt wurde, hat diese als Kernstück seiner Reformpolitik bezeichnet (vgl. Knabe 1994, S. 13).159 Der bestehende Ordnungsrahmen ging seiner formalen Institutionen (Gesetze) verlustig, was einen geradezu fundamentalen institutionellen Wandel bedeutete. 160 Für die neuen Gesetze und die Verfassung wurde auf „westliche“ Vorbilder zurückgegriffen (vgl. Mommsen 2002, S. 358 f.). Freilich wichen – und weichen bis heute, wie sich zeigte – Verfassungsnorm und Verfassungspraxis stark voneinander ab: Statt der verfassungsgemäß festgelegten freiheitlich-demokratischen Ordnung entstand schon bald ein System, das in Anspielung auf die real existierenden Macht- und Herrschaftsstrukturen als „Ukaskratie“, „Nomenklaturdemokratie“, oder (absolutistische) „Wahlmonarchie“ bezeichnet wird (vgl. Mommsen 2002, S. 360).161 Auf der anderen Seite ist auch das Beharrungsvermögen der bestehenden sozioökonomischen Strukturen (mit anderen Worten: der informalen Institutionen) enorm und weithin unterschätzt worden (vgl. Knabe 1994, S. 8). Die Beharrungskraft der kommunistischen Ideologie ist weit über das Ende der Sowjetunion hinaus spürbar (vgl. Petrov 1996, S. 52). Die zählebigen sowjetischen Mentalitäten führen dazu, dass ein Aufbruch in eine neue (marktwirtschaftliche) Ordnung nicht rückhaltlos von den Menschen bejaht wurde (vgl. Mommsen 2002, S. 377). Die fortwirkenden Verhaltensweisen und Werte der Sowjetperiode bildeten zudem die Basis für eine sich verstärkende Kriminalisierung sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik (vgl. Götz 1999, S. 19). Für den Anpassungsprozess an marktwirtschaftlich-demokratische Institutionen erschwerend wirkt sich die Persistenz alter Wahrnehmungsmuster aus (vgl. Marz 1991, S. 51). Der Effekt der Beeinflussung von Wahrnehmung und Präferenzen der Menschen durch das Ideologie- und Institutionengebäude des Kommunismus ist umso stärker, je länger die Phase des Kommunismus gedauert hat, er bedeutet in wichtigen Momenten (Verhältnis zur Obrigkeit, Eigeninitiative, Gesetzesverständnis) eine Fortsetzung russischer Mentalitäten.162 Der „russische Mensch“ habe sich in einem Kokon beruhigender, befriedigender Ideen einzurichten versucht. Der Abschied vom Marxismus-Sowjetismus werde daher als „verkehrte Identität“ in einer „verkehrten Welt“ wahrgenommen und habe eine schwere Identitätskrise und – angesichts des Verlusts des gewohnten, in alle Belange des Einzelnen hinein agierenden „starken“ Staates – allgemeine Desorientierung hinterlassen.163 Ebenfalls hemmend wirken „Willensbarrieren“ der Menschen, die dadurch entstehen, dass die Sicherheit der bekannten Ordnung – trotz ihrer Defizite – über die Unsicherheit einer neuen, unbekannten und in ihren Chancen und Risiken nicht einschätzbaren Ordnung gestellt wird (vgl. Haindl 2003, S. 294). Staatlicher Paternalismus, eine gesellschaftliche wie ökonomische Nivellierung sowie eine planwirtschaftlich verzerrte Einstellung zur Arbeit prägten wesentlich die sozialistischen Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster (vgl. Höhmann 2001, S. 123; s.a. Huber 2002, S. 45 f.). Ihre Überwindung ist von wesentlicher Bedeutung für den Systemwechsel und Voraussetzung für das Funktionieren marktwirtschaftlicher Ordnungsstrukturen (vgl.

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Peterhoff 1992, S. 28). Gleichwohl ist sie umso schwieriger, je mehr es alte Eliten vermögen, ihre beherrschende Stellung zu Lasten der Bevölkerung zu bewahren. So seien die an das administrative Kommandosystem angepassten „kleinen Diktatoren“ als wesentliche Schicht der nicht sterbenden Bürokratie und Verwaltung jener „depressiv-aggressive“ Komplex, der ein Synonym für die Sowjetmacht schlechthin ist.164 Der Putsch gegen die Reformen Gorbatschows vom August 1991 war ihr sichtbarer Versuch der formalen Restauration, doch letztlich wurde der Zerfall der Sowjetunion dadurch nur beschleunigt.165 Nationale Bestrebungen, nicht mehr beherrschbare wirtschaftliche Probleme und eine neue Art des politischen Pluralismus166 führten – nicht zuletzt, weil sie ordnungsökonomisch nicht konsistent waren – zum Scheitern der Sowjetunion einschließlich der mit der Perestroika begonnenen Reformversuche.167 Mit der Auflösung der Sowjetunion und mit dem Vertrag über die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) fand am 31.12.1991 auch die Perestroika ihr Ende. Danach begann eine neue Phase der Transformation (vgl. Peterhoff 2002c, S. 184).

4.3.

Der Übergang: Vom Plan – wohin?

4.3.1.

Schattenwirtschaft und Schocktherapie

Mit der Auflösung der Sowjetunion und der Außerkraftsetzung ihrer Gesetze (also ihrer formalen Institutionen) war ein institutionelles Vakuum entstanden, das nur unvollkommen und nur mit zeitlichem Verzug durch neue Gesetze gefüllt werden konnte (s. Thumann 2002, S. 118). Die Menschen waren kulturell und psychisch nicht auf ein demokratisches Staatswesen vorbereitet (vgl. Furman 2008, S. 4). Für die Änderung der informellen sozialistischen Verhaltens-, Denk- und Wahrnehmungsmuster, die in Anpassung der Menschen an die sowjetische Handelnsordnung entstanden waren, ist daher ein noch weitaus größerer Zeitbedarf erforderlich. Es ist an dieser Stelle wichtig hervorzuheben, dass das Problem des institutionellen Vakuums noch darüber hinaus eine weitere, oft übersehene Dimension besitzt: Es kann bereits dann entstehen, wenn eine Rechtsnorm ihres Sanktionsmechanismus verlustig geht und nicht erst dann, wenn die Regel selbst ihre Gültigkeit verliert. Genau das ist für Russland bzw. vorher für die Sowjetunion festzustellen. Schon das Abweichen der Betriebe vom Wirtschaftsplan (er hatte Gesetzesrang) ist hier zu nennen, selbst wenn dies aus ökonomischem Zwang und nicht in unlauterer Absicht geschehen ist.168 Sofern dem nicht die eigentlich vorgesehenen Sanktionen folgten, ist hier ein – ggf. sogar bewusst geduldetes – Vakuum zu sehen. Noch deutlicher treten fehlende Sanktionen im Bereich der bereits beschriebenen informellen Netzwerke aus Kriminalität und Nomenklatura zu Tage. Ihre gleichsam institutionalisierte Immunität und die damit verbundenen Freiheiten jenseits formalrechtlicher Grenzen können als Nukleus für die Herausbildung eines parallelen Institutionengefüges, insbesondere auch im Bereich wirtschaftlicher Tätigkeit, gelten.169 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass ein relativ kleiner Teil der Gesellschaft bessere strukturelle – wie auch materielle – Voraussetzungen als die breite Bevölkerung hatte, sich bietende Handlungsspielräume zu nutzen, als von bestehenden Gesetzen keine Sanktionen mehr zu befürchten waren oder die Gesetze selbst ihre Geltung verloren. Für die breite Bevölkerung bedeutete dies hingegen eine enorme Zunahme der Unsicherheit und einen Verlust von Humanvermögen, weil bisher gewohnte Verhaltensweisen ihre

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Eignung zur Problemlösung verloren. Hinzu kam, dass zunächst keine Konzepte für die Transformation vorhanden waren, insbesondere kein Wirtschaftsordnungskonzept, und es gab zu diesem Zeitpunkt auch noch kaum Persönlichkeiten, auf die sich die Reformen hätten stützen können. So verwundert es nicht, dass sich Kleinunternehmer zunächst aus der Gruppe von ehemaligen Schwarzhändlern rekrutierten, bevor in weiteren Phasen Vertreter aus Staats-, Partei- und Komsomolapparat hinzukamen, gefolgt von Betriebsdirektoren mit Erfahrungen aus der Schattenwirtschaft und später von eigentlichen neuen Unternehmern. Wenn die letzte gleichsam „von unten“ kommende Gruppe in den Jahren 1990 bis 1992 dominiert hätte (was sie freilich vor dem Hintergrund des oben dargestellten „sowjetischen“ Menschen nur mit Hindernissen gekonnt hätte), als viele Menschen an einen Erfolg der marktwirtschaftlich-demokratischen Reformen glaubten, dann hätte sie – im Gegensatz zur tatsächlichen Entwicklung – durchaus positiv zur Lösung der Wirtschaftsprobleme Russlands beitragen können (vgl. Tschepurenko 1995, S. 39 f.).170 So aber wurden die Orientierungslosigkeit verstärkt (vgl. Gutnik 1997, S. 47 f.) und eine zügige Änderung von Gewohnheiten gehemmt (s.a. Peterhoff 1995, S. 6). Ein erster nennenswerter Reformversuch wurde mit der Veröffentlichung des Reformprogramms „Transition to the Market“ gestartet.171 Westliche Berater empfahlen der russischen Politik Liberalisierung, Privatisierung und makroökonomische Stabilisierung. 172 Doch sie vermochten es nicht, eine gemeinsame Sprache mit den Entscheidungsträgern in den Behörden zu finden.173 Die Liberalisierung führte zu einer überstürzten Desintegration (vgl. Huber 2002, S. 278).174 Die empfohlene Übertragung des „amerikanischen“ Wirtschaftsmodells auf Russland und insbesondere die Liberalisierung der Preise wurden ex post als Grundfehler der Reformpolitik bezeichnet (vgl. Knabe 1994, S. 11).175 In buchstäblich einem Jahr brach eine Lawine westlicher Einflüsse über Russland herein, was wie ein Schock für die Sowjetbürger wirkte. Sie wussten nicht, was sie tun sollten, waren sie doch gewohnt, auf Anordnungen von oben zu warten (vgl. Sorokin 2003, S. 45).176 Auch wenn die Maßnahmen zur Umgestaltung nacheinander und teilweise mit erheblichem Zeitverzug in Gang gesetzt wurden, war die Art und Weise des Vorgehens weit entfernt von einem durchdachten, konsistenten und ordnungspolitisch fundierten Ansatz, der als „gradualistisch“ zu bezeichnen gewesen wäre. Mit anderen Worten: Auch in Russland wurden Reformmaßnahmen nacheinander in Angriff genommen, aber die Art ihrer Umsetzung wirkte angesichts des schnellen Zerfalls der Sowjetunion auf das Land und die Menschen wie ein Schock.177 Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre fand die Marktwirtschaft Zustimmung in der Bevölkerung (vgl. Tschepurenko 2004, S. 66). Die Reformmaßnahmen führten freilich zu einer grundlegenden Umverteilung der materiellen und personellen Ressourcen (vgl. Knabe 1994, S. 21). Profitieren konnten von den neuen Möglichkeiten vor allem Betriebsleiter und andere Angehörige der bestehenden Elite, denen es mit Hilfe ihrer vertikalen Netzwerke – und oft zu Lasten Dritter – gelang, Zugriff auf Ressourcen oder Finanzströme zu erhalten.178 Für die breite Bevölkerung verschlechterte sich in dieser Entwicklung ihre Situation: durch Konkurs der Betriebe, verbreitete Lohnrückstände und insbesondere durch schnell steigende Preise.179 Damit wurden gerade auch jene Schichten in der Bevölkerung von den Reformen enttäuscht, die sie befürwortet hatten (vgl. Tschepurenko 2004, S. 66; ähnlich Adam 2000, S. 97; Jakowlew 2003, S. 597).

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Öffentlich zugängliche Informationen waren nach wie vor weitgehend interessengeleitet, und so musste es von den Russen als normales Phänomen wahrgenommen werden, dass auch auf dem Weg zur Marktwirtschaft das Verbrechen triumphiert. Das hat die Grundpfeiler der russischen Gesellschaft erschüttert (vgl. Reitschuster 2004, S. 280). Marktwirtschaft und Demokratie wurden diskreditiert, lange bevor sie hätten funktionieren können. Zwischen legaler wirtschaftlicher Betätigung, Schattenwirtschaft, Kriminalität, Mafia, Korruption und Bereicherung staatlicher Stellen waren Anfang der 1990er Jahre in Russland nur graduelle Unterschiede vorhanden.180 Letztlich waren die Übergänge fließend und alle genannten nichtlegalen Phänomene fügten sich in ein Spektrum allgegenwärtiger Hemmnisse individuellen Handelns ein. Dadurch – mit anderen Worten: durch den fehlenden Rechtsstaat in Russland – wurden die individuellen Tauschbeziehungen verteuert (vgl. Schüller 1994, S. 175). Vertikale Beziehungsnetzwerke in abgeschlossenen Gruppen traten nicht zuletzt aus Transaktionskostengründen an die Stelle von Marktbeziehungen. Gesetze galten (und gelten) den Menschen nicht als allgemein verbindliches Regelwerk, sondern als Fangnetz, mit dem die Obrigkeit die Leute einfängt und gegen Schmiergeld wieder freilässt (vgl. Reitschuster 2004, S. 265). Ein wesentlicher Grund ist in der Interessenübereinstimmung eines „eisernen Dreiecks“ aus unterbezahlten und daher für Korruption besonders anfälligen Staatsbediensteten und aus gleichsam rechtlich wie moralisch „entfesselten“ Direktoren bzw. Neuunternehmern mit vertikalen Beziehungsnetzwerken bis in höchste Ebenen („Olson-Gruppen“) zu sehen.181 Interessengruppen wie Gewerkschaften waren ebenfalls Teil dieser Strukturen.182 Der Grad der Abgeschlossenheit der sozialen Gruppen hat im Vergleich zur Sowjetunion sogar noch zugenommen (vgl. Knabe 1994, S. 21). Schattenwirtschaft und der Schock des ungeordneten Transformationsprozesses lähmten die produktiven und entfesselten die destruktiven Kräfte der russischen Gesellschaft (s.a. Peterhoff 1995, S. 6). 4.3.2.

Phasen der Privatisierung183

4.3.2.1. Die informelle Phase bis 1992 Ein geregelter Übergang hätte eine Neuverteilung der Eigentumsrechte nach dem Prinzip der Nichtdiskriminierung erfordert. Dies hätte in einem allmählichen Prozess geschehen können. Dazu ist es in Russland nicht gekommen.184 Bereits vor der offiziellen Privatisierung fanden – wie dargelegt – in nicht unerheblichem Umfang Eigentumsaneignungen, -umverteilungen und -akkumulationen statt. In dieser „informellen“ Phase erfolgten De facto-Privatisierungen, oder es wurden auf andere Weise Eigentumsansprüche begründet. Diese „Tatsachen“ bestimmten zu einem erheblichen Teil den Verlauf der Privatisierungen (vgl. Knabe 1994, S. 15; s.a. Höhmann 2001, S. 125).185 Diese Entwicklungen gehen bis in die Zeit der Sowjetunion zurück, mitunter bis in die 1950er Jahre (vgl. Glinkina, Grigoriev und Yakobidse 2001, S. 233 f.). Die organisierte Kriminalität und die Schattenwirtschaft neben der legalen Ökonomie können daher als einzig real funktionierendes Scharnier zwischen den Systemen gelten.186 Sie generierten ihren Wissensvorsprung aus den Machtzentren des alten Systems und erhielten so Zugriff auf die Property Rights für eine oligarchisch geprägte „Marktwirtschaft“.

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An dieser Stelle ist ein kurzer etymologischer Blick auf das Wort ‚privatisieren‘ hilfreich: ‚Privatisieren‘ meint, ein bisher öffentlich verwaltetes Gut an Individuen zu übertragen. Der Ursprung des Wortes ‚privatisieren‘ geht auf das lateinische Verb ‚privare‘ zurück, das einst ‚berauben‘, ‚befreien‘ oder ‚absondern‘ bedeutete. Die Art und Weise, wie der Prozess des ‚Privatisierens‘ in Russland vonstattenging, legt die Sicht nahe, dass es sich eher um einen Raub als um eine Befreiung aus staatlicher Verfügungsgewalt handelte.187 Für die Nomenklatura in Politik und Wirtschaft, der es gelungen war, sich zunehmend mehr Verfügungsrechte über staatliches Eigentum zu verschaffen, ermöglichten die Perestroika und die anschließende Privatisierung, diese Besitzstände gleichsam zu legalisieren (vgl. Knabe 1994, S. 4; Eigendorf und Schut 1994, S. 158; Glinkina, Grigoriev und Yakobidse 2001, S. 234 f.). In Verbindung mit der Umverteilung staatlichen Eigentums können drei Ebenen administrativer, d.h. von Vertretern der Nomenklatura geprägter Märkte unterschieden werden: erstens ein „legaler administrativer Markt“ (Entstaatlichung ohne Privatisierung durch Beziehungen zwischen den Machtorganen, den „roten“ Direktoren der Staatsbetriebe und den Direktoren der kommerzialisierten Unternehmen), zweitens der „eigentliche“ Markt (Entstaatlichung mit Privatisierung durch Beziehungen zwischen den föderalen Machtorganen, den kommerzialisierten Direktoren und den „Finanziers“) und drittens der „kriminelle“ Markt (Privatisierung ohne Entstaatlichung durch Beziehungen zwischen den föderalen Machtorganen, den „roten“ Direktoren und den „Finanziers“).188 Neben früheren sowjetischen Wirtschaftsfunktionären (etwa aus der Partei und den Ministerien kommend)189 waren in der Nutzung der sich bietenden Möglichkeiten zwei weitere Gruppen erfolgreich: zum einen Komsomolfunktionäre (zu denen auch Chodorkowski gehörte)190 durch Nutzung des Genossenschaftsgesetzes von 1988. Sie haben nach Auflösung der Branchenabteilungen des ZK der KPdSU eine „alternative“ Wirtschaft aufgebaut, vor allem im organisatorischen Zusammenhang mit sogenannten Wissenschafts- und Technikzentren der Jugend; die „Paten“ dieser Entwicklung waren Ligatschow und Satulin.191 Nicht selten wurden durch die neu entstandenen Kooperativen knappe Rohstoffe und Vorprodukte zum staatlich fixierten Niedrigpreis, auch unter Beteiligung von Angestellten der verkaufenden Betriebe, erworben und direkt oder nach Weiterverarbeitung mit großen Gewinnen weiterverkauft (vgl. Huber 2002, S. 95).192 Eine weitere Gruppe waren „Neuaufsteiger“ wie Beresowski und Gussinski.193 So kam es zur sogenannten Nomenklatura- oder Insider-Privatisierung, bei der die Direktoren der Unternehmen versuchten, Eigentümer des Unternehmensvermögens zu werden. Dies verstärkte die monopolistischen Verfügungsrechtsstrukturen, weil „mit Hilfe einer schleichenden Privatisierung zugunsten der alten Nomenklatura das Ordnungskonzept eines extremen Produzentensyndikalismus mit einer monopolistischen und protektionistischen Grundstruktur vertreten“ wurde (Schüller 1994, S. 176). Daneben wurden im Rahmen „spontaner“ Privatisierungen Kollektivunternehmen gegründet, um zunächst Kollektiveigentum zu pachten und später zu kaufen.194 Auch wurden Wohnraum und kleinere Einzelhandelsbetriebe mit späterem Kaufrecht verpachtet. Weiterhin gab es Fälle sogenannter „privater“ Privatisierung, in denen innerhalb der Unternehmen Genossenschaften gegründet wurden, die in der Verfügungsmacht des Managements Finanzmittel anhäuften, um schließlich das Unternehmen zu kaufen. Besonders diese Fälle endeten

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häufig damit, dass sich Nomenklatura oder Mafia illegal ehemaliges Volkseigentum angeeignet haben. So konnten sich aus den bürokratischen Einrichtungen der Zentralverwaltungswirtschaft neo-feudale Machtstrukturen und kriminelle Gruppen formieren und mit Hilfe politischer Verbindungen stabilisieren. Diese bürokratisch-politischen Vernetzungen dominierten eindeutig die Wege einer formalen vertraglichen Koordination. Damit wurde die Tradition der informellen Beherrschung der formalen Rechtsordnung, die für Russland charakteristisch ist, fortgesetzt. 4.3.2.2. Die Voucher-Privatisierung (1992-1994) Bereits im Jahr 1991 wurde das „Gesetz über die Privatisierung von staatlichen und kommunalen Betrieben in der RSFSR“ verabschiedet (vgl. Osterkamp 2002, S. 228). Aufgrund fehlender Umsetzungsvorschriften begann die eigentliche Privatisierung erst im Sommer 1992. Bis dahin waren schon etwa 2.000 Unternehmen durch „spontane“ Privatisierung in privaten Besitz insbesondere der Nomenklatura übergegangen (vgl. Weber, K. 1997, S. 52 f.). Zusammen mit der allgemeinen Preisliberalisierung vom Januar 1992195 und dem Antimonopolgesetz von 1991196 entstanden Anreize, die unternehmerischen Produktionsentscheidungen an Knappheitsrelationen zu orientieren und die Ressourcen effizient einzusetzen (vgl. Weber, K. 1997, S. 51). Zu privatisieren waren etwa 247.000 Betriebe, die in drei Gruppen (kleine, mittlere und große) eingeteilt wurden (vgl. Hölzler 1999, S. 174 f.). Zunächst wurde mit der Privatisierung kleiner Einzelhandels-, Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe durch Auktionen und Ausschreibungen begonnen („kleine“ Privatisierung) (vgl. Weber, K. 1997, S. 53). Es folgten mittlere und große Unternehmen, die zunächst in Aktiengesellschaften (AG) umgewandelt wurden („große“ Privatisierung) (vgl. Hölzler 1999, S. 175). Im Anschluss an diese Umwandlung wurden die AGs als Ganzes oder als Teil eines Betriebes zumeist durch Voucher-Auktionen – formal – privatisiert (vgl. Höhmann 2001, S. 125; Radygin 1997, S. 97 f.).197 Zu diesem Zweck wurden am 1. Oktober 1992 an die Bevölkerung rund 150 Millionen198 Privatisierungsschecks (Voucher) ausgegeben. Jeder Voucher hatte einen Gegenwert von 10.000 Rubel199 und war gültig bis Ende Juni 1994. Er war ein Inhaberdokument und konnte für den Kauf von Unternehmen bzw. deren Aktien bei Auktionen oder für den Erwerb einer Wohnung verwendet werden (vgl. Weber, K. 1997, S. 53). Für die Durchführung der Privatisierung standen drei verschiedene Methoden zur Verfügung, die dem Management und der Belegschaft weitreichende Vorteile einräumten.200 In der Praxis wurde in drei Viertel aller Fälle eine Option gewählt, bei der Belegschaft und Management 51 % der stimmberechtigten Anteile zu 170 % des Buchwertes201 der Betriebe gegen Barzahlung oder Voucher erwerben konnten. Die restlichen Fälle entfielen auf die Variante, die es Belegschaft und Management ermöglichte, 25% der nicht stimmberechtigten Anteile gratis zu erhalten sowie einen festgelegten Prozentsatz stimmberechtigter Anteile zu erwerben. Die dritte Variante, ein klassisches Management-Belegschafts-Buyout, wurde nur in etwa 2 % der Fälle präferiert.202 Mit der Verteilung der Voucher an die Bevölkerung und mit den genannten Privatisierungsmethoden wählte die russische Regierung ein pragmatisches Vorgehen. Es trug dem Umstand Rechnung, dass die große Zahl von Betrieben, die zu privatisieren waren, ein

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standardisiertes Verfahren erforderte. Auch schien Eile geboten, um den illegalen „spontanen“ Privatisierungen Einhalt zu gebieten und ein Zurückfallen in das alte System zu verhindern (vgl. Eigendorf und Schut 1994, S. 123). Das Volk sollte in der Rolle von Aktionären daran interessiert sein, den erlangten Besitzstand zu wahren und zu mehren.203 In formal-quantitativer Hinsicht kann diese Strategie durchaus als erfolgreich bezeichnet werden (vgl. Höhmann 2001, S. 125). Allerdings führte die Begünstigung von Management und Belegschaft in erheblichem Umfang zu einer Insider-Privatisierung.204 Die weit überwiegend gewählte Möglichkeit des Erwerbs von 51 % der Unternehmensanteile durch das Management und die Belegschaft führte zu einer Diskriminierung außenstehender Käufer: Das Management konnte mit seiner Majorität den Zugriff auf die materiellen Ressourcen des Unternehmens wahren, unterstützt von der Belegschaft, die damit ihre Arbeitsplätze sichern wollte.205 Mit der Diskriminierung außenstehender Anteilsbesitzer und Investoren stockte jedoch der Zufluss von Kapital und Wissen. Darüber hinaus war die Übereinstimmung der Interessen von Management und Belegschaft nur von kurzer Dauer. Das Management setzte darauf, dass sich die Belegschaft passiver verhalten würde als externe Investoren und versuchte, die Belegschaftsanteile – nicht nur auf legalem Wege – zu erhalten (vgl. Weber, K. 1997, S. 57 f.; s.a. Glinkina, Grigoriev und Yakobidse 2001, S. 239). Dadurch wurde das Management oft zum dominanten Eigentümer. Gleichwohl konnten auch externe Investoren Unternehmensanteile zunächst bis zu 29 % erwerben. Dies geschah beispielsweise durch Voucher-Fonds, die die Privatisierungsschecks der Bevölkerung einsammelten und in Aktien von Unternehmen tauschten. Nicht selten taten sie dies auf „Bestellung“ des Managements, das seinen Anteil auf diese Weise zu erhöhen suchte und den Fonds die Anteile später abkaufte (s. Eigendorf und Schut 1994, S. 142). Mit der Mehrheit am Unternehmen war ein bestimmender Einfluss auf die Unternehmenspolitik möglich. Zudem erlaubte das Konkursrecht, dem Unternehmen Zahlungen und Aktiva zu entziehen. Dies eröffnete auch kriminellen Strukturen Handlungsmöglichkeiten. Ohnehin waren Eigentumsstrukturen und -umverteilung in hohem Maße von ihnen geprägt. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung nahm dadurch erheblich zu (vgl. Adam 2000, S. 93; Osterkamp 2002, S. 221). Doch kam es nicht zu sozialen Auseinandersetzungen, weil es der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung materiell vorher nicht wesentlich besser ging und in der Folge eine politische Gleichgültigkeit eingetreten ist.206 Doch bestand verbreitet eine tiefe Skepsis gegenüber allzu radikalem politischem und wirtschaftlichem Wandel (vgl. Hölzler 1999, S. 178 ff.). Durch die Ausgabe der Privatisierungsschecks an die Bevölkerung anstelle eines direkten Verkaufs der Unternehmen an Investoren verzichtete der Staat auf Einnahmen. Weiche Budgetschranken des Staates für die Betriebe führten dazu, dass zwar die Gewinne der Unternehmen gleichsam privatisiert waren, nicht aber die Verluste, für die der Staat weiter aufkam (vgl. Höhmann 2001, S. 126; Welfens 1999, S. 561).207 Dadurch wurde verhindert, dass Investitionen in ihre produktivste Verwendung gelenkt werden. Bei konsequenter Anwendung des Konkursrechts hätte die Mehrzahl großer Unternehmen Konkurs anmelden müssen (vgl. Hölzler 1999, S. 178).208 Auch waren zahlreiche Branchen ganz oder teilweise von der Privatisierung ausgenommen (vgl. Weber, K. 1997, S. 54).209 Eine Abgrenzung zwischen privatem und staatlichem Sektor war oftmals

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schwierig, denn eine formale Privatisierung bedeutete nicht, dass private Unternehmen im marktwirtschaftlichen Sinne entstanden (vgl. Peterhoff 1999a, S. 190). Oft hielt der Staat weiterhin die Mehrheit oder wesentliche Anteile (vgl. Hölzler 1999, S. 176). Der Rohstoffbereich blieb weiter monopolistisch oder oligopolistisch strukturiert. Aus ehemals staatlichen Monopolen entstanden, sofern sie überhaupt privatisiert wurden, nicht selten private. Gut organisierte Interessengruppen aus (ehemals) staatlichen Unternehmen und der Administration waren in ihrem Bestreben erfolgreich, mit und ohne Mittel des Staatshaushaltes Sondervorteile zu generieren sowie die Wirtschaftspolitik zu beeinflussen, unter anderem durch Besetzung wichtiger Regierungsposten, die Festlegung wirtschaftspolitischer Prioritäten und die Schaffung neuer Institutionen und Gesetze (vgl. Höhmann 2001, S. 126; s.a. Fruchtmann 2004b, S. 47).210 Laxe Steuermoral und unzureichende Kontrollen führten zu geringer Steuerzahlung. Kriminalität, Bestechung und Korruption schwächten die wirtschaftliche Entwicklung.211 Unternehmen wie Gazprom fühlten sich weder dem Staat noch den Menschen verantwortlich (vgl. Hölzler 1999, S. 179). Ein Denken in Kategorien des Gemeinwohls, das sich etwa in Vertragstreue und Akzeptanz von Verantwortung und Haftung für eigenes Handeln widerspiegeln würde, existierte nicht, vielmehr wurde Marktwirtschaft als „Recht des Stärkeren“ interpretiert (vgl. Peterhoff 1995, S. 6).212 Wenn sozioökonomische Beziehungen stark von informellen Netzwerken geprägt waren, dann „führte dies zu einer tiefgreifenden Erosion der universellen (d.h. allgemeinverbindlichen; T.W.) Normbindung des sozialen Handelns“ (Mrowczynski 2005, S. 46).213 Für den Staat folgten daraus neben einem ungenügenden Institutionensystem, das seine verbreitete Passivität sowie dessen (partikular)interessengeleitetes politisches Handeln widerspiegelte, fehlende Einnahmen und weiter steigende Ausgaben. Sie können als Grundstein für die schnelle Verschlechterung der öffentlichen Finanzen und den bereits latent drohenden Staatsbankrott gesehen werden. Des Weiteren erschwerten die galoppierende Inflation und ein drastischer Rückgang der Industrieproduktion die wirtschaftliche Entwicklung. 4.3.2.3. Kredite gegen Aktien (1994-1996) Im Juli 1994 wurde eine neue Phase der Privatisierung begonnen. Von der kostenlosen Verteilung der Anteile sollte nun zum Verkauf der Unternehmen übergegangen werden. Die unternehmensinterne Umverteilung der Aktien zugunsten des Managements, die zu einer Selbstkontrolle der Insider ohne Haftung geführt hatte, und die damit begründete Machtstellung der Direktoren sollten aufgehoben, der Investitions- und Restrukturierungsprozess gefördert werden. Allerdings verlangsamte sich dadurch das Tempo der Privatisierung (vgl. Weber, K. 1997, S. 56). Bei den nun initiierten Auktionen verpfändete der in Zahlungsschwierigkeiten geratene russische Staat Anteile seiner Unternehmen.214 Nur Banken waren berechtigt, an den Auktionen teilzunehmen. Diese gewährten dem Staat dafür Kredite mit einer dreijährigen Laufzeit. Nach Tilgung der Kredite würden die verpfändeten Unternehmensanteile an ihn zurückfallen. Bis dahin würden die Banken wesentliche Eigentümerrechte an den Unternehmen ausüben (vgl. Weber, K. 1997, S. 56 f.). Dieses Vorgehen hätte geeignet sein können, die Probleme – Privatisierung der in Staatsbesitz verbliebenen meist größeren

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Unternehmen und Zuführung von dringend benötigter Liquidität für den Staatshaushalt – zu lösen. Allerdings war die Rückzahlung der Kredite von vorneherein de facto weder beabsichtigt noch dem Staat finanziell möglich gewesen. So erhielten die Banken die Aktien als Eigentum und konnten sie ihrerseits weiter veräußern. Ausländer waren dabei nicht zugelassen. Die Durchführung war so organisiert, dass der Gewinner der oftmals unterbewerteten Anteile in der Regel bereits vorab feststand (vgl. Reddaway und Glinski 2001, S. 480). Meist war dies die Bank selbst bzw. ein zu ihrem Finanz- und Industriekonglomerat gehörendes Unternehmen. Real hat in Russland aufgrund der hohen Zahl und der nicht selten ausschließlich zu diesem Zweck gegründeten Firmen oftmals die Zeit nicht gereicht, um auch nur zu prüfen, wer hinter einem offiziellen Käufer stand (vgl. Hölzler 1999, S. 178). So haben vor allem die Leiter der Finanz- u. Industrieimperien von den Pfandauktionen profitiert (vgl. Mommsen 2002, S. 356). Die russischen Banken spielen hierbei eine besondere Rolle, weil anders als hierzulande auch private Banken keine unabhängigen Institute sind, sondern der Finanzierung der hinter ihnen stehenden Holdings dienen (vgl. Weber, K. 1997, S. 117).215 Bereits von Unternehmen, die auf Grundlage des Genossenschaftsgesetzes von 1988 entstanden waren, wurden die ersten Banken gegründet (vgl. Knabe 1994, S. 16). Die nach den Genossenschaften folgenden „Beauftragten“ waren ein weiterer wesentlicher Akteur. Dabei handelte es sich um das staatlich zugesprochene Privileg für eine – in der Regel von der Nomenklatura gegründete oder sonst über beste Beziehungen verfügende – Bank, die für den Staat die einträglichsten und rentabelsten Geschäfte abwickelt (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 185; s.a. bereits Schröder 1998a, S. 26 f.). Die bisher schon große Spreizung von Einkommen und Vermögen nahm durch die – gleichsam deformierten – Pfandauktionen nochmals erheblich zu. Großer Armut in weiten Teilen der Bevölkerung stand eine kleine Gruppe reicher (sogenannter „neuer“) Russen gegenüber (vgl. Knabe 1994, S. 4). Bereits in der Mitte der 1990er Jahre waren die „Oligarchen“ im Gespräch (vgl. Tschepurenko 2004, S. 66).216 In den Jahren 1991 bis 1993 wurde die Geschäftswelt von Rohstoffhändlern dominiert, ab etwa 1993 gewannen zu ihren Lasten Banken an Bedeutung. Besonders lukrativ war es, über Staatsbanksicherheiten für Verbindlichkeiten zu verfügen und mit Staatsschulden zu handeln. Damit war eine sehr schnelle Kapitalakkumulation möglich. Während die Unternehmen die Löhne mit bis zu einem Jahr Verspätung auszahlten, sind die Banken mit dem entsprechenden Guthaben kurzfristige Spekulationen eingegangen. In diesem Bereich waren die „Oligarchen“ aktiv. Beschleunigt wurde ihr Aufstieg durch die Voucher-Investmentfonds, die die Privatisierungsschecks der Bevölkerung mit unrealistisch hohen Renditeversprechen eingesammelt hatten (vgl. Reddaway und Glinski 2001, S. 480 f.). Die Wertpapier-Auktionen führten zu einer Entwicklung der russischen Business-Elite, die zur Oligarchie führte (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 196). Der Umstand, dass es zu Veränderungen in der Zusammensetzung der Eliten kam, bedeutet freilich keine Ablösung der ehemals politisch und wirtschaftlich Mächtigen (vgl. Knabe 1994, S. 17).217 Vertikale Vertrauensnetzwerke (Clanstrukturen) konnten an Stelle offener Marktbeziehungen entstehen und sich ausweiten. Die Geschäfte wurden meist in Dollar abgewickelt. Die Geldwirtschaft war keine Marktwirtschaft (vgl. Alexandrow

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2000, S. 84 ff.). Ein nicht unerheblicher Teil der Austauschbeziehungen erfolgte in dieser Zeit durch den Tausch von Waren oder durch andere Kompensationsgeschäfte (vgl. Welfens 1999, S. 558; Huber 2002, S. 199).218 Formal versuchte die Regierung, monopolistischen Tendenzen in der Wirtschaft entgegenzusteuern. So wurde im Jahr 1995 ein Gesetz über „natürliche Monopole“ erlassen (vgl. Hölzler 1999, S. 180).219 Das Gesetz war nach ausländischen Vorbildern entstanden und wurde als Fremdkörper empfunden (vgl. Knabe 1994, S. 16). Das im Russischen für „natürliche“ Monopole verwendete Wort lässt sowohl die Übersetzung ‚natürlich‘ als auch ‚selbstverständlich‘ zu. Der Gedanke ist nicht abwegig, dass in Russland ein Verständnis von ‚selbstverständlichen‘ Monopolen im Wortsinne und nicht von ‚natürlichen‘ im ökonomischen Sinne zugrunde liegt.220 Im wettbewerblichen Sinne missbräuchliche Verhaltensweisen sind nicht zuletzt häufig auf Privatisierungskonzepte zurückzuführen, bei denen künftige Wettbewerbskonsequenzen nicht hinreichend bedacht wurden. Der oben dargestellte Weg der Privatisierung mit seinen „kriminellen“ Begleiterscheinungen sowie einflussreiche Interessengruppen verhinderten effektiv einen Schutz vor der Vermachtung der Wirtschaft. Dadurch wurde die Kluft zwischen formellem und informellem Recht vergrößert, die moralischen Grundlagen der Wirtschaft erodierten immer mehr (vgl. Tschepurenko 2003, S. 90). Die Regierung Jelzin zeigte einen zunehmend oligarchischen Charakter, war also mehr und mehr gekennzeichnet durch demokratisch nicht legitimierte und nicht selten willkürliche Einflussnahmen eines kleinen Kreises von Personen im Umfeld hoher Repräsentanten des Staates (vgl. Reddaway und Glinski 2001, S. 477). Dazu haben verschiedene Faktoren beigetragen, etwa der autokratische Führungsstil Jelzins durch Erlasse anstelle parlamentarischer Gesetzgebung, die „Familie“221, also das private und unmittelbare administrative Umfeld Jelzins, das für sich durch Ausnutzen politischer Macht nach wirtschaftlichem Gewinn und Renten strebte, sowie die erstarkenden Oligarchen, die wirtschaftliche Macht durch ihre Nähe zur „Familie“ in politischen Einfluss verwandeln und so ihre ökonomische Basis festigen und erweitern wollten.222 Hier ist auch die ausufernde Bürokratie zu nennen, die in Form von allgegenwärtiger Bestechung und Korruption zur Geisel jedweder wirtschaftlicher und privater Betätigung wurde.223 4.3.3.

Die Oligarchen

4.3.3.1. Allgemeine Bemerkungen An dieser Stelle muss etwas näher auf die Oligarchen eingegangen werden.224 Eine umfassende Darstellung der einzelnen Personen und der von ihnen kontrollierten Unternehmensgruppen sowie ihrer Entwicklung ist hier nicht vonnöten.225 Die verschiedenen Finanz-Industriellen Gruppen (mit anderen Worten: die wirtschaftlichen Imperien der einzelnen Oligarchen) sind in ihrer Zusammensetzung nicht homogen. In der Regel verfügen sie über (mindestens) eine größere Bank, über namhafte lukrative Unternehmensbeteiligungen (oftmals im Rohstoffsektor) sowie über signifikante Beteiligungen an elektronischen Medien und Zeitungen.226 Abbildung 8 zeigt eine knappe Übersicht über die im Jahre 1996 wichtigsten Oligarchen und die von ihnen geführten Unternehmensgruppen.

Russlands Sonderweg der Transformation

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Abbildung 8: Die Imperien der russischen Oligarchen im Jahre 1996 Oligarchen

Banken

Unternehmen

Wagit Alekperow

Nikoil

Lukoil

Rem Wjachirew

Imperial NRB

Gasprom

Wladimir Gussinski

Most-Bank Vereinigte Bank

Media-most Mostdevelopment

Boris Beresowski

Awtobank

Sibneft Aeroflot

Alexander Smolenski

SBS-agro Agroprombank

Michail Friedman

Alpha-Bank

Michail Chodorkowski

Wladimir Potanin

Printmedien Iswestija Komsomolskaja Prawda Trud Segodnja Itogi Smena 7dnej Nesawissimaja gaseta Ogonjok Kommersant Nowaja gaseta Nationaler Nachrichtendienst

Alpha-Kapital Alpha-eko TNK

Elektronische Medien TV-6 NTV ORT NTV Rundfunksender Echo Moskwy ORT TV-6 ORT

ORT

ORT

Menatep

Rosprom Jukos

Moscow Times St. Petersburg Times Literaturnaja gaseta

MFK Alpha-Allianz

Interros Norilski nikel Sidanko Nordwest-Schiffahrt

Komsomolskaja Prawda Iswestija

ORT

Quelle: Kryschtanowskaja (2005, S. 197).

Zusammengefasst ergeben sich folgende Aspekte, die zur Herausbildung der russischen Oligarchen geführt haben:227  Ursprung oftmals in der Komsomolwirtschaft und den „Wissenschafts- und Technikzentren der Jugend“ ab 1986;  Nutzung der Möglichkeiten des Genossenschaftsgesetzes und anderer unternehmerischer Möglichkeiten, die auf Privilegien, Sonderregelungen und Ausnahmen ebenso wie auf Schattenwirtschaft und nichtlegaler Betätigung beruhten;  Teilnahme an der „spontanen“ informellen Privatisierung und Akkumulation von Kapital und Verfügungsmöglichkeiten über Ressourcen (Unternehmen und Rohstoffe);  Fortsetzung und Verstärkung dieses Prozesses im Verlauf der Privatisierung;

4. Russlands Oligarchie und ihre Wurzeln

117

 Status des „Beauftragten“ einer staatlichen Stelle mit der Möglichkeit, lukrative und hoch rentable Aufgaben für diese abzuwickeln;  Organisation der und erfolgreiche Teilnahme an den Pfandauktionen;  Sieg über die „Roten Direktoren“228. Verallgemeinernd können die genannten Punkte als jener Rahmen bezeichnet werden, innerhalb dessen sich die Entwicklung zu Finanz-Industriellen Gruppen vollzog. Allerdings war weder die Ausgangsbasis für alle Gruppen (etwa in der Komsomolwirtschaft oder als ehemaliges Branchenministerium229) gleich, noch waren stets alle der genannten begünstigenden Faktoren in gleichem Maße wirksam (s. Beljajewa 1999, S. 83; Mommsen 2002, S. 388 f.). Der Aufstieg der Oligarchen wird oft Tschubais und Tschernomyrdin zugeschrieben.230 Tatsächlich waren es aber Tschubais und Gaidar, die mit ihren Wirtschaftsreformen und ihrem Handeln der Entwicklung förderlich waren (vgl. Reddaway und Glinski 2001, S. 479). Der Kreis der Personen, die den Oligarchen zugerechnet wurden, veränderte sich. Auseinandersetzungen und mangelnde geschäftliche Fortune, etwa während der Finanzkrise des Jahres 1998, führten dazu.231 Dies wurde insbesondere auch von staatlichen Stellen für eine neuerliche Eigentumsumverteilung genutzt. In deren Folge sind auf föderaler wie auch auf regionaler Ebene neue Besitzverhältnisse entstanden.232 Nicht selten entstanden hierdurch wieder staatliche Monopole. 4.3.3.2. Wem gehört der Staat? In zeitlichem Zusammenhang mit den Pfandauktionen wurde im Jahre 1995 von der russischen Regierung ein Gesetz über die Finanz-Industriellen Gruppen erlassen.233 Der Inhalt vermittelt den Eindruck, als seien bei seiner Entstehung neben industriepolitischen Motiven (etwa die Förderung als wichtig betrachteter Industrien bzw. größerer Unternehmen) nicht zuletzt auch rentensuchende Aktivitäten wirksam gewesen. Das Gesetz enthält in Artikel 15 („Staatliche Unterstützung des Handelns der Finanz-Industriellen Gruppen“) Maßnahmen, die zugunsten der Finanz-Industriellen Gruppen getroffen werden können: Dies sind neben anderen die Gewährung von staatlichen Garantien und Krediten für die Finanz-Industriellen Gruppen sowie Vergünstigungen; diese können auch nachträglich gewährt werden. Genannt werden auch die Verwaltung von Aktienpaketen des Staates durch die Finanz-Industriellen Gruppen und die Möglichkeit für diese, Abschreibungsfristen selbst festzulegen. Die Maßnahmen dürften ihren Geschäftsinteressen förderlich gewesen sein. Weit über dieses Gesetz hinaus hatten die Oligarchen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Privatisierung und die gesamte russische Wirtschaftspolitik wie auch auf Personalentscheidungen auf hoher administrativer Ebene (s. Mommsen 2002, S. 388). Die Bevölkerung musste indes die Erfahrung machen, dass Wohlstand allein auf Beziehungen und Macht zurückzuführen ist (vgl. Peterhoff 1992, S. 29).234 Die Interessengruppen235 wurden von den Machtorganen (Regierungsstellen, Behörden) zur Zusammenarbeit herangezogen (vgl. Lapina 1998, S. 11).236 Die Oligarchen waren weitaus besser als andere Interessengruppen in der Lage, ihre Ziele im Kreml durchzusetzen (s.a. Mommsen 2002, S. 388 f.). Im Verlauf der ersten Hälfte der 1990er Jahre verwandelten sie sich von Profiteuren eines Klientelverhältnisses in Partner symbioti-

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Russlands Sonderweg der Transformation

scher Machtverhältnisse mit der politischen Elite (vgl. Schröder 1999, S. 168). Doch waren ihre Interessen durchaus verschieden (vgl. Schröder 1998a, S. 24; Harter et al. 2003, S. 133). Bei der Verteilung des ehemals staatlichen Eigentums kam es zwischen ihnen zu heftigen Auseinandersetzungen. Bei Themen von elementarer Bedeutung für ihre Wirtschaftsinteressen fanden sie jedoch zu einem Konsens und stellten den sonst untereinander geführten Kampf ein (vgl. Tschepurenko 2004, S. 67). Anfang 1996 kamen die sieben führenden russischen Bankiers237 in Davos überein, dass die privaten Interessen, die sie repräsentierten, die Wiederwahl von Jelzin als Präsident erforderlich machten (vgl. Reddaway und Glinski 2001, S. 491 f.; Mommsen 2004, S. 67 f.). Jelzins Umfragewerte waren schlecht, sein einflussreicher Sicherheitschef Korschakow riet dem Präsidenten, unter dem Vorwand des Tschetschenien-Krieges die Wahlen abzusagen. Das wäre de facto ein Staatsstreich gewesen und einer „Kriegserklärung“ an die Oligarchen gleichgekommen, weil ihnen nur die Fortsetzung des Systems weiter Einfluss und die demokratische Legitimierung ihres Reichtums sichern würde (vgl. Reitschuster 2004, S. 34; s.a. Mommsen 2004, S. 54). Eine Revision der Privatisierungsentscheidungen der 1990er Jahre oder eine Neuverteilung der Besitzstände konnte nur nachteilig für sie sein (vgl. Schröder 1998a, S. 26) – die theoretische Begründung hierfür wurde anhand des in Abschnitt 3.2.3.1. beschriebenen Beispiels über die Entstehung von Verfügungsmacht dargestellt. Der Kreml, der zu diesem Zeitpunkt noch keine nennenswerten Kontrollmöglichkeiten über die Medien besaß, war für einen Wahlsieg auf die Massenmedien der Oligarchen ebenso wie auf deren Geld angewiesen. Seine Tochter Tatjana Djatschenko, die eine Schlüsselfigur für den Zugang zum Präsidenten war (vgl. Mommsen 2004, S. 71), überzeugte Jelzin, dass die Wahlen mit dem Geld der Oligarchen kein Risiko mehr sind (vgl. Reitschuster 2004, S. 36). Die Oligarchen spürten, dass sie eine ernstzunehmende Kraft waren (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 215). Jelzin hoffte, im Gegenzug für ihre Unterstützung nur minimale Macht aufgeben zu müssen (vgl. Reddaway und Glinski 2001, S. 492). Diese Hoffnung erfüllte sich indes nicht. Kurz vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang im Juli 1996 erlitt Jelzin einen schweren Herzinfarkt (vgl. Reitschuster 2004, S. 37). Zwar konnte er die Wahl dank der massiven – und nicht immer legalen – finanziellen238 und medialen239 Unterstützung gewinnen.240 Doch das Amt des Präsidenten blieb nach der Wahl lange vakant (vgl. Schröder 2001, S. 73). Diese Lücke füllten die Oligarchen.241 Die Gruppe der sieben Bankiers bildete einen institutionalisierten Kreis mit regelmäßigen Treffen und bezeichnete diesen ironisch als ein neues „Politbüro“.242 Im Umfeld der informellen Machtstrukturen der „Familie“, zu der einige Oligarchen wie Beresowski nunmehr selbst gehörten, nahm die enge personelle und organisatorische Verflechtung von wirtschaftlichen und politischen Interessen nochmals erheblich zu, es kam zu einem regen Austausch zwischen „privater“ Sphäre und Administration.243 Die Zusammenarbeit zwischen „Business“ und staatlicher „Macht“ trat damit in eine neue Phase (vgl. Lapina 1998, S. 12). Zum Leiter der Präsidentenverwaltung wurde zunächst Tschubais244 ernannt, Tschernomyrdin wurde Premierminister, der Oligarch Potanin wurde als stellvertretender Premierminister vom Kreis der sieben Oligarchen gleichsam in die Regierung abgeordnet (vgl. Mommsen 2004, S. 68 f.). Nach dem „Matrjoschka-Prinzip“ wurde eine Regierung innerhalb der eigentlichen Regierung etabliert, an die unmittelbar die Interessen der Oligarchen weitergegeben

4. Russlands Oligarchie und ihre Wurzeln

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wurden (vgl. Mommsen 2004, S. 69).245 Die Mitglieder von Regierung und Verwaltung wurden so direkt in die Netzwerke der Interessengruppen integriert (vgl. Mommsen 2002, S. 388). Nach Aussage von Beresowski würde man nun, da man die Wiederwahl Jelzins ermöglicht habe, die Früchte dieses Sieges ernten.246 Er selbst wurde nach der Entlassung Lebeds stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrates, was Ausdruck der engen Zusammenarbeit von „Jungreformern“ (wie Tschubais) und den Oligarchen war (vgl. Mommsen 2004, S. 73).247 Trotz dieser signifikanten Erfolge der Oligarchen konnten selbst ihre einflussreichsten Vertreter wie Beresowski, Gussinski und Chodorkowski sich nicht völlig gegenüber der Staatsmacht durchsetzen, wenn diese geschlossen auftrat (vgl. Libman 2005, S. 7).248 Die Erfolge der Oligarchen waren gleichwohl beachtlich, und so wird hier zuweilen von einem „state capture“ gesprochen, vom Erbeuten des Staats(eigentums) durch informelle, gesellschaftlich nicht legitimierte Netzwerke.249 Nach dem Wiederantritt des Präsidentenamtes im Frühjahr 1997 kehrte Jelzin nicht mehr zu alter Stärke zurück (vgl. Adam 2000, S. 141). Gleichwohl war er nicht bereit, die allzu enge Symbiose von „Familie“ und Oligarchen zu dulden. Jelzins Tochter überzeugte den Gouverneur von Nischni Nowgorod Nemzow, das Amt des stellvertretenden Premierministers zu übernehmen. Dieser wurde neben Tschubais dem Premierminister Tschernomyrdin als Stellvertreter zur Seite gestellt. Das Engagement bei der Zerschlagung „natürlicher“ Monopole, beim Kampf gegen Korruption und insbesondere bei der Entflechtung von Staat und Wirtschaft gipfelte in der Entlassung Beresowskis als stellvertretender Sekretär des Sicherheitsrates (vgl. Mommsen 2004, S. 74 f.).250 Seit 1997 gab es verschiedene Ansätze, die Privatisierung des Staates als Ergebnis der Symbiose der informellen Wirtschaftsinteressen und der staatlichen Bürokratie zu beenden, doch die „Familie“ – gleichsam als Olymp des oligarchischen Machtkartells – verhinderte dies (vgl. Mommsen 2002, S. 389). Damit traten jedoch die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb des Kremls offen zutage. Hinzu kam der Kampf der Oligarchen untereinander um lukrative Privatisierungsobjekte, der durch die Finanzkrise im Jahr 1998 verschärft wurde.251 Bis zu seinem Rücktritt Ende 1999 hat Jelzin mehrmals die Regierung entlassen. Bei diesen – wie auch anderen – Entscheidungen seiner zweiten Amtszeit ist davon auszugehen, dass sie unter dem Einfluss der „Familie“ erfolgt sind.252 Während die „Familie“ schrittweise ihre Machtposition konsolidieren konnte, mussten die Oligarchen Verluste hinnehmen (vgl. Schröder 2001, S. 74).253 Wurde vor der Finanzkrise von 1998 noch die Frage aufgeworfen, ob Russland von Politikern oder den Oligarchen regiert wird, waren nach der Krise nicht wenige Oligarchen untergegangen, hatten ihren Einfluss verloren oder waren ins Ausland gegangen (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 199).254 Für einige der Oligarchen war der Verlust existentiell, und ihr Vermögen ging entweder auf neue private Eigentümer über oder wurde – insbesondere auf regionaler Ebene – vom Staat übernommen (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 217).255 Deshalb wurde bereits vom „Herbst“ oder „Tod“ der Oligarchen gesprochen.256 Dies war jedoch insofern verfrüht, als trotz der Verluste257 einige der Oligarchen bis dato Sieger blieben.258 Danach wurde – ebenfalls nicht ohne Zutun der Oligarchen – Wladimir Putin zum neuen Präsidenten gewählt.259

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4.3.4.

Putins ‚gelenkte‘ Demokratie

4.3.4.1. Von Jelzin zu Putin Der Machtübergang von Jelzin zu Putin folgte weniger demokratischen Prinzipien als einem abgestimmten Plan, der Risiken für die Wahl Putins zum Präsidenten ausschließen sollte. 260 Putin war der Wunschkandidat Jelzins und – vor allem – der „Familie“ für die Nachfolge im Präsidentenamt.261 Kurz nach der Entlassung der Regierung von Premierminister Primakow durch Jelzin im Mai 1999 wurde Stepaschin neuer Regierungschef (vgl. Mommsen 2002, S. 368 f.). Als Putin dieses Amt im August 1999 übernahm, hatte sich die „Familie“ für ihn als künftigen Nachfolger Jelzins entschieden (vgl. Schröder 2001, S. 75).262 Als Jelzin dann zum 31.12.1999 zurücktrat, ernannte er Putin zu seinem Interimsnachfolger im Amt des Präsidenten.263 Mit diesem Amtsbonus versehen sollte die Wahl im Frühjahr 2000 nur mehr eine Formsache werden (vgl. Schneider 2000, S. 8). In der Tat setzte sich Putin in den vorgezogenen Präsidentenwahlen am 26. März 2000 im ersten Wahlgang mit rund 53 Prozent der abgegebenen Stimmen gegen seine Mitbewerber durch (vgl. Mommsen 2004, S. 100). Allerdings wird vermutet, dass es zu diesem Ergebnis durch Wahlfälschung kam und sonst Stichwahlen erforderlich gewesen wären (vgl. Schneider 2000, S. 17). Im Gegensatz zur Präsidentenwahl im Jahr 1996 gab es jetzt keinen Konsens unter den Oligarchen. Medien wie der Sender NTV standen der „Kreml-Familie“ kritisch gegenüber und haben entsprechend kritisch berichtet. Gleichwohl haben zu Putins Erfolg nicht zuletzt die Medien beigetragen, insbesondere das von Beresowski kontrollierte „staatliche“ Fernsehen (vgl. Schröder 2001, S. 75 f.). Die Medienkampagne, die „Organisation“ des Übergangs und die Wahl selbst waren ein Spiegelbild des „Systems Jelzin“ (vgl. Schröder 2001, S. 76; 2002, S. 268 ff.). In diesem dienten die Wahlen dem Machterhalt des engen Kreises der Herrschenden und der Konservierung ihrer Interessen (vgl. Schewzowa 2001, S. 33). Jelzins Rücktritt, die Ernennung Putins als Nachfolger und der Einsatz aller staatlichen Ressourcen zur Gewährleistung seiner Wahl zum neuen Präsidenten zeigen den autokratischen Charakter der Herrschaft, die für ihre Erhaltung freilich den Schein der Legitimierung durch Wahlen erforderte.264 Zur Illustration wurden kritisierend Begriffe wie „Ukaskratie“, „Wahlmonarchie“, „defekte Demokratie“265 u.a. verwendet, um die Mängel des Systems zu verdeutlichen (vgl. Mommsen 2002, S. 361).266 Die russische Gesellschaft hat ihre traditionelle Vorstellung von Herrschaft noch nicht überwunden. Herrschaft wird als ein unteilbarer Monolith wahrgenommen, der auf Unterordnung und Unterwerfung unter eine Führungsperson (nicht eine Institution) beruht (vgl. Schewzowa 2001, S. 36 f.). Das autoritäre Verfassungsverständnis der maßgeblichen politischen Akteure führte zu einer Diskrepanz zwischen semi-präsidentieller Verfassungslogik und präsidentieller Verfassungswirklichkeit. Im Geist der autoritären Rechtstradition in Russland herrschte Konsens, dass dem Präsidenten als Inhaber der höchsten exekutiven (!) Macht eine eigene Rechtsetzungskompetenz zustehen muss (vgl. Mommsen 2002, S. 385). Das Parlament spielte demgegenüber eine untergeordnete Rolle (vgl. Schewzowa 2001, S. 40). Jelzin selbst war der Auffassung, dass in einem Land, das Zaren und Führer gewohnt ist, die Präsidialherrschaft in der Zeit des Übergangs der einzige Weg ist, um die Anarchie zu besiegen (vgl. Mommsen 2002, S. 363). Diese Sicht

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verkennt freilich, dass einem solchen System ein Moment innewohnt, autoritäre Strukturen zu verfestigen.267 Im Ergebnis führt dies zu ähnlichen Erscheinungen wie die Anarchie: zum Recht des Stärkeren.268 Eine weitere Besonderheit des russischen politischen Systems trat ebenfalls bereits während der Amtszeit von Präsident Jelzin auf: die zumeist eher kurzlebigen „Parteien der Macht“, die einzig mit dem Ziel der Machterhaltung im Kreml konzipiert und gegründet wurden (vgl. Mommsen 2002, S. 369). Parteien waren (und sind) in Russland ohnehin keine Organisationen, die gesellschaftliche Interessen repräsentieren, sondern Gruppen zur Unterstützung einzelner Politiker oder Lobbystrukturen für Finanz-Industrielle Gruppen (vgl. Mommsen 2002, S. 376). Putin begann zwar bald nach seinem Amtsantritt, die Beziehungen zu den Oligarchen gleichsam zu formalisieren (vgl. Mommsen 2002, S. 389).269 Die Gründung von „Parteien der Macht“ wurde indes fortgeführt und vervollkommnet. Damit war sichergestellt, dass die Macht weiterhin autonom gestaltet und weitergegeben werden konnte, ohne eine zivilgesellschaftliche Einwirkung fürchten zu müssen (vgl. Schewzowa 2001, S. 34).270 In dieser Sichtweise war es folgerichtig, neben der Sicherstellung der materiellen und administrativen Ressourcen der Herrschaft („Machtvertikale“) vor allem die Zivilgesellschaft und die Medien zu kontrollieren. 4.3.4.2. Die Gleichschaltung der Medien und die Unterminierung der Zivilgesellschaft Wie dargestellt gab es bereits während der Amtszeit von Präsident Jelzin Bestrebungen, mit Hilfe von „Parteien der Macht“ gleichsam von oben den Prozess der gesellschaftlichen Willensbildung zu beeinflussen und damit letztlich demokratische Mechanismen zu imitieren (vgl. Mommsen 2004, S. 56).271 Trotzdem bestand durch die Zugehörigkeit wichtiger Medien zu verschiedenen Einflussgruppen im Grundsatz Pluralität272 (die freilich durchaus unterminiert wurde, etwa bei der Kampagne zur Wiederwahl Jelzins im Jahr 1996). Zeitweise, insbesondere in der ersten Amtszeit Jelzins, bestand eine sehr weitgehende Freiheit der individuellen Meinungsäußerung. Die tatsächlichen Möglichkeiten der Einflussnahme waren zwar für die Menschen auch in dieser Zeit eher gering, die Freiheit des Wortes war aber gegeben. Putin hat bei Übernahme der Amtsgeschäfte, mit anderen Worten: bei seiner „Inthronisierung“, die herausragende Bedeutung der Medien für die öffentliche Meinungsbildung273 selbst erfahren und dabei die Wichtigkeit ihrer „Gleichschaltung“ erkannt (s. Schneider 2000, S. 4). Damit wurde rasch begonnen. Es war naheliegend, bei jenen anzufangen, die Putins Wahl kritisch kommentiert hatten und nicht bereit waren, diese Position aufzugeben. Zu nennen ist hier etwa die Most-Gruppe (NTV) von Gussinski.274 Als Mittel bot sich der staatliche Gaskonzern Gasprom an. Er forderte kurzfristig Kredite von der Most-Gruppe zurück, die Gussinski nicht tilgen konnte. Es folgten noch weitere Fernsehsender (wie ORT von Beresowski und die Sender TW-6 und TVS) sowie Printmedien, die ebenfalls von kremlnahen Unternehmen übernommen oder geschlossen wurden (vgl. Orttung 2006, S. 4).275 Der größte Teil der Medien wurde politisch und / oder wirtschaftlich abhängig (vgl. Siegl 2005b, S. 5).276 Eine direkte Zensur war nicht immer erforderlich, an ihre Stelle ist oftmals bereits eine effektive Selbstzensur getreten.277

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Seit 2003 besitzt der Kreml die Kontrolle über das russische Fernsehen. Allerdings wird der Zugriff auf die Sender verschiedenen Gruppen innerhalb des Kremls zugeschrieben, sodass im Falle eines Bruches zwischen ihnen Konflikte wiederum über die Medien ausgetragen werden könnten (vgl. Orttung 2006, S. 3). Dies wäre jedoch nichts anderes als die Wiederholung der Auseinandersetzung der Oligarchen mit nunmehr staatlichen Akteuren. Es zeigt deutlich die Veränderung in der ökonomischen und medialen Machtbasis, die von den Oligarchen zu Vertretern der administrativen Strukturen übergegangen ist. Damit verbunden waren noch intransparentere Verfügungsrechtsstrukturen als sie bisher schon bestanden haben. Obwohl der Kreml mit der Kontrolle der Medien wesentliche Mittel der Masseninformation278 direkt beeinflussen kann, wurde und wird auch auf Verlauf und Ergebnis der Wahlen Einfluss ausgeübt.279 Änderungen im Wahlrecht schufen hohe Hürden für kleine Parteien. Die Möglichkeit, „gegen alle“ zu stimmen, wurde abgeschafft (vgl. Ludwig 2007a, S. 12). Bei der Durchführung und beim Verlauf kam es regelmäßig zu Unstimmigkeiten, die auf Wahlbetrug schließen lassen (vgl. Ludwig 2007b, S. 2).280 Diese Maßnahmen lassen kaum erwarten, dass sich die Parteien in Russland von Organisationen zur Unterstützung bestimmter Personen oder vom Vehikel partikularer Interessenverfolgung einflussmächtiger Gruppen zu Einrichtungen entwickeln, die zivilgesellschaftliche Interessen repräsentieren. Ohnehin ist die zivilgesellschaftliche Basis in Russland – nicht zuletzt bedingt durch die autokratische Geschichte seit dem Zarenreich – schwach entwickelt. Diese, insbesondere die jüngere sowjetische Geschichte, prägte den homo sovieticus, einen „Massenmenschen“, der – entindividualisiert – der Kontrolle von oben zugänglich gemacht wurde und der sich mit einfachen Bedürfnissen einem primitiven Verwaltungsmechanismus unterordnet (vgl. Lewada 1992, S. 9). Die autoritäre Machtausübung, die sich in der Machtvertikalen nach unten fortsetzte, hatte prägenden Einfluss auf die Mentalität der Herrschenden und auf die von ihr abhängige Bevölkerung: „Mit der Wahrnehmung, daß die ‚Macht‘ unüberwindlich sei, war das Gefühl verbunden, vom Staat abhängig zu sein … Diese paternalistische Orientierung ist bis heute weit verbreitet, ebenso die Wahrnehmung, wodurch Herrschaft Legitimität gewinnt … Legitimität der Regierung reduziert sich … auf die Anerkennung der Regierungsautorität als solcher“ (Lipman 2012, S. 12).

Die Angst vor der autoritären Staatsgewalt wurde, wie in solchen Fällen zu erwarten ist, mit Hilfe der Ideologie gleichsam in Zuneigung zu ihr verwandelt. Menschen, die durch die UdSSR geprägt waren und über Erinnerungen an den Terror Stalins verfügten, empfanden die spätsowjetische Zeit als liberal und die mit Gorbatschow einsetzende Liberalisierung als uferlose und gefährliche Freiheit (vgl. Furman 2006, S. 19). Die Einschränkung der Freiheitsrechte in der Amtszeit von Präsident Putin wurde von der russischen Bevölkerung selbst auch nicht als dramatische Verschlechterung der politischen Verhältnisse wahrgenommen (siehe zu dieser Aussage Schröder 2008b, S. 6). Im Jahr 2000 waren ca. 80 % der Russen bereit, der „Ordnung im Land“ zuliebe auf Freiheit zu verzichten (vgl. Reitschuster 2004, S. 207; s.a. Furman 2006, S. 8). Freilich ist damit nicht eine Rückkehr zum diktatorischen Sozialismus gemeint (vgl. Tichonowa und Tschepurenko 1998, S. 54). Aber „die Sehnsucht nach Ordnung … war die Voraussetzung für den Übergang zu einem autoritären System“ (Gudkov 2008, S. 8). Die vorbehaltlose Forderung nach einem starken Staat dürfte deshalb der Entwicklung einer demokratischen

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politischen Kultur in jedem Falle hinderlich sein (vgl. Scherrer 2001, S. 31). Doch trotz dieser ungünstigen Ausgangslage hat es seit den 1990er Jahren in Russland sichtbare Ansätze eines nicht staatlich gelenkten bürgerlichen Engagements und damit einer sich selbst und von unten entwickelnden Zivilgesellschaft auf der Basis echten Sozialkapitals gegeben. Die Behauptung, eine autoritäre Führung entspreche der Mentalität der Russen und sei deshalb die einzige Möglichkeit der Entwicklung, ist daher falsch.281 Diesen Ansätzen hätten vor allem Zeit und die Freiheit zugebilligt werden müssen, sich in einer offenen Gesellschaft zu entwickeln. Genau dies wird aber durch die herrschende Elite gezielt verhindert, weil damit eine nicht kalkulierbare Gefahr für den eigenen Machterhalt und die bestehenden Verfügungsmöglichkeiten über materielle Ressourcen verbunden ist. Die Unsicherheit über den Ausgang des politischen Wettbewerbs ist Demokratien immanent (vgl. Mommsen 2004, S. 70). Im Russland von Präsident Putin wurden – zur Sicherheit – nicht nur die Wettbewerber, sondern gleich der Wettbewerb selbst ausgeschlossen. Solange aber innerhalb einer bestimmten Klasse – gleichsam in einer „geschlossenen Gesellschaft“282 – eine Erbfolge ausgehandelt wird, kann auch jede spontane Entwicklung „von unten“ systemlogisch nicht geduldet werden. Folgerichtig schränkte das NGO-Gesetz283 aus dem Jahr 2006 die Demonstrationsfreiheit für Andersdenkende ein, Nichtregierungsorganisationen (Non-Governmental Organisations NGOs) werden seitdem zunehmend in ihrer Tätigkeit behindert, die Kontrolle staatlicher Institutionen durch Medien und Bürgergesellschaft wurde immer mehr erschwert (vgl. Ludwig 2008b, S. 3).284 Dies förderte die Erosion zivilgesellschaftlicher und demokratischer Werte (vgl. Gudkov 2008, S. 12). Sozialkapital konnte so kaum entstehen (vgl. Fruchtmann 2004b, S. 48).285 Gleichzeitig wuchs die korrupte Bürokratie, und die Diktatur des Schmiergelds bremste jeden Fortschritt (vgl. Reitschuster 2004, S. 290). Angesichts der Vorherrschaft quasi-feudaler oder Patronagebeziehungen haben es zivile Traditionen schwer, sich zu entwickeln und durchzusetzen (vgl. Wagener 2001, S. 130). Die Dominanz hierarchischer Beziehungen ist eine Negativbedingung für das Entstehen einer Zivilgesellschaft (vgl. Panther 1998, S. 240; s.a. Holm 2001, S. II). So bedingen und verfestigen sich eine schwache Zivilgesellschaft und eine „defekte“ Demokratie gegenseitig (vgl. Merkel und Croissant 2000, S. 20). 4.3.4.3. Die ‚Machtvertikale‘ und die Renaissance des wirtschaftspolitischen Dirigismus Neben der Kontrolle der Medien und der Zivilgesellschaft stellte der verlässliche Zugriff auf administrative und materielle Ressourcen die zweite wichtige Säule zur Konsolidierung und Sicherung der Machtbasis Putins dar. Dazu stärkte er die Machtvertikale, in der der Präsident über allen und allem steht, gegenüber den anderen administrativen Einheiten wie den Regionen (vgl. Welsch 2005, S. 3). Als eine der ersten Maßnahmen zur Stärkung der Zentralgewalt ging Putin dazu über, die Gouverneure der 89 föderalen „Subjekte“ (Regionen), die unter Jelzin von der Bevölkerung direkt gewählt wurden, zu ernennen. Zudem fasste er die „Subjekte“ zu Großregionen zusammen. Sieben „Bevollmächtigte Vertreter“ des Präsidenten sollten die Gouverneure der 89 Subjekte kontrollieren.286

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Auch die Duma (Parlament) wurde in die Machtvertikale eingegliedert, von einer Gesetzgebungs- und Kontrollinstanz wurde sie zu einem einfachen Ausführungsorgan (vgl. Reitschuster 2004, S. 222). Angesichts der oftmals ungeordnet erscheinenden Zustände unter Jelzin wurde dies, ebenso wie die Kontrolle der Medien und die Maßregelung der Gouverneure, von der russischen Bevölkerung durchaus eher als Abschaffung eines Missstandes denn als Angriff auf demokratische Grundprinzipien wahrgenommen (vgl. Reitschuster 2004, S. 224). Für die Vermittlung dieser Sichtweise wurde die „russische Idee“ einer eigenen Identität und eines russischen Sonderweges instrumentalisiert, die zunehmend als Ersatz für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie herhalten mussten (vgl. Scherrer 2001, S. 29). Dabei wurde im Interesse einer scheinbar intellektuellen Legitimierung auf Iljin zurückgegriffen.287 Die Vergangenheit (einschließlich Stalins) wurde durch die heutigen Machthaber auf die Bedürfnisse ihrer Politik zurechtgestutzt und ist ein wesentliches Element ihrer Legitimation (vgl. Siegl 2007, S. 4). Doch die ergriffenen Maßnahmen entsprechen genau jener hierarchischen Autokratie und einer Stellung des Staates über dem Gesetz, die bereits aus der zaristischen Geschichte vertraut waren (s. Abschnitt 4.2.2.1.) und in der Zeit der Sowjetunion als Elemente eines autoritären Staates von der Mehrheit der Bevölkerung geduldet werden mussten. Ebendiese Tradition wird in Russland fortgesetzt (vgl. Ševcova 2006, S. 5). Die Maßnahmen zur Stärkung der Machtvertikale fügen sich ein in eine Reihe weiterer Einschränkungen der Freiheit, deren Grundlage das Denken in Kategorien einer „von oben“ gesetzten Ordnung ist (s. Schüller 1994, S. 176). Vor dem Hintergrund der Interdependenz der Teilordnungen (Eucken) muss dieses Denken zwingend auch die wirtschaftliche Ordnung einschließen. Deshalb musste die Politik Putins im Interesse der Herrschaftssicherung darauf bedacht sein, die Wirtschaft zu steuern, um den Zugriff auf die materiellen Ressourcen dauerhaft zu sichern und das Entstehen einer Opposition zu verhindern. Begünstigt durch die bereits bestehende enge Verflechtung mit der Politik ist die russische Wirtschaft so zunehmend in den Griff des Staates geraten (vgl. Schüller 2009, S. 10). In dieser Sichtweise ist das Vorgehen Putins gegen die Oligarchen sowohl mit dem Zugriff auf die von diesen kontrollierten materiellen Ressourcen als auch mit der Vermeidung potentieller politischer Wettbewerber zu erklären. Die Trennung in diejenigen, die bereit waren, sich der Machtvertikale unterzuordnen, und diejenigen, die dies nicht waren, folgte diesem Ansatz, der deshalb als viel weitergehender zu bezeichnen ist als wirtschaftspolitischer Dirigismus im „gewöhnlichen“ Sinne.288 In einer neuerlichen Umverteilung gingen die Verfügungsmöglichkeiten über die materiellen Ressourcen von den Oligarchen auf die Administration über. An die Stelle einiger Oligarchen traten Vertreter staatlich kontrollierter Unternehmen (vgl. Harter et al. 2003, S. 137 f.).289 Die Transparenz der Eigentumsstrukturen bzw. der Verfügungsmöglichkeiten über Vermögenswerte wurde von diesen gezielt vermindert. Die Vertreter des „Apparatschik-Kapitalismus“ konnten sich durch das Bestehen ungenauer Regeln und die Möglichkeit, diese selektiv anzuwenden, die Kontrolle über das Eigentum sichern (vgl. Ševcova 2006, S. 9). In Analogie zum „state capture“ in der Mitte der 1990er Jahre, als der Staat zur Beute der Oligarchen wurde, kann nunmehr von einem „business capture“, von der Erbeutung der Unternehmen durch den Staat, gesprochen

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werden (vgl. Stykow 2006, S. 25).290 Dabei gelangen Unternehmen (wieder) in staatliches Eigentum oder unter staatlichen Einfluss (s.a. Furman 2008, S. 13 f.). In das Eigentumsrecht wurde erheblich und willkürlich eingegriffen. Wenn aber das Eigentumsrecht dieserart beschränkt oder ganz aufgehoben wird, kann es keine Freiheit geben (vgl. Schwarz 2008, S. 1).291 Die Administration kann dann die materiellen Ressourcen dieser Unternehmen zur Durchsetzung staatlicher Ziele (etwa die Erhaltung innenpolitischer Macht oder die Durchsetzung außenpolitischer Interessen durch militärische Stärke) verwenden. Dies eröffnet zudem den damit administrativ Befassten weitere Einnahmemöglichkeiten, beispielsweise in Aufsichtsgremien oder durch Zugriff auf Kapital- und Sachvermögen (vgl. Schröder 2007, S. 2).292 Die herrschende Elite ist deshalb selbst an einem „Clankapitalismus“293 und an einem „milden Autoritarismus“ interessiert, nicht aber an einer „harten“ Diktatur (vgl. Libman 2005, S. 13).294 Damit beschäftigt, für ihr eigenes Wohl zu sorgen, begann die Elite, sich ähnlich wie zu Sowjetzeiten einzuigeln – die Probleme der Gesellschaft waren ihr gleichgültig (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 108). Putin hat das Präsidentenamt mit der Aussage angetreten, die Beziehungen zu den Oligarchen zu formalisieren und eine „Äquidistanz“ zu ihnen zu schaffen (vgl. Mommsen 2002, S. 389; 2004, S. 125). Ihre Vertreter wurden aus dem Regierungskabinett entfernt (vgl. Tschepurenko 2003, S. 91). Auf ihren unternehmerischen Sachverstand wurde im Rahmen eines „Konsultationsregimes“ zurückgegriffen, dessen Grundlage die Bereitschaft der Unternehmer zu politischer Loyalität und Abstinenz war. Dieser in der Öffentlichkeit wie von den Beteiligten als solcher wahrgenommene „Pakt“295 über die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft blieb bis zum Jahr 2003 gültig, als er mit der Jukos-Affäre einseitig durch den Staat aufgekündigt wurde (vgl. Stykow 2006, S. 35). Damit wurde der Rahmen neu definiert, in dem sich die Beziehungen zwischen staatlicher Macht und Großunternehmen bewegten (vgl. Ševcova 2006, S. 8; s.a. Harter et al. 2003, S. 289). Auf diese Art wurde zwar tatsächlich die Distanz der Oligarchen zu politischen Entscheidungen (teilweise) prohibitiv erhöht, weil jetzt die Kremlführung das Handeln bestimmte (vgl. Mommsen 2004, S. 127). Es wurde jedoch keine „Äquidistanz“ geschaffen, weil der Kreml festlegte, wie weit die Duldung oder Verfolgung in jedem Einzelfall geht (s. Ludwig 2008b, S. 3; Furman 2006, S. 14 f.). Putin hatte die „Diktatur des Gesetzes“ zu seiner Handlungsmaxime erklärt (vgl. Kernig 2000, S. 395; Harter et al. 2003, S. 284 f.). Eine willkürliche Anwendung der Gesetze kann aber in diesem Verständnis nur eine willkürliche Diktatur bedeuten. Sie bringt zudem eine Klasse von „Wissenden“ hervor, denen – besonders bei hoher Intransparenz des Geschehens – die Festlegung der Gesetzesanwendung möglich ist, und eine große Mehrheit von „Unwissenden“, die ihr folgen müssen. Auch durch diese Trennung wird zwangsläufig die hierarchische Organisation der Gesellschaft verstärkt (s. Starke 2007, S. 268). Die Qualifizierung vermeintlich „strategischer“ Bereiche der Wirtschaft, in denen der Staat Einfluss ausübt und den Zugang ausländischer Unternehmen beschränkt, schafft ein geradezu ideales Betätigungsfeld für administrative Interessengruppen und fördert die Entstehung großer, staatlich kontrollierter Konglomerate sowjetischer Prägung (s. Ludwig 2007c, S. 1).296 Damit wuchs die Bürokratie, und mit ihr stärkte Putin auch die Korruption (vgl. Reitschuster 2004, S. 259; Gel’man 2010, S. 8). Die ohnehin allgegenwär-

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tige Korruption, die eine zwangsläufige Begleiterscheinung des russischen Bürokratismus ist, erfährt auf diese Weise gleichsam ein staatliches Konjunkturprogramm, mit wechselseitigen Stützeffekten.297 Auch geht der Staat gezielt gegen ausländische Unternehmen vor, wenn diese seinem Zugriff auf lukrative Vermögenswerte im Wege stehen.298 Am Ende der ersten Regierungszeit von Präsident Putin hatte Russland einen Punkt erreicht, an dem die Grundentscheidung für marktwirtschaftliche Strukturen zumindest erheblich erschwert worden war. 4.3.4.4. Von Putin zu Medwedjew und zurück: Verfestigung einer neuen Staatsoligarchie Die Logik der sogenannten „imitierten Demokratie“299, in der den Bürgern nur vorgespielt wird, sie hätten eine echte Wahl, verlangte die Stabilität der Herrschaft (vgl. Furman 2008, S. 11), und so war bereits frühzeitig abzusehen, dass – ähnlich wie beim Übergang von Jelzin zu Putin – der Nachfolger Putins im Präsidentenamt vorab bestimmt werden würde. Allein schon aus dem Umstand, dass Putin eine dritte Amtszeit ausschloss, wurde ein positives Zeichen im Sinne demokratischer Normen abgeleitet (siehe Furman 2008, S. 13).300 Gleichwohl blieben die Defizite des Systems bestehen. Zwischen Dmitri Medwedjew und Sergej Iwanow, die aus unterschiedlichen Einflussgruppen im Kreml als mögliche Nachfolger ausersehen wurden, fiel die Festlegung letztlich auf Medwedjew.301 Freilich bedurfte die intern getroffene Auswahl der nachträglichen Legitimierung durch eine allgemeine Wahl. Am 7. Mai 2008 wurde Medwedjew nach sorgfältig vorbereiteter und durchgeführter Wahl in das Präsidentenamt eingeführt. Zweifellos war Medwedjew im Kompromiss der verschiedenen Machtgruppen im Kreml zum Präsidenten gewählt worden. Seine Handlungsabsichten und -möglichkeiten blieben indes unklar. Der Fortsetzung des staatsinterventionistischen Handelns standen „liberale“ Äußerungen Medwedjews entgegen, etwa seine Forderung nach einem Ende des „gesetzlich verankerten Nihilismus“ (vgl. Åslund 2009, S. 8).302 Allerdings erinnert dieses Bild an die Amtszeit von Präsident Putin, der ebenfalls widersprüchliche Aussagen getroffen hat. Handlungen standen – zumindest teilweise – in einem konfligierenden Verhältnis zu geäußerten Werten und Absichten. Der Versuch ihrer Exegese in der Literatur war seinerzeit ebenso intensiv wie spekulativ. Neben dem „Wollen“ Medwedjews war zudem sein „Können“ unklar: Wäre er, entsprechende Absichten vorausgesetzt, überhaupt in der Lage gewesen, eine liberalere Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik gegenüber Premierminister Putin und der Administration durchzusetzen? Angesichts der beschriebenen Umstände des in wesentlichen Merkmalen autokratischen Systems ist davon auszugehen, dass keine schnelle Rückbesinnung auf freiheitliche Elemente oder deren Stärkung in Gesellschaft und Wirtschaft erwartet werden konnte. Die präsidentielle Machtvertikale wurde von Medwedjew unter anderem dadurch gefestigt, dass die Präsidenten des Verfassungsgerichts künftig vom russischen Präsidenten vorgeschlagen und von dem unter Putin bereits „auf Linie“ gebrachten Föderationsrat bestätigt werden sollen. Bisher wurden sie von den Richtern des Verfassungsgerichts in geheimer Wahl gewählt (vgl. Ludwig 2009e, S. 6). Gleichzeitig hat Medwedjew eine Prüfung der insbesondere unter Präsident Putin entstandenen Staatsholdings angeordnet.303

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Diese haben Milliarden an Zuwendungen erhalten, sie müssen ihre Bilanzen nicht offenlegen, werden auch nicht vom russischen Rechnungshof kontrolliert und können nicht bankrottgehen (vgl. Ludwig 2008c, S. 7). Jedoch dürfte die Überprüfung nicht zuletzt dem Ziel dienen, soziale Unruhen zu vermeiden. In diesem Interesse fließen Gelder auch an ineffiziente Unternehmen, wenn sie Arbeitsplätze erhalten und Löhne zahlen (vgl. Hosp 2009b, S. 13). Die Wirtschaftskrise seit 2008 sollte eigentlich dazu genutzt werden, weitere Unternehmen (wie Mechtel und Uralkali) zu verstaatlichen. Doch wenn diese Vorhaben nicht weiter verfolgt wurden, dürfte der Grund dafür indes nicht die Einsicht Präsident Medwedjews oder Premierminister Putins gewesen sein, dass Staatseigentum und autoritäre Herrschaft anstelle von Effizienz nur Korruption hervorbringen, sondern vielmehr der Umstand, dass Russland schwerer als andere Länder von der Krise betroffen und eine Fortsetzung bisheriger Politik kaum mehr möglich war (vgl. Åslund 2009, S. 8).304 Die Krise erzeugte damit jene Situation, in der Russland schon längst verhaftet gewesen wäre, wenn es nicht über hohe Einnahmen aus den Vorkommen natürlicher Rohstoffe hätte verfügen können. So konnte der Burgfrieden nicht mehr durch die Verteilung von immer mehr Ressourcen innerhalb der russischen Machtelite aufrechterhalten werden (vgl. Sutela 2008, S. 3). Die Nachhaltigkeit einer Politik, die nicht auf den geübten Interventionen, auf Umverteilung und Rentensuche beruht, kann deshalb bezweifelt werden. Der Rollentausch zurück mit Putin als Präsident und Medwedjew als Premierminister bei den Präsidentenwahlen im Jahr 2012 galt als sicher.305 Er hat gezeigt, dass die Elite Russlands nicht zur Modernisierung des Landes bereit ist. Reformen aus diesem System heraus sind, solange es stabil gehalten werden kann, nicht zu erwarten. Das Beispiel zahlreicher Staaten zeigt, dass eine autoritär-bürokratische Herrschaft erforderliche Reformen blockiert. So dürfte auch in Russland mit steigenden Rohstoffpreisen der Handlungsdruck und mithin die Chance auf Reformen nachlassen (vgl. Gel’man 2010, S. 8).306 Weil die herrschenden Eliten zu viel Macht – und damit verbunden: Zugriff auf materielle und finanzielle Ressourcen – verlieren würden, sind Veränderungen aus dem System selbst heraus nicht zu erwarten. Doch könnte gleichwohl aus der Unzufriedenheit der Menschen das Momentum für Veränderungen entstehen: Die Art, wie der Wechsel zurück zu Putin als neuem alten Präsident vollzogen wurde, hat öffentliche Empörung erzeugt.307 Insbesondere die jüngere Generation, die fremdsprachlich gebildet ist und im Ausland gelebt hat, ist bereit, für echte Partizipation einzutreten. Sie könnte der Kern – und gleichzeitig kritische Masse – für zivilgesellschaftliches Engagement sein, die jenseits restriktiver und repressiver Kontrollversuche der herrschenden Eliten zu einer tatsächlichen Bürgerbeteiligung führen könnte (s.a. Lipman 2012, S. 15 ff.). 4.3.5.

Der „Fall Chodorkowski“ – Sichtbares Zeichen einer latenten Krise

Das Vorgehen gegen den Ölkonzern Jukos und seine Haupteigentümer Chodorkowski und Lebedew führte der Öffentlichkeit, insbesondere auch im Ausland, deutlich die politischen und wirtschaftspolitischen Schwächen Russlands vor Augen.308 Gemessen an einem ordnungspolitischen Maßstab, war es einer der größten Fehler des „Systems Putin“ (vgl. Welsch 2005, S. 3 f.). Aus der Logik dieses Systems heraus war es jedoch folgerichtig.

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Offiziell wurden die Anklagen mit Steuerschulden und Unregelmäßigkeiten im Verlauf der Privatisierung begründet. Damit wären aber nicht nur alle Oligarchen, sondern beinahe jedes Unternehmen angreifbar gewesen. Zwar gab es, teilweise bereits bis in die Amtszeit von Jelzin zurückgehend, auch Maßnahmen gegen andere Oligarchen (etwa Gussinski, Beresowski und Potanin).309 Doch waren diese Maßnahmen wie im Fall Jukos nur selektiv. Darin zeigt sich die Willkürlichkeit des Vorgehens. Gleichwohl lagen für das Vorgehen gegen Jukos und Chodorkowski handfeste Gründe vor. Sie waren einerseits machtpolitischer Natur und andererseits durch rentensuchendes Streben nach einer neuen Umverteilung des Eigentums motiviert. So wurde Chodorkowski nicht nur zum Verhängnis, dass er Jukos transparent und nach westlichen Standards führte und damit eine erhebliche Wertsteigerung erreicht hatte, sondern auch, dass er nach Unabhängigkeit in seinem unternehmerischen Handeln strebte (was sich etwa in Fusionsabsichten sowie in Öllieferungen nach China zeigte) (vgl. Tschepurenko 2004, S. 67). Zudem wurden ihm politische Ambitionen unterstellt, die über die Finanzierung von Parteien – insbesondere auch jener, die nicht vom Kreml goutiert wurden – hinausgingen (vgl. Tschepurenko 2004, S. 67; Luchterhandt 2005, S. 9 f.).310 Des Weiteren führte seine Wandlung zu einem Unterstützer sozialer Projekte dazu, dass er durch die Verwaltung und Administration weniger angreifbar und erpressbar wurde. Mit diesem Verhalten hatte Chodorkowski eine Reihe ungeschriebener Regeln verletzt (s.a. Götz 2003a, S. 4). Das konnte von den etablierten Machthabern nicht geduldet werden. Durch die harte Reaktion des Kremls wurde indes indirekt der Einfluss jener ungeschriebenen informellen Regeln des „Wohlverhaltens“ gegenüber den Machthabern, die Chodorkowski nicht befolgt hatte, besonders sichtbar. Auch das Vorgehen des Kremls gegen ihn missbrauchte – jenseits gültiger Gesetze – die Rechtsnormen, um das informelle Recht „der Macht“ durchzusetzen. Gesetze und Gerichte wurden dabei zu Werkzeugen der Umsetzung degradiert.311 Chodorkowski wurde inhaftiert, die lukrativen Vermögenswerte des Unternehmens wurden durch die Administration in ihrem Sinne umverteilt und gerieten in wesentlichen Teilen unter staatliche Kontrolle (s. Ordzhonikidze 2005, S. 39). Die Administration hatte die „Kommandohöhen“ der Wirtschaft zurückerobert (vgl. Ševcova 2006, S. 7).312 Die Folgen waren verheerend. Investoren mussten das willkürliche Vorgehen als Bedrohung wahrnehmen: Sie konnten jederzeit selbst zum Ziel werden – und wurden es, teilweise unter ähnlich fragwürdigen Praktiken, wie im Fall Sachalin II, auch (s. Bradshaw 2006, S. 5-10).313 Was vorher lange als legal galt, wurde unsicher (vgl. Roovers 2008, S. 325). Die Kapitalflucht nahm während des ersten Prozesses gegen Jukos erheblich zu und wurde auf 15 Milliarden Euro geschätzt (s. Welsch 2005, S. 3). Noch fataler waren die Auswirkungen, die aus der Stärkung der russischen Bürokraten folgten.314 Waren die Vertreter öffentlicher Ämter bis dato schon kreativ in der „Einwerbung“ von Zuwendungen, musste ihnen der von höchster Stelle geführte Angriff gegen Chodorkowski wie ein Freibrief für das eigene Handeln erscheinen (vgl. Satarow 2004, S. 4). Künftig musste keine Restriktion oder „Schamgrenze“ beachtet werden. Die Zurückdrängung der Korruption, ohnehin vom Kreml nur sporadisch und halbherzig angegangen, wurde damit restlos ad absurdum geführt. Der zweite Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew im

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Jahr 2010 verfestigte dieses Bild zusätzlich. Die ebenso willkürliche Entlassung Chodorkowskis aus der Haft entsprach diesem Muster und schloss sich nahtlos an das bisherige Vorgehen des Kremls an. Das korrupte System lebte, wie die Nomenklatura in der Sowjetunion, für sich selbst und aus sich selbst heraus auf Kosten aller Individuen der Gesellschaft. Der „Fall Chodorkowski“ hat das deutlicher denn je offenbart: Mochte ein Einzelner auch über eine enorme Wirtschaftskraft verfügen, wenn er nicht zur „geschlossenen Gesellschaft“ der herrschenden Elite gehörte, war er recht- und machtlos. Im abgeschlossenen System einer auf Kosten der „Outsider“ herrschenden Klasse liegt in der Tat eine Besonderheit der russischen Entwicklung, die sich über die verschiedenen Systeme seit dem Mittelalter bis heute erhalten hat. Einen russischen „Sonderweg“ zu proklamieren, den es zu verfolgen gelte, bedeutet nichts anderes als die Absicht, die bisherige Entwicklung in der Zukunft fortzusetzen.

4.4.

Zusammenfassung

Im vierten Kapitel wurden die „ordnenden Kräfte“ dargestellt und untersucht, inwieweit sie Einfluss auf die Entwicklung Russlands genommen haben. Im Einzelnen wurde insbesondere auf naturräumliche Gegebenheiten, kulturelle Eigenheiten, die orthodoxe Kirche, Herrschafts- und Machtstrukturen, Interessengruppen, wie auch auf die Medien eingegangen. Bedeutung und Einfluss der verschiedenen „ordnenden Kräfte“ erwiesen sich als höchst unterschiedlich, eine Zwangsläufigkeit der Entwicklung aus anderen Gründen als jenen der Herrschaftssicherung als unwahrscheinlich. Die Herrschaftssicherung ist jedoch maßgeblich, und in ihrem Interesse werden durch die herrschende Elite – gleichsam der Interdependenz der Teilordnungen (Eucken) Rechnung tragend – die „ordnenden Kräfte“ verknüpft und instrumentalisiert. Das Klima und die Weite des Raumes sowie sein Reichtum an natürlichen Ressourcen können durchaus als bedeutsam für die Entwicklung Russlands angesehen werden. Dies gilt freilich für jedes andere Land auch, und eine Begründung für einen – gleichsam determinierten – russischen Sonderweg sind sie ausdrücklich nicht. Dieser wird auch nicht durch ein autokratisches Kontinuum begründet, selbst wenn dieses als Grundlage der Erwartungsbildung an die Handlungen der Herrschenden im Langzeitgedächtnis der Russen internalisiert ist. Er wird letztlich erst begründet durch die Mechanismen der Herrschaftssicherung, die über Brüche und Systemwechsel hinweg erhalten blieben. Weitgehend gleich blieb auch – jenseits aller Ideologien – der Kreis der Nichtprivilegierten. Die Oberschicht bildete persistente Koalitionen, die zu Lasten der nicht Privilegierten lebten und überlebten. Eine bedingungslose Durchlässigkeit nach oben (etwa unabhängig von der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Parteien wie der KPdSU) hat es für die Unterschicht weitgehend nicht gegeben. Die Wahrnehmung der eigenen Bedeutungslosigkeit und die stete Unterordnung individueller unter (vermeintlich) kollektive Interessen, die freilich ausschließlich von der herrschenden Elite definiert wurden, förderten ein ambivalentes Verhältnis zur Macht: Einerseits war sie zu fürchten und schon deshalb abzulehnen, auf der anderen Seite musste die Aussichtslosigkeit des Widerstands zu einem Arrangieren mit ihr führen. Die-

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ses Arrangement wurde gleichsam als freiwillige Zustimmung empfunden, doch statt echter Zustimmung kann sie angesichts der zugrundeliegenden Mechanismen als eine Abfolge enttäuschter Freiheitsbestrebungen angesehen werden. Die daraus entstandenen mentalen Prägungen sind – neben Strukturelementen von Staat und Gesellschaft – besonders resistent gegenüber Veränderungen und unterliegen nur einem sehr langsamen Wandel. Eben jener Wandel wurde – und wird bis heute – durch die Herrschenden im Interesse ihres Machterhalts nach Kräften zu verhindern versucht. Aus einer tiefen und „ewigen“ Spaltung zwischen den Vorstellungen einer urrussischen Sittlichkeit und der Logik des Autoritarismus der Staatlichkeit resultieren zwei entgegengesetzte Zivilisations- und Mentalitätstypen, zwei moralische, wirtschaftliche und politische Systeme mit einer entsprechenden Spaltung der Kultur, des Bewusstseins und der Persönlichkeit. Die „russische Seele“, „frei in ihrem versklavten Urzustand“, soll auf hierarchisch niedriger Stufe der Gesellschaft verharren. Demgegenüber ist die für das Volk gleichsam schicksalhaft gefügte Elite in ihrem Handeln völlig frei. Gesetze dienen der Zementierung dieser Ordnung. Dadurch steigt das Misstrauen in die Geltung formalen Rechts. Anreize für moralisches Verhalten können nicht entstehen, weil Handeln der Herrschenden nicht sanktioniert wird. Wenn verhaltensbegrenzende informale Institutionen fehlen, können die ökonomisch bzw. politisch Privilegierten ihren Handelnsimpulsen exzessiv und rücksichtslos folgen. Der unter Rückgriff auf Iljin propagierte „dritte Weg“ einer national-patriotischen und „der Idee nach freien“ Diktatur ist nichts anderes als der interessengeleitete Versuch der herrschenden Elite, durch die Rezeption der „russischen Idee“ eine Zwangsläufigkeit in der Verfolgung eines russischen „Sonderweges“ zu suggerieren, um damit die bestehende Machtordnung zu festigen. Diese Zwangsläufigkeit ist real nicht existent. Die orthodoxe Kirche ordnete sich stets dem russischen Staat unter. Ein Verständnis für das Subsidiaritätsprinzip hat sie nicht entwickelt. Ihre Versuche, die Orthodoxie zur einzigen „Staatsreligion“ zu erklären, zeigen die ideologische Seite der Wiederentstehung der russischen Religiosität in jüngerer Zeit. Das Selbstverständnis der Russisch-Orthodoxen Kirche und ihre Anpassung in politischen Fragen an die Staatsräson entspringen noch heute zu einem nicht unwesentlichen Teil aus inhaltlicher Übereinstimmung mit dem russischen Staat. So ist ihre Kritik der Menschenrechte der Ansicht geschuldet, die Rechte des Einzelnen dürften nicht über denen der Gesellschaft stehen. Das Zusammenwirken von orthodoxer (Staats-)Kirche und patrimonialem Staat nahm dem Volk die Möglichkeit, sich über die unmittelbare Pflichterfüllung hinaus zu betätigen, Privatinitiative und eigenverantwortliches Handeln waren unerwünscht und lange Zeit sogar verboten. Als Quelle für zivilgesellschaftliche Werte konnte die Russisch-Orthodoxe Kirche daher nicht dienen. Auch nach der Revolution von 1917 waren Bedürfnisse und Präferenzen des Individuums für das staatliche Handeln bestenfalls unwichtig, regelmäßig aber gefährlich. Beliebigkeit und Willkür waren zentrale Elemente bei der Durchsetzung eines staatlichen Wirtschaftsplanes, aus dem „Patron-Klienten-Beziehungen“ in der Form „administrativer Clans“ entstanden. Die kurze Phase der „Neuen Ökonomischen Politik“ war eine rein taktische Wende zur Bekämpfung der ökonomischen Probleme, ohne die zentralistische Planwirtschaft in Frage zu stellen. Die „sozialistische“ Moral hat versagt, und die desolate

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wirtschaftliche Lage der Bevölkerung führte zu Wirtschaftsverbrechen. Obwohl hinter Stalins ökonomischer Konzeption die Macht des Gesetzes und hinter diesem die Drohung des Terrors stand, war sie geradezu geschaffen, um in der Praxis umgangen zu werden. Die Nomenklatura schloss nach dessen Tod einen ungeschriebenen Vertrag, nach dem niemand aus ihrem Kreise künftig mehr vernichtet werden sollte. Er besteht bis heute fort, und wer zur herrschenden Elite gehört, muss, selbst wenn er in Ungnade gefallen ist, nicht das Schlimmste befürchten. Die Masse der Bevölkerung blieb eine gegenüber der Nomenklatura unterprivilegierte und unvermögende Unterschicht. Die Stabilität des Systems verwandelte sich mit dem fortschreitenden Alter Breschnews (wie auch der gesamten sowjetischen Führungsriege) zunehmend in Stagnation. Am Ende war ein Zustand erreicht, der sich als Gerontokratie und Oligarchie beschreiben lässt. Im Laufe der Zeit war es der Nomenklatura immer mehr gelungen, ihre ökonomischen und politischen Interessen durchzusetzen, und der administrativen Oberschicht wurde ein an Partizipation heranreichender Einfluss beigemessen. Die parteipolitische und administrative Elite hat sich zu einer eigenen Gruppe abgesondert und wurde zum Signum der Herrschaftsstruktur des real existierenden Sozialismus: In einer Gesellschaft ohne Eigentum oder Standeszugehörigkeit konnte sie sich dauerhafte und vererbbare Privilegien mit einer Tendenz zur Selbstrekrutierung sichern. Der (einfache) „sowjetische“ Mensch (homo sovieticus) wurde durch ständigen propagandistischen Druck, eine gesellschaftliche Nachrichtensperre und die Zwangssozialisierung über Generationen hinweg geprägt. Die strenge Kontrolle der Aufstiegskanäle verhinderte seinen gleichsam spontanen Aufstieg in die Elite. Er war das Produkt des real existierenden Sozialismus und hatte zutiefst ambivalente („doppelherzige“) Wertmaßstäbe: Die Orientierung an Werten und an Zwecken standen sich gegenüber. Um etwas zu erreichen, mussten Regeln und Gesetze verletzt und musste gelogen werden. Die Persistenz der bestehenden sozioökonomischen Strukturen (mit anderen Worten: der informalen Institutionen) ist enorm. Weit über das Ende der Sowjetunion hinaus ist die Beharrungskraft der kommunistischen Ideologie spürbar. Der Effekt der Beeinflussung von Wahrnehmung und Präferenzen der Menschen durch das Ideologie- und Institutionengebäude des Kommunismus ist umso stärker, je länger die Phase des Kommunismus gedauert hat. Die zählebigen sowjetischen Mentalitäten führten dazu, dass ein Aufbruch in eine neue (freiheitliche und marktwirtschaftliche) Ordnung nicht rückhaltlos von den Menschen bejaht wurde. Die Menschen waren kulturell und psychisch nicht auf ein demokratisches Staatswesen vorbereitet. Für den Anpassungsprozess an marktwirtschaftlich-demokratische Institutionen erschwerend wirkt sich die Persistenz alter Wahrnehmungsmuster aus, die in Anpassung der Menschen an die sowjetische Handelnsordnung entstanden waren. Gorbatschow hatte die Interdependenz der Ordnungen erkannt und vor dem Hintergrund zahlreicher nicht kompensierbarer Nachteile die Konsequenz gezogen, dass das politische und das ökonomische Teilsystem nur gemeinsam und wechselseitig zu reformieren seien. Die angestoßenen Reformen führten jedoch gleichsam zu einem Dammbruch, das alte System war nicht mehr zu halten. Während der Perestroika blieben viele Angehörige der Partei-Nomenklatura auf ihren Posten und wandten sich neuen, lukrativen Tätigkeiten zu. Ein relativ kleiner Teil der Gesellschaft hatte gute strukturelle und

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materielle Voraussetzungen, neue Handlungsspielräume zu nutzen, als von bestehenden Gesetzen keine Sanktionen mehr zu befürchten waren oder die Gesetze selbst ihre Geltung verloren. Kontakte waren in der Sowjetunion wichtiger als Geld. Betrachtet man diese Kontakte oder Beziehungen als Vermögen, war es in der Tat im Wesentlichen die „vermögende“ Schicht der Sowjetunion, die in Russland reich wurde. Für die breite Bevölkerung bedeutete der Verlust der alten Ordnung hingegen eine enorme Unsicherheit und eine Entwertung von Humanvermögen, weil bisher gewohnte Verhaltensweisen ihre Eignung zur Problemlösung verloren. Hinzu kam, dass zunächst bei den politisch Verantwortlichen in Russland Unsicherheit hinsichtlich der schlüssigen Umsetzung eines Konzeptes für die Transformation bestand, auch im Hinblick auf das Wirtschaftsordnungskonzept. Das führte zu weithin ungeordneten Verhältnissen und hat die Grundpfeiler der russischen Gesellschaft erschüttert. Marktwirtschaft und Demokratie wurden diskreditiert, lange bevor sie hätten funktionieren können. Die organisierte Kriminalität und die Schattenwirtschaft können als einzig real funktionierendes Scharnier zwischen den Systemen gelten. Sie lähmten die produktiven und entfesselten die destruktiven Kräfte der russischen Gesellschaft. Die kriminelle Privatisierung sowie einflussreiche Interessengruppen führten zu einer Vermachtung der Wirtschaft. Dadurch wurde die Kluft zwischen formellem und informellem Recht weiter vergrößert, die moralischen Grundlagen der Wirtschaft erodierten immer mehr. Der Grad der Abgeschlossenheit der sozialen Gruppen hat im Vergleich zur Sowjetunion sogar noch zugenommen. Persönlichen Bindungen wurde gegenüber formalen Verträgen der Vorzug gegeben, die ohnehin schwach entwickelte Rechtskultur in Russland wurde weiter unterminiert. Eine Abgrenzung zwischen privatem und staatlichem Sektor war oftmals schwierig, denn eine formale Privatisierung bedeutete nicht, dass private Unternehmen im marktwirtschaftlichen Sinne entstanden. Der Rohstoffbereich blieb weiter monopolistisch oder oligopolistisch strukturiert, aus ehemals staatlichen Monopolen entstanden nicht selten private. All dies begünstigte die Entwicklung der Oligarchen. Beschleunigt wurde ihr Aufstieg durch die Voucher-Investmentfonds, auch die Wertpapier-Auktionen förderten die Entwicklung einer russischen Business-Elite, die zur Oligarchie führte. Ihren Ursprung hatte sie oftmals in der Komsomolwirtschaft und den „Wissenschafts- und Technikzentren der Jugend“, auch konnte sie die Möglichkeiten des Genossenschaftsgesetzes nutzen, die auf Privilegien, und mehr oder minder legaler Betätigung beruhten. Die „spontane“ Privatisierung, die Akkumulation von Kapital und Verfügungsmöglichkeiten über Ressourcen und die erfolgreiche Teilnahme an den Pfandauktionen waren neben anderen wesentliche Voraussetzungen für das Entstehen der Oligarchen. Allerdings war weder die Ausgangsbasis für alle gleich, noch waren stets alle Faktoren in gleichem Maße wirksam. Die russische Gesellschaft hat bis heute ihre traditionelle Vorstellung von Herrschaft noch nicht überwunden. Herrschaft wird von ihr als unteilbare Einheit wahrgenommen, die auf Unterordnung und Unterwerfung unter eine Führungsperson (nicht eine Institution) beruht. Jelzin war der Auffassung, dass in einem Land, das Zaren und Führer gewohnt ist, die Präsidialherrschaft in der Zeit des Übergangs der einzige Weg ist, um die Anarchie zu besiegen. Dieser Sicht wohnt bereits ein Moment zur Verfestigung autoritärer Strukturen inne. Im Ergebnis führt dies wie in der Anarchie zum Recht des Stärkeren.

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Verfassungsnorm und Verfassungspraxis wichen stark voneinander ab. Das schon bald anstelle der verfassungsgemäß festgelegten freiheitlich-demokratischen Ordnung entstehende System wurde in Anspielung auf die real existierenden Macht- und Herrschaftsstrukturen als „Ukaskratie“, „Nomenklaturdemokratie“, oder (gleichsam absolutistische) „Wahlmonarchie“ bezeichnet. Die Regierung von Präsident Jelzin zeigte einen zunehmend oligarchischen Charakter. Putin begann zwar bald nach seinem Amtsantritt, die Beziehungen zu den Oligarchen zu formalisieren. Die Gründung von „Parteien der Macht“ wurde indes fortgeführt. Damit konnte die Macht weiterhin autonom gestaltet und weitergegeben werden, ohne die Einwirkung der Gesellschaft fürchten zu müssen. Daraus ist kaum zu schließen, dass sich die Parteien in Russland von Organisationen zur Unterstützung bestimmter Personen oder vom Vehikel partikularer Interessenverfolgung einflussmächtiger Gruppen zu Einrichtungen entwickeln, die zivilgesellschaftliche Interessen repräsentieren. In dieser Sichtweise ist es folgerichtig, neben der Sicherstellung der materiellen und administrativen Ressourcen der Herrschaft („Machtvertikale“) vor allem die Zivilgesellschaft und die Medien zu kontrollieren. Nicht nur die Wettbewerber, sondern gleich der politische Wettbewerb selbst wurde ausgeschlossen. Solange aber innerhalb einer bestimmten Klasse – gleichsam in einer „geschlossenen Gesellschaft“ – eine Erbfolge ausgehandelt wird, kann auch jede spontane Entwicklung „von unten“ systemlogisch nicht geduldet werden. Es war folgerichtig, dass Nichtregierungsorganisationen zunehmend in ihrer Tätigkeit behindert und die Kontrolle von Staat und Verwaltung durch Medien und Bürgergesellschaft immer mehr erschwert wurden (so schränkte das NGO-Gesetz aus dem Jahr 2006 die Demonstrationsfreiheit ein). Dies förderte die Erosion der Werte. Sozialkapital konnte kaum entstehen. Gleichzeitig wuchs die korrupte Bürokratie, und die Diktatur des Schmiergelds bremste den Fortschritt. Wenn aber zivile Traditionen fehlen, füllen quasi-feudale oder Patronagebeziehungen die Lücke. Die Dominanz solcher hierarchischer Beziehungen ist eine „ideale“ Negativbedingung für das Entstehen einer Zivilgesellschaft. Auf diese Weise bedingen und verfestigen sich eine schwache Zivilgesellschaft und eine „defekte“ Demokratie gegenseitig. Die Maßnahmen zur Stärkung der Machtvertikale fügen sich ein in eine Reihe weiterer, in ihrer Gesamtheit bedenklicher Einschränkungen der Freiheit, deren Grundlage das Denken in Kategorien einer „von oben“ gesetzten Ordnung ist. Die Interdependenz der Teilordnungen (Eucken) führt dazu, dass dieses Denken zwingend auch die wirtschaftliche Ordnung einschließen muss. Deshalb musste die Politik Putins im Interesse der Herrschaftssicherung darauf bedacht sein, die Wirtschaft zu steuern, um so den Zugriff auf die materiellen Ressourcen dauerhaft zu sichern und das Entstehen einer Opposition zu verhindern. Begünstigt durch die bereits bestehende enge Verflechtung mit der Politik, ist die russische Wirtschaft dadurch zunehmend in den Griff des Staates geraten. Durch das Bestehen ungenauer Regeln und deren selektive Anwendung konnte sich der Kreml die Kontrolle über das Eigentum sichern. In Analogie zum „state capture“ in der Mitte der 1990er Jahre, als die Oligarchen nach der politischen Macht griffen, kam es nunmehr zu einem „business capture“, zur Erbeutung der Unternehmen durch den Staat. Dabei gelangten Unternehmen (wieder) in staatliches Eigentum oder unter staatlichen

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Russlands Sonderweg der Transformation

Einfluss. Dazu wurde das Eigentumsrecht willkürlich beschnitten, und auch die anderen konstituierenden und regulierenden Prinzipien Euckens wurden eklatant verletzt. Die ökonomische und mediale Machtbasis ist von den Oligarchen zu Vertretern der administrativen Strukturen übergegangen. Die Administration kann die materiellen Ressourcen dieser Unternehmen zur Durchsetzung staatlicher Ziele verwenden. Dies eröffnet darüber hinaus den damit administrativ Befassten zusätzliche Einnahmemöglichkeiten. Mit der Sorge um ihr eigenes Wohl begann die Elite wieder, sich ähnlich wie zu Sowjetzeiten einzuigeln. Die herrschende Elite ist daher selbst an einem „milden Autoritarismus“ interessiert (freilich nicht an einer „harten“ Diktatur). Dem Vorgehen gegen Jukos und Chodorkowski lagen formalrechtliche Ursachen zugrunde, und doch signalisierte das selektive Vorgehen unter Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze in höchstem Maße Willkür. Die Gründe waren sowohl machtpolitischer Natur als auch in Bestrebungen nach einer Umverteilung des Eigentums motiviert. Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise konnten innerhalb der russischen Machtelite nicht immer mehr Ressourcen an alle Macht- und Interessengruppen verteilt werden. Die Nachhaltigkeit einer Politik, die nicht auf Interventionen, Umverteilung und Rentensuche beruht, kann deshalb an dieser Stelle bezweifelt werden. Eine schnelle Rückbesinnung des in wesentlichen Merkmalen autokratischen Systems auf freiheitliche Elemente oder deren Stärkung in Gesellschaft und Wirtschaft durften nicht erwartet werden. Am Ende der ersten Regierungszeit von Präsident Putin hatte Russland einen Punkt erreicht, an dem die Grundentscheidung zu einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung mehr denn je in Frage stand. Das korrupte System lebte, wie die Nomenklatura in der Sowjetunion, für sich selbst und aus sich selbst heraus auf Kosten aller Individuen der Gesellschaft. Der „Fall Chodorkowski“ hat deutlich gezeigt, dass ein Einzelner, auch wenn er über sehr große Wirtschaftskraft verfügt, recht- und machtlos ist, sofern er nicht zur „geschlossenen Gesellschaft“ der herrschenden Elite gehört. Im abgeschlossenen System einer auf Kosten der „Outsider“ herrschenden Klasse liegt in der Tat eine Besonderheit der russischen Entwicklung, die sich über die verschiedenen Systeme bis heute erhalten hat. Einen russischen „Sonderweg“ gehen zu wollen bedeutet nichts anderes, als dieses System in der Zukunft aufrechtzuerhalten. Für die Präferenzen und Bedürfnisse des Individuums ist darin kein Platz.

5. Abschließende Bemerkungen und Ausblick

5.

135

Abschließende Bemerkungen und Ausblick

Diese Arbeit hat sich mit den Gründen für die Herausbildung der politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Russland befasst, die als „Oligarchie“ bezeichnet werden. Dazu wurden aus einer institutionenökonomischen Sicht hypothetisch „ordnende Potenzen“ in der Annahme unterschieden, dass diese auf drei verschiedenen Ebenen ihre Wirksamkeit entfalten können: auf der Ebene formaler Institutionen (Gesetze und andere Rechtsnormen), auf der Ebene informaler Institutionen (Traditionen, Gewohnheiten, Werthaltungen) und auf der Ebene der individuellen Wahrnehmung. Die Ebenen stehen untereinander in wechselseitigen Beziehungen, und abhängig von der Art der Beziehungen werden verschiedene Ordnungsfaktoren für die Individuen handlungsleitend. Daraus folgen charakteristische Merkmale des russischen Sonderwegs der Transformation. Die festgestellten Defizite in der russischen Rechtswirklichkeit, mithin auf der Ebene der formalen Institutionen, lassen sich nur zum Teil durch eine mangelhafte Übernahme von Rechtsnormen aus westlichen Vorbildern erklären. Die zunehmende Verflechtung und Vermachtung von Politik und Wirtschaft sowie eine ausufernde Bürokratie und verbreitete Korruption, verbunden mit dem Streben nach nicht leistungsgebundenen, sondern auf der Erzielung von Renten beruhenden Einkommen, sind eine maßgebliche Folge seit langem bestehender und geübter Einstellungen und Gewohnheiten. Diese Ebene informaler Institutionen kann in Russland in hohem Maße handlungsleitend wirken, weil eine bis weit in die Geschichte zurückgehende autoritär-hierarchisch geprägte Gesellschaftsstruktur stets auf der Unterordnung unter eine als unteilbare Einheit wahrgenommene Macht beruhte, die der Einzelne als Willkür erlebte, der er ohnmächtig gegenüberstand und die ihm kaum Freiheit zu selbstbestimmtem Handeln ließ. Nicht zuletzt die sozialistische Erziehung und Bildung, Propaganda der Medien und Erfahrungen des ideologisierten Alltags prägten stark die Wahrnehmung, der so bis in die Gegenwart eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Art und Weise zukommt, wie die bestehenden Institutionen das Handeln der Menschen beeinflussen. Aus den widerstreitenden Vorstellungen einer urrussischen Sittlichkeit (des Volkes) und der Logik des Autoritarismus der Staatlichkeit (der Herrschenden) resultieren zwei entgegengesetzte Mentalitätstypen mit einer Spaltung der Kultur, des Bewusstseins und der Persönlichkeit. Die „russische Seele“ der einfachen Menschen solle „frei in ihrem versklavten Urzustand“ sein und auf hierarchisch niedriger Stufe der Gesellschaft verharren. Auf der anderen Seite ist die für das Volk gleichsam schicksalhaft gefügte Elite in ihrem Handeln völlig frei. Das Handeln der Herrschenden wird nicht sanktioniert. Anreize für moralisches Verhalten können nicht entstehen. Das Misstrauen in die Geltung formalen Rechts steigt. Statt Vertrauen wurde (und wird) damit ein ambivalentes Verhältnis zur Macht gefördert. Sie muss gefürchtet und schon deshalb abgelehnt werden. Doch auf der anderen Seite führt die Aussichtslosigkeit des Widerstands zu einem Arrangieren, das gleichsam als freiwillige Zustimmung empfunden wird. Hieraus zieht die herrschende Elite einen Teil ihrer Legitimation. Diese Art der Legitimation ist jedoch nicht mit Zustimmung gleichzusetzen. Tatsächlich muss die vermeintliche Zustimmung als eine Abfolge enttäuschter Freiheitsbestrebungen verstanden werden.

136

Russlands Sonderweg der Transformation

Das autokratische Kontinuum kann als die Konstante der russischen Entwicklung bezeichnet werden, das nur durch kurze Phasen der Freiheit und des Aufbruchs, zumeist motiviert durch die Notwendigkeit einer nachholenden Entwicklung, unterbrochen war. Die ersten Jahre der Transformation in den 1990er Jahren können als eine solche Phase der Freiheit und des Aufbruchs – ebenfalls entstanden aus dem Ziel, Entwicklungsrückstände zu überwinden – gesehen werden. Als in der Folge der Versuche Gorbatschows, das sowjetische System zu reformieren, die bestehenden Gesetze zunächst ihre strengen Sanktionsmechanismen und später in der Phase des Übergangs ihre Gültigkeit selbst verloren, boten sich plötzlich für einige wenige Privilegierte nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. Privilegiert waren nicht selten jene, die zur herrschenden Nomenklatura gehörten oder bereits über Kontakte zu ihr verfügten und damit einen Wissensvorsprung hatten oder die aufgrund besonderer Stellung auf strukturelle oder materielle Ressourcen zugreifen konnten. Schattenwirtschaft und (organisierte) Kriminalität wurden so zum einzig funktionierenden Scharnier zwischen altem und neuem System. Die produktiven Kräfte der Gesellschaft wurden gelähmt, die destruktiven wurden entfesselt. Das Fehlen beinahe jeglicher Handelnsbeschränkungen und Verantwortlichkeit führte bei diesen Personen zu einer Entgrenzung des Handelns. Für die meisten Menschen war dies – wie schon in der Vergangenheit – mit der Erfahrung von Recht- und Machtlosigkeit sowie mit dem Verlust der ökonomischen Basis (wie der Ersparnisse) verbunden. Es mangelte an Möglichkeiten und Zeit, das Individualprinzip (mit allen dazugehörigen Aspekten wie Handelnsfreiheit auf der einen, aber auch Verantwortung und Haftung auf der anderen Seite) als Wertgrundlage der Gesellschaft und als Orientierungspunkt der rechtlichen und wirtschaftlichen Ordnung zur Entfaltung zu bringen und zu schützen. So wurden Marktwirtschaft und Demokratie und die mit ihnen verbundenen Freiheiten diskreditiert, noch bevor sie hätten funktionieren können. Dies förderte die Sehnsucht nach einer stärkeren zentralen Macht sowie die Zustimmung für Putin. Die Einschränkung der Freiheitsrechte in seiner Amtszeit wurde von der russischen Bevölkerung daher auch nicht als dramatische Verschlechterung der politischen Verhältnisse wahrgenommen: Die große Mehrheit der Russen war im Jahr 2000 bereit, für „Ordnung im Land“ auf Freiheit zu verzichten. Dem zu jener Zeit freiwilligen Verzicht auf Freiheit durch die Bevölkerung stand (und steht) die Förderung der Persistenz ihrer Machtstrukturen durch die herrschende Elite gegenüber. Dies geschieht vermittels geringer vertikaler Durchlässigkeit für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg, durch die Instrumentalisierung von Medien und Unternehmen sowie durch den Rückgriff auf systemkonservierende Ideenkonstrukte – wie die „russische Idee“ von Iljin. Der unter Bezug auf Iljin propagierte „dritte Weg“ einer national-patriotischen und „der Idee nach freien“ Diktatur ist zudem im interessengeleiteten Versuch der herrschenden Elite begründet, eine Zwangsläufigkeit in der Verfolgung eines russischen „Sonderweges“ vorzutäuschen. Hinzu kommt, dass die Russisch-Orthodoxe Kirche durch ihre Unterordnung unter den russischen Staat und ihre Sicht auf die Gläubigen als Quelle zivilgesellschaftlicher Werte ausfällt. Die individuelle Handelnsfreiheit wurde zunehmend wieder eingeschränkt, zivilgesellschaftliches Engagement gehemmt und freiwillige Zusammenschlüsse, in denen als positiver externer Effekt Vertrauen und mithin Sozialkapital hätten entstehen können, behindert.

5. Abschließende Bemerkungen und Ausblick

137

Mit der Verfestigung der Strukturen der Herrschaft ist die dauerhafte Bevorzugung der zu ihrer Sicherung notwendigen materiellen Ressourcen verbunden. Sie sind in Russland notwendige Voraussetzung für den Fortbestand des Systems. Deshalb muss der russischen Politik nach wie vor ein latentes Denken in Vorrangigkeiten zur Sicherung ihrer Macht immanent sein. Damit steigt zwangsläufig der Umfang des Staatshandelns und der Bürokratie wie auch der Korruption (nicht zuletzt durch das in Russland übliche Prinzip der „Speisung aus dem Amt“). So ist festzuhalten, dass in Russland Euckens konstituierende und regulierende Prinzipien, einschließlich seiner beiden staatspolitischen Grundsätze, sämtlich verletzt sind. Das weithin sichtbarste Beispiel hierfür ist das willkürliche Vorgehen gegen den Ölkonzern Jukos und seine Haupteigner Chodorkowski und Lebedew. Waren aus einer Schwäche des Staates während des Systemwechsels die privaten Oligarchen entstanden, die nach dem Staat griffen, so formierte sich nach dem Erstarken des Staates eine neue Gruppe von staatsnahen Mächten bzw. Staatsoligarchen, die nach den Eigentums- und Verfügungsrechten Privater griffen. Wollte man tatsächlich Euckens Prinzipien und Grundsätzen Geltung verschaffen, hieße das, sich genau gegen jene Gewohnheiten und Traditionen, gegen Mentalitäten einer rentensuchenden statt leistungsorientierten Elite und gegen die Interessen abgeschlossener und abgeschotteter Klubs elitärer (Macht-)Gruppen zu stellen. Weder die Größe des Landes, noch sein Reichtum an Rohstoffen, noch das Klima, noch die lange autokratische Tradition einschließlich „russischer Ideen“ (Iljin) und der Besonderheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche, noch die sowjetischen Mentalitäten sind letztlich Ausschlussgründe für eine freiheitliche Ordnung in Russland. So nachteilig diese Ordnungsfaktoren für die formale Einführung einer marktwirtschaftlich-demokratischen Ordnung auch sein mochten, verhindert haben sie diese in den 1990er Jahren schließlich nicht. So mögen die genannten Ordnungsfaktoren zwar einen freiheitlichen Weg erschweren, doch insbesondere das Interesse der herrschenden Elite am Fortbestand ihrer Macht und ihres ökonomischen Wohlstands ist der Grund für das fortgesetzte Beschreiten eines gleichsam russischen Sonderweges, der nicht ohne Attribute wie „gelenkte Demokratie“ oder „gelenkte Wirtschaft“ auszukommen vorgibt. Diese – gleichsam geschlossene – Elite, die aus vertikalen Vertrauensnetzwerken mit negativen Externalitäten besteht und die nicht leistungs-, sondern machtbedingte Renten generiert – beides zu Lasten der übrigen Gesellschaft –, ist das eigentliche Entwicklungshemmnis Russlands. Ein Mentalitätswechsel nicht zuerst der Bevölkerung, sondern der politischen und wirtschaftlichen Elite ist deshalb notwendige Bedingung für das Entstehen einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung in Russland. So wie Gorbatschow die Interdependenz der Ordnungen erkannt und daraus die Konsequenz gezogen hatte, dass das politische und das ökonomische Teilsystem nur gemeinsam und wechselseitig zu reformieren seien und damit implizit die Transformationsschwelle betreten hatte, könnte in der Zukunft wieder eine Persönlichkeit ähnlichen Formats auftreten. Ihr könnte es im Dreiklang von Personen, Institutionen und Traditionen (Popper) gelingen, an freiheitliche Elemente anzuknüpfen und eine Entwicklung anzustoßen, die für die Menschen mit positiven Erfahrungen verbunden ist und die Wahrnehmung des Wertes der Freiheit fördert.

138

Russlands Sonderweg der Transformation

Mit der Einbeziehung der individuellen Wahrnehmung und der Bedeutung der Willensfreifeit (Kapitel 2) sowie ergänzender Theorieansätze, die einen zusätzlichen Blick auf den Untersuchungsgegenstand ermöglichten (Kapitel 3), wurde die Analysebasis dieser Arbeit vertieft und erweitert. Dahinter stand das Ziel, eine noch besser fundierte Antwort auf die Frage zu erhalten: Ist aus all den untersuchten Zusammenhängen eine Zwangsläufigkeit der Entwicklung Russlands im Sinne eines russischen Sonderweges abzuleiten? Es gilt festzustellen, dass die untersuchten Ordnungsfaktoren, die hemmend wirken können, eine freiheitliche Entwicklung nicht ausschließen: Auch den Menschen in Russland würde ein freiheitliches System, das Handelnsmöglichkeiten bietet und Eigenverantwortung fördert, neue Chancen eröffnen. Sie wären – in Anlehnung an die an den Anfang dieser Arbeit gestellten Zitate – einen höheren Grad der Freiheit zu tragen imstande, als ihnen die herrschende Elite zuzugestehen bereit ist. Die geschlossene Gesellschaft einer Staatsoligarchie kann durch Stärkung der Prinzipien einer freiheitlichen Ordnung überwunden werden.

Endnoten zu Kapitel 1

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Endnoten Kapitel 1: Einführung 1

Siehe zu diesem Befund etwa Gel’man (2010, S. 7); zu unterschiedlichen Fortschritten bei den Transformationsbemühungen verschiedener Länder auch bereits Peterhoff (1994, S. 382).

2

Insbesondere die Ukraine sowie einige andere Nachfolgstaaten der ehemaligen UdSSR, aber auch Polen weisen mehr oder minder stark ausgeprägte oligarchische Strukturen auf. Wenn auch einige Ursachen mit denen in Russland übereinstimmen dürften, würde eine vergleichende Untersuchung eine eingehende Analyse der Besonderheiten eines jeden Landes erfordern.

3

Gemeint sind die Angehörigen des höchsten Adels („Adligsten“).

4

Für Platon sei indes die Frage, wer herrschen solle, bedeutsam gewesen. Auch Marx habe darauf geantwortet, die (vielen) Proletarier sollten herrschen, nicht die (wenigen) Kapitalisten. Popper kritisiert, dass die Frage Platons ‚Wer soll herrschen?’ „von den Staatstheoretikern niemals klar abgelehnt“ wurde. Er meint, anstelle einer Antwort auf die Machtfrage müsse man vielmehr „in dem Mehrheitsentscheid der Abstimmung oder der Wahl nur eine Methode [sehen], Entscheidungen ohne Blutvergießen herbeizuführen und mit einem Minimum an Freiheitsbeschränkung“ (Popper 1984, S. 250 f.).

5

„Schöpferisch“ meint hier vermutlich „für das rivalisierende Streben nach Macht kreative Potentiale nutzend“.

6

Freilich sieht Spengler (1922; 1923) erhebliche Probleme auch für die (abendländische) Demokratie. Auf Russland sah er „als Reservat eines ursprünglichen Weltempfindens, das von den faustischen Kategorien wie ‚Ich‘ … noch nicht berührt worden sei“ (Schmid 2003, S. 46).

7

Deshalb und weil die Teilnahme an der Macht stets konservativ mache, mithin das Motiv des Machterhalts über die Verwirklichung auch fortschrittlicher Ideen dominieren würde, könnten zwar Sozialisten, nicht aber der Sozialismus siegen (vgl. Michels 1911/1970, S. 343 und S. 367). Diese Feststellung ist deshalb bemerkenswert, weil Michels seinen Ansatz nicht im Widerspruch, sondern als Ergänzung zur materialistischen Geschichtsauffassung und zu der Lehre der Geschichte als einer ununterbrochenen Reihe von Klassenkämpfen sieht: „Die Lehre von der politischen Klasse ist marxistisch unanfechtbar“ (siehe Michels (1911/1970, S. 367). Neben Verweisen auf die marxistische Theorie finden sich zahlreiche Hinweise auf die realen Verhältnisse einiger Länder (so Russlands auf S. 253, S. 323-328, S. 350 f.).

8

Schmitt ist nicht unumstritten. Sehr kritisch zu dessen Gedanken äußert sich von Hayek (1980, S. 101 f.). Für eine Darstellung seiner Person siehe beispielsweise Ritter

140

Russlands Sonderweg der Transformation

(2006, S. Z 1 f.), für die Darstellung der aktuellen Relevanz von Schmitts Werken siehe R. Voigt (2007) sowie die Besprechung des Bandes von Kersting (2007, S. 37). Schmitts hier zitiertes Werk „Verfassungslehre“ wurde gleichsam „zu einem geheimen Standardwerk der Väter des Bonner Grundgesetzes“ (Frasch 2007, S. 44). 9

In der Literatur wird von finanz-industriellen Gruppen oder finanz-industriellen Eliten bzw. von „Oligarchen“ als Bezeichnung für die Personen gesprochen, die sie kontrollieren; siehe neben anderen beispielsweise Beljajewa (1999) mit weiteren Verweisen.

10

Das Verständnis dieser Begriffe entspricht nicht dem von westlichen Marktwirtschaften, sondern basiert auf willkürlicher Anwendung der Gesetze; siehe ausführlich Kapitel 4.

11

Nach wissenschaftlicher Transliteration wäre Iljin als Il’in wiederzugeben, im Interesse einer besseren Lesbarkeit werden russische Namen in dieser Arbeit jedoch gemäß Duden transkribiert (siehe auch die Hinweise eingangs dieser Arbeit).

12

Siehe auch das russische Original von Iljin (1948/2007, S. 3).

13

Zwar hatte die sogenannte Nomenklatura aufgrund ihrer Stellung und der Strukturen (Branchenministerien) in der Sowjetunion Zugriffsmöglichkeiten auf das volkswirtschaftliche Vermögen, einzelne Mitglieder konnten freilich nicht nach Belieben darüber verfügen wie später ein „Oligarch“ über die von ihm kontrollierten Unternehmen.

Kapitel 2: Das institutionenökonomische Fundament der Untersuchung 1

Erlei, Leschke und Sauerland (1999, S. 526 ff.) unterscheiden zwischen kontinuierlichem (ständigem) und diskontinuierlichem (transformatorischem) Wandel.

2

Stahl-Rolf (2001, S. 324) stellt dazu fest, die „Transformation [schließe] sowohl den endogenen als auch den politisch initiierten Wandel individuellen Verhaltens und, darauf aufbauend, ökonomischer Institutionen“ ein (freilich ist dies nicht nur für ökonomische Institutionen wie den Preismechanismus, sondern auch für rechtliche Institutionen wie die Vertragsfreiheit anzunehmen). In dieser Arbeit werden die Begriffe ‚Verhalten’ und ‚Handeln’ synonym verwendet. „Handlung umfaßt [in diesem Verständnis also mehr als nur] ein bewußt kalkuliertes [zweck]rationales Verhalten“ (Weise 1996, S. 187). Ausführlich zum Rationalitätsbegriff siehe Abschnitt 2.2.3.3.

3

Fukuyama (2000, S. 281 f.) stellt unter Verweis auf E. Ostrom heraus, „daß spontane Ordnung nur unter genau definierten Bedingungen entstehen kann und daß sie in vielen Situationen entweder nicht zustande kommt oder aber zu Situationen führt, die, vom Standpunkt der Gesamtgesellschaft betrachtet, nicht günstig sind“. Freilich ist ‚Gesamtgesellschaft‘ ein recht amorpher Begriff, auch ließe das ökonomische Instrumentarium präzisere Aussagen zu (etwa durch die Theorie externer Effekte).

4

Zu den rechtlichen und ökonomischen Vorbedingungen der Marktwirtschaft siehe bereits Schüller (1981). Das Problem, eine demokratische politische Ordnung und eine Wettbewerbswirtschaft gleichzeitig einzuführen, wird zuweilen als „Unmöglichkeitstheorem“ bezeichnet (siehe Elster 1991, zitiert nach Streit und Mummert 1996, S. 15).

Endnoten zu Kapitel 2

141

5

„Die Institutionen, die Ausdruck der sozialistischen Experimente dieses Jahrhunderts sind, sind nachweisliche Mißerfolge, weil ihre Schöpfer die durch die Natur des Menschen gesetzten Grenzen ignoriert haben“ (Buchanan 1981, S. 47 f.). Auch Feldmann (1995, S. 34) stellt treffend fest: „Die Vernichtung aller bedeutenden, gewachsenen Institutionen und ihr Ersatz durch neue, konstruierte Institutionen stellen ... die entscheidenden Ursachen für den Zusammenbruch des Sozialismus dar“.

6

Ausführlich zum Transformationsziel auch Starke (2007, S. 187-190).

7

Für andere historische Beispiele siehe Wagener (1996, S. 6-9); siehe auch Stahl-Rolf (2001, S. 320-325).

8

Siehe hierzu beispielsweise Schüller (1991); Apolte (1992); Leipold (1992); Bleuel (1996); Weber, R. (1999); Eger (2000); Starke (2007).

9

Einen Überblick einiger Ansätze bietet Merkel (1996).

10

Allerdings wird zu untersuchen sein, inwieweit im Falle Russlands jenen Gegebenheiten Rechnung getragen wurde.

11

Für die ehemalige DDR war mit dem Beitritt zur Bundesrepublik durch die Übernahme der bestehenden Rechtsordnung das Wirtschaftssystem vorgezeichnet. Die mittel- und osteuropäischen Staaten haben mit dem angestrebten und in den meisten Fällen am 1. Mai 2004 bereits vollzogenen EU-Beitritt auch deren „acquis communautaire“, d.h. den gemeinsamen Rechtsstand, zu übernehmen. Für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion ist die Entwicklung offener, gleichwohl haben sie durch die Einführung des Marktpreismechanismus (allerdings mit sektoralen Ausnahmen) sowie durch die Individualisierung von Verfügungsrechten über natürliche Ressourcen (Rohstoffe) und Produktionsfaktoren (Property Rights) eine Grundsatzentscheidung für eine marktwirtschaftliche Ordnung getroffen. Für Hölzler (1999, S. 179) besteht das Bekenntnis zur Marktwirtschaft in Russland in der Verabschiedung eines eigenständigen Kartell- und Wettbewerbsrechts. Die Entscheidung, wie die marktwirtschaftliche Ordnung konkret ausgestaltet sein soll, ist indes schwierig (vgl. Schüller 2002a, S. 1). Wirtschaftliche Freiheit und durch den Rechtsstaat gesicherte Eigentumsrechte sind nach Adam Smith die Voraussetzung zur Erlangung von Wohlstand für eine Gesellschaft (s. Streissler 2005a, S. 9).

12

Siehe dazu auch Hoppmann (1991, S. 13).

13

Eine autoritäre (nicht aber eine totalitäre) Ordnung kann prinzipiell mit einer Marktwirtschaft vereinbar sein, wenn sie rechtsstaatlichen Regeln folgt. Andererseits können auch der Demokratie Tendenzen innewohnen, die den Rechtsstaat in seiner Geltung beschränken; siehe hierzu Leipold (1994, S. 731 f. und S. 733-736) mit weiteren Verweisen und empirischen Belegen. Auch Albert (1994, S. 43) stellt dazu fest: „Das bedeutet, daß in einer kapitalistischen Umgebung, [sic!] eine Demokratie entstehen kann, aber nicht notwendigerweise entstehen muß, aber daß eine sozialistische Gesellschaft auf jeden Fall politische Systeme mit autoritären oder sogar despotischen Zügen produziert“.

142

Russlands Sonderweg der Transformation

14

Siehe zu den Ordnungs- und Funktionsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft Hamel (Hg.) (1990). Das menschliche Bedürfnissystem als Grundlage für die Auswahl prägender Wirtschaftsordnungsmerkmale stellen Schönwitz und Weber (1983, S. 44 ff.) heraus.

15

Zur Kritik an diesen als „Interventionismus“ bezeichneten staatlichen Eingriffen siehe bereits von Mises (1929); in jüngerer Zeit beispielsweise Schüller (1998); für einen Überblick Schüller und Welsch (2002/2005).

16

Siehe hierzu auch Schüller (2000a, S. 169-202), der verdeutlicht, dass es einen allokationseffizienten „dritten Weg“ oder eine „Marktwirtschaft der leichten Hand“ (Böhm 1950, S. 56) nicht geben kann. Es gibt keinen Zustand – der gleichsam in der Mitte liegt –, dem alle Systeme zustreben. Zur Kritik an diesem als ‚Konvergenztheorie’ bezeichneten Ansatz siehe ebenso Leipold (1975/1988, S. 267-273).

17

Siehe hierzu auch Schüller (1992), insbesondere den Anhang.

18

Dies schließt auch die beiden staatspolitischen Grundsätze ein: Erstens sollte „[d]ie Politik des Staates ... darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktionen zu begrenzen“ und zweitens sollte „[d]ie wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates ... auf die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses“ (Eucken 1952/1990, S. 334 ff.).

19

Siehe für eine ähnliche Darstellung auch Welsch (2003, S. 59 ff.).

20

„Natürliche Monopole“ sind durch sinkende Grenz- und Durchschnittskosten gekennzeichnet. Dadurch kommt es zu einem Konzentrationsprozeß, an dessen Ende nur ein Anbieter im Markt besteht (siehe hierzu Fehl und Oberender 2002, S. 239-243).

21

Leistungswettbewerb zeichnet sich durch viele Teilnehmer ohne Preissetzungsmacht aus.

22

Zu den Interessen der Akteure auf staatlicher Ebene siehe auch die Abschnitte 3.1.2. und 4.3.4.

23

Siehe zur engen Interdependenz insbesondere von wirtschaftlicher und politischer Ordnung auch Albert (2006) mit Hinweis auf Eucken sowie Böhm (1960). Dieser bringt den Zusammenhang folgendermaßen auf den Punkt: „ohne gerechte Wirtschaftsordnung keine Demokratie“ (Böhm 1960, S. 46). Ergänzend stellt Böhm fest: „Die Planwirtschaft ist das sichere und unvermeidliche Ende der Demokratie“ (S. 56).

24

Zur Funktionsweise zentralplanwirtschaftlicher Systeme sowie zu ihren konstituierenden Merkmalen siehe Hensel (1954/1979).

25

Siehe auch oben den Abschnitt 2.1.1. und die dort genannten Quellen.

26

Der „Washington-Consensus“ geht zurück auf Williamson, J. (1993), hier zitiert nach Weltbank (2001, S. 73). Die Darstellung orientiert sich an der Quelle, ohne an dieser Stelle die Vollständigkeit oder Reihenfolge der genannten Maßnahmen zu bewerten. Die Kritik konzentriert sich auf die Nichtberücksichtigung informeller Regeln; siehe dazu die folgenden Ausführungen.

Endnoten zu Kapitel 2

143

27

Das haben auch makroökonomisch orientierte Wissenschaftler der Weltbank erkannt und einen „Post-Washington-Consensus“ hervorgebracht, der jedoch vorrangig für das Ziel der Armutsbegrenzung makroökonomische Maßnahmen vorsieht. Zwar betont er die Bedeutung des „institutionellen Rahmens“ sowie einer „guten Regierungsführung“ („good governance“), letztlich würdigt er die informale Regelebene aber wiederum nicht adäquat (immerhin findet sich diese implizit in einigen Maßnahmen, so in der geforderten Korruptionsbekämpfung). Siehe zum „Post-Washington-Consensus“ beispielsweise Michaelis (2004, S. 40-45); zur Kritik an den von IWF und Weltbank empfohlenen Maßnahmen auch Stiglitz (2002, S. 12).

28

Siehe Dietl (1993) zum Zeitproblem bei der Veränderung von Institutionen.

29

Siehe beispielsweise Wagener (1996, S. 7), der deshalb die Ansicht vertritt, der Gegensatz zwischen Schock („big bang“) und Gradualismus („gradualism“) sei widersprüchlich. Eine „Schocktherapie“ wurde z.B. 1989 in Polen erfolgreich durch den Balcerowicz-Plan verfolgt (s. Balcerowicz 1992).

30

Siehe dazu auch Kasper und Streit (1998); Mummert (1998, S. 38). Auf die institutionellen Voraussetzungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung weist bereits Schüller (1986a) hin, in der Unterscheidung ‚äußerer’ und ‚innerer’ Institutionen bereits die Bedeutung informaler Regeln herausstellend. Siehe dazu auch Gutmann (1989).

31

Siehe das Zitat von Buchanan (1981) in Endnote 5 in Kapitel 2.

32

Siehe zur spontanen Ordnung auch Watrin (2006, S. 48 f.).

33

Zur Frage, in welchem Verhältnis formale und informale Regeln zueinander stehen können, siehe insbesondere die Typologisierung von Kiwit und Voigt (1995) in Abschnitt 2.2.2.4.

34

Siehe zur Verdeutlichung dieser Aussage auch Goethe (1808a), hier den Dialog zwischen Mephistopheles: „`s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster: / Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus. / Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte.“ und Faust: „Die Hölle selbst hat ihre Rechte? / Das find ich gut, da ließe sich ein Pakt, / Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?“ (Zeilen 1410-1415). Gleichzeitig wird deutlich, dass eine wie auch immer geartete Regelgeleitetheit des Verhaltens Grundlage aller Tauschbeziehungen ist. So kommt es für Hume weniger auf die exakte Beschaffenheit einer Norm an, deren Ausgestaltung nicht frei von Willkür sei, sondern darauf, „daß überhaupt eine Norm notwendig ist, um den kollektiven Nutzen der Gesellschaft im Ganzen zu mehren“ (Knight 1997, S. 6). Siehe dazu auch Habermann (2002, S. 169): „Man kann schlechthin nicht außerhalb sozialer Regelsysteme handeln, der Mensch ist durch und durch ein durch soziale Regeln (als sein „Sozialkapital“) geprägtes Wesen und stellt als Teil der Natur ja selber auch, physisch betrachtet, ein Regelsystem dar“ (zu Begriff und Bedeutung von „Sozialkapital“ siehe Abschnitt 3.1.1.1.).

35

So haben die Physiokraten im „ordre naturel“ den Gesetzes- (und d.h. Regel-)Begriff in einem quasi naturwissenschaftlichen Sinne interpretiert, mit genau der Einschränkung, dass „der Mensch die Möglichkeit hat, gegen solche ‚sozialen’ Naturgesetze zu verstoßen“ (Mahl 1982, S. 144). Zur Physiokratie siehe Abschnitt 3.2.2.1.

144

Russlands Sonderweg der Transformation

36

„Der Mensch ist ebenso sehr ein Regeln folgendes wie ein zweckgeleitetes Lebewesen. Und er ist erfolgreich nicht, weil er weiß, warum er die Regeln beachten sollte, die er beachtet, oder weil er sogar fähig ist, alle diese Regeln in Worte zu fassen, sondern weil sein Denken und Handeln von Regeln geleitet wird, die sich in einem Selektionsprozeß in der Gesellschaft, in der er lebt, entwickelt haben und die auf diese Weise das Produkt der Erfahrung von Generationen sind“ (von Hayek 1980, S. 27). Die Konsequenzen dieser Interaktionen mit anderen Individuen gehen so weit, dass ein Individuum seinen Nutzen nicht unabhängig von dem der anderen empfinden kann (vgl. Selten 2000, S. 140). Das stellt die in ihrer Konsequenz vielleicht am weitesten reichende Kritik an den Annahmen des rational handelnden homo oeconomicus im Sinne des neoklassischen Modells dar.

37

Reziprokes Verhalten ist bereits bei Tieren zu beobachten. Clutton-Brock et al. (1999) haben durch Experimente mit Erdmännchen (Suricata suricatta, benannt durch Johann Christian Polykarp Erxleben) nachgewiesen, dass reziprokes Verhalten allen Gruppenmitgliedern und letztlich dem Individuum selbst nützt (s.a. Klaus 1999, S. 39; Meyer 1989, S. 38 f.). Experimente zeigen, dass Tiere (hier: Schimpansen) „zu Anteilnahme und [echtem] altruistischem Handeln fähig sind“ (vgl. Wandtner 2007, S. N 2). Nach Starbatty (2005, S. 21 mit weiteren Verweisen) zeigen auch Menschen empirisch mehr Gemeinsinn, als es das Prinzip der rationalen Gewinnmaximierung nahelegt. Letztlich ist auch zu fragen, ob sich kooperatives Verhalten und biologische Evolution tatsächlich widersprechen (siehe dazu einige Verweise bei Müller-Jung 2006a, S. N 1). Mit von Hayek (1980, S. 27) könnte man durchaus zu anderer Auffassung gelangen.

38

Hier wird die Funktion von Regeln (Institutionen) sichtbar, Unsicherheit zu reduzieren (siehe zu dieser Aufgabe Kiwit und Voigt 1995, S. 117).

39

Die Ursache ist in der Ungleichheit der Individuen zu sehen. Dieses Problem versuchen die Vertragstheorien durch die Annahme zu überwinden, dass gleiche (d.h. gleich gestellte, wissende usw.) Individuen unter fairen Bedingungen verhandeln. Siehe beispielsweise die Ansätze von J. Rawls (1975) oder J.M. Buchanan (verschiedene Arbeiten) sowie die Kritik hieran bei Bund (1984). Wo die Trennlinien zwischen den Gruppen verlaufen, ist indes nur zu vermuten. Den präkonstitutionellen und gleichsam präkulturellen Individuen der Vertragstheorien stehen annahmegemäß jedenfalls nicht jene ordnenden und sinnstiftenden Mechanismen zur Verfügung, wie sie unten im Zusammenhang des Menschen als Kulturwesen beschrieben werden. Dabei ist auch ein Widerspruch der Vertragstheorien zur Sichtweise von Hayeks festzustellen.

40

Vgl. Kiwit und Voigt (1995, S. 119), die hier die Terminologie von Streit in Anschluss an von Hayek aufgreifen (siehe auch Streit 1995b, S. 176-180).

41

Streit (2004, S. 225) meint unter Hinweis auf von Hayek, dass es „viele Regeln der Sitte und der Moral sowie der Gewohnheit, aber auch individuelle Erfahrungen ... erleichtern, zutreffende Erwartungen über das Verhalten anderer zu bilden“. Nach Kiwit und Voigt (1995, S. 119) ist dann nicht von Regeln zu sprechen, wenn es sich um

Endnoten zu Kapitel 2

145

rein private Normen handelt und diese von anderen nicht geteilt, also in ihrer Bedeutung verstanden und in ihrer Gültigkeit anerkannt werden. Siehe ausführlich auch Weise (1996). 42

Zur gesellschaftlichen Regelteilung siehe auch von Hayek (1969a, S. 38 f.).

43

Freilich kann das hier zugrundeliegende Verständnis von Institutionen keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, und so weist Richter (1998, S. 325) zu Recht darauf hin, dass es „[e]ine allgemein akzeptierte Definition [von Institutionen; T.W.] ... nicht [gibt]“.

44

Damit ist bereits der Kern dessen angedeutet, was später als Kultur bezeichnet wird.

45

Freilich könnte der Leser des entsprechenden Abschnitts bei Menger statt ‚Institution’ ebenso den Begriff ‚Ordnung’ assoziieren, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass später von Hayek (1969a) – gewiss auch in Kenntnis der Mengerschen Ausführungen – ebendiese Formulierungen für seine Beschreibung von spontanen und geplanten Ordnungen verwendet hat.

46

Zur Unentbehrlichkeit sowohl der organischen als auch der pragmatischen Sichtweise sozialer Erscheinungen s. Menger (1883/1969, S. 148).

47

Siehe zu dieser Unterscheidung auch Schüller (1986a; 2002c).

48

Diese werden in der neueren Institutionenökonomik als Organisationen aufgefasst und von Institutionen unterschieden.

49

Siehe zu dieser Unterscheidung auch Dietl (1993, S. 71).

50

Die Art der Entstehung von Institutionen als Unterscheidungskriterium ist nicht nur bei Dietl, sondern ebenso bei Menger, Lachmann und Vanberg von Bedeutung. Im Gegensatz dazu ist bei M. Weber die unterschiedliche Sanktionierung der Regelverletzung das Abgrenzungskriterium (vgl. Holl 2004, S. 15).

51

Damit sieht er sich in der Tradition der „Österreichischen Schule“ sowie der Freiburger und Marburger Schule der Ordnungstheorie. Zu letzterer siehe einen Überblick bei Engelhard und Geue (1999); allgemeiner auch Leipold (1975/1988).

52

Dieser Ansatz kann ebenfalls in der Tradition der „Österreichischen Schule“ sowie der deutschen Ordnungstheorie gesehen werden, auch wenn North darauf keinen direkten Bezug nimmt. Der fehlende Bezug zur Ordnungstheorie ist ein über den Ansatz von North hinausgehender Kritikpunkt an der „Neuen Institutionenökonomik“. Schüller (1999) hat systematisch beide Ansätze auf Gemeinsamkeiten und Vereinbarkeit geprüft und stellt fest, dass es sich um einander ergänzende Denkstrukturen handelt und eine gegenseitige Befruchtung für die Erklärung der Ordnungsbedingtheit menschlichen Handelns sinnvoll erscheint. Für eine Übersicht über die Theorieansätze der „Neuen Institutionenökonomik“ siehe beispielsweise Richter (1998), Opper (2001) oder Wentzel (2002).

53

Und er entfernt sich dabei vom Ausgangspunkt (s. Leipold 2000a, S. 7 f.).

146

Russlands Sonderweg der Transformation

54

Uneigennütziges Verhalten ist mit dem homo oeconomicus-Modell der Neoklassik nicht erklärbar. Freilich ist die Frage, wie eigentlich rationales menschliches Verhalten in einer Welt von Unsicherheit modelliert werden sollte, noch längst nicht geklärt (vgl. Eggertsson 1993, S. 27). Zur begrenzten Eignung der neoklassischen Rationalitätsannahme für kausale Verhaltenserklärungen siehe Horn (2005a, S. 14), hier unter Verweis auf Hans Albert.

55

Leipold (1997b, S. 400) weist darauf hin, dass daher die Begriffe Ordnung und Institution in der Literatur zuweilen synonym verwendet werden.

56

Mit dieser Annahme steht O. E. Williamson (1990) in der Tradition von Coase (1960).

57

So ist es nach North zwar möglich, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen, sichere Aussagen können jedoch nicht abgeleitet werden. Siehe dazu auch Ebrahimi (2002, S. 192); zum Begriff ‚Pfadabhängigkeit’ ausführlich Ackermann (2001).

58

Zur Erklärung mentaler Modelle s.a. Wentzel (2002, S. 17).

59

North folgt dabei Boyd und Richerson (1985, S. 2): „By ‚culture’ we mean the transmission from one generation to the next, via teaching and imitation, of knowledge, values, and other factors that influence behaviour”. Siehe dazu auch Hartig (2002, S. 21 f.).

60

Die nur begrenzte Beeinflussbarkeit informaler Institutionen führt letztlich dazu, dass auch die Möglichkeit zur Verbesserung der ökonomischen Leistung begrenzt bleibt (siehe dazu Ebrahimi 2002, S. 192).

61

Diese und weitere Arbeiten waren ein Schwerpunkt des 1993 gegründeten MaxPlanck-Instituts zur Erforschung von Wirtschaftssystemen (Jena), das nach 2000 umbenannt wurde und neue Forschungsschwerpunkte erhielt. Siehe zu diesem Abschnitt Kiwit und Voigt (1995), daneben zahlreiche weitere Arbeiten, beispielsweise Streit (1995a); Mummert (1996); Streit und Mummert (1996); Eggertsson (1998); Kasper und Streit (1998), freilich mit fallweisen Akzentuierungen.

62

Etwas unglücklich scheint indes das von Kiwit und Voigt gewählte Beispiel für selbstüberwachte Konventionen: Grammatikalische Regeln der Sprache sind im alltäglichen Gebrauch einem solchen Maße an Beliebigkeit anheimgestellt, dass von Selbstüberwachung kaum noch die Rede sein kann. Der Widerstand gegen die Rechtschreibreform spricht indes dafür, dass internen Institutionen in der Tat eine höhere Beharrungstendenz innewohnt und sie nur begrenzt durch die Setzung externer Regeln beeinflussbar sind. Die Vereinfachung der Regeln (eine wesentliche Begründung der Reform) soll den begrenzten kognitiven Fähigkeiten der Individuen Rechnung tragen. Diese sind aber letztlich auch der Grund dafür, dass die Einschränkung der Entscheidungs- und Handelnsfreiheit durch institutionelle Arrangements für die Individuen nicht immer erkennbar ist.

63

Hier weisen die Autoren auf die Unterscheidung zwischen Wert- und Zweckrationalität bei Max Weber hin. Ausführlich dazu siehe Abschnitt 2.2.3.3.

64

So hätte etwa die gesellschaftliche Norm, anderen keinen körperlichen Schaden zuzufügen, nichts mit einer gesetzlichen Vorschrift zur Bilanzierung von Unternehmen

Endnoten zu Kapitel 2

147

zu tun – eine Norm, andere nicht zu übervorteilen, könnte indes sehr wohl das Bilanzrecht stärken, aber auch schwächen. 65

Zwar ist es plausibel anzunehmen, dass der Grad des Konfliktes mit der Entfernung von den selbstbindenden hin zu den rechtlich erzwingbaren Institutionen schrittweise zunimmt (wobei der Unterschied zwischen religiös und ideologisch gebundenen Institutionen als gering einzuschätzen ist). Hierzu wird bei Leipold selbst jedoch keine Aussage getroffen.

66

Auch in diesem Verständnis werden Regeln, Institutionen und soziale Beschränkungen als synonyme Begriffe aufgefasst (Leipold 2000b, S. 405); für eine ausführliche Definition siehe Leipold (2002b, S. 23).

67

In ihnen vermutet Leipold (2002a, S. 98) das tragende Gerüst einzelner Kulturen oder Gesellschaftsordnungen.

68

Der Begriff ‚Auszahlungen’ wurde gewählt, um den materiellen Charakter herauszustellen. Wie zu zeigen sein wird, kann dem Individuum ein ‚Nutzen’ auch aus dem Verzicht auf Auszahlungen erwachsen (s. Abschnitte 2.2.3.2. und 2.2.3.3.).

69

Im Gegensatz dazu sind – allerdings seltene – Situationen denkbar, in denen uneigennütziges Verhalten die höchste Auszahlung verspricht und damit kein Konflikt zwischen „Uneigennützigkeit“ und Verfolgung des Eigeninteresses besteht. Dies führt zu den selbstbindenden Institutionen zurück.

70

Kiwit und Voigt (1995) sprechen hier von einem komplementären Verhältnis zwischen interner und externer Institution, wobei die Überwachung in diesem Fall sowohl gesellschaftlich als auch staatlich erfolgen würde.

71

Durch die reine Zweckrationalität des homo oeconomicus-Modells muss das Individuum ohne moralische Rückbindungen bei seinen Entscheidungen auskommen. Nach Blien (2002, S. 56) werden moralische Handlungen so aufgefasst, dass sie sich nach dem ökonomischen Rationalkalkül nicht lohnen. Für Philippa Foot ist es jedoch falsch, „erst willkürlich Rationalität [zu] definieren und dann [zu] fragen, wie Moralität damit vereinbar ist. Eine unmoralische Rationalität ist keine menschliche“ (zitiert nach Spaemann 2004, S. L 13). Und nach von Hayek (1983, S. 22) „können wir [unsere Moral] gar nicht rational rechtfertigen, weil wir ... nicht wissen, was sie für uns getan hat“. Watrin (2006, S. 54, Endnote XXI mit weiteren Verweisen) sieht die Lösung für das Konstrukt des homo oeconomicus in einem als ‚moralische Persönlichkeit’ handelnden ‚dispositionellen Nutzenmaximierer‘. Die Frage ist deshalb interessant, weil sie beleuchtet, welche Ursachen einem konfligierenden Verhältnis verschiedener Institutionen zugrunde liegen können.

72

Freilich kann, wie dargestellt wurde, Moral in formalen Institutionen aufgehoben sein, doch wird sie um ihrer selbst willen, nicht wegen ihrer schriftlichen Formulierung, verinnerlicht.

73

Eine Analyse ausschließlich in den Grenzen des homo oeconomicus-Modells nimmt Präferenzen ja gerade als unveränderlich und gegeben an. Sie versucht nicht, Motive einzelner Menschen zu erklären, sondern die (auch unbeabsichtigten) Folgen zu ergründen. Zur Kritik, institutionellen Wandel unter der Annahme stabiler Präferenzen

148

Russlands Sonderweg der Transformation

zu erklären, siehe beispielsweise Knight (1997, S. 21); Streit (2004, S. 226). Nach Kirsch (1993, S. 183) sind „Bedürfnisse … nicht nur der Bezugspunkt, sondern auch ein Gegenstand des ökonomischen Kalküls“ (im Original mit Hervorhebung). Kritisch zur Rationalitätsannahme des homo oeconomicus siehe auch Selten (2000), vor allem mit Beispielen für die äußere Beeinflussung von Präferenzen, für beschränkte Rationalität und ebenfalls beschränkte kognitive Fähigkeiten der Individuen. Zu den beschränkten kognitiven Fähigkeiten des Menschen siehe auch von Hayek (1972, S. 9); ebenfalls kritisch zur Rationalitätsannahme Scarabis und Florack (2006, S. 31). 74

Nach Knight (1997, S. 15) gibt es zwei konkurrierende Theorien des Handelns: „[d]ie Theorie rationaler Wahlhandlungen und die Theorie des normbestimmten Handelns“. Sie lassen sich hinter den Konzepten des homo oeconomicus und des homo sociologicus vermuten. Das Problem besteht darin, dass die Frage nicht korrekt gestellt erscheint, wenn in ökonomisch rationalen Entscheidungen auf der einen und in der Orientierung an Werten auf der anderen Seite gegensätzliche und unvereinbare Pole gesehen werden, aber ein „sowohl als auch“ ausgeschlossen wird.

75

Siebenhüner (1999, S. 453) vermutet eine genetische Veranlagung des Menschen zu nachhaltigem Verhalten und damit zur Zügelung des (kurzfristigen) Eigeninteresses, gleichwohl räumt er ein, es seien „Erziehung und Vererbung, auf denen menschliches Verhalten basiert“. Leipold (2000b, S. 416) sieht indes nur eine „geringe genetische Begabung des Menschen..., das selbstinteressierte Verhalten wechselseitig verlässlichen Bindungen oder Regeln zu unterwerfen“. Für Menger (1883/1969, S. 74) gibt es keinen Zweifel, „dass die Menschen bei ihren wirthschaftlichen Handlungen nicht ausschliesslich vom Eigennutze geleitet werden“. Bedenkenswert scheint das Modell des homo discens (des lernenden Menschen), weil es die Wahrnehmung in den Blickpunkt rückt (siehe dazu Geue 1997, S. 86-117).

76

So weist etwa Geyer, C. (2004, S. 1) darauf hin, dass auch die Neurowissenschaften trotz allen Erkenntnisfortschritts bisher kein neues Menschenbild schaffen konnten.

77

Freilich ist Wissen stets nur Vermutungswissen (Popper). Streissler (2005a, S. 8) weist darauf hin, dass das Wissensproblem bereits bei Adam Smith angelegt ist. Goethe, der mit dem Werk von A. Smith (wie auch mit dem der Physiokraten sowie mit dem der Merkantilisten, die er aber ablehnte) bekannt war und sich selbst als ‚gemäßigten Liberalen’ bezeichnete, dürfte diese Ansicht mit dem in Freundschaft verbundenen Göttinger Staatswissenschaftler und Ökonomen Georg von Sartorius geteilt haben (vgl. Binswanger 1992, S. 126 f.; auch Mahl 1982, S. 16). Wie sehr Goethes Werk von ökonomischen Fragestellungen durchdrungen ist und wie sehr er dabei durch A. Smith geprägt ist, stellen Mahl (1982) und Binswanger (1992) deutlich heraus. Sartorius, mit dem er unter anderem durch wirtschaftswissenschaftliche Rezensionen für die „Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung“ in Kontakt stand, gab eine Übersetzung von Smiths „Wohlstand der Nationen“ heraus und legte damit den Grundstein dafür, dass „die Smith-Rezeption in Deutschland ... [gleichsam] ein ‚Haupt-Geschäft’ von Goethe-Freunden“ werden konnte (vgl. Mahl 1982, S. 350). Freilich war Goethes Verhältnis zum freien Wirken der Marktkräfte durchaus ambivalent, denn er sah deutlich „die Notwendigkeit, den Egoismus von vornherein in einen ethischen Kontext hinein-

Endnoten zu Kapitel 2

149

zustellen und ihn so zu beschränken“ (Binswanger 1992, S. 126). Hierbei ging er jedoch „[m]it seinen ethischen Postulaten ... eindeutig über Adam Smith hinaus“ (S. 131). Die dogmengeschichtliche Darstellung ist hier deshalb von Interesse, weil sie die Verbreitung und Rezeption von Wissen veranschaulicht – darauf wird vor dem Hintergrund der Frage, ob Russland etwa von ökonomischem Wissen ausgeschlossen war, zurückzukommen sein (siehe Kapitel 4). 78

Siehe dazu Pribram (1992a, S. 1165): „Eine klare Definition rationalen ökonomischen Verhaltens ist ... nicht absehbar“.

79

Die Notwendigkeit wurde seit langem erkannt, so auch von Philosophen wie Kant, was Falkenburg (2004, S. 129) verdeutlicht: „Der Naturwissenschaftler Kant läßt sich ... nicht trennen vom Erkenntnistheoretiker, Metaphysiker, Moralphilosophen und Aufklärer“. Zu der Forderung nach interdisziplinärer Zusammenarbeit siehe auch Vollmer (1975, S. 2 f.); Klein (2000, S. IX); Volk (2005, S. 61); Albert (2006, S. 117). Bereits von Hayek war der Meinung, einem Ökonomen, der nur Ökonom ist, sei mit Vorsicht zu begegnen (siehe Watrin 2006, S. 50). Linke (2005, S. 204-209) weist besonders auf den Bereich der Neuroökonomie hin, die „zwischen Wirtschaftstheorie und Neurowissenschaft“ angesiedelt sei und erklären könnte, „warum das Verhalten des Menschen und seine kognitiven Schemata sehr auf Kooperation und Gerechtigkeit ausgelegt sind“ (S. 204). Die Vorteile der Interdisziplinarität hebt auch Hasenstab (1999, S. 56-63) hervor.

80

Zur Psychologie stellt Verycken (2003a, S. 5) fest: „Die Wirtschaft ist so sehr mit dem subjektiven Verhalten verwoben, dass keine einigermaßen zuverlässige Wirtschaftstheorie formuliert werden kann, ohne die Psychologie der Menschen miteinzubeziehen“.

81

Dies gilt umso mehr, als dadurch auch „liberale“ oder „sozialistische“ Menschenbilder anhand zusätzlicher Kriterien analysiert und verglichen werden könnten. Siehe zu beiden Menschenbildern auch Schüller (2000b). Zu den Vorteilen interdisziplinären Austauschs siehe auch Fukuyama (1999, S. 215 ff.). Plutta (1999, S. 239 f.) leitet die Forderung nach einer integrierenden Sichtweise aus der Interdependenz der Teilordnungen ab (siehe dazu die eingangs von Kapitel 2 getroffenen Aussagen).

82

Zum Zusammenhang von Kognition und Motivation siehe beispielsweise Meyer (2003).

83

Die Theorie, „daß alles soziale und kommunikative Verhalten des Menschen ausschließlich durch kulturelle Tradition bestimmt sei“, ist für Lorenz (1977, S. 231) durch die Verhaltensforschung widerlegt. Eine interessante Sicht dieser Frage vermittelt Hofstede (1997, S. 5) mit seinem Pyramidenmodell der „mentalen Programmierung des Menschen“. Danach bildet die menschliche Natur (universell – ererbt) die Basis, darüber ist die Kultur (gruppen- oder kategoriespezifisch – erlernt) angesiedelt. An der Spitze steht die Persönlichkeit (individuumsspezifisch – erlebt und erlernt).

84

Die „spezifische Umwelt“ bezeichnet Einflüsse, die zur Unähnlichkeit gemeinsam aufwachsender Individuen beitragen (z.B. Freunde). Einflüsse, die zur Ähnlichkeit beitragen, werden als „unspezifische Umwelt“ bezeichnet, z.B. Familie (ebenda).

150

Russlands Sonderweg der Transformation

Diese an ein- und zweieiigen Zwillingen durchgeführte Studie sollte klären, wodurch die psychischen Merkmale des Individuums beeinflusst werden. 85

Darin sieht Streissler „ein wichtiges Beispiel für eine ökonomische, also materialistische Gesellschaftsauffassung“ bei A. Smith – wie später auch bei K. Marx, der die Quellen von A. Smith und anderen Autoren genau kannte (vgl. Streissler 2005b, S. 14 und S. 34). Diese Interpretation wirkt freilich konstruiert.

86

Die Diskussion über genetische Unterschiede zwischen Individuen wird mitunter sehr wertgeladen geführt. Gegen die Überschätzung der genetischen Dimension sprechen die Ergebnisse des Klonens von Tieren, die trotz identischer Gene vom „Muttertier“ abweichende Verhaltensweisen zeigen (siehe etwa Wegner 2004b, S. 112) mit einem Beispiel.

87

‚Umwelt’ meint ausdrücklich nicht nur die Handelnsordnung aus rational gesetzten Regeln, sondern viel weitergehend auch spontan entstandene informale Regeln sowie auf tieferer Ebene Instinkte und andere Verhaltensparameter. Siehe zu Recht die Kritik an einer nur auf Gene und Umwelt (als ausschließlich rationale Regeln) beschränkten Sichtweise bei von Hayek (1996a, S. 38).

88

Siehe auch North (1994, S. 362). Lorenz (1978a, S. 195) weist zu Recht darauf hin, dass „[d]ie Ansicht, daß der Mensch seine Verhaltensweisen im wesentlichen lernen müsse“ zwar verbreitet, aber falsch sei, denn „alles, was mit der Triebausstattung zusammenhängt, [ist] in seiner Entwicklung durch Umwelteinflüsse (also auch Erziehung) so gut wie nicht zu beeinflussen“ (Lorenz 1968, S. 62 f.). Gleichwohl ist davon auszugehen, dass insbesondere die kulturellen Unterschiede durch Erziehung und Bildung vermittelt und tradiert werden. Zur „Lebenswelt als handlungsleitendes Konzept“ (für die kulturelle Umwelt im Lorenzschen Sinne; T.W.) siehe Hasenstab (1999, S. 49-55).

89

Freilich geht insbesondere die Bildung durch die Vermittlung wissenschaftlich gewonnener Erkenntnisse (Begriffe) weit über jene subjektiven Erfahrungen hinaus, die durch Eindrücke der Sinneswahrnehmung („Sensualismus“) gewonnen wurden (vgl. Meyer 2002a, S. 17 und S. 22); ähnlich bereits Böhm (1960, S. 50). Nach Spengler (1923, S. 454) geht auf den englischen Sensualismus auch der Sozialismus zurück, den er jedoch – anders als in der hier vorgenommenen Unterscheidung – wie den Buddhismus und Stoizismus als wissenschaftliche (sowie oberflächliche und „seelenlose“) Welt bezeichnet. Dass aber trotz ihres Anspruchs auch Wissenschaft nicht frei von subjektivem Wertempfinden ist, stellt Lorenz (1977, S. 291) heraus: „Auch der Wissenschaftler ist ein Kind seiner Zeit und seiner Kultur“. Ähnlich hält es Albert (1978, S. 53) für eine unleugbare Tatsache, „daß die wissenschaftliche Forschung in den Wirkungszusammenhang des sozialen Lebens eingebettet und daß diese Einbettung nicht ohne Bedeutung für die Steuerung des Erkenntnisgeschehens ist“. Nicht zuletzt aus der Evolution des menschlichen Wissens muss die Folgerung abgeleitet werden, dass nicht nur die Erkenntnisfähigkeit, sondern auch die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie einer ständigen Veränderung unterworfen sind; vgl. Vollmer

Endnoten zu Kapitel 2

151

(1975, S. 173-176). „[D]ass auch das Erkenntnisvermögen [im Laufe der Entwicklung; T.W.] geworden ist“, hat bereits Nietzsche festgestellt (zitiert nach Prossliner 1999, S. 40). 90

An dieser Stelle ist es bereits erforderlich, auf die Bedeutung der Wortsprache hinzuweisen, die es ermöglicht, Wissen vom Objekt unabhängig zu vermitteln: „[Die] Objektgebundenheit aller tierischen Traditionen ist wahrscheinlich der Grund dafür, daß sie niemals in bemerkenswerter Weise zur Anhäufung von überindividuellem Wissen geführt hat. ... Erst das begriffliche Denken und die mit ihm zugleich auftretende Wortsprache machen die Tradition vom Objekt unabhängig, indem sie das freie Symbol schaffen, das die Möglichkeit gibt, Tatsachen und Zusammenhänge ohne das konkrete Vorhandensein des Objektes weiter zu vermitteln“ (Lorenz 1977, S. 205).

91

„Subjektive Wahrnehmung bedeutet, dass gleiche Elemente der ökonomischen Umwelt von den Akteuren unterschiedlich wahrgenommen werden, da jeder von ihnen seine eigene Wahrnehmungsgeschichte hat, in die er zusätzliche Eindrücke auf seine persönliche Weise einordnet“ (Streit 2004, S. 226).

92

„[J]ene letzten gefühlsmäßigen Wertungen, die wir rational nicht begründen können und die uns doch oft mit so erstaunlicher Präzision sagen, was man als ‚anständiger Mensch’ eben gerade noch tun darf und was nicht, sie alle sind unmittelbare Funktionen von AAMs ... sie sind das unverrückbar angeborene, rational nicht begründbare und daher auch nicht zersetzbare Fundament unseres Gewissens“ (Lorenz 1968, S. 65). Und an anderer Stelle stellt Lorenz (1978b, S. 265) ergänzend fest: „Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, dass alle Antriebe und Motive menschlichen Verhaltens, die nicht dem Vorteile des Individuums, sondern dem der Gemeinschaft dienen, den spezifisch menschlichen Leistungen des begrifflichen Denkens und der verantwortlichen Moral entspringen“.

93

Mit anderen Worten: „Instinkte und AAMs sind ‚Ordnungsformeln’, diese für die Wahrnehmung (im weiteren Sinne), jene für das Handeln“ (Lorenz 1968, S. 65).

94

Siehe zu einfachen Experimenten zur Beeinflussung von Präferenzen der Individuen Müller-Jung (2006b, S. N 1); Scarabis und Florack (2006, S. 31). Demnach sind Präferenzen in der Tat beeinflussbar, wenn auch nicht beliebig schnell und weitgehend. Beeinflussungsversuche über Propaganda und Medien dürften dann am schwierigsten sein, wenn die vom Staat festgesetzten Regeln fundamentalen Bedürfnissen (Präferenzen) der Menschen widersprechen. Gerade dann ist aber das Interesse des Staates an der Beeinflussung am größten, weil jene Präferenzen der Menschen, die trotz der Beeinflussungsversuche unverändert bleiben, zu gesellschaftlichem Wandel (und Unterminierung der staatlich gesetzten Regeln) führen würden. Siehe für ein Beispiel aus der Sowjetunion zur Anpassung individueller Verhaltensweisen an staatliche Reglementierungen „Die Studie von Nowosibirsk“, hier zitiert nach ihrer (erst später bestätigten) Autorin Tatjana Saslawskaja (1984, S. A 20 f.).

95

Das Wort „wahrnehmen“ kann verstanden werden als „etwas für wahr nehmen“ in dem Sinne, dass das durch den Erkenntnisapparat vermittelte Bild eines Sinnesreizes als der Realität entsprechend empfunden wird. Freilich müsste hier stets zwischen

152

Russlands Sonderweg der Transformation

normativer und positiver Ebene unterschieden werden: Es ist eine Sache, etwas wahrzunehmen (es tatsächlich für das zu halten, was es zu sein vorgibt) und eine andere Sache, diesen Zustand als normativ gut oder schlecht zu empfinden. Lorenz (1977, S. 222) fasst diese Ebenen zusammen: „Wenige sind sich klar darüber, zu welchem hohen Grade soziale und kulturelle Faktoren diesen Apparat [der Wahrnehmung] und seine Funktion mitbestimmen und damit alles, was wir für wahr, richtig, gesichert und wirklich halten“. Zur etymologischen Bedeutung des Begriffs ‚wahrnehmen’, der auf die getroffene Unterscheidung hindeutet, siehe bereits Tetens (1777/1979, Bd. I, S. 262): „wenn sie [die Seele] nemlich einen Gegenstand nun als einen besonderen Gegenstand fasset, ihn auserkennt unter anderen, ... dann ist dasjenige vorhanden, was ein ... Gewahrnehmen ... genennt wird. Ohne Zweifel hat dieß Wort, wie fast alle übrige, ursprünglich eine viel eingeschränktere Bedeutung“. Die Konsequenz einer Fehlleistung im Prozess der Wahrnehmung bringt O. Hassenkamp auf den Punkt: „Aus Lügen, die wir glauben, werden Wahrheiten, mit denen wir leben“ (zitiert nach BeckBornholdt und Dubben 2004, S. 131). Dass der Wahrnehmung in gewissem Maße geglaubt werden muss, weil nur dadurch ein hinreichend stabiler Maßstab für die Be„wertung“ der Sinneseindrücke und die Verlässlichkeit der Wahrnehmung selbst entsteht, hat bereits Epikur (1973, S. 58) festgestellt: „Verwirfst du irgendeine Sinneswahrnehmung und unterscheidest dabei nicht zwischen dem auf Grund bloßer Erwartung nur Angenommenen und dem, was du tatsächlich wahrnehmen könntest, sowie zwischen Empfindung und Vorstellung, dann wirst du mit deiner verkehrten Meinung auch alle übrigen Sinneswahrnehmungen verwerfen und damit jedes Kriterium verlieren“. Siehe hierzu auch Endnote 156 (Epiktet). 96

So stellt Albert (2006, S. 117) zu Recht fest, „dass man bisher [in der Ökonomie; T.W.] die Bedeutung kognitiver Faktoren für die Verhaltensteuerung unterschätzt hatte“. Siehe auch Meyer (2002b).

97

Freilich weisen die ökonomische und biologische Evolutionstheorie zahlreiche Parallelen auf und haben sich gegenseitig befruchtet. So lehnen sich nicht nur Ökonomen an die Aussagen von Darwin über natürliche Prozesse an, die sie auf die Ökonomie übertragen. Wenig bekannt ist, dass Darwins Theorie der natürlichen Auslese selbst von der Lektüre von A. Smiths „Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker“ und von Robert Malthus angeregt wurde (vgl. Streissler 2005a, S. 14 mit weiteren Hinweisen); eine ähnliche Vermutung äußert bereits von Hayek (1996a, S. 39).

98

Siehe hierzu auch Lorenz (1978b, S. 274): Dummheit, die es stets zu vermeiden gelte, sei „als jene Trübung des Urteils zu definieren, die durch Überschätzung des eigenen Urteilsvermögens verursacht wird“. Zu Bescheidenheit in der Einschätzung menschlicher Erkenntnismöglichkeiten mahnt auch Popper (1992a; 1992b; 1994). Konrad Lorenz und Karl R. Popper waren seit ihrer Kindheit befreundet und haben den Austausch ihrer Gedanken gepflegt (siehe dazu Celli 2001a, S. 53 f.); ebenso war Konrad Lorenz mit Friedrich A. von Hayek befreundet (siehe von Hayek 1996a, S. 38 f.).

99

Siehe dazu auch Bouillon (2006, S. 124 f.). Ergänzend sei hier auf die Diskussion ökonomischer Erkenntnistheorien und deren politische Implikationen von Platon, Aristoteles, Th. von Aquin, J. Locke, D. Hume, I. Kant, J. St. Mill, K. R. Popper und F. A. von Hayek bei Klein (2000) verwiesen.

Endnoten zu Kapitel 2

153

100

So bei North (1988; 1992); Herrmann-Pillath (1993); Streit (2000); Storz (2002); nachdrücklich Albert (2006).

101

Zum Problem mangelnder begrifflicher Klarheit siehe Kiwit und Voigt (1995, S. 117) sowie dort den Verweis auf Ostrom (1986), die zeigt, dass die Entwicklung eines wissenschaftlichen Gebiets gehemmt wird, wenn es keine klaren und von allen geteilten Vorstellungen über den Inhalt von Begriffen gibt. Zur Bedeutung von Sprache für die Wissenschaft siehe auch Føllesdahl, Walløe und Elster (1988, S. 35 f.). Verycken (2003b, S. 5) stellt fest: „Irrtümer und Mißverständnisse entstehen, weil zwei Menschen Begriffe gebrauchen, als hätten sie eine gemeinsame Bedeutung, jeder sich aber unter einem Begriff etwas anderes vorstellt“. Ötsch (2002, S. 294) hebt die Veränderlichkeit von Begriffsinhalten im Zeitablauf hervor: „Hinter gleichen Namen und Begriffen kann sich im geschichtlichen Ablauf ein grundsätzlich anderer Sinn verbergen“. Diese zeitliche Veränderlichkeit erlangt vor allem auch dann Bedeutung, wenn auf Begriffe zum Zwecke der Herrschaftslegitimierung (beispielsweise durch die Auslegung von ideologischen oder religiösen Regeln) rekurriert wird (siehe zum Problem der Legitimierung auch den Abschnitt 3.2.1.2.). Hoppmann (1990, S. 22) stellt zutreffend fest, dass der Appell mit inhaltsleeren Worten an die moralischen Gefühle der Staatsbürger „schlicht ein Instrument motivationeller Menschenführung zur Eroberung und Erhaltung politischer Machtpositionen“ sei.

102

Unter „Apparat“ werden hier die körperlichen Einrichtungen zur Aufnahme von Informationen (Reizen) verstanden.

103

Nach Streit, Mummert und Kiwit (2004, S. 11) „bezieht sich [Kognition] auf den Prozess, wie menschliche Wesen Information aufnehmen und verarbeiten, wobei sich Rationalität als heuristisches Konzept auf die Art und Weise bezieht, in der menschliche Kognition in den Sozialwissenschaften modelliert wird“.

104

Siehe dazu Lorenz (1977, S. 18): „[U]nser Erkenntnisapparat [ist] selbst ein Ding der realen Wirklichkeit ..., das in ‚Auseinandersetzung mit’ und in ‚Anpassung an’ ebenso wirkliche Dinge seine gegenwärtige Form erhalten hat“. Ähnlich Streit, Mummert und Kiwit (2004, S. 11): „Wegen der Informationskosten und der begrenzten menschlichen Fähigkeit, Informationen wahrzunehmen und zu verarbeiten, erleichtern Institutionen Kognitionsprozesse. Jedoch als Teil der kulturellen Umwelt beeinflussen sie auch die Wahrnehmung von Information durch das Individuum“. Es gelte nach Albert (1994, S. 29), sich der Erkenntnistheorie zuzuwenden, weil wir „keinen Grund mehr [haben] anzunehmen, daß wir in der Lage sind, in irgend einem Bereich des sozialen Lebens vollkommene Problemlösungen zu finden“. Aufschlussreich hierzu ist auch der Band „Evolutionäre Erkenntnistheorie“ von Vollmer (1975). Für eine stärkere Beachtung kultureller Aspekte der Wahrnehmung sprechen sich bereits Frijda und Jahoda (1966, S. 124) aus.

105

Zum Erkenntnisapparat sowie zum Erkenntnisbegriff und zur Erkenntnis siehe auch Meyer (2002b, S. 5-8).

106

Nach Popper (1994, S. 421 ff.) sind mit der Erkenntnistheorie zwei grundlegende Probleme verbunden: das Induktionsproblem (Problem der Bildung allgemeiner Sätze

154

Russlands Sonderweg der Transformation

aus nur einzelnen beobachtbaren Ereignissen) und das – für ihn interessantere – Abgrenzungsproblem (Problem der Unterscheidung wissenschaftlicher Sätze von ‚nur’ metaphysischen Behauptungen). 107

Nach Lorenz (1977, S. 18) sehen wir durch die ‚Brillen’ unserer Denk- und Anschauungsformen nicht eine unvoraussagbare Verzerrung des An-sich-Seienden, sondern ein wirkliches – aber vereinfachtes – Bild desselben. Nach Verycken (2003b, S. 8) ist alles, „[w]as wir in Wirklichkeit sehen, … im Grunde eine Illusion, wenn auch eine für pragmatische Zwecke nützliche und praktische Illusion“. Und Tetens (1777/1979, Bd. I, S. 427) stellt fest: „Jedwede Erkenntniß ist als Erkenntniß ein Werk der Denkkraft“. Zur Beschreibung der wahrgenommenen Wirklichkeit meint Popper (1994, S. 398): „[J]ede noch so genaue Beschreibung der Wirklichkeit [läßt] einen Spielraum ...; wir können hinzufügen, daß dieser Spielraum durch eine noch so genaue Beschreibung nie merklich verkleinert werden kann“ (s.a. Vollmer 1975, S. 25-56).

108

„All unsere Handlungen setzen Glaubensannahmen über Relationen in der Welt und unseren Platz darin voraus“ (Føllesdahl, Walløe und Elster 1988, S. 32). Papst Benedikt XVI. (2006, S. 8) drückt dies so aus: „Das Ethos der Wissenschaftlichkeit ist im übrigen Wille zum Gehorsam gegenüber der Wahrheit und insofern Ausdruck einer Grundhaltung, die zu den Grundentscheiden des Christlichen gehört“. Damit bietet er einen Ansatz, mit dem nach der Säkularisierung Wissenschaft und religiöse Werte künftig als komplementär betrachtet und entwickelt werden können – ohne den Alleinvertretungsanspruch der Vergangenheit.

109

Siehe dazu auch Dietz (2002, S. 46-49) über „[d]ie Fehlbarkeit empirischen Wissens und die Unfehlbarkeit bewußter Erlebnisse“.

110

Allerdings besteht das Problem, dass darin weder eine Aussage über den Wahrheitsgehalt der Theorie über die Wirklichkeit noch über den Wahrheitsgehalt der Theorie über die Glaubensannahmen enthalten ist, beide Theorien mithin falsch sein könnten; vgl. Meyer (2002a, S. 24). „Kulturwissenschaftlich definierte Sozialwissenschaften“, die „sich vorrangig mit kollektiven Sinnsystemen“ beschäftigen, kritisieren die Korrespondenztheorie „[i]m Bereich der Erkenntnistheorie“, weil „[s]ozialwissenschaftliche Modelle ... nicht mit ‚Tatsachen’ [‚korrespondieren’ würden] (wie es das Ökonometrie-Programm der Ökonomie suggeriert), sondern [sie] produzieren theoretische Bedeutungen auf durchaus kontingente Art“. Damit würde sich das Interesse vom Verhältnis zwischen Theorie und Welt zu der Frage verschieben, wie die „Theorien dazu kommen, bestimmte begriffliche Unterscheidungen zu treffen und somit Zusammenhänge für wirklich zu halten“. Wissenschaftliche Theorien wären mithin zunehmend mehr oder weniger brauchbare heuristische Werkzeuge; siehe Ötsch (2002, S. 283) mit weiteren Verweisen. Siehe dazu auch Endnote 142.

111

Zu den mit der Sprache verbundenen Problemen von Begriffen und ihrem Verständnis siehe oben Endnote 101.

112

Diesen Zusammenhang von Wahrnehmungen und Denken stellt bereits Hume (1888, S. 31) heraus: „[A]ller Stoff des Denkens ist von äußeren und inneren Wahrnehmungen abgeleitet; nur die Mischung und Verbindung gehört dem Geist und dem Willen“.

Endnoten zu Kapitel 2

155

113

Siehe hierzu auch Herkner (1983, S. 47): „Wenn ein Organismus Unkontrollierbarkeit erlebt, gerät er in den Zustand der ‚gelernten Hilflosigkeit’, der sich in Passivität (Motivationsdefizit) ... äußert“. Möglicherweise empfinden wir „[d]ie Eingriffe der Zwangsgewalt ... in unser Leben ... [deshalb dann] am störendsten, wenn wir sie weder vermeiden noch voraussehen können“ (von Hayek 1971b, S. 172). In Ermangelung einer physischen Exit-Möglichkeit könnte eine Anpassung der Individuen darin bestehen, dass sie gleichsam in die „innere Emigration“ gehen und nach Schlupflöchern suchen, um dem (Leistungs-)Druck zu entgehen.

114

Zur Bedeutung des Lernens siehe auch Geue (1997, S. 117-139).

115

„Wir Menschen sind dafür geschaffen, Muster zu sehen. Deshalb sieht der Zufall für uns nach Ordnung aus“ (Kahneman, zitiert nach Wegner 2004a, S. 119).

116

Eine Reihe damit verbundener Probleme beleuchtet von Hayek (1952/1963), dem Beiträge von Konrad Lorenz zur evolutionären Erkenntnistheorie bekannt sind (s. z.B. Klein 2000, S. 289). Hervorzuheben ist zunächst die inhaltliche Nähe zu Lorenz, dessen Aufsatz ‚Die angeborenen Formen möglicher Erfahrung’ (1943) von Hayek (1952/1963) zitiert. Daneben finden sich einige dem Ökonomen aus der Lektüre von Hayeks bekannte Begriffe wie ‚pattern matching’ (Mustererkennung) oder ‚Taxis’ auch bei Lorenz (1968; 1977). Es ist das Verdienst von Streit (1995b; 2000; 2003), immer wieder auf die Bedeutung der ‚Sensory Order’ von Hayeks (1952/1963), auf das Wahrnehmungs- und Wissensproblem für die Ordnungsökonomik hinzuweisen und mit der Übersetzung ins Deutsche die Voraussetzung für eine breitere Beachtung in Deutschland zu schaffen (von Hayek 2006). Dass von Hayek (1952/1963) auf den 1943 entstandenen Aufsatz von Lorenz Bezug nimmt, mag Indiz dafür sein, dass die Lorenz unterstellte Nähe zum Regime bis 1945 nicht in allzu starkem Maße bestanden hat. Zu diesem Ergebnis kommt Celli (2001b, S. 57-62) nach eingehender kritischer Würdigung von Lorenz’ Werk. Allerdings hat die Universität Salzburg Lorenz Ende 2015 die Ehrendoktorwürde aberkannt, die sie ihm 1983 verliehen hatte (siehe kritisch zur Aberkennung Bahners 2015, S. 9; Taschwer 2015, S. N 4).

117

Goethe (1808b, S. 548) bringt die Aussage auf den Punkt: „Das Höchste wäre: zu begreifen, dass alles Faktische schon Theorie ist“ (ähnlich auch zitiert bei von Hayek 1967). Siehe auch Smith, V. (2003, S. 68): „Die Wahrnehmung beruht ... auf der Wechselwirkung zwischen momentanen Reizen und Erfahrungen, die in der Vergangenheit in ähnlichen Umständen gemacht wurden“. Interessant ist die Feststellung von Klumbies, dass „[d]ie Übereinstimmung zwischen Natur und Vernunft … nicht dadurch zustande[kommt], daß es in der Natur vernünftig zugeht, sondern in der Vernunft natürlich“ (zitiert nach Vollmer 1975, S. 118).

118

Streit weist an gleicher Stelle darauf hin, dass von Hayek hier (ebenso wie Lorenz; T.W.) „sich im Ergebnis wohl zu Recht in Übereinstimmung mit Popper (und dann auch mit Kant) [vermutete]“.

119

Siehe zur Kritik des Modells ebenfalls Pappi (1996, S. 238 f.); Dopfer (2003, S. 104).

156

Russlands Sonderweg der Transformation

120

Allerdings sind Abstraktionen als Produkt des Geistes und nicht der Sprache viel älter als letztere (siehe von Hayek 1980, S. 109).

121

„Wort und Sprache sind … das unentbehrliche Mittel zum deutlichen Denken“ (Schopenhauer 2003, S. 4). Wie sehr Sprache und Erkenntnis verbunden sind, stellt Ludwig Wittgenstein heraus: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ (zitiert nach Beck-Bornholdt und Dubben 2004, S. 158). Zum Verhältnis von Wirklichkeit, Sprache und Denken siehe die sehr erhellenden Ausführungen von Vollmer (1975, S. 138-157) mit zahlreichen Quellen. Freilich wird es damit auch möglich zu lügen. Das kann für das Individuum trotz offenkundiger Diskrepanz zwischen ‚Wahrnehmung’ und Aussage jedenfalls solange rational sein, wie es nicht selbst von seiner eigenen Lüge getäuscht wird (vgl. Dietz 2002, S. 18). Und Orth (1988, S. 7) ergänzt: „Von Wirklichkeit können wir nur innerhalb der Möglichkeiten eines indirekten und komplexen Zeichengebrauchs sprechen, d.h. in den Grenzen der Sprache“. Zum engen Zusammenhang von Sprache und Erkenntnis siehe auch Trabant (2003) sowie Linke (2005, S. 206 f.): Von direktem Kontakt über Sprache und Schrift sei für den globalen Zusammenhalt die Deklaration der Menschenrechte entstanden, die „über die bloße Funktion der Sprache hinaus[ragt]“. Darin ist zumindest ein Ansatz für die Überwindung des Dualismus zwischen Binnen- und Außenmoral (Leipold 2000b) erkennbar, da in ihm evolutionsbiologisch betrachtet ein Mechanismus für das Zusammenleben immer größerer Gruppen angelegt ist.

122

Siehe auch dazu Lorenz (1977, S. 220, sowie 1978c, S. 173): „Die Systeme sozialer Normen, die wir Kulturen nennen, sind ... nicht im eigentlichen Sinne Menschenwerk, sind nicht Erfindungen des Menschen ... Wir sind daher nicht ohne weiteres imstande, über Wert oder Unwert bestimmter kulturell ritualisierter Verhaltensnormen zu urteilen“. Zu ähnlichen Aussagen gelangten bereits Spengler (1923, S. 442 f.) und Sombart (1930/1967, S. 83). Das ändert freilich nichts, wie Willgerodt (2009, S. 12) feststellt, an der empirisch beobachtbaren Tatsache, dass „Menschen für Werte und Unwerte aller Art“ leben. Verycken (2003c, S. 7) stellt fest, dass es „[f]ür einen Wert ... keinen anderen Beweis [gibt], als unser subjektives Wertbewußtsein“. So habe es auch „Gerechtigkeit an sich“ nie gegeben, denn „[a]lles Recht beruhte ... stets nur auf einer Übereinkunft von Menschen, die sich in jeweils verschieden großen Räumen zusammenschlossen und … einigten, daß keiner dem anderen Schaden zufügen oder von ihm erleiden soll“; Epikur (1973, S. 61), der damit Platons Ideenlehre widerspricht. Es gibt, wie von Hayek (1996a, S. 60) feststellt, kein ‚natürliches Gutes’, das ohne kulturellen Einfluss bestehen könnte, „weil der Mensch mit seinen angeborenen Instinkten niemals eine Zivilisation hätte aufbauen können“. Freilich sind auch innerhalb einer Kultur – sehr langfristig – Änderungen der Moralvorstellungen möglich: „Die größte Schwäche der älteren Propheten ... war ihr Glaube, daß die intuitiv erkannten ethischen Werte ... unveränderlich und ewig seien“ (von Hayek 2003, S. 473; ähnlich schon 1972, S. 31 f. sowie 1996a, S. 57). Allerdings geht Höffe (2001, S. 9 ff. und S. 70 ff.) wohl zu Recht davon aus, dass auch über Kulturgrenzen hinweg gleiche Werte existieren, beispielsweise die Bestrafung von Mord, Raub, Diebstahl usw. Mit Blick

Endnoten zu Kapitel 2

157

auf die Freiheit stellt Di Fabio (2005, S. 75) fest, dass diese ebenfalls kulturgebunden sei. Dass in dem für ‚wahr’ Erachteten neben Unterschieden zwischen den Kulturen auch Unterschiede innerhalb einer Kultur denkbar sind, lässt die These von Simone de Beauvoir vermuten: „Die Frau denkt nicht eigentlich, daß die Wahrheit etwas anderes ist, als was die Männer behaupten. Sie denkt eher, dass es keine Wahrheit gibt“ (zitiert nach Roth, B. 1995, S. 146). Eine Begründung unterschiedlicher Wahrnehmung durch Unterschiede bzw. Schwankungen des Hormonspiegels bietet Wandtner (2005, S. 37). Diese Randbemerkung mag ein Hinweis darauf sein, wie vielfältig die individuelle Wahrnehmung und in ihrer Folge das Handeln beeinflusst sein kann. 123

Das Konfliktpotential zwischen genetisch ererbten, tradierten und bewusst angenommenen Regeln beschreibt ausführlich von Hayek (1996a, S. 48). Besonders interessant erscheint auch seine Feststellung, dass die Gesellschaftsordnungen den Menschen prägen: Dieser Gedanke wird im Zusammenhang mit autokratischen Systemen vertieft werden (siehe unten den Abschnitt 3.2.1.).

124

Siehe ausführlich Lorenz (1978c, S. 171); ähnlich von Hayek (1980, S. 108; 1996a, S. 59); Hoppmann (1991, S. 11).

125

Informale Institutionen werden den formalen dann angepasst, wenn der vom Individuum erwartete Nutzen die Kosten der Beibehaltung übersteigt (vgl. Mummert 1996, S. 91). Wie noch zu zeigen sein wird, können dem Individuum neben den Kosten, die aus der Beachtung der einen oder anderen Regel entstehen, auch durch den Akt der Regelverletzung an sich „Kosten“ entstehen; sie können so – prohibitiv – hoch sein, dass de facto kein Spielraum für eine Regelwahl besteht.

126

Siehe etwa Alibek und Handelman (1999, S. 352): „…was in Rußland wirklich vonnöten ist, ist eine moralische Reform, und bevor dies nicht geschieht, gibt es in Rußland auch keinen Wandel“ – jedenfalls keinen hin zu einer offenen und freiheitlichen Ordnung.

127

Für sie gilt, ebenso wie für die destabilisierend wirkenden Faktoren der kulturellen Entwicklung, dass sie in einem konfligierenden Verhältnis zur genetischen Entwicklung stehen können.

128

Siehe dazu sowie zu weiteren wesentlichen Leistungen Lorenz (1977, S. 261). Siehe auch Meyer (1989, S. 38 ff.).

129

Hierdurch entsteht für die Individuen jenes „beruhigende Gefühl der Sicherheit, das weit mehr bedeutet als ein bloßes Beseitigen der Angst“ (Lorenz 1977, S. 250).

130

Um das unterschiedliche Verhalten zwischen den Gesellschaftsklassen zu verdeutlichen, verweist Lorenz (1977, S. 274) auf die Behandlung von Gefangenen im Mittelalter: „Besiegte ... Ritter wurden wie liebe Gäste, gefangenes Fußvolk wie Vieh behandelt“. Die russische Geschichte weist ebenfalls eine Reihe solcher Beispiele auf: Der Einzelne – zumal in den unteren Schichten – galt den Herrschenden nie besonders viel – von Zeiten der Zaren (die „Potemkinschen Dörfer“ mögen eine Verdeutlichung dessen sein) über die vorgeblich klassenlose Sowjetunion mit ihren grund- und haltlosen Vertreibungen und Bestrafungen bis in die jüngste Zeit, in der einige Wenige

158

Russlands Sonderweg der Transformation

ihre machtpolitischen und finanziellen Interessen so rücksichtslos verfolgen, dass die Nichtprivilegierten an den Rand der Existenz gedrängt werden. Es scheint geradezu, als sei der große Unterschied zwischen dem kleinen Kreis derer, die Macht und Geld besitzen, und jenen, die vom Zugang dazu ausgeschlossen sind, eine der wenigen und wichtigsten Konstanten, die sich durch die gesamte russische Geschichte ziehen. 131

Siehe oben (Abschnitt 2.2.2.5.). Dass dieses Problem überhaupt besteht, liegt für W. Marx (2003, S. 6) daran, dass mit der Erhaltung des Eigenen immer auch die Abwehr von Fremdem verbunden sei. Ähnlich auch von Hayek (1996a, S. 65): „Für die Wissenschaft der Anthropologie mögen alle Kulturen und Moralauffassungen gleich gut sein, aber zur Aufrechterhaltung unserer Gesellschaftsordnung müssen wir die anderen als weniger gut ansehen“.

132

In der „Theorie der ethischen Gefühle“ beschreibt Smith, A. (1759/1994), dass Menschen etwas am Glück anderer liegt, ohne dass sie selbst einen materiellen Vorteil davon hätten. In der „Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Völker“ (in anderen Übersetzungen verbreitet als „Wohlstand der Nationen“ bezeichnet) beschreibt Smith, A. (1776/2005) hingegen, dass das Wohlergehen aller eine Folge des Gewinnstrebens des Einzelnen ist. Siehe dazu auch den erhellenden Beitrag von Meyer (2000). Habermann (2002, S. 181, Fn. 8) stellt fest, dass „[d]ie Auffassung, zwischen Smiths Moralphilosophie und seiner Markttheorie bestehe eine erklärungsbedürftige Lücke, ... unhaltbar [ist]“. Siehe dazu auch Neuhoff (2009).

133

Für eine Definition und ausführliche Analyse des Begriffs ‚Gefühle’ (‚Emotions’) siehe Frijda (1999).

134

Popper (1984, S. 172) weist darauf hin, dass „[n]ichts ... gefährlicher [ist] als die Zerstörung dieses [moralischen] Rahmens, dieser Tradition“ (im Original mit Hervorhebungen). Die Aussagen stehen auch in inhaltlicher Übereinstimmung mit von Hayek.

135

Nach Lorenz (1977, S. 255) ist eine „gesetzmäßige Ahnenverehrung beim Menschen … [stammesgeschichtlich] programmiert. Kein Wunder, dass sich Ahnenkult bei sehr verschiedenen Völkern in nahezu gleicher Ausbildung vorfindet. Wie die Verehrung für die – oft sogar zu Göttern erhobenen – Ahnen mit dem Maße der verflossenen Zeit zunimmt, so wächst auch die Achtung für tradierte Verhaltensweisen mit deren Alter: Je weiter ihr Ursprung in das Dunkel der Vergangenheit entgleitet, desto mehr nehmen sie den Charakter des Heiligen an, dessen Verletzung oder Durchbrechung Sünde ist und Gefühle von Angst und Schuld erweckt“. Zutreffend weist Leipold (1997b, S. 408) auf die Kehrseite dessen hin: Hierarchien, die durch das Gruppenwachstum in ursprünglichen Stammesgesellschaften entstehen, werden von den an der Spitze Stehenden dadurch gefestigt und legitimiert, dass sie sich in die Nähe der verehrten Gottheiten stellen. Daraus können autokratische und despotische Systeme erwachsen, was gegenwärtige autokratische Staatsformen ausdrücklich mit einschließt.

136

„Es gibt keinen anderen Weg zum Verständnis sozialer Prozesse und Gebilde als den über das Handeln der Einzelnen.“ (Erich Hoppmann, zitiert nach Schüller 1994, S. 167).

Endnoten zu Kapitel 2

159

137

Dies gilt sowohl hinsichtlich individueller als auch gesellschaftlich geteilter Präferenzen (vgl. Siegenthaler 1993, S. 27; s.a. Ötsch 2002, S. 287).

138

Einige Autoren sprechen statt von ‚Internalisierung’ von ‚Verinnerlichung’ der Regeln (Institutionen); z.B. Burr (1998, S. 325); Weise (1996, S. 202). Vgl. auch Fukuyama (1995b, S. 67) mit einem Beispiel.

139

Dass auch kognitive Modelle internalisiert werden, stellen Streit, Mummert und Kiwit (2004, S. 11 mit weiteren Verweisen) heraus: „Von den kognitiven Modellen wird angenommen, dass sie durch den Prozess der Sozialisation beeinflusst werden. Während des Prozesses der Sozialisation werden sie internalisiert, d.h. externe Durchsetzungsmechanismen werden zunehmend durch interne ergänzt“. Zur Internalisierung von Werten siehe auch Fukuyama (1995b, S. 67).

140

Siehe zum Begriff und zu den Arten von Rationalität sowie zu damit verbundenen Erkenntnisproblemen auch ausführlich Meyer (2002b, S. 179-190).

141

Würde man dies mit ökonomischer Zweckrationalität gleichsetzen, unterzöge man Werte einer ökonomischen Analyse (mit den entsprechenden Problemen und Begrenzungen der Erkenntnismöglichkeiten).

142

Weiterhin besteht das Problem, dass selbst ein logischer Schluss von plausiblen Annahmen auf bestimmte Ergebnisse allenfalls die „Anwendung ... [von] Hypothesen auf eine vereinfachte Anwendungssituation“ darstellt, was „weder die Wahrheit der Prämissen noch die Wahrheit der Konklusion [garantiert]“ (Meyer 2002a, S. 24). Für Kotarbinski (2007, S. 2) hängt die Logik unmittelbar mit der Erkenntnistheorie (und anderem, z.B. mit der Sprache) zusammen. Die unterschiedliche Erkenntnisfähigkeit könnte also durch subjektiv abweichende Wahrnehmungen durchaus zu unterschiedlichen logischen Schlüssen führen. Siehe dazu auch Vollmer (1975, S. 4 f.).

143

Nach von Hayek (1996a, S. 42) hat allerdings „das, was wir kulturelle Evolution nennen, innerhalb der allerletzten Phase der Entwicklung der Spezies Homo Sapiens stattgefunden ..., also innerhalb von etwa einem Prozent ihrer gesamten Entwicklungszeit“.

144

Zu ergänzen wäre, dass auch das Problem der Zeitpräferenz (intertemporale Bedürfnisentfaltung) berücksichtigt werden muss.

145

Siegenthaler (1993, S. 26) hält es „aus heuristischen Gründen für zweckmäßig, Präferenzen und internalisierte Zwänge begrifflich auseinanderzuhalten“. Auch lasse sich das Kosten-Nutzen-Kalkül nicht auf internalisierte Normen anwenden, auf sie passe die Rationalitätsmaxime des ökonomischen Handlungsmodells nicht. Kritisch zur ökonomischen Rationalitätsannahme auch Pappi (1996, S. 239); Knight (1997, S. 16); Watrin (2005, S. 78); Scarabis und Florack (2006, S. 31).

146

Nach Festinger (1957/1978, S. 42) besteht die Theorie der kognitiven Dissonanz aus drei zentralen Thesen: „1. Es kann zwischen kognitiven Elementen Dissonanz oder ‚nicht passende’ Beziehungen geben. 2. Die Existenz von Dissonanz erzeugt einen Druck zur Reduktion der Dissonanz und zur Vermeidung der Dissonanzzunahme. 3.

160

Russlands Sonderweg der Transformation

Die Wirkungsweise dieses Drucks manifestiert sich in Verhaltensänderungen, Änderungen von Kognitionen und der Vorsicht bei der Konfrontierung mit neuen Informationen und neuen Meinungen“. 147

Siehe zur Dissonanz auch Festinger (1957/1978, S. 30): „Je größer die Dissonanz ist, desto größer wird die auf die Reduktion der Dissonanz gerichtete Intensität einer Handlung sein, und desto wahrscheinlicher werden Situationen vermieden, welche die Dissonanz erhöhen würden“.

148

Beispielsweise durch die menschliche Kreativität: „Kognition ist nicht nur ein Prozess des Aufsuchens neuer Informationen über Veränderungen der Umwelt. Es ist auch ein Prozess, in dem neue Handlungsgelegenheiten geschaffen werden“ (Streit, Mummert und Kiwit 2004, S. 13 mit weiteren Verweisen).

149

„In Situationen erzwungener Einwilligung wird Personen ein Verhalten oktroyiert, das im Widerspruch zu ihren Einstellungen steht, so daß daraus kognitive Dissonanzen resultieren“ (ebenda, S. 89).

150

Bereits Smith, A. (1759/1994, S. 1) stellt fest, „[d]aß wir oft darum Kummer empfinden, weil andere Menschen von Kummer erfüllt sind“.

151

Hofstede (1997, S. 91) nennt als Beispiel für eine kollektivistische Gesellschaft Russland.

152

Dies gilt für Konsistenztheorien (vgl. Mummert 1996, S. 90). Zu ihnen gehört auch die Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger (1957/1978).

153

Ähnlich Føllesdahl, Walløe und Elster (1988, S. 25): „Eine jede unserer Handlungen wird, insofern sie von unseren Überzeugungen und Einstellungen abweicht, im allgemeinen eine entsprechende Änderung eben dieser Einstellungen mit sich bringen“. Freilich stellen Ajzen und Fishbein (1980, S. 23) fest, dass dies zwar zum Verständnis des Problems, nicht aber zur Erklärung der Inkonsistenz zwischen Verhalten und Einstellungen beitragen würde.

154

Beispielsweise wenn bei fehlendem Rechtsstaat zu Unrecht Verurteilte gesellschaftlich geächtet werden. Meyer (2000, S. 153) verwendet diese Aussage unter Verweis auf Føllesdahl, Walløe und Elster (1988, S. 24). Dort wird ihr Ursprung Tacitus zugeschrieben, ohne jedoch die Fundstelle bei Tacitus zu bezeichnen. In ‚Agricola’ schreibt Tacitus (o.J., S. 65 – zugrunde liegt die Übersetzung von Bötticher): „Es ist der menschlichen Natur eigen, den, welchen man beleidigt hat, auch zu hassen“. Die Übersetzung von Büchner verwendet folgende Formulierung: „Es ist der menschlichen Anlage eigentümlich, zu hassen, wen man verletzt“; Tacitus (1963, S. 117). Die oben wiedergegebene Interpretation, „beleidigen“ oder „verletzen“ als „Unrecht“ zu verstehen, ist also durchaus legitim. Im Übrigen war es wohl die Absicht von Tacitus, damit auf das Problem der Übertragung aller Macht auf eine Person (den Kaiser) hinzuweisen. Dies führe zwangsläufig zu schlechten Charakteren und Fehlverhalten der Alleinherrscher, was er am Beispiel des Kaisers Domitian und dem Schicksal seines Feldherrn Agricola verdeutlichen will. Deren Konflikt spiegelt aber nicht nur „den dem Prinzipat von jeher anhaftenden Widerspruch von freiheitlich-republikanischer

Endnoten zu Kapitel 2

161

Fassade und sorglich abgesicherter Machtausübung durch den Princeps“ wider; Heubner (1984, S. 141 f.). Vielmehr ist die Übertragung der gesamten Macht auf eine Person für Tacitus die wichtigste Ursache für die Probleme seiner Zeit. ‚Macht’ kann hier verstanden werden im Sinne von M. Weber (1964a, S. 38) als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. Zwang versteht von Hayek (1971b, S. 27) deshalb auch so, dass jemand „nicht nach seinem eigenen zusammenhängenden Plan, sondern im Dienste der Zwecke des anderen handeln muß“. Dass in die Nutzenfunktion eines Individuums auch die Auszahlungen anderer Individuen eingehen, belegt Selten (2000) an verschiedenen Beispielen. 155

Sobald eine Ursache erkannt wird, die nicht im Individuum selbst liegt, sondern außerhalb, entsteht keine Dissonanz.

156

Dies war bereits im antiken Griechenland (ca. 100 n. Chr.) bekannt, denn Epiktet (1984, S. 24) stellt fest: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von den Dingen ... Wenn wir also bedrängt, unruhig oder betrübt sind, wollen wir die Ursache nicht in etwas anderem suchen, sondern in uns, das heißt in unseren Vorstellungen“. Diese Aussage enthält nichts anderes als die Forderung, erstens die Ursache einer Dissonanz sich selbst zuzuschreiben und zweitens seine Wahrnehmung so zu ändern, dass sie nicht mehr als Dissonanz erscheint, mithin überwunden wird.

157

Die Darstellung folgt dabei Irle (1975).

158

Vgl. Festinger (1957/1978, S. 33 f.), der am Beispiel eines Rauchers darstellt, dass dieser zwar Forschungsergebnisse zur Unbedenklichkeit des Rauchens lesen, kritische Berichte mit Darstellungen schädlicher Folgen aber meiden würde.

159

„[M]it dieser ‚intrinsischen Motivation’ muss sich die Ökonomie vermehrt befassen, wenn sie realitätsnäher werden will“ (Frey, B. 2001, S. 11). Deshalb ist, wie Frey, B. (2002, S. 372) feststellt, „die Entwicklung der Ökonomik in Richtung intrinsischer Anreize fruchtbar. Die Zukunft dürfte deshalb in einer motivations- und prozessorientierten Institutionenökonomik liegen“. Ähnlich argumentiert W. Marx (2003, S. 6): „Verhalten wird ... nicht durch Wissen ausgelöst oder verhindert, sondern durch Motive. Motive aber sind durch Wissen nur beschränkt beeinflußbar. Vielmehr ist es umgekehrt so, dass Motive bestimmen, wie wir unser Wissen bewerten und wofür wir es einsetzen“. Zum Zusammenhang von Wissen und Handeln bei von Hayek siehe auch Bouillon (2006, S. 124).

160

Frey, B. (2001, S. 11) unterscheidet drei Ausformungen intrinsischer Motivation, die darin bestehen, dass die Tätigkeit selbst dem Individuum Vergnügen bereitet, dass ein selbst gesetztes Ziel erreicht werden soll oder dass Normen um ihrer selbst willen eingehalten werden. In dem hier untersuchten Zusammenhang ist vor allem der letzte Aspekt von Interesse.

161

Bereits Olson (1968, S. 59) stellt fest, „daß soziale Anreize ungefähr so wie finanzielle Anreize behandelt werden müssen“.

162

Russlands Sonderweg der Transformation

162

Zur Unterscheidung von Wert- und Zweckrationalität sowie zum Unterschied zwischen objektiver und subjektiver (d.h. begrenzter) Zweckrationalität s.a. Streit (1991, S. 230 ff.).

163

Dies stützt die im vorhergehenden Abschnitt im Zusammenhang mit dem begrifflichen Denken und davon unabhängigen Wahrnehmungsleistungen getroffenen Aussagen; siehe hierzu auch Lorenz (1977). An anderer Stelle hält Lorenz (1978d, S. 33) es grundsätzlich für „fraglich, ob es beim Menschen ein ‚rein’ zweckgerichtetes Verhalten überhaupt gibt“. So gehe auch M. Weber davon aus, daß die „Rationalität [von Sitten und ähnlichen Institutionen; T.W.] ... nicht von den Motiven zu entsprechenden Zwecken [führt], sondern ... gerade darin [besteht], die Motive von den Zwecken zu trennen“ (Zöller 2005, S. 13).

164

Zu Recht kritisch hierzu äußert sich von Hayek (1975b, S. 28, Fußnote 4), der die Trennschärfe zwischen Wert- und Zweckrationalität bei M. Weber als zu gering ansieht, „weil für ihn [M. Weber; T.W.] die Werte bald nur zu Zielen des rationalen Handelns werden anstatt als jene das Handeln beherrschenden Regeln behandelt zu werden“. Siehe hierzu auch Streit (1995b, S. 181, Fußnote 26). Doch soll die Trennung zwischen Wert- und Zweckrationalität an dieser Stelle aus analytischen Gründen beibehalten werden.

165

Allerdings geht Leipold davon aus, dass stets auch Vernunft eine Rolle bei der Bildung dieser Institutionen spielt. Die Darstellung der Ordnungsfaktoren in Anlehnung an Lorenz (1943; 1968; 1977; 1978a; 1978b; 1978c; 1978d) sollte zeigen, dass menschliches Verhalten jedoch nicht unerheblich auch durch Faktoren beeinflusst wird, die jenseits der Grenze menschlicher Vernunft wirksam werden.

166

So beispielsweise bei der Privatisierung der staatlichen Unternehmen in Russland, wo neben oft massiven Rechtsverletzungen auch – nicht zuletzt zurückzuführen auf noch unvollständige oder fehlende Gesetze – Fälle gleichsam rechtlich legalen Handelns vorkamen, die in deutlichem Widerspruch zu moralischen Grundsätzen standen.

167

Siehe hierzu die Institutionentypen von Leipold unter Punkt 2.2.2.5.

168

Siehe dazu nochmals Buchanan (1981, S. 47 f.): „Die Institutionen, die Ausdruck der sozialistischen Experimente dieses Jahrhunderts sind, sind nachweisliche Mißerfolge, weil ihre Schöpfer die durch die Natur des Menschen gesetzten Grenzen ignoriert haben“. Die Betonung dieses Aspekts soll indes nicht den Blick darauf verstellen, dass das Scheitern der sozialistischen Systeme auch in ihrer eigenen ökonomischen Rationalität begründet lag und mit dem Handeln von Personen sowie in deren Dreiklang mit Institutionen und Traditionen (Popper) zu verorten ist.

169

Hier sei auf eine Übersicht zu ähnlicher Problematik bei Grunwald (1980, S. 282) hingewiesen, die dieser aus anderer Quelle (Milbreth und Goel) übernommen und übersetzt hat. Eine Übersicht, die die Wahrnehmung in die Darstellung mit aufnimmt, findet sich im Schaubild zu „erklärungsbedürftigen Elementen des Systemwettbewerbs“ bei Streit (1995c, S. 134).

Endnoten zu Kapitel 2

163

170

Gemeint sind Situationen, in denen durch Institutionen ein Handeln erzeugt werden muss, welches aufgrund der Bedürfnisse oder Motive der Individuen sonst nicht zustande käme.

171

Zu beachten ist, dass nicht die Regel selbst, sondern – wie erwähnt – ihre Verstärker (Lob, Anerkennung usw.) internalisiert werden.

172

Dabei geht es nicht zwangsläufig um einen Konflikt zwischen einer ethisch wünschenswerten und einer abzulehnenden Alternative, wie Verycken (2003c, S. 8) feststellt: „In ihrer eindringlichsten und unlösbarsten Form bestehen moralische Probleme in dem Konflikt von richtig und richtig und gut und gut“. Ein ähnliches Problem versucht die Ökonomie dadurch zu lösen, dass sie Vernunft auf die Suche geeigneter Mittel zur Erreichung von bereits gesetzten Zielen beschränkt. Demgegenüber würde „die Wahl zwischen letzten Zielen in den Bereich nichtlogischen Handelns“ gehören (Pribram 1992a, S. 1164; Hervorhebung T.W.). Damit scheidet ökonomische Rationalität für die Erklärung von Wertentscheidungen aus.

173

Ein Zitat von Geibel (1868, S. 40) mag dies verdeutlichen: „Muß? Willkommnes Wort, / Mit dem der Frevler stets die Schuld von sich / Abwälzt ins Leere, jeden Uebermuth / Und jeden Treubruch –“. Denn, wie Hume (1888, S. 107) feststellt, sind „die Handlungen nur insoweit der Gegenstand unserer moralischen Gesinnungen ..., wie sie die Zeichen des inneren Charakters, der Leidenschaften und Affekte sind, [und] so können sie weder zu Lob noch Tadel Anlaß geben, wenn sie nicht aus diesen Quellen abstammen, vielmehr durch äußere Gewalt veranlaßt sind“. „Ein System hoheitlicher Zwangsinterventionen ist deshalb als solches unmoralisch, weil es von Menschen bewußt geschaffen wird und weil die, die es schaffen, Zwang ausüben und insofern unmoralisch handeln“ (Hoppmann 1990, S. 24). Moralisches Handeln setze die Freiheit des Handelns voraus, und Handeln unter Zwang enge gleichzeitig den moralischen Spielraum der Individuen ein. Nach Kirsch (1993, S. 88) könnte sogar eine schlichte Reduzierung von Informations- und Entscheidungskosten der Grund dafür sein, sich gleichsam freiwillig Verboten oder anderen Zwängen zu unterwerfen. Dann wären freilich auch die Wertmaßstäbe gegenüber dem zweckrationalen Verhalten unterlegen.

174

Wie eng und untrennbar Freiheit und Verantwortung bei von Hayek zusammengehören, hat Watrin (2006, S. 45) hervorgehoben (dort auch mit einem Hinweis auf den ehemaligen Ostblock). Freiheit ohne Verantwortung zu denken hieße, dem Menschen die Grundlagen seines Menschseins abzusprechen.

175

„Wenn feste Strukturen abgebaut werden müssen, um neuen Platz zu machen, entsteht immer eine Periode der Strukturlosigkeit und damit der Verwundbarkeit“ (Lorenz 1978c, S. 173).

176

Leipold (2000b, S. 417) hält Moral nicht nur für ein Gut, sondern sogar für „das knappste aller knappen Güter“.

177

Für Montesquieu ist „[j]eder Mensch, der Grund hat anzunehmen, daß er nicht durch die Willkür eines einzelnen oder mehrerer sein Leben oder Eigentum verlieren wird,

164

Russlands Sonderweg der Transformation

… frei“ (zitiert nach Ritter 2005, S. 41). Hier wird besonders deutlich, welche Bedeutung allgemeingültige und durchsetzbare (auch formale) Rechtsregeln für die Freiheit der Individuen haben. Zum Zusammenhang von Freiheit und Moral siehe auch Di Fabio (2005, S. 72 f.). 178

Das dürfte vor allem dann gelten, wenn nur mangelhafte formale Institutionen vorhanden sind oder ihre Geltung nicht durchgesetzt wird (beispielsweise durch fehlende gesetzliche Regelungen, korrupte Polizei- und Justizbehörden, fehlenden Wettbewerb als nichtautoritäres Verfahren zum Schutz der schwächeren Marktseite, in Situationen von Marktversagen usw.); siehe hierzu auch Meyer (2000, S. 157-160).

179

„Handeln heißt bestimmen wollen, was geschieht“ (Hondrich 2000, S. I f.).

180

„Der charakteristische Irrtum der konstruktivistischen Rationalisten ... ist, daß sie dazu tendieren, ihr Argument auf das zu gründen, was die synoptische Täuschung genannt worden ist, d.h. auf die Fiktion, daß alle relevanten Tatsachen irgendeinem einzelnen Geist bekannt sind und daß es möglich ist, aus diesem Wissen der Einzelheiten eine wünschenswerte soziale Ordnung zu errichten“ (von Hayek 1980, S. 30). An anderer Stelle (1971b, S. 77) ergänzt er, „daß die rationalistische Einstellung ... fast all den speziellen Ergebnissen der Freiheit entgegentritt, die der Freiheit ihren Wert verleihen“. Ordnungstheoretische Ansätze wie beispielsweise auch Euckens konstituierende Prinzipien einer Wettbewerbsordnung sind deshalb für die Analyse besonders fruchtbar, weil sie sich nicht der Gefahr des konstruktivistischen Rationalismus aussetzen.

181

Ein Konzept zur Darstellung dieses Problems ist die Bedürfnispyramide von Maslow. Danach müssen grundlegende Bedürfnisse – die sogenannten Defizitbedürfnisse (Physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, Soziale Bedürfnisse und Wertschätzungsbedürfnisse) – befriedigt sein, bevor die Wachstumsbedürfnisse (Selbstverwirklichung) auftreten (vgl. Steinmann und Schreyögg 2000, S. 496-500). Siehe Kirsch (1993, S. 180) für die beispielhafte Darstellung der Befriedigung des Bedürfnisses ‚Essen’. Bereits A. Smith (1776/2005, S. 227 f.) beschreibt diese Mechanismen, indem er feststellt, dass das, „[w]as über die Befriedigung des begrenzten Verlangens [z.B. Essen; T.W.] hinausgeht, ... ausgegeben [wird], um jenen Gelüsten zu frönen, die nicht befriedigt werden können, sondern völlig grenzenlos erscheinen [z.B. Hausrat, Schmuck; T.W.]“. Der Wunsch, ein Bedürfnis zu befriedigen und der Wille zu entsprechendem Handeln kann mithin als Präferenz aufgefasst werden – zunächst um bestehende Restriktionen (fehlende Nahrung) zu überwinden, zuletzt allein als „grenzenloses“ Handeln (Selbstverwirklichung).

182

Siehe Cassirer, zitiert nach Waßner (1998, S. 89): „Jedes gestillte Bedürfnis dient nur dazu, in gesteigertem Maße neue Bedürfnisse voranzutreiben“. Bildhaft schreibt Goethe (1808a) „So tauml ich von Begierde zu Genuß, / Und im Genuß verschmacht ich nach Begierde“ (Zeilen 3249 und 3250). Der deutsche Ökonom Heinrich von Storch, Berater des Zaren in St. Petersburg, betonte, „daß durch die Befriedigung von Bedürfnissen in einfacher Form, [sic!] diese in immer verfeinerter Art neu entstehen“, eine Vorstellung, die später für die historische Schule und für Karl Marx wichtig wird (siehe Rosner 1997, S. 210).

Endnoten zu Kapitel 2

165

183

„[Die] autonome, umweltunabhängige Triebdynamik [liefert] einen entscheidenden Beitrag zur Freiheit: ihr allein verdanken wir jene Unabhängigkeit von der äußeren Situation, die spontanes Handeln ermöglicht. Die Fessel der Triebe befreit uns von der Sklaverei der physikalischen Außenwelt“ (Lorenz 1968, S. 64). Verycken (2003c, S. 6) stellt fest: „Wo alles nach dem Gesetz der Natur geschieht, gibt es ... keine Freiheit“. Siehe zur Freiheit des Willens ausführlich auch Bieri (2009).

184

Nach Bieri (2009, S. 242) gibt es diesen nicht.

185

So auch o.V. (1996, S. 195), denn nach Versuchen des Hirnforschers Libet „datiere [das Gehirn] die Ereignisse ... um: Es gaukle dem Ich nur vor, es habe eine Empfindung gleichzeitig mit dem sie verursachenden Reiz gehabt“.

186

Bereits A. Smith stellte die Frage nach der Kategorienbildung erlebter Welt (also die Frage, wie der Verstand ein Verhaltensmuster einem anderen vorzieht) und kam zu dem Schluss, dies geschehe über frühkindliche Prägung durch Vorbilder und gesellschaftliche Vorgaben (vgl. Neuhoff 2009, S. 37).

187

Ähnlich auch Kempermann (2004, S. 37): „Der freie Wille gehört wie die Menschenwürde in die Kategorie der Konstrukte“. Diese Sicht vermag letztlich dann nicht zu überzeugen, wenn dem Individuum damit Willensfreiheit und Verantwortung für das eigene Handeln abgesprochen werden.

188

Vgl. Höffe (2004, S. 33), der hier auf die Handelnsmaximen Kants verweist. Nach diesen Maximen handelt ein Individuum frei, wenn es nicht aus äußerem oder innerem Zwang, sondern aus sich, d.h. entsprechend aller seiner bewussten und insbesondere unbewussten Erfahrungen handelt (vgl. Roth, G. 2004, S. 133). Diese werden vom Individuum intuitiv empfunden (vgl. Breuer 2003, S. 59). Steinvorth (2002, S. 233) stellt fest, dass bei Kant „[d]as Vernunftprinzip ... zugleich das Moralprinzip [ist]“.

189

Die Aussage setzt sich durchaus nicht dem Vorwurf der Beliebigkeit aus, wenn darauf hingewiesen wird, dass in dem Begriff nicht nur die Zweck-, sondern auch die Wertrationalität angesprochen ist, und Werte nicht frei gewählt werden.

190

Vgl. Verycken (2003c, S. 6 f.). Siehe hierzu auch von Hayek (1971b, S. 80): „Wie alle anderen Werte ist unsere Moral nicht ein Ergebnis, sondern eine Vorbedingung der Vernunft“. Bereits 1920 schreibt von Hayek in einem Typoskript: „Die Entscheidung, welche Handlung ausgeführt werden soll, der Willensakt, ist dabei genauso ein Wertungs- und Auswahlvorgang wie die vorhergehenden Bewusstseinsvorgänge, ob wir nun klar abwägen, was wir tun sollen, oder intuitiv handeln. Bestimmt wird also eine Handlung unter gegebenen Umständen durch die Art, wie das Individuum die erfahrenen Eindrücke wertet, die wieder von früher erworbenen Verbindungen abhängig ist“ (zitiert nach Bouillon 2006, S. 125). Anders aber Steinvorth (2002, S. 236 f.): „Wenn wir vernünftig handeln, handeln wir nicht notwendig moralisch, denn die Gründe, denen wir im vernünftigen Handeln folgen, können unmoralisch sein ... Moralität impliziert Vernunft, aber formale Vernunft impliziert keine Moralität“. Von Zweifel geprägt erscheint die Aussage von Montesquieu, dass „[es] fast nie ... die Vernunft [ist], wodurch die Dinge vernünftig werden, und fast nie kommt der Mensch

166

Russlands Sonderweg der Transformation

aus Vernunft zur Vernunft“ (zitiert nach Ritter 2005, S. 41). Das unterstreicht die Bedeutung moralischer Rückbindungen, die deshalb in dieser Arbeit hervorgehoben werden. 191

In neurowissenschaftlicher Perspektive kann Bewusstsein verstanden werden „als eine nachgeschaltete Begleiterscheinung neuronal, aber auch ... hormonell ausgelöster Verhaltensweisen“ (Clausberg und Weiller 2004, S. 31). Wie es entsteht, ist indes noch unbekannt: „Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie das bewußte Erleben, das uns in der Perspektive der ersten Person gegeben ist, aus den objektiv beschreibbaren Hirnprozessen hervorgeht“ (Geyer, C. 2004, S. 1).

192

Bei von Hayek (1996a, S. 53) heißt es: „Freiheit ist ein Artefakt der Zivilisation, das den Menschen von den Fesseln der kleinen Gruppe, deren flüchtigen Stimmungen sich sogar der Anführer unterwerfen mußte, befreite. Freiheit wurde möglich durch die schrittweise Entwicklung der Disziplin der Zivilisation, die auch zugleich die Disziplin der Freiheit ist“ (im Original mit Hervorhebungen). Herauszustellen ist die relative Unfreiheit des Anführers der Gruppe, die sich ebenfalls bis in moderne hierarchisch organisierte Gesellschaften erhalten hat (siehe Endnote 78 in Kapitel 3, Abschnitt 3.2.1.2.). So kann Unfreiheit als Artefakt autoritärer Systeme gelten.

193

Siehe aber eine andere Akzentuierung bei Hume (1888, S. 104). Ausführlich zum Freiheitsbegriff siehe auch Meyer (2002b, S. 175-179).

194

Siehe dazu Roth, G. (2004, S. 133). Von Hayek (1971b, S. 21 ff.) betont, dass es hier um die Sicherung der Freiheit des Individuums geht, nicht etwa um die Verwirklichung seiner vorstellbaren Ideen („frei wie ein Vogel“).

195

Siehe hierzu bereits Tetens (1777/1979, Bd. II, S. 5): „Freyheit ist hier ein Vermögen, das nicht zu thun, was man thut, oder es anders zu thun, als man es thut“. Hier ist offensichtlich jene „Freiheit des Ichs“ gemeint, die selbst Ziele setzen kann (vgl. Lorenz 1968, S. 64 f. mit dem Verweis auf Katz 1948). Im Original wird bei Katz (1948, S. 133) statt ‚Freiheit’ der Begriff ‚Spontaneität’ verwendet. So ist eine spontane Ordnung im Verständnis von Hayeks (1969a) zweifellos als eine freie Ordnung zu verstehen. Diese Auffassung vertritt auch Hoppmann (1991, S. 10): „Spontane Ordnung ist also immer freiheitliche Ordnung, Freiheit und Ordnung bedingen sich wechselseitig“.

196

Siehe zu dieser Diskussion auch ausführlich Habermas (2004, S. 35 f.); ebenso Volk (2005, S. 61); ergänzend Steinvorth (2002, S. 225-237). Bereits M. Weber hat darauf hingewiesen, dass „es ... immer noch unsere Hand [sei] und nicht die Konvention, die den Hut zum Gruß lüfte“ (Zöller 2005, S. 13).

197

Dabei kommt es zu einem Bruch der Rationalität (vgl. auch Meyer 2003). Darüber hinaus ist ebenso ein Bruch mit den moralischen Rückbindungen des Individuums zu vermuten.

198

Zitiert nach Andechser Berg-Echo, Nr. 2/2003, S. 48. Das Zitat enthält eine Handelnsmaxime und ist normativ zu verstehen. Zu einer ähnlichen Aussage kommt der Hirnforscher Libet, jedoch in einem positiven Sinn, wenn er feststellt, dass zuerst das Bereitschaftspotential, danach der Willensruck entsteht: „Wir tun nicht was wir wollen,

Endnoten zu Kapitel 2

167

sondern wir wollen, was wir tun“ (siehe Mechsner 2003, S. 78). Zur Notwendigkeit der Trennung von normativer und positiver (empirischer) Ebene siehe beispielsweise Kahneman und Tversky (2000). Zu dem, was man wollen kann, siehe auch Bieri (2009, S. 49-53). 199

Siehe dazu unter Bezugnahme auf Adam Smith bereits von Sartorius (1806, S. 212; zitiert bei Binswanger 1992, S. 126 f.).

200

So sei es ein Hohn, von Freiheit zu sprechen, wenn andere die Willensentscheidung des Individuums zu manipulieren versuchen (vgl. Mechsner 2003, S. 71). „[Diese] Entwürdigung ist eigentlich jenes Gefühl, das durch einen Druck hervorgerufen wird, welcher mich veranlassen will, anders zu handeln, als ich meine, handeln zu sollen“ (de Jouvenel 1963, S. 304). Deshalb ist die Bezeichnung der Freiheit als ‚Einsicht in die Notwendigkeit’ Ausdruck des Zynismus sozialistischer Systeme, wenn diese – beispielsweise ideologisch begründet – Notwendigkeiten postulieren, denen sich die Individuen anzupassen haben, und diese gewöhnlich gewaltsam durchgesetzte Anpassung als „Freiheit“ – im Sinne einer „freiwilligen“ Einsicht – bezeichnen. Die Anwendung von Zwang ist sozialistisch geprägten Systemen insofern immanent, als sie Regeln setzen, die den stammes- und kulturgeschichtlich gewachsenen Verhaltensweisen des Menschen widersprechen (siehe das Zitat von Buchanan 1981, S. 47 f. über das Scheitern der sozialistischen Systeme). So ist bereits für Schiller (2005, S. 1) diejenige Staatsverfassung die beste, „die Jedem erleichtert, Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf“. Diese Aussage enthält nicht nur die Forderung nach einem komplementären Verhältnis zwischen der (formalen) Verfassung und den (informalen) moralischen Rückbindungen der Individuen, sondern sie verbietet auch Verfassungen, die, um bestehen zu können, einen Verzicht jener Rückbindungen erfordern würden.

201

„So würde [i]n einer Gesellschaft, in der immer mehr vom Staat über kollektive Umverteilung geregelt wird und die Initiative des einzelnen daher überflüssig scheint, ... die Ressource ‚Gemeinsinn’ [verkümmern]“ (Starbatty 2005, S. 21). Allerdings sind neben diesem Fall „staatlichen Wohlmeinens“ viele weitere Fälle denkbar, in denen es nicht einmal vermeintlich um das Wohl der Individuen geht, wenn beispielsweise „die diktatorischen Regime des vorigen Jahrhunderts keine Schwierigkeiten hatten, das bessere Selbst für ihre eigenen Untertanen und für unterworfene Fremde zu definieren“ (Mestmäcker 2007, S. 14 mit Verweis auf Isaiah Berlin).

202

Vanberg (2010, S. 27) sieht keinen Widerspruch zwischen einem individuellen Willen, selbst wenn dieser nicht frei von deterministischen Einflüssen sei, und einer freiheitlichen Ordnungsgestaltung.

203

„Persönliche, individuelle Freiheit setzt ... eine rechtsstaatliche Ordnung und eine Staatsordnung mit freiheitlicher Verfassung voraus, sie sind miteinander verknüpft“ (Hoppmann 1991, S. 7).

Russlands Sonderweg der Transformation

168

Kapitel 3: Soziales Kapital, Interessen und Umwelt 1

Dem Bereich informaler Institutionen wäre auch die Ideologie zuzuordnen, die er allerdings auf eine besondere Analyseebene hebt (Ebene 1 – Ideologie; Ebene 2 – Institutionen; Ebene 3 – Zivilgesellschaft; Ebene 4 – Kultur). Die Geschwindigkeit der beobachtbaren Veränderungen unter dem Einfluss ideologischer, institutioneller oder gesellschaftlicher Ereignisse nimmt von Ebene 1 zu Ebene 4 ab. Hier wird indes ein Unterschied zur Institutionenökonomik sichtbar, die jede dieser Ebenen als Regeln bzw. Institutionen bezeichnen würde.

2

Eine detaillierte Darstellung der Funktionen von Sozialkapital bietet Fukuyama (1999, S. 4 ff.).

3

Siehe auch Tocqueville (1840/1976, S. 595-599), insbesondere den Abschnitt „Über den Gebrauch, den die Amerikaner im bürgerlichen Leben von Zusammenschlüssen machen“.

4

Einen Überblick bietet Haug (1997).

5

Siehe Fukuyama (2000, S. 37): „[O]hne Sozialkapital [kann] es keine Zivilgesellschaft geben ... und ohne Zivilgesellschaft keine funktionsfähige Demokratie“.

6

Zur Vergleichbarkeit von Sozial-, Human- und physischem Kapital siehe Putnam und Goss (2001, S. 22). Allerdings stellten Putnam, Leonardi und Nanetti (1994, S. 169 f.) fest, dass Sozialkapital anders als etwa physisches Kapital nicht verbraucht wird, sondern sich durch Interaktion gleichsam erhöht. Das spricht dafür, Sozialkapital als öffentliches Gut (beziehungsweise externen Effekt) zu verstehen.

7

Zum Verständnis von Sozialkapital als Vertrauen siehe beispielsweise Putnam (1995, S. 67); Bowles und Gintis (2003, S. 73).

8

Zum Scheitern der zentralplanwirtschaftlichen Regeln siehe auch Starke (2007, S. 190 f.).

9

Siehe zur Funktion der Transaktionskostenreduzierung Offe und Fuchs (2001, S. 417).

10

Zu Recht kritisch auch Bowles und Gintis (2003, S. 75).

11

Zu diesem Problem und zum Kulturbegriff siehe beispielsweise Hofstede (1992); Fukuyama (1995b); Plutta (1999). Zur Zivilgesellschaft siehe Putnam (1995); Leipold (2003), zu beiden Begriffen Panther (2001). Von Keller (1982, S. 114) nennt unter Verweis auf Kroeber und Kluckhohn (1952) die Zahl von „170 verschiedene[n] Definitionen des Kulturbegriffs und über 100 weitere[n] Einzelfeststellungen zum Kulturkonzept“. Bis heute dürfte die Zahl noch deutlich zugenommen haben. Interessant ist seine Beschreibung dessen, was eine Kultur ausmacht: Danach ist sie 1. menschengeschaffen; 2. ein überindividuelles, soziales Phänomen; 3. erlernt; 4. durch Symbole ausgedrückt; 5. verhaltenssteuernd; 6. nach innerer Konsistenz strebend; 7. ein Instrument zur Anpassung an die Umwelt und 8. ist sie selbst anpassungsfähig (vgl. ausführlich von Keller 1982, S. 114-118). Zur Entwicklung des Kulturbegriffs siehe Hasenstab (1999, S. 42 f.). Aus dieser Vielzahl von Verständnissen folgt, dass die Annäherung in dieser Arbeit nur Ausschnitte abbilden kann und unvollkommen bleiben muss.

Endnoten zu Kapitel 3

169

12

Siehe insbesondere den Abschnitt 2.2.2.5. und die dort dargestellte Klassifizierung der informalen Institutionen und deren Ordnungsfaktoren von Leipold. Fukuyama (1999, S. 10) stellt besonders Religion und geteilte historische Erfahrungen heraus. Interessant ist auch dessen Vermutung, die Entwicklung von Sozialkapital könnte durch die Globalisierung gefördert werden (ebenda, S. 12).

13

Fukuyama (1999, S. 2) kritisiert an Coleman (1988), dass er Sozialkapital für ein öffentliches Gut hält.

14

Hierbei ist wichtig, dass die Interaktionen nicht hierarchiegebunden stattfinden bzw. nicht machtbegründet sind.

15

Beispielsweise durch steuerliche Maßnahmen, wie Steuererleichterungen für ehrenamtliche Vereinigungen oder die Abzugsfähigkeit für Spenden an diese (vgl. Putnam und Goss 2001, S. 37).

16

Siehe dazu auch die in Abschnitt 2.3.3. getroffenen Aussagen. Es ist offensichtlich, dass die Bildung genauso gut dazu benutzt werden kann, die Herausbildung von Sozialkapital zu behindern. Dadurch wird deutlich, dass der Staat zwar grundsätzlich in der Lage sein kann, Sozialkapital zu schaffen, aber auch, es zu zerstören.

17

Hier könnte etwa an gemeinnützige Vereine oder ähnliches zu denken sein.

18

Hierfür dürften positive und negative Effekte symptomatisch, etwa anhand der in Endnote 11 (Kapitel 3) genannten Kriterien, feststellbar sein. Zum Zusammenhang von Werten und Wissen siehe Hennecke (2010, S. 58 ff.).

19

Zwar spricht Hofstede zumeist von Kultur (und nicht von Sozialkapital), doch erfasst er mit seinen Indizes eigentlich verschiedene Formen des Sozialkapitals, deren Ausprägungen in den einzelnen Dimensionen sich zu „Kulturen“ zusammenfügen (zur Vielzahl von Bedeutungen dieses Begriffs siehe oben Endnote 11). Hofstede (1997, S. 3 f.) unterscheidet Kultur I und II, wobei Kultur II für ihn den relevanten Aspekt darstellt als „die kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet“ (im Original mit Hervorhebung). Zu den Elementen von Kultur siehe auch Hofstede (1992, S. 4 f.).

20

Das Interesse von Hofstede (1980) galt der Frage, warum innerhalb des gleichen weltweit tätigen Konzerns (IBM) unterschiedliche Managementstile vorzufinden sind. Die Ursache sieht er in kulturellen Unterschieden der Mitarbeiter.

21

Siehe ausführlich Hofstede (1980; 1992; 1993; 1997) sowie Hofstede, G. und Hofstede, G. J. (2005).

22

Sie werden den Bereichen allgemeine Norm, Familie, Schule, Arbeitsplatz und Staat zugeordnet und für die Indizes in ihren extremen Ausprägungen dargestellt für maskuline / feminine Kulturen, für hohe / geringe Unsicherheitsvermeidung, für kollektivistische / individualistische Gesellschaften und für eine große / geringe Machtdistanz. Die realen Ausprägungen dürften in einer Gesellschaft innerhalb des Kontinuums liegen, dessen theoretische Pole mit den jeweils gegensätzlichen Begriffen genannt sind (siehe Hofstede 1997, S. 40).

170

Russlands Sonderweg der Transformation

23

Siehe beispielsweise Hofstede (1997, S. 40). Auch hier wird die Interdependenz der Ordnungen (Eucken) deutlich, ebenso die Verbindung zu den Aussagen, die in Abschnitt 2.2.3.1. zur Interdependenz individueller Verhaltensweisen getroffen wurden (siehe Endnote 79 in Kapitel 2 zu Kant). Allerdings geht es Hofstede (1997, S. 366 f.) um kultureinheitliche Aussagen, beispielsweise innerhalb eines Landes.

24

Siehe zu diesen Gründen Hofstede (1997, S. 55-59). Auch Popper (1984, S. 172) stellt die Bedeutung von Traditionen, insbesondere jener, die den ‚moralischen Rahmen’ einer Gesellschaft bilden, heraus: „Nichts ist gefährlicher als die Zerstörung dieses Rahmens, dieser Tradition“ (im Original mit Hervorhebungen).

25

Es ist offensichtlich, was dies für die am Ende von Kapitel 2 ausführlich diskutierte Freiheit des Individuums bedeutet.

26

Siehe dazu Hofstede (1997, S. 91). Es ist interessant, diese Ausführungen mit denen von Hayeks (1971a, S. 54-66) über Individualismus und Kollektivismus zu vergleichen: Obwohl von Hayek von der wirtschaftlichen und politischen Ordnung ausgeht und vorrangig die Ebene des Staates betrachtet, während sich Hofstede gleichsam auf „kultureller“ Ebene bewegt, sind die getroffenen Aussagen ähnlich.

27

Daten aus Russland bzw. der Sowjetunion hatte Hofstede ursprünglich nicht in seine Analyse aufgenommen, weil zum Zeitpunkt des Entstehens seiner Studie sein Unternehmen dort nicht präsent war. Die jüngste Ausgabe ist um einige Daten zu Russland ergänzt.

28

So sieht Deindl (2005, S. 3) in der Größe des Netzwerks (also der Zahl der Mitglieder einer Gruppe) sowie in der Verschiedenheit der Mitglieder ein Maß für die Höhe des bestehenden Sozialkapitals: Ein großes Netzwerk mit heterogenen Mitgliedern bedeutet demnach hohes Sozialkapital. Für Leipold (2003, S. 93) kommt es darauf an, dass „[d]as zivile Engagement ... freiwilliger Natur und nicht profit- oder machtorientiert [ist]“. Eine Zivilgesellschaft bestehe deshalb vor allem dort, wo die Bürger „weder vom Staat bevormundet noch von engen [gemeint ist vermutlich: von rentensuchenden; T.W.] Wirtschaftsinteressen geleitet“ würden.

29

Siehe dazu auch Panther (1998); Fukuyama (1999); Putnam (2001); Putnam und Goss (2001).

30

In ökonomischer Terminologie kann hier von positiven externen Effekten gesprochen werden.

31

So stellt Meyer (2006, S. 44) unter Verweis auf Popper fest, „[d]er Staat kann durch seine Institutionen die vorhandenen Alltagstugenden und die Moral der Freiheit unterstützen“. Freilich ist dies nur in einer freiheitlichen Staatsordnung denkbar, aber gewiß nicht in „einer totalitären oligarchischen Staatsform“ (ebenda, S. 41).

32

Siehe dazu bereits A. de Tocqueville (1840/1976, S. 596): „Hätten die Menschen, die in demokratischen Ländern leben, weder das Recht noch die Neigung, sich zu politischen Zwecken zu verbinden, so wäre ihre Unabhängigkeit stark gefährdet“. Ähnlich stellt Di Fabio (2005, S. 76) fest: „Je weniger sittliche Ordnung eine Gemeinschaft außerhalb politisch-rechtlicher Systeme entwickelt, desto weniger frei kann sie sein“.

Endnoten zu Kapitel 3

171

33

Im Gegensatz zum oben beschriebenen „brückenbildenden“ Sozialkapital wird diese Form auch als „bindendes“ Sozialkapital bezeichnet und ist nicht nach außen, sondern exklusiv für die (in Hinblick auf wesentliche Interessen meist homogenen) Mitglieder der Gruppe nach innen gerichtet – mit der relativ großen Gefahr negativer Außenwirkungen (vgl. Putnam und Goss 2001, S. 28 ff.).

34

Siehe dazu den nächsten Abschnitt 3.1.2.

35

Diese Gruppen werden auch als Klubs bezeichnet.

36

Siehe zum Insider-Outsider-Problem Fukuyama (1995b, S. 290-299) mit mehreren Beispielen. Die Frage der Auswirkungen, insbesondere in extremen Ausprägungen oligarchischer Clans, wird für Russland in Kapitel 4 zu untersuchen sein.

37

Positive Effekte aus Lobbying-Aktivitäten bleiben hier unberücksichtigt, weil sie in Übergangsgesellschaften noch weitaus weniger eine Rolle spielen als in etablierten marktwirtschaftlichen Demokratien mit gefestigten Regeln und institutionalisierten Einflussmöglichkeiten.

38

Die hier angesprochenen Fragen sind Teilfragen der Neuen Politischen Ökonomie (NPÖ), die „politisches Handeln mit den Mitteln der ökonomischen Theorie, ... in weiterer Abgrenzung … die Integration von Politik und Ökonomie durch die Analyse von deren wechselseitiger Abhängigkeit … mit Hilfe des ökonomischen Instrumentariums [zu erklären versucht]“ (Fehl 2002, S. 138; siehe ausführlich auch Kirsch 1993, S. 1-13). Wenn der Raum, den der Ansatz hier einnimmt, etwas geringer ist als der, der ihm an anderer Stelle beigemessen wird, so geschieht dies nicht wertend, sondern ist den gegebenen Restriktionen geschuldet.

39

Der Begriff ‚Interessengruppen’ fasst die organisierten Gruppen von Individuen (einschließlich Organisationen) zusammen, die im politischen Prozess die Regierung (oder auch die Bürokratie) zu beeinflussen versuchen, um für sie wünschenswerte und ökonomisch lohnende Regelungen durchzusetzen. Die Interessengruppen sind neben der Regierung und der Bürokratie der dritte Eckpunkt der sogenannten ‚Eisernen Dreiecke’.

40

Dahinter steht das Problem öffentlicher Güter (siehe hierzu auch Frey 1977, S. 131 ff.). Klubs bieten ihren Mitgliedern oft ‚selektive Anreize’ durch die Kombination aus öffentlichen und privaten Gütern (vgl. Frey und Kirchgässner 2002, S. 194).

41

„Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind die Aufwendungen für rentenbegründende Eigentumsrechte und die in ihrem Gefolge expandierenden Verbände- und Staatsbürokratien als Verschwendung anzusehen, da sie nur der Umverteilung, nicht aber der Entstehung von Einkommen dienen“ (Schüller 1988a, S. 163 f.). Es ist gewiss nicht falsch, diese Sichtweise in direkter Tradition A. Smiths (1776/2005, S. 671 f.) zu sehen: Weil sich im „naheliegenden und einfachen System natürlicher Freiheitsrechte“ die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit nicht stellt, mithin nur Leistungseinkommen bestehen, gibt es auch keinen Grund und Anreiz zur Suche nach nicht leistungsbedingten Einkommen (Renten). Siehe hierzu auch die Bemerkungen von Streissler (2005a, S. 3 f.).

172

Russlands Sonderweg der Transformation

42

Da es höhere Auszahlungen verspricht, Regeln selbst zu setzen als innerhalb bestehender Regeln zu handeln, erscheint es attraktiv, eine möglichst hohe Position zu erreichen und nach eigenen Interessen Einfluss auf die Regelsetzung auszuüben (vgl. Panther 1998, S. 218). Wie dies den Oligarchen in Russland gelungen ist, wird in Kapitel 4 untersucht.

43

Siehe dazu auch Kasper und Streit (1998, S. 290 ff.). Dass Interessengruppen das Gemeinwohl genauso wenig im Blick haben wie der Staat, stellt Mestmäcker (2007, S. 11) heraus: „Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß gesellschaftliche Gruppen in der Wahrnehmung moralisch motivierter Rechte rücksichtsvoller sind als der Staat“.

44

Der Zentralverwaltungswirtschaft war die Rentensuche in besonderem Maße inhärent.

45

Dies wird auch als „Countervailing Power“ bezeichnet.

46

Zum Problem, dass das Allgemeinwohl bei starken Partikularinteressen geschädigt wird, siehe auch von Hayek (2003, S. 319).

47

Zur Definition siehe Weber, M. (1964a, S. 38), auch Endnote 154 in Kapitel 2, Abschnitt 2.2.3.3. Popitz (1968, S. 39) sieht die Ausübung von Macht darin, das Verhalten anderer in eine gewünschte Richtung zu verändern. Bei der Suche nach Renten werden die Grenzen zielgerichtet überschritten, etwa zwischen ökonomischer und politischer Macht (vgl. Fehl 2002, S. 148 f.).

48

Die Rentensuche wird solange betrieben, bis die Aufwendungen den Wert der erwarteten Rente erreichen (vgl. Frey und Kirchgässner 2002, S. 203).

49

Gemeint sind Mitglieder mit gleichen (Partikular)Interessen.

50

Vgl. Frey und Kirchgässner (2002, S. 201) mit weiteren Aufzählungen. Relevant sind hierbei auch die Größe eines Landes, seine Ausstattung mit Rohstoffen, die Struktur seines Handels und davon abhängig seine Autarkiebegabung.

51

So sieht Streit (1991, S. 230) die „Beeinträchtigung der politischen Gleichheit“ umso stärker gegeben, je geringer die Kontrollmöglichkeiten der Vertreter durch die Vertretenen sind und je größer die Unterschiede in der Organisierbarkeit der verschiedenen Interessen sind.

52

Michels (1911/1970, S. 370 f.) stellt dazu fest: „Prophylaktischer Maßregeln gegen das Aufkommen der Oligarchie spottet die Entwicklung selbst. Wollen Gesetze der ‚Herrschaft der Führer’ Einhalt tun, so weichen allmählich die Gesetze, nicht die Führer“. Nach Olson (2002, S. 109 ff.) gibt es einen „[e]inmütige[n] Druck des privaten Sektors gegen Durchsetzung von Recht“, der zu Kriminalität, Korruption und ineffektiven Regierungen führt. Di Fabio (2005, S. 75) weist hier zu Recht auf die Bedeutung der individuellen Freiheit hin, die „den Einzelnen [berechtigt], die organisierten Anderen aus seiner Sphäre fern zu halten“. Dies dürfte indes schwierig sein, wenn der private Sektor im Dienste politischer Herrschaft steht. Zur Bedeutung der Freiheitssicherung für Recht und Moral siehe deshalb auch Meyer (2006).

53

Allerdings weist Zöller (2005, S. 13) darauf hin, dass M. Webers Aussagen über die Effizienz der Bürokratie durchaus ambivalent seien, denn er würde „das Konzept der

Endnoten zu Kapitel 3

173

bürokratischen Lenkung und des später so genannten aktiven Staates“ selbst für eine Illusion halten. 54

Siehe zum Verdrängungsproblem auch Frey und Kirchgässner (2002, S. 409).

55

Seine Schrift „Die Bürokratie“ erschien erstmals im Jahr 1944.

56

Zur Illustration mag folgende Episode dienen: Vor einigen Jahren hat die Moskauer Polizei zur Verbesserung ihres Bildes in der Öffentlichkeit am 8. März (Internationaler Frauentag) Autofahrerinnen angehalten, um ihnen eine Rose zu schenken. Das Fernsehen war bei dieser Aktion dabei. Gezeigt wurde eine Frau, die in Erwartung des Üblichen und noch bevor der Polizist die Rose überreichen konnte, einige Geldscheine aus dem Fenster gereicht hat. Damit war die ganze Aktion ad absurdum geführt, bestätigte sie doch die übliche Praxis der Korruption.

57

Daraus kann eine Eigendynamik zu weiterer Vergrößerung und Ineffizienz entstehen: „The inefficiency of the over-expanded bureaucracy leads to still further expansion and still further inefficiency” (Tullock 1965, S. 177).

58

Ursprünglich bezieht sich dieser Ansatz nicht auf staatliche Organisationen, kann aber auf diese übertragen werden. Die Hypothese der Kostenproduktion kann empirisch als besser überprüft gelten als die der Budgetmaximierung (vgl. Fehl 2002, S. 143 f.).

59

Zu den mit den Informationskosten verbundenen Problemen siehe ausführlich auch Downs (1968, S. 202-254).

60

Dabei sind auch mehrstufige Principal Agent-Probleme (beispielsweise Wähler-Politiker und in der Folge Politiker-Bürokratie) möglich (vgl. Welsch 2002, S. 128). Siehe zum Kontrollproblem der Bürokratie ausführlich auch Tullock (1965, S. 178-185); Downs (1967, S. 132-143).

61

Ähnlich vermutet auch Kirsch (1993, S. 198), „daß die Demokratie auch eine Lernund Lehrveranstaltung ist“ (im Original mit Hervorhebungen) und unterstreicht deren Bedeutung für den dauerhaften Erhalt der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt. Skeptischer ist Popper (1984, S. 170 ff.), der feststellt, „[b]loße Institutionen genügen nie, wenn sie nicht in Traditionen wurzeln ... Die jeweiligen Traditionen sind notwendig, um eine Art Bindeglied zu schaffen zwischen den Institutionen und den Intentionen und den Wertbegriffen der Individuen ... Unter den Institutionen müssen wir jene zu den wichtigsten zählen, die den ‚moralischen Rahmen’ (entsprechend dem institutionellen ‚gesetzlichen Rahmen’) einer Gesellschaft bilden, und die ihren überlieferten Sinn für Gerechtigkeit und Anständigkeit verkörpern ... Nichts ist gefährlicher als die Zerstörung dieses Rahmens, dieser Tradition“. Siehe auch Meyer (2006, S. 44) mit diesem Zitat und weiteren Anmerkungen. Neben Traditionen, die sich entwickeln müssen, kommt es freilich immer auch auf die handelnden Personen an.

62

So werden die Medien auch als „vierte Gewalt“ (neben Legislative, Judikative und Exekutive) bezeichnet.

63

Siehe neben den bereits erwähnten Quellen vor allem Downs (1968) zur Demokratie sowie zahlreiche, in der Folgezeit entstandene Arbeiten.

174

Russlands Sonderweg der Transformation

64

Siehe auch Eucken (1952/1990, S. 327 f.), der im Wirken der Interessengruppen die Ursache dafür sieht, dass die existierende Staatsordnung von der Staatsverfassung abweicht.

65

Freilich ist der Unterschied, ob ein Medienunternehmen (Rundfunk, Fernsehen oder Zeitung) von wirtschaftlichen Interessengruppen oder vom Staat beherrscht wird, nur ein gradueller. Trotzdem scheint der Staatseinfluss das größere Übel zu sein, weil Medien verschiedener Interessengruppen zumindest grundsätzlich im Meinungswettbewerb untereinander ein Korrektiv erfahren könnten. Dieses ist für gleichgeschaltete Übermittler der einen ‚Staatswahrheit’ schlechterdings ausgeschlossen.

66

Der Gedanke des ‚fiktiven „Als-ob“-Zwecks’ findet sich bereits bei Sombart (1930/1967, S. 67).

67

Siehe zum Einfluss informeller Normen bei den russischen Wahlen beispielsweise Gel’man (2005); Ludwig (2007a, S. 12; 2007b, S. 1 f.; 2007c, S. 1); zum Prestigegewinn durch die Benutzung der äußeren Form der Demokratie und zur „scheinparlamentarischen Einrichtung“ des Parlaments in Russland siehe bereits von Mises (1940, S. 709 f.).

68

Dies ist selbst in absolutistischen Gesellschaften nicht gelungen: Ludwig XIV. (der „Sonnenkönig“, 1638-1715), dem der Ausspruch „L’Etat c’est moi“ („Der Staat bin ich“) zugeschrieben wird – was allerdings nicht gesichert ist: siehe Meyers Konversations-Lexikon (1888/2006, S. 727) – und dessen Herrschaft als eine der vollkommensten gilt, blieb „trotz umfassender Machtansprüche an die Mitwirkung der vielfältigen regionalen Zwischengewalten und an Grundwerte eines säkularisierten Katholizismus gebunden, aus dem er die Legitimation für seine Herrschaft [abgeleitet hat]“ (Loth 2002, S. 922). Zum Absolutismus, der seine theoretische Begründung durch Jean Bodin und Thomas Hobbes fand, und in dem mit dem ‚Naturrecht’ eine Trennung von Macht und Willkür vorgenommen wurde, siehe auch Holeczek (2002, S. 655). Der Begriff des Naturrechts geht auf Aristoteles zurück (vgl. Pribram 1992b, S. 30). Bereits den absolutistischen Herrschern sei das Problem bekannt gewesen, dass die eigene Leistungsfähigkeit begrenzt sei (ebenda). Dies ist untrennbar mit dem „Irrtum der konstruktivistischen Rationalisten“ verbunden, die glaubten, „daß alle relevanten Tatsachen irgendeinem einzelnen Geist bekannt sind und daß es möglich ist, aus diesem Wissen der Einzelheiten eine wünschenswerte soziale Ordnung zu errichten“ (von Hayek 1980, S. 30). Die russischen Zaren waren ebenfalls auf die Unterstützung des Adels angewiesen und hatten bei ihren Bemühungen um die Stärkung der Zentralgewalt mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen (vgl. Hecker 2002, S. 978-982). Auch für einen Diktator stellt Tullock (1987, S. 115) fest, dass er weit davon entfernt sei, absolute Macht zu haben. Da die Komplexität der Gesellschaften seither zugenommen hat, ist derartigen Versuchen heute noch weniger Aussicht auf Erfolg beizumessen. Mit zunehmender Komplexität müsste der Charakter der Regeln einer Ordnung stattdessen abstrakter werden (vgl. von Hayek 1969a S. 33). Damit ist zentralistischen, autokratischen Systemen stets auch ein Defekt immanent, der zum Grund ihres Scheiterns werden kann.

Endnoten zu Kapitel 3

175

69

Siehe zu eindringlicher Kritik auch von Mises (1997, S. 98) sowie die in Abschnitt 2.2.3.4. dieser Arbeit getroffenen Aussagen.

70

Die Trennung ist freilich oft unscharf, insbesondere in Staaten, in denen demokratische Institutionen fehlen.

71

M. Weber (1964a, S. 157) stellt fest, dass sich nicht jede Herrschaft wirtschaftlicher Mittel bedienen würde, noch weniger habe jede Herrschaft wirtschaftliche Zwecke. Freilich ist für Russland eine Ambivalenz von ökonomischer und politischer Macht anzunehmen, weil nicht zuletzt der Zusammenbruch des sozialistischen Systems wesentlich auch auf die mangelnde ökonomische Leistungsfähigkeit zurückzuführen sein dürfte.

72

Vgl. Eucken (1952/1990, S. 328), der an einem historischen Beispiel zeigt, dass die Delegation staatlicher Macht auf Interessengruppen für beide Seiten vorteilhaft sein kann und letzteren damit jene Macht eingeräumt wird, die sie zur Durchsetzung ihrer finanziellen Interessen brauchen.

73

Siehe für ein Beispiel Popitz (1968, S. 19-23), der die Bedeutung von „Solidaritätskernen“ für das Entstehen einer Gruppe herausstellt. Hier ist von den Mitgliedern zunächst ein Vertrauensvorschuss zu erbringen, der jedoch nicht nur stabil reziprok ist, sondern sich auch materiell nachhaltig positiv für die Mitglieder auswirkt (siehe dazu den folgenden Abschnitt sowie auch den Abschnitt 4.3.3.2.).

74

M. Weber (1964a, S. 158) stellt heraus: „Die ‚Legitimität’ einer Herrschaft hat – schon weil sie zur Legitimität des Besitzes sehr bestimmte Beziehungen besitzt – eine durchaus nicht nur ‚ideelle’ Tragweite“.

75

Siehe dazu Popitz (1968, S. 7-17). Zu zwei weiteren Beispielen, die das gleiche Problem behandeln, aber etwas andere Akzente setzen, siehe ebenfalls Popitz (1968). Allen gemeinsam ist, dass den Individuen ein Austritt, also ein Verlassen jener Ordnung, nicht möglich ist (ebenda, S. 6).

76

Man könnte sich auch eine andere Ressource vorstellen.

77

Vermutlich trifft Popitz (1968) diese Annahme, um das Beispiel von der Anarchie (Recht des Stärkeren) abzugrenzen.

78

Damit teilen die Besitzenden ihren Besitz (vgl. zum Teilen Popitz 1968, S. 24). „Teile und herrsche“ („divide et impera“) war bereits bei den Römern Grundsatz ihrer Außenpolitik (auch wenn die Worte selbst wohl nicht antik sind) (vgl. Lamer 1995, S. 163). Auch in China war dies bereits 500 v. Chr. bekannt (siehe beispielsweise Sunzi 1999, S. 82 und S. 134 f.). Freilich könnte man das römische Verständnis des Teilens im Sinne von Entzweien (der Gegner) um eine zweite Bedeutung ergänzen, nämlich das Teilen des Besitzes (mit denen, die bereit sind, Folgschaft zu leisten). Erst beide Interpretationen gemeinsam zeigen die gesamte Bedeutung für die Herrschenden. Diesen Vorgang hat Elias (1994, S. 41) als „Königsmechanismus“ bezeichnet: Um die Gunst des Herrschers konkurrierende Gruppen halten sich gegenseitig im Gleichgewicht – freilich um den Preis der Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten für den Herrscher. Allerdings ist diese für den Herrscher unumgänglich, weil er sonst „sehr leicht unter die Kontrolle einer der rivalisierenden Gruppen oder Personen ...

176

Russlands Sonderweg der Transformation

[kommen würde] und ... damit zugleich einen Teil seiner Verfügungsgewalt über die Grundmonopole der physischen Gewalt ... eingebüßt [hätte]“ (ebenda, S. 212). 79

In ähnlichem Zusammenhang wird vom sogenannten „Revolutionsdilemma“ gesprochen, wenn die Kosten für das Individuum bei Widerstand gegen den Staat so hoch sind, dass es auch die drückendsten Vorschriften hinnimmt (vgl. Leipold 1997b, S. 412 mit weiteren Verweisen).

80

Etwa auf familiären Beziehungen (Popitz 1968, S. 9). Von solchen Bindungen sind die Individuen „weitgehend gelöst“ (S. 6). Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil viele Autoren die Bedeutung der Rückbindungen hervorheben (so beispielsweise Leipold 1997b, S. 408).

81

„Die Besitzenden haben sich gegenseitig unmittelbar etwas zu bieten: Stellvertretung, Schutz, Bestätigung. Individuelles und gemeinsames Interesse decken sich“ (Popitz 1968, S. 10).

82

Siehe dazu auch Mestmäcker (2007, S. 3): „Herrschaft fordert Legitimation“.

83

Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich alle Besitzer gleich sind oder ob eine Hierarchie unter ihnen besteht. Der Prozess der Herausbildung der gegenseitigen Anerkennung läuft zuerst innerhalb dieser Gruppe ab (Popitz 1968, S. 15, Fußnote 1).

84

Vgl. Popitz (1968, S. 14 f.) unter Verweis auf M. Weber (allerdings ohne Angaben zur Quelle). Dieser hat die Frage der Legitimität ausführlich behandelt, siehe neben anderen Fundstellen Weber, M. (1964a, S. 157 ff.). Zum Problem der Legitimität bei der Entstehung von Staaten siehe auch Leipold (1997b, S. 408). Zwischen der Anerkennung von Macht aufgrund von Gewalt (die auch eine Art der Legitimierung sein kann) und der „freiwilligen“ Gefolgschaft (so aufgrund geglaubter Ideologien) sind zahlreiche weitere Möglichkeiten denkbar, die Legitimität generieren können. Starke (2007, S. 268) weist darauf hin, dass Wissen ebenfalls als Machtmittel gebraucht werden kann, indem der Zugang kontrolliert wird und die „Unwissenden“ gezwungen sind, dem (Allein)Wahrheitsanspruch der „Wissenden“ zu folgen – gleichgültig, wie plausibel dieser tatsächlich ist (siehe Abschnitt 4.3.2.). Dieser „Klassengegensatz“ muss freilich „originär nichts mit dem vorhandenen oder nicht vorhandenen Eigentum [zu tun haben]“ (ebenda), findet aber seine ideale Umsetzung in der Hierarchie, weil sie jedem Individuum (sowohl dem Wissenden als auch dem Unwissenden) seinen Platz zuweist.

85

Bereits A. Smith (1776/2005, S. 409) stellte fest, „Gesetze bleiben häufig noch lange in Kraft, wenn die Umstände, aus denen sie hervorgingen und die allein sie rechtfertigen konnten, schon nicht mehr gegeben sind“.

86

Als Gruppe sind diese Hilfstruppen der Mächtigen zwar unverzichtbar, jedes einzelne Individuum ist aber austauschbar und hat so einen Anreiz, denselben zu vermeiden (Popitz 1968, S. 32).

87

Die Perversion liegt gerade darin, dass den Herrschenden der Machterhalt umso leichter gelingt, je größer das Maß an Ausbeutung der Unterdrückten ist: „An diesem Rande ... wird der kleine Finger des Mächtigen so gefährlich wie vorher seine stärkeren Bataillone“ (Popitz 1968, S. 32).

Endnoten zu Kapitel 3

177

88

Austritt ist, wie eingangs festgestellt, nicht möglich.

89

Ähnlich auch Böhm (1960, S. 59): „[D]ie Regierten, wenn sie nicht berechtigt und nicht imstande sind, sich eines willkürlichen Machtgebrauchs ihrer Repräsentanten zu erwehren, [befinden sich] in einer menschenunwürdigen Lage …, weil ihnen das moralische Rückgrat gebrochen wird“.

90

Siehe dazu auch die in Abschnitt 2.2.3.4. über Willensfreiheit getroffenen Aussagen zur Theorie der kognitiven Dissonanz. Das Zitat von Leo Tolstoi enthüllt hier seine tragische Seite: „Das Glück besteht nicht darin, dass du tun kannst, was du willst, sondern darin, dass du immer willst, was du tust“. Was für ein Glück ist das, nicht tun zu wollen, was man nicht tun kann (darf) – und das allein aus der Unterordnung unter eine beliebige Macht heraus?

91

Siehe ausführlich hierzu die in Kapitel 2 getroffenen Aussagen über die funktionale Bedeutung von Institutionen zur Unsicherheitsreduktion für die Individuen.

92

Die Herrschenden müssen ihre „Willkür also ... auf einen bestimmten Kreis von Betroffenen beschränken oder doch die Erwartung einer bestimmten Beschränkung zulassen“ (Popitz 1968, S. 37).

93

Zur Interdependenz von Wirtschafts- und Staatsordnung siehe insbesondere Eucken (1952/1990, S. 332 ff.) sowie Böhm (1960).

94

Ähnlich stellt Olson (2002, S. 147) fest, dass ein Autokrat, wenn er mehr Eigentum und Einnahmen hat als ein einzelner Mensch bewachen kann, weitere Bewacher und Bewacher der Bewacher brauche, bis jeder bewacht wird und alle Einnahmen weitergereicht werden.

95

Für einige wesentliche Aspekte und Zusammenhänge siehe beispielsweise Stavenhagen (1969); Immler (1985); Pribram (1992a; 1992b); Kruse (1997); Habermann (2002); Meyer (2002b); für den Liberalismus ausführlich von Hayek (1996b).

96

Der Begriff der ‚Freiheit’ wird freilich von den meisten Ansätzen verwendet und erfährt ohne klare Definition ein hohes Maß an Beliebigkeit, in einigen Fällen gewiss sogar einen intendierten Missbrauch.

97

Das Kreislaufsystem der Wirtschaft von Quesnay (siehe unten), das nach naturwissenschaftlicher Methode entworfen wurde, ist ein typisches Beispiel hierfür (siehe dazu auch Kolb 2000, S. 488). Freilich ist es deshalb keineswegs unbrauchbar als Mittel zur Verdeutlichung ökonomischer Zusammenhänge.

98

Bemerkenswert ist, dass die Unterscheidung zwischen dem ‚Seienden’ und dem ‚Seinsollenden’, der in der griechischen Philosophie (wie in späteren auch) große Bedeutung zukommt, eine unverkennbare Nähe zur heute in der Wissenschaft üblichen Trennung von positiver und normativer Ebene aufweist.

99

Siehe hierzu ausführlich beispielsweise Medick (1981); des Weiteren Immler (1985); zu ‚Freiheit und Naturnotwendigkeit’ Meyer (2002b, S. 175 ff.). Auch für die Physiokraten war die ‚natürliche Ordnung’ von zentraler Bedeutung (siehe unten).

178

Russlands Sonderweg der Transformation

100

Vgl. Stavenhagen (1969, S. 15). Zur Begriffsbestimmung siehe Blaich (1973, S. 9 f.). Siehe zum Merkantilismus auch Holeczek (2002, S. 656). Mahl (1982, S. 124) verortet den Merkantilismus als „die Periode der Wirtschaftsgeschichte zur Zeit des Absolutismus bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“. Blaich (1973, S. 21) hebt die Schwierigkeit einer genauen zeitlichen Abgrenzung der Epoche des Merkantilismus hervor und beschränkt diese auf das 17. und 18. Jahrhundert, im Schwerpunkt auf die Zeit zwischen 1650 und 1750 (S. 25).

101

Vgl. Stavenhagen (1969, S. 18 f.). Ausführlich Blaich (1973) und Kruse (1997, S. 1627).

102

Es ist gewiss richtig, hierin eine Art der Zentralverwaltungswirtschaft zu sehen. So weist Schaefer (1993, S. 11) darauf hin, dass noch „[d]er letzte bedeutende englische Theoretiker des Merkantilismus ... James Steuart (1712-1780) ... [, der] mit der Formulierung der fundamentalen Marktgesetze von der Preisbildung aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage ... bereits eine Marktinterpretation verfolgte, ... an die Notwendigkeit einer staatlichen Lenkung der Wirtschaft [glaubte]“.

103

Seine deutlichste Ausprägung fand dies im Absolutismus und dem Ausspruch „L’Etat c’est moi“ („Der Staat bin ich“). Freilich musste auch hier die Zustimmung von Eliten durch Vergünstigungen gekauft werden – nach dem Prinzip des „divide et impera“ („Teile und herrsche“). Siehe hierzu Endnoten 68 und 78 in Kapitel 3.

104

Vgl. Mahl (1982, S. 125 f.). Geld und Edelmetalle zu mehren, kann als eine Art der Vorrangigkeit (gegenüber anderen Gütern oder Zielen) verstanden werden.

105

Freilich hatten Kolonien den Nachteil, dass ein Verlust heimischer Arbeitskraft durch Auswanderung zu verzeichnen war. Dem standen aber größere Vorteile durch Absatzmärkte für Fertigwaren und die Lieferung billiger Rohstoffe gegenüber (vgl. Schaefer 1993, S. 10).

106

In verschiedenen europäischen Ländern gab es unterschiedliche Ausprägungen; siehe mit ausführlichen Beschreibungen Blaich (1973).

107

Der Polizeiwissenschaft oblag die sittliche Erziehung des Volkes (!), die Staatsfinanzwissenschaft beschäftigte sich mit Einnahmen und Ausgaben des Staates und ihren Quellen, die Ökonomie befasste sich mit der Technologie der landwirtschaftlichen, der gewerblichen und der Bergbauproduktion. Insbesondere Elemente der Staatsfinanzwissenschaft sind in der öffentlichen Verwaltung bis heute präsent.

108

Die sozialistischen Ideen von Marx wurden stark von den Physiokraten beeinflusst (siehe Krüsselberg 2002, S. 76).

109

Vgl. Stavenhagen (1969, S. 35); Schaefer (1993, S. 13). Ein weiterer wichtiger Vertreter war neben den Schülern Quesnays (wie Mirabeau) vor allem Turgot (siehe Kolb 2000, S. 488; ausführlicher Stavenhagen 1969, S. 43 f.). Einen eigenen Blick auf die Physiokraten hat Immler (1985, insbesondere S. 295-426); ausführlich zur Physiokratie Kruse (1997).

110

So folgte ihr die smithianische Periode der liberalen Klassiker (siehe Mahl 1982, S. 10).

Endnoten zu Kapitel 3

179

111

Wörtlich übersetzt bedeutet Physiokratie nichts anderes als ‚Herrschaft der Natur’ (physis = Natur, kratein = herrschen) (siehe Kolb 2000, S. 488; ähnlich Immler 1985, S. 303).

112

Die physiokratische Philosophie ist für Pribram (1992a, S. 1163) durch eine „Unterordnung des Willens unter die Vernunft“ gekennzeichnet. Solange aber die „wahre natürliche Ordnung“ nicht gefunden ist, läuft dies auf die willkürliche Setzung von Ordnungen hinaus, deren Durchsetzung mit den in Kapitel 2 ausführlich beschriebenen Problemen verbunden ist.

113

Ähnlich stellt Kolb (2000, S. 490) heraus, dass der Boden die einzige Quelle des Reichtums ist. Mahl (1982, S. 142) hebt hervor, dass nur derjenige an der Schaffung des Volksreichtums beteiligt ist, der die natürlichen Rohstoffe gewinnt. Das „Tableau Économique“ von Quesnay ist eine Kreislaufdarstellung der Wirtschaft, mit dessen Hilfe die Funktionsweise der Ökonomie abgebildet werden soll. Die Abstraktion der Darstellung ist an den Blutkreislauf angelehnt. Es wurde um die Jahreswende 1758/59 erstmals abgedruckt (vgl. Mahl 1982, S. 137).

114

Der Agrarbereich ist der einzige Wirtschaftsbereich, in dem Reinerträge (im Sinne neuer Güter) produziert werden können (vgl. Schaefer 1993, S. 13; dazu auch bereits von Thünen 1826/1990, S. 26). Handel und Gewerbe verarbeiten nur bereits vorhandene Güter, schaffen aber keine neuen (Roh-)Produkte (ähnlich auch Mahl 1982, S. 140). Daher sieht A. Smith eine systematische Diskriminierung von Gewerbe und Handel und kritisiert sie ebenso wie den Merkantilismus als gefährdet für den Einfluss von Interessen und Ideologien. Auch in diesem Verständnis ist wiederum eine Art von Vorrangigkeit angelegt. Die Grundeigentümer (la classe des propriétaires) erfüllen ihre Verteilungsfunktion freilich nicht kostenlos: Sie verdienen am Ertrag der Landwirtschaft mit (vgl. Mahl 1982, S. 146). Die Korruption in der Bürokratie, die mit der Machtfülle der Staaten wächst, kann als moderne Ausprägung der classe distributive gelten (siehe zum Verhältnis von Machtfülle und verzweigtem Verwaltungsapparat Leipold 1997b, S. 411). In Russland hatte sich für einen ehemaligen hohen Regierungsbeamten die Bezeichnung „Mr. 2 Prozent“ eingebürgert, weil dies jener Betrag war, den die Investoren für das Wohlwollen seiner Entscheidungen aufwenden mussten.

115

Es galt der Grundsatz „laissez-faire et laissez-passer, le monde va de lui-même“ (vgl. Stavenhagen 1969, S. 41; Kolb 2000, S. 488). Jeder solle auf seinem Feld anbauen oder als Handwerker herstellen können, was er wolle (vgl. Mahl 1982, S. 149).

116

So beim französischen Finanzminister Turgot (vgl. Mahl 1982, S. 159).

117

Vgl. Stavenhagen (1969, S. 36); Kolb (2000, S. 490). Siehe zur Funktionsweise der Güterallokation sowie der zur Produktion notwendigen Rohstoffe und Vorprodukte ausführlich von Hayek (1984). Die Allokation kann entweder durch den Markt oder durch zentrale Planung erfolgen; zum letzten Fall siehe Leipold (1977/1989, S. 1620).

180

Russlands Sonderweg der Transformation

118

Siehe zu den Typen von Wirtschaftsordnungen, denen jeweils unterschiedliche Methoden der Koordination zugrundeliegen, die eingangs zu Kapitel 2 getroffenen Aussagen.

119

Habermann (2002, S. 180) verweist zu Recht auf frühere Utopien planwirtschaftlicher Wohlfahrtsstaaten mit Kollektiveigentum aller Schichten (so bereits bei Thomas Morus), aus denen dann der „[moderne] Sozialismus und andere durchgängig konstruktivistische Staatsromane“ hervorgingen. Man darf für die Physiokratie von einem hinreichend großen Anteil bei den späteren in dieser Hinsicht zugeneigten Theorien ausgehen.

120

Ötsch verweist auf weitere Quellen. Bemerkenswert ist, dass René Descartes (15961650) seinen Ansatz mit dem Glauben an die Freiheit des Willens verband (vgl. Pribram 1992b, S. 122 f.).

121

Damit würden zwar die Menschen als Individuen mit individuellen Interessen definiert, sie könnten aber ihre feudal-ständische Bestimmung nicht überwinden (ebenda).

122

Es sei hier nochmals bemerkt, dass Goethe, der in dieser Arbeit bereits mehrfach zitiert wurde, ausführlich mit dem Werk der Merkantilisten, Physiokraten und liberalen Klassiker (Adam Smith) bekannt war (siehe Endnote 77 in Kapitel 2, Abschnitt 2.2.3.1.). Obwohl am Hofe in Weimar mit kameralistischen Aufgaben betraut, lehnte er den Merkantilismus ab. Gewiss war er auch nicht mit allem in der physiokratischen Lehre einverstanden (vgl. Mahl 1982, S. 152). Zur Bekanntheit Goethes mit dem Werk von A. Smith siehe auch Streissler (2005a, S. 23). Aber er war ihr, wie auch den Ansichten von Adam Smith, mehr zugeneigt (wenn auch nicht uneingeschränkt). Das ist nicht zuletzt insofern bemerkenswert, weil es einen Hinweis auf die Mobilität des Wissens in damaliger Zeit gibt, die im Falle Russlands noch von Interesse sein wird. Darüber hinaus liefert Streissler hier selbst einen Hinweis darauf, dass die Physiokratie mehr als eine lokale Erscheinung war.

123

Vgl. Mahl (1982, S. 163). Allerdings stellt Turgot (1924, S. 112) heraus, dass „in einem Staate kein anderes wirklich verfügbares Einkommen übrig [bleibt] als der Bodenreinertrag“.

124

Zur Kritik von A. Smith an den Physiokraten siehe Immler (1985, S. 296 ff.). A. Smith besuchte Quesnay in Paris, aber nicht zuletzt durch die unterschiedliche ökonomische Situation in England und Frankreich und durch den damit verbundenen unterschiedlichen Erfahrungshintergrund ist nicht von einer großen Aufgeschlossenheit für die Lehre des anderen auszugehen (vgl. Immler 1985, S. 298; s.a. Mahl 1982, S. 138 f.). Freilich wurden auch von Smith Elemente physiokratischen Denkens in seine Theorie übernommen, so „die Unterscheidung von reinem und abgeleitetem Einkommen“ (siehe Rosner 1997, S. 202).

125

Zur Unteilbarkeit der Freiheit und der Unmöglichkeit, aufgrund der Interdependenz der Teilordnungen die Freiheit in der einen von der in einer anderen zu trennen, siehe Kapitel 2.

126

Hervorzuheben ist bei Marx auch der hohe Stellenwert der Investitionsquote (Abteilung I und Abteilung II).

Endnoten zu Kapitel 3

181

127

Allerdings blieben auch ihm wesentliche Zusammenhänge verborgen. So stellt von Hayek (1996a, S. 62) fest: „Wie wenig klar sich insbesondere Karl Marx darüber war, auf welche Art und Weise geeignete Regeln individuellen Verhaltens eine Ordnung in der Großgesellschaft hervorbringen, wird am besten sichtbar, wenn wir untersuchen, was ihn dazu brachte, von einem ‚Chaos’ der kapitalistischen Produktion zu sprechen. Was ihn hinderte, die Signalfunktion der Preise zu erkennen, die den Menschen sagen, was sie tun sollen, war seine Arbeitswertlehre“.

128

Zum philosophischen Hintergrund der Theorie von K. Marx siehe Pribram (1992b, S. 467-475).

129

An dieser Stelle kann leider nicht näher auf Einzelheiten eingegangen werden, so dass die Darstellung etwas holzschnittartig erfolgen muss. Es sei allerdings auf ein Problem jeder Ideologie – und jeder Theorie, wenn sie sich gegenüber der Popperschen Forderung nach Falsifizierbarkeit immun glaubt – hingewiesen: Wenn die Annahmen falsch sind, dann können auch richtige (logische) Schlüsse zu falschen Ergebnissen führen. Mit anderen Worten: Etymologisch betrachtet, sind Schlüsse zwar innerhalb von Ideologien durchaus ‚ideo’-‚logisch’, d.h. die abgeleiteten Aussagen folgen dem Rahmen, den die Idee ihnen vorgibt. Wenn dieser jedoch falsch ist, dann müssen die Versuche zur Aufhebung der „Selbstentfremdung“ und zur Rückkehr zum „normalen“ System in den „drückendsten Despotismus“ (W. von Humboldt) münden (siehe hierzu auch die oben getroffenen Aussagen in Kapitel 2).

130

Das kann als Versuch gesehen werden, im Bereich der Ökonomie von der radikalen zu einer gemäßigten Form überzugehen.

131

Freilich gibt es neben den hier skizzierten Ansätzen zahlreiche weitere, die Vorrangigkeiten im ökonomischen Denken begründen können (beispielsweise die Mengersche Güterordnung, aber auch wirtschaftstheoretische ‚Schulen’ wie die ‚Historische Schule’). Siehe zur Mengerschen Güterordnung Menger (1871/1968, S. 7-10); Geue (1997, S. 32 ff.); zur ‚Historischen Schule’, die als ‚älterer Institutionalismus’ in mancher Lesart auch als ein Vorläufer der ‚Neuen Institutionenökonomik’ gesehen wird, siehe Frenkel und Hemmer (1999, S. 308). Für den hier untersuchten Zusammenhang muss es jedoch genügen, einige wesentliche Ansätze zu skizzieren, die eine besondere Bedeutung für das Erkenntnisziel vermuten lassen.

132

Dies bedeutete eine Zentralplanwirtschaft mit staatlicher Festsetzung der Preise, Festlegung in Plänen, wer was und wieviel zu produzieren hat sowie staatliche Kontrolle des Außenhandels mit Devisenbewirtschaftung. Raum für privatwirtschaftliche Initiative und unternehmerisches Handeln verblieb (zumindest in der Sowjetunion) nicht.

133

Dies bedeutete eine sozialistische Gesellschaftsform, eine „Diktatur des Proletariats“ (der Widerspruch zum „demokratischen“ Namen war mehr als nur sprachlich), de facto-Einparteiensysteme ohne wirkliche demokratische Alternativen und Verfolgung Andersdenkender sowie einen allmächtigen Polizei- und Überwachungsapparat.

134

Aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein sozialistischer Staat, der bis 1989 (Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990) Bestand hatte.

182

Russlands Sonderweg der Transformation

135

In Mittel- und Osteuropa wurden seit Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre marktwirtschaftliche und demokratische Reformen durchgeführt mit dem Ergebnis, dass die Marxsche Ideologie fast überall verschwunden ist oder nur noch eine unbedeutende Rolle spielt. Mittlerweile sind nur wenige sozialistische Länder verblieben, beispielsweise Kuba und Nordkorea. Andere, wie China, sind trotz Beibehaltung alter Strukturen auf dem Weg zur Marktwirtschaft (und in der Folge – mit Blick auf die Unteilbarkeit der Freiheit – gewiss auch zu stärker demokratischen Systemen).

136

Zusätzlich zu Privilegien sind Sicherungs- und Überwachungsapparate unentbehrlich (vgl. Leipold 1997b, S. 413). Dies dürfte nicht nur für Despotien, sondern für alle nicht-demokratischen Systeme, einschließlich ‚defekter’ Demokratien, gelten.

137

Zwar ist umstritten, ob Peter der Große (1689-1725) durch die Wirtschaftslehren des Merkantilismus geprägt war, doch hat er ihn zweifellos bei Reisen nach Westeuropa kennengelernt, und die russische Wirtschaftspolitik wies zur Zeit des Merkantilismus typische merkantilistische Züge auf (vgl. Blaich 1973, S. 185).

138

So wurden unter Zar Peter dem Großen Straßen, Brücken, Kanäle und Häfen gebaut, die russische Flotte „buchstäblich aus dem nichts“ geschaffen und die Eisenproduktion in sehr hohem Maße gesteigert (vgl. Blaich 1973, S. 185).

139

Damit verbunden war eine hohe Autarkiebegabung. Zur Bedeutung geographischer und klimatischer Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung siehe ausführlich den folgenden Abschnitt 3.2.3. sowie den Abschnitt 4.2.1. für die Besonderheiten Russlands.

140

Heinrich Friedrich von Storch (1766-1835), Jenaer Nationalökonom, seit 1788 Professor in Sankt Petersburg, in Russland bekannt als Andrej Karlowitsch Schtorch (Андрей Карлович Шторх). Vgl. Stavenhagen (1969, S. 105 f.); Rosner (1997, S. 193); Zweynert (2002, S. 90 ff.; 2003, S. 62).

141

Es ist also zu vermuten, dass die Zarin in der Tat auch gegenüber diesen Theorien – in gewissem Maße – aufgeschlossen war.

142

Dabei war gewiss von Storchs Begabung hilfreich, „seine ausgebreiteten Kenntnisse auf leichte und gefällige Weise Anderen mitteilen zu können“ (ebenda). Für Rosner (1997, S. 193) war von Storch indes „ein interessanter Polemiker“. Im Register von Marx, K. (1970, S. 536) wird bemerkt, er „vulgarisierte die klassische bürgerliche politische Ökonomie“. Zu den Ursprüngen und zur Verbreitung der Theorien hält bereits von Mises (1940, S. 711) die Feststellung für notwendig, „dass alle politischen und wirtschaftspolitischen Ideen, die heute die Welt erfüllen, von Engländern, Schotten und Franzosen ausgebildet wurden. Weder Deutsche noch Russen haben zum Gedankengut des Sozialismus auch nur ein Jota hinzugefügt“.

143

Die Bemerkung mag interessieren, dass „[er] die mathematische Behandlungsweise der Nationalökonomie verwirft ...; seiner Anschauung nach liegen hier keine eigentlichen Naturgesetze vor, sondern eine nach den Anlagen, Bedürfnissen, Gesinnungen verschiedene, freie Thätigkeit der Menschen“ (Kieseritzky 1893/2007, S. 438). Darin ist nicht nur ein wesentlicher Unterschied zur Suche nach der naturgesetzlichen Ord-

Endnoten zu Kapitel 3

183

nung der Physiokraten zu sehen. Diese Erkenntnis mag auch bei der heute anzutreffenden Tendenz zur Mathematisierung der Volkswirtschaftslehre hilfreich sein. So warnt von Hayek (1979, S. 16) zu Recht vor der „mechanische[n] und unkritische[n] Anwendung von Denkgewohnheiten auf andere Gebiete, als in denen sie sich herausgebildet haben“, und verurteilt dieses als „szientistisch“ bezeichnete Vorgehen. 144

So wurden damals zumindest jene Defizite vermieden, die bei der Übertragung des ‚Washington Consensus’ auf Russland zu Beginn der 1990er Jahre kritisiert wurden (siehe dazu den Abschnitt 2.1.2.3.). Freilich ist andererseits anzumerken, dass die reformierende Wirkung nicht allzu deutlich – und vor allem nicht nachhaltig – war, wie in Kapitel 4 dargestellt wird).

145

Freilich gilt es einige Besonderheiten zu beachten (siehe Kapitel 4).

146

Siehe Lorenz (1977, S. 18), der die Ko-Entwicklung von Umwelt und Wahrnehmungsapparat des Menschen betont (siehe hierzu auch Kapitel 2). Zum Zusammenhang von Klimaveränderungen und kulturellen Veränderungen in frühgeschichtlicher Zeit siehe beispielsweise Eisenhauer (1999, S. 216).

147

Zur Notwendigkeit, diese Faktoren in der Ökonomie zu beachten, siehe beispielsweise Hall et al. (2001).

148

Neben den ‚harten’ (z.B. Investitionsumfeld und Kosten) gibt es ‚weiche’ Faktoren (Freizeitmöglichkeiten, Schönheit der Natur usw.), die über die Attraktivität eines Standorts entscheiden. Zu den Determinanten, die die Bevölkerungsdichte beeinflussen, gehören Landwirtschaft, Industrie, Handel, Wohnlage, politische Faktoren und andere (vgl. Parker 1972, S. 175 f.).

149

Wenn im Paradies die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, gibt es keinen Anreiz, das Bedürfnis (Hunger) durch eigenes Handeln zu befriedigen. Die Suche nach geeigneten Jagdmethoden findet nicht statt, Pfeil und Bogen bleiben ebenso unentdeckt wie Feuerwaffen oder das Feuer selbst (und in der Folge auch die Mikrowelle). Ebenso wenig wie zu wirtschaftlicher kommt es zu institutioneller Entwicklung, da keine Notwendigkeit besteht, die Regelsysteme zur Koordinierung des individuellen Handelns veränderten relativen Knappheiten und somit neuen Herausforderungen anzupassen. Zur Verdeutlichung klimatischer Einflüsse auf die Entstehung industrialisierter Volkswirtschaften siehe beispielsweise Hesse (1982) – jedoch nicht als Beitrag zur Klima-, sondern zur Evolutionstheorie.

150

Siehe zum Einfluss von Klima und Geographie neuerdings beispielsweise Hofstede (1997, S. 55-59); Krugman (1999).

151

Freilich folgen Entscheidungen mitunter keinem ökonomischen, sondern einem politischen Kalkül (siehe Stadelbauer 2001, S. 10). So sind viele der während der Sowjetunion in Sibirien entstandenen Städte und Produktions- bzw. Förderanlagen durch politische Festlegung gegründet worden – mit der Folge, dass sie unter marktwirtschaftlichen Bedingungen – selbst bei steigenden Weltmarktpreisen für die dort gewonnenen Rohstoffe – oft nicht lebensfähig sind (siehe Kapitel 4).

152

In einer empirischen Studie kommen Moreno und Trehan (1997) zu dem Ergebnis, dass die Wachstumsrate eines Landes mit denen der Nachbarländer korreliert ist (was

184

Russlands Sonderweg der Transformation

nach ihrer Meinung nicht allein durch den Handel erklärbar sei). Insofern kann die Abgeschiedenheit von den Wachstumszentren durchaus als Nachteil gelten. 153

Siehe zusammenfassend Chisholm (1968, S. 23 f.), der feststellt, dass neben einer mangelnden Aufmerksamkeit das Problem bestehe, dass Geographen im Rückgriff auf die physische Welt nach absoluten, Ökonomen aber nach relativen Phänomenen (Werte) suchen würden. Zum Problem unterschiedlicher Begriffe sei hier nochmals auf Ostrom (1986) verwiesen, die zeigt, dass die Entwicklung eines wissenschaftlichen Gebiets gehemmt wird, wenn es keine klaren und von allen geteilten Vorstellungen über den Inhalt von Begriffen gibt.

154

Dazu zählen Bodenschätze wie fossile Energieträger, Erze und Minerale, aber auch nachwachsende Rohstoffe wie Holz, landwirtschaftliche Pflanzen und Wasser. Nach Stahl (1997, S. 58) können nicht nur immobile Ressourcen wie Kohle oder Eisenerz, sondern auch geographische Besonderheiten zur Agglomerationsbildung (Schwerpunkte des Handels) beitragen.

155

Steigende Preise auf dem Weltmarkt führen dazu, dass die Kapazitäten ausgeweitet und auch bislang unrentable, weil zu teure Vorkommen erschlossen werden können.

156

Reichtum an Rohstoffen bedeutet demnach nicht automatisch auch eine bessere wirtschaftliche Entwicklung (vgl. Clement 2003, S. 306).

157

„Climate is the sum of weather conditions prevailing in any area. It is the result of the combined effects of temperature, precipitation, air pressure and associated elements such as humidity and wind force“ (Parker 1972, S. 12).

158

Dies wurde auch in empirischen Studien gezeigt, so beispielsweise bei Masters und McMillan (2001). Klima und Rohstoffausstattung können die Möglichkeiten zur Realisierung von Produktivitätsgewinnen begrenzen (vgl. Frenkel und Hemmer 1999, S. 321).

159

Siehe dazu Iljin (1948/2007, S. 2): „[D]ie Staatsform [sollte] dem Klima und der Natur eines Landes Rechnung tragen. Ein hartes Klima erschwert die ganze Organisation des Volkes, allen Verkehr, alle Verwaltung. Die Natur beeinflußt den Charakter der Menschen, die Verpflegung des Landes, ihre Industrie; sie bestimmt seine geographischen und strategischen Grenzen, seine Verteidigung, den Charakter und das Ausmaß seiner Kriege. All das sollte in der Staatsform in Betracht gezogen werden“ (Übersetzung T.W.).

Kapitel 4: Russlands Oligarchie und ihre Wurzeln 1

Zu diesem Befund siehe beispielsweise Cukrowski (2004); Welsch (2005); Hosp (2007); Sutela (2008).

2

Siehe dazu Alexandrow (2000). Die Aussage bezieht sich darauf, dass anders als während der Sowjetunion nicht mehr Ware als Tauschmittel eingesetzt wird, sondern Geld (insbesondere US-Dollar). Zweiter Aspekt ist der Umstand, dass dies oftmals nicht auf gleichsam regulären Märkten geschieht, sondern zu wesentlichen Teilen in der

Endnoten zu Kapitel 4

185

Schattenwirtschaft oder im Rahmen von Korruption (siehe Abschnitte 4.3.1. und 4.3.2.). 3

So ist Präsident Medwedjew bei einer öffentlichen Ansprache vor russischen Diplomaten verbal eher zurückhaltend aufgetreten, hinter verschlossenen Türen hat er aber von ihnen umso heftiger Aggressivität und Widerstand gegen Kritiker Russlands gefordert: Russland sei wieder stark und habe alle Möglichkeiten (vgl. Ludwig 2008a, S. 5).

4

Die Darstellung der Gegebenheiten in Russland in diesem Kapitel wird es ermöglichen, aus Defiziten bei der Geltung der Prinzipien Folgerungen für die russische Entwicklung abzuleiten.

5

Dazu zählen beispielsweise Fehlallokationen von Gütern und Produktionsfaktoren, Anreiz- und Kontrollprobleme sowie das Problem der Nichtzentralisierbarkeit des Wissens mit Folgen wie „weichen“ Plänen, mangelnder Qualität, ineffizienter Produktion usw.

6

Siehe zu dieser Sichtweise auch Wagener (2001, S. 136).

7

Die Angaben variieren und sind durch Zuzug aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken sowie Wegzug, beispielsweise in das europäische Ausland, gewissen Schwankungen unterworfen (siehe beispielsweise Stadelbauer 2001, S. 19; Mommsen 2002, S. 355). Zur ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung siehe wiederum Mommsen (2002, S. 355).

8

Zu nennen sind insbesondere Moskau und Sankt Petersburg, daneben haben 167 Städte mehr als 100.000 Einwohner. Fast drei Viertel der russischen Bevölkerung leben in städtischen Gebieten (vgl. Stadelbauer 2001, S. 17).

9

Siehe dazu Clement (2003, S. 304). Nach Thumann (2002, S. 237) „stehen in Sibirien und den nördlichen Gebieten Russlands rund 300 verfallene Siedlungen vor der Schließung oder sind bereits menschenleer“. Freilich könnte bei steigenden Rohstoffpreisen der Abbau in diesen Regionen wieder rentabel werden.

10

Schließlich blieben jene „Menschen zurück, die keine andere Wahl haben“ (Thumann 2002, S. 235).

11

Mit der verfehlten Industrialisierungspolitik wurde schon in der Zarenzeit begonnen.

12

An anderer Stelle bemerkt Raupach (1971, S. 136) zusammenfassend, dass die Kostenstrukturen einer Dezentralisierung entgegenstehen können, weil (bei gegebenen Planpreisen) durch eine zu weitgehende Annäherung an Marktmechanismen die Ertragslage und Anreizwirkungen bisheriger Verlustbetriebe verschlechtert würden.

13

So mögen zwar aus der Systemlogik zentralplanwirtschaftlicher Ordnungen heraus aus naturräumlichen Gegebenheiten Restriktionen erwachsen, diese sind jedoch – wie andere große Länder mit schwierigen klimatischen Verhältnissen wie etwa Kanada zeigen – keine Begründung für das zentralplanwirtschaftliche System selbst. Kritisch zu Raupachs Begründung eines zentralistischen russischen Staats siehe auch Schüller (1973, S. 32 ff.).

186

Russlands Sonderweg der Transformation

14

Diese Großregionen stimmen mit den sieben Militärbezirken überein (vgl. Mommsen 2002, S. 398).

15

Die „Subjekte“ (Gebietskörperschaften) gehen auf Prägungen aus der Sowjetzeit zurück (vgl. Mommsen 2002, S. 396). Einen Überblick bieten Götz und Halbach (1993).

16

Auch ist hierbei relevant, dass Russland ein Viel-Völker-Staat ist.

17

Vgl. Aschenbrenner (2007, S. 26); ähnlich schon Dathe (1995, S. 81).

18

Siehe auch Hosking (2000, S. 89). Die Flucht der Altgläubigen vor staatlicher und kirchlicher Verfolgung in die entlegenen Gebiete beispielsweise des Nordens oder Sibiriens wird von Figes (2003, S. 329 f.) beschrieben.

19

Zu diesen Angaben siehe Stadelbauer (2001, S. 12 ff.). Kritisch zu den russischen Agrarstrukturen insbesondere unter Präsident Putin, die sich durch verbreitete politische Einflussnahme auf Organisationstruktur, Produktion und Preise auszeichnen, siehe auch Wandel (2005, S. 40-43).

20

So weist Margolina (2006a, S. 13) darauf hin, dass auch der Wodka-Konsum in Russland auf das Klima zurückgeführt wurde. D’Inka (2007, S. Z 3) stellt fest, das russische Essen sei geprägt von den langen Wintern und den Fastenregeln der orthodoxen Kirche. Plausibel erscheint die Aussage von Henke (2003, S. 139), das Kontinentalklima Russlands mit nur zwei Wochen Zeit für die Ernte habe gemeinsames Handeln erfordert und die Entstehung des dörflichen Zusammenhalts in der Gemeinde („Sobornost“, „Obschtschina“) gefördert (siehe zur Bedeutung der Begriffe Abschnitt 4.2.2.2.).

21

Siehe dazu Barabanow (2000, S. 84 f.). Staatliche Planungsbehörden können mittels dirigistischer Eingriffe im Widerspruch zum Marktpreismechanismus einen Teil der Herstellungskosten von Gütern nach dem Gemeinlastprinzip sozialisieren, also auf die Gesamtheit der Steuerzahler übertragen (siehe Schüller 1993, S. 130). Bodenpreise und Transportkosten sind dann von untergeordneter Bedeutung für den staatlich festgelegten Verkaufspreis eines Produktes (vgl. Wiles 1965, S. 442).

22

Das durchschnittliche Alter der Produktionsanlagen in der Industrie ist von 1991 bis 2000 von elf auf mehr als 18 Jahre gestiegen. Von den Industrieinvestitionen absorbierte die Rohstoffwirtschaft 2001 rund 27 % (vgl. Clement (2003, S. 300).

23

Siehe dazu Mommsen (2002, S. 396 ff.); Thumann (2002, S. 220 ff.); Clement (2003, S. 303).

24

Freilich kommt es vor allem auf den Umgang mit den Devisenzuflüssen an.

25

Siehe dazu auch Clement (2003, S. 307). Die Wirkzusammenhänge können indes komplexer und mögliche Konsequenzen differenzierter sein, als das an dieser Stelle dargestellt werden kann. Die Effekte sind zudem schwer messbar. Für Russland ist zu vermuten, dass ein starker Rubel der in sowjetischer Zeit vernachlässigten, weil in den Wirtschaftsplänen als nachrangig angesehenen Konsumgüterindustrie weniger hilft, als den ausländischen Konsumgüterherstellern, deren Erzeugnisse von Russland importiert werden.

Endnoten zu Kapitel 4

187

26

Der russische Zukunftsfonds hat ein Volumen von mehr als 160 Mrd. US$, davon enthält der „Reservefonds“, der maximal 10% des russischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen darf, ca. 130 Mrd. Dollar. Die restlichen Gelder speisen den „Wohlfahrtsfonds“, der unter anderem das Pensionssystem stützen soll (vgl. Hosp 2008, S. 13). Die Wirtschafts- und Finanzkrise brachte freilich auch diese Fonds in Bedrängnis (vgl. Hosp 2009a, S. 14).

27

Zum Einfluss mächtiger Interessengruppen in der Energie- und Grundstoffindustrie siehe auch Clement (2003, S. 306).

28

Der Einsatz von Rohstoffen als Instrument zur Durchsetzung von Machtinteressen ist indes nicht neu. Bereits Schüller (1986b, S. 145 ff. und S. 156 ff.) beschreibt ausführlich, wie die Sowjetunion Rohstoffe sowohl im Inneren, als auch gegenüber Staaten eigener Einflusssphäre sowie gegenüber Gegnern instrumentalisiert hat. Auch der Einkauf staatlicher russischer Unternehmen in westliche Energieversorgungsnetze wird als Mittel gesehen, Vorteile aus Marktvermachtung im „Westen“ zu ziehen (vgl. Margolina 2006b, S. 25). Siehe dazu auch den Abschnitt 4.3.4.3.

29

Zur russischen Geschichte siehe ausführlich Kappeler (1992); Hosking (2000). Zu Aspekten der wirtschaftlichen Geschichte Russlands siehe oben Abschnitt 3.2.2.2., darüber hinaus ausführlich Heller (1987); Zweynert (2002). Freilich gilt es herauszustellen, dass die untersuchten Aspekte nicht determinierend sind und keine Allverbundenheit untereinander besitzen, gleichwohl eine Relevanz für die wirtschaftliche Entwicklung Russlands vermuten lassen. Zu den Grenzen und Möglichkeiten sozialwissenschaftlicher Aussagen siehe Meyer (2002a, S. 33 ff.).

30

Siehe zu dieser Diskussion beispielsweise Simon (1998); Ignatow (1999).

31

Vgl. Hübner (2000, S. 5), der allerdings die behauptete Zwangsläufigkeit kritisch sieht.

32

Siehe North (1988; 1992; 1994) sowie die dazu in Kapitel 2 getroffenen Aussagen.

33

Dabei gilt es zu beachten, dass geschichtliche Erfahrungen aus kapitalistischen westlichen Ländern nicht unbesehen auf die Agrar-Autokratie Russlands übertragen werden können (vgl. Kappeler 1992, S. 14).

34

Siehe zur Entstehung und Entwicklung der Kiewer Rus ausführlich Heller (1987).

35

Nowgorod wurde im Jahr 1478 an Moskau angeschlossen (vgl. Kappeler 2002, S. 96).

36

Davon abstrahieren jene Vertragstheorien, die davon ausgehen, dass freie und gleiche Individuen unter fairen Bedingungen miteinander verhandeln (s. Kapitel 2, Abschnitt 2.2.1., insbesondere Endnote 39). Nicht zuletzt für Russland wäre individualistischen, freiheitlichen Ansätzen eine kollektivistische Vertragstheorie gegenüberzustellen, die Macht- und Abhängigkeitsprobleme berücksichtigt.

37

Wörtlich: Autokratie = Selbstherrschaft (siehe Bibliographisches Institut 1971, S. 1999). Insbesondere zur russischen Selbstherrschaft siehe Bibliographisches Institut (1977, S. 544).

38

Siehe hierzu auch Weber, M. (1964a; 1964b mit verschiedenen Fundstellen).

188

Russlands Sonderweg der Transformation

39

Siehe zur Russisch-Orthodoxen Kirche den folgenden Abschnitt 4.2.2.2.

40

Exklusive Eigentumsrechte konnten so nicht entstehen, mithin ihre Anreiz- und wohlstandsfördernde Wirkung nicht entfalten (siehe dazu Schüller 1983; 1988a; 2002d, S. 115-125).

41

Die Rangplatzordnung („mestnitschestwo“) war ein hierarchisches System, das die Stellung der Mitglieder des Adels untereinander und zum Großfürsten regelte (vgl. Heller 1987, S. 86 ff. und S. 236 f.). Siehe zur Rangplatzordnung und ihren Besonderheiten wie der zeitlich befristeten Zuweisung der Rangplätze an die Adligen auch Weber, M. (1964b, S. 790 ff.).

42

Damit wird die Zeit nach dem Aussterben der Dynastie der Rjurikiden im Mannesstamm (1598) bis zum Beginn der Romanow-Dynastie (1613) bezeichnet (vgl. Heller 1988, S. 30).

43

So gab Iwan der Schreckliche (1533-1584) diesen Versuch schon zu Beginn seiner Regierungszeit wieder auf (vgl. Hosking 2000, S. 89). Es ist freilich zu fragen, wie energisch dieser Versuch angegangen wurde.

44

Ein Grund für die Persistenz ist darin zu sehen, dass das Handeln der Menschen der Systemlogik entspricht und innerhalb des bestehenden Ordnungsrahmens rational ist (ein anderes Beispiel sind die „weichen“ Pläne in der Sowjetunion, die auch eine rationale Anpassung an die bestehende Ordnung waren).

45

Der Begriff ‚Vormoderne‘ meint die Zeit vor den tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, wie sie durch die Entwicklung von Maschinen und industrieller Produktion stattgefunden haben.

46

Auf Russlands polyethnische Zusammensetzung hatte bereits Heinrich von Storch viel Gewicht gelegt (vgl. Kappeler 1992, S. 15).

47

Siehe ausführlich Hosking (2000). Das ist deswegen problematisch, weil das Imperium – mehr noch als es eine Nation gewesen wäre – auf Macht gegründet war, die aus ihrer inneren Logik heraus die Freiheiten der Individuen einschränken musste. Dem Subsidiaritätsgedanken (Vorrang des Individuums und der jeweils unteren staatlichen Ebene) konnte von Beginn an kein Raum gegeben werden, weil den Herrschenden dann der Machtverlust gedroht hätte. Siehe kritisch zum Denken in „Großwirtschaftsräumen“ auch Schüller (2011, S. 821).

48

Insbesondere ethnische Heterogenität und autokratischer Zentralismus sind konfliktträchtig. Die Heterogenität wäre viel eher mit Dezentralisierung und Föderalismus vereinbar, was wiederum gegen die These von der Notwendigkeit eines zentralistischen Staates in Russland spricht. Dezentralisierung hätte aber, wie ausgeführt, das System selbst gefährdet.

49

Darin kann in der Tat ein Ansatz einer Dezentralisierung „von unten“ gesehen werden.

50

Hierin könnte man Anklänge zum späteren Saint-Simonismus sehen. Es verwundert nicht, ist aber bezeichnend, dass Putin in Peter dem Großen ein Vorbild sieht.

Endnoten zu Kapitel 4

189

51

Seit Peter dem Großen ist die imperiale Tradition Russlands (dem eigenen Anspruch nach) „die einzige Konstante seiner Politik“ (Luchterhandt 2009, S. 17).

52

Zum russischen Imperialismus und dessen militärischen Ambitionen im Gegensatz zu seinen ökonomischen Möglichkeiten siehe ausführlich – insbesondere für die Zeit von 1860 bis 1914 – Geyer, D. (1977). Auf Parallelen in den dort getroffenen Aussagen zur russischen Gegenwart weist Baberowski (2008, S. 33) hin.

53

Die starke Orientierung an militärischen Zielen war wiederum die Konsequenz des Großraumdenkens und der damit verbundenen Konflikte.

54

Diesem Vorrang entspricht ein Denken in Aggregaten, in Material- oder Planbilanzen, auf dem später in der Sowjetunion die Wirtschaftsrechnung und -steuerung beruhte (siehe die Abschnitte 4.2.3.1. und 4.2.3.2.).

55

Das spricht dafür, dass selbst dort, wo die Vorstellung von der Allzuständigkeit des Staates über Jahrhunderte tradiert wurde, die Zulassung von Freiheit und Eigenverantwortung zu gesellschaftlichem Wandel und wirtschaftlichem Fortschritt führen. Auch dieser Befund widerspricht der These von der Zwangsläufigkeit und Notwendigkeit eines autokratischen Systems in Russland.

56

Diese war geprägt durch eine asketische Lebensweise (Ablehnung von Alkohol, Tabak und generell weltlichen Zerstreuungen).

57

Sie wurde durch industriepolitische Maßnahmen gefördert (vgl. Götz 1999, S. 7). Unter dem gegebenen Ordnungsrahmen war das freilich die einzige Alternative, kam eine umfassende Liberalisierung nicht in Betracht.

58

Eine anschauliche Gegenüberstellung der stets längeren autoritären Phasen und kürzeren Phasen von Instabilität und Reformen seit Iwan IV. („dem Schrecklichen“) Mitte des 16. Jahrhunderts findet sich bei Reddaway und Glinski (2001, S. 20 f.). Dubin (2007, S. 76) weist darauf hin, dass sich der Impuls zum Wandel in der – insbesondere jüngeren – russischen Geschichte jedes Mal recht schnell erschöpft habe. Auch sei es nach Götz (2003b, S. 70) für Russland typisch, dass Reformen von oben und „stets gegen den Willen und konträr zu den Ansichten der Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt wurden“.

59

Nach Götz (2003b, S. 80) „[stand] die Verwestlichung des ökonomischen Denkens … bereits am Anfang einer russischen Denktradition und war von den Ideen des Liberalismus geprägt. … Die bereitwillige Rezeption westlicher (ökonomischer) Ideen … [war] ein Grundmuster der russischen Geistesgeschichte“. Allerdings setzten sich in der Auseinandersetzung autoritäre Ideologien wie die von Karl Marx durch (ebenda).

60

Siehe dazu auch den folgenden Abschnitt 4.2.2.2.

61

Die Reformen Alexanders II. hatten eine öffentliche Diskussion der schwerwiegenden Probleme Russlands zum Ziel, deshalb wurden die weiterhin gültigen drakonischen Zensurgesetze nicht angewendet, Zeitungen genossen über mehrere Jahre ein gewisses Maß wirklicher Freiheit (vgl. Hosking 2000, S. 363).

62

Papst Gregor XIII. bestimmte, dass auf Donnerstag, den 4. Oktober 1582 (julianisch), Freitag, der 15. Oktober (gregorianisch), folgen solle. Während Russland nach der

190

Russlands Sonderweg der Transformation

Oktoberrevolution im Februar 1918 den Gregorianischen Kalender eingeführt hat, verwendet die Russisch Orthodoxe Kirche bis heute den Julianischen Kalender für ihre Feiertage. Nach dem gregorianischen Kalender hat die „Oktoberrevolution“ im November 1917 stattgefunden. 63

Zur Unterordnung der Kirche unter den Staat siehe auch Kappeler (2002, S. 84 f.).

64

Siehe ausführlich zur Kirchenspaltung Hosking (2000, S. 96-105). Weit über die Kirche hinaus ist die soziokulturelle Spaltung eine für Russland bedeutsame Eigenart (siehe Litschev 2001, S. 24).

65

Bremer (2001, S. 257) gibt die Zeit des Heiligen Synods von 1721 bis 1917 an.

66

Von Jüchen (1958, S. 58 f.) spricht für die Zarenzeit von einer Ehe aus echter Liebe zwischen Kirche und Staat, für die Zeit danach von einer Vernunftehe, die freilich ohne Selbstbegrenzung der diktatorischen Staatsideologie für die Kirche ein bedingungsloses Unterordnungsverhältnis bedeutete.

67

Siehe zu den gemeinsamen Interessen der Russisch-Orthodoxen Kirche und des russischen Staates auch Adam (2000, S. 133 f.).

68

Doch suchen nicht wenige Menschen Orientierung und knüpfen an vorrevolutionären kirchlichen Traditionen an, um das Vakuum zu füllen, das durch den Verlust sowjetischer Institutionen entstanden ist (vgl. Schüle 2003, S. 16). Zu der damit verbundenen Identitätskrise siehe Litschev (2001, S. 29).

69

Vor diesem Hintergrund ist ersichtlich, dass das Subsidiaritätsprinzip (Vorrang des Individuums oder der niedrigsten staatlichen Ebene), das dem Prinzip des methodologischen Individualismus verbunden ist, keine Entsprechung in der Russisch-Orthodoxen Kirche finden konnte. Im westlichen Christentum wurde es auf äußeren politischen Druck in der Zeit des Faschismus etabliert, doch hat die Kirche in Russland – trotz stärkster Verfolgung – es nicht vermocht, zu vergleichbarer Folgerung zu kommen.

70

Zur Sozialkonzeption und dem kirchlichen Verständnis des Verhältnisses zwischen Russisch-Orthodoxer Kirche und Staat siehe ausführlich Kyrill (2003). Allerdings war sie lange unfähig, überhaupt eine geschlossene Soziallehre zu formulieren (vgl. Saizew 1998, S. 43).

71

Weitere Bezeichnungen sind „russischer Mensch“, „wir-Philosophie“, „Chor-Prinzip“ und andere (vgl. Litschev 2001, S. 41). In idealisierender Vorstellung wurde unter „Sobornost“ eine freie Vereinigung von Persönlichkeiten über Kollektivismus und Individualismus stehend verstanden (ebenda, S. 81).

72

Siehe auch Henke (2003, S. 134 f.). Nach Raupach (1979, S. 13) war die dörfliche Gemeinschaft aus der Kollektivhaftung für Steuerschulden und Ablösebeträgen für die Grundherrschaft entstanden.

73

Gemeinsame Zwecke können verbunden sein mit gemeinsamen Zielen.

74

Erstmals wurde die „Russische Idee“ von Tschaadajew 1836 in seiner fundamentalen Kritik alles Russischen, einschließlich des politischen Systems und der Orthodoxie,

Endnoten zu Kapitel 4

191

thematisiert. Die Grundaussage bestand darin, dass die wahre Geschichte eines Volkes mit der Besinnung auf die und die Verfolgung der eigenen führenden Idee beginne (vgl. Litschev 2001, S. 41). 75

Siehe ausführlich und mit detailliertem Werkverzeichnis Offermanns (1979).

76

Siehe zur Bedeutung der Sprache im russischen Denken Rumjanzewa (2003, S. 49).

77

Der Umsetzung dieses Gedankens dürfte freilich das gleiche Problem wie der Umsetzung des Sozialismus und anderer diktatorischer Experimente jedweder Färbung entgegenstehen: Die Freiheit würde zwangsläufig enden, und bleiben würde nur der „harte national-patriotische“ Teil der Diktatur. Das Tragische und für die russische Entwicklung wenig optimistisch Stimmende daran ist, dass dieser Ansatz als Konzept für die Zukunft Russlands quer durch das politische Spektrum breite Zustimmung findet. Bereits Tolstoi sah im „Patriotismus ... das letzte Refugium der Schurken“ (vgl. Ignatow 1993, S. 323 mit weiteren Verweisen). Dies gilt auch heute für die Nachfolger der Bolschewiken. Jene hatten Iljin wegen seiner Ideen des Landes verwiesen (vgl. Ignatow 1993, S. 317).

78

Siehe auch Kosals (2011, S. 7) mit aktuellen Bezügen.

79

Gemeint ist das Streben nach Vollendung und Aufgehobenheit im Jenseits, nicht in der realen Welt.

80

So ist nach Panther (1998, S. 212) beim Vergleich der Transformationsgesellschaften Mittel- und Osteuropas festzustellen, dass der Entwicklungsstand der Zivilgesellschaft in lateinischen Staaten höher ist als in orthodoxen.

81

Das Auseinanderstreben der Kultur der Elite auf der einen und der des Volkes auf der anderen Seite behinderte auch das Werden der Nation (vgl. Kappeler 1990a, S. 26).

82

Eine Art von Versklavung ist auch darin zu sehen, dass die vom Staat abhängigen Institutionen wie die Bauerngemeinschaft (im Bereich der Gutsherren), das Militär und auch die Kirche „direkt und indirekt der Trunksucht“ zuarbeiteten, die Kirche trug sogar zur „Legitimierung der Trunksucht als [eines] nationalen und religiösen Brauchs bei“ (siehe Margolina 2006a, S. 16). Wie das Entrichten von Abgaben war das Trinken Pflicht und ein Zeichen der Loyalität gegenüber dem Zaren (ebenda, S. 14).

83

Einen ausführlichen Versuch zur Beschreibung der „russischen Seele“ bietet Figes (2003, S. 313-376).

84

Zur Kulturgeschichte Russlands siehe ausführlich Figes (2003). Bemerkenswert ist, dass schon in der russischen Geschichte die Ostkirche – anders als die westliche Kirche – nicht an die Vereinbarkeit von kommerzieller Tätigkeit und christlichem Leben glaubte (vgl. Berman 1991, S. 534).

85

So seien Max Webers „Askese in der Welt“ und die „Askese außerhalb der Welt“ der orthodoxen Kirche Antipoden, die unvereinbar seien und letztlich auch erklären, warum die Russisch-Orthodoxe Kirche auf das soziale Engagement der evangelischen und katholischen Kirche in Russland mit Unbehagen reagiere.

192

Russlands Sonderweg der Transformation

86

Allerdings war ihre Zahl mit bis zu 20 Millionen Menschen zeitweise recht hoch (vgl. Figes 2003, S. 330).

87

Deshalb ist es an dieser Stelle auch interessant, etwas genauer auf die Ereignisse einzugehen. Jedenfalls dürften bei Umbrüchen nicht nur (aber auch!) einzelne Personen (wie Lenin oder Gorbatschow) bedeutsam sein, sondern ebenso die durch Sozialisation, Erziehung und Erfahrungen geprägten Verhaltensweisen der Bevölkerung und die Möglichkeiten (Freiheiten), die ihnen das bestehende System lässt.

88

Die Oktoberrevolution begann nach altem julianischem Kalender am 24. Oktober (7. November nach dem gregorianischen Kalender).

89

Der Zar dankte bereits am 12. März 1917 ab (vgl. Raupach 1979, S. 22).

90

So konnten die Bolschewiken das Zentrum besetzen, während sich die Gegenkräfte an der Peripherie organisieren und große Räume überwinden mussten (vgl. Hildermeier 2001, S. 18).

91

Vgl. Raupach (1965, S. 142; 1979, S. 35); Hoppmann (1991, S. 9). Eucken (1952/1990, S. 153) verweist in diesem Zusammenhang auf die Ecole Economique (Paris), an der die Ansicht entstanden war, die Wirtschaft eines Landes ließe sich ebenso zentral lenken wie die Elektrizität in einem großen Schaltwerk gesteuert werden könne.

92

Der OVWR wurde 1932 aufgelöst und in drei Industrievolkskommissariate für Schwer-, Leicht- und Holzindustrie aufgeteilt (vgl. Raupach 1965, S. 149).

93

Für die Elektrifizierung Russlands bestand ein eigener, „GOELRO“ genannter Plan (Gosudarstvennij plan Elektrifikazii Rossii / Государственный план Электрификации России).

94

Der Begriff stammt von Oskar Lange (vgl. Raupach 1965, S. 140). Zu ihren modelltheoretischen Funktionsprinzipien siehe ausführlich Hensel (1954/1979).

95

Diese stehen auch in einem Hierarchieverhältnis untereinander, indem sie Güter verschiedener Ordnungen produzieren, etwa Güter erster Ordnung (Traktoren) oder zweiter (Werkzeugmaschinen) oder höherer Ordnung (vgl. Hensel 1954/1979; Wiles 1965, S. 441).

96

Siehe auch Hensel (1954/1979, S. 115-206) mit zahlreichen weiteren Verweisen auf Russland (Sowjetunion).

97

Auch für Geld wäre in dieser Ordnung kein Platz mehr, und die Bolschewiken haben in der Finanzanarchie des „Kriegskommunismus“ in der Tat bereits die Morgenröte der geldlosen Zukunftsgesellschaft erblickt (vgl. Raupach 1979, S. 26). In Dostojewskis Verständnis, Geld sei „geprägte Freiheit“, erscheint die Abneigung der Bolschewiken dagegen geradezu zwangsläufig und folgerichtig. Freilich war auch für das Überleben in der Sowjetunion die Stellung in der Nomenklatur wichtiger als Geld (vgl. Sorokin 2003, S. 46).

98

Genannt sei das Dekret über die Nationalisierung der Erdölwirtschaft 1918 (vgl. Raupach 1979, S. 26).

Endnoten zu Kapitel 4

193

99

Von 1918 bis 1921 herrschte Bürgerkrieg (siehe ausführlich Hildermeier 2001, S. 1321). Raupach (1979, S. 34) sieht dessen Ende bereits 1920. „Die volkswirtschaftlichen Zustände während des Bürgerkrieges entsprachen einer durch diktatorische Maßnahmen der revolutionären Staatsgewalt mühsam gebändigten Anarchie“ (ebenda, S. 24). Insbesondere in der ersten Phase kam es zu Plünderungen (vgl. Scheibert 1984, S. 194 f.). Das alte Gerichtswesen hatte Lenin sofort abgeschafft (ebenda, S. 94 f.). Ohnehin ist in Phasen des Umbruchs der Unterschied zwischen Rechtssystem und Rechtswirklichkeit größer als sonst (ebenda).

100

Auch innerhalb dieser Klasse wurden abweichende Meinungen im Interesse der Herrschaftssicherung verfolgt (vgl. Luks 2006, S. 8).

101

Die kommunistische Partei – ab 1926 Kommunistische Partei der Sowjetunion / KPdSU genannt (Raupach 1979) – wurde zur Kaderschmiede und -schleuse (vgl. Hildermeier 2001, S. 20).

102

Hier wird wiederum jenes Instrument der Herrschaftssicherung erkennbar, das durch die Gewährung von Vorteilen im Tausch für Gefolgschaft ein wechselseitig lohnenswertes Arrangement zu Lasten der Gruppe der Außenstehenden bietet und dadurch zur Stabilisierung dieser Ordnung beiträgt. Siehe dazu auch Ševcova (2006, S. 12).

103

Dass der Terror der frühen Revolutionsjahre nicht erst von Stalin, sondern schon von Lenin entfesselt wurde, stellt Schmid (2003, S. 46) heraus. Auch sei Trotzki der Erfinder der Arbeitslager, was – da diesem der höhere Intellekt unterstellt wird – zeige, dass „Rationalität alleine noch nie in der Lage war, moralisches Handeln zu verbürgen“ (ebenda).

104

Etwa Untreue, Diebstahl oder den „schwarzen“ Weiterverkauf von Gütern, die zu staatlichen Preisen erworben worden waren (vgl. Wiles 1965, S. 447; Adam 2000, S. 93). Die Knappheit der Waren begünstigte spekulativen Zwischenhandel (vgl. Raupach 1965, S. 144).

105

Vgl. Wiles (1965, S. 439, Fußnote 5) mit Verweis auf K. Paul Hensel.

106

Vgl. Wiles (1965, S. 440). Siehe auch Eucken (1952/1990, S. 149), nach dem „[e]in Anstoß zu einer Politik zentraler Lenkung ... von dem stets lebendigen Trieb zur Macht aus[geht]“.

107

Raupach (1979, S. 27) spricht für die Jahre 1920-22 von einem Bevölkerungsverlust durch Hunger und sinkende Geburtenzahlen von 50 Millionen (!) Menschen.

108

Russisch: Nowaja Ekonomitscheskaja Politika (Новая Экономическая Политика). Die Angaben über die Zeitdauer variieren, allgemein wird diese Phase im Zeitraum 1921 bis 1928 verortet (vgl. Beichler 1980, S. 288; Hildermeier 2001, S. 22; Peterhoff 2002a, S. 181). Raupach (1979, S. 34) sieht das Ende der NEP 1925, Watrin (2005, S. 71) bereits im Jahr 1924. Ausführlich zur Phase der NEP siehe Scheibert (1984, S. 439-477).

109

Vgl. Raupach (1965, S. 143); Hildermeier (2001, S. 26); Peterhoff (2002a, S. 181). Eucken (1952/1990, S. 333) führt die NEP als Beispiel dafür an, dass Privaten wichtige Teile des Wirtschaftsprozesses auch in der Tyrannis überlassen werden könnten,

Russlands Sonderweg der Transformation

194

doch habe sich 1928 auch in Russland gezeigt, dass ihr das Bestreben innewohnt, Planungsentscheidungen selbst zu übernehmen. 110

Lenin starb am 21. Januar 1924.

111

Durch den schrankenlosen Terror hat Stalin die Parteidiktatur Lenins in eine absolute Autokratie verwandelt (vgl. Schmidt-Häuer 2003, S. 78). Hildermeier (2001, S. 160) hält den Stalinschen Massenterror für den Kern des sowjetischen Systems. Rechtlosigkeit und Willkür in den Straflagern schildern vor dem Hintergrund eigenen Erlebens eindringlich von Jüchen (1958); Solschenizyn (1970a); Lichatschow (1997). Letztlich führte dies, wie es Solschenizyn (1970a, S. 446 f.) zwei Gefangene diskutieren lässt, sogar dazu, die rechtlose Sicherheit des Lagers über die Freiheit zu stellen, da Freiheit ohnehin nicht freies Handeln bedeuten würde und die Unsicherheit noch gefährlicher erscheine als die bekannte Willkür. Dubin (2007, S. 67) nennt die in der ganzen sowjetischen Gesellschaft verbreitete Haltung, die eigenen Ansprüche herabzusetzen, um nicht alles zu verlieren, „Gefängnissyndrom“.

112

Siehe zum sowjetischen Planungs- und Wirtschaftssystem Kosta (1984); Peterhoff (2002b, S. 179 ff.). Zu den durchlaufenen Phasen vom Kriegskommunismus über die NEP bis zum Zusammenbruch 1991 siehe Kernig (2000, S. 92).

113

In ihren vergleichsweise liberalen Reformen sehen u.a. auch die Anhänger Medwedjews ein Vorbild.

114

Siehe dazu ausführlich Maier (1990).

115

„[D]ie Arbeit wird als Zwang und als Fron empfunden…, sie [ist] durch nichts mit dem eigenen Willen, dem eigenen Interesse verbunden … Je mehr auf die Erfüllung und Übererfüllung der Norm … hingewiesen wird, desto deutlicher wird dem Gefangenen – und dem ‚freien Arbeiter‘ dürfte es nicht anders gehen – der Froncharakter der Arbeit“ (von Jüchen 1958, S. 16 f.). Ähnlich stellt von Mises (1958/1979, S. 108) fest: „Die Wahrheit ist, daß ein Russe die Freiheit hat, allen Befehlen, die von seinen Vorgesetzten herausgegeben werden, zu gehorchen“. Sobald er aber nur geringfügig abweiche, werde er mit aller Härte verfolgt. Dieses Problem ist systemimmanent, „[d]enn letzten Endes verlangt jedes Einbinden des Eigeninteresses in das Interesse eines Großkollektivs totalitären Zwang“ (Giersch 1994, S. 15). Opposition wird nicht und kann systemlogisch auch nicht geduldet werden – darin liegt „der Unterschied zwischen Freiheit und Sklaverei“ (von Mises 1958/1979, S. 111).

116

An einem Beispiel zeigt Solschenizyn (1970b), dass die Verschwendung von volkswirtschaftlichen Ressourcen durch zentrale Lenkung und die Vernichtung von Sozialkapital miteinander einhergehen.

117

Stalin starb am 5. März 1953.

118

In der Überwindung des „Stalinismus“ wird Chruschtschows historische Rolle gesehen (vgl. Hildermeier 2001, S. 77). Ein Grund für den deutlichen Bruch Chruschtschows mit seinem Vorgänger wird darin vermutet, dass sein Sohn während des Krieges erschossen worden war, weil Stalin ihn nicht begnadigen wollte (vgl. Jakowlew 2003, S. 633).

Endnoten zu Kapitel 4

119

195

Siehe zur korporativen Solidarität der Nomenklatura Dubin (2007, S. 71).

120

Diesem Muster blieb selbst die russische Polizeireform verhaftet, die zwar die staatliche Kontrolle über die Aktivitäten der Polizei stärken sollte, aber das Erwirtschaften von Geld durch den Gebrauch ihrer Dienstposten und Ressourcen nicht grundsätzlich in Frage stellte (vgl. Kosals 2011, S. 8).

121

Die Ursachen lagen in systemimmanenten Schwächen der Zentralplanwirtschaft sowie in administrativ festgelegten produktionswirtschaftlichen Vorrangigkeiten (Bevorzugung von Militär- und Produktionsgütern gegenüber Konsumgütern); siehe zu den Defiziten der Produktion Bunitsch (1981, S. 11); auch Peterhoff (1992, S. 30). Götz (1999, S. 11) weist deshalb darauf hin, dass die Verwendung des Begriffs „Zentralplanwirtschaft“ für die sowjetische Wirtschaft insofern missverstanden werden könne, als er im Sinne eines „rationalen“ Vorgehens interpretiert würde. Dieses habe real nicht existiert, vielmehr sei die sowjetische Planwirtschaft eine „Prioritätswirtschaft“ gewesen, deren Prioritäten von der politischen Führung vorgegeben wurden und die aus dem Bereich des ökonomischen Kalküls ausgegliedert waren.

122

Siehe Wolkogonow (2001) zu den Sowjetführern von Lenin bis einschließlich Gorbatschow.

123

Breschnew starb am 10. November 1982.

124

So hält von Jüchen (1958, S. 206) die oberste Nomenklatura, die Mitglieder von Zentralkomitee und Politbüro, für die „philosophische Oligarchie des Landes, der allein die Diktatur zusteht“.

125

Siehe ausführlich Hofstede (1980; 1992; 1993; 1997) sowie Hofstede, G. und Hofstede, G. J. (2005) sowie den Abschnitt 3.1.1.1.

126

Russland belegt beim Machtdistanzindex von Hofstede, G. und Hofstede, G. J. (2005, S. 43) Platz 6 von 74 Ländern und weist damit eine sehr hohe Machtdistanz aus.

127

So war die Tochter Breschnews in den Diamantenschmuggel involviert (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 146). Siehe dazu auch Adam (2000, S. 24 ff.).

128

Diese nichtlegale „Privatisierung“ sowie die vom physischen Eigentum unabhängigen Verfügungsmöglichkeiten über Ressourcen sind durchaus eine Fortsetzung dessen, was bereits in der früheren russischen Geschichte üblich war.

129

Das griff eine zeitgenössische Anekdote auf: Ein Mann sucht einen Augen-OhrenArzt auf und beschreibt die Symptome „Ich sehe etwas, aber ich höre etwas anderes“. Gemeint war die sichtbare reale wirtschaftliche Lage, die im Widerspruch zu den Versprechungen der Propaganda stand (vgl. Nötzold 1996, S. 136). Zum Problem der kognitiven Dissonanz und damit verbundenen Verhaltensweisen der Individuen siehe oben den Abschnitt 2.2.3.3.

130

Siehe eingehend zum Dissens in der Sowjetunion auch Schlögel (1984).

131

So hatte man gelernt, entweder keine Meinung zu haben, oder sie nicht zu zeigen (vgl. von Jüchen 1958, S. 38).

196

Russlands Sonderweg der Transformation

132

Zu den dabei wirksamen Mechanismen und Gründen siehe das Beispiel von Popitz (1968) zur Entstehung von Verfügungsmacht in Abschnitt 3.2.1.2.

133

Die „Sowjetunion [war] ideologisch und de facto vom Westen abgeschottet“ (Dubin 2007, S. 70).

134

„Alle gesellschaftlichen Systeme neigen zur Beharrung in der Zeit und zur Abschottung im Raum. So ergibt sich allgemein die Tendenz zum Schließen der Systeme des Denkens und Handelns, der Moral und der Mentalität“ (Giersch 1994, S. 15). Zur strengen Kontrolle der Aufstiegskanäle durch die Nomenklatura in der Sowjetunion siehe Dubin (2007, S. 71).

135

Die Bezeichnung „homo sovieticus“ stammt aus dem gleichnamigen Buch von Sinowjew (1984).

136

Dieses Ideal sollte durch „Erziehung“ der Häftlinge in den Straflagern (Angehörige der alten Eliten, Künstler, Intellektuelle und Kritiker des Systems ebenso wie Kriminelle) erreicht werden unter dem Motto: „Mit eiserner Hand treiben wir die Menschheit zum Glück“ (siehe Siegl 2005a, S. R 1). Damit ging zwangsläufig für die Menschen mit dem Verlust der physischen auch der Verlust der geistigen sowie der Willensfreiheit einher. Der sowjetische Staat als normative Instanz individuellen „Glücks“ verlangte die bedingungslose Anpassung und Unterordnung an bzw. unter willkürlich gesetzte Normen, mithin die vollständige Verleugnung individueller Präferenzen und Wertvorstellungen. Alymow (1993, S. 22) stellt daher zu Recht unter Hinweis auf Schaferewitsch fest, dass der Sozialismus die unbegrenzte staatliche Einmischung in die Intimsphäre ist (siehe dazu die in Abschnitt 2.2.3.4. sowie in Abschnitt 3.2.1.2. getroffenen Aussagen zum Glück und zur Freiheit des Willens). Nach de Jouvenel (1963, S. 163) führt der Versuch, die Gesellschaft einem Wunschbild anzugleichen, zu Tyrannei. Fukuyama (1992, S. 73) stellt erfreulicherweise einschränkend fest: „Obgleich die Menschen in der Sowjetunion … zahlreiche spezifisch ‚posttotalitäre‘ Züge zeigten, waren sie … doch nicht … atomisierte, abhängige, autoritätsgläubige Kinder“. Bemerkenswert erscheint, dass das russische Wort воля (wolja) sowohl mit ‚Freiheit‘ als auch mit ‚Wille‘ übersetzt werden kann. Siehe zur Bedeutung des Wortes als ‚Freiheit‘ Peterhoff (1999b, S. 374).

137

Vgl. Considine und Kerr (2002, S. 146). Siehe auch Jakowlew (2003, S. 647); Dubin (2007, S. 69).

138

Luhmann (1964/1995, S. 247) stellt mit Blick auf die Verwaltungspraxis der Sowjetunion fest, dass es möglich sei, „in weitem Umfange mit direkt widerspruchsvollen Leistungskriterien und Planzielen zu arbeiten, wenn die informale Machtstruktur elastisch genug ist, um die daraus entstehenden Spannungen und Konflikte abzufangen“ (mit weiteren Verweisen).

139

Zu Schatten- und Vetternwirtschaft sowie Neben- bzw. Zuverdiensten am gesetzlichen System vorbei siehe Dubin (2007, S. 72 f.); auch Kernig (2000, S. 143).

140

Andropow starb am 9. Februar 1984, sein Nachfolger Tschernenko am 10. März 1985.

141

So waren seit Ende der 1970er Jahre Maßnahmen ergriffen worden, um die Energieund Rohstoffproduktion zu erhöhen. Zur Steigerung der Produktion in der exzessiv

Endnoten zu Kapitel 4

197

konzentrierten sowjetischen Ölindustrie wurden von der „Alexandrow-Kommission“ Pläne für ein umfangreiches Erhaltungs- und Modernisierungsprogramm erarbeitet, die freilich die zweite sowjetische Ölkrise nicht überstanden haben (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 177 f.). 142

Gorbatschow hat nur drei Stunden nach Tschernenkos Tod gegen 22.30 Uhr das Politbüro im Kreml versammelt. So wurde er am 11. März mit vier zu drei Stimmen zum Generalsekretär gewählt, ohne dass dies von den Opponenten der alten Garde verhindert werden konnte (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 180).

143

Schüller (1990, S. 52 f.) geht daher auch der Frage nach, ob die Perestroika als Vollendung der NEP gedacht sei.

144

Vgl. Peterhoff (2002c, S. 184); auch bereits Knabe (1994, S. 15). Ausführlich zur Perestroika und zu den Reformerfordernissen und -maßnahmen siehe Schüller und Peterhoff (1988); Peterhoff (1990); Gutnik (1997). Als „Tragödie der Perestroika“ bezeichnet Alexandrow (2000, S. 82) das Erstarken jener Kräfte, die sich vorrangig an der Priorität der Verteilung, nicht an jener der Produktion orientierten.

145

Siehe zu dieser Kampagne ausführlich Oschlies (1987, S. 75-78).

146

Allerdings unterscheidet Knabe (1998a, S. 3) ausdrücklich die „System-Mafia“ aus alter Nomenklatura von der Mafia der organisierten Kriminalität.

147

Vgl. Knabe (1994, S. 15). Siehe zu bereits bestehenden informellen Verfügungsrechten den vorangehenden Abschnitt.

148

Nach Mrowczynski (2005, S. 44) handelte es sich bei den Kooperativen um „ideologisch getarnte Privatunternehmen“.

149

Vgl. Knabe (1994, S. 15) unter Hinweis auf die Soziologin O. Kryschtanowskaja, die in diesen Prozessen den Aufbau einer „alternativen“ Wirtschaft sieht.

150

Siehe zu den Hemmnissen und Barrieren für die russische Transformation auch Peterhoff (1994, S. 390-397).

151

So weist Kryschtanowskaja (2005, S. 179) darauf hin, dass die Entstehung von Inflation bereits in der „Komsomolwirtschaft“ angelegt war, weil dieser erlaubt wurde, Finanzmittel, die bis dahin nur Buchwerte auf den Konten der Betriebe waren, freizusetzen und zu monetarisieren.

152

Siehe dazu Considine und Kerr (2002, S. 206-216); auch bereits Schüller (1990, S. 59 f.).

153

Siehe ausführlich dazu auch Kernig (2000, S. 143 f.).

154

Vgl. Considine und Kerr (2002, S. 200); Huber (2002, S. 78); Ševcova (2006, S. 17). Siehe zu Reformen und damit verbundenen Problemen in den Ministerien Schneider (1987, S. 43 ff.).

155

Kritisch auch bereits Schüller (1988b, S. 13). Dieses Problem verschärfte sich im Verlaufe der Transformation in den 1990er Jahren (vgl. Tschepurenko 2004, S. 66).

198

Russlands Sonderweg der Transformation

156

Vgl. Kappeler (1990b, S. 206 ff.) insbesondere auch zum Wortlaut der Souveränitätserklärung; Huber (2002, S. 164). Ausführlich zu den desintegrativen Bestrebungen der Sowjetrepubliken und Regionen siehe Simon (1991).

157

Die Phase widersprüchlicher Gesetzgebung wird auch als „Kampf der Gesetze“ bezeichnet (vgl. Höhmann 2001, S. 122). Sie trug wesentlich zum Ende der Sowjetunion bei. Siehe auch Adam (2007, S. 8).

158

Siehe dazu Adam (2007, S. 8); auch bereits von Beyme (2001, S. 62). Für eine ausführliche Bewertung Gorbatschows siehe Simon (2002).

159

Einen Überblick über die Herkunft Jelzins und die Entwicklung in seiner Amtszeit bietet Schröder (2002). Zum Konflikt zwischen Gorbatschow und Jelzin siehe ausführlich Huber (2002, S. 173-204).

160

Kappler (2002, S. 93 ff.) bezeichnet diesen Wandel als Bruch und stellt ihn u.a. in eine historische Reihe mit dem Unterschied zwischen dem Moskauer und dem Kiewer Reich, mit der Zeit der Wirren und mit den Revolutionsjahren 1917 bis 1920. Siehe zu diesem (Transformations)Prozess und seinen Konsequenzen ausführlich die theoretischen Aussagen in Kapitel 2.

161

Kritisch zu Russland auch Theisen (2005, S. 4).

162

Das totalitäre Erbe erschwert die Rückkehr zur Demokratie, und diese gelingt umso schwerer, je nachhaltiger die Zivilgesellschaft zerstört wurde (vgl. Fukuyama 1992, S. 66 und S. 68). Bereits Marz (1991, S. 50) stellt heraus, dass der real existierende Sozialismus Spuren in Dispositionen und mentalen Strukturen der Menschen hinterlassen hat, die Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster beeinflussen und mithin besondere Berücksichtigung beim Umbau des Ordnungsrahmens verdienen – zu einer Zeit, in der maßgebliche westliche Berater Russlands auf Liberalisierung, Stabilisierung und Privatisierung gesetzt und nicht angemessen berücksichtigt haben, dass ihre Empfehlungen nicht adäquat umgesetzt werden oder anders als in den Ursprungsländern der Ideengeber wirken könnten.

163

Vgl. Litschev (2001, S. 28 f.) mit weiteren Verweisen.

164

Vgl. Knabe (1994, S. 25); Schüller (1990, S. 59 f.). Dabei war beim Übergang auch die Verwaltung (Bürokratie) selbst Zwängen unterworfen. Sie musste, um überleben zu können, eine „hybride“ Struktur von administrativen und kommerziellen Verwaltungseinheiten einnehmen. Ein ähnliches Konstrukt war die Steuerverpachtung, wie sie in Frankreich im Merkantilismus Colberts üblich war (vgl. Lehmbruch 2005, S. 111).

165

Zu den widerstreitenden Interessen der Putschisten, Jelzins und Gorbatschows sowie den Konflikten zwischen beiden siehe ausführlich Kernig (2000, S. 375 ff.).

166

„Die Entscheidung des Sowjetregimes, nicht mehr wahllos Menschen umzubringen, verschob das Kräfteverhältnis zwischen Staat und Gesellschaft zugunsten der Gesellschaft …“ (Fukuyama 1992, S. 65).

167

Siehe dazu Hildermeier (2001, S. 156). Siehe zu den Gründen auch Simon (2002, S. 202-207); auch bereits Gabanyi (1997). Sowohl Simon (S. 207) als auch Gabanyi (S.

Endnoten zu Kapitel 4

199

18 ff.) sprechen von einem „Gorbatschow-Faktor“. Es gilt festzustellen, dass die Reformversuche Gorbatschows zu widersprüchlich waren. Dies mag ursächlich auch darin begründet sein, dass die Systemmängel und -defizite der sowjetischen Zentralverwaltungswirtschaft realiter selbst widersprüchliche Elemente innerhalb des Systems bildeten. Haffner (1978) bezeichnet diese Elemente als „systemkonträr“ und sieht sie marktwirtschaftlichen Ordnungen entstammend, Schüller (1980, S. 254) hebt zu Recht hervor, dass bei weitem nicht alle Systemdefizite gleichbedeutend mit systemfremden Elementen waren. 168

Siehe Eigendorf und Schut (1994, S. 119 f.) mit einem Beispiel.

169

So haben sich in den 1970er und 1980er Jahren „bürokratische Märkte“ ausgebreitet. Auf ihnen fanden Verhandlungen zwischen Unternehmen wie auch mit Behörden statt, die aufgrund zunehmender Komplexität der Wirtschaft und abnehmender Kontrolle der zentralen Planbehörden auf anderem Wege nicht möglich waren. Allerdings war ein Teil dieser Märkte illegal, und dieser Teil war mithin auch Ausdruck der Suche nach Möglichkeiten zur besseren Knappheitsbewältigung, diente aber vor allem der persönlichen Bereicherung (siehe etwa Kordonski 2007). Daraus erwuchsen zwei wesentliche Konsequenzen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere für den Systemwechsel: die Entstehung von informellen vertikalen Netzwerken (in dieser Arbeit als „Olson-Gruppen“ bezeichnet – siehe Abschnitt 3.1.1.3.) sowie rentenorientiertes (auf leistungsloses Einkommen gerichtetes) Unternehmertum, das es gewohnt ist, offizielle Rechtsregeln zu unterlaufen (vgl. Höhmann 2001, S. 121). Den Zusammenhang zwischen institutionellem Vakuum und organisierter Kriminalität stellt Skaperdas (2001) heraus; ähnlich Klebnikow (2001, S. 168). Zur zentralen Rolle der Nomenklatura beim Einsturz des Sowjetsystems siehe auch Huber (2002, S. 285), die (mit weiteren Verweisen) feststellt, „die Funktionärsgarde…habe zunächst die Ressourcen des Staates gestohlen, dann den Staat selbst“. Eine ordnungsökonomische Begründung aus der „Logik der Systementfaltung“ bietet Schüller (2000c, S. 67 f.) mit weiteren Verweisen.

170

Auch fehlten ordnungspolitische Führungspersönlichkeiten. Dass vielen der Erfolg der marktwirtschaftlichen Ordnung möglich erschien, ändert noch nichts an den bestehenden Denk- und Handelnsmustern.

171

Dieses Programm ist unter dem Namen Schatalin- oder 500-Tage-Programm bekannt (vgl. Osterkamp 2002, S. 227). Siehe dazu auch Gutnik (1997, S. 45 f.); Höhmann (2001, S. 121); kritisch Huber (2002, S. 198).

172

Siehe zu den empfohlenen Maßnahmen Abschnitt 2.1.2.3.

173

So soll vom ehemaligen sowjetischen Ministerpräsidenten Ryschkow der Ausspruch stammen „Wir denken nicht, wir treffen Entscheidungen“; die Gedanken gehen auf einen Vortrag zurück, den Prof. Dr. Wladimir P. Gutnik (†) in Marburg gehalten hat. Auch war der Umstand bedeutend, dass auf Seiten der Berater kompetente Fachleute fehlten und deshalb Hochschulabsolventen und „Goldsucher“ die Lücke füllten (vgl. Huber 2002, S. 283 f.).

200

Russlands Sonderweg der Transformation

174

Freilich war die sowjetische Wirtschaft nicht im Röpkeschen Sinne als Preis-, Tauschund Zahlungsgemeinschaft integriert, vielmehr ließ die Zentralverwaltungswirtschaft nur eine Subordination oder „Ergebenheitsintegration“ (A. Schüller) zu, die nun zerfiel.

175

Im Januar 1991 fand eine Preisreform für Konsumgüter und Lebensmittel statt, im April des Jahres eine teilweise Einzelhandelspreisreform und im Januar 1992 die allgemeine Preisliberalisierung (freilich blieben einige Bereiche weiter ausgeschlossen) (vgl. Considine und Kerr 2002, S. 236 f.). Vor dem Hintergrund des Systemwechsels von einer Zentralplanwirtschaft zur Marktwirtschaft bedeutet Liberalisierung jedoch weit mehr als die Freigabe der Preise (vgl. Höhmann 2001, S. 128 f.). Eine kritische Diskussion über die Maßnahmen des Washington- und nachfolgend des PostWashington-Consensus vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Russland bieten Jestignejewa und Jestignejew (1999) sowie Grinberg (2003, S. 52 f.). Tschepurenko (2003, S. 90) weist darauf hin, dass der Washington-Consensus nur als allgemeine Richtlinie gedacht gewesen sei, von den russischen Wirtschaftsreformern aber als praktischer wirtschaftspolitischer Kurs begriffen wurde. Hier wird offenbar, was Eucken (1952/1990, S. 291) mit der Zusammengehörigkeit der konstituierenden Prinzipien einer Wettbewerbsordnung meinte (Abschnitt 2.1.2.2.), und dass es unabdingbar ist, hiervon ausgehend den konstituierenden Prinzipien durch die im Transformationsprozess ergriffenen Maßnahmen Geltung zu verschaffen.

176

Dies sei typisch für eine paternalistisch-konformistische Einstellung der Menschen (vgl. Tichonowa 1996, S. 28). Dass die Menschen nicht fähig waren, sich in den Alltagsverhältnissen zurechtzufinden oder diese zu ändern, hat nach Lewada (1992, S. 295 f.) einen sozial-historischen, nicht einen kultur-genetischen Grund, weil gleiches auch für andere ehemals „sozialistische“ Länder festzustellen sei (siehe dazu etwa die in Kapitel 2 getroffenen Aussagen zu möglichen Gründen unterschiedlicher Wahrnehmungs- und Handlungsmuster).

177

Aus den verschiedenen diskutierten Programmen entschied man sich für das „Chicago School“-Programm Jegor Gaidars – man wollte schnell einen „laissez-faire“-Kapitalismus einführen (vgl. Arbatov 2001, S. 171 f.). Eine Darstellung aus Sicht eines maßgeblich Beteiligten bietet Gaidar (1994); siehe ähnlich auch Tschubais (1999) mit dem Versuch, die Privatisierung in der durchgeführten Form gegen Kritik zu verteidigen. Nach dessen Aussage gab es auch gar keine Wahl zwischen einem idealen und einem kriminellen Übergang – die Alternative hätte vielmehr gelautet „kriminalisierter Übergang oder Bürgerkrieg“ (vgl. Klebnikow 2001, S. 69). Siehe Alexandrow (2000, S. 82 ff.) mit Kritik an den Reformen und ihren Ergebnissen. Zu den beiden grundsätzlich möglichen Strategien „Gradualismus“ und „Schocktherapie“ siehe den Abschnitt 2.1.2.3.

178

Siehe dazu etwa Knabe (1994, S. 13); Pleines (2004, S. 57). Zur Unterscheidung zwischen „Binnen-“ und „Außenmoral“ dieser Netzwerke siehe Mrowczynski (2005, S. 46) sowie dort den Hinweis auf Max Weber.

179

Schnell steigende Preise mögen ein Indiz dafür sein, dass die makroökonomische Stabilisierung noch nicht erreicht wurde.

Endnoten zu Kapitel 4

201

180

So sollen 80 Prozent der „Mafia-Paten“ zuvor höhere Beamte oder Betriebsdirektoren gewesen sein (vgl. Knabe 1998b, S. 11 f. mit weiteren Verweisen).

181

Vgl. Rywkina (2001, S. 49); Reitschuster (2004, S. 271). Siehe zum „Dreieck der Macht“ in Russland auch Peregudow (2003, S. 337 f.).

182

Etwa in der russischen Kohleindustrie (vgl. Pleines 2004, S. 57).

183

Je nach Lesart können vier Phasen unterschieden werden: eine nicht legale, gleichsam informelle Phase, die eigentliche Privatisierung, die Pfandauktionen und das Agieren der Oligarchen (siehe etwa Radygin 1999, S. 54 f.).

184

Götz (2003b, S. 76) weist darauf hin, dass aufgrund der im Vergleich zu China weiter fortgeschrittenen Industrialisierung ein gradualistisches Vorgehen in Russland weitgehend ausgeschlossen war und nur mehr die Möglichkeit einer raschen umfassenden Transformation („Schocktherapie“) blieb. Siehe zu den für Russland denkbaren Entwicklungswegen „zwischen China und Osteuropa“ auch Kosals (2000a; 2000b).

185

Hier soll an die in Abschnitt 3.2.1.2. getroffenen Aussagen zum Entstehen von Verfügungsmacht über Ressourcen bzw. Güter erinnert werden, insbesondere im Hinblick darauf, dass es für Außenstehende nahezu unmöglich ist, dieses zu verhindern. Dies war ein wesentliches Element bei der Entstehung der russischen Oligarchie.

186

Siehe zur Scharnierfunktion der organisierten Kriminalität, insbesondere jenes Teiles, der als „System-Mafia“ aus den Eliten der alten Nomenklatura über eine hohe Persistenz verfügt, Knabe (1998a; 1998b). So verwundert es nicht, dass der „mutierte“ Kapitalismus, der in den 1990er Jahren in Russland entstanden ist, als Folge des „mutierten“ real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion gesehen wird (siehe dazu Busgalin 2000). Die Russen mussten sehen, wie das einst ideologisch verzerrte Bild des Kapitalismus im neuen Russland mit seinen Clan- und Machtstrukturen und kriminellen Auswüchsen Wirklichkeit wurde (vgl. Adam 2000, S. 97).

187

Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil die Menschen in der Sowjetunion in anderer Intention mit der Parole „Eigentum ist Diebstahl“ erzogen worden sind (vgl. Eigendorf und Schut 1994, S. 130). Im Russischen bürgerte sich für die „Raubprivatisierung“ der Begriff „prichwatisazija“ ein, ein Kunstwort aus den russischen Wörtern für „Stehlen“ und für „Privatisierung“ (siehe dazu Tschepurenko 1997, S. 33; Ludwig 2004, S. 3; Mrowczynski 2005, S. 41).

188

Vgl. Knabe (1994, S. 28) mit einem Hinweis auf den Ursprung bei Kordonski. Siehe ausführlich etwa Kordonski (2007); ergänzend Mrowczynski (2005, S. 34 und S. 39); auch Libman (2005, S. 10); ähnlich bereits Lapina (1998, S. 8).

189

Sie werden auch als „System-Mafia“ bezeichnet (vgl. Knabe 1998a, S. 3).

190

Er leitete das Zentrum „Menatep“ beim Parteikomitee eines Moskauer Stadtbezirks (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 180).

191

Siehe dazu auch Knabe (1994, S. 15); Glinkina, Grigoriev und Yakobidse (2001, S. 235); ausführlich zum Entstehen und Funktionieren der „Komsomolwirtschaft“ siehe Kryschtanowskaja (2005, S. 173-183).

202

Russlands Sonderweg der Transformation

192

Auch war bis in die 1990er Jahre eine erhebliche Kapitalflucht ins Ausland zu beobachten (vgl. Osterkamp 2002, S. 221; Eigendorf und Schut 1994, S. 159; Adam 2000, S. 102).

193

Freilich nutzten auch sie bereits früher bestehende Möglichkeiten. Eine Kurzbiographie von Beresowski und Gussinski findet sich bei Höhmann und Schröder (2001, S. 310 f.). Zum Ursprung ihrer Vermögen in der Zeit der „spontanen“ Privatisierung siehe Huber (2002, S. 285). Zur Beteiligung von Gussinskis späterer Most-Holding an Grundstücksgeschäften der Nomenklatura siehe Kryschtanowskaja (2005, S. 182).

194

Zu „spontanen“ Privatisierungen siehe etwa Weber, K. (1997, S. 52 f.).

195

Siehe dazu Considine und Kerr (2002, S. 236 f.); Mommsen (2002, S. 355).

196

Siehe dazu Hölzler (1999, S. 173); auch Gorodezkij (1997, S. 69 f.).

197

Die Bezeichnung ‚formal‘ bezieht sich auf den Umstand, dass die Rechtsformänderung nicht zwingend mit einer grundlegenden Änderung der Unternehmens- oder Eigentümerstruktur verbunden war. Eine ausführliche Darstellung der Voucher-Privatisierung bietet Radygin (1997). Alternativ wäre etwa ein Verkauf an (ausländische) Investoren denkbar gewesen, der freilich nicht zustimmungsfähig erschien.

198

Die genaue Zahl differiert etwas in verschiedenen Quellen.

199

Aufgrund von Bewertungsproblemen der Unternehmen, die noch aus den Unzulänglichkeiten der zentralplanlichen Wirtschaftsrechnung herrührten, und einem nach Freigabe der Preise durch inflationäre Entwicklung stark fallenden Wechselkurs zu ausländischen Währungen wie dem US$ ist es schwer, einen reellen Gegenwert der 10.000 Rubel zu bestimmen. Er war zweifellos gering, und der Wert der Voucher lag nicht in ihrem Gegenwert in Geld, sondern in den Zugriffsrechten auf Sach- und (künftige) Kapitalströme, die ihre Akkumulation versprach.

200

Siehe zum Ablauf der Privatisierung auch Hölzler (1999, S. 173-191); zu den drei Varianten Radygin (1997, S. 107); Tschepurenko (1997, S. 35).

201

Das Bewertungsproblem stellte sich auch hier.

202

Siehe Weber, K. (1997, S. 54 f.) mit Details zu den einzelnen Varianten.

203

Vor allem waren aber auch Bürokraten und alle, die sich Verfügungsmacht über materielle oder finanzielle Ressourcen verschafft hatten, an einem Rückfall nicht interessiert.

204

Vgl. Tschepurenko (1997, S. 37); Kapeljuschnikow (2000, S. 102); Höhmann (2001, S. 126); Wagener (2001, S. 119); Olson (2002, S. 155).

205

Dies ist ein typischer Effekt, der auch der Idee der Arbeiterselbstverwaltung innewohnte (siehe dazu Leipold 2002c, S. 190 ff.).

206

Zur Passivität der Bevölkerung siehe auch Schröder (1998a, S. 36).

207

Dies ist nicht zuletzt auch eine Nachwirkung der Zentralplanwirtschaft, in der es ordnungsbedingt aus Gründen der internen Systemlegitimation eine Insolvenzsanktion nicht geben konnte (vgl. Starke 2007, S. 274).

Endnoten zu Kapitel 4

203

208

Das hätte freilich zu einer Verhaltensänderung der Akteure führen können.

209

Siehe dazu auch die folgenden Abschnitte.

210

Es ist hervorzuheben, dass es hierbei nicht nur um den auch in anderen Ländern üblichen Einfluss im Gesetzgebungsverfahren ging, sondern weit darüber hinaus um die Schaffung der Gesetze selbst.

211

Siehe zur Korruption als gleichsam „normales“ und allgemein geübtes Phänomen Tichonowa und Tschepurenko (1998, S. 56).

212

Siehe dazu und zur Rolle der Gerichte und Rechtsschutzbehörden auch Volkov (2005, S. 81).

213

Für Russland ist dies über den Systemwechsel hinweg als persistentes Phänomen festzustellen.

214

Die Initiative dazu ging auf die Geschäftsleute Potanin (ONEXIM-Bank), Chodorkowski (Menatep-Bank) und Smolenski (Bank Stolitschny) zurück (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 194).

215

Zur Rolle der Banken in den sogenannten Finanz-Industriellen Gruppen siehe auch Dementjew (1998, S. 65 f.). Bei diesen Gruppen handelt es sich um Unternehmenskonglomerate, die von einzelnen Personen oder kleinen Gruppen kontrolliert werden.

216

Hier sei bereits auf den folgenden Abschnitt 4.3.3. hingewiesen.

217

So stellt Kryschtanowskaja (2005, S. 191) fest, dass 41 Prozent der Großunternehmer Russlands aus der Nomenklatura stammen (also in den Behörden der Sowjetunion beschäftigt waren). Von den verbleibenden 59 Prozent hat ein bedeutender Teil zu der bereits angesprochenen Klasse der Beauftragten gehört oder stammt aus einer Nomenklatura-Familie. Kritisch ist Schröder (2003, S. 324), für den viele Indizien dafür sprechen, „daß die russische Elite der neunziger Jahre bei gewissen Kontinuitäten durchaus einen ihr eigentümlichen, neuen Charakter aufwies“. Jedoch ist anzumerken, dass in der Sowjetunion die Stellung in der Nomenklatur und Kontakte wichtiger waren als Geld (vgl. Sorokin 2003, S. 46). Werden diese Beziehungen als „Vermögen“ betrachtet, so war es zu einem großen Teil die „vermögende“ Schicht der Sowjetunion, die in Russland zu großem Reichtum kam (vgl. Reitschuster 2004, S. 31).

218

Nach Ansicht von Jakowlew (2003, S. 647) erzog der (sowjetische) Tauschhandel eine große Schicht von Menschen zu Dieben (siehe die oben angesprochenen Parallel- und „Schatten“-Pläne sowie die sozialistische Eigentumsordnung). Zu Gründen und Problemen des Tauschhandels (von Bartergeschäften) in Russland siehe Ljasko (2000); Polterovich (2001, S. 98 ff.).

219

Es enthielt freilich eine Reihe von Ausnahmen, als „strategisch“ beurteilte Unternehmen waren ohnehin ausgenommen.

220

So argumentieren Gorodezki und Pawlenko (2000, S. 144), die ökonomische Behandlung von Monopolen (einschließlich der natürlichen) müsse vor dem Hintergrund der Globalisierung und einer härter werdenden internationalen Konkurrenz transnationaler Unternehmen betrachtet werden. Die Bildung und die erfolgreiche Entwicklung

204

Russlands Sonderweg der Transformation

dieser Unternehmen würden große Anstrengungen, Zeit, ein wohlwollendes Klima und Unterstützung auch auf der Ebene der Regierung erfordern. 221

Aus einem veröffentlichten Telefongespräch Jelzins geht hervor, dass im Jahr 1999 Jelzins Tochter Djatschenko, Abramowitsch, Jumaschew, Woloschin, Mamut und Beresowski zur „Familie“ gehörten (vgl. Mommsen 2004, S. 83 f.). Zum Aufstieg der „Familie“ und ihrer wechselnden Zusammensetzung siehe Schröder (2001, S. 72 f.).

222

Nach Fehl (2002, S. 149) wird der Spielraum ökonomischer Macht durch politische Macht beeinflusst, auf der anderen Seite versuchten aber auch Individuen, „durch Einsatz ökonomischer Macht im politischen Prozeß … politische Macht aufzubauen, um die Handlungsstrukturen (Eigentumsrechte) zu ihren Gunsten zu verändern“.

223

Allein auf der regionalen Ebene gibt es in Russland mittlerweile mehr Staatsbeamte als in der UdSSR insgesamt (vgl. Tschepurenko 2004, S. 67). Die herrschende Elite brauchte loyale Beamte, denen Treue zum Regime einen stabilen Status versprach (vgl. Kryschtanowskaja 2005, S. 107).

224

Siehe zu Herkunft und Bedeutung des Begriffs „Oligarchen“ ausführlich Abschnitt 1.3., zur Bedeutung in Russland auch Schröder (1999, S. 164). Nach Mommsen (2002, S. 388) „schien der Begriff in gleicher Weise seinem Objekt angemessen wie von bildhafter Anschaulichkeit“.

225

Dazu liegt bereits eine breite Literatur vor, die sich ausführlich mit den Personen wie auch mit den Unternehmensgruppen auseinandersetzt (einschließlich entsprechender Listen und Übersichten); siehe neben anderen Schröder (1998a; 1998b; 2001); Beljajewa (1999); Awdaschewa et al. (2000); Pappe (2000); Glinkina, Grigoriev und Yakobidse (2001); Belonutschkin et al. (2003); Harter et al. (2003); Peregudow (2003); Kusznir (2004); Möller (2004); Kryschtanowskaja (2005).

226

Schröder (1998a, S. 15 mit weiteren Verweisen) unterscheidet bankgeführte, industriegeführte und regionale Gruppen. Zu den Strukturen der Finanz-Industriellen Gruppen sowie zu deren Veränderung in der Zeit siehe Dementjew (1998); auch Gorodezkij (1997, S. 75).

227

Siehe dazu ausführlich Schröder (1998a, S. 12-19); Beljajewa (1999, S. 83); Pappe (2000, S. 30-37); Harter et al. (2003, S. 122-128). Daneben sind gewiss auch bestimmte persönliche Eigenschaften für den Aufstieg der Oligarchen erforderlich. Schröder (1999, S. 166) nennt Initiative, Anpassungsfähigkeit, Unternehmergeist und Skrupellosigkeit.

228

Gemeint sind die ehemaligen Direktoren der Betriebe aus sozialistischer Zeit, denen es gelungen war, Zugriff auf die Vermögenswerte der Betriebe zu erlangen bzw. zunächst zu behalten. Siehe auch Abschnitt 4.3.2.

229

Ein Beispiel ist der Erdgaskonzern Gasprom: Bei einer Reorganisation der Branchenministerien im Jahre 1989 entstand aus den Betrieben des Erdgasministeriums der staatliche Gaskonzern Gasprom, der 1992 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde (vgl. Schröder 1998b, S. 4).

Endnoten zu Kapitel 4

205

230

Dass der langjährige Premierminister Tschernomyrdin (vormals an der Spitze von Gasprom) besonders eng mit den Oligarchen in Verbindung gebracht wird, liegt daran, dass er selbst als ein solcher bezeichnet werden kann. Er entspricht dem Typ des „roten Direktors“ (vgl. Mommsen 2002, S. 368). Als „Inbegriff des Apparatschiks“ hat er es geschafft, ein Vermögen von 2 Mrd. Dollar anzuhäufen. Unter Putin musste er – bis auf einen dreistelligen (!) Millionenbetrag, den er behalten durfte – sein Vermögen abgeben, bekam aber den Posten des Botschafters in Kiew (vgl. Reitschuster 2004, S. 269). Dieses Beispiel ist ein weiteres Indiz für die Richtigkeit der These, dass das Auskommen gesichert bleibt, wenn man weiter loyal zum Kreml ist (siehe Knabe 1998a, S. 23; Schröder 2008a, S. 5). Tschernomyrdins Herkunft erklärt auch, warum der Brennstoff- und Energiekomplex gleichsam zum natürlichen Verbündeten seiner Regierung wurde (vgl. Lapina 1998, S. 10 f.).

231

Die Veränderungen spiegeln sich beispielsweise in der jährlich erscheinenden „Forbes-Liste“ der reichsten Personen (www.forbes.com) wider. Freilich ist hier eine gewisse Ungenauigkeit aufgrund fehlender Transparenz der Eigentums- und Vermögensverhältnisse zu vermuten.

232

Siehe zur Rolle der Oligarchen in den Regionen Kusznir (2004).

233

Siehe Russische Föderation (1995): „Föderales Gesetz über Finanz-Industrielle Gruppen“ der Russischen Föderation vom 30. November 1995, Nr. 190-F3.

234

Siehe dazu auch Panther (1998, S. 218), der feststellt: „Der Königsweg, Reichtum zu erwerben, ist das Erklimmen einer möglichst einflußreichen hierarchischen Position“.

235

Einen Überblick über das Wirken wirtschaftlicher Interessengruppen in Russland bis zur Mitte der 1990er Jahre bietet Rasuwajew (1997).

236

Dies geschah auf zentraler wie auch auf regionaler Ebene (vgl. Harter et al. 2003, S. 132 f.).

237

Sie wurden als „Siebenbankierstum“ („Semibankirschtschina“) bezeichnet in Anspielung auf die Herrschaft in der Zeit der Wirren, als es keinen Zaren gab und die Macht im russischen Reich vorübergehend von einem Zirkel der sieben einflussreichsten Bojarenfamilien („Semibojarschtschina“) ausgeübt wurde (vgl. Mommsen 2004, S. 65; s.a. Tschepurenko 2004, S. 67, Fußnote 2). Zu den dazugehörenden Personen siehe Harter et al. (2003, S. 131). Zur Zeit der Wirren siehe auch oben den Abschnitt 4.2.2.1.

238

Während die Grenze der gesetzlichen Ausgaben für Jelzins Wahlkampf 3 Millionen Dollar betragen hat, wurden die tatsächlich von den Oligarchen mobilisierten Mittel auf über 100 Millionen Dollar geschätzt, auch wurde der Wahlkampf zur Geldwäsche genutzt (vgl. Glinkina, Grigoriev und Yakobidse 2001, S. 241).

239

Die zu den Imperien der verschiedenen Oligarchen gehörenden und aus diesem Grunde bis dato durchaus pluralistischen Medien wurden für den Wahlkampf gleichsam geräuschlos „gleichgeschaltet“ (vgl. Adam 2000, S. 137).

240

Nicht unwesentlich hat aber auch Jelzin selbst zu diesem Sieg beigetragen, indem er den im ersten Wahlgang auf Platz drei liegenden ehemaligen General Lebed zu seinem

206

Russlands Sonderweg der Transformation

Sicherheitsberater und zum Sekretär des Sicherheitsrates ernannte, auch konnte er sich sogar Lebed als seinen Nachfolger vorstellen. Nachdem Jelzin Verteidigungsminister Gratschow sowie auch seine langjährigen Begleiter Soskowez, Korschakow und Barsukow entlassen hatte, wurde Lebed selbst nach kurzer Zeit seines Amtes wieder enthoben, was als geschickter Schachzug des Präsidenten gilt (vgl. Adam 2000, S. 138 f.; Mommsen 2004, S. 55). 241

Vgl. Mommsen (2004, S. 56); Klebnikow (2001, S. 322 f.). Peregudow (2003, S. 65 ff.) bezeichnet die Zeit, die mit der Wiederwahl Jelzins anbrach, als „Sternstunde der Oligarchen“; Schröder (2001, S. 70 ff.) bezeichnet sie als „Sommer der Oligarchen“.

242

Wie im sowjetischen Politbüro gab es „Kandidaten“, die noch nicht Mitglied waren, aber zu einem erweiterten Kreis gehörten (vgl. Mommsen 2004, S. 64).

243

Vgl. Reddaway und Glinski (2001, S. 493). Siehe Kryschtanowskaja (2005, S. 202) mit Beispielen.

244

Im März 1997 wurde er dann stellvertretender Premierminister, Leiter der Präsidentenadministration wurde mit W. Jumaschew ein enger Vertrauter der „Familie“.

245

Dies war auch ein Zeichen für die mangelhafte Funktion formaler Institutionen und für das allgemeine Versagen des Staates bei der Erfüllung seiner Aufgaben.

246

Vgl. Reddaway und Glinski (2001, S. 493). Siehe dazu auch Lapina (1998, S. 12).

247

Dies galt umso mehr, als der Sekretär des Sicherheitsrates Rybkin nur als „Taschensekretär“ seines Stellvertreters Beresowski gesehen wurde (ebenda).

248

Siehe zur „Geschlossenheit“ der Staatsbürokratie gegenüber den Interessen der Unternehmen auch Tschepurenko (2004, S. 67).

249

Insbesondere zur Rolle Beresowskis siehe Klebnikow (2001, S. 401 f.). Wiegert (2003, S. 272) weist freilich darauf hin, dass Unternehmen allgemein in Russland „state capture“ betreiben müssten, „um ihre Geschäftstätigkeit gegen Renten erpressende Behörden abzusichern“.

250

Zum russischen Verständnis „natürlicher“ Monopole siehe oben den Abschnitt 4.3.2.3.

251

So wurde kompromittierendes Material über andere Oligarchen, die „Familie“ und Entscheidungsträger in der Administration gesammelt. Nicht zuletzt Beresowski soll hier aktiv gewesen sein (vgl. Glinkina, Grigoriev und Yakobidse 2001, S. 241 f.).

252

Siehe Mommsen (2004, S. 83 ff.) mit Beispielen, die diese These stützen. Zur Abhängigkeit Jelzins von seinem Umfeld siehe Kernig (2000, S. 392).

253

Siehe zum Einfluss der „politischen Unternehmer“ auch Harter et al. (2003, S. 141), die darauf hinweisen, dass dieser nicht überschätzt werden sollte. Allerdings ist das dort angeführte Zitat des Generaldirektors des Senders NTV (er gehörte zu diesem Zeitpunkt Gussinski) im Hinblick auf ein zu vermutendes Eigeninteresse an einer solchen Darstellung zur Untermauerung wenig geeignet.

254

Oft gelang es ihnen, zumindest Teile ihres Vermögens mitzunehmen, bzw. sie waren vorher schon ins Ausland gebracht worden.

Endnoten zu Kapitel 4

207

255

Zur Entwicklung der Finanz-Industriellen Gruppen nach den Erschütterungen der Finanzkrise vom August 1998 siehe Pappe (2000, S. 41-47); Peregudow (2003, S. 6882); Kryschtanowskaja (2005, S. 199-202).

256

Vgl. Schröder (2001, S. 74 f.) mit weiteren Verweisen; siehe auch Harter et al. (2003, S. 137 ff.).

257

Dazu gehört der Verlust von Posten durch das „Kaderkarussell“, das ein Instrument Jelzins zur Herrschaftssicherung war (vgl. Mommsen 2002, S. 365).

258

Siehe dazu Reddaway und Glinski (2001, S. 520 f.). Zu nennen sind etwa Beresowski und Abramowitsch (vgl. Schröder 2001, S. 75).

259

Die vermachtete Verfügungsrechtsstruktur war also durchaus Veränderungen unterworfen, angesichts der herrschenden Bedingungen war eine Stärkung der marktwirtschaftlichen Elemente nicht die wahrscheinlichste Option.

260

Siehe zu den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Wechsel von Jelzin zu Putin auch ausführlich Mommsen (2004, S. 86-93).

261

An ihn war freilich die Erwartung geknüpft, das bisher erworbene Eigentum und den Einfluss von Familie und Oligarchen weiter zu sichern (vgl. Reitschuster 2004, S. 31 f.).

262

Die „Familie“ hat den bis dahin unbekannten Putin gefördert. Bevor er Premierminister wurde, war er seit Juli 1998 Direktor des Inlandsgeheimdienstes und seit Ende März 1999 Sekretär des Sicherheitsrates (vgl. Harter et al. 2003, S. 275). Zur Unterstützung Putins durch die Oligarchen siehe Kernig (2000, S. 393).

263

Am selben Tag unterzeichnete Putin ein Dekret, mit dem er Jelzin und seiner Familie eine Reihe von Privilegien, wie den Schutz vor Strafverfolgung, gewährte (vgl. Klebnikow 2001, S. 400; s.a. Kernig 2000, S. 395).

264

Vgl. Schewzowa (2001, S. 36); s.a. Furman (2008, S. 11). Zu Recht stellt Michels (1911/1970, S. 14) fest, die Vererbung der politischen Macht sei immer das wirksamste Mittel gewesen, um „der eigenen Klasse das Dominium zu erhalten“.

265

Siehe zu Begriffen und Gründen ihres Auftretens sowie zu institutionellen Defiziten ausführlich Merkel und Croissant (2000).

266

Siehe zur Charakterisierung des entstandenen Systems auch Kosals (2000a, S. 17 f.). Offiziell wird die russische Form der Demokratie als „souveräne Demokratie“ bezeichnet. Das Konzept wurde vom stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration Wladislaw Surkow entworfen und sieht sich als Abgrenzung zu westlichen freiheitlichen Demokratien. Dabei werden „Freiheit“ und „Liberalität“ sogar als Feind angesehen (vgl. Ju 2010, S. 2).

267

Zur Hoffnung, dass sich dabei ein „guter“ Autoritarismus durchsetzen könnte, besteht kein Anlass. Siehe zur Diskussion der Alternativen eines „guten“ oder eines „schlechten“ Autoritarismus Kosals (2000b, S. 38 f.). Aufgrund der notwendigerweise systemimmanenten Mechanismen zur Machtsicherung darf es keine Illusion darüber geben, wie der Autoritarismus aussehen wird.

208

Russlands Sonderweg der Transformation

268

Das politische System Jelzins wird ohnehin als zwischen Anarchie und Autokratie pendelnd beschrieben (vgl. von Beyme 2001, S. 62).

269

Zum systembildenden Charakter der Oligarchen in der Regierungszeit Jelzins siehe Schröder (2002, S. 270).

270

In einer Studie antworteten auf die Frage, wer die Macht in Russland verkörpert, mehr als 32 Prozent mit „Oligarchen“, 19 Prozent mit „Präsident“, mehr als 15 Prozent mit „Bürokraten“ und 0,8 Prozent mit „Volk“ (!) (vgl. Buhbe 2005, S. 5).

271

Daher wäre eine Gegenüberstellung des „Demokraten“ Jelzin und des „Autokraten“ Putin nicht korrekt (vgl. Furman 2008, S. 8). Siehe zur Weiterentwicklung der autoritären Tendenzen der Jelzin-Zeit durch Putin ausführlich Gudkov (2008, S. 9 f.).

272

Vgl. Hübner (1998, S. 38) mit weiteren Verweisen.

273

Die Oligarchen hatten diese Bedeutung für ihren wirtschaftlichen Erfolg ebenfalls erkannt und waren entsprechend stark engagiert (vgl. Beljajewa 1999, S. 227).

274

Vgl. Ludwig (2008b, S. 3); s.a. Harter et al. (2003, S. 284); ausführlich Schneider (2000, S. 28-32).

275

Regionale Medien sind meist von der regionalen Administration durch Subventionen abhängig (ebenda). Siehe dazu auch Rabitz (2007, S. 4). Von hoheitlich monopolisierten Massenmedien dürfte ohnehin unabhängig von dieser Anhängigkeit eine eher marktskeptische Berichterstattung zu erwarten sein.

276

Das ist deshalb problematisch, weil „[d]ie Art und Weise wie das Tatsächliche konstatiert wird, ... bestimmte Veränderungen schon unmöglich [macht]“ (Verycken 2003d, S. 7).

277

Zur Lage der Medien zwischen staatlicher Kontrolle und Selbstzensur siehe auch Siegl (2005b, S. 4 ff.). Siehe dazu auch Mommsen (2002, S. 391 f.).

278

Im Russischen sind die „Mittel der Masseninformation“ (Средства Массовой Информации – СМИ) ein feststehender Begriff.

279

Siehe zu diesem Einfluss sowie weiteren Maßnahmen der Machtsicherung Furman (2006, S. 13 f.); siehe auch Gel’man (2005, S. 92).

280

Zuweilen wird auch von der „Imitation der Wahl“ gesprochen (vgl. Rabitz 2007, S. 3 mit weiteren Verweisen). Gudkov (2008, S. 3) stellt fest, vielen Beteiligten sei klar, „daß bei dem politischen Spektakel namens Wahlen nicht gewählt wird“.

281

Wenn sie von der herrschenden russischen Elite erhoben wird, ist sie darüber hinaus zynisch. Darauf weist zu Recht Gudkov (2008, S. 6) hin.

282

Gemeint sind ein abgeschlossener Kreis der Herrschenden und fehlende vertikale Mobilität, durch die eine Aufnahme in diesen Kreis ausgeschlossen ist. Kernig (2000, S. 397) stellt fest, „[e]ine offene Gesellschaft ist seit dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht entstanden; die Autokratie feiert fröhliche Urstände“.

283

Siehe ausführlich zu den gesetzlichen Grundlagen Schmidt (2006, S. 6). Das Gesetz wurde ohne Anhörung der zuständigen „Gesellschaftskammer“ verabschiedet, die zu

Endnoten zu Kapitel 4

209

dem Zeitpunkt noch in Gründung war – dies war ein deutliches Zeichen der Geringschätzung (vgl. Fein 2006, S. 4). Siegert (2005, S. 4) bringt das Vorgehen des Staates gegen NGOs in Zusammenhang mit deren öffentlichen Stellungnahmen zur Verhaftung von Chodorkowski (Jukos). 284

Staatliche Lenkung und Kontrolle erstrecken sich freilich auch auf andere Gebiete wie Universitäten und selbst auf Gerichte.

285

Nicht nachvollziehbar ist indes die bei Fruchtmann wiedergegebene Aussage, das in Russland schwach entwickelte Sozialkapital würde sich nicht auf das Colmansche Verständnis als Vertrauen beziehen – schließlich meint Coleman mit seinem Konzept gerade nicht die in der Tat verbreiteten vertikalen Vertrauensnetzwerke. Zu Recht spricht Libman (2005, S. 3) von einem Defizit des Vertrauens (neben einem Defizit des Rechts bei gleichzeitigem „Überschuß“ an Macht).

286

Vgl. Schewzowa (2001, S. 39); Mommsen (2002, S. 398; 2004, S. 107); Thumann (2002, S. 199 f.). Gewiss wurden dadurch die Transaktionskosten der Herrschaft reduziert, doch dürfte das Transaktionskostenargument, falls es tatsächlich verwandt wurde, nur mehr als Begründung für die Interessen der Machtsicherung in der ohnehin durch vertikale (Befehls)Strukturen geprägten russischen Gesellschaft hergehalten haben. Es kann freilich angenommen werden, dass Versuche der Zentralisierung von Entscheidungen über regionale Sachverhalte und damit notwendigerweise die Zentralisierung des verstreuten Wissens ebenfalls Transaktionskosten verursachen und letztlich auch nur begrenzt möglich sind (von Hayek). Mittlerweile können die Gouverneure zwar wieder direkt vom Volk gewählt werden, jedoch gibt es zahllose Hindernisse für diejenigen Kandidaten, die den Herrschenden im Kreml nicht wünschenswert erscheinen. Die Hindernisse können so (prohibitiv) hoch sein, dass sie für die betreffenden Kandidaten nicht überwindbar sind.

287

Siehe Ingold (2007, S. N 3) sowie Iljin (1948/2007, S. 3) zu dessen Forderung, Russland müsse, solange die Russen noch nicht „demokratiefähig“ seien, eine autoritäre (nicht totalitäre) und erzieherische Diktatur sein.

288

Siehe zum Interventionismus Schüller und Welsch (2002/2005, S. 284 ff.).

289

In seinen ordnungspolitischen Implikationen ist dies weit mehr als „nur“ dirigistische Industriepolitik.

290

Siehe dazu auch Satarow (2004, S. 2 ff.); Libman (2005, S. 3); Gel’man (2010, S. 7 f.).

291

So stellt Watrin (1999, S. 292) unter Hinweis auf von Hayek zutreffend fest, die Verfügung über das Eigentum sei „ein willkommene[s] Instrument, um das politische Machtmonopol auch auf der wirtschaftspolitischen Seite abzusichern und effektiv zu machen“. Es ist jedoch wichtig hervorzuheben, dass dies nicht nur für die Aneignung des Eigentums selbst, sondern bereits auch für die Verfügungsmöglichkeiten darüber gilt (etwa wenn die Administration nach eigenen Interessen den Eigentümern die Art der Verwendung ihres Eigentums vorschreiben kann). So hat Putin im Jahr 2009 als Ministerpräsident in der Stadt Pikaljowo vor laufenden Fernsehkameras dem Oligarchen Oleg Deripaska befohlen, ein Werk wieder zu öffnen und die ausstehenden

210

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Löhne zu zahlen, weil dieser zuvor aus wirtschaftlichen Gründen das Unternehmen geschlossen hatte (vgl. Ludwig 2009d, S. 3). 292

Dabei können Eigeninteressen der Staatsbediensteten als Interessen des Gemeinwohls deklariert werden (vgl. Tschepurenko 2007, S. 4).

293

So sieht Götz (2003a, S. 4) in Russland auch keine Oligarchie im Sinne Hilferdings oder Lenins, sondern Bürokratieclans, denen freilich Verbindungen zu bestimmten Wirtschaftsgruppen nachgesagt werden. Die hohe Zahl der Beschäftigten in der Sicherheitsbranche spiegelt die russische Renten-Ökonomie wider, in der es „mehr um die Verteilung und Sicherung der Einkünfte aus der Nutzung von Rohstoffen als um eine produktive Wirtschaftsstruktur geht“ (Hosp 2009c, S. 15). Das Austarieren der Interessen verschiedener Clans kann durchaus als ein wichtiges Mittel der Herrschaftssicherung von Putin gelten.

294

Siehe zum russischen „Clankapitalismus“ auch Kosals (2000a, S. 18).

295

Zu den Einzelheiten dieser Vereinbarung siehe Volkov (2005, S. 82).

296

So sollen zum staatlichen Konzern Rostechnologi mehr als 300 Firmen gehören (vgl. Åslund 2009, S. 8). Auch wurde die in den 1990er Jahren privatisierte Ölbranche mittels des Konzerns Rosneft wieder unter staatliche Kontrolle gebracht (vgl. Triebe 2012, S. 20).

297

Siehe zur russischen Korruption neben anderen Pleines (2001, S. 281-286); Wiegert (2003, S. 266-273); Satarow (2004, S. 2 ff.); Buhbe (2005, S. 3 f.); Indem-Institut (2007, S. 15); Kosals (2011, S. 6 f.). Zur Wahrnehmung der Korruption in Russland siehe Schmidt (2005, S. 7 ff.). Nach den Daten des staatlichen Amtes für Statistik (Госкомстат) betrug die Schattenwirtschaft im Jahr 2001 mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (vgl. Kolesnikow 2001, S. 114). Kosals (2000a, S. 17 f.) gibt gar Schätzungen von 40-50 Prozent an. Erschwerend kommt hinzu, dass die Opposition, die unabhängige Justiz, Medien oder zivilgesellschaftliches Engagement der Menschen zunehmend geschwächt werden und deshalb ihrer Kontrollfunktion kaum mehr nachkommen können.

298

Siehe Bradshaw (2006, S. 5-10) mit einem Beispiel aus der Öl- und Gasförderung im Fördergebiet Sachalin II, in dem durch administrativen Druck versucht wurde, die Bedingungen zugunsten des Kremls neu zu verhandeln (siehe auch Ludwig 2008a, S. 5 mit weiteren Beispielen).

299

Siehe dazu auch die oben in Abschnitt 3.1.2.3. getroffenen Aussagen.

300

Freilich erwies sich dieser Verzicht nur als „taktischer Schritt zurück“, und Putin kandidierte im Jahre 2012 wieder für das Amt des Präsidenten. Die Art dieses Wechsels enttäuschte im Nachhinein Hoffnungen auf eine Stärkung freiheitlicher und demokratischer Elemente.

301

Bereits zu Zeiten der Sowjetunion hat es unterschiedliche Einflussgruppen gegeben, deren Existenz im Interesse der Herrschaftssicherung durch den Grundsatz „Teile und herrsche“ (divide et impera) gefördert wurde (siehe Gel’man 2010, S. 10).

Endnoten zu Kapitel 4

211

302

Gemeint sind die willkürliche Negierung und Missachtung bürgerlicher Rechte und Werte durch die Herrschenden. Freilich fand in seiner Amtszeit, um ein besonders markantes Beispiel zu nennen, der zweite Prozess gegen Chodorkowski statt.

303

Siehe ausführlich zu den russischen Staatsholdings Kusnezow und Murawjew (2000), insbesondere zu ihrer Entwicklung auch Radygin (2004) und Kotschetygowa (2007). Letztere spricht von einem „lawinenartigen“ Wachstum der Staatsunternehmen (S. 26 f.).

304

Allerdings sind auch die jüngsten Auseinandersetzungen von Uralkali mit den weißrussischen Partnern des Kali-Kartells nicht ohne den Einfluss des Kremls denkbar.

305

Bei den Wahlen wurde die administrative Macht zugunsten der Kremlpartei „Einiges Rußland“ missbraucht, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen (vgl. Lipman 2012, S. 18).

306

Im Gegensatz dazu hatte Gorbatschow nicht kompensierbare Nachteile für seine Reformbemühungen vorgefunden, gesunkene Weltmarktpreise für Öl verschärften den Handlungsdruck zu Reformen. Gleichzeitig erschwerten sie ihm, Unterstützung durch die Nomenklatura zu gewinnen, weil ohne Erträge Verteilungsspielräume und mit ihnen Anreize für die Unterstützung der Reformbemühungen fehlten. Es wird interessant sein zu beobachten, welche Auswirkungen der auf rund 30 US$ gefallene Preis für Öl (Anfang 2016) auf die russische Politik haben wird.

307

Insbesondere die Äußerung Medwedjews, dieser Wechsel sei lange mit Putin abgesprochen (vgl. Lipman 2012, S. 18).

308

Siehe zum rechtsstaatswidrigen Vorgehen gegen Jukos und Chodorkowski sehr kenntnisreich und ausführlich Luchterhandt (2005); für einen Überblick siehe Pleines (2005). Eine übersichtliche Darstellung der Chronologie der Ereignisse in der JukosAffäre bieten Reichardt und Schröder (2005, S. 16-22). Das Urteil im zweiten Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew, die in der gleichen Sache wie bereits im Jahre 2005 angeklagt wurden, bezeichnet Luchterhandt (2011, S. 3) als „ein Dokument des Rechtsnihilismus“.

309

Siehe dazu beispielsweise Schröder (1999, S. 172; 2001, S. 76); Adam (2000, S. 186 f.); von Beyme (2001, S. 62); Klebnikow (2001, S. 18); Kusznir (2004, S. 2); Kryschtanowskaja (2005, S. 220-227).

310

Allerdings hat die Direktorin des Pressezentrums von Chodorkowskis Rechtsanwälten politische Ambitionen verneint (vgl. Ordzhonikidze 2005, S. 39). Chodorkowski selbst hatte Ende der 1990er Jahre nach eigener Aussage zwar auf Politik „Einfluß genommen“, aber keine Absicht, Politik zu „machen“ (vgl. Schröder 1998a, S. 28). Das könnte sich freilich in der Zwischenzeit geändert haben. Einschränkend ist jedoch festzustellen, dass wohl unter den beschriebenen Umständen in Russland beinahe alles „Unternehmerische“ auch „politisch“ ist.

311

Siehe Luchterhandt (2005; 2011) mit Beschreibungen zahlreicher Rechtsverletzungen.

212

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312

Libman (2005, S. 7) stellt fest, die Geschäftsleute (wie Beresowski, Gussinski und Chodorkowski) wären dem Angriff durch die Macht unterlegen.

313

Zum Einsatz von Steuernachforderungen als „Waffe“ zur Verunsicherung von Unternehmen siehe Ludwig (2004, S. 3).

314

Zur mächtigen, gleichsam „allmächtigen“ Position der Bürokraten siehe Ordzhonikidze (2005, S. 39).

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