Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.Seitdem die Römer ihre Blicke weit über die italische Ha
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German Pages 311 Year 2005
Table of contents :
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Inhaltsverzeichnis
ALTAY COŞKUN
HEINZ HEINEN
Göttinger Forum für Altertumswissenschaft Beihefte Band 19 herausgegeben von Siegmar Döpp und Jan Radicke
Altay Coşkun (Hg.) Roms auswärtige Freunde in der späten Republik und im frühen Prinzipat
Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.
In Zusammenarbeit mit Heinz Heinen und Manuel Tröster herausgegeben von Altay Coşkun Für die Umschlagabbildung wurde eine Münze (verso, 56 v.Chr.) des Sulla Faustus verwendet Huldigung des Numiders Bocchus (links) vor Sulla Felix (Mitte) bei der Auslieferung des Königs Jugurtha (rechts) – aus: Ritter (Hg.), Rom und Numidien, Lüneburg 1987
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Duehrkohp & Radicke Wissenschaftliche Publikationen Göttingen - 2005 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehrund Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Satz: Altay Coşkun ISBN-13: 978-3-89744-252-8 ISBN-10: 3-89744-252-3
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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ALTAY COŞKUN Freundschaft und Klientelbindung in Roms auswärtigen Beziehungen. Wege und Perspektiven der Forschung
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HEINZ HEINEN Die Anfänge der Beziehungen Roms zum nördlichen Schwarzmeerraum. Die Romfreundschaft der Chersonesiten (IOSPE I2 402)
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BORIS DREYER Rom und die griechischen Polisstaaten an der westkleinasiatischen Küste in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v.Chr. Hegemoniale Herrschaft und lokale Eliten im Zeitalter der Gracchen
55
HEINZ HEINEN Mithradates VI. Eupator, Chersonesos und die Skythenkönige. Kontroversen um Appian, Mithr. 12f. und Memnon 22,3f.
75
MANUEL TRÖSTER Lucullus, His Foreign Amici, and the Shadow of Pompey
91
KATHRIN CHRISTMANN Ptolemaios XII. von Ägypten, Freund des Pompeius
113
ALTAY COŞKUN Amicitiae und politische Ambitionen im Kontext der causa Deiotariana (45 v.Chr.)
127
JOHN LAMBERTY Amicus Caesaris. Der Aufstieg des L. Cornelius Balbus aus Gades
155
JÜRGEN ZEIDLER Onomastic Studies on Some Roman Amici in Hispania
175
JULIA WILKER Herodes der Große. Herrschaftslegitimation zwischen jüdischer Identität und römischer Freundschaft
201
HARTMUT WOLFF Arminius und die Gründung der Provinz Germanien
225
DAVID BRAUND Polemo, Pythodoris and Strabo. Friends of Rome in the Black Sea Region
253
GUSTAV ADOLF LEHMANN Bilanzierende Betrachtungen zur Entwicklung der ‘Romfreundschaft’ im zweiten und ersten Jahrhundert v.Chr.
271
Stellenregister
278
Namen- und Sachregister
286
Vorwort Als die Römer im Verlauf des 3. Jahrhunderts v.Chr. begannen, ihre Blicke weit über die italische Halbinsel hinauszurichten, entwickelte sich die amicitia populi Romani zu ihrem bestimmenden außenpolitischen Konzept. Ursprünglich implizierte dieses ganz allgemein gute und friedliche Beziehungen, doch erwies es sich bald als ein elastisches Instrument, um immer entfernter lebende Völker bei nur begrenztem Engagement zu kontrollieren und in das Imperium Romanum einzubeziehen. Über mehrere Jahrhunderte spielte das weite Netz der ‘Freundschaften’, die sowohl auf zwischenstaatlicher als auch auf interpersonaler Ebene begründet werden konnten, nicht nur in politischer und militärischer Hinsicht eine entscheidende Rolle, sondern strahlte auch auf die soziale Stellung der beteiligten Parteien aus und trug zur kulturellen Romanisierung weiter Gebiete bei. Zugleich profitierten aber auch nicht wenige auswärtige Freunde erheblich von derlei Verbindungen. Das Verständnis von den sehr vielfältigen Spielarten transnationaler ‘Freundschaftsbeziehungen’ zu schärfen ist das Anliegen des vorliegenden Sammelbandes. Mit den hier zusammengeführten Aufsätzen wird eine repräsentative Auswahl aus den Untersuchungen getroffen, die in der ersten Phase (2002-2004) des an der Universität Trier angesiedelten Projekts ‘Roms auswärtige Freunde’ entstanden sind.1 In dessen Mittelpunkt stehen die Verbindungen von Dynasten, Städten und lokalen Aristokraten mit führenden Römern vor allem der ausgehenden Republik. Besonderes Interesse gilt den auswärtigen, klientelähnlichen ‘Freundschaften’ der großen Feldherren von Lucullus bis Octavian. Weit über diese zeitlichen Grenzen hinausreichende geographische Schwerpunkte werden vor allem im nördlichen Schwarzmeerraum und im kleinasiatischen Galatien gesetzt. Zusätzliche Spezialstudien konzentrieren sich auf Ägypten, die Iberische Halbinsel und Gallien. Begleitend wird systematisch zu den Erscheinungsformen transnationaler Freund- und Gefolgschaften, zur Praxis der Vergabe oder des Entzugs des römischen Bürgerrechts und zum Wandel der Herrschaftsrepräsentation von Klientelkönigen geforscht. Der Projektleiter Heinz Heinen, Professor für Alte Geschichte, beschäftigt sich insbesondere mit den nordpontischen Themen, während ich mich vornehmlich den Schriften Ciceros und Caesars, galatischen und gallischen Romfreunden sowie Themen im Bereich der Onomastik und der civitas Romana widme. Die Schwerpunkte der studentischen Mitarbeiter Kathrin Christmann und John Lamberty bilden die Ptolemäer bzw. die Hispanier, während Henrik Prantl und Tim Schröter besonders 1
Vgl. die ausführliche Internetpräsentation des Projekts mit einem reichen Angebot an Hilfsmitteln (Bibliographie, prosopographische Datenbanken, Kommentierungen zu ausgewählten Cicero-Reden) unter http://www.sfb600.uni-trier.de (link ‘Teilprojekte’, link ‘A 2’).
technische Unterstützung beim Aufbau der prosopographischen Datenbanken Amici Populi Romani Reipublicae Exeuntis (APRRE) und Römische Aristokraten Der Ausgehenden Republik (RADAR) leisten.2 Vor Ort stehen uns außerdem Manuel Tröster, dessen Dissertation zu der Lucullus-Vita Plutarchs vor dem Abschluß steht, Jürgen Zeidler, zugleich Privatdozent für Ägyptologie, Vertreter der Indogermanistik in Trier und mit wachsender Begeisterung Onomastiker, sowie Erich Kettenhofen, Professor für Alte Geschichte, beratend zur Seite. Eingebettet ist das Projekt in den Trierer Sonderforschungsbereich 600: ‘Fremdheit und Armut. Wandel von Inklusions- und Exklusionsformen von der Antike bis zur Gegenwart’. Dieses interdisziplinäre Unternehmen wird von Andreas Gestrich und Lutz Raphael, den Lehrstuhlinhabern für Neuere und Neueste Geschichte, koordiniert. Benachbarte Projekte beschäftigen sich beispielsweise mit der Priesterschaft im griechisch-römischen Ägypten oder dem Adel und Klerus im geteilten Polen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Schon allein hieraus geht hervor, daß unser Blick keineswegs auf marginalisierte oder migrierende Fremde beschränkt bleibt. Der spezifische Beitrag von ‘Roms auswärtigen Freunden’ zum Sonderforschungsbereich besteht freilich darin, das weite Feld persönlicher, vor allem transnationaler Nahverhältnisse als eine besondere Gruppe von Inklusionsformen zu untersuchen. Die Kooperation in Kolloquium und Arbeitskreisen bringt für die Teilprojekte vielfältige Anregungen mit sich. An erster Stelle ist hier wohl die Problematisierung des Integrationsbegriffs zu nennen, der – im Gegensatz zum Inklusionsbegriff – oftmals zu Unrecht eine holistische Vorstellung von der Zielgruppe impliziert und darüber hinaus eine ebenfalls nicht immer zutreffende Intentionalität bei zu Ein- oder Ausschluß führenden Handlungsweisen unterstellt. So bedeutete beispielsweise die Verleihung des Titels amicus populi Romani oder des römischen Bürgerrechts an auswärtige Gefolgsleute zwar nicht zwangsläufig die Herstellung völliger Gleichheit (die es auch nicht unter den in der Stadt Rom lebenden Bürgern gab), aber sie mochte den Betroffenen den Zugang zum Zentrum politischer Entscheidungen ebnen bzw. sie in den Genuß personenrechtlicher oder ökonomischer Privilegien bringen. Dabei trugen solche Schritte langfristig – und oftmals unbeabsichtigt – zu einem allmählichen Zusammenwachsen der Mittelmeerwelt bei. Hervorgehoben sei ferner unser gemeinsames Bemühen, das jeweilige Thema auch auf breiter semantischer Grundlage zu behandeln. So verfügten die Römer über eine Fülle von Sprachregelungen aus den Bereichen Freundschaft und Patronatswesen, aber auch über entsprechende nonverbale Verhaltensweisen und materielle Repräsentationsformen. Das Studium dieses vielfältigen Repertoires wird es ermöglichen, 2
Prototypen dieser Datenbanken sind bereits auf der Website des Projekts zugänglich, s.o. Anm. 1.
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die sich während der späten Republik verdichtende soziale, rechtliche und politische Inklusion von Auswärtigen in die res publica Romana genauer als bisher zu erfassen. Abgesehen von der Zusammenarbeit vor Ort freue ich mich ganz besonders über die Kooperation mit unseren ‘auswärtigen Freunden’, die ebenfalls zum vorliegenden Sammelband beigetragen haben. Der Aufsatz von David Braund, Professor of Black Sea History an der Universität Exeter, geht auf einen Vortrag und Workshop anläßlich seines Besuchs in Trier im November 2003 zurück. Hartmut Wolff, Professor für Alte Geschichte an der Universität Passau, war im Februar und Oktober 2004 in beratender Funktion unser Gast. Gustav Adolf Lehmann, Professor für Alte Geschichte an der Universität Göttingen und Vizepräsident der Göttinger Akademie der Wissenschaften, war so hilfreich, unser Berichtskolloquium im Juli 2004 als kritischer Kommentator zu begleiten; dankenswerterweise hat er auch die weiteren Beiträge dieses Sammelbandes in seine bilanzierenden Betrachtungen miteinbezogen. Sein wissenschaftlicher Oberassistent, Privatdozent Boris Dreyer, gewährte uns ebenfalls im Juli 2004 Einblick in seine laufenden epigraphischen Forschungen zu den westkleinasiatischen Städten. Julia Wilker trägt ergänzend eine Studie aus dem Umfeld ihrer jüngst in Berlin entstandenen Dissertation bei, die der herodianischen Dynastie gewidmet ist. Darüber hinaus verdienen der Doktorvater der letztgenannten, Professor Ernst Baltrusch, sowie Claude Eilers, Associate Professor im Classics Department der MacMaster University (Hamilton/Kanada), außerdem die Privatdozenten Johannes Engels (Köln) und Eckhart Meyer-Zwiffelhoffer (Hagen) für ermutigende, teils durchaus auch kritische Rückmeldung zu meinen einführenden Darlegungen anerkennende Erwähnung. Allen genannten Beteiligten gilt mein herzlicher Dank. Besonders hervorheben möchte ich dabei Heinz Heinen und Manuel Tröster, die mich bei der Planung und Redaktion des Bandes tatkräftig unterstützt haben. Den Herren Professoren Bruno Bleckmann (Düsseldorf), Siegmar Döpp (Göttingen) und Jan Radicke (Kiel) danke ich für die Aufnahme des Buches in die Reihe der Beihefte des Göttinger Forums für Altertumswissenschaft, Karsten Riedl für die flexible und zuvorkommende Zusammenarbeit mit dem Verlag Duehrkohp & Radicke. Für die Förderung des Projekts ‘Roms auswärtige Freunde’, dessen zweite Phase (2005-2008) nun glücklich begonnen hat, spreche ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft meinen aufrichtigen Dank aus; für die gute Kooperation mit der Geschäftsstelle des SFB 600 sei stellvertretend Gisela Minn erwähnt. Nicht vergessen möchte ich, meiner lieben Frau Dorothea für Ihre große Geduld und Unterstützung im Hintergrund zu danken. Trier, im April 2005 Altay Coşkun
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Freundschaft und Klientelbindung in Roms auswärtigen Beziehungen Wege und Perspektiven der Forschung ALTAY COŞKUN
Den Spezialstudien dieses Bandes sei eine Einführung in die Forschungsdiskussion zu den zentralen Begriffen ‘Freundschaft’ und ‘Klientel’ vorangestellt. Verbunden wird diese mit einem Überblick über die Voraussetzungen, auf denen die Untersuchungen des Trierer Projekts ‘Roms auswärtige Freunde’ aufbauen. Dabei wird die Gelegenheit ergriffen, in einigen Grundsatzfragen Position zu beziehen und sich abzeichnende Tendenzen soeben abgeschlossener oder noch laufender Recherchen anzudeuten. Die Vorstellung der unterschiedlichen Quellengattungen wird einerseits einen Eindruck davon vermitteln, eine wie breite Verankerung romfreundliche Semantiken im politischen, sozialen und kulturellen Bereich hatten, sowie andererseits zu erkennen geben, auf welchen Ebenen sie sich gerade im Verlauf des von tiefgreifenden Umbrüchen und Umstrukturierungen durchzogenen ersten vorchristlichen Jahrhunderts verdichteten. I. Transnationale Nahverhältnisse der Römer im Spiegel der Forschung: die begrifflichen Grundlagen Für das Studium der transnationalen Nahverhältnisse der Römer ist es auch heute noch sinnvoll, Ernst Badians ‘Foreign Clientelae’ (1958) zum Ausgangspunkt zu nehmen. In diesem Werk wird die römische Außenpolitik vom 3. Jahrhundert bis ca. 70 v.Chr. unter dem Gesichtspunkt von Patronatsverhältnissen betrachtet. Analog zur innerrömischen Klientel beruhten nach Auffassung Badians auch diese auf der moralischen Grundlage der fides (‘Treue’, ‘Verläßlichkeit’). Neben den zwischenstaatlichen Klientelbeziehungen seien in wachsendem Maße persönliche Nahverhältnisse zwischen römischen Aristokraten einerseits und auswärtigen Gemeinden und Individuen andererseits entstanden. Badian rekurriert dabei auf Matthias Gelzer, der die zentrale Rolle der Klientelbindungen für die sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse in Rom beschrieben hat.1 Indes bezweifelt vor allem Christian Meier die Verbindlichkeit und Dauerhaftigkeit politisch-personaler Assoziierungen im spätrepublikanischen Rom. 1 Vgl. Gelzer 1912/83, der S. 70-83 lange vor Badian den Klientelbegriff auf die römische Außenpolitik bezog, doch nicht in annähernder Schärfe. Zur Forschungsgeschichte vgl. auch Bruhns/ David/ Nippel 1997, 196-216; Kehne 2000, 311-20; Coşkun/ Heinen 2004, 48-50 mit Anm. 4 und 9. Ergänzend ist auf Harmand 1957 hinzuweisen, der die regelmäßige Begründung von Patronatsbeziehungen im Zuge römischer Eroberungen herausstellt und die Entwicklung ihres Charakters bis in die Kaiserzeit verfolgt. Einen Abriß zum „römischen Klientelkönigtum“ bietet Weber 2003, 13-52. Zu fides s. im folgenden (vgl. auch das Register).
Altay Coşkun
Doch trifft sein Einwand eher Badians Annahme langwährender innerrömischer Faktionen, während die verschiedenen Erscheinungsformen von Roms auswärtigen Beziehungen sowie die von ihnen herleitbaren Spielregeln davon im Grunde nicht berührt werden.2 Hier haben beispielsweise Rainer Bernhardt und Marianne Schoenlin Nicols herausgearbeitet, daß auch seitens der auswärtigen ‘Klienten’ nicht zwingend ein konstant hoher Grad an politisch-moralischer Verläßlichkeit unterstellt werden sollte,3 wenngleich sich die bisweilen massive Beschränkung ihrer Handlungsfreiheit nicht wegdiskutieren läßt. Vor allem Jochen Bleicken und Werner Dahlheim wenden gegenüber Badian ein, daß angesichts der einseitigen Verpflichtung der schwächeren Partner und der vielfach egoistischen Ausnutzung des Machtungleichgewichts nicht von Klientel oder fides gesprochen werden solle.4 Diese Vorbehalte gründen aber vor allem auf den zum Teil krassen Erfahrungen aus dem 2. Jahrhundert v.Chr. und übergehen den spätestens seit Pompeius immer deutlicher sichtbaren Aspekt der Fürsorge römischer Statthalter und Patrone.5 Andererseits ließen sich auch schon für die frühere Zeit Beispiele für verantwortliches Handeln seitens der Römer anführen, während Fürsorge in späteren Phasen zwar zunahm, aber auch dann nur ein Motiv unter mehreren bildete und um so stärker zum Tragen kam, je mehr sich das Wohl der Schutzbefohlenen bzw. Freunde mit den Interessen des römischen Mittelsmannes oder der in Rom tonangebenden Gruppierung bzw. Person deckte.6 Zudem ist auf die spezifisch römische deditio in fidem zu verweisen, d.h. die Selbstüberantwortung in die Verfügungsgewalt des populus Romanus bzw. des römischen Beamten persönlich, welche sowohl bei der Kapitulation als auch bei einem (verzweifelten) Hilfegesuch zur Anwendung kam. Sie hat sich in Analogie zur Begründung innerrömischer Klientelverhältnisse entwickelt. Mit Blick auf diese deditio stellt Dieter Nörr fest, daß weder eine asymmetrische Definitionsgewalt noch gele2
Vgl. Meier 1961 und 1966/80, bes. 24-45, gefolgt z.B. von Rouland 1979, 465-91; vgl. auch letzteren, S. 13: „la relation tend à perdre son caractère personnel“; Callies 1989, 28f. 3 Bernhardt 1985, 171-79; Nicols 1992, 24-26 („dynamic nature“); vgl. auch Eilers 2002, 150-52; 158f. Zu Konkurrenz und Wahlfreiheit innerrömischer Klientelverhältnisse vgl. z.B. Wiseman 1985, 13-19; Johnson/ Dandeker 1989, 223f.; 228-30. Weiteres u. mit Anm. 22f. 4 Bleicken 1964, bes. 183; 1995, 247f.; 260; 264; Dahlheim 1968, 2f.; 1977, 273. Sullivan 1990, 13 lehnt es ausdrücklich ab, von client-kings zu sprechen; S. 1 kündigt er an, die Könige des Ostens „not as ‘clients’ but as representatives of centuries-old royal systems firmly controlling the East“ zu untersuchen. Vielfach schreibt man dem Klientelbegriff nur metaphorischen Wert zu, vgl. z.B. Ferrary 1988, 119; Lintott 1997, 32f.; Weber 2003, 14-17 („Modell“ der Forschung). 5 Vgl. bes. Baltrusch 2002a, 63f.; 73; 80; 126f.; 2002b, der einen Bezug zur Personalisierung des politischen Zentrums in Rom herstellt; daneben auch Timpe 1962, 339ff.; 350; 369f. zum moralischen Postulat Sallusts; Becker 1969, 805f.; 811f.; Dahlheim 1977, 166; 168; 289-92; 299, der die allmähliche Entwicklung römischer Fürsorge mit einem zunehmenden Zwang begründet, die Herrschaft zu legitimieren; S. 302f. verweist er auf die früheren Beispiele M. Aemilius Scaurus und Q. Mucius Scaevola (coss. 95). Zu Bleicken 1995, 248; 261 s.u. mit Anm. 105. Weiteres bei Coşkun/ Heinen 2004, 52 Anm. 15; 56 Anm. 26. – Vgl. auch die abweichende Akzentsetzung in der Replik von Badian 1984, 408-14. 6 Belege bieten alle Studien dieses Bandes zum letzten Jahrhundert der Römischen Republik (S. 55173). Zu den mehrdeutigen Haltungen Ciceros und Caesars s. auch u. II.3.
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Freundschaft und Klientelbindung
gentliche Vertrauensbrüche gegen die praktische Wirksamkeit der durch fides begründeten Verpflichtungen sprächen. Im übrigen erkennt er in dieser Praxis auf dem Hintergrund des nahezu schrankenlosen ius belli durchaus eine Tendenz zur Humanisierung internationaler Beziehungen.7 Die Übertragung des weiter gefaßten Klientelbegriffs auf die Außenpolitik hat Badian auch zur Überwindung juridischer, teilweise anachronistischer ‘Völkerrechtstheorien’ befähigt. Demgegenüber sind legalistische Forschungen in diesem Bereich seit Theodor Mommsen besonders in Deutschland verbreitet und finden weiterhin ihre Verfechter.8 Ohne die Bedeutung rechtlicher Fragen zu leugnen, kann man zur Verteidigung des extrajuristischen Ansatzes aber zunächst einmal darauf verweisen, daß es in der Antike kein ‘Völkerrecht’ im modernen Sinn gab.9 Unbeschadet dessen mag man mit Karl-Heinz Ziegler den ausgesprochen hohen Grad der Verrechtlichung von Roms auswärtigen Beziehungen anerkennen; jedoch betrachtet derselbe lediglich die Phase bis 168 v.Chr. als ‘Völkerrechtsepoche’, während Rom danach aufgehört habe, andere Staaten als gleichwertige Partner zu akzeptieren.10 Andererseits scheint der Senat damals also gerade wegen der weiterhin als verbindlich erachteten vertraglichen Verpflichtungen zusehends auf rechtliche Fixierungen verzichtet zu haben.11 Hier fanden nun elastische, oftmals klientelähnliche 7
Nörr 1989, 28-101; 1991, bes. 2-6; speziell zum Aspekt der Humanisierung s. auch u. Anm. 10 und vgl. Becker 1969, 812f. Zum Wesen der deditio vgl. ferner Timpe 1962, 356-64, der sie als Unterwerfung unter relativ „erträglichen“ Bedingungen charakterisiert; Ziegler 1972, 94-96; 1994, 49; 53. – Eilers 2002, 38-60 und Verboven 2003, 5f. behaupten, daß der Patronat über besiegte Feinde durch den Feldherrn, der ihre deditio in fidem annahm, wenn überhaupt, nur bis ins 3. Jahrhundert v.Chr. den Regelfall gebildet habe. Dagegen zeigt Coşkun 2004/5a, daß dies nach Cic. off. 1,35 bis in die 50er Jahre die Regel gewesen zu sein scheint. 8 Vgl. Mommsen 1864 und 1887/1963, Bd. 3, bes. 590-715; von Premerstein 1900; Täubler 1913/64; Klose 1934; Hofmann 1959; Dahlheim 1968, bes. 2f.; Zack 2001, 1; 167-242; auch Cimma 1976, bes. 331-42, allerdings mit der expliziten Ausnahme des 1. Jhs. v.Chr.; Sherwin-White 1984, bes. 50-70. Zu Heuß 1933 s. dagegen u. Anm. 14. Kritisch zur juridischen Sicht: z.B. Timpe 1962, 337 Anm. 2; Rouland 1979, 11-16; Rich 1989, 118f.; Nörr 1991, 2f.; Kehne 2000, 316-19; Weber 2003, 20. Nicht ohne weiteres auf die Antike übertragbar ist aber die von Topolski 1989, 21 vertretene Ansicht, Formlosigkeit sei ein allgemeiner Wesenszug von Klientelverhältnissen. 9 Kritik an der Vorstellung eines antiken Völkerrechts übt vor allem Badian 1984, vgl. auch Bleicken 1995, 261f. zur sprachlichen Aporie: „Weltherrschaft und Völkerrechtsgemeinschaft bzw. Außenpolitik sind ... einander ausschließende Begriffe“; außerdem Hölkeskamp 2000, 239. 10 Ziegler 1972, 68-71; 75-82 verteidigt die Verwendung des Völkerrechtsbegriffs auch für vorneuzeitliche Epochen, sofern die von W. Preiser definierten Voraussetzung erfüllt seien: 1. Existenz „rechtlich wie faktisch unabhängiger Staaten“; 2. „kontinuierlicher zwischenstaatlicher Verkehr“; 3. „Überzeugung der Beteiligten, ... rechtlich gebunden zu sein“. Vgl. auch dens. 1994, 1-5; 54-56. Zur Illustration diene der Vergleich zwischen der römischen deditio in fidem und der modernen Kapitulation: Der Unterschied liegt nach Nörr 1989, 26f. in der heutigen Existenz völkerrechtlicher Schutznormen; allerdings habe die fides die damals bestehende Lücke zu einem nicht geringen Teil ausgefüllt, ohne freilich einklagbare Rechte zuzusichern. – Den Übergang zu einem „patronalen System“ datiert Baltrusch 2002a, 79 bereits auf 188 v.Chr., während Matthaei 1907, 200f. den Niedergang des Vertragswesens zugunsten formloser amicitiae bereits ins 3. Jh. setzt. 11 Vgl. auch Ziegler 1972, 88-91 in Gefolgschaft Dahlheims: „amicitia als Grundlage auch formloser societas“; S. 93 verwirft er Täublers Kategorie des „Klientelvertrages“: „der eingebürgerte Ausdruck ‘Klientelstaat’ [ist] politischer, nicht juristischer Natur“; S. 109 Anm. 342 lehnt er auch die bes. bei
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Altay Coşkun
Freundschaftsbeziehungen zu fremden Staaten oder Personen ihren Entfaltungsspielraum, unabhängig davon, ob sich diese innerhalb oder außerhalb römischer provinciae befanden. Deshalb braucht die Fülle an fortan begegnenden ambivalenten Zeugnissen hinsichtlich der Abhängigkeit bzw. Autonomie befreundeter Poleis und Königreiche nicht zu überraschen.12 Gleichwohl ist die Festellung Nörrs, der vorzugsweise vom „römischen Völkerrecht“ spricht, weiterhin auch für die spätere Phase zutreffend, daß nämlich „das gesamte Geflecht der internationalen Beziehungen im Mittelmeerraum von ‘normativen’ Erwartungen durchzogen“ sei. Wie „wenig nützlich“ indes der „Streit über die Vertragsnatur der deditio“ ist, verdeutlicht folgende paradoxe Definition: „Als Einigung der Parteien ist sie ein Vertrag. Doch ist ihre primäre Wirkung eine ‘StatusÄnderung’ auf Seiten des sich dedierenden Gemeinwesens, die entsprechende primäre vertragliche Verpflichtungen ausschließt. An die Stelle von Verpflichtungen tritt das Verhältnis von Befehl und Gehorsam. Eine andere Frage ist es, ob sich ... nicht auch (ausdrücklich vereinbarte oder implizite) Pflichten gerade des Siegers ergeben.“ Damit ist aber wiederum auf den politischen und moralischen Bereich verwiesen. Im Unterschied zur innerrömischen Klientel ist jedoch festzuhalten, daß durch die Dedition unmittelbar ein rechtlicher „Schwebezustand“ eintritt, der freilich nach der Wiederherstellung einer neuen Verfassung von Roms Gnaden „drängte“.13 Auch die regelmäßige Erwähnung der amicitia in römischen Bündnisverträgen mit außeritalischen Mächten berechtigt nicht zu dem Schluß, daß freundschaftliche Beziehungen in jedem Fall durch ein foedus zu besiegeln gewesen seien.14 Für die Dahlheim 1968, 269; auch 1989, 88 etc. gebräuchliche Bezeichnung „völkerrechtliche Klientel“ ab. Vgl. auch Sands 1908, 42-48: Klientelkönige hatten seit dem 2. Jh. v.Chr. regulär kein Foedus-, sondern nur ein Freundschaftsverhältnis; letzteres sieht er jedoch – im Gegensatz zu Matthaei 1907, 189-91 – durch einen Vertrag begründet (s. aber u.); ferner Timpe 1962, 349. 12 Z.B. stellt Dahlheim 1977, 214-61 fest, daß die Römer selbst in den Provinzen nur selten rechtliche Strukturen änderten, wohl aber den politischen Handlungsspielraum einschränkten; herrschaftliche Eingriffe gingen in der Regel auf Loyalitätsverletzungen zurück; „Maßstab ist also nicht die Freiheit, von der Teile verlorengegangen wären, sondern die Herrschaft, die sich selbst beschränkt“ (S. 253). Zu den fließenden Übergängen vgl. auch Kallet-Marx 1995; Bernhard 1998, 48-73; Coşkun/ Heinen 2004, 58f. mit Anm. 30. Zur allmählichen Verdichtung von Gefolgschaft bzw. Herrschaft s. auch Kapitel II. 13 So Nörr 1989, 13; 17f. Ebenda nennt er folgende Charakteristika eines foedus: 1. Übernahme wechselseitiger Verpflichtungen; 2. Herstellung eines Zustandes (z.B. Frieden oder Bündnis); 3. eigene Formen wie den Eid zur Bekräftigung; 4. Fortbestand der Völkerrechtsfähigkeit beider Partner; 5. Möglichkeit der zeitlichen Befristung. Vgl. auch Nörr 1991, 26-32 („Völkerrechtskreise“; „Geflecht normativer Erwartungen“). Wesensmerkmal des foedus ist nach Ziegler 1972, 90f. der Formcharakter, der die Selbstverfluchung für den Fall des Vertragsbruchs einschließt. 14 Zur prinzipiellen Vertraglosigkeit der amicitia vgl. bereits Matthaei 1907, 189-91 und grundlegend Heuß 1933, gefolgt z.B. von Badian 1958, 5 mit Anm. 5; Dahlheim 1968, 136f.; Ziegler 1972, 83-90 (auch 1994, 47), der allerdings für die Frühzeit durchaus auch die Möglichkeit eines Freundschaftsvertrages anerkennt. Gegen den Widerspruch von Zack 2001, 167-242 vgl. Coşkun/ Heinen 2004, 56 Anm. 24. Gegenteilige Beweiskraft kommt den 161–104 v.Chr. bezeugten freundschaftlichen Kontakten zwischen Makkabäern und Römern nicht einmal dann zu, wenn Baltrusch 2002a, 90-113 mit seiner Annahme von „Bündnisverträgen“, welche die Römer aber offenbar nicht zu militärischer Unterstützung verpflichtet hätten, recht haben sollte.
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Freundschaft und Klientelbindung
späte Republik ist nach dem Eindruck der Quellen vielmehr damit zu rechnen, daß die Aufnahme von Individuen oder Gemeinwesen in die amicitia populi Romani formell durch die Einschreibung in die ‘Liste der Freunde und Bündner’ (formula amicorum et sociorum) und gegebenenfalls die Übersendung von Geschenken erfolgte.15 Hingegen darf bei der eher seltenen Gewährung eines Bündnisvertrags dessen symbolische Bedeutung nicht übersehen werden.16 Die verwendete Terminologie gibt also nur gelegentlich Einblick in bestehende Rechtsbindungen. Regelmäßig verraten die Semantiken aber politische Adhäsionen oder gängige Wertvorstellungen. Dementsprechend werden in der Forschung beispielsweise die imperialen Implikationen oder hellenistischen Traditionen der Quellensprache diskutiert. Zudem wird um eine adäquate Beschreibungssprache gerungen.17 So fordern Peter Brunt und neuerdings Claude Eilers eine scharfe Unterscheidung zwischen der spezifisch römischen, zum Teil auch verrechtlichten Institution der clientela und anderen Formen von auf fides gründenden Beziehungen.18 Demgegenüber eröffnet die Analyse persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse im weiteren Sinn die Möglichkeit, sich einem umfassenderen Wesenszug römischer Gesellschaftsverhältnisse zu nähern. Auf dem Hintergrund reger sozialwissenschaftlicher Forschung definiert beispielsweise Richard Saller Patronage allgemein als auf Dauer begründete „exchange relationship between men of unequal social status“.19 Dabei greift die Qualifizierung der Partner als gesellschaftlich ungleich das weithin geltende Unterscheidungsmerkmal zwischen einer Freund/Freund- und Patron/ Klient-Beziehung auf, insofern für erstere traditionell Statusgleichheit vorausgesetzt wird. Jedoch hält David Konstan vielmehr emotionale Tiefe für das zentrale Charakteristikum von Freundschaftsbeziehungen, wobei er wie auch Brunt gegen eine ein15
Zur Liste vgl. Bowman 1990; in Ansätzen Badian 1958, 12 Anm. 4; 143 Anm. 1; nur zum Teil überholt Sands 1908, 40-42. 16 Vgl. z.B. Dahlheim 1977, 178-86; Ferrary 1990; Kallet-Marx 1995, 184-97. Rich 1989, 131f. nuanciert, daß die moralische Treueverpflichtung aus Sicht der Römer auch im Vertragsfall höher als die Vertragstreue gewesen sei. Zur undifferenzierten Verwendung von socius/ amicus in den Quellen für die Zeit nach 168 v.Chr. vgl. Matthaei 1907, 186-89; Dahlheim 1968, 260-74. 17 Vgl. Bernhardt 1998, 46-48; Coşkun/ Heinen 2004, 57-59 bzw. 50-53. Zur Frage des römischen Imperialismus vgl. jetzt auch Champion 2004; zum Philhellenismus zuletzt Tröster 2005. 18 Brunt 1988a, 382-442; Eilers 2002, bes. 1-18, der über auswärtige Klientelverhältnisse Rückschlüsse auf die schlechter dokumentierten innerrömischen Patronatsbeziehungen zu ziehen sucht; ähnlich rigoros Kehne 2000, z.B. 314, der 328f. bestenfalls wenige interpersonale Beziehungen gelten läßt. 19 Saller 1982, 1; 8; zustimmend z.B. Wallace-Hadrill 1989, 4; Rich 1989, 124; 128; kritisch aber die Soziologen Johnson/ Dandeker 1989, die eine deutliche Unterscheidung zwischen Patronage „as a social relation“ und „as a social system“ einfordern (S. 221-24); s. auch u. Anm. 20 und 22. Grundlegend sind z.B. Eisenstadt 1976 und Eisenstadt/ Roniger 1984, 52-64. Vgl. auch den Forschungsbericht von Nolte 1989, 1-11; sowie daneben Rouland 1979, 13-16 in Auseinandersetzung mit der Definition des Politologen Médard 1976, 103: „le rapport de clientèle, ou de patronage – c’est-à-dire un rapport de dépendance personnelle non lié à la parenté qui repose sur un échange réciproque de faveurs entre deux personnes, le patron et le client qui contrôlent des ressources inégales“. Rouland hebt seinerseits die historische Wandelbarkeit von Patronatsverhältnissen hervor (s.o. Anm. 2); charakteristisch für die klassisch-römische Ausprägung sei die fides.
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seitig politische oder utilitaristische Definition römischer amicitia entritt. Davon abgesehen lassen beide Forscher große begriffliche Überschneidungen zu.20 Koenraad Verboven verzichtet in seiner rezenten Untersuchung materieller Austauschbeziehungen sogar ganz auf eine Differenzierung zwischen amici, patroni und clientes.21 Gegenläufige Impulse gehen zuletzt von Paul Burton aus. Unter Verbindung sozialwissenschaftlicher und antik-philosophischer Konzeptionen betrachtet er Freundschaften als dynamische Machtverhältnisse, in denen Asymmetrie sogar attraktiv sein könne. Die Scheidelinie zu Klientelverhältnissen werde durch die Frage der Freiwilligkeit im Erbringen von Gunsterweisen (beneficia) gezogen.22 Allerdings ist dieses Kriterium schwer meßbar und läuft Gefahr, den Handlungsspielraum von Freunden zu über- bzw. den von Klienten zu unterschätzen. Davon abgesehen setzt eine solche Definition wenig überzeugend voraus, daß das Erbringen von Leistungen eindeutig als (un-)freiwillig kategorisiert werden könne und noch darüber hinaus innerhalb einer konkreten Beziehung konstant bleibe.23 Immerhin mag der mehrfach genannte Begriff der fides als Kriterium dienen, insofern er sich bei der Begründung privater gleichwie transnationaler Klientelbindungen im Gegensatz zur Freundschaftsbeziehung zumindest ursprünglich einseitig auf den Patron bezog: In dessen fides begab sich der Schutzsuchende. Jedoch wurde im 20
Konstan 1997, 1; 124 zur Emotionalität; ferner 6-23; 135-37; 143-45 gegen strikte Grenzziehungen; Brunt 1988a, 351-61; s. auch u. Anm. 32 zur begrifflichen Überdeterminierung. Zu einer affektiven Komponente vgl. auch Garnsey/ Woolf 1989, 154; Johnson/ Dandeker 1989, 221-24. Anders z.B. Hutter 1978, 133-74, bes. 142: „Amicitia was a strictly utilitarian relationship formed for mutual convenience and advantages“. Demgegenüber legt Gotter 1996 dar, wie Cicero griechische (moralisch-affektive) und römische (politisch-utilitaristische) Traditionen zu verbinden suche. 21 Verboven 2002, z.B. 331; ähnlich bereits Wiseman 1971, 37; Saller 1989, 57 aber strenger differenzierend: „amici were subdivided into categories superiores, pares and inferiores (and then lower down the hierarchy, humble clientes). Each category called for an appropriate mode of behaviour“; sowie Hölkeskamp 2000, bes. 248f. zur strukturellen Gleichheit von auf fides gründenden asymmetrischen Beziehungen und zu „hierarchisch gedachte[r] Reziprozität von Verpflichtungen“. Indes ist Ranggleichheit vorausgesetzt z.B. bei Badian 1958, 11; Hellegouarc’h 1963/72, 41; Hutter 1978, 10: „Class-structured societies usually exert strong social pressure designed to avert formation of friendships between unequals“; allerdings räumt er S. 141f. die Möglichkeit ein, „both being of similar social status and only differing in rank within that status“; vgl. auch S. 20 zum Wandel von Freundschaft in Patronat durch das Unvermögen, Wohltaten zu erwidern; Rouland 1979, 450; 456; Gotter 1996, 344 mit Anm. 15. Vgl. auch die Übersicht über historische Freundschaftsforschung bei Silver 1989, 277-282; weitere Lit. bei Tröster/ Coşkun 2003, 68f. Anm. 3. 22 Vgl. Burton 2003, 334-48. Auch Hutter 1978, 11-13 spricht von „question of power to settle between friends“, während er andererseits zugleich „trust“, „freedom“ und „absence of fear“ als weitere Bedingungen betrachtet. Freiwilligkeit und Formlosigkeit sind auch bei Wiseman 1986, 191f. vorausgesetzt. Dagegen gilt erstere oft als Bedingung für ein Klientelverhältnis, selbst wenn sie durch soziale Zwänge eingeschränkt ist; vgl. z.B. Topolski 1989, 21; Johnson/ Dandeker 1989, 221-24 (mit Kritik an Saller 1982/ 1989); 228-30. Zur prinzipiellen Freiwilligkeit der Dienste von Klientelkönigen der republikanischen Zeit vgl. Matthaei 1907, 194-99; 203 (für die Zeit vor 168 v.Chr.); Sands 1908, 107-10; s. auch o. Anm. 3; 12 und u. mit Anm. 30. 23 Ebensowenig überzeugt Hutter 1978, 142, der angebliche „legally enforcable obligations“ des patrocinium der „moral and customary relationship“ der amicitia gegenüberstellt. Zur Dynamik der Beziehung s.o. Anm. 3.
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Verlauf der republikanischen Epoche zunehmend auch von der fides der römischen bzw. auswärtigen Gefolgsleute gesprochen,24 während sich andererseits das Gesuch um die Aufnahme in die amicitia populi Romani immer deutlicher zu einem einseitigen Gnadenakt entwickelte, der zudem oft teuer zu erkaufen war.25 Dennoch wird gegenüber Badian immer wieder und zuletzt recht dezidiert von Burton betont, daß die antiken Quellen zu Roms auswärtigen Beziehungen überhaupt vornehmlich von amicitia sprechen.26 Dies ist zwar zutreffend; aber neben gelegentlichen Vergleichen mit bzw. Anspielungen auf clientela bedeuten auch die ausdrücklich ‘freundschaftlichen’ Nahverhältnisse, die sich aus einer deditio in fidem ergeben konnten, erhebliche Einschränkungen des terminologischen Einwandes.27 Hinzu kommt die breite Verwendung des aus dem Lateinischen übernommenen Begriffs ΠΑΤΡΩΝ, der seit dem späteren 2. Jahrhundert v.Chr. in griechischen Inschriften erscheint und die besondere Stellung des römischen Städtepatrons in griechischen Poleis bezeichnet.28 Wie die jüngsten Untersuchungen von Filippo Canali de Rossi und Eilers zeigen, orientierten sich auch dessen Funktion und Selbstverständnis sehr stark an der innerrömischen Patron/Klient-Beziehung.29 Weiterführend ist in dieser Kontroverse vor allem David Braunds Dissertation, deren Titel den scheinbaren Widerspruch zum Ausgleich bringt: ‘Rome and the Friendly King. The Character of the Client Kingship’. Auf breiter, sich vom 2. Jahrhundert v. bis zum 2. Jahrhundert n.Chr. erstreckender Quellengrundlage weist er 24
Die einseitige Zuschreibung von fides führt Rich 1989, 128-30 zur Verteidigung des Klientelkonzepts an. Vgl. aber von Premerstein 1900, 33; Becker 1969, 805-9 zu Abweichungen. Zu drei Beispielen für 45 v.Chr. vgl. Cic. Deiot. 14; 16; 41, wo allerdings auch ausdrücklich von amici bzw. hospites die Rede ist, obwohl ihre gefolgschaftliche Unterordnung unter Caesar außer Frage steht. Vgl. in anderem Zusammenhang auch Kehne 2000, 317f. 25 Vgl. z.B. Dahlheim 1977, 200-2. 26 Burton 2003. Indes bemerkt Badian 1958, 7; 12, daß auch eindeutige Abhängigkeitsverhältnisse aus Taktgefühl oftmals kaschiert worden seien. Rich 1989, 126f. (ungenau wiedergegeben bei Coşkun/ Heinen 2004, 52 Anm. 14) wendet dagegen ein, daß solche Rücksichtnahme im innerrömischen Bereich nur bei ranghohen Klienten geübt worden sei (vgl. auch Garnsey/ Woolf 1989, 167); in den auswärtigen Beziehungen habe jedoch die Konkurrenzlosigkeit der römischen Patrone dazu geführt „that empire, not patrocinium, is what Roman rule was actually called“. Die fundamentale Bedeutung der Freundschaftssemantiken bleibt damit aber ungeklärt. Vgl. auch allgemeiner Hutter 1978, 11: „In times of stability, when seeming amicability prevails between masters and slaves, the masters usually pose as the friends of their slaves.“ 27 Vgl. Liv. 34,58,11; 37,54,17; 45,44 (mit Bleicken 1964, 183; Rich 1989, 125f.); Cic. rep. 1,43 Massilienses nostri clientes (mit Timpe 1962, 357); off. 1,35; 2,27 patrocinium orbis terrae verius quam imperium (mit Meyer 1957, 211-39; s.o. Anm. 7); Sall. Iug. 14 (mit Timpe 1962); Ov. epist. 4,3,41f.; Suet. Aug. 60 (s.u. Anm. 79); Procul. dig. 49,15,7,1 (vgl. Ziegler 1972, 92f.); Flor. 1,36,3; Amm. 17,12,12; 18,2,16 (vgl. Rich 1989, 126). 28 Vgl. die Kritik von Bleicken 1964, 181f.; Dahlheim 1968, 2f.; ferner die kontroverse Diskussion zwischen Gruen 1984, 158-200; Touloumakos 1988; Ferrary 1997 betreffs des Verhältnisses von griechischen und römischen Traditionen hinsichtlich der ΠΙΣΤΙΣ und ΠΑΤΡΩΝΕΙΑ. Allgemeiner zu ΦΙΛΙΑ und ΠΙΣΤΙΣ vgl. bes. Gruen 1984 und Ferrary 1988, dazu z.B. Baltrusch 2002a, 73-81; Coşkun/ Heinen 2004, 53 mit Anm. 17f. 29 Vgl. Canali de Rossi 2001; Eilers 2002; daneben weiterhin die materialreiche Arbeit von Harmand 1957; zudem Rouland 1979, 439-45; Nicols 1980 und 1990; Touloumakos 1988.
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nach, daß die transnationalen ‘Freundschaften’ der Römer zu Königen durch ähnliche Verhaltensweisen und Wesenszüge geprägt waren wie innerrömische Nahverhältnisse, ob amicitiae oder clientelae. Außerdem stellt er heraus, daß bei weitem nicht alle amici populi Romani politische Marionetten waren, sondern durchaus über zum Teil beträchtliche persönliche Handlungsspielräume verfügen konnten. Allerdings arbeitet er nicht die Zunahme der Gehorsamspflicht auswärtiger ‘Freunde’ während der späten Republik und des frühen Prinzipats heraus. Auf diesen entwicklungsgeschichtlichen Aspekt wird weiter unten zurückzukommen sein.30 Soweit wird erstens deutlich, daß man sich die unterschiedlichen Konzeptionen, die hinter der Terminologie des Untersuchungsfeldes und der Beschreibungssprache stehen, bewußt halten muß.31 Dies ist um so wichtiger, als der Patronats- und erst recht der Freundschaftsbegriff überdeterminiert sind.32 Nur beiläufig angesprochen sei hier, daß auch für Konzepte wie ‘Verwandtschaft’ oder ‘Herrschaft’ keine wirklich trennscharfen Definitionen existieren, die den Untersuchungsgegenstand nicht unsachgemäß einengen würden.33 Zweitens ist festzuhalten, daß asymmetrische soziale Positionen weder in Rom noch in der Gegenwart das Bestehen einer ‘Freundschaft’ ausschließen, gleich wie ein Machtungleichgewicht zumindest von einer ‘klientelähnlichen Beziehung’ und offenbare Abhängigkeit von einer ‘Klientelbeziehung’ zu sprechen berechtigen.34 Erkennt man drittens die Möglichkeit von Differenzen zwischen Interaktion und Sprachregelung, dann ist es angezeigt, zum einen verstärkt nach den jeweiligen be30
Vgl. Braund 1984; auch 1989. Zu den Handlungsspielräumen s. auch o. Anm. 22f. Zur historischen Entwicklung vgl. z.B. Timpe 1962, 351: „In der späten Republik ist amicitia fast überall aus der politischen Freundschaft zum Klientelverhältnis geworden“; oder die Kritik von Sherwin White 1984, 52: „Badian ... tends to interpret the beginning by the end“. Zu einem Plädoyer für die diachrone Erforschung des Patronats vgl. z.B. Rouland 1979, 15. Weiteres hierzu jeweils gegen Ende der Schwerpunktbeschreibungen in Kapitel II. 31 Vgl. z.B. auch Wallace-Hadrill 1989, 4: „we need to take our stand outside the Roman value system in order to understand it“. 32 Hier ist auch auf die vielfach feststellbare Diskrepanz zwischen einem engen, sublimierten Verständnis von abstrakter Freundschaft und konkreten, mit Freundschaftssemantiken behafteten Beziehungen zu verweisen. Bekanntlich werden auch entferntere Personen wie Bekannte oder Kollegen aus Höflichkeit oder aufgrund von Konventionen oftmals ‘Freunde’ genannt, s. auch o. Anm. 26. Vgl. einerseits zum Patronat z.B. Nolte 1989, 6f.; 11f. sowie andererseits Hutter 1978, 22f. („something which is rare, though it is universal“); Gotter 1996, 342 („Allzweckwerkzeug des politischen Geschäfts“) und Konstan 1997, 11-14 zu „overdetermination“ von Freundschaft. 33 Zu verwandtschaftlichen Netzwerken bzw. zur Übertragung verwandtschaftlicher Terminologie in der Politik vgl. z.B. Andreau/ Bruhns 1990; Jones 1999; auch Hutter 1978, 145; zur Abgrenzung hiervon s. auch o. Anm. 19; Konstan 1997, 6f. Zu einer begrifflichen Annäherung an den Herrschaftsbegriff vgl. z.B. Dahlheim 1977, 4-11. Freilich bedarf es generell der klaren Abgrenzung der Beziehungstypen von einander bzw. ihrer Einordnung in den größeren Kontext der mit oder „ohne staatliche Lenkung vollzogenen sozialen und wirtschaftlichen Durchdringung des Herrschaftsraumes“ (Dahlheim 1977, 320); vgl. auch Johnson/ Dandeker 1989, 221f. 34 Daneben sei auch an die zahlreichen ‘Freunde’ römischer Kaiser oder hellenistischer Könige erinnert, die am Hof oder in der Reichsverwaltung tätig waren; vgl. z.B. Brunt 1988b bzw. Virgilio 1999, 121-24 (zu den philoi und syngeneis von Königen).
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grifflichen Traditionen und zum anderen nach potentiellen Wechselwirkungen zwischen Realität und Rhetorik bzw. Repräsentation zu fragen.35 Akzeptiert man viertens, daß Freundschaft und Patronage innergesellschaftliche Barrieren zu überwinden vermögen,36 so ist schließlich die Vorstellung plausibel, daß auch ihre transnationalen Spielarten, zumal interpersonale, ein besonderes Inklusionspotential besitzen. Die in diesem Sammelband vorgelegten Arbeiten des Projekts ‘Roms auswärtige Freunde’ untermauern diese Annahme auf vielfältige Weise.37 II. Ziel- und Schwerpunktsetzungen des Projekts ‘Roms auswärtige Freunde’ Den zentralen Untersuchungsgegenstand des SFB-Projekts bilden alle Formen, mit denen auswärtige amicitiae begründet, erneuert und gegebenenfalls transferiert wurden, Strategien, die dabei zur Anwendung kamen, und Auswirkungen, die sie sowohl auf die römischen und fremden Partner als auch auf deren Gesellschaften hatten. In unzähligen Bereichen läßt sich hier ein Verschwimmen der Grenze zwischen Innenund Außenperspektive beobachten: Fremde Akteure kämpfen in den römischen Bürgerkriegen mit; ohne Römer zu sein, steigen amici in den Beraterstab römischer Magistrate auf; griechische Schriftsteller mehren den Ruhm römischer Imperatoren; zugleich erhalten auswärtige ‘Freunde’ das römische Bürgerrecht, nehmen römische Namen an, ehren römische ‘Wohltäter’ und die Göttin Roma mit Monumenten, Festen und Kulten. Im Vordergrund steht das Studium der Schlüsselbegriffe wie der Personenbezeichnungen familiaris, amicus, hospes, cliens, patronus, socius, foederatus und der Abstrakta fides, beneficium, officium, gratia, meritum.38 Während die Terminologie für bestehende Rechtsverhältnisse nur begrenzte Aussagekraft hat, soll sie im Rahmen des Projekts zusammen mit anderen Repräsentationsformen diplomatischer und persönlicher Nahverhältnisse wie ritualisierten Interaktionsformen, Kulten, Perso35
Vgl. Nicols 1992, 14-19; 57; 128f.; auch das Plädoyer von Millar 1996/2004, 237. Vgl. auch Médard 1976, 127f.: „ces phénomènes de clientèle contribuent fortement à l’intégration sociale et politique“; Rouland 1979, 15; 17; 232; Johnson/ Dandeker 1989, 224; 229 und Nolte 1989, 9 zur „integrativen Kraft“ der Klientel. Vgl. ferner Konstan 1997, 7 zur „inclusive nature“ von Freundschaft. 37 Vgl. zudem Tröster/ Coşkun 2003, 68f.; Coşkun/ Heinen 2004, 54-57; Coşkun 2004/5a; 2005a; außerdem z.B. Saller 1982, 189; Dahlheim 1989, 88; Callies 1989, 29; Rich 1989, 132; Schulz 1997, 291-95; Baltrusch 2002a, 119 zur stabilisierenden bzw. „integrativen“ Funktion der außeritalischen Klientelverhältnisse der Römer; mit anderen Worten beschreibt dies bereits Harmand 1957, z.B. 485; Johnson/ Dandeker 1989, 238. Nörr 1991, 22 erkennt im Institut der deditio in fidem einen ähnlich „inklusiven“ Charakter wie in der römischen Bürgerrechtsvergabe. 38 Vgl. neben den Thesaurus-Artikeln sowie den bisher genannten Arbeiten, darunter bes. Saller 1982, 7-39 und Verboven 2002, 35-70, die lexikographisch-kulturhistorischen Darstellungen zu fides und auf ihr gründenden Beziehungen von Hellegouarc’h 1963/72, 23-90; Rouland 1979, bes. 445-64; 573-80; ferner die Spezialstudien zu ihren sozio-politischen Dimensionen von Merten 1965; Becker 1969, bes. 815-18 zu Gottheit und Kult; 819-25 zur lat. Literaturgeschichte; Gruen 1982; Nörr 1989, bes. 94-114 und 1991, z.B. 5: „zwischen Ideologie und (normativem) Ideal“, u.a. mit Verweis auf Val. Max. 6,6 zur fides publica und Diod. 23,1 zur Kritik König Hierons II. an der pistis der Römer. Vgl. überdies die Untersuchungen zum Gemeindepatronat (o. Anm. 29). 36
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nennamen oder Bildnissen als Teil einer umfassenderen Inklusionssemantik untersucht werden. Solche Erscheinungsformen werden dabei nicht nur als Reflex politischer oder sozialer Verhältnisse verstanden, sondern auch als Quelle der Konstruktion von Freundschaft bzw. Patronat. Überdies ist aufzuzeigen, wie die wachsenden innerrömischen Rivalitäten allmählich auch zu einer stärkeren Inklusion der Mittelmeeranrainer in das Reich und seine Konflikte führten.39 Dabei sollen die Grenzen überschreitenden Nahverhältnisse als ein zentrales und vielgestaltiges Phänomen der ausgehenden Republik beschrieben sowie die jeweiligen amici nicht nur als Faktoren der römischen Innenpolitik, sondern vielmehr in ihrer komplexen Position sowohl als abhängige Träger der römischen Herrschaft wie auch als selbstständige Akteure mit begrenzter Autonomie betrachtet werden. Die dreifache Schwerpunktsetzung – eine reichsweite, eher synchronische Perspektive (1), eine lokal begrenzte, diachronische Betrachtung (2) sowie ein systematischer Ansatz (3) – soll einen geeigneten Zugang zum Gesamtthema der transnationalen Freundschafts- und Klientelverhältnisse eröffnen. Schwerpunkt 1: Roms auswärtige Freunde in der ausgehenden Republik40 Der oben erwähnte Beitrag Paul Burtons spiegelt die Konzentration der Forschung auf die Epoche des römischen Ausgreifens auf den Osten im 2. Jahrhundert v.Chr. wider,41 so daß erneut das Fehlen einer synthetischen Behandlung von Roms auswärtigen Freunden in der späten, besonders in der ausgehenden Republik deutlich wird. Ernst Badian selbst hat seine Untersuchung für den Osten bis in die 80er Jahre, für den Westen bis in die 70er Jahre des 1. Jahrhunderts geführt, womit die Ausgangspunkte für den ersten Schwerpunkt des Trierer Projekts vorgegeben sind. Eine Zusammenstellung, geschweige denn Analyse der auswärtigen Freunde des Lucullus oder des Crassus sucht man in den modernen Biographien dieser großen Feldherren vergeblich.42 Die diesbezügliche Literatur zu Pompeius und Caesar ist vielfältiger, gelangt aber dennoch nur selten über begrenzte Perspektiven hinaus.43 39
Anders z.B. Rouland 1979, 17: „il paraît nécessaire de se demander si la désintégration de ce système socio-politique (sc. der innerrömischen Klientel – A.C.) n’entraîna pas un affaiblissement parallèle de l’efficacité politique des rapport clientélaires“; oder Bleicken 1964, 187, der die „politische Ohnmacht“ sowie die „Inaktivität der Untertanen“ für die Zeit der ausgehenden Republik hervorhebt. Zutreffender erkennt dagegen Hoben 1969, 212 „die begrenzte Möglichkeit [der Klientelkönige], weniger gegenüber dem, als innerhalb des römischen Reiches eigenständige Politik zu treiben“. Die Instrumentalisierung von fides-Beziehungen gegen die (ausgehende) Republik stellt z.B. Callies 1989, 28-31 fest. Bes. großes Gewicht mißt ihnen Harmand 1957, z.B. 133 bei. 40 Vgl. auch den prosopographischen Teil der Online-Bibliographie (wie u. Anm. 107). 41 Vgl. z.B. Dahlheim 1968; Gruen 1984; Sherwin White 1984, s.u. mit Anm. 51; Ferrary 1988; Bernhardt 1998. 42 Vgl. einerseits van Ooteghem 1959; Keaveney 1992; auch Schütz 1994; andererseits Marshall 1976; Ward 1977. Zu Lucullus s. jetzt aber den Beitrag von Tröster, S. 91-111. 43 Auf die vornehmlich geographisch ausgerichtete Literatur wird im folgenden Abschnitt eingegangen. Umfang und Entwicklung der auswärtigen Klientel spätrepublikanischer Hauptakteure sowie ihre Relevanz für die innerrömische Politik untersuchen z.B. Harmand 1957, 117-48; Yoshimura 1961 und Dahl-
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Mit ersterem beschäftigen sich indes zwei ausgezeichnete Qualifikationsarbeiten. Marianne Schoenlin Nicols hat in ihrer Dissertation (Berkeley 1992) systematisch den Charakter von Pompeius’ Klientelbeziehungen zu den Städten des Reiches herausgearbeitet; dabei stellt sie eine große Unbeständigkeit dieser Beziehungen sowie beträchtliche Diskrepanzen zwischen Rhetorik und Realität fest. Frank Leßmeister hat im Rahmen seiner Ersten Staatsexamensarbeit (Trier 2000) eine Aufstellung der Verbündeten des Pompeius vor Pharsalos und geistesgeschichtliche Reflexionen zum Thema der fides auf der Grundlage von Lucans Pharsalia vorgelegt.44 Für den Diktator Caesar beschreibt Martin Jehne den personalen und zugleich systematischen Charakter seiner auswärtigen Beziehungen. Noch präziser für das Illyricum und den Osten tut dies Philipp-Stephan Freber, der eine festere Einbindung der Klientelkönige in das Imperium Caesars konstatiert. Gerhard Dobesch arbeitet den planmäßigen und zielstrebigen Charakter von dessen mit Kleinasiaten unterhaltenen Freundschaften sowie die darin lange vor Ausbruch des Bürgerkriegs erkennbaren monarchischen Tendenzen heraus.45 Auch die Neuordnung des Ostens durch M. Antonius ist schon öfter behandelt worden, freilich mit recht unterschiedlicher Bewertung der amicitia in seiner dynastischen Konzeption.46 Mit Beginn der Kaiserzeit gingen die auswärtigen Freundschaften des Augustus in der römischen Außenpolitik auf, die vielfach – wenngleich selten unter dieser spezifischen Akzentsetzung – beschrieben wurde. Demgegenüber hat man die außeritalischen Nahverhältnisse des jungen Caesar vor der Schlacht von Aktion vernachlässigt.47 Sind daneben umfassende Studien zu anderen großen Persönlichkeiten oder gentes der späten Republik rar, so finden sich noch seltener ihre außerrömischen Kontakte berücksichtigt.48 Ohne hier auch nur annähernde Vollständigkeit beanspruchen zu können, verfolheim 1977, 264-78. 44 Vgl. auch Baltrusch 2002a, 125-47 zu den an der Behandlung Judäas verdeutlichten Prinzipien des Pompeius. Hervorzuheben ist weiterhin auch die klassische Biographie von Gelzer 1959/1984. 45 Jehne 1987, 332-63; Freber 1993; Dobesch 1996. Während Harmand 1957, 127-31 Caesar „le projet d’un patrocinium immense et universel“ unterstellt, erkennt Weber 2003, 36f. keine besondere Prägung der auswärtigen Nahverhältnisse durch Caesar, die er lediglich als „Instrument der Machtausübung“ genutzt habe. 46 Vgl. bes. Buchheim 1960; Fadinger 1969, 150-76; Schrapel 1996; Benne 2001; daneben die Biographien von Bengtson 1977; Huzar 1978; Roberts 1988; zudem Dahlheim 1977, 269f.: Seine Klientelpolitik sei nur quantitativ neu, nicht qualitativ; Sartre 1991, 135f.: „La politique clientèle personnelle d’Antoine érigeait ainsi le royaume-client en système de gouvernement: désormais aucun roi ne put se réclamer d’une tradition dynastique indépendante de Rome“; Weber 2003, 39-41: „konsequentere“ Nutzung des Instituts seit Pompeius. 47 Bei Kienast 1999, 1-77 („Oktavians Weg zur Alleinherrschaft“) spielt das Thema keine Rolle; vgl. dagegen die Behandlung der augusteischen Außenpolitik (S. 332-77). Noch geringeres Interesse zeigen z.B. Bringmann/ Schäfer 2002, 92-105. Vgl. also immer noch Glauning 1936; Bowersock 1966; auch Weber 2003, 41-45. Weitere Literatur ist zu den Schwerpunkten 2 und 3 genannt. 48 Vgl. allgemein Badian 1958, 154-282; Hofmann-Löbl 1996 zu den Calpurnii; Rawson 1991, 102-24; 219-39 zu den Clodii; van Ooteghem 1967 zu den Metelli; Gelzer 1969 und Rouland 1979, 442-52 zu Cicero. In den meisten Fällen bleiben die RE-Artikel wichtige Ausgangpunkte.
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gen die Mitarbeiter des Projekts das Ziel einer geschlossenen Darstellung für die Zeit der ausgehenden Republik, die sich unter anderem auf systematische prosopographische Untersuchungen stützen soll.49 Schwerpunkt 2: Geographische Fokussierungen50 Zahlreiche Werke zur Außenpolitik der späten Republik behandeln Roms Beziehungen zum Osten. Hervorzuheben ist einerseits Richard Sullivans ‘Near Eastern Royalty and Rome, 100-30 BC’, das eine überaus hilfreiche Materialbasis gerade für die dynastische Vernetzung der östlichen Könige, aber nicht allzu viel weiterführende Interpretation bietet. Andererseits stellt Adrian Sherwin-White mit dem Titel ‘Roman Foreign Policy in the East (168 BC to AD 1)’ den umfassendsten Anspruch, führt aber das Kapitel ‘Friends and Allies’ kaum über das 2. Jahrhundert hinaus und verfolgt zumindest im systematischen Teil einen dezidiert impersonalen, abstrakt politischen Ansatz. Letzteres trifft auch auf die Studien von Marie-Thérèse Liebmann-Frankfort und Robert Morstein Kallet-Marx zu, die im übrigen mit dem Jahr 63 bzw. 62 enden.51 Großes Interesse finden in der Forschung weiterhin die kleinasiatischen Städte und Könige, mit denen sich grundlegend Rainer Bernhardt, Erich Gruen und JeanLouis Ferrary auseinandergesetzt haben.52 Für die ionischen Poleis kann zudem auf die jüngsten, auf neuen Inschriftenfunden basierenden Studien Gustav Adolf Lehmanns und seiner Schüler verwiesen werden, die sich aber wiederum stärker auf das 2. als auf das (zudem nur frühe) 1. Jahrhundert konzentrieren. In Mikrostudien weisen sie die große politische Bedeutung interpersonaler Beziehungen bereits für die Zeit vor Sullas Wirken im Osten, ja selbst vor dem Aristonikos-Krieg nach.53 Für die ausgehende Republik ist vor allem auf die Dissertationen Wolfgang Hobens und Michaela Stein-Kramers zu verweisen.54 Eine besonders günstige Quellenlage für eine Vertiefung bietet das im Herzen Kleinasiens gelegene Galatien, das nicht vor der Mitte des 1. Jahrhunderts durch Deiotaros Philorhomaios (reg. 100/94-41/40) unter römischer Hegemonie geeint wurde. Selbst die umfangreichen jüngsten Arbeiten von Stephen Mitchell und Karl Strobel lassen noch Raum für eine monographische Behandlung des vielleicht bedeutendsten ‘Klientelkönigs’ seiner Epoche.55 In ihr sind die Überlebensstrategien eines königlichen Romfreundes zu beschreiben, der wie die Städte des Reiches, aber 49
Zu den Datenbanken APRRE und RADAR s. das Vorwort (S. vii-ix) mit Anm. 1f. Vgl. den regional gegliederten Teil der Online-Bibliographie (wie u. Anm. 107). 51 Sullivan 1990; Sherwin White 1984, bes. 58-69; Liebmann-Frankfort 1969; Kallet-Marx 1995. Vgl. auch Sartre 1991 und 1995. 52 Bernhardt 1971; 1985; 1998; Gruen 1984; Ferrary 1988. Zur Kaiserzeit vgl. Nörr 1966; Vittinghoff 1994. 53 Lehmann 1988; 2003; Daubner 2003; Dreyer 2003; zudem in diesem Band, S. 55-74; 271-277. 54 Hoben 1969 und Stein-Kramer 1988, s. auch u. mit Anm. 103 und 106. 55 Mitchell 1993; Strobel 1996/?, 1999, 2002; auch Schwertheim 1994; Syme 1995, 127-36; Coşkun 2004c. 50
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auch wie die Masse der Armen in der urbs Roma ein Netz aus persönlichen Nahverhältnissen aufbaute.56 Ferner ist einerseits der hohe und stetig zunehmende Grad seiner Inklusion in den Staat und die Gesellschaft der Römer aufzuzeigen, während es andererseits nicht an Belegen für seinen oft unterschätzten Handlungsspielraum und sein Selbstverständnis als Nachfolger des pontischen Königshauses fehlt.57 Einen weiteren geographischen Fokus bildet die Nordküste des Schwarzen Meeres. Während sich die Romfreundschaft der Chersonesos Taurike bereits seit 179 v.Chr. nachweisen läßt, besaßen die Herrscher des Bosporanischen Reiches seit den 60er Jahren des 1. Jahrhunderts v.Chr. den Status von amici populi Romani. Wie weitgehend aus epigraphischen Zeugnissen hervorgeht, führten sie mit wenigen Unterbrechungen bis ins 4. Jahrhundert n.Chr. die Titel Philorhomaios und Philokaisar.58 Obwohl die nordpontische Region einen integralen Bestandteil der griechischrömischen Welt bildete, wurde sie in der westeuropäischen Geschichtsschreibung nur wenig beachtet. Ausnahmen bilden hier vor allem David Braund und Heinz Heinen sowie Brian McGing und Luis Ballesteros Pastor.59 Dagegen behandeln russische und ukrainische Forscher dieses Thema sehr intensiv, bisweilen jedoch unter ideologischen Vorzeichen.60 Dies ist besonders in dem jüngsten Werk Sergej Saprykins der Fall, dessen iranisch geprägter ‘Mithradatismus’ einer kritischen Diskussion bedarf.61 Denn die Politik Mithradates’ VI. und der bosporanischen Herrscher wird im wesentlichen als die Abwehr des römischen Vordringens in Kleinasien und im Schwarzmeergebiet interpretiert. Saprykin teilt die in der russischen, sowjetischen und postsowjetischen Althistorie nicht selten anzutreffende Sympathie für iranische, skythische, allgemein östliche und einheimische Traditionen sowie deren Widerstand gegen die Intervention westlicher Mächte, zu denen das Römische Reich in besonderer Weise zählt. Deswegen fällt es Saprykin und fiel es schon Michael Rostovtzeff – bei allen unbestreitbaren Verdiensten ihrer Arbeiten – schwer, die Romfreundschaft der bosporanischen Könige ausgewogen zu beurteilen. Neben den beiden Regionen nördlich und südlich des Schwarzen Meeres werden im Rahmen des Projekts außerdem die Rombindungen der Iberischen Halbinsel, Galliens und des ptolemäischen Ägyptens vertieft.62 Die Gesamtheit der diachronen Stränge wird es erlauben, bei aller Komplexität auch längerfristige Entwicklungslinien zu zeichnen. So sind Aufschlüsse gerade für die Verstärkung der Personalisie56
Zu den Städten vgl. z.B. Nicols 1992, 18-26; zu den Armen Garnsey/ Woolf 1989. Vgl. auch den Beitrag des Verfassers, S. 127-154 mit den Verweisen in Anm. 1. 58 Daß es auch in anderen Regionen bis in die Spätantike Kontinuität oder Wiederbelebung der amicitiaKonzeption gab, arbeitet z.B. Wirth 1997 mit Blick auf alliierte Germanenstämme heraus. 59 McGing 1986; Braund 1994 und sein Beitrag S. 253-270; Heinen 1991-2003 sowie die Beiträge S. 31-54 und 75-90; Ballesteros Pastor 1996. Zum komplexen Verhältnis zwischen Rom und dem Regnum Bosporanum in der Kaiserzeit vgl. einführend auch Millar 1996/2004, 235f.; 239-45. 60 Vgl. Golubcova 1951; Gajdukevič 1971; Cvetaeva 1979; Zubar’ 1998. 61 Saprykin 2002; contra Coşkun/ Heinen 2004, 61-72; ähnlich bereits Heinen 2001a. 62 S. auch die Beiträge von Lamberty und Zeidler (S. 155-173; 175-200) bzw. Christmann (S. 113-126). 57
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rungstendenzen, die variierenden, mit Beginn des Prinzipats aber weiter abnehmenden Handlungsmöglichkeiten der befreundeten Monarchen (und Städte) sowie die Ursachen des allmählichen Rückgangs des Klientelkönigtums in der Mittelmeerwelt (im Gegensatz zu den Gebieten jenseits von Rhein, Donau und Euphrat) während der frühen Kaiserzeit zu erwarten. Kritisch zu hinterfragen ist dabei beispielsweise die häufig geäußerte These, Klientelkönige hätten ihre Territorien ‘romanisieren’ und somit die Übernahme der direkten Herrschaft durch die Römer vorbereiten sollen. Im wesentlichen wird es also um eine tragfähige Gewichtung militärischer, politischer, rechtlicher und der oftmals unterschätzten persönlich-freundschaftlichen Motive gehen.63 Schwerpunkt 3: Repräsentation auswärtiger Freundschaftsverhältnisse64 Für die Untersuchung der Repräsentationsformen auswärtiger Freundschaften ist entsprechend den diversen Quellengattungen auf sehr unterschiedliche Literatur zurückzugreifen. Die reichen epigraphischen Quellen des Ostens mögen in der vorliegenden Übersicht beiseite gelassen werden, da die bereits aufgeführten Arbeiten zum großen Teil auf ihnen beruhen. Hervorgehoben seien hier allein die beiden rezenten Monographien zum Gemeindepatronat von Filippo Canali de Rossi und Claude Eilers, weil ihre zweisprachigen, teilweise annotierten Quellenanhänge günstige Ansatzpunkte für weitere Studien bieten.65 Erstklassigen Zeugniswert für die ausgehende Republik hat das Schrifttum Ciceros, an dem sich nicht zuletzt die Komplexität transnationaler Nahverhältnisse und Parteiungen aufzeigen läßt. Unter den vielen Biographien bleibt diejenige aus der Feder von Matthias Gelzer (1969) kanonisch. Im ganzen ist zwar eine Fülle an Kommentaren und Detailstudien zu berücksichtigen, doch zeigen diese nur selten Interesse an der amicitia-Thematik und brauchen hier deswegen nicht einzeln aufgeführt zu werden. Das Werk des Arpinaten hat Raimund Schulz als Hauptquelle für die spätrepublikanische Reichsverwaltung systematisch ausgewertet. Dabei zeigt er, daß Beratung durch fremde Klienten und enge Kooperation mit einheimischen Eliten unabdingbar waren und zu bleibenden Patronatsverhältnissen führten.66 Erläuterungen zum Kontext und zur rhetorischen Strategie von Ciceros Gerichtsreden oder Hilfen für die Bewertung dort verwendeter Semantiken bieten vor allem Erich Gruens sozio-politische Analysen, daneben auch Dietmar Schmitz’ Studie zu
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S.u. III. Vgl. auch die thematisch gegliederten Teile der Online-Bibliographie (wie u. Anm. 107). 65 S.o. Anm. 29. Unter den Quellensammlungen seien zudem Sherk 1969; Brodersen/ Günther/ Schmitt 1999 und Canali de Rossi 2002 hervorgehoben. 66 Schulz 1997, 14f.; 154-65; 291-95; sowie 99-122 zu Formen des statthalterlichen Auftretens gegenüber Provinzialen. Zu einer systematischen Aufstellung der Aufgaben, deren Erfüllung von einem Klientelkönig erwartet wurde, vgl. jetzt die weitgehend auf Braund 1984 basierende Übersicht bei Weber 2003, 23-28. 64
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den fremden Zeugen von Prozeßgegnern.67 Hinzu kommen zwei anregende Dissertation zu Ciceros imperialer Grundüberzeugung bzw. Rhetorik von Hans Dieter Meyer und Catherine Steel, ferner Michael Alexanders und Andrew Riggsbys sozialgeschichtlich ausgerichtete Monographien zu den spätrepublikanischen Kriminalprozessen.68 Für die Frage, welche Wirkungen die Schriftfassungen von Staats- oder Gerichtsreden entfalten konnten bzw. sollten, sind nun die kontrastierenden Arbeiten von Armin Eich und Shane Butler zu konsultieren.69 Neben Pro rege Deiotaro (a. 45) erlauben es insbesondere Pro M. Fonteio (a. 70) und Pro Aemilio Scauro (a. 54) sowie Pro Archia poeta (a. 62) und Pro L. Cornelio Balbo (a. 56), einerseits die Instrumentalisierung auswärtiger Freundschaften im oftmals politisierten Repetundenprozeß der ausgehenden Republik zu verdeutlichen, andererseits die bei der Anfechtung des römischen Bürgerrechts im Vorder- und Hintergrund wirksamen Beziehungsgeflechte zu analysieren. Gerade diese fünf orationes laden auch zum Studium der Rollen ein, welche die aus den Randzonen des Mittelmeerraums stammenden Freunde vor römischen Gerichtshöfen einnehmen konnten bzw. sollten. Außerdem ergibt ein Vergleich der jeweiligen Verhandlungstaktik, wie leicht sich ethnisch-kulturelle Differenzen zur Diffamierung der Gegner einsetzen ließen, während sie bei den eigenen Freunden entweder ignoriert oder im Fall gebildeter Griechen sogar als ‘Zusatzqualifikation’ charakterisiert wurden. Auf die eine oder andere Art atmen die erwähnten Reden allesamt auch den Geist des römischen Imperialismus. Sie legen offen, daß der Nutzen für Rom bzw. für einzelne Römer zumindest im Konfliktfall den zentralen Bewertungsmaßstab abgab, dem sich auswärtige Nahverhältnisse unterzuordnen hatten.70 67
Gruen 1984, bes. 260-357; Schmitz 1985, bes. 148-57. Meyer 1957; Steel 2002; Riggsby 1999, 151-72; Alexander 2003; vgl. auch dens. 1990 (systematische Aufstellung zu spätrepublikanischen Prozessen) sowie David 1992 zum Gerichtspatronat. 69 Während Butler 2002, z.B. 2f.; 71-73; 120-23 die schriftliche Verbreitung politischer Reden als ein Kampfmittel der ausgehenden Republik beschreibt, hält Eich 2000 die Vorstellung von politischer Publizistik für anachronistisch. Neben dem öffentlichen Charakter der republikanischen Politik und Justiz betont er vor allem das literarisch-didaktische Interesse der Quellen (S. 196-213); politische Einflußnahme auf eine lesende Öffentlichkeit sei nicht einmal für die sog. libelli belegbar. Vgl. z.B. S. 162: „Die Rezeption seiner ‘Ideen’ scheint ihn (sc. Cicero – A.C.) nicht interessiert zu haben“; S. 170 stellt er fest, daß eine niedergeschriebene Rede „nicht eigentlich Medium eines (primären) Kommunikationsaktes ist, sondern vielmehr einen in der Vergangenheit liegenden Kommunikationsakt abbildet“; sie solle zeigen, „wie nach Ansicht des Redners in einer bestimmten Situation idealerweise gesprochen werden mußte, um ein individuelles Redeziel zu erreichen“; dabei habe Cicero wiederholt in Kauf genommen, gegen seine eigentliche Überzeugung zu handeln (bes. S. 171; 210; zu möglichen Einwänden vgl. aber S. 267; 377). Eichs durchaus beachtenswerte Erkenntnisse scheinen indes nicht hinreichend zu berücksichtigen, daß z.B. die Dokumentierung erfolgreicher Patronage ebenso wie die Beleidigung von Gegnern immer auch politische Dimensionen hatte. Schließlich ist auch auf reine Propaganda-Schriften wie die im Corpus Caesarianum enthaltenen zu verweisen, die für ein breites Lesepublikum bestimmt waren. Zur Ciceronianischen ‘Publizistik’ vgl. zudem Narducci 1997, 164-73. 70 Vgl. auch Cic. dom. 90 ille populus est dominus regum, victor atque imperator omnium gentium. – Die Bearbeitung der Deiotariana durch den Verfasser ist weit vorangeschritten, die der Archiana und Fonteiana bereits abgeschlossen, vgl. Coşkun 2004b; 2005a; 2005b. Die Behandlung der Balbiana hat 68
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Die rechtliche Entwicklung der Praxis von Vergabe und Entzug der civitas Romana im späten 2. und frühen 1. Jahrhundert, für welche Ciceros Archiana und Balbiana Hauptquellen darstellen, ist immer noch nicht angemessen nachgezeichnet worden. In Teilen veraltet, bleibt die Monographie Adrian Sherwin-Whites (1939/73) das einzige umfassende Werk, das durch Arbeiten etwa von Claude Nicolet und Bernhard Holtheide sowie durch Hartmut Wolffs monumentale, bisher aber unpublizierte Habilitationsschrift nur ergänzt, doch nicht ersetzt ist.71 Die Untersuchungen von Timothy Peter Wiseman und Élisabeth Deniaux verdienen deswegen besondere Hervorhebung, weil sie die zentrale Rolle von Nahverhältnissen im vorliegenden Kontext treffend herausstellen.72 Dieser Aspekt liegt auch einer Reihe von Aufsätzen zugrunde, in denen der Verfasser sowohl die rechtlichen als auch die politischen Dimensionen der Civitätsvergabe im Zusammenhang des Bundesgenossenkrieges analysiert.73 Eine klare Behandlung der rechtlichen Bedingungen und sozio-politischen Hintergründe von Bürgerrechtsentzug und Ausweisung aus der Stadt Rom bleibt hingegen ein Desiderat.74 Gleichfalls fehlt eine zusammenfassende Darstellung für die Zeit der ausgehenden Republik und frühen Kaiserzeit, in welcher sich allmählich das Prinzip der doppelten patria durchsetzte.75 Daß selbst befreundete Könige seit der Herrschaft des M. Antonius im Osten immer häufiger auch römische Bürger wurden bzw. waren, blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Selbstverständnis einerseits ihrer selbst, andererseits auch der römischen Staatsbürger allgemein. Diese Tatsache ist aber bislang ebensowenig systematisch erforscht worden.76 Eine kaum geringere terminologische Bandbreite interpersonaler und zwischenstaatlicher Nahverhältnisse als im Werk Ciceros begegnet im Corpus Caesarianum. Diese Schriften bedienen sich bezüglich der Bündner Roms gleichwie der Caesar persönlich nahestehenden Fremden überwiegend Freundschaftssemantiken, während John Lamberty übernommen. S. auch die beiden diesbezüglichen Beiträge in diesem Band, S. 127-154; 155-173. – Zu Ciceros zwiespältigem Verhältnis zu den Griechen vgl. Urban 1983. 71 Sherwin-White 1939/73; Nicolet 1979/88; Holtheide 1983; Wolff 1977; vgl. auch Vittinghoff 1951; Galsterer 1976; Dahlheim 1977, 303-19; Wolff 1979; Gardner 1993. Zu Fremden in Rom auch Noy 2000 (S. 23-29 zum Bürgerrecht). Zu einer epochenübergreifenden Behandlung von civitas als rechtlich-politischer Form der Zugehörigkeit vgl. Crifò 2000; für die Antike Ratti 2002. 72 Wiseman 1971, 13-64; Deniaux 1983. Zu Seleukos von Rhosos (37 v.Chr.) vgl. Raggi 2004. 73 Coşkun 2004a; 2004d; 2004/5b, vor allem in kritischer Auseinandersetzung mit den Positionen von Luraschi 1978; 1979; 1995 und Wulff Alonso 2002. 74 Vgl. aber Laffi 1995 für das 2. Jh. v.Chr.; dazu ist ferner eine Studie von Pierre Sanchez (Genf) angekündigt. Einführend zu den Prozessen de civitate des 1. Jhs. auch Paulus 1997. 75 Vgl. aber bes. Link 1995. Zur civitas Romana in den östlichen Provinzstädten der Kaiserzeit vgl. jetzt auch Meyer-Zwiffelhoffer 2003. 76 Vgl. die Bestandsaufnahme zu den ‘römischen’ Königen mit kurzer politischer Bewertung bei Braund 1984, 39-53; eingehender, aber unpubliziert, Wolff 1977, bes. 1,292-306; für eine Fallstudie zu germanischen Königen s. jetzt in diesem Band, S. 225-252. Vgl. daneben z.B. Bowersock 1965/66, 47; 61; Stein-Kramer 1988, 177; 179. – Der fiktiven Stelle in Petrons Satyrikon (cap. 57), wonach sich ein Königssohn in die Sklaverei begeben habe, um römischer Freigelassener zu werden, ist kein gegenteiliges Gewicht beizumessen.
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die Beziehungen unter oftmals denselben gallischen Stämmen regelmäßig als clientelae beschrieben werden.77 Für die Außenpolitik des Statthalters in Gallien sind besonders die Untersuchungen von Joachim Szidat und Dieter Timpe heranzuziehen. Speziell für die bereits in den Quellen problematisierte ‘Freundschaft’ zu Ariovist kann auf die Studien von Karl Christ und Franz Fischer zurückgegriffen werden. Weiterhin wertvoll bleibt die materialreiche und zugleich pointierte Untersuchung Michel Rambauds zu Caesars „art de la déformation“.78 Insbesondere verdient die vielbeschworene amicitia in Caesars imperialer Diplomatie und suggestiven innerrömischen Publizistik eine nähere Untersuchung. Ergänzend sind hierbei die Zeugnisse Ciceros und Cassius Dios heranzuziehen, die eine hohe Achtung vor den socii et amici populi Romani seitens der römischen Öffentlichkeit zu belegen scheinen. Im ganzen verstärken sie den Eindruck, daß sich gerade zur Zeit der ausgehenden Republik die aus einem fides-Verhältnis hervorgehende Verpflichtung auch eines römischen Freundes keineswegs aufgelöst hatte, sondern weiterhin ein wichtiges Handlungsmotiv, wenn auch neben anderen, darstellen konnte.79 Nachdem bis unter Augustus mit Ausnahme Parthiens sämtliche Königreiche von Rom ‘zurückgegeben’ (regna reddita), wenn nicht erstmals ‘geschenkt’ (regna data), waren, intensivierte sich auch ihre Rombindung derart, daß die reges amici fortan cives Romani waren und ihre Territorien als Bestandteile des Römischen Reiches bzw., um mit Sueton zu sprechen, als membra partesque imperii betrachtet wurden. Einen besonderen Ausdruck fand dieser Sachverhalt beispielsweise darin, daß sich zahlreiche jugendliche Prinzen von den Rändern des Imperiums in Rom einfanden, um gemeinsam mit den Knaben der Kaiserfamilie erzogen zu werden. Dieser sich auf breiter Ebene vollziehende Inklusionsprozeß ist auch in anderen noch anzusprechenden Bereichen ablesbar.80 So verdichtete sich unter Caesar eine Variation diplomatischer Terminologie, indem nun die persönliche Freundschaftsbeziehung gleichen Rang wie die amicitia 77 Vgl. z.B. Caes. Gall. 1,3.19-20.31.33.53 etc. gegenüber 1,31; bes. 6,12. – Genannt sei hier der von Müller 2004 vorgelegte Kommentar zum Bell. Afr., der aber ebensowenig Interesse an der amicitiaThematik zeigt. 78 Szidat 1970; Timpe 1972; Christ 1974; Fischer 1999; Rambaud 1966; vgl. auch Richter 1977. 79 Vgl. bes. Caes. Gall. 1,35.43f. und Cass. Dio 38,36-46 betr. Ariovist; Bell. Alex. 68 und Cic. Deiot. 9f. betr. Deiotaros; Cass. Dio 42,47,4 (Bell. Alex. 69f.) betr. Pharnakes/ Pompeius; 42,48,4 betr. Pharnakes/ Asandros, dazu Heinen 1994, 75-78; Bell. Hisp. 42 zu den „undankbaren“ Hispaniern. Zu Caesars Mißachtung von foederati vgl. andererseits z.B. Suet. Iul. 24,3. Zu weiteren einschlägigen Stellen vgl. z.B. Cic. div. Caec. 66f.; Font. 18; 32; 44; Manil. 12-14; Arch. 21; Deiot. 1; 3; 6; 40. Zur Verbindlichkeit der fides s. auch o. Anm. 3; 23; 38. Allgemein zur Bedeutung von Rhetorik und Propaganda im Kontext von Nahverhältnissen s.o. mit Anm. 35. 80 Suet. Aug. 48; vgl. auch cap. 60 reges amici et socii ... officia ... more clientium praestiterunt; Aug. RG 26; Strab. geogr. 17,3,24f. (839 C), dazu z.B. Braund 1984; Dahlheim 1989, 92f.; Millar 1996/2004, bes. 230-33. Zum Wandel unter Augustus vgl. auch Weber 2003, 42-45; 103-8 mit weiteren Aspekten wie dem Kaiserkult, der kaiserlichen Gerichtsbarkeit oder der Erziehung von Königssöhnen in Rom; zu letzterer bes. Hadas-Lebel 2003. – Manche Forscher postulieren eine Reichszugehörigkeit bereits seit Pompeius, vgl. z.B. Dahlheim 1977, 261-73 (aber keine Steuerpflicht der Klientelkönige); 1989, 88; ähnlich Timpe 1962, 344; Baltrusch 2002a, 127.
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populi Romani und damit offiziellen Charakter erhielt.81 Wenige Jahrzehnte nachdem die Bezeichnung Philorhomaios geprägt worden war, kamen im Osten ferner Herrschernamen wie Philantonios (